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Pedro Ribeiro Martins

Der Vegetarismus in der Antike im Streitgespräch


Beiträge zur Altertumskunde

Herausgegeben von Susanne Daub, Michael Erler,


Dorothee Gall, Ludwig Koenen und Clemens Zintzen

Band 360
Pedro Ribeiro Martins
Der Vegetarismus
in der Antike
im Streitgespräch

Porphyrios’ Auseinandersetzung mit der Schrift


›Gegen die Vegetarier‹
ISBN 978-3-11-050133-9
e-ISBN (PDF) 978-3-11-050290-9
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-049904-9
ISSN 1616-0452

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
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http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston


Satz: Dörlemann Satz, Lemförde
Druck und Bindung: Hubert und Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier
Printed in Germany

www.degruyter.com
für Delmar Martins
Inhaltsverzeichnis
Danksagung   IX
Einleitung   1
Ziel und Gegenstände der vorliegenden Arbeit   3
Zustand der Quellen   5
Einblick in die Forschungsgeschichte des Vegetarismus in der
Antike   8
Räumliche Terminologie   13
Struktur der Arbeit   16

Erstes Kapitel
Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift
Gegen die Vegetarier   19
1.1 Die Schrift Gegen die Vegetarier, der unbekannte Klodios aus
Neapel und die Zitierweise des Porphyrios   19
1.1.1 Allgemeine Darstellung der Schrift Πρὸς τοὺς ἀπεχομένους τῶν
σαρκῶν   19
1.1.2 Klodios aus Neapel in der modernen Philologie   24
1.1.3 Porphyrios und seine Zitierweise   29
1.1.3.1 Fragmente als Ausdruck des zitierten und des zitierenden
Autors   29
1.1.3.2 Porphyrios’ Zitierweise   31
1.1.4 Die Autorenfrage beim Fragment Gegen die Vegetarier   38
1.2 Text und Übersetzung der Schrift Gegen die Vegetarier
(Πρὸς τοὺς ἀπεχομένους τῶν σαρκῶν)   46
1.2.1 Die Überlieferung des Textes   46
1.2.2 Text und Übersetzung des Fragments Gegen die Vegetarier   50
1.2.3 Scholien zur Schrift Gegen die Vegetarier   66
1.2.4 Textkritische Anmerkungen   67

Zweites Kapitel
Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich mit Theophrasts
Über die Frömmigkeit   70
2.1 Die drei historischen Schichten der Schrift
Gegen die Vegetarier   71
2.1.1 Die Frage der Tierethik in der Alten Akademie   71
2.1.2 Die Diskussion über das Fleischessen im 1. Jhr. v. und n. Chr.   81
2.1.3 Pro und contra Fleischkonsum in der Umgebung des
Porphyrios   93
VIII   Inhaltsverzeichnis

2.2 Die Fragmente Gegen die Vegetarier


und Über die Frömmigkeit des Theophrast im Vergleich   100
2.2.1 Urgeschichte der Nahrung und die soziale Funktion des
Feuers   102
2.2.2 Die Beziehung zwischen Menschen und Pflanzen
und die ethische Debatte um die Tierprodukte   114
2.2.3 Kannibalismus und Vegetarismus: Entgegengesetzte Diskurse
über Zivilisation   120
2.2.4 Das Wesen der Seele und die Verwandtschaft der Lebewesen   127
2.3 Zwischenfazit    133

Drittes Kapitel
Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen:
Oikeiosis, ­Philanthropia und „räumliche Terminologie“
in der Schrift DA   135
3.1 Bisherige Forschung über den Oikeiosis-Begriff   139
3.2 Die Stoiker bei Porphyrios   145
3.2.1 Erster stoischer Einwand   145
3.2.2 Weitere stoische Einwände   149
3.3 Die epikureische Oikeiosis   154
3.4 Klodios aus Neapel und Herakleides Pontikos:
Liebe und Philanthropia   157
3.5 Reichweite und Grenzen der Gerechtigkeit:
Räumliche Terminologie und Ethik   165
3.6 Porphyrios als „Grenzbestimmer der moralischen ­Landschaft“:
Übersetzung und Kommentar der Passage DA 3.26–27   176
3.7 Zwischenfazit    196

Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Ausblick   198

Anhang
Analyse der Stellen mit der MIPVU-Methode   201

Literaturverzeichnis   208
Editionen und Übersetzungen antiker Quellen   208
Sekundärliteratur   213

Register   223
Namen- und Sachregister   223
Stellenregister   226
Danksagung
Dies ist eine leicht geänderte Fassung meiner Dissertation, die im Rahmen meiner
Disputation am 14.  3.  2016 im Seminar für Klassische Philologie der Universität
Göttingen verteidigt wurde.
Viele haben zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen. Bei einigen von ihnen
möchte ich mich an dieser Stelle namentlich bedanken. Zuerst bedanke ich mich
bei meiner Familie, insbesondere bei Neila Ribeiro, Pedro Paulo Santos Oliveira
und Pedro Trindade Martins. Auch meiner deutschen Familie ist für ihre Unter-
stützung zu danken: Frederik, Fabiana, Kathrin, Hermann und Hildegard Rutsch
seien herzlich bedankt.
Dann möchte ich meine Dankbarkeit gegenüber dem DAAD zum Ausdruck
bringen, der meinen Aufenhalt in Deutschland finanziell ermöglicht hat. Zu
danken habe ich ebenfalls der GSGG, insbesondere für die finanzielle Unterstüt-
zung in der Abschlussphase. Zusätzlich gebührt mein Dank der Jugendhillfe-
Südniedersachsen e.  V., dem Seminar für Klassische Philologie und dem Perso-
nal der BBK und der Real Biblioteca del Monasterio del Escorial, durch die eine
ideale Arbeitsatmosphäre ermöglicht wurde. Den befreundeten Doktoranden
aus dem Fachbereich, vor allem Elena Iakovou, Stephanie Däne, Konstantinos
Stamatopoulos, Gabriela Ryser, Nils Jäger, Merryl Rebello, Michele Solitario und
Johannes Park spreche ich für ihre Freundschaft und ihre fachliche Unterstüt-
zung meine Dankbarkeit aus. Ich bedanke mich bei den Dozenten und Forschern,
die mich auf dem Weg fachlich beraten haben bzw. einen Teil des Manuskripts
gelesen haben, insbesondere bei Frau Dr. Bencsik, Frau Dr. Natalia Pedrique, Prof.
Dr. Camilla Di Biase-Dyson, Prof. Dr. Monica Berti, Prof. Dr. Richard Sorabji, Prof.
Dr. Fay Edwards, Prof. Dr. Ilaria Ramelli, Prof. Dr. Loraine Oliveira, Prof. Dr. Orlene
de Carvalho, Prof. Dr. José C. Baracat Jr., aber auch bei Prof. Dr. Sandra Rocha und
Prof. Dr. Maria de Fátima Sousa, die mich während des Bachelors und Masters
begleitet haben. An die Freunde, die das Korrekturlesen übernommen haben,
Christian Wachter, Timo Brockmeyer, Max Hirche, aber insbesondere Tim Sulew-
ski: Vielen Dank! Bei den Freunden in Deutschland, die in verschiedenen Phasen
der Promotion für mich da waren, bedanke ich mich ganz herzlich: Eneas Romero,
Saulo de Matos, Mariana de Matos, Zaid Arbid, Aline Neutzling, Gabriel Machado,
Karolina Köhne, Philipp Gisbertz, Ruth Sandforth, Maria Gkamou, Lucas Romero,
Fanny Prouté, Maher Tyfour, Kawah Sido, Diego Pardo, Mario Aguilera und ganz
besonders bei Gianna, Marina und Michael Geßner. Auch den Freunden, die mich
aus Brasilien unterstützt haben, gebührt mein Dank: André Flexa, André Cidade,
João Paulo Denófrio, Félix Jácome, Cecilia Ricardo und Diogo Torres.
Ebenfalls möchte ich mich an dieser Stelle sowohl bei den Herausgebern
der Reihe „Beiträge zur Altertumskunde“ als auch bei den Mitarbeitern von De
X   Danksagung

Gruyter für ihre produktive und verständnisvolle Mitarbeit bedanken. Ich bin
außerdem der GSGG für den Druckkostenzuschuss und das Postdoc-Stipendium,
das die Bearbeitung der Dissertation ermöglicht hat, sehr dankbar.
Mein besonderer Dank gilt den Mitgliedern meines Betreuungsausschusses,
Prof. Dr. Julia Hauser für die anregenden Gespräche, Prof. Dr. Egelhaaf-Gaiser für
die Teilnahme als dritte Gutachterin an der mündlichen Prüfung, aber vor allem
Prof. Dr. Ilinca Tanaseanu-Döbler und Prof. Dr. Heinz-Günther Nesselrath, welche
die Arbeit hervorragend betreut haben und großes Engagement gezeigt haben,
als es eng (ἐν στενῷ) wurde.
Zuletzt bedanke ich mich bei Elena Montes Cobos für ihre liebevolle Unter-
stützung.
Einleitung
Auf Fleisch oder sogar auf jegliche tierische Produkte bewusst zu verzichten
gehört zum Alltag von Millionen Menschen weltweit. Vegan oder vegetarisch zu
leben, ist für viele nicht nur eine Diät bzw. eine reine Frage der Ernährungsweise,
sondern eine bewusste Lebensweise, was die Griechen wiederum δίαιτα (diaita)
nannten. Für diese Lebensweise gibt es verschiedene Gründe und Rechtfertigun-
gen, die drei großen Kategorien zugeordnet werden können: Ethik, Gesundheit
und Umwelt. Die moderne Diskussion darüber ist umfassend und beschäftigt
Akademiker in Fächern wie Philosophie, Sozialwissenschaften, Rechstphiloso-
phie, Agrarwissenschaften, Biologie u.  a. Das Interesse dieser Arbeit ist es jedoch,
besser zu verstehen wie ein ähnliches Phänomen der Fleischenthaltung in den
griechischen und römischen Gesellschaften behandelt wurde.
Es steht außer Frage, dass in einigen philosophischen Kreisen in der Antike
anspruchsvolle Diskussionen über eine bewusste fleischlose Lebensweise geführt
wurden. Die Art der Fleischenthaltung, die in dieser Arbeit untersucht wird, ist
der philosophische Vegetarismus (Dombrowski 1984a, 1–3). Unter diesem Begriff
wird hier verstanden, dass eine Beziehung zwischen dieser spezifischen Ernäh-
rungsweise und einem philosophischen System entweder als konstitutiver Teil
einer Weltanschauung oder als Empfehlung im Bereich der Ethik zu sehen ist.
Personengruppen, die kein Fleisch aufgrund des Mangels an verfügbaren Tieren
gegessen haben, sind nicht der Gegenstand dieser Arbeit, sondern nur diejeni-
gen, die durch Reflexion eine bewusste Entscheidung gegen den Fleischverzehr
getroffen haben1. Verschiedenste Gründe und Entwicklungen bedingten die Ent-
stehung dieser Verbindung in der Antike: das Streben nach einem asketischen,
gesunden oder tugendhaften Leben; die Überzeugung, dass die Seelen der Tiere
und Menschen verwandt sind; der Glaube an eine Seelenwanderung zwischen
den Lebewesen verschiedener Art nach ihrem Tod; die Vermeidung von bösen
Dämonen, die sich im Fleisch aufhalten; die Meinung, dass Tiere weder geopfert
noch gegessen werden dürfen und die Feststellung, dass Tiere gerecht behandelt
werden müssen2.
Diese außenseiterische Lebensweise erschien in Griechenland zum ersten
Mal möglicherweise bei den sogenannten Orphikern, wurde von den Pythagore-

1 Für eine Beschreibung von vegetarisch lebenden Völkern in der Antike siehe Haußleiter 1935,
22–36 und für eine sozioökonomische Analyse einer bewussten vegetarischen Diät siehe Osborne
2009, 234–238.
2 Ausführlicher haben Haußleiter 1935, 1–3; passim, Dombrowski 1984, passim, Sorabji 1993, 163,
174–5, 182, 184 und 189, Clark 2000, 8–19, Newmyer 2013, 1–9, 72–73, 85–102 und Osborne 2009,
224–239 diese Begründungen dargestellt und kontextualisiert.
2   Einleitung

ern weiterentwickelt, fand in der platonischen Akademie ein Heim, feierte dann
eine Wiederbelebung am Anfang der Kaiserzeit in Rom und erreichte bei den
Mittel- und Neuplatonikern ihre größte Ausbreitung3. Insbesondere Porphyrios
hat mit seiner Schrift De Abstinentia viel zum Thema beigetragen. Andere phi-
losophische Gruppen, darunter die Stoiker, Peripatetiker und Epikureer4 äußer-
ten sich ebenfalls dazu, indem sie Kritik an der Enthaltsamkeit von fleischlicher
Nahrung übten. Außerdem hat ein gewisser Klodios aus Neapel – wahrscheinlich
auf Grundlage einer älteren Vorlage des Herakleides Pontikos – die Schrift Πρὸς
τοὺς ἀπεχομένους τῶν σαρκῶν veröffentlicht, die in dieser Arbeit als Gegen die
Vegetarier bezeichnet wird.
Eines der Merkmale des Vegetarismus in der Antike war der rege Austausch
zwischen den philosophischen Schulen. Die bedeutende Frage, ob es gut bzw.
richtig sei, sich vom Fleisch der Tiere zu ernähren, hat eine Stellungnahme ge-
fordert. Diese Frage kann auf mehreren Ebenen bejaht oder negiert werden,
und diese komplexe Auseinandersetzung hinterließ ihre Spuren. Einerseits sind
Plutarchs De esu carnium orationes ii (Περὶ σαρκοφαγίας λόγοι β´) und Porphy-
rios’ De Abstinentia (Περὶ ἀποχὴ τῶν ἐμψύχων) die einzigen vollständigen Werke,
die sich in erster Linie der Verteidigung des Vegetarismus widmeten. Eine Reihe
anderer Schriften behandelte diese Diskussion in verschiedenen Kontexten5. An-
dererseits wurden die Werke, die eine antivegetarische Haltung vertreten haben,
leider nur indirekt überliefert. Die Mehrheit davon ist in den oben genannten
Schriften erhalten6, aber auch in einigen Stücken der Mittleren Komödie. Denn

3 Vgl. für eine Auseinandersetzung der Quellen über den Vegetarismus in der Antike bei den so-
genannten Orphikern Haußleiter 1935, 79–96; bei Pythagoras und den Pythagoreern Haußleiter
1935, 97–157, Dombrowski 1984, 35–55, Dierauer 1977 18–24 und Sorabji 1993, 125, 172–4; in der
Alten Akademie Haußleiter 1935, 163–233, Dierauer 1977, 66–99 und Dombrowski 1984,55–75; in
der früheren römischen Kaiserzeit Haußleiter 1935, 296–314, und Dombrowski 1984, 75–102 und
bei den Mittel- und Neuplatonikern Haußleiter 1935, 315–356, Dombrowski 1984, 103, Dierauer
1977, 253–294, Sorabji 1993, 180–4 und Newmyer 2013, 85–102.
4 Die meisten Argumente dieser Schulen sind in Porphyrios De Abstinentia 1.4 (Stoiker), 1.5–6
(Peripatetiker), 1.7–12 (Epikureer) zu finden, aber auch in anderen Quellen, die in dieser Arbeit
diskutiert werden. Vgl. weiter Haußleiter 1935, 245–296, Dierauer 1977, 199–252, Sorabji 1993,
122–133, 158–170 und Larue 2015, 40–54.
5 Plutarch behandelt ebenfalls das Thema des Fleischessens und der Tierethik in den folgenden
Werken: Περὶ τοῦ τὰ ἄλογα λόγῳ χρῆσθαι (Bruta animalia ratione uti sive Gryllus), Πότερα τῶν
ζῴων φρονιμώτερα τὰ χερσαῖα ἢ τὰ ἔνυδρα (De sollertia animalium), Συμποσιακῶν προβλημάτων
(Quaestiones conviviales), Τῶν ἑπτὰ σοφῶν συμπόσιον (Septem sapientium convivium), Περὶ τῆς
εἰς τὰ ἔκγονα φιλοστοργίας (De amore prolis) und Μάρκος Κάτων (Marcus Cato).
6 Außerdem ist die Debatte über die Tiervernunft und ihre ethischen Konsenquenzen in Philons
Schrift Alexander vel de ratione quam habere etiam bruta animalia – auch als De animalibus be-
 Ziel und Gegenstände der vorliegenden Arbeit   3

den Pythagoreer bzw. den Vegetarier zu verspotten war ein beliebtes Motiv der
Mittleren Komödie, wie man den Fragmenten von Alexis7 und Aristophon8 ent-
nehmen kann.

Ziel und Gegenstände der vorliegenden Arbeit

Die vorliegende Arbeit soll zeigen, dass die Qualität der Argumentation über den
Vegetarismus in der Antike größtenteils ein Produkt der Auseinandersetzungen
zwischen gegensätzlichen Positionen war.
Dies erfordert eine gründliche Analyse von zwei Streitgesprächen, die den
Vegetarismus aus gegensätzlichen Perspektiven behandelt haben. Das erste
Streitgespräch ist den Schriften περὶ εὐσεβείας (Über die Frömmigkeit) des Theo-
phrast aus Eresos und Gegen die Vegetarier des Klodios aus Neapel bzw. Heraklei-
des Pontikos zu entnehmen. Beide Schriften wurden nur von Porphyrios in seiner
Schrift De Abstinentia überliefert. Die Schrift des Theophrast wurde bereits von
Bernays 1866 und danach von Pötscher 1964 aus De Abstinentia exzerpiert. Die
Schrift Gegen die Vegetarier wird in der vorliegenden Arbeit eine umfassende Prä-
sentation, textkritische Edition, Übersetzung und Diskussion erhalten. Ein Ver-
gleich wird zeigen, dass beide Schriften sehr wahrscheinlich in direktem Bezug

kannt – (nur auf armenisch überliefert) und Sextus Empiricus’ Werk Πυρρωνεῖοι ὑποτυπώσεις
(Pyrrhoniae hypotyposes) erhalten. Siehe unten Kapitel 3.2.2.
7 Alexis Fr. 223 Kassel-Austin aus den Tarantinern (Athenaeus Deipnosophistae 4.161b): „Alexis
in den Tarantinern: A: Die Pythagoreer nämlich, wie es heißt, verzichten sowohl auf fleischlichen
Imbiss als auch auf alles Lebendige, und sie allein trinken keinen Wein. B: Aber Epicharides isst
Hunde, obwohl er ein Pythagoreer ist. A: Erst nachdem er sie getötet hat, dann sind sie nicht
mehr am Leben.“ „Ἄλεξις δ᾽ ἐν Ταραντίνοις· (Α.) οἱ πυθαγορίζοντες γάρ, ὡς ἀκούομεν, οὔτ᾽ ὄψον
ἐσθίουσιν οὔτ᾽ ἄλλ᾽ οὐδὲ ἓν ἔμψυχον, οἶνόν τ᾽ οὐχὶ πίνουσιν μόνοι. (Β.) Ἐπιχαρίδης μέντοι κύνας
κατεσθίει, τῶν Πυθαγορείων εἷς. (Α.) ἀποκτείνας γέ που· οὐκέτι γάρ ἐστ’ ἔμψυχον.“ Und Alexis
Fr. 27 Kassel-Austin aus dem Stück Atthis (Athenaeus Deipnosophistae 9.386c-d): „Der erste, der
gesagt hat, dass kein Gelehrter irgendwas Lebendiges verzehrt, war ein weiser Mann. Ich komme
gerade vom Markt und brachte nichts Lebendiges mit. Ich kaufte große tote Fische und es gab
auch Fleischstücke von einem fetten Lahm, das nicht mehr lebte, weil es anders nicht möglich
ist. Und was noch? Ja, ich bekam auch gebratene Leber. Wenn irgendjemand mir zeigt, dass eine
von diesen Sachen entweder Stimme oder Seele besitzt, gebe ich zu, dass ich im Unrecht bin und
das Gesetz übertrete.“ „ὁ πρῶτος εἰπὼν ὅτι σοφιστὴς οὐδὲ εἷς ἔμψυχον οὐδὲν ἐσθίει, σοφός τις
ἦν. ἐγὼ γὰρ ἥκω νῦν ἀγοράσας οὐδε ἓν ἔμψυχον. ἰχθῦς ἐπριάμην τεθνηκότας μεγάλους· κρεᾴδι᾽
ἀρνός ἐστι πίονος οὐ ζῶντος· οὐχ οἷόν τε γάρ. τί ἄλλο; ναί, ἡπάτιον ὀπτὸν προσέλαβον. τούτων
ἐὰν δείξῃ τις ἤ φωνήν τι ἤ ψυχὴν ἔχον, ἀδικεῖν ὁμολογῶ καὶ παραβαίνειν τὸν νόμον.“ Für weitere
ähnlichen Stellen siehe Haußleiter 1935, 101–105, Burkert 1972, 198 und Bernabé 2014, 477–483.
8 Aristophon Fr. 9 Kassel-Austin aus dem Stück Πυθαγοριστής.
4   Einleitung

stehen, da die Einwände inhaltlich sehr ähnlich sind und von gegensätzlichen
Positionen vertreten wurden. Das zweite Streitgespräch, das hier diskutiert wird,
bildet die Rezeption und Reaktion des Porphyrios auf die Argumente, die in der
Doxographie (Sammlung von philosophischen Thesen) der Gegner des Vegeta-
rismus zu finden sind. Es wird gezeigt, dass Porphyrios die Oikeiosis-Lehre der
Stoiker für sein Gedankengut adaptiert hat, indem er das Potenzial einer räum-
lichen Metaphorik verwendet hat, um eine eigene räumliche Terminologie für
seine Ethik zu entwickeln. Es wird ebenfalls herausgearbeitet, inwiefern solche
dialektische Auseinandersetzungen ein Bild der „Vegetarier“ als soziale Gruppe
zeigen und wie die Teilnehmer dieser Streitgespräche konkurrierende ontologi-
sche Vorstellungen vertreten haben.
Eine soziale Gruppe wird in dieser Arbeit nicht als eine Gemeinschaft ver-
standen, die sich zwangsläufig trifft und gemeinsam in sozialem Austausch en-
gagiert ist, wie die social cohesion theory9 postuliert, sondern als Individuen,
die sich durch einen kognitiven Prozess mit anderen identifizieren, etwa wie die
social identification theory10 beschreibt. In diesem Fall bilden die Vegetarier eine
soziale Gruppe, die sich durch den Verzicht auf Fleischverzehr identifizieren.
Das heisst, die Vegetarier werden als „diejenigen, die auf Fleisch verzichten“ auf
verschiedene Weise gekennzeichnet. Zugleich ist die Frage nach dem Fleischver-
zehr ein Identitätszeichen11, da die Entscheidung, sich der Tiere zu enthalten,
meistens keine bloße Ernährungsfrage ist, sondern zur Konstruktion der indivi-
duellen Identität gehört. Zusätzlich kann die Zusammengehörigkeit einer sozia-

9 Turner 2010, 15 fasst die Perspektive der social cohesion theory so zusammen: „At minimum, a
group has been defined as two or more persons who are in some way socially or psychologically
interdependent: for the satisfaction of needs, attainment of goals or consensual validation of at-
titudes and values.(…) Shaw (1976), for example defines a group as ‘two or more persons who are
interacting with one another in such a manner that each person influences and is influenced by
each other person’. (…) In general, therefore, a group has been conceptualized as some (usually
small) collection of individuals in face-to-face relations of interaction, attraction and influence
who may or may not stand in differentiated, structural positions with respect to each other.“
10 Turner 2010, 15 definiert das Modell auf folgende Weise: „This chapter is a contribution to-
wards redefining the concept of the social group in cognitive terms. It proposes that a social
group can be defined as two or more indivuals who share a common social identification of
themselves or, which is nearly the same thing, perceive themselves to be members of the same
social category. This definition stresses that members of a social group seem often to share no
more than a collective perception of their own social unity and yet this seems to be sufficient for
them to act as a group.“
11 Die Diskussion des Essens wird hingegen als Subjektivitäts-Marker von Lupton 1996, 1–25
verstanden. Sie versteht die Subjektivität als umfangreicher als die Identität. Hier wird Identität
als etwas dynamisches, das andere Identitäten nicht auschließt, verstanden.
 Zustand der Quellen   5

len Gruppe auch erschlossen werden, indem man die externen Meinungen über
diese Gruppe in Betracht zieht12. Das in De Abstinentia 1.13–26 erhaltene Frag-
ment entfaltet ein buntes Bild eines sozialen Phänomens aus der Perspektive der-
jenigen, welche die Existenz dieses Phänomens an sich als verkehrt bezeichnen.
Aus dieser lebendigen Dialektik13, in welche verschiedene Gruppen eintreten und
den moralischen Status des Fleischessens diskutieren, kann man zahlreiche In-
dizien identifizieren, die dafür sprechen, dass in der Antike die Debatte um den
Vegetarismus einen wichtigen Teil der ethischen Diskussion gebildet hat. Des
Weiteren ist es durch die Analyse sowohl des Inhalts als auch der Terminologie
möglich zu beschreiben und festzustellen, welches Bild die Gegner des Vegetaris-
mus von den Vegetariern gehabt haben, und wie dieses Bild wahrscheinlich dazu
beigetragen hat, die Identität der Vegetarier in der Antike als soziale Gruppe zu
konstruieren.

Zustand der Quellen

Die Hauptquelle dieser Arbeit bildet folglich Porphyrios’ περὶ ἀποχὴ τῶν ἐμψύχων
(Über die Enthaltsamkeit ‹vom Verzehr› beseelter Wesen), insbesondere die erste
Hälfte des ersten Buches (1.1–26) sowie die Einleitung und der Schluss des dritten
Buches (3.1; 3.26–27). Die erste lateinische Übersetzung dieses Werkes wurde
von Felicianus 1547 angefertigt und trug den Titel De Abstinentia ab esu anima-
lium. Der Traktat ist seitdem unter dem Titel De abstinentia bekannt und wird in
dieser Arbeit als DA bezeichnet. Er gehört zu den Moral-Schriften des Porphy-
rios und wurde circa 270 n. Chr. verfasst. Die Schrift ist in Briefform verfasst und
war an Firmus Castricius adressiert, einen Kollegen des Porphyrios aus der Zeit,
als beide Schüler des Plotin in Rom waren (Porphyrios VP 7). Porphyrios hat von
Besuchern erfahren, dass Firmus nicht mehr auf die Enthaltsamkeit von fleisch-
licher Nahrung geachtet hat. Mit der Absicht, Firmus zu zeigen, dass er eine un-
würdige Entscheidung getroffen hat, hat Porphyrios DA geschrieben. Firmus wird
in der Einleitung aller vier Bücher der Schrift DA erwähnt14. Dieser epistolarische
Stil verleiht der Schrift eine Homogenität. Davon abgesehen wirkt die Schrift
aufgrund der zahlreichen Zitate fremder Autoren oft konfus. Diese namentliche

12 Zu einer weiteren Diskussion der Rolle der internal and external identities siehe Barreto und
Ellemers 2003, 141–143.
13 Der Begriff Dialektik wird in dieser Arbeit als der Austausch zwischen den verschiedenen
Parteien der Streitgespräche verstanden.
14 Also DA 1.1.1, 2.1, 3.1.1 und 4.1.1.
6   Einleitung

Erwähnung wird auch von Porphyrios benutzt, um die Themen innerhalb der
Schrift zu wechseln und fließende Übergänge zwischen den Büchern zu errei-
chen. DA ist nicht wie Plutarchs De esu carnium nur ein Traktat der moralischen
Philosophie. Das Werk gewährt ebenfalls historische Einblicke sowohl in einige
philosophische Schulen, die sich damit beschäftigt haben (Epikureer, Stoiker,
Peripatetiker und andere), als auch in nicht-griechische Gesellschaften, die teil-
weise den Vegetarismus ausgeübt haben. Das erste Buch kann in drei Teile geglie-
dert werden: die Einleitung (1.1–3), in welcher Porphyrios seine Motivation und
das Ziel des Buches äußert und die Argumente seiner Gegner ankündigt. Diese
Argumente (1.4–26) bilden dann den zweiten Teil und stellen die Meinungen der
Stoiker (1.4), der Peripatetiker (1.5–6), der Epikureer (1.7–12) und des Herakleides
Pontikos bzw. Klodios aus Neapel dar (1.13–26). Darauf folgt eine Paränese des
Porphyrios (1.27–56), in welcher er die Enthaltsamkeit von fleischlicher Nahrung
aufgrund der Selbstbeherrschung und der Mäßigung begründet. Das zweite Buch
ist auf die Frömmigkeit konzentriert und behandelt hauptsächlich das Thema des
Tieropfers. Das dritte Buch hat als Hauptthema die Gerechtigkeit und beschäf-
tigt sich mit der Frage nach der Tiervernunft und bietet am Ende eine Ethik der
Gewaltlosigkeit an. Das vierte Buch stellt die Forschung des Porphyrios zur Ent-
haltsamkeit von fleischlicher Nahrung unter verschiedenen Völkern der Antike
dar und bietet ethnographisches Material zum goldenen Zeitalter der Griechen.
Für diese Arbeit wurde hauptsächlich der griechische Text der Budé-Edition
De l’abstinence verwendet. Sie ist in drei Bände gegliedert: Bouffartigue und Pa-
tillon (von nun an BP) 1977 enthält das erste Buch der Schrift, BP 1979 das zweite
und dritte und Patillon und Segonds 1995 das vierte Buch. Die Teubner-Edition
von Nauck 1886 wurde ebenfalls konsultiert und einige seiner vorgeschlagenen
Lesarten übernommen. Eine Darstellung sowohl der Überlieferung der Schrift DA
als auch der Handschriften, die für die Kollation des Fragments Gegen die Vege-
tarier untersucht wurden, findet sich in Kapitel 1.2.1. Von den Übersetzungen15
ist diejenige von Clark 2000 hervorzuheben. Clark gibt den schwierigen Text des
Porphyrios meistens sehr nah am griechischen Text wieder und erläutert ihn mit
sehr hilfreichen Fußnoten. Die einzige deutsche Übersetzung der Schrift DA, Balt-
zers 1869 Über die Enthaltsamkeit von fleischlicher Nahrung, ist veraltet und ent-
spricht nicht den heutigen wissenschaftlichen Ansprüchen.
Ganz besonders hervorzuheben sind die in DA 1.4–26 überlieferten Argu-
mente. Diese bilden eine Doxographie der Gegner des Vegetarismus. Denn sie
sind eine Wiedergabe des Porphyrios von Schriften, die Argumente gegen die ve-
getarische Lebensweise enthalten. Auch die Schrift Gegen die Vegetarier wurde

15 Für eine Liste der Editionen und Übersetzungen der Schrift DA siehe BP 1977, LXXIX–LXXXIII.
 Zustand der Quellen   7

in diesem Kontext in DA 1.13–26 von Porphyrios überliefert und bildet somit den
größten Teil der Doxographie. Die von Porphyrios vorgenommene doppelte Zu-
schreibung der Schrift16 – er nennt sowohl Herakleides Pontikos als auch Klodios
aus Neapel als Autor – zwingt den Leser zu einer Auseinandersetzung mit der
Frage nach der Autorschaft17. Insgesamt wird hier der Vorschlag von Haußleiter
1935, 288 und BP 1977, 25 angenommen, demzufolge Klodios aus Neapel teilweise
ein unbekanntes Buch des Herakleides Pontikos als Quelle benutzte, aber seinen
Inhalt gelegentlich stilistisch geändert und mehrere Beispiele zu den Argumen-
ten des Herakleides hinzugefügt hat. Schließlich ist die Schrift Gegen die Vege-
tarier nur indirekt überliefert. Das heißt, die in DA 1.3.3 und 1.13–26 erhaltene
Partie, die eine Mischung aus Zitaten und Zusammenfassungen der Argumente
seitens Porphyrios enthält, bildet die einzige Quelle für die Rekonstruktion der
Schrift Gegen die Vegetarier. In der Forschung werden Texte, die nur indirekt
und bruchstückhaft überliefert wurden, als Fragmente bezeichnet. Dieser Begriff
kann zu dem Missverständnis führen, dass ein Fragment ein unberührtes Stück
des originalen Textes sei. Vielmehr ist das Fragment ein Produkt der Zitierpraxis
der Antike, die sehr verschieden von unserer modernen Zitierpraxis war18. Ein
antiker Autor fühlte sich nicht veranlasst, ein Werk ausführlich zu zitieren, und
musste oft nicht einmal den Namen des Autors erwähnen. Wird der zitierte Autor
namentlich erwähnt, passiert dies in der Regel, weil der zitierende Autor von der
Autorität des Namens des zitierten Autors profitieren kann. Der Terminus Frag-
ment wird in dieser Arbeit weiter verwendet, aber in Kapitel 1.1.3.1 werden die
notwendigen Reflexionen zu dem Umgang mit diesen Textensorten dargestellt.
Obwohl man nicht annehmen darf, dass Fragmente originalgetreue Kopien der
originalen Quellen darstellen, muss man sich ernsthaft mit solchen Texten be-
schäftigen, da sie einen enormen Teil des überlieferten Schriftgutes in der Antike
bilden. Diese Aussage ist besonders zutreffend für den Bereich Philosophie, da
die Anfertigung von Zusammenfassungen und Doxographien in der Antike ver-
breitet war und diese oft die einzigen Quellen zu einer bestimmten Argumenta-
tion einer philosophischen Schule sind.

