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Sigg • Der Unterführer als Feldherr im Taschenformat

Zeitalter der Weltkriege

Begründet vom
Militärgeschichtlichen Forschungsamt

Herausgegeben vom
Zentrum für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften der Bundeswehr

Band 12
Marco Sigg

Der Unterführer als


Feldherr im Taschenformat
Theorie und Praxis der
Auftragstaktik im deutschen
Heer 1869 bis 1945

FERDINAND SCHÖNINGH 2014


Paderborn • München • Wien • Zürich
Umschlagabbildung:
Deutsche Soldaten vor Beginn eines Angriffs. Der Zugfuehrer gibt die not-
wendigen Anweisungen. Anfang Oktober 1941 (ullstein bild – Weltbild)

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Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr,
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Lektorat: Cordula Hubert (Olching)
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Printed in Germany
Herstellung: Wuhrmann Druck & Service GmbH, Freiburg i.Br.

ISBN: 978-3-506-78086-7
Inhalt

Vorwort ....................................................................................................... IX

I. Einleitung .............................................................................................. 1
1. Problemstellung ................................................................................ 1
2. Forschungsstand ............................................................................... 6
3. Fragestellung, Methode und Aufbau der Arbeit ................................ 13
4. Quellenlage ...................................................................................... 19
5. Sprache und Begriffe......................................................................... 23
6. Dank ................................................................................................ 26

II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 1869‑1945


– Analyse des Phänomens Auftragstaktik................................................ 29
1. Das Kriegsverständnis der preußisch-deutschen militärischen
Denkschule ...................................................................................... 33
a) Einordnung und Rezeption von Clausewitz’ Kriegstheorie .......... 36
b) Das spezifische Wesen des Krieges bei Clausewitz ........................ 41
c) Das Kriegs- und Führungsverständnis von Moltke d.Ä................ 47
2. Das Kriegs- und Führungsverständnis in preußisch-deutschen
Heeresdienstvorschriften bis 1945 .................................................... 54
a) Führungs- und Ausbildungsvorschriften des Heeres
1869 bis 1945 ............................................................................. 54
b) Kontinuitätslinien in der deutschen militärischen
Führungsdoktrin 1869 bis 1945 .................................................. 67
Das Kriegsverständnis in den Dienstvorschriften des Heeres ....... 69
»... und Kühnheit ist der Kriegskunst immanent« –
Zum Wert der moralischen Faktoren im preußisch-deutschen
Führungsdenken ......................................................................... 72
Offensivgeist und stetiger »Drang nach vorwärts«? ...................... 88
Die Selbstständigkeit der Unterführer – »eine etwas
zweischneidige Sache« ................................................................. 95
Disziplin und Gehorsam – »der erste und wichtigste Grundsatz
in jeder brauchbaren Armee« ....................................................... 118
»Die Einheitlichkeit der Kampfführung muss gewahrt bleiben«
– Zur Bedeutung von straffer Führung, Nachrichtenverbindungen
und dem Führen von vorn .......................................................... 130
»Die Truppenführung ist eine Kunst, in ihr gibt es
keine Schablone« ......................................................................... 144
VI Inhalt

»Gut zu befehlen ist eine Kunst« – Der Führungsvorgang


im deutschen Heer ...................................................................... 152
3. Zusammenfassung ................................................................................. 173

III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit –


Auftragstaktik von Moltke d.Ä. bis Guderian ......................................... 177
1. Auftragstaktik in der Zeit der »Reichseinigungskriege« ..................... 178
a) Der Deutsch-Dänische Krieg 1864 ............................................. 181
b) Der Deutsche Krieg 1866 ........................................................... 182
c) Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 ................................... 188
d) Die Reichseinigungskriege, der Moltke-Mythos und
der Kult der Selbstständigkeit – eine Beurteilung ........................ 195
2. Auftragstaktik im Ersten Weltkrieg 1914‑1918 ............................... 202
a) Die Grenzschlachten im Osten 1914........................................... 203
b) Die Grenzschlachten im Westen 1914 ......................................... 207
c) Von Falkenhayn zu Ludendorff ................................................... 213
d) Die deutsche Operationsführung 1914‑18 im Urteil
der deutschen Militärpublizistik der Zwischenkriegszeit .............. 219
3. Die Entwicklung des Heeres in der Zwischenkriegszeit ..................... 229
4. Der Westfeldzug 1940 – Richtungsstreit zwischen
»Traditionalisten« und »Progressiven« ............................................... 231
a) Überblick zum operativen Verlauf des »Sichelschnitts« ................ 231
b) Planung und Organisation der Offensive .................................... 233
c) Der Vorstoß an die Maas ............................................................. 235
d) Der Maasübergang und der Panzerraid an die Kanalküste ........... 239
e) Der »Fall Gelb« – eine Wertung .................................................. 249
5. Zusammenfassung ............................................................................ 250

IV. Der Krieg im Osten 1942/43 – das taktische Führungsverhalten


am Beispiel von drei Divisionen ............................................................. 253
1. Die militärische Gesamtlage an der Ostfront 1942 ........................... 254
a) Ausgangslage und Planung .......................................................... 254
b) Der zweite Feldzug gegen die Sowjetunion .................................. 259
2. Fallbeispiel 1: Die »letzte Reserve« – 385. Infanteriedivision ............. 262
a) Aufstellung und Gliederung der Division .................................... 262
b) Das Personalgefüge und die Offizierstellenbesetzung
der Division ................................................................................ 265
Das Personalprofil der 385. Infanteriedivision ............................. 265
Die Divisionsführung.................................................................. 267
Der Divisionsstab ........................................................................ 269
Das Führerkorps in den Verbänden der Division ......................... 271
c) Die Vorbereitung der Division auf den Kriegseinsatz ................... 273
d) Kriegsverwendung 1942/43 ........................................................ 280
Der Weg der Division ................................................................. 280
Die Führung der 385. Infanteriedivision im ersten Einsatz .......... 283
Der Ersteinsatz aus der Retrospektive des
Divisionskommandos .................................................................. 290
Inhalt VII

Die »Bewährungsprobe der Division« – der Vorstoß


nach Voronež .............................................................................. 293
Standhaft »wie rocher de bronze« – Die Kampfhandlungen
der Division in der Donstellung .................................................. 311
e) Personallage und Ausbildungsmaßnahmen im Krieg ................... 320
f ) Resümee: Das Führungsverhalten in der
385. Infanteriedivision ................................................................ 327
3. Fallbeispiel 2: Die »eiserne Division« – 10. motorisierte
Infanteriedivision.............................................................................. 329
a) Aufstellung und Gliederung der Division .................................... 329
b) Das Personalgefüge und die Offizierstellenbesetzung
der Division ................................................................................ 333
Das Personalprofil der 10. Infanteriedivision (mot) ..................... 333
Die Divisionsführung.................................................................. 336
Der Divisionsstab ........................................................................ 341
Das Führerkorps in den Verbänden der Division ......................... 344
c) Kriegsverwendung 1942/43 ........................................................ 351
Der Weg der Division ................................................................. 351
Das Jahr des Stellungskrieges vom Mai 1942 bis April 1943........ 352
d) Personallage und Ausbildungsmaßnahmen im Krieg ................... 385
e) Resümee: Das Führungsverhalten in der
10. Infanteriedivision (mot) ........................................................ 394
4. Fallbeispiel 3: Der Eliteverband des Heeres – die
Kriegsfreiwilligen-Division »Großdeutschland« ................................ 396
a) Aufstellung und Gliederung der Division .................................... 396
b) Das Personalgefüge und die Offizierstellenbesetzung
der Division ................................................................................ 401
Das Personalprofil der Infanteriedivision (mot)
»Großdeutschland« ..................................................................... 401
Die Divisionsführung.................................................................. 405
Der Divisionsstab ........................................................................ 408
Das Führerkorps in den Verbänden der Division ......................... 410
c) Kriegsverwendung 1942/43 ........................................................ 416
Der Weg der Division ................................................................. 416
Unternehmen »Blau« – Der Wettlauf nach Voronež und
zum unteren Don........................................................................ 419
Abwehrkämpfe im Frontbogen bei Ržev ...................................... 432
d) Personallage und Ausbildungsmaßnahmen im Krieg ................... 444
e) Resümee: Das Führungsverhalten in der
Division »Großdeutschland« ....................................................... 450
5. Zusammenfassung ............................................................................ 452

V. Schlussbetrachtung und Ausblick ........................................................... 457

Abkürzungen............................................................................................... 465
Quellen- und Literaturverzeichnis ............................................................... 469
Personenregister........................................................................................... 499
Vorwort

Die hohe Leistungsfähigkeit deutscher Verbände und die taktisch-operativen


Erfolge des deutschen Heeres im Zweiten Weltkrieg werden in der Literatur
gerne mit der »typisch deutschen« Führungskunst begründet. Zentrales Element
der scheinbar überlegenen deutschen Führungsgrundsätze war die sogenannte
Auftragstaktik. In diesem »bewährten« Führungsprinzip sahen schon Zeitgenossen
wie Erich von Manstein oder Theodor Busse das deutsche »Geheimnis des Sieges«.
Erstaunlicherweise ist die Geschichte der Auftragstaktik – gerade hinsichtlich
des Zweiten Weltkrieges – und das Konzept, das hinter diesem vermeintlichen
Erfolgsrezept steckt, noch nie wissenschaftlich fundiert untersucht worden. An
diesem Punkt setzt die Studie von Marco Sigg an.
Ausgehend vom Kriegsverständnis des preußischen Kriegsphilosophen Carl
von Clausewitz und der Führungskonzeption des älteren Moltke filtert der Autor
durch die eingehende Analyse deutscher Führungs- und Ausbildungsvorschriften
zwischen 1869 und 1945 die Elemente heraus, die den eigentlichen Kern der
Auftragstaktik ausmachten. Mit diesem idealtypischen Gerüst spiegelt er sodann
den militärischen Alltag auf taktisch-operativer Stufe und liefert hierzu eine
Detailstudie über die Geschichte dreier deutscher Divisionen an der Ostfront
1942/43, die nebenher neue Einblicke in die Kampfhandlungen im Rahmen des
»Unternehmens Blau« bietet.
Das Buch zeigt, dass Auftragstaktik nicht an einem Element festgemacht und
ebenso wenig mit Selbstständigkeit gleichgesetzt werden kann. Es verdeutlich
darüber hinaus, dass es Auftragstaktik als Doktrin und Ausbildungsziel zwar gab,
sie in der militärischen Praxis jedoch nicht die Regel, sondern einen Ausnahmefall
darstellte. Ob nach Auftragstaktik geführt wurde, hing von verschiedenen
Faktoren ab, nicht zuletzt vom Führungsverständnis und der Persönlichkeit des
jeweiligen Vorgesetzten.
Zugleich liefert der Autor bei seiner Untersuchung der taktischen Führungsstufe
eine weitere Begründung für die Leistungsfähigkeit der deutschen Verbände,
indem er die große Bedeutung des Dialogs und der Nachrichtenverbindungen für
den Führungsvorgang aufzeigt. Erst diese Einbindung der Untergebenen in die
Lagebeurteilung und Entscheidungsfindung ermöglichte die geistige Mitarbeit auf
allen Stufen und – falls nötig – das Handeln nach dem Prinzip der Auftragstaktik.

Dr. Hans-Hubertus Mack


Oberst und Kommandeur des
Zentrums für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften der Bundeswehr
I. Einleitung

1. Problemstellung

Das Bild der Wehrmacht war nach 1945 stark von Mythen geprägt: Die Wehr-
macht als Zufluchtsort unpolitischer »Nur-Soldaten«1, die sich dem ideologi-
schen Zugriff des NS-Regimes verwehrt hätten; die »saubere« Wehrmacht, die
im Gegensatz zum NS-Regime und zur SS den Krieg völkerrechtskonform und
ehrenvoll geführt habe und am Vernichtungskrieg nicht beteiligt gewesen sei;
die Wehrmacht, die sich aufopfernd dem Ansturm der Roten Armee und damit
dem Kommunismus entgegengestellt und so die abendländische Kultur vertei-
digt habe; die Wehrmacht, die bis zuletzt mit ungebrochenem Einsatzwillen und
in militärischer Ordnung gekämpft habe; und schließlich die Wehrmacht, die
als exzellente militärische Organisation für ihre Professionalität und die taktisch-
operativen Führungskünste ihrer Generale und Offiziere bewundert wurde.
Seit den 1960er Jahren begann die westdeutsche Geschichtswissenschaft dieses
schöngefärbte Bild kritisch zu hinterfragen und besonders die Rolle der Wehrmacht
im nationalsozialistischen Vernichtungskrieg an der Ostfront eingehend aufzuar-
beiten2. Viele der Mythen sind heute widerlegt. Deutlich gilt dies etwa für den
Mythos der »sauberen« Wehrmacht. Die sogenannten Wehrmachtsausstellungen
hatten in der breiten Öffentlichkeit zunächst noch kontroverse Diskussionen
nach sich gezogen3. In der Folge erfuhr die Erforschung der Mittäterschaft der
Wehrmacht im nationalsozialistischen Vernichtungskrieg sowie des Holocausts
seit den 1990er Jahren einen wahren Aufschwung. Dies führte endgültig zu
einer Dekonstruktion des Mythos von der sauberen Wehrmacht4. In diesem
Zusammenhang und teilweise an ältere Forschungsliteratur anknüpfend wurden
auch sozial- und mentalitätshistorische Gesichtspunkte untersucht5. Es gelangte

1
Hürter, Hitlers Heerführer, S. 98 f.
2
Richtungsweisend waren z.B. die Schriften von Andreas Hillgruber, Manfred Messer-
schmidt oder Klaus-Jürgen Müller. Bis in die 1980er Jahre folgten weitere wichtige For-
schungsarbeiten. Einen Überblick bietet: Römer, Der Kommissarbefehl, S. 15‑20.
3
Vgl. Heer, Von der Schwierigkeit, einen Krieg zu beenden, S. 1086‑1100; Thamer, Vom
Wehrmachtsmythos zur Wehrmachtsausstellung, S. 123‑131.
4
Einen Überblick bietet: Verbrechen der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte. Das Thema
bleibt zentral, wie z.B. das unlängst abgeschlossene Forschungsprojekt »Wehrmacht in der
nationalsozialistischen Diktatur« des Instituts für Zeitgeschichte zeigt.
5
Z.B. Browning, Ganz normale Männer; Bartov, Hitlers Wehrmacht; Fritz, Frontsoldaten;
Kühne, Kameradschaft.
2 I. Einleitung

vermehrt auch der »Krieg des kleinen Mannes« in den Fokus der Forschung6.
Für den genuin militärischen Aspekt gilt die Entmystifizierung allerdings nur be-
dingt. Zwar sind die Kriegsursachen, sein operativer Verlauf auf den verschiede-
nen Kriegsschauplätzen oder die Schlachten des Zweiten Weltkrieges ereignisge-
schichtlich größtenteils aufgearbeitet – gerade zum Krieg gegen die Sowjetunion,
der für Adolf Hitler und das Heer der wichtigste Kriegsschauplatz war, gibt es
eine kaum mehr zu überblickende Menge an Forschungsliteratur7. Auch das
Verhältnis von NS-Staat und Wehrmacht, ihre Sozial- und Strukturgeschichte,
die Professionalität der Wehrmachtsführung sowie ihr strategisches Denken
und Handeln sind breit untersucht8. Gleichwohl blieben zentrale Aspekte der
militärischen Organisation und ihr eigentliches Arbeitsfeld, die Kampfführung
im Gefecht, vielfach unterbelichtet9. Dies zeigt sich z.B. bei den militärischen
Schlüsselelementen Ausrüstung, Führung, Ausbildung und Doktrin, die nach !
James S. Corum die Voraussetzungen für militärischen Erfolg bilden. Corum
machte darauf aufmerksam, dass die Aspekte Ausrüstung und Führung in der
Geschichtswissenschaft breit untersucht worden seien, während die Aspekte
Doktrin und Ausbildung nicht annähernd die Aufmerksamkeit erfahren hät-
ten, die ihrer Wichtigkeit für die Kriegführung entspräche10. Es stellt sich die
Frage, ob die Aussage Corums nicht sogar noch schärfer formuliert werden müss-
te. Tatsächlich bleiben nämlich selbst für die Aspekte Ausrüstung und Führung
weiterhin viele Fragen unbeantwortet, z.B. gerade was die Interdependenz von
Waffentechnik, Taktik und Führung betrifft. Die vorliegende Arbeit wird u.a.
noch aufzeigen, welche zentrale Bedeutung die Nachrichtenverbindungen für die
taktisch-operative Kampfführung besaßen. Trotzdem gibt es zu den deutschen
Nachrichtenmitteln und deren Verwendung im Gefecht bislang keine wissen-
schaftliche Untersuchung. Gerade im Bereich der Taktikgeschichte stellt sich
deshalb die Frage, ob denn die Wehrmacht wirklich »weitgehend erforscht« sei11.
Bei der Ausklammerung militärspezifischer Aspekte mag eine Rolle gespielt
haben, dass gerade in der deutschen Geschichtswissenschaft eine gewisse Furcht
davor herrschte, die einmal überwunden geglaubte amtliche Kriegsgeschichte

6
Der Krieg des kleinen Mannes; Latzel, Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg?;
Rass, »Menschenmaterial«; Koch, Fahnenfluchten. Dabei nicht zu vergessen ist die Thema-
tik »Frauen und Wehrmacht«. Vgl. dazu Kundrus, Nur die halbe Geschichte.
7
Einen Überblick bietet Müller/Ueberschär, Hitlers Krieg im Osten. Vgl. auch Hartmann,
Wehrmacht im Ostkrieg, S. 11. Für die neuere Literatur siehe Pohl, Die Herrschaft der
Wehrmacht, S. 7‑11.
8
Z.B. Wette, Die Wehrmacht; Die Wehrmacht. Mythos und Realität; Förster, Die Wehr-
macht im NS-Staat; Hartmann, Verbrecherischer Krieg, S. 1‑75; Creveld, Kampfkraft;
Megargee, Hitler und die Generäle.
9
Förster, Die Wehrmacht im NS-Staat, S. 19. Vgl. auch Neitzel, Militärgeschichte ohne
Krieg?, S. 287‑308; Müller, Hitlers Wehrmacht, S. 11.
10
On the German Art of War, S. IX. Vgl. auch Murray, The German Response to Victory in
Poland, S. 285‑298. So bildet z.B. die Ausbildungsorganisation der Wehrmacht im Kriege
so etwas wie eine historische terra incognita.
11
Diese Meinung vertritt z.B. Jürgen Förster. Vgl. Förster, Die Wehrmacht im NS-Staat. Ein
»grauer Fels in der braunen Flut«?, S. 264 (Zitat). Vgl. auch Hartmann, Wehrmacht im
Ostkrieg, S. 11. Nach Hürter stellt der Ostkrieg »weder im Ganzen noch im Detail ein
bestelltes Feld der historischen Forschung« dar. Hürter, Hitlers Heerführer, S. 14.
I. Einleitung 3

und den ihr zugrunde liegenden applikatorischen Ansatz wiederzubeleben12. Eine


solche Sichtweise bringt indes zwei problematische Aspekte mit sich: Zum einen
darf die Beurteilung der militärischen Leistungsfähigkeit der Wehrmacht nicht
nur eine Frage sein, die Militärs interessiert – dafür ist sie historisch und politisch
zu brisant. Schließlich waren es gerade die militärischen Erfolge der Wehrmacht,
die es dem NS-Regime ermöglichten, die eigene Bevölkerung an sich zu bin-
den. Erst im »Sog des Krieges«13 vermochte dieses auch den Rassenkrieg um-
zusetzen. Auch die Tatsache, dass das Deutsche Reich den Alliierten personell
und materiell hoffnungslos unterlegen war und trotzdem erst im Frühjahr
1945 militärisch besiegt werden konnte, verlangt nach einer historischen
Erklärung14. Zum anderen darf die Beurteilung der Wehrmacht als militärische
Organisation nicht einfach der »Erlebnisgeneration« überlassen bleiben. Die
vor dem Hintergrund der Nürnberger Prozesse verfolgte Verteidigungsstrategie
der angeklagten deutschen Akteure ist längst als solche entlarvt worden, eben-
so wie die darin zugrunde liegende Absicht, sich selbst, dem Generalstab und
den deutschen Truppen ein »literarisches Denkmal«15 zu setzen. Auch die zahl-
reichen Memoiren, Rechtfertigungsschriften und kriegsgeschichtlichen Studien
bezweckten hauptsächlich, die militärische Leistung der Wehrmacht hervorzuhe-
ben, während Aspekte des Vernichtungskrieges bewusst verschwiegen wurden16.
So entstand in den Jahren nach 1945 nicht nur die Legende des unbefleckten
Ehrenschildes der deutschen Wehrmacht, auch das Bild einer exzellenten militä-
rischen Organisation und der taktisch-operativen Virtuosität ihres Führerkorps
wurde gefestigt17. Da die Mehrheit des deutschen amtlichen Schriftgutes erst
Ende der 1960er Jahre nach Deutschland zurückgeführt war, erhielten diese
Schriften in militärischen Belangen ein erhebliches Gewicht, waren sie doch
lange die einzigen Quellen, auf welche die Geschichtswissenschaft zurückgreifen
konnte18. Die in weiten Teilen der heutigen deutschen Geschichtswissenschaft
vorherrschende Ausblendung von Krieg und Kampfhandlungen und die damit
zusammenhängende »Verengung der Militärgeschichte auf die Kulturgeschichte
und die Holocaustforschung« (Sönke Neitzel) bewirkten jedoch, dass sich das
Bild von der militärischen Leistungsfähigkeit der Wehrmacht noch heute vielfach

12
Zum Umgang der deutschen Geschichtswissenschaft mit der Wehrmachtsgeschichte vgl.
Müller, Die Wehrmacht, S. 3‑35.
13
DRWK, Bd 10/2, S. 7 (Beitrag Kunz).
14
Herbert, Wehrmacht, S. 644; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 4, S. 870;
Groß, Das Dogma der Beweglichkeit, S. 143.
15
Brief Halders an Blumentritt, 9.1.1958, BArch, N 252/8. Ebenso: Georg von Küchler,
Weisung vom 7.3.1947, BArch, ZA 1/70. Hürter spricht in diesem Zusammenhang von
der »Halderschen Geschichtsklitterung«. Hürter, Hitlers Heerführer, S. 345 f.
16
Messerschmidt sprach diesbezüglich von einer »gereinigte[n] Erinnerung«. Zit. nach:
Thamer, Vom Wehrmachtsmythos zur Wehrmachtsausstellung, S. 126.
17
Vgl. z.B. Millett/Murray/Watman, The Effectiveness of Military Organizations, S. 52‑70;
Ziemke, Military Effectiveness, S. 309; Kellett, Combat Effectiveness, S. 556; Creveld, Die
deutsche Wehrmacht, S. 331‑345.
18
Diese »Geschichtsschreibung der Besiegten« beeinflusste die öffentliche Meinung weit stär-
ker als lange angenommen. Siehe Gerstenberger, Strategische Erinnerungen, S. 620‑629;
Wegner, Erschriebene Siege, S. 287‑299. Solche Werke sind als Quelle nicht kategorisch
abzulehnen, müssen wegen ihres apologetischen Grundtones aber kritisch hinterfragt
werden.
4 I. Einleitung

mangels alternativer Forschungsergebnisse aus den Aussagen ehemaliger Akteure


nährt19. Dies zeigt sich gerade auch in Bezug auf die Bedeutung, den Inhalt und
die Anwendung der Auftragstaktik.
Zu Beginn seiner Studie über den Westfeldzug von 1940 und die »Blitzkrieg-
Legende« stellte Karl-Heinz Frieser fest:
»In der nüchternen militärischen Sprache gibt es kaum ein anderes Wort, das
von so schlaglichtartiger Prägnanz und gleichzeitig so irrlichternd missdeutbar
ist wie ›Blitzkrieg‹20.«
Dasselbe könnte man von der Auftragstaktik sagen, herrscht in der Forschung
doch eine ähnliche »Interpretationsanarchie«21 vor, wenn es darum geht, die-
ses Führungsprinzip zu definieren. Es ist Stephan Leistenschneider zuzustim-
men, wenn er festhält, dass zum Thema Auftragstaktik »leider allzu viel be-
hauptet [wird], ohne dass sich feststellen ließe, woher diese Behauptungen ihre
Aussagekraft beziehen«22. Dafür lassen sich folgende Gründe ausmachen:
An erster Stelle steht das Problem, dass der Begriff Auftragstaktik oder ein
sinngemäßer Ausdruck in den preußisch-deutschen Dienstvorschriften nicht zu
finden ist. Auftragstaktik wird darin lediglich umschrieben. Die Behauptung,
wonach der Begriff erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgetaucht sei, lässt sich
hingegen nicht halten23. Tatsächlich ist er seit den 1890er Jahren in der deutschen
Militärpublizistik nachzuweisen und gehörte nach 1900 als terminus technicus
zum festen militärischen Sprachgebrauch24.
Das Definitionsproblem sowie die schwierige Quellenlage nach 1945 führten
zweitens dazu, dass die Geschichtswissenschaft auch bei der Auftragstaktik auf
die Aussagen ehemaliger Akteure angewiesen war. Diese behandelten das Thema
ebenfalls in ihren Studien und Memoiren. Dadurch prägten sie nicht nur das Bild
der Wehrmacht, des Generalstabs und der Leistungsfähigkeit des Offizierkorps,

19
Neitzel plädiert deshalb für die Rückbesinnung auf den »Kern des Krieges« bei gleich-
zeitiger Berücksichtigung sozial-, mental- und kulturhistorischer Gesichtspunkte. Neitzel,
Militärgeschichte ohne Krieg?, S. 293, 302, 307 f. Umgekehrt führte der wohl zu unkri-
tische Umgang der angelsächsischen Geschichtswissenschaft mit dieser Art von Quellen
dazu, dass die Wehrmacht und ihr Offizierkorps in diesem Sprachraum über ein überhöh-
tes Ansehen verfügen, während der Faktor Ideologie lange ausgeklammert oder margina-
lisiert wurde. So halfen nach 1945 Autoren wie Basil H. Liddell Hart, Albert Seaton, Earl
F. Ziemke oder Samuel P. Huntington tatkräftig mit, die Legende der institutionellen und
fachlichen Überlegenheit der Wehrmacht und ihrer Generale international zu verbreiten.
Vgl. z.B. Liddell Hart, Jetzt dürfen sie reden, passim; Huntington, The Soldier and the
State, S. 98‑100, 122 f. Hürter spricht sogar von einer »langen Tradition angelsächsi-
scher Bewunderung für die Wehrmacht«. Hürter, Selbstentlarvend, S. 8. Vgl. auch Göller,
Seltsame Bewunderung, S. 12.
20
Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 6.
21
Raudzens, Blitzkrieg Ambiguities, S. 77‑79.
22
Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 9. Auch Antulio J. Echevarria bemerkte: »The term
Auftragstaktik has been greatly abused in military publications in recent years. Some ana-
lysts and historians have upheld it as the key to the German army’s long record of success
on the battlefield; others maintain that it had no ›official‹ existence.« Echevarria, After
Clausewitz, S. 38 (Hervorhebung im Original).
23
Caspar/Marwitz/Ottmer, Tradition in deutschen Streitkräften, S. 171 (Beitrag Ottmer);
Uhle-Wettler, Höhe- und Wendepunkte, S. 239.
24
Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 100‑106.
I. Einleitung 5

sondern auch das Verständnis vom Inhalt und der Bedeutung der Auftragstaktik.
Ehemalige Generale schilderten dabei die Auftragstaktik so, dass im Wesentlichen
in einem Auftrag »Zweck und Ziel«25 bzw. »das was soll ich tun«26 festgelegt wur-
den, während »die Art der Ausführung [dem Unterführer] überlassen wurde«27.
Auftragstaktik stand damit primär für Selbstständigkeit sowie Entschluss- und
Handlungsfreiheit und war dem »starre[n] Befehl und straffer zentraler Lenkung«28
– der sogenannten Befehlstaktik29 – entgegen gesetzt. Geradezu definitorischen
Wert erhielt die Ausführung Erich von Mansteins, wonach »es [...] immer die
besondere Stärke der deutschen Führung gewesen [sei], der Selbständigkeit der
Unterführer einen weiten Spielraum zu gewähren, ihnen Aufträge zu geben, die
Art der Durchführung jedoch den betreffenden Führern zu überlassen«30. Mit die-
ser Aussage wurde Auftragstaktik vielfach in der Forschungsliteratur belegt und
umschrieben31. Darüber hinaus wurde die so verstandene Auftragstaktik, d.h. die
»Selbständigkeit der Führer bis zum Unterführer und bis zum Einzelkämpfer der
Infanterie herab« als das deutsche »Geheimnis des Erfolges« bezeichnet32 – und
als an die Stelle der »bewährten ›Auftragstaktik‹« ab der Winterkrise 1941/42 der
starre Befehl Hitlers getreten sei, habe das die Niederlage zur Folge gehabt33. Die

25
Kesselring, Kurzvorschrift für Führung und Kampf in den niederen Einheiten, BArch,
ZA 1/1960, S. 30.
26
Munzel, Kriegsnahe Ausbildung von Panzertruppen, BArch, ZA 1/1997, S. 17 (Hervor-
hebung im Original).
27
Guderian, Zur Geschichte des deutschen Generalstabes, BArch, ZA 1/1877, S. 28.
28
Müller-Hillebrand, Deutsche und sowjetrussische militärische Führung, BArch, ZA 1/2162,
S. 131; Guderian, Zur Geschichte des deutschen Generalstabes, BArch, ZA 1/1877, S. 28.
29
Der Begriff Befehlstaktik steht für zentrale Führung, die dem Unterstellten keinen Raum
für flexibles und initiatives Handeln lässt, sondern die Befehlsausführung detailliert regelt.
Die Gegenüberstellung von Auftrags- und Befehlstaktik ist wenig sinnvoll, da sie impli-
ziert, dass es bei Auftragstaktik keine straffe, einheitliche Führung gibt. Die vorliegende
Studie wird aufzeigen, dass es durchaus regulierende Aspekte gab und sich straffe Führung
sowie Auftragstaktik nicht gegenseitig ausschließen. Grob vereinfachend und falsch ist !
zudem die Auffassung, wonach die deutsche Führung Aufträge erließ, die alliierten aber
Befehle erteilte, da ein Auftrag immer im Rahmen eines Befehls erfolgt. Vgl. z.B. Mönch,
Entscheidungsschlacht, S. 75.
30
Manstein, Verlorene Siege, S. 413 (Hervorhebung im Original). Vgl. auch Maizière, Füh-
ren im Frieden, S. 270.
31
Z.B. Toppe, Militär und Kriegsvölkerrecht, S. 235; DRWK, Bd 8, T. 2, S. 166 (Beitrag
Frieser); Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 421.
32
Manstein, Verlorene Siege, S. 57. Vgl. auch Busse, Befehl und Weisung, S. 293 f.
33
Warlimont, Im Hauptquartier, S. 61 (Zitat); Guderian, Zur Geschichte des deutschen
Generalstabes, BArch, ZA 1/1877, S. 28; Weichs, Erinnerungen, Bd 5, BArch, N 19/9,
Bl. 38; Middeldorf, Führung und Gefecht, S. 69; Meyer, Adolf Heusinger, S. 297, 304 f.;
Praun, Nachrichtenverbindungen im Osten, BArch, ZA 1/2100, S. 227. Vgl. auch
DRWK, Bd 4, S. 618 (Beitrag Klink [u.a.]); Stein, Zur Geschichte der Gefechtsarten,
S. 152; Stein, Führen durch Auftrag, S. 11 f. Dirk W. Oetting spricht ebenfalls von ei-
nem »Tendenzwandel« während des Krieges. Oetting, Auftragstaktik, S. 307. Vgl. auch
Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, S. 52. Gerd Niepold stellt für 1944 und die mittlere
Ostfront fest, dass »wegen der unerhörten Unterlegenheit auf deutscher Seite« nicht mehr
nach Auftragstaktik geführt werden konnte, sondern die »wenigen verfügbaren Kräfte [...]
zwangsläufig von den höchsten Stäben scharf zusammengehalten und mit bis ins einzelne
gehenden Befehlen geführt werden« mussten. Niepold, Mittlere Ostfront, S. 256.
6 I. Einleitung

retrospektiven Äußerungen der ehemaligen Akteure des Krieges sollen nicht a


priori verworfen werden. Es wird in den folgenden Kapiteln jedoch noch kritisch
zu überprüfen sein, in welchen Bereichen sie mit den normativen Vorgaben der
Dienstvorschriften und dem tatsächlichen Führungsverhalten im Krieg überein-
stimmten und wo sie davon abwichen.
Eine dritte und letzte Problematik ergibt sich daraus, dass die Auftragstaktik
nicht nur ein historisches Untersuchungsobjekt darstellt, sondern zugleich auch
ein aktuelles Führungsprinzip abbildet, nach dessen Leitgedanken verschiede-
ne heutige Streitkräfte verfahren. Wie sich noch zeigen wird, schlägt sich dies
auch im Forschungsstand nieder. So attraktiv das Thema für das militärische
Umfeld zu sein scheint, so problematisch ist jedoch die Vermischung von his-
torischem und aktuellem Führungsprinzip, da dadurch ein älterer Aspekt durch
einen jüngeren definiert zu werden droht. Dies verdeutlicht sich z.B. beim
Führungsprinzip Führen mit Auftrag der Bundeswehr, das untrennbar mit dem
Konzept der Inneren Führung und dem Leitbild vom Staatsbürger in Uniform
verbunden ist34. Grundlegend sind dabei ethische, rechtliche, politische und ge-
sellschaftliche Aspekte, d.h. wertrationale Kriterien35. Für die Bundeswehr bil-
det die Auftragstaktik primär deshalb das richtige Führungsprinzip, weil es »dem
Bild vom ›Staatsbürger in Uniform‹ am besten entspricht«36. Aus diesem Grund
sind Vergleiche post festum und definitorische Rückgriffe heikel. In deutschen
Streitkräften vor 1945 richtete sich die Anwendung der Auftragstaktik ausschließ-
lich an zweckrationalen Kriterien aus. Im Zentrum standen nicht Aspekte der
Menschenführung oder ethische Prinzipien, sondern ausschließlich die militä-
rischen Leistungen der Truppenführung, d.h. die Steigerung der militärischen
Effektivität. Folgerungen, die vor dem aktuellen Hintergrund für die Zeit vor
1945 gezogen werden, verzerren zwingend die historische Realität und sind irre-
führend37.

2. Forschungsstand

Obschon die Auftragstaktik wie gesehen offenbar eng mit der militärischen
Leistung der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg zusammenhing und gemäß den
erwähnten Ausführungen ehemaliger Wehrmachtsoffiziere sogar das entscheiden-
de Element überhaupt darstellte, erweist sich der Forschungsstand als erstaun-
lich dürftig. Noch 2003 stellte Martin Rink in einer Rezension fest, dass »merk-

34
Vgl. z.B. Widder, Auftragstaktik and Innere Führung, S. 3‑9; Freudenberg, Auftragstaktik
versteht jeder, S. 43‑45.
35
Siehe Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) 10/1, Nr. 316. Auf den »Bedeutungswandel« der
Auftragstaktik im Laufe der Zeit wies bereits Loquai, Die Auftragstaktik, S. 443, hin.
36
ZDv 10/1, Nr. 613. Ebenso: Heeresdienstvorschrift (HDv) 100/100, Nr. 2002. Vgl. auch
Millotat, Auftragstaktik, S. 4.
37
Vgl. z.B. die Argumentation des damaligen Generalmajors Jürgen Reichardt, der in der
Auftragstaktik ein »Kulturerbe der Wehrmacht« sah, dessen Grundlagen das »christlich-
abendländische Menschenbild« und die Ethik bildeten. Reichardt, Auftragstaktik und
Dienstaufsicht, S. 311 f. Zur Kritik an der Vermischung von Auftragstaktik und Innerer
Führung vgl. Keller, Mythos Auftragstaktik, S. 141‑163.
I. Einleitung 7

würdigerweise [...] das Konzept hinter diesem ›Zauberwort‹ bisher noch keiner
historisch befriedigenden Untersuchung unterzogen« worden sei38. Dies ver-
wundert umso mehr, da sich die Geschichtswissenschaft der Argumentation der
ehemaligen Wehrmachtsoffiziere weitgehend anschloss und in der Auftragstaktik
»ein Erfolgsgeheimnis der deutschen Kampfkraft« (Peter Hoeres) oder gar »das
erfolgreichste Führungskonzept der neueren Militärgeschichte« (Dieter Storz)
sah39. Entsprechend wird das Thema Auftragstaktik in der Forschungsliteratur
zum preußisch-deutschen Militär des 19. und 20. Jahrhunderts häufig angespro-
chen, etwa wenn es um die Entwicklung des preußisch-deutschen Offizierkorps
oder um das preußisch-deutsche Führungs- und Kriegsverständnis geht40.
Besonders im Zusammenhang mit den deutschen Einigungskriegen und der
»Kriegskunst« Helmuth von Moltkes d.Ä. wird Auftragstaktik thematisiert41. Alle
diese Erwähnungen haben gemeinsam, dass sie nur als kurze Beiträge in Form
von Zeitschriftenartikeln verfasst oder in einen Abschnitt oder ein Kapitel einer
Monographie eingebettet sind, vielfach jedoch überhaupt nur beiläufig auf die
Auftragstaktik hinweisen. Breit abgestützt waren solche Äußerungen jedoch nicht.
Ohne das Thema umfassend behandelt zu haben, blieben sie in der Mehrheit der
Fälle sogar äußerst vage42. Augenscheinlich zeigt sich dies bei der vorherrschen-
den Konfusion darüber, was denn das Prinzip der Auftragstaktik darstelle und
wie es entstanden sei. Einige Autoren vertreten die Meinung, Auftragstaktik habe
sich als »Teil eines allgemeinen Lebensstils« (Franz Uhle-Wettler) bzw. aus einer
besonderen »German social and cultural tradition« (John L. Silva) heraus ent-
wickelt43. Auftragstaktik stellt dieser Argumentation folgend das »Ergebnis eines
langen historischen Prozesses« dar, der durch das besondere politische und gesell-
schaftliche System in den deutschen Streitkräften des 19. und 20. Jahrhunderts
geprägt war44. Den Ursprung für die Entstehung der Auftragstaktik sehen die-

38
Rink, Rezension zu Führungsdenken, S. 212. Vgl. auch Hughes, Auftragstaktik, S. 331.
39
Hoeres, Das Militär der Gesellschaft, S. 340; Storz, Kriegsbild und Rüstung, S. 48,
Anm. 57. Vgl. auch Fiedler, Moltke und das Auftragsverfahren, S. 15; [Königer], Zum
Auftragsverfahren, S. 5.
40
Z.B. Craig, Die preußisch-deutsche Armee; Borgert, Grundzüge der Landkriegführung,
S. 428; Ose, Der »Auftrag«, S. 264 f.; Caspar/Marwitz/Ottmer, Tradition in deutschen
Streitkräften, S. 171 (Beitrag Ottmer); Wawro, Warfare and Society. Vgl. auch Rosinski,
Die deutsche Armee, S. 21 f.; Dupuy, A Genius for War, S. 307; Transfeldt, Wort und
Brauch, S. 130; Uhle-Wettler, Höhe- und Wendepunkte, S. 110; Zabecki, The German
1918 Offensives, S. 62.
41
Z.B. Kessel, Moltke, S. 449, 510 f.; [Königer], Zum Auftragsverfahren, S. 4; Fiedler,
Moltke und das Auftragsverfahren; Dupuy, A Genius for War, S. 307; Creveld, Command
in War, S. 270 f.; Creveld, Kampfkraft, S. 43; Foerster, Das operative Denken Moltkes
des Älteren, S. 19‑42; Meier-Dörnberg, Moltke, S. 45‑47; Frieser, Blitzkrieg-Legende,
S. 421; Samuels, Directive Command, S. 25‑27; Beaumont, The Nazis’ March to Chaos,
S. 88; Millotat, Das preußisch-deutsche Generalstabssystem, S. 66‑80; Citino, The Path
to Blitzkrieg, S. 13; Wawro, The Franco-Prussian War, S. 152; Zuber, The Moltke Myth,
z.B. S. 100; Schößler, Clausewitz – Engels – Mahan, S. 235‑259.
42
Vgl. den Überblick zur Forschungsliteratur bei Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 7‑10.
43
Uhle-Wettler, Auftragstaktik, S. 132‑134; Uhle-Wettler, Höhe- und Wendepunkte,
S. 335‑339; Silva, Auftragstaktik, S. 9.
44
Millotat, Das preußisch-deutsche Generalstabssystem, S. 41; Millotat, Auftragstaktik
(ÖMZ), S. 309.
8 I. Einleitung

se Autoren in dem durch die Werte der Aufklärung beeinflussten freiheitlichen


Menschenbild45. Deutlich drückt in einer solchen Argumentation das Konzept
der Inneren Führung durch und es ist wohl kein Zufall, dass die Mehrheit die-
ser Autoren ehemalige Bundeswehroffiziere sind. Indes sprechen auch Historiker
bei der Auftragstaktik von einem »liberale[n] Führungsprinzip« (Christian Hart-
mann) oder von »kollektive[r] Führung« (Storz), die Politologin Elizabeth Kier
vermag in der Auftragstaktik sogar eine »democratic command structure« zu er-
kennen46. Den Schlusspunkt einer solchen Argumentation setzte Robert Allan
Doughty, der in Umkehrung von Ursache und Wirkung festhielt, dass die in
deutschen Streitkräften übliche Gewichtung von dezentralisierter Führung und
Initiative die Folge einer »tradition of auftragstaktik« gewesen sei47.
Insgesamt gibt es lediglich zwei Monographien, die sich eingehend mit dem
Thema Auftragstaktik beschäftigen. Die von Dirk W. Oetting verfasste Gesamt-
darstellung beansprucht für sich, »die lange Geschichte der Konzeption« der
Auftragstaktik von 1806 bis in die Gegenwart nachzuzeichnen48. Dies geschieht
zwar sehr facettenreich, methodisch und handwerklich vermag die Arbeit jedoch
nicht zu überzeugen. Oetting wollte sich explizit nicht »frühzeitig bei theoreti-
schen Überlegungen« aufhalten, sondern wählte nach eigenen Worten ein »mehr
beschreibendes Verfahren«, da Auftragstaktik »zu komplex« sei, »um sie in griffige
Formeln zu fassen«. So bleibt die Darstellung insgesamt deskriptiv, selbst dort, wo
er sich explizit mit der Konzeption beschäftigt49. Grundsätzlich problematisch ist
sein unkritischer Umgang mit Quellen und Literatur. Dies führt dazu, dass ten-
denziöse Aussagen nicht als solche erkannt, sondern sogar »bedenkenlos übernom-
men werden«50. Letztlich versucht Oetting in Form einer Kompilation zahlreicher
Beispiele und Aussagen aus Quellen sowie Literatur zu belegen, dass es in deut-
schen Streitkräften des 19. und 20. Jahrhunderts eine Tradition der Auftragstaktik
gegeben habe, um daraus Folgerungen für die Bundeswehr abzuleiten.
Die zweite Monographie zum Thema ist Leistenschneiders Darstellung zur
Entwicklung der Auftragstaktik im preußisch-deutschen Heer zwischen 1871 und
191451. Leistenschneider gelang es, die Vorgeschichte der Auftragstaktik und ihre
Entwicklung als Führungskonzeption darzustellen. Er konnte aufzeigen, dass sich
die Auftragstaktik als Konsequenz aus der komplexer werdenden Kriegführung

45
Oetting, Das Chaos beherrschen, S. 352; Reichardt, Auftragstaktik und Dienstaufsicht,
S. 312. Oetting betont an anderer Stelle ebenfalls die technisch-taktischen Innovationen.
Oetting, Auftragstaktik, z.B. S. 90‑94.
46
Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, S. 52; Storz, Kriegsbild und Rüstung, S. 87; Kier,
Imagining War, S. 153.
47
Doughty, The Breaking Point, S. 32.
48
Oetting, Auftragstaktik, S. 24. Dort auch das Folgende.
49
Ebd., S. 251‑306.
50
Ebd., S. 112. Oetting übernimmt z.B. Aussagen Uhle-Wettlers talis qualis, obwohl dieser
unverhohlen die Absicht verfolgt, in seinen Schriften ein ausschließlich positives Bild zu
zeichnen. Die mangelnde Quellenkritik zeigt sich auch in der Analyse des Krieges von
1870/71. Die Existenz der Auftragstaktik belegt Oetting mit Moltkes retrospektiv verfass-
ten und beschönigten Schriften oder mit Aussagen des russischen Generalleutnants Karl
Vojde, dessen tendenziöse Grundhaltung bereits in der deutschen Militärpublizistik der
Zwischenkriegszeit kritisiert wurde (siehe Kap. III.1 und III.2.d).
51
Leistenschneider, Auftragstaktik.
I. Einleitung 9

entwickelte. Dabei konnte er auch beleuchten, dass die Auftragstaktik nicht ein-
fach eingeführt und umgesetzt wurde, sondern von einer heftigen Kontroverse
innerhalb des deutschen Militärs begleitet war. Beide Arbeiten können hin-
sichtlich der Auftragstaktik als Führungskonzeption einige Impulse liefern,
verfügen ansonsten jedoch nur über eine beschränkte Aussagekraft für den
Untersuchungszeitraum der vorliegenden Studie52.
Die neben diesen Monographien einzige größere Arbeit zum Thema Auf-
tragstaktik ist von Hans-Peter Stein verfasst und erschien 1985 als Beiheft zur
Militärzeitschrift Truppenpraxis53. Darin wurde die Auftragstaktik vor dem
Hintergrund der Entwicklung der deutschen Militärgeschichte seit dem 18. Jahr-
hundert und anhand zahlreicher Beispiele nachgezeichnet. Die Arbeit bietet ei-
nen guten Überblick über das Thema und vermag einige interessante Aspekte
aufzuwerfen, wie z.B. die Problematik der Nachrichtenmittel, konzentriert sich
jedoch ausschließlich auf die operative Ebene und dringt nicht in die Tiefe
vor54. Neuerdings erschien von Jochen Wittmann eine weitere Darstellung zur
Auftragstaktik, die eine publizierte Version seiner an der Naval Postgraduate
School Monterey verfassten Examensarbeit darstellt. Sie reiht sich in den üb-
lichen Kanon ein: Wittmann will »belegen«, dass Auftragstaktik »ein umfas-
sendes Führungs- und Managementkonzept« und der »Grundpfeiler« für die
Beherrschung operativer »Führungskunst« sei55. Anhand verschiedener Ansätze
aus der Organisationstheorie zeigt er den Nutzen der Auftragstaktik für Militärs in
den heute aktuellen Konfliktformen auf, was durchaus interessante Perspektiven
ergibt. Unverständlich sind allerdings die völlig unkritische Sichtweise und das
methodisch an Selbstreferenzialität grenzende Vorgehen, das nur dazu dient, die
vorgefasste These zu bestätigen. Nicht unerwartet verfängt sich das Buch in der
üblichen Dichotomie von Auftragstaktik und Befehlstaktik (bzw. der »deutschen« !
und »russischen« Methode), Hinweise auf mögliche inhärente Problemfelder
fehlen. Im Zusammenhang mit der kontroversen Entstehungsgeschichte der
Auftragstaktik ist auch Antulio J. Echevarria zu nennen. Er analysierte ähn-
lich wie Leistenschneider die Auseinandersetzung zwischen den sogenannten
»Normaltaktikern« und »Auftragstaktikern« über den »richtigen« Ansatz für die

52
Leistenschneiders Arbeit wegen der Fokussierung auf die Zeit vor 1914. Seine Überlegungen
zur Auftragstaktik dienten aber als Grundlage für die Analyse der Führungsdoktrin im
Kap. II. Die Ausführungen Oettings zur Wehrmacht und dem Zweiten Weltkrieg be-
schränken sich hingegen auf die üblichen Aspekte: Das Führungsdenken der Wehrmacht
wird hauptsächlich anhand der H.Dv. 300/1, Truppenführung 17.10.1933 (TF) erklärt
und erfolgt keineswegs wie behauptet »im Spiegel der Vorschriften«. Die Analyse der
Führungspraxis beschränkt sich weitgehend auf das Handeln der Panzergenerale Heinz
Guderian und Erwin Rommel im Westfeldzug 1940, wobei es Oetting nicht gelingt, das
grundsätzliche Spannungsfeld von Auftragstaktik und Eigenmächtigkeiten sowie des- !
sen Auswirkungen auf die Operationsführung aufzudecken (siehe Kap. III.4.), auf die
Einnahme Eben Emaels, auf Hitlers Rolle als Oberbefehlshaber sowie auf den Fall des
Generalleutnants Hans Graf von Sponeck. Eine solche selektive Sichtweise auf das Thema
will die vorliegende Studie überwinden.
53
Stein, Führen durch Auftrag.
54
Dies war allerdings auch nicht beabsichtigt, sollte das Beiheft doch als »Anregung und
Hilfe« für die »historisch[e] Aus- und Weiterbildung der Offiziere der Bundeswehr« dienen.
Ebd., S. 1.
55
Wittmann, Auftragstaktik, S. 18 f.
10 I. Einleitung

Führung des modernen Infanteriegefechts. Der Schwerpunkt seiner Arbeit lag


zwar auf dem Diskurs deutscher Militärtheoretiker bezüglich deren Einschätzung
eines kommenden Krieges und der Kriegführung darin, vermag aber auch wich-
tige Hinweise auf grundsätzliche Aspekte der Auftragstaktik zu geben, z.B. auf
das Spannungsfeld zwischen Selbstständigkeit und Einheitlichkeit im Handeln56.
Auch Ralf Raths untersuchte die deutsche Landkriegstaktik von 1906 bis 1918,
ging dabei aber viel stärker auf die Weiterentwicklung der Dienstvorschriften
ein57. Ebenso sprach Christian Stachelbeck im Rahmen seiner Ausführungen zur
taktischen Innovation im deutschen Heer vor 1914 das Thema Auftragstaktik
kurz an58. Etwas eingehender betrachtete Gerhard P. Groß die Auftragstaktik
im Rahmen seiner Arbeit zum deutschen operativen Denken. Er verortete die
Ursachen, Rahmenbedingungen und Probleme dieses Führungsprinzips im brei-
teren Kontext und hielt in pointierter Art und Weise fest, dass Auftragstaktik letzt-
lich als »ein System der Aushilfen« zu verstehen ist59. Martin Samuels verglich in !
seiner Studie die Führungs- und Ausbildungsmethode sowie die Landkriegstaktik
der britischen und deutschen Armee von 1888 bis 1918 miteinander. Dabei un-
tersuchte er auch die Auftragstaktik (»directive command«) und zeigte auf, dass
diese als eine spezifische deutsche Reaktion auf die Komplexität des modernen
Gefechtes zu verstehen sei60. Samuels erkannte insbesondere, dass die dezentra-
lisierte deutsche Führung zu einer Beschleunigung des Führungsvorganges führ-
te und die deutsche Truppenführung rascher agieren ließ als die britische61. Die
Auftragstaktik selbst verstand er aber v.a. als »theoretisches System«, das lediglich
als »a pure extreme« aufgefasst werden dürfe. Das deutsche »Führungssystem«
basierte Samuels zufolge zwar auf dem Konzept der Auftragstaktik, in der Realität
sei jedoch ein Mittelweg zwischen »directive command« und »restrictive con-
trol« angewendet worden62. Einen komparatistischen Ansatz wählte auch Jörg
Muth in seiner Studie zur Offizierausbildung in den USA und Deutschland
zwischen 1901 und 1940. Er erkennt in der Auftragstaktik einen »Eckpfeiler«
deutscher Militärkultur und betont zu Recht den wichtigen Zusammenhang

56
Echevarria, After Clausewitz, S. 32‑42, 94‑105. Vgl. auch Echevarria, On the Brink of
the Abyss, S. 23‑40. Vgl. auch Storz, Kriegsbild und Rüstung, S. 27‑32.
57
Raths, Vom Massensturm zur Stoßtrupptaktik. Die konzeptionellen Erkenntnisse Raths’
flossen ebenfalls in die Analyse der Führungsdoktrin ein.
58
Stachelbeck, Militärische Effektivität, S. 57‑59 und S. 16, Anm. 65.
59
Groß, Mythos und Wirklichkeit, S. 23 f., 40 f., 83 (Zitat), 259 f.
60
Samuels, Command or Control? Vgl. auch Groß, Das Dogma der Beweglichkeit, S. 147;
Groß, Mythos und Wirklichkeit, S. 40 f.
61
Samuels illustriert dies anhand des Modells von John Boyd (»Boyd loop«). Samuels,
Command or Control?, S. 13 f.
62
Ebd., S. 6. Ähnlich Niepold, Mittlere Ostfront, S. 256: »Man darf auch nicht den Eindruck
erwecken, als ob in jeder Lage die Auftragstaktik in gleicher Weise anwendbar sei und als ob
nur sie der Schlüssel zum Erfolg sei [...] Man kann also sagen: Je freier der Operationsraum
und je geringer der Feindwiderstand, desto ungebundener die Auftragstaktik; je stärker
der Feind und je enger der Handlungsspielraum, desto mehr muss die Auftragstaktik dem
bindenden Befehl weichen.« Niepold bringt einen wichtigen Aspekt zur Sprache: Die si-
tuative Anpassung der Auftragstaktik an die Lage. Allerdings wird sich noch zeigen, dass !
das Prinzip Auftragstaktik flexibler zu verstehen ist und nicht primär von der Gefechtsart
oder vom Gegner abhängt. Auf die irreführende Gegenüberstellung von Auftragstaktik und
bindendem Befehl (Befehlstaktik) wurde bereits hingewiesen.
I. Einleitung 11

zwischen Erziehungssystem und Auftragstaktik63. Muth unterstreicht, wie wich-


tig die Einheitlichkeit im Denken und der Einbezug der Untergebenen in den
Führungsvorgang auf deutscher Seite waren. Definitorisch bewegt er sich al-
lerdings im üblichen Rahmen, wonach Auftragstaktik primär als Zielvorgabe
mit Umsetzungsspielraum zu verstehen sei. Auch Muths Argumentation ba-
siert auf Leitsätzen aus den Vorschriften und prominenten Beispielen deut-
scher Generale. Dabei blendet er die negativen Folgen sowie die Problematik
der Eigenmächtigkeiten ganz aus und bleibt zuweilen plakativ. Gerade seine
Heraushebung der Führungsqualitäten der mittleren und unteren Offiziere hält
dem Urteil der Quellen nicht stand. Vor einem wesentlich breiteren Zeithorizont
untersuchte Robert M. Citino die deutsche Kriegführung und dabei auch die
Auftragstaktik. Er sah in der Flexibilität und Selbstständigkeit die entscheidenden
Elemente des deutschen Führungsprinzips64. Allerdings erkannte Citino nicht die
gesamte Tragweite des Prinzips und setzte dadurch zuweilen falsche Akzente. So
hielt er zwar richtig fest, dass das Prinzip der Auftragstaktik Freiraum für den
»officer on the spot«65 vorsah, damit dieser seine Aufträge an die rasch wechseln-
den Lagen angleichen und selbstständig handeln konnte. Bei Citino erhält die
Selbstständigkeit jedoch den Wert von Unabhängigkeit und völliger Autonomie.
Entsprechend setzt er Auftragstaktik primär mit einer »independence authority of
the higher commander« gleich66. Diese Überzeichnung eines einzigen Elements
der Auftragstaktik führt letztlich selbst für die Zeit der deutschen Einigungskriege
zu absurden Zügen, wenn Citino z.B. die Truppenführer ab Korpsstufe als »free
agents« bezeichnet, die während einer Operation »absolutely independent in
spirit and behavior« hätten agieren können67. Dabei verstrickt sich Citino in
Widersprüchlichkeiten. So behauptet er einerseits, Auftragstaktik habe in der
Realität nie stattgefunden, sondern sei »completely mythological«. Andererseits
macht er drei Gründe für »the death of Auftragstaktik« aus, nämlich Hitlers
Führungsverständnis, technologische Entwicklungen und die Entwicklung der
Luftwaffe zu einer strategisch operierenden Teilstreitkraft (»air power«)68.
Auch bei anderen Autoren fallen die übertriebenen Auffassungen von
Selbstständigkeit auf bzw. die Verkürzung des Prinzips Auftragstaktik auf die !
Dezentralisierung der Initiative bei gleichzeitiger Festlegung von lediglich all-

63
Muth, Command Culture, S. 22 (Zitat), 173 f.
64
Citino, Quest for Decisive Victory, S. 20; Citino, The German Way of War, S. 307 f.;
Citino, Death of the Wehrmacht, S. 4.
65
Citino, The German Way of War, S. 307.
66
Ebd., S. 302.
67
Ebd., S. 308. Dort auch das Folgende.
68
Dabei widerspricht sich Citino selbst, denn er bezeichnet als »Todesursache« der Auftrags-
taktik einmal Hitler und die Rahmenbedingungen des modernen Krieges, ein andermal die
technischen Nachrichtenmittel (»Hitler did not kill the concept of flexible command [...]
Radio did.«), dann Halder »and the rest of the General Staff«, um schließlich festzuhalten,
dass »the Wehrmacht [!] killed the old command style because it no longer corresponded
to modern realities«. Ebd., S. 303, 310; Citino, Death of the Wehrmacht, S. 306. Auch
Ernst Klink glaubt, dass die Auftragstaktik wegen der modernen Nachrichtenmittel und
der »Abhängigkeit der Landkriegsführung von der unterstützenden Luftwaffe« nur noch
eine »fromm[e] Legende« war. DRWK, Bd 4, S. 618 f. (Beitrag Klink [u.a.]). Ähnlich:
Caspar/Marwitz/Ottmer, Tradition in deutschen Streitkräften, S. 172 (Beitrag Ottmer).
12 I. Einleitung

gemeinen Handlungsrichtlinien69. Gelegentlich wurde dabei sogar eine Kultur


des militärischen Ungehorsams als Grundlage der Auftragstaktik erkannt70. Das
eigentliche Charakteristikum der Auftragstaktik, das Mitdenken im Sinne der
übergeordneten Führung, das erst die Rahmenbedingung für das selbstständige
Handeln bildet, wird dabei häufig gar nicht oder lediglich am Rande berücksich-
tigt71. Martin van Creveld hatte hingegen völlig zu Recht darauf hingewiesen,
dass Auftragstaktik nicht bedeute, »dass jeder machen kann, was er will«, sondern
vielmehr »die Verbindung von Initiative und Disziplin« erfordere72. Die Disziplin !
– und damit der Gehorsam – fristet im Zusammenhang mit der Auftragstaktik
häufig ein Schattendasein, obwohl dieser Aspekt in Wirklichkeit bereits in den
Diskussionen der 1890er Jahre von zentraler Bedeutung war73. Vielmehr wird
die Vorstellung eines »absoluten« Gehorsams gerade nicht mit Auftragstaktik
in Verbindung gebracht. So betonte Johannes Hürter z.B. dass »die Tradition
der Auftragstaktik dem einzelnen Offizier eine gewisse Selbständigkeit in der
Ausführung von Befehlen ließ«74. Hürter verstand darunter allerdings nicht nur
eine lagebedingte Adaption von Aufträgen, sondern auch »die Verweigerung
von fragwürdigen Befehlen«, wenn diese ethisch verwerflich waren75. Damit ver-
knüpft er das sachlogisch begründete Führungsprinzip Auftragstaktik mit den
weiter oben angesprochenen wertrationalen Inhalten, in diesem Fall mit der tra-
ditionellen Betonung des Ethos im preußisch-deutschen Offizierkorps, und hebt
es auf eine moralische Ebene empor, die so nie bestanden hat76.
Insgesamt fällt auf, dass das Führungsprinzip Auftragstaktik in der Forschungs-
literatur eine Art Allgemeingut darstellt. Einhellig wird Auftragstaktik als be-

69
Hayward, For God and Glory, S. 109: »Put simply – Directive Control means teaching sub-
ordinates mastery of their individual jobs and collective tactics, trusting them to act respon-
sibly and with initiative, telling them what result is intended [...], then leaving them with
the freedom and confidence to determine how best to attain it.« Völliges Unverständnis
brachte J.F.C. Fuller dem deutschen Führungsprinzip entgegen: »Moltke brought his
armies to their starting point and then abdicated his command and unleashed them.«
Zit. nach: Rothenberg, Moltke, Schlieffen, and the Doctrine of Strategic Envelopment,
S. 300 f.
70
Z.B. Dupuy, A Genius for War, S. 116; Scheurig, Insubordination als Gebot.
71
Anders: Meier-Dörnberg, Moltke, S. 45; Creveld, Kampfkraft, S. 52; Frieser, Blitzkrieg-
Legende, S. 422; Millotat, Auftragstaktik (ÖMZ), S. 308; Millotat, Auftragstaktik, S. 23;
Megargee, Hitler und die Generäle, S. 9.
72
Creveld, Die deutsche Wehrmacht, S. 333. Vgl. auch Echevarria, Auftragstaktik, S. 52;
Kessel, Moltke, S. 449.
73
Vgl. Storz, Kriegsbild und Rüstung, S. 31, 167; Echevarria, After Clausewitz, S. 40, 102;
Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 95‑98.
74
Hürter, Hitlers Heerführer, S. 62.
75
Ebd., S. 354. Vgl. auch Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, S. 52: »Jeder Soldat [...]
trug Verantwortung, mitunter auch für Gut und Böse, schon weil die Auftragstaktik ur-
sprünglich auch die Verweigerung fragwürdiger Befehle legitimiert hatte.« Diese Ansicht
entspricht weder den normativen Vorgaben der Führungsdoktrin noch der zeitgenös-
sischen Rezeption. Zudem räumt sie dem einzelnen Offizier und sogar Soldaten einen
Handlungsspielraum ein, den dieser in Wirklichkeit kaum hatte.
76
Dies zeigt sich etwa in dem von Hürter angefügten Beispiel des Johann Friedrich Frhr.
von der Marwitz, dessen Befehlsverweigerung im Siebenjährigen Krieg allein durch das
Kriterium der persönlichen Ehre motiviert war.
I. Einleitung 13

sondere Art der Befehlsgebung beschrieben, die mittels Auftrag ein Ziel vorgibt
und die Umsetzung des Auftrags den Führern vor Ort überlässt. Dabei wird die
Gewichtung der Selbstständigkeit, Initiative und Flexibilität besonders betont, ei-
nige Autoren heben zusätzlich noch das Element der Entschlossenheit als beson-
ders entscheidend hervor77. Wie gesehen werden hingegen inhaltlich teilweise sehr
unterschiedliche Akzente gesetzt. Auffallend ist zudem, dass die Auftragstaktik
fast ausschließlich normativ beurteilt wird, d.h. nach der Vorstellung, wie es sein
sollte, nicht aber nach dem Ist-Zustand, also nach der wirklichen Umsetzung der !
normativen Vorgaben in der Truppe bzw. im Krieg78. Nur wenige Darstellungen
belegen ihre Ausführungen aufgrund von Truppenquellen; wenn doch, handelt es
sich dabei um Akten der operativen Führungsebene79. Auch konzentriert sich das
Forschungsinteresse auf die Entstehungsgeschichte der Auftragstaktik und ihre
Konsolidierungsphase bis zum Ersten Weltkrieg sowie auf die Folgerungen für
die Bundeswehr80. Für den Zeitraum der Wehrmacht von 1935 bis 1945 feh-
len hingegen eingehende historisch-kritische Untersuchungen, erst recht wenn
es um die taktische Führungsebene geht. Einzige Ausnahme bildet in gewisser
Weise die Studie von Frieser zur »Blitzkrieg-Legende«, in der mehrmals auf die
Auftragstaktik als einen der »traditionelle[n] Führungsgrundsätze« Bezug ge-
nommen wird81. Auftragstaktik stellt darin aber einen Nebenaspekt dar, weshalb
Friesers Ausführungen auch keine konzeptionellen Überlegungen zugrunde lie-
gen. Letztlich konzentriert sich die Forschungsdiskussion zur Auftragstaktik in
der Wehrmacht fast ausschließlich auf die operative Ebene und die Rolle Hitlers,
der sich als Oberbefehlshaber von Wehrmacht und Heer zunehmend in die
Operationsführung einschaltete. Die Aussagen zum Prinzip Auftragstaktik und
dessen Anwendung auf taktisch-operativer Stufe während des Zweiten Weltkrieges
basieren deshalb vielfach auf Mutmaßungen, Verallgemeinerungen oder auf den
erwähnten Ausführungen ehemaliger Wehrmachtsoffiziere. Wie Sönke Neitzel für
das Bild der Waffen-SS festgehalten hat, gilt deshalb auch für die Auftragstaktik,
dass das bisherige Urteil zumindest »teilweise auf Sand gebaut ist«82.

3. Fragestellung, Methode und Aufbau der Arbeit

Wie gesehen sieht die Geschichtswissenschaft in der Auftragstaktik einen der wich-
tigsten Gründe für die militärischen Erfolge der Jahre 1939 bis 1941. Eine wis-

77
Groß, Das Dogma der Beweglichkeit, S. 159; Kleemeier, Grundfragen einer philosophi-
schen Theorie des Krieges, S. 269; Mönch, Entscheidungsschlacht, S. 64‑74; Gyldenfeldt,
Entschlossenheit, S. 26‑29.
78
Dies geschieht in der Regel anhand der Analyse der TF. Siehe z.B. Oetting, Auftragstaktik,
S. 169‑187; Creveld, Kampfkraft, S. 52‑54; On the German Art of War, S. 3‑5.
79
Z.B. DRWK, Bd 4, S. 618 f. (Beitrag Klink [u.a.]); Stein, Führen durch Auftrag; DRWK,
Bd 6, S. 885 (Beitrag Wegner).
80
Vgl. z.B. Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 150, 159, 227.
81
Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 421 f.
82
Neitzel, Des Forschens noch wert?, S. 409. Zur Sachlichkeit der Diskussionen über die
Wehrmacht bzw. zur Problematik von Verallgemeinerungen vgl. Hartmann, Verbrecheri-
scher Krieg, S. 71; Hughes, Auftragstaktik, S. 331.
14 I. Einleitung

senschaftlichen Ansprüchen genügende Untersuchung dieses Führungsprinzips


fehlt für den genannten Zeitraum jedoch noch. Darüber hinaus hat Groß konsta-
tiert, dass noch eingehend untersucht werden müsste, ob Hitlers Übernahme des
Oberbefehls über das Heer im Dezember 1941 und seine zunehmenden Eingriffe
in die Gefechtsführung auch wirklich »das formale Ende der Auftragstaktik« be-
deuteten oder ob lediglich die operative, nicht aber die taktische Führungsebene
davon berührt war83. Stachelbeck hat schließlich im Ausblick seiner Studie darauf
hingewiesen, dass noch geklärt werden müsste, wie sich die Entwicklung vom
Führerheer der Reichswehr zum Massenheer der Wehrmacht sowie der Einfluss
der technisch immer leistungsfähigeren Nachrichtenmittel auf die konkrete
Anwendung der Auftragstaktik ausgewirkt haben84. Bei diesen Punkten will die
vorliegende Arbeit einsetzen.
Ausgehend von dieser Problemstellung liegt das Hauptanliegen dieser Studie
darin, Wesen und Inhalt der Auftragstaktik zu untersuchen und kritisch zu hin-
terfragen. Diesem Ziel entsprechend wird den folgenden zwei Leitfragen nach-
gegangen: Wie wurde Auftragstaktik im deutschen Heer definiert bzw. welche
Elemente lassen sich unter diesem Führungsprinzip subsumieren? Und in wel-
chem Ausmaß wurde auf taktischer Stufe nach Auftragstaktik geführt?
Die Wehrmacht gliederte sich in die drei Wehrmachtteile Heer, Marine und
Luftwaffe. Die vorliegende Studie beschränkt sich auf die Untersuchung des
Führungsverhaltens im Heer, dem größten dieser drei Teile. Das Heer war zu-
dem der am stärksten in der Tradition des preußisch-deutschen militärischen
Denkens stehende Wehrmachtteil. Dies ist gerade in Bezug auf die Auftragstaktik
als Untersuchungsobjekt nicht unbedeutend, war diese doch stark vom Mythos
der deutschen Einigungskriege und der eng damit verknüpften Aura um die
Person Moltkes d.Ä. geprägt. Aus diesem Grund untersucht die vorliegende
Studie zwar das Thema Auftragstaktik im deutschen Heer für den Zeitraum von
1935 bis 1945. Sie leitet jedoch mit dem Clausewitz’schen Kriegsverständnis
und dem Moltke’schen Führungsdenken ein. Während Carl von Clausewitz’
Vorstellungen vom Krieg durch Moltke tradiert wurden, war Letzterer selbst bis
in den Zweiten Weltkrieg hinein ein »zentraler Bezugspunkt« für das deutsche
Offizierkorps85. Sein Denken und Handeln bildete eine wesentliche Grundlage
für das Kriegsverständnis, die Führungsdoktrin und Führungsausbildung der
preußisch-deutschen Denkschule86. Dieses Vorgehen hat einen entscheidenden

83
Groß, Das Dogma der Beweglichkeit, S. 164.
84
Stachelbeck, Militärische Effektivität, S. 356.
85
Raths, Vom Massensturm zur Stoßtrupptaktik, S. 20. Vgl. auch Meier-Dörnberg, Moltke,
S. 47; Kessel, Moltke, S. 503; Foerster, Das operative Denken Moltkes des Älteren, S. 38‑42.
86
Das preußisch-deutsche Offizierkorps brachte zwischen 1806 und 1945 zwar verschiede-
ne Denkrichtungen hervor, wie etwa die Kontroverse zwischen »Normaltaktikern« und
»Auftragstaktikern« in den 1890er Jahren oder der Streit zwischen »Schlieffenjüngern« und
-kritikern belegt. Vgl. hierzu neuerdings Groß, Mythos und Wirklichkeit. Allerdings un-
terschieden sich diese Denkrichtungen bezüglich ihres Kriegs- und Führungsverständnisses
nicht grundsätzlich voneinander, sondern nur durch eine unterschiedliche Akzentuierung.
Bezogen auf das Führungsdenken und die Führungsgrundsätze lässt sich in den wesent-
lichen Punkten hingegen eine Kontinuität erkennen, die durchaus unter dem Etikett ei-
ner preußisch-deutschen militärischen Denkschule subsumiert werden kann. So spricht
z.B. auch Burkhart Müller-Hillebrand von der »deutsche[n] Schule«. Müller-Hillebrand,
I. Einleitung 15

Vorteil: Erst die auf dieser Grundlage erfolgende Analyse der Führungs- und
Ausbildungsvorschriften über den Zeitraum von 1869 bis 1945 ermöglicht es,
die Entwicklung der Führungsdoktrin nachzuverfolgen und die Auftragstaktik
in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Erst ein solches Vorgehen zeigt folglich
Kontinuitätslinien auf und lässt dadurch die Gewichtung der einzelnen Elemente
der Auftragstaktik deutlich hervortreten.
Das zentrale methodische Problem der bisherigen Forschungsliteratur lag
darin, dass die Diskussionen zur Auftragstaktik stark von Verallgemeinerungen
geprägt waren. Auf der normativen Ebene wurden in der Regel einige wenige Vor-
schriften – häufig solche aus der Zeit vor 1914 – als Grundlage genommen, um
Auftragstaktik zu definieren87. Auf der empirischen Ebene wurde als Beweis für
die Existenz der Auftragstaktik und deren Anwendung im Krieg zudem immer auf
Beispiele von Einzelhandlungen verwiesen. Die Aussagekraft eines solchen histo-
risch-induktiven Verfahrens bleibt letztlich sehr beschränkt, da das deutsche Heer
wie auch die Wehrmacht als Ganzes ein heterogenes, »fast amorphes Gebilde« dar-
stellte, das sich personell, strukturell und materiell in ständigem Fluss befand88.
Einzelbeispiele können deshalb keine Antwort auf die Frage nach dem Grad der
Konzeptualisierung der Auftragstaktik im deutschen Heer geben. Tatsächlich las- !
sen sich auch bei anderen Streitkräften Beispiele finden, die der Form nach mit
Auftragstaktik gleichgesetzt werden könnten, wie etwa die Seekriegführung des
britischen Admirals Horatio Nelson, die Art der Befehlsgebung bei General Ulysses
S. Grant als Oberbefehlshaber der Unionstruppen im US-Bürgerkrieg oder das
Führungsverständnis von General George S. Patton89. Die Tatsache, dass sogar in
französischen und sowjetischen Führungsvorschriften in der Befehlsgebung von
Aufträgen und Direktiven die Rede war und von den Offizieren Initiative und ent-
schlossenes Handeln gefordert wurden, verdeutlicht nochmals die Notwendigkeit
einer systematischen Untersuchung dieses Führungsprinzips90.

Deutsche und sowjetrussische militärische Führung, BArch, ZA 1/2162, S. 52. Vgl. auch
Holborn, The Prusso-German School, S. 281‑295.
87
Neben der TF und deren Vorgängervorschrift, der D.V.Pl. Nr. 487, Führung und Gefecht
der verbundenen Waffen vom 1.9.1921 (FuG), dienten besonders die Moltke’schen Ver-
ordnungen für die höheren Truppenführer von 1869 sowie die Exerzierreglemente für die
Infanterie von 1888 und 1906 als Definitionsbasis, auch für die Zeit der Wehrmacht. Vgl.
z.B. Oetting, Auftragstaktik, S. 169‑187; Stein, Führen durch Auftrag, S. 8‑11. Zu den
erwähnten Vorschriften siehe Kap. II.2.
88
Hürter, Die Wehrmacht in Leningrad, S. 377. Auch Hartmann wies darauf hin, dass
Begriffe wie Wehrmacht oder Heer lediglich »Sammelbegriffe« sein könnten. Hartmann,
Verbrecherischer Krieg, S. 65.
89
In einem Brief an General William T. Sherman wies Grant diesen z.B. an: »Ich habe nicht
im Sinn, Ihnen einen Plan für den Feldzug vorzuschreiben; ich gebe Ihnen lediglich die
Aufgabe, die Sie zu erfüllen haben, und überlasse es Ihnen, sie auf Ihre Art zu lösen.« Zit.
nach: Marshall, Soldaten im Feuer, S. 205. Von Patton ist die Aussage überliefert: »Never
tell people how to do things. Tell them what to do and they will surprise you with their
ingenuity.« Zit. nach: Vogelaar/Kramer, Mission Command, S. 217 (Hervorhebung im
Original). Zu Nelson vgl. Hayward, For God and Glory.
90
Vgl. Müller-Hillebrand, Deutsche und sowjetrussische militärische Führung, BArch,
ZA 1/2162, passim; Vorläufige Felddienstordnung der Roten Arbeiter- und Bauernarmee
(PU 36), z.B. S. 10 f., 61, 72 f.; Instruction sur la conduite des Grandes Unités. Instruction
sur l’emploi tactique des Grandes Unités, z.B. S. 32, 38. Vgl. auch Caspar/Marwitz/
16 I. Einleitung

Für die vorliegende Arbeit ist somit der Vergleich von Theorie und Praxis
zentral. Durch die Konfrontation von Führungsleitbildern mit konkretem
Führungsverhalten soll aufgezeigt werden, welche normativen Vorgaben exis-
tierten und ob nach diesen gehandelt wurde bzw. wie sie gehandhabt wurden.
Während die Untersuchung der normativen Quellen dabei mittels hermeneu-
tischer Methode durchgeführt wird und Aufschluss über die Auftragstaktik
als Organisationsprinzip bringen soll, wird die Frage nach der systematischen
Anwendung der Auftragstaktik im Gefecht anhand von drei empirisch aus-
gewerteten Fallbeispielen beantwortet, die miteinander verglichen werden.
Der Untersuchungszeitraum dieser Fallbeispiele bezieht sich schwergewich-
tig auf das Jahr 1942, mit Ausblicken in das Jahr 1943. Örtlich beschränkt
sich die Untersuchung auf den Ostkrieg, den bei weitem wichtigsten deut-
schen Kriegsschauplatz. Dieser Fokus ergibt sich aus den eingangs erwähn-
ten Vorstellungen, wonach ab Winter 1941/42 nur noch nach starrem Befehl
und nicht mehr nach Auftragstaktik geführt worden sei. Generalfeldmarschall
Maximilian Frhr. von und zu Weichs an der Glon sprach diesbezüglich nachträg-
lich von dem »verhängnisvollen Wendepunkt der deutschen Führungsgrundsätze«;
dass die operative Führungsebene davon unmittelbar betroffen war, ist unbestrit-
ten91. Für die taktische Führungsebene ist dies wie erwähnt noch nicht einge-
hend untersucht worden. Aus diesem Grund werden in den Fallbeispielen die
Divisionsstufe und soweit möglich die Führungsebenen der unteren taktischen
Verbände und Einheiten betrachtet – als Nebenprodukt werden sich dabei auch
Rückschlüsse auf die operative Führungsebene ergeben. In den Fallbeispielen
wurden drei Divisionen untersucht, deren Auswahlkriterien eine möglichst un-
terschiedliche Qualität (d.h. ein unterschiedlicher »Professionalisierungsgrad«),
ähnliche Einsatzräume sowie eine gute Quellenlage waren. Dementsprechend
wurden folgende Divisionen ausgewählt:
– Die 385. Infanteriedivision steht als Verbandstyp für die Linienformationen
der Infanterie des Jahres 1942. Als Division der 18. Aufstellungswelle kurz-
fristig und unter hohem Zeitdruck aufgestellt, gehörte sie zu den sogenannten
»Rheingold«-Verbänden, mit denen die schwierige Lage an der Ostfront im
Frühjahr 1942 stabilisiert werden sollte. Als Improvisation entstanden, exis-
tierte diese Division nur während eines Jahres. Sie wurde im Januar 1943
zerschlagen und nicht wieder aufgestellt.
– Ganz andere Voraussetzungen und Rahmenbedingungen brachte die 10. In­
fanteriedivision (mot) mit. Dieser Großverband war noch im Frieden als ak-
tive Heeresdivision aufgestellt worden und verfügte 1942 über eine breite
Kriegserfahrung aus verschiedenen Feldzügen. Als motorisierte Infanterie-
division gehörte dieser Großverband ferner zu dem kleinen Kreis privilegier-
ter Divisionen, die zusammen mit den Panzerdivisionen »die Speerspitze der

Ottmer, Tradition in deutschen Streitkräften, S. 172 (Beitrag Ottmer); Foerster, Das ope-
rative Denken Moltkes des Älteren, S. 30; Oetting, Auftragstaktik, S. 349. Diesbezüglich
interessant ist etwa die Aussage Friedrich Hoßbachs, wonach »zum selbstverständlichen
Wissen der höheren deutschen militärischen Führer [...] die Kenntnis [gehörte], dass die
allgemeinen Führungsgrundsätze, die operativen und taktischen Lehren der Russen viel-
fach mit den unseren übereinstimmten«. Hoßbach, Infanterie im Ostfeldzug, S. 14.
91
Weichs, Erinnerungen, Bd 5, BArch, N 19/9, Bl. 38 (Zitat). Vgl. auch Hürter, Hitlers
Heerführer, S. 349 f.
I. Einleitung 17

Elitetruppen«92 in den Blitzfeldzügen der Wehrmacht bildeten. Die Division


steht folglich für einen erfahrenen und qualitativ hochwertigen Kampfverband,
der »ein gutes Zehntel der Wehrmachtsverbände« repräsentierte und deshalb
»als etwas Besonderes« galt93.
– Die Infanteriedivision (mot) »Großdeutschland« (GD) übertraf dies nochmals.
Mit diesem Großverband wird der Eliteverband des Heeres schlechthin un-
tersucht. Die Division »GD« stand für hohe Professionalität und moderne
Ausstattung. Sie bietet sich besonders als Fallbeispiel an, stellte der Ausbil-
dungsstand eines Führerkorps neben seiner Homogenität doch gerade eine
entscheidende Voraussetzung für das Funktionieren der Auftragstaktik dar.
Im Jahr 1939 als verstärktes Infanterieregiment (mot) »GD« aufgestellt, hatte
sich dieser Verband in verschiedenen Feldzügen bewährt. Im Frühjahr 1942
wurde das Regiment »GD« zur Division erweitert. Der im Heer einzigartige
und bevorzugt behandelte Großverband hatte in der Umbildung zwar nicht
die gleichen Probleme wie etwa die 385. Infanteriedivision zu bewältigen.
Allerdings wird sich noch zeigen, dass die schwierige Gesamtlage der Ostfront
auch an ihm nicht spurlos vorbei ging.
Eine der größten methodischen Herausforderungen der vorliegenden Arbeit
lag darin, dass Auftragstaktik zugleich Untersuchungsobjekt und Begriffsmodell
ist. Die Schwierigkeit bestand darin, Auftragstaktik trotz fehlender Definition
als solche in den Quellen zu erkennen. Eine Befehlsgebung mittels Aufträgen
oder selbstständiges Handeln allein sind jedenfalls nicht als hinreichende
Belege für Auftragstaktik zu werten. Zunächst wurde deshalb die preußisch-
deutsche Führungsdoktrin systematisch über den Zeitraum von 1869 bis 1945
untersucht und daraus auf der Basis der normativen Vorgaben ein Modell der
Auftragstaktik gebildet, das gleichsam als Idealtypus im Sinne Max Webers zu
verstehen ist94. Dies ermöglichte es, nicht nur wie bisher in der Forschung üb-
lich einzelne Elemente der Auftragstaktik aufzulisten, sondern zusätzlich die
Interdependenzen dieser Elemente aufzuzeigen. Auf der Grundlage dieses
Modells konnte in einem zweiten Schritt auch die Anwendung der Auftragstaktik
im Gefecht analysiert werden. Dies geschah, indem untersucht wurde, in wel-
chen Bereichen das Führungsverhalten im Krieg mit dem aus den normativen
Vorgaben der Führungsdoktrin gebildeten Modell übereinstimmte. Dabei ver-
deutlicht sich nochmals die einleitend angesprochene Problematik in der heu-
tigen Militärgeschichte. Die fast ausschließliche Fokussierung der militärhisto-
rischen Forschung auf die Aspekte des Holocausts und des Vernichtungskrieges
brachte es mit sich, dass dies »mehr oder weniger getrennt von der Erforschung
von Krieg und Wehrmacht« erfolgte95. Sobald es aber darum geht zu untersu-
chen, ob deutsche Truppen die Auftragstaktik anwandten oder nicht, muss der
angesprochene Kern des Krieges, d.h. in diesem Fall der Führungsvorgang und
die Gefechtsführung, analysiert werden. Es braucht folglich einen operationsge-
schichtlichen Ansatz, um herausfinden zu können, welcher »Zusammenhang zwi-

92
Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 415.
93
Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, S. 84.
94
Siehe Weber, Die »Objektivität«, S. 190‑214; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft,
S. 1‑11; Korte, Einführung in die Geschichte der Soziologie, S. 109‑111.
95
Thamer, Vom Wehrmachtsmythos zur Wehrmachtsausstellung, S. 130.
18 I. Einleitung

schen ›Sprache‹ und ›Handlung‹« bestand96. Befehle allein sagen zwar aus, wie et-
was beabsichtigt war, nicht aber, wie diese Absichten in die Tat umgesetzt wurden.
Umgekehrt kann die Tat eines militärischen Führers erst dann vollständig be- !
wertet und eingeordnet werden, wenn sein Handeln mit der Absicht des Befehls
reflektiert wird. Gerade dieser Zusammenhang verdeutlicht die bisherige metho-
disch problematische Vorgehensweise in der Forschungsliteratur, allein jedes dem
vordergründigen Anschein nach selbstständige Handeln direkt als Tatbeweis für
die Existenz von Auftragstaktik anzunehmen. Dies zeigt sich besonders, wenn
die Leistungen deutscher Truppenführer über eine längere Zeitachse verglichen
werden. Dies geschieht im Kapitel III, dem eine Scharnierfunktion zukommt
und vom Theorieteil mit dem Modell der Auftragstaktik (Kapitel II) zu den
Fallbeispielen auf taktischer Stufe (Kapitel IV) überleiten soll. Auf einer mehr-
heitlich operativen Ebene werden dabei die Nuancen zwischen Auftragstaktik
und eigenmächtigem Handeln aufgezeigt und in einen Gesamtzusammenhang
gebracht. Damit wird auch auf das Problem der Rezeption der Auftragstaktik in
der bisherigen Forschungsliteratur verwiesen. Vor dem Hintergrund der idealty-
pisch erarbeiteten normativen Elemente der Auftragstaktik wird deutlich, dass das
Spannungsfeld zwischen den normativen Vorgaben und dem konkreten Handeln
von Truppenführern die deutsche Operations- und Gefechtsführung seit den deut-
schen Einigungskriegen weit stärker prägte, als dies die Geschichtswissenschaft
bisher wahrgenommen hat. Aufschlussreich ist dies auch, weil diesem Aspekt in
der zeitgenössischen Diskussion ein viel höherer Stellenwert beigemessen wurde.
Letztlich ermöglicht die Kombination der normativen Analyse der Auftragstaktik
mit der Untersuchung der operativen Führungsebene über eine längere Zeitachse
und der Analyse von Fallbeispielen auf taktischer Ebene eine sehr präzise
Einordnung des Führungsprinzips in die deutsche Führungsdoktrin.
Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, dass der vorliegenden Studie zur
Auftragstaktik verschiedene methodische Ansätze zugrunde liegen. Weiter liegt
der primäre Beobachtungszeitraum der Untersuchung zwar auf dem Zweiten
Weltkrieg; um das Führungsprinzip der Auftragstaktik ganzheitlich erfassen und
einordnen zu können, musste der Zeitraum jedoch zwingend ausgedehnt werden.
Die vorliegende Studie analysiert zudem mit der militärischen Führungsdoktrin
einen genuin militärischen Aspekt und versteht sich in diesem Sinne auch als
Beitrag zur Taktikgeschichte des deutschen Heeres. Die methodischen und the-
matischen Erläuterungen konnten sich an dieser Stelle nur auf die grundsätzli-
chen Aspekte beschränken. Die drei Hauptteile werden deshalb jeweils mit einer
kurzen themenorientierten methodischen Einführung eingeleitet und fassen in
einem Fazit die wichtigsten Aspekte des Kapitels zusammen. Insgesamt stellt sich
der Aufbau der vorliegenden Studie somit wie folgt dar:
Im ersten Hauptteil wird die Auftragstaktik als Organisationsprinzip un-
tersucht. Dazu wird zunächst auf einer Systemebene das Kriegsverständnis bei
Clausewitz und Moltke d.Ä. betrachtet. Darin liegt ein wichtiger Schlüssel, um
den Sinn der Auftragstaktik zu verstehen. Anschließend wird auf einer Begriffs-
ebene die Auftragstaktik anhand der preußisch-deutschen Führungs- und Ausbil-
dungsvorschriften von 1869 bis 1945 analysiert und in einem Modell syntheti-
siert.

96
Neitzel, Zwischen Professionalität, Gehorsam und Widerstand, S. 260.
I. Einleitung 19

Im zweiten Hauptteil wird das Spannungsfeld zwischen Selbstständigkeit


und Eigenmächtigkeit thematisiert. Dies geschieht chronologisch über drei ver-
schiedene Zeiträume: Von den deutschen Einigungskriegen über den Ersten
Weltkrieg zum Westfeldzug von 1940. Die Untersuchung der taktisch-operati-
ven Gefechtsführung ist stark ereignis- bzw. operationsgeschichtlich orientiert.
Im Anschluss an die drei thematischen Blöcke wird deshalb jeweils eine kurze
Zwischenwertung erfolgen, die für die beiden ersten Blöcke auch das Urteil in der
zeitgenössischen Rezeption wiedergibt.
Der dritte Hauptteil befasst sich schließlich mit der Anwendung der Auf-
tragstaktik auf taktischer Führungsebene. Dies erfolgt ebenfalls in drei Blöcken,
die allerdings nicht mehr chronologisch, sondern wie erwähnt als Fallbeispiele
angelegt sind. Anhand des Modells der Auftragstaktik soll darin ebenfalls die
Gefechtsführung der erwähnten Divisionen untersucht werden. Einleitend und
den Fallbeispielen vorangestellt, werden kurz die militärische Lage an der Ostfront
1942 sowie die Planung und der Grobverlauf der deutschen Sommeroffensive
thematisiert, die den Kriegshintergrund für alle drei Fallbeispiele bildet.

4. Quellenlage

Wie beim methodischen Ansatz stützte sich die vorliegende Studie je nach thema-
tischer Ausrichtung des Hauptteils auf unterschiedliche Quellen. Im Wesentlichen
befinden sich die relevanten Archivalien im Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv
(BArch) in Freiburg im Breisgau. Die Quellenlage hinsichtlich des Themas
Auftragstaktik ist als relativ schwierig, zumindest aber als herausfordernd zu be-
zeichnen. So wenig wie es im BArch einen Quellenbestand zur Auftragstaktik gibt
und wohl auch gar nicht geben kann, so schwierig gestaltet sich auch die Suche
danach mit den vorhandenen Findmitteln. Ohne ein gewisses Maß an Vorwissen
und das Verständnis für militärische Führungsvorgänge und Ausbildungsabläufe
lassen sich die relevanten Quellenbestände nur schwer ausmachen. Selbst unter
dieser Voraussetzung blieb anfangs nichts anderes übrig, als die Führungs- und
Ausbildungsunterlagen verschiedener Dienststellen zu durchkämmen. Für die
Analyse der Führungsdoktrin wurden so schwerpunktmäßig die Bestände des
Generalstabs des Heeres, des Allgemeinen Heeresamtes, des Generalinspekteurs
der Panzertruppe sowie der Inspektionen der Kriegsschulen und der Infanterie
und schließlich der Kriegsakademie sowie der Schulen des Heeres durchgese-
hen. Weiter wurden exemplarisch Truppenakten höherer Kommandobehörden
und Akten des Wehrkreiskommandos VII (München) herangezogen, das über
einen gut überlieferten Bestand verfügt und gerade für Ausbildungsbelange
eine wertvolle Ergänzung darstellte. Zentral für die Analyse der preußisch-deut-
schen Führungsdoktrin waren selbstredend die Amtsdruckschriften, d.h. alle
Heeresdruckvorschriften, Merkblätter und waffentechnischen Dienstvorschriften,
wobei sich die Analyse auf die Führungs- und Ausbildungsvorschriften be-
schränkte97. Als Ergänzung der normativen Quellentypen wurde auf offiziöses

97
Für die Einordnung und inhaltliche Abgrenzung der verschiedenen Vorschriftstypen siehe
Kap. II.2.a).
20 I. Einleitung

Schrifttum, Militärzeitschriften und retrospektive Dokumente zurückgegrif-


fen. Bei Ersterem stich v.a. das von der einflussreichen Deutschen Gesellschaft
für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften (DGWW) initiierte und 1936 unter
Leitung von Generalmajor a.D. Hermann Franke herausgegebene halbamtli-
che Handbuch der neuzeitlichen Wehrwissenschaften hervor98. Darin werden alle
grundsätzlichen Aspekte der Kriegführung und des Heerwesens behandelt.
Winfried Mönch bezeichnete es deshalb »als Zusammenstellung des militär-
wissenschaftlichen Wissens [...], mit dem die deutsche Wehrmacht in den
Zweiten Weltkrieg gezogen ist«99. Ein solches Werk bietet einen reichhaltigen
Fundus an Hintergrundinformationen über Inhalt und Sinn verschiedener
Führungs-, Erziehungs- und Ausbildungsaspekte, die rein aus den normativen
Quellen nicht ersichtlich werden, da solche in der Regel keine Begründungen
für ihre Anweisungen mitliefern100. Einen Artikel zum Thema Auftragstaktik
gibt es allerdings auch in diesem Handbuch nicht101. Zeitgenössische deutsche
Militärzeitschriften bildeten ebenfalls einen wichtigen Quellentyp, da darin z.B.
neu erlassene Ausbildungsvorschriften vorgestellt und ihr Inhalt reflektiert wur-
den. Darüber hinaus – und für die vorliegende Studie besonders interessant –
werden auch Führungsaspekte diskutiert. Die Artikel in den Militärzeitschriften
lassen dadurch nicht nur Rückschlüsse auf das Verständnis des jeweiligen
Verfassers zu, sondern verdeutlichen auch, in welchen Belangen die normati-
ven Vorgaben der Führungsdoktrin in der Truppenpraxis Probleme verursach-
ten oder welche Aspekte kontrovers diskutiert wurden. Dies ist in Bezug auf die
Auftragstaktik nicht unwesentlich, herrscht heute in der Geschichtswissenschaft
doch die Meinung vor, dass sich Auftragstaktik bis 1914 zum unangefochtenen
und nicht mehr hinterfragten Führungsprinzip entwickelt hatte102. Auf eine sys-
tematische Untersuchung musste aus arbeitsökonomischen Gründen allerdings
verzichtet werden. Retrospektive Dokumente stellten schließlich für die vorlie-
gende Studie ein ebenfalls äußerst interessantes Quellenmaterial dar, lassen sie
doch Rückschlüsse auf das Selbstverständnis der Verfasser zu und ermöglichen
dadurch das normative Bild abzurunden. Auf den tendenziösen und häufig apolo-
getischen Charakter der Erinnerungs- und Memoirenliteratur wurde bereits in der
Problemstellung hingewiesen. Hürter hat jedoch auch darauf hingewiesen, dass es
falsch wäre, »diese Quellen grundsätzlich als unglaubwürdig zu verwerfen«103. Mit
ausreichend quellenkritischer Distanz betrachtet, eignen sich solche Dokumente
jedenfalls geradezu optimal, um das Selbstbild der ehemaligen Akteure nach-
zuzeichnen. Dies gilt in besonderem Maße auch für die Studien der deutschen
Arbeitsgruppe der Historical Division. Diese waren zum einen zwar ebenfalls

98
Handbuch der neuzeitlichen Wehrwissenschaften (HdbWW). Zur DGWW vgl. Toppe,
Militär und Kriegsvölkerrecht, S. 212; Hürter, Hitlers Heerführer, S. 114; Pöhlmann, Von
Versailles nach Armageddon, S. 327.
99
Mönch, Entscheidungsschlacht, S. 10.
100
Dies gilt etwa auch für die Schriften Erich Wenigers oder Friedrich Altrichters. Vgl.
Weniger, Wehrmachtserziehung und Kriegserfahrung; Altrichter, Der soldatische Führer.
101
Kayser, Verantwortungsfreudigkeit, S. 646, erwähnt lediglich – ohne nähere Erläuterung –
den Begriff »Auftragsverfahren«.
102
Vgl. Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 428; Leistenschneider, Auftragstaktik,
S. 123‑137; Oetting, Auftragstaktik, S. 121‑137.
103
Hürter, Hitlers Heerführer, S. 18.
I. Einleitung 21

Teil der eingangs erwähnten Verteidigungsstrategie nach 1945 und bedürfen des-
halb eines quellenkritischen Umgangs. Zum anderen zeigen sie das militärische
Denken und Führungsverständnis von Exponenten der höchsten militärischen
Führungsschicht auf104. Zudem lag ein Ziel von Generaloberst a.D. Franz Halder,
dem verantwortlichen Leiter der Arbeitsgruppe, darin, »den unveränderlichen
Begriff der Führungskunst, wie er sich im deutschen Generalstab in Generationen
entwickelt hat, an die Nachwelt weiterzugeben«105. Die häufig erstaunlich kri-
tisch, wenn auch selten selbstkritisch gehaltenen Studien bieten eine zusätzliche
Perspektive, aus der die Eckpfeiler des deutschen Führungsverständnisses und die
damit verbundenen Probleme während des Krieges kontrastiert werden können.
Bei den Fallbeispielen konzentrierte sich die Quellenauswahl naheliegend auf
die Truppenakten, wobei der Schwerpunkt auf den Akten der Führungs- und
Operationsabteilung (Ia) lag. Die Grundlage bildeten hierbei die Kriegstage-
bücher, deren Aussagewert jedoch sehr unterschiedlich war. Zudem bietet das
Kriegstagebuch als historische Quelle neben dem Vorteil, dass die Führung sol-
cher Dokumente institutionalisiert war, allerdings auch die Problematik, dass es
ein »Produkt der offiziellen Selbstdarstellung« war106. Allzu viele selbstkritische
Anmerkungen finden sich deshalb nicht in solchen Dokumenten, erst recht nicht,
wenn es beispielsweise um Kriegsverbrechen ging. Diese Problematik wurde un-
längst in der Geschichtswissenschaft diskutiert und ist mit einer quellenkritischen
Herangehensweise durchaus zu bewältigen107. Bislang wurde in der Diskussion je-
doch nicht angesprochen, dass dieser Mechanismus bei Führungsproblemen nicht
oder zumindest weit weniger bedeutsam war. Vielmehr wurden Führungsfehler in
den Verbänden und Einheiten oder Probleme des Führungsvorganges – v.a. auch
solche des dienstlichen Austausches mit den vorgesetzten Kommandobehörden
– sehr deutlich und ungeschönt vermerkt108. Dies ist natürlich auch als Vertei-
digungs- bzw. Rechtfertigungsreflex zu bewerten, wirkten sich solche Fehler doch
immer auch negativ auf das Leistungsprofil und das Renommee einer Division
aus. Letztlich zeigt sich damit aber auch, dass sich aus Kriegstagebüchern sehr
aufschlussreiche Hinweise auf das Führungsverhalten ergeben. Gesamthaft be-
trachtet blieben solche Vermerke jedoch Ausnahmeerscheinungen. Schließlich
dienten Kriegstagebücher auch dazu, Kriegserfahrungen festzuhalten, die später
ausgewertet wurden und wieder in die Ausbildung einflossen109. Auch daraus las-
sen sich wichtige Aspekte für die Auftragstaktik herausziehen.

104
Die Arbeitsgruppe umfasste über 320 ehemalige Generale und Stabsoffiziere der Wehr-
macht. Hackl, Generalstab, S. 3.
105
Halder zu Alfred Philippi, Sinn und Aufgabe des Autorenkreises, 19.11.1957, BArch,
N 220/120.
106
Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, S. 20.
107
Vgl. Wettstein, Operation »Barbarossa«, S. 24‑26; Töppel, Kursk, S. 352‑354; Hartmann,
Wehrmacht im Ostkrieg, S. 19 f.; Römer, Der Kommissarbefehl, S. 25‑41; Stachelbeck,
Militärische Effektivität, S. 12 f.
108
Vgl. z.B. 10. ID (mot)/Ia, KTB, BArch, RH 26-10/9 (20./24.12.1941). IDGD/Ia, KTB,
Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (Aktennotiz 27./28.1.1943).
109
Vgl. GenStdH/Ausb.Abt. (III), Nr. 1371/40, Betr.: Sammlung von Kriegserfahrungen,
BArch, RH 2/2851. Neben dem »Interesse der kriegsgeschichtlichen Forschung« hatte die
Truppe aber auch ein »eigenste[s] Interesse [...] ihre Taten wahrheitsgetreu und in würdiger
22 I. Einleitung

Neben den eigentlichen Kriegstagebüchern lag der Schwerpunkt der Akten-


durchsicht – auch quantitativ – auf den Anlagebänden der Kriegstagebücher, in
denen die Operations- und andere Befehle, Meldungen, Besprechungsnotizen,
Gefechts- und Erfahrungsberichte, Tätigkeitsberichte sowie Ausbildungsunter-
lagen enthalten sind. Während die Kriegstagebücher die Gefechtshandlungen
und Tätigkeiten der Division insgesamt eher summarisch abbildeten und über-
blicksmäßig zusammenfassten, ließen sich nähere Informationen meist erst
aus der Durchsicht der Anlagebände herleiten. Beispielsweise kann der ange-
sprochene Zusammenhang zwischen Sprache und Handlung erst durch ei-
nen Abgleich der Operationsbefehle mit Meldungen über den tatsächlichen
Verlauf von Gefechten sowie deren nachträgliche Auswertung von Gefechten
in Gefechts- und Erfahrungsberichten festgestellt werden. Ergänzend zu den Ia-
Akten wurden auch solche der Adjutantur (IIa) angeschaut, die u.a. aufschluss-
reiche Tätigkeitsberichte enthalten, in denen Personalangelegenheiten oftmals
auch in den größeren Zusammenhang gesetzt werden. Vereinzelt wurden auch
Akten der Quartiermeisterabteilung (Ib) hinzugezogen, etwa Kriegsgliederungen,
Zustandsberichte oder Erfahrungsberichte.
Nachlässe und Personalakten, die wertvolle Hinweise zum Charakter und
Werdegang eines Offiziers vermitteln können, konnten nur komplementär
verwendet werden, da sie für die Divisionskommandeure der untersuchten
Divisionen mehrheitlich nicht überliefert sind110. Für die 10. Infanteriedivision
(mot) und die Infanteriedivision »GD« existierte zudem Erinnerungsliteratur in
Form von Divisionsgeschichten, die von ehemaligen Angehörigen der beiden
Divisionen als Selbstzeugnisse verfasst wurden111. Divisionsgeschichten können
die Truppenakten sinnvoll ergänzen oder – wie im Fall der Infanteriedivision
»GD« – Lücken füllen, bedingen durch ihre Absicht, der Truppe in erster Linie
»ein ehrendes Denkmal«112 zu setzen, und wegen der in der Regel fehlenden
Belege aber zwingend eine quellenkritische Überprüfung.

Form aktenkundig« zu machen. 385. ID, Betr.: Führung der KTB, 12.7.1942, BArch,
RH 26-385/27, S. 1.
110
Vom Div.Kdr. der 385. ID sind weder Personalakte noch Nachlass überliefert. Beides fehlt
auch im Fall des Div.Kdr. der IDGD, immerhin sind aber seine Akten aus der sogenann-
ten »Generalskartei« des HPA noch vorhanden. Vom Div.Kdr. der 10. ID (mot) sind die
Personalakte und der Nachlass überliefert, Letzterer war zum Zeitpunkt der Abfassung
dieses Buches noch nicht archivarisch bearbeitet und deshalb für die Benützung nicht
verfügbar.
111
Schmidt, Geschichte der 10. Division; Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland.
Zur IDGD gibt es noch weitere Erinnerungsliteratur und v.a. populärwissenschaftliche
Darstellungen, auf die nur vereinzelt zurückgegriffen wurde. Z.B. Scheibert, Panzer-Grena-
dier-Division Grossdeutschland; McGuirl/Spezzano, Geschichte der Panzergrenadierdivi-
sion »Großdeutschland«.
112
Schimak/Lamprecht/Dettmer, Die 44. Infanterie-Division, S. 7.
I. Einleitung 23

5. Sprache und Begriffe

Wie jedem Fachgebiet liegt auch dem militärischen eine spezifische Terminologie
zugrunde. Ohne das Verständnis dafür kann die militärische Gedankenwelt,
können ihre Abläufe und zuweilen auch die Schlussfolgerungen militärischer
Gedankengänge nicht in vollem Umfang erfasst werden. Die in der vorliegen-
den Studie verwendete Sprache orientiert sich deshalb grundsätzlich an der zeit-
genössischen militärischen Terminologie113. Meiner Ansicht nach diente dieses
Vorgehen der Verständlichkeit des Sachverhalts am besten, da sonst neue Begriffe
hätten definiert werden müssen, die aber nicht unbedingt klarer gewesen wären.
Vielmehr hätte die Gefahr bestanden, dass militärische und historische Begriffe
vermischt worden wären und die Begrifflichkeiten letztlich an Schärfe verloren
hätten.
Die vorliegende Arbeit untersucht mit der Auftragstaktik ein militärisches
Führungsprinzip des preußisch-deutschen Heeres und dessen Anwendung im
Gefecht. Zu diesem Zweck werden verschiedene Aspekte wie das preußisch-deut-
sche Führungsdenken bzw. die Führungsdoktrin, die Truppenführung oder die
Führung des Gefechts auf taktischer und operativer Stufe untersucht. Um das
preußisch-deutsche militärische Führungsdenken und die Auftragstaktik richtig
verstehen zu können, müssen zunächst einige für die Analyse der Auftragstaktik
grundlegende Begriffe geklärt werden, auf die später nicht mehr gesondert einge-
gangen werden wird114.
Grundsätzlich befasst sich die vorliegende Arbeit mit dem Führungsdenken
und Führungsverhalten im preußisch-deutschen Heer, d.h. mit der taktisch-ope-
rativen Truppenführung im Krieg und nicht mit der strategischen Führung eines
Krieges. Bezüglich der Festlegung der militärischen Führungsebenen gab es in der
Wehrmacht keine eindeutigen Definitionen, gleiches galt auch für die Verwendung
der Begriffe Operation und Taktik bzw. operativ und taktisch. Die maßgebliche
Dienstvorschrift des Heeres, die Heeresdruckvorschrift (H.Dv.) 300/1 »Trup-
penführung« (TF), gliederte die militärischen Führungsebenen in eine obe-
re und eine untere Führung. Die obere Führung umfasste die Führungsebenen
Heeresgruppe bis Division, die untere Führung alle Verbände unterhalb der
Division115. Der Begriff »mittlere Führung« wurde zwar im militärischen Sprach-
gebrauch des Alltags verwendet, stellte aber keinen offiziellen Begriff dar116. Er dien-
te dazu, die obere Führung nochmals zu unterteilen, und bezog sich in der Regel
auf die Divisions-, teils auch auf die Korpsebene117. In der vorliegenden Studie wird
darunter die Führungsebene der Division verstanden. Die Trennung zwischen ope-
rativem und taktischem Bereich war ebenfalls nicht klar festgelegt. Die operative

113
Vgl. dazu auch die Argumentation bei Wegner, Wozu Operationsgeschichte?, S. 111 f.
114
Begriffe, die dem Verständnis des Untersuchungsthemas im weiteren Sinne zuträglich sind,
werden ad locum eingeführt.
115
TF, S. 8. Vgl. auch Inf.Ers.Btl. 170, Taktische Grundbegriffe, [1938‑40], BArch,
RH 54/66, S. 1.
116
Anders als die Vorgängervorschrift, welche die Führung noch in eine obere, mittlere und
untere Ebene unterteilte. FuG, S. 6 f.
117
Reinhardt, Die Begriffe obere, mittlere und untere Führung im deutschen Sprachgebrauch,
BArch, ZA 1/1802, S. 1 f.
24 I. Einleitung

Ebene begann auf der Führungsstufe der Armee, konnte allerdings »oftmals auch
bis zum [...] Korps« hinunterreichen118. Die Taktik bzw. taktische Ebene – d.h. die
eigentliche Gefechtsführung – umfasste die untersten Verbände bis zur Division,
teilweise aber auch noch das Korps119. Die vorliegende Arbeit versteht unter oberer
Führung bzw. operativer Ebene Verbände ab Stufe Korps und mit unterer Führung
bzw. taktischer Ebene die Division und alle kleineren Verbände. In Ergänzung
zur oberen und unteren Führungsebene wird in der vorliegenden Arbeit noch der
Begriff »oberste Führung« benutzt. Darunter fallen Hitler als Oberbefehlshaber der
Wehrmacht, das Oberkommando der Wehrmacht (OKW), der Oberbefehlshaber
des Heeres (ObdH), das Oberkommando des Heeres (OKH) sowie der Generalstab
des Heeres (GenStdH). Die Begriffe OKH, (Oberste) Heeresleitung und oberste
Heeresführung wurden synonym verwendet120.
Auf den ersten Blick nicht ohne weiteres klar sind die Begriffe Generalkom-
mando und Kommandobehörde. Das Generalkommando bezeichnete die mi-
litärische Befehlsstelle eines Korps, d.h. den Kommandierenden General sowie
seinen Stab. Während das Generalkommando also ausschließlich ein Kommando
auf Korpsstufe darstellte, waren mit dem Begriff Kommandobehörden alle
»militärische[n] Dienststellen vom Divisionskommando an aufwärts« gemeint,
wenn sie Truppen befehligten121.
In den Fallbeispielen werden drei Divisionen untersucht, die sich von ihrer
Kriegsstärkenachweisung (K.St.N.) her – also nach ihrer Gliederung, Ausstattung
an Waffen und Fahrzeugen sowie den personellen Sollstellen – erheblich vonei-
nander unterschieden. Es wird an dieser Stelle darauf verzichtet, näher auf deren
Kriegsgliederung einzugehen. Aus demselben Grund wird davon abgesehen, auf
die Zusammensetzung eines »durchschnittlichen« Regiments, Bataillons oder ei-
ner Kompanie einzugehen. Beides wird direkt in den entsprechenden Kapiteln
geschehen. Die Darstellung der Zugehörigkeit der Verbände und Einheiten der
Divisionen orientierte sich an der in den Quellen üblichen Schreibweise: Die
Kompanie-, Batterie- bzw. Schwadronnummer wird in arabischer, die Bataillons-
bzw. Abteilungsnummer in römischer Ziffer angegeben. Anstelle der ausgeschrie-
benen Variante wird jeweils der höhere Verband ausgeschrieben, während von
der niedrigeren Einheit bloß die Einheitsnummer wiedergegeben wird (z.B. 1./
Infanterieregiment 20 oder II./Artillerieregiment 385).

118
Dies deshalb, weil es »eine feste Abgrenzung für die Anwendung der Begriffe Strategie,
Operation und Taktik [...] nach der Natur der Sache nicht« geben konnte. Gewisse deut-
sche militärische Ausdrücke und ihre Definition, BArch, ZA 1/1246, S. 5 f. Vgl. auch
Reinhardt, Die Begriffe obere, mittlere und untere Führung im deutschen Sprachgebrauch,
BArch, ZA 1/1802, S. 2.
119
Hermann Foertsch sah die Taktik z.B. »im Rahmen von kleinsten Verbänden bis zur Division
u. zum Korps« durchgeführt. Reinhardt meinte hingegen, dass »die Divisionsführung [...]
noch fast ganz in das Gebiet der Taktik« falle und damit sogar operativ sein könnte. In der
TF wurden die Begriffe Operation und Taktik gar nicht erwähnt. Foertsch, Kriegskunst,
S. 31; Reinhardt, Die Begriffe obere, mittlere und untere Führung im deutschen Sprach-
gebrauch, BArch, ZA 1/1802, S. 2. Gewisse deutsche militärische Ausdrücke und ihre
Definition, S. 5.
120
Zur Definition der Führungsebenen vgl. auch Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 8, 119;
Hürter, Hitlers Heerführer, S. 266 f.
121
TF, S. 7 f. Vgl. auch Transfeldt, Wort und Brauch, S. 159.
I. Einleitung 25

Analog zu den Führungsebenen teilte sich auch die Gesamtheit der Soldaten
der Wehrmacht in verschiedene Ranggruppen mit unterschiedlichen Funktionen,
wobei an dieser Stelle zunächst nur die Offiziere näher betrachtet werden sollen.
Diese Ranggruppe umfasste auf das Heer bezogen die Generale, die Stabsoffiziere,
die Hauptleute und Rittmeister sowie die Leutnante122. Wenn im Folgenden
von Offizieren die Rede sein wird, ist immer die gesamte Ranggruppe der
Heeresoffiziere, d.h. die Truppen- und Generalstabsoffiziere (ohne Offiziere der
Sonderlaufbahnen) gemeint.
Während die Rangklassen auf verschiedene Hierarchieebenen bezogen wa-
ren, gab es noch Begriffe, mit denen die Einstufung bzw. Verwendungsart ei-
nes Offiziers oder Unteroffiziers bezeichnet wurden. Zunächst unterscheiden
die Quellen zwischen Truppenführern (obere Führer) und Unterführern. Als
Truppenführer wurde ein »dauernd oder zeitweilig selbstständig eine Abteilung
verschiedener Waffen (gemischter Verband) befehligende Führer«123 bezeichnet,
d.h. ab Divisionsebene aufwärts.
Der Begriff Unterführer wird in den Quellen in drei verschiedenen Bedeu-
tungen verwendet, die häufig erst aus dem Kontext ersichtlich werden: Er zeigt
unabhängig vom Dienstrang das Verhältnis von Vorgesetztem (Führer) und
Unterstelltem (Unterführer) auf. Weiter werden Führer als Unterführer bezeich-
net, die aufgrund der organisatorischen Zusammensetzung ihres Verbandes nicht
zu operativer Selbstständigkeit befähigt sind (unterhalb der Divisionsebene).
Drittens wird der Begriff auch als Synonym für Unteroffizier verwendet124.
Schließlich werden in den Quellen auch die Führungsfunktionen der Offiziere
näher benannt. Grundsätzlich wurden Führer von Divisionen, Brigaden,
Regimentern, Bataillonen und Abteilungen als Kommandeure sowie Führer von
Kompanien, Batterien und Schwadronen als Chefs bezeichnet, wenn sie ein plan-
mäßiges Kommando über einen Verband inne hatten. Befehligten Offiziere außer-
planmäßig einen Verband, d.h. stellvertretend oder vorübergehend, so wurden
sie in den Offizierstellenbesetzungen als Führer aufgelistet (z.B. Bataillonsführer).
Eine Ausnahme bildete der Begriff Einheitsführer, der Kompaniechefs und Kom-
panieführer zusammenfasste.
Ortsnamen wurden wenn immer möglich transliteriert. Bei kleinen Ortschaf-
ten und Weilern, die in den Quellen relativ häufig genannt, aber nur schwierig zu
recherchieren sind, wurde die Schreibweise der deutschen Quellen beibehalten.
Ehemals deutsche Ortschaften werden in ihrer deutschen Bezeichnung angege-
ben, ergänzt durch die heutige Bezeichnung in Klammern. Die Orthografie und
Syntax der Zitate wurden im Stile der Originalquellen beibehalten.

122
Absolon, Wehrgesetz und Wehrdienst, S. 164‑167.
123
TF, S. 8.
124
Vgl. Transfeldt, Wort und Brauch, S. 50, der allerdings nur zwei Bedeutungen nennt.
26 I. Einleitung

6. Dank

Es bleibt noch die vornehmste Pflicht eines Verfassers, nämlich all denen aufrich-
tig zu danken, die mir während der gedanklichen Auseinandersetzung mit dem
Thema und der Abfassung der vorliegenden Arbeit hilfreich zur Seite standen.
Meinem Doktorvater, Prof. Dr. Stig Förster, danke ich herzlich für die
Betreuung der Dissertation und die akademische Freiheit, die er mir bei der
Abfassung der Dissertation ließ und dabei bei Problemen und Fragen gleichwohl
mit Rat und Tat zur Seite stand. Meinem damaligen Chef an der Militärakademie/
ETH Zürich, Prof. Dr. Rudolf Jaun, danke ich herzlich für die Bereitschaft, das
Zweitgutachten zu übernehmen und für die zuvorkommende und unkompli-
zierte Art, mir die nötige Zeit für die Niederschrift der Dissertation zu gewäh-
ren. Auch bin ich dankbar für die unzähligen inhaltlichen und methodischen
Gedanken und Hinweise, die er mir in den letzten Jahren als wissenschaftlicher
Assistent und Doktorand zuteil werden ließ.
Ermöglicht wurde diese Publikation letztlich durch zwei Institutionen: Mit
der Militärakademie an der ETH Zürich fand sich ein berufliches Umfeld, das
meine Forschungstätigkeit unterstützte und mir durch Archivaufenthalte und
Kongressbesuche den für einen Wissenschaftler so wichtigen Austausch mit der
Forschungsgemeinschaft ermöglichte. Davon – so hoffe ich – profitierte die nun
vorliegende Publikation. Zu den Kollegen des Zentrums für Militärgeschichte
und Sozialwissenschaften der Bundeswehr besteht seit Jahren ein persönli-
ches und berufliches Verhältnis. Es freut mich deshalb besonders, dass sich das
Zentrum bereit erklärte, meine Dissertation zu veröffentlichen. Hierfür sei den
Verantwortlichen ausdrücklich gedankt. Ein ganz besonderer Dank gilt dabei all
denen, die zur Fertigstellung dieses Buches beigetragen haben, namentlich Herrn
Wilfried Rädisch, Herrn Frank Schemmerling, Herrn Knud Neuhoff, Frau Carola
Klinke, Frau Christine Mauersberger sowie Frau Cordula Hubert (Olching) für
das Lektorat. Für die zahlreichen Diskussionen über methodische und inhaltliche
Fragen sowie für die vielen hilfreichen Anregungen danke ich allen Kolleginnen
und Kollegen von der Militärakademie/ETH Zürich, der Universität Bern und
dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, al-
len voran Dr. Michael Olsansky, Jens Amrhein und Christoph Wyniger. Ich danke
Prof. Dr. Sönke Neitzel (London) für die Gelegenheit, mein Dissertationsprojekt
im Rahmen eines Kolloquiums in Mainz einem breiteren Personenkreis vorstel-
len zu dürfen, sowie für die anregenden Gespräche und wertvollen Hinweise für
meine Arbeit. Sehr zu Dank verpflichtet bin ich auch Dr. Peter Lieb (Sandhurst)
für die intensiven und aufschlussreichen Gespräche und Hinweise, die mir gerade
in der Schlussphase den Weg zum Abschluss der Dissertation gewiesen haben.
Ganz speziell danke ich schließlich meinem Kollegen und Freund, Dr. Adrian
Wettstein, für die vielfachen Diskussionen und Gespräche über theoretische
Überlegungen und praktische Probleme meines Dissertationsprojektes. Für seine
nie endende Bereitschaft, mit mir über alle erdenklichen Aspekte meiner Arbeit
zu diskutieren und große Teile des Manuskriptes kritisch zu lektorieren, möchte
ich ihm meinen aufrichtigsten Dank aussprechen.
Welche wichtige Stütze die Familie und wie wertvoll ein liebevolles Zuhause
ist, konnte ich in den letzten Jahren immer wieder erfahren. Meinen Eltern danke
I. Einleitung 27

ich, dass sie mir überhaupt ermöglicht haben, mein Interesse für Geschichte im
Studium und später im Beruf auszuleben. Auch danke ich ihnen aufrichtig dafür,
in den letzten Monaten der intensiven Schlussphase in unzähligen Situationen
mich und meine Familie so selbstverständlich und herzlich unterstützt zu haben.
Von ganzem Herzen danke ich schließlich meiner Frau Corinne. Sie hat gerade
in den letzten Wochen und Monaten die Bürde des familiären Alltags häufig ganz
oder fast allein tragen müssen. In den letzten Jahren hat sie alle meine Hochs und
Tiefs aus nächster Nähe mitbekommen und gelassen ertragen oder ist mir mit
Kraft und Ruhe beigestanden. Dafür bin ich unendlich dankbar.
II. Die preußisch-deutsche militärische
Führungsdoktrin 1869‑1945 – Analyse
des Phänomens Auftragstaktik

Im normalen Sprachgebrauch wird ein allgemein gültiges, bindendes Prinzip


(oder mehrere) bzw. ein Verhaltensmuster, das die Grundlage eines künftigen
gemeinsamen Handelns festlegt, als Doktrin bezeichnet, während sie in der
Militärwissenschaft heute als Zusammenspiel von Zielen, Mitteln und Methoden
bzw. Kampfverfahren von Streitkräften definiert wird1. In die Fragen, welche !
Mittel wie angewendet werden sollen, um die Ziele zu erreichen, fließen da-
bei in der Regel auch politische Überlegungen hinein. Zur Militärdoktrin ge-
hört letztlich auch »die Kodifizierung militärischen Wissens und Denkens über
die Beschaffenheit aktueller und zukünftiger Konflikte«2, wobei für die vorlie-
gende Untersuchung v.a. das Kriegsverständnis und weniger die Vorstellungen
über das Kriegsbild von Interesse sein werden. Unter Ersterem verstehe ich die
Vorstellungen der preußisch-deutschen militärischen Denkschule über das Wesen
des Krieges. Mit Letzterem ist hingegen gemeint, wie sich ein Krieg in der Praxis
zeigt, d.h. mit welchen Mitteln und auf welche Weise Gewalt ausgeübt wird3.
Der Blick auf die preußisch-deutschen Vorstellungen über das Wesen des Krieges
ermöglicht dabei, den Krieg zuerst in seiner Ganzheit zu erfassen und daraus das
für die preußisch-deutsche militärische Denkschule Spezifische der Kriegführung
herauszukristallisieren, wodurch dann wiederum eine Annäherung zum Thema
Auftragstaktik ermöglicht wird. Bereits Clausewitz benutzte den Wesensbegriff,
um den Krieg zu beschreiben, z.B. in seiner Vorrede zum Buch »Vom Kriege«
(erschienen 1832‑1834), als er die Wissenschaftlichkeit seiner Untersuchung
umschrieb:
»Die wissenschaftliche Form liegt in dem Bestreben, das Wesen der kriegeri-
schen Erscheinungen zu erforschen, ihre Verbindung mit der Natur der
Dinge, aus denen sie zusammengesetzt sind, zu zeigen4.«

1
Eder, Definition und Gebrauch des Begriffes »Strategie«, S. 125; Krüger, Die zentrale Rolle
der Doktrinentwicklung, S. 15; Posen, The Sources of Military Doctrine, S. 13 f. Vgl. auch
Biddle, Military Power.
2
Rieder, Strategie, Konzeption, Doktrin und operative Führung, S. 117.
3
Z.B. in seiner Totalisierungstendenz. Vgl. diesbezüglich Dülffer, Vom Bündnispartner zum
Erfüllungsgehilfen, S. 291‑299. Gerade die zunehmende Technologisierung der Krieg-
führung zog aber auch Auswirkungen auf das Führungssystem nach sich. Vgl. Frieser,
Blitzkrieg-Legende, S. 424‑433.
4
Clausewitz, Vom Kriege, S. 184.
30 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Mit Wesen oder Natur ist im Folgenden also – im Gegensatz zum »Künstlichen«
der Theorie – das Charakterisierende eines Gegenstandes und somit im vor-
liegenden Fall die innere Beschaffenheit und Eigenart des Krieges gemeint5.
In Bezug auf die preußisch-deutsche Führungsdoktrin stellt sich jedoch zuerst
einmal ein begriffliches Problem, da der Terminus Doktrin oder Militärdoktrin
im preußisch-deutschen militärischen Führungsdenken nicht geläufig war6. Zwar
wird in deutschen Quellen gelegentlich auch von Doktrin gesprochen, worun-
ter jedoch lediglich die Grundsätze der Kriegführung verstanden wurden7. Dies
zeigt sich z.B. in der TF, die als maßgebliche Heeresdruckvorschrift der Wehr-
macht inhaltlich die deutsche Militärdoktrin am ehesten wiedergeben konnte.
Sie enthielt jedoch lediglich die »Grundsätze für die Führung, den Felddienst
und das Gefecht der verbundenen Waffen im Bewegungskriege«8. Eine völlig un-
terschiedliche Bedeutung besaß hingegen der französische oder angelsächsische
Doktrinbegriff, worunter eine Art von »sacred talisman« oder eine Formel ver-
standen wurde, die aufzeigte, wie auf dem Schlachtfeld verfahren werden musste9.
Wie noch dargestellt werden soll, stand eine solche Auffassung dem preußisch-
deutschen Kriegs- und Führungsverständnis diametral gegenüber. Es würde folg-
lich auch nicht viel bringen, eine französische oder britische Doktrindefinition
zu verwenden. Als Mustervorlage für die Skizzierung einer preußisch-deutschen
Militärdoktrin bietet sich hingegen – cum grano salis – die nachfolgende vom
sowjetischen Militärtheoretiker Michail V. Frunze 1921 verfasste Definition der
»einheitlichen proletarischen Militärdoktrin« an: !
»Die einheitliche Militärdoktrin ist die in der Armee des jeweiligen Staates
anerkannte Lehre, die den Aufbau der Streitkräfte des Landes, die Methoden
der militärischen Ausbildung der Truppen, ihre Führung auf der Grundlage
der im Staate herrschenden Anschauungen über den Charakter der vor ihm
liegenden militärischen Aufgaben und Formen zu ihrer Lösung festlegt, die
sich aus dem Klassencharakter des Staates und dem Entwicklungsstand der
Produktionskräfte des Landes ergeben10.«
Militärdoktrin stellte nach Frunze also die gebräuchliche Lehre einer Streitkraft
dar. Diese legt erstens fest, nach welchem Charakter eine Streitkraft aufgebaut
ist. Zweitens bestimmt sie, nach welchen Methoden die militärische Truppen-
ausbildung durchgeführt wird. Schließlich stellt sie drittens sicher, dass die Art
der Führung mit der jeweiligen Auffassung von der Natur und dem Zweck des
Krieges übereinstimmt. Abgesehen von der ideologischen Prägung beinhaltet die-
se Definition alle wesentlichen Aspekte, um die Frage nach der Militärdoktrin
auf deutscher Seite beleuchten zu können. Auch wenn es keine im heutigen
Sinne ausformulierte Militärdoktrin gab, existierten in der politisch-militäri-
schen Führung des Deutschen Reiches gleichwohl prinzipielle Ansichten über
den Charakter des Krieges, herrschte eine Auffassung darüber vor, wie sich die
Streitkräfte auf einen zukünftigen Krieg vorbereiten und wie sie diesen füh-
ren sollten und schließlich welche Konsequenzen sich für den Ausbau und

5
Hoffmeister, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, S. 422; Mittelstraß, Wesen, S. 673.
6
Corum, The Roots of Blitzkrieg, S. XV.
7
Z.B. Rendulic, Die Überraschung, BArch, ZA 1/1641, S. 10.
8
TF, S. 1*.
9
Zabecki, The German 1918 Offensives, S. 65; Corum, The Roots of Blitzkrieg, S. XV.
10
Zit. nach: Kießwetter, Michail Wassiljewitsch Frunse, S. 219 f.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 31

die Ausrichtung der Streitkräfte daraus ergeben mussten. Nach Heinz-Ludger


Borgert machten etwa der Cannae-Gedanke – d.h. die Vernichtung des Gegners
in einer Umfassungsoperation –, der Schwerpunktsgedanke, das Prinzip der
Bewegungskriegführung, die Betonung der Offensive oder die Verknüpfung von
zielbewusster Entschlossenheit und Willenskraft mit Freiheit in der Auswahl der
Mittel und Wege sowie der Auffassung von der Strategie der Aushilfen wich-
tige Bestandteile der deutschen Militärdoktrin der Reichswehr aus11. Da sich
diese Arbeit der Auftragstaktik und damit der Führungsdoktrin des deutschen
Heeres widmet, werden folglich Bogerts letzte Punkte – die Verbindung von
Entschlossenheit und Handlungsfreiheit sowie das »System der Aushilfen« – im
Zentrum stehen. Diese wurden wesentlich durch die spezifische Kriegsauffassung !
und das daraus abgeleitete Führungsverständnis bestimmt. Unter Führungsdoktrin
wird somit in dieser Studie die deutsche Auffassung vom Wesen und der Führung
des Krieges, die Gesamtheit der daraus abgeleiteten Führungsgrundsätze sowie
die Interdependenz dieser beiden Aspekte verstanden, die sich schließlich in einer
entsprechenden Führungstechnik mit einem spezifisch gewichteten Führungs-
vorgang – etwa der Entschlussfassung oder der Befehlserteilung – auswirkte und
einer darauf ausgerichteten Führungsausbildung bedurfte.
Die folgende Analyse des preußisch-deutschen Führungsdenkens konzent-
riert sich primär auf die normativen Vorgaben des preußisch-deutschen Heeres
als militärischer Organisation. Dies wird im Wesentlichen in zwei Schritten er-
folgen: Zuerst soll die Systemebene untersucht und aufgezeigt werden, was die
preußisch-deutsche militärische Denkschule unter Krieg verstand und welches
Führungsverständnis sie daraus entwickelte. Auf dieser Grundlage sollen dann
in einem zweiten Schritt die eigentliche Begriffsebene der Auftragstaktik und die
ihr zugrunde liegenden Grundsätze untersucht werden, die aus dem Kriegs- und
Führungsverständnis abgeleitet wurden. Dabei gilt es sich immer zu vergegen-
wärtigen, dass Führen nicht nur eine Frage der richtigen Führungstechnik ist.
Es genügt nicht, die richtigen Seiten in einer Vorschrift aufzuschlagen und anzu-
!
wenden12. Nach deutschem Verständnis ist Führungsdenken deshalb auch kein
»simpler Denkvorgang nach den auf der Kriegsakademie vermittelten Lehren und
Normen«13. Führen ist zuerst Sache einer Haltung, d.h. vom eigenen Denken !

11
Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 543 f. Zur Reichwehrdoktrin siehe auch
Strohn, The German Army and the Defence.
12
»Die Tätigkeit des militärischen Vorgesetzten ist primär weder Verwaltung noch Manage-
ment, sondern Führung, ein wesentlich umfassenderer Begriff. Wie ein Kapitän sein Schiff
primär aufgrund seiner Fachkenntnisse weder verwaltet noch ›managt‹, sondern komman-
diert, so wird auch eine militärische Einheit primär geführt oder kommandiert und nicht
verwaltet oder ›gemanagt‹.« Der militärische Führer verfügt dank »eigene[r] Polizeigewalt«
und eigener (Militär-)Gerichtsbarkeit über eine »verstärkte Autorität«. Diese forma-
le Autorität allein genügt indes nicht. Der militärische Führer kann mit seiner Gruppe
die Ziele nur dann erreichen, wenn er neben Fachkenntnissen auch menschliche Qualifi-
kationen hat, d.h. wenn er von seinen Untergebenen persönlich geachtet wird und ihr
Vertrauen besitzt. Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd 9, S. 179 f. Vgl. auch
die Beispiele bei Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, S. 183‑187.
13
Bücheler, Hoepner, S. 158.
32 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

abhängig und mit bestimmten Wertvorstellungen verknüpft14. Ohne diese innere !


Haltung bleibt die ganze Führungsambition Papier. Jede Arbeit, die es sich zum
Ziel gesetzt hat, die Truppenführung in Streitkräften zu untersuchen, kann sich
deshalb nicht ausschließlich auf die Analyse von Dienstvorschriften beschrän-
ken. Diese besitzen letztlich immer normativen Charakter und bilden somit
eine Idealvorstellung ab. Zur Beantwortung der Frage, ob und wie dies umge-
setzt wurde, bedarf es des Blickes über die Dienstvorschriften hinaus. Gerade die
Routine in der Truppenpraxis konnte nämlich unter Umständen – zumindest
unter Friedensbedingungen – das Handeln des Einzelnen stärker beeinflussen als
die Vorgaben einer Vorschrift15. Zudem kann sich ein Führungsprinzip wie die
Auftragstaktik erst in vollem Umfang entfalten, wenn Führer und Unterführer
nicht starr und unreflektiert an Ziffern festhalten. Zum entscheidenden Kriterium !
wird damit die »geistige Mitarbeit«16 auf allen Ebenen. Sie ermöglicht es, eine
Situation flexibel, aber in den Grenzen eines vorgegebenen Rahmens zu beur-
teilen und dem Handeln das Denken voranzusetzen. Deshalb wird im letzten
Kapitel das konkrete Führungsverhalten anhand dreier Fallbeispiele aus dem
Ostkrieg 1942 untersucht werden.
Um jedoch eine etwaige Abweichung zwischen normativen Vorschriften und
Vorstellungen und dem wirklichen Handeln noch differenzierter darstellen zu
können, soll die Untersuchung der Dienstvorschriften in diesem Kapitel – und
dabei besonders die Analyse einer möglichen Kontinuitätslinie in der preu-
ßisch-deutschen militärischen Führungsdoktrin – mit Truppenquellen, offizi-
ösen Quellen und Aussagen von Zeitgenossen ergänzt werden, die in gewisser
Weise das »Selbstbild« der Truppe darstellen. Besonders Ausbildungsdokumente
geben wichtige Rückschlüsse darüber, wie die normativen Vorstellungen der
Dienstvorschriften vermittelt wurden und sich im Führerkorps niedergeschlagen
haben. Aus diesem Grund soll die folgende Analyse der Dienstvorschriften mit
solchen Dokumenten ergänzt werden. Schließlich lässt sich mit dem schweizeri-
schen Generalstabsobersten und Militärschriftsteller Gustav Däniker sogar eine
aussagekräftige Außensicht heranziehen17. Däniker beurteilte die Feldzüge von
1939 und 1940 und die deutsche Kriegs- und Truppenführung in verschiede-

14
In einer Weisung vom Oktober 1939 bemängelte der ObdH (Brauchitsch), dass einem Teil
des Offizierkorps »die feste innere Haltung« fehle und stattdessen »Landsknechtsmanieren«
herrschten. Unter innerer Haltung verstand er: »Vorbild an Pflichtauffassung und Tatkraft«,
»Verantwortungsbewusstsein«, »Berufsfreudigkeit«, Fürsorge für die Truppe, »Gehorsam
und Manneszucht«. ObdH/PA (2), Gr. I/Ia, Nr. 5343/39, 25.10.1939, BArch, RH 12-
1/75, Bl. 119. Vgl. auch OKW/WFSt/WPr (AP2), Mitteilungen für das Offizierkorps,
Nr. 13, Januar 1943, BArch, RH 12-1/78, Bl. 135: »Die Autorität eines Führerkorps hängt
davon ab, wie hoch die Anforderungen sind, die es an sich selbst in der Erfüllung der Ideale
stellt, die es als seine Grundwerte proklamiert hat.«
15
Vgl. Liebmann, Die deutschen Gefechtsvorschriften von 1914, S. 461. Auch konnten sich
während eines Krieges Situationen oder Gefechtsarten entwickeln, zu denen es keine oder
nur bedingt Vorschriften gab, wie z.B. den Stellungskrieg im Ersten Weltkrieg oder den
Stadtkampf im Zweiten Weltkrieg. Unter solchen Bedingungen handelte die Truppe eben-
falls aus den eigenen Erfahrungen heraus.
16
Bücheler, Hoepner, S. 158.
17
Zu seiner Person siehe Keller, Oberst Gustav Däniker.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 33

nen Aufsätzen, die nicht nur in schweizerischen, sondern auch in deutschen


Militärzeitschriften und sogar als Drucksache vom OKH publiziert wurden18.
Die hier skizzierte Vorgehensweise mit normativen Quellen sowie Quellen,
die eine Selbst- und Außensicht wiedergeben, hat folgende Vorteile: Dadurch
muss die Führungsdoktrin nicht nur nach ihren normativen Vorgaben aus den
Dienstvorschriften heraus betrachtet, sondern kann auch hinsichtlich ihrer
praktischen Umsetzung beurteilt werden. Zudem werden sich dadurch auch
Rückschlüsse darüber gewinnen lassen, ob es tatsächlich im Laufe der Zeit zu ei-
nem Wandel im Führungsverständnis gekommen ist und deshalb eine Diskrepanz
zwischen der Führungsdoktrin in den Vorschriften und der Realität existierte, wie
dies etwa Stein für die Entwicklung des deutschen Führungsdenkens ab 1938
behauptet19.

1. Das Kriegsverständnis der


preußisch-deutschen militärischen Denkschule

In diesem Kapitel wird analysiert, wie in den preußisch-deutschen Streitkräften


bis 1945 das Wesen des Krieges verstanden wurde und welche Konsequenzen
daraus für die Führung eines Krieges gezogen wurden. Dazu müssen zuerst die
Rahmenbedingungen der Kriegführung betrachtet werden, da diese sich im Laufe
des 19. Jahrhunderts erheblich verändert hatten. Ein grundlegender Aspekt der
Weiterentwicklung der Kriegführung besteht in der Interaktion zwischen tak-
tischem Wandel und technologischem oder sozio-kulturellem Fortschritt. Eine
bestehende Taktik bleibt also solange erfolgreich, bis sie durch technologische
oder sozio-kulturelle Innovationen überholt wird. Im Zuge der Französischen
Revolution von 1789 und der Napoleonischen Kriegführung zwischen 1792 und
1815 kam es bezüglich Doktrin, Rekrutierung und Organisation von Streitkräften
sowie der Kriegführung zu verschiedenen Innovationen20. Diese vermengten sich
im Laufe des 19. Jahrhunderts mit den durch die Industrielle Revolution ermög-
lichten militärtechnologischen Innovationen. Im Endeffekt ergab sich dadurch
ein völlig neues Bild der Kriegführung. Vor diesem Hintergrund muss auch die
Entstehung und Entwicklung der Auftragstaktik gesehen werden21.
Eine erste Ursache für die Anwendung der Auftragstaktik im preußisch-
deutschen Heer lag in den angesprochenen technologischen Entwicklungen wie
z.B. der Einführung von Hinterladergewehren, gezogenen Hinterladergeschützen
oder der militärischen Nutzbarmachung der Eisenbahn und des Telegrafen, die
ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Gefechtsfeldrevolution führten22. Die

18
Z.B. Däniker, Einheitlichkeit im militärischen Denken; Däniker, Vom Aufbau einer Wehr-
macht; Däniker, Von der Bewährung einer Wehrmacht. Dieser Aufsatz wurde auszugswei-
se in der Deutschen Wehr und als Sonderdruck des OKH publiziert: Däniker, Deutsche
Führung und deutsches Soldatentum. OKH/GenStdH/H Wes Abt, Deutsche Führung
und deutsches Soldatentum 1939/40, April 1941, BArch, RHD 45/1.
19
Stein, Führen durch Auftrag, S. 9.
20
Paret, Napoleon and the Revolution in War, S. 123‑142.
21
Vgl. auch Warburg, Das Militär und seine Subjekte, S. 203‑218.
22
Coumbe, Operational Command in the Franco-Prussian War, S. 87.
34 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

gesteigerte Waffenwirkung verursachte eine zunehmende Auflösung der dich-


ten Kolonnen in aufgelockerte Gefechtsformationen und führte schließlich
zu der sogenannten »Leere des Schlachtfeldes«23. Diese technisch-taktischen
Entwicklungen führten dazu, dass der »Feldherr« nicht mehr – wie noch zu Zeiten
Napoleon Bonapartes – unmittelbar auf alle seine Soldaten einwirken konnte, da
die Truppen vielfach nicht mehr physisch zusammengefasst kämpften24. In kriti-
schen Situationen konnte er folglich kaum mehr persönlich vor Ort eingreifen,
sondern war vermehrt auf seine Unterführer angewiesen. Folgerichtig wurden
die Handlungsspielräume der Unterführer im preußisch-deutschen Heer konti-
nuierlich erweitert und die ehemals zentralisierte Kampfführung dezentralisiert.
Diese Entwicklung zeigt sich im Wandel der taktischen Hauptgefechtseinheit,
die seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1918 in der Führungsebene kontinuier-
lich nach unten sank. Nach den Erfahrungen der Kriege von 1864 und 1866
hatte Moltke d.Ä. in seinen »Verordnungen für die höheren Truppenführer« vom
24. Juni 1869 die Fortführung der bereits im Exerzierreglement von 1847 ein-
geführten Aufteilung der Bataillonskolonnen in Kompaniekolonnen gefordert,
was sich im Kriege 1870/71 aber nicht mehr generell auswirken konnte25. In
einer »Allerhöchste[n] Kabinets-Ordre vom 19. März 1873« wurde deshalb erlas-
sen, dass in Zukunft die Kompanie die größte im Gefecht geschlossen eingesetzte
Truppenformation und damit »Normal-Gefechtsformation der ersten Linie« sein
solle26. Das Exerzierreglement der Infanterie von 1906 tendierte schließlich dazu,
die Kompanie, den Zug, die Gruppe als eigentliches Element zu betrachten, mit
dem das Gefecht geführt wurde27. Abgeschlossen wurde diese Entwicklung mit
der Vorschriftenreihe zum Stellungskrieg für alle Waffen, insbesondere mit den
Teilen 8 (»Grundsätze für die Führung in der Abwehrschlacht im Stellungskriege«
von 1916) und 14 (»Der Angriff im Stellungskrieg« von 1918) sowie mit der
»Ausbildungsvorschrift für die Fußtruppen im Kriege« (AVF) von 1917/191828.
Darin war endgültig vom Linienkampfverfahren und dem Bataillon bzw. der
Kompanie als Hauptkampfeinheit Abstand genommen worden. An deren Stelle
traten das Stoßtruppverfahren sowie die flexible, tief gestaffelte Verteidigung
und damit die Gruppe bzw. der einzelne Mann als »Träger des Kampfes«29. Eine
Voraussetzung dafür, um mit kleinen, wendigen Gefechtseinheiten zu kämpfen,

23
Fleck, Die Leere des Schlachtfeldes, Sp. 898‑902. TF, S. 3. Vgl. auch Velten, Das deutsche
Reichsheer, S. 164.
24
Strachan, Ausbildung, Kampfgeist und die zwei Weltkriege, S. 272; DiNardo, Southern by
the Grace of God, S. 1012.
25
Verordnungen für die höheren Truppenführer vom 24.6.1869. In: Moltkes Militärische
Werke (MMW), II/2, S. 197 f.
26
Exerzir-Reglement für die Infanterie 1870, S. V. Vgl. auch Freytag-Loringhoven, Die
Exerzier-Reglements für die Infanterie, S. 35 f.
27
D.V.E. Nr. 130, Exerzier-Reglement für die Infanterie vom 29.5.1906 (ExReglInf 1906);
Raths, Vom Massensturm zur Stoßtrupptaktik, S. 32.
28
Grundsätze für die Führung in der Abwehrschlacht im Stellungskriege, Neudruck 1.3.1917.
Der Angriff im Stellungskrieg vom 1.1.1918. Ausbildungsvorschrift für die Fußtruppen im
Kriege, Januar 1917/1918 (AVF).
29
Siehe Grundsätze für die Führung in der Abwehrschlacht im Stellungskriege, Neudruck
1.3.1917, S. 22; Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 515, 517; Raths, Vom
Massensturm zur Stoßtrupptaktik, S. 186 f., 204.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 35

war die Fähigkeit von Subalternoffizieren (und zunehmend Unteroffizieren),


selbstständig ein Gefecht leiten zu können30.
Parallel zu dieser Entwicklung ließ die sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts voll
auswirkende Einführung der allgemeinen Wehrpflicht die Heeresstärken europä-
ischer Armeen dermaßen ansteigen, dass die ehemals überschaubaren Truppen-
gebilde zu Massenheeren heranwuchsen31. In dieser Streitkräfteentwicklung muss
eine weitere Ursache für die Durchsetzung der Auftragstaktik gesehen werden.
Als Folge davon wurden die von den Truppenführern zu überblickenden Räume
um ein Vielfaches ausgedehnt, sodass sich die Informationsbeschaffung und
Befehlsübermittlung – und damit die Führung und Kontrolle der Truppen – zu
einem ernsthaften Problem entwickelte32.
Letzter und für die preußisch-deutsche militärische Denkschule entschei-
dender Faktor für die Implementierung der Auftragstaktik war jedoch das preu-
ßisch-deutsche Verständnis vom Wesen des Krieges33. Besonders zwei Personen
beeinflussten durch ihr Denken und Handeln die preußisch-deutsche militäri-
sche Denkschule – Clausewitz und Moltke d.Ä. Während Ersterer allgemein »als
der anerkannte Schöpfer der modernen Theorie des Krieges« gilt und zeitwei-
se geradezu über ein »kanonisches Ansehen« verfügte, kann Letzterer nicht als
Kriegstheoretiker im eigentlichen Sinne, sondern eher als »strategischer Lehrer«
betrachtet werden, der in seinen Schriften zwar auch kriegstheoretische Aspekte
behandelte und weiterentwickelte (etwa Clausewitz’ Idee des »absoluten Krieges«),
aber keine eigene Kriegstheorie aufstellte34. Vielmehr versuchte Moltke ganz prag-
matisch die Erkenntnisse der Clausewitz’schen Theorie praktisch umzusetzen und
in die Friedensausbildung und Friedenserziehung seiner (Generalstabs-)Offiziere
sowie in die Operationsführung im Kriege einzubringen35. Beide setzten nicht
nur die wesentlichen Impulse, sondern wurden von der preußisch-deutschen

30
Auf diesen Punkt wies z.B. bereits Hans Delbrück in seinem Vergleich des französischen
mit dem preußisch-deutschen Heer von 1870 hin. Nach Delbrück basierte die französische
Infanterietaktik wegen mangelnder fachlicher Qualifikation des französischen Subaltern-
offizierkorps nicht auf der Kompanie-, sondern auf der Bataillonskolonne. Delbrück, Die
Politik verdirbt die Strategie, S. 18.
31
Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 381.
32
Storz, Kriegsbild und Rüstung, S. 320; Coumbe, Operational Command in the Franco-
Prussian War, S. 87; Samuels, Command or Control?, S. 13. Vgl. auch Creveld, Command
in War, S. 103‑147.
33
Entscheidend deshalb, weil ein anderes Kriegs- und Führungsverständnis auch zu einem
anderen Ansatz führt, um die Problematik der Gefechtsfeldrevolution und der Führung
von Massenarmeen zu lösen. Ein Alternativansatz, um mit der Komplexität des Krieges
umzugehen, wäre etwa deren »Unterdrückung« durch »die Reduktion auf einen Plan«
und die Umsetzung dieses Plans mittels »sehr großer Ressourcen«, wie dies der sowjetische ?
Ansatz vorgesehen hat. Vgl. Keller, Mythos Auftragstaktik, S. 147. Ein dritter Ansatz setzt
auf die Zentralisierung der Führung und detaillierte Standardabläufe, womit der Zufalls-
faktor ausgeschaltet werden sollte. Ilari, Initiative in War, S. 1267.
34
Hahlweg, Carl von Clausewitz, S. 251 (Zitat); Hahlweg, Das Clausewitzbild, S. 55;
Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 888; Moltke, Ausgewählte Werke, S. VIII.
35
Rosinski, Die deutsche Armee, S. 117; Foerster, Das operative Denken Moltkes des Älteren,
S. 22.
36 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Militärtradition – besonders des Generalstabs – verinnerlicht36. So lässt sich


gerade in den preußisch-deutschen Dienstvorschriften bis 1945 eine erstaunli-
che Kontinuität bezüglich des Kriegs- und Führungsverständnisses feststellen,
die im Wesentlichen die Auffassungen der klassischen deutschen Strategie- und
Militärwissenschaft und der deutschen idealistischen Philosophie abbildeten, wie
sie Clausewitz und Moltke d.Ä. vertraten37. Dies soll in den folgenden Abschnitten
zum preußisch-deutschen Kriegs- und Führungsverständnis aufgezeigt werden.

a) Einordnung und Rezeption von Clausewitz’ Kriegstheorie

Die sich im Ausgang des 18. Jahrhunderts anbahnende und in den ersten
Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ausbildende moderne preußisch-deutsche
Strategie- und Militärwissenschaft ist als Reaktion auf die revolutionäre Krieg-
führung der französischen Heere und die Napoleonische Strategie zu verstehen38.
Verschiedene Kriegstheoretiker erkannten in der revolutionären Kriegführung
neue bedeutsame Kriterien, durch die das Wesen des Krieges radikal verändert
wurde. An erster Stelle war dies die von einem ungeheuren Patriotismus und
Enthusiasmus getragene »levée en masse«, die sich durch eine hohe Kampfmoral
des Einzelnen auszeichnete. Weitere Kriterien waren die Anwendung der Divisions-
gliederung und die damit verbundene höhere taktisch-operative Beweglichkeit
großer Verbände, die gesteigerte Verwendung der Tirailleurtaktik sowie ein neu-
es Requisitionssystem, wodurch die durch das bisherige Magazinsystem verur-
sachte Starrheit der Operationsführung überwunden werden konnte39. Alle diese
Kriterien wirkten sich in erster Linie auf die Art der Kriegführung aus, aber auch
und entscheidend auf das Kriegsverständnis der preußisch-deutschen militäri-
schen Denkschule40.

36
Neben Clausewitz und Moltke setzten noch andere deutsche Kriegstheoretiker entscheiden-
de Impulse. So dürfen Namen wie Berenhorst, Scharnhorst, später Colmar von der Goltz,
Sigismund von Schlichting, Wilhelm von Blume, Friedrich von Bernhardi oder Alfred von
Schlieffen nicht vergessen werden. Die Rezeption dieser Personen fiel – mit Ausnahme
Schlieffens vielleicht – in der Wehrmacht jedoch gering aus. Sobald es darum ging, eine
historische Entwicklungs- und Traditionslinie aufzuzeichnen oder Grundsätze der Krieg-
führung zu erörtern, fielen fast ausschließlich die Namen Clausewitz und Moltke d.Ä. bzw.
die der Preußenkönige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der Große. Vereinzelt wurden
zwar auch Scharnhorst u.a. genannt, die in der Bedeutung aber weit hinter Clausewitz und
Moltke rangierten.
37
Nicht näher betrachtet werden weitere zentrale Punkte in den Schriften Clausewitz’ und
Moltkes, wie z.B. das Verhältnis von Politik und Krieg, der Zusammenhang von Zweck,
Ziel und Mittel oder die Bedeutung des Vernichtungsgedankens.
38
Schößler, Clausewitz – Engels – Mahan, S. 3; Holborn, The Prusso-German School,
S. 283.
39
Palmer, Frederick the Great, Guibert, Bülow, S. 113, 119; Paret, Napoleon and the
Revolution in War, S. 125. Vgl. zur Napoleonischen Kriegführung: Bell, The First Total
War.
40
Tatsächlich lässt sich in Bezug auf Clausewitz’ Betonung der »Gefühlsfaktoren« eine
Tradition im deutschen Führungsdenken erkennen, die bis heute reicht, was im Rahmen
dieser Arbeit nicht näher untersucht werden konnte. Vgl. Kleemeier, Grundfragen einer
philosophischen Theorie des Krieges, S. 268.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 37

Die Kriegführung des 18. Jahrhunderts hatte noch versucht, nach »geomet-
risch-mechanistischen« Gesichtspunkten die Gesamtheit der Konditionen, die
Krieg bestimmten, zu erfassen und daraus allgemein gültige Regeln aufzustellen,
wodurch schließlich der Faktor Zufall ausgeschlossen werden sollte41. Diesem Be-
streben lag auch die Kriegstheorie Antoine-Henri Jominis zugrunde. Er fasste
die Kriegführung rein mechanisch auf und versuchte den »Schlüssel aller Kriegs-
wissenschaft« durch »puren Methodismus« zu erlangen42. So glaubte Jomini,
ein »Grundprinzip des Krieges«43 erkannt zu haben, das allen kriegerischen
Handlungen immanent sei. Aus den »Fundamentalgrundsätzen« dieses Prinzips
konnten nach Auffassung Jominis »Anwendungslehren« abgeleitet werden, die
gleichsam feste Regeln bildeten und in ein System eingebunden werden sollten44.
Durch seine rationalistisch geprägte Kriegstheorie und die Auffassung, es gebe
unveränderliche Grundsätze der Kriegskunst, unterschied sich Jomini grund-
legend von deutschen Kriegstheoretikern wie Georg Heinrich von Berenhorst,
Gerhard Johann David von Scharnhorst oder Clausewitz, die irrationalen
Faktoren eine bedeutendere Rolle zumaßen45. Wie später Clausewitz kritisierte
bereits Berenhorst die methodische, nach rationalistischen Gesichtspunkten ge-
führte Kriegskunst nach Prägung des 18. Jahrhunderts, die den Krieg nach festen
Regeln zu führen versuchte. Vielmehr unterstrich er die Bedeutung zufälliger und
irrationaler Faktoren für die Kriegführung – eine Erkenntnis, die in der preu-
ßisch-deutschen militärischen Denkschule schließlich zur »allgemeinen Maxime
der Kriegstheorie« werden und das »mathematisch fundierte Kriegsbild« ablö-
sen sollte46. Auch Scharnhorst erkannte Zufall und Kriegsglück als Faktoren der
Kriegführung. Ebenso wichtig waren für ihn aber der Charakter des Feldherrn,
d.h. die Betonung des Genies des Feldherrn – die Kunst – und damit die militä-
rischen Tugenden47. Des Weiteren gab es auch für Scharnhorst kein System der
Kriegführung, da sich seiner Meinung nach »die Mannigfaltigkeit möglicher
Kombinationen [...] nicht erschöpfen« ließe48. An die Stelle des Systems trat bei
Scharnhorst vielmehr »eine freie Tätigkeit der Urteilskraft«, in der »das Gebiet
der eigentlichen Kunst« lag, wobei die Kunst selbst wiederum »unendlich« sei.

41
Hohrath, Prolegomena zu einer Geschichte des Kriegsspiels, S. 149; Lütsch, Jeder Krieg ist
anders, S. 34; Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 745 f.
42
Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 313.
43
Jomini, Abriss der Kriegskunst, S. 75.
44
Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 314; Däniker, General Antoine Henri
Jomini, S. 270.
45
Mit Irrationalität ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass der Krieg nicht auf logischen,
d.h. verstandesmäßig fassbaren, oder auf realen, d.h. naturgemäßen, »ungestörte[n] Kausal-
verbindung[en]« beruht; er wird also nicht von Gesetzmäßigkeiten beherrscht, sondern ist
durch moralische Größen geprägt und folglich nicht berechenbar. Clausewitz, Vom Kriege,
S. 203 (Zitat). Vgl. auch Hartmann, Carl von Clausewitz, S. 60; Wallach, Kriegstheorien,
S. 26; Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 728; Wawro, Warfare and Society, S. 28;
Schößler, Clausewitz – Engels – Mahan, S. 201 f.; Lütsch, Jeder Krieg ist anders, S. 83.
46
Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 237 f.
47
Ebd., S. 237‑244; Demeter, Scharnhorst, S. 212‑214; vgl. Hahlweg, Carl von Clause-
witz, S. 245. Scharnhorsts Wirken als Reformer ist bedeutender als dasjenige als Kriegs-
theoretiker. Die Kriegstheorie beeinflusste er aber durch seine Lehrtätigkeit an der Kriegs-
schule zu Berlin zumindest indirekt, war Clausewitz doch sein von ihm geförderter Schüler.
48
Zit. nach: Demeter, Scharnhorst, S. 219. Dort auch das Folgende.
38 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Damit sich diese auch voll entfalten konnte, forderte Scharnhorst für höhe-
re Truppenführer bereits eine gewisse Selbstständigkeit, um in entsprechenden
Lagen zweckmäßig handeln zu können49. Prägend für die preußisch-deutsche
militärische Denkschule wurde Scharnhorsts eng mit seinem Verständnis von
Selbstständigkeit zusammenhängende Disziplinbegriff, worin er gemäß Gordon
A. Craig nicht »roboterhaften Gehorsam, sondern [...] willige Unterordnung un-
ter die gemeinsamen Interessen« verstanden habe50.
Als wesentlicher Akteur der modernen Kriegstheoriediskussion kann Clause-
witz angesehen werden, der Krieg immer ganzheitlich betrachtet und als politi-
schen Akt verstanden hat. Dieser Hinweis ist angebracht, da sein Werk interessan-
terweise gerade vonseiten der Militärs häufig falsch verstanden wurde51. Darüber
kann auch die Tatsache nicht hinweg täuschen, dass Clausewitz in der preußisch-
deutschen Militärtradition seit Moltke d.Ä. einen festen Wert bildete und häufig
zitiert wurde52. Bereits Wilhelm von Rüstow konstatierte, dass »Clausewitz [...]
viel genannt, [...] aber sehr wenig gelesen« wird53. Und der ehemalige General-
stabsoffizier und Militärschriftsteller Max Jähns meinte:
»Es ist überhaupt mit Clausewitz’ Einfluss ein ganz eigenes Ding; er ist fast
mystischer Natur; auch die Schriften dieses Mannes [...] sind tatsächlich weit
weniger gelesen worden, als man irgend glauben sollte, und trotzdem haben
sich seine Anschauungen im ganzen Heere verbreitet und sind unermesslich
fruchtbar geworden54.«
Inwiefern sich diese Einschätzung mit der Realität deckte, lässt sich hier nicht
abschließend bestimmen. Rüstow selbst verneinte jedenfalls, dass »die Werke
Clausewitzens [...] wesentlich auf weitere Kreise influierten«55. Auch die Behaup-
tung, dass »sich Moltke und alle Generale [...], die 1866 u. 1870/71 gut geführt
haben«, an Clausewitz’ Werk gebildet hätten, ist gewiss übertrieben56. Tatsächlich
blieb Clausewitz unmittelbar nach seinem Tod zunächst ohne Wirkung auf den
Unterricht an der Kriegsschule (der späteren Kriegsakademie), wo nach wie !
vor die Kriegstheorie Jominis gelehrt wurde. Erst unter Moltke d.Ä. sollte sich
dies ändern. Allerdings beschränkte sich die Auslegung des Clausewitz’schen
Werkes auch dann vielfach bloß auf »für den Soldaten verständliche«, praktisch
anwendbare Erkenntnisse57. Die folgende bei Liddell Hart zitierte Aussage von

49
Vgl. Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 29‑34.
50
Rosinski, Die deutsche Armee, S. 21 (Vorwort Craig). Vgl. auch Abenheim, Bundeswehr
und Tradition, S. 12; Sikora, Gerhard von Scharnhorst, S. 18.
51
Hahlweg, Carl von Clausewitz, S. 249‑251. Uwe Hartmann macht dafür die Dominanz
des »reine[n] Spezialistentums« bzw. den daraus folgenden »geringe[n] Stellenwert von
Allgemeinbildung im deutschen Militär des 19. und 20. Jahrhunderts« verantwortlich.
Hartmann, Carl von Clausewitz, S. 10.
52
Vgl. Seeckts Bemerkung von 1917, Clausewitz sei so häufig zitiert worden, »dass einem
schon beim Namen übel wird«. Zit. nach: Hahlweg, Das Clausewitzbild, S. 60. Seeckt
warnte später: »›Clausewitz‹ wird auch ein Schlagwort, wenn man Aussprüche [...] nachbe-
tet, anstatt ihn zu studieren.« Seeckt, Gedanken eines Soldaten, S. 17.
53
Zit. nach: Marwedel, Carl von Clausewitz, S. 117.
54
Zit. nach: Ebd., S. 119.
55
Zit. nach: Hahlweg, Das Clausewitzbild, S. 65.
56
Linnebach, Clausewitz, S. 41. Dort wird diese Aussage aber Schlieffen zugewiesen.
57
Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 721 f. (Zitat), 902. Vgl. auch Wallach, Das Dogma
der Vernichtungsschlacht, S. 289.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 39

Generalfeldmarschall Ewald von Kleist nach Ende des Zweiten Weltkrieges legt
für die Zeit der beiden Weltkriege die Vermutung nahe, dass es sich bei der
Verwendung von Ideen und Zitaten aus Clausewitz’ Werk vielfach bloß noch um
Lippenbekenntnisse handelte:
»Die Lehre von Clausewitz ist bei dieser Generation in Geringschätzung ge-
fallen – schon in der Zeit, als ich auf der Kriegsakademie und im Generalstab
war. Zwar zitierte man seine Sätze, aber seine Bücher wurden nicht mehr
gründlich studiert. Er wurde eher als militärischer Philosoph angesehen und
nicht als Lehrmeister für die Praxis58.«
Die Aussage Kleists im letzten Satz war zwar durchaus zutreffend, wollte
Clausewitz den Krieg doch nicht applikatorisch, sondern holistisch betrachten.
Sie verdeutlicht gleichzeitig aber auch die damit verbundene Problematik. In der
Regel herrschte Ignoranz gegenüber Clausewitz’ theoretischen Gedankengängen, !
was teilweise zu völlig absurden Ansichten führte59. Bezeichnend hierfür ist ein
Auszug aus Generalfeldmarschall Paul von Beneckendorff und von Hindenburgs
Memoiren:
»Es gibt ein Buch »Vom Kriege«, das nie veraltet. Clausewitz ist sein Verfasser.
Er kannte den Krieg und kannte die Menschen. Wir hatten auf ihn zu hören,
und wenn wir ihm folgten, war es uns zum Segen. Das Gegenteil bedeutete
Unheil. Er warnte vor Übergriffen der Politik auf die Führung des Krieges60.«
Hier wird einer der entscheidendsten Punkte in Clausewitz’ Werk – das Primat
der Politik – gerade in sein Gegenteil gekehrt. Allerdings muss man Hindenburg
wohl zugestehen, dass dies nicht absichtlich, sondern aus Unwissen geschah.
Andere hingegen – wie Ludendorff – lehnten die Ansichten Clausewitz’ bewusst
ab oder verfremdeten sie zumindest61. Dass die Lehren Clausewitz’ mangels ge-
nauer Kenntnis auch missverstanden oder fehlinterpretiert wurden, zeigt sich am
deutlichsten in seiner Theorie des »absoluten Krieges« und deren späteren Dog-
matisierung als »Doktrin der schnellen entscheidungssuchenden Vernichtungs-
schlacht«62. Nach Beatrice Heuser liegen die Gründe dieser Unkenntnis darin,
dass »Vom Kriege« an militärischen Ausbildungsstätten nicht studiert wurde, son-
dern »einer Rezeption aus zweiter Hand gewichen war«63.
Ein weiterer, nicht unwesentlicher Grund ist für die nur selektive Wahrneh-
mung von Clausewitz’ Werk zu nennen: Während etwa noch Jomini seine

58
Liddell Hart, Jetzt dürfen sie reden, S. 358. Auch Friedrich von Cochenhausen sprach im
Vorwort zu seinem Buch »Der Wille zum Sieg« von dem »oft erwähnten, aber selten nur
gründlich gelesenen Buch«. Cochenhausen, Der Wille zum Sieg, unpag.
59
Es gab auch Ausnahmen, wie z.B. den »Clausewitz-Adepten« und späteren Chef des
GenStdH Ludwig Beck, der sich z.B. in seiner Lehre vom totalen Krieg bzw. in seinen
Vorstellungen über die Funktion des Staatsmannes und Feldherrn auf Clausewitz bezog.
Becks Clausewitz-Rezeption erweiterte sich aber erst nach 1938. Zuvor hatte sich auch sei-
ne Betrachtungsweise auf das rein Militärische beschränkt. Müller, Generaloberst Ludwig
Beck, S. 362‑387, 534; Müller, Clausewitz, Ludendorff and Beck, S. 241.
60
Hindenburg, Aus meinem Leben, S. 101. Vgl. auch Wallach, Das Dogma der Vernich-
tungsschlacht, S. 292 f.
61
Vgl. Hahlweg, Das Clausewitzbild, S. 73‑77; Boog, Die deutsche Luftwaffenführung,
S. 546.
62
Hartmann, Carl von Clausewitz, S. 12. Vgl. auch Hahlweg, Das Clausewitzbild, S. 47, 75.
63
Heuser, Clausewitz lesen!, S. 81.
40 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Kriegstheorie ganz im hergebrachten Sinne als »Kriegsführungslehre« verstand,


suchte Clausewitz das Phänomen des Krieges zu ergründen64. Clausewitz’
Kriegstheorie war deshalb weder Lehre noch Doktrin und schon gar keine
Handlungsanleitung, sondern eine wissenschaftliche Betrachtung der Natur
des Krieges. Sie wollte und konnte nach Werner Hahlweg keine »Rezepte« oder
»Regeln« aufzeigen, sondern sollte den Geist des Einzelnen »im selbständigen
Erkennen und Beurteilen aller mit dem Kriege und der Kriegführung zusam-
menhängenden Größe bilden«65. Dies wiederum war für die preußisch-deut-
schen Militärs des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts nach- !
rangig, ja gar uninteressant. In dieser Zeit, die ganz im Zeichen der Führung
und Verwaltung von Millionenheeren und des technischen Fortschritts stand,
waren in erster Linie rein militärfachliche Gesichtspunkte gefragt. Nach Werner
Hahlweg haben diese Umstände sogar »zwangsläufig zu einem Verzicht auf die
›universale‹ Betrachtungsweise des Krieges und der Kriegführung« geführt66.
Infolgedessen fanden bloß die im engeren Sinne militärisch nützlichen Gedanken
aus Clausewitz’ Werk Eingang in die Militärliteratur und in die preußisch-deut-
sche militärische Denkschule. Diese Entwicklung hatte bereits bei Moltke begon-
nen, der ebenfalls kein Gehör für Clausewitz’ philosophische Herangehensweise
aufbringen konnte67. Sie fand ihr Ende in den technizistischen und synthetisie-
renden Schlussfolgerungen, die letztlich zu den bekannten folgenschweren, ver-
kürzten Interpretationen und Auslassungen führen mussten68.
So flossen die Ideen der Kriegsphilosophie von Clausewitz nicht in ihrer
Gesamtheit in die preußisch-deutsche militärische Denkschule hinein. Dies bedeu-
tet jedoch nicht automatisch, dass es keine nachhaltige Beschäftigung mit einzelnen
seiner Ideen gegeben hat. Besonders seit Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten
Weltkrieg beeinflussten die Clausewitz’schen Aspekte des kriegerischen Genius,
des Urteilsvermögens und der moralischen Faktoren stark das preußisch-deutsche
militärische Führungsdenken69. In der sich zu einem regelrechten Richtungsstreit
entwickelnden Kontroverse zwischen »Auftragstaktikern« und »Normaltaktikern«
in den 1890er Jahren argumentierten etwa verschiedene Gegner wie Wilhelm
von Scherff oder Albert von Boguslawski mit Verweisen auf die Clausewitz’sche
Kriegstheorie70. Bezüglich der Bedeutung des Führergenius oder der Probleme der
modernen Kriegführung wurde auch noch in der Reichswehr und Wehrmacht auf

64
Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 320; Däniker, General Antoine Henri
Jomini, S. 270.
65
Hahlweg, Carl von Clausewitz, S. 250 (Hervorhebungen im Original).
66
Hahlweg, Krieg – Kriegskunst – Kriegstheorie, S. 17; Storz, Kriegsbild und Rüstung, S. 44.
67
Gleiches gilt z.B. auch für Schlieffen, Seeckt und bis 1938 für Beck. Vgl. Müller, Clausewitz,
Ludendorff and Beck, S. 240 f.
68
Vgl. Hahlweg, Das Clausewitzbild, S. 65; Marwedel, Carl von Clausewitz, S. 157; Regling,
Grundzüge der Landkriegführung, S. 320; Megargee, Hitler und die Generäle, S. 7,
Anm. 13.
69
Siehe Echevarria, On the Brink of the Abyss, S. 29 f., 34. Vgl. auch Knox, Erster Welt-
krieg und Military Culture, S. 292 f.; Storz, Kriegsbild und Rüstung, S. 79‑81. Die Her-
vorhebung irrationaler Faktoren – besonders der Willenskraft – kann jedoch geradezu als !
Charakteristikum dieser Epoche bezeichnet werden und galt auch für andere europäische
Streitkräfte (siehe Kap. II.2.b).
70
Echevarria, After Clausewitz, S. 96 f.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 41

Clausewitz zurückgegriffen71. Gleiches gilt auch für das grundsätzliche Verständnis


vom Krieg als Ort der Friktionen, also den Unterschieden zwischen den Planungen
und der angetroffenen Kriegsrealität, wenngleich fortschreitende Technisierung
und Spezialisierung »weitere Verengungstendenzen« nach sich zogen72.

b) Das spezifische Wesen des Krieges bei Clausewitz

Clausewitz untersuchte den Krieg in seinem Buch »Vom Kriege« nicht nur von
einem militärfachlichen Gesichtspunkt aus, sondern ganzheitlich. Entsprechend
vielfältig fielen seine Hauptaussagen aus. Zentrale Punkte waren etwa das Verhältnis
von Politik und Krieg, d.h. der von Clausewitz erkannte grundsätzliche politische
Charakter des Krieges, die »Natur« des Krieges als »erweiterter Zweikampf« und
als Gewaltakt, die Unterscheidung zwischen traditionellem und revolutionärem
Krieg, der Zusammenhang von Zweck, Ziel und Mittel, der Vernichtungsgedanke
oder das Gebot der Schwerpunktbildung73. Alle diese Aspekte wirkten sich jedoch
nicht oder nur mittelbar auf das preußisch-deutsche Führungsdenken aus, anders !
die von Clausewitz ebenfalls in »Vom Kriege« behandelten Aspekte der »morali-
schen Größen« und der »Friktionen«. Beide kennzeichnen die Eigenart und den
eigentlichen Kern des Krieges nach Clausewitz’scher Auffassung und wirkten sich
unmittelbar auf das preußisch-deutsche Führungsverständnis aus. Sie sollen des-
halb im Folgenden näher betrachtet werden.
Eine der bedeutendsten Erkenntnisse von Clausewitz war, dass »das gan-
ze Element des Krieges« von den »moralischen Größen« durchdrungen sei,
da der Krieg »selbst eine moralische Größe ist«74. Dadurch überwand er das
herkömmliche Systemdenken der Zeit, das er so heftig kritisierte. Den »eitlen
Systemmacher[n]« warf Clausewitz »Spekulationsgeist« vor, da sie in ihren
Systemen einen einzigen Grundgedanken verabsolutierten, daraus ein mathe-
matisch abgesichertes geschlossenes System bildeten und dieses als unumstöß-
liches Regelwerk für zukünftige Kriege priesen75. Nach Clausewitz musste eine

71
Vgl. die Studie des Generals Walther Reinhardt von 1932 zu »Führer und Feldherrntum«,
Kurt Hesses »Der Feldherr Psychologos« oder verschiedene Artikel in Militärzeitschriften,
wie etwa in der Militärwissenschaftlichen Rundschau (MWR) zwischen 1936 und 1942.
Nachzusehen bei: Hahlweg, Das Clausewitzbild, S. 80, 116; Weniger, Wehrmachtserziehung
und Kriegserfahrung; Klein, Clausewitzgedanken zur Kriegslage 1943, S. 145‑149;
Hauschild, Clausewitz – ein Vermächtnis, S. 23‑30.
72
Aufgrund der Komplexität des modernen Krieges, der fehlenden »erforderlichen allge-
meinen Bildungsgrundlagen« sowie mangels »Zeit zur Meditation« sei der Krieg zwischen
1914 und 1945 bloß noch auf technische Teilbereiche reduziert, aber nicht mehr in sei-
ner Relation zu Politik, Gesellschaft oder Wirtschaft gedeutet worden. Hahlweg, Krieg –
Kriegskunst – Kriegstheorie, S. 20 f.
73
Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 676; Heuser, Clausewitz lesen!, S. 55 f., 91‑95,
129 f.; Hartmann, Carl von Clausewitz, S. 58‑60; Marwedel, Carl von Clausewitz,
S. 78‑90; Wallach, Kriegstheorien, S. 37‑60.
74
Clausewitz, Vom Kriege, S. 356. Gemäß Hauschild, Clausewitz – ein Vermächtnis, S. 27,
gar »sein größtes Verdienst«.
75
Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 732. Clausewitz war gegen jegliche »Systemmacherei«
und gegen Schematismus. Wallach, Kriegstheorien, S. 14; Hahlweg, Das Clausewitzbild,
S. 46.
42 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

solche systematische Kriegstheorie jedoch unvollständig bleiben, da sie nie die


Mannigfaltigkeit des Krieges berücksichtigen konnte und es deshalb früher oder
später zu einem Widerspruch zwischen Theorie und empirischer Erfahrung
kommen musste76. Clausewitz gelang es, diesen Widerspruch durch einen Zirkel
von Theoretisierung und historisch-empirischer Überprüfung zu überwinden.
Zudem beanstandete Clausewitz die Einseitigkeit des Kriegsbildes, d.h. die
Loslösung der »physischen Kräfte« von den moralischen Faktoren, da Letztere
seines Erachtens »zu den wichtigsten Gegenständen des Krieges gehör[t]en« und
diesen auf vielfache Weise beeinflussten77. Den »moralischen Größen« – worun-
ter Clausewitz die »Talente des Feldherrn«, die »kriegerische Tugend des Heeres«
und den »Volksgeist desselben«, die »Kühnheit« sowie die »Beharrlichkeit« ver-
stand – widmete er mehrere Kapitel in »Vom Kriege«. Als »edelste Tugend« be-
zeichnete Clausewitz dabei die Kühnheit, die er als »schöpferische Kraft« und
»Schwungkraft« für das Handeln unter Gefahr betrachtete78. Damit findet sich
der Grundgedanke des später für die preußisch-deutschen Armeen so typischen
Offensivgeistes auch bei Clausewitz, der freilich originär auf die Französische !
Revolution und die französischen Revolutionsarmeen zurückzuführen ist.
Clausewitz stellt also nicht den Ausgangspunkt dieses Gedankens dar. Seine
Leistung liegt darin, diesen Aspekt erkannt – ein Resultat des oben erwähnten
Zirkels von Theorie und Empirie – und ihn in die Ganzheit seiner Kriegstheorie
eingebettet zu haben79. Einschränkend gilt es aber festzuhalten, dass Clausewitz
keinen blinden Angriffsgeist forderte, wie er in den Jahren vor 1914 überhöht
wurde und die immensen Verluste des Ersten Weltkrieges zu verantworten hatte.
Je höher nämlich der Führer in der militärischen Hierarchie aufsteige, umso
nötiger sei es, »dass der Kühnheit ein überlegener Geist zur Seite trete«80. Auch
die für die spätere Auftragstaktik so wichtige Forderung nach Initiative wird
damit bereits von Clausewitz angesprochen. In gewisser Hinsicht wird sogar be-
reits der in der TF festgehaltene Grundsatz vorformuliert, wonach »Unterlassen !
und Versäumnis [...] schwerer belasten als Fehlgreifen in der Wahl der Mittel«81.
Clausewitz räumt zwar ein, dass »die Kühnheit einer einzelnen Handlung schon
leicht zum Fehler werden« kann, dieser »aber dennoch [...] ein schöner Fehler
[bleibt], der nicht angesehen werden muss wie jeder andere. Wohl dem Heere,
wo sich eine unzeitige Kühnheit häufig zeigt; es ist ein üppiger Auswuchs, aber
der Zeuge eines kräftigen Bodens«82.
Die Tugend der Beharrlichkeit war ebenso bedeutsam, um die im Krieg häu-
figen Situationen der Unsicherheit bewältigen zu können. Clausewitz betonte in
diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der »Willenskraft«, ohne die ein Ziel

76
Clausewitz, Vom Kriege, S. 289, 314 f.
77
Ebd., S. 280‑285, 356 f. (Zitat).
78
Ebd., S. 361‑372. Der Begriff ist heute missverständlich. Mit Kühnheit meinte Clausewitz
Entschlossenheit, worin auch die im preußisch-deutschen Führungsdenken so markant
präsente »Verantwortungsfreudigkeit« enthalten ist (siehe Kap. II.2.b).
79
Boog, Die deutsche Luftwaffenführung, S. 547.
80
Clausewitz, Vom Kriege, S. 367.
81
TF, S. 5. Vgl. auch Kleemeier, Grundfragen einer philosophischen Theorie des Krieges,
S. 268 f.
82
Clausewitz, Vom Kriege, S. 367.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 43

nicht erreicht werden könne83. Moral und Willenskraft besaßen bei Clausewitz
deshalb unweigerlich einen inneren Zusammenhang84. Die Bedeutung der Moral
in Clausewitz’ Kriegstheorie wird vollends klar, betrachtet man seine Definition
des Krieges. Diesen schildert er zwar als »erweiterte[n] Zweikampf«, wesentlich
ist jedoch, dass »jeder [...] den anderen durch physische Gewalt zur Erfüllung
seines Willens zu zwingen« und danach – als »nächste[n] Zweck« – »den Gegner
niederzuwerfen« sucht; die Hauptcharakteristiken des Wesens des Krieges bil-
den für Clausewitz neben der Anwendung von Gewalt folglich »Wille« und !
»Zwecksetzung«85. Mit der Fokussierung auf das moralische Element versuchte
Clausewitz aufzuzeigen, dass Krieg nicht nur durch quantitative, sondern wesent-
lich durch qualitative Größen bestimmt war. Gerade seine Ausführungen über
die psychologischen und moralischen Faktoren in der Kriegführung prägten die
preußisch-deutsche militärische Denkschule ab Ende des 19. Jahrhunderts nach-
haltig86. Gleichzeitig führte die Überzeichnung dieses Aspektes jedoch dazu, dass
quantitative Elemente wie z.B. die Logistik oder die wirtschaftliche Kriegführung ?
in beiden Weltkriegen völlig vernachlässigt wurden.
Eng verknüpft mit der Erkenntnis der »moralischen Größen« ist Clausewitz’
zweites entscheidendes Merkmal des Krieges und eigentlicher »Zentralbegriff«
seiner Kriegstheorie – die Idee der »Friktion«87. Dies zeigt sich bereits darin,
dass es nach Clausewitz des »feste[n] Wille[ns] eines stolzen Geistes« bedarf, um
Friktionen im Kriege überwinden zu können88. Wie unten noch gezeigt werden
wird, hat auch dieser Gedanke das preußisch-deutsche militärische Führungs-
denken direkt beeinflusst. Clausewitz verstand den Krieg nicht nur als »morali-
sche Größe«, sondern auch als »ein wahres Chamäleon«, das ständig »seine Natur
etwas ändert«89. Dies geschieht gemäß Clausewitz jedoch nicht aufgrund von ge-
setzmäßigen Notwendigkeiten oder Kausalzusammenhängen, da »im Kriege Alles
[sic!] unbestimmt« ist und deshalb »der Kalkül mit lauter veränderlichen Größen
gemacht werden muss«90. Für Clausewitz bildet der Krieg deshalb ein »Gebiet des
Zufalls«, der »die Ungewissheit aller Umstände [vermehrt] und [...] den Gang der
Ereignisse« stört91. Die Kriegsrealität bildet folglich einen durch Friktionen er-

83
Ebd., S. 371 f.
84
Vgl. Heuser, Clausewitz lesen!, S. 103.
85
Clausewitz, Vom Kriege, S. 191 f. (Hervorhebungen im Original). Vgl. auch Hartmann,
Carl von Clausewitz, S. 58; Wallach, Kriegstheorien, S. 48.
86
Siehe Marwedel, Carl von Clausewitz, S. 164. Vgl. auch Müller, Clausewitz, Ludendorff
and Beck, S. 241. Die Ideen Clausewitz’ über Moral und Offensivgeist wurden vor und
nach dem Ersten Weltkrieg auch von französischen Militärs aufgenommen. Heuser,
Clausewitz lesen!, S. 101‑106.
87
Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 789; Clausewitz, Vom Kriege, S. 261‑264. Wie
gesehen betonte bereits Berenhorst den Faktor der Friktionen und Zufälle. Er sah den
Krieg dadurch aber ad absurdum geführt, während die Friktion für Clausewitz »den wirkli-
chen Krieg von dem auf dem Papier unterscheidet«. Ebd., S. 262; Regling, Grundzüge der
Landkriegführung, S. 323; Wallach, Kriegstheorien, S. 49.
88
Clausewitz, Vom Kriege, S. 262.
89
Ebd., S. 212.
90
Ebd., S. 283. Vgl. auch Hartmann, Carl von Clausewitz, S. 60; Wallach, Kriegstheorien,
S. 49.
91
Clausewitz, Vom Kriege, S. 234. Deshalb vergleicht Clausewitz den Krieg auch mit dem
»Kartenspiel«. Ebd., S. 208.
44 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

schwerten Zustand, wobei z.B. externe Faktoren wie das Wetter oder der Gegner
ebenso wie psychologische und physiologische Fakoren wie Gefahr, Angst,
Erschöpfung und damit die eigenen Soldaten zur Friktion werden können92. Zur
Bekämpfung der Friktionen brauchte es nach Clausewitz neben dem erwähn-
ten starken Willen des Feldherrn auch eine kriegsnahe Friedensausbildung der
Truppen sowie in erster Linie persönliche Kriegserfahrung, die allerdings nur mit
entsprechendem »Takt des Urteils« – also dem intuitiven militärischen Einschätzen
einer Situation – gebraucht werden dürfe93. Bereits im Zusammenhang mit sei-
ner Theorie der »wunderliche[n] Dreifaltigkeit« wies Clausewitz darauf hin, dass
der Krieg durch das »Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls« beherrscht
wird und dadurch »zu einer freien Seelentätigkeit« wird94. Die Kriegsrealität
ist nach dem Verständnis von Clausewitz demzufolge durch verschiedenste
Faktoren bestimmt, die sich wechselseitig beeinflussen95. Zum Wesensmerkmal
des Krieges wird deshalb nicht die Monokausalität, sondern die Komplexität.
Diese Erkenntnis Clausewitz’ erhält eine zentrale Bedeutung für die Frage des
Führungsverständnisses der preußisch-deutschen militärischen Denkschule:
Höchstes Gewicht erhält das Urteilsvermögen des Einzelnen. Aufgrund fehlen- !
der Gesetzmäßigkeiten kann ein militärischer Führer nicht einfach mechanisch
nach allgemein gültigen militärischen Grundsätzen handeln. Clausewitz macht
deutlich, dass die »Grundsätze, Regeln und Methoden« der Kriegstheorie nicht
axiomatisch »als Gesetze und Normen« verstanden werden dürfen, sondern im-
mer nur »als Anhalt für das Urteil« dienen, besitzen sie doch keine »formell[e]
definitiv[e] Bedeutung«, sondern sollen dem Handelnden nur als »Leitstern« be-
hilflich sein96. Entsprechend muss der Handelnde selbst beurteilen, ob die Lehren
aus der Kriegstheorie für eine jeweilige Situation Gültigkeit besitzen oder nicht.
Dazu bedarf er nach Clausewitz notwendig zweier Eigenschaften: Zum einen
den entsprechend militärisch gebildeten Verstand – Clausewitz nennt neben dem
oben erwähnten »Takt« den französischen Ausdruck »coup d’œil« –, mit dem
ein Truppenführer eine gegebene Situation rasch und folgerichtig erfassen kann,
sowie zum anderen Mut bzw. Entschlossenheit, Gelegenheiten zu nutzen und
selbst in ungewissen Lagen in die Tat umzusetzen97. Dadurch wird die Führung
nicht nur individualisiert, sondern sie wird auch zur Kunst, zum schöpferischen !
Akt gemacht98. In Clausewitz’ Verständnis der Kriegführung als Kunst zeigt sich
nochmals deutlich seine scharfe Haltung gegen jeglichen Schematismus und seine
Betonung des »Taktes des Urteils«99.

92
Vgl. ebd., S. 261‑264; Wallach, Das Dogma der Vernichtungsschlacht, S. 33. Unter
»Friktion« verstand Clausewitz nicht nur das, was den Kriegsplan von der Kriegsrealität
unterschied, sondern auch die Differenz zwischen dem reinen und dem wirklichen Krieg.
Kleemeier, Grundfragen einer philosophischen Theorie des Krieges, S. 244. In der vorlie-
genden Arbeit geht es ausschließlich um den Friktionsbegriff in ersterem Sinne.
93
Clausewitz, Vom Kriege, S. 263‑265, 401, 961. Vgl. auch Bröckling, Schlachtfeldforschung,
S. 190; Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 789.
94
Clausewitz, Vom Kriege, S. 213 (Hervorhebung im Original).
95
Hartmann, Carl von Clausewitz, S. 60; Wallach, Kriegstheorien, S. 50.
96
Clausewitz, Vom Kriege, S. 305, 315 (Hervorhebung im Original).
97
Ebd., S. 233 f.
98
Hartmann, Carl von Clausewitz, S. 61.
99
Clausewitz, Vom Kriege, S. 961. Vgl. auch ebd., S. 302.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 45

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die herausragende Leistung


Clausewitz’ war es, den Krieg als Kontingenzphänomen zu begreifen100. Als eigent-
lichen Kern des Krieges – der durch »die unverfügbare Sphäre des Zufalls« ebenso
wie durch »die verfügbare des menschlichen Handelns« geprägt ist – erkannte
er den Aspekt der Moral101. Die Bereiche der »moralischen Größen« und der
»Friktion« können dabei nicht voneinander getrennt werden, sondern fließen in-
einander über und vervollständigen dadurch erst das Clausewitz’sche Gesamtbild
von der Natur des Krieges. Clausewitz hob die unzähligen Wechselwirkungen
des Krieges hervor und zeigte auf, dass der Krieg nicht mechanisch nach einem
ursprünglich zugrunde liegenden Plan durchgeführt werden könne. Gemäß
Clausewitz wurde dem planmäßigen militärischen Handeln im Krieg vielmehr
durch verschiedenste »Imponderabilien«102 und Friktionen notwendig Grenzen
gesetzt – notwendig deshalb, weil diese Faktoren nicht auszuschalten waren
und der Krieg daher durch Zufall bedingt sein musste. Ausgehend von dieser
Prämisse ergab sich eine höhere Bedeutsamkeit der Kampfmoral sowie des intu-
itiven und aktiven Handelns des Einzelnen103. Die einzigen Faktoren nämlich,
die den Friktionen entgegenwirken konnten, waren nach Clausewitz die mora-
lischen Größen – allen voran die Entschlossenheit als wichtigste Tugend. In die-
sem Zusammenhang betonte Clausewitz auch die Bedeutung des schöpferischen
Genius des Feldherrn und die moralische Stärke der Truppen, die wiederum
erst zusammen die volle Wirksamkeit entfalten konnten104. In diesen Gedanken
Clausewitz’ lassen sich deutlich Aspekte der späteren Auftragstaktik erkennen,
ganz besonders im Zusammenhang mit der Befehlsgebung, die den »friktionalen
Charakter« des Krieges beachten muss105. Allerdings darf Clausewitz nicht als frü-
her »Auftragstaktiker« verstanden werden. Nach Reinhard Stumpf zeigt sich dies
etwa in der folgenden Stelle aus »Vom Kriege«:
»endlich, wenn man bedenkt, dass bei der nach unten hin in beschleunigter
Progression zunehmenden Zahl der Führer der wahren Einsicht und dem aus-
gebildeten Urteil eines jeden um so weniger überlassen werden darf, je weiter
das Handeln hinuntersteigt, und dass da, wo man keine anderen Einsichten
voraussetzen darf als die, welche die Dienstvorschrift und Erfahrung gibt,
man ihnen mit dem daran grenzenden Methodismus entgegenkommen muss.
Dieser wird ihrem Urteil ein Anhalt und zugleich ein Hindernis für aus- !
schweifende, ganz verkehrte Ansichten, die man in einem Gebiet vorzüglich
zu fürchten hat, wo die Erfahrung so kostbar ist106.«

100
Kontingenz im Sinne von Zufälligkeit, die im Gegensatz zur Notwendigkeit steht. Vgl.
dazu Schößler, Clausewitz – Engels – Mahan, S. 4 f.; Bröckling, Schlachtfeldforschung,
S. 189.
101
Ebd. Vgl. Aron, Clausewitz, S. 177; Schößler, Clausewitz – Engels – Mahan, S. 201‑211.
102
Paret, Clausewitz, S. 212; Craig, Deutsche Geschichte, S. 48 f.
103
Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 234‑236. Vgl. auch Lütsch, Jeder Krieg ist
anders, S. 108 f.
104
Wallach, Kriegstheorien, S. 26; Heuser, Clausewitz lesen!, S. 91.
105
Kleemeier, Grundfragen einer philosophischen Theorie des Krieges, S. 269. Siehe
Kap. II.2.b).
106
Clausewitz, Vom Kriege, S. 308 f.; Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 817. Vgl. auch
Millotat, Auftragstaktik (ÖMZ), S. 302; ebd., S. 9.
46 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Die Eckwerte der preußisch-deutschen


militärischen Denkschule (»Führungsdoktrin«)

Kriegsverständnis Führungsverständnis

Schlachtfeld als Dezisionismus Gewichtung des


Kontingenzraum Einzelnen

Friktionen Moralische Größen

Fähigkeit, trotz unplanbarer Rahmenbedingungen


Schlüsselfaktor
effizient handeln zu können

Komplexität durch Dezentralisierung der Führungs-


Lösung
verantwortung überwinden

Reaktion auf eine sachliche Notwendigkeit


Auftragstaktik
Führungsfähigkeit im Gefecht wiederherstellen

Quelle: Autor.
© ZMSBw
06957-03

Clausewitz war also, was die Truppenführung anbetraf, noch stark in der
Napoleonischen Kriegführung verhaftet gewesen. Zweifellos griff jedoch das
spätere Prinzip der Auftragstaktik auf Clausewitz’sche Grundsätze zurück107.
Besonders die Clausewitz’sche Betonung der »Kühnheit«, um die Unsicherheiten
des Krieges überwinden zu können, wurde von preußisch-deutschen Militärs
zwischen 1871 und 1914 stark rezipiert. Einen Beleg dafür, dass sich dieser
Clausewitz’sche Gedanke auch in den Vorschriften niederschlug, liefert z.B. Hugo
Frhr. von Freytag-Loringhoven:
»Diese Worte von Clausewitz [zur Kühnheit; der Verf.] erinnern an unsere
Dienstvorschriften, die da betonen, dass Unterlassen und Versäumnis eine
schwerere Belastung bilden, als ein Fehlgreifen in der Wahl der Mittel108.«
Es wird sich noch zeigen, dass dieser Aspekt ein bedeutsames Element der
Auftragstaktik ausmachte und deshalb in den Heeresvorschriften stark aufgenom-
men wurde.

107
Paret, Clausewitz, S. 212.
108
Freytag-Loringhoven, Die Macht der Persönlichkeit, S. 45. Auch Bernhardi und Goltz
nahmen diesen Gedanken auf. Vgl. Bernhardi, Vom heutigen Kriege, Bd 2, S. 29; Goltz,
Das Volk in Waffen, S. 422 f.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 47

c) Das Kriegs- und Führungsverständnis von Moltke d.Ä.

Moltke kann zwar kaum als direkter Schüler Clausewitz’ betrachtet werden,
da seine frühen Schriften keinen Clausewitz’schen Einfluss erkennen lassen.
Gleichwohl bezeichnete sich Moltke später als Clausewitz-Schüler und schätz-
te nach eigenen Aussagen dessen Werk109. Die vertiefte Auseinandersetzung mit
Clausewitz’ militärischen Lehren und Grundgedanken erfolgte freilich erst spät
– einen eigentlichen Niederschlag findet sich erst in seinen Verordnungen für
die höheren Truppenführer von 1869 und dem Strategieaufsatz von 1871110. In
beiden Dokumenten lassen sich Moltkes Vorstellungen vom Wesen des Krieges
sehr deutlich nachzeichnen, wie nachfolgend noch aufgezeigt werden wird.
Gerade die Truppenführerverordnungen sind noch aus einem weiteren Grund
besonders interessant. Diese galten als militärische Vorschrift und sollten für die
späteren Führungsvorschriften des preußisch-deutschen Heeres geradezu »para-
digmatische Bedeutung« erlangen111. Sie enthielten bereits das »Grundmuster«
der allgemeinen preußisch-deutschen Führungsgrundsätze und beeinflussten den
Inhalt preußisch-deutscher Führungsvorschriften bis in den Zweiten Weltkrieg
hinein112.
Die erst späte Beschäftigung Moltkes mit Clausewitz’ Hauptthesen konnte
der nachhaltigen Wirkung auf die preußisch-deutsche militärische Denkschule
keinen Abbruch leisten. Im Gegenteil ist es in erster Linie Moltke zu verdan-
ken, dass die Gedanken Clausewitz’ im preußisch-deutschen Offizierkorps bis
1945 überliefert wurden. Nach seinem Antritt als Generalstabschef 1857 rich-
tete er den immer noch von der Jominischen Lehre geprägten preußischen !
Generalstab auf Clausewitz’ Kriegstheorie aus, ließ »Vom Kriege« in den Lehrplan
der Generalstabsausbildung aufnehmen und lenkte das militärische Denken im
Offizierkorps durch seine eigenen Werke und die während seiner Amtsführung
herausgegebenen Vorschriften und Weisungen in diese Richtung. Dadurch, dass
der Generalstab nach 1869 an der Abfassung von Führungsvorschriften beteiligt
war, beeinflussten Moltkes Kriegs- und Führungsgrundsätze die preußisch-deut-
sche militärische Denkschule bis nach dem Ersten Weltkrieg unmittelbar, mit-
telbar auch darüber hinaus113. Moltkes Verdienst war es dabei, die Erkenntnisse
Clausewitz’ weiterzuentwickeln und sie den technischen Errungenschaften
des 19. Jahrhunderts sowie deren Auswirkungen auf die Operationsführung

109
Marwedel, Carl von Clausewitz, S. 129; Kessel, Moltke, S. 108 f., 505‑513; Heuser,
Clausewitz lesen!, S. 19; Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 381; Hahlweg,
Das Clausewitzbild, S. 64.
110
Nach Stumpf stellten die Verordnungen einen Versuch dar, »den erfolgreichen Kriegen
rückwirkend ein theoretisches Fundament zu geben«. Kriegstheorie und Kriegsgeschichte,
S. 722 (Zitat), 889‑892.
111
Ebd., S. 897; Kessel, Moltke, S. 505‑521. Vgl. auch Citino, Quest for Decisive Victory,
S. 19.
112
Schößler, Clausewitz – Engels – Mahan, S. 251 (Zitat); Kessel, Moltke, S. 505 f.; Meier-
Dörnberg, Moltke, S. 41.
113
Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 889; Regling, Grundzüge der Landkriegführung,
S. 406; Kessel, Moltke, S. 503; Heuser, Clausewitz lesen!, S. 16; Marwedel, Carl von
Clausewitz, S. 118 f., 129; Schößler, Clausewitz – Engels – Mahan, S. 236.
48 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

entsprechend anzupassen114. Dadurch verlieh Moltke einigen Aspekten des


Clausewitz’schen Denkens neue Gewichtungen, verzerrte andererseits aber auch
gewisse Ideen oder übersteigerte sie einseitig in das Militärfachliche, wie z.B. die
übermäßige Betonung der Entscheidungs- und Vernichtungsschlacht, die im
preußisch-deutschen Militär schließlich zum Dogma wurde und auf Moltke zu-
rückzuführen ist115. Noch folgenschwerer wirkte sich allerdings seine unterschied-
liche Auffassung über das Verhältnis zwischen Politik und Kriegführung aus, wo-
rin er sich diametral von Clausewitz unterschied116. Die Wirkung Moltkes kann
auch sonst kaum überschätzt werden. Die großen Siege der Einigungskriege – von
Düppel über Königgrätz bis Sedan – sind eng mit seiner Person verbunden. Diese
Siege waren auch »konstitutiv für das Selbstverständnis der preußisch-deutschen
Armee«117. Es liegt deshalb nahe, vor diesem Hintergrund das Kriegsverständnis
Moltkes mit den Clausewitz’schen Vorstellungen zu vergleichen.
Die Prägung durch Clausewitz zeigt sich an verschiedenen Stellen in Moltkes
Denken, etwa bezüglich des Wertes der moralischen Faktoren des Krieges, der
Strategieauffassung oder der Schlachtentscheidung118. Nach Moltke zeigte sich
der Charakter der modernen Kriegführung im »Streben nach großer und schneller
Entscheidung«, weshalb er auch den Schwerpunktgedanken – die Konzentration
der Kräfte auf dem Schlachtfeld – besonders betonte119. Die Mehrheit der Zeit-
genossen sah in Moltke deshalb den Mann, der die Ideen Clausewitz’ unmit-
telbar weiterführte und der es geschafft habe, »die Clausewitzsche Theorie des
Krieges völlig bis auf den kleinsten Rest praktisch zu machen und namentlich
auch das unberechenbare Element, das nach Clausewitz allem Kriegführen anhaf-
tet, mit voller Überlegung in seine Rechnung zu stellen«120. Diese Betonung des
unberechenbaren Elementes des Krieges zeichnet eine der deutlichsten Parallelen
zwischen dem Kriegsverständnis Moltkes und demjenigen von Clausewitz. So
charakterisierte Moltke den Krieg als »Nebel der Ungewissheit«, weil darin »Alles !
[sic!] unsicher« sei und der Befehlshaber »aus solchem Dunkel ringsumher«

114
Clausewitz war noch ganz vom Kriegsbild der Französischen Revolution und der Napoleo-
nischen Kriegführung geprägt gewesen. Er erkannte zwar die technischen Fortschritte,
glaubte aber, dass sich das Wesen der Kriegführung nicht wegen technischer Entwicklungen,
sondern allein aufgrund politischer Veränderungen wandelte. Kriegstheorie und Kriegs-
geschichte, S. 898 f.; Storz, Kriegsbild und Rüstung, S. 25. In Clausewitz’ Zeit kam dem
militärtechnischen Fortschritt aber auch nicht das gleiche Gewicht zu. Erst ab 1850 be-
schleunigte sich die technische Entwicklung und wuchs in die Breite.
115
Heuser, Clausewitz lesen!, S. 131. Diese Reduktion der Clausewitz’schen Philosophie auf
das rein Militärische findet sich allerdings auch bei Boguslawski, Scherff, Verdy du Vernois,
Goltz, Blume, Schlichting, Freytag-Loringhoven und nicht zuletzt bei Schlieffen. Vgl.
Hahlweg, Das Clausewitzbild, S. 55 f.; Marwedel, Carl von Clausewitz, S. 136, 157‑167;
Kessel, Moltke, S. 507; Boog, Die deutsche Luftwaffenführung, S. 545; Groß, Mythos und
Wirklichkeit, S. 76.
116
Vgl. Wallach, Kriegstheorien, S. 84‑86; Meier-Dörnberg, Moltke, S. 41 f.
117
Epkenhans, Die preußisch-deutsche Armee, S. 13.
118
Marwedel, Carl von Clausewitz, S. 130; Kessel, Moltke, S. 507‑510; Schößler, Clausewitz
– Engels – Mahan, S. 238 f.
119
MMW, IV/3, S. 3 (Hervorhebung im Original); Wallach, Kriegstheorien, S. 74‑80.
120
Aussage Franz Mehrings von 1905/06, zit. nach: Marwedel, Carl von Clausewitz, S. 132.
Für Friedrich von Cochenhausen war denn auch klar: »Moltkes Feldherrntum fußt auf
Clausewitz’ Auffassungen vom Kriege.« Cochenhausen, Moltke, S. 521.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 49

heraus handeln müsse121. Moltke warnte immer davor, Kriegführung als etwas
Systematisches zu betrachten. Vielmehr betrachtete er das Unerwartete und die
Unvorhersehbarkeit des Kriegsverlaufs als Charakteristiken des Krieges. In diesem
Zusammenhang ist seine Aussage zu verstehen, wonach »kein Operationsplan
[...] mit einiger Sicherheit über das erste Zusammentreffen mit der feindlichen
Hauptmacht« hinausreiche122. Mit seinen Aussagen bekannte sich Moltke klar
zu den Lehren Clausewitz’ und gegen die rationalistischen Vorstellungen frühe-
rer Kriegstheoretiker. Wie Clausewitz war Moltke gegen jeglichen Methodismus
und ging davon aus, dass sich die Gestalt des Krieges – »wo niemals zwei Fälle
ganz gleich sind« – unentwegt wandele123. Deshalb ließen sich »für das jedesmal
anders gestaltete Gefecht [...] keine allgemein bindenden Vorschriften, sondern
nur Andeutungen geben«124. Wollte man trotzdem »für die Strategie allgemei-
ne Lehrsätze, aus ihnen abgeleitete Regeln und auf diese aufgebaute Systeme«
formulieren, so könnten solche »unmöglich einen praktischen Werth haben«125.
Entscheidender war es für Moltke, den »gesunden Menschenverstand«126 zu
gebrauchen, da »alle aufeinander folgenden Akte des Krieges [...] nicht präme-
ditirte Ausführungen, sondern spontane Akte [sind], geleitet durch militärischen !
Takt«127. Wie schon Clausewitz betonte also auch Moltke die Wichtigkeit des
Urteilsvermögens, da bei jeder Planung zu berücksichtigen sei, dass es unberechen-
bare Faktoren gebe, die nicht vorhergesehen werden könnten. Deshalb kom-
me es »darauf an[,] in lauter Spezialfällen die in den Nebel der Ungewissheit
gehüllte Sachlage zu durchschauen, das Gegebene richtig zu würdigen, das
Unbekannte zu errathen, einen Entschluss schnell zu fassen, und dann kräftig
und unbeirrt durchzuführen«. In diesen Zeilen umschrieb Moltke nicht nur den
Clausewitz’schen »coup d’œil«, sondern skizzierte zugleich in wenigen Worten
den idealen militärischen Führungsvorgang, wie er auch später in den preußisch-
deutschen Dienstvorschriften vorgegeben werden sollte. Dabei wird ersichtlich,
dass auch Moltke wie Clausewitz den Schematismus ablehnte, da »nur treffende
Beurteilung der Lage [...] dem Handeln die richtigen Bahnen zu weisen« ver-
mochte128. Entsprechend griff Moltke auch den Clausewitz’schen Gedanken auf,
wonach die Kriegführung durch die Intuition zur Kunst wird und deshalb nicht

121
MMW, II/2: Verordnungen, S. 172 f. und ebd., Strategie, S. 292. Die Verwendung
des Begriffs »Nebel der Ungewissheit« zeigt sehr deutlich Moltkes Beeinflussung durch
Clausewitz auf. Vgl. Clausewitz, Vom Kriege, S. 233.
122
MMW, II/2: Strategie, S. 291. Vgl. auch Moltke, Gesammelte Schriften und Denk-
würdigkeiten, Bd 3, S. 8: »Es ist eine Täuschung, wenn man glaubt, einen Feldzugsplan auf
weit hinaus feststellen und bis zu Ende durchführen zu können. Der erste Zusammenstoß
mit der feindlichen Hauptmacht schafft, je nach seinem Ausfall, eine neue Sachlage.«
123
MMW, II/2: Verordnungen, S. 198. Siehe auch ebd., Vorwort, S. XXI, wonach im Krieg
»jedes neue Verhältnis eine neue Ausnahme« bilde. Vgl. auch Wallach, Kriegstheorien,
S. 73.
124
MMW, II/2: Verordnungen, S. 199; MMW, IV/3, S. 1.
125
MMW, II/2: Strategie, S. 292; MMW, IV/3, S. 1.
126
MMW, IV/3, S. 1. Der Begriff taucht schon bei Clausewitz, Vom Kriege, S. 292, auf. Vgl.
Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 810 f.; Regling, Grundzüge der Landkriegführung,
S. 406; Kessel, Moltke, S. 506.
127
MMW, II/2: Strategie, S. 292. Dort auch das Folgende.
128
Moltke, Ausgewählte Werke, S. 296; Schäfer, Kriegskunst, S. 185. Vgl. auch Schößler,
Clausewitz – Engels – Mahan, S. 243 f.
50 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

allgemeine Normen und Lehrsätze entscheidend waren, sondern vielmehr das


Talent des Truppenführers129.
Moltkes Vorstellungen korrespondierten auch bezüglich der Erschwernisse
und Reibungen des Handelns im Kriege mit denjenigen von Clausewitz. Auch für
Moltke war die Operationsführung geprägt durch Friktionen, die den erlassenen
Befehlen als »unberechenbare Zufälligkeiten und nicht vorherzusehende Hinder-
nisse in den Weg treten«130. Darüber hinaus werden die Operationen durch einen
weiteren Faktor beeinträchtigt:
»Hier begegnet unserem Willen sehr bald der unabhängige Wille des Gegners.
Diesen können wir zwar beschränken, wenn wir zur Initiative fertig und
entschlossen sind, vermögen ihn aber nicht anders zu brechen, als durch die !
Mittel der Taktik, durch das Gefecht131.«
Mit der Einschätzung der moralischen Faktoren, wie sie Clausewitz betonte,
stimmte Moltke folglich völlig überein. Er fährt nämlich fort:
»Die materiellen und moralischen Folgen jedes größeren Gefechtes sind
aber so weitgreifender Art, dass durch dieselben meist eine völlig veränderte
Situation geschaffen wird.«
Aus diesem Grunde »wiegen die Eigenschaften des Charakters« für Moltke im
Krieg schwerer, da »das moralische Element« im Krieg »die Bedingung jeglichen
Erfolges, den wahren Werth einer Truppe« bildete132. Der bereits bei Clausewitz
begegneten Kühnheit, Entschlossenheit und Willenskraft räumte also auch
Moltke höchste Wichtigkeit ein.
Damit gelangen wir zu einem der wesentlichsten Punkte in Moltkes
Führungsverständnis. Wie Clausewitz verstand auch er den Krieg als kontin-
gentes Phänomen und lehnte deshalb jeden Schematismus ab. Die Kontingenz
konnte nach Auffassung Moltkes einzig durch initiatives und offensives Handeln
auf allen Führungsebenen durchbrochen werden. Radikaler als Clausewitz zeig-
te sich Moltke in den Folgerungen für das erwartete Führungsverhalten der
Truppenführer. Zwar betonte schon Clausewitz die Wichtigkeit der »morali-
schen Größen« und forderte initiatives sowie kühnes Handeln im Kriege. Erst
Moltke erhob jedoch die Forderungen nach Erlangung der Initiative und of- !
fensivem Handeln zu den alles beherrschenden Prinzipien preußisch-deutscher
Operationsführung133. So war er überzeugt, dass es »im Allgemeinen [...] in
zweifelhaften Fällen und bei unklaren Verhältnissen, wie sie im Kriege so oft be-
stehen, gerathener sein [wird,] aktiv zu verfahren und sich selbst die Initiative zu
erhalten, als das Gesetz vom Gegner zu erwarten«134. Auch seine Mahnung, dass
die Befehlshaber sich immer »der alten Regel« vergewissern sollten, »stets in der
Richtung des Kanonendonners zu marschiren«, muss in diesem Zusammenhang
betrachtet werden135. In solchen Fällen sollten die Truppenführer ihre Aufträge

129
MMW, II/2: Verordnungen, S. 172; MMW, IV/3, S. 1. Vgl. auch Kriegstheorie und
Kriegsgeschichte, S. 900.
130
MMW, II/2: Verordnungen, S. 172.
131
MMW, II/2: Strategie, S. 291. Dort auch das Folgende.
132
MMW, II/2: Verordnungen, S. 171; MMW, II/2: Strategie, S. 292; MMW, IV/3, S. 126.
133
Vgl. Boog, Die deutsche Luftwaffenführung, S. 547.
134
MMW, II 2: Verordnungen, S. 207 (Hervorhebung im Original). Dort auch das Folgende.
135
Moltke stand diesbezüglich nicht nur in der Tradition Clausewitz’. Schon Berenhorst hatte
gefordert: »Drauf! Drauf! die alte Losung der Schweden unter Karl XIII., der Preußen in ih-
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 51

nochmals beurteilen und im Zweifelsfall davon absehen, da die Befehle von der
Lage überholt sein könnten:
»In den allermeisten Fällen [...] ist die auf dem Schlachtfelde geleistete Hülfe
mehr werth, als die Erfüllung des speziellen Auftrages136.« !
Diese Auffassung Moltkes basierte nicht nur auf seinem Kriegsverständnis, son-
dern war auch aus der Beobachtung der gewandelten Rahmenbedingungen her-
aus entstanden. Anders als zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Kriegführung
in der zweiten Jahrhunderthälfte stärker geprägt durch die Technik der neuen
Waffen, durch Beförderungs- und Führungsmittel wie auch durch die Größe der
Massenarmeen. Aus diesen geänderten Umständen leitete sich für Moltke die
Erkenntnis ab, dass der moderne Feldherr eine laufende Operation nicht mehr in
ihrer Gesamtheit überblicken konnte. Eine detaillierte Führung der Operationen
war deshalb nach Auffassung Moltkes schlicht unmöglich. Die Lösung dieses
Problems glaubte er in der Förderung der Selbstständigkeit und persönlichen
Initiative seiner Befehlshaber gefunden zu haben137. Deshalb empfahl Moltke
seinen Truppenführern, in kritischen, unklaren Situationen aktiv zu handeln, an-
statt passiv auf neue Befehle zu warten:
»Vielfach sind die Situationen, in welchen der Offizier nach eigener Einsicht
handeln muss. Es würde sehr verkehrt sein, wollte er auf Befehle warten in
Momenten, wo oftmals keine Befehle gegeben werden können138.«
Den eigentlichen Kulminationspunkt seines Denkens bildet dabei folgende
Feststellung:
»Beim kriegerischen Handeln kommt es oft weniger darauf an, was man thut,
als darauf, wie man es thut. Fester Entschluss und beharrliche Durchführung !!
eines einfachen Gedankens führen am sichersten zum Ziel139.«
Moltkes Denken war demnach stark dezisionistisch*geprägt140. Aus seiner Sicht
schien es besser zu sein, dass in einer Situation etwas geschah als gar nichts. Letztlich !

ren ersten Kriegen, das ist der Kern, die Quintessenz der ganzen praktischen Kriegskunst.«
Zit. nach: Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 237.
136
MMW, II/2: Verordnungen, S. 207 f.
137
Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 383.
138
MMW, II/2: Verordnungen, S. 174.
139
Ebd., S. 171; MMW, IV/3, S. 126 (Hervorhebung im Original). Auch bei der Betonung
der Einfachheit einer Aktion bezieht sich Moltke auf Clausewitz, der festhielt, dass »alles
im Kriege sehr einfach, aber das Einfachste [...] schwierig« sei. Clausewitz, Vom Kriege,
S. 261.
140
Grundlegend für den militärischen Dezisionismus ist die Überzeugung, dass Entschlossenheit
im Krieg die Entscheidung zu erzwingen vermag. Vgl. Mönch, Entscheidungsschlacht,
S. 65. Bezeichnend für diesen Denkstil ist demnach die Formalisierung und Verabsolutie-
rung einer Willensentscheidung bzw. die Entschlossenheit, den Willen in die Tat umzu-
setzen. Der Entschluss beruht dabei nicht auf einer rationalen Begründung, da die dafür !
notwendigen Faktoren – z.B. die Zweck-Mittel-Relation – vielfach nicht vollständig be-
kannt sind, der Entscheidungsträger jedoch unter Zeitdruck und Handlungszwang steht.
Beim Dezisionismus spielen der Wert der Persönlichkeit und die Willenskraft eine wichtige
Rolle. Allerdings darf dies nicht dazu verleiten, dahinter ein ausschließlich voluntaristisches
Prinzip zu erkennen. Die Betonung der Willenskraft und Entschlossenheit läuft nicht auf
ein Plädoyer für den Primat der reinen Willenskraft hinaus, um ein Ziel zu erreichen,
wie dies etwa das NS-Regime im Krieg propagierte. Der Wille ist ein Element des de-
zisionistischen Denkstils und notwendig, damit eine Erkenntnis ins Handeln umgesetzt

*dezidiert: entschieden, kurz entschlossen


52 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

sei es, so Moltke, in den unsicheren Lagen des Krieges besser, aktiv zu handeln, da
auch der Gegner die Lage oft »ebensowenig übersehen [könne] und [...] mitunter
auch da nachgeben [werde], wo die faktische Sachlage an sich es nicht notwendig
gemacht hätte«141. Dahinter stand die Auffassung, dass der Ausgang eines Gefechts
oder einer Schlacht vom Verhalten des einzelnen Entscheidungsträgers abhängig
sei – eine Auffassung, die für die preußisch-deutsche militärische Denkschule
von zentraler Bedeutung werden würde142. Hier zeigt sich nochmals, weshalb bei
Moltke und seinen Epigonen dem Charakter, dem Wert der Persönlichkeit des
Führers, eine entscheidende Rolle zukommen musste. In Konsequenz aus all dem
anerkannte Moltke auch den Vorrang taktischer Dringlichkeiten vor strategi-
schen Bedingungen, »denn vor dem taktischen Siege treten alle übrigen Rücksichten !?
in den Hintergrund«143. In diesem Punkte folgte er ganz dem Clausewitz’schen
Gedankengut, wonach Strategie als »Gebrauch der Gefechte zum Zweck des
Krieges« zu verstehen sei144. Nach Moltkes Überzeugung sollte ein Feldherr des-
halb jeden taktischen Erfolg ausnützen und seinen Operationsplan darauf auf-
bauen, selbst wenn dies nicht mit der ursprünglichen Planung korrespondierte.
Erst in diesem Zusammenhang eröffnet sich die ganze Bandbreite von Moltkes
Aussage, wonach die Strategie ein »System der Aushilfen«145 sei. Exemplarisch
zeigt sich dies bei seiner nachträglicher Beurteilung – man ist fast schon versucht
zu sagen: Rechtfertigung – der Schlacht von Spicheren 1870:
»Man hat nachträglich behauptet, die Schlacht von Spicheren sei am unrech-
ten Ort geschlagen und habe höhere Pläne durchkreuzt. Allerdings war sie
nicht vorgesehen. Im Allgemeinen aber wird es wenig Fälle geben, wo der
taktische Sieg nicht in den strategischen Plan passt. Der Waffenerfolg wird
immer dankbar acceptirt und ausgenutzt werden. Durch die Schlacht von
Spicheren war das II. französische Korps verhindert, ungeschädigt abzuziehen,
es war Fühlung mit der feindlichen Hauptmacht gewonnen und der oberen
Heeresleitung die Grundlage für weitere Entschließung gegeben146.«
Moltke verstand unter dem System der Aushilfen also die Bereitschaft, die ur-
sprünglichen Leitgedanken des Operationsplans den sich während der Operation !
verändernden Verhältnissen anzupassen, um dadurch rascher und adäquater auf

wird, er ist aber nicht im voluntaristischen Sinne als Grundprinzip allen Handelns zu ver- !
stehen. Vgl. Hofmann, Dezision, Dezisionismus, Sp. 159‑161; Knebel, Voluntarismus,
Sp. 1143‑1145. Vgl. auch Altrichter, Der soldatische Führer, S. 31: »Entschlusskraft äu-
ßert sich [...] in der folgerichtigen und unbeirrbaren Durchführung der als richtig erkann-
ten Maßnahmen.«
141
Moltke, Ausgewählte Werke, S. 297.
142
Mönch, Entscheidungsschlacht, S. 74; Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 12.
143
MMW, II/2: Verordnungen, S. 207 f. (Hervorhebung im Original); Regling, Grundzüge
der Landkriegführung, S. 384.
144
Clausewitz, Vom Kriege, S. 271. Vgl. auch ebd., S. 345.
145
MMW, II/2: Strategie, S. 293; MMW, IV/3, S. 1. Aushilfen standen in diesem
Zusammenhang für »Maßnahmen, die sich folgerichtig aus der Beurteilung der jeweiligen
Lage ergaben«. Cochenhausen, Moltke, S. 521. Vgl. auch Kabisch, Systemlose Strategie,
Sp. 1234‑1237.
146
Moltke, Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten, Bd 3, S. 25. Zum Schlachtverlauf
siehe Kap. III.1. c).
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 53

sich bietende Chancen reagieren zu können147. So eignet sich die Strategie »den
Erfolg jeden Gefechts an und baut auf demselben weiter. Vor dem taktischen Siege
schweigt die Forderung der Strategie, sie fügt sich der neu geschaffenen Sachlage !
an«148. In diesen Überlegungen zeigte sich auch Moltkes Kriegsverständnis. Zwar
sollte der Feldherr »seine großen Ziele stetig im Auge behalten«, ohne sich »durch
die Wechselfälle der Begebenheiten« ablenken zu lassen149. Die »Wege« allerdings,
»auf welchen er sie zu erreichen hofft, lassen sich auf weit hinaus nie mit Sicherheit
feststellen«, sodass der Feldherr während des Feldzuges gezwungen sei, »eine Reihe
von Entschlüssen zu fassen auf Grund von Situationen, die nicht vorherzusehen«
waren. Nach Auffassung Moltkes lag darin der Grund, weshalb die Initiative der
Truppenführer nicht durch die rigide Durchführung eines Operationsplanes un-
terdrückt werden durfte. Damit unterwarf er sich allerdings zumindest teilweise
einem Primat der Taktik150. Es wird sich noch zeigen, dass taktische Handlungen
die Ausrichtungen von Operationen zuweilen markant beeinträchtigten und ih- !
nen sogar zuwiderlaufen konnten. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass
Moltke den Aufmarsch der Armeen sehr bestimmt plante und befahl, also als
Feldherr seine Hauptziele dauernd im Auge behielt151. Er selbst sah es zwar als
»erste Pflicht eines Befehlshabers« an, »dass er befiehlt, dass er nicht die Dinge
gehen lässt, wie der Zufall sie führt, und selbstverständlich, dass er sich überzeugt, !
ob und wie seine Befehle ausgeführt werden«152. Trotz des Vorbehaltes, bei allzu gro-
ben Abweichungen von der Gesamtabsicht einzugreifen – wozu er denn in den
Feldzügen von 1866 und 1870/71 mehrmals gezwungen wurde –, spielte Moltke
mit dieser Haltung die Zügel der Operationsführung während der Kämpfe in die
Hände der Truppenführer153. Schließlich war er es selbst, der die Meinung vertrat,
dass die »kleineren Gefechte« letztlich »die Hauptentscheidung« ermöglichten,
indem sie »den Weg zu ihr« bahnten154. Unverkennbar bleibt die dezisionisti-
sche Grundhaltung dahinter. Der »Dezisionismus als Denkstil« sollte denn auch
in Kombination mit der Akzentuierung des operativ-taktischen Elementes das
preußisch-deutsche Führungsverständnis bis 1945 nachhaltig prägen155.

147
Eberhard Kessel sprach diesbezüglich vom »Geheimnis der Moltkeschen Verbindung von
vollendeter Planmäßigkeit mit dem Wagemut des Daraufankommenlassens jenseits der
Grenzen der Berechenbarkeit«. Kessel, Moltke, S. 492.
148
MMW, II/2: Strategie, S. 293. Vgl. auch Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 895;
Rosinski, Die deutsche Armee, S. 21.
149
MMW, II/2: Strategie, S. 292. Dort auch das Folgende.
150
Gegenteiliger Meinung ist Meier-Dörnberg, der darin einzig »die Wechselwirkung von
Taktik, Operation und Strategie« erkannte, dabei aber übersieht, dass diese unbestritten
vorhandene Wechselwirkung in einem unausgeglichenen Verhältnis stand und der Taktik
ein erhebliches Übergewicht verschaffte. Meier-Dörnberg, Moltke, S. 39 f.
151
Vgl. Kabisch, Systemlose Strategie, Sp. 1235.
152
MMW, II/2: Verordnungen, S. 181 (Hervorhebung im Original).
153
Vgl. MMW, IV/2, S. 20. Kritisch dazu auch Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung,
S. 2.
154
MMW, II/2: Verordnungen, S. 173. Siehe auch ebd., S. 206.
155
Mönch, Entscheidungsschlacht, S. 178 (Zitat); Kleemeier, Grundfragen einer philosophi-
schen Theorie des Krieges, S. 268 f.; Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 888 f. Vgl.
auch Foerster, Das operative Denken Moltkes des Älteren, S. 27‑40; Gyldenfeldt, Ent-
schlossenheit, S. 26‑29.
54 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

2. Das Kriegs- und Führungsverständnis in


preußisch-deutschen Heeresdienstvorschriften bis 1945

Nach Ansicht verschiedener zeitgenössischer Militärpublizisten prägten die Ideen


von Clausewitz und Moltke den Inhalt deutscher Vorschriften bis 1945. So hielt
Walter Hauschild 1944 in einem Aufsatz über Clausewitz fest:
»Wenn man [...] in unseren Wehrmachtsdienstvorschriften, die sich mit Fragen
der taktischen und operativen Truppenführung befassen, alle Gedanken und
Formulierungen, die auf Clausewitz zurückgehen, mit einer roten Feder un-
terstriche, bekämen unsere Reglements ein hochrotes Ansehen156.«
Moltkes Gewicht für das preußisch-deutsche militärische Führungsdenken war
nach Friedrich von Cochenhausen nicht minder bedeutungsvoll, und zwar v.a.
durch seine Schule, »die sich bis auf den heutigen Tag in unserem militärischen
Führertum auswirkt«157. Die Moltke’sche Schule wirkte sich nach Meinung eines
anderen Verfassers nicht nur auf das deutsche »militärisch[e] Erziehungssystem«
aus, sondern diktierte auch »Form und Inhalt« deutscher Dienstvorschriften wie
etwa der TF 158. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern diese Inhalte eine wirkliche
Kontinuitätslinie im militärischen Führungsdenken bildeten, die von Clausewitz
und Moltke d.Ä. bis zum Heer der Wehrmacht führte, oder ob sich die Grundsätze
nur noch vordergründig darauf bezogen.

a) Führungs- und Ausbildungsvorschriften


des Heeres 1869 bis 1945

Die Dienstvorschriften bzw. Reglemente der preußisch-deutschen Streitkräfte in


der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis 1945 waren wie alle militärischen
Vorschriften Regelwerke mit normativem Charakter. Sie legten die dienstlichen
Verrichtungen der Truppen fest, enthielten Angaben über die Gliederung einer
Streitkraft sowie deren Ausbildungsorganisation, bestimmten die Führungs- und
Kampfgrundsätze und behandelten die (waffen-)technischen Aspekte. Dabei
spiegelten Inhalt, Umfang und Anzahl der Dienstvorschriften immer auch den
Stand der technisch-taktischen Entwicklung der Kriegführung159. Waren die
Dienstreglemente in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und teils darüber
hinaus noch stark allgemein gehalten und von einem starren Formenwesen
geprägt, so änderte sich dies in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die
zunehmende Komplexität moderner Streitkräfte brachte auch im Bereich der

156
Hauschild, Clausewitz – ein Vermächtnis, S. 26.
157
Gedanken von Moltke, S. 8; Moltke, Ausgewählte Werke, S. 154. Ähnlich der ObdH
Gen.d.Art. Werner Frhr. von Fritsch, der in den Moltke’schen »Ideen vom Führertum
[...] bleibenden erzieherischen Wert« erkannte. Moltke, Erziehung zum Soldaten, S. 7
(Geleitwort). Vgl. auch Soldan, Moltke, S. 299‑301.
158
Schnez, Moltke – Ein Erzieher, Sp. 1032‑1034.
159
Das Exerzir-Reglement für die Infanterie von 1888 (ExReglInf 1888) brachte z.B. die
längst überfällige Anpassung der im Reglement von 1847 kodifizierten Normen an die
infanterietaktische Kriegsrealität. Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 331, 336;
Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 69.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 55

Dienstvorschriften eine zunehmende Spezifizierung nach Waffengattungen und


Zwecken mit sich. So entstanden Exerzierreglemente und Schießvorschriften
für die einzelnen Waffengattungen, Felddienstordnungen, Dienstvorschriften
für den Garnisonsdienst oder für Feldbefestigungen. Je weiter die militärtechni-
sche Entwicklung fortschritt, umso spezifischer und zahlreicher wurden auch die
Vorschriften, wie z.B. die »Übersicht der wichtigsten Führungs- und Ausbildungs-
Vorschriften, -Merkblätter, -Verfügungen usw. mit Kriegserfahrungen« vom
10. Mai 1944 aufzeigt160. Eine kurze Einordnung der diversen Heeres-Dienst-
vorschriften zwischen 1935 und 1945 drängt sich deshalb zur besseren Übersicht
und zur Gewichtung der einzelnen Vorschriften auf:
Die Heeres-Dienstvorschriften der Wehrmacht lassen sich grob in zwei
Gruppen einteilen. Zum einen war dies die Gruppe der planmäßigen Heeres­
Druckvorschriften (H.Dv.), zum anderen diejenige der außerplanmäßigen
Heeresvorschriften (D.), wobei die Vorschriften entweder »offen« zugänglich
oder als »geheim« bzw. »nur für den Dienstgebrauch« (NfD) klassifiziert wa-
ren161. Es liegt auf der Hand, dass sich die planmäßigen von den außerplanmä-
ßigen Vorschriften qualitativ unterscheiden mussten. Die planmäßigen Heeres-
Druckvorschriften basierten auf gesicherten Erkenntnissen und Erfahrungen und
sollten über einen längeren Zeitraum Gültigkeit besitzen, was in der Realität aber
nicht immer der Fall war. Die D-Vorschriften setzten sich aus waffentechnischen
Vorschriften und vorläufigen Dienstvorschriften zusammen. Aufgrund der raschen
Entwicklung technischer Errungenschaften mussten die waffentechnischen
Vorschriften dauernd durch das Heereswaffenamt auf ihre Aktualität überprüft
werden. Unter den waffentechnischen Vorschriften sind zudem waffengattungs-
spezifische Vorschriften zu finden, z.B. über die Führung und den Einsatz von
leichten Brigaden oder den Panzerangriff im Rahmen einer Infanteriedivision162.
Die vorläufigen Dienstvorschriften, die in Form von Merkblättern, Richtlinien,
Ausbildungsanweisungen und Ähnlichem herausgegeben wurden, enthielten
Änderungen und Ergänzungen, die sich aufgrund von Kriegserfahrungen und
sonstiger neuer Erkenntnisse ergeben haben163. Solche Dienstvorschriften soll-
ten in der Truppe möglichst rasch verbreitet werden, weshalb sie in Form und
Inhalt nicht definitiv abgefasst waren und noch weiteren Überarbeitungen unter-
lagen. Außerplanmäßige Heeresvorschriften konnten nach ihrer Überarbeitung
auch als planmäßige Heeresdruckvorschrift neu herausgegeben werden. Anders
als die Heeresdruckvorschriften verfügten die D-Heeresvorschriften generell
über einen eher provisorischen Charakter164. Daraus ergibt sich auch eine unter-
schiedliche Gewichtung der einzelnen Vorschriften hinsichtlich der Verbreitung
und Durchdringung der Truppe. Die Inhalte der TF, die seit ihrem Inkrafttreten
1933 unverändert bis 1945 Gültigkeit besaß, mussten das Denken und Handeln
des Heeresoffizierkorps viel stärker beeinflussen als z.B. ein Merkblatt wie die
»Richtlinien für den Einsatz von Panzerkampfwagen im Rahmen einer Infanterie-

160
Übersicht der wichtigsten Führungs- und Ausbildungs-Vorschriften, -Merkblätter, -Verfü-
gungen usw. mit Kriegserfahrungen vom 10.5.1944, BArch, RHD 6/18b/34.
161
Vgl. Absolon, Wehrgesetz und Wehrdienst, S. 389‑392.
162
D 77+, Richtlinien für die Führung der leichten Brigade vom 18.8.1937; D 76,
Panzerangriff im Rahmen einer Infanterie-Division vom 23.6.1936.
163
Abschrift, ObdH/GenStdH/Ausb.Abt., 3.2.1941, BArch, RH 17/712, Bl. 29.
164
Vgl. BArch, Spezialinventar, Dienstvorschriften der deutschen Wehrmacht.
56 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Division« vom 1. Oktober 1943, mit dem die D-Vorschrift »Panzerangriff im


Rahmen einer Infanterie-Division« ersetzt wurde165.
Neben dieser groben Einteilung in plan- und außerplanmäßige Dienstvor-
schriften unterschieden sich die Vorschriften auch inhaltlich. So bestanden nach
Rudolf Absolon folgende sieben Kategorien: Ausbildungs-, technische Geräte-,
Verwaltungs-, Instandsetzungs- und Munitionsvorschriften, Ausrüstungs-
nachweisungen sowie Schießbefehle166. Interessanterweise fehlt eine eigene
Kategorie »Führungsvorschriften«. Aufgrund der verschiedenfarbigen Einbände
der Vorschriften wird jedoch ersichtlich, dass die Führungsvorschriften – mit
Ausnahme der geheimen Vorschriften, die separat geführt wurden – inhaltlich zu
den Ausbildungsvorschriften gezählt wurden167. Die Aspekte der Auftragstaktik
wurden also in den Ausbildungsvorschriften behandelt. Im Folgenden soll
deshalb kurz die Entwicklung der wichtigsten dieser Vorschriften im Unter-
suchungszeitraum skizziert werden168. Die eigentliche Inhaltsanalyse wird im
Anschluss daran erfolgen, zum besseren Verständnis und zur Einordnung in den
Gesamtrahmen müssen vereinzelt jedoch bereits in diesem Kapitel inhaltliche
Aspekte thematisiert werden.
Die Ausbildungsvorschriften der Hauptwaffengattungen zwischen 1935
und 1945 standen wie bereits diejenigen des Reichsheeres in der Tradition der
Exerzierreglemente vor 1914 und der AVF von 1917/18. Die in den Jahren vor dem
Ersten Weltkrieg ausgegebenen Exerzierreglemente der Hauptwaffengattungen
orientierten sich in ihrer Gliederung und den allgemeinen Bestimmungen am
Exerzierreglement der Infanterie von 1906, das wiederum selbst ganz in der
Tradition des Reglements von 1888 stand169. Beide Reglemente behandelten in
einem ersten Teil die Grundsätze der Ausbildung vom Einzelschützen bis zur
Brigadestufe und in einem zweiten Teil die Gefechtsgrundsätze für die gleichen
Führungsstufen, während der dritte Teil noch Hinweise zum Thema Parade

165
Merkblatt 18/15, Richtlinien für den Einsatz von Panzerkampfwagen im Rahmen einer
Infanterie-Division vom 1.10.1943.
166
Absolon, Wehrgesetz und Wehrdienst, S. 389.
167
Die geheimen Vorschriften waren rot, die Ausbildungsvorschriften dunkelblau eingebun-
den. Erstaunlicherweise war die wichtige Führungsvorschrift TF keine geheime Vorschrift,
was sich am dunkelblauen Einband erkennen lässt, sondern lediglich eine NfD-Vorschrift.
Ch HL/TA/T4 Va, Nr. 3000/33 geh., 23.11.1933, BArch, RH 1/13b, Bl. 18. Vgl. auch
Leyen, Ausbildungsvorschriften des Reichsheeres, Sp. 177‑183.
168
Der Fokus der Arbeit liegt auf der »fechtenden Truppe« und dabei besonders auf der
Führung und dem Einsatz der Hauptwaffengattungen Infanterie, Panzertruppe sowie
Artillerie – Letztere jedoch bloß ergänzend, da bei dieser Waffengattung weniger takti-
sche als waffen- und gefechtstechnische Fragen im Vordergrund standen. Vgl. dazu Raths,
Vom Massensturm zur Stoßtrupptaktik, S. 56. Entsprechend konzentrieren sich die Aus-
führungen zu den Heeresvorschriften v.a. auf Infanterie und Panzertruppe, wobei ein
gewisses Übergewicht der Infanterie unumgänglich war, da diese Waffengattung noch
in der Wehrmacht als die eigentliche Hauptwaffe galt. Vgl. z.B. die »Grundlagen für das
Zusammenwirken der Waffen« im Angriff. TF, S. 127‑137.
169
Vgl. Raths, Vom Massensturm zur Stoßtrupptaktik, S. 27, der die zentrale Rolle dieser
Vorschrift für die taktische Entwicklung des gesamten Heeres unterstreicht. Zur Entwick-
lung der Infanteriereglemente bis 1888 vgl. Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 62‑72.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 57

enthielt170. Einleitend und besonders im Abschnitt über das Gefecht wurde zudem
auf die Bedürfnisse der Kriegführung Bezug genommen und so in kurzer Form
das Wesen des Krieges skizziert171. Die Erfahrungen des Stellungskrieges seit 1914
führten dazu, dass die Ausbildung den neuzeitlichen Erfordernissen angepasst
werden musste. Ab 1916 wurden deshalb neue Ausbildungsvorschriften im Heer
eingeführt172. Zunächst begann die OHL das bis Ende des Krieges auf 16 Bände
gewachsene Sammelwerk »Vorschriften für den Stellungskrieg für alle Waffen«
herauszugeben. Für die vorliegende Arbeit wurden die Vorschriften »Grundsätze
für die Führung in der Abwehrschlacht im Stellungskriege« vom 1. Dezember
1916 (revidiert vom 1. März 1917) sowie »Der Angriff im Stellungskrieg«
vom 1. Januar 1918 berücksichtigt173. Des Weiteren wurden die veralteten
Abschnitte der Exerzierreglemente der Vorkriegszeit ergänzt. Die zunächst vom
Armeeoberkommando 1 (General der Infanterie Fritz von Below) verfasste AVF
vom Januar 1917 erhielt ab Januar 1918 Verbindlichkeit für das ganze Heer174.
Diese Vorschrift ersetzte die entsprechenden Abschnitte des Exerzierreglements
von 1906 und stellte auch gliederungsmäßig einen Bruch dar. Die Vorschrift
erkannte an, dass der moderne Krieg weit mehr durch die »außerordentlich
gesteigert[e] Vielseitigkeit der Kampfmittel und Kampfaufgaben« bedingt war
als bisher175. Aufgrund dessen stellte sie die Erfahrungen der Kriegspraxis ins
Zentrum und verlangte, dass die »Exerzier- und Kampfformen« einfach gehal-
ten und die Ausbildungsgänge »nur auf dem praktischen Kriegszweck« beru-
hen sollten. Als Folge davon wurden z.B. bloß noch einfache formelle Regeln
beibehalten und der eigentliche Schwerpunkt der Ausbildung auf die Gefechts-
ausbildung verlegt. Damit einher ging die Auflockerung und tiefere Gliederung
der Verteidigungsstellungen, die Betonung der Infanteriegruppe als wichtiges
Element im Abwehrkampf sowie damit zusammenhängend die Hervorhebung der
Unteroffizierstellung. Inhaltlich blieb die Kontinuität insofern gewahrt, als eine
Rückbesinnung auf den beweglich geführten, offensiven Einsatz der Infanterie
und die Erziehung der Führer zu »Verantwortungsfreudigkeit und Entschlusskraft
zu selbständigem Handeln« erfolgte, wie sie schon in den Vorkriegsvorschriften
enthalten waren176.

