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Inhaltsverzeichnis

ERSTER TEIL
Kapitel 1 Die erste Begegnung 9

Kapitel 2 Pedro fliegt 18

Kapitel 3 Sorge dich nicht 28

Kapitel 4 Die Polizei 38

Kapitel 5 Von den Ausserirdischen entführt! 50

Kapitel 6 Alles hängt von den Punkten ab 62

Kapitel 7 Unser Raumschiff wird gesichtet 70

ZWEITER TEIL
Kapitel 8 Ofir 83

Kapitel 9 Das Grundgesetz 96

Kapitel 10 Die interplanetarische Bruderschaft 109

Kapitel 11 Unter Wasser 118

Kapitel 12 Das neue Zeitalter 131

Kapitel 13 Eine blaue Prinzessin 140

Kapitel 14 Bis du wiederkommst, Ami! 154


ERSTER TEIL
1. Kapitel

Die erste Begegnung

Alles begann an einem Sommernachmittag in Einem Badeort


am Meer, wohin ich fast jeden Sommer Mit meiner Grossmutter
fahre. Diesmal hatten wir ein Holzhäuschen bekommen mit vielen
Pinien und Eiben im Innenhof und einem Vorgarten voller
Blumen. Es lag nahe am Meer an einem Pfad, der zum Strand
führte. Es waren nur noch wenige Leute da, weil die Badezeit zu
Ende ging. Meine Grossmutter geht gerne in den ersten
Märztagen auf Sommerfrische, weil es dann ruhiger und
ausserdem noch billiger ist, sagt sie.*
Es fing schon an, dunkel zu werden. Ich sass oben auf einem
hohen Felsen am menschenleeren Strand und schaute aufs Meer
hinaus.
Auf einmal sah ich ein rotes Licht am Himmel über
mir. Ich dachte, es wäre ein Feuerwerk oder so eine Rakete, die
man zu Neujahr anzündet. Es kam tiefer und tiefer, während es
die Farben wechselte und Feuer sprühte. Als es noch etwas tiefer
sank, wusste ich, dass es kein Feuerwerk und keine Rakete sein
konnte, weil es immer grösser wurde.
Es war schon so gross wie ein kleines Flugzeug geworden –
oder noch etwas grösser. Ungefähr fünf- zig Meter vor der Küste
sackte es vor meinen Augen ins Meer, ohne einen Ton von sich zu
geben. Ich glaubte,

* Anmerkung des Übers.: Auf der südlichen Erdkugel dauert die Sommerzeit von
Dezember bis März.

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gerade ein Flugzeugunglück beobachtet zu haben, und schaute
angestrengt in den Himmel, ob ich einen Fallschirmspringer
entdecken konnte. Aber da war
keiner. Nichts störte die Stille und Ruhe am Strand. Ich bekam
Angst und wollte loslaufen, um meiner Gross-
mutter davon zu berichten, aber dann beschloss ich,
doch noch ein Weilchen zu warten, ob sich noch etwas ereignete.
Als ich gerade aufbrechen wollte, sah ich
etwas Weisses an der Stelle, wo das Flugzeug – oder
was immer es gewesen sein mochte – abgestürzt war. Jemand
begann, auf die Felsen zuzuschwimmen. Ich
dachte, dass es vielleicht der Pilot sei, der sich beim
Unfall gerettet hatte. Ich wartete darauf, dass er näher kam;
vielleicht konnte ich ihm behilflich sein. Er
schwamm sehr gut, also konnte er sich nicht verletzt
haben.
Bald hatte er die Felsen erreicht und schickte sich an, sie
heraufzusteigen. Er sah mich dabei freundlich an, und jetzt
erkannte ich, dass es ein Junge wie ich war! Ich dachte: muss der
froh sein, dass er gerettet ist, aber er schien die Lage nicht so
dramatisch zu nehm- en. Das erleichterte mich etwas. Als er
neben mir stand, schüttelte er sich das Wasser aus dem Haar und
lächelte mir zu. Jetzt war ich vollkommen beruhigt. Er sah wie ein
netter kleiner Junge aus. Er setzte sich neben mich und tat einen
tiefen Seufzer. Dann fing er an, die Sterne anzuschauen, die hie
und da am Himmel erschienen.
Er war ungefähr so alt wie ich, vielleicht etwas jünger und
auch etwas kleiner. Er hatte einen Piloten-
anzug an, vermutlich aus einem wasserdichten Mate- rial, es war
kein bisschen nass! An den Füssen trug er
weisse Stiefel mit dicken Sohlen. Auf der Brust glänzte ein
goldenes Zeichen: ein Kreis, in dem sich ein Herz

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mit Flügeln befand. Auch der Gürtel war goldfarben und hatte in
der Mitte eine grosse goldene Schnalle; an jeder Seite hing eine
Art Transistorradio.
Ich setzte mich auch wieder. Wir blieben eine Weile stumm.
Da er nichts sage, fragte ich ihn, was
geschehen sei.
„Notlandung“, antwortete er fröhlich.
Er war sympathisch; seine Aussprache war ziem- lich
eigenartig, deshalb dachte ich mir, dass er mit seinem Flugzeug
aus einem fremden Land gekommen sein müsse. Seine Augen
waren gross und gutmütig.
„Was ist mit dem Piloten passiert?“ fragte ich. Ich dachte, da er
ein Kind war, musste der Pilot ein Erwach-
sener sein.
‚‚Nichts. Er sitzt hier neben dir’’, sagte er.
‚‚Ah’’, sagte ich bewundernd. Dieser Junge war wirklich ein
Weltmeister, so alt wie ich und Pilot eines
Flugzeugs! Seine Eltern mussten steinreich sein.
Langsam wurde es Nacht, und mir wurde kalt. Er musste es
bemerkt haben, weil er mich fragte: ,, Ist dir
kalt?’’
,,Ja.’’
,,Die Temperatur ist angenehm’’, sagte er lä- chelnd, und
wirklich, er hatte recht, es war nicht kalt!
,,Stimmt’’, gab ich zu.
Nach einigen Minuten fragte ich ihn, was er nun machen wolle.
,,Meine Mission erfüllen’’, antwortete er und
schaute immerfort in den Himmel.
Ich dachte, das muss wirklich ein ganz besonderer Junge sein,
nicht wie ich ein einfaches Schulkind in den Sommerferien. Er
hatte eine Mission, vielleicht etwas Geheimes. Ich getraute mich
nicht, ihn zu fra- gen, worum es sich handelte.

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,,Tut es dir nicht leid um das Flugzeug?’’
,,Es ist nicht verlorengegangen’’, erwiderte er.
Ich verstand ihn nicht. ,,Es ist nicht verlorengegan- gen? Ist es
nicht vollkommen zerstört?’’
,,Nein.’’
,,Wie kann man es aus dem Wasser holen, um es zu
reparieren, oder kann man es aus dem Wasser holen.’’
,,Oh ja, man kann es aus dem Wasser holen.’’
Dabei schaute er mich freundlich an. ,,Wie heisst du?’’
,,Pedro’’, sagte ich zögernd. Es passte mir nicht ganz, dass er
meine Frage nicht beantwortete.
Anscheinend merkte er, dass ich verstimmt war,
und fand es lustig. ,,Werd’ nicht böse, Pedrito, wird’ nicht böse. –
Wie alt bist du?’’
,,Zehn beinah, und du?’’
Er kicherte leise, wie ein Baby, das gekitzelt wird. Mir kam es
so vor, als bildete er sich etwas darauf ein,
dass er schon Pilot eines Flugzeugs war und ich nicht.
Das gefiel mir nicht. Trotzdem fand ich ihn weiterhin
sympathisch, ich konnte ihm nicht wirklich böse sein.
,, Ich bin älter, als du mir glauben würdest’’, meinte er
lächelnd. Dann zog er aus einer seiner Seitenta- schen den
Apparat heraus, der wie ein Transistorradio
aussah. Es war eine Art Taschenrechner. Er schaltete ihn ein, und
es erschienen Leuchtzeichen, die ich nicht deuten konnte. Er
stellte ein paar Berechnungen an,
doch als er die Antwort sah, sagte er lachend: ,, nein, nein, du
würdest es mir doch nicht glauben, wenn ich es dir sagte.’’
Es war inzwischen Nacht geworden, und ein herr- licher
Vollmond war aufgegangen, der den ganzen
Strand in Licht tauchte. Ich schaute mir das Gesicht
meines Nachbarn genau an. Er konnte nicht älter sein als acht
Jahre, und trotzdem war er der Pilot eines

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Flugzeugs. Vielleicht war er doch älter, oder er war ein Zwerg.
,, Glaubst du an die Ausserirdischen?’’ fragte er mich auf
einmal. Ich konnte nicht so schnell antwor-
ten. Er sah mich mit seinen leuchtenden Augen an; es war, als
spiegelten sich die Sterne in seinen Pupillen. Er war zu schön,
um nicht etwas ganz Aussergewöhnli-
ches zu sein. Ich dachte an das in Flammen stehende Flugzeug, an
sein Erscheinen, seine Aussprache, sei- nen Anzug, an den
Rechner mit den komischen Zei-
chen und daran, dass er ein Kind war, und Kinder flie- gen
bekanntlich keine Flugzeuge!
,, Bist du denn ein Ausserirdischer?’’ Meine Stimme
zitterte ein wenig.
,, Und wenn ich es wäre, würde es dir Angst machen?’’
Da wusste ich, dass er wirklich aus einer anderen Welt kam.
Obwohl er mich in diesem Augenblick ganz lieb ansah, war ich
keineswegs beruhigt. Ich fragte be-
klommmen:,, Bist du böse?’’
Er lachte belustigt. ,, Vielleicht bist du ein bisschen böser als
ich.’’
,,Warum denn das?’’
,, Weil du ein Erdenbewohner bist.’’
,, Und du bist wirklich ein Ausserirdischer?’’
,, Hab keine Angst’’, beruhigte er mich lächelnd. Er zeigte
hinauf zu den Sternen. ,, Dieses Universum ist
voller Leben. Es gibt Millionen und Abermillionen von
bewohnten Planeten; dort oben leben viele gute Wesen.’’
Seine Worte hatten eine eigenartige Wirkung auf mich.
Während er sprach, konnte ich diese Millionen
von bewohnten Welten voller guter Wesen tatsächlich vor mir
sehen! Auf einmal hatte ich keine Angst mehr.

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Ich beschloss, es einfach hinzunehmen, dass er ein Wesen aus
einer anderen Welt war. Er schien freund- lich zu sein und ganz
harmlos.
,, Warum sagst du, dass wir Erdenbewohner böse sind?’’
Er schaute unentwegt in den Himmel und
schwärmte: ,, Wie herrlich ist das Firmament von der Erde aus!
Diese Atmosphäre gibt ihm Glanz, Farbe…’’
Schon wieder hatte er meine Frage nicht beant-
wortet! Das passte mir nicht. Wer hat es schon gern, wenn jemand
ihm sagt, er sei böse! Ich bin es nämlich
nicht, ganz im Gegenteil. Früher wollte ich Forscher
werden, wenn ich gross sein würde, und in meinen freien Stunden
Jagd auf böse Leute machen!
,, Dort in den Plejaden gibt es eine wunderbare
Zivilisation…’’
,, Wir sind nicht alle böse hier. Ich sagte: nicht alle sind böse
hier! Warum hast du gesagt, dass alle Erden- bewohner böse
sind??’’
,, Das habe ich nicht gesagt’’, antwortete er sanft und schaute
unaufhörlich in den Himmel. Seine Augen
glänzten. ,, Das ist ein Wunder!’’
,, Doch, das hast du gesagt!’’ Meine Stimme war etwas lauter
geworden, und so riss ich ihn endlich aus
seinen Träumen. Er hatte genauso ausgesehen wie
meine Cousine, wenn sie das Foto ihres Lieblingssän- gers
betrachtet; sie ist nämlich verliebt in ihn.
Er sah mich aufmerksam an, aber er schien nicht
verärgert zu sein. ,, Ich wollte sagen, dass die Erdenbe- wohner
meistens weniger gut sind als die Bewohner
anderer Welten im All.’’
,, Siehst du, du hast gesagt, dass wir die aller- schlechtesten im
Weltall sind!’’
Er lachte wieder und strich mir übers Haar, wäh-

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rend er sagte: ,,Das wollte ich auch nicht sagen.’’
Das gefiel mir noch weniger. Heftig drehte ich den Kopf zur
Seite. Ich werde nicht gern für dumm gehal- ten, weil ich nicht
dumm bin. Ich bin einer der Besten in meiner Klasse und werde
bald zehn Jahre alt sein.
,, Wenn dieser Planet so böse ist, was tust du dann hier?’’
,, Hast du gesehen, wie sich der Mond im Meer spiegelt?’’
Wieder überhörte er meine Worte und wechselte einfach das
Thema!
,, Bist du gekommen, um mir zu sagen, ich soll mir ansehen,
wie sich der Mond im Meer spiegelt?’’
,,Vielleicht. – Hast du gemerkt, dass wir im Univer-
sum schweben?’’
Als er das sagte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: der
Junge war verrückt. Ganz klar! Er glaubte,
ein Ausserirdischer zu sein, deshalb redete er solch komisches
Zeug! Ich hatte genug von ihm. Wie konnte ich auch nur einen
Augenblick lang seine phantasti-
schen Geschichten ernstnehmen! Er hatte sich ganz einfach einen
Spass mit mir erlaubt. Ein Ausserirdi-
scher! Und ich hatte ihm geglaubt!! Ich schämte mich und war
wütend auf ihn und auf mich selbst. Am lieb-
sten hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst!
,,Warum? – sind meiner Ohren denn so hässlich?’’
Ich starrte ihn entgeistert an. Anscheinend hatte
er meine Gedanken gelesen! Er strahlte mich an. Ob- wohl ich
anfing, mich zu fürchten, wollte ich nicht klein beigeben. Das war
sicher nur reiner Zufall. Zufällig hatte er etwas gesagt, was ich
gerade dachte. Ich tat
so, als wäre ich kein bisschen überrascht. Vielleicht war es doch
wahr, vielleicht hatte ich ein Wesen aus einer anderen Welt vor
mir, eine Ausserirdischen, der Ge- danken lesen konnte. Ich
musste es herausfinden.

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So beschloss ich, ihn auf die Probe zu stellen. ,,Was denke ich
jetzt?’’ fragte ich und stellte mir eine Ge- burtstagstorte vor.
,, Hast du noch nicht genug Beweise?’’ fragte er, doch ich wich
keinen Millimeter zurück. ,,Welche
Beweise?’’
Er streckte seine Beine aus und stützte die Ellbo- gen auf dem
Felsen auf. ,, Schau, Pedrito, es gibt an-
dere Wirklichkeiten, andere feinstoffliche Welten mit
feinen Türen für feine Intelligenzen…’’
,, Was heisst: feinstofflich?’’
Er lachte: ,,Also, mit wie vielen Kerzen?’’
Auf einmal war mir ganz flau im Magen. Am lieb- sten hätte
ich geweint, so dumm und ungeschickt
fühlte ich mich. Ich bat ihn um Verzeihung, aber er
hatte mir gar nichts übelgenommen. Er lachte nur.
Ich beschloss, nicht mehr an ihm zu zweifeln.

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2. Kapitel

Pedro fliegt

,, Komm mit mir nach Hause’’, bot ich Ami an. Es wurde
langsam spät für mich.
Er machte eine abwehrende Bewegung: ,,Lass uns
Freundschaft schliessen – ohne Erwachsene!’’ Er
Rümpfte lachend die Nase.
,, Ich muss aber gehen.’’
,, Deine Grossmutter schläft schon tief. Du wirst ihr nicht
abgehen, wenn wir noch ein Weilchen mitein-
ander reden.’’
Wieder war ich überrascht und auch verwundert: Wie konnte er
von meiner Grossmutter wissen? Aber
Dann erinnerte ich mich, dass er ja ein Ausserirdischer
war. ,, Kannst du sie sehen?’’
,, Von meinem Raumschiff aus konnte ich sehen, wie sie
gerade einschlief’’, antwortete er verschmitzt. Plötzlich rief er
begeistert: ,, Lass uns am Strand spazieren gehen!’’
Mit einem Satz stand er auf den Beinen, lief bis zur Kante des
hohen Felsens und – sprang hinunter! Langsam schwebte er
abwärts dem Sande entgegen; Er segelte wie eine Möwe. Dieses
unbekümmerte Ster- nenkind sorgte für immer neue
Überraschungen!
Ich stieg vorsichtig, so gut ich konnte, die Felsen hinunter. ,,
Wie machst du das?’’ fragte ich ihn nach seinem unglaublichen
Segelflug.
,, Ich fühle mich einfach wie ein Vogel’’, meinte er und begann
lachend und ohne besonderen Anlass am

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Strand umherzulaufen. Ich hätte es ihm gerne nachge- tan, aber
ich konnte so etwas nicht.
,, Doch, du kannst es!’’ Schon wieder hatte er meine Gedanken
aufgefangen. Er kam zurück, um mir Mut zu
machen. ,, Wir werden laufen und springen wie die Vögel!’’ Er
nahm meine Hand, und ich spürte eine starke Energie. Wir
begannen, den Strand entlangzu-
laufen. ,, Jetzt springen wir!’’
Er konnte viel höher springen als ich und half mir mit seiner Hand
nach. Er schien einige Sekunden in
der Luft hängen zu können! Wir liefen weiter, und in gewissen
Abständen setzten wir zum Sprung an.
,,Wir sind Vogel, wir sind Vogel!’’
Mein Vertrauen wuchs, ich war wie berauscht. Etwas ging in
mir vor- ich hörte langsam zu denken auf und war nicht mehr
derselbe wie früher: Mitgeris- sen von meinem ausserirdischen
Freund, beschloss ich einfach, so leicht wie einer Feder zu sein.
Schliesslich glaubte ich fest, wie ein Vogel fliegen zu können!
,,Jetzt hoch!’’
Wir hielten uns wirklich einige Augenblicke in der Luft, dann
sanken wir sanft nach unten und liefen weiter, um uns später
wieder zu erheben. Zu meinem grossen Erstaunen ging es besser
und besser.
,,Sei nicht erstaunt, du kannst es …jetzt!’’ Jedesmal fiel es mir
leichter. Wie im Zeitlupen-
tempo liefen und sprangen wir am Wasser entlang. Am Himmel
hingen der Mond und die Sterne. Es war eine neue Art zu leben,
eine andere Welt.
,,Tu es mit Liebe, segle mit Liebe!’’ machte er mir Mut. Dann
auf einmal liess er meine Hand los. ,,Du
kannst es, du kannst es’’, stärkte er mein Vertrauen,
indem er neben mir herlief. ,,Jetzt!’’
Wir hoben langsam ab, blieben eine Weile in der

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Luft und schwebten dann tiefer mit ausgebreiteten Armen wie
beim Segeln.
,,Bravo, bravo’’, beglückwünschte er mich.
Ich weiss nicht, wie lange wir in dieser Nacht so spielten. Es
war wie ein Traum. Schliesslich war ich müde;
ausser Atem liess ich mich auf den Sand fallen und
lachte glücklich. Was für eine herrliche, unvergessliche
Erfahrung!
Innerlich dankte ich meinem eigenartigen kleinen
Freund dafür, dass er mir Dinge beigebracht hatte, die ich nicht
für möglich gehalten hätte. Ich wusste noch
nicht, dass in dieser Nacht noch weitere Überraschun-
gen auf mich warteten. Die Lichter eines Badeortes auf der
anderen Seite der Bucht flimmerten. Mein Freund
betrachtete entzückt die tanzenden Lichter auf dem
nächtlichen Meer, während er neben mir auf dem mondhellen
Strand dahingestreckt lag. Dann wieder
sah er den Vollmond an.
Wie wunderbar! Er fällt nicht herunter.’’
Ich hatte mir darüber nie Gedanken gemacht, aber jetzt, wo er
es sagte: Ja, es war wunderbar, Sterne zu haben, ein Meer, einen
Strand und einen hübschen Mond, der da oben hing und nicht
herunterfiel.
,,Ist denn dein Planet nicht schön?’’
Er seufzte tief und sah etwas nach rechts in den Himmel
hinauf. ,,Oh ja, er ist auch schön. Aber das
wissen wir auch alle, und darum passen wir auf ihn auf.’’
Ich erinnerte mich, dass er behauptet hatte, wir
Erdenbewohner seien nicht besonders gut. Nun glaubte ich, eine
der Gründe dafür zu verstehen. Wir halten unseren Planeten
anscheinend nicht für sehr wertvoll, wir passen nicht so sorgsam
auf ihn auf, wie sie es tun.

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‚,Wie heisst du ?’’
Er fand meine Frage lustig. ,,Das kann ich dir nicht sagen.’’
,,Warum nicht? Ist es ein Geheimnis?’’
,,Ach wo, nichts ist ein Geheimnis! Nur gibt es in deiner
Sprache diese Laute nicht.’’
,,Welche Laute?’’
,,Die meines Namens.’’
Das überraschte mich. Ich hätte gewettet, dass er in meiner
eigenen Sprache mit mir redete, wenn auch
mit einem anderen Akzent.
,,Wie konntest du dann meine Sprache lernen?’’
,,Ich spreche sie nicht, und ich würde sie auch nicht verstehen,
wenn ich dies nicht hätte’’, sagte er
belustigt und zog einen Apparat aus seinem Gürtel.
,,Das hier ist ein Übersetzer. Dieses Schächtelchen untersucht mit
Lichtgeschwindigkeit deine Gehirn-
ströme und übermittelt mir genau das, was du sagen
willst; auf diese Weise kann ich dich verstehen. Wenn ich nun
etwas sagen will, hilft es mir, meine Lippen und
meine Zunge so zu bewegen wie du – nun, beinahe so wie du …
nichts ist vollkommen!’’
Er steckte den Übersetzer wieder an seinen Platz
und schaute aufs Meer hinaus. Er sass neben mir im Sand und
hielt seine Knie umschlungen.
,,Wie soll ich dich dann nennen?’’ fragte ich ihn.
,,Du kannst mich >>amigo<< nennen, denn das bin ich , ein
Freund für alle.’’
,,Ich werde dich Ami nennen, das ist kürzer und
klingt mehr wie ein Name.’’
Sein neuer Name schien ihm zu gefallen. ,,In Ord nung,
Pedrito.’’
Wir gaben einander die Hand, und ich spürte, dass ich eine
neue grosse Freundschaft besiegelte. Und so

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sollte es auch sein.
,,Wie heisst dein Planet?’’
,,O je, da haben wir auch keine entsprechenden Laute, aber
dort oben ist er’’, und er zeigte lächeln zu
einigen Sternen hinauf.
Während Ami weiter den Himmel beobachtete, kamen mir
wieder die Filme in den Sinn, die ich so oft
im Fernsehen gesehen hatte, die mit den ausserirdi- schen
Eindringlingen. ,,Wann werdet ihr hier ein- dringen?’’
Er fand meine Frage komisch. ,,Warum denkst du, dass wir die
Erde überfallen wollen?’’
,,Ich weiss nicht. In unseren Filmen überfallen die
Ausserirdischen immer die Erde. Oder nicht? – nicht alle?’’
Diesmal war sein Lachen so ansteckend, dass ich
mitlachen musste. Trotzdem versuchte ich mich zu rechtfertigen:
,,Weißt du, in allen Fernsehfilmen…’’
,,Ja, natürlich, das Fernsehen? – Komm, lass uns
zusammen einen Fernsehfilm ansehen, in dem Ausser- irdische
die Erde überfallen’’, schlug er begeistert vor und zog einen
Apparat diesmal aus der Schnalle sei- nes Gürtels. Er drückte auf
einen Knopf, und wir hatten einen leuchten den Bildschirm vor
uns. Es war ein klei- ner Farbfernseher mit einem gestochen
scharfen Bild. Schnell wechselte er von einem Programm zu
ande-
re. Das überraschte mich, da wir in dieser Gegend nur zwei
Programme empfangen können, aber in diesem Apparat gab es
eine Unmenge von Filmen, Live- Programmen, Nachrichten,
Werbung, alles in ver- schiedenen Sprachen und mit Menschen
verschiede- ner Nationen.
,,Diese Filme mit den Invasoren aus dem Weltraum sind doch
einfach lächerlich’’, meinte Ami fröhlich.

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,,Wie viele Programme bekommst du damit?’’ wollte ich
wissen.
,,Alle Programme, die es in diesem Augenblick auf deinem
Planeten gibt. Ich bekomme aber auch die
Satellitensignale, und zwar verstärkt. Halt, hier gib es einen Film
in Australien, schau’s dir an.’’
Ich konnte eine Anzahl grässlicher Ungeheuer er-
kennen, die Köpfe wie Tintenfische hatten. Aus ihren vielen
vorquellenden Augen mit roten Adern drin schossen sie Strahlen
auf eine Ansammlung völlig ver- ängstigter Menschen. Ich
schauderte, aber mein Freund fand diese Szene nur komisch.
,,Was für ein Unsinn’’, rief er, ,,findest du das nicht lächerlich?’’
,,nein, warum?’’
,,Weil es diese Monsterwesen nur in der krankhaf- ten
Einbildung der Menschen gibt, die solche Filme
fabrizieren!’’
Ich war noch nicht überzeugt. Seit Jahren hatte
man mir alle möglichen Weltraumreisen gezeigt, die zu
schrecklich und bösartig waren, als dass sie jetzt so
einfach aus meinem Kopfe zu blasen wären. ,,Aber es gibt hier
auf der Erde doch auch Leguane, Krokodile
und Meeresungeheuer. Warum sollten die nicht auch in anderen
Welten existieren?’’
,,Ah, die meinst du? Ja, die gibt es natürlich, aber die
konstruieren keine Pistolen, die Strahlen schiessen!
Die sind so wie die euren hier. Es sind Tiere ohne Intelligenz.’’
,,Aber vielleicht gibt es Welten mit Wesen, die böse
und intelligent sind?’’
,,Intelligent und böse?’’ Ami lachte aus vollem Halse. ,,Das ist
dasselbe, als wenn du sagen würdest: böse-gut!’’
Ich konnte ihn nicht verstehen. ,, Und was ist mit

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diesen verrücken, perversen Wissenschaftlern, die Waffen
erfinden, um die Welt zu zerstören? – Du weisst schon, die gegen
Batman und Superman kämpfen?’’
Ami verstand meine Gedanken und antwortete la- chend: ,,Die
sind nicht intelligent, die sind verrückt!’’
,,Gut, es kann aber doch sein, dass es irgendwo ein
paar verrückte Wissenschaftler gibt, die die Welt zer- stören
könnten’’’
,,Die gibt es nur auf der Erde, sonst nirgendwo.’’
,,Warum?’’
,,Pass auf. Wer verrückt ist, wird immer zuerst sich selbst
zerstören. Verrückte erreichen nie das wissen-
schaftliche Niveau, das nötig wäre, um den Planeten verlassen
und andere Welten erreichen zu können. weisst du, es ist
einfacher, eine Bombe zu konstruieren
als intergalaktische Weltraumschiffe. Hat eine Zivilisa- tion keine
Güte, wendet sich ihre Zerstörungskraft gegen sie selbst, und
zwar bevor es dazu kommt, dass
sie in andere Welten gelangt.’’
,,Aber es könnte ja doch sein, dass Verrückte auf irgendeinem
Planeten überleben, zufällig!’’
,,Zufällig?? In meiner Sprache gibt es diesen Aus-
druck nicht. Was heisst Zufall?’’
Ich führte verschiedene Beispiele an, damit er ver- stand, was
ich meinte. Als er es schliesslich erfasst hatte,
fand er es sehr komisch. Er sagte, dass alles, was es gebe,
zusammenhänge, aber dass wir die Gesetzte, die alle Dinge
miteinander verbinden, nicht verständen
oder nicht verstehen wollten.
,,Wenn es nun aber so viele Millionen von Welten gibt, wie du
sagst, dann könnte es doch sein, dass einige
Böse irgendwo überleben, ohne sich zu zerstören?’’ Ich dachte
immer noch an die Möglichkeit einer Invasion.

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Nun versuchte Ami, es mir noch besser zu erklä- ren. ,,Stell dir
vor: Viele Personen müssten, eine nach der anderen, eine
glühend heisse Eisenstange mit blo- ssen Händen anfassen. Was
meinst du: hätte einer von ihnen Aussicht, sich nicht zu
verbrennen?’’
,,Keiner’’, antwortete ich. ,,Alle verbrennen sich!’’
,,Siehst du, genauso zerstören sich alle Bösen selbst, wenn sie
nicht imstande sind, ihre Bosheit zu
überwinden. Diesem Gesetz kann niemand entrinnen!’’
,,Welchem Gesetz?’’
,,Wenn in einer Welt das Niveau der Wissenschaft höher steigt
als das Niveau der Liebe, dann zerstört diese Welt sich selbst.’’
,,Das Niveau der Liebe?’’ Ich begriff sehr gut, was er mit dem
wissenschaftlichen Niveau eines Planeten meinte, aber unter
einem Niveau der Liebe konnte ich
mir nicht das geringste vorstellen.
,,Das Einfachste ist für manche am schwierigsten zu verstehen.
Die Liebe ist eine Kraft, eine Schwin-
gung, eine Energie, deren Auswirkungen wir mit unse- ren
Instrumenten messen können. Wenn in einer Welt
das Niveau der Liebe niedrig ist, entsteht daraus für alle Unglück,
Hass, Gewalt, Trennung, Krieg, und das
alles mit einem höchst gefährlichen Grad von Zerstö- rungskraft.
Verstehst du mich, Pedrito?’’
,,Eigentlich nicht so ganz. Was willst du damit
sagen?’’
,,Ich will dir viele Dinge sagen, aber wir müssen schrittweise
vorgehen. Mir wäre es lieber, wenn du mir
deine Zweifel mitteiltest.’’
Ich konnte immer noch nicht glauben, dass es keine
Invasorenmonster geben sollte. Ich erzählte ihm darum von einem
Film, in dem ausserirdische Eidech- sen viele Planeten
beherrschten, da sie so gut organi-

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siert waren.
Er meinte dazu: ,,In einem solchen Fall herrschen Zwang und
Gewalt. Das Resultat davon ist Aufleh-
nung, Trennung, Zerstörung. Ohne Liebe gibt es keine dauerhafte
Organisation. Die einzige universell vollen- dete Ordnung, Die
imstande ist, das Überleben zu ga-
rantieren, ergibt sich von selbst, wenn sich eine Zivili- sation der
Liebe nähert, während sie sich entwickelt. Jene Welten, die dies
erreichen, nennen wir ent-
wickelt, zivilisiert. Da richtet niemand mehr einen Schaden an!
Im ganzen Universum gibt es keine an- dere Alternative. Eine
höhere Intelligenz als die unsere
hat dies alles so eingerichtet.’’
Ich verstand es immer noch nicht so recht. Ami erklärte es mir
noch einmal und noch genauer, aber
mir wollten die Monster, die gleichzeitig böse und in- telligent
waren, einfach nicht aus dem Kopfe!
,,Zu viel Fernsehen!!’’ rief Ami in leiser Verzweif-
lung, aber dann versuchte er es von neuem: ,,Die Mon- ster, die
du dir vorstellst befinden sich in unserem eigenen Inneren.
Solange wir sie nicht loswerden, sind wir es nicht wert, all die
Wunder des Universums zu erleben! Die Bösen sind weder schön
noch intelligent.’’
,,Was ist zum Beispiel mit diesen schönen Frauen, die garstig
sind?’’
,,Entweder sind sie nicht garstig oder nicht wirk- lich schön.
Wahre Intelligenz und Schönheit und Güte gehen immer Hand in
Hand. Das ist alles die Folge
eines einzigen Evolutionsprozesses, der auf der Liebe beruht.’’
,,Damit willst du mir doch wieder sagen, dass es im
ganzen Universum nur auf der Erde böse Wesen gibt!’’
,,Aber nein, die gibt es auch noch woanders, Es gibt zum
Beispiel Welten, in denen du keine halbe

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Stunde überleben würdest, so wie das hier auf der Erde vor ein
paar Millionen Jahren auch mal war. Es gibt sogar Welten, die
von wahren Menschenmonstern be- wohnt sind.’’
,,Na, siehst du, na, siehst du!’’ triumphierte ich. ,,Du sagst es ja
selbst! Ich hatte also doch recht!! Genau diese Monster habe ich
gemeint!’’
,,Du brachst dich nicht aufzuregen. Die sind
unten, nicht oben! Die leben in Welten, die rückständi- ger sind
als diese hier. Die Entwicklung ihrer Gehirne
hat ihnen noch nicht einmal das Rad beschert, also können sie
kaum bis hierher kommen.’’
Das hörte sich wirklich beruhigend an. ,,Dann sind
wir Erdenbewohner also doch nicht die schlechtesten im ganzen
Universum!’’
,,Nein. Aber du bist einer der dümmsten in der
Galaxie!’’
Wir lachten wie zwei gute Freunde.