16 Siehe Kapitel 1.1.3.2 insbesondere Tabelle 1 für eine Darstellung der Quellen der Doxographie.
17 Diese wird in Kapitel 1.1.3.2 und 1.1.4 unternommen.
18 Zur Zitierpraxis in der Antike siehe Inowlocki 2006, 33–48, Darbo-Peschanski 2004, passim,
Magny 2014, 21–35 und Most 1997, passim; Berti 2009 und 2013 sowie unten Kapitel 1.1.3.1.
8   Einleitung

Einblick in die Forschungsgeschichte des Vegetarismus


in der Antike

Trotz des Einflusses dieses modus vivendi auf verschiedene Bereiche der Antike,
wie Religion, Ethik, Metap7hysik und Ökologie, hat der antike Vegetarismus
kein großes Interesse bei modernen Historikern, Philosophen und Philologen
geweckt. Einige Ausnahmen bilden die Arbeiten folgender Autoren, deren Mei-
nungen häufig in dieser Untersuchung herangezogen werden.
Haußleiter bot mit seinem Buch Der Vegetarismus in der Antike (1935) eine
ausführliche historische Quellenuntersuchung des Vegetarismus von den ho-
merischen Epen bis zu den neuplatonischen Schriften. Dierauer stellte mit dem
Buch Tier und Mensch im Denken der Antike (1977) eine umfassende Behandlung
der Tierpsychologie und der Tierethik in der Antike dar. Dombrowski schrieb
das Buch The philosophy of vegetarianism (1984) mit dem Ziel, die philosophi-
schen Beweggründe der antiken Vegetarier insgesamt zu analysieren und sie in
Bezug zu modernen ethischen Theorien zu setzen. Sorabji gelingt es mit seinem
bahnbrechenden Buch Animal minds and human morals (1993), den Bezug zwi-
schen dem geistigen und dem moralischen Leben der Tiere klar zu definieren und
darüber hinaus eine starke Kritik an den modernen tierethischen Herangehens-
weisen zu üben. Newmyer setzte sich gründlich mit Plutarchs Tierethik in seiner
Schrift Animals, Rights and Reason in Plutarch and Modern Ethics (2013) ausei-
nander. In einem offenen Dialog mit Sorabji 1993 beabsichtigt er, die Relevanz
Plutarchs sowohl für die antike als auch für die moderne tierethische Debatte
herauszustellen, indem er Plutarchs Ansätze von denen des Porphyrios diffe-
renziert. Catherine Osborne untersuchte in Dumb beasts and dead philosophers
(2009) philosophische und nichtphilosophische Diskurse über die Konstruktion
von Unterschieden zwischen Menschen und Tieren, um die Suche nach Kriterien
für die Bestimmung von moralischen Grenzen zu problematisieren. Zuletzt legte
Renan Larue in Le végétarisme et ses ennemis (2015): Vingt-cinq siècles de débats
den Fokus seiner Untersuchung auf die Auseinandersetzung zwischen den Ver-
tretern des Vegetarismus und seinen Gegnern in der Geschichte. Der Ansatz, dass
die Geschichte des Vegetarismus in der Antike innerhalb der diversen Streitge-
spräche analysiert werden muss, wird auch in dieser Arbeit verfolgt. Denn einige
der relevanten Diskussionen, die in letztgenanntem Werk nicht erschöpfend dar-
gestellt und analysiert wurden, werden hier vertiefend betrachtet.
Die herrschende Tradition der griechischen Kosmologie, die auf Hesiod
basiert, schildert eine radikale ontologische Differenzierung zwischen den ver-
schiedenen Lebewesen. Die Seelen der Pflanzen, Tiere, Menschen und Götter
besitzen einen unterschiedlichen ontologischen und moralischen Status. Die
agrarische Lebensvorstellung Hesiods spiegelt diese Weltanschauung wider.
 Einblick in die Forschungsgeschichte des Vegetarismus in der Antike   9

Insbesondere wird dies durch die mythologische Geburtsstunde der Gerechtig-


keit unter den Menschen in Form einer Gabe von Zeus19 als eine deutliche Un-
terscheidung sowohl zwischen den Welten der Menschen und der Tiere als auch
zwischen den Welten der Menschen und Götter20 gezeigt. Most 2006, XL erläutert
die Perspektive Hesiods folgendermaßen:

„Human beings, to be understood as human, must be seen in contrast with the other two
categories of living beings in Hesiod’s world, with gods and animals; and indeed each of the
three stories with which Hesiod begins his poem illuminates man’s place in that world in
contrast with these other categories.“

Detienne und Vernant 1979, 115 unterstreichen die Rolle des Opfers als Kommu-
nikationsmöglichkeit zwischen den beiden Welten und wie diese die Tiefe der
Diskrepanz zwischen Menschen, Göttern und Tieren zeigt:

„Comme le sacrifice rapproche et sépare tout ensemble hommes et dieux, assimile et


oppose à la fois bêtes et hommes, il livre l’humanité à un mode d’être fondamentalement
ambigu, contrasté, dédoublé.“21

Aristoteles, der die Seelenlehre Platons als Ausgangspunkt hat und besonders
seine Unterteilung der Psyche kritisiert und erweitert, ist neben anderen in der
Philosophie der wichtigste Vertreter der Idee einer radikalen ontologischen
Differenzierung zwischen den Seelen der Menschen, Tiere und Pflanzen. Er ist
ebenfalls der Erfinder einer systematischen Unterscheidung der Fähigkeiten der
Seelen der verschiedenen Lebewesen. Die psychologische Differenzierung ist vor

19 Sehr deutlich wird das Machtverhältnis zwischen den Lebewesen in den folgenden Versen
dargestellt: „Einerseits ‹erlaubt er› den Fischen, den Tieren und den beflügelten Vögel einan-
der zu essen, weil es kein Recht unter ihnen gibt, andererseits gab er (Zeus) den Menschen das
Recht“ („ἰχθύσι μὲν καὶ θηρσὶ καὶ οἰωνοῖς πετεηνοῖς ἔσθειν ἀλλήλους, ἐπεὶ οὐ δίκη ἐστὶ μετ'
αὐτοῖς· ἀνθρώποισι δ' ἔδωκε δίκην“, Hes. Erga 277–9).
20 Das vorherige Zusammensein der Menschen und Götter (in Hes. Theog. 535 implizit: „Denn
als Götter und sterbliche Menschen sich in Mekone schieden“; „καὶ γὰρ ὅτ' ἐκρίνοντο θεοὶ θνητοί
τ' ἄνθρωποι Μηκώνῃ“) wird durch die List des Prometheus unterbrochen (Hes. Theog. 535–613).
Die Opfergabe wird dann als einziges Kommunikationsmittel zwischen beiden Welten einge­
richtet.
21 Andere Aspekte der Kommunikation zwischen den ontologischen Welten durch das Opfer
werden an den folgenden Stellen diskutiert: Detienne und Vernant 1979, 43–5,49–50, 58–60 und
ganz besonders 60: „Comme la victime du sacrifice encore, la nourriture céréalière est consom-
mée au terme d’un commerce réglé avec les dieux. Elle établit, entre mortels et Immortels, un
mode de communication pieuse dans le moment même où, par cette communication, elle souli-
gne le décalage, la distance, la disparité de leur statut.“
10   Einleitung

allem in Arist. De Anima 2.2–46 und 3.4–7 aufgeführt. Die moralischen Konse-
quenzen, die daraus gezogen werden, sind in Arist. Pol 1.8, 1256b beschrieben:

„Daher muss man offensichtlich annehmen, dass in gleicher Weise auch nach ihrer
Geburt (…) die Pflanzen um der Tiere willen da sind, die übrigen Tiere um der Menschen
willen – die zahmen der Nutzung und Nahrung, die wilden – wenn nicht alle, so doch die
meisten – zur Nahrung und anderen nützlichen Diensten, (etwa) damit aus ihnen Kleider
und anderes, wie Werkzeuge, verfertigt werden. Wenn nun (gilt, dass) die Natur nichts
unvollendet und nichts umsonst tut, dann folgt daraus zwingend, dass die Natur dieses
alles um der Menschen willen geschaffen hat“22 (Übersetzung von Schütrumpf 2012).

Die Verneinung von Vernunft bei Tieren ist ein Aspekt dieser Differenzierung
und wird von Sorabji 1993, 7–16 in Bezug auf die Konsequenzen diskutiert, die
diese Verneinung für die moralische Berücksichtigung der Tiere mit sich bringt.
Diese Lebensvorstellung prägt die Mehrheit der griechischen religiösen und mo-
ralischen Bräuche und erscheint in verschiedenen sozialen Phänomenen des
Alltags, wie dem Opferbrauch, dem Rechtssystem und der Mythologie.
Eine zweite Weltanschauung, die eine Randerscheinung im griechischen
und römischen geistigen Leben blieb, aber in bestimmten sozialen Räumen eine
offene Konkurrenz zu der herrschenden Weltanschauung darstellte, war dieje-
nige, die auf die Lehre des Pythagoras zurückgeht23, aber auch in den Werken des
Empedokles24 und Theophrast25 zu finden ist. Sie vertritt ein System, in welchem
die jeweilige Wertigkeit der Seelen der Pflanzen, Tiere, Menschen und Götter nicht
radikal voneinander abgegrenzt wird, sondern austauschbar bzw. miteinander

22 „ὥστε ὁμοίως δῆλον ὅτι καὶ γενομένοις οἰητέον τά τε φυτὰ τῶν ζῴων ἕνεκεν εἶναι καὶ τὰ ἄλλα
ζῷα τῶν ἀνθρώπων χάριν, τὰ μὲν ἥμερα καὶ διὰ τὴν χρῆσιν καὶ διὰ τὴν τροφήν, τῶν δ' ἀγρίων,
εἰ μὴ πάντα, ἀλλὰ τά γε πλεῖστα τῆς τροφῆς καὶ ἄλλης βοηθείας ἕνεκεν, ἵνα καὶ ἐσθὴς καὶ ἄλλα
ὄργανα γίνηται ἐξ αὐτῶν. εἰ οὖν ἡ φύσις μηθὲν μήτε ἀτελὲς ποιεῖ μήτε μάτην, ἀναγκαῖον τῶν
ἀνθρώπων ἕνεκεν αὐτὰ πάντα πεποιηκέναι τὴν φύσιν.“
23 Vielleicht sogar auf die Lehre des Pherekydes von Syros, wie Kalogerakos 1996, 368 argumen-
tiert. Für eine breitere Diskussion der Meinung der Pythagoreer in Bezug auf Tiere, siehe Hauß-
leiter 1935, 99–157, Dierauer 1977, 18–24, Dombrowski 1984, 35–55, Spencer 1995, 33–68, Detienne
1970, 148–151 und Burkert 1962, 98–142.
24 Balaudé 1997, 31–38 zeigt, inwiefern die Ethik des Empedokles auf einer radikalen Verwandt-
schaft der Lebewesen basiert: „En effet, Empédocle a lié la pratique végétarienne à une théorie
de la parenté du vivant, et il est peut-être le seul à avoir tiré de cette parenté toutes les consé-
quences“ (Balaudé 1997, 31). Er ist der Meinung, dass in dieser Hinsicht Empedokles kein Nach-
folger des Pythagoras sei, weil er für die Seelenwanderung die Verwandtschaft der Lebewesen
nicht voraussetzte. Er sieht aber Theophrast, Porphyrios und Plutarch als mögliche Nachfolger
dieser Lehre (34; 47; 52).
25 Gemeint ist die Lehre der Oikeiotes. Siehe dazu Kapitel 2.2.4 und 3.1.
 Einblick in die Forschungsgeschichte des Vegetarismus in der Antike   11

vergleichbar ist, weil eine Verwandtschaft zwischen den Wesen besteht26. Die be-
deutsamste religiöse und philosophische Begleiterscheinung dieser Anschauung
ist die Lehre der Seelenwanderung27, wie sie von Pythagoras und danach Platon
vertreten wurde. Es wäre aber ein Fehler zu glauben, dass die Seelenwanderungs-
lehre die einzige Möglichkeit wäre, diese Weltanschauung zu vertreten. Genauso
prominent war in solchen Kreisen die Idee einer Gemeinschaft zwischen Men-
schen und Tieren28, wie sie in Kapitel 2.1.1–3 diskutiert wird.
Burkert 1977, 112–115 vertritt einerseits eine Theorie, in welcher Tiere und
Menschen im allgemeinen griechischen Opferbrauch äquivalent seien29. Diese
Behauptung ist irreführend, da er nicht erkennt, dass zwei verschiedene Arten
von Betrachtungen gleichzeitig vorhanden sind. Um seine Meinung zu rechtfer-
tigen, erwähnt er genau die Zeugnisse30, welche eine Äquivalenz zwischen den
Wesen vertreten, als ob sie die herrschende Position des griechischen Denkens
repräsentieren würden. Diese vertreten in Wirklichkeit die oben erklärte alterna-
tive Vorstellung.
Dierauer 1977, 8–24 bietet andererseits eine Analyse der verschiedenen Arten
von Tierbetrachtungen im griechischen Denken an, die plausibler wirkt, da sie
auf die verschiedenen konkurrierenden Ebenen der Tier- und Mensch-Betrach-
tung hinweist. Er erkennt eine erste homerisch-archaische Phase, die auf eine
starke anthropomorphe Denkweise zurückgeht, dann eine zweite zwischen Men-

26 Dierauer 1977, 18–19 setzt für die Seelenwanderungslehre eine Verwandtschaft der Wesen vo-
raus, wie man in verschiedenen Schriften über den Pythagoreismus sieht: Porph. Vit. Pyth. 19,
Sext. Emp. Adv. 9.127.8 Cic. Resp. 3.11.19 Plut. de esu. 2.997E. Die Verwandtschaft der Seelen wird
im Unterkapitel 3.4 näher diskutiert.
27 In Bezug auf die philosophische Seelenwanderungslehre fasst Dierauer 1977, 21 so zusam-
men: „In der rein naturphilosophischen Seelenwanderungstheorie wird kein prinzipieller Vor-
rang der menschlichen gegenüber der tierischen Existenz sichtbar. Vielmehr zeigt sich hier auf
besonders eindrückliche Art die Homogenität aller Lebewesen.“
28 Wie z.  B. Sextus Empiricus über Pythagoras und Empedokles berichtet; Adversus mathemati-
cos 9.127.8: „Die Nachfolger des Pythagoras und des Empedokles und die übrigen Italer sagen,
dass wir eine Gesellschaft nicht nur mit uns selbst und den Göttern teilen, sondern auch mit den
unvernünftigen Tieren„; „οἱ μὲν οὖν περὶ τὸν Πυθαγόραν καὶ τὸν Ἐμπεδοκλέα καὶ τὸ λοιπὸν τῶν
Ἰταλῶν πλῆθος φασὶ μὴ μόνον ἡμῖν πρὸς ἀλλήλους καὶ πρὸς τοὺς θεοὺς εἶναί τινα κοινωνίαν,
ἀλλὰ καὶ πρὸς τὰ ἄλογα τῶν ζῴων.“
29 In seinen Worten: „In besonderer Weise scheint das Tier im griechischem Opfer nun aber
gerade dem Menschen zugeordnet. Immer wieder wird im Mythos ausgemalt, wie ein Tieropfer
ein Menschenopfer ersetzt oder aber umgekehrt ein Tier-Opfer ins Menschenopfer umschlägt;
eines ist im anderen gespiegelt. Eine gewisse Äquivalenz von Tier und Mensch ist wohl schon aus
der Jägertradition vorgegeben, ist auch dem Viehzüchter selbstverständlich.“ (Burkert 1977, 115).
30 DA 2.28 und ein nicht ausdrücklich zitierter Vergleich zwischen den Organen der Menschen
und Tiere, der sehr wahrscheinlich auf DA 3.25 zurückgeht.
12   Einleitung

schen und Tieren abgrenzende Phase, die von Hesiod geprägt ist, und schließlich
die orphisch-pythagoreische Perspektive, die in enger Beziehung zur Seelenwan-
derungslehre steht.
Osborne 2009, 37 sieht ebenfalls eine Dualität zwischen einer von Protagoras
beschriebenen Welt, die den Wettbewerb zwischen den Lebewesen fordert, und
einer Welt, in der Tiere und Menschen eine Gleichstellung besitzen. Sie ist der
Meinung, die zweite Weltanschauung „looks more beautiful and more lovely. It
inspires devotion, not appetite, it demands giving, not taking; nurture, not de-
struction.“ (Osborne 2009, 39). Dies spricht dafür, dass auch Osborne konkurrie-
rende Vorstellungen der Beziehungen zwischen Menschen und Tieren sieht.
Darüber hinaus spricht Corrigan 2014, 387 von vielen verschiedenen Welt-
anschauungen, die aber letzlich auf zwei konkurrierende Gruppen beschränkt
werden können. Die erste enthält die Meinungen des Aristoteles, der Stoiker und
der Epikureer, die den Tieren keine Gerechtigkeit zusprechen. Die zweite lässt die
Herkunft der Idee einer Homogenität zwischen allen Lebewesen auf das plato-
nische Gute zurückgehen31. Seine Vorstellung von der platonischen philosophi-
schen Tradition ist, dass das Prinzip des Guten Vorrang vor allen anderen Prinzi-
pien genießt und, dass der Platonismus, insbesondere der Neuplatonismus, die
Hierarchisierung der Lebewesen neu kontextualisiert zugunsten einer unmittel-
baren direkten Beziehung jedes einzelnen Wesens zu diesem Guten. Diese Vor-
stellung enthält viele Elemente der Verwandtschaftstheorie, die von der pythago-
reischen Schule, von Empedokles und von Theophrast vertreten wurde32.
Einerseits gehören die Meinungen sowohl des Klodios aus Neapel bzw. He-
rakleides Pontikos als auch der Stoiker in Bezug auf Tiere und Menschen zur
ersten, herrschenden Gruppe, andererseits sollen die Positionen des Theophrast
und des Porphyrios der zweiten alternativen Weltanschauung zugeschrieben
werden. Theophrast nimmt dadurch Abstand von der Lehre des Aristoteles Pol
1.8, dass alle Tiere für den Nutzen des Menschen existierten und, dass es einen
gerechten Krieg zwischen den Tieren und den Menschen gebe (Arist. Pol. 1.8,

31 „In sum, while the ancient world has a multiplicity of different, often contradictory views
about the relation of human beings to other animals and plants, and while Aristotle tends to
deny reason, on the one hand, and the Stoics and Epicureans to deny contractual relations, on
the other, to other animals, there is another complex tradition running through ancient thought
from Pythagoras, Empedocles, Plato and Aristotle into early and later Neoplatonism that is based
upon the Good of the Republic…“
32 In seinen Worten: „I have argued that the Platonic Good does not commit the ancients to un-
necessary thinking, to ‘intrinsic good’ theories or to the erasure of the importance of individuals.
Instead, hierarchical thinking has to be kept in tension with the anti-hierarchial immediacy of
the Good’s presence to everything…“
 Räumliche Terminologie   13

1256b)33. Dafür wird von Klodios bzw. Herakleides eine mit Aristoteles überein-
stimmende Position vertreten, wie im zweiten Kapitel dargestellt wird. Auch
Porphyrios mit seiner Schrift DA kann als Vertreter der zweiten Weltanschauung
gezählt werden, da er für eine Ethik plädiert, die Tiere und sogar Pflanzen ethisch
berücksichtigt. Seine Gesprächspartner, die Stoiker, hingegen behaupten, dass
die Gerechtigkeit nur den vernünftigen Lebewesen zugeordnet werden kann, wie
im dritten Kapitel ausführlicher diskutiert wird.

Räumliche Terminologie

Die „räumliche Terminologie“ des Porphyrios, die im dritten Kapitel behan-


delt wird, basiert auf der Nutzung von verschiedenen räumlichen Metaphern.
Ein Aspekt der aristotelischen Metapherntheorie hat die Metaphernforschung
für eine sehr lange Zeit stark geprägt34 und zwar so, dass Metaphern lediglich
ein rhetorisches Stilmittel darstellen (Arist. Rhet. 1405a, 3–5; 15–17; 1405b7–10).
Das heißt, dass die Funktion der Metaphern als Redefigur ästhetisch ist. Einige
Autoren35 aber haben Aristoteles’ Interesse an dem kognitiven Aspekt der Meta-
pher hervorgehoben, besonders an den Stellen, in denen Aristoteles die Wirkung
der Metaphern bei Lernprozessen bespricht (Arist. Rhet. 1410b, 10–15), aber auch
an der Stelle, an der er die Aktivität der Philosophie mit dem Wirkprozess der
Metaphern vergleicht:

„Man muss, wie früher gesagt, vom Eigentümlichen und nicht Offenkundigen die Über-
tragung (μεταφέρειν) vornehmen, wie es auch in der Philosophie Sache eines zielsiche-
ren (Philosophen) ist, auch in den weit auseinander liegenden Dingen das Ähnliche zu er-
kennen.36“

33 „Deswegen fällt auch von Natur her unter die Erwerbskunst in gewisser Weise die Kriegs-
kunst – zu der als ein Teil ja die Jagdkunst gehört –, die man sowohl gegen Tiere einsetzen muss
als auch gegen die Menschen, die zwar von Natur dazu bestimmt sind, beherrscht zu werden,
aber sich dazu nicht bereit finden wollen: in diesem Fall ist ein Krieg von Natur gerechtfer-
tigt.“ (Übersetzung von Schütrumpf 2012). „διὸ καὶ ἡ πολεμικὴ φύσει κτητική πως ἔσται (ἡ γὰρ
θηρευτικὴ μέρος αὐτῆς), ᾗ δεῖ χρῆσθαι πρός τε τὰ θηρία καὶ τῶν ἀνθρώπων ὅσοι πεφυκότες
ἄρχεσθαι μὴ θέλουσιν, ὡς φύσει δίκαιον τοῦτον ὄντα τὸν πόλεμον.“
34 Siehe Eubanks 2000, 13–22 und Semino 2008, 4.
35 Kirby 1997, 546–547 untersucht sowohl die Poetik als auch die Rhetorik, um zu zeigen, dass
die Metapherntheorie des Aristoteles eine semiotische, also kognitivische Basis aufweist. Mahon
1999 argumentiert, dass die Metaphern-Nutzung für Aristoteles nicht nur eine Aktivität der Ge-
nies war, sondern in der gewöhnlichen Sprache verbreitet war.
36 „δεῖ δὲ μεταφέρειν, καθάπερ εἴρηται πρότερον, ἀπὸ οἰκείων καὶ μὴ φανερῶν, οἷον καὶ ἐν
φιλοσοφίᾳ τὸ ὅμοιον καὶ ἐν πολὺ διέχουσι θεωρεῖν εὐστόχου.“
14   Einleitung

Heutzutage prägt dieser kognitive Aspekt der Metapher – das Ähnliche zu er-
kennen – die Debatte. Metaphern werden aktuell in der Forschung nicht als von
der linguistischen Norm abweichende Einheiten angesehen, sondern als wich-
tige konstitutive Bestandteile der Sprache und des Denkprozesses37. Seit der Er-
scheinung des Buches Metaphors we live by von Lakoff und Johnson 1980 (2008
neueste Edition) hat die Metaphernforschung eine Revolution erfahren38. Die
Autoren verstehen Metaphern nicht nur als ein sprachliches Phänomen, sondern
als wichtigen Teil des Denkens und der Handlungen des Menschen. Es wird in
ihrer Conceptual Metapher Theory (CMT) vertreten, dass unser conceptual system
größtenteils metaphorisch ist39. Dies bedeutet, dass die Menschen einige Begriffe
im Prozess des Vergleichens mit anderen Begriffen verstehen. Und sogar mehr als
nur verstehen – die Menschen denken, handeln, und leben ihr Leben mit Hilfe
der Verwendung von Metaphern. Das klassische Beispiel dieser Behauptung ist
ARGUMENT IS WAR. Lakoff und Johnson zeigen, dass die Anwendung des Kriegs-
begriffes in der Sprache häufig benutzt wird, um ein Argument zu bezeichnen:

„Your claims are indefensible. He attacked every weak point in my argument. His criticisms
were right on target. I demolished his argument. I’ve never won an argument with him. You
disagree? Okay, shoot! If you use that strategy, he’ll wipe you out. He shot down all of my
arguments (Lakoff und Johnson 2008, 4).“

Man sollte nicht davon ausgehen, dass eine Diskussion einem Krieg gleich-
kommt. Grundsätzlich wird also ein Argument durch den Vergleich mit dem Phä-
nomen Krieg strukturiert und dementsprechend auf einer besonderen Art und
Weise verstanden40. Die zwei Kategorien, die durch eine Metapher in Beziehung

37 Traugott und Dasher 2002, 76: „But most important of all was a reconceptualization of the
role of metaphor in language. In traditions that treat metaphor as figurative and somehow de-
rived, metaphor is inevitable construed as a deviation from literal meaning. One of the prime
objectives of Cognitive Linguistics has been to show that metaphor is not derived, superimposed,
or deviant. Rather, it is a pervasive mode of thought, a fundamental aspect of human cognizing
and of human language, so fundamental indeed that language is virtually inconceivable without
it.“ Diese Vorstellung geht auf den klassischen Ansatz von Lakoff und Johnson 1980 (2008 neu-
este Edition) zurück.
38 Wie jede Revolution ist auch diese die Folge einer langen Entwicklung. Eine einleitende Dis-
kussion über die wichtigsten Strömungen in der Metaphernforschung wurde von Ortony 1993,
1–18 referiert und ein hilfreiches Literaturverzeichnis ist bei Kirby 1997, 517–518 zu finden. Das
neuste allgemeine Handbuch zum Thema hat Gibbs 2008 veröffentlicht.
39 Siehe Lakoff und Johnson 2008, 4: „Primarily, on the basis of linguistic evidence, we have
found that most of our ordinary conceptual system is metaphorical in nature“.
40 Wie sie behaupten: „The essence of metaphor is understanding and experiencing one kind of
thing in terms of another (Lakoff und Johnson 2008, 5)“.
 Räumliche Terminologie   15

gebracht werden, sind in der Forschung als Source Domain und Target Domain
bekannt. Das heißt, eine in der Regel abstraktere Target Domain (z.  B. Argument)
kann durch den Bezug auf eine konkretere Source Domain41 (z.  B. Krieg) verstan-
den werden42.
Dies bedeutet, dass man die Nutzung von Metaphern als ein effizientes Aus-
drucksmittel für soziale bzw. philosophische Verhältnisse verstehen soll43. In
unserem konkreten Fall folgt dann, dass Porphyrios nicht nur eine Beziehung
zwischen Lebewesen durch Metaphern stilistisch beschreibt44, sondern sie durch
originelle metaphorische Terminologie definiert. Für die Identifizierung, dass ein
Wort metaphorisch angewendet wurde, wurde die MIPVU-Methode45 verwen-
det46. Diese Methode zielt darauf ab, durch den Vergleich zwischen der contex-
tual meaning und der basic meaning47 des Wortes zu erkennen, ob ein Wort als
Metapher im angegebenen Kontext benutzt wurde.
Der Raum als Kategorie des Denkens ist seit dem sogenannten „Spatial Turn“
in den Geisteswissenschaften ein ausschlaggebender Parameter des mensch-
lichen Handelns geworden48. Zum einen wird in der Geschichtswissenschaft
der Raum zu einer ebenso bedeutsamen Kategorie wie die Zeit erhoben49, zum
anderen hat er sich in der Literaturwissenschaft zu einem nützlichen Werkzeug
für narratologische Studien entwickelt50. Grenze und Raum als philosophische
Metaphern wurden bereits von mehreren Forschern untersucht51. Ebenfalls
wurden bereits die Herausforderungen und Sonderbarkeiten der Arbeit mit Meta-
phern in historischen Sprachen angesprochen52.
Die Vorstellung des Raumes bietet unter anderem eine Metaebene, in welcher
Modelle der Zugehörigkeit aufgebaut werden können. Begriffe wie innen oder
außen sagen viel über Beziehungen zwischen Lebewesen genauso wie die Idee

41 Richards 1965 nennt die abstraktere Einheit tenor oder topic und die konkretere vehicle.
42 Dazu siehe Kovecses, 2010, 4.
43 Vgl. Kray 2010, 135–7 in seiner Analyse von soziologischen Metaphern.
44 Siehe Kapitel 3.5 und 3.6 für die Behandlung der räumlichen Terminologie des Porphyrios.
45 MIP ist eine Abkürzung für Metaphor Identification Procedure and VU steht für Vrije Universi-
teit Amsterdam. Siehe Steen et al. 2010, der sich aus Pragglejaz Group 2007 entwickelt hat.
46 Siehe Kapitel 3.5 und Anhang.
47 Die basic meaning eines Wortes muss anhang eines corpus basierten Wörterbuch festgestellt
werden. Siehe Steen et al. 2010.
48 Siehe Döring, Thielmann 2008; Dünne, Günzel 2006 und Schlögel 2003.
49 Vgl. Döring, Thielmann 2008, 23.
50 Vgl. De Jong 2012.
51 Für einen Überblick siehe Zill in Konersmann 2007, 135–146 und Köster in Konersmann 2007,
274–292.
52 Siehe Horn, Breytenbach, Di Biase-Dyson et. al 2016.
16   Einleitung

von Grenzen die moralische Differenzierung zwischen ihnen ausdrückt. Wie


Köster in Konersmann 2007, 278 behauptet: „Die einfachste semantische Inter-
pretation der Raumaufteilung ist demnach die eines geschlossenen Innenraums
als ,Wir‘ und die eines offenen Außenraums als ,die Anderen‘.“ Der Raum als Me-
tapher der Begrenzung und der Zugehörigkeit findet als Ausdrucksmittel sozialer
Beziehungen zwischen Menschen häufige Verwendung. Diese Fähigkeit, Bezie-
hungen zwischen Lebewesen durch metaphorische Terminologie zu definieren,
wurde von Porphyrios häufig in DA angewandt. Die Systematik dahinter wird im
dritten Kapitel aufgezeigt.

