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Die Frage der Fotografie im Wiener


Aktionismus cto r,
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als die Frage nach Autor und Autonomie in der Fotografie

Lassen Sie mich mit einer kleinen List beginnen. In den Diskursen über Kunst üblichen Mentalitat für
dem Buch ”Idea Art”, 1973 als Dutton Paperback von wahr und real und vom Künstlergemachtgehalten. Die
Gregory Battcock herausgegeben, ist ein Artikel von voraussetzungslose, gleichsam epistemologische Ein-
Robert Hughes mit dem Titel ”Abstieg und Fall der stellung zum Kunstwerk verrat sich im Fakt dieser
Avantgarde”, ursprünglich in ”Time” Dec. 18/1972 enormen Fâlschung.
erschienen, wieder abgedruckt. In diesem Artikel wird 1. In Wahrheit ist es namlich nicht Schwarzkogler
am Beispiel der Kunst von Rudolf Schwarzkogler der selbst, der auf diesen Fotos zu sehen ist, sondern sein
Abstieg der Avantgarde behauptet, weil Schwarzkog- Modell und Freund Cibulka.
lers Selbstamputation des Pénis unübertrefïlich zeige, 2. In Wahrheit waren natürlich die abgebildeten Vor-
wie die moderne Kunst in eine tôdliche Sackgasse füh- gânge der Kastration nur vage angedeutet, ein Elément
re: ”the game - under its présent rules - is not worth unter vielen anderen. Die Vorgânge selbst waren simu-
playing” (S. 187). ”In fact, the term avantgarde has out- liert, rein fiktiv für die Kamera gespielt. Die Fotos sind
iived its usefulness” (S. 194). nicht Dokumente realer Aktionen, sondern von dar-
Im selben Buch sind auch die Antworten des New stellender Kunst und Theater.
Yorker Avantgarde-Künstlers Les Levines abgedruckt, 3. In Wahrheit stammen nicht einmal die Fotos von
der Schwarzkoglers Selbstkastration unter Hinweis auf Schwarzkogler selbst. Er hat die Fotos nicht selbst ge-
' f ~ \ k Rothko verteidigt, ohne die Voraussetzungen macht. Er hat nur die Szenerie vor dem Apparat fur den
v w Hughes’ Artikel zu hinterfragen: ”Why blâme art Fotografen gestaltet. Der Fotograf selbst war Ludwig
for ail it has become. The artist responds to a subliminal Hoffenreich, ein sechzigjâhriger Vétéran des Boule-
demand from society to act out for them their anxieties vard-Bildjournalismus.
and desires” (S. 196). ”He (Schwarzkogler) called itart, Aile klassischen Bedingungen eines Kunstwerkes
but we don’t hâve to call it art... After ail, who wants to wurden also nicht erfüllt. Schwarzkogler war weder der
write about advanced art when you can write about pé­ Fotograf, d.h. der Schopfer des Werkes im materiellen
nis amputations and call them advanced art” (S. 198). Sinn, noch das Modell, d.h. derPerformeroder Aktio-
Die List bestand darin, Ihnen einen Diskurs vorge- nist. Auch das abgebildete Sujet hat sich nicht real er-
führt zu haben, einen ernsthaften sogar, der über einen eignet. Es war nur ein Simulacrum.
vollkommen fiktiven Gegenstand stattgefunden hat, Wie ist es also môglich, daB von dieser Arbeit so viele
dessen einziger Realitatsanspruch fotografische ’Doku- Spekulationen ausgingen, daB sich bis heute in fast
mente’ waren. Die Selbstamputation des Pénis und der allen kunstgeschichtlichen Büchern und Essays der
dadurch erfolgte Selbstmord von Rudolf Schwarzkog­ Mythos der tôdlichen Selbstkastration Schwarzkoglers
ler haben nâmlich gar nicht stattgefunden. Im Reich hait? Man kônnte das abtun mit der Ignoranz und Futi-
der Realien ist nichts dergleichen geschehen. Der litat der heutigen Kunstkritik, als ein bloBes Versehen.
erwahnte flammende Leitartikel gegen die Entartungs- Dafür ist aber die Dauer dieses Mythos zu lang, die Hef-
erscheinungen der Avantgarde und die seriôse Vertei- tigkeit der Reaktion zu stark, das Thema selbst zu viru­
digung derselben beruhen allein auf Fotografien, die lent. Dafür ist aber auch der Irrtum zu groB und der
1972 auf der Documenta 5 ausgestellt worden sind. Abgrund, der sich hinter dieser Fehlinterpretation auf-
Diese Fotografien wurden gemàB den Klischees der in tut, zu tief.
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Sollen wir annehmen, daB die Gesellschaft sich besondere Intensitât der irrealen Legendenbildung
wünscht, der Künstler môge sich selbst kastrieren? Ist erreichen. Denn Schwarzkoglers Werke sind fotografi-
diese gigantische, fast unglaubwürdige Fehlleistung sche Bildkunst und daher vom gleichen mythischen
der gesamten Kunstszene, an der sich ja nicht nur die Zauber des Bildes befangen wie das klassische Tafel-
Kritiker, sondern auch die Künstler beteiligt haben, ei- bild. Wie ich in meiner ’Foto-Fake-Theorie’ gezeigt ha­
ne Wunschgestalt aus der Manufaktur der Bestrafung? be, gehôrt aber die Fâlschung zum Kern der fotografi-
Will der Künstler fur sein Anderssein sich selbst bestra- schen Kunst des Bildes. Schwarzkoglers Werk ist also
fen, oder ist es die Gesellschaft, die den Künstler dafür im klassischen Sinn eine Tâuschung. Wir wollen aber
bestrafen will? Solche und verwandte Überlegungen nun daraus nicht den Faden der Künstlerlegende rol-
weisen in eine Richtung, von woher ebenfalls eine len, sondern den Skandal, den sein Werk hervorgeru-
Erklârung kommen kônnte, auf die Legende vom fen hat, auf die besondere Tâuschung, die in der Foto-;
Künstler. grafie als Bildkunst verankert ist, beziehen. Die Legen­
Ernst Kris, der in den 30er Jahren Kustos am Kunst- de Schwarzkogler hat sicherlich mit der von Ernst Kris
historischen Muséum in Wien war und gleichzeitig erforschten Mechanik der Künstlerlegende zu tun.
Psychoanalytiker, hat die Mechanismen der Legenden- Aber als Erklârung für die von ihm ausgehende Wir-
bildung beim Künstler und die sich darin spiegelnden kung scheint sie unzureichend.
geheimen Wünsche, Vorstellungen und Phantasien des Vielmehr kommt gerade in dieser ungeheuren inter-
Publikums zum Problem der Kunst des Bildes unter- pretatorischen Verfehlung die verborgene Axiomatik
sucht. des Kunstwerkes selbst hervor. In der verzerrten Be-
1934 publizierte Kris gemeinsam mit Otto Kurz im trachtung des Fotos spiegelt sich die Erwartungshal-
Wiener Krystall-Verlag das Buch ”Die Legende vom tung vom Kunstwerk. Da aber das Foto eben gerade
Künstler”, das 1979 bei Suhrkamp wieder aufgelegt nicht die Bedingungen des klassischen Kunstwerkes
wurde. Darin weisen die Autoren nach, daB ”jene be- erfüllt, kommt es zu dieser fehlerhaften Übertragung
sondere Fàhigkeit des bildenden Künstlers, durch sein und Interprétation. Man erwartet ”automatisch” vom
Werk Tâuschung’ in jedem Sinne zu üben”, eine der Foto als Bildwerk die gleichen Bedingungen und Vor-
Grundlagen fur die irreale Legendenbildungabgibt. Im aussetzungen wie vom malerischen Bild, nâmlich, daB
Zuge der Nachforschungen über die Lebensgeschichte es vom Künstler selbst gemacht sei und Realien darstel-
des ôsterreichischen Bildhauers Franz Xaver Messer- le. Diese der Fotografie unterschobene bürgerliche
schmidt stieB Ernst Kris auf die stereotypen Anekdoten Vorstellung vom handgemachten Kunstwerk lôst den
und Legenden, die von den Künstlem der Vergangen- Fall Schwarzkogler aus, die von ihm stipulierte Inter­
heit so hâufig erzahlt werden. So hieB es in einer frühen prétation, denn gewiB wollte er die Kastration darstel-
Biografie von Messerschmidt, âhnlich wie von Giotto len, doch lag es allein an den Kritikern, diese für real
und zahlreichen anderen, er sei als Knabe Schafhirtge- ausgeführt zu nehmen. Es handelt sich also beim Fall
wesen; bei seiner sozialen Herkunft eine unwahr- Schwarzkogler weniger um den Fall der Avantgarde,
scheinliche Geschichte. In ahnlicher Weise hatte der sondern eher um die Fotografie als Fall.