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3.Kapitel

Sorge dich nicht

,,Was ist das für ein Zeichen, das du da auf der Brust trägst?’’
fragte ich Ami.
,,Das ist ein Symbol für meine Arbeit’’, entgegnete er. Dann
sagte er, nach oben deutend: ,,Weißt du, dass
es hier >>ganz in der Nähe<< auf einem der Planeten des
Sirius Strände gibt, die violett sind? Sie sind wunder- bar! Du
kannst dir nicht vorstellen, wie ein Sonnenun- tergang dort
aussieht, mit zwei Riesensonnen!’’
,,Bewegst du dich mit Lichtgeschwindigkeit?’’ fragte ich ihn.
Das fand er belustigend. ,,Wenn ich mich so lan-
sam bewegte, wäre ich schon alt gewesen, bevor ich hier
angekommen wäre.’’
,,Wie schnell bewegst du dich dann?’’
,,Wir bewegen uns normalerweise nicht, wir statio- nieren uns.
Aber von einem Punkte der Galaxis zu einem anderen würde ich
brauchen -, warte …’’ – er nahm seinen Taschenrechner aus dem
Gürtel und liess ihn eine Zeitlang tickern - ,,… nach deiner
Zeitrech- nung anderthalb Stunden; von einer Galaxie zu einer
anderen benötigte ich aber bereits mehrere Stunden.’’
,,Toll!! Und wie machst du das?’’
,,Kannst du einem Baby erklären, warum zwei mal zwei vier
ist?’’
,,Nein’’, erwiderte ich, ,,das weiss ich selbst nicht.’’
,,Siehst du, ich kann dir auch nicht Dinge erklären, die sich auf
die Kontraktion und auf die Krümmung

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von Raum und Zeit beziehen. Das ist auch gar nicht notwendig. –
Schau mal die Vögel da! Sie gleiten auf dem Wasser wie mit
Schlittschuhen. Wunderbar!’’
Er sah dem Spiel der Möwen zu, die in Schwärmen am
Wassersaum hin und her trippelten; sie holten sich
die Nahrung, die die Wellen zurückliessen.
Plötzlich erinnerte ich mich, dass es schon spät war. ,,Ich muss
gehen, meine Grossmutter …’’
,,Sie schläft noch.’’
,,Ich mache mir Sorgen.’’
,,Sich Sorgen machen, wie dumm!’’
,,Wieso?’’
,,Ich mache mir nie Sorgen, ich sorge für die Dinge.’’
,,Das ist mir zu hoch, Ami.’’
,,Sorge dich nicht um Dinge, die noch nicht einge- troffen sind
und auch nicht eintreten werden. Geniesse
die Gegenwart. Das Leben ist kurz. Wenn wirklich ein Problem
auftritt, dann sorge für die Lösung! Wäre es
zum Beispiel gut, wenn wir uns jetzt Sorgen machten, dass eine
Riesenwelle kommen und uns wegschwem- men könnte? Es wäre
doch zu schade, diesen Augen- blick jetzt nicht zu geniessen,
diese wundervolle Nacht! Schau den Vögeln zu; sie nehmen das
Futter auf, ohne sich zu sorgen. Merk dir, tausche nie den
Augenblick für etwas ein, das es gar nicht gibt!’’
,,Aber meine Grossmutter gibt es.’’
,,Ja, und das ist überhaupt kein Problem. Dieser Moment aber,
existiert der vielleicht nicht?’’
,,Ich mach mir trotzdem Sorgen…’’
,,Ach, du Erdenbürger, du Erdenbürger’’, seufzte
Ami, ,,okay, lass uns nach deiner Grossmutter schauen.’’ Er nahm
seinen Fernsehapparat und begann an den
Knöpfen zu drehen. Auf dem Bildschirm erschien der

29
Weg zu unserem Häuschen. Die Kamera bewegte sich weiter
zwischen Bäumen und Felsen, alles in Farbe und hell erleuchtet
wie am Tage. Wir spazierten durch ein Fenster ins Haus hinein
und sahen meine Gross- mutter schlafend in ihrem Bett. Man
konnte mit diesem unglaublichen Apparat sogar ihr Atmen höre.
,,Sie schläft wie ein Engel’’, meinte Ami lachend.
,,Bist du sicher, dass das hier kein Film ist?’’
,,Nein, Pedrito, das ist live. Gehen wir doch ins Ess- zimmer.’’
Die Kamera drang durch die Wand des
Schlafzimmers, und wir standen im Esszimmer. Auf dem Tisch
mit dem grosskarierten Tischtuch stand an meinem Platz ein
Teller, über den ein zweiter gestülpt
war.
,,Schaut benah wie mein Raumschiff aus’’, meinte Ami witzig.
,,Lass sehen, was es zum Abendessen gibt.’’
Er hantierte an seinem Fernseher, und plötzlich wurde der
obere Teller durchsichtig wie Glas. Da lag ein Steak mit Pommes
frites und Tomatensalat.
,,Uahh!!’’ rief Ami entsetzt aus, ,,wie könnt ihr Lei- chen
essen?’’
,,Leichen?’’
,,Tierleichen! Tote Kühe, ein Stück von einer toten Kuh!!’’
So wie Ami das sagte, klang es auch für mich
ekelerregend.
Ich versuchte abzulenken und fragte ihn: ,,Wie funktioniert das
alles eigentlich? Wo ist die Kamera?’’
,,Ich brauche keine Kamera. Dieser Apparat hier
visiert, nimmt auf, filtert, wählt aus, verstärkt und proji- ziert …,
du siehst, alles höchst einfach!’’ Anscheinend machte er sich über
mich lustig.
,,Wieso ist es Tag hier, wo es doch Nacht ist?’’
,,Es gibt ein Licht, das deine Augen nicht sehen

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können. Dieser Apparat hier kann es.’’
,,Kompliziert!’’
,,Überhaupt nicht. Dieses Ding hier habe ich selbst gebaut.’’
,,Du hast es selbst…?’’
,,Ist schon etwas altmodisch, aber ich hänge nun mal dran. Es
ist ein Andenken, eine Arbeit aus der
Grundschule.’’
,,Seid ihr denn alle Genies??’’
,,Überhaupt nicht. – Kannst du multiplizieren?’’
,,Klar’’, antwortete ich.
,,Dann bist du ein Genie für einen, der das nicht kann. Weißt
du, es ist alles eine Frage des Entwick-
lungsstandes. Ein Transistorradio zum Beispiel ist für einen
Wilden im Urwald ein Wunder.’’
,,Da hast du recht. Glaubst du, dass wir hier auf der
Erde eines Tages auch solche Erfindungen machen werden?’’
Da wurde er zum ersten Mal ernst. Er sah mich an
mit einem Blick, in dem so etwas wie Trauer lag. ,,Ich weiss es
nicht’’ , sagte er leise.
,,Wieso weisst du das nicht? Du weisst doch sonst alles.’’
,,Nicht alles . . . Die Zukunft kennt niemand,
glücklicherweise.’’
,,Warum sagst du: glücklicherweise?’’
,,Stell dir das mal vor! Das Leben hätte doch gar keinen Sinn,
wenn man die Zukunft schon kennen würde. Möchtest du zum
Beispiel schon im vorhinein den Ausgang des Filmes sehen, den
du dir anschauen willst?’’
,,Natürlich nicht, dann wäre ja alle Spannung weg.’’
,,Oder kannst du über einen Witz lachen, den du

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schon kennst?’’
,,Kaum, das wäre doch langweilig.’’
,,Möchtest du vorher schon wissen, was du zum Geburtstag
bekommst?’’
,,Das noch weniger!’’
Es gefiel mir, wie er mir die Dinge mit anschauli- chen
Beispielen klarmachte.
,,Ja, das Leben verlöre vollkommen seinen Sinn, wenn man die
Zukunft kennen würde. Man kann be- stenfalls Möglichkeiten
abschätzen.’’
,,Wie?’’
,,Man kann zum Beispiel Möglichkeiten überden- ken, die die
Erde noch hat, um sich zu retten.’’
,,Zu retten, wovor?’’
,,Was heisst, wovor? Hast du noch nie was von der Vergiftung
der Erde gehört, von Kriegen und Bomben?
,,Ja doch. Willst du damit sagen, dass wir hier auch in Gefahr
sind, uns selbst zu zerstören? Wie in den Welten der Bösen?’’
,,Es gibt viele Möglichkeiten. Pass auf: Wissen- schaft und
Liebe müssen gleich stark sein, wenn alles
gut sein soll. Bei euch aber neigt sich die Waagschale der
Wissenschaft ganz mächtig nach unten. Das ist der
Punkt! Millionen von Zivilisationen wie eure hier haben sich
selbst zerstört. Ihr seid am Wendepunkt, an einem sehr
gefährlichen!’’
Langsam bekam ich es mit der Angst. Ich hatte bisher nicht
wirklich an die Möglichkeit eines dritten Weltkrieges oder
anderer Katastrophen geglaubt. So
blieb ich eine Zeitland in Gedanken versunken. Dann kam mir auf
einmal eine wunderbare Idee: ,,Tut ihr
doch etwas!’’

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,,Und was zum Beispiel?’’
,,Ich weiss nicht. Vielleicht mit tausend Raumschif- fen landen
und den Präsidenten aller Länder sagen, dass sie Schluss mit den
Kriegen machen sollen … ir- gend so was.’’
Ami lächelte. ,,Wenn wir das täten, gäbe es erstens Tausende
von Herzinfarkten. Alle Welt glaubt doch an
diese Weltraumfilme mit den blutrünstigen Invasoren! Dabei
können wir so unmenschlich gar nicht sein! Und zweitens: Wenn
wir euch zum Beispiel sagten: >>Wan-
delt eure Waffen in Werkzeuge um!<<, dann würdet ihr denken:
das ist wieder so ein raffinierter Plan der Ausserirdischen, um
euch zu schwächen und dann den
ganzen Planeten zu beherrschen! Nehmen wir drittens einmal an,
ihr kämt eines Tages wirklich so weit zu erkennen, dass wir ganz
harmlos sind, dann würdet ihr
trotzdem eure Waffen nicht aus der Hand legen.’’
,,Und warum nicht?’’
,,Weil jedes Land Angst vor dem anderen hätte. Wer wagte es
schon, sich als erster zu entwaffnen?
Niemand!’’
,,Aber man muss doch Vertrauen haben.’’
,,Kinder haben vielleicht Vertrauen, Erwachsene nicht. Und die
Präsidenten der Länder am allerwenig-
sten! Das nicht mal ohne Grund! Einige von ihnen
haben wirklich Lust, die anderen zu unterwerfen!’’
Nun war ich wirklich tief beunruhigt. Ich sann über eine
Lösung nach, die den Krieg und die mögliche Vernichtung der
Menschheit verhindern könnte. Schliesslich schien es mir noch
am besten, dass die Ausserirdischen mit Gewalt die Macht an sich
reissen, die Bomben zerstören und uns zwingen sollten, in
Frieden zu leben. Das sagte ich ihm. Nachdem er aus- giebig
darüber gelacht hatte, meinte er, ich könne es

33
einfach nicht lassen, wie ein Erdenbürger zu denken.
,,Warum?’’
,,Gewalt, zerstören, zwingen! Das ist die Sprache der
Erdenbürger! Wir nennen so etwas unzivilisiert,
aggressiv! Die menschliche Freiheit ist etwas Heiliges, die eigene
wie die des anderen. Zwang gibt es in unse- ren Welten nicht.
Jedes Individuum ist wervoll und
wird respektiert. Die Macht an sich reissen und etwas zerstören ist
Gewaltanwendung. Das wäre eine Verlet- zung des universalen
Gesetzes!’’
,,Führt ihr denn keine Kriege?’’ Noch ehe die Frage ganz
heraus war, wusste ich schon, wie dumm sie war.
Er sah mich liebevoll an und legte mir die Hand auf
die Schulter. ,,Wir führen keine Kriege, weil wir an Gott
glauben.’’
Diese Antwort überraschte mich sehr. Ich glaubte
auch an Gott, aber in letzter Zeit schien es eher so, als wenn nur
noch die Patres meiner Schule an ihn glaub- ten und noch ein paar
Leute, die keine allzu grosse Bildung haben. Ich dachte an meine
Onkel, der Atomphysik an der Universität lehrt; er sagt immer,
dass die Intelligenz Gott umgebracht habe.
,,Dein Onkel ist ein Dummkopf.’’ Ami hatte meine Gedanke
aufgefangen!
,,Das stimmt nicht’’, empörte ich mich; ,,mein
Onkel ist einer der intelligentesten Männer des Landes!’’
,,Er ist ein Dummkopf’’, beharrte Ami. ,,Kann denn
ein Apfel einen Apfelbaum umbringen. Kann eine Welle das
Meer umbringen?’’
,,Ich dachte mir …’’
,,Du bist im Irrtum. Gott existiert.’’
Ich begann über Gott nachzudenken, etwas schuldbe- wusst,
weil ich an seiner Existenz gezweifelt hatte.

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,,Hör auf! Lass den weissen Bart und das wallende Gewand
weg!’’
Ami lachte; er hatte mitbekommen, wie ich mir Gott vorstellte.
,,Ja, hat er denn keinen Bart? Rasiert er
sich etwa?’’ Mein Freund amüsierte sich köstlich über meine
Verwirrung. Dann wurde er ernst: ,,Dein Gott entspricht zu sehr
euren irdischen Vorstellung.’’
,,Und warum?’’
,,Weil ihr nicht anders könnt, als ihn euch wie einen Irdischen
Menschen vorzustellen.’’
Wollte Ami mir vielleicht sagen, dass die Ausserirdi- schen
nicht wie menschliche Wesen aussahen? ,,Aber du hast doch
gesagt, dass die menschlichen Wesen
anderer Welten nicht fremdartig oder wie Monster aus- sehen. Du
selbst siehst doch auch wie ein Erdenbürger aus.’’
Ami nahm lächelnd ein Stöckchen vom Boden auf und
zeichnete eine menschliche Figur in den Sand.
,,Das menschliche Modell ist universell: Kopf, Rumpf,
Arme und Beine. Natürlich gibt es in jeder Welt kleine
Abweichungen wie Grüsse, Farbe der Haut, Form der Ohren,
eben kleine Unterschiede. Ich sehe wie ein Erdenbürger aus, weil
die Menschen meiner Welt ge- nauso aussehen wie die Kinder
hier auf der Erde. Aber Gott hat keine menschliche Form. –
Komm, lass uns etwas gehen.’’
Wir nahmen den Pfad, der zum Dorfe führte. Ami legte seinen
Arm um meine Schulter, und ich fühlte, dass er mein Bruder war,
der Bruder, den ich mir immer gewünscht hatte. Ein paar
Nachtvögel krächzten in der Ferne. Ami schien das alles zu
geniessen. Tief atmete er die Meeresluft ein und sagte: ,,Gott hat
kein menschli- ches Aussehen.’’ Sein Gesicht schien in der Nacht
zu leuchten, als er vom Schöpfer sprach. ,,Er hat über-

35
haupt keine Form, er ist keine Person wie du und ich, er ist etwas
Unendliches, reine Energie, reine Liebe…’’
,,Ah.’’ Er sagte das so schön, dass auch ich gerührt war.
,,Deshalb ist das Universum schön und gut, es ist wunderbar!’’
Ich dachte an die Bewohner der primitiven Welten,
die er erwähnt hatte, und auch an die bösen Menschen auf diesem
Planeten.
,,Und die Bösen?’’
,,Eines Tages werden auch sie gut sein.’’
,,Aber wäre es nicht viel besser, wenn sie schon von Anfang an
gut geboren worden wären, dann gäbe
es doch nirgends etwas Böses?’’
,,Wenn man das Böse nicht kennt, wie will man dann das Gute
geniessen? Wie kann man es schätzen?’’
fragte Ami.
,,Das versteh ich nicht.’’
,,Findest du es nicht wunderbar, sehen zu können, dein
Augenlicht zu haben? ’’
,,Ich weiss nicht. Darüber hab ich nie gedacht. Wahrscheinlich
schon.’’
,,Wenn du blind geboren wärest und auf einmal
sehen könntest, wäre es für dich doch ein Wunder, sehen zu
können.’’
,,Doch, ja.’’
,,Wenn jemand ein hartes Leben der Gewalt gelebt hat und
dann lernt, ein menschlicheres Leben zu füh- ren, dann schätzt er
das so hoch ein wie niemand ausser ihm. Wenn es keine Nacht
gäbe, könnten wir keinen Sonnenaufgang geniessen.’’
Wir schritten auf dem mondbeschienenen Wege, der von
Bäumen eingesäumt war, voran und erreichten
unser Haus. Ich schlüpfte rasch hinein und kehrte mit

36
einem Pullover zu Ami zurück. Dann setzten wir unse- ren
Spaziergang fort. Während wir uns unterhielten, beobachtete
Ami alles, was ihm in den Blick fiel. Wir waren noch ein Stück
vom eigentlichen Dorf entfernt, es gab noch keine
Strassenbeleuchtung.
,,merkst du eigentlich, was du tust?’’ fragte Ami.
,,Nein, warum?’’
,,Du gehst, du kannst gehen!’’
,,Ja, natürlich. Ist da was Besonderes dran?’’
,,Wenn Menschen gehbehindert waren und dann nach Monaten
oder Jahren des Übens endlich wieder
gehen können, dann ist das für sie etwas Wunderba-
res, und sie sind dankbar dafür und geniessen es. Du hingegen
gehst einfach so dahin und denkst dir nichts
dabei!!’’ Ami sah mich bekümmert an.
,,Hast recht, Ami’’, tröstete ich ihn, ,,aber ich muss heute so
viele Dinge von dir lernen.

37
4. Kapitel

Die Polizei

Wir erreichten die ersten Strassenlaternen etwa eine Stunde vor


Mitternacht. Es war für mich schon etwas abenteuerlich, ohne
meine Grossmutter so spät noch durch die Strassen des Dorfes zu
gehen, aber an Amis Seite fühlte ich mich vollkommen sicher.
Wir schritten ruhig vor uns hin. Von Zeit zu Zeit blieb mein
Freund stehen, um irgend etwas zu bewun-
dern: den Mond, der durch die Eukalyptusblätter lugte, dann ein
besonders hübsches Häuschen, eine Weg- biegung oder ein
malerisches Eckchen; er machte
mich auf das Rauschen der fernen Brandung aufmerk- sam, auf
das Quaken der Frösche und das Zirpen der Nachtgrillen. Tief sog
er das Aroma der Nadelbäume,
der Baumrinden und den Duft der Erde in sich ein.
Er geriet ins Schwärmen: ,,Wie schön das alles ist! Schau die
Laterne! Wie ihr Licht auf diese Kletter- pflanze fällt, das müsste
man malen! Schau, wie die Antennen sich von dem
Sternenhimmel abheben! Ge- niesse es, Pedrito, ganz
unbeschwert, das ist der Sinn des Lebens! Sei aufmerksam!
Versuche, ganz in dich aufzunehmen, was das Leben dir bietet.
Du kannst es nur mit dem Gefühl, nicht mit dem Verstand! Den
tiefen Sinn des Lebens findest du jenseits des Denkens! - weisst
du, Pedrito, das Leben ist ein Märchen, das Wirklichkeit wurde,
ein wunderbares Geschenk, das Gott dir gibt. – Gott liebt dich,
Pedrito!!’’
Amis Worte öffneten mir das Tor zu einer völlig

38
neuen Welt, die kaum noch Ähnlichkeit hatte mit mei- ner alten,
alltäglichen Welt, auf die ich so wenig geach- tet hatte. Ich begriff
plötzlich, dass ich in einem Para- dies lebte, ohne es zu wissen!
Unterdessen hatten wir den Dorfplatz erreicht. Einige junge
Burschen und Mädchen standen im Ein- gang einer Diskothek
herum, andere unterhielten sich auf der Strasse. Es war ziemlich
ruhig, die Saison ging ja schon zu Ende. Trotz Amis Aufmachung
achtete niemand auf uns, vielleicht dachten sie auch, er hätte sich
zum Karneval verkleidet. Ich stellte mir vor, was passieren würde,
wenn sie wüssten, was für ein sonder- bares Wesen da über den
Platz spazierte. Man würde sich sofort um uns drängen,
Journalisten rückten an und das Fernsehen…
,,Nein, danke’’, sagte Ami, als er meine Gedanken auffing,
,,ich möchte nicht gekreuzigt werden.’’
Ich starrte ihn mit offenem Munde an.
,,Erstens würden sie es sowieso nicht glauben,
und wenn sie es schliesslich doch glaubten, würden sie mich erst
mal verhaften, weil ich ja illegal gelandet bin. Dann würden sie
vermuten, dass ich ein Spion sei, und mich vielleicht sogar
foltern, um an Informationen her- anzukommen. Zum guten
Schluss kämen dann währ- scheinlich noch die Ärzte, um in
meinen Körper hineinzuschauen.’’
Obwohl Ami eine so schwarze Zukunft malte, lachte er.
Wir suchten uns jetzt ein ruhiges Plätzchen und
setzten uns dort auf eine Bank. Ich dachte mir, die
Ausserirdischen sollten sich ruhig nach und nach etwas mehr
zeigen, damit sich die Leute an sie ge- wöhnten; eines Tages
könnten die Sternbewohner dann ja ganz öffentlich auftreten.

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,,Ja, so ungefähr machen wir es ja nun’’, bestätigte Ami. ,,Aber
uns öffentlich zeigen! Hast du die drei Gründe vergessen, warum
das nicht möglich ist? Jetzt sage ich dir noch einen, den
Hauptgrund: es wäre gegen die Gesetze!’’
,,Welche Gesetze?’’
,,Die Gesetze des Universums. Pass auf: in deiner Welt gibt es
Gesetze, stimmt’s? In den zivilisierten Wel-
ten gibt es auch Gestze, sagen wir, allgemeine
Grundsätze, die von allen respektiert werden müssen. Einer von
ihnen heisst: Greife nie in die Entwicklungs-
prozesse der unzivilisierten Welten ein!’’
,,Unzivilisiert??’’
,,Wir nennen jene Welten unzivilisiert, die die drei
Grundbedingungen noch nicht erfüllen.’’
,,Welche Grundbedingungen?’’
,,Die drei Grundbedingungen aller zivilisierten Welten! Sie
lauten erstens: Das Grundgesetz des Uni- versums muss bekannt
sein; aus der Kenntnis und An- wendung dieses Gestzes ergeben
sich die beiden anderen Bedingungen von selbst. Zweitens muss
eine zivilisierte Welt eine Einheit sein, die unter einer einzi- gen
Weltregierung steht, und drittens muss diese zivili- sierte Welt
ihre Verfassung auf dem Grundgesetz des Universums
aufbauen.’’
,,Also ehrlich, davon hab ich nicht allzu viel ver standen. Was
ist das für ein Grundgesetz, wie heisst
es?’’
,,Siehst du, du kennst es nicht’’, lachte er spöttisch,
,,du bist nicht zivilisiert!’’
,,Aber ich bin doch nur ein Kind’’, protestierte ich,
,,die Erwachsenen kennen das Gesetz bestimmt, un- sere
Wissenschaftler und Präsidenten …’’
Jetzt musste Ami noch viel mehr lachen: ,,Die Er-

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wachsenen, die Wissenschaftler, die Präsidenten! Die nun schon
am wenigsten! Mit ganz wenigen Ausnah- men …’’
,,Wie heisst dieses Gesetz?’’
,,Ich werde es dir später mal sagen …’’
,,Wirklich?’’ Ich fand es toll, dass ich bald etwas erfahren
würde, was offensichtlich kaum einer von uns
Menschen wusste.
,,…wenn du ganz brav bist.’’ Mein Freund machte sich schon
wieder über mich lustig.
Wir schwiegen eine Weile. Ich dachte über das Verbot nach, in
die Geschehnisse unzivilisierter Wel- ten einzugreifen. Plötzlich
ging mir ein Licht auf:
,,Dann tust du also etwas, was gegen das Gesetz ist?’’
,,Bravo, du hast es erfasst!’’
,,Na klar, erst sagst du, dass es verboten sei einzu- greifen, und
dann redest du trotzdem mit mir!’’
Ami lächelte. ,,Ja und nein. Das, was ich tue, greift
nicht in die Entwicklung der Erde ein, ich zeige mich nicht offen
und nehme keine Verbindung mit der gro-
ssen Masse der Menschheit auf, denn das wäre gegen das Gesetz.
Das, was ich tue, ist nur ein Teil unseres Nothilfeprogramms.’’
,,Wie bitte? – Das musst du mir näher erklären.’’
,,Weißt du, das ist etwas kompliziert. Alles kann man nicht
erklären, du würdest es doch nicht verste-
hen. Später mal vielleicht. Fürs erste sage ich dir nur soviel: das
Nothilfeprogramm ist so was wie eine Medi- zin, die wir ganz,
ganz vorsichtig und feindosiert
verabreichen.’’
,,Was für eine Medizin?’’
,,Information.’’
,,Information? Was für eine Information?’’
,,Hör zu: Nach der Explosion der ersten Atom-

41
bombe begannen unsere Raumschiffe, sich hier und
da zu zeigen. Ihr solltet merken, dass ihr nicht die einzi- gen im
weiten Universum seid. Das ist Information! Mit der Zeit dann
konntet ihr immer mehr Raumschiffe sichten, das ist noch mehr
Information! Irgendwann einmal werden wir uns von euch sogar
fotografieren lassen! Gleichzeitig dazu stellen wir mit einigen
Men- schen direkte Kontakte her wie zum Beispiel mit dir, auch
senden wir Nachrichten auf den Mentalfrequen- zen. Diese
Frequenzen verhalten sich in der Luft wie Radiowellen. Sie
wenden sich an alle Menschen:
Einige haben ihren Sender auf Aufnahme gestellt und empfangen
diese Schwingungen, andere nicht. Von
denen, die unsere Nachrichten aufnehmen, glauben die einen, es
handele sich um ihre ureigenen Ideen, andere denken, dass es
göttliche Eingebungen seien,
und wieder andere kommen dahinter, dass wir es sind, die sie
ausgesandt haben. Es gibt dann welche, die geben diese
Nachrichten ziemlich verdreht wieder,
bunt vermischt mit ihren eigenen Ideen und Überzeu- gungen,
andere drücken sie sehr präzise aus.’’
,,Und wann werdet ihr vor allen Menschen erscheinen?’’
,,Wenn Ihr euch bis dahin nicht selbst zerstört
habt und wenn ihr die drei Grundbedingungen erfüllt. Vorher auf
keinen Fall!’’
,,Ich finde das trotzdem ganz schön egoistisch von euch, dass
ihr nicht eingreift und diese Zerstörung ver- meidet’’, sagte ich
etwas erbost.
Ami lächelte und sah zu den Sternen hinauf.
,,Unser Respekt vor eurer Freiheit geht so weit, dass wir euch dem
Schicksal überlassen müssen, das ihr ver- dient. Entwicklung ist
etwas sehr Heikles. Man kann da nicht einfach eingreifen. Man
kann nur empfehlen,

42
ganz sanft, über besondere Menschen wie du.’’
,,Wie ich?? – Was ist denn an mir Besonderes?’’
,,Das sage ich dir vielleicht auch später mal. Im Augenblick
genügt es, dass du gewisse Bedingungen
erfüllst . . . he, das müssen nicht unbedingt Tugenden sein!! –
Pedrito, ich werde dich bald verlassen. Möch- test du mich wieder
sehen?’’
Mein Herz begann zu klopfen. ,,Aber natürlich! Ich hab dich
doch – liebgewonnen!’’
,,Ich dich auch. Aber wenn du wirklich willst, dass
ich wiederkomme, musst du ein Buch schreiben, in dem du alles
erzählst, was wir miteinander erlebt haben. Deshalb bin ich
nämlich gekommen, das ist ein Teil unseres Nothilfeprogramms.
Willst du?’’
,,Ich soll ein Buch schreiben? Aber das kann ich doch gar
nicht!’’
,,Schreibe es einfach als eine Geschichte für Kin- der, als wär
das alles Phantasie. Wende dich an die Kinder; sie werden nicht
glauben, dass du lügst oder
verrückt bist. Übrigens kannst du noch deinen Vetter, der so gerne
schreibt, um Hilfe bitten: Du erzählst ihm
alles, und er schreibt es auf.’’
Anscheinend wusste Ami mehr von mir als ich selbst.
,,Auch diese Buch wird eine Information sein,
mehr dürfen wir nicht tun. – Sag, Pedrito, fürchtest du immer
noch, dass böse Wesen einer fortgeschrittenen
Zivilisation eines Tages kommen und die Erde
überfallen?’’
Ich musste lachen.
,,Na, siehst du! Aber ihr’’, – Ami blickte mich ein- dringlich an
– ,,wenn ihr eure Bosheit nicht überwin- den könntet – nimm an,
wir würden euch helfen zu überleben! – dann würdet ihr nichts
anderes mehr im

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Kopfe haben, als andere Zivilisation zu erobern, zu beherrschen
und auszubeuten! Das zivilisierte Univer- sum ist aber ein Ort der
Liebe, der Brüderlichkeit! – Dann ist da noch etwas: Es gibt im
Weltraum noch viele andere ungeheuer starke Energien – die
Atomenergie würde sich dagegen ausnehmen wie eine
Streichholz- flamme neben der Sonne. Wir können es einfach
nicht erlauben, dass eine gewalttätige Menschenrasse den Frieden
der zivilisierten Welten in Gefahr bringt, und noch viel weniger,
dass sie eine kosmische Katastrophe heraufbeschwört!’’
,,Ich bin beunruhigt, Ami’’, druckste ich.
,,Wegen der Gefahr einer kosmischen Katastrophe?’’
,,Nein, weil ich fürchte, dass es schon sehr spät ist.’’
,,Zu spät, um die Menschheit zu retten, Pedrito?’’
,,Nein, zu spät, um schlafen zu gehen …’’
Ami bog sich vor Lachen. ,,Beruhige dich, Pedrito, wir werden
nach deiner Grossmutter schauen. ‚’ Er be- nutzte wieder den
kleinen Fernseher aus seinem Gür- tel. Meine Grossmutter schlief
mit offenem Munde.
,,Sie geniesst ihren Schlaft wirklich’’, witzelte Ami.
,,Ich bin müde und schläfrig’’, gähnte ich, ,,ich möchte auch
schlafen gehen.’’
,,Gut, gehen wir.’’
Wir waren auf dem Weg zu unserem Haus, als uns ein
Polizeiauto entgegenkam. Für die Polizisten war
der Fall klar: zwei Kinder spät nachts allein auf der Strasse! Sie
hielten den Wagen an, stiegen aus und schritten auf uns zu. Mir
schlotterten die Knie. ,,Was
treibt Ihr den hier um diese Zeit?’’
,,Wir gehen spazieren und geniessen das Leben’’, sagte Ami
betont ruhig, ,,und ihr, was treibt ihr? Arbei- ten? Jagd auf
Schurken machen?’’, und er lachte wie immer. Ich hielt den Atem
an, als ich hörte, wie Ami mit

44
den Polizisten umsprang. Aber die fanden das Verhal- ten meines
Freundes seltsamerweise ungeheuer lu- stig. Sie lachten mit ihm
um die Wette. Ich versuchte mitzulachen, aber ich war zu nervös
dazu.
,,Wo hast du denn diesen Anzug her?’’
,,Von meinem Planeten’’, antwortete Ami keck.
,,Ah, du bist wohl ein Marsmensch!’’
,,Nicht gerade das, aber ein Ausserirdischer bin ich allemal.’’
Ami gab sich heiter, fast ausgelassen, ich dagegen wurde immer
zappliger.
,,Und wo hast du deine Ufo gelassen?’’ fragte einer der
Beamten und sah Ami väterlich an, Er glaubte offensichtlich, das
sich mein Freund ein kindliches
Spiel mit ihm erlaubte; er konnte nicht ahnen, dass Ami ganz
einfach die Wahrheit sagte.
,,Das habe ich am Strand geparkt, unten am Meer,
nicht wahr, Pedrito?’’
Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ich lächelte nur
und machte ein ziemlich dummes Gesicht
dazu. Ich hatte nicht den Mut, einfach ja zu sagen.
,,Und hast du keine Pistole, die Strahlen schiesst?’’ Die
Polizisten genossen den Spass, Ami auch. Nur ich war völlig
verwirrt und aufgeschreckt.
,,Die brauche ich nicht, wir greifen niemanden an, wir sind
gut!’’
,,Und was tust du, wenn dir plötzlich ein Schurke
mit einer Pistole wie dieser gegenübersteht?’’ Der Poli- zist tat so,
als ob er ihn mit einer Waffe bedrohte.
,,Wenn er mich angreift, dann setze ich ihn mit
meiner Gedankekraft ausser Gefecht.’’
,,Na, das will ich sehen. Los, setz mich ausser Gefecht!’’
,,Sehr gerne, aber – das wird zehn Minuten anhalten!’’