Struktur der Arbeit

Das erste Kapitel bietet eine gründliche Behandlung der fragmentarischen Schrift
Gegen die Vegetarier (Πρὸς τοὺς ἀπεχομένους τῶν σαρκῶν). Diese enthält im
ersten Teil eine zusammenfassende Darstellung der Argumente, eine Diskussion
über den Titel der Schrift, einen Überblick über die weitgehend unbekannte Figur
des Klodios aus Neapel, eine Analyse der Zitierweise des Porphyrios und eine
Auseinandersetzung mit der Autorenfrage der Schrift. Der zweite Teil bietet eine
neue textkritische Edition dieser Schrift mit Übersetzung, Scholia und philolo-
gischen Kommentaren. Der hier angebotene griechische Text unterscheidet sich
vor allem in der Interpunktion von den Editionen von BP und Nauck.
Das zweite Kapitel hat das Ziel, die intertextuellen Bezüge der beiden Schriften
Gegen die Vegetarier und Über die Frömmigkeit, die nur in der Schrift DA fragmen-
tarisch überliefert worden sind, herauszustellen. Zuerst werden drei historische
Kontexte erläutert, in denen diese Schriften eine Wirkung gehabt haben. Diese
sind die Alte Akademie Platons in Athen, die Wende zwischen dem 1. Jh. v. Chr.
und n. Chr. in Rom und die neuplatonische Schule Plotins im 3.  Jh.  n. Chr. in
Rom. Danach werden Aspekte diskutiert, die in beiden Schriften eine große
Rolle spielen, – die Diskussion über die Ernährung der ersten Menschen und die
soziale Funktion des Feuers; die Auseinandersetzung über die ethischen Bezie-
hungen zwischen Menschen und Pflanzen und die Nutzung von Produkten tieri-
scher Herkunft; der Streit um den Kannibalismus und seine Verbindung mit dem
Vegetarismus und die Debatte über die Theorie der Verwandtschaft der Seele und
die ontologische Hierarchisierung der Lebewesen. Es wird gezeigt, dass beide
Schriften deutlich miteinander in Beziehung stehen und warum diese wichtig für
die Entwicklung der vegetarischen Diskurse in der Antike war.
Das dritte Kapitel greift einige der Themen auf, die im vorhergehenden
Kapitel behandelt wurden, wie die Diskussion über die ethische Beziehung zwi-
schen Menschen und Pflanzen und die Kriterienauswahl, um eine Hierarchie
 Struktur der Arbeit   17

zwischen Lebewesen herzustellen, sowie die ethischen Konsequenzen, die sie


daraus ergeben. Aber dieses Mal werden die Antworten des Porphyrios in Hin-
sicht auf die in der Doxographie der Gegner des Vegetarismus präsentierten Argu-
mente analysiert. Insbesondere werden die Rolle der Oikeiosis-Lehre der Stoiker
und die der Philanthropia als ethische Bausteine diskutiert. Nach dem Überblick
über die Forschung zu beiden Begriffen wird gezeigt, dass Porphyrios eine beson-
dere räumliche Terminologie entwickelt hat, um die ethischen Verhältnisse inter
Lebewesen verschiedener Arten zu behandeln. Dies basiert auf der Nutzung einer
räumlichen Metapher der Ausdehnung der Gerechtigkeit auf andere Lebewesen,
die zum ersten Mal in der griechischen Literatur regelmäßig vorkommt. Seine
ethische Lehre zielt darauf ab, die Oikeiosis der Stoiker als Werkzeug zu benut-
zen, aber sie nicht nur auf Menschen zu richten, sondern auch auf Tiere und je
nach Fall, wenn es möglich ist, bis auf die Pflanzen auszudehnen.
Abschließend will diese Arbeit zeigen, dass die Aktualität der Argumente
über den Vegetarismus in der Antike innerhalb eines ständigen dialektischen
Prozesses  entstanden ist. Das heißt, die Einwände gegen den Vegetarismus
haben eine große Rolle in der Entwicklung der Rechtfertigung der vegetarischen
Lebensweise gespielt, da sie dafür gesorgt haben, dass Probleme aus neuen Per-
spektiven behandelt wurden.
Erstes Kapitel
Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die
Schrift Gegen die Vegetarier

1.1 Die Schrift Gegen die Vegetarier, der unbekannte Klodios


aus Neapel und die Zitierweise des Porphyrios

1.1.1 Allgemeine Darstellung der Schrift Πρὸς τοὺς ἀπεχομένους τῶν


σαρκῶν

Welche Themen behandelt die Schrift Gegen die Vegetarier? Von wem und wann
wurde sie geschrieben? In diesem Unterkapitel werden Fragen wie die Autor-
schaft, das Verfassungsdatum und die Gattung der Schrift einleitend besprochen.
Darüber hinaus erfolgt eine Darstellung ihres Inhalts. Danach wird auf die Be-
sonderheiten des Titels eingegangen und es wird gezeigt, dass die Übersetzung
Gegen die Vegetarier sowohl syntaktisch als auch semantisch und pragmatisch
passend ist. Schließlich wird eine Zusammenfassung und eine Übersicht über
den Inhalt des gesamten ersten Kapitels geboten.
Die Schrift Gegen die Vegetarier behandelt eine moralische Frage. Sowohl
die Nachteile einer vegetarischen Diät als auch die Vorteile des Fleischverzehrs
werden hervorgehoben, um den Verzehr von Fleisch zu rechtfertigen. Das in DA
1.3.3; 1.13–26 erhaltene Fragment wird von Porphyrios sowohl Klodios aus Neapel
als auch Herakleides Pontikos zugeschrieben (DA 1.26.4) und beabsichtigt laut
dem Neuplatoniker, die Meinung des einfachen und gemeinen Menschen zu
schildern (DA 1.13.1). Es handelt sich um einen nach der Schlacht bei Actium
(31 v. Chr.) verfassten Text, da die Tötung des Bogos, König der Mauretanier, durch
Agrippa in Methone berichtet wird (DA 1.25.4), wie Strabon 8.4.31 und Cassius Dio
50.112 bestätigen. Die Schrift zeigt paränetische Elemente, da sie nichts anderes
als eine Werberede für den Fleischverzehr ist. Zusätzlich unternimmt sie eine
Analyse der lebenspraktischen Konsequenzen des Vegetarismus, um den Leser

1 „Weiter gab es Methone (…), in welcher Agrippa im Konflikt bei Actium den König der Mau-
retanier, Bogos, tötete, der auf der Seite des Antonius im Bürgerkrieg stand“; „Ἑξῆς δ' ἐστὶ
Μεθώνη  (…) ἐνταῦθα Ἀγρίππας τὸν τῶν Μαυρουσίων βασιλέα τῆς Ἀντωνίου στάσεως ὄντα
Βόγον κατὰ τὸν πόλεμον τὸν Ἀκτιακὸν διέφθειρε.“
2 „Und Agrippa eroberte Methone im ersten Angriff und tötete dabei Bogos“; „καὶ ὁ Ἀγρίππας
τήν τε Μεθώνην ἐκ προσβολῆς λαβὼν καὶ τὸν Βογούαν ἐν αὐτῇ κτείνας.“
20   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

davon zu überzeugen, dass die Lehre vom Fleischverzehr besser sei als jene von
der Enthaltsamkeit von fleischlicher Nahrung.
Die Schrift wird in dieser Arbeit als dreischichtig – sowohl in stilistischer als
auch historischer Hinsicht – verstanden, da sie stark von den Einflüssen dreier
Schriftsteller geprägt ist, die in verschiedenen Zeiten und kulturellen Zusam-
menhängen sowie an unterschiedlichen geographischen Räumen gelebt haben.
Diese sind Porphyrios aus Tyros, der den Text im dritten Jh. n. Chr. exzerpiert,
Herakleides Pontikos, der wahrscheinlich ein grundlegendes Buch zum Thema
im vierten Jh. v. Chr. verfasst hat, und Klodios aus Neapel, der das genannte Buch
des Pontikers wahrscheinlich im 1. Jh. v. Chr. oder n. Chr. benutzt und erweitert
hat. Einerseits ist es unmöglich, mit Sicherheit festzulegen, welche Stellen der
Schrift welchen Autoren zugeschrieben werden müssen, andererseits ist es wün-
schenswert und machbar, die Schrift in ihrer Vielfältigkeit zu verstehen, indem
die verschiedenen intellektuellen Kontexte, in denen die Autoren gewirkt haben,
in Betracht gezogen werden.
Unter anderem führt der Traktat die folgenden Argumente aus:
1. Der Mensch sei von Natur aus ein Fleischesser, aber kein Rohfleischesser.
Die Alten hätten kein Fleisch gegessen, weil sie den Nutzen des Feuers noch
nicht kannten (1.13.1–4);
2. Es gebe einen gerechten Krieg zwischen Menschen und Tieren, da der Mensch
Zuneigung zu den Menschen und Hass zu den Tieren empfinde (1.14.1–3);
3. Kein Volk enthalte sich fleischlicher Nahrung, und jene, welche sich des
Verzehrs mancher Tierarten enthielten, wie beispielsweise die Juden des
Schweins, hätten diesen Brauch nur deswegen, weil diese Tiere von Natur
aus in ihrem Gebiet nicht vorkämen (1.13.5; 1.14.4);
4. Das Fleisch sei sowohl für den Körper als auch für die Seele gesund (1.15.1–2;
1.26.2);
5. Mit Ausnahme des Pythagoras sei keiner der großen Weisen ein Vegetarier
gewesen (1.15.3);
6. Das Leben auf der Erde wäre unmöglich, falls wir die Tiere nicht essen wür­
den, da diese sich stark vermehren und alles zerstören würden, was für den
Mensch nützlich sei. Diese Argumentation wird in dieser Arbeit als Tier­
apokalypse bezeichnet (1.16; 1.24.1);
7. Die Vegetarier würden Vorteile von medizinischen Behandlungen verhin-
dern, welche die Verwendung von Tieren voraussetzte (1.17);
8. Wenn es unfromm sei, Pflanzen zu töten, da sie eine Seele hätten, sei es auch
unfromm, Tiere zu töten. Und wenn es nicht unfromm sei, Pflanzen zu töten,
dann sei es auch nicht unfromm, Tiere zu töten (1.18);
9. Die Menschen würden den Tieren durch das Töten helfen, indem die Tiere
durch den Tod schneller zur menschlichen Gestalt aufsteigen würden (1.19);
 Die Schrift Gegen die Vegetarier, der unbekannte Klodios aus Neapel   21

10. Selbstverteidigung gegen Tiere sei kein Unrecht, sondern eine Strafe für die
Missetäter und eine Verteidigung des gesamten Geschlechts der Menschen
(1.20);
11. Falls das Töten der Tiere ungerecht sei, sei das Entnehmen von Tierproduk-
ten gleichfalls ungerecht (1.21);
12. Die Frömmigkeit werde durch das Tieropfer bewahrt, da sogar Helden und
Halbgötter das Opfern gutgeheißen hätten (1.22);
13. Die Behauptung, wie sie Pythagoras vertreten habe, sei naiv, nämlich dass
die Enthaltsamkeit von fleischlicher Nahrung Menschen vor dem Kannibalis-
mus bewahren würde (1.23);
14. Die Götter hätten den Menschen die Tiere sowohl zum medizinischen Ge-
brauch als auch als Nahrung gegeben (1.25);
15. Die Menschen wären nicht in der Lage, ihre Städte zu verteidigen, wenn sie
sowohl mit der Abwehr als auch gleichzeitig mit dem Schutz des Lebens der
Feinde beschäftigt wären (1.26.1);
16. Sowohl Tiere zu töten als auch sie zu essen sei nicht frevelhaft, da sogar Py-
thagoras den Athleten Fleisch empfohlen habe, weil es gut für die Körper-
kraft sei (1.26.2).

Die oben zusammengefassten Argumente deuten auf eine vielfältige Diskussion


hin, die den Fleischverzehr auf verschiedenen Ebenen, wie Ethik (2, 8, 10, 11, 12,
13 und 15), Biologie (1, 2 und 6), Ethnologie (3), Religion (12 und 14) und Medizin
(4, 7, 14 und 16) behandelt. Diese Argumente werden im Laufe dieser Arbeit
noch genauer diskutiert werden. Besonders wichtig für die Bewertung der Be-
deutsamkeit der Schrift sowohl in der Antike als auch in der Gegenwart ist die
Überschrift des Traktats: πρὸς τοὺς ἀπεχομένους τῶν σαρκῶν3. Dieser Titel bringt
zwei Fragen mit sich: ob die Stelle wirklich eine Titelangabe ist, und wie man sie
treffend übersetzen kann.
Erstens ist es in der modernen Forschung umstritten, ob πρὸς τοὺς
ἀπεχομένους τῶν σαρκῶν der eigentliche Titel des Traktats oder nur eine kurze
Angabe über den Inhalt ist. Aus dem Kontext kann man beide Interpretationen
entnehmen, und die modernen Editoren und Kommentatoren sind sich in diesem
Punkt nicht einig. Denn durch eine Auswertung ihrer Meinungen ist festzustel-
len, dass diejenigen, die DA übersetzt haben, diese Passage als eine Angabe des
Porphyrios über das Thema des Fragments interpretierten, während jene, welche
das Fragment aus verschiedenen Gründen in ihren Monographien analysieren,
dazu tendieren zu behaupten, dass die fragliche Wortgruppe der Titel der Schrift

3 Siehe Kapitel 1.2.2 für die ganze Stelle.


22   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

ist, aus der das Fragment stammt4. Der einzige aber, der seine Meinung zum
Thema begründet, ist Bernays 1866, 141. Er ist der Ansicht, dass die Stelle als
Titel der Schrift verstanden werden muss, um einem tautologischen5 Eindruck
der gesamten Passage (1.3.3) zu entgehen. Dafür schlägt er zusätzlich eine neue
Interpunktion der Passage vor. Obwohl in dieser Arbeit der Vorschlag bezüglich
der Interpunktion nicht angenommen wird, kann man trotzdem das Argument
von Bernays problemlos anführen, um zu behaupten, dass in dieser Passage eine
Tautologie vorhanden ist. Diese verschwindet, wenn man πρὸς τοὺς ἀπεχομένους
τῶν σαρκῶν als Überschrift des Textes versteht. Als ein weiteres Argument ist
anzuführen, dass die Formel πρὸς + ein Partizip, das eine Gruppe beschreibt, als
Überschrift von vergleichbaren paränetischen Schriften in zahlreichen Varianten
vorhanden ist6. Dieses Werk ist in der Antike keineswegs das einzige, welches den
Fleischverzehr und die Nutzung von Tieren rechtfertigt. Es ist hingegen durch-
aus das einzige überlieferte Werk, wenn auch nur fragmentarisch, das sich aus-
schließlich und durchgehend mit dem Thema beschäftigt.
Zweitens ist die Entscheidung, die Überschrift mit der Übersetzung Gegen
die Vegetarier wiederzugeben, aus verschiedenen weiteren Gründen angemes-
sen. Erstens ist sie syntaktisch korrekt, da sich die partizipiale Konstruktion οἱ
ἀπεχόμενοι τῶν σαρκῶν aufgrund der Anwesenheit der bestimmten Artikel nomi-
nalisiert übersetzen lässt. Die Übersetzung ist ebenso sinngemäß: Das Wort „Vege-
tarier“ steht hier als Terminus, der den übergeordneten Begriff „der, der sich des

4 Diejenigen, die den Auszug als Titel betrachten, sind: Haußleiter 1935, 288 Gegen die Verächter
der Fleischkost; Bernays 1866, 12 Gegen die der Fleischspeisen sich Enthaltenden; Teuffel 1916, 507
stimmt mit Bernays überein. Diejenigen, die die Stelle als einen Kommentar über den Inhalt des
Textes verstehen, sind: Baltzer 2004, 30; BP 1977, 44; Clark 2000, 32; Die Meinung von Bentley
1971, 304 ist unklar: Clodius iste Neapolitanus librum composuit adversus eos, qui carne abstine-
rent. Dieser Brief von Bentley wird im Kapitel 1.1.2 diskutiert.
5 Die von Bernays erwähnte Tautologie muss als die Wiederholung der folgenden Passa-
gen verstanden werden: „τῇ ἀποχῇ τῶν ἐμψύχων“, „πρὸς τὴν Πυθαγόρου καὶ Ἐμπεδοκλέους
φιλοσοφίαν“ und „τοὺς ἀπεχομένους τῶν σαρκῶν“. Alle drei Stellen sind Termini, die entweder
die Vegetarier oder den Vegetarismus ausdrücken.
6 Wie z.  B.: Galenus Med.: Adversus eos qui de typis scripserunt vel de circuitibus: ΠΡΟΣ
ΤΟΥΣ ΠΕΡΙ ΤΥΠΩΝ ΓΡΑΨΑΝΤΑΣ Η ΠΕΡΙ ΠΕΡΙΟΔΩΝ ΒΙΒΛΙΟΝ und De venae sectione adver-
sus ­Erasistrateos Romae degentes: ΠΕΡΙ ΦΛΕΒΟΤΟΜΙΑΣ ΠΡΟΣ ΕΡΑΣΙΣΤΡΑΤΕΙΟΥΣ ΤΟΥΣ ΕΝ
ΡΩΜΗ. Johannes Chrysostomus: Contra eos qui subintroductas habent virgines: ΔΙΔΑΣΚΑΛΙΑ
ΚΑΙ ΕΛΕΓΧΟΣ ΠΡΟΣ ΤΟΥΣ ΕΧΟΝΤΑΣ ΣΥΝΕΙΣΑΚΤΟΥΣ und Adversus oppugnatores vitae monas-
ticae: ΠΡΟΣ ΤΟΥΣ ΠΟΛΕΜΟΥΝΤΑΣ ΤΟΙΣ ΕΠΙ ΤΟ ΜΟΝΑΖΕΙΝ ΕΝΑΓΟΥΣΙΝ. Gregorius Nyssenus:
Adversus eos qui castigationes aegre ferunt: ΠΡΟΣ ΤΟΥΣ ΑΧΘΟΜΕΝΟΥΣ ΤΑΙΣ ΕΠΙΤΙΜΗΣΕΣΙ.
Basilius Caesariensis: Adversus eos qui per calumniam dicunt dici a nobis tres deos, ΠΡΟΣ ΤΟΥΣ
ΣΥΚΟΦΑΝΤΟΥΝΤΑΣ ΗΜΑΣ, ΟΤΙ ΤΡΕΙΣ ΘΕΟΥΣ ΛΕΓΟΜΕΝ. Diese Titel wurden durch eine Unter-
suchung im TLG am 8. 2. 2016 gefunden.
 Die Schrift Gegen die Vegetarier, der unbekannte Klodios aus Neapel   23

Fleisches enthält“ ausdrückt. Es herrscht in den modernen Wörter­büchern beinahe


überall der Konsens vor, dass die Bedeutung des Wortes „Vegetarier“ durch zwei
Merkmale erklärt werden kann: Das eine ist der Verzicht auf Fleischverzehr, das
andere die Bevorzugung der pflanzlichen Kost7. Derjenige, der sich des Fleisches
enthält, kann als Vegetarier bezeichnet werden. Also lässt sich ὁ ἀπεχόμενος τῶν
σαρκῶν auch als „Vegetarier“ übersetzen. Außerdem ist der Terminus pragmatisch
in der Fachliteratur zu finden. Im Kontext der modernen Fachdiskussion der Flei-
schenthaltsamkeit in der Antike werden die Termini „Vegetarismus“ und „Vegeta-
rier“ überwiegend verwendet, um die Lehre der Enthaltsamkeit von fleischlicher
Nahrung und ihre Anhänger zu beschreiben8. Auf diese Weise kann man vermei-
den, dass die verschiedenen Übersetzungen, wie sie bisher aufgetaucht sind9, das
Verständnis des Begriffs behindern. Ein weiterer Grund, der diese Übertragung
rechtfertigt, ist, dass der Ausdruck „οἱ ἀπεχόμενοι τῶν σαρκῶν“ eindeutig eine
soziale Gruppe bezeichnet, wie in der Einleitung besprochen wurde. Außerdem
verleiht der Terminus „Vegetarier“ der Übersetzung eine gewisse Aktualität.
Das erste Kapitel ist folgendermaßen untergliedert: Zuerst wird die Rezeption
des Klodios aus Neapel in der modernen Philologie in Kapitel 1.1.2 dargestellt.
Dann wird die Zitierweise des Porphyrios in Unterkapitel 1.1.3 diskutiert. Des Wei-

7 Hier folgt eine Liste der Einträge des Wortes „Vegetarier“ bzw. „Vegetarismus“ in wichtigen
Wörterbüchern einiger westlicher Sprachen: Oxford English Dictionary: A person who abstains
from eating animal food and lives principally or wholly on a plant-based diet. „vegetarian, n. and
adj.“ OED Online. Oxford University Press, June 2014. Web. 9. 9. 2014.; Merriam-Webster: A per-
son who does not eat meat or fish, and sometimes other animal products, especially for moral,
religious, or health reasons. „vegetarian.“ Merriam-Webster.com. Merriam-Webster, 2014. Web.
9. 9. 2014 http://www.merriam-webster.com/dictionary/vegetarian; Le Robert: qui ne mange pas
la chair des animaux (vegétarisme). „végétarien, végétarienne.“ in Dictionaires Le Robert, 2014.
Web 2.9.14; Langenscheidt: der;-s, jemand, der kein Fleisch und Fisch isst und manchmal sogar auf
tierische Nahrungsmittel (Milch, Eier etc.) überhaupt verzichtet. „Vegetarier“ in Langenscheidt
Online, 2014. Web 9.9.14; Meyers: Ernährungsweise. die ausschließlich rein pflanzl. Kost gelten
lässt und alle tier. Produkte ablehnt (strenger V.); eine gemäßigtere Form ist der Lakto-V, der neben
pflanzl. Kost auch tier. Produkte, wie Eier, Milch und Milcherzeugnisse zuläßt. „Vegetarismus“
­Meyers enzyklopädisches Lexikon. Lexikon Verlag. Mannheim, Wien, Zürich, 1979. Der Duden
bildet eine Ausnahme in diesem Zusammenhang und liefert eine unbefriedigende, bzw. unvoll-
ständige Definition des Vegetariers, nämlich jmd., der sich [vorwiegend] von pflanzlicher Kost
ernährt. Der Duden 1984: Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden.
8 Einige akademische Monographien, die diese Termini anwenden, sind: Haußleiter 1935, BP
1977; 1979, Dombrowski 1984, Sorabji 1993, Spencer 1995, Dillon 2003, Clark 2000, Baltzer 2004
und Clark 2011. Bernays 1866, 2 spricht hingegen von einer „vegetabilischen Diät“.
9 Einige der bisherigen Übersetzungsvorschläge in der deutschen Sprache für οἱ ἀπεχόμενοι τῶν
σαρκῶν sind: Die Nichtfleischesser (Baltzer 2004, 30); die Verächter der Fleischkost (Haußleiter
1935, 288); Die der Fleischspeisen sich Enthaltenden (Bernays 1866, 12).
24   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

teren wird eine ausführliche Diskussion der Literatur über die Zuschreibung des
Inhalts der Schrift Gegen die Vegetarier in Unterkapitel 1.1.4 geboten. Abschlie-
ßend enthält das Unterkapitel 1.2 eine kommentierte Übersetzung der Schrift be-
gleitet von einer neuen kritischen Edition des griechischen Texts.

1.1.2 Klodios aus Neapel in der modernen Philologie

Dieses Kapitel dient dazu, ein wenig Licht auf die Rezeption der eher obskuren
Figur des Klodios aus Neapel zu werfen. Das Leben und die Werke der besser be-
kannten Philosophen Herakleides Pontikos und Porphyrios aus Tyros sollen hin-
gegen in den Unterkapiteln 2.1.1 und 2.1.3 behandelt werden. Hauptaugenmerk
wird an dieser Stelle auf die moderne Diskussion über Klodios in Bezug auf die
Frage der Autorschaft gelegt. Die Identifizierung des Klodios aus Neapel mit einer
anderen historischen Person ist nicht nur schwierig, sondern sogar unmöglich,
da die wenigen überlieferten Angaben über sein Leben und Werk nicht ausrei-
chend sind, um eine solide Hypothese zu untermauern. Vielversprechender ist
es, Charakteristika wie Herkunft, Beruf und intellektuelle Interessen des Autors
hervorzuheben. Die moderne Philologie hat sich weder besonders stark mit der
Frage der Autorschaft von Klodios aus Neapel noch mit seiner Schrift beschäf-
tigt. Deswegen werden die sowohl wichtigen als auch wenigen Beiträge in diesem
Kapitel ausführlich diskutiert.
Zugunsten einer besseren Übersichtlichkeit sollen zuerst die drei überliefer-
ten Testimonia über Klodios aus Neapel präsentiert werden:

Testimonium 1 (DA 1.3.3) (T1)


„und viele von den Gelehrten, und ein gewisser Klodios aus Neapel hat ein Buch
Gegen die Vegetarier veröffentlicht.“10

Testimonium 2 (DA 1.26.4) (T2)


„ Solcherart sind sowohl (die Darlegungen) bei Klodios als auch bei Herakleides
Pontikos, bei Hermarchos dem Epikureer, bei den Stoikern und bei den Peripate-
tikern, in welchen auch eure (Argumente) erfasst sind, soweit sie uns berichtet
worden sind.“11

10 „τῶν τε φιλολόγων συχνοί, καὶ Κλώδιός τις Νεαπολίτης πρὸς τοὺς ἀπεχομένους τῶν σαρκῶν
βιβλίον κατεβάλετο.“
11 „Τοιαῦτα μὲν καὶ τὰ παρὰ Κλωδίῳ, καὶ Ἡρακλείδῃ τῷ Ποντικῷ, Ἑρμάρχῳ τε τῷ Ἐπικουρείῳ, καὶ
τοῖς ἀπὸ τῆς στοᾶς καὶ τοῦ περιπάτου, ἐν οἷς καὶ τὰ ὑμέτερα, ὅσα ἡμῖν ἀπηγγέλθη, περιείληπται.“
 Die Schrift Gegen die Vegetarier, der unbekannte Klodios aus Neapel   25

Testimonium 3 (Fragment von Porphyrios, Zeilen 17–18. Callanan 1995) (T3)


„Klodios aus Neapel hat auf folgende Weise die vorliegenden (Wörter) interpre-
tiert: Luft, Meer, Erde, Sonne.“12

Bemerkenswert ist, dass Klodios in der gesamten antiken Literatur nur von Por-
phyrios zitiert wird. Der neuplatonische Philosoph selbst weist aber sein Publi-
kum darauf hin, dass dieser Klodios unbekannt ist, indem er das Indefinitprono-
men τις zwischen seinen Namen und das Orts-Epitheton stellt (T1). Sein Name ist
auch nicht besonders aussagekräftig, um weitere Information über ihn zu gewin-
nen, da leider der Name Κλώδιος bzw. die lateinische Variation Clodius so häufig
in der römischen Literatur auftaucht, dass „der Eigenname seine bezeichnende
Kraft verliert“13. Die Nennung des Epithetons Νεαπολίτης in Verbindung mit dem
Eigennamen und einigen Auszügen des Fragments lässt vermuten, dass es sich
um jemanden handelt, der in einem römischen Milieu geboren ist, obwohl der
Traktat auf Griechisch geschrieben ist14.
Pépin 1992, 478–501 hat bereits gezeigt, wie der Terminus philologus eine ne-
gative Konnotation im Vergleich zu dem Begriff philosophos im Umfeld des Por-
phyrios hatte. Die Grundlage dieser Argumentation liegt in Vita Plotini 14, die von
Porphyrios verfasst wurde, wo Plotin den Longinus als Philologen, aber nicht als
Philosophen bezeichnet. Dies zeigt, im Lichte des Vergleichs zwischen den Mei-
nungen der Philosophen und denen der Philologen in DA 1.3.3, dass Porphyrios
die Positionen separat analysieren wird, die er für philosophisch, und die, die er
für weniger durchdacht hält, wie die spätere Einführung der Meinung des Klodios
aus Neapel bestätigt: „Schließlich muss hier angeführt werden, was der gemeine
und volkstümliche Mensch zu sagen gewohnt ist. “ (DA 1.13.1).
Der Auftakt der Frage der Autorschaft ist in der Epistola ad Joannem Millium,
die im Jahr 1691 von Bentley geschrieben worden ist, zu finden. Der englische
Philologe edierte ein Fragment des Porphyrios (T3 ist ein Auszug davon), in dem
Klodios aus Neapel zitiert wurde. Der Text handelt von den Interpretationen ver-
schiedener Wörter, die angeblich magische Wirkungen hätten15. Klodios’ Beitrag
zum Thema ist eine Interpretation der Wörter βέδυ, ζάψ, χθώ, und πλῆκτρον als

12 „Κλώδιος δὲ ὁ Νεαπολίτης οὕτως ἡρμήνευσεν τὸ προκείμενον· ἀήρ· θάλασσα· γῆ· ἥλιος.“


13 Vgl. Bernays 1866, 10.
14 Bernays 1866,10 ist der Meinung, dass es sich bei dem Fragment nicht um eine Übersetzung
des Porphyrios handelt, sondern um Exzerpte eines auf Griechischen verfassten Textes.
15 Seit 1691 gab es keine neue Edition von diesem Fragment, weil das einzige Manuskript, das
diesen Text enthielt, angeblich verschwunden war. Callanan aber fand im Manuskript Bodl. Gr.
Barocci 50 den Text und löste somit den Fall. Eine ausführliche Diskussion des Fragments sowie
eine moderne kritische Edition des Textes wurde von Callanan 1995 vorgelegt.
26   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

Luft, Meer, Erde und Sonne (ἀήρ· θάλασσα· γῆ· ἥλιος). Bentley stellt die Verbin-
dung zwischen diesem Fragment und der Stelle 1.3.3 in DA her16, und er behaup-
tet, dass dieser Klodios aus Neapel derselbe sei wie derjenige, welcher ein Buch
gegen die Vegetarier geschrieben habe. Callanan 1995, 217–18 argumentiert, dass
das gesamte Porphyrios-Fragment eine Epitome, d.  h. eine Zusammenfassung
von verschiedenen Quellen, sei. Die Klodios-Passage (T3) bildet keine Ausnahme
und sollte als eine Zusammenfassung einer verlorenen Schrift des Neapolitaners
interpretiert werden.
Später liefert Karl Müller in seinen Fragmenta historicorum Graecorum einen
weiteren Beitrag zur Diskussion, indem er dem Clodius Neapolitanus ein Kapitel17
widmet. Bis heute ist dieses der einzige Beitrag (Einträge in Enzyklopädien und
Fragmentsammlungen sowie eigenständige Bücher und Aufsätze eingeschlos-
sen), der sich ausschließlich mit Klodios aus Neapel beschäftigt. Die Leistung
von Müller war es, den Klodios aus dem Fragment, das Bentley ediert hatte (T3),
nicht nur mit DA 1.3.3 (T1), sondern auch mit DA 1.26.4 (T2) in Verbindung zu
setzen. Außerdem zieht er in Erwägung, dass Klodios aus Neapel und ein ge-
wisser Sextus Klodios, der ein Buch über die Götter geschrieben habe, dieselbe
Person seien. Am Ende tendiert er jedoch zu der Meinung, dass dieser Sextus
Klodios nicht der Neapolitaner sei, sondern derjenige, von dem Sueton und Cicero
berichteten18.
Ausführlicher als Bentley und Müller war Bernays in seinem Buch Theophras-
tos’ Schrift Über Frömmigkeit (Bernays 1866, 9–13; 141–143). Bernays’ Beitrag war
es, den Inhalt der Schrift Gegen die Vegetarier kritisch zu analysieren und einige
historische Fakten richtig zu erkennen. Entscheidend für ihn sind in dieser Hin-

16 Bentley 1971, 304: „Clodius iste Neapolitanus librum composuit adversus eos, qui carne
abstinerent; ut testis est ipse Porphyrius περὶ ἀποχῆς ἐμψυχῶν· neque alius quisquam illius
meminit, quod sciam. Fidem id facit, minime ψευδεπίγραφα haec esse, sed ex Porphyrio bona
fide excerpta.“
17 Vgl. Müller 1885, 364–365 fragm. hist. (Vol. 4): „Clodius Neapolitanus ab eodem Porphyrio lau-
datur in fragmento quod ex manuscr. Oxoniensi communicavit Bentleius in Epistol. ad Millium
p.49 Ox,. ubi postquam de interpretatione verborum κναξζβὶ, χθύπτης, φλεγμὼ, δρὸψ exposue-
rat, pergit: (…). Eundem Clodium non addita nota patriae citat Porphyrius De abstin. 1.26,
ubi ex eo refert Pythagoricos in sacrificiis non prorsus abstinuisse animatis.“
18 Vgl. Müller 1885, 364–365 fragm. hist. (Vol.4):„Quaeritur an diversus sit Sextus Clodius, qui
De diis graece scripsit teste Arnobio Adv. gent. V, 18: Faunam igitur Fatuam, Bona quae dicitur
dea, transeamus, quam myrteis caesam virgis, quod marito nesciente seriam meri ebiberit plenam,
Sextus Clodius indicat sexto De diis graeco. Cf. Lactantius De fals. rel. 1.22: Sextus Clodius in eo
libro quem graece scripsit, refert Fauni hanc (Fatuam) uxorem fuisse. Fortasse hic est Sextus
Clodius, e Sicilia, Latinae simul Graecaeque eloquentiae professor, cui Antonius duo millia
jugerum campi Leontini assignavit.“
 Die Schrift Gegen die Vegetarier, der unbekannte Klodios aus Neapel   27

sicht die folgenden Passagen: DA 1.25.8, in welcher die Belagerung von Kyzikos
durch Mithridates19 im Jahr 73 v. Chr. erwähnt wird; DA 1.25.4, welche die Tötung
von Bogos, König der Mauretanier, im Jahr 31 v. Chr. durch Agrippa in Methone
berichtet20; und DA 1.17.2, die von dem Haussklaven eines Arztes namens Kra-
teros spricht, der denselben Namen wie der Hausarzt von Marcus Pomponius
Atticus trägt21. Aufgrund der ungefähren Datierung der erwähnten Ereignisse
der Schrift  – das erste Jh. v. Chr. – behauptet Bernays, dass die Identifizierung
mit Sextus Klodios22, dem Redner und Lehrer von Antonius, richtig sei. Des Wei-
teren ist er der Überzeugung, dass der Sextus Klodios, der die Schrift Über die
Götter verfasst hat, auch derselbe wie Klodios aus Neapel sei, da beide Schrif-
ten thematische Ähnlichkeiten aufwiesen. Für Bernays 1866, 141, 142 ist die
Angabe Suetons, dass Sextus Klodios aus Sizilien käme, weder vertrauens-
würdig noch sei sie wichtig für die Zuordnung, da in der Literatur viele Bei-
spiele von Autoren vorkämen, die ihre Heimatstädte nicht als Ethnikon geführt
hätten.
Die moderne Forschung hat sich ihrerseits entweder der Meinung von
Bernays angeschlossen oder ihr widersprochen. Auf der einen Seite akzeptie-
ren Brzoska, Haußleiter und BP die Aussage von Bernays, auf der anderen sind
Kaster, Callanan und Clark skeptisch in Bezug auf eine definitive Behauptung
die Autorschaft betreffend. Während Haußleiter 1935, 29323 und BP 1977, 2524 sich
komplett mit der Identifizierung zufrieden geben und sogar weitere Argumente