170
ExReglInf 1888, S. 89; ExReglInf 1906, S. 1. Dabei gab es geringe Abweichungen zwi-
schen den Reglementen der einzelnen Waffengattungen. Vgl. Raths, Vom Massensturm zur
Stoßtrupptaktik, S. 71‑86, 176; Matuschka, Organisationsgeschichte des Heeres, S. 170,
179; Neugebauer, Einführung, S. X.
171
Z.B., dass im Kriege nur das Einfache Erfolg verspreche, der Krieg »eiserne Manneszucht«
erfordere oder »sich für das Gefecht kein Schema geben lässt«. ExReglInf 1888, S. 1, 109 f.;
ExReglInf 1906, S. 1, 83.
172
Matuschka, Organisationsgeschichte des Heeres, S. 233; Corum, The Roots of Blitzkrieg,
S. 42; Leyen, Ausbildungsvorschriften des Reichsheeres, Sp. 178.
173
Grundsätze für die Führung in der Abwehrschlacht im Stellungskriege, Neudruck 1.3.1917
sowie Der Angriff im Stellungskrieg vom 1.1.1918. Die übrigen Hefte des Sammelwerkes
behandelten v.a. gefechtstechnische Aspekte. Vgl. Raths, Vom Massensturm zur Stoß-
trupptaktik, S. 165; Stachelbeck, Militärische Effektivität, S. 17.
174
Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 517. Raths, Vom Massensturm zur Stoß-
trupptaktik, S. 184.
175
AVF 1917, S. 5. Dort auch das Folgende.
176
Ebd., S. 6. AVF 1918, S. 9 (Zitat); Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 517 f.;
Matuschka, Organisationsgeschichte des Heeres, S. 233. Eine ähnliche Rückbesinnung lässt
58 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Nach dem Krieg wurden die Ausbildungsvorschriften vor dem Hintergrund


der Kriegserfahrungen überarbeitet. Am 26. Oktober 1922 trat die neue
»Ausbildungsvorschrift für die Infanterie« (AVI 130/I-V) in Kraft und ersetzte
das Exerzierreglement von 1906 sowie die Ausbildungsvorschrift von 1918177.
Ihr folgten bis 1923 die Ausbildungsvorschriften der übrigen Waffengattungen.
Wie bereits früher die Exerzierreglemente für die Infanterie behielt auch die neue
AVI ihre grundlegende Bedeutung für die anderen Waffengattungen bei, richtete
sich doch die Grundausbildung des gesamten Reichsheeres nach ihr aus178. Die
Ausbildungsvorschriften des Reichsheeres unterschieden sich nach Gliederung
und Inhalt auf den ersten Blick stark von den Exerzierreglementen und Ausbil-
dungsvorschriften vor 1918, was aufgrund der technischen Entwicklung der
Kriegführung und des geänderten Kriegsbildes sowie der Kriegserfahrungen
nicht erstaunen kann. Dies zeigte sich bereits im Umfang, der sich von dem
knappen Band des Exerzierreglements auf fünf Bände plus Anhangband aus-
dehnte179. Eigene Kapitel über das Gefecht und die Parade, wie sie noch im
Exerzierreglement von 1906 bestanden, fehlten in der neuen Vorschrift. Diese
stand ganz im Zeichen der technischen Weiterentwicklung und behandelte ne-
ben allgemeinen taktischen Aspekten und infanteristischen Tätigkeiten eine
ganze Reihe von Sondertätigkeiten, die nur noch die spezialisierten Funktionen
im Infanterieregiment betrafen180. Auf den ersten Blick scheinen die Belange
der militärischen Grundausbildung im Vordergrund gestanden zu haben und
die Vorschrift dementsprechend eher technischer Natur gewesen zu sein. Bei
näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass das rein Formale im Vergleich zum
Vorgängerreglement eine deutliche Kürzung erfahren hat. In den beiden »Kern-
heften« 2 und 5 liegt das Schwergewicht eindeutig auf der Vermittlung des
Kampfvorganges, zudem enthielten die Hefte 2, 3 und 4 auf die jeweiligen
Formationen und Waffen (Gruppe, Zug, Kompanie bzw. MG oder Minenwerfer)
zugeschnittene Bemerkungen über deren »Kampfesweise«181. Daneben enthiel-
ten die Ausbildungsvorschriften aller Waffengattungen entweder in einem ein-
leitenden Kapitel oder als Heft 1 »Leitsätze« für die Ausbildung, in denen nebst
Bemerkungen zur Ausbildung (Ziffern 12‑35) auch grundsätzliche Aussagen
zum Kriegs- und Führungsverständnis gemacht wurden, nämlich in Ziffer 1
zum »Beruf des Soldaten«, in den Ziffern 2‑4 zur »Manneszucht« und in den

sich bereits in den Grundsätzen für die Führung in der Abwehrschlacht im Stellungskriege
vom 1.12.1916 und v.a. in Der Angriff im Stellungskrieg vom 1.1.1918 feststellen.
177
H.Dv. Nr. 130, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie vom 26.10.1922 (AVI 130/I),
S. 6. Die Vorschrift wurde 1925 leicht revidiert. Citino, The Path to Blitzkrieg, S. 23. Zur
systematischen Auswertung der deutschen Kriegserfahrungen siehe Corum, The Roots of
Blitzkrieg, S. 1‑24.
178
Mit Ausnahme der Artillerie. Siehe AVI 130/I, S. 5; Matuschka, Organisation des
Reichsheeres, S. 339.
179
Zum gefechtstechnischen und taktischen Inhalt der Reglemente siehe Citino, The Path
to Blitzkrieg, S. 23‑26. Corum, The Roots of Blitzkrieg, S. 42 f. Auch die Vorschriften
der übrigen Waffengattungen fielen deutlich umfangreicher aus. Vgl. Leyen, Ausbildungs-
vorschriften des Reichsheeres, Sp. 179‑182.
180
Vgl. Jünger, Die Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Sp. 51 f.
181
AVI 130/II, S. 56‑68, 85‑90, 98‑113, 120‑135. AVI 130/III, S. 82‑98, 108‑119.
AVI 130/IV, S. 98‑100, 123‑148, 158‑170.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 59

Ziffern 5‑11 zum militärischen »Führer«182. Dieses Kapitel bildete – wie unten
noch im Detail gezeigt werden wird – eine deutliche inhaltliche Kontinuitätslinie
zu den Dienstvorschriften vor dem Ersten Weltkrieg. Zudem waren die Leitsätze
in allen Ausbildungsvorschriften der verschiedenen Waffengattungen identisch,
wodurch eine unité de doctrine geschaffen werden sollte. Dahinter stand nicht
zuletzt die Absicht Hans von Seeckts, die Ausbildungsgrundsätze zu vereinheit-
lichen183.
Die AVI von 1922 wurde 1935 neu herausgegeben und erfuhr am 1. September
1936 sowie am 1. Oktober 1938 eine inhaltliche Revision, um die Vorschrift
mit den Grundsätzen der inzwischen herausgegebenen TF in Übereinstimmung
zu bringen und den geänderten militärtechnischen Rahmenbedingungen
Rechnung zu tragen184. Analog zu den Leitsätzen der Ausbildungsvorschriften
des Reichsheeres enthielten auch die Heeres-Ausbildungsvorschriften der
Wehrmacht im jeweils ersten Heft für alle Waffengattungen identische »Leitsätze
für Erziehung und Ausbildung«, im zweiten Teil folgten die Ausbildungsziele der
einzelnen Waffen185. Während die Dauer und Inhalte der Grundausbildung im
Verlaufe des Krieges z.T. erheblich angepasst werden mussten, blieben die einlei-
tenden Leitsätze wörtlich – unter Einschub weniger ergänzender Absätze – be-
stehen186. Wie gesehen konnte in den Ausbildungsvorschriften vor 1918 noch
in einer Dienstvorschrift alle Belange der Grund- und Verbandsausbildung bis
Stufe Brigade behandelt werden. Die Ausbildungsvorschriften des Reichsheeres
mussten im Umfang bereits auf mehrere Bände ausgedehnt werden. Diese
Tendenz verstärkte sich für den Zeitraum zwischen 1935 und 1945 nochmals.
Bei der Infanterie stieg z.B. die Anzahl der Bände bis 1945 auf zwanzig an, wo-
bei diese manchmal noch in Teilbände unterteilt waren187. War dies früher bloß
bei der Artillerie der Fall gewesen, die aufgrund ihrer technischen Prägung in
verschiedenste Funktionen und Dienstzweige gegliedert war, belegen die unter-
schiedlichen Bände der AVI die zunehmende Technisierung und Spezialisierung
auch dieser Waffengattung. Ähnlich breit waren die Ausbildungsvorschriften
der anfänglich als Kraftfahrkampftruppe, später Schnelle bzw. Panzertruppe be-
nannten Waffengattung, die während des Untersuchungszeitraums eine enorme

182
Z.B. AVI 130/I; H.Dv. 200, Ausbildungsvorschrift für die Artillerie vom 9.1.1922
(AVA 200/I); H.Dv. Nr. 421, Ausbildungsvorschrift für die Nachrichtentruppe von 1924
(AVN 421/I), S. 5‑17.
183
Velten, Das deutsche Reichsheer, S. 86.
184
Metz, Infanterie, S. 327.
185
H.Dv. 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie vom 1.10.1938 (AVI 130/1);
H.Dv. 200/1a, Ausbildungsvorschrift für die Artillerie vom 1.10.1938 (AVA 200/1a);
H.Dv. 299/1, Ausbildungsvorschrift für die Kavallerie von 1937 (AVK 299/1);
H.Dv. 470/1, Ausbildungsvorschrift für die Panzertruppe vom 2.9.1937 (AVPz 470/1).
186
So z.B. bei der Panzertruppe, deren volle Bedeutung sich doch erst in den Feldzügen
1939/40 zeigte. Nach Abschluss des Westfeldzuges 1940 folgte von Juli 1940 bis Juni 1941
ein Phase der organisatorischen, materiellen und personellen Neu- und Umgliederung der
Panzerdivisionen. Vgl. Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 2, S. 62 f., 105‑108. Auf die
»Leitsätze für die Erziehung und Ausbildung« hatte dies keine Auswirkung, wie ein Ver-
gleich der AVPz von 1937/38 und 1940 zeigt. AVPz 470/1 1938/1940.
187
Z.B. H.Dv. 130/2a, Die Schützenkompanie (Einzelausbildung/Gruppe) (AVI 130/2a);
H.Dv. 130/2b, Die Schützenkompanie (Schützenzug/-kompanie) (AVI 130/2b).
60 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Entwicklung vollzog und ebenfalls sehr unterschiedliche technische Mittel und


verschiedenste Funktionen in sich zusammenfasste188.
Etwas übersichtlicher als bei den Ausbildungsvorschriften präsentiert sich die
Situation bei der rein schon vom Umfang her kleineren Gruppe der Führungs-
vorschriften. Wie oben gesehen, gab es in der Wehrmacht keine eigene Kategorie
Führungsvorschriften. Gleiches gilt für das Reichsheer und das Kontingentsheer
der Kaiserzeit. Unter Führungsvorschriften werden deshalb im Folgenden
Vorschriften verstanden, die allgemeine Aussagen zum Führungsverständnis ma- !
chen oder die Grundsätze der Führung und des Einsatzes eines Truppenverbandes
im Gefecht behandeln. Darunter lassen sich grob drei Untergruppen subsumie-
ren.
Die von der Bedeutung her wichtigste Untergruppe von Führungsvorschriften
ist diejenige der Felddienstordnungen und ihrer Nachfolgervorschriften FuG und
TF. Diese Vorschriften regelten – wie schon aus dem Namen ersichtlich wird – den
Dienst der Truppen im Felde, behandelten also nur die für alle Truppen allgemein
gültigen Grundsätze des militärischen Alltags, der Friedensausbildung und der
Führung189. Darunter fielen etwa die Kriegsgliederung und Truppeneinteilung,
die Befehlserteilung oder das Nachrichten- und Übermittlungswesen, aber auch
die für alle Waffengattungen gültigen Aufgaben im Gefecht (u.a. Aufklärung und
Sicherung, Marsch, Unterkunft, Vorpostendienst, Sanitätsdienst). Weiter schil-
derten diese Vorschriften meist einleitend das Wesen und die Anforderungen des
Krieges an den Soldaten und leiteten daraus die Verhaltensnormen für Führer
und Unterführer sowie die Forderungen an die Ausbildung und Erziehung – etwa
die Steigerung und Erhaltung der »Manneszucht« – ab. Schließlich enthielten sie
im letzten Teil auch noch eingehende Bestimmungen über die Durchführung
großer Truppenübungen im Frieden (»Herbstübungen«), die für die Fragestellung
dieser Arbeit jedoch nicht relevant sind190.
Als im modernen Sinne erste Felddienstordnung können die »Verordnungen
über die Ausbildung der Truppen für den Felddienst und die größeren
Truppenübungen« vom 17. Juni 1870 betrachtet werden, in denen das Zu-
sammenwirken der verschiedenen Waffengattungen nach den Erfahrungen des
Krieges von 1866 neu geregelt wurde191. Diese Verordnungen wurden durch
die Felddienstordnung vom 30. Mai 1887 ersetzt, in der die Erfahrungen des
Deutsch-Französischen Krieges verwertet waren192. Bereits wenige Jahre danach
entstanden mit den Felddienstordnungen von 1890 und 1894 zwei mit Ergän-
zungen und Änderungen versehene Neufassungen193. Eine echte Weiterentwick-
lung der Felddienstordnung von 1887 gelang jedoch erst mit der Vorschrift

188
Vgl. Tessin, Verbände und Truppen, Bd 1, S. 149; Absolon, Die Wehrmacht im Dritten
Reich, Bd 3, S. 157.
189
Die Gefechtsgrundsätze waren hingegen in den Exerzierreglementen der einzelnen
Waffengattungen enthalten. Vgl. [D.V.E. Nr. 267], Felddienst-Ordnung vom 22.3.1908,
S. 14 (FO 1908). Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 478.
190
Felddienst-Ordnung vom 23.5.1887 (Neudruck 20.7.1894) (FO 1887/1894). FO 1908.
Vgl. auch Neugebauer, Einführung, S. IX f.
191
Verordnungen über die Ausbildung der Truppen 1870, S. IV; Stein, Führen durch Auftrag,
S. 4.
192
Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 69 f.
193
FO 1887/1894. Vgl. Stein, Zur Geschichte der Gefechtsarten, S. 160.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 61

»Dienstvorschriften-Etat [D.V.E.] Nr. 267 Felddienst-Ordnung« vom 1. Januar


1900 und deren Neufassung vom 22. März 1908, mit der die Reformierung der
Taktik weitergeführt wurde194.
Die Felddienstordnung von 1908 wurde 1921 durch die Vorschrift »D.V.Pl.
Nr. 487 Führung und Gefecht der verbundenen Waffen« (FuG) ersetzt195. Die stark
vom Denken Seeckts durchdrungene FuG stellte gemäß Karl-Volker Neugebauer
gegenüber den früheren preußisch-deutschen Vorschriften »einen qualitativen
Sprung« dar, bewahrte sich dabei aber trotzdem »ein Stück Kontinuität«196. So er-
setzte sie nicht nur die überholte Felddienstordnung von 1908 und den Abschnitt
»Gefecht« in den Exerzierreglementen, sondern vereinte gemäß Friedrich von
Rabenau erstmals seit 1812 »wieder die Gesamtheit der Führungsgrundsätze in
einer Vorschrift«197. Tatsächlich war die FuG die einzige echte Gefechtsvorschrift !
und stellte so etwas wie »ein Lehrbuch des Krieges« dar198. Das Neue an der
FuG war insbesondere ihre Funktion als »Rahmenvorschrift«, wodurch sie
»Integrationskraft« für die Ausbildungsvorschriften aller Waffengattungen erhielt
und dadurch helfen sollte, die Truppenführung und Führungsausbildung zu ver-
einheitlichen und ihren Inhalt langfristig wirksam zumachen. Dies zeigt sich auch
in Seeckts Weisung, die FuG bis 1930 unverändert in Kraft zu behalten, obwohl
sie (bekannte) Mängel enthielt199.
Abgelöst wurde die FuG durch die erwähnte TF, mit einem ersten Teil, der
am 17. Oktober 1933 in Kraft trat, und einem Ergänzungsteil, der als 2. Teil
am 18. Oktober 1934 wirksam wurde und wiederum v.a. die technischen
Kampfmittel behandelte200. Die TF war die grundlegende Führungs- und Aus-
bildungsvorschrift des deutschen Heeres und blieb unverändert bis 1945 in
Kraft201. Ihre entscheidende Stellung innerhalb der Vorschriften zeigt sich u.a.
dadurch, dass sich die übrigen Ausbildungsvorschriften nach der TF ausrichten !
mussten, um »die Einheitlichkeit der gesamten Ausbildungsvorschriften auch in

194
Raths, Vom Massensturm zur Stoßtrupptaktik, S. 68.
195
Velten, Das deutsche Reichsheer, S. 77; Matuschka, Organisation des Reichsheeres, S. 339.
196
Neugebauer, Einführung, S. IX. Vgl. auch Samuels, Command or Control?, S. 271; Groß,
Das Dogma der Beweglichkeit, S. 154.
197
Rabenau, Seeckt, Bd 2, S. 514. Entsprechend verwiesen die Waffenvorschriften jeweils
auf Ziffern der FuG. Vgl. auch Metz, Infanterie, S. 327; Fiedler, Taktik und Strategie der
Millionenheere, S. 55.
198
Leyen, Ausbildungsvorschriften des Reichsheeres, Sp. 179 f.
199
Velten, Das deutsche Reichsheer, S. 84‑86; Neugebauer, Einführung, S. XI, XIII; Borgert,
Grundzüge der Landkriegführung, S. 549. Die Mängel wurden zwischen 1920 und 1926
durch die von Seeckt erlassenen und verbindlichen »Bemerkungen des Chefs der Heeres-
leitung auf Grund seiner Besichtigungen« korrigiert.
200
TF (Ch HL/TA Nr. 8000/33 T4, 17.10.1933). [H.Dv. 300/2], Truppenführung, 2. Teil
vom 18.10.1934; Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 561.
201
Reinhardt, Die Begriffe obere, mittlere und untere Führung im deutschen Sprachgebrauch,
BArch, ZA 1/1802, S. 1. 1938 begannen Überarbeitungen der TF, die nicht über das
Anfangsstadium hinauskamen und bei Kriegsbeginn eingestellt wurden. On the German
Art of War, S. 7. Vgl. auch Wallach, Das Dogma der Vernichtungsschlacht, S. 326. Im Zuge
der fortschreitenden Heeresmotorisierung wurde am 14.12.1940 lediglich das Kapitel 5
der TF ergänzt. Müller-Hillebrand, Standard Operating Procedure for Troop Movements,
BArch, FC 2998 N, S. 4.
62 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

--- auch in ! Sprache und Ausdruck sicherzustellen«202. Sie bildet von daher ein Kernstück bei
der Beantwortung der Frage nach dem deutschen Führungsverständnis zwischen
1935 und 1945203. Die in ihr enthaltenen Führungs- und Ausbildungsgrundsätze
flossen direkt in die Führerausbildung ein und beeinflussten dadurch das
Führungsdenken im Offizierkorps. Dies zeigt sich etwa in der Art, wie die
Vorschrift ab 1933 in der Truppe eingeführt wurde. So erhielten im November
1934 alle Kommandeure bis hinunter auf Stufe Bataillon und Abteilung sowie
die Taktiklehrer der Schulen und Lehrgänge des Heeres je ein Exemplar eines
vom Chef des Truppenamtes (Ludwig Beck) gehaltenen Einführungsvortrages zur
TF, in der dieser auf alle wesentlichen Neuerungen eingegangen war204. Dass der
Inhalt der neuen Vorschrift auch in der Ausbildung thematisiert wurde, belegen
wiederum Unterrichtsdokumente der Kriegsakademie mit direkten Verweisen auf
TF-Ziffern oder Ausbildungsunterlagen aus Schulen des Heeres, wie z.B. ein noch
1941 von der Infanterieschule Döberitz gemachter Vorschlag über die Art des
»Einführungsunterricht[s] in die H.Dv. 300« zeigt205. Auch in den Truppenteilen
selbst wurde der Inhalt der TF in der Ausbildung vermittelt206.
Inhaltlich war die Vorschrift maßgebend von Beck geprägt207. Gesamthaft zwar
etwas umfangreicher als die FuG, war die TF inhaltlich jedoch nichts grundsätz-
lich Neues; vielmehr wurde die Vorschrift an die geänderten Rahmenbedingungen
angepasst, was zu teils modifiziertem Kapitelaufbau und einer Neugewichtung
der Schwerpunkte führte208. So erhielten die Aspekte der Heeresmotorisierung
sowie des Einsatzes von Panzertruppen und taktischen Luftwaffenverbänden als
Reaktion auf den technischen Fortschritt erstmalig größeres Gewicht209. Folglich

202
GenStdH/4. Abt., Nr. 740/37, Betr.: Abfassung von Ausbildungsvorschriften, 3.2.1937,
BArch, RH 2/1219.
203
Müller-Hillebrand, Standard Operating Procedure for Troop Movements, BArch,
FC 2998 N; Caspar/Marwitz/Ottmer, Tradition in deutschen Streitkräften, S. 279 (Beitrag
Caspar).
204
Abschrift, Ch HL/TA/T4, Nr. 2360/34 g., Betr.: Vorschrift »Truppenführung«,
20.11.1934, BArch, RH 53-7/v. 38, Bl. 230. Vgl. auch Einführung in die neue Vorschrift
»Truppenführung« I. Teil, [November 1934], BArch, RH 53-7/v. 38, Bl. 232‑244.
205
Infanterieschule Döberitz/Lehrabteilung II, Vorschlag für einen Einführungsunterricht in die
H.Dv. 300 »Truppenführung«, 11.2.1941, BArch, RH 37/4799. Heeresnachrichtenschule/
Lehrstab A, Merkblatt 6. Befehlserteilung, November 1941, BArch, RH 17/345.
Offizierlehrgänge Berlin/Lehrgang Ib, Major Blumentritt, Formale Befehlsbeispiele für die
wichtigsten Stoffgebiete der T.F., März 1934, BArch, RH 16/v. 185. Die Offizierlehrgänge
waren eine Tarnbezeichnung für die Kriegsakademie. Beim Autor handelt es sich um den
späteren Gen.d.Inf. Günther Blumentritt. Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die Generale
des Heeres, Bd 2, S. 38.
206
Kav.Ers.Rgt. 8, Ausbildungsplan für die Offizierausbildung, undat., BArch, RH 54/344;
IR 154/Kdr., Beeinflussung und Erziehung des Offz.-Korps, 12.8.1942, BArch, RH 26-
58/37; PzGrD 3, Einleitung zur Truppenführung (H.Dv. 300/1), 1943, BArch, RHD 62/18.
207
Müller, Generaloberst Ludwig Beck, S. 97; Caspar/Marwitz/Ottmer, Tradition in deutschen
Streitkräften, S. 279 (Beitrag Caspar); Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 556.
208
Z.B. wurde das Kapitel zum Stellungskrieg gestrichen. Velten, Das deutsche Reichsheer,
S. 359‑362; Oetting, Auftragstaktik, S. 174; On the German Art of War, S. 3.
209
Müller, Generaloberst Ludwig Beck, S. 98; Neugebauer, Einführung, S. XXIV; Corum,
The Roots of Blitzkrieg, S. 200. Beide Aspekte waren aber bereits in der FuG thematisiert
worden.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 63

übernahm die TF dem Prinzip nach auch die Gliederung der FuG: Die beiden
ersten Kapitel behandelten die Kriegsgliederung und Truppeneinteilung sowie
die Aspekte der Führung, was in der FuG gleich war – allerdings zusammenge-
fasst im ersten Kapitel. Danach folgten die allgemeinen Gefechtsaufgaben mit
teils geringfügig anderer Gewichtung210. Wie bereits die Felddienstordnungen
beschrieben FuG und TF ebenfalls sowohl das Wesen und die Erfordernisse mo-
derner Kriege als auch die deutsche Auffassung über die Charakteristiken mi-
litärischer Führung. Während diese Aspekte in der FuG im Kapitel »Führung«
angesprochen werden, sind sie in der TF im einleitenden Kapitel konzentriert,
das in einem philosophisch anmutenden Grundton gehalten ist. Doktrinell lässt
sich bei beiden Vorschriften eine Kontinuität zum Vorkriegsdenken erkennen. In
seinem einleitenden Erlass zur FuG betonte Seeckt deutlich den Angriffsgeist und
die operative Bewegungskriegführung, wobei auf das »Zusammenwirken aller
Waffen [...] entscheidender Wert zu legen« sei211. Noch dezidierter formulierte der
Eingangserlass zur TF die Stoßrichtung, wenn festgehalten wurde, dass darin »die
Grundsätze für die Führung, den Felddienst und das Gefecht der verbundenen
Waffen im Bewegungskriege« enthalten seien212. Wie stark neben den taktischen
Grundsätzen die Kontinuität auch bezüglich der Führungsgrundsätze gewahrt
blieb und somit eine Konstante bis weit in den Krieg hinein bildete, wird sich in
der Inhaltsanalyse noch zeigen.
Eine weitere Untergruppe der Führungsvorschriften enthält die Vorschriften,
die an die höheren Truppenführer gerichtet waren und sich schwergewich-
tig mit der operativen Führungsebene befassten213. Diese Gruppe umfasst für
den untersuchten Zeitraum lediglich drei Vorschriften. Ausgangspunkt waren
die bereits im vorigen Abschnitt erwähnten »Verordnungen für die höheren
Truppenführer« vom 24. Juni 1869. Wie gesehen legte Moltke d.Ä. darin vor
dem Hintergrund der Kriegserfahrungen von 1864 und 1866 seine Kriegslehre
und seine Führungsauffassung dar214. Die Verordnungen von 1869 wurden durch
die »Instruktion für die höheren Truppenführer« vom 18. Juni 1885 ersetzt, die
ebenfalls noch von Moltke d.Ä. ausgearbeitet wurden und die Kriegserfahrungen

210
Das Thema »Flieger und Heereskavallerie« wurde z.B. in der FuG prominent im Kapitel II
behandelt, in der TF dagegen erst als Kapitel XIII (Heereskavallerie), während die
Luftstreitkräfte sogar erst im 2. Teil der TF erwähnt wurden, dafür umfassender. Das »hinhal-
tende Gefecht« wiederum, das in der FuG noch unter die besonderen Gefechtshandlungen
fiel, erfuhr in der TF eine Aufwertung und wurde als eine der Hauptgefechtsarten in einem
eigenen Kapitel (X.) thematisiert.
211
FuG, S. 3 f.; Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 542 f. Vgl. zum Angriffsgeist
auch Knox, Erster Weltkrieg und Military Culture, S. 306: »Der taktische Schwerpunkt der
Armee und ihre Alles-oder-Nichts-Mentalität blieben unverändert.«
212
TF, S. 1*. Gemäß Dietmar Schößler bildete der Gedanke des Bewegungskrieges die
»leitende Idee« dieser Vorschrift. Schößler, Felddienstvorschriften, S. 138.
213
Vgl. MMW, II/2: Verordnungen, S. 167 (Vorbemerkung). D.V.E. Nr. 53, Grundzüge der
höheren Truppenführung, Berlin 1910, S. 1* (D.V.E. Nr. 53).
214
Die Kapitel I, VI, VII und X waren entweder ganz von Moltke verfasst oder von ihm erheb-
lich überarbeitet worden, die Kapitel V, VIII und XI wurden nur in den entscheidenden
Gesichtspunkten von Moltke korrigiert, basierten jedoch stark auf seinen Gedanken. Siehe
die Vorbemerkungen zu den Verordnungen in: MMW, II/2: Verordnungen, S. 167 f.
64 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

von 1870/71 verwerteten215. Beides waren geheime Vorschriften und wurden aus-
schließlich an die Generale und Regimentskommandeure verteilt216. Die Reihe
der Überarbeitungen von Dienstvorschriften zwischen 1906 und 1909 schlug
sich auch auf der Ebene der höheren Truppenführung durch. Am 1. Januar 1910
erschien die D.V.E. Nr. 53 »Grundzüge der höheren Truppenführung«. Diese
unter Moltke d.J. – seit 1905 Chef des Großen Generalstabes – herausgegebene
Vorschrift sollte die operativen Grundsätze der Kriegführung in einer Vorschrift
vereinheitlichen217. Zunächst stellte sie eine sprachlich angepasste Neufassung
der Vorgängervorschrift dar, die inhaltlich und teils sogar in den Formulierungen
nicht wesentlich neu war218. Damit stellte Moltke d.J. die Kontinuität im opera-
tiven Denken sicher – teils sicher aus Ehrfurcht vor seinem berühmten Onkel,
daneben aber auch aus Überzeugung von der Richtigkeit der Grundsätze. Des
Weiteren setzte die D.V.E. Nr. 53 aber auch einzelne neue Akzente, die sich aus
der Auswertung moderner Kriege, v.a. des russisch-japanischen Krieges von 1905,
ergaben219. Im Einführungserlass wurde festgehalten, dass die Vorschrift »den hö-
heren Truppenführern als Anhalt dienen« soll und die Regimentskommandeure
und Kommandeure selbstständiger Bataillone alle ihre Stabsoffiziere über den
»Gesamtinhalt dieser Vorschrift« orientieren sollten, während den restlichen
Offizieren immerhin noch »einzelne Abschnitte vorzulesen und zu erläutern« sei-
en220. Obwohl die Vorschrift eigentlich für die höhere Truppenführung vorbehal-
ten war und inhaltlich ausschließlich auf die Führung operativer Verbände einging,
sollten die darin enthaltenen Grundsätze trotzdem im gesamten Offizierkorps
gestreut werden. Inwiefern dies auch tatsächlich gelang, ist schwierig zu beurtei-
len. Nach einem Bericht der »Gruppe Auswertung« vom Februar 1935 blieb »ihr
Inhalt im Offizierkorps der Vorkriegszeit doch nur wenig bekannt«221. Von der
Gliederung her lehnte sich die Vorschrift stark an die Vorgängerverordnungen
an. Für die vorliegende Arbeit von besonderer Relevanz sind dabei das einlei-
tende Kapitel »I. Allgemeines« sowie das Kapitel »II. Führung«, die umfang-
mäßig mehr als die Hälfte ausmachten, sowie das Kapitel »IV. Verbindung der

215
Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 427; Kroener, »Nun danket alle Gott«,
S. 118.
216
Gruppe Auswertung Az. 113/35, An T4, B[e]tr. Grundzüge der höheren Truppenführung,
12.2.1935, BArch, RH 2/2901, S. 2.
217
Raths, Vom Massensturm zur Stoßtrupptaktik, S. 97; Borgert, Grundzüge der Landkrieg-
führung, S. 474.
218
Diverse Abschnitte aus der Instruktion von 1885 wurden »im Wortlaut beibehalten«.
D.V.E. Nr. 53, unpag. (Bemerkung).
219
Millotat, Auftragstaktik (ÖMZ), S. 306. Auf die Führungsdoktrin hatte dies aber keine
Auswirkungen.
220
D.V.E. Nr. 53, S. 1*.
221
Gruppe Auswertung, Az. 113/35, An T4, B[e]tr. Grundzüge der höheren Truppenführung,
12.2.1935, BArch, RH 2/2901, S. 2. Die »Gruppe Auswertung von Kriegserfahrungen«
war Verbindungsstelle des Truppenamtes zum Reichsarchiv, wo bis zum 1.4.1937 alle mi-
litärischen Akten aufbewahrt wurden. Ihr damaliger Leiter war Generalleutnant Waldemar
Erfurth. Absolon, Die Wehrmacht im Dritten Reich, Bd 3, S. 150 f. Auch der Chef der
Heeresabteilung (T1) Oberst Hermann Geyer meinte, die D.V.E. Nr. 53 sei »praktisch
ohne Bedeutung« gewesen. Chef T1, Az. 26/31 geheim, An Chef T4, 21.1.1931, BArch,
RH 2/2901, Bl. 309.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 65

Kommandobehörden und Truppen, Befehlserteilung«, in dem ebenfalls noch


wesentliche Aussagen zum Kriegs- und Führungsverständnis enthalten sind222.
Im Zuge der Weiterentwicklungen der Dienstvorschriften nach dem Ersten
Weltkrieg liefen auch Bestrebungen, die D.V.E. Nr. 53 von 1910 zu überarbeiten.
Die 1921 erschienene FuG erfasste zwar alle wesentlichen Führungsgrundsätze,
allerdings mehrheitlich auf taktischer Stufe. Zusammengefasste Richtlinien
für die operative Führung fehlten deshalb und hätten eigentlich in einer sepa-
raten Vorschrift behandelt werden sollen223. Im Jahre 1923 unterbreitete der
mit der Überarbeitung beauftragte Oberst Constantin Hierl basierend auf der
Grundlage der D.V.E. Nr. 53 den Entwurf einer Neufassung mit dem Titel
»Leitlinien für die obere Führung im Kriege«, die auf Entscheid Seeckts jedoch
nicht weiter verfolgt wurde224. 1930 war Generalmajor a.D. Schürmann vom
Chef der Heeresausbildungsabteilung (T4), dem damaligen Oberst Walther von
Brauchitsch, beauftragt worden, das Thema wieder aufzunehmen und einen wei-
teren Entwurf zu verfassen. Dieser Entwurf mit dem Titel »Gedanken über Krieg-
und Truppenführung« war ursprünglich als Grundlage für die 1931 fertigzustellen-
de Vorschrift »Die höhere Truppenführung« gedacht gewesen225. Schließlich wur-
de das Projekt nach negativen Rückmeldungen der involvierten Abteilungsleiter
des Truppenamtes 1931 fallen gelassen und bis Kriegsende 1945 nicht wieder
aufgenommen. Aufschlussreich sind dabei die Gründe, die zum Verzicht geführt
haben. Besonders der Chef der Heeresabteilung (T1) Oberst Hermann Geyer
sprach sich deutlich gegen eine solche Vorschrift aus226. Nach seiner Auffassung
könne »die Führerausbildung niemals in einer ›Vorschrift‹ für hohe Führer lie-
gen [...], sondern im praktischen militärischen Leben und Erleben, sowie in
Reisen, Kriegsschulen und im Selbststudium«, da sich »das berühmte Salböl [...]
nicht in Flaschen gießen, das Feldherrntum nicht in ›Vorschriften‹ fassen« las-
se227. Vielmehr plädierte er dafür, die Anpassung der Vorschriften »nicht bei der
Führervorschrift[,] sondern bei der F.u.G. oder gar bei den Waffenvorschriften
(A.V.I. usw.) zu beginnen«. Dieses Vorgehen verhindere nach Meinung Geyers,

222
D.V.E. Nr. 53, S. 7‑14, 15‑44, 49‑58.
223
Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 549.
224
Leitlinie für die obere Führung im Kriege, Entwurf Oberst Hierl, 1923, BArch, RH 2/2901.
Vgl. auch Neugebauer, Einführung, S. XIII. Hierl war vor 1914 Lehrer für Taktik und
Kriegsgeschichte an der bayerischen Kriegsakademie und späterer Reichsarbeitsführer.
Kroener, »Nun danket alle Gott«, S. 127.
225
Gedanken über Krieg- und Truppenführung, Entwurf Generalmajor a.D. Schürmann, Sept.
1930, BArch, RH 2/2901. Die Überarbeitung der Vorschrift wurde auch vom »kriegsge-
schichtlichen« Standpunkt aus betrachtet. Vgl. Kriegsgeschichtliche Bemerkungen zu den
»Grundzügen der höheren Truppenführung«, von Mantey, 12.8.1930, BArch, RH 2/2901.
Mantey war der ehemalige Adjutant von Moltke d.J. Mombauer, Helmuth von Moltke,
S. 3.
226
Geyer war ab 1.11.1928 Chef T1. Er war K.G. des V. AK (16.5.1935 bis 30.4.1939)
und K.G. des IX. AK (25.10.1939 bis 31.12.1941) Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die
Generale des Heeres, Bd 4, S. 266.
227
Ganz explizit bemängelte er dabei das »Bestreben [...] liebgewordene, schöne Worte alter
Vorschriften, sowie von Clausewitz, Moltke und Schlieffen zu übernehmen. Das ist, wenn
es bei ganz wenig bleibt, vielleicht richtig. Hier aber wird des Guten zu viel getan«. Chef
T1, Az. 26/31 geheim, An Chef T4, 21.1.1931, BArch, RH 2/2901, Bl. 308 f. Dort auch
die folgenden Zitate.
66 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

dass die Vorschrift über die oberste Führung zu umfangreich ausfallen und »auf
allgemeine Redensarten [...] entgleisen« werde. Schließlich werde »man [erst] beim
Aufbau von unten besser erkennen [können], was nur in der obersten Vorschrift
stehen muss und anderswo entbehrlich ist«. Ähnlicher Meinung war der Chef
der Heeresorganisationsabteilung (T2), der damalige Oberstleutnant und späte-
re Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) Wilhelm Keitel, der den
Entwurf ebenfalls ablehnte. In diesen Stellungnahmen zeigt sich der Gedanke,
dass ein wesentlicher Aspekt der Führerausbildung in der Erziehung – und damit
zu einem großen Teil in schriftlich nicht festgehaltenen Normen – zu finden ist.
Deutlich wird auch die starke Gewichtung der Taktik erkennbar. Eine Vorschrift
für die operative Führung wurde nach Meinung der verantwortlichen Stellen des
Truppenamtes nicht als dringend notwendig betrachtet, solange die taktischen !
Vorschriften zeitgemäß waren. Dahinter stand implizit auch die Auffassung, dass
das eigentliche militärische Handwerk auf taktischer Stufe stattfand, während die
operative Stufe vielmehr durch das Feldherrntum und Führertum geprägt war,
das nicht erlernt werden konnte228. Von daher kann es kaum überraschen, dass
das Heer bis 1945 keine Führungsvorschrift für die rein operative, geschweige
denn strategische (im heutigen Sinne militärstrategische) Stufe besaß.
Die letzte Untergruppe der Führungsvorschriften bezieht sich ausschließlich
auf Vorschriften über die Führung und den Einsatz von Verbänden, die zwischen
1935 und 1945 aufgrund der technischen Weiterentwicklung und Neubildung
von Waffengattungen notwendig wurden. Auch flossen Kampferfahrungen aus
abgeschlossenen Feldzügen in solche Vorschriften ein229. Diese Gruppe wurde bis-
lang in der Forschungsliteratur kaum beachtet. Sie ist aus zwei Gründen jedoch
aufschlussreich: Zum einen nehmen diese Vorschriften die Erfahrungen über
Führung und Einsatz laufend auf und arbeiten sie in die Führungsgrundsätze
ein. Im Bereich des Zusammenwirkens von Waffengattungen finden sich so-
gar gegenseitige Querverweise oder aufeinander abgestimmte Aussagen in den
Vorschriften230. Zum anderen werden in den Vorschriften die allgemeinen
Grundsätze der TF auf die einzelnen Waffengattungen hinunter gebrochen231.
Aufgrund dieses Charakters handelt es sich bei der überwiegenden Mehrheit
solcher Vorschriften um außerplanmäßige Dienstvorschriften – D-Vorschriften

228
Deutlich lässt sich in diesen Äußerungen Moltkes Verständnis von der Kriegführung erken-
nen, wie es in Kap. II.1.c) aufgezeigt wurde.
229
Z.B. wurden die Erfahrungen des Westfeldzuges 1940 in der H.Dv.g. 66, Richtlinien für
Führung und Einsatz der Panzer-Division vom 3.12.1940 und der H.Dv.g. 80, Richtlinien
für Führung und Einsatz der Infanterie-Division (mot) vom 27.1.1941 verwertet.
OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 2400/40 g, Taktische Erfahrungen im Westfeldzug,
20.11.1940, BArch, RH 19 III/152, S. 1.
230
Das Standardverhalten für den Fall des Waffenverbundes wird z.B. geregelt in: D 66+,
Richtlinien für die Führung der Panzerdivision vom 1.6.1938, S. 26 (Verweis auf D 76);
H.Dv. 299/11d, Vorläufige Richtlinien für Führung und Kampf des Schützen-Regiments
und Schützen-Bataillons vom 1.3.1941, S. 40 (Verweis auf D 66+); H.Dv. 130/9b,
Vorläufige Richtlinien für Einsatz und Führung des Infanteriebataillons (mot.) vom
16.3.1941 (AVI 130/9b), S. 58 f.; sowie D 645, Ausbildungsanweisung für die leichte und
mittlere Panzerkompanie 1939 im Gefecht vom 1.3.1939, S. 13.
231
Z.B. D 80+, Richtlinien für die Führung der Infanteriedivision (mot), 1937, S. 8.
H.Dv.g. 80, S. 8.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 67

und Merkblätter. Allerdings sind auch vereinzelte D-Vorschriften darunter


zu finden, die zu einem späteren Zeitpunkt als Heeresdruckvorschriften im
Heeresdruckvorschriften-Verzeichnis geführt wurden232. Die Wichtigkeit die-
ser Vorschriften ergibt sich auch daraus, dass sie aufgrund ihres Status häufig
als geheime Vorschriften eingestuft waren. Aus arbeitsökonomischen Gründen
musste sich die Analyse der dritten Untergruppe auf die Vorschriften der
Hauptwaffengattungen Infanterie und Panzertruppen (bei Letzteren schwerge-
wichtig Panzertruppe und motorisierte Schützen) beschränken.

b) Kontinuitätslinien in der deutschen militärischen


Führungsdoktrin 1869 bis 1945

Rückblickend hielt Halder 1953 in seiner Tätigkeit für die Historical Division
der U.S. Army in einer Stellungnahme zur amerikanischen Felddienstvorschrift
»Field Manual (FM) 100-5, Operations« fest, dass Aufbau und Inhalt preußisch-
deutscher Dienstvorschriften hauptsächlich von zwei Grundsätzen geprägt gewe-
sen seien: Nach deutscher Auffassung sollten Vorschriften zum einen »Grundsätze
und Anschauungen über Führung und Gefecht« vermitteln, zum anderen – und
häufig als wichtiger beurteilt – besaßen sie »eine hohe erzieherische Aufgabe«233.
Beide Aspekte sind meines Erachtens entscheidend, um einem Führungsprinzip
wie der Auftragstaktik Leben einzuhauchen. Die angesprochenen Grundsätze leg-
ten dabei die prinzipielle Ausrichtung fest, wonach der Einzelne zu handeln hat-
te234. Erst durch die entsprechende Erziehung wurde der Einzelne allerdings dazu
gebracht, die normativen Forderungen auch in die Tat umzusetzen.
In der nun folgenden Analyse der Kontinuitätslinien in der deutschen
Führungsdoktrin wird es primär darum gehen, das Führungsverständnis in den
Führungs- und Ausbildungsvorschriften zu untersuchen und dabei die verschie-
denen Elemente der Auftragstaktik nachzuzeichnen. Dies soll anhand eines
Modells geschehen, dem die Überlegungen von Raths und Leistenschneider zu-
grunde liegen. Raths untersuchte die deutsche Landkriegstaktik und konnte in
den Dienstvorschriften für den Zeitraum zwischen 1906 und 1918 acht unter-
schiedlich gewichtete Elemente ausmachen: Die »Selbsttätigkeit der Soldaten«,
die »Einfachheit der Formen«, Disziplin, Moral, den unbedingten Offensivgeist,
die Unterscheidung von Feuerkraft und Stoßkraft, die Konzentration auf
kleine Gruppen sowie die Rolle der Führung235. Einige dieser Elemente fin-
den sich auch bei Leistenschneider wieder. Für ihn bestand die Auftragstaktik
aus sechs »Komponenten«, nämlich aus der Führung des Gefechts nach

232
So die oben erwähnten D 66+ und D 80+, die später neu überarbeitet als H.Dv.g. 66 und
H.Dv.g. 80 herausgegeben wurden.
233
Halder, Gutachten zu »Field Service Regulations – Operations«, BArch, ZA 1/2103, S. 2
(Hervorhebung im Original). Vgl. zum ersten Punkt auch TF, S. 1: »Die Lehren der Krieg-
führung lassen sich nicht in Vorschriften erschöpfend zusammenfassen. Die Grundsätze,
welche diese geben, müssen den Umständen entsprechend zur Anwendung gelangen.«
234
Vgl. auch Halders Antwort zum Entwurf der »Vorbemerkung zum Sammelheft: H.Dv. 89.
Die ständige Front« vom 13.10.1939: »In eine Vorschrift gehören klar geprägte Grundsätze
des Handelns [...].« BArch, RH 2/3232 (Hervorhebung im Original).
235
Raths, Vom Massensturm zur Stoßtrupptaktik, S. 28‑33, 55 f.
68 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Kommandoeinheiten, der Freiheit der Form, der Selbsttätigkeit als Prinzip, der
Befehlsgebung, der Ausbildung der Führer sowie aus der aktiven Disziplin und ge-
genseitigem Vertrauen236. Da beide Autoren ihre Untersuchung auf den Zeitraum
bis zum Ersten Weltkrieg begrenzten und Raths mit der Landkriegstaktik zu-
dem ein weiter gefasstes Thema behandelte, können diese Elemente nicht talis
qualis übernommen werden. So hatten etwa die bei Leistenschneider erwähn-
te Gefechtsführung nach Kommandoeinheiten oder die bei Raths genannten
Aspekte der Feuer- und Stoßkraft oder der kleinen Gruppen für den Kontext
der vorliegenden Arbeit keine Bedeutung mehr. Die von Raths als Kernelement
gewichtete Einfachheit der Formen blieb als allgemeiner Kampfgrundsatz
zwar bis 1945 bedeutsam. Für die Auftragstaktik besitzt dieses Element je-
doch nicht die gleiche Gewichtung. Sie wirkte sich lediglich indirekt aus, etwa
in der Art der Befehlsgebung. Die Ergebnisse von Raths und Leistenschneider
bieten sich jedoch als Ausgangspunkt für das nachfolgend von mir verwende-
te Modell der Auftragstaktik an. Beide Autoren erkannten Selbstständigkeit
und Disziplin (Gehorsam) als wichtige Elemente des preußisch-deutschen
Führungsdenkens. Diese zwei Elemente werden deshalb in der folgenden Analyse
der Dienstvorschriften ebenfalls behandelt, da sie einerseits eng miteinander ver-
bunden waren und andererseits direkt mit dem Kriegs- und Führungsverständnis
zusammenhingen. Gleiches gilt für die von Leistenschneider betonte Freiheit der
Form, die sich in den Vorschriften als deutliche Absage an jegliche Schemata
bemerkbar macht und unter dem Element des Urteilsvermögens behandelt wird.
Die von Raths als »Kernelement« bezeichnete Moral wird ebenfalls thematisiert.
Sie darf meines Erachtens jedoch nicht vom Element des Offensivgeistes geson-
dert betrachtet werden, den Raths meiner Meinung nach zu Unrecht nicht als
Kernelement bezeichnet hat. Auf die Verknüpfung von Moral und Offensivgeist
und der Gewichtung dieses Elementes wird deshalb weiter unten noch eingegan-
gen. Ähnlich verhält es sich mit der von Leistenschneider als Komponente der
Auftragstaktik bezeichneten Befehlsgebung. Leistenschneider erkannte richtig,
dass die Art der Befehlsgebung für die Auftragstaktik wichtig ist. Er verkannte
jedoch, dass die Lagebeurteilung und die Entschlussfassung ebenso entscheidend
sind und deshalb die Gesamtheit des Führungsvorganges betrachtet werden muss.
Schließlich waren die von Raths hervorgehobene Rolle der Führung und die von
Leistenschneider betonte Führerausbildung ebenfalls für die Auftragstaktik be-
deutsam. In meinem Modell der Auftragstaktik stellen diese Aspekte jedoch keine
eigenen Elemente dar. Zum einen ist es offensichtlich, dass ein Führungsprinzip
von der Rolle der Führung abhängt. Entsprechend wirkte sich die Führung auf
alle Elemente des Modells aus. Zum anderen bilden die im Folgenden zu unter-
suchenden Elemente Inhalte ab, die in ihrer Gesamtheit das Führungsprinzip
Auftragstaktik definieren. Die Führerausbildung stellt in diesem Zusammenhang
hingegen keinen Inhalt, sondern vielmehr die Methode dar, mit der die Inhalte
vermittelt wurden.
Die Analyse der Dienstvorschriften zeigte rasch auf, dass das Führungsprinzip
der Auftragstaktik alleine mit den von Raths und Leistenschneider adaptierten

236
Aktive Disziplin und Vertrauen werden unter dem »Aspekt der Menschenführung« als eine
Komponente zusammengefasst. Leistenschneider, Die Entwicklung der Auftragstaktik im
deutschen Heer, S. 182‑187.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 69

Elementen nicht vollständig erfasst werden kann. Insbesondere fehlen bei ih-
nen zwei Elemente, die in den Dienstvorschriften, aber auch im Gedankengut
Clausewitz’ und Moltkes d.Ä. stark betont wurden. Zum einen handelt es sich
dabei um die Entschlossenheit, womit der Clausewitz’sche Kühnheitsbegriff und
der weiter oben behandelte dezisionistische Aspekt mit all seinen Teilaspekten
gemeint sind. Zum anderen fehlt die in den Dienstvorschriften stark hervor-
gehobene Einheitlichkeit im Denken und Handeln. Somit umfasst das der an-
schließenden Analyse zugrunde liegende Modell der Auftragstaktik letztlich die
folgenden sieben Hauptelemente: Die Entschlossenheit, das Offensivdenken, die !
Selbstständigkeit, den Gehorsam, die Einheitlichkeit, das Urteilsvermögen sowie
den Führungsvorgang. Der Analyse dieser Elemente geht einleitend eine kurze
Betrachtung voraus, wie sich das preußisch-deutsche Kriegsverständnis in den
Dienstvorschriften niedergeschlagen hat, da dieses die Grundlage bildete, auf der
sich die Hauptelemente entfalten sollten. Die Reihenfolge der Hauptelemente in
diesem Kapitel ist allerdings nicht als Gewichtung zu verstehen. Wie sich noch
zeigen wird, sind die sieben Hauptelemente miteinander verknüpft und inter-
agierten stark. Es ließ sich deshalb nicht vermeiden, in den einzelnen Kapiteln
gelegentlich Aspekte anderer Hauptelemente aufzunehmen oder nachfolgenden
Kapiteln etwas vorzugreifen.

Das Kriegsverständnis in den Dienstvorschriften des Heeres

Wie oben gesehen verstanden Clausewitz und Moltke d.Ä. den Krieg als kontin-
gentes Phänomen. Beide hoben als zentrale Faktoren des Krieges die moralischen
Größen und die Friktion hervor. Noch die »Verordnungen über die Ausbildung
der Truppen für den Felddienst« von 1870 oder die Felddienstordnung von 1894
hatten erklärt, dass sich die Anforderungen des Krieges an die Soldaten zunächst !
darauf beschränkten, marschieren und die Waffen bedienen zu können. Daneben
wurde jedoch erkannt, dass dies physische und moralische Kräfte, eine einheit-
liche Führung durch Offiziere und Disziplin voraussetzte237. Die Verordnungen
Moltkes von 1869 hatten deshalb nicht nur die taktischen Erfahrungen der voran-
gegangenen Kriege zusammengefasst, sondern auch und v.a. ihre moralische Seite
hervorgehoben238. So unterstrichen die Verordnungen in aller Schärfe, dass »die
Friedensmanöver [...] nur ein sehr unvollkommenes Bild des wirklichen Krieges«
geben konnten, weil in diesen gerade die Waffenwirkung – d.h. der scharfe Schuss,
Verluste, Angst oder Gefechtsfeldstress – nicht adäquat nachgestellt werden
konnte und damit »das moralische Element« fehlte239. Dieser Passus findet sich
auch in den Felddienstordnungen zwischen 1887 und 1908, in der D.V.E. Nr. 53
von 1910 sowie in diversen Waffenvorschriften, etwa dem Exerzierreglement von
1888, aber auch in den Leitsätzen der Ausbildungsvorschriften des Reichsheeres

237
Verordnungen über die Ausbildung der Truppen 1870, S. 1; FO 1887/1894, S. 9; FO 1908,
S. 9.
238
Beide Aspekte waren bereits in Moltkes Memoire von 1868 an den König aufgenommen
worden, das die Erfahrungen aus dem Krieg 1866 zusammenfasste und als Grundlage für
die Verordnungen von 1869 diente. Siehe MMW, II/2: Memoire, S. 73‑164.
239
MMW, II/2: Verordnungen, S. 172.
70 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

und der Wehrmacht240. Auf die Bedeutung der moralischen Faktoren und ih-
rer Auswirkungen auf die Handlungsnormen in den Dienstvorschriften wird
nachfolgend noch einzugehen sein. Vorerst ist festzuhalten, dass sich die Clause-
witz’sche Kriegsauffassung nicht nur in den Vorschriften Moltkes d.Ä. nieder-
schlug, sondern als Konstante in den preußisch-deutschen Ausbildungs- und
Führungsvorschriften bis 1945 zu finden ist. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der
Bedeutung der moralischen Faktoren, sondern auch bezüglich des friktionalen
Charakters des Krieges. In den Verordnungen von 1869 betonte Moltke, dass
der Erfolg einer Schlacht oder eines Feldzuges »nicht bloß von den berechenba-
ren Größen, Raum und Zeit«, sondern auch von Zufälligkeiten, Irrtümern oder
Glück abhing241. Diese Vorstellung verfestigte sich in der preußisch-deutschen mi-
litärischen Denkschule zu einem der grundlegendsten Faktoren überhaupt. Der
Krieg wird in den Dienstvorschriften als offener, nicht von Gesetzmäßigkeiten
beherrscher Raum geschildert, dessen »Wechselfälle« und »Mannigfaltigkeit« un-
begrenzt sind und in dem »Ungewissheit« und »Unsicherheit« die einzigen Regeln
bilden242. In den Schlussbesprechungen zum »Märzkriegsspiel 1937«, das vom
Generalkommmando VI. Armeekorps (General der Artillerie Günther von Kluge)
durchgeführt wurde, werden diese Zusammenhänge sehr schön dargestellt:
»Wenn die dargelegten Erwägungen zu dem oben skizzierten Entschluss ge-
führt haben, so soll damit keineswegs gesagt werden, dass es sich um eine
›Patentlösung‹ handelt. Nirgends ›führen so viele Wege nach Rom‹ wie auf
dem Gebiete der Taktik und Operation. Der Erfolg ist von so vielen Einflüssen,
die in die ›Berechnung‹ nicht einbezogen werden können, abhängig, dass er
im Kriege immer nur dem Führer beschert sein wird, der das ›System der
Aushilfen‹ zu handhaben versteht. Willensstärke der beiderseitigen Führung,
nicht vorauszusehende Fehler des Feindes oder der eigenen Unterführer,
Vertrauen der Truppe, geistige Wendigkeit der mittleren und unteren
Führung, oft auch Witterungseinflüsse sind ein Teil dieser ›Imponderabilien‹,
die nur der Künstler – niemals der Handwerker meistern kann243.«
In diesem Zusammenhang verdeutlicht sich nochmals, weshalb das Kriegsverständ-
nis so entscheidend für die Führungsdoktrin ist. Ausgehend von der Vorstellung,
dass Krieg als Kontingenzphänomen zu begreifen sei, konnten auch Vorschriften
nicht als feste Handlungsanleitungen für Truppenführer verstanden werden. Sie
sollten und konnten explizit keine Rezepte für alle möglichen Eventualitäten des !
Krieges enthalten, sondern hatten vielmehr nur als Anhalte und Leitlinien zu die-

240
FO 1887/1894, S. 17; FO 1908, S. 16; D.V.E. Nr. 53, S. 10; ExReglInf 1888, S. 89;
AVI 130/I, S. 20 f.; AVA 200/I, S. 16; AVN 421/I, S. 16; AVI 130/1, S. 10; AVA 200/1a,
S. 14; AVK 299/1, S. 9; AVPz 470/1, S. 10.
241
MMW, II/2: Verordnungen, S. 173, 211. Vgl. auch D.V.E. Nr. 53, S. 32; FuG, S. 7; TF,
S. 1.
242
FuG, S. 7‑9, 131; AVI 130/I, S. 20 f.; AVA 200/I, S. 16; AVN 421/I, S. 16; Richtlinien für
die Ausbildung im Heere, Teil 2, Leitfaden für Erziehung und Unterricht (Leitgedanken),
S. 19; TF, S. 1, 10 f.; AVI 130/1, S. 7; AVA 200/1a, S. 11; AVPz 470/1, S. 9; H.Dv.g. 92/1,
Handbuch für den Generalstabsdienst im Kriege vom 1.8.1939, S. 2.
243
IR 65/Kdr., Betr.: Taktische Weiterbildung der Offiziere (Schlussbetrachtung zum März-
kriegsspiel 1937), BArch, ZA 1/2785, S. 11. Vgl. auch 1./IRGD, KTB, BArch, RH 37/6332
(12.12.1941): »Man muss unklare Lagen als normal ansehen. Klare ›Ausgangslagen‹ gibt es
nur bei Friedensübungen. Reibungen sind das tägliche Brot der Führung.«
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 71

nen, anhand derer die Truppenführer die jeweiligen Situationen beurteilen muss-
ten. So hob z.B. der Kommandierende General des VII. Armeekorps General der
Infanterie Eugen Ritter von Schobert in einer Ausbildungsweisung vom Januar
1939 ausdrücklich hervor, dass die TF »kein Sieges-Rezeptbuch« sei und jeder
Offizier deshalb verpflichtet sei, »neben den Ausbildungsvorschriften die für jede
Führung maßgebende T.F. nicht nur zu lesen, sondern so zu studieren, dass er frei
darnach handeln« könne244. Hier verschmilzt das Kriegsverständnis bereits mit
Elementen des Führungsverständnisses. Erkennbar werden die Clausewitz’sche
Betonung des Urteilsvermögens, die Ablehnung des Schematischen oder die
Auffassung von der Führung als Kunst. In dieser Verschmelzung liegt denn auch
ein entscheidender Schlüssel zum Verständnis des Moltke’schen Denkens und
des preußisch-deutschen militärischen Führungsdenkens bis 1945. In Moltkes
Äußerungen lässt sich ein logischer Zusammenhang zwischen Kriegs- und
Führungsverständnis feststellen, der sich auch später in den preußisch-deutschen
Dienstvorschriften findet: Die Erfordernisse an die Führung leiten sich direkt
aus dem Kriegsverständnis ab. Eine Grundannahme bildete dabei Moltkes
Feststellung, wonach »kein Operationsplan [...] mit einiger Sicherheit über das
erste Zusammentreffen mit der feindlichen Hauptmacht hinaus« reicht245. Darin
!
zeigt sich seine Auffassung, wonach der Krieg wesentlich von Friktionen, Zufall
und Glück bestimmt sei. Aus dieser Grundannahme ergibt sich wiederum die
Konsequenz, dass die Strategie als ein System der Aushilfen zu verstehen sei246.
Aufgrund der Überzeugung, dass »der Wechsel in militaribus immer noch das
einzig Beständige«247 sei, mussten die Unterführer vor Ort bedeutendes Gewicht
erhalten, da nur sie die jeweilig aktuelle Lage unmittelbar kennen konnten und !
zu beurteilen vermochten, was in dieser Situation als nächstes zu geschehen hatte.
Die wichtigste Forderung an die Truppenführer an der Front lautete aus diesem
Grunde, Initiative zu zeigen und zu handeln. Entsprechend wichtig war folglich
»die Stärkung und Betonung der von Clausewitz stark gemachten moralischen
Faktoren«248. Die viel gerühmte Charakterstärke des militärischen Führers sollte
als Garant dafür dienen, dass der Einzelne in einer ungewissen Situation nicht
nur die Lage beurteilte, sondern sich auch traute die notwendigen Maßnahmen !
zu ergreifen.
Aus dem Gesagten wird deutlich erkennbar, dass die Entwicklung einer kohä-
renten, auf die Anforderungen des modernen Krieges zugeschnittenen Führungs-
doktrin als Grundlage zuerst eines einheitlichen Kriegsverständnisses bedurfte.
Erst wenn alle verantwortlichen Truppenführer bzw. alle Soldaten das Wesen des
modernen Krieges, seine rational nicht prospektiv fassbare Beschaffenheit erkann- !
ten, konnte auf dieser gemeinsamen Basis die Kriegführung optimiert und die

244
Gen.Kdo. VII. AK/Ia, Nr. 1130/geh., Betr.: Theoretische Ausbildung der Offiziere,
9.1.1939, BArch, RH 53-7/v. 108, S. 3. Schobert war seit März 1938 K.G. des VII. AK
und ab Oktober 1940 OB der 11. Armee. Hürter, Hitlers Heerführer, S. 663.
245
MMW, II/2: Strategie, S. 291.
246
Ebd., S. 293. Vgl. auch MMW, II/2: Verordnungen, S. 172 f., 211, und die Aussage
Hierls, wonach sich »der wechselvollen Entwicklung der Lage [...] die Schmiegsamkeit der
Aushilfen unter Festhalten am Ziel anpassen« musste. Leitlinie für die obere Führung im
Kriege, Entwurf Oberst Hierl, 1923, BArch, RH 2/2901, Bl. 11.
247
Dezentralisation, nicht Zentralisation in der Ausbildung, Sp. 1208.
248
Hoeres, Das Militär der Gesellschaft, S. 340.
72 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Friktionen überwunden werden. Dahinter stand auch die Überzeugung, dass ein
reines »Eindrillen« von militärischen Fertigkeiten in einem komplexen Umfeld
wie dem modernen Krieg ungenügend sei und es als entscheidender erachtet wur-
de, das »Verständnis für Wesen und Zweck des zu Erlernenden« zu wecken249.
Letztlich formte dieses Kriegsverständnis auch die Führungsauffassung, wie das
folgende Zitat zum Einsatz einer Panzerbrigade zeigt:
»Geführt aber muss werden, um allen Wechselfällen des Kampfes begegnen zu !
können; denn der Pz.Angriff läuft sicher nicht wie ein Uhrwerk ab, sondern
bringt viele Reibungen250.«
Dass dabei den von Raths skizzierten Kernelementen nicht nur zwischen 1906
und 1918 eine entscheidende Bedeutung zukam, wird die Analyse der preußisch-
deutschen Dienstvorschriften zeigen.

»... und Kühnheit ist der Kriegskunst immanent«251 – Zum Wert


der moralischen Faktoren im preußisch-deutschen Führungsdenken

Seit Moltke d.Ä. bestand das Hauptinteresse der preußisch-deutschen militä-


rischen Denkschule am Werk Clausewitz’ in dessen Betonung der moralischen
Größen. Für das militärische Denken und Handeln eines Moltke d.Ä., Schlieffen, !
Seeckt oder Beck lag darin der eigentliche Erkenntniswert der Clausewitz’schen
Kriegstheorie252. Im preußisch-deutschen Führungsdenken bildete das morali-
sche Element, das »im Frieden seltener zur Geltung« komme, »im Kriege [...] die
Bedingung jeglichen Erfolges, den wahren Werth einer Truppe«253. Dieser Wert
entstand durch einen zweistufigen Prozess: Im Frieden wurden die moralischen
Elemente in Führer und Truppe durch Erziehung aufgebaut, im Krieg sollten sie
schließlich aktiviert werden. Die unsicheren und vielfältigen Kriegsverhältnisse
verlangten nämlich »oft außergewöhnliche Leistungen«, die »nur ein willens-
starker, geistig wendiger Führer von Format« erbringen konnte254. Erst die
Erziehung und ihre Betonung der moralischen Faktoren stellten dies sicher. Es
waren solche Überlegungen, die hinter der Aussage standen, wonach »im Kriege
[...] die Eigenschaften des Charakter schwerer [wogen] als die des Verstandes«255.

249
AVI 130/1, S. 10.
250
Gen.Kdo. VII. AK/Ia Nr. 59/38 g., Betr.: Verwendung von Panzereinheiten im Kampf
der verbundenen Waffen, 5.1.1938, BArch, RH 53-7/v. 108, S. 4 (Hervorhebung im
Original).
251
Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 203.
252
Vgl. Müller, Clausewitz, Ludendorff and Beck, S. 241.
253
MMW, II/2: Verordnungen, S. 171; D.V.E. Nr. 53, S. 7. Vgl. auch ExReglInf 1888,
S. 89, 104; AVI 130/I, S. 9; AVA 200/I, S. 5; AVN 421/I, S. 5; TF, S. 1; AVI 130/1, S. 6;
AVA 200/1a, S. 9; AVK 299/1, S. 5 f.; AVPz 470/1, S. 5. Vgl. auch Altrichter, Seele, S. 621,
wonach der »kriegerische Wert eines Heeres« durch die vier Faktoren »waffentechnische
Ausrüstung«, »militärische[s] Können«, »physische Kraft« und »moralische Beschaffenheit«
bestimmt werde, wobei Letzterer »die entscheidende Bedeutung« zukomme, weil sie »die !
anderen Wertelemente durchdringt u. erst zur praktischen Auswirkung bringt«.
254
FO 1887/1894, S. 17; Mantey, Das Ringen um den Entschluss, Sp. 2105.
255
MMW, II/2: Verordnungen, S. 171, und Strategie, S. 292. D.V.E. Nr. 53, S. 7; TF, S. 1.
Vgl. auch Freytag-Loringhoven, Die Macht der Persönlichkeit, S. III.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 73

Dieser Aspekt findet sich wie gesehen bereits bei Clausewitz, der in der »Kraft
des Gemütes [...] die erste Bedingung einer [...] Laufbahn« zum Feldherrn sah,
da ein Mensch ohne diese Kraft nicht kühn und entschlossen handeln kön-
ne256. Dies allein genügte jedoch nicht, um im Kriege bestehen zu können. Für
Clausewitz musste die Eigenschaft des Verstandes der Entschlossenheit vorange-
stellt sein. Damit meinte er den bereits erwähnten »coup d’œil«, also das intuitive !
Urteilsvermögen, da der Verstand »auch in dieser gesteigerten Dunkelheit [des
Krieges; der Verf.] nicht ohne einige Spuren des inneren Lichtes ist, die uns zur
Wahrheit führen«257. Der Mut wiederum ermöglichte dann nach Clausewitz, »die-
sem schwachen Licht zu folgen«. Bei Moltke d.Ä. und seinen Epigonen existierte
diese Einheit von Gemüt und Verstand zwar nicht mehr, beide Eigenschaften
wurden vielmehr – wie das obige Zitat zeigt – zu »Kontrastfaktoren«258. Allerdings
bekräftigte auch Moltke, dass im Kriege »Alles [sic!] unsicher ist, außer was der
Feldherr an Willen und Thatkraft in sich selbst trägt«259. Aufgrund dessen müsse
im »Nebel der Ungewissheit aber [...] wenigstens eins gewiss sein – der eigene
Entschluss«260. Die Clausewitz’sche Betonung des Persönlichkeitswertes und des
Charakters zieht sich in der Folge nicht nur durch alle wichtigen preußisch-deut-
schen Ausbildungs- und Führungsvorschriften261. In »den sittlichen Eigenschaften
und Werten des deutschen Soldaten« wurden – nebst der überlegenen Führung
– auch die eigentlichen Ursachen für die deutschen Erfolge 1939 bis 1941 ge-
sehen262. Speziell zeigt sich die Gewichtung von Charakter und Persönlichkeit
in der Auswahl des Führernachwuchses. Die »Beurteilungsbestimmungen« des
Heeres von 1936 wiesen z.B. ausdrücklich darauf hin, dass bei Beurteilungen
»nicht die gegenwärtige Leistung, sondern der Persönlichkeitswert des Zubeurteilenden
– insbesondere sein soldatischer Charakter – [...] in den Vordergrund zu

256
Clausewitz, Vom Kriege, S. 369. Sehr deutlich hat Seeckt diesen Gedanken aufgenommen:
»Genie ist Charakter.« Seeckt, Gedanken eines Soldaten, S. 174.
257
Clausewitz, Vom Kriege, S. 234. Dort auch das Folgende.
258
Kleemeier, Grundfragen einer philosophischen Theorie des Krieges, S. 268. Vgl. auch
Becks Rede bei der 125-Jahrfeier der Kriegsakademie am 15.10.1935. Darin verdeutlich-
te er, dass »der früher mit Recht gepriesene coup d’œil [...] allgemein, zumindesten in
höheren Führergraden, von geringerem Wert [ist] als die aus klarer, scharfsinniger, alle
Möglichkeiten erschöpfender Gedankenarbeit gereifte Erkenntnis der Erfordernisse der
Lage«. BArch, RH 16/v. 27, S. 7 (Hervorhebung im Original). Wie schon Moltke setzte
auch Beck die »Systematik des Denkens« dem Clausewitz’schen Urteilstakt entgegen, wäh- !
rend bei Clausewitz beide Faktoren eine Einheit bildeten. Die höhere Gewichtung des
logischen Gedankenganges zeigt sich auch in der TF, S. 9: »Große Erfolge setzen kühnes
Wagen voraus. Das Wägen muss dem Wagen vorausgehen.« Vgl. auch Caspar/Marwitz/
Ottmer, Tradition in deutschen Streitkräften, S. 280 (Beitrag Caspar).
259
MMW, II/2: Strategie, S. 292.
260
MMW, II/2: Verordnungen, S. 172 (Hervorhebung im Original). Vgl. auch D.V.E. Nr. 53,
S. 9; FuG, S. 21; TF, S. 20.
261
MMW, II/2: Verordnungen, S. 171. FO 1887/1894, S. 10; FO 1908, S. 9; D.V.E. Nr. 53,
S. 7; AVI 130/I, S. 9, 11; AVA 200/I, S. 5, 7; AVN 421/I, S. 5, 7; FuG, S. 7; Leitgedanken,
S. 9 f.; TF, S. 1 f.; AVI 130/1, S. 6; AVA 200/1a, S. 9; AVK 299/1, S. 5; AVPz 470/1,
S. 5; H.Dv.g. 92/1, S. 2 f.; H.Dv. 3/4, Berufspflichten, S. 4, Zif. 8. Vgl. auch Kleemeier,
Grundfragen einer philosophischen Theorie des Krieges, S. 268.
262
Die Ursachen der deutschen Siege, S. 193. Mit entsprechenden Verweisen auf Friedrich
den Großen, Scharnhorst, Gneisenau, Blücher, Moltke d.Ä., Hindenburg und Ludendorff.
74 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

stellen«263 sei. Zumindest bis 1942/43 änderte auch der Krieg nichts an dieser
Auffassung, wie verschiedene Quellen belegen264. Als Offiziersnachwuchs woll-
te die Heeresführung »überzeugte Tatmenschen«, »willens- und glaubensstarke
Offiziere« sowie »stahlharte« und »charakterfeste Persönlichkeiten« heranzie-
hen265. Überhaupt liege in der »Persönlichkeit [...] eigentlich der Schlüssel für
alles in unserem Beruf«266. Hauptausrichtung der Ausbildung bildete deswegen
nicht das Eindrillen »starre[r] äußere[r] Form«, sondern »die sehr viel schwie-
rigere Erziehung zum charaktervollen und einsatzbereiten Kämpfer«267, der »mit
[...] voller Entschlusskraft, Verantwortungsgefühl und ausgeprägtem Willen«268
bei sich bietenden Gelegenheiten rasch zufasst. Im Gegensatz dazu führte feh-
lende oder zu gering entwickelte Entschlusskraft bloß »zu halben Maßnahmen
oder zu völliger Untätigkeit«269. Als eigentliche Kardinaltugend wurde in diesem
Zusammenhang die Willensstärke angesehen, weshalb vom zukünftigen Offizier
zuallererst einmal »eine Veranlagung zum kräftigen Einsatz seines Willens« so-
wie »Energie und Leistungsfähigkeit, Einsatzbereitschaft auch an der Grenze der
Leistungsfähigkeit« erwartet wurde270.
Bei alledem gilt es auch zu berücksichtigen, dass das Heer im Laufe der Zeit
immer stärker mit einer geistigen Unterwanderung durch nationalsozialistisches
Gedankengut konfrontiert war271. Zwischen 1939 und 1945 erfuhr das volun-
taristische Element – in Form der Betonung von Wille, Moral und Glauben an
den Sieg – eine immer stärkere Gewichtung272. Diese Entwicklung hatte bereits
mit der NS-Machtergreifung 1933 ihren Anfang genommen. Anfangs geschah

263
H.Dv. 291, Beurteilungsbestimmungen vom 11.5.1936 (Nachdruck 1942), S. 5
(Hervorhebung im Original).
264
H.Dv. 52, Bestimmungen für die Aufnahmeprüfung für die Kriegsakademie vom
13.8.1937, S. 1, 8; H.Dv. 82/3b, Offiziers-Ergänzungsbestimmungen vom 15.5.1941, S. 5;
H.Dv. 54/2b, Vorschrift für den allgemeinbildenden Unterricht im Heere, Heft 2b, Die
Heeres-Unteroffiziervorschule, 9.3.1942, S. 5 f. Vgl. auch Weniger, Führerauslese (1940),
S. 345. Die Betonung des Charakters galt auch für den Nachwuchs des Unteroffizierkorps.
Vgl. z.B. In EB/F/II, Az. KS VI 18, Nr. II 50/43, Richtlinien für den Unterricht in
Heerwesen und Nationalpolitik, Heft 1, 1.2.1943, BArch, RH 12-1/78, S. 70‑73.
Fähnrichväter-Lehrg[ang] der In EB, Richtlinien für den Fähnrichvater, 3.6.1942, BArch,
RH 12-1/81, S. 2.
265
Der ObdH, Nr. 7600/38, PA (2) Ia, 18.12.1938, Betr.: Erziehung des Offizierkorps,
BArch, RHD 23/41.
266
Nämlich, um »selbstbewusste, unabhängig denkende, kraftvolle Männer [zu] erziehen« und
»ihnen Luft [...] für ihre Entwicklung« zu geben. Erziehungsgrundsätze für den Offizier-
nachwuchs, undat., BArch, RH 12-1/75, S. 7.
267
Gen.Kdo. VII. AK/Ia, Nr. 5175 geh., Betreff: Ausbildung im Ausbildungsjahr 1936/1937,
25.8.1936, BArch, RH 53-7/v. 38 (Hervorhebung im Original).
268
Kauffmann, Der Offizier der Wehrmacht und die Ausgestaltung seiner Persönlichkeit. In:
Soldatentum 1934/2, S. 97 f., zit. nach: Flemming, »Willenspotentiale«, S. 115.
269
Altrichter, Der soldatische Führer, S. 30.
270
Charakterologische Eignungsprüfungen bei der Wehrmacht (Eine kurze Orientierung).
In: Soldatentum, 1936/4, S. 186, zit. nach: Flemming, »Willenspotentiale«, S. 115. Vgl.
auch Der Führer/OKH/PA/1. St., Nr. 75/43, geheim, 19.1.1943. In: Untersuchungen zur
Geschichte des Offizierkorps, S. 276 (Nr. 18).
271
Grundsätzlich dazu: Messerschmidt, Die Wehrmacht im NS-Staat; Müller, Das Heer und
Hitler. Siehe auch Kap. II.2.b) Disziplin und Gehorsam.
272
Siehe z.B. Der Wille zum Sieg, S. 194‑197.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 75

dies noch eher zaghaft und nicht mit letzter Konsequenz durch eilfertig gehor-
same hohe Offiziere wie den Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der
Wehrmacht Generalfeldmarschall Werner von Blomberg, den Oberbefehlshaber
des Heeres Generaloberst von Brauchitsch oder den Chef des Oberkommandos
der Wehrmacht Generaloberst Wilhelm Keitel273. Im Ausbildungserlass für
das Frühjahr 1941 werden z.B. dezisionistische Elemente wie Kühnheit und
Entschlussfreude bereits mit voluntaristischen Elementen wie dem Vertrauen in
die eigene Überlegenheit oder dem Glauben an den Sieg vermischt:
»Im Vordergrund steht die Erziehung von Führer und Mann zu rücksichtslo-
sem Angriffsgeist, zu Kühnheit und entschlussfreudigem Handeln, getragen
von dem Vertrauen auf die Überlegenheit des deutschen Soldaten über jeden
Gegner und dem unbeirrbaren Glauben an den endgültigen Sieg274.«
Während des Krieges verstärkte sich diese Tendenz zusehends. Verschiedene
Maßnahmen eröffneten dem Regime Möglichkeiten, das Heer noch intensiver
durchdringen zu können: Hitlers Übernahme des Oberbefehls über das Heer
im Winter 1941, die Ernennung von Hitlers Chefadjutanten Generalmajor
Rudolf Schmundt zum Chef des Heerespersonalamtes am 1. Oktober 1942
und die damit einsetzende Neuordnung der Beförderungspolitik, die auch
eine Verschärfung der weltanschaulichen Beeinflussung nach sich zog275, die
Einführung der NS-Führungsoffiziere per Führerbefehl vom 22. August 1943,
die Einrichtung des NS-Führungsstabes im OKW und die Besetzung dieser Stelle
mit regimenahen Generalen wie General der Infanterie Hermann Reinecke oder
Generaloberst Ferdinand Schörner sowie schließlich die Einsetzung Heinrich
Himmlers als Befehlshaber des Ersatzheers und Chef der Heeresrüstung nach
dem Attentat vom 20. Juli 1944276. Im Zuge dieser ideologischen Durchdringung
verschoben sich auch die Ideale des traditionellen Führungsdenkens und wurden
teils »durch eine aktivistische Ideologie«277 ausgewechselt. Dies geschah, wie oben

273
Vgl. Förster, Vom Führerheer der Republik, S. 311‑328; Groß, Das Dogma der Beweg-
lichkeit, S. 159‑164; Offiziere im Bild von Dokumenten, S. 102 f. Messerschmidt, Die
Wehrmacht im NS-Staat, S. 18‑79.
274
ObdH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 555/41 g., Ausbildung im Frühjahr 1941, 21.2.1941,
BArch, RH 21-2/v. 100, S. 1.
275
Vgl. Stumpf, Die Wehrmacht-Elite, S. 320‑348.
276
Himmlers Ernennung verschaffte dem NS-Regime z.B. nicht nur direkten Einfluss auf die
Ausbildung der Ersatztruppenteile, sondern auch auf den Offiziernachwuchs des Heeres.
Dies bedeutete nicht automatisch die Durchdringung des gesamten Offizierkorps. Kroener
spricht z.B. gerade der älteren Offiziersgeneration, die bereits im Ersten Weltkrieg dien-
te, »eine partielle Immunisierung gegenüber der NS-Ideologie« zu, während die jüngste
Generation – sozialisiert durch die NS-Jugendorganisationen – am stärksten vom Regime
beeinflusst war. Kroener, Generationserfahrungen, S. 229 f.; Kroener, Strukturelle Ver-
änderungen, S. 272‑279. Dies belegen auch zeitgenössische Aussagen. So meinte z.B.
ein Oberst Hauck (362. ID) in einem in britischer Gefangenschaft abgehörten Gespräch:
»Die schlimmsten Dienstgrade sind die Offiziere vom Leutnant bis zum Hauptmann ein-
schließlich [...] Ich habe mich z.B. mit meinen Leutnants [...] nicht mehr unterhalten,
weil das eine solche Kluft ist, dass man gar keine Basis mehr hat.« Auch Karl Wilhelm von
Schlieben, Dietrich von Choltitz, Manstein und Erwin von Witzleben äußerten sich in
diese Richtung. Neitzel, Abgehört, S. 150, 248, 560; Manstein, Verlorene Siege, S. 572;
Zoepf, Wehrmacht, S. 44.
277
Offiziere im Bild von Dokumenten, S. 104.
76 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

im Zusammenhang mit den Beurteilungsbestimmungen erwähnt, jedoch erst im


Verlauf des Krieges. An die Stelle des in der Tradition einer »kantisch-preußische[n]
Pflichtethik«278 stehenden Offiziers – so zumindest die Idealvorstellung – trat
dann der »zum fanatischen Soldaten des Nationalsozialismus« erzogene »Weltan-
schauungskämpfer«, der – getragen von einem bellizistisch geprägten »Wille[n]
zum Kampf« – bedingungslos und mit unerschütterlichem Glauben den Endsieg
anstreben sollte279. An die Seite der militärischen Führung trat damit gleichbe-
rechtigt die nationalsozialistische Führung:
»Die Ausbildung und Erziehung des deutschen Soldaten zu einem zähen und
entschlossenen Kämpfer ist daher nicht denkbar ohne eine lebendige natio-
nalsozialistische Führung und Erziehung280.«
Dies scheint sich in der Truppe v.a. im inneren Dienst und im Disziplinbegriff
bemerkbar gemacht zu haben. So zeigt die Analyse der H.Dv. 130/20 »Die Füh-
rung des Grenadier-Regiments« (AVI 130/20) vom 21. März 1945, dass der
Betonung von Willensstärke, »gläubiger Zuversicht« oder »krisenfester Ruhe«
zwar ein höherer Stellenwert eingeräumt wurde als in früheren Vorschriften, die
deutlich spürbare ideologische Durchdringung auf die eigentlichen militärischen ?
Führungsgrundsätze jedoch erstaunlich wenig Einfluss hatte281. Der Blick in die
H.Dv. 130/1E »Richtlinien für die Ausbildung im Ersatzheer« bestätigt dies282. Ein
Vergleich der Ausgaben von 1940, 1943 und 1944 lässt zwar eine Verschiebung
der Gewichtung auf die politische und weltanschauliche Erziehung des Offiziers
in der Vorschrift von 1944 erkennen, in Bezug auf die militärischen Belange
blieben die Vorschriften jedoch praktisch identisch. Militärische Tugenden wie
»Verantwortungsfreude«, »Entschluss- und Tatkraft«, »Beharrlichkeit«, aber auch
»Fürsorge« und »Beispiel« blieben als zentrale Handlungsnormen ebenso bestehen
wie die militärhandwerklichen Aspekte der Lagebeurteilung, Entschlussfassung
und Befehlsgebung oder das Führen von vorne283. Dies lag natürlich nicht zu-
letzt auch darin begründet, dass die NS-Ideologie diese Tugenden zu einem er-
heblichen Anteil selbst für sich in Anspruch nahm. So habe das »Geistesgut des
Führers« etwa »Glaube an die eigene Kraft, Entschluss zur Tat, Mut zum Kampf
und Wille zum Sieg« enthalten284. Auf Basis einer solchen Vorstellung ließ sich
zumindest vordergründig so etwas wie eine Teilidentität konstruieren285.

278
Bücheler, Hoepner, S. 13. Vgl. auch Preußen. Versuch einer Bilanz, S. 12; Münkler, Die
Deutschen und ihre Mythen, z.B. S. 29, 213‑217.
279
Hoffmann, Offizier aus neuem Geist, S. 88. Richtlinien für die nationalsozialistische
Führung im Heere, 28.3.1944, zit. nach: Demeter, Das deutsche Offizierkorps, S. 329.
280
Neubearbeitung des Kompanieführer-Taschenbuches, 1943‑1945, BArch, RH 2/2877,
Bl. 15. Vgl. auch Kalm, »Von der weltanschaulichen Ausrichtung des Offiziers«,
S. 328‑333; Chef HPA/Ag P2/Chefgr. 1a, Nr. 300/45 g., Betr.: Erziehung und Haltung
des Offizierkorps, 2.1.1945, BArch, RH 15/186.
281
H.Dv. 130/20, Die Führung des Grenadier-Regiments vom 21.3.1945 (AVI 130/20),
S. 11‑17.
282
H.Dv. 130/1E, Richtlinien für die Ausbildung im Ersatzheer vom 21.6.1940, 16.3.1943
und 11.12.1944.
283
AVI 130/20, S. 11, 16 f.
284
Matthaei, Stärker denn je!, S. 39.
285
Dies galt z.B. für Tugenden wie Tatkraft, Mut, Entschlossenheit oder Verantwortungsfreude,
aber auch für den Gehorsam. Vgl. Chef HPA/Ag P2/Chefgr. 1a, Nr. 300/45 g., Betr.:
Erziehung und Haltung des Offizierkorps, 2.1.1945, BArch, RH 15/186. Ein Vergleich »sol-
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 77

Die Betonung der Willenskraft und des Charakters in den preußisch-deutschen


Ausbildungsvorschriften darf deshalb nicht zu einer voreiligen Schlussfolgerung
führen. Das von der nationalsozialistischen Ideologie geforderte »moralische
Soldatentum« basierte wie der im folgenden Kapitel noch zu behandelnde
Offensivkult der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg mit seiner Verabsolutierung der
Moral als entscheidenden Faktors auf einem stark voluntaristischen Grundprinzip
mit irrationalen Zügen286. Die in den preußisch-deutschen Vorschriften betonten
Elemente der Willenskraft, Persönlichkeit und des Charakters sollten hingegen
gerade dem rationalen Aspekt zum Durchbruch verhelfen. Charakterstärke, Wille
und Persönlichkeitswert bildeten deshalb »die grundlegenden Voraussetzungen
jeder Führerpersönlichkeit«, die aber noch durch »geistige Beweglichkeit« und
»Urteilsfähigkeit« ergänzt werden mussten287. Erst in diesem Ergebnis entstand
gewissermaßen das Fundament, auf dem sich die zentralen preußisch-deutschen
Handlungsgrundsätze entfalten konnten. Diesen Zusammenhang verdeutlicht
beispielsweise eine persönliche Abhandlung Generaloberst Erich Hoepners über
»soldatische Eigenschaften« aus dem Winter 1942/43, in der dieser den Mut als
»vornehmste und unentbehrliche Eigenschaft [...] für den Soldaten« bezeichnet,
da er »ihn zum Handeln und zum Aushalten« befähigt und »jeder Führer ihn zur
Tat, zum Befehlen, zur Verantwortung für seine Maßnahmen haben muss«288.
Der »starke Wille«, so Hoepner weiter, »fördert den Mut« und »kann das Letzte
aus dem Soldaten herausholen, wenn er mit dem Verständnis für dessen Können
und Leiden gepaart ist«. Neben dem Mut gehörten auch andere moralische
Faktoren wie Kühnheit, Beharrlichkeit, Willenskraft, Entschluss-, Initiativ- und
Verantwortungsfreude zu entscheidenden Tugenden des preußisch-deutschen mi-
litärischen Führungsdenkens. Eine eigentliche Reihenfolge lässt sich dabei kaum
feststellen. Je nach Quelle wird einmal diese, ein anderes Mal jene Tugend als
»vornehmste« und wichtigste dargestellt. Entscheidend ist jedoch vielmehr ihr
Zusammenwirken. Alle diese Tugenden zielten auf das entschlossene Handeln als
Endergebnis hin. Ihnen allen ist somit ein stark dezisionistischer Aspekt imma-
nent. Seeckt brachte dies kurz und bündig auf den Punkt: »Das Wesentliche ist
die Tat289.« Entsprechend hoch gewichtet war deshalb z.B. auch der Entschluss des
militärischen Führers, ohne den jede noch so richtige Lagebeurteilung wirkungs-
los bleiben musste. Der Entschluss sollte deshalb »immer ein ganzer sein« und
vom »unbeirrbare[n] Wille[n] des Führers« geleitet werden290. Diese Forderung
scheint auf den ersten Blick stark voluntaristisch geprägt zu sein. Tatsächlich wird

datischer« und nationalsozialistischer Anschauungen, der diesen inneren Zusammenhang


aufzeigen sollte, findet sich in: Richtlinien für den nationalpolitischen Unterricht an den
Kriegsschulen, [ca. 1938], BArch, RH 12-1/75.
286
Richtlinien für den Unterricht über politische Tagesfragen, Nr. 2, 30.1.1935, BArch,
RH 12-5/v. 43, S. 13 (Zitat). Dies zeigt sich etwa in Phrasen wie »Größere Härte des
Krieges verlangt stärkeren Glauben«, »Unser Glaube heißt ›Sieg‹, unser Bekenntnis ›Heil
Hitler‹«. Fragen der Haltung, S. 20‑24.
287
Matuschka, Der Entschluss, S. 145; Ch HL/T4/IIa Nr. 740/34 geh.Kdos., Richtlinien für
die Ausbildung von Offizieren auf der Kriegsakademie, 1.8.1934, BArch, RH 26-10/190,
S. 7.
288
Abgedr. in: Bücheler, Hoepner, S. 209. Dort auch das Folgende.
289
Seeckt, Gedanken eines Soldaten, S. 171.
290
FuG, S. 9. Ähnlich: TF, S. 11.
78 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

der Wille in diesem Zusammenhang jedoch nur als Mittel des entschlossenen
Handelns verstanden. Zum einen sollte der Wille sicherstellen, dass »ein klares !
Ziel mit ganzer Kraft verfolg[t]«291 wurde. Die Anordnungen des Entschlusses
mussten deshalb »den Stempel der größten Entschiedenheit tragen«292. Erst durch
die von starkem Willen angetriebene Entschlossenheit würden die Friktionen des
Krieges überwunden werden können, wie folgende Aussage in der TF darlegt:
»Jeder Angriff führt in der Regel durch mehr oder minder schwere Krisen zu !
einem entscheidenden Höhepunkt; es kommt darauf an, dass die Führung
diesen Höhepunkt erkennt, und dass sie alsdann Entschlussfähigkeit besitzt,
einen sich anbahnenden Erfolg sofort mit allen Mitteln zu erweitern oder
einem Misserfolge vorzubeugen293.«
Zum anderen zeigt auch der Hinweis, wonach »das Wägen [...] dem Wagen voran-
gehen« muss, dass dies nicht voluntaristisch aufzufassen ist294. Vielmehr hatte dem !
Entschluss eine nüchterne Lagebeurteilung vorauszugehen. Schon in der D.V.E.
Nr. 53 hieß es deshalb, dass »dem Entschluss zum Beginn des Gefechtes [...] eine
ruhige Prüfung der Verhältnisse vorausgehen« müsse295. Dieser Zusammenhang
wird auch aus den »Grundsätzen für die Erziehung und Ausbildung der Truppe«
des Generalkommandos VII. Armeekorps vom August 1936 ersichtlich, wo fest-
gehalten wurde:
»Wie überall bei der Ausbildung, gilt als oberster Grundsatz auch hier, mit
allen Mitteln das überlegte und verantwortungsfreudige Wagen zu fördern296.« !
Im Anschluss daran wurde auch erklärt, weshalb dies so wichtig war:
»Viele Siege der Weltgeschichte sind durch die kühne Tat entstanden, sehr oft
gegen theoretische Grundregeln.
Es ist daher notwendig, einen brauchbaren, kühnen Entschluss auch dann
gutzuheißen, wenn er nicht völlig der Ansicht des Leitenden entspricht.«
In den »Ausbildungsbemerkungen Nr. 1« der 3. Panzerdivision vom 4. Januar
1941 wurden »gute Leistungen« in Gefechtsübungen sogar explizit mit ei-
ner »besonders kühne[n], umsichtige[n] Aktivität« gleichgesetzt, die es in den
Besprechungen auch hinreichend zu loben galt297. Am prägnantesten wies
General der Artillerie z.D. Max Ludwig in einem Artikel im Militär­Wochenblatt
1941 auf den »wohl nur dem deutschen Soldaten voll begreiflichen Ausspruch«

291
TF, S. 11.
292
FuG, S. 9. Vgl. auch TF, S. 153: »Entschlossenes Zufassen wird oft zum Erfolge führen.«
Bereits Moltke hatte festgehalten: »Will man angreifen, so muss es mit Entschiedenheit ge- !
schehen. Halbe Maßregeln sind nicht am Ort; nur Kraft und Zuversicht reißen die Truppen
mit sich fort und geben Erfolg.« MMW, II/2: Verordnungen, S. 213 (Hervorhebung im
Original). Vgl. auch Mantey, Das Ringen um den Entschluss, Sp. 2105.
293
TF, S. 124. So sollte der Truppenführer »in kühnen und herrischen Vorgriffen der
Wirklichkeit das Gesetz abring[en]«. Weniger, Führerauslese (1941), S. 202.
294
TF, S. 9. Siehe auch Müller, Generaloberst Ludwig Beck, S. 97.
295
D.V.E. Nr. 53, S. 26. Vgl. auch Haenle, Der Entschluss, S. 366‑369. Letzterer betont sehr
stark die Tradition solchen Vorgehens mit Verweisen auf Friedrich den Großen, Clausewitz,
Moltke d.Ä. und Schlieffen. Vgl. auch Weniger, Führerauslese (1940), S. 353.
296
Gen.Kdo. VII. AK/Ia Nr. 5175 geh., Betreff: Ausbildung im Ausbildungsjahr 1936/1937,
25.8.1936, BArch, RH 53-7/v. 38, S. 4. Dort auch das Folgende (Hervorhebungen im
Original).
297
3. PzD/Kdr., Nr. 13/41 geh., Ausbildungsbemerkungen Nr. 1, 4.1.1941, BArch, RH 27-
3/17, S. 11.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 79

hin, wonach »höchste Kühnheit zugleich höchste Vorsicht« sei298. Insgesamt


sollte der Entschluss eines Truppenführers daher immer »ebenso kraftvoll und !
kühn, wie verantwortungsbewusst im Rahmen des Ganzen gehalten und wohl-
überlegt sein«299. Dieser Zusammenhang findet sich auch in Becks Rede an
der Kriegsakademie am 15. Oktober 1935. Darin forderte er, dass der obe-
re Führer »in systematischer Denkarbeit« alle »militärische[n] Fragen in ihren
Zusammenhängen bis zum Urgrund« erfassen und behandeln müsse, da erst
dadurch »der Verantwortungsfreudigkeit, Selbständigkeit und Selbsttätigkeit der
Führer das richtige Fundament« gegeben würde300.
In all dem lässt sich deutlich die dezisionistische Grundhaltung erkennen,
ohne deren Berücksichtigung das preußisch-deutsche Führungsverständnis nicht
verstanden und das Führungsprinzip der Auftragstaktik nicht richtig eingeord-
net werden kann. Ohne Charakterfestigkeit und Willensstärke wird nämlich der
durch die Auftragstaktik gewährleistete Handlungsspielraum nicht durch ent-
schlossenes Handeln genutzt. Umgekehrt ist ein solcher Freiraum Voraussetzung !
dafür, um entschlossen handeln zu können. Aus diesem einfachen Grund ge-
hören Entschlossenheit und Auftragstaktik ebenso notwendig zusammen wie
Selbstständigkeit und Auftragstaktik. Kaum eine Forderung veranschaulicht so
energisch diese dezisionistische Grundhaltung im preußisch-deutschen militäri-
schen Führungsdenken wie die folgende:
»So bleibt entschlossenes Handeln das erste Erfordernis im Kriege. Ein jeder,
der höchste Führer wie der jüngste Soldat, muss sich stets bewusst sein, dass
Unterlassen und Versäumnisse ihn schwerer belasten als Fehlgreifen in der !
Wahl der Mittel301.«
Diese Aussage beruht wie oben gesehen auf der Clausewitz’schen Betonung
der Kühnheit und prägte die preußisch-deutsche Führungstradition seit
Moltke d.Ä. wie kaum eine andere302. Sie findet sich außer in der zitierten TF
praktisch wörtlich in den Felddienstordnungen von 1887 bis 1908, in den
Exerzierreglementen für die Infanterie von 1888 und 1906, in der FuG, in den
Heeresausbildungsvorschriften von Reichswehr und Wehrmacht sowie in der
Dienstvorschrift »Ausbildungsanweisung für die leichte und mittlere Panzer-
kompanie 1939 im Gefecht« (D 645) vom 1. März 1939303. In den Verordnungen
Moltkes von 1869 fehlt dieser Wortlaut zwar, findet sich sinngemäß aber in der
Feststellung, dass es im Krieg oft weniger darauf ankomme, »was man thut, als

298
Ludwig, Der Geist des deutschen Soldaten, Sp. 1712.
299
Taysen, Taktik der verbundenen Waffen, S. 693. Deshalb gehörten »planvolles Vorgehen,
verbunden mit Überblick und Klarheit des Denkens« ebenso zu einem willensstarken
Charakter wie »Energie und Ausdauer« oder »Einsatzbereitschaft«. So jedenfalls die Erläute-
rung im Art. »Charakterologische Eignungsprüfungen bei der Wehrmacht«, zit. nach:
Flemming, »Willenspotentiale«, S. 116. Vgl. auch Matuschka, Der Entschluss, S. 145.
300
Rede Becks bei der 125-Jahrfeier der Kriegsakademie, 15.10.1935, BArch, RH 16/v. 27,
S. 6.
301
TF, S. 5.
302
Vgl. Szczepanski, Grenzen der Initiative, S. 406.
303
Clausewitz, Vom Kriege, S. 367; FO 1887/1894, S. 17; FO 1908, S. 16; ExReglInf 1888,
S. 140 f.; ExReglInf 1906, S. 91; FuG, S. 7; AVI 130/I, S. 21; AVA 200/I, S. 16; AVN 421/I,
S. 17; AVI 130/1, S. 7; AVA 200/1a, S. 11; AVK 299/1, S. 6 f.; AVPz 470/1, S. 9; D 645,
S. 13 f. Vgl. auch Cochenhausen, Untätigkeit belastet schwerer, Sp. 196‑203.
80 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

darauf, wie man es thut«304. Auch betonte Moltke d.Ä., dass es in zweifelhaf-
ten und unklaren Situationen »gerathener sein« würde, aktiv und initiativ zu
verfahren, wohingegen ein Warten auf Befehle »sehr verkehrt« wäre305. Die de-
zidierte Forderung an alle Soldaten, entschlossen zu handeln bei gleichzeitiger
Inkaufnahme falschen Handelns, ist in der Tat beispiellos und bildet den Kern !
des preußisch-deutschen Führungsdenkens306. Geradezu enthusiastisch schildert
dies etwa der deutsche Dichter und Reserveoffizier im Ersten Weltkrieg Rudolf
G. Binding:
»Was eigentlich den Geist der deutschen [Felddienstordnung] dartut ist fol-
gende Forderung [...]: So bleibt entschlossenes Handeln das erste Erfordernis
im Kriege. Ein jeder – der höchste Führer wie der jüngste Soldat – muss
sich stets bewusst sein[,] dass Unterlassen und Versäumnis ihn schwerer
belasten als Fehlgreifen in der Wahl der Mittel. – Unerhört kühn so etwas!
Die Zusammenstellung von höchstem Führer und jüngstem Soldaten! Diese
Forderung bei einem Millionenheer! – Das machen sie uns nicht nach. Die
französische Felddienstordnung hat keinerlei ähnliche Bestimmung.
Eine solche Forderung klingt selbstverständlich; aber [...] keineswegs hat
man immer ›entschlossenes Handeln‹ als erstes Erfordernis des Krieges emp-
funden.
Derartige Gedanken sind, wie ich meine, nicht unnütz307.«
Die Forderung ist umso erstaunlicher, als damit falsches Handeln nicht nur in
Kauf genommen, sondern sogar höher bewertet wird als Passivität. Sehr deut-
lich wird dies nochmals in der TF betont, die in der Klärung einer ungewissen
Lage »eine selbstverständliche Forderung« sah und unmissverständlich festhielt,
dass »das Warten auf Nachrichten in gespannter Lage [...] selten ein Zeichen
willensstarker Führung, oft ein schwerer Fehler« sei308. Im »Merkblatt 1 für die
Ausbildung von Führern der Truppen-Nachrichtenverbände« wird in einer ei-
gentlichen Kaskade gefordert:
»Keine Scheu vor Verantwortung! Unentschlossenheit nimmt das Vertrauen
zur Führung! Auch unrichtiges Handeln ist besser als Nichtstun309.« !
Die klassischen Worte des preußisch-deutschen militärischen Führungsdenkens,
wonach Unterlassen schwerer belastete als ein Fehlgreifen in den Mitteln, bilde-
ten im deutschen Selbstverständnis den »erste[n] militärische[n] Glaubenssatz«, !
den »ewig wahre[n] Satz« schlechthin, der »im deutschen Heere immer gegol-

304
MMW, II/2: Verordnungen, S. 171; MMW, IV/3, S. 126. Ebenso: D.V.E. Nr. 53, S. 7.
305
MMW, II/2: Verordnungen, S. 174, 207.
306
Vgl. auch [Chef des Ausbildungswesens im Ersatzheer], Führungsgrundsätze, [1944],
BArch, RH 68/4, wo zum Stichwort »Befehle« steht: »nie auf Befehle warten.« Heeres-
nachrichtenschule/Lehrstab A, Merkblatt 6. Befehlserteilung, November 1941, BArch,
RH 17/345: »Keine Truppe darf auf einen Befehl warten.« (Hervorhebung im Original).
307
Binding, Aus dem Kriege, S. 135 (1.3.1916).
308
TF, S. 10.
309
Lehrgänge der Heeresnachrichtenschule, Merkblatt 1 für die Ausbildung von Führern der
Truppen-Nachrichtenverbände, November 1936, BArch, RH 17/341. Auch Hans-Georg
Reinhardt (4. PzD) betonte in einer Kommandeursbesprechung vom 2.12.1938: »Mir ist
zunächst lieber, es wird gehandelt, auch wenn es falsch sein sollte, als es wird gezögert und
gar nichts getan.« Zit. nach: Clasen, Generaloberst Hans-Georg Reinhardt, S. 114.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 81

ten hat«310. Entschlossenes Handeln galt denn auch als »Grundsatz deutscher
soldatischer Ausbildung«, der »dem Offizier in Fleisch und Blut überge[h]en«
sollte311. Die Richtigkeit dieses Grundsatzes ließ sich auch gerne mit dem Blick
auf die »Kriegsgeschichte« belegen, lehre diese doch, »dass gerade das Wagen
höchste Klugheit« sei312. Das Produkt dieser Ausbildung sollte der »harte, ent-
schlussfreudige Führer« sein, der »in allen Lagen ohne Scheu vor Verantwortung
seine ganze Persönlichkeit« einsetzte313. Wie sich dies erzieherisch bewerkstel-
ligen ließ, belegt die im Winter 1941/42 von der 58. Infanteriedivision erlas-
sene Ausbildungsanleitung. Darin wurden die Offiziere dafür sensibilisiert, in
der Gefechts- und Geländeausbildung »Vorsicht bei Kritik« walten zu lassen
und »jeden, auch falschen, selbständigen Entschluss [zu] loben«, um so die !
Entschlossenheit und Selbstständigkeit zu fördern314. Diese heute als Fehlerkultur
bekannte Grundhaltung lässt sich in ihrer ganzen Tragweite aus den Bemerkungen
des Oberbefehlshabers des Heeres zum Ausbildungsjahr 1936 erkennen:
»Entschlossenes, kühnes Handeln ist im allgemeinen schon aus Erziehungs-
gründen auch da anzuerkennen, wo es in Einzelheiten nicht zum vollen Erfolg
geführt hat315.«
In all diesen Forderungen zeigt sich erneut der Zusammenhang von Charakter
und entschlossenem Handeln. Das bisher Gesagte verdeutlicht zudem, dass die
Entschlossenheit zwingend mit Verantwortungsbewusstsein kombiniert werden !
muss, damit sie nicht zu reinem Aktivismus verkommt. Darin liegt ein Kernaspekt
des preußisch-deutschen Führungsdenkens. Entschlossenes Handeln in einer
ungeklärten, unsicheren Situation bedurfte der Bereitschaft, Verantwortung für

310
Rede Fritschs bei der 125-Jahrfeier der Kriegsakademie, 15.10.1935, BArch, RH 16/v. 27,
S. 2 f.; Kp.u.Bttr.Führerschule Bergen/Kdr., Grundsätze für die Erziehung des deutschen
Offiziers-Nachwuchses, 27.1.1941, BArch, RH 17/712, S. 5; In EB/F/II, Az. KS VI 18
Nr. II 50/43, Richtlinien für den Unterricht in Heerwesen und Nationalpolitik, Heft 1,
1.2.1943, BArch, RH 12-1/78, S. 58.
311
Die soldatische Tat, S. 5; In EB/F/II, Az. KS VI 18, Nr. II 50/43, Richtlinien für den
Unterricht in Heerwesen und Nationalpolitik, Heft 1, 1.2.1943, BArch, RH 12-1/78,
S. 58.
312
Kronberger, Es gibt Fälle, Sp. 249.
313
Handbuch für höhere Adjutanten vom 30.8.1944, zit. nach: Förster, Die Wehrmacht im
NS-Staat, S. 117; TF, S. 2.
314
58. ID, Anleitung als Ausbilder, [Winter 1941/42], BArch, RH 26-58/37. Vgl. auch ObdH/
GenStdH/4. Abt., Nr. 3370/36, Bemerkungen zum Ausbildungsjahr 1936, 9.5.1936,
BArch, RH 53-7/v. 38, S. 15: »Durch die Eingriffe dieser Organe [d.h. Schiedsrichter und
Übungsleiter] wurde dann jede Initiative oder jedes selbständige Handeln bei der übenden
Truppe im Keime erstickt. Das darf nicht sein, denn Initiative und selbständiges Handeln
sollen gerade geweckt und gefördert werden.« Die Grenzen einer solchen Erziehung wur-
den ebenfalls klar definiert. Zwar solle auf Fehler nur milde reagiert werden, sobald die
Selbstständigkeit jedoch »Verstöße gegen die Disziplin« darstelle und »in Ungehorsam« !
ausarte, müsse »die Erziehung einsetzen«. Kompanie- und Batterie-Führerschule Bergen-
Belsen, Unterrichtsunterlagen Infanterie 1914 und heute, [1941], BArch, RH 17/712.
315
ObdH/GenStdH/4. Abt., Nr. 3370/36, Bemerkungen zum Ausbildungsjahr 1936,
9.5.1936, BArch, RH 53-7/v. 38, S. 2. Vgl. auch [Chef des Ausbildungswesens im Ersatz-
heer], Führungsgrundsätze, [1944], BArch, RH 68/4, wo gefordert wird: »Starke Persön-
lichkeiten heranziehen, denjenigen, der handelt, loben, wenn auch falsch im Entschluss.«
Vgl. auch Clasen, Generaloberst Hans-Georg Reinhardt, S. 113 f.
82 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

dieses Handeln zu übernehmen. Aus diesem Grund fordert die TF z.B. nicht
nur entschlossenes Handeln, sondern nennt die »Verantwortungsfreudigkeit«,
also das aktive Ergreifen oder Ansichziehen von Verantwortung, als »vornehms-
te Führereigenschaft«316. Erst im Verbund mit Verantwortungsfreudigkeit
konnte die Entschlusskraft ihre volle Wirkung entfalten. Auch dies gründete
wiederum auf Clausewitz’ Begriff der Entschlossenheit, worin auch »verantwor-
tungsbewusste Risikofreudigkeit« impliziert war317. Erst durch das Bewusstsein
zur Verantwortung gegenüber dem Ganzen konnte die moralische Größe der
Entschlossenheit auch im Sinne des Ganzen ihre ganze Wirkung entfalten.
Entsprechend stark wurden Verantwortungsfreudigkeit und deren Pflege in den
preußisch-deutschen Ausbildungsvorschriften betont318. Dieser regulative Aspekt
war notwendig. Ein Appell, der in erster Linie einschärfte, dass es im Kampf »we-
niger darauf [ankommt], was man tut, als dass man überhaupt etwas tut und wie
man es tut«, konnte sich bei fehlender oder mangelnder Erziehung auch negativ
auswirken, indem initiatives, entschlossenes Handeln und der Mut zur Tat ein-
seitig überhöht wurden und dabei übergeordnete Ziele vergessen oder zumindest !
nachrangig wurden319. Als Regulativ rückte deshalb die Absicht des Vorgesetzten
bzw. der Rahmen des Ganzen in den Vordergrund. Schon Moltke d.Ä. hatte in
seinen Verordnungen den Offizieren Handlungsfreiheit auch ohne konkreten
Befehl eingeräumt. Er hatte es aber nicht unterlassen darauf hinzudeuten, dass
diese sich dort »am ersprießlichsten für das Ganze« zeige, »wo [der Offizier] den
Willen seines Vorgesetzten vollzieht«320. So deutlich, wie in den Vorschriften ent-
schlossenes Handeln gefordert und Verantwortungsfreude hervorgehoben wurde,
so klar hieß es denn auch:
»Sie [die Verantwortungsfreudigkeit; der Verf.] darf jedoch nicht darin ge-
sucht werden, eigenmächtige Entschlüsse ohne Rücksicht auf das Ganze zu !

316
TF, S. 2. So schon: ExReglInf 1906, S. 90; FuG, S. 7; AVI 130/1, S. 8; AVA 200/1a,
S. 11; AVK 299/1, S. 7; AVPz 470/1, S. 10. Vgl. auch ExReglInf 1888, S. 109; ExReglInf
1906, S. 91; D.V.E. Nr. 53, S. 1*; AVF 1918, S. 10 f.; AVI 130/I, S. 10; AVA 200/I,
S. 7 f.; AVN 421/I, S. 6; AVI 130/1, S. 16; AVI 130/9, S. 144; H.Dv. 470/10, Vorläufige
Richtlinien für Führung und Kampf des Panzer-Regiments und der Panzer-Abteilung
vom 18.1.1941 (AVPz 470/10), S. 5; H.Dv. 470/12, Vorläufige Richtlinien für Einsatz
und Führung der Panzerjäger-Abteilung (mot.Z.) vom 21.9.1941 (AVPz 470/12), S. 17;
H.Dv.g. 92/1, S. 19, 33.
317
Kleemeier, Grundfragen einer philosophischen Theorie des Krieges, S. 269.
318
MMW, II/2: Verordnungen, S. 171; ExReglInf 1906, S. 91; D.V.E. Nr. 53, S. 1*.
7 f.; AVF 1918, S. 10 f.; AVI 130/I, S. 12; AVA 200/I, S. 6 f.; AVN 421/I, S. 8; TF,
S. 2; AVI 130/1, S. 16; AVA 200/1a, S. 21 f.; AVK 299/1, S. 15; AVPz 470/1, S. 21;
AVI 130/9, S. 144; AVI 130/20, S. 11; AVPz 470/10, S. 5;. AVPz 470/12, S. 17; D 645,
S. 12. Noch in der letzten Ausgabe der vom OKW herausgegebenen MWR wurde unter
dem Titel »Verantwortungsfreudigkeit« die Ziffer 304 des ExReglInf 1906 abgedruckt.
Verantwortungsfreudigkeit, S. 116.
319
D.V.E. Nr. 53, S. 7. Vgl. auch Demeter, Das deutsche Offizierkorps, S. 94. Die TF mahn-
te deshalb, dass »die volle Leistungsfähigkeit der Truppe [nur] in übereinstimmendem
Handeln zur Geltung gebracht« werden könne. TF, S. 4 f. Vgl. auch ExReglInf 1888,
S. 109; D.V.E. Nr. 53, S. 14; AVF 1918, S. 173; AVI 130/V, S. 8.
320
MMW, II/2: Verordnungen, S. 174. Vgl. auch TF, S. 11.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 83

fassen oder Befehle nicht peinlich zu befolgen und ein Besserwissen an Stelle !
des Gehorsams treten zu lassen321.«
Damit wird auch klar, dass die Absicht oder der Rahmen des Ganzen als Regulativ
alleine kaum ausreichte, sondern durch die Disziplin ergänzt werden musste322.
Auf den Zusammenhang der Elemente der Entschlossenheit, der Selbstständigkeit
und der Disziplin machten auch die »Richtlinien für Erziehung und Ausbildung
an den Offizieranwärter-Lehrgängen« aufmerksam, indem sie forderten, dass
»bei jeder Gelegenheit die Bedeutung von Führerwille, Führerverantwortung
und Manneszucht aufzuzeigen« sei und die Offizieranwärter lernen sollten,
»Verantwortungsfreudigkeit und Selbständigkeit von Eigenmächtigkeit und !
Willkür [zu] unterscheiden«323.
Das bisher Gesagte hat verdeutlicht, dass unter den moralischen Größen, wie
sie von Clausewitz definiert und von der preußisch-deutschen Führungstradition
aufgenommen wurden, diejenige des entschlossenen Handelns zu den wichtigs-
ten gehört. Erich Weniger sah in der Verbindung der »Kühnheit des Geistes«, »der
Schärfe des eindringenden Verstandes« und »der Entschlossenheit des Willens«
die eigentlichen »Kennzeichen der deutschen kriegerischen Geistigkeit«324. Worin
aber lagen die Gründe für diese starke Akzentuierung der Entschlossenheit,
diese Überzeugung, dass alles besser sei als Passivität? Reiner Aktivismus war
schließlich auch nicht gefragt; der Entschlossenheit im Handeln sollte immer
Verantwortungsbewusstsein zur Seite stehen325.
Zunächst stand hinter dem Gebot des entschlossenen Handelns die
Überzeugung, dass im Gefecht derjenige siegen würde, der dem Gegner zuvorkä- !
me und die eigene Handlungsfreiheit bewahren könne. Darin erkennt man deut-
lich die Clausewitz’schen Hauptcharakteristiken des Wesens des Krieges, »Willen« !
und »Zwecksetzung«326. Von zentraler Bedeutung war deshalb die Forderung,
»dem Feinde das Gesetz des Handelns vorzuschreiben« und selbst in unsiche-
ren Lagen schnell und entschlossen ins Ungewisse hinein zu handeln327. Dieser !
Gedanke besitzt auch erhebliches Gewicht, um den Sinn der Auftragstaktik zu
begreifen. Der Vorteil der Auftragstaktik bestand nämlich nicht zuletzt darin,
dass sie »die Kräfte [multiplizieren] und [...] den Schwung [verleihen kann], der

321
TF, S. 2. Ebenso: ExReglInf, S. 90; AVA 200/I, S. 6; AVN 421/I, S. 6; AVI 130/1, S. 8;
AVA 200/1a, S. 11; AVK 299/1, S. 7; AVPz 470/1, S. 10.
322
Vgl. MMW, II/2: Verordnungen, S. 174.
323
Insp[ekteur] d. Offz.-Anw[ärter]-Lehrg[änge], Richtlinien für Erziehung und Ausbildung
an den Offizieranwärter-Lehrgängen (im Kriege), Oktober 1939, BArch, RHD 23/29,
S. 4.
324
Weniger, Geist und Bildung des deutschen Offiziers, S. 195.
325
In der AVPz 470/10 wurde z.B. festgehalten: »Verantwortungsfreudige Führung und küh-
ner Einsatz dieser starken Stoßkraft [des Panzerregiments] an entscheidender Stelle ver-
bürgen den Erfolg.« AVPz 470/10, S. 5. Ausschlaggebend ist also die Kombination beider
Elemente.
326
Vgl. auch Taysen, Taktik der verbundenen Waffen, S. 693.
327
AVI 130/1, S. 15; AVA 200/1a, S. 19; AVK 299/1, S. 14; AVPz 470/1, S. 19. Vgl. auch
MMW, II/2: Verordnungen, S. 173, 211; D.V.E. Nr. 53, S. 21 f.; AVF 1918, S. 9; FuG,
S. 131; AVA 200/I, S. 6; AVN 421/I, S. 6; AVI 130/V, S. 8; TF, S. 9 f.; D 77+, S. 14;
H.Dv.g. 92/1, S. 2 f.; H.Dv. 299/11b, Führung und Kampf des Kraftradschützenbataillons
vom 28.12.1941, S. 17; D 645, S. 21; Ludwig, Der Geist des deutschen Soldaten, Sp. 1710;
Haenle, Der Entschluss, S. 369; Däniker, Einheitlichkeit, S. 2.
84 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

dem Gegner das Gesetz vorschreibt und ihn dauernd in Abhängigkeit bringt,
die seine Entschlusskraft lähmt«328. Demzufolge sollte schnelles und entschlos-
senes Handeln den Gegner nicht nur überraschen, sondern auch die eigene !
Unterlegenheit wettmachen, wie das folgende Zitat aus der TF verdeutlicht:
»Der Schwächere kann durch Schnelligkeit, Beweglichkeit, größere Marsch-
leistung, Ausnutzung der Nacht und des Geländes, Überraschung und !
Täuschung an der entscheidenden Stelle der Stärkere sein.
Raum und Zeit müssen richtig ausgenutzt, günstige Lagen rasch erkannt
und entschlossen verwertet werden. Jeder Vorsprung vor dem Gegner vergrö- !
ßert die eigene Handlungsfreiheit329.«
In den Gefechtsgrundsätzen der Schnelligkeit und der Schwerpunktbildung !!
sah bereits Clausewitz die beiden »Hauptgrundsätze« eines Kriegsplanes330. Sie
waren fester Bestandteil des preußisch-deutschen militärischen Denkens und
äußerten sich in den klassischen Vorstellungen Moltkes d.Ä. oder Schlieffens
über den »operativen Bewegungskrieg« ebenso wie in der »Panzerphilosophie«
Guderians331. Der deutsche Führungsgrundsatz, die eigenen Kräfte wenn immer
möglich in Raum und Zeit zu konzentrieren, um auf operativer Ebene Schlachten
gewinnen zu können, war nicht zuletzt auf die nachteilige geostrategische Lage
Deutschlands und auf das Bewusstsein zurückzuführen, militärisch aus einer
Position der Unterlegenheit heraus agieren zu müssen332. Dies wird auch in der
obigen Passage aus der TF erkennbar. Aus der Betonung von Entschlossenheit,
Schnelligkeit und Schwergewichtsdenken ergab sich die Folgerung, wonach »ra-
sches, rücksichtsloses Zupacken [zur] Vorbedingung für den Erfolg« wird333.
Dies galt besonders für die Panzerdivisionen und motorisierten Infanterie-
divisionen, die »kühnes, tatenfrohes Wagen als Grundlage jeden erfolgreichen
Schlagens« betrachteten, konnte sich doch erst dadurch ihre Schnelligkeit und
Mobilität voll auswirken334. Dies zeigten etwa die taktischen Erfahrungen des
Westfeldzuges335. Der Blick in die Ausbildungsunterlagen der 3. Panzerdivision

328
AVI 130/I, S. 10; AVA 200/I, S. 6; AVN 421/I, S. 6. Bereits Vojde hatte festgehalten, dass
selbstständiges Handeln der Unterführer »zu einem Multiplicator werden [konnte], der
die [...] treibende Kraft der oberen Führung steigerte«. Woide, Die Selbständigkeit der
Unterführer, S. 3.
329
TF, S. 9. Vgl. auch Mombauer, Helmuth von Moltke, S. 229.
330
Clausewitz, Vom Kriege, S. 1009.
331
Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 416, 427, 431. Vgl. auch Echevarria, After Clausewitz,
S. 124 f.
332
Siehe Groß, Mythos und Wirklichkeit, passim. Vgl. auch Boog, Die deutsche Luftwaffen-
führung, S. 541; Stachelbeck, Militärische Effektivität, S. 6, Anm. 29.
333
H.Dv. 299/11b, S. 42. Ebenso H.Dv. 470/7, Die mittlere Panzerkompanie vom 1.5.1941
(AVPz 470/7), S. 63; D 645, S. 26.
334
3. PzD/Kdr., Nr. 13/41 geh., Ausbildungsbemerkungen Nr. 1, 4.1.1941, BArch, RH 27-
3/17, S. 1. Vgl. auch die Parole der 4. PzD an die Panzerbesatzungen vor dem Westfeldzug
1940: »Nicht wanken! Nicht schwanken! Nur den einen Gedanken: Vorwärts und durch!«
Zit. nach: Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, S. 58. Vgl. auch TF, S. 133; AVI 130/9b,
S. 11; D 645, S. 12, 29; AVPz 470/10, S. 5, 25; D 80+, S. 8; H.Dv.g. 80, S. 10.
335
OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 2400/40 g, Taktische Erfahrungen im Westfeldzug,
20.11.1940, BArch, RH 19 III/152, S. 2.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 85

für den Zeitraum zwischen Juli 1940 und März 1941 belegt dies ebenfalls336. In
ihren Ausbildungsbefehlen bekräftigte die Division immer wieder, dass in der
Gefechtsausbildung dem Aspekt der Schnelligkeit ein besonderes Augenmerk
zu widmen sei337. Die Truppen seien deshalb »durch ständige Übung nach
Schnelligkeit und Richtigkeit bis zu Spitzenleistungen zu drillen«, während
Übungen »stets das kühne, schnelle und kraftvolle Wagen als Voraussetzung zur
Erreichung der Feindüberraschung zu betonen« hatten338. Der Angriffsgedanke
wurde in den übrigen Hauptwaffengattungen aber nicht weniger entschlossen
verfolgt. In den Bemerkungen über die »Ausbildung unter dem Gesichtspunkt
des neuzeitlichen Infanteriekampfes« verdeutlichte der Generalstabschef des
VII. Armeekorps Oberst i.G. Kurt Brennecke, dass sich der Erfolg umso rascher
einstellen würde, je entschlossener und wendiger zur Tat geschritten würde.
Dabei sei »bei aller gebotenen Sorgfalt [...] Zaudern und Zeitverlust [...] feh-
lerhaft, da beides der Stärkung der f[ein]dl[ichen] Abwehr dien[e]«339. Letztlich
lässt sich daraus auch die fast traditionelle deutsche Vernachlässigung der
Gefechtsart Verteidigung erklären, wurde dies doch als »Strategie des Abwartens ?
und Hinhaltens« und deshalb als »Zeichen der Schwäche und des Verkennens des
Wesens vom Kriege« verstanden, wohingegen »große Erfolge [...] nur dort [gedei-
hen könnten], wo durch eine kühne, nachdrückliche Offensive die Entscheidung
erstrebt wird«340. Der »kühn[e] Angriffsgeist des deutschen Soldaten« muss des-
halb als allgemein verpflichtende Handlungsnorm betrachtet werden, um den
operativen Bewegungskrieg schnell und überraschend führen zu können. In den
Leitsätzen der Ausbildungsvorschriften der einzelnen Waffen hieß es deshalb:

336
Nach Abschluss der Kämpfe in Frankreich kehrte die 3. PzD in den WK III zurück, wo
sie aufgefrischt und umgegliedert wurde. Wegen erheblicher Abgaben und Neuzuteilungen
von Stäben und Einheiten war die Zeit zwischen Spätsommer 1940 und Frühjahr 1941
von intensiver Ausbildung gekennzeichnet. Stoves, Die gepanzerten und motorisierten
deutschen Großverbände, S. 27 f.
337
Z.B. 3. PzD/Ia, Nr. 2130/40 geh., Betr.: Ausbildung, 9.8.1940; 3. PzD/Kdr., Nr. 13/41
geh., Ausbildungsbemerkungen Nr. 1, 4.1.1941; 3. PzD/Kdr., Nr. 202/41 geh., Aus-
bildungsbemerkungen Nr. 2, 23.1.1941. Alle: BArch, RH 27-3/17.
338
3. PzD/Kdr., Nr. 13/41 geh., Ausbildungsbemerkungen Nr. 1, 4.1.1941, BArch, RH 27-
3/17, S. 2 (Hervorhebung im Original), S. 3 f.
339
VII. AK/ChdGenSt, Ausbildung unter dem Gesichtspunkt des neuzeitlichen Infanterie-
kampfes, 4.1.1938, BArch, RH 53-7/v. 108, S. 3. Vgl. auch OKH/GenStdH/Ausb.Abt.
(Ib), Nr. 3100/43, Beispiel für Ausbildungsplan einer Divisions-Kampfschule, 8.9.1943,
BArch, RHD 18/376, S. 10: »Unschlüssigkeit ist der größte Fehler eines Soldaten!«
Brennecke wurde später als ChdGenSt H.Gr.Kdo. 6 (ab 1.11.1938), AOK 4 (ab 26.8.1939),
H.Gr. Nord (1.11.1940) verwendet und per 1.2.1942 zum K.G. Gen.Kdo. XXXXIII. AK
ernannt. Ab 15.6.1943 war er Kdr. der Lehrgänge für Höhere Truppenführung und
konnte dadurch das Führungsverständnis zukünftiger Divisionskommandeure und K.G.
prägen. Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 2, S. 261; Hackl,
Generalstab, S. 227.
340
So Kronberger, Es gibt Fälle, Sp. 250. Allerdings gab es auch Militärs, die auf die Vorteile
der Verteidigung hinwiesen, allen voran Clausewitz, der ihr einen hohen Stellenwert ein- !
räumte. Clausewitz, Vom Kriege, S. 633‑635. In der Zwischenkriegszeit sind v.a. Beck
und Wilhelm Ritter von Leeb zu nennen. Vgl. Groß, Das Dogma der Beweglichkeit,
S. 156‑159; Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 572‑574; Stachelbeck,
Militärische Effektivität, S. 355; Strohn, The German Army and the Defence.
86 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

»Nur wenn der einzelne Mann von diesem Geist erfüllt ist, kann die Truppe den
Sieg erringen341.«
Außerdem lässt sich im Appell an den Einzelnen, entschlossen zu handeln,
ein zentraler Gedanke im preußisch-deutschen Führungsdenken erkennen: Die
Auffassung, dass das Gelingen eines Unternehmens von jedem Einzelnen abhän-
ge. Dahinter stand die erwähnte Auffassung Moltkes d.Ä. von der Strategie als
einem System der Aushilfen bzw. der daraus abgeleiteten Bedeutung der Taktik.
Nach seiner Überzeugung konnte ein Gefecht oder Feldzug nur dann positiv ver-
laufen, wenn im Nebel des Krieges »die in jedem Moment sich anders gestal-
tende Situation« von den Entscheidungsträgern »mit richtigem Takt« beurteilt
und »danach das Einfachste und Natürlichste mit Festigkeit und Umsicht« getan !
wurde342. Dabei wurde den unteren Führern – letztlich sogar jedem einzelnen
Soldaten – eine entscheidende Funktion eingeräumt. Nur sie konnten vor Ort
die Lage überblicken, auf mögliche Chancen rasch reagieren und so den Verlauf
eines Gefechtes oder Feldzuges positiv beeinflussen. So war er überzeugt, »die !
Truppe selbst [fühle] am besten heraus, wann die Möglichkeit gegeben ist einen
Abschnitt des Schlachtfeldes nach vorwärts zu gewinnen«343. Der Gedanke, dass
es für das Gelingen einer militärischen Aktion auf jeden Einzelnen ankomme,
wurde im deutschen militärischen Führungsdenken stark betont344. So unterstri-
chen die grundlegenden Heeres-Ausbildungsvorschriften der Wehrmacht:
»Die Leere des Schlachtfeldes verlangt selbständig denkende und handelnde
Kämpfer, die jede Lage überlegt, entschlossen und kühn ausnutzen, von der
Überzeugung durchdrungen, dass es zum Gelingen auf jeden ankommt345.«
Diese Aussage betont den Wert des Einzelnen als wichtigen Entscheidungsträgers
und verdeutlicht dabei einmal mehr die enge Verknüpfung der einzelnen
Elemente – hier Selbstständigkeit und Entschlossenheit346. Die Betonung, »dass
es zum Gelingen auf jeden ankommt«, lässt zudem das preußisch-deutsche
Kriegsverständnis erkennen. Aufgrund der »Leere des Schlachtfeldes« und den
Friktionen des Krieges lag die Initiative des Handelns zwingend auf den unteren
Führungsebenen, da die obere Führung gar nicht zeitgerecht die Lage beurteilen
und Handlungsanweisungen erteilen konnte.

341
AVI 130/1, S. 7; AVA 200/1a, S. 11; AVPz 470/1, S. 9. Vgl. auch Der Angriff im
Stellungskrieg vom 1.1.1918, S. 37; AVI 130/V, S. 8; AVI 130/9, S. 14.
342
MMW, II/2: Verordnungen, S. 172. Ebenso: D.V.E. Nr. 53, S. 11.
343
Moltke war sich aber bewusst, dass sich eine solche Handlungsfreiheit für die unteren
Führer auch negativ auswirken konnte und es deshalb einer Lenkung von oben bedurfte,
siehe MMW, II/2: Verordnungen, S. 208.
344
Z.B. Der Angriff im Stellungskrieg vom 1.1.1918, Ergänzungen des Chef des Generalstabes
des Feldheeres vom 26.1.1918, unpag. Vgl. auch Stachelbeck, Militärische Effektivität,
S. 8, der »eine erstaunliche historische Kontinuität in der zentralen Bedeutung des qua-
litativen Elements im Faktor Mensch [...] als entscheidende Ursache für Kampfkraft«
beobachtet.
345
TF, S. 3. Ähnlich: AVI 130/1, S. 7; AVA 200/1a, S. 10; AVK 299/1, S. 6; AVPz. 470/1,
S. 8. Vgl. auch Merkblatt 25a/24, Anleitung für Unterführerausbildung der Infanterie im
Feldheer vom 27.10.1942, S. 5.
346
Vgl. auch Der Angriff im Stellungskrieg vom 1.1.1918, S. 44: »Entschlossenes, rück-
sichtsloses Draufgehen und Selbsttätigkeit jedes einzelnen Mannes bringen den Erfolg [...]
Zaudern führt zu Misserfolgen.«
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 87

Auch die Bereitschaft, bei unklarer Lage ins Ungewisse hinein zu handeln
und erst einmal zu sehen, wo sich der Erfolg einstellt, um dann an dieser Stelle !
mit Entschlossenheit weiter vorzugehen, ist nicht nur als Laune einzelner un-
gestümer Truppenführer abzuhandeln. Ludendorffs Äußerung im Vorfeld der
»Michael«-Offensive 1918 – »Das Wort ›Operation‹ verbitte ich mir. Wir hauen
ein Loch hinein. Das Weitere findet sich«347 – ist auch in diesem Zusammenhang
zu sehen348. Sie zeigt auf der einen Seite zwar deutlich die Grenzen des deutschen
operativen Denkens im Ersten Weltkrieg auf, gibt auf der anderen Seite aller-
dings lediglich einen Gedanken wieder, der sich seit Moltke d.Ä. bis 1945 im
preußisch-deutschen Führungsdenken manifestiert hat. Dieser Gedanke findet
sich beispielsweise auch in der TF:
»Ist die entscheidende Stelle nicht von vornherein zu erkennen, so muss der
Schwerpunkt ins Ungewisse gebildet und erforderlichenfalls nachher verlegt !
werden, oder er wird erst später gebildet. Tritt der Erfolg während des Angriffs
an einer anderen Stelle ein wie da, wo er erwartet oder beabsichtigt war, so ist
er entschlossen auszunutzen349.«
Deutlich lässt sich in dieser Aussage Moltkes Auffassung vom System der
Aushilfen erkennen. Die Forderung nach Flexibilität ergab sich als logische
Konsequenz aus der Auffassung, wonach sich im Krieg nicht für jeden Fall »allge-
meine Weisungen [...] geben lassen«, weshalb »die Führer [...] geübt sein [müss-
ten], ihre Anordnungen schnell und ohne Schwanken der jedesmaligen Lage
anzupassen«350. Die Fähigkeit, im Gefecht Anhaltspunkte und Hinweise richtig
bewerten und die »Gunst der Lage« entschlossen ausnutzen zu können, wurde !
deshalb als »Grundlag[e] für den Erfolg« betrachtet351. Dabei zeigt sich auch in
diesem Punkt, dass die Gefechtsart einen Einfluss auf das Gefechtsverhalten hatte.
So forderte »das Ortsgefecht [...] von jedem Unterführer und von jedem einzel-
nen Mann erhöhtes Verantwortungsbewusstsein, Tatkraft und Entschlossenheit
bei Ausnutzung gebotener Gelegenheiten«352. Allerdings war damit nie kopf-
loses Drauflosstürmen gemeint. Auch hier findet sich wieder ein notwendiges
Regulativ. Zwar steht in der preußisch-deutschen militärischen Führungstradition
der Mensch im Zentrum:

347
Zit. nach: Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 521.
348
Förster, Evolution, S. 20. Vgl. hierzu auch Groß, Mythos und Wirklichkeit, S. 134‑143.
349
TF, S. 123 f. Ähnlich: FuG, S. 9. Vgl. auch die AVI 130/II: »Im Bewegungskampf wird
der Einbruch der Kompanie selten einheitlich erfolgen. Es wird überall da gestürmt, wo
Aussicht auf Gelingen besteht.« AVI 130/II, S. 127.
350
ExReglInf 1906, S. 78. Dies galt speziell für die Schnellen Truppen, von denen aufgrund der
beweglichen Kampfführung mit häufigem Wechsel von Lage und Gelände »eine wendige
Führung« besonders gefordert wurde. AVPz 470/12, S. 42. Vgl. auch AVPz 470/10, S. 17.
Vgl. auch ObdH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 2800/41 g, Befehl für die Ausbildung des
Westheeres, 24.11.1941, BArch, FD 1236 N, S. 4 (Hervorhebung im Original), wo »größte
Beweglichkeit und Wendigkeit von Führung und Truppe als Vorbedingung für den Erfolg«
genannt werden. Bisherige Kriegserfahrungen hätten aber auch gezeigt, dass Infanterie und
Schnelle Truppen »gleich beweglich geführt werden müssen«.
351
AVI 130/9, S. 14; FuG, S. 8. Vgl. auch TF, S. 142 f.; Rendulic, Die Überraschung, BArch,
ZA 1/1641, S. 11.
352
AVI 130/9, S. 144. Ähnlich der Waldkampf, siehe z.B. FuG, S. 233. Einschränkend je-
doch TF, S. 226, wonach der Angriff gegen eine große und zur Verteidigung ausgebaute
Ortschaft »eines ins einzelne gehenden Angriffsplans« bedürfe.
88 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

»Der Krieg stellt an die Charakterstärke des Soldaten die größten Anforde-
rungen; die technischen Mittel unterstützen, der Mann selbst entscheidet den
Kampf353.«
Immer aber wurde betont, dass diese Leistungen »nur dann einheitlich und voll
zur Geltung [kommen könnten], wenn jeder Mann, getragen vom Vertrauen zum
Führer durch dessen Willen geleitet wird.« Die entscheidende Rolle des Faktors
Disziplin, der noch eingehend behandelt werden wird, deutet sich hier bereits an.

Offensivgeist und stetiger »Drang nach vorwärts«?354

Mit der Betonung der Entschlossenheit und der Clausewitz’schen »Zwecksetzung«


hing der Aspekt des Offensivgeistes eng zusammen355. Schon Moltke d.Ä. hat-
te in den Verordnungen von 1869 gefordert, dass die »Führer der einzelnen
Armeetheile [...] der alten Regel eingedenk bleiben [müssten,] stets in der Richtung
des Kanonendonners zu marschiren«356. Diese Aussage wurde später zwar stark rela-
tiviert357, der Vorwärtsdrang sollte im preußisch-deutschen Führungsdenken hin-
gegen bis in den Zweiten Weltkrieg seine Gültigkeit behalten und richtiggehend
verinnerlicht werden358. Ihre Klimax dürfte die Überbetonung des Offensivkultes
wohl mit der Forderung im Exerzierreglement von 1906 erreicht haben, wo-

353
AVI 130/I, S. 9; AVA 200/I, S. 5; AVN 421/I, S. 5. Dort auch das Folgende.
354
ExReglInf 1906, S. 96.
355
Bereits Altrichter hat festgehalten, dass die moralische Größe der Entschlossenheit nicht
automatisch »mit dem Entschluss zum Angriff um jeden Preis« gleichgesetzt werden kann.
Eine Unterscheidung beider Elemente ist also – trotz gewisser Gemeinsamkeiten – sinn-
voll. Altrichter, Der soldatische Führer, S. 31.
356
MMW, II/2: Verordnungen, S. 207 (Hervorhebung im Original). Wörtlich übernommen
in: D.V.E. Nr. 53, S. 17.
357
Moltke meinte einschränkend, dass vor dem Marsch auf den Kanonendonner überprüft
werden müsse, ob eine neue Lage bestünde und der eigene Auftrag deswegen veraltet sei. !
Er unterstrich aber, dass »in den allermeisten Fällen [...] die auf dem Schlachtfelde ge-
leistete Hülfe mehr werth [sei], als die Erfüllung des speziellen Auftrages«. MMW, II/2:
Verordnungen, S. 207 f. Die D.V.E. Nr. 53 übernahm diesen Satz und verwies auf die
»alte Regel«, betonte ihre Richtigkeit aber explizit »für die Führer kleinerer Verbände«.
Der »höhere Führer« habe hingegen »in jedem Falle ernstlich zu prüfen [...], ob dem gro-
ßen Zwecke – Vernichtung des Gegners – besser gedient wird durch den Marsch auf den !
Kanonendonner oder durch Fortsetzung des Marsches in einer Richtung, die vielleicht ein
Eingreifen gegen Flanke oder Rücken des Feindes ermöglicht«. D.V.E. Nr. 53, S. 17 f. In
der FuG wird der »Marsch nach dem Kanonendonner« nicht mehr als per se richtig be-
wertet, »vielmehr [sei] zu prüfen, ob nicht das Festhalten an den gegebenen Marschzielen
und Gefechtsaufträgen zu größerem Erfolge« führen würde. FuG, S. 12 f. Auch die TF
warnte davor, blindlings zur Unterstützung eines Nachbarn in ein Gefecht einzutreten.
Vielmehr sei »zu prüfen, ob ein Eingreifen in dieses Gefecht, falls dadurch vom Auftrag
und Marschziel abgewichen wird, nicht zum Verzicht auf größere Erfolge führt«. TF,
S. 152. Vgl. auch Manteys Kritik, wonach das Marschieren auf den Kanonendonner in den
Jahren nach 1871 zum Schlagwort und Dogma wurde. Mantey, Bedeutung und Folgen
von Hilferufen im Kriege, S. 406.
358
Guderian oder Rommel zeigen dies exemplarisch auf (siehe Kap. III.4.). Noch Ende 1941
findet sich im KTB der 1./IRGD der Eintrag: »Nach alter Kriegsregel marschieren wir auf
den Kanonendonner los.« 1./IRGD, KTB, BArch, RH 37/6332 (12.12.1941).
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 89

nach die Handlungen der Infanterie »von dem einen Gedanken beherrscht sein
[müssten]:»Vorwärts auf den Feind, koste es, was es wolle359!« Nach Citino lässt
sich im preußisch-deutschen Offizierkorps von Friedrich dem Großen bis 1945
geradezu eine Tradition des aggressiv-offensiven Handelns feststellen. Ihm ge-
mäß waren preußisch-deutsche Offiziere – Citino nennt Friedrich Wilhelm Frhr.
von Seydlitz, Gebhard Leberecht von Blücher, Prinz Friedrich Karl und Erwin
Rommel – häufig Männer, die nicht aus intellektuellen Überlegungen heraus han-
delten, sondern mit einer »bias *for action« agiert hätten360. Schon Hans Delbrück (Über-)Hang
hatte auf diese fast schon traditionell offensive Haltung des preußisch-deutschen
Offizierkorps verwiesen:
»Seit den Tagen Blüchers lebte in allen preußischen Generalen der Drang
nach vorwärts, der dem Geist der Strategie des Jahrhunderts entsprach und
durch den siebentägigen böhmischen Feldzug noch mächtig gesteigert wor-
den war361.«
Auch Ernst Jünger erkannte im »rücksichtslosen Willen zum Angriff« den Grund,
»dem wir von je unsere größten und schönsten Erfolge verdanken«362. Nach
Creveld wurde dieser Aspekt in der Folge sogar zum wichtigsten Grundsatz des
preußisch-deutschen Führungsdenkens363. Dabei verdeutlicht sich auch bei der
Analyse des Offensivdenkens die enge Verknüpfung einzelner Elemente. Der ab-
solute Offensivgeist fußte primär auf der Vorstellung des überlegenen moralischen
Werts der Truppen, er ist aber ebenfalls auf das Element der Entschlossenheit zu-
rückzuführen und muss schließlich auch im Zusammenhang mit den Elementen
der Selbstständigkeit und der Disziplin verstanden werden364. Zunächst gilt es !
jedoch zu beachten, dass die Überbetonung von Wille und Moral, die so gerne
mit dem furor teutonicus umschrieben wird, nicht grundsätzlich etwas spezifisch
Deutsches, sondern zeitweilig »eine gesamteuropäische Universalie« darstellte365. !
Die gesteigerte Feuerkraft neuer Waffen sowie die Furcht, zukünftige Kriege nur
noch mit einer langwierigen Ermattungsstrategie führen zu können, führten vor
1914 auch in anderen europäischen Streitkräften zu einer Überbetonung der be-
reits früher als siegesentscheidend eingeschätzten moralischen Faktoren366. Dies
galt z.B. für das französische Heer und dessen Exponenten wie Ferdinand Foch,
Louis Loiseau de Grandmaison oder Joseph Joffre, die durch die Betonung der
furia francese und der »offensive à outrance« ebenfalls erzwingen wollten, den

359
ExReglInf 1906, S. 81 (Hervorhebung im Original). Noch 1940 forderte die AVI 130/9
kategorisch: »Vorwärts und ran an den Feind!« AVI 130/9, S. 7 (Hervorhebung im Original).
360
Citino, The German Way of War, S. 139‑141. Im Kern ist Citino zuzustimmen, auch
wenn seine Behauptung nicht so allgemein formuliert werden darf. Frieser hat z.B. für
den Verlauf des Westfeldzuges 1940 aufgezeigt, dass Teile der Generalität sehr vorsichtig
agierten und gar nicht in Citinos Muster passen. Citino unterliegt hier dem Fehler, dass er
vier Generale auswählt, die aufgrund ihres Verhaltens als Extrembeispiele beurteilt werden
müssten, daraus aber allgemeine Schlüsse für das gesamte Offizierkorps zieht.
361
Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 39.
362
Jünger, Die Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, Sp. 53.
363
Creveld, Die deutsche Wehrmacht, S. 333.
364
Vgl. für das ExReglInf 1906: Raths, Vom Massensturm zur Stoßtrupptaktik, S. 30 f.
365
Storz, Kriegsbild und Rüstung, S. 16. Vgl. auch Howard, Men Against Fire, S. 510‑526.
366
Fiedler, Taktik und Strategie der Millionenheere, S. 53; Groß, Das Dogma der
Beweglichkeit, S. 146 f. Vgl. auch Stachelbeck, Militärische Effektivität, S. 50 f.
90 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Kampf auch unter den Bedingungen des modernen Krieges offensiv führen zu
können367. Schon die 1880 unter dem Titel »Études sur le combat« publizierte
Kriegslehre des im Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 gefallenen französi-
schen Obersten Charles Ardant du Picq hatte die Bedeutung der Moral hervorge-
hoben; sie beeinflusste auch das Denken französischer Offiziere, z.B. von Foch und
Grandmaison368. Ardant du Picq glaubte, dass weder militärisches Können noch
Mut, sondern die Angst das zentrale Element des Krieges bildete. Sein Interesse
fokussierte sich deshalb auf die moralischen und psychologischen Aspekte der
Schlacht, und dabei auf den Soldaten und seine moralische Verfassung, in der er
»l’instrument premier du combat« sah369. Die spätere einseitige Akzentuierung
der »offensive à outrance« – wie sie sich exemplarisch in Joffres Plan XVII von
1913 zeigte – gründete zweifelsohne auf Ardant du Picqs Vorstellung, wonach die
»action morale« begeisterter Truppen jederzeit die »action destructive« unbeseel-
ter, geistloser Waffen überwinden konnte370.
Die deutschen Militärs dachten nicht prinzipiell anders, übertrafen ihre fran-
zösischen Antagonisten allerdings um einiges. Ein Grund lag sicher darin, dass sich
das deutsche Heer zwischen 1871 und 1914 im internationalen Rüstungswettlauf
zunehmend überflügeln lassen musste. Angesichts dessen flüchtete sich das
deutsche Militär in die Auffassung, dass die Qualität des deutschen Heeres die
quantitative Überlegenheit des französischen wettmachen würde371. Nach deut-
scher Ansicht hatte dies gerade die zweite Phase des Krieges 1870/71 gegen die
französische Republik und das Volksheer Léon Gambettas gezeigt372. Außerdem
versteifte man sich auf den Glauben, mit operativer Manöverkunst auch künfti-
ge Kriege gewinnen zu können. Als Folge dieser Sichtweise konzentrierten sich
Ausbildung und Erziehung v.a. auf die Pflege eines verklärten Offensivgeistes und
der Selbstständigkeit der Truppenführer373. Nach MacGregor Knox hat das preu-

367
Storz, Kriegsbild und Rüstung, S. 216, 225‑231, 371; Fiedler, Taktik und Strategie der
Millionenheere, S. 104, 148. Vgl. auch Heuser, Clausewitz lesen!, S. 121‑126; Frieser,
Blitzkrieg-Legende, S. 98.
368
Wallach, Kriegstheorien, S. 140, 148. Vgl. auch Gat, The Development of Military
Thought, S. 28‑41, 134‑172.
369
Ardant du Picq, Études sur le combat, S. 3 (Zitat), 80.
370
Ebd., S. 65 f., 77‑83; Gat, The Development of Military Thought, S. 41; Wawro, The
Franco-Prussian War, S. 174.
371
D.V.E. Nr. 53, S. 16 f.: »Es ist weder darauf zu rechnen, dass wir in einem künftigen Kriege
mit zahlenmäßiger Überlegenheit, noch besser ausgerüstet als unsere Gegner ins Feld treten
können. Nur überlegene Führung und die Güte der Truppe können uns den Sieg bringen.«
Eine Vorstellung, die sich nicht nur auf die Phase vor 1914 beschränkte. Vgl. z.B. FuG,
S. 233 oder TF, S. 3.
372
Dabei wurde ausgeblendet, dass die Fortsetzung des Krieges auf französischer Seite als na-
tionaler Widerstand die deutsche Heeresleitung völlig irritiert hatte. Konsequenzen für
eine zukünftige Kriegführung wurden jedoch keine gezogen. Vgl. Regling, Grundzüge der
Landkriegführung, S. 422 f.; Groß, Mythos und Wirklichkeit, S. 58.
373
Fiedler, Taktik und Strategie der Millionenheere, S. 147. Vgl. auch Denkschrift Oberst
Thorbeck, Erfahrungen und Lehren des Weltkrieges 1914 bis 1918 auf waffentechni-
schem und taktischem Gebiet, BArch, RH 12-2/94, S. 4, wo kritisiert wird, dass in der
Ausbildung vor 1914 alle Aufgaben, auch solche, die besser defensiv gelöst worden wä-
ren, »in der deutschen Armee fast ausschließlich offensiv gelöst« worden seien. Das habe
zum bekannten »Durchgehen der Truppe nach vorne« geführt, z.B. bei Übungen mit dem
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 91

ßische Militär vor 1914 mit »einer Inbrunst« nach der Offensive gerufen, die ih-
resgleichen suchte374. Dies ging so weit, dass das Streben nach Offensive zu einem
Wettbewerb entartete. So forderte wiederum das Exerzierreglement von 1906:
»Unausgesetzter Drang nach vorwärts und das Bestreben, es dem Nachbar
hierin zuvorzutun, muss alle Teile der Angriffstruppe beseelen375.«
Bekannte zeitgenössische Militärpublizisten wie Freytag-Loringhoven sahen dar-
in eine Rückbesinnung auf friderizianischen Angriffsgeist, was durchaus positiv
gemeint war376. Unzweifelhaft führte diese Entwicklung zu der zynischen, men-
schenverachtenden Einstellung, der im Krieg 1914‑1918 letztlich Millionen
von Soldaten zum Opfer fallen sollten und die sich exemplarisch in folgender
Textstelle zeigt:
»Heute, in der Zeit der Massenheere und der seltenen Kriege sollten, so scheint
es wohl, Menschenopfer gering geachtet werden, heute sollte der Grundton
der Kriegserziehung sein: Sieg um jeden Preis, womit er erkauft wird, das ist
Nebensache! [...] Darum Ehre dem Schneid, darum pflege man ihn, darum
anerkenne man ihn, man wird mit ihm stets Etwas anzufangen wissen! [...]
Bei dem raschen, plötzlichen, heftigen Aufeinanderprallen der Massen im
modernen Kriege wird wohl vor Allem der im Vortheil sein, der kühner und
unbekümmerter ist377.«
Auf deutscher Seite darf dies nicht nur als Konzession an das von Imperialismus
und Sozialdarwinismus geprägte »willensbetont[e] Zeitalter« betrachtet werden378.
Zweifellos war die Flucht in die Moral geprägt von der Hoffnung, angesichts der
schieren Vernichtungskraft moderner Waffen das Gefecht mit Hilfe des morali-
schen Aspektes weiterhin beweglich führen zu können. Vergleicht man jedoch die
preußisch-deutschen Führungs- und Ausbildungsvorschriften, so zeigt sich, dass
die Betonung des Offensivgeistes nicht nur dem Zeitgeist vor 1914 und seiner
Verabsolutierung des Willens als stärkste Kraft geschuldet war. Es handelt sich
bei diesem Element ebenfalls um eine Konstante, die sich von den Moltke’schen
Vorschriften bis zu den Heeresvorschriften der Wehrmacht durchzog. So hatte
Moltke d.Ä. in den Verordnungen von 1869 gepriesen:
»Die Vortheile der Offensive sind genugsam anerkannt. Wir schreiben da-
durch dem Gegner das Gesetz seines Handelns vor, er muss seine Maßnahmen
den unserigen anbequemen, muss Mittel suchen ihnen zu widerstehen. [...]
Die Offensive weiß im voraus, was sie will; die Defensive schwebt in der
Ungewissheit, kann aber die Absichten des Gegners errathen379.«

Begegnungsgefecht, wo »nur der Aussicht [hatte,] bei der Kritik gut abzuschneiden, der
blindlings angriff. Wer am raschesten lief, hatte das Spiel meist gewonnen« (Hervorhebung
durch den Verfasser).
374
Knox, Erster Weltkrieg und Military Culture, S. 293. Vgl. auch Stachelbeck, Militärische
Effektivität, S. 56, 61.
375
ExReglInf 1906, S. 96 (Hervorhebung im Original). Vgl. auch MMW, II/2: Verordnungen,
S. 208; Der Angriff im Stellungskrieg vom 1.1.1918, S. 46; FuG, S. 31; AVI 130/2, S. 129,
sowie die Beispiele bei Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung, S. 6‑8.
376
Freytag-Loringhoven, Die Exerzier-Reglements für die Infanterie, S. 40.
377
Carl Frhr. von Binder-Krieglstein, Zur Psychologie des großen Krieges, Bd 3, S. 54, zit.
nach: Storz, Kriegsbild und Rüstung, S. 333.
378
Ebd.
379
MMW, II/2: Verordnungen, S. 208.
92 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Der eigentliche Wert der Offensive liegt also für Moltke darin, selbstbestimmt
agieren zu können und nicht reagieren zu müssen380. In der Aussage ging es
ihm folglich nicht um den erwähnten absoluten Offensivgeist, der auf überle-
gener Kampfmoral und übersteigerter Willenskraft fußte, sondern wieder um
den moralischen Faktor der Entschlossenheit. Auch Schlieffen äußerte sich in
diesem Sinne, wenn er festhielt, »dass der Feind, durch die Plötzlichkeit des
Angriffs überrascht, mehr oder weniger in Verwirrung gerät und seine übereilten
Entschlüsse durch die Hast der Ausführung verdirbt«381. Die beiden Elemente
des Offensivgeistes und der Entschlossenheit sind zwar nicht völlig deckungs-
gleich, aber doch wesentlich miteinander verknüpft. Beide hängen eng mit dem
preußisch-deutschen Kriegsverständnis und der starken Betonung des dezisi-
onistischen Handelns zusammen. Dies verdeutlicht sich auch, wenn man die
Passage der Verordnungen mit der entsprechenden in der D.V.E. Nr. 53 ver-
gleicht. Wie erwähnt stellte Letztere über weite Teile bloß eine sprachlich re-
digierte Fassung der Verordnungen von 1869 dar, die inhaltlich keine wesent-
lichen Neuerungen brachte. Sie erwähnte ebenfalls die Vorteile der Offensive,
weil sie die Handlungsfreiheit des Gegners einschränkte. Hinzu kam nun aller-
dings die Betonung, dass die Offensive »alle moralischen Faktoren« besitze, des-
halb »das einzige Mittel zur wirklichen Niederkämpfung des Feindes« sei und
somit »der Glaube an die gewaltige moralische Überlegenheit des Angriffs, die
richtige Erkenntnis der Bedeutung der Feuerwaffen auch für den Angreifer und
der Wille zum Siege [...] die Schwierigkeiten überwinden und den Erfolg er-
ringen helfen« werden382. Die Betonung der Willenskraft und des moralischen
Wertes findet sich auch in anderen Vorschriften dieser Zeit, allen voran im er-
wähnten Exerzierreglement von 1906383. Bereits das Exerzierreglement von
1888 hatte konstatiert, dass »ein wirklich mit aller Entschiedenheit bis an den
Feind herangetragener Angriff stets gelingen« werde384. Auch die Vorschrift »Der
Angriff im Stellungskrieg« betonte den »frischen Angriffsgeist« und den »Willen
zum Sieg« als Garant für den Erfolg, während die Vorschrift »Abwehrschlacht
im Stellungskrieg« von der »Energie des Wollens« sprach385. Entsprechend stark
wurde der Angriffsgeist auch umsorgt und gepflegt.

380
Die bei Heuser, Clausewitz Lesen!, S. 116‑121, untersuchte Frage, ob Moltke dabei der
Offensive vor der Defensive den Vorrang gab und nicht mit Clausewitz übereinstimmte,
der in der Verteidigung die stärkere Gefechtsart sah, wird unter diesem Gesichtspunkt
sekundär. Entscheidend für Moltke blieb eben, ob der Gegner zum Handeln gezwungen
werden konnte, was auch durch taktisch defensives Vorgehen geschehen konnte: »Einer !
geschickten Heeresleitung wird es in vielen Fällen gelingen, Defensivstellungen zu wählen
von strategisch so offensiver Natur, dass der Gegner genötigt ist, uns dort anzugreifen, und
erst, wenn Verlust, Erschütterung und Ermattung ihn erschöpft haben, werden wir auch
die taktische Offensive ergreifen. Es vereint sich demnach die strategische Offensive sehr
wohl mit der taktischen Verteidigung.« MMW, IV/3, S. 142.
381
Zit. nach: Groener, Das Testament, S. 243.
382
D.V.E. Nr. 53, S. 22 f.
383
ExReglInf 1906, S. 81, 96.
384
ExReglInf 1888, S. 110.
385
Der Angriff im Stellungskrieg vom 1.1.1918, S. 5. Grundsätze für die Führung in der
Abwehrschlacht im Stellungskriege, Neudruck 1.3.1917, S. 26. Vgl. auch AVF 1918, S. 9.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 93

Tatsächlich dominierte der »Imperativ der Offensive« das taktische Denken


des deutschen Militärs auch nach 1918386. Dabei wurde von Offizieren und
Truppe zwar nach wie vor »geistige Überlegenheit«, »Kampfgeist«, »Wille« und
somit letztlich »(Kampf-)Moral« gefordert387. Damit waren aber in erster Linie die
weiter oben behandelten militärischen Tugenden und Persönlichkeitsmerkmale
angesprochen, die letztlich die Charakterstärke einer Person – ihren »Geist« – be-
wirkten388. Eine rein voluntaristisch verstandene moralische Willenskraft als mili-
tärische Handlungsnorm, wie sie etwa vor 1914 bestanden hatte, war damit nur
noch vereinzelt gemeint389. Aufschlussreich ist es deshalb, unter diesem Aspekt
nochmals auf die militärischen Kriterien zurückzukommen. Zentral blieb bei-
spielsweise der bereits erwähnte Gedanke, den Gegner durch das eigene Handeln
zu einer bestimmten (Re-)Aktion zu zwingen, ergänzt wurde dieser durch die
Vorstellung, dass die eigene Stärke sich erst im Angriff ganz auswirken konnte390.
Dies war eine deutliche Konzession an das weiter oben erwähnte deutsche strate-
gische Unterlegenheitsdenken und den Glauben an die Überlegenheit schnell und
beweglich geführter Operationen. Generalmajor Georg von Sodenstern trat des-
halb vehement für die Rückbesinnung auf das »rücksichtslose Draufgängertum«
der alten Armee vor 1914 ein:
»Im Begegnungsgefecht – wie im Bewegungskrieg überhaupt – ist der Angriffs-
erfolg eine Frage der Taktik und der Kampfmoral. Taktik heißt hier: schnell !
handeln, Kampfmoral: den Tod verachten391!«
Im »erste[n] Ansatz zum Angriff« sah Sodenstern dabei »nichts anderes, als die
Fortsetzung der Gefechtsaufklärung«, wobei es nur darauf ankomme, »forsch zu-
zupacken, um die Lage zu klären«392. Auch die D.V.E. Nr. 53 hatte eingeschärft,
bei Aussicht auf Erfolg keine sich bietende Möglichkeit zum Angriff auszulas-
sen393. Die Vorschrift »Der Angriff im Stellungskrieg« brachte es zudem auf den
Punkt, weshalb so unbedingt vorgestoßen werden sollte:

386
In der Zwischenkriegszeit gab es zwischenzeitlich zwar eine Art Rückbesinnung auf die
Gefechtsarten Verteidigung und hinhaltendes Gefecht, allerdings ohne Auswirkungen auf
die Führungsdoktrin und ihre Grundsätze. Groß, Das Dogma der Beweglichkeit, S. 144,
153‑164; Hürter, Hitlers Heerführer, S. 118; Strohn, The German Army and the Defence.
387
Hansen, Betrachtungen über Führerauslese. In: Soldatentum, 1936/6, S. 285, zit. nach:
Flemming, »Willenspotentiale«, S. 111.
388
Vgl. z.B. Vorbemerkung zum Sammelheft: H.Dv. 89. Die ständige Front, 13.10.1939,
BArch, RH 2/3232.
389
Es ist bezeichnend, dass in den Vorschriften besonders in der Verteidigung Gewicht auf
den »unerschütterliche[n] Wille[n] zum Halten der Stellung« und auf »die Kraft zum
Ausharren« gelegt wurde. AVI 130/9, S. 15.
390
Z.B. FuG, S. 9. Vgl. auch D.V.E. Nr. 53, S. 16 f.; AVF 1918, S. 9; AVI 130/I, S. 18;
AVA 200/I, S. 14; AVN 421/I, S. 14; TF, S. 3; AVI 130/1, S. 7; AVA 200/1a, S. 11;
AVPz 470/1, S. 9; AVPz 470/10, S. 5.
391
Sodenstern, Gedanken zur Neugliederung der Infanterie. 20.3.1938 [richtig: 1939],
BArch, ZA 1/2785, S. 19 f. Sodenstern war zu diesem Zeitpunkt ChdGenSt H.Gr.Kdo. 2.
Später wurde er als ChdGenSt bei der H.Gr. C (ab 26.8.1939), der H.Gr. A (ab 1.2.1940)
bzw. Süd (nach der Umbenennung) verwendet und per 18.3.1943 zum OB der 19. Armee
ernannt.
392
Ebd., S. 14.
393
D.V.E. Nr. 53, S. 37.
94 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

»Schnelles Zufassen sichert oft Erfolge, die sonst erst nach erneuter
Vorbereitung gewonnen werden. Der Drang der Truppe nach vorwärts darf da­ !
her nicht zu stark gezügelt werden. Besonders bei weitreichendem Durchbruch
ist der kühnste Entschluss allemal der beste394.«
Neben dieser allgemeinen Offensivausrichtung beinhaltete die volle Ausnutzung
der Angriffskraft auch den Grundsatz, im Zuge eines Erfolges nachzustoßen. !
Dadurch sollte verhindert werden, dass nach einer Fühlungnahme ein geschlage-
ner oder zumindest geschwächter Gegner sich zurückziehen und neu organisieren
konnte. Unter allen Umständen sollte ein weichender Gegner verfolgt und ein
sich »anbahnende[r] Erfolg rücksichtslos« ausgebeutet werden395. So forderte die
AVI 130/II:
»Der Feind ist überall da, wo er besonders günstige Ziele bietet, durch Feuer
zu vernichten; schärfstes Nachdrängen muss damit Hand in Hand gehen und !
darf den Gegner nicht zur Ruhe kommen lassen396.«
Ein solches Denken war nicht grundsätzlich neu. Schon Moltke d.Ä. hatte her-
vorgehoben, dass »die Früchte des Sieges [...] erst durch die Ausnutzung in der
Verfolgung zur vollen Reife gebracht« werden könnten397.
Der Vorwärtsdrang blieb das bestimmende Element der Führungsdoktrin
und wurde etwa bei der Auswertung des Westfeldzuges von 1940 als eines der
entscheidenden Elemente betrachtet, weshalb auf französischer Seite nach dem
Maasdurchbruch keine neuerliche Abwehrfront aufgebaut werden konnte398.
Diese Akzentuierung des Offensivgeistes machte sich auch in der Ausbildung be-
merkbar. Dabei stellte besonders die Gratwanderung zwischen der Einheitlichkeit
einer Handlung auf der einen Seite und dem Vorwärtsdrängen der Truppe auf
der anderen die größte Herausforderung dar. In einem Ausbildungserlass der
11. Armee (Schobert) vom März 1941 wird dies deutlich erkennbar. So sollten in
Gefechtsübungen »Leute, die in ihrem Drang nach vorwärts zu weit gegangen sind,
[zwar] mit einer dem Manne einleuchtenden und seine Tapferkeit anerkennenden
Entscheidung außer Gefecht gesetzt werden«399. Die Truppenschiedsrichter hat-
ten diese letztlich erzieherischen Maßnahmen aber mit einer gewissen Sensibilität
durchzuführen. Unter allen Umständen galt es nach Meinung Schoberts zu ver-
meiden, dass bei der Truppe der Eindruck entstehen könnte, sie hätten grundsätz-
lich falsch gehandelt, weil dadurch »Schwung und Tatkraft der Truppe und des
Einzelnen gelähmt« werden würde.
Im Zuge der fortlaufenden Heeresmotorisierung verstärkte sich die Betonung
des Vorwärtsdranges noch, galt es doch erst recht, die Vorteile der Schnelligkeit

394
Der Angriff im Stellungskrieg vom 1.1.1918, S. 46 (Hervorhebung im Original).
395
D 645, S. 14.
396
AVI 130/II, S. 129. Auch die AVI 130/9 forderte, den weichenden Gegner »ohne Rücksicht
auf Anstrengungen und die Nachbarn [...] bis zu seiner völligen Auflösung zu verfolgen«
und »nicht zur Ruhe kommen« zu lassen. AVI 130/9, S. 15. Vgl. auch AVI 130/2b, S. 26;
H.Dv.g. 80, S. 30; H.Dv. 299/11b, S. 14, 42; H.Dv. 299/11d, S. 40; AVPz 470/10, S. 27.
397
MMW, II/2: Verordnungen, S. 173.
398
OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 2400/40 g, Taktische Erfahrungen im Westfeldzug,
20.11.1940, BArch, RH 19 III/152, S. 2.
399
Der OB der 11. Armee/Ia, Nr. 572/41 geheim, 3.3.1941, BArch, RH 27-3/17, S. 2. Dort
auch das Folgende.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 95

und Beweglichkeit motorisierter und gepanzerter Verbände auszunutzen400. Dies


war nicht nur für einen weichenden, sondern auch für einen noch nicht ab-
wehrbereiten Gegner zutreffend, der durch »schnelles, überfallartiges Zufassen
ohne zeitraubende Vorbereitungen, aus der Bewegung heraus« angegriffen
werden sollte401. Es wurde erkannt, dass in einem künftigen, motorisiert ge-
führten Bewegungskrieg den Faktoren Schnelligkeit und Überraschung eine
noch viel entscheidendere Bedeutung zukommen werden würde als dies bereits
der Fall gewesen war402. Diese Erkenntnis galt nicht nur für motorisierte oder
Panzerdivisionen, sondern auch für Infanteriedivisionen. So erwähnte z.B. die
27. Infanteriedivision in einem Erfahrungsbericht nach dem Polenfeldzug 1939,
dass »das konsequente Vorwärtsführen der Truppe auf das operative Ziel«, das sich
daraus ergebende »Tempo des Vormarsches« und das Vorstoßen mit »beiderseits
tiefe[n] offene[n] Flanken« charakteristisch für die Führung und den Einsatz der
Division gewesen seien403. Aus diesem »Evangelium der Beweglichkeit« (Liddell
Hart) ergab sich die Überzeugung, dass »sofortiger Angriff [...] meist die beste
Lösung« sei404. Erst recht ausschlaggebend für den Erfolg wurden deshalb »ge-
schicktes Erfassen günstiger Gelegenheiten, Wagemut und entschlusskräftiges !
Handeln«405, kurz die Selbstständigkeit und Initiative der Unterführer.

Die Selbstständigkeit der Unterführer –


»eine etwas zweischneidige Sache«406

Wie Raths und Leistenschneider schon festhielten, stellt die Selbstständigkeit


ein zentrales Element im preußisch-deutschen Führungsdenken dar407. Manstein
hielt in seinen Erinnerungen sogar apodiktisch fest:
»Die in keiner anderen Armee in gleichem Maße gepflegte Selbständigkeit der
Führer bis zum Unterführer und bis zum Einzelkämpfer der Infanterie herab
barg das Geheimnis des Erfolges408.«

400
AVI 130/9b, S. 11; D 77+, S. 26; D 80+, S. 8; D 66+, S. 12 f. 42; H.Dv.g. 80, S. 10;
H.Dv. 299/11b, S. 16 f.; H.Dv. 299/11d, S. 28, 30; AVPz 470/10, S. 16; Vorläufige
Richtlinien für Führung und Kampf einer Panzer-Brigade, unpag. [S. 2].
401
D 76, S. 17. Vgl. auch AVPz 470/7, S. 63; D 645, S. 26.
402
Vgl. Taysen, Taktik der verbundenen Waffen, S. 693.
403
27. ID/Ia, Nr. 75/F/39 g., Erfahrungsbericht der 27. Division, 25.10.1939, BArch,
RH 53-7/v. 206 (Hervorhebung im Original).
404
Liddell Hart, Jetzt dürfen sie reden, S. 31; Merkblatt 47a/29 für Ausbildung und Einsatz
der schweren Panzerkompanie Tiger vom 20.5.1943, S. 11. Vgl. auch AVI 130/V, S. 8;
FuG, S. 18; TF, S. 17; AVI 130/9b, S. 13; H.Dv. 299/11b, S. 19.
405
D 76, S. 17. Vgl. auch H.Dv. 299/11b, S. 16.
406
Müller-Loebnitz, Führerwille und Selbständigkeit, Sp. 1355.
407
In den Quellen wird zwischen Selbstständigkeit, Selbsttätigkeit oder (Eigen-)Initiative un-
terschieden. Während unter Selbstständigkeit streng genommen der Freiraum zu verstehen !
ist, in dem ein Unterführer handeln konnte, meinten die beiden anderen Begriffe das ei-
gentliche Handeln des Unterführers. Die Begriffe wurden allerdings selbst in zeitgenössi-
schen Dokumenten häufig synonym und nicht streng semantisch getrennt benutzt. Im
Folgenden übernehme ich jeweils die Begriffe, wie sie in den Quellen vorkommen, spreche
der Einfachheit halber ansonsten aber von Selbstständigkeit.
408
Manstein, Verlorene Siege, S. 57.
96 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Auch für das Führungsprinzip der Auftragstaktik war die Selbstständigkeit der
Unterführer ein entscheidendes Element. Gleichzeitig bildet sie aber auch dasje-
nige Element der Auftragstaktik, das am umstrittensten diskutiert wurde, schien
sie doch zumindest vordergründig die »Antithese militärischer Disziplin und !
Unterordnung« darzustellen409. Wilhelm Müller-Loebnitz bemerkte denn auch,
dass »der Widerstreit zwischen Führerwillen und Selbständigkeit der Unterführer
!!
[...] fast so alt wie der Krieg selbst« sei410. Die divergierenden Meinungen mach-
ten es bereits für Zeitgenossen schwierig, das Element der Selbstständigkeit rich-
tig zu erfassen. Theobald von Schäfer bekannte im halbamtlichen Handbuch der
neuzeitlichen Wehrwissenschaften: »Inwieweit der Feldherr seinen Unterführern
Selbständigkeit lassen darf, ist eine umstrittene Frage411.« Auch Weniger stellte
diesbezüglich fest:
»Die Frage nach den Abgrenzungen einer willensstarken obersten Führung ge-
genüber dem Selbständigkeitsbedürfnis verantwortungsfreudiger Unterführer
gehört zu den schwierigsten Aufgaben, die einer Kriegslehre gestellt sind412.«
In der letzten erschienenen Ausgabe der vom OKW herausgegebenen Militär­
wissenschaftlichen Rundschau nahm Weniger 1944 diese Frage auf, weil sie sich
auch im laufenden Krieg immer wieder gestellt habe; und »um der Erziehung
des Führernachwuchses tiefere Einsichten in das gesamte Fragengebiet zu
vermitteln«413. Dies verdeutlicht zum einen, dass die Frage der richtigen
Abgrenzung der Selbstständigkeit der Unterführer nicht nur in der erwähnten
Kontroverse zwischen »Normaltaktikern« und »Auftragstaktikern« in den 1890er
Jahren stark umstritten war, sondern noch bis zum Zweiten Weltkrieg Aktualität
besaß – in der Zwischenkriegszeit bot die Frage um das richtige Verhältnis von
Freiheit und Unterordnung z.B. eine breite Plattform für Kontroversen (siehe
Kap. III.2.d). Zum anderen lässt dies auch die in der Forschung häufig anzutref-
fende Behauptung anzweifeln, dass Hitlers Haltebefehle von Dezember 1941 die
Selbstständigkeit der Unterführer beendet hätten414.
Nach Raths hat die Selbstständigkeit zwischen 1906 und 1918 auf allen
Führungsebenen an Gewicht zugenommen, weshalb er in ihr die »dominante
Erscheinung« in den Vorschriften sieht. In diesem Kapitel wurde bereits ver-
mehrt darauf hingewiesen, dass sich die Elemente des preußisch-deutschen
Führungsdenkens kaum gesondert betrachten lassen. Ein Sachverhalt, dem auch

409
Woide, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 2.
410
Müller-Loebnitz, Führerwille und Selbständigkeit, Sp. 1353. Müller-Loebnitz war ehe-
maliger Generalstabsoffizier und Ober-Archivrat des Reichsarchivs. Die scharfe Kritik des
Reichsarchivwerks zur Rolle des jüngeren Moltke in der Marneschlacht 1914 war maßgeb-
lich auf ihn zurückzuführen. Pöhlmann, Von Versailles nach Armageddon, S. 336.
411
Schäfer, Feldherr und Feldherrntum, S. 72.
412
Weniger, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 101.
413
Ebd. Die 1936 erstmals erschienene MWR war das offizielle Organ und »Diskussionsforum«
des GenStdH. In ihren Ausgaben wurde oft der »Stand der zeitgenössischen Diskussion
zu grundlegenden strategischen, militärgeschichtlichen und militärfachlichen Themen
amtlicherseits« thematisiert, weshalb Pöhlmann ihr »doktrinbildend[en]« Charakter at-
testiert. Pöhlmann, Von Versailles nach Armageddon, S. 328; Stein, Zur Geschichte der
Gefechtsarten, S. 144.
414
Z.B. Stein, Zur Geschichte der Gefechtsarten, S. 152; DRWK, Bd 4, S. 618 (Beitrag Klink
[u.a.]).
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 97

Raths implizit zustimmt, wenn er – die AVF von 1918 beschreibend – festhält,
dass »die Fähigkeit zum selbständigen Denken und Handeln, verbunden mit
ausgeprägter Entschlusskraft, [...] zum zentralen Lehrinhalt geworden« war. Der
von Raths erkannten Dichotomie von Moral und Disziplin auf der einen und
Selbstständigkeit auf der anderen Seite kann deshalb nicht vorbehaltlos zuge-
stimmt werden415. Wie für die erwähnten moralischen Faktoren sowie für die
unten noch zu behandelnde Disziplin war auch für die Selbstständigkeit das
Zusammenwirken mit den anderen Elementen entscheidend, wenngleich der
Selbstständigkeit eine sicherlich gewichtige Rolle zugestanden werden muss.
Ihnen allen lag der friktionale Charakter des Krieges zugrunde. Dies verdeutlicht
der bereits früher zitierte Auszug aus der TF, wonach »die Leere des Schlachtfeldes
[...] selbständig denkende und handelnde Kämpfer [verlangt], die jede Lage über-
legt, entschlossen und kühn ausnutzen, von der Überzeugung durchdrungen,
dass es zum Gelingen auf jeden ankommt«416. Aus der gleichen Überzeugung
heraus hatte bereits Moltke d.Ä. formuliert:
»Vielfach sind die Situationen, in welchen der Offizier nach eigener Einsicht
handeln muss. Es würde sehr verkehrt sein, wollte er auf Befehle warten in
Momenten, wo oftmals keine Befehle gegeben werden können; aber am er-
sprießlichsten für das Ganze ist in der Regel sein Wirken da, wo er den Willen !
seines Vorgesetzten vollzieht.
Dafür endlich, dass dieser Wille überall zur Ausführung gelange, bürgt die !
Disziplin der Truppen417.«
Moltkes Kriegsauffassung und seine Vorstellung von der Strategie als System
von Aushilfen wird in diesen Worten in aller Deutlichkeit zum Vorschein ge-
bracht. Aufgrund der Unvorhersehbarkeit des Krieges und der Komplexität der
Führung moderner Massenheere musste die Initiative des Handelns notwendig
auf die unteren Führungsebenen verlegt werden418. Ein wesentlicher Punkt, um
die operative Truppenführung zu verbessern, lag nach Moltke d.Ä. deshalb dar-
in, dass den oberen Führern, d.h. in erster Linie Armeeoberbefehlshabern und
teils auch Kommandierenden Generalen, eine größere Selbstständigkeit in der
Truppenführung zugebilligt wurde. Da nämlich im Krieg »niemals zwei Fälle ganz
gleich sind, reichen bloß eingeübte Formen ohnehin nicht aus«419. Auch wäre
es nicht sinnvoll, erst Befehle abzuwarten, da »Anordnungen von rückwärts [...]
leicht durch die Handlung überholt« seien und dadurch der richtige und zeitge-
rechte Einsatz verpasst werden würde420. Deshalb musste es – so Moltke – »vielfach

415
Raths, Vom Massensturm zur Stoßtrupptaktik, S. 69, 185, 209.
416
TF, S. 3. Ähnlich: AVI 130/1, S. 7; AVA 200/1a, S. 10; AVK 299/1, S. 6; AVPz 470/1,
S. 8. Vgl. auch Merkblatt 25a/24, Anleitung für Unterführerausbildung der Infanterie im
Feldheer vom 27.10.1942, S. 5.
417
MMW, II/2: Verordnungen, S. 174 (Hervorhebung im Original).
418
Vgl. ExReglInf 1888, S. 94; FO 1908, S. 14; D.V.E. Nr. 53, S. 14. Auch Manstein sah die
Überlegenheit des »deutsche[n] Verfahren[s]« gegenüber dem anderer Armeen »in der küh-
nen Ausnützung einer sich vielleicht darbietenden günstigen Lage, eines entscheidenden
Augenblicks durch einen selbständig handelnden Unterführer«. Manstein, Verlorene Siege,
S. 414.
419
MMW, II/2: Verordnungen, S. 198.
420
ExReglInf 1888, S. 126 f.
98 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

[...] den Unterführern überlassen bleiben nach eigener Einsicht zu handeln«421.


Nur so könnte die eigene Handlungsfreiheit gewahrt bleiben und rasch auf die
häufig wechselnden Lagen reagiert werden. Das Element der Selbstständigkeit
enthielt dabei ebenfalls einen stark dezisionistischen Gesichtspunkt, da es in den
»zweifelhaften Fällen« und »unklaren Verhältnissen, wie sie im Krieg so oft be-
stehen«, besser sei, »aktiv zu verfahren und sich selbst die Initiative zu erhalten,
als das Gesetz vom Gegner zu erwarten«422. In gleichem Sinne und direkt auf
Moltke d.Ä. hinweisend hieß es in einem 1943 vom Generalstab des Heeres ver-
teilten Ausbildungsplan für Divisionskampfschulen:
»Ein Soldat muss sich immer zu helfen wissen, denn der Krieg ist ein ›System
der Aushilfen‹. Die Überlegenheit des deutschen Infanteristen beruht auf
seiner Selbständigkeit und Entschlossenheit. Das gilt für Unterführer und
Mann423.«
Das Element der Selbstständigkeit darf folglich nicht gesondert vom weiter oben
unter dem Aspekt der Entschlossenheit behandelten Kernsatz betrachtet werden,
wonach Unterlassen schlimmer sei als ein Fehlgreifen in der Wahl der Mittel. Sie
stellt vielmehr eine direkte Konsequenz aus der Forderung nach entschlossenem,
tatkräftigem Handeln dar. Dafür spricht nicht nur, dass beide Textstellen in den
Vorschriften direkt aufeinander folgen. Auch inhaltlich zeigt sich eine deutliche
Kausalität auf. Die unter dem dezisionistischen Aspekt subsumierten moralischen
Faktoren Entschlossenheit, Tatkraft, Kühnheit oder Verantwortungsfreude er-
möglichten erst selbstständiges Handeln, weshalb es ohne sie auch kein selbststän-
diges Handeln geben konnte424. Diesen Schluss belegen Aussagen in Vorschriften,
die etwa für angehende Truppenführer die »sorgsame, planmäßige Durchbildung
insbesondere auf Verantwortungsfreudigkeit und Entschlusskraft zu selbständi-
gem Handeln« (AVF) ins Zentrum stellten oder forderten, »den Soldaten zum
entschlossenen Kämpfer heran[zu]bilden, der befähigt ist, auch ohne Befehl im
Sinne des Ganzen zu handeln«425. Für die Anwendung der Vorschriften und die

421
MMW, II/2: Verordnungen, S. 198. Vgl. auch ExReglInf 1888, S. 109; D.V.E. Nr. 53,
S. 13.
422
MMW, II/2: Verordnungen, S. 207 (Hervorhebung im Original). Siehe auch D.V.E.
Nr. 53, S. 21. Vgl. auch die Forderung Reinhardts (4. PzD): »Selbsttätigkeit, Wendigkeit,
Entschlussfreudigkeit und Angriffsgeist anerziehen, so viel Sie können. Wir brauchen bis
zum letzten Unterführer, ja bis zum letzten Mann tatfrohen, kühnen Reitergeist.« Clasen,
Generaloberst Hans-Georg Reinhardt, S. 113 f.
423
OKH/GenStdH/Ausb.Abt.(Ib), Nr. 3100/43, Beispiel für Ausbildungsplan einer Divisions-
Kampfschule, 8.9.1943, BArch, RHD 18/376, S. 10. Vgl. auch Merkblatt 25a/24,
Anleitung für Unterführerausbildung der Infanterie im Feldheer vom 27.10.1942,
S. 9: »Selbständigkeit und Entschlussfreudigkeit sind zu fordern und anzuerziehen. Dem
Unterführer [...] ist klarzumachen, dass nur energische Gruppenführer ihre Truppe zum
Siege führen.« (Hervorhebung im Original).
424
Entsprechend war z.B. »der Mangel an Verantwortungsfreudigkeit [...] der Todfeind je-
der Selbständigkeit des Entschlusses, weil er den Führer daran hindert, selbständig et-
was ›auf die Hörner‹ zu nehmen. Er vermeidet jedes Wagnis und sucht immer nach ei-
ner Rückendeckung durch höheren Befehl«. Altrichter, Der soldatische Führer, S. 33 f.
(Hervorhebung im Original).
425
AVF 1917, S. 6; AVF 1918, S. 9; AVI 130/1, S. 13 f.; Merkblatt 25a/24, Anleitung
für Unterführerausbildung der Infanterie im Feldheer vom 27.10.1942, S. 5. Vgl. auch
Kronberger, Es gibt Fälle, Sp. 249.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 99

Ausbildung wurde denn auch folgerichtig gefordert, dass der »absichtlich offen
gelassene Spielraum« nicht eingeschränkt werden dürfe, sondern »der selbständi-
gen Entschließung der Führer aller Grade zu Gute kommen« sollte426.
Allerdings verkam die Selbstständigkeit bei Moltke d.Ä. nicht zum Selbst-
zweck. Zum einen wird aus dem Gesagten klar, dass erst die Friktionen des
Krieges selbstständiges Handeln der Unterführer nötig machten. Demzufolge !
kann Selbstständigkeit nur bedingt als Regelfall betrachtet werden. Zum an-
deren sollten einige Einschränkungen sicherstellen, dass die Selbstständigkeit
nicht ungezügelt in Eigenmächtigkeiten ausarten konnte. Dies geschah durch
eine möglichst große Einheitlichkeit der operativen Grundsätze, wie sie in den
Verordnungen von 1869 erstmals zusammengefasst wurden. Die Selbstständigkeit
konnte ihre Wirkung deshalb erst dann voll entfalten, wenn der Unterführer »den
Willen seines Vorgesetzten vollzieht«, also den Zweck seiner Handlungen im
Gesamtzusammenhang nicht aus den Augen verlor427. Das Exerzierreglement der
Infanterie von 1888 hatte aus diesem Grunde alle Führer bis zu den Unteroffizieren
zu »einsichtiger Selbsttätigkeit« ermahnt428. Auch im Handbuch der neuzeitlichen
Wehrwissenschaften wurde der Zusammenhang zwischen Einheitlichkeit und
Selbstständigkeit akzentuiert:
»Jeder erhält seinen klaren, im Rahmen der Gesamtkriegführung liegenden
Auftrag und freie Hand nur soweit, als es nötig ist. Jeder weiß, dass er nur im
Sinne des Ganzen zu denken und zu handeln hat, und dass seine Maßnahmen
dieses nur fördern, niemals aber gefährden dürfen429.«
Beides – Einheitlichkeit und Selbstständigkeit – sollte durch die Disziplin ge-
währleistet werden und bedingte eine einheitliche Erziehung. Dass selbststän- !!
diges Handeln eher als Ausnahmefall zu verstehen ist, zeigt auch die folgende
Aussage Moltkes d.Ä.:
»Unverkennbar entsteht dabei [d.h. wenn die Unterführer nach eigener
Einsicht handeln; der Verf.] aber eine Schwierigkeit in der allgemeinen
Leitung des Gefechts, welche nur überwunden werden kann, wenn alle unte-
ren Führer, insbesondere die Kompagniechefs, stets dahin trachten sich ihrem
Bataillon wieder anzuschließen, die oberen Führer aber unausgesetzt darüber
wachen, dass ihre Truppen ihnen nicht aus der Hand kommen430.«
Hierin zeigt sich ein Kernaspekt im Denken Moltkes, der sich auch in späte-
ren Vorschriften findet. Die »Ordre de Bataille« sollte nicht leichtfertig durch-
einander gebracht werden, wie dies etwa 1866 geschehen war, weil dadurch die
Befehlsgebung erschwert und die Führung der Truppen verunmöglicht würde.
Der Koordination der Truppen und letztlich der straffen Führung kommt des- !
halb eine eminent wichtige Bedeutung zu, da nur dadurch die Einheitlichkeit
des Handelns während einer Operation sichergestellt wird431. Bereits die
Verordnungen von 1870 forderten deshalb, »das richtige Maß [...] zwischen

426
FO 1887/1894, S. 1*; ExReglInf 1906, S. 1*; FO 1908, Einführungserlass [S. 3]. Vgl. auch
D.V.E. Nr. 53, S. 14; AVI 130/I, S. 5.
427
MMW, II/2: Verordnungen, S. 174.
428
ExReglInf 1888, S. 108 f.
429
Taysen, Einheitlichkeit von Kriegführung und Kriegsleitung, S. 61.
430
MMW, II/2: Verordnungen, S. 198.
431
Ebd., S. 174, 181; Verordnungen über die Ausbildung der Truppen 1870, S. 4. Vgl. auch
Meier-Dörnberg, Moltke, S. 44.
100 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

der auf Intelligenz und Unternehmungslust beruhenden Selbständigkeit im


Handeln und der für das Zusammenwirken zum gemeinsamen Zweck nöthi-
gen Abhängigkeit von den Befehlen ihrer Vorgesetzten« zu halten432. Und das
Exerzierreglement der Infanterie von 1888 warnte, dass »der den Unterführern
gelassene Spielraum [niemals] die Sicherheit der oberen Führung beeinträchti-
gen« dürfe, und hob »die taktische Ordnung und de[n] innere[n] Zusammenhalt
der Truppen« als unbedingte Voraussetzung einer militärischen Aktion hervor433.
Auch die D.V.E. Nr. 53 unterstrich dies:
»Es ist daher von entscheidender Wichtigkeit, dass von Beginn an Einheitlichkeit
in den Operationen der Armeen gewahrt wird. Die Armeeführer müssen ihre
Maßnahmen so treffen, dass die Absichten der obersten Heeresleitung durch
gemeinsames, demselben Ziele zustrebendes Handeln aller Heeresteile zur
Durchführung gebracht werden. Die Schwierigkeiten in der Leitung moder-
ner Massenheere sind nur zu überwinden, wenn die Armeeführer sich dau-
ernd ihrer Zugehörigkeit zum Ganzen bewusst bleiben434.«
Prägnant und kurz wird die Interdependenz zwischen Selbstständigkeit und
Einheitlichkeit der Handlung in der AVF auf den Punkt gebracht und gefor-
dert, dass »bei aller Selbsttätigkeit [...] der Zusammenhalt der Truppe und die
straffe Unterordnung immer gewahrt bleiben« müssen435. Die Frage der richtigen
Korrelation zwischen Selbstständigkeit und Einheitlichkeit wird denn auch in
den Vorschriften immer wieder thematisiert, etwa in der TF:
»Der Befehl zum Angriff muss die beabsichtigte Durchführung des Angriffs
klar erkennen lassen. Die Auftragserteilung muss das richtige Verhältnis zwi-
schen der erforderlichen Einheitlichkeit des Handelns und der Selbständigkeit !
der einzelnen Verbände berücksichtigen und vermeiden, die Schnelligkeit und
den Schwung des Angriffes durch zu weitgehendes Befehlen zu hemmen436.«
Die Elemente Selbstständigkeit und Einheitlichkeit sind folglich nicht als
Gegensätze zu verstehen. In den Richtlinien der Kriegsschulen des Heeres wurde
festgehalten, dass sich »auch bei der Durchführung eines fest umrissenen Auftrages
[...] durch Überraschungen vom Feinde und von den Nachbarn her, durch neu-
zeitige Waffen, Munitionslage, durch Gelände usw. Entschlussmöglichkeiten hin-
sichtlich der Art der Durchführung und des Einsatzes der Truppe« ergeben konn-
ten und deswegen »kriegsmäßige Entschlüsse selbst bei sonst straffer Führung
durchaus möglich« seien437. Alle in den Vorschriften genannten Einschränkungen

432
Verordnungen über die Ausbildung der Truppen 1870, S. 7.
433
ExReglInf 1888, S. 142.
434
D.V.E. Nr. 53, S. 16; Wallach, Das Dogma der Vernichtungsschlacht, S. 119, glaubte
in dieser Aussage eine Prägung durch Schlieffen’sche Ideen erkannt zu haben. Die obi-
gen Ausführungen haben aber verdeutlicht, dass es sich bloß um einen graduellen, keinen
prinzipiellen Unterschied zum Denken Moltkes handelt. Zur Zuverlässigkeit von Wallachs
Interpretationen siehe Groß, Mythos und Wirklichkeit, S. 90, 100, 138.
435
AVF 1918, S. 9. Vgl. auch D.V.E. Nr. 53, S. 1*, 14.
436
TF, S. 126 f. Siehe auch Der Angriff im Stellungskrieg vom 1.1.1918, S. 6; TF, S. 142 f.;
AVI 130/5, S. 60, 77; AVPz 470/12, S. 17. Vgl. auch Echevarria, After Clausewitz, S. 124.
437
Richtlinien für den Unterricht in Taktik und Geländekunde an den Kriegsschulen des
Heeres, 1938, BArch, RH 54/66, S. 8. In EB, Richtlinien für den Unterricht in Taktik und
Geländekunde an den Kriegsschulen des Heeres, 2.1.1942, BArch, RHD 31/24, S. 8 f.
(Hervorhebung im Original).
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 101

sollten also sicherstellen, dass sich die Wirkung der Selbstständigkeit im rich-
tigen Sinne entfaltete. Auch wenn diese Regulative sehr abstrakt waren, ließen
die Vorschriften doch keinen Zweifel daran aufkommen, dass Selbstständigkeit
nicht mit Eigenmächtigkeit verwechselt und »zur Willkür« missbraucht werden
!
dürfe438. Die Selbstständigkeit, »die sich in richtigen Grenzen geltend macht«,
wurde hingegen als »Grundlage großer Erfolge« betrachtet439. Bei der Analyse der
preußisch-deutschen Vorschriften zeigte sich dabei, dass sich das Grundprinzip
der Auftragstaktik auf zwei verschiedenen Ebenen auswirkte. Zum einen ist es
als Führungsprinzip zu verstehen, das ausschließlich an die Truppenführer und
Unterführer adressiert war und sicherstellen sollte, dass diese sich in allen Lagen
entschlossen und verantwortungsbewusst im Sinne des Ganzen einsetzten. Zum
anderen aber muss die Selbstständigkeit auch als normative Erwartungshaltung !
verstanden werden, die an die Gesamtheit aller Soldaten gerichtet war. In diesem
Sinne forderte beispielsweise die TF:
»Vom jüngsten Soldaten aufwärts muss überall selbsttätiges Einsetzen der gan-
zen seelischen, geistigen und körperlichen Kraft gefordert werden. Nur so wird
die volle Leistungsfähigkeit der Truppe in übereinstimmendem Handeln zur
Geltung gebracht. Nur dann erwachsen Männer, die auch in der Stunde der
Gefahr Mut und Entschlusskraft bewahren und den schwächeren Kameraden
zu kühner Tat mit fortreißen440.«
Beide Aspekte müssen schließlich aber als Einheit betrachtet werden. Erst durch
die Verknüpfung von »überlegene[r] Führung« mit »überlegene[m] Gefechtswert
der Truppe« konnten die erwähnten »zuverlässige[n] Grundlagen für den Sieg«
entstehen441. Die Forderung nach »denkende[n], zur Selbständigkeit erzogene[n]
Führer[n] und selbsthandelnde[n] Schützen«442 darf deshalb sicher als zentra- !
les Element des preußisch-deutschen Führungsdenkens verstanden werden.
Gleichwohl ist auch diese Forderung zu relativieren. Wilhelm Müller-Loebnitz
wies etwa darauf hin, dass Selbstständigkeit im Bereich der oberen Führung etwas
anderes bedeutete und sich anders entwickelte als Selbstständigkeit für die untere
Führung. So habe »der selbsttätige Gruppenführer [...] allzu leicht die schönen
Bilder der Friedensübungen« gestört, weshalb man »ihn mit mehr oder minder
kriegsmäßigen Mitteln an die Kette zu legen oder ihm durch scharfe Kritik der un-
vermeidlichen Missgriffe die Freude an der Selbsttätigkeit ein für allemal zu neh-
men« versuchte443. Müller-Loebnitz bezog sich dabei zwar auf die Zeit vor 1914,

438
TF, S. 2. Vgl. auch ExReglInf 1888, S. 109; ExReglInf 1906, S. 84; D.V.E. Nr. 53, S. 14;
AVI 130/I, S. 10; AVA 200/I, S. 6; AVN 421/I, S. 6; AVI 130/1, S. 8; AVA 200/1a, S. 11;
AVK 299/1, S. 7; AVPz 470/1, S. 10.
439
TF, S. 2 f. Vgl. auch ExReglInf 1888, S. 109; ExReglInf 1906, S. 84; AVI 130/I, S. 10;
AVA 200/I, S. 6; AVN 421/I, S. 6; Schäfer, Feldherr und Feldherrntum, S. 72.
440
TF, S. 4 f. Vgl. auch FO 1887/1894, S. 17; FO 1908, S. 16; AVI 130/1, S. 7;. AVK 299/1,
S. 6; AVA 200/1a, S. 10 f.; AVPz 470/1, S. 9.
441
TF, S. 3.
442
ExReglInf 1906, S. 1. Vgl. auch FO 1908, S. 14; AVF 1918, S. 9, 70; AVI 130/I, S. 10;
AVA 200/I, S. 6; AVN 421/I, S. 6; TF, S. 2 f.; AVI 130/1, S. 7; AVA 200/1a, S. 10; AVK 299/1,
S. 6; AVPz 470/1, S. 8; H.Dv. 299/11d, S. 12; AVPz 470/12, S. 19; H.Dv.g. 92/1, S. 2.
443
Müller-Loebnitz, Führerwille und Selbständigkeit, Sp. 1432. Vgl. auch D.V.E. Nr. 53,
S. 18.
102 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

sein Einwand besitzt aber generelle Berechtigung444. Auch Friedrich Altrichter


betonte, dass die Handlungsfreiheit eines Soldaten »durch den Rahmen des
Kampfauftrages des Trupps oder der Gruppe trotz allen selbständigen Denkens
und Handelns eng begrenzt« sei445. Deshalb könne »die Nichtausführung eines
Befehls oder ein selbständiges Abweichen vom Auftrage [...] für den einzelnen !
Soldaten als Glied einer Abteilung niemals in Frage kommen«446. Das Prinzip der
Selbstständigkeit ist in seiner extremsten Form – dem Abweichen vom Auftrag
– deshalb in erster Linie als Führungsprinzip zu verstehen. Max von Szczepanski
unterschied dabei zwischen strategischer, operativer und taktischer »Initiative«,
wobei die jeweils untere der jeweils oberen Führungsebene gegenüber verantwort-
lich sei und nur soweit selbstständig handeln durfte, als sie »dem Gedanken«
des vorgesetzten Führers »untergeordnet« blieb447. Ähnlich hielt auch Weniger
fest, dass die einzige sinnvolle Regel lauten könnte, die Selbstständigkeit der
Unterführer dürfe »die übergeordneten taktischen und vor allem operativen
Grundlagen und Absichten nicht außer acht lassen«448.
Als Folge des preußisch-deutschen Kriegsverständnisses lautete deshalb eine
Erkenntnis, dass sich der Spielraum für selbstständiges Handeln des Einzelnen
!!
umso mehr erweiterte, je größer der Rahmen war, in dem gekämpft wurde449.
Dies zeigt sich z.B. in der Unterscheidung zwischen Befehl und Direktive
(Weisung). Letztere galt ausschließlich für die großen »operativen Verhältniss[e]«
– Heeresgruppen, Armeen – und für einen längeren Zeitraum, in dessen Verlauf
»Änderungen der Lage nicht ausgeschlossen sind, bevor der Befehl zur Ausführung
kommt«450.
Gerade die Frage des Verhältnisses zwischen oberer und unterer Führung
und damit zwischen Einheitlichkeit und Selbstständigkeit kennzeichnet den ei-
gentlichen Kern der Problematik. Der einleitend erwähnte Aufsatz von Weniger
widmet sich denn auch ausführlich dieser Frage451. Weniger stellte klar, dass ein-
heitliche, straffe Führung und Selbstständigkeit nicht als Gegensätze aufzufassen
seien. Würde das Prinzip der Selbstständigkeit so verstanden, dass von der oberen
Führung Straffheit und Unterordnung, von der unteren Führung selbstständiges
Handeln beansprucht würde, so gäbe es »neben dem Kampf gegen den Feind [...]
infolge dieses natürlichen Dualismus noch den beständigen Machtkampf zwi-

444
Vgl. auch Schwinge, Soldatischer Gehorsam, S. 10‑18.
445
Altrichter, Der soldatische Führer, S. 121 f.
446
Ebd., S. 121.
447
Szczepanski, Grenzen der Initiative, S. 406.
448
Weniger, Führerauslese (1941), S. 204.
449
»Je höher die Behörde, je kürzer und allgemeiner werden die Befehle sein.« MMW,
II/2: Verordnungen, S. 180. ExReglInf 1888, S. 141; TF, S. 11, 22. Vgl. auch Hoepners
Abhandlung »Führer. Feldherr«, abgedr. in: Bücheler, Hoepner, S. 211 f.
450
TF, S. 23. Vgl. auch FO 1887/1894, S. 21; FO 1908, S. 19; D.V.E. Nr. 53, S. 53 f.; FuG,
S. 22; Heeresnachrichtenschule/Lehrstab A, Merkblatt 6. Befehlserteilung, November 1941,
BArch, RH 17/345. Die in diesem Zusammenhang angesprochenen Einschränkungen
führten aber auch zu einem Spannungsverhältnis mit der Forderung nach Entschlossenheit,
wobei wie gesehen sogar fehlerhaftes Handeln gegenüber Inaktivität bevorzugt wurde. Wie
einleitend zum Kapitel II angemerkt wurde, verdeutlicht dies nochmals, dass es im deut-
schen Heer keine ausformulierte Doktrin gegeben hat. Die einzelnen Grundsätze mussten
vielmehr durch die Truppenführer aufeinander abgestimmt werden.
451
Vgl. auch Weniger, Wehrmachtserziehung und Kriegserfahrung, S. 261‑273.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 103

schen den beteiligten Kommandostellen«452. Er zeigte auch auf, dass es keine feste
Zuweisung der Selbstständigkeit nach Hierarchiestufen oder Gefechtsarten geben
könne. So müsste z.B. eine Unterteilung in operativ straffe, gebundene Führung
und in taktische Selbstständigkeit scheitern, da im modernen Krieg eine solche
Abgrenzung nicht möglich sei; auch operative Aktionen könnten nach Weniger
zuweilen technisch-taktische Regelungen bis ins Einzelne erfordern, während sich
andererseits eine selbstständige Ausnutzung taktischer Erfolge über den operati-
ven Rahmen hinaus gesamthaft negativ auswirken konnten. Schließlich sei auch
eine formale Abgrenzung nach Gefechtsarten falsch, z.B. Selbstständigkeit für
den Bewegungskrieg und straffe Führung für den Stellungskrieg; der Weltkrieg
1914‑1918 kenne unzählige Beispiele von Truppenführern, die mehr Selbst-
ständigkeit im Stellungskrieg gefordert hätten, andererseits hätten hohe Truppen-
führer gerade für den Bewegungskrieg straffe Führung als unabdingbar erach-
tet453. Die grundsätzliche Frage, wie straffe Führung und Selbstständigkeit in
ein richtiges Verhältnis gesetzt werden konnten, vermochten nach Weniger auch
die Dienstvorschriften nicht zu beantworten. Da diese wie gesehen keine festen
Regeln, sondern nur Fingerzeige geben wollten, besaßen auch die Ausführungen
zur Straffheit und Selbstständigkeit »einen eigentümlich schwebenden, fast pa-
radoxen Charakter, wie das in der Natur der Sache begründet ist«454. Die in den
Vorschriften zusammengefassten Grundsätze mussten einfach gehalten bleiben,
wollten sie in der Truppe verstanden werden und als Leitlinien für das Handeln
praktisch anwendbar bleiben. Dadurch mussten die Gedankengänge vereinfacht
und verkürzt wiedergegeben werden. Häufig konnten sogar nur Konsequenzen
aufgezeigt werden, ohne die Gründe und Einschränkungen dafür erläutern zu
können. Weniger erkannte hierin ein grundsätzliches Problem, das in der Literatur
zur Auftragstaktik bis heute kaum beachtet wurde:
»So vereinfachen die Dienstvorschriften auch die widerspruchsvollen
Erfahrungen über die Selbständigkeit der Unterführer; sie stellen widerspre-
chende Aussagen hart und unvermittelt nebeneinander, in dem Bemühen,
jeden Satz für sich schon als zureichenden Antrieb für den Willen und als
Leitsatz für das Handeln zu gestalten. Nicht immer drückt ein ›Jedoch‹ und
ein ›Aber‹ den Gegensatz aus, durch den ein Satz den anderen einschränkt455.«
Dieses Nebeneinanderstellen entgegengesetzter Erkenntnisse führte tatsächlich
dazu, dass z.B. die Aussagen der TF – die als allgemeine, für alle Waffen geltende
Führungsvorschrift noch viel mehr gezwungen war, auf einer theoretischen und
abstrakten Ebene einen Maßstab für einheitliches Handeln festzulegen – häu-
fig widersprüchlich, schlagwortartig und teils nichtssagend wirken. So werden
in ihren kurzen, einfachen und in hohem Abstrahierungsgrad gehaltenen Sätzen
vielfach Gegensätze aufgezeigt, wie Weniger anhand verschiedener Stellen nach-
wies456: Die TF ermunterte in der Ziffer 9 z.B. jeden Führer dazu »in allen Lagen
ohne Scheu vor Verantwortung seine ganze Persönlichkeit ein[zu]setzen«, wobei

452
Weniger, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 109.
453
Ebd., S. 110‑112; Weniger, Führerauslese (1941), S. 204. Vgl. auch Grundsätze für die
Führung in der Abwehrschlacht im Stellungskriege, Neudruck 1.3.1917, S. 10.
454
Weniger, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 110; Weniger, Wehrmachtserziehung und
Kriegserfahrung, S. 261. Ebenso: Altrichter, Der soldatische Führer, S. 122.
455
Weniger, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 110.
456
Für das Folgende: Ebd., S. 110 f.
104 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

diese »Verantwortungsfreudigkeit« nicht in »eigenmächtige[n] Entschlüsse[n]


ohne Rücksicht auf das Ganze« zu suchen sei und Befehle trotzdem »peinlich zu
befolgen« seien; weiter betonte dieselbe Ziffer, dass »Selbständigkeit [...] nicht
zur Willkür werden« dürfe, wohingegen »Selbsttätigkeit, die sich in richtigen
Grenzen geltend macht, [...] die Grundlage großer Erfolge« bilde457. Als wei-
teres Beispiel erwähnt Weniger die Ziffer 37, worin die TF forderte, dass der
militärische Führer »dem Unterführer Freiheit des Handelns lassen [müsse], so-
weit dies nicht seine Absicht gefährdet[e]«; andererseits dürfe jedoch der Führer
»einen Entschluss, für den er selbst verantwortlich ist, nicht ihnen [d.h. den
Unterführern; der Verf.] überlassen«458. In Beispielen wie diesen wurden – wie
Weniger richtig konstatierte – bloß Gegensätze beschrieben, ohne allerdings zu
definieren, wodurch sie bedingt waren und in welchen Grenzen sie sich entfalten
konnten. Dies galt auch für einfache Feststellungen. Ein solches Beispiel bildete
nach Weniger die Ziffer 71 der TF, wonach »zu vieles Befehlen [...] die erns-
te Gefahr [berge], dass die Selbständigkeit der Unterführer Schaden erleidet«459.
Solche Aussagen gaben gemäß Weniger »nur einen Hinweis auf einen möglichen
Ausgleich, nicht die Regel für den Ausgleich selber«, und boten »keinen objekti-
ven Maßstab«, weshalb sie »nur in ihrem Zusammenhang zu verstehen« waren460.
Weniger warnte deshalb davor, diese Aussagen als Schema aufzufassen.
Gleichzeitig verdeutlicht seine Kritik ein grundsätzliches Problem. Die
Vorschriften besaßen normativen Charakter, wollten aus ihrem Selbstverständnis
heraus jedoch nur Grundsätze auflisten und mussten deshalb kurz gehalten sein.
Aufschlussreich wird nun der Blick darauf, welche Konsequenzen sich daraus
ergaben. Der abstrakte und allgemeine Gehalt der Vorschriften ermöglichte ei-
nen gewissen Handlungsspielraum bei der Interpretation und setzte gleichzeitig
ein bestimmtes Vorwissen voraus. Je nach Vorliebe, Charakter und Erfahrungen
eines Truppenführers ließen sich die abstrakten Ausführungen der Vorschriften
deshalb sehr unterschiedlich gewichten461. So benötigten die Vorschriften grund-
sätzlich »der Ausdeutung durch die Lehre« und eine entsprechende Ausbildung
und Erziehung des Führerkorps in diesem Sinne462. Das selbstständige Handeln
– besonders das Abweichen vom Auftrag – bedurfte eines sehr ausgeprägten
Fingerspitzengefühls in der Ausbildung und Erziehung. Die Zweischneidigkeit,

457
TF, S. 2 f.
458
Ebd., S. 11.
459
Ebd., S. 22.
460
Weniger, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 111 (Hervorhebung im Original). Deshalb
– so Weniger weiter – könne »man nicht, wie der Sergeant in Liliencrons Kriegsnovelle
mit dem ›kleinen Waldersee‹ in der Hand, mit der T.F. ins Feld ziehen, um aus ihr strikte
Regeln für das Handeln zu gewinnen«.
461
Vgl. auch Ausbildungsstab der Lehrgänge der 71. ID, Vortrag Oberst Dr. Altrichter über
die Ausbildung der Unterführer (Auszug), 13.11.1939, BArch, RH 54/22, S. 6.: »Die
Erfahrung lehrt, dass gewisse Tätigkeiten infolge verschiedener Auslegung der Vorschriften
durch die Ausbilder verschieden ausgeführt werden.«
462
Weniger, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 111 (Zitat). Den Zusammenhang zwi-
schen Selbstständigkeit und Ausbildungsstand verdeutlichte auch die AVI 130/1: »Beherr-
schen der Formen bildet die Grundlage, die Fähigkeit zu selbständiger und selbsttätiger
Anwendung des Erlernten das Ergebnis jeder Ausbildung.« AVI 130/1, S. 10 (Hervor-
hebung im Original). Ebenso: AVA 200/1a, S. 14; AVK 299/1, S. 9; AVPz 470/1, S. 10.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 105

die mit einer solchen Forderung verbunden war, konnte leicht zu einer uner-
wünschten Entwicklung führen. Forderte man nämlich aus erzieherischen
Gründen in der Führungsausbildung selbstständiges Handeln, konnte dies
im Ernstfall leicht in Willkür und Eigenmächtigkeiten ausarten – Szczepanski
kritisierte diesbezüglich besonders die häufig betonten und zum »Schlagwort«
gewordenen »Grenzen des Gehorsams«463. In gleicher Weise unterstrich der
Kommandeur der Kompanieführerschule Wahn in einem Vortrag vor einem sei-
ner Lehrgänge:
»Das Wort Selbständigkeit der Unterführer ist ein unglückseliges und oft miss­
verstandenes Schlagwort dann, wenn man glaubt, ohne dringenden Zwang
oder gar etwa aus Besserwissen heraus den Befehl abändern zu dürfen. Es gibt
Selbständigkeit genug in der Art der Durchführung von Befehlen im Sinne
des Ganzen464.«
Wurde in der Ausbildung hingegen straffe Führung und enge Ausführung von
Befehlen betont, konnte dies leicht jegliche Initiative unterbinden und zu rei-
nem Schematismus führen465. Es war letztlich Sache des oberen Führers, hier den
Ausgleich zu finden. Neben die oben erwähnte Ausdeutung durch die Lehre und
die einheitliche Ausbildung und Erziehung im Sinne der Selbstständigkeit trat
deshalb eine weitere Grundlage. Weniger sah es gerade als Aufgabe der obers-
ten Führung und des oberen militärischen Führers an, in jedem konkreten Fall
das Maß der Selbstständigkeit für die Unterführer selbst zu definieren und sie
mit der Einheitlichkeit der Handlung in Übereinstimmung zu bringen, da es in
einem modernen Krieg eben keine formale Bestimmung der Selbstständigkeit
geben konnte466. Nur der obere Führer vermochte den Gesamtüberblick der Lage
zu wahren, diesen mit dem übergeordneten Ziel einer Operation zu vergleichen
und daraus »Ort und Zeit und Umfang der Selbständigkeit der Unterführer zu
bestimmen«467.
Dies wirft auch ein neues Licht auf die Frage von Gehorsam und Ungehorsam
bzw. von Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit. Wird nämlich das Verhältnis
von Selbstständigkeit und Unterordnung vom oberen Führer klar definiert, bleibt
das selbstständige Handeln des Unterführers nach Weniger immer innerhalb der
Grenzen des Gehorsams. Die Frage der Selbstständigkeit ist deshalb nicht nur
eine Frage, die das Handeln der Unterführer untersucht, sondern auch eine, die !
zwingend die Haltung und das Handeln der oberen Führer berücksichtigen muss.
Darauf wird im Zusammenhang mit der Betrachtung des Führungsvorganges
noch zurückzukommen sein, zeigt sich dies doch sehr deutlich in der Art und

463
Szczepanski, Grenzen der Initiative, S. 406.
464
Kompanieführerschule Wahn/Kdr., Das Soldatentum in der Verkörperung des Kompanie-
führers im Kriege, 9.2.1940, BArch, RH 17/507, S. 4 f. (Hervorhebung im Original).
465
Weniger, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 109; Szczepanski, Grenzen der Initiative,
S. 406. Ähnlich Däniker, der warnte: »Allzu starke Einengung verleitet dazu, eigenmächtig
unangenehme Fesseln zu sprengen[,] und allzu große Freiheit dazu, diese Freiheit zu miss-
brauchen.« Däniker, Einheitlichkeit, S. 3.
466
Ähnlich auch Seeckt: »Die Grenze, die zwischen Gehorsam und strengem Befehl einerseits
und bewusster Einordnung im Sinne erhaltener Weisungen andererseits besteht, ist unbe-
stimmt. Sie wird in jedem einzelnen Fall je nach den Umständen, aber auch sehr nach den
handelnden Persönlichkeiten, sich verschieben.« Seeckt, Moltke, S. 81.
467
Weniger, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 112. Dort auch das Folgende.
106 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Weise, wie befohlen wird. Bereits hier wird aber klar, dass bei der Problematik
um die Selbstständigkeit der Unterführer nicht nur die Wechselwirkung zwischen
Selbstständigkeit und Einheitlichkeit der Handlung beachtet werden muss, son-
dern auch das Verhältnis zwischen Vorgesetztem und Unterstelltem. Letzteres ist
von wesentlicher Bedeutung, bildete es doch die Voraussetzung dafür, dass sich die
Selbstständigkeit im Rahmen des Ganzen entwickelte. In diesem Zusammenhang
veranschaulicht sich auch der Wert der Erziehung. Nach Ansicht Wenigers befä-
higte erst die Erziehung den Unterführer zu selbstständigem Handeln:
»Die Erziehung macht den Unterführer selbständig, das heißt, sie befähigt
ihn, aus eigenen Kräften den Sinn der Führung und des Befehls zu erfassen,
den Willen des Feldherrn als seinen eigenen Willen zu empfinden und im-
stande zu sein, Wille, Befehl und Lage im eigenen Handeln so in Beziehung
zu setzen, dass die Absicht des Feldherrn gemäß den Bedingungen, die der
Unterführer vorfindet, verwirklicht werden kann468.«
Unter Selbstständigkeit verstand Weniger also nicht nur, erstens, einen äußerli-
chen Freiraum, in dem selbstständig gehandelt werden konnte. Selbstständigkeit
bedeutete zweitens auch »die produktive Aneignung des Willens der Führung«
durch die Unterführer, wie sie im obigen Zitat umschrieben wurde und auch
in den Vorschriften zu finden ist469. Damit war jedoch erst die eine Hälfte des
Ganzen geschaffen. Ergänzt wurde sie durch die Fähigkeit des oberen Führers,
durch klare und knappe Befehlsgebung den Freiraum für selbstständiges Handeln
zu schaffen und beim Untergebenen eine Bereitschaft zu eben solchem Handeln !
hervorzurufen470. Erst vor diesem Hintergrund tritt der volle Umfang der
Komplexität der Auftragstaktik zum Vorschein: Ein wesentliches Element bildete
die Selbstständigkeit der Unterführer, die ihrerseits wie bereits aufgezeigt eng mit
dem Element der Entschlossenheit verknüpft war. Der Wert der Disziplin und
des Gehorsam wurden bisher erst angedeutet. Die letzten Ausführungen konnten
aber vor Augen führen, dass es sich dabei um eine unerlässliche Voraussetzung
handelte, damit selbstständiges Handeln im richtigen Maß Anwendung fand.
Eine ebensolche Voraussetzung bildete auch die Befehlsgebung, die sich nur
auf das Notwendigste konzentrieren sollte. Damit alle diese Elemente im richti-
gen Sinne zusammenwirken konnten, bedurfte es zusätzlich einer einheitlichen
Erziehung der Verantwortungsträger und des gegenseitigen Vertrauens471. Beides
sind jedoch Aspekte, die nur über eine längere Zeit aufgebaut werden konnten.
Die bisherigen Ausführungen illustrieren, dass Selbstständigkeit keineswegs
als fixe Größe oder Axiom verstanden werden darf. Bereits Seeckt, ein vehemen-
ter Befürworter der Selbstständigkeit der Unterführer, illustrierte dies in aller
Deutlichkeit. Er betrachtete die Selbstständigkeit als »Prinzip« und ergänzte, dass

468
Weniger, Führerauslese (1941), S. 203.
469
Ebd., S. 198. Dies zeigt z.B. die immer wiederkehrende Forderung, im Sinne des Ganzen
bzw. der Absicht zu handeln. Vgl. MMW, II/2: Verordnungen, S. 181; FO 1887/1894,
S. 17; FO 1908, S. 16; D.V.E. Nr. 53, S. 16, 19 f., 53 f.; AVF 1918, S. 173; FuG, S. 8;
TF, S. 4 f., 10 f.; AVI 130/1, S. 13 f.; AVA 200/1a, S. 18; AVK 299/1, S. 13; AVPz 470/1,
S. 17; D 645, S. 13 f.; AVPz 470/12, S. 19.
470
Weniger, Führerauslese (1941), S. 203.
471
Vgl. Däniker, Deutsche Führung und deutsches Soldatentum, S. 12.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 107

ein solches Prinzip für »die Schulung eines Generalstabes und einer Armee zwei-
fellos das einzig richtige« sei472. Er relativierte allerdings auch:
»Bei der Durchführung einer kriegerischen Handlung wird nicht immer
nach diesem Prinzip verfahren werden können; denn über allen Prinzipien
und Theorien steht die unbedingte Forderung nach einer Einheitlichkeit der !
Kriegführung, und um sie sicherzustellen, wird oft an Stelle der Direktiven
der einengende, aber die Einheit sichernde Befehl treten müssen, so unange-
nehm dies auch dem nach freier Betätigung verlangenden Unterführer sein
mag.«
Ähnlich sah Hermann von Kuhl 1923 in der Auftragstaktik und der darin enthal-
tenen Selbstständigkeit einen »Grundsatz«, dessen Richtigkeit sich in den Kriegen
1866, 1870/71 und 1914‑1918 gezeigt habe. Allerdings stelle sich die Frage, »ob
dieser Grundsatz zu einer Regel werden darf, die bedingungslos in allen Lagen
angewendet werden muss«473. Sogar Schlieffen meinte: »Es ist ein unantastbares
Prinzip, der Unterführer soll selbständig sein474.«
Wie Moltke d.Ä. und Seeckt sah allerdings auch Schlieffen den Spielraum
für selbstständiges Handeln durch die Einheitlichkeit der Handlung eingerahmt.
Noch wichtiger als die Einheitlichkeit der Operationen war Schlieffen aber die
Einheitlichkeit im Denken. Er forderte deshalb, dass der Oberbefehlshaber sei-
ne Absicht und Erwartungshaltung den Unterführern gegenüber deutlich mach-
te, während es der »Kunst der Unterführer« überlassen blieb, »die allgemeine
Kriegslage zu erfassen, die Absichten des Oberbefehlshabers zu verstehen und
in zweckmäßiger Weise in die Tat zu übersetzen«475. Zentral war dabei, »dass die
Armeeführer sich den Plan des Höchstkommandierenden zu eigen machen und
dass ein Gedanke das ganze Heer durchdringen muss«476. Die Aussagen Seeckts,
Kuhls und Schlieffens wie auch die weiter oben erwähnten Ausführungen
Moltkes d.Ä. verdeutlichen, dass für eine erfolgreiche Operationsführung an
erster Stelle die Einheitlichkeit der Kampfführung gewährleistet sein musste477.
Dahinter stand auch die Forderung nach einer Einheit des Denkens, d.h. nach
der Berücksichtigung des Ganzen als Richtlinie für das Handeln478. An einem
konkreten Beispiel zeigte etwa Generaloberst Lothar Rendulic in einer 1947
für die Historical Division verfassten Schrift auf, dass die Selbstständigkeit der

472
Seeckt, Moltke, S. 82. Dort auch das Folgende.
473
Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung, S. 2.
474
Groener, Das Testament, S. 81.
475
Boetticher, Der Lehrmeister des neuzeitlichen Krieges, S. 281. In der Umsetzung unter-
schied sich Schlieffen allerdings von Moltke. Zwar waren beide der Überzeugung, dass ein
Heer straff geführt werden müsse. Schlieffen fasste Straffheit jedoch viel enger auf und
gestand dem Prinzip der Selbstständigkeit keinen breiten Raum ein. Samuels, Command
or Control?, S. 31 f.; Groß, Mythos und Wirklichkeit, S. 81‑85.
476
Zoellner, Schlieffens Vermächtnis, S. 32 (Hervorhebung im Original).
477
Seeckt betonte sogar, dass die Einheitlichkeit »besonders dann notwendig [wäre], wenn
der Krieg auf verschiedenen Schauplätzen oder an verschiedenen Fronten geführt« wer-
de. Seeckt, Moltke, S. 83. Zur Frage der Einheitlichkeit versus Selbstständigkeit vgl.
auch Mantey, Führung von oben; Müller-Loebnitz, Führerwille und Selbständigkeit,
Sp. 1353‑1356.
478
Vgl. Weniger, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 113.
108 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Unterführer manchmal zur Sicherung der Einheitlichkeit eingeschränkt werden


musste:
»Die Regelung von Einzelheiten, die in die Führung des nachgeordne-
ten Verbandes stark eingreift, ist jedoch nicht immer zu umgehen. Sie ist
unerlässlich, wenn es sich um das Zusammenwirken verschiedener Waffen
handelt, die einander nicht unterstellt sind, z.B. von Infanterie-Divisionen
mit Panzerverbänden oder von [...] Inf.-Divisionen oder Pz.-Divisionen mit
Verbänden der Luftwaffe479.«
Auch Wilhelm Müller-Loebnitz sah in der »Einheit der Führung, wie zu alten
Zeiten, das wichtigste Mittel des Sieges [...], das durch die Selbsttätigkeit wohl
ergänzt, niemals aber durchkreuzt werden« durfte480. Es gab allerdings auch um-
fassendere Kritik. So kritisierte Ludwig im Jahr 1936:
»Die im Zeitalter des älteren Moltke zweckmäßige Selbständigkeit der
Unterführer war durch die schlechten Nachrichtenverbindungen der dama-
ligen Zeit bedingt. Heute weiß die Oberste Heeresleitung an jedem Abend
genau dasselbe wie jeder Armeeführer. Sie vermag daher die Einheitlichkeit
der operativen Handlung zu überwachen und muss eingreifen, wenn sie ge-
fährdet ist481.«
Ludwig vertrat die Meinung, dass die neuzeitlichen Mittel – Nachrichtenver-
bindungen, Kraftwagen, Flugzeuge – es dem Truppenführer wieder ermöglichen
würden, moderne Schlachten einheitlich zu lenken. Die Direktiven Moltkes
hätten hingegen unter den entsprechend schlechteren Rahmenbedingungen der
Technik von 1866 oder 1870/71 als »Aushilfsmittel« und »Notbehelf« gedient,
um die Armeeführer im Sinne des Oberkommandos handeln zu lassen482. In der
Realität hätten diese die Direktiven aber nicht immer richtig aufgefasst.
Trotz extremer Positionen lassen sich in diesen Aussagen doch eine prinzipi-
elle Übereinstimmung mit den Vorschriften und dem Prinzip der Auftragstaktik
erkennen. Die Kritik Ludwigs muss denn auch so verstanden werden, dass sie
grundsätzlich gegen eigenmächtiges Handeln gerichtet war. Er billigte den
Unterführern unter den neuzeitlichen Rahmenbedingungen »die an sich durch-
aus wünschenswerte Selbständigkeit« immer noch zu. Auch seine Forderung, dass
»kein Unterführer [...] einen Entschluss zur Ausführung bringen [darf ], der nicht
im Sinne des leitenden Gedankens der obersten Führung« lag, deutet darauf hin.
Mit einer solchen Forderung stimmte Ludwig nämlich durchaus mit dem zentra-
len Gedanken der Vorschriften überein, wonach immer im Sinne des Ganzen zu
handeln sei483. Ludwig sah die Selbstständigkeit vielmehr als ergänzendes Prinzip,
das »nötigenfalls« zum Tragen kam, wenn sich Lagen überraschend geändert hat-

479
Rendulic, Der Befehl, BArch, ZA 1/1610, S. 2 (Hervorhebung im Original).
480
Müller-Loebnitz, Führerwille und Selbständigkeit, Sp. 1433. Ähnlich Rendulic: »Fähigkeit,
Entschlusskraft und Initiative beider, des Vorgesetzten und des Untergebenen, müssen sich
addieren und nur von ihrer Summierung wird die erreichbar höchste Wirkung erwartet wer-
den können.« Rendulic, Der Befehl, BArch, ZA 1/1610, S. 2 (Hervorhebung im Original).
481
Ludwig, Gedanken über den Angriff im Bewegungskriege, S. 159. Dort auch die folgenden
Zitate.
482
Ludwig, Der Platz des militärischen Führers, Sp. 1904.
483
Es ist deshalb Stein zu widersprechen, der hier den »Widerspruch von Technokraten« ge-
gen die »positive Wertung der Freiheit zum selbständigen Entschluss« entdeckt zu haben
glaubt. Stein, Führen durch Auftrag, S. 8 f.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 109

ten und keine Nachrichtenverbindungen vorhanden waren484. Hermann Foertsch


glaubte sogar, dass verbesserte Nachrichtenmittel in zukünftigen Kriegen straf-
fere Führung und Kontrolle ermöglichen würden und deshalb nicht mehr mit
allgemein gehaltenen Weisungen, sondern mit detaillierteren Befehlen geführt
werden könnte485. Schäfer stimmte zwar mit Foertsch überein, dass die neuzeit-
lichen »Verkehrs- und Nachrichtenmittel [...] es dem Feldherrn [ermöglichten],
fast allgegenwärtig zu sein«. Selbst unter diesen Voraussetzungen könnten aber
gemäß Schäfer immer noch Situationen eintreten, »in denen der Unterführer des
Feldherrn Zustimmung nicht mehr einholen« könne486. Paul Mahlmann hin-
gegen schloss in seinem Lehrbuch über Planübungen kategorisch aus, dass »im
Zeitalter der Technik [...] in kleinen Verhältnissen die übergeordnete Dienststelle
bei wesentlich geänderter Lage so wenig unterrichtet oder so unerreichbar ist oder
so falsch handelt, dass die untere Führung einen selbständigen Entschluss, der im
Abweichen vom bisherigen Auftrag liegt, fassen müsste«487. Selbst Mahlmanns
Kritik darf jedoch nicht als Grundsatzkritik an der Selbstständigkeit verstan-
den werden. Er kritisierte vielmehr wie Ludwig die Selbstständigkeit für untere
Führer. Als Prinzip für die obere Führung scheint die Selbstständigkeit jedoch
nicht grundsätzlich infrage gestellt worden zu sein, auch wenn sie aufgrund
der neuzeitlichen Technologie nicht mehr im gleichen Maße wie noch unter
Moltke d.Ä. zum Tragen kommen sollte. Anders als Ludwig und Mahlmann sah
Sodenstern gerade in den Nachrichtenverbindungen keine Erleichterung für die
untere Führung, sondern das eigentliche Problem:
»Der Draht ist der Feind der Initiative! Er lähmt den Willen des unteren
Führers und untergräbt sein Verantwortungsgefühl488.«
Zudem verleiteten Nachrichtenverbindungen – so Sodenstern – »den nächst
höheren Führer zu höchst unnötigen Eingriffen, zum ›Gängeln‹ seiner Unter-
gebenen«. Auch Altrichter sah in den technischen Nachrichtenmitteln »eine
große Gefahrenquelle«, zumindest für einen »willensmäßig zu Schwankungen !
neigenden Führer«489. Als Hauptproblem empfand er allerdings, dass ein willens-
starker Unterführer durch die ständige Verbindung den oberen Führer in seiner
Entscheidung beeinflussen könnte, sodass in kritischen oder günstigen Lage zu-
!
erst nachgefragt oder das weitere Vorgehen beantragt würde, anstatt direkt zu
handeln. Schließlich könnten Nachrichtenverbindungen ebenfalls dazu verlei-
ten, übereilt zu befehlen und erlassene Befehle rasch wieder durch Gegenbefehle
aufzuheben. Altrichter befürchtete also in erster Linie die Einschränkung der
»Selbständigkeit der Entschlussfassung« und damit der Handlungsfreiheit ei-

484
Ludwig, Der Platz des militärischen Führers, Sp. 1906.
485
Foertsch, Kriegskunst, S. 230 f. Foertsch war vom 1.2.1937 bis August 1939 Taktiklehrer
an der Kriegsakademie und ab 8.10.1940 bis Mai 1941 Kdr. der Generalstabslehrgänge
in Berlin. Danach wurde er in verschiedenen Chefstellen verwendet und zuletzt mit der
Führung der 1. Armee beauftragt. Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des
Heeres, Bd 4, S. 27 f.
486
Eine solche Lage könnte nach Schäfer aus der »zunehmende[n] Schnelligkeit von Truppen-
bewegungen durch Motorisierung« erfolgen. Schäfer, Feldherr und Feldherrntum, S. 72.
487
Mahlmann, Die Planübung, S. 40.
488
Sodenstern, Gedanken zur Neugliederung der Infanterie. 20.3.1938 [richtig: 1939],
BArch, ZA 1/2785, S. 17. Dort auch das Folgende.
489
Altrichter, Der soldatische Führer, S. 33.
110 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

nes Truppenführers wegen falscher Verwendung der Nachrichtenmittel490. Im


Umgang damit sei »der Vorgesetzte wie der Untergebene in gleicher Weise zur
Standhaftigkeit, Zurückhaltung und Selbstbeherrschung« gezwungen491. Die
Führung von Operationen nach dem Vorbild Moltkes d.Ä., z.B. durch Direktiven
mit weitgehender Selbstständigkeit des Handelns für die Unterführer, lehnte aber
auch Altrichter ab:
»Die Erfahrung lehrt also, dass im Rahmen der heutigen zusammenhängen-
den Heeresfronten der Millionenheere für eine operative Selbständigkeit der
Armeeführer nur noch wenig Raum ist492.«
Dies bedeutete nicht, dass Altrichter auch grundsätzlich gegen jede Selbstständig-
keit war. Aufgrund der »Vervollkommnung der Nachrichtenmittel« sah er diese
jedoch deutlich enger gefasst:
»In der Durchführung des Befehls verbleibt den Armeeführern noch ein genü-
gender Spielraum für Selbsttätigkeit und Selbständigkeit493.«
Die verschiedenen Ausführungen zeitgenössischer Exponenten zeigten, dass die
Wechselwirkungen der Selbstständigkeit, Einheitlichkeit und Verbindungen sehr
unterschiedlich gewichtet wurden. Sie lassen ebenfalls erahnen, wie kontrovers
die Diskussionen über den Gebrauch von Nachrichtenverbindungen und ihr
Ausgleich mit der Selbstständigkeit der Unterführer außerhalb der normativen
Vorgaben der Dienstvorschriften selbst noch in der Zeit der Wehrmacht verliefen.
Neben der abstrakten Behandlung der Selbstständigkeit lässt sich in den
preußisch-deutschen Führungs- und Ausbildungsvorschriften aber auch ein sehr
konkreter Umgang mit der Problematik der Selbstständigkeit feststellen. So fin-
den sich in den Vorschriften nicht nur allgemein gehaltene Forderungen nach
selbstständigem Handeln der Unterführer, die im Sinne einer Handlungsnorm
idealen Charakter besaßen. Umgekehrt enthalten die Vorschriften konkrete Ver-
haltensmuster für grundsätzliche Situationen, die durchaus als Standardverhalten !
bezeichnet werden können. Die in den Führungs- und Ausbildungsvorschriften
manifestierten Forderungen, den Führern und Unterführern Selbstständigkeit
und Handlungsfreiheit zuzugestehen bzw. diese von ihnen zu verlangen, be-
schränkten sich folglich nicht nur darauf, einen Freiraum zu schaffen, in dem die
Führer und Unterführer eigenverantwortlich und selbstständig handeln konnten.
Vielmehr zeigten die Vorschriften auch auf, in welchen Situationen und unter
welchen Bedingungen selbstständiges Handeln erwartet wurde.
So formulierten die »Richtlinien für Führung und Einsatz der Infanterie-
Division (mot)« (H.Dv.g. 80) vom 27. Januar 1941 zwar relativ offen, aber doch
deutlich selbstständiges Handeln fordernd, »die schnell wechselnden Lagen bei einer
Infanterie-Division (mot.)« bewirkten, dass »für die Marschgliederung keine feste
Regel« gegeben werden konnte494. Aus diesem Grunde habe die Divisionsführung
die Marschgliederung »mit großer Wendigkeit den Erfordernissen der jeweili-
gen Lage« anzupassen. Konkrete Voraussetzungen für selbstständiges Handeln
schilderte hingegen die AVI 130/5. Obwohl das einzelne Infanterie-Panzer-

490
Ebd., S. 121 f.
491
Ebd., S. 33.
492
Ebd., S. 137.
493
Ebd.
494
H.Dv.g. 80, S. 20 (Hervorhebung im Original). Dort auch das Folgende.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 111

 General Carl von


Clausewitz
akg­images
 Taktikunterricht am Sandkasten, November 1940
BArch/GX­1939­311­L­14750

 Generalfeldmarschall  Generalstabsausbildung an der Kriegsakademie in den


Helmuth Graf von 1930er Jahren mit chinesischem Austauschoffizier (l.)
Moltke ZMSBw Scherl/SZ Photo

 Kommandeur beim
Offiziersunterricht,
Januar 1941
BArch/GX­1939­
311­L­3739
112 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

abwehrgeschütz »in der Regel [...] die Kampfaufträge im Zugverbande« zu lösen


hatte, konnten bestimmte Änderungen der Rahmenbedingungen dazu führen,
dass von den einzelnen Geschützen »oft eine selbständige Tätigkeit« gefordert
war495. Als Bedingungen für selbstständiges Handeln wurden der »Ausfall des
Zugführers und benachbarter Geschütze«, das »Versagen der Verbindung zum
Zugführer« sowie »der schnell wechselnde Kampfverlauf« genannt. Diese Aussage
macht auf die Bedeutung der Rahmenbedingungen für das selbstständige Handeln
aufmerksam, ließ dabei aber noch einen gewissen Handlungsspielraum offen, da
unklar blieb, ob eine einzelne Bedingung oder erst alle zusammen selbstständiges
Handeln rechtfertigten. Ähnlich musste der Führer einer Aufklärungsabteilung
für den Fall, dass sich die Lage nach Erfüllung seines Auftrages geändert hat-
te oder die Abteilung ohne Befehle blieb, »sich auf Grund seiner Beurteilung
der Lage und der sich daraus ergebenden Erfordernisse selbst eine Aufgabe
stellen«496. Gerade für unterstützende Waffengattungen wie die Artillerie war es
besonders sinnvoll, das Zusammenwirken mit der Infanterie oder Panzerwaffe in
Standardverhalten zu regeln. So hielt z.B. die TF fest, dass die Artilleriebatterien
»auf Befehl oder selbständig« der Infanterie folgen sollten, sobald diese während
eines Angriffs in die gegnerische Front eingebrochen war und von der Artillerie
aus den bestehenden Feuerstellungen nicht mehr »ausreichend unterstützt wer-
den« konnte497. Deutlich verlangte auch die AVI 130/9 für den Kampf des mo-
torisierten Infanteriebataillons, dass dieses einen Angriff »mit Unterstützung der
ihr [...] unterstellten Panzereinheit selbständig weiter« zu führen habe, sobald sie
»vom zweiten Treffen der Panzerkampfwagen getrennt« wurde498. Die Vorschrift
fuhr dann – das Zusammenwirken zwischen Infanterie und Panzern beschreibend
– fort:
»Diese dem Bataillons-Kommandeur unterstellte Panzereinheit geht dem von
ihm gegebenen Auftrag entsprechend [...] derart vor, dass sie das Vorgehen
der Infanterie beobachten kann. Wo feindlicher Widerstand das Vorgehen der
Infanterie hemmt, bricht die Panzerkompanie ganz oder mit Teilen, aus eige-
nem Entschluss, auf Anfordern der Infanterie oder auf Befehl des Bataillons-
Kommandeurs, vor und vernichtet den Feind durch Feuer auf nahe Entfer-
nungen. Dann lassen sich diese Teile von der Infanterie wieder aufnehmen499.«
Diese Textstelle ist in dreifacher Hinsicht aufschlussreich. Erstens stellt die
Vorschrift durch die Nennung aller möglichen Eventualitäten sicher, dass die
Infanterie automatisch durch die Panzer unterstützt wird. Zweitens findet sich die-
ser Passus wörtlich in der Panzervorschrift D 645, womit dem Zusammenwirken
beider Waffen eine normative Qualität verliehen wurde. Drittens deutet der
Schlusssatz an, dass dieses selbstständige Verhalten der Panzerkompanie einen
Ausnahmefall darstellte, weil sie sich nach Vernichtung des Gegners sofort wie-

495
AVI 130/5, S. 41. Dort auch das Folgende.
496
D 81/3+, Besichtigungsbemerkungen 1937 vom 5.11.1937, S. 12. Explizit wurde betont,
dass »er nicht abwarten [dürfe], bis er einen neuen Befehl bekommt«.
497
TF, S. 147. Ähnlich bereits die FuG, S. 31. Gleiches galt für die eigenen schweren Waffen der
Infanterie, die – z.B. während eines Angriffs – »zum selbständigen Handeln erzogen, auch
ohne Befehl dicht heranhalten« sollten. OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 2400/40 g,
Taktische Erfahrungen im Westfeldzug, 20.11.1940, BArch, RH 19 III/152, S. 4.
498
AVI 130/9, S. 58 (Hervorhebung im Original).
499
AVI 130/9b, S. 58 f.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 113

der dem Truppenführer der Infanterie unterstellen sollte. Dies kommt in der
entsprechenden Textstelle der D 645 noch eindringlicher zur Geltung, wird die
Panzerkompanie dort doch explizit aufgefordert, aktiv die »Fühlung mit den fol-
genden Schützen (Infanterie)« aufzunehmen und sich wieder unterzuordnen500.
Standardverhalten wie diese sollten deshalb in erster Linie helfen, Krisenlagen
überwinden zu können. Einen umgekehrten Ansatz verfolgte dabei die Vorschrift
»Führung und Kampf des Kraftradschützenbataillons« (H.Dv. 299/11b) vom
28. Dezember 1941. Darin stand, dass das Kradschützenbataillon spätestens
nach »Einleiten der Gefechtsaufklärung« einen Befehl über das weitere Vorgehen
erhalten sollte. Für den Fall, dass dieser Befehl jedoch ausblieb, formulierte die
Vorschrift das weitere Vorgehen gleich selbst:
»Erhält das Bataillon keinen Befehl, so bleibt es vor der Front, führt die bishe-
rige Aufklärung weiter durch, verschleiert die Bewegungen der nachfolgenden
Hauptkräfte und hält die erreichte Stellung501.«
Auch die entschiedenste Forderung, dem Gegner das Gesetz des Handelns auf-
zuzwingen, konnte allerdings nicht völlig ausschließen, durch den Gegner über-
rascht zu werden. Deshalb sahen die Vorschriften für solche Fälle selbstständiges !
Handeln normativ vor. Die »Vorläufige[n] Richtlinien für Führung und Kampf
des Panzer-Regiments und der Panzer-Abteilung« (AVPz 470/10) vom 18. Januar
1941 bestimmten etwa, dass die Panzerkompanien für den Fall, dass die
Panzerabteilung »überraschend durch feindliche Panzerkampfwagen angegriffen«
würde, diesen Angriff »zunächst [...] selbständig« abwehrten502. Standardverhalten
eigneten sich deshalb besonders für einleitende Maßnahmen zum Gefecht wie !
die Entfaltung von Panzerverbänden oder das Absitzen der Schützen. Solche
Maßnahmen wurden in der Regel befohlen. Bestimmte Situationen – z.B. über-
raschendes Feindfeuer oder die Entwicklung eines Begegnungsgefechts – konn-
ten es jedoch sinnvoll machen, dass die Unterführer das Gefecht selbstständig
einleiteten503. Solche Beispiele verdeutlichen, dass selbstständiges Handeln nicht
zuletzt als Reaktion zu verstehen ist, mit deren Hilfe Krisenlagen entschärft wur-
den und die dazu dienten, den vorgesetzten Truppenführern Zeit zu verschaf-
fen, um die eigene Führungsfähigkeit wiederherstellen zu können. Wie gesehen
spiegelt sich in der Betonung der Selbstständigkeit auch die preußisch-deutsche
Kriegsauffassung wider. Da dem friktionalen Aspekt im Kriege eine bedeutende
Rolle zugestanden wurde, mussten Maßnahmen definiert werden, um in solchen
Fällen bestehen zu können. Diese Balance zwischen Planung und Selbstständigkeit
zeigt sich etwa in der H.Dv. 470/12 »Vorläufige Richtlinien für Einsatz und
Führung der Panzerjäger-Abteilung (mot.Z.)« vom 21. September 1941, die be-
tonte, dass die »planvolle und umfassende Regelung der gesamten Panzerabwehr«
in einem »Panzerabwehrplan« geradezu »unentbehrlich« für das Bestehen im
Kampf sei504. Gleichzeitig machte die Vorschrift klar, dass die Führung einer

500
D 645, S. 13. Letztlich unterstreicht dies auch die Bedeutung der Fernmeldeverbindungen
(siehe Kap. II.2.b).
501
H.Dv. 299/11b, S. 16.
502
AVPz 470/10, S. 26.
503
AVI 130/V, S. 24; TF, S. 151; D 645, S. 26.; AVI 130/9b, S. 41; AVPz 470/7, S. 60;
H.Dv.g. 80, S. 26. Vgl. auch OKH/GenStdH/O Qu II, Nr. 1200/38 g, Schulung im
Begegnungsgefecht, 4.4.1938, BArch, RH 53-7/v. 108.
504
AVPz 470/12, S. 17 f. Dort auch das Folgende.
114 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Panzerjägerabteilung »in bedrohter Lage [...] oft – ohne auf Befehle zu warten
– selbständig und verantwortungsfreudig handeln« müsse. Auch die D 645 sah
solche Sofortmaßnahmen vor, etwa »wenn Ziele, die für den Panzerangriff gefähr-
lich sind«, unvermittelt auftauchten505. In einem solchen Falle sollten die Panzer
»unter Ausnutzung der höchsten Geschwindigkeit in die nächste nach vorwärts
oder seitwärts erreichbare Feuerstellung [eilen] und [...] sich am Kampf« beteili-
gen. Explizit schärfte die Vorschrift dabei ein, dass »ein Befehl hierzu [...] nicht
abgewartet werden« dürfe. Der Grund dafür war einfach: »Warten auf Befehl
kostet zuviel Zeit und kann zur Vernichtung der vorderen Einheiten führen506.«
Es war bereits einleitend festgestellt worden, dass der Faktor Schnelligkeit
auch für das Element der Selbstständigkeit ganz entscheidend war. Dies galt in
besonderem Maße für die Schnellen bzw. Panzertruppen, war doch aufgrund der
Beweglichkeit, Schnelligkeit und Feuerkraft dieser Waffengattung »blitzschnelles
Erfassen von Lage und Gelände und sofortiges Handeln durch die Führer aller
Grade«507 letztlich ausschlaggebend für Sieg oder Niederlage – besonders wenn
Panzer gegen Panzer kämpften. Um eine unmittelbare Bedrohung möglichst
schnell abwenden zu können, forderte etwa die AVPz 470/10:
»Sobald feindliche Panzerkampfwagen erscheinen, müssen sie – auch unter
Aufgabe des bisherigen Auftrags – angegriffen und [...] vernichtet werden. Je
schneller gehandelt wird, [...] um so eher kann der ursprüngliche Auftrag fort-
geführt werden508.«
Die Bedeutung des Faktors Schnelligkeit zeigt sich unter anderem auch in der
D 645. So sah das allgemein übliche Kampfverfahren leichter Panzerkompanien
deren Verwendung im Angriff als Reserve des Abteilungskommandeurs vor.
Aufgrund dessen wurden diese Kompanien »im allgemeinen« erst auf Befehl des
Kommandeurs in der vorderen Linie eingesetzt509. Die Vorschrift hielt aber fest,
dass die leichten Panzerkompanien in bestimmten Situationen selbstständig in
den Kampf eingreifen sollten:
»Nur wenn der Kompanieführer übersieht, dass eine plötzliche Veränderung
der Lage den Einsatz [der] Kompanie verlangt – Ausnutzen einer beson-
ders günstigen Gelegenheit, Abwehr einer Gefahr für die vordere Linie oder
Abwehr einer Flankenbedrohung – und wenn das Einholen von Befehlen
nicht mehr möglich ist, setzt er seine Kompanie aus eigenem Entschluss ein.«
Auch in diesen Zeilen werden – einem Aufgabenkatalog gleich – wiederum Bei-
spiele für Lagen geschildert, in denen vom Kompaniechef selbstständiges Handeln
verlangt wurde. Eindeutiger als andere Passagen unterstreicht diese auch, dass
ein selbstständiges Handeln nur dann gerechtfertigt war, wenn sich eine Lage
plötzlich geändert hatte und keine Verbindung zum Vorgesetzten aufgenommen
werden konnte, die Situation aber eine rasche Reaktion verlangte. Die klar de-
finierten Vorbedingungen für selbstständiges Handeln lassen dem Unterführer
in diesem Beispiel kaum mehr Interpretationsspielraum, was wohl auch beab-
sichtigt war, da es sich hier um die Reserve einer vorgesetzten Dienststelle han-

505
D 645, S. 19. Dort auch die folgenden Zitate.
506
Ebd., S. 28.
507
AVPz 470/10, S. 25; D 645, S. 21.
508
AVPz 470/10, S. 25.
509
D 645, S. 14. Dort auch das Folgende.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 115

delte und der Sinn einer Reserve gerade nicht darin lag, selbstständig zu agie- !
ren, sondern dem vorgesetzten Truppenführer als Mittel zur Wahrung seiner
Handlungsfreiheit diente510. Nicht zuletzt verdeutlicht sich in dieser Passage
noch einmal, welches Gewicht den Verbindungen in der militärischen Führung
allgemein und in Zusammenhang mit der Selbstständigkeit im Speziellen zuzu-
messen ist. Eine Kombination der Elemente Selbstständigkeit, Schnelligkeit und
Nachrichtenverbindungen bei gleichzeitiger Betonung der straffen Führung fin-
det sich auch im »Merkblatt 47a/29 für Ausbildung und Einsatz der schweren
Panzerkompanie Tiger« vom 20. Mai 1943, wo als Grundlagen des Erfolges »selb-
ständiges rasches Handeln des Kp.-Führers und straffe Führung der Komp[anie]
durch kurze, klare Befehle« genannt werden511.
Die Analyse der Vorschriften hat gezeigt, dass Selbstständigkeit von verschie-
denen Faktoren abhing. Es verdeutlichte sich auch, dass unter diesem Begriff !
nicht nur die Handlungsfreiheit von Unterführern subsumiert wurde, sondern
dass dahinter ebenso eine normative Erwartungshaltung stand. Letztlich wurde
auch klar, dass unter Selbstständigkeit nicht immer das Gleiche verstanden werden
darf, da sie von verschiedenen Aspekten wie Rahmenbedingungen, Gefechtsart,
Waffengattung oder Truppenverband abhängig war. Unter Selbstständigkeit konn-
ten formelle Handlungen oder Fragen der Gefechtsformationen verstanden wer-
den512, ebenso konnten damit vorbereitende Maßnahmen auf das Gefecht oder
Sofortmaßnahmen im Gefecht gemeint sein. Der Begriff der Selbstständigkeit ist
gesondert betrachtet auch missverständlich, da er zudem bedeuten kann, dass ein
Verband alleine, d.h. ohne Unterstützung durch die übergeordnete Stufe oder ohne
Anlehnung an Nachbarverbände operiert513. Waren Verbände mit selbstständigen
Kampfaufträgen oder einer selbstständigen Kampfführung beauftragt, so heißt
dies nicht unbedingt, dass damit Auftragstaktik gemeint ist. In solchen Fällen fehl-
ten den Verbänden einzig die Mittel und Waffen, die sie sonst im Waffenverbund
unterstützten. Es geht dabei also um die Zuweisung der nötigen Mittel für die
Auftragserfüllung und nicht a priori um Selbstständigkeit. Andererseits konnte
diese »örtliche Selbständigkeit« auch ein entscheidendes Kriterium bilden, um
Entschlussfreiheit zu erhalten und selbstständig handeln zu können514; angelehnt

510
Siehe die Warnung, dass »bei Lagen, die eine Truppe als Reserve der höheren Dienststelle
zum Übungsgegenstand haben, [...] hinsichtlich der selbständigen Entschlussfassung äus­
serste Vorsicht geboten« sei. Ein selbstständiges Handeln seiner Reserve lasse sich zudem !
»auch kein Führer gefallen«. Richtlinien für den Unterricht in Taktik und Geländekunde
an den Kriegsschulen des Heeres, 1938, BArch, RH 54/66, S. 8. In EB, Richtlinien für
den Unterricht in Taktik und Geländekunde an den Kriegsschulen des Heeres, 2.1.1942,
BArch, RHD 31/24, S. 9 (Hervorhebung im Original).
511
Merkblatt 47a/29 für Ausbildung und Einsatz der schweren Panzerkompanie Tiger
vom 20.5.1943, S. 11. Zum Element der Einheitlichkeit und deren Interaktion mit der
Selbstständigkeit siehe Kap. II.2.b).
512
Z.B. gestand die AVPz 470/7 dem Zugführer zu, im Gefecht »die Form für den Zug selb-
ständig« nach Lage und Gelände zu bestimmen, während in der AVI 130/9b das selbst-
ständige Heranholen der Trosse durch die Kompanien verboten wurde. AVPz 470/7, S. 26;
AVI 130/9b, S. 71.
513
Z.B. H.Dv. 299/11b, S. 9; H.Dv. 299/11d, S. 31.
514
Stein, Führen durch Auftrag, S. 12.
116 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

kämpfende Truppen hingegen konnten nur eingeschränkt selbstständig entschei-


den, da sich ihre Handlungen auf die Nachbarverbände auswirkten.
Erst in letzter Konsequenz konnte Selbstständigkeit auch ein Handeln
!
ohne Befehl oder sogar ein selbstständiges Abändern eines Befehls und das
Abweichen vom Auftrag erfordern – eine Forderung, die im preußisch-deutschen
Führungsdenken nicht nur mündlich tradiert wurde, sondern die klar in den
Vorschriften als solche zu finden ist, auch wenn ihr das Etikett »Auftragstaktik«
auf den ersten Blick nicht angeheftet ist. Die Bedingungen für ein solches
Handeln lagen zuerst immer in der Dringlichkeit der Lage. Nur wenn das
Einholen oder Abwarten eines klärenden Befehls nicht mehr möglich war, sollte
vom Truppenführer selbstständig gehandelt werden. Eine weitere Bedingung war
die Einheitlichkeit im Denken515. Dem selbstständigen Handeln des Unterführers
sollte immer die Gewähr vorangehen, »dass die vorgesetzte Dienststelle bei glei- !
cher Kenntnis der Lage auch nicht anders handeln würde«516. Um einheitliches
Handeln sicherzustellen, sollten sich die Unterführer dabei in die Person des
Vorgesetzten versetzen, wie z.B. Ausbildungsunterlagen aus der Heeresschule
für Bataillons- und Abteilungsführer in Mourmelon belegen. So hatte sich der
Unterführer für den Fall des Abweichens vom Auftrag zu fragen:
»a) Wie würde der vorgesetzte Führer befehlen, wenn er zur Stelle wäre? !
[b)] Wie wird dem Ganzen am meisten genützt517?«
Das Handeln ohne Befehl und das Abweichen vom Auftrag sind zweifelsohne
zwei entscheidende Aspekte der Auftragstaktik, sie bilden aber zugleich auch !
ihre Extremform ab. So wies die Heeresnachrichtenschule in einem Merkblatt
zur Lagebeurteilung und Entschlussfassung darauf hin, dass das Abweichen vom
Auftrag bloß »sehr seltene Fälle« ausmache518. Noch drastischer relativierte dies
der Chef des Ausbildungswesens im Ersatzheer 1944 (General der Pioniere Walter
Kuntze): »Abweichen vom Auftrag 5 %, festhalten 95 %519.« Die »Richtlinien für
den Unterricht in Taktik und Geländekunde an den Kriegsschulen des Heeres«,
die den Lehroffizieren auf den Kriegs- und Waffenschulen als Grundlage für
den Unterricht dienen sollten, hielten ebenfalls unmissverständlich fest, dass ein
Abweichen von einem Auftrag nur bei völlig geänderter Lage und als Handeln im

515
Vgl. auch Manstein, Verlorene Siege, S. 414.
516
Richtlinien für den Unterricht in Taktik und Geländekunde an den Kriegsschulen des
Heeres, 1938, BArch, RH 54/66, S. 6; In EB, Richtlinien für den Unterricht in Taktik und
Geländekunde an den Kriegsschulen des Heeres, 2.1.1942, BArch, RHD 31/24, S. 7. Vgl.
auch Kompanieführerschule Wahn/Kdr., Das Soldatentum in der Verkörperung des Kom-
panieführers im Kriege, 9.2.1940, BArch, RH 17/507, S. 4 (Hervorhebung im Original):
»Ist ein Befehl unausführbar geworden, sind Geschehnisse eingetreten, die der befehligende !
Vorgesetzte bei Ausgabe seines Befehls nicht wissen konnte, so hat der Kompanieführer im
Geiste seines Vorgesetzten selbständig und verantwortungsbewusst zu handeln.«
517
Btl.-/Abt.-Führerschule [Mourmelon], Die Beurteilung der Lage, 6.1.1942, BArch,
RH 17/197, S. 2. Ähnlich: Kr.Ak./Hörsaal If, Hinweise für schriftliche Bearbeitung
von Beurteilung der Lage und Entschluss, 1938/39, BArch, RH 16/v. 29; [Chef des
Ausbildungswesens im Ersatzheer], Führungsgrundsätze, [1944], BArch, RH 68/4.
518
Heeresnachrichtenschule/Lehrstab A, Merkblatt 9. Anhaltspunkte für Beurteilung von
Lagen u. Entschlussfassung, November 1941, BArch, RH 17/345, S. 2. Ähnlich: Däniker,
Einheitlichkeit, S. 4.
519
[Chef des Ausbildungswesens im Ersatzheer], Führungsgrundsätze, [1944], BArch,
RH 68/4.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 117

Sinne des Ganzen zulässig sei. Allerdings müssten »derartige Lagen [...] Ausnahmen
sein und als solche auch scharf herausgestellt werden«520. Didaktisch »am rich-
tigsten« seien jedoch »Entschlussaufgaben, in denen die Lösung ein Festhalten
am Auftrag« verlange, wohingegen man mit dem »begründeten« Abweichen vom
Auftrag gerade »bei Anfängern vorsichtig« sein müsse. Auch Altrichter wies dar-
auf hin, »dass ein Abweichen vom Auftrag oder das Unterlassen [...] sich nur auf
Ausnahmefälle beschränken« dürfe. Wenn immer möglich sollte »eine derartige
Absicht vor ihrer Ausführung der vorgesetzten Dienststelle zur Entscheidung«
gemeldet werden521.
Interessanterweise schien es aber auch beim Abweichen vom Auftrag einen !
Unterschied zwischen oberen und unteren Führern zu geben. Während Kriegs-
schüler wie gesehen nicht übermäßig zu einem solchen Verhalten erzogen werden
sollten, habe es nach Oberst i.G. Hermann Teske in der Generalstabsausbildung
bis 1936 dazu gehört, in den Taktikübungen Aufgaben zu stellen, »die nach
der gestellten Lage ein Handeln gegen den Befehl erforderten«, womit die
»Verantwortungskraft des Schülers« gefördert werden sollte522. Oberst i.G. Werner
von Tippelskirch wiederum schilderte, dass bis 1938 in der Kriegsakademieprüfung
von Generalstabsoffizieranwärtern verlangt wurde, »grundsätzlich vom Auftrag
abweichende Entschlüsse« zu präsentieren523.
Schließlich zeigt sich bei all dem auch, dass eine solche normative Forderung
als Zugeständnis an Moltkes Kriegsverständnis und seine Auffassung vom System
der Aushilfen zu verstehen ist. Wie gesehen war bereits dieser der Ansicht gewesen,
dass der friktionale Charakter des Krieges die Truppenführer häufig dazu zwingen
würde, »nach eigener Einsicht« zu handeln, da Aufträge durch die ständig wech-
selnden Lagen im Gefecht rasch überholt und veraltet sein konnten524. Deshalb
müssten die Truppenführer Auftrag und Lage fortwährend beurteilen. Für den
Fall, dass Auftrag und Lage nicht mehr übereinstimmten, sollte »die praktische
Intelligenz der Unterführer« diesen erlauben, »im Sinne des Vorgesetzten da zu
handeln [...], wo nach Zeit und Umständen sein Wille nicht ausdrücklich ausge-
sprochen werden konnte«525. Diesen Sachverhalt brachte das Exerzierreglement
der Infanterie von 1906 prägnant auf den Punkt:
»Aber in Fällen, in denen sich der Untergebene sagen muss, dass der Auftraggeber
die Verhältnisse nicht genügend übersehen konnte, oder wo der Befehl durch
die Ereignisse überholt ist, wird es Pflicht des Untergebenen, erhaltene Befehle
nicht oder abändernd auszuführen und dies dem Vorgesetzten zu melden. Für !
die Nichtbefolgung des Befehls bleibt ihm die volle Verantwortung526.«

520
Richtlinien für den Unterricht in Taktik und Geländekunde an den Kriegsschulen des
Heeres, 1938, BArch, RH 54/66, S. 6; In EB, Richtlinien für den Unterricht in Taktik und
Geländekunde an den Kriegsschulen des Heeres, 2.1.1942, BArch, RHD 31/24, S. 7. Dort
auch das Folgende.
521
Altrichter, Der soldatische Führer, S. 123.
522
Teske, Betrachtungen über den deutschen Generalstab, BArch, ZA 1/1868, S. 41.
523
Tippelskirch, Persönliche Schicksale und Eindrücke im Generalstab im Frieden, BArch,
ZA 1/1871, S. 6.
524
MMW, II/2: Verordnungen, S. 198, 207.
525
Moltke, Ausgewählte Werke, S. 296.
526
ExReglInf 1906, S. 90 f.
118 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Die Pflicht, in bestimmten Fällen einen Auftrag anzupassen, von Befehlen abzu-
weichen oder sie nicht auszuführen, findet sich als Grundsatzforderung auch in !
der FuG und der TF.
»Reicht der Auftrag als Grundlage des Handelns nicht mehr aus oder ist er
durch die Ereignisse überholt, so muss der Entschluss diesen Verhältnissen
Rechnung tragen. Wer einen Auftrag abändert oder nicht ausführt, hat dies zu
melden und übernimmt allein die Verantwortung für die Folgen. Stets muss er
im Rahmen des Ganzen handeln527.«
Neben dem klaren Hinweis darauf, dass es zwar die Pflicht des Truppenführers
ist, bei geänderten Rahmenbedingungen selbstständig zu handeln, er dabei aber
die volle Verantwortung für sein Handeln übernehmen müsse, fallen v.a. die re-
gulierenden Punkte auf. Die Forderung, unbedingt im Rahmen des Ganzen zu
handeln, weist erneut auf das grundsätzliche Problem der Selbstständigkeit hin.
Schon Moltke d.Ä. hatte bei allen Vorteilen selbstständigen Handelns erkannt,
dass dadurch die einheitliche Truppenführung bzw. die Leitung eines Gefechtes
erschwert werden konnte528. Deshalb sollten Truppenführer einerseits immer im
Sinne der Absicht des Vorgesetzten handeln, andererseits sich so rasch wie mög-
lich wieder der übergeordneten Stufe anschließen; ein erneuter Ausdruck der be-
reits oben erwähnten Gewichtung der »Ordre de Bataille« und des Nachdrucks
auf die Einheitlichkeit des Handelns. Andererseits musste ein solches selbststän- !
diges Handeln dem Vorgesetzten gemeldet werden, entweder sofort oder – für
den Fall unterbrochener Fernmeldewege – so rasch wie möglich529. Dem selbst-
ständigen Handeln waren also immer und von vornherein enge Grenzen gesetzt
worden. Die Selbstständigkeit ist folglich als Prinzip zu verstehen und darf nicht
als Schema oder verbindliches Gesetz aufgefasst werden. Wann immer es die Lage
erforderte, mussten die Selbstständigkeit der Unterführer und ihre Möglichkeiten !
zur Eigeninitiative eingeschränkt werden530.