45
Die drei lachten fröhlich. Auf einmal wurde Ami still, fasste die
Männer ins Auge und sagte in einem sehr eigenartigen befehlenden
Ton: ,,Bleibt unbeweglich
für zehn Minuten, ihr könnt – ihr könnt euch nicht bewegen –
jetzt!’’
Die beiden standen plötzlich da wie gelähmt, in
der Haltung, die sie gerade eingenommen hatten; sie lächelten
sogar!
..Siehst du, Pedrito, so kann man die Wahrheit
sagen, als ob es ein Spiel wäre oder Phantasie’’, er- klärte er mir,
während er die Nasen seiner Opfer an-
fasste und ihre Schnurrbärte bewegte. Das Lächeln der
Polizisten wirkte unter diesen Umständen schon fast tragisch!
Ich aber geriet regelrecht in Panik. ,,Mensch,
nichts wie weg hier! Wenn die aufwachen . . .!’’ wollte ich rufen,
aber es kam nur ein heiseres Flüstern aus
meiner Kehle.
,,Mach dir doch keine Sorgen, Pedrito, zehn Minu- ten sind eine
Ewigkeit!’’ Ami hatte noch immer nicht
genug: er gab den Dienstmützen einen Stoss, dass sie auf die Seite
rutschten. Ich wäre am liebsten im Boden
versunken. ,,Los, Ami, lass uns abhauen!!’’
Ami zuckte die Achseln. ,,Jetzt bist du schon wie- der besorgt,
anstatt den Augenblick zu geniessen, aber
– gehen wir eben’’, meinte er resigniert. Er näherte
sich noch einmal den lächelnden Polizisten und befahl ihnen mit
derselben Stimme wie vorher: ,,Wenn ihr auf, werdet ihr für immer
diese beiden Kinder vergessen haben.’’
Wir entfernten uns rasch, bogen an der nächsten Strassenecke
zum Strand ein und gewannen immer mehr Abstand. Mir fiel ein
Stein vom Herzen.
,,Wie hast du das gemacht, Ami?’’

46
,,Hypnose! – Das kann jeder!’’
,,Ich hab mal gehört, dass sich nicht jeder hypnoti- sieren lässt;
die beiden hätten ja auch von dieser Sorte sein können.’’
,,Es ist nicht nur so, dass man alle Menschen hyp- notisieren
kann, sondern so: alle Menschen sind hypnotisiert!’’
,,Was willst du damit sagen? Ich zum Beispiel bin nicht
hypnotisiert, ich bin hellwach.’’
Ami lachte über meine Beteuerungen. ,,Erinnerst
du dich, wie es war, als wir den Weg hier herauf- kamen?’’
,,Ja, ich erinnere mich.’’
,,Alles erschien dir anders, alles war schön.’’
,,Oh ja, ich war wie hypnotisiert. Hast du das etwa gemacht?’’
,,Nein, da warst du hellwach, jetzt schläfst du wie- der! Und
zwar ganz fest! Du glaubst, dass das Leben wertlos ist, dass alles
gefährlich ist, weil du wieder
hypnotisiert bist! Du hörst das Meer nicht mehr, du riechst die
Düfte der Nacht nicht mehr, du bist dir
nicht bewusst, dass du gehen und sehen kannst, du spürst deine
Atmung nicht, du bist hypnotisiert, und
zwar negativ! So wie die Leute, die glauben, dass der Krieg
irgendeinen glorreichen Sinn hat, oder wie sol- che, die alle für
ihre Feinde halten, die bei ihrer Hyp-
nose nicht mitmachen, oder wie andere, die der Mei- nung sind,
dass die Art der Kleidung ihrer Person ir- gendeinen besonderen
Wert verleihe. Das alles ist
Hypnose, sie sind alle hypnotisiert, sie schlafen alle! Aber jedes
Mal, wenn jemand spürt, dass das Leben
oder auch nur ein einziger Augenblick im Leben herr-
lich ist, dann fängt er an aufzuwachen. Ein Mensch, der erwacht
ist, weiss, dass das Leben ein herrliches Para-

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dies ist, und geniesst es jeden Augenblick. – Aber so viel kann
man von einer unzivilisierten Welt wohl nicht verlangen! Wenn
ich daran denke, dass es sogar Leute gibt, die sich umbringen!
Stell dir vor, wie kriminell! Sie bringen sich um!!’’
,,Wenn du das so sagst’’, meinte ich nachdenklich,
,,dann gebe ich dir recht. – Aber sag mal, wie kam das eigentlich,
dass die beiden Polizisten sich über deine
Spässe nicht ärgerten?
,,Weil ich an ihre gute Seite appelliert habe, an ihre kindliche
Seite.’’
,,Aber es sind Polizisten!’’
Ami sah mich an, als hätte ich etwas Dummes gesagt. ,,Schau,
Pedro, alle Menschen haben eine gute
Seite, eine kindliche. Beinahe niemand ist vollkommen
schlecht. Wenn du willst, gehen wir in ein Gefängnis und suchen
uns den ärgsten Verbrecher…’’
,, Nein, nein, vielen Dank!’’
,,Alle Menschen sind mehr gut als schlecht, sogar hier auf
deinem Planeten. Alle glauben sie, dass sie dass
Richtige tun, manche irren sich aber. Das ist nicht Bosheit,
sondern Irrtum! Nur wenn sie schlafen, wer- den sie dumpf und
gefährlich. Aber wenn du an ihre
gute Seite rührst, geben sie dir das Gute in ihnen zurück,
appellierst du an ihre schlechte Seite, antwor- ten sie mit ihrem
Schlechten. Aber die meisten von
ihnen spielen gern.’’
,,Warum ist es denn so, dass es auf dieser Welt mehr Unglück
als Glück gibt?’’
,,Das liegt an den alten Systemen, nicht an den Menschen! Die
meisten Menschen haben sich längst
weiterentwickelt, doch eure Organisationssysteme
sind zurückgeblieben. Falsche Systeme schaden den Menschen,
dadurch werden sie unglücklich und bege-

48
hen Irrtümer. Ein gutes System der Weltorganisation könnte die
Bösen ganz leicht in Gute verwandeln.’’
Es klang wunderbar, was Ami sagte, aber ehrlich gesagt, ich
verstand nicht allzu viel von seinen Worten.

49
5. Kapitel

Von den Ausserirdischen entführt!

,,Hier sind wir schon bei deinem Haus. Gehst du jetzt


schlafen?’’
,,Ja, ich bin schrecklich müde, ich kann einfach nicht mehr.
Und du, was wirst du machen?’’
,,Ich geh zu meinem Raumschiff und werde eine
Runde zu den Sternen drehen. Eigentlich wollte ich dich einladen,
aber wenn du zu müde bist …?’’
,,Aber keine Spur! Im Ernst, würdest du mich auf
eine Runde mitnehmen in deinem Ufo?’’
,,Natürlich. Und deine Grossmutter?’’
Die phantastische Möglichkeit, in einer Fliegen- den
Untertasse spazieren zufahren, hatte meine Mü-
digkeit weggeblasen. Ich fühlte mich plötzlich frisch
und unternehmungslustig. Mir fiel auch sofort ein Plan ein, wie
ich wegbleiben könnte, ohne vermisst zu wer-
den.,, Ich werde das Abendbrot aufessen und den lee- ren Teller
auf dem Tisch stehen lassen. Dann stopfe ich mein Kopfkissen
unter die Bettdecke, und wenn
meine Grossmutter aufsteht, wird sie glauben, dass ich zu Hause
bin. Ich werde mir auch was anderes anzie- hen. Wenn ich ganz
leise bin, wird sie mich nicht
hören.’’
,,Wunderbar. Wir werden zurück sein, ehe sie auf- wacht;
mach dir keine Sorgen.’’
Es verlief alles nach Plan; nur als ich das Steak essen wollte,
ekelte ich mich derart, dass es mir fast im Halse stecken geblieben
wäre! Ein paar Minuten später

50
gingen wir zum Strand hinunter.
,,Wie komme ich in das Raumschiff rein?’’
,,Ich werde hinausschwimmen und es an den Strand bugsieren.’’
,,Ist das Wasser nicht’n bisschen kalt für dich?’’ fragte ich.
,,Keine Angst! Dieser Anzug hält mehr Hitze und Kälte aus, als
du dir vorstellen kannst. – Gut, ich
werde das Raumschiff jetzt holen. Wart hier auf mich, und wenn
ich komme – hörst du? – brauchst du dich
nicht zu fürchten!’’
,,Oh, nein, ich hab keine Angst mehr vor euch
Ausserirdischen!’’ Ich lächelte über seine überflüssige
Empfehlung.
Ami marschierte auf die seichten Wellen zu, direkt ins Meer
hinein, und begann dann zu schwimmen.
Weiter draussen konnte ich ihn im Dunkeln dann nicht mehr sehen,
da sich der Mond hinter ein paar eher finsteren Wolken versteckt
hatte. Zum erstenmal,, seit
Ami in meinem Leben aufgetaucht war, hatte ich Zeit, alleine
nachzudenken. Ami? – Ein Ausserirdischer??
– War es wirklich wahr, oder träumte ich das alles nur? –
Ich wartete ziemlich lange und begann langsam,
unruhig zu werden. So gut fühlte ich mich auch wieder nicht, so
ganz allein am dunklen Strand. Und nun sollte
ich ein Raumschiff kennenlernen! Meine Phantasie gaukelte mir
dunkle Schatten zwischen den Felsen vor, im Sande, dann aus dem
Wasser steigen. –
Wenn Ami nun ein Bösewicht wäre, einer, der sich nur als Kind
verkleidet und mir nette Dinge gesagt hatte,
damit ich ihm vertraute? – Nein, das konnte nicht sein.
Von einem Raumschiff entführt werden!
Auf einmal ereignete sich vor meinen Augen ein

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furchterregendes Schauspiel. Aus den Tiefen des Meeres begann
ein gelbgrüner Schein langsam em- porzusteigen. Plötzlich
erschien eine Kuppel, die sich mit Lichtern in vielen Farben
drehte. Es war tatsächlich wahr! Ich sah wirklich ein Raumschiff
aus einer ande- ren Welt! Dann konnte man das Riesending sehen,
oval mit heller leuchteten Fenstern. Es strahlte ein silbrig- grünes
Licht aus. So etwas Grossartiges hatte ich nicht erwartet. Ich war
vor schreck wie gelähmt!
Es ist eine Sache, mit einem Kind zu reden – Kind? . . . war das
Liebe und gute vielleicht nur
Maske?? – und eine ganz andere, nachts allein am
dunklen Strand zu stehen und dieses Schiff aus einer anderen
Welt zu sehen, ein Schiff, das sich ausserdem
noch auf dich zu bewegt, um dich weit fortzuführen!
Mit einem Schlage vergass ich das Kind und alles, was es mir
gesagt hatte! Für mich war das Schiff nur noch
eine Höllenmaschine, wer weiss, aus welchem dunklen
Fleck im Raume stammend, voller grausamer Monster- wesen,
die gekommen waren, mich zu entführen!! In
diesem Augenblick schien mir das Ding viel, viel grö- sser als das
Objekt, das ich vor ein paar Stunden in Wasser hatte fallen sehen!
Es kam auf mich zu, etwa drei Meter über dem Wasser
schwebend, es gab keinen Ton von sich. Das war eine
schreckliche Stille! Und es kam unausweich-
lich auf mich zu . . .
Ich kämpfte mit mir, ob ich davonlaufen sollte oder nicht.
Hätte ich diesen Ausserirdischen doch niemals
kennengelernt! Wie gerne hätte ich die Zeit zurückge- dreht, dann
schliefe ich jetzt seelenruhig im Häuschen
bei meiner Grossmutter, beschützt in meinem Bett, ein
ganz normales Kind in einem ganz normalen Leben. Dies hier war
schrecklich. Ich konnte nicht laufen und

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konnte es auch nicht lassen,
dieses erleuchtete Monstrum anzustarren, das kam, um mich zu
holen. Vielleicht für einen Weltraumzoo . . . !
Als es über meinem Kopf schwebte, fühlte ich mich
vollkommen verloren. Im
Innern des Schiffes erschien ein gelbes Licht,
und dann wurde ich von dem Strahl eines Scheinwerfers
geblendet. Ich war halbtot vor Angst! Ich empfahl meine Seele
Gott und übergab mich seinem höchsten Willen . . .
Da spürte ich, wie ich Hochgehoben wurde in einer Art von
Aufzug, aber meine Füsse standen auf nichts.
Gottergeben erwartete ich die schrecklichen Wesen
Mit Stachelrochenhäuptern und roten, blutrünstigen Augen . . .
Auf einmal fühlten meine Füsse weichen Boden unter sich, und
ich befand mich in einem hellerleuch- teten, mit Tapeten und
Teppichen ausgestatteten Raum. Ami stand vor mir und lächelte
mich mit seinen grossen, lieben Kinderaugen an.
Sein Blick beruhigte mich, holte mich in die Wirk- lichkeit
zurück, in diese wunderbare Wirklichkeit, die
er mich zu sehen gelehrt hatte. Er legte seine Hand auf meine
Schulter und sagte: ,,Ruhig … ruhig …, alles ist in Ordnung.’’
Als ich wieder reden konnte, stammelte ich:
,,Mensch, Ami, hatte ich eine Angst!’’ Dabei lächelte ich etwas
schief.
,,Das tut deine ungezügelte Phantasie’’, meinte
Ami lakonisch, ,,zügellose Phantasie kann einen durch Angst
töten, kann Dämonen schaffen, wo in Wirklich-
keit nur Freunde sind! Aber denk daran, es sind immer nur unsere
eigenen inneren Monster, die Wirklichkeit ist einfach und schön
und unkompliziert.’’
,,Dann bin ich jetzt also wirklich in einem Ufo?’’
,,Na ja – Ufo heisst >>Unidentified Flying Object<<. Dies hier
ist völlig identifiziert! Es ist ein Raumschiff! Aber wir können es
Ufo nennen, wenn du willst; und wenn du unbedingt möchtest,
kannst du mich auch einen Marsmenschen nennen.’’
Wir lachten beide, meine ganze Angst war wie weggeblasen.
,,Komm, komm mit in den Kontrollraum’’, lud mich
Ami ein. Durch eine sehr kleine bogenförmige Tür betraten wir
einen anderen, diesmal halbrunden
Raum, der genau so niedrig wie der erste war und ringsum ovale
Fenster hatte. In der Mitte standen drei
verstellbare Lehnsessel vor einer Unzahl von Kontroll-
instrumenten. Auch einige Bildschirme gab es, bei-

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nahe in Bodenhöhe. Ich begriff: das alles hier war für Kinder
gemacht, die Stühle und auch die Höhe des Raumes! Kein
Erwachsener hätte hier aufrechte stehen können. Wenn ich den
Arm hochreckte, berührte ich die Decke!
,,Das ist ja ganz phantastisch!’’ rief ich begeistert. Ich lief auf
die Fenster zu, während Ami sich vor die
Kontrollinstrumente setzte. Hinter den Scheiben konnte ich in der
Ferne die Lichter des Dorfes sehen. Ich spürte ein leises Zittern
am Boden, und schon war
das Dorf verschwunden. Jetzt sah ich nur noch Sterne!
,,Ami, was hast du mit dem Dorf gemacht?!’’
,,Schau hinunter’’, antwortete Ami.
Ich fiel beinah in Ohnmacht: Wir waren schon Taus- ende von
Metern über der Bucht! Man konnte alle Dörfer der Umgebung
sehen. Mein Dorf lag da unten, ganz tief unten! Wir waren in
einem einzigen Augen- blick Tausende von Metern gestiegen,
und ich hatte keine Bewegung gespürt!
,,Das ist ja super! Supertoll!’’ Meine Begeisterung wurde
immer grösser, aber auf einmal fühlte ich in dieser Höhe einen
merkwürdigen Schwindel. ,,Ami!’’
,,Ja, was ist?’’
,,Bist du sicher, dass dieses Ding hier bestimmt nicht
runterfällt?’’
,,Na ja, wenn jemand an Bord wäre, der immer
noch zu Lügen zuflucht nähme, dann … dann könnten allerdings
gewisse Mechanismen ausfallen…’’
,,Ach, bitte, dann landen wir besser wieder! Bitte,
Ami, lass uns landen!!’’
Als Ami herzlich lachte, wusste ich, dass das ein Witz gewesen
war.
,,Kann man uns von da unten sehen?’’
,,Wenn dieses Licht hier an wäre, dann schon’’. Er

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zeigte auf ein Oval am Armaturenbrett.
,,Willst du damit sagen, dass wir gesehen werden können?’’
,,Wenn dieses Licht ausgeschaltet ist, wie zum Bei- spiel jetzt,
dann sind wir unsichtbar.’’
,,Unsichtbar?’’
,,Ja, genau wie der Herr hier auf diesem Stuhl’’, und er zeigte
auf den leeren Sitz neben sich. Ich war
verwirrt, bis Amis Lachen mich belehrte, dass er schon
wieder einen Witz gemacht hatte.
,,Wie machst du es, dass sie uns nicht sehen?’’
,,Wenn sich das Rad eines Fahrrades sehr schnell dreht, kann
man die Speichen nicht sehen. Wir ma-
chen es durch die Beschleunigung der Moleküle des
ganzen Schiffes.’’
,,Genial! – Du, Ami, ich hätte eigentlich ganz gern, wenn die
da unten uns sehen könnten.’’
,,Das kann ich nicht tun! Ob unsere Raumschiffe in
den unzivilisierten Welten sichtbar oder unsichtbar sind, wird
durch den nothilfeplan bestimmt, und zwar von einem
gigantischen Computer, der sich im Zen- trum dieser Galaxis
befindet.’’
,,Das verstehe ich nicht.’’
,,Dieses Schiff hier ist wie alle anderen mit dem
Zentralcomputer verbunden, und der beschliesst, ob
wir gesehen werden sollen oder nicht.’’
,,Und wie kann dieser Computer wissen, wann?’’
,,Der Computer weiss alles. – Pedrito, möchtest du an eine
bestimmten Ort reisen?’’
,,Ja, in die Hauptstadt. Ich möchte so gern mein Haus von oben
sehen.’’
,,Gut, gehen wir.’’
Ami bewegte ein paar Kontrollhebel und sagte:
,,Jetzt.’’

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Ich richtete mich auf eine längere Fahrt ein; ich stand am
Fenster, um sie von dort aus zu geniessen.
Aber wir waren schon da! Hundert Kilometer im Bruch- teil einer
Sekunde!! Ich war ganz hingerissen:
,,Mensch, das ging aber schneller als schnell!!’’
,,Ich habe dir schon gesagt, dass wir normalerweise nicht
reisen, sonder uns situieren; eine Sache der
Koordination. Wir können aber auch reisen.’’ Die nächtliche Stadt
sah von hier oben unbe-
schreiblich schön aus. Ich sah die grossen, leuchten-
den Strassen und fand auch das Viertel, in dem wir wohnten. Ich
bat Ami, dorthin zu gehen. ,,Aber, bitte langsam reisen, ich
möchte die Spazierfahrt geniessen.’’
Die Lichter am Armaturenbrett waren ausgeschal- tet; niemand
konnte uns sehen. Leicht und lautlos be- wegten wir uns zwischen
den Sternen und den Lich-
tern der Stadt. Dann sah ich auf einmal mein Haus; es sah von
oben ganz seltsam aus.
,,Möchtest du wissen, ob drinnen alles in Ordnung
ist?’’
,,Wie bitte?’’
,,Wir können es auf diesem Bildschirm sehen.’’ Vor Ami
erschien auf einem der Bildschirme eine
Strasse, von oben gesehen. Es schien dasselbe System zu sein, mit
dem wir meine schlafende Grossmutter beobachtet hatte, und
doch gab es einen Unter-
schied: hier war das Bild viel plastischer, wie ein Relief. Es
schien, als ob man die Hand durch den Bildschirm strecken und
die Dinge anfassen könnte. Ich versuchte
das zu tun, stiess aber gegen unsichtbares Glas.
Ami lachte mich aus. ,,Alle tun dasselbe!’’
,,Alle? Wer alle?’’
,,Du denkst doch nicht etwa, dass du der erste Unzi- vilisierte
bist, der in einem ausserirdischen Raumschiff

58
spazierenfährt?’’
,,Doch, das habe ich eigentlich geglaubt’’, sagte ich etwas
enttäuscht.
,,Nun, das stimmt leider nicht.’’
Das Bild der Kamera oder was immer es war schien durch das
Dach ins Haus einzudringen, jeden Winkel abtastend. Alles war in
Ordnung.
,,Warum sieht man auf deinem tragbaren Fernse- her nicht so
gut wie auf diesem Bildschirm?’’
,,Ich habe dir schon gesagt, es ist ein altmodisches
System.’’
Jetzt bat ich Ami, eine Runde über der Stadt zu drehen. Wir
flogen über meine Schule; ich sah den Hof,
den Fussballplatz, die Tore, meinen Klassenraum. Ich musste
schmunzeln, als ich mir vorstellte, dass ich mei- nen Mitschülern
später stolz mein grosses Abenteuer
beschreiben würde: ,,Hört mal her, ich habe unsere Schule von
einem Ufo aus gesehen…!’’
Nachdem wir die ganze Stadt überflogen hatten,
meinte ich: ,,Eigentlich schade, dass es nicht Tag ist.’’
,,Warum?’’
,,Weil ich die Städte und Landschaften gern bei Tage von
deinem Raumschiff aus anschauen möchte,
dann, wenn die Sonne scheint.’’
,,Wie üblich’’, lachte Ami.
,,Warum lachst du?’’
,,Möchtest du so gerne, dass es Tag sein soll?’’
,,Schon. Aber das wirst selbst du nicht schaffen, auch noch den
Stand der Sonne zu verändern! – Oder
doch?’’
,,Nein, die Sonne nicht, aber wir können uns ver- ändern.’’
Er tätigte etwas an seinen Kontrollinstrumenten, und wir
begannen uns sehr schnell zu bewegen. Wir
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stiegen die Bergkette der Anden hoch und überquer- ten sie in
etwa drei Sekunden. Dann erschienen meh- rere Städte, die wie
Leuchtpunkte aussahen, so gross war die Höhe, die wir
inzwischen erreicht hatten. Dann befanden wir uns schon über
dem riesigen Atlanti- schen Ozean, der im vollen Mondlicht
schimmerte. Es gab einige Wolkenbänke, die die Sicht etwas
behinder- ten. Am Horizont wurde der Himmel langsam heller,
wir bewegten uns gegen Osten. Endlich erreichten wir eine
Landmasse, über der gerade die Sonne aufging. Ich konnte es
kaum fassen: Ami hatte die Sonne be- wegt, nur ein paar
Augenblicke … und schon war es Tag geworden!
,,Warum hast du behauptet, dass du sie nicht bewe- gen
kannst?’’
Ami hatte wieder einmal Grund, sich über meine Unwissenheit
zu amüsieren. ,,Ich habe nicht die Sonne bewegt, wir haben uns
schnell bewegt!’’
Ich sah meinen Irrtum augenblicklich ein, aber schliesslich gab
es gute Gründe dafür, wenn man am
Horizont auf einmal die Sonne aufgehen sieht, und zwar so
schnell, wie man es noch nie zuvor gesehen
hat!
,,Wo sind wir jetzt?’’
,,Über Afrika.’’
,,Aber vor einer Minute waren wir doch noch in Südamerika!’’
,,Da du bei Tage in diesem Raumschiff fliegen
wolltest, flogen wir eben dahin, wo es Tag ist. >>Wenn der Berg
nicht zum Propheten kommt. Geht der Pro- phet zum Berge<<! –
Welches Land in Afrika möchtest du wohl besuchen?’’
,,Ähhh . . . Indien.’’
Als ich Ami kichern hörte, merkte ich, dass mich

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meine Kenntnisse in Geographie wieder mal im Stich gelassen
hatten.
,,Gut, gehen wir eben nach Asien, nach Indien. Welche Stadt
dort möchtest du dir ansehen?’’
,,Mmh, mir ist alles recht, such du dir eine aus.’’
,,Ist dir Bombay recht?’’
,,Ja, Ami, herrlich!!’’
Sehr hoch und mit grosser Geschwindigkeit über- querten wir
den afrikanischen Kontinent. Ich habe mir später zu Hause auf
einer Karte die ganze Reise noch einmal angesehen. Während die
Sonne schnell höher stieg. Erreichten wir den Indischen Ozean,
und bald waren wir in Indien angelangt. Plötzlich blieb das
Raumschiff still stehen.
,,Wie kommt es, dass wir nicht gegen die Scheiben knallen,
wenn du so scharf bremst?’’ fragte ich über-
rascht.
,,Die Trägheit der Masse wird aufgehoben.’’
,,Ach, so einfach!!’’

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6. Kapitel

Alles hängt von den Punkten ab

Nachdem wir uns ungefähr hundert Meter über der Stadt


befanden, begann unsere Spazierfahrt über den Himmel von
Bombay.
Ich glaubte zu träumen, es war wie im Kino. Die Menschen
hatte Turbane auf, und die Häuser sahen
alle ganz anders aus als bei mir zu Hause. Unglaublich,
die vielen Menschen, die überall auf den Strassen um- herliefen.
In meiner Stadt ging es nicht einmal im Zen-
trum oder bei Büroschluss so lebhaft zu, hier aber gab
es überall eine Unmenge von Menschen. Ich war in einer anderen
Welt!
Niemand konnte uns sehen, das entsprechende
Licht war ausgeschaltet.
Auf einmal kam ich wieder in die Wirklichkeit zu- rück.
,,Meine Grossmutter!’’
,,Was ist mit deiner Grossmutter?’’
,,Es ist schon Tag. Sie ist aufgestanden und macht sich Sorgen,
weil ich nicht da bin. Gehen wir doch
zurück!’’
Ami schien aber auch alles, was ich sagte, uner- hört komisch
zu finden! ,,Pedrito, deine Grossmutter
schläft tief. Bei ihr am anderen Ende der Welt ist es im
Augenblick zwölf Uhr nachts. Hier ist es nämlich zehn Uhr früh.’’
,,Von gestern oder von heute?’’
,,Von morgen!’’ lachte Ami. ,,Mach dir keine Sor- gen. Wann
steht sie denn gewöhnlich auf?’’