Realismus eines seiner Kruzifixe den AnlaB zu dem Unsere Erklârung zieht sich also auf die eigentliche
(hâufig vorkommenden) Gerücht gegeben, der Künst­ Ursache der Fehlinterpretation zurück, auf den glei­
ler habe sein Modell tatsâchlich gekreuzigt, um dessen chen Standort, von dem aus das falsche Urteil startete,
Todeskampf darzustellen. auf die Fotografie als Ausgangspunkt. Wir mochten die
Otto Kurz hatte entdeckt, daB eine Geschichte, die Tatsache, daB es zu einer so mâchtigen und konstanten
Vasary über den Florentiner Maler Filippo Lippi Fehlinterpretation, zu so einer horrenden falschen Dé­
erzahlt hat, in Wirklichkeit einer italienischen Novelle batte kommen kann, mit dem Wesen der Fotografie
entnommen war und auf den Künstler übertragen wur­ selbst in Zusammenhang bringen und zeigen, daB es
de, dessen reale romantische Eskapaden eine solche die Konfusion der fotografischen Théorie selbst ist,
Anreicherung vielleicht herausgefordert hatten. welche diesem Fehlurteil zugrundeliegt. Genauer:
Ernst Kris verdanken wir also die tiefe Einsicht, daB Konfusionen, unausgesprochene Konventionen, a
die Geschichten, die allerorten und zu allen Zeiten priori-Hypothesen, welche einigen Elementen der Fo­
über Künstler erzahlt werden, eineallgemeinemensch- tografie zugrundeliegen. Die Frage nach der Fotografie
liche Reaktion auf den geheimnisvollen Zauber des Bil- hat nâmlich in unserem Jahrhundert noch keine
dermachens spiegeln. Antwort erhalten. Die von der Fotografie aufgeworfe-
Im Lichte dieser Analyse kônnen wir sehen, wie der nen Fragen sind noch immer nicht gelost.
Tâuschungscharakter des Bildwerkes, der jedem Bild Sie haben ja selbst in der Einleitung gesehen, wie die
grundsâtzlich immanente Fakt der Tâuschung, auf den Konfusion betreffend die fotografischen Elemente ein
Hervorbringer des Bildes selbst, den Künstler, übertra­ vôllig irreales Werk und Bild entstehen lieB. Welcher
gen wird. Die Biografie des Künstlers wird gefâlscht, Art ist die Wahrheit in der Fotografie, die Realitât in der
weil für das Volk Kunst schlechthin Fâlschung ist. Fotografie, die Urheberschaft in der Fotografie? Eben
Denn wie anders soll es die dargestellten Segmente der weil dies ailes noch nicht geklârt ist, wird als wahr und
Realitât auf einem Stück Leinwand bezeichnen. Wenn real ausgegeben, was nicht der Fall ist, wird jemand als
nun gar der Künstler selbst Gegenstand des Bildes ist, Urheber angegeben, der es nicht ist. Gerade die Frage
kann sich die Tâuschung verdoppeln und dadurch eine der Urheberschaft im doppelten Sinn als Fotograf und

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■ als Akteur hat bei Schwarzkogler zur Verwirrung ge- Künstler, die im Umfeld des Wiener Aktionismus wei-
■ fuhrt. Daraus kônnen wir ableiten, daB ganz allgemein tergearbeitet haben, z.B. Valie Export, Peter Weibel
I die Frage der Urheberschaft der Kern der Verwirrung in und Arnulf Rainer, haben diesen medialen approach
B der Fotografie ist. Die Problematik der Urheberschaft gewâhlt. Schwarzkogler ist die Figur des Übergangs. Er
B in der Kunstfotografie verweist auf die allgemeine hat den Zwiespalt zwischen unmittelbarer sinnlicher
I Problematik der Autorenschaft in der Fotografie selbst. Empfindung und Wirklichkeit einerseits und fotografi-
I Im Wiener Aktionismus und seiner fotografischen Do- scher Reproduktion andererseits zum Ausgangspunkt
I kumentation konnen diese Problème exemplarisch ge- seiner Kôrperâsthetik gemacht.
I zeigt werden. Da ich nicht annehmen darf, daB der Nitsch hat sich am deutlichsten gegen die techni-
I Wiener Aktionismus, welchen Begriff ich ftir die Wie- schen Medien ausgesprochen, da er auch am deutlich­
I ner Aktionsgruppe um Hermann Nitsch, Günther sten die Verânderung der Aktion durch die eingreifen-
I Brus, Otto Mühl und spâter Rudolf Schwarzkogler de Fotografie erkannte. Er wollte die unmittelbare
erfunden habe, schon so bekannt ist wie der Impressio- sinnliche Wirklichkeit und nicht die verfilmte und foto-
nismus, erlauben Sie mir eine kurze Darstellung. grafierte. Die Haltung der Aktionisten zur Fotografie
Der Wiener Aktionismus hat zu Beginn der 60er Jah- war also von der Sache her notwendigerweise ambiva­
re die Malerei nicht in den Objektbereich expandiert, lent. Schwarzkogler hat daraus die Konsequenz gezo-
sondern ins Kôrperliche. Dieallesamt vomTachismus, gen und der fotografierten Wirklichkeit den Vorzug ge-
Informel und Action Painting herkommenden Maler geben. Er hat fur die technische Bildapparatur eine
Nitsch, Brus, Mühl, Schwarzkogler haben dazu ten- künstliche Wirklichkeit inszeniert und simuliert. Da
diert, ”die Wirklichkeit als direktes Gestaltungsmittel die Apparatur aber in vielen Fallen zwischen natürlich
zu benützen” (Nitsch, Manifest das Lamm, 1964). und künstlich, echt und falsch, real und dargestellt
( / " \ Ein seit 1963 um den Kôrper und neue Materialien nicht unterscheiden kann, hat er sich fur die der Appa­
v—vvie Lebensmittel und Rasiermesser erweiterter Kunst- ratur immanente Fâlschung entschieden. Er machte
begriff ermôglichte einen direkten Umgang mit der also in den Jahren 1965 bis 1967 keine Aktionen fur
Wirklichkeit. Durch die Insertion des Kôrpers in die reales Publikum, sondern Aktionen fur die Apparatur.
Welt der Kunst, die Substitution des Tafelbildes durch Erst die Apparatur vermittelte ihm indirekt ein Publi­
die menschliche Leinwand ist die Kunst in die Wirk­ kum. Der ursprünglich angestrebte direkte Umgang
lichkeit expandiert, bzw. die Wirklichkeit in das tradi- mit der Wirklichkeit endete beim Gegenteil, dem indi-
tionelle Kunstsystem vorgedrungen. Nach der Über- rekten, fotografisch vermittelten Umgang mit der Wirk­
windung des Tafelbildes als Form der Bildkunst durch lichkeit. Damit ânderten sich auch die Parameter der
die Inklusion des Kôrpers in den drei Stationen Aktio- Aktion. Bei der Aktion muB der Künstler selbst der
nen auf der Leinwand (Action Painting), Aktion vor der Akteur sein, der Kôrper muBte real sein, so wie der
Leinwand (Schaumalen), Aktion ohne Leinwand (Kôr- Schmerz. In der bloB fotografierten Aktion ohne anwe-
peraktion) wurde der Kôrper als Ausdrucksmedium sendes Publikum muBten weder der Schmerz noch der
zum Ausgangspunkt der Aktionen, die sich wie bei Kôrper real sein und auch der Akteur nicht er selbst.
