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Wir leben in einer Zeit weitreichender Veränderun- Als Partner dafür konnten wir mit Matthias Horx
gen – die Globalisierung hat zu einer weltumspan- den wohl bedeutendsten Trend- und Zukunftsfor-
nenden Vernetzung unserer Ökonomie geführt, die scher im deutschsprachigen Raum gewinnen, der
durch neue Technologien und Organisationsformen seit der Gründung des Zukunftsinstituts im Jahr
noch begünstigt wird. Daraus resultiert auch ein 1996 die weltweiten Ergebnisse der Trend- und Zu-
permanenter Wandel der Marktbedingungen. Die kunftsforschung auswertet und Grundlagenrecher-
wesentliche Herausforderung für Unternehmen be- chen über den sozialen und ökonomischen Wandel
steht nun darin, die entscheidenden Trends zu er- mit Schwerpunkt Westeuropa betreibt.
kennen, um rechtzeitig entsprechende Ideen und
Lösungen entwickeln zu können. Gemeinsam mit ihm haben wir die Hauptanforde-
rungen an die Untersuchung definiert. Die Fest-
Dies ist auch das Kerngeschäft von Accenture: Un- legung der letztlich zu untersuchenden Schlüssel-
ternehmen bei ihrer Suche nach den notwendigen themen erfolgte im Dialog mit Spitzenvertretern
Innovationen und – vor allem – bei deren Umset- der österreichischen Wirtschaft. In diesem Rahmen
zung zu unterstützen. Es geht darum, bei der Ge- wurden fünf Kernthemen identifiziert, deren zu-
staltung der Zukunft die richtigen Akzente zu set- künftiger Entwicklung Matthias Horx nachgehen
zen. Unser Garant, diesem Anspruch auch gerecht sollte: Wie werden die Konsumenten von morgen
zu werden, ist eine im internationalen Vergleich aussehen, über welche Kanäle werden sie kommu-
einzigartige Erfahrung: Mit mehr als 75.000 Mitar- nizieren? Welches wirtschaftliche Potenzial steckt
beitern in 47 Ländern unterstützt und berät Accen- in ihrem zunehmenden Gesundheitsbewusstsein?
ture weltweit über 4500 Unternehmen und Organi- Welche Rolle werden sie als Mitarbeiter spielen
sationen – sei es bei der Formulierung erfolgreicher und wie werden die Unternehmen organisiert sein,
Unternehmens- und Technologiestrategien, der Er- die sie beschäftigen?
schließung neuer Märkte oder bei der Auslagerung
von Geschäftsbereichen – um nur einige Beispiele Jedes dieser Themen wird die Wirtschaft von mor-
zu nennen. gen maßgeblich beeinflussen, aber erst die richtige
Verknüpfung der unterschiedlichen Aspekte wird
Um der laufenden Veränderung der wirtschaftli- der Schlüssel zu jenen innovativen Lösungen sein,
chen Rahmenbedingungen gerecht zu werden, die man für wirtschaftlichen Erfolg in der Zukunft
wenden wir bei Accenture erhebliche Mittel auf, benötigt. Die Basis dafür soll die vorliegende Studie
um neue Trends mit Geschäftspotenzial für unsere liefern. Die hier aufgezeigten Trends bieten Impulse
Kunden aufzuspüren – dies wird durch eine Viel- für die Entwicklung neuer Ideen und Visionen. Diese
zahl an eigenen Schwerpunktstudien untermauert. gilt es auf die wirtschaftliche Realität des einzelnen
In der vorliegenden Studie geht es nun erstmals Unternehmens herunterzubrechen und die erforder-
darum, branchenübergreifend die wichtigsten Wirt- lichen Innovationen zu entwickeln und umzusetzen.
schaftstrends der kommenden Jahre zu erheben. Bei Accenture nennen wir das „Innovation delivered“.
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Der Absatzeinbruch im Einzelhandel, das „Teuro“- Die Evolution des Konsums verläuft in Richtung
Phänomen, die Krise der Werbebranche – diese auf:
Phänomene signalisieren mehr als nur eine vor- > Konsequente und logistisch virtuose Discount-
übergehende Konjunkturdelle. Es sind Anzeichen Konzepte.
für einen fundamentalen Paradigmenwechsel in > Hoch professionelle Dienstleistungen für zeit-
der Welt des Konsums. knappe Konsumenten.
> Kostbare und authentische, oft handwerklich
Die Konsumkultur verabschiedet sich von der alten gefertigte Luxus-Produkte.
Produkt-Logik. Aus dem Versorgungskonsum der > Sinnliche Inszenierungen und Erlebnis-Welten.
Nachkriegszeit und dem Genuss-Konsum der 90er-
Jahre entsteht ein „post-materieller Konsum“, in
dem die knappen Ressourcen von Zeit und Auf-
merksamkeit eine primäre Rolle spielen. Bei dieser
Entwicklung spaltet sich das Konsumverhalten auf:
Kaufverweigerung und Preisbetonung einerseits,
Suche nach außergewöhnlichen Status- und Sinn-
Produkten andererseits. Hierbei verschwindet auf
mittlere Sicht die „Konsum-Mitte“.
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Der störrische Konsument
Der weibliche Konsument. Das Einkommen der Der individuellere Konsument. Die Ausdifferen-
Frauen wächst in allen Industrienationen stark an. zierung der Gesellschaft in kleinere Gruppen und
Erbschafts-Transfers, steigende weibliche Erwerbs- „Identitäten“ geht weiter. Die soziale Mobilität der
tätigkeit und die höheren Bildungspotenziale der Bevölkerung steigt, besonders in den einkommens-
Frauen lassen das Erwerbseinkommen zu den Frau- stärkeren und gebildeteren Schichten. Eine weitere
en herüberwandern. Frauen konsumieren jedoch „Versingelung“ der Gesellschaft wird durch vielfäl-
anders als Männer: Sie tun dies einerseits rationa- tige „Patchwork-Lebensstile“ ergänzt.
ler, nüchterner, aber auch Service-, Beratungs- und
Erlebnis-orientierter. Sie kaufen deutlich Technik- Der genervte Konsument. Bei steigenden Stress-
skeptischer und Ästhetik-orientierter ein. Potenzialen und einer fortschreitenden Deregulie-
rung des Alltags wird Konsum von einem lustvollen
Der ältere Konsument. Während der Höhepunkt Akt zu einer lästigen Begleiterscheinung unseres
des persönlichen Konsums früher um die 40 Jahre Lebens. Die Rollen-Unsicherheit zwischen Mann
lag – im Zenit der männlichen Erwerbskarriere – , und Frau kompliziert die Dinge weiter: Pflege und
entsteht in der alternden Gesellschaft eine andere Gebrauch von Gebrauchsgegenständen – vor allem
Logik der Lebensphasen. Der aktivste Konsument im Haushaltsbereich – unterliegen komplexen Ab-
von morgen ist der „Master Consumer“ zwischen stimmungsprozessen. Die Aufmerksamkeitspoten-
50 und 60 Jahren, der sowohl über Zeit- als auch ziale für Produkte und Werbung sinken rapide. Die
Geldpotenziale für verfeinerten Konsum verfügt. Folge ist auf breiter Front ein „leapfrog“-Verhalten:
Der Konsument wartet störrisch auf die nächste,
Der kompetentere Konsument. Konsumenten ausgereiftere Produkt-Generation. Man verschiebt
haben in den letzten Jahren durch elektronische Investitionen in die Zukunft. Man verweigert den
Medien, aber auch durch Erfahrungsprozesse, ihr Erwerb des Neuen, weil man keinen Vorteil sieht.
Kompetenzpotenzial stark erhöht. Sie sind miss-
trauischer geworden, was Werbebotschaften be-
trifft, preiskompetenter und selbstbewusster. Dort,
wo Produkte und Marken sie wirklich interessieren,
entwickeln sich Konsumenten zu „Connaisseuren“.
Sie diktieren zunehmend die Nachfrage.
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Der störrische Konsument
Seit den 80er-Jahren polarisieren sich die Konsum- Während in der Krise die beiden preislichen Achsen
Märkte: Während die preisliche und qualitative besonders betont sind, entwickelt sich der Konsum
Mitte deutlich ausdünnt und eine tote Mitte ent- der Zukunft auf mittlere Sicht entlang von vier we-
steht, wachsen die Peripherien – Discount und sentlichen Evolutions-Achsen:
Luxus – überproportional. In den letzten Jahren ist
dieses Phänomen von den Food-Märkten auf viele > In die Richtung auf Zeit- und Aufmerksam-
andere Märkte übergesprungen: keitsmärkte, in denen es vor allem um Convenien-
> Möbel: IKEA gegen italienisches Design ce, Service und Lebenserleichterung in allen Schat-
> Mode: H&M und ZARA gegen Gucci tierungen geht.
> Unterhaltungselektronik: Billig-Anlagen aus
Fernost gegen Loewe, B&O > In den Sektor Preis und Discount, in dem in
> Flugverkehr: Billig-Carrier gegen die traditionellen den nächsten Jahren die entscheidenden Schlach-
Airlines (und neu entstehende Business-Airlines). ten der Logistik geschlagen werden.
Während die Mitte-Angebote immer mehr in die > In den Luxus- und Status-Sektor, also den Be-
Krise rutschen, lassen sich in den polaren Konsum- reich der Kult- und Connaisseur-Gegenstände, der
Segmenten immer noch gute Margen erzielen. Das Edelmarken und Prestigeobjekte.
Reich von Porsche, Rolex und Gucci ist auch in der
Krise absatzstark, und allein im Jahr 2002 wuchs > Und in den Sektor des Erlebniskonsums, in dem
der Umsatz von Aldi und Hofer um mehr als zehn Erlebnisse, Gefühle und Inszenierungen im Vorder-
Prozent! grund stehen.
Qualitativ hochwertige
35%
36%
Spitzenprodukte
40-45%
Luxus
Mittleres
30%
49%
34%
49%
Marktsegment
Erlebnis
Zeit
Billigprodukte
24%
23%
Preis
1973 1981 1986 1990 2010
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Pro-Sumer und No-Sumer
Der Konsument der Zukunft tendiert zu zwei fun- „Statt wie gewohnt immer bessere Produkte zu ent-
damentalen Verhaltensweisen: wickeln und auf den Markt zu werfen – in der Hoff-
nung, dass die Kunden ihre Qualität erkennen und
Der Pro-Sument: Einerseits entwickelt sich ein wir ein Maximum davon absetzen – kehren wir die
kompetenter, durch die neuen Wissens-Tools wie Sache um. Wir fragen den einzelnen Kunden, wel-
das Internet „empowerter“ Konsument, der sein chen Computer er haben möchte, damit wir ihn bei
Selbstbewusstsein gegenüber den Anbietern stark seinem Erfolg unterstützen können“ – so Michael
erhöht hat. Ein älterer, weiblicher, „reiferer“ Konsu- Dell von Dell Computer.
ment. Ein Experte, Liebhaber, Fan, Connaisseur. Er
tritt den Herstellern nicht mehr als Empfänger
(Kon-Sument), sondern auf gleicher Augenhöhe
gegenüber. Er fordert seine Rechte und Bedürfnisse
ein und präferiert individuelle, auf seine persönli-
chen Wünsche zugeschnittene Produkte.
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Der störrische Konsument
Der No-Sument: Im materiellen Überfluss ent- John Quelch, ein Managementtheoretiker in Har-
wickelt sich andererseits eine neue Konsum-Ab- vard, nennt diesen neuen Typus von Konsumver-
wehr. In den USA begann in den 90er-Jahren eine weigerer „Shredder“:
Entwicklung, die auch unsere Konsummärkte be-
einflussen wird. Im so genannten „Downshifting“- Dieser neue Konsumententypus, der sich schon seit
Prozess verzichten Menschen bewusst auf Karriere, Jahren abzeichnet, wird von gut betuchten Leuten
Erwerbseinkommen und Konsum, um ihre Zeit- mittleren Alters angeführt, die, umzingelt von all
Souveränität und Lebens-Qualität zu erhöhen. dem Zeug, das sie sich über Jahre angeschafft ha-
Bestseller wie „Simplify your life“ des Pfarrers Wer- ben, zu dem Schluss kommen, sie müssten ihr Leben
1 Siehe auch Gespräch ner Küstenmacher (im Jahre 2002 ganz oben auf vereinfachen … Ich nenne sie Shredders, weil sie
mit John Quelch, „Die
der Bestsellerliste) signalisieren das Aufkommen darauf aus sind, Dinge, die sie für überflüssig oder
Abstreifer“, GDI Impuls
2.02, S. 36. dieser Strömung auch in Europa. lästig halten, loszuwerden oder „abzustreifen.“ 1
Hintergrund dieser Evolutionen ist die neue Knapp- In den großstädtischen Märkten tendiert die Käu-
heit amaterieller Ressourcen. Es geht in Zukunft ferschaft heute in zwei Grund-Gruppen von Konsu-
nicht mehr nur um Geld und materiell definierten menten: „Time-poor, Money-rich“: Leute mit viel
Wohlstand. Die Parameter der Gesellschaft richten Arbeit und einer Menge Geld, die aber keine Zeit
sich vielmehr auf die neuen Mangel-Ressourcen haben, dieses Geld auszugeben. Und „Money-poor,
Zeit und Aufmerksamkeit aus. Time-rich“: der eher unproduktive Teil der Bevölke-
rung, mit geringen und unsicheren Einkommen,
aber viel Freizeit. In unserem Achsensystem kom-
men hier noch zwei Kategorien hinzu:
Money-rich Money-rich
No-Sument
Erlebnis
Zeit
Preis
Neue Unterschicht Shredder und Downshifter
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Der störrische Konsument
> Im rechten oberen Sektor finden wir die eher > Links unten findet sich die Klasse der neuen
etwas älteren, wohlhabenden „Master Consumer“: „Unterschicht“: Menschen mit zwei, drei „McJobs“,
Sie machen die Kerngruppe einer stark wachsenden die von sozialen Transfers abhängig sind, aber z. B.
Schicht aus, die genügend Geld hat – und Zeit, es schwarz arbeiten.
auch auszugeben. Altersschwerpunkt: zwischen 50
und 60 Jahren. > Und oben links finden sich die gut verdienenden
Mittelschichten, die aber zunehmend wieder länger
> Unten rechts die Downshifter, die „Shredders“, arbeiten und deren Stressfaktor (Freizeit, Familien-
die eher in Richtung Konsumverweigerung und und Arbeitsstress) nach oben tendiert: Ein hoher
idealistische Lebens-Qualität optionieren. Lebensstandard, aber oftmals extreme Zeitknapp-
heit sind die Folgen.
Die Evolution des Preis-Konsums: Vom „Smart Shopping“ zum „Cheap Chic“
Preis-Psychologie setzt an unserem alten Jäger- zum Kult mutierten. Das japanische Designlabel
und Sammlerinstinkt an, an unserer Lust am Opti- „Muji“, mit inzwischen dreißig Läden in Europa,
mieren von Situationen. Dabei findet Schnäppchen- verkauft allereinfachste Gebrauchsgegenstände
jagd inzwischen auch in den oberen Schichten und aus „armen“ Materialien zu unerhörten Preisen.
in den oberen Produktklassen statt. In den allerwe- Der Möbeldesigner Nils Holger Moormann hat eine
nigsten Fällen geht es um Geldmangel, fast immer komplette Ästhetik auf minimalistischen Motiven
um Psychologie. Eines der stärksten Argumente für aufgebaut. Im oberen Marktsegment übersetzt sich
die Discounter war immer die „Widerlegung der dies schließlich in das Prinzip des Purismus – und
Unterschiedsbehauptung“: Hofer-Joghurt, so weiß trifft sich mit dem „Zen-Luxus“, der das moderne
der „smarte“ Konsument, ist in Wirklichkeit von Design dominiert.
Nestlé-Fabriken hergestellt worden!
Für die Welt der Marken bedeutet dieser Effekt
In der nächsten Logik-Stufe führt Smart Shopping Rückenwind für die No-Names und Handelsmar-
schließlich zu einem Wertewandel-Prozess, der die ken. Diese können, in einer Art trotziger Umwer-
Ästhetik von Waren und Produkten umwertet. Das tung durch die Konsumenten, nun mit ironisch-
Einfache, Rohe und „Billige“ wird nun plötzlich be- kultigen, emotionalen Eigenschaften aufgewertet
gehrenswert und „hip“. Im modernen Design haben werden. Sie übernehmen die Funktion von „Rebelli-
wir bereits erlebt, wie Tische aus Wellpappe und onssymbolen“, in denen der Konsument seine eige-
„arme Dinge“, wie rohe Glühbirnen an der Decke, ne Schlauheit feiert.