19 Wie auch Plutarch Lucullus 10–11 und Appian Mithridatica 75.323–4 berichten.
20 Siehe Kapitel 1.1.1.
21 Cicero ad Att. 12.13.1, 12.14.4; Horaz Serm. 2.3.161. Dieser Atticus ist nicht Titus Pomponius
Atticus, der berühmte Korrespondent von Cicero.
22 Sextus Klodios aus Sizilien war nach dem Zeugnis von Sueton (De Gramm. 29) ein Lehrer
sowohl für griechische als auch für lateinische Rhetorik. Seine Beziehung zu Antonius als Lehrer
und Freund ist sowohl bei Sueton als bei Cicero belegt, siehe Sueton De Gramm. 5 und Cicero
Phil. 2.17, 3.9. Sueton erwähnt gleichfalls das medizinische Detail, dass die Sehkraft des Sextus
eingeschränkt gewesen sei.
23 Haußleiter ist überzeugt, dass Klodios aus Neapel in der Religionslehre bewandert gewesen
sei und es deswegen richtig sei, ihn mit Sextus Klodios zu identifizieren, der das Buch Über die
Götter geschrieben hat. „Entscheidender als diese Einzelbeobachtungen spricht für die Verfas-
serschaft des Clodius der Umstand, man nach Bernays (S. 11) in dem Rhetor den Sextus Clodius
erkannt hat.“
24 „Si Héraclide Pontique est bien connu, Clodius, en revanche, est un personnage beaucoup
plus obscur. Le rapprochement avec Sextus Clodius, rhéteur sicilien dont Marc-Antoine fut
l’élève, écrivant aussi bien en grec qu’en latin a très heureusement été fait par J. Bernays.“ Au-
ßerdem argumentieren BP 1977, 27, dass die Stelle 1.17 passend für Sextus Klodios sei, weil die
Rede von einer Augenkrankheit handele. Sextus Klodios wäre selber, wie oben angedeutet, ‘male
oculatus’ laut Sueton De Gramm. 29.
28   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

dafür anführen, sind in der Darstellung von Brzoska (RE IV 1901, 66–67)25, Spuren
von Zweifel zu erkennen. Clark 2000, 12326 hingegen ist an einer Darstellung der
Problematik der Autorschaft interessiert, liefert aber kein neues Argument für
oder gegen die genannte Autorschaft, obwohl sie klar ausdrückt, dass es keinen
positiven Beweis für die Identifizierung gibt. Des Weiteren lehnt Callanan 1995,
29727 die Identifizierung des Sextus Klodios aufgrund der Herkunftsangabe ab
und weil Sextus Klodios ein berühmter Redner war. Seiner Meinung nach
würde man eine deutlichere Identifizierung erwarten, falls die beiden die-
selbe Person wären. Schließlich äußert sich Kaster 1995, 308 als Spezialist für
Sueton, eine wichtige Quelle für diese Debatte. Er ist nicht davon überzeugt,
dass der Neapolitaner und Sextus Klodios dieselbe Figur sind, weil die Identi-
fizierung durch eine bloße Koinzidenz des Namens nicht ausreichend sei. Noch
dazu sollte das Ethnikon ein relevantes Indiz für den Zweifel an der Autorschaft
sein28.
Der Versuch der historischen Identifizierung von Klodios aus Neapel wird
in dieser Arbeit nicht verfolgt. Dies liegt an mangelnden Hinweisen für eine
sichere Identifizierung. Viel mehr an Erkenntnis über Klodios und sein Werk
gewinnt man, wenn er als ein eigenständiger Autor anerkannt wird, der einen
Beitrag zur Geschichte der Ethik, Tierethik, Diätetik und des Vegetarismus ver-

25 „Unserm C. teilt Bernays Theophrastos’ Schrift über die Frömmigkeit, Berlin 1866, 10  ff. 141  f.
die im ersten Buche von Porphyrios’ Schrift über Enthaltsamkeit von Fleischnahrung bezeug-
te Schrift eines Κλώδιός τις Νεαπολίτης πρὸς τοὺς ἀπεχομένους τῶν σαρκῶν (p. 87, 10 Nauck)
zu mit dem Bemerken, dass die abweichenden Angaben über die Herkunft kein entscheidender
Grund gegen die Identificierung (sic.) seien.“
26 „This might be only a biographer’s deduction from Mark Antony’s gift to him of tax-free Si-
cilian land (Cicero, Philippics 2.43), but there is no positive evidence to identify him with the
unknown Clodius the Neapolitan.“
27 „In addition there is the small matter that the sources are unanimous in making him a Sici-
lian. Bernays claims that this is no real argument, but he does not explain why it should not be.
Besides, Sextus Clodius was so well known that, if he were indeed meant, one would wonder
firstly why there are no other citations of these works and secondly why Porphyry introduces him
as if he expected the reader not to have heard of him.“
28 „More dubious is the identification of C. with the Κλώδιός τις Νεαπολίτης cited at Porph. De
abst. 1.3, as a φιλόλογος and author of an anti-vegetarian tract, and (as Κλώδιός ὁ Νεαπολίτης)
in the frag. of Porph. quoted by Bentley in the Epist. ad Joanemm Millium (ed. Goold (Toronto,
1962), 90), for interpretations of the words βὲδυ, ζάψ, χθώ, and πλῆκτρον (cf. Clem. Alex. Strom.
5.8.46–48). The historical data apparently drawn from this Clodius at De Abst. 1.3–26 would be
chronologically consistent with the identification, but the bare nomen is too common to provide
much support, and the epithet Νεαπολίτης gives cause for doubt (pace Bernays, Theophrastos’
Schrift ‘Über Frömmigkeit’ (1866), 10 ff., 141  f.; Della Corte’s suggestion, 105, that Νεαπολίτης tout
court could refer to the so-called Νέα Πόλις of Syracuse is improbable).“
 Die Schrift Gegen die Vegetarier, der unbekannte Klodios aus Neapel   29

fasst hat. Nichtsdestotrotz sind viele von den Hinweisen von Bernays und von
den anderen Gelehrten hilfreich, um ein erweitertes Bild von Klodios aus Neapel
zu konstruie­ren. Besonders bedeutend sind die Anmerkungen, die auf eine Da-
tierung seiner Lebenszeit hinweisen. Dadurch kann man sagen, dass er zwischen
dem 1.  Jh.  v. Chr. und dem 1 Jh. n. Chr. gewirkt hat. Nicht zu unterschätzen ist
ebenfalls die Tatsache, dass es in der berühmten Stadt am Golf von Neapel eine
aktive und beachtliche griechische Gemeinschaft gab, in der die philosophische
Debatte eine wichtige Rolle gespielt hat29. Der intellektuelle Kontext, in dem
Klodios aktiv war, wird im Kapitel 2.1.2 dargestellt, in dem ein allgemeines Bild
der Diskussion um den Vegetarismus im 1. Jh. v. Chr. und n. Chr. dargestellt wird.
Letzlich ist es nur möglich, die Wirkung des Werkes des Klodios völlig zu verste-
hen, wenn der politische und kulturelle Kontext, in welchem er sich befunden
hat, erläutert wird. Denn der Text ist größtenteils ein dialektisches Werk, das
sich also auf mehrere Anhaltspunkte bezieht, wie im zweiten Kapitel ausführlich
gezeigt wird. Ein griechischer Philologos, der sich aktiv gegen die aufsteigende
vegetarische Haltung in der römischen Elite einsetzt, ist das Bild, das man von
Klodios aus Neapel skizzieren kann.

1.1.3 Porphyrios und seine Zitierweise

1.1.3.1 Fragmente als Ausdruck des zitierten und des zitierenden Autors


Nachdem die Themen und die möglichen Autoren der Schrift vorgestellt wurden,
wird nun die Zitierweise des Porphyrios näher besprochen. Diese Sektion zielt
darauf ab zu zeigen, auf welche Weise Porphyrios seine Quellen in der ersten
Hälfte des ersten Buches von DA zitiert hat. Der Ausgangspunkt dieser Diskussion
ist die Annahme, dass sowohl Klodios aus Neapel als auch Herakleides Pontikos
als Textwiedergaben von Porphyrios zu verstehen sind. Das heißt, man spricht
nicht über eine direkte Überlieferung, sondern von einer, die zwangsweise eine
Intervention von Porphyrios erfahren hat, indem er die Stellen nicht nur übertra-
gen hat, sondern auch bewusst aus dem originalen Kontext herausgenommen
und in einen neuen Zusammenhang eingefügt hat. Der zitierende Autor drückt
sowohl durch seine Wahl der Passagen als auch seinen Stil seine Beziehung zum
Text aus. Der zitierte Text wird also als Fragment oder mit einem neuem Begriff
als „Text Re-use“ bezeichnet (Berti 2013, 269), während der zitierende Autor als

29 Insbesondere waren die Epikureer unter den Leitfiguren Siron in Neapel und Philodemos in
Herculaneum in der Region stark vertreten (Glad 1995, 102–103). Haußleiter 1935, 288; 295 ist der
Meinung, dass Klodios von der epikureischen Philosophie beeinflusst wurde.
30   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

Zeugnis betrachtet wird (Berti et. al 2009, 259). Nicht einmal eine Passage, die
genau wörtlich von einem anderen Text zitiert wird, ist vollkommen unabhängig
von dem Autor, der zitiert. Denn sie wird in einen neuen Kontext eingebettet. Der
Akt des Zitierens sagt etwas sowohl über den zitierenden Autor aus als auch über
den, der zitiert wird. Darbo-Peschanski 2004, 9 definiert das Phänomen des Zitie-
rens auf die folgende Weise:

„La citation constitue une espèce du discours rapporté, c’est-à-dire du discours dans
lequel l’énoncé vise à communiquer ce que pense ou dit quelqu’un d’autre. On l’a définie
comme ‘un énoncé répété et une énonciation répétante’ ou comme ‘énoncé à énoncia-
tion reproduite’ ce qui met en exergue son trait fondamental qui est, comme le dit A.
Compagnon, d’être marquée par ‘l’ambivalence, la collusion, la confusion de l’actif et du
passif’.“

Das Fragment als Produkt einer Zitation oder breiter verstanden als Produkt eines
Text Re-use erzeugt oft Zweideutigkeit und Verwirrung des Agens, der die Idee
ausdrückt, wie Darbo-Peschanski notiert. Wie kann man dann mit Fragmenten
umgehen, um diese Undeutlichkeit zu verringern? Der einzige Weg, sich mit Si-
cherheit mit Fragmenten auseinanderzusetzen, ist es anzuerkennen, dass diese
als Wiedergabe des zitierenden Autors verstanden werden müssen. Das heißt, je
ausführlicher der Kontext des Textes, in dem das Fragment eingebettet ist, erklärt
und ergänzt wird, desto klarer wird für den Leser, welche Bezüge ein bestimmtes
Fragment zu dem Text besitzt, in dem es überliefert ist. Sogar der Terminus Frag-
ment selbst wird heutzutage in Frage gestellt aufgrund der unsicheren Zi­ta­tions­
kultur der Antike, worauf Magny 2014, 20; 27–33 hinweist. Das heißt, die Kon-
textualisierung des Textes, in dem das Fragment erhalten ist (auch cover-text30
genannt), bekommt eine übergeordnete Bedeutung und muss bei jeglicher Suche
nach Ideen, die hinter einem Fragment stecken, vorhanden sein (Magny 2014,
21–23).
Fragmentarische Autoren, also Autoren, die keine direkte Überlieferung be-
sitzen, sondern nur über Zitate in Werken anderer Autoren bekannt sind, sind
maßgebend für das Verständnis von verschiedenen Bereichen der Antike. Laut
einer Untersuchung von Berti 2009 et. al. sind 59 % der antiken Autoren nur in
fragmentarischem Zustand erhalten, während 29 % eine direkte Überlieferung
besitzen und 12 % sowohl indirekt als auch direkt überliefert wurden. Diese
Zahlen zeigen, dass die Auseinandersetzung mit solchen Texten für das Begrei-
fen der verschiedenen Lebensformen der Antike trotz ihrer inhärenten Schwie-

30 Siehe Schepens 1997, 166.


 Die Schrift Gegen die Vegetarier, der unbekannte Klodios aus Neapel   31

rigkeiten notwendig ist. Wegbereiter für einen verantwortungsvollen Umgang


mit Fragmenten sind die bereits existierenden Studien, die Fragmente innerhalb
ihrer Kontexte präsentieren und analysieren31. Denn jede Gattung und genau
genommen jeder Autor zeigt eine besondere Art und Weise, andere Werke wie-
derzugeben. Magny 2014, 150 hat den idealen Umgang mit Fragmenten in ihrem
Buch über Fragmente des Porphyrios bei Eusebius, Hieronymus und Augustinus
im folgenden Satz zusammengefasst:

„Upon using the method of contextualization to recover fragments from Eusebius, Jerome
and Augustine, it became evident that the methodology for fragment collecting needed to
be adapted to each individual author, and that there was no straightforward approach to the
problem of recovering a lost work, which survives in a polemical context.“

Diese Arbeit strebt also zwei Ziele an: Im ersten und zweiten Kapitel wird beab-
sichtigt, eine Rekonstruktion der Schrift Gegen die Vegetarier, die nur als Wie-
dergabe von Porphyrios erhalten ist, anzubieten. Diese Aufgabe zielt darauf ab,
die möglichen Kontexte der Wirkung der von Porphyrios genannten Quellen für
die Schrift – Herakleides Pontikos und Klodios aus Neapel – zu erarbeiten. Im
dritten Kapitel wird dann die Relevanz des zitierten Texts für die Argumentation
des zitierenden Autors, Porphyrios, diskutiert. Denn es wird sich zeigen, dass
auschlaggebende Aspekte der Meinung des Porphyrios zum Thema Tierethik in
direkter Auseinandersetzung mit den Texten, die er in sein Buch eingebettet hat,
entstanden sind. Damit werden alle kontextuellen Ebenen, auf die die Schrift
Gegen die Vegetarier bezogen ist, analytisch angesprochen.

1.1.3.2 Porphyrios’ Zitierweise
Es ist darauf hinzuweisen, dass Porphyrios Materialien anderer Autoren teils mit
eigenen Worten paraphrasiert, teils fast exakt abgeschrieben hat. Auslassungen
und Kürzungen sind ebenfalls vorhanden. Die Art und Weise, wie die Meinung
von anderen wiedergegeben wird, ist entscheidend, um zu erkennen, bei welchen
Passagen es sich um Zitate und bei welchen es sich um Zusammenfassungen
handelt. Generell wird für die erste Hälfte des ersten Buches gezeigt, dass wenn
Porphyrios die Meinungen von anderen durch Verben des Sprechens, gefolgt von
AcIs, einleitet, es sich um eine freie Paraphrase der Quellen handelt. Wenn er

31 Für diese Arbeit waren die Untersuchungen von Bernays 1866, Pötscher 1964, Salamon 2004,
Svenbro 2004, Darbo-Peschanski 2004, Berti 2009; 2013, Magny 2014 und Inowlocki 2006 be-
sonders wertvoll.
32   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

aber den Indikativ und die erste Person Plural oder Singular verwendet, lässt sich
annehmen, dass er die Quelle nahezu wörtlich zitiert32.
In der Regel wird DA wie ein Quellenbuch33 verwendet, da es zahlreiche
Zitate, Zusammenfassungen und Paraphrasen sowohl von verlorenen als auch
von erhaltenen Schriften enthält34. Clark rät jedoch von der Fragmentsuche bei
Porphyrios ab, da er für gewöhnlich das Vokabular seiner Quellen adaptierte35.
Nichtsdestotrotz gelingt es sowohl Bernays als auch später Pötscher, Fragmente
von Theophrasts Schrift Peri eusebeias, als auch Schwyzer 1932, Fragmente von
Chairemon erfolgreich zu exzerpieren. Von großer Bedeutung bezüglich der Fest-
stellung der Zuverlässigkeit von Porphyrios’ Zitierweise sind die Stellen, die auch
von anderen unabhängigen Zeugnissen geliefert werden. Von diesen ist das Zitat
des Josephus das bedeutendste, da es ausführlich mit Angabe des Buches und
Kapitels zitiert wird (DA 4.11.2–13.10). Bernays’ Urteil nach einem sorgfältigen Ver-
gleich der Texte36 lautet:

„Wie begründet nun auch der Wunsch ist, dass Porphyrios selbst in diesen wenigen Fällen
eine solche allzu geschickte Behandlung seiner Vorlage unterlassen hätte, und wie sehr
schon ein einziges Beispiel der Art zu kritischer Vorsicht mahnen müsste, so wäre es doch
unkritische Verdächtigungssucht, wollte jemand wegen jener zwei oder drei nicht bloß sti-
listischer Änderungen, die in einem vier Seiten langen Excerpt aufzuspüren sind, die all-
gemeine Zuverlässigkeit von Porphyrios’ Mittheilungen aus fremden Schriften in Zweifel
ziehen. Vielmehr lehrt eben die Confrontation mit Josephus, dass Porphyrios die stilistische
Redaction, die er ja an einer hervorstechenden Stelle seines Werkes ein für alle Mal ange-
kündigt hat, nicht allzu oft und durchgängig in untadliger Weise übt, tendenziöse Umbie-
gung der Worte hingegen überaus selten vorkommt und daher in Excerpten aus verlorenen
Schriften wo der äußere Nachweis unmöglich ist, nur auf die zwingendsten inneren Inzich-
ten (sic.) hin angenommen werden darf; als weitaus überwiegende Regel erweist sich eine
allseitig treue Wiedergabe. Und so dürfen wir diese denn auch getrost bei den Entlehnun-
gen voraussetzen, welche den noch zu überblickenden Theil von Porphyrios’ viertem Buch
einnehmen.“37

32 Siehe unten und insbesondere die Stelle DA 1.4.1–1.6.3, die mit Plutarchs De sollertia anima­
lium 963F-964B verglichen werden kann.
33 Vgl. z.  B. Clark 2000, 19: „Because of his working methods, the text has often been used not
as philosophy, but as a quarry for fragments of other writers.“
34 Eine ausführliche Darstellung und Diskussion von Porphyrios’ Quellen ist in der Budé-Edi­
tion von DA zu finden: BP 1977, 10–41 (erstes Buch), BP 1979, 10–50 (zweites Buch); 138–151 (drit-
tes Buch), Patillon und Segonds 1995, LVI–LIX (viertes Buch).
35 Die Meinung von Clark 2000, 20 lautet „Unless the text copied is available for comparison,
it would be most unwise ever to suppose that he has reproduced exactly and in full what his
source said.“
36 Für die ausführliche Analyse siehe Bernays 1866, 23–29; 152–155.
37 Siehe Bernays 1866, 28.
 Die Schrift Gegen die Vegetarier, der unbekannte Klodios aus Neapel   33

Ein weiteres Beispiel für ein nahezu wörtliches Zitat bei Porphyrios wurde von
Pötscher 1964, 1–14 herausgearbeitet. Die Auswertung des Vergleichs zwischen
DA 3.20–24 und Plutarchs de sollertia animalium 959E-963F ähnelt den Ergebnis-
sen von Bernays. Pötscher 1964, 12 fasst seine Ergebnisse auf folgende Weise zu-
sammen:

„1. Porphyrios übernimmt größere Abschnitte völlig wörtlich; 2. Er baut die Zitate in seinen
Text so ein, dass die andere literarische Form, nämlich die des Dialogs, durch die seinige,
die seinem Interesse besser entspricht, ersetzt wird; 3. Zu diesem Zweck sind auch Auslas-
sungen nötig; 4. Diese werden unter Verwendung von sprachlichen Elementen des Plutarch
überbrückt; 5. Besonders in der Nähe solcher Auslassungen sind auch andere Verände-
rungen im sonst wörtlichen Text zu verzeichnen; 6. In zwei Fällen sind Sätze ohne Ersatz
weggeblieben; 7. Porphyrios fügt auch kurze Bemerkungen bzw. Ergänzungen ein; 8. Die
Angabe des Zitates geschieht unter Verwendung von Elementen des zitierten Autors.“

Solche positiven Beispiele bedeuten in Hinsicht auf eine originalgetreue Wie-


dergabe der Quellen nicht, dass Porphyrios überall auf diese Art und Weise ex-
zerpiert. Andere nicht allzu originalgetreu wiedergegebene Passagen müssen
genannt werden. Clark 2000, 19–20 zählt die Passagen auf, in denen Porphyrios
in einer unbefriedigenden Weise seine Quellen wiedergibt bzw. identifiziert, wie
z.  B. DA 1.4.4–6.1 (ein unbennantes Plutarch-Exzerpt); DA 2.4.4, 3.1.4 und 3.18.1
(einfach als die „Alten sagen“ referiert); 2.36.5 („einige Platoniker sagen“) u.  a. Bei
der Suche nach Wiedergaben müssen die Stellen im Kontext analysiert werden.
Die Aufgabe von Pötscher und Bernays, nämlich die Fragmente von Theophrast
zu sammeln, wurde von Porphyrios selbst erleichtert, indem er seine Quellen
mehrfach namentlich zitierte und seine Methoden andeutete (DA 2.4.4):

„Und insgesamt werden wir die ganze vorliegende Untersuchung niederschreiben, indem
wir die einen Dinge selbst entdecken, die anderen Dinge von den Alten übernehmen, wobei
wir uns um Angemessenheit und eine dem Thema entsprechende Darstellung so gut wie
möglich bemühen werden.“38.

Unser Hauptinteresse in dieser Diskussion ist es jedoch festzustellen, inwiefern


Porphyrios eine konsequente Zitierweise in der ersten Hälfte des ersten Buches
beibehalten hat. Seine Herangehensweise an seine Quellen lässt sich an folgen-
den Passagen identifizieren (DA 1.3.2;4):

38 „καὶ ὅλως πᾶν τὸ παρακείμενον, τὰ μὲν αὐτοὶ ἐφευρίσκοντες, τὰ δὲ παρὰ τῶν παλαιῶν
λαμβάνοντες ἀναγράψομεν, τοῦ συμμέτρου καὶ οἰκείου τῇ ὑποθέσει στοχαζόμενοι κατὰ δύναμιν.“
34   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

„Daher schien es mir geraten, nicht nur darzulegen, wie sich unsere Position verhält,
sondern auch die Argumente der Gegner, die in Zahl, Macht und anderen Mitteln viel
stärker als eure sind, zu sammeln (συναγαγεῖν) und zu widerlegen.(…) Und die gemein-
samen und sachbezogenen Untersuchungen dieser Leute gegen die Lehre werde ich
zitieren (παραθήσομαι), wobei ich die Kritiken, die eigens an Empedokles gerichtet sind,
übergehen werde.39

In dieser Passage zeigt er, dass es eines seiner Ziele ist, nicht nur die Argumente
der Gegner zu sammeln, sondern diese auch zu zitieren (παρατιθέναι)40. Na-
türlich kann man nicht davon ausgehen, dass nur weil er angekündigt hat, die
Passagen zu zitieren, er dies auch wörtlich getan hat. Trotzdem ist es wichtig zu
unterstreichen, dass seine Intention für die erste Hälfte des ersten Buches ist, die
Meinung seiner Gegner wiederzugeben.
Die Quellen sind in drei große Gruppen unterteilt – die Stoiker und Peripa-
tetiker als erste, dann die Epikureer und zuletzt die Meinung der „einfachen und
gemeinen Menschen“. Sie werden immer auf dieselbe Art eingeleitet und abge-
schlossen – mit einem allgemeinen Begriff als Einleitung und einer spezifischer
Nennung der Quelle als Abschluss. Eine allgemeine Einleitung der Quellen ist in
DA 1.3.3 zu finden:

„Denn vielleicht ist dir unbekannt, dass nicht wenige dem Vegetarismus widersprochen
haben, sondern auch von den Philosophen die Peripatetiker, die Stoiker und die Epikureer
den größten Teil der Widerlegung gegen die Philosophie des Pythagoras und Empedokles
richteten, von welcher du ein eifriger Verehrer bist, und viele von den Gelehrten, und ein
gewisser Klodios aus Neapel hat ein Buch Gegen die Vegetarier veröffentlicht.“41

Danach folgt eine systematische Abgrenzung von Porphyrios’ Quellen durch


Angaben der Autorschaft, wie man Tabelle 1 entnehmen kann:

39 „ὅθεν μοι ἐδόκει μὴ μόνον τὸ οἰκεῖον ὑποδεικνύναι ὡς ἔχει, ἀλλὰ καὶ τὰ τῶν ἐναντίων πολλῷ
ἰσχυρότερα τῶν ὑφ' ὑμῶν λεγομένων ὄντα καὶ πλήθει καὶ δυνάμει καὶ ταῖς ἄλλαις κατασκευαῖς
συναγαγεῖν τε καὶ λῦσαι (…) ὧν τὰς πραγματικὰς καὶ κοινὰς πρὸς τὸ δόγμα ζητήσεις παραθήσομαι,
τὰς ἰδίως πρὸς τὰ τοῦ Ἐμπεδοκλέους φερομένας ἀνασκευὰς παραιτησάμενος.“
40 Im LSJ-Eintrag παρατίθημι ist diese Passage von DA als Beispiel zitiert und bedeutet: „5. cite
in one’s own favour, cite as evidence or authority.“ Für weitere Beispiele der Anwendung des
Wortes vgl. Svenbro 2004, 274–275.
41 „ἴσως γὰρ ἀγνοεῖς ὅτι τῇ ἀποχῇ τῶν ἐμψύχων οὐκ ὀλίγοι ἀντειρήκασιν, ἀλλὰ καὶ τῶν
φιλοσόφων οἵ τ' ἀπὸ τοῦ περιπάτου καὶ τῆς στοᾶς καὶ τοῦ Ἐπικούρου τὸ πλεῖστον τῆς
ἀντιλογίας πρὸς τὴν Πυθαγόρου καὶ Ἐμπεδοκλέους ἀποτεινόμενοι φιλοσοφίαν, ἧς ζηλωτὴς εἶναι
ἐσπούδακας· τῶν τε φιλολόγων συχνοί, καὶ Κλώδιός τις Νεαπολίτης πρὸς τοὺς ἀπεχομένους τῶν
σαρκῶν βιβλίον κατεβάλετο.“
 Die Schrift Gegen die Vegetarier, der unbekannte Klodios aus Neapel   35

Tab. 1

1. Gruppe: Stoiker 2. Gruppe: Epikureer 3. Gruppe: die Meinung der


und Peripatetiker gemeinen und einfachen Menschen
(Klodios und Herakleides)

Einleitung – 1.4.1: Einleitung – 1.7.1: Einleitung – 1.13.1:

Die Gegner sagen (…) Die Epikureer (…) sagen Schließlich muss hier angeführt
werden, was der gemeine und volks-
φασὶν οἱ οἱ δὲ ἀπὸ τοῦ Ἐπικούρου (…) tümliche Mensch zu sagen gewohnt
ἀντιλέγοντες (…) φασὶν ist.

λοιπὸν δὲ ὁ πολὺς καὶ δημώδης


ἄνθρωπος ἃ λέγειν εἴωθεν
παραθετέον

Abschluss – 1.6.3: Abschluss – 1.12.7: Allgemeiner Abschluss der Quellen-


wiedergabe – 1.26.4:

Dies sind denn die Solcherart sind die Solcherart sind auch (die Darlegun-
Hauptargumente der ­Argumente der Epikureer gen) bei Klodios, bei Herakleides
Stoiker und Peripa- Pontikos, bei Hermarchos dem Epi-
tetiker. τοιαῦτα μὲν καὶ τὰ τῶν kureer, bei den Stoikern und bei den
Ἐπικουρείων. Peripatetikern, in welchen auch eure
τῶν μὲν οὖν ἀπὸ (Argumente) erfasst sind, soweit sie
τῆς στοᾶς καὶ uns berichtet worden sind.
τοῦ περιπάτου τὰ
κυριώτατα ταῦτα. τοιαῦτα μὲν καὶ τὰ παρὰ Κλωδίῳ καὶ
Ἡρακλείδῃ τῷ Ποντικῷ Ἑρμάρχῳ
τε τῷ Ἐπικουρείῳ καὶ τοῖς ἀπὸ τῆς
στοᾶς καὶ τοῦ περιπάτου, ἐν οἷς καὶ
τὰ ὑμέτερα, ὅσα ἡμῖν ἀπηγγέλθη,
περιείληπται.