Disziplin und Gehorsam – »der erste und wichtigste Grundsatz !!


in jeder brauchbaren Armee«531

In einem Erlass vom Oktober 1925 hatte sich Seeckt gezwungen gesehen, sein
»schärfstes Missfallen« über den vorherrschenden Mangel an Disziplin und
Gehorsam auszusprechen:
»Ich muss von den Kommandeuren den rücksichtslosen Einsatz ihrer Autorität
fordern, damit endlich der erste und wichtigste Grundsatz in jeder brauchba-
ren Armee – unbedingter Gehorsam – namentlich bei jedem Offizier durch-
greifend zur Geltung gebracht wird.

527
TF, S. 10 f. Vgl. auch FuG, S. 8.
528
Z.B. MMW, II/2: Verordnungen, S. 198. Siehe auch Kap. III.2.d).
529
D 645, S. 14, 29; AVI 130/9b, S. 41; H.Dv.g. 80, S. 26.
530
Vgl. Blume, Selbsttätigkeit der Führer im Kriege, S. 506 f.
531
Rw.M./Ch HL, Nr. 1220/10.25 PA (2) geheim, Betr.: Erziehung der Offiziere, 13.10.1925,
BArch, RH 12-1/102.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 119

Leider war gegen Ende des Krieges und in den nachfolgenden Wirren bei
vielen das Bewusstsein dafür, dass ein gegebener Befehl auch befolgt werden
muss, geschwunden532.«
Und in seinen Hinweisen für die Winterausbildung 1938/39 forderte der
Kommandierende General des VII. Armeekorps Schobert:
»Erziehung zur Disziplin! Ohne Disziplin keine Führung! Peinlichste Ausfüh­
rung von Befehlen! Auch, wenn sie unangenehm sind! Kein Besserwissertum!
Durchgreifen bei Verfehlungen hiergegen! Einsicht fördern, dass dies die
Grundlage allen Soldatentums ist533.«
Dies sind nur zwei von unzähligen Beispielen, die Verfehlungen gegen die Disziplin
und mangelhaftes Verständnis von Gehorsam beklagten534. Dabei waren auch die
Forderungen nach »unbedingtem« Gehorsam oder »peinlichster« Befehlstreue
nicht übermäßig hart oder rigide gestellt, sondern entsprachen vollends der zeit-
genössischen Auffassung. In Anbetracht der starken Betonung verantwortungs-
freudigen und selbstständigen Handelns in den preußisch-deutschen Vorschriften
wecken solche Forderungen jedoch grundsätzliche Zweifel an der Verträglichkeit
mit einem dementsprechend streng verstandenen Gehorsam. Wie im vorhe-
rigen Kapitel gesehen lag bereits im zeitgenössischen Diskurs ein besonderes
Augenmerk auf der Frage nach dem richtigen Verhältnis zwischen straffer, einheit-
licher Führung auf der einen sowie Selbstständigkeit und Verantwortungsfreude
der Unterführer auf der anderen Seite. Tatsächlich handelte es sich dabei sogar
um ein »zentrale[s] Problem« der preußisch-deutschen Führungsdoktrin, das
eng mit den Elementen der Disziplin bzw. »Manneszucht« und des Gehorsams
zusammenhing535. Leistenschneider und Raths erkannten in der Disziplin und
dem Gehorsam zu Recht keinen Gegensatz zur Selbstständigkeit, sondern viel-
mehr ihren Ausgleich, sodass erst die Verbindung beider Elemente das eigentliche
Wesen der Auftragstaktik bildete536, wie bei den vorherigen Ausführungen zum
Element der Selbstständigkeit bereits angeklungen ist. Schon Däniker hatte auf
diesen Zusammenhang hingewiesen:
»Auf den Grundmauern, auf denen jede Armee ruht, finden sich zwei funda-
mentale Forderungen mit deutlich sichtbaren Lettern eingemeißelt; die eine

532
Ebd.
533
Der K.G. des VII. AK, Betr.: Ausbildung, 4.11.1938, BArch, RH 53-7/v. 108 (Hervorhe-
bung im Original).
534
Zahlreiche Richtlinien der Heeresleitung belegen disziplinarisches Fehlverhalten von
Offizieren und Offiziersanwärtern, siehe z.B. Offiziere im Bild von Dokumenten, Nr. 79,
81, 93, 103, 108, 109.
535
Weniger, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 108. Auch Meier-Dörnberg spricht
diesbezüglich von dem »Kardinalproblem der Truppenführung zwischen Ordnung und
Freiheit«. Meier-Dörnberg, Moltke, S. 45. Die folgenden Äußerungen zu Disziplin und
Gehorsam sind immer in Bezug auf die Führung zu verstehen und beziehen sich grundsätz-
lich auf die funktionale Disziplin. Nicht explizit thematisiert wird die formale Disziplin,
deren Verfehlungen sich z.B. in Mängeln der äußeren Haltung (Uniform, Verhalten in der
Öffentlichkeit, Verstöße gegen die Ehrauffassung etc.) zeigten.
536
Raths, Vom Massensturm zur Stoßtrupptaktik, S. 30; Leistenschneider, Auftragstaktik,
S. 83‑85.
120 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

verlangt unbedingte Disziplin von zu unterst bis zu oberst [sic!], die andere
Selbständigkeit der Unterführer537.«
Gemäß Däniker stellten beide Forderungen keinen »inneren Widerspruch« dar,
weil ein solcher nur auf den ersten Blick bestünde, mit Disziplin aber eben nicht
»Unterwürfigkeit« und mit Selbstständigkeit nicht willkürliches, eigenmäch-
tiges Handeln gemeint sei. Noch weiter ging H. Frhr. von Wangenheim, nach
dessen Meinung sogar die Disziplin selbst auf zwei Säulen fußte, nämlich auf
dem unbedingten Gehorsam – »dort, wo er gefordert werden müsse« – und der
»freie[n] Initiative«538. Ähnlich argumentierend meinte auch Weniger, dass sich
der wirkliche Sinn des Gehorsams nur entfalten könne, wenn er mit selbstständi-
gem Urteilen und Denken ergänzt würde. Andernfalls verkomme der Gehorsam
zum »Kadavergehorsam, der in sturer Unbeweglichkeit nichts vom Geist des
Befehls in sich aufnimmt«539. In gleicher Weise erläuterte Altrichter, dass »sich das
Wesen der Disziplin nicht in Form sofortigen, unbedingten und buchstäblichen
Gehorsams äußer[e]«540. Er unterstrich, dass die Auffassung »eines mechanischen
Gehorsamsprinzips« gerade »im Kampfe und auf dem geistigen Gebiet des solda-
tischen Führertums« nicht genüge541. Ebenso unterstrich auch Erich Schwinge,
dass »im preussich-deutschen Heere [...] der Gehorsam niemals ein wortlautge-
bundener, sondern stets ein sinnbestimmter gewesen« sei und stets »an Einsicht
und Denkvermögen des Untergebenen« appelliert habe542.
In der bisherigen Analyse der preußisch-deutschen Führungs- und Ausbildungs-
vorschriften wurde bereits mehrmals erkannt, dass die einzelnen Elemente nicht
voneinander getrennt betrachtet werden können. Im Zusammenhang mit dem
Element der Entschlossenheit wurde z.B. bereits festgehalten, dass die Disziplin
im preußisch-deutschen Führungsdenken als »Grundpfeiler der Armee« betrach-
tet wurde, deren »strenge Aufrechterhaltung eine Wohlthat für Alle« sei und als
unabdingbare Vorbedingung für den Erfolg im Gefecht angeschaut wurde543.
Diese Aussage Moltkes aus den Verordnungen von 1869 behielt bis in die Heeres-
Ausbildungsvorschriften der Wehrmacht ihre Gültigkeit544. An anderer Stelle ver-

537
Däniker, Einheitlichkeit, S. 1 (Hervorhebung im Original). Dort auch das Folgende.
538
Institut für europäische Politik und Wirtschaft, Gehorsam – Verantwortung – Eid des
Soldaten, BArch, ZA 1/2777, S. 78.
539
Weniger, Führerauslese (1941), S. 205.
540
Altrichter, Der soldatische Führer, S. 321. Dort auch das Folgende.
541
Eine Aussage von Gen.d.Pz.Tr. Heinrich Eberbach deutet allerdings darauf, dass es innerhalb
des Offizierkorps vermutlich sehr unterschiedliche, von persönlichen Aspekten beeinflusste
Auffassungen über Gehorsam gegeben hat. Mit Verweis auf den Widerstand meinte er, dass
»Gersdorf[f ] [...] sich diese Sache nie überlegen würde. Das kommt für ihn gar nicht in Frage.
Er ist ein Preuße. Für den gibt es nur den Befehl, während wir [Eberbach war Schwabe] viel
eher zu aufrührerischen Gedanken neigen«. Aussage Eberbachs, 14./15.2.1945, in: Neitzel,
Abgehört, S. 185 (Dok. 64). Ob sich die persönliche Meinung Ebersbachs indes so verabso-
lutieren lässt, ist im Hinblick auf die Fallbeispiele in Kap. IV aber doch fraglich.
542
Schwinge sah »darin [...] zu allen Zeiten das Wesen und die Stärke preußisch-deutschen
Soldaten- und Führertums«. Schwinge, Soldatischer Gehorsam, S. 11.
543
MMW, II 2, Verordnungen, S. 174. Vgl. auch Altrichter, Seele, S. 621.
544
Verordnungen über die Ausbildung der Truppen 1870, S. 2; FO 1887/1894, S. 9;
FO 1908, S. 9; D.V.E. Nr. 53, S. 14; AVF 1918, S. 9; AVI 130/I, S. 9 f.; AVA 200/I, S. 5 f.;
AVN 421/I, S. 5 f.; TF, S. 4; D 81/2+, Besichtigungsbemerkungen 1936 vom 5.1.1937,
S. 6; AVI 130/1, S. 6; AVA 200/1a, S. 9 f.; AVK 299/1, S. 5 f.; AVPz 470/1, S. 8. Vgl. auch
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 121

deutlichte Moltke d.Ä., was er unter Disziplin verstand: »Autorität von oben und
Gehorsam von unten, mit einem Worte Disziplin ist die ganze Seele der Armee545.«
Neben dem Gehorsam gehörten aber auch »der militärische Geist, die Hin- !
gebung, [...] die Selbständigkeit und Ausdauer« zur Disziplin. Aus diesen Aus-
sagen erklären sich auch die Funktionen der Disziplin. Zum einen sollte sie die
»innere Festigkeit« der Truppe fördern und sicherstellen, dass diese »in erns-
ten Augenblicken und unter dem Eindruck unerwarteter Ereignisse« standhaft
blieb und nicht versagte546. Zum anderen muss die Betonung der Disziplin
auch im Zusammenhang mit dem Ausgleich zwischen Einheitlichkeit und !
Selbstständigkeit gesehen werden. Dies belegt etwa die bei Moltke d.Ä. an an-
derer Stelle zu findende Aussage, wonach »die Disziplin der Truppen« dafür
bürge, dass der Wille des Vorgesetzten »überall zur Ausführung gelange«547. Es
wurde bereits darauf hingewiesen, dass dadurch das Regulativ der Absicht ge-
stärkt werden sollte, nach der die Unterführer zu handeln hatten. Auch diese
Aussage wurde in den Heeresvorschriften sinngemäß beibehalten, wobei gerade
das Gewicht des »gegenseitige[n] Vertrauen[s] zwischen Führer und Geführten«
als »sicherste Grundlage der Mannszucht in Not und Gefahr« besonders hervor-
gehoben wurde548. Am deutlichsten findet sich der Ausgleich zwischen Disziplin
und Selbstständigkeit jedoch in der Mahnung, die »eingeräumte Selbständigkeit
nicht zur Willkür zu missbrauchen« oder sogar »gegebene Befehle nicht peinlich !
zu befolgen und ein Besserwissen an Stelle des Gehorsams treten zu lassen«549. Bei
aller Betonung des entschlossenen, verantwortungsfreudigen und selbstständigen
Handelns der Unterführer stellten die Führungs- und Ausbildungsvorschriften
immer unmissverständlich klar, dass das Prinzip des Gehorsams zu berück-
sichtigen war. Bereits Clausewitz hatte in diesem Sinne auf die Grenzen der
Entschlossenheit hingewiesen und gewarnt:
»Nur wo die Kühnheit sich gegen den Gehorsam des Geistes auflehnt, wo sie
einen ausgesprochenen höheren Willen geringschätzend verlässt, da muss sie

Stellv.Gen.Kdo. VII. AK/Ia/d, Nr. 7771/40 geh., Betr.: Innerer Dienst, Verhalten in der
Öffentlichkeit usw., 22.7.1940, BArch, RH 54/118.
545
MMW, IV/3, S. 127 f. Dort auch das folgende Zitat.
546
TF, S. 4. Vgl. auch FO 1887/1894, S. 9; FO 1908, S. 9. Es erstaunt nicht, dass nach den
Erfahrungen am Ende des Ersten Weltkrieges gerade die Vorschriften des Reichsheeres die
Disziplin als entscheidenden Faktor für »den festen inneren Zusammenhalt« der Truppe
ausmachten, mit der diese »die auflösenden Wirkungen des Kampfes überwinden« sollte.
AVI 130/I, S. 9; AVA 200/I, S. 5; AVN 421/I, S. 5. Gerade in diesem Zusammenhang lag
die Betonung eher auf der formellen als auf der funktionalen Disziplin.
547
MMW, II/2: Verordnungen, S. 174 (Hervorhebung im Original). Vgl. auch Verordnungen
über die Ausbildung der Truppen 1870, S. 7; D.V.E. Nr. 53, S. 14. Ebenso: Altrichter,
Seele, S. 621.
548
AVI 130/1, S. 6. Vgl. auch ExReglInf 1888, S. 89, 104; ExReglInf 1906, S. 81; FO 1908,
S. 10; FuG, S. 7 f.; AVI 130/I, S. 9; AVA 200/I, S. 5; AVN 421/I, S. 5; TF, S. 2; AVA 200/1a,
S. 9; AVK 299/1, S. 5; H.Dv.g. 92/1, S. 2; AVPz 470/1, S. 7; AVI 130/20, S. 11; OKH/
Heerwesenabt. b. Gen.z.b.V. b. OKH, Nr. 2500/42 PA (2) Ia, Nr. 6190/42, Betr.: Inneres
Gefüge der Truppe, 22.5.1942, BArch, RH 15/186; H.Dv. 3/4, Berufspflichten, S. 3.
549
ExReglInf 1888, S. 109; ExReglInf 1906, S. 84, 90; D.V.E. Nr. 53, S. 14; TF, S. 2. Vgl.
auch AVI 130/I, S. 10; AVA 200/I, S. 6; AVN 421/I, S. 6.
122 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

[...] wie ein gefährliches Übel behandelt werden, denn nichts geht im Kriege !!
über den Gehorsam550.«
Disziplin ist aber bei weitem nicht nur als formelle Disziplin zu verstehen, die
für äußere Zucht und Ordnung sorgte und Befehle gehorsam ausführen ließ.
Disziplin und Gehorsam durften gerade nicht »als ein passives Geschehenlassen«
verstanden werden, sondern schlossen als wesentlichen Aspekt ein »aktive[s]
Element«551 mit ein. Diese innere, »geistige Disziplin« sollte den Untergebenen
dazu bringen, »in die Gedankengänge seines Vorgesetzten einzutreten, seinen
Willen zum eigenen Willen zu machen und durch aktives Handeln zu tun, was
überhaupt menschenmöglich ist, das zu erreichen, was der Befehl anstrebt, kurz-
um seiner Idee zu genügen«552. Disziplin und Gehorsam richteten sich somit nach
zwei Seiten aus, nach der Sache und der Absicht des Vorgesetzten553. Gehorsam
handeln bedeutete demzufolge, bei der Ausführung eines Auftrags zum einen zu
berücksichtigen, was der Vorgesetzte damit bezwecken wollte, und zum anderen
den erhaltenen Auftrag mit der Realität in Einklang zu bringen. Friedrich von
Boetticher beschrieb diesen erweiterten Sinn des Gehorsams und erläuterte auch
gerade die Verknüpfung mit der Selbstständigkeit:
»Oft verliert einfach durch die gegebenen Umstände [...] gerade im Felde der
Befehl an Genauigkeit. Er präzisiert noch das Endziel, lässt aber die Kenn-
zeichnung der wichtigsten Mittel zur Erreichung dieses Zieles vermissen. Hier
muss sich die einfache Disziplin des Gehorchens zur Initiative und Aktivie-
rung des persönlichen Willens entwickeln, alles das zu tun, was zwar nicht un-
mittelbar befohlen wurde, was aber nach Sachlage zur Erreichung des letzten
Zielpunktes notwendig erscheint. Das heißt also einsichtsvoll zu durchschau-
en und erfassen, was der befehligende Führer will554.«
Nach Weniger enthielt die »absolute Gehorsamspflicht« deshalb »nicht zuletzt die
Forderung, dass er [d.h. der Offizier; der Verf.] sich wandeln könne gegenüber
jeder neuen Beanspruchung«555. Damit meinte Weniger die Forderungen in den
Vorschriften, wonach die Truppenführer wendig und anpassungsfähig auf neue
Lagen reagieren sollten556. Da bei einem solchen aktiv handelnden Gehorsam
außerdem die Verantwortung des Truppenführers, sein verantwortungsbewuss-
tes Handeln mit einbezogen war, wird letztlich auch aus der Angelegenheit der

550
Clausewitz, Vom Kriege, S. 367.
551
Kompanieführerschule Wahn/Kdr., Das Soldatentum in der Verkörperung des Kompanie-
führers im Kriege, 9.2.1940, BArch, RH 17/507, S. 6; Däniker, Einheitlichkeit, S. 2.
552
Altrichter, Der soldatische Führer, S. 123; Stapf, Gedanken über soldatisches Führertum,
BArch, ZA 1/1666, S. 1; In EB, Berufs- und Lebensregeln für Offizier-Anwärter des
Heeres, April 1940, BArch, RH 12-1/81; Däniker, Einheitlichkeit, S. 2 (Zitat). Vgl. auch
Kompanieführerschule Wahn/Kdr., Das Soldatentum in der Verkörperung des Kompanie-
führers im Kriege, 9.2.1940, BArch, RH 17/507, S. 2.
553
Weniger, Führerauslese (1941), S. 201.
554
Zit. nach: Kompanieführerschule Wahn/Kdr., Das Soldatentum in der Verkörperung des
Kompanieführers im Kriege, 9.2.1940, BArch, RH 17/507, S. 6.
555
Weniger, Führerauslese (1941), S. 200.
556
Z.B. D 77+, S. 13 f.; AVI 130/9b, S. 10; H.Dv. 299/11d, S. 30; AVPz 470/10, S. 6;
AVPz 470/12, S. 17, 42; H.Dv.g. 80, S. 20; Merkblatt g. 15/1, Richtlinien für den Einsatz
der Panzer-Pionier-Kompanie vom 13.3.1941, S. 2.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 123

Disziplin und des Gehorsams eine Charakterfrage557. Diese Frage war enorm
wichtig, war sie doch notwendig, um die Spannung zwischen Einheitlichkeit und
Unterordnung auf der einen sowie Freiheit und Selbstständigkeit auf der ande-
ren Seite aufzulösen. Der Gehorsam sollte schließlich »kein stumpfes Folgen« ei-
nes Befehls darstellen, andererseits waren Befehle – trotz aktiven Elementes im
Gehorsam – bindend und durften »nicht nach dem Gutdünken jedes einzelnen
ausgelegt werden«558. Dieser Ausgleich sollte durch das erwähnte Vertrauen ge-
schaffen werden, aber auch durch die Betonung anderer abstrakter Werte wie
Pflichtbewusstsein, Ehre oder Kameradschaft559.
Damit sei noch kurz auf die Begrifflichkeit des »absoluten« Gehorsams ver-
wiesen. Gerade im Zusammenhang mit der Auftragstaktik wird in der Literatur
versucht, das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Unterordnung dadurch zu lö-
sen, indem das Element des Gehorsams mit Attributen wie »mitdenkend«, »qua-
lifiziert« oder »selektiv« näher umschrieben wird. Diese Differenzierung scheint
vordergründig eine Abgrenzung zum »absoluten«, d.h. unbedingten, bedingungs-
losen oder blinden Gehorsam zu ermöglichen, der in der Literatur schon fast we-
sensgemäß der »Befehlstaktik« zugeordnet wird. Eine solche Gegenüberstellung
von mitdenkendem und absolutem Gehorsam ist jedoch falsch und dient kei-
neswegs dem Verständnis für den Aspekt des Gehorsams und seiner richtigen
Einordnung in die Problematik zwischen Ordnung und Freiheit. Die Analyse
der preußisch-deutschen Führungs- und Ausbildungsvorschriften hat im Gegen-
teil gezeigt, dass Disziplin und Gehorsam oder deren Aufrechterhaltung durch­ !!
gehend absolut aufgefasst wurden. Dies wird auch durch die adjektivischen
Hervorhebungen in den Vorschriften unterstrichen, wo »eiserne«, »soldatische«,
»schärfste«, »streng(st)e« Disziplin, »stramme Zucht« und »unbedingter Gehor-
sam« sowie die »peinliche« Befolgung von Befehlen gefordert wurde560. Vor die-
sem Hintergrund sind auch die Aussagen über die »Heiligkeit des Befehls« bzw.
die »Heiligkeit des Befehls und Auftrages« zu verstehen561. Der Oberbefehlshaber

557
Vgl. Däniker, Einheitlichkeit, S. 2; Däniker, Die Ursachen der deutschen Siege, S. 194.
Vgl. auch Bücheler, Hoepner, S. 211 f. In diesem Zusammenhang ist auch Moltkes Aus-
spruch zu sehen: »Gehorsam ist Prinzip, aber der Mann steht über dem Prinzip.« Moltke,
Ausgewählte Werke, S. 299.
558
In EB/F/II, Az. KS VI 18, Nr. II 50/43, Richtlinien für den Unterricht in Heerwesen und
Nationalpolitik, Heft 1, 1.2.1943, BArch, RH 12-1/78, S. 25, 30.
559
Vgl. Stapf, Gedanken über soldatisches Führertum, BArch, ZA 1/1666, S. 1., H.Dv. 3/4,
Berufspflichten, S. 3.
560
Siehe MMW, II/2, S. 174, 179; ExReglInf 1888, S. 1; ExReglInf 1906, S. 1, 81, 90; AVF
1918, S. 9; D.V.E. Nr. 53, S. 14, 53 f.; TF, S. 2‑4; AVI 130/I, S. 10; AVA 200/I, S. 6;
AVN 421/I, S. 6; AVI 130/1, S. 6; AVA 200/1a, S. 9; AVK 299/1, S. 5; AVPz 470/1, S. 8;
AVI 130/20, S. 12; ObdH/GenStdH/GenQu (III), Nr. 14816/40, Betr.: Mannszucht,
19.6.1940, BArch, RHD 23/2. Unverständlich muten deshalb Aussagen wie z.B. die von
Hürter an, dass »der Begriff des ›absoluten Gehorsams‹ [...] den Oberbefehlshabern des
Ostheeres von 1941/42, die im Kaiserreich beruflich sozialisiert worden waren, weitgehend
fremd« gewesen sei. Hürter, Hitlers Heerführer, S. 354. Ähnlich: Grundzüge der deutschen
Militärgeschichte, Bd 1, S. 309 (Beitrag Zeidler).
561
Kompanieführerschule Wahn/Kdr., Das Soldatentum in der Verkörperung des Kom-
panieführers im Kriege, 9.2.1940, BArch, RH 17/507, S. 3; In EB/F/II, Az. KS VI 18,
Nr. II 50/43, Richtlinien für den Unterricht in Heerwesen und Nationalpolitik, Heft 1,
124 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

des Heeresgruppenkommandos 3 General der Infanterie Johannes Blaskowitz for-


derte in einer Kommandeursbesprechung 1938 deshalb kategorisch:
»Jugend zur unbedingten Autorität des Befehls erziehen! Kein Besserwissen;
Nichtgehorchen von Befehlen gehört vor ein Kriegsgericht562.«
Auch die Beschwörung einer sogenannten preußisch-deutschen Tradition, die
»Insubordination als Gebot«563 verstanden habe, zielt am eigentlichen Verständnis
von Gehorsam vorbei. Dies gilt selbst für die Anbindung des Gehorsams an die
»sittliche« Verantwortung des höheren Truppenführers gegenüber seinen Truppen,
wie sie etwa Hoepner postulierte:
»Man kann an den Führer einer Armee nicht ebenso befehlen wie an einen
Feldwachhabenden. So ist denn auch die Form des Gehorsams verschieden564.«
Schließlich konstatierte auch Altrichter, dass für Truppenführer »andere Maßstäbe
für die Auffassung von Disziplin gelten«, allerdings nicht ohne die damit zusam-
menhängende Problematik zu benennen:
»Je höher die Führerstellen, um so größer wird die Last der Verantwortung und
der tatsächliche Anteil am Erfolge und Misserfolge. Dadurch erweitern sich
von selbst die Grenzen für die Selbständigkeit der Entschlussfassung auf der
Stufenleiter der militärischen Befehlsführung nach oben. Hier ist das Gebiet,
wo gewaltige Konflikte zwischen Führerverantwortlichkeit und Gehorsam,
geistiger Freiheit und sachlicher Gebundenheit entstehen können. Durch die
neuere Kriegsgeschichte zieht sich dieser Zwiespalt wie ein roter Faden565.«
Selbst der in diesen Beispielen angesprochene Konflikt mit dem Gehorsam recht-
fertigt keine Gleichsetzung mit »Insubordination«, da größere Verantwortung !
gleichzeitig auch einen breiteren Handlungsspielraum mit einschloss. In meinen
Ausführungen wurde zudem bereits darauf hingewiesen, dass »absolut« nicht
als rein positivistische Auslegung eines Befehls bzw. wörtliches Handeln danach
missverstanden werden darf, sondern wie das Element der Selbstständigkeit ei-
nen aktiven Aspekt beinhaltete. Gerade aus diesem Grund konnten mit Disziplin
und absolutem Gehorsam nicht bloß die »Erziehung von willenlosen Werkzeugen
zu blindem Gehorsam« gemeint sein566. In einer Kommandeursbesprechung des
Generalkommandos VI. Armeekorps (Kluge) vom November 1937 wurde dies in
bildhafter Sprache verdeutlicht:
»Denn das gerade ist es, was den edlen Soldaten, den Offizier kennzeichnet,
dass sein Gehorsam – mehr als bedingungslos – ein freiwilliger ist, gewis-
sermaßen der Ausdruck seiner seelischen Bereitschaft, den Führerwillen in sich
aufzusaugen, um – von ihm befruchtet – die Tat zu gebähren [sic!]567.«

1.2.1943, BArch, RH 12-1/78, S. 30. Vgl. auch Oechelhaeuser, Wir zogen in das Feld,
S. 128.
562
OB Gruppe 3, Ausbildungsfragen, 25.5.1938, BArch, RH 53-7/v. 108 (Hervorhebung im
Original).
563
Scheurig, Insubordination als Gebot.
564
Zit. nach: Bücheler, Hoepner, S. 211.
565
Altrichter, Der soldatische Führer, S. 122.
566
Boetticher, Gehorchen und Führen, S. 538.
567
VI. A.K., Erziehung des Offizierkorps, November 1937, BArch, ZA 1/2785, S. 4 (Her-
vorhebung im Original). Vgl. auch Simoneit, Gedanken über Soldaten-Erziehung, 1940,
BArch, RH 12-1/75, S. 5: »Das ist die große nahezu magische Gebundenheit des preu-
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 125

Die Vorstellung, wonach Disziplin sowohl »streng« als auch »freiwillig« sein sollte,
wurde nicht als Widerspruch empfunden568. Vielmehr war dies Ausdruck einer
besonderen Pflichtauffassung, die nicht nur darin bestand, »Befehle aus[zu]füh-
ren, sondern selbst sich Aufgaben [zu] stellen, mit[zu]arbeiten, sich verantwortlich
[zu] fühlen569. Der wahre »Wert der militärischen Ausbildung« zeigte sich deshalb
nicht in der »Beherrschung der Form«, sondern darin, dass »das Verständnis für
den Zweck des Erlernten und die Fähigkeit selbsttätiger Anwendung« geweckt
wurde, weil ein »Soldat, der nur gelernt hat, nach Befehlen zu handeln, [...] au-
ßerhalb des Heeres und im Felde versagen« würde570. Auch die erwähnte Weisung
Schoberts für die Winterausbildung 1938/39 verfolgte keine Erziehung zu blin-
dem Gehorsam. Die Erziehung hatte vielmehr »zum Ziel: Soldaten von inne­ !
rem Halt und äußerer Haltung zu formen«571. Im Vordergrund stand dabei aber
nicht »die starre äußere Form«, sondern »die sehr viel schwierigere Erziehung zum
charaktervollen und einsatzbereiten Kämpfer«572. Entscheidend war deshalb die
Kombination von »Erziehung zum Verantwortungsbewusstsein« einerseits und
Betonung »straffer Dienstauffassung« andererseits573. Auf die Verknüpfung der
»Manneszucht« mit »selbständige[n] und verantwortungsfreudige[n] Soldaten«
verwies auch der von der Heeresschule für Bataillons- und Abteilungsführer
Antwerpen 1944 verfasste Entwurf des »Kompanieführer-Taschenbuches«, nicht
ohne explizit einzuschärfen, dass »die Manneszucht [...] den Charakter nicht tö-
ten, sondern ihn stärken« solle574.
Schließlich wurde auch das Element der Disziplin, besonders der Begriff
des Gehorsams, stark von der NS-Ideologie beansprucht. Gerade in Bezug
auf den Aspekt des aktiven Gehorsams und der damit zusammenhängenden
Verantwortung zeigt sich deutlich, wie sehr sich der militärische vom national-
sozialistischen Gehorsamsbegriff unterschied. So meinte Heinrich Himmler in
einer Rede vor einer Volksgrenadierdivision in Grafenwöhr am 25. Juli 1944:
»Die Strenge des Gehorsams und die Höhe der Pflichterfüllung steigen mit dem
Dienstgrad. Ich muss von Ihnen hier im Saal am besten und am meisten gehor-
chen, denn ich habe den höchsten Rang. Ich habe die höchste Verantwortung,
und jeder von Ihnen entsprechend seinem Rang hat zu gehorchen575.«

ßischen Gehorsams, dass er unabhängig von Lust oder Unlust mit Kant’scher Kühle zu
dienen versteht.«
568
»Auffassung der Disziplin: streng, freiwillig.« 58. ID, Grundlagen und Aufgaben des
Offizier-Korps, [Winter 1941/42], BArch, RH 26-58/37.
569
Ebd. Vgl. auch Leitgedanken, S. 16 f.
570
TA, Nr. 300/30 geh.Kdos. T4/Ia, Entwurf der Richtlinien für die Ausbildung im Heere
1930, Juni 1930, BArch, RH 12-1/7, S. 3 f.
571
Der K.G. des VII. AK, Betr.: Ausbildung, 4.11.1938, BArch, RH 53-7/v. 108 (Hervor-
hebung im Original).
572
Gen.Kdo. VII. AK/Ia, Nr. 5175 geh., Betreff: Ausbildung im Ausbildungsjahr 1936/1937,
25.8.1936, BArch, RH 53-7/v. 38, S. 2.
573
57. ID/Ia Nr. 185/39, Erfahrungen und Wünsche bezüglich Ausbildung der Ersatztruppen,
6.11.1939, BArch, RH 53-7/v. 206.
574
Neubearbeitung des Kompanieführer-Taschenbuches, 1943‑1945, BArch, RH 2/2877,
Bl. 147.
575
Zit. nach: Himmler, Geheimreden, S. 241. Vgl. auch die entsprechende Passage aus seiner
Rede vor dem Offizierkorps der 545. Volksgrenadierdivision in Bitsch am 26.7.1944. Ebd.,
S. 224.
126 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Himmler verstand den Gehorsamsbegriff also gerade vice versa wie z.B. der wei-
ter oben erwähnte Altrichter und gestand den hohen Truppenführern trotz grö-
ßerer Verantwortung nicht mehr Handlungsfreiheit zu. Deutlich tritt in dieser
Auffassung das Verständnis des nationalsozialistischen Führerprinzips hervor576.
Hitler selbst hatte diesen Gesichtspunkt bereits früher klar gemacht, z.B. wäh-
rend der Winterkrise 1941/42. Der damalige Chef der Operationsabteilung im
Generalstab des Heeres und spätere Generalleutnant Adolf Heusinger schilderte
folgende Aussage Hitlers aus einer Lagebesprechung:
»Die Generale haben genauso zu gehorchen wie der kleine Musketier [...] Ich
führe, und da haben sich alle bedingungslos unterzuordnen [...] Ich trage die
Verantwortung! Ich allein und niemand anders577!«
Die entscheidende Frage ist nun, ob sich der militärische Gehorsamsbegriff
durch den nationalsozalistischen Einfluss im Verlauf des Krieges verändert hat.
Nach Jürgen Förster hat das deutsche Heer zwischen 1933 und 1945 »eine
Transformation im Sinne des Regimes« durchgemacht, die sich besonders ab
Herbst 1942 beschleunigte578. Dass sich im Zuge dieser geistigen Durchdringung,
die wie erwähnt auch durch Exponenten der obersten militärischen Führung wie
Blomberg, Brauchitsch oder Keitel gefördert wurde, auch der Gehorsamsbegriff
wandeln musste, ist naheliegend579. Verschiedene Dokumente, aus denen deutlich
wird, dass die Disziplin im althergebrachten Verständnis – insbesondere in ihrer
Ausprägung als aktivem Gehorsam – an Gewichtung eingebüßt hat oder ganz weg-
gefallen ist, scheinen dies ebenfalls zu belegen. Am deutlichsten unterstreicht dies
etwa ein Schreiben des Chefs der Wehrmacht-Rechtsabteilung vom 16. Mai 1945
mit der Überschrift »Führerbefehl ist Gesetz«580. Darin wird bezeugt, dass mit
dem Reichstagsbeschluss vom 26. April 1942 alle Führerbefehle zu »bindende[m]
Gesetz« geworden seien, die »unter allen Umständen ohne Widerspruch zu befol-
gen« gewesen seien. Dieser »Rechtsgrundsatz« habe besonders in der Wehrmacht
gegolten, da Hitler die Funktion des Oberbefehlshabers ausübte. Das Schreiben
griff nicht nur auf die Aspekte einer juristischen Diskussion zurück. Vielmehr
dokumentiert es wohl lediglich den formellen Abschluss einer Entwicklung,
die sich in der Praxis bereits weitgehend durchgesetzt hatte und auf den oberen
Führungsstufen mit Hitlers Übernahme des Oberbefehls über die Wehrmacht ab
1938 und über das Heer ab 1941 zusammenhing581. Dies belegen nicht nur obige
Aussage aus einer Lagebesprechung, sondern ab diesem Zeitpunkt verschiedene
Führerbefehle wie etwa derjenige vom 8. September 1942 über »grundsätzliche

576
Vgl. Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 391.
577
Heusinger, Befehl im Widerstreit, S. 163 (Hervorhebung im Original). Vgl. auch Demeter,
Das deutsche Offizierkorps, S. 201.
578
Förster, Die Wehrmacht im NS-Staat. Ein »grauer Fels in der braunen Flut«?, S. 263. Vgl.
auch DRWK, Bd 5/2, S. 856‑878 (Beitrag Kroener).
579
Vgl. Absolon, Die Wehrmacht im Dritten Reich, Bd 5, S. 282‑287, und Bd 6, S. 505‑513.
Offiziere im Bild von Dokumenten, S. 97‑104; Messerschmidt, Die Wehrmacht im NS-
Staat, S. 233.
580
Schreiben Chef Wehrmacht-Rechtsabteilung für Chef OKW, Führerbefehl ist Gesetz,
[16.5.1945], BArch, RW 2/v. 44. Dort auch das Folgende. Das Schreiben dürfte, da nach
Kriegsende verfasst, aber sicher auch bereits Verteidigungscharakter besessen haben.
581
Vgl. Messerschmidt, Das neue Gesicht des Militarismus, S. 279; Demeter, Das deutsche
Offizierkorps, S. 201.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 127

Aufgaben der Verteidigung«582. Darin sprach Hitler den Oberbefehlshabern von


Heeresgruppen und Armeen »grundsätzlich [...] das Recht« ab, »von sich aus eine
sogenannte taktische Ausweichbewegung vorzunehmen ohne meine ausdrückli-
che Genehmigung«583. Noch weit schärfer gefasst war Hitlers Weisung über die
militärische Führung vom 19. Januar 1945, worin er festlegte:
1.) Die Oberbefehlshaber, Kommandierenden Generale und Divisions-
Kommandeure sind mir persönlich dafür verantwortlich, dass mir
a) jeder Entschluss zu einer operativen Bewegung,
b) jeder beabsichtigte Angriff vom Divisionsverband an aufwärts, der
nicht im Rahmen von allgemeinen Weisungen der obersten Führung
liegt,
c) jedes Angriffsunternehmen an ruhigen Fronten über die normale Stoß-
trupptätigkeit hinaus [...],
d) jede beabsichtigte Absetz- oder Rückzugsbewegung,
e) jede beabsichtigte Aufgabe einer Stellung eines Ortsstützpunktes oder
einer Festung
so frühzeitig gemeldet wird, dass mir ein Eingreifen in diese Entschlussfassung
möglich ist und ein etwaiger Gegenbefehl die vorderste Truppe noch rechtzei-
tig erreicht584.«
Diese Weisung engte den Handlungsspielraum nicht nur erheblich ein, son-
dern umfasste im Gegensatz zum Befehl von September 1942 auch die
Truppenführer von Korps und Divisionen. Sehr deutlich zeigten sich der geän-
derte Gehorsamsbegriff und die Auswirkung auf die Anforderungen an die Person
eines Truppenführers auch in den Befehlen für die »Festen Plätze«. So hielt etwa
der »Führerbefehl Nr. 11« vom 8. März 1944 fest, dass als Kommandant eines
Festen Platzes nur »ein besonders ausgesuchter, harter Soldat« infrage komme, der
»mit seiner Soldatenehre für die Erfüllung seiner Aufgaben« haftete und »unter
rücksichtsloser Ausschöpfung aller Möglichkeiten [...] bis zum letzten« kämpfen
musste585.
Interessanterweise lässt sich jedoch in den Führungs- und Ausbildungsvor-
schriften wie schon für das Element der Entschlossenheit auch für die Disziplin
und den Gehorsam keine Umdeutung bezüglich Inhalt und Gehalt feststellen.
Dies könnte auf das Problem der Quellenlage zurückzuführen sein. Da die
Mehrzahl der untersuchten Dienstvorschriften aus der Zeit vor 1941 stamm-
te, ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Fokus in diesen Vorschriften auf
das Militärische beschränkt bleibt. Weitere normative Aussagen zur Frage des
Gehorsams fehlen, weil der Quellenbestand der provisorischen Dienstvorschriften
äußerst unübersichtlich und nur noch bruchstückweise überliefert ist. Allerdings
belegen auch die untersuchten Truppendokumente keine grundsätzliche inhalt-

582
Führer/OKH/GenStdH/Op.Abt. (I), Nr. 11153/42 g.Kdos.Chefs., 8.9.1942. In: Kriegs-
tagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (KTB OKW), Bd 2/2, S. 1292‑1297.
Ähnlich: Führer/OKH/GenStdH/Op.Abt. (I), Nr. 420817/42 g.Kdos.Chefs., Operations-
befehl Nr. 1, 14.10.1942. In: Ebd., S. 1301‑1304.
583
Führer/OKH/GenStdH/Op.Abt. (I), Nr. 11153/42 g.Kdos.Chefs., 8.9.1942. In: Ebd.,
S. 1297.
584
FS OKW/WFSt/Op (H), Nr. 00688/45 g Kdos, 19.1.1945. In: Hitlers Weisungen, S. 300.
585
Führer/OKH/GenStdH/Op.Abt. (I), Nr. 2434/44 g.Kdos., Führerbefehl Nr. 11, 8.3.1944.
In: Ebd., S. 243‑245.
128 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

liche Umdeutung des Gehorsamsbegriffs. Selbst die im März 1945 herausge-


gebene AVI 130/20 hatte sich in der Wortwahl zwar dem Sprachgebrauch des
NS-Regimes angenähert. Ideologische Betonungen im Bereich der Führung sind
aber – gleich wie beim Element der Entschlossenheit – nur erstaunlich selten
festzustellen und beschränken sich dann oft auf allgemeine Forderungen. In ihrer
Betonung von Disziplin und Vertrauen bewegt sich die Vorschrift jedenfalls ganz
in traditionellen Bahnen. Dies ist erstaunlich, da das Heerespersonalamt noch
am 2. Januar 1945 ganz im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie gefordert
hatte: »Der Offizier ist gehorsam. Erhaltene Befehle führt er ohne Kritik oder
inneren Widerspruch aus586.« Dieses Verständnis von Gehorsam hat sich in der
AVI 130/20 zumindest dahingehend ausgewirkt, dass darin ein möglicher aktiver
Aspekt des Gehorsams im Sinne des selbstständigen Handelns im Gegensatz zu
früheren Vorschriften nicht mehr zu finden ist587. Auch sind neben die Disziplin
als ausschlaggebender Grundlage für den Geist einer Truppe der ideologisch kon-
notierte Begriff der »Einsatzbereitschaft« und die »politisch-weltanschauliche
Haltung« getreten588. Gerade bei Letzterer ist jedoch nicht klar, inwiefern es sich
dabei bloß um einen leeren Passus oder Scheinbegriff handelte – ein Phänomen,
das in der Forschung z.B. im Zusammenhang mit den Offizierbeurteilungen
beobachtet wurde. Ab Herbst 1942 mussten diese nämlich auch Aussagen zur
ideologischen Grundeinstellung des Beurteilten machen589. In der Folge erfuhren
Bezeichnungen, mit denen die nationalsozialistische Haltung des Beurteilten be-
legt werden sollte, eine »geradezu inflationär[e] Verwendung«590.
Eine weitere mögliche Erklärung für die fehlende Umdeutung des Gehor-
samsbegriffs in den Dienstvorschriften liegt in einer partiellen Wertekongruenz.
So unbestritten nämlich eine »Teilidentität« der Ziele zwischen der Wehrmacht
und dem NS-Regime bestanden hat, so zweifellos deckten sich auch gewis-
se Wertevorstellungen der preußisch-deutschen militärischen Denkschule mit
denjenigen der NS-Ideologie591. Möglicherweise sahen das NS-Regime und
regimenahe Offiziere in der Wehrmachts- und Heeresführung deswegen kei-
nen Anlass, den normativen Gehorsamsbegriff anzupassen, weil dieser in den
Dienstvorschriften wie gesehen bereits sehr stark mit den Attributen »absolut«
oder »unbedingt« versehen war. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass der

586
Chef HPA/Ag P2/Chefgr. 1a, Nr. 300/45 g., Betr.: Erziehung und Haltung des Offizier-
korps, 2.1.1945, BArch, RH 15/186.
587
Vgl. AVI 130/20, S. 11‑17. Ganz anders der von der Heeresschule für Bataillons- und
Abteilungsführer Antwerpen verfasste Entwurf des »Kompanieführer-Taschenbuches« vom
12.2.1944. Darin wurde die Wichtigkeit von Selbstständigkeit, Verantwortungsfreude und
– als deren Grundlage – Disziplin betont, teils mit wörtlicher Wiedergabe der entsprechen-
den Ziffern aus der TF. Neubearbeitung des Kompanieführer-Taschenbuches, 1943‑1945,
BArch, RH 2/2877, z.B. Bl. 147‑151.
588
AVI 130/20, S. 12.
589
Absolon, Die Wehrmacht im Dritten Reich, Bd 6, S. 390 f.
590
Neitzel, Abgehört, S. 11. Dort auch der Verweis auf einen Tätigkeitsbericht Schmundts vom
24./25.6.1943, worin sich dieser darüber beklagte, dass aufgrund solcher Einschätzungen
»eine Wertung [...] kaum noch erfolgen kann«. Vgl. auch Megargee, Hitler und die
Generäle, S. 227.
591
Volkmann, Von Blomberg zu Keitel, S. 53; Müller, Armee und Drittes Reich, S. 41;
Müller, Militärgeschichte, S. 279; Offiziere im Bild von Dokumenten, S. 101; Hürter,
Hitlers Heerführer, S. 123‑142.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 129

Gehorsamsbegriff im nationalsozialistischen Sinne ausschließlich formell, im mili-


tärischen Sinne und besonders in Führungsbelangen jedoch in erheblichem Maße
funktional verstanden wurde. Scheinbar genügte eine vordergründig bestehende
Übereinstimmung. Vermutlich reichte dies auch deshalb, weil die diesbezüglich
relevanten Verhaltensnormen viel mehr durch Sozialisation und Erziehung ver-
mittelt wurden. Fehlende allgemeingültige Definitionen traditioneller Begriffe
und uneinheitliche Vorgaben vonseiten der Heeresführung, gekoppelt mit ei-
ner zunehmend individualisierten Auslegung normativer Werte dürften diesen
Effekt noch verstärkt haben592. Somit lässt sich feststellen: Der Gehorsamsbegriff
blieb in den Dienstvorschriften von den formalen Äußerlichkeiten her betrachtet
gleich. Dass ein Exponent der obersten militärischen Führungsstufen, der noch
in der alten Kontingentsarmee und der Tradition des Kaiserreichs sozialisiert und
erzogen wurde, unter Gehorsam etwas anderes verstand als ein Offizier, der seit
seiner Kindheit mit dem Nationalsozialismus aufgewachsen war, die Ideologie in
der Hitlerjungend und im Reichsarbeitsdienst am eigenen Leib erlebt hatte und
deshalb bereits über eine lange Erfahrung mit dem NS-Gedankengut verfügte,
?
liegt auf der Hand. Ab wann hingegen die vordergründige Übereinstimmung zu
einer inhaltlichen wurde und welche Teile des Heeresoffizierkorps davon betrof-
fen waren, ist nur schwer zu bestimmen. Letztlich ist die politisch-ideologische
Angleichung des Heeresoffizierkorps v.a. eine Frage des Strukturwandels und des
»geistige[n] Veränderungsprozess[es]«, was aber nicht Untersuchungsgegenstand
der vorliegenden Arbeit sein kann593. Bernhard R. Kroener hat darauf hingewiesen,
dass Begriffe wie Offizierkorps, Ehre, Pflicht oder Korpsgeist aufgrund der rasan-
ten Vergrößerung des Offizierkorps letztlich »nicht mehr der Heterogenität der
militärischen Funktionselite« entsprochen habe594. Im Falle des Gehorsamsbegriffs
dürfte dies ebenso gewesen sein595. Zu Beginn des Kapitels wurde aufgezeigt, dass
der Gehorsam zwar absolut verstanden wurde, dass dies aber nicht in einem rigi-
den, sondern im erweiterten Sinne gemeint war. Damit erhielt der Einzelne eine
bedeutende Rolle, hing es doch stark von seiner persönlichen Auffassung ab, wie
Gehorsam verstanden und umgesetzt wurde.

592
Vgl. Untersuchungen zur Geschichte des Offizierkorps, S. 202 f.; Förster, Die Wehrmacht
im NS-Staat, S. 99 f.
593
Förster, Die Wehrmacht im NS-Staat, S. 37 (Zitat). Vgl. auch DRWK, Bd 9/1, S. 488‑505
(Beitrag Förster); Förster, Vom Führerheer der Republik, S. 318.
594
Kroener, Generationserfahrungen, S. 219.
595
Z.B. kritisierte Müller-Hillebrand nach dem Krieg die obere militärische Führung wegen
ihrer »Schwächen in der Homogenität [...], mangelnde[r] Zivilcourage und missverstan-
dene[r] Gehorsamsbegriffe«. Müller-Hillebrand, Deutsche und sowjetrussische militäri-
sche Führung, BArch, ZA 1/2162, S. 130. Vgl. auch das Beispiel von Gen.d.Inf. Rudolf
von Bünau in: Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, S. 169 f.
130 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

»Die Einheitlichkeit der Kampfführung muss gewahrt bleiben«596 –


Zur Bedeutung von straffer Führung, Nachrichtenverbindungen und
dem Führen von vorn

Die richtige Auffassung von Disziplin und Gehorsam sollte nicht nur sicherstel-
len, dass die Truppenführer die Selbstständigkeit im Sinne des Ganzen ausübten.
Zuallererst sollte sie dafür sorgen, dass Truppenführer überhaupt nur wenn nötig
selbstständig handelten oder vom Auftrag abwichen, ansonsten sich aber unter- !
ordneten597. In diesem Sinne hängen Disziplin und Gehorsam ebenso mit der
Einheitlichkeit des Handelns zusammen wie Letztere mit der Selbstständigkeit.
Schon im Richtungsstreit zwischen »Normaltaktikern« und »Auftragstaktikern«
führten die Ängste um den Verlust der Koordination zukünftiger Operationen zu
heftigen Wortwechseln598. Dabei war bereits im Exerzierreglement der Infanterie
von 1888 auf diese Verflechtung verwiesen worden:
»Die wichtigsten Anforderungen aber, welche der Krieg stellt, sind: strengste
Disziplin und Ordnung bei höchster Anspannung aller Kräfte599.«
Wie in den Ausführungen zur Selbstständigkeit erwähnt, kamen der »Ordre de
Bataille« und der Einheitlichkeit des Handelns im Denken Moltkes d.Ä. eine zen-
trale Bedeutung zu. Vergleicht man nun die Gewichtung von Selbstständigkeit,
Gehorsam und Einheitlichkeit, so zeigt sich sogar, dass Selbstständigkeit bei
Moltke d.Ä. als Ausnahmefall betrachtet wurde, während straffe, einheitli-
che Führung den Regelfall darstellte. Aufgrund von Friktionen konnten zwar
»Abweichungen von der normalen Zusammensetzung [...] geboten sein«, aller-
dings nur »ausnahmsweise«, da sie die einheitliche Lenkung einer Operation er-
schwerten600. Deutlich fuhr Moltke d.Ä. jedoch fort:
»Regel aber bleibt die strengste Aufrechterhaltung bezw. sofortige Wiederherstellung
der Ordre de Bataille.«
Damit ergab sich für die Truppe eine doppelte Verpflichtung. Einerseits sollte die
Einheitlichkeit des Handelns im Zusammenwirken mit anderen Truppenteilen
so lange wie möglich sichergestellt werden. Deshalb mussten alle Truppenführer
darauf achten, »Ordnung, Zusammenhang und Zusammenwirken aufrechtzuerhal-
ten« und besonders dafür sorgen, »dass ihre Truppen ihnen nicht aus der Hand
kommen«601. Andererseits hatten die unteren Führer für den Fall, dass die »Ordre
de Bataille« durchbrochen wurde oder sie einen selbstständigen Auftrag erhalten
hatten, sich so rasch als möglich wieder unterzuordnen, d.h. dem vorgesetzten !
Verband anzuschließen602.

596
AVI 130/9b, S. 42. Ähnlich auch: H.Dv. 299/11d, S. 13.
597
Vgl. auch Weniger, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 114: »Der erste Akt dieser
Selbständigkeit wäre gewesen, von sich aus den Zusammenhang der Operationen auf jede
mögliche Art sicherzustellen.«
598
Echevarria, After Clausewitz, S. 98; Storz, Kriegsbild und Rüstung, S. 31 f.
599
ExReglInf 1888, S. 1.
600
MMW, II/2: Verordnungen, S. 179. Dort auch das Folgende (Hervorhebung im Original).
601
ExReglInf 1906, S. 86 (Hervorhebung im Original). Ebenso: MMW, II/2: Verordnungen,
S. 175, 178, 198; ExReglInf 1888, S. 108 f.
602
MMW, II/2: Verordnungen, S. 174, 178 f., 198. Die Vorschriften gaben für obere und
untere Führer also unterschiedliche Handlungsnormen heraus. Während Erstere v.a.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 131

Die »Ordre de Bataille« verfolgte bei Moltke d.Ä. also wie gesehen keinen
Selbstzweck, sondern sollte die einheitliche Lenkung einer Operation von oben
ermöglichen. Dabei lassen sich drei Funktionen ausmachen: Einmal definierte 1.
die »Ordre de Bataille« die »normale Zusammengehörigkeit« der verschiedenen
Truppenteile und wies dabei »Jedem seinen Platz und seinen Wirkungskreis« zu,
stimmte also die Aufgabenbereiche und Kompetenzen der einzelnen Verantwor-
tungsträger horizontal und vertikal aufeinander ab603. Dann stellte die »Ordre de 2.
Bataille« sicher, dass »auf dem vorgesehenen Instanzenwege [...] die Befehle des
höchsten Kommandierenden sicher bis auf den letzten Mann des Heeres« gelang-
ten, gewährleistete also die Kommunikation von oben nach unten bzw. von hin-
ten nach vorne. Und schließlich waren »die Truppen und unteren Kommandos
[...] unbedingt verpflichtet die obere Führung soweit als möglich über die Situation 3.
zu orientiren«604. Die Aufrechterhaltung der »Ordre de Bataille« und damit der
Dienstwege sicherte also den Informationsfluss von der Front zu den vorgesetzten
Stellen und bildete damit eine unabdingbare Vorbedingung, um angemessen be-
fehlen zu können. In den Verordnungen von 1869 wurde dieser Zusammenhang
dargelegt:
»Je ähnlicher die Bilder, welche alle Theile des Ganzen, die oberen und die
unteren Führer, sich von derselben machen, um so leichter sind die Befehle zu
erlassen, um so richtiger werden sie verstanden und um so einheitlicher wird
das Zusammenwirken sein605.«
Die Forderungen nach »innere[r] Ordnung und [...] feste[m] Zusammenhalt
der Truppe«606, nach straffer Führung und einheitlichem Zusammenwirken der
Truppenteile stellen mehr als eine Konzession Moltkes d.Ä. an die Rahmen-
bedingungen des neuzeitlichen Krieges dar. Die »völlig willkürlichen Abwei-
chungen« von der einheitlichen Kriegsgliederung und die daraus entstandene
»Unmöglichkeit geordneter Befehlsertheilung« hatte er schon nach dem Krieg
von 1866 aufs Schärfste kritisiert607. Aus diesem Grund wollte er zukünftig »mit
Strenge« darauf achten, »dass die Truppen so weit als angängig in den gewohnten
Verbänden und Kommandoverhältnissen« verblieben608. Bei dieser Auffassung
konnte sich Moltke d.Ä. auch auf das Bekenntnis Clausewitz’ stützen, dessen
Meinung zur Frage von Freiheit oder Unterordnung der Truppenführer eindeutig
war:
»[...] so liegt in Beziehung auf unseren Gegenstand immer eine große
Schwierigkeit darin, dass der Feldherr von der Einsicht, dem guten Willen,
dem Mut und der Charakterstärke seiner Korpsführer nicht immer das
Wünschenswerte erwarten kann. Er kann also nicht alles ihrem Gutdünken
überlassen, sondern muss ihnen manches vorschreiben, wodurch ihr Handeln
gebunden wird und dann leicht mit den augenblicklichen Umständen in
Missverhältnis geraten kann. Dies ist ein ganz unvermeidlicher Übelstand.

Einheitlichkeit und Koordination durch straffe Führung von oben sicherstellen sollten,
hatten Letztere stets durch ihr Handeln darauf hinzuwirken.
603
Ebd., S. 175.
604
Ebd., S. 181 (Hervorhebung im Original).
605
Ebd.
606
Verordnungen über die Ausbildung der Truppen 1870, S. 4.
607
MMW, II/2: Memoire, S. 75. Siehe auch Kap. III.1.d).
608
MMW, II/2: Verordnungen, S. 178.
132 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Ohne gebieterischen, herrischen Willen, der bis auf das letzte Glied durch-
!
greift, ist keine gute Heerführung möglich609.«
Der Gedankengang Moltkes d.Ä. bestimmte das deutsche Führungsdenken auch
später noch, forderte doch das Zusammenwirken der Truppenteile in einem
Gefecht »gebieterisch [...] die feste Führung durch eine ordnende starke Hand
sowie die willige Einordnung der einzelnen Teile«610. Auch Beck stimmte in sei-
nen Schlussbetrachtungen zu den Wehrmachtmanövern von 1937 gedanklich
mit Moltke d.Ä. überein, wenn er »das Zerreissen der kriegsgliederungsmäßigen
Verbände und de[n] häufige[n] Wechsel der Unterstellungsverhältnisse« beanstan-
dete, was »in den Übungstagen nahezu die Regel« gebildet hätte611. Zukünftig
sei diese Tendenz »mit Nachdruck« zu bekämpfen, da sie der »Gefechtskraft der
Truppe« schade und »der unteren und oberen Führung kaum überwindbare
Schwierigkeiten« bereite. Die Kritik Moltkes von 1866 zeigt aber auch, dass die
Betonung straffer Führung in direktem Zusammenhang mit der Selbstständigkeit
gesehen werden muss. Darauf wies z.B. schon das Exerzierreglement der Infanterie
von 1906 hin:
»Die Einheitlichkeit des Handelns wird gewahrt durch die an die höhe-
ren Führer ergehenden Aufträge, scharfe Abgrenzung der Kampffelder, so-
wie durch anhaltende Verbindung zwischen den nebeneinander wirkenden
Gefechtskörpern612.«
Wie bereits bei den Ausführungen zum Element der Selbstständigkeit gesehen,
bezweckte auch die straffe, einheitliche Führung in erster Linie, dass der Wille
des Führers »bis zu den niederen Führern durchdringen«613 konnte. Auch sonst
schlossen sich straffe Führung und Selbstständigkeit nicht gegenseitig aus, son-
dern konnten sich erst in engem Zusammenspiel voll entfalten. Entscheidend
war es, »die richtige Mitte zu finden«614. Die »Kunst der Führung« bestand
nämlich darin, dass »Unterführer nicht unnötig gegängelt, aber doch im Sinne
des Ganzen fest am Zügel geführt« wurden615. Diese Bemühungen lassen sich
z.B. in den Ausbildungsbemerkungen des Armeeoberkommandos 16 (General
der Infanterie Ernst Busch) vom März 1940 erkennen, wo im Zusammenhang
mit dem Thema »Angriff gegen eine ständige Front« davor gewarnt wurde, »dass

609
Clausewitz, Vom Kriege, S. 848. Nicht von ungefähr wurde diese Textstelle auch im Verlauf
des Zweiten Weltkrieges zitiert. Vgl. Weniger, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 114;
Scherff, Vertrauen und Glaube, S. 78.
610
Taysen, Einheitlichkeit von Kriegführung und Kriegsleitung, S. 61.
611
OKH/GenStdH/4.Abt. (II), Bericht über die Wehrmachtmanöver (Heer) 1937, 17.5.1938,
BArch, RHD 18/357, S. 119. Dort auch das Folgende. Die Fallbeispiele zeigten jedoch,
dass das Aufbrechen der Kriegsgliederung und der getrennte Einsatz von Verbänden oder
»Kampfgruppen« – zumindest für den östlichen Kriegsschauplatz ab 1942 – eher die
Regel als die Ausnahme darstellten. Vgl. auch Schtz.Rgt. 110/Kdr., Betr.: Erfahrungen
beim Osteinsatz, 21.10.1941, BArch, RH 15/269, Bl. 53; OKH/GenStdH/Org.Abt. (I),
Nr. 778/42 g.Kdos.Chefs., Betr.: Auffrischung und Umbildung des Ostheeres im Frühjahr
1942, 18.2.1942, BArch, RH 2/929, S. 1.
612
ExReglInf 1906, S. 130 (Hervorhebung im Original).
613
Ebd., S. 83.
614
Schäfer, Feldherr und Feldherrntum, S. 72.
615
Taysen, Taktik der verbundenen Waffen, S. 693. Andererseits sollte sich jeder Führer im-
mer bewusst bleiben, »dass auch er ein ›Geführter‹ im übergeordneten größeren Rahmen
ist«.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 133

sich der Btls.-Kdr. oder Rgts.-Kdr. innerhalb der Sturmtruppe in Einzelheiten


einmisch[t] und dadurch die Selbsttätigkeit lähm[t], die von den Kompanie-
Führern der Sturmtruppe in jeder Art [...] gleich rege zu fordern ist«616. Sogar bei
dieser Gefechtsart, deren Erfolg stark von der Selbstständigkeit der Unterführer
abhing, unterließ es das Armeeoberkommando aber nicht zu betonen:
»Die Notwendigkeit eingehender und gründlicher Vorbereitung und die Notwen-
digkeit, dass Btls.- und Rgts.-K[omman]deure sich durch nahes Heranhalten
den Einfluss auf die Gefechtsführung ihrer Verbände sichern, bleiben hiervon
unberührt.«
Die wirkliche Schwierigkeit bestand allerdings darin, diesen Ausgleich herzu-
stellen. Da dies in der Realität nicht immer eindeutig zu machen war, wurde
im Handbuch der neuzeitlichen Wehrwissenschaften festgehalten: »Im Zweifelsfalle
aber ist straffe Zügelführung immer noch das geringere Übel617.« Ebenfalls um
den Ausgleich zwischen Straffheit und Selbstständigkeit bemüht, konstatierte
das Kommando der Panzertruppen in einem Bericht von 1937, dass es aufgrund
der beweglichen Kampfführung von Panzern und den Friktionen des Krieges
zentral sei, Auftrag und Absicht klar zu benennen, »dann aber nur die nächsten
Maßnahmen« zu befehlen618. Auf keinen Fall sollte über mehrere Gefechtsphasen
vorausdisponiert werden. Die Friktionen einschließlich der Maßnahmen des
Gegners sollten vielmehr durch die Selbstständigkeit der Unterführer gelöst wer-
den619. Dies bedeutete aber nicht, dass nicht einheitlich geführt werden sollte.
Ganz selbstverständlich hieß es nämlich weiter:
»Führung aller Panzerverbände am straffen Zügel, weitere Befehle nach Ent-
wicklung von Fall zu Fall durch Funk620!«
In gleicher Weise beurteilte Halder im Juni 1942 die bisherigen Kampferfahrungen:
»Besondere Sorge der Führung muss es sein, die auf breitem Raum angesetz-
te Truppe, insbesondere in der Bewegung, straff in der Hand zu behalten.
Wendige Führung mit kurzen Funkbefehlen ist besonders wichtig621.«
In der Betonung einer straffen Führung lässt sich folglich auch der Moltke’sche
Grundsatz erkennen, nicht zu weit vorzugreifen und über eine überschaubare
Lage hinaus zu disponieren622. Ein Aspekt, der nicht nur im Gefecht, sondern

616
AOK 16/Ia, Nr. 579/40 geheim, Bemerkungen zur Ausbildung Nr. 3, 26.3.1940, BArch,
RH 17/460, S. 5. Dort auch das Folgende (Hervorhebung im Original).
617
Schäfer, Feldherr und Feldherrntum, S. 72.
618
Kdo.d.Pz.Tr./Ia op., Nr. 2177/37 geh., Betr.: Erfahrungen der im Mai 1937 in Döberitz
unter Leitung des Gru.Kdo. 1 durchgeführten Versuchsübungen betr. Zusammenwirken
von Inf. und Pz.Kampfwagen, 1.8.1937, BArch, RH 12-6/20 (Hervorhebung im Original).
K.G. war zu diesem Zeitpunkt Gen.d.Pz.Tr. Oswald Lutz. Absolon, Die Wehrmacht im
Dritten Reich, Bd 3, S. 161.
619
Vgl. auch AOK 16/Ia, Nr. 347/40 geh., Bemerkungen zur Ausbildung Nr. 2, 19.2.1940,
BArch, RH 17/460, S. 1 (Hervorhebung im Original): »Vermehrtes selbsttätiges Handeln
der Führer aller Grade bei Auftreten von Reibungen ist erforderlich. Viele Reibungen sind
durch Selbsthilfe vermeidbar oder schnell zu beheben.«
620
Kdo.d.Pz.Tr./Ia op., Nr. 2177/37 geh., Betr.: Erfahrungen der im Mai 1937 in Döberitz
unter Leitung des Gru.Kdo. 1 durchgeführten Versuchsübungen betr. Zusammenwirken
von Inf. und Pz.Kampfwagen, 1.8.1937, BArch, RH 12-6/20 (Hervorhebung im Original).
621
OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (II), Nr. 1550/42 g (3), Betr.: Kampferfahrungen, 10.6.1942,
BArch, RH 2/2853.
622
MMW, II/2: Verordnungen, S. 180. Vgl. auch D 77+, S. 14.
134 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

besonders auch in der Führerausbildung thematisiert wurde, wie etwa folgende


Stelle aus Richtlinien der Kriegsschulen des Heeres belegen:
»Durch die häufige Arbeit im Hörsaal an Hand der Karte neigen Fahnenjunker
und Leutnant dazu, im Gelände vorauszudisponieren und zu weite Ziele zu
geben. Das wirklich kriegsmäßige Führen geschieht am straffen Zügeln [sic!]:
Die Truppe wird von einem taktischen Gefechtsabschnitt zum anderen durch
klaren Auftrag geführt623.«
Die Elemente der straffen Führung und Selbstständigkeit wechseln sich folglich
nicht ab, sondern ergänzen sich, wobei die Bedeutung der Nachrichtenmittel – etwa
des Funks – nicht unterschätzt werden darf. Solche Hinweise auf den Zusammen-
hang zwischen straffer Führung und Selbstständigkeit sucht man in der Literatur
zur Auftragstaktik allerdings vergeblich. Im Gegenteil wird straffe Führung eben-
so wie der »absolute Gehorsam« gerne als Element der Befehlstaktik gesehen. Die
Betonung einer straffen, einheitlichen Führung lässt sich jedoch nicht nur als
Reaktion Moltkes d.Ä. auf negative Kriegserfahrungen abhandeln, sondern findet
sich wie gesehen in verschiedenen Truppenquellen und Heeresdienstvorschriften
bis zur Wehrmacht. Dabei beschränkte sich die Betonung straffer Führung etwa
auch nicht nur auf die Verteidigung, in der naheliegend z.B. eine »Befehlsgebung
bis ins einzelne« gefordert wurde624. Die Forderung nach straffer Führung muss
vielmehr als ein Grundsatz des preußisch-deutschen Führungsdenkens verstanden
werden. Deshalb unterstrichen die Vorschriften z.B. auch für Angriffsaktionen
die Notwendigkeit eingehender Planung, Koordination und Einheitlichkeit, wie
etwa die Vorschrift »Der Angriff im Stellungskrieg« deutlich machte:
»Beim Angriff hat der Angreifer die Vorhand. Er kann den Gang der Kampf-
handlung wenigstens in ihren Anfängen bis in die Einzelheiten vorausbestim-
men. Er muss von diesem Vorteil Gebrauch machen. Die dadurch bedingte
Einschränkung der Selbständigkeit unterer Befehlsstellen lässt sich nicht ver-
meiden625.«
Dies schloss freilich selbstständiges Handeln nie aus, relativierte aber des-
sen Gewichtung deutlich. So schilderte die Dienstvorschrift »Richtlinien für
die Führung der Panzerdivision« (D 66+) vom 1. Juni 1938 beispielsweise die
Möglichkeit, in bestimmten Fällen in eigens dafür gebildeten »Gefechtsgruppen«
anzugreifen, was einen Angriff jedoch leicht zersplittern konnte, weshalb die
Gefechtsgruppen, »sobald es Lage und Gelände erlauben, wieder zu einheitli-
chem Handeln zusammenzufassen« seien626. Auch die AVPz 470/10 gestand
zwar ein, dass überraschender Feindangriff selbstständige Abwehr der einzelnen
Kompanien erforderlich machen könne, der Kommandeur seine Abteilung aber
trotzdem so schnell wie möglich wieder »in die Hand zu bekommen« habe627.

623
In EB, Richtlinien für den Unterricht in Taktik und Geländekunde an den Kriegsschulen
des Heeres, 2.1.1942, BArch, RHD 31/24, S. 12.
624
AVI 130/II, S. 130. Vgl. auch ExReglInf 1888, S. 118. Grundsätze für die Führung in der
Abwehrschlacht im Stellungskriege, Neudruck 1.3.1917, S. 6.
625
Der Angriff im Stellungskrieg vom 1.1.1918, S. 16.
626
D 66+, S. 26. Vgl. auch D 76, S. 12; H.Dv.g. 66, S. 12.
627
AVPz 470/10, S. 26 f. Vgl. auch Der Angriff im Stellungskrieg vom 1.1.1918, S. 46;
AVI 130/II, S. 57, 129; TF, S. 152.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 135

Besonders heikle Lagen, die ein rasches Handeln notwendig machten, konnten
sogar ein direktes Eingreifen der oberen in die untere Führung erzwingen628.
!
Es wäre deshalb falsch, straffe Führung einfach der Verteidigung und
Selbstständigkeit dem Angriff zuzuordnen. Nicht nur die Verteidigung, sondern
auch der Angriff bedurfte einer einheitlichen Führung mit zeitlicher und räum-
licher Abstimmung. Dies verhinderte, dass ein Angriff in Einzelangriffe zerfiel
und seine Wirkung zersplitterte oder in zufälligen Bahnen verlief629. Gerade der
Geschwindigkeitsunterschied zwischen Panzer und Infanterie, der sich nicht
nur zwischen Panzer- und Infanteriedivisionen, sondern aufgrund mangelnder
Mechanisierung großer Teile der Heeresverbände auch innerhalb der Panzerkorps
bemerkbar machte, erzwang geradezu eine Koordinierung und straffe Führung
von Angriffen630. Die straffe Führung zeigt sich überdies auch bei der Festlegung
von Angriffszielen. Zwar sah der übliche Panzereinsatz im Angriff weite Ziele
vor, in den Vorschriften findet sich diese Forderung jedoch bloß einmal expli-
zit631. Zudem hing die Festlegung eines Angriffsziels immer auch von der Größe
des eingesetzten Verbandes ab. Während Großverbände »weitgesteckte Ziele« er-
halten sollten und durch zu viele »Zwischenziele« bloß gehemmt würden, sei es
»natürlich klar«, dass untere Einheiten »nach dem Gelände abschnittsweise be-
fehlen« sollten632. Speziell die Vorschriften für Verbände der Panzertruppen und
der motorisierten Infanterie betonten, dass ein Angriffsziel so festgelegt werden
musste, dass die »Einheitlichkeit der Kampfführung« gewährleistet blieb633. In be-
sonderen Lagen oder schwierigem Gelände konnte es deshalb nötig werden, einen
Angriff »von Abschnitt zu Abschnitt« zu führen634. Nicht vergessen werden darf
auch, dass eine minimale Koordinierung von Angriffen – etwa durch »Zuweisung
von Gefechtsstreifen« – sowieso immer vorgesehen war635. Schließlich fällt wie
schon beim Element der Selbstständigkeit auf, dass die Vorschriften über den
Einsatz und die Führung von Großverbänden inhaltlich aufeinander abgestimmt
waren. So verwiesen die Dienstvorschriften »Panzerangriff im Rahmen einer
Infanterie-Division« (D 76) vom 23. Juni 1936, »Richtlinien für die Führung der
Infanteriedivision (mot)« von 1937 (D 80+), D 66+ und H.Dv.g. 80 bezüglich

628
H.Dv.g. 66, S. 14. Vgl. auch ExReglInf 1888, S. 129.
629
TF, S. 123; D 66+, S. 23; AVPz. 470/10, S. 6. Vgl. auch ExReglInf 1888, S. 118; D.V.E.
Nr. 53, S. 55; H.Dv.g. 80, S. 18.
630
D 76, S. 14.
631
Und auch nur dahingehend, dass »im allgemeinen weite Ziele gegeben« würden. H.Dv.g. 66,
S. 41 (Hervorhebung im Original). Gerade die spezifischen Erfahrungen des Ostkrieges
hatten rasch dazu geführt, »den Ansatz und das Vortreiben der Schnellen Verbände« zu
überdenken und letztlich auf das Vorstoßen »mit weiten operativen Zielen« zu verzichten.
H.Gr.Kdo. Nord/Ia, Nr. 4900/41 geh., 30.7.1941, BArch, RH 20-18/1246. Vgl. auch
Abschrift, H.Gr. Mitte/Ia Nr. 826/42 geh., AOK 4/Ia, Nr. 166/42 geh., 23.1.1942, BArch,
RH 2/2854.
632
Ia, Betr.: Teilnahme des Stellv.Kdr.Gen. an den Herbstübungen der 17. Division, 20.8.1936,
BArch, RH 53-7/v. 38 (Hervorhebung im Original). Vgl. auch OKH/GenStdH/Ausb.
Abt. (Ia), Nr. 2400/40 g, Taktische Erfahrungen im Westfeldzug, 20.11.1940, BArch,
RH 19 III/152, S. 6; H.Dv.g. 80, S. 41.
633
AVF 1918, S. 173; D 76, S. 114; D 66+, S. 23; H.Dv.g. 66, S. 13, 41; AVI 130/9b, S. 42;
H.Dv. 299/11d, S. 13; AVPz 470/7, S. 62; AVPz 470/10, S. 25; AVI 130/20, S. 12.
634
D 66+, S. 23; H.Dv.g. 66, S. 41.
635
TF, S. 126.
136 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

des Kampfeinsatzes von Panzern und Infanterie auf die in der TF festgehaltenen
Grundsätze636.
Der Blick in die Vorschriften zeigt zudem, dass straffe Führung notwendig mit
den Aspekten »Nachrichtenverbindungen«637 und »Führen von vorne« zusam-
menhing. Bereits die D.V.E. Nr. 53 erwähnte das Zusammenspiel zwischen dem
Standort des Führers, den Verbindungen und der Koordination der Truppen:
»Frühzeitige Bekanntgabe des Standpunktes ermöglicht schnelles und zuver-
lässiges Ineinandergreifen des ganzen Meldewesens [...] Platzwechsel stört die
dauernde Verbindung und ist deshalb nicht ohne zwingenden Grund vorzu-
nehmen.
Je größer die Zahl der zur Schlacht vereinigten Truppen und je größer
damit auch die Ausdehnung der Schlachtlinie ist, desto wichtiger wird die
dauernde Verbindung der höheren Führer untereinander. Nur durch sie kann
Übereinstimmung im Handeln gewahrt werden [...] Besonders der Fern-
sprecher ermöglicht den persönlichen Meinungsaustausch der Führer638.«
Dies darf keineswegs als bloßes Zugeständnis an Schlieffens Vorstellung des
»moderne[n] Alexander[s]« verstanden werden, der »auf einem bequemen Stuhle,
vor einem breiten Tisch [...] auf einer Karte das gesamte Schlachtfeld vor sich«
hat und per Telefon »zündende Worte« verbreitet639. Dagegen spricht schon
die mit Vehemenz in den Vorschriften enthaltene Forderung, dass der Standort !
des Führers vorne sein müsse. Weiter waren die Gefahren eines übermäßigen
Einsatzes technischer Nachrichtenmittel bereits in der Felddienstordnung von
1908 erwähnt worden640. Noch die TF warnte vor zu vielem Befehlen, da dies die
Selbstständigkeit der Unterführer schädigen könne641. Der Ausgleich zwischen
Straffheit und Selbstständigkeit war durchaus angestrebt, aber die Möglichkeiten
der technischen Mittel sollten vollständig ausgenutzt werden. Dies verdeutlicht
nochmals die D.V.E. Nr. 53 an anderer Stelle:
»Die fortgesetzte Verbindung zwischen Kommandobehörden und Truppen
ist für das Zusammenwirken aller zu einem Zwecke, also für eine geordnete
Leitung des Heeres, von größter Bedeutung und unerlässlich. Sie wird sowohl
durch Befehle von oben als durch Meldungen und Berichte von unten aufge-
nommen und erhalten.
Der große Raum [...] erschwert die Verbindung in hohem Maße. Andererseits
erleichtern die technischen Nachrichtenmittel [...] schnelle Benachrichtigung
selbst auf den größten Entfernungen und auf weiten Umwegen [...] Keins ge-
währt für sich allein volle Sicherheit. Gleichzeitige Anwendung verschiedener

636
D 76, S. 114; D 80+, S. 8; D 66+, S. 23; H.Dv.g. 80, S. 8. Gemeint waren die Ziffern
314‑371 der TF, die das Thema Angriff behandelten. TF, S. 119‑150. Die D 66+ verwies
auf S. 26 zudem noch auf die D 76.
637
Worunter Verbindungsaufnahmen mittels Telefon und Funk, aber auch durch Fernschrei-
ber, Blinksignal, Ordonnanzoffizier, Motorradmelder und Melder zu Fuß oder zu Pferd zu
verstehen sind.
638
D.V.E. Nr. 53, S. 20.
639
Zit. nach: Meier-Welcker, Graf Alfred von Schlieffen, S. 359.
640
FO 1908, S. 19.
641
TF, S. 22.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 137

Mittel ist vielmehr geboten. Von allen Kommandostellen und Truppen sind
daher Verbindungen jeder Art [...] ohne Aufschub herzustellen642.«
In den »Bemerkungen zum Ausbildungsjahr 1936« wurde ebenfalls auf den »stän-
dig zunehmende[n] Einfluss der Technik« und die Tendenz hingewiesen, dass
dadurch die Selbstständigkeit der Truppenführer eingeschränkt wurde, was »mit
allen Mitteln zu bekämpfen« sei643. Vielmehr sollten die »sehr großen Vorteile«
der Technik genutzt werden, ohne sich aber davon abhängig zu machen. Ein !
Ausgleich, der jedoch realiter nicht immer so einfach zu erreichen war. So forder-
te z.B. der Kommandierende General des Generalkommandos IX. Armeekorps
General der Artillerie Friedrich Dollmann in einer Besprechung mit seinen
Kommandeuren im Dezember 1938, dass die Unterführer selbstständiger han-
deln und die oberen Führer »auf längere Sicht befehlen« sollten, was aber nur
möglich sei, »wenn man nicht immer seine Leute an der Strippe hat«644. Dieses
Problem blieb allerdings auch noch während des Krieges virulent, wie etwa die
Auswertung des Westfeldzuges 1940 durch den Generalstab des Heeres belegt645.
Die eigentliche »Kunst der Führung« bestand letztlich »in der Zusammen-
fassung der beim Eintritt ins Gefecht in einzelnen Gruppen herankommenden
Teile zu einheitlichem Einsatz«646. Diese Einheitlichkeit war nur durch straffe,
koordinierte Führung zu gewährleisten. Entscheidend hierfür waren wiederum
funktionierende Fernmeldewege. In den Führungs- und Ausbildungsvorschriften
wurden dabei zwei Aspekte besonders hervorgehoben. Einmal sollten Nachrich-
tenverbindungen sicherstellen, dass die Führung alle notwendigen Informationen
erhielt. Diese bildeten als »eine der wichtigsten Grundlagen« die Voraussetzung
dafür, dass die obere Führung eine Gesamtlage beurteilen und die folgerichti-
gen Entschlüsse fällen konnte647. Alle Führer waren deshalb innerhalb ihres
Einsatzraumes dazu verpflichtet, ständig die Verhältnisse beim Gegner aufzu- !
klären sowie das Gelände zu erkunden und schließlich die vorgesetzten Stellen
dauernd über die Lage zu unterrichten – selbstredend nicht nur vor, sondern
v.a. auch während eines Gefechts648. Entsprechender Nachdruck wurde auf die
Herstellung und Aufrechterhaltung der Verbindung zwischen den verschiedenen
Kommandostellen gelegt649.
Wiederum waren es die Vorschriften für die Schnellen Truppen, welche die
Verbindungen besonders eindringlich betonten. So wurden intakte Verbindungen
als Voraussetzung für die Führung und rasche Befehlsübermittlung angesehen, für
die motorisierten Infanterie- und Panzerdivisionen galt sogar erst »einwandfreie

642
D.V.E. Nr. 53, S. 49 f.
643
ObdH/GenStdH/4. Abt., Nr. 3370/36, Bemerkungen zum Ausbildungsjahr 1936,
9.5.1936, BArch, RH 53-7/v. 38, S. 1. Dort auch das Folgende.
644
Handakten Dollmann, Kommandeurbesprechung Kassel vom 19.12.1938, BArch,
RH 53-9/19, S. 10.
645
OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 2400/40 g, Taktische Erfahrungen im Westfeldzug,
20.11.1940, BArch, RH 19 III/152, S. 3.
646
D 77+, S. 25.
647
FuG, S. 15.
648
TF, S. 16. Vgl. auch ExReglInf 1906, S. 86; FO 1908, S. 22, 24; D.V.E. Nr. 53, S. 39, 57;
AVI 130/V, S. 5; FuG, S. 16; AVI 130/2b, S. 28; H.Dv.g. 66, S. 18; AVI 130/9b, S. 14.
649
FuG, S. 30; AVI 130/V, S. 28; TF, S. 32; H.Dv. 299/11b, S. 19.
138 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Funkregelung« als »Voraussetzung für sichere Führung«650. Den auf Schnelligkeit


und Wendigkeit ausgerichteten Schnellen Truppen ermöglichten funktionierende
Nachrichtenverbindungen auch bei »plötzlichen Änderungen der Lage durch ra-
sche Nachrichten- und Befehlsübermittlung« angemessen reagieren zu können651.
Zum anderen bildete ein gut eingerichtetes, rasch und zuverlässig funktionie-
rendes Fernmeldewesen eine direkte Grundlage der Führung, weil damit erst
»das einheitliche Handeln aller Teile zur Ausführung eines bestimmten Auftrages
und besonders im Gefecht das Zusammenwirken aller Waffen« ermöglicht wur-
den652. Verschiedene Vorschriften betonten deshalb die Wichtigkeit bestehender
Nachrichtenverbindungen für das »einheitliche Zusammenwirken« aller Verbände
im Gefecht653. Enge Verbindung war dabei besonders mit den unterstützenden
oder zur Zusammenarbeit zugewiesenen Waffen zu halten654.
Enge und dauernde Verbindung einer Kommandobehörde zu den unterstell-
ten Verbänden war wie gesagt nur eine Voraussetzung für straffe Führung. Die an-
dere Grundlage bildete der Standort des Truppenführers, d.h. das Führen von vor-
ne. Däniker meinte sogar, dass »eines der Geheimnisse der deutschen Erfolge [...]
bei den weit vorne an der Front stehenden Führern zu suchen« sei655. Tatsächlich
nimmt der »ewig gültige militärische Grundsatz, dass der Führer vorn sein muss«,
in den preußisch-deutschen Führungs- und Ausbildungsvorschriften einen pro-
minenten Platz ein656. Auch für die Schnellen Truppen bildete das Führen von
vorne einen zentralen Bestandteil des Führungsverständnisses, agierten sie doch

650
D 66+, S. 9; H.Dv.g. 66, S. 15; H.Dv.g. 80, S. 11 f. Vgl. auch D 76, S. 10; D 77+,
S. 14; AVI 130/9, S. 79; AVI 130/9b, S. 12; D 645, S. 6, 19 f.; H.Dv. 299/11b, S. 15;
H.Dv. 299/11d, S. 15; AVPz 470/7, S. 63 f.; AVPz 470/10, S. 7. So sind die Erfolge der
Panzertruppen während des Zweiten Weltkrieges nicht nur auf die überlegene Doktrin,
sondern auch auf die ausgezeichnete Ausstattung mit fernmeldetechnischen Nachrichten-
mitteln zurückzuführen. Schottelius/Caspar, Die Organisation des Heeres, S. 351‑353;
Bradley, Generaloberst Heinz Guderian, S. 183, 194.
651
D 66+, S. 9; H.Dv.g. 66, S. 15; H.Dv.g. 80, S. 11. Aus diesem Grund sollten auch
Gefechtsstände nicht zu häufig gewechselt werden, da dadurch das Meldewesen und letzt-
lich die Führung erschwert wurde.
652
FuG, S. 29 f., 138.
653
Grundsätze für die Führung in der Abwehrschlacht im Stellungskriege, Neudruck 1.3.1917,
S. 22; Der Angriff im Stellungskrieg vom 1.1.1918, S. 6; AVI 130/II, S. 125; AVI 130/V,
S. 27; TF, S. 127; AVI 130/2b, S. 27; D 76, S. 13; H.Dv.g. 66, S. 18; AVI 130/9b, S. 62;
H.Dv. 299/11b, S. 43.
654
D 76, S. 46; D 645, S. 7, 12; H.Dv.g. 66, S. 18; AVI 130/9, S. 79; AVI 130/9b, S. 63;
AVPz 470/10, S. 17; AVPz 470/12, S. 17.
655
Däniker, Deutsche Führung und deutsches Soldatentum, S. 12.
656
Matthaei, Stärker denn je!, S. 41. Vgl. z.B. die TF, wo dem Thema »Platz des oberen
Führers und sein Stab« ein eigenes Kapitel gewidmet war: TF, S. 33‑36. Dass die Realität
dem nicht immer entsprach, belegen die Notizen des ChdGenSt AOK 17 (Generalmajor
Vincenz Müller) aus einer Besprechung beim OKH vom Juni 1941, wo es hieß: »Auch auf
dem Balkan ist festgestellt worden, dass Batl. und Regimenter von jungen Offizieren und
Feldwebeln geführt werden, während die Kommandeure sich nur von Quartier zu Quartier
bewegen. Ob.d.H. verlangt schärfstes Einschreiten gegen diesen Missstand.« ChdGenSt/
Ia Nr. 299/41 g.Kdos.Chefs., Besprechung bei OKH am 4./5.6.41, 6.6.1941, BArch,
RH 20-17/23, S. 5 (Hervorhebungen im Original).
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 139

besonders stark nach dem Prinzip, dass »im allgemeinen [...] ein Führer nur füh-
ren [kann], vor allem im Bewegungskampf, was er hinter sich hat«657.
In den Vorschriften lassen sich für den Führungsgrundsatz des Führens von
vorne zwei Funktionen erkennen658: Zum einen sollte ein weit vorne befindlicher
Standort den Truppenführer dazu befähigen, sich über die Lage und »über das
Gelände eigenen Überblick [zu verschaffen], der sich weder durch Meldungen
noch durch Berichte oder Karten ersetzen lässt«659 – der Standort diente also der
direkten Orientierung des Truppenführers. Von dort aus konnte er zum anderen
die eigenen Truppen beeinflussen und das Zusammenwirken der Waffen sicher-
stellen sowie in Krisenlagen persönlich eingreifen660. Dies dokumentiert z.B. die
folgende Textstelle aus der H.Dv.g. 80 sehr deutlich:
»Die Führer aller Grade müssen mit ihrem engeren Stab ihren Platz weit vorn
wählen und frühzeitig und wiederholt Einblick in das Gefechtsfeld nehmen,
um rechtzeitig befehlen und Änderungen der Lage jederzeit Rechnung tra-
gen zu können. Das gilt besonders für den Divisionskommandeur. Auf dem
Marsch hält er sich im allgemeinen mit seinem Stab beim Führer der Vorhut
auf. Während des Gefechts befindet er sich an der Stelle, von der er aus [sic!]
die Gefechtsführung am schnellsten und unmittelbar beeinflussen kann661.«
Das Führen von vorne sollte folglich grundsätzlich gewährleisten, dass die eigene
Handlungsfreiheit gewahrt blieb. So konnten Truppenführer durch ihre Anwesen-
heit in vorderster Linie auch die Umsetzung ihrer Befehle bzw. die Maßnahmen
der Unterführer überwachen und sofort eingreifen, wenn die Truppen aus eige-
nem oder Fremdverschulden z.B. »die richtige Front« nicht einnehmen oder nicht
in der befohlenen Angriffsrichtung vorgehen konnten662. Dies hieß aber nicht
automatisch, dass sich der Truppenführer ausschließlich in vorderster Linie auf-
halten sollte. Bereits die Verordnungen von 1869 hatten den Standort des Führers
von der Gefechtsphase abhängig gemacht. So sollte ein oberer Truppenführer
zwar im Anmarsch und in der Entfaltung zu einem Gefecht bei den vordersten
Truppenteilen sein, um sich persönlich über die Lage und das Gelände orientie-

657
Gen.Kdo. VII. AK/Ia, Nr. 59/38 g., Betr.: Verwendung von Panzereinheiten im Kampf der
verbundenen Waffen, 5.1.1938, BArch, RH 53-7/v. 108, S. 4 (Hervorhebung im Original).
Auch Exponenten der Infanterie betonten diesen Gedanken. So sah Sodenstern im Führen
von vorne eine der wesentlichen Ursachen für die »Wucht« und das Vorwärtsstürmen der
Infanterie im Ersten Weltkrieg. Sodenstern, Gedanken zur Neugliederung der Infanterie.
20.3.1938 [richtig: 1939], BArch, ZA 1/2785, S. 5.
658
Vgl. auch Matthaei, Stärker denn je!, S. 41.
659
ExReglInf 1906, S. 84 f. Vgl. auch AVF 1918, S. 173; AVI 130/V, S. 24; TF, S. 16; H.Dv.g
66, S. 17; H.Dv. 299/11d, S. 12. Vgl. auch Wagner, Kampfführung auf einem weiträu-
migen Kriegsschauplatz, BArch, ZA 1/1625, S. 41; Ludwig, Der Platz des militärischen
Führers, Sp. 1906.
660
ExReglInf 1888, S. 129 f., 137 f.; AVI 130/II, S. 125; AVI 130/V, S. 27; FuG, S. 132;
TF, S. 33; AVI 130/2b, S. 27; D 645, S. 21; AVI 130/9b, S. 79. Vgl. auch AVPz 470/12,
S. 17; Müller-Hillebrand, Deutsche und sowjetrussische militärische Führung, BArch,
ZA 1/2162, S. 107.
661
H.Dv.g. 80, S. 11 (Hervorhebung im Original). Ebenso (teils wörtlich): D 77+, S. 14;
D 80+, S. 9; D 66+, S. 8; H.Dv.g. 66, S. 14. Sinngemäß: AVI 130/II, S. 123; AVI 130/V,
S. 8; D 645, S. 6; AVI 130/9b, S. 11, 40 f.; H.Dv. 299/11d, S. 32; AVPz 470/7, S. 26.
662
Z.B. AVPz 470/10, S. 14 f. Vgl. auch AVPz 470/7, S. 57. Vgl. auch Müller-Hillebrand,
Deutsche und sowjetrussische militärische Führung, BArch, ZA 1/2162, S. 92.
140 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

ren zu können. Mit Beginn des Gefechts hatte er sich aber auf einen rückwärti-
gen Punkt zurückzuziehen. Dort konnte er das Gefecht überblicken, während
die Meldungen und Anfragen seiner Untergebenen ihn gut erreichten663. Dabei
machten die Verordnungen auch auf die Problematik einer zu starken Betonung
des Führens von vorne für höhere Truppenführer aufmerksam:
»Er [d.h. der höhere Führer; der Verf.] hat, um wichtige Beschlüsse zu fassen,
unsichere und unklare Nachrichten gegeneinander abzuwägen und nur zu
leicht geschieht es, dass dem, was man unmittelbar vor sich sieht, woran man
sich selbst vielleicht betheiligt, ein höherer Werth beigemessen wird, als dem
oft unendlich Wichtigeren, was aus der Ferne mitgetheilt wird664.«
Aus diesem Grund konnte es zwar Ausnahmefälle geben, in denen ein Truppen-
führer persönlich eingreifen musste, in der Regel sei es jedoch wichtiger, die
Übersicht über die ganze Sachlage zu bewahren, »als dass irgend ein Detail spe­
ziell so oder anders ausgeführt wird«665. Das Exerzierreglement der Infanterie von
1888 verlangte sogar, dass z.B. Brigadeführer ihren Standort »so wenig als mög-
lich wechseln dürfen«666. Auch das Exerzierreglement der Infanterie von 1906
warnte: »Platzwechsel stört die dauernde Verbindung und ist nicht ohne Grund
vorzunehmen667.« Solche Forderungen waren sicher noch stark von den einge-
schränkten Möglichkeiten der Fernmeldemittel geprägt, verdeutlichen hingegen
auch das Gewicht der Nachrichtenverbindungen für eine straffe und einheitli-
che Führung. So betonte das Exerzierreglement der Infanterie weiter, dass die
vorn befindlichen Truppenführer sich über Gelände und Gegner orientieren
und intakte Verbindungen zu den unterstellten Truppen und der vorgesetzten
Kommandostelle einrichten sollten. Diese Forderung findet sich ebenso in der
FuG und TF, wie diejenige, dass die höheren Kommandobehörden einen mög-
lichst stetigen Aufenthaltsort zu beziehen haben, da sie »leicht zu finden und zu
erreichen sein« müssen668. Die näheren Gründe hierfür gibt die FuG wieder:
»Öfterer Platzwechsel des Stabes ist zu vermeiden. Er darf jedenfalls erst dann
erfolgen, wenn die Verbindungen für den neuen Gefechtsstand eingerichtet
sind; andernfalls können Befehle und Meldungen den Führer gerade in einem
Zeitpunkt nicht erreichen, in dem ein dringender Entschluss gefasst werden
muss669.«

663
MMW, II/2: Verordnungen, S. 211 f. Vgl. auch D.V.E. Nr. 53, S. 19; ExReglInf 1888,
S. 137 f.; ExReglInf 1906, S. 85; AVPz 470/7, S. 57.
664
MMW, II/2: Verordnungen, S. 180. Das Paradebeispiel eines solchen Truppenführers stellt
z.B. Rommel dar, der noch als K.G. seine Rolle als Troupier zelebrierte und sich lieber mit
taktischen Details beschäftigte. Nicht selten litt seine eigentliche Hauptaufgabe darun-
ter, nämlich die für die Gesamtlage dringend erforderlichen Entscheidungen zu treffen,
was ihm auch Kritik von seinen Untergebenen einbrachte. Vgl. Reuth, Rommel, S. 136 f.;
Fraser, Knight’s Cross, S. 207, 303.
665
MMW, II/2: Verordnungen, S. 212 (Hervorhebung im Original). Vgl. auch D.V.E. Nr. 53,
S. 51 f.
666
ExReglInf 1888, S. 138.
667
ExReglInf 1906, S. 85 (Hervorhebung im Original).
668
TF, S. 34; FuG, S. 35. Vgl. auch H.Dv.g. 66, S. 17.
669
FuG, S. 36; TF, S. 33. Vgl. auch OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 2400/40 g, Taktische
Erfahrungen im Westfeldzug, 20.11.1940, BArch, RH 19 III/152, S. 3.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 141

Wie schon beim Element der Selbstständigkeit galt es also auch beim Aspekt des
Führens von vorne einen Ausgleich zu finden. Gerade die Auswahl des Standortes
eines oberen Führers war hauptsächlich durch die Notwendigkeit bestimmt, ra-
sche und ununterbrochene Verbindungen nach allen Seiten herstellen zu können.
Andererseits durfte der obere Führer auch nicht zu weit von der Front entfernt
sein, da er dann nicht mehr persönlich auf die Truppen einwirken konnte670.
Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Effekt des Führens von vorne liegt
in der darin enthaltenen Vorbildwirkung, dem in den preußisch-deutschen Vor-
schriften ganz grundsätzlich große Bedeutung für die Leistungsfähigkeit einer
Truppe zugemessen wurde671. Dieser Aspekt galt aufgrund ihrer Nähe zur Truppe
speziell für die Unterführer:
»Für die unteren Führer ist aus moralischen Gründen nahes Heranhalten an
die Truppe, aber auch Einblick in das Gelände und Beobachtung des Feindes,
gute Verbindung mit der nächsthöheren Kommandostelle und der Truppe
unerlässlich. Sie verlegen ihren Gefechtsstand [...] so, dass ihre persönliche
Einwirkung auf die Truppe dauernd gesichert bleibt672.«
Gerade die »dauernde persönliche Fühlung« durch die unteren Führer wurde als
entscheidendes Kriterium für die Aufrechterhaltung von »Geist und Kampfwillen
der unterstellten Truppen« angesehen673. Allerdings betonten die Vorschriften,
dass die »persönliche Einwirkung« der oberen Führer auf die Truppe ebenso »von
größter Bedeutung« war674. Entsprechend sei auch für den Divisionskommandeur
»Selbstsehen das Beste«, weshalb er seinen Gefechtsstand möglichst weit vorne
einrichten sollte675. Die Vorschriften forderten deshalb von allen Truppenführern
»nötigenfalls durch rücksichtslosen Einsatz [ihrer] Person« in den Kampf ein-
zugreifen und die Truppe »durch ihr persönliches Beispiel [...] zum Siege« nach
vorne zu reißen676. So musste der Truppenführer seine »ganze Persönlichkeit« und
»Tatkraft« einsetzen und sich in die vorderste Linie begeben, um »im Angriff,
beim Einbruch und beim Gegenstoß [...] seine Schützen Vorwärts [sic!]« zu rei-
ßen, »in der Abwehr [...] die Seele des Widerstandes« zu verkörpern oder bei

670
FuG, S. 34; TF, S. 33. Gleiches galt z.B. auch für den Rgt.Kdr.: AVI 130/V, S. 24. In der
Regel wurde dieses Problem dadurch gelöst, dass der Truppenführer zu seinen unterstellten
Verbänden an die Front ging, während der Stab die Verbindung nach oben sicherstellte. In
diesem Sinne auch H.Dv.g. 92/1, S. 15.
671
Vgl. Verordnungen über die Ausbildung der Truppen 1870, S. 3; FO 1887/1894, S. 10;
ExReglInf 1906, S. 81; FO 1908, S. 9 f.; FuG, S. 7; AVI 130/I, S. 11; AVA 200/I,
S. 7; AVN 421/I, S. 7; TF, S. 2; AVI 130/1, S. 8; AVA 200/1a, S. 12; AVK 299/1, S. 7;
AVPz 470/1, S. 10; AVI 130/20, S. 11.
672
FuG, S. 36.
673
AVI 130/V, S. 22. Vgl. auch AVF 1918, S. 14; AVPz 470/12, S. 18.
674
TF, S. 33. Vgl. auch OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 1500/42, Erfahrungen über
Wegnahme feindbesetzter Dörfer im Winter im Rücken der eigenen Front, 15.5.1942,
BArch, RH 12-5/202, S. 13 (Hervorhebung im Original): »Führer, vom Divisionskom-
mandeur angefangen, gehören weit nach vorn.«
675
FuG, S. 35, TF, S. 34. Vgl. auch D 80+, S. 9; H.Dv.g. 66, S. 14; H.Dv.g. 80, S. 11.
Kriterium für die Nähe zur Front war, »dass die Nachrichtenverbindungen [...] wirksamem
feindlichen Feuer entzogen sind«. TF, S. 35.
676
AVI 130/2b, S. 27; AVPz 470/10, S. 6. Vgl. auch H.Dv.g. 66, S. 17.
142 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

der Verfolgung eines Gegners die Truppe mit seinem Erscheinen »zur höchsten
Leistung an[zu]spornen«677.
Das Führen von vorne sollte letztlich aber auch die eigene Reaktionsfähigkeit
erhöhen. Weit vorne an der Front befindliche Truppenführer konnten günstige
Lagen rascher erkennen und angemessener reagieren als Führer, die sich nicht vor
Ort befanden. Das Führen von vorne diente deshalb auch dazu, Krisen zu über-
winden. In den Verordnungen von 1869 hieß es darum:
»Gesteigerte Anforderungen stellt der Krieg an den Offizier, welcher das
Vertrauen des Soldaten durch sein persönliches Verhalten zu erwerben hat.
Von ihm wird erwartet, dass er Ruhe und Sicherheit auch in den schwierigsten
Lagen bewahrt; ihn will man an der Spitze sehen, wo die Gefahr am größten;
ihm schließen die Bravsten sich an und reißen die Übrigen mit fort. In dem
Zugführer vor der Front, in dem Hauptmann und dem Rittmeister, auf den
alle Blicke gerichtet sind, liegt die Kraft der Armee678.«
Von den Truppenführern wurde nicht zuletzt deshalb verlangt, sich im »Brenn-
punkt des Kampfes« aufzuhalten, weil sie erst dort günstige Situationen erkennen
konnten und durch ihren »Schwung [...] die Truppe auch in den schwierigsten
Lagen« mit sich reißen sollten679. Dahinter stand die Erkenntnis, dass »persön-
liche Einwirkung [...] stets, namentlich in kritischen Lagen, wirksamer [ist] als
vieles Befehlen«680. Deshalb müsse »durch die Energie der weit vorn befindlichen
Führer« – etwa für den Fall, »dass die Angriffskraft erlahm[e]« – »der tote Punkt
überwunden werden«681. Das Führen von vorne ist deswegen auch in engem
Zusammenhang mit den Elementen der Entschlossenheit und Selbstständigkeit
zu sehen. Diesen Aspekt schildert Rendulic in einem Beispiel aus dem August
1941. Damals hatte er mit seiner Division den für den weiteren deutschen

677
AVI 130/2b, S. 27; FuG, S. 37; TF, S. 35. Vgl. auch D.V.E. Nr. 53, S. 40 f.; AVI 130/
II, S. 98, 129; Grundsätze für die Führung in der Abwehrschlacht im Stellungskriege,
Neudruck 1.3.1917, S. 22 f., und Müller-Hillebrand, Deutsche und sowjetrussische mi-
litärische Führung, BArch, ZA 1/2162, S. 92, wonach der Truppenführer »in weitem
Ausmaß [...] seine Persönlichkeit ein[setzte], indem er auf dem Kampffeld erschien, mit
Führern und Truppen sprach, an Ort und Stelle Entscheidungen traf und in Geist und
Haltung Vorbild war«. Dass ein solches Handeln Teil des allgemeinen Wertekanons war,
zeigen besonders die Auszeichnungen von Tapferkeitstaten. Vgl. AOK 17, Merkblatt für
die Abfassung von Anträgen zur Verleihung des Ritterkreuzes des Eisernen Kreuzes und
des Deutschen Kreuzes, August 1942, BArch, RH 26-370/50; OKH/HPA, Nr. 1110/43,
8.3.1943, BArch, RH 26-370/50.
678
MMW, II/2: Verordnungen, S. 171. Ebenso: D.V.E. Nr. 53, S. 71.
679
AVI 130/2b, S. 27; H.Dv. 299/11b, S. 19; H.Dv. 299/11d, S. 15; Vorläufige Richtlinien
für Führung und Kampf einer Panzer-Brigade, unpag. [S. 1]. Vgl. auch AVI 130/20, S. 17;
OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 1500/42, Erfahrungen über Wegnahme feindbesetz-
ter Dörfer im Winter im Rücken der eigenen Front, 15.5.1942, BArch, RH 12-5/202,
S. 13; Sodenstern, Gedanken zur Neugliederung der Infanterie. 20.3.1938 [richtig: 1939],
BArch, ZA 1/2785, S. 6.
680
AVI 130/9, S. 78 f.
681
Der Angriff im Stellungskrieg vom 1.1.1918, S. 8. Die Vorschrift weist dabei auch auf den
Zusammenhang mit dem Element der Selbstständigkeit hin, fordert sie doch in einem
der folgenden Sätze: »Alles hängt von schnellem und selbsttätigem Handeln aller Stellen
im Rahmen des Ganzen [...] ab.« Ähnlich Sodenstern, Gedanken zur Neugliederung der
Infanterie. 20.3.1938 [richtig: 1939], BArch, ZA 1/2785, S. 6.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 143

Vormarsch wichtigen Auftrag erhalten, die gegnerischen Stellungen zu durchbre-


chen und bei Rogačev die Brücken über den Dnepr unversehrt einzunehmen.
Da die sowjetischen Verbände – von deutscher Seite unbemerkt – aus Rogačev
abgezogen waren, hatte sich Rendulic nach kampfloser Einnahme der Brücken
entschieden, weiterzustoßen:
»Da es richtig war, in Ausnützung der Lage alles verfügbare so rasch als mög-
lich über den Fluss zu bringen und dem Gegner nachzustoßen, musste ich
aus eigenem [Entschluss] die Richtung dieses Stoßes festlegen. Er wurde nach
südosten [sic!] geführt, also abweichend von der bisherigen Richtung, eine
Entscheidung, die bei richtiger Führung nicht der Division, sondern dem vor-
gesetzten Korps zugestanden hätte682.«
Die Aussage Rendulics ist in zweifacher Hinsicht aufschlussreich. Zum einen
schildert er mit seinem Entschluss ein Beispiel selbstständigen Handelns ohne
Befehl. Zum anderen – und für den vorliegenden Kontext interessanter – kriti-
siert er die Art, wie das Generalkommando führte. Nach Auffassung Rendulics
hätte der Kommandierende General selbst bei Rogačev sein, die Lage beurtei-
len und den Entschluss fällen müssen. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass Führen
von vorne (nämlich Rendulics) zwar die Selbstständigkeit der unteren Führer
fördern kann. Auf der anderen Seite belegt es auch die Zweischneidigkeit die-
ses Führungsgrundsatzes. Rendulic konnte als unterer Führer nur selbstständig
handeln, weil der Kommandierende General nicht vor Ort war. Der Freiraum
für selbstständiges Handeln ergab sich bei diesem Beispiel aber nicht unbedingt
durch ein falsches oder nachlässiges Befehlen durch das Generalkommando, son-
dern durch die Friktionen des Krieges – durch den unbemerkten Abzug der sow-
jetischen Verbände und das dadurch raschere Vorstoßen der deutschen Truppen
– sowie durch die Abwesenheit des oberen Führers683. Deshalb musste der untere
Führer – in diesem Falle Rendulic – die Lage selbst beurteilen und einen ei-
genen Entschluss fällen. Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die
preußisch-deutschen Führungsgrundsätze genau auf ein solches Szenario aus-
gerichtet waren. Für das Verhältnis zwischen dem Führen von vorne und der
Auftragstaktik ist dies aufschlussreich. Wenn nämlich der obere Führer in dem
Ausmaß von vorne führte, wie es die Vorschriften vorsahen, musste bzw. konnte
vom unteren Führer in der Regel gar nicht erst selbstständig gehandelt werden.
Das Führen von vorne ist deshalb nicht primär als Element der Auftragstaktik zu
werten, sondern belegt gerade, dass Auftragstaktik einen Ausnahmefall darstellte, !
der erst dann zum Tragen kam, wenn der Regelfall, d.h. die in diesem Abschnitt
behandelte straffe, einheitliche Führung, ausfiel.

682
Rendulic, Der Befehl, BArch, ZA 1/1610, S. 4.
683
Allerdings muss eingeräumt werden, dass die Lagebeurteilung des Generalkommandos aus
Rendulics Äußerungen nicht klar wird und somit die Absicht des K.G. fehlt. Vielleicht sah
dieser seinen Schwerpunkt an andere Stelle vor und war absichtlich nicht vor Ort anwe-
send. Nach der Schilderung Rendulics scheint immerhin wahrscheinlich, dass der Auftrag
für seine Division als Schwerpunkt des Generalkommandos angesehen werden kann.
144 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

»Die Truppenführung ist eine Kunst, in ihr gibt es keine Schablone«684

Die Ausführungen zum Kriegsverständnis haben gezeigt, dass die preußisch-deut-


sche Auffassung davon ausging, dass im Krieg jede Situation und jede Lage singu-
lären Charakter besaß. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass aufgrund dessen
der Wert des Einzelnen besonders hervorgehoben wurde und die Unterführer im
Feld entscheidende Funktion erhielten. Die Konsequenz aus diesem Verständnis
bildeten zwei Aspekte, die bislang erst beiläufig erwähnt wurden: Die Auffassung
von der Führung als Kunst und die »Tabuisierung des Schematisierens«685. Beide
Aspekte besaßen wesentliches Gewicht, prägten sie doch das preußisch-deutsche
Führungsverständnis, das Bild des militärischen Führers und die Anforderungen
an ihn nachhaltig686. Sie waren auch für die Auftragstaktik bedeutungsvoll, die
gerade von lagegerechtem Urteilen und situativem, flexiblem Handeln geprägt
war. Die preußisch-deutschen Führungsvorschriften verdeutlichten denn auch
klar, dass der Krieg bzw. die Kriegführung deshalb zur Kunst wurde, weil die
Kontingenz des Krieges eigenes Urteilen notwendig machte, um in der »in jedem
Augenblick sich anders gestaltende[n] Lage« die Umstände richtig beurteilen und
daraufhin angemessen reagieren zu können687. Führung wurde deshalb als »auf
wissenschaftlicher Grundlage beruhende freie, schöpferische Tätigkeit« verstan- !!
den688. Was Beck, der für diese Worte verantwortlich zeichnete, damit meinte,
erklärte er in der bereits erwähnten Rede an der Kriegsakademie am 15. Oktober
1935:
»Es bedarf daher im besonderen Maße des klaren Blickes, das Wesentliche vom
Unwesentlichen zu trennen und sich unter der Fülle der neuen Anregungen
und Gedanken ein nüchternes, über den Dingen stehendes Urteil und gesun-
des Vorstellungsvermögen zu bewahren689.«
Die Affinität zum Denken Moltkes d.Ä. ergibt sich schon aus der Kontinuität in
den Dienstvorschriften, und auch Clausewitz hatte bereits festgehalten:
»Alles denken ist ja Kunst. Wo der Logiker den Strich zieht, wo die Vordersätze
aufhören, die ein Resultat der Erkenntnis sind, wo das Urteil anfängt: da fängt
die Kunst an690.«
Führung wurde also deswegen als Kunst und freie Seelentätigkeit verstanden,
was Denken bzw. einen schöpferischen Akt implizierte, weil es ganz im Sinne
Immanuel Kants nicht bloß darum ging »Natur« zu erkennen, sondern ein !
»Urteil« der Vernunft zu fällen691. Die Fakten des Gefechts sollten folglich nicht

684
Wenn die Trommel gellet, S. 148.
685
Raths, Vom Massensturm zur Stoßtrupptaktik, S. 210.
686
Vgl. z.B. Wetzell, Vom Geist deutscher Feldherren, Sp. 1273‑1279.
687
D.V.E. Nr. 53, S. 11. Vgl. auch MMW, II/2: Verordnungen, S. 172; FuG, S. 9; TF, S. 11.
688
TF, S. 1. Dies galt z.B. auch für die Taktik als Teil der Kriegführung. Vgl. In EB, Richt-
linien für den Unterricht in Taktik und Geländekunde an den Kriegsschulen des Heeres,
2.1.1942, BArch, RHD 31/24, S. 3; Leitgedanken, S. 7.
689
Rede Becks bei der 125-Jahrfeier der Kriegsakademie, 15.10.1935, BArch, RH 16/v. 27,
S. 9.
690
Clausewitz, Vom Kriege, S. 302 (Hervorhebung im Original). Vgl. auch Schäfer, Kriegs-
kunst, S. 181.
691
Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 816.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 145

nur erkannt, sondern auch bewertet und in die größeren Zusammenhänge ein-
gebunden werden.
In dieser Überzeugung findet sich denn auch die Ursache für die häufig gera-
dezu ostentativ gepflegte Abneigung gegen jegliche Schemata. Nach preußisch-
deutscher Auffassung konnte es keine Patentrezepte geben, die etwa mit beliebigen
Gefechtssituationen gespiegelt und bei Übereinstimmung als Handlungsvorgabe
benutzt werden konnten. Folgerichtig durften auch militärische Führer nicht
bloß schematisch denken und handeln:
»Alle Liebhaber und Anhänger von ›Schemata’s‹ sind brave, fleißige und not-
wendige Arbeiter und kleine Leute – aber keine Führer692.«
Im Bestreben, jeder Schematisierung entgegenzuwirken, ließen die preußisch-
deutschen Dienstvorschriften deshalb den Truppenführern in der Ausbildung und
»der Anwendung der Gefechtsgrundsätze und Gefechtsformen« generell eine be-
trächtliche Handlungsfreiheit693. Auch Clausewitz hatte bereits jeglichen militäri-
schen Schematismus abgelehnt. Diese Ansicht wurde von Moltke d.Ä. übernom-
men und durch ihn in der preußisch-deutschen militärischen Denkschule veran-
kert694. Seine Forderung, »frei von jedem Schema« zu sein, belegt nicht nur seine
grundsätzliche Übereinstimmung mit Clausewitz, sondern verweist auch auf sei-
ne Definition von der Strategie als System der Aushilfen695. Die Erfahrungen der
Kriege 1866 und 1870/71 hatten Moltke d.Ä. in dieser Auffassung noch bestärkt.
Auch in den Verordnungen von 1869 wies er darauf hin, dass Vorschriften »nur
Andeutungen«, niemals aber allgemein gültige Anordnungen geben konnten, da
sie rein quantitativ gar nicht alle praktischen Erfahrungen festhalten und auswer-
ten konnten696. Dies wäre auch gar nicht sinnvoll. In einer Verfügung hielt Beck
im Februar 1937 fest, dass alle Vorschriften »so kurz als möglich gehalten werden«
sollten697. Zum einen konnte nur dann »von jedem Führer und Unterführer ver-
langt werden, dass er die Vorschriften und die in ihnen festgelegten Grundsätze«
beherrschte und anwandte. Zum anderen sollten die Führer die Erfahrungen
nicht aus den Vorschriften übernehmen, sondern sie im praktischen Dienst selbst
gewinnen. Die in den Vorschriften enthaltenen Grundsätze sollten deshalb nicht
dogmatisch als feste Regeln oder konkrete Handlungsanweisungen, sondern
nur als Anhalte und Leitlinien verstanden werden, die den Truppenführern als
Orientierung in der jeweiligen Situation dienten698. Dahinter stand die Furcht,
dass Regeln und Schemata die Führung einengten und deshalb »leicht zu geist-
loser Einseitigkeit und Unselbständigkeit« führten699. Die Auffassung, wonach
jede Schematisierung falsch und »Künsteleien« verboten seien, ist eine Konstante,
die sich seit den Verordnungen von 1869 in den Dienstvorschriften immer wie- !

692
Offizierlehrgänge Berlin/Lehrgang Ib, Major Blumentritt, Befehls-Beispiele, Februar 1934,
BArch, RH 16/v. 185, Bl. 63 (Hervorhebung im Original).
693
Liebmann, Die deutschen Gefechtsvorschriften von 1914, S. 461.
694
Vgl. Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 800.
695
Cochenhausen, Moltke, S. 521.
696
MMW, II/2: Verordnungen, S. 199. Vgl. auch ExReglInf 1906, S. 83; D.V.E. Nr. 53,
S. 13, 27; FuG, S. 7, 9; TF, S. 1; H.Dv.g. 80, S. 20.
697
GenStdH/4. Abt., Nr. 740/37, Betr.: Abfassung von Ausbildungsvorschriften, 3.2.1937,
BArch, RH 2/1219. (Hervorhebung im Original). Dort auch das Folgende.
698
Vgl. TF, S. 1; Weniger, Führerauslese (1941), S. 202.
699
Taysen, Taktik der verbundenen Waffen, S. 693.
146 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

der findet700. Dabei wurde immer deutlich gemacht, dass sich die »taktischen
Forderungen« des Gefechtes »in keine Form pressen« lassen, sondern erst die
Beurteilung jeder einzelnen Lage »dem Handeln die richtigen Bahnen zu wei-
sen« vermochte701. Angelehnt an Clausewitz wurde damit auch die Mahnung
verknüpft, wonach »im Krieg [...] nur Einfaches Erfolg« verspreche702. Ganz
besonders galt diese Auffassung für die Schnellen Truppen, deren Vorteile spe-
ziell in der Ausnutzung ihrer Schnelligkeit und einer flexiblen Führung bestan-
den, wie das folgende Zitat aus einem Vortrag vor Generalstabsoffizieren des
Generalkommandos (mot) XXXXVI. Armeekorps exemplarisch aufzeigt:
»Über alles Folgende möchte ich die ganz große Überschrift setzen: Es gibt kein
Schema! Und [...] auch keinen Vorgang. Mehr als in jeder anderen Waffe muss
in Führung und Befehlsgebung der gesunde Menschenverstand herrschen [...]
Jede Lage ist anders und jede Lage muss anders gemeistert werden703.«
War die Forderung, sich jeden Schemas zu enthalten, zuerst auf das Denken und
Handeln im Gefecht gerichtet, so musste sich dies auch in der Befehlserteilung
bemerkbar machen. Konsequent forderte deshalb bereits das Exerzierreglement
der Infanterie von 1906:
»Da sich für das Gefecht kein Schema geben lässt, muss auch die Abfassung
von Gefechtsbefehlen sich von jedem Schema freihalten704.«
Eine Forderung, die sprachlich gewandelt noch in der TF zu finden ist (siehe
Kap. II.2.b). Gleichwohl gaben auch die Dienstvorschriften »Anhaltspunkte« und
mögliche Gliederungen von Befehlen vor. In den Felddienstordnungen, der FuG
und der TF wurden z.B. die verschiedenen Befehlsarten erwähnt (z.B. Vorbefehl,
Einzelbefehl, Gefechtsbefehl), es wurden Empfehlungen über eine mögliche
Gliederung von Gefechtsbefehlen für die wichtigsten Gefechtsarten abgegeben
(z.B. Angriff, Begegnungsgefecht, Verteidigung) und eine denkbare inhaltli-
che Reihenfolge aufgezeigt (Feindlage, Absicht, Auftrag, Platz des Führers)705. !!
Ausdrücklich betonte jedoch die TF, dass Gliederung und Reihenfolge von der
jeweiligen Lage abhinge und die einzelnen Befehlspunkte nur enthalten sein !
sollten, »soweit sie [...] von Bedeutung« oder »für den nächsten Zweck erforder-
lich« wären706. In den Waffenvorschriften erhöhte sich der Detaillierungsgrad der
Befehlsvorlagen. Darin finden sich Befehlsgliederungen für verschiedene Kampf-
und Verschiebungsarten ebenso wie für die verschiedenen Führungsstufen vom

700
MMW, II/2: Verordnungen, S. 199; ExReglInf 1888, S. 1; FO 1887/1894, S. 16;
ExReglInf 1906, S. 1, 79, 83; FO 1908, S. 16, 21 f.; D.V.E. Nr. 53, S. 13, 27; AVI 130/I,
S. 20; AVA 200/I, S. 15; AVN 421/I, S. 16; FuG, S. 21, 25; TF, S. 1, 22, 26; AVI 130/1,
S. 10; H.Dv.g. 80, S. 20.
701
H.Dv. 200/5, Die Führung der Artillerie vom 26.1.1937, S. 1*; D.V.E. Nr. 53, S. 13.
702
Clausewitz, Vom Kriege, S. 261. Vgl. auch MMW, II/2: Verordnungen, S. 172;
ExReglInf 1888, S. 1; ExReglInf 1906, S. 1; D.V.E. Nr. 53, S. 9; AVF 1918, S. 9; TF, S. 1;
AVI 130/1, S. 10; D 21+, Richtlinien für die Ausbildung im Heere vom 1.8.1934, S. 7.
703
Obstlt. i.G. von der Borne, 3. PzD/Ia, Einsatzgrundsätze und Befehlsgebung einer PzD,
erläutert an Beispielen des Westeinsatzes, 12.1.1941, BArch, RH 27-3/245.
704
ExReglInf 1906, S. 83 (Hervorhebung im Original). Vgl. auch FO 1908, S. 21; FuG,
S. 25; TF, S. 26.
705
FO 1887/1894, S. 21‑23; FO 1908, S. 20; FuG, S. 23‑26; TF, S. 24‑27.
706
TF, S. 24.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 147

Zug bis zum Regiment707. Diese Befehle wurden als allgemeine Beispiele dar-
gestellt und waren häufig mit der Überschrift oder dem Vermerk »Nur Anhalt,
kein Schema!« versehen708. Dass in den Vorschriften trotz dieser Forderung
Befehlsbeispiele abgebildet wurden, stellte allerdings auch einen Widerspruch
dar und konnte durchaus problematisch sein709. Günther Blumentritt hat etwa
darauf hingewiesen, dass solche Beispiele »zum ersten Anlernen junger Offiziere«
oder »als Anleitung und ›Vademecum‹« für Reserveoffiziere durchaus angebracht
sein könnten710. Man solle sich aber so rasch wie möglich davon lösen, da »sonst
eine Schematisierung des Denkens eintritt, die gefährlich werden kann und der !
Kriegswirklichkeit nicht entspricht«. Dessen schien man sich im Generalstab des
Heeres bewusst zu sein. In einer Verfügung von 1937 hielt Beck fest, dass die
Darstellung von Befehlsbeispielen in Vorschriften »zu schematischer, umständli-
cher Befehlsführung« verleite, weil vielfach »in dem Streben, nichts zu vergessen,
über alle in der Vorschrift aufgeführten Punkte befohlen wird, ohne dass das nötig
oder zweckmäßig« wäre711. Beck forderte deshalb, in den Ausbildungsvorschriften
zukünftig keine Beispiele mehr abzubilden, sondern nur noch auf die wichtigsten
Punkte hinzuweisen, die unbedingt befohlen werden müssten. Der Blick in die
Vorschriften zeigt jedoch, dass sich diese Forderung nach dem Rücktritt Becks als
Generalstabschef nicht durchsetzen konnte712.
Die Tabuisierung des Schemas zog sich nicht nur durch die Dienstvorschriften,
sondern prägte auch die Führerausbildung in den Lehrgängen des Heeres713. In
diesen wurden zwar häufig »Befehls-Beispiele« abgegeben und behandelt, dabei
jedoch immer betont, dass diese nicht als Schema zu verstehen seien714. Vielmehr
sollten solche Befehlsbeispiele nur »als das aufgefasst werden, was sie eben sein
können, nämlich ein ›Befehls-Esel‹, den man hat, um nichts zu vergessen«, sie

707
AVI 130/V, S. 23‑25; AVI 130/9b, S. 32 f., 40; D 76, S. 47 f.; H.Dv. 299/11b, S. 30;
H.Dv. 299/11d, S. 20‑34.
708
Z.B. AVI 130/20, S. 183; Schule VII für Offz.-Anw.d.Inf., Befehlsbuch. Muster für Batail-
lons-Befehle, undat., BArch, RHD 48/23, S. 5.
709
Vgl. etwa die Kritik in: Befehlstechnik, S. 885.
710
Blumentritt, Kriegsgeschichtliche Erfahrungen über »Befehls-Technik«, BArch, ZA 1/653,
S. 8 (Hervorhebung im Original). Dort auch das Folgende.
711
GenStdH/4. Abt., Nr. 740/37, Betr.: Abfassung von Ausbildungsvorschriften, 3.2.1937,
BArch, RH 2/1219.
712
Bei den nach 1937 erlassenen Vorschriften finden sich Befehlsgliederungen in: D 645, S. 9;
AVI 130/9b, S. 32 f., 40; H.Dv. 299/11b, S. 30; H.Dv. 299/11d, S. 20, 26; AVPz 470/7,
S. 29, 61, 64; AVPz 470/10, S. 8, 15 f.; AVI 130/20, S. 183‑186.
713
Dies galt auch für den Aspekt der Bildung: »Da im Sichbilden die geistige Persönlichkeit
reifen soll, muss auch der Bildungsweg individuell verschieden sein. Ein allgemein verbind-
liches Schema gibt es hier nicht.« Frießner, Offizier und Bildung, S. 5.
714
Infanterieschule Döberitz, Ausbildungsunterlagen für Bataillonsführer, [1935], BArch,
RH 17/470; Kriegsschule Hannover, Befehlsbeispiele/Taktik, Februar 1939, BArch,
RH 17/510; Artillerieschule Jüterbog/Lehrstab für Offizierschießlehrgänge/T 4, Befehls-
beispiele, September 1941, BArch, RH 17/129; Heeresschule für Bataillons- und Abteilungs-
führer Mourmelon, Befehls-Muster, 5.1.1943, BArch, RH 17/197; Gebirgsjägerschule/
Ia/S 1, Der Kompaniebefehl. Muster für taktische Befehle des Kompanieführers, 1944,
BArch, RHD 48/68; Schule VII für Offz.-Anw.d.Inf., Befehlsbuch. Muster für Bataillons-
Befehle, undat., BArch, RHD 48/23; Heeresschule für Btl.-Abt.-Führer/Kommandostab
Abt. Ia/34, Nr. 15644, Befehls-Muster (Roher Anhalt), undat., BArch, RH 17/467.
148 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

waren allerdings situativ »der Lage und dem Gelände anzupassen«715. Die Vor-
schriften und Ausbildungsunterlagen sollten den Truppenführern auf der ei-
nen Seite also Möglichkeiten für die Befehlsgebung aufzeigen und ihnen in der
Abfassung von Befehlen behilflich sein. Auf der anderen Seite sollte die Absage
an Muster die Truppenführer vor einer »starren, geistlosen Schematisierung«
bewahren716. Damit sollte »Voreingenommenheit« verhindert werden, welche !
die Entschlussfassung und Gefechtsführung negativ zu beeinflussen drohte717.
Umgekehrt wurde der Untergebene dadurch gezwungen, sich inhaltlich mit dem
Befehl auseinandersetzen zu müssen – ein wichtiger Aspekt, gerade im Hinblick !
auf die Forderung nach selbstständigem Handeln im Sinne des Ganzen. Ein festes
Schema konnte nämlich dazu verleiten, dass ein Befehl nicht mehr gedanklich
als Ganzes erfasst wurde, sondern nur noch einzelne Punkte daraus angeschaut
wurden718. Aus den gleichen Gründen galt die Forderung, Inhalt vor Form zu stel- !
len, nicht nur für das Verhalten im Gefecht und für die Befehlsgebung, sondern
auch in der taktischen Ausbildung, die sich konsequent an den Erfordernissen
des Krieges auszurichten hatte719. Gerade auch bezüglich der Verwendung von
Lehrtruppen in Ausbildungslehrgängen des Heeres wurde immer wieder vor der
»Gefahr der Schematisierung« gewarnt, weil dadurch das Einüben eines star-
ren Gefechtsablaufes gefördert werden konnte720. Dies versuchte man in der
Ausbildung unter allen Umständen zu verhindern, sollten die Truppen doch ge-
rade nicht nach vorgezeichneten Verfahren, sondern »unter Vermeidung jeden
Schemas rasch das Wesentliche einer Lage [...] erkennen« und den Verhältnissen
entsprechend handeln lernen721. Unter allen Umständen sollte immer der Ein-
druck vermieden werden, »als ob sich Truppenführung in Schemate [sic!] brin-
gen ließe«722. Entsprechend musste z.B. auch der Schiedsrichterdienst in den
Truppenübungen sehr beweglich geführt werden, um die rasch wechselnden
Lagen des Gefechts möglichst realistisch wiederzugeben. Auch in diesem Bereich
sah die Realität jedoch häufig anders aus, wurden die beübten Truppen doch
vielfach nicht mit »kriegsmäßige[n] Einlagen« konfrontiert, sondern schematisch
angewiesen, wie sie sich zu verhalten hätten723.

715
Offizierlehrgänge Berlin/Lehrgang Ib, Major Blumentritt, Befehls-Beispiele, Februar 1934,
BArch, RH 16/v. 185, Bl. 63 (Hervorhebung im Original).
716
Velten, Das deutsche Reichsheer, S. 10.
717
TF, S. 10, 20.
718
Vgl. auch Däniker, Einheitlichkeit, S. 11‑13.
719
FO 1887/1894, S. 16; ExReglInf 1888, S. 1; ExReglInf 1906, S. 48; FO 1908, S. 16;
AVI 130/I, S. 16, 20; AVA 200/I, S. 11, 15; AVN 421/I, S. 12, 16; AVI 130/1, S. 5, 10. Vgl.
die Kritik in ObdH/GenStdH/4. Abt., Nr. 3370/36, Bemerkungen zum Ausbildungsjahr
1936, 9.5.1936, BArch, RH 53-7/v. 38, S. 5.
720
Z.B. AVI 130/1, S. 10; Kompanieführerschule Senne/Kdr., Betr.: Erfahrungen der Kompa-
nieführerschule 30.4.1940, BArch, RH 19 III/156.
721
ObdH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 555/41 g., Ausbildung im Frühjahr 1941, 21.2.1941,
BArch, RH 21-2/v. 100. Vgl. auch OKH/GenStdH/4. Abt., Nr. 1141/38 g. (V) 10. Abt.
Nr. 680/38 g (Ia), Betr.: Ausbildung im Angriff gegen ständige Stellungen, 20.5.1938,
BArch, RH 37/2378.
722
Gen.Kdo. VII. AK/Ia, Nr. 8385/38, Betr.: Unterweisung der Stabsoffiziere, 5.11.1938,
BArch, RH 53-7/v. 108.
723
Handakten Dollmann, Kommandeurbesprechung Kassel vom 26.11.1937 über die Be-
sprechung beim ObdH am 5.11.1937, BArch, RH 53-9/19. Vgl. auch D 81/2+, Besich-
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 149

Dieses Beispiel deutet bereits an, dass die an sich nachvollziehbare Forderung,
sich keinem Schema zu verhaften – etwas, das gerade im Hinblick auf das selbst-
ständige Handeln im Sinne der Auftragstaktik von entscheidender Bedeutung
ist –, nicht einfach umzusetzen war. Weiter konnten sich aus dem ursprünglich
positiven Beweggrund, die sich dauernd ändernden Rahmenbedingungen flexi-
bel zu handhaben, auch verschiedene Problemlagen ergeben. So kann man sich
generell beim Lesen von Aussagen wie derjenigen, wonach »das Schema [...] an
sich schon das Gespenst der Tat«724 sei, des Eindruckes nicht immer erwehren,
dass es sich hierbei zumindest teilweise um Schlagworte handelte, die fast selbst
schon wieder dogmatischen Charakter besaßen. Weiter mochte die Forderung
»nur kein Schema«725 für Gefechtsübungen insofern sinnvoll sein, als dadurch
die Flexibilität und Initiativfreudigkeit der Übungstruppe gefördert werden
konnte. Sie konnte sich aber dann kontraproduktiv auswirken, wenn es darum
ging, in der Ausbildung gemeinsame Grundlagen – z.B. im Zusammenwirken
der Waffen – herzustellen726. Voraussetzung dafür, dass Truppenführer in vollster !
Freiheit der Form agieren konnten, war schließlich auch ein entsprechender Aus-
bildungsstand und das Beherrschen militärischer Grundfertigkeiten. Beides war
nicht unbedingt als gegeben zu betrachten. In einer der vielen auf dem öffentli-
chen Buchmarkt erhältlichen Anleitungen zum Thema Befehlsgebung hielt der
Verfasser Generalleutnant a.D. Hellmuth Volkmann erstaunlich offen fest:
»Da erfahrungsgemäß zahlreiche Offiziere Schwierigkeiten haben, einem !!
Entschluss den befehlsmäßigen Ausdruck zu geben, so will ihnen diese Schrift
für die meisten vorkommenden taktischen Fälle eine Gedächtnishilfe sein727.«
Dies jedoch nicht, ohne gleich anzuhängen:
»Sie erfüllt ihren Zweck nicht, wenn sie als ›Schema‹ benutzt wird, in das jeder
mehr oder minder passende Entschluss hineingezwängt wird.«
Wie bei der Frage der Selbstständigkeit der Unterführer stellte sich deshalb auch
beim Schema das Problem des Übertreibens. So sehr die Mahnung vor zu starrem
Schematisieren einleuchtet, so wenig konnte vollständig auf jegliche Regulierung
verzichtet werden. Die apodiktische Forderung nach Verzicht auf jegliche Schemata
!
musste sich bei mangelndem Ausbildungsstand und fehlender Erfahrung näm-
lich nachteilig auswirken. In der Tat kritisierten verschiedene Dienststellen in den
Jahren vor 1939 die vielfach mangelhafte, umständliche Befehlsführung sowie
»die Starrheiten« in der Führungstechnik728, die in Truppenübungen nicht selten

tigungsbemerkungen 1936, S. 23‑25; Gen.Kdo. VII. AK/Id, Nr. 1463/38, Betr.: Ausbil-
dung im Schiedsrichterdienst, 10.3.1938, BArch, RH 53-7/v. 108.
724
Offizierlehrgänge Berlin/Lehrgang Ib, Major Blumentritt, Formale Befehlsbeispiele für
die wichtigsten Stoffgebiete der T.F. (Befehlsbeispiel 1f, Begegnungsgefecht), März 1934,
BArch, RH 16/v. 185.
725
Obstlt. i.G. von der Borne, 3. PzD/Ia, Einsatzgrundsätze und Befehlsgebung einer PzD,
erläutert an Beispielen des Westeinsatzes, 12.1.1941, BArch, RH 27-3/245.
726
Das Wehrkreiskommando VII forderte deshalb z.B., dass Verbandsübungen »zunächst den
Charakter von ›Lehrübungen‹ tragen« sollten, um bei den Soldaten hinauf bis zum Hptm.
ein gemeinsames Grundverständnis zu schaffen. Gen.Kdo. VII. AK/Id, Nr. 107, Betr.: Aus-
bildung, 8.1.1938, BArch, RH 53-7/v. 108.
727
Volkmann/Fangohr, Befehlstechnik, S. 5. Dort auch das Folgende.
728
Handakten Dollmann, Kommandeurbesprechung Kassel vom 19.12.1938, BArch,
RH 53-9/19, S. 4. Das Wehrkreiskommando VII hatte bereits 1934 beanstandet, dass
150 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

in einer »an Stumpfsinn grenzende[n] Schematisierung der Befehlsgebung« gip-


felten729. In den Quellen finden sich auch deutliche Belege, dass zu Kriegsbeginn
viele Truppenführer häufig nicht mehr genügend Erfahrung und Wissen besaßen, ?
um frei handeln zu können – eine Entwicklung, die sich im fortlaufenden Krieg
noch verstärkt haben dürfte730. Als »Hauptmängel« wurden dabei die »mangelnde ?
Erfahrung der mittleren Kommandeure und die Überalterung in den unteren
Offizierstellen« erkannt731. Allerdings erreichte diese »Ausbildungslücke« – eine
Konzession an den rasanten Heeresaufbau und die damit zusammenhängende
Verkürzung der Offizierausbildung – zu Kriegsbeginn bereits auch die höheren
Führerstellen. In einem Brief vom Juni 1939 hielt der damalige Generalstabschef
des VII. Armeekorps Oberst i.G. Hermann von Witzleben fest, dass »jüngere
Generale und die zum General [...] heranstehenden Obersten [...] für die an sie
herantretenden Aufgaben der höheren Truppenführung einer eingehenderen
Schulung als bisher« bedurften732. Das Problem fehlender Kenntnisse stellte sich
aber auch in der zweiten Kriegshälfte, wie z.B. ein Befehl des Generalkommandos
II. Armeekorps vom August 1943 zum Zustand der Infanterie belegt. Darin
bemängelte General der Infanterie Paul Laux, dass die »Masse der Führer und
Unterführer« große Schwierigkeiten damit hätten, das Gelände richtig auszu-
nutzen, Kampfpläne zu erstellen, straff zu führen und auf neue Lagen richtig
und flexibel zu reagieren. Besonders fehle es jedoch »an der Befehlsgebung und
der Fähigkeit, die Ausführung zu überwachen«, weshalb in Ausbildungskursen
»Musterbeispiel[e]« erarbeitet und »zur Mitgabe an die Teilnehmer« verwendet
werden sollten733. Solche Feststellungen konnten sogar zu Vorschlägen führen,
in der Ausbildung der Rekruten, Offizieranwärter und selbst der zukünftigen
Kompanie- und Bataillonsführer Gefechtsaufgaben »exerziermäßig und schema­
tisch« einzuüben, »weil der größere Teil der Kp.- und Btl.-F[ü]hr[er] nicht mehr !
ausbilden« könne734. Darüber hinaus lag in dieser Forderung die nicht zu un-
terschätzende Gefahr, dass jeder Führer die Vorschriften in seinem Sinn deute-

seine Offiziere »häufig an zu schematischer Befehlsgebung in Form und Ausdruck« lit-


ten. WK VII/Ia op, Nr. 3095 geh., Betr.: Weiterbildung der 1935 für Kommandierung
zu Offiziers-Lehrgängen vorgesehenen Offiziere, 15.9.1934, BArch, RH 26-10/190. Vgl.
auch OB Gruppe 3/Ia, Nr. 770/37 geh., Betr.: Jahresbericht 1937 der Gruppe 3, [Datum
unlesbar], BArch, RH 15/265. Kdo.d.Pz.Tr./Id, Nr. 3530/37 geh., Betr.: Jahresbericht,
10.11.1937, BArch, RH 15/266.
729
Sodenstern, Gedanken zur Neugliederung der Infanterie, 20.3.1938 [richtig: 1939],
BArch, ZA 1/2785, S. 14. Auch Fritsch thematisierte das Problem zu umfangreicher und
unklarer Befehlspraxis. D 81/2+, Besichtigungsbemerkungen 1936, S. 7.
730
Vgl. Förster, Die Wehrmacht im NS-Staat, S. 100.
731
Oberst i.G. Krebs, Überblick über die Offizierausbildung 1937‑1939, Januar 1941,
BArch, RH 2/2820. Vgl. auch Stellungnahme zum Jahresbericht des Gen.Kdo. VI. AK/Id,
Nr. 167/37 g.Kdos., Erfahrungsbericht, 15.11.1937, BArch, RH 15/265.
732
Brief Witzlebens an Oberst i.G. Willi Schneckenburger, Leiter der 11. Abteilung des
GenStdH (Generalstabsausbildung und Vorschriften), 26.6.1939, BArch, RH 53-7/v. 108.
733
Dies galt »sinngemäß« auch für »Kurse für Rgt.- und Div.-Führer«. Auszugsweise Abschrift,
K.G. II. AK/Ia, Nr. 701/43 g.Kdos., Betr.: Grundlegender Befehl Nr. 15, 14.8.1943,
BArch, RH 11 I/44, S. 2.
734
Gen.Kdo. XXXX. PzK/K.G., Notizen für General der Infanterie beim ObdH, 11.8.1943,
BArch, RH 11 I/44 (Hervorhebung im Original). Das Problem bestand als Folge der
Heeresvermehrungen allerdings bereits vor dem Krieg.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 151

te. Somit bestand die Gefahr, dass die Vorschriften in einem eigenwilligen, im
schlimmsten Falle aber sogar in einem veralteten Sinn interpretiert wurden.
Diese Problematik hatte sich schon 1914 gestellt735. Im Zusammenhang mit den
Heeresvermehrungen ab 1935 und der Vergrößerung des Heeresoffizierkorps
durch Reaktivierung ehemaliger und Einbindung heeresfremder Offiziere muss-
te sie noch verstärkt auftreten, weil diese vielfach bloß über veraltete, aus dem
Ersten Weltkrieg stammende Anschauungen verfügten736. So bemängelte der
Kommandeur der Ausbildungsschule für Kompanie- und Bataillonsführer der
Heeresgruppe A in Koblenz bei den reaktivierten Offizieren besonders »das Kleben
am früher Erlernten« und die häufig fehlenden taktischen Grundkenntnisse737.
Zwar glich sich diese Problematik bei den reaktivierten und Reserveoffizieren
im Verlauf des Krieges mit dem Wiedereinleben in den Soldatenberuf und zu-
nehmender Kriegserfahrung aus, nicht zuletzt auch wegen der »großangelegten
Ausbildungskampagne[n]« nach dem Polenfeldzug 1939 und dem Westfeldzug
1940738. Auf der anderen Seite warnte das OKH im August 1939 vor der Gefahr,
dass in den »Ausbildungseinheiten des Ersatzheeres [...] nach veralteten Methoden
und Grundsätzen ausgebildet« wurde739. Zudem musste festgestellt werden, dass
der Führernachwuchs – besonders für Kompanie- und Bataillonsführerstellen
– im Vergleich mit den Friedenslehrgängen qualitativ abgenommen hatte.
Insbesondere wurden in Erfahrungsberichten aus Lehrgängen des Heeres die häu-
fig mangelhaften Vorschriftenkenntnisse und teils sogar falschen Auffassungen
über Vorschrifteninhalte der Lehrgangsteilnehmer kritisiert740. Das Fehlen grund-

735
Liebmann, Die deutschen Gefechtsvorschriften von 1914, S. 462. Vgl. auch Velten, Das
deutsche Reichsheer, S. 10.
736
Blumentritt, Das alte deutsche Heer von 1914 und das neue deutsche Heer von 1939,
BArch, ZA 1/646, S. 45.
737
Erfahrungsbericht 4. Lehrgang für Kp.-Führer an der Ausbildungsschule bei der
Heeresgruppe A, 28.3.‑13.4.1940, BArch, RH 17/462.
738
Groß, Das Dogma der Beweglichkeit, S. 160 (Zitat); Murray, The German Response to
Victory in Poland, S. 285‑298; Müller, Hitlers Wehrmacht, S. 101 f.
739
OKH/GenStdH/Ausb.Abt., Nr. 30/39 geh., Betr.: Ausbildung im Ersatzheer, 28.8.1939,
BArch, RH 12-5/82, Bl. 387. Eine Problematik, die sich im Übrigen auch im Feldheer
stellte, da »einem großen Teil« der Führer auf Zugs-, Kompanie- und Bataillonsstufe
»die Erfahrung auf dem Gebiet der Ausbildung fehlt«. Vgl. z.B. ObdH/GenStdH/Ausb.
Abt. (Ia), Nr. 2800/41 g, Befehl für die Ausbildung des Westheeres, 24.11.1941, BArch,
FD 1236 N, S. 7. Stellv.Gen.Kdo. VII. AK/Ia/d, Nr. 8452/42 geh., Betr.: Ausbildungsfrage
im Ersatzheer, 8.6.1942, BArch, RH 53-7/v. 234b. Vgl. auch DRWK, Bd 5/1, S. 734 f.
(Beitrag Kroener).
740
Gen.d.Inf. beim ObdH, Der Angriffsgeist der Infanterie (Erfahrungen des Ostkrieges),
30.11.1939, BArch, RH 19 III/125; H.Gr.Kdo. C/Ia, Nr. 1300/40 geh., Betr.: Ausbildung
von Kp.- und Battr.-Führern, 22.2.1940, BArch, RH 19 III/125; Ausbildungsschule für
Kompanie- und Bataillonsführer der HGr. A Koblenz, Erfahrungsberichte zum 2., 3, 4. und
5. Lehrgang für Kp.-Führer von Februar bis Mai 1940, alle: BArch, RH 17/462; AOK 2/
Ia, Nr. 298/41 geh., Betr.: Stellungnahme zum Erfahrungsbericht der Kp.-u.Battr.-Fhr.-
Schule Senne, 14.2.1941, BArch, RH 19 III/156; HPA Ag P1/Gr. 7, Richtlinien für den
Offiziernachwuchs im Kriege, 21.2.1942, BArch, RH 53-7/v. 430. Beim Unteroffizierkorps
zeigte sich die Lage noch um einiges problematischer. So seien »alte, bewährte Unter-
offiziere« fast völlig verschwunden. Anlage zu Op.Abt. (IIa), Nr. 420097/42 g.Kdos.,
Major i.G. Pistorius, Bericht über die Reise in den Bereich des I. A.K. vom 27.2.‑6.3.42,
7.3.1942, BArch, RH 2/931a. Gleichzeitig genügte der Unteroffiziernachwuchs häufig »in
152 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

legender Kenntnisse und Fertigkeiten führten in der Praxis tatsächlich dazu, dass
bei vielen Lehrgangsteilnehmern »eine auffallende Hilflosigkeit im Kleben am
Schema und an toten Begriffen in Erscheinung« trat741. Angesichts der in den
Dienstvorschriften fehlenden Definition von Auftragstaktik stellt sich hier die !
Frage, wie sich dies auf das Verständnis vom Inhalt der Auftragstaktik auswirken
musste.

»Gut zu befehlen ist eine Kunst«742 – Der Führungsvorgang


im deutschen Heer

Die obigen Ausführungen haben bereits gezeigt, wie stark das Bestreben, sich
in Denken und Handeln von jedem Schema freizuhalten, mit der Art der
Befehlsgebung zusammenhing und dadurch auch die Führerausbildung mit-
prägte. Im Folgenden soll deshalb genauer untersucht werden, welche Anforde-
rungen an die Führungstätigkeiten gestellt wurden und wie dies inhaltlich
in der Führungsausbildung zum Tragen kam. Waren die bisher behandelten
Elemente v.a. als abstrakte Werte zu sehen, so decken die im Folgenden zu
untersuchenden Führungstätigkeiten und die Führerausbildung ganz kon-
krete Aspekte des militärischen Handwerks ab. Während Raths diese Aspekte
eher implizit unter dem Punkt »Rolle der Führung« anschneidet, sieht Leisten-
schneider in der Befehlsgebung und der Ausbildung der Führer zwei bedeu-
tende Komponenten der Auftragstaktik743. Roland G. Foerster wiederum sah
in der Lagebeurteilung und dem Entschluss die eigentlichen Bestandteile der
Auftragstaktik744. Es ist wohl unbestritten und leuchtet ein, dass das Führungs-
prinzip der Auftragstaktik eine spezifische Art der Befehlsgebung benötigte, in
der die Elemente wie Entschlossenheit oder Selbstständigkeit speziell berück-
sichtigt und gefördert wurden. Andererseits beeinflusste natürlich auch die
preußisch-deutsche Kriegsauffassung das Führungsverständnis und damit die
Art des Führungsvorganges. So ist es etwa naheliegend, dass z.B. die Art der
Befehlsgebung den friktionalen Charakter des Krieges beachten musste. Dies
zeigte sich bereits in der im vorigen Kapitel erwähnten Absage an ein rigides
Befehlsmuster. Wie noch zu sehen sein wird, galt dies auch für die Art, wie an
Untergebene befohlen wurde. Bei den Aussagen Leistenschneiders und Foersters
muss allerdings bedacht werden, dass der Kern des Führungsvorganges nicht al-
leine in der Lagebeurteilung und Entschlussfassung bzw. in der Befehlsgebung,
sondern in dem »Dreitakt-Schema« von Lagebeurteilung, Entschlussfassung !

keinster Weise den Anforderungen«. Feld-Unteroffizier-Schulen der Schnellen Truppen


Rembertow/Ia, Nr. 172/43 geh., Betr.: Bericht über Gliederung pp. der Feld-Uffz.-Schule
der Schnellen Truppen, 15.3.1943, BArch, RH 10/35.
741
Komp.u.Bttr.-Führerschule Bergen/Ia, Nr. 18/41 g, Betr.: Stellungnahme zum Bericht der
Führerschule Senne, 9.1.1941, BArch, RH 19 III/156.
742
Schäfer, Befehlserteilung, S. 19.
743
Raths, Vom Massensturm zur Stoßtrupptaktik, S. 32 f.; Leistenschneider, Auftragstaktik,
S. 85‑95.
744
Foerster, Das operative Denken Moltkes des Älteren, S. 29.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 153

und Befehlsgebung liegt745. Eine Verengung alleine auf das eine oder andere als
Element der Auftragstaktik würde dem zu wenig Rechnung tragen. Die drei
Faktoren des Führungsvorganges müssen deshalb als Entität verstanden werden,
die eine schnelle und wendige Führung im Gefecht ermöglichte und entsprechen-
des Gewicht in der Führerausbildung erhielt746. Dahinter stand die im preußisch-
deutschen militärischen Führungsdenken verankerte starke Gewichtung der
Elemente Entschlossenheit und Selbstständigkeit sowie des Faktors Schnelligkeit,
auf die bereits mehrfach hingewiesen wurde. Die TF betonte etwa, dass »die si-
cherste Grundlage des Erfolges [...] der Vorsprung in der Gefechtsbereitschaft«
sei747. Das hohe Tempo des modernen Bewegungskrieges verlangte von der
Führung die Fähigkeit, sich ständig an die neuen Bedingungen anpassen und
nach nur kurzer Vorbereitungszeit neue Aktionen durchführen zu können. In
einer Ausbildungsweisung des OKH hieß es deshalb:
»Im heutigen Kriege sind Lagen, die früher für ungewöhnlich galten, häufig.
Sie können rasch wechseln. Die Führer müssen daher in erster Linie dazu er-
zogen werden, unter Vermeidung jeden Schemas rasch das Wesentliche einer
Lage zu erkennen, schnell zu handeln und schwierigen Lagen das Vertrauen
auf die eigene Kraft entgegenzusetzen748.«
Wichtige Voraussetzungen dafür, um schneller als der Gegner handeln, diesen
überraschen und ihm das Gesetz des Handelns aufzwingen zu können, waren
deshalb eine rasche Beurteilung der Lage, ein schneller Entschluss und eine kurz !
darauf folgende Befehlsgebung749. Gleichzeitig bildete dies auch eine wesentliche
Voraussetzung, um im Sinne der Auftragstaktik handeln zu können. Ohne die
gewissenhafte Durchführung dieser drei Tätigkeiten liefen Truppenführer Gefahr,
nicht zum Wohle des Ganzen zu agieren, weil sie gar nicht erkennen konnten,
wann sie im Sinne eines Auftrags handeln sollten, und stattdessen stur nach
Befehlen verfuhren, auch wenn sie überholt waren. Nachfolgend sollen aus diesem
Grund die Lagebeurteilung, Entschlussfassung und Befehlsgebung kurz darge-
stellt und untersucht werden, worauf die Führungs- und Ausbildungsvorschriften
besonderen Wert legten.
Die Basis für den gesamten Führungsvorgang bildete die richtige Lagebeurtei-
lung. Bevor nämlich situationsgerecht befohlen werden konnte, um eine günstige 1.
Lage ausnutzen zu können, musste diese zuerst richtig beurteilt werden750. Sie

745
Fiedler, Taktik und Strategie der Millionenheere, S. 64. Lagebeurteilung, Entschlussfassung
und Befehlsgebung waren ständige Führungsaufgaben. Abgeschlossen wurde das Spektrum
der Führungstätigkeiten durch die Kontrolle, die aber nicht zwingend gewesen zu sein
scheint, siehe TF, S. 22.
746
Leistenschneider sieht in der raschen und richtigen Lagebeurteilung, schnellen Entschluss-
fassung und Befehlsgebung ebenfalls das Ziel der Führerausbildung und die »Basis für
den Grundsatz der Selbsttätigkeit«. Er verortet dies in der Komponente »Ausbildung
der Führer«, trennt die Befehlsgebung aber als separate Komponente explizit davon ab.
Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 85‑93.
747
TF, S. 151.
748
ObdH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 555/41 g., Ausbildung im Frühjahr 1941, 21.2.1941,
BArch, RH 21-2/v. 100, S. 1.
749
Vgl. TF, S. 151; D 80+, S. 8; D 77+, S. 26; H.Dv. 299/11b, S. 17; AVPz 470/10, S. 6.
750
So betonte z.B. die H.Dv. 299/11b, S. 17, dass »richtige Entschlüsse [...] schnelles Erfassen
und Auswerten der meist schnell wechselnden Lagen« voraussetzten.
154 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

diente demzufolge als Grundlage für die Entschlussfassung und »Voraussetzung


jeder erfolgreichen Führertätigkeit« und beinhaltete »rasche Gedankenarbeit, ein-
fache, folgerichtige Erwägungen und Beschränkung auf das Wesentliche«751. Um
die Lage korrekt beurteilen und danach im Sinne des Ganzen handeln zu kön-
nen, hoben die Vorschriften hervor, dass zuerst zu vergegenwärtigen sei, »welches !
Verhalten der Auftrag vorschreib[e]«752. Die Betonung von Auftrag und Lage als
»Grundlage für die Führung« kommt nicht nur in den Vorschriften zum Tragen,
sondern lässt sich auch in verschiedenen Ausbildungsunterlagen zum Thema
Lagebeurteilung nachweisen753. Damit wird deutlich, dass der Auftrag nicht erst
in der Befehlsgebung ins Zentrum rückt, sondern bereits in der Lagebeurteilung !
als Richtschnur für folgerichtiges Handeln erscheint. Gerade diese Erkenntnis
wird in der Forschungsliteratur jedoch kaum berücksichtigt. Vielmehr betonen
Untersuchungen zur Auftragstaktik oder zu den deutschen Führungsgrundsätzen
die Bedeutung des Auftrags ausschließlich in Verbindung mit der Befehlsgebung.
Wie erheblich der Auftrag bereits für den Vorgang der Lagebeurteilung ist, wird
hingegen völlig ausgeblendet754. Auf diesen wichtigen Zusammenhang wies z.B.
bereits Burkhart Müller-Hillebrand hin:
»Je mehr die Führungsgrundsätze [...] den Offensivgedanken und mit ihm
die Forderung betonten, dass dem Gegner das Gesetz des Handelns durch
die eigene Initiative aufgezwungen werden müsse, um so mehr musste leicht- !
fertigem Draufgängertum vorgebeugt und der Entschluss zum Handeln an
nüchterne Prüfung der gegebenen Möglichkeiten gebunden werden755.«
Ein Hauptziel der Führerausbildung bestand deshalb in der Förderung des
Urteilsvermögens, um die Führer in die Lage zu versetzen, »auf Grund einer klar
bezeichneten Kriegslage die sich darbietenden Verhältnisse schnell und sicher auf-
fassen, beurtheilen und dann der gewonnenen Ansicht gemäß handeln« zu kön-
nen756. Was in den Vorschriften sinnvoll und einfach klang, war in der Realität
allerdings nur schwer umzusetzen. Die dezidierte Absage an Schemata erlaubte

751
Gen.Kdo. IX. AK/Ia/Id, Nr. 100/39, Weisungen für das Ausbildungsjahr 1938/39,
12.1.1939, BArch, RHD 49/68, S. 5; TF, S. 19.
752
FuG, S. 19 f. Vgl. auch TF, S. 19.
753
FuG, S. 8; TF, S. 10. Vgl. auch MMW, II/2: Verordnungen, S. 172; D.V.E. Nr. 53,
S. 13; H.Dv.g. 80, S. 20; Kr.Ak./Hörsaal If, Hinweise für schriftliche Bearbeitung von
Beurteilung der Lage und Entschluss, 1938/39, BArch, RH 16/v. 29; ObdH/GenStdH/
Ausb.Abt. (Ia), Nr. 555/41 g., Ausbildung im Frühjahr 1941, 21.2.1941, BArch, RH 21-
2/v. 100, S. 1.
754
Vgl. z.B. Creveld, Kampfkraft, S. 52‑54; Caspar/Marwitz/Ottmer, Tradition in deutschen
Streitkräften, S. 171 (Beitrag Ottmer). Auch Leistenschneider betont die Gewichtung von
Absicht und Auftrag nur für das Prinzip der Selbstständigkeit und deren Hervorhebung in
der Befehlsgebung. Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 83‑92.
755
Müller-Hillebrand, Deutsche und sowjetrussische militärische Führung, BArch,
ZA 1/2162, S. 52.
756
Verordnungen über die Ausbildung der Truppen 1870, S. 8 (Hervorhebung im Original).
Vgl. auch FO 1887/1894, S. 15; ExReglInf 1906, S. 78; D.V.E. Nr. 53, S. 11; AVI 130/I,
S. 10, 13 f.; AVA 200/I, S. 6, 8 f.; AVN 421/I, S. 6, 8 f.; AVI 130/1, S. 18; AVA 200/1a,
S. 23 f.; AVK 299/1, S. 17; AVPz 470/1, S. 23 f. Dieser Forderung war ständig nachzukom-
men, siehe D 81/2+, Besichtigungsbemerkungen 1936, S. 7: »Jeder Führer muss wissen,
dass es mit einem einmaligen Befehl [...] nicht getan ist. Die Lage wechselt unaufhörlich
ihr Bild. Der Führer muss ständig in dieser Lage leben.«
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 155

eigentlich keine Anleitungen dazu, wie Lagebeurteilungen durchzuführen waren.


Dies hätte – gerade in kritischen Situationen – zu starrem Handeln nach vorgege-
benen Punkten verleiten können, so die Befürchtungen. So sehr allerdings freies
Urteilen angestrebt war, bedurfte es trotzdem zur Gewährleistung einheitlicher
Handlungen einer gemeinsamen Basis. Dies ergab sich schon aus der Bedeutung
der Lagebeurteilung für das anschließende Handeln. Die Führerausbildung
konnte deshalb nicht darauf verzichten, den Offizieren und Offizieranwärtern
mindestens so etwas wie ein Gerüst oder eine »Schullösung« mitzugeben, in de-
nen die hauptsächlichen Inhaltspunkte aufgelistet waren und die zudem wichtige
methodische Hinweise zur Vorgehensweise enthielten. Die FuG und die TF wie-
sen z.B. in wenigen Sätzen darauf hin, welche Aspekte bei einer Lagebeurteilung
zu berücksichtigen waren757. Um einiges detaillierter gehalten waren die entspre-
chenden Unterlagen verschiedener Ausbildungseinrichtungen des Heeres. So leg-
te z.B. die Heeresschule für Bataillons- und Abteilungsführer Mourmelon für eine
Lagebeurteilung sechs vorbereitende Punkte fest, in denen behandelt wurde, wie
bei einer Lagebeurteilung ein erhaltener Befehl zu lesen war. Anschließend begann
die eigentliche »Gedankenarbeit«, die anhand von sieben Punkten (meist Fragen)
und zusätzlichen Unterpunkten zu einem folgerichtigen Entschluss führen soll-
te758. Auch die Heeresnachrichtenschule führte für ihren Taktikunterricht ein
mehrseitiges Merkblatt mit detaillierten Erläuterungen und Fragen, anhand derer
eine Lagebeurteilung durchexerziert werden konnte759. Ähnliche Anleitungen gab
es auch in den Unterlagen anderer Ausbildungseinrichtungen760. Die Unterlagen
über die »Muster-Divisions-Kampfschule« der 125. Infanteriedivision vom Juli
1943 enthielten sogar eine schematische Darstellung, in der der Weg vom erhal-
tenen Auftrag über die Lagebeurteilung, Entschluss und Befehl bis zur Kontrolle
der Ausführung aufgezeichnet war761. Dieses Schema scheint als mustergültig
beurteilt und in der Folge innerhalb der Heeresausbildungseinrichtungen wei-
terverwendet worden zu sein. Der Generalstab des Heeres erließ im September
1943 jedenfalls eine Druckschrift über die Aufstellung, Gliederung und Planung
von Divisions-Kampfschulen, in der diese Darstellung enthalten war; eine ex-
akte Kopie des Schemas findet sich ebenfalls in den Quellenbeständen der
Gebirgsjägerschulen von 1944762. Der Generalstabschef des Generalkommando

757
FuG, S. 20; TF, S. 19 f.
758
Btl.-/Abt.-Führerschule [Mourmelon], Die Beurteilung der Lage, 6.1.1942, BArch,
RH 17/197, S. 1 f.
759
Heeresnachrichtenschule/Lehrstab A, Merkblatt 9. Anhaltspunkte für Beurteilung von
Lagen u. Entschlussfassung, November 1941, BArch, RH 17/345.
760
Kr.Ak., Taktische Bemerkungen, [1938/39], BArch, RH 16/v. 13; Infanterieschule Döberitz,
Anhaltspunkte für die Gedankengänge bei Beurteilung der Lage, Entschlussfassung
usw., [1941], BArch, RH 37/4799. In EB, Richtlinien für den Unterricht in Taktik und
Geländekunde an den Kriegsschulen des Heeres, 2.1.1942, BArch, RHD 31/24, S 13 f.;
Offz.-Anw[ärter] d.Inf., Befehlsbuch. Muster für Bataillons-Befehle, undat., BArch,
RHD 48/23, S. 36 f.; Feld-Unteroffizier-Schule der Panzertruppen Rembertow, Merkheft
für Befehlsgebung! Beurteilung der Lage, undat., BArch, RHD 48/48.
761
125. ID/Ia, Nr. 560/43 geh., Muster-Divisions-Kampfschule, Beilage, Wie komme ich zu
einem Befehl?, 30.7.1943, BArch, RH 26-125/26, Bl. 82.
762
OKH/GenStdH/Ausb.Abt.(Ib), Nr. 3100/43, Beispiel für Ausbildungsplan einer
Divisions-Kampfschule, 8.9.1943, BArch, RHD 18/376; [Gebirgsjägerschule], Wie ent-
steht ein Befehl?, [1944], BArch, RHD 48/68.
156 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

VII. Armeekorps Brennecke erließ ebenfalls Anhaltspunkte über die Methodik


einer Lagebeurteilung, wobei in diesem Beispiel besonders schön deutlich wird,
mit welchen inneren Widersprüchen er sich dabei konfrontiert sah. So musste ex-
plizit darauf hingewiesen werden, dass der abgedruckte »Gedankenaufbau« zwar
»oft zweckmäßig« sei, aber trotzdem »kein Schema« darstelle763. Eine Anleitung
für eine Lagebeurteilung findet sich auch in den »Ausbildungsbemerkungen
Nr. 1« der 3. Panzerdivision vom Januar 1941, in der auch die Notwendigkeit
für eine solche Anleitung begründet wurde: Die Offiziere der Division hätten den
Vorgang von der Lagebeurteilung zum Entschluss zu wenig beherrscht764. Ähnlich
hatte der Kommandierende General des Generalkommandos IX. Armeekorps
Dollmann bereits im Januar 1939 beanstandet, dass in der Lagebeurteilung
»bei unseren jungen Führern so wenig Fortschritte zu bemerken sind«765 –
ein weiterer Hinweis darauf, dass die Mitglieder des Heeresoffizierkorps den
Qualitätsansprüchen in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre immer weniger ge-
recht wurden. Ein eindrückliches Beispiel für diese Entwicklung stellt das be-
reits erwähnte Kompanieführer-Taschenbuch dar. Im Schreiben des OKH an die
Bataillonsführerschule Antwerpen wurde die Abfassung wie folgt begründet:
»Der auf Grund der hohen Ausfälle notwendige häufige Wechsel in der
Besetzung der Kompanieführer-Stellen macht es erforderlich, dass jüngere
Offiziere ohne entsprechende Ausbildung und Erfahrung die Führung einer
Kompanie übernehmen müssen. Um für den täglichen Gebrauch diesen jun-
gen Offizieren eine Unterlage an die Hand zu geben, ist die Bearbeitung eines
›Taschenbuches für den Kompanieführer‹ erforderlich. Diese Forderung wird
auch immer wieder von der Front begründet und gestellt. Das ›Taschenbuch
für den Kompanieführer‹ soll in übersichtlicher und abgekürzter Form alles
enthalten, was der Kompanieführer im Kriege braucht766.«
Die Entschlussfassung, auf die nun eingegangen werden soll, war eng an die 2.
Lagebeurteilung gekoppelt. Dies zeigt sich schon darin, dass sie in gleichem
Maße wie die Lagebeurteilung von Auftrag und Lage abhing767. Während in der
Lagebeurteilung der eigentliche analysierende, urteilende Vorgang ablief, wurden
im Entschluss die Konsequenzen daraus gezogen. Letzterer hatte »bestimmt« zu
sein und musste »ein klares Ziel mit ganzer Kraft verfolgen«768. Er durfte also
»keine Halbheiten« enthalten, sondern sollte »wie ein Turm im Nebel aus der

763
Anlage A zu VII. AK/ChdGenSt, Ausbildung unter dem Gesichtspunkt des neuzeitlichen
Infanteriekampfes, 4.1.1938, BArch, RH 53-7/v. 108, S. 1. Ebenso: Schule VII für Offz.-
Anw.d.Inf., Befehlsbuch. Muster für Bataillons-Befehle, undat., BArch, RHD 48/23, S. 5.
Vgl. auch Anlage 2 zu 123. ID/Kdr., Vorbereitung eines Gegenangriffes im Regimentes-
Rahmen, 1.6.1942, BArch, RH 19 III/194, Bl. 172.
764
Diesbezüglich hieß es nämlich: »Z.Zt. ›schwimmen‹ viele Herren stark!« 3. PzD/Kdr.,
Nr. 13/41 geh., Ausbildungsbemerkungen Nr. 1, 4.1.1941, BArch, RH 27-3/17, S. 2 f.
765
Gen.Kdo. IX. AK/Ia/Id Nr. 100/39, Weisungen für das Ausbildungsjahr 1938/39,
12.1.1939, BArch, RHD 49/68, S. 5.
766
OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (II), Nr. 4820/43, An die Btl.Führer-Schule Antwerpen,
10.12.1943, BArch, RH 2/2877, Bl. 283.
767
FuG, S. 8; TF, S. 10.
768
FuG, S. 21; TF, S. 11, 20. Vgl. auch MMW, II/2: Verordnungen, S. 172; D.V.E. Nr. 53, S. 9;
Stellv.Gen.Kdo. VII. AK/Ia/d, Nr. 13854/40 geh. II. Ang., Betr.: Taktische Erfahrungen
im Westfeldzug, 2.1.1940, BArch, RH 53-7/v. 171, S. 2.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 157

Ungewissheit« des Krieges herausragen und für das Handeln richtungsweisend


sein769. Dabei verlangte die Entschlussfassung vom Verantwortungsträger Tatkraft,
sich zu entschließen, und festen Willen, an seinem Entschluss festzuhalten770.
In der Forderung nach Entschlusskraft fand das bereits behandelte Element der
Entschlossenheit seinen unmittelbaren, konkreten Ausschlag. An dieser Stelle soll
deshalb darauf verzichtet werden, diesen Aspekt erneut aufzunehmen. Ansonsten
blieb das Thema Entschlussfassung in den Vorschriften erstaunlich kurz gehalten.
Auch in den Ausbildungsunterlagen wurde der Entschlussfassung nicht so viel
Platz eingeräumt wie der Lagebeurteilung und der Befehlsgebung. Zudem wur-
den Lagebeurteilung und Entschluss häufig zusammen behandelt, was wie oben
gesehen aufgrund des inneren Zusammenhangs durchaus seine Berechtigung
hatte. Durch die Zusammenfassung beider Themen wurde die Entschlussfassung
in den Ausbildungsunterlagen jedoch gleich detailliert behandelt wie die Lage-
beurteilung. So wurden ebenfalls Anleitungen und methodische Hinweise gege-
ben, worauf sich ein Entschluss konzentrieren musste; auch wurde hervorgeho-
ben, dass ein Entschluss in der Form einfach und im Ausdruck klar gehalten sein
musste, oder auf häufige Fehler hingewiesen771. Dabei verwies die Mehrheit der
Ausbildungsunterlagen hier ebenso wie beim Thema Lagebeurteilung direkt und
unter Nennung der entsprechenden Ziffern auf die TF.
Die Art, wie die Entschlussfassung in den Ausbildungsunterlagen beschrie-
ben wurde, veranschaulicht zudem die starke Betonung des dezisionistischen
Elementes. So wurde z.B. – teils direkt auf Moltke d.Ä. verweisend – unter-
strichen, dass es besser sei, aktiv zu handeln als die Initiative dem Gegner zu
überlassen. In diesem Zusammenhang wurde auch das Abweichen vom Auftrag
thematisiert. Weiter wurde betont, dass der Entschluss lediglich beinhalten dürfe,
was als Endzweck erreicht, nicht aber, wie dies im Einzelnen ausgeführt werden
sollte. Interessanterweise wird in einigen Quellen jedoch darauf hingewiesen, dass
erst im Befehl angeordnet würde, wie ein Entschluss umgesetzt werden solle772.
Dies ist deshalb aufschlussreich, weil es dem in der Forschung strapazierten Bild

769
Kr.Ak., Taktische Bemerkungen, [1938/39], BArch, RH 16/v. 13, S. 1. Luftkriegs-
schule 2/K.O.N.-Lehrgang, Anhaltspunkte für die Durchführung einer Beurteilung der
Lage mit Entschluss, undat., BArch, RH 27-3/248. Vgl. auch D 81/2+, Besichtigungs-
bemerkungen 1936, S. 7; Altrichter, Der soldatische Führer, S. 26.
770
Andererseits musste die Lage laufend beurteilt und für den Fall einer grundsätzlichen
Änderung vom Entschluss abgewichen werden, vgl. z.B. TF, S. 11. Es versteht sich von
selbst, dass Mut und Entschlossenheit gerade in solchen Situationen noch viel stärker ins
Gewicht fielen.
771
Kr.Ak., Taktische Bemerkungen, [1938/39], BArch, RH 16/v. 13, S. 1; Btl.-/Abt.-Führer-
schule [Mourmelon], Die Beurteilung der Lage, 6.1.1942, BArch, RH 17/197, S. 2 f.;
Feld-Unteroffizier-Schule der Panzertruppen Rembertow, Merkheft für Befehlsgebung!
Beurteilung der Lage, undat., BArch, RHD 48/48. Vgl. auch Bücheler, Hoepner, S. 214.
772
Kr.Ak./Hörsaal If, Hinweise für schriftliche Bearbeitung von Beurteilung der Lage
und Entschluss, 1938/39, BArch, RH 16/v. 29; Heeresnachrichtenschule/Lehrstab A,
Merkblatt 9. Anhaltspunkte für Beurteilung von Lagen u. Entschlussfassung, November
1941, BArch, RH 17/345, S. 4; Btl.-/Abt.-Führerschule [Mourmelon], Die Beurteilung
der Lage, 6.1.1942, BArch, RH 17/197, S. 2 f.; In EB, Richtlinien für den Unterricht
in Taktik und Geländekunde an den Kriegsschulen des Heeres, 2.1.1942, BArch,
RHD 31/24, S. 14 f.; Offz.-Anw[ärter] d.Inf., Befehlsbuch. Muster für Bataillons-Befehle,
undat., BArch, RHD 48/23, S. 37.
158 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

widerspricht, wonach dem Untergebenen einzig ein Ziel vorgegeben wird, alles
andere aber offen gelassen würde. Tatsächlich wurde einem Unterführer in der
Absicht und den Aufträgen zwar ein Endzweck vorgegeben, den dieser selbststän-
dig erreichen konnte. Zusätzlich hat die vorgesetzte Stufe aber in den Aufträgen !
z.B. auch das angestrebte Verfahren aufgezeigt, d.h. dargelegt, wie die Umsetzung
eines Unternehmens aussehen sollte. Dies hatte zum einen regulativen Charakter,
sollte zum anderen aber auch als Richtlinie zur Vereinheitlichung des Handelns !
aller Beteiligten dienen.
Nicht zuletzt wird in den Dienstvorschriften und Ausbildungsunterlagen der
angesprochene Faktor Schnelligkeit sehr stark hervorgehoben, was sich unter an-
derem in dem Hinweis äußerte, dass »richtige Entschlüsse [...] schnelles Erfassen
und Auswerten der meist schnell wechselnden Lagen« voraussetzten773. Dies
könnte auch eine Erklärung dafür sein, dass der Entschlussfassung vergleichswei-
se wenig Platz eingeräumt wurde, da sie als Bindeglied zwischen Lagebeurteilung
und Befehlsgebung in erster Linie möglichst rasch vom Urteil zur Tat überleiten
sollte. Zwar zeigten die Vorschriften und Ausbildungsunterlagen verschiedene
Gedankenschritte auf, die in einer Entschlussfassung zu durchschreiten waren.
Zumindest für untere Führer scheint dies nur mit Abstrichen gültig gewesen zu
sein, da »Führer kleiner Verbände im Gefecht [...] immer Sattelentschlüsse«774 zu fäl-
len hätten, womit rasche Entscheide ohne ausgeprägte Lagebeurteilungen gemeint
waren. Wie schon im Zusammenhang mit dem Element der Selbstständigkeit
deutet sich damit auch bei der Entschlussfassung an, dass zwischen unteren
und oberen Führern differenziert und eine entsprechend unterschiedlich ge-
wichtete Erwartungshaltung vorhanden war. Die Schwierigkeit stellte sich auch
hier wieder in der praktischen Umsetzung. Trotz aller Forderung nach rascher
Entschlussfassung wurde davor gewarnt, sich zu »übereilter Befehlsgebung« oder
zu einem »Vorausdisponieren« verleiten zu lassen775.
Die Befehlsgebung schloss letztlich die zentralen Maßnahmen des Führungs-
vorgangs ab, indem sie die Erkenntnisse und Konsequenzen aus der Lagebeur- 3.
teilung und der Entschlussfassung in Anordnungen fasste776. Mit der Befehls-
gebung sollte sichergestellt werden, dass die unterstellten Truppen über die aus
der Lagebeurteilung und Entschlussfassung gefolgerten Erkenntnisse adäquat ori-
entiert und die sich daraus ergebenden Maßnahmen zur richtigen Zeit eingeleitet
wurden. Der Befehl stellte deshalb gewissermaßen »die praktische Übersetzung
[des] Entschlusses an die Truppe« dar777. An die Abfassung und Gliederung ei-
nes Befehles stellten sich deshalb hohe Anforderungen. Der Chef der Heeres-
statistischen Abteilung (T3) Oberst i.G. Carl-Heinrich von Stülpnagel forder-

773
H.Dv. 299/11b, S. 17. Vgl. auch 3. PzD/Kdr.; Nr. 775/41 geh., Ausbildungsbemerkungen
Nr. 3, 5.3.1941, BArch, RH 27-3/17, S. 11.
774
Kr.Ak., Anhaltspunkte für die Anlage und Leitung von Geländebesprechungen, 1938/39,
BArch, RH 16/v. 13, S. 2 (Hervorhebung im Original).
775
D 77+, S. 14; D 81/2+, Besichtigungsbemerkungen 1936, S. 8. Vgl. auch ObdH/
GenStdH/4. Abt., Nr. 3370/36, Bemerkungen zum Ausbildungsjahr 1936, 9.5.1936,
BArch, RH 53-7/v. 38, S. 2.
776
TF, S. 21. Vgl. auch FuG, S. 21; Schäfer, Befehlserteilung, S. 19.
777
Offizierlehrgänge Berlin/Lehrgang Ib, Major Blumentritt, Befehls-Beispiele, Februar 1934,
BArch, RH 16/v. 185, Bl. 63 (Hervorhebung im Original).
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 159

te z.B.: »Ein guter Befehl muss vier Hauptbedingungen erfüllen: Deutlichkeit, !


Bestimmtheit, Vollständigkeit und Kürze778.«
Auf die Fähigkeit der Führer, »Entschlüsse schnell in kurze Befehle umzuset-
zen« wurde dabei ein besonderes Augenmerk gerichtet779. Auf die grundsätzliche
Problematik, einerseits zwar jede Schematisierung von Befehlen vermeiden zu
wollen, während andererseits die berechtigten Forderungen nach Einheitlichkeit
im Handeln gewisse Vorgaben unabdingbar machten, wurde schon hingewie-
sen. An dieser Stelle soll deshalb nur noch aufgezeigt werden, welche Aspekte
der Befehlsgebung in den Vorschriften betont wurden und wie sich dies auf die
Führerausbildung auswirkte.
Zuerst lässt sich festellen, dass alle Ausführungen in den Führungsvorschriften
zur Thematik der Befehlsgebung deutlich von der preußisch-deutschen Kriegs-
auffassung gekennzeichnet waren. Grundlegend war dabei die Aussage aus den
Verordnungen von 1869:
»Im Allgemeinen wird man wohl thun, nicht mehr zu befehlen, als durchaus
nöthig ist, nicht über die Verhältnisse hinaus zu disponiren, die man überse-
hen kann, denn diese ändern sich im Kriege schnell und selten werden in der
Zeit weit vorgreifende und ins Detail gehende Anordnungen vollständig zur
Ausführung gelangen780.«
Die Forderung Moltkes d.Ä., nur so viel wie nötig und deshalb kurz und knapp zu
befehlen, wird denn auch in praktisch allen preußisch-deutschen Führungs- und
Ausbildungsvorschriften hervorgehoben781. Dies äußerte sich auch im Grundsatz,
dass ein Befehl nur enthalten solle, »was von der untergeordneten Stelle verlangt
wird«, nicht aber »wie die Ausführung erfolgen soll, [die] der Selbsttätigkeit
der Unterführer zu überlassen« sei782. Auf der einen Seite war dies eine deutli-
che Konzession an die Wandelbarkeit und Unvorhersehbarkeit des Krieges, auf
der anderen Seite konnte so den Unterführern Freiraum für Selbstständigkeit
gewährt werden783. Am deutlichsten kam dies bei der bereits erwähnten
Direktive zum Tragen, die allerdings einen Spezialfall darstellte. Wie gesehen
war sie ein Hilfsmittel Moltkes d.Ä., um Massenheere trotz wenig ausgereifter
Nachrichtenmittel lenken zu können, und richtete sich damit ausschließlich an

778
Chef T3, Betr.: Handbuch für den Generalstabsoffizier, 13.3.1935, BArch, RH 2/1009,
S. 3.
779
H.Dv.g. 66, S. 11 und H.Dv.g. 80, S. 9 (Hervorhebung im Original). Die Betonung des
Faktors Zeit zieht sich also konsequenterweise bis in die Befehlsgebung hinein.
780
MMW, II/2: Verordnungen, S. 180 (Hervorhebung im Original).
781
FO 1887/1894, S. 20 f.; ExReglInf 1888, S. 109; ExReglInf 1906, S. 84; FO 1908, S. 19;
D.V.E. Nr. 53, S. 52 f.; AVF 1918, S. 15; FuG, S. 21; TF, S. 22. Vgl. auch D 77+, S. 14,
25; D 80+, S. 8; D 66+, S. 8; H.Dv.g. 66, S. 11; AVI 130/5, S. 60; AVI 130/9b, S. 10;
H.Dv. 299/11b, S. 16; H.Dv. 299/11d, S. 12; AVPz 470/7, S. 63 f.; AVPz 470/12, S. 17;
H.Dv.g. 80, S. 9.
782
D 81/2+, Besichtigungsbemerkungen 1936, S. 7. Vgl. auch D 81/3+, Besichtigungs-
bemerkungen 1937, S. 7. Diese Aussage wurde in der Literatur wie erwähnt häufig als
Definition der Auftragstaktik verwendet. Die Ausführungen zur Selbstständigkeit haben
bereits gezeigt, dass dies problematisch ist. Außerdem muss an dieser Stelle auch hervorge-
hoben werden, dass es sich eben um einen Grundsatz handelte, der in der Realität zuweilen
angepasst werden musste.
783
Vgl. ExReglInf 1888, S. 130; ExReglInf 1906, S. 84; AVI 130/II, S. 125; FuG, S. 21; TF,
S. 11, 22 f.; AVI 130/2b, S. 27.
160 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

die obersten Truppenführer. Bereits in der D.V.E. Nr. 53 wurde diese Moltke’sche
Befehlsform angepasst. Die Vorschrift betonte, dass die Armeeoberkommandos,
höheren Kavallerieführer und Armeekorps zwar mit Direktiven geführt werden
könnten, allerdings nur »solange eine Berührung mit dem Feinde nicht unmit-
telbar« bevorstünde – »für den Kampf dagegen wird der Wille des Armeeführers
am schärfsten durch den Befehl zum Ausdruck gebracht«784. Die Direktive wurde
zwar noch in der TF ausdrücklich vorgesehen, beschränkte sich aber ebenfalls auf
die »höhere Führung«785. Sie dürfte aber mit Blick auf die technischen Mittel der !
neuzeitlichen Kriegführung nur mehr eine Ausnahme dargestellt haben786. Der
Hinweis auf diese Umstände war notwendig. Die Definition der Direktive, wie sie
in den Vorschriften zu finden ist, wird in der Forschungsliteratur nämlich gerne
dafür benutzt, um das Prinzip der Selbstständigkeit und der Auftragstaktik zu be-
schreiben oder dies im äußersten Fall sogar unter dem Begriff »Direktiventaktik«
zu subsumieren787. Dabei wird ausgeblendet, dass die Verbände der taktischen
Führungsstufe immer durch Befehle geführt wurden, dass aber auch im Rahmen
dieser Befehle selbstständiges Handeln möglich gewesen war788. Um in Bezug
auf die Auftragstaktik das Spezifische in der Befehlsgebung herausfinden zu
können, darf folglich nicht nur der – spätestens für den Zeitraum des Zweiten
Weltkrieges – Extrem- bzw. Ausnahmefall der Direktive in Betracht gezogen wer-
den. Vielmehr muss untersucht werden, auf welche Weise die Befehlsgliederung,
der Befehlsinhalt und die Art der Befehlsausgabe der Kontingenz des Krieges
Rechnung trugen und gleichzeitig Entschlussfreude und selbstständiges, aber
auch zielbewusstes Handeln förderten.
Bezüglich der Befehlsgliederung wurde bereits erwähnt, dass in den preußisch-
deutschen Vorschriften nachdrücklich betont wurde, Gefechtsbefehle nicht nach
einem Schema zu formulieren. Gleichwohl empfahlen die Vorschriften wie gesehen
mögliche Gliederungen und eine inhaltliche Reihenfolge, die aber nicht immer
in ihrer Gesamtheit verwendet, sondern situativ angepasst werden sollten. Auch
enthielten verschiedene Vorschriften Befehlsbeispiele, die zwar immer bloß als
Stützen für die Befehlsabfassung bezeichnet wurden, tatsächlich aber eigentliche
Musterbefehle darstellten. Trotz der vorsichtigen Formulierung lässt sich deshalb
aus den Vorschriften eine Grundgliederung für Operations- und Gefechtsbefehle
ableiten, die auch einem Vergleich mit den in den Fallbeispielen untersuchten
Befehlen standhält. So enthielt ein solcher Musterbefehl im Grundsatz fünf
Hauptabschnitte, die selbst noch unterteilt oder durch weitere Abschnitte er-

784
D.V.E. Nr. 53, S. 53 f.
785
Ch HL/TA, Nr. 10/33 T4 geheim, 14.1.1933, BArch, RHD 17/9, S. 25.
786
Darauf lassen die in den Fallbeispielen zu erkennende straffe und in kurzer zeitlicher
Abfolge gehaltene Befehlsführung auf Divisions-, Korps- oder sogar Armeestufe schließen.
787
Schößler, Clausewitz – Engels – Mahan, S. 243.
788
Moltke selbst hat darauf hingewiesen, dass auf strategischer Ebene Direktiven und auf tak-
tischer Ebene Befehle erlassen werden. MMW, IV/3, S. 2. Die Aussage, dass »je höher die
Behörde, je kürzer und allgemeiner [...] die Befehle sein« würden, lässt im Umkehrschluss
auch die Folgerung zu, dass die Befehle, je tiefer unten sie erlassen wurden, umso ausge-
prägter gehalten sein müssten. Dies v.a. weil die untere Führung näher bei der Truppe und
dadurch rascher auf sie einwirken konnte, folglich detaillierter und nicht so weit voraus be-
fehlen musste, da sie bei geänderten Lagebedingungen rascher eingreifen und neu befehlen
konnte. MMW, II/2: Verordnungen, S. 180.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 161

gänzt werden konnten: Der erste Abschnitt umfasste die Informationen über 1. Lage
den Gegner, benachbarte Truppen sowie die allgemeine Feindlage und de-
ren Einschätzung durch die befehlserlassende Kommandobehörde. Der zweite
Abschnitt enthielt die Absicht des Führers, die »gewissermaßen das Rückgrat jedes 2.Absicht
Befehls« bildete und um die sich alle anderen Ziffern »lediglich als Erläuterung
herumgruppier[ten]«789. Die TF wies hingegen darauf hin, dass die Absicht nur
angegeben werden sollte, »soweit ihre Mitteilung für den nächsten Zweck erfor-
derlich ist«790. Diese Aussage erstaunt allerdings, da in den Ausbildungsunterlagen
vielfach gerade die zentrale Bedeutung der Absicht besonders hervorgeho-
ben wurde791. Auch in der Forschungsliteratur wird die Absicht als eigentliche
Grundlage für selbstständiges Handeln betrachtet792. Die Aussage in der TF kann
eigentlich nur damit erklärt werden, dass die Absicht der befehlenden Stelle als
nicht unbedingt notwendig betrachtet wurde, wenn diese im Befehl bereits ihren
Auftrag genannt hatte. Zwischen Absicht und Auftrag wird tatsächlich weder in
den Quellen noch in der Literatur wirklich klar unterschieden. Grundsätzlich gilt
es zu berücksichtigen, dass ein militärischer Vorgesetzter selbst in eine Hierarchie
eingebunden ist und deshalb in einem Befehl ebenfalls einen Auftrag erhält, den
er in seiner Entschlussfassung in eine Absicht formuliert. Diese Absicht fließt
dann in seinem Befehl wieder in die Aufträge an die Unterführer ein. Diese
Abfolge kann alleine schon verwirren, zumal die Begrifflichkeiten nicht immer
eindeutig waren. Zusätzlich wird dies in den Quellen dadurch verschärft, dass
einerseits von Absicht, Entschluss und Auftrag gesprochen wurde, damit aber das
Gleiche gemeint war, und andererseits zeitgenössische Befehlsbeispiele den zwei-
ten Abschnitt – d.h. die Absicht – teils mit »Auftrag bzw. Absicht des Führers«
oder nur als Auftrag bezeichneten793. Schließlich tragen auch die Befehlsbeispiele
in den Dienstvorschriften nicht zur endgültigen Klärung dieser Frage bei. Viele
führen zwar den Begriff »Absicht« auf, lassen demgegenüber aber z.T. einen ei-
gentlichen Auftrag vermissen; beides ist bei nicht wenigen zudem nur noch impli-
zit der Fall, etwa wenn bloß von »Angriffsziel« gesprochen oder nur eine entspre-
chende Verbandsstufe erwähnt wird. Andere Beispiele wiederum führen lediglich

789
Cochenhausen, Befehlserteilung und Befehlstechnik, S. 98. Schäfer betrachtete allerdings
»als Wichtigstes den Auftrag oder die Aufgabe selbst«. Schäfer, Befehlserteilung, S. 19
(Hervorhebung im Original).
790
TF, S. 24.
791
Z.B. In EB, Richtlinien für den Unterricht in Taktik und Geländekunde an den Kriegs-
schulen des Heeres, 2.1.1942, BArch, RHD 31/24, S. 22. In Taktikunterlagen der Artil-
lerieschule Jüterbog wurde sogar betont: »Eigene Absicht. Diese Befehlsziffer darf nie feh-
len; sie kann nicht scharf genug gefasst werden.« Artillerieschule Jüterbog/Lehrstab für
Offizierschießlehrgänge/T 2, Taktische Grundbegriffe Befehlsgebung, September 1941,
BArch, RH 17/129, S. 4 (Hervorhebung im Original).
792
Z.B. Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 83; Zabecki, The German 1918 Offensives, S. 63;
Hughes, Auftragstaktik, S. 329.
793
Z.B. D 645, S. 8; H.Dv. 299/11b, S. 30; AVPz 470/7, S. 29; [Kr.Ak.], Spielregeln für
Geländebesprechungen und Planübungen, Oktober 1938, BArch, RH 16/v. 13, S. 1; In
EB, Richtlinien für den Unterricht in Taktik und Geländekunde an den Kriegsschulen
des Heeres, 2.1.1942, BArch, RHD 31/24, S. 21; Gebirgsjägerschule/Ia/S 1, Der
Kompaniebefehl. Muster für taktische Befehle des Kompanieführers, 1944, BArch,
RHD 48/68.
162 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

einen Auftrag auf794. Ein Muster ist dabei nur schwer zu erkennen. Sicherlich
beeinflussten Gefechtsart und Dringlichkeit die Befehlsgliederung. So waren
Befehle zur Entfaltung oder zum Angriff meist mit Absicht und Auftrag – explizit
oder implizit – versehen, während z.B. Marsch- oder Aufklärungsbefehle teils nur
Absichten oder Aufträge enthielten. Einzelbefehle, die in dringlichen Lagen im
Gefecht erteilt wurden, enthielten eine abgekürzte Befehlsgliederung. Auch darin
lässt sich jedoch keine Regel erkennen. Einige solcher Befehle enthielten – wenn
auch implizit – Absicht und Auftrag, andere jedoch nur eines davon. Im dritten 3.Auftrag
Abschnitt wurden die Aufträge an die unterstellten Einheiten (fechtende Truppe)
des eigenen Verbandes formuliert und damit die Umsetzung der Absicht befohlen.
In einem vierten Abschnitt folgten die Befehle an die übrigen Truppenverbände 4.
wie z.B. die Versorgungstruppen, an die Trosse und restlichen rückwärtigen
Dienste. Ebenfalls konnten darin Anweisungen über das Zusammenwirken mit
anderen Waffen gegeben werden. Gerade dieser vierte Abschnitt konnte sehr he-
terogen abgefasst sein und noch je nach Gefechtsart oder Aufgabe des Verbandes
weitere besondere Anordnungen enthalten795. Im fünften Abschnitt wurde der 5.
Aufenthaltsort des Führers bzw. seines Gefechtsstandes mit den entsprechenden
Nachrichtenverbindungen angegeben.
Betrachtet man die Abschnitte nach ihrem Inhalt, zeigt sich, dass die meisten
davon Informationen enthielten, die als Grundlage für das Handeln dienten, oder
reine Anordnungsgrößen darstellten, die zur Koordination einer Gefechtsaufgabe
notwendig waren. Zentral waren dagegen Absicht und Auftrag, in denen die
eigentlichen Handlungsanweisungen formuliert wurden und die deshalb die
Hauptbestandteile eines Befehls bildeten. Wie bereits erwähnt betonten die
Vorschriften, dass die Führung auf Auftrag und Lage beruhte. Der Auftrag bildete
dabei die eigentliche »Grundlage allen Handelns«796. Er definierte »das zu errei-
chende Ziel«, weshalb der Auftragsempfänger »ihn nie aus dem Auge verlieren«
durfte797. Der Auftrag alleine konnte jedoch als Handlungsanweisung nicht ge-
nügen, da der Unterführer während des Gefechts »oft [...] selbständig zu handeln
haben« würde798. In einem Dokument über »taktische Bemerkungen« von der
Kriegsakademie wurde auf diesen Punkt aufmerksam gemacht:
»Der Div.Kdr. muss den ›Auftrag‹, den er erhalten hat, ständig als oberstes
Gesetz vor Augen haben. Er muss ganz in ihm leben. Es genügt nicht, ein-
fach den Wortlaut zu wissen. Der Sinn muss eingehend durchdacht sein. Nur

794
Absicht und Auftrag enthalten: AVI 130/V, S. 25; D 76, S. 47 f.; D 645, S. 8; AVI 130/9b,
S. 40; H.Dv. 299/11b, S. 22; H.Dv. 299/11d, S. 26 f., 32; AVPz 470/7, S. 29, 61;
AVPz 470/10, S. 15. Keine oder implizite Absichten enthalten: AVI 130/9b, S. 32 f., 55;
H.Dv. 299/11b, S. 23; AVPz 470/7, S. 64; AVI 130/20, S. 183 f. Eine Absicht ohne oder
mit implizitem Auftrag enthalten: AVI 130/V, S. 23; D 645, S. 9; H.Dv. 299/11b, S. 30;
H.Dv. 299/11d, S. 20; AVPz 470/10, S. 8; AVI 130/20, S. 183‑186.
795
Siehe z.B. AVI 130/9b, S. 32 f., 40; H.Dv. 299/11b, S. 30; H.Dv. 299/11d, S. 20;
AVPz 470/10, S. 8, 15; AVI 130/20, S. 183‑185.
796
Kr.Ak., Anhaltspunkte für die Anlage und Leitung von Geländebesprechungen, 1938/39,
BArch, RH 16/v. 13, S. 3.
797
FuG, S. 8; TF, S. 10. Vgl. auch ExReglInf 1888, S. 80.
798
AVI 130/II, S. 56 (Hervorhebung im Original).
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 163

dann kann bei veränderter Lage ›im Sinne‹ der oberen Führung gehandelt
werden799.«
Hier wird zwar implizit, aber dennoch deutlich auf die Bedeutung der Absicht
verwiesen, konnte der Sinn der oberen Führung und der Gesamtrahmen doch
nur durch die Kenntnis der Absicht in vollem Umfang verstanden werden. In den
Quellen wird neben der Betonung des Auftrages deshalb gleichzeitig auch unter-
strichen, dass »die Absicht zum Wichtigsten gehört«800. Dies führt auf den ersten
Blick zwar zu einem widersprüchlichen Eindruck, weil einmal der Auftrag, ein
andermal die Absicht als entscheidendes Element genannt wird. Das Verhältnis
von Absicht und Auftrag ist jedoch nicht antagonistisch aufzufassen. Beide ergän-
zen sich und können erst in der Synthese ganz verstanden werden. Darauf weist
auch die folgende Aussage aus dem Bericht über die Wehrmachtmanöver von
1937 hin:
»Die untere Führung war nicht immer genügend über die Absichten der oberen
Führung unterrichtet, so dass oft Anordnungen getroffen wurden, die später
wieder geändert werden mussten. Auf die Notwendigkeit, die eigene Absicht
scharf und klar herauszustellen und der Truppe bestimmte Aufträge zu geben,
muss daher immer wieder hingewiesen werden801.«
Der Auftrag bildete folglich zwar eine Grundlage für das Handeln, der eigentli- !
che Kern der Befehlsgebung lag aber in der Absicht, die den Leitgedanken und
das Leitziel der gesamten Gefechtshandlung bildete und dadurch zur eigentli-
chen »conditio sine qua non allen selbständigen Handelns« wurde802. Die erste
und wichtigste Forderung an eine Befehlsgebung war deshalb, dass die Absicht
klar und unmissverständlich ausgesprochen wurde und es danach keinen Zweifel !
mehr darüber geben durfte, »was der Vorgesetzte will und der Untergebene
soll«803. Der Auftrag stellte dabei das Mittel dar, mit dem ein Unterführer die
Absicht seines Vorgesetzten umsetzen konnte. Die Absicht war dabei aus zwei
Gründen entscheidend.
Zum einen legte sie wie gesehen die Richtschnur für das Handeln des Unter-
führers fest. Bereits die Verordnungen von 1869 hatten deshalb darauf hingewie-
sen, dass der Unterführer über den Zweck einer Aufgabe unterrichtet sein musste:
»Dagegen ist es unerlässlich, dass die untergebenen Behörden den Zweck
des Befohlenen erkennen, um nach diesem selbst dann zu streben, wenn die
Umstände es erfordern sollten, anders zu handeln, als befohlen war804.«

799
Kr.Ak., Taktische Bemerkungen, [1938/39], BArch, RH 16/v. 13, S. 1 (Hervorhebung im
Original).
800
[Kr.Ak.], Spielregeln für Geländebesprechungen und Planübungen, Oktober 1938, BArch,
RH 16/v. 13, S. 2.
801
OKH/GenStdH/4.Abt. (II), Bericht über die Wehrmachtmanöver (Heer) 1937, 17.5.1938,
BArch, RHD 18/357, S. 120 (Hervorhebung im Original).
802
Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 87.
803
AVF 1918, S. 15. Vgl. auch ExReglInf 1906, S. 83; D.V.E. Nr. 53, S. 53 f.; FuG, S. 21;
TF, S. 22 f., 126 f.; Schule VII für Offz.-Anw.d.Inf., Befehlsbuch. Muster für Bataillons-
Befehle, undat., BArch, RHD 48/23, S. 5: »Eigene Absicht klar aussprechen. – ›Ich will!‹
Klare Aufträge geben. – ›Du sollst!‹ Kurze, klare Befehlssprache!«
804
MMW, II/2: Verordnungen, S. 180. Vgl. auch D.V.E. Nr. 53, S. 55; ExREglInf 1906,
S. 90 f.; FuG, S. 8; TF, S. 11.
164 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Die Absicht diente jedoch nicht nur für den Fall eines Abweichens vom Auftrag als
Leitlinie, sondern sollte durch alle Hindernisse und Friktionen hindurch grund-
sätzlich das einheitliche Zusammenwirken aller beteiligten Truppen sicherstellen:
»Die Führer aller Grade müssen die Absicht der Führung auf weite Sicht ken- !
nen und fortlaufend über die Entwicklung der Lage unterrichtet werden, um
bei dem durch die Schnelligkeit der Bewegungen häufig eintretenden Wechsel
der Lage und bei überraschendem Auftreffen auf Hindernisse und Sperren im
Sinne der Gesamtabsicht handeln zu können805.«
Eingehende Kenntnis der Absicht bei den Unterführern vereinfachte auch die
Führung, weil die Unterführer somit den Gesamtrahmen und ihre voraussicht-
liche Verwendung kannten und dadurch »zum Vorausdenken« ermuntert wur-
den806. Aufgrund dessen bedurfte es im Verlauf des Gefechts nur noch »kurze[r]
Weisungen oder stichwortartige[r] Befehle«, um ihr Handeln »rasch [...] in
Einklang« zu bringen807.
Zum anderen war die Kenntnis der Absicht und des geplanten Verfahrens ein !
nicht zu unterschätzender Motivationsfaktor. So betonte ein Erfahrungsbericht
des Generalstabs des Heeres, dass die gesamte Truppe über die Lage und den
»gedachten Verlauf« einer Aktion orientiert werden müsse, da dies das »Interesse
der Truppe und das Vertrauen zum Gelingen« stärke808. Schließlich bildete die
Absicht gleichzeitig aber auch ein bedeutsames Regulativ für das selbstständige
Handeln der Unterführer. Sie stellte »das Zusammenwirken für das gemeinsa-
me Ziel sicher«, indem sie »die notwendigen Grenzen« zog und »dasjenige Maß«
definierte, das eingehalten werden musste, um »der höheren Führung und ihren
Absichten nicht vor[zu]greif[en]«809.
Absicht und Auftrag konnten das Handeln der Unterführer aber nur dann
leiten oder regulieren, wenn sie unmissverständlich formuliert waren. Die vor-
gesetzten Truppenführer durften deshalb ihrerseits Auftragstaktik nicht einfach
als Deckmantel dafür missbrauchen, um allgemein gehaltene Absichten oder
Aufträge zu verfassen. Die bereits weiter oben erwähnte Mahnung, dass ein
Truppenführer »einen Entschluss, für den er selbst verantwortlich ist«, nicht ein-
fach auf die Unterführer abschieben dürfe, ist in diesem Kontext zu sehen810. Die
Bereitschaft, Absicht und Aufträge sorgfältig abzufassen und damit die notwendi-
ge Voraussetzung für die Auftragstaktik zu schaffen, scheint in der Realität jedoch
nicht immer vorhanden gewesen zu sein811. In Richtlinien der Kriegsschulen des
Heeres wurde jedenfalls ausdrücklich betont:

805
H.Dv.g. 80, S. 10 (Hervorhebung im Original). Ebenso: H.Dv.g. 66, S. 13. Vgl. auch D.V.E.
Nr. 53, S. 19 f.; FuG, S. 21; AVI 130/5, S. 60; D 66+, S. 8; D 645, S. 8; H.Dv. 299/11b,
S. 17, 43 f.; H.Dv. 299/11d, S. 12; AVPz 470/7, S. 14; AVPz 470/10, S. 7; [Gen.d.Pz.Tr./
Ausb.Abt.], Gesichtspunkte für Führung und Einsatz der Panzerdivision, undat., BArch,
RH 10/93, S. 2.
806
AVPz 470/12, S. 19.
807
D 77+, S. 14.
808
OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 1500/42, Erfahrungen über Wegnahme feindbesetzter
Dörfer im Winter im Rücken der eigenen Front, 15.5.1942, BArch, RH 12-5/202, S. 13.
809
TF, S. 23; FuG, S. 131; ExReglInf 1888, S. 118.
810
TF, S. 11.
811
TA, Nr. 300/30 geh.Kdos. T4/Ia, Entwurf der Richtlinien für die Ausbildung im Heere
1930, Juni 1930, BArch, RH 12-1/7, S. 2; ObdH/GenStdH/4. Abt., Nr. 3370/36,
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 165

»Wenn man den Auftrag so allgemein fasst, dass die Art der Durchführung,
z.B. ob Verteidigung oder Angriff ganz dem Untergebenen überlassen bleibt,
kann das eine Übertreibung der Auftragstaktik sein. Kann im Auftrag nicht
genau angegeben werden, wie und wo seine Durchführung gefordert wird, so
muss zumindest klar gesagt sein, worauf es dem Befehlenden ankommt. Er
darf also dem Untergebenen keine Rätsel aufgeben812.«
Altrichter erwähnte diese »ungenügende Verantwortungsbereitschaft« ebenfalls,
die sich darin manifestiere, dass Aufträge absichtlich oder aus Unvermögen of- !
fen formuliert wurden und deshalb mehrdeutig aufgefasst werden konnten813.
Besonders kritisierte er dabei die anscheinend gängige Praxis, im Falle eines
Misserfolges »alle Schuld auf die angebliche Unfähigkeit des Unterführers ab-
zuwälzen«. Ein bewusstes Abschieben von Verantwortung mit gleichzeitiger
Absicherung bei den vorgesetzten Dienststellen – im Fachjargon »Deckung nach !
oben« genannt – erwähnte z.B. SS-Standartenführer Hans Lingner, im Herbst
1944 zuerst Ia und später mit der Führung der 17. SS-Panzergrenadierdivision
»Götz von Berlichingen« beauftragt, während eines in britischer Gefangenschaft
abgehörten Gesprächs mit einem Hauptmann der 276. Volksgrenadierdivision814.
Im Rahmen der Ausweichkämpfe bei Metz zwischen Ende August und Mitte
Dezember 1944 sei er damit beauftragt worden, den Übergang über eine wich-
tige Brücke zu sichern und diese bei Auftauchen des Gegners zu sprengen, was
dann auch geschah. Als am Tag darauf noch einzelne Truppen mit Fahrzeugen vor
dem gesprengten Übergang auftauchten, habe der Generalstabschef des XIII. SS-
Armeekorps Oberst i.G. (SS-Oberführer) Kurt von Einem nach Meldung der
Lage durch Lingner befohlen: »Es ist unter allen Umständen sicherzustellen,
dass sämtliche Fahrzeuge noch über den Fluss kommen. Wie sie das machen,
ist ihre Sache815.« Dieser wegen fehlender Mittel und ohne Pioniere undurch-
führbare Auftrag wurde gemäß Lingner beim Korps »natürlich notiert, entspre-
chende Deckung nach oben«. Lingner kritisierte in diesem Beispiel das »völlig
truppenfremd[e]« Verhalten vieler Generalstabsoffiziere, die »nur darauf bedacht
[gewesen wären], möglichst genau zu befehlen und möglichst alles zu befehlen,
was es überhaupt zu befehlen [gab], damit sie nachher gesichert« waren. Weiter
beanstandete er, dass viele vorgesetzte Stellen »vorsätzlich Befehle g[a]ben, von
denen Sie [sic!] genau w[u]ss[t]en, das [sic!] sie undurchführbar« waren. Nach

Bemerkungen zum Ausbildungsjahr 1936, 9.5.1936, BArch, RH 53-7/v. 38, S. 2; OKH/


GenStdH/4. Abt. (II), Bericht über die Wehrmachtmanöver (Heer) 1937, 17.5.1938,
BArch, RHD 18/357, S. 120; OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 2400/40 g, Taktische
Erfahrungen im Westfeldzug, 20.11.1940, BArch, RH 19 III/152, S. 2 f. Siehe auch 1./
Schtz.Rgt. 12, KTB, BArch, RH 37/6147, S. 9 (15.9.1939): »Unklarheit in Befehlsgebung,
kein klarer Auftrag, einmal verteidigen, dann wieder vorrücken, selbst das Wort zur Ver-
teidigung einrichten, ist nicht klar.«
812
Richtlinien für den Unterricht in Taktik und Geländekunde an den Kriegsschulen des
Heeres, 1938, BArch, RH 54/66, S. 7; In EB, Richtlinien für den Unterricht in Taktik und
Geländekunde an den Kriegsschulen des Heeres, 2.1.1942, BArch, RHD 31/24, S. 8.
813
Altrichter, Der soldatische Führer, S. 34. Dort auch das Folgende.
814
SRM 1208, 12.2.1945, TNA, WO 208/4140; Lieb, Konventioneller Krieg oder NS-
Weltanschauungskrieg?, S. 160, Anm. 149. Ein weiteres Beispiel eines undurchführbaren
Befehls findet sich in: SRM 1254, 30.3.1945, TNA, WO 208/4140.
815
SRM 1208, 12.2.1945, TNA, WO 208/4140. Dort auch die folgenden Zitate.
166 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

Lingner seien »diese Dinge [...] täglich« geschehen. Gemäß Blumentritt hat sich
diese Tendenz zur Absicherung besonders ab 1943 entwickelt, als »der Druck von
oben wegen geringster taktischer Misserfolge« bestraft zu werden es mit sich ge-
bracht habe, »dass alles diese Befehle von oben im Wortlaut nach unten weiter gab,
um sich zu decken und zu sichern«816. Schließlich habe sich ein »mechanische[r]
Befehlston« etabliert, der die Selbstständigkeit und Verantwortungsfreude ruiniert
und dazu geführt habe, »dass Niemand mehr einen Schritt zu tun wagt[e], der nicht
befohlen« war und »jede kleinste Kleinigkeit, ja Selbstverständlichkeit befohlen«
wurde. Tatsächlich finden sich Belege über ungenügende Auftragserteilung auch
andernorts. So meinte Hoepner in einer persönlichen Abhandlung zum Thema
Befehle, dass »im Kriege selbst in wenig gespannter Lage gegen die einfachsten
Grundsätze gesündigt« worden und »der Wille des Befehlenden [...] oft nicht
klar genug zum Ausdruck« gekommen sei817. Ein weiteres Beispiel eines völlig
unbestimmten, letztlich verantwortungslosen Auftrages schildert Rendulic. Als
Kommandeur der 52. Infanteriedivision habe er während des Barbarossafeldzuges
1941 auf seine Frage, wie weit er vorstoßen solle, vom Vorgesetzten lediglich die
Antwort erhalten: »So weit, wie Sie Glauben [sic!]818.« Rendulic meinte rückbli-
ckend, dass er sich über die Handlungsfreiheit zwar gefreut habe, es allerdings
»niemals so weit gehen [darf ], dass Entscheidungen, welche die Führung eines
Verbandes berühr[t]en, ganz in die Hand eines Unterführers gelegt werden«. Im
gleichen Sinne wurde in Ausbildungsunterlagen der Heeresnachrichtenschule be-
tont, dass ein Truppenführer, »der Befehle absichtlich unklar fass[e], um selbst
Verantwortung von sich auf Untergebene abzuwälzen«, einen »schwersten Fehler«
begehe819. Ebenso falsch fand es Rendulic aber auch, »im Befehl das Unmögliche
zu fordern«820, ein Aspekt, der bereits beim obigen Beispiel von Lingner angespro-
chen wurde und den auch Eike Middeldorf bekräftigt hat:
»Aufträge müssen erfüllbar sein. Überforderungen können zu Ungehorsam
oder Falschmeldungen verleiten und das Vertrauen zur Führung untergra- !
ben821.«
Diese Ausführungen haben gezeigt, wie entscheidend die inhaltliche Abfassung
von Absicht und Auftrag waren, weshalb an ihnen »gar nicht sorgfältig genug
gefeilt werden« konnte822. Sie deuten zudem an, dass es im Verlauf des Krieges

816
Blumentritt, Kriegsgeschichtliche Erfahrungen über »Befehls-Technik«, BArch, ZA 1/653,
S. 7 f. (Hervorhebung im Original). Dort auch das Folgende. Blumentritt erkannte diesbe-
züglich sogar eine Ähnlichkeit zu erbeuteten sowjetischen Befehlen.
817
Zit. nach: Bücheler, Hoepner, S. 214.
818
Rendulic, Der Befehl, BArch, ZA 1/1610, S. 3.
819
Heeresnachrichtenschule/Lehrstab A, Merkblatt 6. Befehlserteilung, November 1941,
BArch, RH 17/345, S. 2.
820
Rendulic, Der Befehl, BArch, ZA 1/1610, S. 3 (Hervorhebung im Original).
821
Middeldorf, Führung und Gefecht, S. 54. Positiv formuliert findet sich dieser Hinweis
auch im KTB des I./IRGD: »Wer an Infanterie befiehlt, muß bereit sein, den Befehl
auch als Gruppenführer oder Grenadier auszuführen. Hier liegt die Verantwortung des
Befehlenden« I./IRGD, KTB, BArch, RH 37/6332 (22.11.1941). Vgl. auch DRWK,
Bd 4, S. 636 (Beitrag Klink [u.a.]).
822
Kr.Ak., Anhaltspunkte für die Anlage und Leitung von Geländebesprechungen, 1938/39,
BArch, RH 16/v. 13, S. 3.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 167

anscheinend zu einer Veränderung in der Befehlsgebung gekommen ist – was sich


auch auf die Auftragstaktik ausgewirkt haben müsste.
Vorerst soll an dieser Stelle nun aber auf die Art der Befehlsausgabe eingegan-
gen werden. Dieser kam eine entscheidende Bedeutung zu, konnte dem »to-
ten« Buchstaben eines Befehls schließlich erst durch die Befehlsausgabe Geist
eingehaucht und den Forderungen der Absicht nach selbstständigem, im Sinne
des Ganzen gehaltenen Handeln der nötige Nachdruck verliehen werden823.
Diesbezüglich hoben die Vorschriften – ohne eine Reihenfolge festzulegen – vier
eng miteinander verknüpfte Faktoren hervor, die es bei einer Befehlsausgabe zu
berücksichtigen galt.
Sie unterstrichen erstens, dass – »soweit es die Umstände gestatten« – die 1.
Absicht »den Unterführern oft am besten in mündlicher Aussprache klar[zu]le-
gen« sei824. Dahinter stand die Überzeugung, dass »der mündliche, an Ort und
Stelle gegebene Befehl [...] am überzeugendsten [ist] und den Willen des Führers
am wirksamsten in die Tat« umzusetzen vermochte825. Daneben erlaubte der
persönliche und unmittelbare Austausch zwischen Führern und Unterführern,
die Absicht und Aufträge sowie die Überlegungen, die dazu geführt hatten, ein-
gehend zu erörtern und darzulegen, wie der obere Führer den Kampf zu füh-
ren beabsichtigte826. Den Unterführern wurde in solchen Besprechungen die
Gelegenheit gegeben, bei Ungewissheiten nachfragen oder sich sogar direkt in
die Entscheidungsfindung einbringen zu können. Gleichzeitig konnten die obe-
ren Führer eventuelle Unsicherheiten oder Missverständnisse ausräumen und sich
davon überzeugen, dass die Unterführer ihren Auftrag richtig aufgefasst hatten.
Der enge Zusammenhang zum Führungsgrundsatz des Führens von vorne wird
in dem Zusammenhang deutlich erkennbar. Diesbezüglich betonte Ludwig eben-
falls, »dass der so wichtige mündliche Meinungsaustausch der Führer unterein-
ander [...] sich niemals gleich wirksam durch den Fernsprecher ersetzen« lasse827.
Dass diese Vorgaben auch tatsächlich in der Praxis umgesetzt wurden, belegen
die zahlreichen Kommandeursbesprechungen an vorderster Front, auf die in den
Fallbeispielen noch zurückzukommen sein wird.
Im gleichen Kontext ist auch der Hinweis in den Vorschriften zu verstehen,
zweitens wenn immer möglich an alle oder möglichst viele Unterführer gemein-
sam und drittens mit Einblick in das Gelände zu befehlen: »Befehlserteilung im ! 2;3
Beisein aller unmittelbar unterstellten Unterführer sichert deren Zusammenwirken

823
Vgl. Verordnungen über die Ausbildung der Truppen 1870, S. 3; FO 1887/1894, S. 10;
FO 1908, S. 9 f.
824
TF, S. 23.
825
H.Dv. 299/11d, S. 15. Auch Blumentritt unterstrich, dass »das tote, auf Papier ge-
schriebene, [sic!] Wort [...] überhaupt nicht so [wirke], wie das persönlich gesprochene«.
Blumentritt, Kriegsgeschichtliche Erfahrungen über »Befehls-Technik«, BArch, ZA 1/653,
S. 10. Vgl. auch 1./IRGD, KTB, BArch, RH 37/6332 (7.1.1942): »Es ist wichtig, sich im
Kampf in die Augen zu sehen.«
826
Z.B. Übungsleitung In 6 (Ib), Unterlagen für Übungsbesprechung, [ca. 1937], BArch,
RH 12-6/2, S. 7; Heeresschule für Btl.-Abt.-Führer/Kommandostab Abt. Ia, Nr. 20644,
Grundsätze für die Befehlsgebung, [1941/42], BArch, RH 17/467, Bl. 31. Vgl. auch
Rendulic, Der Befehl, BArch, ZA 1/1610, S. 5 f.
827
Ludwig, Der Platz des militärischen Führers, Sp. 1905.
168 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

mehr als Einzelbefehle oder schriftlicher Befehl828.« Die Bedeutung solcher


Besprechungen für die Kampfvorbereitung der Truppenführer zeigt sich auch
in einem Erfahrungsbericht des Armeeoberkommandos 4 vom Januar 1942, der
vom Heeresgruppenkommando Mitte verteilt wurde. Das Armeeoberkommando
betonte darin, wie wichtig ein »Durchdenken aller Angriffsmöglichkeiten durch
die Führer« und eine »eingehende vorherige Befehlsgebung (›beabsichtigte
Kampfführung‹)« bei Angriffsgefechten war, damit sich die Führer aller Grade
mental vorbereiten konnten829:
»Es ist notwendig, alle Möglichkeiten der Angriffsführung mit Fantasie zu *
durchdenken und Vor- und Nachteile verschiedener Lösungen gegeneinan-
der abzuwägen. Alle Führer sind vor Angriffsbeginn, möglichst am Vortage,
über die beabsichtigte Kampfführung und die zu erwartenden und die mög-
lichen Gefechtskrisen eingehend zu unterweisen. Die eingeteilten Führer
müssen wissen, welche Maßnahmen und Handlungen von ihnen in jeder
Gefechtsphase erwartet werden.
Ähnlich betonte auch der General der Infanterie im OKH in seinen Ausbildungs-
hinweisen vom 1. März 1942, dass z.B. »nächtliche Angriffsunternehmen« einer
»eingehenden und gewissenhaften Vorbereitung« bedürften830. Damit meinte er,
dass die Durchführung der Absicht der vorgesetzten Stelle allen Unterführern »bis
ins kleinste bekannt sein muss«. Die Betonung, wonach eine Befehlsaussprache
einerseits persönlich und unmittelbar, andererseits im Beisein aller Unterführer
und schließlich auch mit Einblick in das Operationsgelände anzustreben sei, weil
dadurch die Einheitlichkeit einer Gefechtshandlung und das Zusammenwirken
aller daran beteiligten Waffen am besten ermöglicht werden konnte, verweist
deutlich auf den bereits behandelten Führungsgrundsatz des Führens von vor-
ne und belegt damit dessen zentrale Gewichtung im preußisch-deutschen
Führungsdenken.
Viertens wiesen die Vorschriften darauf hin, dass die Art, wie ein Befehl ab-
gefasst und erteilt wurde, vom jeweiligen Adressaten abhängig war. Wichtiger 4.
als »formgerechte Ziffernbefehle [...], bei denen nichts vergessen« wurde, waren
deshalb »kurze, klare, der augenblicklichen Lage und der geistigen Einstellung des !
Empfängers«, seinem »Verständnis [...] und unter Umständen seiner Eigenart«
angepasste Anordnungen831. Dabei sollte »der Befehlende [sich] in die Lage des

828
AVI 130/V, S. 5. Vgl. auch D 76, S. 13; H.Dv.g. 66, S. 13; H.Dv.g. 80, S. 10;
H.Dv. 299/11b, S. 45; H.Dv. 299/11d, S. 35; AVPz 470/10, S. 20; AVPz 470/12, S. 42.
829
Abschrift, H.Gr. Mitte/Ia, Nr. 826/42 geh., AOK 4/Ia, Nr. 166/42 geh., 23.1.1942,
BArch, RH 2/2854, Bl. 6 f. Dort auch das Folgende.
830
OKH/GenStdH/Gen.d.Inf., Nr. 500/42 geh., Hinweise für die Ausbildung der Infanterie
auf Grund der Erfahrungen des Ostfeldzuges, 1.3.1942, BArch, RH 54/97a, S. 13. In
einem Erfahrungsbericht über die Einnahme der Halbinsel Kerč’ hatte der GenStdH in
der »peinlich genaue[n] Vorbereitung des Angriffs« einen »wesentlichen Anteil« am »raschen
und durchschlagenden Erfolg« ausgemacht. OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (II), Nr. 1550/42
g (2), Betr.: Kampferfahrungen Kertsch und Charkow, 29.5.1942, BArch, RHD 18/317,
S. 1 (Hervorhebung im Original).
831
Gen.Kdo. VII. AK/Ia, Nr. 5175 geh., Betreff: Ausbildung im Ausbildungsjahr 1936/1937,
25.8.1936, BArch, RH 53-7/v. 38, S. 6 (Hervorhebung im Original); TF, S. 22. Vgl. auch
FO 1887/1894, S. 20 f.; FO 1908, S. 19; FuG, S. 21; Kayser, Verantwortungsfreudigkeit,
S. 646 f.

Vgl. SAS & McNab passim: "Chinese Parliament"


II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 169

Empfängers versetzen, um festzustellen, wie er selbst auf Grund des Befehls


handeln würde, und welche Missverständnisse etwa noch möglich sind«832. Der
Zusammenhang zur Forderung, keinem Schema zu verfallen und Inhalt vor
Form zu stellen, lässt sich also auch in der Befehlserteilung deutlich erkennen833.
Zugleich wird damit aufgezeigt, dass die Forderung, dem Unterführer nur den
zu erfüllenden Endzweck vorzugeben, ihm in der Durchführung aber Freiraum
zu gewähren, als Prinzip zu verstehen ist, das unter Umständen durchbrochen
werden musste. Ein Befehl sollte nämlich »psychologisch angesetzt sein: Ein !
Draufgänger braucht einen anderen Befehl als ein Zögernder«834. Deshalb soll-
te ein »Kampfauftrag« zwar kurz und deutlich das »was, wann, wo« regeln, die
Persönlichkeit des Unterführers konnte es aber notwendig machen, ihm auch
»das ›Wie‹ [...] vor[zu]schreiben«; das sollte jedoch nur geschehen, »wenn es un-
bedingt nötig ist«835.
Der Grundsatz, Befehle nach der Verfassung des Befehlsempfängers aus-
zurichten, zog gerade auch in Bezug auf das Prinzip der Auftragstaktik bedeu-
tende Konsequenzen nach sich. Die Voraussetzungen dafür, den Unterführern
Handlungsfreiheit und Selbstständigkeit zu gewähren – d.h. mit »lockere[n]
Zügel[n]« führen zu können –, lagen nebst einer eindeutigen Orientierung über
Absicht und Auftrag in einer »einheitliche[n] Vorbildung der Unterführer«836.
Oder anders gesagt: Unerfahrene, schlecht ausgebildete Führer mussten notwen-
dig enger geführt werden und daher detaillierte Befehle erhalten:
»Der geringe Ausbildungsstand zwingt [...] in vielen Fällen zu einer ausführ-
licheren Befehlsgebung. Ausbildungsangelegenheiten müssen in taktische
Befehle mit aufgenommen werden, da sie nicht zum selbstverständlichen
Allgemeingut der Truppe gehören. Für die Durchführung eines Auftrages
muss in vielen Befehlen ein Anhalt gegeben werden, da der Durchführende
nicht in der Lage ist, aus eigener Kraft die Durchführung zu gestalten837.«
Im Extremfall und um ein »Hineinbefehlen« zu verhindern, habe es sich deshalb
»in der Praxis [...] als zweckmäßig erwiesen, für die Durchführung, besonders für
das Zusammenwirken der verbundenen Waffen, einen Anhalt in Form des ›Planes‹ !
zu geben«. In ähnlicher Weise wurde in Richtlinien der Kriegsschulen des Heeres
darauf aufmerksam gemacht, »dass an weniger geschulte Truppen genauer zu be-
fehlen« sei838. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Formulierung der Absicht,
die je nach Unterführer detaillierter sein und z.B. durch zusätzliche Erklärungen

832
FuG, S. 21; TF, S. 22.
833
Ebd.
834
58. ID, Anleitung als Ausbilder, [Winter 1941/42], BArch, RH 26-58/37. Vgl. auch
Blumentritt, Kriegsgeschichtliche Erfahrungen über »Befehls-Technik«, BArch, ZA 1/653,
S. 9.
835
58. ID, Heranbildung des Offiziernachwuchses, [Winter 1941/42], BArch, RH 26-58/37,
S. 1. Vgl. auch Rendulic, Der Befehl, BArch, ZA 1/1610, S. 4.
836
Schäfer, Feldherr und Feldherrntum, S. 72.
837
Oberstltn. i.G. von Dufving, GenStdH/Ausb.Abt., Betr.: Beispiele für ausführlichere
Befehlsgebung, 7.3.1944, BArch, RH 2/2902. Dort auch Folgendes (Hervorhebung im
Original).
838
Richtlinien für den Unterricht in Taktik und Geländekunde an den Kriegsschulen des
Heeres, 1938, BArch, RH 54/66, S. 19. In EB, Richtlinien für den Unterricht in Taktik
und Geländekunde an den Kriegsschulen des Heeres, 2.1.1942, BArch, RHD 31/24, S. 25
170 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

ergänzt werden musste. So wies der General der Infanterie im OKH in den er-
wähnten Ausbildungshinweisen darauf hin, dass es sich »gerade bei jungen und
ungeübten Führern als unbedingt notwendig erwiesen [hat], die Absichten über
Kampfführung und den Einsatz der schweren Waffen durch den Kampfplan und
den Feuerplan in besonderen Ziffern der Befehle klar zum Ausdruck zu bringen«839.
Im Vorlauf zur deutschen Sommeroffensive 1942 (»Unternehmen Blau«) wies das
Generalkommando XXXXVIII. Panzerkorps (General der Panzertruppe Werner
Kempf ) genau auf diesen Umstand hin und verlangte:
»Die Führung muss die verschiedenartige Zusammensetzung und die teilwei-
se geringe Kampferfahrung neu im Osten eingetroffener Verbände bei ihrem
Ansatz berücksichtigen840.«
Damit war nichts anderes gemeint, als dass »Auftragserteilung und Zielsetzung
[...] diesen Gegebenheiten angepasst« werden müssten. Das detaillierte vorhe-
rige Durchdenken und -sprechen von Gefechtsaktionen und die ausführlichere
Abfassung von Absichten oder Aufträgen darf deshalb nicht nur als Reaktion auf
die geänderte Art der Kriegführung – vom gescheiterten Blitzkrieg zum starren
Halten fester Plätze im Winter 1941/42 – verstanden werden. Vielmehr müs-
sen diese Anpassungen, die weit über das in den Vorschriften geforderte Maß
hinausgingen, als notwendig gewordene Konzession an die Veränderungen
des eigenen Führerkorps betrachtet werden. Darauf deutet z.B. der erwähnte
Erfahrungsbericht des Armeeoberkommandos 4 hin. Darin wurde festgestellt,
dass »die Unbeweglichkeit der Führer und ihrer Stäbe [...] es mit sich [bringt],
dass schnelle Entschlüsse während des Gefechts selten zum Tragen« kämen und
»die im Sommer auf rasche Entschlussfassung und kurze Befehlsgebung geschul-
ten Führer von mot. Verbänden [...] umlernen« müssten841.
Die Ausführungen dieses Kapitels haben gezeigt, dass der Führungsvorgang
im deutschen Heer ganz auf den Faktor Schnelligkeit ausgerichtet war – »ohne
langes Reden« sollten Entschlüsse gefasst und »kristallklar in die Befehlsform ge-
gossen« werden842. Das raschere Handeln sollte einen zeitlichen Vorsprung vor
dem Gegner schaffen, der eine mögliche Schwäche an Zahl und Ausrüstung

(Hervorhebung im Original). Ebenso: Heeresnachrichtenschule/Lehrstab A, Merkblatt 6.


Befehlserteilung, November 1941, BArch, RH 17/345, S. 2.
839
OKH/GenStdH/Gen.d.Inf., Nr. 500/42 geh., Hinweise für die Ausbildung der Infanterie
auf Grund der Erfahrungen des Ostfeldzuges, 1.3.1942, BArch, RH 54/97a, S. 6 f. Ähnlich:
OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 1500/42, Erfahrungen über Wegnahme feindbesetz-
ter Dörfer im Winter im Rücken der eigenen Front, 15.5.1942, BArch, RH 12-5/202,
S. 13. Vgl. auch Merkblatt 25a/24, Anleitung für Unterführerausbildung der Infanterie im
Feldheer vom 27.10.1942, S. 5.
840
Anlage 2 zu Gen.Kdo. XXXXVIII. PzK/Ia Nr. 180/42 g.K., Besondere Richtlinien für die
Kampfführung, 3.6.1942, BArch, RH 24-48/69, Bl. 17. Dort auch das Folgende.
841
Abschrift, H.Gr. Mitte/Ia, Nr. 826/42 geh., AOK 4/Ia, Nr. 166/42 geh., 23.1.1942,
BArch, RH 2/2854, Bl. 7.
842
Gen.Kdo. VII. AK/Ia, Nr. 1130/geh., Betr.: Theoretische Ausbildung der Offiziere,
9.1.1939, BArch, RH 53-7/v. 108, S. 1. Vgl. auch Heeresschule für Btl.-Abt.-Führer/Kom-
mandostab Abt. Ia, Nr. 3744, Merkblatt. Anlage und Leitung von Übungen und Gefechts-
schießen im Bataillons-, Kompanie- und Zugrahmen, [1941/42], BArch, RH 17/467,
Bl. 5.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 171

wettmachen sollte843. Ganz im Sinne des preußisch-deutschen Kriegs- und


Führungsverständnisses wurde dabei »der Entschlusskraft und -Freudigkeit
[sic!] sowie [dem] selbständige[n], zielbewusste[n], energische[n] Handeln und
Führen« auf allen Stufen bedeutendes Gewicht zugemessen844.
Entsprechend wirkte sich dies auf die Führerausbildung aus. Um ein solches
Verhalten zu fördern wurden z.B. »häufige Überraschungsaufgaben« gestellt, die
»zu Wendigkeit, selbständigem Handeln und Entschlussfreude« erziehen soll-
ten845. Auch auf Übungsreisen und in Geländebesprechungen, Planübungen846,
Kriegsspielen oder Entschlussaufgaben wurde nicht nur die taktische Führung von
Verbänden, sondern in besonderem Maße die Lagebeurteilung, Entschlussfassung
sowie Befehlstechnik und Befehlssprache geübt847. Die Forderung nach raschester
Befehlsgebung konnte in der Führerausbildung so weit gehen, dass der entspre-
chende Befehlsdrill sogar mit der Stoppuhr in der Hand durchgeführt wurde848.
Für die Art der Befehlsgebung wiederum diente nach wie vor »der klassische Stil

843
Inwiefern sich der deutsche Führungsvorgang von dem anderer Streitkräfte unterschieden
hat, müsste noch untersucht werden. Nach Blumentritt war etwa der französische oder
sowjetische Führungsvorgang durch eine »sehr viel langsamer[e], planmäßig[e] Befehls-
gebung« gekennzeichnet. So hätten 1928/29 zur Reichswehr kommandierte sowjetische
Offiziere auf Übungsreisen »Stunden« gebraucht, »bis sie [...] endlich einen genauen, sei-
tenlangen Befehl fertig hatten«, während die deutschen Offiziere schneller, aber formell
und inhaltlich ungenauer befohlen hätten. Blumentritt, Kriegsgeschichtliche Erfahrungen
über »Befehls-Technik«, BArch, ZA 1/653, S. 10. Vgl. On the German Art of War, S. 9 f.,
wo zwei zur Kriegsakademie kommandierte US-Offiziere in ihren Berichten die deutsche
Art auf gleiche Weise beschreiben.
844
Zeiteinteilung und Stoffgliederung für den 2. Ausbildungsabschnitt der O.B. und R.O.B.
im Ersatzheer, [ca. 1943], BArch, RH 12-2/68, S. 1.
845
Ch HRüst u BdE/Chef des Ausbildungswesens im Ersatzheer/Stab/Ia, Nr. 360/42, Betr.:
Richtlinien für die Ausbildung im Ersatzheer (Anlage 1, Vorbemerkungen), 24.10.1942,
BArch, RH 68/2, S. 2; Anregungen für »Ausbildungsnotizen«, die durch Kp.-Führer oder
Kp.-Offiziere dem Ausbildungspersonal als Handzettel für die Gefechtsausbildung auszu-
händigen sind [1942], BArch, RH 68/2.
846
Planspiele bzw. -übungen stellten vereinfachte Kriegsspiele dar und gingen in der Regel nicht
über den Rahmen des verstärkten Regiments hinaus. Auf Planskizzen oder am Sandkasten
wurde eine Partei von den Teilnehmern gespielt, die andere führte der Ausbildner. Solche
Übungen dienten besonders der Schulung von Befehlssprache und -technik. Im Kriegsspiel
wurden hingegen beide Parteien in freier Führung gespielt, der Ausbildner war bloß
Schiedsrichter. Taysen, Führerausbildung, S. 101. Vgl. auch Mahlmann, Die Planübung;
Velten, Das deutsche Reichsheer, S. 303.
847
TA, Nr. 300/30 geh.Kdos. T4/Ia, Entwurf der Richtlinien für die Ausbildung im
Heere 1930, Juni 1930, BArch, RH 12-1/7, S. 31. Vgl. auch ObdH/GenStdH/4. Abt.,
Nr. 3370/36, Bemerkungen zum Ausbildungsjahr 1936, 9.5.1936, BArch, RH 53-7/v. 38,
S. 4; D 81/2+, Besichtigungsbemerkungen 1936, S. 23; ObdH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia),
Nr. 2520/41 g, Betr.: Ausbildung im Ersatzheer, 26.10.1941, BArch, RH 2/2902, S. 6; In
EB, Richtlinien für den Unterricht in Taktik und Geländekunde an den Kriegsschulen des
Heeres, 2.1.1942, BArch, RHD 31/24, S. 9.
848
Gen.Kdo. (mot.) XXIV. AK/Ia, Laufende Ausbildungsbemerkungen, Nr. 6, 2.5.1941,
BArch, RH 27-3/17, S. 1. Vgl. auch 3. PzD/Kdr., Nr. 13/41 geh., Ausbildungsbemerkungen
Nr. 1, 4.1.1941, BArch, RH 27-3/17, S. 3; 125. ID/Ia, Nr. 560/43 geh., Ausbildungsplan
der Muster-Divisions-Kampfschule, 30.7.1943, BArch, RH 26-125/26, S. 5.
172 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

des Feldmarschalls v. Moltke« als Vorbild849. Die in diesem Zusammenhang an


die Führer und Unterführer gestellten Anforderungen verlangten von diesen wie
gesehen ein entsprechend geschultes Urteilsvermögen, das sich z.B. darin be-
merkbar machte, dass erhaltene Aufträge »sinngemäß« zu wiederholen waren und
kein »bloßes Nachplappern« gefordert war850. Damit war nichts anderes gemeint,
als dass sich jeder Führer inhaltlich mit einem erhaltenen Befehl auseinander-
zusetzen hatte, um nötigenfalls nach dem Sinne handeln zu können. Auch hier
lässt sich das hauptsächliche Ausbildungsziel der Führerausbildung erkennen,
die Führer aller Grade zu befähigen, »selbständig zu denken und zu handeln«851.
Diese für die Auftragstaktik zentrale Anforderung korrelierte deutlich mit der
Art des Führungsvorganges, zumindest was die normativen Ansprüche betrifft852.
Für die Umsetzung der Normen waren in erster Linie die Regiments-, Bataillons-
bzw. Abteilungskommandeure sowie die Einheitsführer verantwortlich, die in-
nerhalb ihrer Verbände die Einheitlichkeit im Denken und Handeln durch
Ausbildung und Erziehung herstellen sollten853. Wie bereits gesehen bildete diese
Einheitlichkeit eine entscheidende Voraussetzung für die Auftragstaktik, konnte
doch dort, »wo keine gleichen Gedanken vorhanden sind, [...] auch keine Kraft
entstehen«854.
Bei all dem darf jedoch nicht die Bedeutung des jeweiligen Kommandeurs
und seines Einflusses auf den Führungsstil eines Verbandes unterschätzt werden.
Schließlich hatten die Kommandeure nicht nur die Pflicht, ihre Verbände und
Unterführer auszubilden und zu erziehen, sondern auch die Freiheit, dies nach ei- !
genen Gesichtspunkten durchzuführen. Dies zeigt sich exemplarisch im Umgang
mit den Ausbildungsvorschriften, wo »nicht engherziges Kleben am Wortlaut,
sondern freie Anwendung des Gedankeninhalts der Vorschriften« gefordert war855:
»Den Kommandeuren obliegt es, zwischen Engherzigkeit und Willkür den
richtigen Weg zu weisen. Dies geschieht durch Erziehung, nicht durch schrift-
liche Verfügungen.«
So bildete jeder militärische Truppenführer nicht nur sein Offizier- und Unter-
offizierkorps aus und erzog es, wie er es für richtig hielt, sondern formte »den Stil des

849
Ch HL/T4/IIa, Nr. 740/34 geh.Kdos., Richtlinien für die Ausbildung von Offizieren auf
der Kriegsakademie, 1.8.1934, BArch, RH 26-10/190, S. 8.
850
Infanterieschule Döberitz, Haltung und Befehlsformen, [1935], BArch, RH 17/470, S. 1.
851
Infanterieschule Döberitz, Merkblatt für Einzelgefechtsausbildung, [29.8.1935], BArch,
RH 17/470, Bl. 14.
852
Vgl. auch die entsprechenden Ausführungen in Kap. II.2.b).
853
H.Dv. 3/11, Befehlsbefugnisse im Heer vom 21.4.1936, S. 8‑10; TA, Nr. 300/30 geh.
Kdos. T4/Ia, Entwurf der Richtlinien für die Ausbildung im Heere 1930, Juni 1930,
BArch, RH 12-1/7, S. 18; AOK 16/Ia, Nr. 579/40 geheim, Bemerkungen zur Ausbildung
Nr. 3, 26.3.1940, BArch, RH 17/460, S. 2; ObdH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 2800/41
g, Befehl für die Ausbildung des Westheeres, 24.11.1941, BArch, FD 1236 N, S. 12;
OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia), Nr. 3000/42 g, Betr.: Richtlinien für die Ausbildung im
Winter 1942/43, 21.9.1942, BArch, RH 20-11/478.
854
58. ID, Heranbildung des Offiziernachwuchses, [Winter 1941/42], BArch, RH 26-58/37,
S. 2. Vgl. auch Blumentritt, Kriegsgeschichtliche Erfahrungen über »Befehls-Technik«,
BArch, ZA 1/653, S. 2.
855
TA, Nr. 300/30 geh.Kdos. T4/Ia, Entwurf der Richtlinien für die Ausbildung im Heere
1930, Juni 1930, BArch, RH 12-1/7, S. 11. Dort auch das Folgende.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 173

Idealtypisches Modell der Auftragstaktik


Einheitlichkeit der
Handlung
Ordre de Bataille
Koordination
Zusammenwirken
Straffe Führung
Gehorsam Nachrichtenverbindungen Führungsvorgang
Führen von vorne
Lagebeurteilung
Funktionale Disziplin Entschlussfassung
mitdenkend
Befehlsgebung
Ausrichtung
Vorgesetzter und Sache Einbezug in
Entscheidungsfindung

Offensivdenken Urteilsvermögen

Vorwärtsdrang
(Kampf-) Moral Absage an Schemata
Lagegerechtes Urteilen
Gesetz des Handelns
Initiative gegenüber Inhalt vor Form
dem Gegner

Entschlossenheit Selbstständigkeit
Moralische Faktoren Freiraum für Handeln
Kühnheit, Mut, Tatkraft, Handeln Oberbegriff
Verantwortungsfreude, Innerhalb des Auftrags
Ohne Auftrag Teilaspekte
Entschlusskraft
Charakter Gegen Auftrag (Abweichen
Persönlichkeit vom Auftrag)
Dezisionismus Handlungsfreiheit
Quelle: Autor.
Initiative von Innen © ZMSBw
06956-04

soldatischen Handelns« für seinen Verband und sein Führerkorps856. Dies geschah
nur zum geringsten Teil durch ausdrückliche Maßnahmen und Anordnungen,
sondern v.a. durch sein Handeln selbst, durch seine Vorbildwirkung und das
Führen im Kampf sowie nicht zuletzt durch die Art und Weise, wie er befahl.