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Der störrische Konsument
In der Industriegesellschaft war es vor allem der Kult-Connaisseurship: Um Produkte mit Geschich-
Anteil kostbarer Materie, der ein Produkt zum Lu- te, Herkunft und Kultur – Rotwein, Olivenöl, Zigar-
xusprodukt machte. Man zeigte demonstrativ, was ren, altes Spielzeug, Oldtimer, Motorräder, Kaffee,
man hatte. In der Wissens-Gesellschaft bekommt Absinth – bilden sich regelrechte „Geschmacks-Ge-
Luxus eine andere, subtilere Bedeutung. Mit den meinden“. Das Demonstrative an diesem Konsum ist
sich wandelnden Knappheiten erodiert seine Roh- der kommunikative Ausschluss der Nicht-Kom-
stoff-Orientierung. Wissensökonomie bedeutet die petenten. Diesen Effekt können sich auch Marken
Knappheit und Kostbarkeit von „mentalen Ressour- vor allem im Bereich Design/Mode zunutze machen.
cen“. Luxus wird damit zu einer eher mentalen
Aussage, in die Bildungs-Behauptungen und kultu- Im neuen Kompetenz-Konsum entsteht eine Viel-
relle Kompetenzen eingehen. Exklusivität buchsta- zahl von codierten Waren-Kulten, die für die breite
biert sich nun nicht mehr als „So teuer, dass es sich Konsumentenmasse eher unzugänglich wirken. Auf
niemand anderer leisten kann“, sondern eher als diese Weise können im Marketing ganz neue Pfade
„So individuell, dass kein anderer es versteht“. David eingeschlagen werden, die mit „Werbung“ nichts
Brooks beschreibt in seinem Buch „Die Bobos“ die- mehr zu tun haben: Mischungen aus Kultursponso-
sen Wertewandel so: ring, Mentorenschaft, „Sekten“ und echter Kommu-
nikation, „Clubbing“- und Lounge-Formen dominie-
„10.000 Dollar für einen Freiluftwhirlpool rauszu- ren die Welt dieses neuen Connaisseur-Luxus.
schmeißen ist dekadent, aber nicht mindestens das
Doppelte für eine überdimensionale Dusche aus
Schiefer zu investieren gilt als sicheres Zeichen dafür,
dass man noch nicht gelernt hat, die einfachsten
Dinge im Leben zu genießen. Ebenso wird es gerne
gesehen, wenn man Hunderte von Dollars für Wan-
derschuhe ausgibt, als vulgär hingegen, denselben
Betrag für Lacklederschuhe auszugeben. 4400 Dollar
für ein Mountainbike hält man für angemessen,
denn Bewegung ist nun mal wichtig. Ein Motorboot
wäre hingegen ein sicheres Zeichen für Oberfläch-
lichkeit … Bobos wollen keine protzigen Besitztümer,
sie wollen niemanden beeindrucken. Sie wollen sel-
tene Kleinode, die von der Masse noch nicht ent-
2 David Brooks, Die
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Der störrische Konsument
Servicefunktionen und Dienstleistungen sind heute Smart Services. „Ich würde für eine Person, die mir
in vielen Konsumbereichen eine Selbstverständlich- die logistischen Probleme des Lebens vom Leibe hält
keit geworden. Doch die Zeit- und Aufmerksam- (Führerschein verlängern, elektronische Geräte wie
keitsknappheit fördert und erzwingt komplexere Computer aufbauen, einstöpseln, warten, Kochen,
Stufen von „Convenience“ – Service-Angebote, die Ernährung, Kleidung, saubere Energie, Elektronik,
weit über Wartung oder Reparatur von Geräten Sicherheit, Mobilität garantiert), pauschal weitere
hinausgehen. 25 Prozent meines Nettoeinkommens zahlen.“ Dies
wäre die nächste Stufe: nicht nur „Providing“, son-
Concierge-Marketing. „Ich würde jeder Person, dern die Organisierung von Aufmerksamkeiten.
die mir bei Anschaffungen – Autos, Essenskonsum, In den unsicheren Rollenkontrakten der modernen
Elektronik, Möbel, Reisen – jeweils das Beste, Aktu- Individual-Welt geht es zunehmend um Komplett-
ellste, für meinen Geschmack Adäquateste und Dienstleistungen, mit Hilfe derer wir uns um ganze
Preiswerteste beschafft und prompt ins Haus Lebensbereiche nicht mehr kümmern müssen.
bringt, pauschal 25 Prozent meines Einkommens
zur Verfügung stellen.“ Dieser Wunsch ist das Ein- Full-Life-Assistance. „Ich würde jeder Person, die
fallstor für das, was der Autor Elliott Ettenberg die Schulprobleme der Kinder lösen hilft, mit mei-
3 Elliott Ettenberg, Concierge-Marketing nennt3. Wir delegieren unse- nem Lebenspartner und dem Finanzamt streitet,
„Next Economy – Will
You Know Where Your
ren alltäglichen Konsum an „Vertraute“ – also Por- entscheidet, wo wir hinziehen, entscheidet, in wel-
Customers Are?“, Mc- tale oder Agenten unseres Vertrauens. Concierge- che Aktien wir investieren, wie unsere nächste
Graw Hill 2002 Dienste würden sich auf Dauer selbst bezahlen, Wohnung und unsere wesentlichen Stilprägungen
wenn sie gleichzeitig durch Mengeneinkauf Preis- aussehen sollen, die sich darum kümmert, dass wir
vorteile bedeuten. uns gut ernähren, Sport treiben, Erholungspausen
einlegen etc., weitere 25 Prozent meines Einkom-
mens geben.“ In dieser höchsten Komplexitätsebene
geht es um Entscheidungen und zentrale, wissens-
basierte Aufmerksamkeiten. Konsequente Antwort
wäre eine Mischung aus komplexer Beratung („Life
Coaching“) und Umsetzung („Lifestyle Providing“).
Im Finanzdienstleistungssektor (Privatbanken) sind
solche hoch komplexen Dienstleistungen Tradition.
Es ist zu erwarten, dass sich solche bislang noch
sehr elitären Angebote in Zukunft verbreitern und
demokratisieren werden.
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Der störrische Konsument
Die Evolution der Erlebniskultur: Vom „Spaß haben“ zur persönlichen Transformation
In Chicago betreibt die Puppenfirma „The Pleasant In Folge bildet sich in den nächsten Jahren ein
Company“ ein Restaurant mit dem Namen „The Girls weites Feld von Erlebnis-Dienstleistungen, die im
Place“. Kunden sind Großmütter und Mütter mit Bereich Psychologie, Gesundheit, Reisen, Wellness
ihren 4- bis 12-jährigen Töchtern. Angeboten wird und Bildung tiefere Schichten des Menschen
ein „Grown up Dining Experience“: Man speist und berühren. Mittelfristig entsteht eine Kultur der
übt Lady-Sein in klassisch-amerikanischer Art. Für Transformationen. Transformationen begleiten
25 Dollar sieht man die „American Girls Revue“. Für Übergänge – von einer Lebensphase in die andere.
21 Dollar können sich die Mädchen fotografieren Sie helfen uns bei Trauerprozessen, assistieren bei
lassen und ihr Bild auf dem Cover eines „American Konfliktbewältigungen, führen uns auf die nächste
Girl Magazine“ mitnehmen, in „The Hair Salon“ Stufe der mentalen Entwicklung. Die Motivations-
werden sogar ihre Puppen frisiert, und ein Laden trainer-Welle war erst der Anfang einer Entwick-
liefert von Kosmetik bis zum Tattoo alles für die lung, in der die ältere Gesellschaft einen neuen
junge Dame von Welt. „Ethos der Reifung“ hervorbringt. Transformationen
sind Erlebnisse, die nicht nur beeindrucken (wie
Das Beispiel zeigt Möglichkeiten und Grenzen des etwa eine Begegnung mit einer fremden Kultur),
modernen Erlebnismarketing. Es ist ein Beispiel für sondern nachhaltig das Leben und das eigene
das, was James H. Gilmore und B. Joseph Pine II Verhalten verändern. Solche Erfahrungen und Er-
4 Siehe auch Pine/Gil- „Erlebnis Hubs“ und „Imagination Center“ nennen.4 lebnisse sind der Kern einer neuen, hoch-individu-
more, The Experience
Im Sportbereich, auch im Reich der Autos (Auto- ellen Dienstleistungsgesellschaft.
Economy – Work is
Theatre and Every Busi- Erlebnisparks), werden solche All-in-One-Kauf-
ness is a Stage. Harvard erlebnisse an Bedeutung zunehmen. Doch jenseits
Business School 1999.
Und von beiden Autoren der Erlebnisparks beginnt relativ schnell ein Terrain,
den Artikel„Das Erlebnis auf dem Menschen nicht mehr bereit sind, Künst-
ist das Marketing“, GDI
Impuls 2.02, S. 27. lichkeit zu akzeptieren. Der individuellere und reife-
re Kunde sucht nach etwas Substanziellerem: Er-
fahrungen, die ihn nicht nur unterhalten, sondern
auch beeindrucken und verändern.
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Der störrische Konsument
Preis
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Der störrische Konsument
bot begonnen, das wir alle dringend auch zu Hause lich machen (Zwo24 steht ihren Kunden 24 Stun-
benötigen: Der Technik-Butler, der uns die An- den am Tag zur Verfügung [www.zwo24.de]. In
schluss- und Kompatibilitätsprobleme unserer Com- Wien entwickeln sich heute Bring-Services im Ge-
puter stilvoll löst, wird uns zunächst in Flughäfen schenk- und Genussbereich zu Erfolgen (z. B.
und Luxus-Appartmenthäusern zur Seite stehen, www.hausfreund.at).
bevor er in fünf Jahren auch für den „Normalmen-
schen“ zu buchen ist. > Netflix, ein US-Startup mit erstaunlich gesunden
Wachstumsraten, kombiniert die Vertrautheit des
Smart Services – schnell, preiswert, convenient Post-Systems mit der Convenience des Webs. Es
Schließlich der große Sektor der eher schnellen, aber schickt DVDs im Abo-System nach Hause – Grund-
auch preiswerten Dienstleistungen: Smart Services. gebühr 20 Dollar pro Monat. Entsprechend einer
Neben den elektronisch geprägten Systemen (z. B. Liste mit der gewünschten Reihenfolge, die man
www.amazon.com) entstehen eine Fülle von Take- auf der Netflix-Seite unterhält, bestellt man Filme,
it-easy-Services. Etwa Handwerker-Services, die die man gerne sehen möchte, im Netz. Wenn man
immer dann renovieren, wenn die Bewohner in die alte DVD mit einem mitgelieferten und voll
Urlaub sind. 24-Stunden-Services, die besonders frankierten Rückumschlag zurückschickt, bekommt
im Wäschereibereich das Single-Dasein erst mög- man die nächste.
In den komplexeren Konsummärkten ist Österreich Der Standort Österreich ist zudem durch seine neue
hervorragend aufgestellt. Eine Vielzahl von agilen Schlüsselrolle in Kerneuropa begünstigt. Handel und
Nischen-Playern und Marken im Bereich Design Banken könnten in den kommenden Jahrzehnten die
(Swarovski), Mode (Palmers), Möbel (Wittmann), ja! Märkte der Neu-Beitrittsländer zur EU dominieren.
Natürlich (Billa) oder Natur Pur (Spar) sind gerade- Dies gilt auch und gerade für den Discountsektor –
zu prototypisch für die geschilderten Trends. Öster- die Eröffnung eines großen Outlet-Centers in Klein-
reichs Nahrungs- und Genussmittelprodukte ex- haugsdorf an der tschechisch-österreichischen
pandieren derzeit auf europäische und Welt-Märk- Grenze ist ein Beispiel für grenz-überschreitende
te (Beispiel Wein). Verbindungen von Tourismus Handelsaktivitäten mit hohem „Trendwert“ für die
und authentischer Bio-Landwirtschaft (wie in der Konsumenten.
Region Harbach und in vielen Gegenden Tirols) bie-
ten vielversprechende Modelle touristischer Qua-
litätsmärkte. Die „Inszenierung Alpen“, die von
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Der störrische Konsument
Innovation delivered.
Accenture’s strategische Imperative für die Konsumgüterindustrie
Wie die Studie aufzeigt, findet der Wettbewerb um In ähnlicher Weise entbrennt ein Kampf um Markt-
die Ausgaben des „störrischen Konsumenten“ auf anteile in der „Geldbörse der Konsumenten“: Aus-
neuen Spielfeldern und nach neuen Spielregeln gaben für Lebensmittel stehen dabei im Wettbe-
statt. Daraus leiten sich folgende strategische Impe-werb mit jenen für Unterhaltung, Fernreisen oder
rative für die Konsumgüterindustrie (Hersteller und (Tele-)Kommunikationsdienstleistungen. Dieser
Handel) ab: Share-of-Wallet-Gedanke leitet nahtlos zu den
wachsenden Schwierigkeiten der Marketing-/Wer-
Eine Kosteneffizienz in allen nur denkbaren Berei- beindustrie über, mittels Aufmerksamkeit erregen-
chen ist unabdingbar für den sicheren Fortbestand den Konzepten im allgemeinen „Geräuschpegel“
der eigenen Unternehmung: Aufgrund der sich ver- unterzugehen: Hier sind wieder simple Methoden,
ändernden Umgebung ist in zunehmendem Maße die zielgruppengerecht stimmige Botschaften ver-
ein internationales Benchmarking mit vergleichba- mitteln können, gefragt. Die Höhe des Mitteleinsat-
ren Unternehmen nicht sinnvoll – vielmehr ist ein zes wird an Signifikanz verlieren: Efficient Marke-
lateraler Vergleich ähnlicher Funktionen angebracht: ting wird im Stande sein, originär den Wirkungsgrad
Die Kunden-/Beschwerdehotline eines Handels- der jeweils gewählten Mittel im kompetitiven Kon-
unternehmens ist möglicherweise Best-in-Class, text zu messen und gegebenenfalls zu korrigieren.
wird aber von den Anrufern z. B. mit der eines Tele-
komunternehmens verglichen. Nur der Beste in der Nur einzigartige, dem Einzelnen (oder einigen we-
eigenen Industrie zu sein reicht in Zukunft nicht nigen) zugängliche Produkte/Dienstleistungen wer-
aus, um ein führendes Unternehmen zu sein. den in Zukunft ein Preis-Premium erzielen können;
austauschbare Produkte verlieren in doppelter Be-
Auch aus Sicht der Finanz- und Kapitalmärkte wird deutung an Boden: Sie werden im Rahmen des
deshalb die Bedeutung des Fokussierens auf die ei- omnipräsenten Preiswettbewerbs substituiert oder
genen Stärken deutlich zunehmen. Damit einher generell – auch bei einer Alleinstellung im Rahmen
geht die stark gestiegene Bedeutung des Ausla- der jeweiligen Warengruppe – einfach nicht mehr
gerns jener unternehmerischen Teilfunktionen, die nachgefragt. Zielgruppenadäquate Produktent-
erfolgskritisch im Sinne der Kosten/Nutzen-Rela- wicklung, die sich weitestgehend moderner Metho-
tion sind, die man jedoch vor allem aufgrund man- den und Techniken bedienen, sind gefordert, um
gelnder kritischer Größe (Skaleneffekte) sinnvoller- die industriellen Flopraten bei der Neuprodukt-Ein-
weise nicht mehr allein betreiben möchte: Out- führung nicht noch weiter ansteigen zu lassen; die
sourcing-Konzepte, wie etwa Transformational eingesparten Mittel können zur Markenstärkung
Partnering von Accenture, gehen dabei noch einen eingesetzt werden und helfen, die Entwicklung
Schritt weiter und berücksichtigen auch die allen- zunehmender Eigenmarken-Produkte respektive
falls notwendige Finanzierung. Diskont-Vertriebsschienen zu umgehen; in diesem
Zusammenhang kommt dem eCommerce wachsen-
de Bedeutung zu.
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Smart Communications
The New Mediasphere
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Nach dem großen Computer-Boom der Jahrtau- Am Ende dieser Evolution kristallisiert sich eine
sendwende befindet sich die Informations- und differenzierte Welt der Kommunikation und Infor-
Kommunikations-Branche in einer harten Adapti- mation heraus:
onsphase. Obwohl die Leistung der heutigen Com- > In den Unternehmen geht es zunehmend darum,
puter-Technologie beeindruckend ist und der tech- die fantastischen Möglichkeiten des „harten“ IT-Ein-
nische Fortschritt weiter voranschreitet, haben sich satzes mit den „weichen“ Faktoren der innerbetrieb-
viele Versprechungen der digitalen Revolution in lichen Kommunikation zu synchronisieren: Kein
den Märkten nicht realisiert. Intranet ohne veränderte Organisationsstrukturen!
> Der eCommerce nimmt in den nächsten Jahren
Das Firmen- und Technologiesterben in diesem einen rapiden Aufschwung, wobei es zunehmend
Sektor wird in den nächsten Jahren zunächst wei- um die nahtlose Integration von analogen und
tergehen. Das Internet ersetzt nicht, wie erwartet, digitalen Handelskanälen gehen wird.
alle anderen Kommunikationskanäle, es entwickelt > Im Konsumenten-Markt setzen sich am Ende
sich vielmehr zu einem machtvollen eigenständi- Smart Gadgets durch: Kommunikations-Tools, deren
gen Kanal – und zu einem existentiellen Tool für Gebrauch instinktiv erlernt werden kann und deren
Wissensarbeiter. Einfachheit klare Antworten auf die digitale All-
tagsverwirrung bietet.
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Smart Communications
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Smart Communications
Die Entwicklung der elektronischen Kommunikation > Interaktive Mediensysteme werden sich durch-
ist von drei wesentlichen „Driving Forces“ gekenn- setzen und Zentral-Medien wie Fernsehen, Tages-
zeichnet: zeitungen etc. auf Dauer substituieren.
> Steigende Bandbreite der Übertragung: ISDN, > mCommerce ergänzt eCommerce, bzw. löst diesen
ADSL, Glasfaser etc. haben die wachsende Daten- mittelfristig ab.
flut der neuen Medien in immer breitere Flussbet-
ten fließen lassen. Damit wird der schnellere Breit- Am Beispiel einer bereits schon historischen „Killer-
bandanschluss für jedermann nun zugänglich und Applikation“, dem Bildtelefon, kann man studieren,
erschwinglich. dass diese Zukunfts-Annahmen höchstwahrschein-
lich falsch sind:
> Steigende Interaktivitätsgrade: Die elektronischen
Massenmedien („One-to-Many“) wurden um die in- Das Bild-Komplexitätsdilemma
teraktiven Rückkanal-Medien des Internets ergänzt.Obwohl ein Bildtelefon heute nur an die 500 Euro
Dies hat der Medienwelt eine neue Dimension hin- kostet und der Ruckeleffekt mit ISDN nur noch mi-
zugefügt. nimal ist, hat es sich in den Weltmärkten nur als
Marginalie durchgesetzt. Warum? Weil Bildübertra-
> Steigende Mobilität: Vom stationären Gerät geht gung das Einfache des Telefons um eine Dimension
der Trend zur permanenten Mobilität. der Komplikation erweitert. Es verändert das Set-
ting des Telefonierens in Richtung auf soziale Ver-
In der Fortschreibung dieser Trends scheinen die pflichtungen. Während das Telefonieren im engen
nächsten Phasen der ITK-Entwicklung linear deter- akustischen Kanal körperliche Distanz bei stimm-
miniert: licher Nähe ermöglicht, erzwingt Video-Telefonie
eine Einbeziehung des Standorts: Man muss auf
> UMTS wird hochmobile Breitband-Kommunikati- Aussehen, Umgebung, Kleidung etc. achten.
on für alle ermöglichen und einen Breitband-Mas-
senmarkt erzeugen. Damit geht ein wichtiger komparativer Vorteil des
Telefonierens verlustig: Gerade im Fehlen der opti-
schen Komponente liegt ja der Vorteil der stimmli-
chen Kommunikation, die nun weitaus virtuoser und
taktischer eingesetzt werden kann. Bei der Bildüber-
tragung sind dagegen unzählige Dinge gleichzeitig
zu kontrollieren, was von der eigentlichen Intention
ablenkt: Körperhaltung, Mimik, Gestik, Kleidung,
Einrichtung des Büros, Lichtgebung etc. Direkte
Bildübertragung erzeugt eine Nähe, die soziale Un-
schärfen und Unsicherheiten begünstigt und leicht
zu Stress-Situationen führt.