Brus und Schwarzkogler hauptsâchlich auf den Kôrper Schwarzkogler konzipierte also die Aktionen nach dem
selbst zentrierten oder wie bei Nitsch und Mühl Misch- Gesichtspunkt ihrer fotografischen Eignung. Die
formen von Kôrper- und Materialaktionen hervor- Aktion verwandelte sich in eine Fotoseance. ”Der
brachten. Bei dieser Eroberung des Kôrpers als Kunst- DurchstoB zum Gestalten mit der Wirklichkeit”
medium und Invasion in die Wirklichkeit kam es aber, (Nitsch, 1970) verformte sich durch die Fotografie zu
' ( 3 n&chst unbemerkt, gleichzeitig zu einem Verlassen einem Verlust an Wirklichkeit. Der Realitatsanspruch
der Wirklichkeit und zu einem Verschub in die Me- der Aktion blieb jedoch am aktionistischen Foto noch
dien. ”Die Materialaktion ist aus der Vernichtung der hângen. So sehr die objektive Realitat durch die Aktion
Malerei (Tafelbild) hervorgegangen. Sie ist über die in Frage gestellt wurde, so wenig der objektive Reali-
Bildflache hinausgewachsene Malerei. Die Materialak­ tatsgehalt der Fotografie. Der Fotografie wird in ihrer
tion bedient sich verschiedener Medien” (Mühl, 1966). dokumentarischen Funktion ein Vertrauen entgegen-
Wir kônnen feststellen, wie aus der Material- und Wirk- gebracht, als handle es sich um die direkte unmittelbare
lichkeitsproblematik und aus dem Versuch, die in de- Wirklichkeit selbst. Hier liegt die Quelle der ”Fâl-
ren Horizont sich abspielenden Aktionen trotz aller schung”, zumal - wie im Falle Schwarzkogler - schein-
Absagen an das Tafelbild noch einmal als Bildform auf- bar direkte unmittelbare Wirklichkeit gezeigt wird.
bewahren zu kônnen, wie also aus der Absage an die Die fotografierte Aktionskunst nâherte sich so seltsa-
Bildkunst und der dennoch vorhandenen Sehnsucht merweise der Kunstfotografie der Jahrhundertwende,
und Suche nach dem Bild, unvermittelt der Medienbe- weil beide aus dem gleichen Boden gewachsen sind.
griff auftaucht. Über die Malerei hinaus tendierte die Die bildmâBige Fotografie und die bildmâBige Aktion
Aktion in die Medien Foto und Film, in denen sie noch konvergierten. Bei der Aktion wurde schon an das Foto
einmal zum Bild gerinnen und als Bild konserviert wer­ als Endprodukt gedacht. Das Foto stieg langsam zum
den konnte. Die Kôrperaktionen transzendierten unter Primarwerk auf. Schwarzkoglers Auflôsung der Aktion
dem Diktat der Kunst, deren Kern ja das Bild ist (’allein durch die fotografische Inszenierung bzw. Seance, sei­
das Bild kann Kunstwerk sein’), paradoxerweise den ne Aufwertung der Fotografie als Endzweck hat uns
Kôrper als alleiniges Ereignis. Die nachfolgenden ”ins Herz der Finstemis” der fotografischen Rezeption

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geführt, aus der heraus alleine es môglich war, seine Elemente: es gibt einen Inszenator und einen Fotogra­
inszenierten Fotos fur wahre Bilder von wirklichen fen.
Ereignissen zu halten. Die von den Fotos angeregte Das Schéma ist also bei allen drei Ereignissen gleich,
Auslegung war nâmlich falsch. Schwarzkogler war ob es sich nun um einen Unfall, einen rituellen Tanz
nicht der Akteur, sondern der Régisseur, der fur den oder eine Aktion handelt. D ie Aktionsfotografie ist ge-
Fotografen, Ludwig Hoffenreich, streng formal-âsthe- wissermaBen eine andere Form der Ereignisfotografie.
tische, unter Nutzung fotografischer Eigenschaften wie Verândert hat sich dabei allerdings die Rolle des Foto­
Ausschnitt, Retusche usw., Bilder komponierte. Er grafen. Er kippt nach unten. Er wird total diskriminiert
komponierte sie eigentlich fur die Bildapparatur, denn und ausgelôscht. Die Aktionsfotografie steht unter dem
der Fotograf war nur eine Art Auslôser, der sein techni- Primat des Inszenators. Deswegen finden wir in Aus-
sches Wssen über Scharfe und Belichtung mit ein- stellungen und Büchern den Namen des Aktionisten
brachte. unter dem Foto. Was hat diese totale Umkehrung zu
Schwarzkogler hat 1969, zwei Jahre nach seiner letz- bedeuten? Was wâren die Folgen zum Beispiel für die
ten Aktion 1967, seinem Leben durch einen Sprung Kriegsfotografie?
vom Balkon seiner Wohnung ein Ende gesetzt. Dieser Mit Luigi Hoffenreich, dem erwâhnten Illustrierten-
Selbstmord hat offensichtlich dazu beigetragen, die Fo­ Fotografen, der fast aile Aktionen fotografiert hat, gab
tos als tôdliche ’Selbstkastration’ aufzufassen. es in den 60er Jahren immer Streit, wer im Besitz der
Kehren wir aus diesem kunsthistorischen Diskurs Rechte war, wem die Fotos gehôrten, wer bei Verôffent-
zurück zur Fotografie und fragen uns: was kônnen wir lichungen Geld erhielte etc.
daraus fur die Parameter der Fotografie ermessen? Luigi hatte offensichtlich jenes klassische Schéma
Einen Aspekt davon habe ich als Théorie des Foto- im Kopf, das wir beim Unfall und beim rituellen Tanz
Fake 1980 in Graz beim zweiten Symposion über Foto­ kennengelernt haben, wo der dokumentierende Foto­
grafie dargestellt. Das ist die Théorie, daB die Fotogra­ graf als Autor gilt, also er im Besitz der Rechte ist und
fie aufgrund ihrer vollendeten Simulationsmôglichkei- bei Verôffentlichungen das Geld erhâlt. Wir Künstler
ten tauschend echt vorstellen und darstellen kann, aber hingegen sagten, wir machen ja die Aktion, ohne die es
nicht selbst Wirklichkeit abbildet. gar keine Fotos gâbe, also sind wir die Autoren und
Nun wollen wir einen anderen wichtigen Aspekt die­ Urheber, die Inhaber der Rechte und erhalten wir das
ser Théorie untersuchen, den Aspekt des Autors und Geld. Das Ergebnis war ewiger Streit. Einige Sammler
der Autonomie in der Fotografie. und Galeristen haben Hoffenreich Teile seiner riesigen
Würden wir nâmlich auf die klassische Weise an die Sammlung von Negativen abgekauft, nach seinem Tod
fotografischen Dokumente der Aktionen herangehen, zur Gânze von seiner Frau. Die Künstler schauten
so wie es bei Verkehrsunfâllen und ethnografischen Ex- durch die Finger und gingen leer aus. In unserem Streit
kursionen der Fall ist, kamen Brus, Nitsch, Mühl, wurde also die Umkehrung der Verhâltnisse bei der
Schwarzkogler als Autoren und Fotokünstler gar nicht Dokumentar- und Aktionsfotografie personalisiert. In
in Betracht. Nehmen wir uns folgendes Schéma vor. der Dokumentarfotografie zâhlt der Fotograf ailes, in
Bei einem Unfall gibt es eine Person, die den Unfall der Kunst- und Aktionsfotografie zâhlt der Fotograf als
(freiwillig oder unfreiwillig) herstellt, nennen wir ihn Autor nichts. Genausowenig wie bei dem Unfall das
den Inszenator oder Verursacher. Dann gibt es eine Opfer oder im Krieg der Soldat.
Person, die den Unfall aufnimmt und festhâlt, nein, ich Die Position des Künstlers, die uns legitim und be-
meine nicht den Polizeibeamten, sondern den Fotogra­ rechtigt erscheint, kônnte aber Folgen haben. Der Au-
fen. Desgleichen beim rituellen Tanz sogenannter Na- toraser kônnte sagen, ohne mich kein Autowrack, kein
turvôlker. Eine Gruppe von ”Wilden” inszeniert einen Unfall, keine Toten, also bin ich der Künstler und
Tanz für den Touristen oder Forscher, der diesen Tanz Urheber des Fotos, also erhalte ich bei einer Verôffent-
dann fotografiert. In beiden Fâllen wird klarerweise der lichung das Geld. Das Gleiche kônnten auch die Volks-
Autor des Fotos der Fotograf sein, obwohl er offen­ stâmme sagen, wobei hier das Argument, daB der Au-
sichtlich nicht der Urheber, Inszenator bzw. Verursa­ tofahrer nicht bewuBt inszeniert, bei den rituellen
cher ist. In den ethnografischen Büchern steht aber Stammestânzern nicht gilt. Diese Tânzer inszenieren
dennoch der Nam e des Fotografen unter dem Foto und ihre Kôrpermotorik genauso für die Kamera wie Arnulf
nicht der Name des Einheimischen, der das Sujet zu Rainer fur Herm Prinzjakowitsch. So heiBt nâmlich der
diesem Foto gelieferthat Ja, es gibtsogarPrachtbânde, Wiener Fotograf, der Arnulf Rainers Gesichtsgrimas-
die dem Ethno- und Expeditionsfotografen gewidmet sen und Kôrperposen in fotografischen Bildnissen fest­
sind. Auch in der Zeitung werden wir unter dem hâlt, der aber nirgends erwâhnt wird. Warum wird aber
Unfallfoto nicht den Namen des bedauemswerten dann auch der Ethnofotograf nicht zur Kenntnis ge-
Opfers oder des Schuldigen finden, sondern den Na­ nommen und der Name des Ritualtânzers als Autor des
men des Fotografen, obwohl auch dieser ohne Schuldi­ Fotos angegeben? Und wie ist es mit dem Polizeifoto-
gen weder Opfer noch Foto hâtte. In beiden Fâllen gilt grafen?