3. Zusammenfassung

Was von all dem ist nun Auftragstaktik? Bereits in der Einleitung wurde auf das
Fehlen einer zeitgenössischen Definition aufmerksam gemacht. Eine einfache
Antwort auf diese Frage, wenn möglich sogar in Form einer kurzen und bündi-
gen Definition, lässt sich an dieser Stelle immer noch nicht geben. Im vorliegen-
den Kapitel ging es deshalb zuerst darum, das Kriegsverständnis der preußisch-
deutschen militärischen Denkschule auszuleuchten, da darin ein wesentlicher
Schlüssel zum Verständnis vom Sinn der Auftragstaktik liegt. In einem zweiten
Schritt wurde sodann das Führungsverständnis der preußisch-deutschen mili-
tärischen Denkschule untersucht. Um das Wesen der Auftragstaktik fassen zu
können, wurden die Führungs- und Ausbildungsvorschriften des preußisch-deut-

856
Weniger, Führerauslese (1941), S. 199.
174 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

schen Heeres zwischen 1869 und 1945 analysiert und die Hauptelemente des
preußisch-deutschen militärischen Führungsdenkens herausgearbeitet.
Dabei hat sich gezeigt, dass das in den preußisch-deutschen Führungs- und
Ausbildungsvorschriften skizzierte Kriegsverständnis deutlich von Clausewitz’
Kriegstheorie und den Ansichten Moltkes d.Ä. beeinflusst wurde. Die preußisch-
deutsche militärische Denkschule verstand Krieg als kontingentes Phänomen.
Allgemein gültige und rationale Regeln konnte es darin nicht geben. Auch war
es unmöglich, den Verlauf von Operationen im Voraus festzulegen. Vielmehr
war Krieg durch Chaos, Ungewissheit und Zufall bestimmt. Clausewitz und
Moltke d.Ä. sahen deshalb in den Friktionen den einen zentralen Faktor des Krieges.
Den zweiten zentralen Faktor bildeten die moralischen Größen. Sie stellten die
Grundlage für die Fähigkeit dar, innerhalb der unplanbaren Rahmenbedingungen
des Krieges effizient zu handeln, d.h. die flüchtigen Gelegenheiten auszunutzen,
die sich im Verlaufe eines Gefechts ergaben857. Die Komplexität des modernen
Gefechtes verunmöglichte auch, dass ein Feldherr alle Einzelheiten einer laufen-
den Operation überblicken konnte. Nach preußisch-deutscher Auffassung konnte
diese Komplexität nur überwunden werden, indem Führungsverantwortung und
Initiative dezentralisiert wurden und der Unterführer gleichsam »als Moltke im
Taschenformat«858 agierte. Damit ging die Überzeugung einher, dass der Wert des
Einzelnen und die persönliche Initiative der Unterführer ausschlaggebend seien
für die Leistungsfähigkeit des ganzen Heeres. Vergegenwärtigt man sich alle diese
Aspekte, dann wird deutlich, dass die Auftragstaktik letztlich eine Reaktion auf die
geänderten Rahmenbedingungen der Kriegführung war. Ihr Hauptzweck bestand
darin, die Führungsfähigkeit im Gefecht sicherzustellen, damit rasch und ange-
messen auf geänderte und unvorhergesehene Lagen reagiert werden konnte859.
In den untersuchten preußisch-deutschen Führungs- und Ausbildungsvor-
schriften lässt sich in Bezug auf das Kriegs- und Führungsverständnis nicht nur
eine klare Kontinuitätslinie feststellen. Die Vorschriften sind auch in der Art, wie
sie gehalten waren, als direktes Abbild dieses Verständnisses zu erkennen, waren
sie doch bewusst allgemein verfasst und gaben den Führern und Unterführern
nur Anhalte und Leitlinien für das eigene Handeln vor. Folglich sollten sie nicht
dem Buchstaben nach, sondern vielmehr dem Sinn nach gelesen werden860.
Entsprechend ließen sie einen gewissen Entscheidungsspielraum offen, sollte doch
jeder Führer die Vorschriften nach bestem Wissen und eigenen Vorstellungen in-
terpretieren. Wie bereits festgestellt, ergab sich daraus auch ein gewisses Risiko,
dass die Vorschriften unterschiedlich gedeutet wurden.
Aus der Analyse der preußisch-deutschen Führungs- und Ausbildungsvor-
schriften kristallisierten sich sieben Hauptelemente heraus, die das Wesen des
preußisch-deutschen militärischen Führungsdenkens zwischen 1869 und 1945
bestimmten und unter dem Begriff Auftragstaktik subsumiert werden können:
Entschlossenheit, Offensivdenken, Selbstständigkeit, Gehorsam, Einheitlichkeit,
Urteilsvermögen und Führungsvorgang. Das preußisch-deutsche Führungsdenken
war wesentlich geprägt vom Element der Entschlossenheit. Darunter sind die

857
Samuels, Command or Control?, S. 3‑5.
858
Weniger, Das Erbe Friedrichs des Großen, S. 10.
859
Oetting, Auftragstaktik, S. 309.
860
Vgl. Verordnungen über die Ausbildung der Truppen 1870, S. 5.
II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin 175

moralischen Faktoren Kühnheit, Mut, Tatkraft, Verantwortungsfreude und


Entschlusskraft ebenso zu verstehen wie der Wert des Charakters und der
Persönlichkeit. Bei diesem Element steht der dezisionistische Aspekt im Vorder-
grund. Deshalb besitzt die Entschlossenheit eine grundlegende Funktion, stellt
sie doch die Voraussetzung dafür dar, dass die Elemente Offensivdenken und
Selbstständigkeit zum Tragen kommen können. In engem Zusammenhang mit der
Entschlossenheit ist dabei das Element Offensivdenken zu sehen. Ausschlaggebend
bei diesem Element ist nicht die rein voluntaristisch verstandene Betonung der
Willenskraft, sondern das Bestreben, dem Gegner das Gesetz des Handelns
vorzuschreiben. Dies zeigt sich in einer entsprechenden Kampfmoral und im
Vorwärtsdrang. Eines der komplexesten und auch zentralen Elemente bildet
die Selbstständigkeit. Damit ist selbstständiges und initiatives Handeln gemeint,
das sich in einem entsprechend gewährten Freiraum und mit entsprechender
Handlungsfreiheit entfaltet. Unter Gehorsam ist die funktionale Disziplin zu ver-
stehen, die auf den Vorgesetzten (Absicht) und die Sache (Lage) ausgerichtet als
wichtiges Regulativ auftritt. Ein weiteres Element mit stark regulativem und len-
kendem Charakter bildet die Einheitlichkeit, worunter die Moltke’sche Ordre de
Bataille, d.h. die Koordination und das Zusammenwirken aller Teile zum Ganzen
gemeint ist. Sie wird durch straffe Führung sichergestellt. Dabei kommt den
Nachrichtenverbindungen und dem Führen von vorne eine bedeutende Rolle zu.
Mit dem Element Urteilsvermögen wird der schöpferische Aspekt des Führens an-
gesprochen. Darin ist die Fähigkeit, lagegerecht urteilen zu können, ebenso ent-
halten wie die Absage an Schemata und die Forderung, Inhalt vor Form zu stellen.
Das letzte Element, der Führungsvorgang, hängt eng damit zusammen. Darunter
werden Lagebeurteilung, Entschlussfassung und Befehlsgebung verstanden, auf-
grund ihrer richtungsweisenden und dadurch ebenfalls regulierenden Funktion
auch die Absicht und der Auftrag als herausragende Teilaspekte.
Die Ergebnisse dieser Analyse belegen, weshalb es in den Dienstvorschriften
eine Definition der Auftragstaktik im klassischen Sinne nicht geben konnte. Die
Komplexität der Auftragstaktik hätte entweder dazu führen müssen, dass eine
Definition nur einen Bruchteil dessen behandelte, was mit Auftragstaktik ge-
meint war, oder dass sie alle Aspekte berücksichtigte, dadurch aber den Rahmen
einer Definition gesprengt hätte. Mit den oben beschriebenen Hauptelementen
lässt sich idealtypisch ein Modell errichten, mit dem der Sinn und Zweck der
Auftragstaktik umfassend abgebildet und auch die bestehenden Interaktionen
dargestellt werden können.
Drei Schlussfolgerungen ergeben sich hieraus: Erstens wurde deutlich, dass
sich Auftragstaktik grundsätzlich nicht an einem einzigen Element ausmachen
lässt. Auftragstaktik ist also nicht nur mit Selbstständigkeit gleichzusetzen, auch
wenn dieses Element für die Auftragstaktik unbestritten von zentraler Bedeutung
war861. Zweitens dürfen die Elemente nicht einzeln betrachtet werden, da sie sich
wechselseitig beeinflussten und teilweise sogar bedingten. Es gilt also immer,
das Zusammenwirken aller Elemente zu beachten. Drittens bilden diese sieben
Elemente zwar eine Einheit und müssen deshalb immer vollzählig vorhanden

861
Auch Leistenschneider betont, dass die Selbständigkeit der Unterführer »kein Wert an sich«
ist, sondern ihren Wert »erst in Bezug auf das Ganze« erhält. Leistenschneider, Auftrags-
taktik, S. 83.
176 II. Die preußisch-deutsche militärische Führungsdoktrin

sein, damit von Auftragstaktik gesprochen werden kann. Gleichzeitig sind sie aber
von der Bedeutung her nicht immer gleich zu gewichten. Entscheidend für die
Auftragstaktik ist es deshalb, dass die Elemente ausbalanciert sind. Der Aspekt der
Balance und der richtigen Gewichtung verdeutlicht sich gerade in der Frage, ab
wann Selbstständigkeit zur Eigenmächtigkeit ausartet. Darauf wird im folgenden
Kapitel eingegangen werden.
Ausdrücklich kein Kriterium oder Element der Auftragstaktik bildet hinge-
gen der Erfolg, der Führen im Sinne der Auftragstaktik zwar beflügeln und als
Triebfeder wirken konnte, aber kein integraler Bestandteil der Führungsdoktrin,
sondern äußerer Faktor war. Umgekehrt werden Eigenmächtigkeiten, die zu
Manifestationen von Gefechtserfolgen geführt haben, dadurch nicht einfach zu
Auftragstaktik. Ganz im Gegenteil konnte das Handeln im Sinne der Auftrags-
taktik auch zu Misserfolgen führen, was bewusst in Kauf genommen wurde, wie
sich am deutlichsten in der zentralen Verhaltensnorm zeigt, wonach Nichtstun
schlimmer sei als falsches Handeln – auf die damit zusammenhängende Fehler-
kultur in der Ausbildung sei an dieser Stelle nochmals hingewiesen.
Das hier gezeichnete Modell konzentriert sich in erster Linie auf die
Auftragstaktik als Führungsprinzip. Eine systematische Auswertung der Ausbildung
und Erziehung war hingegen aus arbeitsökonomischen Gründen nicht möglich.
Beide Aspekte konnten jedoch insofern vernachlässigt werden, als sie indirekt in
die sieben im Modell skizzierten Elemente einflossen, deren Anwendung nämlich
erst durch eine entsprechende Ausbildung und Erziehung möglich wurde. Das
hier verwendete Modell der Auftragstaktik stellt deshalb auch einen Indikator
für die Ausbildung und Erziehung im Sinne der Auftragstaktik dar. So wird es
mit Hilfe des vorliegenden, auf normativen Vorgaben (Dienstvorschriften) und
theoretischen Aussagen von Zeitgenossen basierenden Modells möglich, sehr dif-
ferenziert aufzuzeigen, worin sich das Handeln von normativen Vorschriften und
Vorstellungen, die Führungsrealität von der Führungsdoktrin unterschieden hat.
Darüber hinaus lässt sich auch die bisherige Schwarz-Weiss-Optik überwinden,
die in der Dichotomie von Auftragstaktik und Befehlstaktik gefangen war und
deshalb nicht umhin kam, Auftragstaktik lediglich entweder als Realität oder als
Mythos zu erkennen.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit –
Auftragstaktik von Moltke d.Ä. bis Guderian

Mit Hilfe des aus den Vorschriften erstellten Modells der Auftragstaktik kann
nun überprüft werden, in welchem Ausmaß das Führungsverhalten preußisch-
deutscher Truppenführer im Krieg mit den in der Führungsdoktrin festgelegten
Elementen der Auftragstaktik übereinstimmte. Insbesondere muss dabei unter-
schieden werden, ob sich selbstständiges Führungsverhalten in den Gefechten
im Rahmen der Auftragstaktik bewegte oder ob die Unterführer nicht vielmehr
eigenmächtig handelten. Vor dem Hintergrund des im letzten Kapitel gebilde-
ten Modells der Auftragstaktik erlaubt dieses Vorgehen, die in der zeitgenössi-
schen Militärpublizistik und heutigen Forschungsliteratur genannten Beispiele
auftragstaktischen Handelns kritisch zu hinterfragen und die Nuancen zwischen
Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit deutlich aufzuzeigen.
Zu diesem Zweck werden der Verlauf verschiedener für den späteren Mythos
um die Auftragstaktik bedeutender Operationen aus den deutschen Einigungs-
kriegen, dem Ersten Weltkrieg und dem Westfeldzug 1940 untersucht. Der
Ausgangspunkt wurde bewusst bei den Einigungskriegen angesetzt, prägte doch
der Mythos um diese Kriege und um die Person Moltkes d.Ä. nachhaltig das
spätere Verständnis von der Auftragstaktik. Es sollen deshalb nicht nur die ei-
gentlichen militärischen Handlungen dieser Kriege, sondern im Anschluss da-
ran auch die Auswirkungen auf das Verständnis der Auftragstaktik nach 1871
kritisch betrachtet werden. Die Untersuchung des Führungsverhaltens während
des Ersten Weltkrieges stellte konsequenterweise den nächsten Schritt dar, hatte
sich die Auftragstaktik bis 1914 doch »endgültig reglementarisch durchgesetzt«1.
Dadurch lassen sich Kontinuitäten zu den deutschen Einigungskriegen und
implizit auch Rückschlüsse auf die Nachhaltigkeit der Friedenserziehung und
Friedensausbildung für die Anwendung der Auftragstaktik aufzeigen. Exemplarisch
werden die Anfangsoperationen von 1914 und das Führungsverhalten der
Obersten Heeresleitung (OHL) im Verlauf des Krieges analysiert, gab doch bei-
des nach dem Krieg Anlass zu heftigen Debatten über die richtige Korrelation
von straffer, einheitlicher Führung und Selbstständigkeit der Unterführer in
der deutschen Militärpublizistik. Die Kontroversen der Zwischenkriegszeit
über die inhaltliche Ausrichtung der Auftragstaktik werden dabei etwas vertief-
ter betrachtet, denn sie relativieren das vorherrschende Bild, wonach sich die
Auftragstaktik zu diesem Zeitpunkt längst zu einem diskussionslos anerkann-

1
Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 428. Vgl. auch Leistenschneider, Auftrags-
taktik, S. 123‑137; Oetting, Auftragstaktik, S. 121‑137.
178 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

ten Allgemeingut entwickelt habe. Der Erste Weltkrieg ist aber gerade auch im
Hinblick auf das Verhalten der obersten militärischen Führung aufschlussreich.
Anhand der Vorgehensweise der Obersten Heeresleitungen lässt sich aufzeigen,
dass die Anwendung der Auftragstaktik nicht konstant verlief. Vielmehr oszil-
lierten die Auffassungen über die Art der Führung und waren nicht zuletzt vom
Erfolg bzw. Misserfolg laufender Operationen abhängig2. Abgeschlossen wird
das vorliegende Kapitel mit der Analyse des Westfeldzuges von 1940. Der so-
genannte »Sichelschnittplan« sah den Vorstoß der Heeresgruppe A durch die
Ardennen an die Kanalküste vor. Die Analyse der Planung und Durchführung
dieser Offensive verdeutlicht nicht nur die Kontinuität im Führungsverhalten
deutscher Truppenführer hinsichtlich eigenmächtiger Handlungen, sondern wirft
auch die Frage auf, ob die Führungsdoktrin waffenspezifische Eigentümlichkeiten
trug. So konnte die Analyse der Führungsdoktrin im letzten Kapitel belegen, dass
es in den Heeresdruckvorschriften der Wehrmacht z.B. keine grundlegenden
Unterschiede zwischen den Führungsgrundsätzen der Infanterie und denen der
Schnellen Truppen gab. Trotzdem klafften die Meinungen der Infanterie- und
Panzertruppenführer über die Art der Führung des Vorstoßes an die Kanalküste
weit auseinander. Es soll in diesem Kapitel deshalb auch um die Frage gehen, wes-
halb sich trotz gemeinsamer doktrineller Grundlage bei der Umsetzung militäri-
scher Operationen häufig so grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen über
die Anwendung der Führungsdoktrin zeigten.

1. Auftragstaktik in der Zeit der »Reichseinigungskriege«

Die preußisch-deutschen Erfolge auf den Schlachtfeldern der Einigungskriege


werden gerne »der Selbsttätigkeit und dem Unternehmungsgeist der Unterführer«3
zugeschrieben. Das Feld, auf dem diese Selbsttätigkeit habe wachsen können,
sei die preußisch-deutsche Militärtradition gewesen, wie sie sich spätestens seit
Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt hatte. Diese habe den Truppenführern
im taktisch-operativen Bereich ein ungleich höheres Maß an Freiheit zuge-
standen, als dies in anderen Armeen der Fall gewesen sei. Die daraus resultie-
rende Selbstständigkeit sei ein »integrirende[r] Bestandtheil des gesammten
Befehlssystems der deutschen Armee«4 gewesen und habe es den preußisch-deut-
schen Truppenführern ermöglicht, flexibler und unmittelbarer auf Ereignisse des
Kampfes zu reagieren. In diesen »fachlich hoch qualifizierten ›Unterfeldherrn‹«5
sahen deshalb zeitgenössische Beobachter wie z.B. Karl Vojde das Geheimnis

2
Was jedoch nicht nur für den Zeitraum von 1914 bis 1918 kennzeichnend war, siehe z.B.
Kap. III.4.
3
Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung, S. 1. Auch Vojde sah in der Selbstständigkeit
der Unterführer den »Löwenantheil« des deutschen Sieges von 1870. Woide, Die Selbstän-
digkeit der Unterführer, S. 1.
4
Ebd., S. 3.
5
Hürter, Hitlers Heerführer, S. 611.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 179

deutscher Kampfkraft und in der ihnen eingeräumten Selbstständigkeit »eine


neue vervollkommnete Waffe«6.
Damit sei auf einen Umstand hingewiesen, der bis heute einer differenzierten
Beurteilung der Auftragstaktik entgegensteht. Nur wenige Autoren beurteilten die
preußisch-deutsche Führungsleistung der deutschen Einigungskriege von einem
kritischen Standpunkt aus – und wenn, dann nur sequentiell, nicht aber ganzheit-
lich. Schließlich sprachen die überwältigenden deutschen militärischen Erfolge
für sich. Näher lag da die Entrückung der preußisch-deutschen Leistungen ins
Mythische. Nicht von ungefähr markierten die deutschen Einigungskriege den
Beginn des Mythos um die Person Moltkes d.Ä. wie auch um den deutschen
Generalstab. Dabei wird allerdings ausgeblendet, dass gerade die häufig als
Musterbeispiele für Auftragstaktik zitierten preußisch-deutschen Erfolge in den
Kriegen von 1864, 1866 und 1870/71 ein nicht ausschließlich positives Bild von
den preußisch-deutschen Truppenführern zeichnen7. Die siegreichen Kriege dür-
fen nicht darüber hinweg täuschen, dass auf preußisch-deutscher Seite zahlreiche
Mängel aufgetreten waren und häufig Glück im Spiel gewesen war8. Einer der
wenigen Kritiker war Michael Howard. Er relativierte in seinem Werk über den
Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 die preußisch-deutschen Erfolge: Diese
seien nicht auf die »glänzende Führung« Moltkes d.Ä. oder seiner Untergebenen
zurückzuführen, im Gegenteil sei »die Taktik [...] oft genug mörderisch tollpat-
schig« gewesen und die »strategischen Weisungen [ist] oft genug nur eine Sache
des gesunden Menschenverstandes« gewesen9. Diese Aussagen beleuchten zwar
einmal auch die negativen Seiten, erscheinen jedoch etwas zu pointiert. Zudem
lassen sie nur bedingt eine weiterführende Aussage zur Auftragstaktik zu. Bei al-
ler Kritik geht es nämlich nicht darum, die Existenz selbstständigen Handelns
auf preußisch-deutscher Seite grundsätzlich abstreiten zu wollen. Es ist wohl
unbestritten, dass es in diesen Kriegen selbstständig und initiativ handelnde
Truppenführer gegeben hat. Einige ausgesuchte Beispiele sollen dies zeigen:
Im Krieg gegen Dänemark 1864 änderte der Kommandierende General
des I. Korps General Karl Eberhard Herwarth von Bittenfeld in letzter Minute
selbstständig die Übergangsstelle für den zweiten Antriff auf Alsen, da die Dänen
anscheinend über die bevorstehende preußische Landungsoperation informiert

6
Woide, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 3. Siehe auch Woide, Die Ursachen der
Siege. Vgl. auch Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 48 f. Es gab auch skeptische Stimmen,
die Moltkes Art der Kriegführung als »anarchistisch« verwarfen und kritisierten, dass er sei-
ne Armee in »winzige, verstreute Päckchen zerteilte«. Ferri-Pisani, Urteile über den Preussi-
schen Feldzug 1866. In: ÖMZ (1868), Nr. 9, S. 188 f., zit. nach: Wawro, Warfare and
Society, S. 84. Selbst Vojde musste zugeben, dass die preußisch-deutsche Führung 1870
»einen ziemlich ungeordneten Charakter« aufwies. Zit. nach: Müller-Loebnitz, Führerwille
und Selbständigkeit, Sp. 1432.
7
Ein ausschließlich positives Bild konstruiert etwa Uhle-Wettler, der konsequent nur die po-
sitiven Aspekte wertet bzw. negative ins Positive umdeutet und dadurch ein völlig verzerrtes
Bild zeichnet. Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 9, spricht zutreffend von der Bildung
einer »›positive[n]‹ Legende«.
8
Moltke selbst hatte im Memoire von 1868 auf diese Mängel hingewiesen. Vgl. MMW,
II/2: Memoire, S. 73‑164. Das Memoire bestand nach Aussage Moltkes »fast nur [aus]
Tadel« und sollte helfen, »künftige Fehler zu vermeiden«. Zit. nach: Meier-Dörnberg,
Moltke, S. 41.
9
Howard, The Franco-Prussian War, S. 455.
180 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

waren und Gegenmaßnahmen getroffen hatten. Die an neuer Stelle angesetzte


Landung glückte und überraschte den Gegner10.
Konstantin von Alvensleben zeichnete sich in den Kriegen 1866 und 1870/71
ebenfalls durch »richtiges Urtheil, Selbständigkeit und Entschlossenheit« aus,
so u.a. als Kommandeur der Avantgarde des Gardekorps bei der Schlacht von
Königgrätz, als sein rasches und eigenverantwortliches Handeln die Einnahme
der österreichischen Schlüsselstellung bei Chlum ermöglichte, oder als er anstelle
des gefallenen Divisionskommandeurs Generalleutnant Wilhelm Frhr. Hiller von
Gärtringen die Führung der 1. Garde-Infanteriedivision übernahm. Im Krieg von
1870/71 fiel Alvensleben – mittlerweile Generalleutnant und Kommandierender
General des III. Armeekorps – aber auch durch eigenmächtiges Handeln auf.
Neben anderen Beispielen wird gerade sein Fall noch verdeutlichen, wie schwierig
selbstständiges von eigenmächtigem Handeln zu unterscheiden ist (Kap. III.1.c).
Es wird sich noch mehrfach zeigen, dass das entscheidende Kriterium für die
Billigung selbstständigen bzw. eigenmächtigen Handelns durch die vorgesetzten !
Stellen letztlich der militärische Erfolg gewesen ist. So wurden z.B. auch die eigen-
mächtigen Aktionen Alvenslebens nicht sanktioniert, sondern ganz im Gegenteil
honoriert, weil Moltke d.Ä. sie nachträglich als entscheidend für den preußisch-
deutschen Sieg beurteilte11.
Ein besonders interessantes Beispiel selbstständigen Handelns schildert
Wawro aus der Schlacht bei Sedan. Im Verlauf eines Angriffs brach der preußische
Feldwebel Oskar Becher mit seinem Zug in einen französischen Stellungsgraben
ein, ohne dabei auf Gegenwehr zu stoßen. Den Moment ausnutzend habe er
seinen Gruppen gleich befohlen: »Nur vorwärts, die Stellung ausnützen12.« Das
Beispiel verdeutliche nach Wawro anschaulich »Prussia’s military excellence«, da
ein solcher Befehl in einer anderen Armee nur von einem Offizier gegeben wor-
den wäre13. Tatsächlich zeigt diese Schilderung, dass selbstständiges und initiatives
Handeln nicht nur auf hohe Offiziere beschränkt war, sondern auch die Stufe des
Unteroffiziers mit einschließen konnte14. Es müsste allerdings noch untersucht
werden, ob es sich hierbei um ein Ausnahmebeispiel handelt oder ob dahinter ein
System stand.
Die Kardinalfrage lautet jedoch, ob diese Aktivitäten bereits mit der
Konzeption der Auftragstaktik vereinbar sind. Schließlich artete gerade die den
Truppenführern von Moltke d.Ä. zugestandene Selbstständigkeit häufig in über- !
stürzte, eigenmächtige Handlungen aus, die eine koordinierte übergeordnete
Führung unmöglich machten und letztlich das Gelingen ganzer Feldzüge ge-
fährdeten15. Besonders in den äußerst erfolgreich verlaufenen Kriegen von 1866
und 1870/71 hatte Moltke d.Ä. als Generalstabschef ständig Schwierigkeiten,

10
Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 393 f.
11
Bereits 1866 mit dem Orden »Pour le mérite« ausgezeichnet, wurden ihm 1870 das EK I
und das Eichenlaub zum »Pour le mérite« verliehen. Poten, Constantin von Alvensleben,
S. 756 f.
12
Becher, Kriegstagebuch eines Vierundneunzigers aus dem Kriege 1870‑71, zit. nach:
Wawro, The Franco-Prussian War, S. 218.
13
Ebd.
14
Dies scheint auch für die Stufe der Subalternoffiziere gegolten zu haben. Vgl. Müller-Loeb-
nitz, Führerwille und Selbständigkeit, Sp. 1355.
15
Ebd.; Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 407.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 181

seine Befehlshaber zu zügeln. Immer wieder drohten Truppenführer durch die


Verfolgung lokaler Ziele die Operationspläne des Generalstabs zu durchkreuzen.
Dies mag – was das Verhalten der höchsten Truppenführer betraf – sicherlich
mit der bis 1866 nur untergeordneten Position des Generalstabschefs zusam-
mengehangen haben16. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, erlangten die
Eigenmächtigkeiten in den Kriegen von 1866 und 1870/71 allerdings erstaunlich
hohe Ausmaße17.

a) Der Deutsch-Dänische Krieg 1864

Der Deutsch-Dänische Krieg von 1864 hatte noch einmal deutlich gemacht, wel-
che marginale Rolle der Funktion des Generalstabschefs bis zu diesem Zeitpunkt
zugestanden wurde. Seit 1857 Generalstabschef, konnte Moltke d.Ä. die erste
Phase des Krieges 1864 nur von Berlin aus verfolgen. Kraft seines Amtes hat-
te er zwar einen Operationsplan ausgearbeitet, dessen Ausführung wegen der
Verzögerung durch den Oberkommandierenden des preußisch-österreichischen
Kontingents, Feldmarschall Friedrich Frhr. (später Graf ) von Wrangel, jedoch
nicht mehr umgesetzt werden konnte. Auch sonst war der Generalstabschef we-
der an der Entschlussfassung beteiligt, noch konnte er auf die Durchführung
des Feldzuges wesentlichen Einfluss ausüben18. Erst in der zweiten Hälfte des
Feldzuges erhielt Moltke d.Ä. durch seine Ernennung zum Stabschef Wrangels
die Möglichkeit, direkt in das Geschehen einzugreifen19. Bis zu diesem Zeitpunkt
fiel Wrangel v.a. durch sein exzentrisches und trotziges Verhalten auf, das man-
chen Beobachter an der Zurechnungsfähigkeit des greisen Feldmarschalls zwei-
feln ließ. Die oben aufgeworfene Frage nach dem Spannungsfeld zwischen
Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit stellt sich hier indes nicht. Wrangel
nahm nicht im Geringsten Rücksicht auf die übergeordneten militärpoliti-
schen Interessen und Vorgaben. Sein Handeln war vielmehr von »Starrsinn und
Eigensinn«20 geprägt, was ihn auch nicht vor Ungehorsam zurückschrecken ließ,
wenn er glaubte, im Recht zu sein. Unklar ist zwar, ob Wrangel den Befehl Otto
von Bismarcks vom 17. Februar, nicht über die Schleswig’sche Grenze nach
Jütland vorzustoßen, vorsätzlich missachtet hat. Gewiss ist hingegen, dass er
nichts unternahm, diesen Befehl rasch an seine Untergebenen weiterzuleiten21.

16
Craig, Die preußisch-deutsche Armee, S. 217. Verschärfend mag hinzugekommen sein,
dass mit Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen und Prinz Friedrich Karl von Preußen
zwei der Armeeführer – noch dazu eigenwillige – aus königlichem Hause waren.
17
Delbrück meinte etwa zu den Operationen 1870, dass Moltke bereits zu Beginn »die Zügel
entglitten« waren. Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 39.
18
Rosinski, Die deutsche Armee, S. 119; Görlitz, Der deutsche Generalstab, S. 108 f.; Groß,
Mythos und Wirklichkeit, S. 47.
19
Fiedler, Taktik und Strategie der Einigungskriege, S. 195.
20
Der Kronprinz notierte am 9.2.1864 in seinem Tagebuch: »Wrangel ist [...] zu gewissen
Stunden halb närrisch, und seine ihm früher innewohnende Energie und Frische äussert
sich eigentlich nur in Starrsinn und Eigensinn.« Zit. nach: Craig, Die preußisch-deutsche
Armee, S. 208.
21
Craig, Die preußisch-deutsche Armee, S. 208 f., 218; Regling, Grundzüge der Landkrieg-
führung, S. 389.
182 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

Die Wirkung blieb nicht aus: Am 18. Februar führte ein Erkundungsritt preu-
ßischer Husaren zu einem Scharmützel mit einer dänischen Dragonerabteilung.
Bei der Verfolgung der sich zurückziehenden Dänen gerieten die Preußen auf
jütisches Gebiet und wurden von dänischer Infanterie ebenfalls zurückgedrängt.
Daraufhin warf der preußische Generalleutnant Gustav von der Mülbe selbst
Infanterie in das Gefecht, woraufhin sich die Dänen erneut zurückzogen22. Die
Preußen rückten in der Folge gegen die Stadt Kolding vor und konnten diese
kampflos besetzen. Das preußische Eindringen auf jütisches Gebiet widersprach
den Abmachungen mit dem verbündeten Wien und erschütterte das sowie-
so schon unstabile Bündnis. Auf diplomatischem Wege versuchte Bismarck die
Wogen zu glätten. Gleichzeitig wurde Wrangel verboten, über Kolding hinaus
weiter vorzugehen. Bis Anfang März konnten die Österreicher beruhigt und
der militärisch verursachte politische Schaden gering gehalten werden. In diese
Situation hinein erreichte Berlin die Meldung, dass Wrangel trotz ausdrücklichen
Verbots mit einer Patrouille nördlich von Kolding hatte aufklären lassen23. Damit
gefährdete er ein letztes Mal Bismarcks strategische Bemühungen. Im Mai wurde
Wrangel des Oberkommandos enthoben und durch den Prinzen Friedrich Karl
ersetzt. Dadurch wurde der Weg endgültig frei, um mit der Wiederaufnahme von
Moltkes d.Ä. ursprünglichem Operationsplan in angepasster Form den Feldzug
zu einem siegreichen Abschluss zu bringen24.

b) Der Deutsche Krieg 1866

Der Deutsche Krieg von 1866 forderte von dem in seiner Position zwar we-
sentlich gestärkten, aber noch nicht über uneingeschränkte Autorität verfügen-
den Moltke d.Ä. bereits vor Kriegsausbruch Flexibilität im Umgang mit seinen
Truppenführern25. Der Befehlshaber der 2. Armee Kronprinz Friedrich Wilhelm
befürchtete ein Vorgehen der im Raum Olmütz stehenden österreichischen
Nordarmee unter dem Feldzeugmeister Ludwig August Ritter von Benedek auf
schlesisches Gebiet und beantragte unter Übergehung Moltkes d.Ä. bei seinem
Vater, Wilhelm I., weiter nach Osten an die Neiße vorrücken zu dürfen, sowie die
Verstärkung seiner Armee durch das Gardekorps. Damit stieß der Kronprinz eine
kurz zuvor von Moltke d.Ä. erlassene Direktive um und veranlasste diesen, seine
Disposition anzupassen26.

22
Pflug, Der Deutsch-Dänische Krieg, S. 74.
23
Craig, Die preußisch-deutsche Armee, S. 209, 211.
24
Besonders die Rolle Moltkes in Planung und Durchführung der Operation gegen Alsen
führte dazu, dass sein Prestige bei Wilhelm bedeutend stieg. Craig, Die preußisch-deutsche
Armee, S. 218, Fiedler, Taktik und Strategie der Einigungskriege, S. 189, 196.
25
Rosinski, Die deutsche Armee, S. 120 f.; Millotat, Das preußisch-deutsche Generalstabs-
system, S. 67; Craig, Die preußisch-deutsche Armee, S. 219 f.; Kriegstheorie und Kriegs-
geschichte, S. 885.
26
Die dadurch entstandene Lücke zur 1. Armee musste nach Ausbruch des Krieges wie-
der mühsam geschlossen werden. Drei Korps mussten unnötig belastet werden und weite
Strecken des bereits absolvierten Weges zurückmarschieren. Fiedler, Taktik und Strategie
der Einigungskriege, S. 202‑204.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 183

Nach einer ersten Phase der Ungewissheit, in der sich die Lagen andauernd
geändert hatten und Moltke d.Ä. verschiedene Feldzugsvarianten bereithalten
musste, brachte am 22. Juni die Nachricht vom österreichischen Vormarsch nach
Böhmen Gewissheit – ein Angriff auf Schlesien drohte nicht mehr. Nun folgte am
22. Juni 1866 die erste von Moltkes Direktiven, die nach denjenigen Prinzipien
gehalten war, die später mit Auftragstaktik umschrieben werden sollten. Die
Armeen des Kronprinzen (Armeeoberkommando 2) und des Prinzen Friedrich
Karl (Armeeoberkommando 1) sollten von Neiße und Görlitz aus »in Böhmen ein-
rücken und die Vereinigung in der Richtung auf Gitschin aufsuchen«27. Operativ
wurde ihnen dabei Spielraum eingeräumt, sodass Gitschin nicht unbedingt zu
erreichen sei, sondern je nach Lageentwicklung die Vereinigung der Kräfte nach
eigenem Ermessen auch andernorts erfolgen könne. Wesentlich sei dabei, dass die
Armeeoberkommandos die übergeordnete Absicht nicht aus den Augen verlören,
nämlich die Entscheidung mit vereinten Kräften zu suchen. Heikelster Punkt die-
ses Operationsplanes war der Vormarsch durch das Riesengebirge, wobei v.a. die
schwächere 2. Armee aus einem gefährlichen Engpass der Gebirgspässe heraus mit
ihren Korps auf drei Marschkolonnen getrennt vorrücken musste. Die 1. Armee
sollte deshalb rasch vorgehen, um zu verhindern, dass der Gegner sich mit allzu
großen Teilen auf die 2. Armee konzentrieren konnte. Prinz Friedrich Karl zog
es jedoch vor, den Vormarsch eigenmächtig zu verlangsamen und sogar einen
Rasttag einzuschieben, da er – trotz anders lautender Informationen aus Berlin –
glaubte, bereits eine stattliche österreichische Übermacht vor sich zu haben, und
deshalb zuerst seine eigenen Truppen aufschließen lassen wollte, sodass er mit
viertägiger Verspätung erst am 29. Juni in Gitschin ankam. In der Zwischenzeit
hatte die 2. Armee das schlesische Gebirge hinter sich gelassen und war wie
von Moltke d.Ä. befürchtet noch in den getrennten Korpsmarschkolonnen mit
dem österreichischen Angriff konfrontiert worden. Am 27. Juni mündeten die
Kämpfe bei Trautenau in eine taktische Niederlage der Preußen, wofür die schwa-
che Führung des Kommandierenden Generals des I. Armeekorps General der
Infanterie Adolf von Bonin ausschlaggebend war, der die Lage und insbesonde-
re das Gelände völlig unzureichend beurteilte. Die von Moltke d.Ä. angestrebte
Vereinigung beider Armeen wurde dadurch vorerst unmöglich geworden28.
Währenddessen hatte Prinz Friedrich Karl, der Moltkes Strategie grundsätz-
lich misstrauisch gegenüberstand, am 28. Juni sogar noch Zeit gefunden, im
Verbund mit der Elbarmee ein sich bereits zurückziehendes österreichisch-säch-
sisches Kontingent bei Münchengrätz anzugreifen29. Anstatt die übergeordnete
Absicht und das befohlene Ziel der Vereinigung beider Armee anzustreben, ließ
Prinz Friedrich Karl – obwohl der Zeitplan bereits arg überzogen war – nach
Westen abdrehen, um eigenmächtig einem taktischen Erfolg nachzueilen, der den
Operationsplan Moltkes d.Ä. erneut gefährdete30. Erst die in scharfem Ton gehal-
tenen Depeschen Moltkes und Wilhelms I. vom 29. Juni führten endlich dazu,
dass sich die 1. Armee ihren Weisungen entsprechend in Marsch setzte31.

27
MMW, IV/1, S. 55, 90. Vgl. auch MMW, II/2, S. 234 f.
28
Fiedler, Taktik und Strategie der Einigungskriege, S. 206‑208.
29
Ebd., S. 210 f.
30
Reid, Der Amerikanische Bürgerkrieg, S. 185.
31
Fiedler, Taktik und Strategie der Einigungskriege, S. 211.
184
Ghtm. xxxx Stettin
Oldenburg Bremen Pommern Deutscher Krieg 1866
Main
Königreich Preußen
KGR. Falkenstein
Amsterdam HANNOVER Preußens Verbündete
Provinz Brandenburg Posen
Htm. Kaiserreich Österreich
KGR. Hannover Berlin
Schaumburg- Posen
NIEDERLANDE Lippe i Potsdam

g
e Warschau
Österreichs Verbündete
Braunschweig hw
Ftm. sc Magdeburg KGR. PREUSSEN Polen
un
Westfalen Lippe Br a Neutrale
Ht m. xxxx Grenze des Deutschen Bundes
Essen Dortmund lt xxxx Lodz
Grenze KSR.
Göttingen Htm. Anha Elbe
RUSSLAND
Sachsen Bittenfeld
1. Schlacht
Elberfeld Ftm. Kassel Preußischer Feldzug
Waldeck
Halle Prinz Friedrich Karl
Reichen-
KGR. PREUSSEN sachsen Leipzig Görlitz geplanter Vormarsch
Aachen u Breslau
Köln Nassa Langensalza Dresden xxxx
KGR. KGR.
R h ei

Schlesien

III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit


- Eisenach Erfurt
BELGIEN SACHSEN 2.
n pr

Thüringische Staaten Chemnitz


o vi

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sse Kronprinz
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Münchengrätz von Preußen


s

Trautenau
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Plauen
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Neiße
Wiesbaden Frankfurt
Ghtm. Kissingen Gitschin Sadowa
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Mainz Königgrätz KGR.
.

Laufach Prag
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burg Htm GALIZIEN3


Gh

Luxemburg Darmstadt Aschaffenburg .


UND
Rossbrunn KGR. BÖHMEN
Mannheim Schlesien LODOMERIEN
Saarbrücken Pfalz
Metz (Bayern) Nürnberg Olmütz
Tauberbischofsheim
Lothringen Brünn
Karlsruhe
Nancy
KGR. BAYERN
Stuttgart
en

Strasbourg KGR.
Bad

WÜRTTEMBERG
KSR.
s

Ghtm.
Elsas

Augsburg
KSR. ÖSTERREICH Blumenau
FRANKREICH München KGR. UNGARN
Wien Pressburg

Belfort
Salzburg
Besançon Basel
Zürich
SCHWEIZ © ZMSBw
Quelle: Der große Ploetz Atlas, 2009, S. 141. 06971-04
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 185

Ein letztes Mal zeigte sich die eigenwillige Persönlichkeit des Prinzen Friedrich
Karl am 3. Juli in der Schlacht bei Königgrätz. Nachdem der Frontalangriff
der 1. Armee auf die Höhen jenseits der Bistritz im Feuer der österreichischen
Artillerie gescheitert war, sollte die Entscheidung mittels Flankenangriffen durch
die 2. und die Elbarmee erzwungen werden, die aber ebenfalls nicht zum Erfolg
führten. Die Lage war kritisch, drohte doch ein Vorgehen der österreichischen
Übermacht auf die 1. Armee. In dieser gefährlichen Situation entschloss sich
Moltke d.Ä., mit der 1. Armee eine Haltestellung zu beziehen, mit der mögli-
che österreichische Gegenangriffe am ehesten abgewehrt werden könnten. Prinz
Friedrich Karl, der um jeden Preis die Höhen gewinnen wollte, zog jedoch seine
Reserve, das III. Korps, nach vorne und befahl, erneut anzugreifen. Moltke d.Ä.
sah sich deshalb genötigt, persönlich in die Kampfführung einzugreifen. Er hob
den bereits erteilten Befehl auf und verhinderte so einen sinnlosen Angriff 32.
Letztlich hatte die Schlacht bei Königgrätz nicht die erhoffte Einkesselung und
Vernichtung des Gegners bringen können, »weil zwei von den drei Armeen sich
nicht an die Weisungen [Moltkes] halten zu müssen glaubten«33.
Es waren aber nicht allein die Armeeführer, die Moltke d.Ä. Schwierigkeiten
bereiteten. In der Schlacht von Königgrätz fiel z.B. der Kommandeur der 7. Divi-
sion Generalleutnant Eduard von Fransecky durch »unbesonnene[n] Vorwärts-
drang«34 auf. Er hatte den Auftrag erhalten, die Verbindung zwischen dem linken
Flügel der 1. und dem rechten Flügel der 2. Armee selbstständig sicherzustellen.
Dazu sollte erobertes Gebiet gesichert, nicht aber selbst vorgerückt werden. Als
nun Truppen des II. und IV. österreichischen Korps die direkt vor der Stellung der
7. Division gelegenen Höhen von Maslowed besetzen wollten, drängte Fransecky
diese zurück und provozierte damit einen massiven Gegenangriff beider Korps,
durch den die 7. Division fast vollständig vernichtet wurde35.
Auch auf dem mittel- und süddeutschen Kriegsschauplatz finden sich
Beispiele eigenmächtig handelnder Truppenführer. So war der preußische
Oberbefehlshaber des Feldzuges gegen Hannover, der inzwischen zum General
beförderte Vogel von Falckenstein, Moltkes Weisung nicht nachgekommen,
nach Ablauf des Ultimatums am 15. Juni die in Schleswig stehende Division von
General Edwin Frhr. von Manteuffel auf der Schiene über Hannover, Magdeburg

32
MMW, II/2: Memoire, S. 160; Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 404.
33
Müller-Loebnitz, Führerwille und Selbständigkeit, Sp. 1355. Vgl. auch Schack, Operative
Führungsprobleme, S. 671 f.; Altrichter, Der soldatische Führer, S. 134.
34
Fiedler, Taktik und Strategie der Einigungskriege, S. 215.
35
Durch den Angriff wurde die österreichische Verteidigungsfront nach Norden jedoch prak-
tisch offen gelegt. Zwar versuchten die Österreicher die Stellungen bei Chlum und Nedĕlišt
wieder zu beziehen, Teile der 2. Armee waren jedoch bereits eingebrochen. Die Aktion
des II. und IV. österreichischen AK bei Königgrätz belegt beispielhaft, dass selbstständi-
ges Handeln bzw. Eigenmächtigkeiten von Truppenführern auch auf österreichischer Seite
stattgefunden haben. Es handelt sich also nicht um ein ausschließlich preußisch-deutsches
Phänomen. Nach Müller-Loebnitz sei die österreichische Armee sogar »seit Maria Theresia
planmäßig zur Selbsttätigkeit erzogen« und der höchste österreichische Kriegsorden, der
Militär-Maria-Theresia-Orden, ausschließlich »für selbständiges Handeln ohne oder gegen
Befehl verliehen« worden. Dass der Orden für befehlswidriges Handeln verliehen wurde,
stimmt allerdings nicht, sondern vielmehr dafür, dass jemand handelte, um den Vorteil einer
Lage auszunützen, ohne dazu verpflichtet gewesen zu sein. Müller-Loebnitz, Führerwille
und Selbständigkeit, Sp. 1355; Stein, Österreichs Generale, S. 322 f., Anm. 1021.
186 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

und Halle nach Eisenach zu verschieben. Damit hätte die noch nicht einsatz-
bereite hannoverische Armee eingeschlossen und der Krieg mit einem unbluti-
gen Handstreich begonnen werden können. Wegen dieser Unterlassung konnten
sich die Hannoveraner – mittlerweile vollständig mobilisiert – am 21. Juni nach
Süden zurückzuziehen, wo sie sich mit den Bayern zusammenschließen wollten36.
Falckenstein durchkreuzte auch später noch den Gesamtplan Moltkes d.Ä., etwa
als er am 22. Juni die befohlene Verfolgung der hannoverischen Armee abbrach
und mit seiner Mainarmee auf Frankfurt vorrückte, obwohl Moltke d.Ä. zuvor
klar gemacht hatte, dass zuerst die Hannoveraner zur Kapitulation gezwungen
werden sollten. Nur mit Mühe gelang es Moltke d.Ä., durch den kurzfristigen und
raschen Einsatz anderer Verbände, die hannoverische Armee noch abzufangen37.
Dazu musste er jedoch direkt an die Falckenstein unterstellten Truppenführer
befehlen und zusätzlich Truppen entsenden38.
Eine diesbezüglich interessante Episode bildet das Handeln des Generalmajors
Adolf von Glümer am 21. Juni. Seine Brigade befand sich in Reichensachsen und
war durch eigene Aufklärung davon in Kenntnis gesetzt worden, dass sich die han-
noverische Armee aus Göttingen abgesetzt hatte und Richtung Süden marschierte.
Daraufhin beabsichtigte Glümer, am nächsten Tag gegen den sich zurückziehenden
Gegner vorzugehen. In dieser Situation erreichte ihn ein vom Generalstabsoffizier
der Division überbrachter Befehl, wonach die Brigade nicht nach Osten, son-
dern nach Norden vorzugehen habe, also in ein Gebiet, aus dem sich der Gegner
mittlerweile entfernt hatte. Glümer glaubte trotzdem, dem Befehl Folge leisten
zu müssen, obwohl er erkannte, dass die darin angeordnete Marschrichtung auf
einer überholten Lagebeurteilung basierte und deswegen falsch war39. Dass er sich
hier nicht durchringen konnte, die Verantwortung für einen Schritt zu überneh-
men, der sich wohl erheblich auf den Kriegsverlauf ausgewirkt hätte, brachte ihm
später Kritik ein40. Während das Beispiel Glümers von zu wenig entschlossenem
und selbstständigem Handeln im Sinne der Gesamtabsicht zeugt, illustriert das
Gefecht bei Langensalza genau das ins Gegenteil verkehrte andere Extrem. An der
Unstrut bei Langensalza, wo die hannoverische Armee eine Verteidigungsstellung
bezogen hatte, führte am 27. Juni ein preußisches Detachement unter dem Befehl
des Generals Eduard von Flies einen völlig sinnlosen Frontalangriff auf eine zahlen-
mäßig zwei zu eins überlegene, eingegrabene hannoverische Armee. Das Gefecht
– aus einem Erkundungsvorstoß entstanden – war nicht geplant und hatte für die
Preußen eine schmähliche Niederlage zur Folge41.
Während des gesamten Feldzuges von 1866 hatte Moltke d.Ä. immer wie-
der darum zu kämpfen, dass die Operationen nicht anders als von ihm ge-
plant verliefen. Ausschlaggebend dafür waren jedoch nicht die Bewegungen des

36
Fiedler, Taktik und Strategie der Einigungskriege, S. 226.
37
Falckenstein dürfte auch durch Bismarcks Depesche vom 19.6. zum raschen Vorgehen
auf Frankfurt angetrieben worden sein. Er hätte jedoch erkennen müssen, dass damit die
Gesamtabsicht unterlaufen wurde. Craig, Die preußisch-deutsche Armee, S. 220 f.; Craig,
Deutsche Geschichte, S. 18, 48‑50, 68 f.
38
Vgl. auch Altrichter, Der soldatische Führer, S. 135.
39
Poten, Adolf von Glümer, S. 400.
40
Vgl. Wengen, Kriegsereignisse zwischen Preußen und Hannover, S. 501.
41
Citino, Death of the Wehrmacht, S. 5; Fiedler, Taktik und Strategie der Einigungskriege,
S. 227.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 187

Gegners, sondern die durch Eigenwilligkeiten und abweichende Auffassungen


eigener Befehlshaber verursachten Friktionen. Auch übersteigerter Tatendrang
verschiedener Truppenführer – »ihr Durchgehen nach vorwärts«42 – erschwer-
te die Leitung der Operationen erheblich. Zwar rückten die taktischen und
Führungsfehler vor dem Gesamterfolg etwas in den Hintergrund, gleichwohl
analysierte Moltke d.Ä. die Fehler und Unstimmigkeiten des Feldzuges und stellte
in seinem Erfahrungsbericht von 1868 nicht ohne Selbstkritik fest:
»Ferner können wir uns nicht verhehlen, dass unser größter Fehler darin bestan-
den hat, dass die obere Leitung nicht bis auf die unteren Befehlshaberstellen
durchdringt. Sobald die Divisionen oder Brigaden an den Feind herangeführt
sind, hört oftmals jede Lenkung von oben auf 43.«
Die Hauptkritik richtete sich dabei nicht primär gegen das initiative und selbst-
ständige Handeln der Unterführer. Tatsächlich hätten »der innere Halt der Truppe«
sowie »die Einsicht der unteren Führer [...] die Leitung von oben ersetzt« und
»einzelne Bataillone, oft Kompagnien ganz verschiedener Regimenter [...] auf ei-
gene Hand die kühnsten Unternehmungen und die schönsten Kriegsthaten« voll-
bracht44. Solche Aktionen seien jedoch zufällig entstanden und hätten sich aus den
»völlig willkürlichen Abweichungen von der ein für allemal gegebenen Ordre de
Bataille und der daraus entstehenden Unmöglichkeit geordneter Befehlserteilung«
ergeben45. In diesem ohne äußere Notwendigkeit erfolgten voreiligen Abstreifen
erteilter Befehle lag für Moltke d.Ä. der Hauptfehler des Feldzuges von 1866 und
auch die größte Gefahr für eine zukünftige Operationsführung:
»Bei fast nur glücklichen Gefechten ist 1866 der Mangel an Leitung von oben,
das selbständige Handeln der unteren Kommandobehörden ohne erheblichen
Nachtheil geblieben; in einem neuen Feldzug könnte dies Gewährenlassen
von den bedenklichsten Folgen sein46.«
Die Beurteilung des Kriegsverlaufes von 1866 veranschaulicht eindrücklich
Moltkes Vorstellungen von der Strategie als einem »System der Aushilfen« und
des Vorranges taktischer Notwendigkeiten. Seine Aussagen verdeutlichen aber
auch, dass die Selbstständigkeit der Unterführer nicht als autonomer Wert an-
gesehen werden darf, sondern in den Rahmen des allgemeinen Operationsplanes
eingebettet werden muss. Nach dem Krieg sah sich Moltke d.Ä. deshalb veran-
lasst, den Truppenführern und Generalstabsoffizieren die Kriegserfahrungen in
Kriegsspielen, Stabsreisen, aber auch durch die kriegsgeschichtlichen Darstel-
lungen des Generalstabs sowie durch Dienstvorschriften zu vermitteln47. Durch die
intensive Verarbeitung des Krieges sollte dem Offizierskorps eine Einheitlichkeit
im Denken anerzogen werden, die verhinderte, dass das Heer in einem künftigen
Kriege mit den gleichen Problemen konfrontiert werden würde. Alles in allem ist
jedoch Wilhelm Müller-Loebnitz zuzustimmen, wenn er für den Krieg von 1866
verneinte, »dass dieses ›Auftragsverfahren‹ restlos befriedigend gearbeitet hätte«48.

42
MMW, II/2: Memoire, S. 93.
43
Ebd., S. 74 f.
44
Ebd., S. 75, 87.
45
Ebd., S. 75.
46
Ebd., S. 93.
47
Kessel, Moltke, S. 503, 506; Rosinski, Die deutsche Armee, S. 125.
48
Müller-Loebnitz, Führerwille und Selbständigkeit, Sp. 1355.
188 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

c) Der Deutsch-Französische Krieg 1870/7149

Auch im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 musste Moltke d.Ä. mit


Widrigkeiten kämpfen, die nicht ausschließlich vom Gegner verursacht waren.
Etwas überspitzt, im Kern jedoch zutreffend, urteilte Schlieffen: »Wenn man
die Ereignisse von 1870 verfolgt, stößt man Schritt für Schritt auf Fehler der
Unterführer50.« In der Tat konnte nicht einmal der als strategischer Umfassungs-
angriff gegen die französische Hauptmacht in Lothringen vorgesehene Feldzug
planmäßig eröffnet werden. Wie schon 1866 handelten die Armeeoberbefehlshaber
auch diesmal eigenmächtig und nicht im Sinne der Moltke’schen Absicht51. Der
Oberkommandierende der 1. Armee General Karl von Steinmetz hätte eigent-
lich mit seiner Armee die 2. Armee des Prinzen Friedrich Karl flankieren sol-
len, die der unterdessen zwischen Metz und der Saar aufmarschierten französi-
schen Hauptarmee von Marschall François Achille Bazaine gegenüber stand52.
Stattdessen ignorierte er Moltkes Direktiven in zweifacher Hinsicht: Zum ei-
nen rückte er nicht in den Raum Völklingen-Saarlouis, sondern drängte süd-
ostwärts Richtung Saarbrücken gegen den Feind vor – auf Marschrouten, die
für die 2. Armee vorgesehen waren53. Zum anderen unterblieb dadurch die von
Moltke d.Ä. geforderte Ruhepause für die von den schweren Märschen gezeich-
neten Truppen. Das ungestüme Vorgehen von Steinmetz warf fast den operativen
Gesamtplan Moltkes d.Ä. über den Haufen, da die Ausgangsstellung für den ei-
gentlichen Feldzug dadurch völlig durcheinandergeraten war. Steinmetz wurde
nach der Schlacht von Spicheren für sein eigenmächtiges Vorgehen von Moltke
und König Wilhelm I. gerügt, was ihn aber nicht davon abhielt, auch im späteren
Verlauf der Operationen seinen eigenen Feldzug zu führen54. Die 3. Armee han-
delte schließlich fahrlässig, indem sie den Aufmarsch verspätet begann und die
beabsichtigte Operationsführung dadurch ebenfalls gefährdete, da sie den längs-
ten Weg zurückzulegen hatte55.
Überhaupt waren die Grenzschlachten bei Wissembourg, Spicheren und
Woerth/Froeschwiller sowie die späteren Schlachten bei Colombey/Nouilly oder
Vionville/Mars-la-Tour meist weder von den Armeeoberbefehlshabern noch von
Moltke d.Ä. beabsichtigt gewesen, sondern letztlich von übereifrig auftretenden

49
Im Folgenden werden die Operationen bis zur Schlacht von Sedan untersucht, während die
Phase des »Volkskrieges« – der Feldzug gegen die französische Republik – nicht mehr be-
handelt wird. Für die Untersuchung des Mythos um die preußisch-deutsche Kriegführung
liegt dies nahe, da die erste Phase das Bild des Krieges in der zeitgenössischen deutschen
Wahrnehmung dominierte. Vgl. Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 422 f.;
Groß, Mythos und Wirklichkeit, S. 52.
50
Boetticher, Der Lehrmeister des neuzeitlichen Krieges, S. 280.
51
Vgl. Howard, The Franco-Prussian War, S. 89.
52
Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 410.
53
Fiedler, Taktik und Strategie der Einigungskriege, S. 242‑244; Reid, Der Amerikanische
Bürgerkrieg, S. 195; Wawro, The Franco-Prussian War, S. 108; Badsey, The Franco-Prussian
War, S. 36.
54
Wawro, The Franco-Prussian War, S. 146; Bernhardi, Technik und Kriegführung, S. 96.
Zur Kritik Moltkes an Steinmetz vgl. MMW, III/2, S. 149‑216.
55
Sie hätte zunächst das französische Heer im Elsass zurückwerfen und dann nach rechts
schwenkend die rechte Flanke der französischen Hauptmacht bedrohen sollen. Delbrück,
Die Politik verdirbt die Strategie, S. 33.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 189

Brigade-, Divisions- und Korpskommandeuren vom Zaun gerissen worden56. In


Folge dessen wurden sie nur improvisiert geführt und führten zu Misserfolgen
sowie zu übermäßig hohen Verlusten57. Bei Wissembourg warfen sich die preußi-
schen und bayerischen Truppen am 4. August 1870 überstürzt und ohne jede mi-
litärische Notwendigkeit auf den französischen Eckstützpunkt Schloss Geissberg,
was neben einem unbedeutenden Erfolg einen Verlust von 1500 Mann verur-
sachte und gleichzeitig mehreren französischen Bataillonen ermöglichte, sich zu-
rückzuziehen58.
Am 6. August 1870 ließ der Kommandeur der 14. Division Generalleutnant
Georg von Kameke einen »leichtsinnigen Angriff« auf die Spicherer Höhen aus-
führen, wo er die Nachhut des sich zurückziehenden französischen II. Korps
von General Charles Frossard vorzufinden glaubte59. Tatsächlich waren die
Aufklärungsmeldungen unvollständig und unterschätzten völlig die Stärke des
Gegners. Durchdrungen von einer »den allgemeinen preußischen Offensivgeist
noch übersteigernde[n] Leidenschaft« ließ Kameke seine zwei Brigaden vorrü-
cken und fand sich unvermittelt in eine Schlacht mit dem gesamten französischen
II. Korps verwickelt, die seine Truppen an den Rand der Vernichtung trieb60.
Erschwerend wirkte sich aus, dass die 14. Division – zugleich Spitzendivision
der 1. Armee – weiter ins gegnerische Gebiet vorgedrungen war, als dies von der
obersten Heeresleitung befohlen gewesen war, und sich deshalb allein auf wei-
ter Flur befand61. Aufgeschreckt durch Kanonendonner und Meldungen muss-
ten die Kommandeure des VII., VIII. und III. Korps zuerst hastig ihre Truppen
in Gewaltmärschen an das Gefechtsfeld heranbringen. Damit griffen sie in eine
Schlacht ein, für die es weder einen Plan noch eine Kampfidee gab und von der sie
wussten, dass sie dem Operationsplan der Heeresleitung zuwiderlief. Entsprechend
unkoordiniert griffen die preußisch-deutschen Truppen einzig ihrem Angriffsgeist
folgend gerade dort an, wohin sie der Gefechtslärm zufällig führte62.
Auch die am selben Tag bei Woerth und Froeschwiller entfachte Schlacht
war gegen den Willen der obersten Führung zustande gekommen63. Aus dem

56
Vgl. Howard, The Franco-Prussian War, S. 108.
57
Foerster, Das operative Denken Moltkes des Älteren, S. 30; Craig, Deutsche Geschichte,
S. 45.
58
Fiedler, Taktik und Strategie der Einigungskriege, S. 243 f.; Badsey, The Franco-Prussian
War, S. 37.
59
Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 48; Wawro, The Franco-Prussian War,
S. 110.
60
Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 47 f. Howard macht Kamekes »bull-headed
enthusiasm« verantwortlich für die draufgängerische Entscheidung. Howard, The Franco-
Prussian War, S. 91.
61
Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 47 f.
62
Gemäß Eberhard Kaulbach sei die Schlacht bei Spicheren sogar »die am wenigsten geplan-
te, gewünschte und gelenkte Schlacht des ganzen Feldzuges« gewesen. Zit. nach: Regling,
Grundzüge der Landkriegführung, S. 410; Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie,
S. 237. Nach Moltke waren zuletzt »drei kommandierende und drei Divisionsgenerale« in
diese Schlacht involviert. Von einem geordneten Kampf konnte keine Rede sein, da »die
Bataillone von fünf verschiedenen Brigaden untereinander gemischt« kämpften. MMW,
III/2, S. 158.
63
Nach Howard »like a workman whose clothes have been caught in the cogs of a machine«.
Howard, The Franco-Prussian War, S. 108.
190 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

Geplänkel von Vorposten entwickelte sich eigendynamisch und früher als vom
Armeeoberkommando 3 geplant eine verlustreiche Schlacht, in die schließlich
das V., XI. das bayerische I. und II. sowie das württembergische Korps invol-
viert waren64. Ähnlich wie Kameke bei Spicheren war es wieder ein Unterführer,
diesmal der Kommandierende General des V. Korps Generalleutnant Hugo von
Kirchbach, der ohne eingehend über die Lage informiert gewesen zu sein mitten
in die starken französischen Stellungen an der Sûre hinein angreifen und Woerth
einnehmen ließ, ohne dass dies vom Armeeoberkommando gefordert worden
oder durch die drohende Gefahr eines französischen Angriffs notwendig gewor-
den wäre65. Die Schlacht bei Woerth ist daneben auch ein Beispiel dafür, dass die
Friktionen des Krieges zuweilen das Handeln der eigenen Truppen beinhalten
!
und Truppenführer dadurch in unbeabsichtigte Situationen gezwungen werden
können. So war die zweite Division des XI. Korps – vom Gefechtslärm angezo-
gen – weiter vormarschiert, als vom Generalkommando befohlen worden war,
um den unter Feindbeschuss liegenden Vorposten des V. Korps zu Hilfe zu eilen.
Dabei überschritten fünf Kompanien der Division eigenmächtig die Sûre, weil
sie unter feindliches Artilleriefeuer geraten waren und dieses nicht passiv abwar-
ten wollten. Dadurch rissen sie wiederum weitere Kompanien mit sich, sodass
letztlich etwa eine halbe Brigade über den Bach ging und ein Gefecht initiierte,
das vom Kommandierenden General des XI. Korps Generalleutnant Julius von
Bose nicht gewollt war, in dessen Verlauf aber das ganze XI. Korps involviert
wurde. Die sich aus diesem Gefecht entwickelnde Umfassung des rechten franzö-
sischen Flügels wurde – obwohl sie sich »fast automatisch« entfaltete – ebenfalls
nicht von Bose geleitet, dem die Führung des Korps völlig aus der Hand geglitten
war. Vielmehr rissen einzelne Bataillone und Regimenter den Rest der zweiten
Division mit sich und leiteten damit die Bewegung des gesamten XI. Korps ein66.
Die ungeplanten Grenzschlachten hinderten Moltke d.Ä. nicht daran, an
seinem ursprünglichen Operationsplan festzuhalten, wenngleich mit gewissen
Umdisponierungen. Nach dem Abschluss des Aufmarsches am 9. August 1870
folgte der operative Rechtsschwenk auf Metz und Nancy, womit die inzwischen
voneinander getrennten französischen Armeen daran gehindert werden sollten,
sich wieder zu vereinigen. Dabei sollte die 2. Armee Metz südlich umgehen
und das Absetzen Bazaines nach Verdun verhindern. Auch diese entscheidende
Operation wurde von Moltke d.Ä. lediglich in Form einer Direktive befohlen,

64
Fiedler, Taktik und Strategie der Einigungskriege, S. 245‑247; Wawro, The Franco-
Prussian War, S. 123.
65
Wawro, The Franco-Prussian War, S. 123. Kirchbachs Entschluss waren allerdings kleinere
Scharmützel von Vorhutsverbänden und das davon beeinflusste Handeln seines Stabschefs
vorangegangen. Kirchbach selbst ließ sich am Morgen des 6. August seine bei Wissembourg
erlittene Verwundung neu verbinden, sodass er erst gegen 10 Uhr auf dem Gefechtsfeld
eintraf. Während seiner Abwesenheit hatte sein Chef des Stabes (Oberst Karl Wilhelm
von der Esch) den Abbruch des Vorpostengefechts bei Woerth kontrolliert. Als dabei im
Bereich des XI. und bayerischen II. AK Artilleriefeuer zu hören war, befürchtete Esch einen
beidseitigen französischen Flankenangriff auf das V. AK und entschloss sich, mit der ge-
samten Korpsartillerie die beiden Nachbarverbände zu unterstützen, was Kirchbach später
guthieß. Howard, The Franco-Prussian War, S. 109 f.; DiNardo, Southern by the Grace of
God, S. 1026.
66
Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 89‑91.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 191

die Prinz Friedrich Karl völlige Handlungsfreiheit zugestand und die taktisch-
operative Umsetzung seinem Urteil überließ67. Die 1. Armee wurde direkt auf die
Festung Metz angesetzt, während die 3. Armee unverändert nach Nancy vorrü-
cken sollte. Die Tuchfühlung zur französischen Südarmee von Marschall Patrice
de MacMahon war inzwischen jedoch verloren gegangen, sodass er sich hatte
nach Châlons zurückziehen können68.
Mitten in die laufende deutsche Umfassungsoperation platzte am 14. August
1870 bei Colombey/Nouilly wiederum eine von Moltke d.Ä. nicht vorgesehene,
von der Vorhut der 1. Armee erzwungene verlustreiche und letztlich nutzlose
Schlacht69. Dieses durch den Kommandeur der 26. Infanteriebrigade Generalmajor
Eduard Kuno Frhr. von der Goltz eigenmächtig begonnene Gefecht konnte die
Rückzugsbewegungen der französischen Rheinarmee nicht wesentlich behindern,
verzögerte hingegen den Vormarsch der eigenen Truppen nachhaltig und ließ
den erfolgreichen Ausgang der begonnenen Operation anfangs ungewiss erschei-
nen70. Diesbezüglich besonders interessant ist die Reaktion seiner Vorgesetzten.
Obwohl die Schlacht weder vom Divisions-, Korps- oder Armeeführer noch von
Moltke d.Ä. selbst beabsichtigt gewesen war und insgesamt über 4600 Mann
Verluste an Verwundeten und Toten einbrachte, wurde die Eigenmächtigkeit von
der Goltz’ von seinen Vorgesetzten nicht bestraft. Im Gegenteil interpretierte die
Heeresleitung den Ausgang der Schlacht als »operativ von größter Tragweite«71.
Moltke d.Ä. glaubte, dass durch diese Schlacht die Abmarschbewegungen des
Gegners gestoppt worden seien und es nun möglich geworden wäre, ihn flankie-
ren zu können. Von der Goltz wurde mit der Verleihung des Eisernen Kreuzes
(EK) 1. Klasse belohnt. Das Beispiel zeigt, wie nah Selbstständigkeit und Willkür
letztlich beieinander stehen und welche entscheidende Rolle der nachträglichen !
Beurteilung durch den Vorgesetzten zukommt. Es zeigt daneben auch, dass die
Ursachen für eigenständiges Handeln nicht immer in rein militärischen Gründen !
gesucht werden dürfen, sondern auch Ehrgeiz und Profilierungssucht eine erheb-
liche Rolle spielten. So hatte der Divisionskommandeur der 13. Infanteriedivision
und direkte Vorgesetzte von Goltz, der oben erwähnte und nunmehrige General-
leutnant von Glümer, am 6. August noch verhindert, dass Goltz in die Schlacht
von Spicheren eingreifen konnte. Eine gute Woche später wollte sich Goltz die
Gelegenheit auf Ruhmestaten nicht noch einmal entgehen lassen und suchte ent-
schieden den Kampf mit dem Gegner72.
Zwei Tage später, am 16. August 1870, stürzte sich von Alvensleben mit sei-
nem III. Korps bei Vionville/Mars-la-Tour, ohne über einen Befehl oder auch nur

67
Badsey, The Franco-Prussian War, S. 40 f. Allerdings musste Moltke im Verlauf dieser
Bewegung doch noch direkt in die Truppenführung eingreifen.
68
Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 411.
69
Moltke meinte: »Die Schlacht war ohne den Befehl, sie war gegen den Willen des Ober-
kommandierenden geschlagen, der Befehl sie abzubrechen nicht befolgt worden.« MMW,
III/2, S. 187. Siehe auch Fiedler, Taktik und Strategie der Einigungskriege, S. 248.; Wawro,
The Franco-Prussian War, S. 146.
70
Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 411; Poten, Eduard Cuno Freiherr von der
Goltz, S. 449; Der deutsch-französische Krieg, S. 32* (Anlage 5).
71
Schäfer, Landkriege, S. 360 (Zitat). Vgl. auch Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie,
S. 237; Wawro, The Franco-Prussian War, S. 146.
72
Poten, Eduard Cuno Freiherr von der Goltz, S. 449 f.
192 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

eine Direktive Moltkes zu verfügen, mit seinen völlig ausgemergelten Truppen


und mit nur wenig Unterstützung »kopfüber«73 in eine Schlacht gegen die ver-
sammelte französische Rheinarmee Bazaines74. Aufgrund unvollständiger Aufklä-
rungsergebnisse glaubte Prinz Friedrich Karl jedoch, dass sich der Gegner bereits
auf dem Rückzug in Richtung Maas befand. Trotz Weisung Moltkes d.Ä., nun,
nachdem die Schlacht einmal begonnen war, mit allen Mitteln nach Norden vor-
zugehen und Alvensleben zu unterstützen, rückte er deshalb mit dem Gros seiner
Armee nach Westen vor. Bei Vionville/Mars-la-Tour entwickelte sich die Schlacht
zu einem verzweifelten Abwehrkampf der zahlenmäßig massiv unterlegenen
Preußen, der in eine militärische Katastrophe zu münden drohte75. Während der
Schlacht griffen das X. und Teile des VIII. und IX. Korps unterstützend in das
Kampfgeschehen ein – wiederum nach eigenmächtig gefällten Entschlüssen der
Kommandeure76. Beim IX. Korps war es der Kommandeur des Spitzenregiments
Oberst von Schöning, der ohne sich mit dem Kommandierenden General
Albrecht von Manstein abzusprechen »auf den Kanonendonner losmarschiert«
war77. Erwähnenswert ist auch die Art und Weise, wie es zum Eingreifen des
X. Korps gekommen ist. Delbrück schildert diese Episode detailliert: Zum einen
war zufälligerweise ein Vordetachement des X. Korps auf demselben Weg wie
das III. Korps nach Mars-la-Tour vormarschiert. Der Kommandeur Oberst von
Lyncker zögerte nicht und griff ähnlich dem Spitzenregiment des XI. Korps mit
seinen zwei Bataillonen in die Schlacht ein. Zum anderen – und für Delbrück
entscheidend – war mit dem Stabschef des X. Korps und späterem Reichskanzler
Oberstleutnant Leo von Caprivi »zufällig einer der Lage gewachsen«78 und fähig, die
Aufklärungsergebnisse richtig zu interpretieren. Da das Armeeoberkommando 2
wie oben erwähnt glaubte, dass der Gegner sich bereits westwärts zurückgezogen
habe, sollte das X. Korps über Mars-la-Tour nordwestlich Richtung St. Hilaire
vorrücken. Anstatt nun aber das Armeeoberkommando davon zu überzeugen,
dass es von einer falschen Feindlage ausging und der Armeebefehl deshalb falsch
sei, entschied sich Caprivi für ein anderes Vorgehen. Es gelang ihm, seinen
Kommandeur – General Konstantin von Voigts-Rhetz – davon zu überzeugen,
dass das Gros der französischen Rheinarmee immer noch bei Vionville sein müs-

73
Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 175.
74
Wawro, The Franco-Prussian War, S. 152. Delbrück spricht explizit davon, dass vom Gen.
Kdo. X. AK und dem AOK 2 »falsch geführt wurde«, lobt aber Alvenslebens »taktische
Entschlossenheit«. Allerdings hatte Alvensleben zu diesem Zeitpunkt gar keine Alter-
native mehr als das Gefecht fortzuführen. Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie,
S. 174‑176, 202.
75
Badsey, The Franco-Prussian War, S. 42; Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 178.
76
Ausschlaggebend für diese Entschlüsse war nicht die Absicht eines übergeordneten
Befehlshabers, sondern vielmehr kameradschaftlich motivierte Hilfsbereitschaft. Delbrück
reiht solche Hilfestellungen in die »Tradition des preußischen Militärs« ein. Wie gesehen
hatte Moltke tatsächlich in den Verordnungen von 1868 solche gegenseitige Hilfe gefor-
dert und lobte die »aus selbständiger Entschließung hervorgehende, gegenseitig geleistete !
Hilfe« im Nachhinein als glänzende Eigenschaft, obschon sie hier und andernorts häufig
die Einheitlichkeit der Führung gefährdete. Schäfer, Landkriege, S. 360 (Zitat). MMW,
II/2: Verordnungen, S. 207; Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 237.
77
Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 237 f.; Der deutsch-französische Krieg,
S. 48*.
78
Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 179 (Hervorhebung im Original).
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 193

se und dass der Armeebefehl den Ansichten Caprivis entsprechend abzuändern


sei. So kam es, dass der Stabschef den Armeebefehl nach eigenen Ansichten um-
interpretierte und de facto völlig außer Kraft setzte79. Das Gros des X. Korps soll-
te nördlich Richtung Chambley vorrücken, während nur eine einzige Brigade
befehlsgemäß nach St. Hilaire in Marsch gesetzt wurde. Dabei war diese Brigade
bloß Bestandteil eines »Kompromissbefehls«, den Caprivi mit Voigts-Rhetz ein-
gehen musste und der vorgaukeln sollte, dass »der Form nach dem Befehl des
Oberkommandos« entsprochen wurde80.
Die Schlacht von Gravelotte und St.-Privat vom 18. August war die ers-
te wirklich planmäßig durchgeführte des Krieges. Selbst sie war von einem
»auffallende[n] Mangel an einheitliche[r] Führung«81 geprägt und zeigt auf ein-
drückliche Art und Weise die Grenzen von Moltkes d.Ä. Durchsetzungsfähigkeit
bzw. die Hilflosigkeit seinen höchsten Truppenführer gegenüber, die häufig nur
!
zum eigenen Nutzen handelten und zuweilen auch durch den preußischen König
protegiert waren. Um zu verhindern, dass der bislang sehr eigenwillig agieren-
de Steinmetz durch sein unbändiges Temperament die Gesamtoperation erneut
durchkreuzen konnte, teilte Moltke d.Ä. am 17. August das VIII. Korps der
2. Armee zu und wies Steinmetz eine Halteposition in der Nähe von Gravelotte
zu82. Als Steinmetz am Tag der Schlacht, dem 18. August, jedoch Kampflärm vom
links angelehnten IX. Korps hörte, befahl er der 1. Kavalleriedivision, dem VII.
und dem VIII. Korps, den stockenden Angriff zu unterstützen. Damit verstieß
er offen gegen Moltkes Befehle83. Der eigenmächtig begonnene Frontalangriff
lenkte zudem über einen dichten Waldstreifen direkt in die tief eingeschnittene
Manceschlucht hinein. Von dort musste gegen die erhöhten und stark befestigten
französischen Stellungen bei Point du Jour und Moscou vorgegangen werden,
was erhebliche eigene Verluste verursachte84. Der schlecht koordinierte Angriff
brachte es auch mit sich, dass die Unterführer die Situation auf eigene Faust zu
lösen versuchten, was dazu führte, dass die Verbände sich vermischten und es
zu einem unheilvollen Durcheinander kam. Letztlich gefährdete das ungezügelte
Vorgehen von Steinmetz erneut den Erfolg von Moltkes Schlachtplan, da er dem
konzentrierten, gleichzeitigen Angriff aller preußischen Verbände vorgriff und die

79
Delbrück hielt fest, dass es »trotz mancher die Eigenmächtigkeit verschleiernder Sätze [...]
klar [ist], dass die Disposition des Stabschefs des X. Korps sich erlaubt, den Armeebefehl von
Grund aus umzugestalten, indem sie von vier Infanteriebrigaden und der Korpsartillerie
nur eine Brigade dahin dirigiert, wo das Oberkommando der Zweiten Armee sie haben
will«. Ebd., S. 180.
80
Was Caprivi später nach Delbrück unumwunden zugegeben haben soll. Ebd., S. 181.
81
Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung, S. 4.
82
Wawro, The Franco-Prussian War, S. 164, 172. Das VIII. AK war dem AOK 2 zugewie-
sen, unterstand aber nach wie vor Steinmetz. Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie,
S. 217.
83
Zum einen wegen der missbräuchlichen Verwendung des VIII. AK. Zum anderen hatte
Moltke, nachdem er vom Gefecht des IX. AK wusste, an Steinmetz folgende Weisung
erlassen: »Das jetzt hörbare Gefecht ist nur ein partielles Engagement vor Vernéville und
bedingt nicht den allgemeinen Angriff der Ersten Armee.« Delbrück, Die Politik verdirbt
die Strategie, S. 231 (Hervorhebung im Original).
84
Der Angriff forderte ca. 6000 Mann Verluste, bei den Offizieren Ausfälle von 50 %.
Reid, Der Amerikanische Bürgerkrieg, S. 199; Badsey, The Franco-Prussian War, S. 45;
Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 232.
194 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

preußische Schlagkraft zersplitterte85. Den Franzosen ermöglichte er dadurch, die


preußischen Angriffe einzeln abzuwehren. Obwohl der Angriff zum Fiasko wur-
de, war Steinmetz nicht bereit, ihn abzubrechen. Vielmehr ließ er, als Bazaines
rechte Flanke gegen Abend zu wanken begann, die Reste des VIII. und des mitt-
lerweile eingetroffenen II. Korps nochmals gegen Point du Jour und Moscou an-
greifen86. Dieses Verhalten von Steinmetz kann nur als offene Herausforderung
an Moltke d.Ä. verstanden werden. Der im preußischen Hauptquartier als
Beobachter anwesende US-General Philipp Sheridan berichtete denn auch, dass
dieser ob des dreisten Vorgehens von Steinmetz völlig fassungslos war87.
Die wohl bekannteste Schlacht des Deutsch-Französischen Krieges, diejenige
von Sedan am 3. September, macht deutlich, wie stark die Frage nach Selbststän-
digkeit oder Willkür von der Sichtweise des Betrachters abhängt. So kann z.B. ar-
gumentiert werden, dass die Einschließung von MacMahons »Armée de Châlons«
in Sedan dem selbstständigen Handeln preußisch-deutscher Truppenführer zu
verdanken gewesen sei88. Tatsächlich hatte Moltke d.Ä. darauf verzichtet, die ge-
plante Einkesselung des Gegners bis in das letzte Detail zu befehlen, sondern be-
ließ seinen Unterführern Spielraum während der Schlacht89. Eine zeitgenössische
Aussage lässt vermuten, dass die in der Literatur angesprochene Selbstständigkeit !
im Rahmen des Operationsplans realiter wohl eher ein unkoordiniertes, cha-
otisches Vorgehen war. Gottlieb von Bismarck schildert eine Szene aus einem
Artilleriegefecht bei Illy nördlich von Sedan, die verdeutlicht, dass Moltkes Ab-
sicht der Einkesselung gar nicht bis auf die unterste Stufe durchgedrungen war:
»Da ich mich für meine Person in der Nähe des Chefs der linken Flügelbatterie
aufhielt, bemerkte ich, wie dieser, nachdem er lange und scharf durch das
Glas beobachtet hatte, den Kopf schüttelte und dann den nächsten Zugführer
herbeirief. ›Was ist denn das da drüben? Es schlagen seit einiger Zeit hin-
ter den rechten Flügelbatterien Granaten ein, und die sind doch nicht von
uns!‹ Als der Offizier durch den Feldstecher sah und die Achseln zuckte,
trug er ihm auf, bei der Nebenbatterie nachzufragen. Plötzlich rief er mir
zu: ›Sehen Sie es, Herr Kamerad, die rechte Flügelbatterie drüben protzt auf
und geht zurück, auch die nächste!‹ [...] ›Was soll denn das bedeuten? Die
beiden Batterien stehen wahrhaftig weiter rückwärts wieder im Feuer, und
der Pulverdampf fliegt nach der uns abgewendeten Seite aus den Rohren. Also
müssen sie Rückenfeuer kriegen! Aber zum Teufel von wem!‹ – Das sollten wir
bald erfahren. Der rechte Flügel der Artillerie der Maasarmee war es, Garde-
Batterien, die dort im Osten irgendwo standen. Folglich handelte es sich um
eine Einschließung! Von diesem umfassenden Angriffe der Armeen hatten wir
Infanteristen in der Front freilich keine Ahnung, ebensowenig [sic!] wie jener
Batteriechef 90.«

85
Siehe Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 220, 224; Wawro, The Franco-
Prussian War, S. 172 f.
86
Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 412; Fiedler, Taktik und Strategie der
Einigungskriege, S. 250; Wawro, The Franco-Prussian War, S. 183.
87
Wawro, The Franco-Prussian War, S. 172.
88
Z.B. Foerster, Das operative Denken Moltkes des Älteren, S. 30.
89
Wawro, The Franco-Prussian War, S. 226. Vgl. auch Delbrück, Masse gegen Qualität,
S. 332.
90
Bismarck, Kriegs-Erlebnisse, S. 137 f.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 195

Auf der anderen Seite scheint auch diese Schlacht wegen des eigenmächti-
gen Angriffs eines Unterführers früher als von Moltke d.Ä. beabsichtigt eröff-
net worden zu sein91. Der Kommandierende General des bayerischen I. Korps
General Ludwig von der Tann hatte mit seinem Korps bei Froeschwiller einen nur
sehr mittelmäßigen Eindruck hinterlassen und die Vorbehalte des preußischen
Kronprinzen den süddeutschen Waffenbrüdern gegenüber bestätigt92. In Sedan
glaubte er seine Ehre wiederherstellen zu müssen und ließ seine 2. Division am
1. September bereits um 4 Uhr früh in das stark verbarrikadierte Bazeilles hin-
ein angreifen93. Die völlig unvorbereiteten Bayern wurden von den Franzosen in
einen mehrstündigen blutigen Häuserkampf verwickelt und mussten – ganz auf
sich allein gestellt – unnötig hohe Verluste hinnehmen94. Zu diesem Zeitpunkt
war die von Moltke d.Ä. geplante Einkesselung des Gegners bei weitem noch
nicht beendet; im Gegenteil hatten die Spitzen des V. und XI. Korps gerade erst
begonnen, bei Donchéry die Maas zu überschreiten95. Selbst frühere Autoren
wie Freytag-Loringhoven stellten fest, dass es bis zur siegreichen Beendigung der
Schlacht »vielfach wechselnder Anordnungen von seiten Moltkes und mehrfach
seines unmittelbaren Eingreifens in die Armeeführungen bedurft« habe96.

d) Die Reichseinigungskriege, der Moltke-Mythos


und der Kult der Selbstständigkeit – eine Beurteilung

Die Gründe für das eigenmächtige Handeln der Befehlshaber in den deutschen
Einigungskriegen sind nicht einfach auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen,
da sie in einer Kombination aus verschiedenen Faktoren zu finden sind. Erstens
stand bei vielen Truppenführern an vorderster Stelle schlicht der Wunsch, sich
im Kriege auszuzeichnen. Zweitens herrschte wie in jeder hierarchisch geglieder-
ten, sich nach oben verengenden Organisation ein ausgeprägter Rivalitätsgedanke
unter den höheren Befehlshabern. Die Kombination beider Faktoren dürfte we-
sentlich dafür verantwortlich gewesen sein, dass Truppenführer verbissen eige-
nen taktischen Erfolgen nachhetzten, die ihnen vordergründig zwar zur Ehre
gereichten, damit gleichzeitig aber in Kauf nahmen, durch ihr Handeln die er-
folgreiche Durchführung des operativen Kriegsplanes zu gefährden. Steinmetz
war zu Beginn des Feldzuges 1870 z.B. deshalb auf den für die 2. Armee vor-
gesehenen Vormarschstraßen vorgegangen, weil er befürchtete, direkt auf die
Moselfestungen Thionville und Metz aufzulaufen, während Friedrich Karl »im
freien Felde Schlachten gewinnen könne«97. Ein weiteres Beispiel eines Truppen-
führers, der sich in erster Linie zu profilieren suchte, bildete das erwähnte Ver-

91
Howard, The Franco-Prussian War, S. 208; Wawro, The Franco-Prussian War, S. 213.
92
Vgl. Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 100‑102.
93
Der OB der nach dem 19. August neu gebildeten Maasarmee (Kronprinz Albert von
Sachsen) hatte den Aufbruch der Avantgarden erst auf 5 Uhr früh angesetzt. Delbrück,
Masse gegen Qualität, S. 341.
94
Wawro, The Franco-Prussian War, S. 213.
95
Die Vereinigung mit dem Gardekorps nördlich von Sedan gelang dem V. AK kurz vor
Mittag. Howard, The Franco-Prussian War, S. 211 f.
96
Freytag-Loringhoven, Feldherrngrösse, S. 175 f.
97
Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 38.
196 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

halten von der Goltz’ bei Colombey/Nouilly oder dasjenige Alvenslebens bei
Mars-la-Tour98. Drittens ist zu berücksichtigen, dass sich der Rivalitätsgedanke
bei einigen Befehlshabern in eine offene Ablehnung gegenüber Vorgesetzten
– insbesondere aus dem Generalstab – steigerte und deshalb in unverblümten
Ungehorsam ausarten konnte. Die bei einigen sogenannten Frontoffizieren vor-
herrschende Verachtung für die »Federfuchserei«99 der »Schreibtischoffiziere« im
Generalstab zieht sich als Konstante bis in den Zweiten Weltkrieg hinein und
dürfte mitunter eine entscheidende Rolle für eigenmächtiges Handeln gespielt
haben100. Anscheinend hatte dies bereits lange Tradition. Generalleutnant a.D.
Wilhelm Marx wies auf entsprechende Aussagen des ehemaligen Feldpredigers
beim Gardekorps und späteren Hofpredigers Bernhard Rogge hin, wonach in den
Kriegen 1866 und 1870/71 »die Stäbe im Kriege weniger den Österreicher oder
Franzosen, als die vorgesetzte Dienststelle als ihren Feind betrachtet hätten«101. So
lässt sich das störrische Verhalten Falckensteins 1866 darauf zurückführen, dass
er die seiner Ansicht von Strategie widersprechenden Ideen Moltkes d.Ä. nicht
teilte und die Art der Führung dieses »grauen Theoretikers, der nicht einmal eine
Kompanie geführt hatte«102 ablehnte. Falckensteins ständiges Aufbegehren gegen
Moltke d.Ä. und das regelmäßige Ignorieren des übergeordneten Feldzugsplanes
führten schließlich zu seiner Abberufung vom Oberkommando103. Auch
Steinmetz lehnte 1870 den »Stubengelehrten« Moltke als Vorgesetzten ab und
widersetzte sich seinen Befehlen104. Neben seiner Überforderung als Armeeführer
dürfte dies einer der Hauptgründe für seine Ablösung als Oberkommandierender
der 1. Armee gewesen sein105. Das Renommee und der Einfluss von Moltke d.Ä.
hatten sich jedenfalls erst im Lauf der Einigungskriege etablieren können, wes-
halb seine direkten Unterführer häufig machten, was sie für richtig hielten, und
Moltke d.Ä. erst die vollendeten Tatsachen meldeten106.
Ein vierter Faktor lag in der Kombination eines ungestümen Angriffsgeistes
mit der Vorstellung, dass der Wille allein ausschlaggebend für Sieg oder Niederlage

98
Vgl. auch Wawro, The Franco-Prussian War, S. 152.
99
Görlitz, Der deutsche Generalstab, S. 91.
100
Vgl. Hobohm, Soziale Heeresmißstände, z.B. S. 247; Demeter, Das deutsche Offizierkorps,
S. 52; Reuth, Rommel, S. 188; Münkler, Die Deutschen und ihre Mythen, S. 292.
101
Marx, Die entschwindende Führerromantik, Sp. 1055. Diese »Feindschaft« habe schon in
den Befreiungskriegen bestanden.
102
Schlieffen, Gesammelte Schriften, Bd 1, S. 91.
103
Fiedler, Taktik und Strategie der Einigungskriege, S. 226‑228. Siehe auch Delbrück,
Langensalza, S. 34.
104
Reid, Der Amerikanische Bürgerkrieg, S. 200; Fiedler, Taktik und Strategie der Einigungs-
kriege, S. 231, 252, Anm. 49; Wawro, Franco-Prussian War, S. 194. Stumpf erwähnt,
dass Steinmetz’ ablehnende Haltung auch darauf zurückzuführen sei, dass dieser älter als
Moltke war. Kriegstheorie und Kriegsgeschichte, S. 941.
105
Die Überforderung als Armeeführer dürfte mitunter auch auf das hohe Alter zurückzufüh-
ren sein. Delbrück stellte bezogen auf seine »gesundheitliche Qualifikation«, also seine geis-
tige Gesundheit, lapidar fest: »Dass Steinmetz nicht normal war, wissen wir.« Ein andermal
bezeichnet er ihn als »irren und tauben Greis«. Auch den geistigen Gesundheitszustand
Voigts-Rhetz’ (X. AK) stellte Delbrück infrage. Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie,
S. 35 f., 188 f., 232.
106
Citino, Quest for Decisive Victory, S. 20.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 197

sei. In dieser Weise äußerte sich z.B. Prinz Friedrich Karl in einem Schreiben an
den Kommandeur der 5. Division:
»Ich besinne mich, dass ich auf jener Höhe (am Bois de Vionville) in dem
Sinne zu Ihnen sprach, dass nach meiner Meinung eine Bataille, also auch
die von Vionville, nur verloren werden könne, wenn man das Kämpfen auf-
gebe. Derjenige werde Sieger bleiben, der am längsten die Contenance, den
Willen zum Siege behalten würde, und ich hoffte persönlich zäher zu sein als
Bazaine107.«
Dieses Offensivdenken war wie gezeigt bereits in den Verordnungen von 1869
gefordert worden und entsprach insofern den normativen Erwartungen. In der
Realität führte dies jedoch dazu, dass Truppenführer im Felde dazu neigten, die
Risiken für die Gesamtkriegführung auszublenden und übereilte Vormärsche,
aggressive Aufklärungsritte oder ungünstige und zuweilen bizarre Angriffe zu be-
fehlen, die nicht immer im Einklang mit der obersten Führung standen und viel-
fach unnötig hohe Verluste mit sich brachten108. Wilhelm I. kritisierte denn auch,
»dass seine höheren Offiziere alles vergessen zu haben schienen, was sie bei den
Manövers gelernt haben und wie toll darauf losgegangen wären«, und befürchte-
te, dass die Armee »ein solches Schlachten [...] nicht lange aushalten« würde109.
In der Allerhöchsten Ordre vom 21. August 1870 anerkannte er deshalb zwar das
»brave Vorwärtsstürmen der Infanterie, welcher bisher keine Aufgabe zu schwie-
rig erschien«, ermahnte seine Offiziere aber gleichzeitig, von ihrer »Intelligenz«
Gebrauch zu machen und »dieselben Erfolge künftig mit geringeren Opfern zu
erreichen«110.
Fünftens – meines Erachtens entscheidend – ist zu beobachten, dass sich
die vom Denken Scharnhorsts geprägte Grundidee, wonach ein Truppenführer
in jeder Lage selbstständig und den aktuellen Umständen entsprechend – aber
durch die Disziplin sich dem Rahmen des Ganzen unterordnend – zu handeln
habe, im Verlaufe der Zeit einer irrigen Auffassung von Selbstständigkeit gewi-
chen war111. Diese auf übersteigertem Selbstbewusstsein fußende und zuweilen an
Überheblichkeit grenzende Ansicht zeigt sich beispielsweise in einem bereits 1860
geschriebenen Essay des Prinzen Friedrich Karl:
»Überhaupt scheint mir [...] auch in den preußischen Offizierkorps [...] ein
ungewöhnlicher Sinn nach Unabhängigkeit von Oben und ein auf sich neh-
men der Verantwortlichkeit, wie in keiner anderen Armee, [sich] herangebil-
det zu haben [...]
Auch auf unsere Schlachtentaktik hat diese Sinnesart unbestreitbar Einfluss
geübt. Die preußischen Offiziere vertragen nicht die Einengung durch Regeln
und Schema wie in Russland, Östreich [sic!], England [...] Wir lassen [...]

107
Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 198.
108
Die ersten zwei Kriegsmonate von 1870 hatten auf deutscher Seite bereits 50 000 bis
70 000 Mann Verluste verursacht. Grundzüge der deutschen Militärgeschichte 1, S. 186
(Beitrag Ostertag); Fiedler, Taktik und Strategie der Einigungskriege, S. 250.
109
Delbrück, Masse gegen Qualität, S. 263.
110
Zit. nach: Freytag-Loringhoven, Die Exerzier-Reglements für die Infanterie, S. 35.
111
Fiedler, Moltke und das Auftragsverfahren, S. 13. Vgl. auch die Aussage Friedhelm Kleins,
der in diesem Zusammenhang auf den »unbedingte[n] Wille[n] zu eigenständigem, wenn
es sein muss auch widerständigem Handeln als integralem Element« preußisch-deutscher
Heerführer hinweist. Klein, Aspekte militärischen Führungsdenkens, S. 13.
198 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

dem Ingenium des Einzelnen freieren Lauf, treiben die Kunst laxer und un-
terstützen jeden Erfolg selbständig selbst da, wo es gegen die Absichten eines
Oberfeldherrn, wie Wellington, gewesen sein würde, der da verlangte, dass er !
jederzeit über jede Truppe freie Disposition haben müsse. Das kann man aber
nicht, wenn die Unterbefehlshaber ohne Wissen und Willen des Oberen sich
in Unternehmungen in eigene Hand einlassen, wie bei uns, und alle Vortheile
ausbeuten112.«
Diese Aussage Friedrich Karls wird in der Forschungsliteratur gerne als frühe
Umschreibung des Kerns der Auftragstaktik genommen113. Deutlich lassen sich
darin die Elemente der Entschlossenheit und des Offensivdenkens erkennen,
wenn Friedrich Karl die Verantwortungsfreude sowie die selbstständige Aus-
nutzung örtlicher Erfolge und Vorteile als deutsche Eigenart bezeichnet. Auch
betonte er das Element des Urteilsvermögens, wenn er die »Einengung durch
Regeln und Schema« ablehnte. Hingegen fehlen die Elemente des Gehorsams,
der Einheitlichkeit sowie das durch den Führungsvorgang vorgegebene Handeln
im Sinne der Absicht völlig. Vielmehr schloss nach Ansicht Friedrich Karls
die deutsche »Kunst« mit ein, dass Unterführer »ohne Wissen und Willen des
Oberen« handelten und Erfolge auch »gegen die Absichten eines Oberfeldherrn«
ausnutzten. Unbestritten bleiben dabei die Vorteile mitdenkender Unterführer
für die erfolgreiche Kriegführung. An die Stelle der Gesamtidee des Feldherrn
trat bei Friedrich Karl jedoch die unbedingte Selbstständigkeit der nachgeord-
neten Befehlshaber, die sich in der Betonung der »Unabhängigkeit von oben« !
manifestierte. Dadurch erhielt die Selbstständigkeit der Unterführer Vorrang
vor den Absichten der obersten Heeresführung und der taktische Erfolg vor Ort
wurde zum ausschlaggebenden Kriterium. Dies bedeutete das Ende jeglicher !
Lenkung, weil ein eigentlich verbindlicher Operationsplan unter dem Primat
der Selbstständigkeit der Unterführer zwingend scheitern musste, da diese dann
Aufträge eigenmächtig umdeuteten oder ihnen entgegen handelten. Ohne straf-
fe Führung und einheitliche Leitung drohte »ein Chaos von Handlungen und
mit ihm die Katastrophe«114. Die Erfahrungen der Einigungskriege hatten denn
auch erhebliche Schwächen in der »Führungsform der Weisungen«115 aufge-
zeigt. Moltke d.Ä. selbst war sich dieses Problems durchaus bewusst. Aus seinen
Werken wird ersichtlich, dass er der Selbstständigkeit der Truppenführer gegen-
über ambivalent eingestellt war und die Gefahren wahrgenommen hatte, die sich
für die übergeordnete Führung daraus ergeben konnten. So forderte er in seinen

112
Essay des Prinzen Friedrich Karl von Preußen »über Entstehung und Entwicklung des
preußischen Offiziergeistes, seine Erscheinungen und Wirkungen«, zit. nach: Demeter,
Das deutsche Offizierkorps, S. 254 f. (Hervorhebung im Original).
113
Z.B. bei: Oetting, Auftragstaktik, S. 112; Caspar/Marwitz/Ottmer, Tradition in deutschen
Streitkräften, S. 171 (Beitrag Caspar); Uhle-Wettler, Auftragstaktik, S. 134; Stein, Führen
durch Auftrag, S. 5 f.; Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 41 f. Dabei darf allerdings
nicht vergessen werden, dass Prinz Friedrich Karl letztlich ein nicht einfach zu führender
Truppenführer war und seine Denkschrift gemäß Karl Demeter »als eine in historisches
Gewand gekleidete Selbstverteidigung des Prinzen gegen seine Widersacher aufzufassen«
ist. Demeter, Das deutsche Offizierkorps, S. 14, Anm. 28.
114
Szczepanski, Grenzen der Initiative, S. 406.
115
Altrichter, Der soldatische Führer, S. 135.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 199

»Bemerkungen über Veränderungen der Taktik« von 1858 für das Gefecht initi-
ative Offiziere:
»Auf dem Exerzirplatz ist die präzise Ausführung des Kommandoworts
Hauptsache. Der Regimentskommandeur hält vor der Front. Der Bataillons-
kommandeur sieht nach seiner Degenspitze.
Auf dem Manöverfelde gilt es eine allgemeine Anweisung zweckmäßig
und rechtzeitig zur Ausführung zu bringen. Der Blick ist auf den Feind und
das Terrain gerichtet. Der Führer hält hinter der Front, er wartet nicht auf
Befehle, sondern führt aus, was der Augenblick gestattet, und aus eigenem
Entschluss116.«
Wie gesehen erkannte Moltke d.Ä. nach der Auswertung der Kriegserfahrungen
von 1866 den Hauptfehler jedoch darin, dass der Wille der oberen Führung viel-
fach nicht bis ganz nach unten durchgedrungen war. In den Gefechten habe es
deshalb häufig keine einheitliche Leitung gegeben. Die Kampfmoral der Truppe
und das eigenverantwortliche Handeln der Unterführer hatten die fehlende
Einheitlichkeit der Handlung bis zu einem gewissen Grad zwar ausgleichen kön-
nen. Dies hatte sich letztlich – so die Einschätzung Moltkes – aber nur wegen
des Unvermögens des österreichischen Gegners nicht nachteilig ausgewirkt117.
Moltke d.Ä. hielt deshalb fest, dass »für die Zukunft [...] ein direktes Eingreifen
der obersten Leitung während der Schlacht unbedingt notwendig« sei118.
Gleichwohl blieb die selbstständige Ausführung eines Auftrages durch die be-
treffenden Führer für Moltke d.Ä. oberstes Prinzip, an dem er für gewöhnlich fest-
zuhalten bereit war. Wie gesehen brachte er dies bereits in den Verordnungen von
1869 klar zur Geltung. Die Forderung, nicht mehr zu befehlen als nötig und nicht
weit voraus zu disponieren, bilden dabei den Kern seines operativen Denkens.
Gleichzeitig betonte er aber auch, dass die Freiheit des Truppenführers zum selbst-
ständigen Entschluss und Handeln nur innerhalb seines Verantwortungsbereiches,
d.h. im Rahmen seines Auftrags, statthaft sei119. Es kann also keine Rede da-
von sein, dass Moltke d.Ä. vorbehaltlos das betrieb, was später als »Moltkesche
Kriegskunst«120 oder »Moltke’s system«121 gepriesen werden sollte – selbst er griff
zuweilen direkt und entschieden in die operative Führung ein, wenn er dies für
nötig hielt. Dies kommt sogar in seiner populären Geschichte des deutsch­französi­
schen Krieges zum Tragen, die ansonsten nicht gerade für eine besonders kritische
Sichtweise steht. Im Zusammenhang mit dem operativen Rechtsschwenk auf Metz
und Nancy Mitte August 1870 bemerkte Moltke d.Ä. darin:
»Beschränkte sich die obere Heeresleitung in der Regel nur allgemeine
Direktiven zu geben, deren Ausführung den Armeekommandos überlas-
sen blieb, so wurde es doch als nöthig erachtet, unter den augenblicklichen
Verhältnissen die Bewegungen der einzelnen Korps durch direkte Befehle ein-
heitlich zu leiten122.«

116
MMW, II/2, S. 40 f.
117
Siehe MMW, II/2: Memoire, S. 74 f.
118
Zit. nach: Müller-Loebnitz, Führerwille und Selbständigkeit, Sp. 1431.
119
Siehe MMW, II/2: Verordnungen, S. 180.
120
Delbrück, Masse gegen Qualität, S. 288.
121
Wawro, Warfare and Society, S. 84.
122
Moltke, Geschichte des deutsch-französischen Krieges, S. 28. Wie gesehen hatte Moltke
1866 bei Falckenstein auf dem süddeutschen Kriegsschauplatz und bei Prinz Friedrich Karl
200 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

Die Selbstständigkeit der Unterführer stand folglich nicht über allem ande-
ren. Ironischerweise wurde die deutsche Überlegenheit von zeitgenössischen
Beobachtern gerade in der »sozusagen offiziell [...] anerkannte[n] und obligato-
rische[n] Selbständigkeit der Unterführer im Kriege« sowie in der »Unabhängigkeit
des Denkens und [der] Freiheit des Handelns [...], vom Kommandierenden
General bis hinab zum letzten Unteroffizier« ausgemacht123. Dies war nahelie-
gend, da die preußisch-deutschen Feldzüge von außen betrachtet praktisch
reibungslos verlaufen waren. Die tatsächlich vorhandenden Schwierigkeiten
innerhalb der Operationsführung konnten von Außenstehenden auch kaum
wahrgenommen wurden. Als Folge davon wurde nach Müller-Loebnitz »die
Selbständigkeit der Unterführer und das daraus entsprungene Auftragsverfahren
zum Axiom der deutschen Strategie und Taktik« gemacht124. In dieser Vorstellung
liegen die Wurzeln für den späteren Moltke-Mythos, die zwar der sicherlich
»überlegene[n] Führungsweise« Moltkes d.Ä. Rechnung trug, seine Vorbehalte
und die von einer zu selbstständigen Unterführerschaft ausgehenden Gefahren
für die Operationsführung eines Feldzuges aber ausblendete125. Dies sollte
ausschlaggebend und verheerend die weitere Entwicklung der Auftragstaktik
und das Selbstverständnis deutscher Militärs beeinflussen, denn die mit der !
Selbstständigkeit verbundenen Probleme wurden nahezu völlig ausgeklammert126.
Die Folge davon war eine Überhöhung der Selbstständigkeit der Unterführer zu-
lasten der Führung und Koordination eines Feldzuges durch die oberste Leitung.
Der »Kult der Selbständigkeit« setzte erst nach Moltkes Zeit als Generalstabschef
ein und führte letztlich dazu, dass Auftragstaktik praktisch mit selbstständigem,
von der obersten Führung losgelöstem Handeln gleichgesetzt wurde127. Dieser
Problematik muss deshalb so viel Bedeutung zugemessen werden, weil das An-
sehen Moltkes d.Ä. als Feldherr und Persönlichkeit, seine Führungsgrundsätze
sowie der Nimbus der erfolgreichen Feldzüge der deutschen Einigungskriege
die Vorstellungen deutscher Offiziere über Kriegführung bis in den Zweiten
Weltkrieg hinein prägten128. Besonders deutlich tritt etwa die Tendenz hervor,

in Königgrätz eingreifen müssen, ebenso in Gravelotte 1870 oder diverse Male bei Stein-
metz. Vgl. auch Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 401; Rosinski, Die deutsche
Armee, S. 125.
123
Woide, Die Ursachen der Siege, Bd 1, S. 5 (Hervorhebung im Original); Sidney Whitman,
Imperial Germany. A Critical Study of Facts and Character, London 1889, zit. nach:
Doepner, Bundeswehr und Armeereform, S. 67.
124
Müller-Loebnitz, Führerwille und Selbständigkeit, Sp. 1432.
125
Fiedler, Moltke und das Auftragsverfahren, S. 13 (Zitat). Dabei trugen ironischerweise
die planwidrigen Anfangsschlachten 1870 wesentlich dazu bei, dass der Mythos von der
überragenden preußisch-deutschen Kampfführung entstehen konnte. Zwar waren die-
se Schlachten noch nicht kriegsentscheidend, hatten aber doch bereits die Kriegswende
eingeleitet.
126
Immerhin räumte sogar Vojde ein, dass die Selbstständigkeit der Truppenführer im Krieg
1870/71 »bisweilen etwas anmaßen[d]« gewesen sei. Woide, Die Ursachen der Siege, Bd 1,
S. 5.
127
Knox, Erster Weltkrieg und Military Culture, S. 292 (Zitat); Szczepanski, Grenzen der
Initiative, S. 405 f.
128
Zunächst durch die Vorschriften aus seiner Zeit als Generalstabschef, dann durch die
ab 1892 vom Großen Generalstab herausgegebene Reihe »Moltkes Militärische Werke«.
Daneben beleuchteten unzählige Autoren das Wirken und Denken Moltkes als Feldherr
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 201

seine strategischen und operativen Überlegungen zu verabsolutieren und daraus


nahezu axiomatische Gesetzmäßigkeiten abzuleiten129.
Dabei tritt auch ein »Mechanismus der Legendenbildung«130 zum Vorschein.
Nicht zuletzt hatte sich Moltke d.Ä. selbst darum bemüht, dass das Bild der
Armee nach dem gewonnenen Krieg von 1870/71 positiv ausfiel131. Die von der
Kriegsgeschichtlichen Abteilung des Großen Generalstabs herausgegebene of-
fizielle Darstellung des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 vermied jegli-
che negative Auslegung des Kriegsgeschehens und bestärkte das vorherrschende
Überlegenheitsgefühl132. Delbrück kritisierte das Generalstabswerk deshalb als
»Heldenepos«, das an die Sprache Homers angelehnt sehr ausschmückend davon
spreche, »dass 1870 alle Stellen unseres Heeres [...] von Männern eingenommen
wurden, die mit sicherem Griff immer das Richtige taten«133. Wenn immer das
Generalstabswerk – so Delbrück weiter – »von dem Befehl eines Generals an einen
nachgeordneten Führer berichtet«, werde »regelmäßig« hinzugefügt, »dass dieser
schon im Begriff gewesen sei, aus eigener Erkenntnis und eigenem Entschluss jene
Operation auszuführen«. Auf diese Weise schien der Nimbus Moltkes d.Ä. auch
auf seine Truppenführer. Dass sich dieses überzeichnete Bild bewahren konnte,
zeigt sich z.B. im Handbuch der neuzeitlichen Wehrwissenschaften von 1936. Darin
wurde betont, dass »die Truppenführer [...] mit ihren selbständigen u. einer hohen
Verantwortungsfreudigkeit entspringenden Entschlüssen der operativen Leitung
vorbildlich in die Hand gearbeitet« hätten, wohingegen auf der französischen
Seite »Tatenlosigkeit« und »Unentschlossenheit« geherrscht haben134.
Abschließend kann konstatiert werden, dass Moltke d.Ä. trotz gewis-
ser innerer Vorbehalte an der Selbstständigkeit seiner Unterführer festhielt.
Dies mag erstaunen, wenn man sich noch einmal seine Auswertungen der
Kriegserfahrungen von 1866 in Erinnerung ruft. Nach dem häufig eigenmäch-
tigen Handeln durch Unterführer hätte Moltke d.Ä. seine Autorität als Chef des
Großen Generalstabs nach diesem Krieg sicherlich dazu einsetzen können, die
Zügel straffer zu ziehen und zentraler zu führen135. Dies tat er allerdings nicht

und Erzieher, wie z.B. Seeckt, Kessel, Fritz von Lossberg, Ludwig oder Cochenhausen.
Vgl. Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 406; Groß, Mythos und Wirklichkeit,
S. 29 f.
129
Was dazu führte, dass sowohl im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg versucht wur-
de, Frankreich durch ein überdimensionales Sedan zu besiegen. Manstein hat sich z.B.
beim »Sichelschnittplan« auf Moltke berufen. Siehe Vortragsnotiz Generalleutnant von
Mansteins vom 19.1.1940 in: Jacobsen, Dokumente zur Vorgeschichte des Westfeldzugs,
S. 146. Vgl. auch Foerster, Das operative Denken Moltkes des Älteren, S. 25.
130
Moltke. Vom Kabinettskrieg, S. 237.
131
Auch das Generalstabswerk über den Deutsch-Dänischen Krieg 1864 gab nach der von
Moltke befohlenen Überarbeitung das Bild eines perfekt abgelaufenen Feldzuges wieder.
Vgl. Epkenhans, Die preußisch-deutsche Armee, S. 19 f.
132
Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 423. Dies gilt erst recht für die von Moltke
1887/88 selbst geschriebene »volkstümliche« Fassung: Moltke, Geschichte des deutsch-
französischen Krieges. Vgl. Kessel, Moltke, S. 689 f.; Kriegstheorie und Kriegsgeschichte,
S. 939; Moltke. Vom Kabinettskrieg, S. 236 f.
133
Delbrück, Die Politik verdirbt die Strategie, S. 244. Dort auch das Folgende.
134
Schäfer, Landkriege, S. 361. Tatsächlich bewirkten die französischen Fehler, dass die
Mängel auf preußisch-deutscher Seite keinen allzu negativen Effekt hatten.
135
Vgl. Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung, S. 2.
202 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

– und gerade darin zeigt sich, dass er der Selbstständigkeit der Unterführer
doch weitestgehend Vertrauen schenkte. Auch hier ging es zunächst einmal da-
rum, die Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Natürlich forderte die
Dezentralisierung der Führungsverantwortung einen hohen Preis. Die preußisch-
deutschen Armeen bezahlten in den Einigungskriegen – und auch später – für !
Draufgängertum und Improvisationen u.a. mit immensen personellen Verlusten.
Auf der anderen Seite resultierten aus diesem Führungsverständnis Flexibilität
und Verantwortungsfreudigkeit, die es ermöglichten, rascher und adäquater auf
die Friktionen des Krieges zu reagieren, als dies in einem zentralisierten, schwer-
fälligen System je möglich gewesen wäre.

2. Auftragstaktik im Ersten Weltkrieg 1914‑1918

Die Betrachtungen der deutschen Einigungskriege haben nachdrücklich vor Augen


geführt, dass es sich bei den Beispielen initiativen Handelns von Truppenführern
vielfach nicht um Auftragstaktik, sondern um Eigenmächtigkeiten gehandelt
hat. Die »Grenzen der Selbsttätigkeit«136 waren allzu häufig überschritten, die
Einheitlichkeit der Operationen immer wieder durch rücksichtslose, ehrgeizige
oder übermütige Unterführer gefährdet worden. Wie Leistenschneider richtig fest-
stellte, fehlte noch »eine Führungskonzeption, auf die sich die Friedensausbildung
hätte stützen können«137. Diese entstand wie erwähnt erst nach 1871 und 1888
und setzte sich bis 1914 durch138. Damit hätte sich die Erziehung und Ausbildung
des Führerkorps nach den Grundsätzen der Auftragstaktik in diesem Zeitraum
spürbar auf das Führungsverhalten während des Ersten Weltkrieges auswirken
müssen. Die kritische Betrachtung verschiedener Operationen während des
Ersten Weltkrieges wird jedoch beleuchten, dass die normativen Vorgaben der
Vorschriften in der Realität nicht immer angemessen zur Umsetzung gelangten139.
Das Beispiel des Ersten Weltkrieges ist für die Frage nach der Anwendung
von Auftragstaktik daneben auch aus grundsätzlichen Überlegungen erhel-
lend. Häufig wird angenommen, dass der Stellungskrieg des Ersten Weltkrieges
ein Führen im Sinne der Auftragstaktik geradezu unmöglich gemacht hätte.
Dabei gilt es zu bedenken, dass die Gleichsetzung des Ersten Weltkrieges mit
Stellungskrieg verschiedene Aspekte des Krieges außer Acht lässt: Erstens wurden
die Grenzschlachten im Westen sehr dynamisch geführt und mündeten erst nach
dem Scheitern der deutschen Offensive an der Marne bzw. mit dem Abbruch der
1. Flandernschlacht Mitte November 1914 in einen Stellungskrieg140. Zweitens
wurde der Krieg auf dem östlichen Kriegsschauplatz – mit Einschränkungen –
beweglich geführt, auch über die Anfangsphase hinaus141. Und drittens boten die
von der 3. OHL (1916‑1918) getroffenen Maßnahmen zur Überwindung des

136
Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 49.
137
Ebd., S. 50. Darin sah schon Däniker das Hauptproblem. Däniker, Einheitlichkeit, S. 9.
138
Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 428; Leistenschneider, Auftragstaktik,
S. 57‑137; Oetting, Auftragstaktik, S. 121‑137.
139
Vgl. auch Leistenschneider, Auftragstaktik, S. 146.
140
Deist, Die Kriegführung der Mittelmächte, S. 251.
141
Groß, Das Dogma der Beweglichkeit, S. 148.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 203

Stellungskrieges auf unterster taktischer Stufe ebenfalls Spielraum für auftragstak-


tisches Handeln.
Es kann deshalb nicht erstaunen, dass auch der Erste Weltkrieg verschiede-
ne Beispiele von Auftragstaktik vorzuweisen hat. Ein Musterbeispiel bildet etwa
die Reaktion des Kommandierenden Generals des IV. Reservekorps General
Hans von Gronau, als dieser Anfang September 1914 selbstständig offensiv wur-
de und die durch das eigenmächtige Vorgehen der 1. Armee von Generaloberst
Alexander von Kluck entstandene ungeschützte deutsche rechte Flanke so lange
sicherte, bis von der OHL angemessene Gegenmaßnahmen eingeleitet werden
konnten142. Zu erwähnen wäre auch Generalleutnant Hermann von Staabs, der
am 28. August 1914 mit seiner 37. Infanteriedivision während der Schlacht bei
Tannenberg auf dem Nordflügel des XX. Armeekorps völlig selbstständig han-
delte, weil die Befehle des Generalkommandos ihn nicht erreicht hatten143. Diese
und andere Beispiele auftragstaktischen Handelns stehen aber neben einem Grad
an Eigenmächtigkeiten, der während dieses Krieges ähnlich hoch war wie in den
Einigungskriegen.

a) Die Grenzschlachten im Osten 1914

Gerade in den Anfangsoperationen des Ersten Weltkrieges lassen sich unabhän-


gig vom Kriegsschauplatz etliche Beispiele auflisten, in denen deutsche Truppen-
führer mit ihrem eigenmächtigen und willkürlichen Handeln die einheitliche
Operationsleitung gefährdeten – eine erstaunliche Parallele zum Krieg von
1870/71144. So hatte sich der Oberbefehlshaber der im Osten stehenden 8. Armee
Generaloberst Maximilian von Prittwitz und Gaffron entschlossen, gegen den
übermächtigen russischen Gegner gestaffelt vorzugehen. Zuerst sollte die näher
gelegene russische 1. Armee (Njemen-Armee) des Generals Pavel Rennenkampf
geschlagen werden. Die Absicht war, der Njemen-Armee nicht an der Grenze
gegenüberzutreten, sondern diese erst im Innern Ostpreußens zu besiegen. Je
schneller dies geschah, umso weniger konnte die russische 2. Armee (Narew-
Armee) des Generals Aleksandr Samsonov helfend in die Schlacht eingreifen145.
Durch rasche Truppenverschiebungen unter Ausnützung der inneren Linie sollte
nach der Schlacht gegen die Njemen-Armee die Narew-Armee angegriffen wer-
den. Das I. Armeekorps hatte sich dabei zwischen Gumbinnen und Insterburg
aufzustellen146. Nach Ansicht des Kommandierenden Generals des I. (ostpreu-
ßischen) Armeekorps General der Infanterie Hermann von François war dies
falsch, weshalb er dagegen protestierte147. Das Armeeoberkommando teilte seine
Vorbehalte jedoch nicht und hielt an der Absicht fest. François sah sich trotzdem
nicht an seine Befehle gebunden. Obwohl Prittwitz ihm noch am 10. August
jegliche Vorwärtsbewegungen in Richtung Grenze »unbedingt« verboten hatte,

142
Fiedler, Moltke und das Auftragsverfahren, S. 14.
143
Mantey, Führung von oben, S. 1141; Showalter, Tannenberg, S. 256.
144
Däniker meinte: »Die Auswirkungen zu Beginn des Weltkrieges waren stellenweise be-
denklich.« Däniker, Einheitlichkeit, S. 3.
145
Mantey, Führung von oben, S. 1140; Werth, Tannenberg, S. 919.
146
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 2, S. 56.
147
Werth, Tannenberg, S. 919; Showalter, Tannenberg, S. 155.
204 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

ließ François sein Korps vorrücken, sodass es schließlich 40 km vor dem Rest der
Armee stand148. Dem Armeeoberkommando meldete er auch nicht vollendete
Tatsachen, sondern beließ es im Glauben, dass das I. Armeekorps sich immer
noch im befohlenen Raum befände149. Trotz ausdrücklichen Verbotes führte er am
17. August 1914 auf eigene Faust das Gefecht bei Stallupönen herbei150. Während
das Gefecht auf dem Nordflügel wenig glücklich verlief, zeichnete sich auf dem
Südflügel ein positiver Ausgang ab. Allerdings sah sich François aufgrund des
inzwischen eingegangenen eindringlichen Armeebefehls gezwungen, das Gefecht
abzubrechen und sich zurückzuziehen151. Diese offensiven Grenzkämpfe des
I. Armeekorps hintertrieben nicht nur den Plan des Armeeoberkommandos 8,
die beiden russischen Armeen nacheinander zu vernichten, sondern brachte es
in eine gefährliche Lage, da die Narew-Armee inzwischen bedrohlich nahe her-
angekommen war152. Zudem liefen sie auch der operativen Gesamtidee der OHL
entgegen, »durch eine Operation den in Ostpreußen eingedrungenen Gegner zu
vernichten«153. Letztlich ließ das befehlswidrige Handeln François’ beinahe den
Feldzug in Ostpreußen entgleisen154.
Sehr aufschlussreich ist auch die Schlacht bei Tannenberg vom 26.‑30. August
1914, die gelegentlich als »Sieg der Unterführer« bezeichnet wurde, tatsäch-
lich nach Friedrich von Mantey aber »soviel Reibungen, soviel selbständiges
Handeln, soviel Handeln gegen Befehle« aufweise wie sonst kaum eine Schlacht
des Ersten Weltkrieges155. Nach der Niederlage in der Schlacht bei Gumbinnen
am 19./20. August 1914 und der Zurücknahme der 8. Armee hinter die Weichsel
war Prittwitz von der OHL seines Postens enthoben und durch den reakti-
vierten Hindenburg ersetzt worden. Die sehr prekäre Lage sollte so rasch wie
möglich durch eine deutsche Offensive bereinigt werden, bevor auf russischer
Seite Verstärkungen eingetroffen waren. Das Armeeoberkommando 8 legte den
Angriffsbeginn deshalb auf den 26. August früh morgens. Abermals wurde die
Ausführung des Operationsplans des Armeeoberkommandos durch Widrigkeiten
von Unterführern behindert. Das I. Armeekorps hatte den Angriffstermin zu-
erst bis in den Nachmittag verzögert und ihn schließlich sogar eigenmächtig auf
den 27. August verschoben. Dabei hatte François dem Armeeoberkommando am

148
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 2, S. 57; Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung,
S. 3; Showalter, Tannenberg, S. 165.
149
U.a. verblieb der Korpsgefechtsstand in Insterburg, was Uhle-Wettler positiv als »Tarnung
vor dem Vorgesetzten« bezeichnet. Uhle-Wettler, Höhe- und Wendepunkte, S. 179 f.
150
Pöhlmann, Tod in Masuren, S. 282.
151
Der Befehl des AOK forderte kategorisch – »auch wenn Waffenerfolg« – den Gefechts-
abbruch. Vermutlich noch rechtzeitig, da das z.T. mit frischen Kräften verstärkte russi-
sche III. AK den Angriff auf Stallupönen am 18. August wieder aufnehmen wollte. Dies
hätte »das deutsche I. Armeekorps doch in eine recht schwierige Lage« bringen können.
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 2, S. 78. Anders Uhle-Wettler, Höhe- und Wendepunkte,
S. 180, der beklagt, dass François die »halb gewonnene Schlacht abbrechen« musste.
152
Schack, Operative Führungsprobleme, S. 672.
153
Mantey, Führung von oben, S. 1140. Vgl. auch Mombauer, Helmuth von Moltke,
S. 244‑248.
154
Citino, Death of the Wehrmacht, S. 4 f.; Fiedler, Moltke und das Auftragsverfahren, S. 13.
Das eigenmächtige Handeln François’ und dessen Folgen zeigen erstaunliche Parallelen zu
Kamekes Vorpreschen in Spicheren 1870.
155
Mantey, Führung von oben, S. 1140. Ähnlich: Däniker, Einheitlichkeit, S. 3.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 205

Morgen des 26. Augusts sogar noch gemeldet, dass der Angriff am Laufen sei,
was nicht der Wahrheit entsprach. François glaubte, den Angriff nicht rechtzei-
tig mit all seinen Truppen beginnen zu können, und hatte Bedenken bezüglich
der Angriffsrichtung156. Das XX. Armeekorps von General der Artillerie Friedrich
von Scholtz hätte sich dem Angriff des I. Armeekorps anschließen sollen, griff
jedoch ebenfalls nicht an, da es keinen zwingenden Grund zur Eile sah und zuerst
den Verlauf beim I. Armeekorps abwarten wollte157. Deshalb begann der Angriff
des XX. Armeekorps erst am späten Nachmittag. Die 3. Reservedivision von
Generalleutnant Kurt von Morgen, die vor Angriffsbeginn hätte nach Hohenstein
marschieren und die linke deutsche Flanke sichern sollen, verblieb in der rückwär-
tigen Ausgangsstellung bei Reichenau. Dort wollte Morgen den weiteren Verlauf
abwarten, da er befürchtete, frontal auf das russische XIII. Korps aufzulaufen158.
Darüber wurden weder das XX. Armeekorps noch das Armeeoberkommando ori-
entiert, weshalb die linke Flanke gefährlich offen stand159.
Da das Ergebnis des 26. August bei weitem nicht dem entsprach, was das
Armeeoberkommando 8 beabsichtigt hatte, sondern der Verlauf des Tages viel-
mehr »eine schwere Enttäuschung« war, befahl Hindenburg für den 27. August
4 Uhr morgens den Angriff auf ganzer Front »mit größter Energie«160. Während
das I. Armeekorps den Befehl des Armeeoberkommandos diesmal aufnahm und
rasch Erfolge zeitigte, griff das XX. Armeekorps wiederum nur sehr verhalten
an und wartete zuerst einmal den Verlauf beim I. Armeekorps ab161. Selbst als
das I. Armeekorps den siegreichen Ausgang seines Angriffs meldete und das
Armeeoberkommando dem XX. Armeekorps befahl, sich der Offensive an-
zuschließen, geschah dies nur mit Teilen seiner Kräfte. Zudem verschob das
XX. Armeekorps das Schwergewicht der ganzen Operation zweimal nach Norden,
indem es eigenmächtig seine 37. Infanteriedivision dorthin versetzte, weil es dort
eine russische Umfassung befürchtete162. Am Ende des Tages hatte lediglich die
41. Infanteriedivision des XX. Armeekorps den Angriff des I. Armeekorps im Süden
unterstützt, während sich der Rest des Korps in einer nach Norden ausgerichteten
Abwehrhaltung befand. Das Beispiel verdeutlich mit aller Härte, dass »zwischen
der Auffassung des XX. Armeekorps und der des Armee-Oberkommandos [...]
sich in den letzten Tagen eine gewisse Verschiedenheit herausgebildet« hatte, die

156
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 2, S. 139‑152; Showalter, Tannenberg, S. 235; Pöhlmann,
Tod in Masuren, S. 285. Diese Bedenken hatte er am 25. August vormittags Hindenburg
und Ludendorff gegenüber kundgetan. Das AOK bestand aber aufgrund der bedrohli-
chen Gesamtlage und des Zeitdrucks auf dem Angriff. Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 2,
S. 138 f.
157
Showalter, Tannenberg, S. 238.
158
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 2, S. 153 f.
159
Die aus dem XVII. AK, dem I. Reservekorps sowie der Landwehrdivision Goltz bestehende
»Ostgruppe« hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht an den linken Flügel der »Westgruppe«
(I. und XX. AK, 3. Res.-Div.) anschließen können. Mantey, Führung von oben, S. 1141;
Werth, Tannenberg, S. 919.
160
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 2, S. 155 f.
161
Mantey, Führung von oben, S. 1141.
162
Showalter, Tannenberg, S. 257; Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 2, S. 157, 163.
206 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

zwar »nicht, wie beim I. Armeekorps [...] offen zum Austrag gekommen« war,
allerdings doch »unausgesprochen unter der Oberfläche lebendig« blieb163.
Nun hätte man erwarten dürfen, dass die Ungereimtheiten der letzten bei-
den Tage und die wiederholten Mahnungen des Armeeoberkommandos die
Unterführer dazu gebracht hätten, für den weiteren Verlauf der Schlacht ent-
sprechend den Vorgaben zu handeln. Die Eigenmächtigkeiten fanden jedoch
auch am dritten Tag der Schlacht kein Ende. Das XX. Armeekorps hatte auch
am 28. August den befohlenen Angriffszeitpunkt tatenlos verstreichen lassen, da
man der Auffassung war, dass »die Zeit für den Angriff in der Front noch nicht
[...] gekommen« sei164. Dabei hatten sich auch Meinungsverschiedenheiten inner-
halb des Korps bemerkbar gemacht. Der Kommandeur der 41. Infanteriedivision
Generalmajor Sontag hatte den im Korpsbefehl gegebenen Auftrag, über Waplitz
hinaus vorzustoßen, anfangs für undurchführbar erklärt. Letztlich fügte er sich
dem Befehl und griff an – allerdings später als vom Generalkommando vorgesehen.
Schließlich musste sich die 41. Infanteriedivision nach einigen Stunden verlust-
reichen Kampfes wieder in die Ausgangsstellung zurückziehen165. Währenddessen
hatte die dem XX. Armeekorps unterstellte 3. Reservedivision eigenmächtig an-
greifen lassen, dies jedoch vorsorglich erst gemeldet, als der Angriff bereits in vol-
lem Gange war166. Damit war man beim Generalkommando zwar nicht einver-
standen, musste sich jedoch mit der bereits vollendeten Tatsache abfinden167. Die
Rückschläge bei der 41. Infanteriedivision hatten das Armeeoberkommando 8
veranlasst, den Vorstoß des I. Armeekorps gegen Neidenburg auszusetzen und das
Korps in nordöstlicher Richtung nach Lahna in Marsch zu setzen. Dadurch sollte
die 41. Infanteriedivision unterstützt und der befürchtete russische Durchbruch
verhindert werden168. Das Armeeoberkommando beendete den Befehl mit den
Worten, das Generalkommando könne sich »die größten Verdienste um die
Armee erwerben, wenn es diesen Intentionen gemäß handele. Alles kommt auf
das I. Armeekorps an«169. François beurteilte den neuen Befehl als unseriös, ja so-
gar als dumm und ignorierte ihn schließlich. Dahinter stand unter anderem seine
Abneigung gegen den Generalstabschef des Armeeoberkommandos 8 Generalmajor
Erich Ludendorff, der selbst nie einen großen Verband kommandiert hatte – ein
erneuter Beleg für die angesprochenen häufigen Animositäten zwischen Truppen-
und Generalstabsoffizieren. Abermals führte François einen Angriff nicht wie
befohlen aus, sondern glaubte, die Lage selbst besser beurteilen zu können. Er
änderte die Richtung des Angriffs und ging nicht gegen Lahna, sondern weiter
gegen Neidenburg vor. François war der Überzeugung, wäre Neidenburg einmal
in deutscher Hand, so wären die russischen Truppen eingekesselt und auch nicht
mehr in der Lage, die 41. Infanteriedivision zu verfolgen170. Dank des Ausbleibens

163
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 2, S. 168, 181 (Zitat).
164
Ebd., S. 187.
165
Showalter, Tannenberg, S. 269; Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 2, S. 185‑187.
166
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 2, S. 188.
167
Mantey, Führung von oben, S. 1141.
168
Showalter, Tannenberg, S. 279.
169
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 2, S. 193.
170
Mit diesem Entschluss habe François klar gemacht, dass »as long as Herman von François
was commanding, I Corps would fight its battles his own way«. Showalter, Tannenberg,
S. 279.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 207

des russischen Durchbruchs bei der 41. Infanteriedivision konnte sich die Lage
tatsächlich beruhigen. Gleichzeitig kamen vonseiten der Landwehrdivision
Goltz und der 37. Infanteriedivision (übertriebene) Siegesmeldungen. So schien
die weitere Entwicklung der Schlacht François Recht zu geben, weshalb das
Armeeoberkommando 8 ihm erlaubte, den Angriff wie von ihm geplant gegen
Neidenburg zu führen171. Zusammenfassend erstaunt es aber doch, in welch un-
geheurem Maße diese Schlacht von den Eigenmächtigkeiten der Unterführer ge-
prägt wurde. Bei aller erwünschten Selbstständigkeit hätte ihnen klar sein müssen,
dass nur das Armeeoberkommando wirklich den Überblick über die Situation
haben konnte. Daher hätten sie sich mehr »in den Grenzen der Anordnungen
des A.O.K. [...] bewegen müssen«172. Letztlich glückte die Einschließung der
russischen 2. Armee nicht dank der Selbstständigkeit deutscher Unterführer,
sondern »trotz mehrfacher Reibungen und Missverständnisse innerhalb der eige-
nen Armee«173. Auf deutscher Seite war es dem Armeeoberkommando 8 nur mit
Mühe gelungen, die eigenen Aktionen einigermaßen zu koordinieren. Selbst das
Reichsarchivwerk attestierte, dass die Kämpfe vielmehr aus einer »Reihe räum-
lich und zeitlich getrennter und zunächst mehr oder weniger selbständig [d.h.
eigenmächtig; der Verf.] durchgeführter siegreicher Einzelgefechte [bestanden
hat], bei denen mit der Front nach allen Himmelsrichtungen gekämpft« worden
sei174. Der siegreiche Ausgang der Schlacht war zudem auf die Passivität und auf
Führungsfehler der russischen Seite zurückzuführen. Hindenburg hatte sich des-
wegen am 29. August 1914 zu folgendem Schreiben an seine Kommandierenden
Generale genötigt gesehen:
»In den wenigen Tagen meines Oberbefehls sind von den mir unmittelbar
unterstehenden Verbänden wiederholt, selbstverständlich in bester Absicht,
Einwände gegen meine Anordnungen erhoben; auch ist die Ausführung mei-
ner Befehle mehrfach durch Nichtbefolgung oder Durchkreuzung meiner
Absichten erweitert [gemeint ist: erschwert; der Verf.] worden. Infolgedessen
lag mitunter die Gefahr eines Misserfolges an Stelle des nunmehr glücklich
erzielten großen Erfolges vor.
Ich weiß, dass es nur dieses Hinweises bedarf, um in Zukunft derartige
Missverhältnisse nicht mehr in Erscheinung treten zu lassen175.«
Auch in der anschließenden Schlacht an den Masurischen Seen hatte das
Armeeoberkommando 8 mit Eigenmächtigkeiten seiner Unterführer zu kämpfen,
weshalb der Erfolg »in gewissen Grenzen blieb«176.

b) Die Grenzschlachten im Westen 1914

Maßgebend für die gesamte Operation in Frankreich war der rechte deutsche
Heeresflügel, insbesondere die 1. Armee, die in der Schwenkbewegung die wei-
teste Distanz zu bewältigen hatte. Eine wesentliche Aufgabe der OHL wäre es also

171
Ebd., S. 280.
172
Mantey, Führung von oben, S. 1141.
173
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 2, S. 242.
174
Ebd.
175
Elze, Tannenberg, S. 332 (Dok. 275).
176
Mantey, Führung von oben, S. 1141.
208 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

gewesen, den koordinierten Vormarsch der deutschen 1. bis 3. Armee (rechter


Flügel) sowie 4. und 5. Armee (Mitte) sicherzustellen. Dies geschah allerdings
nur in ungenügendem Maße. Noch am 20. August waren die Armeen entspre-
chend ausgerichtet gewesen. Die OHL versäumte es allerdings, die Armeeober-
kommandos 4 (Generaloberst Albrecht Herzog von Württemberg) und 5 (Kron-
prinz Wilhelm von Preußen) darauf hinzuweisen, nicht vorzeitig loszuschlagen177.
Als am 21. August 1914 Nachrichten über Vorhutgefechte eintrafen, wollte der
Kronprinz unter allen Umständen am 22. August selbst offensiv werden. Der
Angriff wurde auch aufrecht erhalten, nachdem die OHL zu verstehen gegeben
hatte, dass dadurch die Einheitlichkeit der deutschen Front zerrissen werden wür-
de und das Armeeoberkommando in der Verteidigung verbleiben solle178. Über
den Stabschef Generalleutnant Konstantin Schmidt von Knobelsdorf konnte das
Armeeoberkommando 5 fernmündlich Generaloberst Helmuth von Moltke d.J.
letztlich zur Billigung dieser Aktion überreden, wodurch die Armee endgültig
»aus dem Rahmen der großen Operation herausfallen«179 sollte.
Auch die Koordination des Vormarsches des rechten Flügels gelang nicht.
So hatte die OHL befohlen, am 21. August gemeinsam bis an die Sambre auf-
zuschließen, um danach den Angriff einheitlich anzusetzen180. Das Armee-
oberkommando 2 (Generaloberst Karl von Bülow) hatte noch vor dem Erhalt
dieses Befehls die Fortsetzung des Vormarsches auf die Sambre befohlen, glaubte
der Absicht der OHL damit jedoch nicht zuwider zu laufen und änderte die
Befehle nicht mehr. Während des Vorschwenkens des linken Flügels der deut-
schen 2. Armee fand die 2. Garde-Infanterie-Division des Generalleutnants
von Winckler den Sambreübergang nur schwach besetzt vor. Obwohl das
Armeeoberkommando 2 inzwischen doch befohlen hatte, die Sambre nicht zu
überschreiten, führte der Divisionskommandeur – die Gunst der Stunde aus-
nützend – ein Gefecht herbei, das nicht im Interesse der Gesamtlage war181. Am
22. August war es dann das Armeeoberkommando 2 selbst, das aus einer schein-
bar günstigen Lage heraus die Absicht des Heeresbefehls unterlief. Dadurch ent-
wickelte sich bereits an diesem Tage die für den 23. August geplante Schlacht, ob-
wohl das Armeeoberkommando 1 noch nicht vollständig eingeschwenkt gewesen
war. Die gesamte Operation war geprägt von den unterschiedlichen Auffassungen

177
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 1, S. 73, 256‑261.
178
Mantey, Führung von oben, S. 1164.
179
Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung, S. 2.
180
Die Leitung dieser Aktion wurde dem AOK 2 übergeben. Der Weltkrieg 1914‑1918,
Bd 1, S. 261.
181
Der K.G. des Gardekorps Gen.d.Inf. Karl von Plettenberg hatte anfänglich noch Bedenken
gegen die Aktion geäußert, da sie einem Armeebefehl zuwiderlief. Der vor Ort anwesen-
de Oberquartiermeister des AOK 2 (Ludendorff) unterstützte den Entschluss jedoch und
vertrat ihn auch vor Bülow, der sich »mit dem aus der frischen Initiative der Unterführer
geborenen Entschluss ohne weiteres« abfand. Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 1, S. 351 f.;
Mantey, Führung von oben, S. 1164. Hier handelte es sich nicht im engeren Sinne um
eine Eigenmächtigkeit, da Ludendorff die Aktion absegnete und sogar antreibende Kraft
dahinter war. Das Beispiel zeigt die Problematik des im Kap. II. erwähnten Primats der
Taktik auf. Durch übertriebene Selbstständigkeit eines Unterführers konnte die Absicht
eines Führers eine neue Ausrichtung erhalten. Im vorliegenden Fall hieß Bülow dies nach-
träglich sogar gut.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 209

der einzelnen Akteure: Während die 2. und 5. Armee vorwärts drängten, stieß die
1. Armee nur vorsichtig vor. Die wenig straffe Führung durch die OHL führte
deshalb nach Mantey dazu, dass sich die »nicht gezügelte Selbständigkeit [...]
verhängnisvoll« auswirkte182.
Nach der Beendigung der Grenzschlachten gingen die deutschen Armeen in die
Verfolgung in westlicher und südwestlicher Richtung über. Bereits am 27. August
kam es ob der Frage des weiteren Operationsverlaufs zu Unstimmigkeiten zwi-
schen den Armeeoberkommandos des deutschen rechten Flügels. Von Meldungen
des Armeeoberkommandos 4 aufgeschreckt, wollte das Armeeoberkommando 3
unter Generaloberst Max Frhr. von Hausen Ersterem zu Hilfe eilen. Aus die-
sem Grunde änderte die 3. Armee ihre Vormarschrichtung fast nach Südosten,
während die benachbarte 2. Armee südwestlich vorging. Dadurch musste sich
die bereits entstandene Lücke zwischen beiden Armeen noch vergrößern183. Die
OHL – vom Armeeoberkommando 3 über seine Absicht informiert – missbilligte
dieses Vorgehen. In der Zwischenzeit hatte das Armeeoberkommando 3 aber be-
reits erste Maßnahmen zur Unterstützung der 4. Armee ergriffen. Aufgrund der
– wie sich später herausstellte – zu optimistischen Lagebeurteilung des Armee-
oberkommandos 4 glaubte das Armeeoberkommando 3, den Gegner an der Maas
einschließen zu können. Deshalb hielt es auch nach der Einsprache der OHL am
Entschluss fest und riss dadurch »die ganze Heeresbewegung völlig auseinander«184.
Auch die Marneschlacht vom 5.‑12. September 1914 war von Irrungen und
Fehlgriffen der verantwortlichen oberen Führer geprägt. Im Besonderen fiel der
bereits erwähnte Oberbefehlshaber der 1. Armee Kluck durch seinen beispiellosen
Eigensinn auf. Sein unbesonnenes und eigenwilliges Vorpreschen südostwärts an
Paris vorbei über die Marne muss mehr als zu offenem Ungehorsam übersteigerte
Eigenmächtigkeit denn als initiatives Handeln im Sinne des Operationsplanes
angesehen werden185. Die OHL blieb lange Zeit in Unkenntnis der Eigenmächtig-
keiten Klucks. Erst am 4. September, dem Tag der »Enttäuschungen und ernsten
Sorgen«, war klar geworden, dass das Armeeoberkommando 1 »nicht nur dem
Wortlaute, sondern auch dem Sinne des Befehls [der OHL] zuwiderhandelte«186.
Die Insubordinationen des Armeeoberkommandos 1 waren letztlich hauptsäch-
lich für die äußerst gespannte Lage auf dem deutschen rechten Heeresflügel verant-
wortlich187. Noch am 2. September hatte die OHL dem Armeeoberkommando 1
befohlen, der 2. Armee gestaffelt zu folgen und den Flankenschutz des Heeres
zu übernehmen. Stattdessen ließ das Armeeoberkommando 1 den Gegner über
die Marne hinaus verfolgen. Die dadurch sich abzeichnende Gefährdung des ge-
samten offenen rechten deutschen Heeresflügels blendete Kluck offenbar aus188.

182
Mantey, Führung von oben, S. 1164 f. Vgl. auch Mombauer, Helmuth von Moltke,
S. 237‑243.
183
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 1, S. 534‑536.
184
Mantey, Führung von oben, S. 1165 (Zitat). Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 3, S. 56.
185
Vgl. Craig, Die preußisch-deutsche Armee, S. 331; Groß, Mythos und Wirklichkeit,
S. 108, 115 f.
186
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 3, S. 307.
187
Wetzell, Das Marnedrama, S. 284.
188
Im Gegensatz zu Moltke, der diese Gefahr erkannte. Kluck setzte bloß zwei AK sowie
das Kavalleriekorps für diese Aufgabe ein. Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 3, S. 231‑241;
Fiedler, Moltke und das Auftragsverfahren, S. 14.
210 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

Durch diese Verfolgung geriet die 1. Armee zudem vor die Front der 2. Armee
und drohte diese von deren Verfolgungsrichtung abzudrängen. Während die
deutsche 1. Armee anstatt gestaffelt zu folgen sich in rascher Verfolgung befand
und dadurch der Abstand zur deutschen 2. Armee noch vergrößert wurde, hatte
sich das Armeeoberkommando 3 am 4. September entschlossen, für den kom-
menden Tag einen Ruhetag einzulegen. Daran hielt es auch fest, obwohl die OHL
befohlen hatte, den Vormarsch fortzusetzen189. Durch diese Handlungen wurde
der Vormarsch des deutschen rechten Heeresflügels völlig auseinander gerissen.
Allerdings beschränkten sich die Eigenmächtigkeiten nicht nur auf die
Armeeführer. Am 3. September hatte der Kommandierende General des IX. Ar-
meekorps General der Infanterie Ferdinand von Quast mit seinen Truppen ohne
Befehl die Marne passiert. Davon ließ sich auch das III. Armeekorps von General
der Infanterie Ewald von Lochow mitreißen, der ebenfalls eigenmächtig aus der
Vormarschrichtung der 1. Armee abdrehte. Kluck erfuhr erst im Verlauf des
Vormittags davon, wollte in der Folge aber die Gunst der Stunde nutzen und ließ
die Armee in der erwähnten Richtung vorstoßen. Der Vormarsch der deutschen
3. Armee wurde am 6. September sogar richtiggehend auseinander gerissen, als
verschiedene Korpsführer eigenmächtig von den befohlenen Marschrichtungen
abgewichen waren, um den in Kämpfe verwickelten benachbarten Korps zu Hilfe
zu eilen190.
Obwohl die Handlungen der Unterführer der OHL »mancherlei Über-
raschungen und Enttäuschungen«191 brachten, glaubte Moltke d.J. nicht, seine
Absichten energischer durchsetzen zu müssen. Mehrmals unterließ er es, korrigie-
rend einzugreifen, da er der Überzeugung war, seine Unterführer würden in sei-
nem Sinne oder aufgrund der Lage vor Ort so handeln, wie sie es taten192. Bei aller
Berücksichtigung der Polemik um die Person Moltkes d.J. nach dem Krieg193,
scheint eine Ursache der erwähnten Eigenmächtigkeiten doch auch in seinem
Führungsverständnis gelegen zu haben. Davon überzeugt, dass Selbstständigkeit
und Initiative seiner Armeeführer gewahrt werden musste, war er ein fast bedin-
gungsloser Verfechter der Auftragstaktik194. Moltke d.J. handelte deshalb in der !
Gesamtführung – ähnlich wie sein Onkel – äußerst nachgiebig. So übte er sich ab-
sichtlich in »Zurückhaltung und [glaubte] auch auf Grund [der] Friedensansichten
und Friedensausbildung die Selbständigkeit und Verantwortlichkeit der unter-
stellten Armeeführer wahren zu müssen, in der Annahme, dass die vorn befind- !
lichen Armeeführer die Verhältnisse beim Feinde zuverlässiger zu beurteilen im-

189
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 3, S. 243, 254, 312 sowie Bd 4, S. 17‑19.
190
Ebd., Bd 3, S. 235‑237; Mantey, Führung von oben, S. 1166.
191
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 3, S. 312.
192
So billigte z.B. die OHL am 2. September nachträglich den Entschluss des AOK 1, den
Gegner nach Südosten abzudrängen, da Moltke glaubte, Kluck werde nicht über die Marne
vorstoßen. Ebd., S. 303. Vgl. auch Showalters Kritik an Moltkes »thinking in tactical and
operational, rather than strategic terms«. Showalter, Tannenberg, S. 143.
193
Vgl. Groß, Mythos und Wirklichkeit, S. 146 f.; Pöhlmann, Kriegsgeschichte und Ge-
schichtspolitik, S. 284‑321.
194
Mantey erwähnte eine Bemerkung Moltkes, die dieser oft gemacht habe und die sympto-
matisch für seine Zurückhaltung sei: »Lassen Sie den Mann, dazu ist er zur Selbständigkeit
erzogen.« Mantey, Führung von oben, S. 1140.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 211

stande wären, als er selbst weit hinter der Front bei Coblenz«195. Anders als sein
Onkel scheint Moltke d.J. aber selbst dann nur vorsichtig und spät eingegrif-
fen zu haben, wenn das Handeln seiner Unterführer oder die Lageentwicklung
eine energische Reaktion vonseiten der OHL verlangt hätten196. Das unkoordi-
nierte Vorgehen der einzeln vorrückenden Armeen führte denn auch dazu, dass
Ende August/Anfang September 1914 die Bewegungen aufeinander abgestimmt
werden mussten, um einem Auseinanderdriften der Offensive vorzubeugen197.
Neben den Eigenmächtigkeiten von Unterführern lässt sich deshalb 1914 – an-
ders als in den Reichseinigungskriegen – ein zusätzliches Phänomen beobachten.
Mehrmals geschah es, dass sich die OHL von Unterführern dazu drängen ließ, !
ihren Operationsplan anzupassen. Weniger sah deshalb im Fehlen des einheitli-
chen Gedankens in der OHL und des mangelnden Willens sich durchzusetzen !
das Hauptproblem der Marneschlacht von 1914198. Daraus resultierte z.B. die
oben erwähnte, nicht auf die Gesamtoperationsführung abgestimmte Aktion des
Armeeoberkommandos 5.
Eine ähnliche Situation hatte sich auch bei der von Generaloberst Josias
von Heeringen befehligten 7. Armee gezeigt. Nach der französischen Einnahme
Mühlhausens am 8. August 1914 entschloss sich Heeringen kurzerhand, einen
Gegenangriff zu lancieren, obwohl dadurch die Zusammenarbeit mit der 6. Armee
erheblich erschwert wurde. Die OHL gewährte – wieder nach Antrag vonseiten
des Armeeoberkommandos 7 – »vollständige Operationsfreiheit«199. Begründet
wurde dies damit, dass »die Initiative der Armeeführer nicht [...] unterb[u]nden«
werden sollte und »sich bietende Gelegenheiten zu Teilerfolgen nicht ungenützt
vorübergehen dürften«200.
Weiter zeigt sich, dass die OHL unter dem Vorwand der Handlungsfreiheit !
bewusst oder unbewusst Verantwortung nach unten delegierte, die eigentlich in
ihre Hand gehört hätte201. Kronprinz Rupprecht von Bayern hatte mit seiner
6. Armee und der ihm unterstellten 7. Armee die Aufgabe erhalten, den Gegner
in Lothringen festzuhalten – wozu er in begrenztem Maße sogar offensiv werden
durfte. Bei allzu starken gegnerischen Kräften sollte er hinter die Saar ausweichen,
dabei aber unbedingt die linke Flanke des deutschen Schwenkungsflügels durch

195
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 1, S. 258.
196
Roth, Der Vernichtungsgedanke im militärischen Denken, S. 16.
197
Stein, Führen durch Auftrag, S. 7; Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung, S. 2.
198
Weniger, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 114.
199
Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung, S. 2 f.
200
Kuhl zitiert hier aus dem Entwurf einer unvollendet gebliebenen amtlichen Kriegsgeschichte.
Ebd., S. 3.
201
Gerade darin unterschied sich Moltke d.J. grundlegend von Schlieffen, wie das folgende
Beispiel verdeutlicht: Auf der letzten Generalstabsreise Schlieffens 1905 war am 22. Tag
!
des Kriegsspiels auf französischer Seite eine Lücke entstanden – ähnlich der von 1914.
Diese Lücke wurde im Kriegsspiel 1905 wie auch 1914 erkannt. Während jedoch Moltke
seine Unterführer 1914 nur darauf hinwies, beließ Schlieffen seinen Untergebenen nicht
einfach im Rahmen der Absicht Handlungsfreiheit. Vielmehr befahl er nach Erkennen der
Lücke der 3. Armee, in diese hineinzustoßen, wobei er sogar festhielt, mit welchen Korps
dies zu geschehen habe. Danach befahl er dem AOK 3, weiter in den Rücken der beiden
nördlichen französischen Armeen vorzustoßen. Boetticher, Graf Alfred Schlieffen, S. 37.
212 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

Belgien und Nordfrankreich sichern202. Zum einen kumulierten sich hier ver-
schiedene, teils entgegengesetzte Aufträge, die Rupprecht alleine unmöglich lösen
konnte203. Zum anderen schien die Priorisierung unklar. Die gestaltende Aktion
des linken deutschen Flügels (d.h. möglichst starke Kräfte des Gegners binden
und verhindern, dass Truppen zum französischen Nordflügel abgezogen wurden)
war unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen der entscheidenden Aktion auf
dem rechten deutschen Flügel204. Die Handlungsfreiheit und Verantwortung für
dieses Unterfangen hätte deshalb zwingend von der OHL selbst wahrgenommen
werden müssen und nicht vollständig von den Entschlüssen Rupprechts abhän-
gig gemacht werden dürfen. Tatsächlich blieb die auf deutscher Seite erwarte-
te französische Offensive an der Lothringer Front aus205. Daraufhin wollte das
Armeeoberkommando 6 am 20. August »zur Klärung der Lage« selbst offensiv
werden und beharrte auch auf dieser Absicht, nachdem die OHL ein Ausweichen
nahe gelegt hatte206. Der Generalquartiermeister Generalleutnant Hermann von
Stein von der OHL bemerkte gegenüber dem Armeeoberkommando 6 lediglich:
»Sie müssen ja die Verantwortung tragen207.«
Das Verhalten der OHL überrascht, weil Moltke d.J. noch auf der letzten
Generalstabsreise kurz vor Kriegsbeginn in der Schlusskritik gemahnt hatte:
»Die Oberste Heeresleitung [...] kann und muss [...] ein großes, klar erkann-
tes und folgerichtig festgehaltenes Ziel haben und allen Kräften dauernd
die Richtung auf dieses Ziel geben. Es wird immer die Herbeiführung der
Entscheidung gegen die Hauptmasse der feindlichen Streitkräfte und ihre
Niederwerfung bleiben. Nur so wird [sic!] der Gedanke und der Wille die
Materie bezwingen. Führen aber unvermeidliche Einzelkämpfe der Armeen !
zur Zersplitterung, indem jede ihre Sonderzwecke verfolgt, für die das Streben
nach gemeinsamem Handeln nicht mehr maßgebend ist, so hat die Oberste
Heeresleitung die Zügel aus der Hand verloren, sie hat es nicht verstanden,
die unerlässliche Einheitlichkeit in die Bewegungen und Kämpfe der Einzel-
gruppen zu bringen208.«

202
Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung, S. 2. Vgl. auch Der Weltkrieg 1914‑1918,
Bd 1, S. 75 f.
203
Vgl. auch Kabisch, Der deutsche West-Aufmarsch, S. 267.
204
Der deutsche linke Flügel sollte zwischen Metz und den Vogesen zwar eine mögliche franzö-
sische Offensive in das Rheinland verhindern, ansonsten aber bloß hinhaltenden Widerstand
leisten, bis der deutsche rechte Flügel nach Süden einschwenken und die französischen
Truppen umfassen konnte. Allerdings scheint Moltke bezüglich des Operationsplanes tat-
sächlich unsicher und deshalb sogar bereit gewesen zu sein, die Entscheidung auf dem
linken Flügel zu suchen. Vgl. Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 472; Deist,
Die Kriegführung der Mittelmächte, S. 250.
205
Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 1, S. 183.
206
Ebd., S. 256.
207
Mantey meint zu dieser Antwort: »In diesen Worten drückt sich eine irrige Auffassung
über das ganze Führungsproblem aus [...] Hier hatte die O.H.L. [...] einem Armeeführer
eine Freiheit gelassen, die sie nicht lassen durfte, und eine Verantwortung zugescho-
ben, die einzig Sache der O.H.L. war. Die Verantwortung des A.O.K. konnte sich nur
auf die Ausführung [...] erstrecken, niemals aber auf Angriff oder Ausweichen im Rahmen
der Heeresoperation.« Mantey, Führung von oben, S. 1141 (Hervorhebung im Original).
Ähnlich: Schack, Der Weltkrieg von hoher Warte aus gesehen, S. 750.
208
Zit. nach: Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 501.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 213

Es erstaunt deshalb nicht, dass das Scheitern der Anfangsoffensive und die of-
fensichtlichen Führungsprobleme auf oberster Ebene (die jedoch zu einem
erheblichen Teil auch auf die Mängel der damaligen Nachrichtentechnik zu-
rückzuführen sind) ein Misstrauen gegenüber dem in den Dienstvorschriften
überkommenen Prinzip der Auftragstaktik nach sich zog. Der Vorwurf des
»Zügelschleifenlassen[s]« schien jedenfalls berechtigt209.

c) Von Falkenhayn zu Ludendorff

Als Konsequenz der fehlgeschlagenen Offensive im Westen wechselte die OHL am


14. September 1914 von Moltke d.J. zum preußischen Kriegsminister und spä-
teren General der Infanterie Erich von Falkenhayn. Sowohl der negative Ausgang
der Offensive als auch der personelle Wechsel an der Führungsspitze führten
dazu, dass das Prinzip des freien Entschlusses vom Führen durch Befehl abge-
löst wurde210. Dafür zeugt in eindringlicher Weise das Vorgehen der OHL in der
Schlacht um Verdun 1916. Nach dem Krieg behauptete Falkenhayn, dem Kaiser
1915 in der ominösen »Weihnachtsdenkschrift« seine strategischen Planungen
für 1916 – und damit für Verdun – dargelegt zu haben211. Tatsächlich waren seine
Unterführer von Falkenhayn aber nicht über die Absicht des Unternehmens ori-
entiert worden. Das mit der Durchführung beauftragte Armeeoberkommando 5
(Kronprinz Wilhelm) ging nämlich davon aus, dass das Festungssystem Verdun
eingenommen werden sollte. Deshalb plante es einen raschen Vorstoß entlang
beider Maasufer unter Einsatz all seiner Reserven. Falkenhayn beabsichtigte je-
doch ein langfristiges Ausbluten des Gegners durch die »Blutmühle« Verdun212.
Aus diesem Grunde griff er immer wieder in die Führung der Armee ein, ohne
aber dem Armeeoberkommando 5 seine Absicht wirklich zu erklären. Die ver-
sprochenen Reserven behielt Falkenhayn zudem in seiner Hand, um sie gegen
eine etwaige britische Entlastungsoffensive einsetzen zu können213. Erst nachdem
die Offensive bereits drei Monate lang angedauert hatte, klärte Falkenhayn die be-
teiligten Truppenführer darüber auf, dass »die O.H.L. [...] nie die Absicht gehabt
[habe], Verdun zu nehmen«214. Erst jetzt begriff das Armeeoberkommando 5, dass
es von Falkenhayn »zynisch betrogen« worden war215.

209
Mantey, Führung von oben, S. 1140.
210
Stein, Führen durch Auftrag, S. 8. Vgl. auch Samuels, Command or Control?, S. 179.
211
Zur Frage der Authentizität der »Weihnachtsdenkschrift« als Quelle siehe Afflerbach,
Falkenhayn, S. 353, 543‑545.
212
Krumeich, Der Mensch als »Material«, S. 295, 303. Zur Absicht Falkenhayns sowie zum
Operationsplan gegen Verdun und seiner Entstehung vgl. Falkenhayn, Die Oberste Heeres-
leitung, S. 183 f.; Krumeich, Verdun, S. 943; Deist, Die Kriegführung der Mittelmächte,
S. 257 f.
213
Afflerbach, Falkenhayn, S. 365.
214
Falkenhayn erwähnte dies an der Besprechung mit allen Stabschefs der Armeen vom
26.5.1916 in Mézières. Kronprinz Rupprecht beklagte, dass Falkenhayn »wie gewöhnlich [...]
auch diesmal hauptsächlich untergeordnete Fragen [berührte], während er seine Auffassung
über die Gesamtlage nicht zu erkennen gab«. Rupprecht, Mein Kriegstagebuch, Bd 1, S. 472.
215
Stein, Führen durch Auftrag, S. 8.
214 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

Auch im Osten gestand Falkenhayn seinen Unterführern für den Winter


1914/15 keine selbstständige Kriegführung zu. Anfang November 1914 hatte das
Oberkommando der aus der Masse der 8. Armee neu aufgestellten 9. Armee den
Entschluss gefasst, die russische Bedrohung Posens und Schlesiens durch eine
Flankenoperation abzuwenden. Inzwischen zum Oberbefehlshaber aller deut-
schen Streitkräfte im Osten (OberOst) ernannt, erkannte Hindenburg die Mög-
lichkeiten dieses Vorhabens und wollte daraus eine koordinierte Aktion der deut-
schen und k.u.k. Truppen machen. Gleichzeitig aus Kurland und Galizien vorsto-
ßend, hätten die in Polen massierten russischen Truppen in einer weiträumigen
Umfassungsoperation eingeschlossen und vernichtet werden sollen. Falkenhayn
lehnte dies jedoch ab, da er kurze Operationen mit begrenzten Zielen bevorzugte.
Die sich daraus ergebende militärische Führungskrise zwischen Generalstabschef,
OberOst und Reichskanzler sollte die Diskussion um die Ausrichtung des strate-
gischen Schwerpunktes fortan bestimmen216.
Am 29. August 1916 wurde Falkenhayn als Chef des Generalstabs des Feld-
heeres abgesetzt, auf ihn folgte Hindenburg mit Ludendorff – nun General der
Infanterie und I. Generalquartiermeister – an seiner Seite217. Diese 3. OHL
versuchte den Stellungskrieg in der Defensive mit einer tief gegliederten und
beweglich geführten Verteidigung und dem Gefecht der verbundenen Waffen
zu überwinden218. Konsequenterweise forderte sie deshalb – wenigstens anfangs
– bis zur mittleren Führungsebene selbstständiges und initiatives Handeln219.
Dieses Vorgehen war erfolgreich und ermöglichte es auf deutscher Seite ab 1917,
die Großoffensiven der Entente im Westen aufzufangen. Der erfolgreiche Einsatz
von Panzern (Tanks) bei der Entente – erstmals 1916 an der Somme – führte bei
der OHL ab Sommer 1918 allerdings dazu, von der beweglichen Verteidigung
abzukommen und wieder die Verteidigung entlang einer Hauptkampflinie
zu forcieren, womit gleichzeitig die – nie unumstrittene – Handlungsfreiheit
der Unterführer wieder eingeschränkt wurde220. Ausschlaggebend für die-
se Einschränkung war allerdings die Sorge um die zunehmend erodierende
Truppenmoral221.
Im Angriff versuchte die deutsche Seite das Problem des Stellungskrieges ab
1915 mit dem Stoßtruppverfahren zu bewältigen222. Dieses Angriffsverfahren
wurde ebenfalls mit Infanterie und Artillerie als Gefecht der verbundenen Waffen

216
Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 503 f.; Pöhlmann, Der »moderne Alexander«
im Maschinenkrieg, S. 273‑275; Grundzüge der deutschen Militärgeschichte, Bd 1,
S. 241 (Beitrag Neugebauer).
217
Pöhlmann, Oberste Heeresleitung, S. 755.
218
Vgl. zur Evolution der tief gestaffelten, beweglich geführten Verteidigung Samuels,
Command or Control?, S. 158‑197.
219
Groß, Das Dogma der Beweglichkeit, S. 149; Groß, Infanterie, S. 574 f.; Grundzüge der
deutschen Militärgeschichte, Bd 1, S. 241 (Beitrag Neugebauer), S. 512 f.; Gudmundsson,
Stormtroop Tactics, S. 157; Stachelbeck, Militärische Effektivität, S. 352.
220
Groß, Das Dogma der Beweglichkeit, S. 150.
221
Hoeres, Das Militär der Gesellschaft, S. 340.
222
Zur Entwicklung dieses Verfahrens vgl. Samuels, Command or Control?, S. 86‑93; Groß,
Stoßtrupp, S. 870.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 215

geführt und basierte auf dem Führungsprinzip der Auftragstaktik223. Noch in ei-
ner Verfügung vom 16. Februar 1918 forderte die OHL von den Unterführern
deshalb Eigeninitiative:
»Trotz aller planvollen Vorbereitungen und genauer Regelung rollt ein Angriff
nicht mechanisch ab, die Führer müssen führen, jedermann selbständig han-
deln224.«
Auch die von der OHL erlassenen Weisungen für die Ausbildung und Führung
der Truppen im Winter 1917/18 betonten die Schulung der Eigenständigkeit der
Unterführer225. So sollte »bei den Übungen klar zum Ausdruck kommen«, dass
die Erfolgsaussichten eines Angriffs von der »geschickte[n], der jeweiligen takti-
schen Lage angepasste[n] niedere[n] und höhere[n] Truppenführung« abhänge226.
Deshalb müsse »auch bei dem deutschen Durchbruchsangriff noch unter der ers-
ten Feuerglocke unserer Artillerie der weitgehendsten Selbsttätigkeit und takti-
schen Gewandtheit der unteren Führer vom Kompagnie- bzw. Bataillonsführer
aufwärts freier Spielraum gelassen werden«. Schließlich seien es die »niederen
Truppenführer (Bataillons- und Regiments-Kommandeur)«, die »vielfach die
Entscheidung in der Hand haben«227. Das neue Verfahren ermöglichte die takti-
schen Erfolge der Operation »Michael« von 1918228.
Insgesamt sind die Versuche der 3. OHL, den Stellungskrieg zu überwin-
den, von einer deutlichen »Individualisierung der Taktik« gekennzeichnet229. !
Diese war von oben als Folge der Wiederbesinnung auf den »Geist der deutschen
Vorkriegsdienstvorschriften«230 bewusst gefördert worden. Daneben kamen die
Ideen in Form einer »Reform von unten« auch aus den Reihen von Frontoffizieren231.
Die kleinen taktischen Kampfverbände wurden von jungen Subalternoffizieren
und älteren Unteroffizieren geleitet. Dadurch verringerte sich notgedrungen der
Einfluss der mittleren und höheren Führung auf das Kampfgeschehen und auf die
Kontrolle der Truppen. Gleichzeitig forderte die Verschiebung der Verantwortung
für das Gefecht auf die untersten Führungsebenen, dass die Unterführer tak-
tisch gut ausgebildet und im Sinne der Auftragstaktik erzogen waren. Beides
war aber zumindest für die letzten beiden Kriegsjahre nicht mehr der Fall, wes-

223
Vgl. den Eintrag des Kronprinzen Rupprecht, wonach »das Auftragsverfahren [...] wie-
der in den Vordergrund« getreten sei. Rupprecht, Mein Kriegstagebuch, Bd 3, S. 205
(Hervorhebung im Original).
224
Zit. nach: Jochim, Die Vorbereitung des deutschen Heeres, S. 12.
225
»Erlass des Chefs des Generalstabes des Feldheeres vom 14.12.1917« sowie »Erlass Chef des
Generalstabes des Feldheeres Nr. 6220 vom 25.1.1918«, zit. nach: Storz, »Aber was hätte
anders geschehen sollen?«, S. 65 f., Anm. 85 und 98.
226
Wetzell, »Vor zehn Jahren«, S. 322. Dort auch das Folgende (Hervorhebung im Original).
227
Erlass Chef des Generalstabes des Feldheeres Nr. 6220 vom 25.1.1918, zit. nach: Storz,
»Aber was hätte anders geschehen sollen?«, S. 65.
228
Vgl. Samuels, Command or Control?, S. 266 f.; Storz, »Aber was hätte anders geschehen
sollen?«, S. 76.
229
Groß, Das Dogma der Beweglichkeit, S. 152.
230
Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 513.
231
Die Erkenntnisse »von oben« und »von unten« flossen in die Grundsätze für die Führung in
der Abwehrschlacht im Stellungskriege, Neudruck 1.3.1917, sowie in die AVF ein. Raths,
Vom Massensturm zur Stoßtrupptaktik, S. 159; Samuels, Command or Control?, S. 87;
Groß, Das Dogma der Beweglichkeit, S. 149. Zum »fortlaufenden Kommunikations-
prozess« zwischen OHL und Truppe vgl. auch Stachelbeck, Militärische Effektivität, S. 53 f.
216 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

 Generalfeldmarschall Prinz Friedrich  Generalfeldmarschall Karl von


Karl von Preußen ZMSBw Steinmetz ZMSBw

 Generaloberst Alexander von Kluck  General der Infanterie Hermann von


Slg. Neuhoff François Slg. Neuhoff
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 217

 Generalmajor Erwin Rommel, 7. Panzerdivision, während einer Gefechtspause


bei Montagne, 5. Juni 1940 BArch/72/45/2

 General der Panzertruppe Heinz Guderian, XIX. (mot) Armeekorps, bei einer
Befehlsausgabe im eroberten Langes, Juni 1940 BArch/L 11­388/Dick
218 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

halb es bei der Umsetzung zu diversen Problemen gekommen war232. Davon,


dass die Auftragstaktik zu diesem Zeitpunkt noch »die Grundlage des deutschen
Führungsstils bildete«233, kann wohl keine Rede mehr sein. Hindenburg kriti-
sierte etwa am 11. Juni 1917 die »Beschränkung der Selbständigkeit der unteren
Stellen« und »die Gepflogenheit der höheren Stäbe, alles selbst bis ins einzelne
regeln zu wollen«234. Den »Übelstand« dafür sah er aber auch »darin, dass häufig
zu wenig persönliche Fühlungnahme der höheren Stäbe mit der Truppe vorhan-
den zu sein scheint«. Auch die großen Ausbildungsanstrengungen des Winters
1917/18 konnten die Mängel nicht beheben. Gemäß der Beurteilung des
Generalstabschefs der deutschen 17. Armee Generalleutnant Konrad Krafft von
Dellmensingen zeigten diverse Truppenübungen »an allen Ecken und Enden, dass
die Unterführer nicht mehr gewohnt sind, selbständig zu denken«235. Nüchtern
beurteilte er den Ausbildungsstand des Führerkorps der 17. Armee:
»Die Maschine reibt sich an allen Gelenken, weil ihr das Öl der Unterführer-
Selbsttätigkeit fehlt [...] Viele Unterführer sind nur notdürftig ersetzt. Wir
dürfen uns nichts vormachen: Unser Schwert ist stumpf geworden und müss-
te noch lange und gründlich gehärtet und geschliffen werden236.«
Letztlich scheint die angesprochene »Individualisierung« aber eher eine Konzession
an die Realität auf dem Schlachtfeld gewesen zu sein, als dass sie aus inners-
ter Überzeugung zustande gekommen wäre. Folglich wurde sie bei negativen
Erfahrungen entsprechend rasch wieder beseitigt, wie das oben angesprochene
Beispiel von der Rückkehr zur starren Verteidigung einer Hauptkampfstellung zeigt.
Daneben setzte sich seit Beginn der Übernahme der 3. OHL durch Hindenburg
und Ludendorff nach und nach eine »informelle Herrschaft der Stabsstellen«
durch, mit der die Selbstständigkeit der Unterführer – teils massiv – untergra-
ben wurde. Diese Herrschaft war dadurch gekennzeichnet, dass Entscheidungen
am Telefon ausgehandelt wurden oder sich das Hauptquartier – d.h. Ludendorff
– in Krisen telefonisch in die Belange der Kommandeure einmischen und sich
durchsetzen konnte237. So betonte Freytag-Loringhoven, dass die Verwendung des
Telefons die Selbstständigkeit der Unterführer im Verlauf des Krieges immer stär-
ker einschränkte »und dadurch Kräfte lahmgelegt [wurden], die sich unter Moltke
[d.Ä.] zum Vorteil der Sache frei entfalten durften, wenn unter ihm dadurch auch
mehrfach Nachteile entstanden sind«238. Einmal mehr zeigte sich dieses Phänomen
gerade in kritischen Situationen. Kronprinz Rupprecht beklagte sich während der
dritten Flandernschlacht, Ende Juli bis Anfang November 1917, über Ludendorffs
Einmischungen und forderte für sich mehr Selbstständigkeit:

232
Groß, Das Dogma der Beweglichkeit, S. 152.
233
Groß, Infanterie, S. 575.
234
Hobohm, Soziale Heeresmißstände, S. 36. Dort auch folgendes Zitat.
235
Krafft von Dellmensingen, Tagebuch (19.2.1918), zit. nach: Storz, »Aber was hätte an-
ders geschehen sollen?«, S. 67, Anm. 101. Storz erwähnt Truppenübungen der bayerischen
16. ID sowie der 20. ID, 24. ID und 3. Gardedivision.
236
Krafft von Dellmensingen, Tagebuch (26.2.1918), zit. nach: Ebd., S. 67, Anm. 102.
237
Kaufmann, Kommunikationstechnik und Kriegführung, S. 621; Barnett, Anatomie eines
Krieges, S. 395. Vgl. auch Rosinski, Die deutsche Armee, S. 270 f.; Wallach, Das Dogma
der Vernichtungsschlacht, S. 283.
238
Freytag-Loringhoven, Die Macht der Persönlichkeit, S. 179 f.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 219

»General Ludendorff [...] stellt alle Augenblicke durch das Telephon [...]
Fragen. Die fortgesetzt sich jagenden taktischen Weisungen wirken verwir-
rend. Ein Allheilmittel gibt es nicht, ein Schema ist schädlich. Je nach der
Lage muss bald so, bald anders gehandelt werden239.«
Auch für die »Michael«-Offensive vom März 1918 zeigte sich bei Ludendorff eine
»detailversessene Beschäftigung mit dem Angriffsverfahren«, die in eine »Viel-
geschäftigkeit« und in ein »Hineinreden in zahllose Einzelheiten« ausuferte240.
Geradezu grotesk erscheinen Ludendorffs fernmündliche Anfrage vom 29. März
1918 spät abends an den Stabschef des Armeeoberkommandos 17, Krafft, ob
denn alle Minenwerfer ganz vorne eingesetzt seien, und seine »viertelstündige
Belehrung über die Verwendung der Minenwerfer« wegen der aus seiner Sicht
unbefriedigenden Antwort241. In dem Sinne erstaunt das Urteil von Albert
Praun nicht, der davon sprach, dass die Nachrichtenverbindungen 1917/18
zur »Bevormundung von oben missbraucht« worden seien und »die Führer von
1915‑1918 mit unpersönlichen, extrem mechanisierten und bürokratischen
Führungsmethoden« gearbeitet hätten242.

d) Die deutsche Operationsführung 1914‑18 im Urteil


der deutschen Militärpublizistik der Zwischenkriegszeit

Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass für den Zeitraum des Ersten
Weltkrieges nicht pauschal »vom Niedergang der [deutschen] Führungskunst [...]
im Zeichen von Linie, Stellung und Telefon«243 gesprochen werden kann. Die
1. OHL hatte die Operationen nach den Vorstellungen der Dienstvorschriften,
ja sogar in einer die Idee der Auftragstaktik übertreibenden Weise geführt. Die
Selbstständigkeit der Unterführer wirkte sich dabei wie gesehen nicht nur posi-
tiv aus. Vielmehr konnte »von einem einheitlichen Gedanken, der die Führer
beherrschen musste, keine Rede« sein244. Dies mag zu einem gewissen Grade
am Führungsverständnis Moltkes d.J. gelegen haben, hatte dieser es doch an
Kontrolle und Koordination der Gesamtoperationsführung sowie an der strikten
Durchsetzung seiner Absicht mangeln lassen245. Wie in den Reichseinigungskriegen

239
Rupprecht, Mein Kriegstagebuch, Bd 2, S. 270 (9.10.1917). An anderer Stelle: »Nichts ist
gefährlicher als schematisches Verfahren: dies tötet den Geist. Zudem muss man bedenken,
dass die Vielgestaltigkeit der einzelnen Fälle und Verhältnisse im Kriege sich nur meistern
lässt, wenn man von jedem Schema sich loslöst und der jeweils gegebenen Lage entspre-
chend verfahrend, den Eingebungen des gesunden Menschenverstandes folgt.« Rupprecht,
Mein Kriegstagebuch, Bd 3, S. 356 (21.9.1918).
240
Storz, »Aber was hätte anders geschehen sollen?«, S. 95. Krafft sprach von einem wahren
»Spionenwesen« bei der OHL. Zit. nach: Ebd., S. 88, Anm. 248. Vgl. auch Soldan, Der
Fehlschlag, S. 908 f.; Barnett, Anatomie eines Krieges, S. 375‑381, 400.
241
Krafft von Dellmensingen, Tagebuch (29.3.1918), zit. nach: Storz, »Aber was hätte anders
geschehen sollen?«, S. 77, Anm. 171.
242
Praun, Nachrichtenverbindungen im Osten, BArch, ZA 1/2100, S. 185, 227.
243
Stein, Führen durch Auftrag, S. 7.
244
Mantey, Führung von oben, S. 1166.
245
Obwohl er vor dem Kriege sehr deutlich »auf den alles entscheidenden Wert der Gesamt-
operation hingewiesen [hatte], auf die Vermeidung der Zersplitterung, auf die Gefahr, die
220 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

ließen sich deutsche Truppenführer auch in den Anfangsoperationen des Ersten


Weltkrieges durch die ihnen gewährte Selbstständigkeit allzu oft zu eigenmächti-
gem Handeln verführen. Mantey, der das Reichsarchivwerk zum Ersten Weltkrieg
nach Beispielen selbstständigen Handelns untersucht hatte, stellte ernüchtert
fest, »wie wenig die Selbständigkeit der Unterführer [...] die Absichten der O.H.L.
zur Durchführung gebracht haben«246. Nach den zwiespältigen Erfahrungen des
Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 hatte der übertriebene Tatendrang einzel-
ner Truppenführer erneut die Heeresoperationen gefährdet. Erstaunlich ist dabei
die Tatsache, dass dieser Umstand im Gegensatz zur Phase zwischen 1864 und 1871
nicht mehr durch eine fehlende Friedenserziehung erklärt werden kann. Vielmehr !
scheint gerade die Art der Friedenserziehung die Gefahr zusätzlich gefördert zu ha-
ben, dass die Gesamtoperationen durch den Aktivismus von Unterführern durch-
kreuzt werden konnten. Offenbar war vor dem Ersten Weltkrieg die Erziehung der
Truppen- und Generalstabsoffiziere zu selbstständigem Handeln übertrieben wor- ?!
den. Diesen Schluss legen auch kritische zeitgenössische Aussagen nahe. Altrichter
bemerkte etwa, dass gerade die »geistige Schulung des Führerkorps [...], die das
Abweichen vom Auftrag als Regel oder als Zeichen von Charakterstärke lehrt«, in
besonderem Maße gefährlich sei247. Däniker wiederum erkannte als Grundübel,
dass die Dienstvorschriften und deren Führungsgrundsätze vor dem Krieg »allzu
sehr als starre Doktrin aufgefasst worden« seien, was letztlich auf der einen Seite »zu
stellenweise beinahe gedankenloser Anwendung«, auf der anderen Seite jedoch »zu
einem eigenmächtigen Sprengen der als eng empfundenen Fesseln« geführt habe248.
Gerade die Auslegung des Elements der Selbstständigkeit wurde häufig als
problematisch beurteilt. Verschiedene Autoren wiesen etwa auf die einseitige
Überhöhung dieses Grundsatzes hin. Szczepanski wies sogar auf einen mögli-
chen Verursacher hin. So sei seit dem Erscheinen von Vojdes Büchern in den
1890er Jahren die Selbstständigkeit der Unterführer »nicht nur zum dauernd
gebrauchten Schlagwort, sondern geradezu zum Erziehungsprinzip, zur fast
ausschließlichen Erziehungsmethode« im deutschen Heer geworden249. Tat-
sächlich scheint die Bedeutung der Bücher Vojdes für die später »übertriebene
›Selbständigkeitssucht‹«250 nicht unwesentlich gewesen zu sein, wenngleich sie
wie gesehen nicht die einzige Ursache für den Mythos von 1870/71 darstellten.
Allerdings sah sich Generalmajor a.D. Friedrichfritz Feeser noch 1927 in einem
Aufsatz gezwungen, ausdrücklich auf die Gefahren hinzuweisen, die sich aus einer
unkritischen Lesart tendenziös gehaltener Schriften ergebe. Nach Ansicht Feesers
zeigten Vojdes Schriften mustergültig auf, wie ein Autor einen Sachverhalt durch
einseitige Interpretation zu beweisen sucht. Feeser warnte deshalb:
»Der Verfasser hat durch das Suchen nach dem Beweis für eine Wahrheit die
Klarheit des Blickes verloren oder verbirgt sie bewusst. Dem Russen Woide

durch Verfolgung von Sonderzwecken sich für die Führung ergeben könnte, der dadurch
leicht die Zügel aus der Hand gerissen werden könnten«. Ebd., S. 1140.
246
Kriegsgeschichtliche Bemerkungen zu den »Grundzügen der höheren Truppenführung«,
von Mantey, 12.8.1930, BArch, RH 2/2901, Bl. 134 (Hervorhebung im Original).
247
Altrichter, Der soldatische Führer, S. 331.
248
Däniker, Einheitlichkeit, S. 9. Ähnlich: Marx, Die entschwindende Führerromantik,
Sp. 1054 f.
249
Szczepanski, Grenzen der Initiative, S. 405.
250
Marx, Die entschwindende Führerromantik, Sp. 1053 f.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 221

kommt es nämlich darauf an, einen Grundfehler seines Volkes und Heeres zu
bekämpfen: Die Untätigkeit, die immer auf Befehle wartet. Woide singt da-
her das hohe Lied von dem durch Selbsttätigkeit der Unterführer errungenen
Erfolg. Er übersieht die Gefahren, die diese Selbsttätigkeit in sich birgt251.«
Nach der Euphorie von 1870/71 habe nach Szczepansi jedenfalls das Handeln ohne
oder gegen einen Befehl in allen Übungen zum »beliebteste[n] Gegenstand«, das
Anpassen erhaltener Befehle in eigene Entschlüsse »zur Tagesordnung« gehört252.
Auch Mantey kritisierte, dass etwa Generalstabsoffiziere in taktischen Aufgaben oft
dazu erzogen worden seien, »nicht nur selbständig, sondern sogar gegen den Befehl
zu handeln«253. Dabei sei es nach dem Urteil Hermann von Kuhls »gewissermaßen
zum Sport geworden, den erteilten Auftrag sofort leichter Hand abzuschütteln und sich
anders zu entschließen«254. Wie gesehen forderten die Dienstvorschriften zwar un-
ter bestimmten Bedingungen, von einem erhaltenen Auftrag abzuweichen. Solche
Situationen waren in der Realität jedoch selten und stellten Ausnahmefälle dar, die
nur unter bestimmten Voraussetzungen und innerhalb enger Rahmenbedingungen
zum Tragen kommen sollten. Die übertriebene Friedenserziehung hatte solche
Situationen nun zum eigentlichen Regelfall gemacht. In seiner Einleitung zur deut-
schen Übersetzung von Jominis »Précis de l’art de la guerre« hatte Boguslawski be-
reits 1891 die im preußisch-deutschen militärischen Führungsdenken verankerte
starke »Strömung gegen die pedantische Anwendung und Heranziehung des geo-
metrischen Elements, wie gegen die Aufstellung theoretischer Lehrgebäude« her-
vorgehoben. Er hatte andererseits aber auch bemängelt:
»Jetzt aber macht die Praxis hin und wieder den Eindruck, als ob wir etwas
über das Ziel hinaus geschossen und in den letzten zehn Jahren ein wenig
stark in den Naturalismus hineingerathen wären. Man kann es bei unse-
ren Manövern manchmal recht deutlich erkennen, dass der gewiss richtige
Grundsatz, sich bei den Leitungsbefehlen nicht in Vorherbestimmungen aller
Art und in Einzelnheiten [sic!] zu ergehen, manchmal in ein Extrem über-
zugehen droht, welches einfach dadurch zu charakterisiren ist, dass man be-
fiehlt: ich marschire mit meiner Avantgarde auf C. vor. Das Gros folgt, weitere
Anordnungen werden folgen255.«
Die Friedenserziehung hatte also nicht dazu geführt, die Gefahren auszuräumen,
die in der Forderung nach selbstständigem Handeln der Unterführer liegen konn-
ten. Der Mythos über die Moltke’schen Feldzüge zwischen 1864 und 1871 hatte
vielmehr zur gegenteiligen Entwicklung geführt. Gerade diese Friedenserziehung
hatte »ihre Klippen«256. So seien »die deutschen Truppenführer jeden Ranges«

251
Als weiteres Beispiel nannte Feeser die Cannae-Studienreihe Schlieffens. Feeser, Winke für
das selbständige Studium, S. 289.
252
Szczepanski, Grenzen der Initiative, S. 405.
253
Mantey, Führung von oben, S. 1140.
254
Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung, S. 3 (Hervorhebung im Original).
255
Er fährt dann fort: »Wir haben gewiss nichts gegen die Kürze des Ausdrucks. Im Gegentheil!
Es frägt [sic!] sich nur, ob die Richtung auf C. die richtige, der gegebenen Lage und dem
Zwecke des Vorgehens gemäß ist.« Jomini, Abriss der Kriegskunst, S. IV (Hervorhebung im
Original).
256
Feeser erwähnt das Extrembeispiel eines Kommandeurs, der »stets eine kleine Drahtschere
mit sich [trug], um äußersten Falles künstlich eine vorübergehende Verkehrsstörung [des
Telefonnetzes; der Verf.] herbeiführen zu können«. Feeser, Soldatischer und bürgerlicher
222 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

nach Szczepanski 1914 »mit dem schönen und stolzen Bewusstsein« in den Krieg
gezogen, »dass kein Befehl ihrem Tatendrange, ihrem selbsttätigen und selbstän-
digen Handeln eine ernste Schranke setzen oder sein werde«257. Auch Marx kri-
tisierte die »überspitz[e]« Friedenserziehung, »die den berühmten ›selbständigen‹
oder gar ›abweichenden‹ Entschluss als die Krone der Führertätigkeit« dargestellt
habe258. Noch dezidierter brachte es Däniker auf den Punkt. Er kommentierte
die Entwicklung im deutschen Offizierskorps seit 1870/71 mit dem Satz: »Neben
den Kampf mit dem Feinde trat ein Kampf gegen den eigenen Vorgesetzten259.«
Ebenfalls sehr kritisch äußerte sich Altrichter über das Verhalten deutscher
Truppenführer und betonte dabei besonders den Aspekt der Erziehung und des
Gehorsams260.
Das selbstständige bzw. eigenmächtige Handeln von Unterführern in den
preußisch-deutschen Einigungskriegen und im – wegen der deutschen Niederlage
ganz besonders kritisch betrachteten – Ersten Weltkrieg wurde von der zeitge-
nössischen »kriegsgeschichtlichen Forschung« akribisch untersucht. Alles in allem
fiel das Urteil vernichtend aus. Weniger konstatierte zusammenfassend für den
Zeitraum von 1914 bis 1918:
»Rückblickend auf den Weltkrieg lässt sich feststellen, dass die meisten Fälle
des Abweichens von den operativen Leitlinien der obersten wie von den takti-
schen Anordnungen der oberen Führung vor dem Urteil der Kriegsgeschichte
nicht zu rechtfertigen sind. Es wäre fast immer besser gewesen, zu gehor-
chen261.«
Nach Auffassung Manteys gab es sogar im gesamten Reichsarchivwerk über den
Ersten Weltkrieg bloß ein einziges Beispiel, in dem sich ein Abweichen vom
Auftrag für die Gesamtlage positiv ausgewirkt habe. Dieses positive Beispiel sah
er im bereits erwähnten Handeln Gronaus im September 1914262.
Wie erwähnt hatte die 2. OHL versucht, die festgefahrene Situation durch
einen neuen, der Selbstständigkeit entgegengesetzten Führungsansatz zu lösen.
Die Zäsur in der Führungsauffassung konnte deshalb abrupter nicht ausfallen.
Falkenhayns Handeln, das stark an die Vorstellungen Schlieffens erinnert, sah in
der straffen Leitung von oben und in kurzen, begrenzten Operationen die ein-
zigen den Sieg bringenden Mittel. Die Auffassung, den Unterführern Spielraum
zu gewähren, um sich entfalten zu können, und damit ein Risiko in Kauf zu
nehmen, widersprach jedoch auch seinem vorsichtigen Naturell. Indessen waren
Straffheit und Einheitlichkeit der Führung wie gesehen auch in den Führungs-
und Ausbildungsvorschriften betont worden. Bei Falkenhayn erstaunt allerdings
die Radikalität der Durchführung. Die Tatsache, dass die Armeeführer vor Verdun
nicht einmal über den Plan des Oberkommandierenden in Kenntnis gesetzt

Gehorsam, S. 395. Auffallend ist die Ähnlichkeit zu Rommels Verhalten im Westfeldzug


1940, z.B. während seines eigenmächtigen Vorstoßes auf Avesnes und Le Cateau (siehe
Kap. III.6.d).
257
Szczepanski, Grenzen der Initiative, S. 405. Vgl. auch Storz, Kriegsbild und Rüstung,
S. 320 f.
258
Marx, Die entschwindende Führerromantik, Sp. 1054.
259
Däniker, Einheitlichkeit, S. 3.
260
Altrichter, Der soldatische Führer, S. 28 f., 124‑127.
261
Weniger, Führerauslese (1941), S. 204.
262
Mantey, Führung von oben, S. 1166.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 223

worden waren, entsprach weder Moltke’scher noch Schlieffen’scher Tradition263.


Zudem zeigte sich bei Falkenhayn exemplarisch, dass das Spannungsfeld zwischen
straffer Führung und Selbstständigkeit der Unterführer nicht nur ein grundsätz-
liches war, sondern auch mit der jeweiligen Dienststellung zusammenhängen
konnte. Während nämlich Falkenhayn als Generalstabschef des Feldheeres seinen
Unterführern keine Selbstständigkeit zugestehen wollte und straff führte, beklag-
te er sich später als Oberbefehlshaber der 9. Armee umso mehr über Eingriffe der
Heeresleitung und zu wenig eigene Handlungsfreiheit264.
Mit der Einsetzung der 3. OHL erfolgte zumindest anfangs die Rückbe-
sinnung auf die Selbstständigkeit der Unterführer unter gleichzeitiger Berück-
sichtigung der geänderten Rahmenbedingungen. In dieser Phase zeigte sich
aber die Interdependenz zwischen Führungsfähigkeit und Ausbildungsstand
noch deutlicher als früher. Zudem führten die neuen Gefechtsverfahren in
Angriff und Verteidigung nicht automatisch dazu, dass Auftragstaktik als abso-
lutes Führungsprinzip zur Anwendung gelangte. Gerade die ständigen Einmi-
schungen Ludendorffs während der »Michael«-Offensive zeigen in aller Schärfe
die Vorbehalte und Ängste vor zu viel Selbstständigkeit und Initiative der
Unterführer sowie dem damit verbundenen Kontrollverlust. Letztlich lässt sich
diese Erkenntnis auf der obersten Führungsebene für den gesamten Verlauf des
Krieges feststellen. Die Anwendung der Auftragstaktik verlief in einer oszillie-
renden Bewegung. Diese war einerseits von der aktuellen Kriegslage – d.h. vom
positiven oder negativen Verlauf einer Operation – beeinflusst, andererseits von
den verantwortlichen Personen in der jeweiligen OHL abhängig.
Die Konsequenzen aus den Kriegserfahrungen für die Führung unterstrei-
chen das eingangs erwähnte Schwingungsbild der Auftragstaktik in der Praxis.
Die Frage, ob nach Auftragstaktik geführt werden sollte und wenn ja, in welchen
Situationen und in welchem Ausmaß, beschäftigte die deutsche Kriegsgeschichts-
schreibung (und damit die Militärs) nicht nur während, sondern gerade auch
nach dem Ende des verlorenen Weltkrieges, wie die bereits erwähnten Aussagen
von Kuhl, Mantey, Müller-Loebnitz und anderen aufzeigten. Weniger zufolge
gab es überhaupt »kein wesentliches Werk über den Weltkrieg 1914/18, in dem
dieses Problem nicht in seinem Für und Wider erörtert worden wäre«265. Dabei
wurde gerade auch die Frage kontrovers diskutiert, wann ein Unterführer von
einem Befehl abweichen durfte oder ihn gar nicht ausführen musste266. Der zu
Beginn des Krieges als Generalstabschef des Armeeoberkommandos 1 verwen-
dete Kuhl meinte rückblickend, dass vor dem Hintergrund des Stellungskrieges
und des ausgebauten Verbindungsnetzes »in der Leitung von oben des Guten
zu viel getan« wurde267. Er befürwortete die diesbezügliche Führungsauffassung

263
Vgl. auch ebd., S. 1140; Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung, S. 4; Borgert,
Grundzüge der Landkriegführung, S. 445.
264
Falkenhayn ist vielleicht das prominenteste, aber nicht das einzige Beispiel. Gleiches gilt
z.B. auch für Kronprinz Rupprecht. Weniger bemerkte richtig, dass »nicht selten [...] den
Führern, die über Bevormundung von oben zu klagen hatten, selber vorgeworfen wurde,
dass sie ihren Untergebenen zu wenig Freiheit ließen«. Weniger, Die Selbständigkeit der
Unterführer, S. 105. Vgl. auch Däniker, Einheitlichkeit, S. 6.
265
Weniger, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 101.
266
Vgl. Mantey, Führung von oben.
267
Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung, S. 5.
224 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

Moltkes d.J. und unterstrich die »Richtigkeit des Auftragverfahrens«, worunter er


aber explizit ausschließlich die »Initiative und Selbständigkeit« der Armeeführer
verstand268. Kuhl warnte gleichzeitig aber davor, diesen »Grundsatz zu einer
Regel« zu machen, »die bedingungslos in allen Lagen angewendet werden muss«.
Vielmehr unterstrich er, dass »im Bewegungskrieg, je größer die Massen sind,
um so straffer die Leitung sein muss, um den einheitlichen Willen der O.H.L.
durchzudrücken«269. Damit lag Kuhl nicht nur auf der offiziellen Linie, wie sie in
den Vorschriften zu erkennen war, sondern vertrat auch die Meinung Schlieffens,
wonach Massenarmeen in einem modernen Krieg nur straff geführt werden
könnten. Im April 1928 hatte die Deutsche Wehr sogar eine Beitragsreihe be-
gonnen, in der unter dem Stichwort »Kampfprobleme« die wichtigsten Fragen
der Kampfführung aufgegriffen wurden270. Bereits im ersten Artikel wurde die
Einheitlichkeit des Handelns in der Operationsführung thematisiert. Darin hob
der bereits erwähnte Hierl die Bedeutung des »inneren Zusammenhang[s] der
Handlungen« hervor, die nur durch einheitliche und straffe Führung zu erreichen
sei271. Ganz im Sinne Moltkes d.Ä. und dessen Betonung der »Ordre de Bataille«
unterstrich er auch die Wichtigkeit der Wahrung von »Truppengliederung« und
»Befehlsverhältnisse[n]«272. Schließlich bezeichnete er »die aus missverstandenen
Moltkeschen Lehren vor dem Kriege manchmal abgeleitete Anschauung, dass
die Heeresleitung nur die Armeen operativ auf das Schlachtfeld heranzuführen
habe«, als »irrig« und sah darin den Hauptgrund für die verlorene Marneschlacht
von 1914. Er forderte deshalb eine auf den Möglichkeiten des neuzeitlichen
Meldewesens basierende »straffe Gefechtsführung«. Ebenfalls mit Blick auf die
Technik bezeichnete Marx das selbstständige Handeln eines Truppenführers nur
noch als »Führerromantik«273 und meinte:
»Alle Aufgaben, die mit dem selbständig entschließenden Führer rechnen,
setzen doch einen Fehler, eine Rückständigkeit voraus, denn eine derartige
Lage kann nur noch vorkommen, wenn die Technik versagt, oder wenn sie
nicht genügend ausgenutzt wird. In normalen Fällen kann der Unterführer
gar nicht mehr in die Lage kommen, einen ganz selbständigen Entschluss zu !!
fassen oder gar einen gegebenen Befehl nicht auszuführen.«
Diese Aussage Marx’ war sicher sehr zugespitzt formuliert und in gewisser
Hinsicht auch von einer erstaunlichen Naivität gegenüber den durch Clausewitz ?
und Moltke d.Ä. so stark gemachten Friktionen des Krieges gekennzeichnet.
Andererseits schloss sie den richtigen Gedanken ein, dass Auftragstaktik letzt-
lich den Rahmenbedingungen der Moltke’schen Zeit geschuldet war und mit den
neuzeitlichen technischen Möglichkeiten kaum mehr den Regelfall bilden sollte.
Allerdings forderten auch andere Autoren Konsequenzen aus den Erfahrungen

268
Ebd., S. 2 (Hervorhebung im Original). Dort auch das Folgende.
269
Ebd., S. 5 (Hervorhebung im Original).
270
Schriftleiter der Deutschen Wehr war Gen.d.Inf. a.D. Georg Wetzell, ehemaliger Chef
Op.Abt. I bei der OHL und ChdGenSt AOK 5, nach dem Krieg u.a. Chef des Truppenamts.
Ab 1931 nahm der ehemalige Referatsleiter im Reichsarchiv Major a.D. George Soldan die
Schriftleitung wahr. Wetzell war ab 1934 Schriftleiter des Militär­Wochenblattes. Pöhlmann,
Von Versailles nach Armageddon, S. 343, 354.
271
Hierl, Einheitlichkeit der Gefechtsführung, S. 259.
272
Ebd., S. 260. Dort auch das Folgende.
273
Marx, Die entschwindende Führerromantik, Sp. 1053. Dort auch das Folgende.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 225

mit der neuzeitlichen Kriegführung. So sah Mantey eine Lehre des Ersten
Weltkrieges darin, dass »eisern geführt, klar und deutlich befohlen werden« müs-
se274. Dabei solle »besonders der Zweck, auf den es ankommt, und wie er durch das
Zusammenwirken der verschiedenen Teile erreicht werden soll«, erklärt und die
Umsetzung des Befehls überwacht werden. Gerade in der unklaren oder fehlen-
den Kenntlichmachung von Sinn und Ziel einer Operation sah Mantey einen der
Hauptfehler der Marneschlacht von 1914. So meinte er, es sei doch »auffallend«,
dass trotz entsprechender Friedensausbildung »oft ganz besonders die Absicht
nicht klar angegeben worden ist«275. Als Beispiel erwähnte er den Befehl der OHL
an die 1. bis 7. Armee zur Einleitung der Marneschlacht vom 5. September 1914,
der nach Mantey hätte »halbsolang [sic!] sein [können], dafür aber klarer. Die
Absicht Durchbruch wird garnicht [sic!] erwähnt«276. Ähnliche Aussagen gibt es
zur »Michael«-Offensive von 1918. Kronprinz Rupprecht bemängelte etwa, dass
aus den Weisungen der OHL der angestrebte Endzweck nicht zu erkennen war277.
So notiert er am 5. April 1918 in seinem Kriegstagebuch:
»Es fällt auf, dass in sämtlichen Weisungen der O.H.L. eine eigentli-
che Absicht nie zu erkennen ist, sondern immer nur von zu erreichenden
Geländeabschnitten die Rede ist, und es macht mir den Eindruck, wie wenn
die O.H.L. sozusagen von der Hand in den Mund lebt, ohne sich zu bestimm-
ten operativen Absichten zu bekennen.«
Über der Frage, ob die Einheitlichkeit oder die Selbstständigkeit höher zu be-
werten sei, war es im Jahr 1929 in der Deutschen Wehr sogar zu einem regel-
rechten Schlagabtausch zwischen dem Schriftleiter des Blattes, Georg Wetzell,
und dem ehemaligen Generalstabsoffizier und nunmehrigen Oberarchivrat im
Reichsarchiv, Wolfgang Foerster, gekommen. Foerster hatte einen von Wetzells
Marne-Aufsätzen aufgenommen und war dezidiert für die Selbstständigkeit der
Armeeoberbefehlshaber in der Operationsführung eingetreten278. Wetzell ent-
gegnete nicht weniger entschieden mit einer Stellungnahme. Er trat für die kla-
re Unterordnung unter eine einheitliche, geordnete Führung ein, die im Krieg
durch eine oberste Heeresleitung gewährleistet werde. Wetzell war nicht kate-
gorisch gegen die Selbstständigkeit der Armeeoberbefehlshaber, diese habe sich
aber dem Ganzen unterzuordnen. Gerade die »neuzeitliche Kriegführung« sei
»im Zeitalter der Technik: Draht- und drahtlose Nachrichtenmittel, Kraftwagen,
Flugzeug, erheblich einfacher [...], als es zur Zeit des großen Moltke war«, weshalb
die »Unterordnung des Gedankens« gegenüber der Selbstständigkeit an Gewicht
gewonnen habe279. Andere Autoren wie Feeser oder Karl Justrow kritisierten je-
doch gerade, dass im Verlauf des Ersten Weltkrieges die lokale Initiative aufgrund
der verbesserten Nachrichtenmittel immer stärker eingeschränkt worden sei280.

274
Mantey, Führung von oben, S. 1166 (Hervorhebung im Original). Dort auch das Folgende.
275
Kriegsgeschichtliche Bemerkungen zu den »Grundzügen der höheren Truppenführung«,
von Mantey, 12.8.1930, BArch, RH 2/2901, Bl. 146 (Hervorhebung im Original). Dort
auch das Folgende.
276
Der Befehl findet sich in: Der Weltkrieg 1914‑1918, Bd 4, S. 3‑5.
277
Rupprecht, Mein Kriegstagebuch, Bd 2, S. 372 (5.4.1918). Dort auch das Folgende.
278
Foerster, Unterordnung des Gedankens.
279
Wetzell, Stellungnahme, S. 222 (Hervorhebung im Original).
280
Feeser, Soldatischer und bürgerlicher Gehorsam, S. 395; Justrow, Feldherr und
Kriegstechnik.
226 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

Die Frage, ob Selbstständigkeit oder straffe Führung anzustreben sei, blieb


jedenfalls weiterhin aktuell. Noch 1937 eröffnete das Militär­Wochenblatt eine
Artikelserie zum Thema »Die Verantwortlichkeit im Kriege«281. Erster Beitrag war
die bereits zitierte Abhandlung von Müller-Loebnitz zum Thema »Führerwille
und Selbständigkeit der Unterführer«. Nach Meinung des Hauptschriftleiters
(Wetzell) würde »dieses für alle Zeit bedeutsame Problem« der Verantwortlichkeit
im Kriege »das Interesse der gesamten Führerschicht, besonders der jüngeren, die
nicht mehr im Weltkrieg tätig war, finden«282. Dabei sprachen alle diese Autoren
weder der Selbstständigkeit noch der straffen, einheitlichen Führung einseitig das
Wort. Vielmehr wurde in allen Beiträgen deutlich die grundsätzliche Problematik
angesprochen und versucht, Wege aufzuzeigen, wie dem zu begegnen war.
Nachdrücklich brachte dies Kuhl auf den Punkt:
»Auch in der Anwendung des Auftragsverfahrens darf man nicht zu weit gehen,
ohne anderseits die Selbsttätigkeit der Unterführer zu unterbinden. Es gilt !
hierin die richtige Mitte zu halten283.«
Was er damit konkret meinte, veranschaulichte er in dem Beispiel der Verteidi-
gungsoperation vom 8./9. September 1914 an der Marne. Nach Meinung Kuhls
habe das »übliche Verfahren« der Auftragstaktik in diesem Fall nicht genügt. Der
knappe Befehl, wonach »die Marnestrecke [...] hartnäckig zu verteidigen« sei, hät-
te seines Erachtens durch einen klärenden Zusatz über die Art der Ausführung
ergänzt werden sollen284. Dieser Zusatz hätte nach Meinung Kuhls lauten sollen:
»Es kommt hier nicht auf eine offensive Flussverteidigung an, sondern auf
eine Besetzung und hartnäckige örtliche Verteidigung aller Übergangs- und
Brückenstellen, um den Feind nirgendwo hinüberzulassen. Gelingt dies bis
zum 10. einschl., so ist die Aufgabe gelöst.«
Damit wäre zwar – so Kuhl – der Raum für selbstständiges Handeln eingeengt,
das Vorgehen aber stärker im Sinne des Ganzen beeinflusst worden. Die Aussagen
Kuhls verdeutlichen das Spannungsfeld, in das sich die Militärs unweigerlich ver-
setzt sahen. Sowohl die straffe Führung von oben als auch die Selbstständigkeit
von unten hatten negative Seiten, die bei einseitiger Überhöhung erhebliche
Nachteile nach sich zogen. Es brauchte deshalb einen Ausgleich zwischen beidem.
Dieser konnte je nach Lage und Situation sehr unterschiedlich ausfallen und war
in der Realität deshalb nicht einfach zu erreichen. Daraus wird nochmals deut-
lich, dass Auftragstaktik nicht als absolutes, einzig richtiges Führungsverfahren
angesehen werden darf, das sich apodiktisch in immer derselben Weise zeigte,
sondern von den Rahmenbedingungen der Führung und der Lage determiniert
war.
Die Rahmenbedingungen für Auftragstaktik hingen jedoch nicht nur von
äußeren Faktoren ab. Bereits mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass etwa
die Qualität der militärischen Führer von essenzieller Bedeutung war. Weniger
hat z.B. darauf aufmerksam gemacht, dass der Ausfall zahlreicher bewährter

281
Müller-Loebnitz, Führerwille und Selbständigkeit, Sp. 1353. Das Militär­Wochenblatt be-
zeichnete sich selbst als »unabhängige Zeitschrift für die Deutsche Wehrmacht« und be-
saß nach Markus Pöhlmann zumindest eine »Teilfunktion als Amtsblatt«. Pöhlmann, Von
Versailles nach Armageddon, S. 327. Vgl. auch Corum, The Roots of Blitzkrieg, S. 127.
282
Müller-Loebnitz, Führerwille und Selbständigkeit, Sp. 1353.
283
Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung, S. 5 (Hervorhebung im Original).
284
Ebd., S. 12. Dort auch das Folgende.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 227

Offiziere in der Anfangsphase 1914 und der häufig ungenügend ausgebildete


Personalersatz zu einer Veränderung der Führungskultur geführt habe, die teils
sogar in eine Bevormundung und Überwachung von Kommandeuren durch
Generalstabsoffiziere entartet sei285. Günther Blumentritt betonte nach dem
Zweiten Weltkrieg in einer Studie für die Historical Division der US Army, dass
die Führungsmethode und Befehlstechnik des deutschen Heeres vor 1914 kurze
Befehle vorgesehen habe286. Ein 1928 in der Deutschen Wehr anonym erschienener
Artikel zum Thema »Befehlstechnik« bestätigte Blumentritts Aussage, wies aller-
dings darauf hin, dass dies häufig »zu allzu knappen Befehlen« geführt habe287.
Diese Entwicklung hin zu einer bis zur Unverständlichkeit übertrieben kurzen
Befehlsabfassung schilderte auch Kuhl:
»Kürze des Befehls ist gewiss von Bedeutung, wir haben darin aber im Frieden
doch manchmal übertrieben. Die Hauptsache ist doch, dass der Befehl klar ist !
und dass der Empfänger genau weiß, was er soll288.«
Im Verlauf des Krieges sollte das Pendel jedoch sehr rasch und nicht weniger
extrem in die andere Richtung ausschwenken. So wies Blumentritt darauf hin,
dass schon kurz nach Kriegsbeginn »in vielen taktischen Lagen doch etwas mehr
befohlen werden« musste und die Befehle bereits 1915 »nicht mehr so wie im
Frieden und wie 1914« gewesen seien, sondern »immer eingehender, länger« wur-
den289. Einen Grund dafür sah Blumentritt im Stellungskrieg, der »zu seitenlan-
gen Befehlen« verleitete, »die nicht nur den Auftrag enthalten, sondern genaue
Anweisung wie die Durchführung sein soll«. Daneben machte Blumentritt in
den hohen Ausfällen an aktiven Offizieren der Jahre 1914/1915 einen weiteren
Grund für die immer ausführlichere Befehlstechnik und die Einschränkung der
Selbstständigkeit der Unterführer aus290. Die ausgefallenen aktiven Offiziere hät-
ten in den Bataillonen, Regimentern und Stäben durch Reserveoffiziere ersetzt
werden müssen. Da diesen Offizieren »oft die festgefügten, taktischen Begriffe,
die Übung und Berufsausbildung« gefehlt hätten, habe in den Befehlen not-
wendigerweise bereits »eine gewisse Auflistung oder Erläuterung über das ›wie‹
der Durchführung gegeben werden« müssen291. Ähnliche Aussagen lassen sich
auch andernorts finden. So erwähnte Oberst a.D. Graf Schack, dass v.a. die
Kompaniechefs 1918 »durchschnittlich zu jung und unerfahren« gewesen sei-
en292. Das deutsche Heer von 1917/18 wurde von einigen hohen Offizieren so- !!
gar als »Miliz« bezeichnet.293 Schließlich schilderte auch der erwähnte anonym

285
Weniger, Die Selbständigkeit der Unterführer, S. 106.
286
Blumentritt, Kriegsgeschichtliche Erfahrungen über »Befehls-Technik«, BArch, ZA 1/653,
S. 5.
287
Befehlstechnik, S. 884.
288
Kuhl, Friedenserziehung und Kriegserfahrung, S. 12 (Hervorhebung im Original).
289
Blumentritt, Kriegsgeschichtliche Erfahrungen über »Befehls-Technik«, BArch, ZA 1/653,
S. 5 (Hervorhebung im Original). Dort auch das Folgende.
290
Vgl. zum Verlust der Homogenität und zur Vergrößerung des Reserveoffizierskorps:
DRWK, Bd 5/1, S. 734 (Beitrag Kroener).
291
Blumentritt, Kriegsgeschichtliche Erfahrungen über »Befehls-Technik«, BArch, ZA 1/653,
S. 6. Vgl. auch Groß’ Hinweis auf »schwere Ausbildungsmängel« bei jungen Unterführern
im letzten Kriegsjahr. Groß, Das Dogma der Beweglichkeit, S. 152.
292
Schack, Der Weltkrieg von hoher Warte aus gesehen, S. 751.
293
Siehe Gudmundsson, Stormtroop Tactics, S. 145.
228 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

verfasste Artikel zur »Befehlstechnik« die Tendenz, dass immer längere Befehle
geschrieben worden seien. Zuletzt seien Befehle zu »taktischen Leitfäden« ver-
kommen, die »immer mehr Einzelheiten der Ausführung« enthalten hätten:
»So kam man zu den 40 Seiten langen Befehlen, die man kurz vor dem Angriff
in vorderster Linie lesen sollte, aber nicht las und über die vor kurzem wieder
in der Militärliteratur gespottet wurde294.«
Aufschlussreich ist die Begründung, die der Artikel für die detaillierte Befehls-
gebung nachliefert. Hinter diesen längeren Befehlen habe die Absicht gestanden,
»Missverständnisse und Fehler« auszuräumen und besonders »das Zusammen-
wirken der Waffen« zu verbessern. Grundlegend für dieses Vorgehen sei je-
doch gewesen, dass »dem Verständnis und der taktischen Selbständigkeit der
Empfänger und ihrem Willem zum selbsttätigen Gehorsam« misstraut wurde295. !
Diese Äußerungen zu den Rahmenbedingungen der Auftragstaktik deuten nicht
nur den Zusammenhang von Auftragstaktik und Professionalität an. Sie festigen
auch den Eindruck, dass Auftragstaktik und das Gewähren von Spielraum für
selbstständiges Handeln immer auch davon abhing, ob ein Feldzug oder eine !
Operation militärisch erfolgreich verlief oder nicht296.
Allerdings muss auch eingeräumt werden, dass die Länge der Befehle kein
ausschließliches Problem des Ersten Weltkrieges, sondern ein stetig wiederkeh-
rendes Thema darstellten. So kritisierten z.B. die Besichtigungsbemerkungen von
1936, dass die »Befehle [...] vielfach zu umfangreich«297 sind. Auch der Ober-
befehlshaber des Heeresgruppenkommandos 3, Blaskowitz, bemängelte die »zu
lang[en] und zu umständlich[en]« Befehle und verlangte: »Keine endlos langen
Umdruck-Befehle298!« Wie sich die Rahmenbedingungen des Krieges auf die
Befehlstechnik auswirkten, wird noch in den Fallbeispielen des nächsten Kapitels
zu untersuchen sein.

294
Befehlstechnik, S. 884. Dort auch die folgenden Zitate.
295
Vgl. diesbezüglich auch Stachelbeck, Militärische Effektivität, S. 247, 352.
296
Vgl. auch ebd., S. 351 f. Dies zeigt sich etwa auch im Unternehmen »Barbarossa« 1941. Als
es bereits wenige Wochen nach Feldzugsbeginn zu unvorhergesehenen Widrigkeiten kam,
versuchte das OKH das Ruder durch straffe Führung herumzureißen. So räumte der ObdH
(Brauchitsch) in der Besprechung mit den Oberbefehlshabern der Heeresgruppen vom
25.7.1941 ein: »Die zähe rote Kampfmasse und die aufsaugende Tiefe des Kampfraumes
erfordert straffere Führung, als sie in den bisherigen Feldzügen erforderlich war. Eingriffe
des O.K.H. in die Operationen sind unvermeidbar. Es wird ersucht, sie [...] ohne
Empfindlichkeit hinzunehmen. In gleicher Weise müssen auch die Heeresgruppen am kur­
zen Zügel führen und den Armeen ihren Willen – auch in der taktischen Durchführung
– aufzwingen.« Anlage zu Obkdo. d. H.Gr. Süd/Ia, Nr. 1731/41 g.K., Besprechung beim
O.K.H. am 25.7.41, 28.7.1941, BArch, RH 20-17/24, S. 2 (Hervorhebung im Original).
Auch von Halder sind ähnliche Aussagen überliefert. Vgl. z.B. Abschrift, H.Gr. Mitte/Ia,
Nr. 826/42 geh., AOK 4/Ia, Nr. 166/42 geh., 23.1.1942, BArch, RH 2/2854, Bl. 6. Vgl.
auch Hürter, Hitlers Heerführer.
297
D 81/2+, Besichtigungsbemerkungen 1936, S. 7.
298
OB Gruppe 3, Ausbildungsfragen, 25.5.1938, BArch, RH 53-7/v. 108. Blaskowitz hatte
bereits im Jahresbericht 1937 an den ObdH den »Hang zur Vielschreiberei« in Befehlen
bemängelt. OB Gruppe 3/Ia, Nr. 770/37 geh., Betr.: Jahresbericht 1937 der Gruppe 3,
[Datum unlesbar], BArch, RH 15/265, Bl. 1.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 229

3. Die Entwicklung des Heeres in der Zwischenkriegszeit

Anders als in der Zeitspanne zwischen 1871 und 1914 war das deutsche Heer in
der Zwischenkriegszeit von 1918 bis 1939 verschiedenen Veränderungen unter-
worfen, die sich in struktureller, organisatorischer, wehrverfassungsmäßiger, aber
auch geistiger Hinsicht auswirkten299. Dabei können grundsätzlich zwei Phasen
unterschieden werden: Von 1919 bis 1933 fand vom militärischen Standpunkt
aus betrachtet eine Phase der Konsolidierung statt. Aus den deutschen innen-
wie militärpolitischen Wirren nach 1918 ging die Reichswehr – ab 1919 in vor-
läufiger, ab 1921 in ihrer endgültigen gesetzlichen Form – hervor. Dies geschah
jedoch nicht wie der Phönix aus der Asche. Das neue Militärsystem war von
den Siegermächten aufoktroyiert worden und sah nur noch eine kleine Streitkraft
aus Berufssoldaten vor. In gerade umgekehrter Bahn verlief die zweite Phase ab
1933. Unter dem Einfluss der veränderten politischen Lage begann ein Prozess
der »unkoordinierte[n] Expansion« des gesamten militärischen Apparates300.
Innerhalb weniger Jahre entstand aus der knapp 115 000 Berufssoldaten um-
fassenden Reichswehr ein Wehrpflichtsheer in Millionenstärke, das sich seit der
Einführung der allgemeinen Wehrpflicht am 16. März 1935 und der gleichzeiti-
gen Umbenennung in »Wehrmacht« auch vom Namen her unterschied301.
Im Rahmen dieser Arbeit konnte nicht untersucht werden, wie Auftragstaktik
in der Reichswehr ausgebildet wurde und wie die Offiziere, Unteroffiziere und
Mannschaften in diesem Sinne erzogen worden waren. Dies hätte den Rahmen
der vorliegenden Untersuchung zweifellos gesprengt, zumal der Fokus auf dem
Wehrmachtsheer und der Kriegführung lag. Konzeptionell war die Reichswehr
jedoch als »Organisationskern« und »militärischer Führungskader« für ein zu-
künftiges Massenheer vorgesehen302. Doktrinell blieb sie ganz den Traditionen
der preußisch-deutschen militärischen Denkschule verpflichtet. Die Gewichtung
des Bewegungskrieges mit seinen rasch und unaufhörlich ändernden Lagen, häu-
figen Begegnungsgefechten und der Betonung schneller entscheidungssuchen-
der Offensiven machte sich deshalb auch in der Ausbildung und Erziehung der
Führer bemerkbar, etwa im Entschluss Seeckts, aufgrund der eigenen Schwäche
nicht die Verteidigung des Reiches an den Grenzen, sondern das Konzept des frei-
en Operierens auszubilden303. Entsprechend hat die Analyse der Führungs- und
Ausbildungsvorschriften auch ergeben, dass die einschneidende Zäsur der deut-
schen Niederlage von 1918 keinen Kontinuitätsbruch in der Führungsdoktrin
verursacht hat. Die Führungs- und Ausbildungsvorschriften des Reichsheeres

299
Potempa, Im Schatten der Niederlage, S. 229 f., 244; Förster, Die Wehrmacht im NS-
Staat, S. 37.
300
Förster, Die Wehrmacht im NS-Staat, S. 37.
301
Absolon, Wehrgesetz und Wehrdienst, S. 78; Regling, Grundzüge der Landkriegführung,
S. 289‑314.
302
Grundzüge der deutschen Militärgeschichte, Bd 1, S. 303 (Beitrag Zeidler) (Zitate);
Förster, Die Wehrmacht im NS-Staat, S. 14; Potempa, Im Schatten der Niederlage, S. 234.
303
Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S. 537‑540. Dass es dabei verschiedene
Ansätze gab (z.B. Stülpnagel), die aber keinen wirklichen Bruch zur klassischen deutschen
operativen Doktrin darstellten, hat Groß unlängst herausgearbeitet. Groß, Mythos und
Wirklichkeit, S. 149‑165.
230 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

behielten die Betonung der Elemente Entschlossenheit, Offensivdenken und


Selbstständigkeit ebenso konsequent bei, wie sie die ausschlaggebende Rolle
des einzelnen Truppenführers auf taktischer Stufe für das Gelingen einer
Gesamtoperation hervorhoben. Als »tragende Maximen der Ausbildung« wur-
den letztlich die Homogenität, Disziplin, Effizienz und die Traditionen der alten
Armee betrachtet304. Es darf deshalb angenommen werden, dass der Auftragstaktik
aufgrund der Konzeption der Reichswehr als Führerheer und der Doktrin der
beweglichen Kriegführung, durch die hohe Ausbildungsintensität mit lang die-
nenden Berufssoldaten und aufgrund des hohen Stellenwerts einer einheitlichen
Erziehung sowie nicht zuletzt wegen der befürwortenden Haltung Seeckts ent-
sprechendes Gewicht beigemessen worden ist305.
Ganz anders zeigte sich wie erwähnt die Situation des deutschen Heeres ab
1933. Die Sorge um den Qualitätserhalt in einem künftig zu bildenden Massen-
heer hatte das Truppenamt in den Planungsarbeiten zwar bereits ab 1927 be-
schäftigt306. Nach 1933 hatte sich dies jedoch zu einer realen und zentralen
Problematik entwickelt, mit der sich v.a. das Heer konfrontiert sah, musste es
doch den Aufbau der bislang verbotenen oder nur auf Sparflamme gehaltenen
Wehrmachtteile Luftwaffe und Marine personell unterstützen und gleichzeitig
den eigenen Ausbau vorantreiben. Im Zuge der Heeresvergrößerungen der nach-
folgenden Jahre, die in kürzester Zeit und ohne Rücksicht auf Gründlichkeit und
Qualität durchgeführt wurden, kam es notgedrungen zur Aufteilung bestehen-
der Truppenteile für Neuaufstellungen und zum Verlust der Homogenität des
»fast schon familiär[en]« Führerkorps. Daneben musste die Ausbildung auf die
Bedürfnisse der jetzt breiten Masse an Wehrpflichtigen umgestellt werden307. Die
Durchmischung des ehemals exklusiven Heeresoffizierskorps mit Berufsunter-
offizieren, reaktivierten ehemaligen Offizieren, Ergänzungsoffizieren, Landes-
polizeioffizieren oder Offizieren des ehemaligen österreichischen Bundesheeres
führte kurzfristig zwar zu einer verminderten Einheitlichkeit im Denken308,
was jedoch durch eine entsprechende Ausbildung und Erziehung wieder hätte
wettgemacht werden können. Problematisch wurde dies erst dadurch, dass die
Intensität der Wiederaufrüstungsphase zwischen 1933 und 1939 zu einer star-
ken Beanspruchung des Heeresoffizierskorps mit alltäglichen, meist rudimentä-
ren gefechtstechnischen Inhalten der Rekrutenausbildung führte und dabei die
Erziehung besonders der jüngeren Offiziere in den Hintergrund gedrängt wur-
de. In den letzten Jahren vor dem Krieg häuften sich deshalb zunehmend die
Forderungen, das Offizierskorps nicht zu »überanstrengen« sowie »der innerli-

304
Förster, Die Wehrmacht im NS-Staat, S. 14. Vgl. auch Dülffer, Vom Bündnispartner zum
Erfüllungsgehilfen, S. 290.
305
Vgl. Citino, The Path to Blitzkrieg, S. 13, 30, 228; Corum, The Roots of Blitzkrieg,
S. 25‑50, 68‑96; Reinicke, Das Reichsheer. Vgl. auch Seeckt, Gedanken eines Soldaten,
S. 63 f., 141 f., 164‑167, 179.
306
Vgl. Förster, Die Wehrmacht im NS-Staat, S. 14.
307
Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, S. 48 (Zitat). Vgl. Demeter, Das deutsche Offizier-
korps, S. 199; DRWK, Bd 5/1, S. 732‑739, 998 (Beitrag Kroener); Müller, Hitlers
Wehrmacht, S. 19‑21.
308
Förster, Die Wehrmacht im NS-Staat, S. 86; Regling, Grundzüge der Landkriegführung,
S. 370‑372; Absolon, Wehrgesetz und Wehrdienst, S. 76.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 231

chen Geschlossenheit des Offizierkorps« wieder eine vermehrte Aufmerksamkeit


zu schenken309.
Tatsächlich zeigten sich nach Kriegsausbruch im Feldheer – besonders bei den
Infanterieverbänden – zunehmend Qualitätsmängel im personellen Bereich, wäh-
rend gleichzeitig die Heeresvermehrung weiter vorangetrieben wurde310. Zunächst
wirkte sich dies noch nicht voll auf die Leistungsfähigkeit des Heeres aus. Dies lag
einmal daran, dass die Erfahrungen aus dem Polenfeldzug in die daran anschlie-
ßende intensive Ausbildungsphase einflossen311. Entscheidender war jedoch, dass
die Verluste während des Polen- und Norwegenfeldzuges weit geringer als be-
fürchtet ausgefallen waren. Somit konnte das Heer den Westfeldzug 1940 mit
Verbänden antreten, die auf den entscheidenden Führerstellen mehrheitlich noch
über erfahrene Truppenführer verfügten.