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Smart Communications
lernen vernetzen
bilden bewegen
kommunikativ
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Smart Communications
Kognitive Information: Hier wird Information vom tern des sozialen Radius. Zu dieser Kommunikation
Einzelnen als komparativer Wissens-Vorteil definiert. gehört ein verschwenderischer Umgang mit Redun-
Es geht um Lernen und Kompetenzgewinn und das danz: Es geht oft um Bestätigen, Rückbestätigen,
Verbreitern der eigenen Erkenntnis- und Handlungs- Vergewissern etc. Hier dominieren Trägermedien mit
grundlage. Diese Art von Information ist immer in- enger Bandbreite, aber hoher Interaktion.
dividuell. Primär-Medium ist hier das Buch, aber
auch das Fernsehen (in seinen Informationen ver- Steuernde Kommunikation ist eine Kommunikati-
mittelnden Aspekten). Das Web, Tele-Learning, aber onsart, in der Dinge bewegt und „gemanagt“ werden
auch Datenbanksysteme und Intranet-Anwendungen sollen. Sie verbindet Informationsaufnahme mit so-
haben die Bandbreite der Medien in diesem Sektor zialer Interaktion, die wiederum mit Intentionen ver-
stark erweitert. knüpft wird. „Königsmedium“ ist hier nach wie vor
der menschliche Körper, also One-to-One-Kommuni-
Soziale Kommunikation zielt auf unser „Drinblei- kation. E-Mail hat sich in diesem Sektor als ein wich-
ben“ – auf Orientierung und Positionierung des In- tiges Tool entwickelt, das in der Steuerung und Ab-
dividuums im sozialen Raum. Auf Kennenlernen, wicklung von Gruppen-Wissensprozessen sinnvoll ist
Flirten und „soziales Netzwerken“ in Cliquen oder – aber eben nur zur Steuerung, nicht zur Iniziierung.
Familienverbänden, zu erotischen oder schlicht so-
zialen Selbstvergewisserungs-Zwecken. Obwohl die- In diesen vier Grund-Sektoren existieren nun be-
se Kommunikation viele diverse Aktivitäten kennt, stimmte Primär-Medien, die sich für den Alltags-
dient sie in erster Linie dem Absichern und Erwei- gebrauch bewährt haben:
intentional
Buch Telefon
Zeitschrift Web
kommunikativ
Lehrer Konferenz
informativ
Zeitung Chats
Radio SMS
TV Mail
passiv
22
Smart Communications
Umgekehrt kann man die jeweilige „Grammatik“ Eine ähnliche Auffächerung entsteht, wenn wir eine
eines Mediums an der folgenden Liste ablesen Landkarte wichtiger Kommunikationsmedien in ihrer
und damit eine ihr spezifische Charakteristik örtlichen und zeitlichen Synchronizität entwickeln.
definieren: In der Diagonale entsteht eine Komplexitätsachse,
die uns zur guten alten One-to-One-, oder Face-to-
Face-Kommunikation führt. Hier sind die Orts- und
Zeitgleichheit 100 Prozent, aber auch die mögliche
Komplexität und Interaktivität am höchsten.
Die Medienkanäle und ihre Funktionen
Das Verdienst des Internets ist das Erschließen der
Interaktivität primäre Funktionalität
komplexeren Kommunikationswege mit hoher In-
Komplexität
teraktivität. In der „Websphäre“ ist eine Vielfalt von
Telegraf sehr niedrig One-Way nur Kommandozwecke asynchronen und mittel-interaktiven Kommunika-
tionsformen möglich – dies erklärt den Erfolg des
Telefon gering One-to-One Mitteilung/Abstimmung Internets. Wir können aber auch sehen, dass nur
noch wenige Kommunikationsarten im Diagramm
Radio
mittel,
One-to-Many
Entspannung, „unbesetzt“ bleiben.
sehr emotional soziale Anbindung
Verifizierung,
Fax gering One-Way
Absicherung
soziale Anbindung/
SMS sehr gering variabel
Flirten auf Distanz
soziale Vernetzung,
Handy mittel One-to-One
informelle Erreichbarkeit
Kreativität,
One-to-One extrem hoch flexibel
soziale Intensität
23
Smart Communications
Nach einer Schwächephase wird das Thema Mass Customizing: Auch wenn nicht in allen Pro-
eCommerce in den nächsten Jahren wieder an duktregionen maßgeschneiderte „Ich-Produkte“ ei-
Schwung gewinnen. Dabei werden sich folgende nen Sinn machen: Das Beispiel Dell hat gezeigt,
Sektoren als profitabel erweisen: dass bei höherwertigen Konsumsektoren ein bran-
chenweiter „Taylor-Markt“ möglich ist, wenn die
Amaterieller eCommerce: Wo kein physisches Web-Oberfläche perfekt mit der Produktionslogik
Produkt vonnöten ist (Beispiele Flugtickets, Thea- verknüpft ist.
terkarten etc.), entstehen profitable eCommerce-
Plattformen. Heute schon werden in den USA z. B. Stecknadel-im-Heuhaufen-Anbieter: Erfolg im
15 Prozent aller Reisen über das Internet gebucht, eCommerce winkt auch da, wo ein starker „Steck-
bei stark steigender Tendenz auch in Europa. nadel-im-Heuhaufen“-Effekt herrscht, etwa im
Buchsektor (siehe auch www.amazon.com), im
Preissensibler eCommerce: Wenn ein starker Preis- Antiquitäten-Sammlermarkt, Gebrauchtwagen-
vergleichsfaktor bei Standard-Produkten gegeben oder Immobilien-Markt. Hier fungiert das Netz vor
ist, kann das Netz seine Preisvergleichs-Funktion allem als vollendete große Datenbank.
voll ausspielen. Deshalb werden sich Schnäppchen-
Plattformen über kurz oder lang auch gegen den Community-Plattformen: Lostamigos.com und
Widerstand des Handels durchsetzen. Friendsreunited.com sind typische Beispiele für die
neuen Social-Networking-Portale: Hier zeigt sich
Virtuelle Mikromarkt-Handelsplattformen: Der fundamental die soziale Netzwerk-Logik des Inter-
„große Versteigerer“ eBay hat sich eine fundamen- nets. Auf diesen Sites kann man seine verlorenen
tale Potenz des Web tief in die unternehmerische Liebschaften / Schulfreunde / Arbeitskollegen wie-
Vision geschrieben: Networking. Er bietet nichts derfinden. Die Abschlussklasse von 1973 bleibt so
anderes als „Framing“: den Rahmen, in dem jeder auf Ewigkeit im Netz vereint! Amihot.com und
seine Schnürsenkel oder seinen Papagei verkaufen Binichsexy.de reflektieren den „Wer-bin-ich-Markt“.
kann. Ein endloser Markt mit gewaltigen Zuwachs-
raten.
24
Smart Communications
IT- und Kommunikations-Anwendungen sind in Zu- Redundanz: Viele komplexe IT-Anwendungen sind
kunft keine Spielwiesen mehr, auf denen experimen- immer noch störanfällig. Besonders im Autobau
tiert und vorbeugend investiert wird. Es beginnt die wird sich in den nächsten Jahren die Abneigung
Zeit der knappen Investitionen, die sofortige Resul- des Konsumenten vor allzu viel technischer Ab-
tate zeigen müssen. Somit neigt sich die unsichere, hängigkeit zeigen. Der Trend geht zu robusten,
teure, spekulative Suche nach zukünftigen „Killer- störungsresistenten, teilweise sogar simplizisti-
Applikationen“ dem Ende zu. Die IT-Evolution geht schen Technologien mit hoher Bedienungs-Ein-
in die Ausdifferenzierungs-Phase. In dieser Phase fachheit.
(die alle neuen Technologien durchlaufen) sind es
nicht mehr Massen- und Megamärkte, die den Takt Nischen-Evolutionen: Die wichtigsten erfolgrei-
angeben, sondern Nischen-Lösungen und Feinjus- chen IT-Applikationen der Zukunft werden nicht in
tierungen. den linearen Fortsetzungen heutiger Trends zu fin-
den sein (also noch schnellere Computer, Handys
Bei den Endgeräten im Consumer-Markt wird sich etc.), sondern eher in den heutigen Nebenpfaden.
der Markterfolg in den nächsten Jahren an folgen- Systemische Hauselektronik, mobile Biometrie-Ge-
den Kriterien entscheiden: räte, GPS-Anwendungen („Tracking-Tools“), Heim-
Medizinanwendungen dominieren die nächste
Rightsizing: Geräte mit zu vielen Funktionen wer- Runde der IT-Entwicklungen.
den von den Endverbrauchern abgelehnt. Die Her-
ausforderung entsteht in der Verschlankung der Retro-Tech: Viele technische Geräte der mechani-
Bedieneroberflächen. Größte Herausforderung wer- schen Ära und schon vergessene Teil-Technologien
den Technik-Produkte mit einer „Upgrading“-Mög- erleben in den nächsten Jahren eine Rückkehr.
lichkeit. Beispiel ist etwa das „Aufziehradio“ der südafrika-
nischen Firma Freeplay, das Druckluftauto oder der
Calm Technologies: Geräte mit zu viel „Aufmerk- überraschende Erfolg des Einfach-Computers
samkeitswert“ verschwinden in der Versenkung. So „Alphasmart“, eine leichte Speicherschreibmaschine
wie das Handy bereits über weite Strecken durch für Autoren, die die Komplexität des Computers
die stille Anwendung SMS ergänzt oder sogar ab- scheuen.
gelöst wurde, enden auch andere „laute“ Technolo-
gien in der Schublade des Verbrauchers. Die Erfolgs- Primat des Designs: Generell gilt das Design-
technologien der Zukunft sind diskret, wirken im Primat immer mehr auch für technologische Pro-
Hintergrund, stellen keine Ansprüche und erfüllen dukte. Schönheit und Eleganz, also die ästhetische
ihre Aufgaben weitgehend autonom. Message der Produkte, schlagen in den nächsten
Jahren die Wichtigkeit der technischen Funktionen
um Längen.
26
Smart Communications
Integration, nicht Expansion, ist das herausragende In der Logistik: Integration von eCommerce in
Stichwort für die firmenbasierten IT- und Kommu- Logistiksysteme. Die perfekte Verbindung von
nikationstechnik-Märkte der kommenden Jahre. Back-End- mit Front-End-Systemen ist die wirkliche
Dabei sind folgende große Integrationsherausfor- Herausforderung. Große Versender profitieren von
derungen zu bewältigen: den Möglichkeiten einer durchgängigen Informati-
ons-, Kommunikations- und Wertschöpfungskette.
Im internen Unternehmensbereich: Integration Beispiel: Otto-Versand. Die Belohnung: hohe Click-
der Informationssysteme in humane Wissens- anteile und ein komfortabler neuer Vertriebskanal.
Architekturen. Die Investitionen in Wissens-Ma-
nagement werden in den nächsten Jahren von der Im Endconsumer-IT-Bereich: Integration von IT
technologischen Ebene auf die eher soziale Ebene in Service-Strukturen des Alltags. Der Vormarsch
wandern: Es geht nicht mehr so sehr um größere der PCs in den Privatbereich ist in allen Industrie-
Intranets als vielmehr um das kommunikative Ver- nationen weitgehend zum Erliegen gekommen (Po-
halten der Mitarbeiter, das durch IT unterstützt tenziale ergeben sich hier noch in den Schwellen-
werden kann. Deshalb werden Intranet-Angebote ländern). Für einen Privatmenschen ist es heute zu
in Zukunft das Verhalten der Mitarbeiter zu berück- aufwändig, zu Hause ein ständig aktualisiertes
sichtigen haben. Neben der Implementierung der Computersystem mit Web-Zugang zu haben. Des-
Technologie muss auch neues Informationsverhal- halb werden in den nächsten Jahren All-in-One-IT-
ten geübt werden! Eine Studie an der Universität Dienstleister entstehen, die in den Städten „Media-
Hohenheim wies nach, dass „Kommunikationsritua- Providing“ auch für den Privatsektor anbieten –
le“ zwischen Mitarbeitern mehr bringen als die ähnlich den Mobilitäts-Services der großen Autoher-
Aufrüstung des Intranets („Kaffeemaschine schlägt steller werden hier individuelle Systeme errichtet
1 Umsetzungsstand von Bildschirm“).1 und „provided“.
Wissensmanagement in
Unternehmen, von Prof.
Christoph Müller, Uni In der Kundenbindung: Integration von Web-
Hohemheim, cmueller@ mit Voice-Anwendungen. Der Kunde der Zukunft
uni-hohenheim.de.
wird nicht ein spezifisches Medium bevorzugen, er
erwartet vielmehr eine von ihm als Kunden beein-
flussbare Konvergenz, bei der Voice-, Internet- und
traditionelle Kanäle leichter wechselbar sind. Das
Unternehmen Land‘s End etwa bietet seinen Kun-
den direkte Telefonhilfe und Katalogberatung aus
dem Call-Center.
28
Smart Communications
Die Versprechungen der „großen Substitution“ aller Mobile Kommunikation wird von einer Genera-
anderen Medien durch das Internet haben sich nicht tion von Integrationsgeräten unterhalb der
erfüllt – und werden sich nicht erfüllen. Eine diffe- UMTS-Schwelle dominiert. So wird sich etwa das
renzierte Betrachtung der Medien- und Computer- Smartphone – als Kombination von Handy und Or-
märkte ergibt vielmehr folgendes Bild: ganizer – zum Massenprodukt entwickeln. UMTS-
Anwendungen und mobiler Datenverkehr werden
Die große Konvergenz findet nicht statt. Fern- sich dagegen eher in den professionellen Bereichen
sehen und Internet z. B. folgen weiter getrennten etablieren.
Evolutionspfaden, weil sie komplementären mensch-
lichen Verhaltensformen und Bedürfnissen entspre- Das Internet wird ein Power-Medium für die
chen: Das Fernsehen wandert in Richtung Heimkino Bildungsklasse. Bei der Anzahl der Internet-Teil-
und „Lagerfeuerfernsehen“ (der Fernseher läuft im nehmer zeichnet sich weltweit eine deutliche Ver-
Hintergrund, niemand schaut mehr zu). Das Inter- flachung der Kurve bei 40 bis 50 Prozent der Be-
net wird ein mächtiges Zusatzmedium, substituiert völkerung ab. Eine unsichtbare Grenze, gezogen
aber kaum ein anderes. durch Alter, Bildung, berufliches Interesse – und die
Komplexität des Mediums, das eine „Wissensinten-
Traditionelle Medien erleben Renaissancen. In tion“ bedingt. Nach einer Studie von Emnid im
der Medienüberflutung entsteht ein starker Retro- Sommer 2001 haben 37 Millionen Deutsche keinen
Trend zu „autoritären Medien“. Das Radio etwa passt Internet-Anschluss und wollen sich auch „mit
in die modernen Mediengewohnheiten in vielerlei Sicherheit“ keinen zulegen. In der ersten Hälfte des
Hinsicht besser als das Fernsehen: es eignet sich Jahres 2001 haben 29 Millionen Amerikaner damit
zum „Nebenbei-Konsum“ und erlebt deshalb eine aufgehört, das Internet zu benutzen – so eine Stu-
Aufwertung. Generell können wir von einer „Re- die von Cyberdialogue. Ein großes Forschungs-
Thematisierung“ von Medienkanälen ausgehen: projekt der Universität Oxford untersuchte im Jahr
Durch weiter sinkende Grenzkosten beim Medien- 2000 das Netz-Verhalten der jungen Generation
betrieb werden sich vielfältige Spartenkanäle für und stellte fest: Viele Jugendliche in den OECD-
Bildung, Hobby, Konsum, Erotik etc. bilden. Auf Ländern surfen ein-, zwei-, dreimal – und lassen es
diesem Wege wird es auch plattformübergreifende dann wieder bleiben! „Sie kamen, sie surften und
Lösungen geben: So werden die Zeitungsverleger gingen zum Strand.“
etwa zunehmend Kooperationen auf dem Feld von
webgestützten Anzeigenmärkten eingehen, gerade
im Bildungs- und Naturwissenschaftsbereich kön-
nen Web- und Print-Medien interessante Kombina-
tionen bilden.
29
Smart Communications
Es erfolgt eine Ausdifferenzierung der Kommu- > 30 Prozent Medien-Opportunisten: Der „kom-
nikationsgewohnheiten der Bevölkerung. Diese munikative Mittelbau“ nutzt selektiv die einfache-
Ausdifferenzierung erfolgt entlang der Mobilitäts- ren Mobil-Medien wie Handy und simple/passive
und Bildungspotenziale. Internet-Anwendungen. Ihre passive Mediennut-
zung stagniert oder geht leicht zurück.