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,,So gegen halb neun.’’
,,Dann haben wir ja noch achteinhalb Stunden, ganz
abgesehen davon, dass wir die Zeit auch strecken können.’’
,,Ich mache mir trotzdem Sorgen, warum gehen wir nicht
nachsehen?’’
,,Was willst du nachsehen?’’
,,Vielleicht ist sie aufgewacht. Bitte, lass uns doch hingehen.’’
,,Das können wir auch von hier tun.’’
Ami bewegte seine Kontrollknöpfe, und es er- schien die
südamerikanische Küste, aus grosser Höhe gesehen. Dann sauste
das Bild wie im Sturzflug mit phantastischer Geschwindigkeit
nach unten. Bald konnte ich die Bucht sehen, das Dorf, das
Strandhäus- chen, das Dach, meine Grossmutter. Es war nicht zu
glauben, ganz so, als wenn ich dort wäre! Sie schlief mit offenem
Mund, genau wie vorher.
,,Man kann nicht behaupten, dass sie keinen guten Schlaf hat’’,
schmunzelte Ami, und dann sagte er:,,Nun
werden wir etwas tun, damit du völlig beruhigt bist.’’ Er nahm
eine Art Mikrofon und schärfte mir ein, ganz still zu sein. Dann
drückte er auf den Knopf des
Geräts und machte: Pssst.
Meine Grossmutter musste das gehört haben; sie erwachte,
stand auf und ging ins Esszimmer. Wir konn-
ten ihre Schritte hören, ja sogar ihren Atem. Sie sah den
halbleeren Teller auf dem Tisch, nahm ihn und trug ihn in die
Küche. Dann ging sie hinüber in mein
Zimmer, machte die Tür auf, schaltete das Licht an und sah zu
meinem Bett hin. Alles schien in Ordnung, es
sah wirklich so aus, als ob ich im Bett läge. Doch dann
schien ihr etwas aufzufallen. Ich konnte mir nicht vor- stellen,
was es sein könnte, doch Ami schaltete sofort:

63
Er begann in sein Mikrofon hineinzuatmen! Als meine
Grossmutter die Atemzüge hörte, war sie überzeugt, dass ich im
Bett war und schlief. Sie löschte das Licht und schlurfte wieder in
ihr Zimmer. Ami schaltete den Bildschirm aus.
,,Bist du nun beruhigt?’’
,,Ja, danke, jetzt schon. Es ist einfach nicht zu glauben: Sie
schläft dort, und wir sind hier am hellich-
ten Tag!’’
,,Ihr Menschen seid zu festgelegt in eurer Vorstel- lung von
Entfernungen und Zeiträumen.’’
,,Das verstehe ich nicht.’’
,,Was würdest du zum Beispiel sagen, wenn wir heute auf
Reisen gingen und gestern ankämen?’’
,,Ami, mach mich doch nicht ganz verrückt! – Du,
könnten wir nicht mal nach China gehen?’’
,,Natürlich. In welche Stadt?’’
Diesmal wollte ich mich nicht schämen müssen, stolz und
sicher sagte ich: ,,Nach Tokio.’’
,,Gut, gehen wir nach Tokio, der Hauptstadt von Japan’’,
meinte er und tat so, als ob es gar nichts zu
lachen gäbe.
Nun flogen wir über ganz Indien von Westen nach Osten und
erreichten die Bergwelt des Himalaja. Dort
blieb das Schiff auf einmal stehen.
,,Wir bekommen Befehle’’, teilte mir Ami mit. Auf dem
Bildschirm erschienen fremdartige Signale. ,,Es
handelt sich darum, jemandem einen Beweis zu lie-
fern. Der Zentralcomputer sagt, dass wir uns an einem
bestimmten Ort von jemandem sehen lassen sollen.’’
,,Wie lustig . . . und von wem?’’
,,Das weiss ich auch nicht, wir werden vom Compu- ter
geleitet. Wir sind übrigens schon da.’’
Wir hatten das System der augenblicklichen Orts-

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veränderung angewandt! Wir befanden uns über einem Walde,
ungefähr fünfzig Meter hoch. Das Licht
zeigte an, dass wir sichtbar waren. Alles in der Gegend war mit
Schnee bedeckt.
,,Das ist Alaska’’, sagte Ami, der die Landschaft kannte. Die
Sonne schickte sich gerade an, über dem Meer unterzugehen. Auf
einmal setzte sich das Raum-
schiff in Bewegung: Es beschrieb ein Riesendreieck und
wechselte dabei unaufhörlich die Farben.
,,Warum tun wir das?’’
,,Um Eindruck zu machen. Wir wollen diesen Freund auf uns
aufmerksam machen. Dort kommt er.’’
Ami sah auf den Bildschirm. Ich schaute zum Fen-
ster hinaus, und dann sah auch ich ihn. Ziemlich weit weg
zwischen den Bäumen stand ein Mann in einer braunen Pelzjacke.
Er trug ein Gewehr. Er schien sich sehr zu fürchten und richtete
plötzlich die Waffe gegen uns. Ich duckte mich unwillkürlich, um
Deckung zu suchen. Ami fand das wieder einmal sehr komisch.
,,Hab keine Angst, dieses Ufo ist natürlich kugelsi- cher – und
auch sicher gegen so manches andere.’’
Wir stiegen nun höher und verhielten dort eine Zeitlang. Jetzt
sandte das Raumschiff Lichter in allen
Farben aus.
,,Es ist notwendig, dass der Mann da unten diese Vision
niemals wieder vergisst.’’
Ich dachte, es wäre sicher nicht nötig gewesen, den Mann so
furchtbar zu erschrecken; wenn wir ein-
fach nur so durch die Luft geflogen wären, hätte er das
Schauspiel auch nie mehr vergessen! Das sagte ich Ami.
,,Da bist du sehr im Irrtum’’, meinte er. ,,Millionen von
Menschen haben unsere Raumschiffe in der Luft
gesehen und es doch wieder vergessen. Meist sind sie

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in dem Augenblick mit ihren eigenen Gedanken be- schäftigt oder
machen sich Sorgen über irgend etwas, und dann sehen sie uns,
ohne uns wirklich zu sehen. Und dann vergessen sie es eben
wieder. Wir haben da eine ziemlich eindrucksvolle Statistik.’’
,,Warum ist es notwendig, dass dieser Mann uns jetzt sieht?’’
,,Das weiss ich nicht genau. Vielleicht ist gerade seine
Wiedergabe des Erlebnisses wichtig für eine an- dere Person, die
wiederum aus anderen Gründen in-
teressant ist, oder vielleicht ist er selber auch was ganz Spezielles.
Ich werde mal mein Sensometer auf ihn richten.’’
Auf einem weiteren Bildschirm konnte man den- selben Mann
sehen, aber diesmal ganz durchsichtig! Mitten in seiner Brust
leuchtete ein goldenes Licht –
wunderschön!
,,Was ist das für ein Licht?’’
,,Man könnte vielleicht sagen, dass dieses Licht die Menge von
Liebe ist, die in ihm steckt …, aber so ganz
genau stimmt das nicht. Vielleicht sagen wir besser, dass es sich
um die Auswirkung der Liebeskraft auf seine Seele handelt. Das
ist dann sein Entwicklungs-
grad. Seiner misst 750 punkte.’’
,,Was heisst das denn nun?’’
,,Dass er interessant ist.’’
,,Interessant, warum?’’
,,Sein Entwicklungsstand ist für einen Erdenbe- wohner
ziemlich hoch.’’
,,Entwicklungsstand?’’
,,Der Grad, der bestimmt, ob er einer Bestie ähnli- cher ist oder
einem Engel. Schau…’’ Auf dem Bild- schirm hatte Ami jetzt
einen Bären, der ebenso durch- sichtig aussah. Auch er trug ein
Licht in der Brust, aber

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das leuchtete viel weniger als das des Mannes. ,,Zwei- hundert
Punkte genau’’, mass Ami. Jetzt richtete er das Gerät auf einen
Fisch: das Licht war minimal. ,,Fünfzig Punkte’’, sagte Ami, und
dann erklärte er: ,,Der Durch- schnitt bei den Menschen auf der
Erde liegt bei 550 Punkten.’’
,,Und wie viel Punkte hast du, Ami?’’
,,760.’’
,,Was? Nur zehn Punkte mehr als der Jäger?’’ Ich war
überrascht über den winzigen Unterschied zwi-
schen einem Erdenmenschen und ihm.
,,Auf der Erde bewegt sich das Niveau zwischen 330 und 800
Punkten.’’
,,Einige von uns haben also mehr als du??’’
,,natürlich! Mein Vorteil ist nur, dass ich gewisse Dinge weiss,
die sie nicht wissen; aber es gibt hier sehr,
sehr wertvolle Menschen … Lehrer, Künstler, Kranken- pfleger,
Feuerwehrleute …’’
,,Feuerwehrleute?’’
,,Nun, findest du es nicht edel, sein Leben für an dere zu
riskieren?’’
,,Da hast du recht. – Aber auch mein Onkel, der Atomphysiker,
ist sicher sehr wertvoll.’’
,,Er ist vielleicht berühmt. Sag mal, auf welchem Gebiet der
Physik betätigt sich denn dein Onkel?’’
,,Er ist dabei, eine neue Waffe zu entwickeln, eine
mit Ultraschallwellen!’’
,,Er glaubt nicht an Gott … und stellt ausserdem Waffen her …
Ich glaube, dass er leider nur ein ziemlich
niedriges Niveau hat.’’
,,Was?? Aber er ist doch ein Weiser!!’’ protestierte ich.
,,Du verwechselst schon wieder die Dinge. Schau, dein Onkel
hat Informationen, aber Informationen

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haben heisst nicht notwendigerweise, dass man auch intelligent
ist, und noch viel weniger weise. Ein Com- puter kann ein sehr
eindrucksvoller Speicher von Daten sein, aber deshalb ist er doch
nicht intelligent! Findest du es zum Beispiel sehr intelligent, wenn
ein Mensch eine Grube gräbt, in die er selbst einmal fallen
wird?’’
,,Nein, aber . . .’’
,,Waffen wenden sich immer gegen diejenigen, die sie
erfinden.’’
Diese Aussage schien mir nicht so sonnenklar, aber ich wollte
ihm trotzdem glauben. Wer war ich denn schliesslich, um an
seinen Worten zu zweifeln?
Aber ich war schon ziemlich durcheinander: Mein Onkel war
immerhin mein Vorbild gewesen, so intelli- gent, wie der war!
,,Er hat einen guten >>Computer<< im Kopf, dein Onkel, das
ist alles’’, sagte Ami, der meine Gedanken las. ,,Es ist ein
Problem der Definition: Auf der Erde
wird jemand intelligent oder weise genannt, wenn er gute
Fähigkeiten in dem einen seiner Gehirne hat, aber
wir haben schliesslich zwei davon!’’
,,Wie bitte??’’
,,Eines im Kopf, das ist der Computer und das einzige, das ihr
anscheinend kennt. Das andere ist in der Brust, zwar nicht
sichtbar, aber es ist dort. Dieses Gehirn ist das wichtigere: Es ist
das Licht, das du in der Brust des Mannes auf dem Bildschirm
gesehen hast. Für uns ist jemand intelligent oder weise, wenn
seine beiden Gehirne im Gleichgewicht stehen. Ein gesun- des
Gleichgewicht haben bedeutet, dass das Gehirn, das im Kopfe
seinen Sitz hat, dem Gehirn in der Brust zu Diensten ist und nicht
umgekehrt wie bei den mei- sten eurer sogenannten
Intellektuellen.’’

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,,Ami, du krempelst meine ganze Welt um! Aber ich glaub, ich
kapier es langsam. – Und was ist mit denen, die das Gehirn in der
Brust besser entwickelt haben als das Gehirn im Kopf?’’
,,Das sind die gutmütigen Dummen. Man kann sie leicht
hereinlegen, und die intelligenten Bösen tun das auch mit Wonne.
Man kann den Dummen sogar einre- den, dass sie das Rechte tun,
während sie in Wahrheit Schaden anrichten. Die Entwicklung des
Verstandes muss Hand in Hand gehen mit der Entwicklung des
Gemütes. Nur so kann jemand wirklich intelligent oder weise
werden. Nur so kann das Licht, das du gesehen hast, wachsen.’’
,,Und ich, Ami? Wieviel Punkte habe ich?’’
,,Das kann ich dir nicht sagen.’’
,,Warum nicht?’’
,,Wenn du eine hohe Punktzahl hättest, würdest du eitel werden
. . .’’
,,Ah, ich verstehe.’’
,, . . . aber wenn sie niedrig läge, wärest du viel- leicht sehr
gekränkt.’’
,,Ah . . .’’
,,Stolz löscht das Licht aus. Der Stolz ist der Same des Bösen.
Das wieder versand ich nicht so ganz.
,,Wir müssen versuchen, immer bescheiden zu sein. – Schau,
wir brechen schon wieder auf.’’
Augenblicklich waren wir wieder in den Bergen
des Himalaja, auf der anderen Seite des Planeten.

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7. Kapitel

Unser Raumschiff wird gesichtet

In Sekundenschnelle bewegten wir uns auf ein fernes Meer zu,


überquerten es und gelangten zu ein paar Inseln. Dann gingen wir
über der Stadt Tokio nieder. Ich dachte mir, wir würden Häuser
mit diesen komischen Dächern sehen, die sich nach oben hoch-
biegen, aber was ich sah, waren hauptsächlich Wol- kenkratzer,
moderne breite Strassen, Parks und Autos.
,,Wir werden gesichtet’’, sagte Ami und zeigte auf das Licht am
Armaturenbrett.
Auf den Strassen liefen die Leute zusammen und
zeigten mit den Fingern auf uns. Wieder spielten die Aussenlichter
in allen Farben. Wir standen ziemlich hoch und blieben dort für
ungefähr zwei Minuten sichtbar.
,,Noch eine Sichtung’’, erklärte Ami, während er die Zeichen
auf seinem Bildschirm beobachtete.
,,Unser Standort wird verändert werden.’’
Mit einem Male erlosch das Tageslicht; hinter den Fenstern
funkelten die Sterne. Man konnte kaum etwas erkennen: in der
Ferne eine kleine Stadt, wenige
Lichter, dann einen Weg, auf dem uns ein Auto entgegenkam. Ich
stellte mich neben Ami vor den Bild-
schirm. Dort war das gesamte Panorama hell ausge-
leuchtet. Alles, was man wegen der Dunkelheit mit den Augen
nicht wahrnehmen konnte, erschien auf dem Bildschirm so wie bei
Tageslicht. Das Auto, das lang- sam näher kam, war grün; drinnen
sassen ein Mann und

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eine Frau, anscheinend ein Ehepaar.
Wir standen auf etwa zwanzig Meter Höhe und waren, unseren
Lichtsignalen zufolge, weithin sicht- bar. Ich wollte mir alles
weitere auf dem Bildschirm ansehen, ich kriegte es dort viel
genauer mit als selbst in der Wirklichkeit.
Als das Fahrzeug in unserer Nähe war, blieb es am Wegesrand
stehen, und die Insassen stiegen aus. Sie
begannen zu schreien und zu gestikulieren, während
sie und mit weit aufgerissenen Augen anstarrten.
,,Was sagen sie?’’ fragte ich.
,,Sie wollen Kontakt aufnehmen, mit uns in Verbin- dung
treten. Dieses Ehepaar studieret Ufos oder, besser
gesagt, sie beten die Ausserirdischen an.’’
,,Dann nimm doch Kontakt mit ihnen auf’’, drängte ich, etwas
besorgt wegen dieser aufgeregten Leute.
Sie waren nun niedergekniet und schienen zu beten Oder so
was…
,,Das kann ich nicht so einfach, ich muss die stren-
gen Befehle des Nothilfeprogramms befolgen. Die
Kommunikation erfolgt nicht, wenn jemand es gerade so möchte,
sondern wenn es von oben beschlossen wird. Ausserdem könnte
ich bei so einem Anbetungs- theater nicht mitmachen, das ist
Idolatrie.’’
,,Was ist Idolatrie?’’
,,Eine Verletzung des Universalgesetzes’’, antwor- tete Ami
ernst.
,,Worin besteht sie?’’ Ich war neugierig.
,,Sie glauben, dass wir Götter sind.’’
,,Und wäre das so schlimm?’’
,,Nur Gott darf man anbeten, alles andere ist Ido- latrie. Es
wäre eine grosse Respektlosigkeit, wenn wir versuchten, den
Platz Gottes einzunehmen, den uns die abwegige Religiosität
dieser armen Leute zuwei-

71
sen möchte . . . Wenn sie uns als Brüder betrachten würden, wäre
das etwas anderes.’’
Ich schlug vor, dass Ami diese Leute über ihren Irrtum
aufklären sollte.
Als Ami meine Gedanke auffing, sagte er: ,,Pe- drito, in den
unzivilisierten Welten des Universums gibt es so viele
schreckliche Dinge. Allein in diesem
Augenblick werden auf vielen Planeten unzählige Menschen
wegen Ketzerei lebendig verbrannt, so wie es früher, vor
Jahrhunderten, auf der Erde geschah.
Und in diesem selben Augenblick gibt es Fische unten im Meer,
die andere lebendige Fische fressen. Dieser Planet ist nicht sehr
entwickelt. Genauso wie die Men-
schen verschiedene Entwicklungsebenen haben, haben es auch
die Planeten. Die Gesetze, die das Leben in den niedrigen Welten
bestimmen, erscheinen
uns sehr grausam. Die Erde wurde vor ein paar Millio- nen Jahren
auch von anderen Gesetzen regiert, alles war aggressiv und giftig,
alles hatte Krallen und
scharfe Schneidezähne. Da das Entwicklungsstadium heute höher
ist, gibt es jetzt mehr Liebe. Aber man
kann immer noch nicht sagen, dass dies eine höher entwickelte
Welt wäre! Es gibt noch sehr viel Brutalität.
– Schau . . .’’
Er stellte einen der Bildschirme ein, der uns sofort eine
Kampfszene vor Augen führte: Von einigen Pan-
zern aus beschossen Soldaten Gebäude, bewohnte Gebäude, in
denen es Männer, Frauen und Kinder gab!
,,Das passiert hier in diesem Augenblick, Pedrito,
in einem Land auf dieser Erde! – Aber wir können nichts tun,
denn wir dürfen in den Entwicklungsstand von Planeten, Ländern
oder Personen nicht eingreifen; denn letzten Endes ist alles ein
Lernweg. Ich bin auch mal ein wildes Tier gewesen und wurde
von anderen

72
wilden Tieren zerrissen. Ich war ein Mensch auf niede- rer
Entwicklungsstufe; ich habe getötet und wurde getötet, ich bin
grausam gewesen, und man war grau- sam zu mir. Ich bin viele Male
gestorben und habe nach und nach gelernt, in Harmonie mit dem
Grundge- setz des Universums zu leben. Jetzt ist mein Leben besser,
aber ich kann mich nicht gegen das Entwick- lungsystem stellen, das
von Gott erschaffen wurde.
Dieses Ehepaar verletzt das Universalgesetz, indem es uns mit
etwas so Erhabenem und Majestäti-
schem vergleicht wie Gott. Sie entziehen ihm dadurch ihre Gefühle
der Liebe und Verehrung, um sie auf uns zu richten. Auch die
Soldaten, die wir eben gesehen
haben, verletzen das Universalgesetz: >>Du sollst nicht töten<<. Sie
werden für ihren Irrtum bezahlen, und so lernen sie nach und nach.
Nur Menschen oder auch Welten, die einen gewis- sen
Entwicklungsgrad erreicht haben, können unsere Hilfe erhalten,
sonst verletzen wir die Gesetze des all-
gemeinen Entwicklungssystems.’’
Ich hatte bei weitem nicht alles verstanden; erst später, als ich
über Amis Worte nachdenken konnte, wurde mir einiges klar. Da
war mein Freund aber schon längst nicht mehr hier. Ich konnte erst
nach seiner abreise dies hier alles aufschreiben, mehr oder weni- ger
so, wie er es gesagt hatte.
Während wir darauf warteten, dass uns der Super- computer
umsituieren würde, stellte Ami das japani- sche Fernsehen ein. Es
lief gerade eine Nachrichten- sendung, die Ami mit seinem üblichen
guten Humor begleitete. Ein Journalist, der ein Mikrofon in der
Hand hielt, interviewte die Leute auf der Strasse. Eine Frau
gestikulierte und zeigte zum Himmel, während sie sprach. Ich
verstand natürlich nichts, aber ich bekam

73
schon mit, dass sie von ihrem Ufo-Erlebnis erzählte, von uns also
… Auch andere Leute gaben ihre Meinung über den Vorfall ab.
,,Was sagen sie?’’ fragte ich.
,,Dass sie ein Ufo gesehen haben …, wie verrückt manche
Leute sind!’’ kommentierte er lachend.
Dann erschien ein Mann mit Brille, der Kreise auf
eine Tafel zeichnete und sie dann erklärte. Es handelte sich um
eine Darstellung des Sonnensystems, der Erde und der anderen
Planeten. Er sprach ziemlich lange. Anscheinend verstand Ami
die Sprache, weil er die Sendung sehr unterhaltsam fand; er hatte
ja einen Übersetzer!
,,Was sagt er?’’ fragte ich wieder.
,,Er sagt, dass aufgrund seiner Ausführung wissen- schaftlich
bewiesen sei, dass es ausserhalb der Erde in
der ganzen Galaxis kein intelligentes Leben gebe. Ausserdem sagt
er, dass die Leute, die das vermeintliche Ufo gesehen hätten, an
einer Massenhalluzination lit-
ten und er ihnen empfehle, zum Psychiater zu gehen.’’
,,Im Ernst?’’ fragte ich lachend.
,,Im Ernst’’, sagte Ami, ebenfalls lachend. Der Wissenschaftler
redete immer noch.
,,Und was sagt er jetzt?’’
,,Dass es vielleicht eine Zivilisation gebe, die eben- so
fortgeschritten sei wie diese, aber nach seinen
Berechnungen bestenfalls eine auf zweitausend Gala- xien.’’
,,Und was heisst das nun wieder?’’
,,Das heisst: wenn der Arme erst einmal erfährt, dass es in
dieser Galaxie allein Millionen von Zivilisationen gibt, dann wird
er selbst verrückt, noch verrückter, als er jetzt schon ist.’’
Wir lachten eine Weile darüber. Es war lustig,

74
einem Wissenschaftler zuzuhören, der behauptete, dass Ufos
nicht existierten, während ich das Programm von einem Ufo aus
ansah!
Wir blieben fast eine Stunde an jenem Ort, bis sich das Licht
der Sichtbarkeit ausschaltete.
,,,Jetzt sind wir frei’’, sagte Ami.
,,Dann können wir weiter spazieren fahren?’’ fragte ich.
,,Natürlich, wo möchtest du jetzt hin?’’
,,Hmm … zu den Osterinseln.’’
,,Dort ist jetzt Nacht, schau… ‚’ Wir waren schon dort!
,,Sind das die Osterinseln?’’
,,Ja, genau.’’
,,Wie ungeheuer schnell!’’
,,Das findest du schnell? Warte, schau jetzt zum Fenster
hinaus.’’
Wir befanden uns über einer sehr komischen
Wüste; der Himmel war dunkel, fast schwarz, es war ein etwas
bläulicher Mond zu sehen.
,,Und wo sind wir jetzt? In – Arizona?’’
,,Auf dem Mond.’’
,,Auf dem Mond?’’ Ich sah mir die Scheibe genauer an, die ich
für den Mond gehalten hatte.
,,Dann ist das da . . . ?’’ half Ami nach.
,,Die Erde!!’’
,,Ja, die Erde. Dort schläft deine Grossmutter.’’
Ich war überwältigt. Es war wirklich die Erde! Man konnte ihre
schöne blaue Farbe sehen. Es schien mir
unglaublich, dass etwas so Kleines eine solch grosse menge von
Dingen fassen konnte, Berge, Meere … Und
ohne zu wissen warum, stiegen in mir einige Bilder aus
meiner Kindheit hoch: ein kleiner Bach, eine moos-
überwachsene Mauer, Bienen im Garten, ein Ochsen-

75
karren, ein Sommernachmittag . . . All das war dort ge- wesen,
auf dieser kleinen blauen Kugel, die zwischen den Sternen
schwebte. Auf einmal sah ich die Sonne. Sie war ein entfernter
Stern, aber sie blendete mehr als auf der Erde.
,,Warum sieht sie so klein aus?’’
,,Weil es hier keine Atmosphäre gibt. Die Atmo sphäre wirkt
wie eine Vergrösserungslinse, wie eine
Lupe. Von der Erde aus scheint sie grösser als von hier
aus. Aber wenn diese Spezialfenster hier im Raum- schiff nicht
wären, würde dich diese kleine Sonne ver-
brennen, eben weil es keine Atmosphäre gibt, die ge-
wisse Strahlen filtert, welche für Menschen schädlich sind.’’
Auf dem Mond gefiel es mir nicht sonderlich, von
der Erde sah er viel schöner aus. Es war eine traurige,
furchterregende Stätte.
,,Könnten wir nicht an einen schöneren Ort
gehen?’’
,,Einen bewohnten?’’
,,Natürlich. Aber nicht von Monstern!’’
,,Da müssen wir sehr weit gehen’’, meinte Ami und bewegte
seine Kontrollhebel. Das Raumschiff zitterte
leicht, die Sterne wurden plötzlich zu Strichen, und vor den
Fenstern erschien eine Art weisser, glänzender Nebel, der
vibrierte.
,,Was ist los?’’ fragte ich erschrocken.
,,Wir sind schon dabei, uns zu stationieren.’’
,,Stationieren?’’
,,Auf einem sehr weit entfernten Planeten. Wir müs- sen schon
ein paar Minuten warten. Inzwischen kön- nen wir ja Musik
hören.’’
Ami drückte auf einen Knopf am Armaturenbrett und leise,
eigenartige Töne begannen den Raum zu

76
erfüllen. Mein Freund schloss die Augen und genoss die Musik.
Es waren ganz andere Klänge, als ich bisher ge- hört hatte.
Plötzlich eine ganz tiefe Vibration, die an-
hielt und den Kommandoraum erzittern liess, dann ein ganz hoher
Ton, der plötzlich abbrach, und dann Schweigen während einiger
Sekunden. Dann hörte
man ganz schnelle Töne, die rauf- und runtergingen, dann wieder
das tiefe Brummen, das sich langsam heraufschraubte, während
eine Art von Brüllgeräu-
schen und Glockengeläut im Wechsel einen Rhythmus erzeugten.
Ami schien sich in Ekstase zu befinden. Ich
dachte, dass er diese Melodie sehr gut kennen musste, weil er mit
den Lippen oder mit einer Handbewegung schon im vorhinein
anzeigte, was kommen würde. Es tat mir leid, ihn unterbrechen zu
müssen, aber diese Art von Musik ging mir auf die Nerven.
,,Ami!’’ rief ich, aber er reagierte nicht; er war ganz auf seine
Musik konzentriert, die für mich so klang wie
eine elektrische Störung in einem UKW-Sender.
,,Ami!’’ rief ich noch einmal.
,,Oh, entschuldige, was ist?’’
,,Entschuldige du bitte, aber das da gefällt mir überhaupt
nicht!’’
,,Natürlich nicht. – Diese Musik muss man hören
lernen, - Ich werde etwas suchen, was dem näher- kommt, was du
schon kennst.’’
Er drückte auf einen besonderen Knopf in einer
ganzen Reihe. Sofort ertönte eine Musik, die mir auf
Anhieb gefiel. Sie war lustig und hatte Rhythmus. Das tragende
Instrument klang so etwa wie das Pfeifen
einer schnellen Dampflokomotive.
,,Wie angenehm! Was ist das für ein Instrument,

77
das wie ein D-Zug pfeift?’’
,,Um Himmels willen!’’ rief Ami und tat so, als wäre er
entsetzt. ,,Du hast eben die herrlichste Kehle meines Planeten
beleidigt, indem du seine wunderbare
Stimme mit dem Pfeifen einer Dampflok verglichen hast.’’
,,Entschuldige bitte, das wusste ich nicht, aber …
doch, er pfeift sehr gut’’, sagte ich, um meinen Tritt ins
Fettnäpfchen wieder gut zumachen.
,,Blasphemie!! Ketzerei!!’’ schrie Ami und tat so, als
ob er sich die Haare raufen wollte. ,,Unwissender! Zu sagen, dass
das Glorioseste, was es in meiner Welt gibt, pfeift!!!’’
Schliesslich brachen wir beide in ein lautes Ge- lächter aus.
Die Musik lud zum Tanzen ein. ,,Dafür ist sie ge-
dacht’’, sagte Ami, ,,lass uns tanzen.’’ Er federte mit einem
Sprung aus dem Sessel und begann zu tanzen, indem er in die
Hände klatschte.
,,Tanz, tanz!’’ machte er mir Mut. ,,Lass dich gehen, du willst
doch tanzen. Nur das, was eigentlich nicht du
bist, will es dir nicht erlauben! Lerne, die Freiheit zu erlangen, du
selbst zu sein! Befreie dich!’’
Ich liess meine angeborene Schüchternheit fallen
und begann zu tanzen. ,,Bravo’’, gratulierte Ami. Wir tanzten
beide ziemlich lange, voller Begeisterung. Ich
fühlte mich unendlich froh, so wie damals am Strand, als wir
gemeinsam in die Luft sprangen und schweb- ten . . .
Dann hörte die Musik auf.
,,Jetzt werden wir uns etwas entspannen’’, schlug Ami vor und
wandte sich wieder seinen Knöpfen zu. Er drückte einen, und es
ertönte klassische Musik, etwas, was ich kannte.

78
,,Hör zu’’, sagte ich, ,,das ist von der Erde.’’
,,Natürlich. Bach!’’ antwortete er. ,,Es ist wunder- bar. Gefällt
es dir nicht?’’
,,Doch, und dir gefällt das auch?’’
,,Aber ja, sonst hätte ich es nicht in meinem Raum- schiff.’’
,,Ich dachte schon, dass alles, was wir haben, für
die Ausserirdischen unzivilisiert ist.’’
,,Da bist du vollkommen im Irrtum. Hör dir das an …’’, und er
drückte auf einen weiteren Knopf.
,,Imagine there’s no country it isn’t hard to do.’’
,,Aber . . . , das ist ja von John Lennon, von den Beatles!’’ Ich
war sehr überrascht, dass sogar die Songs
der Beatles für die Ausserirdischen einen Wert zu haben schienen.
,,Pedrito’’, sagte Ami, ,,wenn eine Musik gut ist,
dann ist sie universell gut. Die gute Musik der Erde wird auf
verschiedenen Galaxien gesammelt, genauso wie gute Musik
irgendeiner anderen Welt und einer anderen Zeit. Dasselbe gilt für
alles, was Kunst ist. Wir bewahren Filme und Aufnahmen von
allem, was an Kunst auf deinem Planeten gemacht wird. Die
Kunst ist die Sprache der Liebe, und die Liebe ist universell. Lass
uns das hier noch anhören: Imagine all the people living life in
peace.’’
Ami hörte die Musik mit geschlossenen Augen Und schien
jeden Ton zu geniessen. Als John Lennon
zu ende gesunden hatte, waren wir bereits in einer
anderen bewohnten Welt gelandet.