4. Der Westfeldzug 1940 – Richtungsstreit


zwischen »Traditionalisten« und »Progressiven«

a) Überblick zum operativen Verlauf des »Sichelschnitts«‚

Frieser hat aufgezeigt, dass die vom OKH entworfenen Aufmarschanweisungen


für den Westfeldzug 1940 in keiner Weise die revolutionäre Dynamik enthalten
hatten, durch die sich später die laufende Operation zum sogenannten Blitzkrieg
entwickelte. Auch stellten die Entstehungsgeschichte der Aufmarschanweisung
für den Westfeldzug sowie der eigentliche Verlauf des Feldzuges keineswegs das
Bild »einer gründlich geplanten und einheitlich durchgeführten Operation nach
der klassischen Schule des Generalstabes« dar, wie dies etwa Halder nachträglich
zu reklamieren versuchte312. In Wirklichkeit war der rasche deutsche Sieg auf die
Verkettung vielfältiger Umstände zurückzuführen. Die deutsche Blitzkriegstaktik
war dabei eher »aus der Improvisation heraus entstanden« und ihr Erfolg zu einem
erheblichen Teil auf die eigenmächtigen Handlungen einzelner Panzergenerale
zurückzuführen313. Trotzdem sah die deutsche Heeresführung nach Abschluss
des Feldzuges in der »sehr kühne[n] Führung der Panzer- und motorisierten

309
VI. A.K., Erziehung des Offizierkorps, November 1937, BArch, ZA 1/2785, S. 3 (Zitate).
Vgl. auch Handakten Dollmann, Kdr.Besprechung Kassel, 9.12.1935, BArch, RH 53-
9/19, Bl. 47‑49; D 81/3+, Besichtigungsbemerkungen 1937, S. 6; DRWK, Bd 5/1,
S. 734‑736 (Beitrag Kroener).
310
DRWK, Bd 5/1, S. 821‑830 (Beitrag Kroener).
311
Zur Auswertung der Erfahrungen des Polenfeldzuges und den Auswirkungen auf die Aus-
bildung vgl. Murray, The German Response to Victory in Poland.
312
Brief Halders an Blumentritt, 9.1.1958, BArch, N 252/8. Zur Kontroverse während
der Operationsplanung vgl. Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 71‑116; DRWK, Bd 2,
S. 244‑259 (Beitrag Umbreit). In der Forschung wurde der Westfeldzug von 1940 jedoch
lange als Musterbeispiel betrachtet. Vgl. etwa Messenger, Blitzkrieg, S. 206: »Anders als
sein Vorgänger im Jahr 1914 hatte der deutsche Kriegsplan wie ein Uhrwerk funktioniert«.
313
Müller, Der letzte deutsche Krieg, S. 53 (Zitat); Frieser, Blitzkrieg-Legende, z.B. S. XIX
(Vorwort Roth), S. 71. Vgl. auch Hughes, Blitzkrieg, S. 380.
232 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

Divisionen« eine der wesentlichen Ursachen für den deutschen Sieg314. Dies war
nicht falsch, blendete aber die eigentliche Problematik bewusst oder unbewusst
aus. Tatsächlich war der Westfeldzug streckenweise nämlich von einer so aus-
geprägten »Eigendynamik« der deutschen Panzerverbände geprägt gewesen, dass
diese den Infanterieverbänden regelrecht davon fuhren. Letztlich führte dies sogar
dazu, dass der deutschen obersten Führung zwischenzeitlich die Kontrolle über die
operative Führung des Feldzuges verloren ging. Frieser hat nicht nur eindrücklich
herausgearbeitet, dass das Führungsvakuum auf deutscher Seite selbst verschul-
det war, sondern auch, dass sich »in dieser Ausnahmesituation [...] zahlreiche
Offiziere unter Berufung auf die Auftragstaktik immer hemmungsloser über alle
Befehle und Vorschriften hinweg« setzten315. Im vorliegenden Kapitel soll dies ex-
emplarisch anhand der Offensive der Heeresgruppe A durch die Ardennen – dem
sogenannten »Sichelschnitt« – untersucht werden.
Im Operationsplan des OKH vom 24. Februar 1940 lag der Angriffs-
schwerpunkt in der Mitte bei der Heeresgruppe A (Generaloberst Gerd von
Rundstedt)316. Diese sollte zwischen Dinant und Sedan den Übergang über
die Maas gewinnen und dann weiter in Richtung Somme vorstoßen. Die im
Norden liegende Heeresgruppe B (Generaloberst Fedor von Bock) hatte zwar die
Niederlande einzunehmen und gleichzeitig die belgischen Grenzbefestigungen
zu durchbrechen und nach Nordbelgien vorzudringen. Dies stellte jedoch ein
operatives Ablenkungsmanöver dar, dessen Hauptziel es war, möglichst vie-
le Verbände des französischen Heeres und des britischen Expeditionskorps auf
sich zu ziehen. In gleicher Weise sollten auch die Aufsehen erregenden deutschen
Luftlandeunternehmen z.B. gegen das Fort Eben Emael oder die Brücken über den
Albert-Kanal von der eigentlichen Operationsrichtung ablenken. Die im Süden
direkt vor der Maginotlinie bereit gestellte Heeresgruppe C (Generaloberst Ritter
von Leeb) hatte durch verschiedene Täuschungsmaßnahmen und Scheinangriffe
vorerst ebenfalls möglichst starke französische Kräfte zu binden.
Die Heeresgruppe A verfügte ihrer zentralen Rolle entsprechend mit mehr als
44 Divisionen über die stärksten Kräfte. Sie umfasste die 4. Armee (Generaloberst
von Kluge), die 12. Armee (Generaloberst Wilhelm List) und die 16. Armee
(General der Infanterie Ernst Busch) sowie die Panzergruppe Kleist (General
der Kavallerie Ewald von Kleist). Letztere wurde eigens für den Westfeldzug zu-
sammengestellt, in dem die deutsche Panzerwaffe erstmals operativ eingesetzt
werden sollte. Die Panzergruppe Kleist bestand aus drei Korps, dem XIV. (mot)
Armeekorps (General der Infanterie Gustav Anton von Wietersheim), dem
XIX. (mot) Armeekorps (General der Panzertruppe Heinz Guderian) sowie dem
XXXXI. (mot) Armeekorps (Generalleutnant Reinhardt). Damit konzentrierten
sich fünf der sieben Panzerdivisionen der Heeresgruppe A in diesem motorisier-

314
OKH/Heerwesenabt., Für den Kompanie-Führer (Merkblatt für den Unterricht), Nr. 5,
Juni 1940, BArch, RH 19 III/156.
315
Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 434; Groß, Mythos und Wirklichkeit, S. 216; Doughty, The
Breaking Point, S. 32. Vgl. auch Müller, Der letzte deutsche Krieg, S. 49; Müller, Militär-
geschichte, S. 270 f.
316
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 82,
299‑301; DRWK, Bd 2, S. 254‑260 (Beitrag Umbreit).
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 233

ten Großverband317. Der Verlauf der Operation durch die Ardennen übertraf
die kühnsten Hoffnungen. Bereits am 13. Mai 1940 – drei Tage nach Beginn
der Offensive – hatten das Panzerkorps Hoth bei Dinant und das Panzerkorps
Guderian bei Sedan die Maas erreicht, ihre Befestigungslinien durchbrochen
und auf dem westlichen Ufer Brückenköpfe gebildet. Am Folgetag erweiter-
te Guderian den Brückenkopf und stieß weit in den Westen und Süden vor.
Bis zum 15. Mai gelang der operative Zusammenschluss mit dem Panzerkorps
Reinhardt bei Montcornet, das einen Tag zuvor bei Monthermé ebenfalls die
Maas überwunden hatte. Diese überraschende und raumgreifende Operation der
beiden Korps führte zum Zusammenbruch der gesamten französischen mittleren
Verteidigungsfront. Damit lag auch das französische Hinterland für weiträumige
Operationen offen. Um diesen Erfolg voll ausnutzen zu können, ließ das OKH
am 17. Mai die Schnellen Verbände umbilden und bei der 4. Armee zusammen-
fassen. Das XV. (mot) Armeekorps wurde zur »Panzergruppe Hoth« erweitert,
der neu das XVI. (mot) Armeekorps (General der Kavallerie Hoepner) und das
XXXIX. (mot) Armeekorps (Generalleutnant Rudolf Schmidt) unterstanden.
Beide Panzergruppen stießen daraufhin zwischen Arras und dem Unterlauf der
Somme an die Kanalküste vor. Am 19. Mai erreichten deren Spitzen Abbeville,
am 20. Mai 1940 Noyelles. Damit war der Sichelschnitt – die entscheidende
Aktion des Westfeldzuges – gelungen. Die nördlich der Somme stehenden alli-
ierten Verbände waren eingekesselt, als einziger Ausweg verblieben der Rückzug
nach Dünkirchen und die Evakuierung über den Seeweg. Unterschiedliche
Vorstellungen über das weitere Vorgehen innerhalb der deutschen oberen und
obersten Führung sollten jedoch dazu führen, dass die deutschen Angriffsspitzen
gestoppt wurden und erst wieder ab dem 27. Mai 1940 gegen den Kessel vorgin-
gen318. Es sollte nochmals bis zum 4. Juni dauern, bis der Hafen von Dünkirchen
eingenommen und damit »Fall Gelb« abgeschlossen werden konnte319.

b) Planung und Organisation der Offensive

Seit den Tagen Moltkes d.Ä. war das preußisch-deutsche militärische Führungs-
denken von der Auffassung beherrscht, dass Operationen nach dem ersten
Feindkontakt nicht mehr planmäßig verlaufen würden. In deutlicher Anlehnung
meinte z.B. Rommel, dass »man [...] keinen Schlachtplan machen [könne], der
länger als einen Tag hält«320. Umso wichtiger war es deshalb, den Aufmarsch be-
sonders gründlich zu planen, um dem Gegner aus einer möglichst optimalen !
Verfassung heraus entgegentreten zu können, denn:

317
Das XIX. (mot) AK (PzK Guderian) bestand aus der 1., 2. und 10. PzD, das XXXXI. (mot)
AK (PzK Reinhardt) aus der 6. und 8. PzD sowie der 2. ID (mot), das XIV. (mot) AK aus
der 13. und 29. ID (mot). Die 5. und 7. PzD gehörten zum XV. (mot) AK von Gen.d.Inf.
Hermann Hoth (PzK Hoth), das dem AOK 4 (Kluge) unterstellt war. Die H.Gr. B verfügte
über die 3., 4. und 9. PzD, die H.Gr. C über keine. Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 118;
DRWK, Bd 2, S. 254 (Beitrag Umbreit).
318
Vgl. Halder, Kriegstagebuch (KTB), Bd 1, S. 307‑322 (21.‑27.5.1940).
319
Vgl. zum Operationsverlauf: Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 193‑289, 341‑379; DRWK,
Bd 2, S. 287‑292 (Beitrag Umbreit); Oetting, Auftragstaktik, S. 197 f.
320
Irving, Rommel, S. 167.
234 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

»Ein Fehler in der ursprünglichen Versammlung der Heere ist im ganzen


Verlauf des Feldzuges kaum wieder gut zu machen321.«
Trotzdem liefen die Planungen des Vorstoßes durch die Ardennen auf ein »vor-
programmiertes Chaos«322 hinaus. Verschiedenste Planungsfehler – etwa in der
Zuweisung der Bereitstellungsräume und Marschstraßen für die Panzerkorps –
und Rivalitätsdenken zwischen den Befehlshabern der Infanterie- und Panzer-
verbände hatten letztlich sogar dazu geführt, dass nicht erst der »Zusammenstoß
mit der feindlichen Hauptmacht« die gefürchteten Friktionen des Krieges verur-
sachte und eine neue Lage schuf 323. Lange bevor es zu entscheidenden Gefechten
mit dem Gegner kommen konnte, hatten sich die deutschen Truppenführer
selbst ausmanövriert. Wider Erwarten endete das Chaos jedoch nicht in einer
Katastrophe, sondern in einem der größten Triumphe der deutschen Militär-
geschichte. Die Handlungen während des Verlaufs der Operationen und die
Auswertung des Feldzuges nach dessen Abschluss zeigen, wie stark das deutsche
militärische Führungsdenken in den Moltke’schen Prinzipien verhaftet gewesen
war. Bezeichnenderweise urteilte etwa Halder rückblickend:
»[Das] ganz[e] Ausland ist auf der Suche nach den neuen Methoden der
Deutschen – diese waren es gar nicht – Krieg ist immer ein System von
Aushilfen324.«
Dadurch, dass der Westfeldzug von Anfang bis zum Schluss eine einzige
Aneinanderreihung von Friktionen darstellte, erhielten die deutschen Truppen-
führer auf allen Stufen aber ein weites Betätigungsfeld, das sie rege und auf ver-
schiedene Weise auszunützen verstanden. Dabei lassen sich die wesentlichen
Aspekte der deutschen Führungsdoktrin und auch die einzelnen Elemente aus
dem Modell der Auftragstaktik erkennen.
Die Planungen bildeten nur einen Aspekt der Schwierigkeiten. Der andere lag
in der erwähnten erstmaligen operativen Zusammenfassung von Panzerkräften
und der grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der deutschen
Generalität über deren Verwendung. Die Panzergruppe Kleist stellte »ein Mittel-
ding zwischen Korps und Armee dar«325, was z.B. dazu führte, dass sie über keine
eigenen Angriffsstreifen verfügte, sondern in den Abschnitten der Armeen operie-
ren musste. Diese forderten deshalb energisch die Unterstellung der Panzergruppe
unter ihr Kommando. Rundstedt löste diesen Konflikt nur halb, indem er der
Panzergruppe zwar operative Selbstständigkeit gewährte, falls es ihr gelingen wür-
de, weit vorneweg zu operieren. Bei stockendem Angriff und dem Aufschließen
einer der Armeen auf die Panzergruppe würde Letztere aber dem entsprechenden
Armeeoberkommando unterstellt werden. Diese unglückliche organisatorische
Einbindung der Panzergruppe Kleist innerhalb der Heeresgruppe A hatte die
Gefahr eigenmächtigen Handelns durch Panzertruppenführer noch verstärkt. Die

321
MMW, II/2: Strategie, S. 291. Manstein kritisierte im Januar 1940 den Operationsplan des
GenStdH mit Verweis auf diese Textstelle. Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 93.
322
Ebd., S. 125.
323
Moltke, Geschichte des deutsch-französischen Krieges, S. 8 (Zitat); Frieser, Blitzkrieg-
Legende, S. 125‑135.
324
H.Gr. C/Ia, Notiz Besprechung in Versailles, 28.6.1940, BArch, RH 19 III/141, Bl. 44
(Anlage 23).
325
Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 121 f.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 235

Panzergruppe wurde dadurch nämlich regelrecht dazu angetrieben, nach vorne zu


hetzen, um nicht einer der nachfolgenden Armeen unterstellt zu werden.
Die Gegensätzlichkeiten zeigten sich noch deutlicher in der geplanten
Umsetzung der Offensive. Die Panzergruppe Kleist hatte vom Heeresgruppen-
kommando A den Auftrag erhalten, rasch durch die Ardennen vorzustoßen und
handstreichartig das Westufer der Maas einzunehmen326. Als Angriffsziele wur-
den Sedan für das Panzerkorps Guderian und Monthermé für das Panzerkorps
Reinhardt festgelegt. Aufgrund dieser Ausgangslage hatte Kleist sich entschlossen,
mit den beiden Panzerkorps in Front vorzustoßen und sein drittes Korps, das
XIV. (mot) Armeekorps (Wietersheim), zurückgestaffelt folgen zu lassen. Dieser
flügelweise Einsatz der ersten Staffel wurde ihm vom Heeresgruppenkommando A
jedoch verboten, das kurzerhand einen treffenweisen Angriff befahl. Davon
war v.a. Reinhardt betroffen, der neu an zweiter Stelle hinter dem Panzerkorps
Guderian vorgehen musste, am vierten Tag nach Beginn der Offensive aber
trotzdem gleichzeitig mit diesem Korps den Übergang über die Maas gewinnen
sollte. Deshalb musste sich das Panzerkorps Reinhardt während des laufenden
Vormarsches in gegnerischem Gebiet umgruppieren und neben das Panzerkorps
Guderian einschwenken.
Das Vorgehen der Heeresgruppe ist nicht nur ungewöhnlich, weil es deutlich
macht, dass sowohl Rundstedt und sein Generalstabschef Sodenstern als auch
die Oberbefehlshaber der 12. und 16. Armee List und Busch dem Panzerangriff
keine Erfolgschancen einräumten und mit den Infanteriekräften den Maas-
übergang bewerkstelligen wollten327. Noch erstaunlicher ist allerdings, dass das
Heeresgruppenkommando der unterstellten Panzergruppe Kleist damit auch die
Art und Weise vorgab, wie der Auftrag auszuführen sei. Wie in der Analyse der
Führungsdoktrin gesehen, war es in den Vorschriften durchaus vorgesehen, dass
eine vorgesetzte Dienststelle den unterstellten Truppenführern das Verfahren eines
Unternehmens vorgab, soweit dies zur Koordinierung des Zusammenwirken aller
Teile nötig war und die Einheitlichkeit der Handlung sicherstellte. Dies war hier
jedoch nicht der Fall. Vielmehr ging es einzig darum, der Panzergruppe keinen
allzu großen Handlungsfreiraum zu gewähren, da die Entscheidung an der Maas
von den Infanterieverbänden der Armeeoberkommandos erzwungen werden soll-
te. Damit wurde jedoch gerade der von Seeckt betonte »gesunde Gedanke« ver-
letzt, wonach »der, welcher die Verantwortung für das Gelingen trägt, sich auch
den Weg zu ihm [d.h. dem zu erreichenden Ziel; der Verf.] wählen [können]
muss«328.

c) Der Vorstoß an die Maas

Grundsätzlich stand das Unternehmen von Beginn an unter erheblichem


Zeitdruck. Den Faktoren Schnelligkeit und Überraschung kam somit eine al-
les entscheidende Bedeutung zu. Dies zeigt sich etwa im Angriffsbefehl der
Panzergruppe Kleist:

326
Für das Folgende: Ebd., S. 126‑128.
327
Vgl. auch DRWK, Bd 2, S. 254 (Beitrag Umbreit).
328
Seeckt, Gedanken eines Soldaten, S. 64.
236 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

»Der Erfolg liegt in der Schnelligkeit. Es kommt darauf an, ohne Rücksicht
auf Rechts und Links schnell in die Tiefe durchzustoßen und den Verteidiger
immer wieder zu überraschen329.«
Dass dies gelang, zeigt z.B. die Aussage eines bei St. Valery gefangen genommenen
französischen Generals, der Rommel gegenüber meinte: »Sie sind zu schnell, viel
zu schnell für uns. Das ist alles330!«
Ebenso unermüdlich trieb auch Guderian seine Verbände in Richtung Maas
an, der mit seinem Panzerkorps die Angriffsspitze der Panzergruppe bildete und
von seinen Truppen forderte: »In drei Tagen an die Maas, am vierten Tag über die
Maas331.« Am 10. Mai 1940 durchbrachen die Verbände des Panzerkorps Guderian
die luxemburgischen Grenzsperren und die belgischen Grenzbefestigungen bei
Martelange und Bodange sowie am 11. Mai die belgisch-französische Verzöge-
rungslinie auf der Höhe von Neufchâteau. Bis zum 12. Mai stieß das Panzerkorps
über die Semois an die Maas weiter. Dieser rasche Vormarsch gelang nur dank
des ununterbrochenen Vorwärtsdranges und der ständigen Verfolgung des zu-
rückweichenden Gegners. Frieser konnte aufzeigen, dass dem Vorstoß durch die
Ardennen »kein festes System zugrunde« lag, sondern die deutschen Erfolge da-
rauf zurückzuführen waren, dass die deutschen Truppenführer ganz nach dem
System der Aushilfen agierten und häufig einfach flexibler und schneller auf die
neuen Situationen reagierten als die alliierten Truppenführer332. Von grundlegen-
der Bedeutung waren dabei zwei Aspekte: Zum einen befanden sich die deut-
schen Truppenführer in den entscheidenden Momenten meistens mitten im
Frontgeschehen und konnten deshalb rasch und adäquat auf neue Lagen reagieren
oder sich bietende Möglichkeiten ausnutzen, zum anderen war ihr Handeln von
einem entschiedenen Offensivdenken geprägt. Das Führen von vorne und das
entschlossene, offensive Vorgehen der deutschen Schnellen Truppen sollten für
die gesamte Sichelschnittoperation bezeichnend werden. Als sich z.B. am 10. Mai
1940 die ersten Aufklärungsfahrzeuge der Vorausabteilung der 1. Panzerdivision
der belgischen Grenze bei Martelange näherten und an die Sûre heranfahren woll-
ten, wurden sie von belgischen Ardennenjägern aus gut ausgebauten Stellungen
und Bunkern oberhalb von Martelange beschossen. Nach wenigen Minuten war
der Kommandeur des Schützenregiments 1 Oberstleutnant Hermann Balck vor
Ort, um die Lage zu beurteilen. Die TF sah für das Vorgehen gegen Stellungen
einen gründlich vorbereiteten und mit starken Kräften geführten Angriff vor,
der durch Artillerie, schwere Infanteriewaffen und eventuell Panzer unterstützt
werden sollte333. In Martelange lagen die belgischen Stellungen zudem an erhöh-
ter Lage, waren teils zu Bunkern ausgebaut sowie mit Hindernissen und Minen
verstärkt. Auf deutscher Seite fehlten schwere Mittel, außerdem musste zuerst
der Fluss durchwatet werden, da die Brücken gesprengt worden waren. Anstatt
nun aber einen Angriff aus der Vorbereitung heraus einzuleiten, befahl Balck der
unter Feuer stehenden Kradschützenkompanie kurzerhand über die Sûre hin-

329
Ia/Op, Nr. 214/40, 21.3.1940, BArch, RH 12-1/19, S. 2, zit. nach: Frieser, Blitzkrieg-
Legende, S. 117.
330
Koch, Rommel, S. 24.
331
Zit. nach: Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 129. Die folgenden Ausführungen beziehen sich
auf: Ebd., S. 136‑162.
332
Ebd., S. 160. Vgl. auch Müller, Der letzte deutsche Krieg, S. 55.
333
TF, S. 156‑170, 236.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 237

weg den oberhalb von Martelange verschanzten Gegner frontal anzugreifen. Der
schnell aus der Bewegung heraus geführte Handstreich überraschte die belgischen
Verteidiger derart, dass sie ihre Stellungen bald darauf aufgaben334.
Ein weiteres Beispiel offensiven Handelns bildet der Panzerangriff auf Bouillon
am 11. Mai 1940. Nachdem die französischen Verzögerungslinien bei Neufchâteau
von der 1. Panzerdivision auf Anhieb durchbrochen worden waren und die fran-
zösischen Verbände fluchtartig zurückdrängten, ließ der Kommandeur des an der
Spitze vorgehenden Panzerregiments 1 Oberst Johannes Nedtwig den Gegner ver-
folgen und mit der I. Panzerabteilung unmittelbar auf Bouillon vorstoßen, das in
der Planung als Haupthindernis beurteilt worden war. Dieser Vorausangriff einer
Panzerabteilung auf einen Ort entsprach ebenfalls nicht dem vorschriftsmäßigen
Vorgehen, das dafür infanteristische Kräfte vorsah. Dies schmälerte jedoch die
Wirkung nicht. Zwar gelang es der französischen Verteidigung noch, die Brücken
über die Semois zu sprengen und den deutschen Vorstoß dadurch zu verzögern,
jedoch waren die französischen Truppen durch das rasche deutsche Vordringen
erneut so überrascht worden, dass der wichtige Verkehrsknotenpunkt Bouillon
in der Nacht auf den 12. Mai ohne weitere Kampfhandlungen geräumt wurde335.
Aufschlussreich ist auch das Beispiel des Handstreichs über die Semois auf
Mouzaive am 11./12. Mai 1940336. Der mit seinem verstärkten Kradschützen-
bataillon 1 als Spitze des rechten Flügels der 1. Panzerdivision angreifende
Bataillonskommandeur Major Wend von Wietersheim hatte erkannt, dass die
französischen Truppen am 11. Mai die Verzögerungslinie hinter der Semois
bei Mouzaive noch nicht bezogen hatten. Damit bot sich die Gelegenheit, im
Rücken der sich zurückziehenden französischen Verbände eine Brücke über die
Semois einzunehmen. Allerdings lagen Mouzaive und die entsprechende Brücke
im Angriffsstreifen der 2. Panzerdivision und damit eigentlich außerhalb der
Befugnisse des Kradschützenbataillons. Wietersheim besprach mit Oberst Karl
Keltsch, dem Kommandeur der 1. Panzerbrigade, das eventuelle Ausgreifen über
den eigenen Angriffsstreifen hinaus und befahl dann, die Brücke durch eine sei-
ner Kompanien im Handstreich zu nehmen. Dies gelang, sodass die Franzosen
die Verzögerungslinie bereits als verloren aufgaben. Für die 1. Panzerdivision be-
deutete die Einnahme der intakten Brücke über die Semois hingegen, dass sie
verzugslos durch die französische Verzögerungslinie hindurch an die Maas vor-
stoßen konnte.
Das Beispiel ist aus verschiedenen Gründen interessant. Einmal belegt es of-
fensives Handeln auf der untersten Führungsebene. Dann zeigt es erneut, wie
stark auf deutscher Seite von vorne geführt wurde. Nur weil Wietersheim bei der
Spitze seiner Einheiten war, konnte er die unverhofft günstige Lage erkennen und
sofort reagieren. Drittens konnte sich Wietersheim trotz Zeitdruck vor seinem
Entschluss mit Keltsch, dem Kommandeur der Panzerbrigade, absprechen, der
ein etwaiges Ausbrechen über den Angriffsstreifen hinaus absegnete. Das Beispiel
verdeutlicht deshalb auch, wie der deutsche Führungsvorgang funktionierte und
wie stark er im Normalfall auf einem gegenseitigen Austausch – ob persönlich
oder fernmündlich – zwischen unterem und oberem Führer basierte (siehe auch

334
Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 138.
335
Ebd., S. 152, 154.
336
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: Ebd., S. 157 f.
238 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

Kap. IV). Wietersheims Handeln ist zwar von deutlicher Entschlossenheit und
Offensivdenken sowie von einer selbstständigen Lagebeurteilung geprägt und
belegt sein Urteilsvermögen, es ist aber folglich nicht als Auftragstaktik zu wer-
ten. Trotz Rücksprache mit dem Brigadekommandeur stellt der Handstreich
auf Mouzaive eine Eigenmächtigkeit zweier Unterführer dar. Das Eindringen in
den Angriffsstreifen der 2. Panzerdivision hätte nämlich zwingend vom General-
kommando bewilligt werden müssen. Aufgrund des erfolgreichen Ausganges ge-
nehmigten allerdings sowohl der Kommandeur der 2. Panzerdivision als auch
Guderian das Vorgehen Wietersheims nachträglich. Damit lässt sich schließlich
auch ein Aspekt erkennen, der wohl ein wesentlicher Antrieb für die Elemente der
Entschlossenheit, des Offensivdenkens und der Selbstständigkeit darstellte und
bereits mehrfach beobachtet werden konnte: Entscheidendes Kriterium dafür, ob
ein Handeln aus eigenem Entschluss nachträglich als richtig oder falsch beurteilt
wurde, war wie bereits gesehen der Erfolg oder Misserfolg einer Aktion. Dies wird
sich z.B. auch in der Phase des Maasüberganges nochmals zeigen.
Weit weniger problemlos verlief der Angriff des Panzerkorps Reinhardt. Für
dieses Korps, das wie gesehen aus einer unvorteilhaften Ausgangsposition her-
aus vorstoßen musste, begannen die Konflikte wenig erstaunlich bereits mit dem
Antreten aus den Bereitstellungsräumen am 10. Mai 1940337. Seit Beginn des
Vormarsches im Stau steckend, konnte es die gedrängte Marschplanung nicht
einhalten. Die Spitzen des Panzerkorps Reinhardt passierten erst am 12. Mai
1940 die luxemburgische Grenze, die Maas konnte erst am 14. Mai erreicht
werden. Dabei war der Befehl, wonach treffenweise vorzumarschieren sei, nur
ein Teil des Problems. Außerdem hatten die Panzerverbände viel zu wenige
Marschstraßen zugeteilt erhalten, die auch noch zusätzlich und missbräuchlich
durch andere Armeekorps verwendet wurden. Letztere waren einfach weiter-
marschiert, anstatt planmäßig an der luxemburgischen Grenze zu stoppen und
den Angriffsstreifen der 12. Armee dem Panzerkorps Reinhardt offen zu las-
sen. Als dieses endlich den Angriffsstreifen wie vorgesehen wechseln und zum
Schwenkmanöver nach rechts ansetzen wollte, kam es deshalb zu einem völligen
Auseinanderreißen des Panzerkorps, das nun mit verschiedenen Divisionen des
III. (Armeeoberkommando 12) und VI. Armeekorps (Armeeoberkommando 16)
vermischt wurde338. Das eigenmächtige Vorpreschen der Armeekorps war aller-
dings nicht auf eine Abstimmungspanne mit dem Panzerkorps Reinhardt zu-
rückzuführen, sondern aus Rivalitätsdenken den Panzertruppen gegenüber und
aus Neid entstanden, weil diese den prestigeträchtigen Maasübergang erzwingen
sollten. Als die Spitzendivision des Panzerkorps Reinhardt am 14. Mai südlich
von Monthermé endlich die Maas erreichte und diese überwinden wollte, war die
vorgesehene Stelle bereits von der 3. Infanteriedivision (III. Armeekorps) besetzt
worden, die nun zuerst über die Maas gehen sollte.
Das Vorgehen des III. und VI. Armeekorps erinnert dabei stark an Steinmetz’
eigenmächtiges Einschwenken auf Marschstraßen der Nachbararmee zu Beginn
des Feldzuges von 1870. Auch Steinmetz hatte aus reiner Profilierungssucht ge-

337
Für das Folgende: Ebd., S. 130‑135, 271‑273.
338
Das KTB der 6. PzD schildert am 12.5.1940 die Durchmischung mit Teilen der 2. PzD
(PzK Guderian) sowie der 16., 23., 24. und 32. ID. BArch, RH 17-6/1 D, S. 9, zit. nach:
Ebd., S. 133.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 239

handelt und damit das übergeordnete Operationsziel unnötig gefährdet. Das


Chaos des Vormarsches gefährdete jedoch nicht nur den Zeitplan und prä-
sentierte die Stoßstange an Stoßstange stehenden Panzerverbände als leichtes
Ziel für die gegnerische Luftwaffe. Nach Frieser markierte er auch den Verlust
des Vertrauens in die Absichten der höheren Führung und legte damit den
Grundstein für das gespannte Verhältnis zwischen den Panzerführern und den
vorgesetzten Kommandobehörden. In der Folge kümmerten sich Panzergenerale
wie Guderian immer weniger um die Vorgaben von oben, was dazu führte, dass
sich der Vormarsch an die Kanalküste »phasenweise zu einer ›freien Operation‹«
ausdehnte339.
Ein Grund dafür, dass der Vorstoß an die Maas allen Widrigkeiten zum Trotz
dennoch zum Erfolg führte, lag ganz wesentlich in der Art und Weise, wie die
Verbände auf die Offensive vorbereitet wurden. Im Panzerkorps Guderian wurde
die Durchführung des Unternehmens z.B. eingehend in Planspielen durchgespielt
und in Gefechtsübungen mit der Truppe vorbereitet. Der damalige Kommandeur
des Schützenregiments 1 (Balck) schilderte diese Vorbereitung rückblickend:
»Die Ausbildung wurde scharf auf die künftige Aufgabe abgestellt. Bis zum
Durchbruch bei Sedan wurde alles mit jeder Einzelheit in Planübungen und
jede Lage in ähnlichem Gelände auch in scharfem Schuss und mit Fliegern
durchgeübt [...] Die Übungen ließ ich völlig frei laufen, um alle an selbstän-
diges Handeln zu gewöhnen340.«
Die Vorbereitungen auf die Offensive waren so detailliert durchgeführt worden,
dass es gemäß Balck bis zum Maasübergang »keinerlei Überraschung« gab. Auch
die Befehlsgebung zum Durchbruch bei Sedan benötigte keine »langatmige[n]
Befehle«, sondern bedurfte lediglich der kurzen Anweisung: »Handeln wie
›Kriegsspiel Koblenz‹. X-Zeit heute 16.00 Uhr ... und alles lief weiter, wie am
Schnürchen.« Der Vorstoß nach Sedan und der Durchbruch über die Maas
waren somit wie ein überdimensioniertes Stoßtruppunternehmen vorbereitet
worden341. Die Einübung jeder Einzelheit verlieh nicht nur Sicherheit, da alle
verantwortlichen Stellen das übergeordnete Ziel und den geplanten Verlauf des
Unternehmens kannten und genau wussten, worauf es ankam. Die Art, wie die
Übungen angelegt wurden, schuf zudem auch die Grundlagen dafür, dass spä-
ter während der Offensive Friktionen durch entschlossenes und selbstständiges
Handeln der Unterführer überwunden wurden.

d) Der Maasübergang und der Panzerraid an die Kanalküste

Am 12. Mai 1940 stand das Panzerkorps Guderian vor Sedan an der Maas und
setzte am 13. Mai zum entscheidenden Sprung über den Fluss an342. Dabei hät-
te Sedan gar nicht zum Ort des operativen Maasübergangs werden sollen. Die
Kampfhandlungen bei Sedan zeigen denn auch in aller Deutlichkeit, dass es nicht

339
Ebd., S. 135.
340
Balck, Ordnung im Chaos, S. 267. Dort auch das Folgende.
341
Vgl. zur Mechanik von Stoßtruppunternehmen Kap. IV.3.c).
342
DRWK, Bd 2, S. 288 (Beitrag Umbreit). Für das Folgende: Frieser, Blitzkrieg-Legende,
S. 187‑190, 240‑267; Oetting, Auftragstaktik, S. 197‑200.
240 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

nur zwischen den Infanterie- und Panzerkommandeuren, sondern v.a. auch zwi-
schen Kleist und Guderian unterschiedliche Auffassungen über den Ansatz der
Panzerkräfte gab. Während Guderian bei Sedan angreifen wollte, hatte Kleist aus-
drücklich befohlen, dass der Angriffsschwerpunkt weiter westlich – d.h. hinter
dem Ardennenkanal – anzusetzen sei. Dies hinderte Guderian nicht daran einen
fait accompli zu schaffen, indem er trotz anders lautenden Befehlen bereits östlich
des Kanals nach Süden abdrehte und auf Sedan vorstieß, wo er den Maasübergang
erzwang343. Das Beispiel von Sedan verdeutlicht aber auch, dass eigenmächtiges
Handeln keine Besonderheit von Panzergeneralen darstellte. Guderian hatte für
den bevorstehenden Angriff über die Maas mit dem Kommandierenden General
des II. Fliegerkorps Generalleutnant Bruno Loerzer ein Angriffskonzept ent-
wickelt, das die Kombination des Panzerangriffs mit einem rollenden Einsatz
durch Stukas vorsah. Kleist hatte sich jedoch mit dem Oberbefehlshaber der
Luftflotte 3 General der Flieger Hugo Sperrle noch am 12. Mai darauf geeinigt,
als Angriffsvorbereitung ein konventionelles Massenbombardement durchzufüh-
ren. Trotzdem flogen die Bombergeschwader am 13. Mai einen rollenden Einsatz.
Dafür verantwortlich war Loerzer, der später Guderian gegenüber unumwunden
zugab:
»Der Befehl der Luftflotte 3, der alles umwarf, kam – na, sagen wir: zu spät.
Er hätte bei den Geschwadern nur Verwirrung hervorgerufen. Deshalb habe
ich ihn gar nicht erst weitergegeben344.«
Guderian änderte seine Vorgehensweise auch nicht, nachdem der Maasübergang
erreicht war. Die Meinungen Kleists und Guderians lagen nämlich nicht nur
hinsichtlich der Festlegung des operativen Schwerpunktes auseinander. Beide
vertraten auch unterschiedliche Ansichten über die Größe des am Westufer der
Maas zu bildenden Brückenkopfes. Während Kleist aufgrund der fehlenden
Infanteriekräfte die Bildung eines Brückenkopfes mit geringer Tiefe befürwor-
tete, wollte Guderian diesen auf 20 km ausdehnen. Ob dieser Frage war es am
12. Mai zwischen Kleist und Guderian zu einem Disput gekommen, in den so-
gar der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe eingreifen musste. Rundstedt verbot
schließlich den weiteren Vorstoß und stützte Kleists Ansicht. Dabei stützte sich
Rundstedt auch auf die Absicht der obersten Führung. Ausdrücklich hatte z.B.
Halder während der Vorbereitungen für den »Fall Gelb« festgehalten, dass ein
operativer Vorstoß der Panzer aus dem Brückenkopf erst nach Aufschließen der
Infanterie durchgeführt werden dürfe345. Auch Hitler hatte den Entschluss für das
weitere Vorgehen nach dem Maasübergang für sich selbst vorbehalten346.

343
Halder notierte dazu lediglich: »Gr. Kleist ballt sich stark bei Sedan zusammen, will
16.00 Uhr angreifen. Ansatz etwas verzwickt.« Halder, KTB, Bd 1, S. 292 (13.5.1940).
344
Zit. nach: Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 189. In Guderians Memoiren heißt es demge-
genüber einfach, dass der Befehl »zu spät eingetroffen« sei und Loerzer »ihn daher richti-
gerweise angehalten hatte«. Guderian, Erinnerungen eines Soldaten, S. 94. Uhle-Wettler
wiederum nennt die beispiellose Eigenmächtigkeit Loerzers »kalkulierte[n] Ungehorsam«
und bezeichnet dies als Selbstständigkeit, die »wie so oft in der deutschen Militärgeschichte
[...] den Tag« gerettet habe. Uhle-Wettler, Höhe- und Wendepunkte, S. 194.
345
Schreiben Halders an Sodenstern, 17.3.1940, BArch, RH 19 I/38, Bl. 160; Mellenthin,
Panzer Battles, S. 16.
346
Halder, KTB, Bd 1, S. 231 (17.3.1940).
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 241

Guderian war jedoch nicht gewillt, von seinem Entschluss abzusehen. Aus-
schlaggebend war dabei seine Überzeugung, dass nicht der Durchbruch bei
Sedan, sondern erst die Ausnutzung des Durchbruchs durch einen tiefen Panzer-
vorstoß entscheidend für den Erfolg des Sichelschnittplans sein würde347. Dieser
Gedanke bestimmte voll und ganz Guderians Handeln für den 14. Mai 1940 und
ließ ihn erneut jegliche Befehle missachten. Nachdem am 13. Mai ein Verband
der 1. Panzerdivision bei Malmy über den Ardennenkanal vorgestoßen war, eil-
te Guderian am 14. Mai auf den Gefechtsstand dieser Division. Nach kurzer
Lagebeurteilung befahl er, dass die 1. und 2. Panzerdivision nach Westen ein-
schwenken und in die Tiefe weiterstoßen sollten. Bereits am Morgen desselben
Tages war die 10. Panzerdivision auf Befehl Guderians weit nach Süden vorge-
drungen. Dabei war sie direkt in einen französischen Bereitstellungsraum hin-
eingestoßen, wodurch der französische Gegenschlag noch im Keim zerschlagen
werden konnte. Danach setzte sie ihren Angriff fort und ging in Richtung Stonne
vor. Die französische Führung glaubte nun, in diesem südlichen Vorstoß die neue
operative Hauptstoßrichtung der Deutschen zu erkennen, die vermeintlich in den
Rücken der Maginotlinie zielte. Aufgrund dessen setzte sie mit ihren operativen
Reserven nicht zum Gegenangriff an, sondern verstärkte die Befestigungslinien
und ging weiter südlich in die Verteidigung über.
Mit seiner Eigenmächtigkeit ignorierte Guderian ausdrückliche Befehle der
Panzergruppe Kleist, der Heeresgruppe A, des OKH und sogar eine Weisung
Hitlers. Erstaunlicherweise hatte der Ungehorsam Guderians für ihn (noch) kei-
ne Konsequenzen. Aufgrund des Erfolges wurden seine Eigenmächtigkeiten an
höherer Stelle – wenn auch nicht gerade erfreut – gebilligt. So beurteilte z.B. die
Panzergruppe Kleist Guderians Offensive nach Stonne trotz allem im Ergebnis
durchaus positiv:
»Durch die eigenmächtigen Maßnahmen des Kom. Generals des XIX. Armee-
korps, General der Panzertruppe Guderian, war für die Gruppe v. Kleist und
damit für den Gesamtverlauf der Operationen ein großer Erfolg erzielt und
eine große Gefahr abgewandt worden348.«
Es zeigt sich folglich auch bei Guderians eigenmächtigen Handlungen, dass der
Erfolg ein entscheidendes Kriterium darstellte. Nur diesem hatte es Guderian
letztlich zu verdanken, dass selbst seine mehrfachen und eklatanten Verstöße ge-
gen den militärischen Gehorsam nachträglich gutgeheißen wurden.
Entscheidend sollte für die deutsche Seite aber v.a. Guderians eigenmächtig
befohlener Vorstoß nach Westen werden. Dieser riss die anderen Panzerdivisionen
nämlich mit und verlieh der Offensive immer mehr Eigendynamik. Dies führte
schließlich nicht nur dazu, dass dem Gegner das Gesetz des Handelns aufge-
zwungen, sondern sogar der eigenen Führung das Heft der Führung völlig aus
der Hand gerissen wurde. Das Heeresgruppenkommando A wollte nämlich die
Panzergruppe Kleist ab dem 15. Mai 1940 nicht mehr weiter als operative Spitze vor
der Heeresgruppenfront angreifen lassen, sondern dem Armeeoberkommando 12
unterstellen349. Das mit seinen Spitzen an der Maas bei Monthermé vorgehen-

347
Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 243.
348
Durchbruch der Gruppe von Kleist, 2. Teil, BArch, RH 21-1/381, S. 36, zit. nach: Ebd.,
S. 258.
349
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: Ebd., S. 275‑277.
242 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

de Panzerkorps Reinhardt hätte sogar ganz aus der Front herausgezogen und als
Armeereserve zurückbehalten werden sollen. In dieser Situation sah sich nun auch
der bislang befehlsgetreu handelnde Kleist dazu gezwungen, die Befehle der vor-
gesetzten Kommandobehörde nicht mehr zu beachten. Anstatt wie befohlen seine
Divisionen von der Front abzuziehen, ließ Kleist den Angriff der 6. Panzerdivision
bei Monthermé mit aller Kraft weiterführen. Wie für Guderian ging es auch für
Kleist nicht in erster Linie darum, die operative Handlungsfreiheit gegenüber den
Franzosen, sondern gegenüber den eigenen Vorgesetzten zu erkämpfen.
Tatsächlich gelang der Durchbruch im Verlauf des frühen Vormittages des
15. Mai 1940. Die 6. Panzerdivision sollte daraufhin gemäß Befehl des Heeres-
gruppenkommandos nach Süden einschwenken, um die französische Verteidi-
gungslinie bei Nouzonville von hinten anzugreifen und dem III. Armeekorps
so den Maasübergang zu ermöglichen. Dagegen protestierte nun Reinhardt, der
den Erfolg operativ ausnutzen wollte und seine Panzer nicht in Gefechten an der
Maas verzetteln wollte. Letztlich war es jedoch der Kommandeur der 6. Panzer-
division Generalmajor Werner Kempf, der die Diskussionen um die operative
Ausrichtung des Panzerkorps Reinhardt bzw. der Panzergruppe Kleist mit einem
fait accompli beendete. Kempf weitete den Durchbruch über die Maas eigen-
mächtig zu einem operativen Stoß in die Tiefe aus und preschte in kürzester Zeit
bis Montcornet vor. Dort konnte er sich am 16. Mai mit Guderian und den
Spitzen seines Panzerkorps vereinigen. Damit hatten sich die von einem Korps-
und einem Divisionskommandeur eigenmächtig befohlenen Ausbrüche aus
den taktischen Brückenköpfen von Sedan und Monthermé zu einer operativen
Umfassungsbewegung entwickelt, die schließlich zum Zusammenbruch des ge-
samten französischen mittleren Verteidigungsabschnitts führte. Wie Guderians
Ausbruch aus dem Brückenkopf wurde auch die Eigenmächtigkeit Kempfs nicht
sanktioniert, sondern überzeugte Rundstedt vielmehr davon, die Panzergruppe
Kleist weiterhin als operative Spitze einzusetzen. Kempf selbst wurde am 3. Juni
1940 für seine Leistungen während des Feldzugs das Ritterkreuz verliehen350.
Der bisherige Verlauf des Vorstoßes durch die Ardennen und der Durchbruch
über die Maas haben deutlich gemacht, dass die Panzerkorps der oberen und
obersten Führung zeitweise das Gesetz des Handelns regelrecht aufgezwungen
haben. Wie sehr auch der weitere Verlauf der Offensive an die Kanalküste durch
den Primat der Unterführer bis Korpsstufe geprägt war, verdeutlicht sich z.B. in
dem folgenden Auszug aus Guderians Memoiren:
»Ich habe alle Entschlüsse bis zum Erreichen des Atlantik [sic!] bei Abbéville
[sic!] selbständig gefasst. Die obere Führung hat vorwiegend einen hemmen-
den Einfluss auf meine Operationen ausgeübt351.«
Es war denn auch bloß eine Frage der Zeit, bis die Eigenmächtigkeiten Guderians
zum offenen Konflikt mit seinen Vorgesetzten führen musste, zumal dieser
auch zukünftig nicht gewillt war, anders als wie bisher zu agieren352. Kleist hat-
te zuletzt am 15. Mai die aus dem Brückenkopf bei Sedan nach Westen und

350
Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 436.
351
Guderian, Erinnerungen eines Soldaten, S. 82.
352
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 315‑319;
DRWK, Bd 2, S. 290‑292 (Beitrag Umbreit); Oetting, Auftragstaktik, S. 199 f.; Mellen-
thin, Panzer Battles, S. 16 f.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 243

Süden vorgestoßenen Panzerverbände Guderians anhalten wollen, sich von


Guderian jedoch abermals überreden lassen und schließlich für einen weiteren
Tag Handlungsfreiheit gewährt. Diese nutzte Guderian dazu, mit seinem Korps
»rücksichtslos vorwärts«353 zu stürmen. Noch am 15. Mai erreichte er wie erwähnt
Montcornet. Am 16. Mai konnte das Panzerkorps Guderian die letzten eilig aufge-
stellten französischen Sperrriegel durchbrechen und mit seinen Spitzenverbänden
bis an die Oise vordringen. Damit hatte Guderian nicht nur Entscheide gefällt, die
eigentlich in den Verantwortungsbereich der Panzergruppe Kleist fielen, sondern
auch – allerdings unwissend – eine von Kleist befohlene Haltelinie überquert354.
Die Panzergruppe hatte nämlich am Nachmittag des 16. Mai befohlen, dass am
17. Mai nur bis zur Linie Vervins–Montcornet vorgestoßen werden dürfe. Dieser
Befehl erreichte Guderian erst am 17. Mai um 0.45 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt
stand das Panzerkorps bereits 30 km weiter westlich, weshalb Guderian den
Befehl als veraltet betrachtete und sich kurzerhand entschloss, weiterzustoßen.
Nun platzte Kleist der Kragen. Er befahl dem Panzerkorps, sofort anzuhalten,
und beorderte Guderian zu sich. Nach einer heftigen Auseinandersetzung bat die-
ser um Enthebung von seinem Posten, worin Kleist einwilligte355. Die Enthebung
Guderians sollte jedoch bloß eine Episode bleiben. Bereits am Nachmittag des-
selben Tages erhielt er das Kommando über sein Korps zurück. Allerdings soll-
te das Panzerkorps Guderian fortan nur noch mit »kampfkräftiger Aufklärung«
vorangehen, der Korpsgefechtsstand aber nicht mehr weiter nach vorne verlegt
werden. Guderian verstand es, seine Panzer unter diesem Deckmantel weiter vor-
stoßen zu lassen. Am Abend des 18. Mai erreichte sein Korps bereits St. Quentin
und bis zum 20. Mai wie bereits erwähnt Abbeville356.
Die bisherigen Ausführungen beschränkten sich auf die Panzergruppe Kleist
mit den beiden Panzerkorps Guderian und Reinhardt. Auf dem rechten Flügel
der Heeresgruppe A stand daneben das Panzerkorps Hoth, das der 4. Armee un-
terstellt war und die Maas auf belgischem Gebiet überqueren sollte. Auch dieses
Panzerkorps zeichnete sich durch ein schnelles und aggressives Vorwärtsdrängen
auf verschiedenen Führungsebenen aus. Die Kämpfe verschiedener Stoßtrupps
und Vorausabteilungen belegen zudem, dass auch hier auf deutscher Seite ständig
von vorne geführt wurde. Der handstreichartige Übergang über die Maas bei Houx
am 12. Mai oder die Bildung der Brückenköpfe bei Houx und Dinant am 13. Mai
wären sonst gar nicht erst zustande gekommen357. Bei diesem Panzerkorps findet
sich in der Person von Generalmajor Rommel das wohl ausgeprägteste Beispiel ei-
nes von vorne führenden und vorwärts drängenden Kommandeurs. Rommel hat-
te durch seinen impulsiven Führungsstil z.B. entscheidenden Anteil am raschen
Übergang seiner Division über die Maas. So befahl er einzelne Einheiten, wies sie

353
KTB PzK Guderian, BArch, RH 21-2/41, S. 52, zit. nach: Frieser, Blitzkrieg-Legende,
S. 317.
354
Der Befehl kam allerdings von Hitler, der für alle Panzerverbände ein generelles Halten
befohlen hatte, bis die Infanterieverbände aufgeschlossen waren. Der Grund dafür lag in
Hitlers Angst um die ungeschützte linke Flanke. DRWK, Bd 2, S. 290 (Beitrag Umbreit).
Vgl. auch Halder, KTB, Bd 1, S. 301 (17.5.1940); Mellenthin, Panzer Battles, S. 24.
355
Siehe Guderian, Erinnerungen eines Soldaten, S. 98; Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 318;
DRWK, Bd 2, S. 290 f. (Beitrag Umbreit); Deighton, Blitzkrieg, S. 265.
356
Mellenthin, Panzer Battles, S. 17.
357
Siehe Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 280‑288.
244 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

in die Stellungen ein, half selbst beim Bau einer Fähre und übernahm zeitweise
persönlich das Kommando über das II./Schützenregiment 7 – kurz gesagt: er han-
delte wieder wie als Stoßtruppführer im Ersten Weltkrieg358. Rommel zeichnete
sich aber auch durch kaum zu überbietende Eigenmächtigkeiten aus, die ihn zu
einem Truppenführer werden ließen, der von seinen Vorgesetzten praktisch nicht
geführt werden konnte. So führte er seine 7. Panzerdivision auf eine Weise, die
sie nicht nur für die französische Seite, sondern auch für die eigenen Vorgesetzten
zur »division fantôme«359 machte. Dabei zeigte sich bei Rommel, dass er zunächst
v.a. den eigenen Vorteil im Auge hatte und streckenweise seinen eigenen Krieg
führte. Hoth beabsichtigte nämlich für den 14. Mai, die beiden Brückenköpfe
von Houx und Dinant zu erweitern und zusammenzuschließen. Rommel befahl
seinem Schützenregiment 7 jedoch noch bevor die gesamte Division übergesetzt
hatte, westlich nach Onhaye weiter zu stoßen. Nach harten Kämpfen gelang es
schließlich sogar am selben Tag auch die zweite französische Verteidigungslinie zu
durchbrechen und bis nach Morville vorzudringen. Wie skrupellos Rommel dabei
für die Erreichung seiner Ziele zu agieren bereit war, zeigt folgende Episode aus
dem Übersetzen der Panzerverbände über die Maas am 14. Mai. Offenbar hatte
er zuvor sein eigenes Brückenmaterial vollständig aufgebraucht und sich für den
Maasübergang beim Material der 5. Panzerdivision bedient. Als dann die schwe-
ren Panzer dieser Division über die tragfähigere Brücke der 7. Panzerdivision
übersetzen mussten, unterstellte sich Rommel auch noch die Panzer und setzte
sie zur Unterstützung seines eigenen Angriffs ein360. Bis am 15. Mai vormittags
hatten schließlich alle Teile der 7. Panzerdivision die Maas überwunden und wa-
ren nach Morville aufgeschlossen, von wo aus Rommel die in Flavion bereit ge-
stellte französische 1. Panzerdivision angriff. Nach Eintreffen der Panzerspitzen
der 5. Panzerdivision brach Rommel das Gefecht sofort ab und stürmte über
25 km weit in westlicher Richtung nach Froid-Chapelle vor. Wie Kempf und
Guderian im Süden schlug Rommel im Norden eine Bresche in die französische
Verteidigungslinie, die schließlich auf alliierter Seite eine Kettenreaktion auslöste
und zum Zusammenbruch der Maasfront führte361.
Nach David Irving stieß Rommel mit seiner 7. Panzerdivision wie ein lan-
ger gestreckter »Zeigefinger« in die alliierten Verteidigungslinien hinein und kam
dabei in solch horrendem Tempo vorwärts, dass er zeitweilig von der »Hand«
der hinter ihm nachrückenden 4. Armee abgeschnitten wurde362. So auch in der
Nacht vom 16./17. Mai 1940, als die 7. Panzerdivision die sogenannte »verlän-
gerte Maginotlinie« westlich von Clairfayts und bei Solre-le-Château durchbrach
und Rommel daraufhin nur mit geringen Kräften seiner Division über Avesnes
nach Le Cateau vorwärtsstürmte363. Dabei ist auch der größere Befehlsrahmen zu
beachten. Das Heeresgruppenkommando A hatte am Morgen des 16. Mai verbo-
ten, auf die französischen Befestigungslinien vorzugehen. Diese sollten durch das

358
Oetting, Auftragstaktik, S. 201; Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 287.
359
Irving, Rommel, S. 75; Müller, Der letzte deutsche Krieg, S. 52.
360
Irving, Rommel, S. 77. Siehe auch Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 289; Deighton, Blitzkrieg,
S. 241.
361
Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 294 f., 298 f. Siehe auch Deighton, Blitzkrieg, S. 261.
362
Irving, Rommel, S. 61.
363
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 331‑341;
Oetting, Auftragstaktik, S. 202 f.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 245

V. Armeekorps durchbrochen werden, erst dann sollte das Panzerkorps Hoth ope-
rativ in die Tiefe des Raumes vorstoßen. Auch der Oberbefehlshaber des Heeres,
Brauchitsch, sprach sich dafür aus, die Panzerverbände herauszunehmen und
»kürzer am Zügel [zu] halten«364. Der Oberbefehlshaber der 4. Armee Kluge un-
tersagte zunächst ebenfalls, ohne Genehmigung des Armeeoberkommandos in die
Tiefe durchzubrechen. Dann erlaubte er dem Panzerkorps Hoth allerdings einen
begrenzten Vorstoß nach Westen. Hoth erteilte daraufhin der 7. Panzerdivision
einen Vorbefehl, wonach der Durchbruch durch die französischen Linien mit
nachfolgendem Angriff auf Avesnes einzuleiten sei. Rommel nutzte die Gunst
der Stunde und stieß mit seiner Division über die französische Grenze bis zur
verlängerten Maginotlinie. Dort gelang nach schweren Gefechten der erwähn-
te Durchbruch durch die französischen Befestigungslinien. Anstatt jedoch die
Durchbruchsstelle zu einem Brückenkopf zu verstärken, preschte Rommel trotz
mittlerweile eingesetzter Nacht in Richtung Westen auf Avesnes – sein taktisches
Operationsziel – vor, das er gegen Mitternacht erreichte365. Nach geglückter
Abwehr eines Gegenangriffs der französischen 1. Panzerdivision entschloss sich
Rommel unverzüglich weiter westwärts anzugreifen. Bis zum frühen Morgen hat-
te er an der Spitze seiner Vorausabteilung die Sambreübergänge bei Landrecies
eingenommen und war 50 km weit bis nach Le Cateau vorgedrungen.
Erst jetzt schien Rommel zu bemerken, dass er nur mit der Masse seines
Panzerregiments und Teilen einer Kradschützenkompanie in Le Cateau stand.
Unter dem Befehl des Kommandeurs des Panzerregiments sollten diese Kräfte sich
einigeln. Währenddessen eilte Rommel zurück, um die Reste seiner Division nach
vorne zu führen. Auf diese traf er erst in Avesnes, wofür es zwei Gründe gibt, die
auch mit Rommels eigenständigem Vorpreschen zusammenhingen: Zum einen
war nach dem Durchbruch durch die verlängerte Maginotlinie und dem stürmi-
schen Vorwärtsdrängen Rommels nach Avesnes auf dem Divisionsgefechtsstand
am 17. Mai um 22.30 Uhr der schriftliche Operationsbefehl des Panzerkorps
Hoth eingetroffen. Diesem zufolge sollte die 7. Panzerdivision erst am 17. Mai
um 8.00 Uhr Avesnes angreifen und sich nach Einnahme der Ortschaft für einen
weiteren Vorstoß nach Westen bereithalten366. Dem Ia der Division Major i.G.
Otto Heidkämper gelang es jedoch schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr,
Funkkontakt zu Rommel herzustellen. In Unkenntnis des Standortes seines
Divisionskommandeurs und ohne Weisungen über das weitere Vorgehen handel-
te Heidkämper den Vorgaben des Korpsbefehls entsprechend. So stieß das Gros
der Division erst wieder am Morgen des 17. Mai in Richtung Avesnes vor. Zum
anderen hatte sich Rommel durch sein eigenwilliges Vorgehen selbst in diese ge-
fährliche Situation gebracht. Frieser hat aufgezeigt, dass Rommel immer nur dann
über Funkverbindung zu erreichen war, wenn es ihm gerade passte. So meldete
er sich z.B. erst, nachdem die Lage bei Avesnes bereinigt war. Funksprüche der
Division und des Korps, in denen Rommel gemeldet wurden, dass er sofort an-
halten müsse und nicht über Avesnes hinausstoßen dürfe, schienen jedoch nicht
bei ihm angekommen zu sein. Als er schließlich in Le Cateau hielt, war Rommel

364
AOK 4, KTB, BArch, RH 20-4/54, S. 101, zit. nach: Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 332.
365
Irving, Rommel, S. 64.
366
XV. PzK, Korpsbefehl für den 17.5.1940, BArch, RH 21-3/38, zit. nach: Frieser, Blitzkrieg-
Legende, S. 338.
246 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

tatsächlich weit über die Funkreichweite hinaus vorgedrungen und konnte weder
Treibstoff noch Verstärkung anfordern.
Rommels Handeln am 16./17. Mai kann nur als »völlige[s] Ausbrechen
[...] aus den Befehlszwängen« gewertet werden367. Damit übertraf er sogar noch
Guderian, dessen Panzervorstoß nach Westen am 17. Mai gestoppt werden konn-
te. Rommel hingegen ignorierte nicht nur Hitlers Weisung, sondern konnte gar
nicht erst an das Funkgerät geholt werden und war eine ganze Nacht lang einfach
verschwunden. Der Erfolg sollte aber auch hier zum ausschlaggebenden Faktor
werden: Rommel durchbrach mit seiner Vorausabteilung nicht nur die verlänger-
te Maginotlinie, sondern auch die französische Verteidigungslinie an der Sambre,
worauf sich das französische II. Armeekorps in Panik auflöste. Noch während der
laufenden Operationen wurde Rommel dafür auf ausdrücklichen Befehl Hitlers
das Ritterkreuz übergeben368.
Der bisherige Verlauf der Kampfhandlungen hat gezeigt, dass die Truppenführer
der Schnellen Verbände immer wieder vehement vorwärts drängten und günstige
Lagen ohne Rücksicht auf die nachrückende Infanterie rasch auszunutzen verstan-
den. Dies war nur möglich, weil die deutschen Truppenführer in den entscheiden-
den Momenten von vorne führten oder zumindest über Nachrichtenverbindungen
zu erreichen waren. Wie ausgeprägt dies der Fall gewesen ist, haben die erwähnten
Beispiele von Guderian oder Rommel gezeigt369. Dabei darf eines nicht ausgeblen-
det werden: Die Truppenführer waren häufig während des heikelsten Zeitpunktes
direkt im Brennpunkt des Geschehens. Das Führen von vorne konnte deshalb be- !
wirken, dass Handeln im Sinne der Auftragstaktik gar nicht erst nötig wurde. Der
von Balck befohlene Handstreich auf Martelange war ein solches Beispiel. Ein
weiteres findet sich bei Generalleutnant Friedrich Kirchner, dem Kommandeur
der 1. Panzerdivision, nach dem Maasübergang. Kirchner befand sich während
dieser heiklen und schwierigen Phase ganz vorne. Dadurch konnte er unmittelbar
auf die Bedrohung durch bevorstehende französische Angriffe aus Chémery und
Bulson reagieren. Er befahl persönlich der 14./Infanterieregiment (mot) »GD« in
Richtung Chémery und der 4./Panzerregiment 2 nach Bulson vorzustoßen, wo-
durch die französischen Verbände noch in der Bereitstellung zerschlagen werden
konnten370.
Daneben hat es aber auch in diesem Feldzug Beispiele auftragstaktischen
Handelns gegeben, besonders dann, wenn die Truppenführer aufgrund der
Gefechtsart oder der Lage nicht immer direkt an den entscheidenden Orten sein
konnten. Gerade auf taktischer Ebene liest sich das Verhalten deutscher Unterführer
deshalb häufig wie aus einem Lehrbuch. Dies zeigte sich z.B. während des
Luftlandeunternehmens »Niwi« auf die belgischen Ortschaften Nives und Witry
am 10. Mai 1940, das durch zwei verstärkte Kompanien des Infanterieregiments

367
Ebd., S. 331. In abgeschwächter Form bestätigt dies auch Oetting, Auftragstaktik, S. 203.
368
Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 340; Irving, Rommel, S. 71; Scherzer, Die Ritterkreuzträger,
S. 638.
369
Vgl. auch Pz.Jäg.Kp./IRGD, KTB, BArch, RH 37/6332 (10.5.1940): »Der [Regiments-]
Kommandeur ist jetzt ganz vorn. Er verschafft sich immer wieder Einblick in das Gelände
unmittelbar vor uns. So kann er am besten führen.«
370
Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 234 f.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 247

(mot) »Großdeutschland« (GD) durchgeführt wurde371. Wegen verschiedener


Friktionen landete die erste Welle der Nordabteilung nicht an der vorgesehenen
Stelle bei Nives. Damit fehlte ausgerechnet der Kompaniechef, der mit seiner
Gruppe viel weiter südlich zerstreut wurde. Mit der zweiten Welle traf Leutnant
Obermeier ein. Nach Abwarten der dritten Welle entschloss sich dieser, mit ledig-
lich zwei schwachen Infanteriezügen die Straße von Neufchâteau nach Bastogne
zu sperren, wie dies der Auftrag der Nordabteilung vorsah372. Trotzdem gelang es
im Verlauf des Tages, mehrere französische Angriffe abzuwehren, bis am Folgetag
die Angriffsspitzen der 2. Panzerdivision den Ort erreichten373.
Auch der Maasübergang am 13. Mai belegt initiatives und selbstständiges
Handeln auf den untersten Führungsstufen. Der Durchbruch gelang dabei im
Wesentlichen durch drei infanteristische Stoßtruppunternehmen: Durch Ober-
leutnant René l’Homme de Courbière mit Teilen der 6./Infanterieregiment
(mot) »GD«, durch Oberleutnant Günther Korthals mit zwei Zügen der 3./
Sturmpionierbataillon 43 und durch Feldwebel Walter Rubarth mit einer ver-
stärkten Sturmpioniergruppe der 2./Panzerpionierbataillon 49374. Der infante-
ristische Durchbruch der Verteidigungslinie bei Sedan und die unmittelbar fol-
gende Einnahme der überragenden Höhe 247 durch die 6./Infanterieregiment
(mot) »GD« geschah ohne Verbindung zu Vorgesetzten und ohne Befehl, sondern
lediglich aufgrund des Bataillonsauftrags. Auch der Übergang der Stoßgruppe
Korthals weiter westlich von Sedan zwischen Donchery und Frénois erfolgte auf
selbstständigen Entschluss Korthals’ und ohne Rücksprache mit Vorgesetzten.
Korthals durchbrach die französische Bunkerlinie, zerstörte mehrere Bunker
und ermöglichte dadurch den raschen Vorstoß des Schützenregiments 1 über
die Maas. Südöstlich von Sedan bewerkstelligte schließlich Rubarth den von
der 10. Panzerdivision bereits gescheitert geglaubten Maasübergang. Mit weni-
gen Leuten konnte er die Maas überwinden, die erste und zweite französische
Widerstandslinie durchbrechen und mehrere Bunker zerstören. Damit war auch
die Bresche für die 10. Panzerdivision geschlagen375.
Ein besonders aufschlussreiches Beispiel stellt das Gefecht der 14. (Panzer-
jäger-)/Infanterieregiment (mot) »GD« am 15. Mai 1940 um Stonne dar376. Der
Zug des Oberfeldwebels Hans Hindelang war vom Kompaniechef – Oberleutnant
Helmut Beck-Broichsitter – als Kompaniereserve außerhalb von Stonne zurück-
behalten worden. Als alle Panzerjägerzüge bereits im Kampf eingesetzt waren,
griffen zusätzliche französische Panzer des Typs Char B die deutschen Stellungen

371
Für das Folgende: Ebd., S. 141‑146; Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland,
Bd 1, S. 90 f., 103 f.
372
Zur Gliederung der Nord- und Südabteilung siehe ebd., S. 90 f.
373
Obermeier erhielt dafür das EK I, was zeigt, dass Handeln im Sinne der Auftragstaktik
nicht automatisch mit der Verleihung des Ritterkreuzes (RK) belohnt wurde. Ebd., S. 141.
374
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 197‑216;
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 115‑120; Uhle-Wettler,
Höhe- und Wendepunkte, S. 195‑197.
375
Rubarth bekam dafür am 3.6.1940 das RK verliehen und wurde zum Leutnant befördert.
Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 211; Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 642.
376
Für das Folgende: Pz.Jäg.Kp./IRGD, KTB, BArch, RH 37/6332 (15.5.1940); Die Ge-
schichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 134‑136; Frieser, Blitzkrieg-Legende,
S. 259 f.
248 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

an. Dies führte zu einem sehr kritischen Moment, da der Kompaniechef in die-
ser Situation keine Verbindung zu Hindelang hatte und auch keinen Melder
schicken konnte, der die Reserve auslöste. Nachdem Hindelang den Warnruf
»Panzer« selbst vernommen hatte, nahm er seinen Zug jedoch »aus eigenem
Entschluss« auf, stieß durch Stonne hindurch nach vorne und konnte die neu
aufgetauchten Panzer nach verlustreichem Gefecht vernichten. Dies rettete nach
Einschätzung Beck-Broichsitters »die Verteidigungsfront von Stonne in der ent-
scheidenden rechten Flanke«377. Das Beispiel beleuchtet gleich mehrere interes-
sante Aspekte: Es belegt erneut entschlossenes und selbstständiges Handeln sogar
auf Unteroffiziersebene. Der Kampf gegen die massiv gepanzerten und schwer
bewaffneten Chars B unterstreicht ebenfalls die Kühnheit der Tat, verlor der Zug
in diesem Gefecht doch zwei seiner drei Pak und mehrere Männer. Die ganze
Tragweite der Handlung Hindelangs wird jedoch erst mit Blick auf die eigent-
liche Rolle seines Zuges als Kompaniereserve erkennbar. Es ist äußerst bemer-
kenswert, dass der Zugführer des Reservezuges selbst entscheidet, wann dieser
ausgelöst wird. Dies ist an sich der vorgesetzten Stufe vorbehalten, wobei es wie
in Kap. II gesehen vorgängig klar definierte Ausnahmen durchaus geben konn-
te. Hindelang hätte die Lage aber aus seiner rückwärtigen Position auch falsch
einschätzen und dem Kompaniechef im schlimmsten Fall die Reserve aus der
Hand reißen können. Dafür hätte er dann auch die volle Verantwortung über-
nehmen müssen. So schildert dieses Beispiel eine der typisch »delikate[n] Lage[n],
die ebenso gut mit Ritterkreuz wie mit Kriegsgericht enden« konnten, die für die
Auftragstaktik aber so charakteristisch sind378. Schließlich zeigt sich auch hier, was
bereits mehrfach aufgezeigt wurde: Das entschlossene und für den Ausgang eines
Gefechtes entscheidende Handeln wurde gebührend honoriert, in diesem Fall mit
der Verleihung des Ritterkreuzes379.
All diese Beispiele dokumentieren die enge Verknüpfung von Entschlossenheit,
Offensivdenken und Selbstständigkeit. Sie verdeutlichen dadurch einmal mehr
aber auch die grundsätzliche Problematik, die im Zusammenhang mit der
Auftragstaktik auftritt: Vielfach kann eigentlich erst die genaue Analyse des
Operationsbefehls und des darin enthaltenen Auftrages eindeutig Aufschluss
darüber geben, welche Tat zur Erreichung eines übergeordneten Ziels oder aus
reinem Offensivdenken begangen wurde. Im optimalen Fall lassen sich die
Gedankengänge eines Truppenführers sogar in Kriegstagebüchern oder ande-
ren Quellen nachvollziehen. So lässt sich z.B. belegen, dass der angesprochene
Beck-Broichsitter während des Gefechts um Chémery sein Handeln nach dem
übergeordneten Rahmen ausrichtete. Als nämlich im Verlauf des Gefechts ein
Leutnant um Unterstützung in Chémery bat, schlug Beck-Broichsitter dies nach
eingehender Überlegung ab. Seiner Lagebeurteilung nach hätte der Abzug sei-
ner Kompanie den französischen Panzern den Weg frei gemacht, dem an der
Maas stehenden Infanterieregiment (mot) »GD« »in die tiefe Flanke« stoßen zu
können. Deshalb wollte er mit seiner Kompanie am Ort verbleiben und »den
Panzern den Weg zur Maas sperren«, zumal – so Beck-Broichsitter weiter – die
Panzerabwehrgeschütze »in einem verlustreichen Dorfgefecht [...] dem Ganzen

377
Pz.Jäg.Kp./IRGD, KTB, BArch, RH 37/6332, Bl. 18 (15.5.1940).
378
I./IRGD, KTB, BArch, RH 37/6332 (3.9.1941).
379
Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 391.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 249

nichts« nützten380. Dies ist eines der wenigen Beispiele, in dem explizit belegt
werden kann, dass ein Truppenführer sich nicht vom Vorwärtsdrang mitreißen
ließ, sondern die Konsequenzen eines solchen Marsches auf den Kanonendonner
zuerst dahingehend abwog, ob dies mit der Absicht des Regiments vereinbar sei.

e) Der »Fall Gelb« – eine Wertung

Die Ausführungen zum Verlauf der deutschen Offensive an die Kanalküste konn-
ten verdeutlichen, wie sehr diese Operation durch die Initiative und Tatkraft auf
verschiedenen Führungsebenen geprägt war. Dass Auftragstaktik dabei häufig nur
als Deckmantel für eigenmächtige Handlungen hinhalten musste, hat bereits der
eingangs zitierte Frieser festgestellt. Darüber hinaus übertrafen die aufgezeigten
Eigenmächtigkeiten jedoch auch das bisher aus den deutschen Einigungskriegen
und dem Ersten Weltkrieg bekannte Ausmaß. Zudem war der Feldzug seit Beginn
von Kontroversen auf oberer und oberster militärischer Führungsebene über die
Ausrichtung der Operation geprägt. Damit waren auch, aber keineswegs nur
Hitlers Eingriffe in die Operationsführung gemeint. Die zu Beginn des Kapitels
erwähnten grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Progressiven
und Traditionalisten innerhalb der Heeresgeneralität störten die konsequente
Weiterführung der Offensive selbst noch nach dem raschen Durchbruch durch
die Befestigungslinien an der Maas. Exemplarisch zeigt dies der Haltbefehl vor
Dünkirchen am 24. Mai 1940: Während die Panzerführer auf Divisions- und
Korpsebene sowie das OKH den alliierten Kessel bei Dünkirchen sofort an-
greifen wollten, fürchteten das beteiligte Armeeoberkommando (Kluge), das
Heeresgruppenkommando (Rundstedt) sowie Hitler eine alliierte Gegenoffensive
und ließen die Panzer anhalten, um die Infanterieverbände aufschließen zu las-
sen381. Dabei gab es selbst innerhalb des OKH gegensätzliche Ansichten. Einen
Tag vor dem Haltebefehl hatte Brauchitsch entgegen der Auffassung Halders ver-
anlasst, dass nicht mehr die Heeresgruppe A, sondern die Heeresgruppe B den
Kessel von Dünkirchen niederkämpfen sollte, was eine massive Umgliederung
der Heeresgruppen zur Folge hatte382. Der Abschluss der eigentlich bereits ent-
schiedenen Operation bei Dünkirchen verdeutlicht in besonderem Maß die
heeresinternen Differenzen und zeichnet in aller Deutlichkeit das Bild eines
»Flickwerk[s]«383.
Daneben zeigt gerade die Analyse der Planung und des Verlaufs der Offensive
exemplarisch, worin die besondere Problematik des deutschen Führungsverständ-
nisses und der Auftragstaktik lag. Der deutsche Erfolg im Westfeldzug beruhte
entscheidend auf der Schnelligkeit, mit der die deutschen Truppen vorstießen
und – als Folge davon – auf der »strategische[n], taktische[n] und moralische[n]
Überraschung«384 des Gegners. Wie gesehen bestand auch der Sinn der Auftrags-

380
Pz.Jäg.Kp./IRGD, KTB, BArch, RH 37/6332, Bl. 11 f. (14.5.1940).
381
Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 363‑373; DRWK, Bd 2, S. 289‑294 (Beitrag Umbreit);
Förster, Die Wehrmacht im NS-Staat, S. 168; Groß, Mythos und Wirklichkeit, S. 216.
382
DRWK, Bd 2, S. 293 (Beitrag Umbreit). Vgl. auch Halder, KTB, Bd 1, S. 317 (23.5.1940).
383
So das Urteil Kluges (AOK 4). Zit. nach: DRWK, Bd 2, S. 294 (Beitrag Umbreit).
384
OKH/Heerwesenabt., Für den Kompanie-Führer (Merkblatt für den Unterricht), Nr. 5,
Juni 1940, BArch, RH 19 III/156.
250 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

taktik darin, durch Dezentralisierung der Verantwortung und Förderung der


Selbstständigkeit der Unterführer den Führungsvorgang zu beschleunigen, somit
rascher und adäquater auf geänderte Lagen reagieren und dem Gegner das Gesetz
des Handelns vorschreiben zu können. Entsprechend stark wurde der Wert des
Unterführers betont, der durch entschlossenes und schnelles Handeln günstige
Gelegenheiten unverzüglich ausnutzen sollte. Entscheidend war letztlich, ob die
verschiedenen Elemente in einer ausgeglichenen Beziehung zueinander stan-
den. Wie gesehen konnte es durchaus problematisch sein, Verantwortung an
Unterführer zu delegieren und ihnen Handlungsfreiheit einzuräumen, wie dies
die Auftragstaktik vorsah. Es hat sich in allen untersuchten Kriegen gezeigt, dass
besonders exzentrische oder eigensinnige Truppenführer den ihnen zugestande-
nen Freiraum immer schon zu Eigenmächtigkeiten missbrauchten. Dies war auch
im Westfeldzug 1940 der Fall, wobei das unbändige Offensivdenken und die teils
an Tollkühnheit grenzende Entschlossenheit gewisser Panzerführer noch durch
die technischen Möglichkeiten des Panzers potenziert wurden. Eine Ursache
für die Eigenmächtigkeiten lag wie gesehen im Vertrauensverlust zwischen den
Panzergeneralen und den vorgesetzten Kommandobehörden. Dabei zeigte sich
auch, dass weite Teile der höheren Generalität das Potenzial einer operativ ein-
gesetzten Panzerwaffe schlicht noch nicht erkannten. Ein zweiter und entschei-
denderer Grund lag aber in der »deutschen ›Panzerphilosophie‹«385 selbst. Diese
basierte zwar auf den Grundsätzen der preußisch-deutschen Führungsdoktrin
und stand klar in der Tradition des operativen Denkens Moltkes d.Ä. Allerdings
lassen sich auch nicht unerhebliche Akzentverschiebungen feststellen. So wurden
z.B. Kühnheit, Wendigkeit oder Offensivgeist zwar in der preußisch-deutschen
Führungsdoktrin grundsätzlich von allen Truppenführern gefordert, sie wurden
in der angesprochenen deutschen »Panzerphilosophie« jedoch ins Extrem über-
steigert386. Das aggressive Vorwärtsdrängen der Panzergenerale im Westfeldzug
bei beidseitig tiefen offenen Flanken zeigt dies beispielhaft auf.

5. Zusammenfassung

Das vorliegende Kapitel untersuchte das Führungsverhalten deutscher Befehls-


haber in den deutschen Einigungskriegen, im Ersten Weltkrieg und im Westfeldzug
1940. Dabei ging es nicht darum, Auftragstaktik grundsätzlich als Mythos zu
widerlegen. In allen untersuchten Zeiträumen gab es Beispiele auftragstaktischen
Handelns, die je nach Lage und Rahmenbedingungen mehr oder weniger aus-
geprägt ausfielen. In diesem Kapitel sollten die in der Forschungsliteratur als
Auftragstaktik dargestellten Ereignisse vielmehr kritisch hinterfragt werden. Mit
Hilfe des vorher entwickelten Modells der Auftragstaktik war es möglich, sehr
genau zwischen Auftragstaktik und Eigenmächtigkeiten zu differenzieren. Dabei
hat sich gezeigt, dass das bisher gezeichnete Bild der Feldzüge, die in erster Linie
dank initiativ und selbstständig handelnder preußisch-deutscher Truppenführer
gewonnen worden seien, einer kritischen Überprüfung nicht standhalten konnte.

385
Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 427.
386
Doughty, Breaking Points, S. 32.
III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit 251

Vielmehr konnte im untersuchten Zeitraum eine bemerkenswerte Kontinuität


im Führungsverhalten preußisch-deutscher Truppenführer festgestellt werden.
So waren alle betrachteten Operationen in einem erstaunlich hohen Ausmaß
von Eigenmächtigkeiten nachgeordneter Truppenführer gekennzeichnet: Die
Vorgehensweisen von Falckenstein und Prinz Friedrich Karl 1866, von Steinmetz
und Alvensleben 1870, von François oder Kluck 1914 sowie schließlich von
Guderian und Rommel 1940 stellen nur einige der ausgeprägtesten Beispiele
dar. Wie gesehen wirkten sich diese Handlungen nicht nur im taktischen, son-
dern auch im operativen Bereich aus. Verschiedene Male unterliefen preußisch-
deutsche Truppenführer vorsätzlich die Absichten der Gesamtoperationsführung
oder handelten diesen zuwider. Ohne Übertreibung darf deshalb festgehalten
werden, dass einige Schlachten nicht dank, sondern trotz der Eigenmächtigkeiten
preußisch-deutscher Unterführer gewonnen wurden. Im gesamten Zeitraum
lassen sich als Triebfedern für Eigenmächtigkeiten zum einen Ehrgeiz oder
Rivalitätsdenken erkennen, zum anderen die Überzeugung der Befehlshaber an
der Front, dass sie die Gesamtlage besser einschätzen könnten als die vorgesetz-
te Kommandobehörde, oder dass sie den Vorgesetzten aufgrund vermeintlich
fehlender Qualifikationen grundsätzlich ablehnten. Schließlich bildete das un-
gestüme und übersteigerte Offensivdenken eine wesentliche Konstante in allen
Operationen387. Gerade dieser letzte Aspekt verdeutlicht, dass die einseitige Über-
höhung des Offensivdenkens zu einer Pervertierung der Führungsgrundsätze ge-
führt hat. Viele der sogenannten »selbständigen« Handlungen im untersuchten
Zeitraum, die in der Literatur als Beispiele von Auftragstaktik ausgelegt werden,
stellten in Wirklichkeit Eigenmächtigkeiten dar, da sie weder auf das überge-
ordnete Gesamtziel ausgerichtet waren noch sich innerhalb der vorgegebenen
Rahmenbedingungen bewegten. Vielfach wirkten sie sogar der Gesamtabsicht
entgegen und lagen deutlich außerhalb der Entscheidungskompetenzen sowie des
eigentlichen Verantwortungsbereiches der jeweiligen Truppenführer. Mit der in
den Dienstvorschriften geforderten und mit den übrigen Elementen des Modells
der Auftragstaktik verknüpften Selbstständigkeit hatte dies nur noch wenig ge-
mein.
Moltke d.Ä. war sich dieser systemimmanenten Problematik wie gesehen
durchaus bewusst gewesen. Dies belegen seine Schriften und die Auswertungen
der Erfahrungen aus den deutschen Einigungskriegen. Der Nimbus dieser Kriege
und der Mythos, der sich um die Person Moltkes d.Ä. bildete, führten jedoch
dazu, dass die Rezeption völlig anders ausfiel. Während die Selbstständigkeit der
Unterführer und die Auftragstaktik nach 1871 zum Axiom der preußisch-deut-
schen Führungsdoktrin überhöht wurden, wurden die damit zusammenhängenden
Gefahren und Probleme weitestgehend ausgeblendet. Allerdings hatte Moltke d.Ä.
selbst dafür gesorgt, dass das positiv gezeichnete Bild der deutschen Kriegführung
nach 1871 keine Risse erhielt. Die sehr wohl erkannten Führungsprobleme und
-fehler wurden in den offiziellen Darstellungen der Kriege sorgfältig ausgeblen-
det, während die Leistungen des Heeres und seiner Truppenführer gleichzeitig
mit einer Gloriole versehen wurden. Dies verstärkte das vorherrschende Gefühl
militärischer Überlegenheit und verhinderte eine kritische Auseinandersetzung.
Der Zeitraum zwischen 1871 und 1914 war deshalb nicht nur die Phase, in der

387
Vgl. auch Citino, The German Way of War, S. 302; Oetting, Auftragstaktik, S. 199.
252 III. Zwischen Selbstständigkeit und Eigenmächtigkeit

sich die Auftragstaktik in den Dienstvorschriften konsolidierte, sondern eben-


falls die Phase, in der sich basierend auf dem Moltke-Mythos und dem episch
gefärbten Bild der Einigungskriege auch der Kult der Selbstständigkeit etablier-
te. Diesbezüglich scheint es zumindest bei einem Teil des Offizierskorps zu ei-
ner Diskrepanz zwischen den normativen Vorgaben in den Dienstvorschriften
sowie der Friedenserziehung und -ausbildung gekommen zu sein. Wie gesehen
erhielt das Element der Selbstständigkeit in den Dienstvorschriften zwar eine ge-
wichtige Rolle, entscheidend war jedoch das Zusammenwirken mit den anderen
Elementen. Gerade die Frage des richtigen Ausgleichs zwischen dem Element
der Einheitlichkeit der Handlung und dem der Selbstständigkeit entwickelte
sich dabei zum eigentlichen Kern des Problems. So wurde die Ausrichtung der
Führungsdoktrin auf das Prinzip der Auftragstaktik zwar grundsätzlich bejaht, die
Friedenserziehung konzentrierte sich jedoch einseitig auf die Selbstständigkeit der
Unterführer und überhöhte diese zum alleinigen Erziehungsprinzip. Deutlich kri-
tisierten z.B. verschiedene deutsche Militärschriftsteller in der Zwischenkriegszeit
die vor 1914 gängige Praxis, den Offizieren eine Führungskultur anzuerziehen,
die in dem Abweichen von Befehlen oder dem Handeln gegen Befehle die krö-
nende Handlung eines Truppenführers sah.
Vor dem Hintergrund der im letzten Kapitel untersuchten Führungsdoktrin
konnte die Analyse der deutschen Einigungskriege, des Ersten Weltkrieges und
des Westfeldzugs 1940 somit belegen, dass das tatsächliche Führungsverhalten
deutscher Truppenführer vielfach den normativen Vorgaben der Führungsdoktrin
widersprach, insbesondere was die Betonung der Einheitlichkeit betrifft. Weiter
hat sich gezeigt, dass die Entwicklung der Auftragstaktik nicht linear verlief, son-
dern oszillierte. Das Ausmaß, in dem Auftragstaktik zur Anwendung gelangte,
variierte und war von den beteiligten Personen, vom positiven oder negativen
Operationsverlauf und nicht zuletzt von der Gefechtsart abhängig. Schließlich
beleuchtete der Blick auf die Militärpublizistik der Zwischenkriegszeit, dass es
selbst zu diesem Zeitpunkt noch kontroverse Diskussionen über die Gewich-
tung einzelner Elemente der Auftragstaktik gab. Als Konsequenz aus den
Kriegserfahrungen wurde zwar von der Mehrheit der Autoren die Meinung ver-
treten, dass Selbstständigkeit nicht als feste Regel aufzufassen sei, sondern die
Einheitlichkeit der Handlung sowie die straffe Führung durch die Heeresleitung
dauernd gewährleistet bleiben müsse. In der Frage, wie weit die Selbstständigkeit
der Unterführer gehen durfte und wie weit die straffe Leitung von oben auf die
unteren Führungsebenen einwirken sollte, um die Einheitlichkeit der Handlung
sicherzustellen, offenbarten sich teils aber grundsätzlich entgegengesetzte und
sogar unüberbrückbare Positionen. Hinzu kam, dass der Aspekt der Technik –
z.B. die erwähnten modernen Nachrichtenmittel – die Diskussionen zunehmend
mitbestimmte. So war Auftragstaktik zwar als Allgemeingut etabliert, hinsichtlich
deren Umsetzung existierten jedoch bis in den Zweiten Weltkrieg hinein gegen-
sätzliche Auffassungen.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 – das taktische
Führungsverhalten am Beispiel von drei Divisionen

Das vorherige Kapitel hat gezeigt, dass die Anwendung der Auftragstaktik auf
den oberen Führungsebenen seit den deutschen Einigungskriegen nicht ohne
Reibungen verlief. Bis in den Zweiten Weltkrieg hinein lässt sich das system-
immanente Spannungsfeld zwischen der Einheitlichkeit der Handlung bzw.
straffer Führung einerseits und der Selbstständigkeit der Unterführer anderer-
seits als eine Konstante festmachen. Die andere Konstante bildete das häufig un-
gestüme Offensivdenken untergeordneter Truppenführer, wodurch die oberste
Heeresführung oder die vorgesetzten Kommandobehörden häufig vor vollendete
Tatsachen gestellt wurden.
Im vorliegenden Kapitel soll nun die Gefechtsführung auf taktischer Führungs-
ebene im Ostkrieg 1942/43 untersucht werden. Wie in der Einleitung erwähnt,
geht es dabei um die Frage, ob es im Nachgang zur Winterkrise 1941/42 tatsäch-
lich auch auf taktischer Führungsebene zu einer Abkehr von der Auftragstaktik
gekommen ist oder nicht. Nach den Ergebnissen der vorherigen Kapitel stel-
len sich jedoch bereits an dieser Stelle gewisse Zweifel ein, ob diese Frage über-
haupt so absolut gestellt werden kann. Wie gesehen wurde Auftragstaktik gene-
rell als Prinzip verstanden, das je nach Lage unterschiedlich stark zum Tragen
kam. Auch die inneren Faktoren – z.B. der Erfahrungs- oder Ausbildungsgrad
der Führer und Truppe – spielten dabei eine wichtige Rolle. Die Schwarz-Weiß-
Sicht, wonach im deutschen Heer vor 1942 nach Auftragstaktik, nachher nach
Befehlstaktik geführt worden sei, unterschätzt jedenfalls die Flexiblität der deut-
schen Führungsdoktrin. Daneben geht es in diesem Kapitel aber ebenfalls darum,
den militärischen Gefechtsalltag auf taktischer Stufe zu untersuchen, wie dies in
der Forschung bereits für höhere Kommandobehörden geschehen ist1. Ohne ein
solches Vorgehen können auch die Führungsvorgänge und die Auftragstaktik
nicht richtig eingeordnet werden. Zudem steht nicht nur die Frage im Raum, ob
Auftragstaktik nach 1941 nicht mehr praktiziert wurde. Grundsätzlich stellt sich
die Frage, ob die deutsche Führungsleistung im Verlauf des Krieges tatsächlich
ständig abgesunken ist, während die Rote Armee sich gerade umgekehrt entwi-
ckelte2. Müller-Hillebrand kritisierte beispielsweise in einer Studie nach 1945,
dass es auf deutscher Seite zunehmend zu »operativen Führungsfehler[n]« gekom-

1
Vgl. z.B. Megargee, Hitler und die Generäle; Hürter, Hitlers Heerführer.
2
Müller-Hillebrand, Deutsche und sowjetrussische militärische Führung, BArch,
ZA 1/2162, S. 77. Vgl. auch DRWK, Bd 8, S. 277‑450, 493‑603 (Beiträge Frieser).
254 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

men sei und der Krieg schließlich »in führerlosem Chaos«3 geendet habe, wobei
dies für die taktische Führung explizit nicht gegolten habe. Es wird sich zeigen,
ob sich diese Entwicklung 1942 bereits abzeichnete.
Wie erwähnt erfolgt die Analyse der taktischen Führungsebene anhand von
Fallbeispielen. Diese eignen sich besonders, um die Frage nach der systematischen
Anwendung der Auftragstaktik im Gefecht beantworten zu können. Die Analyse
einer Division in die Tiefe und Breite, d.h. über einen längeren Zeitraum und
im Vergleich mit anderen Divisionen, erzielt eine hohe Aussagekraft, selbst wenn
ihr der ganze Umfang einer quantifizierenden Vorgehensweise fehlt. Insgesamt
stellen die Fallbeispiele eine empirische Grundlage her, auf der Tendenzen auf-
gezeigt werden können, die eine weit höhere Repräsentativität aufweisen, als dies
Einzelbeispiele vermögen. Die Fallbeispiele selbst sind grundsätzlich alle nach
demselben Muster strukturiert: Zunächst werden die Rahmenbedingungen der
Aufstellung der Division sowie deren Gliederung dargestellt. Danach erfolgt eine
Analyse der personellen Ausgangslage. Im Hinblick auf das Führungsprinzip
Auftragstaktik werden dabei besonders die Divisionsführung, der Divisionsstab
sowie das Führerkorps bis auf die Ebene der Einheitsführer analysiert. Danach
werden die Gefechtsführung der Division sowie ihrer Verbände anhand des
Modells der Auftragstaktik untersucht. Die Fallbeispiele enden damit, dass der
Verlauf der Personallage während der Kriegsverwendung sowie besonders die
Problematik der zunehmenden Führerausfälle und die in diesem Zusammenhang
getroffenen Ausbildungsmaßnahmen dargestellt werden. Beides hatte einen di-
rekten Einfluss auf die Art der Befehlsgebung und allgemein auf die Führung.

1. Die militärische Gesamtlage an der Ostfront 1942

a) Ausgangslage und Planung

Der Krieg im Osten stand Anfang 1942 ganz im Zeichen der Schadensbegrenzung.
Mit der am 5./6. Dezember 1941 eingesetzten Winteroffensive war es der Roten
Armee erstmals seit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941
gelungen, die operative Initiative an sich zu reißen und den deutschen Verbänden
das Gesetz des Handelns aufzuzwingen. Damit war das vorrangige strategische
Ziel der Wehrmacht, »Sowjetrussland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen«
gescheitert4. Im Gegenteil war es auf deutscher Seite zu einem empfindlichen
Rückschlag gekommen, wobei der drohende Zusammenbruch der Ostfront nur
durch teils erhebliche Rücknahmen der Frontlinien aufgefangen werden konn-
te5. Bei der Heeresgruppe Nord hatte die Front im Dezember 1941 auf die

3
Müller-Hillebrand, Deutsche und sowjetrussische militärische Führung, BArch, ZA 1/2162,
S. 127 f.
4
Weisung Nr. 21 vom 18.12.1940 (Fall Barbarossa). In: Hitlers Weisungen, S. 84 (Her-
vorhebung im Original). Die einzige als Blitzfeldzug geplante deutsche Operation war
aus strategischer Sicht jedoch bereits im Sommer 1941 gescheitert. Vgl. Stahel, Operation
Barbarossa, S. 260‑305, 441.
5
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 3,
S. 56 f.; DRWK, Bd 4, S. 605‑652 (Beitrag Klink [u.a.]); Glantz/House, To the Gates of
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 255

Volchovlinie zurückgenommen werden müssen. Sowjetische Offensiven südlich


des Il’men’-Sees und bei Ostaškov führten bis Februar 1942 zur Einschließung
deutscher Verbände bei Demjansk und Cholm. Der sowjetische Durchbruch hat-
te zudem einen breiten Keil zwischen die Heeresgruppen Nord und Mitte getrie-
ben. Bei Letzterer war die Nordflanke weit umfasst worden. Den sowjetischen
Angriffsspitzen gelang es, bis in den Raum Vitebsk–Smolensk–Vjaz’ma durchzu-
brechen, Ržev blieb als stark exponierter und fortwährend umkämpfter Eckpfeiler
bestehen. Auch an der übrigen mittleren Heeresfront hatten deutsche Verbände
weit – z.T. bis 200 km – zurückweichen müssen, wobei nur provisorisch wieder
eine geschlossene Front hergestellt werden konnte. Im Süden der Ostfront gelang
es der Roten Armee im Januar 1942 bei Izjum ebenfalls, die deutsche Front zu
durchstoßen und einen bis zu 100 km tiefen Einbruch zu erzielen. Auf der Krim
hielt sich schließlich nicht nur, allen Bemühungen der 11. Armee (Manstein) zum
Trotz, weiterhin die Festung Sevastopol’, Ende Dezember 1941 war zudem durch
ein überraschend angesetztes sowjetisches Landungsunternehmen die Halbinsel
Kerč verloren gegangen6. Nur mit Mühe gelang es auf deutscher Seite, im Verlauf
der sogenannten »Winterschlacht im Osten« die Fronten bis Ende März 1942
wieder zu stabilisieren – nicht zuletzt dank der seit Beginn des Frühlings einset-
zenden Regen- und Schlammperiode, die zwischenzeitlich jegliche Operationen
unmöglich machte7.
Die sowjetischen Winteroffensiven 1941/42 hatten das Ostheer jedoch
schwer getroffen, militärisch war es nur knapp an einer Katastrophe vorbeige-
schlittert. Personell sowie materiell hatten sich zudem Ausfälle in einer solchen
Höhe eingestellt, dass sich die quantitative und qualitative Leistungsfähigkeit des
Heeres seit Herbst 1941 stark vermindert hatte und »der Höhepunkt des an allen
Frontabschnitten voll einsatzbereiten und offensivfähigen Heeres überschritten
war«8. Die Gesamtverluste im Osten vom 22. Juni 1941 bis zum 31. März 1942
beliefen sich auf 1 107 830 Mann, was knapp 35 Prozent des gesamten Ostheeres
entsprach9. Unter den Offizieren gab es über 33 000 Verluste, wobei das akti-
ve Offizierkorps – besonders die jüngeren Truppenoffiziere – überproportional
stark betroffen war10. Um die kritische personelle Ersatzlage entschärfen zu kön-
nen, mussten zwischen Herbst 1941 und April 1942 vorzeitig Geburtsjahrgänge
sowie bisher für die Wirtschaft »unabkömmlich« (uk-)Gestellte eingezogen

Stalingrad, S. 4 f.
6
Vgl. DRWK, Bd 4, S. 557‑559, 620‑652 (Beitrag Klink [u.a.]); Hürter, Hitlers
Heerführer, S. 339 f.
7
Megargee, Hitler und die Generäle, S. 209; Müller, Der letzte deutsche Krieg, S. 164.
8
DRWK, Bd 4, S. 651 (Beitrag Klink [u.a.]). Tatsächlich war Anfang Dezember 1941 »die
durchschnittliche Kampfkraft der Inf.Divisionen des Ostheeres im Höchstfalle auf etwa
40 %«, die von Panzerdivisionen auf ca. 30 % zu veranschlagen, wobei Letztere nur noch
»über 25 % einsatzbereite Panzer« verfügten. Beurteilung der Kampfkraft des Ostheeres,
3.12.1941, BArch, RH 2/2574.
9
Halder, KTB, Bd 3, S. 424 (6.4.1942). Die hohen Verluste konnten nicht mehr aufge-
füllt werden. Noch am 2.7.1942 bestanden im Ostheer ca. 650 000 Fehlstellen. Müller-
Hillebrand, Das Heer, Bd 3, S. 65.
10
OKH/HPA, KTB der 1. Abt./Ag P1 (10.4.1942) und Anlage 51 zu OKH/HPA, KTB der
1. Abt./Ag P1, Offizierverluste im Osten, BArch, RH 7/860; Halder, KTB, Bd 3, S. 424
(6.4.1942). Vgl. auch DRWK, Bd 6, S. 784, Anm. 80 (Beitrag Wegner).
256 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

werden11. Auch die Ausfälle an Material, Panzern und Kraftfahrzeugen sowie


an Pferden waren aufgrund ununterbrochener Benutzung und den extremen
Witterungsbedingungen des Ostens sehr hoch und konnten nicht annähernd
ausgeglichen werden12. Bereits am 23. November 1941 hatte Halder in seinem
Kriegstagebuch deshalb notiert: »Ein Heer, wie das bis Juni 1941, wird uns künf-
tig nicht mehr zur Verfügung stehen13.« Selbst die zahlreichen »Auffrischungen«
und Neubildungen von Divisionen oder organisatorische Maßnahmen wie
die Neugliederungen zahlreicher Großverbände und die Herabsetzung der
Kampfstärkenachweisungen konnten diese Entwicklung nicht auffangen14. Ende
Mai 1942 fehlten z.B. in der Heeresgruppe Süd bei den Infanteriedivisionen
immer noch 10‑15 Prozent der Kraftfahrzeuge, während die Panzerdivisionen
lediglich eine Beweglichkeit bzw. Einsatzfähigkeit von 50‑80 Prozent aufwie-
sen15. Die im Vergleich zum Vorjahr völlig geänderte Ausgangslage bewegte Hitler
jedoch nicht dazu, die strategische Ausrichtung der deutschen Kriegführung zu
überdenken. Vielmehr war er auch im Frühjahr 1942 noch überzeugt, dass der
»Krieg [...] im Osten entschieden« werde16. Die Weisung Nr. 41 vom 5. April
1942 verdeutlichte diese Ansicht.
Als Zugeständnis an die Leistungsfähigkeit des Ostheeres konnte jedoch nicht
mehr – wie noch im Vorjahr – mit drei Heeresgruppen gleichzeitig zur Offensive
angetreten werden. Die Hauptoffensive für den Sommer 1942 war der Feldzug
im Bereich der Heeresgruppe Süd (Unternehmen »Blau«). Die Operation der
Heeresgruppe Nord gegen Leningrad behielt ihre strategische Bedeutung bei. Die
Einnahme der Stadt und die Herstellung der »Landverbindung mit den Finnen«
wurden in der Weisung Nr. 41 ebenfalls als Hauptziele genannt, die Operation
gegen Leningrad sollte allerdings erst nach Abschluss der Südoperation beendet
werden; insgesamt war der nördliche Kriegsschauplatz deshalb von operativem
Stillstand geprägt17. Der Heeresgruppe Mitte hingegen waren für den gesamten
Zeitraum lediglich Abwehraufgaben zugedacht18. Um die Ausgangslage dafür
zu festigen und Personalressourcen freizumachen, gingen dem Unternehmen
»Blau« vorbereitende Operationen voraus, in denen die Halbinsel Kerč wieder
besetzt, die Festung Sevastopol’ eingenommen und schließlich der sowjetische
Fronteinbruch bei Izjum bereinigt werden sollten19. Dann erst folgte die eigent-

11
DRWK, Bd 5/1, S. 913‑948 (Beitrag Kroener); Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 3,
S. 50 f.
12
Vgl. Glantz/House, To the Gates of Stalingrad, S. 5, 8 f.; Müller-Hillebrand, Das Heer,
Bd 3, S. 28‑31.
13
Halder, KTB, Bd 3, S. 306 (23.11.1941).
14
Vgl. Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 3, S. 60, Tabelle 36.
15
OKH/GenStdH/Org.Abt. (I) Nr. 854/42 g.K.Chefs., Betr.: Gliederung und Kampfkraft
der Verbände und Truppen der H.Gr. Süd bei Beginn der Sommeroperationen 1942,
27.5.1942, BArch, RH 2/931b, Bl. 191, 197 f.
16
Halder, KTB, Bd 3, S. 420 (Notizen zu Ausführungen Hitlers über Lage und Absichten
vom 28.3.1942).
17
Weisung Nr. 41 vom 5.4.1942. In: Hitlers Weisungen, S. 184. Vgl. auch Glantz, The Battle
for Leningrad, S. 190 f., 212 f.
18
DRWK, Bd 6, S. 761 (Beitrag Wegner); Citino, Death of the Wehrmacht, S. 157.
19
Megargee, Hitler und die Generäle, S. 215; Kehrig, Stalingrad, S. 25 f.; Müller-Hillebrand,
Das Heer, Bd 3, S. 58; Müller, Der letzte deutsche Krieg, S. 165. Vgl. auch Citino, Death
of the Wehrmacht, S. 50‑115.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 257

liche Sommeroffensive mit dem Ziel, die sowjetischen Verbände im Raum von
Voronež sowie im Donbogen zu vernichten und danach den Kaukasus zu er-
obern. Die Offensive bestand aus drei Teiloperationen (»Blau I‑III«) und erfor-
derte aufgrund des komplexen, zeitlich koordinierten Ablaufes ein detaillierteres
Vorgehen, als dies in den bisherigen Feldzügen üblich gewesen war20. So wurde in
der Weisung Nr. 41 betont:
»Aus Gründen des Eintreffens der [...] verfügbaren Verbände kann diese
Operation nur in einer Reihe von nacheinander folgenden, aber untereinan-
der im Zusammenhang stehenden bezw. sich ergänzenden Angriffen durch-
geführt werden. Sie sind daher von Norden nach Süden zeitlich so aufein-
ander abzustimmen, dass außerdem in jedem einzelnen dieser Angriffe ein
Höchstmaß der Konzentration sowohl von Heeres- als auch besonders von
Luftstreitkräften an den entscheidenden Stellen sichergestellt werden kann21.«
Die Weisung Nr. 41 wich in mehreren Punkten von den Vorstellungen der preu-
ßisch-deutschen militärischen Denkschule ab, wie ein Feldzug zu führen sei22.
Erstens erstaunt, dass die Operation begonnen werden sollte, bevor der Aufmarsch
abgeschlossen war. Dies erscheint im Sinne der Moltke’schen Denkweise als äu-
ßerst risikoreich, hatte Moltke d.Ä. doch stets die Wichtigkeit des detailliert ge-
planten und exakt durchgeführten »erste[n] Aufmarsch[es] der Armee« betont,
da »ein Fehler in der ursprünglichen Versammlung der Heere [...] im ganzen
Verlauf des Feldzuges kaum wieder gut zu machen« sei23. Zweitens fällt die star-
ke Gewichtung des zeitlich koordinierten Ablaufes auf. Auch dies widersprach
dem Verständnis der preußisch-deutschen militärischen Denkschule, wonach
»kein Operationsplan [...] mit einiger Sicherheit über das erste Zusammentreffen
mit der feindlichen Hauptmacht hinaus[reicht]«. Die Koordination der Heeres-
mit den Luftstreitkräften machte dies wohl notwendig. Der Bruch mit der
Vergangenheit fiel jedoch umso einschneidender aus, als damit drittens auch die
traditionelle Betonung der Verantwortung der Truppenführer im Felde beschnit-
ten wurde. Die Planung sah eine präzise zeitliche Abstimmung der Aktionen vor,
die jeglichen Handlungsspielraum auf unterer Ebene einengen musste. Nach
Citino erhielt Unternehmen »Blau« dadurch eher die Gestalt einer »historically
British or French operation than a German one«24. Der Handlungsspielraum

20
Die drei Teiloperationen »Blau I‑III« bildeten ursprünglich die Grundlage für die eigentli-
che (und implizit als »Blau IV« angedachte) Hauptoperation, den Vorstoß in den Kaukasus.
Zum Kräfteansatz und den Zielen der Teiloperationen »Blau I‑III« siehe Glantz/House,
To the Gates of Stalingrad, S. 11‑16; Kehrig, Stalingrad, S. 25 f.; Müller-Hillebrand, Das
Heer, Bd 3, S. 73.
21
Weisung Nr. 41 vom 5.4.1942. In: Hitlers Weisungen, S. 185.
22
Vgl. Citino, Death of the Wehrmacht, S. 156‑160. Wegner sah das Neue v.a. im operativen
Ansatz, der »eine gravierende Schwerpunktverlagerung innerhalb des Kriegsschauplatzes«
vorsah und sich bloß noch auf einen Frontabschnitt beschränkte. DRWK, Bd 6, S. 768
(Beitrag Wegner; Hervorhebung im Original).
23
MMW, II/2: Strategie, S. 291. Dort auch das Folgende. Wie gesehen war dies bereits beim
Westfeldzug 1940 nicht der Fall gewesen.
24
Citino, Death of the Wehrmacht, S. 160. Citinos Bild des »more traditional approach [...],
highlighting Auftragstaktik and the initiative of individual army and army group comman-
ders«, ist allerdings von einer erstaunlichen Naivität gegenüber den Abläufen militärischer
Operationen gekennzeichnet, wenn er schreibt (Hervorhebung im Original): »Rather than
simply blow the start whistle and allow all five of the front line armies to charge forward,
258 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

wurde noch stärker dadurch eingeschränkt, dass es nun in erster Linie darum
ging, »Angriffsoperationen mit begrenztem Ziel«25 durchzuführen. Entsprechend
eng gehalten waren die Handlungsrichtlinien:
»Es muss vermieden werden, dass durch zu spätes Einschwenken der Um-
klammerungsverbände dem Gegner die Möglichkeit offenbleibt, sich der
Vernichtung zu entziehen.
Es darf nicht vorkommen, dass durch ein zu schnelles und weites Ausgreifen
der Panzer- bezw. mot.-Verbände die Verbindung zu der nachfolgenden
Infanterie abreißt, oder die Panzer- und mot.-Verbände selbst die Möglichkeit
verlieren, den schwer vorwärts kämpfenden infanteristischen Kräften des
Heeres durch ihr unmittelbares Einwirken in den Rücken der umklammerten
russischen Armeen zu Hilfe zu kommen26.«
Dadurch wurden v.a. die Panzerdivisionen zurückgebunden, die bislang mit
weit gesteckten, operativen Zielen mehr oder weniger unabhängig agieren konn-
ten, nun aber den Gegner in »enge[n] Umklammerungen«27 vernichten sollten.
Auch war die Heeresgruppe Süd für die Sommeroffensive mit zahlreichen neu
aufgestellten und kriegsunerfahrenen Divisionen verstärkt worden28. Anlässlich
der Lagebesprechung im Führerhauptquartier vom 28. März 1942 hatte Hitler
deshalb betont, dass die kommende Operation erfolgreich beginnen müsse und
die »junge Truppe [...] keinen Rückschlag erleiden« dürfe, sondern vielmehr »be-
sondere Unterstützung« brauche, weshalb die »Operation so anlaufen [solle],
dass junge Div[isio]n[en] sich an den Feind gewöhnen« könnten29. Inwiefern die
Art der Befehlserteilung in der Weisung Nr. 41 tatsächlich auf die angespannte
Personallage oder doch eher auf Hitlers Führungsverständnis zurückzuführen ist,
müsste noch genau untersucht werden. Hitler hatte den vom OKH verfassten
Entwurf der Weisung Nr. 41 jedenfalls »stark durchkorrigiert und mit wesentli-
chen, von ihm selbst verfassten neuen Teilen versehen«30. Eine straffere, nach eng
gefassten Grundsätzen ausgerichtete Führung wäre den jungen, noch unerfahre-
nen Großverbänden – z.B. den Divisionen der 18. und 19. Welle – zwar sicher-

seeking opportunities for encirclement of the Soviet defenders in front of them, the typical
German approach in the past, Hitler and the high command opted for a carefully choreo-
graphed and tightly controlled approach.«
25
Weisung Nr. 41. In: Hitlers Weisungen, S. 184 (Hervorhebung im Original).
26
Weisung Nr. 41. In: Ebd., S. 185 f. (Hervorhebung im Original). Citino spricht hier von
»two strict operational guidelines«. Diese Weisung hätte deshalb nichts mehr gemein ge-
habt mit den früheren »operational guideline[s] for a free-thinking officer corps«, sondern
sei eher »a detailed instruction manual from the Führer« gewesen. Citino, Death of the
Wehrmacht, S. 158. Es ist richtig, dass die traditionelle Selbstständigkeit der Unterführer
durch die engen Handlungsrichtlinien unterlaufen wurde. Dies war aber v.a. dem strikten
Operationszeitplan und der Koordination von Heer und Luftwaffe geschuldet. Zudem
war es auch früher üblich gewesen, in Operationsbefehlen Hinweise über die Art der
Durchführung zu geben. Insofern ist die Aussage Citinos doch zu relativieren.
27
Weisung Nr. 41. In: Hitlers Weisungen, S. 185.
28
Von den 65‑67 Divisionen der H.Gr. Süd waren 41 für die Sommeroffensive neu zuge-
führt worden. Kehrig, Stalingrad, S. 26.
29
Halder, KTB, Bd 3, S. 420 (28.3.1942).
30
KTB OKW, Bd 2/1, S. 316. Siehe Megargee, Hitler und die Generäle, S. 215.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 259

lich entgegengekommen31. Sie entsprach aber auch dem nationalsozialistischen


Führerprinzip und Hitlers Vorstellungen der Kriegführung.

b) Der zweite Feldzug gegen die Sowjetunion

Am 28. Juni 1942 begann die Wehrmacht mit Unternehmen »Blau I« ihre gro-
ße Sommeroffensive im Südabschnitt und stieß anfangs erneut mit erheblichen
Geländegewinnen bei nur wenigen eigenen Verlusten vor. Bis zum 8. Juli war die
erste Operationsphase abgeschlossen und die Stadt Voronež eingenommen. Das
eigentliche Ziel – die Einschließung und Vernichtung der Masse der sowjetischen
Verbände – war jedoch nicht erreicht worden32. Die Rote Armee hatte nach den
Erfahrungen des Jahres 1941 ihr operatives Verhalten angepasst. Die sowjeti-
schen Verbände kämpften nicht mehr statisch, sondern zogen sich bei drohender
Einkesselung zurück. Als Folge davon war die geplante deutsche Umfassung ins
Leere gestoßen33. Am 9. Juli begann die zweite Operationsphase (»Blau II«). In
dieser sollten die Schnellen Verbände der 4. Panzerarmee (Hoth), die den Don
entlang nach Süden vorstießen, zusammen mit der 1. Panzerarmee (Kleist), die
aus dem Raum Char’kov ostwärts angriff, in einer operativen Umfassung weitere
sowjetische Verbände einkesseln und vernichten. Wie schon die erste stieß auch
diese zweite Umfassungsoperation ins Leere, sodass sich das Gros der sowjetischen
Verbände weiterhin nach Osten und Süden zurückziehen konnten34. Das Ziel
der dritten Phase (»Blau III«) war der Zusammenschluss der weiter nach Süden
vorstoßenden Schnellen Verbände mit den aus dem Raum Taganrog ostwärts an-
greifenden Kräften bei Stalingrad. Nach Abschluss dieser Operation sollte an der
langen Flanke von Voronež bis Stalingrad zur Verteidigung übergegangen werden.
Erst danach sollte zur eigentlichen Hauptoperation in den Kaukasus mit den
Fernzielen Majkop, Groznyj und Baku angetreten werden35.
Die Realität sah jedoch anders aus. Während der laufenden Operation hatte
Hitler bereits am 6. Juli die Heeresgruppe Süd in eine Heeresgruppe A und B ge-
teilt und den Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd bzw. B. (Bock) am 13. Juli
abgesetzt36. Hitler übernahm selbst die Gesamtführung der Operation und befahl
mit der 1. und 4. Panzerarmee an die Donecmündung vorzustoßen und schließ-
lich nach Südwesten auf Rostov einzudrehen37. Damit wollte Hitler den weiteren
Rückzug sowjetischer Verbände über den Don nach Süden verhindern, verlager-
te so aber gleichzeitig die operative Ausrichtung des Feldzuges. Schließlich warf
Hitler die Operationsplanung gänzlich um, indem er den Feldzug nicht mehr
zeitlich gestaffelt führen, sondern alle Operationsziele gleichzeitig erreichen woll-
te, wozu die Offensive im Süden aufgeteilt werden musste. Seinen Entschluss

31
Vgl. auch Citino, Death of the Wehrmacht, S. 159.
32
Kehrig, Stalingrad, S. 26; Hayward, Stopped at Stalingrad, S. 133‑141; DRWK, Bd 6,
S. 868‑881 (Beitrag Wegner).
33
Citino, Death of the Wehrmacht, S. 152‑182, 223.
34
Kehrig, Stalingrad, S. 27; DRWK, Bd 6, S. 881‑887 (Beitrag Wegner); Hayward, Stopped
at Stalingrad, S. 141‑144.
35
Glantz/House, To the Gates of Stalingrad, S. 15; Müller, Der letzte deutsche Krieg, S. 167.
36
DRWK, Bd 6, S. 876‑885 (Beitrag Wegner); Hayward, Stopped at Stalingrad, S. 140 f.
37
KTB OKW, Bd 2/2, S. 1284.
260 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

bekräftigte er in der Weisung Nr. 45, gemäß der die Heeresgruppe A zunächst die
über den Don zurückweichenden sowjetischen Verbände vernichten und dann
in den Kaukasus vorstoßen, die Heeresgruppe B Stalingrad einnehmen und spä-
ter bis Astrachan’ vordringen sollte. Im Norden sollte die Heeresgruppe Nord
Leningrad ebenfalls nicht erst nach, sondern bereits während der Südoffensive
einnehmen38. Hitlers Operationsplanung verletzte dadurch, dass sie neu nicht
mehr konzentrisch, sondern exzentrisch verlaufen sollte, nicht nur gegen das
Prinzip der Schwergewichtsbildung. Die gleichzeitige Umsetzung der ursprüng-
lich zeitlich hintereinander geplanten Phasen »Blau III« und »Blau IV« überstieg
auch bei weitem das deutsche Kräftepotenzial39.
Bei fortschreitender Dauer des Feldzuges machte sich das Missverhältnis in
den klassischen Faktoren operativer Führung – Raum, Kräfte und Zeit – immer
stärker bemerkbar. Bis Anfang August erreichte die Heeresgruppe A mit Majkop
die ersten Ölfelder des Kaukasus, besetzte am 21. August den Elbrus und gelangte
bis zum 25. August nach Mozdok am Terek. Das Ölgebiet um Groznyj, Batumi,
Tbilisi und das Fernziel Baku blieben jedoch außer Reichweite. Besser sah es zu-
nächst bei der Heeresgruppe B aus. Ihre Spitzen hatten am 23. August die Volga
im Norden von Stalingrad erreicht. In der ersten Septemberhälfte drangen Teile
der 6. Armee und 4. Panzerarmee in die Stadt ein. Die Einnahme Stalingrads
verzögerte sich jedoch immer wieder und zehrte an den Kräften der deutschen
Verbände. Nicht nur in den Vorortsbezirken von Stalingrad, auch im Kaukasus
begann sich der sowjetische Widerstand zu verfestigen, zudem machte sich die
prekäre Versorgungslage immer stärker bemerkbar. Hatten sich bereits ab dem
Spätsommer 1942 die Anzeichen dafür verdichtet, dass die Ziele des Feldzugs nicht
würden erreicht werden können, so war angesichts der fortgeschrittenen Jahreszeit
klar geworden, dass ein Abschluss der Offensive vor Beginn der Schlammperiode
illusorisch sein würde. Mit dem Operationsbefehl Nr. 1 für den Winterfeldzug
vom 14. Oktober schuf Hitler schließlich neue Operationsgrundlagen, die in der
Hauptsache festhielten, dass es bei sowjetischen Offensiven »kein Ausweichen
oder operative Rückwärtsbewegungen«40 geben durfte. Abschließend kann festge-
halten werden, dass die Dimension der deutschen Sommeroffensive von 1942 alle
bisherigen deutschen Operationen in den Schatten stellte. Ihr hatte eine weder
das gegnerische noch das eigene Kräftepotenzial auch nur annähernd realistisch
einschätzende Lagebeurteilung zugrunde gelegen, die sich schließlich ab Winter
1942 verheerend auswirken sollte. Die enormen Raumgewinne dürfen dabei
nicht darüber hinweg täuschen, dass die eigentlichen Ziele in keiner Phase des
Feldzuges erreicht wurden. Ganz im Gegenteil trugen diese Raumgewinne we-
sentlich dazu bei, dass die deutschen Kräfte zersplittert wurden und sich schließ-
lich völlig auszehrten. Auch die Nachschublage entwickelte sich dadurch zu ei-
nem unlösbaren Problem. Am Ende des Feldzuges war die Front mit mehreren
tausend Kilometern Breite hoffnungslos überdehnt, während die neuerlich hohen
Verluste des zweite Feldzuges gegen die Sowjetunion die personelle Ersatzlage des

38
Weisung Nr. 45 für die Fortsetzung der Operation. In: Hitlers Weisungen, S. 196‑200.
39
Waren schon die beiden Heeresgruppen nicht stark genug, um ihre Ziele zu erreichen, so
galt dies erst recht für die Luftwaffe. Auch die logistischen Anforderungen an eine solche
Operation überstiegen die deutschen Möglichkeiten deutlich. Vgl. Hayward, Stopped at
Stalingrad, S. 148‑151; DRWK, Bd 6, S. 891 f. (Beitrag Wegner).
40
Operationsbefehl Nr. 1 vom 14.10.1942. In: KTB OKW, Bd 2/2, S. 1301‑1304.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 261

deutschen Ostheeres nochmals dramatisch verschlechterten. Die Rote Armee hin-


gegen hatte mit ihren operativen Reserven noch nicht einmal in das Geschehen
eingegriffen41.
Zum Schluss sollen noch die Ereignisse im Frontabschnitt der Heeresgruppe
Mitte betrachtet werden, da auch alle in den Fallbeispielen untersuchten
Divisionen dauernd oder zeitweise in diesem Frontbereich eingesetzt waren. Wie
erwähnt war dieser in den Planungen zur Sommeroffensive von Beginn an als
Nebenfront behandelt worden. Bis Frühjahr 1942 hatte die Front bei der Heeres-
gruppe Mitte wieder mehrheitlich geschlossen werden können, sie wies aber noch
zahlreiche Einbuchtungen, eine nach wie vor bestehende Lücke zur Heeresgruppe
Nord sowie im Raum von Smolensk, Vjaz’ma und Spas-Demensk im Rücken der
eigenen Front eine Konzentration sowjetischer Verbände auf. Ab Mai 1942 wur-
den deshalb drei Unternehmen zur Frontbereinigung durchgeführt42. Ziel war
es, die sich im Rücken der 4. und 9. Armee befindenden sowjetischen Verbände
zu vernichten und dadurch die Front zu verkürzen, was bis Ende Juli gelang.
Auch nach Anlaufen der Sommeroffensive im Süden waren bei der Heeresgruppe
Mitte offensive Aktionen geplant. Diese strebten aber alle bloß die Erreichung
begrenzter Ziele an und verfolgten letztlich einzig den Zweck, den Verlauf der
Verteidigungslinie zu verbessern.
Zum einen handelte es sich um das Unternehmen »Derfflinger«, mit dem der
sowjetische Einbruch an der Naht zur Heeresgruppe Nord bereinigt werden soll-
te, letztlich jedoch immer wieder verschoben wurde. Zum anderen war für August
1942 eine begrenzte Umfassungsoperation der 4. Armee und 2. Panzerarmee ge-
plant (»Wirbelwind«), mit der bei Suchiniči und Kozel’sk zwei sowjetische Armeen
vernichtet und eine verkürzte Frontlinie hergestellt werden sollte. Noch bevor
allerdings das Unternehmen »Wirbelwind« durchgeführt werden konnte, war die
Rote Armee Ende Juli 1942 bei Ržev mit der Kalinin-Front (Armeegeneral Ivan
Konev) und der Westfront (Armeegeneral Georgij Žukov) zur Offensive gegen die
deutsche 9. Armee (Generaloberst Walter Model) angetreten43. Wenngleich die so-
wjetische Offensive bis Ende September 1942 hatte aufgehalten werden können,
war es im Bereich des Armeeoberkommandos 9 bei Ržev, Zubcov und Karmanovo
sowie im Bereich des südlicher gelegenen Panzer-Armeeoberkommandos 3
(Generaloberst Reinhardt) zu erheblichen Fronteinbrüchen und Gebietsverlusten
gekommen. Zudem hatten die sowjetischen Angriffe nur mit massiver Zuführung
von Verbänden des Armeeoberkommandos 4 (General der Infanterie Gotthard
Heinrici) und des Panzer-Armeeoberkommandos 2 (Generaloberst Schmidt) so-
wie unter hohen eigenen Verlusten aufgehalten werden können. Schließlich hat-
te das von Hitler im August doch noch befohlene Unternehmen »Wirbelwind«
nach knapp zwei Wochen wieder eingestellt werden müssen. Diese Offensive hat-
te nur wenige Gebietsgewinne eingebracht, während das eigentliche Ziel einer
Frontbegradigung deutlich verfehlt wurde.

41
Kehrig, Stalingrad, S. 28‑35; Glantz/House, To the Gates of Stalingrad, S. 473‑486;
Müller, Der letzte deutsche Krieg, S. 168‑174; Citino, Death of the Wehrmacht,
S. 223‑258; Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 3, S. 74‑84.
42
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: DRWK, Bd 6, S. 864‑866 (Beitrag
Wegner); Haupt, Heeresgruppe Mitte, S. 130‑134.
43
Zur Schlacht bei Ržev: DRWK, Bd 6, S. 906‑910 (Beitrag Wegner).
262 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Die sowjetische Großoffensive bei Stalingrad wirkte sich auch auf die Lage im
Frontabschnitt der Heeresgruppe Mitte aus. Am 24./25. November 1942 griffen
Verbände der Kalininer und Westfront Velikie Luki und den Frontbogen bei Ržev
an44. Während die sowjetischen Einbrüche entlang der Bahnlinie Syčëvka–Ržev
sowie bei Belyj und Dubrovka bis Mitte Dezember 1942 zurückgedrängt werden
konnten, sollten sich die Kämpfe im Lučesa-Tal bis in den Januar 1943 hineinzie-
hen. Insgesamt hatte die Lage im Frontbogen bei Ržev aber relativ rasch bereinigt
werden können. Bedrohlicher verlief die sowjetische Offensive bei Velikie Luki, wo
es zur Einschließung und bis Mitte Januar 1943 zum Verlust der zur Festung aus-
gerufenen Ortschaft mitsamt der darin eingeschlossenen deutschen Verbänden des
LIX. Armeekorps kam. Diese Kämpfe hatten dem Heeresgruppenoberkommando
deutlich zwei Dinge vor Augen geführt. Zum einen waren die eigenen Verbände
mittlerweile personell und materiell so verbraucht, dass die Aufrechterhaltung ih-
rer Kampfkraft im Frühjahr ohne die Schaffung von Reserven fraglich war. Zum
anderen band gerade die aufwändige Verteidigung des Frontvorsprungs bei Ržev
zahlreiche Verbände, die bei einer Frontverkürzung frei werden würden. Vor dem
Hintergrund der gespannten Lagen bei der Heeresgruppe B bzw. Süd (ab Mitte
Februar) und der Südflanke der Heeresgruppe Mitte (Armeeoberkommando 2),
wo sowjetische Großoffensiven auf Ostrogožsk und Rossoš’ im Januar 1943 zur
Zerschlagung der ungarischen 2. Armee und der italienischen 8. Armee sowie
zu erheblichen Einbrüchen geführt hatten, letztlich aber auch aufgrund des un-
unterbrochenen sowjetischen Druckes bei Demjansk, genehmigte Hitler eine
Rücknahme in die vorbereitete »Sehnenstellung« zwischen Kirov und Veliž (die
sogenannte »Büffelstellung«), die bis März 1943 beendet wurde45. Dadurch ge-
lang es der Heeresgruppe Mitte die dringend benötigten Reserven freizumachen
und mit diesen die Lage bei der 2. Armee und der Naht zur Heeresgruppe B bzw.
Süd soweit zu beruhigen, dass ein sowjetischer operativer Durchbruch nochmals
hatte verhindert werden können46.

2. Fallbeispiel 1: Die »letzte Reserve«47 –


385. Infanteriedivision

a) Aufstellung und Gliederung der Division

Zusammen mit der 383., 384., 387. und 389. Infanteriedivision gehörte die
385. Infanteriedivision zu den Divisionen der 18. Aufstellungswelle (»Rheingold«-

44
Ebd., S. 1082 f. (Beitrag Wegner).
45
Glantz, From the Don to the Dnepr, S. 82 f. Mit Sehnenstellung wurde eine Stellung
am hinteren Rand des Hauptkampffeldes bezeichnet, »die feindwärts ausspringende
Stellungsteile rückwärts abriegelt«. 10. ID (mot)/Kdr./Ia Nr. 500/42 geh.Kdos., Grund-
begriffe der Verteidigung, 21.9.1942, BArch, RH 26-10/36, S. 3. Siehe auch TF, S. 184.
46
DRWK, Bd 6, S. 1088 f. (Beitrag Wegner). Haupt, Heeresgruppe Mitte, S. 150‑157.
47
So der Eintrag bei Halder, KTB, Bd 3, S. 348 (15.12.1941). Der weitere Kriegsverlauf
bedingte natürlich, dass noch weit mehr Reserven freigemacht werden mussten. Diese
Bezeichnung ist deshalb als Momentaufnahme zu sehen, die aber die besonderen Aufstel-
lungsumstände der Division deutlich aufzeigt.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 263

385. Infanteriedivision
Kriegsgliederung nach Mobilmachungskalender

Divisions-
stab

Infanterie- Stabs-
regiment I. Bataillon II. Bataillon III. Bataillon
kompanie
537

Granatwerfer- Panzerjäger-
kompanie kompanie

*
Infanterie- Stabs-
regiment I. Bataillon II. Bataillon III. Bataillon
kompanie
538

Granatwerfer- Panzerjäger-
kompanie kompanie

Infanterie- Stabs-
regiment I. Bataillon II. Bataillon III. Bataillon
kompanie
539

Granatwerfer- Panzerjäger-
kompanie kompanie

Artillerie- I. leichte II. leichte III. leichte IV. schwere


regiment Stabsbatterie Abteilung Abteilung Abteilung Abteilung
385

Panzerjäger- u.
**
!
Panzerjäger- Panzerjäger- Radfahrer- Kosaken-
Aufklärungs- kompanie kompanie schwadron schwadron
abteilung 385

Pionier- Pionier- Pionier- Pionier- leichte Pionier-


bataillon kompanie kompanie kompanie kolonne
385

Nachrichten- Fernsprech- Funk- leichte


abteilung kompanie kompanie Nachrichten-
385 (tmot) (mot) kolonne (mot)

Verwaltungs-, Nachschub-, Feldpost-, Ordnungs-, Veterinär- und Sanitätsdienste sowie Feldersatz-


bataillon

Anmerkungen
* Infanterieregiment 538 von April bis Dezember 1942 im H.Gr.-Bereich Nord eingesetzt
** Aufstellung März/April 1942

Quelle: BArch, RH 26-385/38.


© ZMSBw
06958-04

Verbände). Im Vergleich mit den Divisionen erster Welle ergaben sich bei allen
»Rheingold«-Verbänden einige Abweichungen von der Normalgliederung48. Die

48
Die Angaben über Normalgliederung und Ausstattung einer Division 1. Welle stammen
aus: Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 1, S. 71‑73, und Bd 2, S. 161 f. Die folgenden
Angaben über die Gliederung der 385. ID basieren, falls nicht anders vermerkt, auf:
264 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

385. Infanteriedivision gliederte sich in die drei Infanterieregimenter (IR) 537


(Wehrkreis VI, Münster), 538 (Wehrkreis X, Hamburg) und 539 (Wehrkreis XI,
Hannover) mit je drei Infanteriebataillonen als Hauptelementen49. Pro Regiment
gab es eine Regimentsstabskompanie mit einem Radfahrerzug, einem Infanterie-
Pionierzug und einem Nachrichtenzug. Anstelle der für die Divisionen erster
Welle üblichen Infanteriegeschützkompanien verfügten die Infanterieregimenter
über je eine Granatwerferkompanie als 13. Kompanie, die 14. Kompanie war
die übliche Panzerjägerkompanie. Das Artillerieregiment (AR) 385 wurde aus
allen drei genannten Wehrkreisen alimentiert. Es gliederte sich in die üblichen
drei leichten Abteilungen I‑III und die schwere IV. Abteilung. Die drei leichten
Abteilungen waren jedoch um je eine leichte Batterie verringert worden. Dadurch
hatte die Division zwölf Geschütze weniger, als nach Normalbestand vorgesehen
war. Zudem waren die Batterien nicht mit leichten Feldhaubitzen 18, sondern
mit den älteren leichten Feldhaubitzen 16 ausgerüstet50. Als letzte Abweichung
zur Normalgliederung wurde die III. Abteilung als Kompensation für die feh-
lenden Batterien ab September 1942 mit zwei Nebelwerferbatterien versehen,
was den verminderten Kampfwert jedoch nicht auszugleichen vermochte51.
Weiter verfügte die Division lediglich über eine kombinierte Panzerjäger- und
Aufklärungsabteilung 385, die durch den Wehrkreis X aufgestellt wurde und zwei
Panzerjägerkompanien und eine Radfahrerschwadron umfasste52. Damit war die
Division aufklärungsmäßig deutlich schwächer dotiert, als der Normalbestand
vorsah, der von einer Panzerjägerabteilung mit drei Kompanien und einer
Aufklärungsabteilung mit einer Reiterschwadron, einer Radfahrerschwadron
und einer schweren Schwadron mit Panzerspäh-, Infanteriegeschütz- und
Pakzug ausging53. Die fehlenden Aufklärungsmittel führten dazu, dass der
Divisionskommandeur bereits während der Aufstellung mehrmals beim Chef
der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres Generaloberst Friedrich
Fromm sowie beim Chef des Generalstabes des Heeres Halder vorstellig wur-
de. Im März 1942 befahl das OKH schließlich die Aufstellung einer selbststän-
digen Reiterschwadron aus Kosaken, denen als Stamm zwei deutsche Offiziere
und fünfzehn Unteroffiziere zur Verfügung standen54. Das Pionierbataillon 385
wurde im Wehrkreis XI aufgestellt und bestand gemäß Kriegsgliederung ganz
normal aus drei Pionierkompanien und einer leichten Pionierkolonne, allerdings

Anlage 1c zu OKH/Ch HRüst u BdE/AHA/Ia (I) Nr. 1347/42 g.Kdos, 385. Infanterie-
Division, undat., BArch, RH 26-385/38, Bl. 1; Tessin, Verbände und Truppen, Bd 10,
S. 38‑40.
49
Stammtafeln 385. ID, BArch, RH 26-385/1. Die IR wurden am 15.10.1942 in
Grenadierregimenter (GR) umbenannt.
50
Vgl. Lehrstab für Offizierschießlehrgänge, Gliederung eines Artillerieregiments, September
1941, BArch, RH 17/129.
51
385. ID, Stand: 29.9.1942, BArch, RH 26-385/38, Bl. 54; Müller-Hillebrand, Das Heer,
Bd 3, S. 59 f.
52
Der Verband wurde im Herbst 1942 in Schnelle Abteilung umbenannt. Tessin, Verbände
und Truppen, Bd 1, S. 178, Bd 10, S. 39.
53
Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 2, S. 130.
54
Die Kosakenschwadron wurde am 9.4.1942 aufgestellt und erstmals am 28.6.1942 einge-
setzt. 385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2, S. 10; 385. ID/Ia, Erfahrungsbericht
über die Kosakenschwadron der 385. I.D., 17.7.1942, BArch, FD 1238 N.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 265

ohne die sonst übliche Motorisierung einer Pionierkompanie und der leichten
Pionierkolonne. Realiter bestand das Bataillon jedoch nur aus zwei Kompanien,
erst ab 31. März 1942 kam eine dritte Kompanie aus dem Wehrkreis VI dazu55.
Schließlich verfügte die 385. Infanteriedivision über die gängige Divisions-
Nachrichtenabteilung (NA) 385 und über Sanitäts-, Nachschub-, Verwaltungs-,
Ordnungs- sowie Feldpostdienste.

b) Das Personalgefüge und die


Offizierstellenbesetzung der Division

Das Personalprofil der 385. Infanteriedivision

Mit den sogenannten »Rheingold«-Verbänden sollte die erwähnte personel-


le Schieflage als Folge der Winterkrise 1941/42 aufgefangen werden. Die Auf-
stellung erfolgte unter äußerst hohem Zeitdruck, waren die Verbände doch als
Schnellzuführung zur Stabilisierung der Ostfront gedacht. Die Aufstellung der
385. Division wurde am 9. Januar 1942 ausgelöst und war gemäß Kriegstage-
bucheintrag bereits am 15. Januar, 12.00 Uhr, »planmäßig beendet«56. Danach
wurde die Division auf den Truppenübungsplatz Bergen verlegt. Die materiel-
le Ausrüstung der Verbände war nur teils gesichert – anfangs waren nicht ein-
mal genügend Gewehre vorhanden und die Kraftfahrzeuglage brachte eben-
falls Schwierigkeiten mit sich57. Hauptproblematik bildete aber die personelle
Auffüllung der Verbände, da die 385. Division aus Einheiten aus drei Wehrkreisen
zusammengezogen werden musste58. Dabei kam es häufig vor, dass einzelne Stäbe
und Einheiten mit Truppen aus verschiedenen Ersatzeinheiten aufgestellt wur-
den. Dies galt natürlich für die Stabskompanien der Infanterieregimenter und
für die Artillerieverbände wegen der hohen Anzahl Spezialisten, aber auch für die
Infanteriebataillone. Während das Infanterieregiment 537 z.B. nur durch Truppen
des Wehrkreises VI aufgefüllt wurde, erhielten die Infanterieregimenter 538
bzw. 539 neben ihren angestammten Ersatztruppen aus den Wehrkreisen X
bzw. XI auch solche aus dem Wehrkreis VI. Die Infanterieregimenter 538 und
539 mussten sich deshalb sogar aus zwei Wehrkreisen ergänzen. Zum anderen
wechselten die Truppenteile, die Personalersatz stellten, sodass die Einheiten
ihren Ersatz z.T. aus zwei oder mehreren verschiedenen Ersatzeinheiten erhiel-
ten59. Weiter wirkte sich erschwerend aus, dass keinem der drei Wehrkreise die

55
Tessin, Verbände und Truppen, Bd 10, S. 40. In der Kriegsrangliste der Division sind aber
nur die 1. und 2. Pi.Kp. aufgelistet. Kriegsrangliste sämtlicher Offiziere und Beamten im
Offizierrang der 385. Infanterie-Division, BArch, RH 26-385/2.
56
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2, S. 1. Widersprüchlich: Tessin, Verbände
und Truppen, Bd 1, S. 60, und Bd 10, S. 38.
57
DRWK, Bd 5/1, S. 914 (Beitrag Kroener). Da der Aspekt der Führung im Zentrum der
vorliegenden Arbeit liegt, wurde in den Fallbeispielen auf eine systematische Analyse der
materiellen Ausstattung der Divisionen verzichtet.
58
Tessin, Verbände und Truppen, Bd 10, S. 38.
59
Stammtafeln 385. ID, BArch, RH 26-385/1. Selbst die Abt. Ib der Division beklagte, dass
sich aus den »zusammenhanglos beigeheftet[en]« Aufstellungsverfügungen der Wehrkreise
»nur ein ungefähres und teils widerspruchsvolles Bild« der Division machen lasse. 385. ID/
266 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Verantwortung für die Gesamtaufstellung der Division übertragen wurde und


diese die OKH-Aufstellungsverfügungen »teilweise abweichend aus[legten]«60.
Aus dem Ersatzheer wurden nur »schwache Aufstellungsstämme« herangezogen,
mit denen die Spezialfunktionen besetzt werden sollten61. Die Aufstellung der
»Rheingold«-Verbände erfolgte personell und materiell in erster Linie »auf Kosten
der Wirtschaft«62. Wie die übrigen Divisionen 18. Welle wurde die 385. Division
mehrheitlich mit Personal aufgefüllt, das bislang für die Wirtschaft uk-gestellt
gewesen war. Die Mannschaften bestanden zu einem wesentlichen Anteil aus
Familienvätern, besaßen ein durchschnittliches Alter von ca. 27 Jahren und waren
mehrheitlich nur kurz ausgebildet63.
Die Personallage spiegelte sehr deutlich die Gesamtsituation des Heeres zu
Beginn des Jahres 1942 wider. Noch akuter zeigte sich dies bei der Offizier-
und Unteroffizierlage. Die erheblichen Verluste während des Unternehmens
»Barbarossa« und den folgenden Winterkämpfen 1941/42 hatten dazu geführt,
dass der Offizier- und Unteroffizierbestand einen kritischen Punkt erreichte.
Besonders die mangelnde Erfahrung des unteren Führerkorps machte sich im-
mer einschneidender bemerkbar. Darauf wies z.B. ein Erfahrungsbericht des ! vgl.passim
OKH hin, der betonte, dass »junge, schneidige Offiziere eher zu ersetzen [sind],
als alte, bewährte Unteroffiziere«64. Die »Masse der Führer aller Dienstgrade«
der 385. Division hatte deshalb nur »geringe Kriegserfahrung«65. Durch den
Rückgriff auf Ausbildungspersonal des Ersatzheeres konnte dies nur ansatzweise
ausgeglichen werden, wie sich etwa in der Offizierstellenbesetzung der Division
für den Zeitraum von Januar bis August/September 1942 zeigt66.

Ib, Tätigkeitsbericht der Quartiermeister-Abteilung (Ib) für die Zeit vom 10.1.‑18.3.1942,
BArch, RH 26-385/36.
60
Ebd.
61
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2, S. 1.
62
Halder, KTB, Bd 3, S. 348 (15.12.1941). Vgl. auch Haupt, Die deutschen Infanterie-Divi-
sionen, Bd 3, S. 36.
63
Die Ausbildungszeit betrug bei 32 % der Mannschaften mehr als ein Jahr, bei 55 %
3‑12 Monate sowie bei den restlichen 13 % bis zu 3 Monate. Zudem hätten 75 % des
Mannschaftsbestandes der kämpfenden Truppen »keine Felderfahrung« besessen. 385. ID/
Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2, S. 1‑6. Diese Mannschaften hätten nach Kroener
»den Wert der eigenen Ausbildung und den des ihnen zur Verfügung gestellten Beute-
materials« durchaus realistisch, d.h. gering eingeschätzt. DRWK, Bd 5/1, S. 925 (Beitrag
Kroener).
64
Anlage zu Op.Abt. (IIa) Nr. 420097/42 g.Kdos., Major i.G. Pistorius, Bericht über die
Reise in den Bereich des I. A.K. vom 27.2.‑6.3.42, 7.3.1942, BArch, RH 2/931a.
65
385. ID/Ia Nr. 729/42 geh., Erfahrungsbericht über die Verlegung der 385. I.D. in das
rückwärtige Heeresgebiet und über ihren Einsatz in einem Stellungsabschnitt der 4. Armee,
14.5.1942, BArch, FD 1236 N, S. 1. Gemäß Abteilung IIa besaßen 10 % der Offiziere
und 67 % der Unteroffiziere sogar überhaupt »keine Felderfahrung«. 385. ID/Ia, KTB,
Nr. 1, BArch, RH 26-385/2, S. 6; Kriegsrangliste sämtlicher Offiziere und Beamten im
Offizierrang der 385. Infanterie-Division, BArch, RH 26-385/2.
66
Der Prozentsatz an Ausbildungspersonal musste niedrig bleiben, da alle Divisionen der 17.,
18. und 19. Welle so ergänzt werden mussten. Zudem wirkte sich die Auskämmung dieses
Personals natürlich negativ auf die Ausbildung im Ersatzheer und damit auf die Ersatz-
lage für das Feldheer aus. Vgl. Tessin, Verbände und Truppen, Bd 1, S. 59‑61; Müller-
Hillebrand, Das Heer, Bd 3, S. 22, 50.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 267

Die Divisionsführung

Eine Ausnahme bildete allerdings der Divisionskommandeur. Mit der Führung


der Division wurde der im Krieg bewährte und hoch dekorierte Oberst Karl
Eibl beauftragt. Der 1891 geborene Eibl hatte als Offizier der k.u.k. Armee am
Ersten Weltkrieg teilgenommen, danach im österreichischen Bundesheer ge-
dient und war nach dem Anschluss Österreichs 1938 in die Wehrmacht über-
nommen worden. Eibl hatte ab März 1938 das I./Infanterieregiment 132, ab
April 1939 das III./Infanterieregiment 131 geführt67. Mit Letzterem nahm
er an der ersten Phase des Westfeldzugs 1940 (»Fall Gelb«) teil und erstürmte
am 6. Juni 1940 (»Fall Rot«) den französischen Stützpunkt Chuignolles (süd-
lich der Somme). Für diesen erfolgreichen Angriff wurde Eibl am 15. August
1940 das Ritterkreuz verliehen68. Am 8. Juni 1940 erhielt Eibl das Kommando
über das Infanterieregiment 132 und nahm mit diesem an der zweiten Phase des
Westfeldzuges (»Fall Rot«) und 1941 am Unternehmen »Barbarossa« teil. Für sei-
ne »kampfentscheidenden Erfolge«, v.a. beim Durchbruch durch die Stalinlinie
beim befestigten Brückenkopf von Zwiahel (Novohrad-Volynskyi, UA) im Juli
1941, wurde ihm am 31. Dezember 1941 das Eichenlaub zum Ritterkreuz ver-
liehen69. Auch als Divisionskommandeur zeichnete er sich weiter aus. Für die
»tatkräftige Führung [...] im Verlauf der schweren Abwehrkämpfe am Don« vom
19. Dezember 1942 erhielt er das Eichenlaub mit Schwertern zum Ritterkreuz70.
Oberleutnant Georg-Heino Frhr. von Münchhausen, damals Ordonnanzoffizier
des Chefs der Operationsabteilung im Generalstab des Heeres (Heusinger), schil-
derte in seinem persönlichen Tagebuch, wie es während der Führerbesprechung
vom 20. Dezember 1942 zum Verleihungsvorschlag kam:
»Wie Orden zustandekommen folgender Vorfall [sic!]. General Eibl, ein
Österreicher, im übrigen vorzüglicher Mann, der schon das Eichenlaub
hat, kam von Norden gerade jetzt bei der ital. Armee an und griff von der
Eisenbahn aus als einzige Stütze bei den weichenden Italienern ein[,] ging aber
als Prellbock auch langsam mit zurück. Beim Vortrag allgemeines Aufatmen,
dass mal ein Hoffnungsstrahl. In dieser Stimmung sagte Keitel, man müsse
den verdienten General zum Generall[eu]tn[ant] machen. Heusinger sagte
darauf, ach was, das kann jeder werden, gebt ihm doch die Schwerter zum

67
Schimak/Lamprecht/Dettmer, Die 44. Infanterie-Division, S. 44, 372 f.; Bradley/
Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 3, S. 297. Letzterer allerdings ohne
Erwähnung des Kommandos über das III./IR 131.
68
385. ID/Ia, In vorderster Linie am Don. Generalleutnant Eibl starb den Heldentod, !
[11.2.1943], BArch, FD 1239 N; Stein, Österreichs Generale, S. 327; Schimak/Lamprecht/
Dettmer, Die 44. Infanterie-Division, S. 81, 112‑114.
69
385. ID/Ia, In vorderster Linie am Don. Generalleutnant Eibl starb den Heldentod,
[11.2.1943], BArch, FD 1239 N (Zitat); 385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2,
S. 1; Schimak/Lamprecht/Dettmer, Die 44. Infanterie-Division, S. 84‑86, 142, 191, 373;
Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 3, S. 297.
70
Nach Rommel war Eibl erst der zweite Heeresangehörige, der diese hohe Auszeichnung
erlangte. Berger, Mit Eichenlaub und Schwertern, S. 6. Vgl. auch Wimpffen, Die zweite
ungarische Armee, S. 200.
268 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Eichenlaub. Führer sofort ja und so hat bei einem einfachen Abwehrerfolg er


[...] die Schwerter bekommen71.«
Die Schilderung der Schwerterverleihung ist ein aufschlussreiches Beispiel
für Eibls Führungsverständnis und seine energische Handlungsweise. Die
385. Infanteriedivision war zwischen dem 13. und 15. Dezember in den Bereich
des italienischen II. Armeekorps verlegt worden und hätte ab dem 16. Dezember
1942 den Verteidigungsabschnitt auf dessen linkem Flügel (Division »Cosseria«)
bei Novaja Kalitva und Ivanovka verstärken sollen. Dabei marschierte die
Division gewissermaßen direkt in die sowjetische Großoffensive Operation
»Saturn« hinein. Anstatt jedoch mit den übrigen Verbänden zurückzuweichen,
griff Eibl – wie geschildert direkt ab Eisenbahnverladung und als einziger – mit
seiner Division an. Trotz gegnerischer Überlegenheit leistete die Division ab dem
17. Dezember noch hinhaltenden Widerstand, d.h. sie zog sich kämpfend in
Richtung Kantemirovka zurück, wodurch der sowjetische Vormarsch noch verzö-
gert werden konnte72.
Ab dem 14./15. Januar 1943 war Eibl mit der (zuerst interimistischen)
Führung des aus deutschen und italienischen Verbänden zusammengestellten
XXIV. Panzerkorps beauftragt worden73. Unter Führung Eibls schlugen sich die
Reste des Panzerkorps Richtung Westen zurück. Beim Versuch, das Korps am
21. Januar 1943 bei Novochar’kovka (nordwestlich von Rossoš’) über den Fluss
Ol’chovatka hinüberzuführen, wurde Eibl schwer verwundet und starb noch am
selben Tag in einer Verwundetensammelstelle in Kravzovka74.
Eibl stellt eine äußerst interessante Führerpersönlichkeit dar. Der gebürtige
Österreicher durchlief in der Wehrmacht eine bemerkenswerte Kriegskarriere:
Nach dem Anschluss Österreichs 1938 war Eibl als Major in das deutsche Heer
übernommen worden, wobei er mit 47 Jahren bereits ziemlich alt war. Am 20. April
1939 war er zum Oberstleutnant befördert worden, blieb damit aber immer noch
über dem durchschnittlichen Alter seiner Offizierkameraden gleichen Ranges75.
Am 1. Februar 1941 war er Oberst, am 1. Februar 1942 Generalmajor und am

71
Persönliches KTB Georg Heino Frhr. von Münchhausen, BArch, N 813/6 (20.12.1942).
72
Gemäß Glantz verzögerte die 385. ID zusammen mit der Division »Cosseria« und Teilen
der 27. PzD, ab dem 18.12.1942 noch durch die italienische Alpini-Division »Julia« er-
gänzt. Glantz, From the Don to the Dnepr, S. 42‑58.
73
Wegmann/Zweng, Die Dienststellen, Bd 2, S. 316; Wimpffen, Die zweite ungarische
Armee, S. 218; Oblt. Salazer, Gefechtsbericht über den Rückmarsch des Alpini- und des
XXIV[.] Panzerkorps in der Zeit vom 14.‑31.1.1943, 23.3.1943, BArch, RH 31 IX/35,
Bl. 92. Salazer war der deutsche Verbindungsoffizier zur italienischen Division »Cosseria«.
74
Gen.Kdo. XXIV. PzK/Ia Nr. 100/43 g., Bericht über die Rückzugskämpfe des XXIV. Pz.Korps
in der Zeit vom 14.‑31.1.1943, 2.2.1943, BArch, N 592/5, S. 13; Bericht Heidkämper an
Schmundt, 18.5.1943, BArch, N 592/5, S. 5. Der Stabschef des XXIV. PzK (Heidkämper)
schrieb fälschlicherweise vom Übergang über die Černaja Kalitva, Novochar’kovka liegt
aber an der Ol’chovatka, einem Nebenfluss. Siehe Die Italiener an der Ostfront, S. 148,
Anm. 216. Die häufige Behauptung, Eibl sei in »Nowy-Georgijewskije« bei Stalingrad
gestorben (z.B. Berger, Mit Eichenlaub und Schwertern, S. 70; Bradley/Hildebrand/
Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 3, S. 296), ist falsch. Zwar gab es bei Stalingrad
eine solche Ortschaft (Novogrigor’evskaja), nur wenige Kilometer von Novochar’kovka
(Oblast’ Voronež) entfernt gab es aber ebenfalls eine Ortschaft dieses Namens.
75
Vgl. zu den Beförderungsverhältnissen von 1933 bis 1945: Untersuchungen zur Geschichte
des Offizierskorps, S. 175 f., 202‑206.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 269

19. Dezember 1942 bereits Generalleutnant geworden. Mit Wirkung vom 1. März
1943 wurde er schließlich posthum noch zum General der Infanterie ernannt76.
Im Verlauf des Krieges erlangte der Troupier höchste Kriegsauszeichnungen und
hob sich damit von der Mehrzahl seiner Landsleute ab77. Es ist nicht abwegig an-
zunehmen, dass Eibl im weiteren Verlauf des Krieges aufgrund seiner Fähigkeiten
noch hätte in höchste Truppenkommandos gelangen können. Die Person Eibls
wird für die Einschätzung des Führungsverhaltens in der 385. Infanteriedivision
aus einem weiteren Grund entscheidend werden. Dieser Divisionskommandeur
hat der Führungskultur in seiner Division aufgrund seiner Allgegenwart auf dem
Schlachtfeld seinen Stempel aufgedrückt. Noch in der Divisionsmitteilung zu sei-
nem Tod wurde dies gewürdigt:
»Wie immer, so weilte er auch hier mitten unter seinen Soldaten, um in vor-
derster Linie seinen Willen in die Tat umzusetzen78.«
Es wird sich noch zeigen, dass es sich hierbei nicht nur um eine nachträgliche
Heroisierung handelte, sondern dass Eibl das Element der Einheitlichkeit tat-
sächlich sehr stark betonte und als Kommandeur straff und von vorne führte. Im
Verlauf der Untersuchung zur 385. Infanteriedivision wird deshalb der Einfluss
des Divisionskommandeurs auf die Führung innerhalb der Division noch genauer
betrachtet werden, da die Persönlichkeit eines Kommandeurs die Divisionskultur
entscheidend prägte79.

Der Divisionsstab

Die Funktion des Divisionskommandeurs konnte folglich mit einem bewähr-


ten und tatkräftigen Offizier besetzt werden. Mehr Probleme sollte hinge-
gen die Besetzung der wichtigsten Stellen im Divisionsstab verursachen. Der
1. Generalstabsoffizier (Ia) leitete die Führungsabteilung der Division und be-
arbeitete »die Angelegenheiten der Truppenführung«, beriet den Divisionskom-
mandeur in Einsatz und Führung der Division und war zudem Vorgesetzter der
Generalstabsoffiziere80. Diese Funktion bekleidete zuerst Hauptmann (akt.) Erich
Wendt, der allerdings am 12. Februar 1942 durch den vom OKH kommen-
den Major i.G. Gerhard Giese ersetzt wurde und später die Stelle des Divisions-

76
Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 3, S. 296; Stein, Österreichs
Generale, S. 343. Eibls rasanter Aufstieg verdeutlicht sich im Vergleich mit der Karriere der
Kommandeure der 10. ID (mot) und IDGD, aber auch, wenn man sie mit der Laufbahn
seines Landsmannes Ernst Klepp vergleicht. Dieser war zwei Jahre älter als Eibl und 1938
als Oberst übernommen worden, wurde aber erst am 1.4.1942 als Kdr. der 370. ID
(19. Welle) Generalmajor und am 1.4.1944 Generalleutnant. BArch, MSg 109/VI. Siehe
auch OKH/HPA, Personalakten für Dr. Ernst Klepp, BArch, Pers 6/670.
77
Neben Eibl erhielten nur noch zwei weitere österreichische Heeresgenerale (Raus und
Rendulic) die Schwerter zum RK. Stein, Österreichs Generale, S. 327. Vgl. auch Buch-
mann, Österreicher in der Deutschen Wehrmacht, S. 27.
78
385. ID/Ia, In vorderster Linie am Don. Generalleutnant Eibl starb den Heldentod,
[11.2.1943], BArch, FD 1239 N.
79
Vgl. Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, S. 135 f.
80
H.Dv.g. 92/1, S. 15, 33.
270 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

adjutanten (IIa) übernahm81. Giese blieb bis zur Auflösung der Division im
Februar/März 1943 Ia, wurde am 1. März 1943 zum Oberstleutnant befördert
und danach an der Kriegsakademie verwendet82. Der 2. Generalstabsoffizier
(Ib) leitete die Quartiermeisterabteilung der Division und war für alle Belange
der Versorgung verantwortlich. Diese Funktion war in der Regel ebenfalls
von einem aktiven Offizier mit Generalstabsausbildung besetzt, konnte an-
fangs aber nur unplanmäßig durch Hauptmann d.R. Adolf Flohr besetzt wer-
den. Allerdings wurde diese Funktion ab 12. April 1942 zwischenzeitlich
durch Hauptmann kdt.z.Gen.St. Detlev von Platen wahrgenommen83. Nach
Beendigung seiner Generalstabsausbildung übernahm Platen als Major i.G. die
Geschäfte des Ib wieder, war jedoch im August/September 1942 zum General-
kommando VII. Armeekorps kommandiert worden, wo er den erkrankten Ia
vertreten musste. Ab dem 7. September hatte er wieder die Geschäfte des Ib
der Division inne84. Wer die Funktion des Ib in der Zwischenzeit übernom-
men hatte, wird aus den Quellen nicht ersichtlich. Vermutlich musste die Stelle
notdürftig mit Offizieren aus der Division besetzt werden. Ende 1942 bis zur
Zerschlagung der Division hatte Hauptmann i.G. Tönniges von Zastrow diese
Funktion inne, der allerdings ab dem 15. Januar 1943 als stellvertretender Ia
des XXIV. Panzerkorps eingesetzt war, nachdem Eibl die Führung dieses Korps
übernommen hatte und die 385. Infanteriedivision der 387. Division unterstellt
worden war85. Der 3. Generalstabsoffizier (Ic) war »Gehilfe des Ia« und für die
»Festlegung des Feindbildes« verantwortlich und auf Divisionsstufe nur nominell
ein Generalstabsoffizier86. In der 385. Infanteriedivision war diese Funktion mit
Hauptmann d.R. Heinrich Rehbein besetzt, der sie aber nur vom 1. April bis zum
17. Mai 1942 inne hatte. Davor war er als Divisionsadjutant (IIa) eingesetzt und
für die Personalbelange der Division zuständig. Die Stelle des Divisionsadjutanten
war bis zum 17. Mai 1942 durch den erwähnten (mittlerweile Major) Wendt be-
setzt, der danach das Kommando über das I./Infanterieregiment 537 übernahm87.
Aus den wenigen Angaben wird deutlich, dass die Division ihre wichtigsten
Funktionen im Divisionsstab erst im Verlauf der Aufstellung mit dafür ausgebil-
deten Offizieren besetzen konnte. Die noch zu behandelnde prekäre Personallage
der Division dürfte dieses Problem auch während der Kriegsverwendung nicht
vereinfacht haben. Außerdem fallen die zeitlich kurzen Intervalle auf, in de-

81
385. ID/Ib, Tätigkeitsbericht der Quartiermeister-Abteilung (Ib) für die Zeit vom
10.1.‑18.3.1942, BArch, RH 26-385/36. Kriegsrangliste sämtlicher Offiziere und
Beamten im Offizierrang der 385. Infanterie-Division, BArch, RH 26-385/2.
82
Brief eines Angehörigen der 385. ID über die Zerschlagung der 387. und 385. ID vom
13.2.1943, BArch, RH 26-385/42. Rangliste des deutschen Heeres 1944/45, S. 108.
83
Die Versetzung Platens war als Bestandteil seiner Ausbildung zum Generalstabsoffizier vom
OKH verfügt worden und erfolgte nicht auf Antrag der Division. 385. ID/Ib, KTB, Nr. 1,
BArch, RH 26-385/36 (6.4.1942).
84
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (7.9.1942).
85
Bericht Heidkämper an Schmundt, 18.5.1943, BArch, N 592/5, S. 4.
86
H.Dv.g. 92/1, S. 19. Die Ic-Stelle war aber eine »Generalstabsstelle«, deren administrati-
ve Führung über den GenStdH lief. Vgl. OKH/GenStdH/GZ 1. St. Nr. 1081/41, Betr.:
Besetzung der Ic Stelle, 11.3.1941, BArch, RH 26-10/524.
87
385. ID/IIa, Tätigkeitsbericht der Abt. IIa für die Zeit vom 16.3.‑30.9.1942, BArch,
RH 26-385/35.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 271

nen die Stellenbesetzungen des Ia, Ic und IIa wechselten. Die zuweilen raschen
Ablösungen und Versetzungen sowie fehlende Personalakten ab Oktober 1942
verunmöglichen eine repräsentative Stellenbesetzung der Division für den gesam-
ten Zeitraum ihres Bestehens jedoch fast gänzlich.

Das Führerkorps in den Verbänden der Division

Dies gilt auch für die Stellenbesetzung der Kommandeure und Führer in den
Einheiten der Division. Zumindest für die Phase der Aufstellung bis Septem-
ber 1942 lässt sich jedoch feststellen, dass es auch in den Einheiten eine
hohe Anzahl an personellen Fluktuationen gegeben hat. So zeigte sich in den
Infanterieregimentern (IR) wie auch im Artillerieregiment (AR) ein ähnliches
Bild wie beim Divisionsstab. Die Infanterieregimenter wurden immer von
Kommandeuren geführt. Zu Beginn waren alle aktive Offiziere: Kommandeur des
Infanterieregiments 537 war Oberst (akt.) Karl Frhr. von Lersner, Kommandeur
des Infanterieregiments 538 war Oberst (akt.) Frhr. von Wangenheim88. Turbu-
lenter verlief die Kommandeursbesetzung im Infanterieregiment 539. Vom
10. Januar bis 6. Februar 1942 war Oberst (akt.) Kurt Heyser der Kommandeur89,
danach übernahm Oberstleutnant (akt.) von Osterroht das Kommando, wurde
aber bereits am 22. Mai 1942 wieder abgelöst und durch Oberstleutnant d.R.
Rudolf Erler ersetzt90.
Die verschiedenen Infanteriebataillone wurden alle planmäßig von Komman-
deuren geführt, die mit einer Ausnahme ebenfalls aktive Offiziere waren, was für die-
sen Zeitpunkt des Krieges doch erstaunlich war91. Bei den Kompanieführerstellen
zeigt sich ein umgekehrtes Bild. Die Infanteriebataillone verfügten über je drei
Schützen- und eine schwere Kompanie, hinzu kamen auf Regimentsstufe die er-
wähnte Regimentsstabskompanie sowie die 13. und 14. Kompanie. Von den ins-
gesamt 30 Kompaniechefs der Infanterieregimenter 537 und 539 in den Rängen
Hauptmann (8), Oberleutnant (20) und Leutnant (2) waren 21 Reserve-, zwei

88
Lersner war erst ab 1.4.1942 Rgt.Kdr. und Ritterkreuzträger. Wer vorher das IR 537
kommandierte, ist nicht bekannt. Er fiel am 25.1.1943 in dieser Funktion bei Orël. Über
Wangenheim ist nichts weiter bekannt. Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des
Heeres, Bd 7, S. 481; Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 502.
89
Heyser war 1935 als Landespolizeioffizier ins Heer übernommen worden und hatte am
26.5.1940 als Kdr. IR 47 das RK erhalten. Im Februar 1942 wurde er in die Führerreserve
versetzt. Danach mit der kurzzeitigen Führung des Inf.Ers.Rgt. 30, des Feldausbildungs-
Rgt. 720 und der Osttruppen z.b.V. 709 beauftragt, kam er am 15.7.1943 wieder in die
Führerreserve und wurde am 1.8.1943 zum Generalmajor ernannt. Bradley/Hildebrand/
Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 5, S. 411 f.; Scherzer, Die Ritterkreuzträger,
S. 390. Weshalb ihm das Kommando über das IR 539 entzogen wurde, ist unbekannt.
90
Osterroht wurde in die Führerreserve OKH versetzt, Erler kam aus dem WK IX. Kriegs-
rangliste sämtlicher Offiziere und Beamten im Offizierrang der 385. Infanterie-Division,
BArch, RH 26-385/2.
91
Der Rang der untersuchten Bataillonskommandeure variierte: Im IR 537 waren dies ein
Obstlt. und zwei Majore, im IR 539 ein Major und zwei Hauptleute, wobei der Kdr. III./539
Reserveoffizier war. Die Stellenbesetzung des IR 538 fehlt in den Divisionsakten, da es
ab April bis November 1942 bei der H.Gr. Nord eingesetzt wurde (siehe Kap. IV.2.c).
Schmitz/Thies, Die Truppenkennzeichen, Bd 1, S. 448.
272 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Landwehr- (Hauptmann/Leutnant) und bloß sieben aktive Offiziere. Allerdings


waren mit 63 Prozent (19) wiederum vergleichsweise viele Kompanieführerstellen
planmäßig besetzt.
Auch bei den übrigen Einheiten zeigt sich bei den unteren Führerstellen ein
Übergewicht an Reserveoffizieren. Kommandeur des Artillerieregiments 385 zwar
bis zum 18. September 1942 Oberst (akt.) Leopold von Leeb, danach Oberst-
leutnant (akt.) Girvers92. Bei den vier Abteilungen des Regiments zeigt sich ein
ähnliches Bild wie bei der Infanterie: Alle Kommandeursstellen waren planmä-
ßig besetzt. Während die ersten beiden Abteilungen von aktiven Offizieren ge-
führt wurden, kommandierten Reserveroffiziere die III. und IV. Abteilung93. Von
den insgesamt 14 Batteriechefs und -führern in den Rängen Hauptmann (2),
Oberleutnant (8) und Leutnant (4) waren zwölf Reserve- und bloß zwei aktive
Offiziere. Dabei wurden 84 Prozent (12) dieser Offiziere in der Kriegsgliederung
als Batterieführer erfasst.
Noch komfortabler gestaltete sich die Personalsituation bei der Panzerjäger-
abteilung 385, deren Stellen zu 100 Prozent planmäßig durch Offiziere besetzt
waren. Interessant ist dabei, dass die Abteilung von Hauptmann d.R. Friedrich
Heréus kommandiert wurde, während die 2. Kompanie von einem aktiven
Hauptmann geführt wurde – die umgekehrte Situation wäre wohl eher zu erwar-
ten gewesen; die 1. Kompanie kommandierte ein Oberleutnant d.R. Chef der
Radfahrerschwadron 385 war Oberleutnant d.R. Heinrich Luczinski. Komman-
deur des Pionierbataillons 385 war der ausgewiesene Fachspezialist Oberst-
leutnant (ab April 1942 Oberst) (akt.) Max Edler von Hockenjos Stiotta, der am
7. August 1942 durch Hauptmann d.R. Behmann abgelöst wurde94. Die zwei
Pionierkompanien wurden außerplanmäßig von je einem Leutnant d.R. bzw. des
Beurlaubtenstandes (d.B.) geführt95.

92
Girvers kam aus der Führerreserve des WK III. Leeb (seit 1.9.1942 Generalmajor) wur-
de in die Führerreserve OKH versetzt. 385. ID/IIa, Tätigkeitsbericht der Abt. IIa für die
Zeit vom 16.3.‑30.9.1942, BArch, RH 26-385/35. Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die
Generale des Heeres, Bd 7, S. 423 f.
93
Wie bei den Infanteriebataillonen fallen auch bei den Artillerieabteilungen die unterschied-
lichen Ränge der Kommandeure auf: die I. und III. Abteilung wurde von Majoren, die
II. durch einen Obstlt. und die IV. durch einen Hptm. kommandiert. Erstaunlich ist zu-
dem, dass die IV. Abteilung vom rangniedrigsten Kdr. (und Reserveoffizier) geführt wurde,
obwohl sie als schwere Abteilung das artilleristische Schwergewicht der Division stellte.
Kriegsrangliste sämtlicher Offiziere und Beamten im Offizierrang der 385. Infanterie-
Division, BArch, RH 26-385/2. Das gleiche Bild zeigt sich aber auch bei der IDGD.
94
Stiotta war wie Eibl Österreicher, 1938 als Ergänzungsoffizier im Range eines Majors über-
nommen und erst am 8.7.1941 in das aktive Offizierkorps überführt worden. Er wurde nach
dem Kommando über das Pi.Btl. 385 als Pionierführer des LI. AK und später als Pionier-
führer der 6. Armee bei Stalingrad eingesetzt, bevor er als Festungspionier XIX (AOK 7)
in den Westen an den Atlantikwall versetzt wurde. Kurz vor Ende des Krieges wurde er
Generalmajor. Stein, Österreichs Generale, S. 270‑273. Zur Rolle Stiottas im Westfeldzug
1940 siehe Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 175. Behmann kam aus der Führerreserve
WK IX. 385. ID/IIa, Tätigkeitsbericht der Abt. IIa für die Zeit vom 16.3.‑30.9.1942,
BArch, RH 26-385/35.
95
Die Unterscheidung zwischen Offizieren d.R. und d.B. verwirrt, bezeichnet der Begriff
»Beurlaubtenstand« doch das Bereitschaftsverhältnis, in dem der Offizier seine Wehrpflicht
erfüllt. Zum Offizierkorps des Beurlaubtenstandes gehörten – in Abgrenzung zum aktiven
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 273

Zusammengefasst hatten die »Rheingold«-Verbände mit mehreren Problemen


zu kämpfen, die sich notgedrungen auf ihre Qualität auswirken mussten: Keine
landsmannschaftlich homogene Zusammensetzung, teils ältere, vor längerer Zeit
ausgebildete Mannschaften, fehlende Spezialisten, ungenügend ausgebildete und
zu junge oder überalterte Offiziere, geringe Kriegserfahrung sowie fehlendes oder
mangelhaftes Material96. Die Einschätzung des Oberbefehlshabers des Ersatzheeres
(Fromm) verdeutlicht diese Problematik. Nach seiner Ansicht handelte es sich
bei den Westdivisionen – d.h. den »Walküre«- und »Rheingold«-Verbänden –
lediglich um die letzten Reserven. Wegen ihrer personellen Zusammensetzung
hätten diese Verbände nach Fromm zuerst eine längere, d.h. planmäßig aufbau-
ende Ausbildungsphase durchlaufen müssen, bevor sie für Kampfaufgaben voll
einsatzfähig gewesen wären. Die Einsatzbereitschaft dieser Verbände sah Fromm
deshalb frühestens für den Sommer 1942 als gegeben97.

c) Die Vorbereitung der Division


auf den Kriegseinsatz

Wie schon die Aufstellungsphase stand auch die anschließende Ausbildungsphase


der Division unter immensem Zeitdruck. Für die Ausbildung inklusive Abtrans-
port auf die Übungsplätze standen nur wenige Wochen zur Verfügung. Das Ziel
der Ausbildung blieb dessen ungeachtet die »Schaffung eines voll kampfkräftigen
Divisionsverbandes für den Angriff und die Verteidigung im Osten«98.
Die Grundausbildung der 385. Infanteriedivision sollte planmäßig vom
18. Januar bis 19. März 1942 auf dem Truppenübungsplatz Bergen erfolgen99.
Sie musste allerdings bereits am 10. März 1942 abgebrochen werden. Zudem
wurde sie dadurch gestört, dass die Division gemäß Mobilmachungskalender
als Besatzungs- bzw. Sicherungsverband hätte aufgestellt werden sollen100.
Während der Aufstellungs- und Grundausbildungsphase mussten deshalb »zu-
sätzliche Neuaufstellungen und Umstellungen« durchgeführt werden, in deren
Verlauf die Division zu einer Kampfdivision umgegliedert wurde, was mit einem
»dauernde[n] personelle[n] Wechsel« einherging101. So wurden während der ge-

Offizierkorps – die Reserve- und Landwehroffiziere. Diese Unterscheidung entfiel ab dem


1.1.1943. Danach gab es nur noch Reserveoffiziere. Absolon, Wehrgesetz und Wehrdienst,
S. 45.
96
Gleiches gilt für die »Walküre«-Verbände (328.‑331. ID) der 17. Welle (Dezember 1941).
DRWK, Bd 5/1, S. 925 (Beitrag Kroener). DRWK, Bd 6, S. 784 (Beitrag Wegner).
97
Ch HRüst u BdE/Chef d. Stabes, KTB, Kurzprotokoll vom 5.1.1942, BArch, RH 14/4,
zit. nach: DRWK, Bd 5/1, S. 921 (Beitrag Kroener).
98
Ch HRüst u BdE/Stab/Ia Nr. 200/42 geh., Betr.: Ausbildung der Rheingold-Divisionen,
12.1.1942, BArch, FD 1236 N.
99
Die Division war auf zwei Standorte aufgeteilt: Das AR 385 und die NA 385 waren im
Lager Bergen-Belsen, der Rest der Division im Lager Fallingbostel untergebracht. 385. ID/
Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2, S. 1‑4.
100
385. ID/Ib, Tätigkeitsbericht der Quartiermeister-Abteilung (Ib) für die Zeit vom
10.1.‑18.3.1942, BArch, RH 26-385/36.
101
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2, S. 2 f. (Zitate); 385. ID/Ia Nr. 729/42
geh., Erfahrungsbericht über die Verlegung der 385. I.D. in das rückwärtige Heeresgebiet
274 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

samten Aufstellungs- und Ausbildungszeit 92 Offiziere sowie 4453 Unteroffiziere


und Mannschaften ausgetauscht bzw. der Division frisch zugeführt102. Mit diesen
Maßnahmen wurde noch einmal versucht, die ungünstige personelle Ausgangslage
zu verbessern, wie sich gerade bei den Offizieren deutlich zeigt. Zum einen wur-
den zu alte oder aus anderen Gründen ungeeignete Offiziere ausgesondert, ins-
gesamt immerhin 16 Kompanie- und Batteriechefs sowie 52 Zugführer. Weiter
wurden fünf Bataillonskommandeure, zwei Kompanie- und Batteriechefs sowie
15 Zugführer gegen Offiziere mit Osterfahrung ausgetauscht. Und schließlich
wurden wie gesehen sogar zwei Regimentskommandeure krankheitshalber oder
wegen einer Verfügung des Heerespersonalamts ersetzt103. Damit konnte zwar der
Ausbildungsstand des Führerkorps gehoben werden, der ständige Wechsel der für
die Ausbildung verantwortlichen Offiziere wirkte sich andererseits aber negativ
auf die Truppenausbildung aus104. Die Umgliederungen wie auch die personellen
und materiellen Austauschaktionen führten dazu, dass der gedrängte Zeitplan von
der Division nicht eingehalten werden konnte. Am 18. Februar 1942 musste die
Division melden, dass die Marschbereitschaft frühestens für den 5. März 1942,
die beschränkte Feldverwendungsbereitschaft – Beendigung der Umgliederungen
vorausgesetzt – zum 15. März und die volle Feldverwendungsbereitschaft erst für
den 31. März 1942 gegeben sei105.
In Anbetracht der kurzen Ausbildungszeit wurde die Ausbildung der »Rhein-
gold«-Verbände sehr straff vom Befehlshaber des Ersatzheeres überwacht. So
inspizierte der von Fromm beauftragte General der Infanterie Erich Friderici
die Regiments- und Divisionsübungen und den Abschluss der Ausbildung der
Divisionen106. Dies geschah durch persönliche Truppenbesuche und durch soge-
nannte »Ausbildungsbemerkungen«, die in komprimierter Fassung die Ergebnisse
der Truppenbesuche aufnahmen und daraus allgemeine Ausbildungshinweise für
alle »Rheingold«-Verbände ableiteten. Um die kurze Ausbildungszeit voll ausnut-
zen zu können, wurde den Divisionen »die Aufstellung von Ausbildungsplänen
für die einzelnen Einheiten« befohlen, mit denen »die Ausbildung von der
kleinsten Kampfeinheit [...] bis zum Div. Verband planmäßig zu steigern« sei107.
Ebenso hatten die Divisionen »Richtlinien für die Ausbildung« herauszugeben,
in denen die Ausbildungsziele definiert und mit der zur Verfügung stehenden

und über ihren Einsatz in einem Stellungsabschnitt der 4. Armee, 14.5.1942, BArch,
FD 1236 N, S. 1.
102
Der Personalaustausch wurde noch erheblich dadurch erschwert, dass drei verschiedene
Wehrkreise den Personalersatz stellten. 385. ID/IIa, Tätigkeitsbericht der Abt. IIa für die
Zeit der Aufstellung, BArch, RH 26-385/35, Bl. 1 f.
103
Ebd., Bl. 3 (Anlage 1, Austausch von Offzn[.], Uffzn. und Mannschaften während der Zeit
der Aufstellung).
104
385. ID/IIa, Tätigkeitsbericht der Abt. IIa für die Zeit der Aufstellung, BArch, RH 26-
385/35, Bl. 2.
105
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2, S. 8.
106
Ch HRüst u BdE/Stab/Ia Nr. 200/42 geh., Betr.: Ausbildung der Rheingold-Divisionen,
12.1.1942, BArch, FD 1236 N. Friderici war Befehlshaber Heeresgebiet Süd bzw. ab
15.3.1942 K.G. der Sicherungstruppen und Befehlshaber im rückwärtigen Heeresgebiet
Süd. Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 4, S. 92.
107
Ch HRüst u BdE/Stab/Ia Nr. 200/42 geh., Betr.: Ausbildung der Rheingold-Divisionen,
12.1.1942, BArch, FD 1236 N.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 275

Ausbildungszeit abgeglichen werden sollten108. Dadurch sollte einerseits eine


»Gleichmäßigkeit« der Ausbildung innerhalb der Division sichergestellt und an-
dererseits eine Grundlage für die Dienstpläne der Kompanie- und Batteriechefs
geschaffen werden. Ein besonderes Augenmerk erhielt die Erziehung der Offiziere.
Dabei wurden speziell die Pflichten des Offiziers bei der Fürsorge und Betreuung
der Truppe behandelt und gefordert, dass der Offizier in allen Lagen ein »bei-
spielhaftes Vorbild« geben solle und die »Kampfgemeinschaft zwischen Offizier
und Mann« gefestigt werde. Speziell erwähnt wurde die Erziehung der jünge-
ren Offiziere etwa durch »die Einnahme gemeinsamer Mahlzeiten innerhalb des
Offizierkorps«109. Während seines Besuches der 385. Infanteriedivision vom 28.
bis 31. Januar hielt Friderici außerdem eine Besprechung mit den Regiments-,
Bataillons- und Abteilungskommandeuren ab, um »Wünsche und Anträge der
Truppe« entgegenzunehmen.
Die Führerausbildung selbst war von den üblichen Inhalten geprägt: Lehr-
vorführungen, Planspiele, verschiedene Bataillons-, Regiments- und schließlich
eine Divisionsübung110. Wie akribisch dies trotz des Zeitdrucks in der Realität
umgesetzt wurde, zeigt ein Divisionsbefehl vom 6. Februar 1942. Darin ver-
fügte der Divisionskommandeur, dass die Planaufgabe »Angriff eines Btl. nach
Bereitstellung gegen abwehrbereiten Feind« nacheinander in allen Bataillonen der
Infanterieregimenter durchgespielt werden sollte111. Die Bataillonskommandeure
mussten diese Planaufgabe während einer gesamten Woche mit allen Offizieren
und »Feldwebel-Zugführern« durchspielen. Überhaupt fällt auf, wie stark die
Ausbildung auf Planspiele und Übungen fokussiert war. Friderici wollte bei sei-
nen Besuchen ausschließlich »Übungen im verstärkten Btl. oder Reg[imen]t, so-
wie 2 Planspiele von je 3 Stunden Dauer« sehen112. Bei der Durchführung der
Planspiele und Übungen legte Friderici »besonderen Wert darauf«, dass »Krisen«
geschaffen würden, »die nur durch tatkräftige Entschlüsse der einzelnen Führer,
sowie durch tatkräftiges Handeln der Truppe« gelöst werden könnten. Übungen
hingegen, »die wie ein Film planmäßig abrollen«, lehnte er als »der Eigenart der
Ostkämpfe« nicht entsprechend ab. Wichtigste Aufgabe bei der Durchführung
von Übungen sei es deshalb, den »Stumpfsinn« zu bekämpfen113. Eine solche
Betonung der Elemente Urteilsvermögen und Führungsvorgang, mit der die

108
Abschrift, Gen.d.Inf. Friderici, Nr. 69/42 geh., Ausbildungsbemerkungen Nr. 3, 20.2.1942,
BArch, FD 1236 N, S. 1. Dort auch das Folgende.
109
Der ObdH/H Wes Abt. i. GenStdH Nr. 190/10.41 geh., PA 2 (I/Ia) Az. 14 Nr. 10700/41
geh., Betr.: Haltung des Offizierkorps, 16.11.1941, BArch, RH 15/186, Bl. 102. Dieser
Punkt wurde explizit auch von Friderici aufgenommen. Gen.d.Inf. Friderici, Bes. St.
Nr. 1/42 geh., Betr.: Überwachung der Ausbildung »Rheingold-Divisionen«, Januar 1942,
BArch, FD 1236 N, S. 3. Dort auch das Folgende.
110
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2, S. 4, 6.
111
385. ID/Ia Nr. 159/42 geh., Betr.: Befehl f.d. Ausbild. d.Div. auf dem Tr.Üb.Pl. (Be-
sprechung des »Angriffs eines verst.Inf.Btl.«), 6.2.1942, BArch, FD 1236 N. Dort auch das
Folgende.
112
Es wurde betont, dass die Planspiele und Übungen »nach den Erfahrungen des Ostkrieges«
abzuhalten seien. Gen.d.Inf. Friderici, Bes. St. Nr. 1/42 geh., Betr.: Überwachung der Aus-
bildung »Rheingold-Divisionen«, Januar 1942, BArch, FD 1236 N, S. 2. Dort auch das
Folgende.
113
Gen.d.Inf. Friderici, Ausbildungsbemerkungen Nr. 1, 31.1.1942, BArch, FD 1236 N,
S. 1.
276 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Führer zu flexiblem und entschlossenem Handeln erzogen werden sollten, konnte


bereits in der Analyse der Führungsdoktrin beobachtet werden.
Allerdings scheint die Ausbildung mit Planspielen und Übungen nicht immer
zur Zufriedenheit der Aufsicht führenden Stellen durchgeführt worden zu sein.
Friderici kritisierte etwa die Anlage der Planspiele. So werde vielfach zu viel Zeit
für die Darstellung der Ausgangslage vergeudet. Die Befehle, die während des ge-
spielten Verlaufs bei besonderen und kritischen Lagen gegeben werden müssten,
kämen dann zu kurz. Gerade diese Befehle gelte es nach Friderici aber besonders
zu schulen. Schließlich stünden die untersten Führer v.a. während eines Gefechts
»meist allein und vor entscheidenden Entschlüssen und Anordnungen«114. Auch
scheint der kritisierte »Stumpfsinn« trotz allem nicht vollständig abgeschafft
worden zu sein, musste Friderici doch darauf hinweisen, dass eine Übung nur
dann einen Wert besäße, wenn »jeder Führer, Unterführer und Mann über die
Gefechtslage im Rahmen der ihm zufallenden Aufgaben unterrichtet ist«. Auch
dies war wiederum ein Aspekt, der wie gesehen bereits in den Vorschriften un-
terstrichen wurde, bildete die Orientierung der Unterführer und Mannschaften
doch eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass selbstständig im Sinne des
Ganzen gehandelt werden konnte. Jedoch bezogen sich viele Hinweise auf !
Punkte, die für eine kampferprobte Truppe selbstverständlich waren, bei unerfah-
renen Verbänden jedoch gerne vergessen wurden. So forderte Friderici – ebenfalls
in Übereinstimmung mit den Vorschriften – in den Ausbildungsbemerkungen
Nr. 1:
»Jeder Führer und Unterführer muss genau wissen, wo sich seine übergeord-
nete Dienststelle im Gefecht befindet115.«
Weiter hätten alle Stäbe bis Bataillons- bzw. Abteilungsstufe »im Gefecht eine
Lagekarte zu führen [...], damit bei eintretenden Ausfällen von K[omman]d[eu] !
ren sich der Nachfolger rasch in die Lage seines Verbandes versetzen kann«. Selbst
diese auf den ersten Blick banal wirkenden Hinweise waren darauf gerichtet, die
Offiziere und Unteroffiziere dazu zu bewegen, aktiv zu führen und ganzheitlich
zu denken. Es erstaunt deshalb nicht, dass sich in dieser Ausbildung verschiedene
Elemente der Auftragstaktik finden. Durch den Gebrauch von »Krisen« als aus-
bildungsmethodisches Element in allen Übungen wurden die Führer aller Grade !
geradezu dazu gedrillt, ständig neue Entschlüsse zu fassen. Mit der Betonung
des Elementes Entschlossenheit wurde damit die grundlegende Voraussetzung für
das Element der Selbstständigkeit geschaffen. Wie gesehen wurden diese auch
mit den Elementen Urteilsvermögen, Führungsvorgang und Einheitlichkeit ver-
knüpft. Es erstaunt allerdings, dass selbst die Divisionen 18. Welle so ausgebildet
wurden, obwohl diese nur noch – so die Selbsteinschätzung der 385. Division –
unzureichend mit erfahrenen Offizieren und Unteroffizieren ausgestattet waren.
Ein solches Vorgehen barg nämlich auch erhebliche Gefahren in sich. Es wurde
aufgezeigt, dass das Führerkorps der 385. Division aufgrund der kurzfristigen
Aufstellung der Division sehr heterogen zusammengesetzt war. Deshalb dürfte
zumindest in dieser Phase die gemeinsame innere Haltung, die Einheitlichkeit

114
Abschrift, Gen.d.Inf. Friderici, Nr. 69/42 geh., Ausbildungsbemerkungen Nr. 3, 20.2.1942,
BArch, FD 1236 N, S. 1‑3. Dort auch das Folgende.
115
Gen.d.Inf. Friderici, Ausbildungsbemerkungen Nr. 1, 31.1.1942, BArch, FD 1236 N,
S. 1. Dort auch das Folgende.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 277

im Denken und Handeln, noch weitgehend gefehlt haben. So kannten sich obe-
re und untere Führer schlicht noch nicht oder zu wenig und wussten deshalb
auch nicht, wie der Vorgesetzte dachte und nach welchen Prinzipien er führte.
Die Ausbildung und besonders Erziehung des Führerkorps musste also zu den
vordringlichsten Aufgaben der Division gezählt werden, da fehlende Erziehung
im Kampf die Einheitlichkeit des Handelns gefährden konnte. Es wird sich noch
zeigen, wie sich dies in der Kriegsverwendung auswirken sollte.
Am 10. März 1942 erhielt die Division den Marschbefehl in den Bereich
des rückwärtigen Heeresgebietes Mitte, wo sie sich als OKH-Reserve bereit-
halten sollte. Die Verlegung der Division erfolgte vom 11. bis 28. März 1942.
Zu diesem Zeitpunkt war die Division bei weitem noch nicht einsatzbereit.
Vielmehr befand sie sich nach Einschätzung des Divisionskommandos »in ei-
nem Gärungszustand«, »der durch die laufende personelle Verschiebung und
Ersatzgestellung – von den Kommandeuren angefangen – und auch durch
fortdauernden Geräteaustausch und Gerätezuführung bedingt war«116. Aus die-
sen Gründen beurteilte das Divisionskommando den Ausbildungsstand der
Division mit Eintreffen im Osten nur als »genügend«117. Es war deshalb gemäß
Weisung des Chefs des Generalstabs des Heeres vorgesehen, die Ausbildung am
neuen Standort »im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten abzuschließen«118.
Allerdings reichte auch die Zeit ihres Verbleibes im rückwärtigen Heeresgebiet
Mitte nicht dafür aus, die Ausbildungslücken vollständig zu schließen. Zwar
waren erste Teile der Division am 16. März 1942 im Raum Polack–Nevel’ ein-
getroffen und hatten mit der Wiederaufnahme der Ausbildung begonnen. Die
durchschnittliche Ausbildungszeit belief sich aber lediglich auf zwei bis drei
Wochen119. Die Verschiebung der Division brachte es auch mit sich, dass die
Ausbildung im rückwärtigen Heeresgebiet Mitte nur langsam wieder anlaufen
konnte. Eine »erste Lehrvorführung« fand z.B. erst am 6. April 1942 statt120.
Die Ausbildung hatte unter weiteren Widrigkeiten zu leiden. So waren die
Umstände der Unterbringung ungünstig. Besonders nachhaltig behinderten
aber die »Ungangbarkeit des Geländes« sowie »die Abstellung starker Teile zu
Sicherungsaufgaben« die Ausbildung. Beim Infanterieregiment 539 konnte z.B.
während der gesamten Zeit nicht planmäßig ausgebildet werden. Das Regiment
war nämlich 100 km vom Rest der Division entfernt untergebracht und deshalb

116
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2, S. 6 (Zitate), 10. 385. ID/Ib, KTB, Nr. 1,
BArch, RH 26-385/36 (19.3.1942).
117
385. ID/Ia Nr. 729/42 geh., Erfahrungsbericht über die Verlegung der 385. I.D. in das
rückwärtige Heeresgebiet und über ihren Einsatz in einem Stellungsabschnitt der 4. Armee,
14.5.1942, BArch, FD 1236 N, S. 1.
118
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2, S. 9 und Eintrag vom 27.3.1942.
119
385. ID/Ia Nr. 729/42 geh., Erfahrungsbericht über die Verlegung der 385. I.D. in das
rückwärtige Heeresgebiet und über ihren Einsatz in einem Stellungsabschnitt der 4. Armee,
14.5.1942, BArch, FD 1236 N, S. 1.
120
Dass gerade die Verbandsausbildung eine gewisse Vorbereitungszeit benötigte und übereil-
tes Vorgehen rasch zu Unfällen führen konnte, belegt diese Lehrvorführung. Zwar zeigte sie
gesamthaft »ein erfreuliches Ergebnis«, während der Durchführung erlitt der Btl.Kdr. des
I./IR 537 jedoch einen Wadendurchschuss. Der Unfall geschah, obwohl die Vorführung
nicht in freier Führung, sondern »schulmäßig«, d.h. angeleitet durchgeführt wurde.
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (6.4.1942).
278 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

in dem vom Feind bedrohten Gebiet gezwungen, mit seinen Einheiten in erster
Linie den eigenen Standort zu sichern und Aufklärung zu betreiben. Bereits am
14. April kam zudem der Befehl vom OKH, wonach die Division nach Roslavl’
abzutransportieren sei. Dadurch wurde die gerade mühsam wieder angelaufene
Ausbildung erneut unterbrochen121.
Die einschneidendste Maßnahme war der Division aber mit Fernschreiben des
OKH vom 30. März 1942 gemeldet worden. Demzufolge musste die Division ab
dem 1. April ein verstärktes Infanterieregiment »zu vorübergehendem Einsatz an
einer Defensiv-Front der Heeresgruppe Nord« abgeben. In der Folge entschied
die Division mit Befehl vom 31. März, das verstärkte Infanterieregiment 538
aus dem Divisionsverband auszuscheiden122. Bis zum Abend des 5. Aprils 1942
erreichte das verstärkte Regiment die vom höheren SS- und Polizeiführer Russ-
land-Nord und Ostland SS-Obergruppenführer Friedrich Jeckeln geführ-
te Kampfgruppe Jeckeln im Bereich des Generalkommandos L. Armeekorps
(General der Kavallerie Philipp Kleffel)123. Bereits am nächsten Morgen über-
nahm es den neuen Stellungsabschnitt vor Leningrad124. Eibl protestierte in aller
Schärfe gegen eine solche einschneidende Maßnahme, durch die seine Division
einen Drittel ihrer infanteristischen Kampfkraft einbüßte. Zudem war es fraglich,
ob das verstärkte Infanterieregiment 538 bis zum Beginn der für Frühjahr 1942
geplanten Angriffsoperation wieder in den Divisionsverband zurückkehren kön-
nen würde. Damit hätte die Division, die ja noch keine Kampferfahrung besaß,
zusätzlich geschwächt in die bevorstehenden Kämpfe hineingehen müssen. Eibl
kritisierte das Vorgehen des OKH deshalb als »eine ›Sünde wider den heiligen
Geist der Schwerpunktbildung‹«125! In der Tat ist es erstaunlich, dass das OKH die
Kampfkraft einer noch kampfunerfahrenen Division vor Beginn einer Operation
derart beschnitt, zumal sie eiligst in den Osten abtransportiert worden war, um
eben gerade in dieser Offensive eingesetzt zu werden. In der Lagebesprechung zur
geplanten Offensive hatte Halder jedenfalls noch notiert:
»Operation muss mit Erfolg beginnen; junge Truppe darf keinen Rückschlag
erleiden [...] Junge Truppen brauchen besondere Unterstützung. Operation
so anlaufen lassen, dass junge Div[isione]n sich an den Feind gewöhnen126.«

121
Ebd. (14.4.1942 und 27.3.1942).
122
Das IR 538 wurde dafür mit dem II./AR 385 und der 4./Fahrkolonne 385 verstärkt.
Ebd. (31.3.1942); Tessin, Verbände und Truppen, Bd 10, S. 38; Schmitz/Thies, Die
Truppenkennzeichen, Bd 1, S. 448.
123
Gen.Kdo. L. AK/Ia, KTB, Nr. 3, BArch, RH 24-50/15 (5.4.1942). Kriegsgliederung
Ka.Gru.Je[ckeln], Stand: 5.5.1942, BArch, RH 24-50/36; Bradley/Hildebrand/Röve-
kampf, Die Generale des Heeres, Bd 6, S. 499.
124
Gen.Kdo. L. AK/Ia, Anlage C zum KTB, Nr. 3, 6.4.1942, Ia-Morgenmeldungen, BArch,
RH 24-50/27; Ka.Gru. Jeckeln, KTB, Nr. 1, BArch, RS 4/34 (6.4.1942).
125
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (31.3.1942). In der Folge beantragte die
Division wiederholt die Rückführung des IR 538, jedoch ohne Erfolg. Vgl. Gen.Kdo.
XIII. AK/Ia Nr. 242/42 geh. Kdos., Betr.: I.R. 538 (Abschnittsstab Giese), 15.6.1942,
BArch, RH 24-13/84; Gen.Kdo. XIII. AK/Ia, KTB, Nr. 7, BArch, RH 24-13/82
(16.7.1942).
126
Halder, KTB, Bd 3, S. 420 (28.3.1942). Am eindringlichsten stellt sich hier jedoch die
Frage, weshalb die »Rheingold«-Verbände überhaupt in dieser Offensive eingesetzt und
z.B. nicht dafür verwendet wurden, kampferprobte Divisionen für Unternehmen »Blau«
freizumachen.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 279

Geradezu unglaublich ist auch, dass diese Maßnahme, die eher den Charakter
einer Notlösung trug, letztlich so lange andauerte. Tatsächlich sollte das verstärkte
Infanterieregiment 538 nicht nur »vorübergehend« bei der Heeresgruppe Nord
verbleiben, sondern erst wieder Anfang Dezember 1942 zum Divisionsverband
zurückkehren127.
Die Schilderung der Aufstellung und Vorbereitung der 385. Division auf
den Kampfeinsatz hat aufgezeigt, wie stark die Handlungsfreiheit auf deut-
scher Seite zu Beginn des Jahres 1942 bereits eingeschränkt war. Praktisch kam
es nur noch darauf an, möglichst rasch die dringend benötigten Ressourcen
an Mensch und Material an die jeweilig entsprechende Front zu bringen. Der
Einsatz des Infanterieregiments 538 zeigt symptomatisch auf, wie stark die deut-
sche Kriegführung zu diesem Zeitpunkt bereits den Charakter eines Flickwerks
besaß und zeitweise nur noch aus kurzfristigen Reaktionen mit ad-hoc-Lösungen
bestand128. Es wird sich noch zeigen, dass das Auseinanderreißen der Einheiten
und die häufig in rascher Wechselfolge ablaufenden Unterstellungen auch den
Einsatz der 385. Infanteriedivision kennzeichneten. Dies widersprach jedoch wie
gesehen deutlich dem Grundtenor der Führungs- und Ausbildungsvorschriften,
in denen das Element der Einheitlichkeit stark betont und das Aufbrechen
der Kriegsgliederung eines Verbandes nur als Ausnahme betrachtet wurde129.
Wie bei der Analyse der Führungsdoktrin ersichtlich wurde, benötigte das
Führungsprinzip der Auftragstaktik, dass sich die Truppenführer und Unterführer
kannten, Vertrauen in die gegenseitigen Fähigkeiten entwickeln konnten und
von einer Einheitlichkeit im Denken durchdrungen waren. Dass sich diese
Voraussetzungen unter den geschilderten Bedingungen kaum oder nur schwer
entwickeln konnten, dürfte augenscheinlich sein. Während der Aufstellungs- und
Verlegungsphase hatten alle involvierten Stellen zwar erkannt und ständig dar-
auf hingewiesen, dass der Zeitdruck und die ungenügend ausgebildeten Truppen
unbedingt eine »planmäßig aufbauende Ausbildung«130 erforderten, ohne die die
Division ihre Feldverwendungsfähigkeit nicht erreichen konnte. In Wirklichkeit
geschah aber nichts, um dies auch tatsächlich durchzusetzen. In dieser Situation
kündigte Generalmajor Eibl seiner Division im Tagesbefehl vom 24. April 1942

127
Widersprüchlich: Schmitz/Thies, Die Truppenkennzeichen, Bd 1, S. 448, wo ein-
mal November, ein andermal Dezember 1942 angegeben wird. Gemäß Suchdienst des
Deutschen Roten Kreuzes (DRK) kehrte das Regiment im November 1942 in Rossoš’
zur Division zurück. Divisionsschicksale, Bd 2, S. 616. Die 385. ID traf aber erst am
10.12.1942 in Rossoš’ ein. Wahrscheinlich ist das GR 538 wie bei Tessin, Verbände und
Truppen, Bd 10, S. 38, implizit ersichtlich im November von der H.Gr. Nord zur Division
zurückverlegt worden, aber erst im Dezember dort angekommen.
128
Für die deutsche Gegenoffensive am Volchov (H.Gr. Nord), durch die im Frühjahr 1942
die Frontlücke geschlossen und die tief eingebrochenen sowjetischen Armeen vernich-
tet werden sollten, mussten z.B. während des Februars die dafür notwendigen Verbände
»buchstäblich zusammengekratzt« werden. DRWK, Bd 4, S. 638 (Beitrag Klink [u.a.]).
Vgl. auch Halder, KTB, Bd 3, S. 402 f. (17./18.2.1942); Glantz, Battle for Leningrad,
S. 174‑183.
129
Wie sich noch zeigen wird, handelte es sich dabei um ein allgemeines Problem. Auch die
10. ID (mot) und besonders die IDGD waren davon betroffen (siehe Kap. IV.3 f.).
130
385. ID/Ia Nr. 729/42 geh., Erfahrungsbericht über die Verlegung der 385. I.D. in das
rückwärtige Heeresgebiet und über ihren Einsatz in einem Stellungsabschnitt der 4. Armee,
14.5.1942, BArch, FD 1236 N, S. 1.
280 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

an, dass der »Befehl zum 1. Einsatz erlassen« sei und die »Feuertaufe« bevor-
stehe131.

d) Kriegsverwendung 1942/43

Der Weg der Division

Die 385. Infanteriedivision (ohne das erwähnte Infanterieregiment 538) wur-


de ab April bis Mai 1942 bei der Heeresgruppe Mitte im Bereich des Armee-
oberkommandos 4 (Heinrici) eingesetzt, wo sie vom 22. bis 30. April dem
XXXX., vom 1. bis 12. Mai dem LVI. Panzerkorps unterstellt an den Abwehr-
und Angriffskämpfen entlang der Rollbahn Roslavl’–Juchnov teilnahm. Am
13. Mai 1942 erfolgte der Befehl für die Herauslösung und Verschiebung der
Division nach Orël in den Bereich der Heeresgruppe Süd132.
Dort Ende Mai 1942 angekommen, wurde die Division direkt der
Armeegruppe Weichs (Armeeoberkommando 2), ab 6. Juni für kurze Zeit dem
XXXXVIII. Panzerkorps, dann ab 8. Juni dem Panzer-Armeeoberkommando 4
in Kursk unterstellt und von diesem dem XIII. Armeekorps zugewiesen133. In
diesem Rahmen beteiligte sich die Division ab dem 28. Juni 1942 an der deut-
schen Sommeroffensive (Unternehmen »Blau I«) und damit am Vorstoß auf
Voronež. Zuerst nahm die Division dabei südlich von Livny am Durchbruch
durch die Timstellung und an den Angriffs- und Abwehrkämpfen am Kšen’ und
Olym teil. Zwischen dem 11. und 22. Juli 1942 war die Division als Reserve der
Armeegruppe Weichs im Raum Volovo untergebracht, wo sie gleichzeitig aufge-
frischt wurde134. Danach folgte die Unterstellung unter das Generalkommando
VII. Armeekorps (General der Artillerie Ernst-Eberhard Hell), unter dessen Befehl
sich die Division ab 24. Juli bis Mitte August 1942 an den schweren Angriffs- und
Stellungskämpfen bei Bolšaja Vereika beteiligte135. Ab dem 24. August kehrte die
Division wieder unter den Befehl des Generalkommandos XIII. Armeekorps zu-
rück. Sie wurde zunächst bei Lomovo, ab Mitte September in der ausgebauten

131
385. ID/Kdr., Tagesbefehl, 24.4.1942, BArch, RH 26-385/3, Bl. 84.
132
Tessin, Verbände und Truppen, Bd 10, S. 38; 385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-
385/2. Siehe auch Halder, KTB, Bd 3, S. 429 (17.4.1942); 385. ID/Ia, Befehl für Vormarsch
der Division von Roslawl nach Orel, 13.5.1942, BArch, RH 26-385/3, Bl. 158‑164. Zur
Gesamtlage der H.Gr. Mitte im Vorlauf zur Frühjahresoffensive 1942 vgl. DRWK, Bd 6,
S. 864‑867 (Beitrag Wegner).
133
Abschnittsstab Giese/Ia Nr. 844/42 geh., Befehl für Ablösung des II./I.R. 279 durch I.R. 537,
8.6.1942, BArch, RH 26-385/3. Ab 27.5.1942 trug die 385. ID die Tarnbezeichnung
»Abschnittsstab Giese«. 385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (27.5./4.6.1942);
Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28, S. 1.
134
Gen.Kdo. XIII. AK/Ia, KTB, Nr. 7, BArch, RH 24-13/82 (15./21.7.1942). Gen.Kdo.
XIII. AK/Ia, Betr.: 385. Inf.Div., 13.7.1942, BArch, RH 24-13/84, Bl. 35.
135
Vgl. dazu Glantz/House, To the Gates of Stalingrad, S. 253‑261.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 281

Kampfweg der 385. Infanteriedivision 1942/43


Nevel’ Ržev Klin Marschweg
IR 538 Vladimir
wird an Eisenbahn-
Polock Dvina H.Gr. Nord Moskau transport
abgegeben Ruza
Vitebsk Gžatsk Angriffs-/
Mo Rückzugskämpfe

skv
Vjaz’ma Gefechte

a
Orša Smolensk Kolomna
Dne p r El’nja 22.4. – Juchnov Stadt
12.5. Kaluga Ok
a Ortschaft
Mogilev Oka
Tula

De
sna
Roslavl’
Sož Do Rjažsk
n
Bolchov
Brjansk 0 100 200 300 km
28.5.
Orël
Gomel’ Elec Tambov
Livny Ivanovka
Fatež Ol’chovatka
Černigov Volovo
Chvoščevatka
Desna Kursk 28.6. Zemljansk Voronež

Elec

11/42 Sosna
Maloarchangel’sk Livny Borinskoe

n
Do
ab 21.11.
28.6. – 10.7. Rückzugskämpfe
Nižnee Ol’šanoe ab 11/42
Sosn Kalinovka Bolšaja
a 8.6. Zjabrevo Ivanovka Chlevnoe

Mar’ino 24.8. – 15.9.


Lebjaž’e Lomovo
Rogovo Volovo
Bolšaja Vereika
24.7. – 15.8.
Somovo
Ol’chovatka
Ščigry Auffrischung
11.7. – 22.7. Zemljansk Bystrik ab 16.9.
Chvoščevatka
Kursk en`
Tim



r on
Olym

Vo

Nižnjaja Veduga
0 25 50 75 100 km

Tim
Voronež

Ostrogožsk Lipovka
Novyj Oskol
Michajlovka

Losevo
Budjennyj
Belgorod
Alekseevka

Volokonovka
Šebekino

Nikitovka
n
Do

Volčansk
Ol`chovatka
Valuyki 10.12.
Rossoš’
Ol’chovatka Nikolaevka
Donec

IR 538
zurück zur
Division Novaja Kalitva
13.12. –
l
ko
Os

15.12.
Artemovka Ivanovka
Čuguev Rückzugskämpfe
Dvuretčnaja Roven’ki 17.12. – 31.12.
0 25 50 75 100 km
Belaja Rückzugskämpfe
ab 14./15.1.43
© ZMSBw Kupjansk Tarasovka Kantemirovka
06984-06
282 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Donstellung westlich Voronež und schließlich im Oktober und November 1942


in verschiedenen Stellungen im Raum Ol’chovatka–Chvoščevatka eingesetzt136.
Ab 21. November 1942 wurde die Division aus dem Bereich des General-
kommandos XIII. Armeekorps herausgelöst und über Zemljansk und Nižnjaja
Veduga in den Raum von Ostrogožsk zum ungarischen Armeeoberkommando 2
verlegt. Bis zum 10. Dezember 1942 erfolgte ihre Verlegung in den Raum
Rossoš’, wo das erwähnte Infanterieregiment 538 wieder zur Division stieß137.
Damit trat die 385. Infanteriedivision gleichzeitig in den Bereich der italieni-
schen 8. Armee, wo sie zunächst beim italienischen II. Armeekorps eingesetzt
wurde. Mit Befehl vom 15. Dezember 1942 sollte sie ab dem 16. Dezember den
Verteidigungsabschnitt auf dem linken Flügel des italienischen II. Armeekorps
bei Novaja Kalitva und Ivanovka, ca. 50 km südlich von Pavlovsk, verstärken.
Aufgrund der am selben Tag anlaufenden sowjetischen Großoffensive gegen die
italienische 8. Armee (Unternehmen »Saturn«) konnte dies nicht mehr umge-
setzt werden. Der sowjetische Einbruch beim italienischen II. Armeekorps vom
16. Dezember erweiterte sich einen Tag später zu einem Durchbruch und führte
bis zum 19. Dezember zum Zusammenbruch der gesamten Verteidigungsfront.
Die 385. Infanteriedivision beteiligte sich an den Rückzugskämpfen bis nördlich
von Kantemirovka und an der Wiederherstellung der Front bis zum 30. Dezember
1942, musste aber erhebliche Verluste in Kauf nehmen138.
Im Januar 1943 wurde die 385. Infanteriedivision dem XXIV. Panzerkorps
unterstellt139. Die am 12. Januar begonnene dritte sowjetische Großoffensive
gegen die deutsche Donstellung erzielte wiederum baldige Durchbrüche. Nur
knapp gelang es dem XXIV. Panzerkorps am 14. Januar, sich der Einschließung
durch einen sowjetischen Großangriff aus dem Raum Kantemirovka zu entzie-
hen140. Das Panzerkorps wurde jedoch mehr oder weniger zerschlagen, die Reste
des Korpsstabes schlugen sich zum Gefechtsstand der 385. Infanteriedivision
durch141. Am 14./15. Januar übernahm Eibl interimistisch die Führung über das
Panzerkorps, die 385. Infanteriedivision wurde damit der 387. Infanteriedivision

136
Gen.Kdo. XIII. AK/Ia, KTB, Nr. 8, BArch, RH 24-13/90 (24.8.1942); Führerbefehl
betr. Fortführung der Operationen der H.Gr. B im Großraum Stalingrad vom 13.9.1942.
In: KTB, OKW, Bd 2/2, S. 1298; Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 571/42, Korpsbefehl
Nr. 15, 11.10.1942, BArch, RH 24-13/100; Glantz/House, Armageddon in Stalingrad,
S. 596‑598.
137
Gen.Kdo. XIII. AK/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 24-13/97 (22.11.1942). Ab 27.11.1942
war die Division dem ungarischen AOK 2 unterstellt. Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 705/42
g.Kdos., An 385. Inf.Division, 22.11.1942, BArch, RH 24-13/100, Bl. 157; Schmitz/
Thies, Die Truppenkennzeichen, Bd 1, S. 448; Divisionsschicksale, Bd 2, S. 616.
138
Glantz, From the Don to the Dnepr, S. 42‑46, 70‑77; Die Italiener an der Ostfront,
S. 64‑69, 193‑199, 252; Wimpffen, Die zweite ungarische Armee, S. 219 f.
139
Tessin, Verbände und Truppen, Bd 10, S. 38; KTB OKW, Bd 2/2, S. 1394.
140
Gen.Kdo. XXIV. PzK/Ia, KTB, BArch, RH 24-24/191, Bl. 3; DRWK, Bd 6, S. 1068 f.
(Beitrag Wegner); Die Italiener an der Ostfront, S. 69.
141
Der Stab des PzK war »zersprengt« worden, der K.G. Generalleutnant Martin Wandel
wurde vermisst. Oblt. Salazer, Gefechtsbericht über den Rückmarsch des Alpini- und des
XXIV[.] Panzerkorps in der Zeit vom 14.‑31.1.1943, 23.3.1943, BArch, RH 31 IX/35,
Bl. 91 f. Vgl. auch Die Italiener an der Ostfront, S. 138, Anm. 190.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 283

unterstellt142. Unter Zurücklassung bzw. Vernichtung eines Großteils des


Materials gelang es den deutschen und italienischen Verbänden, den sowjetischen
Ring zu durchbrechen und sich in verschiedenen Marschgruppen nach Westen
durchzuschlagen143. Die letzten Teile der 385. und 387. Infanteriedivision zo-
gen sich kämpfend über den Oskol bei Valuyki, Volčansk bis südlich von
Belgorod zurück, wo sie zerschlagen wurden144. Am 23. Februar ordnete das
OKH die Zusammenlegung der Reste beider Divisionen zu einer verstärk-
ten Regimentsgruppe und am 30. März deren Erweiterung zur neu gebildeten
387. Infanteriedivision an. Die Stäbe der ehemaligen 385. Infanteriedivision wur-
den für Wiederaufstellungen anderer Großverbände verwendet und die Division
selbst offiziell aufgelöst145.

Die Führung der 385. Infanteriedivision im ersten Einsatz

Die Vorbereitungen für den ersten Einsatz der 385. Infanteriedivision begannen
am 21. April 1942, als der Divisionskommandeur zusammen mit seinem Ia und
den Kommandeuren der Infanterieregimenter 537 und 539 im Einsatzgebiet
um Aleksandrovka Erkundungen durchführte146. Dieses Vorgehen ist ein erster
Hinweis auf den besonderen Führungsstil Eibls, dessen bezeichnende Eigenart
darin lag, dass er stark von vorne führte und seinen Untergebenen detaillierte
Verhaltensanweisungen gab. Wie gesehen war eine solche Nähe der Führung zum
Kampfgeschehen keine spezifische Eigenart Eibls, sondern gehörte zu den zentra-
len preußisch-deutschen Führungsgrundsätzen. Wie jedoch noch dargestellt wer-
den wird, war bei Eibl auffallend, dass er diesen Grundsatz nicht nur anwandte,
um rasch auf etwaige Lageveränderungen reagieren zu können oder die Truppe
durch sein Vorbild voranzureißen. Das Führen von vorne diente ihm auch dazu,
die unterstellten Einheiten bewusst eng zu führen. Die hohe Präsenz an vorderster
Front implizierte bei Eibl deshalb immer auch einen starken Kontrollcharakter,
was zum einen sicher auf die Unerfahrenheit der Einheiten, zum anderen aber

142
Oblt. Salazer, Gefechtsbericht über den Rückmarsch des Alpini- und des XXIV[.] Panzer-
korps in der Zeit vom 14.‑31.1.1943, 23.3.1943, BArch, RH 31 IX/35, Bl. 92.
143
Mit der 387. und 385. ID wurde auch das italienische Alpini-Korps eingeschlossen. Das
Absetzen verlief gemäß Salazer keineswegs mehr planmäßig: »Was nun folgte, kann nur als
Flucht bezeichnet werden.« Ebd., Bl. 94. Vgl. auch Die Italiener an der Ostfront, S. 70;
DRWK, Bd 6, S. 1069 (Beitrag Wegner).
144
Brief eines Angehörigen der 385. ID über die Zerschlagung der 387. und 385. ID vom
13.2.1943, BArch, RH 26-385/42; Schmitz/Thies, Die Truppenkennzeichen, Bd 1, S. 448.
145
Stab Eibl/Ia/IIa, Befehl für Neugliederung der Truppen der 385. I.D., 11.2.1943, BArch,
FD 1239 N; Gen.Kdo. XXIV. PzK/Ia Nr. 209/43 g.Kdos., Betr.: Neugliederung der
Divisionen, 23.2.1943, BArch, RH 24-24/446; Tessin, Verbände und Truppen, Bd 10,
S. 38. Die 385. ID umfasste damals noch 82 Offiziere, 30 Beamte und 2409 Unteroffiziere
und Mannschaften. Gen.Kdo. XXIV. PzK/Ia, KTB, BArch, RH 24-24/191, S. 9. Haupts
Aussage, die 385. ID habe sich an den Abwehrkämpfen nordwestlich von Stalingrad betei-
ligt, ist unverständlich, lag sie doch über 300 km von Stalingrad entfernt. Haupt, Die deut-
schen Infanterie-Divisionen, Bd 3, S. 46. Ebenso: Berger, Mit Eichenlaub und Schwertern,
S. 70. Völlig haltlos ist Steins Behauptung, die 385. ID habe sich »an der Offensive gegen
Stalingrad« beteiligt. Stein, Österreichs Generale, S. 327.
146
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (21.4.1942).
284 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

eben auf seinen persönlichen Führungsstil zurückzuführen ist. Im Folgenden soll


aufgezeigt werden, wie sich dieses Führungsverständnis in den Operationsbefehlen
und im ersten Kampfeinsatz erkennen lässt.
Der erste Einsatz der 385. Infanteriedivision begann als klassische Ablösung
im Rahmen der Verteidigung. Die Einheiten der 385. Division sollten ers-
tens Verteidigungsstellungen der besonders beanspruchten 19. Panzer- und
10. Infanteriedivision (mot) übernehmen und dann zweitens die Haupt-
kampflinie weiter ausbauen. Gleichzeitig diente der Einsatz auch dazu, »die
Truppe an die Kampfverhältnisse des Ostens zu gewöhnen«147. Sachgemäß be-
nötigt die Ablösung eines Verbandes in einer Verteidigungsstellung erhebliche
Koordinationsmaßnahmen vonseiten der vorgesetzten Stellen. Entsprechend de-
tailliert legte der erste Divisionsbefehl fest, welcher Verband durch wen abgelöst
werden sollte, bis wann dies zu geschehen hatte und wo die Abschnittsgrenzen zu
ziehen waren. Weiter regelte der Befehl auch Maßnahmen, die bei einer eingeüb-
ten Truppe als bekannt vorausgesetzt werden dürfen, etwa dass Gefechtsvorposten
die Hauptkampflinie zu sichern hätten. Schließlich wurden sogar »Hinweise«
gegeben, wie die jeweiligen Stellungen übernommen werden sollten. Dies ge-
schah in Form einer Auflistung von acht Punkten oder Fragen. Mit Hilfe dieser
Liste mussten die übernehmenden Einheiten der 385. Infanteriedivision sicher-
stellen, dass keine wichtigen Angaben über die zu beziehende Stellung verges-
sen wurden148. Die Vorgehensweise der Division darf nicht a priori damit er-
klärt werden, dass ihr Kommandeur nicht nach Auftragstaktik führen wollte. Sie
zeigt vielmehr in aller Deutlichkeit den Zusammenhang zwischen der Führung
nach Auftragstaktik und der fachlichen Qualität einer Truppe auf. Wie schon
bei der Analyse des Führungsvorganges verdeutlicht wurde, brauchten erfahrene
Unterführer weniger eingehende Befehle als unerfahrene, bei denen es manchmal
auch notwendig war, Hinweise über die Art zu geben, wie ein Befehl auszuführen
sei149.
Ähnlich detailliert war auch der Divisionsbefehl vom 28. April 1942 gehal-
ten, mit dem die ersten Kampfhandlungen in der Verteidigung angekündigt
wurden150. Wiederum erließ die Division »Hinweise zur Kampfführung«, was
an sich nicht ungewöhnlich war. Allerdings wurden darin sogar gefechtstechni-
sche Belange der untersten Führungsstufe geregelt. So forderte die Division eine
»lückenlose Beobachtung des Vorfeldes«, eine enge Verbindungsaufnahme mit
dem jeweiligen Nachbarverband, die Schaffung eines ausreichenden Schussfeldes
durch »Herausschlagen des Unterholzes«, die Verstärkung der Stellung durch
Drahthindernisse sowie die laufende Nachführung des Standes des Stellungsbaues
auf den Karten. Damit nicht genug, griff die Division auch in die taktischen
Verantwortungsbereiche ihrer Unterführer ein. So befahl sie die Stellungen »vor-

147
385. ID/Ia Nr. 637/42 geh., Befehl für den ersten Einsatz der 385. Inf.-Division, 24.4.1942,
BArch, RH 26-385/3, S. 1.
148
Die Auflistung ist mit »Hinweise für Übernahme der Stellung« überschrieben. Sie kon-
kretisierte nochmals die Durchführungsbestimmungen für die Ablösung als zusätzliche
Ergänzung und regelte z.B. »b) Genaue Orientierung über Feindlage [...] c) Aufklärung
wohin? [...] e) Sperrfeuerräume [...] g) Planung des Stellungsausbaues, h) Minenpläne«.
149
Vgl. auch Cochenhausen, Befehlserteilung und Befehlstechnik, S. 97.
150
385. ID/Ia, Divisionsbefehl vom 28.4.1942, BArch, RH 26-385/3. Dort auch die folgen-
den Zitate.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 285

nehmlich mit Maschinengewehren zu besetzen«, während die Zugführer ihre


Schützen »als bewegliche Stoßreserve« zurückzuhalten hätten. Erstmals wurden
die Infanterieregimenter auch angehalten, im Sinne einer Eventualplanung »alle
in Frage kommenden Einsatzmöglichkeiten« zu erkunden, wobei die Division
das I./Infanterieregiment 539 unter Umgehung des Regimentskommandeurs
direkt damit beauftragte, eine Reserve zur Bekämpfung eines etwa durchge-
brochenen Gegners an der »Nahtstelle« (d.h. an der Abschnittsgrenze zwischen
der eigenen und der benachbarten Division) bereitzuhalten. Auch die Belange
des Nachschubes wurden nicht einfach den Entschlüssen der unterstellten
Führer überlassen. Die Division befahl z.B. die gesamte Munition von den
Munitionsfahrzeugen und Trossen abzuladen und so zu verteilen, dass 50 Prozent
bei den Waffen, 25 Prozent bei den Gefechtsständen der Einheiten (Freigabe durch
Bataillone) sowie 25 Prozent in den Munitionslagern der Bataillone (Freigabe
durch Regimenter) zu liegen kam. Der Detaillierungsgrad dieses Befehls dürf-
te trotz Kampfunerfahrenheit der Einheiten das übliche Maß doch um einiges
übertroffen haben. Vergleichbares fand sich bei den beiden anderen Fallbeispielen
jedenfalls nicht. Zuletzt regelte der Befehl die Ausbildungsbelange. Dabei hob er
erneut hervor, dass dieser Einsatz der Truppe eine »einmalige Gelegenheit« bie-
ten werde, »ihre Ausbildung unter kriegsmäßigen Verhältnissen zu vervollkomm-
nen«. Neben der Regelung einzelner Ausbildungsinhalte und Hinweisen auf
Dienstvorschriften wurden die Regimentskommandeure angewiesen, Weisungen
für die Weiterführung der planmäßigen Ausbildung zu verfassen, die der Division
zur Kontrolle vorzulegen waren. Damit übernahm das Divisionskommando
nicht nur die auf dem Truppenübungsplatz Bergen selbst erfahrene enge
Ausbildungsleitung durch den verantwortlichen General des Befehlshabers des
Ersatzheeres, sondern beschnitt auch die traditionelle Ausbildungsverantwortung
der Regimentskommandeure, indem es deren Handlungsfreiheit doch beträcht-
lich einschränkte und von der vorherigen Genehmigung durch die Division
abhängig machte151. Das Divisionskommando unterstrich zudem, dass die
Ausbildung der Offiziere und Unteroffiziere auch während des Einsatzes weiter-
zulaufen habe. Alle diese Maßnahmen verdeutlichen, dass die Hauptsorge Eibls
neben der eigentlichen Gefechtsführung v.a. dem Ausbildungsstand der Division
und der prekären Führerlage galt. Beides traf jedoch im Jahr 1942 allgemein auf
das Heer zu152.
Am 6. Mai 1942 erhielt die Division ihren ersten offensiven Auftrag, was
angesichts der nur wenige Monate umfassenden Vorbereitungszeit und der feh-
lenden Verbandsausbildung auf Stufe Division doch sehr erstaunlich ist. In ei-
nem »Angriff mit begrenztem Ziel« sollten verschiedene Stellungsverbesserungen
durchgeführt werden153. Dieser Angriff fand hauptsächlich im Bereich des
Infanterieregiments 539 statt, schloss aber mit Teilen der Division (III./Infanterie-
regiment 537) auch ein Vorgehen im Verbund mit der 31. Infanteriedivision mit

151
Zwar trug auch der Div.Kdr. Ausbildungsverantwortung für seine Division. Wie in Kap. II.
erwähnt verlief die Ausbildung und Erziehung des Führerkorps aber primär dezentral und
individuell durch die Regiments-, Bataillons- und Abteilungskommandeure sowie die
Einheitsführer. Vgl. H.Dv. 3/11, Befehlsbefugnisse im Heer vom 21.4.1936, S. 6‑8.
152
DRWK, Bd 5/1, S. 894‑928, 957 f. (Beitrag Kroener). Müller-Hillebrand, Das Heer,
Bd 3, S. 50‑56, 77‑82.
153
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (6.5.1942).
286 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

ein154. Während die bisherigen Abwehrkämpfe gegen sowjetische Verbände von der
Division erfolgreich durchgeführt worden waren, kam es im Verlauf dieses Angriffs
erstmals zu Rückschlägen. Zuerst verlief die Aktion jedoch planmäßig. Der erste
Divisionsbefehl vom 2. Mai schilderte im Sinne einer Vororientierung auf zweiein-
halb Seiten in knapper Form Lage, Absicht und Einzelaufträge. Nach dem gleichen
Muster wie in den bisherigen Divisionsbefehlen erhielten die Infanterieregimenter
detaillierte Fragenkataloge, anhand derer sie vorzugehen hatten. Nicht außerge-
wöhnlich war hingegen, dass die Unterführer bis zum 4. Mai melden mussten,
mit welchem »Kräfteansatz« sie die erhaltenen Aufträge auszuführen gedachten155.
Der zweite, mit sieben Seiten wesentlich ausführlichere Divisionsbefehl
vom 4. Mai regelte neu die Durchführung sowie das Zusammenwirken mit
den Unterstützungswaffen Artillerie, Luftwaffe, Panzerabwehr und Pioniere.
Tatsächlich war die Koordination und Absprache eines waffenübergreifend ge-
führten Angriffs in einem Einsatzbefehl nichts Ungewöhnliches. Es ist auch klar,
dass der Befehl für diese erstmalige Angriffsoperation eingehender gehalten sein
musste, als wenn die Division bereits Offensiverfahrung besessen hätte. So befahl
das Divisionskommando z.B., welche Sicherungsmaßnahmen nach dem erfolg-
ten Angriff zu ergreifen waren156. Darüber hinaus regelte der Befehl aber auch
Einzelheiten der laufenden Aktion, die streckenweise in ein »Vorausdisponieren«
mündeten, das wie gesehen seit den Tagen Moltkes d.Ä. der preußisch-deutschen
Ansicht widersprach, dem Krieg flexibel und initiativ zu begegnen157. Eibl legte
etwa fest, dass das Infanterieregiment 539 seinen Angriff auf die einzunehmende
Höhe »durch Einsatz umfassender Kräfte von Südwesten« zu unterstützen habe,
oder organisierte das Unterstützungsfeuer der Artillerie in einer schematischen
Art und Weise, die eher an das französische als an ein deutsches Angriffsverfahren
erinnerte158. Solche Vorgaben waren nicht auf die notwendige Koordination aller

154
385. ID/Ia, Befehl für die Verbesserung der Stellung der 385. Inf.-Div., 2.5.1942, BArch,
RH 26-385/3; 385. ID/Ia, 2. Befehl für Verbesserung der Stellung der 385. Inf.-Div.,
4.5.1942, ebd.
155
Die Orientierung der vorgesetzten Dienststelle über die geplante Durchführung eines
Unternehmens gehörte zum festen Bestandteil des Führungsvorganges, wie auch die ande-
ren Fallbeispiele noch aufzeigen werden. Vgl. auch Kap. II.2.b).
156
Nach Abschluss des Angriffs sollten »starke Gefechtsvorposten« aufgestellt und »verdrah-
tet«, d.h. mit Telefonleitungen versehen, ihr Vorfeld gelichtet und mit Minen gesichert
sowie die Wege bezeichnet werden, auf denen die Gefechtsvorposten zurückgenommen
werden konnten. 385. ID/Ia, 2. Befehl für Verbesserung der Stellung der 385. Inf.-Div.,
4.5.1942, BArch, RH 26-385/3, S. 6 f. Solche gefechtstechnischen Maßnahmen gehörten
sonst zum alltäglichen Verhalten einer Truppe in einer Verteidigungsstellung und deren
Umsetzung lag im Verantwortungsbereich der Unterführer. Vgl. TF, S. 70‑80, 187 f.
157
MMW, II/2: Verordnungen, S. 180. Vgl. auch Cochenhausen, Befehlserteilung und
Befehlstechnik, S. 97, und besonders die grundlegende Kritik des ObdH von 1936, wo-
nach sich »vielfach [...], vielleicht noch als Folgeerscheinung des Stellungskrieges, die
Unsitte eingebürgert [habe], dass – zeitlich und räumlich noch weit von dem vermutlichen
Gefecht und Gefechtsfeld entfernt – bereits eingehend befohlen wird, wie beim Zusam-
mentreffen mit dem Feind gehandelt werden solle«. ObdH/GenStdH/4. Abt. Nr. 3370/36,
Bemerkungen zum Ausbildungsjahr 1936, 9.5.1936, BArch, RH 53-7/v. 38, S. 2.
158
385. ID/Ia, 2. Befehl für Verbesserung der Stellung der 385. Inf.-Div., 4.5.1942, BArch,
RH 26-385/3, S. 2. Vgl. zum französischen Verfahren: Kr.Ak./Hörsaal Ie, Das französische
Angriffsverfahren, [1936], BArch, RH 16/v. 157.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 287

beteiligter Einheiten zurückzuführen, sondern beschnitten letztlich einfach den


taktischen Verantwortungsbereich der Unterführer. Dass sich dieser Eindruck
auch tatsächlich mit dem Führungsverständnis des Divisionskommandeurs deck-
te, belegt ein Eintrag im Kriegstagebuch der Division:
»Die Durchführung des Angriffs des I.R. 537 war im Zusammenwirken
mit Stukas, Sturmgeschützen, Panzern und Nebelwerfern genau durch die
Division festgelegt159.«
Dass ein Angriff mit Stukas, Sturmgeschützen und Panzern einer eingehenden
Planung bedarf, ist wenig erstaunlich. Es überrascht aber doch, dass selbst die
Durchführung des Angriffs durch die Division auf eine solch bindende Art an-
gesetzt war. Augenscheinlich zeigt sich die straffe Führung der Division auch im
besonderen Augenmerk des Divisionskommandeurs dafür, dass seine Einheiten
während des Angriffs über eine ununterbrochene Telefon- oder Funkverbindung
zur Division verfügten. Auch dies ist im Grunde genommen keine Besonderheit,
sondern war wie erwähnt in den Vorschriften so vorgesehen. Ungewöhnlich ist viel-
mehr, wie Eibl diese Forderung durchsetzte, hatten die Einheiten am Angriffstag !
doch »ab 05.00 Uhr mindestens alle 30 Minuten Meldung zu erstatten«160.
Das Hauptziel des Angriffs war die Gewinnung der bestimmenden
Höhe 235,7, um die eigene Hauptkampflinie zu verstärken. Nach der Einnahme
sollte die Anhöhe zu einem Eckpfeiler der deutschen Verteidigungslinie ausge-
baut werden. Dem Hauptangriff ging ein nächtliches Unternehmen voraus, in
dem das der 31. Infanteriedivision unterstellte III./Infanterieregiment 537 eine
Kuppe vier Kilometer nordöstlich von Aleksandrovka bei Fomino eingenom-
men und dadurch die unmittelbare Flankenbedrohung des Hauptangriffs durch
sowjetische Verbände abgewendet hatte161. War der Angriff bei Fomino noch
ein »schöner Erfolg«, so misslang der Hauptangriff auf die Höhe 235,7. Zwar
gelang es dem Infanterieregiment 539 am 6. Mai 1942, die Anhöhe einzuneh-
men. Das Regiment konnte die neu gewonnene Stellung gegen die sowjetischen
Gegenangriffe aber nicht halten und musste sich wieder in die Ausgangsstellungen
zurückziehen. Der Verlauf dieses Gefechtstages ist ein aussagekräftiges Beispiel
für Eibls direkte Art der Führung.
Wie die Division vorausgesehen hatte, sollte sich nicht der eigentliche Angriff,
sondern aufgrund der wenigen eigenen Kräfte vielmehr das Halten des gewonne-
nen Geländes als eigentliche Schwierigkeit erweisen162. Tatsächlich wurde das mit
dem Hauptangriff beauftragte Infanterieregiment 539 im Verlaufe des Vormittags
des 6. Mai durch verschiedene sowjetische Gegenangriffe stark bedrängt. Die so-
wjetischen Verbände stießen zwischen die Angriffsspitzen des Regimentes, wor-
auf diese jegliche Verbindung unter sich und zu den Nachbartruppen verloren.
Nach mehrmaligem Antrag an die Division wurde dem Regiment gestattet, sei-
ne vordersten Teile – Kompanien des II. Bataillons – zurückzunehmen. Gegen
11.50 Uhr meldete der Regimentskommandeur allerdings, dass er aufgrund star-

159
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (6.5.1942).
160
385. ID/Ia, 2. Befehl für Verbesserung der Stellung der 385. Inf.-Div., 4.5.1942, BArch,
RH 26-385/3.
161
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (6.5.1942); 385. ID/IIa, Divisionstagesbefehl,
9.5.1942, BArch, RH 26-385/3.
162
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (6.5.1942). Dort auch das Folgende.
288 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

ker Gegenwehr auch das I. Bataillon hatte zurücknehmen müssen. Daraufhin gab
der Divisionskommandeur dem Regimentskommandeur persönlich den Befehl,
mit Sicherungselementen die Fühlung mit dem Gegner aufrecht zu erhalten und
sich mit dem Rest des Regimentes an Ort und Stelle einzugraben. Damit woll-
te Eibl verhindern, dass »ohne zwingende Notwendigkeit mühsam erkämpfter
Boden wieder preisgegeben wurde«. Das Divisionskommando hatte nämlich den
Eindruck erhalten, dass das Regiment übereilt auf die Hauptkampflinie zurückge-
gangen war, schließlich hatte es den Kontakt mit dem Gegner verloren. Offenbar
scheint die Führung des Infanterieregiments 539 aber auch in der Folge nicht
der Vorstellung Eibls entsprochen zu haben. Um 14.00 Uhr entschloss sich der
Divisionskommandeur nämlich, »nunmehr in die Führung des Regiments einzu-
greifen« und nach Zusammenfassung aller Kräfte den Gegner wieder anzugreifen.
Aufgrund eines sowjetischen Gegenangriffs auf die Höhe 235,7 nach 16.00 Uhr
kam dieser Angriff nicht mehr zum Tragen. Zudem hatte die mit der Einnahme
und dem Ausbau der Höhe 235,7 beauftragte 10./Infanterieregiment 539 die-
se bereits wieder geräumt. Der Divisionskommandeur begab sich deshalb zum
Infanterieregiment 539, um vor Ort abzuklären, ob vor Einbruch der Dunkelheit
erneut angegriffen werden könne, was allerdings verneint werden musste. Der
Entschluss der Division, den Angriff nicht wieder aufzunehmen, wurde dem
Generalkommando unterbreitet und von diesem gestützt. So endete dieser erste
Angriffstag nach Urteil der Division als »Enttäuschung«.
Im Nachgang der Ereignisse ließ Eibl die Ursachen für den Verlust der
Höhe 235,7 untersuchen. Diese Episode ist deshalb aufschlussreich, weil es
sich dabei um eines der wenigen belegten expliziten Beispiele selbstständi-
gen Handelns eines Untergebenen der 385. Infanteriedivision handelte. Der
Kompanieführer der 10./Infanterieregiment 539 Leutnant Laue hatte seinen !
Verband »auf eigene Verantwortung entgegen des ihm bekannten ausdrücklichen
Befehls der Division« von besagter Höhe abgezogen und diese dem Gegner über-
lassen. Sein Handeln begründete er damit, dass er von drei verschiedenen Seiten
angegriffen worden sei, das Abwehrfeuer der eigenen Artillerie ausgeblieben sei
und er die Hauptkampflinie in Gefahr gesehen habe163. Inwiefern es sich hier
um Auftragstaktik handeln könnte, ist schwer zu sagen, da in den Quellen kei-
ne entsprechenden Befehle an die Kompanie eruiert werden konnten und des-
halb die Absichten des Regiments und des Bataillons fehlen. Tatsächlich hat der
Kompanieführer aber die Absicht der Division – die Höhe zu halten, damit sie
mit den Pionieren rasch ausgebaut werden konnte – nicht zum Maßstab seines
Handelns genommen, was auf eigenmächtiges Handeln hinausführen würde.
Aufschlussreich ist diese Episode v.a. deshalb, weil der Divisionskommandeur
das initiative Handeln des Kompanieführers nicht billigte und beim Regiment
einen schriftlichen Bericht über Laue und die Hintergründe für sein Verhalten
einforderte. In diesem Bericht verteidigte der Regimentskommandeur seinen
Kompanieführer als bewährten Offizier. Dieser habe den Befehl zur Räumung
der Stellung bloß deshalb selbstständig gegeben, weil die Verbindung nach oben
unterbrochen gewesen und das Unterstützungsfeuer der Artillerie ausgeblie-
ben sei sowie die Mehrzahl der eigenen Maschinengewehre ausgefallen seien.
Durch sein Handeln habe Laue verhindern wollen, dass seine Kompanie auf-

163
Ebd. (6.5.1942).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 289

gerieben und dadurch die schwach besetzte Hauptkampflinie gefährdet wur-


de164. Damit scheinen die Vorbedingungen für ein erlaubtes Abweichen vom
Auftrag erfüllt: Die Dringlichkeit war durch die Gefahr des Aufgeriebenwerdens
und die drohende Gefährdung der Hauptkampflinie ebenso gegeben wie der
fehlende Kontakt zum Vorgesetzten. Scheinbar hatte Laue auch im Sinne des
Vorgesetzten gehandelt, sonst hätte sich der Regimentskommandeur nicht so
wohlwollend geäußert. Zudem stützte sich dessen Bericht sicher auch auf das
Urteil des Bataillonskommandeurs, der als direkter Vorgesetzte Laues unmittelbar
mit den Geschehnissen konfrontiert gewesen war, was nahe legt, dass auch der
Bataillonskommandeur das Verhalten Laues als richtig einschätzte. Offenbar ließ
sich der Divisionskommandeur ebenfalls von den Ausführungen des Regiments-
kommandeurs überzeugen. In den vorhandenen Divisionsakten lassen sich jeden-
falls keine Sanktionen gegen Leutnant Laue ausmachen.
Darüber hinaus gibt der Angriff vom 6. Mai bereits erste Hinweise darauf,
dass sich die Kampfführung Schneller Verbände wesentlich von derjenigen der
Infanterie unterschied. Letztere kämpfte in der Regel – zumal wenn der Angriff
aus einer Verteidigungsstellung heraus eröffnet wurde – auf vergleichsweise en-
gem Raum. Auch verlangsamte das Fehlen von gepanzerten Kraftfahrzeugen und
Panzern die Kampfführung165. Beides und eine entsprechende Funkausstattung
ermöglichten automatisch eine straffere Führung und das Führen von vor-
ne, da die vorgesetzten Kommandeure einfacher und rascher an die jeweiligen
Brennpunkte aufschließen und zu ihren Unterstellten gelangen konnten166. In
diesem Zusammenhang ist jedoch nicht nur die enge Führung der Regimenter
durch die Division zu erwähnen. Wie gesehen konnte Eibl in der kritischen Phase
des Angriffs mit dem Generalkommando Verbindung aufnehmen und bezüglich
des Angriffsabbruches Rücksprache halten. Es wird sich noch zeigen, dass die
Nachrichtenverbindungen zwischen Korps- und Divisionsstufe sowie der dar-
aus entstehende rege Austausch den Normalfall bildeten und die obere taktische
Führung bestimmten.
Die häufige Präsenz und straffe Führung durch den Divisionskommandeur galt
nicht nur für Gefechtssituationen, sondern erst recht auch für die ruhigen Phasen
im Verteidigungsabschnitt. Bei einem seiner zahlreichen Besuche stellte Eibl z.B.
im Abschnitt des I./Infanterieregiment 539 Mängel fest, die »zum Teil grobe
Verstöße gegen die von der Division erlassenen Befehle« waren167. Dabei bean-
standete Eibl in erster Linie die fehlende Initiative von Führern und Unterführern,

164
IR 539/Kdr., Bericht an die 385. ID zu den Vorkommnissen auf der Höhe 235,7 am
6.5.1942, 8.5.1942, BArch, FD 1238 N.
165
Die 385. ID verfügte insgesamt bloß über neun gepanzerte Kraftfahrzeuge (Soll-Bestand).
385. ID/Ib, Stärken der 385. Inf.Div., 12.3.1942, BArch, RH 26-385/38.
166
Allerdings fällt bei Eibl auf, dass er auch bei geographischer Ausdehnung der Verbände die
Führung straff halten und allzu viel Eigeninitiative seiner Unterführer verhindern wollte.
Als das IR 539 während der Ausbildungsphase im rückwärtigen Heeresgebiet Mitte vom
Rest der Division weit abgelegen untergebracht war, wurde der Rgt.Kdr. vom Div.Kdr.
»ausdrücklich darauf hingewiesen«, dass sich das Regiment nicht zu umfangreichen Unter-
nehmungen gegen Partisanen verleiten lassen solle, da dies die Kräfte der Division verzet-
teln und die »geschlossene Einsatzfähigkeit« gefährden würde. 385. ID/Ia, KTB, Nr. 1,
BArch, RH 26-385/2, S. 12.
167
385. ID/Kdr., Dem IR 539, 8.5.1942, BArch, RH 26-385/3. Dort auch das Folgende.
290 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

welche die von der Division befohlenen Anordnungen nicht durchsetzten.


Gerade diesbezüglich zeige sich – so Eibl – bei der 385. Infanteriedivision wieder
deutlich »der Mangel an gut ausgebildeten Offizieren und Unteroffizieren«, die
sich »über den Rahmen der Auftragserteilung von der Durchführung des Auftrags
bis ins das Einzelste [sic!] laufend persönlich« überzeugten. Damit meinte Eibl
keinesfalls eigeninitiatives Handeln im Sinne des Vorgesetzten, sondern ganz ein-
fach, dass die Führer und Unterführer peinlich genau kontrollieren sollten, ob
die von ihnen befohlenen Aufträge auch ausgeführt wurden. Die Bemerkungen
Eibls endeten mit der aussagekräftigen Forderung, dass aufgrund des schlech-
ten Ausbildungsstandes der Truppe »die Scheu vor dem Eingreifen in Befugnisse
!
unterstellter Führer zu Gunsten der Sache« zurückzutreten habe168. Damit for-
derte er explizit, die Selbstständigkeit der Unterführer einzuschränken. Vor dem
Hintergrund der mangelhaften Ausbildung und der Kriegssituation scheint es ein-
leuchtend, dass der Divisionskommandeur die Führungsmängel durch eng gehal-
tene Rahmenbedingungen, straffe Führung und stärkere Kontrolle auszugleichen
versuchte. Die in der Ausbildung angewandte Praxis, Führer und Unterführer im
Sinne einer Fehlerkultur Erfahrungen sammeln zu lassen, hätte im Kriege näm- !
lich immer bedeutet, blutige Verluste in Kauf zu nehmen. Wie sehr sich dabei
diese aus vordergründigen Notwendigkeiten abgeleiteten Konsequenzen gleich-
zeitig auch mit der strikten Führungsauffassung Eibls deckten, wird sich in den
weiteren Kämpfen der Division noch zeigen.

Der Ersteinsatz aus der Retrospektive des Divisionskommandos

Mit Datum vom 14. Mai 1942 verfasste das Divisionskommando einen
Erfahrungsbericht über die während der Verlegung in das rückwärtige Heeresgebiet
und des ersten Kampfeinsatzes von der Division gemachten Erfahrungen169.
Dieser fünfseitige Bericht darf als ungeschönte, kritische Mängelanalyse betrach-
tet werden, welche die Probleme der Division offen legte. Gleichzeitig stellt der
Bericht auch ein Beispiel dafür dar, wie der Erfahrungsaustausch innerhalb des
Heeres funktionieren konnte. Der Bericht wurde über das Armeeoberkommando
4 an den Generalstab des Heeres gesandt. Dieser nahm die Hinweise der Division
nicht nur billigend zur Kenntnis, sondern verteilte den Bericht bereits am
21. Mai 1942 als »auszugsweise Abschrift« an den Befehlshaber des Ersatzheeres,
den Oberbefehlshaber West sowie die drei Heeresgruppen im Osten mit dem

168
Das Gen.Kdo. LXI. PzK, dem die 385. ID damals unterstellt war, beurteilte die Leistungs-
fähigkeit der Division nicht so negativ. Im Tagesbefehl vom 12.5.1942 lobte der K.G. des
LVI. PzK die Division dafür, dass sie »in einem bisher hart umkämpften Frontabschnitt
[...] ihre Bewährung vorm Feinde bestanden und Zeichen hervorragenden Kampfgeistes
bewiesen hat«. Zit. nach: 385. ID/Kdr., Divisions-Tagesbefehl, 12.5.1942, BArch, RH 26-
385/3. Auch wenn Tagesbefehle grundsätzlich eher positiv gehalten waren, zeigt sich doch,
dass die Division die Erwartungen erfüllt hatte.
169
385. ID/Ia Nr. 729/42 geh., Erfahrungsbericht über die Verlegung der 385. I.D. in das
rückwärtige Heeresgebiet und über ihren Einsatz in einem Stellungsabschnitt der 4. Armee,
14.5.1942, BArch, FD 1236 N.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 291

Hinweis, dass darin »für die Ausbildung neu oder nach Auffrischung in den
Osten zu verlegender Verbände« Anregungen enthalten seien170.
Zum einen kritisierte die Division im Bericht die Art und Weise der über-
hastet durchgeführten Aufstellungsphase. Zum anderen nahm das Divisions-
kommando erschöpfend Stellung zum ersten Kampfeinsatz. Zuallererst fällt dabei
die Semantik des Berichtes auf, wurde dieser Einsatz doch auch als eine Art Aus- !
bildungssequenz mit Echtheitseffekt wahrgenommen171. In diesem Sinne wurde
im Bericht immer wieder als Vorteil betont, dass der bislang kampfunerfahrene
Verband anhand der Kriegsrealitäten sehr viel gelernt habe172. Entsprechend oft
bezogen sich die Hinweise auf gefechtstechnische Aspekte. Z.B. habe anfangs bei
vielen Soldaten ein »beispielloser Leichtsinn« bestanden, sich dem feindlichen
Feuer auszusetzen173. Auch habe es »eine ausgesprochene Abneigung, gepaart mit
Ungeschicklichkeit« gegenüber der Notwendigkeit der Schanzarbeit gegeben.
Viele dieser Anmerkungen zeigen Ausbildungsdefizite auf, die letztlich auf die
zu kurze und ungenügende Ausbildungsphase zurückzuführen waren. So habe
die Truppe ihr fehlendes Wissen im Umgang mit Minen (feindlichen und eige-
nen) »mit schwerem Lehrgeld« bezahlen müssen, wobei sich auch gezeigt habe,
dass die Ausbildung der Infanterie-Pionierzüge bei weitem nicht ausreichte. Auch
beim Beobachtungsdienst hätten sich die meisten Soldaten »gerade zu [sic!] däm-
lich« benommen. Auf der anderen Seite habe die Truppe aber gerade dank dieses
Einsatzes in verschiedenen Bereichen erhebliche Fortschritte machen können,
etwa im Zusammenwirken der Waffen, das sich bei dem mit Infanterie, Artillerie,
Stukas, Panzern und Sturmgeschützen durchgeführten Einsatz mehrmals habe
üben lassen, im Stellungsbau oder im Nachschub unter schwierigen Bedingungen.
Weiter sparte der Erfahrungsbericht auch nicht mit Urteilen über die Qualität
der Führer und Unterführer. So habe das »abwechslungsreiche Kampfgelände«,
die Umstellung von der linearen auf eine Tiefenverteidigung sowie die ver-
schiedenen Gefechtsaufgaben – von Erkundungsvorstößen, Aufklärungs- und
Sicherungsdienst bis zu begrenzten Angriffen – »ein reiches Betätigungsfeld« für
die Führer aller Grade geboten. Gleichzeitig erhielt der Divisionskommandeur
dadurch Gelegenheit, sein Führerkorps außerhalb des geschützten Rahmens des
Truppenübungsplatzes kennenzulernen und für eine künftige Führerauswahl zu
beurteilen. Allerdings habe es in diesen Belangen »manche Enttäuschung« gegeben
und die Zugführer sowie einige Kompanie- und Batteriechefs hätten sich häufig
von einer »große[n] Ungeschicklichkeit« gezeigt. Der Bericht verdeutlicht, dass
viele Subalternoffiziere und Unteroffiziere die gefechtstechnischen Grundlagen
nicht beherrschten. Weiter hätten aber auch die Kompanie- und Batteriechefs
sowie die Bataillons- und Abteilungskommandeure selbst bei »groben taktischen

170
OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (Ia) Nr. 1599/42 g, Betr.: Osterfahrungen, 21.5.1942, BArch,
RH 19 III/780, Bl. 57‑61. Im Rahmen der Vorbereitungen für das Unternehmen »Blau«
erhielt auch die IDGD diesen Bericht (siehe Kap. IV.4.c).
171
Vgl. die oben erwähnten Aussagen in den Divisionsbefehlen vom 24. und 28.4.1942.
172
Dies zeigte sich auch bei den Verlusten, die von insgesamt 176 im Monat April auf 704 im
Monat Mai anstiegen. Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942,
15.9.1943, BArch, RH 26-385/28 (unpag. Anhang).
173
385. ID/Ia Nr. 729/42 geh., Erfahrungsbericht über die Verlegung der 385. I.D. in das
rückwärtige Heeresgebiet und über ihren Einsatz in einem Stellungsabschnitt der 4. Armee,
14.5.1942, BArch, FD 1236 N. Dort auch das Folgende.
292 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Fehlern oder Unterlassungen« häufig nicht eingegriffen, weil sie ebenfalls nur eine
»mangelnde Kenntnis der Vorschriften« besessen hätten.
Eibl betonte deshalb die Wichtigkeit einer stetigen Offizierausbildung. Es
wurde bereits angesprochen, dass sich das Problem der mangelnden Qualität des
Führerkorps auch auf die Anwendung des Führungsprinzips Auftragstaktik aus-
wirken musste und eine gründliche Ausbildung und Erziehung als unabdingbare
Voraussetzung bildete. Diese Grundlagen fehlten bei der 385. Infanteriedivision
allerdings. Aufgrund der mangelnden fachlichen Fähigkeiten seiner Offiziere for-
derte Eibl deshalb:
»Die Kommandeure dürfen sich nicht scheuen, ein bis zwei Stufen herunter-
zusteigen und ihre reiche Kriegserfahrung durch persönliches Eingreifen dort !
nutzbar zu machen, wo Sachkenntnis offenkundig fehlt.«
Das Beispiel belegt deutlich, wie sich die fachlichen Fähigkeiten des Führerkorps
auf die Art und Weise des Führungsstils auswirken konnten. In diesem Fall zogen
die fachlichen Mängel eine straffere Führung und die Einengung der Eigeninitiative
der Unterführer nach sich. Vergegenwärtigt man sich den Detaillierungsgrad der
Divisionsbefehle, wird klar, dass der persönliche Führungsstil des Divisions-
kommandeurs durchdrückte. Die Führung in den ersten Gefechten wie auch die
nachträgliche Einschätzung Eibls im Bericht deuten bereits deutlich an, dass die-
ser Troupier es vorzog, seine Untergebenen straff zu führen und ihnen nur wenig
Spielraum für Selbstständigkeit zu gewähren.
Die Hauptproblematik – darüber ließ der Bericht keine Zweifel aufkom-
men – bildete jedoch die Lösung der Unterführerfrage. In dieser überlagerten
sich mehrere Aspekte: Seit Beginn ihrer Aufstellung war die Division quantitativ
und qualitativ schlecht mit Unterführern ausgestattet. Aufgrund des »beachtli-
chen Fehlbestandes« war deshalb die Bildung divisionseigener Personalreserven
von Anfang an auf Schwierigkeiten gestoßen. So hatte die Division für den
Zeitraum vom März bis September 1942 lediglich »34 Offiziere oder Feldwebel
(Wachtmeister) O.A.« als Führerreserve herausziehen können, mit denen bei
Bedarf drei Bataillons- oder Abteilungs-, elf Kompanie- oder Batterie- sowie
20 Zugführerstellen hätten ausgefüllt werden müssen174. Die im Vorfeld zum
Unternehmen »Blau« zur langfristigen Sicherung der Kampfkraft befohlene
Ausscheidung einer Führerreserve war ebenfalls »wegen des bereits beachtli-
chen Fehlbestandes auf erhebliche Schwierigkeiten« gestoßen175. Hinzu kam
nun, dass in den Gefechten zusätzliche Unteroffiziere ausgefallen waren und
diese Verluste nicht durch Personalersatz aus der Heimat ausgeglichen werden
konnten. Deshalb musste sich die Division selbst helfen und ununterbrochen
stattfindende Lehrgänge einrichten (siehe Kap. IV.2.e). Die bei den Regimentern
durchgeführten Unterführer- und bei der Division durchgeführten MG- und
Zugführerlehrgänge belasteten allerdings wiederum die bereits angespannte
Personallage, da dafür Ausbildner und Lehrtruppen abkommandiert werden
mussten176.

174
385. ID/IIa, Tätigkeitsbericht der Abt. IIa für die Zeit vom 16.3.‑30.9.1942, BArch,
RH 26-385/35.
175
Ebd. (Zitat). Armeegruppe v. Weichs/Ia Nr. 646/42 g.Kdos., Betr.: Führerreserve und
Personalreserve, 15.6.1942, BArch, RH 24-13/84.
176
Der Fehlbestand an Unterführern sollte zu einem stetigen Problem werden. Auch Ende
Juli 1942 bestand für die Division »am meisten Mangel« an Unterführern. 385. ID/Ia,
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 293

Alles in allem beklagte Eibl in dem Erfahrungsbericht in erster Linie den über-
stürzten Ersteinsatz seiner Division im Abschnitt des Armeeoberkommandos 4. Er
legte nahe, neu aufgestellte und nur kurz ausgebildete Divisionen zuerst »an einer
ruhigen Front« einzusetzen, wo sie sich personell auffüllen könnten und »dadurch
die Reife für den Angriff« erhalten würden177. Die Einschätzungen Eibls deckten
sich mit denen des Kommandeurs des Infanterieregiments 538, der mit seinem
vor Leningrad im Einsatz stehenden Regiment schon früher Einsatzerfahrungen
machen musste. In seinem Bericht vom 17. April 1942 an die Division machte
der Regimentskommandeur die ungenügende geistige Bereitschaft der Truppe für
den Krieg ebenfalls als schwerwiegendes Problem aus: !
»Manches Mal hat man das Gefühl, dass unseren Leuten noch nicht zum
Bewusstsein gekommen ist, dass Krieg ist, jedenfalls benehmen sie sich durch-
weg nicht danach178.«
So fehle noch »das Zusammenschweißen der Komp[anien], B[a]t[ai]l[lone] und
des Regimentes außerordentlich«. Zudem mache sich der Mangel an Drill und
geistiger Wendigkeit bemerkbar, was bereits Tote verursacht hätte179. Mit den !
Leistungen der Offiziere war der Regimentskommandeur – bei wenigen Aus-
nahmen – zufrieden, besonders die Bataillonskommandeure würden »rege und
zuverlässig« arbeiten. Hingegen machte er das Hauptproblem – wie später auch
die Division – bei den Unterführern aus, die »noch sehr unbeholfen« aufträten.
Anders als die Division konnte das Infanterieregiment 538 wegen des personell
anspruchsvollen Einsatzes aber keine Unterführer- und Offizieranwärterkurse
durchführen. Beide Berichte zeichneten letztlich das Bild einer Truppe, die in
vielen Belangen überfordert war, weil sie ungenügend ausgebildet und kurzfristig
in den Krieg geworfen worden war. Völlig richtig folgerte die Division deshalb,
dass diese Berichte »wertvolle Fingerzeige für die Schwierigkeiten geben, die eine
kampfungewohnte Truppe beim ersten Einsatz zu überwinden hat«180. Letztlich
waren es aber die Probleme der Aufstellungs- und Ausbildungsphase, die sich nun
im Kriegseinsatz schmerzlich bemerkbar machten und die es zu lösen galt.