> 30 Prozent medienkompetente Multi-User:
Die jüngere, mobile Bildungsschicht nutzt alle Me- > 40 Prozent Medien-Konservative: Diese
dien, sowohl im Beruf wie in der Freizeit. Das Inter- Schicht präferiert nach wie vor die zentralistischen
net ist für diese Schicht ein wichtiges Produktions- Medien. Sie verweigert sich interaktiven Medien-
mittel und Bildungs-Tool. Aber auch alle anderen formen teils aus Mangel an Interesse, teils aus
Medien werden, je nach „medialer Convenience“, Überforderungsgründen.
eingesetzt.
Da der Anteil reiner IT-Firmen in Österreich eher Durch die relativ starken Kontraste zwischen Land
gering ist, wirkt sich hier die IT-Krise nur wenig und Stadt ist der nationale ITK-Markt in Österreich
aus. Internet-Zugang und Handy-Nutzung sind in eher sehr komplex und schwer zu bedienen.
der österreichischen Bevölkerung im internationa-
len Vergleich hoch. Das bietet gute Voraussetzun- Chancen könnte Österreich in folgenden Sektoren
gen für das Erschließen neuer IT- und Kommunika- haben:
tionsmärkte.
> Entwicklung von „Smart Devices“.
Negativ wirkt sich die eher schwache, von Deutsch-
land aus bestimmte Medienlandschaft aus. Die do- > Entwicklung von Pionier-Kommunikations-
minante Stellung der öffentlich-rechtlichen Sender Applikationen im Testmarkt Wien.
wird die weitere Entwicklung des medialen Sektors
eher behindern. > Entwicklung von Sprach- und Übersetzungs-
applikationen im vielsprachigen mitteleuropäischen
Raum (tschechisch/polnisch/ungarisch/slowakisch/
slowenisch/deutsch/englisch)
30
Smart Communications
Innovation delivered.
Silent Commerce in den Accenture Technology Labs
Silent Commerce und Technologien der Radiofre- RFID Tags (Radio Frequency Identification) und EPC
quenz-Identifikation (RFID) revolutionieren zuneh- (Electronic Product Codes) werden zunehmend Or-
mend die Organisationsabläufe in der Wertschöp- ganisations- und Geschäftsabläufe verändern. Ba-
fungskette. sierend auf einer Evaluierung der Einsatzmöglich-
keiten dieser Technologien und dem daraus zu rea-
Das Internet der Zukunft wird ausgedehnter, engma- lisierenden Nutzen entwickelt Accenture einen Lö-
schiger und ungebundener. Immer mehr mobile und sungsansatz, der den Einsatz von Silent Commerce
stationäre internetfähige Endgeräte werden ohne in die Wertschöpfungskette integriert. Im nächsten
Unterbrechung über eine Vielzahl von drahtlosen Schritt werden im Rahmen einer Pilotanwendung
und leitungsgebundenen Übertragungstechnologien Wirksamkeit und Anwendungsmöglichkeiten eva-
verbunden sein. Neue sensorische Komponenten und luiert, anschließend erfolgt die Adaption oder die
Technologien machen es möglich, dass Informatio- Implementierung im großen Umfang, wobei auch
nen bei Bedarf unmittelbar empfangen und unter die Kunden bzw. Lieferanten eingebunden werden.
den Anwendern geteilt werden können. Das können
beispielsweise intelligente Chips in Konsumgütern Die Accenture Technology Labs sind für die Techno-
und persönlichen Planungsinstrumenten wie Ein- logieforschung und –entwicklung bei Accenture
kaufshilfen sein sowie multimediale Breitbandpor- zuständig. In den Forschungszentren Chicago (Illi-
tale bis hin zu mobilen Verkaufssystemen. nois, USA), Palo Alto (Kalifornien, USA) und Sophia
Antipolis (Frankreich) arbeiten derzeit 150 Forscher
Diese Entwicklung wird in eine neue Stufe der Nut- an der Entwicklung neuer Prototypen und techno-
zungsmöglichkeiten des Internets münden. Accen- logischer Innovationen. Die Zentren sind ein wich-
ture bezeichnet diese Evolution als „uCommerce“ tiger Teil der Entwicklungstätigkeit von Accenture,
(ubiquitous – jederzeit und überall). uCommerce für die das Unternehmen weltweit im Geschäfts-
erlaubt den ununterbrochenen Austausch von Kom- jahr 2002 rund 2 Prozent des Umsatzes – 219 Mil-
munikation, Inhalten und Dienstleistungen mit und lionen US-Dollar – aufwendete.
zwischen Kunden, Geschäftspartnern, Lieferanten
und Systemen. uCommerce wird das Resultat einer Die Forschungsaktivitäten der Accenture Technolo-
nahtlosen Verknüpfung der uns bereits bekannten gy Labs befinden sich an der Schnittstelle zwischen
und zukünftiger Einzelplattformen im Internet sein: Technologie und Geschäftsprozessen, wobei inno-
Er verbindet den PC-basierten eCommerce, den vative Technologien in kommerzialisierbare Lösun-
Handy-gestützten mCommerce, Transaktionen über gen umgewandelt werden. Die Accenture-Forscher
stationäres interaktives Fernsehen, Spracherken- entwickeln neue Geschäftsanwendungen und Pro-
nung und die Kommunikation von Maschine zu totypen, um das Potenzial von Technologien bezo-
Maschine, die Accenture als „Silent Commerce“ gen auf einen Zeithorizont von drei bis fünf Jahren
bezeichnet. zu analysieren. Durch kontinuierliche Zusammenar-
beit mit Unternehmen werden die Einsatzmöglich-
keiten neuer Anwendungen auf ihre Alltagstaug-
lichkeit getestet. Die aktuellen Prototypen des
Accenture Technology Lab sind auf der Webpage
www.accenture.com unter der Rubrik „Research &
Insights“ abrufbar.
31
Die neue Gesundheitswelt
The New Health Universe
32
Der krisengeschüttelte Gesundheits-Sektor wächst Eine alternde Bevölkerung erzeugt einen Wertewan-
zum Kern-Sektor der kommenden Ökonomie heran. del hin zu mehr Gesundheitsvorsorge und einem
Rund um einen erweiterten Gesundheitsbegriff aktiveren körperlichen Verhalten. Neue Lebensqua-
entwickeln sich neue, expandierende Märkte und litäts-Märkte entwickeln sich rund um die existen-
Produkt-Welten, vom Health-Food über Feng-Shui- tiellen Fragen der Gesundheit und der seelischen
Architektur bis zum neuen Wellness-Urlaub. Gleich- Integrität.
zeitig wird der Gesundheitsbegriff umgedeutet: Im
Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft Nach dem Wellness-Boom beginnt eine zweite Pha-
entwickelt sich Gesundheit von „Abwesenheit von se, in der Wellness von der „passiven Entspannung“
Krankheit“ zu einer Metapher für die geistig-physi- zum aktiven „Empowerment-Lebensstil“ wird.
sche Integrität des modernen Individuums.
Die Alltagsmedizin erweitert ihren Raum durch die
Integration von alternativen und „magischen“ Heil-
methoden in Richtung auf eine ganzheitlichere
Sicht des Menschen.
33
Die neue Gesundheitswelt
Gesundheit wird Zentrum eines generellen Nach- > In der Freizeitindustrie hält der Trend zur Fitness
fragebooms, der die nächste Konjunktur-Welle weiter an. Im Jahr 1990 waren 1,7 Millionen Men-
nach der IT-Welle antreibt. Dabei steigen die gesell- schen in Deutschland Mitglieder in Fitness-Studios.
schaftlichen und privaten Investitionen in den Im Jahr 2000 waren es viereinhalb Millionen in
Kernsektor selbst – den traditionellen Gesundheits- 6500 Fitness-Studios. Im Jahr 2010, so die Schät-
sektor – stark an. Gleichzeitig entstehen in einer zungen des Deutschen Sportstudio-Verbandes,
Art „Überlauf-Effekt“ Nachfrageströme in praktisch werden es acht bis neun Millionen sein. In Öster-
allen Märkten: reich erlebt besonders der Großraum Wien einen
Sport- und Fitness-Boom: Lifestyle-Fitness-Zentren
> Im Food-Sektor wächst die Nachfrage nach ge- wie „Holmes Place“ markieren die zweite Phase der
sundheitserhaltenden und gesundheitsfördernden Fitness-Bewegung.
Produkten: Functional Food steht erst am Anfang
seiner Entwicklung. Aber auch der (in Österreich > Im Pharmasektor kommen in den nächsten Jah-
besonders starke) Bio-Nahrungsmittel-Boom ist ren immer mehr Lifestyle-Medikamente auf den
gesundheitsorientiert. Markt. Gleichzeitig werden in der Bevölkerung zu-
nehmend diffuse Diagnosen als „behandlungsbe-
> Im Reisesektor geht der Wellness-Boom in die dürftig“ angesehen (typisches Beispiel: Ritalin als
zweite Runde: Nach der passiven Wohlfühlent- Medikament gegen „zappelige Kinder“). Dabei steigt
spannung kommen immer mehr aktivierende „Em- der Hang zur Selbstmedikation. Nach der Studie
power-Angebote“ auf den Markt (Aktivkuren, Trai- „Gesundheitstypologie 2002“ (Marktforschungsin-
ning, Ernährungsveränderung). stitut Psychonomics) stieg der Anteil derjenigen,
die regelmäßig rezeptfreie Medikamente einneh-
men, von 23 auf über 27 Prozent (1998 bis 2002).
Wellness
Products
Megatrend
Health
Anti-aging
Products
Boom of
New
the Health
Medicines
Sector
34
Die neue Gesundheitswelt
In einem noch breiteren Gesundheitsbegriff werden Fear Markets – der Markt für Angst-
aber auch die „neuen Lebensqualitäts-Märkte“ von Kompensation und Sicherheits-Sehnsucht
der Nachfrage nach Gesundheit gesteuert: Die globale Zivilisation erweist sich als verletzlich,
Terrorangst und Kriegsgefahren beunruhigen die
Longevity Markets – die Märkte für Menschen. Deshalb steigen die Angst-Potenziale
Lebensverlängerung und Altersfitness und die Menschen legen zunehmenden Wert auf
Die verlängerte Lebenserwartung – bald werden es Sicherheit und Absicherung. Das Spektrum der
in Europa 80 Jahre im Schnitt sein – erzeugt neue neuen Sicherheitsmärkte reicht vom Siegeszug bio-
Lebensphasen und biographische (Selbst-)Bilder. Da- metrischer Techniken über die Flucht in „Gated
mit wird der „neue Altersmarkt“ gleichzeitig auch ein Communities“ bis hin zu neuen Sicherheitssyste-
Fitness-Markt und erzeugt neue Berufsbilder, Pro- men für die Kinderüberwachung und den Schutz
duktfelder, Lebensmuster – und Wertewandelpro- der eigenen Wohnung.
zesse. Lebensverlängernde Lebensweisen setzen sich
auf breiter Front durch. Die Langlebigkeit wird als Companion Markets – der Markt für Freund-
kulturelles Leitmotiv definiert, sowohl im Sport als schaft, Liebe und Begleitung
auch in der Medizin entstehen gewaltige neue Ab- Freundschafts-Netzwerke begleiten uns in der
satzmärkte. Wissensgesellschaft durchs Leben – sie stützen uns,
helfen uns, berufliche oder private Ziele zu errei-
Relax Markets – der Markt für Stille, chen, und geben uns seelischen Halt in Krisenzeiten.
Kontemplation und Lessness Gleichzeitig werden die Beziehungen zwischen
Stress-bezogene Krankheitssymptome, von der Mann und Frau immer schwieriger. Mega-Thema:
Allergie über die Migräne bis zu psychischen Pro- Die Suche nach dem Partner fürs Leben und die
blemen, erzeugen einen Gegentrend. Im Rahmen Fähigkeit, langfristige Beziehungen zu leben. In der
der Wellness-Euphorie entwickelten sich in den sensuellen Gesellschaft entsteht eine Professionali-
letzten Jahren die Keimzellen der Relax-Märkte. sierung sozialer Beziehungen, vom Clubbing – ge-
Hier finden wir auch die Einfallstore für fernöst- wählt nach Geschlecht, Leidenschaft, Abhängigkeit,
liche Strömungen: Körper, Geist und Psyche suchen Interesse – bis hin zu neuen Partnerschafts- und
nach Leere und Loslassen. Flirt-Agenturen für Singles.
36
Die neue Gesundheitswelt
Auf einer profanen Ebene meint der Begriff der 80er- und 90er-Jahre: Die Ich- und Fun-Ära
„Wellness“ nichts anderes als ein allgemeines und In den Städten entstand im oberen Angestellten-
kulturell variables „Wohlfühlen“. Wir sind „well“, Milieu ein rasch wachsendes Potenzial „neuer urba-
wenn es uns gut geht. Dieses Wohlfühlen unter- ner Individualisten“, die sich der Stilkompetenz und
liegt jedoch sehr stark den Zeiteinflüssen und Zeit- dem Lebensgenuss verschrieben. Die Konsumland-
geist-Wandlungen: schaft differenzierte sich stark aus, im raschen
Wohlstandszuwachs und in dominanten Jugend-
50er-Jahre: Sehnsucht nach Normalität und märkten sprangen hedonistische Werteeinstellun-
Wohlstand gen auf breite Teile der Bevölkerung über. Lebens-
Ein sicherer Arbeitsplatz und eine funktionierende genuss wird zum Kernwert der Mittelschichten,
Familie bildeten den Wesenskern des Wohlfühlens „Wellness“ ist im Wesentlichen durch Genussfähig-
in der Frühphase der Wohlstandsentwicklung: Es keit und Genusskompetenz definiert.
ging sehr stark um das Erfüllen gesellschaftlicher
Normen, um die Erreichung materiellen Wohl- 90er-Jahre: Erste Anzeichen der Entspannungs-
stands. Besonders in den Kernstaaten Europas war sehnsucht
das Lebensgefühl grundlegend an die Sehnsucht In den 90ern wurde der Begriff „Stress“ zu einem
nach Normalität, Frieden und Sicherheit gekoppelt. Codewort des öffentlichen Raums – und wir erleb-
ten die Geburtsstunde des heutigen Wellness-Be-
60er- und 70er-Jahre: Aufbruch und Erlebnis- griffs. Wellness basierte im öffentlichen Sprachge-
intensität brauch vor allem auf Entspannungstechniken und
„Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll“ lautete nicht nur das Selbstverwöhnung. Assoziiert wurden Bad, Kur, Mas-
Motto einer Minderheit. Die 60er und 70er waren sage, Entschlackung, Ausspannen, „Pause machen“.
die Jahrzehnte des hedonistischen Aufbruchs, der
Entdeckung des Individuums, der Jugend als eigen-
ständige, intensive Lebensphase. Rebellionsgefühle
und sexueller Aufbruch werden gegen die eher re-
striktiven Tugenden (Fleiß, Ordnung) der Nach-
kriegsära gesetzt. Es war gleichzeitig die Pionier-
phase der sinnlichen Entdeckungen: des eigenen
Körpers, der eigenen Sexualität, des „Eigen-Sinns“
und der Genussfähigkeit des Einzelnen.
Wellness
Entspannung, Verwöhnung,
Verschönerung,
Genuss- und Gesundheitssteigerung
Wellness Plus
gesteigerte Selbstkompetenz
Lebensbalance
Lernkompetenz
Reifung
38
Die neue Gesundheitswelt
2000–2010: Wellness Plus – Wohlfühlen als Der Evolution des Wellness-Begriffs liegt also ein
erweitertes Kompetenz-Phänomen fundamentaler Wertewandel zugrunde: Das Indivi-
Unsere moderne Kultur entwickelt weitere „Stres- duum stellt zunächst sein Selbst-Erleben in den Mit-
soren“, die einen starken Einfluss auf unsere Welt- telpunkt. Es entdeckt höhere Selbst-Kompetenz und
und Körperbilder haben: Genussfähigkeit. In einem weiteren Schritt sucht der
Einzelne nach mehr Eigenkompetenz, um sein leib-
> Durch steigende Scheidungsraten, das neue seelisches Gleichgewicht erhalten und entwickeln zu
Selbstbewusstsein der Frauen und das steigende können. Wellness hat damit zwei Stufen: Zunächst
Familiengründungsalter wächst die Zeitspanne, in die eher narzisstische, auf Entspannung und Ver-
der Menschen auf dem Beziehungsmarkt auf Part- wöhnung abzielende „Passiv-Wellness“. In einer wei-
nersuche sind. Sexuelle Attraktivität wird zum „Le- teren Stufe aber die auf aktive Selbstkompetenz ab-
bensthema“, das auch für 50-Jährige noch akut ist. zielende „Empowerung“, in der Körper, Geist und
Schlankheit und Fitness sind im neuen Beziehungs- Seele auf einer höheren, aktiveren Ebene ins Gleich-
spiel entscheidende „Assets“ – wobei besonders die gewicht gebracht werden können.
Männer starke Aufholtendenzen haben.
Damit ergibt sich im direkten Fitness- und Wellness-
> Durch längere Arbeitszeiten, vor allem an Bild- Bereich folgende Evolutionkette der Angebote:
schirmen, steigt die Notwendigkeit körperlicher
Kompensation. 1. Wellness-Kuren. Viele traditionelle Medizinan-
gebote im Heil- und Rehab-Bereich werden im
> Durch die Alterung der Gesellschaft entsteht Wellness-Sinne umdefiniert. Es erfolgt ein freizeit-
eine verstärkte Diskussion um Vorbeugeverhalten, orientiertes „Upgrading“ der Kur-Institutionen.