79
ZWEITER TEIL
8. Kapitel

Ofir

Der weisse Nebel löste sich auf, und wir tauchten in eine
himmelblaue Atmosphäre ein. Sie hatte eine strahlende Farbe; es
war so, als schwebte das Himmel- blau um uns herum, statt über
uns zu sein wie auf der Erde. Wir befanden uns inmitten eines
strahlenden bläulichen Nebels, der die Sicht aber keineswegs be-
hinderte.
Unten erschienen einige Wiesen von einer zart- orangenen
Farbe. Wir gingen langsam tiefer. Alles sah wie eine besonders
schöne Herbstlandschaft aus.
,,Schau dir die Sonne an’’, riet Ami.
Hoch über mir stand eine riesige rote Scheibe, die von der
Atmosphäre nur leicht verschleiert war. Ich schätzte sie auf etwa
fünfzigmal so gross wie unsere
Erdsonne.
,,Vierhundertmal’’, korrigierte mich Ami, der wie- der einmal
meine Gedanken angezapft hatte.
,,So gross sieht sie nun auch wieder nicht aus.’’ Weil sie sehr
weit weg ist.’’
,,Was ist das hier für eine Welt?’’
,,Das ist der Planet Ofir. Seine Bewohner stammen von der
Erde.’’
,,Wie bitte?’’ fragte ich überrascht.
,,Es gibt so vieles, was ihr in eurer Welt nicht wisst, Pedrito. –
Vor Tausenden von Jahren gab es auf der Erde mal eine
Zivilisation, die der euren sehr ähnlich war. Das Niveau der
Wissenschaft war damals sehr viel

83
höher gestiegen als das Niveau der Liebe . . . , und da sie sich
ausserdem nicht einig waren, geschah eben das, was geschehen
musst . . .’’
,,Sie haben sich selbst zerstört?’’
,,Vollständig! Nur wenige Menschen überlebten, weil sie
gewarnt worden waren und in andere Konti- nente fliehen
konnten. Aber trotzdem waren die Über- lebenden durch die
Auswirkungen der Katastrophe sehr mitgenommen und mussten
praktisch wieder von vorne anfangen. – Du bist übrigens ein
Resultat aus alledem: Du stammst nämlich von diesen Überleben-
den ab!’’
,,Was? Ich??? – Und ich dachte, dass alles so an- gefangen hat,
wie es in unseren Geschichtsbüchern
steht, von Null an … Höhlen, Urmenschen und so wie-
ter … Und die Leute von Ofir, wie sind die hierherge-
kommen?’’
,,Wir haben sie gebracht. Wir haben alle die geret-
tet, die 700 Punkte hatten oder mehr, den guten Samen! Wir
nahmen sie von der Erde weg, kurz bevor
die Katastrophe eintrat. Es waren nur sehr wenige, der
Durchschnitt der Menschheit stand damals gerade bei 450
Punkten, hundert weniger als bei euch jetzt … Ja,
ja, die Erde hat sich schon entwickelt!’’
,,Heisst das, dass ihr einige von uns jetzt auch retten würdet,
wenn sich auf der Erde wieder eine Katastro-
phe ereignete?’’
,,Alle die, Welche mehr als 700 Punkte hätten! Jetzt wird es
viel mehr Gerettete geben als damals.’’
,,Und ich, Ami, habe ich 700 Punkte?’’
Er lachte über meine Besorgnis. ,,Ich habe die Frage erwartet,
aber ich sagte dir schon, dass ich sie nicht beantworten kann.’’
,,Wie kann man wissen, ob man 700 Punkte hat

84
oder mehr?’’
,,Das ist sehr einfach: Alle die, welche uneigennüt- zig für das
Wohl der anderen arbeiten, haben über 700 Punkte.’’
,,Du sagtest doch, dass alle von uns ihr Bestes tun.’’
,,Wenn ich sage die anderen, meine ich mehr als nur die kleine
Familiengruppe, den Club oder sonst
was Privates, und wenn ich sage für das Wohl, so denke ich an
etwas, was nicht gegen das Grundgesetz des Universums
verstösst.’’
,,Schon wieder dieses Gesetz! Könntest du es mir jetzt nicht
näher erklären?’’
,,Noch nicht, hab noch etwas Geduld.’’
,,Und warum ist es so wichtig?’’
,,Weil man den Unterschied zwischen gut und
böse nicht wissen kann, wenn man dieses Gesetz nicht kennt.
Viele töten im Glauben, etwas Gutes zu tun, sie
kennen das Gesetz nicht! Andere foltern, stellen Waf-
fen her, zerstören die Natur und glauben auch, dass sie das
Richtige tun. Tatsache ist, dass sie alle etwas sehr
Böses tun, aber sie wissen es nicht, weil sie eben das Grundgesetz
des Universums nicht kennen! Sie wer- den aber trotzdem für ihre
Übertretungen bezahlen
müssen.’’
,,Weißt du, ich hätte nie gedacht, dass es etwas so Wichtiges
gibt!’’
,,Und ob es wichtig ist! – Für den Augenblick
schau dir die Welt von Ofir an, da kannst du viel lernen. Hier
leben nämlich alle nach diesem Gesetz.’’
Ich setzte mich in den Sessel neben Ami, um diese schöne Welt
auf dem Bildschirm zu betrachten . Ich
war schon sehr neugierig auf ihre Bewohner.
Wir bewegten uns langsam, in einer Höhe von etwa
dreihundert Metern. Ich sah viele andere Raum-

85
schiff, die dem unseren ähnlich waren Nähe stellte ich fest,
dass es bei ihnen sehr unterschiedliche Formen und Grössen gab.
Grosse Berge schien es hier nicht zu geben, auch keine
Wüsten. Alles war von einer vielfarbigen Vegeta-
tion überzogen; Töne von Grün und Braun bis zu
einem Orange in allen Schattierungen herrschten vor. Es gab viele
Hügel, Seen, Flüsse und Lagunen; die
ganze Landschaft wirkte ausgesprochen paradiesisch.
Man konnte auch einige Bauten sehen, die im Halbkreis um ein
zentrales Gebäude standen. Überall
gab es Pyramiden mit und ohne Treppen, auf Dreieck-
oder auf Viereckbasis, und es gab auch viele Bauten in Form
eines Halbkreises in verschiedenen hellen Far-
ben, hauptsächlich aber in Weiss.
Dann konnte ich plötzlich auch die Bewohner die- ser schönen
Welt sehen. Sie gingen auf den Wegen hin
und her und plantschten in den Flüssen und Lagunen.
Sie sahen tatsächlich wie menschliche Wesen aus, zumindest aus
der Ferne. Alle trugen sie Weisse Gewän-
der, die sich nur durch verschiedenfarbige Bänder und Bordüren
voneinander abhoben.
Nirgends war eine Stadt zu entdecken.
,,Es gibt keine Städte auf Ofir’’, sagte Ami, ,,über- haupt in
keiner zivilisierten Welt! Städte sind prähisto- rische
Siedlungsformen.’’
,,Und warum das?’’
,,Aus den verschiedensten Gründen. Städte haben eine Menge
Nachteile: Zu viele Menschen auf demsel-
ben Fleck verursachen immer eine Unausgeglichen- heit, die
sowohl für die Menschen wie auch für den
Planeten schädlich ist. Auch die Planeten sind nämlich
Lebewesen, die mehr oder weniger weit entwickelt sind. Nur
Leben erzeugt Leben. Alles hängt zusam-

86
men, alles ist miteinander in Verbindung. Was mit der Erde
geschieht, hat auch Einfluss auf die Menschen, die auf dieser Erde
leben, und umgekehrt.’’
,,Und warum verursachen viele Menschen auf einem Fleck eine
Unausgeglichenheit?’’
,,Weil sie nicht glücklich sind! Und die Erde spürt
das! Menschen brauchen Raum, freie Natur, Erde, Pflanzen,
frische Luft…’’
,,Die Höherentwickelten auch?’’ fragte ich über-
rascht. Ami malte mir das Bild einer Zukunftsgesell- schaft, die
ungefähr so lebte wie auf dem Bauernhof.
Und ich hatte gedacht, dass sich alles ganz im Gegen-
teil in künstlichen Städten abspielen würde, in fe- stundsartigen
Riesengebäuden, die im Weltraum
schweben, in unterirdischen Metropolen, alles aus Pla-
stik, so wie man es uns in den Filmen weismacht.
,,Besonders die Höherentwickelten’’, bekräftigte Ami.
,,Und ich dachte, es wäre gerade umgekehrt.’’
,,Wenn ihr auf der Erde nicht alles umgekehrt.’’ dächtet, wäret
ihr nicht schon wieder an dem Punkt der Selbstzerstörung
angelangt.’’
,,Und die Menschen auf Ofir? Möchten die nicht wieder auf die
Erde zurück?’’
,,Nein, niemals.’’
,,Und weshalb nicht?’’
,,Sie haben das alte Nest verlassen. Erwachsene gehen nicht in
die Wiege zurück, sie ist ihnen zu eng.’’
,,Wir gelangten in die Nähe einiger niedriger sehr
moderner Bauten und gingen tiefer.
,,Dies hier ist etwas, was auf einem zivilisierten Planeten einer
Stadt noch am nächsten kommt. Sagen wir, es ist eine Art
Zentrum für Organisation, Verteil- lung und für kulturelle
Veranstaltungen. Die Men-

88
schen kommen ab und zu hierher, holen sich, was sie brauchen,
oder wohnen einer künstlerischen, kulturel- len oder geistigen
Veranstaltung bei. Aber niemand lebt hier.’’
Ami hielt das Raumschiff etwa fünf Meter über dem Boden an
und sagte: ,,Jetzt wirst du deine jahrtau- sendealten Vorfahren
kennenlernen.’’
,,Werden wir das Raumschiff verlassen?’’
,,Auf keine Fall! Deine Viren könnten die gesamte
Bevölkerung dieses Planeten ausrotten!’’
,,Und warum schaden sie dir nicht?’’
,,Ich bin geimpft. Aber trotzdem muss ich mich einer
Reinigungskur unterziehen, bevor ich meinen.
eigenen Planeten wieder betreten darf.’’
Wir sahen viele Leute vor dem Zentrum. Als einer von ihnen
dicht unter den Fenstern des Raumschiffes
vorbeiging, erschrak ich mächtig: das waren Riesen!
,,Ami, das sind keine Erdenbewohner, das sind Mon- ster!’’
,,Warum? Weil sie nur drei Meter gross sind?’’ wit- zelte Ami.
,,Was sagst du? Drei Meter?’’
,,Mehr oder weniger, aber sie selbst kommen sich nicht
besonders gross vor.’’
,,Aber du sagtest doch , dass sie von der Erde kom-
men, und dort sind die Leute nur etwas mehr als halb so gross.’’
,,Ich sagte dir, dass die Überlebenden damals sehr
geschädigt waren durch die inneren und äusseren Tumulte, vor
allem aber durch Strahlung. All das hat
dazu geführt, dass die Menschen Wachstumsschäden erlitten. –
Aber wenn sie den jetzigen Lebensrhyth-
mus beibehalten, werden sie in ein paar hundert Jah- ren wieder
ihre natürliche Grösse erreicht habe . . .

89
wenn sie überleben!’’
Niemand achtete auf uns. Die Menschen hatten eine eher
dunkle Haut! Sie waren schlank mit schma- len Hüften und
breiten, hohen Schultern. Manche von ihnen trugen Gürtel, die
dem von Ami ähnlich waren. Alle sahen sie sehr ruhig aus,
entspannt und liebens- würdig. Sie hatten grosse, strahlende
Mandelaugen,
aber nicht wie die der Asiaten, sondern eher so wie die der Leute
auf den altägyptischen Malereien. Ihr Aus- druck war von tiefer
Spiritualität.
,,Dies hier sind die vorfahren der Ägypter, der Mayas, der
Inkas, der Griechen, Kelten und andere
mehr’’, erklärte Ami. ,, All diese Kulturen waren Überre-
ste der Atlantischen Zivilisation. Dies hier sind die direkten
Nachkommen der Atlanter.’’
,,Atlantis! Der verlorene Kontinent!’’ rief ich aus.
,,Ich hatte immer gedacht, das sei nur eine Sage.’’
,,Beinahe alle sagen in deiner Welt sind wirklicher als die
düstere Wirklichkeit, in der ihr lebt.’’
Man sah kaum einzelne Fussgänger; meist standen die Leute in
Gruppen zusammen. Sie umarmten sich,
während sie miteinander sprachen, berührten sich am Arm oder
an der Schulter, manche fassten sich an den
Händen. Wenn sie einander trafen oder auseinader- gingen, waren
sie sehr liebevoll miteinander, sie schie- nen fröhlich und
unbeschwert.
,,Wie ich dir schon gesagt habe,’’ – Ami hatte meine Gedanken
erfasst - ,,sie sind frei von Sorgen. Sie sorgen sich nicht wegen der
Dinge, sondern sie
sorgen für die Dinge. Es wäre schön, wenn du das auch lerntest.’’
,,Warum freuen sie sich denn so?’’ Ich musste an
unsere Städte denken und an die Menschen, die immer so ernst
und mit abwesendem Blick durch die Strassen

90
hasten. Hier hingegen schien alles ein einziges Fest zu sein.
,,Weil sie leben … Ist das vielleicht nichts?’’
,,Und sie haben keine Probleme?’’
,,Sie haben Herausforderungen, keine Probleme. Hier ist alles
in Ordnung.’’
,,Mein Onkel sagt, das Leben sei nur dann sinnvoll,
wenn man Probleme zu lösen habe. Er ist davon über- zeugt, dass
sich ein Mensch erschiessen würde, wenn er keine Probleme
habe.’’
,,Die Sache mit deinem Onkel ist die, dass er sich auf die
Probleme des Intellekts bezieht; er hat nur die eine seiner
Gehirnhälften aktiviert. Er ist ein Computer
auf zwei Beinen! Der Intellekt ist ein Computer, der nie aufhört
zu funktionieren, ausser wenn eine gewisse Entwicklung in der
anderen Gehirnhälfte einsetzt, im
Emotionellen. Wenn der Intellekt kein Problem findet, das er
lösen muss, wenn er keine Puzzle hat, nichts, worüber er sich den
Kopf zerbrechen muss, dann kann
er wirklich verrückt werden und sich erschiessen!’’
Mir wurde plötzlich bewusst, dass das alles auch auf mich
zutraf: auch ich bin immer in Gedanken, habe immer was zu
knobeln!
,,Was gibt es denn noch ausser Denken?’’
,,Spüren, geniessen, was du siehst, die Töne hören, anfassen,
bewusst atmen, streicheln, riechen, schmek-
ken, fühlen, den Moment geniessen … Sag, bist du in diesem
Augenblick glücklich?’’
,,Ich weiss nicht …’’
,,Wenn du auch nur einen Augenblick aufhören würdest zu
denken, wärest du glücklich! Stell dir vor, du bist in einem
Raumschiff, befindest dich in einer Welt, die Lichtjahre von
deiner Erde entfernet ist, du betrachtest einen zivilisierten
Planeten, der von den

91
alten Atlantern bewohnt ist … und du weißt nicht, ob du glücklich
bist??! – Anstatt so viele dumme Fragen zu stellen, solltest du
dich gründlich umsehen und den Augenblick geniessen!’’
Ich spürte, dass Ami recht hatte, aber etwas in mir zweifelte
immer noch, und ich musste es ihm sagen.
,,Dann nützt also das Denken überhaupt nichts?’’
,,Das ist wieder so ein typischer Erdenbürger- schluss’’, lachte
Ami in komischer Verzweiflung. ,,Wenn es nicht das Beste ist,
muss es natürlich das Schlechte- ste sein; wenn es nicht weiss ist,
muss es unbedingt schwarz sein; wenn es nicht vollkommen gut
ist, dann muss es bösartig sein; wenn nicht Gott, dann der Teu-
fel! Das ist mentaler Extremismus!! Natürlich nützt das Denke
etwas! Ohne das Denke wärest du ein Vege-
tal. Aber das Denken ist nicht die höchste menschliche
Errungenschaft.’’
,,Welche ist es dann … geniessen?’’
,,Um etwas geniessen zu können, musst du erst ein- mal
merken, dass du geniesst.’’
,,Und etwas merken ist nicht denken?’’
,,Nein. Etwas merken ist eine Wahrnehmung, und
Wahrnehmung beruht nicht auf dem Verstande, es ist
mehr als Verstand.’’
,,Dann ist die Wahrnehmung das höchste’’, fol- gerte ich,
schliesslich schon etwas erschöpft von die-
sem tiefen Wasser, in das ich mich da mit meinen Frage
hineinbegeben hatte.
,,Auch nicht’’, sagte Ami mit einem geheimnisvol-
len Lächeln. ,,Ich werde dir ein Beispiel geben. Erin- nerst du
dich an die eigenartige Musik, die du vorhin gehört hast? Die
erste, die ich ausgesucht hatte.’’
,,Ja, aber die gefiel mir gar nicht.’’
,,Du hast gemerkt, dass es eine eigenartige Musik

92
war, das war Wahrnehmung. – Aber sie hat dir nicht gefallen.’’
,,Nein, wirklich nicht.’’
,,Dann ist also Wahrnehmung nicht genug, um etwas zu
geniessen.’’
,,Du hast recht … was fehlt da noch?’’
,,Das wichtigste. Die zweite Musik hast du doch geniessen
können, nicht wahr?’’
,,Ja, weil sie mir gefallen hat.’’
,,Aha!’’ Amie strahlte mich an. ,,Gefallen finden ist eine Form
der Liebe. Ohne Liebe gibt es keinen Genuss,
ohne Wahrnehmung auch nicht. Wie du siehst ist das
Denken hier auf einem bescheidenen dritten Platz ge- landet, was
die menschlichen Möglichkeiten anbe-
trifft. Den ersten Platz nimmt die Liebe ein. Wir zum
Beispiel können alles lieben, daher können wir auch alles
geniessen. Dir hat es auf dem Monde nicht gefal-
len, mir schon! Ich kann mehr geniessen als du, daher
bin ich glücklicher als du.’’
,,Dann ist also die Liebe der höchste menschliche Ausdruck?’’
,,Na endlich, bravo, Pedrito!’’
,,Und wissen die das bei uns auf der Erde?’’
,,Hast du es gewusst? Hat man es dich in der Schule gelehrt?’’
,,Nein.’’
,,Man steht dort noch auf der dritten Stufe, auf der Stufe des
Denkens. Deshalb geltend bei euch auch alle Mensche, die viel
denken, als weise.’’
,,Und wie kommt es, dass uns so etwas Einfaches entgangen
ist?’’
,,Weil ihr nur ein einziges Gehirn benutzt! Das
Denken kann die Liebe nicht begreifen. Die Gefühle sind keine
Gedanken. Manche eurer Weisen haben so

93
viel nachgedacht, dass sie zu dem Schluss gekommen sind,
Gefühle seien etwas Primitives, das durch Denk- ken ersetzt
werden müsse, und auf diesem Wege haben sie Theorien
konstruiert, die es für gut und in der Ordnung befinden, Kriege zu
führen, unehrlich zu sein und die Natur zu zerstören. Und jetzt ist
die ganze Menschheit in Gefahr, ausgelöscht zu werden, alles
wegen dieser intelligenten Gedanken und ach so bril- lanten
Theorien …!’’
,,Du triffst ins Schwarze, Ami’’, seufzte ich, ,, wir auf der Erde
denken vermutlich alles verkehrt herum!’’
,,Dann schau dir hier die Welt gut an. Auf Ofier sind
die Dinge nicht verkehrt herum.’’
Die Aufregungen des Tages, all die neuen Dinge, die Amir mir
sagte, hatten mich sehr müde gemacht.
Durch die Fenster sah ich diese Riesenmenschen vor den
weissglänzenden Gebäuden, Kinder, die zwei
Meter gross waren; Ich sah fliegende Fahrzeuge und Gefährte, die
sich am Boden bewegten … Aber ich
konnte mich nicht mehr richtig konzentrieren, ich war einfach zu
müde.
,,Weisst du, wie alt dieser Mann da ist?’’ Ami zeigte auf einen
Mann, der sich in der Nähe des Raumschiffes
mit jemandem unterhielt. Er sah ungefähr wie sechzig aus, schien
aber trotz seines weissen Haares kein Greis zu sein.
,,Vielleicht sechzig?’’
Er ist ungefähr fünfhundert Jahre alt.’’
Mich überkam ein Schwindel, mein Kopf schien zu zerplatzen.
,,Weisst du , Ami, ich bin sehr müde. Ich muss
mich ausruhen, schlafen, nach Hause gehen… Ich will nichts
mehr wissen, mir ist übel … ich will auch nichts
mehr sehen…’’
,,Klarer Fall von Informationsüberfütterung’’, scherzte

94
Ami. ,,Komm, Pedrito, leg dich hierhin.’’ Er führte mich zu einem
Sessel, dessen Lehne er herunterdrückte; so wurde ein weiches,
sehr bequemes Sofa daraus. Ich streckte mich aus. Ami schob mir
etwas in den Nacken, und ich spürte, wie ich sofort einschlief. Ich
liess mich fallen und schlief tief, viele Stunden lang.

95
9. Kapitel

Das Grundgesetz

Ich wachte frisch und ausgeruht aus, voller Ener- gie; Ich
fühlte mich wie neu. Ami war mit den Kontrol- len beschäftigt
und zwinkerte mir zu: ,,Geht’s dir jetzt besser?’’
,,Phantastisch! – Oh je, meine Grossmutter! Wie viele Stunden
hab ich denn geschlafen?’’
,,Fünfzehn Sekunden’’, antwortete Ami.
,,Wie bitte?!’’ Ich stand auf und schaute zum Fen- ster hinaus.
Wir standen immer noch am selben Platz;
ich sah dieselben Menschen von vorhin dort gehen,
der Mann mit den weissen Haaren unterhielt sich immer noch mit
jemandem nicht weit von unserem Raum- schiff. Es hatte sich
nichts verändert.
,,Wie hast du das gemacht, Ami?’’
,,Du brauchtest den Schlaf, um deine Batterien
aufzuladen. Wir besitzen >>Auflader<<, welche dir in fünf- zehn
Sekunden die gleiche Erholung verschaffen, die
du auf der Erde erst nach acht Stunden Schlaf errei-
chen würdest.’’
,,Mensch, das ist ja ganz toll! Dann legt ihr euch eigentlich nie
zum Schlafen hin?’’
,,Ich würde nicht sagen nie, manchmal brauchen
wir das schon. Im Schlaf findet ja noch mehr statt als nur
Aufladen, aber wir benötigen tatsächlich viel weni- ger Schlaf als
ihr.’’
,,Also, ihr Zivilisierten habt aber wirklich was vom Leben!
Fünfhundert Jahre! Und dann schlaft ihr auch

96
noch so wenig!’’
,,Ja, darum dreht sich doch das Ganze!’’
,,Also, dieser Mann da ist fünfhundert Jahre alt. Wieso kannst
du das so genau wissen?’’
,,Das erkenne ich an gewissen Besonderheiten seiner
Kleidung. Willst du mit ihm sprechen? Komm!’’
Wir setzten uns vor den Bildschirm, Ami ergriff das
Mikrofon und drückte irgendwo ein paar Knöpfe.
Da erschien das Gesicht des Mannes. Ami be- nutzte eine
höchst eigenartige Sprache; es kamen
Laute aus seinem Munde, die sich alle mehr oder weni- ger wie
>>Shhh<< anhörten. Das erinnerte mich an die Musik, der wir
gelauscht hatten. Der Mann verstand,
was Ami zu ihm sprach, und näherte sich unserem Raumschiff. Er
lächelte durch den Bildschirm, als wenn er uns sehen könnte, und
sagte ganz deutlich:
,,Hallo, Pedro!’’ Ich merkte, dass ein Übersetzer am Werke war,
da die Bewegung seiner Lippen mit den Worten, die ich hörte,
nicht übereinstimmte.
,,Ha … hallo’’, antwortete ich unsicher.
,,Weisst du, wir sind beinah Verwandte, meine Vor- fahren
stammen von einer Zivilisation der Erde.’’
,,Ah.’’ Mir fiel nichts Interessanteres ein.
,,Jene Zivilisation zerstörte sich selbst, sie hatte zu wenig
Liebe!’’
,,Ah …’’
,,Wie alt bist du?’’
,,Zeh …, ich meine, neun Jahre, und Sie?’’
,,Ungefähr fünfhundert Erdenjahre.’’
,,Wird Ihnen denn das nicht langweilig?’’
,,Langweilig? Langweilig??’’ Er mache eine Geste des
Nichtverstehens.
,,Wenn der Intellekt eine Betätigung sucht und keine findet’’,
dolmetschte Ami.

97
,,Ah, das …, das hatte ich schon vergessen. Nein,
ich langweile mich nicht, warum sollte ich das tun?’’
,,Ich meine, so lange zu leben … zum Beispiel.’’
In diesem Moment trat eine schöne junge Frau auf den
Weisshaarigen zu und begrüsste ihn herzlich. Er
gab ihr einen Kuss und streichelte sie liebevoll. Sie
sprachen eine Weile miteinander und lächelten sich an. Dann ging
sie weiter. Sie schienen sich sehr zu
lieben.
,,Wenn das Denken der Liebe dient, dann gibt es keine
Langeweile’’, sagte der Mann lächelnd.
Mir schien, dass er in die schöne Frau verliebt war,
und ich fragte ihn: ,,Sind Sie in sie verliebt?’’
Er seufzte tief. ,,Ja, ich bin vollkommen verliebt’’, gab er zu.
,,In die Frau, die gerade bei Ihnen war?’’
,, In das Leben, in die Menschen , in das Universum, in das
Sein, in die Liebe…’’
Eine andere Frau kam auf ihn zu. Sie war noch
schöner als die erste, sie war dunkel, schlank, hatte langes,
seidiges, glänzendes Haar, das schwarz, fast dunkelblau war, und
hellgrüne Augen. Die beiden streichelten und küssten sich und
sahen sich tief in die Augen; sie sprachen miteinander und
lachten. Dann nahm sie von ihm Abschied und ging weiter. Ich
hielt ihn nun doch für so etwas wie einen Wetraum- Casanova.
,,Sind Sie einmal auf der Erde zu Besuch gewe- sen?’’ fragte
ich ihn.
,,Oh ja, ich war einige Male dort. Aber es war sehr traurig.’’
,,Warum denn?’’
,,Das letztemal, als ich dort war, brachten sich die Menschen
gerade gegenseitig um, Millionen Tote, zer-

98
störte Städte, Gefangenenlager … Es war sehr, sehr traurig…’’
Nun war mir wirklich ganz und gar nicht mehr wohl, ich kam
mir wie ein Höhlenmensch vor!
,,Nimm in deine Welt eine Nachricht von mir mit’’, sagte der
Mann mit einem liebevollen Lächeln.
,,Ja, gern. Welche denn?’’
Liebe, Friede, Brüderlichkeit.’’ –
Wir verabschiedeten uns. Wir wollten auf Ofir noch andere
Orte besuchen.
,,Hat dieser Mann zwei Frauen?’’
Natürlich nicht. Er hat nur eine’’, antwortete Ami.
,,Aber er hat sie doch beide geküsst!’’
Na und? Was ist da Schlimmes dran? – Sie lie- ben sich, aber
keine von beiden war seine Frau.’’
,,Und wenn seine richtige Frau das nun sieht?’’
Ami lachte mich aus. ,,In den zivilisierten Welten gibt es keine
Eifersucht.’’
,,Ah.’’ Das gefiel mir; ich glaubte zu verstehen.
,,Dann kann man also viele Frauen haben’’, sagte ich, um ihm
eine Falle zu stellen.
Er schaute mich mit einem ganz klaren Blick an.
,,Nein, nur eine einzige.’’
Jetzt verstand ich gar nichts mehr, aber ich be- schloss, lieber
den Mund zu halten und das Panorama auf dem Bildschirm zu
betrachten.
Man sah viele Felder, auf denen gearbeitet wurde, aber nur von
Maschinen. Ab und zu tauchte solch ein Zentrum auf, wie wir es
schon kennengelernt hatten. Es
gab keine weiten, unbewohnten Gegenden, aber auch keine
Städte. Die vielen Fussgängerwege waren von Blu-
men und Bäumen eingesäumt und mit Steinen verziert.
Überall kleine Bäche, zierliche Brücken, Wasserfälle! Der ganze
Planet sah aus wie ein japanischer Garten.

99
Die Leute gingen zu Fuss, entweder in kleinen Gruppen oder
als Paare. Ich erblickte nicht eine ein- zige Autobahn. Auf den
schmalen Wegen führen hin und wieder winzige Fahrzeuge, die
so ähnlich aussa- hen wie die auf unseren Golfplätzen; nur wenige
Per- sonen hatten in ihnen Platz.
,,Ich sehe keine Autos, keine Lastwagen und Züge.’’
,,Die brauchen sie nicht. Sie erledigen den gesam- ten
Transport in der Luft.’’
,,Deshalb so viele Ufos! Und wie kommt es, dass es
keine Zusammenstösse gibt?’’
,,Wir alle sind an den Zentralcomputer ange- schlossen,
welcher Zugang zu den Kontrollgeräten
sämtlicher Raumschiffe hat. – Pass auf!’’ Ami drehte an einem
Kontrollknopf. ,,Wir werden versuchen, gegen diese Felsen da
unten zu stossen. Aber hab keine
Angst, es wird nichts passieren.’’
Das Raumschiff erhöhte seine Geschwindigkeit und stürzte
plötzlich wie ein Stein auf die Felsen zu.
Doch kurz vor dem Aufprall änderte sich urplötzlich die
Richtung, und wir flogen horizontal über dem
Boden weiter. Ami hatte die Kontrollhebel nicht ange- fasst!
,,Siehst du’’, meinte er, ,,es ist einfach nicht mög- lich, einen
Zusammenstoss zu verursachen, der Com- puter erlaubt es nicht.’’
,,Absolut Spitze!’’ rief ich aus; das war wirklich
beeindruckend.
Ich wechselte das Thema und fragte: ,,Wie viele
Länder gibt es auf Ofir?’’
,,Keine. Ofir ist eine zivilisierte Welt.’’
,,Was, es gibt keine Länder?’’
,,Natürlich nicht, oder besser gesagt, ein einzi- ges: Ofir.’’

100
,,Und wer ist der Präsident?’’
,,Es gibt keinen Präsidenten.’’
,,Wer regiert denn dann?’’
,,Regieren … regieren? Niemand regiert.’’
,,Aber einer muss doch das alles organisieren!’’
,,Das ist etwas anders. Hier ist alles organisiert. Und wenn
tatsächlich einmal etwas Unvorhergesehe-
nes geschehen sollte, dann kämen die Weisen mit den Fachleuten
auf den betreffenden Gebieten zusammen und fassten ihre
Entschlüsse, oder sie gäben das Pro-
blem dem dafür zuständigen Computer ein. In dieser Hinsicht gibt
es hier sehr wenig zu tun, alles ist pro- grammiert, und die
Maschinen leisten fast jede Arbeit.’’
,,Was tun die Leute dann den ganzen Tag?’’
,,Leben, arbeiten, studieren, geniessen, einander dienen und
helfen, wo sie können. Da es in den Welten
hier keine grossen Probleme gibt, helfen wir den unzivil- lisierten
Welten . Leider können wir nicht allzu viel tun, doch wir können
Nachrichten durchgeben und Kon-
takte aufnehmen, wie diesen hier zum Beispiel. Wir helfen ein
bisschen nach, wenn beispielsweise Religio-
nen geboren werden, die zur Liebe führen. Was denkst du, auf
welche Weise ist das Manna vom Himmel gefal-
len?’’
,,Ihr wart das?’’
,,Ja, wir! Ausserdem arbeiten wir mit bei notwendi- gen
Rettungsaktionen, wenn Welten sich selbst zer-
stören. – Pedro, es war schrecklich damals, als Atlan-
tis unterging…’’
,,Wegen der Bomben?’’ fragte ich.
,,Ja. Aber auch wegen des Hasses, der Angst und des vielen
Leides. Die Erde konnte die negativen Aus- strahlungen dieser
Menschen nicht länger ertragen und noch weniger die
Atomexplosionen. Der ganze

101
Kontinent versank … - Und wenn ihr euch jetzt nicht ändert,
wenn ihr weitermacht mit den Atomversuchen, könnte es
wiederum sein, dass es für die Erde unerträg- lich wird, dann
könnte sich etwas Ähnliches jederzeit noch einmal ereignen….’’
,,Dass es so schlimm steht, hätte ich nicht gedacht!’’
,,Alles hat auf alles Einfluss’’, sagte Ami.
,,Was für eine Riesenverantwortung tragt ihr da für uns!’’
,,Darin besteht unsere Arbeit.’’
,,Zu denken, dass es viele Menschen gibt, die nicht einmal
daran glauben, dass ihr existiert!’’
,,Sie sind naiv, Pedro! Aber wir existieren nicht nur,
sondern wir überwachen euch sehr sorgfältig. Das ganze
Universum ist eine Einheit, ein lebendiger Orga- nismus. Wir
dürfen die wissenschaftlichen Entdeckun- gen der unzivilisierten
Welten nicht aus den Augen verlieren. Ich habe dir schon gesagt,
dass gewisse Energien in den falschen Händen das Gleichgewicht
der gesamten Galaxie stören können, und dazu gehö- ren unsere
Welten ja schliesslich auch. Alles hat auf alles seinen Einfluss.
Unsere Arbeit besteht darin, euch weiterzuhelfen.’’
Ich blickte aus dem Fenster. ,,Ich sehe nirgends Zäune. Woran
erkennt ihr, wem jedes Grundstück ge- hört?’’
,,Hier gehört alles allen.’’
Ich musste eine Zeitlang nachdenken. ,, Dann strengt sich
niemand an weiterzukommen?’’
,,Ich glaube, ich verstehe dich nicht, Pedrito.’’
,,Weiterkommen, aus der Masse herausragen, mehr sein als die
anderen!’’
,,Du meinst, einen höheren Entwicklungsstand haben als die
anderen? Mehr Punkte? – Dafür gibt es

102
die geistigen Übungen.’’
,,Nein, ich meine nicht die Punkte!’’
,,Was meinst du dann?’’
,,Mehr haben als die anderen!’’
,,Mehr von was haben, Pedrito?’’
,,Mehr Geld!’’
,,Hier gibt es kein Geld.’’
,,Und wie kaufen sie dann alles?’’
,,Sie kaufen nichts. Wenn jemand etwas braucht, nimmt er es
sich.’’
,,Was er will?’’
,,Was immer er braucht.’’
,,Irgend etwas??’’ Ich konnte nicht glauben, was ich hörte.
,,Wenn er es braucht und es existiert, warum
nicht?’’
,,So ein Wägelchen zum Beispiel auch?’’
,,Ja – oder ein Raumschiff’’, sagte Ami, als ob es das
Natürlichste von der Welt wäre.
,,Jeder kann ein Raumschiff haben?’’
,,Jeder kann ein Raumschiff verwenden’’, sagte Ami genauer.
,,Gehört dieses Raumschiff dir?’’
,,Ich benutze es, genau wie du auch.’’
,,Ich frage, ob es dir gehört?’’
,,Nun warte ein bisschen. >>gehören<< …, das heisst besitzen,
nicht wahr? Ich habe dir doch schon gesagt,
dass alles allen gehört…, wer immer etwas braucht und
so lange er es braucht.’’
,,Und wenn er es nicht mehr braucht?’’
,,Dann verwendet er es nicht mehr.’’
,,Kann ich zum Beispiel so ein Raumschiff wie dieses hier in
meinem Garten parken, wenn ich es
nicht mehr brauche, ja?’’