Porphyrios’ Sorgfalt, seine Quellen systematisch einzuordnen, erleichtert das


Lesen des Traktats, obwohl er die Namen der Bücher, aus welchen er zitiert,
nicht nennt. Die Merkmale der Übergänge zu einem fremden Werk sind nicht
nur äußere, wie z.  B. die explizite Nennung der Quellen, sondern auch syntakti-
sche. Die Einführung in neues Quellenmaterial durch indirekte Rede, gefolgt von
einem plötzlichen Wechsel in die direkte Rede, ist die Zitierweise, die Porphyrios
konsequent in der ersten Hälfte des ersten Buches angewendet hat.
Diese Struktur findet man in 1.4–6 im Rahmen der Wiedergabe der stoi-
schen und peripatetischen Argumentation. Zuerst wird die Meinung der Gegner
(οἱ ἀντιλέγοντες) mit AcIs durch das Verb φασίν eingeleitet und mit abhängigen
36   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

Partizipien weiter ergänzt42. Ab 1.4.3 wechselt Porphyrios dann zum Indikativ mit
Beispielen der Anwendung der ersten Person Singular und Plural: βιωσόμεθα
1.4.4, ἀφίημι (erste Person Singular) 1.5.1, διακεώμεθα, προσφερώμεθα (1.5.2)
ἔχομεν, φυλάττωμεν (1.5.3), εἰρήκαμεν (1.6.2) und behält diese Erzählweise bei,
bis die Meinung der Epikureer in 1.7.1 eingeführt wird. Einerseits ist 1.4.1–2 eine
grobe Paraphrase mit einigen Bedeutungsänderungen von Plutarchs sollertia ani-
malium 963 F und andererseits 1.4.4–1.6.1 ein fast wörtliches Zitat von 964 A-C.
Dies unterstützt die Vermutung, dass Porphyrios konsequent und bewusst die
oben besprochene Zitierweise angewendet hat. Ausnahmen in diesem Vergleich
sind 1.4.3 und 1.6.2, welche Argumente enthalten, die bei Plutarch nicht zu finden
sind. Beide Formulierungen stehen im Indikativ und sollten als Porphyrios’
Quellen verstanden werden, da sie seine Meinung eindeutig nicht vertreten und
seiner oben erklärten Zitierweise folgen.
Das Zitat der Epikureer, bzw. des Hermarchos43, in 1.7–12 zeigt eine leichte Va-
riation, bestätigt aber trotzdem seine Zitierweise. Er leitet die Meinung der Epiku-
reer ebenso mit dem Verb φασίν ein, aber diesmal verwendet er anstatt des AcIs
die Konjunktion ὡς mit Indikativ. Die Wiedergabe erfolgt mit Indikativ in 1.7.1,
aber in 1.7.2 wechselt er zum AcI, welcher ebenso von φασίν abhängig sein muss.
Ab 1.7.3 wird der Indikativ beibehalten, bis Porphyrios in 1.12.7 seine Quellen na-
mentlich zitiert. Dazwischen tauchen drei Stellen auf, in welchen die erste Person
Plural verwendet wird (1.11.5: φθείρομεν, ἀφαιροῦμεν und 1.12.6: ἔχομεν), und
eine, in der sogar die erste Person Singular mit dem emphatischen Pronomen
vorkommt (1.9.3: οἶμαι δ' ἔγωγε44). Das heißt, dass von 1.7.1 bis 1.7.2 wahrschein-

42 Das τείνωμεν in 1.4.1 ist an dieser Stelle irrelevant, weil es sich um ein generelles konditiona-
les Satzglied handelt und dadurch keine persönliche Handlung ausdrückt.
43 Die Autorschaft des Hermarchos bezüglich dieser Passage wurde von BP 1977, 15–18 disku-
tiert und anerkannt. Außerdem zeigen die französischen Editoren, auf welche Weise der Inhalt
mit anderen fragmentarischen Schriften des Hermarchos übereinstimmt. Bernays 1866, 8 schätzt
ebenfalls das Exzerpt als wörtlich ein und behauptet, dass die dazu gehörende Schrift Peri Em-
pedokleous genannt wurde. Erst Obbink 1988, 428–435 gelingt es, ausreichende Belege für die
Identifizierung der Schrift zusammenzufassen. Durch den Vergleich mit dem Papyrus P.Oxy.
3318, der den Namen Pros Empedoklea zu einer Schrift des Hermarchos enthält, kommt Obbink
1988, 429 zu dem Schluss, dass der im P.Oxy 3318 erhaltene Text dem von Porphyrios zitierten
Text entspricht. Zusätzlich behauptet er folgendes: „dating from the first or second century A.D.,
the papyrus provides possible evidence that Porphyry could have known Hermarchos’ work from
first hand“.
44 Boyd 1936, 188 versteht die Anwendung der ersten Person Singular als einen endgültigen
Beweis für ein wörtliches Zitat seitens Porphyrios, wie er erklärt: „the word egoge is used where
it must refer to Hermarchos. It would be exceedingly careless of Porphyry if he were merely sum-
marizing or paraphrasing, to leave this word as it stands.“ Ein weiterer Beitrag von Boyd zur
 Die Schrift Gegen die Vegetarier, der unbekannte Klodios aus Neapel   37

lich eine Zusammenfassung seiner Quellen mit eigenen Worten vorliegt und es
sich ab 1.7.3 um eine mehr oder weniger wörtliche Abschrift handelt.
Zum Schluss wird die Meinung des „gemeinen und einfachen Menschen“
wiedergegeben (1.13–26), die den längsten Teil der Doxographie der Gegner des
Vegetarismus bildet. Eine Vorgeschichte der menschlichen Nahrung (1.13.1–2), in
welcher die Gewohnheiten der Alten (παλαιοί) angesprochen werden, wird in indi-
rekter Rede wiedergegeben. Eine Reihe von AcIs ist vorhanden, die durch das Verb
φασίν eingeleitet wird. Die Subjekte von φασίν können sowohl ὁ πολὺς καὶ δημώδης
ἄνθρωπος als auch die später (DA 1.26.4) namentlich angeführten Quellen Klodios
aus Neapel und Herakleides Pontikos sein. Da ὁ πολὺς καὶ δημώδης ἄνθρωπος
im Singular steht und φασίν im Plural, lässt sich daraus schließen, dass Porphy-
rios seine Quellen – Klodios und Herakleides – meint, und diese wiederum die
Meinung des einfachen und gemeinen Menschen repräsentieren sollen. Nach dem
Bruch in 1.13.3, welcher eine sehr unzuverlässige Stelle aufgrund der Lacuna und
der Notwendigkeit, Wörter hinzuzufügen, ist, wechselt Porphyrios von den AcIs
als Mittel des Ausdrucks einer indirekten Rede zum Indikativ. Selbstverständlich
hat er seine Quellen nicht beiseite gelassen, sondern ab dieser Stelle geht es wahr-
scheinlich um eine Zitierung des Materials und nicht um eine Paraphrase oder
Zusammenfassung. Weitere Indizien dafür sind die häufigen Anwendungen der
ersten Person Plural: μέτιμεν, κτείνομεν und πάθωμεν (1.14.1); ἀπεχόμεθα (1.14.3);
ἀδικοῦμεν, ὠφελοῦμεν und δρῶμεν (1.19.3); ἀμύνομεν, ἀδικοῦμεν, μετερχόμεθα,
ὠφελοῦμεν und πράττομεν (1.20.1); ἀμύνομεν, πράττομεν, κτείνομεν und κτείνοιμεν
(1.20.2); ἀδικοῦμεν (1.21.2); θύομεν (1.22.1), ἀποστησόμεθα, ἀπολειψόμεθα und
ἀπολοῦμεν (1.24.1), bis er seine Quellen namentlich zitiert (1.26.4).
Selbstverständlich kann man nicht davon ausgehen, dass immer, wenn
eine indirekte Rede verwendet wird, es sich um eine Paraphrase, und wenn die
direkte Rede verwendet wird, es sich um ein Zitat der originalen Quelle handelt.
Dies wurde bereits von Salamon in Darbo-Peschanski 2004, 135–137 untersucht,
der zeigt, dass so ein Muster nicht existiert. Was in dieser Arbeit vorgeschlagen
wird, ist, dass in diesem spezifischen Fall des Text Re-use sehr wahrscheinlich

Textidentifizierung war es, die Behauptung von Krohn 1921 zu widerlegen, dass die angewendete
Terminologie in 1.7–12 nicht dem gewöhnlichen Vokabular im 3. Jh. entspricht. Dagegen sagt
Boyd 1936, 188 „Krohn argues, against 1.7–12 being a verbal quotation from Hermarchos, that
the passage contains ten words which were unusual in the 3rd century B.C. Of three words, one
is used in similar senses by Epicurus and Chrysippus among others, two by Philo Mechanicus
(3–2 v. Chr.), another by Polybius; two of them L. and S. only quotes from here, one only from
here and a scholium on Thucydides; one is an emendation (the word is found in Dion. Hal.);
of the other two, one (aphosiosis) is used by Dion. Hal. and the other (blaptikos) by Strabo (cf.
Philodem. Piet. 99,100). So the linguistic argument is not very serious.“
38   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

ist, dass diese Aussage zutrifft. Grund dafür ist vor allem, dass ein Teil des zitier-
ten Texts eine weitere unabhängige Überlieferung besitzt und zwar in Plutarchs
sollertia animalium 963F-964C, was einen Vergleich zwischen zitierten Text und
möglichen Quelle erlaubt. Da die Art und Weise der Wiedergabe der Meinungen
der philosophischen Schulen in dieser Partie systematisch ist, wie oben gezeigt
wurde, kann man stark vermuten, dass das Muster des ersten Text Re-use bei den
weiteren Wiedergaben wiederholt wird.
Nachdem die Art und Weise dargestellt wurde, wie Porphyrios in der ersten
Hälfte des ersten Buches seine Quellen zitiert hat, kann man auf die Autorenfrage
eingehen, die hinter der Schrift Gegen die Vegetarier steckt. Dies wird die Aufgabe
des nächsten Unterkapitels sein.

1.1.4 Die Autorenfrage beim Fragment Gegen die Vegetarier

Die bisherigen Autorschaftszuschreibungen des Fragments Gegen die Vegeta-


rier werden in diesem Unterkapitel im Einzelnen in Betracht gezogen. In Kapitel
1.1.3.2 wurde bereits dargestellt, warum einige der von Porphyrios zitierten
Autoren (wie z.  B. Hermarchos, Plutarch oder Josephus) aus dem Text des Porphy-
rios mit einer gewissen Verlässlichkeit exzerpiert werden können. Die Aufgabe in
diesem Kapitel wird es sein, Argumente zu finden, die es erlauben, die Textpar-
tie DA 1.13–1.26 unter die Autorschaft entweder des Herakleides Pontikos oder
des Klodios aus Neapel einzuordnen45. Genauso richtig ist es, für manche Stellen
keine Entscheidung zu treffen, da sie keine eindeutigen Hinweise auf eine Autor-
schaft liefern. Allgemein anerkannt ist, dass Porphyrios sehr wahrscheinlich das
Buch des Pontikers nicht selber gelesen hat und alle seine Wiedergaben früherer
Autoren auf die Schrift des Klodios zurückgehen46, die er Gegen die Vegetarier
nennt.
Bereits frühere Philologen haben versucht, die Autorenfrage zu lösen. Aus-
führlicher sind die Argumente von BP, Haußleiter und Sorabji, während Voß,
Müller und Wehrli ihre Meinungen nur mit wenigen Worten rechtfertigen. Hauß-
leiter 1935, 202 vertritt die These, dass die Mehrheit der Argumente von Hera­
klei­des stammt und dass sie nur neu von Klodios aufgegriffen wurden47. Sorabji

45 So gut, wie die in 1.1.3.1–2 dargestellten Bedingungen es erlauben.


46 Vgl. Bernays 1866, 142–42; Haußleiter 1935, 288–289; BP 1977, 25.
47 In seinen Worten: „Seine schriftlich niedergelegten Gegengründe gegen den Vegetarismus
scheinen von großer Überzeugungskraft gewesen zu sein. Noch im ersten Jh. v. Chr. machte sie
der Rhetor Clodius aus Neapel zur Grundlage seiner Schrift „Gegen die Verächter des Fleisch­
genusses“. Diese herakleidischen Argumente, von Clodius rhetorisch aufgeputzt und nur in ge-
 Die Schrift Gegen die Vegetarier, der unbekannte Klodios aus Neapel   39

1993, 178 akzeptiert, dass einige Passagen von Herakleides stammen48, erkennt
aber an, dass es nicht genug Beweise gibt, um diese Zuschreibung vollkomen zu
untermauern. Andererseits gehen BP 1977, 25–30 vorsichtig mit den Argumenten
um, bevor sie diese insgesamt als von Herakleides stammend verstehen und eine
Schritt-für-Schritt Analyse bevorzugen, die auch hier durchgeführt wird. Was hier
neu zur Diskussion der Autorschaft hinzugefügt wird, ist, dass man die Schrift
Gegen die Vegetarier des Klodios aus Neapel oder seine ältere Vorlage des Hera-
kleides Pontikos größtenteils in Beziehung zu der Schrift Über die Frömmigkeit
des Theophrast verstehen sollte. Denn in den Kapiteln 2.2.1–4 wird ausführlich
gezeigt, dass zwischen beiden Texten intertextuelle Bezüge zu finden sind. Diese
Interpretation kann einiges in der Diskussion der Autorschaft erhellen. Insge-
samt wird sich hier ergeben, dass die meisten Themen und Hauptargumente der
Schrift Gegen die Vegetarier sehr wahrscheinlich auf Herakleides zurückgehen,
aber die Beispiele, die verwendet werden, um die Argumente zu rechtfertigen,
größtenteils von Klodios aus Neapel später hinzugefügt worden sind49. Besonders
wird darauf geachtet, dass eine Beziehung zwischen beiden fragmentarischen
Schriften existiert und, dass diese auf eine mögliche Auseinandersetzung zwi-
schen Herakleides und Theophrast hinweist. Dies wird in der folgenden Schritt-
für-Schritt Analyse der relevanten Stellen gezeigt.

DA 1.13
Die Passage 1.13 enthält Beiträge sowohl des Porphyrios als auch des Herakleides
und des Klodios. Porphyrios selbst ist als Autor in 1.13.1 aktiv präsent, da er seine
Quellen beschreibt (ὁ πολὺς καὶ δημώδης ἄνθρωπος) und danach passiv, da es
sich nur um eine Wiedergabe in der indirekten Rede bis 1.13.4 handelt, wie bereits
in Kapitel 1.1.3.2 gezeigt wurde. Sonst sind keinerlei Spuren seiner Autorschaft zu
sehen, da die Argumente sicherlich nicht der Meinung des Neuplatonikers ent-
sprechen und die Terminologie nicht mit der des Porphyrios übereinstimmt.
Die ganze Passage handelt hauptsächlich von der Feststellung, dass die Men-
schen Fleischesser, aber keine Rohfleischesser sind, und davon, ob die ersten

ringem Umfange durch Gründe vor allem der Opferpraxis vermehrt, hat uns Porphyrios in seiner
Schrift De Abstinentia 1.13–26 durch ein Exzerpt überliefert.“
48 Wie folgt: „The early Academy of Plato was divided, because, as so often, Plato had sup-
plied some material for either side in the debate. The third head, Xenocrates, and his successor,
­Polemo, were vegetarian, (…) But the arguments of Xenocratesʼ Platonist rival, Heraclides of Pon-
tus, are preserved by Porphyry.“
49 In Übereinstimmung mit Haußleiter 1935, 288: „Wir dürfen es als sicher annehmen, daß Clo-
dius die Argumente des Herakleides Pontikos gegen die Vegetarier gekannt, benützt und vielfach
nur rhetorisch wirksamer gestaltet und erweitert hat.“
40   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

Menschen Fleisch gegessen haben, wie in Kapitel 2.2.1 ausführlicher diskutiert


wird. Die Idee eines von Natur aus fleischessenden Menschen, die zweimal in
1.13.1–4 wiederholt wird, sollte zu Recht Herakleides zugeschrieben werden, wie
bereits Haußleiter 1935, 70 festgestellt hat. Denn Haußleiter sieht in der Diskus-
sion über den Anfang der Zeiten eine so elaborierte Weltanschauung, dass man
diese nicht Klodios aus Neapel zuschreiben könne, wenn die andere Möglichkeit
Herakleides Pontikos ist. Schließlich sind die intertextuellen Bezüge zwischen
diesen Stellen und Theophrasts Über die Frömmigkeit, die in Kapitel 2.2.1 darge-
stellt werden, als Argument für eine Verbindung zwischen Herakleides und Theo-
phrast anzusehen. Der Inhalt in 3.13.5 aber kommt wahrscheinlich aus der Feder
des Klodios aus Neapel. BP 1977, 26 sind der Meinung, dass Klodios die ganze
Passage 1.13 geschrieben hat, weil die Kochweise der Ichthyophagoi erwähnt wird
und zwar, dass sie auf Steinen mit Hilfe der Sonne Fische gegrillt haben. Dieses
Detail findet sich parallel erst in der Schrift Über das rote Meer des Agatharchides
aus Knidos, der im 2. Jh. v. Chr. geschrieben und wahrscheinlich wiederum von
Eratosthenes (3. Jh. v. Chr.) seine Informationen bekommen hat50. Andere Erwäh-
nungen der Ichthyophagoi in der griechischen Literatur51, wie Herodot 3.19–25,
sind zu vage; so kann man zusammen mit BP 1977, 26 davon ausgehen, dass
Agatharchides hier als Quelle entweder direkt oder indirekt über Diodor 3.16.1
verwendet wird. Obwohl das Beispiel der Fischesservölker eine Intervention von
Klodios aus Neapel sein muss52, bedeutet dies aber nicht, dass das gesamte Ar-

50 Es sind nur Fragmente der Werke des Agatharchides enthalten. Das einzige Werk, das heut-
zutage mit relativer Sicherheit rekonstruiert werden kann, ist das Buch Über das Rote Meer. In
diesem Buch, das eine Mischung aus Geographie, Geschichte und Ethnographie ist, erklärt der
Autor den Lebensstil der Völker, die um das Rote Meer herum gelebt haben, wie die Ichthyopha-
goi, die Troglodyten und die Äthiopier. Das Buch ist vor allem bei Diodor von Sizilien und Photios
erhalten und enthält mehrere Fragmente, u.  a. die Passagen, die für unser Thema wichtig sind.
51 Dazu siehe die Artikel Ichthyophagi von Tkač (RE IX 1916, 2524–2531) und Longo 1987, 9–55,
insbesondere 29–37 für eine Analyse der Art und Weise des Kochens und Verzehrs der Fische.
52 Die Passage, die das Grillen auf Steinen in der Schrift Gegen die Vegetarier beschreibt, lautet:
„Ὅτι μὲν γὰρ οὐκ ὠμοφάγον ὁ ἄνθρωπος δηλοῖ τινὰ ἔθνη ἰχθυοφάγα· τοὺς γὰρ ἰχθῦς ὀπτῶσιν,
οἳ μὲν ἐπειδὰν αἱ πέτραι μάλιστα διάπυροι γένωνται ὑπὸ τοῦ ἡλίου, οἳ δὲ καὶ ἐν ἄμμῳ.“ (Für
eine Übersetzung siehe Kapitel 1.2.2). Bei Agatharchides ist die Beschreibung der Kochweise,
wie BP 1977, 26 festgestellt haben, sehr ähnlich: „Whenever they have collected a multitude of all
kinds of fish they carry off their catch and bake the whole of it upon the rocks which are inclined
towards the south. And since these stones are redhot because of the very great heat, they leave
the fish there for only a short time and then turn them over, and then, picking them up bodily by
the tail, they shake them.“ (Übersetzung nach Oldfather 1967); „ἐπειδὰν δ' ἀθροίσωσιν ἰχθύων
παντοδαπῶν πλῆθος, μεταφέρουσι τοὺς ληφθέντας καὶ πάντας ὀπτῶσιν ἐπὶ τῶν πετρῶν τῶν
ἐγκεκλιμένων πρὸς μεσημβρίαν. διαπύρων δ' οὐσῶν διὰ τὴν τοῦ καύματος ὑπερβολήν, βραχὺν
ἐάσαντες χρόνον στρέφουσι, κἄπειτα τῆς οὐρᾶς λαμβανόμενοι σείουσι τὸν ὅλον ὄγκον.“ (Diodor
 Die Schrift Gegen die Vegetarier, der unbekannte Klodios aus Neapel   41

gument in der Stelle DA 1.13 ebenfalls von ihm stammt, wie BP 1977, 26 erläutern.
Zuerst muss festgestellt werden, dass dieses Beispiel nicht zum Argument passt.
Es soll zeigen, dass auch die Fischesservölker kein rohes Fleisch gegessen haben,
weil sie auch Fische gegrillt haben. Nirgendwo ist die Rede von der Entdeckung
des Feuers, wie zweimal im Hauptargument erwähnt wurde, da sie Fische mit
Hilfe der Sonne grillen. Dies ist bereits ein Unterschied zum Hauptargument der
Passage. Zusätzlich und ausschlaggebend ist aber anzumerken, dass diese Völker
laut Agatharchides53 ebenfalls rohes Fleisch gegessen haben, d.  h. sie waren
beides: Fleischesser und Rohfleischesser. Dies bringt dann einen Gegenbeweis
mit sich, der das Hauptargument der Passage schwächt. Das heißt, dass Klodios
aus Neapel wahrscheinlich ein weiteres Beispiel zu dem Argument hinzufügen
wollte, das er bei Herakleides gelesen hat, dies aber auf eine verkehrte Weise
getan hat, indem er ein unpassendes Beispiel ausgewählt hat.
Der Rest des Absatzes 1.13.5 (ὅτι δὲ σαρκοφάγον … ἐστιν ἔθος) ist zu allgemein
und kann weder Herakleides noch Klodios aus Neapel zugeschrieben werden.
Trotzdem ist anzumerken – wie bei der Analyse der anderen Stellen noch deut-
licher werden wird –, dass Klodios eine Vorliebe für Vergleiche zwischen den
Sitten verschiedener Völker hat. In dieser Hinsicht passt dieses weitere Beispiel
besser zu Klodios.

3.16.1) Bei Photius 250.449b ist die Beschreibung auch erhalten, obwohl sie mit einer anderen
Terminologie erfolgt: „quand ils ont capturé des poissons, quel qu’en soit le nombre, ils les em-
portent et vont les jeter sur des rochers brûlants exposés au midi.“ (Übersetzung nach Henry
1974); „ὅταν δὲ θηρεύσωσιν ὅσους δή ποτ' οὖν, μετενεγκάντες ἐπὶ τὰς πέτρας τὰς κειμένας πρὸς
μεσημβρίαν, οὔσας διαπύρους, ταύταις δὲ ἐπέρριψαν“. Das Kochen im Sand ist nur in der
Schrift Gegen die Vegetarier besprochen.
53 Die relevanten Passagen, die zeigen, dass die Ichthyophagoi ebenfalls rohes Fleisch geges-
sen haben, sind: Photius Bibliotheka 250.449b: „Ils errent sur tout le rivage environnant et ils
ramassent des coquillages – il y en a de si gros que ceux qui ne les ont pas vus ne peuvent
croire à leurs dimensions énormes – dont ils ont la chair crue pour pallier à la disette dans cette
conjoncture.“ (Übersetzung nach Henry 1974); „Πλανώμενοι παρὰ πᾶσαν τὴν πλησίον παραλίαν
κόγχους συνάγουσι (μέγιστοι δὲ τυγχάνουσιν, ὥστε τοῖς μὴ ἰδοῦσιν ἄπιστον αὐτοῖς τοῦ μεγέθους
τὴν ὑπερβολὴν εἶναι), ὧν τὸ κρέας ὠμὸν τῆς ἐνδείας ἀναπλήρωσιν κατ' ἐκεῖνο καιροῦ ἔχουσι.“
Und Diodor Siculus 3.16.5–6: „Consequently, being short of food at such times, they at first gather
the mussels, which are of so great a size that some of them are found that weigh four minas; that
is, they break their shells by throwing huge stones at them and then eat the meat raw, its taste re-
sembling somewhat that of oysters.“ (Übersetzung nach Oldfather 1967); „διόπερ κατὰ τούτους
τοὺς καιροὺς σπανίζοντες τροφῆς τὸ μὲν πρῶτον τοὺς κόγχους συλλέγουσι, τηλικούτους τὸ
μέγεθος ὧν εὑρίσκονταί τινες τετραμναῖοι· τὰ μὲν γὰρ κύτη συντρίβουσι λίθους εὐμεγέθεις
ἐμβάλλοντες, τὴν δ' ἐντὸς σάρκα κατεσθίουσιν ὠμήν, τῆς γεύσεως οὔσης παρεμφεροῦς τοῖς
ὀστρέοις.“
42   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

DA 1.14
DA 1.14 behandelt die Frage, ob es ungerecht sei, Tiere zu töten oder ihre Seele zu
rauben. In dieser Arbeit wird die Hauptargumentation, die diese beiden Fragen
negiert, Herakleides Pontikos zugeschrieben. Diese Diskussion wird in Kapitel
3.4 stattfinden und zeigen, wie geschickt die Idee eines gerechten Kriegs gegen
die Tiere und die Idee der Liebe zur Menschheit miteinander verknüpft sind. Zu-
sätzlich argumentiert Sorabji 1993, 110 und 120 anhand dieser Stelle, dass Tiere
Aktionen absichtlich (ἑκόντα) durchführen. Dies würden dann die Aktionen mit
moralischen Konsequenzen verbinden. Er tendiert ebenfalls dazu, den Inhalt
dieser Stelle auf Herakleides zurückzuführen.
In 1.14.3 findet sich aber ein Exkurs, der nicht in die Zeit des Herakleides
passt: Es wird geschildert, dass die Griechen weder Hunde noch Pferde noch
Esel essen. Haußleiter 1935, 290 und BP 1977, 27 haben bereits anhand verschie-
dener Quellen festgestellt, dass dies zur Zeit des Herakleides nicht wahr sein
konnte, da zu diesem Zeitpunkt die genannten Tiere verzehrt wurden. Zusätzlich
merken BP an, dass die Ansicht, ein Schwein sei zu nichts anderem nützlich als
zum Verzehr, wahrscheinlich von Chrysipp54 stammt, der ein Jahrhundert nach
Herakleides gelebt hat. Zur Zeit des Klodios (ungefähr das 1. Jh. v. Chr.) gab es
anscheinend den Brauch nicht mehr, Esel und Hunde zu essen. Beide Bemerkun-
gen sind völlig zutreffend und zeigen, dass der Inhalt dieser Stelle genau wie in
der vorherigen eine Ergänzung des Klodios zu dem Hauptargument darstellt, das
von Herakleides stammt. Darauf folgt die Stelle 1.14.4, die einen Vergleich zwi-
schen verschiedenen Völkern präsentiert. Dies zeigt, dass der Autor ein Interesse
an verschiedenen Kulturen hatte. Insbesondere ist die Aufzählung der Sitten der
afrikanischen Länder, wie Äthiopien und Ägypten, und ihrer Tiere, wie Elephan-
ten und Kamele, zu beachten. Die Art und Weise, wie er über die Neuigkeiten in
Äthiopien spricht, die zur Zeit des Herakleides nicht leicht zugänglich waren55,

54 Die Meinung Chrysipps ist bei Porphyrios DA 3.20 erhalten: „But that famous opinion of
Chrysippus is, heaven knows, convincing, that the gods made us for themselves and for each
other, and the animals for us (…). And the pig (for that is the most delightful of these favours)
was born for nothing but to be sacrificed, and God added soul to its flesh like salt, to make it tasty
for us.“ (Übersetzung nach Clark 2000); „ἀλλ’ ἐκεῖνο νὴ Δία τοῦ Χρυσίππου πιθανὸν ἦν, ὡς ἡμᾶς
αὑτῶν καὶ ἀλλήλων οἱ θεοὶ χάριν ἐποιήσαντο, ἡμῶν δὲ τὰ ζῷα, (…) ἡ δὲ ὗς, ἐνταῦθα γάρ ἐστιν
τῶν χαρίτων τὸ ἥδιστον, οὐ δι' ἄλλο τι πλὴν θύεσθαι ἐγεγόνει, καὶ τῇ σαρκὶ τὴν ψυχὴν ὁ θεὸς
οἷον ἅλας ἐνέμιξεν, εὐοψίαν ἡμῖν μηχανώμενος.“ Und bei Cicero De nat. deor. 2.160: „Was dage-
gen bietet das Schwein anderes als Fleisch? Ihm jedenfalls, so meint Chrysipp, sei nur deshalb
anstelle des Salzes eine Seele gegeben, um es vor dem Verfaulen zu bewahren.“ S. 269 Blank-
Sangmeister 2011„ (Übersetzung nach Blank-Sangmeister 2011); „Sus vero quid habet praeter
escam? Cui quidem ne putesceret animam ipsam pro sale datam dicit Chrysippus.“
55 DA 1.14.4: „ἐπεὶ οὐδὲ νῦν ἐν Αἰθιοπίᾳ φασὶν ὁρᾶσθαι τὸ ζῷον τοῦτο.“
 Die Schrift Gegen die Vegetarier, der unbekannte Klodios aus Neapel   43

weist auf eine gewisse Vertrautheit mit den Ereignissen in dem afrikanischen
Land hin. Zusätzlich spricht er über das diätetische Verhalten der Juden, die zur
Zeit des Herakleides keine enge Verbindung mit der griechischen Kultur hatten.
Dies sind neben dem Hinweis des Agatharchides weitere Hinweise, dass Klodios
ein Interesse an ethnographischen Schriften pflegte. Es ist nicht unangebracht zu
schlussfolgern, dass er seine Kenntnisse angewendet hat, um weitere Beispiele
zu dem Hauptargument des Herakleides hinzuzufügen.

DA 1.15
Die leitende Frage dieser Passage lautet: Ist der Fleischverzehr schädlich für die
Seele oder für den Körper? In der Schrift Gegen die Vegetarier wird diese Frage
negiert, indem drei Thesen ausgeführt werden: 1. Fleischfressende Tiere sind
klüger als andere Tiere (DA 1.15.1); 2. Athleten verbessern ihre Körper durch den
Fleischverzehr und Ärzte sind in der Lage, die Körper der Menschen mit Hilfe
des Fleisches zu stärken (DA 1.15.2) und 3. Keiner der Weisen – Pythagoras aus-
genommen – hat eine vegetarische Lebensweise gepflegt. Die erste These hat
keine Parallele innerhalb des Texts und findet nur bei Plutarch De Esu 995C-E;
998C eine Entsprechung56. Die zweite ähnelt der Behauptung, dass Pythagoras
der erste gewesen sei, der Athleten mit Fleisch stärker gemacht hat (DA 1.26.2).
Die letzte These ist ebenfalls mit dem Namen des Pythagoras gebunden, ist aber
zu allgemein, um eine auschlaggebende Spur über die Autorschaft der Passage
zu liefern. Mit Sicherheit kann man diese Passage keinem Autor zuschreiben.
Trotzdem wird hier dieselbe oben besprochene Struktur angewendet, indem eine
leitende Frage durch Erläuterungen, die teilweise außerhalb des Kontexts zu sein
scheinen, beantwortet wird. Also ist es wahrscheinlicher, dass die Frage von He-
rakleides stammt und die Erläuterungen in die Verantwortung des Klodios fallen.

DA 1.16, 1.23–24 und 1.26.1–3


1.16 und 1.24 enthalten eine sehr ähnliche Argumentation: Wenn die Tiere nicht
getötet werden, werden sie so zahlreich sein, dass das menschliche Leben un-
möglich sein wird. Diese Argumentation evoziert das Bild einer Tierapokalypse,
in der die menschliche Existenz wegen der Überzahl der Tiere in Frage gestellt
wird; sie taucht auch bei den Peripatetikern (DA 1.5.2) und bei den Epikureern (DA
1.11.4–5) auf. Falls diese Stelle auf Herakleides zurückgeht, kann man spekulieren,
dass die anderen Schulen durch ihn diese Argumentation kennengelernt haben.

56 Sorabji 1993, 178–9 sieht eine Beziehung zwischen Plutarch und dem Autor der Schrift Gegen
die Vegetarier, die auf eine platonische Tradition zurückgehen soll.
44   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

Es wäre nicht unwahrscheinlich, da sein Buch mindestens bis zum 1. Jh. n. Chr.
existiert hat, da Klodios aus Neapel es verwendet hat. Es ist aber unmöglich zu
sagen, an welcher Stelle ein Text des Klodios oder des Herakleides vorliegt57.
Beide Stellen beziehen sich indirekt auf den Namen des Pythagoras: In DA 1.15.3
wird Pythagoras zitiert, weil er der einzige unter den Weisen sei, der den Vegeta-
rismus pflegte und in DA 1.23 wird das Argument erwähnt, dass der Vegetarismus
des Pythagoras als Prävention gegen den Kannibalismus vertreten werde. DA 1.24
ist gerade eine Antwort auf dieses Argument. Auch 1.26.1–3 verbindet Pythagoras
mit einer Geschichte über das Fleischessen als Diätvorschriften für Athleten. Es
ist unmöglich zu entscheiden, wer der Autor dieser Stellen ist, da die Erwähnung
des Pythagoras sowohl im 4. Jh. v. Chr. in der Akademie als auch im 1. Jh. n. Chr.
ein gängiges Motiv in der Diskussion über den Vegetarismus war58.

DA 1.17, 1.22 und 1.25


Die in diesen Passagen dargestellten Beispiele verweisen auf mehrere Ereignisse
und Personen, die bekanntlich im 1. Jh. v. Chr. stattgefunden bzw. gelebt haben,
wie bereits Bernays 1866, 141–3, Haußleiter 1935, 294 und BP 1977, 25 erkannt
haben. Sie schreiben deswegen diese Passagen Klodios aus Neapel zu. Es ist – mit
Hilfe der Analyse der bis hier dargestellten Struktur der Schrift – darauf hinzuwei-
sen, dass es wahrscheinlicher ist, dass die behandelten Themen – die Nutzung
von Tieren in der Medizin (DA 1.17.159 und DA 1.25.1) und der Verzehr von darge-
brachten Opfern (DA 1.25.160) – von Herakleides stammen und, dass die Reihe der
Beispiele von Klodios danach hinzugefügt wurde (DA 1.17.2–3, 1.22 und 1.25.2–10).

DA 1.18 und 1.19


Die Passagen DA 1.18 und 1.19 beziehen sich auf die Metempsychose-Diskussion.
Die erste behandelt die ethischen Konsequenzen der Seelenwanderung auf Pflan-

57 BP 1977, 29–30 sind der Meinung, dass 1.16 Klodios, aber 1.23–24 Herakleides zugeschrieben
werden sollte.
58 Siehe die besprochenen Passagen der Komödien Die Tarantiner und Atthis in der Einleitung,
die Diskussion über die Wiederbelebung des Pythagoreertums und des Vegetarismus in Rom,
insbesondere die Zeugnisse Ovids (Metamorphosen 15.60–479) und Senecas (Epistulae morales
ad Lucilium 108.17–22) in Kapitel 2.1.2. Für ausführlichere Diskussionen über die Verbindung des
Vegetarismus mit dem Pythagoreismus siehe Haußleiter 1935, 97–157, Dombrowski 1984, 35–55,
Dierauer 1977 18–24 und Sorabji 1993, 125, 172–4.
59 „Πόσοι δὲ πρὸς θεραπείαν ἐμποδισθήσονται, ἀπεχόμενοι τῶν ζῴων;“
60 „Καὶ μὴν καὶ οἱ θεοὶ συντάξεις τε πολλοῖς θεραπείας ἕνεκα δεδώκασιν τὰς ἐκ θηρίων, καὶ
πλήρης γε ἡ ἱστορία, ὡς αὐτοὶ προσέταξάν τισι καὶ θύειν αὐτοῖς καὶ προσφέρεσθαι τῶν τυθέντων.“
 Die Schrift Gegen die Vegetarier, der unbekannte Klodios aus Neapel   45

zen, während die zweite Argumente anbietet, dass die Tötung von Tieren ein
Vorteil für die Tiere sei, da sie schneller auf eine menschliche Ebene aufsteigen
könnten. BP 1977, 28 argumentieren, dass diese Passagen mit großer Wahrschein-
lichkeit Herakleides Pontikos zugeschrieben werden müssen, insbesondere weil
sie eine Kritik an der pythagoreischen Doktrin darstellen und Herakleides Pon-
tikos ein Kenner des Pythagoreertums gewesen sei – er war eine der Quellen für
Diogenes Laertius über das Leben des Pythagoras –, aber nicht in allen Aspekten
diese Doktrin vertreten habe. In Kapitel 2.1.1 wird auf weitere Ähnlichkeiten hin-
gewiesen, die den Text in 1.19 mit anderen erhaltenen Fragmenten des Heraklei-
des verbinden. Dies untermauert die Meinung, dass es sich um Argumente des
Pontikers in dieser Passage handelt. DA 1.19 ist von neuplatonischer Terminolo-
gie geprägt (BP 1977, 28), wie z.  B. ὁμοούσιος, das zweimal bei Plotin zu finden ist
(Enneaden 4.4.28 und 4.7.10) und εἰσκρίνεσθαι, das von Porphyrios in Ad Gaurum
2.1 in der Form von εἴσκρισις verwendet wird. Der Inhalt darf aber nicht Porphy-
rios zugeschrieben werden, da er der Hauptthese des Philosophen bezüglich des
Tötens von Tieren widerspricht. Vielmehr handelt es sich hier um eine Adaptie-
rung von Ideen durch Porphyrios, die wahrscheinlich auf Herakleides Pontikos
zurückgehen, da Herakleides sich intensiv mit der Seelenwanderungstheorie be-
schäftigt hat61.