ganz zweifelsohne das Primat des Fotografen als Urhe­ Herr Rainer braucht den Fotografen, den Anderen,
ber und Autor, obwohl eindeutig das Abzubildende, den Spiegel konstitutiv, ohne ihn gâbe es sein Werk
der Gegenstand des Fotos, nicht vom Fotografen selbst nicht. Er kônnte nicht mit Selbstportrâts arbeiten, weil
stammt. Bei der Aktion handeltes sich um diegleichen er nicht dauernd zwischen Akteur und Beobachter,
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zwischerï Artist und Apparat pendeln kônnte. Er müBte zweitens macht die Kamera selbst schon von sich aus
sich ja zur gleichen Zeit in Akteur und Zuschauer ver- sehr viel, so daB man eigentlich nicht sagen kann: ich
wandeln, was seine zustandsgebundene Kunst der Mo- mâche ein Foto, so wenig man sagen kann: ”ich fahre
torik nicht erlaubt. Seine kôrperliche Motorik würde Auto”, denn wie das Wort Automobil schon sagt, fâhrt
durch den Kameramotor gebremst werden. Warum das Auto von selbst, automatisch, wie man sagt, denn
also sind dann die Gesiçhtsbemühungen Rainers hô- es ist selbst-beweglich (auto-mobil), Nicht wir fahren
her zu werten als der Fingerdruek auf den Fotoapparat das Auto, sondern das Auto fâhrt uns. Wir steuem im
von Herrn Prinzjakowitsch? Weil gemâB herrschender glücklichen Normalfall das selbstfahrende Auto. MüB-
Théorie Rainer nicht austauschbar ist, ein Einzelfall, ten wir daher nicht auch darauf verzichten zu sagen, ich
ein Individuum, sogar ein Individuum zur Potenz, mâche ein Foto? Denn wird nicht vielmehr das Foto
namlich ein Künstler ist, hingegen Prinzjakowitsch gemacht? Ist nicht auch der Fotoapparat wie ein Auto
schon austauschbar ist. Was er macht, kônnte jeder ma- und macht das Foto selbst? Ist nicht daher das sich
chen. Prinzjakowitsch ist also eine Art anonymer Ma- selbst machende Foto der Instantfotografie der eigentli­
schine. Gilt aber das gleiche nicht auch cum grano salis che Traum, das eigentliche Wesen der Fotografie? Ha­
wiederum für den Unfall- und Ethnofotografen? ben wir mit dem Automaten, sei er so groB wie im
Kommt es wirklich darauf an, wie der Tanz aufgenom- Bahnhof, daB wir uns hineinsetzen kônnen, oder so
men wird? Macht es Frau Riefenstahl wirklich um so klein, daB er in unserer Hand Platz hat, und der uns
viel besser wie die tausenden Knipser? Sind nicht auch selbsttàtig, automatisch, eben wie das Auto-Mobil ein
die Ethnofotografen aile Prinzjakowitsche? Oder ist gar Foto macht, das Ende der Fotografie erreicht? Kônnen
Herr Prinzjakowitsch besser als die tausend Knipser wir dann wirklich noch sagen ”ich mâche ein Bild”,
und so gut wie Frau Riefenstahl, dann ware er der wenn den GroBteil die Maschine macht? Durch diesen
/^ünstler der Fotos und Arnulf Rainer ein anonymer selbstmachenden Aspekt (selbst heiBt im Griechischen
V-.v^ilder. ’auto’) der fotografischen Prozedur taucht der Begriff
Wenn wir also weder ein noch aus wissen, eins kôn- des Auto-Matischen auf.
nen wir jedoch feststellen, daB wir zwei widersprechen- Das Foto ist nicht nur ein Produkt des künstleri-
de Tendenzen haben, was die Autorenschaft eines Bil- schen Willens, sondern auch der eigengesetzlichen
des anlangt. Einmal gilt der Inszenator vor der Kamera Mechanik des Apparates. Das Foto bedarf einer Appa-
als der eigentliche Urheber des Bildes, dann gilt der ratur, ohne sie erblickt es nicht die Welt. Mit Hilfe die-
Mann hinter der Kamera als der eigentliche Urheber ser Apparatur mâche ”ich” dann ein Foto. Der fotogra-
des Bildes. Um den Fall noch komplizierter zu ma- fische Apparat, die fotografische Bildapparatur ist aber
chen, nàmlich so wie er ist: Beim Aktionismus trennt ein Auto-Mat, der vieles selbst macht, wie das Wort au­
sich der Autor vom Urheber. Urheber im Sinne von co­ to (selbst) schon sagt. Die Fotografie als Auto-Mat,
pyright ist Ludwig Hoffenreich, Autor ist der Aktionist. selbsttatige Maschine, als bildherstellende Apparatur
Diese Kontroversen der fotografischen Autoren­ triumphiert im Polaroid. In diesem Triumph hôren wir
schaft haben ofTensichtlich mit dem Bereich zu tun, in aber die eigentliche Stimme der Fotografie.
dem sie auftreten. Für die Autorenschaft gelten offen- Da fur das fotografische Bildnis das künstlerische Ich
sichtlich im Bereich der Kunst andere Gesetze. Das eine Apparatur benôtigt, ist die Macht des Ichs einge-
bringt die Fotografie in die Klemme und um ihre Wir- schrânkt. Das Ich lauft auf in der Fotografie, auf der
kung. Die Fotografie bringt namlich eine neue Defini- Apparatur. So wie Arnulf Rainer Prinzjakowitsch
t:on des Autors ins Spiel, die sich mit der klassischen braucht, braucht jedes Ich eine Apparatur für die Her-
(^finition des Künstlers nicht vertrâgt. Der Autor als stellung eines Fotos. Wenn Prinzjakowitsch im Kunst-
Künstler ist stets schôpferisch, ein allesschaffender betrieb aus Rainers Kunst getilgt wird, dann geht es dar-
Gott. Der Fotograf als Autor und Künstler ist auch re- um, mit ihm die Apparatur zu tilgen. Man môchte so
produzierend. Die historisch fortgeschrittene Position tun, als wâren Rainers Bilder ohne Apparatur entstan-
des inszenierenden Fotografen, der sowohl hinter der den, als wâren sie freie Schôpfungen eines künstleri-
Kamera steht wie auch vor der Kamera ailes tut und schen Ichs. Man môchte Arnulf Rainers Fotografien
aufbaut, scheint im Moment der einzige Ausweg aus vom erniedrigenden Geruch der Maschine befreien.
diesem Dilemma zu sein. Er ist namlich Autor und Deswegen fehlt der Name Prinzjakowitsch, es fehlt der
Künstler im klassischen Sinne, wie er amTafelbild stili- Name der Apparatur, der Maschine. Der Kunstmarkt
siert wurde, also auch im Sinne der Fotografie. Aber und der auf ihm zelebrierte Kunstbegriff lôschen bei-
paBt er sich nicht dadurch an die historische Définition des: den Fotografen und die Apparatur. Er lôscht aber
und Position des Künstlers an, gerade die ja die Foto­ damit eigentlich auch die Fotografie. Der kommerziel-
grafie andert? le Instinkt Rainers hat diese Situation klar analysiert,
Ein Bild wird vom Maler wirklich gemacht. Nicht, und deswegen hat Rainer auch nicht lange gefackelt
was es darstellt, ist wirklich. Aber das Darstellende, und ist nach ersten wenigen Erfahrungen im Dezember
ailes am Bild, ist wirklich. Allés liegt in und kommt aus 1969 aus der Automatenkabine des Westbahnhofs aus-
der Hand des Malers, sagen wir fast ailes, ein biBchen gestiegen, weil dort der maschinelle Charakter der Fo­
kommt auch aus der Tube. Beim Foto wird relativ we- tografie zu wenig Esprit des Künstlerischen gezeitigt
nig vom Fotografen gemacht. Erstens ist die Realitat hat, und ist in die Studienfotografie des Herrn Prinzja­
vorgegeben, d.h. die von anderen gemacht wurde, und kowitsch aufgestiegen, den er aber selbst wiederum nur
als anonymen Automaten behandelt. Drittens und ent- 1965, S. 60 und 64).