Die »Bewährungsprobe der Division«181 – der Vorstoß nach Voronež

Nach Abschluss des ersten Kampfeinsatzes erhielt die Division am 13. Mai 1942
den Befehl, sich nach Orël zum Panzer-Armeeoberkommando 2 in Marsch
zu setzen, von wo sie weiter in den Raum Kursk–Livny zum Panzer-Armee-
oberkommando 4 verlegt wurde. Die Zeit während der Verschiebung nutzte die

Erfahrungsbericht über Führer- und Unterführer-Ausbildung und Ersatz, 29.7.1942,


BArch, FD 1238 N, S. 3.
177
385. ID/Ia Nr. 729/42 geh., Erfahrungsbericht über die Verlegung der 385. I.D. in das
rückwärtige Heeresgebiet und über ihren Einsatz in einem Stellungsabschnitt der 4. Armee,
14.5.1942, BArch, FD 1236 N, S. 6.
178
Bericht Oberst Frhr. von Wangenheim über das IR 538 und seinen Einsatz, 17.4.1942,
BArch, FD 1238 N.
179
»[...] z.T. sind die Leute nicht in der Lage das Kennwort sofort zu sagen, wodurch wir
2 Tote hatten, erschossen von den eigenen Leuten.« Ebd.
180
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (29.4.1942).
181
385. ID/Kdr., Tagesbefehl, 8.7.1942, BArch, RH 26-385/23.
294 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Division ausgiebig für die Ausbildung von Unterführern in Unterführerlehrgängen


der Regimenter und für einen ersten Zugführerlehrgang der Division. Zudem
ließ Eibl am 15. Mai 1942 in einer Besprechung mit seinen Regiments- und
Bataillonskommandeuren den bisherigen Kampfeinsatz der Division rekapitulie-
ren und auswerten182. Insgesamt blieb die Ausbildungs- und Auffrischungsphase
jedoch kurz.
Am 8. Juni hatte die Division mit dem südlichen Abschnitt der 95. Infanterie-
division den Bereitstellungsraum am Tim übernommen. Der Divisionsbefehl
für die Ablösung von Einheiten der 95. Infanteriedivision durch das Infanterie-
regiment 537 ähnelt auf frappante Weise dem für den ersten Einsatz der Division
vom April183. Wiederum gab der Divisionsbefehl Einzelheiten der Ablösung vor,
etwa die Verbindungsaufnahme mit den neuen Nachbartruppen, die Aufstellung
der Artillerie – z.T. bis auf einzelne Geschütze – oder die Durchführung der ei-
gentlichen Ablösung. Für Letzteres war erneut anhand einer Liste vorgegeben, wie
jede Einheit und jeder Stab die Übernahme durchzuführen hatten und welche
Informationen (schriftlich) vorhanden sein mussten. Wie im Folgenden aufge-
zeigt werden soll, waren sowohl die Kampfvorbereitungen wie auch der eigentliche
Angriff geprägt von der fast allgegenwärtigen Präsenz des Divisionskommandeurs
oder seines Ia. Die Enge des Raumes, in dem sich das ganze Unternehmen ab-
spielte, verdeutlicht noch stärker als zuvor, dass es für die Unterführer überhaupt
nur in Ausnahmefällen so etwas wie einen Spielraum für selbstständiges Handeln
geben konnte.
Fast den gesamten Juni hindurch war die Division mit intensiven Kampfvor-
bereitungen für das Unternehmen »Blau I« beschäftigt. In dieser Zeit wurden auch
die personellen Fehlstellen durch die Zuführung des Feldersatzbataillons 385/1
aufgefüllt184. Die als »Planspiel« getarnten Angriffsbefehle wurden im Divisions-
stab bearbeitet, während der Divisionskommandeur und der Ia »fast täglich [...]
zur Erkundung in die Stellung« fuhren185. Die Erkundungsergebnisse dienten
wiederum als Grundlage, um mit den Kommandeuren der Regimenter und
selbstständigen Abteilungen die Einzelheiten des Angriffs durchzusprechen.
Diese Besprechungen fanden sehr oft statt, letztmals in der Nacht vom 27. auf
den 28. Juni 1942, wenige Stunden vor Angriffsbeginn, um den Regiments-
kommandeuren die geänderte Absicht des Generalkommandos für die zweite Phase
des Angriffs darzulegen186. Allein am 17. Juni 1942 besprach sich Eibl mit den
Kommandeuren des Infanterieregiments 537, des III./Infanterieregiment 537,
das als Nahtgruppe zur linken Nachbardivision gesondert eingesetzt wer-
den sollte, des Artillerieregiments 385 und des Pionierbataillons 385187. Die

182
385. ID/Ia, Befehl für Vormarsch der Division von Roslawl nach Orel, 13.5.1942,
BArch, RH 26-385/3, Bl. 158‑164. 385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2
(15.5.‑4.6.1942); DRWK, Bd 6, Karte S. 868 (Beitrag Wegner).
183
Abschnittsstab Giese/Ia Nr. 844/42 geh., Befehl für Ablösung des II./I.R. 279 durch
I.R. 537, 8.6.1942, BArch, RH 26-385/3.
184
Die Fehlstellen konnten »bis auf 8 Uffz. und 97 Mannschaften gedeckt werden«.
Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28, S. 2.
185
Ebd., S. 1.
186
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (27.6.1942).
187
Ebd. (17.6.1942).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 295

Kommandeursbesprechungen waren wie gesehen ein wichtiger Bestandteil der


Kampfvorbereitungen. Auf den Zusammenhang mit dem Führen von vorne wur-
de ebenfalls schon hingewiesen. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass Eibl, der die
Nähe zu seinen Unterführern suchte, häufig solche Besprechungen durchführ-
te188. Das gleiche Verhalten lässt sich auch bei den Kommandierenden Generalen
des XIII. und VII. Armeekorps im Umgang mit ihren Divisionskommandeuren
feststellen. So war der Kommandierende General des XIII. Armeekorps General
der Infanterie Erich Straube während der Vorbereitungen für Unternehmen
»Blau I« zwischen dem 9. und 22. Juni täglich auf »Erkundungsfahrt« zu seinen
Divisionen. Dort besprach er sich nicht nur mit den Divisionskommandeuren,
sondern z.B. am 20. Juni mit dem Kommandeur des Infanterieregiments 539
und am 22. Juni mit den Kommandeuren des Infanterieregiments 537 und
168 (82. Infanteriedivision) über das taktische Vorgehen und über den
Personalbestand189. Wie viel auf dieser persönlichen, mündlich gehaltenen
Ebene ablief, veranschaulicht etwa die Tatsache, dass das Divisionskommando
vom Generalkommando XIII. Armeekorps seit dem schriftlichen Befehl für die
Bereitstellung zum Angriff am 11. Juni 1942 keinerlei schriftliche Erläuterungen
zum bevorstehenden Angriff mehr erhalten hatte. Dass dies auch problematisch
sein konnte, liegt auf der Hand. Tatsächlich sah sich Eibl aufgrund widersprüch-
licher Aussagen des Kommandierenden Generals veranlasst, noch am 27. Juni
1942 abends – also wenige Stunden vor Angriffsbeginn – von Straube Klarheit
zu verlangen190.
Neben den Besprechungen mit den Offizieren der eigenen Division und de-
nen mit den Kommandierenden Generalen fanden innerhalb des Korps auch
bilaterale Besprechungen zwischen den Divisionskommandeuren über geplan-
te Operationsansätze statt. Anders als bei den Besprechungen Eibls mit seinen
Offizieren dienten diese aber nicht nur zur Übermittlung von Informationen an
die Unterführer oder zur Kontrolle. Die Divisionskommandeure erhielten vom
Generalkommando offenbar eine gewisse Handlungsfreiheit, die es ihnen erlaubte,
Feinheiten des Ansatzes selbst zu bestimmen. In den Besprechungen untereinan-
der koordinierten sie deshalb diese von der vorgesetzten Kommandobehörde dele-
gierten Aufgaben. Der Führer der 11. Panzerdivision (Balck), vereinbarte etwa am
12. Juni 1942 mit Eibl, wie das unterstellte Infanterieregiment 539 von ihm einge-
setzt werden würde, wo die Trennungslinien verlaufen würden und welche Division
auf welchen Vormarschstraßen vorgehen sollte. Eibl selbst besuchte am 15. Juni
1942 den Kommandeur der linken Nachbardivision (95. Infanteriedivision),
um mit ihm eine gemeinsame Aktion der Flankenregimenter beider Divisionen

188
Eibl hatte zudem als Rgt.Kdr. des IR 132 in der 44. ID selbst an solchen Besprechungen
teilgenommen, in denen Ausbildungsbelange, aber auch Fragen der Bereitstellung und der
ersten Angriffsphasen zur Sprache kamen. Er kannte die Vorteile dieses Vorgehens also aus
eigener Erfahrung. Schimak/Lamprecht/Dettmer, Die 44. Infanterie-Division, S. 118, 160.
189
Gen.Kdo. XIII. AK/IIa, Tätigkeitsbericht Abt. IIa vom 1.6.‑31.7.1942, 8.12.1942, BArch,
RH 24-13/176, Bl. 3 f.
190
Der Angriffsbeginn war für den 28.6.1942, 2.15 Uhr befohlen. Straube hatte einmal er-
wähnt, dass der Angriff nach Erreichen des ersten Angriffszieles nur »nach vollständiger
Säuberung der Ortschaften« fortzusetzen sei, ein andermal jedoch betont, dass »ohne Rück-
sicht auf zurückbleibende Widerstandsnester« schnell vorgestoßen werden solle. 385. ID/
Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (27.6.1942).
296 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

gegen Zjabrevo festzulegen. Dieser Ort lag eigentlich im Angriffsstreifen der


95. Infanteriedivision und sollte während des Angriffs von ihr lediglich abge-
schirmt, nicht aber eingenommen werden. Eibl befürwortete ein offensiveres
Vorgehen, weil er glaubte, dass ein bloßes Abschirmen wegen der in Zjabrevo vor-
handenen gegnerischen schweren Waffen nicht genügte. Das Generalkommando
XIII. Armeekorps war bei dieser Anpassung nicht involviert worden, da die ei-
gentliche Auftragserfüllung dadurch nicht tangiert wurde191.
Die Angriffsvorbereitungen für Unternehmen »Blau I« umfassten jedoch
mehr als die erwähnten Kommandeursbesprechungen. Die einzelnen Einheiten
bereiteten sich in Planspielen auf die Operation vor, in denen der Angriff am
Sandkasten »in allen Einzelheiten« durchgespielt wurde. An den Planspielen
der operationsentscheidenden Einheiten nahm der Divisionskommandeur per-
sönlich teil. Um die Truppe auf die spezifischen Umstände vorzubereiten, hielt
das Infanterieregiment 537 am 25. Juni 1942 zusätzlich eine »Lehrvorführung
über Bunkerkampf« ab. Der Divisionskommandeur besuchte diese Vorführung
zusammen mit seinem Ia und gab seinen Regiments-, Bataillons- und Abteilungs-
kommandeuren im Anschluss daran »die letzten Hinweise für die Kampf-
führung«192.
Die intensiv betriebenen Vorbereitungen mündeten in entsprechende Befehle.
So hatte die Division am 15. Juni 1942 im Bereitstellungsbefehl und am 21. Juni
im Angriffsbefehl die Grundlagen für die Mechanik des Angriffsverlaufs über
den Tim erörtert193. Die Vorgaben der Division wurden von den Regimentern
in einschlägige Befehle umgemünzt. Diese Befehle waren ähnlich detailliert ge-
halten wie die Vorgaben der Division und geben somit das exakte Spiegelbild des
Führungsstils der Division wieder. Während das Infanterieregiment 537 zwischen
dem 18. und 24. Juni 1942 einen »Befehl für die Bereitstellung«, einen »Befehl
für die Bereitstellung zum Angriff über den Tim« sowie einen »Befehl für den
Angriff über den Tim« erließ, der zuletzt volle fünf Seiten beinhaltete194, brach-
te es das Infanterieregiment 539 zwischen dem 23. und 26. Juni auf drei sich
immer wieder ergänzende Angriffs- und Bereitstellungsbefehle zwischen einer
und sechs Seiten195. Ebenso hat das als Nahtgruppe gesondert eingesetzte III./
Infanterieregiment 537 am 24. Juni einen detaillierten fünfseitigen Angriffsbefehl
erlassen196. Wie bereits früher beobachtet gingen diesen Befehlen Meldungen vor-
aus, mit denen die Division über den beabsichtigen Kräfteansatz orientiert werden
musste197. Alle Befehle waren sehr ausführlich gehalten und hielten das Vorgehen

191
Ebd. (12./15.6.1942).
192
Ebd. (22.‑25.6.1942).
193
Ebd. (28.6.1942).
194
IR 537, Befehl für die Bereitstellung vom 18.6.1942, Befehl für die Bereitstellung zum
Angriff über den Tim vom 23.6.1942, Befehl für den Angriff über den Tim vom 24.6.1942,
BArch, RH 26-385/17.
195
IR 539 Nr. 43, 46, 48, 1.‑3. Regiments-Befehl für den Angriff über den Tim und die
Bereitstellung dazu, 23./25./26.6.1942, BArch, RH 26-385/17.
196
III./IR 537/Ia 27/42 g.Kdos., Befehl für den Angriff über den Tim, 24.6.1942, BArch,
RH 26-385/17.
197
[IR 537], Beabsichtigter Ansatz der Kräfte, BArch, RH 26-385/17. III./IR 537, Beabsich-
tigter Einsatz der Kräfte, 19.6.1942, BArch, RH 26-385/17. Dem Verteiler zufolge waren
diese Meldungen ausschließlich an die Division gerichtet, nicht aber zur Orientierung der
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 297

während des Angriffs teils akribisch fest. So regelte das Infanterieregiment 537
das Passieren der Ablauflinie und damit den Beginn des Angriffs dahingehend,
dass die Ablauflinie »nur an den dafür vorgesehenen 3 Stellen erfolgen« dür-
fe198. Die Truppen erhielten dazu ein Ablaufschema, das sie zu befolgen hatten.
Ebenfalls erhielt die Truppe schon in der Bereitstellung die »Zahlen ihrer Wege,
welche sie zu und aus der Ablauflinie benutzen soll[te]«. Natürlich bedarf das
Überwinden einer Verteidigungsstellung koordinierender Maßnahmen, erst recht
wenn sie an einen Fluss angelehnt ist. Entsprechend ist auch klar, dass der Tim
in vorher definierten Furten überschritten werden musste199. Auffallend ist aller-
dings, wie schematisch dies angeordnet war. Zudem war auch das Weiterstoßen
nach erfolgtem Durchbruch in den Aufträgen sehr ausführlich befohlen worden.
Der Kommandeur III./Infanterieregiment 537 befahl z.B. seiner 10. Kompanie,
sie solle nach Überschreiten der Furt »in schmaler tiefer Form vom Ostufer
des Tim über die Plaine mit Stoßrichtung SO-Ausgang Alekseewka an[treten],
um dann nach NW eindrehend Alekseewka zu nehmen«200. Dabei wurde der
Kompanie sogar vorgeschrieben, dass »der 3. Zug [...] sich bis zur Plotzkaja-
Mündung vor[schieben], [...] die Plotzkaja [überschreiten] und [...] Alekseewka
von SW« angreifen soll. Damit wurde dem Kompaniechef nicht nur der tak-
tische Entschluss vorgegeben, sondern auch wie dieser durchgeführt werden
musste. Ähnlich verhielt es sich mit den Aufträgen der übrigen Einheiten des
Bataillons. Auch das Infanterieregiment 537 neigte dazu, die Aufträge an sei-
ne Bataillone kleinlich zu erteilen, etwa wenn das II./Infanterieregiment 537
»Rogowo mit 2 Kp. in vorderer Linie [stürmen] und [...] bis zur Kirche Kutinowo
durch[stoßen]« oder das I./Infanterieregiment 537 »längs der Straße Kudinowo-
Pjatina angreifend das Waldstück 1,5 km südl. Kudinowo« einnehmen sollte201.
Beim Infanterieregiment 539 finden sich ebenfalls Befehle, die so gar nicht mit
dem Gedanken der Auftragstaktik oder den im Element Führungsvorgang ent-
haltenen Teilaspekte im Einklang standen. Exemplarisch hierfür ist etwa die
Auftragserteilung an die 5. Kompanie für die Timüberquerung:
»5. Komp. greift mit 1 Zug in breiter Front den südl. Pjatina liegenden Gegner
an. Mit den beiden anderen Zügen stößt die Komp., tief gegliedert, inner-
halb des Dorfes an dem S-Rand entlang bis zur SO-Ecke des Dorfes, besetzt
den O- und S-Rand des Dorfes und unterstützt das Vorgehen des rechten

Unterführer gedacht. Folglich scheinen sie der Division einzig zur Kontrolle gedient zu
haben. Vom IR 539 fehlt eine solche Meldung, vermutlich deshalb, weil das Regiment für
den Angriffsbeginn der 11. PzD unterstellt war.
198
IR 537 Br.B. 20/42 g.Kdos. (VII.), Befehl für die Bereitstellung zum Angriff über den Tim,
23.6.1942, BArch, RH 26-385/17, S. 2. Dort auch das Folgende.
199
IR 537 Br.B. 20/42 g.Kdos. (IX.), Befehl für den Angriff über den Tim, 24.6.1942, BArch,
RH 26-385/17, S. 3.
200
III./IR 537/Ia 27/42 g.Kdos., Befehl für den Angriff über den Tim, 24.6.1942, BArch,
RH 26-385/17, S. 2. Dort auch das Folgende.
201
[IR 537], Beabsichtigter Ansatz der Kräfte, BArch, RH 26-385/17, S. 2; IR 537 Br.B.
20/42 g.Kdos. (IX.), Befehl für den Angriff über den Tim, 24.6.1942, BArch, RH 26-
385/17, S. 2.
298 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Flügelzuges, indem sie durch Stoßtrupps die Feindanlagen südl. des Dorfes
nach S aufrollt202.«
Die Aufträge an die übrigen Kompanien sind ähnlich detailliert gehalten und
entsprechen gerade nicht dem Bild, wonach üblicherweise bloß das zu errei-
chende Ziel befohlen war. Alle diese Befehle gaben doch sehr stark vor, auf wel-
che Weise die Aufträge zu erfüllen waren. Jedenfalls überschritten sie das Maß
der üblichen koordinierenden Angaben. Auffallend ist auch die Parallele zum
Verhalten der Division bezüglich des Meldewesens. Während der Komman-
deur des Infanterieregiments 537 von seinen Untergebenen »mindestens alle
Stunden« eine Meldung über die Lage verlangte und der Kommandeur des
Infanterieregiments 539 lediglich forderte, dass »reichlich und fortlaufend zu
melden« sei, befahl der Kommandeur des III./Infanterieregiment 537 sogar
»Meldungen mindestens alle halbe Stunde« zu übermitteln203. Der Kommandeur
des III. Bataillons scheint den Führungsstil der Division am weitesten übernom-
men zu haben, findet sich in seinem Befehl – ähnlich dem Divisionsbefehl vom
28. April 1942 – doch sogar die Vorgabe, dass die Kompanien zusätzlich zu den
Munitionslagern bei den Zügen »eine 25%ige Reserve zu lagern [hätten], die nur
auf Befehl des Komp.-Chefs angebrochen [werden] darf«204.
So weit die Angriffsvorbereitungen. Wenden wir uns nun dem eigentlichen
Gefechtsverlauf zu. Im Rahmen des Vorstoßes der 4. Panzerarmee auf Voronež
(»Blau I«) war die 385. Infanteriedivision dem Generalkommando XIII. Armee-
korps unterstellt und sollte sich ab dem 28. Juni 1942 erstmalig an einem
Angriffsunternehmen beteiligen. Auftrag der Division war es, zwischen der
11. Panzerdivision und der 95. Infanteriedivision den Übergang über den Tim
zu erzwingen. Obwohl der Division seit Ende März 1942 ein Infanterieregiment
fehlte, sah der Korpsentschluss für den Angriffsbeginn die Unterstellung des
Infanterieregiments 539 unter die 11. Panzerdivision vor205. Trotz Mängeln in
der Ausbildung – so die Selbstbeurteilung der Division – sollte dieses Regiment
unterstützt durch eine Panzerabteilung bis südlich Mar’ino angreifen und erst
dann wieder zur Stammdivision zurückkehren. Gleichzeitig hieß dies, dass die
385. Infanteriedivision für den Angriffsbeginn infanteristisch nur noch aus einem
verstärkten Infanterieregiment bestand. Ein erstaunlicher Entschluss, zumal der
Kommandierende General des XIII. Armeekorps Straube in seiner Besprechung
mit Eibl am 14. Juni 1942 »Beklemmungen um das Gelingen des Angriffes«
äußerte und dies gerade mit dem »unabgeschlossenen Ausbildungsstand der
Truppe« begründete206. Nach erfolgtem Durchbruch durch die sowjetischen
Verteidigungsstellungen am Tim sollte die Division – nunmehr zwischen der

202
IR 539 Nr. 43/42 g.Kdos., 1. Regiments-Befehl für den Angriff über den Tim und die
Bereitstellung dazu, 23.6.1942, BArch, RH 26-385/17, S. 2 (Hervorhebung im Original).
203
IR 537 Br.B. 20/42 g.Kdos. (IX.), Befehl für den Angriff über den Tim, 24.6.1942, BArch,
RH 26-385/17, S. 5; IR 539 Br.B.Nr. 46/42 geh.Kdos., 2. Regiments-Befehl für den
Angriff über den Tim und die Bereitstellung dazu, 25.6.1942, BArch, RH 26-385/17, S. 4;
III./IR 537/Ia 27/42 g.Kdos., Befehl für den Angriff über den Tim, 24.6.1942, BArch,
RH 26-385/17, S.4.
204
Ebd., S. 3.
205
Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28, S. 3.
206
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (14.6.1942).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 299

383. und 82. Infanteriedivision – weiter zur Kšen’-Stellung vorstoßen, nach


Überwindung des Kšen’ an dessen Ostufer Brückenköpfe bilden und schließ-
lich während des Weitermarsches zum Olym die Flanke des XIII. Armeekorps
sichern207.
Die im Zusammenhang mit den Angriffsvorbereitungen angesprochenen
Besprechungen Eibls mit seinen Unterführern hatten nicht nur in der Planungs-
phase stattgefunden, sondern wurden auch während des Angriffs weitergeführt.
Während des Vormarsches auf Voronež erkundete Eibl immer wieder persönlich
an vorderster Front die Stellungen, orientierte sich über die Lage und überzeugte
sich vom Ablauf des Angriffs oder schritt wenn nötig direkt in die Kampfführung
ein. An jedem der ersten drei Kampftage griff Eibl korrigierend oder koordinie-
rend in den Angriffsverlauf ein208. Fast den gesamten ersten Kampftag verbrachte
er bei der kämpfenden Truppe, bevor er sich am Abend auf dem Gefechtsstand
des Infanterieregiments 537 zur Lagebesprechung und Auftragserteilung für den
nächsten Tag einfand. Am 29. Juni 1942 befand sich Eibl an vorderster Front
beim I./Infanterieregiment 537 und ließ den Angriff stoppen, damit die linke
Nachbardivision aufschließen konnte und die Gefahr der offenen linken Flanke
gebannt wurde. Am 30. Juni 1942 verfolgte Eibl die Fortsetzung des Angriffs
zum Kšen’ vom Gefechtsstand des Infanterieregiments 539 aus. Wiederum ließ er
gegen Morgen den Angriff anhalten, diesmal weil der linke Flügel der Division –
das Infanterieregiment 537 – wegen starker feindlicher Gegenwehr nur langsam
vorwärts kam und die Division drohte, auseinander gerissen zu werden. Erst nach
dem Einsatz von Stukas gelang es der Division, den Angriff wieder ausgeglichen
anlaufen zu lassen. Trotzdem verblieb Eibl praktisch während des ganzen Tages
»in der vordersten Linie«209. Die Eingriffe Eibls verdeutlichen eindrücklich, wie
straff er seine Division führte und die Einheitlichkeit der Handlung sicherstellte.
Er befand sich ständig im Brennpunkt des Geschehens und griff in die Führung
ein, bevor es überhaupt zu kritischen Situationen kommen konnte. Dadurch
entstand auch gar kein Freiraum, den die Unterführer durch selbstständiges
Handeln hätten ausfüllen können. Wie gesehen lag Eibl damit ganz auf der Linie
der Führungsdoktrin. Somit verdeutlicht sich nochmals, dass Auftragstaktik als
Ausnahmefall anzusehen ist, während im Regelfall eine straffe Führung durch den
Vorgesetzten stattfand. Im Falle der 385. Infanteriedivision wurde dies noch da-
durch verstärkt, dass die Division bei der Infanterie wegen der Abkommandierung
des Infanterieregiments 538 nicht über die übliche Dreiergliederung verfügte und
Eibl schon aus diesem Grund näher beim jeweiligen Schwerpunkt sein konnte. Er
war aber beileibe nicht der einzige Truppenführer, der von vorne führte. Auch die
Generalkommandos waren bei ihren Divisionen spürbar. Während des Vorstoßes

207
Gen.Kdo. XIII. AK/Ia, Korpstagesbefehl Nr. 3, 15.7.1942, BArch, RH 26-385/3.
Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28, S. 12 f.
208
Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28, S. 11‑15. Dort auch das Folgende.
209
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (30.6.1942). Bis zum Abschluss der
Angriffsaktion am 8.7.1942 finden sich täglich Meldungen im KTB darüber, dass Eibl die
Truppe in den Stellungen aufsuchte, dort oder »auf dem vorgeschobenen Meldekopf der
Div.« an den Kämpfen teilnahm oder sich mit den Regimentskommandeuren auf deren
Gefechtsständen besprach. Ebd. (30.6./6.7.1942).
300 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

gegen den Olym trafen z.B. der Kommandierende General des XIII. Armeekorps
und sogar der Oberbefehlshaber der 4. Panzerarmee Hoth bei der Division ein
und besprachen persönlich die Lage mit dem Divisionskommandeur210. Wie be-
reits erwähnt scheint das Führen von vorne bei Eibl allerdings besonders ausge-
prägt und mit einer stärkeren Kontrollfunktion versehen gewesen zu sein. Diesen
Schluss legt z.B. ein Kriegstagebucheintrag vom 25. Juli 1942 nahe, in dem es
heißt:
»Der Div.-Kdeur. weilte während des Tages wiederholt bei der kämpfenden
Truppe, um unmittelbaren Einfluss auf die Truppenführung zu gewinnen211.«
Besonders aufschlussreich ist diesbezüglich auch der Kriegstagebucheintrag vom
4. Juli 1942, wonach Eibl »während der Kämpfe bei I.R. 246« weilte, das vom
linken Nachbarn (88. Infanteriedivision) kam und der 385. Infanteriedivision
ab diesem Tage unterstellt worden war212. Es ist nahe liegend anzunehmen, dass
Eibl durch seine Präsenz die Führung dieses »Fremdkörpers«213 in seinem Sinne
sicherstellen wollte. Nachdem sich das divisionsfremde Regiment offenbar be-
währt und sich Eibl von dessen Zustand und Fähigkeiten überzeugt hatte, wur-
de das Regiment für den Divisionsangriff am 6. Juli 1942 sogar als entschei-
dendes Element eingesetzt214. In ähnlichem Zusammenhang müssen auch die
Erkundungen gesehen werden, die dem Divisionskommandeur besonders dazu
dienten, sich Erkenntnisse zu verschaffen, aufgrund derer das Zusammenwirken
der Waffen in den Einsatzbefehlen »bis in die Einzelheiten festgelegt« werden
konnte215.
Die eigentliche Angriffsaktion verlief »planmäßig wie bei den Sandkastenspielen
der Vortage«. Der Division war es gelungen, die sowjetischen Tim-Stellungen
am 28. Juni zu durchbrechen und weiter in Richtung Kšen’ vorzustoßen. Nach
Bildung eines erweiterten Brückenkopfes am Kšen’ und viertägiger Abwehr so-
wjetischer Gegenangriffe hatte die Division am 2. Juli Befehl erhalten, weiter in
Richtung Olym vorzugehen216. Dabei hatte die Division allerdings bereits emp-
findliche Verluste zu beklagen, die sich in den folgenden Kampftagen noch stei-
gern sollten und auf die unten noch genauer eingegangen werden soll217.
Bei der Analyse des Vorstoßes nach Voronež zeigten sich einige aufschluss-
reiche Aspekte, auf die im Folgenden kurz eingegangen werden soll. Bezüglich

210
385. ID/Ia, Anlage zu KTB, Nr. 1, Bd 18, Meldejournal vom 2.7.1942, BArch,
RH 26-385/20.
211
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (25.7.1942).
212
Ebd. (4.7.1942). Zusätzlich zum IR 246 war der 385. ID für den Angriff die II./AR 188
(ebenfalls 88. ID) unterstellt worden. Bereits am 5.7.1942 musste ein Bataillon des
IR 246 herausgelöst und »zur Verfügung des Korps« gestellt werden. Gen.Kdo. XIII. AK/
Ia, Korpsbefehl Nr. 7 für den Angriff am 5.7.1942, BArch, RH 26-385/22; 385. ID/Ia,
Divisionsbefehl für den 5.7.1942, BArch, RH 26-385/22.
213
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (4.7.1942).
214
385. ID/Ia, Divisionsbefehl für den 6.7.1942, BArch, RH 26-385/22. Am 10.7.1942 wur-
de das Regiment wieder zur 88. ID zurückgeführt. Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 1933/42,
Korpsbefehl Nr. 9 für die Verteidigung, 8.7.1942, BArch, RH 26-385/23.
215
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (28.6.1942). Dort auch folgendes Zitat.
216
385. ID/Ia, Tagesmeldung 28.6.1942, BArch, RH 26-385/19. 385. ID/Kdr., Tagesbefehl,
8.7.1942, BArch, RH 26-385/23.
217
Vgl. 385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (2.‑5.7.1942). Tagesmeldung der
385. ID vom 6.7.1942 an das Gen.Kdo. XIII. AK, BArch, RH 24-13/85.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 301

der Art der Befehlsgebung durch das Generalkommando XIII. Armeekorps lässt
sich eine erstaunliche Diskrepanz zur Phase der Angriffsvorbereitung feststellen.
Hatte das Generalkommando damals sehr wenig schriftlich befohlen, so erhielten
die unterstellten Divisionen während des laufenden Angriffs fast täglich einen
neuen Korpsbefehl, in dem die aktuelle Lage und das weitere Vorgehen festge-
legt wurden218. Diese Dichte an schriftlichen Befehlen erstaunt, bedeutet aber
nicht, dass während der Operation nicht auch mündlich befohlen worden wäre.
Ergänzt wurden die schriftlichen Befehle nämlich durch zahlreiche mündliche
und fernmündliche Besprechungen. Für den Fall der 385. Infanteriedivision fan-
den diese bei den Besuchen der Division durch den Kommandierenden General
vor Ort, bei Besprechungen auf dem Korpsgefechtsstand oder telefonisch zwi-
schen Kommandierendem General und Divisionskommandeur sowie zwischen
Generalstabschef des Korps und Ia der Division statt. Auffallend bei diesen
Besprechungen ist der bereits bei der Analyse des Führungsvorganges erwähnte
starke Einbezug der unteren Führung, in diesem Fall des Divisionskommandeurs,
in die Entscheidungsfindung des Korps. Verschiedene Male konnte Eibl das
Generalkommando auf Probleme bei der Division oder neue Lageentwicklungen
aufmerksam machen und Änderungen eines Auftrags bewirken. So sollte die
Division z.B. am 2. Juli 1942 gegen den Olym vorstoßen, nachdem sie am
1. Juli 1942 einen Brückenkopf über den Kšen’ bei Kalinovka errichtet hat-
te219. Dabei geriet die Division in schwerste Kämpfe, in deren Verlauf fast alle
Telefonverbindungen ausfielen und das III./Infanterieregiment 537 zerschlagen
wurde. Der Angriff blieb letztlich in den fortwährenden Gegenangriffen sowje-
tischer Panzer liegen. Eibl meldete die Schwierigkeiten, insbesondere die durch
Panzer geänderte Feindlage, und machte klar, dass die ursprüngliche Absicht
nicht mehr durchgeführt werden könne220. Das Generalkommando stimmte der
Lagebeurteilung Eibls zu.
Am 5. Juli 1942 beantragte Eibl den auf den Vormittag des 6. Juli befohle-
nen Angriff mit begrenztem Ziel auf den Spätnachmittag zu verschieben221. Er
begründete dies u.a. damit, dass sich die Truppe in dem ungünstigen Gelände
bei Tageslicht nur mangelhaft gegen die feindlichen Panzer eingraben hätte kön-
nen, wohingegen die Wirkung der Panzer nach Einbruch der Dämmerung auch
gegen nicht eingegrabene Truppen gering gewesen wäre. Zudem hätten dadurch
– so Eibl – die zerschlagenen Einheiten wieder geordnet werden, die abgekämpf-
te Truppe vorher noch ruhen sowie der Angriff gründlich vorbereitet werden
können222. Schließlich gelang es Eibl am 6. Juli 1942, das Generalkommando

218
Nämlich seit Beginn der Offensive bis zum 8.7.1942 acht Korpsbefehle. Gen.Kdo.
XIII. AK/Ia, Korpsbefehle Nr. 2‑9, 28.6.‑8.7.1942, BArch, RH 26-385/19-23.
219
Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28, S. 18; 385. ID/Ia, Befehl für die Fortsetzung des Angriffs am 2.7.[1942],
BArch, RH 26-385/20.
220
385. ID/Ia, Anlage zu KTB, Nr. 1, Bd 18, Meldejournal vom 2.7.1942, Div.Kdr. an Korps-
Kdr., BArch, RH 26-385/20.
221
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (6.7.1942).
222
385. ID/Ia, Anlage zu KTB, Nr. 1, Meldung des Div.Kdr. an K.G., Tagebuch-Notiz
5.7.1942, BArch, RH 26-385/22. Es darf nicht vergessen werden, dass die 385. ID im
Monat Juni mit insgesamt 1010 Mann die bisher höchsten Verluste zu verzeichnen hat-
te. Die Intensität der Kämpfe lässt sich auch daraus ableiten, dass im Juni mehrheitlich
302 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

davon zu überzeugen, seinen zuerst offensiv gehaltenen Auftrag aufgrund der


»geschwächte[n] Gefechtskraft« der Division in einen defensiven Auftrag abzu-
ändern223.
Diese Beispiele zeigen besonders eindrücklich das Wechselspiel zwischen
Frontkommandeur und oberer Führung auf. Eibl beurteilte jeweils die geänder-
ten Lagen vor Ort und beantragte die Anpassung der Befehle an diese neuen
Bedingungen. Wenngleich dabei Handeln im Sinne der Auftragstaktik aufgrund
der bestehenden Verbindungen zum Generalkommando nicht zum Tragen kom-
men musste, lassen sich in diesen Beispielen doch die Elemente der Einheitlichkeit,
Selbstständigkeit und des Führungsvorgangs erkennen. Durch die Einbindung
der Frontkommandeure in die Gesamtführung wurden diese ermuntert, sich ak-
tiv in die Operationsführung einzubringen. So konnte sich die obere Führung
wiederum rascher auf geänderte Rahmenbedingungen einstellen und mit ent-
sprechenden Maßnahmen darauf reagieren. Das Generalkommando bezog die
Division aber nicht nur während der kritischen Situationen, sondern bereits von
Anfang an in die Entscheidungsfindung mit ein. Ein außergewöhnliches Beispiel
bildet die vom Kommandierenden General am 6. Juli 1942 abends fernmündlich
eingeforderte Einschätzung der Lage und des Geländes. Dabei wollte Straube von
Eibl keineswegs bloß eine technische Lagebeurteilung erhalten. So scheute sich
Straube nicht, Eibl die Frage zu stellen, wo er den Schwerpunkt an seiner Stelle
setzen würde und wie er sich in seiner Situation entscheiden würde:
»Angenommen, Sie sollen sich auf Ihrer derzeitigen Linie zur Verteidigung
nach Norden einrichten. Begrenzung wie bisher. Mit der Absicht sich nur zu
verteidigen? Wo würde die HKL zu führen sein? Könnte ich vielleicht Kräfte
sparen, wenn ich von Ihnen aus auf dem Westufer des Kschen bleibe224?«
Es ist geradezu erstaunlich, wie weit Straube als Kommandierender General gewillt
war, seinen Divisionskommandeur in die Lagebeurteilung und Entschlussfassung
einzubinden. Dass dies kein Einzelfall war, zeigt ein Ferngespräch vom 20. Juli.
Darin berichtete Eibl über seine »Erkundungen zur Einrichtung einer rückwär-
tigen Verteidigungsstellung« hinter der bestehenden Hauptkampflinie, worauf-
hin Straube die neue Verteidigungslinie »gemäß dem Vorschlag des Kdr. der
385. I.D. vorläufig festlegt«225. Auf der anderen Seite wurde der Division vom
Generalkommando bewusst Handlungsspielraum zugestanden. Dieses überließ
in den Korpsbefehlen Nr. 4 und 5 den Entschluss über den Zeitpunkt für die
Wiederaufnahme des Angriffs der Division, die voraussichtliche Angriffszeit
sollte lediglich gemeldet werden226. Auch durch die Art seines Führungsstils,
der deutlich partizipative Gesichtszüge trug, und durch sein Vertrauen in das
Urteilsvermögen seines Untergebenen gewährte Straube diesem eine gewisse

Kampfvorbereitungen stattfanden, die Ausfälle sich also auf wenige Tage konzentrierten.
Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28 (unpag. Anhang).
223
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (6.7.1942).
224
385. ID/Ia, Anlage zu KTB, Nr. 1, Meldejournal vom 6.7.1942 des K.G. an Div.Kdr.,
BArch, RH 26-385/22.
225
Gen.Kdo. XIII. AK/Ia, KTB, Nr. 7, BArch, RH 24-13/82 (20.7.1942).
226
Gen.Kdo. XIII. AK/Ia, Korpsbefehl Nr. 4 zum Angriff über den Kschen u. Vorstoß zum
Olym, 30.6.1942, BArch, RH 26-385/21, S. 2; Gen.Kdo. XIII. AK/Ia, Korpsbefehl Nr. 5
für die Fortsetzung des Angriffs am 3.7.42, BArch, RH 26-385/20, S. 2.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 303

Handlungsfreiheit, in der Eibl selbstständig tätig werden konnte. Indirekt fin-


den sich in den Handlungen Straubes also durchaus Elemente der Auftragstaktik
oder Teilaspekte davon. Wie gesehen wurden die schriftlichen Befehle in der ent-
scheidenden Phase der Angriffsoperation jedoch fast täglich mit Besprechungen
ergänzt. Die daraus entstandene enge und direkte Führung war letztlich das ent-
scheidende Kriterium, weshalb nicht unmittelbar im Sinne der Auftragstaktik
gehandelt werden musste. Wie bereits weiter oben erwähnt, zeichnete sich
auch die Führung innerhalb des Armeekorps durch eine gewisse Nähe zu den
Infanteriedivisionen aus, die ein Handeln im Sinne der Auftragstaktik in der
Regel gar nicht nötig machte. Die Fühlung des Kommandierenden Generals zu
seinen Divisionskommandeuren und damit die Einheitlichkeit der Handlung
waren immer sicher gestellt, entweder durch persönlichen Kontakt oder durch
intakte Telefon- oder Funkverbindungen.
Obwohl Eibl durch das Generalkommando aktiv in die operative Führung
mit einbezogen wurde, schlug sich dies nicht auf die Art der Führung der
385. Infanteriedivision durch. Zwar suchte Eibl immer die Nähe zu seinen
Einheiten, anders als zwischen dem Korps und der Division lässt sich aus den
Quellen der Division jedoch kein von unten initiiertes analoges Wechselspiel
zwischen der Divisionsführung und den Regimentern erkennen. Innerhalb der
Division blieb es bei der bisherigen straffen Führung, was sich auch im Befehlsbild
niederschlug. Nach dem Angriffsbefehl vom 21. Juni 1942 erließ die Division
innerhalb von elf Tagen noch zehn Befehle, in denen das weitere Vorgehen ge-
regelt wurde227. Diese Befehle waren im bekannten Detaillierungsgrad gehal-
ten und beschränkten sich in der Regel nicht nur darauf, in den Aufträgen den
zu erreichenden Zweck festzulegen. Die meisten Befehle gaben auch Hinweise
für die »Durchführung« oder »Kampfführung« – einige sogar beides. Sie be-
schränkten sich dabei nicht nur auf notwendige Koordinierungsmaßnahmen
wie das Festlegen von Trennungslinien oder die Abstimmung mit der Artillerie.
Solche koordinierenden Bestimmungen waren oft Bestandteil eines Befehles. So
verdeutlichte z.B. auch die 88. Infanteriedivision, die am 5. Juli 1942 gleich-
zeitig mit der 385. Infanteriedivision angriff, in ihrem Angriffsbefehl, worauf
es bei der Kampfführung ankam228. Dabei skizzierte der Befehl auch den ge-
dachten Angriffsablauf, machte jedoch klar, dass es sich dabei lediglich um ei-
nen »Grundgedanken« handelte. Bei den Befehlen der 385. Infanteriedivision
besaßen diese Hinweise einen zwingenden Charakter und griffen in die
Verantwortungsbereiche der unteren taktischen Führer ein. So gaben die Befehle
z.T. die Gliederung der Infanterieregimenter für die Angriffsaktion vor, bestimm-
ten, welche Bataillone von den Infanterieregimentern als Schwergewicht einge-
setzt werden sollten, oder legten die Durchführung der Aktion und damit den zu
bewältigenden Weg fest229. Einige Befehle kombinierten sogar Auftragserteilung

227
385. ID/Ia, Befehl vom 28.6., Befehl für die Fortführung des Angriffs vom 28.6., Befehl für
den 29.6., Befehl für den Angriff am 30.6., Befehl für die Fortführung des Angriffs am 1.7.,
Befehl für die Fortsetzung des Angriffs am 2.7., Befehl für die Fortführung des Angriffs am
3.7., Divisionsbefehl für den 5.7., 6.7. und 9.7.1942. BArch, RH 26-385/19-23.
228
88. ID/Ia, Divisions-Befehl für den 5.7.1942, BArch, RH 26-385/22. Dort auch das
Folgende.
229
385. ID/Ia, Befehl für Fortführung des Angriffs, 28.6.1942, BArch, RH 26-385/19, S. 2;
385. ID/Ia, Befehl für den 29.6.42, BArch, RH 26-385/21, S. 2; 385. ID/Ia, Befehl für
304 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

mit geographischer Durchführung des Auftrages und Gliederung des Verbandes.


Im Befehl für den 30. Juni 1942 ordnete die Division z.B. an:
»J.R. 539 gewinnt mit verstärktem Btl. (II./539) über Beresowka Höhe 220,2,
Höhe 215,4, die Höhe 212,0 und 204,0 und hält diese. Mit Teilen ist durch
Ansatz von Stoßtrupps gegen O[sten] 103 die Inbesitznahme von Wyschne
zu erleichtern. [...]
Mit linkem Btl. (III./J.R. 539) erreicht das Rgt. als erstes Angriffsziel Ost-
rand Südteil Wyschne. Das letzte Btl. ist hinter dem III. Btl. nachzuführen230.«
Der Auftrag für das Infanterieregiment 539 (ohne I. Bataillon) im Divisionsbefehl
für den 5. Juli 1942 ist ähnlich gehalten, legte allerdings zusätzlich noch die tak-
tische Durchführung des Auftrags fest:
»J.R. 539 folgt mit dem durch Ablösung [...] freiwerdenden Btl. mit Teilen
dem Angriff des J.R. 248 [88. ID; der Verf.] bis in die Mulde nördl. Bol
Werschina, mit Masse des Btl. greift es die Höhe 224,4 frontal an, um eine
Flankierung des Angriffes des J.R. 248 auszuschalten. Die Inbesitznahme der
Höhe 224,4 hat durch umfassenden Angriff aus der Mulde nördl. Bol Wer[s]
china von Süden her zu erfolgen231.«
Weshalb sich die ausführliche Befehlserteilung gerade beim Infanterieregiment 539
häufte, ist schwierig zu beurteilen. Es fällt jedenfalls auf, dass der Auftrag an das
Infanterieregiment 537 in demselben Befehl ganz einfach lautete:
»J.R. 537 greift gleichzeitig mit J.R. 539 mit einem Btl. gegen die Höhe 219,3
an, wirft den Gegner aus seiner Stellung und hält die Höhe.«
Möglicherweise hing dies auch vom jeweiligen Regimentskommandeur ab. So hat-
te Eibl schon früher gewisse Führungsprobleme mit dem Infanterieregiment 539
gehabt, dessen Kommandeur Erler ein Reserveoffizier und vielleicht fachlich
weniger versiert war als der Kommandeur des Infanterieregiments 537, Lersner,
der aktiver Offizier und zudem Ritterkreuzträger war232. Wie der Vergleich
mit anderen Befehlen nahe legt, dürfte dies zwar ein, aber nicht der ausschlag-
gebende Grund gewesen sein233. Vielmehr scheint es, dass Eibl im Angriff des
Infanterieregiments 539 die entscheidende Aktion für den bevorstehenden Angriff
sah. Er dürfte diese als besonders schwierig und fehleranfällig beurteilt haben, da
sie zudem mit einem fremden Regiment, dem Infanterieregiment 248 aus der

den Angriff am 30.6.1942, 29.6.1942, BArch, RH 26-385/21.


230
385. ID/Ia, Befehl für den Angriff am 30.6.1942, 29.6.1942, BArch, RH 26-385/21.
231
385. ID/Ia, Divisionsbefehl für den 5.7.1942, BArch, RH 26-385/22, S. 2. Dort auch das
Folgende.
232
Im Erfahrungsbericht vom 29.7.1942 verdeutlicht Eibl zwar in einem Pauschalurteil, aber
unmissverständlich, dass er von Erlers fachlichen Qualitäten wenig hielt: »Offz. d.R. wären
als Führer von Kampfregimentern nicht einzuteilen. Es fehlt ihnen das taktische Rüstzeug
zur Führung, die straffe Befehlsgebung und langjährige Ausbildungserfahrung.« 385. ID/
Ia, Erfahrungsbericht über Führer- und Unterführer-Ausbildung und Ersatz, 29.7.1942,
BArch, FD 1238 N, S. 2 (Hervorhebung im Original). Dieses Urteil war kaum sachlich,
sondern vermutlich persönlich begründet. Erler erhielt jedenfalls am 15.3.1943 als Kdr.
des GR 539 das RK. Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 298. Möglicherweise spielte auch
das hohe Alter Erlers eine Rolle, war er mit 54 Jahren doch älter als Eibl und relativ alt für
seine Funktion (Lersner war z.B. zehn Jahre jünger).
233
Es gibt ähnlich detailliert gehaltene Aufträge an das IR 537 wie auch offene Aufträge an
das IR 539. Vgl. z.B. 385. ID/Ia, Befehl für den Angriff am 30.6.1942, 29.6.1942, BArch,
RH 26-385/21, S. 2.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 305

88. Infanteriedivision, koordiniert werden musste. Das Beispiel zeigt damit auch
auf, dass die Art der Befehlserteilung sich nicht nur an der Qualität der beteiligten
Truppen oder an der Gefechtsart ausrichten kann. Die entscheidende Bedeutung
dieser Teilaktion scheint bei Eibl jedenfalls eine detailliertere Befehlsgebung nach
sich gezogen zu haben. Damit könnte sich das im Rahmen der obersten Führung
aufgezeigte Schwingungsbild der Auftragstaktik hier auch im Kleinen zeigen und
die These erhärten, dass der Erfolg von wichtigen Operationen oder kritischen
Aktionen durch eine straffe, eingehend gehaltene Befehlsgebung erzwungen wer-
den sollte.
Mit dem Divisionsbefehl vom 8. Juli 1942 bereitete sich die Division
schließlich auf den Übergang in die Verteidigung vor234. Wie bereits frühe-
re Verteidigungsbefehle war auch dieser sehr detailliert gehalten. Er regelte die
Gliederungen der Regimenter bis auf Stufe Bataillon und gab auf knapp zwei
Seiten »Hinweise für die Kampfführung und Ausbau«, wobei die eigentlichen
Weisungen für den Stellungsbau in einem separaten Befehl erteilt wurden. Der
Befehl betonte die Wichtigkeit »kampfkräftiger Gefechtsvorposten« und ständi-
ger Gefechtsaufklärung, was mit der häufigen Durchführung von »Stoßtrupp-
unternehmen« sichergestellt werden sollte. Daneben unterstrich er, dass die
Hauptkampflinie nur gehalten werden könne, wenn diese sorgfältig ins Gelände *
gelegt wurde, das Hauptkampffeld in die Tiefe gegliedert war, das Vorgelände
mit einem nach »Feuerplan« koordinierten Feuer der schweren Waffen einge-
deckt werden konnte und genügend örtliche Reserven für Gegenstöße vorgese-
hen waren. Wie schon im ersten Kampfeinsatz der Division im April 1942 hat-
ten die Infanterieregimenter der Division auch dieses Mal den genauen Verlauf
der Hauptkampflinie sowie die »Stärke und Lage der Gefechtsvorposten und
vorgeschobene[n] Stellungen« vorzulegen. Die Division wollte also genau wissen,
wie die Infanterieregimenter den Verteidigungskampf zu führen beabsichtigten –
und zwar wiederum nicht bloß in Form einer allgemeinen Orientierung, sondern
anhand konkreter Skizzen, auf denen »der Einsatz bis zu den Bat[ail]l[o]n[en]
und Gefechtsstände bis zu den Bat[ail]l[o]n[en] [...] ersichtlich sein« musste.
Der Befehl vom 8. Juli zeigt aber auch auf, dass der Übergang vom Angriff in
die Verteidigung gewisse Sofortmaßnahmen in der Ausbildung bedingte, z.B. die
Aufbereitung einer theoretischen Basis für den Verteidigungskampf. So verpflich-
tete das Divisionskommando »alle Kommandeure und Offiziere [...] sich durch
eingehendes Studium der einschlägigen Vorschriften das Handwerkzeug für die
Kampfführung in der Verteidigung zu erarbeiten«235. Solche Maßnahmen wurden
nicht zum ersten Mal auf diese Weise ergriffen. Bereits in vorherigen Einsätzen
war gleich vorgegangen worden. Ebenso wurden die Verteidigungskämpfe von
Anfang Juli 1942 wie früher schon dazu genutzt, Ausbildungslücken zu schlie-
ßen. So sollten die zahlreichen Stoßtruppunternehmen nicht nur durchgeführt
werden, um den Gegner möglichst früh abzunützen und die Verteidigung aktiv zu
führen. Sie boten nach Einschätzung des Generalkommandos XIII. Armeekorps

234
385. ID/Ia, Divisionsbefehl für den 9.7.1942, 8.7.1942, BArch, RH 26-385/23. Dort
auch die folgenden Zitate.
235
Insgesamt waren neun Dienstvorschriften zu studieren: neben der TF, AVI 130/2a und
AVI 130/9 alles Vorschriften, die den Stellungskrieg und Pionierdienst behandelten.
385. ID/Ia, Divisionsbefehl für den 9.7.1942, 8.7.1942, BArch, RH 26-385/23, S. 5.

*Vgl.: Weier, Schreckliche Generäle


306 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

und der Division auch »das beste Mittel, um die dringend nötige Heranbildung
von Unterführern am Feinde durchzuführen«236.
Die Analyse der Divisionsbefehle hat gezeigt, dass das Divisionskommando
seine Befehle grundsätzlich sehr detailliert abfasste und eine starke Kontrolle
ausübte, auch nachdem die Division bereits Kampferfahrung gesammelt hat-
te. Dabei unterschieden sich die Befehle für Angriffsaktionen bezüglich des
Detaillierungsgrades nur in Nuancen von solchen für Verteidigungsaufgaben.
Einzig die im Zeitraum zwischen dem 1. und 3. Juli 1942 verfassten Angriffs-
befehle widersprachen diesem bisherigen Grundsatzschema237. Zwar fanden
sich auch in anderen Befehlen vereinzelt offene Auftragserteilungen, diese stell-
ten aber Abweichungen von den ansonsten detaillierten Befehlen dar. Die an-
gesprochenen drei Angriffsbefehle unterschieden sich deutlich vom bisherigen
Grundmuster, da sie in der Auftragserteilung eine bisher unbekannte Offenheit
in der Formulierung an den Tag legten. Diese Offenheit erstaunt umso mehr,
da die Kämpfe v.a. um den 2. Juli 1942 herum sehr schwer waren und in ei-
gentlichen »Kampfgruppen« geführt wurden. Diese hatten am Vortag erst
noch gegliedert werden müssen, wobei die Division intern und mit fremden
Truppen regelrecht durcheinander gemischt wurde: Die rechts angreifende
Kampfgruppe bestand aus dem Infanterieregiment 539 (ohne das I. Bataillon)
mit unterstellter 3./Panzerjägerabteilung 560 und der »auf Zusammenarbeit
angewiesen[en]« III./Artillerieregiment 385; die linke Kampfgruppe bestand
aus dem Infanterieregiment 537, das mit der I./Artillerieregiment 385 und 2./
Panzerjägerabteilung 385 verstärkt worden war; in der Mitte folgte die aus dem I./
Infanterieregiment 539 und der 1./Flak-Lehrabteilung gebildete Divisionsreserve;
der Brückenkopf von Kalinovka wurde durch die Kampfgruppe von Oberst
Stiotta gesichert, die aus dem Pionierbataillon 385, dem Pionierbataillon 215, der
Vorausabteilung aus verschiedenen Truppenteilen von Hauptmann Flohr, der 1./
Flak-Lehrabteilung (leichte Flak-Abteilung 84), der 1./Panzerjägerabteilung 385
und der 2./Panzerjägerabteilung 560 bestand. In dieser Gliederung setzte die
Division den Angriff bis zum Abschluss am 7. Juli 1942 fort, wobei ihr wie er-
wähnt am 4. Juli zusätzlich noch das Infanterieregiment 246 und am 6. Juli die
Panzerjägerabteilung 559 unterstellt worden war238. Tatsächlich dürfte sich die
Führung in dieser entscheidenden Phase des Angriffs – der Divisionstagesbefehl
sprach später von der »Bewährungsprobe der Division« und dem Standhalten eines
viertägigen »ungestümen Ansturm[es] überlegener feindlicher Panzerkräfte« im
Brückenkopf von Kalinovka239 – hauptsächlich auf die mündliche Einflussnahme
fokussiert haben. Dafür sprechen die Formulierung der Befehle oder Hinweise in
den Befehlen und die entsprechend ihrer Verwendung nach Art eines Baukastens
zusammengestellten Kampfgruppen ebenso wie verschiedene Einträge im Kriegs-

236
Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 1933/42, Korpsbefehl Nr. 9 für die Verteidigung, 8.7.1942,
BArch, RH 26-385/23, S. 3 (Hervorhebung im Original). Die entsprechende Passage aus
dem Korpsbefehl wurde wörtlich in den Divisionsbefehl für den 9.7.1942 übernommen.
237
385. ID/Ia, Befehl für die Fortführung des Angriffs am 1.7.42, BArch, RH 26-385/21;
385. ID/Ia, Befehl für Fortsetzung des Angriffs am 2.7.[1942], BArch, RH 26-385/20;
385. ID/Ia, Befehl für die Fortführung des Angriffs am 3.7.42, BArch, RH 26-385/20.
238
385. ID/Ia, Befehl für die Fortführung des Angriffs am 3.7.42, BArch, RH 26-385/20;
385. ID/Ia, Divisionsbefehl für den 6.7.1942, BArch, RH 26-385/22.
239
385. ID/Kdr., Tagesbefehl, 8.7.1942, BArch, RH 26-385/23.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 307

tagebuch der Division240. Der Angriffsbefehl vom 3. Juli 1942 regelte z.B. die
Fortsetzung des Angriffs auf den Olym, blieb in der Auftragserteilung aber vage.
Zum einen gab es keine gesonderten Aufträge an die Infanterieregimenter. Es
wurde lediglich der Divisionsauftrag angegeben, der aber sehr unscharf formuliert
war:
»Unter Belassung ausreichender Sicherung (Voraus-Abteilung) im Brücken-
kopf Kalinowka tritt die Division nach Neuordnung der Verbände am 3.7.
nicht vor 09,00 Uhr erneut zum Angriff an241.«
Zum anderen wurde nur ein Angriffsziel für die Division bestimmt, nicht aber für
die einzelnen Regimenter. Dass es sich bei diesem Befehl eher um eine allgemeine
Orientierung und Absichtserklärung der Division an ihre Unterstellten handelte,
wird durch die Ankündigung klar, wonach sich die »Führer zum Befehlsempfang
06,30 Uhr an Brücke über Schlucht südl[ich] der Kschen-Brücke« einzufinden
hätten. Dies stützt die bisherige Erkenntnis, dass die Führung – gerade während
der intensiven Phasen – stark auf mündlicher Übermittlung und dadurch per-
sönlicher Einflussnahme basierte. Es verdeutlicht aber auch, dass die Ableitung
des Führungsverhaltens aus schriftlichen Quellen nicht notwendig das gesam-
te Spektrum abbilden muss. Der »Befehl für die Fortsetzung des Angriffs am
1.7.1942« muss ebenfalls als grundlegender Einsatzbefehl angesehen werden,
regelte er doch die gewaltsame Einnahme des Bereitstellungsraumes für den
Kšen’-Übergang ab 8.00 Uhr sowie den eigentlichen Übergang über den Kšen’
um 17.00 Uhr. Dass der tatsächliche Verlauf der Kämpfe noch Anpassungen des
Befehls nach sich ziehen würde, ist bei den unterschiedlichen Gefechtsaufträgen
und der Zeitspanne eines ganzen Tages naheliegend242. Bei diesem Befehl fällt da-
neben besonders die diffuse Auftragserteilung an die beiden Infanterieregimenter
auf. Diese ist nicht wie sonst üblich klar nach Verband unterteilt, sondern ver-
mischt den Auftrag der Division – d.h. die Absicht – mit den Aufträgen an
die Regimenter. Zudem gibt er die verschiedenen Aufträge chronologisch im
Gesamtverlauf wieder, was dazu führt, dass die Aufträge aufgeteilt und durch-
mischt werden:
»Die Division wird den Angriff über den Kschen über die Flußschleife westl[ich]
Kalinowka mit dem J.R. 537 erzwingen und zunächst einen Brückenkopf
in der Linie Nordrand 170,7 – Höhenrücken südl[ich] der Höhe 202,2 –
Mündung B 41 und B 30 erkämpfen. Dabei sichert J.R. 539 die Südflanke
des Reg[imen]ts und unterstützt den Übergang durch flankierenden Einsatz
schwerer Waffen. J.R. 539 wird anschließend den Brückenkopf erweitern, in-
dem es mit Teilen aus dem Brückenkopf nach Süden bis Kasanka vorstößt.
Mit Masse wird das J.R. 539 sodann die Höhe 219,3 gewinnen und halten.

240
Vgl. 385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (30.6.‑3.7.1942); 385. ID/Ia, Anlage
zu KTB, Nr. 1, Bd 18, Meldejournal vom 2.7.1942, Div.Kdr. an Korps-Kdr., BArch,
RH 26-385/20.
241
385. ID/Ia, Befehl für die Fortführung des Angriffs am 3.7.42, BArch, RH 26-385/20,
S. 2. Dort auch das Folgende.
242
385. ID/Ia, Befehl für die Fortführung des Angriffs am 1.7.42, BArch, RH 26-385/21,
S. 1; Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28, S. 17.
308 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Hierzug [sic!] erkämpft sich das J.R. 537 den Bereitstellungsraum nur mit
den dazu unbedingt erforderlichen infanteristischen Kräften243.«
Zusammen mit dem Befehl vom 2. Juli, der die Aufträge zwar offener als üb-
lich, aber wieder geordnet erteilt, lässt sich ein weiterer Aspekt feststellen, der
für die Art der Befehlserteilung ausschlaggebend gewesen sein dürfte244. Beide
Befehle wurden nicht wie sonst üblich vom Ia Major i.G. Giese, sondern vom
dritten Ordonnanzoffizier (O 3) Leutnant d.R. Eugen Burger geschrieben. Dass
sie trotzdem von Eibl gutgeheißen wurden, darf weniger auf ein Einverständnis
mit der Art der Formulierung zurückgeführt werden, sondern muss wohl eher als
Konzession an den Zeitdruck gewertet werden. Beide Befehle wurden nicht am
Vorabend verfasst, sondern datierten vom Tag des Angriffs, weshalb vermutlich
bloß noch offensichtliche Fehler korrigiert wurden245.
Die für den Übergang über den Kšen’ und den weiteren Vorstoß zum Olym
erwähnten komplizierten Unterstellungsverhältnisse divisionsfremder Truppen
und die Vermischung der Division in Kampfgruppen sollten sich nach dem
Übergang in die Verteidigung ab dem 9. Juli 1942 nur langsam entwirren.
Mit Befehl für den 9. Juli gliederte sich die Division immerhin wieder in ih-
rer Grundgliederung, wobei das Infanterieregiment 537 neu das II./Infanterie-
regiment 537 als Divisionsreserve abzugeben hatte und ebenfalls neu die 1./
Pionierbataillon 385 und 1./Panzerjägerabteilung 385 unterstellt sowie die
II./Artillerieregiment 385 zur Zusammenarbeit zugewiesen erhielt246. Dem
Infanterieregiment 539 wurden neu das 3./Pionierbataillon 385 und das 2./
Panzerjägerabteilung 385 unterstellt sowie die III./Artillerieregiment 385 und
die 3./Panzerjägerabteilung 559 zur Zusammenarbeit zugewiesen, wobei bei
Letzterer noch ein 8,8-cm-Geschütz der leichten Flak-Abteilung 84 eingesetzt
wurde. Der Stab und die 1./Panzerjägerabteilung 559 wurden am 9. Juli an
die 82. Infanteriedivision, die Panzerjägerabteilung 560 am selben Tag an das
Generalkommando XIII. Armeekorps abgegeben. Das Infanterieregiment 246
wurde schließlich in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli zur 383. Infanteriedivision
in Marsch gesetzt. Aus den Heerestruppen wurden der 385. Infanteriedivision
nebst der bereits unterstellten leichten Flak-Abteilung 84 neu eine Kompanie des
Heeres-Pionierbataillons 215, eine Kompanie des Heeres-Pionierbataillons 742
und das Bau-Bataillon 135 zugeführt, die alle dem Pionierbataillon 385 unter-
stellt und für den Stellungsbau eingesetzt wurden. Die Division hatte in dieser
Phase also nicht nur den Übergang vom Angriff in die Verteidigung vorzube-
reiten – mit entsprechend neuen taktischen Rahmenbedingungen, die z.B. be-
sondere Ausbildungsmaßnahmen erforderten (siehe Kap. IV.2.e). Zusätzlich
hatten bei den beiden Infanterieregimentern alle bisher unterstellten und zuge-

243
385. ID/Ia, Befehl für die Fortführung des Angriffs am 1.7.42, BArch, RH 26-385/21,
S. 2.
244
385. ID/Ia, Befehl für Fortsetzung des Angriffs am 2.7.[1942], BArch, RH 26-385/20.
245
Beide Angriffe waren für den Vormittag angesetzt, derjenige vom 1.7.1942 für 8.00 Uhr.
Die Zeitspanne zwischen Fertigung, Vervielfältigung und Verteilung des Angriffsbefehls an
die Truppe war deshalb knapp gehalten, zumal die Regimenter und unteren Verbände nach
dessen Erhalt ihrerseits wieder eigene Befehle verfassen und sich auch noch bereitstellen
mussten.
246
385. ID/Ia, Divisionsbefehl für den 9.7.1942, 8.7.1942, BArch, RH 26-385/23. Dort
auch das Folgende.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 309

wiesenen Einheiten gewechselt. Zudem waren der Division mittlerweile zahlrei-


che Heerestruppen unterstellt. Dass dies alles die Führung der Division und der
Regimenter nicht vereinfachte, liegt auf der Hand. Verständlicherweise war deshalb
auch die Ausbauphase der Verteidigung durch eine straffe Führung gekennzeich-
net. Letztlich hatte auch die Herauslösung der 385. Infanteriedivision aus dem
Bereich des Generalkommandos XIII. Armeekorps die Gliederung der Division
nochmals durcheinander gebracht. Um nämlich eine lückenlose Übergabe des
Divisionsabschnittes an die ablösende 88. Infanteriedivision sicherstellen zu kön-
nen, wurde der 385. Infanteriedivision am 11. Juli das Infanterieregiment 246
erneut unterstellt. Umgekehrt trat am 15. Juli bei der Übernahme des Abschnittes
durch die 88. Infanteriedivision nicht nur das Infanterieregiment 246 wieder in
seine Stammdivision ein. Auch das III./Infanterieregiment 539 wurde kurzzeitig
dieser Division unterstellt247.
Schließlich soll an dieser Stelle noch der für das Element der Einheitlichkeit
bedeutende Aspekt der Nachrichtenverbindungen vertiefter angeschaut wer-
den. Wie oben erwähnt sind aus den Quellen keine wesentlichen Verbindungs-
probleme zwischen dem Generalkommando XIII. Armeekorps und der 385. In-
fanteriedivision ersichtlich. Dies war mitunter ein Grund dafür, dass sich Straube
und Eibl laufend austauschen konnten. Grundverschieden sah dies innerhalb
der 385. Infanteriedivision aus. Anders als in früheren, mehrheitlich defensiv
ausgerichteten Kämpfen wurde die Kampfführung der Division während des
Vormarsches auf Voronež durch teils erhebliche Übermittlungsprobleme er-
schwert. Bei den erwähnten sowjetischen Panzerangriffen am 2. Juli 1942 fie-
len z.B. fast alle Telefonverbindungen aus, was die Führung natürlich erheblich
erschwerte. Trotz dieser Widrigkeiten bestand »die junge Div[ision] ihre erste
schwere Bewährungsprobe«248.
Ein besonderer Fall ereignete sich allerdings am 5. Juli 1942, als der auf
7.00 Uhr festgelegte Angriffsbeginn den Regimentern und selbstständigen Ab-
teilungen zwar noch durchgegeben werden konnte, die Weitergabe an die Bataillone
innerhalb der Regimenter aber auf Probleme stieß. Als Folge davon trat beim
Infanterieregiment 537 anstelle des I. das II. Bataillon zum Angriff an249. Der im
Nachgang verfasste Gefechtsbericht bestätigte, dass sich der Bataillonskommandeur
aufgrund der gestörten Nachrichtenverbindungen zum Regiment entschlossen
hatte, selbstständig um 7.00 Uhr anzugreifen. Dies ist ein weiteres der selte-
nen Beispiele selbstständigen Handelns in der 385. Infanteriedivision. Ob der
Bataillonskommandeur dabei im Rahmen seines Auftrages gehandelt hat, kann
aufgrund fehlender Quellen nicht eruiert werden. Es ist zumindest anzunehmen,
da der Regimentskommandeur diesen selbstständigen Entschluss nachträglich
guthieß250. Auch dieser Fall scheint ohne weitere Konsequenzen abgelaufen zu
sein, zumal der Feindwiderstand gering war und der Angriff zügig voranging251.

247
Gen.Kdo. XIII. AK/Ia, KTB, Nr. 7, BArch, RH 24-13/82 (11./15.7.1942).
248
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (2.7.1942).
249
Ebd. (5.7.1942); 385. ID/Ia, Anlage zu KTB, Nr. 1, Meldejournal vom 5.7.1942,
7.40 Uhr, von I.R. 537, BArch, RH 26-385/22.
250
[II./IR 537], Gefechtsberichte 25.6.‑2.7.42, BArch, FD 1238 N, Bl. 158.
251
Allerdings ist unklar, ob es sich hier um eine Verwechslung handelte. Die Meldung vom
5.7.1942, 7.40 Uhr überschnitt sich mit einer Meldung von 7.35 Uhr, worin das IR 537
angab, dass es den »Angriffsbeginn erst um 7.30 erfahren« habe, das II./537 jedoch »plan-
310 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Der Ausfall von Nachrichtenverbindungen führte zwar häufig zur Auflösung der
Operationen »in zahlreiche wechselvolle Einzelkämpfe«252, was aber nicht auto- !
matisch mit auftragstaktischem Handeln kompensiert wurde. Die bereits erwähn-
te ständige Präsenz des Divisionskommandeurs im Brennpunkt des Geschehens
scheint dies meist verhindert zu haben253. Damit zeigt sich auch, dass fehlende
Nachrichtenmittel oder unterbrochene Verbindungen nicht automatisch Führen
nach Auftragstaktik nach sich ziehen mussten. Entscheidend war letztlich auch
bei dieser Frage, ob der zuständige Truppenführer gewillt war, die aus fehlenden
Verbindungen entstehenden Friktionen durch selbstständiges Handeln ausglei-
chen zu lassen.
Die Analyse der Kriegstagebücher und Anlagebände der 385. Infanteriedivision
hat gezeigt, dass solche Friktionen gerade bei einem Infanterieverband, der auf
relativ engem Raum agierte, durch die Präsenz des Divisionskommandeurs aus-
geglichen werden konnten. Diese Präsenz wurde nicht nur persönlich, sondern
auch fernmündlich hergestellt. Entsprechend deutlich wurde Eibl, wenn die
Nachrichtenverbindungen über mehrere Tage nicht wunschgemäß funktionier-
ten. So betonten vom Divisionskommando am 1. Juli 1942 herausgegebene
»Ausbildungshinweise« die Wichtigkeit intakter Nachrichtenverbindungen und
machten Eibls Standpunkt klar254. Er kritisierte, dass »die Führung der Division
in den letzten Kampftagen [...] vorübergehend durch längeres Ausbleiben jegli-
cher Verbindung zu den unmittelbar unterstellten Truppenteilen gefährdet« ge-
wesen war, und »verpflichte[te]« die Kommandeure dazu, alles daran zu setzen,
die Verbindungen zur Division aufrecht zu erhalten. Um ähnliche Situationen
in Zukunft verhindern zu können, forderte Eibl, dass ab sofort bei Ausfall von
Telefon- und Funkverbindungen »automatisch Befehlsempfänger zur Division
zu entsenden« seien. Dies zeigt nochmals die relativ kleinräumigen Verhältnisse
auf, in denen sich Infanterieverbände bewegten, ohne die es aber sinnlos gewesen
wäre, eine Division – selbst in Ausnahmesituationen – mit Hilfe von Meldeläufern
zu führen. Mit seinen Ausbildungshinweisen machte Eibl darüber hinaus deut-
lich, dass er nicht willens war, ein durch Ausfall der Verbindungen entstandenes
Führungsvakuum durch selbstständiges Handeln seiner Unterführer ausfüllen zu
lassen. Deshalb sollten die Verbindungen zur Division mit allen Mitteln erzwungen !
werden. Soweit können die Forderungen Eibls jedoch nicht als ungewöhnlich be-
urteilt werden. Wie gesehen brachten die Führungs- und Ausbildungsvorschriften
die Bedeutung straffer Führung und funktionierender Nachrichtenverbindungen
für das Element der Einheitlichkeit klar zum Ausdruck. Eibls Forderungen, dass
die Unterführer nach oben melden und die Verbindungen suchen sollten, finden

mäßig angetreten« sei. 385. ID/Ia, Anlage zu KTB, Nr. 1, Meldejournal vom 5.7.1942,
7.35 Uhr von I.R. 537, BArch, RH 26-385/22.
252
Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28, S. 20.
253
Was natürlich nicht immer gelang. Am 2.7.1942, 14.20 Uhr, wusste die Division jeden-
falls nichts über den Verbleib des III./IR 537, das von angreifenden sowjetischen Panzern
zersprengt worden war. 385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (2.7.1942).
254
385. ID/Ia, Ausbildungshinweise, 1.7.1942, BArch, RH 26-385/21, S. 1. Dort auch das
Folgende.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 311

sich ebenfalls in den Führungs- und Ausbildungsvorschriften255. Dies war jedoch


nur die eine Seite. Besonders aufschlussreich wird dies durch Eibls Begründung
veranschaulicht. Alle Kommandeure müssten sich nämlich – so Eibl – immer
vor Augen halten, »dass die besten Leistungen der Truppe vergeblich sind, wenn
sie nicht in den Rahmen der großen Absicht der Division eingefügt werden«256.
Für Eibl schien somit klar gewesen zu sein, dass seine Absicht nur durch direkten
Befehl richtig umgesetzt werden konnte.
Ein Handeln im Rahmen der vorgesetzten Absicht, wie es die Auftragstaktik
gerade für den Fall fehlender Verbindungen vorsah, wurde von Eibl offen-
bar nicht als Option betrachtet. Dementsprechend war die Divisionsführung
auf einen starken Meldefluss angewiesen. Wie gesehen hatte Eibl deshalb sei-
nen Unterführern bereits früher eingeschärft, das Divisionskommando ste-
tig mit Meldungen auf dem Laufenden zu halten. In der Realität scheint das
Meldeverhalten jedoch nicht seinen Erwartungen entsprochen zu haben. In den
erwähnten Ausbildungshinweisen beanstandete er nämlich, dass »Zahl und Art«
der an die Division gerichteten Meldungen abgesehen von der Reiterschwadron
385 »noch bei keinem Truppenteil« genügten. Auch dies deutet wiederum darauf
hin, dass Eibl Verfechter einer straffen, engen Führung war und die technischen
Nachrichtenmittel dafür einsetzte, seine Unterführer unmittelbar nach seinem
Willen zu leiten. Dabei gilt es nochmals festzuhalten, dass dieses Verhalten der of-
fiziellen Führungsdoktrin entsprach. Dies ermöglichte ihm auch einen laufenden
Angriff zu koordinieren oder zu korrigieren. Andererseits konnte es auch dazu
verleiten, über den Kopf seiner Untergebenen in einen Verband hineinzubefehlen.

Standhaft »wie rocher de bronze« – Die Kampfhandlungen


der Division in der Donstellung

Das bisher gezeichnete Bild von der 385. Infanteriedivision bestätigt sich auch
für den Zeitraum bis November 1942. Nach ihrer Verwendung als Reserve der
Armeegruppe Weichs (Armeeoberkommando 2) war die Division wie erwähnt ab
dem 23. Juli dem Generalkommando VII. Armeekorps (Hell) unterstellt worden.
Unter dessen Führung nahm sie an der Schlacht bei Bolšaja Vereika nordwestlich
von Voronež teil.
Zur Begradigung der Frontlinie und zur Entlastung der Stalingradfront
hatte das sowjetische Oberkommando (Stavka) für den 21. Juli 1942 dort die
Durchführung einer kombinierten begrenzten Offensive durch Verbände der
Voronež-Front (Nikolai Vatutin) und der Brjansker Front (Generalleutnant
Konstantin Rokossovskij) beabsichtigt, die am 22. Juli auch die nördliche
Verteidigungslinie des VII. Armeekorps durchbrechen und mit den sowjeti-

255
Im Übrigen hatten auch die Divisionen standardmäßig dreimal täglich in der Morgen-,
Zwischen- und Tagesmeldung die vorgesetzte Kommandobehörde zu orientieren. Vgl.
Anlage zu Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 454/42 geh.Kdos., Regelmäßige Meldungen an Gen.
Kdo. XIII. A.K., 27.8.1942, BArch, RH 24-13/93, Bl. 93.
256
385. ID/Ia, Ausbildungshinweise, 1.7.1942, BArch, RH 26-385/21, S. 1. Dort auch das
Folgende.
312 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

schen Angriffsspitzen bis Zemljansk vorstoßen konnten257. Die ab dem 24. Juli
begonnene deutsche Gegenoffensive durch die 9. Panzerdivision und 385. In-
fanteriedivision, unterstützt durch die 387. und 168. Infanteriedivision, hatte
am 26. Juli zur Einkesselung und am 27. Juli zur Vernichtung der sowjetischen
Verbände geführt. Damit war die ursprüngliche deutsche Verteidigungsstellung
zwar wieder hergestellt, der sowjetische Druck sollte jedoch mehr oder weniger
ohne Unterbrechung bis September 1942 anhalten258. Die schweren Kämpfe der
385. Infanteriedivision um Bolšaja Vereika waren ebenfalls stark von der Nähe des
Divisionskommandeurs geprägt, der unentwegt von vorne und in persönlichem
Kontakt zu seinen Unterführern führte. Am Vorabend des geplanten Angriffs
orientierte Eibl in einer Kommandeursbesprechung seine Unterführer über »die
Lage, die Absicht der Division und die Durchführung des Angriffs«. In den fol-
genden Gefechtstagen besuchte Eibl täglich die Stellungen und weilte immer
wieder – auch während der Kämpfe – bei den Regimentern, wo er »durch persön-
liche Einwirkung den stockenden Angriff in Fluss« brachte259. Der Ia meinte im
Nachhinein, dass es v.a. während der Phase des weiteren Stellungsausbaus in erster
Linie der »rastlosen Tätigkeit« des Divisionskommandeurs zu verdanken gewesen
sei, dass die Division »nur sachgemäße Arbeit leistete und sich eine allen Angriffen
gewachsene Stellung« schaffen konnte260. In dieser Phase des Stellungskrieges
schaute sich Eibl z.B. mit den Regiments- und Bataillonskommandeuren die
neu erkundeten Stellungen an oder erließ Befehle über den Stellungsbau und die
Kampfführung.
Die Schlacht bei Bolšaja Vereika verdeutlicht aber auch anschaulich, wie wich-
tig es für ein reibungsloses Zusammenwirken war, dass sich die Truppenführer
kannten. Diesbezüglich hatte sich ungünstig ausgewirkt, dass die 385. Infanterie-
division dem Generalkommando VII. Armeekorps erst einen Tag vor Beginn
der deutschen Gegenoffensive unterstellt worden war. Vermutlich war es des-
halb zu gewissen Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Eibl und seinem neuen
Vorgesetzten gekommen. Diesen Rückschluss legt jedenfalls die Befehlsausgabe
beim Generalkommando nahe. Eibl war am 23. Juli 1942 mit den übrigen
Divisionskommandeuren durch das Generalkommando VII. Armeekorps zur
mündlichen Auftragserteilung für den bevorstehenden Angriff vom 24. Juli
1942 bei Bolšaja Vereika befohlen worden. Nach der Befehlsausgabe beklagte
er sich darüber, dass die drei beteiligten Divisionskommandeure zuerst »in per-

257
Rokossovskij war erst kurz zuvor zum OB der Brjansker Front ernannt worden. Mit der
Leitung der Offensive beauftragte er seinen Stellvertreter und Vorgänger, Generalleutnant
Nikandr Čibisov. Auch Vatutin hatte erst am 14. Juli den Oberbefehl über die Voronež-
Front übernommen. DRWK, Bd 6, S. 878 (Beitrag Wegner); Glantz/House, To the Gates
of Stalingrad, S. 255 f.; Kehrig, Stalingrad, S. 33.
258
Gen.Kdo. VII. AK/Ia Nr. 1546/42 geh., Korpsbefehl für die Vernichtung des Feindes vor
der Nordfront des VII. A.K., 23.7.1942, BArch, RH 26-385/25; 385. ID/Kdr., Soldaten
der 385. Inf.-Division!, 28.7.1942, BArch, RH 26-385/3; Glantz/House, To the Gates of
Stalingrad, S. 257‑261, 453.
259
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (23.‑27.7.1942); Vortrag des Major i.G.
Giese vor portugiesischen Offizieren am 6.9.42 über die Schlacht von Wereika, BArch,
RH 26-385/24, S. 11 (Zitat).
260
Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28, S. 43.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 313

sönlicher Rücksprache [...] die gegenseitigen Absichten in Übereinstimmung«


hätten bringen müssen, was »bei der großzügigen Auftragserteilung durch das
Korps erhebliche Schwierigkeiten« verursacht habe261. Diese anfänglichen
Unstimmigkeiten scheinen sich später aufgelöst zu haben, in den Quellen finden
sich jedenfalls keine entsprechenden Hinweise mehr. Zudem pflegte auch der
Kommandierende General des VII. Armeekorps einen persönlichen Führungsstil
mit seinen direkten Unterführern, wie etwa die am 5. August 1942 durchge-
führte Kommandeursbesprechung mit den Kommandeuren der 387., 385. und
340. Infanteriedivision belegt262.
Wie erwähnt hatte die sowjetische Seite nach der misslungenen Offensive
Ende Juli weiterhin durch örtlich begrenzte Unternehmen den Druck auf die
deutsche Abwehrlinie aufrecht erhalten. Schließlich begann die Brjansker Front
am 12. August sogar eine zweite Offensive, mit dem erneuten Ziel, Voronež ein-
zunehmen und das VII. Armeekorps einzuschließen. Der Einbruch in die stark
ausgebaute deutsche Abwehrfront misslang jedoch, ohne auf deutscher Seite
schwere Verluste verursacht zu haben. Bereits am 15. August befahl die Stavka
deshalb, die Offensive einzustellen263. Wie schon zuvor wurde auf deutscher
Seite der Stellungsbau auch nach dieser abgewehrten sowjetischen Offensive wei-
ter vorangetrieben. Auch diese Phase des erneuten Stellungsausbaus war durch
eine rege Besuchs- und Kontrolltätigkeit des Divisionskommandeurs bei den
Einheiten gekennzeichnet. Die erlassenen »Bemerkungen zur Kampfführung
und zum Stellungsbau« zeigen dabei, dass es trotz der mittlerweile erheblichen
Kampferfahrung von Führung und Truppe immer noch geschah, dass sich Eibl
»in wesentlichen Punkten nicht befriedigt« sah. So bemängelte er z.B. die fehlen-
de Tiefe der Stellungen und v.a. die schlecht gewählten Standorte oder fehlenden
Beobachtungsstellen der Truppenführer, teils bis zum einzelnen Zugführer oder
Geschütz264.
Die Leistungen der Division scheinen bei diesen Angriffs- und Abwehr-
kämpfen bei Bolšaja Vereika trotzdem entscheidend für den deutschen Erfolg
gewesen zu sein. In Aufzeichnungen des Ia wird jedenfalls erwähnt, dass »das Lob
aller Vorgesetzten« für die Division »uneingeschränkt« gewesen sei265. Der Ober-
befehlshaber der 2. Armee General der Infanterie Hans von Salmuth hat sich
dabei besonders anerkennend geäußert und pathetisch gemeint: »Die 385. I.D.

261
Bei den Divisionen handelte es sich um die 385. ID, 340. ID und 9. PzD. 385. ID/Ia, KTB,
Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (23.7.1942) (Zitat); Gen.Kdo. VII. AK/Ia Nr. 1546/42 geh.,
Korpsbefehl für die Vernichtung des Feindes vor der Nordfront des VII. A.K., 23.7.1942,
BArch, RH 26-385/25.
262
Dabei wurden besonders Ausbildungsbelange und Fragen der kommenden Schlamm- und
Winterperiode besprochen. 385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (5.8.1942).
263
385. ID/Ia, Divisionsbefehl für den 13.8.42, 12.8.1942, BArch, RH 26-385/26; Glantz/
House, To the Gates of Stalingrad, S. 454‑456.
264
385. ID/Ia, Bemerkungen zur Kampfführung und zum Stellungsbau Nr. 5, 23.8.1943,
BArch, RH 26-385/4, Bl. 4 f. (Zitat), 7.
265
Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28, S. 46. Bereits am 12.8.1942 hatte der OB die Division »sehr gelobt und sie
als fabelhafte Kerls bezeichnet«. Meldejournal K.G. VII. AK an 385. ID vom 12.8.1942,
BArch, RH 26-385/26.
314 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

hat wie ›rocher de bronze‹ zwischen den bedrängten Nachbardiv. gestanden266.«


In ähnlicher Weise war die 385. Infanteriedivision früher schon ausdrücklich
für ihre Leistungen und hervorragende Haltung gerühmt worden, etwa am
9. Mai 1942 von General der Infanterie Brennecke (XXXXIII. Armeekorps),
am 12. Mai 1942 von Generalmajor Werner-Albrecht Frhr. von und zu Gilsa
(LVI. Panzerkorps), am 15. Juli 1942 von General der Infanterie Straube
(XIII. Armeekorps) oder am 26. November 1942 von Generalleutnant Friedrich
Gollwitzer (XIII. Armeekorps)267. Am 8. Juli 1942 hatte Generaloberst Hoth
(Panzer-Armeeoberkommando 4) der Division die »rückhaltlose Anerkennung
für ihre vorzüglichen Leistungen« bei der Einnahme von Voronež versichert und
ausrichten lassen:
»Die Armee ist sich bewusst, dass dieser Erfolg der 385. I.D. bedeutsamen
Einfluss auf das Gelingen der Operation gegen Woronesch gehabt hat268.«
Als »besondere Anerkennung der [...] erzielten Kampfleistungen« hatte Hoth der
Division bereits am 5. Juli »zusätzlich 200 Eiserne Kreuze 2. Kl[asse] u. 25 Eiserne
Kreuze 1. Klasse« zugewiesen269. Trotz der ungünstigen Rahmenbedingungen ihrer
Aufstellung sowie der personellen und materiellen Probleme schien die Division
die Anforderungen also immer erfüllt zu haben. Dies könnte auch der Grund da-
für gewesen sein, dass das Armeeoberkommando 2 Mitte November 1942 vorge-
sehen hatte, die 385. Infanteriedivision aus dem Bereich des Generalkommandos
XIII. Armeekorps herauszulösen, um sie bei Bedarf als Feuerwehrverband an an-
derer Stelle einzusetzen. Das Grenadierregiment 537 hätte am 21. November als
Vorausabteilung sogar lufttransportiert in einen anderen Armeebereich »westl[ich]
Stalingrad geführt« werden sollen, um dort zur Verfügung der Heeresgruppe ver-
wendet zu werden (Unternehmen »Albert«), was schließlich nicht stattgefunden
hat270. Schon die Absicht des Armeeoberkommandos alleine lässt aber gewisse
Rückschlüsse auf die Kampfkraft der Division und ihrer Einheiten zu. Der Chef
des Generalstabes XIII. Armeekorps Oberst i.G. Gerhard Kühne meinte sogar,
dass »dies vornehmlich [der] Verdienst der Persönlichkeit des Div.Kdrs. und der
guten, sicheren Führung der Div.« sei271. Trotz der bisher erwähnten Mängel und
der häufigen Kritik Eibls scheint sich die Division überdurchschnittlich bewährt
zu haben.

266
Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28, S. 42.
267
Siehe Divisionstagesbefehle vom 9. (Brennecke) und 12.5. (Gilsa) sowie Korpstagesbefehle
vom 15.7. (Straube) und 26.11.1942 (Gollwitzer), BArch, RH 26-385/3 und RH 24-
13/100, Bl. 144.
268
385. ID/Kdr., Tagesbefehl, 8.7.1942, BArch, RH 26-385/23 (Zitat); 385. ID/Ia, KTB,
Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (5.7.1942).
269
385. ID/IIa, Tätigkeitsbericht der Abt. IIa für die Zeit vom 16.3.‑30.9.1942, BArch,
RH 26-385/35.
270
Gen.Kdo. XIII. AK/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 24-13/97 (16./21.11.1942); Gen.Kdo.
XIII. AK/Ia Nr. 698/42 geh.Kdos. (op), Korpsbefehl Nr. 17 für das Unternehmen »Albert«,
20.11.1942, BArch, RH 24-13/100, Bl. 164‑167; FS Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 4423/42
geh., 22.11.1942, BArch, RH 24-13/100, Bl. 161.
271
ChdGenSt XIII. AK/Ia Nr. 744/42 g.K., An ChdGenSt der 2. Armee, 2.12.1942, BArch,
RH 24-13/100, Bl. 110.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 315

Diese Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdbild weist auf einen Punkt hin,
der bei Beurteilungen von Divisionen nicht vergessen werden darf und der ge-
rade einen Vergleich mit anderen Großverbänden nicht vereinfacht. Offenbar
führte Eibl seine Division nicht nur straff, sondern hatte auch besonders hohe
Ansprüche an die Qualität seiner Führer und Einheiten. So hielt z.B. der
Kommandierende General des XIII. Armeekorps Straube in einem Schreiben an
den Oberbefehlshaber der 2. Armee fest, dass die 385. Infanteriedivision wäh-
rend ihrer Unterstellung unter sein Kommando »alle ihr gestellten Aufgaben ohne
Rückschläge gelöst«272 habe. Dagegen unterstrich der dem Schreiben angehängte
Bericht Eibls über den Zustand der Division erstens die ungenügende Ausbildung
der Mannschaften und die mangelhafte »militärische Dienstauffassung und
Pflichterfüllung« v.a. der jüngsten Jahrgänge und der bislang Uk-Gestellten;
zweitens, dass die Division vor ihrer Kriegsverwendung nur eine ungenügen-
de Verbandsausbildung hatte durchführen können; drittens »das unzulängliche
Können der meisten Führer und Unterführer, die infolgedessen ihre Stelle nicht
ausfüllen« konnten273. Es ist zwar naheliegend, dass Eibl nach oben Mängel be-
sonders herausstellte, um entsprechenden Nachdruck auf personelle oder ma-
terielle Ersatzgestellungen legen zu können. Das Bild des mit den Leistungen
seiner Division unzufriedenen Kommandeurs zeigte sich aber wie gesehen auch
in verschiedenen Einträgen im Kriegstagebuch, in Kommandeursbesprechungen
und Ausbildungshinweisen. Die kritischen Äußerungen Eibls stellten also kei-
ne bloßen Zweckmeldungen nach oben dar, sondern gaben wirklich die Ansicht
Eibls wieder.
Nach dem Abschluss der Schlacht um Bolšaja Vereika kehrte die 385. Infan-
teriedivision wie erwähnt am 24. August erneut in den Bereich des General-
kommandos XIII. Armeekorps zurück. Bereits am 25. August setzten örtliche
Abwehr- und Angriffskämpfe bei Lomovo und Lebiashž’e ein. Eibl hatte schon
am Vortag die Stellungen begutachtet und war auch während dieser Kämpfe im-
mer an vorderster Stelle anzutreffen. Er musste dabei während des Nachmittags
sogar in die Kampfführung des Infanterieregiments 539 eingreifen. Anscheinend
glaubte der Regimentskommandeur nämlich, er müsse unbedingt zusammen mit
dem Infanterieregiment 537 angreifen, versprach sich von der Weiterführung ei-
nes solchen Angriffs jedoch keinen Erfolg. Eibl musste offenbar den Auftrag an
das Regiment präzisieren. Im Kriegstagebuch stand diesbezüglich:
»Der Div.-K[omman]deur befahl dem Reg[imen]t: das Rgt. muss nicht un-
bedingt mit I.R. 537 angreifen. Feindkräfte im Gestrüpp sind mit Granat-
werferfeuer zu bekämpfen. Das Rgt. hat so weit vorzugehen, dass es Einblick
ins Tal bekommt274.«
Wiederum waren die Kämpfe also von der Führung des Divisionskommandeurs
gekennzeichnet. Daneben lässt sich auch ein reger und gegenseitiger Informations-
austausch zwischen der Division und dem Generalkommando feststellen. Dies

272
Der K.G. des XIII. AK/Ia Nr. 482/42 g.K., Betr.: Berichte über die 377. und 385. Inf.Div.,
10.9.1942, BArch, RH 24-13/93. Dort auch das Folgende.
273
Im Divisionstagesbefehl nach der Schlacht von Bolšaja Vereika meinte Eibl allerdings noch:
»Der bisher U.K.-gestellte Soldat hat bewiesen, dass er das Schwert nicht schlechter als
den Hammer führt.« 385. ID/Kdr., Soldaten der 385. Inf.-Division!, 28.7.1942, BArch,
RH 26-385/3.
274
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (25.8.1942).
316 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

geschah fernmündlich über die Verbindung zum Chef des Generalstabes des
Generalkommandos, aber auch persönlich vor Ort. So belegt das Kriegstagebuch,
dass sich der Kommandierende General von 14.25 Uhr bis 16.30 Uhr auf dem
Divisionsgefechtsstand befand, um sich über die Lage zu orientieren und um neue
Weisungen für den weiteren Stellungsausbau zu geben. Nachdem die Kämpfe ab-
geflaut waren, wurde die Division nämlich erneut im Ausbau der Donstellung ein-
gesetzt. In diesem Zusammenhang erfolgte auch die Übernahme eines Abschnittes
von der rechten Nachbardivision (377. Infanteriedivision). Diese Aktion wur-
de in einer Kommandeursbesprechung mit den Regimentskommandeuren am
30. August und mit dem Divisionskommandeur der 377. Infanteriedivision am
1. September besprochen. Aufschlussreich ist der entsprechende Divisionsbefehl
vom 1. September 1942. Wie schon früher gesehen, wurden die Erweiterung des
Divisionsabschnittes und die Übernahme der Stellungen in einem Maßnahmen-
katalog festgelegt. Dieser gab erneut vor, welche Unterlagen nach der Ablösung
in welcher Form vorhanden sein mussten, ebenso war die »richtige Übernahme
des Abschnittes [...] schriftlich zu bestätigen«275. Am 2. September erkundete Eibl
selbst die zu übernehmenden Stellungen und war – ebenso wie der Ia – wäh-
rend der laufenden Abschnittsübernahme und den darauf folgenden Tagen stän-
dig bei den Einheiten und in den neuen Stellungen anzutreffen. Dabei wurde
die Division auch von den Generalstabschefs des Generalkommandos und des
Armeeoberkommandos 2 besucht276.
Ab 14. September 1942 hatte die 385. Infanteriedivision in diesen Stellungen
Angriffe im Rahmen der Voronež-Offensive abzuwehren, z.B. einen zwischenzeit-
lichen Einbruch in die Hauptkampflinie in Kompaniestärke. Dabei kam es erneut
zu einem Auseinanderreißen der Kriegsgliederung. Bereits am 13. September
war das II./Infanterieregiment 537 zur Verfügung des Generalkommandos
XIII. Armeekorps aus dem Divisionsbereich herausgelöst und als Korpsreserve
ab dem 15. September mehrfach eingesetzt worden. Ab dem 15. September hat-
te dem Generalkommando auch das II./Infanterieregiment 539 zur Verfügung
gestellt werden müssen277. Der Verband sollte – zusammen mit dem III./
Infanterieregiment 537 und der 1./Artillerieregiment 385 – in der Folge bei der
377. Infanteriedivision eingesetzt werden. Dieses Beispiel wird speziell erwähnt,
da es veranschaulicht, dass die Praxis des Auseinanderreißens der Kriegsgliederung
nicht nur die Führung der dadurch sehr uneinheitlich werdenden Einheiten
erschwerte, sondern auch die Hemmschwelle heruntersetzen konnte, die divi- !
sionsfremden Einheiten zu verheizen278. So vermerkte das Kriegstagebuch der
385. Infanteriedivision für den 19. September:

275
Nach der Ablösung mussten u.a. vorhanden sein: Skizzen über erkannte Anlagen und
Stellungsverlauf des Feindes, Annäherungslinien und Feuerräume der feindlichen Artillerie,
eigene Feuerpläne und Sperrfeuerräume, Bau-, Minen- und Panzerabwehrpläne sowie
Unterlagen der Beobachtungsstellen. 385. ID/Ia Nr. 1442/42 geh., Befehl für die Erweite-
rung des Divisions-Abschnitts, 1.9.1942, BArch, RH 26-385/4, Bl. 18.
276
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (1.‑11.9.1942).
277
Gen.Kdo. XIII. AK/Ia, KTB, Nr. 8, BArch, RH 24-13/90 (13.‑15./18.9.1942); Abschrift
FS Gen.Kdo. XIII. AK/Ia, An 385., 377. Inf.Div., 15.9.1942, BArch, RH 24-13/93, Bl. 46.
278
Vgl. auch Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 131, der ebenfalls kritisierte, dass »die
an andere Divisionen abgegebenen Truppen [...] nicht selten zu besonders schwierigen
Kampfaufträgen eingesetzt« wurden.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 317

»Die bei der 377. I.D. eingesetzten Bat[ai]l[lone] der 385. I.D. hatten sehr
starke Verluste, ohne das [sic!] es im großen gelungen war, das Ziel der
Division zu erreichen. Als einzigstes [sic!] der angesetzten Bat[ai]l[lone] hatte
das II./I.R. 539 sein Angriffsziel erreicht.
Nach Mitteilung der 377. I.D. war dieses Bat[ai]l[lon] jedoch auf eine
Grabenstärke von 60 Mann abgesunken279.«
Eibl, der über den Verlauf des Einsatzes seiner Einheiten bei der 377. Infanterie-
division orientiert gewesen zu sein scheint, suchte am 20. September das schwer
abgekämpfte II. Bataillon im Nachbarabschnitt auf280. Auch die Verwendung der
übrigen zur 377. Infanteriedivision abgestellten Einheiten entsprach keineswegs
den Vorstellungen Eibls, wie der Kriegstagebucheintrag vom 23. September ver-
deutlicht:
»Die zur 377. I.D. abgestellte 1./385 wurde trotz Einspruch des Führers [der
Batterie; der Verf.] angriffsweise zum Einsatz gebracht und hatte ohne einen
Erfolg starke Ausfälle an Geschützen, Zugmaschinen, und Mannschaften.
Das III./I.R. 537 wurde durch die 377. I.D. aufgeteilt.
Die Division erhob Einspruch gegen eine derartige Verwendung der ab-
gestellten Teile281.«
Zusätzlich zu dieser Fremdverwendung divisionseigener Kräfte hatte das Armee-
oberkommando 2 die 385. Infanteriedivision am 19. September auch noch da-
mit beauftragt, die »Panzerauffanglinie« südostwärts des eigenen Abschnittes
in eine »starke Riegelstellung« auszubauen282. Für den Ausbau dieses »Nordost-
riegels« mussten der Divisionskommandeur und Ia bis zum 25. September täg-
lich Erkundungen durchführen, am 24. September zusammen mit dem eben-
falls involvierten Führer der 340. Infanteriedivision. In gleicher Angelegenheit
besprachen sich Eibl und der Ia am 22. September mit dem Chef des
Generalstabes des XIII. Armeekorps, am 25. September hatte Eibl sogar dem
Oberbefehlshaber der 2. Armee persönlich »die Auffassung der Division über
den Verlauf des Nordostriegels vor[zu]tragen« und am 28. September besuchte
der Kommandierende General des XIII. Armeekorps die Division. Daneben war
Eibl ebenso in den Stellungen seiner restlichen Einheiten anzutreffen283. Alles in
allem bestärkt auch die sowjetische »Septemberoffensive« auf Voronež nochmals
das Bild des von vorne führenden Divisionskommandeurs, verdeutlicht aber
auch noch einmal den regen Austausch zwischen den verantwortlichen Stellen
auf Divisions-, Korps- und Armeestufe.
Die Kämpfe während des Oktobers und Novembers 1942 verliefen in glei-
cher Weise, d.h. sie zeichneten das Bild des im Wesentlichen von Stoß- und
Spähtruppunternehmen geprägten Stellungskrieges284. Auch war diese Phase wie

279
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (19.9.1942). Vgl. zum Einsatz des II./
IR 537 auch Gen.Kdo. XIII. AK/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 24-13/97 (5.10.1942).
280
Eine Kampfstärkemeldung des Gen.Kdo. XIII. AK an das AOK 2 beurteilte das III./
IR 537 als »schwaches«, das II./IR 539 als »abgekämpftes Btl.«. FS Gen.Kdo. XIII. AK/
Ia Nr. 3152/42 geh., An AOK 2, Betr.: Kampfstärkemeldung, 28.9.1942, BArch,
RH 24-13/93.
281
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (23.9.1942).
282
Gen.Kdo. XIII. AK/Ia, KTB, Nr. 8, BArch, RH 24-13/90 (19.9.1942).
283
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (20.‑30.9.1942).
284
Gen.Kdo. XIII. AK/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 24-13/97 (1.10.‑25.11.1942).
318 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

schon die vorangegangenen durch die starke Präsenz der für die Führung verantwort-
lichen Stellen – des Divisionskommandeurs und Ia sowie des Kommandierenden
Generals, seines Stabschefs und des Korps-Ia – gekennzeichnet285. In Bezug auf
die Einhaltung der Kriegsgliederung scheint sich die Situation im Laufe des
Oktobers wieder beruhigt zu haben. Die bei der 377. Infanteriedivision einge-
setzten Einheiten wurden am 18. Oktober (III./Infanterieregiment 537) und am
23. Oktober (II./Infanterieregiment 539) wieder der 385. Infanteriedivision un-
terstellt286. Unklar ist jedoch, ob dies endgültig so blieb. Eine vermutlich von
Anfang November stammende Gefechtsstärkemeldung des Generalkommandos
XIII. Armeekorps nennt unter den Einheiten der 377. Infanteriedivision näm-
lich auch wieder diese beiden Bataillone287. Andererseits hatte gleichzeitig
eine Nebelwerferbatterie dem Generalkommando VII. Armeekorps unter-
stellt werden müssen, die bis in den November dort blieb288. Sicherlich wirkte
sich jedoch erschwerend aus, dass in der ersten Hälfte des Oktobers erstmalig
Alarmeinheiten aus Trossen und Versorgungstruppen hatten gebildet wer-
den müssen. Für die 385. Infanteriedivision waren dies am 18. Oktober im-
merhin 380 Mann (Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften), die aus dem
Divisionsstab, der Nachrichtenabteilung 385, dem Artillerieregiment 385 und
den Versorgungstruppen »ausgekämmt« worden waren und in einem Bataillon zu-
sammengefasst wurden. Durch erneute Auskämmung der Trosse der kämpfenden
Truppen stieg diese Zahl bis Ende Oktober auf 545 Mann. Diese Alarmeinheit
belastete ihrer höchst heterogenen Zusammenstellung wegen nicht nur die
Führung, sondern auch die Ausbildungsbelange der Division, musste dieses größ-
tenteils kampfunerfahrene »Menschenmaterial« doch möglichst intensiv ausge-
bildet werden. Ihr erstmaliger Einsatz – vorläufig noch im Kompanieverband
– war deswegen erst für die zweite Hälfte des Novembers, die Verwendung
in Bataillonsstärke ab Dezember vorgesehen289. Bereits im November brach-
ten jedoch die erwähnten Vorbereitungen für das Unternehmen »Albert« die
Gliederung der 385. Infanteriedivision wieder durcheinander. Schließlich wur-
den der Division – wie bereits früher – für das Herauslösen aus dem Bereich
des Generalkommandos XIII. Armeekorps kurzzeitig andere Truppen unterstellt,

285
Am 31.10.1942 hielt der K.G. auf dem Korpsgefechtsstand z.B. eine Lagebesprechung
mit allen Kommandeuren der 385. ID ab, am 1.11.1942 kontrollierte der ChdGenSt den
Stellungsaubau, ebenso der K.G. am 17.11.1942. Am selben Tag besprach der Korps-Ia
mit dem Ia der 385. ID das Unternehmen »Albert«. Dazwischen fand ein reger schriftlicher
und telefonischer Austausch zwischen Division und Gen.Kdo. statt. Gen.Kdo. XIII. AK/
Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 24-13/97 (31.10.‑17.11.1942).
286
Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 571/42 geh.Kdos., Korpsbefehl Nr. 15, 11.10.1942, BArch,
RH 24-13/100; FS Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 3704/42 geh., An 68., 377. u. 385. Inf.Div.,
22.10.1942, BArch, RH 24-13/100.
287
IIa, Gefechtsstärken der beim XIII. AK eingesetzten Btle. bzw. Abt. und der Reserven, un-
dat., BArch, RH 24-13/100. Aufgrund der Aktenablage dürfte die Gefechtsstärkemeldung
zwischen den 6. und 8.11.1942 zu datieren sein.
288
FS Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 3758, 3920, 4074/42 geh., An AOK 2, Betr.: Kampf-
stärkemeldung, 25.10./1.11./8.11.1942, BArch, RH 24-13/93.
289
Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 3591/42 geh., Betr.: Bildung von Alarmeinheiten, 18.10.1942,
BArch, RH 24-13/100, Bl. 303; Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 626/42 geh.Kdos., Betr.: Kür-
zung des Solls von Stäben und Versorgungstruppen, 29.10.1942, BArch, RH 24-13/100,
Bl. 280.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 319

am 21. November das I./Grenadierregiment 168 und am 23. November der


Regimentsstab, die Regimentstruppen und das II./Grenadierregiment 168290.
Zusammenfassend zeigt sich für den Zeitraum von Juli bis November
1942, dass die Kämpfe der 385. Infanteriedivision und die Ausbauarbeiten des
Verteidigungssystems durch die starke Frontpräsenz v.a. des Divisionskommandeurs,
aber auch anderer Verantwortlicher auf Divisions- und Korpsstufe geprägt wur-
den. Wie bereits in früheren Phasen mündete dieser Führungsstil wiederum in
eine straffe Gefechtsführung mit detaillierten Befehlen und Maßnahmen. Erneut
scheute Eibl auch hier nicht davor zurück, direkt in die Gefechtsführung sei-
ner Unterstellten einzugreifen. Das Element der Einheitlichkeit zeigte sich je-
doch nicht nur in der Betonung der Nachrichtenverbindungen und im Führen
von vorne. Auf der anderen Seite zeigten sich nämlich je länger desto mehr
Probleme auf, die das Zusammenwirken der Truppen innerhalb der Division
und die Einheitlichkeit im Denken und Handeln schließlich gefährden muss-
ten. Dafür stehen nicht nur die Mängelurteile des Divisionskommandeurs über
die Qualität seiner Unterführer und Einheiten. Stärker als früher fällt in dieser
Phase des Krieges auf, dass die Division ständig umgegliedert wurde, eigene
Einheiten abgegeben sowie fremde Truppenteile in den Divisionsbereich integ-
riert werden mussten. Dies beeinträchtigte die Kampfkraft der Division, wie aus
Kampfstärkemeldungen des Generalkommandos XIII. Armeekorps ersichtlich
wird. So wurde die Division am 14. September – zu einem Zeitpunkt, als sie noch
keine zusätzlichen Bataillone abgegeben hatte – sogar noch als »zu begrenzten
Angriffsaufgaben« und »zur Abwehr voll geeignet« eingeschätzt291. Bereits in der
Meldung vom 21. September wurde die Division – die inzwischen zwei Bataillone
hatte abgeben müssen – nur noch als »zur Abwehr bedingt geeignet« beurteilt292.
Erst ab dem 11. Oktober wurde sie wieder als »zur Abwehr voll geeignet« einge-
schätzt293. Ab Ende Oktober verbesserte sich die Kampfkraft zusehends. Zwar
blieb die Division einzig »zur Abwehr voll geeignet«, die Qualität der Bataillone
verbesserte sich jedoch294. Die häufige Durchmischung der Kriegsgliederung
musste sich zudem unweigerlich negativ auf die Einheitlichkeit im Denken und

290
FS Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 4381/42 geh., An 385. Inf.Div., 21.11.1942, BArch, RH 24-
13/100, Bl. 187.
291
FS Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 2892/42 geh., An AOK 2, Betr.: Kampfstärkemeldung,
14.9.1942, BArch, RH 24-13/93. Die Kampfkraft der Bataillone wurde dabei mit »stark«
beurteilt.
292
FS Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 2990/42 geh., An AOK 2, Betr.: Kampfstärkemeldung,
21.9.1942, BArch, RH 24-13/93. Die Ursache hierfür wurde klar bezeichnet: »Von 9 Btln.
der Div. sind 5 abgegeben. Mit 4 Btln. ist die Div. bei gegebener Abschnittsbreite zur
Abwehr nur bedingt geeignet.« Die drei vor Leningrad liegenden Bataillone des IR 538
wurden wohl absichtlich mitgerechnet, um beim AOK 2 auf deren baldige Rückkehr zu
drängen.
293
FS Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 3430/42 geh., An AOK 2, Betr.: Kampfstärkemeldung,
11.10.1942, BArch, RH 24-13/93. Wie bereits am 28.9.1942 wurden die bei der Division
verbliebenen Bataillone als durchschnittlich eingeschätzt.
294
Die Bataillone wurden am 25.10.1942 als »1 mittelstarkes« und »4 Durchschn[itts]«-
Bataillone und am 1.11.1942 als »2 mittelstarke« und »4 Durchschn[itts]«-Bataillone einge-
schätzt. Noch am 11.10. waren die bei der Division verbliebenen Bataillone nur als durch-
schnittlich eingeschätzt worden. FS Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 3758, 3920, 4074/42 geh.,
An AOK 2, Betr.: Kampfstärkemeldung, 25.10./1.11./8.11.1942, BArch, RH 24-13/93.
320 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Handeln auswirken und die vom Divisionskommandeur seit Beginn kritisier-


te Personallage der Division zusätzlich erschweren. Als Folge davon dürfte sich
auch die Führung der zunehmend heterogener zusammengestellten Division
nicht vereinfacht haben. Nirgends lässt sich dies so deutlich belegen wie anhand
der personellen Rahmenbedingungen der Division und der damit verbundenen
Ausbildungsanstrengungen. Die personellen Fehlstellen und Ausbildungsmängel
stellten für die Division seit ihrer Aufstellung zwei Probleme dar, die sich als
Konstante bis zuletzt bemerkbar machten. Ihnen galt in allen Verwendungsphasen
der Division die Hauptsorge der Divisionsführung. Besonders bemerkbar mach-
ten sie sich jedoch ab Juli 1942. Dies soll im Folgenden aufgezeigt werden.

e) Personallage und Ausbildungsmaßnahmen im Krieg

Wie gesehen hatten die personellen Fehlstellen der 385. Infanteriedivision durch
die Zuführung des Feldersatzbataillons 385/1 vor Beginn des Unternehmens
»Blau I« fast vollständig aufgefüllt werden können. Bereits Mitte Juli 1942 hat-
te die Division jedoch zur erneuten Auffrischung herausgelöst werden müssen.
Dies war dringend notwendig geworden, hatten die schweren Kämpfe sie doch
an den Rand ihrer Kräfte geführt295. Die Höhe der Ausfälle war während des
Vormarsches bis zum Olym – insbesondere bei den Infanterieregimentern – auf
ein bislang unbekanntes Ausmaß angestiegen und hatte sich zu einem die Zukunft
der Division ernsthaft gefährdenden Problem entwickelt. Die Division hatte viele
Führer verloren, besonders Zugführer und Kompaniechefs. Der Kommandeur des
Infanterieregiments 537, Lersner, meldete dem Divisionskommandeur am 5. Juli
1942 z.B., dass sein II. Bataillon bloß noch aus dem Kommandeur, dem Adjutanten
– Leutnant d.R. Schär – und einem Ordonnanzoffizier – Leutnant d.R. Scholl –
sowie 151 Mann Gefechtsstärke bestehe. Das III./Infanterieregiment 537 habe
noch einen Bestand von 170‑200 und das I./Infanterieregiment 537 mit etwa
400 Mann »noch die beste Gefechtskraft«296. Beim III./Infanterieregiment 537
war am 2. Juli 1942 zusätzlich der Kommandeur gefallen297. Bei den Waffen-
ausfällen sah es nicht besser aus. Die Panzerjägerabteilung der Division hatte z.B.
in den Kämpfen Anfang Juli »die Masse ihrer Geschütze durch Feindeinwirkung
oder durch Niederwalzen eingebüßt«298. Die Ausfälle beim II. und III./In-
fanterieregiment 537 gehörten sicherlich zu den höchsten überhaupt innerhalb
der Division, sie waren gleichzeitig aber ein eindeutiger Indikator für die pre-
käre Personallage bei den Infanterieregimentern. Die Geschehnisse bei der 8./
Infanterieregiment 537 zeigen exemplarisch die Probleme der Führerlage auf.
Im Verlauf der Kämpfe des 5. Juli 1942 wurde der Kompaniechef Oberleutnant

295
So meldete Eibl dem Gen.Kdo., dass die Infanterie »durch die mehrtägigen schweren
Kämpfe sehr mitgenommen und apathisch geworden« sei. 385. ID/Ia, Anlage zu KTB,
Nr. 1, Meldung des Div.Kdr. an K.G., Tagebuch-Notiz 5.7.1942, BArch, RH 26-385/22.
296
385. ID/Ia, Anlage zu KTB, Nr. 1, Tagebuch-Notiz 5.7.42, BArch, RH 26-385/22. Zum
Vergleich: ein Stärkenachweis der Abt. Ib vom 12.3.1942 listet den Bestand der Infanterie-
bataillone auf insgesamt 888 Mann. 385. ID/Ib, Stärken der 385. Inf.Div., 12.3.1942,
BArch, RH 26-385/38, Bl. 9.
297
385. ID/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-385/2 (2.7.1942).
298
Tagesmeldung der 385. ID vom 6.7.1942 an das Gen.Kdo. XIII. AK, BArch, RH 24-13/85.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 321

Grisail verwundet und fiel aus. In der Regel übernahm in einer solchen Situation
einer der Kompanieoffiziere die Führung. Als mit Leutnant Zernikow der letz-
te Offizier der 8. Kompanie verwundet ausfiel, übernahm Hauptfeldwebel
Schmitz die Kompanieführung. Dieser erlitt »nach tapferem Kampf« ebenfalls
eine Verwundung, worauf die Kompanie von Stabsfeldwebel Isekeit geführt wur-
de299. Ein solches Verhalten bei Führerausfällen war keine Ausnahme, sondern die
Regel. So hatte Feldwebel (O.A.) Schlösser während des Übersetzens über den Tim
nach Ausfall seines Kompanieführers 6./Infanterieregiment 537 Oberleutnant
Klußmann ebenfalls selbstständig die Führung der Kompanie übernommen und
den laufenden Angriff gegen die Ortschaft Rogovo fortgesetzt. Das Gleiche ge-
schah beim II./Infanterieregiment 539. Dort übernahm ein Ordonnanzoffizier
aus dem Bataillonsstab Leutnant d.R. Kretschmar nach Verwundung des
Kompanieführers der 6./Infanterieregiment 539 Leutnant Walter die Führung
dieser Kompanie aus eigenem Entschluss. Nicht zuletzt finden sich auch Beispiele,
in denen die Führung eines Zuges nach Ausfall des Zugführers durch einen
Unteroffizier übernommen wurde300. Allerdings gilt es dabei zu unterscheiden,
ob diese Unteroffiziere die Führung aus eigenem Entschluss übernahmen oder ob
sie aufgrund ihrer Funktion als Zugführerstellvertreter so handelten. Trotzdem
sind solche Beispiele aufschlussreich, weil sie das Vorhandensein eines gemein-
samen Vorverständnisses nachweisen. Die Elemente der Einheitlichkeit und
Selbstständigkeit wie auch der Entschlossenheit und des Offensivdenkens wer-
den in diesen Handlungen deutlich erkennbar. Die Analyse des Fallbeispiels hat
bis jetzt v.a. die Dominanz des Divisionskommandeurs belegt. Die Gewichtung
des Elementes der Einheitlichkeit verdeutlichte sich bislang einzig unter dem
Teilaspekt der straffen Führung, d.h. durch den Gebrauch der Nachrichtenmittel
und das Führen von vorne. Nun zeigt sich aber, dass die Unterführer in
Notsituationen gleichwohl im Sinne der Auftragstaktik handelten. Damit wird
einerseits belegt, dass eine entsprechende Ausbildung und Erziehung stattgefun-
den haben muss. Andererseits zeigt dies erneut, dass Auftragstaktik in erster Linie
als Ausnahmefall zu verstehen ist. So räumte der Divisionskommandeur seinen
Unterführern im Normalfall kaum Spielraum für selbstständiges Handeln ein.
Trotzdem finden sich – wenn auch wenige – Beispiele selbstständiger Entschlüsse
oder initiativer Handlungen von Unterführern bei Ausfällen ihrer Vorgesetzten.
Direkt nach der Auffrischungs- und Ausbildungsphase hatte die 385. Infan-
teriedivision erneut hohe Verluste hinzunehmen. In den Kämpfen bei Bolšaja
Vereika ab dem 24. Juli schmolzen nicht nur die Kampfbestände der Kompanien
zusammen301. Verhältnismäßig hoch waren auch die Offizierverluste der Infan-
terieregimenter. Nach der Schlacht von Bolšaja Vereika waren alle Bataillons-
kommandeure ausgefallen, ein einziger konnte verwundet bei der Truppe blei-
ben. Von den 30 Kompaniechefs waren acht gefallen und sieben verwundet
ausgefallen. Teilweise hatten Stellen »infolge von Ausfällen mehrfach neu besetzt

299
[II./IR 537], Gefechtsberichte 25.6.‑2.7.42, BArch, FD 1238 N, Bl. 159.
300
6./IR 537, Gefechts-Bericht, 15.7.1942, BArch, FD 1238 N; Gefechtsbericht des II./
IR 539 für die Zeit vom 28.6.‑13.7.[1942], BArch, FD 1238 N, Bl. 180; [II./IR 537],
Gefechtsberichte 25.6.‑2.7.42, BArch, FD 1238 N, Bl. 159.
301
Die bereits hohen Verluste im Juni hatten sich im Juli 1942 mit insgesamt 2182 Mann
nochmals mehr als verdoppelt. Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don
1942, 15.9.1943, BArch, RH 26-385/28 (unpag. Anhang).
322 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

werden« müssen302. Die von der Abteilung IIa geführte Verlustliste verzeichnete
für den Zeitraum von März bis September 1942 Gesamtverluste (d.h. Gefallene,
Verwundete, Vermisste und Erkrankte) der Division von 5255 Mann, davon
138 Offiziere. Wenngleich unter den 138 Offizierverlusten nur 20 Gefallene so-
wie ein Vermisster waren und die restlichen Verluste durch 77 Verwundete sowie
40 Kranke verursacht wurden, war dies für die Division doch nicht unerheblich.
Ein großes Problem stellte nämlich die Wiederverwendung genesener Soldaten
beim eigenen Truppenteil dar, wie ein Erfahrungsbericht der 385. Infanterie-
division vom 29. Juli 1942 beklagte:
»Die verwundet von der Fronttruppe abgehenden Führer kommen auch bei
leichten Verwundungen monatelang nicht mehr zu ihren Feldtruppenteilen,
obwohl sie dieses meist mit allen Mitteln anstreben303.«
Dieses Problem betraf keineswegs nur die 385. Infanteriedivision. Bereits im
November 1941 hatte ein zur Front kommandierter Verbindungsoffizier des
Heereswaffenamtes berichtet, dass ein Großteil der Verwundeten und Kranken
nach ihrer Genesung nicht mehr ihrem Stammtruppenteil zugeführt, sondern für
die Aufstellung neuer Einheiten verwendet würden. Dies galt besonders auch für
Offiziere und Unteroffiziere, wie er berichtet:
»Ferner baten die Regimenter, dass man ihnen doch wenigstens ihre Genesenen
[sic!] Dienstgrade wiedergeben soll und nicht irgendwelche Fremden, die al-
ten bewährten Leute [sic!] der Einheit die Stellen wegnehmen304.«
Zwischen Mai und September 1942 waren jedenfalls nur 20 genesene Offiziere
und 763 genesene Unteroffiziere und Mannschaften zur 385. Infanteriedivision
zurückgekehrt. Problematischer waren jedoch die Fehlstellen, mit denen die
Division seit Beginn ihrer Aufstellung zu kämpfen hatte. Fehlten der Division am
1. Juni erst drei Offiziere, aber bereits 1015 Unteroffiziere und Mannschaften, so
stiegen der Offizierfehlbestand bis zum 1. September auf 66 an, die Fehlstellen bei
den Unteroffizieren und Mannschaften auf 3426305. Anders gerechnet verringerte
sich die Ist-Stärke der 385. Infanteriedivision zwischen April und Oktober bei den
Offizieren um 20,5 Prozent und bei den Mannschaften um 18,6 Prozent; ledig-
lich bei den Unteroffizieren gelang es, nach zwischenzeitlichen Einbrüchen den
Bestand um 4,8 Prozent anzuheben. Insgesamt sank die Ist-Stärke der Division
im genannten Zeitraum jedoch um 15,9 Prozent306. Zu keinem Zeitpunkt gelang
es, diese Fehlbestände durch »Ersatzgestellungen« auszugleichen. Lediglich zwei-
mal erhielt die Division während ihrer Kriegsverwendung Personalersatz: Ende
Mai 1942 durch das erwähnte Feldersatzbataillon 385/1 und Anfang September
durch das Feldersatzbataillon 385/2; Ersteres war in den Wehrkreisen III, IV und

302
385. ID/IIa, Tätigkeitsbericht der Abt. IIa für die Zeit vom 16.3.‑30.9.1942, BArch,
RH 26-385/35.
303
385. ID/Ia, Erfahrungsbericht über Führer- und Unterführer-Ausbildung und Ersatz,
29.7.1942, BArch, FD 1238 N, S. 1.
304
Auszugsweise Abschrift, Anlage zu AHA/IaII Nr. 35034/42 geh., 16.11.1942, BArch,
RH 15/245, Bl. 77.
305
385. ID/IIa, Tätigkeitsbericht der Abt. IIa für die Zeit vom 16.3.‑30.9.1942, BArch,
RH 26-385/35.
306
Die Berechnungen basieren auf den Angaben der »Ist-Stärke-Übersicht der 385. Infanterie-
Division« in: Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943,
BArch, RH 26-385/28 (unpag. Anhang).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 323

IX, Letzteres im Wehrkreis VI aufgestellt worden307. Die Zuführung des ersten


Bataillons mit 50 Unteroffizieren und 865 Mannschaften hatte es immerhin noch
ermöglicht, die Ausfälle bei den Infanterieregimentern, der Panzerjägerabteilung
und dem Pionierbataillon vollständig sowie bei den übrigen Truppenteilen fast
ganz auszugleichen. Die 385. Infanteriedivision galt deshalb als »voll aufge-
frischt«, was gleichwohl bedeutete, dass die »Zuführung von Unterführern [...]
nur im Rahmen der für diese Verbände anfallenden Genesenen erfolgen« konn-
te308. Mit dem zweiten Bataillon, das mit einem Offizier, 71 Unteroffizieren und
895 Mannschaften etwas größer war, konnten hingegen nur noch 28 Prozent
des inzwischen angestiegenen Fehlbestandes gedeckt werden. Zur Auffüllung des
Soll-Bestandes fehlten nach wie vor die oben erwähnten knapp 3500 Mann309.
Beide Male wurde der Ersatz auf die einzelnen Truppenteile aufgeteilt, was die
Homogenität und Gruppenkohäsion der Einheiten nicht gerade verstärkte.
Zudem stammte der Personalersatz aus vier verschiedenen Wehrkreisen, wobei
nur der Wehrkreis VI ordnungsgemäß für die 385. Infanteriedivision zustän-
dig war. Der Offizierersatz musste »auf dem Dienstwege bei der Führer-Reserve
H.Gr. Süd bzw. B« angefordert werden. Die zunehmend kritischere Kriegslage
verunmöglichte jedoch eine angemessene Ersatzgestellung. So hatte die Division
im Juli bloß fünf Kompanie- und zwölf Zugführer, im August zwei Bataillons-
und einen Kompanie- sowie im September nochmals einen Kompanieführer
erhalten. Zusätzlich waren im August ein Bataillons- und im September ein
Kompanieführer für wenige Wochen zur Division kommandiert worden310. Wie
prekär sich die Lage darstellte, verdeutlicht die Aussage, wonach Ende September
»bei fast allen Inf.K[om]p[anie]n nur 1 Offizier vorhanden« war. Die personelle
und materielle Ausstattung der Division blieb auch später kritisch. So hatte die
385. Infanteriedivision am 1. November 1942 immer noch 2500 Fehlstellen »und
größere materielle Lücken« zu beklagen311. Für den Zeitraum bis zur Zerschlagung
der Division im Januar 1943 sind keine Personalakten mehr überliefert. Es liegt
jedoch auf der Hand, dass sich die personelle Situation an der deutschen Südfront
in der Krise des Winters 1942/43 nicht mehr verbessern konnte.
Eng mit der Personallage verknüpft waren auch die Ausbildungsanstrengungen
der 385. Infanteriedivision. Wie gesehen hatte das Divisionskommando die
Qualität seines Offizier- und Unteroffizierkorps sehr kritisch beurteilt. Angesichts
dessen und aufgrund der erheblichen Personalprobleme der 385. Infanteriedivision

307
385. ID/IIa, Tätigkeitsbericht der Abt. IIa für die Zeit vom 16.3.‑30.9.1942, BArch,
RH 26-385/35.
308
OKH/GenStdH/Org.Abt. (I) Nr. 854/42 g.K.Chefs., Betr.: Gliederung und Kampfkraft
der Verbände und Truppen der H.Gr. Süd bei Beginn der Sommeroperationen 1942,
27.5.1942, BArch, RH 2/931b, Bl. 193.
309
Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28, S. 47.
310
Unklar ist, ob bis Ende September 1942 nur 23 Offiziere als Ersatz zugeführt wurden.
An anderer Stelle nennt der Tätigkeitsbericht die Zahl von 44 Offizieren. Dies wäre zwar
fast eine Verdoppelung, angesichts der hohen Verluste aber immer noch viel zu wenig.
385. ID/IIa, Tätigkeitsbericht der Abt. IIa für die Zeit vom 16.3.‑30.9.1942, BArch,
RH 26-385/35. Dort auch das Folgende.
311
ChdGenSt XIII. AK/Ia Nr. 744/42 g.K., An ChdGenSt der 2. Armee, 2.12.1942, BArch,
RH 24-13/100, Bl. 110.
324 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

wird verständlich, dass die Divisionsführung der Führerausbildung ein erhebli-


ches Gewicht einräumte. Da ausgebildeter Personalersatz in genügender Anzahl
aus dem Ersatzheer nicht zu erwarten war, entschloss sich die Division »diesem
Missstand abzuhelfen«, indem eigene Lehrgänge für Zug- und Gruppenführer
eingerichtet wurden312. Zwischen Mai und November 1942 führte die Division 17
Unterführer- und sechs Zugführerlehrgänge unterschiedlicher Waffengattungen
und Länge durch313. An diesen hatte schließlich gemäß Aussage des Ia die
Mehrheit der Unterführer teilgenommen, worin er eine wichtige Ursache für die
überzeugenden Kampfleistungen der Division sah:
»Die großen Erfolge, die die Division in allen Kämpfen zu verzeichnen hat-
te, konnten zu einem gewissen Teil auch auf diese eingehende Schulung der
Unterführer zurückgeführt werden314.«
Parallel dazu hatte die 385. Infanteriedivision seit April einen eigenen Offizier-
nachwuchs herangebildet. Bis zum 25. September konnten so 40 Offizieranwärter
und 59 Kriegsoffizierbewerber generiert werden315. Die für den 11. Offizier-
anwärterlehrgang vom 12. Oktober bis Dezember 1942 vorgesehenen Kriegs-
offizierbewerber waren vom 16. bis 18. August vom Divisionskommando zu
einem »Kurzlehrgang« aufgeboten worden316. Eibl machte sich dabei durch
Vorträge mit anschließenden Diskussionen, bei Gefechtsübungen und »beim ge-
meinsamen Mittagstisch« ein Bild von den Bewerbern. Dies zeigt, dass es trotz
struktureller und geistiger Veränderungen des Ergänzungssystems nach wie vor
der Divisionskommandeur war, der – nach einer Auswahl durch die Bataillons-
und Regimentskommandeure – darüber entschied, wer in das Offizierkorps
aufgenommen wurde317. Die erwähnten Tätigkeiten verdeutlichen auch, dass
es dabei in erster Linie darum ging, den Charakter und die Persönlichkeit des
Bewerbers kennen zu lernen. Weniger erfolgreich als die Offizierergänzung
verlief hingegen die »Kapitulantenwerbung«, d.h. die Anwerbung des aktiven

312
Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28, S. 52. Auch andere Divisionen führten solche Lehrgänge durch. Siehe z.B.
Abschrift, 30. ID/Ia/IIa/IIb Nr. 163/42 g., Betr.: Ausbildung der Offiziere, Unterführer
und K.O.B., 8.7.1942, BArch, RH 19 III/194.
313
Die Lehrgänge wurden durch die Division oder Regimenter bzw. selbstständigen Verbände
geleitet und dauerten knapp zwei bis vier Wochen. Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur
Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch, RH 26-385/28 (unpag. Anhang); 385. ID/Ia
Nr. 1943/42 geh., Betr.: Ausbildung von Unterführern, 24.10.1942, BArch, FD 1236 N,
Bl. 379 f.
314
Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28, S. 52.
315
385. ID/IIa, Tätigkeitsbericht der Abt. IIa für die Zeit vom 16.3.‑30.9.1942, BArch,
RH 26-385/35. Als »Offizieranwärter« wurde der Nachwuchs für die aktive Offizierlaufbahn
bezeichnet, der sich »auf unbegrenzte Dienstzeit [...] oder als Berufsunteroffizier« verpflich-
tete. »Kriegsoffizierbewerber« dienten im Rahmen ihrer Wehrpflicht bzw. bis Kriegsende
als Offizier und verpflichteten sich auf keine oder nur »begrenzte Dienstzeit«. H.Dv. 82/3b,
Offiziers-Ergänzungsbestimmungen vom 15.5.1941, S. 9. Vgl. auch H.Dv. 82/3b,
Offiziers-Ergänzungsbestimmungen vom 30.1.1940, S. 11 f.; Absolon, Die Wehrmacht im
Dritten Reich, Bd 3, S. 373 f.
316
385. ID/IIa, Tätigkeitsbericht der Abt. IIa für die Zeit vom 16.3.‑30.9.1942, BArch,
RH 26-385/35. Dort auch das Folgende.
317
Gleiches konnte bei der IDGD festgestellt werden (siehe Kap. IV.4.b).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 325

Unteroffiziernachwuchses. Der Grund hierfür wurde – »wie bei vielen anderen


auffallenden Erscheinungen in der Division« – in den schon »älteren, früher uk-
gestellten Soldaten« gesehen, für die eine Laufbahn als aktiver Unteroffizier nur !
noch wenig Anreize bot.
Die von der Division getätigten Anstrengungen wurden durch die schweren
Kämpfe immer wieder durchkreuzt. Besonders einschneidend wirkten sich die
Verluste während des Vorstoßes bis zum Olym aus. Noch kurz vor ihrer Ablösung
versuchte die Division die Fehlstellen notdürftig zu besetzen. Dies geschah durch
die Versetzung von Offizieren innerhalb der Regimenter, wie das Beispiel des
Infanterieregiments 537 belegt. So trafen z.B. am 7. Juli 1942 drei Offiziere beim
stark dezimierten II. Bataillon dieses Regiments ein, um zwischenzeitlich die
Führung der 5., 6. und 8. Kompanie sicherzustellen. Die Offiziere waren alle-
samt Leutnants d.R. Zwei davon waren zuvor als Zugführer eingesetzt gewesen
und kamen aus fremden Einheiten, einer aus der 2. Kompanie des I. Bataillons,
der andere aus der Stabskompanie 537. Der dritte Offizier war der Adjutant des
II. Bataillons, Leutnant d.R. Schär, der nun einstweilen die 5. Kompanie über-
nehmen musste. Ebenfalls aus dem Bataillonsstab war Leutnant d.R. Scholl, ein
Ordonnanzoffizier, der bis zum 18. Juli 1942 als Zugführer in der 8. Kompanie
eingesetzt wurde. An diesem Tag trafen zwei neue, nicht aus der Division stam-
mende Kompaniechefs beim II. Bataillon ein, die immerhin die Führung über die
7. und 8. Kompanie übernehmen und die außerordentliche Lage etwas beruhigen
konnten318.
Die erheblichen Führerverluste machten es notwendig, dass sich die Division
nach ihrer Herauslösung als Armeereserve nicht nur personell auffrischte, sondern
auch unverzüglich mit der Führerausbildung begann, um der Truppe »neue[n]
Halt«319 zu geben. Die hohen Ausfälle stellten für das innere Gefüge der Division
ein erhebliches Problem dar, an dem diese zwar seit Aufstellung zu kämpfen hatte,
das nun jedoch mit den jüngsten Verlusten dringend angegangen werden muss-
te. Die Divisionsführung scheute sich dabei nicht festzuhalten, dass die hohen
Verluste nicht nur auf die harten Kämpfe zurückzuführen, sondern teilweise auch !
der mangelnden Ausbildung der Kommandeure geschuldet waren:
»Die Führer, vom Rgts.Kdr. abwärts, sind in der Mehrheit ihrer Aufgabe nicht
gewachsen. Verschiedentlich entsprachen auch Rgts.-Führer nicht. Wieder-
holt eingetretene Verluste hätten vermieden werden können, wenn primitive
Forderungen in der Führung nicht außer Acht gelassen worden wären. Fast
nie liegt Fahrlässigkeit, stets Unkenntnis der Vorschriften und mangelndes !
takt[isches] Verständnis vor320.«
Bei den Bataillonskommandeuren fehlte gemäß Eibl in erster Linie das Verständ-
nis für die Einsatzgrundsätze ihrer schweren Waffen, weshalb er die ständige
Einrichtung von Bataillonsführerlehrgängen bei der Heeresgruppe beantrag-

318
[II./IR 537], Gefechtsberichte 25.6.‑2.7.42, BArch, FD 1238 N, Bl. 160 f.; Kriegsrangliste
sämtlicher Offiziere und Beamten im Offizierrang der 385. Infanterie-Division, BArch,
RH 26-385/2.
319
Nachträgliche Ausarbeitung des Ia zur Offensive zum Don 1942, 15.9.1943, BArch,
RH 26-385/28, S. 30 f.
320
385. ID/Ia, Erfahrungsbericht über Führer- und Unterführer-Ausbildung und Ersatz,
29.7.1942, BArch, FD 1238 N, S. 1‑3 (Hervorhebung im Original). Dort auch das
Folgende.
326 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

te. Auch bei den Kompanieführern mache »das Fehlen vieler Voraussetzungen
für Führung und Ausbildung« die Teilnahme eines Lehrganges »für alle Kp.-
Führer dringlich erforderlich«. Das Urteil Eibls scheint begründet gewesen zu
sein. Der Ausbildungsstand der »mittleren und unteren Führer« wurde näm-
lich auch in einer Auswertung der Kämpfe zwischen dem 28. Juni und 10. Juli
1942 durch das Generalkommando XIII. Armeekorps kritisch betrachtet. So
hielt das Generalkommando fest, dass sich die allgemeinen »Grundsätze der
Gefechtsführung« zwar »voll bewährt« hätten, diese aber nicht ganz zur Wirkung
gekommen seien, da sie »infolge ungenügender Ausbildung nicht Allgemeingut
der mittleren und unteren Führer« gewesen seien321. Es verlangte deshalb eben-
falls eine »gründliche Ausbildung« dieser Führer. Aufschlussreich im Hinblick
auf den Zusammenhang zwischen dem Ausbildungsstand einer Truppe und
dem Führungsverhalten ist dabei die nachfolgende Feststellung: »Der geringe
Ausbildungsstand erfordert eine äußerst gründliche, auch auf die Ausführung einge­ !
hende Auftragserteilung.«
In dieser Forderung zeigt sich der angesprochene Grundsatz, wonach Befehle
nach der Verfassung des Befehlsempfängers auszurichten seien und dies bei ent- !
sprechend weniger ausgebildeten Untergebenen auch bedeuten konnte, dass die
Durchführung festgelegt wurde. Die gleiche Konsequenz zog Eibl in Bezug auf
die Befehlsgebung und beantragte in einem Erfahrungsbericht:
»Die Ausgabe von Befehlsmustern wäre erwünscht, da die Befehlstechnik
meist sehr zu wünschen übrig lässt. Ihr Hauptwert soll darin liegen, dass !
Wichtiges nicht vergessen wird322.«
Auch in dieser Aussage finden sich im Zusammenhang mit dem Führungsvorgang
behandelte Aspekte, v.a. derjenige der Musterbefehle.
Die Auffassung über eine mangelhafte Ausbildung der unteren und mittle-
ren Truppenführer wurde auch vom Armeeoberkommando 2 geteilt. Während
die Ausbildung der unteren Führer Sache der Divisionen und Regimenter war,
richtete das Armeeoberkommando im August 1942 einen Ausbildungsstab zur
Durchführung von Kompanieführerlehrgängen ein. Zwischen dem 24. August
und 16. September fand der erste Kompanieführerlehrgang in Kursk statt. Von
jeder Division konnten jedoch bloß vier Offiziere aus den Infanterieregimentern
und der Radfahrerschwadron, ein Artillerieoffizier sowie ein Pionier- oder
Panzerjägeroffizier teilnehmen323. Damit gelang es natürlich nicht, die Führer-
problematik zu entschärfen. Allerdings konnten gleichzeitig gar nicht viel
mehr Offiziere abkommandiert werden, da die Truppe sonst entsprechenden
Ersatz benötigt hätte. So wurde zum »2. Lehrgang für Kp.- usw. Führer« der
Kompanieführerschule Tours vom 7. September bis 3. Oktober nur noch ein
Kompanieführer aus dem I./Artillerieregiment 385, zum gleichzeitig stattfinden-

321
Gen.Kdo. XIII. AK/Ia Nr. 2173/42 geheim, Erfahrungen über die Operationen zwischen
28.6. u. 10.7.42, 3.8.1942, BArch, FD 1238 N. Dort auch das Folgende (Hervorhebung
im Original).
322
385. ID/Ia, Erfahrungsbericht über Führer- und Unterführer-Ausbildung und Ersatz,
29.7.1942, BArch, FD 1238 N, S. 2.
323
AOK 2/Ia Nr. 1985/42 geh., Betr.: Ausbildungsstab 2. Armee, 1.8.1942, BArch,
FD 1236 N, S. 3; 385. ID/Ia, Betr.: Kompanie-Führerlehrgang bei 2. Armee, 7.8.1942,
BArch, FD 1236 N.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 327

den zweiten Lehrgang der Bataillonsführerschule Mourmelon hingegen niemand


kommandiert324.
Wie festgefahren die Personallage in dieser Phase des Krieges bereits war, zeigt
auch die vom Kommandierenden General des Generalkommandos XIII. Armee-
kommando Straube mit Schreiben vom 10. September dem Oberbefehlshaber
der 2. Armee Salmuth vorgeschlagene, aber hilflos anmutende Maßnahme, die
Situation in den Griff zu bekommen. So sollte die Mängelbehebung »zunächst
durch Erziehung und Ausbildung der Führer und Unterführer erstrebt werden«,
was in erster Linie durch die Divisions- und Regimentskommandeure umge-
setzt werden sollte325. Diese sollten »nicht müde werden, auf allen Gebieten und
von früh bis abends ihre Unterführer anzuleiten und überall einzugreifen«. Zur
Unterstützung sei jedoch »die Zuführung älterer als Btls.Führer geeigneter [ak-
tiver] Offiziere [...] nötig«, die aus den höheren Stäben herausgezogen werden
sollten. Die fehlenden Basiskenntnisse vieler Truppenführer konnten auf diese !
Weise jedoch nicht ersetzt werden. Salmuth befahl deshalb Mitte September, dass
jeder nicht umfassend ausgebildete und bewährte Kompanieführer im Winter
1942/43 einen Kompanieführerlehrgang zu absolvieren habe. Zwischenzeitlich
sei es jedoch besser, »eine Kompanie einmal 4 Wochen lang durch einen
Feldwebel unter besonderer Beaufsichtigung durch den Batls.-Kdr. führen zu las-
sen, als dauernd durch einen jungen Offizier, dem nie die Grundlagen für seine
Aufgabe als Ausbilder und Erzieher einer Kompanie übermittelt worden sind«326.
Die bei der 385. Infanteriedivision daraufhin durchgeführten Abklärungen
bezifferten die Anzahl ungenügend ausgebildeter Kompanie-, Batterie- und
Schwadronführer bzw. dafür vorgesehener Offiziere auf: Drei Offiziere des
Infanterieregiments 537, zehn Offiziere des Infanterieregiments 539, 15 Offiziere
des Artillerieregiments 385, drei Offiziere der Schnellen Abteilung 385 und fünf
Offiziere des Pionierbataillons 385327. Wie schon bei der Bestandssituation gese-
hen verhinderte die Winterkrise 1942/43 ebenfalls die Umsetzung der geplanten
Ausbildungsmaßnahmen.

f ) Resümee: Das Führungsverhalten in der 385. Infanteriedivision

Die Aufstellung der 385. Infanteriedivision und ihre rasche Verwendung an der
Front waren wie gesehen stark von der instabilen Gesamtlage nach der Winterkrise
1941/42 geprägt und erfolgten unter hohem Zeitdruck. Dies zeigte sich nicht
nur am Ausbildungsstand der Division, der von der Divisionsführung während
des gesamten Untersuchungszeitraums bemängelt wurde. Auch die personelle
Zusammensetzung und besonders die Offizier- und Unteroffizierstellenbesetzung
der Division bestätigten dieses Bild, besaß doch wie gesehen die Mehrheit aller
Führer nur eine geringe Ausbildungs- oder Kriegserfahrung. Die Besetzung der

324
AOK 2/Ia Nr. 2295/42 geh., 25.8.1942, BArch, FD 1236 N.
325
Der K.G. des XIII. AK/Ia Nr. 482/42 g.K., Betr.: Berichte über die 377. und 385. Inf.Div.,
10.9.1942, BArch, RH 24-13/93. Dort auch das Folgende.
326
385. ID/Ia Nr. 1584/42 geh., Betr.: Kompanieführer-Ausbildung, 18.9.1942, BArch,
FD 1236 N.
327
Siehe die Meldungen des IR 537, IR 539, AR 385, Pi.Btl. 385 sowie der Schnellen
Abt. 385, Betr.: Kompanieführer-Ausbildung, 20.‑22.9.1942, BArch, FD 1236 N.
328 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

wichtigsten Stabs- und Kommandeursfunktionen verursachte anfangs merklich


Schwierigkeiten. Zahlreiche Führer und Unterführer waren nur schlecht ausge-
bildet, zudem gab es viele Fehlstellen. Andererseits verfügte die Division insge-
samt betrachtet über einen erstaunlich hohen Prozentsatz an aktiven Bataillons-
kommandeuren bzw. planmäßig besetzten Führerstellen328. Herausragend war der
Divisionskommandeur Eibl, der als Bataillons- und Regimentskommandeur das
Ritterkreuz bzw. Eichenlaub erhalten hatte. Eibl stellte zudem einen Spezialfall
dar, weil er Österreicher war und 1938 ins deutsche Heer übernommen worden
war. Sein Führungsverständnis zeichnete sich dadurch aus, dass er mit straffem
Zügel und starkem Tatendrang führte sowie eine starke Frontpräsenz aufwies.
Dabei war er häufig in den Stellungen seiner Truppenteile anzutreffen und führ-
te persönlich von vorne oder mittels Nachrichtenverbindungen. Durch seinen
Einfluss prägte Eibl nicht nur das Führungsverhalten in der Division, wie z.B.
der Vergleich von Divisions- und Regiments- bzw. Bataillonsbefehlen gezeigt hat,
sondern er schuf durch seine detaillierte Befehlsgebung und enge Führung auch
keinen Spielraum für Selbstständigkeiten der Unterführer. Dies entsprach zwar
nicht der Gesamtidee der Auftragstaktik, deckte sich aber wie gesehen mit der
Betonung der Einheitlichkeit der Handlung in der deutschen Führungsdoktrin.
Bemerkenswert ist die militärische Leistung der 385. Infanteriedivision in
den Gefechtshandlungen. Dies ist besonders erwähnenswert, da nicht nur Eibl
die Leistungsfähigkeit seiner Division kritisch beurteilt hatte. Auch der Ober-
befehlshaber des Ersatzheeres (Fromm) bewertete die Divisionen der 18. Welle
insgesamt als letzte Reserve, deren Einsatzbereitschaft frühestens im Sommer
1942 und erst nach einer längeren Ausbildungsphase erreicht werden könne.
Trotz dieser kritischen Beurteilung war die Leistung der 385. Infanteriedivision
überdurchschnittlich gut. Bereits im Mai wurde sie – nach wenigen Monaten
Vorbereitung und ohne Verbandsausbildung im Divisionsrahmen – angriffswei-
se eingesetzt, was doch sehr bemerkenswert ist. Auch in der Sommeroffensive
(Unternehmen »Blau«) wurde die Division im Vorstoß auf Voronež verwendet.
Zwar waren die Divisionen 18. Welle speziell auf diesen Feldzug hin aufge-
stellt worden. Die Verwendung der Division im Rahmen der Angriffsverbände
der 4. Panzerarmee, wo sie sich bei den Durchbrüchen durch die sowjetischen
Verteidigungsstellungen und der Bildung von Brückenköpfen, in der Abwehr
sowjetischer Panzerangriffe sowie schließlich in der Einnahme von Voronež
und im Stellungskrieg besonders bewährte, ist jedoch sehr erstaunlich. Die
385. Infanteriedivision wurde folglich zwar unter schlechten Bedingungen auf-
gestellt, hat sich dann aber äußerst rasch zu einer kampfkräftigen Division entwi-
ckelt. Dies dürfte sicher zu einem großen Teil das Verdienst Eibls gewesen sein,
der wie gesehen ein sehr fordernder Divisionskommandeur gewesen ist und hohe
Ansprüche an die Qualität und Leistungen seiner Truppenteile gestellt hat.
Darüber hinaus hat sich aber auch gezeigt, dass sich in den Divisionsakten
kaum Beispiele auftragstaktischen Handelns finden ließen. Dies zeigt einmal
grundsätzlich, dass eine gute taktische Leistung nicht automatisch Auftragstaktik
voraussetzte oder gar damit gleichgesetzt werden darf. Weiter hat sich deutlich

328
Worin die Gründe hierfür lagen, konnte aus den untersuchten Akten nicht bestimmt wer-
den. Nähere Aufschlüsse brächte z.B. die Analyse der übrigen »Rheingold«-Divisionen, was
im Rahmen dieser Arbeit aber nicht geleistet werden konnte.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 329

erkennen lassen, dass die in den schriftlichen Operationsbefehlen festgehal-


tenen Handlungsrichtlinien nur die Grundlage für das Führungsverhalten bil-
deten. In den entscheidenden Phasen der Gefechtshandlungen fand ein fast
ununterbrochener persönlicher oder telefonischer Austausch zwischen dem
Divisionskommandeur und seinen Unterführern statt. Die Einheitlichkeit der
Handlung wurde dabei durch Eibls Angewohnheit durchgesetzt, sehr ausgeprägt
von vorne zu führen. Die dadurch entstandene straffe und direkte Führung muss
letztlich als entscheidendes Kriterium dafür betrachtet werden, weshalb von den
Unterführern in den allermeisten Fällen gar nicht erst nach Auftragstaktik hatte
gehandelt werden müssen. Wie erwähnt wurde dies durch den Umstand, dass
eine Infanteriedivision in der Regel räumlich in einem engen, überschaubaren
Raum operierte, noch zusätzlich gefördert, zumal die 385. Infanteriedivision
mehrheitlich nur über zwei Infanterieregimenter verfügte. Allerdings ließ sich
auch in der Führung der Generalkommandos diese Nähe zu den unterstellten
Divisionen feststellen, die ein Handeln nach Auftragstaktik in der Regel unnötig
machte.
Die erwähnten Umstände der Aufstellung, die personelle Zusammensetzung
der Division sowie das Führungsverständnis Eibls können insgesamt nicht ge-
rade als optimale Voraussetzungen dafür betrachtet werden, dass in diesem
Großverband nach Auftragstaktik geführt und gehandelt werden konnte.
Obwohl die Voraussetzungen also nicht gegeben waren, fanden sich jedoch wie
erwähnt sogar in der 385. Infanteriedivision – allerdings bloß einzelne – Beispiele
von auftragsaktischem Handeln. Dieses selbstständige und initiative Handeln
entstand jedoch nicht dadurch, dass Eibl die Voraussetzungen dafür geschaffen
hätte. Vielmehr reagierten die Unterführer auf Notsituationen. Die erwähnten
Übernahmen der Führungsverantwortung bei Führerausfall durch Unteroffiziere
oder Ordonnanzoffiziere stellen solche Beispiele dar. Daneben zeigte sich auch,
dass erst als allerletzte Ausnahme nach Auftragstaktik gehandelt wurde, z.B. wenn
die Nachrichtenverbindungen ausgefallen waren und die Lage keinen Aufschub
duldete. Das Bemerkenswerte an solchen Handlungen liegt v.a. darin, dass sie das
Vorhandensein eines Vorverständnisses für auftragstaktisches Handeln belegen
und dass dies in Krisensituationen auch tatsächlich zur Anwendung gelangte.

3. Fallbeispiel 2: Die »eiserne Division«329 –


10. motorisierte Infanteriedivision

a) Aufstellung und Gliederung der Division

Die 10. Infanteriedivision (mot) hatte eine grundlegend andere Ausgangslage als
die 385. Infanteriedivision. Dieser niederbayrisch-oberpfälzischen Großverband
gehörte zu den aktiven Heeresdivisionen, die noch vor dem Krieg als erste
(Friedens-)Welle aufgestellt wurden. Sie hatte am Einmarsch in Österreich 1938

329
10. ID (mot), Divisions-Tagesbefehl, 10.5.1942, BArch, RH 26-10/30.
330 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

und in die Tschechoslowakei 1939 sowie an den Feldzügen gegen Polen 1939 und
Frankreich 1940 teilgenommen330.
Die Division wurde ab Herbst 1940 bis zum 1. Mai 1941 in eine motori-
sierte Infanteriedivision umgebildet331. Infanteristisch bestand sie danach aus den
zwei neu gegliederten und ausgerüsteten Infanterieregimentern 20 und 41 (mot)
zu je drei Infanteriebataillonen (mot) und je einer Infanteriegeschützkompanie
(13. Kompanie) sowie Panzerjägerkompanie (14. Kompanie). Beide Regimenter
ergänzten sich vollständig aus Ersatztruppenteilen des Wehrkreises XIII, ebenso
wie der Divisionsstab und das Artillerieregiment 10 (mot)332. Letzteres umfasste
zwei leichte Abteilungen (I. und II. Abteilung) mit leichten Feldhaubitzen 18 sowie
eine schwere III. Abteilung mit schweren Feldhaubitzen 18333. Neu aufgestellt wur-
de das Kradschützenbataillon 40. Es setzte sich aus drei Kradschützenkompanien,
einer Maschinengewehrkompanie und einer schweren Kompanie mit einem
Infanteriegeschütz-, einem Panzerjäger- und einem Pionierzug zusammen. Die bis-
her teilmotorisierte Aufklärungsabteilung 10 wurde vollmotorisiert und neu geglie-
dert. Sie umfasste eine Panzerspähkompanie, eine Kradschützen- und eine schwere
Kompanie. Die Panzerjägerabteilung 10 bestand aus drei Panzerjägerkompanien334.
Die Ersatzgestellung der Stäbe des Kradschützenbataillons 40 und der Auf-
klärungsabteilung 10 sowie der gesamten Panzerjägerabteilung 10 erfolgte durch
den Wehrkreis XIII335. Die Kradschützeneinheiten ergänzten sich aus Ersatz-
truppen des Wehrkreises IX, ab Juli 1942 aus solchen des Wehrkreises VII; aus
Letzterem wurde auch die Panzerspähkompanie alimentiert. Bereits Mai/Juni
1942 musste die Aufklärungsabteilung 10 (mot) aufgrund hoher Verluste mit
dem Kradschützenbataillon 40 zusammengelegt werden. Das Pionierbataillon 10
(mot) gliederte sich in drei motorisierte Pionierkompanien. Daneben verfüg-
te das Bataillon noch über eine Brückenkolonne »B« (mot) und eine leichte
Pionierkolonne (mot)336. Stab und Einheiten des Pionierbataillons 10 (mot)
ergänzten sich aus dem Wehrkreis XIII337. Die teilmotorisierte Divisions-Nach-

330
Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 2, S. 151; Haupt, Die deutschen Infanterie-Divisionen,
Bd 1, S. 41‑43.
331
Nach Tessin und Müller-Hillebrand begann die Umbildung im November 1940, nach
Schmidt führte die Division bereits ab 1.10.1940 die Bezeichnung ID (mot). Tessin,
Verbände und Truppen, Bd 3, S. 166; Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 2, S. 79; Schmidt,
Geschichte der 10. Division, S. 86; Keilig, Das deutsche Heer, Bl. 101/II, S. 3 f.
332
Stammtafeln 10. ID (mot)/PzGrD, BArch, RH 26-10/122; Haupt, Die deutschen
Infanterie-Divisionen, Bd 1, S. 43; Stoves, Die gepanzerten und motorisierten deutschen
Großverbände, S. 76 f.; Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 279.
333
Kriegsgliederung 10. ID (mot), undat., BArch, RH 26-10/8. Lehrstab für Offizierschieß-
lehrgänge, Gliederung eines Artillerieregiments, September 1941, BArch, RH 17/129.
334
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 180 f.; Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 1, S. 159,
und Bd 2, S. 179 f. Die sonst übliche Flak-Kp. der Pz.Jäg.Abt. scheint bei der 10. ID (mot)
gefehlt zu haben. Kriegsgliederung 10. ID (mot), undat., BArch, RH 26-10/8.
335
Stammtafeln 10. ID (mot)/PzGrD, BArch, RH 26-10/122. Dort auch die folgenden
Angaben.
336
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 180 f.; Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 2,
S. 130, 180. Falsch: Stoves, Die gepanzerten und motorisierten deutschen Großverbände,
S. 76.
337
Stammtafeln 10. ID (mot)/PzGrD, BArch, RH 26-10/122.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 331

10. Infanteriedivision (mot)


Kriegsgliederung 1941/42 (Schema) *

Divisions-
stab

Infanterie- Stabs- Infanterie-


regiment I. Bataillon II. Bataillon III. Bataillon geschütz-
kompanie
20 (mot) kompanie

leichte
Panzerjäger- Infanterie-
kompanie kolonne

Infanterie- Stabs- Infanterie-


regiment I. Bataillon II. Bataillon III. Bataillon geschütz-
kompanie
41 (mot) kompanie

leichte
Panzerjäger- Infanterie-
kompanie kolonne

Artillerie- I. leichte II. leichte III. schwere


regiment Stabsbatterie Abteilung Abteilung Abteilung
10 (mot)

** Maschinen-
Kradschützen- Kradschützen- Kradschützen- Kradschützen- schwere
bataillon gewehr-
kompanie kompanie kompanie Kompanie
40 kompanie (mot)

**
Aufklärungs- Panzerspäh- Kradschützen- schwere
abteilung kompanie kompanie Kompanie
10 (mot)

Panzerjäger- Panzerjäger- Panzerjäger- Panzerjäger-


abteilung kompanie kompanie kompanie
10

Pionier- Pionier- Pionier- Pionier- Brücken- leichte


bataillon kompanie kompanie kompanie kolonne B Pionierkolonne
10 (mot) (mot) (mot) (mot) (mot) (mot)

Nachrichten- Fernsprech- Funk- leichte


abteilung kompanie kompanie Nachrichten-
10 (mot) (mot) (mot) kolonne (mot)

Verwaltungs-, Nachschub-, Feldpost-, Ordnungs- und Sanitätsdienste sowie Feldersatzbataillon

Anmerkungen
* Die Kriegsgliederung der 10. Infanteriedivision (mot) erfuhr 1941/42 wegen der kritischen Material- und
Fahrzeuglage sowie hoher personeller Ausfälle deutliche Abweichungen.
Die vorliegende Kriegsgliederung ist deshalb nur als Prinzipschema zu verstehen.
** Eingliederung der Aufklärungsabteilung 10 in das Kradschützenbataillon 40 im Mai/Juni 1942.
Quellen: BArch, RH 26-10/8, RH 17/129; Schmidt, 10. Division, S. 180 f. und S. 281. © ZMSBw
06959-05

richtenabteilung 10 wurde vollmotorisiert. Die rückwärtigen Dienste verfügten


über die bei den Infanteriedivisionen erster Welle übliche Gliederung338.

338
Siehe bei Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 2, S. 180; Schmidt, Geschichte der 10. Division,
S. 180 f.
332 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Mit der Umbildung in eine motorisierte Infanteriedivision war die Ent-


wicklung der Division im Kriege nicht abgeschlossen. Im Juni 1943 wur-
de die Division in 10. Panzergrenadierdivision umbenannt, was neben der
Umbenennung der Einheiten zu erneuten Aufstockungen und Neuzuführungen
führte. Auf die Darstellung der neuen Gliederungen und der auch später noch
wechselnden Kampfstärkenachweise wird an dieser Stelle jedoch verzichtet, da
sich das Fallbeispiel auf den Zeitraum Frühjahr 1942 bis Frühjahr 1943 kon-
zentriert339. Erwähnenswert ist jedoch, dass sich die gespannte Kraftfahrzeuglage
auch nach der Auffrischung ab Frühjahr 1943 nicht wesentlich bessern sollte.
So konnten pro Grenadierregiment nur die Regimentseinheiten und zuerst ein,
Ende April zwei Bataillone vollständig, bei den übrigen Bataillonen bloß die
Stäbe, Führungsteile und deren Trosse motorisiert werden. Ähnlich prekär war
die Fahrzeuglage bei den Kradschützeneinheiten und dem Pionierbataillon340.
Zusammengefasst lässt sich für die 10. Infanteriedivision (mot) im Vergleich
mit der 385. Infanteriedivision eine erheblich komfortablere Lage bezüglich ih-
rer Gliederung und Ausstattung feststellen. Als Division erster Welle war sie be-
reits als reine Infanteriedivision vielschichtiger zusammengestellt und verfügte
gegenüber der 385. Infanteriedivision nicht nur über eine quantitativ stärkere
Waffenausstattung, sondern auch über eine breitere Palette an Waffengattungen
und Waffensystemen. So besaß die 10. Infanteriedivision pro Infanterieregiment
die übliche Infanteriegeschützkompanie und damit schwere Infanteriegeschütze.
Weiter verfügte die Division über doppelt so viele leichte Feldhaubitzen im
Artillerieregiment, über eine Aufklärungs- und Panzerabwehrabteilung mit u.a.
2-cm-Fliegerabwehrkanonen und Panzerspähwagen sowie über ein teilmotori-
siertes Pionierbataillon mit eigener Brückenkolonne341. Durch die Umbildung
zur motorisierten Division verstärkte sich die materiell und waffenmäßig bessere
Ausstattung noch. Die 10. Infanteriedivision (mot) darf deshalb nicht einfach nur
auf eine »verlastete Infanteriedivision« mit »zweiachsige[n] ungepanzerte[n], be-
schränkt geländegängige[n] Kraftfahrzeuge[n]« reduziert werden342. Es gilt aller-
dings zu berücksichtigen, dass sich die Material- und besonders die Fahrzeuglage
seit der Umbildung in eine motorisierte Infanteriedivision nicht über eine behelfs-
mäßige Ausstattung hinaus entwickeln konnte. Im Verlaufe des Krieges sollte sie

339
Die genaue Gliederung der Einheiten ist zudem kaum verlässlich zu eruieren, da sich die
offiziellen K.St.N. in der Folge noch änderten und die Gliederungen wegen Fehlstellen
angepasst werden mussten. Vgl. 10. PzGrD/Ia Nr. 1387/42 geh., Betr.: Umgliederung der
10. Pz.Gren.Div., 20.10.1943, BArch, RH 26-10/62.
340
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 4, BArch, RH 26-10/43 (8.4.1943); 10. ID (mot)/Ia Nr. 742/43
geh., Kurzer Zustandsbericht der 10. I.D. (mot), 28.4.1943, BArch, RH 26-10/44. Anfang
April 1943 fehlten der Division »noch etwa 500« Fahrzeuge. 10. ID (mot)/Ia Nr. 622/43
geh., Betr.: Bevorzugte Instandsetzung der 10. I.D. (mot), 3.4.1943, BArch, RH 26-10/44,
S. 1
341
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 180; Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 3, S. 72;
Stoves, Die gepanzerten und motorisierten deutschen Großverbände, S. 78; Anlage 1c zu
OKH/Ch HRüst u BdE/AHA/Ia (I) Nr. 1347/42 g.Kdos, 385. Infanterie-Division, un-
dat., BArch, RH 26-385/38, Bl. 1.
342
Schottelius/Caspar, Die Organisation des Heeres, S. 341. Richtig ist hingegen der Hinweis,
dass eine ID (mot) nur »beschränkt geländegängig« und deshalb mit dem Gros an ein
Straßennetz gebunden war.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 333

sich sogar noch dramatisch verschlechtern und zu einem ständigen Schwachpunkt


werden. Die hohen Ausfälle während des Unternehmens »Barbarossa« 1941 und
in den Winterkämpfen 1941/42 führten schließlich zu so hohen Fehlbeständen,
dass sich die Division zeitweilig nur noch als »Teil-mot-Division« betrachtete343.

b) Das Personalgefüge und die


Offizierstellenbesetzung der Division

Das Personalprofil der 10. Infanteriedivision (mot) *

Markant unterschied sich die 10. Infanteriedivision (mot) von der 385. Infante-
riedivision auch bezüglich der Personallage der Mannschaften. Wie gesehen war
Letztere als Division der 18. Welle mehrheitlich aus kurz ausgebildeten, bis zu die-
sem Zeitpunkt uk-gestellten und bereits älteren Mannschaften zusammengestellt
worden. Zudem musste die erst Anfang 1942 aufgestellte 385. Infanteriedivision
ihre Einheiten aus drei unterschiedlichen Wehrkreisen ergänzen. Demgegenüber
stellten sich die Divisionen der ersten Welle gemäß Mobilmachungsanordnungen
aus ungefähr 78 Prozent aktiven Soldaten, 18 Prozent Reservisten und 4 Prozent
Landwehr zusammen344. Mit Ausnahme der Kradschützeneinheiten konnte sich
die 10. Infanteriedivision (mot) aus einem einzigen Wehrkreis ergänzen. In dieser
Hinsicht lagen zwischen der 10. Infanteriedivision und der 385. Infanteriedivision
– um mit Christian Hartmann zu sprechen – »nicht nur Wellen, sondern
Welten«345. Dass sich dies im Verlaufe des Krieges änderte und ein solches pau-
schales Urteil deshalb für die gesamte Kriegsdauer nur bedingt Gültigkeit besitzt,
soll unten noch näher erörtert werden. Zunächst gilt es jedoch festzuhalten, dass
sich die Art der Aufstellung sowie die personelle Zusammensetzung der Division
gewiss positiv auf den Kampfwert und die Homogenität ihrer Einheiten ausge-
wirkt haben dürfte – und zwar auch langfristig. Noch im Februar 1945, nach-
dem die Division zweimal zerschlagen worden war, hielt z.B. der Kommandeur
der Divisionsnachschubtruppen Major von Roehl in einem Bericht an den
Generalinspekteur der Panzertruppen fest:
»Der durch Tradition und landsmannschaftliche Zusammengehörigkeit ge-
stärkte Kampfgeist der altbewährten 10. Division ist bekannt; die immer noch
stattliche Anzahl alter Divisionsangehöriger in allen Truppenteilen vermochte
ihn bisher voll zu erhalten346.«

343
10. ID (mot)/Ia Nr. 392/43 geh., Erfahrungsbericht über den Stellungskrieg im Winter,
26.2.1943, BArch, RH 26-10/48, S. 1 (Zitat); 10. ID (mot)/Gruppe V, Betr.: Kfz-
Lage, 24.11.1941, BArch, RH 26-10/16; Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 89.
Die Panzer- und motorisierten Verbände litten allerdings chronisch an Kfz-Mangel und
Entmotorisierung. Vgl. z.B. Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, S. 55‑61.
344
Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 1, S. 70; DRWK, Bd 5/1, S. 710, 729 (Grafik) (Beitrag
Kroener).
345
Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, S. 93.
346
Roehl war zu diesem Zeitpunkt dienstältester Offizier und verantwortlicher Führer der
Restteile der Division. Restteile 10. PzGrenDiv Nr. 36/45 geh., Betr.: Umfang und Zu-
stand der 10. Pz.Gren.Div., 1.2.1945, BArch, RH 10/180.

*Vgl,; Rass, "Menschenmaterial"


334 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Solche Aussagen müssen sicherlich mit Vorsicht betrachtet werden. In Wirk-


lichkeit dürfte die »stattliche Anzahl« weit geringer ausgefallen sein. In einem
Fernschreiben vom 29. September 1943 meldete die Division jedenfalls, dass
»von dem Stamm alter U[ntero]ff[i]z[iere] und Mannschaften [...] nur noch
verschwindend geringe Reste vorhanden« seien347. Erstaunlicherweise scheint
dies dennoch genügt zu haben, um den Personalersatz ausreichend ausbilden zu
können und dessen Leistungsfähigkeit auf ähnliche Höhe zu bringen. Nachdem
die Division im August 1944 zerschlagen wurde und im Oktober 1944 wieder
aufgestellt werden sollte, beurteilte der mit der Divisionsführung beauftragte
Oberst Walter Herold die Möglichkeit für eine Wiederaufstellung der Division
am 1. Oktober 1944 jedenfalls immer noch als gut, weil »an sich ausreichende
Stämme vorhanden« seien348. All dies würde darauf hindeuten, dass es für den
Erhalt der Kampfkraft einer Division weniger auf die Quantität als vielmehr auf
die Qualität des Stammpersonals ankam und dieser Stamm nicht besonders groß
sein musste349. Ein Grund dafür, dass das innere Gefüge der Einheiten erhal-
ten werden konnte, lag sicher auch im Bemühen der Divisionsführung, mög-
lichst keine Einheiten aufzulösen. In einer Meldung an das Generalkommando
XXIV. Panzerkorps meinte die Division, dass »eine Auflösung von Verbänden,
die durch Kampferlebnis und -Erfolge besonders zusammengeschweißt wurden,
[...] aus psychologischen Gründen nicht tragbar« erscheine350. Aus diesem Grund
entschloss sich die Division dazu, »künftig lieber mit schwachen Bataillonen
und Kompanien, jedoch in bisheriger Gliederung, [zu] kämpfen, als etwa mit !
Regimentern zu 2 vollwertigen Bataillonen«. Dies führte schließlich dazu, dass
am 22. Dezember 1941 die Schützenkompanien noch über 60 bis 80 Mann ver-
fügten, das Kradschützenbataillon 40 »etwa 1/2 früherer Stärke« aufwies oder die
Pionierkompanien aus zwei Zügen bestanden351.
Interessant sind die Einschätzungen Roehls und Herolds über die Qualität des
Stammpersonals auch deshalb, weil die Verluste der Division während des Krieges
sehr hoch waren und eine starke Personalfluktuation mit sich brachten352. Gemäß
verschiedenen Quellenaussagen hat sich dies auch tatsächlich negativ auf die

347
FS 10. PzGrD/Ia Nr. 1345/43 geh., An Gen.Kdo. XXIV. PzK, 29.9.1943, BArch,
RH 26-10/59.
348
Anlage zu Gen.Insp.d.Pz.Tr. Nr. 001412/44 geh., 10. PzGrD, Meldung vom 1.10.1944,
BArch, RH 10/180, Bl. 42.
349
Vgl. Müller, Die Wehrmacht, S. 282.
350
10. ID (mot)/Ia, Betr.: Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft, [27.‑30.7.1941],
BArch, RH 26-10/11a. Dort auch das Folgende.
351
10. ID (mot)/Ia, Notiz über Kampfwert 10. I.D. (mot) am 22.12.[1941], BArch,
RH 26-10/17b.
352
Die Gesamtverluste der 10. ID (mot) betrugen von 1939 bis 1945 mit 33 612 Mann mehr
als das Doppelte der eigentlichen Planstärke von 14 500 Mann. Schmidt, Geschichte der
10. Division, S. 320; DRWK, Bd 5/1, S. 847 (Beitrag Kroener). 10. ID (mot)/Ia, Betr.:
Zustandsbericht, 25.7.1941, BArch, RH 26-10/11a. Zum Vergleich verlor die maximal
17 000 Mann umfassende 253. ID im selben Zeitraum 31 015 Mann. Rass, Menschen-
material, S. 65, 423. Die Aussagekraft solcher Zahlen ist aber begrenzt, da sie nicht zwi-
schen Gefallenen, Verwundeten, Verunfallten und Kranken unterscheiden. Auch bleibt un-
klar, wie viele der Verwundeten zur Division zurückkehrten bzw. bei der Truppe verblieben
oder bei wiederholter Verwundung mehrmals gezählt wurden. Die hier und später genann-
ten Zahlen dienen deshalb einzig dazu, die Dimension der Verluste generell aufzuzeigen.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 335

Qualität der Soldaten ausgewirkt. In einer Zustandsmeldung vom 1. August 1941


meldete der Divisionskommandeur, dass die Kampfkraft der Infanterie aufgrund
der schweren Kämpfe bereits »um 1/3 vermindert« sei und dabei »vor allem die
wertvollsten Teile, Zugführer, Gruppenführer, Richtschützen und Spezialisten«
ausgefallen seien353. Die Ausfälle beliefen sich bei den Mannschaften bereits zu die-
sem Zeitpunkt auf 2126 Mann, während der Fehlbestand gleichzeitig 85 Unter-
offiziere und 1223 Mannschaften aufwies. In den Winterkämpfen 1941/42 wur-
den die Einheiten der Division schließlich regelrecht »ausgeblute[t]«, während
der ab 1942 zugeführte Personalersatz zudem nicht mehr der Vorkriegsqualität
entsprach354. In einem Werturteil zum Zustandsbericht der Division hielt der
Divisionskommandeur am 15. Juni 1942 fest, dass die »Mannschaft mit Masse
kriegsunerfahren« sei und der »Ausbildungsstand der Kompanien, besonders des
jungen Nachersatzes, [...] noch nicht« genüge355. Diesbezüglich scheinen sich die
personellen Rahmenbedingungen der 10. Infanteriedivision (mot) Mitte 1942
nicht mehr erheblich von denen der 385. Infanteriedivision unterschieden zu
haben. Wie sich dies auf das Führungsverhalten ausgewirkt hat, wird sich noch
zeigen.
Bei der Offizierstellenbesetzung zeigte sich eine ähnliche Situation. Durch
ihre Aufstellung als aktive Division noch in Friedenszeiten konnten zwar alle
Führungsfunktionen der 10. Infanteriedivision durch aktive Offiziere besetzt
werden356. Dies änderte sich aber mit dem ab 1935 rasant vorangetriebenen
Heeresaufwuchs, mit der Mobilmachung des Kriegsheeres im August 1939 und
den dadurch notwendig gewordenen Abgaben für Neuaufstellungen ebenso
wie durch die Verluste während der Feldzüge von 1939 und 1940 und die da-
durch erforderlich gewordene Nachführung von jungem Personalersatz357. Auch
hatte die Division nach dem Polenfeldzug viel Personal für Neuaufstellungen
abgeben müssen, während zudem die meisten Kommandeursstellen sowie der
Ia, Ib und Ic neu besetzt worden waren. Die Umbildung in eine motorisierte
Infanteriedivision ab Herbst 1940 brachte eine erneute Durchmischung des
Offizierkorps mit sich, da zahlreiche Offiziere mit Erfahrung in der Führung
motorisierter Einheiten zur 10. Infanteriedivision (mot) versetzt wurden358.
Schließlich wirkten sich auch die angesprochenen Verluste während des Ostkrieges
1941/42 auf die Zusammensetzung des Offizierkorps aus. Die angesprochene
Zustandsmeldung nannte für den Zeitraum vom 20. Juni bis 1. August 1941

353
10. ID (mot), Zustandsmeldung für den Zeitraum vom 20.6. bis 1.1.41, 1.8.1941, BArch,
RH 26-10/11a. Dort auch das Folgende.
354
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 146 (Zitat). Tatsächlich hatte sich die Qualität
des Personalersatzes bereits ab Ende 1940 verschlechtert. DRWK, Bd 5/1, S. 876, 957‑966
(Beitrag Kroener); Absolon, Die Wehrmacht im Dritten Reich, Bd 6, S. 276‑305.
355
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 6, BArch, RH 26-10/29 (15.6.1942) (Hervorhebung im
Original).
356
Vgl. Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, S. 90. Zur Problematik des Heeresaufwuchses
sowie der Qualitätseinbuße und Überalterung des Offizierskorps siehe DRWK, Bd 5/1,
S. 732‑739, 995 (Beitrag Kroener); Untersuchungen zur Geschichte des Offizierkorps,
S. 175.
357
Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 2, S. 40, 69; Haupt, Die deutschen Infanterie-Divisionen,
Bd 1, S. 190.
358
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 56, 85‑88.
336 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

bereits 115 Offizierverluste und Offizierabgänge. Im selben Zeitraum waren der


Division lediglich elf Offiziere als Ersatz zugeführt worden, weshalb die Division
am 1. August 1941 einen Fehlbestand von 31 Offizieren ausweisen musste359.
Wie gesehen betraf die Mehrheit dieser Ausfälle Subalternoffiziere. Allerdings
kam es auch bei den Truppenführern bereits zu einschneidenden Verlusten360. Die
Infanterieregimenter verloren z.B. zwei Drittel ihrer Bataillonskommandeure,
das Artillerieregiment zwei Abteilungskommandeure, wovon einer allerdings
bei der Truppe verbleiben konnte. Bei den Kompanien und Batterien fielen 18
Einheitsführer aus, wovon nur ein Drittel bei der Truppe verbleiben konnte, wäh-
rend die übrigen Einheiten notdürftig neu besetzt werden mussten. Wie schon die
weiter oben erwähnten Ausstattungsprobleme der Division mit Kraftfahrzeugen
widerspiegelten jedoch auch die Verluste der 10. Infanteriedivision (mot) ledig-
lich eine allgemeine Tendenz des Ostheeres. Die Bilanz der Gesamtverluste im
Osten belief sich für die Zeit vom 22. Juni 1941 bis 31. März 1942 auf 1 107 830
Mann, was knapp 35 Prozent des gesamten Ostheeres entsprach. Hiervon betru-
gen die Offizierverluste 33 223 Mann361. Überproportional hohe Ausfälle gab
es beim aktiven Offizierkorps, besonders bei den jüngeren Truppenoffizieren362.
In einer Denkschrift vom Mai/Juni 1942 hielt das Heerespersonalamt fest, dass
»etwa 25 Prozent« des aktiven und »rund 7,5 Prozent« des Reserveoffizierkorps
gefallen sei363. Es gilt also zu berücksichtigen, dass die Offizierstellenbesetzung
der 10. Infanteriedivision (mot) seit ihrer Aufstellung als Infanteriedivision ers-
ter Welle einem stetigen Wechsel unterworfen war. Die folgende Analyse der
Offizierstellenbesetzung der 10. Infanteriedivision (mot) für den Zeitraum vom
22. Juni 1941 bis 31. Dezember 1942 wird zeigen, inwiefern diese ihren qualita-
tiven Vorsprung als Division erster Welle gegenüber der 385. Infanteriedivision
bewahren konnte.

Die Divisionsführung

Kommandeur der 10. Infanteriedivision (mot) war seit dem 25. April 1942
Generalmajor August Schmidt364. Er hatte die Führung der Division vor Ort von

359
Insgesamt waren 30 Offiziere gefallen, 78 verwundet, zwei krank und fünf aus anderen
Gründen ausgefallen. Von den elf neu zugeführten Offizieren waren sechs aktive, drei
Reserve- und zwei Landwehroffiziere. 10. ID (mot), Zustandsmeldung für den Zeitraum
vom 20.6. bis 1.1.41, 1.8.1941, BArch, RH 26-10/11a.
360
Die folgenden Angaben beziehen sich auf: Offizierverluste nach dem Stande vom 14.7.41,
BArch, RH 26-10/11a; Namentliche Verlustliste der Offiziere nach dem Stande vom
1.8.41, BArch, RH 26-10/11b.
361
Halder, KTB, Bd 3, S. 424 (6.4.1942).
362
OKH/HPA, KTB der 1. Abt./Ag P1, BArch, RH 7/860 (10.4.1942) und Anlage 51 zu
OKH/HPA, KTB der 1. Abt./Ag P1, Offizierverluste im Osten, BArch, RH 7/860. Vgl.
auch DRWK, Bd 6, S. 784, Anm. 80 (Beitrag Wegner).
363
Abgedr. in: Keilig, Das deutsche Heer, Bl. 203, S. 2.
364
Schmidt hatte die Führung am 5.5.1942 übernommen und war rückwirkend auf den
25.4. zum Kdr. ernannt worden. OKH/Ag P1/Ref. 9 Nr. 3450/42 g., 15.5.1942, BArch,
Pers 6/908, Bl. 45; Kriegsrangliste sämtlicher Offiziere und Beamten im Offizierrang des
Stabes der 10. I.D. (mot), 22.6.1941‑31.12.1942, BArch, RH 26-10/88.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 337

Generalmajor Hans Traut übernommen, der die Division nach dem gesundheit-
lichen Ausfall des Kommandeurs Generalleutnant Friedrich-Wilhelm von Loeper
seit dem 15. März 1942 stellvertretend geführt hatte365. Schmidt kam zwar aus der
Führerreserve OKH, war als langjähriger Regimentskommandeur in der Division
jedoch nicht unbekannt. Schmidt war Franke und 1892 geboren, hatte als Zug-,
Kompanie- und Bataillonsführer, Ordonnanzoffizier und Regimentsadjutant am
Ersten Weltkrieg teilgenommen und war als Oberleutnant in die Reichswehr über-
nommen worden366. Im Jahr 1923 wurde er zum Hauptmann befördert. Schmidt
schied im März 1933 aus unbekannten Gründen unter Charakterisierung zum
Major aus dem Heeresdienst aus, wurde allerdings bereits am 1. November 1933
als Major wieder angestellt367. In der Folge entwickelte sich seine Karriere stetig.
Ab 1. April 1934 war er Bataillonskommandeur im Infanterieregiment 49, wech-
selte zum 1. Oktober 1934 aber in das Infanterieregiment 7, wo er die gleiche
Funktion wahrnahm. Bereits am 1. Dezember 1935 wurde er Oberstleutnant
und am 1. April 1938 Oberst. Am 15. Januar 1939 übernahm er den Befehl
über das Infanterieregiment 20368. Schmidt führte das Regiment im Polenfeldzug
1939 und Westfeldzug 1940 sowie nach der Umbildung zum motorisierten
Infanterieregiment im Ostfeldzug 1941. Als erster Divisionsangehöriger und erster
Regimentskommandeur des Heeres war ihm nach Abschluss des Polenfeldzuges
am 27. Oktober 1939 »für seine zielbewusste Führung« und »die hervorragen-
den Leistungen seines Regiments« das Ritterkreuz verliehen worden369. Schmidt
zeichnete sich auch während des Ostfeldzuges 1941 als energischer Truppenführer
aus. Seine Verdienste in den Gefechten bei Mogilev und beim Übergang über den
Dnepr sowie seine »ganz besonders hervorstechende Leistung« in den Kämpfen
um den Brückenkopf von Propojsk erwogen den Divisionskommandeur dazu,
Schmidt zur »vorzugsweisen« Beförderung vorzuschlagen370. Der Antrag der
Division zeichnet auch ein deutliches Bild von Schmidts Führungsstil: In den
schweren und verlustreichen Kämpfen bei Propojsk habe sich Schmidt immer
im Brennpunkt des Geschehens befunden. Zusammen mit dem Kommandeur
des Artillerieregiments 10 (mot) sei er deswegen »die Seele und Stütze dieses
Kampfes« gewesen. Dabei sei es »sein persönliches Verdienst« gewesen, dass zwi-
schen dem 18. und 23. Juli 1941 insgesamt zwanzig sowjetische Angriffe abge-

365
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 5, BArch, RH 26-10/28 (5.5.1942); OKH/HPA, Personalakten
für Friedrich-Wilhelm von Loeper, BArch, Pers 6/720. Vgl. auch BArch, MSg 109/1609;
Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 7, S. 591 f.
366
BArch, MSg 109/2357.
367
Die Wiederanstellung erfolgte mit Rangdienstalter 1.4.1933. Sein zwischenzeitliches
Ausscheiden aus dem aktiven Offizierdienst wirkte sich deshalb nicht negativ auf seine
weitere Karriere aus, für die zu diesem Zeitpunkt noch das Anciennitätsprinzip ausschlag-
gebend war. Notiz P.A.i. Nr. 2783/33, 28.10.1933, BArch, Pers 6/908, Bl. 12.
368
BArch, MSg 109/2357; Notiz PA (1) Nr. 90/39, undat., BArch, Pers 6/908, Bl. 15.
369
IR 20 (mot)/IIa Az. 29, Betr.: Ritterkreuzträger, 7.5.1941, BArch, RH 26-10/514;
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 55, 317; Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 668.
370
10. ID (mot)/IIa, Betr.: Vorschlag zur Beförderung zum nächsthöheren Dienstgrad,
24.7.1941, BArch, Pers 6/908. Der Antrag wurde vom K.G. des XXIV. PzK Leo Reichsfrhr.
Geyr von Schweppenburg und vom OB der Pz.Gr. 2 Guderian befürwortet. Gen.
Kdo. XXIV. PzK/IIa, Betr.: Vorschlag zur Beförderung zum nächsthöheren Dienstgrad,
27.7.1941, ebd., Bl. 22; Pz.Gr. 2/IIa, Der Heeresgruppe Mitte, 30.7.1941, ebd., Bl. 23.
338 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

wehrt wurden. Unter »rücksichtsloseste[m]« Einsatz seiner Person habe Schmidt


»den Abwehrkampf bei seinen Bataillonen« geleitet und »durch sein persönliches
Eingreifen und die Tatsache, dass er selbst dicht hinter seiner vorderen Linie lag, !
wesentlich dazu bei[getragen], die Widerstandskraft seines Regiments zu erhal-
ten«. Diese Schilderung belegt nicht nur, dass Schmidt sehr akzentuiert von vorne
führte, sondern zeigt auch deutliche Parallelen zum Führungsverhalten von Eibl
auf. Es wird sich noch zeigen, wie sich diese Art der Führung auf Divisionsstufe
niederschlug (Kap. IV.3.c). Am 27. August 1941 wurde Schmidt in den Kämpfen
um den Übergang über die Desna an der Hand schwer verwundet371. In der
Folge gab er sein Regimentskommando ab und wurde am 1. Oktober 1941
unter gleichzeitiger Beförderung zum Generalmajor in die Führerreserve OKH
versetzt. Während seiner Einteilung zur Führerreserve hatte Schmidt kurzzeitig
die Ersatzdivision 193 und die Division z.b.V. 413 in Vertretung geführt. Mit
Wirkung vom 31. Januar 1942 wurde er vorübergehend mit der Führung der
50. Infanteriedivision beauftragt, die im Rahmen der 11. Armee auf der Krim
eingesetzt war. Am 17. Februar 1942 musste Schmidt jedoch wieder in die
Führerreserve OKH versetzt werden, weil seine alte Verwundung an der Hand
erneut aufgebrochen war und operiert werden musste372.
Nach der Genesung übernahm Schmidt wie erwähnt am 5. Mai 1942 das
Kommando über die 10. Infanteriedivision (mot). Sein Gesundheitszustand soll-
te ihn jedoch auch in der Folge mehrmals zu Genesungsurlauben zwingen373. Die
Stellung als Divisionskommandeur scheint Schmidt jedoch trotz gesundheitli-
cher Probleme zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten ausgefüllt zu haben.
Der stellvertretende Kommandierende General des Wehrkreises XIII General der
Artillerie Friedrich von Cochenhausen hatte ihn schon im April 1942 als »lebhaf-
te energische Persönlichkeit« beurteilt, welche die gestellten Aufgaben zur »vollen
Zufriedenheit« erfüllt habe374. Am 2. Dezember 1942, d.h. nach sieben Monaten
als Divisionskommandeur im Feld, wobei Schmidt wie erwähnt mehrere Wochen
und Monate krankheitshalber beurlaubt war, beurteilte ihn der Kommandierende
General des LVI. Panzerkorps General der Panzertruppe Ferdinand Schaal sehr po-
sitiv. Diese Beurteilung erfolgte außerterminlich und als Beförderungsvorschlag.
Schaal bewertete Schmidt darin als »aufrechte[n], gerade[n] Charakter«, der »sei-
ne Stelle sehr gut aus[fülle]« und sich »voll bewährt« habe375. Er betonte zudem

371
Der Einsatz des Inf.Regts. 20, des Inf.Regts. 20 (mot), und des Panzergren.Regts. 20 im
2. Weltkrieg 1939‑1945, undat., BArch, RH 37/794, S. 7; Fachärztlicher Untersuchungs-
schein, Reservelazarett Ib Regensburg, 30.3.1942, BArch, Pers 6/908, Bl. 42.
372
Stellv.Gen.Kdo. XIII. AK, Beurteilung zum 1. April 1942, 15.4.1942, BArch, Pers 6/908,
Bl. 57; BArch, MSg 109/2357; FS OKH/HPA Ag P 1/1. Abt. (IIa), 17.2.1942, BArch,
Pers 6/908, Bl. 37; Tessin, Verbände und Truppen, Bd 5, S. 163.
373
Z.B. im Juni/Juli 1942, September/Oktober 1942, Dezember 1942/Januar 1943 und
Dezember 1943. Stellv.Gen.Kdo. V. AK/IIa (1) Az. Führ.Res./42, Betr.: Generalmajor
Schmidt, Führ.Res.O.K.H., Zwischenbericht, 14.7.1942, BArch, Pers 6/908, Bl. 47; FS
Stellv.Gen.Kdo. V. AK/IIa an OKH/HPA/P 1/1. Abt. (IIa), 23.9.1942, BArch, Pers 6/908,
Bl. 48.
374
Stellv.Gen.Kdo. XIII. AK, Beurteilung zum 1. April 1942, 15.4.1942, BArch, Pers 6/908,
Bl. 57.
375
Gen.Kdo. LVI. PzK/K.G., Vorschlag zur vorzugsweisen Beförderung des Gen.Major
Schmidt, 2.12.1942, BArch, Pers 6/908, Bl. 49. Dort auch das Folgende.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 339

wie schon Cochenhausen die »lebhafte, energische [...] Persönlichkeit«, durch die
Schmidt »der Truppe seinen Stempel auf[drücke]«, bezeichnete ihn aber auch als
»teilweise [...] eigenwillig«. Aufgrund der bisherigen sehr guten Leistungen schlug
Schaal Schmidt aber trotzdem bereits zu diesem frühen Zeitpunkt – und folglich
erneut vorzugsweise – zur Beförderung zum Generalleutnant vor, die am 1. Januar
1943 auch tatsächlich wirksam wurde376. Auffallend ist dabei nicht nur die zwei-
mal hintereinander bevorzugte Beförderung vom Oberst zum Generalleutnant,
sondern auch, dass dies trotz der bekannten gesundheitlichen Komplikationen
geschah377. Vorerst wirkte sich Letzteres nicht auf die Leistungsfähigkeit aus.
Am 5. März 1943 wurde Schmidt – wieder von Schaal – überdurchschnittlich
und als geeignet für die Funktion eines Kommandierenden Generals beurteilt378.
Zusätzlich zu den bereits im Dezember geäußerten Merkmalen betonte Schaal
diesmal noch explizit den »starke[n] Führungswille[n]« Schmidts sowie die
Fähigkeiten, die Division »mit sicherer und fester Hand in klarer Zielsetzung«
zu führen und das Offizierkorps und die Division »erfolgreich« auszubilden. Der
Oberbefehlshaber der 4. Armee Generaloberst Heinrici bestätigte das Urteil und
hob u.a. besonders die »straff[e] und sicher[e]« Führung der Division hervor.
Nach »Begabung und taktischem Können« wertete er Schmidt aber als »gute[n]
Durchschnitt«, weshalb er zunächst in seiner Stellung zu belassen sei. Obwohl
Schmidt am 23. Januar 1944 für die Leistungen seiner Division im Rahmen
der schweren Abwehrkämpfe bei Kirovograd das Eichenlaub zum Ritterkreuz
verliehen wurde379, mehrten sich in den Beurteilungen kritische Hinweise. Im
März 1944 hielt der mit der Führung des XXXXVII. Panzerkorps beauftragte
Generalleutnant Nikolaus von Vormann fest:
»Ein guter, tatkräftiger, tapferer Div.Kommandeur, dessen Leistungsgrenze
seinem Auftreten, Wesen und Können nach mir jedoch erreicht zu sein
scheint380.«
Der Oberbefehlshaber der Armeegruppe Wöhler (Armeeoberkommando 8) Gene-
ral der Infanterie Otto Wöhler bewertete Schmidt zwar als überdurchschnittli-
chen Divisionskommandeur, stützte ansonsten aber die Einschätzung Vormanns
und sah als weitere Verwendung ebenfalls weiterhin das Divisionskommando vor.
Schmidt blieb also nach fast zwei Jahren weiterhin Kommandeur der 10. Panzer-
grenadierdivision. Erst nach der Zerschlagung der Division Ende August 1944 wur-
de er am 2. September in die Führerreserve OKH versetzt und am 15. September
1944 mit der Führung des Generalkommandos LXXII. Armeekorps beauf-

376
Rw.M./HL/PA, Personalakten für August Schmidt, BArch, Pers 6/908, Bl. 1; BArch,
MSg 109/2357.
377
Die Bedeutung bevorzugter Beförderungen ist insofern zu relativieren, als zwischen 1939 !
und 1945 mehr als die Hälfte aller Heeresoffiziere bevorzugt befördert wurden. Unter-
suchungen zur Geschichte des Offizierkorps, S. 175. Auch wird der Vergleich mit dem Kdr.
der IDGD noch zeigen, dass Schmidt keine sehr schnelle Karriere durchlaufen hat (vgl.
Kap. IV.4.b).
378
Gen.Kdo. LVI. PzK, Beurteilungen zum 1. März 1943, 5.3.1943, BArch, Pers 6/908,
Bl. 58. Dort auch die folgenden Zitate.
379
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 215‑217, 316; Scherzer, Die Ritterkreuzträger,
S. 668.
380
Gen.Kdo. XXXXVII. PzK, Beurteilung zum 1. März 1944, 12.3.1944, BArch, Pers 6/908,
Bl. 60.
340 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

tragt381. Die Beurteilung Schmidts als Führer eines Korps vom 12. Januar 1945
fiel allerdings wenig positiv aus. Der Oberbefehlshaber der 6. Armee Balck, be-
urteilte Schmidt zwar als »grundanständige[n] und persönlich einsatzbereite[n]
Kommandeur«, gleichzeitig aber auch als »Stimmungsmensch[en]«, »der zuweilen
vielleicht auf Grund angegriffenen Gesundheitszustandes von kritischen Lagen
beeindruckt wird«. Deswegen verzeichnete Balck kurz und ohne Umschweife:
»Bei taktisch durchschnittlicher Veranlagung führt er zu methodisch. Könnte
manchmal schwungvoller sein und weniger Schwierigkeiten sehen. Seine
Leistungsgrenze war bereits als Div. Kdr. erreicht. Zum Komm. Gen. fehlt
das Format.«
Der mittlerweile zum Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd ernannte Wöhler
sah Schmidt ebenfalls nicht als Kommandierenden General und stimmte dem
Urteil Balcks zu. Schmidt wurde daraufhin am 22. Januar 1945 in die Führer-
reserve OKH versetzt.
Abschließend lässt sich in Bezug auf die Divisionsführung feststellen: Für
den Zeitraum vom Oktober 1940 bis September 1944 zeigt sich im Bereich der
Führung dieser Division eine hohe Stabilität. Loeper führte die Division in sei-
ner dritten Verwendung als Divisionskommandeur immer noch eineinhalb Jahre
lang, Schmidt sollte die Führungsverantwortung sogar über zwei Jahre und vier
Monate tragen. Die wenigen Wechsel wirkten sich auf die Führungskultur und de-
ren Kontinuität innerhalb der Division sicher förderlich aus. Andererseits sind die
langen Verweildauern auf Divisionsstufe auch ein Hinweis dafür, dass beide nicht
der obersten militärischen Führungselite zuzurechnen sind382. In diesem Fall wä-
ren sie nämlich früher in einer höheren Dienststellung verwendet worden. Die er-
wähnten Beurteilungsnotizen bestätigen diese Einschätzung. Dies mag gerade bei
Schmidt erstaunen, der sich bereits im Polenfeldzug als Regimentskommandeur
bewährte und ausgezeichnet wurde. Interessant ist Schmidt auch wegen seiner
Persönlichkeit. Er scheint charakterlich Eibl sehr ähnlich gewesen zu sein und
zeichnete sich ebenso durch einen starken Führungswillen und dezidiertes Führen
von vorne aus.

381
Abschrift, AOK 6, Beurteilungsnotizen, 12.1.1945, BArch, Pers 6/908, Bl. 61. Dort auch
das Folgende.
382
Wesentlich kürzere Verweildauern zeigt z.B. die – allerdings außerordentliche – Kriegs-
karriere von Balck. Dieser war nur ein Jahr jünger als Schmidt und führte auch seit
Mai 1942 eine Division (11. PzD), wurde aber erst im August 1942 Generalmajor. Am
5.3.1943 folgte die Versetzung in die Führerreserve OKH. Nach der stellvertretenden
Führung der IDGD von April bis Juni 1943 wurde Balck ab September 1943 in ver-
schiedenen Dienststellen auf Korpsstufe verwendet. Ab August 1944 bis Kriegsende wurde
er in diversen Stellen als Armeeführer und OB einer H.Gr. verwendet. Balck führte nur
zwölf Monate auf Divisions-, fünf Monate auf Korps- und neun Monate auf Armee- bzw.
Heeresgruppenstufe. Die kurzen Verweildauern sind – v.a. ab 1944 – auch der allgemei-
nen Krisenlage geschuldet, belegen aber doch seine überragenden Fähigkeiten. Bradley/
Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 1, S. 176‑178. Vgl. DePuy,
Generals Balck and von Mellenthin on Tactics, S. 48.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 341

Der Divisionsstab383

Im Divisionsstab war die Funktion des 1. Generalstabsoffiziers seit dem


15. Februar 1941 durch Major (später Oberstleutnant) i.G. Georg von Unold
besetzt384. Unold wurde am 9. Mai 1942 in die Führerreserve OKH versetzt und
am 11. Mai 1942 durch Major (später Oberstleutnant) i.G. Karl Inhofer ersetzt,
der aus der Führerreserve des Wehrkreiskommandos III kam. Am 30. April 1943
wurde Inhofer in die Quartiermeisterabteilung im OKH versetzt, an seine Stelle
trat Major (ab Juli 1944: Oberstleutnant) i.G. Ulrich de Maizière, der aus der
Organisationsabteilung des OKH kam385.
Die Stelle des 2. Generalstabsoffiziers wurde ab 6. Januar 1941 durch Haupt-
mann (später Major) i.G. Karl Redmer besetzt, der direkt von den General-
stabslehrgängen in Berlin kam und Hauptmann Rudolf von Haacke ablöste,
der im Westfeldzug noch Ic gewesen war und als Ib zur 113. Infanteriedivision
versetzt wurde386. Redmer wurde am 1. August 1942 zum Generalkommando
XXVII. Armeekorps versetzt und verließ die Division am 31. August 1942. Am
28. August 1942 war sein Nachfolger Hauptmann i.G. Kurt Rosewich eingetroffen,
der direkt aus dem Generalstabslehrgang kam. Anfang September 1942 war zudem
Hauptmann (akt.) Richard Hegerl zur Generalstabsausbildung kommandiert wor-
den. Hegerl gehörte seit 1934 der Division an und war im Infanterieregiment 20
(mot) zu Beginn des Ostfeldzuges 1941 Regimentsadjutant, zwischenzeitlich
Bataillonsführer und zuletzt Kommandeur des II. Bataillons. Im Mai 1943 kehrte
er als Major i.G. zur Division zurück und übernahm die Funktion des Ib, die er
bis April 1944 inne hatte387. Die Funktion des 3. Generalstabsoffiziers wurde ab
dem 1. März 1941 von Hauptmann d.R. Ludwig Altstötter wahrgenommen, der
aus dem Kradschützenbataillon 40 versetzt wurde388. Altstötter wurde zusammen
mit Oberleutnant d.R. Rupert Fürst zu Castell-Rüdenhausen vom 29. März bis
5. April 1941 bei der Panzergruppe 2 zu einem Ic-Lehrgang kommandiert und
am 15. Oktober 1942 ins OKH versetzt. Die Stelle des Ic übernahm Rittmeister
Fürst zu Castell-Rüdenhausen, der zuvor Ordonnanzoffizier im Divisionsstab ge-
wesen war389. Die Stelle des Divisionsadjutanten und IIa besetzte ab November
1940 Major (zuletzt Oberstleutnant) (akt.) Hans-Heinrich von Scheliha. Er

383
Die Analyse zur Offizierstellenbesetzung basiert, wenn nicht anders belegt, auf:
Kriegsrangliste sämtlicher Offiziere und Beamten im Offizierrang des Stabes der
10. I.D. (mot), 22.6.1941‑31.12.1942, BArch, RH 26-10/88; Schmidt, Geschichte der
10. Division, passim.
384
10. ID/Ia, Anlage 2 (Personalangelegenheiten) zu Tätigkeitsbericht Nr. 3, 9.4.1941, BArch,
RH 26-10/8.
385
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 4, BArch, RH 26-10/43 (30.4.1943); Schmidt, Geschichte der
10. Division, S. 170, 285.
386
10. ID/Ia, Anlage 1 (Ausbildung) zu Tätigkeitsbericht Nr. 2, 1.11.1940‑31.1.1941,
BArch, RH 26-10/8.
387
10. ID (mot)/Ia, KTB, BArch, RH 26-10/9 (29.12.1941).
388
10. ID/Ia, Anlage 2 (Personalangelegenheiten) zu Tätigkeitsbericht Nr. 3, 9.4.1941, BArch,
RH 26-10/8. Falsch: Wegmann/Zweng, Die Dienststellen, Bd 1, S. 374, wo Altstötter be-
reits ab 1.10.1939 als Ic geführt wird.
389
10. ID/Ia, Anlage 3 (Kommandierungen) zu Tätigkeitsbericht Nr. 3, 9.4.1941, BArch,
RH 26-10/8; Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 284 f.
342 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

3 Stab der 385. Infanterie-


division in Polock, April
1942 Slg. Sigg

 Generalmajor Karl Eibl


BArch/791/64/19

3 Stabsfahrzeug der
385. Infanteriedivision
mit Ordonnanzoffizier
im Raum Orël–Kursk,
Juni 1942 Slg. Sigg

 General der Panzertruppen Werner Kempf,


XXXXVIII. Panzerkorps, und Generalmajor
Walter Hoernlein, Infanteriedivision (mot)
»Großdeutschland«, beim Kartenstudium bei
Voronež, Juli 1942 bpk/Hanns Hubmann

 Generalmajor Walter
Hoernlein mit Stabsan-
gehörigen auf seinem
Befehlswagen, 1942
BArch/Mappe Hoernlein,
Walter
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 343

 Der Kommandeur der 10. Panzergrenadierdivision Generalleutnant August


Schmidt (l.) und sein Ia Major i.G. Ulrich de Maizière, Juli 1943
BArch/220/645/32

3 »Sturmangriff auf ein Waldlager«. Stoß-


truppunternehmen gegen eine sowjetische
Stellung, Mai 1942
BArch/GX­1939­2322/B 21062

 »An der Sowjetfront«: Bunkerbau in einer


Waldstellung, Mai 1942
BArch/GX­1939­342/B 25547
344 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

wurde am 5. September 1942 in die Führerreserve OKH versetzt, die IIa-Stelle


übernahm Hauptmann (akt.) Edmund Hauß, der bis zu diesem Zeitpunkt
Verbindungsoffizier im Divisionsstab und zuvor im Kradschützenbataillon 40
eingeteilt gewesen war390.
Die Art und Weise, wie die wichtigsten Stellen des Divisionsstabs der 10. Infan-
teriedivision (mot) besetzt wurden, unterscheidet sich deutlich von derjenigen der
385. Infanteriedivision. Die Nachfolgeregelung macht im untersuchten Zeitraum
nie einen provisorischen Anschein391. Anders als bei der 385. Infanteriedivision
gab es keine unplanmäßigen Besetzungen der Ia- und Ib-Stellen durch Offiziere
ohne oder in der Generalstabsausbildung. Auch gab es – anders als bei der
385. Infanteriedivision – keine raschen Ablösungen und Versetzungen innerhalb
des Divisionsstabes. Alle Ia, Ic, IIa und mit einer Ausnahme (Rosewich) auch
alle Ib wurden mindestens ein Jahr in ihrer Stellung verwendet, bevor sie im
Rahmen der ordentlichen Laufbahn weiterversetzt wurden. Schließlich fällt die
Laufbahnplanung der Offiziere im Divisionsstab besonders auf. Mit Hegerl (Ib),
Altstötter und Fürst zu Castell-Rüdenhausen (beide Ic) sowie Hauß (IIa) waren –
nach den erwähnten Schmidt und Herold – vier weitere divisionseigene Offiziere
dafür vorbereitet worden, Funktionen im Divisionsstab zu übernehmen.

Das Führerkorps in den Verbänden der Division

Die geringe Fluktuation beschränkte sich nicht nur auf die wichtigsten
Funktionen des Divisionsstabs, sondern zeigte sich auch in der Stellenbesetzung
der Kommandeure in den Einheiten der Division.
Kommandeur des Infanterieregiments 20 (mot) war seit dem 15. Januar
1939 bis zu seiner Verwundung am 27. August 1941 wie erwähnt Schmidt,
woraufhin ein Major Mestmacher die Führung des Regiments übernahm, sie
krankheitshalber aber bereits am 4. September wieder abgeben musste. Neuer
Kommandeur wurde der vom OKH kommende Oberstleutnant Maydorn392.
Wegen Erkrankung Maydorns wurde das Regiment Mitte Dezember 1941 bis
Mitte Januar 1942 vom Kommandeur des II. Bataillons Major (akt.) Rudolf
König stellvertretend geführt. Ab dem 11. Februar 1942 war Oberstleutnant (spä-
ter Oberst) (akt) Siegfried Walther Regimentskommandeur, der diese Funktion
bis zum 24. Februar 1944 inne hatte393. Dieser Zeitraum wurde jedoch durch
einen mehrmonatigen Ausfall Walthers wegen Unfalls mit Knöchelbruch unter-

390
Rangliste des deutschen Heeres 1944/45, S. 100. Scheliha hatte vor seiner Versetzung vom
29.8.‑7.9.1942 stellvertretend die Führung des IR (mot) 20 übernommen, da der Kdr.
IR (mot) 20 eine Kampfgruppe führte. 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 26-10/33
(29.8./7.9.1942).
391
Was auf die Kampfführung explizit nicht zutraf. Der Einsatz von Kampfgruppen zwang
dazu, auch Stabsoffiziere als Führer einzusetzen. Besonders der IIa wurde dafür ver-
wendet. Siehe vorherige Anmerkung und 10. ID (mot)/Ia, KTB, BArch, RH 26-10/9
(8.‑11.12.1941).
392
Der Einsatz des Inf.Regts. 20, des Inf.Regts. 20 (mot) und des Panzergren.Regts. 20 im
2. Weltkrieg 1939‑1945, undat., BArch, RH 37/794, S. 7; Schmidt, Geschichte der
10. Division, S. 106‑109. Zu Mestmacher ist nichts weiter bekannt.
393
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 135‑137, 220.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 345

brochen. Vom 27. Mai bis 29. August 1942 führte deshalb erneut Oberstleutnant
(akt.) König das Regiment, vom 29. August bis 6. September 1942 wie erwähnt
der IIa Oberstleutnant Scheliha. Das Infanterieregiment 20 (mot) hatte zwischen
Januar 1939 und Februar 1944 – abgesehen von den wenigen Tagen Mestmachers
– mit Schmidt, Maydorn und Walther drei Regimentskommandeure, von denen
der erste und der letzte das Kommando über zweieinhalb bzw. zwei Jahre innehat-
ten. Das Regiment wurde deshalb insgesamt doch erstaunlich konstant geführt.
Augenscheinlich ist, dass die schweren Kämpfe und der höhere Verschleiß des
Ostkrieges zu den Ausfällen führte, die immerhin mit Stellvertretungen aus dem
Regiment überbrückt werden konnten.
Noch konstanter scheint die Führung des Infanterieregiments 41 (mot) aus-
gefallen zu sein. Regimentskommandeur war seit Herbst 1940 bis zum 25. April
1942 Oberstleutnant (akt.) Hans Traut. Er war als Truppenführer mit Erfahrung
in der Führung motorisierter Truppen zur Division versetzt worden, als die-
se motorisiert wurde. Traut war ein bewährter Truppenoffizier und schon als
Bataillonskommandeur mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet worden394. Aufgrund
seiner Fähigkeiten wurde er im Januar 1942 und ab Mitte März 1942 bis Anfang
Mai 1942 mit der stellvertretenden Führung der 10. Infanteriedivision (mot)
beauftragt und am 1. April 1942 zum Generalmajor befördert. Bereits am
23. Januar 1942 war ihm für seine Führung und die Leistungen seines Regiments
das Eichenlaub zum Ritterkreuz verliehen worden. Traut war zum Kommandeur
der 263. Infanteriedivision ernannt worden und verließ die Division am 8. Mai
1942395. Schon seit dem 15. April 1942 war aus der Führerreserve OKH
Oberstleutnant (akt.) (zuletzt Oberst) Gerhard Weber zur Division gestoßen und
hatte das Kommando über das Regiment übernommen. Er fiel am 13. Januar 1944
als Regimentskommandeur. Weber war Ende August 1942 wegen Verwundung
kurze Zeit ausgefallen, hatte das Regiment ansonsten aber ohne Unterbrechung
bis Januar 1944 geführt396.
Wesentlich höher lagen die Ausfälle bei den Bataillonskommandeuren der
sechs Infanteriebataillone. Die Kriegsranglisten der Infanterieregimenter 20 und
41 (mot) zählen für den untersuchten Zeitraum insgesamt 25 Kommandeure
und Bataillonsführer, d.h. über viermal mehr als Normalbestand, wobei diese
Zahl in Wirklichkeit noch höher lag, da die Listen nicht vollständig sind397. Die
Infanteriebataillone waren im Juni 1941 alle normal mit Kommandeuren im
Majors- oder Oberstleutnantsrang und durch aktive Offiziere besetzt. Dies än-
derte sich bereits ab August 1941. Aufgrund von Ausfällen oder Wechseln muss-
ten bis Dezember 1941 fünf von den sechs Bataillonen durch Bataillonsführer

394
IR 41 (mot)/IIa Az. 21, Betr.: Ritterkreuzträger, 6.5.1941, BArch, RH 26-10/514; Scherzer,
Die Ritterkreuzträger, S. 749.
395
Kriegsrangliste sämtlicher Offiziere und Beamten im Offizierrang des Grenadier-
Regiment 41 (mot), 22.6.1941‑31.12.1942, BArch, RH 26-10/88; 10. ID (mot)/Ia,
KTB, Nr. 5, BArch, RH 26-10/28 (8.5.1942).
396
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 191, 204, 214; Scherzer, Die Ritterkreuzträger,
S. 769.
397
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: Kriegsrangliste sämtlicher Offiziere
und Beamten im Offizierrang des Grenadier-Regiment 20 und Kriegsrangliste sämt-
licher Offiziere und Beamten im Offizierrang des Grenadier-Regiment 41 (mot),
22.6.1941‑31.12.1942, BArch, RH 26-10/88.
346 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

im Rang von Hauptleuten (2) und Oberleutnants (3) geführt werden. Alle fünf
Offiziere waren aktive und – bis auf eine Ausnahme – zuvor als Kompaniechefs
verwendet worden; der fünfte Offizier war der oben erwähnte und spätere Ib
Oberleutnant Hegerl, der damals Regimentsadjutant des Infanterieregiments 20
(mot) war und vertretungsweise die Führung über das II. Bataillon übernahm398.
Die Bataillonskommandeure und -führer waren damit ähnlich zusammengesetzt
wie bei der 385. Infanteriedivision. Von den 25 in den Kriegsranglisten aufgeführ-
ten Offizieren waren 22 aktive Offiziere, nur ein Reserveoffizier, ein Kriegsoffizier
und sogar ein Ergänzungsoffizier399. Letzterer kam aus der Führerreserve der
Heeresgruppe Mitte und muss wohl als Notlösung betrachtet werden, wurde
er doch nicht einmal einen Monat später in den Divisionsstab versetzt400. Im
untersuchten Zeitraum mussten 60 Prozent der Bataillonsführerstellen (15) un-
planmäßig, d.h. nicht mit Kommandeuren, sondern mit Führern besetzt wer-
den. Dies belegt deutlich, dass die Stellenbesetzungen im Zusammenhang mit
der allgemeinen Personalkrise und den hohen Ausfällen zu betrachten sind.
Am 22. Juni 1941 waren nämlich 100 Prozent der Bataillonsführerstellen mit
Kommandeuren besetzt. Auffallend ist auch, dass beim Infanterieregiment 41
(mot) fünf Bataillonskommandeure oder -führer innerhalb des Regiments zu an-
deren Bataillonen versetzt wurden.
Als Kompaniechefs oder -führer listeten die beiden Kriegsranglisten für die
beiden Infanterieregimenter mit je fünfzehn Kompanien insgesamt 86 Offiziere
auf. Auch diese Auflistung ist – abgesehen für den Feldzugsbeginn vom 22. Juni
1941 – nicht komplett. Sie verdeutlicht bei den Kompanieführerstellen für den
untersuchten Zeitraum aber doch einen fast dreimal höheren Bedarf als ge-
mäß Sollbestand vorgesehen war, der unter Berücksichtigung der unbekannten
Stellenbesetzungen tatsächlich noch höher ausgefallen sein muss401. Von diesen 85
Offizieren waren 55 aktive Offiziere, 25 Reserveoffiziere und sechs Kriegsoffiziere.
Damit unterschied sich die Besetzung der Kompanieführerstellen der 10. Infan-
teriedivision (mot) erheblich von derjenigen der 385. Infanteriedivision, in der
unter den 30 Kompaniechefs bloß zwei aktive Offiziere vertreten waren. Zu
Beginn des Unternehmens »Barbarossa« wurden die Kompanieführerstellen
in beiden Infanterieregimentern zu 80 Prozent von aktiven Offizieren besetzt.
Dieser überdurchschnittlich hohe Anteil aktiver Offiziere nahm jedoch im
Verlauf des Ostkrieges prozentual teils rapide ab. Zudem wurden am 22. Juni
1941 90 Prozent aller Kompanien planmäßig von Kompaniechefs geführt. Auch
dies änderte sich im weiteren Verlauf. Über den gesamten Zeitraum gerechnet
wurden von den 85 Offizieren insgesamt knapp 53 Prozent (45) unplanmäßig als
Kompanieführer verwendet. Von diesen waren nur 13 Offiziere zuvor regimentsin-

398
10. ID (mot)/Ia, KTB, BArch, RH 26-10/9 (29.12.1941). Auch in der Folge wurden
praktisch alle Bataillonsführerstellen mit divisionseigenen Offizieren besetzt. Nur drei der
25 Offiziere kamen aus den Führerreserven OKH und H.Gr. Mitte.
399
Die Dienstränge variierten zwischen Oberleutnant und Oberstleutnant, sie wechselten
aufgrund von Beförderungen bei acht Offizieren. Der Reserveoffizier war Hptm. (später
Major) d.R. und der Ergänzungsoffizier Major.
400
Bei diesem Offizier handelte es sich um Major (E) Wolfgang Dinglinger, der vom
15.10.1941 bis 11.11.1941 dem I./IR (mot) 41 vorstand und erstaunlicherweise als Kdr.,
nicht als Führer, aufgelistet wurde.
401
Darin sind auch die erwähnten späteren Bataillonsführer enthalten.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 347

tern als Adjutanten, Zugführer, Verbindungs- oder Ordonnanzoffiziere eingesetzt


gewesen, die meisten Kompanieführer kamen aus Ersatztruppenteilen. Wie noch
zu zeigen sein wird, war das ein erstaunlich geringer Prozentsatz, unterschied sich
die Infanterie diesbezüglich doch deutlich von den übrigen Waffengattungen402.
Der Bericht beurteilte auch die Führerstellen der übrigen Verbände. Nach einem
Monat im Krieg gegen die Sowjetunion fiel das Zwischenfazit der Personallage
auf Bataillons-, Kompanie- und Zugführerstufe bereits sehr düster aus:
»Von den Inf.Batl.Kommandeuren, die im Winter und Frühjahr ihre Truppen
ausbildeten, ist keiner mehr vorhanden [...] Am schwersten wirken sich die
Verluste an Kompanie- und Zugführern aus [...] Bei den meisten Kompanien
ist nur mehr ein Offz. (d.h. der Kp.Führer) vorhanden. Bei weiteren Verlusten
müssen die Kompanien durch Uffz. geführt werden.«
Die auf dem Papier sehr komfortable Stellenbesetzung der Infanterieeinheiten
war also schon bald nach Feldzugsbeginn von der Kriegsrealität eingeholt und
durch die starken Ausfälle relativiert worden.
Das Artillerieregiment 10 (mot) wurde seit dem 15. Mai 1940 vom erwähn-
ten Oberstleutnant (später Oberst) (akt.) Herold geführt. Für seine Führung
während der Verteidigung von Propojsk zwischen dem 19. und 25. Juli 1941
wurde ihm am 13. Oktober 1941 das Ritterkreuz verliehen. Herold wur-
de am 12. Januar 1942 zur Artillerieschule I in Berlin versetzt und verließ das
Regiment am 22. Februar 1942403. Am selben Tag traf sein Nachfolger Oberst
(akt.) Eugen Wößner ein, der von der Heeresgruppe Süd kam. Er führte das
Artillerieregiment bis zum 27. November 1942. Abgelöst wurde er von Oberst
(akt.) Walter Ackemann, der das Regiment bis 1944 führen sollte404. Für die
drei Abteilungen des Artillerieregiments 10 (mot) sind in der Kriegsrangliste des
Regiments elf Offiziere aufgeführt, also wie bei der Infanterie fast viermal mehr
als das Plansoll. Anders als bei den Infanteriebataillonen verfügten diese Offiziere
alle über die ihrer Stellung entsprechenden Dienstränge405. Nur zwei Offiziere
waren Reserveoffiziere und nur zwei Offiziere wurden zuvor als Kompaniechefs
im Regiment verwendet406. Ähnlich wie bei den Infanteriebataillonen mussten
auch bei den Artillerieabteilungen die Kommandeure wegen Ausfalls schon
früh gewechselt werden. Bereits am 25. Juli 1941 fiel der Kommandeur der

402
10. ID (mot)/Ia, Betr.: Zustandsbericht, 25.7.1941, BArch, RH 26-10/11a, S. 1. Dort
auch das Folgende.
403
Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 5, S. 343 f.; Schmidt,
Geschichte der 10. Division, S. 103, 256; Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 385;
Kriegsrangliste sämtlicher Offiziere und Beamten im Offizierrang des Artl.Regt. 10 (mot)
ab 22.6.1941, BArch, RH 26-10/88. Die folgenden Angaben zur Stellenbesetzung des
AR (mot) 10 basieren, wenn nicht anders vermerkt, auf dieser Quelle. Herold kehrte im
Mai 1944 als Kdr. GR 20 zur Division zurück. In Bezug auf die Führungskultur innerhalb
der Div. ist auch interessant, dass Schmidt bei seiner Versetzung den Vorschlag machte,
Herold als seinen Nachfolger einzusetzen. Solche Versuche, die Führungskontinuität in der
Div. zu sichern, lassen sich auch bei anderen Führerstellen nachweisen.
404
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 155, 298 f.
405
Es waren zwei Oberstleutnante, ein Major, ein Hauptmann (später Major) und sieben
Hauptleute.
406
Ein Offizier kam aus einem anderen Abteilungsstab, zwei Offiziere kamen aus dem Ersatz-
truppenteil, drei Offiziere kamen aus fremden Truppenteilen.
348 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

III. Abteilung, am 10. August 1941 derjenige der I. Abteilung aus. Im untersuch-
ten Zeitraum waren immerhin noch 45 Prozent der Abteilungsführerstellen (5)
unplanmäßig besetzt. Von den insgesamt 31 aufgelisteten Batteriechefs waren 24
aktive Offiziere und sieben Reserveoffiziere, davon waren 48 Prozent (15) un-
planmäßig verwendet. Zu Beginn des Ostfeldzuges waren aber doch 70 Prozent
der Batterieführerstellen planmäßig durch Chefs besetzt. Dies änderte sich im
weiteren Verlauf. Von den 20 nachfolgenden Offizieren für Batterieführerstellen
waren zuvor 50 Prozent Zugführer oder Ordonnanzoffizier407.
Die Kommandeursstellen der selbstständigen Bataillone und Abteilungen
der Division waren zu Beginn des Ostfeldzuges 1941 alle planmäßig besetzt.
Bis auf den Kommandeur der Panzerjägerabteilung waren alle im Herbst 1940
bei der Umbildung der 10. Division in eine motorisierte Infanteriedivision zu
ihren Einheiten versetzt worden, da sie über Erfahrung in der Führung moto-
risierter Einheiten verfügten408. Da die Aufklärungsabteilung 10 im Mai/Juni
1942 mit dem Kradschützenbataillon 40 zusammengelegt und schließlich auf-
gelöst worden war, wurde auch ihre Kriegsrangliste gelöscht und in diejenige des
Kradschützenbataillons 40 integriert. Über ihre Stellenbesetzung lässt sich des-
halb nur sagen, dass sie im Untersuchungszeitraum von zwei Kommandeuren im
Rang von Hauptleuten geführt wurden und zwischen Juni 1941 und Mai 1942
alle Kompaniechefs ersetzt werden mussten409. Das Kradschützenbataillon 40
wurde bis zum 16. Juni 1942 von Major (ab 1. März 1942 Oberstleutnant) (akt.)
Kurt Plagemann, danach von Hauptmann (akt.) Waldemar Mayer geführt410. Am
Anfang des Ostfeldzugs 1941 waren alle fünf Kompanien mit aktiven Offizieren
als Kompaniechefs besetzt. Von elf aufgelisteten Offizieren waren neun aktive
und zwei Reserveoffiziere. Fünf Offiziere füllten ihre Stellung unplanmäßig als
Kompanieführer aus, darunter vier ehemalige Zugführer.
Kommandeur der Panzerjägerabteilung 10 (mot) war bis Oberst (akt.)
Martin Schmid, der die Abteilung bereits im Polenfeldzug 1939 geführt hatte411.
Krankheitshalber wurde er am 13. September 1941 abgelöst und im Oktober
zum Ersatztruppenteil versetzt. Zum Nachfolger wurde Major (E) Otto Frhr.
Vogt von Hunoldtstein ernannt, der am 28. Dezember 1941 als Major ins aktive
Offizierkorps überführt wurde. Am 7. Januar fiel Vogt von Hunoldtstein verwun-
det in Kriegsgefangenschaft, die Führung der Abteilung musste bis zum 23. Januar
1942 stellvertretend vom Chef der 2. Kompanie Oberleutnant (akt.) Hans Grau
wahrgenommen werden412. Danach kommandierte Hauptmann (akt.) Hans

407
10. ID (mot)/Ia, Betr.: Zustandsbericht, 25.7.1941, BArch, RH 26-10/11a, S. 1 f.
408
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 88.
409
Ebd., S. 300.
410
Die folgenden Ausführungen basieren auf: Kriegsrangliste sämtlicher Offiziere und
Beamten im Offizierrang des Kradschützenbataillons 40, BArch, RH 26-10/88.
411
Die folgenden Ausführungen basieren auf: Kriegsrangliste sämtlicher Offiziere und
Beamten im Offizierrang der Panzerjäger-Abteilung 10 (mot), BArch, RH 26-10/88. Vgl.
auch Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 302.
412
Dass die Personallage auch bei der Pz.Jäg.Abt. kritisch war, belegt die Stellvertretung
durch Grau. Dieser war Anfang des Ostfeldzuges als Leutnant Nachrichtenoffizier im
Abteilungsstab. Ab 1.10.1941 wurde er als Zugführer in der 2. Kp. eingesetzt und am
5.11.1941 zum Oberleutnant befördert. Bereits am 16.11.1941 musste er die Kompanie-
führung übernehmen, da der Kompaniechef krankheitshalber ausgefallen war.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 349

Meißner die Abteilung, fiel wegen Krankheit aber am 9. Februar bereits wie-
der aus und wurde im März zum Ersatztruppenteil versetzt. Bis zum Eintreffen
des neuen Kommandeurs wurde die Abteilung erneut durch Oberleutnant
Grau stellvertretend geführt. Ab dem 21. Februar 1942 kommandierte Major
(E) Fritz Herrnleben die Abteilung, der am 1. Juni 1942 ebenfalls ins aktive
Offizierkorps überführt wurde. Am 20. Dezember 1942 wurde Herrnleben zum
Ersatztruppenteil versetzt, das Kommando übernahm Hauptmann (akt.) Walter
Leuteritz, der aus der Panzerjäger-Ersatzabteilung 4 kam. Die drei Kompanien
wurden im Juni 1941 von Kompaniechefs geführt, wovon zwei Reserveoffiziere
waren. Von den nachfolgenden sechs Offizieren kam lediglich einer planmä-
ßig als Kompaniechef aus dem Ersatztruppenteil, die übrigen fünf waren zuvor
Zugführer in ihren Kompanien.
Das Pionierbataillon 10 (mot) wurde – nur einmal unterbrochen – während
des gesamten Zeitraums von Major (akt.) Hubert Snethlage kommandiert, der
am 1. Mai 1941 vom OKH zum Bataillon versetzt worden war. Vom 25. Juli
bis 16. August 1942 wurde das Bataillon stellvertretend vom Kompaniechef
der leichten Pionierkolonne Hauptmann d.R. Peter Reithmeier geführt. Die
Auflistung der Kompanieführerstellen weist erhebliche Lücken auf. Die drei
Pionierkompanien, die Brückenkolonne und die leichte Pionierkolonne wur-
den zu Beginn des Ostfeldzugs alle von Kompaniechefs geführt, wovon drei
Reserveoffiziere waren. Im Juli, September und Dezember mussten die Chefs der
Pionierkompanien durch Zugführer ersetzt werden, da sie verwundet oder ge-
fallen waren. Auch die restlichen vier aufgelisteten Offiziere waren Zugführer,
bevor sie als Kompanieführer – einer als Kompaniechef – eingesetzt wurden. Von
den insgesamt zwölf Offizieren waren sechs aktive, fünf Reserveoffiziere und ein
Reserveoffizier, der ins aktive Offizierkorps übernommen wurde413.
Bei den selbstständigen Bataillonen und Abteilungen bestätigte sich so-
mit das bei der Infanterie und Artillerie festgestellte Bild. Mit Ausnahme der
Panzerjägerabteilung wurden alle ausschließlich von Kommandeuren und aktiven
Offizieren geführt. Auffallend sind zudem die häufig langen Kommandozeiten
und die dadurch konstante Führung. Einzig die Panzerjägerabteilung war wegen
Ausfällen zu häufigeren Wechseln und kürzeren Verweildauern gezwungen. Auf
Kompaniestufe waren am 22. Juni 1941 alle Stellen mit Kompaniechefs besetzt,
was gegenüber der bereits sehr guten Situation bei der Infanterie und Artillerie
nochmals eine Steigerung bedeutet. Allerdings fiel der Anteil an Reserveoffizieren
höher aus als bei der Infanterie und Artillerie. Nach Feldzugsbeginn konnten
die planmäßigen Stellenbesetzungen erwartungsgemäß nicht mehr in gleichem
Maße beibehalten werden. Im Gegenteil fiel der Anteil ehemaliger Zugführer auf
Kompanieführerstellen hoch aus.
Zusammenfassend hat sich gezeigt, dass die 10. Infanteriedivision (mot)
in den Bereichen Material und Waffensystemen erheblich stärker und brei-
ter ausgestattet war als die 385. Infanteriedivision. Insofern machte sich der
Unterschied zwischen den Aufstellungswellen deutlich bemerkbar. Auch die
personelle Zusammensetzung sowohl der Mannschaften als auch der Offiziere

413
Kriegsrangliste sämtlicher Offiziere und Beamten im Offizierrang des Pionierbataillon 10
(mot), BArch, RH 26-10/88. Pi.Btl. 10 (mot), Offizierstellenbesetzung, 20.2.1942, BArch,
RH 46/630.
350 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

war bei der 10. Infanteriedivision (mot) eindeutig besser. Auf dem Papier war
sie bezüglich Kampfwert und Homogenität deshalb viel stärker einzustufen als
die 385. Infanteriedivision, zumal sie 1942 bereits über Kriegserfahrung aus drei
Feldzügen verfügte. Wie gesehen lag im letzten Punkt aber gerade die Krux. So
darf nicht vergessen werden, dass die 10. Infanteriedivision (mot) Ende April
1942, also zu einem Zeitpunkt, als die 385. Infanteriedivision erst ihre »Feuer-
taufe« erlebte, bereits seit zehn Monaten ununterbrochen im Einsatz stand.
Dabei war nicht nur die Material- und Kraftfahrzeuglage seit Umbildung der
Division im Herbst 1940 nie über eine provisorische Ausstattung hinausgekom-
men, gerade auch die widrigen Umweltverhältnisse sowie die höhere Intensität
der Kampfführung des Ostfeldzuges 1941 hatten zu einem außerordentlichen
Verschleiß geführt, welcher letztlich der Motorisierung beträchtlicher Teile der
Division den Todesstoß versetzte414. Mit dieser materiellen und fahrzeugmäßi-
gen Abnutzung gingen die personellen Verluste einher, was wie gesehen bereits
nach wenigen Wochen und Monaten des Ostfeldzuges 1941 zu einer starken
Personalfluktuation innerhalb der Division geführt hat. Somit bleibt bezüglich
der Zusammensetzung der 10. Infanteriedivision (mot) ein zwiespältiges Fazit. Als
Division der ersten (Friedens-) Welle und späterer motorisierten Infanteriedivision
wird die 10. Infanteriedivision (mot) im gängigen Urteil der Forschung zu den
Elitedivisionen des Heeres gezählt415. Dass Anspruch und Wirklichkeit dabei zu-
weilen stark auseinanderklaffen, hat die Analyse der Beschaffenheit der Division
veranschaulicht416. Insofern führten die veränderten Rahmenbedingungen tat-
sächlich dazu, dass die 10. und 385. Division im Frühjahr 1942 nicht mehr durch
»Welten« getrennt waren, sondern sich von ihrer materiellen und personellen
Qualität her angenähert hatten. Von einer Gleichwertigkeit zu sprechen, wäre
dennoch übertrieben. Trotz hoher Verluste und häufiger Wechsel unterstreicht
die Offizierstellenbesetzung der 10. Infanteriedivision (mot) von Juni 1941 bis
Dezember 1942, dass die Division ihren qualitativen Vorsprung im Ganzen ge-
sehen – wenn auch mit erheblichen Einbrüchen – beibehalten konnte, wie der
Vergleich der planmäßig besetzten Truppenführerstellen und der relativ hohe
Anteil an aktiven Offizieren zeigte. Im Folgenden soll nun untersucht werden,
inwiefern sich dies auf das Führungsverhalten auswirkte und ob es unter diesen
Bedingungen überhaupt noch möglich war, im Sinne der Auftragstaktik zu füh-
ren und zu handeln.

414
Wegen fehlender Ersatzfahrzeuge musste ab Mitte November 1941 begonnen werden,
Bataillone zu »entmotorisieren« und die Kraftfahrzeuge auf einzelne Einheiten zu kon-
zentrieren. Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 114, 146. Die Div. meldete schließ-
lich am 27.6.1942 noch eine Beweglichkeit von 15 %. Fernspruch 10. ID (mot)/Kdr. an
LVI. PzK/Ia, 27.6.1942, BArch, RH 26-10/30. Dies hieß, dass nur noch die Artillerie und
das Kradsch.Btl. motorisiert waren. 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 8, BArch, RH 26-10/32
(18.7.1942). Vgl. auch Stahel, Operation Barbarossa, S. 407.
415
Vgl. Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 37; Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, S. 23, 84;
DRWK, Bd 10/2, S. 19 (Beitrag Kunz); Groß, Das Dogma der Beweglichkeit, S. 164.
416
Vgl. auch 10. ID (mot)/Ia, Notiz über Kampfwert 10. I.D. (mot) am 22.12.[1941], BArch,
RH 26-10/17b; 10. ID (mot)/Ia, Verladestärken der Fußteile 10. I.D. (mot), 27.12.1941,
BArch, RH 26-10/17b.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 351

c) Kriegsverwendung 1942/43

Der Weg der Division

Die 10. Infanteriedivision (mot) wurde im Ostfeldzug 1941 im Rahmen der


Panzergruppe 2 (Guderian) bis August bei der Heeresgruppe Mitte, dann bei der
Heeresgruppe Süd und ab Ende September nach der Wiederaufnahme des Angriffs
auf Moskau erneut im mittleren Abschnitt eingesetzt. Mangels Motorisierung
und wegen der verschlammten Wege konnte die 10. Infanteriedivision (mot) am
Vorstoß nach Tula nur mehr verzögert teilnehmen und wurde zur Sicherung der
Vormarschstraßen und der tiefen Flanke verwendet. Anfang Dezember 1941 hatte
die Division bis nach Michaylov aufgeschlossen, musste von dort im Zuge der ab
5. Dezember 1941 einsetzenden sowjetischen Gegenoffensive jedoch wieder zu-
rückgenommen werden. Es folgten Kämpfe in eilig aufgestellten Abwehrfronten
und Absetzbewegungen über den Don, bis nach Čern, wo die Division mit
der Verteidigung dieses Nachschubstützpunktes beauftragt wurde. Ab dem
24. Dezember setzte sich der Rückzug über Mcensk, Orël und Brjansk fort. Die
motorisierten Teile der Division und der Divisionsstab sammelten sich Ende
Dezember in Roslavl’, während die Marschgruppen mit Eisenbahntransporten
nach Suchiniči gebracht wurden417.
Zu Beginn des Jahres 1942 fand die Verlegung in den Bereich des
Armeeoberkommandos 4 (Heinrici) statt. Bereits zu diesem Zeitpunkt zeichne-
te sich die zukünftig zur Regel werdende Verwendung der 10. Infanteriedivision
(mot) in zersplitterten Kampfgruppen ab. Die Mehrheit der Division wurde
dem XXXX. Panzerkorps unterstellt und nach Mosal’sk verlegt. Dort nahm sie
zwischen Januar und Mai 1942 – nochmals in zwei Kampfgruppen unterteilt
– an den schweren Abwehrkämpfen entlang der Rollbahn Roslavl’–Juchnov
teil. Das verstärkte Infanterieregiment 20 (mot) verblieb bis Mai 1942 bei
der 2. Panzerarmee (vormals Panzergruppe 2) und wurde – ebenfalls in zwei
Kampfgruppen geteilt – bei Bolchov und Žizdra eingesetzt418. Anfang April 1942
musste die Division zusätzlich noch das Kradschützenbataillon 40 in den Raum
des XIII. Armeekorps verlegen, wo es als Armeereserve eingesetzt wurde. Damit
war die Division »glücklich in fünf Teile zerrissen, die weit voneinander getrennt
waren«419. Ende Mai 1942 kehrten die meisten abgegebenen Einheiten wieder
zur Division zurück, bis zur vollständigen Vereinigung der Division sollte es je-

417
Halder, KTB, Bd 3, S. 332 (7.12.1941); Tessin, Verbände und Truppen, Bd 3, S. 167;
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 111‑121. Vgl. auch Stahel, Operation Barbarossa,
S. 156‑407.
418
10. ID (mot)/Kdr., 31.12.1942, BArch, RH 26-10/36; Schmidt, Geschichte der 10. Divi-
sion, S. 121‑125; Divisionsschicksale, Bd 1, S. 81.
419
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 131. Eine Übersicht der Division belegt für den
1.5.1942 allein für die fechtende Truppe die Abgabe des gesamten IR (mot) 20, der 3.,
5., 8. und 9./AR (mot) 10, des Kradsch.Btl. 40, des 2. und 3./A.A. 10 mitsamt Stab, der
1.‑3./Pi.Btl. (mot) 10 mitsamt Stab, der 3./Pz.Jäg.Abt. 10 sowie einer Kp. der NA 10.
Diese Einheiten waren auf neun verschiedene Großverbände verteilt worden. Andererseits
waren der 10. ID (mot) Ende Mai 1942 drei Stäbe und 26 Einheiten aus acht Divisionen
unterstellt worden. Siehe Übersicht über abgestellte divisionseigene Einheiten, 1.5.1942,
352 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

doch Ende Juli werden420. Auch später sollte die Division immer wieder ausein-
andergerissen werden. Im Mai 1942 begann für die 10. Infanteriedivision (mot)
zudem »das Jahr des Stellungskrieges«421, was für eine motorisierte Division doch
erstaunlich ist. Ab dem 1. Mai 1942 bis zum 1. April 1943 war die Division
dem Generalkommando LVI. Panzerkorps unterstellt und wurde südöstlich
von Spas-Demensk bei Bachmutovo eingesetzt. Danach schied die Division
aus dem Verband des Generalkommandos LVI. Panzerkorps aus und wurde zur
Instandsetzung und Auffrischung in den »Auffrischungsbereich Mitte« im Raum
Kričev verschoben, wo auch die Umbenennung in 10. Panzergrenadierdivision
erfolgte422.

Das Jahr des Stellungskrieges vom Mai 1942 bis April 1943

Anders als im Fall der 385. Infanteriedivision, in dem die Kampfführung grund-
sätzlich entlang einer chronologischen Struktur untersucht wurde, wird sich die
Analyse zur 10. Infanteriedivision (mot) an thematischen Aspekten ausrichten.
Die Modalitäten des Stellungskriegseinsatzes legen dies nahe, denn die chronologi-
sche Auflistung der häufig kleinen und kleinsten Kampfhandlungen hätte lediglich
zu einer unüberblickbaren und wenig aussagekräftigen Aneinanderreihung von
allgemeinen, taktischen und technischen Handlungen geführt. Das vorliegende
Kapitel gliedert sich deshalb in vier Abschnitte. In einem ersten Schritt werden
zunächst die Grundlagen und speziellen Bedingungen der Verteidigung veran-
schaulicht. Danach soll aufgezeigt werden, wie die Divisionsführung mit der für
sie neuen Situation und den geänderten Rahmenbedingungen umzugehen beab-
sichtigte, d.h. wie sie grundsätzlich den Kampf in der Verteidigung führen wollte.
In den beiden letzten Abschnitten soll schließlich die taktische Kampfführung in
praxi betrachtet werden, und zwar zum einen die Führungstätigkeiten der obe-
ren taktischen Führung, zum anderen die Stoßtruppunternehmen – im Vertei-
digungskampf der 10. Infanteriedivision (mot) das militärische Alltagsgeschäft –,
um die Vorgehensweise auf der unteren taktischen Stufe zu beleuchten.

Die Rahmenbedingungen des Stellungskrieges

Die 10. Infanteriedivision (mot) glich sich im Verlauf des Krieges nicht nur
materiell und personell der 385. Infanteriedivision an. Die geänderten operati-
ven Rahmenbedingungen brachten es mit sich, dass die 10. Infanteriedivision
(mot) im Mai 1942 gleich wie die 385. Infanteriedivision eingesetzt wurde.
Die Verwendung einer motorisierten Infanteriedivision in einem statischen
Verteidigungsabschnitt über den Zeitraum eines ganzen Jahres erstaunt zwar, al-

sowie Übersicht über unterstellte Teile fremder Einheiten, Stand 31.5.1942, BArch,
RH 26-10/28.
420
Übersicht über abgestellte divisionseigene Einheiten, 1.6.1942, BArch, RH 26-10/29;
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 144‑150.
421
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 142.
422
10. PzGrD/Kdr., Soldaten der 10. Pz.Gren.Division!, 31.12.1943, BArch, RH 26-10/45;
10. PzGrD/Ia, Besprechungspunkte anlässlich der Anwesenheit des Herrn Generaloberst
Model und Generalleutnant Schmundt, 10.8.1943, BArch, RH 26-10/56.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43
Stellungskrieg der 10. Infanteriedivision (mot) Mai 1942 bis April 1943
Hauptkampflinie
Divisionsgrenze
267. Sininka Bataillonsgrenze
Eisenbahn
Prasolovo
4. I./10
Armeeoberkommando
(AOK)
Markovo Erši Mar‘ino
Pustaja 41
Spas-Demensk Generalkommando
Eliseevka Zamoš’e (Gen.Kdo.)
Minen- Divisionsstab
wäldchen
Zabolonka 7.
3.
no
v Čipliaevo Kamenka Regimentsstab
ch
- Ju III./20
lavl‘ Jakovlevka
os Zanoznaja Bataillonsstab
nR
bah 4.
Roll Artilleriestellungen
Novo Davydovo
Aleksandrovskoe
10. III./10 II./20 Loščichino
10 20
Bachmutovo
Alfimovo
Teile der Division ab 12.8.1942 9.
II./10
beim AOK 9 (Ržev) eingesetzt. 5.
Belnja t’
ža

U
8.
0 5 10 15 km 6.
K 40
nac
5./134 hS
Studenoe uch
inič
i
Staiki
I./20

Filippkovo

Ponizov’e Sil‘koviči

131.

nach Kirov
LVI. Pz.K.

353
Quellen: BArch, RH 26-10/28-35; Schmidt, 10. Division, S. 141 – 166.
© ZMSBw
06990-06
354 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

lerdings gab es ähnliche Situationen auch an anderen Frontabschnitten. Bei der


Heeresgruppe Nord bestand der militärische Alltag der Jahre 1942 und 1943
für die meisten Frontverbände aus eben diesem Stellungskrieg423. Im Falle der
10. Infanteriedivision (mot) ist dies aber umso verblüffender, weil diese Anfang
Mai 1942 in ihren Verteidigungsstellungen von der 385. Infanteriedivision ab-
gelöst wurde. Letztere war wie gesehen nach ihrer Aufstellung zunächst in den
Bereich des Armeeoberkommandos 4, kurz darauf jedoch nach Orël in den
Bereich der Heeresgruppe Süd verlegt worden, wo sie im Juni 1942 an der deut-
schen Sommeroffensive (Unternehmen »Blau«) teilnahm. Eher wäre die Verlegung
der 10. Infanteriedivision (mot) zur Heeresgruppe Süd und die Verwendung der
385. Infanteriedivision an der statischen Verteidigungsfront zu erwarten gewe-
sen, war der Kriegsschauplatz bei der Heeresgruppe Mitte zu diesem Zeitpunkt
doch mehrheitlich von Stoßtruppunternehmen, artilleristischem Störungsfeuer
sowie Scharfschützen- und Beobachtungstätigkeiten, selten von infanteristischen
Gefechten und noch seltener von Panzerangriffen geprägt424. So aber wurde die
10. Infanteriedivision (mot) bloß in einen neuen Divisionsabschnitt verlegt, blieb
ansonsten jedoch weiterhin im Stellungskampf eingesetzt.
Der Mai 1942 bildete für die 10. Infanteriedivision (mot) in dreierlei Hinsicht
eine Zäsur. Wie gesehen kehrten ab Mai 1942 die bei anderen Verbänden ein-
gesetzten Teile der 10. Infanteriedivision (mot) wieder zu ihrer Stammdivision
zurück. Dies ermöglichte seit langem wieder, wenn auch nur für kurze Zeit, den
Divisionsverband mehr oder weniger geschlossen einzusetzen425. Weiter über-
nahm am 5. Mai 1942 Generalmajor Schmidt die Divisionsführung. Damit
wechselte die für die Divisionskultur entscheidende Führungsperson, prägte ein
Divisionskommandeur die Führungskultur seiner Division doch immer auch
nach eigenem Führungsverständnis und -stil. Schließlich begann der langwierige
Stellungskriegseinsatz, während dem sich die Division ein ganzes Jahr mehr oder
weniger in einem 30 km breiten Abschnitt aufhalten sollte. Dieser war erst un-
genügend ausgebaut, weshalb die dringlichste Aufgabe zunächst im Ausbau der
Hauptkampflinie zu einer durchgehenden Verteidigungsfront und in der Bildung
einer zweiten, tiefgestaffelten Stellung bestand426. Ein zusätzlicher Aspekt darf
nicht vergessen werden. Es wurde erwähnt, dass die personellen und materiellen
Verhältnisse zu diesem Zeitpunkt bereits ziemlich prekär lagen. Bis Mitte Juni
war die Division deshalb in erster Linie mit der materiellen Wiederausrüstung als
motorisierte Division und der personellen Auffüllung durch Ersatztruppen be-

423
Vgl. Glantz, Battle for Leningrad, S. 149‑321; Haupt, Heeresgruppe Nord, S. 106‑176.
424
10. ID (mot)/Ia Nr. 392/43 geh., Erfahrungsbericht über den Stellungskrieg im Winter,
26.2.1943, BArch, RH 26-10/48.
425
Bereits im Juni mussten einzelne Batterien der AR 10 (mot) und das Kradsch.Btl. 40 zwi-
schenzeitlich abgegeben werden. Der schwerste Einschnitt erfolgte aber im August, als das
IR 41 (mot) in den Bereich des AOK 9 verlegt wurde und erst im Dezember 1942 zur
Division zurückkehrte. 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 6, BArch, RH 26-10/29 (14.6.1942);
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 7, BArch, RH 26-10/31 (25.6.1942); 10. ID (mot)/Ia, KTB,
Nr. 11, BArch, RH 26-10/35 (23./24.12.1942).
426
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 143; 10. ID (mot)/Ia Nr. 235 geh., Betr.: Kampf
in der Tiefe des Verteidigungsfeldes, 19.6.1942, BArch, RH 26-10/30.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 355

schäftigt427. Gleichzeitig mussten die Einheiten dringend mit den Besonderheiten


des Stellungskrieges bekannt gemacht und – erstmals während des Krieges – in
der Verteidigung ausgebildet werden428.
Tatsächlich brachte der Stellungskrieg im Vergleich zur Kriegführung in den
bisherigen Feldzügen ganz andere Rahmenbedingungen mit sich429. Bereits an-
gesprochen wurde die für die Gefechtsart »Verteidigung« typische statisch ge-
prägte Kampfführung und die entsprechend geringe räumliche Ausdehnung
des Gefechtsfeldes430. Im Falle der 10. Infanteriedivision (mot) führten beide
Aspekte in Kombination mit der zeitlich langen Verwendung am selben Ort
dazu, dass der gesamte Verteidigungsabschnitt zu einem komplexen System aus
Verteidigungsanlagen ausgebaut wurde. Das tief gegliederte Gefechtsfeld bestand
aus einem »Vorfeld der Verteidigungszone« mit »vorgeschobenen Stellungen«
und »Gefechtsvorposten« und aus einem »Hauptkampffeld«, deren »vorderste *
Verteidigungsanlagen« die Hauptkampflinie bildeten. Der gesamte Divisions-
abschnitt wurde in die Tiefe gestaffelt, d.h. durch Flanken- und rückwärtige
Stellungen, Beobachtungs- und Feuerstellungen der schweren Waffen und mit
Scheinanlagen ergänzt sowie durch Sperren und Hindernisse verstärkt. Wichtige
und exponierte Standorte konnten durch Stützpunkte weiter ausgebaut werden431.
Alle diese Elemente sollten sich ineinander fügen und dadurch eine flankierende
gegenseitige Unterstützung oder eine Verstärkung durch den Einsatz von Reserven
ermöglichen. Aus der Notwendigkeit, »den Zusammenhang der Verteidigung«
zu bewahren, ergab sich für die Durchführung des Verteidigungskampfes kon-
sequenterweise eine engere, straffere Führung432. Beispielsweise kam dem
Zusammenwirken der Waffen in einem derart ausgebauten Verteidigungsabschnitt
eine erhöhte Bedeutung zu, da die einzelnen Waffen (z.B. Artillerie oder
Panzerabwehr) in Bezug auf ihre Beweglichkeit und Wirksamkeit stärker an das
Gelände gebunden waren, was ihre Wirkungsmöglichkeiten beschränkte. Zudem
mussten sie enger koordiniert werden, um etwa die Gefährdung der Einheiten
durch eigenes Feuer zu vermeiden. So basierte die Verteidigung auf der »planmäßig
vorbereitete[n] Feuertätigkeit aller Waffen«, wobei sich der Divisionskommandeur !
»bis zuletzt [...] den ausschlaggebenden Einfluss auf den Feuerkampf« be-
wahren musste433. Dies sollte sich darin zeigen, dass die Infanterieregimenter

427
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 5, BArch, RH 26-10/28 (2./9./18.5.1942); Schmidt,
Geschichte der 10. Division, S. 143. Zur Personallage und den Ausbildungsmaßnahmen
siehe Kap. IV.3.d).
428
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 145 f.
429
Dies musste sich nicht notwendig auf die Führungsgrundsätze auswirken. Müller-Hillebrand
wies z.B. nach dem Krieg darauf hin, dass dort, »wo die deutschen Führungsgrundsätze
richtig angewandt werden konnten, [...] sie sich auch in der Abwehr voll bewährt« hat-
ten. Müller-Hillebrand, Deutsche und sowjetrussische militärische Führung, BArch,
ZA 1/2162, S. 78.
430
Die TF unterscheidet bei der »Abwehr« zwischen »Verteidigung« und »hinhaltendem
Widerstand«. Erstere wird aus Stellungen und in diesem Sinne statisch geführt, Letzterer
hingegen beweglich geleistet, indem von einer »Widerstandslinie« auf die nächste ausgewi-
chen wird. TF, S. 179‑184, 203‑208. Vgl. auch Taysen, Abwehr, S. 3‑8.
431
10. ID (mot)/Ia Nr. 688/42, Erfahrungsbericht über den Stellungskrieg im Sommer,
29.10.1942, BArch, RH 26-10/38, S. 2 f.
432
TF, S. 181 (Zitat).
433
Ebd., S. 188, 190.