Ernährung, Sport etc. Eine alternde Gesellschaft
codiert sich in Richtung auf Langlebigkeit um: Je- 2. Wellness-Genusstempel. Wellness wird, vor al-
der Einzelne spürt, dass er etwas dafür tun muss, lem im Rahmen der Tourismus-Angebote, im Sinne
gesund zu altern! gesteigerten Genusses und sinnlicher Entspan-
nungstechniken definiert.
po isse
Kö erfü
we ns
mentale rm -
r
ko
De
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lic
Erweiterung t
er
iti
rp
v
kö
aktive lebenslanges
Gesundheit Lernen
Individualismus
Kooperativer
Kompetenz
Hightech
technisch
soziale Technik
Wellness
sozial
Selbst- aktiv
gestaltung Plus gestalten
des Arbeits-
isc
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isc
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nu
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Ich AG
39
Die neue Gesundheitswelt
4. Urbane „Holistic Health“-Center. In der nächs- Solche Zentren wird es sowohl geschlechts- als auch
ten Stufe entstehen integrierte Zentren, in denen altersspezifisch geben. In Zusammenarbeit mit medi-
von der Schönheitsverbesserung über die gesunde zinischen Institutionen entsteht daraus ein flächen-
Ernährung, Stress-Management, Fitness, bis zur psy- deckendes Netz von „Healthstyle Facilities“, in denen
chologischen Lebensberatung das ganze Spektrum Vorbeugung und Behandlung verschmelzen.
pro-aktiver Lebensveränderung angeboten wird.
Die Produktivitätsreserven durch den Einsatz von > die Fähigkeit zu Freundschaft und sozialen
Informationstechnologien sind bis auf Weiteres Beziehungen;
weitgehend erschöpft. Nach dem Ende der Info- > eine intakte Umwelt;
tech-Welle wird die „psychosoziale Gesundheit“ der > eine sinnvolle Arbeit und gute Arbeitsbe-
Mitarbeiter den nächsten Investitionskern zukunfts- dingungen;
orientierter Unternehmensplanung darstellen. > eine lebenswerte Gegenwart und die begründete
Denn nur mit einer körperlich und psychisch Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft.
gesunden Belegschaft kann man die Produkti-
vität weiter steigern. Unternehmen werden in den nächsten Jahren auf
breiter Front in die psychosoziale Gesundheit ihrer
Nach Leo A. Nefiodow stehen im Kern einer „sub- Mitarbeiter investieren:
stanziellen“ Wellness („psychosoziale Gesundheit“) > durch Work-Life-Balance-Angebote;
folgende Faktoren: > durch Gesundheits- und Aktivierungsprogram-
> ein stabiles Selbstwertgefühl; me für die Mitarbeiter;
> ein positives und aktives Verhältnis zum eigenen > durch sinnstiftende Corporate-Identity-Maß-
Körper; nahmen;
> durch Veränderung („Vitalisierung“) der Arbeits-
platz-Ergonomie.
40
Die neue Gesundheitswelt
Erlebnismedizin: Was Patienten wollen und warum Die Firma Lifeshirt.com z. B. hat ein Hemd mit ein-
– diese Fragestellung steht im Zentrum einer neu- gebauten Sensoren entwickelt, das permanent
en, patientenorientierten Medizin, deren erste An- Pulsfrequenz und Atmung seines Trägers überwacht.
sätze wir heute sowohl in den Spitälern wie bei den Bei kritischen Werten wird automatisch der Haus-
niedergelassenen Ärzten erleben. Dabei differen- arzt informiert. Das Lifeshirt kostet rund 250 Euro,
ziert sich das Einkommen der Ärzte stark aus, un- hinzu kommen ungefähr 30 Euro Überwachungs-
abhängig davon, ob sie im privaten oder öffentli- kosten für jeden einzelnen Tag (weitere Informa-
chen Sektor tätig sind. tionen unter www.lifeshirt.com).
Alternativmedizin: Die seit den 1980er-Jahren er- Beauty-Boom: Immer mehr medizinische Dienst-
kennbaren Elemente der Heil- und Naturmedizin leistungen ranken sich um die Verbesserung des
entwickeln sich weiter. Der Trend geht hierbei in Aussehens. Junge Frauen sind wesentlich schneller
den nächsten Jahren von den eher obskuren Ex- bereit als ältere, sich für eine Schönheitsoperation
trem-Theorien zu ganzheitlich orientierten Thera- unters Messer zu legen. 82 Prozent der unter 30-
pien mit fernöstlichen Elementen. Jährigen würden sich gerne auf diese Weise ver-
schönern lassen, bei den über 60-Jährigen sind es
Do-it-Yourself-Medizin: Das Misstrauen gegen- nur 38 Prozent. Das ergab eine repräsentative Um-
über den Ärzten steigt, ebenso wie die durch die frage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im
neuen Medien geförderte Eigen-Kompetenz. Ein Auftrag der Zeitschrift „Journal für die Frau“ im
boomender Sektor im Medizinwesen ist das Jahr 2002. Insgesamt zeigten sich in der Erhebung
„Selbst-Monitoring“: Technologische Angebote nur 27 Prozent der Befragten wirklich glücklich mit
werden hier den Patienten weitere „Tools“ in die ihrem Körper.
Hand geben und Kostensenkungen begünstigen.
Vorsorge-Medizin: Sport, Fitness und Vorsorge
werden in der alternden und weiblicheren Gesell-
schaft zu Mega-Themen. Weibliches Gesundheits-
und Ernährungsverhalten gewinnt an Einfluss
(nicht zuletzt in den Partnerschaften).
Johanniskraut
Grüner Tee Eiweiß
1995 2000
41
Die neue Gesundheitswelt
High Health: Ein Luxus-Sektor der Medizin ent- Gesundheits-Tourismus: In vielen Schwellenlän-
wickelt sich in Europa nach dem Vorbild der USA: dern, auch in den Reformländern Osteuropas, ha-
hoch spezialisierte Gesundheits-Zentren mit kurzen ben sich inzwischen blühende Gesundheits-Cluster
Verbleibzeiten und hotelähnlichem Serviceangebot. entwickelt, in denen von Bädern bis zu komplexen
(Beispiel: Euromed-Klinik in Fürth bei Nürnberg). Herzoperationen, von der künstlichen Befruchtung
(Schwerpunkt Prag) bis zu kunstvollen Zahnopera-
Erlebnis-Pharmazie: Ein gutes Beispiel dafür ist tionen alles angeboten wird. England „versendet“
Sani-Plus, die „Wohlfühl-Apotheke“ im Einkaufs- derzeit Operationspatienten auf den Kontinent,
zentrum PEP nahe München (www.saniplus.de): Kuba offeriert „Operationsurlaube“, Südafrika bietet
Auf einer Fläche von 400 qm können sich die Kun- Schönheitschirurgie auf Skalpell-Safaris an.
den umfangreichen Check-ups hingeben oder sich
zu einer Kurzmassage, Fußpflege, Kosmetik-Bera- Elitäre High-Tech-Medizin: Auf gentechnischen
tung oder Sauerstoffdusche niederlassen. Eine Verfahren basierende Behandlungsmethoden wer-
Kundenkarte mit Rabattsystem sowie eine Eigen- den in den nächsten Jahren einen neuen Medizin-
marke mit 30 Produkten stärken zudem die Positio- sektor erzeugen, bei denen z. B. hoch riskante, aber
nierung als Service-Fachmarkt. auch bahnbrechende Methoden angewandt wer-
den. Diese Therapien werden zunächst sehr teuer
und nur privat bezahlbar sein.
Die Entwicklung im Gesundheitswesen wird in den Phase 2: Wachstum alternativer Systeme und
nächsten Jahren in den Grundzügen wie folgt ver- Angebote
laufen: Im Bereich der Qualitäts- und Erfahrungsmedizin
bilden sich starke inländische und ausländische
Phase 1: Krise und Zwei-Klassen-Medizin Cluster, die mit hoher Effizienz marktgängige Alter-
Steigende Gesamtkosten, technische Durchbrüche nativen entwickeln. Diese Modelle werden nun auch
und die alternde Bevölkerung werden in den kom- als Modelle für die Versorgungskassen lukrativ, da
menden Jahren das Kostenproblem des Gesund- es ihnen gelingt, kostengünstiger als innerhalb des
heitswesens zwangsläufig weiter zuspitzen. Damit bestehenden Systems Leistungen anzubieten.
beginnt eine Phase hektischer, politisch ungesi-
cherter und wenig durchdachter Rationalisierungs- Im allgemeinen medizinischen Angebot findet eine
maßnahmen. Diese führen zu Qualitätsproblemen „Guruisierung“ der Medizin statt. Alternative oder
im Gesundheitssektor. High-Tech-Heilmethoden werden individualisiert.
Den Medizinern geht es ähnlich wie den Managern
Damit beginnt die Phase der „Englandisierung“ der in den 90er-Jahren: Sie geraten mehr und mehr ins
österreichischen und deutschen Gesundheitsver- Licht der Öffentlichkeit und werden Kommunikato-
sorgung. Kassenpatienten im unteren Einkommens- ren und Marketeers ihrer Leistungen.
bereich werden von teuren Dienstleistungen ausge-
schlossen. Ältere Patienten werden nicht mehr ope-
riert. Wartelisten für Operationen verlängern sich.
42
Die neue Gesundheitswelt
> Ganzheitlicher Diagnoseansatz: Alle Spezialisten Damit eröffnet sich der Weg für:
unter einem Dach, schnelle Bildung von Experten-
teams. > Privates Sponsoring von medizinischer
> Kurze Wege und hoch effektive Verwaltungsab- Forschung.
läufe. > Private Investoren.
> Patientenzentrierte Medizin-Erlebniswelten mit > Aktive „Gatekeeper“ und Management-Rolle
Eigenanteilen an den Kosten für die Patienten. für die Gesundheitskassen.
44
Die neue Gesundheitswelt
Diese Entwicklung führt auf mittlere Sicht zu ei- Ergebnis wird eine „Active-Health-Gesellschaft“
nem Gesundheitswesen mit grundlegend anderen sein, in der Gesundheitsrisiken zu „Bio-Potenzialen“
Parametern, die den Einzelnen zu gesundheitlichem umformuliert werden können: Wer Sport treibt,
Vorbeugeverhalten im Sinne von „Bio-Effizienz“ sich gesund ernährt, Vorbeugemaßnahmen ergreift
motivieren. Im Kern steht schließlich die Verhal- und schließlich das genetische Risiko seiner Nach-
tensänderung in Bezug auf Ernährung, Risikover- kommen minimiert, entwickelt ein Bio-Potenzial,
halten und Eigenbeteiligung am Heilungsprozess. das sich mit seinem Humankapital addiert. In der
Im weiteren Verlauf werden sich neue „Screening“- letzten Stufe könnten Risiken und Bio-Potenziale
Methoden durchsetzen, in denen sowohl die gene- sogar eine freie Handelsware auf dem Markt wer-
tischen Potenziale eines Patienten (im Sinne von den (analog zu Schadstoffemissionen oder Lebens-
Risiken) gemessen werden, als auch die Resultate versicherungen).
des Lebenswandels.
Dieser Umdeutungsprozess wird nicht ohne gesell-
Die Versicherungssysteme – staatlich oder privat – schaftliche Konflikte verlaufen. Er ist jedoch keines-
werden zunehmend Risikoklassen einführen, in de- wegs nur ein Prozess „von oben“. Das explosionsar-
nen das gesundheitliche Risiko eines Patienten öko- tige Anwachsen der Fitness-, Ernährungs- und Anti-
nomisch bewertet wird. Die Logik der pro-aktiven Aging-Trends ist vielmehr eine notwendige Reaktion
Selbstverantwortung löst in einem längeren Prozess auf eine alternde und individualisierte Gesellschaft.
damit die kollektive Risiko-Umverteilung ab. Das Wissen über Körperfunktionen und „Lenkung
der Lebensprozesse“ nimmt auf breiter Front zu. Ge-
sundheitsrisiken werden nun zu Potenzialen. Die
ferne Konsequenz ist eine Kultur der „biotechni-
schen Selbstkontrolle“ – eine gesündere, aktivere
und langlebigere Gesellschaft als jemals zuvor.
12 3000 25
11,3
10 9,7 2500
2560 20
20
Ökoflächen in %
8 7,9 2000
6,8 6,5 15
Prozent
6,3
Mio. Euro
6 1500 14
11 10
4 3,7 1000
2 1,8 5
1,4 500
490
320
0 0 0
A CH FIN DK S I D P F A D CH
Zunahme in Prozent
45
Die neue Gesundheitswelt
Im Gesundheitssektor liegen in Österreich enorme Der immer noch starke staatliche Medizinsektor
Potenziale – nicht nur durch den relativ starken wäre ein weiteres mögliches Potenzial für den in-
Pharma-Forschungssektor und die reiche Tradition ternationalen Gesundheitstourismus.
medizinischer Forschung (um 1900 gab es einen
intensiven medizinischen „Cluster“ zwischen Wien Hinzu kommen große Potenziale im gesundheitsbe-
und Budapest). Neben einem ständig wachsenden zogenen Nahrungsmittel- und Tourismusbereich.
Wellness-Angebot im Tourismus haben sich in Gerade die „Slow Sports“-Angebote wie Wandern,
Österreich bedeutende Gesundheits-Cluster-Regio- Walken, Ski-Langlaufen etc. werden einen großen
nen gebildet, die heute zwar noch heftig um das Boom erleben. Österreich kann sich weiter zur Fit-
gleiche Potenzial konkurrieren, sich aber zuneh- ness-Wellness-Kernregion Europas entwickeln, al-
mend ausdifferenzieren. lerdings bedarf es dazu noch weiterer Professiona-
lisierung und Internationalisierung von Marketing
Typische Beispiele hierfür sind: und Angebotsstruktur.
Gesundheitsausgaben in Österreich
18.000
15.000
12.000
9.000
6.000
3.000
0
1997 1998 1999 2000
Gesundheitsausgaben,
insgesamt
46
Die neue Gesundheitswelt
Innovation delivered.
LBK Hamburg und Accenture: Kostensenkung durch Reorganisation
Der Landesbetrieb der Krankenhäuser (LBK) Ham- sowie den Aufbau der strategischen Beschaffungs-
burg ist ein öffentlicher Gesundheitskonzern mit gruppe konnte eine schrittweise Überführung der
sieben Krankenhäusern und mehreren Servicebetrie- dezentralen Einheiten in eine funktionsfähige Or-
ben im Stadtgebiet von Hamburg. LBK Hamburg ganisation erfolgen und der Aufbau des operativen
verfügt über insgesamt ca. 7000 Betten und erwirt- Einkaufs zur zentralen Abwicklung von Bestellvor-
schaftet mit 13.000 Mitarbeitern einen Jahresum- gängen und Kreditorenbuchhaltung vorgenommen
satz von mehr als 750 Millionen Euro. werden. Durch die Umsetzung eines integrierten
Transportkonzeptes, basierend auf einem Zentral-
Die Herausforderung für das LBK Hamburg bestand lager und Einführung des modularen Systems zur
unter anderem darin, dass die Organisation 17 Ein- Versorgung der Stationen und Funktionsbereiche,
kaufsorganisationen ohne konsolidierte Volumina konnte die Logistik optimiert werden. Die Einführung
umfasst, mehrere Dutzend Lager an neun Standor- eines „Patientenorientierten Arzneimittelversor-
ten und mehr als 1000 Anlieferstellen mit mangel- gungs-Systems“ (PAV) generierte weitere Synergie-
haft geführten Lagerbeständen. Es gab mehrere un- effekte. Der Aufbau eines Servicebetriebs zur Konso-
terschiedliche Finanz- und Rechnungswesen-Orga- lidierung der Finanz- und Kostenrechnungsprozesse
nisationen, verschiedene dezentrale SAP-Systeme sowie der Forderungsabrechnung, die Entwicklung
sowie eine Vielzahl abhängiger Subsysteme. Weiters einer zentralen Organisation inklusive Kunden-
gab es keine standardisierten Prozesse, es bestand managementfunktionalität und die Entwicklung
eine reaktive Berichterstattung auf Krankenhaus- und Einführung eines neuen Controlling-Verständ-
und Konsolidierungsebene auf Basis von Quartals- nisses führten zu grundlegenden Veränderungen
abschlüssen sowie unkoordinierte und ineffiziente der Organisationsabläufe, die durch die Implemen-
Prozesse im primär-klinischen Bereich. tierung eines unternehmensweit einheitlichen SAP-
Systems unterstützt werden.
Gemeinsam mit Accenture wurde folgende Heran-
gehensweise gewählt: Die Reorganisationsmaß- Durch die Zentralisierung und Systemintegration
nahmen erstreckten sich über alle Bereiche und be- wurden Kostensenkungen im Logistikbereich um ca.
inhalteten unter anderem die Reorganisation klini- 20 Millionen Euro sowie ein einmaliger Bestands-
scher Kernprozesse (Primärleistungsbereich) sowie senkungseffekt von 13,3 Millionen Euro erzielt. Im
die Zentralisierung und Ausgründung der Sekun- Finanzwesen wird mit Etablierung des Servicebetrie-
där- und Basisbereiche in Servicebetriebe (Logistik bes und der Einführung eines zentralen Software-
und Finanzen). Im primär-klinischen Bereich erfolg- produkts (SAP) für das Finanz- und Rechnungs-
te der Aufbau von prozessorientierten Zentrums- wesen eine Kosteneinsparung von ca. 20 bis 25 Pro-
strukturen und die Einführung von Kompetenz- zent prognostiziert. Eine erhebliche Qualitätssteige-
gruppen. Basierend auf Richtlinien zum Aufbau von rung der Serviceleistungen durch Integration von
IT-Kompetenzen wurde die IT-Architektur neu kon- Prozessen und Systemen ist zu erwarten. Die Reor-
zipiert. Durch den Aufbau eines Servicebetriebs zur ganisation im primären Klinikbereich führte mit
Konsolidierung der Einkaufs-, Lager- und Waren- einer Kosteneinsparung von 10 bis 15 Prozent zu
verteilungsprozesse innerhalb des LBK Hamburg signifikanten Reduktionen der Verweildauer sowie
zu besseren Kapazitätsauslastungen.