103
Für wie lange etwa wirst du es nicht brauchen?’’ Ich überlegte.
,,Nun, sagen wir drei Tage.’’
,,Dann lässt du es besser an einem Ort, der für das Parken von
Raumschiffen vorgesehen ist, am Flugha-
fen. So kann ein anderer es in deiner Abwesenheit benutzen.
Wenn du es dann wieder brauchst, kommst du und nimmst es dir
oder ein anderes, das gerade zur
Verfügung steht.’’
,,Wenn ich aber nun gerade dieses haben will?’’
,,Warum solltest du das? Hier gibt es mehr als genug
Raumschiffe, ausserdem sind sie sich alle mehr
oder weniger ähnlich.’’
,,Nehmen wir an, dass ich es gerne habe, so wie du deinen
altmodischen Fernseher.’’
,,Dieser Fernseher, wie du ihn nennst, ist ein klei-
nes Andenken; niemand bracht es, weil es eben alt- modisch ist.
Wenn ich ihn nicht mehr haben wollte,
gäbe ich ihn ab, und die Leute, die mit solchen Instru-
menten arbeiten, würden entscheiden, ob sie ihn aus-
einandernehmen oder umbauen. Doch ich kann ihn
auch mein Leben lang behalten, Es ist nicht etwas, was für die
Öffentlichkeit nützlich wäre! Aber wenn du immer dasselbe
Raumschiff benutzen möchtest – was
für eine Marotte! Du hast es ja nicht gebaut, und es gibt ohnehin
so viele! -, dann müsstest du eben warten, bis es ankommt, bis es
für dich verfügbar ist.’’
,,Aber wenn nur ich dieses Raumschiff verwenden möchte und
es niemandem sonst geben wollte?’’
,,Warum denn niemandem sonst?’’ fragte Ami ver-
ständnislos.
,,Es könnte ja sein, dass ich es nicht mag, wenn ein anderer
meine Sachen gebraucht.’’
,,Aber warum denn? Hier gibt es keine anstecken- den
Krankheiten.’’

104
,,Ich weiss nicht. Es könnte ja sein, dass ich will, dass meine
Sachen mir gehören und sonst niemandem’’,
ereiferte ich mich.
Ami sah mich gross an. ,,So was würde ich krank- hafte
Besitzgier nennen, Egoismus!’’
,,Nein, das ist kein Egoismus!’’
,,Was denn dann? Grosszügigkeit etwa?’’ Ami lä- chelte.
,,Also muss ich auch meine Zahnbürste herleihen?’’
,,Nein, deine Zahnbrüste natürlich nicht und deine persönlichen
Dinge auch nicht. Davon gibt es hier
Millionen, genug von allem, niemand hängt an ihnen.
Aber ein Raumschiff nicht herleihen wollen!!! – Ausserdem wird
es auf dem Flughafen von den dafür
vorgesehenen Maschinen gewartet und repariert, falls
das notwendig ist; das brauchst du alles nicht selbst zu tun.’’
,,Das klingt okay, aber mir kommt das hier alles so
ein bisschen vor wie ein Internat. Alles Zwang. Alles
überwacht!’’
,,Ich habe verstanden, was du sagen willst. Aber du irrst dich.
Hier haben die Menschen vollkommene und umfassende
Freiheit.’’
,, Und es gibt keine Gesetze?’’
,,Doch, die gibt es. Aber sie bauen alle auf dem universalen
Grundgesetz auf, zum Wohle des Men-
schen.’’
,,Wirst du mir nun endlich dieses berühmte Gesetz erklären?’’
,,Später, noch ein bisschen Geduld’’, lächelte Ami.
,,Und wenn ich ein Gesetz übertrete?’’
,,Dann leidest du.’’
Werde ich bestraft? Eingesperrt?’’
,,Hier gibt es keine Strafe und keine Gefängnisse.

105
Aber du leidest, du bestrafst dich selbst.’’
,,Ich mich selbst? Das verstehe ich nicht, Ami.’’
,,Würdest du deiner Grossmutter eine Ohrfeige geben?’’
,,Nein, natürlich nicht! Was sagst du denn da?’’
,,Stell dir vor, du hättest ihr eine Ohrfeige gegeben. Was würde
das für dich bedeuten?’’
,,Es täte mir weh. Ich würde es bereuen, es wäre unerträglich
für mich.’’
,,Das heisst: sich selbst bestrafen! Da brauchst du
nicht von anderen bestraft oder eingesperrt zu werden. Es gibt
Dinge, die einfach niemand tut und nicht, weil die Gesetze es
verbieten. Du würdest deine Grossmut- ter niemals kränken, ihr
niemals wehtun, du brächtest es nicht übers Herz, ihr ihre kleinen
persönlichen Hab- seligkeiten wegzunehmen, im Gegenteil: du
würdest alles tun, um ihr zu helfen und sie zu beschützen.’’
,,Natürlich, weil ich sie lieb habe.’’
,,Hier haben all einander lieb, wir sind Brüder.’’ Es gibt
Augenblick, in denen wir etwas sehr
Wichtiges plötzlich verstehen, und dann ist das, wie wenn ein
Licht in unserem Inneren aufgeht. Amis Er- klärungen liessen
mich plötzlich alles verstehen, was er
mir so lange beizubringen versucht hatte. Jene Welt war eine
grosse Familie, in der jeder jeden liebte und alle miteinander alles
teilten. Dass war im Grunde gar
nicht so kompliziert.
,,… und genau so ist das ganze Universum entwor- fen’’,
sprach Ami weiter, froh darüber, dass ich endlich
verstanden hatte.
,,Dann ist Liebe die Basis jeder Organisation?’’ Ja, Pedrito, das
ist das Grundgesetz des Univer-
sums.’’
,,Wie, was?!’’

106
,,Die Liebe’’, sagte Ami.
,,Die Liebe??’’
,,Ja, die Liebe. Das ist das Gesetz.’’
,,Und ich dachte, es wäre viel komplizierte.’’
,,Das Gesetz ist einfach, klar und natürlich, trotz- dem ist es
nicht einfach zu leben; dafür ist die Entwick- lung da.
Entwicklung heisst: sich der Liebe nähern. Je höher die
Entwicklung eines Wesens ist, um so mehr Liebe kann es
ausdrücken und erfahren. Die tatsächli- che Grösse oder
Unzulänglichkeit eines Wesens wird einzig und allein dadurch
bestimmt, wie gross seine Liebesfähigkeit ist.’’
,,Und warum ist das so schwierig für uns?’’
,,Weil ihr in euch eine Schranke habt, die euch von der Liebe
abhält, die eure schönsten Gefühle abwürgt.’’
,,Was für eine Schranke?’’
,,Euer Ego…, eure falsche Vorstellung, die ihr von euch selbst
habt, euer falsches Ich . Je grösser euer Ego ist, um so wichtiger
kommt ihr euch vor, den anderen gegenüber. Das Ego treibt euch
an, dass ihr berechtigt wäret, zu verachten, zu schaden, zu
unterdrücken und andere auszunützen, ja sogar über euer Leben
zu ver- fügen! Wenn die Schranke des Egos die Liebe von euch
fernhält, dann könnt ihr kein Mitleid, keine Zärt- lichkeit, keine
Zuneigung, keine Liebe empfinden. Das Ego macht euch
gefühllos dem Leben gegenüber, es nährt sich von falschen Ideen,
von falschen Folgerun- gen über sich selbst, über die anderen und
über das Dasein. Schau: ein EGO-ist interessiert sich nur für sich
selbst, nie für die anderen; ein EGO-latriker betet niemanden an
als sich selbst; ein EGO-tist spricht nur von sich selbst; ein EGO-
zentriker denkt, das ganze Universum kreise nur um seine eigene
Person. Die menschliche Entwicklung aber erfordert den Abbau

107
des Ego, damit die Liebe wachsen kann!’’
,,Heisst das nun, das wir Erdenbewohner beson- ders viel Ego
haben?’’
,,Das hängt vom Entwicklungsstand des einzelnen
ab. – Komm, Pedrito, lass uns weiter spazierenfahren.’’

108
10. Kapitel

Die interplanetarische Bruderschaft

In einer Wiesenmulde lag ein hübsches kleines Amphitheater,


in dem gerade eine Vorstellung gege- ben wurde. Die
Schauspieler waren sehr eigenartige Wesen; anfangs glaubte ich,
dass sie verkleidet aufträ- ten, aber dann überzeugte ich mich
davon, dass das nicht so war. Da gab es Riesen, viel, viel grösser
als die von Ofir, neben wesentlich kleineren Gestalten, aber auch
echte Zwerge. Einige schauten zierlicher aus als wir
Erdenbewohner, andere wiederum waren uns sehr ähnlich.
Manche hatten einen eigenartigen Blick, unter schönen, grossen
Augen einen kleinen Mund, andere Gesichter waren olivfarben
und beinahe ohne Nasen und Lippen. Mir fiel besonders eine
Gruppe von Kin- dern auf, die wie Ami aussahen, obwohl sie
nicht so wie er gekleidet waren.
,,Sie kommen von meinem Planeten’’, erklärte mein Freund.
Von jeder Welt waren fünf Vertreter auf der Bühne.
Sie tanzten nach einer fremdartigen Melodie und form- ten, sich
an den Händen haltend, fröhlich einen grossen
Kreis. Über ihnen schwebte ein goldener Ballon. Wenn
er sich einem der Tänzer näherte, stiess dieser ihn ganz sanft
wieder nach oben. Darauf traten er und die vier anderen seiner
Gruppe in die Mitte des Kreises und führten dort einen Solotanz
zu einer anderen Melodie auf, die zugleich mit der ersten ertönte,
aber ohne sie zu stören. Währenddessen tanzte der grosse Kreis

109
immer weiter zur ersten Musik. Wenn der Ballon nun jemand
anderen berührte, trat eine neue Gruppe in die Mitte, und die erste
kehrte an ihren Platz im grossen Kreise zurück, welcher sich
langsam drehend immer weiter bewegte. Jedesmal, wenn eine
Gruppe ihren Tanz beendete, spendete das Publikum begeistert
Bei- fall.
,,Alle diese Wesen scheinen aus verschiedenen Welten zu
stammen.’’
,,Ja, so ist es. Jede Gruppe führt einen Tanz ihres
Planeten vor.’’
Ausser den Zuschauern aus Ofir waren übrigens auch Vertreter
anderer Planeten anwesend. Rundher-
um war die ganze Anlage mit Fahnen geschmückt. Auf einer Art
Parkplatz vor dem Theater waren viele ver- schiedenartige
Raumschiffe stationiert, wieder andere
schwebten so wie wir in der Luft.
,,Wer gewinnt denn?’’
,,Wer gewinnt was?’’
,,Ist das nicht ein Wettstreit?’’
,,Ein Wettstreit?’’ Ein Wettstreit?’’
,,Suchen sie nicht die Gruppe aus, die es am be-
sten macht?’’
,,Nein.’’
,,Ja, was bezwecken sie denn dann?’’
,,Sie zeigen, was sie können, sie bieten dem Publi- kum ein
gutes Schauspiel, sie knüpfen Freundschaf- ten an, sie lernen,
geniessen…’’
,,Und die Gruppe, die es am besten macht, be- kommt keinen
Preis?’’
,,Es wird nicht verglichen! Alle geniessen und ler-
nen dabei.’’
,,Auf der Erde werden immer die besten herausge- sucht und
preisgekrönt.’’

110
,,Ja, und dadurch werden die letzten gedemütigt, und in den
Preisgefrönten wuchert das Ego’’, sagte Ami lächelnd.
,,Das ist vielleicht hart’’, gab ich zu, ,,aber so müs- sen sie sich
mehr anstrengen, wenn sie gewinnen wol-
len.’’
,,Immer mehr sein wollen als die anderen, immer wieder
Wettkampf, Egoismus, Teilung…! Um immer
besser zu werden, muss man gegen sich selbst kämp-
fen, nicht gegen Brüder! Wettkämpfe gibt es in den brüderlichen,
entwickelten Welten nicht, sie sind der
Same für Krieg und Zerstörung.’’
,,Na, so schlimm wird es nun auch wieder nicht sein. Es gibt
doch auch gesunde Wettkämpfe, sportli-
che zum Beispiel.’’
,,Aber alle nach prähistorischen Massstäben! Es
hat schon Kriege gegeben, die mit einem Fussballspiel begannen;
es gibt deswegen hin und wieder Tote in
den Grossstädten der Welt … – Das, was du hier siehst,
ist gesund, sportlich und kunstvoll.’’
,,Für mich sieht es eher aus wie ein Kinderspiel.’’
,,Der Kreis, der Zirkel sind universelle Sinnbilder, die
Brüderlichkeit symbolisieren und anderes mehr,
eine Welt zum Beispiel.’’
,,Was bedeutet der Kreis auf deiner Brust?’’
,,Er bedeutet die Menschheit.’’
,,Und das Herz mit den Flügeln?’’
,,Das ist die freie und höchste Liebe, die uneigen- nützige.’’
,,Die Menschheit in Liebe vereint!’’ rief ich aus.
,,Du bist ein Genie!’’ Ami war zufrieden mit mir. Wir sahen
uns das Schauspiel weiter an, Ami er-
klärte mir alles. ,,Jede Bewegung, die sie ausführen, hat eine
besondere Bedeutung, ist eine Sprache.’’

111
,,Das gefällt mir, das würde meiner Grossmutter auch Spass
machen… übrigens, wie spät ist es jetzt auf der Erde?’’
,,Deine Grossmutter wird noch ganze vier Stunden schlafen.’’
,,Können wir sie auch von hier aus sehen?’’
,,Ja, über die Satelliten, die wir um die Erde kreisen lassen.
Warte!’’ Er betätigte einige Kontrollhebel des
Bildschirms, und die Erde erschien, aus grosser Höhe
gesehen. Bald konnten wir meine schlafende Gross- mutter
betrachten.
,,Wie wunderbar! Kannst du das ganze Universum
sehen?’’
,,Na, das sind grosse Worte. Ich glaube, du hast keine Ahnung,
wie gross das Universum ist!’’
,,Da magst du recht haben, das weiss ich wirklich
nicht’’, gab ich zu.
,,Wir kennen einige Millionen von Galaxien, natür- lich die in
unserer Nähe, die anderen sehen wir nur aus
der Ferne; was noch weiter weg ist, davon wissen wir nichts!
Aber ich finde, dieser Bildschirm hier ist schon
sehr abwechslungsreich, ein paar Millionen Galaxien sollten
eigentlich reichen, nicht wahr?’’ Wir lachten.
,,Dabei habe ich nicht einmal mitgezählt, dass wir auch die
Vergangenheit jeder Welt einblenden können.’’
,,Die Vergangenheit? Geht das überhaupt?’’
,,Das geht ganz einfach! Alles, was geschieht, wird archiviert,
und zwar auf verschiedenartige Weise. >>Die Sonne bringt es an
den Tag<<, wie du weisst. Ich werde dir eine unserer Methoden
erklären. Dieser goldene Globus zum Beispiel, der dort über den
Tänzern schwebt, strahlt das Licht, das er von der Sonne erhält,
zurück; ein Teil davon erreicht deine Augen, ein ande- rer Teil
wird senkrecht nach oben in den Weltraum

112
abgestrahlt, wo er sich ewig weiterbewegt. Wenn wir nun diesen
Anteil von Licht an irgendeinem Punkt seiner Laufbahn einfangen
und das Bild vegrössern, können wir den Globus sehen, wie er in
seiner Vergan- genheit war.’’
,,Unglaublich das!’’
,,Später werde ich dir einmal Napoleon, Cäsar oder – Jesus
zeigen … in voller Aktion!’’
,,Im Ernst?’’
,,Du kannst auch dich selbst sehen, wie du vor einigen Jahren
warst, aber im Augenblick ist es mir
lieber, du lernst noch etwas mehr über Ofir.’’
Wir stiegen langsam höher und liessen das Amphi- theater
hinter uns zurück. Ein grosses, hellerleuchtetes
Raumschiff schwebte an uns vorbei. Es grüsste mit
einem Lichtsignal; wir antworteten mit einem ähnli- chen
Lichtblitz. Ami lächelte verschmitzt.
,,Wer war das? Ein Freund von dir?’’
Nette und lustige Leute aus einer Welt, die ich vor langer Zeit
einmal besucht habe.’’
,,Und was bedeutete das Lichtsignal?’’
,,Ein Gruss. Freundschaft! Sie waren mir sympa- thisch, und
wir ihnen auch.’’
,,Wie merkst du so was?’’
,,Hast du es nicht gespürt?’’
,,Ich glaube nicht…’’
,,Das kommt, weil du dich selbst nicht beobach- test. Wenn du
aufmerksam wärest, wenn du dir ebenso viel Aufmerksamkeit
schenken würdest wie der Aussenwelt, würdest du vieles
entdecken. Hattest du nicht eine Art von Glücksgefühl, als das
Raumschiff auf uns zukam?’’
,,Ich weiss nicht, ich glaube nicht … ich dachte eigentlich, dass
wir zusammenstossen könnten …’’

113
,,Du warst besorgt!’’ lachte Ami. ,,Schau, das Raumschiff, das
dort schwebt, ist aus meiner Welt. Siehst du, es sieht genauso aus
wie dieses hier.’’
,,Ich möchte zu gerne deinen Planeten kennenler- nen.’’
,,Ein anderes Mal nehme ich dich mit zu mir,
Pedrito. Heute reicht die Zeit nicht mehr.’’
,,Hand aufs Herz?’’
,,Wenn du das Buch schreibst: Hand aufs Herz.’’
,,Und in die Vergangenheit auch?’’
,,In die Vergangenheit auch.’’
,,Und auch an die Strände des Sirius?’’
,,Auch dorthin’’, lachte mein Freund aus dem Welt- raum, ,,du
hast ein recht gutes Gedächtnis. Ich werde
dich sogar mit zu dem Planeten nehmen, den wir für
diejenigen vorbereiten, welche wir von der Erde retten, falls sie
zerstört wird.’’
,,Heisst das, dass für euch die Zerstörung der Erde
eine unabwendbare Tatsache ist?’’
,,Es hängt alles davon ab, ob ihr es lernt, anders zu leben, in
Einheit, ohne Grenze, ohne Ungerechtig- keit, ohne Waffen.’’
,,Wir sollten ein einziges Land schaffen, nicht wahr? Ein Land,
das Erde heisst!’’
,,Ja, so sollte es sein. Übertriebene Liebe zur enge-
ren Heimat ist kein hohes Ziel, sondern Egoismus! Wenn man
einen Ort zu sehr liebt, heisst das, dass man
die anderen Orte weniger gern hat. Das Universum ist
gross. Wir müssen gross denken und lieben. Stell dir vor, es gibt
auf der Erde Leute, die glauben, dass die Bewoh-
ner ihrer Strasse besser sind als die jeder anderen!!’’
,,Du hast recht, Ami. Wir müssen lernen, ohne Grenzen zu
leben… Unsere Atmosphäre sollte unsere
Grenze sein!’’ rief ich begeistert.

114
,,Nicht einmal das! Das Universum ist frei, Liebe bedeutet
Freiheit! Wir brauchen niemanden um Er- laubnis zu bitten, ob
wir in diese Welt eintreten dürfen oder in irgendeine andere.’’
,,Jeder kann in diese Welt kommen, auch ohne Erlaubnis?’’
,,Ja, und in jede andere Welt in Gottes Universum.’’
,,Und die Leute hier in Ofir stört das nicht?’’
,,Warum sollte es sie stören?’’ Ami genoss schon wieder
unsere Unterhaltung.
,,Ich weiss nicht’’, seufzte ich, ,,es fällt mir schwer, so viel
Wunderbares einfach hinzunehmen.’’
,,Ich werde versuchen, es dir zu erklären, Pedrito.’’
,,Die zivilisierten Welten bilden eine universale Bruderschaft.
Wir sind alle Brüder, Freunde. Wir kön- nen alle frei kommen
und gehen, solange wir nieman- dem schaden. Nichts ist geheim,
nichts ist verboten. Es gibt keine intergalaktischen Kriege, weil es
keine Ge- walt zwischen uns gibt. Gewalt ist ein Kennzeichen
primitiver Welten und der Gesellschaften, die diese Welten
ausbilden. Zwischen uns gibt es keine Konkur- renz. Niemand
will mehr sein als der andere. Das ein- zige, was wir wollen, ist
es, die Schönheit des Lebens zu geniessen. Aber weil wir zu
lieben verstehen, ist es für uns das allerschönste, anderen zu
helfen, zu dienen und nützlich zu sein. Wenn wir nützlich sind,
sind wir glücklich. Wir haben alle ein ruhiges Gewissen, wir alle
lieben unseren Schöpfer und danken ihm für unser Leben, weil
wir nur so unser Dasein geniessen können. Das Leben ist sehr
einfach für uns, obwohl wir viele technische Errungenschaften
haben. Wenn die Mensch- heit der Erde es schafft zu überleben,
wenn sie ihren Egoismus und ihr Misstrauen besiegen kann,
werden wir alle kommen, um ihr zu helfen, in die kosmische

115
Bruderschaft einzutreten. Wenn ihr Irdischen es schafft, wird das
Leben für euch nicht länger ein harter Konkurrenzkampf ums
Überleben sein, sondern ihr werdet anfangen zu geniessen, ihr
alle! Wir werden euch die Werkzeuge reichen, damit ihr aus der
Erde eine glückliche Welt machen könnt, eine Welt des Frie-
dens, der Gerechtigkeit und der Einheit.’’
,,Ach, das ist alles so wunderbar, Ami!’’
,,Weil es wahr ist! Nur die Wahrheit ist schön. Wenn du in
deine Welt zurückkehrst, Pedro, schreibe
dieses Buch, damit es noch eine Stimme mehr gibt, ein Sandkorn
mehr.’’
,,Wenn ich es ihnen sage, werden mir alle glau-
ben… und die Waffen niederlegen.. und in Frieden leben!’’ rief
ich überzeugt.
Ami lachte wieder über mich und strich mir über
den Kopf. Jetzt störte mich das nicht mehr, weil ich begriffen
hatte, dass er nicht einfach ein Junge wie ich war, sondern ein viel
höher entwickeltes Wesen.
,,Wie unschuldig du bist’’, seufzte mein Freund.
,,weisst du denn nichts von den Kriegen? Wie schreck- lich sich
alle gegeneinanderstellen?? – Wie sehr sie
alle schlafen! Wie ernst und stumpf sie sind? Die Wahr-
heiten des Universums sind niemals ernst, sie sind schön und
heiter! – Findest du ein Feld voller Blumen ernst?’’
,,Nein, es ist schön’’, antwortete ich.
,,Wenn diejenigen, die die Länder und die Armeen anführen,
Blumen machen müssten, gäben sie ihnen
Kugeln statt der Blütenblätter und harte, unerbittliche Gesetze
anstelle der Stengel.’’
,,Dann … dann werden sie mir also nicht glau-
ben?’’
,,Die Kinder schon und all jene, die wie die Kinder

116
sind; sie werden dir glauben. Die Erwachsenen aber halten nur
das Schreckliche für wahr; sie häufen mate- rielle Dinge an,
vergöttern die Waffen und sind völlig gleichgültig gegenüber
allem Schönen und Wahren. Sie denken, dass die Dunkelheit hell
und das Lichte dunkel ist. Darum werden sie sich auch nicht für
dein Buch interessieren. Aber die Kinder wissen noch, dass
die Wahrheit schön und friedvoll ist. Sie werden helfen, unsere
Nachricht zu verbreiten, die von dir und deinem Buch ausgehen
wird. Es ist wie eine Kette: Zuerst tun wir das unsere, um euch
durch unseren Dienst zu helfen, dann aber muss sich die
Menschheit schon selbst anstrengen!’’
,,Und wenn sie euch nicht folgen und die Erde zerstören?’’
,,Dann werden wir dasselbe tun wie vor Tausenden
von Jahren.’’
,,Alle die retten, die einen genügend hohen Stand haben?’’
,,Ja, Pedrito, alle die!’’
,,Und habe ich die 700 Punkte?’’ Ich probierte es noch einmal,
ob ich Ami eine Antwort entlocken konnte.
Doch der blieb unbeirrt. ,,Jeder, der etwas für den Frieden tut’’,
meinte er, ,,hat einen hohen Stand. Alle die, die nichts tun,
obwohl sie etwas tun könnten, eben
weil sie gleichgültig sind oder gar Helfershelfer, die also ohne
Liebe sind, die haben keinen hohen Stand.’’
,,Sobald ich zu Hause bin’’, versprach ich, auf ein-
mal sehr besorgt, ,,fange ich an zu schreiben!’’ Ami lachte wieder
über mich.

117
11. Kapitel

Unter Wasser

Wir näherten uns einem riesigen See mit himmel- blauem


Wasser, auf dem etliche Segel- und Motor- boote zu sehen waren.
Am Strande badeten einige Leute. Ich bekam Lust, auch in dieses
kristallklare Wasser einzutauchen…
,,Du kannst aber nicht!’’ Ami blieb nichts verbor- gen!
,,Wegen meiner Mikroben?’’
,,Ja, deswegen.’’
Es gab einen kleinen Hafen, wohin die Leute kamen, um sich
eines der dort liegenden Wasserfahr- zeuge zu nehmen. Es gab
luxuriöse Jachten, kleine Ruderboote, durchsichtige Kugeln in
verschiedenen Grössen, Treträder und Taucherausrüstungen.
,,Kann sich hier jeder nehmen, was er will?’’
,,Natürlich.’’
,,Ich denke mir, dass die meisten Leute auf die schönen Jachten
scharf sind.’’
,,Da irrst du dich. Viele rudern mit Vergnügen,
andere spielen am liebsten mit einem kleinen Boot herum, sind
gern unmittelbar am Wasser, bevorzugen körperliche
Anstrengung…’’
,,Warum ist hier so viele los? Ist heute Sonntag?’’
,,Hier ist jeder Tag Sonntag’’, lachte Ami.
Einige Besucher hatten Taucherausrüstungen ge- wählt und
tauchten.
,,Was tun die unter Wasser?’’

118
,,Sie spazieren umher, lernen alles kennen, geniessen das Leben.
Möchtest du auch dorthin?’’
,,Aber du sagtest doch, dass ich nicht aus dem Raumschiff
herausdarf.’’
Ami steuerte lächelnd direkt auf den See zu, und wir tauchten darin
ein. Es war ein wunderbares Erlebnis, einen Blick in diese
Unterwasserwelt zu tun. Dort bewegten sich viele Menschen und
Unterwasserfahrzeuge, von denen die meisten wie durchsichtige
Halbkugeln aussahen. Ein Kind mit Taucherbrille und einem
Sauerstoffgerät auf dem Rücken war in unserer Nähe.

119
Als es uns sah, schwamm es auf das Raumschiff zu und drückte
seine Nase an einem unserer Fenster platt. Ami lachte. Mir ging
durch den Kopf, dass ich an seiner Stelle nicht so vertrauensselig
auf ein fremdes Unterwasser- Ufo zugehalten hätte!
Am Grunde des Sees erschien eine riesengrosse durchsichtige
Kuppel, die durch Strahler in allen Far-
ben beleuchte war. Es sah aus wie ein Restaurant in einer
ungeheuren Seifenblase. Es gab Stühle und Ti- sche und eine
Tanzfläche. Ein Orchester spielte leben-
dige Rhythmen. Einige Leute tanzten, andere sassen an den
Tischen und klatschten in die Hände, während sie den Tänzern
zusahen. Sie hatten hohe Gläser mit Ge-
tränken oder Eiskrems vor sich stehen.
,,Bezahlt man hier auch nicht?’’
,,Nirgends, Pedrito.’’
,,Ja, Wenn das Leben hier so einfach ist, werden sich die Leute
wahrscheinlich nur noch amüsieren, statt zu arbeiten!’’
,,Es gibt hier nun einmal sehr wenig Arbeit, weil alle schweren
Arbeiten von den Maschinen und Robo-
tern erledigt werden.’’
,,Da haben sie es ja noch besser als im Himmel!’’
,,Wir sind doch im Himmel, oder?’’
Ich verstand immer besser, wie wunderbar es sein müsste, in
einer solchen Welt leben zu dürfen.
,,Das muss man sich aber verdienen’’, warnte Ami.
Wir bewegten uns weiter auf dem Boden des Sees dahin, wo es
von eigenartigen Fischen und pflanzen
wimmelte. Wir entdeckten auch Pyramidenbauten zwi- schen
Algen und vielfarbigen Korallen.
,,Gibt es hier Haie?’’
,,Hier gibt es keine Haie, keine Schlangen, keine Spinnen,
keine wilden Tiere; es gibt hier nichts, was

120
feindselig oder giftig ist. Auf einem hochentwickelten Planeten
gedeihen keine Gattungen, die von der Liebe noch entfernt sind.’’
,,Was fressen denn die Fische?’’
,,Dasselbe wie die Kühe und Pferde in deiner Welt: Pflanzen!
In den zivilisierten Welten wird nicht getötet, um zu überleben.
Kein Tier frisst das andere!’’
,,Dann isst du auch kein Fleisch?’’
,,Was willst du damit sagen??’’
Ich hatte ihn nicht beleidigen wollen, aber Ami lachte nur.
,,Selbstverständlich essen wir kein Fleisch,
wie ekelhaft! Was für eine Bosheit, all diese Hühnchen,
Schweinchen und unschuldigen Kälber zu töten!’’
So wie Ami das beschrieb, schien es mir auch eine Bosheit zu
sein, und ich beschloss, in Zukunft kein Fleisch mehr zu essen.
,,Da wir gerade vom Essen reden …’’, begann ich
– mein leerer Magen knurrte…
,,Bist du hungrig?’’
,,Sehr! Hast du nicht so etwas wie ein ausserir- disches Essen
bei der Hand?’’
,,Natürlich. Greif mal hinter dich!’’ Erzeigte auf einen
Einbauschrank hinter den Sesseln des Kontroll-
raums. Ich schob dort einen Rolladen hoch und ent- deckte eine
kleine Vorratskammer mit verschiedenen anscheinend hölzernen
Dosen, die unleserliche Auf-
schriften trugen.
,,Bring mal das breite Gefäss da her.’’ Als ich es trotz aller
Mühe nicht öffnen konnte – es schien her-
metisch verschlossen zu sein –, wollte sich Ami aus- schütten vor
Lachen.
,,Drück auf den roten Knopf’’, prustete er.
Als ich das tat, sprang der Deckel leicht auf. In der Dose war
etwas, das wie Nüsse aussah; sie hatten eine

121
helle, durchsichtige Elfenbeinfarbe.
,,Was sind das denn für Dinger?’’
,,Iss eine.’’
Ich nahm eine, sie war weich wie ein Schwamm. Ich probierte
vorsichtig mit der Zungenspitze, sie
schien eher süss zu sein…
,,Na, iss schon eine, Junge, sie sind nicht giftig!’’ Ami hatte
meine Zimperlichkeit beobachtet. ,,Gib mir
auch eine!’’
Ich reichte ihm die Dose, und er nahm eine der Früchte, steckte
sie in den Mund und ass sie mit Genuss.
So biss ich schliesslich auch ein Stückchen ab und ko-
stete vorsichtig. Es schmeckte so ähnlich wie Erdnuss oder
Haselnuss mit Früchten, ein feines Aroma, es
schmeckte mir. Ich fing an, der Sache zu trauen, nach
dem zweiten Biss schmeckte es bereits nach mehr!
,,Die schmecken aber gut, Ami!’’
,,Iss nicht mehr als vier oder fünf; sie haben einen sehr hohen
Proteingehalt!’’
,,Was ist das denn?’’
,,Eine Art von Honig’’, lachte Ami, ,,von einer Art von Bienen’’,
und lachte noch mehr.
,,Die schmecken mir. Kann ich welche davon für
meine Grossmutter mitnehmen?’’
,,Natürlich, lass mir nur die Dose da. Sie sind aber nur für deine
Grossmutter, hörst du? Sonst darfst du sie
niemandem zeigen! Ihr beiden esst sie alle auf, es darf nichts davon
übrig bleiben! Versprichst du mir das?’’
,,Ja, ich verspreche es. Mmm, die schmecken wirk-
lich gut.’’
,,Meiner Meinung nach nicht so gut wie einige Früchte, die ihr
auf der Erde habt.’’
,,Welche denn zum Beispiel?’’
,,Die , die ihr Aprikosen nennt.’’