DA 1.20
Einerseits zeigt 1.20.1 eine gewisse Kontinuität mit dem in 1.19 dargestellten Argu-
ment, in dem eine praktische Seite des Verbots des Tötens aufgrund der Qualität
der Seelen der Tiere in Frage gestellt wird. Andererseits ähnelt 1.20.2 vielmehr der
Diskussion in 1.14.1. An dieser Stelle hat man keine sicheren Indizien, um eine
sichere Entscheidung bezüglich der Autorschaft treffen zu können.

DA 1.21
Hier werden die Widersprüche der vegetarischen Lebensweise angesprochen,
indem die Nutzung von Wolle, Eiern und Honig durch Vegetarier in Frage gestellt
wird. Das Kapitel 2.2.2 wird sich ausführlich mit diesem Thema beschäftigen und
darauf hinweisen, dass hier eine Diskussion zwischen der Schrift Über die Fröm-
migkeit und der Gegen die Vegetarier über diese Thematik stattfindet. Dies spricht

61 Siehe Fr. 90–103 Wehrli = Fr. 55, 56, 53, 54A, 57, 58, 52, 50, 46-D, 47, 48, 51 und 49 Schütrumpf
für seine komplexe Beschreibung des Werdegangs der Seele und Fr. 89 Wehrli = Fr. 86 Schüt­
rumpf für seine Erklärung der Metempsychose bei der Figur des Pythagoras.
46   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

dafür, dass Herakleides hinter dieser Passage steckt, weil der Inhalt der Schrift
Über die Frömmigkeit einen direkten Bezug zu dieser Passage zu haben scheint.

1.2 Text und Übersetzung der Schrift Gegen die Vegetarier


(Πρὸς τοὺς ἀπεχομένους τῶν σαρκῶν)
1.2.1 Die Überlieferung des Textes

Von Porphyrios’ Schrift DA gibt es einige moderne kritische Editionen, sowohl


vom ganzen Werk62 als auch von in ihr enthaltenen Fragmenten63. Die aktuelle
Standard-Edition ist die von BP, da sie einen Text präsentiert, der von den ge-
legentlich kühnen Konjekturen von Nauck frei ist64. Außerdem enthält sie eine
umfassende Behandlung der Überlieferung des Textes mit einer präzisen Darstel-
lung der Handschriften und ihrer Beziehungen zueinander, die in einem Stemma
dargestellt werden. Nichtsdestotrotz gibt es noch Raum für Verbesserungen, da
BP selbst darauf hinweisen, dass eine vollständige Untersuchung aller Hand-
schriften noch zu realisieren sei (BP 1977, LXXXIII). Sie warnen jedoch auch, dass
die Tradition der Überlieferung von DA „très médiocre“ sei (BP 1977, LXIX), sind
aber der Meinung, dass noch einige „perles“ zu entdecken sind für diejenigen,
die mutig genug seien, diese zu untersuchen (BP 1977, LXXXIII).
Diese Arbeit nimmt diese Herausforderung an und untersuchte alle Hand-
schriften, die BP nicht in Betracht für die Kollation ihres Textes gezogen haben;
diese sind: Gd = Monacensis gr. 91, saec. XVI und Ea = Scorialensis R-I-5, saec. XVI
aus der Familie der Handschrift V, und Gb = Monacensis gr. 39, saec. XVI, Vb = Va-
ticanus Barberinianus gr. 252, saec. XVI, Eb = Scorialensis y-I-10, saec. XVI aus der
Familie der verlorenen Handschrift Ψ. Zusätzlich wurden auch die Handschriften
V = Vaticanus gr. 325, saec. XIV, die die beste verfügbare Handschrift ist und die
Basis von BP’s Edition bildet, und Ga = Monacensis gr. 461, saec. XIV–XV konsul-
tiert. Die Handschriften Vb Ga Gb Gd wurden in ihren online-Versionen65, V in einer

62 Nauck 1886 und BP 1977; 1979; Patillon und Segonds, 1995.


63 Die Fragmente des Chairemon von Schwyzer 1932 und aktueller Van der Horst 1984; Theo-
phrasts de Pietate von Bernays 1866 und danach Pötscher 1964. Lamberz 1975 hat auch die hand-
schriftliche Tradition für seine Edition der Sententiae ad intelligibilia ducentes untersucht.
64 Einige Beispiele der Zurückweisung von Naucks Konjekturen sind: 1.25.2 ἔδωκεν V1 Ψ1 für
Naucks ἀνέδωκεν und 1.25.9 ἠνέῳξαν V1 Ψ1 für Naucks ἀνέῳξαν.
65 Vb in der Webseite der Biblioteca Apostolica Vaticana: http://digi.vatlib.it/view/MSS_Barb.gr.
252/0093?sid=300f2d14fec55ee4a20b9188a65c7602#current_page und die anderen in der Web-
seite der Münchener Digitalisierungszentrum der Bayerischen Staatsbibliothek: Ga: http://daten.
 Text und Übersetzung der Schrift Gegen die Vegetarier   47

Fotokopie und Ea und Eb in Spanien vor Ort untersucht. Unter die Lupe genom-
men wurden selbstverständlich nur die Stellen, die den Text Gegen die Vegetarier
enthalten, und diejenigen, die ein Testimonium über Klodios aus Neapel bieten,
also DA 1.3.3 und 1.13–26.
Die Lesungen der einzelnen Handschriften haben wenig zu besseren Wort-
varianten des Textes beigetragen, obwohl eine gewisse Varianz zwischen den
Handschriften zu finden war. Am wenigsten von Belang waren die Handschriften
Gd und Ea, weil es sich um Apographa handelt und sie keine neue Konjekturen
enthalten, sondern nur neue Fehler. Nichtdestotrotz werden die Unterschiede der
Vollständigkeit wegen im Apparatus notiert. Vielmehr hat die Auseinanderset-
zung mit der Tradition der Überlieferung gezeigt, dass auf einer Ebene – der der
Interpunktion – BP lediglich Nauck gefolgt sind und den Handschriften keine Be-
achtung geschenkt haben. Wie sie in Nauck und BP gedruckt ist, ist die Interpunk-
tion völlig willkürlich und entspricht nicht dem, was in den Handschriften in den
meisten Fällen mit einer höheren Übereinstimmung untereinander auftaucht.
Der Wunsch, einen sauberen Text ohne exzessive Zeichensetzung vorliegen zu
haben, ist verständlich, wurde aber in diesem Fall übermäßig durchgesetzt,
sodass einige Male das Verständnis des Textes erschwert und in einigen Fällen
sogar verhindert wurde. Der hier angebotene Text hat als Ziel, eine Interpunktion
zu präsentieren, die einen Kompromiss zwischen den übermäßig interpungier-
ten Handschriften und der von Nauck und BP vernachlässigten Interpunktion
sucht. Der Leser soll durch eine deutlichere Zeichensetzung einen einfacheren
Weg durch den Text von Porphyrios66 finden, der ohnehin kompliziert genug ist.
Der hier gedruckte Text basiert auf der sonst sehr guten Edition von BP und
zeigt in den Fußnoten an, wenn eine andere Leseart übernommen wurde. Die
meisten Änderungen beziehen sich auf die Interpunktion des Textes, aber auch
einige Wörter wurden geändert oder addiert67. Die Konjekturen von Nauck und
von anderen, die sich noch für das Verständnis des Textes relevant erwiesen
haben, werden ebenfalls angezeigt. Am Ende findet sich eine Tabelle mit dem
Vergleich der Auslassungen zwischen dem Text von BP und den Abweichungen,
die in den oben zitierten Handschriften auftauchen.
Wie oben erwähnt, findet sich eine umfassende Beschreibung der Hand-
schriften bei BP 1977 LXIX–LXXXIV, die viel von der Einleitung von Nauck 1886

digitale-sammlungen.de/~db/0006/bsb00060094/images/index.html; Gb: http://daten.digitale-


sammlungen.de/~db/0006/bsb00069246/images/index.html?id=00069246&fip=193.174.98.30&
no=&seite=277 und Gd: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/bsb00005974/images/index.
html?id=00005974&fip=eayaewqsdasxsfsdrenxdsydxdsydsdas&no=34&seite=487.
66 Bzw. Herakleides Pontikos und Klodios aus Neapel, wie in Kapitel 1.1.4 diskutiert wurde.
67 Wie z.  B. ἕνεκα in 1.19.1, εἰ in 1.16.2 und eine Wortstellungänderung in 1.15.2
48   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

XII–XVI und besonders von Schwyzer 1932, 17–21 aufnimmt. Alle diese Forscher
sind einer Meinung, was die Unterteilung der Handschriften in zwei Familien
angeht. Die älteste Handschrift – Vaticanus gr. 325 sec. XIV – ist die wichtigste
und steht somit als Kopf einer Familie, die noch M L Gd K Pa und Ea generiert
haben soll68, während die andere Familie, die auf die oben erwähnte Handschrift
Ψ zurückgeht69, die Handschriften F Ba Ga Gb Gc Pb T Vb und Eb umfasst70. Eine
dritte Gruppe bildet die, die die Editio Princeps – in Florenz 1548 von Petrus Vic-
torius veröffentlicht –, als Vorlage hatte, und zwar Bb H und A71. Nichts, was in
dieser Untersuchung gefunden wurde, widerspricht dieser Meinung. Noch zu be-
merken ist, dass Eb die Handschrift ist, die die meisten Abweichungen zum Text
von BP zeigt72, was die Meinung von Lamberz und Schwyzer unterstützt, dass Eb
wahrscheinlich eine Kopie von einer anderen verlorenen Handschrift ist. Außer-
dem ist Ea, wie BP 1997, LXXII warnen, eine Handschrift mit vielen Fehlern. Vor
allem ist darauf hinzuweisen, dass in ihr eine systematische Abwesenheit von
Interpunktion an den Stellen, wo alle anderen Handschriften übereinstimmen73,
vorhanden ist und dass einige Stellen unterstrichen und korrigiert werden74. Da
es in den Handschriften oft unmöglich ist, ein Komma von einem Kolon (Hoch-
punkt) zu unterscheiden, wird hier diese Differenzierung nur in den Passagen
gemacht, wo für moderne Leser der Hochpunkt angemessener als das Komma zu
sein scheint.
Was weder BP noch Nauck bieten, sind die Scholien zum Text. Diese erschei-
nen sehr regelmäßig in allen Handschriften und haben meistens eine beschrei-
bende Funktion, obwohl manche tatsächlich einige Passagen bewerten. Sie sind
zudem insgesamt nicht sehr hilfreich für die weitere Interpretation des Textes
und haben anscheinend eine organisatorische Funktion innerhalb des Textes, da

68 M = Marcianus gr. 392, saec. XV; L = Lipsiensis gr. 25, saec. XVI; Gd = Monacensis gr. 9, saec.
XVI; K = Leidensis B.P.G. 33, olim Meermannianus ca. 1540; Pa = Parisinus gr. 2083, saec. XVI und
Ea = Scorialensis R-I-5, saec. XVI.
69 Die Omission von οὐδεὶς in 1.14.4 in Gb Ga Vb Eb unterstützt beispielsweise diese Hypothese.
70 F = Laurentianus 80, 15, saec. XVI; Ba = Bodleianus Auct. F.4,6, saec. XV; Ga = Monacensis gr.
461, saec. XIV-XV; Gb = Monacensis gr. 39, saec. XVI; Pb = Parisinus gr. 2084, saec. XVI; T = Tau-
rinensis B-I-12, saec. XVI; Vb = Vaticanus Barberinianus gr. 252, saec. XVI.
71 B = Bodleianus Auct. F.3.17, saec. XVI; H = Harleianus 6296, saec. XVII und A = Bruxellensis
2937, saec. XVII.
72 Inklusive vieler Omissionen, die nur bei Eb auftauchen, wie z.  B. 1.13.5 καὶ; 1.19.1 εἰ; 1.19.3 οἱ
und 1.26.2 εὑρεῖν.
73 Wie z.  B. in 1.13.1, παραθετέον τοὺς und ἀποσχέσθαι οὐ; 1.13.4 χρῆσις πυρικμήτοις; 1.14.1
φθείρει ὑπὲρ; 1.14.3 ἐσθίουσιν ὡς; 1.14.4 ἀπέσχοντο ὅτι.
74 Wie in 1.15.2 σώματα ἀναλαμβάνουσι ταῖς κρεοφαγίαις κρείσσω; 1.20.2 ἀμύνομεν οὐκ
ἀδικοῦμεν πῶς und 1.21.1 τὴν ἀδικίαν.
 Text und Übersetzung der Schrift Gegen die Vegetarier   49

viele vermerken, wo neue inhaltliche Passagen anfangen oder enden. Besonders


geistlos sind die Scholien, die sich auf die Absätze 1.13–26 beziehen, mit Aus-
nahme eines Scholions zu 1.14.4, das eine eigene Stimme zeigt und versucht, dem
Text zu widersprechen. Die einzige Handschrift, die eine andere Art von Kom-
mentaren besitzt, ist Ea. Diese sind neben den übrigen griechischen Scholien auf
Latein geschrieben und zeigen die Beschäftigung einer Person, die vielleicht ein
gewisser P. Francisco Bruno (Eigenname auf der Rückseite) oder der berühmte
Pérez Bayer, der die Handschriften von El Escorial katalogisiert hat, sein könnte.
Leider sind die Kommentare zu unserem Fragment nicht wirklich anregend, aber
eine systematische Untersuchung dieser Kommentare über die gesamte Hand-
schrift könnte interessant sein, eben weil diese Handschrift nicht nur die Schrift
DA enthält, sondern auch vier weitere Bücher, die sich allgemein mit der Frage
des Verhältnisses von Körper und Seele beschäftigen sowie zwei, die wichtige
Diskussionen über Tierethik enthalten, nämlich Plutarchs Non posse suaviter vivi
secundum Epicurum, Animine an corporis affectiones sint peiores, De esu carnium
und Bruta animalia ratione uti. Dieser Codex enthält somit den größten Teil der
griechischen Literatur, die vom Vegetarismus in der Antike handelt.
Besonders interessant ist jedoch eine editorische Entscheidung, die die Ko-
pisten in Vb und besonders Eb treffen: Sie sehen am Ende von 1.26 – das heisst,
genau an dem Punkt, wo Porphyrios aufhört, die Gegner des Vegetarismus zu
zitieren –, die Gelegenheit, ein neues Kapitel anzufangen und befördern das
Scholion, das diese Sektion bezeichnet, zum Titel. Eb enthält sogar das Endwort
τέλος und beendet die Passage mit einem schönen Muster, wie am Ende jedes
anderen Kapitels des Buches, nur um auf der nächsten Seite das Scholion groß
sowie in Rot geschrieben und mit dem initialen Π als Titel wiederzugeben. Auch
die Übereinstimmung der Lesarten dieser beiden Handschriften ist sehr hoch und
es wäre denkbar, dass Eb und Vb beide aus der verlorenen Handschrift stammen,
wie Lamberz und Schwyzer angenommen haben. Jedenfalls spricht auch dies
dafür, dass die Passage 1.1–26 eine sehr starke inhaltliche Homogenität besitzt.
50   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

1.2.2 Text und Übersetzung des Fragments Gegen die Vegetarier

SIGLA
V = Vaticanus gr. 325, saec. XIV, e quo pendent
Gd = Monacensis gr. 91, saec. XVI;
Ea = Scorialensis R-I-5, saec. XVI.

E codice deperdito ψ fluxerunt


Ga = Monacensis gr. 461, saec. XIV-XV;
Gb = Monacensis gr. 39, saec. XVI;
Vb = Vaticanus Barberinianus gr. 252, saec. XVI;
Eb = Scorialensis y-I-10, saec. XVI.

V1 = consensus horum codicum V Gd Ea.


Ψ1 = consensus horum codicum Ga Gb Vb Eb.
N = Nauck.
BP = Bouffartigue und Patillon.
52   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

Testimonia

1
1.3.2 Ὅθεν μοι ἐδόκει μὴ μόνον τὸ οἰκεῖον ὑποδεικνύναι ὡς ἔχει, ἀλλὰ καὶ τὰ τῶν
ἐναντίων πολλῷ ἰσχυρότερα τῶν ὑφ' ὑμῶν λεγομένων ὄντα καὶ πλήθει καὶ δυνάμει
καὶ ταῖς ἄλλαις κατασκευαῖς συναγαγεῖν τε καὶ λῦσαι, οὐδ’ ὑπὸ τῶν ἐμβριθῶν
δοκούντων εἶναι, οὐχ ὅτι τῶν ἑώλων καὶ ἐπιπολαίων σοφισμάτων τὸ ἀληθὲς
ἡττημένον δεικνύντα.  1.3.3 Ἴσως γὰρ ἀγνοεῖς ὅτι τῇ ἀποχῇ τῶν ἐμψύχων οὐκ 5
ὀλίγοι ἀντειρήκασιν, ἀλλὰ καὶ τῶν φιλοσόφων οἵ τ' ἀπὸ τοῦ περιπάτου καὶ τῆς
στοᾶς καὶ τοῦ Ἐπικούρου τὸ πλεῖστον τῆς ἀντιλογίας πρὸς τὴν Πυθαγόρου καὶ
Ἐμπεδοκλέους ἀποτεινόμενοι φιλοσοφίαν, ἧς ζηλωτὴς εἶναι ἐσπούδακας· τῶν
τε φιλολόγων συχνοί, καὶ Κλώδιός τις Νεαπολίτης πρὸς τοὺς ἀπεχομένους τῶν
σαρκῶν βιβλίον κατεβάλετο. 10

6 ἀντειρήκασιν, quod post δεικνύντα legebatur, huc transposuit Reiske 6 ἀπὸ Hercher: ἐκ V1


Ψ1 9 συχνοί, καὶ V Gd Ψ1: συχνοί καὶ BP N Ea

2
1.26.4 Τοιαῦτα μὲν καὶ τὰ παρὰ Κλωδίῳ, καὶ Ἡρακλείδῃ τῷ Ποντικῷ, Ἑρμάρχῳ τε
τῷ Ἐπικουρείῳ, καὶ τοῖς ἀπὸ τῆς στοᾶς καὶ τοῦ περιπάτου, ἐν οἷς καὶ τὰ ὑμέτερα,
ὅσα ἡμῖν ἀπηγγέλθη, περιείληπται. Μέλλοντες δὲ πρός τε ταύτας καὶ τὰς τῶν
πολλῶν ὑπολήψεις ἀντιλέγειν, εἰκότως ἂν προλέγοιμεν ταῦτα.

11 Κλωδίῳ, καὶ Ea: Κλωδίῳ καὶ BP N V Gd Ψ1 11 Ἑρμάρχῳ Bernays: Ἑρμάχῳ V1 Ψ1


11 Ποντικῷ, Ἑρμάρχῳ τε τῷ Ἐπικουρείῳ, καὶ V1 Ψ1: Ποντικῷ Ἑρμάρχῳ τε τῷ Ἐπικουρείῳ καὶ BP
N 13 ἀπηγγέλθη ed. pr.: ἀπηγγέλθαι V1 Ψ1 14 ἀντιλέγειν, εἰκότως V Gd Ψ1: ἀντιλέγειν εἰκότως
BP N Ea 14 Vide capitulum 2.1 τέλος Eb
 Text und Übersetzung der Schrift Gegen die Vegetarier   53

Testimonia

1
1.3.2 Daher schien es mir geraten, nicht nur darzulegen, wie sich unsere Position
verhält, sondern auch die Argumente der Gegner, die in Zahl, Macht und anderen
Mitteln viel stärker als eure sind, zu sammeln und aufzulösen. Damit beabsich-
tige ich zu zeigen, dass die Wahrheit nicht durch scheinbar gewichtige Argu­
mente und noch weniger durch abgestandene und oberflächliche Sophismen zu
überwinden ist.  1.3.3 Denn vielleicht ist dir unbekannt, dass nicht wenige dem
Vegetarismus widersprochen haben, sondern von den Philosophen die Peripate-
tiker, die Stoiker und die Epikureer den größten Teil der Widerlegung gegen die
Philosophie des Pythagoras und Empedokles gerichtet haben, von welcher du ein
eifriger Verehrer bist, und viele von den Gelehrten, und ein gewisser Klodios aus
Neapel hat ein Buch Gegen die Vegetarier veröffentlicht

2
1.26.4 Solcherart sind sowohl (die Darlegungen) bei Klodios als auch bei He-
rakleides Pontikos, bei Hermarchos dem Epikureer, bei den Stoikern und bei
den Peripatetikern, in welchen auch eure (Argumente) erfasst sind, soweit sie
uns berichtet worden sind. Bevor ich diese Vermutungen und die der gemeinen
Menschen beantworte, halte ich es für angemessen, folgendes als Einleitung zu
sagen.
54   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

Fragment 1
Πρὸς τοὺς ἀπεχομένους τῶν σαρκῶν
Κλώδιος Νεαπολίτης

1.13.1 Λοιπὸν δὲ ὁ πολὺς καὶ δημώδης ἄνθρωπος ἃ λέγειν εἴωθεν παραθετέον.


Τοὺς γὰρ παλαιοὺς φασὶν τῶν ἐμψύχων ἀποσχέσθαι οὐ δι' εὐσέβειαν, διὰ δὲ τὸ
μήπω εἰδέναι τὴν τοῦ πυρὸς χρῆσιν· ὡς δ' ἔμαθον, τιμιώτατόν τε καὶ ἱερώτατον 5
νομίσαι, Ἑστίαν τε προσειπεῖν, καὶ συνεστίους ἀπὸ τούτου γενέσθαι, καὶ λοιπὸν
χρήσασθαι τοῖς ζῴοις.  2 Εἶναι μὲν γὰρ κατὰ φύσιν ἀνθρώπῳ τὸ σαρκοφαγεῖν,
παρὰ φύσιν δὲ τὸ ὠμοφαγεῖν. Πυρὸς οὖν εὑρεθέντος ἀπολαβεῖν τὸ κατὰ φύσιν, δι'
ἑψήσεως προσεμένους τὰ κρέα.  3 Δι' ἃ ‘ὠμοφάγοι’ μὲν οἱ ‘θῶες’ καὶ ἐν ὀνείδει τὸ
‘ὠμὸν βεβρώθοις Πρίαμον’ καὶ ‘ὤμ' ἀποτεμνόμενον κρέα ἔδμεναι’, ὡς ἂν δὴ τοῖς 10
ἀθέοις ἀποδεδομένης τῆς τῶν ‹κρεῶν ὠμοφαγίας…› ‘κρεῶν πίνακας παρέθηκεν
ἀείρας παντοίων’.  4 Τὸ μὲν οὖν πρῶτον οὐ προσεφέροντο τὰ ἔμψυχα· οὐ γὰρ
ἦν ὠμοφάγον ζῷον ὁ ἄνθρωπος· ὡς δὲ ἡ τοῦ πυρὸς εὑρέθη χρῆσις, πυρικμήτοις
οὐ μόνον τοῖς κρέασιν, ἀλλὰ καὶ τοῖς ἄλλοις, ὡς εἰπεῖν, τοῖς πλείστοις βρωτοῖς
ἐχρῶντο.  5 Ὅτι μὲν γὰρ οὐκ ὠμοφάγον ὁ ἄνθρωπος, δηλοῖ τινὰ ἔθνη ἰχθυοφάγα· 15
τοὺς γὰρ ἰχθῦς ὀπτῶσιν, οἳ μὲν ἐπειδὰν αἱ πέτραι μάλιστα διάπυροι γένωνται ὑπὸ
τοῦ ἡλίου, οἳ δὲ καὶ ἐν ἄμμῳ. Ὅτι δὲ σαρκοφάγον, αὐτὸ τοῦτο δηλοῖ τὸ μηδὲν
ἔθνος ἀπέχεσθαι ἐμψύχων· καὶ οὐ κατὰ διαστροφὴν οἱ Ἕλληνες προσήκαντο, ἐπεὶ
καὶ τοῖς βαρβάροις ταὐτόν ἐστιν ἔθος.

1.14.1 Ὁ δὲ κελεύων μὴ ἐσθίειν καὶ ἄδικον ἡγούμενος, οὐδὲ κτείνειν δίκαιον 20


ἐρεῖ οὐδὲ ψυχὰς ἀφαιρεῖσθαι. Ἀλλὰ μὴν πρός γε τὰ θηρία πόλεμος ἡμῖν ἔμφυτος
ἅμα καὶ δίκαιος. Τὰ μὲν γὰρ ἑκόντα ἐπιτίθεται τοῖς ἀνθρώποις, ὥσπερ λύκοι καὶ
λέοντες· τὰ δ' οὐχ ἑκόντα, ὥσπερ οἱ ἔχεις· πατηθέντες γὰρ ἐνίοτε δάκνουσιν· καὶ
τὰ μὲν τοῖς ἀνθρώποις ἐπιτίθεται, τὰ δὲ τοὺς καρποὺς φθείρει· ὑπὲρ ὧν πάντων

6 νομίσαι, Ἑστίαν V1 Ψ1: νομίσαι Ἑστίαν BP N 6 προσειπεῖν, καὶ V Ga Gb Eb: προσειπεῖν καὶ
BP N Ea Gd Vb 6 γενέσθαι, καὶ V Gd Vb Ga Eb: γενέσθαι καὶ BP N Ea Gb 8 φύσιν, δι' ἑψήσεως
προσεμένους V Gd Ψ1: φύσιν δι' ἑψήσεως, προσεμένους BP N Ea 11 κρεῶν πίνακας Ea: κρεῶν,
πίνακας V Ψ1: τῆς τῶν νεκρῶν πίνακας Gd: lacunam indicauit Cobet (saut du même au même):
‹κρεῶν ὠμοφαγίας› add. N. 15 ἄνθρωπος, δηλοῖ τινὰ V Ψ1: ἄνθρωπος δηλοῖ, τινὰ Gd: ἄνθρωπος
δηλοῖ τινὰ BP N Ea 23 ἔχεις ed. pr: ἔχις V1 Ψ1 
 Text und Übersetzung der Schrift Gegen die Vegetarier   55

Fragment 1
Gegen die Vegetarier
Klodios aus Neapel

1.13.1 Schließlich muss hier angeführt werden, was der gemeine und volks-
tümliche Mensch zu sagen gewohnt ist. Sie behaupten nämlich, dass die Alten
sich der Tiere nicht aufgrund der Frömmigkeit enthalten hätten, sondern weil
sie den Nutzen des Feuers noch nicht gekannt hätten. Einmal gelernt, hätten
sie dieses sowohl für das Wertvollste als auch für das Heiligste gehalten und es
Hestia genannt und seien dadurch Herdgenossen geworden und hätten fortan die
Tiere verwendet.  2 Denn das Fleischessen entspreche der Natur des Menschen,
das Rohfleischessen hingegen sei gegen seine Natur. Nach der Entdeckung des
Feuers hätten sie das Naturgemäße zurückerhalten, indem sie das Fleisch durch
das Kochen akzeptiert hätten.  3 Aus diesem Grund heißen die „Schakale“ „Roh-
fleisch essend“, und als Beleidigung heißt es „Mögest du Priamos roh fressen!“
und noch „rohes Fleisch abschneiden und essen!“, weil ‹der Verzehr des Roh-
fleischs› den Gottlosen wohl zugewiesen sei. (Lacuna) ‘Er hat Platten mit aller-
lei Sorten von Fleisch erhoben und gereicht’.  4 Zuerst also ernährte man sich
nicht von Tieren, weil der Mensch kein Rohfleischesser war. Als aber die Nutzung
des Feuers entdeckt worden war, verwendeten sie, wie man sagt, nicht nur das
Fleisch, sondern auch die meisten übrigen verzehrbaren Dinge im Feuer gekocht.
5 Dass der Mensch nämlich kein Rohfleischesser ist, zeigen einige Fischesservöl-
ker, denn sie grillen die Fische. Manche tun es auf Steinen, wenn sie durch die
Sonne besonders heiß werden, andere aber auch im Sand. Dass der Mensch aber
Fleischesser ist, zeigt sich darin, dass sich kein Volk der Tiere enthält. Die Grie-
chen haben es nicht aufgrund einer Verkehrtheit akzeptiert, da auch unter den
Barbaren derselbe Brauch existiert.
1.14.1 Wer fordert, kein (Fleisch) zu essen, und es für ungerecht hält, wird
es weder gerecht nennen zu töten noch Seelen zu rauben. Nun gibt es aber zwi-
schen uns und den Tieren einen zugleich angeborenen und auch gerechten Krieg.
Manche greifen absichtlich die Menschen an, wie Wölfe und Löwen, andere un-
absichtlich, wie die Schlangen – sie beißen nämlich manchmal zu, wenn man auf
sie getreten ist. Die einen greifen die Menschen an, die anderen zerstören die Feld-
früchte. Aufgrund all dieser Dinge jagen wir diese und töten wir sowohl die Tiere,
56   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

μέτιμεν ταῦτα, καὶ τὰ κατάρξαντα θηρία κτείνομεν καὶ τὰ μὴ κατάρξαντα, ὡς μή τι 25


πρὸς αὐτῶν πάθωμεν.  2 Οὐκ ἔστιν γὰρ ὅστις ἰδὼν ὄφιν οὐκ ἔκτεινε δυνάμενος,
ὡς μήτ' αὐτὸς δηχθείη μήτ' ἄλλος ἁπλῶς ἄνθρωπος· οὐ γὰρ μόνον ἐστὶ μῖσος
κατὰ τῶν κτεινομένων, ἀλλὰ καὶ στοργὴ πρὸς ἄνθρωπον ἀνθρώπου.  3 Δικαίου
δ' ὄντος τοῦ πρὸς τὰ θηρία πολέμου, πολλῶν ἀπεχόμεθα τῶν συνανθρωπούντων.
Ὅθεν οἱ Ἕλληνες οὔτε κυνοφαγοῦσιν οὔθ' ἵππους ἐσθίουσιν οὔτ' ὄνους· ‹ὗς› 30
μέντοι ἐσθίουσιν, ὡς ταὐτοῦ γένους τοῖς ἀγρίοις τὸ ἥμερον· ὡσαύτως τε τοὺς
ὄρνιθας. Οὐδὲ γάρ ἐστι χρήσιμον πρὸς ἄλλο τι ὗς ἢ πρὸς βρῶσιν.  4 Φοίνικες δὲ
καὶ Ἰουδαῖοι ἀπέσχοντο, ὅτι οὐδ' ὅλως ἐν τοῖς τόποις ἐφύετο· ἐπεὶ οὐδὲ νῦν ἐν
Αἰθιοπίᾳ φασὶν ὁρᾶσθαι τὸ ζῷον τοῦτο. Ὡς οὖν κάμηλον ἢ ἐλέφαντα Ἑλλήνων
οὐδεὶς θεοῖς ἔθυσε, παρ' ὅσον οὐδ' ἤνεγκεν ἡ Ἑλλὰς ταῦτα τὰ ζῷα, οὕτως οὐδ' ἐν 35
Κύπρῳ ἢ Φοινίκῃ θεοῖς προσήχθη τὸ ζῷον τοῦτο, παρ' ὅσον οὐκ ἦν ἐντόπιον· οὐδὲ
Αἰγύπτιοι θεοῖς θύουσιν ὗν παρὰ τὴν αὐτὴν αἰτίαν. Τὸ δ' ὅλως ἀπέχεσθαι τοῦ ζῴου
τινὰς ὅμοιόν ἐστιν τῷ μηδ' ἂν ἡμᾶς ἐθελῆσαι καμήλια ἐσθίειν.