47
Der balancierte Mitarbeiter
The Balanced World of Work
48
In der kurzen Blüte der New Economy entstand Die kommenden Jahre bringen trotz steigender
zum ersten Mal ein neues Bild des Mitarbeiters: als Arbeitslosigkeit einen neuen „War for Talents“. Die
Mit-Unternehmer, als „Intrapreneur“, als kreativer Verknappung des Humankapitals, bedingt durch
Team-Player. Der Paradigmenwechsel von der An- Alterung und Bildungsdefizite, verschärft sich.
gestelltenwelt zur „Ich-&-Co“-Welt kündigte sich
an. Aber die New Economy hat diese Energien auch Neue Denkweisen und Tools der Personalpolitik
zynisch ausgebeutet – sie missbrauchte und „ver- werden zu strategischen Kernelementen des unter-
brannte“ die Motivations-Energien der Mitarbeiter nehmerischen Erfolgs:
für das Hochputschen des Börsenwerts.
> Bei weiter steigender weiblicher Bildung und
In der kommenden Wissensökonomie rückt die Frage Erwerbsbeteiligung wird die Frage der Ausbalancie-
des nachhaltigen Humankapitals nun endgültig ins rung von Familie und Beruf ein gesellschaftliches
Zentrum des Wertschöpfungsprozesses. Innovation, Mega-Thema: Work-Life-Balance-Hilfestellungen
Wissen und Beweglichkeit des geistigen Kapitals entscheiden über die Attraktivität eines Arbeit-
sind in den unruhigen globalen Märkten der Zu- gebers.
kunft das entscheidende Asset. Unternehmen wer- > Die Ausrangierung der älteren Arbeitskräfte
den sich zunehmend in Fragen der Bildungsreform wird zugunsten einer „Erfahrungs-Renaissance“
einmischen und sich selbst als Bildungsinstitutio- rückgängig gemacht. Senior Potentials prägen die
nen begreifen müssen. Arbeitskulturen.
> In der Belegschaft der Zukunft steigt die Diver-
sität von Geschlecht, Nationalität und Alter. Dies
erfordert neue Tools für das Diversity Management.
49
Der balancierte Mitarbeiter
Die Motivationskrise
Reengineering und Outsourcing, Lean Manage- In der gesamten Wirtschaft verschieben sich die
ment, Mergers und Mega-Mergers: Kaum ein Un- Kernprozesse kontinuierlich weiter in Richtung
ternehmen, in dem in den letzten Jahren nicht um- Wissensarbeit und Dienstleistung. Gleichförmige
gebaut, ausgelichtet, in großem Stil Mitarbeiter ab- industrielle Arbeit nimmt ab, kreative Arbeit nimmt
gebaut wurden. Akquisitionen, Aufspaltungen und zu. Anders als in der industriellen Wertschöpfungs-
Verkäufe, Chefwechsel und Kurskorrekturen am kette, lassen sich Wissensprozesse jedoch nicht auf
laufenden Band – die turbulente Baustelle der glo- „austauschbarer und gleichförmiger Arbeit“ auf-
balen Wissensökonomie hat die Arbeitswelt radikal bauen. Da Wissen immer an konkrete Individuen
verändert. Sicherheiten existieren größtenteils nur gebunden ist (und nur begrenzt in Computern ab-
noch auf dem Papier. Vereinbarungen und Unter- gebildet werden kann), steigt die Bedeutung des
nehmensziele sind oft nur kurzfristig haltbar. Die Einzelnen im Unternehmen ständig an. Der Verlust
Motivation der Mitarbeiter hat auf breiter Front von kreativen Talenten kann für die Unternehmen
darunter gelitten. „Wozu“, so denken viele, „soll ich der Zukunft lebensbedrohend sein. Der Mangel an
mich für ein Unternehmen engagieren, das keine „New Skills“ wie Teamfähigkeit, Selbstverantwortung
Kontinuität und Stabilität mehr kennt?“ und Selbst-Lernfähigkeit, wird zum existenziellen
Handicap.
Die kommende Personalpolitik wird Antworten auf
diese Fragen finden müssen: Wie lassen sich die po-
sitiven Ansätze einer humanzentrierteren Arbeits-
welt, wie sie sich in den letzten Jahren angedeutet
haben, auch in schwierigeren Zeiten aufrechterhal-
ten? Wie können wir mit unseren Mitarbeitern ehr-
liche „New Deals“ abschließen, die den unruhigen
Marktumfeldern und Dynamiken globaler Märkte
Rechnung tragen, die beiden Seiten sowohl Flexibi-
lität als auch gewisse Sicherheitspotenziale geben?
New Work: Zunehmende Wissensarbeit
100
90
38 %
80
körperliche Arbeit
51 %
70
70 %
83 %
60
50
40
„knowledge work“
62 %
30
49 %
20
30 %
17 %
10
0
1900 1930 1960 1994
50
Der balancierte Mitarbeiter
Das Human-Kapital einer Gesellschaft, also das Po- Aus diesen drei Quellen setzt der Einzelne sein Wis-
tenzial des Wissens und der Fähigkeiten der Men- senspotenzial zusammen, in der Multiplizierung
schen, ist messbar und darstellbar. Wissens-Kapital entsteht dabei das verfügbare Humankapital einer
entsteht zunächst aus drei „Wissensquellen“, die in Gesellschaft. Das individuell verfügbare Humanka-
1 Siehe auch „Wie viel etwa gleich stark und gleich unverzichtbar sind:1 pital steigt bis zu einem Alter von 20 Jahren stetig
Bildung brauchen wir?
– Humankapital in
an und stagniert dann in den meisten Fällen oder
Deutschland und seine Elternerziehung: Der „Eintrag“ des Wissens und der baut sich im Laufe des Lebens zu etwa 75 Prozent
Erträge“, Alfred-Herrhau- Kompetenzen durch das Elternhaus. Diese Kategorie ab (wobei es hier deutliche Abweichungen nach
sen-Gesellschaft 2002.
wurde in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten oben gibt: „High Performer“ lernen ihr Leben lang
meist vernachlässigt, erlebt aber derzeit zumindest und entwickeln ihre vollen Humankapital-Potenzia-
im öffentlichen Diskurs eine Renaissance. le eher in der zweiten Lebenshälfte).
Schul- und Ausbildungserziehung: Das Bildungs- In Westeuropa hat es noch nie so viel Humankapi-
potenzial der europäischen Bevölkerung hat in den tal gegeben wie heute – geburtenstarke und „bil-
vergangenen Jahrzehnten stetig zugenommen. Die dungsstarke“ Jahrgänge, die in den 1970er und
Bildung hat dabei, wie die jüngsten internationalen 1980er-Jahren Schulen und Universitäten durch-
PISA-Studien zeigen, von Land zu Land äußerst un- liefen, befinden sich heute in ihren produktivsten
terschiedliche Qualität. Jahren. Das enorm gestiegene weibliche Bildungs-
potenzial hat dieses Kapital weiter erhöht.
Erwachsenenlernen: Die Bedeutung von Lernpro-
zessen im Erwachsenenalter nimmt in der Wissens- Für die kommende Zeit lässt sich jedoch unschwer
gesellschaft ständig zu. Erwachsenenlernen muss ein Verfall dieses Potenzials diagnostizieren. Bei nur
einerseits den natürlichen Wissensverfall kompen- wenig steigenden oder gar rückläufigen Bildungsin-
sieren, andererseits das Wissenspotenzial an neue vestitionen (Ausnahme: skandinavische Länder) und
Bedingungen anpassen. stark schrumpfender junger Alterskohorte verschiebt
sich das Angebot immer mehr in die älteren Kohor-
ten. In den Ländern, in denen die Geburtenrate gleich
niedrig bleibt wie in Österreich oder Deutschland,
kommt es spätestens im nächsten Jahrzehnt zu einem
massiven Unterangebot, ja einer Humankapital-Krise!
250
350
200 300
250
Gesamtes
150 Erwachsenenlernen Humankapital
Tsd. Euro
200
Erwerbstätiges
Humankapital
100 150
Schule + Universität
100
50
50
Elternerziehung
0 0
10 20 30 40 50 60 70 80 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Alter Alter
51
Der balancierte Mitarbeiter
Die Zukunft bringt also reverse Arbeitslosigkeit mit Der „War for Talents“, in der derzeitigen Konjunk-
sich: Während in der Fertigung und der „industriel- turkrise scheinbar abgesagt, wird in den kommen-
len“ Dienstleistung weiterhin große Freisetzungs- den zehn Jahren also eher an Bedeutung gewinnen.
wellen bevorstehen, entwickeln sich in den Kernbe- Wie kann man ihn gewinnen?
reichen der Unternehmen große Talent-Lücken, in
denen verzweifelt Mitarbeiter gesucht werden. Die- Entwicklung der Personal-Marke. Während sich
ser Mangel betrifft drei wesentliche Bereiche: Unternehmen bei der Bildung einer Marke bislang
auf die Konsumenten konzentrierten (und sich in
1. den Billiglohnbereich der Service-, Dienstleis- Bezug auf ihr Mitarbeiter-Recruiting auf ihren
tungs- und Basic-Worker, in dem vor allem staat- „guten Namen“ verließen), werden sie sich in Zu-
liche Restriktionen für eine künstliche Verknappung kunft auch auf dem Personalmarkt wie ein Marken-
sorgen; produkt darstellen und entwickeln müssen.
2. den Spezialistenbereich vor allem in technischen Relationship Recruiting. Große Unternehmen bil-
oder hoch spezialisierten Berufen wie Controller, den eine „soziale Aura“ um sich herum, in der sie
Programmierer, Techniker etc.; sich mit anderen Firmen und dem Milieu der Einzel-
selbstständigen vernetzen. Das Ziel ist u. a., Wech-
3. den „New Skill“-Bereich der neuen Wissensar- selbedürfnisse rechtzeitig beantworten zu können.
beiter. Hier geht es vor allem um Führungskräfte,
hoch qualifizierte Teamplayer und produktive Uni- Bildungssponsoring bekommt in diesem Zusam-
versalisten, die in den Wissens- und Moderations- menhang eine völlig neue Bedeutung: Immer mehr
prozessen der Zukunft verstärkt gebraucht werden. Unternehmen warten nicht mehr am Ende der Bil-
Im Zentrum der Qualifikation stehen emotionale dungs-Pipeline auf Bewerber, sie sind bereits in der
Intelligenz, kreatives Denken und „Networking- Ausbildung präsent. Oder sie gründen gleich ihre
Kompetenz“. eigenen Schulen und Universitäten – virtuell oder
aus Stein und Glas, innerhalb oder außerhalb des
Unternehmens.
150
Mrd. Euro
1960
2000
2050
100
50
0
10 20 30 40 50 60 70 80
52
Der balancierte Mitarbeiter
Der Vormarsch der Frauen Die Märkte der Zukunft sind Reife-Märkte, und
In allen industrialisierten Nationen, aber auch in der deshalb erfordern sie in den Unternehmen höhere
überwiegenden Zahl der Schwellenländer, hat in den Erfahrungspotenziale. Vor diesem Hintergrund ist
letzten Jahrzehnten ein historischer Umverteilungs- heute ein Paradigmenwechsel zu beobachten: Die
prozess eingesetzt. Besonders in der höheren Bil- Personalabteilungen versuchen, die „Senior Perfor-
dung, bei den Abiturs- und Studiengängen, haben mer“ wieder zu umwerben bzw. zu finden. Dabei
wir heute weltweit mehr Mädchen als Jungen, mit stellt sich heraus, dass Leistungskriterien eine se-
besseren Abschlüssen und kürzeren Studienzeiten. kundäre Rolle spielen. Zentrale Punkte sind die
(Währenddessen dominiert das männliche Geschlecht Lernfähigkeit und -willigkeit älterer Menschen.
in den unteren Bildungsabschlüssen: Volksschulen
und Sonderschulen sind „männliche“ Domänen.) In Österreich hat sich entgegen diesen Trends eine
Tendenz zur teilweise extremen Frühpensionierung
Junge Frauen sind bei vielen wissensorientierten durchgesetzt. Besonders in den staatlichen Sekto-
Qualifikationen inzwischen stark im Vorteil. Vor al- ren liegt heute das Pensionierungsalter im Schnitt
lem in den kommunikativen Berufsbildern erweisen deutlich unter 60 Jahren. Dies wird auf Dauer nicht
sie sich nicht nur als gebildeter, sondern auch als nur zu makroökonomischen Problemen führen, es
motivierter und ausdauernder. Auf dieses weibliche bedeutet auch eine „falsche Signalschaltung“ in
Talentpotenzial werden die Unternehmen in Zu- Bezug auf die kommende Talente-Knappheit.
kunft zugehen müssen – mit einem verstärkten An-
gebot an Flexwork, Frauenförderung und Work- Das Diversity-Prinzip
Life-Balance-Angeboten. Diversität in Firmenkulturen wird heute von den
meisten Unternehmen noch als Problem wahrge-
Das Comeback der Seniors nommen. In ihr steckt jedoch in wissensbasierten
Industrielle Arbeit, die Arbeit der Vergangenheit, Prozessen der Schlüssel zum Erfolg. Da die Märkte
nutzt ab. Sie ist monoton, macht müde, und allzu selbst (im Zuge von Globalisierung und Europäisie-
oft sorgte sie für körperlichen Verschleiß. In der rung) „diversifizierter“ werden, ist vor allem im Mar-
Wissensgesellschaft hingegen ist Alter kein Argu- ken-Management und im Marketing eine multikul-
ment mehr für Berufsunfähigkeit – im Gegenteil! turelle Sichtweise sehr wichtig. Teams, deren Diver-
sitätsgrad hoch ist, sind, sofern die Zusammenarbeit
reibungslos funktioniert, auch innovativer, energi-
scher und kreativer als monokulturelle Gruppen.
Erwerbsquote Männer/Frauen in Österreich:
Annäherung der Kurven Die Diversität der betrieblichen Kulturen steigt
auch über die Geschlechter- und Alters-Achse hin-
100 aus stark an:
90
90 86 85
81 79 > Ethnische Minoritäten wachsen über eine lang-
80 Männer
fristige Zunahme der Migration und Akquisition
70
von Arbeitskräften im Ausland sowie über den
Frauen
60 „Management-Mix“ multinationaler Konzerne.
62
58
50
53 54 > Kulturelle Minoritäten, die sich früher in der
49 Mehrheit verbargen, outen sich oft in Anti-Diskri-
40
minierungs-Kampagnen und innerbetrieblichen
30
Konflikten: So sind etwa Schwule und Lesben heu-
20 Anteil der Erwerbspersonen an der
gesamten Wohnbevölkerung im Alter te in den Arbeitskulturen der USA, Frankreichs und
10 von 15 bis 64 Jahren in Prozent Benelux eigenständige und durchaus wahrgenom-
0 mene Gruppen.
1951 1961 1971 1981 1991 2000
53
Der balancierte Mitarbeiter
2 Amerikanische Wissen- > Lebensstil-Ausdifferenzierungen, die sich aus Gleitzeit- oder Teilzeitmodellen. Sie sind jedoch oft
schaftler haben bereits
dem Megatrend der Individualisierung ergeben, hervorragende, fleißige Mitarbeiter, solange ihr Le-
Ende der 80er-Jahre be-
rechnet, dass arbeitsbe- führen zu differenzierten „Work-Life-Stilen“. ben im Gleichgewicht bleibt. Und es sind zuneh-
dingter Stress den Unter- mend auch Männer!
nehmen in den USA jähr-
lich rund 150 Milliarden In Österreich mit seinem kleinen Binnenmarkt und
Dollar kostet. Das briti- seinen Chancen in Richtung auf die osteuropäischen In der Lebenswelt der Zukunft entsteht immer
sche Gesundheitsministe-
rium und der britische In- Märkte wird in den nächsten Jahren vor allem die mehr Reibungshitze zwischen diesen beiden Grup-
dustrieverband schätzen „mitteleuropäische Diversität“ im Zentrum stehen. Es pen – und zwischen privater und beruflicher Sphä-
die Kosten stressbeding-
ter Fehlzeiten in den Fir-
gilt, den Kulturbruch zwischen östlichen und westli- re. Da sich die familiären Rollenzuweisungen auflö-
men auf jährlich 5 Milli- chen Europa-Gesellschaften zu überbrücken. sen, da immer mehr Frauen sich in der Arbeitswelt
arden Pfund. Eine deut-
behaupten, häufen sich die familiären Konflikte. Es
sche Untersuchung zu
diesem Thema von den Patricia Digh, Autorin und Spezialistin für Vielfalt kehren sich die klassischen Sortierungen des Ar-
Wirtschaftswissenschaft- am Arbeitsplatz in den USA, betont, dass Human- beit/Freizeit-Modells um: Die Sphäre der Arbeit
lern Winfried Panse und
Wolfgang Stegmann von Resources-Professionals, um einen vielfältigen Mix wird spannend und begehrt, die häusliche Sphäre
der Fachhochschule Köln an Spitzentalenten zu nutzen und zu erhalten, un- wird mühsam und stressend. Um die Erwerbsarbeit
geht von einem Schaden
von 50 Milliarden Euro ter anderem Folgendes tun müssen: entsteht ein Konkurrenzkampf. „Home becomes
aus. Dabei gehen allein > demographische Veränderungen im Unter- work, work becomes home.“
durch die Bekämpfung
von Stress mit Medika-
nehmensumfeld verstehen;
menten 10 Milliarden > sicherstellen, dass Minderheiten nicht an den Für das Humankapital liegen hier gewaltige verbor-
Euro verloren. Wer z. B.