scheidend ist allerdings die nachtragliche ^rafische Mit dieser Art von Zweckfreiheit und Autonomie der
Bearbeitung des Fotos, die aile Spuren des fotografi- Kunst entstand auch ein Begriff des Autors, der sich mit
schen Apparates und anonymen Automaten beseitigt ahnlich ungebundener Souverànitat und Losgelôstheit
und das Foto in ein wirklich von einem "Künstler” ge- von allem füllte. Wenn das Werk selbst schon zweckfrei
machtes manuelles Bildwerk rückverwandelt. ist, dann gibt es natürlich nichts mehr, unter das sein
DaB Kunst in der Fotografie zum Teil automatisch Schôpfer sich beugen würde. Der Autor als absoluter
und apparativ geschieht, wobei das Automatische wie Souveran im autonomen Kunstwerk. Damit hat sich
auch Anonyme ein Wesenszug der Apparatur ist, aber drittens ein Werkbegriff institutionalisiert, bei dem
eben nicht automatisch im Sinne von Trâumen und ebenfalls ”nichts sich als müBig und überflüssig zeigen
von kôrperlicher Motorik, trübt das Bild des Schôpferi- soll” (Hegel, ebda., S. 29). Im Werkbegriff der organi-
schen. Wegen ihres maschinellen Charakters ist die Fo­ schen Totalité des Kunstwerkes ist aber das Kunstwerk
tografie kein allseitiger Triumph der bürgerlichen Indi­ selbst wiederum in jene Sphâre der Nützlichkeit zu-
vidualité, sondern bezeugt auch die Potenz der Ma- rückgefallen, aus der es stammt. Denn in diesem Werk­
schine. Deswegen kommt der Begriff des Autors in der begriff kann das Kunstwerk nur "individualisiez” und
Fotografie ins Wanken, und deswegen versucht die "sinnlich” uns vor Augen treten, d.h. als manuell von
Kunstfotografie ihre Autonomie zu retten, indem sie einem Individuum gemachtes materielles Ding. Durch
die Fotografen lôscht Wegen dieses Fortschrittes in der seinen Anspruch auf Sinnlichkeit und Individualité
Begriffiichkeit der Individualité jenseits des bürgerli­ verfélt das Kunstwerk insgeheim der materiellen
chen Horizonts, der auf materiellen Gütern aufgebaut Werkssphâre des Bürgertums.
ist, welchen Fortschritt uns die Fotografie vorfuhrt, Die Autonomiesetzung der Kunst, die mit dem Auf-
weil wir ihr ihn zum Teil auch verdanken, gerade we­ stieg des Bürgertums vorgetragen wird, das sich einen
gen dieses Wankens des Autorenbegrilfs, wird die Fo­ von den Zwângen der Zweckrationalité abgehobenen
tografie vom Kunstmarkt nicht als Kunst akzeptiert, da Lebensbereich schaffen muB, den Ort der Kunst, um
der Kunstmarkt auf dem bürgerlichen Warengesetz be- nicht im Druck eines geschlossenen totalitaren Sy­
gründet ist, wohingegen die Fotografie die Bewegung stems zu kollabieren, wird auch auf den Künstler selbst
von der Copyright-Gesellschaft zur Xeroxcopy-Gesell- übertragen. Wenn der Sinn des Sozialsystems allein
schaft verstarkt. aus dem Profit definiert wird, muB es etwas geben, das
Der Autorenbegriff, der solcherart durch die Repro- sinnlos sein darf, die Kunst. Analog: wenn aile Bürger
duzierbarkeit transformiert wurde, ist zusammen mit dem ArbeitsprozeB vollkommen unterworfen werden,
der Autonomiesetzung der Kunst im 19. Jahrhundert muB es etwas geben, das sich frei entfalten kann, den
entstanden. Die bürgerliche Gesellschaft hat in der Künstler in der freien Kunst. Wenn die Gesellschaft
Àsthetik des deutschen Idealismus ihre Entsprechung insgesamt unfrei wird, ist die Kunst die Allégorie der
gefunden. Peter Bürger schreibt zurecht: "Gerade der Freiheit.
Widerstand gegen das in der entstehenden bürgerli­ Als Erbe aller fortschrittlichen Kunstbewegungen
chen Gesellschaft aile Bereiche des Lebens beherr- des 20. Jahrhunderts (Futurismus, Dadaismus, Surrea-
schende Prinzip der Nützlichkeit machtnun das Kunst- lismus etc.) betreibt die Fotografie eine fundamentale
werk aus, das als zweckfreies Gebilde bestimmt wird.” Kritikan der Autonomie der Kunst und am Autorenbe­
(Autonomie, Engagement, Aktion, in: Sprachkunst, 2. griff als Garant dieser Autonomie, indem sie die ma­
Halbband, Wien 1984, S. 330). Die Bestimmung des schinellen Einschrânkungen und Bedingungen unab-
Kunstwerkes als zweckfreies Gebilde gerade innerhalb weisbar vorfuhrt, Sie kann auch nicht anders. Denn der
einer Gesellschaft, die insgesamt am Prinzip der totalitare Aspekt der bürgerlichen Gesellschaft und der
Zweck-Rationalité (Nützlichkeit) orientiert war, hat gegenwartigen Parteiendemokratie widerspiegelt sich
die religiôse Bestimmung des Kunstwerkes in dem Mo­ trotz aller Autonomie-Deklarationen im Kunstwerk
ment abgelôst, als die Religion an Legitimitéskraft und selbst, in der Forderung nach der organischen Werk-
an Wirkung als Herrschaftsinstrument verloren hat. einheit, nach der organischen Totalitat, wie sie am be-
Besonders Hegels Àsthetik hat die Zweckgebunden- sten das Tafelbild erfüllt. Kunst ist selten ein archimedi-
heit, ja sogar die Belehrung durch das Kunstwerk abge- scher Punkt auBerhalb der Welt, sondern insgesamt
lehnt, denn durch sie wird ”die Natur des Kunstwerks Teil der Gesellschaft. Daher ist auch die gesteuerte
selbst entstellt. Denn das Kunstwerk soll einen Inhalt Wiederauferstehung der Malerei nicht nur eine àstheti-
nicht in seiner Allgemeinheit als solchen, sondern die- sche Débatte, sondern auch einepolitische, deren Kurs
se Allgemeinheit schlechthin individualisiez, sinnlich gerade in der Erfüllung eines traditionellen Begrifflich-
vereinzelt vor die Anschauung stellen. (...) Das Schiefe keit zu erkennen ist.
liegt hier darin, daB sich das Kunstwerk sodann auf ein Die Fotografie hingegen lôst gerade den klassischen
anderes beziehen soll, das als das Wesentliche, Seinsol- Werkbegriff auf. Sie lôst den Knoten der organischen
lende für das BewuBtsein hingestellt ist, so daB nun das Totalitat, indem in ihr die Begriffe wie Autor, Urheber
Kunstwerk nur als ein nützliches Werkzeug (!) zur Réa­ etc. sich auflôsen. Das Werkganze zerfélt in Teile, in ei-
lisation dieses auBerhalb des Kunstbereichs selbstan- gene und fremde. Mit ihm zerfallen auch Autor und
dig für sich geltenden Zwecks Gültigkeit haben wür- Autonomie. Denn Autor und Autonomie sind begriff-
de.” (G.W.F. Hegel, Àsthetik, Band I, Berlin-Weimar lich aneinander gebunden in der Kette der Signifikan-
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ten, Die Fotografie ist per se Kritik der Autonomieset- ner Aktionismus und in verwandten Kunstformen,
zung der Kunst wie am klassischen, am Tafelbild her- eben der künstleriscben Ereignisfotografie. Die Nen-
ausgebildeten Autorenbegriff. So wie die Autorenfoto- nung des Fotografen würde in Erinnerung bringen, daB
grafle den Begriff des Au tors auf falsche Weise noch das Kunstwerk nicht vom Künstler allein gemacht ist,
einmal retten môchte, so die Kunstfotografie den Auto- nicht souverân, sondem mit Hilfe einer Maschine. Der
nomie-Status der Kunst. In beiden Fâllen zeugen je- Makel des Maschinellen und Anonymen würde am
doch die gezeigten Widerspriiche und Lügen von der Kunstwerk haften, der aber getilgt werden kann, indem
Unmôglichkeit dieses Unterfangens. man den Fotografen nicht nennt. Die gesamte Kunstfo-
Der Fotoapparat ist nun mal eine Maschine, ein Au- tografie leidet unter dieser uneigentlichen Autoren-
tomat, auch wenn er klein und handlich ist. Die Kette - schaft, an dieser unausgesprochenen Verdrângung,
Apparat, Automat -, die wir aufgezeigt haben, endet im welche die aufsteigende Kette Apparat, Automat, Ano-
Anonymat. Anonymitât ist als Signifikat in die Maschi- nymat als Signifikanten der Fotografie lôschen môchte.