1.15.1 Διὰ τί δ' ἄν τις καὶ ἀπόσχοιτο τῶν ἐμψύχων; ἆρά γε τὴν ψυχὴν χείρω ποιεῖ
ἢ τὸ σῶμα; δῆλον δ' ἐστὶν ὡς οὐδέτερον. Τὰ γὰρ σαρκοφαγοῦντα ζῷα συνετώτερα 40
τῶν ἄλλων. Θηρευτικὰ γοῦν ἐστὶ καὶ τέχνην ἔχει ταύτην, ἀφ’ ἧς περιποιεῖται τὸν
βίον, ἰσχύν τε καὶ ἀλκὴν κέκτηται, ὥσπερ λέοντες καὶ λύκοι· ὥσθ' ἡ κρεοφαγία
οὔτε τὴν ψυχὴν οὔτε τὸ σῶμα λυμαίνεται.  2 Δῆλον δ' ἐστὶ κἀκ τοῦ τοὺς ἀθλητὰς
τὰ σώματα κρείσσω τῇ κρεοφαγίᾳ παρέχειν, κἀκ τῶν ἰατρῶν, οἳ ἐκ τῆς ἀρρωστίας
τὰ σώματα ἀναλαμβάνουσι ταῖς κρεοφαγίαις.  3 Τοῦ δὲ μὴ ὑγιῶς δοξάσαι τὸν 45
Πυθαγόραν, σημεῖον οὐ μικρόν· τῶν γὰρ σοφῶν ἀνδρῶν οὐδεὶς ἐπείσθη οὔτε τῶν
ἑπτὰ οὔτε τῶν ὕστερον γενομένων φυσικῶν, ἀλλ' οὐδ' ὁ σοφώτατος Σωκράτης
οὔθ’ οἱ ἀπὸ Σωκράτους.

1.16.1 Φέρε δὲ καὶ πεισθῆναι πάντας ἀνθρώπους τῷ δόγματι. Τίνα τοίνυν ἡ


ἐπιγονὴ τῶν ζῴων ἕξει μοῖραν; ὗς μὲν γὰρ ὅσα τίκτει καὶ λαγὼς οὐδένα λανθάνει· 50
πρόσθες δὲ καὶ τἄλλα ζῷα πάνθ' ἁπλῶς. Πόθεν οὖν τούτοις ἡ νομή, καὶ τί

29 πολέμου, πολλῶν V Gb Ga Vb Gd: πολέμου πολλῶν BP N Ea Eb 30 ὗς add. Felicia-


nus 31 ἐσθίουσιν, ὡς V Gd Ψ1: ἐσθίουσιν ὡς BP N Ea 41 περιποιεῖται K (Meermannianus) N
BP: περιεῖναι ποιεῖται V1 44 οἳ ἐκ τῆς ἀρρωστίας τὰ σώματα ἀναλαμβάνουσι ego: οἳ τὰ ἐκ τῆς
ἀρρωστίας σώματα ἀναλαμβάνουσι V1 Ψ1 BP N 46 Πυθαγόραν, σημεῖον V Gd Ψ1: Πυθαγόραν
σημεῖον BP N Ea 46 ἐπείσθη οὔτε V1 Ga Gb: ἐπείσθη, οὔτε BP N Eb Vb 
 Text und Übersetzung der Schrift Gegen die Vegetarier   57

welche aktiv angreifen, als auch die, die dies nicht tun, damit wir nicht etwas
von ihnen erleiden.  2 Denn es gibt keinen, der, wenn er eine Schlange sieht, sie
nicht tötet, falls er kann, damit weder er noch überhaupt ein anderer Mensch ge-
bissen wird. Denn es gibt nicht nur Hass gegen das, was wir töten, sondern auch
Liebe von Mensch zu Mensch.  3 Obwohl der Krieg gegen die Tiere gerecht ist,
enthalten wir uns vieler Tiere, die mit den Menschen leben. Daher essen die Grie-
chen weder Hunde noch Pferde noch Esel. Aber sie essen doch Schwein, da die
gezähmte Art wie die wilde ist; ebenso (essen sie) die Vögel. Denn das Schwein
ist zu nichts anderem nützlich als zum Essen.  4 Die Phönizier und Juden pfleg-
ten sich ‹der Schweine› zu enthalten, weil es überhaupt keine in deren Ländern
gab. Denn nicht einmal jetzt, sagen sie, sei dieses Tier in Äthiopien zu sehen. Wie
nun keiner von den Griechen ein Kamel oder einen Elefanten den Göttern geop-
fert hat, weil Griechenland solche Tiere auch nicht hervorbrachte, ist ebenso auf
Zypern oder in Phönizien dieses Tier den Göttern nicht dargebracht worden, weil
es nicht einheimisch war. Und die Ägypter opfern den Göttern kein Schwein aus
demselben Grund. Dass einige sich völlig dieses Tieres enthalten, ist vergleichbar
dem Umstand, dass auch wir wohl keine Kamele essen wollen würden.
1.15.1 Warum aber auch sollte sich jemand der Tiere enthalten? Machen sie
etwa die Seele oder den Körper schlechter? Offensichtlich keines von beiden.
Denn die Fleisch fressenden Tiere sind klüger als die anderen. Sie sind freilich
jagdgewandt und sie besitzen diese Kunst, durch welche sie sich den Lebensun-
terhalt verschaffen (und) sowohl Stärke als auch Wehrkraft erwerben, wie die
Wölfe und die Löwen. Daher beschädigt das Fleischessen weder die Seele noch
den Körper. 2 Es ist aber offensichtlich durch das Beispiel sowohl der Athleten,
die ihre Körper stärker machen durch das Fleischessen, als auch der Ärzte, die
Körper von der Krankheit durch das Fleischessen wieder aufrichten.  3 Es exis-
tiert aber ein nicht unwichtiger Beleg dafür, dass die Meinung des Pythagoras un-
gesund war: Keiner der weisen Männer ist davon überzeugt worden, weder einer
der Sieben noch der späteren Naturphilosophen und vielmehr nicht einmal der
weiseste Sokrates und seine Nachfolger.
1.16.1 Wohlan, nimm einmal an, dass alle Menschen von dieser Lehre über-
zeugt werden, was für ein Schicksal wird dann die Nachkommenschaft der Tiere
erleben? Keinem ist unbekannt, wie stark sich sowohl das Schwein als auch der
Hase vermehren. Füg aber auch einfach alle anderen Tiere hinzu. Woher soll
58   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

πείσονται οἱ γεωργοί;  2 Καὶ γὰρ ‹εἰ› φθειρομένων τῶν καρπῶν τοὺς φθείροντας


οὐκ ἀποκτείνουσιν, ἡ γῆ τε τὸ πλῆθος οὐκ οἴσει τῶν ζῴων, τά τε θνῄσκοντα ἐκ
τῆς σηπεδόνος φθορὰν ἐμποιήσει, λοιμοῦ τε κατασχόντος οὐκ ἔσται καταφυγή.
Θάλασσα μὲν γὰρ καὶ ποταμοὶ καὶ λίμναι ἰχθύων πεπλήσονται, ὁ δὲ ἀὴρ ὀρνίθων, 55
ἡ δὲ γῆ πλήρης ἑρπετῶν παντοίων.

1.17.1 Πόσοι δὲ πρὸς θεραπείαν ἐμποδισθήσονται, ἀπεχόμενοι τῶν ζῴων;


τοὺς γοῦν τῶν ὄψεων ἀποτυφλουμένους ἔστιν ἰδεῖν ἔχεως βρώσει τηρήσαντας
ὅρασιν.  2 Κρατεροῦ τοῦ ἰατροῦ οἰκέτης ξένῳ περιπεσὼν νοσήματι, τῶν σαρκῶν
ἀπόστασιν λαβουσῶν ἐκ τῶν ὀστῶν, τοῖς μὲν φαρμάκοις ὠφέλητο οὐδέν· ἰχθύος 60
δὲ τρόπῳ ἔχει σκευασθέντι καὶ βρωθέντι διεσώθη, τῆς σαρκὸς συγκολληθείσης.
3 Πολλὰ δὲ καὶ ἄλλα ζῷα θεραπεύει προσενεχθέντα καὶ τῶν ζῴων ἓν ἕκαστον
μέρος. Ἅ δὴ πάντα παραιρεῖται ὁ παραιτούμενος τὰ ἔμψυχα.

1.18.1 Εἰ δέ, ὡς φασί, καὶ τὰ φυτὰ ψυχὴν ἔχει, οἷος ἂν εἴη ὁ βίος μήτε ζῴων
μήτε φυτῶν ἡμῶν ἀποτεμνόντων. Εἴπερ δὲ μὴ ἀσεβεῖ ὁ τὰ φυτὰ κατακόπτων, 65
οὐδ' ὁ τὰ ζῷα.

1.19.1 Ἀλλ' οὐ χρῆναι φήσει τις κτείνειν τὸ ὁμόφυλον, εἴ γε ὁμοούσιοι αἱ


τῶν ζῴων ψυχαὶ ταῖς ἡμετέραις. Ἀλλ' εἰ μὲν ἑκούσας τις εἰσκρίνεσθαι τὰς ψυχὰς
δίδωσιν, νεότητος ἕνεκα ἐρώσας ἄν τις φαίη εἰσκρίνεσθαι· ἐν γὰρ ταύτῃ πάντων
ἀπόλαυσις. Διὰ τί οὖν οὐκ εἰς ἀνθρώπου πάλιν εἰσεδύοντο φύσιν;  2 εἰ δὲ 70
ἑκούσας μὲν καὶ νεότητος ἔρωτι, διὰ δὲ παντὸς εἴδους ζῴων, κεχαρισμένον ἂν εἴη
αὐταῖς τὸ ἀναιρεῖσθαι. Ἡ γὰρ ἐπάνοδος ταχίων ἐπὶ τὸν ἄνθρωπον, τά τε σώματα
ἐσθιόμενα λύπην οὐκ ἂν ἐντίκτοι ταῖς ψυχαῖς ὡς ἂν ἀπηλλαγμέναις αὐτῶν, ἔρως
δ' ἂν αὐταῖς εἴη ἐν ἀνθρώπου φύσει γενέσθαι, ὥσθ' ὅσον ἂν λυποῖντο ἐκλείπουσαι
τὸ ἀνθρώπινον, ἐπὶ τοσοῦτο χαίροιεν ἀπολείπουσαι τὰ ἄλλα σώματα. Ταχίων 75
γὰρ ἡ ἐπὶ τὸν ἄνθρωπον ἐπάνοδος, ὃς τῶν ἀλόγων δεσπόζει πάντων, ὡς ὁ θεὸς
ἀνθρώπων. Αἰτία τοίνυν ἱκανὴ ἀναιρεῖν τὰ ἄλλα ζῷα, ἐφ’ ὅσον ἀδικεῖ κτείνοντα

52 εἰ add. ego: ἢν γὰρ  … ἀποκτείνωσιν ἡ Cobet 53 ἀποκτείνουσιν, ἡ V1 Ψ1: ἀποκτείνουσιν ἡ


BP N 54 λοιμοῦ K: λιμοῦ V1 Ψ1 56 [πλήρης] N 57 ἐμποδισθήσονται, ἀπεχόμενοι V Gd Ψ1:
ἐμποδισθήσονται ἀπεχόμενοι BP N Ea 60 ὠφέλητο Hercher: ὠφέληται V1 Ψ1 64 οἷος BP V Ga
Gb Gd Vb: ἔχουσιν οἷος Ea: ἔχει, ποῖος N Eb 69 νεότητος ἕνεκα ἐρώσας V1 Ψ1: νεότητος ἐρώσας N:
νεότητος [ἕνεκα] ἐρώσας BP 69 [ἐν γὰρ ταύτῃ πάντων ἀπόλαυσις] N 76 πάντων, ὡς V Gd Ψ1:
πάντων ὡς BP N Ea 77 ζῷα, ἐφ’ ὅσον V Ga Gb Vb: ζῷα ἐφ’ ὅσον BP Ea Gd Eb 77 [ἐφ'ὅσον ἀδικεῖ
κτείνοντα τοὺς ἀνθρώπους] Ν 
 Text und Übersetzung der Schrift Gegen die Vegetarier   59

es dann Weide für diese geben, und was werden die Bauern erleiden?  2 Denn
‹falls› sie die Zerstörer nicht töten, wenn sie die Feldfrüchte verwüsten, wird die
Erde die Masse der Tiere nicht ertragen, und die Sterbenden (Tiere) werden durch
die Fäulnis Verderben verursachen, und nach der Ausbreitung einer Seuche wird
kein Ausweg mehr übrig sein. Denn es werden das Meer, die Flüsse und die Seen
voll mit Fischen sein, genauso wie die Luft voll mit Vögeln und die Erde mit allen
Arten von Landtieren.
1.17.1 Wie viele aber werden in Hinsicht auf medizinische Behandlung be-
hindert, wenn sie sich der Tiere enthalten? Es ist jedenfalls möglich zu beobach-
ten, dass, wenn man erblindet, man durch den Verzehr einer Schlange die Sicht
bewahrt. 2 Der Haussklave des Arztes Krateros fiel einer unbekannten Krankheit
anheim, wobei sich das Fleisch von den Knochen löste. Durch kein Arzneimit-
tel wurde ihm geholfen, aber er wurde durch den Verzehr einer Schlange, die
wie ein Fisch zubereitet und verzehrt wurde, gerettet, da das Fleisch wieder
anwuchs.  3 Aber auch viele andere Tiere dienen als Heilmittel, wenn man sie zu
sich nimmt, sowie jedes einzelne Teil der Tiere. Der, der die Tiere verbietet, nimmt
alle diese Dinge weg.
1.18.1 Wenn aber, wie man sagt, sogar die Pflanzen eine Seele haben, wie
wäre das Leben, falls wir weder Tiere schlachteten noch Pflanzen abschnitten!
Wenn aber jedenfalls der, der Pflanzen niederhaut, nicht frevelt, so auch nicht
der, der Tiere (niederhaut).
1.19.1 Aber jemand wird sagen, dass man einen Artgenossen nicht töten
dürfe, wenn jedenfalls die Seelen der Tiere wesensgleich mit unseren seien. Doch
wenn jemand zugibt, dass die Seelen sich freiwillig einkörpern, müßte jemand
sagen, dass sie wegen des Verlangens nach der Jugend1 sich einkörpern, denn in
dieser liegt das Genießen aller Dinge. Warum gingen sie nun nicht wieder in eine
menschliche Natur ein?  2 Wenn sie aber freiwillig und aufgrund des Verlan-
gens nach Jugend (sich einkörpern), aber dabei durch jede Art der Tiere wandern,
würde es ein Gefallen für sie sein, wenn sie getötet werden. Denn der Wieder-
aufstieg zum Menschen wäre schneller, und wenn die Körper gegessen werden
würden, würde es den Seelen keinen Kummer verursachen, weil sie ja von jenen
befreit worden wären, und ihr Verlangen wäre wohl, in eine menschliche Natur
zu kommen, sodass so groß wohl ihr Kummer, das Menschliche zu verlassen,
ebenso groß die Freude sein dürfte, die anderen Körper zu verlassen. Denn der
Wiederaufstieg zum Menschen, der über alle vernunftlosen Wesen herrscht wie
der Gott über die Menschen, wäre schneller. Dies ist Grund genug, die übrigen
Tiere zu vernichten, sofern sie Unrecht durch das Töten von Menschen tun.

1 Bzw. Neuheit.
60   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

τοὺς ἀνθρώπους.  3 Εἰ δ' εἰσὶν αἱ μὲν τῶν ἀνθρώπων ἀθάνατοι ψυχαί, αἱ δὲ


τῶν ἀλόγων θνηταί, οὐκ ἀδικοῦμεν οἱ ἄνθρωποι τὰ ἄλογα κτείνοντες, ὥσπερ
ὠφελοῦμεν, εἴπερ εἰσὶν ἀθάνατοι, κτείνοντες· εἰς ἐπάνοδον γὰρ τῆς ἀνθρωπίνης 80
φύσεως τοῦτο δρῶμεν.

1.20.1 Εἰ δ' ἀμύνομεν, οὐκ ἀδικοῦμεν, ἀλλ' ἀδικοῦντα μετερχόμεθα. Ὥστ'


εἰ μὲν ἀθάνατοι αἱ ψυχαί, κτείνοντες ὠφελοῦμεν· εἰ δὲ αἱ τῶν ἀλόγων θνηταί,
κτείνοντες οὐδὲν ἀσεβὲς πράττομεν.  2 Εἰ δὲ καὶ ἀμύνομεν, πῶς οὐκ ἐν δίκῃ
πράττομεν; ὄφιν μὲν οὖν καὶ σκορπίον, κἂν μὴ ἐπίωσιν ἡμῖν, κτείνομεν, ἵνα μηδ' 85
ἄλλος πρὸς αὐτῶν τι πάθῃ, τῷ κοινῷ γένει τῶν ἀνθρώπων ἀμύνοντες· ἐπιχειροῦντα
δὲ τοῖς ἀνθρώποις ἢ τοῖς συνανθρωποῦσιν ἢ τοῖς καρποῖς, πῶς οὐκ ἂν δικαίως
κτείνοιμεν;

1.21.1 Εἰ δ' ἅπαξ ἀδικίαν τις ταύτην ἡγεῖται, μήτε γάλακτι χρήσθω μήτ’ ἐρίῳ
μήτε ᾠοῖς μήτε μέλιτι. Ὡς γὰρ ἄνθρωπον ἀδικεῖς ἀφαιρούμενος τὴν ἐσθῆτα, οὕτως 90
καὶ τὴν ὄιν πέξας· ἐσθὴς γὰρ αὕτη τοῦ προβάτου· καὶ τὸ γάλα οὐ σοὶ γέγονεν,
ἀλλὰ τοῖς ἀποκυηθεῖσι τέκνοις· ἥ τε μέλισσα ταύτην αὑτῇ τροφὴν συνελέξατο,
ἣν ἀφελόμενος, ἡδονὴν σαυτῷ κατεσκεύασας.  2 Καὶ τὸν τῶν Αἰγυπτίων λόγον
σεσίγηκα, ὅτι καὶ τῶν φυτῶν ἀδικοῦμεν ἁπτόμενοι. Εἰ δὲ ταῦθ' ἡμῶν χάριν
γέγονεν, καὶ ἡ μέλισσα ἡμῖν δουλεύουσα τὸ μέλι ἐργάζεται, καὶ τὸ ἔριον ἐπιφύεται 95
τῶν προβάτων, ὃ ἡμῖν κόσμος καὶ ἀλέα.

1.22.1 Αὐτοῖς δὲ τοῖς θεοῖς εἰς εὐσέβειαν συντελοῦντες ζῷα θύομεν· καὶ


αὐτῶν ὁ μὲν Ἀπόλλων λυκοκτόνος, ἡ δὲ Ἄρτεμις θηροκτόνος·  2 ἐπεὶ καὶ οἱ
ἡμίθεοι καὶ οἱ ἥρωες πάντες καὶ γένει καὶ ἀρετῇ ἡμῶν προύχοντες ἐδοκίμασαν τὴν
τῶν ἐμψύχων προσφοράν, ὥστε καὶ θεοῖς θύειν δωδεκηΐδας καὶ ἑκατόμβας. Ὁ δὲ 100
Ἡρακλῆς ἔν τε τοῖς ἄλλοις καὶ ἐπὶ τούτῳ ὑμνηται, ὅτι βουφάγος ἦν.

1.23.1 Τὸ δὲ λέγειν ὅτι πόρρωθεν Πυθαγόρας ἠσφαλίζετο τῆς ἀλληλοφαγίας


ἀποκρουόμενος τοὺς ἀνθρώπους, εὔηθες. Εἰ μὲν γὰρ οἱ κατὰ Πυθαγόραν πάντες

82 [Εἰ δ' ἀμύνομεν, οὐκ ἀδικοῦμεν, ἀλλ' ἀδικοῦντα μετερχόμεθα.] N 86 ἐπιχειροῦντα Valenti-
nus: ἐπιχειροῦσι V1 Ψ1 90 μέλιτι Hercher: μελιτίω V1 Ψ1 93 ἀφελόμενος, ἡδονὴν V Gd Ga Vb Eb:
ἀφελόμενος ἡδονὴν BP N Gb Ea 95 ἐργάζεται, καὶ V Gd Ψ1: ἐργάζεται καὶ BP N Ea 103 [πάντες
ἄνθρωποι] Ν 
 Text und Übersetzung der Schrift Gegen die Vegetarier   61

3 Wenn aber einerseits die Seelen der Menschen unsterblich sind, die der ver-
nunftlosen (Tiere) aber sterblich, begehen wir Menschen kein Unrecht, wenn wir
die vernunftlosen (Tiere) töten, genauso wie wir helfen, falls ihre Seelen doch un-
sterblich sind, indem wir sie töten. Zum Wiederaufstieg zur menschlichen Natur
tun wir dies.
1.20.1 Aber wenn wir uns verteidigen, tun wir kein Unrecht, sondern wir
bestrafen die, die Unrecht tun. Daher helfen wir, wenn wir sie töten, wenn ihre
Seelen unsterblich sind; wenn aber die Seelen der vernunftlosen Tiere sterblich
sind, tun wir nichts Gottloses, wenn wir sie töten.  2 Aber wenn wir uns auch ver-
teidigen, wie handeln wir da nicht im Recht? Wir töten eine Schlange und einen
Skorpion, auch wenn sie uns nicht angreifen, damit keinem anderen Schaden
von ihnen zugefügt wird, womit wir das gesamte Geschlecht der Menschen vertei-
digen. Wie sollten wir aber nicht zu Recht diejenigen töten, die sich entweder auf
die Menschen oder die Haustiere oder die Feldfrüchte stürzen?
1.21.1 Wenn aber jemand dies einfach als Ungerechtigkeit empfindet, soll
er weder Milch noch Wolle noch Eier noch Honig verwenden. Wie du nämlich
einem Menschen Unrecht tust, wenn du seine Kleidung wegnimmst, so (tust du
Unrecht), wenn du ein Schaf scherst, da dies die Kleidung des Schafes ist. Und
die Milch ist nicht für dich entstanden, sondern für die neugeborenen Tierjun-
gen, und die Biene hat für sich selbst dieses Essen gesammelt, welches du weg-
nimmst, um dir selbst Freude zu bereiten.  2 Und ich habe bisher über die Lehre
der Ägypter geschwiegen, dass wir auch den Pflanzen Unrecht tun, wenn wir sie
anrühren. Aber wenn diese unseretwegen entstanden sind, dann stellt sowohl
die Biene Honig in unseren Diensten für uns her als auch wächst die Wolle der
Schafe, die für uns Schmuck und Wärme ist.
1.22.1 Den Göttern selbst aber opfern wir Tiere und bringen damit Leistungen
für die Frömmigkeit, und unter ihnen ist Apollon ein Wolf-Töter, und Artemis eine
Wild-Töterin.  2 Denn ebenso haben alle Halbgötter und Helden, die uns sowohl
an Abstammung als auch an Tugend überragen, die Darbringung der Opfertiere
so gebilligt, dass sie den Göttern Dutzende und Hunderte Opfer dargebracht
haben. Herakles aber wird neben anderen Dingen auch deswegen besungen, weil
er ein Rindesser war.
1.23.1 Die Behauptung, dass Pythagoras aus langer Voraussicht diese Sicher-
heitsvorkehrung getroffen habe, mit der Absicht, die Menschen vor dem Kanni-
balismus zu bewahren, ist naiv. Denn wenn in der Zeit des Pythagoras alle Men-
62   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

ἄνθρωποι ἀλλήλους ἤσθιον, ληρώδης ὁ καὶ τῶν ἄλλων ζῴων ἀποσπῶν τοὺς
ἀνθρώπους, ἵνα τῆς ἀλληλοφαγίας ἀποστήσῃ. Διὰ τούτο γὰρ ἔμελλε μᾶλλον 105
αὐτοὺς προτρέψεσθαι, ἀποφαίνων ὡς ἴσον ἐστὶν ἀλλήλους ἐσθίειν καὶ ὑῶν τε
καὶ βοῶν σάρκας ἐμφορεῖσθαι.  2 Εἰ δὲ μὴ ἦν ἀλληλοφαγία τότε, τί ἔδει τούτου
τοῦ δόγματος; εἰ δ' ἑαυτῷ καὶ τοῖς ἑταίροις τὸν νόμον ἐτίθει, αἰσχρὰ ἡ ὑπόθεσις·
ἀλληλοφάγους γὰρ ἀποδείκνυσι τοὺς Πυθαγόρᾳ συμβιώσαντας.

1.24.1 Τοὐναντίον δὲ συμβήσεσθαι ὧν οὗτος ἐστοχάζετο. Εἰ γὰρ ἀποστησόμεθα 110


τῶν ἐμψύχων, οὐ μόνον πλούτου τοῦ τοιούτου καὶ ἡδονῆς ἀπολειψόμεθα,
ἀλλὰ καὶ τὰς ἀρούρας ἀπολοῦμεν, φθειρομένας ὑπὸ τῶν θηρίων, ὑπό τε ὄφεων
καταλήψεται πᾶσα ἡ γῆ καὶ τῶν πετεινῶν, ὥστε καὶ τοὺς ἀρότους χαλεπῶς
γίγνεσθαι, καὶ τὰ σπαρέντα εὐθύς τε ὑπὸ τῶν ὀρνίθων ἀναλέγεσθαι, καὶ τὰ
τελεωθέντα ὑπὸ τῶν τετραπόδων ἅπαντα ἀναλίσκεσθαι. Τοσαύτης δὲ ἀπορίας 115
βρωτῶν γιγνομένης ἀνάγκη πικρὰ καταλήψεται ἐπ' ἀλλήλους τραπέσθαι.

1.25.1 Καὶ μὴν καὶ οἱ θεοὶ συντάξεις τε πολλοῖς θεραπείας ἕνεκα δεδώκασιν


τὰς ἐκ θηρίων, καὶ πλήρης γε ἡ ἱστορία, ὡς αὐτοὶ προσέταξάν τισι καὶ θύειν αὐτοῖς
καὶ προσφέρεσθαι τῶν τυθέντων.  2 Ἐν δὲ τῇ καθόδῳ τῶν Ἡρακλειδῶν οἱ ἐπὶ
τὴν Λακεδαίμονα στρατεύοντες μετ' Εὐρυσθένους καὶ Προκλέους ἐν ἀπορίᾳ τῶν 120
ἀναγκαίων ὄφεις ἔφαγον, οὓς ἔδωκεν ἡ γῆ τότε τροφὴν τῷ στρατοπέδῳ.  3 Ἅλλῳ
δὲ στρατῷ πεινῶντι κατὰ τὴν Λιβύην ἐνέπεσε νέφος ἀκρίδων.  4 Ἐν τοῖς Γαδείροις
καὶ τόδε συνέτυχεν. Βόγος ἦν βασιλεὺς Μαυρουσίων ὁ ἐν Μεθώνῃ σφαγεὶς ὑπ'
Ἀγρίππα· οὗτος ἐπεχείρησε τῷ Ἡρακλείῳ πλουσιωτάτῳ ὄντι ἱερῷ. Ἔστι δὲ
νόμος τοῖς ἱερεῦσιν ὁσημέραι τὸν βωμὸν αἱμάσσειν.  5 Τοῦτο δὲ ὅτι οὐ γνώμῃ 125
γίγνεται ἀνθρώπων, ἀλλὰ κατὰ θεόν, ὁ τότε καιρὸς ἀπέδειξεν. Τῆς γὰρ πολιορκίας
ἐγχρονιζομένης ἐπέλειπον τὰ ἱερεῖα. Ὁ δὲ ἱερεὺς ἐν ἀπορίᾳ γενόμενος ὄνειρον ὁρᾷ
τοιόνδε.  6 Ἐδόκει ἑστάναι μέσος τῶν στηλῶν τῶν Ἡρακλείων, ἔπειτ' ἄντικρυς
τοῦ βωμοῦ ὁρᾶν ὄρνιν καθεζόμενον καὶ πειρώμενον ἐφίπτασθαι· ἐπιπτάντα δὲ εἰς
τὰς χεῖρας ἐλθεῖν αὐτοῦ· ᾧ δὴ καὶ τὸν βωμὸν αἱμάξαι.  7 τοῦτ' ἰδὼν ἅμ' ἡμέρᾳ 130
ἐξαναστὰς ἐπὶ τὸν βωμὸν ἦλθεν, καὶ ὥσπερ ἐν τῷ ὀνείρῳ στὰς ἐπὶ τοῦ πύργου

112 ἀπολοῦμεν, φθειρομένας V Gd Ga Gb Vb: ἀπολοῦμεν φθειρομένας BP N Ea Eb 114 γίγνεσθαι, καὶ


V Ψ1: γίγνεσθαι καὶ BP N Ea Gd 114 ἀναλέγεσθαι, καὶ V Ψ1: ἀναλέγεσθαι καὶ BP N Ea Gd 117 θεοὶ
Ba (Bodleianus auct): θεῖοι V1 Ψ1 118 ἱστορία, ὡς V Gb Vb Eb: ἱστορία ὡς Ea Gd Ga 120 Προκλέους
Valentinus: Προσκλέους V1 Ψ1 123 Βόγος Valentinus: Μόγος V Gd: Μόγος (corrigendum e
Μόνος) Vb Μόνος Ga Gb Ea: Βόνος Eb 123 Μεθώνῃ Valentinus: Μοθώνῃ V1 Ψ1 124 Ἀγρίππα ed.
pr.: Ἀγρίπα V1 Ψ1 124 ἐπεχείρησε BP: ἐπεχείρισε V1 Ψ1: ἐπεχείρησεν ed. pr. N 131 ἦλθεν, καὶ V
Ea Ψ1: ἦλθεν καὶ BP N Gd 
 Text und Übersetzung der Schrift Gegen die Vegetarier   63

schen einander gegessen hätten, wäre der ein Schwätzer, der die Menschen vom
Verzehr anderer Tiere abgehalten hätte, um sie vom Kannibalismus abzubringen.
Denn dadurch hätte er sie eher dazu ermuntert, weil er gezeigt hätte, dass es das
gleiche sei, einander zu essen und sich vom Fleisch von Schweinen und Rindern
zu sättigen.  2 Wenn es aber damals keinen Kannibalismus gab, warum bedurfte
es einer solchen Lehre? Aber wenn er für sich selbst und seine Gefährten diesen
Brauch festgesetzt hat, ist die Annahme schändlich. Denn sie erweist die, die mit
Pythagoras zusammengelebt haben, als Kannibalen.
1.24.1 Das Gegenteil werde aber passieren von dem, worauf er (Pythago-
ras) zielte. Wenn wir uns nämlich der Tiere enthalten, werden wir uns nicht nur
von einem derartigen Reichtum und Lust verabschieden, sondern auch unsere
Felder zugrunde richten, weil sie von den Tieren zerstört werden, und die ganze
Erde wird von Schlangen und Vögeln eingenommen werden, sodass sowohl das
Pflügen schwierig wird, die gesäten Samen von den Vögeln gesammelt werden als
auch die reifen Früchte von den Vierbeinern ganz verzehrt werden. Wenn aber ein
so großer Mangel an Nahrung entsteht, wird bittere Not erzwingen, dass wir uns
gegeneinander wenden.
1.25.1 Und in der Tat haben auch die Götter vielen Menschen Rezepte zwecks
medizinischer Behandlung gegeben, die sich von Tieren ableiten, und die Ge-
schichte ist doch voll von Beispielen, wie sie selbst manche beauftragt haben,
ihnen zu opfern und aus den Opfern [Speisen] vorzusetzen.  2 Während der
Rückkehr der Söhne des Herakles aßen diejenigen, die mit Eurysthenes und
Prokles gegen Sparta zu Fuß zogen, aus Mangel an notwendigen Lebensmitteln
Schlangen, welche die Erde damals dem Heer als Nahrung schenkte.  3 Und
auf ein anderes hungerndes Heer in Libyen ließ sich ein Heuschreckenschwarm
nieder.  4 In Gadeira ist auch Folgendes geschehen: Bogos war ein König der
Mauretanier, der von Agrippa in Methone getötet wurde. Dieser hat das Herakles-
Heiligtum angegriffen, weil es sehr reich war. Es ist aber Brauch für die Priester,
den Altar jeden Tag mit Blut zu besprengen.  5 Dass aber dieser nicht aus dem
Ratschluß der Menschen, sondern gemäß dem Wunsch des Gottes entstanden ist,
bewies das damalige Ereignis: Als nämlich die Belagerung sich in die Länge zog,
gingen die Opfertiere aus, der Priester aber, der in Verlegenheit geriet, sah den
folgenden Traum:  6 Er schien zwischen den Säulen des Herakles zu stehen und
dann gerade gegenüber dem Altar einen Vogel zu sehen, wie er saß und herbei-
zufliegen versuchte. Der Vogel kam aber fliegend in seine Hände, und mit seinem
Blut habe er den Altar bespritzt.  7 Nach der Vision stand er bei Tagesanbruch
auf und ging zum Altar und, wie im Traum, trat er auf den Turm und schaute
64   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

ἀποβλέπει· ὁρᾷ τε τὸν ὄρνιν ἐκεῖνον, οἷον ἐν τοῖς ὕπνοις, ἐλπίσας τε ἐκβαίνειν
τοὐνύπνιον ἔστη. καταπτὰς δ' ὁ ὄρνις ἐπὶ τοῦ βωμοῦ ἐκαθέζετο, εἰς τὰς χεῖράς θ'
αὑτὸν ἔδωκε τοῦ ἀρχιερέως, καὶ οὕτως ἱερεύθη, καὶ ὁ βωμὸς ᾑμάχθη.  8 Τούτου
δ' ἐστὶν ἐνδοξότερον τὸ γεγονὸς ἐν Κυζίκῳ. πολιορκοῦντος γὰρ αὐτὴν Μιθραδάτου 135
ἡ τῆς Περσεφόνης ἑορτὴ ἐπέστη, ἐν ᾗ βοῦν χρὴ θῦσαι. Αἱ δ' ἱεραὶ ἀγέλαι ἐνέμοντο
τῆς πόλεως ἄντικρυς, ἐξ ὧν ἔδει τὸ ἱερεῖον γενέσθαι, ἤδη δὲ ἦν καὶ τὸ σημεῖον
ἐπικείμενον.  9 Τῆς δ' ὥρας αἰτούσης ἡ βοῦς ἐμυκήσατο, διενήξατό τε τὸν
πόρον· ὥς τε ἠνέῳξαν τὴν πύλην οἱ φύλακες, ἣ δὲ δρόμῳ διῇξε, κἀπὶ τοῦ βωμοῦ
παρέστη, τῇ θεῷ τε ἐτελέσθη τὸ θῦμα.  10 Οὐκ ἀπεικότως ἄρα εὐσεβέστατον 140
εἶναι νομίζουσι τὸ πλεῖστα θῦσαι, εἴπερ ἀρεστὸν θεοῖς φαίνεται τὸ θύειν.