*Vgl. Weier a.a.O.


356 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

der Division beispielsweise die Aufteilung des Regimentsabschnittes bis zur


Kompanie sowie die Lage der Reservekompanien und Gefechtsstände anzugeben
hatte434. Auch der Kommandeur des Artillerieregiments 10 (mot) hatte seinem
Divisionskommandeur »de[n] beabsichtigte[n] Einsatz« seiner Batterien »vor-
zutragen«, gleiches galt z.B. für den Panzerabwehrplan des Kommandeurs der
Panzerjägerabteilung. Waren solche Anordnungen zur Koordination zwar not-
wendig, so schränkten sie doch den Handlungsspielraum der Unterführer ein
und erhöhten gleichzeitig die Möglichkeiten des Divisionskommandeurs, seine
Untergebenen straffer kontrollieren und ihr Handeln stärker beeinflussen zu kön-
nen.
Dabei spielten die technischen Nachrichtenmittel eine entscheidende Rolle.
Nur »ein tief gegliedertes, engmaschiges Nachrichtennetz, welches durch über-
lagernde Ausnutzung der Nachrichtenmittel möglichst vollkommen zu ge-
stalten ist«, sicherte die Übermittlung von Befehlen und Meldungen zu al-
len Verteidigungsanlagen435. Zur Verteidigung gehörten daneben auch aktive
Elemente wie Gegenstöße, Gegenangriffe oder Späh- und Stoßtruppunternehmen,
deren Durchführung ebenfalls eingehende Planung und Koordination verlangte.
Insgesamt ergibt sich für die Verteidigung folglich eine deutliche Einschränkung
der Selbstständigkeit der Unterführer. Dies zeigt sich z.B. auch darin, dass
selbst ein örtliches Ausweichen einer Ermächtigung durch den vorgesetzten
Truppenführer bedurfte, um den Zusammenhang der Verteidigung nicht zu ge-
fährden436. In Konsequenz resultierte daraus eine besonders starke Gewichtung
des Elementes der Einheitlichkeit der Handlung, was auch die Festlegung von
Details miteinschließen konnte:
»Die räumlich und zeitlich enge Zusammenarbeit aller Waffen und ihre volle
Ausnutzung nötigen gelegentlich, Einzelheiten zu befehlen, die sonst Sache
untergebener Stellen sind437.«
Für die folgende Analyse des Führungsverhaltens muss deshalb unterschieden wer-
den, ob eine Anweisung aus normativen Forderungen wie der erwähnten Betonung
des Zusammenwirkens der Waffen besteht oder ob sie Ausdruck von spezifischen
Eigenheiten ist, die auf das Führungsverständnis des Divisionskommandeurs der
10. Infanteriedivision (mot) und seiner Unterführer zurückzuführen sind.

Normative Bestimmungen der Divisionsführung zur


Führung des Verteidigungskampfes

Die geänderten Rahmenbedingungen durch den Wechsel vom Angriff in die


Verteidigung erforderten vonseiten des Divisionskommandos besondere Aus-
bildungsbemühungen und Anleitungen. Dies war notwendig geworden, da die
eigene Truppe nach Ansicht Schmidts »für den gegenwärtigen Stellungskrieg
ungenügend ausgebildet« war und »die Grundsätze des Stellungskrieges« von den

434
10. ID (mot)/Ia Nr. 590/42 geh.Kdos., Divisionsbefehl für die Neugliederung der Stel-
lungstruppen, 11.10.1942, BArch, RH 26-10/36. Dort auch das Folgende.
435
TF, S. 194.
436
Ebd., S. 180 f.
437
Ebd., S. 185.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 357

»jungen Führer[n] und Unterführer[n] [...] keineswegs beherrsch[t]« würden438.


Auf die Ausbildungsbemühungen wird weiter unten noch eingegangen werden.
Im Folgenden sollen zunächst die von der Division erlassenen grundsätzlichen
Befehle über die Eigenheiten des Stellungskrieges betrachtet werden.
Das Divisionskommando gab am 18. und 24. Mai 1942 die ersten beiden
grundlegenden Divisionsbefehle über die »Kampfführung« und den Stellungsbau
im Divisionsabschnitt heraus. Im Befehl vom 18. Mai orientierte Schmidt die
Division über seine Lageeinschätzung und die Angriffsmöglichkeiten des Gegners.
Dabei macht sich bereits die der Verteidigung immanente Betonung der straffen
Führung bemerkbar. Schmidt hielt in seiner Absicht in aller Deutlichkeit – aber
wie gesehen ganz auf der Linie der TF – fest:
»Die 10. I.D. (mot) und die ihr unterstellten Kampfgruppen verteidigen die
an und rückwärts der H.K.L. gelegenen Stellungen, Stützpunkte und Orte
bis zum letzten Mann. Ein Räumen der Stellung oder Zurückgehen auch nur
beschränkten Umfanges ist in keinem Falle zu rechtfertigen439.«
In Bezug auf die erwartete Kampfleistung verdeutlichte der Befehl klar, dass
es unter den neuen Bedingungen keinen breiten Spielraum für selbstständiges
Handeln geben konnte. Ansonsten blieb er aber in seiner Gesamtheit allgemein
gehalten und umschrieb, wie Schmidt sich die Kampfvorbereitungen sowie den
Kampf der einzelnen Waffen in der Verteidigung und im Waffenverbund vorstell-
te. So seien unter Einbezug aller verfügbaren Truppenteile Stützpunkte, Kampf-
und Unterstände beschleunigt zu einem »durchlaufende[n] Stellungssystem«
auszubauen sowie mit der Organisation der Panzerabwehr zu koordinieren,
wobei »vom Einsatz von Minen [...] ausgiebig Gebrauch zu machen« sei440. Die
Artillerie habe »Feuerzusammenfassungen« auf vermutete Bereitstellungsräume
und Anmarschwege vorzubereiten, die eigenen Stellungsräume zu tarnen,
Wechselstellungen vorzusehen und ihre Stellungen bei Feindeinbruch »artilleris­
tisch«, d.h. im Direktschuss zu verteidigen.
Schmidt unterstrich die Bedeutung der Aufklärung für den Verteidigungskampf
und forderte eine »tief angesetzte Gefechtsaufklärung und lückenlose und dau-
ernde Beobachtung« sowie »begrenzte Stoßtruppunternehmungen«. Weiter verwies
er auf die Notwendigkeit »vorausschauende[r] Maßnahmen« im Bereich des
Nachschubs, da Ortschaften und Stützpunkte im Divisionsabschnitt eingeschlos-
sen werden könnten. Hier ging der Befehl aber nicht auf Einzelheiten ein, sondern
wies nur allgemein darauf hin, dass »Bevorratung an Munition und Verpflegung«
sowie frühzeitige Verbindungsaufnahmen zu den eigenen Fliegerkräften unerläss-

438
10. ID (mot)/Ia Nr. 688/42, Erfahrungsbericht über den Stellungskrieg im Sommer,
29.10.1942, BArch, RH 26-10/38, S. 1 (Hervorhebung im Original).
439
10. ID (mot)/Ia Nr. 114 geh., Befehl über die Kampfführung, 18.5.1942, BArch,
RH 26-10/30, S. 1. Am 13.9.1942 betonte Schmidt noch einmal, »dass bei einem feindl.
Großangriff der Abwehrerfolg nur dann sichergestellt ist, wenn in der Tiefe des rückw.
Div.-Gebietes Ortschaft um Ortschaft, Riegelstellung um Riegelstellung zäh und ver­
bissen bis zum letzten Mann verteidigt wird [...] Ein Ausweichen kommt nicht in Frage.«
10. ID (mot)/Ia Nr. 464/42 geh.Kdos., Divisionsbefehl für die Partisanenbekämpfung und
Verteidigung der Tiefe des rückw. Divisionsgebietes, 13.9.1942, BArch, RH 26-10/36, S. 8
(Hervorhebung im Original).
440
10. ID (mot)/Ia Nr. 114 geh., Befehl über die Kampfführung, 18.5.1942, BArch, RH 26-
10/30. Dort auch das Folgende (Hervorhebungen im Original).
358 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

lich seien. Auf über einer Seite des vierseitigen Befehls gab Schmidt schließlich
Hinweise zur Gasabwehr, was nicht nur auf seine Erfahrungen aus dem Ersten
Weltkrieg zurückging, sondern auch auf Annahmen aus Ic-Berichten.
Der Befehl über die Kampfführung vom 18. Mai 1942 ist damit klar im
Zusammenhang mit der geänderten Gefechtsart – vom Angriff zur Verteidigung
– zu sehen und lässt Schmidts Absicht deutlich erkennen, die in der Verteidigung
ungeübte Unterführerschaft und Truppe auf die neuen Rahmenbedingungen ein-
zustellen. Trotz dieser Umstellung ist der Befehl bei weitem nicht so detailliert
gehalten wie etwa der ähnlich zu beurteilende Befehl der 385. Infanteriedivision
vom 28. April 1942. Dieser hatte ebenfalls Hinweise für die Kampfführung ent-
halten. Eibl legte darin aber sogar technisch-taktische Einzelheiten der unters-
ten Führungsstufen fest wie z.B. die Art des Stellungsausbaus, die Nachführung
der Karten, den taktischen Einsatz der schweren Waffen und Reserven oder die
– prozentual definierte – Verteilung des Munitionsnachschubes auf die einzel-
nen Bataillone und Kompanien. Zwar war die 385. Infanteriedivision zu die-
sem Zeitpunkt noch kampfunerfahren, was für die frisch nachgeführten Ersatz-
truppen und viele Unterführer der 10. Infanteriedivision (mot) jedoch ebenfalls
galt. Möglicherweise ist der allgemein gehaltene Befehl auf den persönlichen
Führungsstil Schmidts zurückzuführen, der Grund dafür könnte aber auch in
der breiteren Erfahrung seiner Kommandeure liegen, von denen »wenigstens
die Regiments- und teilweise die Bataillonskommandeure noch Teilnehmer
des Ersten Weltkrieges gewesen waren und ihre reichen Erfahrungen auf dem
Gebiete des Stellungskrieges an die Truppe und an die jungen Offiziere weiterge-
ben konnten«441. Bei aller Offenheit in der Formulierung zeigt der Befehl dane-
ben auch auf, dass die Verteidigung im Hinblick auf das Zusammenwirken der
Waffen einer strafferen Koordination bedurfte. Schmidt verzichtete zwar darauf,
technische und taktische Einzelheiten vorzugeben. Um die Einheitlichkeit der
Handlungen sicherzustellen, musste aber der Division gemeldet werden, wie die
Anordnungen umgesetzt wurden – z.B. wie die Regimentsabschnitte gegliedert
waren.
Aufschlussreich ist auch der Befehl vom 24. Mai 1942 über den Stellungsbau,
der in gleichem Stil geschrieben und eine Konsequenz des Befehls vom 18. Mai
war442. Aufgrund seiner Beobachtungen verwies Schmidt darin auf Fehler bezüg-
lich des Waffeneinsatzes und Stellungsbaus, etwa auf die fehlende Abstimmung
des Feuerplans der Infanteriewaffen mit dem Ausbau der Stellungsgräben, auf
die falsche Positionierung der Infanteriegeschütze in der vordersten Linie, aber
auch auf die fehlende Tarnung während des Stellungsbaus oder auf Aspekte der
Sperrführung wie z.B. falsch angelegte Drahthindernisse vor den Stellungen.
Besonders auffallend ist dabei der didaktische Ansatz Schmidts. So nahm er im
Befehl auf, welche Punkte bislang falsch ausgeführt wurden und erklärte, aus wel-

441
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 145. Ein Erfahrungsbericht vom 29.10.1942 be-
tonte jedoch, dass gerade bei den »jüngeren Führern bis einschließlich Btl.-Kommandeur
bereits jetzt jegliche Kampferfahrung aus dem Weltkrieg fehlt«. 10. ID (mot)/Ia
Nr. 688/42, Erfahrungsbericht über den Stellungskrieg im Sommer, 29.10.1942, BArch,
RH 26-10/38, S. 1. Möglicherweise beschönigt Schmidt in der Retrospektive die Situation
etwas. Der Erfahrungsbericht dürfte die Sachlage wohl authentischer wiedergeben.
442
10. ID (mot)/Ia Nr. 180 geh., Befehl für den Stellungsbau, 24.5.1942, BArch, RH 26-10/30.
Dort auch das Folgende.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 359

chen Gründen sie falsch waren und welches die richtige Vorgehensweise wäre.
Wie schon der Kommandeur der 385. Infanteriedivision verwies Schmidt dabei
ebenfalls auf die H.Dv. 316 »Pionierdienst aller Waffen«, die »Gemeingut aller !
Truppenteile werden« müsse und, falls noch nicht vorhanden, »beschleunigt« an-
zuschaffen sei. Auch bei dieser Division zog die Umstellung vom Angriff auf die
Verteidigung also nicht nur praktische Ausbildungsmaßnahmen, sondern auch
die Aufbereitung einer theoretischen Grundlage nach sich, was erneut belegt, dass
die grundlegenden Dienstvorschriften auch während des Krieges noch angewandt
wurden443.
Beide Befehle waren nach Form und Inhalt deutlich formuliert und ließen
keinen Zweifel daran, was der Divisionskommandeur wollte. Sie zeugen deshalb
von einer ähnlich straffen Führungshaltung, wie sie bei Eibl festgestellt werden
konnte. Trotz der klaren Forderungen unterscheiden sich diese zwei Befehle aber
in der Art, wie sie geschrieben waren, deutlich von Eibls Befehlen. Wie gese-
hen hatte dieser nicht nur die Fehler bemängelt, sondern zugleich detailliert
vorgegeben, wie diese zu verbessern wären. Schmidt hingegen war zwar un-
missverständlich in der Fehleranalyse und zeigte ebenfalls auf, wie der Kampf in
den Verteidigungsstellungen richtig zu führen wäre. Er überließ es aber seinen
Unterführern, wie sie dies umsetzten. Indem er dadurch Inhalt vor Form setzte,
verhinderte er ein schematisches Umsetzen seiner Forderungen und förderte letzt-
lich das Urteilsvermögen seiner Unterführer und damit ein Element, das für die
Anwendung der Auftragstaktik notwendig ist.
Schließlich blieb es auch nicht bei diesen zwei grundlegenden Befehlen. Noch
Mitte September 1942 erließ Schmidt einen Befehl über die »Grundbegriffe
der Verteidigung«444. Auch dieser Befehl ist im Zusammenhang mit den Ausbil-
dungsbemühungen zu betrachten. Schmidt ging darin nochmals auf die Grund-
sätze der Verteidigung ein, erklärte den Sinn der Verteidigung einer Stellung
oder definierte einzelne Elemente der Verteidigung. Auch thematisierte der
Befehl nochmals die Mechanik des Verteidigungskampfes und den Ausbau des
Stellungssystems, was nach mehrmonatiger Verwendung der Division in diesem
Abschnitt doch erstaunlich ist. Andererseits weist gerade die Wiederholung be-
reits kommunizierter Inhalte auf bestehende Ausbildungslücken hin. Die wieder-
holte Thematisierung ausbildungsmethodischer Punkte zeigt andererseits auch,
dass Schmidt die Arbeiten in den Stellungen und die Ausbildung der Einheiten
verfolgte. Wie gesehen war das Einräumen eines Handlungsspielraums für die
Unterführer immer mit einer entsprechenden Überprüfung durch die vorgesetz- !
te Dienststelle verflochten. Dies zeigt sich auch im vorliegenden Beispiel. Zur
Sicherstellung der Einheitlichkeit kontrollierte Schmidt die Umsetzung seiner
Vorgaben, sei dies in den Stellungen selbst oder wenn er »zur Überprüfung der

443
Siehe auch 10. ID (mot)/Ia Nr. 574/42 geh., Befehl über die Ausbildung im Winter 1942/43,
16.10.1942, BArch, RH 26-10/36; 10. ID (mot)/Ia Nr. 688/42, Erfahrungsbericht über
den Stellungskrieg im Sommer, 29.10.1942, BArch, RH 26-10/38, S. 1. Beide Dokumente
nennen als Grundlage der Truppenausbildung neben der erwähnten H.Dv. 316 z.B. die TF,
D 102 Die Infanterie im Stellungskrieg vom 26.5.1937 und H.Dv. g. 91 Der Stellungskrieg
vom 15.6.1938 (Nachdruck 1940).
444
10. ID (mot)/Kdr./Ia Nr. 500/42 geh.Kdos., Grundbegriffe der Verteidigung, 21.9.1942,
BArch, RH 26-10/36.
360 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Tarnung« den gesamten Divisionsabschnitt abflog445. Die Art und Weise, wie dies
geschah, lässt weitere Rückschlüsse auf Schmidts Führungsstil zu.
Erst die detailliert gehaltenen Befehle ab Januar 1943 enthielten in schriftli-
cher Fassung konkrete Bestimmungen darüber, wie festgestellte Mängel korrigiert
werden mussten. Bis dahin hatte Schmidt seinen Einfluss hauptsächlich direkt,
d.h. mündlich vor Ort wahrgenommen. Auf seinen persönlichen Kontrollgängen
nahm Schmidt verschiedene Aspekte der grundlegenden Befehle wieder auf. Das
Hauptaugenmerk bildete dabei der Stellungsbau. Schmidt besprach mit seinen
Kommandeuren die Vertiefung der Gräben, den Weiterausbau der Stützpunkte
zu einem durchlaufenden Grabensystem und die Erweiterung der Stellungen
für die tiefgestaffelte Verteidigung inklusive des Einsatzes von Minen, wobei
auch Aspekte der Durchführung wie die Beschaffung von Arbeitskräften, deren
Verwendung oder die Bereitstellung von Schanzzeug festgelegt wurden. Ebenfalls
überprüfte er die Feuerstellungen der Artillerie und der schweren Waffen so-
wie deren Einsatz446. In mehreren Kommandeursbesprechungen wiederholte
Schmidt nochmals die Grundsätze des Stellungsbaus, der Verteidigung sowie
der Kampfführung, wobei er »mit allem Nachdruck« darauf hinwies, welche
Maßnahmen der Stellungskrieg verlangte447.
Auffallend ist dabei, dass gewisse Mängel, die bereits im Mai in den grund-
legenden Befehlen angesprochen wurden, sich erstaunlich nachhaltig hielten.
Die falsche oder aus Gründen der Tarnung ungünstige Bauart von Stellungen !
und Unterständen veranlasste Schmidt z.B. bereits Ende Juni und Mitte August
wiederholt zu Kritik448. Ende September 1942 hatten Stellungsbesichtigungen
gezeigt, dass »der Ausbau und die Sauberhaltung des Stellungssystems« teils !
noch »sehr zu Wünschen [sic!] übrig« lasse449. Ende Oktober verlangte der
Divisionskommandeur in einer Kommandeursbesprechung »endgültig, dass die
kolossalen Erdaufwürfe verschwinden« sollten, offensichtlich ohne Erfolg, da er
nach einer Stellungsbesichtigung am 9. November weiterhin festhalten musste,
dass es »immer noch [...] überdeckte Kampfstände« gab. Obwohl er erneut die
»sofortige Abstellung dieser Missstände« befahl, findet sich eine entsprechende
Kritik noch in der Kommandeursbesprechung vom 23. November 1942450. Ein
ähnlich stetes Problem blieb der Einsatz der schweren und Panzerabwehrwaffen.
Schmidt musste noch Ende August 1942 betonen, dass die »Stellungen der

445
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 8, BArch, RH 26-10/32 (13.8.1942).
446
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 7, BArch, RH 26-10/31 (25.6.1942); 10. ID (mot)/Ia, KTB,
Nr. 8, BArch, RH 26-10/32 (7.‑14.8.1942); 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 9, BArch,
RH 26-10/33 (17.8.‑26.9.1942); 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 10, BArch, RH 26-10/34
(9.10.‑24.11.1942); 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-10/41 (8.2.1943).
447
Z.B. den »Bau von minierten Unterständen«, eine »lockere und tiefe Gliederung«,
»Ausweichgefechtsstände«. Er wies aber auch auf die Wichtigkeit der Nachrichtenverbindung
hin. 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 26-10/33 (7.9.1942). Vgl. auch 10. ID (mot)/
Ia, Nr. 407 geh.Kdos., Zusätze der Division, 17.8.1942, BArch, RH 26-10/36. Darin be-
zieht sich das Div.Kdo. auf »eindeutig« und »bereits wiederholt befohlen[e]« Anordnungen
und betont nochmals deren Umsetzung.
448
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 7, BArch, RH 26-10/31 (25.6.1942); 10. ID (mot)/Ia, KTB,
Nr. 8, BArch, RH 26-10/32 (11.8.1942).
449
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 26-10/33 (26.9.1942).
450
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 10, BArch, RH 26-10/34 (31.10./9.11./23.11.1942).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 361

Panzerabwehrwaffen nicht zuvorderst« verlaufen dürften451. Damit wiederholte er


die bereits im Mai bemängelten Fehler in der Positionierung und im Einsatz von
schweren Waffen, deren Korrekturen aber anscheinend auch zukünftig nicht den
Vorstellungen Schmidts entsprochen haben, wie spätere Tagebucheinträge nahe
legen452. Schließlich sah sich Schmidt noch Ende Januar und Anfang Februar
1943 gezwungen, in drei Besprechungen die Kompaniechefs seiner Division
»über die Kampfführung in der Verteidigung«, »über die Notwendigkeit der
Durchführung von Stoßtruppunternehmen« und über weitere Maßnahmen zur
Überwachung des »Vorfeldes« zu »belehren«453.
Wie gesehen waren die grundlegenden Anordnungen für die Verteidigung
und den Stellungsbau von einem intensiven Austausch zwischen dem Divisions-
kommandeur und seinen Unterführern geprägt. Die eingangs festgestellte Tat-
sache, dass die Verteidigung generell von einer straffen Führung gekennzeichnet
war, verdeutlicht sich noch, wenn der Blickwinkel über den Divisionsrahmen
hinaus erweitert wird. Es blieb nämlich nicht nur bei den Überprüfungen des
Verteidigungssystems durch die Divisionsführung. Auch das Generalkommando
kontrollierte den Ausbau und Verlauf der Stellungen, besprach eingehend Fragen
des Stellungsbaus mit dem Divisionskommandeur oder ordnete bestimmte
Aspekte der Kampfführung an, etwa den Einsatz der Pak, die Festlegung von
Beobachtungsposten oder die Vorbereitung örtlicher Reserven454. Letztlich er-
ließ auch das Armeeoberkommando Weisungen, in denen Erkenntnisse und
Erfahrungen von Verbänden des gesamten Armeebereichs gesammelt und zur
Umsetzung befohlen wurden, was für sich betrachtet jedoch nicht außerge-
wöhnlich war. Im Falle der 10. Infanteriedivision (mot) führte dies aber dazu,
dass sich daraus ein ganzer Maßnahmenkatalog ergab, der nun auch taktische
und gefechtstechnische Einzelheiten umfasste455. In den bisherigen grundle-
genden Befehlen war die Division sehr darauf bedacht gewesen, den Sinn der
Verteidigungsmaßnahmen zu vermitteln. Für die Umsetzung der allgemein
gefassten Befehle gestand Schmidt seinen Unterführern folglich einen entspre-
chenden Freiraum zu. Mit Bezug auf die Armeeweisung befahl die Division nun
einerseits Missstände zu unterbinden, die das Zusammenwirken der Waffen
und die Einheitlichkeit der Handlung gefährdeten. So war es z.B. vorgekom-
men, dass Bataillonskommandeure und Kompaniechefs den nach einem ein-
heitlichen Panzerabwehrplan festgelegten Einsatz der Pak in ihren Abschnitten
eigenmächtig abgeändert hatten. Andererseits regelte die Division nach Vorlage

451
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 26-10/33 (25.8.1942).
452
Dabei musste Schmidt auch gefechtstechnische Fehler korrigieren: »Es ist grundfalsch, die
in den Sappen [Annäherungsgräben] eingesetzten Mannschaften mit s.M.G. auszustatten.
Diese Mannschaften müssen mit M.P. ausgerüstet werden.« 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 10,
BArch, RH 26-10/34 (31.10.1942).
453
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-10/40 (27./29.1.1943); 10. ID (mot)/Ia,
KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-10/41 (2.2.1943).
454
Siehe z.B. den detaillierten Bericht der Div. an das Gen.Kdo. über den geplanten Verlauf
und den Stand des Ausbaus einer im Februar 1943 neu zu erkundenden Stellung.
10. ID (mot)/Ia Nr. 209/43 geh.Kdos., Betr.: Erkundung der Riegelstellung Sanosnaja,
Sabolonka, Pustaja, 2.2.1943, BArch, RH 26-10/44.
455
10. ID (mot)/Ia Nr. 186/43 geh., 31.1.1943, BArch, RH 26-10/44. Dort auch das Fol-
gende (Hervorhebung im Original).
362 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

durch das Armeeoberkommando auch Details. Es wurde etwa darauf hingewie-


sen, dass Maschinengewehre nicht in gedeckten Kampfständen eingesetzt wer-
den dürften und alle Maschinengewehre mit »5 mm starkem Bindedraht (etwa
2 m lang) festzubinden« seien. Alle Maßnahmen mussten durch die Regiments-
oder Bataillonskommandeure überprüft und der Vollzug dieser Kontrollen der
Division gemeldet werden.
Der Divisionsbefehl enthielt darüber hinaus zusätzliche Bemerkungen, in
denen die Ergebnisse einer Stellungskontrolle durch den Divisionskommandeur
enthalten waren. Diese bestanden wiederum aus allgemeinen Maßnahmen und
detaillierten Anordnungen. Letztere behandelten bereits mehrfach kritisier-
te Mängel, lassen dadurch also Rückschlüsse auf die Vorgehensweise Schmidts
zu. Die weiter oben behandelten Befehle vom Mai 1942 hatten ebenfalls all-
gemeine Bemerkungen und Hinweise auf Fehler enthalten, den unterstellten
Truppenführern in der Umsetzung jedoch Freiraum für eigenverantwortliches
Handeln belassen. Auch spätere Befehle regelten Grundsätze des Einsatzes, z.B.
ein am 12. Juli 1942 erlassener Grundsatzbefehl über die Verantwortlichkeit
in der Panzerabwehr456. Nachdem die angeordneten Korrekturen der Mängel
offenbar mehrmals nicht im Sinne des Divisionskommandeurs durchgeführt
worden waren, wurde Schmidt genauer und verlangte die konkrete Umsetzung
befohlener Maßnahmen. Dies wird auch aus der Art der Formulierung seiner
Bemerkungen deutlich. So bemängelte er z.B. immer noch die bereits im Befehl
vom Mai 1942 angesprochene fehlende Tiefengliederung der Maschinengewehre
in den Kompanieabschnitten und verlangte »nunmehr endgültig, dass 1/4‑1/5
[sic!] der Maschinenwaffen rückwärts der H.K.L. eingesetzt wird«457. Die
Grenadierregimenter hatten die Durchführung der Tiefengliederung auf einer
Skizze darzustellen, auf der neben den Stellungen der Maschinengewehre auch
alle Granatwerfer und Infanteriegeschütze eingezeichnet sein mussten, und diese
dem Divisionskommando zukommen zu lassen.
Befehle mit ähnlich hohem Detaillierungsgrad finden sich auch später
wieder. In einer Kommandeursbesprechung vom 8. Februar 1943 orientier-
te Schmidt seine Kommandeure über einen Korpsbefehl, wonach südwestlich
der bisherigen Hauptkampflinie eine neue Stellung auszubauen sei458. Dabei
beschränkten sich die Vorgaben der Division jedoch nicht mehr bloß auf die
Festlegung der Regimentsabschnitte oder der Gefechtsvorpostenlinie, und da-
mit auf Angelegenheiten, die notwendig im Verantwortungsbereich der Division
liegen mussten. Der Divisionskommandeur legte z.B. auch die Stärke der
Gefechtsvorposten pro Regiment auf eine verstärkte Kompanie fest oder be-
stimmte, dass die Grenadierregimenter zwei ihrer drei Bataillone in der vordersten
Linie einzusetzen hätten, während das jeweils III. Bataillon als Reservebataillon
zu verwenden sei459. Auch hatten die Regimenter den Bezug der neuen Stellungen
gemäß den von Schmidt gegebenen »mündlichen Weisungen bis ins einzel-

456
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 7, BArch, RH 26-10/31 (12.7.1942).
457
10. ID (mot)/Ia Nr. 186/43 geh., 31.1.1943, BArch, RH 26-10/44, S. 2.
458
Der Ausbau des Hauptkampffeldes auf eine »Großkampf-Hauptkampflinie« erfolgte im
Zusammenhang mit den Vorbereitungen auf die Rücknahme in die »Büffelstellung« von
Februar/März 1943.
459
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-10/41 (8.2.1943).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 363

ne zu überlegen und [...] vorzubereiten«460. Dabei mussten die Kommandeure


der Grenadierregimenter dem Divisionskommandeur eine »Planpause« vorle-
gen, »aus der die beabsichtigte Gliederung in der Großkampf-H.K.L. einschl.
Btl.- und Rgt.-Reserven sowie Pak der Regimenter und J[nfanterie]G[eschütze]
hervorgeht«. Auch der Regimentskommandeur des Artillerieregiments oder
der für den Panzerabwehrplan verantwortliche Panzerjägeroffizier mussten der
Division Planpausen oder Pläne über den beabsichtigten Einsatz und die ge-
planten Stellungen abgeben. Die Kommandeure wurden zudem angewiesen,
die Nahtgrenzen zu den benachbarten Abschnitten und die Einrichtung des
Alarmierungssystems zu kontrollieren. Gerade hinsichtlich des Letzteren be-
mängelte Schmidt, dass er auf seinen »Stellungsbegehungen vielfach ein gera-
dezu unmögliches Verhalten einzelner Gruppen angetroffen« habe. Dabei legte
der Befehl auch die Bildung örtlicher Reserven auf Kompaniestufen fest, verwies
auf die Bereitstellung von Munition in den Stellungen oder auf die Einrichtung
von Verbindungen zwischen den Stellungen und ordnete die Überprüfung und
Instandsetzung der pioniertechnischen Kampfmittel wie Flammenwerfer sowie
die Organisation und Kontrolle des Panzerwarndienstes an.
Die Betrachtung der grundlegenden Divisionsbefehle zum Stellungsbau
und zur Verteidigung hat gezeigt, dass es im Laufe des Stellungskriegseinsatzes
zu einer Änderung in der Art der Formulierung von Befehlen und den
Durchführungsbestimmungen gekommen ist. Dabei gilt es grundsätzlich festzu-
stellen, dass die Gefechtsart der Verteidigung eine eingehendere Befehlsgebung
mit sich brachte, wie der Blick in die TF verdeutlicht hat. Dies bedeutete nicht,
dass Befehle jedes Detail bestimmen mussten. Wie gesehen enthielten die grund-
legenden Befehle Schmidts zur Kampfführung in der Verteidigung bis in den
September 1942 zwar dort, wo dies für die Einheitlichkeit nötig war, deutlich
formulierte Forderungen, die den Unterführern wenig Handlungsspielraum
ließen. Die Befehle waren aber von einem didaktischen Ansatz geprägt, der
es den Unterführern erlaubte, innerhalb eines Rahmens die Vorgaben des
Divisionskommandeurs selbstständig umzusetzen und so auch Erfahrungen zu
sammeln. Erstaunlich ist dabei sicherlich, dass die enger und detaillierter formulier-
ten Grundsatzbefehle erst ab Januar 1943 auftauchten. Zu diesem Zeitpunkt hat-
te die Division bereits ausgiebige Erfahrungen im Stellungskrieg gemacht. Solche
Befehle wären eigentlich zu Beginn zu erwarten gewesen, als die Truppe aus dem
Angriff in die Verteidigung wechseln musste und deshalb entsprechend unerfah-
ren war. So aber lässt sich erst im Zusammenhang mit der erwähnten Weisung des
Armeeoberkommandos 4 eine Änderung der inhaltlichen Formulierung erken-
nen. Diese sind sicherlich im Kontext der sich zuspitzenden Gesamtlage zu sehen.
Die Abwehr sowjetischer Offensiven und die Vorbereitungen zur Rücknahme in
die »Büffelstellung« erforderten erstmalig, dass die 10. Infanteriedivision (mot)
eine »Großkampf-Hauptkampflinie« beziehen musste461. Unter enormem zeitli-
chem Druck mussten rückwärtige Riegel- und Sehnenstellungen bezogen wer-

460
10. ID (mot)/Kdr./Ia Nr. 393/43 geh.Kdos., Vorbereitung der Abwehr fdl. Angriffe,
26.2.1943, BArch, RH 26-10/44. Dort auch das Folgende.
461
Die 10. ID (mot) beteiligte sich nicht direkt an der »Büffelbewegung«, ihr linker Flügel bil-
dete aber den südlichen Drehpunkt dieser Bewegung und war deshalb starken sowjetischen
Angriffen ausgesetzt. Siehe 10. ID (mot)/Kdr./Ia Nr. 393/43 geh.Kdos., Vorbereitung der
Abwehr fdl. Angriffe, 26.2.1943, BArch, RH 26-10/44, S. 1.
364 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

den, um die Front wieder zu stabilisieren. Dass es in diesem Zusammenhang


kaum mehr Spielraum für selbstständige Entscheidungen und keine Zeit für das
Sammeln von Erfahrungen gab, ist nachvollziehbar und zeigt, dass die Lage für
die Art der Abfassung eines Befehles von entscheidender Bedeutung war.

Die Grundsätze der Kampfführung und des taktischen Einsatzes der Division

Wie erwähnt waren die ersten Monate ab Mai 1942 von der Umstellung auf
die Verteidigung und den Ausbau der Stellungen geprägt gewesen. Es erstaunt
deshalb nicht, dass der Divisionskommandeur in dieser Zeit sehr häufig in
den Stellungen zugegen war und die fortlaufenden Ausbauarbeiten besichtigte,
zumal sich Schmidt nach der Übernahme der Divisionsführung auch mit sei-
nen Unterführern bekannt machen musste. So war der Mai von einer starken
Präsenz des Divisionskommandeurs bei der Truppe geprägt. Ab Mitte Mai fan-
den fast täglich Begehungen von Stellungen bei den unterstellten Einheiten und
Besprechungen mit den Unterführern statt, in denen sich Schmidt über die Lage
und den Einsatz orientieren ließ. Auch auf Divisions- und Korpsstufe wurde ein
reger Austausch geführt. Nach der Meldung beim Armeeoberkommando 4 zur
Übernahme der Divisionsführung vom 8. Mai wurde Schmidt am 9. Mai durch
den stellvertretenden Führer des Generalkommandos LVI. Panzerkorps Gilsa über
die allgemeine Lage und den Einsatz der 10. Infanteriedivision (mot) unterrichtet.
Es folgten weitere Besprechungen – meist im Divisionsabschnitt – mit Gilsa oder
dem Generalstabschef des Korps am 18., 22., 24., 26. und 29. Mai 1942. Daneben
tauschte sich Schmidt mit dem Divisionsführer der 331. Infanteriedivision, deren
Infanterieregimenter 557 und 558 der 10. Infanteriedivision (mot) unterstellt
waren, über die Lage aus und erörterte mehrmals mit dem Artilleriekommandeur
(Arko) 216 artilleristische Fragen462. Diese enge Führung von vorne mit zahl-
reichen Kontaktaufnahmen und häufigem persönlichem oder telefonischem
Austausch zwischen oberer und unterer Führung beschränkte sich nicht aus-
schließlich auf den Monat Mai, sondern galt für den gesamten Zeitraum des
Stellungskrieges im Bereich des Armeeoberkommandos 4. Sie war daher keine
Folge des Führungswechsels im Divisionskommando, die eventuell eine engere
Führung für die Anfangszeit hätte erklären können, sondern entsprach aufgrund
der Gefechtsart und der geographischen Ausdehnung des Einsatzraumes dem
Regelfall. Dies hat bereits die Analyse des weiter oben behandelten Einsatzes der
385. Infanteriedivision beim Generalkommando LVI. Panzerkorps angedeutet.
Wie das Fallbeispiel der 385. Infanteriedivision ebenfalls zeigte, zeichnete sich
die Führung von vorne auch dadurch aus, dass sie auf mehreren Ebenen statt-
fand. Dies galt auch für die 10. Infanteriedivision (mot). Schmidt hatte während
der Verwendung seiner Division im Bereich des Armeeoberkommandos 4 ein-
bis zweimal pro Monat die Möglichkeit, sich im Rahmen eines Frontbesuches
oder im Oberkommando persönlich mit dem Oberbefehlshaber der Armee aus-
zutauschen463. Mit dem Generalkommando und der Division fand dagegen ein
ständiger telefonischer Austausch statt: mit dem Kommandierenden General,

462
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 5, BArch, RH 26-10/28 (8.‑31.5.1942).
463
Die folgenden Angaben basieren auf der Durchsicht der Divisions-KTB von Mai 1942 bis
März 1943. BArch, RH 26-10/28, 29, 31‑35, 40‑42.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 365

seinem Stabschef, dem Korps-Ia oder seltener auch mit Ordonnanzoffizieren.


Der Kommandierende General, sein Stabschef oder der Korps-Ia trafen aber zu-
dem häufig persönlich auf dem Divisionsgefechtsstand ein oder besichtigten die
Stellungen. Umgekehrt war auch die Division selbst durch den Kommandeur
oder seinen Ia regelmäßig telefonisch mit dem Generalkommando verbunden
oder persönlich zu Besprechungen auf dem Korpsgefechtsstand zugegen. Für den
Zeitraum von Mai 1942 bis März 1943 ergaben sich schließlich monatlich zwi-
schen fünf und dreizehn Kontakte telefonischer oder persönlicher Natur. Nicht
eingerechnet ist dabei der normale Nachrichtenverkehr, z.B. durch schriftliche
Befehle oder die Morgen-, Zwischen- und Tagesmeldungen der Division. Der
gegenseitige Austausch beinhaltete dabei nicht nur Orientierungen über die all-
gemeine Lage. Gerade in den Kommandeursbesprechungen bezog die Führung
des Generalkommandos die verantwortlichen Stellen der 10. Infanteriedivision
(mot) in die Entscheidungsfindung mit ein. Dies geschah etwa in Besprechungen
über geplante Stoßtruppunternehmen oder im Austausch über taktische oder
stellungsbauliche Maßnahmen. Die Einbindung zeigt sich auch darin, dass die
Division dem Generalkommando sogar Vorschläge für beabsichtigte größere
Unternehmen vorlegen konnte. Dabei beschränkte sich dies nicht nur auf den
Kontakt zwischen dem Kommandierenden General oder Generalstabschef des
Korps mit dem Divisionskommandeur oder Ia. Die Regiments- und z.T. sogar
Bataillonskommandeure wurden ebenfalls in die Entscheidungsfindung sowie in
den Informationsaustausch über Einsatzerfahrungen mit einbezogen oder konn-
ten mit dem Kommandierenden General vor Ort Personal- und Materialfragen
besprechen464.
Ein solcher direkter Kontakt zwischen Generalkommando und Divisions-
führung nützte nicht nur der vorgesetzten Stufe, sondern auch der Division, etwa
wenn es darum ging schwierige Situationen rasch zu bereinigen, z.B. durch die
Anforderung von Reserven zur Stärkung der Abwehrfront oder Unterstützung
durch Spezialwaffen wie Flak oder Stukas. Schließlich fand der Informations-
austausch auch in Lehrvorführungen und Planspielen statt, an denen die Truppen-
führer vom Bataillonskommandeur bis zum Kommandierenden General, z.T. so-
gar der Oberbefehlshaber der Armee, teilnahmen465.
In dieser Vorgehensweise lassen sich deutlich die Elemente der Einheitlichkeit
und des Führungsvorganges erkennen, die ein enges Zusammenwirken der
Einheiten vorsahen, das durch Nachrichtenverbindungen und Führen von vor-
ne sichergestellt wurde, dabei aber gerade in der Lagebeurteilung auch auf das

464
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 5, BArch, RH 26-10/28 (26.‑29.5.1942); 10. ID (mot)/Ia,
KTB, Nr. 7, BArch, RH 26-10/31 (25.6.‑5.7.1942); 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 8, BArch,
RH 26-10/32 (16.7.‑11.8.1942); 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 26-10/33
(5.9.‑5.10.1942); 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 10, BArch, RH 26-10/34 (8.‑29.10.1942);
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-10/40 (26.1.1943); 10. ID (mot)/Ia, KTB,
Nr. 2, BArch, RH 26-10/41 (26./27.2.1943); 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 3, BArch,
RH 26-10/42 (2.‑10.3.1943).
465
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 6, BArch, RH 26-10/29 (14./21./22.6.1942); 10. ID (mot)/
Ia, KTB, Nr. 8, BArch, RH 26-10/32 (18.7./15.8.1942); 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 9,
BArch, RH 26-10/33 (8.9.1942); 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 10, BArch, RH 26-10/34
18.11.‑7.12.1942); 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 11, BArch, RH 26-10/35 (21./30.12.1942);
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 3, BArch, RH 26-10/42 (15./18./23.3.1943).
366 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Urteil der Untergebenen und den Kenntnissstand der Truppenführer vor Ort
zurückgriff. Damit wird auch die Bedeutung des Urteilsvermögens als weiteres
Element betont. Wie gesehen war damit nicht nur die Absage an schematisches
Denken gemeint, sondern auch die Akzentuierung des Unterführers im Feld und
dessen entscheidender Funktion für das Ganze. Die räumlichen und taktischen
Rahmenbedingungen der Verteidigung ermöglichten und förderten dies zusätz-
lich. Dass es in einem solchen Umfeld kaum Raum für auftragstaktisches Handeln
geben konnte, versteht sich fast von selbst. Tatsächlich fanden zwischen dem
Divisionskommandeur und den verantwortlichen Stellen des Generalkommandos
selbst in kritischen Lagen zuerst immer Absprachen statt, in denen mögliche
Maßnahmen diskutiert wurden. Erst nach solchen Rücksprachen wurde gehan-
delt. Ein solches Beispiel bildet das telefonische »Ausnahmegespräch«466 zwischen
Schmidt und dem Generalstabschef des Korps vom 21. Juni 1942, als im gesamten
Korpsabschnitt eine größere sowjetische Offensive stattfand. Die Division hatte zu
diesem Zeitpunkt bereits alle Reserven einsetzen müssen, weshalb Schmidt klar-
stellte, dass die Division einen möglichen Durchbruch des Gegners nicht mehr
aufhalten könne. Bezeichnenderweise war es der Generalstabschef des Korps, der
vorschlug, einen vorspringenden Stellungsabschnitt zurückzunehmen, dadurch
die Verteidigungsfront der Division zu verkürzen und somit Truppen freizube-
kommen. Selbst dieser Vorschlag wurde aber noch zuerst dem Kommandierenden
General vorgetragen. Schmidt selbst besprach sich zudem mit dem für den fragli-
chen Abschnitt zuständigen Bataillonskommandeur. Letztlich wurde die Division
mit einem Bataillon aus der Korpsreserve (leichtes Armeebataillon 4) verstärkt467.
Das ganze Gespräch dauerte mit Rücksprachen gerade mal zehn Minuten.
Gesondert betrachtet hätte die Gefechtslage durchaus eine Situation dargestellt, in
der Handeln im Sinne der Auftragstaktik möglich gewesen wäre. Das Beispiel zeigt
aber sehr anschaulich das enge und sich ergänzende Zusammenspiel der Elemente
Einheitlichkeit, Selbstständigkeit, Urteilsvermögen und Führungsvorgang auf.
Es widerlegt zudem die besonders nach den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges
in der deutschen Militärliteratur verstärkt aufgetretenen Befürchtungen, dass der
Einsatz technischer Nachrichtenmittel zukünftig die Führung stark beeinträchti-
gen könnte. In diesem Fall blieb auftragstaktisches Handeln jedoch nicht wegen
einer nachrichtentechnischen Bevormundung aus. Vielmehr war es gar nicht nö-
tig geworden, im Sinne der Auftragstaktik zu handeln, da ständig Verbindung zu
der vorgesetzten Kommandostelle bestanden hatte. Dieses Beispiel verdeutlicht
darüber hinaus, dass der eigentliche Mehrwert des deutschen Führungsvorganges
letztlich darin bestand, dass sich die Unterführer aktiv einbringen konnten. Der
normale Führungsablauf sah als Regelfall dabei gerade nicht a priori selbstständi- !
ges Handeln durch Unterführer vor. Im Falle einer grundlegend veränderten Lage
sollte zuerst immer die Verbindung mit der vorgesetzten Kommandobehörde
gesucht werden, um diese über die neuen Rahmenbedingungen zu orientieren.
Aufgrund der Kenntnisse vor Ort lag es nahe, dass der Unterführer – der ja auch
die Absicht des Vorgesetzten kannte – diesem einen möglichen Lösungsansatz

466
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 6, BArch, RH 26-10/29 (21.6.1942). Die folgenden Ausfüh-
rungen beziehen sich auf diese Quelle.
467
Das Bataillon blieb der Division bis zum 6.1.1943 unterstellt. 10. ID (mot)/Ia, KTB,
Nr. 1, BArch, RH 26-10/40 (6.1.1943).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 367

vorschlug. Erst nach der Beurteilung der neuen Lage und der Entschlussfassung
durch die vorgesetzte Dienststelle erfolgte in einem zweiten Schritt das Handeln
auf dem Gefechtsfeld. Somit bildet das Beispiel einen weiteren Beleg dafür, dass
die Auftragstaktik – d.h. das Handeln ohne vorherige Absprache mit der vorge-
setzten Kommandobehörde – nur in einem Ausnahmefall zur Anwendung ge-
langte. Dieser Fall war dann gegeben, wenn eine vorherige Rücksprache – aus !
welchen Gründen auch immer – nicht mehr vorgenommen werden konnte.
Dieses Zusammenspiel zwischen Generalkommando und Divisionsführung,
das sich in einer engen, von ständigem Austausch geprägten Führung nieder-
schlug, beschränkte sich nicht nur auf die obere Führungsebene, sondern setzte
sich innerhalb der Division fort. Die Ausführungen zu den Kampfvorbereitungen
haben gezeigt, dass der Divisionskommandeur in den Stellungen sehr präsent
war, um sich mit seinen Unterführern zu besprechen, sie zu belehren oder an-
geordnete Maßnahmen und Arbeiten zu überprüfen. Zwischen Juni 1942 und
März 1943 führte Schmidt durchschnittlich jeweils knapp neun Besprechungen
pro Woche mit einzelnen oder einer Gruppe von Kommandeuren durch468. Dabei
hing diese Anzahl stark von der Intensität der Gefechtstätigkeit ab. In Zeiten
häufiger Unternehmungen konnte die Zahl der Besprechungen bis auf 15 an-
steigen, in ruhigen Phasen hingegen auf etwa eine pro Woche absinken. Noch
häufiger – im Durchschnitt fast zwölfmal pro Monat – befand sich Schmidt in
den einzelnen Abschnitten. Hinzu kamen noch Stellungsbesichtigungen und
Abschnittserkundungen, die ebenfalls mit den zuständigen Kommandeuren
durchgeführt wurden und erneut Gelegenheiten zum gegenseitigen Austausch
boten. Zusammengenommen mit den Besichtigungen der Vorgesetzten auf
Korps- und Armeestufe sowie den telefonischen Verbindungsaufnahmen ergab
sich daraus ein doch höchst intensiver Austausch zwischen den Truppenführern
von Kompanie- bis auf Korps- bzw. Armeestufe.
Neben der starken Betonung der Einheitlichkeit durch das Führen von
vorne und durch den intensiven Gebrauch der Nachrichtenmittel prägten
Ablösungen wesentlich die Führung des Stellungskrieges. Diese regelmäßi-
gen Übernahmen bzw. Abgaben von Stellungsabschnitten wurden wegen Um-
gruppierungen der eingesetzten Einheiten und Anpassungen an die Frontab-
schnitte der 10. Infanteriedivision (mot) und ihrer Nachbardivisionen not-
wendig. Sie sind besonders aufschlussreich, weil sie einen direkten Vergleich
mit der Führung der 385. Infanteriedivision ermöglichen, die während ihrer
Verwendung beim Armeeoberkommando 4 ebenfalls eine solche Ablösung
durchführte (Kap. IV.2.d). Diese war wie gesehen unter sehr engen Vorgaben
befohlen worden und musste anhand eines Fragenkataloges umgesetzt werden.
Bei der 10. Infanteriedivision (mot) waren die Ablösungsbefehle weniger detail-
liert gehalten – und zwar nicht erst, seit die Division über lange Erfahrungen
in der Verteidigung verfügte, sondern bereits von Beginn an. Zwar enthielten
die meisten Befehle Durchführungsbestimmungen für die Ablösung, diese be-
schränkten sich jedoch auf die für die Koordination der Beteiligten notwendi-

468
Diese und die folgenden Berechnungen basieren auf der Durchsicht der Divisions-KTB
vom Mai 1942 bis März 1943.
368 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

gen Eckdaten469. Generell regelten solche Befehle die Verantwortlichkeiten und


die Rahmenbedingungen wie z.B. Abschnittsgrenzen, Trennungslinien oder be-
teiligte Truppen sowie deren Unterstellungsverhältnisse. Weiter setzten sie den
Beginn und Abschluss der Ablösung zeitlich fest. Bei der 10. Infanteriedivision
(mot) wurden die Ablösungen durch »Vorkommandos« eingeleitet, die über die
Durchführung der Ablösung orientiert wurden und den planmäßigen Ablauf
vorbereiten mussten. »Nachkommandos« stellten zudem sicher, dass die über-
nehmende Truppe alle wichtigen Informationen und Unterlagen über die neu-
en Stellungen erhielt. Die eigentliche Durchführung der Ablösung wurde ganz
der Verantwortung der Unterführer überlassen. Es musste lediglich der Vollzug
der Ablösung bis zum festgelegten Termin an das Divisionskommando (Ia) ge-
meldet werden. Weiter mussten die für das Zusammenwirken der Waffen und
die einheitliche Führung notwendigen Angaben gemeldet werden, z.B. die neue
Gliederung der Regimentsabschnitte, die Lage der Gefechtsstände sowie die
Unterbringung und Stärke der örtlichen Reserven oder die Feuerstellungen und
-pläne der Artillerie sowie Panzerabwehrwaffen470. Die Ablösungsbefehle konnten
nicht zuletzt deshalb so kurz und allgemein gehalten werden, weil die Details der
Ablösungen in den Kommandeursbesprechungen vorgängig mündlich bespro-
chen wurden. Es wird sich auch unter dem Aspekt der Stoßtruppunternehmen
noch zeigen, dass der mündliche Austausch in dieser Division sehr stark gepflegt
wurde und letztlich wohl darin einer der Hauptgründe dafür lag, dass die Befehle
im Allgemeinen nicht so detailliert gehalten waren wie etwa diejenigen der
385. Infanteriedivision.
Bisher hat sich gezeigt, dass der Führung in der Verteidigung keine anderen
Führungsgrundsätze zugrunde lagen als die in der Analyse der Führungsdoktrin
behandelten. Die anderen Rahmenbedingungen als im Bewegungskrieg wirk-
ten sich dennoch aus. Während z.B. die Elemente der Selbstständigkeit oder des
Offensivdenkens in der Verteidigung naturgemäß eine geringere Gewichtung er-
fuhren, erhielt die Einheitlichkeit der Handlung eine sehr dominierende Rolle. In
der Umsetzung bzw. Anwendung der Elemente zeigten sich deshalb Unterschiede.
Um das Zusammenwirken der Waffen und damit die Einheitlichkeit der
Handlung sicherstellen zu können, bedurfte der Truppenführer eines entspre-

469
Die Befehle waren entsprechend kurz gehalten und umfassten lediglich eine bis zwei
Seiten. Spätere Befehle der 10. ID (mot) konnten je nach Komplexität der Ablösung auch
länger ausfallen, erlangten aber nie den Detaillierungsgehalt z.B. des Ablösebefehls der
385. ID vom 24.4.1942, der sechs Seiten lang war. Siehe z.B. 10. ID (mot)/Ia Nr. 168
geh., Divisions-Befehl für die Ablösung, 24.5.1942, BArch, RH 26-10/30; 10. ID (mot)/
Ia Nr. 339 geh.Kdos., Divisionsbefehl über die Ablösung des I.R. 467, 25.7.1942, BArch,
RH 26-10/36; 10. ID (mot)/Ia Nr. 367 geh.Kdos., Divisionsbefehl zur Ablösung und
Übernahme eines Rgts.-Abschnitts der 267. I.D., 4.8.1942, BArch, RH 26-10/36;
10. ID (mot)/Ia Nr. 155/43 geh.Kdos., Divisionsbefehl für die Umgliederung im Divisions-
abschnitt, 23.1.1943, BArch, RH 26-10/44.
470
Siehe z.B. 10. ID (mot)/Ia Nr. 408 geh.Kdos., Divisionsbefehl für die Ablösung des K. 40,
16.8.1942, BArch, RH 26-10/36; 10. ID (mot)/Ia Nr. 10/43 geh.Kdos., Divisionsbefehl
für die Ablösung des Gren.Rgt. 20 (mot) durch Stoßgruppe Källner, 4.1.1943, BArch,
RH 26-10/44; 10. ID (mot)/Ia Nr. 126/43 geh.Kdos., Divisionsbefehl für das Herauslösen
der Stoßgruppe Källner und die Umgliederung im Div.-Abschnitt, 19.1.1943, BArch,
RH 26-10/44; 10. ID (mot)/Ia Nr. 338/43 geh.Kdos., Divisionsbefehl für das Herauslösen
des Kradsch.Btl. 40, 19.2.1943, BArch, RH 26-10/44.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 369

chenden Überblicks, stärkerer Kontrolle und strafferer Führung. Die Führung


von vorne behielt folglich ihre Bedeutung bei. Gerade die Kampfvorbereitungen
waren wie gesehen durch eine starke persönliche und telefonische Präsenz der
oberen Führung in den Stellungen geprägt.

Die Planung, Vorbereitung und Durchführung von Stoßtruppunternehmen

Unter Stoßtruppunternehmen sind »kleine, unter dem Schutze der Gefechts-


vorposten vorbereitete Angriffsunternehmungen mit begrenztem Ziel« zu ver-
stehen, die im Rahmen der Verteidigung durchgeführt wurden und generell
den Zweck verfolgten, »die feindlichen Angriffsvorbereitungen [zu] stören«471.
Weiter dienten sie u.a. dazu, durch die »Einbringung von Gefangenen« oder
Erbeutung schriftlicher Unterlagen Informationen über den Gegner oder seine
Stellungen zu beschaffen, und schließlich ermöglichten sie auch – ob zwischen-
zeitlich oder permanent – das »Ausheben von Gräben« zur Verlegung der eigenen
Frontlinie472. Im Unterschied zum »Großkampf«, der von der Division in der
gesamten Tiefe des Hauptkampffeldes geführt wurde und die Besetzung einer
weiter rückwärts angelegten Großkampf-Hauptkampflinie erforderte, konzent-
rierten sich die Kampfhandlungen bei Stoßtruppunternehmen ausschließlich auf
die vordersten Verteidigungsanlagen, d.h. auf die bereits eingangs des Kapitels er-
wähnte Hauptkampflinie und das davor liegende Vorfeld der Verteidigungszone.
Entsprechend wurden die Kampfhandlungen nicht im Divisionsrahmen geführt.
Die eigentlichen Angriffselemente bestanden aus Einheiten der unteren und un-
tersten taktischen Stufe, d.h. aus Kompanien (»Sturm-« oder »Stoßkompanien«)
oder »Stoßzügen«, teilweise auch aus Gruppen. Normal war dabei zudem, dass die
Angriffstruppen aus verschiedenen Einheiten zusammengestellt waren. Dies be-
legt exemplarisch die Kräftegliederung für das Anfang Januar 1943 durchgeführ-
te Unternehmen »Banditenstreiche«, das unter der Leitung des Kommandeurs
des I./Grenadierregiment 20 (mot) stattfand. Daran waren folgende Einheiten
beteiligt: Zwei Sturmkompanien aus dem Grenadierregiment 20 (mot), eine
aus dem leichten Armeebataillon 4, eine aus dem Kradschützenbataillon 40,
drei Züge aus dem Pionierbataillon 10 (mot), ein schwerer Pak-Zug aus der
Panzerjägerabteilung 10 sowie schwere Infanteriewaffen. Zusätzlich wurden den
Sturmkompanien noch »Vorgeschobene Beobachter« des Artillerieregiments 10
(mot) und der Infanteriegeschützkompanien angegliedert473.

471
TF, S. 188, wo allerdings der Begriff »Stoßtruppunternehmen« – im Gegensatz zur »Späh-
trupptätigkeit« – nicht genannt wird.
472
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 8, BArch, RH 26-10/32 (22.7.1942). Die Gewichtung solcher
Unternehmen zeigt sich auch in deren Häufigkeit. So legte Schmidt am 1.7.1942 fest, dass
»die Division jede Woche ein Stoßtruppunternehmen durchführen« müsse. 10. ID (mot)/
Ia, KTB, Nr. 7, BArch, RH 26-10/31 (1.7.1942).
473
10. ID (mot)/Ia Nr. 906/42 geh.Kdos., Divisionsbefehl für das Unternehmen »Banditen-
streiche«, 24.12.1942, BArch, RH 26-10/36. Wegen des hohen Bedarfs an Spezialisten wa-
ren selbst die Stoßzüge sehr heterogen zusammengestellt und umfassten neben Zugführer
und Stellvertreter mehrere Schützen- und eine »Deckungsgruppe« aus Infanteristen,
Flammwerfer-, Spreng- und Zerstörungstrupps aus Pionieren sowie Übermittler und
Sanitätssoldaten.
370 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Die Verlagerung der direkten Führung auf die untere und unterste taktische
Führungsebene bedeutete jedoch nicht, dass das Divisionskommando nicht in
die Vorbereitung und Umsetzung von Stoßtruppunternehmen involviert ge-
wesen wäre. Je nach Größe des Unterfangens wurden solche Unternehmen auf
Divisions- bzw. Regimentsstufe vorbereitet. Mit der Durchführung der Aktion
wurden allerdings Regiments- bzw. Bataillonskommandeure beauftragt, während
der Divisionskommandeur keine führende, sondern lediglich eine überwachende !
Funktion übernahm. Insgesamt ergab sich dadurch jedoch eine deutlich straffe-
re und eingehendere Führung als im Bewegungskrieg. Stoßtruppunternehmen
in Kompanie- und Zugsstärke wurden z.B. durch die Regimentskommandeure
– häufig auf Befehl der Division – vorbereitet474. Dadurch mischten diese sich
notwendig in Dinge ein, die eigentlich zwei bzw. drei Führungsstufen unter ih-
nen lagen und somit Sache der Bataillonskommandeure bzw. Kompaniechefs
waren. Für die praktische Durchführung bedeutete dies eine dreifache Über-
lagerung der Führungskomponente. Ebenso wie der Divisionskommandeur
überwachte z.B. auch der Regimentskommandeur die Umsetzung eines von
ihm geplanten Unternehmens, mit dessen Durchführung im Rahmen einer
Kompanie ein Bataillonskommandeur beauftragt wurde, während letztlich der
Kompaniechef die Stoßzüge vor Ort führte475. Dies galt entsprechend auch für
Unternehmen in Bataillonsstärke, die von der Division vorbereitet, von den
Regimentskommandeuren geleitet und vor Ort durch Bataillonskommandeure
geführt wurden476. Das bisher Gesagte soll exemplarisch anhand des Stoßtrupp-
unternehmens »Waldmeister«/»Hildebrand« vom 7. Oktober 1942 näher be-
leuchtet werden477. Die Analyse dieses Unternehmens wird nicht nur das oben er-
wähnte verdichtete Bild der Kampfführung in der Verteidigung wiedergeben. Die
Entstehungsgeschichte des Unternehmens, die in der Vorbereitung getroffenen
Maßnahmen und schließlich die Vorgehensweise während der Durchführung
werden auch anschaulich verdeutlichen, dass der Führungsvorgang zwischen dem
Divisionskommandeur und seinen Unterführern von einem ebenso intensiven
Austausch geprägt war, wie dies bereits für das Zusammenspiel zwischen Korps
und Division festgestellt werden konnte.
Während des gesamten Septembers hatten die Kämpfe entlang der Verteidi-
gungsfront der Division gezeigt, dass das Gebiet vor dem linken Abschnitt der
Hauptkampflinie ein Schlüsselgelände darstellte. Besonders bedrohlich entwi-
ckelte sich die Lage für die exponierten deutschen Stellungen im Frontvorsprung

474
Siehe z.B. 10. ID (mot)/Ia Nr. 175/43 geh.Kdos., Betr.: Aktive Führung der Verteidigung,
26.1.1943, BArch, RH 26-10/44.
475
Vgl. z.B. das durch die mit einer Pioniergruppe verstärkte 3./GR 20 (mot) erfolgte
Unternehmen »Katerbummel«. Der Kdr. GR 20 (mot) bereitete das Unternehmen vor,
während der Kdr. I./GR 20 (mot) mit der Durchführung beauftragt wurde und die zwei
Stoßzüge vor Ort schließlich vom Kompanieführer geführt wurden. 10. ID (mot)/Ia, KTB,
Nr. 2, BArch, RH 26-10/41 (5.2.1943); 10. ID (mot)/Ia Nr. 266/43 geh., Betr.: Bericht
über Stoßtruppunternehmen »Katerbummel«, 10.2.1943, BArch, RH 26-10/46.
476
Z.B. das erwähnte Unternehmen »Banditenstreiche« oder das Unternehmen »Hildebrand«,
auf das weiter unten noch eingehend eingangen wird. 10. ID (mot)/Ia Nr. 542/42 geh.Kdos.,
Divisionsbefehl für das Unternehmen »Hildebrand«, 1.10.1942, BArch, RH 26-10/38.
477
Das Unternehmen hieß zuerst »Waldmeister« und wurde am 6.10.1942 in »Hildebrand«
umbenannt. 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 26-10/33 (6.10.1942).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 371

nördlich Jakovlevka mit der bestimmenden Höhe 244,6, die sich ständigen sow-
jetischen Stoßtruppunternehmen und Umfassungsversuchen durch den Ausbau
des sowjetischen Stellungssystems ausgesetzt sahen. Wegen der Bedeutung
dieser Stellungen bei Jakovlevka für den gesamten Divisionsabschnitt ent-
schloss sich der Divisionskommandeur Ende September zu einem begrenzten
Angriffsunternehmen478. Ziel des Unternehmens war die Vorverlagerung und
Begradigung der eigenen Verteidigungsfront, was schließlich sogar die Einnahme
der sowjetischen Stellungssysteme und deren Ausbau zur neuen Hauptkampflinie
implizierte.
Aufschlussreich ist dieses Unternehmen jedoch nicht nur wegen der Art
seiner Durchführung, sondern auch in Bezug auf die Entstehung. Zwar hatte
der Divisionskommandeur mit dem Kommandeur des Infanterieregiments 20
(mot) schon mehrmals die Möglichkeit besprochen, in diesem Abschnitt offen-
siv zu werden. Bislang glaubte Schmidt jedoch, dass er dafür über zu wenige
Einheiten verfügte. Die entscheidende Initiative kam am 26. September 1942
vom Kommandeur des III. Bataillons Major d.R. Konrad Krägeloh. Dieser
orientierte Schmidt in einer Besprechung darüber, dass der Wald nördlich der
Höhe 244,6 (das sogenannte »Minenwäldchen«) durch eine Kompanie des
Gegners besetzt worden sei und dadurch seine Stellungen bedroht würden. Er
sprach sich deshalb für die Einnahme des Minenwäldchens und die Vorverlegung
der Hauptkampflinie vor diesen Wald aus. Krägeloh glaubte, dies mit seinem
Bataillon erreichen zu können, und beantragte lediglich die Verstärkung durch
eine zusätzliche Kompanie. Das Unternehmen wurde beschlossene Sache.
In der Kommandeursbesprechung vom 29. September 1942 besprach
Schmidt das Unternehmen nicht nur mit seinen Kommandeuren, sondern
plante es bereits detailliert. Im Kriegstagebuch der Division ist auf viereinhalb
Seiten die gesamte Lagebeurteilung und Entschlussfassung inklusive geplanter
Kräftegliederung, Angriffsplan mit Angriffszeiten sowie dem weiteren Vorgehen
nach Erreichen des Angriffszieles enthalten. Derart vorbereitet begaben sich
Schmidt und sein Ia am 30. September morgens zum Korpsgefechtsstand und
unterbreiteten dem Kommandierenden General das beabsichtigte Unternehmen.
Nach dessen Einwilligung führte Schmidt noch am Abend eine neuerliche
Kommandeursbesprechung mit den Kommandeuren des Infanterieregiments 20
(mot) und des III./Infanterieregiment 20 (mot), des Artillerieregiments 10 (mot)
und des Pionierbataillons 10 (mot) sowie dem Ib und Ic durch. Mit der Führung
des Unternehmens wurde der Kommandeur des Infanterieregiments 20 (mot),
Walther, beauftragt. Dieser schlug nun vor, nicht nur das Minenwäldchen ein-
zunehmen und die Hauptkampflinie vorzuverlegen, sondern im selben Zug auch
das sowjetische Grabensystem zu erobern und in die eigenen Stellungen einzuglie-
dern. Der Vorschlag wurde vom Divisionskommandeur gutgeheißen. Am Morgen
des 1. Oktobers folgte eine letzte Erkundung entlang der Hauptkampflinie im
Abschnitt des geplanten Angriffs durch den Divisionskommandeur und die
Kommandeure des Artillerieregiments 10 (mot), des Infanterieregiments 20
(mot) und des III./Infanterieregiment 20 (mot)479.

478
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 153 f.
479
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 26-10/33 (26.9.‑1.10.1942).
372 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Am Nachmittag des 1. Oktobers erließ das Divisionskommando den


Operationsbefehl für das Unternehmen480. Dieser knapp sechsseitige Befehl gab
in der Ziffer 2 die Absicht der Division und mit dem Angriffsziel den Auftrag für
das verstärkte III./Infanterieregiment 20 (mot) wieder. Auch dieses Unternehmen
war durch eine sehr heterogene Zusammensetzung der beteiligten Truppen ge-
kennzeichnet, die zudem auf drei verschiedenen Führungsstufen allokiert wur-
den. Das III. Bataillon wurde mit der 1. und 2. Kompanie des I. Bataillons, der
5. Kompanie des II. Bataillons sowie mit der 3./Kradschützenbataillon 40 ver-
stärkt. Auf Regimentsstufe kam es ebenfalls zu einer zusätzlichen Zuweisung von
Truppen, wurden dem Regimentskommandeur des Infanterieregiments 20 (mot)
doch der Kommandeur des Pionierbataillons 10 (mot) mit zwei Pionierkompanien,
die 2./Division-Ersatzbataillon 10 sowie ein leichter Infanteriegeschützzug aus
dem Kradschützenbataillon 40 direkt unterstellt. Die Division hielt sich ihrer-
seits die Möglichkeit offen, mit Truppen in die Kampfführung einzugreifen,
indem die 2. und 5./Kradschützenbataillon 40 sowie ein schwerer Pak-Zug
während des Unternehmens dem Divisionskommandeur zur Verfügung gestellt
wurde. Schließlich beantragte sie beim Generalkommando für die Dauer des
Unternehmens noch die Unterstellung eines schweren Infanteriegeschützes für
das Infanterieregiment 20 (mot) und eines Artilleriefliegers für das Artillerie-
regiment 10 (mot).
Weiter regelte der Divisionsbefehl die Tarnmaßnahmen vor Beginn des
Angriffs, die Kräftegliederung für den Angriff, die Aufgaben der Artillerie und das
Vorgehen nach dem Erreichen des Angriffszieles sowie die materiellen und organi-
satorischen Vorbereitungen. Zur eigentlichen Durchführung des Unternehmens
und dem Vorgehen der Stoßgruppen finden sich hingegen keine Angaben. In
diesem Punkt ließ der Divisionskommandeur dem Regimentskommandeur
freie Hand, Letzterer hatte allerdings den »beabsichtigte[n] Angriffsplan [...]
mit Skizze in zweifacher Ausfertigung« der Division »baldmöglichst« einzurei-
chen. Auch legte der Befehl fest, wo die Gefechtsstände der beiden beteiligten
Infanteriekommandeure Walther und Krägeloh einzurichten seien. Gleichzeitig
bezog Schmidt selbst einen »vorgeschobene[n] Divisions-Gefechtsstand«. Dieser
wurde mit Telefonleitungen zum Divisionsgefechtsstand und zu den Gefechts-
ständen des Infanterieregiments 20 (mot) sowie des Artillerieregiments 10
(mot) verbunden und zusätzlich mit Funkverbindungen überlagert. Obwohl
der Divisionskommandeur das Unternehmen nicht selbst führte, befand er
sich also im Frontabschnitt und hatte mit einem dichten Netz an Telefon- und
Funksprechverbindungen seine direkte Einflussnahme während des Unter-
nehmens sichergestellt. Dieser Operationsbefehl zeigt nicht nur deutlich auf, dass
straffe Führung und Selbstständigkeit nebeneinander einhergehen konnten. Er
veranschaulicht auch, wie versucht wurde, die beiden Elemente der Einheitlichkeit
und Selbstständigkeit auszubalancieren, um zwar die nötige Koordination und
Kontrolle der vorgesetzten Stufe sicherzustellen und dadurch das Heft in der
Hand zu behalten, gleichzeitig aber auch den Unterführern Handlungsspielraum
bei der Durchführung zu belassen.

480
Für das Folgende: 10. ID (mot)/Ia Nr. 542/42 geh.Kdos., Divisionsbefehl für das
Unternehmen »Hildebrand«, 1.10.1942, BArch, RH 26-10/38, S. 2‑5 (Hervorhebung im
Original).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 373

Mit der Herausgabe des Operationsbefehls waren die Kampfvorbereitungen


jedoch noch nicht abgeschlossen. Da das Generalkommando am selben Tag befoh-
len hatte, vor der bestehenden Hauptkampflinie eine vorgeschobene »Gefechts-
vorpostenlinie« anzulegen, beauftragte der Divisionskommandeur die Komman-
deure der Frontabschnitte – des I. und II./Infanterieregiment 20 (mot) und des
leichten Armeebataillons 4 – damit, zu erkunden, wo solche Gefechtsvorposten
möglich wären. Zudem war das Divisionskommando durch den Ia in Kontakt
mit dem Generalkommando, um das eigene Unternehmen »Hildebrand«
mit einem gleichzeitig angesetzten Unternehmen der linken Nachbardivision
(267. Infanteriedivision) zu koordinieren. Dies war nötig geworden, da die I./
Artillerieregiment 10 (mot) die Feuerunterstützung für beide Unternehmen si-
cherzustellen hatte. Am 2. Oktober traf deshalb der Generalstabschef des Korps
bei der Division ein und besprach mit Schmidt die gestaffelte Durchführung
beider Unternehmen. Ebenfalls am 2. und nochmals am 3. Oktober führte der
Divisionskommandeur Besprechungen mit den Kommandeuren durch, wo-
bei es am 2. Oktober in erster Linie um die erwähnten Koordinationsprobleme
ging. In der Besprechung vom 3. Oktober ließ sich der Divisionskommandeur
von den Kommandeuren des I. und II./Infanterieregiment 20 (mot) sowie
des leichten Armeebataillons 4 die Vorschläge über einen möglichen Einsatz
der Gefechtsvorposten unterbreiten, die diese dann bis zum 5. Oktober »in
Planpausen« der Division abzugeben hatten481.
Mitten in den deutschen Angriffsvorbereitungen begann am 4. Oktober
um 14.05 Uhr völlig überraschend ein sowjetischer Angriff auf die deutschen
Stellungen bei Jakovlevka, in dessen Verlauf es sogar zu Einbrüchen in das deut-
sche Stellungssystem kam. Mit Hilfe eines rasch »angesetzten zangenartigen
Gegenstoß[es]« und starken Artilleriefeuers gelang es auf deutscher Seite, »die alte
Lage« bis um 18.00 Uhr wiederherzustellen482. Dieser sowjetische Angriff und
die deutschen Reaktionen darauf zeigen im Kleinen sehr anschaulich spezifische
Aspekte der deutschen Führung auf. So ist etwa das Element der Einheitlichkeit
in der straffen, auf Nachrichtenverbindungen basierenden Führung zu erkennen.
Seit der Meldung des Infanterieregiments 20 (mot) über den sowjetischen Angriff
um 14.05 Uhr bis zu derjenigen von 18.04 Uhr, dass die Lage wieder ruhig sei,
war das Divisionskommando ununterbrochen über den Verlauf der Kämpfe ori-
entiert. Zeitweise sind die Meldungen im Kriegstagebuch der Division sogar im
Minutentakt niedergeschrieben483. Auch das Generalkommando wurde laufend
über die Lage vor Ort orientiert, zudem verlief der Nachrichtenfluss nicht nur ver-
tikal, sondern auch horizontal, wie Meldungen von der linken Nachbardivision
belegen.
Weiter lassen sich auch die Elemente der Entschlossenheit und des Offensiv-
denkens belegen. Z.B. wurde der sowjetische Einbruch in das deutsche
Grabensystem auf der Höhe 244,6 mit dem erwähnten Gegenstoß erwidert.

481
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 26-10/33 (1.‑3.10.1942).
482
Ebd. (4.10.1942). Vgl. auch Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 154 f.
483
Z.B. 14.05, 14.15, 14.20, 14.23, 14.25 Uhr. Die längste Unterbrechung betrug
31 Minuten, von 15.42 bis 16.13 Uhr, wobei gerade der Eintrag von 16.13 Uhr belegt,
dass die Division über die Lage orientiert war: »Vom Div. Stab wird das Nachführen von
Reserven geregelt. Die Orientierungen von vorne lassen das zu.« 10. ID (mot)/Ia, KTB,
Nr. 9, BArch, RH 26-10/33 (4.10.1942).
374 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Dieser wurde durch die verstärkte 10. und 11./Infanterieregiment 20 (mot)


durchgeführt, wobei sich der Chef der 11. Kompanie Oberleutnant Brands »an
der Spitze seiner Kompanie ganz besonders« auszeichnete484. Der sofort nach
Einbruch des Gegners angesetzte Gegenstoß wurde als entscheidende Aktion
dafür angesehen, dass die wichtige Höhe 244,6 wieder eingenommen werden
konnte. In der nachträglichen Meldung des Infanterieregiments 20 (mot) an
das Divisionskommando heißt es neben der Aufzählung zahlreicher erbeuteter
Waffen und einer erheblichen Anzahl Feindtoter:
»Nur durch sein entschlossenes Zupacken gelang der für den Russen völlig
überraschende Gegenstoß und erübrigte sich ein mit großen Verlusten und
stärkeren Kräften durchzuführender Gegenangriff nach Bereitstellung [...] Der
Erfolg ist umso wichtiger, als er kurz vor Einbruch der Dunkelheit gelang.«485
Auch die Zwischenmeldung der Division an das Generalkommando unterstrich
die »beispielgebende Tapferkeit und energische Führung« Brands’ und schlug ihn
– da er sich bereits mehrmals als Kompanie- und Stoßtruppführer ausgezeichnet
hatte – für das Deutsche Kreuz in Gold vor, das ihm am 26. Oktober auch verlie-
hen wurde. Ob diese Tat auch als Auftragstaktik bewertet werden kann, ist unklar,
da die genaue Befehlslage und damit der eigentliche Auftrag fehlen. Die Betonung
der mehrfachen Tapferkeitstaten in der Divisionsmeldung spricht allerdings eher
dagegen, ebenso wie der fehlende Hinweis auf einen eigenen Entschluss, was an-
sonsten in den Quellen immer hervorgehoben wird. Die Auszeichnung mit dem
Deutschen Kreuz in Gold war deshalb wohl folgerichtig. Um für das Ritterkreuz
vorgeschlagen werden zu können, bedurfte es nämlich der gleichzeitigen Erfüllung
von drei Bedingungen:
»Eigener, selbständiger Entschluss, hervorragende, persönliche Tapferkeit und
ausschlaggebende Erfolge für die Kampfführung im Großen gesehen486.«
Dies war hier offenbar nicht gegeben. Vollends aufklären lässt sich das Ganze
erst, wenn die taktische Begrifflichkeit eines Gegenstoßes genauer betrachtet wird.
Ein solcher hatte nämlich nur dann »Aussicht auf Erfolg«, wenn er »schlagartig«
einsetzte und den »Gegner treffen [konnte], ehe er sich in dem eingebrochenen
Raum geordnet und selbst abwehrbereit gemacht«487 hatte. Ein Gegenstoß de-
finiert sich deshalb als ein »sofort beim Eindringen des Angreifers ansetzende[r]
Stoß der dicht bereitgehaltenen örtlichen Reserven, um den eingedrungenen
Angreifer im sofortigen Draufgehen wieder zu werfen«488. Brands war also mit
seiner Kompanie als »Stoßgruppe« vorgesehen gewesen und hatte in diesem Sinne
zwar selbstständig, aber nach Plan gehandelt:

484
Ebd.
485
Ebd. (5.10.1942). Dort auch das Folgende. Siehe auch 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 10,
BArch, RH 26-10/34 (26.10.1942).
486
Merkblatt 15/5, Orden und Ehrenzeichen vom 1.7.1943, S. 49 (Hervorhebung im
Original).
487
10. ID (mot)/Kdr./Ia Nr. 500/42 geh.Kdos., Grundbegriffe der Verteidigung, 21.9.1942,
BArch, RH 26-10/36, S. 2 (Hervorhebungen im Original).
488
Im Gegensatz dazu war der Gegenangriff »kein sofortiger, sindern [sic!] ein planmäßig
mit Artl.-usw., Unterstützung eingehend vorbereiteter Angriff stärkerer, weiter rück-
wärts liegender Reserven«. Inf.Ers.Btl. 170, Taktische Grundbegriffe, [1938‑40], BArch,
RH 54/66, S. 6 (Hervorhebung im Original).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 375

»Die für einen Gegenstoß eingeteilten und sorgfältig in die verschiedenen


Lösungsmöglichkeiten ihres Auftrages eingewiesenen Kräfte haben nicht auf
besonderen Befehl zur Durchführung des Stoßes oder auf Unterstützung
durch Artillerie zu warten. Das Antreten befiehlt der Führer der Stoßgruppe
aus eigenem Entschluss489.«
Der von Brands durchgeführte Gegenstoß war also ein vorbereiteter Einsatz
und keine spontane Reaktion auf eine geänderte Lage. Brands hatte zwar rasch
und ohne Zögern nach dem gegnerischen Einbruch in die deutschen Stellungen
angegriffen, führte dabei aber letztlich seinen Auftrag durch. Das Element der
Selbstständigkeit kommt dabei zwar auch zum Tragen. Dies geschieht aber nur in
beschränktem Maße, nämlich in der Bestimmung des Zeitpunktes für den Beginn
des Gegenstoßes. Dass es sich hier nicht um eine Ausnahme handelte, zeigte be-
reits die Analyse der Dienstvorschriften, die selbstständiges Handeln als konkretes
Verhaltensmuster für standardmäßige Situationen vorsahen. Allerdings zeigt sich
auch in diesem Beispiel die enge Verflechtung der im Modell der Auftragstaktik
beleuchteten Elemente. Besonders stark hervorgehoben werden sicherlich die
Entschlossenheit und das Offensivdenken, aber auch das Urteilsvermögen, die
Selbstständigkeit und die Einheitlichkeit der Handlung, ohne die ein zum rich-
tigen Zeitpunkt einsetzender und in angemessenem Umfang durchgeführter
Gegenstoß nicht möglich gewesen wäre.
Schließlich zeigt sich das Element des Offensivdenkens auch beim Divisions-
kommandeur selbst. Als sich nämlich abzeichnete, dass der Gegenstoß von Brands
erfolgreich verlaufen würde und der Gegner sich zurückzog, befahl Schmidt
»sofort nachzustoßen und das Unternehmen ›Waldmeister‹ durchzuführen«490.
Damit handelte er ganz nach dem in den Dienstvorschriften enthaltenen
Grundsatz, einem fliehenden Gegner nachzusetzen und ihm das Gesetz des
Handelns aufzudrücken. Gleichzeitig belegt dieses Beispiel auch, wie der deut-
sche Führungsvorgang funktionierte und wie stark sich die Unterführer durch
ihre Lagebeurteilung in eine laufende Aktion einbringen konnten. Als der
Kommandeur des Infanterieregiments 20 (mot) nämlich 45 Minuten später die
endgültige Wiedereinnahme der deutschen Stellungen meldete, wies er gleichzei-
tig darauf hin, dass das Unternehmen »Waldmeister« nach seiner Lagebeurteilung
»1. wegen der vorgeschrittenen Zeit, 2. wegen der sehr starken f[ein]dl[ichen]
Abwehr aus dem Minenwäldchen [...] heute nicht mehr möglich« sei. Daraufhin
entschloss sich Schmidt dazu, das Unternehmen doch nicht durchzuführen, son-
dern die eigenen Kräfte zu ordnen und in die Verteidigung überzugehen.
Nach der Abwehr des sowjetischen Angriffs und der Wiederherstellung der
deutschen Verteidigungslinie wurden die abrupt unterbrochenen Vorbereitungen
für das eigene Angriffsunternehmen wieder aufgenommen. Noch am 4. Oktober

489
10. ID (mot)/Kdr./Ia Nr. 500/42 geh.Kdos., Grundbegriffe der Verteidigung, 21.9.1942,
BArch, RH 26-10/36, S. 2 f. Vgl. auch die Forderung des Div.Kdr., dass »in jedem Kp.-
Abschnitt [...] eine örtliche Reserve [...] auszuscheiden [sei], die in der Lage ist ohne Befehl
zum Gegenstoß anzutreten«. 10. ID (mot)/Ia Nr. 186/43 geh., 31.1.1943, BArch, RH 26-
10/44, S. 3 (Hervorhebung im Original). Der Erfahrungsbericht vom 29.10.1942 be-
tonte überdies, dass »die verschiedenen Gegenstoßmöglichkeiten [...] genau besprochen
und ›einexerziert‹ sein« müssen. 10. ID (mot)/Ia Nr. 688/42, Erfahrungsbericht über den
Stellungskrieg im Sommer, 29.10.1942, BArch, RH 26-10/38, S. 16.
490
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 26-10/33 (4.10.1942). Dort auch das Folgende.
376 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

abends und am 5. Oktober begab sich Schmidt – am zweiten Tag in Begleitung


des Kommandierenden Generals – in den zuvor umkämpften Abschnitt, um
sich detailliert über den Verlauf der Kampfhandlungen orientieren zu lassen;
am 6. Oktober erschien sogar der Armeeoberbefehlshaber, um sich von Schmidt
über den sowjetischen Angriff informieren zu lassen. Bereits am Vormittag des
6. Oktobers hatte die Befehlsausgabe für das neu in »Hildebrand« umbenann-
te Unternehmen stattgefunden, das sich inhaltlich nicht änderte und für den
7. Oktober auf 16.28 Uhr angesetzt war. Die bei allem Handlungsspielraum im
Operationsbefehl trotzdem spürbare Betonung einer straffen Führung lässt sich
im Hinweis des Divisionskommandeurs erkennen, dass die »Führung [...] nur
im unmittelbare[n] Einfluss auf die Truppe gewährleistet« sei491. Das schließ-
lich von fünf verstärkten Stoßkompanien durchgeführte und mit Feuer von
neun Artilleriebatterien und Infanteriegeschützen unterstützte Unternehmen
verlief planmäßig und dauerte nicht einmal zwei Stunden. Bis 19.20 Uhr wa-
ren die angestrebten Angriffsziele erreicht und »die Verbindungen zwischen den
Sturmkompanien [...] überall hergestellt«, sodass mit dem Ausbau der eingenom-
menen Stellungen begonnen werden konnte492.
Der im Kriegstagebuch geschilderte Verlauf des Unternehmens beschränkt sich
auf den taktischen Ablauf sowie gefechtstechnische Aspekte und lässt daher keine
Rückschlüsse auf die Führungsvorgänge während des Unternehmens zu. Allerdings
verfassten das Infanterieregiment 20 (mot) und das Pionierbataillon 10 (mot) im
Anschluss an das Unternehmen Erfahrungsberichte, die durch Einschätzungen des
Divisionskommandeurs ergänzt an das Generalkommando LVI. Panzerkorps wei-
tergeleitet wurden. Schmidt sah den Erfolg des Unternehmens darin begründet,
dass es im Vorlauf eine »sorgfältigste Vorbereitung« mit »vorherige[r] Schulung
der Angriffstruppen« gegeben habe493. Ansonsten beschränkten sich seine
Aussagen auf Pauschalurteile über die »restlos[e]« Überlegenheit der »deutsche[n]
Infanterie« gegenüber »dem Russen im Angriff« oder gefechtstechnische Erkennt-
nisse, wie der Wirkungen der erstmals eingesetzten schweren Wurfkörper oder
der Flammenwerfer. Der Bericht des Pionierbataillons 10 (mot) wertete eben-
falls nur allgemeine pioniertechnische Erfahrungen im Zusammenhang mit
Stellungsbauten aus494. Der Bericht des Infanterieregiments 20 (mot) konzent-
rierte sich bei der Schilderung des Angriffsverlaufs und der Erfahrungen ebenso
auf taktische und gefechtstechnische Punkte, schilderte daneben aber auch füh-
rungstechnische Aspekte. Zum einen belegt er die Sicherstellung der Führung
durch eine vorherige Stellvertreterregelung auf unterster taktischer Stufe. Noch
vor dem Einbruch in die vom Gegner besetzten Stellungen wurde nämlich der
Führer des Stoßzuges verwundet, worauf ein Feldwebel »sofort« die Führung die-
ses vordersten Zuges übernahm, in die Stellung einbrach und den Kampf wei-

491
Ebd. (6.10.1942).
492
Ebd. (7.10.1942). Vgl. auch 10. ID (mot)/Kdr., Tagesbefehl, 11.10.1942, BArch,
RH 26-10/38.
493
10. ID (mot)/Ia, Betr.: Angriffsunternehmen »Hildebrand«, 22.10.1942, BArch, RH 26-
10/38. Dort auch das Folgende.
494
Pi.Btl. 10 (mot)/Ia, Auftrag, Durchführung und Erfahrungen des Pi.Btl. 10 beim Unter-
nehmen »Hildebrand« am 7.10.42, 11.10.1942, BArch, RH 26-10/38.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 377

terführte495. Dies ist ein aufschlussreiches Beispiel dafür, wie das Vorgehen bei
einem Führerausfall aussah. Es stellte insofern aber nichts Außergewöhnliches
dar, weil es sich dabei um den Zugführerstellvertreter handelte, der dafür vor-
gesehen war, in einem solchen Fall die Führung zu übernehmen. Zudem dürf-
te ihm wie jedem anderen Teilnehmer des Stoßzuges durch die oben erwähnte
sorgfältige Vorbereitung des Unternehmens – vermutlich am Sandkasten oder
an einem Modell – und Schulung der Truppe genau klar gewesen sein, wie der
Angriff durchgeführt werden musste. Schließlich darf auch nicht vergessen wer-
den, dass gerade die 11. Kompanie, aus der dieser Zug stammte, Erfahrung in
der Durchführung von Stoßtruppunternehmen hatte und – neben dem ge-
nannten Gegenstoß vom 4. Oktober – bereits am 29. September ein erfolgrei-
ches Stoßtruppunternehmen durchgeführt hatte496. Solche Fälle werden in der
Literatur gerne als spektakuläre Fälle der Auftragstaktik dargestellt497. Tatsächlich
muss dabei immer der Kontext berücksichtigt werden, was leider allzu häufig un-
terlassen wird. Letztlich ist es ein entscheidender Unterschied, ob Unteroffiziere
oder Offiziere aus freiem Entschluss die Führung einer Einheit übernahmen und
Gefechte weiterführten oder ob sie im Falle eines Führerausfalls aufgrund ihrer
Funktion so handelten498.
Der Erfahrungsbericht des Infanterieregiments 20 (mot) bestätigt des Weiteren
die bereits auf höherer Stufe festgestellte straffe Führung und Betonung der
Einheitlichkeit. Gemäß dem nachträglichen Urteil des Regimentskommandeurs
habe sich z.B. die vom Regiment befohlene Vorverlegung des Gefechtsstandes
des III. Bataillons als richtig erwiesen, weil dadurch die Entfernung zwischen
dem Bataillonskommando und den Kompanien verkürzt wurde, was sich für
die Führung »sehr günstig« ausgewirkt habe499. Durch die Einrichtung zweier
Beobachtungsstellen, die mit Offizieren besetzt wurden, habe der Regiments-
kommandeur zudem selbst im gesamten Abschnitt »laufend die Lage beobachten
[...] und durch Befehl an die Kompanien auf kürzestem Wege selbst eingreifen
[...] können«. Entsprechend wichtig waren die Nachrichtenverbindungen. Das
Regiment verfügte während des Unternehmens über ein »Leitungsnetz [mit]
dreifach überlagerte[n] Drahtverbindungen vom Regiment zur Division, zum
Bataillon, zu den Rgt.-B[eobachtungs]-Stellen und der Artillerie«. Zusätzlich
zu den Telefonleitungen konnten der Regiments- und Bataillonskommandeur
auch noch auf Funksprechverbindungen zurückgreifen. Gerade die Verwendung
der Funkgeräte habe »sich als vorteilhaft gezeigt«, da der Regiments- und der

495
10. ID (mot)/Ia, Erfahrungsbericht des Inf.Rgt. 20 (mot) über das Angriffsunternehmen
»Hildebrand«, 21.10.1942, BArch, RH 26-10/38, S. 3. Vgl. auch IR 20 (mot), An die
10. Infanterie-Division (mot)/Ia, 12.10.1942, BArchA, 26-10/36.
496
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 26-10/33 (29.9.1942); 10. ID (mot)/Kdr.,
Tagesbefehl, 29.9.1942, BArch, RH 26-10/36; Schmidt, Geschichte der 10. Division,
S. 153.
497
Vgl. das Beispiel von Eben Emael. Z.B. Widder, Auftragstaktik and Innere Führung, S. 3;
Leistenschneider, Auftragstaktik; Dupuy, A Genius for War, S. 268; Oetting, Auftragstaktik.
498
Ein Beispiel, in dem ein Unteroffizier aus eigenem Entschluss die Führung an sich riss,
stellt die »Tapferkeitstat des Unteroffizier Klemm« aus dem I./IRGD dar (Kap. IV.4.c) .
499
10. ID (mot)/Ia, Erfahrungsbericht des Inf.Rgt. 20 (mot) über das Angriffsunternehmen
»Hildebrand«, 21.10.1942, BArch, RH 26-10/38, S. 10 f. Dort auch das Folgende
(Hervorhebung im Original).
378 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Bataillonsstab durch das »Abhören des Verkehrs innerhalb der eingesetzten


Kompanien [...] schnell im Bilde über die Vorgänge bei den Stoßzügen« waren
und »durch Einschalten in diesen Verkehr sofort eingreifen und Befehle erteilen«
konnten. Damit zeigt sich innerhalb des Regiments das gleiche Bild wie zuvor bei
der Division. Der Regiments- und Bataillonskommandeur befanden sich beide
nahe am Geschehen und führten von vorne, wenn auch über die technischen
Führungsmittel. Dank des ausgeprägten Telefon- und Funknetzes konnten sie
jederzeit den Verlauf des Angriffs verfolgen und koordinieren und bei Bedarf un-
mittelbar auf ihre Unterführer einwirken. Im Unternehmen »Hildebrand« finden
sich genau diejenigen Aspekte, die auch in den Dienstvorschriften als Grundlage
für die einheitliche Führung und das Zusammenwirken aller Einheiten in ei-
nem Gefecht betont wurden: Zum einen ein funktionierendes Fernmeldenetz,
damit ein Truppenführer laufend und unmittelbar über den Gefechtsverlauf
orientiert war, zum anderen die enge, straffe Führung von vorne, um mittels
Nachrichtenmittel oder persönlich die Einheitlichkeit des Handelns und das
Zusammenwirken aller Kräfte sicherzustellen.
Die nähere Betrachtung des Unternehmens »Waldmeister«/»Hildebrand« hat
exemplarisch die Spezifika von Stoßtruppunternehmen aufgezeigt. Dabei hat sich
bestätigt, dass Stoßtruppunternehmen von einer kurzfristigen Zusammenlegung
verschiedener Einheiten für eine gemeinsame Angriffsaktion, von einem hohen
Maß an Koordination und somit von einer straffen Führung durch Überlagerung
verschiedener Führungsebenen geprägt waren. Weiter zeigten sich verschiede-
ne Aspekte, die das Führungsverhalten entscheidend beeinflussten und deshalb
nachfolgend nochmals hervorgehoben und in einen breiteren Kontext gefasst
werden sollen.
Wie in Kapitel II.2.b) gesehen enthielten Operationsbefehle häufig Hinweise
zur beabsichtigten Durchführung eines Auftrages, etwa in Form eines Kampfplanes,
auch wurde die vorgesehene Kampfführung in Befehlsausgaben oder Komman-
deursbesprechungen eingehend behandelt. Damit sollte sichergestellt werden, dass
alle Führer die Kampfidee verstanden hatten und sich mental auf ihre Aufgaben
vorbereiten konnten. Dieses Vorgehen galt generell auch für die Kampfführung
in der Verteidigung. Allerdings waren die Planungen für Stoßtruppunternehmen
und die Bestimmungen über deren Durchführung von einem erheblich höheren
Detaillierungsgrad gekennzeichnet. So nutzte der Divisionskommandeur zwar –
ganz im Sinne des in den Dienstvorschriften beschriebenen Führungsvorganges –
Stellungsbesichtigungen und Kommandeursbesprechungen dazu, um sich mit sei-
nen Kommandeuren auszutauschen und sie in die taktische Entscheidungsfindung
einzubinden. Der Mechanik von Stoßtruppunternehmen entsprechend besprach
er dabei aber häufig nicht nur Kampfabsichten oder Ideen, sondern bereits
»Einzelheiten« beabsichtigter Aktionen, wie schon das Beispiel des Unternehmens
»Waldmeister«/»Hildebrand« gezeigt hat500. Dies war an sich folgerichtig, brauch-
te das Zusammenwirken der verschiedenen Einheiten auf engem Raum doch eine
entsprechend vertiefte Vorbereitung. Deshalb besprach der Divisionskommandeur

500
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 26-10/33 (24.9.1942). Vgl. auch 10. ID (mot)/
Ia, KTB, Nr. 8, BArch, RH 26-10/32 (22.‑25.7.1942); 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 11,
BArch, RH 26-10/35 (18.12.1942); 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 3, BArch, RH 26-10/42
(4./15.3.1943).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 379

beabsichtigte Unternehmen nicht nur eingehend und häufig mehrmals mit sei-
nen Unterführern. Auch dadurch, dass die mit der Durchführung beauftragten
Kommandeure den »beabsichtigte[n] Angriffsplan [...] mit Skizze« mehrere Tage
vor Beginn der Division vorzulegen hatten, konnte die Divisionsführung koor-
dinierend und nötigenfalls restriktiv auf die Durchführung eines Unternehmens
einwirken501. Der Ablauf der Planungen basierte somit auf einem strikten Aufbau:
In Besprechungen des Divisionskommandeurs mit den beteiligten Unterführern
wurde eine erste Grundidee eines Unternehmens beschlossen, die wie gesehen
bereits sehr detailliert ausfallen konnte. In einem zweiten Schritt hatte der mit der
Durchführung beauftragte Kommandeur exakte Kampf- und Feuerpläne auszu-
arbeiten und diese vorzulegen, die dann drittens gutgeheißen oder korrigiert wur-
den. Schließlich folgte nach Vorlage dieser Pläne die eigentliche Befehlsausgabe,
in welcher der Verlauf des Unternehmens nochmals mündlich en detail bespro-
chen wurde.
Die Kampfpläne über die beabsichtigte Durchführung eines Unternehmens
waren aufgrund dieses Verlaufs sehr detailliert gehalten. Exemplarisch belegt
dies der detaillierte »Kampfplan« des II./Grenadierregiment 20 (mot) für das
Unternehmen »Chlorodont« vom 5./6. März 1943502. Dieser Plan war dem
fünfseitigen Bataillonsbefehl als »Anlage 1« angehängt worden und mit vierein-
halb Seiten nur unwesentlich kürzer geraten. Einleitend wurden darin auf ei-
ner halben Seite »vorbereitende Maßnahmen« geregelt, z.B. in welcher Form auf
welche Stellungen aufgeklärt werden durfte, wie sich die Artillerie und schwe-
ren Waffen auf die festgelegten Ziele einzuschießen hatten, ohne dass dies vom
Gegner als Vorbereitung auf ein Unternehmen erkannt wurde, und schließlich,
wann die Stoßkompanie aus ihren jetzigen Stellungen herausgelöst und für
das Unternehmen vorbereitet wurde. Dir restlichen vier Seiten enthielten den
»Zeitplan« des Unternehmens, der in vier Phasen unterteilt war: Die erste Phase
dauerte von »X – 45 bis X«503, die zweite Phase von »X bis X + 5«, die drit-
te Phase von »X + 50 [richtig: 5; der Verf.] bis X + 20« und die vierte Phase
von »X + 20 bis X + 40«. Damit wurden 1. die Annäherung und Bereitstellung
der Sturmkompanie, 2. der »Einbruch in den Westteil« und 3. der »Einbruch
in den Ostteil« des Feindgrabens und schließlich 4. das »Lösen vom Feind und
Rückmarsch« zeitlich festgelegt. Alle Phasen wurden mit einem entsprechenden
Codewort ausgelöst. Eine solche minutiöse Festlegung des Zeitplans hat nun
nichts mehr gemeinsam mit der zwar auch in den Dienstvorschriften geforder-
ten sorgfältigen Planung von Operationen. Vielmehr mutet das Ganze wie ein
eigentliches »Drehbuch« an. Dieses legte die Marschreihenfolge, die taktische
Gliederung oder die Art und Weise fest, wie in die Feindstellung eingebrochen
werden sollte, bestimmte, wie der Deckungszug die Angriffsaktionen abschirmen
oder wo sich der Kompaniechef befinden sollte und wie er seine Züge zu leiten

501
10. ID (mot)/Ia Nr. 906/42 geh.Kdos., Divisionsbefehl für das Unternehmen
»Banditenstreiche«, 24.12.1942, BArch, RH 26-10/36, S. 4.
502
II./GR 20 (mot)/Ia Nr. 40 g.Kdos., Befehl für das Unternehmen »Chlorodont« in der
Nacht vom 5./6.3.1943, 3.3.1943, BArch, RH 26-10/46. Die folgenden Ausführungen
beziehen sich auf die »Anlage 1« dieses Befehls.
503
Mit »X-Zeit« wurde der Zeitpunkt des Angriffsbeginns bezeichnet, der später mündlich auf
22.45 Uhr festgesetzt wurde. II./GR 20 (mot)/Ia Nr. 40 g.Kdos., Gefechtsbericht über das
Unternehmen »Chlorodont« am 7.3.43, 8.3.1943, BArch, RH 26-10/46, S. 1.
380 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

hatte. In gleichem Maße wurde auch das Unterstützungsfeuer der Artillerie und
der Infanteriegeschütze angeordnet und mit den Aktionen der Infanterie orchest-
riert. So hatte die Artillerie zwischen »X – 17 bis X – 15« – also zwei Minuten lang
– »einen kurzen Feuerschlag« auf festgelegte Feindbunker und Gefechtsstände
auszuführen, der leichte IG-Zug der 13./Grenadierregiment 41 (mot) sowie
die schweren Granatwerfer und MG der 8./Grenadierregiment 20 (mot) die
Annäherung und Bereitstellung der Stoßkompanie zu überwachen und auf
Anforderung mit Feuer zu unterstützen, während die 7./Grenadierregiment 20
(mot) in diesen zwei Minuten »einen kampfkräftigen Spähtrupp« gegen eine
Flankenstellung entsenden musste, aus der die Annäherung der Stoßkompanie
hätte gefährdet werden können504.
Der Handlungsspielraum für selbstständiges Handeln musste so natürlich
äußerst gering ausfallen. Er beschränkte sich lediglich auf die bereits eng gefass-
te Ausführung der Aufträge oder auf den Rückmarsch, der »entweder auf dem
selben Wege oder durch eine erkundete Minengasse« verlaufen konnte. Der
detaillierte Kampfplan ist zudem ein aufschlussreiches Beispiel dafür, dass die
Formulierung von Aufträgen nicht automatisch zu Auftragstaktik führt. Dabei
waren die Aufträge für den Kompaniechef und die Stoßzugführer eigentlich
identisch: Die Kompanie musste die Feindstellung namens »Zahnbürste« ein-
nehmen – der eine Stoßzug den West-, der andere den Ostteil – und die dor-
tigen Kampfanlagen und Wohnbunker »nachhaltig« zerstören sowie Gefangene
machen. Ein übergeordnetes Ziel, in dessen Sinn bei neuer Lage hätte gehan-
delt werden können, gab es somit nicht. Was blieb, waren die eigenen Aufträge,
die fast schon technischen Anordnungen entsprachen. Durch die detaillierten
Regieanweisungen im Kampfplan boten sich auch sonst kaum Möglichkeiten
für auftragstaktisches Handeln an. Die Zugführer mussten den Vorgaben gemäß
in die Stellungen einbrechen und sich dann wieder zurückziehen, während die
Hauptaufgabe des Kompaniechefs darin bestand, die einzelnen Aktionen seiner
verstärkten Kompanie nach der Uhr auszulösen und den Gesamtablauf zu über-
wachen. Tatsächlich waren auch solch detailliert geplante Unternehmen nicht vor
Friktionen gefeit, wurde die Kompanie doch bereits während ihrer Annäherung
vom Gegner erkannt. Dies führte folglich zwar zu einer neuen Lage, die im
Rahmen des militärischen Führungsvorgangs durch den Kompaniechef beur-
teilt wurde und zu einer neuen Führungsentscheidung führte. Die neue Lage
führte aber nicht zu auftragstaktischem Handeln. Vielmehr entschloss sich der
Kompaniechef einzig »ohne Bereitstellung aus der Bewegung heraus« die zweite
Phase – den Einbruch in den Westteil des feindlichen Stellungssystems – auszulö-
sen505. Der weitere Verlauf des Unternehmens verlief planmäßig, musste aufgrund
stärkerer Gegenwehr jedoch abgebrochen werden, ohne dass die Kampfanlagen

504
II./GR 20 (mot)/Ia Nr. 40 g.Kdos., Befehl für das Unternehmen »Chlorodont« in der
Nacht vom 5./6.3.1943, 3.3.1943, BArch, RH 26-10/46, Anlage 1, S. 1‑4. Dort auch das
Folgende.
505
Ein weiteres Beispiel einer solchen Selbstständigkeit stellt das Verhalten der zwei Zugführer
der Stoßzüge im Unternehmen »Katerbummel« dar. Als der Kompanieführer und sein
Melder nach der Annäherung schwer verwundet ausfielen, bevor sie den geplanten Feuer-
schutz auslösen konnten, entschlossen sich die beiden Zugführer trotzdem zum (planmäßi-
gen) Einbruch in die Feindstellung. Auch hier beschränkte sich die Selbstständigkeit einzig
auf den Entschluss, den Angriff wie geplant fortzuführen. Der Abbruch des Angriffs auf-
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 381

im Ostteil des Feindgrabens zerstört werden konnten. Das Unternehmen wur-


de nachträglich trotz widriger Umstände und frühzeitiger Erkennung durch den
Gegner als »guter Erfolg« gewertet, was neben der »guten Organisation der Artl.-
Unterstützung« besonders auf die »umsichtig[e] Führung des Kp.-Führers« zu-
rückgeführt wurde506. Entscheidend für den Erfolg war letztlich nicht selbststän-
diges Handeln im Sinne der Auftragstaktik, sondern der von Entschlossenheit und
Offensivdenken geprägte Führerentschluss des Kompaniechefs. Die Wichtigkeit
dieser Elemente für die Kampfführung in der Verteidigung belegt auch ein
Erfahrungsbericht der Division. Darin wurde betont, dass »die Erziehung der
Führer aller Grade zur Entschlusskraft und die Fähigkeit der Befehlsgebung [...]
in den Vordergrund gestellt werden« müsse und auch in der Truppenausbildung
»der offensiven Schulung [...] unbedingt der Vorrang zu geben« sei507.
Dass es sich bei diesem Unternehmen nicht um einen Einzelfall handelte,
zeigen die Erwähnungen anderer Beispiele, etwa des »planmäßig und erfolgreich
durchgeführte[n]« Unternehmens »Enzian« vom 14. September 1942 oder des
»erfolgreich und wie vorgesehen« verlaufenen Unternehmens »Michael« vom
29. September 1942508. Das unter der Gesamtführung des Grenadierregiments 41
(mot) geplante und vom verstärkten Kradschützenbataillon 40 durchgeführ-
te Stoßtruppunternehmen »Edelweiß« von Ende Februar 1943 gliederte sich
sogar »in 6 Takte«509. Selbst ein vom Infanterieregiment 20 (mot) geplantes
Stoßtruppunternehmen vom 17./18. Juli 1942, das mit lediglich einem Stoß-
und einem Sicherungszug durchgeführt wurde, war nur von unwesentlich gerin-
gerer Komplexität. Allein das Unterstützungsfeuer erforderte die Koordination
der beteiligten Artilleriegeschütze, des auf Zusammenarbeit zugewiesenen leich-
ten Infanteriegeschützzuges aus dem Kradschützenbataillon 40 sowie der schwe-
ren Granatwerfer und MG der Regimentseinheiten. Der eigentliche Kampfplan
schilderte dann in Prosaform den Einbruch des Stoßzuges in den Feindgraben,
das Nachfolgen der Nachschubgruppe mit den Sprengladungen sowie der
Verbindungsgruppe und die Feuerunterstützung durch den Sicherungszug.
Dabei wurden ebenfalls Einzelheiten der Durchführung bereits vorgegeben, etwa
dass der Stoßzug sich »mit 2 Gruppen in die linke Flanke der vorgeschobenen
Stellung« vorarbeiten müsse, »während er sich mit 1 Gruppe langsam auf den
Kampfstand am weitesten links vorschiebt« und dann schließlich »von links rück-

grund der eigenen Verluste und zu starker Gegenabwehr erfolgte schließlich auf Befehl des
Bataillonskommandeurs. 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-10/41 (5.2.1943).
506
II./GR 20 (mot)/Ia Nr. 40 g.Kdos., Gefechtsbericht über das Unternehmen »Chlorodont«
am 7.3.43, 8.3.1943, BArch, RH 26-10/46, S. 7.
507
10. ID (mot)/Ia Nr. 688/42, Erfahrungsbericht über den Stellungskrieg im Sommer,
29.10.1942, BArch, RH 26-10/38, S. 32 f. (Hervorhebung im Original).
508
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 9, BArch, RH 26-10/33 (14./29.9.1942). Auch das
Unternehmen »Katerbummel« vom 4./5.2.1943 hatte einen ähnlich strikten Zeitplan und
beinhaltete z.B. eine Minute nach Angriffsbeginn die Auslösung eines Scheinangriffs. I./
GR 20 (mot)/Ia Br.B. Nr. 45 g, Befehl für das Unternehmen »Katerbummel« in der Nacht
vom 4./5.2.1943, 31.1.1943, BArch, RH 26-10/46, S. 3 f.
509
GR 41 (mot)/Ia Nr. 137/43 geheim, Planung des Angriffs eines verst. Gren.Btls. gegen
Zahnbürste und Sichelwald, 20.2.1943, BArch, RH 26-10/46, S. 2.
382 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

wärts in die Stellung« einzubrechen habe510. Folglich spielte kaum eine Rolle, ob
Stoßtruppunternehmen mit wenigen Zügen, einer verstärkten Kompanie oder ei-
nem verstärkten Bataillon durchgeführt wurden. Die Planung und Durchführung
zeichnete sich bei allen untersuchten Unternehmen durch Akribie und detaillierte
Bestimmungen aus.
Noch stärker als die eingehenden Planungen belegen jedoch die eigentlichen
Kampfvorbereitungen, dass die Durchführung von Stoßtruppunternehmen bis
ins Kleinste einexerziert war. Zunächst verfügte die Führung, anders als bei ei-
nem Angriff aus dem Marsch oder bei Begegnungsgefechten, über ein deutli-
ches Bild vom Gegner und seinen Stellungen. Grundsätzlich ging einem Stoß-
truppunternehmen nämlich zunächst eine intensive Aufklärungstätigkeit durch
Spähtrupps, Beobachter Schall-, Licht- und Nachrichtenaufklärung etc. vor-
aus. Die terrestrischen Aufklärungsergebnisse wurden – wenn immer möglich
– mit aktuellen Bildern aus Aufklärungsflügen ergänzt, auf denen der genaue
Verlauf und die Bauweise der gegnerischen Gräben überprüft werden konnten511.
Nach der Kenntnisnahme aller Aufklärungsergebnisse wurde »die Gliederung
des Stoßtrupps je nach Auftrag festgelegt«512. Die am Unternehmen beteiligten
Truppen wurden danach mehrere Tage bis eine Woche vor Angriffsbeginn aus
ihren Stellungen herausgezogen und »in der Stoßgliederung, in der auch das
Unternehmen durchgeführt werden soll«, eingeteilt513. In dieser Gliederung
wurde der Stoßverband in Besprechungen und Vorübungen gründlich auf die
Durchführung vorbereitet und der beabsichtigte Verlauf des Unternehmens so-
weit möglich mit allen beteiligten Führern bis zum Gruppenführer hinunter im
Angriffsgelände festgelegt oder als Planübung durchgespielt. Sicher aber wurde
der beabsichtigte Verlauf des Unternehmens am Sandkasten oder »an Hand eines
Planes mit allen Teilnehmern bis ins einzelne durchbesprochen« und dabei »jeder
Trupp [...] in seine Aufgaben eingewiesen«514. Danach wurde das Unternehmen in
einem dem Angriffsgelände ähnlichen Abschnitt oder an einer Nachbildung des

510
Abschrift, IR 20 (mot)/Ia, Stoßtruppunternehmen in der Nacht vom 17./18.7.1942,
15.7.1942, BArch, RH 26-10/36, S. 3.
511
10. ID (mot)/Ia Nr. 392/43 geh., Erfahrungsbericht über den Stellungskrieg im Winter,
26.2.1943, BArch, RH 26-10/48, S. 19. So konnte der Befehl für das Unternehmen
»Chlorodont« dank vorheriger Aufklärung und Überläuferaussagen angeben, wo sich die
feindlichen Gefechtsvorposten, die MG-Stellungen, Kampfanlagen, Minenfelder und
Wohnbunker sowie der Kompaniegefechtsstand und die Feldküche befanden, dass die
Stellungen nur »mit 2 schwachen Zügen besetzt«, wo diese untergebracht, wo die Flanken-
stellungen eingerichtet und mit welchen Waffen sie bestückt waren. II./GR 20 (mot)/Ia
Nr. 40 g.Kdos., Befehl für das Unternehmen »Chlorodont« in der Nacht vom 5./6.3.1943,
3.3.1943, BArch, RH 26-10/46, Anlage 1, S. 1.
512
GR 20 (mot), Erfahrungsbericht, 15.1.1943, BArch, RH 26-10/44, S. 2.
513
GR 41 (mot)/Ia Nr. 137/43 geheim, Planung des Angriffs eines verst. Gren.Btls. gegen
Zahnbürste und Sichelwald, 20.2.1943, BArch, RH 26-10/46, S. 3. Wichtig war dabei
auch das »Zusammengewöhnen mit den unterstellten Teilen«. II./GR 20 (mot)/Ia Nr. 40
g.Kdos., Gefechtsbericht über das Unternehmen »Chlorodont« am 7.3.43, 8.3.1943,
BArch, RH 26-10/46, S. 6 f.
514
I./GR 20 (mot)/Ia Br.B. Nr. 45 g, Befehl für das Unternehmen »Katerbummel« in der
Nacht vom 4./5.2.1943, 31.1.1943, BArch, RH 26-10/46, S. 1; I./GR 20 (mot)/Ia
Br.B.Nr. 403 g, An Gren.Rgt. 20 (mot), 3.12.1942, BArch, RH 26-10/38, S. 1.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 383

gegnerischen Stellungssystems bei Tag und Nacht vorgeübt515. Das Vorüben an


solchen sogenannten »Übungswerken« wurde bereits in einer Weisung des OKH
vom Mai 1942 als wesentlicher Teil der Angriffsvorbereitungen und Bedingung
für einen späteren Erfolg hervorgehoben und darf als charakteristisch für den
Kampf an festen Fronten bezeichnet werden516. Wie wichtig der gesamte Ablauf
für die erfolgreiche Durchführung eines Stoßtruppunternehmens war, belegt die
folgende Aussage aus dem Erfahrungsbericht der Division zum Stellungskrieg im
Sommer:
»Ein geplantes Stoßtruppunternehmen gegen das Schlüpferwäldchen [...]
konnte deshalb mit vollem Erfolg verlaufen, weil auf Grund der Ergebnisse
der Luftaufklärung die Führer und Unterführer am Sandkasten genauestens
geschult und die Stoßkompanie an einem nachgebauten Übungswerk auf ihre
schwierige Aufgabe vorbereitet werden konnte517.«
Der systematische Aufbau der Kampfvorbereitungen stellte letztlich sicher, dass
jeder Einzelne genau in seine Aufgabe eingewiesen wurde und der geplante
Ablauf des Unternehmens in allen Einzelheiten durchgesprochen sowie einex-
erziert war. Dies bedeutete keine grundsätzlich Abkehr vom bisher festgestellten
Kriegsverständnis, sondern war der Gefechtsart und der Notwendigkeit der ho- SAS
hen Koordination geschuldet. Die intensive Vorbereitung sollte jedoch sicher-
stellen, dass die Wahrscheinlichkeit von Friktionen möglichst gering ausfiel oder
dass die Konsequenzen möglicher Friktionen zumindest vorab schon bedacht
worden waren. In diesem Sinne ist die Schlussfolgerung des Kommandeurs des
Grenadierregiments 20 (mot) zu verstehen, der in einem Erfahrungsbericht vom
15. Januar 1943 festhielt:
»Ein Unternehmen, das gut vorbereitet ist, kann im allgemeinen programm-
gemäß ablaufen. Die möglichen Zwischenfälle, die den vorgeübten Ablauf
beeinflussen können, müssen mit dem Führer besprochen sein, um ihm die
Möglichkeit des selbständigen Handelns zu geben518.«
Diese Aussage des Regimentskommandeurs verdeutlicht, dass im Zusammenhang
mit Stoßtruppunternehmen unter Selbstständigkeit lediglich die selbstständi-
ge Umsetzung eines bereits im Voraus als Möglichkeit beurteilten Entschlusses
zu verstehen ist. Noch pointierter formulierte dies der Kommandeur des I./
Grenadierregiments 20 (mot), wobei er zudem noch die Auswirkungen auf das
Führerverhalten und den Führerstandort betonte:
»Der Führer muss am Ende seiner Kompanie bleiben, wenn es irgendwie
möglich ist. Wenn alles nach Programm verläuft, braucht er nicht führen und
wenn Zwischenfälle eintreten, kann er es nur von hinten519.«

515
Siehe I./GR 20 (mot)/Ia Br.B.Nr. 403 g, Bericht über das am 1.12.42 durchgeführte
Stoßtruppunternehmen »Hagen«, 3.12.1942, BArch, RH 26-10/38. Auch die Unternehmen
»Banditenstreiche«, »Katerbummel« und »Chlorodont« wurden so vorbereitet.
516
OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (II) Nr. 1550/42 g (2), Betr.: Kampferfahrungen Kertsch und
Charkow, 29.5.1942, BArch, RHD 18/317. Vgl. auch 305. ID/Ia, Merkblatt für den
Ortskampf, [Sept./Anfang Okt. 1942], BArch, RH 26-305/14.
517
10. ID (mot)/Ia Nr. 688/42, Erfahrungsbericht über den Stellungskrieg im Sommer,
29.10.1942, BArch, RH 26-10/38, S. 23 f.
518
GR 20 (mot), Erfahrungsbericht, 15.1.1943, BArch, RH 26-10/44, S. 2.
519
I./GR 20 (mot)/Ia Br.B. Nr. 62 g, Bericht über das am 4./5.2.43 durchgeführte Unter-
nehmen »Katerbummel« einer verstärkten Kompanie, 9.2.1943, BArch, RH 26-10/46, S. 7.
384 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Eine erstaunliche Einschätzung, welche die Führungstätigkeit im Wesentlichen SAS


auf eine koordinierende Angelegenheit bzw. sogar auf eine Art Krisenmanagement
reduzierte. Auf diese Tendenz wurde in den bisherigen Ausführungen bereits
mehrmals hingewiesen, allerdings ging dieses Urteil in der Konsequenz noch
deutlich weiter. Die Aussage des Bataillonskommandeurs wurde auch vom
Divisionskommandeur geteilt. Schmidt betonte, dass ein Kompanieführer sich
nicht »dauernd bei den vordersten Teilen der Stoßzüge« befinden müsse, sondern
die Wahrung der Führung und der Einheitlichkeit der Handlung weit wichti-
ger wären520. Nach Ansicht Schmidts würde dies auch gewährleisten, »dass sich
der Führer im entscheidenden Augenblick aller Nachrichtenmittel bedienen SAS
kann«. Dies kam einem Paradigmenwechsel gleich. Wie gesehen betonten die
deutschen Dienstvorschriften zwar das Zusammenspiel zwischen Führerstandort,
Nachrichtenverbindungen und der Einheitlichkeit der Handlung. Dies änderte
jedoch nichts an der Grundsatzforderung, wonach sich der Führer vorne befinden
müsse. Die Erfahrungen der 10. Infanteriedivision (mot) unterstrichen nun aber,
dass selbst untere taktische Führer ihren Standort nach hinten zu verlagern hätten,
um das Zusammenwirken aller Waffen sicherstellen zu können. Dass dies deshalb
geschehen sollte, um im entscheidenden Moment auf die Nachrichtenmittel zu-
rückgreifen zu können, verdeutlicht einmal mehr die enorme Gewichtung der
Nachrichtenverbindungen in der Verteidigung, selbst wenn sie im Rahmen von
Stoßtruppunternehmen aktiv – d.h. als Angriffsaktion – geführt wurde.
Insgesamt konnte bei allen untersuchten Stoßtruppunternehmen festgestellt
werden, dass der Aspekt der Nachrichtenverbindungen von zentraler Bedeutung
war. In allen Befehlen wurde speziell auf diesen Punkt hingewiesen. Wie bereits
für die obere Führung gesehen, bestätigte sich die mehrfache Einrichtung von
Nachrichtenverbindungen auch bei der unteren taktischen Führung. In der
Regel wurden dabei eine oder mehrere Telefonleitungen zwischen Divisions-,
Regiments- und Bataillonsführung eingerichtet. Gleichzeitig stand der für die
Gesamtführung eines Unternehmens verantwortliche Truppenführer direkt oder
über das Artillerievorauskommando mit der Artillerie in Kontakt. Ergänzt wur-
den die Telefonleitungen durch eine Überlagerung mit Funksprechverbindung
zum Sturmkompanieführer bzw. -zugführer. Je nach Unternehmen waren zusätz-
lich Artilleriebeobachter beim Truppenführer des Stoßelements. Dabei hat sich
gezeigt, dass besonders »die drahtlosen Nachrichtenmittel [...] im Abwehrkampf
von ausschlaggebender Bedeutung« waren521. Während Telefonleitungen durch
Artillerie- und Granatwerferfeuer unterbrochen werden konnten, ermög-
lichten die Funkmittel in der Regel eine fortwährende Orientierung über den
Gefechtsverlauf522. So fußte die Kampfführung in der Verteidigung auf einem

520
10. ID (mot)/Ia Nr. 266/43 geh., Betr.: Bericht über Stoßtruppunternehmen »Kater-
bummel«, 10.2.1943, BArch, RH 26-10/46, S. 2. Dort auch das Folgende.
521
10. ID (mot)/Kdr./Ia Nr. 393/43 geh.Kdos., Vorbereitung der Abwehr fdl. Angriffe,
26.2.1943, BArch, RH 26-10/44, S. 3 (Hervorhebung im Original).
522
Der Leitungsbau wurde allerdings ständig verbessert und weniger anfällig gemacht. Ein
Bericht vom 6.2.1943 belegt z.B., dass die Leitungen tiefer verlegt wurden, starkes Artillerie-
feuer deshalb unbeschadet überstanden hatten und die vorhandenen Funkverbindungen
dadurch gar nicht benötigt wurden. Kradsch.Btl. 40/Ia, Bericht über die Abwehr des
feindlichen Angriffs zweier, durch T 34 verstärkter Stoßzüge gegen »Hildebrand« A am
6.2.1943, 7.2.1943, BArch, RH 26-10/44.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 385

dichten Verbindungsnetz, das selbst wieder auf verschiedenen Nachrichtenmitteln


basierte und durch die Entsendung von Ordonnanzoffizieren oder Meldern zu
den unterstellten Dienststellen noch zusätzlich verstärkt wurde523. Mit all diesen
Mitteln wurde folglich das in der TF geforderte tief gegliederte und engmaschige
Nachrichtennetz vorschriftsgemäß eingerichtet, was schließlich die straffe, von
ständigem Austausch und direkter Einflussnahme geprägte Führung bis auf die
unterste taktische Stufe erlaubte.

d) Personallage und Ausbildungsmaßnahmen im Krieg

Auf die grundsätzliche Personalproblematik, insbesondere auf die hohen Verluste


während des Unternehmens »Barbarossa« und der folgenden Winterkämpfe
1941/42, wurde bereits hingewiesen. Die ganze Tragweite der Verluste verdeut-
licht allerdings erst ein Tätigkeitsbericht der Abteilung IIa, der die Gesamtverluste
der Division vom 22. Juni 1941 bis zum 31. Dezember 1942 auf 552 Offiziere
und 17 610 Unteroffiziere und Mannschaften bezifferte524. Angesichts solcher
Verlustzahlen erstaunt Schmidts Urteil nicht, dass »die Bataillone ein anderes
Gesicht« bekommen hätten und »ihr Kampfwert [...] geringer« geworden sei525.
Wie gesehen beklagte Schmidt schon am 15. Juni 1942 in einem Zustandsbericht,
dass das Gros der Mannschaft ohne Kriegserfahrung und der Ausbildungsstand
der Kompanien – besonders des Personalersatzes – ungenügend sei. Erschwerend
kam hinzu, dass die Infanterieeinheiten bereits einen großen »Unterführermangel«
zu verzeichnen hatten. Zudem fehlten der Division immer noch Kraftfahrzeuge,
selbst Waffen und Geräte waren teils nur in geringem Umfang vorhanden.
Aufgrund dieser Umstände sei die 10. Infanteriedivision (mot) zwar »nicht als
vollwertiger Kampfverband anzusprechen«, Schmidt glaubte aber immerhin, dass
sie »zur Abwehr voll geeignet« sei526.
Die Tendenz des abnehmenden Kampfwertes wurde dadurch noch ver-
stärkt, dass die Division erst im Januar 1943 in Form einer »Genesenen-Marsch-
Kompanie« erstmals Personalersatz erhielt527. Somit musste die Division wäh-
rend ihres Einsatzes nicht nur die vorhandenen schlecht vorbereiteten Truppen
ausbilden, sondern zusätzlich eine eigene Personalreserve aufbauen, um zu-

523
10. ID (mot)/Kdr./Ia Nr. 393/43 geh.Kdos., Vorbereitung der Abwehr fdl. Angriffe,
26.2.1943, BArch, RH 26-10/44, S. 3. Vgl. auch 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 8, BArch,
RH 26-10/32 (14.8.1942).
524
Tätigkeitsbericht Abt. IIa, Gesamtverluste der Regimenter usw. in der Zeit vom 22. Juni
1941‑31. Dezember 1942, BArch, RH 26-10/88. In einer Meldung an das AOK 4 vom
April 1943 sind die Gesamtverluste der Division seit Juni 1941 auf 490 Offiziere und
11 630 Unteroffiziere und Mannschaften beziffert. 10. ID (mot)/Ia Nr. 622/43 geh., Betr.:
Bevorzugte Instandsetzung der 10. I.D. (mot), 3.4.1943, BArch, RH 26-10/44. Worauf
diese Divergenz zurückzuführen ist, bleibt unklar. Der Tätigkeitsbericht des IIa belegt die
Verluste nach Verband und Monat und dürfte wohl korrekt sein.
525
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 146.
526
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 6, BArch, RH 26-10/29 (15.6.1942).
527
Ein größeres Marschbataillon mit 43 Unteroffizieren und 975 Mannschaften traf sogar erst
wieder am 23.4.1943 ein. 10. ID (mot)/Ia Nr. 742/43 geh., Kurzer Zustandsbericht der
10. I.D. (mot), 28.4.1943, BArch, RH 26-10/44.
386 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

künftige Ausfälle selbst ausgleichen zu können. Dies geschah Ende September


1942 unter gleichzeitiger Neugliederung des Divisions-Ersatzbataillons 10 in
sechs Kompanien, womit das Bataillon einen Bestand von 16 Offizieren, einem
Beamten, 108 Unteroffizieren und 760 Mannschaften erhielt528. Damit einher
ging allerdings eine entsprechende Schwächung der Fronteinheiten, aus de-
nen diese Personalreserve gebildet werden musste. Gleichzeitig wurde mit der
mehrmaligen Aufstellung von Alarmeinheiten versucht, Personal für die fech-
tende Truppe freizumachen. Die wiederholte Auskämmung der rückwärtigen
Truppenteile führte aber dazu, dass die Mitte Oktober 1942 per Führerbefehl an-
geordnete dritte Aufstellung von Alarmeinheiten bereits auf »den letzten, für den
Großkampf nicht unbedingt benötigten Mann«, d.h. auf Schuster, Schneider oder
Schreiberpersonal, zurückgreifen musste. Es bedarf keiner besonderen Erklärung,
dass die Kampfkraft solcher Einheiten militärisch äußerst gering war. Bis zum
9. November hatte die Division so vier Alarmeinheiten aufgestellt, die eine kurze
Einzel- und Gruppenausbildung durchlaufen hatten und dann erstmals in der
Frontlinie eingesetzt wurden529. Die Verwendung erfolgte verständlicherweise zu-
nächst nur an den ruhigeren Frontabschnitten, wo die Einheiten gleichzeitig wei-
ter ausgebildet und »mit den Eigenheiten des Stellungskrieges vertraut« gemacht
wurden530. Solche Maßnahmen sind letztlich als reines Krisenmanagement zu be-
urteilen, mit dem Qualität durch Quantität ersetzt wurde. In einer persönlichen
Weisung an seine Kommandeure stellte Schmidt am 13. Dezember 1942 denn
auch fest, dass die lange Kriegsdauer und die entstandenen Verluste »die Haltung,
das Können und Wissen der Führer und den Ausbildungsstand der Mannschaften
stark in negativem Sinne beeinflusst« hätten531. Wie sich dies in der Kampfführung
auswirkte, schilderte ein Gefechtsbericht des II./Grenadierregiment 20 (mot) vom
8. März 1943 über das Stoßtruppunternehmen »Chlorodont«. So sei der »junge
Nachersatz«, der erstmals in einem größeren Angriffsunternehmen eingesetzt wur-
de, »etwas zögernd und unbeholfen« vorgegangen, wohingegen »sich wiederum
die alten [...] Unterführer und Mannschaften« bewährt sowie »durch ihr Beispiel
die jungen Leute mit sich [ge]rissen und teilweise entstandene Unordnungen in
kürzester Frist bereinig[t]« hätten532.

528
10. ID (mot)/Ia Nr. 526/42 geh., Divisionsbefehl für die Umgliederung des Div.Ers.Btl. 10
und Bildung der ersten Personalreserve der Division, 29.9.1942, BArch, RH 26-10/36.
529
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 10, BArch, RH 26-10/34 (13.10.‑9.11.1942). Die
Alarmeinheiten wurden einen Tag pro Woche infanteristisch ausgebildet und dann mo-
natlich einige Tage in den vorderen Stellungen eingesetzt, was ebenfalls als Ausbildung
verstanden wurde. 10. ID (mot)/Ia Nr. 574/42 geh., Befehl über die Ausbildung im Winter
1942/43, 16.10.1942, BArch, RH 26-10/36, S. 9.
530
Am 31.10.1942 hatte die Div. vom AOK 4 bereits eine 350 Mann starke Alarmeinheit zu-
gewiesen erhalten, für die das GR 20 (mot) »die Patenschaft« übernehmen musste. Auch in
diesem Beispiel zeigt sich der Ausbildungscharakter solcher Einsätze. Zwar konnte dadurch
die Infanterie etwas entlastet werden, insgesamt dürften solche Einheiten aber eher eine
Be- als eine Entlastung gewesen sein. 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 10, BArch, RH 26-10/34
(31.10/9.11.1942). Siehe auch Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 156.
531
10. ID (mot)/Kdr., An die Herren Rgts.- und selbständigen Btls.-(Abt.)Kommandeure,
13.12.1942, BArch, RH 26-10/36.
532
II./GR 20 (mot)/Ia Nr. 40 g.Kdos., Gefechtsbericht über das Unternehmen »Chlorodont«
am 7.3.43, 8.3.1943, BArch, RH 26-10/46, S. 7.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 387

Die Personallage wurde allerdings nicht nur durch Verluste, sondern auch
durch Abgaben erschwert. So befahl z.B. das OKH am 13. Oktober 1942, dass die
1./Kradschützenbataillon 40 aus dem Verband der Division herausgelöst und zur
Aufstellung eines Panzerverbandes verwendet werden sollte533. Solche einschnei-
denden Maßnahmen blieben jedoch die Ausnahme. Viel stärker belastete das häu-
fige Auseinanderreißen der Kriegsgliederung die personelle Situation der Division.
Ende Oktober 1942 hatte die Division z.B. das ganze Grenadierregiment 41
(mot), zwei Kompanien des Kradschützenbataillons 40 und eine Batterie des
Artillerieregiments 10 (mot) an andere Verbände abgeben müssen, die zusätzli-
che Herauslösung einer Kompanie des Divisions-Ersatzbataillons 10 war bereits
befohlen worden. Aufgrund dieser Fremdverwendungen verfügte die Division
zu diesem Zeitpunkt über keine Reserven mehr und beklagte sich darüber, dass
»diese dauernden Eingriffe [...] auf die Dauer nicht tragbar« seien534. Gerade das
Kradschützenbataillon 40 wurde zahlreich als Armeereserve, als Sicherungstruppe
im rückwärtigen Operationsgebiet oder in den Abschnitten anderer Divisionen
eingesetzt. Als Reserveelement musste das Bataillon dabei häufig sowjetische
Einbrüche abfangen oder in verlustreichen Angriffen die Hauptkampflinie wie-
derherstellen, was zu entsprechenden Verlusten führte. Anfang April 1943 urteilte
die Division deshalb, dass »das Btl. in seiner Kampfkraft sehr geschwächt« sei und
dringend mit Ersatz ergänzt werden müsste535.
Noch einschneidender wirkte sich allerdings die bereits erwähnte lange
Verwendung des Grenadierregiments 41 (mot) im Bereich des Armeeoberkomman-
dos 9 auf das Gefüge der Division aus. Zum einen führte das Fehlen der Hälfte
der infanteristischen Kräfte der Division von Mitte August bis Mitte Dezember
zu einer ständigen Überbelastung der übrigen Einheiten. Ab Ende Oktober 1942
musste deshalb z.B. das Grenadierregiment 20 (mot) durch Alarmeinheiten ent-
lastet werden536. Zum anderen wurde das Grenadierregiment 41 (mot) in den
harten Kämpfen bei Ržev, Toropec und Belyj praktisch aufgerieben537 Nach seiner
Rückkehr zur Division bestand das Regiment am 24. Dezember 1942 noch aus
zwei Bataillonen mit 18 Offizieren, 117 Unteroffizieren und 620 Mannschaften538.

533
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 10, BArch, RH 26-10/34 (13.10.1942).
534
Ebd. (28.10.1942).
535
10. ID (mot)/Ia Nr. 622/43 geh., Betr.: Bevorzugte Instandsetzung der 10. I.D. (mot),
3.4.1943, BArch, RH 26-10/44, S. 2. Gleiches galt auch für die Pz.Jäg.Abt., die
z.B. Februar/März 1943 bei Žizdra eingesetzt wurde und starke Verluste (u.a. der Kdr.) zu
verzeichnen hatte. Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 163‑165; 10. ID (mot)/Ia,
KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-10/41 (22./25.2.1943).
536
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 10, BArch, RH 26-10/34 (31.10.‑15.11.1942); Schmidt,
Geschichte der 10. Division, S. 156 f.
537
Hier zeigt sich das bereits angesprochene Problem, dass unterstellte Einheiten tendenziell
ohne Rücksicht auf Verluste für besonders schwere Aufgaben eingesetzt wurden. So war das
IR 41 (mot) direkt nach Ankunft beim XXVII. AK »in den Kampf geworfen« worden und
hatte bereits am 23.8.1942 »erhebliche Verluste« erlitten. 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 9,
BArch, RH 26-10/33 (23.8.1942).
538
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 11, BArch, RH 26-10/35 (24.12.1942). Die in den Akten
enthaltenen Offizierszahlen sind widersprüchlich. Die Offizierstellenbesetzung des
GR 41 (mot) vom 25.12.1942 nennt z.B. 26 Offiziere. Auch die Verlustzahlen divergieren.
Der Tätigkeitsbericht des IIa belegt von August bis Dezember 1942 66 Offizierverluste,
während der Div.Kdr. dem AOK 4 am 3.4.1943 den Verlust von 85 Offizieren meldete.
388 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Wegen der hohen Verluste hatte das II. Bataillon bereits am 18. September aufge-
löst und auf die anderen beiden Bataillone aufgeteilt werden müssen539. Bis Ende
Dezember 1942 konnte das Regiment zunächst mit 45 Unteroffizieren und 270
Soldaten verstärkt werden, die mehrheitlich aus eigenen »Wiedergenesenen« be-
standen540. Am 15. Januar 1943 wurde schließlich das Divisions-Ersatzbataillon 10
aufgelöst und die Überführung der »Masse« dieses Bataillons in das Grenadier-
regiment 41 (mot) von der Division befohlen, dem zusätzlich noch die »Genesenen-
Marsch-Kompanie XIII/10 (mot) 6« zugeführt wurde541. Damit hatten die beiden
Bataillone des Grenadierregiments 41 (mot) allerdings erst zahlenmäßig einiger-
maßen aufgefüllt werden können. Da die Ersatztruppen aus allen Truppenteilen
der Division stammten, war »der Ausbildungsstand und der Kampfwert dieser
Btl. [...] dementsprechend« schlecht542. Das Hauptaugenmerk galt in der folgen-
den Zeit deshalb der »Förderung der Gefechtsausbildung des jungen Nachersatzes
sowie der Mannschaften anderer Waffengattungen, die zu Infanteristen umge-
schult werden«543. Dies sollte mit einer planmäßigen Ausbildung ab dem 2. Januar
1943 erreicht werden. Die Qualität der Kompanien des Grenadierregiments 41
(mot) sollte anhand eines vierwöchigen Ausbildungsplans wieder angehoben
werden. Die Divisionsführung begleitete diese Ausbildung eng, mussten doch
alle im Rahmen einer verstärkten Kompanie durchgeführten Übungen und
Gefechtsschießen gemeldet werden. Weiter wurden drei- bzw. vierwöchige
Unterführerlehrgänge für Zugführer- und Gruppenführeranwärter der Infanterie
bzw. Pioniere sowie Spezialistenlehrgänge durchgeführt. Die Offizierausbildung
wurde ebenfalls aufgenommen, beschränkte sich jedoch auf Planübungen unter
Leitung des Regiments- und der Bataillonskommandeure. Auch diese wurden
durch die Divisionsführung begleitet. Die fehlenden Offiziere konnten jedoch vor-
läufig noch nicht ersetzt werden, mussten diese doch beim Wehrkreiskommando
XIII bzw. bei der Heeresgruppe Mitte angefordert werden544. Bei all diesen

Erstaunlicherweise wichen die ungleich größeren und somit schwieriger zu erfassenden


Verlustzahlen der Unteroffiziere und Mannschaften in beiden Dokumenten nur gering-
fügig voneinander ab (2907 bzw. 2915). Anlage 2 (Offizier-Stellenbesetzung des Gren.
Rgt. 41 (mot) vom 25.12.1942) zu 10. ID (mot)/Ia Nr. 921/42 geh., Betr.: Auffrischung
des Gren.Rgt. 41 (mot), 27.12.1942, BArch, RH 26-10/36; Tätigkeitsbericht Abt. IIa,
Gesamtverluste der Regimenter usw. in der Zeit vom 22. Juni 1941‑31. Dezember 1942,
BArch, RH 26-10/88; 10. ID (mot)/Ia Nr. 622/43 geh., Betr.: Bevorzugte Instandsetzung
der 10. I.D. (mot), 3.4.1943, BArch, RH 26-10/44, S. 3.
539
Erst im April 1943 konnte das II./GR 41 (mot) wieder aufgestellt werden. Schmidt,
Geschichte der 10. Division, S. 159; 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-10/41
(17./18.2.1943).
540
Allerdings waren diese bislang beim GR 20 (mot) eingesetzt worden, was nun dazu führ-
te, dass das GR 20 (mot) seinerseits gezwungen war, die eigenen Reserven einzusetzen.
10. ID (mot)/Ia Nr. 921/42 geh., Betr.: Auffrischung des Gren.Rgt. 41 (mot), 27.12.1942,
BArch, RH 26-10/36, S. 1 f.
541
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-10/40 (15.1.1943).
542
10. ID (mot)/Ia Nr. 622/43 geh., Betr.: Bevorzugte Instandsetzung der 10. I.D. (mot),
3.4.1943, BArch, RH 26-10/44, S. 3
543
10. ID (mot)/Ia Nr. 925/42 geh., Betr.: Ausbildung, 29.12.1942, BArch, RH 26-10/36,
S. 2.
544
10. ID (mot)/Ia Nr. 921/42 geh., Betr.: Auffrischung des Gren.Rgt. 41 (mot), 27.12.1942,
BArch, RH 26-10/36, S. 4.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 389

Bemühungen zeigte sich zu Beginn des Jahres 1943 jedoch eine Problematik,
die als allgemeiner Trend für das ganze Ostheer galt. Die instabile Lage an den
Frontabschnitten machte eine sorgfältige Auffrischung und Ausbildung unmög-
lich, da die Einheiten des Grenadierregiments 41 (mot) in den Kämpfen einge-
setzt werden mussten545. Das Regiment konnte daher nur ungenügend aufge-
frischt werden. Schmidt sah sich deshalb noch Anfang April 1943 gezwungen,
an das Armeeoberkommando 4 zu melden, dass das Grenadierregiment 41 (mot)
immer noch »dringend einer Ausbildungszeit von 4 Wochen« bedürfe546.
Die 10. Infanteriedivision (mot) war als Großverband ebenfalls mit dieser
Problematik konfrontiert. Die starken Verluste an Offizieren, Unteroffizieren und
Spezialisten sowie der nur kurz ausgebildete Ersatz hatten nach Einschätzung
Schmidts bereits Mitte Oktober 1942 »zu einem Absinken des Ausbildungsstandes
der Truppe geführt«547. Die angespannte Personallage erforderte deshalb entspre-
chende Ausbildungsbemühungen, in denen »die planmäßige Erziehung von Offizier,
Unteroffizier und Mann und die Ausbildung wieder in den Vordergrund gestellt
werden« sollte. Diese basierte auf einer mehrstufigen Ausbildungsorganisation.
Für Regiments-, Bataillons- und Abteilungskommandeure sowie für Führer
von Spezialverbänden waren OKH-Lehrgänge vorgesehen, während auf Armee-
Waffenschulen mehrwöchige Lehrgänge für zukünftige und »förderungsbedürf-
tige« Einheitsführer sowie Spezialisten-Lehrgänge stattfanden. Innerhalb der
Division musste die Ausbildung wegen der starken Kampfbelastung teils direkt !
in den Stellungen durchgeführt werden. Dieser »Ausbildung am Feind« soll-
te an ruhigen Abschnitten »besondere Bedeutung bei[ge]messen« werden, sie
fand unter Aufsicht der Einheitsführer statt. Spezieller Nachdruck wurde hier-
bei auf »die einwandfreie Auftragserteilung durch Zug- und Gruppenführer« ge-
legt. Dieser Aspekt kam im Rahmen der Offizierausbildung erneut zur Sprache
und wird weiter unten nochmals aufgenommen werden. Weiter wurden örtli-
che Reserven direkt hinter der Front ausgebildet. Während die Ausbildung am
Feind eher unplanmäßig erfolgte, wurden die örtlichen Reserven unter Aufsicht
der Regiments-, Bataillons- und Abteilungskommandeure nach systematischen
Ausbildungsplänen ausgebildet.
Schließlich wurden diverse mehrwöchige Lehrgänge beim Divisions-Ersatz-
bataillon 10 vorgesehen, in denen die Zug- und Unterführer-Anwärter der
Infanterie ausgebildet werden sollten. Dabei sollten nicht nur Soldaten in sol-
che Lehrgänge geschickt werden, die später wirklich als Unterführer verwendet
wurden, sondern »jeder als Unterführer geeignete Soldat, ohne Rücksicht auf
sein Dienstalter«. Die Ausbildung der Anwärter und Spezialisten der Artillerie,
Pioniere, Kradschützen, Panzerjäger, Nachrichten- und Versorgungstruppe wurde
in Lehrgängen unter der Aufsicht der entsprechenden Kommandeure durchge-
führt. Parallel dazu hatte auch die Ausbildung der Alarmeinheiten stattzufinden,
auf die bereits eingangs des Kapitels hingewiesen wurde.

545
Z.B. das. I./GR 41 (mot), das bereits ab dem 19.1.1943 wieder einen Frontabschnitt über-
nahm. 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-10/40 (18.1.1943).
546
10. ID (mot)/Ia Nr. 622/43 geh., Betr.: Bevorzugte Instandsetzung der 10. I.D. (mot),
3.4.1943, BArch, RH 26-10/44, S. 3.
547
10. ID (mot)/Ia Nr. 574/42 geh., Befehl über die Ausbildung im Winter 1942/43,
16.10.1942, BArch, RH 26-10/36, S. 1. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf
diese Quelle.
390 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Zur Weiterbildung der Offiziere hatten die Kommandeure der Regimenter


bzw. der selbstständigen Bataillone und Abteilungen ihre Offiziere »mindestens«
alle vierzehn Tage zusammenzunehmen und in Plan- oder Sandkastenübungen
»die neuesten Kampferfahrungen auszuwerten und geplante Unternehmungen zu
schulen«. Die obere Führung der Division, d.h. die Regiments- und Bataillons-
kommandeure, der Divisions-Nachschubführer sowie die wichtigsten Stabsoffiziere
des Divisionsstabes, wurden unter Leitung des Divisionskommandeurs ebenfalls
– allerdings bedeutend seltener – in Planübungen geschult548. Der Führung im
Angriff und in der Verteidigung, der praktischen Schulung im Gefecht der ver-
bundenen Waffen oder spezifischen Gesichtspunkten des Stellungskrieges wurde
dabei breiter Raum eingeräumt. Wie bereits oben gesehen, zeigt sich erneut, dass
die Befehlsgebung als besonders wichtiges Ausbildungsgebiet angesehen wurde.
Wurde bei den Zug- und Gruppenführern die richtige Formulierung des Auftrages
betont, so galt in der Offizierausbildung der Verbesserung der Befehlstechnik
ganz allgemein ein besonderes Augenmerk549. Dies war umso wichtiger, weil ge-
rade die jungen Führer wie gesehen die technischen und taktischen Erfordernisse
des Stellungskrieges kaum oder zu wenig kannten. In den Erfahrungsberichten
der Division über den Stellungskrieg forderte Schmidt deshalb, »Sammelhefte
über den Stellungskrieg« herauszugeben, in denen die Grundbegriffe des
Stellungskrieges und das Zusammenwirken der Waffen erläutert, der Verlauf
einer Stellung schematisch dargestellt oder sogar »Anhaltspunkte für Zug-,
Kompanie- und Btl.-Befehle« enthalten sein sollten550. Erstaunlicherweise be-
schränkte sich die Führerausbildung aber nicht alleine auf taktische Aspekte.
Daneben wurde »besonderer Wert« auf die »Erziehung als Führer und Festigung
der Persönlichkeit« und die »Unterweisung in der Erziehung und der geistigen
Betreuung der Einheiten, insonderheit des Unteroffizier-Korps«, sowie auf allge-
meine Aspekte des inneren Dienstes gelegt. Die Ausbildung der Division wurde
nicht nur durch den Divisionskommandeur überwacht, dem die Durchführung
der Lehrgänge, von Lehrvorführungen, Übungen und Abschlussbesichtigungen
zu melden war. Auch der Kommandierende General wollte sich »persönlich« oder
durch Entsendung der Waffenoffiziere des Generalkommandos vom Fortgang der
Ausbildung überzeugen.
Tatsächlich konnte diese geplante Winterausbildung nur in weit geringerem
Umfang durchgeführt werden, als geplant gewesen war. In einer Meldung an das
Armeeoberkommando 4 von Anfang April 1943 schilderte Schmidt, dass die
Division »seit Juni 1941 im ununterbrochenen Einsatz« gestanden habe und dies
»eine Ausbildung innerhalb der Division bisher« unmöglich gemacht hätte551.
Schmidt sah in der starken Kampfbelastung aber nur einen Grund dafür, dass

548
In den Akten findet sich für den Winter 1941/42 bloß eine Planübung in diesem
Rahmen: 10. ID (mot)/Ia Nr. 784/42 geh.Kdos., Betr.: Planübung, 25.11.1942, BArch,
RH 26-10/36.
549
Dies belegt, dass die im Kap. II.2.b) gemachten generellen Bemerkungen zur mangelnden
Beherrschung der Befehlsgebung explizit auch für die 10. ID (mot) galten.
550
10. ID (mot)/Ia Nr. 688/42, Erfahrungsbericht über den Stellungskrieg im Sommer,
29.10.1942, BArch, RH 26-10/38, S. 2 (Zitat). Schmidt regte sogar an, gewisse »im
Weltkrieg entstandene Vorschrift[en]« wieder einzuführen. Ebd., S. 30.
551
10. ID (mot)/Ia Nr. 622/43 geh., Betr.: Bevorzugte Instandsetzung der 10. I.D. (mot),
3.4.1943, BArch, RH 26-10/44, S. 2 f. Dort auch das Folgende.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 391

seine Division eine längere Auffrischungs- und Ausbildungsphase benötigte. Der


andere Grund lag im wiederholten Zerreißen der Kriegsgliederung. So hätten der
Division während ihrer Verwendung im Stellungskrieg deshalb die »notwendi-
gen Reserven« gefehlt, um einzelne Bataillone zur Ausbildung aus den Stellungen
herauslösen zu können, weil »dauernd erhebliche Teile der Division« an andere
Großverbände abgegeben werden mussten.
Eine nachhaltigere Auffrischung und Ausbildung der Division konnte erst
nach ihrer Ablösung aus dem Frontabschnitt ab Ende März 1943 und ihrer
Unterbringung bei Kričev stattfinden552. Diese beinhaltete neben einer grundle-
genden Gefechtsausbildung und der notwendig gewordenen »Mot.-Ausbildung«
erstmals seit Langem wieder eine starke Gewichtung der Führerausbildung, die
aber aufgrund der teils weit auseinander liegenden Unterkunftsräumen nur mit
Schwierigkeiten umgesetzt werden konnte553. So musste die Unterführerausbildung
»in der Hauptsache in der Hand des Kp.-Führers liegen«, wobei sich die
Bataillons- und Abteilungskommandeure »stark einzuschalten« hatten, um die
»Einheitlichkeit der Ausbildung« sicherzustellen. Für »besonderer Nachhilfe und
Ausbildung bedürftige Unteroffiziere der Infanterie und Kradschützen« richtete
die Division überdies einen Unterführerlehrgang ein, zu dem jedes Bataillon ei-
nen Zug- und sechs Gruppenführer zu entsenden hatte.
Die Ausbildung der Offizier- und Kriegsoffizierbewerber sollte wöchentlich
zwei- bis dreimal am Standort des Bataillons- bzw. Abteilungskommandeurs
und einmal beim Regimentskommando durch die Fähnrichsväter erfolgen. Die
Kommandeure wurden jedoch angewiesen, sich »des Offz.-Nachwuchses beson-
ders anzunehmen«. Gleichzeitig hatten die Kommandeure sich besonders der
Erziehung und Ausbildung ihres Offizierkorps zu widmen, worunter Fragen
zur Stellung des Offiziers im nationalsozialistischen Staat, zu seiner Rolle als
Vorkämpfer, in der Öffentlichkeit oder als Vertreter seines Regiments ebenso behan-
delt werden sollten wie das Verhältnis von »Offz. und Mann« oder das Thema »der
Offz. und die Frau«. In den ersten drei Ausbildungswochen sollten die Bataillons-
bzw. Abteilungskommandeure eine Geländebesprechung oder Planübung, in der
vierten Woche die Regimentskommandeure eine Planübung sowie mindestens
zwei Nachrichten-Rahmenübungen abhalten. Zusätzlich waren noch eine durch
den Divisionskommandeur geleitete Planübung und eine Divisionsnachrichten-
Rahmenübung beabsichtigt. Damit der Divisionskommandeur die Offiziers- und
Verbandsausbildung in den Regimentern, Bataillonen und Abteilungen besich-
tigen konnte, legte das Divisionskommando fest, an welchen Wochentagen
diese durchzuführen waren. Zudem mussten der Division drei Tage im Voraus
Übungszweck und -tag gemeldet werden.
Das Ausbildungsprogramm war sehr dicht gedrängt, mussten doch die
Truppen nach einem Jahr zuerst wieder mit »der formalen Gefechtsausbildung und
dem Gefechtsdrill« auf Gruppen-, Zugs- und Kompanie- bzw. Batteriestufe so- !
wie mit den »einfachsten und hauptsächlichsten Gefechtsarten« vertraut gemacht

552
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 3, BArch, RH 26-10/42 (27.3.‑1.4.1943); Schmidt, Geschichte
der 10. Division, S. 166.
553
10. ID (mot)/Kdr./Ia Nr. 609/43 geh., Betr.: Ausbildung im Instandsetzungsraum,
31.3.1943, BArch, RH 26-10/44, S. 2. Dort auch das Folgende (Hervorhebungen im
Original).
392 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

werden. Weiter galt es, die Grundlagen der Motorisierung, etwa die formalen
Bewegungen, das Erkunden und Beziehen von Räumen oder das Vorgehen in
Marschkolonnen, wieder aufzufrischen. Zudem wurden mit der Umbildung
zur Panzergrenadierdivision auch neue Waffensysteme eingeführt, wie etwa die
schwere Pak auf Selbstfahrlafette, was zu zusätzlichen Ausbildungsanstrengungen
führte554. Ein besonderes Problem lag auch darin, dass viele junge Einheitsführer !
kaum noch Ausbildungserfahrungen besaßen. Das Divisionskommando be-
fahl deshalb, welche Ausbildungsvorschriften, Richtlinien und Anleitungen »als
Anhalt zu benutzen« seien, und verwies dabei besonders auf die darin enthal-
tenen Ausbildungsbemerkungen und Ausbildungspläne555. Durch die straffe
Organisation der Ausbildung und ihre enge Begleitung durch die Vorgesetzten
wurde versucht, die knappe Zeit optimal auszunutzen und im gleichen Zug die
Einheitlichkeit der Ausbildung sicherzustellen556. Die Ausbildung während des
Aprils 1943 sollte aber nicht nur die Grundkenntnisse der Truppe wieder auffri-
schen, sondern konnte letztlich auch Erkenntnisse für die zukünftige Führung
der Division aufzeigen. So befahl Schmidt z.B. aufgrund von Ergebnissen aus
der Divisionsnachrichten-Rahmenübung, dass in künftigen Einsätzen von allen
Truppenteilen stündliche Meldungen erfolgen mussten. Letztlich machte die ge-
spannte Gesamtlage eine vorzeitige Wiederverwendung der Division nötig, was
zu einer empfindlichen Kürzung der ursprünglich auf vier Wochen angesetzten
Ausbildungszeit führte. Diese sollte neu bis zum 20. April abgeschlossen sein,
danach wurde die Division in den neuen Einsatzraum nördlich von Orël ver-
legt. Bereits ab dem 17. April begannen deshalb die Marschvorbereitungen557.
Damit hatte auch die erste längere Auffrischungsphase der 10. Infanteriedivision
(mot) seit Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion im Juni 1941 überhastet
durchgeführt und verfrüht abgebrochen werden müssen. Schmidt wies denn auch
beim Armeeoberkommando 4 in aller Schärfe darauf hin, dass die »materielle
Instandsetzung« und »die geforderte Ausbildung als Angriffsdivision« in dieser
Zeit »nur in beschränktem Maße« zu erreichen sei558.
Besonders aufschlussreich sind schließlich die Konsequenzen, die sich aus den
personellen Verlusten und dem Mangel an erfahrenen Unterführern für die Art
und Weise der Führung ergaben. Wie bereits erwähnt hatte sich Schmidt Mitte
Dezember 1942 dazu gezwungen gesehen, in einer persönlich an die Regiments-,
Bataillons- und Abteilungskommandeure gerichteten Weisung auf diese
Problematik hinzuweisen. Dabei kritisierte Schmidt, »dass einzelne Kommandeure

554
10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 4, BArch, RH 26-10/43 (7./9.4.1943).
555
10. ID (mot)/Kdr./Ia Nr. 609/43 geh., Betr.: Ausbildung im Instandsetzungsraum,
31.3.1943, BArch, RH 26-10/44, S. 1.
556
Wie eng die Ausbildung begleitet und kontrolliert wurde, zeigt sich erneut in den
Besichtigungen vorgesetzter Truppenführer. Neben dem Div.Kdr. begleiteten auch höhere
Truppenführer die Offizier- und Verbandsausbildung, z.B. wohnte der OB des AOK 4 am
14.4.1943 einer Bataillonsübung bei. 10. ID (mot)/Ia, KTB, Nr. 4, BArch, RH 26-10/43
(14.4.1943).
557
Ebd. (17.‑29.4.1943).
558
10. ID (mot)/Ia Nr. 622/43 geh., Betr.: Bevorzugte Instandsetzung der 10. I.D. (mot),
3.4.1943, BArch, RH 26-10/44, S. 3.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 393

ihre Verbände am zu langen Zügel führ[t]en«559. Dies – so Schmidt – sei »im


100 000 Mann-Heer und vielleicht noch bis zum Anfang des Jahres 1941 möglich
und richtig« gewesen, weil damals noch »ein gut geschultes Offizierkorps« sowie
ein »gut ausgebildete[r] und im Verband zusammengeschweißte[r] Unteroffizier-
und Mannschaftsersatz« vorhanden gewesen sei. Die lange Kriegsdauer und ent-
sprechende Verluste hätten jedoch dazu geführt, dass dies im Dezember 1942
nicht mehr gegeben sei. Zudem hätten die »Eintönigkeit« und die ununterbro-
chene »Anspannung des Stellungskrieges« zu einem Nachlassen von »Disziplin, !
Ausbildungsstand, Zuverlässigkeit [...] und soldatische[r] Haltung« geführt. Aus
dieser Ursachenanalyse leitete Schmidt auch die Konsequenzen für die Führung
ab. Um »die weniger gut ausgebildeten Verbände zu den gleichen und höheren
Leistungen [...] wie in den Jahren 1939, 1940 und 1941« führen zu können,
benötige es nun »eine besonders straffe und zielbewusste Führung durch alle
Dienstgrade«. Schmidt forderte deshalb von seinen Regiments-, Bataillons- und
!
Abteilungskommandeuren »straffste Führung« ihrer Einheiten:
»Ein starkes Einschalten des Rgts.-Kommandeurs in die Btls.-Führung und
ebenso des Btls.-Kommandeurs in die Führung der Kompanien wird sich
nicht immer vermeiden lassen, sich sicher aber segensreich auswirken.«
Dies war die übliche Konzession an die Tatsache, dass die eigentlichen Verantwor-
tungsträger des Verteidigungskampfes – die Unterführer – mehrheitlich nicht
!
mehr über das notwendige Wissen und Können für eigenständiges Handeln ver-
fügten. Dies darf aber nicht als Absage an die Auftragstaktik aufgefasst werden.
Interessanterweise forderte Schmidt von seinen Kommandeuren nämlich
nicht nur straffe Führung, sondern auch, dass sie die »Berufs- und Pflichtauf-
fassung [im] Offizierkorps wachzuhalten und zu steigern« verstanden. Jeder
Kommandeur hatte zudem »seinem Verband ein einheitliches Gepräge« zu ver-
leihen und sicherzustellen, dass die Offiziere »in seinem Sinne zu handeln« wuss-
ten. Damit lässt sich ein bereits mehrfach beobachtetes Phänomen auch für die
10. Infanteriedivision (mot) belegen. Die hohen Verluste im Führerkorps und
der schlechte Ausbildungsstand des Personalersatzes machten eine freie Führung,
wie sie als Ideal in den Dienstvorschriften propagiert wurde, unmöglich.
Stattdessen erforderten die geänderten Rahmenbedingungen eine straffe, eng
begleitete Führung. Schmidt machte dies in seiner Weisung an die Komman-
deure unmissverständlich klar. Andererseits blieb das Ziel der Erziehung des
Führerkorps unverändert gleich. Nach wie vor galt es, das Führerkorps zu ei-
ner gewissen Homogenität zu erziehen. Letztlich konnte das Fehlen einer ge-
meinsamen Haltung und Einheitlichkeit im Denken auch durch straffe Führung
nicht vollends ersetzt werden. Deshalb forderte Schmidt, dass die Offiziere fä-
hig sein mussten, im Sinne ihres Vorgesetzten handeln zu können. Zugleich war
damit auch eine der Grundfähigkeiten als Erziehungsziel vorgegeben, um nach
Auftragstaktik handeln zu können. Somit geht es hier nicht so sehr um die Frage,
ob nach Auftragstaktik geführt werden soll oder nicht. Als entscheidend ist viel-
mehr der Versuch zu werten, erneut die Balance zwischen straffer Führung und !
Selbstständigkeit herzustellen.

559
10. ID (mot)/Kdr., An die Herren Rgts.- und selbständigen Btls.-(Abt.)Kommandeure,
13.12.1942, BArch, RH 26-10/36. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf diese
Quelle (Hervorhebungen im Original).
394 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

e) Resümee: Das Führungsverhalten


in der 10. Infanteriedivision (mot)

Die 10. Infanteriedivision (mot) war als Division der ersten (Friedens-)Welle be-
züglich Ausstattung, Gliederung und Stellenbesetzung klar besser gestellt als die
385. Infanteriedivision. Allerdings hat sich gezeigt, dass die Division seit Juni
1941 erhebliche qualitative Einbrüche zu verzeichnen hatte. Gerade bei den
Bataillons- und Einheitsführerstellen sowie den Unterführern gab es auch im
Verlauf des Jahres 1942 weiterhin hohe Ausfälle. Zusammen mit der Zuführung
des zunehmend schlecht ausgebildeten Personalersatzes führte dies, wenn auch
nicht zu einer Angleichung, so doch zu einer qualitativen Annäherung zwischen
der 385. und 10. Division. Dabei konnte festgestellt werden, dass es im Verlauf
des untersuchten Zeitraums bei Letzterer tatsächlich zu einer strafferen und enger
begleiteten Führung durch den Divisionskommandeur gekommen ist. Dies war
aber einzig eine Konzession an die geänderten personellen Rahmenbedingungen,
wie ein Ausblick über den Untersuchungszeitraum hinaus belegt. Tatsächlich
lassen sich nämlich z.B. für 1941 und 1943 Beispiele finden, in denen offener
geführt und selbstständig gehandelt wurde560. Auch ließ sich dies in der Absicht
erkennen, die hinter der Führerausbildung und Führererziehung der Division
stand. Trotz geänderter Rahmenbedingungen sollte das Führerkorps nach
Auffassung Schmidts eine gewisse Homogenität – »ein einheitliches Gepräge« –
erhalten, welche die einzelnen Führer und Unterführer dazu befähigte, im Sinne
ihres Vorgesetzten handeln zu können. Dieses Erziehungsziel zu erreichen war
noch Ende 1942 Aufgabe aller Kommandeure.
Mit der Auswahl des Stellungskriegseinsatzes der 10. Infanteriedivision
(mot) als Fallbeispiel wurde in diesem Kapitel ein Zeitraum untersucht, der sehr
stark von den speziellen Rahmenbedingungen der Gefechtsart Verteidigung ge-
prägt war. Dies lässt auf den ersten Blick wenig Aussagekraft für das Prinzip der
Auftragstaktik erwarten. Gerade dank der völlig anderen Rahmenbedingungen
ließen sich jedoch die eben erwähnten Vorstellungen Schmidts über Führung,
Ausbildung und Erziehung, die Eigenheiten des deutschen Führungsvorgangs
sowie die Gewichtung der einzelnen Elemente der Auftragstaktik deutlicher kon-
trastieren.
Zunächst und wenig erstaunlich war das entscheidende Element der Kampf-
führung der 10. Infanteriedivision (mot) im Verteidigungskampf die Einheit-
lichkeit der Handlung. In diesem Zusammenhang erhielten die Nachrichten-
verbindungen eine noch gewichtigere Rolle, als sie sie in der Führungsdoktrin
sowieso schon besaßen. Der über längere Zeit statisch geführte Einsatz zog au-
tomatisch den Ausbau des Stellungssystems und damit auch eine stärkere nach-
richtentechnische Durchdringung sowie eine verstärkte Einflussnahme durch die
vorgesetzten Kommandeure nach sich. Die geringe räumliche Ausdehnung des
Einsatzraumes ermöglichte Schmidt zudem eine starke Frontpräsenz. Auch dieser
Divisionskommandeur zeichnete sich durch ausgeprägtes Führen von vorne aus.

560
10. ID (mot)/Ia, KTB, BArch, RH 26-10/9 (12.7.1941); 10. PzGrD/Ia, KTB, Nr. 8,
BArch, RH 26-10/55 (27.8.1943); 10. PzGrD/Ia, Besprechung mit dem Herrn Kommand.
General, 28.8.1943, BArch, RH 26-10/56.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 395

Diesbezüglich, aber auch hinsichtlich der Kontrolltätigkeit, lassen sich deutliche


Parallelen zwischen dem Verhalten Eibls und demjenigen von Schmidt erkennen.
Das Führen von vorne zeigte sich zum ersten in der Einflussnahme während der
Kampfvorbereitungen. Die Stoßtruppunternehmen erfolgten nach eingehender
Planung und vorgängiger Absprache mit den vorgesetzten Kommandobehörden
auf Divisions- bzw. Korpsstufe, nach einer konkret auf die Aufgabe abgestimm-
ten Ausbildung sowie nach detaillierter Befehlsgebung mit minutiös festgelegten
Zeitplänen. Dies schlug sich auch in der Befehlsabfassung nieder. Im Vergleich zur
385. Infanteriedivision erließ die 10. Infanteriedivision (mot) deutlich weniger
schriftliche Operationsbefehle, entsprechend selten waren auch die Korpsbefehle.
Beides erstaunt angesichts der speziellen Kampfverhältnisse wenig, die v.a. die
unteren taktischen Führungsebenen forderten. Hingegen fand ein intensiver
persönlicher oder fernmündlicher Austausch zwischen Generalkommando und
Divisionsführung bzw. zwischen Schmidt und seinen Unterführern statt. Auf al-
len Ebenen wurden die Unterführer dabei in die Entscheidungsfindung mitein-
bezogen.
Der intensive Austausch bestätigte sich zum zweiten auch in den Gefechts-
handlungen. Aufgrund der spezifischen Bedingungen der Verteidigung befand
sich Schmidt zwar in der Nähe des Geschehens, hielt sich aber nicht ganz vor-
ne auf, da er sonst Gefahr lief, den Überblick über das Ganze zu verlieren. Die
Einflussnahme auf den Verlauf der Gefechte fiel deshalb jedoch nicht geringer
aus, wie z.B. die mehrfache Überlagerung verschiedener Führungsebenen und das
direkte Einwirken auf Unternehmen über die Nachrichtenverbindungen gezeigt
hat.
Schließlich fiel zum dritten auch die Gewichtung der Elemente der Ent-
schlossenheit und des Offensivdenkens auf. Die Stoßtruppunternehmen ba-
sierten stark auf Überraschung und Schnelligkeit und erforderten deshalb ent-
schlossenes, offensives und sogar selbstständiges Handeln der Unterführer. Die
Selbstständigkeit besaß jedoch eine untergeordnete Rolle. Eine wichtige Bedeutung
kam hingegen dem Urteilsvermögen zu, konnte ohne eine rasche Lagebeurteilung
und Entschlussfassung doch weder in den Stoßtruppunternehmen noch bei
Gegenstößen adäquat gehandelt werden. In Letzteren kommen das Offensivdenken
und der Vorwärtsdrang besonders deutlich zum Tragen. Bei Feindeinbrüchen in
die eigenen Stellungen sollten die Unterführer »ohne Rücksicht auf die Stärke des
Feindes« und ohne Feuerunterstützung abzuwarten selbstständig zum Gegenstoß
ansetzen und nicht nur die eigene Verteidigungslinie wiederherstellen, sondern
noch darüber hinaus dem Gegner nachstoßen561. Wie schmal der Grat zwi-
schen Auftragserfüllung und Auftragstaktik dabei sein konnte, hat die Tat des
Oberleutnants Brand gezeigt.
Somit lässt sich abschließend festhalten, dass die Erziehung zu entschlosse-
nem, offensivem und selbstständigem Handeln auch innerhalb der Rahmen-
bedingungen der Verteidigung zentral war. Schmidt hatte zwar straff geführt und
die Einheitlichkeit der Handlung betont, er unterschied sich jedoch in seiner

561
10. ID (mot)/Ia Nr. 392/43 geh., Erfahrungsbericht über den Stellungskrieg im Winter,
26.2.1943, BArch, RH 26-10/48, S. 25. Siehe auch 10. ID (mot)/Ia Nr. 688/42,
Erfahrungsbericht über den Stellungskrieg im Sommer, 29.10.1942, BArch, RH 26-
10/38, S. 30.
396 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Haltung merklich von Eibl, indem er etwa bei seinen Unterführern die Fähigkeit
zu eigenverantwortlichem Handeln förderte. Maßgeblich für die Beurteilung sei-
nes Handelns ist deshalb der Versuch zu werten, eine Balance zwischen straffer
und einheitlicher Führung einerseits sowie Entschlossenheit und Selbstständigkeit
andererseits herzustellen. Entscheidend war letztlich aber, dass die geringe
Ausdehnung des Einsatzraumes und die vorhandenen Nachrichtenverbindungen
zwischen Vorgesetzten und Untergebenen zu einer Perfektionierung der Maß-
nahmen und Abläufe sowie zu einer Verdichtung der Führungskomponente führ-
ten. Diese Rahmenbedingungen bewirkten, dass selbst in Krisensituationen ein
Handeln nach Auftragstaktik unnötig wurde, da die vorgesetzte Stelle genügend
rasch über die neue Lage orientiert, diese beurteilt und das weitere Vorgehen
abgesprochen werden konnte. Das Fallbeispiel der 10. Infanteriedivision (mot)
vermochte insofern zwar keine Beispiele von Auftragstaktik aufzeigen, belegte
jedoch nachdrücklich das Zusammenwirken der verschiedenen Elemente des
Modells der Auftragstaktik. Ganz besonders veranschaulicht es, dass ein wesentli-
cher Mehrwert des deutschen Führungsvorganges darin bestand, die Unterführer
aktiv in die Entscheidungsfindung und Gefechtsführung miteinzubeziehen562.

4. Fallbeispiel 3: Der Eliteverband des Heeres – die


Kriegsfreiwilligen-Division »Großdeutschland«

a) Aufstellung und Gliederung der Division

Die Infanteriedivision (mot) »Großdeutschland« (GD) stellte innerhalb des


Heeres einen Ausnahmefall dar, besaß sie doch bereits als Regiment und später
als Division eine Sondergliederung. Als »Elitedivision«563 hatte sie deshalb völlig
andere Voraussetzungen und Rahmenbedingungen als die 385. Infanteriedivision
oder die 10. Infanteriedivision (mot). Die Division »GD« durchlief von den
drei Fallbeispielen die stärkste Entwicklung als Verband – vom Regiment zum
Panzerkorps. Im Juni 1939 als selbstständiges Infanterieregiment »GD« aus dem
Wachregiment Berlin entstanden, wurde es am 1. Oktober 1939 mit Teilen
des Infanterieregiments 92 und des Infanterie-Lehrregiments »Döberitz« er-
gänzt, neu gegliedert und motorisiert. Das als »Leibregiment des deutschen
Volkes«564 auch propagandistisch besonders herausgestellte Regiment war mit
seinen drei Schützenbataillonen, einem schweren Bataillon und den zugeteilten
Artillerieabteilung 400 und Versorgungstruppen 400 deutlich stärker ausgestat-

562
Wie bei der 385. ID gesehen beschränkte sich dies nicht nur auf die Gefechtsart der
Verteidigung. Auch für die 10. ID (mot) fanden sich Beispiele, in denen Unterführer über
die neue Lage orientierten, ihre Absicht schilderten und erst nach Genehmigung durch den
Vorgesetzten handelten. Vgl. z.B. 10. ID (mot)/Ia, KTB, BArch, RH 26-10/9 (3.12.1941).
563
Major i.G. Ferber, GenStdH/Org. I Nr. 3955/43 g.Kdos., Bericht über die Reise zur H.Gr.
Süd vom 12. bis 16.8.43, 17.8.1943, BArch, RH 10/54, Bl. 113. Hitler sah die IDGD als
einen der »Gardeverbände« an. Siehe Halder, KTB, Bd 3, S. 516 (1.9.1942).
564
Durian, Infanterieregiment Großdeutschland greift an, S. 7.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 397

tet als übliche Infanterieregimenter565. In dieser Zusammensetzung nahm das


Regiment am Westfeldzug 1940 sowie am Balkan- und Ostfeldzug 1941 teil.
Anfang März 1942 wurde auf Befehl Hitlers die Erweiterung des verstärkten
Infanterieregiments (mot) »GD« zu einer Infanteriedivision (mot) veranlasst566.
Die neue Division sollte nach den aktuellsten Erfahrungen gegliedert und mit
den besten Waffen und Geräten ausgerüstet zur »modernsten Div. des deutschen
Heeres zusammengefügt werden«567. Sie war deshalb im Vergleich mit den ande-
ren motorisierten Infanteriedivisionen wesentlich besser ausgestattet. So stellte
z.B. Schmidt in der Divisionsgeschichte der 10. Infanteriedivision (mot) weh-
mütig fest:
»Wenn man die Waffenausstattung der Pz.Gren.Div. ›Großdeutschland‹ mit
ihren Panzern, Sturmgeschützen, Nebelwerfern, Pak und der starken Artillerie
mit der Ausstattung der 10. Pz.Gren.Div. verglich, dann sah man erst, welch
›arme Leute‹ wir waren568.«
Diese Feststellung war durchaus keine Übertreibung. Die Kriegsstärkenachweisung
der Infanteriedivision (mot) »GD« sah tatsächlich einen aus verschiedensten
Waffengattungen bestehenden und an schweren Waffen besonders starken, mit
über 18 000 Mann auch personell sehr umfangreichen Großverband vor569.
Die Division gliederte sich infanteristisch in die beiden starken Infanterie-
regimenter »GD« 1 und »GD« 2, die aus drei Schützenbataillonen mit je drei
Schützenkompanien, einer 4. (MG-)Kompanie und einer 5. (schweren) Kompanie
sowie einem schweren Bataillon mit je einer Flak-Kompanie (16. Kompanie), ei-
ner Infanteriegeschützkompanie (17. Kompanie) und einer Panzerjägerkompanie
(18. Kompanie) bestanden570. Das bisherige Infanterieregiment (mot) »GD« ver-
blieb in der Sowjetunion. Ab dem 9. April 1942 wurde es aus der Front heraus-
gelöst und in Rečica (Reichskommissariat Ukraine) personell aufgefrischt sowie
als Infanterieregiment »GD« 1 neu gegliedert571. Das Infanterieregiment »GD« 2
musste wie die übrigen Einheiten und der Divisionsstab ab dem 12. März 1942
auf dem Truppenübungsplatz Wandern im Wehrkreis III (Berlin) neu gebildet
werden. Während das Infanterieregiment »GD« 1 als »alte[s], bewährte[s] und

565
Das schwere IV. Btl. bestand aus der 13. (leichten IG-)Kp., der 14. (Pz.Jäg.)Kp. und
der 15. (schweren IG-)Kp. Am 10.4.1940 kam die 16. (StuG-)Bttr., am 1.7.1940 die
17. (Kradsch.-)Kp. und am 27.9.1940 die 18. (Pi.-)Kp., die 19. (Nachrichten-)Kp. und die
20. (Flak-)Kp. sowie der Stab für ein V. Btl. hinzu, während die Schützenbataillone noch
eine schwere Kp. erhielten. Müller-Hillebrand, Das Heer, Bd 2, S. 140; Tessin, Verbände
und Truppen, Bd 14, S. 98; Schmitz/Thies, Die Truppenkennzeichen, Bd 1, S. 853.
566
OKH/Ch HRüst u BdE/AHA/Ia (I) Nr. 680/42 g.Kdos., 9.3.1942, BArch, RH 26-1005/53.
567
Persönliches Tagebuch von Hobe (TB Hobe), BArch, RH 26-1005/78 (1.4.1942); Die
Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 404.
568
Schmidt, Geschichte der 10. Division, S. 188.
569
Die folgenden Ausführungen zur Aufstellung und Gliederung der IDGD beziehen sich auf:
WK III/Ib/Mob. Az. II A Nr. 173/42 g.Kdos., Betr.: Inf.Div. Großdeutschland, 17.3.1942,
BArch, RH 25-1005/53; Tessin, Verbände und Truppen, Bd 14, S. 99‑102; Müller-
Hillebrand, Das Heer, Bd 3, S. 61; Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland,
Bd 1, S. 404‑426; Scheibert, Panzer-Grenadier-Division Großdeutschland, S. 63 f.
570
Am 1.10.1942 wurde das IRGD 1 in Grenadierregiment »GD«, das IRGD 2 in
Füsilierregiment »GD« umbenannt. Die Schützenbataillone bestanden aus 600‑700 Mann
mit einer reinen Gefechtsstärke von ca. 450 Mann.
571
Tagebuch Hans Rehfeldt (8./IRGD 1), BArch, RH 37/6334 (16.4.1942).
398 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

kampferprobte[s] Regiment« seine Homogenität bewahren konnte, wurde das


Infanterieregiment »GD« 2 aus Abgaben der Wehrkreise I, III, IV, V, VI und
VIII landsmannschaftlich heterogen zusammengesetzt572. Das Artillerieregiment
»GD« wurde aus der bereits unterstellten Artillerieabteilung 400, der I./Artil-
lerieregiment 109, aus der schweren Artillerieabteilung 646 sowie aus Neu-
aufstellungen aus den Wehrkreisen VIII, X, XVII, der Regimentsstab aus dem
Artilleriestab z.b.V. 622 gebildet. Das Regiment bestand aus drei Abteilungen.
Die ersten beiden Abteilungen gliederten sich in je zwei leichte und eine schwere
Feldhaubitzenbatterie, die dritte Abteilung in zwei schwere Feldhaubitzenbatterien
und eine 10-cm-Kanonenbatterie. Jede Abteilung verfügte zudem über eine
Stabsbatterie mit Nachrichtenzug. Hinzu kamen eine schwere Werferbatterie und
eine Panzerbeobachtungsbatterie. Darüber hinaus verfügte die Infanteriedivision
(mot) »GD« artilleristisch noch über eine Sturmgeschützabteilung »GD« mit
drei Batterien und eine Heeres-Flakartillerieabteilung »GD« mit drei schweren
(8,8-cm-Kanone) und zwei mittleren (3,7-cm auf Selbstfahrlafette) Batterien.
Die Sturmgeschützabteilung wurde aus der bestehenden 16. (Sturmgeschütz-)/
Infanterieregiment »GD« und der Sturmgeschützabteilung 192 durch die
Artillerieschule II (Jüterbog), die Heeres-Flakartillerieabteilung aus der beste-
henden 20. (Flak-)/Infanterieregiment »GD« und verschiedenen Einheiten
durch die Wehrkreise VII und XI aufgestellt. An Schnellen Truppen erhielt
die Division eine Panzerabteilung »GD« mit drei mittleren Kompanien, die
aus der I./Panzerregiment 100 durch den Wehrkreis XI zu bilden war. Das
Kradschützenbataillon »GD« bestand aus einer Panzerspähkompanie, aus zwei
Kradschützenkompanien, wovon eine mit Schützenpanzerwagen ausgestattet war,
aus einer MG-Kompanie und einer schweren Kompanie mit Infanteriegeschütz-,
Panzerjäger- und Pionierzug. Das Bataillon wurde aus der 1. und 2./Auf-
klärungsabteilung 92 sowie aus Abgaben der Wehrkreise II, IV, X und XI auf-
gestellt. Der dritte Verband an Schnellen Truppen war die Panzerjägerabteilung
»GD«, die aus drei Kompanien zusammengesetzt war, wovon die 1. Kompanie
auf Selbstfahrlafetten, die anderen beiden mit Zugmaschinen bewegt wur-
den. Diese Abteilung war aus der Panzerjägerabteilung 643 und Abgaben der
Wehrkreise VIII und IX zu bilden. Das Sturmpionierbataillon »GD« glieder-
te sich in drei Pionierkompanien, eine Brückenkolonne K und eine leichte
Pionierkolonne, die aus dem Sturmpionierbataillon 43 und aus Abgaben des
Wehrkreises VIII aufgestellt wurden. Die Nachrichtenabteilung »GD« umfasste
wie bei der 385. und 10. Division – allerdings vollmotorisiert – eine Fernsprech-
und eine Funkkompanie sowie eine leichte Nachrichtenkolonne und wurde aus
der Nachrichtenabteilung 309 durch den Wehrkreis VI gebildet. Schließlich ge-
hörten zur Division noch entsprechende Sanitäts-, Nachschub-, Verwaltungs-,
Ordnungs- sowie Feldpostdienste.
Bereits im Januar 1943 hatte das OKH geplant, die Division »GD« umzubil-
den und »nach dem Muster der Gliederung der SS ›A.H.‹« (1. SS-Panzerdivision

572
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 411 (Zitat). Angesichts der ho-
hen Verluste in den Winterkämpfen 1941/42 stellt sich aber auch beim IRGD 1 die Frage,
ob man bei den Mannschaftsrängen zu diesem Zeitpunkt noch von einer ausgeprägten
Homogenität sprechen kann. Vgl. Kap. IV.4.b).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 399

Infanteriedivision (mot) »Großdeutschland« (GD)


Kriegsgliederung: Stand April/Mai 1942

Divisions-
stab

Infanterie- Stabs- IV. schweres


regiment I. Bataillon II. Bataillon III. Bataillon
kompanie Bataillon
GD 1

Infanterie- Stabs- IV. schweres


regiment I. Bataillon II. Bataillon III. Bataillon
kompanie Bataillon
GD 2

Artillerie- Beobachter- I. II. III.


regiment Stabsbatterie batterie Abteilung Abteilung Abteilung
GD

Sturmgeschütz- Sturmgeschütz- Sturmgeschütz- Sturmgeschütz-


abteilung Stabsbatterie
batterie batterie batterie
GD

Heeresflak- schwere schwere schwere mittlere mittlere


artillerie- Batterie Batterie Batterie Batterie Batterie
abteilung GD

Panzer- Stabs- mittlere mittlere mittlere


abteilung kompanie Panzer- Panzer- Panzer-
GD kompanie kompanie kompanie

Kradschützen- Maschinen-
Panzerspäh- Kradschützen- Kradschützen- schwere
bataillon gewehr-
kompanie kompanie kompanie Kompanie
GD kompanie (mot)

Panzerjäger- Panzerjäger- Panzerjäger- Panzerjäger-


abteilung kompanie kompanie kompanie
GD

Sturmpionier- Pionier- Pionier- Pionier- Brücken- leichte


bataillon kompanie kompanie kompanie kolonne K Pionierkolonne
GD (mot) (mot) (mot) (mot) (mot)

Nachrichten- Fernsprech- Funk- leichte


abteilung kompanie kompanie Nachrichten-
GD (mot) (mot) kolonne (mot)

Verwaltungs-, Nachschub-, Feldpost-, Ordnungs- und Sanitätsdienste, Kriegsberichterzug sowie Feld-


ersatzbataillon

Quellen: BArch, RH 26-1005/53; Tessin, Verbände, Bd. 14, S. 99–102;


Spaeter, Panzerkorps Großdeutschland, Bd. 1, S. 404–426; © ZMSBw
Scheibert, Panzer-Grenadier-Division Großdeutschland, S. 63 f. 06960-05

»Leibstandarte SS Adolf Hitler«) aufzustellen573. Aufgrund der prekären Gesamtlage


konnte die bis Mitte Februar geplante Umbildung jedoch nicht durchgeführt wer-
den. Zur materiellen und personellen Auffrischung wurde die Division schließlich

573
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (Aktennotiz Ia 13.1.1943).
400 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Ende März 1943 aus der Front herausgenommen und nördlich von Poltava in
einen Ruheraum verlegt574. Dort erfolgte im April/Mai 1943 die bereits im Januar
angekündigte Auffrischung, Ergänzung und Umgliederung575. Die Division er-
hielt eine teilgepanzerte Divisionsbegleitkompanie, ein Schützenpanzerwagen-
Bataillon (I./Grenadierregiment) und eine vierte Artillerieabteilung. Zudem
wurden die Heeres-Flakartillerieabteilung und die Sturmgeschützabteilung ver-
stärkt. Bereits am 13. Januar 1943 war das Panzerregiment »GD« aufgestellt wor-
den, in dem die bisherige Panzerabteilung »GD« zur I. Abteilung wurde, wäh-
rend der Regimentsstab, die II. Abteilung sowie eine schwere Panzerkompanie
(Tiger) durch den Wehrkreis VIII gebildet wurden576. Das Kradschützenbataillon
war unter Beibehaltung seiner bisherigen Gliederung und Ausstattung am
14. Januar 1943 in Panzeraufklärungsabteilung »GD« umbenannt worden. Die
Panzerjägerabteilung und das Sturmpionierbataillon wurden verstärkt, Letzteres
z.T. mit Schützenpanzerwagen ausgestattet. Am 23. Juni 1943 erfolgte gemäß
Verfügung des OKH die Umbenennung der Division in Panzergrenadierdivision
»GD«577.
Der Blick auf die Gliederung und Ausstattung der Infanteriedivision (mot)
»GD« verdeutlicht, weshalb dieser Großverband als Elitedivision des Heeres zu
betrachten ist. Zum einen verfügte die Division über die modernsten Waffen
und Geräte. Die in der Division enthaltenen Panzer, Sturmgeschütze und
Flakartilleriegeschütze brachten in Kombination mit der sehr hohen Ausstattung
an schweren Waffen der Infanterieregimenter eine erhebliche Kampfkraft zusam-
men. Zum anderen war die Division voll motorisiert, z.T. gepanzert, und ver-
fügte damit über eine sehr hohe Beweglichkeit. Obwohl sie bis 1945 als Panzer-
grenadierdivision benannt war, hatte die Division bereits 1942, spätestens aber
mit den Umbildungen und Verstärkungen seit Anfang 1943 nach Gliederung und
Ausstattung »das Gesicht einer verstärkten Panzer-Div.« angenommen578. Auch
der zwischenzeitlich mit der Führung der Division beauftragte Balck attestierte,
dass »die Division Groß-Deutschland [...] wie die SS-Div. mit Material so ausge-
stattet [war], dass es bequem für 2 Pz. Div. gereicht hätte«579. Eine solche materi-

574
Ebd. (27./29.3.1943). IDGD/Ia Nr. 351/43 geh., Divisions-Befehl, 28.3.1943, BArch,
RH 26-1005/30. Teile der Division wurden Ende April 1943 in einen Verfügungsraum
bei Achtyrka verlegt. Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 2, S. 148;
Scheibert, Panzer-Grenadier-Division Großdeutschland, S. 104.
575
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-
1005/10 (Aktennotiz Ia 13.1.1943); Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland,
Bd 2, S. 19, 144‑146; Tessin, Verbände und Truppen, Bd 14, S. 94‑102; Der Panzeroffizier
beim Chef GenStdH Bb. Nr. 121/43 geh., Vortragsnotiz zum Bericht der Tiger-Kompanie
von I.D. »Groß-Deutschland«, 11.4.1943, BArch, RH 10/56; Stoves, Die gepanzerten und
motorisierten deutschen Großverbände, S. 254‑257.
576
Bereits am 1.7.1943 wurde eine III. (Tiger-)Abt. aufgestellt, die im Herbst zur IDGD trat.
577
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 2, S. 149. Tessin, Verbände und
Truppen, Bd 14, S. 94, nennt den 19.5.1943 als Datum der Umbenennung.
578
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (Aktennotiz Ia 6./7.1.1943). Verglichen
mit der Normalgliederung einer PzD von 1942 verfügte die IDGD mit der mittleren Pz.-
und der StuG-Abt. über etwa gleich starke Panzerkräfte, besaß hingegen doppelt soviele
und stärkere Bataillone in den IR und eine eigene Flak-Abt. Vgl. Müller-Hillebrand, Das
Heer, Bd 2, S. 182 f.
579
Balck, Ordnung im Chaos, S. 445. Dort auch das Folgende.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 401

elle und waffenmäßige Ausstattung sollte jedoch nicht nur Vorteile bringen. Balck
kritisierte diese Ausstattung denn auch als »Überfüllung mit Material«, wodurch
die Division »nicht schlagkräftiger, sondern schwerfälliger [...] und schwerer zu
führen« geworden sei580. Außerdem brachte eine solche Massierung an schweren
Waffen und Fahrzeugen gerade auch in Bezug auf den Betriebsstoffverbrauch »er-
hebliche Schwierigkeiten mit sich«, wie sich im weiteren Verlauf des Krieges noch
herausstellen sollte581.

b) Das Personalgefüge und die


Offizierstellenbesetzung der Division

Das Personalprofil der Infanteriedivision (mot) »Großdeutschland«

War bereits der Name ideologisches Programm, so zeigte sich dies erst recht bei
der personellen Zusammensetzung der Division. In der Aufstellungsverfügung
des Wehrkreiskommandos III vom 17. März 1942 wurde festgehalten, dass die
Division »GD« »nach dem Willen des Führers [...] eine besonders hervorgehobe-
ne Stellung im deutschen Heer einnehmen« solle582. Dementsprechend durften
nur »die besten Soldaten« in diese Division aufgenommen werden, d.h. Soldaten,
»die in ihrer inneren und äußeren Haltung dem Idealbild eines Soldaten des
Nationalsozialistischen Großdeutschen Reiches entspr[a]chen«. Dies hieß zu-
nächst einmal, dass die Unteroffiziere und Mannschaften mindestens 1,70 m groß
und aus den jüngsten Geburtsjahrgängen sein mussten sowie keine Brillenträger !
sein durften. Ein Drittel des Bestandes sollte zudem aus Ersatztruppenteilen
(mot) sowie aus Genesenen der Schnellen Truppe entnommen werden, ein Teil
der Unteroffiziere kam direkt von der Heeres-Unteroffizierschule Putlos583. Der
Elitestatus der Division zeichnete sich auch dadurch aus, dass die Division ihr
Personal zukünftig »aus besonders geeigneten länger dienenden Freiwilligen und
Kriegsfreiwilligen aus dem ganzen Reich« rekrutieren konnte und somit »von
dem Odium der ›gewöhnlichen‹ Infanterie« befreit wurde584. Die Frage, wie stark
hingegen die ideologische Komponente bei der Rekrutierung von Freiwilligen ge-

580
Vgl. auch den Brief Balcks an Oberst Stieff vom 14.4.1943, BArch, RH 10/56, Bl. 232 f.
Balck beurteilte darin den »jetzige[n] Zustand« als »organisatorisch untragbar« und schlug
eine möglichst rasche Neugliederung der IDGD vor. Vgl. auch die Ergänzungen des Ia der
IDGD Oberstleutnant i.G. von Natzmer. Ebd., Bl. 237.
581
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (Aktennotiz Ia 13.1.1943).
582
WK III/Ib/Mob. Az. II A Nr. 173/42 g.Kdos., Betr.: Inf.Div. Großdeutschland, 17.3.1942,
BArch, RH 25-1005/53, S. 13‑17. Dort auch das Folgende.
583
Deren Qualität entsprach jedoch nicht immer den Anforderungen, was zu »unerquick-
lichen Auseinandersetzungen zwischen dem Regiment [d.h. IRGD 2] und der Schule«
führte. Rittmeister Dietrich Kuehn, Notizen über Panzer-Füsilier-Rgt. GD, BArch,
RH 37/6350, S. 10.
584
Merkblatt für den Eintritt als Freiwilliger in die »Infanterie-Division (mot) Großdeutsch-
land«, [1942], BArch, RH 26-1005/87, S. 1. Abschrift eines persönlichen Schreibens ei-
nes Rgt.Kdr. der 4. Geb.Div. über »Gedanken zum grundlegenden Befehl Nr. 15« vom
Chef der Ausb.Abt. des GenStdH Nr. 3175/43 g., An die Chefs Op.Abt., Org.Abt. und
Heerwesen-Abt. sowie Gen.d.Inf. im OKH, 8.8.1943, BArch, RH 11 I/44.
402 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

wichtet wurde, kann nur schwer beantwortet werden, da die Akten diesbezüglich
keine Hinweise geben. Die Vorgehensweise während der Aufstellung als Division
lässt allerdings vermuten, dass für die Auswahl der Soldaten primär deren militä-
rische Qualität ausschlaggebend war.
Die Aufstellung der Division durch verschiedene Wehrkreise und die hohen
Qualitätsansprüche an das Personal führten allerdings zu einigen Schwierigkeiten.
So zeigte sich in der ersten Kommandeursbesprechung am 8. April 1942, dass
bei allen Einheiten »größere Lücken personeller und materieller Art« bestan-
den, die teils erst im Mai 1942 und nach Eingreifen des OKH gefüllt wer-
den konnten585. Dies war u.a. darauf zurückzuführen, dass viele der von den
Wehrkreiskommandos abgestellten Soldaten qualitativ nicht den Anforderungen
entsprachen. Besonders drastisch zeigt dies das Beispiel der Panzerjägerabteilung
»GD«. Das vom Wehrkreiskommando IX gestellte Personal war nicht ausgebildet,
teils sogar dienstuntauglich und musste mehrheitlich wieder zurückgeschickt wer-
den. Daher fehlten der Abteilung am 16. April 1942 noch 473 Mann586. Ähnlich
sah es auch bei den Infanterieeinheiten aus, in denen nach einer ersten Kontrolle
25‑30 Prozent der zugeteilten Soldaten als »GD-untauglich« beurteilt und ausge-
mustert wurden, da sie z.B. vorbestraft waren oder körperlich den Anforderungen
nicht genügten587. Besonders aber fehlten Spezialisten wie z.B. Fahrer sowie
Unteroffiziere. Bemerkenswert ist dabei, dass versucht wurde, die Fehlstellen
dadurch ausgleichen zu können, indem »von den sonst gestellten Bedingungen
abgegangen« wurde und somit Abstriche in der Qualität des Personals in Kauf
genommen wurden588. Die Aufstellung der Einheiten verzögerte sich durch solche
Umstände, was letztlich zulasten der Ausbildungszeit gehen sollte. Auch materi-
ell hatte die Division mit erheblichen Problemen zu kämpfen, fehlten doch am
13. April 1942 noch 60 Prozent des Soll-Bestandes an Kraftfahrzeugen – nicht
zuletzt deshalb, weil etliche Fahrzeuge schlicht unbrauchbar waren589. Dies blieb
bis zuletzt ein Problem. Noch zu Beginn der Sommeroffensive am 28. Juni 1942
fehlten z.B. bei der Sturmgeschützabteilung »GD« 75 Prozent der Ausstattung,
weshalb nur eine Batterie eingesetzt werden konnte590.
Wie die Aufstellung der verschiedenen Einheiten erfolgte auch die Offizier-
stellenbesetzung durch mehrere Dienststellen. Involviert waren das Heeres-

585
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (8.4.1942). Am 2.5.1942 war der IIa in die-
ser Sache bei der Abt. IIb des OKH zur Besprechung, woraufhin das OKH die Ergänzung
»mit beste[m] Material« (d.h. Personal) durch die Wehrkreise bis zum 8.5.1942 befahl.
Ebd. (3.5.1942). Allerdings waren am 11.5.1942 immer noch nicht alle Fehlstellen besetzt.
Siehe Meldung IDGD/Ia an WK III, 11.5.1942, BArch, RH 26-1005/6.
586
TB Hobe, BArch, RH 26-1005/78 (12.4.1942); IDGD/Ia, Bemerkungen anlässlich des
Besuches in Wandern, 16.4.1942, BArch, RH 26-1005/6.
587
So die Zahlen für das I./IRGD 2, mit Verweis auf ähnliche Zahlen bei den anderen
Bataillonen. Rittmeister Dietrich Kuehn, Notizen über Panzer-Füsilier-Rgt. GD, BArch,
RH 37/6350, S. 3.
588
Meldung IDGD/Ia an WK III, 11.5.1942, BArch, RH 26-1005/6. Bereits früher schon
entsprach die Qualität des Ersatzes nicht immer den Anforderungen. Vgl. Persönliches
KTB Lt. Koleve (O 2 IRGD), BArch, RH 37/6330 (24.8.1941).
589
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (13.4.1942); IDGD/Ia, Bemerkungen an-
lässlich des Besuches in Wandern, 16.4.1942, BArch, RH 26-1005/6.
590
IDGD/Ia Nr. 39/42 g.Kdos., Betr.: Planspiel I, 12.6.1942, BArch, RH 26-1005/6.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 403

personalamt für den Divisionskommandeur, den Divisionsadjutanten, den


1. Ordonnanzoffizier sowie die Kompaniechefs des Infanterieregiments »GD« 2
und des Kradschützenbataillons »GD«, der Generalstab des Heeres für die
Generalstabsoffiziere und die für die Aufstellung der übrigen Verbände zustän-
digen Wehrkreiskommandos für die jeweiligen Offiziere dieser Verbände591. Wie
bei den Unteroffizieren und Mannschaften sollte die neue Division »GD« eben-
falls mit besonders bewährten Offizieren versehen werden. Sonderbeauftragte
des Aufstellungsstabes der Division waren deshalb bevollmächtigt, aus allen
Wehrkreisen und anderen Truppenteilen Offiziere auszusuchen, allerdings wollte
verständlicherweise »niemand [...] seine besten Off[i]z[iere]«592 abgeben. Wie die
Überprüfung des neu zur Division versetzten »Offiziersmaterials« rasch zeigte, ent-
sprach es nicht immer den Vorstellungen der Division593. So wurde am 23. April
1942 bei der Panzerjägerabteilung z.B. nur ein Kompaniechef »als brauchbar«
beurteilt, während drei Leutnants »ausgetauscht« werden mussten. In einer
Kommandeursbesprechung vom 5. Mai 1942 wies der Divisionskommandeur
deshalb darauf hin, dass ungeeignete Offiziere unbedingt vor der Verlegung der
Division auszumustern seien, wobei er betonte, dass »charakterliche Fehler« –
und dabei »vor allem Mangel an Passion« – »schlimmer [seien] als körperliche !
Mängel«594. Dieser Aspekt beschäftigte die Divisionsführung auch noch Ende
Juli 1942. Nach Auffassung des Divisionskommandeurs besaß selbst zu diesem
Zeitpunkt noch »ein Teil der Off[i]z[iere]« bezüglich der Form des Auftretens und !
der Disziplin »so wenig Verständnis und Anlagen (Kinderstube!) [...], so dass sie
auf längere Sicht hin kein Aushängeschild der Div. sein können« und deshalb »bei
passender Gelegenheit zu entfernen« seien595.
Insgesamt zeigt das Personalprofil der Division während ihrer Aufstellung,
dass sie zwar deutlich besser gestellt war als die 385. Infanteriedivision und
die 10. Infanteriedivision (mot), die praktische Umsetzung der Aufstellungs-
bestimmungen jedoch einige Probleme bereitete. Zum einen bestand wie bei
der 385. Infanteriedivision das Problem, dass die Division aus verschiedenen
Wehrkreisen aufgestellt werden musste. Dabei führte der hohe Spezialisierungsgrad
der Division an verschiedenen Waffengattungen automatisch zu einer ho-
hen Anzahl beteiligter Wehrkreise – insgesamt waren zwölf Wehrkreise an der
Aufstellung beteiligt! Dieses Bild zeigte sich jedoch auch im Kleinen, wurde doch
z.B. das Infanterieregiment (mot) »GD« 2 durch fünf Wehrkreise aufgestellt596.
Auch die örtliche Trennung des Infanterieregiments »GD« 1 vom Rest der
Division vereinfachte nicht gerade das »Zusammenschweißen« der heterogenen

591
WK III/Ib/Mob. Az. II A Nr. 173/42 g.Kdos., Betr.: Inf.Div. Großdeutschland, 17.3.1942,
BArch, RH 25-1005/53, S. 13.
592
TB Hobe, BArch, RH 26-1005/78 (2.4.1942).
593
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (23.4.1942). Dort auch das Folgende.
594
Punkte für Besprechung, [5.5.1942], BArch, RH 26-1005/6.
595
Besprechungspunkte für die Kommandeur-Besprechung, [31.7.1942], BArch,
RH 26-1005/7.
596
WK III/Ib/Mob. Az. II A Nr. 173/42 g.Kdos., Betr.: Inf.Div. Großdeutschland, 17.3.1942,
BArch, RH 25-1005/53, S. 3; Rittmeister Dietrich Kuehn, Notizen über Panzer-Füsilier-
Rgt. GD, BArch, RH 37/6350, S. 3. Die einzelnen Kompanien wurden jedoch landsmann-
schaftlich homogen zusammengestellt. Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland,
Bd 1, S. 419.
404 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Verbände zum Großverband. Zum anderen stand die Aufstellung der Division
unter einem erheblichen Zeitdruck. So drängte das OKH immer wieder auf ei-
nen raschen Abschluss und die baldige Marschbereitschaft. Schließlich befahl das
OKH am 21. Mai 1942 trotz Einwand des Ia die Verlegung der Division bis zum
2. Juni 1942 nach Rogačev597. Damit dauerte die Aufstellung der Division »GD«
nur gerade sieben Wochen, was viel zu kurz war, um einen solchen Großverband !
richtig ausbilden zu können. Diese Ausbildung als Verband war nicht nur wich-
tig, weil die neu aufgestellten Einheiten wie erwähnt zuerst noch »zusammen
eins« werden mussten, sondern auch deshalb, weil viele Unterführer nur über
wenige oder gar keine Erfahrungen in der Führung motorisierter Einheiten ver-
fügten598. Trotzdem erfolgte die Verlegung der Division ins Kriegsgebiet letztlich,
bevor die Verbandsausbildung beendet werden konnte599.
Bei all dem darf nicht vergessen werden, dass sich die Umbildung des Infan-
terieregiments (mot) »GD« zu einer Division wie eine Neuaufstellung auswirk-
te. Bereits das Beispiel der 10. Infanteriedivision (mot) hatte gezeigt, dass diese
Division vom Juni 1941 bis Frühjahr 1942 hohe Verluste bei Mannschaften und
Führern erlitten hatte, was sich entsprechend auf die Qualität der personellen
Zusammensetzung ausgewirkt hat. Beim Infanterieregiment (mot) »GD« lag
die Personalfluktuation noch höher. Der Einsatz als Eliteverband hatte es mit
sich gebracht, dass das Infanterieregiment (mot) »GD« bis Frühjahr 1942 prak-
tisch ununterbrochen an Krisenherden verwendet wurde und sich unter den
Landsern den zweifelhaften Ruf einer »ausgesprochene[n] ›Knochenmühle‹«600
erworben hatte. Das Regiment verlor zwischen dem 22. Juni 1941 und dem
6. Januar 1942 insgesamt 4070 Soldaten, darunter 125 Offiziere, d.h. etwa
zwei Drittel seines Bestandes601. Besonders hoch lagen die Ausfälle bei den
Kompanie- und Zugführern, sodass gemäß Helmuth Spaeter Ende September
1941 sogar »Gefreite und Obergefreite Offiziers-Funktionen ausüben mussten« !
und Unteroffiziere Kompanien führten602. Die hohen Verluste auch bei den
Mannschaften führten Ende Januar 1942 dazu, dass das III. Schützenbataillon

597
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (13.4./21.5.1942); TB Hobe, BArch,
RH 26-1005/78 (14.5.1942).
598
Tagebuch Hans Rehfeldt (8./IRGD 1), BArch, RH 37/6334 (20.4.1942) (Zitat). Siehe z.B.
Rittmeister Dietrich Kuehn, Notizen über Panzer-Füsilier-Rgt. GD, BArch, RH 37/6350,
S. 6.
599
Die einzige geplante Divisionsübung hatte am 16.5.1942 mangels Betriebsstoff abge-
sagt werden müssen. IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (16.5.1942). Auch
Regiments- und Bataillonsübungen waren »so gut wie unmöglich« gewesen. Meldung
IDGD/Ia an WK III, 11.5.1942, BArch, RH 26-1005/6.
600
Rittmeister Dietrich Kuehn, Notizen über Panzer-Füsilier-Rgt. GD, BArch, RH 37/6350,
S. 4.
601
Von den 4070 Verlusten waren 900 Gefallene (davon 36 Offiziere), 3056 Verwundete (da-
von 89 Offiziere) und 114 Vermisste. Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland,
Bd 1, S. 385; Scheibert, Panzer-Grenadier-Division Großdeutschland, S. 57. Bartov
rechnet die 125 Offiziere fälschlicherweise zu den 4070 Verlusten hinzu. Bartov, Hitlers
Wehrmacht, S. 70.
602
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 317 (Zitat), 337 f., 376, 390.
Auch im Herbst 1942 und vermehrt ab 1943 kam es dazu, dass Unteroffiziere, Obergefreite
und Gefreite Kompanien oder ihre Reste führten. Vgl. z.B. Füs.Rgt.GD, KTB, BArch,
RH 37/6395 (30.9.1942); II./IRGD 1, KTB, BArch, RH 37/6337 (26.7./5.‑17.9.1943).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 405

aufgelöst und seine Angehörigen auf das I. und II. Bataillon verteilt werden muss-
ten, die jedoch bis zum 19. Februar 1942 ihrerseits auf einen Bestand von je
etwa 60 Mann geschrumpft waren. Am 20. Februar 1942 wurden sie deshalb zu
einem »Schützenbataillon ›GD‹« mit drei Kompanien zusammengefasst, das am
selben Tag allerdings nochmals hohe Verluste hatte und schließlich nur noch über
drei Offiziere und 30 Unteroffiziere und Mannschaften verfügte. Erst mit dem
Eintreffen von Ersatz am 28. Februar 1942 verbesserte sich die Personalsituation,
zunächst konnten jedoch nur das I. und II. Schützenbataillon wieder aufgestellt
werden603. Bei solchen Ausfallquoten veränderte sich das Gesicht des Regiments
notwendigerweise, selbst wenn nicht alle Ausfälle durch Gefallene zu verzeichnen
waren und bei der Besetzung der Führerstellen eine gewisse Kontinuität festzu-
stellen ist, wie die Analyse des Führerkorps nachfolgend noch zeigen wird604.

Die Divisionsführung

Langjähriger Kommandeur des Infanterieregiments, später der Infanteriedivision


»GD«, war Walter Hoernlein605. Der 1893 geborene Hoernlein war Brandenburger
und hatte als Leutnant am Ersten Weltkrieg teilgenommen, war aber bereits
Anfang Oktober 1914 verwundet in französische Kriegsgefangenschaft geraten. *
Nach dem Krieg als Oberleutnant in die Reichswehr übernommen, wurde er
1927 zum Hauptmann, 1934 zum Major und 1937 zum Oberstleutnant beför-
dert. Hoernlein bekleidete verschiedene Funktionen und war zuletzt seit Oktober
1935 Bataillonskommandeur im Infanterieregiment 69. Am 1. November 1939
wurde er zum Kommandeur des Infanterieregiments 80 ernannt und am 1. April
1940 zum Oberst befördert. Für seine Leistungen während des Westfeldzuges
wurde ihm am 30. Juli 1940 das Ritterkreuz verliehen606. Mit dem 1. August
1941 war Hoernlein zum Kommandeur des Infanterieregiments »GD« ernannt
worden607. Er führte das Regiment erfolgreich und wurde im Frühjahr 1942 als
»bes[onders] bewährter Rgt.Kdr« beurteilt608. Am 1. April 1942 wurde Hoernlein
bei gleichzeitiger Beförderung zum Generalmajor mit der Führung über die
neu aufzustellende Division »GD« beauftragt, am 1. Mai 1942 erfolgte die end-
gültige Ernennung zum Kommandeur. Dies ist insofern bemerkenswert, weil

603
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 391‑398. Die 33 Personen
stellten den Rest der drei Schützenbataillone dar und nicht wie von Bartov behauptet die
Überreste des gesamten IRGD. Bartov, Hitlers Wehrmacht, S. 71.
604
Z.B. bei den Rgt.Kdr., die im Westfeldzug 1940 Bataillonskommandeure waren. Auch an-
dere erfahrene Kommandeure kehrten nach ihrer Genesung zur Truppe zurück. Gerade bei
den Unterführern bis Kompaniestufe war der Anteil der Ausfälle – wie auch bei den anderen
Fallbeispielen gesehen – jedoch relativ hoch. Vgl. Die Geschichte des Panzerkorps Groß-
deutschland, Bd 1, S. 276‑308; 419. I./IRGD, KTB, BArch, RH 37/6332 (14.10.1941).
605
Die folgenden Ausführungen zur Laufbahn beziehen sich auf: OKH/HPA/Ag P1/Chef-
Abt. (b), »Generalskartei«, BArch, RH 7/700; Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die
Generale des Heeres, Bd 6, S. 48 f.
606
Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 397.
607
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 308.
608
OKH/HPA/Ag P1/Chef-Abt. (b), »Generalskartei«, BArch, RH 7/700 (Beurteilungsnotiz
von Gen.d.Pz.Tr. Joachim Lemelsen, 10.4.1942).

*Friedensausbildung
406 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Hoernlein über keinerlei Erfahrung in der Führung und dem taktischen Einsatz
eines vollmotorisierten Großverbandes besaß609. Bis Januar 1944 verblieb er in
dieser Verwendung. Auch als Divisionskommandeur bewährte sich Hoernlein.
Besonders zeichnete er sich in den »schweren Kämpfe[n] um Reshew« (Ržev)
im Herbst und Winter 1942 »durch schwungvolle u. sichere Führung« aus610.
Bereits am 1. Januar 1943 erfolgte Hoernleins Beförderung zum Generalleutnant.
Nachdem er am 14. Februar 1943 mit dem Deutschen Kreuz in Gold ausgezeich-
net worden war, erhielt er für die Leistungen der Division in den Kämpfen um
Char’kov am 14. März 1943 das Eichenlaub zum Ritterkreuz611. Am 27. Januar
1944 löste ihn Hasso von Manteuffel als Divisionskommandeur ab, Hoernlein
selbst wurde in die Führerreserve OKH versetzt612.
Die lange Verwendung als Kommandeur des Infanterieregiments bzw. der
Division »GD« sowie seine weitere Laufbahn deuten an, dass Hoernlein zwar
als tapferer und erfolgreicher Frontkommandeur eingeschätzt wurde, zu diesem
Zeitpunkt aber die Grenzen seiner militärischen Leistungsfähigkeit erreicht hat-
te. Auszüge aus Beurteilungsnotizen bestätigen diese Einschätzung613. So wur-
de er zwar als »ausgezeichneter« Divisionskommandeur qualifiziert, der über-
durchschnittlich führte, jedoch bloß »taktisch durchschnittlich begabt« war614.
General der Infanterie Wöhler (Armeeoberkommando 8) beurteilte Hoernlein
am 27. Januar 1944 im Gesamturteil noch als überdurchschnittlich und sah ihn
als Kommandierenden General eines »Ausb[ildungs]Korps«. Hoernlein erhielt
zunächst Urlaub, wurde ab 1. Juni wieder als »voll einsatzfähig« eingestuft und
ab dem 1. August 1944 kurze Zeit mit der Führung des LXIV. Reservekorps
beauftragt. Ab dem 7. September führte er das LXXXII. Armeekorps. Am
1. November 1944 folgte die Ernennung Hoernleins zum Kommandierenden
General des LXXXII. Armeekorps, am 9. November die Beförderung zum
General der Infanterie. Schon am 1. Dezember wurde er jedoch in die Führer-
reserve OKH versetzt. Dies war eindeutig auf die Beurteilungen seiner Leistung
als Kommandierender General des LXXXII. Armeekorps zurückzuführen. Am
18. November 1944 hatte der Oberbefehlshaber der 1. Armee General der
Panzertruppe Otto von Knobelsdorff zwar den »sehr anständige[n], zuverläs-
sige[n] Char[akter]« Hoernleins hervorgehoben und ihn als »sehr tapfer, kri-

609
Hoernlein war Infanterist, hatte keinen entsprechenden Ausbildungslehrgang besucht und
auch keine Division zwischenzeitlich zur Einarbeitung geführt. Obwohl er sich als Rgt.
Kdr. bewährt hatte, stellt sich die Frage, wieso für die Führung einer Elitedivision ein dafür
eigentlich nicht ausgebildeter Oberst eingesetzt wurde. Die vorhandenen Regiments- und
Divisionsakten sowie Hoernleins Karteiakten gaben darüber leider keinen Aufschluss.
610
OKH/HPA/Ag P1/Chef-Abt. (b), »Generalskartei«, BArch, RH 7/700 (Beurteilungsnotiz
von Gen.d.Inf. Carl Hilpert, 9.1.1943).
611
Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 6, S. 48; Die Geschichte des
Panzerkorps Großdeutschland, Bd 2, S. 123 f.
612
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 2, S. 434.
613
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: OKH/HPA/Ag P1/Chef-Abt. (b),
»Generalskartei«, BArch, RH 7/700.
614
So die Beurteilung von Gen.d.Pz.Tr. Kempf vom 12.4.1943. Hoth bemängelte am
15.8.1943 zudem, dass Hoernlein das Verständnis für die Führung von Panzerverbänden
fehle, da er »s[einer] ganzen Vorbildung u. Veranlagung nach ausgespr[ochener] Inf[anterist]
u. Exerziermeister« sei.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 407

senfest und [als] Steher« bezeichnet. Gleichzeitig beurteilte er ihn aber auch als
»geistig durchschnittl[ich] begabt« und »daher etwas langsam«. Dies würde – so
Knobelsdorff – zudem noch dadurch verstärkt, dass er »gesundheitl[ich] nicht auf
der Höhe« und zu diesem Zeitpunkt für die Führung des Korps deshalb nicht
voll geeignet sei. Nach »Wiederherstellung d[er] Gesundheit« solle Hoernlein
nach Ansicht Knobelsdorffs jedoch als Kommandierender General »an ruhiger
Front unter einfachen Verhältnissen mit einem guten Chef« eingesetzt werden.
Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe G (Balck) schloss sich dem Urteil
Knobelsdorffs nicht an, »da es ›ruhige Fronten‹ nicht mehr gibt«, und sprach
Hoernlein die Eignung zum Kommandierenden General eines Armeekorps ab.
Aufgrund seiner Leistungen als Divisionskommandeur schlug Balck jedoch vor,
Hoernlein für die Führung eines Stellvertretenden Generalkommandos vorzu-
sehen, was vom Oberbefehlshaber West (Rundstedt) gutgeheißen wurde. Daher
wurde Hoernlein vom 5. bis 24. Dezember 1944 zur Einarbeitung als stellver-
tretender Kommandierender General zum Wehrkreiskommando X (Hamburg)
kommandiert. Mit dem 1. Februar 1945 erfolgte die Ernennung zum stell-
vertretenden Kommandierenden General und Befehlshaber im Wehrkreis II
(Stettin). In seiner letzten Verwendung ab dem 28. April 1945 war Hoernlein
Kommandierender General des XXVII. Armeekorps615.
Die Beurteilungsnotizen sowie seine Verwendung seit 1944 haben ge-
zeigt, dass Hoernlein nicht zur obersten militärischen Führungselite zu zählen
ist. In diesem Punkt ähnelt seine Laufbahn derjenigen von Schmidt. Bis zur
Verwendung als Divisionskommandeur verlief der Werdegang Hoernleins je-
doch eindeutig schneller616. Während Schmidt innerhalb von vier Jahren und
neun Monaten vom Oberst zum Generalleutnant aufstieg, benötigte Hoernlein
dafür ganze zwei Jahre weniger. Zwar bewährte sich Hoernlein wie gesehen als
Regiments- und Divisionskommandeur, Gleiches galt jedoch auch für Schmidt.
Die prestigeträchtige Verwendung als Kommandeur eines Eliteverbandes und die
damit verbundenen Einsätze dürften deshalb sicher auch wesentliche Faktoren
für den schnelleren Aufstieg gewesen sein, mangels Personalakten kann dies
jedoch nicht abschließend beurteilt werden617. Entscheidender für die Frage
des Führungsverhaltens war jedoch die mit zweieinhalb Jahren relativ lange
Verwendungsdauer Hoernleins im selben Verband, wobei die Umbildung vom
Regiment zur Division wiederum spezielle Rahmenbedingungen bot618. Für die

615
Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 6, S. 49.
616
Noch deutlich schneller wurde hingegen Eibl befördert, der wie gesehen innerhalb von
weniger als zwei Jahren und unter ungünstigeren Vorbedingungen vom Oberst zum
Generalleutnant aufstieg.
617
Verschiedene Bemerkungen weisen darauf hin, so z.B. Mansteins Ergänzung vom 18.8.1943,
dass die weitere Verwendung Hoernleins »seinen bisherigen Leistungen voll Rechn[ung] tra-
gen« müsse. OKH/HPA/Ag P1/Chef-Abt(b), »Generalskartei«, BArch, RH 7/700. Möglich
wäre deshalb etwa eine »vorzugsweise Beförderung bei Bewährung« gemäß den Verfügungen
OKH/PA 1. Staffel Nr. 21/42 vom 4.11.1942 sowie Chef PA/1. Staffel Nr. 22/42 vom
5.11.1942, abgedr. in: Rangliste des deutschen Heeres 1944/45, S. 355‑359.
618
Insofern entsprachen die zweieinhalb Jahren eigentlich zwei Verwendungen (als Rgt.Kdr.
und Div.Kdr.). Die Verwendungsdauer von knapp 22 Monaten als Div.Kdr. war nicht au-
ßergewöhnlich, zeigt im Vergleich mit seinem Nachfolger Manteuffel aber den Unterschied
zu einem für höhere Kommandofunktionen vorgesehenen General auf, führte dieser die
408 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Führungskultur innerhalb der Division »GD« stellte »Papa Hoernlein« – wie er


von der Truppe auch genannt wurde – daher die bestimmende Figur dar, die »das
Schicksal des Verbandes in allen Lagen geteilt und sein Gesicht geprägt hat«619.
Der Ia der Division Major i.G. Cord von Hobe charakterisierte Hoernlein nach
der ersten Begegnung als »rauhe[n], prächtige[n] Soldat[en] [...] mit viel Schwung
und voller Pläne«620 und Spaeter beschrieb ihn als »alte[n] Haudegen«621. Auch von
Vorgesetzten wurde er als »ausgesprochene Soldatenpersönlichkeit« (Lemelsen)
und Truppenführer bezeichnet, der »s[einer] ganzen Pers[önlichkeit] nach der ge-
gebene Kdr. e[iner] Elitediv[ision]« sei (Hoth). Was damit gemeint sein könnte,
verdeutlicht eine Beurteilungsnotiz vom Januar 1944. Darin wurde Hoernlein
als »leidenschaftlicher Soldat« beurteilt, der »sehr tatkräftig und einsatzfreudig«
sowie »mitreißend durch pers[önliche] Tapferkeit« auftrat und bei seiner Truppe
»höchste Verehrung« genoss (Wöhler)622. Der Brandenburger Hoernlein sah sich
darüber hinaus explizit der preußisch-deutschen Militärtradition verpflichtet.
In seinem letzten Tagesbefehl als Divisionskommandeur betonte er, dass er sich
»nach Kräften bemüht [habe], in der Division altes, preußisches Soldatentum« zu
vermitteln, wobei er dieses auch »mit den Ideen unseres Führers« zu verbinden
suchte623. Wie sich dies auf den Führungsstil dieses Verbandes auswirkte, wird
weiter unten dargestellt.

Der Divisionsstab

Mit der Umbildung des Infanterieregiments (mot) »GD« zur Division musste
auch der Divisionsstab neu aufgestellt werden. Dieser trat erstmals am 1. April
1942 in Döberitz zusammen624. Als Ia wurde der erwähnte Major i.G. von Hobe
zur Division versetzt, der vom Armeeoberkommando 4 kam625. Hobe hatte

PzGrD »GD« doch nur vom 27.1.‑31.8.1944. Danach wurde er befördert und als OB
der 5. Panzerarmee verwendet. Scheibert, Panzer-Grenadier-Division Großdeutschland,
S. 141‑143; Meyer, Hasso von Manteuffel, S. 92. Soweit ersichtlich wurde Hoernleins
Kommandeurszeit nur einmal krankheitshalber unterbrochen (25.3.‑1.7.1943). Vom
3.4.‑10.6.1943 führte Balck die Division, danach bis zur Rückkehr Hoernleins der
Kdr. des Pz.Rgt. »GD« Oberst d.R. Hyazinth Graf Strachwitz von Groß-Zauche und
Camminetz. OKH/HPA/Ag P1/Chef-Abt. (b), »Generalskartei«, BArch, RH 7/700;
Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 1, S. 178; Balck, Ordnung
im Chaos, S. 444 f.
619
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 2, S. 433.
620
TB Hobe, BArch, RH 26-1005/78 (1.4.1942).
621
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 533.
622
Urteile von Lemelsen am 10.4.1942, von Hoth am 15.8.1943 und von Wöhler am
27.1.1944. OKH/HPA/Ag P1/Chef-Abt. (b), »Generalskartei«, BArch, RH 7/700. Dieses
»persönliche Draufgängertum« und sein »unzählige Male in vorderster Linie bewiesene[r]
Schneid« brachten ihm z.B. das erwähnte Eichenlaub zum RK ein. IDGD/Ia, KTB, Nr. 2,
BArch, RH 26-1005/10 (15.3.1943).
623
Tagesbefehl der PzGrD GD vom 26.1.1944, abgedruckt in: Die Geschichte des Panzerkorps
Großdeutschland, Bd 2, S. 433 f.
624
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (1.4.1942).
625
Halder, KTB, Bd 3, S. 417 (22.3.1942). Hobe war Halders Schwiegersohn. Brief Halders
an Blumentritt, 16.5.1951, BArch, N 252/8.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 409

die Division Ende Oktober für zwei Wochen verlassen, um »im Rahmen eines
Frontkommandos« die Führung eines Bataillons der 253. Infanteriedivision zu
übernehmen. In dieser Zeit wurde er durch den Ib vertreten626. Erstaunlicherweise
wurde mit Hobes Verwendung als Ia nach dem Divisionskommandeur auch die
zweitwichtigste Stelle der Division mit einem Offizier besetzt, der über keinerlei
Erfahrung in der Führung eines solchen Großverbandes verfügte. Dies wurde ?
ihm später von höherer Stelle auch vorgeworfen und führte schließlich zu sei-
ner Ablösung627. Am 26. Dezember 1942 verließ Hobe die Division und wur-
de durch Oberstleutnant i.G. Oldwig-Otto von Natzmer ersetzt, der zuvor Ia
des XXXIX. Panzerkorps und zuletzt Ia der neu aufgestellten 26. Panzerdivision
war628. Der erfahrene Natzmer bewährte sich sehr als Ia und wurde u.a. am
2. April 1943 mit dem Deutschen Kreuz in Gold und am 4. September 1943
mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Er verließ im Juli 1944 die Division im Rang
eines Generalmajors629.
Die übrigen Funktionen des Divisionsstabes wurden zum Zeitpunkt der
Aufstellung der Division mit »sehr jung[en]« Offizieren »ohne Erfahrung in ei-
nem Stabsbetrieb« besetzt630. Zum Ib war der aus der Panzerwaffe stammende
Hauptmann kdt.z.Gen.St. (später Major i.G.) Kurt Kauffmann ernannt worden.
Damit war zumindest ein Offizier der Panzertruppe im Divisionsstab vertre-
ten, der zudem für die Versorgung zuständig war. Er verließ die Division am
30. November 1942 und wurde zum Armeeoberkommando 4 versetzt. Sein
Nachfolger wurde Hauptmann i.G. Klaus Monshausen, der direkt aus den
Generalstabslehrgängen kam. Nicht unerheblich für einen Großverband von
der Größe der Division »GD« war auch der Divisionsnachschubführer, der die
Nachschub- und Verwaltungseinheiten der Division führte. Mit dieser Aufgabe
wurde der erfahrene Major Gericke betraut, der schon im Infanterieregiment
»GD« Ib gewesen war. Die Funktion des Ic wurde durch Oberleutnant d.R. Karl
Michel, ab dem 15. Januar 1943 durch Oberleutnant d.R. Otto Ritter wahrge-
nommen, der zuvor als O 3 Gehilfe des Ic gewesen war. Divisionsadjutant und
IIa war Hauptmann (später Major) (akt.) Theodor Bethke, der im Westfeldzug
1940 Kompaniechef, im Ostfeldzug 1941 Regimentsadjutant war und im April

626
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (27./28.10.1942).
627
Der K.G. des XXIII. AK (Hilpert) eröffnete Hobe, er sei »noch nicht fähig genug und
zu pessimistisch« und solle erst Korps-Ia werden. TB Hobe, BArch, RH 26-1005/78
(8./20.12.1942). Hobe scheint ein Bauernopfer gewesen zu sein. Der negative Verlauf der
Kampfhandlungen im Lučesa-Tal (Kap. IV.4.c) hatte zu erheblichen Unstimmigkeiten und
gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Division und Gen.Kdo. bzw. AOK geführt.
Zwischenzeitlich erwog das OKH sogar, die IDGD aufzulösen bzw. Hoernlein abzulö-
sen, was aber doch nicht geschah, da Letzterer gemäß Hobe »beim Führer gut angeschrie-
ben« war. Hobe war zudem wie erwähnt der Schwiegersohn des kurz zuvor entlassenen
Halders. Nach Hobe hatte es offenbar schon von Beginn an Vorwürfe gegeben, dass er
diese Funktion nur deshalb erhalten habe. Vgl. auch Die Geschichte des Panzerkorps
Großdeutschland, Bd 1, S. 654 f.
628
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (26.12.1942).
629
Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 562; Rangliste des deutschen Heeres 1944/45, S. 75.
630
So das Urteil Hobes. TB Hobe, BArch, RH 26-1005/78 (2.4.1942).
410 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

als Kompaniechef zunächst die 8./Infanterieregiment »GD« 2 neu aufstellte und


führte631.
Insgesamt zeigt sich bei der Zusammensetzung des Divisionsstabes ein er-
staunliches Bild. Obwohl die Division aufgrund ihrer Sondergliederung schwer
zu führen war, konnten die wichtigsten Funktionen im Divisionsstab nicht mit er-
fahrenen Stabsoffizieren besetzt werden. Dies änderte sich erst mit der Versetzung
Natzmers im Dezember 1942. Die Stellenbesetzung der Division »GD« unter-
scheidet sich deshalb auch nur geringfügig von derjenigen der 385. Infanterie-
division und gar nicht von derjenigen der 10. Infanteriedivision (mot), die im
Ic-Bereich sogar besser bestellt gewesen zu sein scheint.

Das Führerkorps in den Verbänden der Division

Die Offizierstellenbesetzungen der Verbände der Division »GD« sind nur noch
lückenhaft zu bestimmen. Die Division hatte aufgrund ihrer Verwendung als
»Feuerwehr der Ostfront«632 hohe Offizierverluste und entsprechend häufige
Wechsel zu verzeichnen. Zudem fehlen mit Ausnahme derjenigen des Divisions-
stabes sämtliche Kriegsranglisten. Eine detaillierte Analyse der Offizierstellen-
besetzung wurde dadurch unmöglich gemacht. Anhand der einschlägigen Literatur
zur Division »GD« konnten aber wenigstens die Regimentskommandeure sowie
die Mehrheit der Bataillons- bzw. Abteilungsführer eruiert werden. Die Analyse
beschränkte sich dabei auf die Hauptmittel der Division: auf die Infanterie sowie
– mit Abstrichen – auf die Artillerie und die Einheiten der Schnellen Truppe.
Zum Kommandeur des Infanterieregiments (mot) »GD« 1 wurde im Januar
1942 Oberst (akt.) Otto Köhler ernannt, der vor dieser Ernennung beim Stab
der Heeresmission in Rumänien verwendet wurde. Er war allerdings bereits
vom 1. September 1939 bis zum 7. Oktober 1940 Bataillonskommandeur im
damaligen Infanterieregiment (mot) »GD« gewesen und entsprechend kein
Unbekannter. Köhler fiel am 1. Dezember 1942 als Regimentskommandeur im
Lučesa-Tal633. Mit ihm war auch sein Nachfolger schwer verwundet worden. Als
Führer des Regiments wurde kurzfristig Major (akt.) Karl Lorenz eingesetzt, der
Kommandeur des Sturmpionierbataillons »GD«634. Bereits am 16. Dezember
1942 wurde Lorenz allerdings durch Oberst (akt.) Kurt Moehring ersetzt, der bis

631
Kriegsrangliste sämtlicher Offiziere und Beamten im Offizierrang des Stabes der Inf.
Div. Großdeutschland, BArch, RH 26-1005/50; IDGD, Diensteinteilung der Führungs-
abteilung und Ib-Abteilung, 24.5.1942, BArch, RH 26-1005/6; Kriegsrangliste sämtli-
cher Offiziere und Beamten im Offizierrang des Stabes der Pz.Grenadier-Division Groß-
deutschland, BArch, RH 26-1005/51; Persönliches KTB Lt. Koleve (O 2 IRGD), BArch,
RH 37/6330 (30.6.1941); Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1,
S. 401‑429.
632
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 670. Bezeichnend hieß die
Frontzeitung der IDGD »Die Feuerwehr«. Siehe Scheibert, Panzer-Grenadier-Division
Großdeutschland, S. 204 (Abb.), sowie BArch, RH 26-1005/84.
633
Köhler war einer der wenigen Regimentskommandeure ohne RK. Bradley/Hildebrand/
Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 7, S. 58 f.
634
TB Pflugmacher, BArch, RH 26-1005/80 (1.12.1942); OKH/HPA/Ag P1/Chef-Abt. (b),
»Generalskartei«, BArch, RH 7/709.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 411

zu diesem Zeitpunkt Kommandeur des Grenadierregiments 82 (31. Infanterie-


division) gewesen war; die Verwendung Moehrings erfolgte wohl auf Anordnung
einer vorgesetzten Kommandobehörde, da sie – wie Spaeter bemerkt – »nicht
ganz im Sinne der I.D. GD« war635. Moehring verblieb nur kurz bei der Division
und wurde bereits Anfang Januar 1943 wieder versetzt. Erneut übernahm Lorenz
die Führung des Regiments, der als späterer Eichenlaubträger zu den hoch de-
korierten Offizieren der Division gehörte636. Seine Laufbahn als Truppenführer
ist besonders interessant, da sie ein ausgeprägtes Beispiel für die oben ange-
sprochene Führungskontinuität innerhalb der Division darstellt. Seit Juli 1942
Bataillonskommandeur in der Division, wurde er am 1. Februar 1943 offiziell
zum Regimentskommandeur ernannt. In dieser Verwendung verblieb er bis zum
1. August 1944. Danach nahm er am 13. Divisionsführerlehrgang und an ei-
nem Kurzlehrgang für Panzeroffiziere teil und wurde am 4. September 1944 mit
der Führung der Panzergrenadierdivision »GD« beauftragt. Am 9. November
1944 erfolgten seine Beförderung zum Generalmajor und die Ernennung zum
Divisionskommandeur. Er führte die Division bis zum Kriegsende637.
Kommandeur des neu aufgestellten Infanterieregiments (mot) »GD« 2 war
Oberst (akt.) Eugen Garski, der vom 1. Mai 1939 bis August 1941 ebenfalls
Bataillonskommandeur im Infanterieregiment (mot) »GD« war. Zwischenzeitlich
als Lehrgangskommandeur an der Infanterieschule Döberitz verwendet, wur-
de er am 20. März 1942 zum Regimentskommandeur ernannt. Er fiel in die-
ser Verwendung am 30. September 1942 bei Ržev638. Ab dem 2. Oktober führ-
te Oberstleutnant Grosser, der Kommandeur des I. Bataillons, das Regiment
vertretungsweise bis zum 23. Oktober. An diesem Tag traf der neue Regiments-
kommandeur Oberst (akt.) Erich Kahsnitz aus der Führerreserve OKH
ein. Kahsnitz war zuvor Kommandeur der Heeresschule für Bataillons- und
Abteilungsführer in Mourmelon gewesen. Er führte das Regiment bis Anfang Juli
1943, als er schwer verwundet wurde und am 29. Juli 1943 den Folgen dieser
Verwundung erlag639.
Die beiden Infanterieregimenter waren die Hauptkampfmittel der Divisions-
führung und wurden später in der Regel durch andere Bataillone bzw. Abteilungen
zu Kampfgruppen verstärkt640. Entsprechend wurden die Kommandeursstellen

635
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (16.12.1942); Die Geschichte des
Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 658 (Zitat).
636
Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 514.
637
OKH/HPA/Ag P1/Chef-Abt. (b), »Generalskartei«, BArch, RH 7/709. Falsch: Bradley/
Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 7, S. 613, wo Lorenz seit dem
1.9.1944 als Kdr. genannt wird.
638
Garski hatte für seine Leistungen im Westfeldzug am 19.7.1940 das RK erhalten.
Bemerkenswert ist zudem, dass er 1919 zur Polizei wechselte und erst 1935 wieder ins
Heer übertrat. Bradley/Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 4, S. 187 f.;
Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 327.
639
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (2./23.10.1942); IDGD, Tätigkeitsbericht
11.10.1942‑30.3.1943, BArch, RH 26-1005/89, S. 1; Bradley/Hildebrand/Rövekampf,
Die Generale des Heeres, Bd 6, S. 343 f.
640
Meistens wurde dem einen IR die Pz.Abt., dem anderen die StuG-Abt. unterstellt und
beide je nach Auftrag zusätzlich mit Pionieren, Panzerjägern oder Artillerie verstärkt (siehe
Kap. IV.4.c).
412 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

mit erfahrenen Offizieren besetzt. Es war wohl kein Zufall, dass von fünf
Kommandeuren drei bereits im Regiment bzw. der Division »GD« Bataillons-
kommandeur waren. Darauf deutet das kurze Intermezzo Moehrings hin, der ge-
gen den Willen der Division für diese Verwendung bestimmt und schließlich rasch
ersetzt wurde. Relativ hoch sind die Ausfälle zu bewerten, fielen doch innerhalb
eines Jahres drei Regimentskommandeure durch Tod aus. Im Vergleich dazu hatte
die 10. Infanteriedivision (mot) wie gesehen zwar durch Krankheiten und Unfälle
häufigere Unterbrechungen bei den Regimentskommandeuren zu verzeichnen,
sie führten ihre Regimenter insgesamt aber bedeutend länger – nämlich zwischen
eineinhalb bis zweieinhalb Jahren. Selbst bei der 385. Infanteriedivision scheint –
soweit nachvollziehbar – innerhalb eines Jahres nur ein Regimentskommandeur
gefallen zu sein, obwohl die Division zerschlagen wurde.
Sehr hoch fielen auch die Ausfälle bei den Bataillonskommandeuren aus, was
zu ständigem Wechsel und unplanmäßigen Führerbesetzungen führte. Im April
1942 wurden die Bataillonskommandeursstellen des Infanterieregiments »GD« 1
durch die Majore Gehrke (I.), Greim (II.) und Heesemann (III.) sowie Hauptmann
Remer (IV.) bekleidet641. Im neu aufgestellten Infanterieregiment »GD« 2 wurden
die vier Bataillone mit den Majoren Grosser (I.), Feucker (II.) und Kohlhaas (III.)
sowie mit Hauptmann Lehnhoff (IV.) besetzt. Die Stellenbesetzung sollte sich
jedoch nach Beginn des Unternehmens »Blau« bereits wieder erheblich ändern.
Der Kommandeur des II./Infanterieregiment »GD« 1, Greim, konnte anschei-
nend die Führung seines Bataillons nur kurz wahrnehmen642. Bereits am 23. April
wurde jedenfalls der Chef der 7. Kompanie, Hauptmann von Courbière, zum
Bataillonskommandeur ernannt, der aber schon am 26. Juli 1942 selbst verwun-
det wurde, woraufhin der Chef der 10. Kompanie die Führung des Bataillons
übernehmen musste. Wie lange dieser das Bataillon führte, ist unklar, am
15. September fiel jedoch bereits dessen Nachfolger als Führer des II. Bataillons,
Ende November war Hauptmann Petereit Bataillonskommandeur643.
Beim III. Bataillon war der Kommandeur, Wolfgang Heesemann, Ende Juni
verwundet worden, scheint aber nach kurzer Zeit wieder zum Bataillon zurück-
gekehrt zu sein. Am 10. September erlitt er jedenfalls eine schwere Verwundung
und fiel für längere Zeit aus. Neuer Bataillonsführer wurde Hauptmann Ullrich,
der jedoch schon am 26. November fiel. Danach übernahm Heesemann erneut
das Kommando über das Bataillon. Schon Anfang Januar 1943 musste allerdings
Oberleutnant Zybon – der bereits Ende Dezember 1942 zwischenzeitlich das I./
Grenadierregiment »GD« geführt hatte – mit der Führung des III. Bataillons be-
auftragt werden644.

641
McGuirl/Spezzano, Geschichte der Panzergrenadierdivision »Großdeutschland«, S. 132.
Die Stellenbesetzungen der Bataillone bzw. Abteilungen basieren mangels Kriegsranglisten
ausschließlich auf Sekundärliteratur, weshalb nur in Ausnahmefällen zwischen aktiven und
Reserveoffizieren unterschieden werden konnte.
642
Möglicherweise hing dies mit seiner am 15.2.1942 als Kdr. II./IRGD erlittenen Verwundung
zusammen. Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 323‑331, 393,
419 f.
643
II./IRGD 1, KTB, BArch, RH 37/6337 (23.4.1942). Die Geschichte des Panzerkorps
Großdeutschland, Bd 1, S. 526, 575, 608.
644
Heesemann selbst übernahm eine andere Funktion und fiel am 6.2.1945 als Kdr. des
PzGRGD. Bericht Uffz. Rehfeldt, BArch, RH 37/6348, S. 15 (18.2.1945); IDGD,
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 413

Am konstantesten verlief die Führung beim I. Bataillon. Dessen Kommandeur,


Gehrke, führte bereits im Infanterieregiment »GD« das I. Bataillon und blieb
bis Anfang Dezember in dieser Verwendung. Dann erfolgte Gehrkes Versetzung
zum Wachbataillon »GD«645. Sein Nachfolger wurde am 13. Dezember der
Kommandeur des IV./Infanterieregiment »GD« 1, Otto-Ernst Remer, der bis
März 1944 in dieser Verwendung blieb646.
Auch das Infanterieregiment »GD« 2 war im Verlauf des Jahres 1942 von häu-
figen Wechseln betroffen. Das I./Infanterieregiment »GD« 2 wurde vertretungs-
weise durch den Kompaniechef der 5. Kompanie, Hauptmann Bethge, geführt,
da Grosser vor Beginn der Offensive von der Division als Führerreserve herausge-
zogen worden war. Am 28. Juni wurde Kohlhaas (III. Bataillon) verwundet und
musste durch den Chef der 15. Kompanie ersetzt werden647. Als am 2. Juli auch
noch der Kommandeur des II. Bataillons, Feucker, fiel, musste Grosser bereits
aus der Führerreserve geholt werden. Er übernahm wieder das Kommando über
sein I. Bataillon, während Bethge am 7. Juli Bataillonsführer des III. Bataillons
wurde. Das II. Bataillon wurde nach dem Tod des Kommandeurs durch den
Kompaniechef der 10. Kompanie geführt648.
Auch später bei Ržev mussten die Führerstellen kurzfristig gewechselt werden.
Im ersten Angriffsunternehmen der Division fielen die Bataillonsführer des II.
und III. Bataillons. Kommandeur des I. Bataillons war zu diesem Zeitpunkt noch
Oberstleutnant Grosser. Vom 2. bis 23. Oktober führte er allerdings zwischenzeit-
lich das Füsilierregiment, da dessen Kommandeur gefallen war. Am 19. November
wurde er schließlich zum OKH versetzt und durch Bethge ersetzt, der wieder als
Kommandeur des I. Bataillons im mittlerweile umbenannten Füsilierregiment
eingesetzt wurde und zuvor das Feldersatzbataillon »GD« geführt hatte. Bereits
am 28. November musste Bethge die Führung des II. Bataillons für den ausge-
fallenen Kommandeur Lehnhoff übernehmen, an seine Stelle trat der Chef der
5. Kompanie als Führer des I. Bataillons. Im November 1942 konnte zudem
Oberstleutnant Kohlhaas die Führung seines III. Bataillons wieder übernehmen.
Er fiel aber bereits am 30. November 1942 im Lučesa-Tal, woraufhin Hauptmann
Walle mit der Bataillonsführung beauftragt wurde649. Bemerkenswert daran ist,
dass Walle Chef der 15. Kompanie im Grenadierregiment war und somit das
Regiment wechseln musste650.