ne, in den Automaten inskribiert. Die Fotografie steht Es gibt klarerweise konservative Lôsungen dieses
nicht im Zeichen des Autors und der Autonomie (im Problems. Als um die Jahrhundertwende der Versuch
klassischen Sinne, versteht sich), sondern im Zeichen gemacht wurde, die Fotografie der Malerei anzunà-
des Anonymats. Deswegen bleibt der Fotograf Prinzj a- hern, um ihren Kunststatus zu behaupten (durch Bear-
kowitsch in der Kunstfotografie Arnulf Rainers ano- beitung des Negativs und bestimmte Druckverfahren
nym, genauso wie Ludwig Hoffenreich in der Kunstfo- pictoriale Efîekte zu erzeugen), ging es eben darum,
tografie Rudolf Schwarzkoglers. Weil der Fotograf von den maschinellen Aspekt der Fotografie zu verdrangen
vornherein, im Lichte der bürgerlichen Sicht der und der Fotografie einen touch des Handgemachten zu
Kunst, ohnehin nicht vorhanden ist, passiert es, daB verleihen. Die emphatische Betonung des Handge-
man die Werke/Fotografien Schwarzkoglers als von machten hâltja bis heute an. Kaum ein Kunstfotograf
jim gemacht betrachtet. Man sieht sieja nicht als Foto- getraut sich zuzugeben, daB er seine Fotos nicht selbst
grafien, die von irgendjemandem gemacht sein kônn- entwickelt, sondern von einem Labor industriell aus-
ten und auch mit irgendjemandem, sondern man sieht führen laBt. Denn das vom Fotografen entwickelte Fo-
sie als Tafelbilder, und die sind ja per definitionem vom to erinnert zumindest noch aus der Ferne an das vom
Künstler selbst gemacht. Denn wenn der Staatsbürger Maler selbst gemachte Bild. ”Handgemachf ’ ist seit da-
nur mehr ein statistischer Faktor fur die Logistik des mais und noch immer das Zauberwort, mit dem das
Militars oder das Nationalbudget ist, dann muB es zu- Schôpferische, das Ich, der Autor, die Autonomie, die
mindest fiktiv noch einen Ort der Individualitât, Souve- Kunst noch einmal gerettet werden sollen in der dürfti-
rânitat und Autonomie geben. Diese Funktion über- gen Zeit der technisch/maschinellen Reproduzierbar-
nimmt die Kunst. Die Kunst darf also nicht ein Terrain keit, insbesondere fur den Markt, für Auktionen und
der Anonymitat sein, sondern muB Hort der Individua- Sammler.
litat bleiben. Die Autorenfotografie, wie der Name schon sagt, be-
Der Skandal der Fotografie besteht nun darin, diese tont die Rolle des Autors im fotografischen ProzeB,
Fiktion zu entlarven, daB Kunst der Ort einer einzigarti- aber ebenfalls auf der angedeuteten Linie des Glaubens
gen Individualitat sei. Individualitat im bürgerlichen an die hand- und der eigens mit Hand abgezogenen Bil-
Sinne. Wahrscheinlich kann der Einzelne noch Werke der. Die Théorie der Autorenfotografie ist ein Echo der
schaffen, die einzigartig sind (aber kann er wirklich Autorentheorie im Film. André Bazin und Alexandre
ohne Tradition auskommen?). Doch die Rolle, welche Astruc haben Ende der 50er Jahre ”la politique des
die Gesellschaft dann seinem Werk zuweist, nâmlich auteurs” enunziert und nach stilistischen Konstanten
Jymptomatisch für den Zustand zu sein, daB in dieser im Werk von Filmregisseuren gesucht, welche unter
Gesellschaft jeder seine individuelle Einzigartigkeit industriellen, anonymisierenden, fabrikâhnlichen Be-
verwirklichen kônne, ist das Trügerische. Vor allem dingungen zu arbeiten hatten. Sie entdeckten Hitch-
wenn man sieht, wie sehr diese Gesellschaft innovative cock, Ford, Hawks und andere. Dieses Kino der Auto-
Kunst, besonders im Bereich- der Medien Foto, Film, ren war die Grundlage fur die Filme von Godard, Truf-
Video, Digital unterdrückt. Der Skandal der Fotografie faut, Chabrol etc. Ende der 60er Jahre gelangte diese
liegt nicht in dem, was sie zeigt, sondern wie sie zeigt. Autoren-Theorie auch nach Amerika und Deutsch-
Die Fotografie zeigt nâmlich die Bedingungen der zeit- land, wo sie wie immer auch verzerrt bis heute wirkt,
genossischen Individualitat und Souverânitât, nâmlich siehe ”Filmverlag der Autoren”. Klaus Honnef über-
seine Konditionierung und ”Mitrealitât” (M. Bense) trug wiederum zehn Jahre spater diese Théorie auf die
durch die Glieder Apparatur, Automat, Anonymat. Fotografie und verôfîentlichte 1979 seine ”Thesen zur
Deswegen wird Fotografie als künstlerisches Medium Autorenfotografie”. Doch wie im Film die Konstanz
noch immer abgelehnt, weil ja Kunst per definitionem der stilistischen Elemente nicht ausreichte, um den
gerade das Gegenteil sein soll von dem, was die Foto- Anspruch auf Autonomie des Autors bei einem kolla-
grafie bezeugt, nâmlich eingeschrânkte Autonomie borativ hergestellten Werk zu gewâhrleisten - die Fil-
und Freiheit. Wegen dieses Widerspruchs und Ein- me von Truffaut und Chabrol wurden ja zunehmend
spruchs kommt es zu der ungeheuren Verdrângung zu anonymen industriellen Produktionen - , so landete
und Verleugnung der fotografischen Erfahrung im Fal- auch die Autorenfotografie bald im Aus der Aporien.
le Rudolf Schwarzkoglers und der Fotografie im Wie- Die Autorenfotografen sehen zwar ein, daB der Fo-

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toapparat eine Maschine ist, aber sie behandeln ihn als der Realitat bei Dadaismus und Surrealismus), sei es/
ein künstliches Organ, als Prothèse der Hand .und des als Werk in der Konzeptkunst. Denn die Fotografie hat '1
Auges. Sie reduzieren das Apparative an der Prothèse âsthetische Strategien entwickelt, zum Beispiel die Fo- -
und forcieren das Menschliche, Hândische an ihr, Sie tomontage, welche Fremdmaterial, gefundenes Mate-
forcieren den Blick, die subjektive Fertigkeit, die Ma- rial, anonymes, industrielles ready rnade Material ins
nu(Hand)-Faktur, die subjektive Einstellung, den ent- Kunstwerk einbrachte, also die Idee einer koharenten
scheidenden Moment, das technische Kônnen als Autorenschaft und Autonomie in Frage stellte, ebenso
Triumph über die Maschine etc., ailes Signifikanten wie die Idee einer koharenten organischen Werkein-
der Subjektivitat. Insoferne ist klar, daB die Subjektive heit. Denn enthielt das Werk Fremdmaterial, vom
Fotografie der 50er Jahre die Autorenfotografie schon Künstler nicht gemachtes Material, war dann das Werk
vorwegnahm im Versuch, das Ich in der Fotografie zu noch ein Produkt des Künstlers zu nennen? Wie Sie
retten. wissen, hat einer der Fotografen, deren Fotos Robert
Die medienanalytische Kunstfotografie der spâten Rauschenberg fur seine Siebdrucke verwendete, ge-
60er und frühen 70er Jahre hingegen hat das Apparati­ klagt und gerichtlich recht bekommen, d.h. eine finan-
ve betont, ja sogar die Eigenschaften der Foto-Appara- zielle Beteiligung beim Verkauf des Werkes erwirkt.
tur wie Focus, Tiefenscharfe, Blende etc. zu den Vor- Was ist dann mit den ikonografischen Fotografien von
aussetzungen ihrer Kunst gemacht und demonstrativ Elvis Presley, Marilyn Monroe und Elizabeth Taylor,
zur Schau gestellt. Hier sind also die Wurzeln einer deren ikonografisches Aussehen ja keineswegs auf
künftigen Autorentheorié zu sehen, weil sie das Appa­ Warhol zurückgeht, sondern eben von diesen Fotogra­
rative, das eigentlich Fotografische, nicht leugnet. fien geschaffen wurde, und deren sich Warhol ja nur be-
Denn ”die Kraft und die Herrlichkeit der Fotografie” dient. Hier gibt es keine organische Werkeinheit mehr.
