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Parteilose Regierung

Unter parteilose Regierung, auch parteifreie Regierung, englisch non party government, versteht man in
demokratischen Systemen eine Regierung, deren Regierungschef parteilos ist, teils auch die gesamte
Regierungsmannschaft (Kabinett). Ebenso kann es sich dabei auch um Regierungen handeln, deren
Mitglieder aus Beamten (Beamtenregierung) und/oder Personen mit besonderer Erfahrung in ihrem
Fachgebiet (Expertenregierung) besteht.

Inhaltsverzeichnis
Funktion einer Regierung ohne Parteipolitik
Beispiele für parteifreie Regierungen
Siehe auch
Literatur
Einzelnachweise

Funktion einer Regierung ohne Parteipolitik


Der Regierungschef kann aus der Beamtenschaft kommen (Beamtenregierung), aber auch Diplomat, Jurist,
aber auch Person etwa der Wirtschaft, Technik und Wissenschaft, dann Technokratie genannt, sein. Typisch
sind solche Regierungen für Zeiten innenpolitischer Spannungen, oder staatsrechtlichen Übergangsphasen.

Es handelt sich meist um „Einigkeitsregierungen“ (Konsensregierungen, überparteiliche Regierungen)[1]


beziehungsweise Übergangsregierungen. Gebildet werden solche Regierungen etwa, wenn nach einer
demokratischen Wahl eine Pattsituation entsteht, und die Parteien sich auf einen neutralen Kandidaten
einigen, oder sonst keine Regierungsbildung zustande kommt, beispielsweise nach mehrfach gescheiterten
Regierungsverhandlungen, und das Staatsoberhaupt keinen Vertreter der Wahlsieger bestimmt. Auch, wenn
parteipolitische Auseinandersetzungen zu innenpolitischen Krisen führen, werden parteilose Regierungen
installiert. Ähnliches findet sich in Zeiten einer Staatswerdung, wenn die parteilichen Angelegenheiten noch
hinter der gemeinsamen Konsolidierung des Staates hintangestellt werden.

Umgekehrt findet sich in der Zeit des beginnenden Parlamentarismus auch das Gegenteil, dass sich ein
Monarch über die bürgerlichen Anliegen hinwegsetzt, und eine Regierung seines Vertrauens etwa aus
Beamtenschaft zusammenstellt (Etatismus). Sonderfälle der parteilosen Regierungen sind auch die
Militärregierungen, die sich ebenfalls abseits der demokratischen Machtverteilung konstituieren.

Von verschiedenen Theoretikern der Politik wurde das Modell der parteifreien Regierung auch als
Staatsmodell angedacht, so Bolingbrokes Idee der Country Party, einer landesweiten Partei, im
18. Jahrhundert.[2]

Beispiele für parteifreie Regierungen


Mitten im Mani-Pulite-Skandal war Italien von einer schweren Staatskrise betroffen, die
etablierten Parteien weitgehend zerfallen. 1993 berief Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro
den damaligen Gouverneur der italienischen Zentralbank, Carlo Ciampi, auf den Posten des
Ministerpräsidenten, und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung. Das Kabinett wurde
primär aus Fachkräften zusammengestellt. Ciampi trat allerdings ein Jahr später wieder
zurück, nachdem Silvio Berlusconi die vorgezogenen Neuwahlen gewonnen hatte. In Italien
werden solche Regierungen governo tecnico (‚technische Regierung‘) genannt: auch die
Kabinette Lamberto Dini von 1996 (nach Berlusconis erstem Fall) und Mario Monti von 2011
sind solcher Art.

Ausführlich auch: Geschichte Italiens: Zerfall der etablierten Parteien (ab 1992),
Privatisierungen (ab 1990) und Kabinett Monti