122
,,Die schmecken dir?’’
,,Und ob, sie sind in meiner Welt hoch begehrt. Wir haben
versucht, sie auf unseren Böden anzubauen, aber wir erreichen
nicht denselben Geschmack. Es kommt darum gar nicht so selten
vor, dass es in euren Aprikosenplantagen Ufos zu sehen gibt…’’,
und Ami lachte mit seinem kindlichen Lachen.
,,Du meinst, ihr stehlt sie euch einfach?’’ fragte ich überrascht.
,,Stehlen… Was ist Stehlen?’’ Er tat, als ob er das
nicht wüsste.
,,Etwas nehmen, was einem nicht gehört’’
,,Ah, schon wieder das berühmte >>gehören<< … Sagen wir
einmal so: wir können eben die schlechten
Angewohnheiten unserer Welten nicht ablegen und
stehlen fünf oder zehn Aprikosen!’’
Ich fand es lustig, war aber doch nicht ganz über- zeugt.
Stehlen ist Stehlen, ob es nun eine Aprikose ist oder eine Million
Dollar. Ich sagte ihm das.
,,Warum erlaubt ihr auf der Erde denn nicht, dass jeder sich das
nimmt, was er braucht, und zwar ohne zu
bezahlen?’’ fragte Ami dagegen.
,,Bist du verrückt? Niemand würde sich bei uns die Mühe
machen zu arbeiten, wenn er nichts verdiente!’’
,,Ihnen fehlt eben die Liebe. Vor lauter Egoismus
können sie nichts hergeben, wenn sie nichts dafür bekommen.’’
Ami hatte eine besondere Art, unange-
nehme Dinge mit einem Lächeln zu sagen, in dem
Zärtlichkeit und Verständnis lagen.
Wenn ich nun so ein Eigentümer einer aprikosen- Plantage
wäre, und die Leute würden einfach kommen und sich das Obst
pflücken, ohne etwas dafür zu be- zahlen? Vielleicht käme ein
ganz Schlauer sogar auf Den Gedanken, gleich mit einem
Lastwagen vorzufah-

123
ren und den Rest der Aprikosenernte kurzerhand auf- zuladen! In
Gedanken versuchte ich ihn davon abzu- halten, aber er fuhr
einfach davon mit seinem Lastwa- gen und machte sich noch
lustig über mich, indem er mir zurief: ,Na, was ist denn, hast du
keine Liebe in dir? Bist du etwa ein Egoist?? Jajaja…’
,,Pfui, was für ein Misstrauen’’, kommentierte Ami meine
Gedankenspiele. ,In einer zivilisierten Welt wird
niemand von einem anderen übervorteilt. Was würde
dieser Mann zum Beispiel mit seiner Aprikosenladung anfangen?
,,Na, verkaufen selbstverständlich!’’
,,Wenn aber nichts verkauft werden kann, weil es kein Geld
gibt?’’
Das war nun wieder recht komisch. Ich hatte total
vergessen, dass es in den zivilisierten Welten kein Geld gibt!
,,Okay, aber warum sollte ich umsonst arbeiten?’’
,,Wenn viel Liebe in dir ist, wirst du glücklich sein, den
anderen dienen zu können, und das gibt dir wie-
derum das Anrecht darauf, dass ein anderer auch dir dient. Du
kannst zum Nachbarn gehen und von seiner Ernte nehmen, was
du brauchst; vom Milchmann
nimmst du die Milch, vom Bäcker das Brot und so weiter. Statt
dass jeder für sich und alles durcheinander werkelt, schliessen
sich die Menschen doch besser zu-
sammen und kommen überein, die Produkte in Vertei-
lungszentren zu bringen. Statt dass du arbeitest, tun das die
Maschinen für dich.’’
,,Dann würde doch niemand mehr auch nur einen Finger
krumm machen!’’
,,Es gäbe immer etwas zu tun. Die Maschinen müs-
sen zum Beispiel überwacht werden, auch müssen ständig bessere
entwickelt werden; man kann denen

124
helfen, die Hilfe brauchen; unsere eigene Welt will auch immer
weiter verbessert werden, und wir wollen uns selbst auch
weiterbilden … und natürlich unsere freie Zeit geniessen.’’
,,Aber es könnte doch immer einen geben, der die anderen nur
ausnützen wollte und selbst gar nichts mehr tut, weisst du, so ein
ganz Gewitzter’’, wandte ich ein und dachte dabei an den Mann
mit dem Lastwagen.
,,Der, den du gewitzt nennst, hat einen ganz niedri- gen
Entwicklungsstand, sicher weniger als 400
Punkte, viel Egoismus und wenig Liebe! Er glaubt nur, besonders
schlau zu sein, gewitzt und intelligent, in Wahrheit ist er dumm
und würde mit seinem Niveau
niemals in die zivilisierten Welten aufgenommen wer- den. In
unseren Welten ist es eine grosse Auszeich- nung, mehr arbeiten
zu dürfen, mehr dienen zu kön-
nen. Du siehst hier sehr viele Leute, die sich unterhal- ten, aber
die Mehrzahl von ihnen arbeitet irgendwo, in Laboratorien und
Universitäten, in all diesen Pyrami-
den zum Beispiel und auch bei Hilfsmissionen in den
unzivilisierten Welten. Das Leben ist dazu da, uns
glücklich zu machen, damit wir es geniessen können. Aber das
grösste Glück ist es, anderen zu dienen.’’
,,Dann sind die Leute, die wir hier sehen, - faul?’’
Amis Gelächter sagte mir schon, dass ich wieder einmal falsch
getippt hatte.
,,Nein, das sind sie nicht. Es gibt einfach nicht so viele
Gelegenheiten zu dienen.’’
,,Wie viele Stunden arbeiten sie am Tag?’’
,,Das hängt von der Art der Arbeit ab. Wenn sie angenehm ist,
arbeiten sie ganze Tage hindurch. Wie
ich zum Beispiel jetzt. Aber das ist ein grosses Privileg!’’
,,Du?? – Was arbeitest du denn? Wir fahren doch nur
spazieren?’’

125
Ami lachte. ,,Ich bin so einer, der Botschaften übermittelt, so
eine Art Professor, was dasselbe ist.’’
Mir schien es nicht dasselbe zu sein. In diesem Augenblick
beobachtete ich zwei junge Leute, die ver-
suchten, durch ein Fenster in eine der Pyramiden ein- zusteigen;
wollten sie stehlen?
Ami fing meine Gedanken auf. ,,Was bist du nur für
ein Ausbund von Misstrauen! Sie putzen die Fenster.’’ Ich lenkte
ab. ,,Und wie ist die Polizei hier?’’
,,Polizei, wozu?’’
,,Um aufzupassen, dass die Bösen…’’
,,Welche Bösen?’’
,,Es gibt hier keine Bösen?’’
,,Na ja, niemand ist perfekt. Aber wenn man 700 Punkte hat
und in einer Welt lebt, die durch ihre soziale Struktur für das
richtige Wissen und die notwendigen Anreize sorgt, dann fügt
keiner einem anderen mehr ein Leid zu. Man braucht ganz
einfach nicht mehr böse zu sein, und darum brauchen wir auch
keine Polizei hier.’’
,,Das ist ja unglaublich!!’’
,,Unglaublich ist vielmehr, dass es Welten gibt, wo Menschen
einander umbringen!’’
,,Da hast du recht, Ami … Weißt du, mir scheint es aber
unmöglich, dass wir auf der Erde jemals so leben können wie ihr.
Wir sind böse, uns fehlt die Liebe,
sogar ich kenne Leute, die ich nicht mag.’’ – Ich dachte an einen
Klassenkameraden, der immer miss- mutig dreinschaut. Wenn wir
anderen begeistert und
übermütig irgend etwas spielen, braucht er einen nur anzusehen,
und aus ist es mit dem Spass. Dann fiel mir
noch ein anderer ein, einer der immer so heilig tut! Er
behauptet, dass ihm die Jungfrau Maria erscheint und dass er
deshalb direkt in den Himmel kommen wird!

126
Immer hat er was zu meckern, wenn wir Spässe machen oder
Unfug treiben und weil wir nicht so oft in die Messe gehen wie er.
,,Nein, wirklich, ich mag ihn nicht’’, dachte ich laut.
,,Ich mag auch nicht alle Leute gleich gerne, weder in meiner
Welt noch in irgendeiner anderen’’, sagte Ami offensichtlich gut
gelaunt. ,,Aber weil mir nicht alle gleich sympathisch sind, muss
ich ihnen doch nichts antun.’’
,,Im Ernst? Hast du auch Fehler?? – Ich war begeistert! ,,Und
ich hatte schon geglaubt, du wärest
vollkommen! – Ich selbst würde schliesslich diesen
beiden Typen auch nichts antun, aber ich möchte doch nicht
dauernd mit ihnen zusammen sein!’’
,,In den zivilisierten Welten gibt es Seelen, die ein-
ander anziehen, und andere, die einander nicht anzie- hen; aber
deshalb stossen sie sich auch nicht ab. Für
bestimmte Missionen und Arbeiten, bei denen man
lange miteinander auskommen muss, werden deshalb Leute
ausgesucht, die sich sympathisch sind. Wenn
man indes einmal 1500 Punkte hat, dann liebt man absolut jeden!
Wir alle müssen natürlich danach trach- ten, diesem Ziel
näherzukommen, doch im Augenblick
wird weder von euch noch von uns so viel verlangt.’’
,,Dann ist es also nicht notwendig, dass wir Erden- bewohner
ganz vollkommen sind?’’
Nun lachte mein Freund aus vollem Halse. ,,Voll- kommen?
Die Erdenbewohner vollkommen?? – Weisst du denn, was es
heisst, vollkommen zu sein?’’
,,So sein wie Gott?’’
,,Genau! Wer kann denn das schon?! Ich nicht!!’’
,,Ich auch nicht.’’
,,Das ist typisch irdische Mythomanie, geistiger Extremismus!!
Sie bringen einander mitleidlos um, sie

127
foltern und betrügen sich und sind richtige Sklaven der Materie,
ihr Entwicklungsstand ist erschütternd nied- rig, und dann
verlangen sie von sich selbst Vollkom- menheit! Es wäre schon
genug, wenn sie die Waffen niederlegten und wie eine Familie in
Frieden lebten, nur das! Um nur das zu erreichen, bedarf es keiner
Vollkommenheit, man muss nur aufhören, einander weh zu tun.
Das ist viel einfacher, als vollkommen zu sein. Man schnalzt mit
den Fingern, und schon wäre die Welt in Ordnung! Aber für diese
Leute scheint das eine Utopie zu sein, ein Wahnsinn, eine
Unmöglich- keit! Die Vollkommenheit hingegen, die erscheint
ihnen denkbar!! Sie tun überhaupt nichts für die Menschheit, sind
ausschliesslich auf die eigenen und fremden Fehler konzentriert,
suchen in jeder Suppe
ein Haar …!’’
,,Und wenn man sich auf einen Berg zurückzieht, um nach
Gott zu suchen?’’ Da ich in eine Klosterschule ging, wurde oft
über dieses Thema gesprochen.
,,… und wenn jemand in einem Fluss ertrinkt, wäh- rend du am
Ufer betest und nichts für ihn tust? Wird
Gott das erfreuen? Glaubst du?’’ fragte Ami.
,,Ich weiss nicht, vielleicht freut er sich über meine Gebete.’’
,,Was ist das Grundgesetz des Universums?’’
,,Liebe.’’
,,In welcher Haltung beweist du mehr Liebe: Wenn du
unbeteiligt betest, während dein Bruder ertrinkt, oder wenn du
versuchst, sein Leben zu retten?’’
,,Ich weiss nicht. Wenn ich bete, liebe ich Gott.’’
,,Ich will es anders erklären: Nimm an, du hast zwei Kinder;
das eine droht gerade in einem Fluss zu ertrin- ken. Da stellt sich
das andere Kind vor ein Bild von dir und betet es an, statt seinem
Geschwisterchen zu hel-

128
fen. Würde dich diese Haltung glücklich machen?’’
,,Nein, natürlich nicht. Mir wäre es tausendmal lieber, wenn
das Kind gerettet würde. Aber Gott ist vielleicht nicht so wie
ich?’’
,,Nein? Glaubst du vielleicht, dass Gott eitel ist, dass er darauf
aus ist, angebetet zu werden, und dass es ihm schnuppe ist, was
mit seinen Kindern geschieht? Nicht
einmal du würdest so etwas fordern, obwohl du nicht vollkommen
bist; wie könnte dann er, der Vollkom- mene, weniger sein als
du?’’
,,Auf diese Weise habe ich das noch nie gesehen!’’
,,Gott hat einen, der seinen Brüdern dienlich ist, lieber als einen
unnützen Gläubigen, der seiner Um-
welt gleichgültig gegenübersteht, obwohl sie doch dabei ist zu
>>ertrinken<<. Schau, solche Leute sind le- diglich an ihrer
eingebildeten Erlösung interessiert,
haben nur ihre persönliche Entwicklung und Vervoll- kommung
im Sinn.’’
,,Das wusste ich alles nicht, Ami… Wieso weißt du
soviel über Gott?’’
,,Gott ist Liebe; daher muss es so sein, dass jeder, der die Liebe
lebt, Gott erlebt. Wer wirklich liebt, will nur dienen.’’
,,Wie heisst denn deine Religion?’’
,,Sie hat keinen Namen, oder vielleicht doch, ich weiss es nicht
… Im ganzen zivilisierten Universum
besteht die einzige Religion, die universelle Religion, darin, die
Liebe zu leben, weil Gott die Liebe ist. Ausser dieser Wahrheit
haben wir kein Glaubenssystem.’’
,,Ausgenommen eines’’, sagte ich.
,,Welches, Pedrito?’’
,,Na, du weißt schon, dass die Liebe das Grunduni- versum des
Gesetzes ist.’’
,,Das Grundgesetz des Universums, Pedrito! Aber

129
das ist kein Glaube, das ist ein Gesetz, ein wissen- schaftlich und
geistig bewiesenes Gesetz. Es wird auch für euch gelten, wenn
eure Wissenschaft die Liebe entdeckt.’’
,,Ich glaube, dass…’’
,,… dass es ein Aberglaube wäre?’’
,,Ja, so was, oder vielleicht eine gute Absicht.’’
,,Das stimmt wieder einmal nicht! – Komm, gehen wir, lass uns
ein paar ganz besondere Menschen hier besuchen.’’

130
12. Kapitel

Das neue Zeitalter

Wir stiegen aus dem Wasser auf und glitten dann sehr schnell
über das offene Land des Planeten dahin. Nach kurzer Zeit hatten
wir einige Bauten erreicht. Wir blieben in der Luft stehen, und –
beinahe wäre ich
vom Sessel gefallen! Ich rieb mir die Augen, ich konnte nicht
glauben, was ich sah: Menschen, die flogen!
Sie schienen in der Luft zu hängen mit ausgebrei-
teten Armen, einige schwebten in waagerechter Lage, andere
aufrecht stehend; alle Gesichter drückten gro- sses Glück und
Konzentration aus. Wie segelnde Adler beschrieben sie
ausgedehnte Kreise.
Ami stellte das Sensometer ein und bekam einen der Flieger
ins Bild. ,,Wir schauen uns mal seinen Ent-
wicklungsstand an.’’
Der ganze Mensch schien durchsichtig zu sein. Das Licht in
seiner Brust wirkte wie ein wunderschö- nes Bild. Es floss über
seinen Körper hinaus und strahlte wie eine Kugel aus Licht, die
ihn völlig einhüllte.
,,Sie üben sich in der grössten Kraft des Univer- sums, in der
Kraft der Liebe’’, erklärte mir Ami.
Ich war fasziniert. ,,Wie können sie denn fliegen?’’
fragte ich.
,,Die Liebe hebt sie hoch. Es ist dem ähnlich, was wir beide am
Strande taten.’’
,,Die müssen eine Unmenge von Punkten haben!’’
,,Diese Menschen haben meistens an die tausend

131
Punkte. Aber wenn es ihnen gelingt, sich völlig auf die Liebe zu
konzentrieren, erreichen sie manchmal über zweitausend! Es
handelt sich um sogenannte geistige Übungen. Hinterher fallen
die Leute auf ihren norma- len Stand zurück. Es gibt Welten, in
denen die Bewoh- ner immer so leben, wie es hier die Flieger tun.
Aber wir wissen auch von Welten, Pedrito, in die weder ich noch
du gehen könnten, auch nicht für einen einzigen Au- genblick!
Dort existieren Wesen, die über zehntausend Punkte haben,
Sonnenwesen; sie sind beinahe reine Liebe!’’
,,Die Sonnenwesen?’’
,,Ja, die Wesen, die auf der Sonne leben.’’
,,Dort leben Wesen! Also, da wär ich im Traum nicht drauf
gekommen!’’
,,Das ist ganz verständlich. Man kann über die
eigene Stufe nicht allzu weit hinaussehen. – Komm, lass uns diese
Gruppe dort drüben anschauen.’’
In der Ferne sahen wir eine Gruppe von etwa fünf-
zig Personen, die im Kreis auf einer Wiese sassen. Ge- nauso wie
die Menschen, die fliegen konnten, schie- nen auch sie aus sich
selbst zu strahlen. Sie sassen mit gekreuzten Beinen und
aufrechten Rücken, sie schie- nen zu meditieren oder zu beten.
,,Was tun sie?’’
,,Sie senden Botschaften in die weniger entwickel- ten Welten
der Galaxie, so eine Art von telepathischen
Kundgaben, die aber nicht nur mit dem Verstande,
sondern auch mit dem Herzen aufgenommen werden müssen.’’
,,Ja, davon hast du mir schon erzählt. Was sind das für
Botschaften?’’
,,Versuche, dich auf deinen Brustbereich zu kon- zentrieren,
beruhige deine Gedanke, dann kannst du

132
Sie vielleicht auffangen; wir sind ja sehr nahe an der
>>Sendestation<< … Nein, so nicht, entspanne dich vor- her,
schliess die Augen, sei aufmerksam …’’
Ich versuchte es. Anfangs merkte ich gar nichts,
ausser einer allgemeinen Gemütsregung, die ich, seit wir an
diesen Ort gekommen waren, unbewusst emp- fand. Aber sehr
bald wurde ich gewahr, wie gewisse Gefühls-Ideen in mir
hochstiegen:

>>ALLES, WAS NICHT AUF LIEBE BERUHT, SOLL ZERSTÖRT WERDEN,


VERGESSEN IN DER ZEIT, ABGELEHNT…<<

Ich spürte zunächst in mir eine eigenartige innere Helle, und


dann fand mein Verstand die rechten Worte zu diesem Gefühl. Es
war sehr fremdartig und sehr schön.

… UND ALLES, WAS AUF DER LIEBE BERUHT, FREUNDSCHAFT ODER


LIEBE ZWISCHEN MANN UND FRAU,
FAMILIE ODER GRUPPE REGIERUNG ODER VOLK, EINZELSEELE ODER
MENSCHHEIT, WIRD FEST UND SICHER WERDEN,
WIRD BLÜHEN UND FRÜCHTE TRAGEN
UND DIE ZERSTÖRUNG NICHT ERFAHREN…<<

133
Ich konnte das Wesen, das diese Worte sprach, beinahe sehen.
Plötzlich war es für mich nicht mehr jene Gruppe von Menschen,
sondern es war Gott selbst, der da sprach!

>>DAS IST MEIN PAKT,


DAS IST MEIN VERSPRECHEN UND MEIN GESETZ.<<

,,Hast du es aufgefangen, Pedrito?’’ fragte mich Ami.


Ich öffnete die Augen. ,,Oh, ja! - - Ist es zu Ende?’’ Ami
nickte. ,,Diese Botschaften kommen aus der
Tiefe des Universums, von Gott … Die Freunde, die du hier
siehst, empfangen sie und geben sie an die weni- ger entwickelten
Welten weiter, wie zum Beispiel an
deine. Dort werden sie von anderen Personen aufge- fangen, aber
nicht immer rein weitergegeben, weil das vom Entwicklungsstand
des Empfängerbewusstseins
abhängt.’’
,,Entwicklungsstand des Bewusstseins? Was ist das, Ami?’’

134
,,Das ist der Grad der Harmonie zwischen den beiden
Gehirnen, Pedrito. Diese Harmonie ist die Vor- aussetzung dafür,
dass die Botschaften wirklich das bewirken, was sie sollen,
nämlich helfen, das neue Zeitalter zu schaffen! Wenn, die
Kundgaben aber un- klar weitergegeben werden, stiften sie noch
mehr Ver- wirrung, mehr Angst, mehr Gewalttätigkeit.’’
,,Das neue Zeitalter, Ami?’’
,,Ja, das Zeitalter des Wassermanns.’’
,,Was ist das, das Zeitalter des Wassermanns?’’
,,Es ist eine neue Entwicklungsetappe des Plane- ten Erde, das
Ende jahrtausendealter Barbarei, ein
neues Zeitalter der Liebe! Dein Planet wird ab jetzt von
kosmischen und geologischen Energien regiert, die viel
feinstofflicher als die bisherigen sind, die das Wachstum der
Liebe in allen wesen fördern. Ihr könntet heute schon so leben wie
die Menschen hier auf Ofir.’’

135
,,Und warum tun wir das nicht, Ami?’’
,,Weil ihr noch immer an den alten Ideen und Sy- stemen klebt,
die für das neue Zeitalter nicht geeignet sind und den Menschen
deiner Welt nur Leid besche- ren. Aber die Wesen werden
geboren, um glücklich zu sein, Pedrito, nicht um zu leiden. Daran
arbeiten wir mit unserem Nothilfeprogramm. Hast du nicht be-
merkt, dass man in letzter Zeit auf der Erde viel von der Liebe
spricht?’’
,,ja, das stimmt.’’
,,Das kommt daher, dass im Wassermannzeitalter viele
Menschen unsere Botschaften auffangen; die meisten von ihnen
spüren die grösser werdende Kraft dieser Liebesstrahlung.’’
,,Und warum sind dann die Menschen auf der Erde jetzt
unglücklicher als vorher? Zu anderen Zeiten hat
es schliesslich auch Weltkriege gegeben, Elend und
Epidemien…’’
,,Ja, aber die Menschen waren damals weniger
sensibel; sie litten weniger unter den Grausamkeiten, sie glaubten
mehr an den Sinn der Kriege. Heute ist das nicht mehr so. Heute
will die grosse Mehrheit der Menschheit in Frieden leben. Es ist
ein neues mensch- liches Geschlecht herangewachsen, das durch
die kürzeren Schwingungen verfeinert worden ist. Darum leiden
sie mehr, weil grössere Sensibilität die Schmerz- empfindlichkeit
steigert, leider …’’
Wir waren sehr bewegt, als wir uns von dem Orte so
eigenartiger geistiger Schwingungen trennten,
nahmen dann aber rasch wieder Fahrt auf.
,,Ami, wie viele Stunden bleiben uns noch?’’
,,Zwei.’’
,,Wie komisch’’, überlegte ich, und Ami fragte:
,,Warum?’’

136
,,Weil es mir so vorkommt, als wäre ich mindestens schon
zwölf Stunden in diesem Raumschiff, seit ich am Strand da unten
eingestiegen bin.’’
,,Ich sagte dir ja, dass man die Zeit auch streeeeeecken kann. –
Komm, gehen wir noch schnell
ins Kino! Schau mal hinunter.’’
Wir kamen in eine Gegend von Ofir, in der es gerade Nacht
war. Trotzdem war alles hell erleuchtet,
weil eine grosse Anzahl künstlicher Strahler die Wiesen
und Gebäude mit Licht überschütteten.
Da unten gab es so etwas wie ein Kino im Freien mit vielen
Zuschauern. Die Leinwand schien eine Wand aus Kristall zu sein,
auf der farbige
Bilder, Formen- und Schattenspiele Gestalt annahmen, das alles
begleitet durch eine leise Musik. Von den Plätzen
der Zuschauer abgesondert, befand sich vor der Lein-
wand ein besonderer Sitz, auf dem eine Frau sass. Sie trug eine
Art Helm auf ihrem Kopf, hielt die Augen geschlossen und wirkte
sehr konzentriert.
,,Was passiert hier, Ami?’’
,,Was sich die Frau vorstellt, erscheint auf der Leinwand. Das
ist ein Kino, für das man keine Kameras und keine Projektoren
braucht.’’
,,Das ist aber nun wirklich Spitze!’’ rief ich aus.
,,Technik, Pedrito, ganz simple Technik!’’
Die Frau war nun mit ihrer Vorstellung fertig. Wäh- rend das
Publikum klatschte, wechselte sie ihren Platz
mit einem Manne.
Eine neue Musik begann; auf der Leinwand er- schienen
stilisierte Vögel, die im Takte er Musik über
eine Landschaft flogen, die so wirkte, als wäre sie aus Kristallen
oder aus Edelsteinen geformt. Es sah sehr
schön aus, wie ein Zeichentrickfilm oder so was Ähnli- ches.
Lange Zeit blieben wir still und betrachteten

137
dieses ausserirdische Wunder.
Jetzt kam ein Junge an die Reihe. Er stellte sich eine
Liebesgeschichte zwischen sich und einem Mäd- chen vor, das
aus einer anderen Welt stammte; die einzelnen Episoden fanden
auf verschiedenen sehr eigenartigen Planeten statt. Die Bilder
waren längst nicht so klar wie die vorherigen, manchmal ver-
schwammen sie sogar ineinander. Ich fragte Ami nach dem
Grunde.
,,Er ist noch ein Kind, er hat noch nicht die Kon-
zentrationsfähigkeit eines Erwachsenen, aber für sein
Alter macht er es sehr gut.’’
,,Erfindet er auch die Musik dazu?’’
,,Nein, Bilder und Musik gleichzeitig schaffen sie nicht, nicht
in dieser Welt; doch in anderen Welten bringen sie auch das
zustande. Aber auf Ofir gibt es zum Beispiel Konzertsäle, in
denen der Künstler die Musik einfach erfindet, und das Publikum
kann sie dann hören. Möchtest du mal in einen Vergnügungs-
park gehen?’’
,,Na klar.’’
Wir traten in eine Phantasiewelt ein, wo es jede nur denkbare
Unterhaltung gab: riesige Berg- und Talbah-
nen, Fabellandschaften und Märchenwesen, Orte, wo die Leute in
der Luft schwebten, während sie vor La- chen beinahe umkamen.
,,Je höher die Entwicklung’’, klärte mich Ami auf,
,,umso mehr werden wir wie die Kinder. In unseren Welten gibt
es viele solcher Orte. Eine reife Seele ist
wie die Seele eines Kindes. Wir brauchen das Spiel, die Phantasie
des Erschaffens. Es gibt kein grösseres
Spiel, keine bessere Phantasie oder keine höhere
Schöpfung als das Universum, dessen Schöpfer die Liebe ist.’’

138
,,Gott?!’’
,,Die Liebe ist Gott! In unseren Sprachen gibt es nur ein
einziges Wort für den Schöpfer, die Göttlich-
keit oder Gott: und dieses Wort ist Liebe! Wir schreiben
es ganz gross: LIEBE!! … auch ihr werdet das eines Tages tun.’’
,,Ami, ich fühle es immer mehr in mir, wie wichtig
die Liebe ist.’’
,,… und dabei weisst du noch gar nicht viel! – Komm, unser
Besuch auf Ofir ist zu Ende. So wie diese
Welt könnte die eure schon ab morgen sein, wenn ihr euch alle
einig wäret …; wir würden euch den Rest schon zeigen! – Jetzt
gehen wir in eine Welt, zu der
weder ich auf Dauer Zugang habe noch du! Wir dürfen ihr nur
einen kurzen Besuch abstatten, weil dies hier ein guter Zweck ist.
In jener Welt hat niemand weniger
als zweitausend Punkte! Die Reise ist weit, und ich werde dir
inzwischen einiges erzählen. Komm, setz dich in den Sessel
hier.’’
Ami drehte an seinen Kontrollknöpfen. Das Raum- schiff
begann ganz leicht zu zittern. Die Sterne wurden
zu langen Strichen, und vor den Fenstern erschienen wieder die
weissen Nebel, die anzeigten, dass wir in eine
sehr weit entfernet Welt reisten.