(um einen Slogan aus Graz, dem ôsterreichischen Ort Hier gibt es zuviel Fremdmaterial, als daB man noch
der Autorenfotografie zu paraphrasieren) liegen ja dar- ruhigen Gewissens vom eigenen Werk eines indivi-
in, daB sie sich einer Maschine bedienen, welche die duellen Autors sprechen kônnte, von einem autono-
Hand abschafft, die Manufaktur, und einen anderen men Werk eines autonomen Autors. Es ist in diesem
Autorenbegriff ins Spiel bringt. Als Bekenntnis zum Zusammenhang intéressant, darauf zu verweisen, daB
Automat und zum Anonymat lôst sie die bürgerliche im Expressionismus die Fotografie eine wesentlich ge-
Fiktion der Autonomie und des Autors auf. ringere Rolle spielte als bei den genannten Kunstrich-
Wenn Walter Benjamin sich gegen das Schôpferi- tungen. Es praktisch keine ’expressionistische’ Foto­
sche in der Fotografie gewendet hat, dann eben deswe- grafie gibt. In diesem Lichte müBte der gegenwârtige
gen, weil das Schôpferische im Gewand der traditionel- Rekurs der Neo-Expressiven betrachtet werden, um
len Kunst einherschritt, die zu entkleiden ja die Foto­ seinen traditionellen Standort bestimmen zu kônnen.
grafie angetreten ist. Benjamin hat sich gegen das Künstlerische Fotografie heute hat gerade die Aufgabe,
Schôpferische in der Fotografie nicht wirklich ausge- die traditionellen Begriffe des Autors und der Autono­
sprochen, sondern, da es damais nur im Sinne der ma- mie in Frage zu stellen. Sie folgt hiermit dem Rationa-
lerischen Kunstfotografie auftrat, gegen die maleri- len der Avantgarde. Denn vom Tod des Autors ist ja in
schen Imitationen des Schôpferischen in der Fotogra­ der Literatur schon seit langem die Rede, denn bevor
fie. Sein Bekenntnis zum Kunstwerk im Zeitalter der sechs Personen ihn zu suchen begannen (Pirandello),
technischen Reproduzierbarkeit, seine Absage an die muB er ja vorher verschwunden sein. Von Paul Valéiy
Aura bedeuteten ja auch Absage an Autonomie und bis Ezra Pound wird an der Relativierung des auktoria-
Autorenschaft im alten Sinne. Er lehnte die schôpferi­ len Autors gearbeitet, an einer mehrstimmigen, polyva-
sche Kunstfotografie ab, weil solcherart die Fotografie lenten Dichtung. Schon 1932 hat Karl Jaspers in ”Die
insgesamt, statt die Kunst vom Thron zu stoBen, sich geistige Situation der Zeit” über den Autor gesagt: ”...
selbst inthronisierte. Als Reaktion auf die Industriali- unaufhebbare Anonymitat ist sein Zeichen” (S. 159).
sierung unserer Gesellschaft ist eine handgearbeitete Die Eigendynamik des Materials, sei es der Sprache
Fotografie und eine darauf aufbauende schôpferische oder der Farbe, hat die Macht des schôpferischen Ichs
Autorenfotografie eine reaktionâre Lôsung, welche beschrânkt und die Autoritat des Autors geschwacht,
sich an alte Autonomie-Vorstellungen anpaBt und bür­ soweit, daB Malewitsch sagen konnte: ”Die Kunst ist
gerliche Fiktionen aufrecht erhâlt. lângst überlebt, und der Künstler ist ein Vorurteil der
Angriffe auf den falschen Autonomie-Status der Vergangenheit.” Wenn Valéry gesagt hat, ”das Werk
Kunst und seines Komplizen, den Autor, kennzeich- des Geistes existiert nur im Vollzug”, so hat er damit ei­
nen fast aile Avantgardebewegungen des 20. Jahrhun- ner non-materiellen prozessualen und non-objektua-
derts wie Futurismus, Dadaismus, Surrealismus, Hap­ len Définition des Werkes und des Autors das Wort ge-
pening, Concept Kunst etc. (siehe den Essay ”Jeder redet. Wenn Sol LeWitt seine Wall Drawings von ande­
kein Künstler” von F. Ph. Ingold, in: Neue Rundschau, ren ausführen lâBt und Joseph Kosuth seine Néon
96. Jg., Heft2, Frankfurt am Main 1985, S. 5-23). Des- Pièces von Firmenangestellten, so ist diese Arbeitswei-
halb hat in diesen Kunstbewegungen die Fotografie se mit der künstlerischen Fotografie vergleichbar und
auch eine so groBe Rolle gespielt, sei es als Modell (für als solche nur mehr als Vollzugs-Arbeiten defmierbar.
die Darstellung von Bewegung beim Futurismus), sei Wenn Cindy Sherman nach den Pionierleistungen der
es als Fotomontage (fur die Kritik und Transzendenz feministischen Selbstdarstellungs- und sozialen Roi-
lenfotografie von Valie Export, Ulrike Rosenbach, Ka- sein kann, wo es keine totale Gestaltung gibt. Denn das
tharina Sieverding und anderen die mediale Présenta­ von der Fotografie induzierte Problem ist nicht das
tion des Bildes der Frau auf den Punkt gebracht hat, Kunstwerk als Ware, sondern der durch sie veran-
nàmlich sich selbst in jedem Foto so zu inszenieren schaulichte Subjektverlust, der gleichzeitig auch ein
und zu verwandeln, daB die Künstlerin jeweils einem Realitatsverlust ist. Der orthodoxen Psychoanalyse fol-
anderen Image der Frau gleicht, wie wir es aus Bildillu- gend, kônnen wir sagen, wo kein Ich ist, ist auch keine
strierten, Filmen und Fotozeitschriften kennen, dann Realitât. Ich-Verlust und Realitatsverlust gehen bei psy-
kônnen wir daraus ersehen, daB hier kein autonomes chischen Prozessen Hand in Hand. Aber gerade das ist
Bild des Autors mehr aufrecht erhalten und die Kon- das Problem der Fotografie. Meine Foto-Fake-Theorie
stanz des Ichs als Fiktion demonstriert wird. Sherman hat den Realitatsverlust der Fotografie thematisiert,
stellt in jedem Foto eine andere Person dar, in keinem wâhrend der jetzige Aufsatz den damit verbundenen
Foto ist sie so, wie sie ’wirklich’ ist. Daher muB der Ge- Subjektsverlust behandelt. Genauergesagt: Verlust des
danke aufgegeben werden, daB es sie als natürliche Subjekts der Subjektivitât. Am Schôpferischen in der
1 wirkliche Person gibt. Es gibt sie als Künstlerin und Au- Fotografie hat ja Benjamin moniert, daB es erst einsetzt
torin eben nur in diesen Verkleidungen und wechseln- durch die Subjektivitât des Künstlers und seines sub-
den Identitâlen. Die fiktiven wechselnden Identitaten jektiven Gestaltungswillens. Demnach wâre eine pure
machen ihre Identitat aus, Das Selbstportrât des Autors Dokumentarfotografie nie Kunst, weil keine subjektive
zeigt keinen Autor mehr, sondern nur mehr endlich Gestaltung vorkommt. Aber allein schon die serielle
viele Reprâsentationen, die aus dem kulturellen Code Reproduzierbarkeit des fotografischen Kunstwerks be-
abgeleitet sind. Der Autor ist abwesend, nur seine me- drângt die Idee der Individualitât, die sich im Kunst­
dialen Spiegelbilder sind anwesend. werk ausdrücke. Dabei kommt es eben in der Fotogra­
Die Fotografie setzt also die Tendenz der Avantgar- fie darauf an, das Subjekt des Malers, der für das Tafel-
dekunst nach einer Entgrenzung bürgerlicher Axioma- bild konstitutiv ist, weil die Subjektivitât des Malers die
tik der Kunst fort, zum Beispiel die Aufhebung der Au­ exklusive raison d’etre des Bildes ist, durch eine andere
tonomie als Zweckfreiheit, die Auflôsung des Autors Form der Subjektivitât zu ersetzen, Denn wie gezeigt,
als konstantes Ich. Die Fotografie stellt die traditionel- ist in der Fotografie die Subjektivitât des Künstlers
len Begriffe des Autors und der Autonomie in Frage, nicht allein die raison d’etre, sondern die Maschine
deswegen wird ihr von den traditionellen Künsten auch selbst ist auch ein ontologischer Grund für das Foto.
die Autonomie abgesprochen. Die Fotografie kritisiert Die Maschine als Automat bedingt, daB der Künstler
die Fetischierung des Ichs, die sich darin ausdrückt, nur noch Eingriffe oder Auslôser in ohne ihn ablaufen-
daB - wie im Falle Schwarzkogler erkennbar - ailes auf de automatische Prozesse vornimmt. Insoferne ist die
den Künstler selbst als Urheber zurückgebogen wird. Fotografie eine Kunstform, welche als Form bereits die
Sie kritisiert die Gleichsetzung von Ich - Autor - Auto­ industrielle Massengesellschaft und ihre Ordnung der
nomie - Kunstwerk als bürgerliche a priori Vorausset- Dinge spiegelt. Der Substanzverlust der Wirklichkeit
zung. Dort, wo kein Ich, ist auch kein Kunstwerk, sagt ist also nur Abbildung des Verlustes der totalen Kon-
die klassische Âsthetik, wenn sie diese ihre Vorausset- trolle des Subjekts über die Wirklichkeit. Ein Fabrikbe-
zung überhaupt erkannt hat. Diese Gefahr geht gerade sitzer hatte das Gefühl der totalen Souverânitât und
von der Fotografie aus, zu zeigen, daB es kein Ich gibt, Kontrolle über die Wirklichkeit, da er total über die
zumindest nicht im Sinne des bürgerlichen Staates, wo Produktionsmittel und die Arbeiter verfügen konnte.