Die Tschechische Republik hat bereits mehrmals parteifreie Regierungen erlebt: Nach dem
Rücktritt von Václav Klaus leitete der Gouverneur der Tschechischen Staatsbank, Josef
Tošovský, von Januar bis Juli 1998 eine Übergangsregierung. Jan Fischer, Leiter des
Tschechischen Statistischen Amtes, stand nach dem Sturz der Regierung Topolánek II von
Mai 2009 bis Juli 2010 einer überparteilichen Regierung vor. Nach Rücktritt von
Ministerpräsident Petr Nečas am 17. Juni 2013 ernannte Staatspräsident Miloš Zeman
ebenfalls eine parteifreie Regierung unter Jiří Rusnok.
In der griechischen Finanzkrise 2011 wurde mit Loukas Papadimos, dem ehemaligen
Vizepräsidenten der Europäischen Zentralbank, nach dem Rücktritt von Giorgos Andrea
Papandreou November 2011 ein parteiloser Regierungschef einer Übergangsregierung
ernannt, die bis zu den vorgezogenen Neuwahlen 2012 amtierte. Das Kabinett sollte abseits
des Wahlkampfes die Entschuldungsmaßnahmen aufrechterhalten.
In der Frühphase der Ersten Republik Österreich wurde mit Johann Schober, Leiter der
Bundespolizeidirektion Wien, 1921–1922 und 1922 eine Beamtenregierung errichtet. Eine
dritte Bundesregierung Schober amtierte 1929–1930, schon auf den Weg in die
Bürgerkriegswirren der Kämpfe zwischen Schutzbund und Heimwehr und dem
Austrofaschismus.
In der Weimarer Republik, nach Rücktritt Joseph Wirths, bildete Wilhelm Cuno, Direktor der
HAPAG, 1922–1923 ein von einer parlamentarischen Minderheit gestütztes „Kabinett der
Wirtschaft“.
1945, nach Ende des Krieges und noch vor den ersten demokratischen Wahlen, amtierten in
Österreich auf Bundes- wie Landesebene provisorische Regierungen, teils im Sinne einer
Konzentrationsregierung mit allen Parteien (SPÖ, ÖVP, KPÖ), teils als reine
Beamtenregierungen (so Eigl, Verwaltungsjurist, in Oberösterreich).
In der Ungarischen Krise 1905 setzte Franz Josef I. nach der Wahlniederlage der liberalen und
monarchie-loyalen Kräfte eine Regierung unter General Géza Fejérváry ein. Von der
Opposition als „Gendarmenregierung“ angeprangert, kam es zu Ausschreitungen und Streiks,
bis unter Betreiben von Innenminister Jósef Kristóffy April 1906 mit dem Liberalen Sándor
Wekerle, der schon 1892–1895 Ministerpräsident gewesen war, eine demokratisch legitimierte
Konsensregierung gefunden wurde. Anschließend bildete auch Max Wladimir von Beck, Jurist
und Politikberater, im österreichischen Landesteil ein formloses Kabinett deutscher,
tschechischer und polnischer Abgeordneter abseits der Wahlergebnisse, das er
„Ausgleichskonferenz in Permanenz“ nannte. 1906 wurde dann auch in ganz Österreich-
Ungarn das allgemeine gleiche Wahlrecht (aber nur für Männer) eingeführt.
2019 wurde in Österreich mit der Bundesregierung Bierlein eine Beamtenregierung eingesetzt,
nachdem der Nationalrat der Bundesregierung Kurz I infolge des Ibiza-Skandals das
Misstrauen ausgesprochen hatte. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte daraufhin
die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes Brigitte Bierlein mit der Bildung einer Regierung
aus Spitzenbeamten beauftragt, die bis zur Bildung einer neuen Regierung nach der
vorgezogenen Nationalratswahl die Amtsgeschäfte führte.
Siehe auch
Minderheitsregierung
Allparteienregierung
Geschäftsführende Regierung
Übergangsregierung

Literatur
historisch:

Eugen Richter: Selbstverwaltung und Beamtenregierung. Ein Vortrag über die Fehler und
Mängel der neueren preußischen Verwaltungsgesetze, 1878. (Nachdruck Verlag: EOD
Network, 2012, ISBN 978-3-226-00941-5).
Walther Schotte: Die parteifreie Regierung. In: Reich und Staat. Nr. 11, 1932; auch In: Der
Ring. 4. Jg., 19. August 1932.

Einzelnachweise
1. vergl. en:Consensus democracy in der englischsprachigen Wikipedia
2. H. N. Fieldhouse: Bolingbroke and the idea of non-party government. LXXXV. In: History. Vol.
23, >Nr. 89, Juni 1938, S. 41–56, doi:10.1111/j.1468-229X.1938.tb00148.x;
vergl. auch en:Country Party (Britain)

Abgerufen von „https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Parteilose_Regierung&oldid=197970389“

Diese Seite wurde zuletzt am 21. März 2020 um 18:39 Uhr bearbeitet.

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