Divisionstagesbefehl, 29.6.1942, BArch, RH 26-1005/6; Die Geschichte des Panzerkorps


Großdeutschland, Bd 1, S. 564, 608, 664‑667.
645
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 323, 352, 608, 651.
646
I./IRGD 1, KTB, BArch, RH 37/6338 (13.12.1942). Remer ist v.a. durch seine Rolle
während der Verschwörung des 20.7.1944 bekannt.
647
Für die Tat, die zur Verwundung geführt hatte, wurde Kohlhaas am 21.11.1942 das RK
verliehen (siehe Kap. IV.4.c). IDGD, Tagesbefehl, 24.11.1942, BArch, RH 26-1005/15;
Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 462.
648
Tagebuchnotizen Hptm. Bethge, Juli/August 1942, BArch, RH 37/6344 (2./7.7.1942).
649
Ebd. (19./28.11.1942); IDGD/IIa, Verzeichnis der gefallenen Offiziere in der Zeit vom
1.8.42 bis 25.4.43, 26.4.1943, BArch, RH 26-1005/50; IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch,
RH 26-1005/10 (2.10.1942); Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1,
S. 416‑418, 608, 636.
650
Walle ist der einzige bekannte Fall, in dem ein Regimentswechsel notwendig wurde.
Dies ist umso erstaunlicher, da das Verhältnis der beiden Regimenter zueinander nicht
414 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Die Übersicht über die Stellenbesetzung der Bataillonskommandeure bleibt


mangels weiterer Quellen unvollständig. Im Laufe des Dezembers 1942 gingen
die Verluste während der Kämpfe im Lučesa-Tal zudem derart in die Höhe, dass
Einheiten zusammengelegt werden mussten und eine aussagekräftige Auflistung
der Bataillonsführerstellen unmöglich wird. Die Besetzungen der Bataillons-
führerstellen zeigten aber in aller Deutlichkeit, mit welchen Ausfällen die
Regimenter zu kämpfen hatten und wie sehr die provisorischen Maßnahmen fast
die einzige Konstante bildeten651. Trotz Lücken in der Stellenbesetzung konnte
festgestellt werden, dass die acht Bataillonsführerstellen der Infanterieregimenter
im untersuchten Zeitraum von neun Monaten durch 20 verschiedene Offiziere
– teils in mehrmaligem Wechsel – besetzt werden mussten. Erstaunlich ist dabei,
dass trotzdem mehr als die Hälfte der planmäßig besetzten Kommandeursstellen
mit Offizieren ausgefüllt werden konnten, die bereits während des Westfeldzuges
1940 oder des Ostfeldzuges 1941/42 im Infanterieregiment »GD« Bataillons-
oder Einheitsführer gewesen waren. Dies ist gerade vor dem Hintergrund der
immensen Verluste äußerst bemerkenswert, die das Infanterieregiment »GD« zwi-
schen Juni 1941 und März 1942 erlitten hatte652.
Bei den übrigen Einheiten der Division war es teilweise noch schwieriger,
überhaupt Namen zu den Bataillons- bzw. Abteilungsführerstellen zu finden. Die
folgende Analyse des Artillerieregiments und der selbstständigen Verbände muss
deshalb noch lückenhafter ausfallen, als dies schon bei der Infanterie der Fall war.
Kommandeur des Artillerieregiments »GD« war seit dem 15. März
1942 Oberst (akt.) Georg Jauer, ein erfahrener Offizier, der zuvor bereits
Regimentskommandeur gewesen war. Schon am 28. November 1942 wurde er
in die Führerreserve OKH versetzt, da er die Führung der 20. Infanteriedivision
(mot) übernehmen sollte653. Auf ihn folgte Oberst Reinke, zu dem sonst wei-
ter nichts bekannt ist. Er verließ die Division schon am 7. Dezember 1942
wieder und wurde durch Oberstleutnant Fritz Albrecht ersetzt654. Die Sturm-
geschützabteilung »GD« – von der Waffengattung her ebenfalls eine Artillerie-
einheit – wurde anfangs von Major Hans-Joachim Schepers geführt. Wie
lange Schepers Kommandeur der Abteilung blieb, ist nicht bekannt. Sein
Nachfolger als Abteilungsführer war Hauptmann Helmuth Adam, der Chef der

nur von Konkurrenzdenken, sondern von deutlichen Spannungen geprägt war, die sich
zeitweise sogar negativ auf die Zusammenarbeit innerhalb der Division auswirkten.
Vgl. Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 412; TB Hobe, BArch,
RH 26-1005/78 (1.4.1942); McGuirl/Spezzano, Geschichte der Panzergrenadierdivision
»Großdeutschland«, S. 168.
651
Eindrückliches Beispiel für das Krisenmanagement ist etwa die mehrfache kurzfristige
Einsetzung Bethges als Btl.Kdr./-führer im I., II. und III. Btl.
652
Dies relativiert erneut Bartovs Interpretation der Verlustzahlen des IRGD. Die Analyse
der Regiments- und Bataillonsführerstellen belegte, dass trotz hoher Verluste zu diesem
Zeitpunkt bei der Führerstellenbesetzung noch nicht generell von einem Verlust der
Homogenität und einer »Entprofessionalisierung« gesprochen werden kann. Vgl. Bartov,
Hitlers Wehrmacht, S. 80‑91. Anders sieht es freilich bei der Personalsituation ab 1943
aus.
653
Am 12.2.1945 wurde Jauer mit der Führung des PzK »GD« beauftragt. Bradley/
Hildebrand/Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 6, S. 281.
654
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 655.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 415

2. Batterie, der in dieser Verwendung am 1. Dezember 1942 in den Kämpfen


bei Belyj fiel; die Führung der Abteilung übernahm interimistisch zunächst sein
Stellvertreter und Chef der 3. Batterie655. Am 3. Januar 1943 wurde schließlich
Hauptmann Peter Frantz zum Kommandeur der Abteilung ernannt656. Er war
im April 1940 als Zugführer der 16. Sturmgeschützbatterie zum damaligen
Infanterieregiment (mot) »GD« gekommen und seit März 1942 Kompaniechef
der 1./Sturmgeschützabteilung »GD«. Frantz blieb bis Januar 1944 Kommandeur
der Sturmgeschützabteilung657.
Kommandeur der neu aufgestellten Panzerabteilung »GD« war der eben-
falls hoch dekorierte Hauptmann Walter Pössl658. Nach der Erweiterung der
Abteilung zu einem Panzerregiment »GD« im Januar 1943 wurde Major Pössl
Kommandeur der I. Abteilung, das Regiment selbst wurde vom »Panzergraf«
Oberst d.R. Hyazinth Graf Strachwitz von Groß-Zauche und Camminetz ge-
führt659. Die Panzerjägerabteilung »GD« wurde seit ihrer Aufstellung durch
Major Hacke geführt. Ansonsten ist zur Offizierstellenbesetzung nichts bekannt,
was wenig erstaunt, da die Einheit mehrmals fast vollständig vernichtet wurde660.
Das Kradschützenbataillon »GD« wurde ab April 1942 vom Ritterkreuzträger
Major Horst von Usedom kommandiert. Dieser hatte zuvor das Kradschützen-
bataillon 61 geführt und verließ die Division krankheitshalber bereits wieder
Ende Juli 1942. Sein Nachfolger wurde Rittmeister Rudolf Wätjen, der vom
Armeeoberkommando 4 zur Division versetzt wurde661. Kommandeur des neu
gebildeten Sturmpionierbataillons »GD« war mit Wirkung vom 20. Juli 1942 bis
zur Übernahme der Führung des Grenadierregiments Anfang Januar 1943 der
bereits erwähnte Major Lorenz662.
Zusammenfassend hat sich gezeigt, dass die Infanteriedivision (mot) »GD«
in allen Bereichen über einen Sonderstatus verfügte. Bezüglich Material und
Waffensysteme konnten die 10. Infanteriedivision (mot) und schon gar nicht
die 385. Infanteriedivision auch nur annähernd mit ihr mithalten. Wie gese-
hen hatte die Division aufgrund ihrer Gliederung und ihrer hohen Anzahl an
schweren Waffen mit einer herkömmlichen motorisierten Infanteriedivision

655
Ebd., S. 639; Tessin, Verbände und Truppen, Bd 14, S. 102.
656
Frantz hatte schon am 30.9.1942 zwischenzeitlich die Führung für den verwundet ausgefal-
lenen Adam übernommen. IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (30.9.1942).
657
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 424 f.; McGuirl/Spezzano,
Geschichte der Panzergrenadierdivision »Großdeutschland«, S. 26.
658
Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 600.
659
Strachwitz gehörte zu den schillerndsten Offizieren der IDGD und beendete den Krieg als
Generalleutnant d.R. und Brillantenträger. Er war aber auch sehr eigenwillig und nicht ein-
fach zu führen, wie z.B. der Brief des Kdr. Panzerbrigade 10 an den Gen.Insp.d.Pz.Tr. vom
17.7.1943 zeigt. BArch, RH 10/54. Letztlich überwarf sich Stachwitz mit Hoernlein und
verließ die IDGD im November 1943. Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland,
Bd 2, S. 130, 433; McGuirl/Spezzano, Geschichte der Panzergrenadierdivision »Groß-
deutschland«, S. 100, 124.
660
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 421 f., und Bd 2, S. 71.
661
Stoves, Die gepanzerten und motorisierten deutschen Großverbände, S. 173.
662
OKH/Ag P1/Ref. 9 Nr. 6110/42 g, 30.8.1942, BArch, Pers 6/1590, Bl. 27; OKH/HPA/
Ag P1/Chef-Abt. (b), »Generalskartei«, BArch, RH 7/709. Falsch: Bradley/Hildebrand/
Rövekampf, Die Generale des Heeres, Bd 7, S. 612, wo die Kommandoübernahme auf
1.8.1942 datiert wird.
416 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

nicht viel gemein, in Wirklichkeit übertraf sie sogar die Normalgliederung einer
Panzerdivision von 1942. Durch die Freiwilligenwerbung und das Prinzip der
Personalauslese war die Division auch personell deutlich besser gestellt, was sich
im Verlauf des Krieges jedoch ändern sollte. Bei allen praktischen Problemen, die
mit einem so großen motorisierten und gepanzerten Verband auftreten mussten,
war die Division »GD« bezüglich ihres Kampfwertes von den drei untersuchten
Divisionen mit Abstand am stärksten zu werten.
Die Offizierstellenbesetzung auf Divisions-, Regiments- und Bataillonsstufe
belegte grundsätzlich die hohe Qualität dieses Großverbandes, wenngleich die
Stellenbesetzungen des Divisionskommandeurs und des Divisionsstabs doch
erstaunen. Bei den planmäßigen Regiments- und Bataillons- bzw. Abteilungs-
kommandeuren zeigte sich jedoch, dass alle Kommandeure – soweit feststellbar
– bereits kriegserfahrene Truppenführer waren. Gerade die Infanterieregimenter
wiesen bei ihrer Um- bzw. Neuaufstellung im April 1942 einen erstaunlich hohen
Prozentsatz ehemaliger Truppenführer des Infanterieregiments »GD« und damit
eine starke Homogenität im Führungsbereich auf. Die hohen Verluste bewirkten
allerdings ab Juni 1942 auch bei der Division »GD« häufige Wechsel und unplan-
mäßige Stellenbesetzungen. Besonders stark betroffen war dabei die Infanterie,
während die Kommandeure der selbstständigen Verbände der Division relativ
lange in ihren Funktionen verwendet wurden.

c) Kriegsverwendung 1942/43

Der Weg der Division

Die Division »GD« war als Eliteverband dazu vorgesehen, »blitzschnell im je-
weiligen operativen Schwerpunkt in kritischer Lage eingesetzt zu werden, um
durch ihr Eingreifen die Entscheidung zu erzwingen«663. Nach Bereinigung der
Lage sollte sie sofort herausgelöst, kurz aufgefrischt und so rasch wie möglich
wieder für einen neuen Einsatz bereitgestellt werden. Der Weg dieser Division
im Kriegsjahr 1942/43 zeichnet sich entsprechend durch zahlreiche Wechsel und
Ablösungen aus664. Es wird sich noch zeigen, dass die Division dabei häufig in
Kampfgruppen zersplittert und nicht geschlossen eingesetzt wurde.
Nach Abschluss der Auffrischung und Umbildung in Rečica wurde die Division
»GD« Ende Mai 1942 in den Raum von Fatež und Ščigry zur Heeresgruppe
Süd verlegt, wo sie dem Generalkommando XXXXVIII. Panzerkorps unterstellt
wurde. Im Juni 1942 bereitete sich die Division auf die Sommeroffensive (Unter-
nehmen »Blau«) vor. Nach dem Vorstoß über den Tim und Olym bis zum Don
und der Einnahme von Voronež wurde die Division Anfang Juli herausgelöst und

663
NA GD/Ia Br.B.Nr. 81/42 geh., Betr.: Ausstattung der leichten Panzernachrichtenkolonne,
13.4.1942, BArch, RH 26-1005/53.
664
Auf die systematische Darstellung der Unterstellungsverhältnisse wird verzichtet, da diese
häufig im Rhythmus weniger Tage und Wochen wechselten, zwischen dem 1.6.1942 und
31.3.1943 insgesamt zwanzigmal. Siehe IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5
und IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 417

Kampfweg der Infanteriedivision »Großdeutschland«,


MaiVolg bis November 1942
a
Velikie Luki Kalinin Marschweg
Ivanovo
Eisenbahntransport
TrÜbPl
Olenin Ržev 1 Wandern – Roslavl’
Klin
Nevel’ Eisenbahntransport
Dubrovka Zubcov Stalino – Smolensk
Vladimir
Belyj Syčëvka Angriff
Karmanovo
Dvina Moskau
Ruza skva bedeutende Gefechte
Mo
Vitebsk Gžatsk Stadt

pr
Ortschaft

Dne
Vjaz’ma
Smolensk Auffrischung
Kolomna
Ržev
Orša 17.8. 11.10. – 24.11. 30.8. – 8.9.
El’nja Olenin 26.8.
Spas-Demensk Ok Zubcov
Kaluga
Dubrovka Čermasovo a
Oka
25.5. Mogilev
Roslavl’ Tula
Lučesa-Tal 10.9. – 8.10.
De
sna

25.11. – 10.1.1943

Sož Rjažsk
Belyj Syčëvka
25.8. 1
Brjansk

Rečica Gomel` 30.5. Orël


25.5. Elec
Tambov

Fatež
30.5. Čere-
Ščigry Ol’chovatka
Černigov misinovo
6.7. Zemljansk
Desna
Kursk 28.6. Voronež
Konotop Goršečnoe 5.7.
Silip’jagi

Romny Sumy
Priluki Don
Kiev Tomarovka

Borisovka Belgorod
Achtyrka

Char’kov Ol`chovatka Rossoš’

Čerkassy Poltava Kupjansk Michajlovka

Kremenčug Izjum
Dn
ep

Millerovo
r

Do

nec 15.7.
Kirovograd Dnepropetrovsk
Vorošilovgrad
2
Donec

22. Tacinskaja
15.8.
20.7. Stalino
Bu

Nikopol 2
g

Bronnickij G.D.
Šachty Kerčik
Šachty
20.7.
17.7. Kon-
Taganrog
n

23.7. stantinovskij
Do

Razdorskaja Kon-
Mariupol’
17.7. stantin- Melitopol’ Rostov Ma
14. Novo- 26.7. ovskij n yč
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0 50 100 150 km
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č 06973-09
418 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

zur »überholenden Verfolgung nach Süden«665 angesetzt, um den sich nach Osten
zurückziehenden sowjetischen Verbände den Weg abzuschneiden. Ab dem 16. Juli
stieß die Division über Tacinskaja an den unteren Don bei Konstantinovskij vor
und setzte den Vormarsch nach Westen über den Donec und Don nach Šachty
fort. Nach Besetzung Šachtys am 20. Juli 1942 schwenkte die Division wieder
nach Süden und drang über den Don zum Manyč vor. Anfang August 1942 wur-
de sie nach Norden in den Raum Šachty zurückverlegt und bis zum 17. August
als OKH-Reserve bereitgehalten666.
Aufgrund der sowjetischen Offensive bei Ržev und Zubcov seit Ende Juli 1942
verlegte das OKH die Division »GD« mit anderen Verbänden in den mittleren
Frontabschnitt. Im Eiltransport traf sie am 17./18. August 1942 in Smolensk ein,
wo sie zunächst als Heeresgruppenreserve verblieb. Ab dem 25. August wurde
sie als Reserve des Armeeoberkommandos 9 nach Ržev in Marsch gesetzt. Vom
10. September bis 8. Oktober war die Division dem XXVII. Armeekorps un-
terstellt und beteiligte sich an der »Abwehrschlacht« südlich von Ržev667. Nach
kurzer Unterbringung und Auffrischung bei Olenin erfolgte die Unterstellung
unter das Generalkommando XXIII. Armeekorps. In diesem Rahmen nahm
die Division vom 24./25. November 1942 bis zum 10. Januar 1943 im selben
Frontabschnitt an der »Winterschlacht« des Armeeoberkommandos 9 teil668. Die
Division wurde dabei in mehrere Kampfgruppen aufgeteilt an verschiedenen
Orten eingesetzt und erlitt hohe Verluste. Ab dem 11. Januar 1943 wurde die
Division aus dem Bereich des Armeeoberkommandos 9 herausgezogen, konnte
aber nur notdürftig aufgefrischt werden. Bereits ab dem 16. Januar erfolgte die
Verlegung als »Eingreifreserve« zur Heeresgruppe B nach Kupjans’k südöstlich
von Char’kov, wo die Division zwischen Januar und März 1943 – mit kurzer
Unterbrechung und Auffrischung vom 24. Februar bis 5. März – im Rahmen der
dritten Schlacht um Char’kov an den Rückzugskämpfen und der anschließenden
deutschen Gegenoffensive teilnahm669. Nach Abschluss der Kampfhandlungen
wurde die Division herausgelöst und in einen Verfügungsraum bei Poltava und
Achtyrka verlegt, wo sie wie erwähnt aufgefrischt und umgerüstet wurde.
Die Division »GD« wurde im untersuchten Zeitraum »in fast allen Kampfarten
eingesetzt«670. Sie bietet sich deshalb geradezu an, das Führungsverhalten in un-

665
Gen.Kdo. XXXXVIII. PzK/Ia R.Nr. 1854/42 geheim, Korpsbefehl für Inf.Div. G.D.,
13.7.1942, BArch, RH 26-1005/7, S. 1; Halder, KTB, Bd 3, S. 476 (5.‑7.7.1942).
666
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (15.‑21.7./2.‑13.8.1942); Obkdo der
4. Panzerarmee, Panzerarmeebefehl, 20.7.1941, BArch, RH 26-1005/7; Die Geschichte
des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 433.
667
Der K.G. des XXVII. AK, Tagesbefehl, 7.10.1942, BArch, RH 26-1005/14; DRWK,
Bd 6, S. 909 (Beitrag Wegner); Divisionsschicksale, Bd 2, S. 672; Halder, KTB, Bd 3,
S. 505‑519 (14.8./24.8./9.9.1942).
668
Gen.Kdo. XXIII. AK/Ia Nr. 3079/42 geheim, Korpsbefehl Nr. 131 für die Bereinigung der
Einbruchstellen und Abwehr weiterer Angriffe, 25.11.1942, BArch, RH 26-1005/15; Die
Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 548.
669
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (Aktennotiz Ia 6./7.1.1943 und
Eintrag 12.1.1943); Divisionsschicksale, Bd 2, S. 672; Die Geschichte des Panzerkorps
Großdeutschland, Bd 2, S. 19‑94; Schmitz/Thies, Die Truppenkennzeichen, Bd 1, S. 857.
670
Abschrift, Oberstleutnant i.G. von Hobe, Erfahrungen aus den Kämpfen der Infanterie-
Division Groß-Deutschland in der Zeit vom 28.6.‑25.12.1942, Mai 1943, BArch,
RH 10/56, S. 1.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 419

terschiedlichen Gefechtsarten zu analysieren und mit den Vorgehensweisen der


385. Infanteriedivision und 10. Infanteriedivision (mot) zu vergleichen. Im
Folgenden sollen dazu exemplarisch zwei Zeitabschnitte betrachtet werden: Der
Zeitraum von Juni/Juli 1942 mit der Offensive auf Voronež und dem raschen
Vorstoß an den Unterlauf des Don wird das Führungsverhalten der Division
»GD« in einer Angriffsoperation aufzeigen. Danach sollen die Kämpfe im
Frontvorsprung bei Ržev im Herbst 1942 betrachtet werden, wo die Division
ähnlich wie die 10. Infanteriedivision (mot) im Stellungskrieg eingesetzt war.

Unternehmen »Blau« – Der Wettlauf nach Voronež


und zum unteren Don

Die deutsche Sommeroffensive ab dem 28. Juni 1942 brachte für die Division
»GD« den ersten Einsatz als Großverband. Zugleich bot die Offensive einen
Vorgeschmack auf die zukünftige Verwendung der Division als Eliteverband. Bis
zur Herauslösung am 3. August 1942 sollte sie fünf Wochen lang ununterbrochen
im Angriff und in der Verfolgung an der Spitze der Heeresgruppe Süd eingesetzt
werden. Insofern ragte die Division tatsächlich – wie dies Hoernlein in seinem
Tagesbefehl vom 6. Juni 1942 bemerkte – »aus der Masse des Heeres heraus«, um
»Außerordentliches« zu leisten671.
Nach dem Eintreffen der Division im Raum von Fatež und Ščigry Anfang
Juni 1942 wurde die unterbrochene Ausbildung der Verbände wieder aufgenom-
men672. Gleichzeitig begannen die Vorbereitungen auf die Sommeroffensive. Wie
bereits bei der 385. Infanteriedivision gesehen, waren diese auch bei der Division
»GD« von einem intensiven Austausch mit der vorgesetzten Kommandobehörde
geprägt. Es kann deshalb hier darauf verzichtet werden, nochmals alle Komman-
deursbesprechungen, Absprachen und sonstigen Maßnahmen detailliert ab-
zubilden. Der Verlauf der Vorbereitungen bei der Division »GD« verdeutlicht
jedoch noch anschaulicher als bei der 385. Infanteriedivision, wie stark der
Führungsvorgang im deutschen Heer von einer ständigen Wechselwirkung ge-
prägt war und auf dem regen Austausch zwischen unterstellter und vorgesetzter
Kommandobehörde basierte. Dies soll im Folgenden kurz dargestellt werden: Am
3. Juni 1942 hatte das Generalkommando XXXXVIII. Panzerkorps (Kempf ) ei-
nen als »Entwurf zum Planspiel I« getarnten ersten Operationsbefehl erlassen, der
als Anlage u.a. bereits »besondere Richtlinien für die Kampfführung« enthielt673.
Schon am 9. Juni 1942 erließ das Generalkommando den »endgültige[n]
Operationsbefehl« für den Vorstoß über den Don auf Voronež674. In »einer ein-
gehenden Lagebesprechung« orientierte Kempf die Divisionskommandeure und

671
IDGD/Kdr., Tagesbefehl, 6.6.1942, BArch, RH 26-1005/6.
672
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 433.
673
Gen.Kdo. XXXXVIII. PzK/Ia Nr. 180/42 g.K. vom 3.6.1942 sowie Anlage 2, Besondere
Richtlinien für die Kampfführung, BArch, RH 26-1005/6.
674
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (9.6.1942) (Zitat); Gen.Kdo.
XXXXVIII. PzK/Ia Nr. 207/42 g.Kdos., Operationsbefehl Nr. 1 für Planspiel I, 9.6.1942,
BArch, RH 24-48/69.
420 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Ia über die Gesamtoperation und »die geplante Angriffsführung« des Korps675.


Im Anschluss wurde der Operationsbefehl verteilt, der in den Anlagen ne-
ben den erwähnten und weiterhin gültigen Richtlinien für die Kampfführung
vom 3. Juni auch eine Beurteilung der Feindlage und Anordnungen für den
Einsatz von Pionieren und Bautruppen, für die Nachrichtenverbindungen, für
die Straßenerkundung und die Luftaufklärung sowie Bestimmungen für das
Vorführen der Schnellen Verbände in die Bereitstellungen enthielt. Damit ver-
fügte die Divisionsführung bereits am 9. Juni über alle notwendigen Details
und Rahmenbedingungen zur Vorbereitung und Durchführung des Angriffs.
Die Divisionskommandeure wurden dabei beauftragt, ihren Aufträgen ent-
sprechend einen Zeitplan für den ersten Angriffstag zu erstellen und diesen
dem Generalkommando am 12. Juni vorzulegen676. Dadurch überprüfte das
Generalkommando nicht nur, ob die Aufträge in seinem Sinn umgesetzt wur-
den, sondern es konnte gleichzeitig auch das Zusammenwirken aller beteiligten
Kräfte koordinieren. Andererseits erhielten die Divisionen dadurch Gelegenheit
dazu, auf besondere Aspekte – etwa das Zusammenwirken mit der Luftwaffe
– hinzuweisen oder Anträge für eine Unterstützung durch Korpswaffen – z.B.
durch Artillerie – zu stellen677. Nach Überprüfung des Zeitplans übersandte das
Generalkommando der Division »GD« noch am selben Tag eine Gefechtskarte,
auf der die »Ansatzrichtung und [die] ersten Angriffsziele bis zu den Rgt., sowie
die Gef[echts]Stände bis zu den Div., und ein Zeitplan für das Heranführen der
Verbände in die Bereitstellung ab G-5-Tag«678 eingezeichnet waren. Damit war
der Operationsansatz der Division definitiv festgelegt.
Am 13. Juni führte daraufhin Hoernlein selbst eine Kommandeursbesprechung
mit sämtlichen Kommandeuren durch679. Begonnen wurde die dreistündi-
ge Besprechung mit Vorträgen der drei Regimentskommandeure über den ge-
planten Einsatz der Regimenter. Wie schon der Divisionskommandeur beim
Generalkommando hatten also auch die Regimentskommandeure Hoernlein
gegenüber die geplante Durchführung ihrer Aufträge vorzulegen. Dabei ging
es nicht nur um den Informationsaustausch innerhalb der Division, sondern
ebenfalls um die Sicherstellung der Einheitlichkeit der kommenden Operation.
Hoernlein genehmigte »die Vorschläge mit kleinen Abweichungen«. Danach
orientierten der Ib über die Versorgungslage der Division und der Ic über die
Feindlage. Nachdem Hoernlein von seiner Seite auf allgemeine Punkte der
Ausbildung, Erziehung und des bevorstehenden Einsatzes hingewiesen hatte,
schloss die Besprechung damit, dass anhand des Entwurfs zum Operationsbefehl
der Division der kommende Einsatz nochmals durchgesprochen wurde. Gleich

675
Gen.Kdo. XXXXVIII. PzK/Ia, KTB, BArch, RH 24-48/62 (9.6.1942); IDGD/Ia, KTB,
Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (10.6.1942).
676
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (12.6.1942). Am 13.6.1942 folgte ein ergän-
zender Befehl, in dem aber nur auf die Änderung einer Ziffer des Operationsbefehls hinge-
wiesen wurde. Gen.Kdo. XXXXVIII. PzK/Ia Nr. 242/42 g.Kdos., Betr.: Operationsbefehl
Nr. 1 für Planspiel I, 13.6.1942, BArch, RH 26-1005/6.
677
IDGD/Ia Nr. 39/42 g.Kdos., Betr.: Planspiel I, 12.6.1942, BArch, RH 26-1005/6.
678
Als »G-Tag« wurde der Angriffstag bezeichnet. Der Zeitplan regelte also die Bereitstellung
ab dem fünften Tag vor Angriffsbeginn. IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5
(12.6.1942).
679
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: Ebd. (13.6.1942).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 421

wie das Generalkommando legte dabei auch die Division in einem als Anlage
angehängtem Zeitplan die Tätigkeiten der Verbände bis zum Angriffstag fest.
Im Nachgang zur Kommandeursbesprechung erließ die Division am 15. Juni
eine Verfügung, in der bestimmte Aspekte aus der Besprechung – z.B. zum
Meldewesen oder zur Befehlserteilung – schriftlich präzisiert und festgehalten
wurden680. Damit waren die Vorbereitungen für den Angriff jedoch noch nicht ab-
geschlossen. Die Kommandeure der Regimenter und selbstständigen Abteilungen
bzw. Bataillone erkundeten – vermutlich auf mündliche Anweisungen in der
Kommandeursbesprechung – die Verhältnisse im vorgesehenen Angriffsgelände
und besprachen sich am 16. Juni mit dem Ia der Division681. Aus den Erkundungen
ergaben sich noch einige Vorschläge für den Operationsbefehl der Division, teil-
weise kam es bei den Regimentern auch zu Anpassungen in der Bereitstellung
zum Angriff. Erst nach mehrmaligem Austausch und Einbindung der unterstell-
ten Kommandeure in die Entscheidungsfindung erließ das Divisionskommando
am 17. Juni den neunseitigen »Divisionsbefehl für den Angriff« mit mehreren
Anlagen682. Die Angriffsvorbereitungen wurden schließlich am 23. Juni mit ei-
ner großen Besprechung auf dem Korpsgefechtsstand abgeschlossen, an welcher
der Oberbefehlshaber der 4. Panzerarmee Hoth, der Kommandierende General
(Kempf ) und sein Generalstabschef sowie die Kommandeure der 24. Panzer-
division und der Division »GD« teilnahmen683.
Der kursorische Überblick über die Angriffsvorbereitungen der Division
»GD« während des Monats Juni hat die starke Gewichtung des persönlichen
Austausches zwischen den Kommandeuren deutlich aufgezeigt. Das Bild der
detaillierten Planung und präzis festgelegten zeitlichen Abstimmungen, das sich
schon bei der 385. Infanteriedivision zeigte, bestätigte sich somit auch bei dieser
Division. Wie eingangs erwähnt, mag dies mit der Anlage der Gesamtoperation
zusammengehangen haben. Das Element der Einheitlichkeit spielte für die
deutsche Sommeroffensive von 1942 eine bedeutsame Rolle. Gleichzeitig fin-
den sich aber auch explizite Verweise auf die Auftragstaktik. Die erwähnten
Richtlinien des Generalkommandos für die Kampfführung vom 3. Juni gingen
z.B. auch auf die personell »verschiedenartige Zusammensetzung und teilwei-
se geringe Kampferfahrung« der Verbände ein684. Das Generalkommando wies
etwa darauf hin, dass die Art und Weise der Kampfführung der teilweise geringen
Kampferfahrung der eingesetzten Verbände Rechnung tragen müsse und deshalb
die »Auftragserteilung« sowie die »Zielsetzung« in der Befehlsgebung entsprechend
anzupassen seien. Dies war noch keine definitive Absage an die Auftragstaktik.
Der Kommandierende General betonte aber in der Kommandeursbesprechung
vom 10. Juni:
»Auftragsverfahren, alle Führer sind verpflichtet Aufträge zu überwachen und
einzugreifen, möglichst mit Ausführung vorher schildern lassen685!«

680
Abschnittsstab Hobe/Ia Nr. 686/42 geh., 15.6.1942, BArch, RH 26-1005/6.
681
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (16.6.1942).
682
IDGD/Ia Nr. 38/42 g.Kdos. II. Ang., Divisionsbefehl für den Angriff, 17.6.1942, BArch,
RH 26-1005/6.
683
Gen.Kdo. XXXXVIII. PzK/Ia, KTB, BArch, RH 24-48/62 (23.6.1942).
684
Anlage 2 zu Gen.Kdo. XXXXVIII. PzK/Ia Nr. 180/42 g.K., Besondere Richtlinien für die
Kampfführung, 3.6.1942, BArch, RH 26-1005/6, S. 1. Dort auch das Folgende.
685
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (10.6.1942).
422 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Eine solche Aufforderung, wonach die Ausführung eines Auftrages zu überwa-


chen und einzugreifen sei, wenn dies nicht im Sinne der übergeordneten Absicht
geschah, deckte sich auch mit den Vorgaben der Führungsdoktrin. Deutlich spür-
bar wird in dieser Aussage aber die Auflage an die Vorgesetzten, straff zu führen
und den Unterführern wenig Handlungsspielraum zu belassen. Aufschlussreich
ist in diesem Fall auch, dass Kempf unter Auftragstaktik offenbar bloß die selbst-
ständige Umsetzung eines Auftrags verstand, nicht aber das initiative Handeln im
Sinne des Ganzen bei einer geänderten Lage, da dieses sich ja nicht vorher schil-
dern ließ. Hoernlein ging in der Besprechung mit seinen Kommandeuren eben-
falls auf diesen Punkt ein, hat die Ausführung Kempfs vermutlich jedoch münd-
lich weiter präzisiert686. Darauf lässt etwa die am 15. Juni erlassene Verfügung der
Division schließen, in der festgehalten wurde:
»Wenn ein Rgt. infolge Ausbleibens des Div.Befehls selbständig befehlen muss,
so ist das Befohlene der Div. baldmöglichst zu melden, um eine Abstimmung
der Befehle zu erreichen687.«
Dies ist ein klares Bekenntnis zur Auftragstaktik. Anders als Kempf, der in sei-
ner Aussage ausschließlich regulierende Maßnahmen betonte und damit auf
eine Einschränkung der Selbstständigkeit der Unterführer abzielte, unterstütz-
te Hoernlein auftragstaktisches Handeln. Um dies mit der Einheitlichkeit
der Handlung abgleichen zu können, verlangte er lediglich die nachträgliche
Meldung – eine Forderung, die ebenfalls mit den normativen Vorgaben der
Dienstvorschriften übereinstimmte688. Andererseits scheint sich Hoernlein auch
der Problematik bewusst gewesen zu sein, dass zu diesem Zeitpunkt nicht mehr
alle Unterführer über die notwendige Ausbildung und Erfahrung verfügten,
um nach Auftragstaktik führen und handeln zu können. Er informierte in der
Kommandeursbesprechung vom 13. Juni jedenfalls über den erwähnten und
durch das OKH verteilten Erfahrungsbericht der 385. Infanteriedivision (siehe
Kap. IV.2.d) und ging auf mehrere darin enthaltene Punkte ein. Insbesondere
nahm er den Kritikpunkt Eibls auf, der sich mit der mangelnden Qualität der
Unterführer befasste689. Auch scheint Hoernlein Eibls Auffassung geteilt zu haben,
dass die Kommandeure sich nicht scheuen dürften, in die Führungsverantwortung
der Unterführer einzugreifen, wenn Sachkenntnis fehlte. Jedenfalls findet sich
die entsprechende Textstelle praktisch wörtlich in den Besprechungsnotizen690.
Die bisherigen Ausführungen zeigen somit, dass eine Schwarz-Weiß-Sicht auf die
Auftragstaktik der Frage nach deren Anwendung nicht gerecht werden kann. Als
Führungsprinzip bedurfte es einer ständigen Anpassung, je nachdem, wie sich die
äußeren und inneren Faktoren verändert hatten.

686
Die schriftlichen Notizen zur Kommandeursbesprechung enthalten jedoch nur die wört-
lich übernommene Aussage Kempfs. IDGD, Besprechungspunkte für die Kommandeur-
Besprechung, [13.6.1942], BArch, RH 26-1005/6, S. 4.
687
Abschnittsstab Hobe/Ia Nr. 686/42 geh., 15.6.1942, BArch, RH 26-1005/6, S. 2 f.
688
Z.B. TF, S. 10 f.
689
Unter Punkt i) notierte er: »Ein Sorgenkind ist und bleibt der Unterführer!« IDGD, Be-
sprechungspunkte für die Kommandeur-Besprechung, [13.6.1942], BArch, RH 26-1005/6,
S. 4.
690
Unter Punkt g) heißt es: »Kdr. dürfen sich nicht scheuen, ein- [sic!] bis zwei Stufen herun-
terzusteigen, um die erreichte Kriegserfahrung durch persönliches Eingreifen dort nutzbar
zu machen, wo Sachkenntnis offenkundig fehlt!« Ebd.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 423

Gleiches gilt auch für den Führungsvorgang und die Art der Befehlsgebung.
Die im Juni 1942 von der Division erlassenen Befehle und Weisungen lassen deut-
lich den Versuch erkennen, die Elemente der Einheitlichkeit und Selbstständigkeit
auszugleichen. Im Operationsbefehl vom 9. Juni regelte das Generalkommando
auf fünf Seiten den Beginn und die geplante Durchführung des Angriffs sowie die
Bereitstellung zum Angriff, wobei die bereits am 3. Juni erlassenen Richtlinien
für die Kampfführung ihre Gültigkeit behielten691. Der Auftrag an die Division
»GD« sah den Durchbruch über den Tim bei gleichzeitiger Einnahme der im
Angriffsstreifen befindlichen Eisenbahnbrücke östlich von Čeremisinovo und
das sofortige Weiterstoßen über den Kšen’ bei Nikolaevka vor. Dieser Auftrag
war generell offen gehalten und band die Division lediglich in der Auswahl der
»Durchbruchstellen«, die »für die Fortführung der Operation von besonderer
Bedeutung« waren692. Aufschlussreich ist die Formulierung des letzten Teiles des
Auftrages, der das Vorgehen nach Einnahme von Nikolaevka bestimmte:
»Ob die Division von hier in südlicher Richtung auf Dubinowka oder in ostw.
Richtung – etwa über Akatowo – auf Werch. Graiworonka vorzugehen haben
wird, wird von der Entwicklung der Lage abhängen.«
Deutlich wird in dieser Formulierung die Auffassung Moltkes d.Ä. erkennbar,
dass Strategie ein System der Aushilfen sei. Auf einen weit vorausgeplanten
Angriffsverlauf wurde deshalb verzichtet. So legte der Korpsbefehl mit dem Durch-
bruch durch die sowjetischen Befestigungen am Tim lediglich den Beginn und mit
Nikolaevka am Kšen’ einzig das erste Angriffsziel fest. Die gleiche Grundhaltung
findet sich auch im Korpsbefehl für die Einnahme der Bereitstellung. Darin wur-
de etwa betont, dass die Festlegung der Angriffsgrundstellungen »von den ört-
lichen Verhältnissen abhängig« sei und deshalb flexibel nach diesen angeordnet
werden müsse693. Diese Formulierung wurde im Divisionsbefehl vom 17. Juni
übernommen. Auffallend an diesem Befehl ist, wie geschickt er die Elemente
der Selbstständigkeit und der Einheitlichkeit in Einklang brachte. So waren die
Aufträge an die Regimenter zwar ebenso offen formuliert wie im Korpsbefehl,
die Division machte aber deutlich klar, wo der Schwerpunkt anzusetzen war und
welche Aspekte von besonderer Bedeutung für den Gesamtzusammenhang wa-
ren. In den als Anlage zum Divisionsbefehl herausgegebenen »Weisungen für
die Kampfführung«694 wurde ebenfalls nochmals verdeutlicht, wie der Angriff
durchgeführt werden sollte und worauf es dabei besonders ankam. Wo es ei-
nes stärkeren Zusammenwirkens zwischen den Waffengattungen bedurfte, re-

691
Zusätzlich enthielt der Befehl Anlagen über die Feindbeurteilung, Anordnungen für
den Einsatz von Pionieren und Bautruppen, die Nachrichtenverbindungen, die Straßen-
erkundung und die Luftaufklärung sowie Bestimmungen für das Vorführen der schnellen
Verbände in die Bereitstellungen. Die Details darüber, wie die Angriffsverbände in die
bestehende Hauptkampflinie – die zugleich Ablauflinie für den Angriff war – eingeschoben
werden sollten, wurden allerdings gesondert befohlen.
692
Gen.Kdo. XXXXVIII. PzK/Ia Nr. 207/42 g.Kdos., Operationsbefehl Nr. 1 für Planspiel I,
9.6.1942, BArch, RH 24-48/69, S. 3. Dort auch das Folgende.
693
Gen.Kdo. XXXXVIII. PzK/Ia Nr. 242/42 g.Kdos., Betr.: Operationsbefehl Nr. 1 für
Planspiel I, 13.6.1942, BArch, RH 26-1005/6, S. 1.
694
Anlage 7 zu IDGD/Ia Nr. 38/42 g.Kdos. II. Ang., Weisungen für die Kampfführung,
17.6.1942, BArch, RH 26-1005/6.
424 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

gelte der Divisionsbefehl das Vorgehen mittels genauem Zeitplan, etwa bei der
Unterstützung des Angriffs durch Fliegerverbände.
Es zeigt sich auch, dass v.a. die Infanterie, Artillerie bzw. Flakartillerie Aufträge
erhielten, die sie ohne direktes Einwirken der Division ausführen konnten. Die
Panzer- und Panzerjägerabteilung sowie das Pionier- und Kradschützenbataillon
hatten sich zunächst bereitzuhalten, um von der Division flexibel eingesetzt zu
werden, die Sturmgeschützabteilung war den Infanterieregimentern unterstellt
worden und hatte keinen gesonderten Auftrag erhalten. Die Kommandeure dieser
Verbände mussten sich allerdings ab Angriffsbeginn »mit kleinen Führungsstaffeln
in unmittelbarer Nähe des Div. Gefechtsstandes« aufhalten695. Aufschlussreich ist
dabei besonders der Einsatz der Panzerabteilung. Diese wurde dem Infanterie-
regiment »GD« 2 unterstellt, das im Schwerpunkt anzugreifen und die Eisen-
bahnbrücke über den Tim einzunehmen hatte. Die Auslösung der Panzer für den
Angriff erfolgte jedoch nicht durch den Kommandeur des Infanterieregiments.
Das Divisionskommando wollte in der kritischen Anfangsphase des Angriffs ihr
stärkstes Mittel nicht einfach aus der Hand geben und behielt sich den »Start« der
Panzerabteilung selbst vor696. Noch komplexer wurde das Zusammenspiel durch
einen Vorbehalt der Division: Falls sich nämlich die Möglichkeit eines »schnellen
Vorstoß[es]« ergeben würde, sollte die Panzerabteilung mit Sturmpionieren und
Infanterie zu einer »gepanzerte[n] Durchbruchsgruppe« zusammengefasst wer-
den und die Eisenbahnbrücke über den Tim selbstständig nehmen697. In diesem
Fall lag die Führung beim Kommandeur der Panzerabteilung, der die Auslösung
des selbstständigen Vorstoßes allerdings bei der Division beantragen musste.
Die mögliche Durchführung des Panzervorstoßes wurde in den Weisungen für
die Kampfführung ebenfalls festgehalten. Dabei wurden ein erstes und zweites
Angriffsziel sowie das weitere Vorgehen der Panzerabteilung definiert, falls der
Brückenübergang zerstört wäre. Zudem galt der selbstständige Auftrag nur bis
zum Erreichen des zweiten Zieles am Kšen’, danach behielt sich die Division die
Entscheidung für das weitere Vorstoßen der Panzerabteilung vor. Bemerkenswert
ist letztlich auch die Art, wie die in Reserve gehaltenen Verbände in den
Weisungen für die Kampfführung gedanklich auf den Angriff vorbereitet wurden.
So beschrieb die Division den möglichen Verlauf des Angriffs und mit welchen
Aufträgen die Verbände in diesem Zusammenhang zu rechnen hatten. Somit
konnten sich die Kommandeure bereits vorgängig gedanklich darauf vorbereiten.
Schließlich zeigt sich in den Angriffsvorbereitungen auch die bereits mehrfach
erkannte Betonung des Meldewesens und der Nachrichtenverbindungen. Dies
musste gerade für die vielfältig zusammengesetzte und als schneller Verband ver-
wendete Division »GD« bedeutsam sein. Bereits in der Kommandeursbesprechung
vom 13. Juni hatte Hoernlein unterstrichen, dass »ein guteingespielter [sic!]
Nachr[ichten]-Apparat«698 Voraussetzung für eine funktionierende Führung
darstelle. Die Gefechtsstände sollten deshalb nicht zu häufig gewechselt und

695
IDGD/Ia Nr. 38/42 g.Kdos. II. Ang., Divisionsbefehl für den Angriff, 17.6.1942, BArch,
RH 26-1005/6, S. 4 (Hervorhebung im Original).
696
Ebd., S. 2.
697
Anlage 7 zu IDGD/Ia Nr. 38/42 g.Kdos. II. Ang., Weisungen für die Kampfführung,
17.6.1942, BArch, RH 26-1005/6, S. 1 (Hervorhebung im Original).
698
IDGD, Besprechungspunkte für die Kommandeur-Besprechung, [13.6.1942], BArch,
RH 26-1005/6, S. 1. Dort auch das Folgende.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 425

gut markiert werden, damit die Kradmelder sie finden konnten. Das »Haupt-
Nachrichtenmittel« bei schnellen und raumgreifenden Bewegungen war aller-
dings der Funk. Schriftliche Befehle kämen – so Hoernlein – »meist zu spät« und
wären nur »von Fall zu Fall« angebracht, hingegen sollten kurze Vorbefehle die
Regel bilden. Eine solche Führung bedurfte eines genauen Lagebildes. Deshalb !
wurden die Verbände angehalten »viele kurze Meldungen« abzusetzen und »an
keiner Fernsprechstelle vorbei[zu]fahren, ohne Verbindung aufgenommen zu ha-
ben«. Hoernlein verlangte dabei ab Angriffsbeginn »möglichst stündlich«699 kurze
Meldungen über die eigene sowie die Feindlage. Den beiden Infanterieregimentern
und der Panzerabteilung wurde in diesem Zusammenhang ein Fragenkatalog vor-
gelegt, anhand dessen sie die Division während des Vorstoßes orientieren mussten !
– eine Maßnahme, die schon bei der 385. Infanteriedivision beobachtet werden
konnte. Damit stellte die Division bei den entscheidenden Fragen sicher, dass sie
die richtigen Informationen erhielt.
Wie gesehen war die Anfangsphase der Offensive auf Voronež detailliert ge-
plant worden. Die Umsetzung verlief bei der Division »GD« allerdings nicht so
schematisch wie bei der 385. Infanteriedivision. Allein schon die Geschwindig-
keit, mit der der Vorstoß durchgeführt wurde, hätte dies unmöglich gemacht
– an gewissen Tagen stürmte die Division kämpfend zwischen 40 und 50 km
weit nach Osten vor und musste von vorgesetzter Stelle sogar gebremst wer-
den700. Am 5. Juli stand sie mit anderen Divisionen als Spitze der Heeresgruppe
Süd bereits vor Voronež. In diesem wenige Tage dauernden Vorstoß hat-
ten das Generalkommando und die Divisionsführung fünf Korps- bzw. acht
Divisionsbefehle erlassen, die mittels Funk, in schriftlicher oder mündlicher
Form übermittelt wurden701. Diese hohe Befehlskadenz konnte schon im ers-
ten Fallbeispiel beobachtet werden. Die Division scheint jedoch weniger in die
Entscheidungsfindung des Generalkommandos eingebunden gewesen zu sein, als
dies bei der 385. Infanteriedivision der Fall gewesen war. Möglicherweise hing dies
mit dem – im Vergleich zu einer reinen Infanteriedivision – schnelleren Vorstoß
zusammen, der weniger Zeit für eine ausgiebige Einbindung der Unterstellten
zuließ. Vielleicht fehlen aber auch einfach die entsprechenden Nachweise in den
Divisionsakten702.
Der Kommandierende General hielt sich während des Vorstoßes jedenfalls
auch im Brennpunkt des Geschehens auf, etwa am 30. Juni, als er zusammen mit
Hoernlein den Angriff des Infanterieregiments »GD« 1 verfolgte. Am 3. Juli hat-
te Kempf sogar direkt in die Divisionsführung eingreifen müssen. Die Division
»GD« hatte für diesen Tag den Auftrag erhalten, »in überholender Verfolgung«
vorzustoßen, um zurückweichenden sowjetischen Verbänden nordöstlich von

699
Anlage 7 zu IDGD/Ia Nr. 38/42 g.Kdos. II. Ang., Weisungen für die Kampfführung,
17.6.1942, BArch, RH 26-1005/6, S. 4.
700
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (3.7.1942). Die IDGD kam teils bedeu-
tend schneller vorwärts als ihre Nachbardivisionen, was u.a. auf den unterschiedlich star-
ken Feindwiderstand zurückzuführen war. Dies führte dazu, dass Verbände der IDGD
zur Unterstützung der Nachbardivisionen in deren Angriffsstreifen eingesetzt wurden. Vgl.
ebd. (29.6.1942); Bericht über den Kampfauftrag am 29.6.42 auf Kschen von Stabswacht-
meister Schmarbeck, BArch, RH 26-1005/81.
701
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (28.6.‑5.7.1942).
702
Vgl. zu dieser Problematik: Römer, Der Kommissarbefehl, S. 32‑35.
426 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Silip’jagi den Weg abzuschneiden703. Dies gelang, woraufhin Hoernlein die Gunst
der Lage ausnutzen wollte und befahl, mit starken Kräften weit nach Osten bis
zum Westufer des Don vorzustürmen. Der Kommandierende General stopp-
te diesen weiteren Vorstoß und befahl stattdessen die Sicherung des bisher er-
reichten Raumes. Das Beispiel zeigt aber auch, dass sich Hoernlein während des
Vorstoßes zuvorderst an der Front aufhielt, den Angriff aus nächster Nähe mitver-
folgte und die »Entschlossenheit im Handeln [...] und hartnäckige Ausnutzung
jeden Erfolgs« an den Tag legte, die der Oberbefehlshaber der 4. Panzerarmee
Hoth vor Beginn der Offensive von jedem Truppenführer gefordert hatte704.
Mehrmals führte Hoernlein so auch an der vordersten Front Befehlsausgaben für
das weitere Vorgehen durch, etwa am 2. Juli, als die Division den Ort Goršečnoe
einnehmen und den Olym überwinden musste. Persönlich wies Hoernlein da-
bei die beteiligten Kommandeure im Gelände in die Lage ein und besprach mit
ihnen die geplante Durchführung des Angriffs705. Hoernleins Führen von vor-
ne ermöglichte ihm auch, den weiteren Verlauf der Bewegungen zu antizipieren,
wie gerade die erwähnte Einnahme von Goršečnoe belegt. Am Abend des 1. Juli
orientierte nämlich der Ia der rechten Nachbardivision (24. Panzerdivision) die
Divisionsführung darüber, dass sie am 2. Juli mit dem Gros nach Süden vorsto-
ßen werde und westlich von Goršečnoe nur noch schwache Teile sichern wür-
den. Damit war die rechte Flanke der Division »GD« nicht mehr ausreichend
geschützt. Für Hoernlein war klar, dass deshalb der Ort zuerst eingenommen wer-
den musste, bevor der Angriff weiter fortgeführt werden konnte. Der am 2. Juli
eintreffende Korpsbefehl bestätigte tatsächlich dieses Urteil706.
Hoernlein führte wie gesehen ausgeprägt von vorne, ließ dabei seinen
Unterführern aber gleichwohl Handlungsfreiheit. Dies lässt sich in der Art der
Befehlsgebung erkennen. Die Divisionsbefehle bestimmten in der Regel die
Angriffsziele, legten fest, wo der Schwerpunkt angesetzt werden sollte, und zeig-
ten im Sinne einer Eventualplanung die vorgesehene weitere Verwendung der
Verbände auf 707. Die Divisionsbefehle waren damit in der gleichen Weise abge-
fasst wie die Korpsbefehle, die ebenfalls lediglich die Angriffsziele oder koordinie-
rende Maßnahmen festlegten. Es gab allerdings auch Divisionsbefehle, die neben
dem Angriffsziel zusätzlich noch den Verlauf des Angriffs – d.h. den Weg in das
Angriffsziel – vorgaben708. Diese Befehle waren ansonsten nicht weniger offen
gehalten, weshalb die Wegangaben lediglich als koordinierende Maßnahmen zu

703
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (3.7.1942); Die Geschichte des Panzerkorps
Großdeutschland, Bd 1, S. 462.
704
Der OB der 4. Panzerarmee, Armee-Tagesbefehl, Juni 1942, BArch, RH 26-1005/6 (Zitat).
Spaeter meinte, er habe sich »überall und nirgends« aufgehalten und sei unentwegt »an den
wichtigsten Punkten des Geschehens« aufgetaucht. Die Geschichte des Panzerkorps Groß-
deutschland, Bd 1, S. 445.
705
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (2.7.1942).
706
Ebd. (1.7.1942).
707
Siehe die Divisionsbefehle Nr. 712, 713, 716 für die Fortsetzung des Angriffs vom
30.6., 2.7. und 3.7.1942, BArch, RH 26-1005/6, sowie vom 4.7. (Funkspruch), BArch,
RH 26-1005/7.
708
IDGD/Ia Nr. 709/42 geh., Div.Befehl für die Fortsetzung des Angriffs, 28.6.1942, BArch,
RH 26-1005/6; IDGD/Ia, Befehl für die Fortnahme von Gorschetschnoje, 2.7.1942,
BArch, RH 26-1005/6.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 427

betrachten sein dürften. Es ist jedenfalls kaum anzunehmen, dass Hoernlein von
einem Tag auf den anderen völlig anders befahl, zumal die Situationen sich äh-
nelten.
Der Hinweis auf diesen Aspekt ist aber umso angebrachter, da er exemplarisch
verdeutlicht, dass die in der Forschung gängige Definition der Auftragstaktik, wo-
nach bloß das Ziel, nicht aber der Weg ins Ziel vorgegeben wird, ein undifferen-
ziertes, zuweilen falsches Bild der Auftragstaktik zeichnet. Dass die Unterführer
trotz Wegbeschreibung Spielraum für auftragstaktisches Handeln erhielten, zeigt
sich am deutlichsten in den selbstständigen Entschlüssen. Besonders bemerkens-
wert ist dabei, dass es bereits in den ersten Angriffstagen zu Handlungen ge-
kommen ist, die mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet wurden. Zum einen gelang
es dem Kommandeur des III./Infanterieregiment »GD« 2, Ludwig Kohlhaas, in
»ungestüme[m] Vordringen«709 am 28. Juni, die Eisenbahnbrücke über den Tim
bei Čeremisinovo handstreichartig einzunehmen, was für den weiteren Verlauf
des Angriffs entscheidend war. Zum anderen konnte der Kompaniechef der 7./
Infanterieregiment »GD« 1, Oberleutnant d.R. Carl-Ludwig Blumenthal, am
4. Juli mit geringen Teilen seiner Kompanie östlich von Semiluki eine Donbrücke
einnehmen und im Verlauf der Nacht einen Brückenkopf errichten710. Dies
geschah, nachdem das Bataillon den Angriff auf Semiluki wegen sowjetischer
Gegenwehr bei Einbruch der Dunkelheit eingestellt hatte. In der späteren
Schilderung der »Tapferkeitstat« wurde neben dem selbstständigen Entschluss
Blumenthals besonders »der mitreißende Schwung dieses jungen Offiziers, seine
beispielhafte persönliche Einsatzbereitschaft und die umsichtige Führung seiner
Kompanie« hervorgehoben, dank denen das Regiment am folgenden Tag ohne
Zeitverlust über die Brücke weiter auf Voronež vorstoßen konnte711. Die Quellen
schildern weitere Beispiele selbstständigen Handelns anderer Unterführer712.
Wie sehr das Handeln der Unterführer auch von Entschlossenheit und
Offensivdenken beeinflusst war, zeigt das Beispiel des I. Bataillons »GD« 2, das
am 28. Juni nach Überschreiten des Tims auf Perevoločnoe angesetzt war. Nach
Einnahme des Ortes wollte der Bataillonskommandeur die sich zurückziehen-
den sowjetischen Truppen verfolgen. Der Regimentskommandeur stoppte die
Verfolgung jedoch, da das Bataillon weiter nach Süden vorstoßen sollte713. Das
Beispiel erinnert stark an Hoernleins Vorpreschen bei Silip’jagi, das ebenfalls
durch den Vorgesetzten angehalten werden musste.
Nach Erreichen von Voronež wurde die Division »GD« zusammen mit der
24. Panzerdivision auf Befehl Hitlers herausgelöst, da sie Gefahr liefen, sich im
Stadtkampf »zu verbrauchen«714. Die Division wurde ab dem 6. Juli in den Raum
von Zemljansk verlegt, wo ihr eine dreitägige Ruhepause zugesprochen wurde.

709
IDGD, Divisionstagesbefehl, 29.6.1942, BArch, RH 26-1005/6.
710
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (4.7.1942); Die Geschichte des Panzerkorps
Großdeutschland, Bd 1, S. 489‑491.
711
[IRGD 1], Tapferkeitstat des Oberleutnant Blumenthal, undat., BArch, RH 37/6393. Für
diese Tat erhielt Blumenthal am 18.9.1942 das RK. Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 226.
712
IDGD, Divisionstagesbefehl, 29.6.1942, BArch, RH 26-1005/6; Die Geschichte des
Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 451‑480.
713
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 454.
714
Halder, KTB, Bd 3, S. 473 (5.7.1942); IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5
(6.7.1942).
428 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Bereits spätabends am 7. Juli erfolgte jedoch der Befehl, »beschleunigt Raum


Ssinije Lipjagi« zu erreichen715. Daraufhin musste die Division in schnellem mot.-
Marsch über das erste Angriffsziel Ol’chovatka nordwestlich von Rossoš’ und
Michaylovka bis zum 15. Juli auf die Höhe von Millerovo vorstoßen. Bis zum
17. Juli drang sie über Tacinskaja weiter bis zum Don bei Konstantinovskij716. In
weniger als zwei Wochen hatte die Division somit – größtenteils ohne oder nur
mit geringen Kampfhandlungen – über 500 km Distanz zurückgelegt und den
Unterlauf des Don erreicht. Dies verdeutlicht nochmals, wie sich die Führung der
Division »GD« ganz grundsätzlich von derjenigen der 385. Infanteriedivision un-
terschied, die in einem viel geringeren Radius verwendet wurde. In dieser Phase
der Offensive beschränkten sich die Befehle bezeichnenderweise einzig darauf,
Angriffsziele festzulegen und zu betonen, dass die Division »die gesteckten Ziele
in rastloser Verfolgung« schnellstmöglich zu erreichen hatte, um ein Ausweichen
des Gegners nach Osten zu verhindern717. Die Auftragserteilung bezeichnete da-
bei als Ziele nicht einmal immer Ortschaften, sondern beschränkte sich teilweise
sogar darauf, Abschnitte anzugeben, in denen die Division den ausweichenden
Gegner abfangen sollte718. Selbst in dieser Phase verlief der Vormarsch aber nicht
als unkoordiniertes Drauflosstürmen. Die Divisionsführung koordinierte z.B.
den Vorstoß an den Donec ab dem 16. Juli, der in drei Kampfgruppen durch-
geführt wurde, indem sie wiederum den Marschweg festlegte719. Auch brach-
ten sich der Kommandierende General des XXXXVIII. Panzerkorps sowie der
Oberbefehlshaber der 4. Panzerarmee Hoth direkt in die Führung ein, indem
sie persönlich auf die Wichtigkeit der Aufgabe hinwiesen und die Division zu
Höchstleistungen antrieben720.
Am 17. Juli begann die Division »GD« ihren Angriff auf die Brücken über den
Don bei Konstantinovskij und über den Donec bei Bronnickij, deren Einnahme
für den weiteren Verlauf der Gesamtoffensive operative Bedeutung besaß. Nach
Bildung des Brückenkopfes über den Donec hatte die Division sofort auf Šachty
vorzustoßen, um den sowjetischen Verbänden im Donecbogen den Rückzug
nach Süden über den Don unmöglich zu machen721. Der Oberbefehlshaber der
4. Panzerarmee machte die Bedeutung des Auftrags in einem an die Division
gefunkten Armeebefehl erneut deutlich. Der Auftrag selbst beschränkte sich da-

715
IDGD/Ia Nr. 721/42 geh., 7.7.1942, BArch, RH 26-1005/7; IDGD/Ia, KTB, Nr. 1,
BArch, RH 26-1005/5 (8.7.1942) (Zitat).
716
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 500‑508.
717
Gen.Kdo. XXXXVIII. PzK/Ia R.Nr. 1854/42 geheim, Korpsbefehl für Inf.Div. G.D.,
13.7.1942, BArch, RH 26-1005/7, S. 1 (Zitat); IDGD/Ia, Div.Befehl für die Fortsetzung
des Vormarsches am 14.7., 13.7.1942, BArch, RH 26-1005/7.
718
Gen.Kdo. XXXXVIII. PzK/Ia R.Nr. 1854/42 geheim, Korpsbefehl für Inf.Div. G.D.,
13.7.1942, BArch, RH 26-1005/7.
719
IDGD/Ia, Div. Befehl für den Vorstoß zum Donez am 16.7.1942, 15.7.1942, BArch,
RH 26-1005/7.
720
Funkspruch Nr. 13013, OB 4. Panzerarmee an IDGD, 15.7.1942, BArch, RH 26-1005/7;
FS K.G. XXXXVIII. PzK an Kdr. IDGD, 15.7.1942, BArch, RH 26-1005/7; IDGD/Ia,
KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (15.7.1942).
721
Halder, KTB, Bd 3, S. 484 (17.7.1942); IDGD/Ia, Div.Befehl für das Aufschließen
der Div. am 17.7.42, 16.7.1942, BArch, RH 26-1005/7; Gen.Kdo. XXXXVIII. PzK/Ia
R.Nr. 1856/42 geheim, Korpsbefehl, 18.7.1942, BArch, RH 26-1005/7, S. 1.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 429

bei lediglich auf die Formulierung, dass die Division »in rastloser Verfolgung auf
Schachty« vorstoßen solle, »um Feind bei Rostow zusammenzudrängen« – Hoth
unterließ es jedoch nicht, speziell zu betonen, dass er »von Grossdeutschland [eine]
besondere Leistung« erwarte722. In gleicher Weise legte auch der Divisionsbefehl
vom 19. Juli für die angreifende Kampfgruppe (Köhler) fest:
»Die Gruppe stößt am 20.7., so früh wie möglich antretend, unter Abdeckung
und Aufklärung bis zur Linie Kertschik–Kirajewo auf Schachty und nimmt
Schachty723.«
Da die zweite Kampfgruppe (Jauer) den Brückenkopf über den Donec zu hal-
ten und lediglich die nördliche Flanke der Division artilleristisch abzudecken
hatte und die dritte Kampfgruppe (Garski) die restlichen Teile der Division ab
Tacinskaja nachführte, erübrigte sich sogar die Festlegung einer fixen Angriffs-
zeit724. Die straffe Führung durch den Divisionskommandeur war jedoch stän-
dig sichergestellt. Dies zeigt bereits Hoernleins Eingreifen einen Tag zuvor, als
erstmals versucht worden war, Šachty anzugreifen. Hoernlein klärte in seinem
Fieseler Storch die Feindlage auf und erkannte dabei eine überraschend einge-
nommene Bereitstellung sowjetischer Panzer. Daraufhin landete er in der Nähe
des Brückenkopfes bei Bronnickij und befahl der Angriffsgruppe (Köhler),
den Vorstoß auf Šachty abzubrechen und stattdessen den Brückenkopf zu ver-
stärken725. Am folgenden 20. Juli hatte die Division immer noch einzig den
Auftrag, »mit allen Mitteln auf Schachty vorzutreiben«, wegen des hinhaltenden
Widerstandes sowjetischer Verbände verzögerten sich der Vormarsch der Division
und die Einnahme Šachty jedoch bis zum 21. Juli726. Zu diesem Zeitpunkt hatte
die 22. Panzerdivision das Divisionskommando in einem Funkspruch darüber
orientiert, dass sie bereits den Nordrand des südwestlich von Šachty gelegenen
Novočerkassk eingenommen hatte. Zur selben Zeit hatte die Division auch
Verbindung mit der 14. Panzerdivision aufnehmen können, die südlich nach
Novočerkassk vorgestoßen war727. Damit konnte angenommen werden, dass
sich die sowjetischen Verbände um Šachty zurückgezogen hatten, um nicht ein-
geschlossen zu werden. Während das Kradschützenbataillon »GD« noch »auf-
tragsgemäß« auf die Stadt vorgehen sollte, reagierte Hoernlein bereits auf die
Meldungen der 22. und 14. Panzerdivision:

722
Funkspruch Nr. 117, OB 4. Panzerarmee an IDGD, 19.7.1942, BArch, RH 26-1005/7.
723
IDGD/Ia, Div. Befehl für den 20.7.1942, 19.7.1942, BArch, RH 26-1005/7.
724
Ein solches Vorgehen konnte auch andernorts festgestellt werden. So hatte z.B. Generaloberst
Küchler (AOK 18) in einer Weisung festgehalten: »Ich habe mehrmals im Armeebefehl von
der Bestimmung der Uhrzeit für einen Angriff abgesehen und nur die Weisung gegeben,
›frühzeitig‹ oder ›möglichst frühzeitig‹ zum Angriff anzutreten. Diese Maßnahme verfolgte
den Zweck, der Truppe die für Vorbereitung und Bereitstellung zum Angriff erforderliche
Zeit zu lassen.« Als allerdings aus Sicht Küchlers mehrfach zu spät angegriffen wurde, legte
er künftig die Angriffszeit wieder fest. AOK 18/Ia Nr. 2111/41 geh., Betr.: Erfahrungen,
16.8.1941, BArch, RH 20-18/1246, S. 1 (Hervorhebung im Original).
725
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (19.7.1942).
726
Obkdo der 4. Panzerarmee, Panzerarmeebefehl, 20.7.1942, BArch, RH 26-1005/7 (Zitat);
IDGD/Ia, Divisionsbefehl für den 21.7.1942, 20.7.1942, BArch, RH 26-1005/7.
727
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (21.7.1942). Dort auch die folgenden
Zitate.
430 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

»Noch vor Erreichen von Schachty entschließt sich der Div.Kdr. auf Grund
der Lage zu dem Entschluss, von dem befohlenen Vorstoß auf Schachty ab-
zusehen und sofort mit verfügbaren Teilen nach Süden gegen Don abzudre-
hen, um Gegner, der bei Rasdorskaja mit Fähren überzusetzen versucht, zu
vernichten.«
Dieses Vorgehen stellt geradezu ein Musterbeispiel auftragstaktischen Handelns
dar. Hoernlein beurteilte nicht nur den Auftrag anhand der neuen Lage und ent-
schloss sich im Sinn der Absicht zu handeln, d.h. die sowjetischen Übersetzstellen
über den Don anzugreifen und das Ausweichen weiterer sowjetischer Verbände
unmöglich zu machen728. Bemerkenswert ist dabei auch, dass der neue Auftrag
an die Stoßgruppe der Division ausschließlich über Funk erteilt wurde, ob-
wohl dies die Umgliederung dieser Gruppe während des Vormarsches und das
Abdrehen in eine völlig neue Angriffsrichtung beinhaltete. Das Vorgehen zeigt
aber auch das Zusammenspiel mit der vorgesetzten Kommandobehörde auf. Als
der Kommandierende General des XXIV. Panzerkorps, General der Panzertruppe
Willibald Freiherr von Langermann und Erlencamp, später bei der Division ein-
traf, erklärte er sich mit dem selbstständigen Entschluss Hoernleins einverstanden
und billigte ihn nachträglich, obschon die Division zu diesem Zeitpunkt Šachty
noch gar nicht eingenommen hatte729. Besonders hervorzuheben ist weiter, dass
die Division erst an diesem Tag dem Generalkommando neu unterstellt worden
war. Noch am späten Nachmittag besprach sich Langermann mit Hoernlein und
erließ daraufhin einen schriftlichen Korpsbefehl über die künftige Verwendung
der Division. Daraufhin gab die Division am Abend selbst einen schriftlichen
Befehl heraus. Darin befahl sie die Fortsetzung des Angriffs in südliche Richtung
an den Don, wobei die mit dem Angriff beauftragte Kampfgruppe Köhler zu-
sätzlich noch mündlich durch den Divisionskommandeur unterwiesen wurde730.
Auch dies war – wie bereits mehrmals festgestellt – kennzeichnend für den deut-
schen Führungsvorgang.
Von einem ebenso direkten, persönlichen Austausch war auch die Führung
der Division durch das Generalkommando geprägt. Am 22. Juli befand sich
der Kommandierende General erneut auf dem Divisionsgefechtsstand und er-
teilte Hoernlein mündlich den Auftrag, nach dem Donübergang über Ažinov
und Susatskij auf Tuzlukovskij vorzugehen, woraufhin die Division am Abend
für ihre Verbände einen neuerlichen Divisionsbefehl erließ731. Die Aufträge
waren sehr offen gefasst: Das mit zwei schweren Artilleriebatterien und einer
Panzerkompanie verstärkte Kradschützenbataillon hatte »durch Angriff die Lage
um Bessergenewskaja« zu »bereinig[en]«, wo sich noch sowjetische Verbände auf-

728
Dieser Gedankengang wird in der Feinddarstellung vom 23.7.1942 dem PzAOK 1 geschil-
dert. IDGD/Ia Nr. 818/42 geh., Betr.: Feinddarstellung vor der Front für die Zeit vom
19.7.‑22.7.1942, 23.7.1942, BArch, RH 26-1005/5.
729
Der K.G. des XXIV. PzK traf um 13.00 Uhr bei der IDGD ein, das Kradsch.Btl. »GD«
erreichte Šachty aber erst um 14.00 Uhr. IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5
(21.7.1942).
730
IDGD/Ia, Divisions-Befehl für das Abdrehen der Div. und den Vorstoß über den Don,
21.7.1942, BArch, RH 26-1005/7.
731
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (22.7.1942); IDGD/Ia, Divisions-Befehl
für den 23.7.1942, 22.7.1942, BArch, RH 26-1005/7. Dort auch die folgenden Zitate
(Hervorhebung im Original).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 431

hielten. Die Koordination des Angriffs lag in der Verantwortung des Komman-
deurs des Kradschützenbataillons, der in »unmittelbarem Einvernehmen mit Kdr.
A.R. und Kdr. Pz.-Abt.« seine Kampfgruppe so zu versammeln hatte, dass der
Angriffsbeginn »am 23.7. bis 10.00 Uhr erfolgen kann«. Auch die Kampfgruppe
Köhler hatte lediglich den Auftrag erhalten, »nach Übersetzen der schweren Waffen
auf Ashinoff vor[zustoßen]«. Die Durchführung dieses Auftrages überwachten
Hoernlein und Langermann jedoch persönlich vom Brückenkopf Puchljakovskij
aus732. Damit befanden sich sowohl der Korps- als auch der Divisionsführer im
Zentrum des Angriffs der Kampfgruppe Köhler und konnten dessen Verlauf von
vorderster Stelle aus mitverfolgen.
Ab dem 24. Juli wurde die Division »GD« mit der 16. Infanteriedivision
(mot) zur »Gruppe Großdeutschland« zusammengefasst. Dieser ad-hoc-Verband
hatte unter Führung des Kommandeurs der 16. Infanteriedivision (mot) General-
leutnant Sigfrid Henrici bei Spornyj einen Brückenkopf über den Manyč zu bil-
den733. Dabei zeigte sich bei der Einnahme von Susatskij und der Bildung des
Brückenkopfes südlich davon erneut die initiative und entschlossene Führung
Hoernleins. Der Divisionsbefehl vom 24. Juli hatte lediglich vorgesehen, mit
dem Infanterieregiment »GD« 2 im Westen zu sichern und einen Scheinangriff
auf Ažinov vorzutäuschen, wobei Ažinov »bei günstiger Gelegenheit (weichen-
der Gegner)« einzunehmen sei734. Das Infanterieregiment »GD« 1 hatte gleich-
zeitig auf Susatskij vorzugehen und den Ort einzunehmen. Der Auftrag an das
Infanterieregiment »GD« 2 lässt deutlich einen gewissen Handlungsspielraum
erkennen, die Durchführung wurde aber dadurch koordiniert, dass der Angriff
erst auf Befehl der Division begonnen werden durfte. Der Schwerpunkt lag
nämlich beim Angriff auf Susatskij. Hier erhielt Köhler zumindest in den
Angriffsvorbereitungen Handlungsfreiheit, indem er den Angriffszeitpunkt
selbst – wenn auch »baldmöglichst« – bestimmen konnte735. Erneut wurden die
Aufträge für die Regimenter vorgängig noch mündlich besprochen.
Bemerkenswert ist dabei besonders, dass die Kommandeursbesprechung über
den weiteren Einsatz der Division und die Herausgabe des Divisionsbefehls vor
dem Eintreffen des definitiven Gruppenbefehls stattfanden. Dass Hoernlein
die Weiterentwicklung des Vorstoßes richtig antizipierte, wird dadurch belegt,
dass trotz nachträglichen Eintreffens des Gruppenbefehls »der bereits am Mittag
mündlich besprochene Einsatz der Div. [...] davon unberührt« blieb. Noch deut-
licher zeigte sich das initiative Handeln Hoernleins während des Angriffs. Dieser
verlief planmäßig, weshalb sich der Divisionskommandeur schon kurz nach der
Einnahme von Susatskij »bis zu den vordersten Teilen des Brückenkopfes« begab
und der Panzerabteilung sowie dem I. Bataillon »GD« 1 befahl, »unverzüglich«
südwestlich auf Kalinin weiterzustoßen736. Auch dieser Entschluss Hoernleins

732
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (23.7.1942).
733
Gruppe Groß Deutschland/Ia, Gruppenbefehl für die Bildung des Brückenkopfes über den
Podpoljanan bei Ssussatskij am 25.7.42, 24.7.1942, BArch, RH 26-1005/7; Gruppe Groß-
Deutschland/Ia, Befehl für den Vorstoß der Gruppe Groß-Deutschland von Ssussatskij
über den Manytsch und Bildung eines Brückenkopfes südl. Spornyj, 25.7.1942, BArch,
RH 26-1005/7.
734
IDGD/Ia, Divisions-Befehl für den 25.7.1942, 24.7.1942, BArch, RH 26-1005/7, S. 1.
735
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (24.7.1942). Dort auch das Folgende.
736
Ebd. (25.7.1942). Dort auch das Folgende.
432 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

zeigt, dass er die Lage richtig eingeschätzt hatte, erhielt die Division doch kurz
darauf »den fernmündlichen Befehl von der 1. Pz.Armee, den großen Erfolg von
Ssussatskij auszunutzen, sobald die Kräfte es zulassen«.
Am 26. Juli stieß die Division »GD« von Susatskij und Kalinin auf Karpovka
und Ažinov vor und nahm beide Ortschaften ein. Nachdem die Division so die
Ausgangslage für den weiteren Vorstoß an den Manyč gebildet hatte, wurde sie
ab dem 27. Juli dem Generalkommando III. Panzerkorps unterstellt und bis zum
31. Juli ausschließlich noch damit beauftragt, die Flanken des Vormarsches zu
sichern sowie das rückwärtige Korpsgebiet zu durchkämmen und von »verspreng-
ten Feindteile[n]« zu säubern737. Mit Befehl des OKH vom 2. August war die
Division schließlich nach Norden in den Raum um Šachty zu verlegen, wo sie als
OKH-Reserve Rasträume bezog738.

Abwehrkämpfe im Frontbogen bei Ržev

Ab dem 15. August wurde die Division »GD« auf Befehl des OKH von Šachty aus
nach Stalino in Marsch gesetzt, wo sie im Eisenbahntransport nach Smolensk ver-
legt wurde. Von dort erfolgte schließlich der Marsch nach Ržev, wo die Division ab
ihrem Eintreffen Ende August zunächst als Reserve des Armeeoberkommandos 9
(Model) verwendet, ab dem 30. August aufgrund der sich zuspitzenden Lage je-
doch dem Generalkommando XXVII. Armeekorps unterstellt wurde739.
In Folge der seit Ende Juli 1942 angelaufenen sowjetischen Großoffensive
auf Ržev und Syčëvka hatte die deutsche Front bis zum 25. August nördlich und
östlich von Ržev zurückgenommen werden müssen. Konnte die Nordfront der
9. Armee zwischen Ržev und Zubcov soweit stabilisiert werden, sollte die sow-
jetische Offensive gegen den Frontabschnitt südlich davon erst Ende September
aufgehalten werden können740. In diesem Rahmen wurde die Division »GD«
bis zum 8. Oktober südlich von Ržev eingesetzt. Wie bereits im Fallbeispiel
zur 10. Infanteriedivision (mot) gesehen, war die Kriegführung in diesem
Frontabschnitt von ganz anderen Rahmenbedingungen geprägt. Die Kampf-
handlungen der Division »GD« unterschieden sich ab September 1942 deshalb
erheblich von denen im Südabschnitt der Front. Die Division »GD« war zwar
nicht wie die 10. Infanteriedivision (mot) geschlossen in einem fest zugeteilten
Verteidigungsabschnitt eingesetzt, den sie ausbauen musste. Teile der Division
wurden immer wieder zur lokalen Verstärkung anderer Frontabschnitte im
Korpsbereich eingesetzt. Doch auch das Gros der Division »GD« führte lediglich
begrenzte Angriff- und Abwehrkämpfe in einem – im Vergleich zur Südoperation

737
Ebd. (26.‑31.7.1942).
738
Ebd. (2.8.1942); IDGD/Ia, Divisions-Befehl, 3.8.1942, BArch, RH 26-1005/7.
739
Scheibert, Panzer-Grenadier-Division Großdeutschland, S. 61; Die Geschichte des
Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 531‑534. Die IDGD war seit ihrem Eintreffen
in die Kampfvorbereitungen des Gen.Kdo. XXVII. AK einbezogen worden und stand seit
29.8.1942 mit Einheiten im Einsatz, obwohl sie noch Armeereserve war. Ihr geschlossener
Einsatz hing aber von Hitlers Genehmigung ab, die am 9.9.1942 erfolgte. IDGD/Ia, KTB,
Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (29./30.8.1942); KTB OKW, Bd 2/2, S. 703; Halder,
KTB, Bd 3, S. 519 (9.9.1942).
740
DRWK, Bd 6, S. 908‑910 (Beitrag Wegner); Haupt, Heeresgruppe Mitte, S. 134‑137.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 433

des Sommers – räumlich massiv geringeren Einsatzradius. Wie bereits bei der
10. Infanteriedivision (mot) beobachtet werden konnte, beschränkten sich die
Kampfhandlungen deshalb auch für die Division »GD« im Wesentlichen auf die
Wiederherstellung oder Vorverlegung der Hauptkampflinie und die Abwehr so-
wjetischer Vorstöße.
Die allgemeine bedrohliche Lage beim Armeeoberkommando 9 machte
sich dabei deutlich bemerkbar. Noch bevor die letzten Verbände der Division
im neuen Einsatzraum eingetroffen waren, wurde die Divisionsführung in die
Operationsplanungen der Armee und des Korps zur Bereinigung eines sowje-
tischen Einbruchs südlich von Zubcov einbezogen741. Dabei zeigte sich von
Beginn an die für den Kampf in einem Verteidigungabschnitt eigentümliche enge
Führung. Das Verhältnis der Division zu den vorgesetzten Kommandobehörden
war von ebenso häufigen Kontakten und einem fortwährenden persönlichen
oder telefonischen Austausch bestimmt, wie dies schon im Fallbeispiel der
10. Infanteriedivision (mot) festgestellt werden konnte. Ab dem 26. August nahm
Hoernlein – z.T. vertreten durch seinen Ia – innerhalb der ersten sechs Tage im neu-
en Korpsabschnitt an fünf Besprechungen beim Generalkommando teil, er orien-
tierte den Oberbefehlshaber der Armee zweimal über die geplante Durchführung
des Angriffs, tauschte sich mit dem Kommandeur der am Angriff beteiligten
1. Fliegerdivision aus und erörterte in drei Kommandeursbesprechungen seinen
Kommandeuren die geplante Durchführung sowie den Zeitplan des Angriffs742.
Ein am 9. September erfolgter sowjetischer Einbruch in die Hauptkampflinie
zwischen Vekšino und Čermasovo sowie nördlich von Ržev kam diesem Angriff
schließlich zuvor und erforderte neue Angriffsplanungen743. Auch dieser Tag war
ganz von mündlichen und telefonisch geführten Besprechungen über den not-
wendig gewordenen Gegenangriff der Division »GD« geprägt. Nach der telefoni-
schen Alarmierung und der Vorinformierung über einen möglichen Einsatz der
Division durch den Kommandierenden General des XXVII. Armeekorps General
der Infanterie Walter Weiß begab sich Hoernlein zur Kommandeursbesprechung
auf den Korpsgefechtsstand. Zuvor wurde den Regimentern noch das »Vorüben
von Angriffen gegen Feldstellungen und Kampfanlagen« befohlen744. Die
Besprechung Hoernleins mit dem Kommandierenden General ist ein weiteres
Beispiel dafür, wie stark der deutsche Führungsvorgang von der Einbindung

741
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (26.8.1942); Gen.Kdo. XXVII. AK/
Ia Nr. 258/42 g.Kdos., Korpsbefehl für den Angriff zur Bereinigung des russ. Ossega-
Brückenkopfes, 30.8.1942, BArch, RH 26-1005/11.
742
Zusätzlich tauschte sich die IDGD telefonisch noch zweimal mit dem AOK und vier-
mal mit dem Gen.Kdo. aus und erließ eine schriftliche Orientierung über den zeitlichen
Angriffsablauf sowie die geplanten Marschbewegungen. Schließlich führten der Div.Kdr.
und der Ia noch je eine Erkundung durch. IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10
(28.‑31.8.1942).
743
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: Ebd. (9.9.1942).
744
Wie erwähnt hatte die 10. ID (mot) nach dem Wechsel vom Angriffs- zum Verteidigungseinsatz
verschiedene Grundsatzbefehle über die Eigenheiten des Stellungskrieges erlassen. In den
Akten der IDGD fanden sich keine solchen Befehle. Dies dürfte wohl auf die Krisenlage
beim AOK 9 und die notwendig gewordene rasche Verwendung der Div. zurückzuführen
sein. Am 9.9.1942 musste deshalb noch eine kurzfristige Ausbildung über die Eigenheiten
des Kampfes gegen feste Fronten durchgeführt werden.
434 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

der Unterführer in die Entscheidungsfindung geprägt war. Nicht nur schlug


Hoernlein selbst vor, die Lage mit einer Kampfgruppe zu klären, er lehnte auch
den Vorschlag des Kommandierenden Generals ab, seine Division in die vorders-
te Linie einzuschieben, da »die vorgesehenen Bereitstellungsräume durch ande-
re Truppen voll belegt sind und dauerndes Artilleriefeuer nur unnötige Verluste
verursachen würde«. Nach dieser Besprechung kontaktierte Weiß Hoernlein am
selben Tag noch zweimal telefonisch, der seinerseits seine Unterführer münd-
lich orientierte und ihnen Befehle erteilte. Erst um 22.00 Uhr erfolgte der erste
schriftliche Befehl für das Vorführen der Einheiten in den Bereitstellungsraum745.
Trotz dieses sehr spät erfolgten ersten Befehls fiel die Anzahl schriftlicher Befehle
wiederum sehr hoch aus. Obwohl die Gefechtshandlungen durch einen star-
ken mündlichen Austausch geprägt waren, ergingen zwischen dem 9. und
13. September vier Korpsbefehle und fünf Divisionsbefehle746. Die schriftlichen
Befehle dienten allerdings nur noch zur Bestätigung des bereits Bekannten, wa-
ren die »Einzelheiten« doch schon in »mündlicher Anweisung« erfolgt747. Dies
belegen einerseits die Kürze der Befehle – der Korpsbefehl für den ersten Angriff
umfasste etwas mehr als zwei, die Divisionsbefehle maximal eineinhalb Seiten –,
andererseits ihre zeitliche Abfolge. So erhielt die Division den Korpsbefehl erst,
nachdem sie den Angriffsbefehl bereits selbst erlassen hatte748. Inhaltlich legten
die Befehle in den Aufträgen die Zwischen- und Angriffsziele und dadurch auch
den geographischen Angriffsverlauf fest, sie waren aber nicht grundsätzlich eng
gefasst. Der Auftrag an die »Kampfgruppe Greim« (Infanterieregiment »GD« 1)
lautete etwa:
»Kampfgruppe Greim stößt im engen Anschluss an Gruppe Garski über
Ssuchtino am Gostischka-Bach entlang auf Subarewo. Mit Teilen ist das
Gebiet um und nördlich Tscherkassowo vom Feind zu säubern749.«
Deutlich spürbar werden aber das Element der Einheitlichkeit und die Betonung
koordinierender Maßnahmen. Sowohl Korps- als auch Divisionsangriffsbefehl
hoben hervor, dass die zwei Kampfgruppen der Division »möglichst gleichzeitig«
und »in enger Fühlung« vorgehen sollten750. Dies war nötig, weil der Angriff ins-
gesamt über drei nacheinander einzunehmende Ziele führte: Nach Erreichen des
ersten Zwischenzieles mussten die Kampfgruppen weiter an die Gostiša vorgehen
und dort Brückenköpfe bilden. Aus diesem zweiten Zwischenziel durfte sodann
erst auf Befehl des Generalkommandos hin weiter in das eigentliche Angriffsziel

745
IDGD/Ia Nr. 742/42 geh., Divisions-Befehl für die Bereitstellung, 9.9.1942, BArch,
RH 26-1005/12.
746
Korpsbefehle Nr. 281, 275, 277, 278 vom 10./12./13.9.1942 und Divisionsbefehle für die
Bereitstellung, für den Angriff, für die Gliederung zur Verteidigung und für die Fortsetzung
des Angriffs vom 9./10.9.1942; BArch, RH 26-1005/12.
747
IDGD/Ia Nr. 742/42 geh., Divisions-Befehl für die Bereitstellung, 9.9.1942, BArch,
RH 26-1005/12, S. 2.
748
Am 10.9.1942 um 2.00 Uhr hatte die IDGD den Angriffsbefehl erlassen, erhielt jedoch
erst um 4.30 Uhr den Korpsbefehl. IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10
(10.9.1942).
749
IDGD/Ia, Divisions-Befehl für den Angriff, 10.9.1942, BArch, RH 26-1005/12, S. 2
(Hervorhebung im Original).
750
Ebd.; Gen.Kdo. XXVII. AK/Ia Nr. 281/42 g.Kds., Korpsbefehl, 10.9.1942, BArch,
RH 26-1005/12.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 435

gestoßen werden. Der Angriff wurde durch die zusammengefasste Artillerie des
Korps und der fünf involvierten Divisionen sowie durch die Luftwaffe unter-
stützt751. Insgesamt zeigt sich im Vergleich zu den Angriffsbefehlen während des
Unternehmens »Blau« eine enger gefasste Befehlsgebung, die besonders die koordi-
nierenden Maßnahmen stärker betonten, was aufgrund der Rahmenbedingungen
aber nicht erstaunt.
Schließlich lässt sich in der Vorbereitung und der Durchführung des Angriffs
neben dem Element der Einheitlichkeit auch der Aspekt des Führens von vorne
erkennen. So bezog Weiß einen vorgeschobenen Korpsgefechtsstand, der weni-
ger als 8 km hinter der Hauptkampflinie lag, der Divisionsgefechtsstand wurde
in der Nähe davon eingerichtet, wobei Hoernlein und der Ia sich während des
Unternehmens auch persönlich bei den Angriffsspitzen der Division befanden752.
Weiß selbst hielt sich während des Gegenangriffs vom 10. September den ganzen
Vormittag über auf dem Divisionsgefechtsstand auf, »um den Verlauf des Angriffs
der Div. zu verfolgen«753. Gegen 11.00 Uhr traf sogar der Oberbefehlshaber
der Armee und am Nachmittag sein Generalstabschef ein, um sich über den
Verlauf des Angriffs ins Bild setzen zu lassen. Die direkte Einflussnahme auf den
Angriffsverlauf zeigt sich beispielhaft, als sich gegen Mittag abzeichnete, dass der
Angriff der Kampfgruppe Garski festlief:
»Der Komm. General schlägt daher um 14.15 Uhr vor, den Schwerpunkt auf
den linken Flügel (I.R. 1) zu legen, da die Möglichkeit einer Fortsetzung des
Angriffs bei I.R. 1 und im Gostischka-Abschnitt mehr Erfolg bietet.«
Der Divisionskommandeur musste in dieser kritischen Situation folglich nicht
selbst entscheiden. Die Anpassung des Auftrags an die Lage erfolgte in Absprache
mit dem Vorgesetzten und auf dessen Entscheidung hin. Auch verdeutlicht
der weitere Verlauf der Gefechtshandlungen, wie wichtig die Nachrichtenver-
bindungen für das Führen von vorne waren754. Zunächst befahl Hoernlein seine
Regimentskommandeure entsprechend den Anweisungen des Kommandierenden
Generals. Als die Kampfgruppe Garski um 15.15 Uhr meldete, dass der Angriff
trotz Fliegerunterstützung zusammenbrach, befahl Hoernlein fernmündlich,
die eingenommene Höhe zu halten und sich nur noch mit dem III. Bataillon
am Angriff der anderen Kampfgruppe zu beteiligen. Um 16.00 Uhr begann
dieser Angriff mit Stukaunterstützung, lief sich jedoch kurz darauf wieder fest.
Um 16.15 Uhr befahl Hoernlein der Kampfgruppe Garski das Einnehmen der
Höhe 197,1 als Minimalziel und ordnete um 16.50 Uhr die Einstellung aller
Angriffe sowie das Einrichten zur Verteidigung für die Nacht an. Am Abend folg-

751
Ebd., S. 2.
752
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (9./13.9.1942). Die Nähe zur Front offen-
barte sich am 13.9.1942, als ein sowjetischer Artilleriebeschuss mitten auf dem Korps- und
Divisionsgefechtsstand zu liegen kam. Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland,
Bd 1, S. 556.
753
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (10.9.1942). Dort auch das Folgende.
754
Wie schon bei der 10. ID (mot) gesehen, wurden die Nachrichtenverbindungen überlagert
angelegt, d.h. zu den Kampfgruppen, der Pz.Jäg.Abt. sowie zum ARGD waren Telefon-
und Funkverbindungen eingerichtet. IDGD/Ia Nr. 742/42 geh., Divisions-Befehl für die
Bereitstellung, 9.9.1942, BArch, RH 26-1005/12, S. 3.
436 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

te der schriftliche Befehl für die Gliederung zur Verteidigung755. Auch bei den
Unterführern der Division bedurfte es keiner selbstständigen Entschlüsse, da je-
derzeit Nachrichtenverbindungen zum Divisionskommando bestanden.
Unter erheblichen Verlusten war es der Division an diesem Tag gelungen, den
sowjetischen Einbruch aufzufangen. Besonders hoch lagen die Verluste bei den
Truppen- und Unterführern der Infanterieregimenter, beim III./Infanterieregiment
»GD« 1 und dem II./Infanterieregiment »GD« 2, wobei letzteres fast ganz zerschla-
gen worden war, sowie bei der Panzerabteilung, die über 80 Prozent ihrer einge-
setzten Panzer verloren hatte756. Durch den Gegenangriff hatte die Front allerdings
noch nicht stabilisiert werden können, weshalb am 11. September um 8.00 Uhr
erneut die Offensive angetreten werden sollte757. Die Probleme des Vortages und
die wegen der Mitwirkung der Luftwaffe und Korpsartillerie hohe Komplexität
des Unternehmens veranlassten Hoernlein dazu, diesen Angriff noch straffer zu
koordinieren. In seinen Hinweisen für die Durchführung des Angriffs legte er
fest, dass die Division die »Zwischenziele« festlegen und »beide Rgter. von Ziel zu
Ziel vorführen« werde758. Auch dieser Divisionsbefehl war nicht einmal eineinhalb
Seiten lang. Trotz der strafferen Führung zeigte sich auch am zweiten Angriffstag
bezüglich des Führungsvorganges das gleiche Bild. Als z.B. noch vor Beginn des
deutschen Angriffs bei Michoevo ein sowjetischer Einbruch in die Nahstelle zwi-
schen der Division »GD« und der benachbarten 72. Infanteriedivision gelang,
meldete Hoernlein dies dem Kommandierenden General, der daraufhin die
Bereinigung der Lage befahl. Erst danach befahl Hoernlein selbst das in diesem
Raum liegende Infanterieregiment »GD« 1 zum Gegenangriff auf Michoevo. Für
den gesamten Tag lässt sich feststellen, dass entscheidende Maßnahmen wie etwa
Schwerpunktverlagerungen oder die Einstellung des Angriffs immer erst nach
Rückfrage beim Kommandierenden General stattfanden. Zudem erfolgten mehr-
mals Lageorientierungen an das Generalkommando, an das Armeeoberkommando
und sogar an den Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte (Kluge), der sich
nach dem Mittag persönlich auf dem Divisionsgefechtsstand einfand. Am Ende
des Tages gliederte sich die Division zur Verteidigung der neu gewonnenen
Hauptkampflinie ein. Während des folgenden Tages wehrte die Division verschie-
dene Angriffsunternehmen von insgesamt drei sowjetischen Divisionen ab759. Der
Austausch zwischen dem Generalkommando und der Division fand dabei in der
bereits festgestellten Art und Weise statt. Der reine Verteidigungskampf wirkte sich
aber nochmals einschneidender auf die Gefechtsführung aus. So mussten auf Befehl
des Generalkommandos im Verlauf des Tages das Kradschützenbataillon »GD«, das
I. Bataillon sowie die verstärkte 7. Kompanie aus dem Infanterieregiment »GD« 1
und die bei der Division »GD« eingesetzte Radfahrabteilung 72 als Korpsreserven
aus den Stellungen herausgelöst werden. Zwar hatte die Division schon seit

755
IDGD/Ia, Divisions-Befehl für die Gliederung zur Verteidigung, 10.9.1942, BArch,
RH 26-1005/12.
756
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (10.9.1942); Die Geschichte des
Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 558 f.
757
Gen.Kdo. XXVII. AK/Ia Nr. 275/42 g.Kdos., Korpsbefehl, 10.9.1942, BArch,
RH 26-1005/12.
758
IDGD/Ia, Div.Befehl für die Fortsetzung des Angriffs, 10.9.1942, BArch, RH 26-1005/12,
S. 2.
759
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (11./12.9.1942).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 437

Beginn der Kämpfe einzelne Einheiten als Korpsreserve ausscheiden müssen,


jedoch noch nie in dieser Quantität760. Zudem regelte das Generalkommando
für den 13. September auch den Einsatz der Panzerjägerabteilung »GD«. Diese
verblieb zwar bei der Division, ihre Aufstellung in der Panzerauffanglinie des
Verteidigungsabschnittes war aber zu melden, während alle »Änderungen im
Einsatz [...] der vorherigen Genehmigung des Generalkommandos«761 be-
durften. Die starre Befehlsgebung, die letztlich jegliche Selbstständigkeit der
Panzerjägerabteilung beschnitt, war wohl auf die speziellen taktischen und geogra-
phischen Rahmenbedingungen zurückzuführen762. Schon die Divisionsführung
hatte aufgrund ihrer Beurteilung der bisherigen sowjetischen Angriffe festgehalten,
dass die Abteilung bei neuerlichen Panzervorstößen »nicht dem Gegner entgegen-
zufahren, sondern in der Auffangstellung zu verbleiben und dort den Gegner zu
vernichten« habe763. Mehr Spielraum erhielt die Division »GD« wieder ab dem
Zeitpunkt, als das Generalkommando erneut in die Offensive gehen sollte. Im
Rahmen erster Vorbereitungen für das Unternehmen »Herbstwind« verlangte
der Korpsbefehl vom 13. September von »alle[n] Kommandeure[n], den Angriff
bis in jede Einzelheit seiner Durchführung mit den Führern aller Waffen zu
besprechen«764. Darüber hinaus mussten die beteiligten Divisionen ihre Absichten
vorgängig dem Generalkommando melden. Dies gehörte jedoch generell zum
normalen Ablauf des Führungsvorgangs und galt in Anbetracht der involvierten
Waffen ganz speziell für dieses Unternehmen765. Auffallend ist allerdings, dass das
Generalkommando für die Division »GD« keinen Gesamtauftrag formulierte, son-
dern ihr einen zweigeteilten Auftrag gab und gleich bestimmte, dass die Division
diesen mit zwei verstärkten Regimentsgruppen zu erfüllen habe. Andererseits be-
stimmte der Korpsbefehl für die beiden Kampfgruppen der Division »GD« ledig-
lich die Angriffsziele und ermöglichte es den Angriffsdivisionen, für die Artillerie-
und Luftwaffenunterstützung »Wünsche in einem genauen Plan mit Zeitangaben«
anzugeben. Es zeigt sich bei diesem Beispiel sehr anschaulich der Versuch, die
notwendige straffe Führung und Einheitlichkeit der beabsichtigten Handlung auf !
oberer Führungsstufe mit einer möglichst großen Handlungsfreiheit für die untere
Stufe in Einklang zu bringen. Noch bemerkenswerter ist, dass Hoernlein diese
Möglichkeit unmittelbar an seine Regimentskommandeure weitergab. Er band
sie direkt in die Entscheidungsfindung mit ein und forderte von ihnen konkrete
Vorschläge über die geplante Durchführung des Angriffs, die anhand von sechs in

760
Siehe ebd. (4./8./10./11.9.1942).
761
Gen.Kdo. XXVII. AK/Ia Nr. 277/42 geh.Kdos., Korpsbefehl, 12.9.1942, BArch, RH 26-
1005/12, S. 1.
762
Die Kampfhandlungen der IDGD im September 1942 ähnelten durchaus denen des
Stellungskrieges an der Westfront 1914/18. Vgl. auch Die Geschichte des Panzerkorps
Großdeutschland, Bd 1, S. 556, 586 f.; McGuirl/Spezzano, Geschichte der Panzergrena-
dierdivision »Großdeutschland«, S. 86.
763
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (12.9.1942).
764
Gen.Kdo. XXVII. AK/Ia Nr. 278/42 g.Kdos., Korpsbefehl, 13.9.1942, BArch, RH 26-
1005/12, S. 1. Dort auch das Folgende.
765
Am Unternehmen waren die IDGD und die 72. ID mit Infanterie, schweren Waffen,
Panzern, Sturmgeschützen und Artillerie sowie ein höherer Artilleriekommandeur und
Nahkampfverbände der Luftwaffe beteiligt.
438 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Frageform gefassten Punkten zu formulieren waren766. Dabei verlangte Hoernlein


nicht nur Anträge bezüglich der Artillerie- und Luftwaffenunterstützung oder
Angaben über den Kräfteansatz sowie den zeitlichen und taktischen Verlauf des
Angriffs. Interessanterweise sollte als erste Frage beantwortet werden, ob und un-
ter welchen Umständen der Angriff in der angegebenen Stoßrichtung Erfolg ver-
sprach767. Die Einschätzung des Kommandeurs des Infanterieregiment »GD« 2,
Garski, wonach der geplante Angriff die vorgängige Einnahme einer überragenden
Höhe östlich von Čermasovo bedinge, scheint zudem von der Division aufge-
nommen worden zu sein. Mit Befehl vom 19. September ordnete Hoernlein je-
denfalls für den 22. September drei »handstreichartig[e]« Stoßtruppunternehmen
(»Anton«, »Max« und »Moritz«) an, durch die eine für die geplante Offensive op-
timalere Ausgangslage hergestellt werden sollte768.
Mit diesem dreiteiligen vorbereitenden Unternehmen führte die Division »GD«
erstmals keinen Angriff im Divisionsrahmen, sondern ein begrenztes Unternehmen
durch, das eine hohe Ähnlichkeit mit dem im Fallbeispiel zur 10. Infanteriedivision
(mot) untersuchten Stoßtruppunternehmen »Waldmeister«/»Hildebrand« auf-
weist. Die Handstreiche waren als »Teilunternehmen zur Verkürzung der
HKL« vorgesehen, in deren Verlauf die sowjetischen Bunkerstellungen östlich
von Čermasovo zerstört werden sollten769. Sie waren von der Division befohlen
und wurden unter Leitung des Kommandeurs des Infanterieregiment »GD« 1
(»Max« und »Moritz«) sowie des Kommandeurs des Infanterieregiment »GD« 2
(»Anton«) durchgeführt, das Artillerieregiment »GD« unterstützte die Angriffe.
Während mit »Anton« lediglich die Hauptkampflinie vorverlegt wurde, lag der
Schwerpunkt bei den Unternehmen »Max« und »Moritz«, die auf die sowjetischen
Bunkerstellungen angesetzt waren. Entsprechend wurden diese Handstreiche durch
zwei Kompaniechefs des Sturmpionierbataillons geführt, deren Kompanien mit
je einer Sturmgeschützbatterie verstärkt wurden770. Ab dem 18. September began-
nen die Vorbereitungen anhand eines Vorbefehls. Der Beginn der Unternehmen

766
IDGD/Ia Nr. 60/42 g.Kdos., Betr.: Fortsetzung des Angriffs, 13.9.1942, BArch,
RH 26-1005/12.
767
Gemäß Spaeter war das Unternehmen »Herbstwind« eine »vom ›Grünen Tisch‹ [sic!]
hoher und höchster Kommandostellen« herrührende Offensivaktion, der vonseiten der
IDGD mit starken Bedenken begegnet worden sei. Während das Gen.Kdo. XXVII. AK die
Bedenken geteilt habe, bestand das AOK aber auf der Durchführung. Diese Frage dürfte
deshalb damit zusammenhängen. Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1,
S. 588 f.
768
IRGD 2/Ia Nr. 92/42 g.Kdos., Meldung an die IDGD, 14.9.1942, BArch, RH 26-
1005/12; IDGD/Ia Nr. 115/42 g.Kdos., Divisions-Befehl für die Unternehmungen
»Moritz«, »Max« und »Anton«, 19.9.1942, BArch, RH 26-1005/13.
769
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (18.9.1942). Aus diesen Bunkern heraus
hatte der Gegner bereits mehrmals angegriffen. Zudem konnten Artilleriebeobachter von
dort aus den gesamten deutschen Abschnitt einsehen. Die Geschichte des Panzerkorps
Großdeutschland, Bd 1, S. 579.
770
Die Kompaniechefs waren Oblt.d.R. Horst Warschnauer (2./Pi.Btl.GD) und Oblt.
Ernst-Albrecht Hückel (3./Pi.Btl.GD). Am Unternehmen »Moritz« beteiligten sich zu-
dem eine Schützenkompanie des IRGD 1 und zwei mittlere Pak, am Unternehmen
»Anton« ein schwerer Granatwerfer-, ein schwerer MG- sowie ein leichter IG-Zug der 14.
bzw. 15. Kp. IDGD/Ia Nr. 115/42 g.Kdos., Divisions-Befehl für die Unternehmungen
»Moritz«, »Max« und »Anton«, 19.9.1942, BArch, RH 26-1005/13, S. 1.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 439

wurde von der Division – wegen des geplanten fünfminütigen Stukaangriffs –


auf 17.00 Uhr angesetzt. Am Angriffstag fuhr Hoernlein gegen Mittag für eine
»letzt[e] Vorbesprechung« zu den beteiligten Regimentern771. Mit Ausnahme
der Einträge, dass die Vorbereitungen »planmäßig« nach dem Divisionsbefehl
verliefen und »völlige Klarheit in der Durchführung der Vorhaben« bestünde,
findet sich im Kriegstagebuch der Division jedoch kein näherer Hinweis auf
die Kampfvorbereitungen. Diese lagen ganz in der Verantwortung der betei-
ligten Kommandeure der Infanterieregimenter, des Artillerieregiments und des
Sturmpionierbataillons, welche die »Einzelheiten in der Durchführung [...] un-
mittelbar zu vereinbaren« hatten772. In der Befehlsgebung zeigt sich deshalb ein
interessanter Unterschied zur Vorgehensweise des Divisionskommandeurs der
10. Infanteriedivision (mot). Obwohl die Unternehmen bezüglich der taktischen
Aufgabe, des Umfangs und der Zusammensetzung sehr ähnlich waren, waren die
Befehle und Vorbereitungen bei der 10. Infanteriedivision (mot) straffer gehalten
als bei der Division »GD«. So umfasste Hoernleins Befehl mit weniger als zwei
Seiten gerade mal ein Drittel der Länge von Schmidts Divisionsbefehl. Zudem
legte Hoernlein lediglich die Eckpunkte des Unternehmens fest, d.h. die Absicht
der Division, den Zweck bzw. das Ziel des Angriffs, den Angriffszeitpunkt sowie
den Zeitplan für das Unterstützungsfeuer der Artillerie. Zwar ließ auch Schmidt
dem verantwortlichen Regimentskommandeur in der Durchführung des
Unternehmens Handlungsfreiheit, verlangte von diesem allerdings vorgängig den
Angriffsplan mit Skizze. Ein zumindest mündlich geführter Austausch über die be-
absichtigte Durchführung der Unternehmen könnte auch bei der Division »GD«
stattgefunden haben, dies dürften aber bloß kleinere Besprechungen gewesen sein,
da in den Divisionsakten diesbezüglich – nicht wie bei anderen Unternehmen
– überhaupt nichts verzeichnet ist. Die straffere Führung durch Schmidt zeigt
sich auch darin, dass er einen vorgeschobenen Divisionsgefechtsstand bezog,
der mit einem dichten Netz an Telefon- und Funksprechverbindungen zu den
beteiligten Einheiten eingerichtet war und so die direkte Einflussnahme wäh-
rend des Unternehmens sicherstellte, wohingegen bei der Division »GD« nichts
dergleichen ersichtlich ist. Zudem hatte Schmidt festgelegt, wo der beteiligte
Regiments- und Bataillonskommandeur den Gefechtsstand einzurichten hatte,
und eine Reserve aus zwei Kompanien und einem Pak-Zug in der Hand behal-
ten, um jederzeit in die Kampfführung eingreifen zu können. Entscheidend ist
aber die Abstufung im Vergleich zur Division »GD«, denn Schmidt gestand den
Unterführern zwar selbstständiges Handeln zu, Hoernlein gewährte jedoch einen
noch größeren Freiraum.
Die praktische Vorbereitung der Truppe auf das Unternehmen verlief aller-
dings genauso wie bei der 10. Infanteriedivision (mot). Mehrere Tage lang erkun-
deten die beteiligten Unterführer das Einsatzgelände und übten den Einbruch in
die sowjetischen Stellungen und den Bunkerkampf an Modellen, sodass schließ-
lich »jeder Handgriff, der Ansatz jedes Mannes festgelegt, jeder einzelne auf seine
Aufgabe vorbereitet« war773.

771
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (21./22.9.1942). Dort auch das Folgende.
772
IDGD/Ia Nr. 115/42 g.Kdos., Divisions-Befehl für die Unternehmungen »Moritz«, »Max«
und »Anton«, 19.9.1942, BArch, RH 26-1005/13, S. 2.
773
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 579.
440 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Die Unternehmen »Max« und »Moritz« verliefen sehr erfolgreich und wa-
ren schon nach einer Stunde abgeschlossen. Neben der bereits erwähnten
Selbstständigkeit waren die Unternehmen zudem stark von den Elementen der
Entschlossenheit und des Offensivdenkens geprägt. Besonders zeichneten sich die
beiden Kompaniechefs des Sturmpionierbataillons aus. Während die 3. Sturm-
pionierkompanie gemäß des Tagesberichtes des Infanterieregiments »GD« 1 inner-
halb von zwölf Minuten 80 Bunker zerstörte, gelang der 2. Sturmpionierkompanie ?
offenbar sogar die Einnahme von 120 Bunkern in 18 Minuten, wobei – so der
Bericht – »ihr Schwung [...] so immens [war], dass sie noch weit über ihr eigent-
liches Angriffsziel vorstößt und den Gegner weiter verfolgt«774.
Die Analyse der Unternehmen »Moritz«, »Max« und »Anton« belegte, dass
diese Angriffe für Stoßtruppunternehmen im Rahmen des Stellungskrieges ein
erstaunlich geringes Maß an straffer Führung aufwiesen. Die Gewichtung der
Einheitlichkeit der Handlung beschränkte sich auf Divisionsstufe einzig auf
den Angriffsbeginn und die zu diesem Zeitpunkt notwendige Koordinierung
des Artillerie- und Stukaeinsatzes sowie auf die Angriffsvorbereitungen der
Sturmkompanien. Bemerkenswert ist dabei auch, wie offen und fast schon locker
der Führungsvorgang ablief. Der eigentliche Angriff war denn auch von selbst-
ständigem und entschlossenem Handeln sowie von dem Offensivdenken der ver-
antwortlichen Kompaniechefs geprägt. Die Divisionsführung war zwar bereits
früher von einer offenen Befehlsgebung gekennzeichnet gewesen, allerdings nie
in diesem Ausmaß. Dafür scheinen zwei Gründe plausibel: Zum einen handelte
es sich wie gesagt um ein kleines Unternehmen, das im Verantwortungsbereich
der Regimenter lag. Hoernlein, der ihnen bereits früher Handlungsspielraum
zugestanden hatte, beschränkte den Einfluss der Division auch dieses Mal auf
koordinierende Maßnahmen. Zum anderen dürften die vergleichsweise geringen
Vorgaben der Division auch damit zusammengehangen haben, dass diese zu die-
sem Zeitpunkt wie gesehen in der Hauptsache bereits mit den Vorbereitungen für
das Unternehmen »Herbstwind« beschäftigt war.
Das Unternehmen »Herbstwind« war die letzte und zugleich größte Offensive
der Division »GD« während der Einsatzzeit im Bereich des XXVII. Armeekorps.
Sie bezweckte, die alte Hauptkampflinie wiederherzustellen und die Lage bei
Ržev endgültig zu beruhigen. Die Bedeutung des Unternehmens zeigt sich schon
darin, dass der Oberbefehlshaber der Armee am 14. September den Angriffsplan
in einer Kommandeursbesprechung auf dem Divisionsgefechtsstand besprach775.
Im Vergleich mit den Unternehmen »Max«, »Moritz« und »Anton« zeigt sich
auch, dass das Unternehmen »Herbstwind« wegen seines größeren Umfangs
und der Komplexität eingehendere Befehle nach sich zog. Der Korpsbefehl vom
14. September bestimmte in bisheriger Form Gefechtsaufträge für die Division

774
Tagesbericht IRGD 1, zit. nach: Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1,
S. 581‑583. Warschnauer erhielt für diesen Angriff das RK. Auch die 3. Kp. wäre noch
weiter gestoßen, ihr Vorstoß musste aber auf Befehl eingestellt werden. Hückel sollte sich
im August 1943 als Kdr. des Pi.Btl.GD in den Gefechten bei Achtyrka erneut durch ei-
nen selbstständigen Entschluss auszeichnen, der ihm schließlich das RK einbrachte. Die
Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 2, S. 243; Scherzer, Die Ritterkreuzträger,
S. 408, 769.
775
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (14.9.1942).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 441

»GD«776. Dabei blieb es bei der Festlegung, wonach die Division mit zwei ver-
stärkten Regimentsgruppen in zwei Ziele vorstoßen musste. War dies inhaltlich
aufgrund des zweigeteilten Auftrags nachvollziehbar, erstaunt doch die Art und
Weise, wie der Auftrag formuliert war. Damit gab das Generalkommando nicht
nur vor, in welcher Gliederung die Division anzugreifen hatte, sondern auch,
über welchen Weg dies geschehen sollte777. Eine eigene Lagebeurteilung und
Entschlussfassung durch die Divisionsführung war dadurch obsolet geworden.
Im Divisionsbefehl regelte Hoernlein entsprechend der Vorgaben des Korps die
Zusammenstellung der Kampfgruppen und die Einsätze der übrigen Waffen778.
Die beiden Infanterieregimenter wurden durch die Panzerabteilung bzw.
Sturmgeschützabteilung »GD«, durch je eine Sturmpionierkompanie »GD« so-
wie je durch Teile der Panzerjägerabteilung »GD« verstärkt, zusätzlich wurden je
eine Artillerieabteilung »GD« und eine Flak-Batterie »GD« zur Zusammenarbeit
zugewiesen. Wie am Beispiel des Infanterieregiments »GD« 2 (Garski) gezeigt,
hatten die Regimentskommandeure dem Divisionskommandeur vorgängig
Vorschläge über die geplante Durchführung der Vorstöße unterbreitet, mit de-
nen Hoernlein »grundsätzlich einverstanden« war. Einschränkend hielt er jedoch
fest, dass die unterstellten Teile der Panzerjägerabteilung »nicht vorne einzusetzen,
sondern in der Tiefe« des Kampfraumes bereitzuhalten seien, um mögliche gegne-
rische Panzervorstöße abfangen zu können und nicht selbst durch Artilleriefeuer
zerschlagen zu werden. Zudem war die Entscheidung für den weiteren Einsatz der
Panzerjäger nach dem Erreichen des Angriffszieles der Division vorbehalten. Auch
die Verwendung der Pionierkompanien musste von den Regimentskommandeuren
vorgängig mit dem »Div.-Pi.-Führer« besprochen und von der Division genehmigt
werden. Schließlich enthielt der vierseitige Divisionsbefehl auf mehr als einer Seite
zusätzliche Hinweise des Divisionskommandeurs für das »Kampfverfahren« – et-
was, das sich bislang auf wenige Zeilen beschränkt hatte. Darin regelte Hoernlein
z.B. die Art der Erkundung oder der Bereitstellung zum Angriff, nahm taktische
Erfahrungen aus früheren Unternehmen auf und verwies nochmals explizit auf
einige Punkte aus dem Korpsbefehl, etwa dass »der Angriff [...] auf die Sekunde
pünktlich angetreten werden« müsse und sich die Truppe nach Einnahme der
neuen Hauptkampflinie »sofort einzugraben, nach der Breite und Tiefe zu glie-
dern, Reserven auszuscheiden, den Anschluss zum Nachbarn zu halten und die
Abwehr aller Waffen sicherzustellen« hätte. Schließlich machte er auch auf die
Bedeutung der Angriffsvorbereitung aufmerksam und betonte, dass »die Führer
aller Grade [...] eingehend in ihre Aufgabe zu unterweisen« seien und dabei »die
bisher gemachten Erfahrungen« verwertet werden müssten.
Dieser Divisionsbefehl war im Vergleich zu anderen Befehlen nicht außerge-
wöhnlich lang, er regelte aber durch die besonderen Hinweise und Einschränkungen
das Zusammenwirken der beteiligten Waffen und die Durchführung des Unter-
nehmens in einer ausgeprägteren Weise als bisher. Auffallend ist dabei, dass

776
Gen.Kdo. XXVII. AK/Ia Nr. 285/42 g.Kdos., Korpsbefehl für das Unternehmen »Herbst-
wind«, 14.9.1942, BArch, RH 26-1005/12, S. 1.
777
Nämlich »aus dem Raum Höhe 197,1 auf Kostonossowo und Höhe hart nordwestl.
Boltino« bzw. »aus dem Raum südwestl. Michojewo auf Belogurowo«. Ebd.
778
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: IDGD/Ia Nr. 113/42 g.Kdos., Divisions-
Befehl für das Unternehmen »Herbstwind«, 14.9.1942, BArch, RH 26-1005/12 (Hervor-
hebungen im Original).
442 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

eigentliche Aufträge an die Regimentsgruppen fehlten. Der Befehl teilte le-


diglich die Absicht der Division mit, die mit einer beigelegten »Kartenskizze«
zusätzlich untermauert wurde. Dies ist bemerkenswert, weil auftragstaktisches
Handeln doch erst möglich wird, wenn Lage und Absicht des Vorgesetzten mit
dem Auftrag gespiegelt werden können. Allerdings fand im vorliegenden Fall be-
reits vorgängig ein so intensiver mündlicher und schriftlicher Austausch statt,
dass der Divisionskommandeur möglicherweise bewusst darauf verzichtete.
Zudem war auch die weitere Vorbereitung des Unternehmens durch wiederhol-
te Besprechungen über Einzelheiten der Durchführung sowie durch ergänzende
Befehle geprägt. Am 29. September fanden zwischen 10.00 und 14.00 Uhr »ab-
schließende Besprechungen« über den Verlauf des Unternehmens »Herbstwind«
zwischen dem Generalstabschef des Korps, dem Divisionskommandeur und den
Regimentskommandeuren bzw. dem Kommandeur des Sturmpionierbataillons
statt. Bis dahin hatten fünf Besprechungen zwischen Hoernlein bzw. seinem Ia
und den Regiments- bzw. Pionierbataillonskommandeuren, fünf Besprechungen
mit dem Generalkommando sowie zwei mit der ebenfalls am Unternehmen be-
teiligten 72. Infanteriedivision stattgefunden779. Im selben Zeitraum hatten das
Generalkommando einen Korpsbefehl für die Kampfführung und das Divisions-
kommando fünf ergänzende Befehle erlassen780.
Auch das Unternehmen »Herbstwind« belegt auf verschiedenen Ebenen,
dass von vorne geführt wurde und die Einheitlichkeit der Gesamtaktion durch
dauernde Nachrichtenverbindungen sichergestellt war781. Wie bereits früher be-
fand sich der Kommandierende General auch diesmal auf dem vorgeschobenen
Gefechtsstand. Hoernlein wiederum war zum Zeitpunkt des Angriffsbeginns auf
einer vorgeschobenen Beobachtungsstelle beim Gefechtsstand des Infanterie-
regiments »GD« 2, von wo er die Lage des Artilleriefeuers überprüfen und den
Verlauf des Infanterievorstoßes verfolgen konnte782.
Im Großen und Ganzen entwickelte sich das um 15.00 Uhr begonnene
Unternehmen planmäßig. Bereits um 17.20 Uhr hatte das Infanterieregiment
»GD« 1 das befohlene Angriffsziel erreicht, nach kurzem Stocken wegen eines
sowjetischen Gegenstoßes konnten auch Teile des Infanterieregiments »GD« 2
das Angriffsziel einnehmen. Mit der einfallenden Dunkelheit erfolgten letzte

779
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (16.‑29.9.1942). Die Ergebnisse der
Besprechungen wurden auch innerhalb der Regimenter besprochen. Vgl. z.B. I./IRGD 1,
KTB, BArch, RH 37/6338 (29.9.1942).
780
Die zahlreichen Befehle waren notwendig geworden, weil die IDGD eine Durchführung
des Unternehmens ohne Luftwaffenunterstützung vorbereiten musste. Der Kräfteansatz
und Zeitplan musste ebenfalls vorgängig dem Gen.Kdo. vorgelegt werden. Korpsbefehl
Nr. 293 für die Kampfführung der nächsten Tage vom 18.9.1942 und Divisionsbefehle
vom 16./18./23./26./28.9.1942; BArch, RH 26-1005/13.
781
Die Qualität der Nachrichtenverbindungen ist aus der Anzahl von Meldungen bzw.
Einträgen im KTB ersichtlich. Diesen zufolge war das Div.Kdo. während des gesamten
Unternehmens über den Verlauf der Gefechte orientiert. Die Meldungen erfolgten entwe-
der direkt von den IR oder über die Pz.- bzw. StuG-Abt., die je einem IR unterstellt waren
und über bessere Funkverbindungen als die Infanterie verfügten. Der Kdr. des IRGD 2
hatte sich aus diesem Grund von der Division sogar einen Panzer II »als Befehlspanzer«
zuweisen lassen. Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 590.
782
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (30.9.1942).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 443

Begradigungen der neuen Hauptkampflinie und anschließend das Eingraben in


den neuen Stellungen. Das Unternehmen war folglich geglückt, wenn auch un-
ter erheblichen Verlusten, wobei gerade die Ausfälle an Einheitsführern beson-
ders hoch lagen783. Dies führte z.B. beim I./Infanterieregiment »GD« 1 zu einer
kritischen Lage, die durch das entschlossene Handeln des Unteroffiziers Hans
Klemm bereinigt wurde. Die Erwähnung der Ereignisse dieser Tat ist nicht nur
aufschlussreich, weil sie zur ersten Ritterkreuzverleihung eines Unteroffiziers der
Division »GD« führte, sondern v.a. deswegen, weil die Reaktion Klemms ein
weiteres Musterbeispiel von auftragstaktischem Handeln darstellt784. Während
des Vorstoßes auf die sowjetischen Stellungen südöstlich von Čermasovo wa-
ren auf der linken Flanke des I. Bataillons bereits kurz nach Angriffsbeginn der
Kompaniechef der 2. Kompanie und sein Stellvertreter sowie alle Feldwebel durch
Tod oder Verwundung ausgefallen. Gleiches widerfuhr auch der 1. Kompanie,
die rechts neben der 2. Kompanie vorstieß. Als ein sowjetischer Gegenangriff
mit Panzern und Infanterie gegen das Bataillon einsetzte, übernahm Klemm
die Führung beider Kompanien und stieß mit diesen ins Angriffsziel vor. Dort
erkannte Klemm, dass der Angriff des rechts vorstoßenden Infanterieregiment
»GD« 2 stockte:
»Sofort fasste er den selbständigen Entschluss, mit den schwachen, ihm ver-
bliebenen Teilen, hinter dem abgeschlagenen Gegenangriff der Russen über die
stark ausgebauten feindlichen Stellungen nachstoßend, das Höhengelände süd-
lich Belogurowo [...] zu nehmen und sich hier zur Verteidigung einzurichten.«
Nach Ansicht des Regimentskommandeurs hatte Klemms rasche Reaktion nicht
nur dazu geführt, dass der sowjetische Gegenangriff zurückgeschlagen und die ge-
fährliche Lage auf dem linken Flügel des Infanterieregiments »GD« 1 wieder be-
ruhigt werden konnten. Sein weiteres Vorstoßen über das befohlene Angriffsziel
hinaus wurde auch als Voraussetzung dafür angesehen, dass die Division ihr
Angriffsziel schließlich so rasch erreichen konnte. Klemms Handeln darf tatsäch-
lich als außergewöhnlich beurteilt werden. Es zeugt nicht nur von ausgeprägtem
Offensivdenken sowie von offensichtlicher Entschlossenheit und Selbstständigkeit,
wie dies auch im Tatbericht beschrieben wurde. Mit der raschen und folgerich-
tigen Lagebeurteilung sowie dem Handeln im Sinne des Ganzen treten darüber
hinaus auch die Elemente des Urteilsvermögens und des Führungsvorganges, des
Gehorsams sowie der Einheitlichkeit der Handlung deutlich hervor.
Nach Erreichen des Angriffsziels ging die Division »GD« in der neuen
Hauptkampflinie in die Verteidigung über. Die Tätigkeiten beschränkten sich in

783
Die Gefechtsstärken der Bataillone und Kompanien waren zuletzt so stark gesunken, dass
Einheiten zusammengelegt werden mussten und die IDGD gemäß Spaeter nur noch
die Kampfstärke »eines schwachen Regiments« besaß. Zudem war der Kdr. des IRGD 2
(Garski) gefallen. Die Führung des Rgt. wurde zwischenzeitlich von der Div. übernommen.
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (30.9./1.10.1942); IDGD/Ia Nr. 921/42
geh., Dem Gen.Kdo. XXVII. AK, 3.10.1942, BArch, RH 26-1005/14; Die Geschichte des
Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 597.
784
Klemm war nach Hindelang (siehe Kap. III.4.d) erst der zweite Unteroffizier, der das RK
erhielt. Scherzer, Die Ritterkreuzträger, S. 391. Die folgenden Ausführungen beziehen
sich auf: [IRGD 1], Tapferkeitstat des Unteroffizier Klemm, undat., BArch, RH 37/6393
(Zitat); I./IRGD 1, KTB, BArch, RH 37/6338 (30.9.1942); Die Geschichte des Panzer-
korps Großdeutschland, Bd 1, S. 597‑602.
444 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

der Folge lediglich auf Schanzarbeiten und Stoßtruppunternehmen785. Mit dem


9. Oktober wurde die Division »GD« schließlich aus dem Bereich des General-
kommandos XXVII. Armeekorps herausgelöst und bei Olenin als Armeereserve
untergebracht, wo das Gros bis zum 24. November verblieb, mit Ersatztruppen
teilweise aufgefrischt werden konnte und Ausbildung betrieb786.

d) Personallage und Ausbildungsmaßnahmen im Krieg

Der Einsatz als Eliteverband brachte wie gesehen häufige Verwendungen in


Brennpunkten mit sich. Ab Herbst 1942 zeichnete sich dabei die Tendenz ab, !
die Division »GD« vermehrt in Gruppen aufzusplittern und als »Korsettstangen«
bei anderen Großverbänden einzusetzen, weshalb nach Spaeter in Anlehnung an
Moltke für die Division je länger desto mehr galt: »Getrennt marschieren – ge-
trennt schlagen787.« Dies zeigte sich auch in den Verlustzahlen der Division. Ein
erster Tätigkeitsbericht der Abteilung IIa belegt für den Zeitraum vom 27. Juni bis
zum 18. August Verluste in Höhe von 87 Offizieren sowie 2010 Unteroffizieren
und Mannschaften. Der zweite Tätigkeitsbericht der Abteilung IIa listete für
den Zeitraum vom 1. August 1942 bis 25. April 1943 Ausfälle in Höhe von
256 Offizieren sowie 7941 Unteroffizieren und Mannschaften auf. In weniger
als einem Jahr hatte die Division »GD« folglich mehr als 10 000 Ausfälle zu
verkraften788. Zudem hatte die Division schon am 5. August einen Fehlbestand
von 101 Offizieren, 260 Unteroffizieren und 1817 Mannschaften zu verzeich-
nen789. Dieser konnte in der kurzen Auffrischungsphase nach dem Abschluss der
Sommeroffensive nicht ausgeglichen werden. Bis zum 18. August wurden gera-
de einmal neun Offiziere sowie aus dem Feldersatzbataillon »GD« lediglich 581
Unteroffiziere und Mannschaften zur Division versetzt. Eine größere Anzahl an
Ersatzmannschaften traf erst wieder Ende Oktober und Mitte Dezember ein790.
Die durch die verlustreichen Gefechte bei Ržev im Herbst und Winter angestie-
genen Fehlstellen konnten allerdings nicht annähernd besetzt werden. Anfang
Oktober mussten zahlreiche Schützenkompanien zusammengelegt werden, da die
Ausfälle an Führern und Mannschaften im September so hoch gewesen waren.
Um die Homogenität der Kompanien beizubehalten, ordnete die Division an,
dass Kompanien nur innerhalb ihres Bataillons zusammengelegt werden dürf-

785
IDGD/Ia Nr. 309/42 geh., Div.-Befehl für die Verteidigung des am 30.9.42 erreichten
Angriffsziels, 1.10.1942, BArch, RH 26-1005/14; IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-
1005/10 (1.10.1942).
786
Der K.G. des XXVII. AK, Tagesbefehl, 7.10.1942, BArch, RH 26-1005/14; IDGD/Ia,
KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (9.10.‑22.11.1942).
787
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 3, S. 178.
788
Davon waren insgesamt 2066 Gefallene (113 Offiziere), 7783 Verwundete (228 Offiziere)
sowie 449 Vermisste (7 Offiziere). Von den Verwundeten verblieb ein geringer Teil zur Gene-
sung bei den Einheiten. Zusätzlich erfolgten einzelne Abgänge »wegen Ungeeignetheit«
oder OKH-Verfügungen. IDGD/IIa, Tätigkeitsbericht, 18.8.1942, BArch, RH 26-1005/5;
IDGD/IIa, Tätigkeitsbericht, 26.4.1943, BArch, RH 26-1005/50.
789
[IDGD/IIa], Zustandsbericht, [5.8.1942], BArch, RH 26-1005/7.
790
IDGD/IIa, Tätigkeitsbericht, 18.8.1942, BArch, RH 26-1005/5; IDGD/Ia, KTB, Nr. 2,
BArch, RH 26-1005/10 (21.‑25.10./12.12.1942).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 445

ten, ihre Personalstämme jedoch zu erhalten seien, damit die Kompanien bei
Zuführung von Ersatz neu aufgestellt werden konnten791.
Die Personallage verschlechterte sich im November und Dezember noch ein-
mal. Mitte November besaßen etliche Kompanien des Füsilierregiments »GD«
durchschnittlich nur noch ein Drittel ihrer üblichen Gefechtsstärke, Ende
November fielen zudem im II. Bataillon bis auf einen Ordonnanzoffizier sämtliche
Offiziere aus792. Ähnlich verhielt es sich mit den übrigen Verbänden der Division.
In einer Zustandsmeldung vom 12. Dezember schätzte das Divisionskommando
die Kampfkraft der eingesetzten Schützenbataillone des Grenadierregiments so-
wie des Kradschützenbataillons als schwach ein, das Pionierbataillon wurde gar
als »abgekämpf[t]« beurteilt793. Am 15. Dezember war der Kommandeur der
Panzerabteilung »nach Ausfall aller Chefs letzter sachverständiger Führer für die
Panzer«794. Bis Januar 1943 hatten die Einheiten der Infanterie nochmals hohe
Ausfälle zu verzeichnen795.
Wie bereits bei den anderen Fallbeispielen gesehen, mussten zur Anhebung
der Kampfstärken Alarmeinheiten zusammengestellt und eingesetzt werden. Das
Eintreffen von zwei Sondertransporten mit über 2700 Ersatzmannschaften Ende
Januar 1943 führte zu einer gewissen Entspannung der Personalage, sodass die
ersten Alarmeinheiten wieder aus der Front herausgezogen werden konnten796.
Aufschlussreich ist dabei die Zusammensetzung und Verwendung dieses Ersatzes.
Die Mehrheit bestand aus Genesenen, »Ostkämpfern« bzw. »alten Soldaten
(Gefreite, Obergefreite)«, weshalb sie »eine wesentliche Verstärkung« der Division
bildeten. Die Divisionsführung beabsichtigte deshalb diese erfahrenen Soldaten
»sofort der Truppe zuzuführen, die Rekruten aber, die unerfahrenen Soldaten, erst
langsam und einzeln in die Einheiten einsickern zu lassen«797. Eine nachhaltige
personelle und materielle Auffrischung der Verbände konnte allerdings erst mit
der Verlegung der Division in den Verfügungsraum bei Poltava und Achtyrka im

791
IDGD/Ia Nr. 909/42 geh., Div.-Befehl für die Verteidigung des am 30.9.42 erreichten
Angriffszieles, 1.10.1942, BArch, RH 26-1005/14.
792
Tagebuchnotizen Hptm. Bethge, November/Dezember 1942, BArch, RH 37/6349
(19./28.11.1942).
793
IDGD/Ia Nr. 1597/42 geh., Betr.: Zustandsmeldung, 12.12.1942, BArch, RH 26-1005/16.
794
FS IDGD/Ia an Gen.Kdo. XXIII. AK, 15.12.1942, BArch, RH 26-1005/16.
795
Spaeter nennt z.B. die 2./Füs.Rgt.GD mit elf und die 13./GRGD mit 18 Mann Bestand.
Das GRGD hatte vom 6.8.1942 bis 10.1.1943 544 Gefallene und 2130 Verwundete zu
verzeichnen. Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 667.
796
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (26.‑28.1.1943). Zum militärischen
Wert der Alarmeinheiten meinte der Ia bloß: »Es ist eine große Zahl, die zwar das Korps
beruhigen mag, für un[s] aber mehr eine Be- als Entlastung ist. Trotz wirklich rühren-
der Tapferkeit Einzelner werden diese Haufen bald zersprengt und haben verhältnismässig
schwere Verluste.« TB Hobe, BArch, RH 26-1005/78 (2.12.1942).
797
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (26.1.1943). Dies zeigt nochmals, dass
die Wiedergabe reiner Gesamtverlustzahlen nur begrenzte Aussagekraft besitzt. Viele
Verwundete kehrten als Genesene wieder zur Stammdivision zurück oder blieben bei leich-
ten Verwundungen in ihren Einheiten. Zudem sind in solchen Zahlen auch mehrfach
Verwundete enthalten. Bartovs Rechnung, wonach die IDGD von Juni 1942 bis Kriegs-
ende »ungefähr 50 000 Soldaten und 1500 Offiziere verloren [habe], also dreimal soviel ?
Soldaten und fünfmal soviel Offiziere, wie sie bei ihrer Aufstellung gehabt hatte«, unterliegt
einem Überlegungsfehler und ist so formuliert falsch. Bartov, Hitlers Wehrmacht, S. 91.
446 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

März 1943 ermöglicht werden. Insgesamt hatte die Division »GD« zwischen dem
27. Juni 1942 und dem 25. April 1943 Ersatzpersonal in Höhe von 153 Offizieren
sowie 11 079 Unteroffizieren und Mannschaften erhalten798. Dass angesichts sol-
cher Zahlen nicht mehr nur Freiwillige zur Division »GD« kamen, scheint nahe-
liegend. Dies schildert z.B. der folgende Eintrag aus dem Kriegstagebuch der 13./
Grenadierregiment »GD«:
»Am Nachmittag wird dann bei uns der Rgt.-Kdr. erwartet. Er will die zu uns
gestoßenen Männer der 9. Armee begrüßen, die allerdings auf eine nicht sehr
zu begrüßende Art unserer Div. zugeschanzt worden sind. Der Armee wa-
ren Männer für eine Auszeichnung zu melden. Diese Auszeichnung bestand
dann in der Versetzung zu unserer Div., die diese Männer keineswegs als eine
Auszeichnung auffassen konnten, da sie aus ihren angestammten Haufen he-
rausgerissen wurden799.«
Das Prinzip der Freiwilligkeit konnte allerdings schon während der Aufstellung
der Division im Frühjahr 1942 nicht immer eingehalten werden. Dies galt beson-
ders auch für die Offiziere, die nicht immer auf eigenen Wunsch aus ihren alten !
Stammtruppenteilen zur neuen Division versetzt worden waren800.
Wie gesehen hat die Verwendung der Division »GD« als Feuerwehrverband in
Krisenlagen und die damit zusammenhängende ununterbrochene Belastung von
Mensch und Material zu hohen Verlustzahlen geführt. Die dauernden Einsätze
in Brennpunkten machten nicht nur eine personelle Auffrischung der Division,
sondern v.a. auch eine nachhaltige Ausbildung unmöglich. Selbst nach den außer-
ordentlich hohen Verlusten in der Winterschlacht bei Ržev im Dezember 1942
konnte die Division »GD« nicht herausgezogen werden. Die gespannte Lage
erforderte vielmehr ihre sofortige Verwendung bei Char’kov, sodass »von einer
Auffrischung in einem frontfernen Raum und einer für das so dringend notwen-
dige Zusammenschweißen der Div. und für die Ausbildung notwendige Zeit [...]
keine Rede mehr« sein konnte801. Damit zeigt sich insgesamt ein ähnlicher Aspekt
wie bei der 385. Infanteriedivision. Beide Divisionen mussten unter Zeitdruck
aufgestellt werden und konnten in dieser Zeit ihre Ausbildung nicht planmäßig zu
Ende führen. Die 385. Infanteriedivision versuchte diese ungünstige Ausgangslage
wie gesehen mit enormen Ausbildungsbemühungen auszugleichen. In den Akten
der Division »GD« fehlen Belege für ähnliche Ausbildungsanstrengungen fast
gänzlich. Zum einen scheint die mangelnde Verbandsausbildung durch die – ?
soweit ersichtlich – sehr hohe Qualität der Truppenführer in einem gewissen
Umfang wettgemacht worden zu sein. Zum anderen hatte die Division aufgrund
ihrer pausenlosen Verwendung gar keine Zeit, um ausbilden zu können. So las-
sen sich lediglich zwei längere Ausbildungsphasen – die Aufstellung im Frühjahr
1942 und die Umbildung im Frühjahr 1943 – sowie zwei kürzere und wenig
intensive Phasen der Auffrischung im August und Oktober/November 1942 er-
kennen, in denen sich die Division vermehrt der Ausbildung widmen konnte.

798
IDGD/IIa, Tätigkeitsbericht, 18.8.1942, BArch, RH 26-1005/5; IDGD/IIa, Tätigkeits-
bericht, 26.4.1943, BArch, RH 26-1005/50.
799
13./GRGD, KTB, BArch, RH 37/6342 (22.1.1943).
800
Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 545.
801
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (Aktennotiz Ia 6./7.1.1943).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 447

Naheliegenderweise konzentrierte sich die Ausbildung der Offiziere wäh-


rend der Aufstellungsphase der Division darauf, die Führungsabläufe innerhalb
eines Großverbandes zu üben sowie das Verständnis für das Zusammenwirken
der verschiedenen Waffen zu wecken. Im Divisionsrahmen bildete z.B. das
vom Ia geleitete Planspiel vom 29. April ein Schwergewicht, an dem die ge-
samte Führungs- (Ia) und Quartiermeisterabteilung (Ib), der Divisionsadjutant
(IIa) sowie alle Adjutanten der Regimenter und selbstständigen Bataillone
bzw. Abteilungen teilnahmen, um die Einsatzmöglichkeiten der verschiedenen
Truppenteile, die Planung von Marschbewegungen oder die Befehlsgebung, aber
auch Aspekte der Unterbringung sowie Maßnahmen der Versorgung durch-
zuspielen. Um das Verständnis für das Zusammenwirken der verschiedenen
Waffengattungen der Division zu fördern, orientierten die Kommandeure des
Artillerieregiments, der Panzerabteilung und der Sturmgeschützabteilung in der
Kommandeursbesprechung vom 5. Mai 1942 über den taktischen Einsatz und die
Wirkungsmöglichkeiten ihrer Waffen. Auch wurden Lehrvorführungen durchge-
führt, z.B. ein Gefechtsschießen eines mit Panzern, Artillerie und Pionieren ver-
stärkten Schützenbataillons Anfang Mai oder am 13. Mai ein Artillerieschießen,
an denen alle Bataillons- und Einheitsführer als Zuschauer teilnahmen802.
Von Anfang an betonte der Divisionskommandeur zudem die Bedeutung
der Ausbildung der Unterführer und des Unterführernachwuchses, die »Haupt-
aufgabe der Kdr. und Komp.-Chefs« sein müsse803. Die Offizier- und Unter-
!
offizierausbildung innerhalb der Regimenter und Bataillone bzw. Abteilungen
hatte dabei das Schwergewicht auf Geländebesprechungen zu legen, in denen
ebenfalls das Zusammenwirken der Waffen – unter Beizug von Offizieren der ent-
sprechenden Waffengattungen – durchgespielt »und die Befehls-Technik zu üben«
sei, Planspiele und Geländebesprechungen in größerem Rahmen wurden vom
Divisionskommando speziell befohlen. Inhaltlich bezog sich die Ausbildung von
Offizieren und Truppe »in 1. Linie« auf den Angriff, wobei es – so die Betonung
Hoernleins – besonders darauf ankomme, die Truppe »zur Härte und Kühnheit
!
zu erziehen«. Hoernlein legte nicht nur von Beginn an besonderen Wert auf die
Erziehung des Offizierkorps und der Truppe (»Der Name ›Großdeutschland‹ ver-
pflichtet!«), sondern auch auf die Erfassung eines eigenen Offiziernachwuchses.
Wie schon bei der 385. Infanteriedivision gesehen, behielt sich auch Hoernlein
die letzte Entscheidung darüber vor, welche Offizieranwärter ins Offizierkorps
aufgenommen werden sollten. Er betonte dabei die »besonders scharf[e] und
sorgfältig[e]« Auswahl durch die Regimenter und Bataillone bzw. Abteilungen
und verlangte, dass die Anwärter ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit vor-
gestellt würden, die Beförderung von aktiven Unteroffizieren zu Offizieren soll- !
te hingegen »nur in ganz besonderen Fällen« erfolgen804. Um das Offizierkorps

802
IDGD/Ia, KTB, Nr. 1, BArch, RH 26-1005/5 (29.4./5.5./13.5.1942); [IDGD/Ia], Ge-
dachter Verlauf [des Planspiels], [29.4.1942], BArch, RH 26-1005/6; Punkte für Bespre-
chung, [5.5.1942], BArch, RH 26-1005/6. Dass der Ausbildungsstand aufgrund des enor-
men Zeitdrucks und des rasanten Ausbildungstempos nicht immer von höchster Qualität
sein konnte, belegt ein Eintrag des Ia in seinem persönlichen Kriegstagebuch. TB Hobe,
BArch, RH 26-1005/78 (14.5.1942).
803
IDGD/Ia, Besprechungspunkte für die Kommandeurbesprechung am 8.4.1942, BArch,
RH 26-1005/6. Dort auch die folgenden Zitate.
804
Punkte für Besprechung, [5.5.1942], BArch, RH 26-1005/6.
448 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

der Division weiterhin »mit guten Off[i]z[ieren]« ergänzen zu können, sollten


Offiziere der Division zudem in »ihrem Bekanntenkreis« nach Offizieren suchen, !
die in die Division versetzt werden könnten805.
Wie erwähnt musste die Ausbildung trotz Einwand der Divisionsführung am
21. Mai bereits beendet werden, obwohl die Division noch keine Divisions- und
nur wenige Regimentsübungen hatte abhalten können. Erst Anfang August er-
hielt die Division wieder Gelegenheit, ihre Ausbildung fortzusetzen. Während
der Verwendung als OKH-Reserve bei Šachty erfolgte allerdings nur eine leichte
Ausbildung, da diese Zeit nach den Kämpfen seit Ende Juni v.a. auch als Ruhe-
und Auffrischungsphase gedacht war. Immerhin wurde aber die Ausbildung der
Offiziere und Unteroffiziere unter Auswertung der Erfahrungen aus den bishe-
rigen Gefechten durchgeführt, auch wurden verschiedene Unterführerlehrgänge
abgehalten806. Eine intensive Ausbildungsphase ergab sich erst wieder ab Oktober,
d.h. nach den Abwehrkämpfen bei Ržev. Neben Ausbauarbeiten an Stellungen
und Wegen sowie kleineren Gefechtstätigkeiten hielt die Division verschie-
dene Ausbildungs- und Speziallehrgänge ab und setzte die Ausbildung der
Alarmeinheiten fort. Als Vorbereitung auf die Besonderheiten des Winterkrieges
wurden zahlreiche Planspiele, Geländebesprechungen und Bataillonsübungen
»im scharfen Schuss« durchgeführt807. Besonders wurden dabei der Durchbruch
durch befestigte Stellungen sowie der Waldkampf geübt. Bei Lehrvorführungen
des Sturmpionierbataillons und des verstärkten II./Füsilierregiment zu diesen
Themen war auch der Kommandierende General zugegen und wies auf besondere
Aspekte hin808. Am 20. November fand zudem auf dem Korpsgefechtsstand »un-
ter Teilnahme des Oberbefehlshabers« ein eintägiges Planspiel mit den Divisions-
kommandeuren und Ia aller fünf im Korpsbereich eingesetzten Divisionen statt,
in dem »der Aufmarsch, Verteilung der Kräfte, Angriff in drei Tagen und die da-
raus entstehende Entschlussfassung durchgespielt« wurden809. Die Erkenntnisse
aus den Planspielen und Übungen sowie die daraus gezogenen Folgerungen wur-
den von der Divisionsführung laufend zusammengefasst und ergingen in einem
abschließenden Divisionsbefehl an die Truppenteile810. Mit der am 25. November
beginnenden sowjetischen Offensive gegen die Stellungsfront der 9. Armee muss-
te die Ausbildungsphase abgebrochen werden. Sie sollte erst Ende März 1943 mit
der angesprochenen Umbildung der Division wieder aufgenommen werden.

805
Mit der herkömmlichen Ergänzungspraxis waren nach Ansicht Hoernleins zu viele Offiziere
zur IDGD versetzt worden, die den Anforderungen nicht entsprachen. Zukünftig sollten
deshalb nur noch Offiziere zur Division stoßen, die persönlich ausgewählt wurden, da eine
allgemeine »Anforderung beim Personalamt ohne Namensnennung [...] keinen Erfolg« ver-
spreche. Es bedarf keiner besonderen Erklärung, dass sich dies bei den hohen Verlusten in
der Praxis nicht umsetzen ließ. Besprechungspunkte für die Kommandeur-Besprechung,
[31.7.1942], BArch, RH 26-1005/7, S. 1 (Hervorhebung im Original).
806
IDGD/Ia, Divisions-Befehl, 3.8.1942, BArch, RH 25-1005/7; I./GRGD, KTB,
RH 37/6338 (31.8.‑9.9.1942). Vgl. Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland,
Bd 1, S. 532.
807
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (3.‑22.11.1942).
808
Ebd. (13./22.11.1942); Die Geschichte des Panzerkorps Großdeutschland, Bd 1, S. 606.
809
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (20.11.1942).
810
Ebd. (24.11.1942). Der Befehl ist in den Divisionsakten nicht mehr erhalten.
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 449

Abschließend kann festgehalten werden, dass die Division »GD« im Vergleich


zu den beiden anderen Divisionen in Bezug auf die Qualität ihres Personals
zwar über eine bessere Ausgangslage verfügte, die mangelnde Ausbildungs-
zeit und stete Verwendung in Brennpunkten jedoch auch zu weit höheren
Personalausfällen führten. Verschiedene Quellenaussagen weisen darauf hin, dass
es dabei eine deutliche Korrelation zwischen Verlusten und Ausbildungsstand
der Division gab. Nach den hohen Verlusten im Unternehmen »Herbstwind«
vom 30. September verlangte z.B. der Kommandierende General des General-
kommandos XXVII. Armeekorps von der Divisionsführung diesbezüglich eine
Stellungnahme811. Das Divisionskommando sah u.a. in der ungenügenden
Vorbereitungs- und Ausbildungszeit eine wesentliche Ursache für die hohen
Ausfälle:
»Der Einsatz und das Verhalten der Inf. sind[,] theoretisch gesehen, Selbst-
verständlichkeit und stehen in den Vorschriften. Sie setzen aber eine ent-
sprechende Ausbildung und entsprechende Führer voraus. Diese Ausbildung
konnte bisher bei der Div. nicht im genügenden Maße durchgeführt werden.
Der Mangel an dieser Ausbildung zwingt die Kp.-Führer zum vermehrten
Einsatz und zieht ihren Ausfall nach sich. Daher auffallend hoher Kp.-Führer-
Ausfall812.«
Die mangelnden Kenntnisse über den Kampf im Stellungskrieg konnten nach
Ansicht Hoernleins vorläufig nur durch »nächtliche Stoßtruppaufgaben« et- !
was behoben werden. Die Division könne jedoch zukünftig ihre vollwertige
Einsatzbereitschaft nur dann erlangen, »wenn neue Angriffsunternehmen im
rückwärtigen Gefechtsgebiet drillmäßig, wie im Weltkrieg die Sturm-Btl’e, ge-
übt werden« würden. Die Meldung Hoernleins schloss mit der Feststellung,
dass »die Angriffstruppe [...] frisch in die Bereitstellung geführt werden« müs-
se – eine unverblümte Kritik am übereilt erfolgten und deshalb unvorbereiteten
Einsatz der Division »GD« unter den für sie neuen Gefechtsbedingungen des
Stellungskrieges. Die mangelnde Ausbildung wirkte sich aber auch generell aus.
So hatte sich bereits im Sommer gezeigt, dass die Division aufgrund der fehlen-
den Ausbildung z.B. »in ihrer Marschdisziplin erheblich gegen andere Schnelle
Verbände abfiel«813. In einem nachträglichen Erfahrungsbericht stellte der ehe-
malige Ia Hobe zudem fest, dass die gute Ausstattung der Schützenbataillone an
Waffen sich nur bewährt habe, wenn der Bataillonskommandeur diese richtig
einzusetzen wusste. Dies sei jedoch »infolge mangelnder Ausbildung von Führer
und Truppe nicht immer der Fall« gewesen und habe umgekehrt sogar dazu ge-
führt, »dass der Apparat bei einem ungewandten Führer zu schwerfällig war und
den Schwung behinderte«814. Der neue Ia Natzmer hielt im Januar 1943 ebenfalls
fest, dass es nicht genüge, die Division mit Personal und Material zu verstärken,

811
Der K.G. des XXVII. AK/Ia Nr. 1412 geh., An Inf.Div. »Großdeutschland«, 2.10.1942,
BArch, RH 26-1005/14.
812
IDGD/Ia Nr. 921/42 geh., Dem Gen.Kdo. XXVII. A.K., 3.10.1942, BArch, RH 26-
1005/14, S. 5 f. (Hervorhebung im Original). Dort auch die folgenden Zitate.
813
IDGD/Ia, Betr.: Einsatz der Feldgendarmerie, 10.7.1942, BArch, RH 26-1005/7.
814
Auch beim ARGD hätten teils mangelnde Übung und Kenntnisse bestanden, so z.B. bei
der Feuerplanung und -führung im Rahmen der Verteidigung. Abschrift, Oberstleutnant
i.G. von Hobe, Erfahrungen aus den Kämpfen der Infanterie-Division Groß-Deutschland
in der Zeit vom 28.6.‑25.12.1942, Mai 1943, BArch, RH 10/56, S. 2 (Zitat), 17.
450 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

ihr aber keine Zeit zum Üben und Ausbilden zu lassen, was aber bisher üblich
gewesen sei. In Wirklichkeit würde die Division »GD« dadurch rein äußerlich
betrachtet zwar »einen besonders kampfkräftigen Verband« darstellen, es aber
»tatsächlich dann noch nicht« sein815.

e) Resümee: Das Führungsverhalten


in der Division »Großdeutschland«

Der Elitestatus der Infanteriedivision (mot) »GD« verdeutlichte sich in ihrer


Sondergliederung, ihrer Ausstattung mit damals modernsten Waffen, Geräten
und neuestem Material sowie in der zumindest anfangs auf dem Prinzip der
Freiwilligkeit beruhenden personellen Zusammensetzung. Auch die Besetzung
der Führerstellen auf Divisions-, Regiments- und Bataillonsstufe belegt die hohe
Qualität dieses Großverbandes, hatte die Mehrheit dieser Offiziere doch schon
im Infanterieregiment (mot) »GD« oder in anderen Truppenteilen Führungs-
verantwortung wahrgenommen. Zwar hatte die Division seit Beginn der
Sommeroffensive 1942 und besonders ab Herbst 1942 sehr hohe Verluste zu ver-
zeichnen. Die Leistungen in den Abwehrkämpfen bei Ržev und noch im Frühjahr
1943 bei Char’kov zeigen jedoch, dass die Qualität des Führerkorps trotz zuneh-
menden Verlustes der Homogenität nach wie vor hoch geblieben ist. Der Blick
über den Untersuchungszeitraum hinaus belegt jedoch, dass sich dies spätestens ab
1944 auch bei dieser Elitedivision geändert hat816. Wenngleich mit dem Elitestatus
sowie der Sondergliederung realiter auch einige Schwierigkeiten verbunden wa-
ren und die Überbelastung durch ständige Einsätze in Brennpunkten zu einem
zunehmenden Verschleiß der Division »GD« führte, wies sie von den drei unter-
suchten Divisionen in allen Bereichen die weitaus höchste Leistungsfähigkeit auf.
Aufschlussreich ist das Fallbeispiel der Division »GD« auch, weil es das
Führungsverhalten der Division im Angriff und der Verteidigung aufzeigt. Die
Analyse der Sommeroffensive hat dabei verdeutlicht, dass sowohl die Vorberei-
tungen als auch die Operation selbst durch einen ständigen Kontakt zwischen
oberer und unterer Führung gekennzeichnet waren. Bereits das Fallbeispiel der
385. Infanteriedivision konnte dies für die Vorbereitungsphase der Sommer-
offensive nachweisen. Für den eigentlichen Operationsverlauf fiel jedoch auf,
dass die Führung der Division »GD« von einem bedeutend stärkeren Wechsel-
spiel zwischen Führen von vorne, straffer Führung durch mündliche und
schriftliche Befehlsgebung sowie gleichzeitig offener Auftragserteilung und
Handlungsspielraum für selbstständige Entschlüsse geprägt war. Dies bestätig-
te sich auch in der Art der Befehlsgebung und Befehlsübermittlung. Hoernleins
Feststellung, dass der Funk das Hauptnachrichtenmittel sein würde, bewahrhei-
tete sich und verdeutlichte zugleich die Gewichtung des Meldewesens und der
Nachrichtenverbindungen für eine rasche Operationsführung.

815
IDGD/Ia, KTB, Nr. 2, BArch, RH 26-1005/10 (Aktennotiz Ia für den 13.1.1943).
816
Sehr aufschlussreich ist etwa die Aussage eines Btl.Kdr. (Kuehn) vom 11.11.1944, wo-
nach »von den heutigen Kompanieführern [nicht mehr] dasselbe zu erwarten [sei], was ich
selbst als Chef vor zwei Jahren noch als selbstverständlich angesehen habe«. I./PzGRGD,
Tagebuchauszüge Dietrich Kuehn, BArch, RH 37/6347 (11.11.1944).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 451

Erstaunlich verlief hingegen die zeitliche und zahlenmäßige Abfolge der


Befehle. Obwohl Hoernlein in der Kommandeursbesprechung vom 13. Juni aus-
drücklich darauf hinwies, dass in der Regel durch Vorbefehle geführt werden müsse
und umfassende schriftliche Operationsbefehle nur von Fall zu Fall Verwendung
finden sollten, erließ die Division während des Vorstoßes an den Don vom 8. bis
19. Juli mindestens alle drei Tage, ab dem 19. bis zum 31. Juli sogar praktisch
täglich einen schriftlichen Divisionsbefehl – die Einzelbefehle an die Regimenter,
Kampfgruppen und Bataillone bzw. Abteilungen nicht eingerechnet. Die vorge-
setzten Kommandobehörden erließen nur unwesentlich weniger Befehle817. Die
vor Offensivbeginn geäußerten Befürchtungen des Kommandierenden Generals
des XXXXVIII. Panzerkorps Kempf, wonach die geringe Kampferfahrung eine
straffere Auftragserteilung erfordere, schlugen sich hingegen in der Befehlsgebung
überhaupt nicht erkennbar nieder. Die Aufträge an die Division »GD« und inner-
halb der Division an die einzelnen Verbände waren generell offen formuliert und
ließen den Unterführern immer eine gewisse Handlungsfreiheit. Vergegenwärtigt
man sich schließlich nochmals die kurze Aufbau- und Ausbildungsphase der
Division, so müssen ihre Führungs- und Kampfleistungen im ersten Einsatz als
Großverband als ausgesprochen verblüffend bezeichnet werden.
Die Verwendung der Division »GD« im Verteidigungsabschnitt bei Ržev war
von ganz anderen Rahmenbedingungen geprägt, die sich grundsätzlich aus der
Gefechtsart ergaben. Dadurch war die Division in einem viel kleineren Einsatzraum
eingesetzt als zuvor. Beim Einsatz im Bereich des Armeeoberkommandos 9 mach-
te sich darüber hinaus von Beginn an die bedrohliche Feindlage bemerkbar. Dies
zeigte sich u.a. darin, dass die Division häufiger als zuvor aufgeteilt und zur lo-
kalen Verstärkung auf andere Frontabschnitte im Korpsbereich verteilt wurde.
Zudem stand der Einsatz unter erheblichem Zeitdruck, weshalb die Division
letztlich ohne entsprechende Ausbildung oder vorbereitende Maßnahmen direkt
in den Einsatz geworfen werden musste. Insgesamt lässt sich von Anfang an eine
für die Verteidigung bezeichnende enge Führung erkennen. Wie bereits im Fall
der 10. Infanteriedivision (mot) gesehen, war das Verhältnis der Division »GD«
zu der vorgesetzten Kommandobehörde von einem andauernden persönlichen
und fernmündlichen Austausch gekennzeichnet, der zudem durch zahlreiche
schriftliche Befehle ergänzt wurde. Beides hatte sich auch in der Angriffsoperation
des Sommers gezeigt. Anders als damals betonten sowohl das Generalkommando
als auch die Divisionsführung das Element der Einheitlichkeit sowie die koordi-
nierenden Maßnahmen während der Gefechtshandlungen viel stärker, was sich
besonders in der enger gefassten Befehlsgebung veranschaulichte. Streckenweise
koordinierte die Divisionsführung die Angriffe so straff, dass die Regimenter von
Zwischenziel zu Zwischenziel befohlen wurden, Ähnliches galt für die Führung
durch das Generalkommando.
Wie schon bei der 10. Infanteriedivision (mot) zeigte sich auch bei der
Division »GD«, dass selbstständiges Handeln vielfach gar nicht nötig wurde,
da der Kommandierende General bzw. Hoernlein persönlich von vorne führ-
ten oder jederzeit über Nachrichtenverbindungen erreichbar waren. So erfolg-

817
Die Summe der untersuchten schriftlichen Operationsbefehle ergab vom 13.‑31.7.1942
drei Armeebefehle und neun Korps- bzw. Gruppenbefehle an die IDGD sowie 14 Divisions-
befehle; am 26.7. erließ die Division sogar zwei Operationsbefehle.
452 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

ten entscheidende Maßnahmen aufgrund von Lageänderungen in der Regel


erst nach Rückfrage bei der vorgesetzten Stelle. Andererseits zeigte sich jedoch
auch, dass vom Generalkommando und der Divisionsführung versucht wur-
de, sofern möglich die straffe Führung und Betonung der Einheitlichkeit mit
einer möglichst großen Handlungsfreiheit für die Unterführer in Einklang
zu bringen. Bemerkenswert ist deshalb, wie teilweise verblüffend offen der
Führungsvorgang bzw. die Befehlsgebung gehandhabt wurden. Aufgrund dessen
waren die Angriffsunternehmen in diesem Verteidigungsabschnitt nicht nur von
Einheitlichkeit und straffer Führung, sondern auch von Entschlossenheit und
Offensivdenken geprägt. Dabei bot sich den Unterführern auch die Möglichkeit
zu selbstständigem und sogar auftragstaktischem Handeln, wie die entsprechen-
den Ritterkreuzverleihungen belegen konnten.

5. Zusammenfassung

Die in diesem Kapitel untersuchten Divisionen waren 1942 alle an mehreren


Abschnitten der Ostfront eingesetzt. Sie kämpften unter ähnlichen Bedingungen im
Angriff und der Verteidigung und zeitweise im selben Frontabschnitt. Gleichzeitig
unterschieden sie sich bezüglich der Aufstellungsbedingungen, ihrer personellen
und materiellen Zusammensetzung sowie der Qualität des Führerkorps deutlich
voneinander, selbst wenn sich beim letztgenannten Aspekt gezeigt hat, dass sich
die Divisionen im Verlauf des Krieges einander angenähert hatten. Dabei gilt
immer auch zu beachten, dass die Resultate für die 10. Infanteriedivision (mot)
und die Division »GD« lediglich einen Ausschnitt aus dem Führungsverhalten
abbildet. Anders als die 385. Infanteriedivision, die erst im Januar 1942 aufge-
stellt und im Februar/März 1943 aufgelöst wurde, bestanden die beiden ande-
ren untersuchten Divisionen bereits vorher als Großverband oder Regiment und
blieben – neu aufgestellt oder in anderer Gliederung – bis Kriegsende bestehen.
Die Ergebnisse müssen deshalb vor dem speziellen Hintergrund des untersuchten
Zeitraums betrachtet werden.
Das Führungsverhalten in der 385. Infanteriedivision war stark vom Element
der Einheitlichkeit der Handlung geprägt. Ihr Divisionskommandeur Eibl führte
sehr ausgeprägt von vorne und stand dadurch in fast ununterbrochenem Kontakt
mit seinen Unterführern. Diese enge Führung verhinderte fast immer, dass ein
Handlungsspielraum für die Unterführer entstehen konnte, in dem diese im
Sinne der Auftragstaktik hätten handeln müssen. Vielmehr befand sich Eibl in
den kritischen Gefechtssituationen praktisch immer vor Ort und stand in persön-
lichem oder fernmündlichem Austausch mit seinen Unterführern. Wie gesehen
griff Eibl auch direkt in die Gefechtsführung seiner Regimenter ein, wenn er dies
für nötig hielt. Die räumlichen Rahmenbedingungen von Infanteriedivisionen,
die sich im Unterschied zu den Schnellen Verbänden generell in einem relativ ge-
ringen Einsatzradius bewegten, unterstützten Eibls Führungsverhalten noch zu-
sätzlich. Zudem verfügte die 385. Infanteriedivision über Monate bloß über zwei
Infanterieregimenter. Beides erleichterte es Eibl als Divisionskommandeur, den
Überblick über die Handlungen seiner unterstellten Verbände zu bewahren und
persönlich durchzusetzen, dass die Gefechtshandlungen seinen Vorstellungen
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 453

und Vorgaben gemäß umgesetzt wurden. Das Beispiel der 385. Infanteriedivision
belegt zudem, wie entscheidend die Rolle des Divisionskommandeurs für die
Leistung und das Verhalten von Führer und Truppe war818. Dies drückte sich nicht
nur in der straffen Lenkung in den Gefechten aus, sondern auch in der steten
Kontrolle des Ausbildungsstandes und den daraus abgeleiteten Maßnahmen, wie
etwa der heeresintern verteilte Erfahrungsbericht Eibls vom Mai 1942 verdeut-
lichte. Sein Führungsstil prägte aber auch unmittelbar den seiner Unterführer,
wie sich z.B. in der Art zeigte, wie Befehle abgefasst waren. So sind nicht nur
in den Divisionsbefehlen, sondern auch in den Befehlen der Regimenter und
Bataillone deutliche Anzeichen von Mikromanagement zu erkennen.
Ob das Führungsverhalten Eibls auf seine Sozialisation im österreichischen
Heer oder durch seinen Charakter begründet war, müsste noch durch die Analyse
weiterer Divisionen untersucht werden. Es gilt jedoch abschließend festzuhal-
ten, dass Eibls Führungsverhalten sich grundsätzlich im Rahmen der normativen
Vorgaben der Führungsdoktrin bewegte. Die Unterschiede – auch zu den bei-
den anderen Divisionskommandeuren – lagen letztlich in der unterschiedlichen
Akzentuierung der Elemente Einheitlichkeit und Selbstständigkeit. Aufschlussreich
sind schließlich auch die wenigen Beispiele auftragstaktischen Handelns, die es
trotz allem auch bei dieser Division gegeben hat. Sie verdeutlichen zum einen,
dass Auftragstaktik in Ausnahmesituationen zum Tragen kam, wobei zumindest
für den einen Fall belegt ist, dass dies nicht im Sinne Eibls geschah. Zum an-
deren zeigten sie, dass selbst in dieser Division, die offensichtlich eine andere
Führungskultur pflegte, das Vorverständnis für Auftragstaktik vorhanden war.
Das Führungsverhalten bei der 10. Infanteriedivision (mot) wies einige
Parallelen zu dem in der 385. Infanteriedivision auf. So war nicht weiter ver-
wunderlich, dass der im Rahmen der Verteidigung statisch geführte Einsatz der
Division in einer räumlich geringen Ausdehnung dazu führte, dass das Element
der Einheitlichkeit der Handlung stark betont wurde. Dies brachte es mit sich,
dass auch der Kommandeur der 10. Infanteriedivision (mot) (Schmidt) star-
ke Frontpräsenz und ausgeprägtes Führen von vorne zeigte, wobei gerade im
Gefecht die Nachrichtenverbindungen eine viel gewichtigere Rolle erhielten als
die persönliche Präsenz vor Ort, wie etwa die mehrfache nachrichtentechnische
Überlagerung der Führungsebenen und das direkte Einwirken auf den Verlauf von
Stoßtruppunternehmen verdeutlichen. Diese Rahmenbedingungen bewirkten
auch bei der 10. Infanteriedivision (mot), dass ein Handeln nach Auftragstaktik
selbst in Krisenlagen unnötig war, da ein Austausch mit der vorgesetzten
Kommandobehörde jederzeit möglich war. Das Beispiel dieser Division zeigt fer-
ner, dass die detaillierte Befehlsgebung bei der 385. Infanteriedivision nicht allein
darauf zurückgeführt werden kann, dass der Divisionskommandeur Österreicher
und damit militärisch anders sozialisiert war. Die Befehle der 10. Infanteriedivision
(mot) unterschieden sich hinsichtlich ihres Detaillierungsgrades keineswegs
von den Befehlen, die Eibl im Rahmen des Einsatzes seiner Division im selben
Frontbereich erlassen hatte.
In nicht unwesentlichen Punkten wichen das Führungsverständnis Schmidts
und sein Verhalten jedoch deutlich von Eibls Denk- und Handlungsweise ab.

818
Vgl. zu diesem Aspekt: Gen.d.Pz.Tr. Eberbach, Erfahrungsbericht Ost, 7.12.1943, BArch,
RH 10/55; Halder, Erziehung des Offiziers, BArch, ZA 1/2003, S. 6.
454 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

Zunächst fand zwischen Generalkommando und Divisionsführung ein inten-


siver persönlicher und fernmündlicher Austausch statt. Die Einbeziehung der
Divisionskommandeure in die Entscheidungsfindung auf Korpsstufe konnte bereits
bei der 385. Infanteriedivision beobachtet werden. Schmidt dehnte dies aber auch
auf seine Unterführer aus und förderte bei diesen eigenverantwortliches Handeln.
Zwar zeigte sich, dass die Division im Verlauf des Untersuchungszeitraums auf-
grund des abnehmenden Ausbildungsstandes des Ersatzes bei gleichzeitig ho-
hen Ausfällen an Bataillons- und Einheitsführern gezwungen war, zunehmend
straffer zu führen und die Handlungsspielräume der Unterführer einzuengen.
Dies war jedoch ein Zugeständnis an die momentane Situation. Schmidt hielt
nämlich gleichzeitig an seiner Ausbildungsabsicht fest, sein Führerkorps zu ei-
ner einheitlichen Haltung zu erziehen und so sicherzustellen, dass die Führer auf
allen Stufen fähig waren, im Sinne der vorgesetzten Stufe handeln zu können.
Dies veranschaulicht sich auch darin, dass dem Element des Urteilsvermögens
ein bedeutendes Gewicht beigemessen wurde, ohne das adäquates Handeln auf
unterer Stufe nicht erfolgen konnte. Schließlich konnte festgestellt werden, dass
die Betonung der Elemente Entschlossenheit, Offensivdenken und Selbstständigkeit
auch im Rahmen der Verteidigung von zentraler Bedeutung war. Schmidt führte
seine Division straff und unterstrich die Einheitlichkeit der Handlung wie Eibl.
Anders als dieser versuchte er aber, einen Ausgleich zwischen der notwendig en-
gen Führung einerseits und der Gewährung von Handlungsspielraum für ent-
schlossenes, selbstständiges Handeln seiner Unterführer andererseits herzustellen.
In vielen Bereichen bestätigte sich das bisherige Bild auch bei der Infanterie-
division (mot) »GD«. Sehr deutlich erkennbar war der persönliche und telefo-
nische Austausch zwischen den Führungsebenen, der das Führungsverhalten
in dieser Division bestimmte. Dies gilt nicht nur für die Gefechtsführung
im Rahmen der Verteidigung bei Ržev, sondern auch für die dynamisch
und über weite Räume geführte Sommeroffensive im Südabschnitt der
Ostfront. Dabei zeigte sich gerade bei dieser Division die hohe Bedeutung der
Nachrichtenverbindungen. Ihre gute Ausstattung an gepanzerten Fahrzeugen
wirkte sich nämlich nicht nur auf die Kampfkraft der Division aus, sondern
steigerte auch die Menge an Nachrichtenmitteln und die Zuverlässigkeit der
Funkverbindungen. Bezeichnenderweise konnten in den Divisionsakten keine
größeren Übermittlungsschwierigkeiten festgestellt werden. In der Regel ver-
fügte die Divisionsführung während der Gefechtshandlungen über eine siche-
re Funkverbindung zu ihren Verbänden und Einheiten. Die Division »GD«
hob sich von den beiden anderen untersuchten Divisionen zusätzlich dadurch
ab, dass sie ein divisionseigenes Flugzeug (Fieseler Storch) besaß, das es dem
Divisionskommandeur oder dem Ia ermöglichte, die taktische Lage zu überbli-
cken und bei Bedarf die unterstellten Verbände aufzusuchen, selbst wenn sie weit
voneinander operierten819. Wie die anderen Divisionskommandeure führte auch
der Kommandeur der Division »GD« ausgeprägt von vorne. Hoernleins Handeln
war zudem stark von Offensivdenken, Entschlossenheit und Selbstständigkeit ge-
prägt. Dies gab er auch an seine Unterführer weiter. Die Zusammenstellung der

819
Vgl. z.B. die Landung des Ia beim III./IRGD 2 am 1.8.1942, »um sich nach dem Stand
der Dinge zu erkundigen«. Tagebuchnotizen Hptm. Bethge, Juli/August 1942, BArch,
RH 37/6344 (1.8.1942).
IV. Der Krieg im Osten 1942/43 455

Division und die Art, wie sie verwendet wurden, förderten dies wohl zusätzlich.
Hoernlein bekannte sich aber auch zur Auftragstaktik und handelte entsprechend.
Die Befehlsgebung war demzufolge von generell offen formulierten Aufträgen
geprägt, die den Unterführern Handlungsspielraum gewährten. Andererseits
lässt sich auch die Betonung des Elements der Einheitlichkeit nachweisen, führte
Hoernlein doch trotzdem straff. Dies zeigte sich in der detaillierten Vorbereitung
der Sommeroffensive und auch in der Gefechtsführung, etwa durch die Anzahl
der schriftlichen und mündlichen Befehle oder durch das persönliche Einwirken
Hoernleins in die Gefechtsführung. Der Einsatz im Rahmen der Verteidigung bei
Ržev ließ keine grundsätzliche Abkehr von diesem Führungsverhalten erkennen.
Allerdings erfuhr das Element der Einheitlichkeit eine höhere Gewichtung, was
sich in einer enger gefassten Befehlsgebung und koordinierenden Maßnahmen
verdeutlichte, welche die Handlungsfreiheit der Unterführer teils stark einengten.
Wie bei der 10. Infanteriedivision (mot) war auch der Einsatz der Division »GD«
bei Ržev von einer starken Überlagerung der Führungsebenen gekennzeichnet,
weshalb selbstständiges Handeln vielfach gar nicht nötig wurde. Alle entschei-
denden Maßnahmen aufgrund neuer Lageentwicklungen erfolgten erst nach
Rücksprache mit den vorgesetzten Stellen. Trotzdem ließ sich auch in dieser Phase
auftragstaktisches Handeln feststellen, wie etwa das Beispiel des Unternehmens
»Herbstwind« aufzeigte. Dadurch lässt sich zudem belegen, dass selbst bei straf-
fer Führung und detaillierter Planung eines Angriffsunternehmens Auftragstaktik
möglich war. Im Vergleich mit den beiden anderen Divisionen war die
Gefechtsführung der Infanteriedivision (mot) »GD« in Angriff und Verteidigung
insgesamt viel flexibler und offener gehalten. Besonders fällt dabei auf, wie stark
Hoernlein bestrebt war, die Balance zwischen straffer Führung und Betonung der
Einheitlichkeit einerseits und dem Erhalten von Handlungsspielraum für selbst-
ständiges, entschlossenes Handeln der Unterführer andererseits zu finden.
Abschließend lässt sich festhalten: Bei allen Divisionen zeigte das Führungs-
verhalten eine erstaunliche Übereinstimmung mit den normativen Vorgaben der !
Führungsdoktrin. Die Betonung der Selbstständigkeit als wichtigen Elements
der deutschen Führungsdoktrin ließ sich auch in der Gefechtsführung der
untersuchten Divisionen nachweisen, allerdings nicht bei allen im gleichen
Ausmaß. Teilweise spielte die Selbstständigkeit sogar eine eher nachgeordne-
te Rolle. Bei allen Divisionen traten hingegen die Elemente der Entschlossen-
heit und des Offensivdenkens sehr stark zum Vorschein. Als verblüffend
muss schließlich die in allen Fallbeispielen festgestellte bedeutende Rolle der
Nachrichtenverbindungen und des Führens von vorne bezeichnet werden, die
in den Vorschriften unter dem Element Einheitlichkeit der Handlung zum Tragen
kommen und sich als Konstante durch die Gefechtsführung aller Divisionen
zieht. Exemplarisch zeigte sich dies auch im Führungsvorgang. Dieser war von
einem andauernden Austausch zwischen den Führungsebenen geprägt. Die
Unterführer wurden stark in die Entscheidungsfindung der vorgesetzten Stufe
einbezogen. Gleichwohl blieben die straffe Führung und die Einheitlichkeit der
Handlung gewahrt, mussten die Unterführer die beabsichtigte Durchführung
ihrer Aufträge der vorgesetzten Stufe doch vorgängig immer melden. Dieses
Vorgehen beschränkte sich nicht nur auf die taktische Führung, also innerhalb
der Division, sondern galt auch für den Führungsvorgang auf operativer Ebene,
wie das Handeln verschiedener Generalkommandos und Armeeoberkommandos
456 IV. Der Krieg im Osten 1942/43

gezeigt hat. Diese Vorgehensweise bildet ganz allgemein einen wesentlichen


Aspekt für das Verständnis des deutschen Führungsverhaltens. Damit relativiert
sich auch die herkömmliche Auffassung in der Forschung, wonach der deutsche
Führungsvorgang im Wesentlichen auf die Auftragserteilung beschränkt war und
der Unterführer bei der Durchführung eines Auftrages völlig frei gewesen sei.
Eine solche Sichtweise ist nicht grundsätzlich falsch, fokussiert aber lediglich auf
den letzten Teil des Führungsvorganges, während der vorgängige enge Austausch
und der regulierende Aspekt darin völlig ausgeblendet werden.
V. Schlussbetrachtung und Ausblick

In der vorliegenden Studie ging es um die Beantwortung folgender zwei


Leitfragen: Wie wurde Auftragstaktik im deutschen Heer 1935 bis 1945 definiert
bzw. welche Elemente lassen sich unter diesem Führungsprinzip subsumieren?
Und in welchem Ausmaß wurde auf taktischer Stufe nach Auftragstaktik geführt?
Diesen Leitfragen entsprechend ging es in der Studie darum, die normativen
Elemente der Auftragstaktik sowie deren praktische Umsetzung im Gefecht zu
untersuchen. Dazu wurde zuerst eine Theorie erarbeitet, auf deren Grundlage
die Umsetzung der Auftragstaktik in der Praxis untersucht werden konnte. Als
Theoriebasis wurden zunächst das Clausewitz’sche Kriegsverständnis und das
Führungsdenken Moltkes d.Ä. betrachtet und darauf aufbauend die preußisch-
deutsche Führungsdoktrin unter dem Aspekt der Auftragstaktik analysiert. Auf
operativer, teils auch taktischer Führungsebene wurde sodann exemplarisch das
Spannungsfeld zwischen den normativen Vorgaben und dem konkreten Handeln
von Truppenführern in der deutschen Operations- und Gefechtsführung seit
den deutschen Einigungskriegen untersucht. Schließlich erfolgte die Analyse der
Umsetzung der Auftragstaktik auf der taktischen Führungsebene im Zweiten
Weltkrieg. Bei diesen Fallbeispielen im Divisionsrahmen wurden drei unter-
schiedliche Divisionen betrachtet, die 1942 und zu Beginn des Jahres 1943 im
Süd- und Mittelabschnitt der Ostfront eingesetzt waren. Dabei wurde nicht nur
die Gefechtsart des Angriffs, sondern auch die der Verteidigung untersucht. Dies
schien sinnvoll, da die Führungsgrundsätze generellen Charakter besaßen und
nicht je nach Gefechtsart wechselten. Es war deshalb aufschlussreich zu sehen, wie
sich die unterschiedlichen Rahmenbedingungen auf die praktische Anwendung
der Führungsgrundsätze auswirkten.
Die Analyse der preußisch-deutschen Führungs- und Ausbildungsvorschriften
in Kapitel II hat gezeigt, dass das darin skizzierte Kriegsverständnis deutlich von
der Clausewitz’schen Kriegstheorie und dem Denken Moltkes d.Ä. geprägt war,
die beide für das deutsche Führungsdenken konstituierende Bedeutung besa-
ßen. Die preußisch-deutsche militärische Denkschule verstand den Krieg als
kontingentes und komplexes Phänomen. Als solches gab es darin keine rationa-
len Regeln, weshalb Operationen nach deutscher Auffassung zwar geplant, ihr
tatsächlicher Verlauf jedoch nicht vorgängig festgelegt werden konnte. Einen
zentralen Faktor dieses Kriegsverständnisses bildeten die Friktionen. Einen
zweiten zentralen Faktor sah die preußisch-deutsche militärische Denkschule in
den moralischen Größen. Diese stellten die Grundlage dafür dar, dass Führer
und Unterführer rasch und effizient handelten, wenn sich in den von Chaos
und Zufall bestimmten Situationen des Krieges überraschend eine günsti-
458 V. Schlussbetrachtung und Ausblick

ge Lage ergab. Entsprechend wurden Faktoren wie Kühnheit, Mut, Tatkraft,


Verantwortungsfreude und Entschlusskraft als Erziehungsziel gefördert und
dem Wert des Charakters und der Persönlichkeit einen hohen Stellenwert ein-
geräumt. Als Konsequenz daraus wurden der Wert des Einzelnen und die per-
sönliche Initiative als ausschlaggebend für die Leistungsfähigkeit der gesamten
militärischen Organisation betrachtet, ja die Betonung der seelischen und mo-
ralischen Faktoren und deren Vorrang vor technischen Aspekten stellt gar die
eigentliche Konstante der preußisch-deutschen militärischen Denkschule dar1.
Auftragstaktik muss vor diesem Hintergrund verstanden werden. Die vorrangigsten
Ziele waren erstens, die Führungsfähigkeit im Krieg aufrechtzuerhalten, zweitens,
durch die Dezentralisierung von Führungsverantwortung und Initiative die ei-
genen (Führungs-)Kräfte zu multiplizieren, und damit drittens sicherzustellen,
dass bei Friktionen rasch und angemessen reagiert wurde. Aus diesem Grund war
dem preußisch-deutschen Führungsverständnis ein stark dezisionistischer Aspekt
inhärent. Entschlossenes und offensives Handeln waren die Voraussetzungen für
Schnelligkeit und Effektivität und deshalb »erstes Erfordernis im Kriege«2. Wie ge-
sehen hieß die zentrale Forderung der preußisch-deutschen Führungsdoktrin des-
halb, dem Gegner das Gesetz des Handelns vorzuschreiben. Dies zeigte sich auch
im Umkehrschluss, wenn Passivität als schwerer Fehler oder unrichtiges Handeln
besser als Nichtstun bewertet wurde. Dieser »Dezisionismus als Denkstil«3 blieb
wie auch die Gewichtung des Einzelnen und die damit zusammenhängende
Akzentuierung des operativ-taktischen Elementes für das preußisch-deutsche
Führungsverständnis bis 1945 nachhaltig prägend.
Bei der Analyse der preußisch-deutschen Führungs- und Ausbildungsvor-
schriften hat sich rasch gezeigt, dass die Frage nach dem Inhalt und den Elementen
der Auftragstaktik nicht einfach damit beantwortet werden kann, dass mit ei-
nem Auftrag ein Ziel vorgegeben, der Weg zum Ziel aber dem Untergebenen
offen gelassen wurde. Eine solche Definition beschreibt lediglich einen Teilaspekt
der Auftragstaktik und wird der Gesamtidee dahinter keineswegs gerecht, da
Auftragstaktik wie beschrieben mehr ist als eine bloße Anordnungstechnik.
Zudem hat sich gezeigt, dass ein breiter Handlungsspielraum zwar auftragstak-
tisches Handeln begünstigte, sich letztlich aber aufgrund von Friktionen auch
bei straffer Führung und enger Befehlsgebung Gelegenheiten ergaben, nach
Auftragstaktik zu handeln.
Aus der Analyse der preußisch-deutschen Führungs- und Ausbildungsvor-
schriften kristallisierten sich schließlich die sieben Hauptelemente Entschlossenheit,
Offensivdenken, Selbstständigkeit, Gehorsam, Einheitlichkeit, Urteilsvermögen und
der Führungsvorgang heraus. Diese lassen sich unter Auftragstaktik subsumieren
und kennzeichneten das Wesen des preußisch-deutschen militärischen Führungs-
denkens bis 1945.
Auf der Grundlage dieses Modells der Auftragstaktik wurde in Kapitel III das
Führungsverhalten deutscher Truppenführer in den deutschen Einigungskriegen,
im Ersten Weltkrieg und im Westfeldzug 1940 betrachtet. Dabei hat sich ge-
zeigt, dass es im untersuchten Zeitraum durchaus auftragstaktisches Handeln

1
Siehe auch Groß, Mythos und Wirklichkeit, S. 184.
2
TF, S. 5.
3
Vgl. Mönch, Entscheidungsschlacht, S. 178.
V. Schlussbetrachtung und Ausblick 459

gegeben hat. Darüber hinaus konnte jedoch festgestellt werden, dass die eigentli-
che Kontinuität im Führungsverhalten preußisch-deutscher Truppenführer nicht
im auftragstaktischen Handeln lag, sondern im erstaunlich hohen Ausmaß an
Eigenmächtigkeiten, durch die alle Operationen im untersuchten Zeitraum be-
stimmt waren. Die Ursachen dafür lagen im Ehrgeiz einzelner Truppenführer oder
im Rivalitätsdenken, in der Überschätzung der eigenen Position, in Ressentiments
gegenüber vorgesetzten Dienststellen und schließlich in einem übersteigerten
Offensivdenken begründet. Letzteres bildete eine wesentliche Konstante in allen
untersuchten Operationen.
Eine weitere Konstante machte das Element der Selbstständigkeit aus.
Der Nimbus der deutschen Einigungskriege und der Mythos um die Person
Moltkes d.Ä. führten dazu, dass die Selbstständigkeit nach 1871 zum Axiom
der preußisch-deutschen Führungsdoktrin wurde und sich ein richtiggehender
Kult der Selbstständigkeit etablierte. Zum eigentlichen Kern des Problems ent-
wickelte sich dabei die Frage nach dem Ausgleich zwischen dem Element der
Einheitlichkeit der Handlung und dem der Selbstständigkeit. Dass dies v.a. auf
das Problem einer falschen Schwerpunktsetzung in der Friedenserziehung zu-
rückzuführen war, wurde bereits von Zeitgenossen erkannt. Andererseits wurden
in den deutschen Militärzeitschriften noch in der Zwischenkriegszeit kontro-
verse Diskussionen über die Gewichtung einzelner Elemente der Auftragstaktik
geführt. Neben dem erwähnten Aspekt des Ausgleichs zwischen Einheitlichkeit
und Selbstständigkeit trat vermehrt auch der Aspekt der Technik, z.B. die Rolle
der modernen Nachrichtenmittel, in den Vordergrund. Insgesamt zeigte sich so-
mit, dass das tatsächliche Führungsverhalten in den deutschen Einigungskriegen,
dem Ersten Weltkrieg und dem Westfeldzug 1940 auf operativer Ebene vielfach
den normativen Vorgaben der Führungsdoktrin widersprochen hat und dass die
Entwicklung der Auftragstaktik nicht so linear verlief, wie dies bislang in der
Forschung dargestellt wird, sondern vielmehr oszillierte. Die Auftragstaktik hatte
sich als Führungsprinzip zwar schon vor dem Ersten Weltkrieg durchgesetzt und
war entsprechend zu einem Allgemeingut geworden, in Bezug auf die Umsetzung
und die Gewichtung der einzelnen Elemente herrschten jedoch bis in den Zweiten
Weltkrieg hinein unterschiedliche Auffassungen vor.
Die Analyse der Fallbeispiele und des taktischen Führungsverhaltens in
Kapitel IV erfolgte ebenfalls vor dem Hintergrund des Modells der Auftragstaktik.
Anders als auf operativer Ebene ließ sich in der Gefechtsführung der drei un-
tersuchten Divisionen eine erstaunliche Übereinstimmung mit den normativen
Vorgaben der Führungsdoktrin feststellen. Die Denk- und Handlungsweisen
der drei Divisionskommandeure waren deutlich von Offensivdenken sowie von
entschlossenem und selbstständigem Handeln geprägt. Dasselbe galt für die
Führungskultur innerhalb der Divisionen, wobei erstaunlicherweise gerade der
Selbstständigkeit z.T. eine eher untergeordnete Bedeutung beigemessen wur-
de. Bei allen drei Divisionskommandeuren fiel zudem die starke Frontpräsenz
auf. Ergänzt wurde diese durch die Nachrichtenverbindungen, die in allen
Fallbeispielen ein Führungsmittel von entscheidender Gewichtung darstellten.
Mit diesen beiden Aspekten verdeutlicht sich auch die Betonung des Elements
der Einheitlichkeit der Handlung. Die starke Gewichtung dieses Elements bil-
dete in allen Divisionen eine wesentliche Konstante in der Gefechtsführung.
Als eine weitere Konstante zeigte sich zudem, dass der Führungsvorgang von
460 V. Schlussbetrachtung und Ausblick

einem intensiven Austausch zwischen den Führungsebenen geprägt war. Dies


erfolgte einerseits, um die Unterführer straff zu leiten und die Ausführung der
befohlenen Maßnahmen zu überwachen. Andererseits bedeutete dieser intensi-
ve persönliche und fernmündliche Austausch auch, dass die Unterführer in die
Entscheidungsfindung der vorgesetzten Dienststellen einbezogen wurden. Wie
stark die verschiedenen Elemente zusammenspielten, zeigt sich deshalb gerade bei
den Elementen der Einheitlichkeit und des Führungsvorganges besonders deut-
lich. Durch die Präsenz des oberen Führers vor Ort und durch die bestehenden
Nachrichtenverbindungen entstand ein enges Netz der Führung. Im Regelfall
kam es deshalb selbst in kritischen Lagen immer zuerst zur Kontaktaufnahme
mit der vorgesetzten Dienststelle. Diese wurde über die neue Lage orientiert und
ihr wurden mögliche Lösungsansätze unterbreitet. Die Entschlussfassung erfolgte
letztlich aber auf der vorgesetzten Führungsebene. In den Fallbeispielen konnte
dieser Führungsvorgang verschiedentlich erkannt werden, wobei die untergeord-
neten Stellen immer erst nach solchen Rücksprachen handelten.
Wie gesehen konnte dies aber nicht immer der Fall sein. Es zeigte sich,
dass dieser Regelfall mehrmals durchbrochen wurde, wobei es bezüglich
des Handlungsspielraums durchaus Unterschiede in den Divisionen gab.
Während bei der Infanteriedivision »GD« relativ regelmäßig auftragstaktisches
Handeln ausgemacht werden konnte, war dies bei der 385. Infanteriedivision
nur in absoluten Ausnahmesituationen der Fall. Dabei zeigte sich auch, dass
der Divisionskommandeur einen entscheidenden Einfluss ausübte, förderte
Hoernlein auftragstaktisches Handeln seiner Untergebenen doch durch die of-
fene Befehlsgebung, während Eibl die Selbstständigkeit der Unterführer durch
seine Ansätze zu Mikromanagement und straffer Führung stark einschränkte.
Die Situation bei der 10. Infanteriedivision (mot) war wiederum eine andere.
Der Stellungskriegseinsatz in einem kleinen Einsatzraum und über eine lan-
ge Einsatzdauer schränkte den Handlungsspielraum derart ein, dass für diese
Division kein Fall von auftragstaktischem Handeln festgestellt werden konnte.
Allerdings hat sich gezeigt, dass Schmidt sehr darauf bedacht war, das entspre-
chende Führungsverständnis zu erhalten. Die Denk- und Handlungsweise dieses
Divisionskommandeurs verdeutlichte, dass er – anders als Eibl – die Auftragstaktik
grundsätzlich bejahte, die besondere Situation der Division es jedoch nicht nö-
tig machte, dass die Unterführer nach Auftragstaktik handelten. Das Fallbeispiel
der 10. Infanteriedivision (mot) darf jedoch nicht zum allgemeinen Schluss
führen, dass nur im Angriff nach Auftragstaktik geführt werden konnte, in der
Verteidigung hingegen nicht. Der Stellungskriegseinsatz der Infanteriedivision
»GD« bei Ržev widerlegte dies, ließen sich dort doch verschiedene Beispiele von
Auftragstaktik ausmachen.
Aufgrund dieser Erkenntnisse lassen sich die wichtigsten Folgerungen so zu-
sammenfassen:
Erstens: Bezogen auf die zuletzt erwähnten Beispiele der 10. Infanteriedivision
(mot) und der Infanteriedivision »GD« im Verteidigungseinsatz zeigt sich grund-
sätzlich die Problematik, dass Auftragstaktik nicht als allgemeingültige Schablone
definiert werden kann, die über verschiedene Gefechtsbeispiele gelegt wird, um
zu sehen, ob diese Auftragstaktik oder Eigenmächtigkeiten darstellten. Wie gese-
hen konnte sowohl im Angriff wie auch in der Verteidigung nach Auftragstaktik
geführt werden. Letztlich hing dieses Führungsprinzip viel zu sehr von der je-
V. Schlussbetrachtung und Ausblick 461

weiligen Situation oder von der Befehlslage ab, als dass es eine allgemeingültige
Definition für alle Gefechtshandlungen geben könnte. Entsprechend schmal war
auch der Grat zwischen eigenmächtigem und selbstständigem Handeln im Sinne
der Absicht.
Zweitens: Auftragstaktik lässt sich weder einfach auf eine Befehlsgebung
mit Auftragserteilung reduzieren, noch lediglich mit der Selbstständigkeit der
Unterführer gleichsetzen. Bereits frühe Verfechter wie Wilhelm von Blume
oder Sigismund von Schlichting warnten zudem davor, das Prinzip der Selbst-
ständigkeit zu einem absoluten Gesetz zu überhöhen4. Sie betonten vielmehr
die Bedeutung der Lage, die es notwendig machen konnte, den Handlungs-
spielraum der Unterführer einzuschränken. Diese Erkenntnis floss in die maß-
geblichen Dienstvorschriften ein. Zuletzt betonte z.B. die TF zwar die Verant-
wortungsfreudigkeit und Selbstständigkeit als Handlungsgrundsätze, setzte
gleichzeitig aber beide deutlich mit den übergeordneten Rahmenbedingungen
und dem Gehorsam in Korrelation, um Willkür und Eigenmächtigkeiten zu ver-
hindern5. Die Bedeutung der Regulative Lage und Einheitlichkeit ist deshalb für
die Festlegung des Anwendungsspielraums für Auftragstaktik von entscheiden-
der Bedeutung. Wie gesehen brachte dies in der praktischen Umsetzung einige
Schwierigkeiten mit sich, pervertierte diese Auffassung in Teilen des deutschen
Offizierkorps doch zu einer Überhöhung der Elemente der Selbstständigkeit
und des Offensivdenkens zulasten der Einheitlichkeit der Handlung und des
Gehorsams. Wesentlich für das Funktionieren der Auftragstaktik als Führungs-
prinzip ist deshalb die Interdependenz der unterschiedlichen Elemente, wie sie im
Modell der Auftragstaktik dargestellt wurden.
Drittens: Auftragstaktik muss als Organisationsprinzip betrachtet werden.
Dann verdeutlicht sich, dass dieses Prinzip nur unter bestimmten Vorbedingungen
zum Tragen kam, nämlich wenn eine geänderte Lage von einem Unterführer so-
fortiges Handeln verlangte, weiteres Zuwarten folglich nicht verantwortet wer-
den konnte und die Verbindung zum Vorgesetzten unterbrochen war. Die Analyse
der Führungsdoktrin hat gezeigt, dass dieses Prinzip von der übergeordneten
Stelle durchbrochen werden konnte und sogar musste, sobald das Handeln ei-
nes Unterführers nicht der übergeordneten Absicht entsprach und dadurch den
Gesamterfolg gefährdete. Die Gewichtung der Einheitlichkeit der Handlung
und der straffen Führung sowie der damit verbundenen Aspekte des Führens
von vorne und der Nachrichtenverbindungen in den preußisch-deutschen
Dienstvorschriften hat auch verdeutlicht, dass Auftragstaktik – d.h. das Handeln
ohne vorherige Absprache mit der vorgesetzten Kommandobehörde – als Ausnahme
in unvorhergesehenen Situationen zu verstehen ist. Nach preußisch-deutschem
Kriegsverständnis bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Regelfall der
einheitlichen und straffen Führung irgendwann während einer Operation durch
die Friktionen durchbrochen wurde. Eine Funktion der Auftragstaktik bestand
deshalb darin, eine Krisenlage zu überbrücken, indem die Unterführer selbststän-
dig im Sinne des Ganzen handelten, falls die Verbindung zum Vorgesetzten nicht
hergestellt werden konnte. Die zweite Funktion der Auftragstaktik lag darin, dass

4
Schlichting, Taktische und strategische Grundsätze, Bd 3, S. 230; Blume, Selbsttätigkeit
der Führer im Kriege, S. 506 f.
5
Vgl. TF, S. 2 f.
462 V. Schlussbetrachtung und Ausblick

sie den hierarchisch geprägten und dadurch schwerfälligen Führungsvorgang be-


schleunigte und ermöglichte, günstige Lagen rasch auszunutzen. Dies verdeutlicht
sich besonders in der Pflicht, dass selbstständiges Handeln ohne ausdrücklichen
Befehl nachträglich der vorgesetzten Stelle gemeldet werden musste und von dieser
beurteilt, d.h. gutgeheißen oder sanktioniert wurde.
Ein Schlüssel zum Verständnis dieses Aspektes bildet die Analyse des
Führungsvorganges. In allen Fallbeispielen hat sich gezeigt, dass die General- und
Divisionskommandos ihre Untergebenen sehr eng führten. Die Führung war wie
erwähnt durch das Führen von vorne und durch Nachrichtenverbindungen geprägt,
wodurch in der Regel ein stetiger Austausch zwischen oberer und unterer Führung
möglich wurde. Durch diese enge Führung war es häufig gar nicht erst nötig ge-
worden, nach Auftragstaktik handeln zu müssen. Dies zeigte sich exemplarisch in
den Verteidigungseinsätzen. Zwar erhielt das Element der Einheitlichkeit in der
Verteidigung eine besonders starke Betonung, trotzdem gelangten auch alle übri-
gen Elemente der Auftragstaktik in diesen Einsätzen zur Anwendung. Gleichwohl
ließen sich nur wenige Beispiele auftragstaktischen Handelns nachweisen. Dies
geschah allerdings nicht deshalb, weil die Divisionskommandeure nicht nach
Auftragstaktik führen wollten. Sowohl Schmidt als auch Hoernlein befürworteten
dieses Führungsprinzip. Vielmehr war es nicht notwendig, da die persönliche oder
fernmündliche Verbindung zwischen oberer und unterer Führung immer intakt
blieben. Der ständige Austausch zwischen den Führungsebenen und der Einbezug
der unteren Führung in die Entscheidungsfindung verdeutlicht schließlich, dass
der eigentliche Mehrwert des deutschen Führungsvorganges nicht nur im selbst-
ständigen Handeln der Unterführer, sondern zunächst darin bestand, dass sich
die Unterführer in der Planungsphase aktiv einbringen konnten. Dies bedeutete
aber, dass im Falle einer geänderten Lage zuerst immer die Kontaktaufnahme zur
vorgesetzten Dienststelle gesucht wurde, während das selbstständige Handeln auf
eigene Verantwortung erst in einem zweiten Schritt erfolgte. Dies galt für Angriff
und Verteidigung, wie gesehen hat die Kleinräumigkeit von Verteidigungsaktionen
dies aber noch zusätzlich verstärkt.
Viertens: Wie gesehen beschränkte sich die Kontroverse über die Gewichtung
der Elemente der Einheitlichkeit und Selbstständigkeit nicht nur auf die
Auseinandersetzung zwischen Normaltaktikern und Auftragstaktikern in den
1890er Jahren, sondern blieb bis in den Zweiten Weltkrieg hinein das bestim-
mende Spannungsfeld der deutschen Führungsdoktrin. Es war deshalb ent-
scheidend, die Balance zwischen straffer Führung und Handlungsspielraum
für die Unterführer zu finden. Dabei wurde bewusst in Kauf genommen,
dass die Gewährung von Flexibilität und Eigenverantwortung für die unteren
Führungsebenen zu Eigenmächtigkeiten führen konnte. Insofern forderte die
Dezentralisierung der Führungsverantwortung vielfach einen hohen Preis. Die
preußisch-deutschen Armeen bezahlten von den deutschen Einigungskriegen
bis in die Operationen des Zweiten Weltkrieges hinein für Draufgängertum,
Offensivdrang und Improvisationen u.a. mit immensen personellen Verlusten.
Dies betraf besonders das Führerkorps, das sich in weiten Teilen durch offensives
und entschlossenes Handeln und durch ein ausgeprägtes Führen von vorne aus-
zeichnete. Andererseits resultierte aus diesem Führungsverständnis eine Initiative
und Verantwortungsfreude, die es ermöglichte, rascher und adäquater auf die
Friktionen des Krieges zu reagieren, als dies in einem zentralisierten und rigide
V. Schlussbetrachtung und Ausblick 463

geführten System je möglich gewesen wäre. Darin lag letztlich einer der wesent-
lichen Schlüssel für die taktisch-operativen Erfolge deutscher Truppen im unter-
suchten Zeitraum6.
Fünftens: Schließlich veranschaulichte sich, dass der Raum für Selbstständigkeit
nicht zuletzt auch von der Führungsebene abhing. Die Untersuchung der Auf-
tragstaktik auf der langen Zeitachse von den deutschen Einigungskriegen bis
zum Westfeldzug 1940 hat gezeigt, dass viele der Eigenmächtigkeiten auf ope-
rativer Führungsebene stattfanden. Die Ursachen hierfür wären noch eingehend
zu untersuchen. Möglicherweise sind sie in einer besonderen »Kavallerie-« bzw.
»Panzermentalität« zu suchen. Auffallend ist jedenfalls, dass die Meinungs-
verschiedenheiten im Westfeldzug 1940 über die Ausrichtung und den Ansatz
der Operationen in erster Linie eine Auseinandersetzung zwischen Infanterie-
und Kavallerie- bzw. Panzerkommandeuren war. Auch in späteren Feldzügen ließ
sich dies beobachten. Während des Unternehmens »Barbarossa« kam es bereits
im Juli 1941 zu Kontroversen über den operativen Ansatz. Dies veranschaulicht
sich besonders deutlich in der Heeresgruppe Mitte: Während infanteristisch ge-
prägte und traditionell denkende Offiziere wie Kluge (Armeeoberkommando 4)
und Adolf Strauß (Armeeoberkommando 9) für einen begrenzten Vorstoß
der Panzerverbände eintraten, um die Front nicht zu überdehnen und den
Anschluss zwischen Panzer- und Infanterieverbänden nicht zu verlieren, woll-
ten Panzergenerale wie Guderian (Panzergruppe 2) und Hoth (Panzergruppe 3)
weiter vorstoßen und die sowjetischen Verbände großräumig umfassen. Der
Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Bock stützte die Ansichten Guderians und
Hoths, während schließlich der Oberbefehlshaber des Heeres Brauchitsch und
sein Generalstabschef Halder Ende Juli weiträumige Panzervorstöße verboten und
ein »System des ›Stückcherausbrechens [sic!] und Zerschlagens‹«7 zum Grundsatz
der Kampfführung machten.
Auf der taktischen Führungsebene hingegen, d.h. bei den in den Fallbeispielen
untersuchten Divisionen, wurden die normativen Vorgaben durchwegs einge-
halten, meistens sogar in einer optimalen Balance aller Elemente des Modells
der Auftragstaktik. Trotz Ausgeglichenheit der Elemente scheinen die unteren
Führungsebenen jedoch viel stärker vom Element der Einheitlichkeit geprägt
gewesen zu sein, während die Selbstständigkeit viel weniger stark gewichtet
wurde. Dies lag sicher auch daran, dass auf operativer Führungsebene mehr
Handlungsspielraum vorhanden war, während auf taktischer Führungsebene von
der Mechanik her schon enger geführt wurde und die Rahmenbedingungen – etwa
für das Zusammenwirken der Waffen – restriktiver waren. Darüber hinaus zeigte
sich in den Fallbeispielen auch, dass nicht alleine das Handeln nach Auftragstaktik

6
In einem langen Abnützungskrieg nützten das Offensivdenken und das zuweilen aggres-
siv entschlossene Handeln der deutschen Truppenführung jedoch die eigenen Ressourcen
allzu verschwenderisch ab. In dieser Hinsicht fehlte der deutschen Doktrin eindeutig ein
ökonomisierender Aspekt. Vgl. auch Groß, Mythos und Wirklichkeit.
7
Entsprechend sollten nur noch »kurze Ziele« angesteuert und die Truppe »am Zügel [ge-]
halten« werden. Obkdo der H.Gr. Süd/Der ChdGenSt, Anlage zu Obkdo. d. H.Gr. Süd/
Ia, Nr. 1731/41 g.K., Besprechung beim O.K.H. am 25.7.41, 28.7.1941, BArch, RH 20-
17/24, S. 4. Auch bei der H.Gr. Nord kam es zu operativen Differenzen zwischen dem
OB der H.Gr. (Leeb) und dem Befehlshaber der Pz.Gr. 4 (Hoepner). Vgl. Hürter, Hitlers
Heerführer, S. 284‑288; Bücheler, Hoepner, S. 146.
464 V. Schlussbetrachtung und Ausblick

zu militärischem Erfolg führte. Die Leistungen der 10. Infanteriedivision (mot)


waren gar nicht, die der 385. Infanteriedivision kaum auf Auftragstaktik zu-
rückzuführen. Selbst bei der Infanteriedivision »GD«, die den höchsten Grad an
auftragstaktischem Handeln aufwies, war die Mehrheit der Gefechtshandlungen
primär vom Austausch zwischen den Hierarchien und von einer einheitlichen,
straffen Führung geprägt.
Einige Themenbereiche mussten im Rahmen der vorliegenden Studie zwangs-
weise knapp gehalten werden oder gänzlich unbehandelt bleiben. Weiter zu vertiefen
wäre etwa noch die Interdependenz von Auftragstaktik und dem Ausbildungsstand
des Führerkorps. Dies konnte mit dem Vergleich qualitativ unterschiedlicher
Divisionen für das Führungsverhalten zwar soweit gemacht werden. Tatsächlich
hat sich auch gezeigt, dass der abnehmende Ausbildungsstand des Ersatzes und
der hohe Ausfall an Führern bei der 10. Infanteriedivision (mot) zwischenzeit-
lich zu einer strafferen Führung und zur Verengung der Handlungsspielräume
der Unterführer geführt hat. Die Ausdehnung des Untersuchungszeitraumes auf
die zweite Kriegshälfte müsste jedoch noch geleistet werden. Darin könnte eine
Antwort auf die Frage liegen, ob es ab 1943 zu einer Art Entprofessionalisierung
des Offizierkorps gekommen ist und ob bzw. in welchem Rahmen Auftragstaktik
noch 1944 oder 1945 angewendet werden konnte. Wie erwähnt deuten Aussagen
aus den Truppenquellen der Infanteriedivision »GD« von 1944 zumindest darauf
hin, dass sich zu diesem Zeitpunkt das Führungsverständnis jüngerer Offiziere
von demjenigen älterer Offiziere unterschieden hat.
Aufschlussreiche Erkenntnisse für die Frage der taktisch-operativen Über-
legenheit deutscher Verbände und für das Verständnis der Auftragstaktik könn-
te zudem die erweiterte Forschungsperspektive des internationalen Vergleichs
bringen. Inwiefern Auftragstaktik als ausdrückliche »Spezialität des deutschen
Heeres«8 zu betrachten ist, müsste tatsächlich auch noch genau untersucht
werden. Es wurde jedenfalls in der Einleitung zur vorliegenden Studie darauf
hingewiesen, dass die Führungsdoktrin anderer Streitkräfte teilweise genau die
gleichen normativen Vorgaben enthielten wie das deutsche Heer. Das Aufzeigen
von Äquivalenzen und Unterschieden zu alliierten Streitkräften könnte des-
halb weitere Rückschlüsse für ein differenziertes Bild vom »typisch« deutschen
Führungsprinzip und Führungsvorgang ermöglichen.
Schließlich wurde auch mehrmals darauf hingewiesen, dass für den unter-
suchten Zeitraum allgemeine Aussagen zum deutschen Heer wegen dessen
Heterogenität kaum gemacht werden können. Mit dem Ansatz der vorliegenden
Studie, die Theorie und Praxis zu vergleichen und Letztere anhand von Fallbeispielen
zu analysieren, wurde versucht, eine möglichst repräsentative Aussage machen
zu können. Die Analyse musste sich aus arbeitsökonomischen Gründen auf drei
Divisionen beschränken. Die Erforschung des Führungsverhaltens jeder weite-
ren Division würde folglich die Erkenntnisgrundlage verbreitern und absichern
sowie schließlich die Repräsentativität erhöhen. Gleichzeitig könnten auch an-
dere Aspekte verstärkt in die Untersuchung miteinbezogen werden, wie etwa der
Einfluss der Waffengattung oder der landsmannschaftlichen Zusammensetzung
auf das Führungsverhalten sowie die Frage des Einflusses der Divisionskultur auf
die Denk- und Handlungsweise von Soldaten.

8
Hoeres, Das Militär der Gesellschaft, S. 339.
Abkürzungen

A.A. Aufklärungsabteilung DGWW Deutsche Gesellschaft


ADB Allgemeine Deutsche für Wehrpolitik und
Biographie Wehrwissenschaften
AHA Allgemeines Heeresamt Div. Division, Divisionen,
A.K./AK Armeekorps Divisions-
akt. aktiv d.R. der Reserve
A.O.K./ Armeeoberkommando DRK Deutsches Rotes Kreuz
AOK DRWK Das Deutsche Reich und
A.R./AR Artillerieregiment der Zweite Weltkrieg
Art. Artikel, Artillerie D.V.E. Druckvorschriften-Etat
Ausb.Abt. Ausbildungsabteilung im D.V.Pl. Druckvorschriftenplan
Generalstab des Heeres DW Deutsche Wehr
A.V.A./ Ausbildungsvorschrift für EK Eisernes Kreuz
AVA die Artillerie Ers. Ersatz
A.V.F./AVF Ausbildungsvorschrift für ExReglInf Exerzierreglement für die
die Fußtruppen im Kriege Infanterie
A.V.I./AVI Ausbildungsvorschrift für FAZ Frankfurter Allgemeine
die Infanterie Zeitung
A.V.K./ Ausbildungsvorschrift für F.O./FO Felddienstordnung
AVK die Kavallerie F.u.G./ D.V.Pl. Nr. 487, Führung
A.V.N./ Ausbildungsvorschrift für FuG und Gefecht der verbun-
AVN die Nachrichtentruppe denen Waffen
A.V.Pz./ Ausbildungsvorschrift für FS Fernschreiben
AVPz die Panzertruppe GD Großdeutschland
Br.B.Nr. Briefbuchnummer (Verband)
Btl./Btls. Bataillon, Bataillone, Geb. Gebirgs-
Bataillons- geh./g./g geheim
Bttr. Batterie Gen.d. General der (Artillerie etc.)
ChdGenSt Chef des Generalstabes Gen.Kdo. Generalkommando
Chefs. Chefsache GenStdH Generalstab des Heeres
Ch HRüst Chef der Heeresrüstung Gr. Gruppe
u BdE und Befehlshaber des GR Grenadierregiment
Ersatzheeres Gren. Grenadier
D Dienstvorschrift GZ Zentralabteilung im
d.B. des Beurlaubtenstandes Generalstab des Heeres
466 Abkürzungen

HdbWW Handbuch der neuzeitli- MGFA Militärgeschichtliches


chen Wehrwissenschaften Forschungsamt
H.Dv./ Heeresdruckvorschrift MGZ Militärgeschichtliche
HDv (Wehrmacht) / Zeitschrift
Heeresdienstvorschrift MR Military Review
(Bundeswehr) MMW Moltkes Militärische
H.Gr./ Heeresgruppe Werke
HGr. mot./mot motorisiert
H.K.L./ Hauptkampflinie MWBl Militär-Wochenblatt
HKL MWR Militärwissenschaftliche
HL Heeresleitung Rundschau
HPA Heerespersonalamt NA Nachrichtenabteilung
Hptm. Hauptmann NfD Nur für den
HZ Historische Zeitschrift Dienstgebrauch
i.G. im Generalstab O2 2. Ordonnanzoffizier
IG Infanteriegeschütz (Gehilfe des Ib)
IMDE International Military and O3 3. Ordonnanzoffizier
Defense Encyclopedia (Gehilfe des Ic)
In EB Inspektion des OB/O.B. Oberbefehlshaber,
Erziehungs- und Offiziersbewerber
Bildungswesens des Heeres ObdH Oberbefehlshaber des
Inf. Infanterie Heeres
Inf.(-)Div./ Infanteriedivision Obkdo Oberkommando
I.D./ID Oblt. Oberleutnant
I.R./IR Infanterieregiment Obstlt. Oberstleutnant
Jäg. Jäger O.H.L./ Oberste Heeresleitung
JMilH The Journal of Military OHL
History ÖMZ Österreichische
Ka.Gru. Kampfgruppe Militärische Zeitschrift
Kav. Kavallerie Offz. Offizier, Offiziere
Kdo. Kommando OKH Oberkommando des
Kdos./ Kommandosache Heeres
Kds./K./K OKW Oberkommando der
KdK Klassiker der Kriegskunst Wehrmacht
Kdr. Kommandeur, Op.Abt. Operationsabteilung im
Kommandierender Generalstab des Heeres
kdt.z. kommandiert zum OQu Oberquartiermeister
K.O.B. Kriegsoffizierbewerber Org.Abt. Organisationsabteilung im
Kdr.Gen./ Kommandierender Generalstab des Heeres
K.G. General Pak Panzerabwehrkanone
Komp./Kp. Kompanie Pi. Pionier, Pioniere
Kradsch. Kradschützen Pz./Pz Panzer
Kr.Ak. Kriegsakademie Pz.Div./ Panzerdivision
KRiG Krieg in der Geschichte PzD
K.St.N. Kriegsstärkenachweisung Pz.Gr. Panzergruppe
KTB Kriegstagebuch Pz.Gren. Panzergrenadierdivision
Lt. Leutnant Div./PzGrD
M.G./MG Maschinengewehr PzK Panzerkorps
Abkürzungen 467

R./Res. Reserve VfZ Vierteljahreshefte für


Rgt./Rgts. Regiment, Regiments- Zeitgeschichte
RK Ritterkreuz des Eisernen WK Wehrkreis,
Kreuzes Wehrkreiskommando
Rw.M. Reichswehrministerium WO War Office
Schtz. Schütze(n) WS War and Society
SRM Special Reports Army WuW Wissen und Wehr
Stellv. Stellvertretendes, Z. Zug
Stellvertretender z.b.V. zur besonderen
StuG Sturmgeschütz Verwendung
TB Tagebuch z.D. zur Dienstleistung
T.F./TF Truppenführung ZDv Zentrale Dienstvorschrift
TNA The National Archives (Bundeswehr)
Tr. Truppe, Truppen ZfG Zeitschrift für
uk unabkömmlich Geschichtswissenschaft
Uffz. Unteroffizier, z.V. zur Verwendung
Unteroffiziere

Abteilungen in der Heeresleitung/Truppenamt bis 1935


(Kurzbezeichnungen)

T1 Heeresabteilung im Truppenamt
T2 Heeresorganisationsabteilung
T3 Heeresstatistische Abteilung (Fremde Heere)
T4 Heeresausbildungsabteilung

Abteilungen in den Führungsstäben des Heeres


(Kurzbezeichnungen)

Ia Führungs-/Operationsabteilung
Ib Quartiermeisterabteilung
Ic Feindaufklärung und Abwehr; geistige Betreuung
Id Ausbildung
IIa 1. Adjutant (Offizierspersonalien)
IIb 2. Adjutant (Unteroffiziers- und Mannschaftspersonalien) (ab Korpsebene)
Quellen und Literatur

1. Archivalien

Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv (BArch), Freiburg i.Br.

MSg 109 Militärgeschichtliche Sammlungen


/VI (Klepp), /1609 (Loeper), /2357 (Schmidt)
N Nachlässe
19/9 (Weichs), 220/120 (Philippi), 252/8 (Blumentritt), 592/5
(Heidkämper), 813/6 (Münchhausen)
Pers 6 Personalakten
/670 (Klepp), /720 (Loeper), /908 (Schmidt), /1590 (Lorenz)
RH 1 OKH/Adjutantur des Chefs der Heeresleitung/ObdH
RH 2 OKH/Chef des Truppenamtes/Generalstab des Heeres
RH 7 OKH/Heerespersonalamt
RH 10 OKH/Generalinspekteur der Panzertruppen
RH 11 I OKH/General der Infanterie im OKH
RH 12-1 OKH/Inspektion der Kriegsschulen
RH 12-2 OKH/Inspektion der Infanterie
RH 12-5 OKH/Inspektion der Pioniere
RH 12-6 OKH/Inspektion der Schnellen Truppen/Panzertruppen
RH 15 OKH/Allgemeines Heeresamt
RH 16 OKH/Kriegsakademie
RH 17 OKH/Schulen des Heeres
RH 19 Heeresgruppenkommandos
RH 20 Armeeoberkommandos
RH 21 Panzer-Armeeoberkommandos
RH 24 Generalkommandos
RH 26 Infanteriedivisionen
RH 27 Panzerdivisionen
RH 31 IX Deutscher General beim italienischen Armeeoberkommando 8
RH 37 Verbände und Einheiten der Infanterie (unterhalb Divisionsebene)
RH 46 Verbände und Einheiten der Pioniere (unterhalb Divisionsebene)
RH 53 Wehrkreiskommandos
RH 54 Verbände und Einheiten des Ersatzheeres (unterhalb Divisionsebene)
RH 68 Chef des Ausbildungswesens im Ersatzheer
RHD Heeresdrucksachen (1919‑1945)
470 Quellen und Literatur

RS 4 Verbände und Einheiten der Feldformationen der Waffen-SS


RW 2 Oberkommando der Wehrmacht/Chef OKW
RW 4 Oberkommando der Wehrmacht/Wehrmachtführungsstab
ZA 1 Studiengruppe Historical Division der U.S. Army
ZA 1/70 Küchler, Georg von, Organisation und Tätigkeit des Kriegs-
gefangenenlagers in Garmisch für die Historical Division
ZA 1/646 Blumentritt, Günther, Das alte deutsche Heer von 1914 und das
neue deutsche Heer von 1939; ein vergleichendes Werturteil, 1947
ZA 1/653 Blumentritt, Günther, Kriegsgeschichtliche Erfahrungen über
»Befehls-Technik«, 1947
ZA 1/1246 Gewisse deutsche militärische Ausdrücke und ihre Definition, o.J.
ZA 1/1610 Rendulic, Lothar, Der Befehl, 1947
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D 66+, Richtlinien für die Führung der Panzerdivision vom 1.6.1938
D 76, Panzerangriff im Rahmen einer Infanterie-Division vom 23.6.1936
D 77+, Richtlinien für die Führung der leichten Brigade vom 18.8.1937
D 80+, Richtlinien für die Führung der Infanteriedivision (mot), Berlin 1937
D 81/2+, Besichtigungsbemerkungen 1936 vom 5.1.1937
D 81/3+, Besichtigungsbemerkungen 1937 vom 5.11.1937
D 102, Die Infanterie im Stellungskrieg vom 26.5.1937
D 645, Ausbildungsanweisung für die leichte und mittlere Panzerkompanie 1939
im Gefecht vom 1.3.1939
Der Angriff im Stellungskrieg vom 1.1.1918 (= Vorschriften für den Stellungskrieg
für alle Waffen, 14)
D.V.E. Nr. 53, Grundzüge der höheren Truppenführung, Berlin 1910
D.V.E. Nr. 130, Exerzier-Reglement für die Infanterie (Ex.R.f.d.I.), Berlin 1906
(Neudruck 1909)
[D.V.E. Nr. 267], Felddienst-Ordnung (F.O.) vom 1.1.1900 (Neufassung
22.3.1908)
D.V.Pl. Nr. 487, Führung und Gefecht der verbundenen Waffen (F.u.G.) vom
1. September 1921
Exerzir-Reglement für die Infanterie der Königlich Preußischen Armee vom
25.2.1847 (Neudruck 1870)
Exerzir-Reglement für die Infanterie, Berlin 1888 (Neudruck 1889)
Felddienst-Ordnung (F.O.) vom 23.5.1887 (Neudruck 20.7.1894)
Grundsätze für die Führung in der Abwehrschlacht im Stellungskriege vom
1.12.1916 (Neudruck vom 1.3.1917) (= Vorschriften für den Stellungskrieg
für alle Waffen, 8)
H.Dv. 3/4, Die Pflichten des deutschen Soldaten vom 25.5.1934 [= Berufs-
pflichten]
H.Dv. 3/11, Befehlsbefugnisse im Heer vom 21.4.1936
H.Dv. 52, Bestimmungen für die Aufnahmeprüfung für die Kriegsakademie
(Kriegsakademieprüfung) und für die Zusatzprüfung für die Hochschule
(Hochschulprüfung) vom 13.8.1937
H.Dv. 54/2b, Vorschrift für den allgemeinbildenden Unterricht im Heere
(A.U.H.), Heft 2b, Die Heeres-Unteroffiziervorschule. Lehrplan vom
9.3.1942
H.Dv. 82/3b, Ergänzungsbestimmungen für die Offizierlaufbahnen im Heere
während des Krieges (Offz.Erg.Best.). Teil A: Ergänzung der Offiziere vom
30.1.1940 und 15.5.1941
472 Quellen und Literatur

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H.Dv. Nr. 130, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie (A.V.I.),
Heft 1: Einleitungsverfügung, A. Vorbemerkungen, B. Leitsätze, C. Die
Waffen, D. Grundlagen für den Kampf der Infanterie, E. Kommandos,
Befehle und Zeichen, Berlin 1922,
Heft 2: Einzelausbildung bis Stufe Kompanie, Berlin 1925,
Heft 3: Maschinengewehr-Kompanie, Berlin 1922, Heft 4: Minenwerfer-
Kompanie, Berlin 1922,
Heft 5: Infanteriebataillon und Infanterieregiment, Berlin 1925
H.Dv. 130/1, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie (A.V.I.),
Heft 1: Leitsätze für Erziehung und Ausbildung vom 1.10.1938
H.Dv. 130/1E, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie (A.V.I.),
Heft 1E: Richtlinien für die Ausbildung im Ersatzheer vom 21.6.1940,
16.3.1943 und 11.12.1944
H.Dv. 130/2a, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie (A.V.I.),
Heft 2: Die Schützenkompanie, Teil a, A. Einzelausbildung, B. Die Gruppe,
Berlin 1935
H.Dv. 130/2b, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie (A.V.I.),
Heft 2: Die Schützenkompanie, Teil b) Der Schützenzug und die
Schützenkompanie, Berlin 1936
H.Dv. 130/9b, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie (A.V.I.),
Heft 9b: Vorläufige Richtlinien für Einsatz und Führung des
Infanteriebataillons (mot.) vom 16.3.1941
H.Dv. 130/20, Ausbildungsvorschrift für die Infanterie (A.V.I.),
Heft 20: Die Führung des Grenadier-Regiments vom 21.3.1945 (Entwurf )
H.Dv. 200, Ausbildungsvorschrift für die Artillerie (A.V.A.),
Heft 1: A. Leitsätze für die Ausbildung vom 9.1.1922, Berlin 1925
H.Dv. 200/1a, Ausbildungsvorschrift für die Artillerie (A.V.A.),
Heft 1a, Leitsätze für die Erziehung und Ausbildung im Heere vom
1.10.1938
H.Dv. 200/5, Ausbildungsvorschrift für die Artillerie (A.V.A.),
Heft 5: Die Führung der Artillerie vom 26.1.1937
H.Dv. 291, Bestimmungen über Aufstellung und Vorlage der Beurteilungen der
Offiziere des Heeres (Beurteilungsbestimmungen) (B.B.) vom 11.5.1936
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Heft 1: Leitsätze für die Erziehung und Ausbildung im Heer, Berlin 1937
H.Dv. 299/11b, Ausbildungsvorschrift für die Schnellen Truppen,
Heft 11b: Führung und Kampf des Kraftradschützenbataillons vom
28.12.1941
H.Dv. 299/11d, Ausbildungsvorschrift für die Schnellen Truppen,
Heft 11d: Vorläufige Richtlinien für Führung und Kampf des Schützen-
Regiments und Schützen-Bataillons vom 1.3.1941
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[H.Dv. 300/2], Truppenführung (T.F.), Teil 2 vom 18.10.1934 (unveränderter
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Heft 1: Richtlinien für die Ausbildung, Berlin 1924
Quellen und Literatur 473

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Heft 1: Leitsätze für die Erziehung und Ausbildung vom 2.9.1937,
2.10.1938 und 1940 (berichtigter Nachdruck)
H.Dv. 470/7, Ausbildungsvorschrift für die Panzertruppe (A.V.Pz.),
Heft 7: Die mittlere Panzerkompanie vom 1.5.1941
H.Dv. 470/10, Ausbildungsvorschrift für die Panzertruppe (A.V.Pz.),
Heft 10: Vorläufige Richtlinien für Führung und Kampf des Panzer-
Regiments und der Panzer-Abteilung vom 18. Januar 1941
H.Dv. 470/12, Ausbildungsvorschrift für die Panzertruppe (A.V.Pz.),
Heft 12: Vorläufige Richtlinien für Einsatz und Führung der Panzerjäger-
Abteilung (mot.Z.) vom 21.9.1941
H.Dv.g. 66, Richtlinien für Führung und Einsatz der Panzer-Division vom
3.12.1940
H.Dv.g. 80, Richtlinien für Führung und Einsatz der Infanterie-Division (mot),
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Merkblatt g. 15/1, Richtlinien für den Einsatz der Panzer-Pionier-Kompanie vom
13.3.1941
Merkblatt 15/5, Orden und Ehrenzeichen. Sammeldruck der geltenden
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1.7.1943
Merkblatt 18/15, Richtlinien für den Einsatz von Panzerkampfwagen im Rahmen
einer Infanterie-Division vom 1.10.1943
Merkblatt 25a/24, Anleitung für Unterführerausbildung der Infanterie im
Feldheer vom 27.10.1942 (unveränderter Nachdruck September 1943)
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Personenregister

Ackemann, Walter 347 Blumenthal, Carl-Ludwig 427


Adam, Helmuth 414 Blumentritt, Günther 147, 166, 227
Albert, Kronprinz von Sachsen 195 Blume, Wilhelm von 36, 48, 461
Albrecht, Herzog von Bock, Fedor von 232, 259, 463
Württemberg 208 Boetticher, Friedrich von 122
Albrecht, Fritz 414 Boguslawski, Albert von 40, 48, 221
Altrichter, Friedrich 102, 109 f., Bonaparte, Napoleon 34
117, 120, 124, 126, 165, 220, 222 Bonin, Adolf von 183
Altstötter, Ludwig 341, 344 Bose, Julius von 190
Alvensleben, Konstantin von 180, Boyd, John 10
191 f., 196, 251 Brands (Oberleutnant) 374
Ardant du Picq, Charles 90 Brauchitsch, Walter von 65, 75, 126,
Balck, Hermann 236, 239, 246, 245, 249, 463
295, 340, 400 f., 407 f. Brennecke, Kurt 85, 156, 314
Bazaine, François Achille 188, 190, Bülow, Karl von 208
192, 194, 197 Bünau, Rudolf von 129
Becher, Oskar 180 Burger, Eugen 308
Beck-Broichsitter, Helmut 247 f. Busch, Ernst 132, 232, 235
Beck, Ludwig 40, 62, 72, 79, 85, Caprivi, Leo von 192, 193
132, 144 f., 147 Castell-Rüdenhausen, Rupert Fürst zu
Behmann (Hauptmann d.R.) 272 341, 344
Below, Fritz von 57 Choltitz, Dietrich von 75
Benedek, Ludwig August Ritter von Čibisov, Nikandr 312
182 Clausewitz, Carl von 14, 18, 29,
Berenhorst, Georg Heinrich von 35‑50, 54, 69, 71‑73, 78,
36 f., 50 82‑85, 111, 121, 131, 144‑146,
Bernhardi, Friedrich von 36 174, 224, 457
Bethge, Theo 413 Cochenhausen, Friedrich von 54,
Bethke, Theodor 409 201, 338, 339
Binding, Rudolf G. 80 Courbière, René l’Homme de 247,
Bismarck, Gottlieb Friedrich 412
Christian Georg von 194 Däniker, Gustav 32, 119 f., 138,
Bismarck, Otto von 181 f., 186 220, 222
Blaskowitz, Johannes 124, 228 Delbrück, Hans 89, 192, 201
Blomberg, Werner von 75, 126 Dinglinger, Wolfgang 346
Blücher, Gebhard Leberecht von 73, Dollmann, Friedrich 137, 156
89 Eberbach, Heinrich 120
500 Personenregister

Eibl, Karl 267‑270, 272, 278 f., Girvers (Oberstleutnant) 272


282 f., 285‑290, 292‑296, Glümer, Adolf von 186, 191
298‑305, 308‑317, 319 f., Gneisenau, August Wilhelm Graf
324‑326, 328 f., 338, 340, 342, Neidhardt von 73
358 f., 395 f., 422, 452‑454, 460 Gollwitzer, Friedrich 314
Einem, Kurt von 165 Goltz, Colmar Frhr. von der 36, 48
Erfurth, Waldemar 64 Goltz, Eduard Kuno Frhr. von 191,
Erler, Rudolf 271, 304 196, 207
Esch, Karl Wilhelm von der 190 Grandmaison, Louis Loiseau de 89 f.
Falkenhayn, Erich von 213 f., 222 f. Grant, Ulysses S. 15
Feeser, Friedrichfritz 220 f., 225 Grau, Hans 348 f.
Feucker (Major) 412 f. Greim, Alfred 412
Flies, Eduard von 186 Grisail (Oberleutnant) 321
Flohr, Adolf 270, 306 Gronau, Hans von 203, 222
Foch, Ferdinand 89 f. Grosser (Major/Oberstleutnant)
Foerster, Wolfgang 225 411‑413
Foertsch, Hermann 24, 109 Guderian, Heinz 9, 84, 177, 217,
François, Hermann von 203‑207, 232 f., 236, 238‑244, 246, 251,
216, 251 463
Franke, Hermann 20 Haacke, Rudolf von 341
Fransecky, Eduard von 185 Hacke (Major) 415
Frantz, Peter 415 Halder, Franz 21, 67, 133, 231, 234,
Freytag-Loringhoven, Hugo Frhr. 240, 249, 256, 264, 278, 408 f.,
von 46, 48, 91, 195, 218 463
Friderici, Erich 274‑276 Hauck (Oberst) 75
Friedrich der Große 36, 73, 78, 89 Hauschild, Walter 54
Friedrich Karl, Prinz von Preußen Hausen, Max Frhr. von 209
89, 181‑183, 185, 188, 191 f., Hauß, Edmund 344
195, 197 f., 216, 251 Heeringen, Josias von 211
Friedrich Wilhelm I. 36 Heesemann, Wolfgang 412
Friedrich Wilhelm, Kronprinz von Hegerl, Richard 341, 344, 346
Preußen 181‑183, 195, 208 Heidkämper, Otto 245
Fritsch, Werner Frhr. von 54, 150 Heinrici, Gotthard 261, 280, 339
Fromm, Friedrich 264, 273 f., 328 Hell, Ernst-Eberhard 280
Frossard, Charles 189 Henrici, Sigfrid 431
Frunze, Michail V. 30 Heréus, Friedrich 272
Gambetta, Léon 90 Herold, Walter 334, 344, 347
Garski, Eugen 411, 438, 443 Herrnleben, Fritz 349
Gehrke, Kurt 412 f. Herwart von Bittenfeld, Karl
Gericke (Major) 409 Eberhardt 179
Gersdorff, Rudolph-Christoph Frhr. Hesse, Kurt 41
von 120 Heusinger, Adolf 126, 267
Geyer, Hermann 65 Heyser, Kurt 271
Geyr von Schweppenburg, Leo Hierl, Constantin 65, 224
Reichsfrhr. 337 Hiller von Gärtringen, Wilhelm
Giese, Gerhard 269 f., 308 Frhr. 180
Gilsa, Werner-Albrecht Frhr. von und Hilpert, Carl 409
zu 314, 364 Himmler, Heinrich 75, 125 f.
Personenregister 501

Hindelang, Hans 247, 248, 443 Klußmann (Oberleutnant) 321


Hindenburg, Paul von Beneckendorff Knobelsdorff, Otto von 406 f.
und von 39, 73, 204 f., 207, 214, Köhler, Otto 410, 431
218 König, Rudolf 344 f.
Hitler, Adolf 2, 5, 9, 11, 13 f., 24, 75, Kohlhaas, Ludwig 412 f., 427
96, 126 f., 240 f., 246, 249, 256, Konev, Ivan 261
258‑262, 268, 397, 427, 432 Korthals, Günther 247
Hobe, Cord von 408 f., 449 Krägeloh, Konrad 371 f.
Hoepner, Erich 77, 124, 166, 233 Krafft von Dellmensingen,
Hoernlein, Walter 342, 405‑408, Konrad 218 f.
415, 419 f., 422, 424‑427, Kretschmar (Leutnant d.R.) 321
429‑431, 433‑442, 447, Küchler, Georg von 429
449‑451, 454 f., 462 Kuehn, Dietrich 450
Hoßbach, Friedrich 16 Kühne, Gerhard 314
Hoth, Hermann 233, 244 f., 259, Kuhl, Hermann von 107, 221,
300, 314, 408, 421, 426, 428 f., 223 f., 226 f.
463 Kuntze, Walter 116
Hückel, Ernst-Albrecht 438, 440 Langermann und Erlencamp,
Inhofer, Karl 341 Willibald Freiherr von 430 f.
Isekeit (Stabsfeldwebel) 321 Laue (Leutnant) 288 f.
Jähns, Max 38 Laux, Paul 150
Jauer, Georg 414 Leeb, Leopold von 272
Jeckeln, Friedrich 278 Leeb, Wilhelm Ritter von 85, 232
Joffre, Joseph 89 f. Lehnhoff (Hauptmann) 412 f.
Jomini, Antoine-Henri 37‑39, 221 Lemelsen, Joachim 408
Jünger, Ernst 89 Lersner, Karl Frhr. von 271, 304,
Justrow, Karl 225 320
Kahsnitz, Erich 411 Leuteritz, Walter 349
Kameke, Georg von 189 f. Lingner, Hans 165 f.
Kant, Immanuel 144 List, Wilhelm 232, 235
Kauffmann, Kurt 409 Lochow, Ewald von 210
Kaulbach, Eberhard 189 Loeper, Friedrich-Wilhelm von 337,
Keitel, Wilhelm 66, 75, 126, 267 340
Keltsch, Karl 237 Loerzer, Bruno 240
Kempf, Werner 170, 242, 244, 342, Lorenz, Karl 410 f., 415
419, 421 f., 425, 451 Lossberg, Fritz von 201
Kessel, Eberhard 201 Luczinski, Heinrich 272
Kirchbach, Hugo von 190 Ludendorff, Erich 39, 73, 87, 205 f.,
Kirchner, Friedrich 246 208, 213 f., 218 f., 223
Kleffel, Philipp 278 Ludwig, Max 78, 108 f., 167, 201
Kleist, Ewald von 39, 232, 235, Lutz, Oswald 133
240‑243, 259 Lyncker, von (Oberst) 192
Klemm, Hans 443 MacMahon, Patrice de 191, 194
Klepp, Ernst 269 Mahlmann, Paul 109
Kluck, Alexander von 203, 209 f., Maizière, Ulrich de 341, 343
216, 251 Manstein, Albrecht von 192, 255
Kluge, Günther von 70, 124, 232, Manstein, Erich von 5, 75, 95, 97,
245, 249, 436, 463 407
502 Personenregister

Manteuffel, Edwin Frhr. von 185, Plagemann, Kurt 348


407 Platen, Detlev von 270
Manteuffel, Hasso von 406 Plettenberg, Karl von 208
Mantey, Friedrich von 204, 209, Pössl, Walter 415
220‑223, 225 Praun, Albert 219
Marwitz, Johann Friedrich Frhr. von Prittwitz und Gaffron, Maximilian
der 12 von 203 f.
Marx, Wilhelm 196, 222, 224 Quast, Ferdinand von 210
Maydorn (Oberstleutnant) 344 f. Rabenau, Friedrich von 61
Mayer, Waldemar 348 Raus, Erhard 269
Mehring, Franz 48 Redmer, Karl 341
Meißner, Hans 349 Rehbein, Heinrich 270
Mestmacher (Major) 344 f. Reinecke, Hermann 75
Michel, Karl 409 Reinhardt, Hans-Georg 80, 98,
Middeldorf, Eike 166 232 f., 235, 242, 261
Model, Walter 261 Reinhardt, Walther 41
Moehring, Kurt 410‑412 Reinke (Oberst) 414
Moltke (d.Ä.), Helmuth Karl Reithmeier, Peter 349
Bernhard Graf von 7, 14, 18, Remer, Otto-Ernst 412 f.
34‑36, 38, 40, 47‑54, 63, Rendulic, Lothar 107, 142 f., 166,
69‑73, 78‑80, 82, 84, 86‑88, 269
91 f., 94, 97‑99, 107‑111, Rennenkampf, Pavel 203
117 f., 120 f., 130‑132, 134, Ritter, Otto 409
144 f., 157, 159 f., 172, 174, 177, Roehl, von (Major) 333 f.
179‑183, 185‑196, 198‑201, Rogge, Bernhard 196
218, 221, 224, 233, 250 f., 257, Rokossovskij, Konstantin 311 f.
286, 423, 444, 457, 459 Rommel, Erwin 9, 89, 217, 233,
Moltke (d.J.), Helmuth Johannes 236, 243‑246, 251
Ludwig von 64, 208, 210‑213, Rosewich, Kurt 341, 344
219, 224 Rubarth, Walter 247
Monshausen, Klaus 409 Rundstedt, Gerd von 232, 234 f.,
Morgen, Kurt von 205 240, 242, 249, 407
Mülbe, Gustav von der 182 Rupprecht, Kronprinz von Bayern
Müller, Vincenz 138 211‑214, 218, 223, 225
Müller-Hillebrand, Burkhart 154, 253 Rüstow, Wilhelm von 38
Müller-Loebnitz, Wilhelm 96, 101, Salazer (Oberleutnant) 268, 283
108, 187, 200, 223, 226 Salmuth, Hans von 313, 327
Münchhausen, Georg-Heino Frhr. Samsonov, Aleksandr 203
von 267 Schaal, Ferdinand 338 f.
Natzmer, Oldwig-Otto von 409, Schack, Graf (Oberst a.D.) 227
410, 449 Schäfer, Theobald von 96, 109
Nedtwig, Johannes 237 Schär (Leutnant d.R.) 320, 325
Nelson, Horatio 15 Scharnhorst, Gerhard Johann David
Obermeier (Leutnant) 247 von 36 fc., 38, 73, 197
Osterroht, von (Oberstleutnant) 271 Scheliha, Hans-Heinrich von 341,
Patton, George S. 15 345
Petereit (Hauptmann) 412 Schepers, Hans-Joachim 414
Philippi, Alfred 21 Scherff, Wilhelm von 40, 48
Personenregister 503

Schlichting, Sigismund von 36, 48, Straube, Erich 295, 298, 302 f., 309,
461 314, 315, 327
Schlieben, Karl Wilhelm von 75 Strauß, Adolf 463
Schlieffen, Alfred Graf von 36, 40, Stülpnagel, Carl-Heinrich von 158,
48, 72, 78, 84, 92, 107, 136, 188, 229
222, 224 Szczepanski, Max von 102, 105,
Schlösser (Feldwebel) 321 220, 222
Schmid, Martin 348 Tann, Ludwig von der 195
Schmidt, August 336‑340, Teske, Hermann 117
343‑345, 347, 354, 356‑364, Tippelskirch, Werner von 117
366 f., 371‑373, 375 f., Traut, Hans 337, 345
384‑386, 389 f., 392‑395, 397, Ullrich (Hauptmann) 412
407, 439, 453 f., 460, 462 Unold, Georg von 341
Schmidt, Rudolf 233, 261 Usedom, Horst von 415
Schmidt von Knobelsdorf, Vatutin, Nikolai 311
Konstantin 208 Verdy du Vernois, Julius von 48
Schmitz (Hauptfeldwebel) 321 Vogel von Falckenstein, Eduard
Schmundt, Rudolf 75 185 f., 196, 251
Schobert, Eugen Ritter von 71, 94, Vogt von Hunoldtstein, Otto
119, 125 Frhr. 348
Scholl (Leutnant d.R.) 320, 325 Voigts-Rhetz, Konstantin von 192 f.
Scholtz, Friedrich von 205 Vojde, Karl 8, 178, 220
Schöning, von (Oberst) 192 Volkmann, Hellmuth 149
Schörner, Ferdinand 75 Vormann, Nikolaus von 339
Schürmann (Generalmajor a.D.) 65 Wätjen, Rudolf 415
Schwinge, Erich 120 Walle, Gustav 413
Seeckt, Hans von 40, 59, 61, 63, Walter (Leutnant) 321
65, 72, 77, 106 f., 118, 201, 229, Walther, Siegfried 344 f., 371 f.
230, 235 Wandel, Martin 282
Seydlitz, Friedrich Wilhelm Frhr. von Wangenheim, Frhr. von (Oberst)
89 271
Sheridan, Philipp 194 Wangenheim, H. Frhr. von 120
Sherman, William T. 15 Warschnauer, Horst 438, 440
Snethlage, Hubert 349 Weber, Gerhard 345
Sodenstern, Georg von 93, 109, 235 Weichs an der Glon, Maximilian Frhr.
Soldan, George 224 von und zu 16, 280
Spaeter, Helmuth 404, 408, 411, 444 Weiß, Walter 433‑435, 442, 451
Sperrle, Hugo 240 Wendt, Erich 269 f.
Sponeck, Hans Graf von 9 Weniger, Erich 20, 83, 96, 102‑106,
Staabs, Hermann von 203 120, 122, 211, 222, 223, 226
Stein, Hermann von 212 Wetzell, Georg 224‑226
Steinmetz, Karl von 188, 193‑196, Wietersheim, Gustav Anton von 232
216, 238, 251 Wietersheim, Wend von 237 f.
Stiotta, Max Edler von Wilhelm I. 182 f., 188, 197
Hockenjos 272, 306 Wilhelm, Kronprinz von
Strachwitz von Groß-Zauche und Preußen 213
Camminetz, Hyazinth Graf 408, Winckler, von (Generalleutnant) 208
415 Witzleben, Erwin von 75
504 Personenregister

Witzleben, Hermann von 150 Zastrow, Tönniges von 270


Wöhler, Otto 339 f., 406, 408 Zernikow (Leutnant) 321
Wößner, Eugen 347 Žukov, Georgij 261
Wrangel, Friedrich Graf von 181 f. Zybon (Oberleutnant) 412

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