dieses Ich nur mit Gewalt und Ausbeutung Anderer Daraus konnte er die Weltanschauung (als Matrix und
realisiert werden konnte. Filter seiner Erfahrung) ableiten, die gesamte Realitât
Nachdem Freud und Lacan die Frage nach der sei seiner Subjektivitât unterworfen, so wie entspre-
Funktion des Ichs auf eine für die bürgerliche Gesell- chend der bürgerliche Künstler vermeinte, das Schôp-
schaft so unerwartete Weise beantwortet haben, nâm- ferische zeige sich darin, indem ihm und seinem sub-
lich als Verlust seiner Autarkie durch die Entdeckung jektiven Willen beim GestaltungsprozeB aile Elemente
der Macht des UnbewuBten, ist es langst notwendig, unterworfen seien.
fî die Frage nach dem Ich auch in der Fotografie zu stel- Dieses Verstândnis von Wirklichkeit ist aufgebro-
len. Ich selbst habe schon 1967 ein ”Selbstportràt als chen worden. In der Fotografie erlebt der Künstler, daB
Anonymus”, ein ”Selbstportrât als Frau”, ein "Selbst­ eben nicht aile Elemente seinem ”Kunstwillen” unter­
portrat als Hund” etc. hergestellt, also fotografische worfen sind. Da aile Kunstformen stets mit Gesell-
Identitâts-Transformationen à la Sherman betrieben. schaftsformen verschrânkt sind, kann man sagen, die
Entgegen der Fetischierung des Ichs in der bürgerli­ Fotografie antizipiert als Kunstform bereits eine Ge-
chen Kunst, die sagt, Ich ist dort, wo totale Gestaltung sellschaftsform, die liberaler ist als die auktoriale des
herrscht, welche Fragwürdigkeit aber schon Marcel Fabrikanten. Der Autor ist also eine Art Abbildung des
Duchamp in einer Reihe von Werken thematisiert hat, Kaufmanns und Fabrikanten. Der von der Moderne
akzeptiert die Fotografie mit Nietzsche das ÀuBerliche eingeleitete ProzeB, ”das schôpferische Ich schrittweise
und Zufallige, das Andere, das Nicht-Ich. Hier ist auch hinter das Selbst des Werks” (F. Ph. Ingold, S. 6) zu-
der Punkt, wo selbst dje inszenierende Fotografie, die rücktreten zu lassen, hat also den ProzeB eingeleitet,
ailes vor der Kamera gestaltet, ins Schwanken gérât. hinter und in dem Werk auch andere Prozesse als nur
Auch sie muB lernen, daB Kunst (ein Ich) auch dort solche der Subjektivitât erkennen zu lassen, nâmlich

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werkimmanente oder soziale. Der Substanzverlust an manente Selbst das Selbst des Künstlers bedrângt, ver-
Wirklichkeit ist also im Grande eher nur ein Verlust des drângt.
SubjektsbegrifFs der bürgerlich konstituierten Subjekti- Das Maschinelle, Automatenhafte und Anonyme
vitat. Die Fotografie dekonstruiert. Sie treibt dadurch der fotografischen Bildkunst wiederholt die Entdek-
den DemokratisierungsprozeB voran, zu einer ich- kung des UnbewuBten. Ist das UnbewuBte als Bedro-
freien Réalisation der Realitat, d.h. zu einer Réalisation hung des bürgerlichen Ichs und seiner Autonomie
der Realitat ohne die Fesseln eines profitorientierten empfunden worden, so wird heute das Automatenhafte
Subjekts und ohne die Diktatur des Interesses, das im der Fotografie als Bedrohung der Kunst und deren Au­
Ich sich bündelt. tonomie empfunden. Doch schon seitlangem muB die
Wenn wir vergessen, daB die Moderne selbst schon Autonomie der Kunst wie die Autonomie des Ichs auf-
die Abschaffimg des Autors gesucht hat, kônnen wir gegeben werden. Die Fotografie übernahm die Rolle
mit amerikanischen Kunsttheoretikem die Fotografie des UnbewuBten. Seit dem Auftreten der Fotografie
als postmoderne Tàtigkeit defmieren und uns dabei auf muB die Kunst die Idee eines künstlerisch autonomen
die Werke von Jack Goldstein, Barbara Kruger, Cindy Ichs aufgeben. Das ist aber nicht als Bedrohung zu
Sherman, Louise Lawler und Sherrie Levine berufen. empfinden, sondera als Befreiung: ichfreie Kunst.
Insbesondere auf Sherrie Levine, da sie ins Zentrum Der ichfreie Mensch, die Dezentralisierung des Au­
der Frage nach dem Autor, nach dem Urheber vor- tors, das subjektlose Kônnen, wie sie im Bekenntnis
stôBt, nàmlich ins Copyright. Levine fotografiert nâm- zur Fotografie als Automat und Anonymat aufschei-
lich nichts anderes als berühmte Fotografien. Ihre nen, bedeuten namlich nicht nur eine Überwindung
unter ihrem Namen ausgestellten Fotos sind fotografi- bürgerlicher Formen der Autonomie und des Autors,
✓ sche Abbildungen bekannter Fotografien. Die Titel sondera bedeuten auch Überwindung bürgerlicher Ge-
( jauten daher ”After Walker Evans” oder ”After Doro- sellschaftsvorstellungen. Die subj ektlose Kunst der Fô-
~ thea Lange” etc. Die Wiedergabe eines berühmten Fo­ tografie ist Vorschein einer anderen Form der Selbst-
tos eines bekannten Autors und diese Abbildung als ei- verwirklichung als die bisherige, die ein Wettstreit der
gene auszugeben, resultiert konsequent aus der The- Diktaturen des Ichs ist. Die Fotografie ist also der Vor­
matisierung jener Überlegungen, die ich zu Beginn diè­ schein einer anderen Gesellschaftsform, befreit von
ses Artikels vorgeführt habe. Levine stellt den Autor den Zwângen des Ichs, von den Verformungen der
und seine Auktorialitat in der Fotografie in Frage, Realitat unter dem Diktat der Interessen des Ichs. DaB
indem sie das Copyright verletzt. Sie verletzt aber das die Fotografie die alten Ideen der Autonomie und des
Copyright nicht, denn in der Fotografie gibt es kein Co­ Autors zerschlâgt, indem im Auto-Mat das Selbst des
pyright, sowenig wie einen Autor. Radikaler noch als Werkes zu Wort kommt, und sich damit selbst aus der
Cindy Sherman, die uns das Verschwinden und die Kunst schlâgt, da die Kunst von der Tradition besetzt
Auflôsung des Autors nur allegorisch vorgeführt hat, ist, dürfen wir nicht als Verlust beklagen, auch nicht als
lôscht Sherrie Levine das Ich in der Fotografie. Das Ich Substanzverlust an Wirklichkeit und als Subjektsver-
in der Fotografie ist durch die Lehre Lacans fixierbar. lust, sondera als Hoffnung bezeichnen, als Hoffnung
Dort ist das Andere der Ort, wo sich jenes Ich konsti- auf neue Môglichkeiten sozialer und individueller For­
tuiert, das spricht - das spricht mit dem, der zuhôrt. Die men, auf neue Formen der Kunst. Werden sie in der
Konstituierung des Ichs durch das Andere ist vergleich- ”Differenz” sichtbar?
bar der Konstituierung des Fotos durch den Automa- ‘Autonomie’ kann also die Fotografie nur gewinnen,
( / +en. Wenn ich sagte, es ist falsch zu sagen: Ich mâche wenn sie sich als Kunst tarnt, wenn sie sich der traditio-
v>—eiri Foto, weil ja das Foto selbst gemacht wird, so ist nellen Kunst anpaBt. So verliertsich aber die Fotografie
dies ein Reflex der Konstituierung des Ichs durch den selbst, denn das Wesen der Fotografie ist die Preisgabe
Topos des Anderen. Ingold hat nicht zufâllig vom der Autonomie, jenes Autonomie-Begriffs, wie ihn die
”Selbst des Werkes” gesprochen, weil das werkim­ traditionelle Kunst ausgebildet hat.

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