Rand gedrängt werden; gene Kostenrisiken: Innerbetriebliche Konkurrenz,
Schlafmittel nimmt, ist
auch am nächsten Mor- > die Belegschaft darüber aufklären, dass Vielfalt Burn-Out-Syndrom, Mobbing-Potenziale steigen
gen nicht topfit und muß kein Synonym für „Minderheit“ ist; an. Scheidungen und Gesundheitskrisen bei Mana-
mit mindestens 20 Pro-
zent Leistungseinbußen > lernen, wie man vielfältige Gruppen effektiv gern, „uneingereichte Kündigungen“ häufen sich.2
rechnen. miteinander in Kommunikation bringt;
3 Agenturen wie Ceridian, > der bevorzugte Arbeitgeber für eine vielfältige Work-Life-Balance-Angebote bieten deshalb die
Working Family Direc- Belegschaft werden; Basis eines neuen „Employability-Vertrags“, der die
tions (Boston) und Wor-
king Solutions betreuen
> langfristige Beziehungen mit Organisationen psychosozialen Potenziale der Mitarbeiter erhalten
heute Millionen von ame- von Minderheiten aufbauen. und erweitern möchte. In den USA ist der Markt
rikanischen Angestellten
der Employee Assistance Programs (EAPs) längst
rund um die Uhr in Call-
Centers. In Deutschland Work-Life-Balance ein Milliardenmarkt.3 Unternehmen externalisieren
und Österreich entwickelt Zwei Mitarbeiter-Typologien werden primär die Ar- individualisierte Dienstleistungen rund um die
die Firma Familienservice
(www.familienservice.at) beitswelt – und die Konflikte – der Zukunft prägen: Komplexität der Life-Balance-Probleme. Ein ganzes
diese Angebote. > Die ungebundenen Ehrgeizigen: Immer mehr Bündel von persönlichen Hilfestellungen wird von
Menschen verwirklichen sich nun im Berufsleben den Agenturen dieser neuen Branche geboten:
„mit Haut und Haaren“, finden dort ihre Wahlfami- > Organisation von Kinderbetreuungsplätzen
lie und ihren Lebenssinn – und bleiben dabei allein- für berufstätige Mütter und Väter bzw. von „Be-
stehend oder nur lose gebunden. Die Anzahl der treuungs-Feuerwehren“ für Notfälle. Neuestes
Mitarbeiter, die in der Arbeit einen regelrechten Fa- Modell: Schecks für die Kinderbetreuung.
natismus entwickeln, nimmt deshalb zu. > Hilfeleistungen bei „Elder-Care“-Problemstellun-
> „Family-Wellness“-Mitarbeiter: Als Gegenpol gen.
entwickelt sich eine neue Familienkultur, die der > Krisenintervention bei Scheidung und Krankheit,
betrieblichen Sphäre Konkurrenz macht: Die fami- Rechts- und Finanzberatung, Partnerschaftsbera-
lienzentrierten Mitarbeiter finden irgendwann tung, Suchtberatung, Schuldenberatung.
ihren Lebenssinn in der kleinen Maria oder dem
kleinen Martin. Diese Mitarbeiter verweigern zu-
meist berufliche Mobilität, sie beharren auf strikten
54
> Gesundheitsberatung bei Problemen mit Über- Über 200 Mitarbeiter haben freiwillig ihr Blut un-
gewicht, Rückenleiden etc. bis hin zu firmeninter- tersuchen lassen, in den Abteilungen hing Monat
nen Gesundheitsprogrammen und „Health Scree- für Monat der Krankenstand aus.
ning“, nicht nur für das obere Management.
> „Biographische Hilfestellung” bei schwierigen > Die in der internationalen Wirtschaftspresse ge-
Entscheidungen in Bezug auf den Beruf oder die feierte Pionierfirma SAS Institute Inc.
Kindererziehung (Educational Assistance). (www.sas.com), eine Software-Firma in North Caro-
> Beratung bei Konflikten mit Vorgesetzten oder lina, hat durch konsequente Elternpolitik eine der
Mobbing. geringsten Fluktuationsquoten in den USA erreicht.
> Hilfestellungen beim Übergang in den Ruhe- Die Firma, auch als Sanity Inc. („Gesundheits GmbH“)
stand. bekannt, unterstützt das gemeinsame Essen von
Familien im Betrieb, betreibt Montessori-Kinder-
Beispiele für solche Initiativen gibt es viele: gärten und hat von sich aus die Arbeitszeit re-
duziert. Der 7-Stunden-Tag bzw. die 5-Tage-Woche
> Unter dem Motto „Je gesünder die Mitarbeiter, sind Teil einer konsequent familienfreundlichen (in
desto gesünder das Unternehmen” kümmerte sich den USA eher ungewöhnlichen) Politik – und ging
die Firma Ravensburger seit 1996 – zunächst befris- bei diesem Unternehmen mit einer enorm gestiege-
tet auf drei Jahre – um den Gesundheitszustand ih- nen Produktivität einher.
rer Mitarbeiter. Sie kontrollierten den Vitaminhaus-
halt und joggten gemeinsam. Weitere Veranstal-
tungen beschäftigten sich mit Ernährung, Hygiene,
Rückenschulung und Sicherheit beim Skifahren.
55
Der balancierte Mitarbeiter
Comeback
der Seniors
Neue
Vormarsch
Teilhabe-
der Frauen
Politik
Balanced World
of Work
Diversity- Work-Life
Prinzip Balance
56
Der balancierte Mitarbeiter
Durch die mittelständische Struktur der österreichi- Auffällig ist, dass im Vergleich zum letzten Jahr-
schen Wirtschaft werden viele Konflikte in der Le- zehnt in den nicht deutschsprachigen Ländern eine
bens- und Arbeits-Sphäre hierzulande „von Mensch massive Zunahme der Studenten zu verzeichnen
zu Mensch“ geregelt – Grund für eine noch relativ ist, während diese Zahl in den deutschsprachigen
hohe Zufriedenheit der Angestellten und eine recht Ländern eher sinkt!
flexible Arbeitswelt. Eine relativ geringe Erwerbsbe-
teiligung der Frauen (in den höheren Positionen) Für den kommenden „War for Talent“ ist Österreich
und ein recht professioneller Arbeitsmarktservice also noch nicht wirklich gerüstet. Das Land leidet
halten die Arbeitslosigkeit derzeit noch gering. unter einem starken „Brain Drain“ in westlicher
Richtung – vor allem in den Wissenschafts- und
Schwächen hat die österreichische Personal-Kultur Medienberufen. Für ausländische Leistungsträger
vor allem an folgenden Punkten: ist das Land aufgrund seiner restriktiven Einwande-
rungspolitik (dies führt u. a. zu mangelnder Dienst-
> Eine im europäischen Durchschnitt niedrige Er- leistungsstruktur in den Großstädten) und der rela-
werbsbeteiligung der Frauen in den gut qualifizier- tiv starren institutionellen Struktur noch nicht sehr
ten Berufen. attraktiv.
> Massive Frühverrentungen und dadurch eher ein
gesellschaftlicher Hang zur Frühpensionierung und Mögliche Handlungsfelder:
zum frühen „Opting Out“.
> Geringer Selbstständigenanteil (der allerdings > Das Erwachsenenlernen in den Unternehmen
seit einigen Jahren stark wächst!). stärken: „Lifelong learning“ als Standortfaktor und
> Hoher Beamten- und Pragmatisiertenanteil. Unternehmenscredo ausbauen.
> Die Abschlüsse im tertiären Bildungsbereich sind > Talentmanagement vorantreiben: Networking
im Vergleich zu anderen Ländern immer noch viel zu mit ausländischen Universitäten verstärken, eigene
gering. Zusammen mit Deutschland und der Schweiz Universitäten näher an die Unternehmen binden.
hat Österreich deutlich weniger Hochschulabsolven- > Diversity-Beauftragte in den Unternehmen
ten als vor zehn Jahren – dies bedeutet, dass alle schaffen: Die Vielfalt der personellen Unterneh-
drei Länder im Bereich der Humanressourcen de- menskultur ist besonders im zentraleuropäischen
investieren! Raum die Herausforderung der kommenden Jahr-
zehnte!
58
Der balancierte Mitarbeiter
Innovation delivered.
„The Art of Work“ – ein Forschungsprojekt des Accenture Institute for Strategic Change
Wie können Unternehmen ihre hoch qualifizierten, Auch die Gestaltung des physischen Arbeitsplatzes
anspruchsvollen und mobilen Mitarbeiter – ihre unterliegt massiven Veränderungen. Durch die zu-
wertvollste Ressource – mit den passenden Rah- nehmende Aufgabenteilung in „virtuellen Teams“
menbedingungen, Technologien und Infrastrukturen rund um den Globus, unterstützt durch die dafür
ausstatten, um den Wert der Unternehmensleistun- notwendigen Technologien, und nicht zuletzt oft
gen zu maximieren? Dieser Frage geht ein aktuelles auch getrieben durch Kostensparmaßnahmen ent-
Forschungsprojekt des Accenture Institute for Stra- stehen neue Formen des „virtual office“ wie Desk
tegic Change nach. Sharing, Teleworking usw.
Wissensarbeiter sind eine schwer zu beschreibende Weniger offensichtlich sind die Veränderungen in
„Spezies“, denn sie finden sich in allen Branchen und den Organisationsstrukturen für Wissensarbeiter.
allen strategischen Bereichen einer Organisation. Hier bilden sich insbesondere „Communities“ unter
Kleinstes gemeinsames Merkmal ist, dass Wissen spezialisierten Wissensarbeitern heraus, die zuneh-
ihr Rohstoff ist, aus dem sie neues Wissen, neue mend an Relevanz gewinnen. Wesentlichen Einfluss
Produkte, Veränderungsprozesse – kurzum: Innova- hat die Organisationsstruktur aber auch auf die
tionen aller Art – schaffen, indem sie dieses Wissen optimale Infrastruktur der Technologie und die Ge-
mit anderen Wissensarbeitern teilen, anwenden staltung des physischen Arbeitsplatzes. Moderne Ar-
und weiterentwickeln. Ein weiteres Merkmal ist, beitsplatzgestaltung berücksichtigt die unterschied-
dass Wissensarbeiter in zunehmend interdependen- lichen Arbeitssituationen von Räumen für Teamar-
ten Umgebungen – geographischen, kulturellen, beit bis hin zu Einzelarbeitsplätzen und Erholungs-
sozialen u. dgl. – miteinander interagieren können zonen, was jedoch möglichst flache Organisations-
müssen. Die Kernfragen des Forschungsprojektes strukturen bedingt.
„Art of Work“ lauten daher: Welche Eigenschaften
charakterisieren die Wissensarbeiter? Welche Fak- Das „Art of Work“-Forschungsprojekt ist jedoch
toren beeinflussen ihre Produktivität? Und wie nur eines von vielen Themen, mit denen sich das
misst man die Effizienz von Wissensarbeitern? Das Accenture Institute for Strategic Change befasst.
Studienprojekt fokussiert sich auf drei Einflussfak- Seit seiner Gründung im Jahr 1996 in Cambridge
toren: die technologische Infrastruktur, die Arbeits- (Massachusetts/USA) erforscht das Institut unter-
platzumgebung und die Organisationsstruktur. schiedlichste Bereiche der Unternehmensstrategie
mit dem Ziel, konkrete Handlungsempfehlungen
Die technologische Infrastruktur ist einer der Haupt- aus den Erkenntnissen abzuleiten. In enger Zusam-
treiber für Produktivität und eines der wichtigsten menarbeit mit Unternehmensleitern und Professo-
Kriterien für Wissensarbeiter. Laptops, Mobiltelefone, ren publizieren die Strategie-Experten, die an re-
Speicherkapazitäten und dergleichen mehr ermög- nommierten Universitätsinstituten wie der Harvard
lichen es Wissensarbeitern, von jedem Ort und zu Business School oder dem Massachusetts Institute
jeder Zeit ihre Aufgaben zu erledigen. Und obwohl of Technology (MIT) eine Lehrtätigkeit ausgeübt ha-
Technologien auch das Teamwork unterstützen, ist ben, Studien und Forschungsberichte. Die aktuellen
noch wenig bekannt über die Zusammenhänge zwi- Studien des Accenture Institute for Strategic Chan-
schen Technologie und deren Auswirkungen auf die ge sind auf der Webpage www.accenture.com unter
Wissensarbeiter. Können Technologien tatsächlich der Rubrik „Research & Insights“ abrufbar.
Distanzen zwischen Teams überbrücken? Brauchen
Wissensarbeiter tatsächlich keinen fixen physischen
Arbeitsplatz mehr?
59
Living Companies
Die „atmenden“ Organisationen der Zukunft
60
Die New Economy ist vorbei, doch die Old Economy > Statt großartiger „Visionen“ spielen in Zukunft
kehrt nicht zurück. Vor den Unternehmen stehen eher mentale Spielregeln eine Rolle, die dem Unter-
unruhige Zeiten, in denen sich die alten Loyalitäten nehmen eine Seele geben: Die „weichen Werte“ der
von beiden Seiten auflösen. Gute Mitarbeiter orien- Unternehmenskultur erleben eine Renaissance.
tieren sich zunehmend an ihren eigenen Plänen und
entwickeln eigensinnige Berufsbiographien jenseits > In volatileren Marktumfeldern wird Früherken-
von Posten und Beförderungen. Die Unternehmen nung zum zentralen Business-Tool. Interne Strate-
hingegen müssen mehr und mehr Bindungsrisiken gie-Think-Tanks, Monitoring-Systeme und „Zu-
verringern, um in den globalen Märkten beweglich kunftsagenten“ gehören zunehmend zum Instru-
und flexibel zu bleiben. mentarium des Managements.
Die Organisationsformen der Zukunft müssen die- > Innovationsprozesse werden in Zukunft weniger
sem Paradox Rechnung tragen: Unternehmen wie als „sensationelle Neuerfindung“ denn als konti-
Mitarbeiter benötigen höhere Flexibilität und nuierlicher Verbesserungsprozess organisiert.
höhere Loyalität! Nach der großen Merger-Welle,
die nicht immer die gewünschten Resultate brach- > In vielen Märkten haben frontale Konkurrenz-
te, entsteht eine Business-Welt, in der sich Unter- Situationen zu zerstörerischen Effekten geführt.
nehmen zunehmend in kleineren operativen Kernen Die Wirtschaft der Zukunft wird mehr auf Koope-
organisieren – und dann zu größeren „Schwärmen“ rationen und Win-Win-Situationen zwischen di-
vernetzen. Am Ende entstehen virtuell integrierte versifizierten Marktteilnehmern basieren.
Unternehmens-Netzwerke, die sowohl flexibel als
auch „mächtig“ genug sind, in volatilen Märkten > Nicht den „globalen Riesen“ gehört die Zukunft,
zu überleben. sondern den glokalisierten Unternehmen, die ihre
Produkte und Organisationsstrategien an regionale
Unterschiede anpassen.
61
Living Companies
Größe ist alles: Viele Unternehmen haben in der Vision ist alles: Der Begriff der „Vision“ prägte die
vergangenen Dekade ihre Energien in schnellen, börsenorientierte Unternehmenskultur der Jahr-
globalen Wachstumsstrategien erschöpft. Dabei tausendwende. Visionen können zwar Sinn und
wurden Mergers und schnelle Zukäufe als All- Perspektive stiften, sie haben aber, wenn sie zu
zweckstrategie eingesetzt. Die damit verbundenen starren Langfrist-Beschreibungen einer Strategie
Integrationsprobleme wurden unterschätzt, die werden, durchaus auch problematische Nebenwir-
Synergieeffekte eher überbewertet. Die schiere kungen. Visionäre Zielvorgaben stellen eine ent-
Größe eines Unternehmens, so wurde deutlich, sagt fernte Zukunft als unverrückbar und idealisiert dar.
nichts über seine Gesundheit und Vitalität aus. Sie mutieren deshalb leicht zu „fixen Ideen“, die
dann, wenn sich das Marktumfeld ändert, nicht
Schnelligkeit ist alles: Der Mythos des „First Mo- mehr revidiert werden können. „Visionaritis“ führt
vers“ prägte die Hoch-Zeit der New Economy: in letzter Konsequenz zu einem verzerrten Bild der
Wer zuerst einen Markt eroberte, dem schienen alle Wirklichkeit, in dem keine humanen Lernprozesse
Wertschöpfungen möglich. Aber die Realität zeigte, mehr möglich sind.
dass die Ersten oft das Lehrgeld zahlen mussten
und in Markt-Räume vorstießen, die sich als Sack- Der CEO bekommt alles: Viele Unternehmen ha-
gassen und Illusionen erwiesen. ben sich auf die Fähigkeiten ihrer Star-CEOs ver-
lassen. Seit dem großen Erfolg von Jack Welch bei
Marktanteil ist alles: Schließlich erwies sich auch der Sanierung von General Electric trat eine neue
die „Economy of Scale“ als ein oftmals fataler An- Generation von „Guru-CEOs“ auf die Bühne. Die
satz. In den extremen Konkurrenzen der „Neuen Pleiten und Skandale der jüngsten Vergangenheit
Märkte“ verbrannten Unternehmen nicht nur im zeigen: Die totale Zentrierung auf eine einzige
Übermaß Kapital, sie hinterließen oft auch nach Person ist strategisch falsch und führt zu proble-
Preiskämpfen verödete Markt-Wüsten mit frus- matischen Abhängigkeiten.
trierten Kunden und zerstörten Margen.
Das „mentale Kapital“ – Besonders für die Bindung der Talente werden die
authentische Kultur statt „Vision“ „Aura“ und die „authentische Mission“ eines Un-
Die dramatischen Konkurse der vergangenen Jahre ternehmens in Zukunft von entscheidender Bedeu-
– zum Beispiel Tyco, Global Crossing, Worldcom, tung sein – hier bildet sich das „mentale Kapital“.
Enron – fanden nicht zufällig in Firmen-Konglo- Eine Mission kann von Mobilität, Verbindung,
meraten statt, die hastig durchgeführten Mergers Schönheit, Lebenserleichterungen, Freude (Disneys
and Acquisitions entstammten. Diesen Unterneh- Mission: „To make the people of the world happy“)
mungen mangelte es an Seele, an gewachsenem handeln – was immer das zentrale Thema des Un-
„Spirit“. In ihnen brachen die Immunsysteme zu- ternehmens ist. Wichtig ist, dass eine Sinngebung
sammen, die jeden Organismus mit seiner Umwelt über Marge und Mehrwert hinaus formuliert
(und sich selbst) im Reinen halten. und gelebt wird – und damit das Unternehmen
geistig und seelisch „ankert“.