139
13. Kapitel

Eine blaue Prinzessin

,,Du sagtest doch, dass es Menschen in deinem Leben gibt, die


es dir schwer machen, sie zu lieben, nicht wahr, Pedrito?’’
,,Ja.’’
,,Ist es denn schlecht, nicht zu lieben?’’
,,Ja’’, sagte ich
,,Und warum?’’ fragte Ami.
,,Weil du gesagt hast, dass die Liebe das Gesetz ist und so
weiter …’’
,,Pedrito, vergiss nun für einen Augenblick mal alles, was ich
dir gesagt habe. Vielleicht habe ich dir ja was vorgemacht, oder
ich irre mich ganz einfach …
Stell dir jetzt ein Universum ohne Liebe vor!’’
Ich begann mir Welten vorzustellen, auf denen Menschen
lebten, die niemanden liebten ausser sich selbst. Es waren Welten
voller Kälte und Ichbezogen- heit; denn nur Liebe kann das Ego
bremsen, wie Ami sagte. Alle kämpften gegeneinander und
zerstörten sich gegenseitig. Ich dachte an die negativen Ener-
gien, vo denen Ami gewarnt hatte, weil sie eine kosmi- sche
Katastrophe heraufbeschwören konnten. Ich ver- mochte mir
vorzustellen, wie ein schon am Boden lie- gender
selbstmörderischer Egozentriker nur aus
Rache auf den berühmten >>roten Knopf<< drückte …, und
schon verglühten ganze Galaxien in einer ketten-
reaktion!
,,Wenn keine Liebe wäre’’, sagte ich schliesslich,

140
,,gäbe es kein Universum.’’
,,Könnten wir dann vielleicht sagen, dass Liebe auf- baut und
fehlende Liebe zerstört?’’
,,Ja, so könnte man sagen’’, meinte ich, ,,darauf
läuft es schliesslich hinaus.
,,Wer hat das Universum erschaffen?’’
,,Gott.’’
,,Wenn Liebe aufbaut und Gott das Universum auf- gebaut hat,
gibt es dann viel Liebe in Gott?’’
,,Natürlich, klar!’’ Plötzlich sah ich das Bild eines
wunderbaren Wesens vor mir, das strahlte und strahlte, während
es Galaxien, Welten und Sterne schuf.
,,Willst du wohl den Bart weglassen?!’’ lachte Ami. Er hatte
recht, schon wieder hatte ich mir ihn mit Bart und einem
menschlichen Gesicht vorgestellt, aber we-
nigstens nicht inmitten von Wolken, sondern inmitten Des
Universums!
,,Dann können wir sagen, dass Gott aus unendlich
viel Liebe besteht?’’
,,Natürlich’’, sagte ich, ,,deshalb mag er den Hass nicht und die
Zerstörung.’’
,,Gut, wozu hat Gott das Universum erschaffen?’’
Ich dachte eine Zeitlang nach und wusste keine Antwort; dann
protestierte ich: ,,Glaubst du nicht, dass Ich zu klein bin, um so
eine Frage zu beantworten?’’
Ami nahm meinen Protest nicht zur Kenntnis.
,,Warum’’, fragte er, ,,bringst du deiner Grossmutter diese
>>Nüsse<< mit?’’
,,Damit sie sie kosten kann; sie werden ihr be- stimmt
schmecken.’’
,,Möchtest du, dass sie ihr schmecken?’’
,,Natürlich.’’
,,Warum?’’

141
,,Damit sie eine Freude hat, wenn sie ihr schmecken.’’
,,Warum möchtest du denn, dass sie eine Freude hat?’’
Weil ich sie lieb habe!’’ Ich war selbst überrascht festzustellen,
dass es ein Teil der Liebe ist, wenn man möchte, dass ein anderer
glücklich wird.
,,Deshalb also möchtest du, dass ihr die >>Nüsse<<
schmecken, damit sie eine Freude hat und glücklich ist?’’
,,Ja, genau deshalb.’’
,,Wozu, glaubst du, hat Gott die Menschen er- schaffen, die
Welten, die Landschaften, den Ge-
schmackssinn, die Farben, die Dürfte?’’
,,Damit wir glücklich sind!’’ rief ich aus, froh dar- über, etwas
Neues verstanden zu haben.
,,Sehr gut. Also glaubst du, dass Gott uns liebt?’’
,,Klar, er liebt uns sehr.’’
,,Na also, wenn er liebt, müssen wir doch auch lieben, oder?’’
,,Ja, wenn Gott liebt …’’
,,Wunderbar! Gibt es etwas Grösseres als die Liebe?’’
,,Du hast gesagt, es ist das wichtigste.’’
,,Ich habe auch gesagt, du sollst vergessen, was ich gesagt
habe’’, lächelte Ami. ,,Es gibt einige, die
sagen, dass Intelligenz mehr wert ist. Wie wirst du es anstellen,
diese >>Nüsse<< deiner Grossmutter zu über- reichen?’’
,,Ich werde eine Überraschung vorbereiten.’’
,,Und brauchst du dafür deine Intelligenz?’’
,,Natürlich. Ich denk mir einen Plan aus.’’
,,Dann dient deine Intelligenz also der Liebe, oder ist es
umgekehrt?’’

142
..Das verstehe ich nicht.’’
,,Womit fängt es an, dass du möchtest, dass deine Grossmutter
glücklich ist? Mit der Liebe oder der Intel- ligenz?’’
,,Ah, mit der Liebe, damit fängt alles an.’’
,,Damit fängt alles an, Pedrito, da hast du sehr recht! Dann ist
es also so, dass du deine Intelligenz
verwendest, weil du deiner Grossmutter eine Freude machen
willst?’’
,,Ja, das stimmt. Ich stelle meine Intelligenz mei-
ner Liebe zur Verfügung, aber zuerst kommt die Liebe.’’
,,Was gibt es also, was über der Liebe steht?’’
,,Nichts?’’ fragte ich.
,,Nichts’’, antwortete er und wandte sich mir mit einem
strahlenden Blick zu. ,,Und wenn wir nun wis-
sen, dass Gott viel Liebe in sich hat, was ist er dann?’’
,,Ich weiss es nicht …’’
,,Wenn es etwas Grösseres gäbe als die Liebe, müsste das doch
Gott sein, nicht wahr?’’
,,Ich glaube, ja.’’
,,Und was ist grösser als die Liebe?’’
,,Ich weiss nicht.’’
,,Was sagten wir denn, was über der Liebe steht?’’
,,Wir sagten, dass nichts über der Liebe steht.’’
,,Was ist dann Gott?’’ fragte er.
,,Ah, Gott ist Liebe. Du hast es ja schon öfters gesagt, und in
der Bibel steht es auch. Aber ich dachte, dass er ein Mensch sei,
der viel Liebe hat.’’
,,Nein, er ist kein Mensch mit viel Liebe, er ist die Liebe, oder
die Liebe ist Gott.’’
,,Das versteh ich nun wieder nicht, Ami.’’
,,Ich habe dir gesagt, dass die Liebe eine Kraft ist, eine
Schwingung, eine Energie, deren Auswirkungen

143
mit den geeigneten Instrumenten gemessen werden können, mit
einem Sensometer zum Beispiel.’’
,,Ja, ich erinnere mich.’’
,,Das Licht ist auch eine Energie, eine Schwin- gung.’’
,,Wirklich?’’
,,Ja, und auch die Röntgenstrahlen und die infra- roten und
ultravioletten Wellen, genauso wie die Ge-
danken. Alles ist Vibration aus demselben Stoff auf
verschiedenen Schwingungsebenen. Je höher die
Schwingungszahl, umso feiner die Materie oder die
Energie. Ein Stein oder ein Gedanke ist schliesslich
derselbe Stoff, nur mit unterschiedlicher Schwin- gungszahl.’’
,,Und was ist das für ein Stoff?’’
,,Liebe.’’
,,Im Ernst?’’
Im Ernst! Alles ist Liebe, alles ist Gott!’’
,,Dann hat Gott das Universum aus reiner Liebe erschaffen?’’
,,>>Gott hat erschaffen<< ist eine alte Ausdrucks- form. Die
Wahrheit ist, dass Gott sich in das Universum verwandelt, in
einen Stein, in dich, in mich, in einen
Stern oder eine Wolke…’’
,,Dann …bin ich Gott??’’
Ami lächelte zustimmend. ,,Ein Tropfen des Mee- res kann
noch nicht sagen, dass er Meer ist, obwohl das
Meer aus Tropfen besteht. Du bist aus derselben Sub-
stanz wie Gott. Du bist Liebe. Die ganze Entwicklung besteht
darin, es immer mehr zu wissen und unsere
Wesensgleichheit wiederzuerlangen: Liebe!’’
,,Dann bin ich Liebe?’’
,,Ja. Kannst du auf dich selbst zeigen?’’
,,Das verstehe ich wieder nicht, Ami.’’

144
,,Wenn du >>ich << sagst, wohin zeigst du? Auf wel- chen Teil
deines Körpers zeigst du, wenn du >>ich<< sagst?’’
Ich zeigte mitten auf meine Brust und sagte: ,,Ich.’’
,,Warum hast du nicht auf die Nasenspitze gezeigt, oder auf die
Stirn oder auf den Hals?’’
Ich fand es lustig, dass ich irgendwo anders hinzei-
gen sollte als auf meine Brust. ,,ich weiss nicht, warum ich gerade
hierhin zeige’’, meinte ich lachend.
,,Weil du dort wirklich zu Hause bist. Du bist Liebe,
und die Liebe wohnt hauptsächlich in der Brust. Dein Kopf ist so
eine Art Periskop wie beim Unterseeboot. Der Kopf ist dazu da,
damit du …’’, – und Ami deutete auf meine Brust – ,,dein
äusseres Leben erfassen kannst. Dieses Fernrohr hat auch einen
Computer,
und das ist dein Gehirn. Es hilft dir, die äusseren Ein- drücke zu
verstehen und deine Lebensfunktionen auf-
einander abzustimmen. Deine Beine sind dazu da,
damit du gehen kannst, und deine Hände, um mit den Dingen
umgehen zu können. Aber du bist hier!’’ – und
er zeigte wieder auf die Mitte meiner Brust – ,,du bist Liebe.
Deshalb ist jeder Akt, den du gegen die Liebe begehst, ein Akt,
der gegen dich selbst gerichtet ist
und gegen Gott, der Liebe ist. Deshalb ist das Grund- gesetz des
Universums die Liebe, deshalb ist die Liebe die höchste
menschliche Ausdrucksform, und deshalb
ist der Name Gottes Liebe. Deshalb gibt es auch keine bessere
Universalreligion, als Liebe zu erleben und auszudrücken. Das ist
meine Religion, Pedrito.’’
,,Jetzt habe ich auf einmal ganz viel verstanden! Vielen Dank,
Ami!’’
,,Die Dankbarkeit ist eine der zwölf >>Früchte des
Lebensbaums<<.’’
,,Warum heisst er Lebensbaum?’’

145
Weil aus der Liebe das Leben kommt. Hast du schon davon
gehört, was es heisst, wenn zwei Men- schen sich sehr lieben?’’
,,Sicher. – Welches sind die zwölf Früchte?’’
,,Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Weisheit, Schönheit, um
nur einige zu nennen. Du kannst die anderen selbst herausfinden
und vor allem versuchen, sie zu verwirklichen.’’
,,Uff! Das wird nicht leicht sein!’’
,,Niemand verlangt von dir, dass du vollkommen bist, Pedrito,
das wird nicht einmal von den Sonnenwe-
sen verlangt. Nur Gott ist vollkommen, weil er reine
Liebe ist. Wir sind ein Funken dieser göttlichen Liebe und müssen
versuchen, immer näher an das heranzu-
kommen, was wir wirklich sind, müssen versuchen,
immer mehr wir selbst zu sein, nämlich frei! Es gibt keine andere
Freiheit! – Schau…,’’ – vor unseren
Fenstern war ein rosafarbenes Licht erschienen – ,,…
wir sind da. Schau zum Fens…..’’, wollte Ami gerade sagen, da
lag das Innere des Raumschiffs plötzlich wie
gebadet da im Lichte eines Himmels, das vom zarten Rosa in ein
helles Lila hinüberspielte. Eine Art ehr- fürchtiger geistiger
Aufmerksamkeit erfüllte mich.
Mein Verstand war nicht mehr der alte. Es fällt mir schwer, die
Veränderung, die mit mir vorging, zu be- schreiben. Ich empfand
mich plötzlich nicht mehr als
dasselbe >>Ich<<, das ich jetzt bin; ich war auf einmal kein Kind
mehr, das von der Erde kam, sondern viel mehr
als das. Mir kam es so vor, als wenn ich das, was ich
erlebte, schon früher einmal erlebt hatte, weder die Welt noch der
Augenblick waren mir fremd. Ami und das Raumschiff waren
unwichtig geworden; ich war allein und ging einer Begegnung
entgegen, auf die ich lange gewartet hatte.

146
Ich schwebte durch die rosa strahlenden Wolken hindurch;
keine sonne war zu sehen, alles war ganz sanft. Es erschien eine
idyllische Landschaft mit einem rosafarbenen See, auf dem Vögel
schwammen, die Schwänen ähnlich sahen; vielleicht waren sie
weiss, aber das Lila des Himmels färbte alles ein. Um den See
herum gab es Schilf und Büsche in verschiedenen Grüntönen, in
Orange und Gelbrosa. Weiter weg erho- ben sich Hügelketten, die
mit Grün bedeckt waren, dazwischen gab es Blumen, die wie
Juwelen in vielen Farben und Tönen strahlten. Auch die Wolken
leuchte- ten in vielen Abstufungen von Rosa und Lila.
Ich wusste nicht, ob ich in dieser Landschaft war oder die
Landschaft in mir, vielleicht stimmte beides.
Am meisten überraschte mich, dass die ganze Vegeta-
tion zu singen schien. Gräser und Blumen wiegten sich und
strömten dabei eine Art von Musik aus. Andere
Blumen und Büsche taten es auf andere Weise und mit
anderen Tönen. Das waren bewusste Wesen, diese Schilfrohre,
diese Blumen und Gräser, alles sang und
tanzte und wiegte sich dabei. Selbst die fernen Hügel hatten ihren
Anteil an diesem wunderbaren Konzert, dem schönsten, das ich je
gehört hatte. Hier stand alles
in bewusster Harmonie!
Ich schwebte über den Saum der Lagune. Die Schwäne
schienen ein Elternpaar mit ihrer Brut zu
sein, sie sahen mich vornehm und gleichzeitig ehrer- bietig an aus
Augen, die wie hinter blauen Masken verdeckt schienen. Sie
grüssten mich, indem sie die
langen Hälse anmutig neigten. Ich grüsste zurück, mich ebenfalls
leicht und freundlich verneigend, und
ich weiss nicht, wie es zuging, ob die Eltern einen ge-
heimen Befehl ausgeschickt oder nur eine leichte Be- wegung
gemacht hatten, jedenfalls versuchten die

147
kleinen Schwäne ebenfalls ihre Hälse zu neigen. Das gelang ihnen
auch, wenn auch ein kleines bisschen weniger elegant; denn für
einen Augenblick verloren sie das Gleichgewicht, gewannen es
aber rasch wieder und schwammen weiter mit einer kindlichen
Hochnä- sigkeit, die ich sehr lustig fand. Ich grüsste auch sie
liebevoll, wahrte aber trotzdem den gebührenden Ab- stand.
Mein Weg führte mich unaufhaltsam weiter, dem Ort unserer
Begegnung entgegen. Dies war eine Ver-
abredung, die ich vor ewigen Zeiten eingegangen war: Ich würde
>>sie<< endlich finden!
In der Ferne erschien eine Art Pagode oder Per-
gola, die in der Nähe des Ufers schwamm. Ihr japani- sches Dach
ruhte auf schmalen Stangen, zwischen denen Schlingpflanzen mit
rosa Blättern und blauen Blüten emporrankten und so das Innere
einschlossen. Auf dem glänzenden Holzboden lagen Kissen mit
brei- ten farbigen Streifen. Von der Decke hingen kleine
Verzierungen, Weihrauchampeln aus Gold oder Bronze und
kleine Käfige voller Grillen.
Auf dem Kissen sah ich >>sie<< sitzen. Ich fühlte, dass ich sie
schon lange, lange kannte, obwohl wir hier zum
erstenmal zusammentrafen. Wir sahen uns nicht in die Augen; das
wollten wir noch aufschieben, nichts über- eilen, wir hatten
schliesslich Tausende von Jahren ge-
wartet…! Ich machte eine Verneigung, die sie leicht erwiderte.
Dann trat ich ein, und wir begannen ein Gespräch, das nicht mit
den Worten des Alltags ge-
führt wurde. Für jene besondere Welt und diese beson- dere
Begegnung, die ich so ersehnt hatte, bestand
unsere Sprache vielmehr aus kunstvollen Gesten: wir
bewegten die Arme, die Hände und die Finger nach ganz
bestimmten Gefühlsregungen, die wir als

148
Schwingungen aussandten. Wenn das gesprochene Wort nicht
mehr ausreicht, verlangt die Liebe andere Formen der
Verständigung.
Endlich durfte ich das unbekannte Gesicht sehen! Sie war ein
wunderschönes Mädchen mit orientali-
schen Gesichtszügen und einer lichtblauen Haut. Ihr
schwarzes Haar war in der Mitte gescheitelt, und auf der Stirn
trug sie einen Punkt. Ich fühlte, dass ich sie sehr
Lieb hatte und sie mich auch, doch als ich mich endlich
getraute, meine Hand auf die ihre zu legen, - war auf Einmal alles
verschwunden.
Ich befand mich wieder bei Ami im Kontrollraum
Des Raumschiffs, und der weisse, glänzende Nebel vor den
Fenstern sagte mir, dass wir bereits dabei waren,
uns von dieser Welt zu verabschieden.
–,, …nster …!
Oh,
da
bist du ja wieder’’, sagte Ami.
Nun wusste ich, dass ich dies alles im Bruchteil einer Sekunde
erlebt hatte, zwischen dem >>Fens…<<
Und dem >>…nster: des Wortes >>Fenster<<, das Ami aus-
gesprochen hatte, als die rosa Farbe vor unseren Fen- stern
erschien. Ich war sehr bestürzt wie jemand, der aus einem
wunderschönen Traum erwacht und die glanzlose Wirklichkeit
wiedersieht. Oder war es umge- kehrt? Vielleicht war dies der
böse Traum und das andere die Wirklichkeit?
,,Ich will zurück!’’ rief ich . Ami hatte mich auf grau- same
Weise von >>ihr<< getrennt! Ich fühlte mich ganz zerrissen, das
konnte er mir nicht antun! Ich rang um meinen klaren Verstand;
das andere >>Ich<< war wie über mein wirkliches Leben
gestülpt! Auf der einen Seite

150
war ich Pedro, ein junge von neun Jahren, und auf der anderen
Seite ein Wesen …, und auf einmal konnte ich mich an nichts
mehr erinnern…
,,Du wirst dich schon wieder erinnern’’, besänftige mich Ami,
,,und du wirst zurückgehen dorthin, aber
noch nicht jetzt.’’
So beruhigte ich mich langsam wieder. Ich wusste, dass ich
wirklich einmal zurückgehen würde. Ich erin-
nerte mich an das Gefühl, dass es >>keine Eile hatte<<,
und ich wurde ganz ruhig. Nach und nach fühlte ich mich wieder
als der wirkliche Pedro, aber ganz der-
selbe würde ich nie mehr sein; denn jetzt hatte ich eine
andere Dimension meines Wesens erlebt. Ich war zwar Pedro,
aber nur für den Augenblick, in Wahrheit war
ich viel mehr als Pedro.
,,Was ist das für eine Welt, in der ich war?’’
,,Eine Welt, die ausserhalb von Raum und Zeit ist, in einer
anderen Dimension…vorderhand.’’
,,Ich war dort, aber ich war nicht der, der ich immer
bin. Ich war ein anderer.’’
,,Du hast deine Zukunft gesehen, das, was du sein wirst, wenn
du einen anderen Entwicklungsstand er- reicht hast, so um die
zweitausend Punkte.’’
,,Und wann wird das sein?’’
,,Da wirst du noch öfters sterben und wiedergebo- ren werden
müssen, sterben und geboren werden,
einige Leben lang!’’
,,Wie kann es sein, dass man in die Zukunft sehen kann?’’
,,Es steht alles schon aufgeschrieben. Der Roman Gottes ist
längst geschrieben. Du hast nur einige Sei-
ten übersprungen und auf einem Blatt gelesen, das
weiter hinten ist. Das ist alles. Es war notwendig, ein kleiner
Impuls, damit du ein für allemal den Gedanken

151
aufgibst, dass mit dem nächsten Tode alles aus ist … und auch,
damit du es aufschreibst und andere es lesen können.’’
,,Wer war dieses Mädchen, Ami? Ich weiss, dass wir uns sehr
liebhaben.’’
,,Gott wird sie dir viele male an deine Seite stellen;
manchmal wirst du sie erkennen, manchmal nicht. Das hängt von
dem Gehirn in deiner Brust ab. Jede Seele
hat eine andere Seele an ihrer Seite, eine bessere
Hälfte.’’
,,Ihre Haut war blau.’’
,,Deine auch. Nur hast du dich nicht im Spiegel gesehen’’,
lachte Ami mich aus.
,,Ist meine Haut jetzt auch blau?’’ Ich sah besorgt auf meine
Hände.
,,Natürlich nicht. Ihre Haut ist jetzt auch nicht
blau.’’
,,Wo ist sie jetzt in diesem Moment?’’
,,In deiner Welt.’’
,,Führ mich zu ihr, ich möchte sie sehen!’’
,,Und wie wirst du sie wieder erkennen?’’
,,Sie sah aus wie eine Japanerin, obwohl ich mich nicht genau
an ihre Züge erinnere; sie hatte einen
Punkt auf der Stirn.’’
,,Jetzt sieht sie aber nicht mehr so aus’’, sagte Ami,
,,jetzt ist sie ein ganz normales Mädchen.’’
,,Kennst du sie? Weißt du, wer sie ist?’’
,,Nichts übereilen, Pedrito, erinnere dich, Geduld bringt Rosen
… und inneren Frieden. Ein Überra-
schungsgeschenk soll man nicht vor der Zeit öffnen. Das Leben
wird dich führen, Gott steht hinter jedem
Ereignis.’’
,,Wie werde ich sie wiedererkennen?’’
,,Nicht mit dem Verstand, nicht mit Denken, nicht

152
mit Vorurteilen, nur mit deinem Herzen, nur mit Liebe.’’
,,Aber wie??’’
,,Beobachte dich aufmerksam! Besonders wenn du jemanden
kennenlernst … , aber verwechsle das
Innere nicht mit dem Äusseren! – Wir haben nicht mehr viel Zeit.
Deine Grossmutter wird bald aufwachen. Wir müssen zurück.’’
,,Wann wirst du wiederkommen?’’
,,Schreib erst das Buch, dann komme ich wieder.’’
,,Soll ich das von dem japanischen Mädchen schreiben?’’
,,Schreib alles auf, aber vergiss nicht zu sagen, dass
es nur eine Geschichte ist.’’

153
14. Kapitel

Bis du wiederkommst, Ami!

Unter uns erschien die blaue Atmosphäre meines Planeten. Wir


waren über dem Meer und näherten uns der Küste. Die Sonne
ging schon hinter der entfernten Kordillere auf und schickte ihre
golden Strahlen durch die silbernen Wolken. Um uns der blaue
Him- mel, das schimmernde Meer, weiter weg die Berge…
,,Mein Planet ist wunderschön, trotz allem…’’
,,Ich habe es dir gesagt: er ist wunderbar, und ihr merkt es gar
nicht. Nicht nur, dass ihr ihn nicht schätzt,
ihr zerstört ihn auch noch und euch gleich mit! Wenn ihr aber
entdeckt, dass die Liebe das Gesetz des Univer- sums ist, wenn
ihr euch wie eine einzige Familie ohne
Grenzen zusammenschliesst, euch nach den Gesetzen
der Liebe einrichtet, werdet ihr überleben.’’
,,Ohne Länder?’’
,,Die Länder würden wie verschiedene Provinzen sein, die von
einer Weltregierung vertreten werden wie
überall in den zivilisierten Welten. Seid ihr nicht alle
Brüder?’’
,,Was heisst, sich nach den Gesetzen der Liebe einrichten?’’
,,So wie sich alle Familien in der Welt verhalten:
Alle steuern ihre Kräfte bei, und alle geniessen zu glei- chen
Teilen. Wenn du fünf Leute hast und es fünf Äpfel gibt, dann
bekommt jeder einen. Das ist höchst ein- fach. Wenn die Liebe
fehlt, dann dient der Intellekt dem Ego und macht alles
kompliziert, um seine Selbstsucht

154
zu rechtfertigen. Wo die Liebe herrscht, ist alles einfach,
durchsichtig.’’
,,Ich bin schon wieder schläfrig, Ami…’’
,,Komm, ich werde dich noch einmal aufladen; aber heute abend
musst du schlafen.’’
Ich legte mich wieder in den Sessel, Ami schob mir wieder
etwas um den Kopf, und ich schlief ein. Als ich erwachte, war ich
voller Energie und glücklich, am Leben zu sein.
,,Warum bleibst du nicht ein paar Tage bei mir, Ami? Wir
würden an den Strand gehen und…’’
,,Ich möchte das gerne’’, sagte er und strich mir dabei übers
Haar, ,,aber ich habe viel zu tun. Es gibt noch viele, die das Gesetz
nicht kennen und nicht nur die auf der Erde…’’
,,Du dienst gerne, nicht wahr?’’
,,Ja, dank der Liebe. Auch du kannst dienen. Arbeite für den
Frieden und für die Einigung und lass für immer von der Gewalt
ab!’’
,,Das werde ich tun, obwohl der eine oder der andere schon mal
eine Ohrfeige verdiente…!’’
Ami lachte. ,,Du hast recht, aber die geben sie sich selbst.’’
,,Wie geht das?’’
,,Die Verletzungen der Liebe müssen tausendfach bezahlt
werden. Schau dir das Leid an, das es alleror-
ten gibt! Manche haben Unfälle oder sie verlieren
einen geliebten Menschen, sie haben Pech … Auf diese oder
andere Weise werden die Verfehlungen
gegen die Liebe gesühnt.’’
Dann konnten wir den Badeort sehen. Ami setzte das
Raumschiff einige Meter über den Strand; wir
waren unsichtbar. Wir wandten uns nach rückwärts in
den Kontrollraum und umarmten uns. Ich war sehr traurig und er
auch. Dann gingen einige Lichter an, die
mich blendeten.
,,ERINNERE DICH: DIE LIEBE IST DER WEG ZUM GLÜCKLICH-
SEIN’’, sagte er, während ich merkte, dass ich mich nach unten
bewegte. Dann stand ich auf dem Strand. Über mir sah ich gar
nichts. Ich wusste aber, dass Ami mich sah; vielleicht liefen auch
ihm die Tränen über die Wangen wie mir.
Ich wollte noch nicht fortgehen. Mit einem Stück Treibholz
zeichnete ich ein geflügeltes herz in den
Ufersand, damit er sah, dass ich seine Botschaft ver- standen
hatte.
Augenblicklich zeichnete sich wie von selbst ein
Kreis um das herz, und ich hörte Amis Stimme, die sagte: ,,Das ist
die Erde.’’
Dann ging ich nach Hause. Alles schien mir so
unendlich schön. Tief sog ich die Meeresluft ein, strei- chelte den
Sand, die Bäume, die Blumen. Ich hatte vorher gar nicht bemerkt,
wie schön der Pfad war, der zu unserem Häuschen führte, sogar
die Steine schie- nen zu schwingen.

156
Ehe ich ins Haus ging, sah ich noch einmal zum Himmel über
dem Strand: Es war nichts zu sehen.
Meine Grossmutter schlief noch. Ich richtete in meinem
Schlafzimmer alles her, tat so, als o ich ge-
rade aufgestanden wäre, und ging ins Bad, um mich zu duschen.
Als ich aus dem Bad kam, stand meine Gross- mutter vor mir.
,,Wie hast du denn geschlafen, mein
Kind?’’
,,Gut, Grossmutter, und du?’’
,,Schlecht, Pedrito, schlecht. Eigentlich habe ich die ganze
Nacht kein Auge zugetan!’’
Daraufhin musste ich sie zärtlich umarmen, ich
konnte nicht anders.
,,Grossmutter, ich habe eine Überraschung für dich, ich werde
sie dir beim Frühstück geben.’’
Sie machte den Kaffee und stellte ihn dann auf den
Tisch. Ich hatte die Nüsse auf einen Teller gelegt und mit einer
Serviette zugedeckt. Es waren noch fünf oder sechs übrig.
,,Probier das, Grossmutter’’, sagte ich und reichte ihr den
Teller.
,,Was ist es denn, mein Kind?’’
,,Es sind ausserirdische Nüsse, probier sie , sie sind gut.’’
,,Na, was du wieder daherredest, mein Lieber. Lass
sehen, mmmh …, wie gut! Was ist das?’’
,,Ich habe es dir schon gesagt: ausserirdische Nüsse! Iss bitte
nicht mehr als drei, denn sie haben einen hohen Eiweissgehalt. –
Grossmutter, weisst du,
welches das grösste Gesetz im ganzen Universum ist?’’ Ich
strahlte, denn nun würde ich ihr eine meisterliche
Lektion erteilen können.
,,Aber natürlich, mein Kind’’, sagte sie.
Ich setze schon an, um sie über ihren Irrtum auf-

157
zuklären. ,,Welches ist es denn, Grossmutter?’’
,,Na, die Liebe, Pedrito’’, sagte sie ganz selbstver- ständlich.
Ich fiel aus allen Wolken, wie konnte sie das nur
wissen? ,,Und wieso weisst du das?’’ sagte ich ungläu- big.
,,Steht doch in der Bibel!’’
,,Ja, und warum gibt es dann Bosheit und Kriege,
Grossmutter?’’
,,Weil es nicht alle wissen oder wissen wollen!’’
Ich ging dann im Dorf spazieren. Als ich zum Hauptplatz kam,
blieb ich wie angewurzelt stehen. Auf mich zu schritten die
beiden Polizisten von gestern abend, doch sie gingen an mir
vorüber, ohne mich zu beachten. Auf einmal blickten sie nach
oben, und an- dere Leute taten das auch. Hoch oben sah man ein
leuchtendes Objekt, das sich bewegte und die Farben Rot, Blau,
Gelb und Grün ausstrahlte. Die Polizisten telefonierten gleich
über ihre Sprechgeräte mit dem Polizeikommando. Ich war
glücklich und zufrieden. Ich wusste, dass Ami mich auf dem
Bildschirm sehen konnte, und grüsste ihn fröhlich mit der Hand.
Ein alter Herr mit Stock war wütend über den gan- zen
Auflauf. ,,Ein Ufo, ein Ufo!’’ schrien die Kinder
glücklich. Der alte Mann sah nach oben und meinte
dann grämlich: ,,Was für unwissende, abergläubische Leute! Das
ist doch ein Aufklärungsballon oder ein
Helikopter, vielleicht ein Flugzeug… Ufos!!! Nein, so
viel Unverstand!’’ Und er ging weiter mit seinem Stock, ganz
hochmütig, ohne noch einmal nach oben in den
Himmel zu gucken, der an diesem Morgen dieses wun- derbare
Schauspiel bot.
Ich hörte noch einmal ganz deutlich die Stimme von Ami, dem
Sternenkind: ,,Adios, pedrito.’’

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Adios, Ami!’’ sagte ich sehr gerührt – und dann war das
>>Ufo<< verschwunden.
Am nächsten Tage stand gar nichts in der Zeitung. diese
Massenhalluzinationen sind schon nicht mehr
interessant, sind keine Neuigkeit mehr, es gibt schliess- lich jeden
Tag mehr von diesen unwissenden und abergläubischen Leuten…

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Schlusswort

An der Küste jenes Badeortes gibt es ein Herz mit Flügeln in


einem Kreis. Es ist auf einen hohen Felsen Gezeichnet, auf
denselben Felsen, auf dem ich Ami kennengelernt habe. Es sieht
so aus, als ob sich diese Zeichnung in den Stein eingeschmolzen
hätte. Jeder, der an diesen Ort kommt, kann es sehen, aber es ist
nicht leicht, auf diesen hohen Felsen zu klettern, für Erwachsene
schon gar nicht!
Ein Kind kann es eher schaffen, denn Kinder sind wendiger
und vor allem weniger schwerfällig.
Die gute Nachricht:

Ami Kehrt zurück

Teil II

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