62
Living Companies
Die neue Unternehmenskultur hat wenig mit den > Der weltweit expandierende Kristallglas-Anbieter
Verhaltenskatalogen in der Eingangshalle der Fir- Swarovski sieht sein Produkt nicht nur als „Kon-
menzentrale zu tun. Es geht um einen gelebten sumprodukt“, sondern auch als Träger von Emotio-
und erlernten Ethos des täglichen Verhaltens, um nen und Erlebniswelten. „Kristall ist zu einem Teil
Fairness, Transparenz, offene und ehrliche Um- der Beziehungen zwischen Menschen geworden –
gangsformen, in denen Krisen und Probleme nicht ein funkelndes Universum.“ Swarovski engagiert
verschwiegen werden dürfen. Wirkliche, tief emp- sich durch seine „Kristallwelten“, gestaltet von
fundene Werte sind simpel. Bei der US-Firma Nord- André Heller, auch im Standort-Tourismus.
strom steht in der Eingangshalle in großen Lettern
an der Wand: „Nutzen Sie immer Ihr eigenes Ur- > Bei der Handelskette Billa gelang es z. B., über
teilsvermögen. Weitere Regeln gibt es nicht.“ den Ökologie- und Nachhaltigkeitsgedanken einen
moderaten Kulturwechsel einzuleiten. Der Erfolg
Auch in Sachen Innovation entscheidet die Firmen- der Biomarke „ja! Natürlich“ führte zu einer Re-
kultur mehr als die „Vision“ über den Markterfolg. Strukturierung auch der Handelsbeziehungen. Re-
Gerard Tellis und Peter Golder weisen in ihrem Buch gionale Anbindungen und Kooperationen stehen
„Will and Vision“ nach, dass Unternehmen, die als nun für ein wichtiges Standbein der Unterneh-
„visionäre Newcomer“ begannen, fast nie zum Er- menskultur. Abfallvermeidung und -recycling wur-
folg kamen. Heutige Marktführer betraten meistens den von einer lästigen Pflicht zu einem lukrativen
mehr als eine Dekade später als die „First Mover“ Geschäft ausgebaut.
einen Pionier-Markt. Ihr Geheimrezept war eine
stetige, im Alltag gelebte Kultur der ständigen Corporate Governance – balancierte Führung
1
Verbesserung. Arie de Geus, ein Business-Philosoph und Szenario-
1 Gerhard Tellis, Peter Experte, der die Lebensspannen großer Unternehmen
Golder, Will and Vision – In Österreich wird das Thema „Firmenkultur“ vor über Jahrhunderte verfolgte, fand vier Faktoren als
How Latecomers Grow
to Dominate Markets, allem von den „Hidden Winners“, den marktbe- Voraussetzung für die Langlebigkeit und Nachhal-
McGraw Hill, New York, herrschenden KMUs, vorangetrieben. Beispiele: tigkeit von Unternehmen:
2002
> Stiegl, die größte Privatbrauerei, setzt vor allem > Sensibilität gegenüber dem sozialen und poli-
auf das Thema Umwelt – ein jährlicher akribischer tischen Umfeld;
Umwelt-Report sieht die Umweltproblematik nicht > Kohäsion und Identität, im Sinne der Fähigkeit,
nur als „Vermeidung von Schäden“, sondern als ak- eine Firmenkultur aufzubauen;
tives Umweltqualitäts-Management. > Toleranz und Dezentralisierung der inneren
Strukturen;
> konservative Finanzierung, die nicht über Risiko-
2 Arie de Geus, The Li- kapital abläuft.2
ving Company – Habits
for Survival in a Turbu-
lent Business Environ- Zukunftsfähige Unternehmen sind im Kern von
ment, Harvard Business innen, aus ihren eigenen Motiven und Zielen ge-
Press, 2001
trieben. Sie sind keine Sklaven eines Börsenkurses,
der sie zu komplizierten Bilanzoperationen zwingt.
Sie sind nicht abhängig von einer Investorengruppe
oder einzelnen Interessen.
63
Living Companies
64
Co-opetition statt Frontalkonkurrenz
Wirklich zukunftsfähige Unternehmen wissen, dass
bei bedingungsloser Frontalkonkurrenz, bei der mit
gleichen Produkten und gleichen Strategien ein
und derselbe Markt beackert wird, eine Lose-Lose-
Die drei Sphären der neuen Organisation Situation droht. Jüngstes Beispiel: der Telekommu-
nikationsmarkt. Nach verlustreichen Preiskämpfen
bleibt am Ende nur eine Markt-Trümmerlandschaft
übrig.
Die ökonomische Die Human- Statt nach Größe um jeden Preis suchen zukunfts-
Organisation Organisation fähige Unternehmen nach einer spezifischen Markt-
Corporate lücke, in der sie einen nachhaltigen komparativen
Governance Vorteil herausarbeiten können. Aus der fokussierten
Position – die oft auch in der Kernkompetenz einer
starken Marke besteht – sucht das Unternehmen
dann die Kooperation mit Partnern, die seine Mög-
Die soziale lichkeiten erweitern, ohne seine Ressourcen anzu-
Organisation
greifen. So entsteht eine Co-opetition-Wirtschaft,
in der Konkurrenz und Zusammenarbeit fusio-
nieren.
65
Living Companies
> Im Flugverkehr zeigt das Beispiel „Star Alliance“, Co-Management: Die Rolle der Consultants wan-
wie durch Verzicht auf Fusionen und Aufkäufe bei delt sich vom „Außenberater“ zum Geschäftspart-
gleichzeitiger intensiver Kooperation eine Win- ner: Das Risiko wird gemeinsam mit den Kunden
Win-Situation für alle Beteiligten entsteht. getragen, Honorare werden erfolgsabhängig gezahlt;
zunehmend kommt es sogar zu gemeinsamen Neu-
> Die Beispiele Autocluster/Gesundheitscluster/ Unternehmensgründungen in Innovations-Consul-
Thermenregionen in Österreich zeigen, wie das tingprozessen.
Prinzip der „Co-opetition“ bis in den mittelstän-
dischen Bereich, ja sogar in Bezug auf Handwerks-
und Bauernbetriebe realisiert werden kann. Glokalisierung statt Globalisierung
Auch die Visionen globaler Einheits-Konzerne sind
Ähnliche Win-Win-Prozesse zeichnen sich auch in ausgeträumt. In der Telekommunikationsbranche
anderen Bereichen ab: hat sich erwiesen, dass eine nahtlose Bedienung
aller Weltmärkte nur sehr schwer zu realisieren ist.
Co-Marketing: Immer mehr Unternehmen koope- In der Banken- und Finanzdienstleisterbranche
rieren auf der Ebene des Vertriebs und des Marke- werden nur hoch spezialisierte, globale Konzepte
ting, um die Marketing-Durchschlagskraft zu er- Bestand haben (Citibank). Die neue Strategie heißt
höhen. „Glokalisierung“. Während sich die TK-Konzerne aus
dem globalen Abenteuer wieder zurückziehen, ent-
Co-Producing: Die Autoindustrie zeigt, dass man wickeln auch die Autokonzerne neue Allianzen-
sich durchaus Fabriken auch über Herstellergrenzen Systeme. Globale Unternehmen, die alle Weltmärkte
hinweg teilen kann. bedienen, diffenzieren zunehmend ihre Produkte
und Marketingkonzepte nach regionalen Gepflogen-
heiten aus (siehe McDonalds, Autobranche, Tief-
kühlgerichte).
66
Living Companies
Organizational Structures
Core Supplemental
Employees Employees Core
Employees
Outsourced
Outsourced Functions
Functions
Führungskräfte
Kreative Performer
Soziale Performer
Mitarbeiter
Teilzeit
Vollzeit
„Over-Achiever“
67
Living Companies
Die letzte Konsequenz dieses Prozesses hat Michael Die New Economy ist vorbei – und sie hat eben erst
Hammer, der Erfinder des „Reengeering“, in seinem angefangen. Während ihre technologischen Ver-
jüngsten Werk prognostiziert: das Ende der Un- sprechungen an ihre Grenzen gerieten, entwickelt
ternehmen der alten territorialen Art. Hammer sie ihren Geist nun in neuen, innerbetrieblichen
argumentiert dabei mit dem Joghurt. Zwei Joghurt- Kontrakten, die die Humanressource in den Mittel-
Firmen, so seine Analogie, schicken ihre Joghurts punkt rücken. Im Idealfall folgt einer krisenhaften
mit zwei eigenen Lastwagen-Unternehmen in die „Zerlegungs-“ und „Outsourcing“-Phase eine Re-
Läden. Dies wird immer teurer und ruinöser, bis sie Integrationsphase, in der die autonomen und nun
sich schließlich zusammentun und eine gemein- weitaus produktiveren Einheiten eines Unterneh-
same Logistikfirma gründen. „Schließlich“, so Ham- mens auf neue Weise effektiv „verwoben“ werden.
mer, „konkurrieren wir ja nicht um Lastwagen oder Die Konsequenz dieses Prozesses ist die virtuelle
gefahrene Kilometer, sondern um den Geschmack Integration.
3 Michael Hammer, The des Joghurts, seine Frische, die Marke“.3
Agenda: What Every
Ein Beispiel: Das High-Tech-Unternehmen GoreTex,
Business Must Do to
Dominate the Decade, Atmende Unternehmen ähneln in vielerlei Hinsicht mit seinem Hauptsitz in Delaware und 400 Nieder-
Random House Audio organischen Netzwerk-Strukturen: Sie können lassungen weltweit, ist seit 35 Jahren hoch profi-
Assets (Oktober 2001)
wachsen und schrumpfen, weil sie in kleineren und tabel. Keine Einheit, kein Standort weist eine Kopf-
flexibleren Einheiten organisiert sind. Sie sind inno- größe von mehr als 150 Personen auf. Formale
vativer, schneller und wandlungsfähiger, weil sie Hierarchien lehnt dieses Unternehmen ab. Eine Visi-
auf kostspielige Overheads und träge vertikale tenkarte von Gore wird immer nur den Titel Associ-
Hierarchien verzichten. Sie sind „unschärfer“ im ate aufweisen. Bei Gore nennen sich die Führungs-
Sinne organisatorischer Strukturen, aber dennoch personen „Sponsoren“ und „Mentoren“. Und dieses
„konkreter“ im Sinne der inhaltlichen Firmenziele. Unternehmen ist sehr erfolgreich. Es wächst, indem
es sich zerlegt. Es wächst mikrobakteriell.
Führung in Netzwerk-Unternehmen wird nicht
durch Positionen und Titel, sondern durch dyna- Auf dem Weg zu diesen neuen Strukturen müssen
mische Handlungen definiert. Führungs-Persön- sich kleine und große Unternehmen von vielen lieb
lichkeiten wissen, dass sie Komplexität in solchen gewordenen Gewissheiten verabschieden. Weder
Organisationen delegieren müssen, wenn sie zum Konsumenten noch Märkte noch Mitarbeiter lassen
Gesamterfolg kommen wollen. Das bedeutet: Sie sich in Zukunft „steuern“. Statt strategischer Meis-
müssen andere empowern, anstatt alles zu kon- terleistungen wird die Wirtschaftswelt der Zukunft
trollieren. vielmehr von vielen kleinen evolutionären Anpas-
sungsschritten handeln. Dabei gilt es, die Basis der
Lernprozesse in die gesamte Organisation hinein zu
verbreitern und einen Organismus zu erzeugen, der
sich in angemessener Geschwindigkeit ständig neu
erfinden kann.
68
Living Companies
In der österreichischen Firmenlandschaft liegen > Der Handelssektor wird nur durch eine konse-
Modernität und Struktur-Konservativismus nahe quente Ost-Öffnung in den mitteleuropäischen
beieinander. Das hat seine Gründe in der Geschich- Raum ein komplettes Aufkaufen durch supranatio-
te des Landes und seinen Standort-Spezifika. nale Ketten vermeiden können.
> Während der Nachkriegszeit entwickelte die > Die vielen agilen mittelständischen Nischenplay-
österreichische Industrie schnell eine moderne Pro- er mit Produkt-Unikaten spielen auch hier wieder
duktivitätsstruktur. Der großen Montan- und Indus- eine Avantgarde-Rolle. Sie öffnen den österreichi-
triekrise der späten 70er Jahre wurden „Vorzeige- schen Marktraum nach außen, sorgen für Innovati-
werke“ entgegengesetzt, wie etwa das Voest-Stahl- onspotenzial und Dynamik.
werk in Linz. Im Grazer Automobilcluster kann man
heute noch den Vorteil einer gut ausgebildeten Mögliche Handlungsfelder für Österreich:
Facharbeiterschaft erkennen.
> Entwicklung einer innovativ-magischen Herstel-
> Im Bankenwesen und der Dienstleistungsstruk- lermarke „Made in Austria“ oder einer entsprechen-
tur herrschen derweil bis heute große Probleme. den Standort-Marke.
Banken und Versicherungen sind stark in der Struk-
tur von Besitzständen organisiert; die jüngste Fu- > Weiterentwicklung kooperativer Netzwerk-Mo-
sionswelle hat an den internen Strukturen wenig delle in kreativen Branchen (Tourismus, Gastrono-
geändert. mie, Design, Food).
> Der Tourismussektor, der immerhin ein Fünftel > Entwicklung eines Unternehmens-Leitkulturbil-
des österreichischen Bruttosozialprodukts garantiert, des für österreichische Unternehmen im Sinne der
ist extrem kleinteilig organisiert und krisenanfällig „Next Economy“: Unternehmen mit Herz, Verstand
durch Verschiebungen der Nachfrage in den High- und Phantasie.
Service-Bereich. Durch neue Kooperationen wird hier
der Versuch einer Vernetzung unternommen, dieser
Versuch muss aber durch Internationalisierung und
weitere Fokussierungen ergänzt werden, um ein
großes Hotelsterben zu vermeiden.
70
Living Companies
Innovation delivered.
Avaya und Accenture: Outsourcing der Aus- und Weiterbildung
Avaya lagert seine Aus- und Weiterbildungsmaß- Die gemeinsam mit Accenture entwickelte Lösung
nahmen im Rahmen der Avaya Corporate University bestand unter anderem darin, die gesamte Aus- und
an Accenture aus. Weiterbildung, einschließlich des Managements der
Corporate University, des globalen Netzwerks an
Avaya gilt als der führende Anbieter von Sprach- Trainern und externen Partnern, an Accenture aus-
und Datennetzwerken sowie Kommunikationssyste- zulagern. Im Rahmen des Outsourcing-Vertrages
men und -services für Unternehmen, Behörden und wurden 230 Avaya-Mitarbeiter von Accenture über-
andere Organisationen. Das Unternehmen, ein Spin- nommen, der Mehrjahresvertrag führt zu Einsparun-
out von Lucent, entwickelt, baut und managt Kom- gen von 15 Prozent der Kosten für Avaya. Das An-
munikationsnetzwerke für mehr als eine Million Un- gebot an eLearning-Maßnahmen konnte von einem
ternehmen weltweit, darunter auch 90 Prozent der bis dato geringem Anteil auf rund 80 Prozent des
„Fortune 500“. Auf der Grundlage der Avaya-Lösun- gesamten Trainingsangebotes erhöht werden. Die
gen können Unternehmen aller Größenordnungen Entwicklung der Trainingsinhalte erfolgt nunmehr
ihre Netze optimieren und unter den Aspekten der nach einheitlichen Standards und die globale Aus-
Sicherheit und Zuverlässigkeit produktiver nutzen. und Weiterbildungsinfrastruktur wurde harmoni-
siert. Das Lehrangebot umfasst rund 900 produkt-
Im Rahmen der Avaya Corporate University werden und technisch-orientierte Trainings sowie 900 Kurse
derzeit rund 2000 Kurse angeboten. Das Aus- und für Business Skills und es ist nunmehr gewährleistet,
Weiterbildungsangebot für Mitarbeiter, Kunden und dass das Trainingsangebot auf die strategischen Er-
Geschäftspartner umfasst sowohl die berufliche als fordernisse des Unternehmens abgestimmt ist.
auch persönliche Weiterentwicklung, IT-Know-how
sowie Anwenderkenntnisse für Avayas Sprach- und Durch diese Maßnahmen konnten insbesondere die
Datenapplikationen. Servicequalität und Flexibilität der Nutzung gestei-
gert werden – bei gleichzeitiger Senkung der Kos-
Die Herausforderung für Avaya bestand unter an- ten. Der Zeitaufwand, insbesondere für Reisezeiten
derem darin, die Wertschöpfung der Corporate und Administration, konnte signifikant reduziert
University zu steigern, die Investitionen und Teil- werden. Durch das vermehrte Angebot an eLear-
nehmerzahlen zu optimieren und die Abhängigkeit ning-Kursen konnte sowohl das Ausmaß der ver-
von externen Anbietern in Bezug auf Entwicklung mittelten Inhalte als auch die Zahl der erreichten
und Erbringung von Ausbildungsleistungen zu re- Teilnehmer gesteigert werden. Die Investitionen für
duzieren. Gleichzeitig galt es, Prozesse zur Budget- Aus- und Weiterbildung wurden auf die Kernkom-
transparenz zu implementieren und die hohe Ab- petenzen des Unternehmens fokussiert, dadurch
hängigkeit von durch Trainer persönlich durchge- kann auch flexibel auf veränderte Erfordernisse ein-
führte Trainings zu minimieren, um dadurch Kos- gegangen werden. Nicht zuletzt bieten sich auch
tendegression zu ermöglichen. für das Lehrpersonal der Avaya University attrakti-
vere Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten.
71
Ansprechpartner:
Österreich
Deutschland
Schweiz
72
Accenture ist einer der weltweit führenden Management-
und Technologie-Dienstleister. Mit seinem Unternehmens-
netzwerk, das die Beratungs- und Outsourcing-Expertise
des Unternehmens durch strategische Allianzen, Betei-
ligungen und andere Leistungsbereiche erweitert, liefert
Accenture innovative Lösungen, mit denen Kunden aller
Branchen ihre Visionen schnell und erfolgreich umsetzen
können. Mit über 75.000 Mitarbeitern in 47 Ländern
erwirtschaftete das Unternehmen im vergangenen Fiskal-
jahr (zum 31. 8. 2002) einen Nettoumsatz von 11,57 Milli-
arden US-Dollar.
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