1.26.1 Ποία δὲ ἄν τις γένοιτο πόλις, εἰ πάντες οἱ πολῖται ταύτην ἔχοιεν


τὴν γνώμην; πῶς γὰρ ἂν ἀμύναιντο πολεμίους ἐπὶ σφᾶς ἰόντας, τὴν μεγίστην
ποιούμενοι φυλακὴν μή τινα αὐτῶν ἀποκτείνωσιν; παραχρῆμα τοίνυν ἀνάστατοι
γίγνοιντ' ἄν· ἄλλα δ' ὅσα δυσχερῆ συμβαίνειν ἀνάγκη, μακρὸν ἂν ἔργον εἴη 145
λέγειν.  2 Ὅτι δὲ οὐκ ἀσεβὲς τὸ κτείνειν καὶ ἐσθίειν, δηλοῖ τὸ καὶ αὐτὸν τὸν
Πυθαγόραν, τῶν μὲν πάλαι διδόντων γάλα πίνειν τοῖς ἀθλοῦσι καὶ τυροὺς δὲ
ἐσθίειν ὕδατι βεβρεγμένους, τῶν δὲ μετ' ἐκείνους ταύτην μὲν ἀποδοκιμασάντων
τὴν δίαιταν, διὰ ‹δὲ› τῶν ξηρῶν σύκων τὴν τροφὴν ποιουμένων τοῖς ἀθληταῖς,
πρῶτον περιελόντα τὴν ἀρχαίαν κρέα διδόναι τοῖς γυμναζομένοις, καὶ πολὺ 150
διαφέρουσαν πρὸς ἰσχὺν εὑρεῖν δύναμιν.  3 Ἱστοροῦσι δέ τινες καὶ αὐτοὺς
ἅπτεσθαι τῶν ἐμψύχων τοὺς Πυθαγορείους, ὅτε θύοιεν θεοῖς.

1.26.4 Τοιαῦτα μὲν καὶ τὰ παρὰ Κλωδίῳ, καὶ Ἡρακλείδῃ τῷ Ποντικῷ,


Ἑρμάρχῳ τε τῷ Ἐπικουρείῳ, καὶ τοῖς ἀπὸ τῆς στοᾶς καὶ τοῦ περιπάτου, ἐν οἷς καὶ
τὰ ὑμέτερα, ὅσα ἡμῖν ἀπηγγέλθη, περιείληπται. Μέλλοντες δὲ πρός τε ταύτας καὶ 155
τὰς τῶν πολλῶν ὑπολήψεις ἀντιλέγειν, εἰκότως ἂν προλέγοιμεν ταῦτα.

132 ἐκεῖνον, οἷον V Ga Gd Vb Eb: ἐκεῖνον οἷον BP N Ea Gb 134 ἱερεύθη, καὶ V1 Ga Gb Vb: ἱερεύθη


καὶ BP N Eb 138 ἐμυκήσατο, διενήξατό V1 Ψ1: ἐμυκήσατο διενήξατό BP N 139 ἠνέῳξαν
Hercher: ἠνέῳξαν τε V1 Ψ1: ἀνέῳξαν N 139 διῇξε, κἀπὶ V Ea Ψ1: διῇξε κἀπὶ BP N Gd 145 [ἔργον]
Ν 146 δὲ add. Hercher 150 γυμναζομένοις, καὶ V Ψ1: γυμναζομένοις καὶ BP N Gd
Ea 153 Κλωδίῳ, καὶ Ea: Κλωδίῳ καὶ BP N V Gd Ψ1 153 Ποντικῷ, Ἑρμάρχῳ τε τῷ Ἐπικουρείῳ,
καὶ V1 Ψ1: Ποντικῷ Ἑρμάρχῳ τε τῷ Ἐπικουρείῳ καὶ BP N 154 Ἑρμάρχῳ Bernays: Ἑρμάχῳ V1 Ψ1
155 ἀπηγγέλθη ed. pr.: ἀπηγγέλθαι V1 Ψ1 156 ἀντιλέγειν, εἰκότως V Gd Ψ1: ἀντιλέγειν εἰκότως
BP N Ea 156 Vide capitulum 2.1 τέλος Eb 
 Text und Übersetzung der Schrift Gegen die Vegetarier   65

aus. Und er sah jenen Vogel, so wie er im Schlaf war, und blieb in der Hoffnung
stehen, dass sein Traum in Erfüllung gehen würde. Der Vogel flog herunter, setzte
sich auf den Altar, gab sich in die Hände des Erzpriesters ein, und so wurde er
geopfert und der Altar mit Blut bespritzt.  8 Aber noch berühmter als dies ist das,
was sich in Kyzikos ereignet hat. Denn während der Belagerung des Mithridates
stand das Fest von Persephone bevor, zu welchem eine Kuh geopfert werden muss.
Aber die heiligen Herden, aus welchen das Opfertier kommen musste, weideten
gegenüber der Stadt, und das Zeichen (für das Opfer) war schon (auf einem dieser
Tiere) aufgezeichnet worden.  9 Als die Zeit es erforderte, brüllte die Kuh und
durchschwamm die Furt, und da die Wächter das Tor öffneten, durchquerte sie im
Lauf (die Stadt) und stellte sich bei dem Altar ein, und das Opfer wurde der Göttin
dargebracht.  10 Mit Fug und Recht also glaubt man, dass es besonders fromm
sei, sehr viele Tieropfer zu bringen, wenn doch das Opfern den Göttern gefällig
erscheint.
1.26.1 Aber auf welche Weise würde wohl eine Stadt existieren, wenn alle
ihre Bürger diese Meinung hätten? Denn wie könnten sie wohl die Feinde ab-
wehren, die gegen sie marschieren, wenn sie die größte Vorsorge darauf richten,
keinen von ihnen zu töten? Sie würden wohl gewiss auf der Stelle vernichtet
sein, und es wäre wohl ein langes Unternehmen zu erzählen, wie viele andere
schlimme Dinge noch zwangsläufig passieren würden.  2 Dass aber das Töten
und der Verzehr nicht unfromm sind, zeigt Pythagoras selbst. Die Alten gaben
den Athleten Milch zum Trinken und in Wasser getränkten Käse zum Verzehr; die
nach ihnen aber verwarfen diese Diät und ersetzten die Ernährung für die Athle-
ten durch getrocknete Feigen; Pythagoras selbst schaffte als erster die alte Weise
ab und gab den Trainierenden Fleisch und entdeckte, dass es in Hinsicht auf
körperliche Kraft ausgezeichnet wirksam ist.  3 Einige berichten aber, dass die
Pythagoreer sogar selber Tiere anrührten, immer wenn sie den Göttern opferten.
1.26.4 Solcherart sind sowohl (die Darlegungen) bei Klodios als auch bei
Herakleides Pontikos, bei Hermarchos dem Epikureer, bei den Stoikern und bei
den Peripatetikern, in welchen auch eure (Argumente) erfasst sind, soweit sie
uns berichtet worden sind. Bevor ich diese Vermutungen und die der gemeinen
Menschen beantworte, halte ich es für angemessen, folgendes als Einleitung zu
sagen.
66   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

1.2.3 Scholien zur Schrift Gegen die Vegetarier

1.13.1: περὶ τῶν κοινῶν δοξῶν ὅτι οὐ δεῖ ἐμψύχων ἀπέχεσθαι. V1 Ψ1.
1.13.1: Über die allgemeinen Meinungen, dass man sich nicht der Tiere enthalten
soll.

1.13.2: “ “ “: Anführungszeichen, die darauf hinweisen, dass einige Stellen von


Homer zitiert werden. V1 Ga Vb Eb.

1.14.4: αἰτία ψευδὴς τοῦ μὴ χρῆσθαι κρέασι χοίρων ἰουδαίους τε καὶ αἰγυπτίους,
ὅτι οὐ δ᾽ἐν Κύπρῳ, ἢ φοινίκῃ, ἢ ἐν αἰθιοπίᾳ γεννῶνται χοῖροι V1 Ψ1.
1.14.4: Falscher Grund, warum die Juden und Ägypter kein Fleisch von Schweinen
nutzen, dass weder auf Zypern noch in Phönizien noch in Äthiopien Schweine ge-
züchtet werden.

1.17.1: Θεραπίαι δι᾽ἀγρίων ζώων. V1 Ga Gb Vb.


1.17.1: Medizinische Behandlungsarten auf Basis wilder Tiere.

1.18.1: ἀντι θας: 1.19.1: λυ V Εa Ψ1: 1.18.1 ἀντίθεσις: 1.19.1: λύσις Gd.
1.18.1: Abkürzung für Antithesis und Lösung.

1.25.2: Ἱστορία: 1.25.3; 1.25.4; 1.25.8 V1 Ψ1.


1.25.2: Geschichte.

1.26.3: ὅτι καὶ οἱ πυθαγόρικοι ἔθυον ἔμπψυχα. V1 Ψ1.


1.26.3: Dass sogar die Pythagoreer Tiere geopfert haben.

1.26.4: τέλος Eb.


1.26.4: Ende (des Kapitels).

1.27.1 (als Scholion): τοῦ Πορφυρίου ἀρχὴ τῶν ἐπιστάσεων ἐπιχειροῦντος εἰς τὸ
ἐμψύχων ἀπέχεσθαι. V Ga Gb Gd Εa.
1.27.1 (Als Titel des Kapitels, groß, rot geschrieben und mit initialen Π): τοῦ
Πορφυρίου ἀρχὴ τῶν ἐπιστάσεων, ἐπιχειροῦντος, εἰς τὸ ἐμψύχων ἀπέχεσθαι. Vb
Eb.
1.27.1: Anfang der Erwägungen des Porphyrios, die das Ziel haben, den Vegetaris-
mus zu rechtfertigen.
 Text und Übersetzung der Schrift Gegen die Vegetarier   67

1.2.4 Textkritische Anmerkungen

Testimonia
1.3.3 τῶν τε φιλολόγων συχνοί, καὶ Κλώδιός τις Νεαπολίτης πρὸς τοὺς
ἀπεχομένους τῶν σαρκῶν βιβλίον κατεβάλετο: In V Gd Ψ1 findet sich die in diesem
Text gedruckte Interpunktion, die dazu beiträgt, die Passagen zwischen τῶν τε
φιλολόγων συχνοὶ, die in Parallele zu τῶν φιλοσόφων οἵ τ' ἀπὸ τοῦ περιπάτου…
steht, und καὶ Κλώδιός τις Νεαπολίτης (…) κατεβάλετο, die einen selbständigen
Satz bildet, zu unterscheiden. In V Ga Gb wird ein Komma zwischen Νεαπολίτης
und πρὸς gesetzt und Eb schließt den Titel des Buches von Klodios zwischen
Kommata ein (Νεαπολίτης, πρὸς τοὺς ἀπεχομένους τῶν σαρκῶν, βιβλίον). Dies
spricht für eine Auffassung dieser Wortfolge als Titel des Buches und nicht nur
als Beschreibung des Inhalts, kann aber trotzdem nicht als syntaktisch korrekt
verstanden werden.

1.26.4 Μέλλοντες δὲ πρός τε ταύτας καὶ τὰς τῶν πολλῶν ὑπολήψεις ἀντιλέγειν,


εἰκότως ἂν προλέγοιμεν ταῦτα: Das Komma, das in V Ga Gb Vb Gd Eb gesetzt ist,
ordnet das Adverb εἰκότως ganz deutlich zu ἂν προλέγοιμεν ταῦτα, und verhin-
dert damit, dass es als adverbiale Bestimmung zu dem davorstehenden Verb
ἀντιλέγειν verstanden wird.

Fragment 1
1.13.2 Πυρὸς οὖν εὑρεθέντος ἀπολαβεῖν τὸ κατὰ φύσιν, δι' ἑψήσεως προσεμένους
τὰ κρέα: Obwohl Ea die Interpunktion von BP bestätigt (πυρὸς οὖν εὑρεθέντος
ἀπολαβεῖν τὸ κατὰ φύσιν δι' ἑψήσεως, προσεμένους τὰ κρέα), zeigen alle anderen
Handschriften ein Zeichen an der Position, wie oben gedruckt wurde. Es ist nicht
nur eine Frage des besseren Einordnens der Elemente im Satz, sondern ein rele-
vanter Unterschied für die Bedeutung des Satzes. Nach BP würde der Satz über-
setzt so lauten: „Nach der Entdeckung des Feuers hätten sie das Naturgemäße
durch Kochen erhalten, indem sie das Fleisch akzeptiert hätten“. Aber nach der
Lesart der Handschriften so: „Nach der Entdeckung des Feuers hätten sie das Na-
turgemäße erhalten, indem sie das Fleisch durch das Kochen akzeptiert hätten“.
Nur auf diese Weise wird deutlich, dass sie das Fleisch erst durch das Kochen als
akzeptabel empfunden haben und aus diesem Grund sind sie zum „naturgemä-
ßen Leben“ zurückgekehrt. Die Ritualisierung des Kochens wird durch diese In-
terpunktion näher beschrieben und als direkter Auslöser der sowohl physischen
als auch moralischen Genehmigung – ausgedrückt durch das Verb προσίεμαι –
des Verzehrs von Fleisch gekennzeichnet.
68   Klodios aus Neapel, Herakleides Pontikos und die Schrift Gegen die Vegetarier

1.13.3 Δι' ἃ ‘ὠμοφάγοι’ (…) ἀείρας παντοίων’: aufgrund der zahlreichen Lücken


ist die Passage sehr schwer zu verstehen. Es handelt sich hier um eine Sammlung
von homerischen Zitaten, die sich mit der Omophagie beschäftigen. Die zitierten
Verse sind Ilias 11.479 – ὠμοφάγοι μιν θῶες ἐν οὔρεσι δαρδάπτουσιν; Ilias 22.347 –
ὤμ’ ἀποταμνόμενον κρέα ἔδμεναι, οἷα ἔοργας, – und Od. 1.141–2 – δαιτρὸς δὲ
κρειῶν πίνακας παρέθηκεν ἀείρας παντοίων. Die Lesung der Handschriften hilft
auch nicht weiter, diese homerische Reihe zu verstehen. Der einzige Hinweis ist,
dass in den Scholien oft Anführungszeichen auftauchen, die darauf hinweisen,
dass es sich um einen fremden Text handelt. Der Text der Handschriften selbst
enthält ebenfalls eine Interpunktion, die sich sehr wahrscheinlich auf diese An-
führungszeichen bezieht. Diese wird nicht für diese Ausgabe übernommen, des-
wegen wird sie hier komplett aufgezeigt: ἃ, ὠμοφάγοι μὲν οἱ θῶες, καὶ V Gd Ψ1:
θῶες: καὶ Ea; τ᾽ὠμὸν βεβρώθοις Πρίαμον, Gb Vb Ea: τὸ, ὠμὸν βεβρώθοις Πρίαμον
Gd: τὸ, ὠμὸν βεβρώθοις Πρίαμον, V Ga; Außerdem enthält die Handschrift Gd einen
kuriosen Fehler – einen saut du même au même, verbunden mit eigener Kreativi-
tät des Schreibers – und bietet statt ὡς ἂν δὴ τοῖς ἀθέοις ἀποδεδομένης τῆς τῶν
κρεῶν πίνακας die Variante ὡς ἂν δὴ τοῖς ἀθέοις ἀποδεδομένης τῆς τῶν νεκρῶν
πίνακας. Also das Wort κρέας Fleisch wird durch νεκρός Leichnam ersetzt.

1.15.2 οἳ ἐκ τῆς ἀρρωστίας τὰ σώματα ἀναλαμβάνουσι: Die Position des Arti-


kels τὰ, die in allen Handschriften zu finden ist (οἳ τὰ ἐκ τῆς ἀρρωστίας σώματα
ἀναλαμβάνουσι) weist auf eine attributive Funktion des ἐκ τῆς ἀρρωστίας hin,
obwohl es eigentlich eine prädikative Funktion in diesem Satz besitzt. Die Nach-
stellung des Artikels löst diese Schwierigkeit.

1.15.3 οὐδεὶς ἐπείσθη οὔτε τῶν ἑπτὰ οὔτε τῶν ὕστερον γενομένων φυσικῶν: Das
von Nauck und BP eingefügte Komma (ἐπείσθη, οὔτε) ist überflüssig und nicht
belegt in V1 Ga Gb.

1.16.2 Καὶ γὰρ ‹εἰ› φθειρομένων τῶν καρπῶν τοὺς φθείροντας οὐκ ἀποκτείνουσιν,
ἡ γῆ τε τὸ πλῆθος οὐκ οἴσει τῶν ζῴων: Ohne die Partikel εἰ kann man diesen
Satz nicht wirklich als Protasis des Folgenden einordnen, da der davorstehende
Genitivus Absolutus das Verb ἀποκτείνουσιν nicht bestimmt. Das in V1 Ψ1 belegte
Komma koordiniert die Protasis mit der Apodosis und sollte in den Text aufge-
nommen werden.

1.17.1 Πόσοι δὲ πρὸς θεραπείαν ἐμποδισθήσονται, ἀπεχόμενοι τῶν ζῴων: Dieses


Komma trennt die partizipiale Konstruktion ἀπεχόμενοι τῶν ζῴων vom Haupt-
satz und verhindert, dass sie als Subjekt in Verbindung mit Πόσοι verstanden
wird. Sie ist in V Gd Ψ1 belegt.
 Text und Übersetzung der Schrift Gegen die Vegetarier   69

1.18.1 Εἰ δέ, ὡς φασί, καὶ τὰ φυτὰ ψυχὴν ἔχει, οἷος ἂν εἴη ὁ βίος μήτε ζῴων μήτε
φυτῶν ἡμῶν ἀποτεμνόντων: Das Relativpronomen οἷος, das in den Handschrif-
ten V1 Ψ1 belegt ist, kann in Ausrufesätzen verwendet werden. Nauck versteht
dagegen diesen Satz als einen direkten Fragesatz und muss οἷος durch ποῖος er-
setzen, um einen Sinn zu schaffen.

1.19.1 νεότητος ἕνεκα ἐρώσας ἄν τις φαίη· ἐν γὰρ ταύτῃ πάντων ἀπόλαυσις:


Nauck entfernt das in allen Handschriften belegte ἕνεκα und BP geben das Wort
in eckigen Klammern an. Die Präposition wird hier aber korrekt nachgestellt und
gibt den Sinn der Kausalität zwischen der Seele und dem Verlangen nach Jugend
und aus diesen Gründen sollte das Wort im Text bleiben.

1.19.3 Αἰτία τοίνυν ἱκανὴ ἀναιρεῖν τὰ ἄλλα ζῷα, ἐφ’ ὅσον ἀδικεῖ κτείνοντα τοὺς
ἀνθρώπους: Ein weiteres Beispiel für eine überflüssige Entfernung eines Kommas,
das in diesem Fall in V Ga Gb Vb belegt ist. Außerdem setzt Nauck die Passage ἐφ’
ὅσον ἀδικεῖ κτείνοντα τοὺς ἀνθρώπους in eckige Klammern und man kann seine
Gründe gut verstehen, da das vorherige Argument keinen Bezug zum Töten von
Tieren aufgrund ihres ungerechten Handelns besitzt. Dies widerspricht sogar der
Diskussion in 1.14, die darauf besteht, dass es gleichgültig ist, ob ein Tier angreift
oder nicht; sie dürfen alle getötet werden. Dies kann ein Zeichen für die doppelte
Autorschaft dieses Buches sein in Form einer Hinzufügung von Klodios in einer
Passage, die wahrscheinlich ursprünglich von Herakleides stammt.

Tab. 2: Auslassungen in den Handschriften.

Stelle Passage Handschrift

1.13.1 καὶ λοιπὸν χρήσασθαι Gb


1.13.2 , παρὰ φύσιν δὲ τὸ ὠμοφαγεῖν Gd
1.13.5 καὶ Eb
1.14.1 ἐπιτίθεται τοῖς ἀνθρώποις, ὥσπερ λύκοι καὶ λέοντες· τὰ δ' οὐχ Gd
ἑκόντα
1.14.4 οὐδεὶς Ψ1
1.17.2 ἐκ τῶν Gb
1.19.1 εἰ Eb
1.19.3 οἱ Eb
1.20.2 οὖν Vb Eb
1.25.5 ὅτι Ea
Zweites Kapitel
Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im
Vergleich mit Theophrasts Über die Frömmigkeit
Nachdem sowohl ein Überblick über den Inhalt und die Überlieferung als auch
der griechische Text mit Übersetzung der Schrift Gegen die Vegetarier geboten
wurden, wird im Folgenden dargestellt, inwiefern deren Argumente in drei ver-
schiedenen Epochen ihre Wirkung gezeigt haben. Diese sind das vierte Jh. v. Chr.
in Athen, das Jahrhundert um die Zeitenwende in Rom und das dritte Jh. n. Chr.
ebenfalls in Rom. Außerdem wird darauf hingewiesen werden, dass viele Ähn-
lichkeiten zwischen dem Inhalt dieser Schrift und der ebenfalls bei Porphyrios
fragmentarisch erhaltenen Schrift Peri Eusebeias des Theophrast bestehen.
Streng genommen kann man wenig mit Sicherheit über Theophrast, He­ra­
klei­des Pontikos oder Klodios aus Neapel nur auf Basis der Wiedergabe des Por-
phyrios in der Schrift DA sagen, wie bereits in Kapitel 1.1.3.1 diskutiert wurde.
Grund dafür ist, dass es keine unabhängige Überlieferung der Schriften Über die
Frömmigkeit und Gegen die Vegetarier gibt. Nichtdestotrotz wird in dieser Arbeit
eine Analyse angeboten, die darauf abzielt, die genannten Philosophen mit dem
Inhalt, den Porphyrios ihnen zuschreibt, in Beziehung zu setzen. Die Methodolo-
gie dafür ist, nicht nur diese fragmentarischen Schriften mit den übrigen Schrif-
ten dieser Autoren zu konfrontieren, sondern auch ihre möglichen Entstehungs-
kontexte darzustellen und ihre Argumentationsebenen gründlich zu vergleichen.
Viele Diskussionen, die in der Schrift Gegen die Vegetarier enthalten sind,
sind innerhalb der Alten Akademie entstanden und dies sehr wahrscheinlich
infolge der Auseinandersetzungen zweier Mitglieder: Herakleides Pontikos und
Theophrast. Der intellektuelle Kontext dieses möglichen Streits wird in Kapitel
2.1.1 diskutiert. Drei Jahrhunderte später hat Klodios aus Neapel Zugang zu den
Ergebnissen dieser Diskussion und schreibt darauf basierend die Schrift Gegen
die Vegetarier in einem Rom, das von gewaltigen sozialen Änderungen geprägt
ist, aber gleichzeitig eine Wiederbelebung des Pythagoreismus und der vegeta-
rischen Lebensweise erlebt, wie in Kapitel 2.1.2 beschrieben werden wird. Dies
alles wird von Porphyrios im dritten Jh. n. Chr. überliefert. In welchem Kontext er
diese Schrift rezipiert hat, wird in Kapitel 2.1.3 analysiert werden.
Dann wird spezifisch auf die intertextuellen Bezüge zwischen den Schrif-
ten Gegen die Vegetarier und Über die Frömmigkeit eingegangen werden. Zuerst
wird gezeigt werden, dass sich beide Schriften ernsthaft mit den Fragen der „Ur-
nahrung“ der ersten Menschen und der Nutzung des Feuers beschäftigt haben
(Kapitel 2.2.1). In Kapitel 2.2.2 werden dann die Positionen der beiden Schriften
sowohl bezüglich der Verhältnisse zwischen Menschen und Pflanzen als auch
 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die Vegetarier   71

des ethischen Umgangs mit Produkten tierischer Herkunft, wie Milch, Eier und
Honig, verglichen werden. Danach (Kapitel 2.2.3) wird analysiert werden, in-
wiefern beide Autoren das Thema des Kannibalismus in Verbindung mit dem
Vegetarismus gesetzt haben, um ihre Argumente zu stärken. Als letztes werden
unterschiedliche Vorstellungen des Wesens der Seele und der Beziehung unter
Lebewesen dargestellt werden (Kapitel 2.2.4). Anhand dieser sowohl termino-
logischen als auch thematischen Vergleiche wird eine fundiertere Meinung zu
den Interaktionen zwischen den oben genannten Philosophen, die sich mit dem
Fleischverzehr und den Vegetarismus beschäftigt haben, angeboten werden.

2.1 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die


Vegetarier

2.1.1 Die Frage der Tierethik in der Alten Akademie

Als Alte Akademie wird hier die Periode verstanden, die von der Gründung der
Schule durch Platon (etwa 387 v. Chr.) bis zum Ende der Schulleitung Polemons
(276 v. Chr.) reicht. In dieser Sektion wird darauf verzichtet, eine Geschichte der
Entwicklung der Alten Akademie anzubieten, da bereits zahlreiche ausgezeich-
nete Beiträge dazu vorhanden sind1. Vielmehr soll dargestellt werden, inwie-
fern die Frage der Tierethik eine Rolle in der Dynamik dieses philosophischen
Kreises gespielt hat, und wie die Analyse der Schrift Gegen die Vegetarier dieses
Bild schärfen kann.
Die hier vorgeschlagene Darstellung des von den Philosophen gebilde-
ten Netzwerks, das in der Alten Akademie aktiv war, beabsichtigt zu zeigen,
wie die Beziehungsfelder innerhalb des Kreises in Bezug auf die Tierethik ver-
teilt waren. Als zentraler Punkt in der Hierarchie galt Platon, aber es ist bereits
gezeigt worden2, dass die Akademie kein strenges hierarchisches System besaß,
sondern die Mitglieder eine gewisse Freiheit genossen3. Diese Freiheit zeigt sich

1 Baltes 1999, 250–273; Dillon 2003 passim; Thiel 2006, 11–133.


2 Dillon 2003, 16–29 beabsichtigt zu zeigen, dass es kein obligatorisches Dogma in der Akade-
mie, sondern eine gemeinsame methodologische Herangehensweise gegeben habe: „This book
is predicated on the assumption that, despite Platon’s strong views on many subjects, it was
not his purpose to leave to his successors a fixed body of doctrine which they were to defend
against all comers. What he hoped that he had taught them was a method of enquiry, inherited
by himself from his master Socrates, which, if correctly practised, would lead them to the truth.“
3 Baltes 1999, 252–253 versteht das Machtverhältnis auf diese Weise: „Well, he was certainly,
among them all, the undisputed and recognized authority, but he saw his own role as princeps
72   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

sowohl in der intellektuellen Produktion als auch an der Belegung des Raumes
innerhalb des Parks, wo sie sich trafen4. Es handelt sich also um ein System mit
autonomen Teilen, die in überwiegender Beziehung zum Zentrum (Platon), aber
auch zu den anderen Teilen standen. Die herausragenden Akteure dieses Systems
waren Aristoteles, Speusippos und Xenokrates. Diese Köpfe haben auch ihre
eigenen Beziehungsfelder innerhalb der Akademie geleitet und somit zur Diver-
sifizierung der intellektuellen Arbeit in der Akademie beigetragen. Die Spannung
zwischen diesen semiautonomen Gruppen kann nicht nur in überlieferten Anek-
doten gespürt werden, sondern auch am Beispiel des Herakleides Pontikos, der
eine komplexe Rolle in der Dynamik der Akademie gespielt hat. Das Verständnis
der Akademie als einer organischen Gruppe, die den aktiven und dynamischen
Austausch unter ihren Mitgliedern gepflegt hat, und die Wahrnehmung, dass die
Mitglieder starke Beziehungsfelder unter dem Einfluss von Platon bildeten, aber
auch teilweise unabhängig von ihm aktiv waren, hilft zu erklären, warum Herak-
leides Pontikos von manchen als Peripatetiker und von anderen als Akademiker
eingeordnet wird.5
Die Spannung zwischen diesen prominenten Mitgliedern der Akademie lässt
sich auf verschiedene Weise nachweisen. Nicht nur Aristoteles, sondern auch
Speusippos, Xenokrates und Herakleides Pontikos haben gegen bestimmte Teile
der Lehre von Platon eigene Positionen vertreten6. Daraus lässt sich schließen,
dass Kritik und unabhängige Gedanken innerhalb der Gruppe nicht nur geduldet,
sondern sogar gefördert wurden. Die mehr oder weniger stabile Konstellation der
Gruppe wurde durch den Tod Platons zerrissen. Die zentrale Figur verschwand,
und die semiautonomen Gruppen mussten um die Führung kämpfen. Obwohl
nichts über die Art und Weise der Übergabe der Leitung der Schule an Speu-
sippos bekannt ist, kann man ziemlich sicher feststellen, dass Aristoteles und

inter pares“ und „Apart from their research, the scholars were at least for some of the time ent-
rusted with independent teaching. So for example we hear concerning Aristotle that he taught
rhetoric in the Academy, a discipline that Platon was quite averse to. Platon, however, was far
from forbidding him to do it, since in general tolerance was one of the chief hallmarks of the
Platonic Academy. Eudoxus, Speusippus, and Aristotle, for example, were able to propound
teachings in it which were diametrically opposed to those of Platon.“
4 Dillon 2003 2–16 analysiert einige Anekdoten und Auszüge aus der Mittleren Komödie, um
die Besetzung der Räumlichkeiten innerhalb der Akademie zu beschreiben. Die Besetzung des
Kepos und des öffentlichen Parks sei Gegenstand von Streitigkeiten unter den Mitgliedern gewe-
sen, wie Aelian, Varia Historia 3.19 berichtet.
5 Vgl. Gottschalk 1980, 3–6.
6 In der Ontologielehre hat Xenokrates z.  B. mehr Wert auf die Kosmologie gelegt, wie Thiel
2006, 263 erklärt: „Xenokrates vollzieht in seiner eigenwilligen Timaios-Exegese eine Wende vom
rein Metaphysischen, d.  h. prinzipientheoretisch Orientierten, ins Kosmologische.“
 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die Vegetarier   73

seine Fraktion nicht damit einverstanden waren, da er Athen direkt nach dem
Tod Platons verlassen hat. Es gibt noch weitere Informationen über die Übergabe
der Leitung von Speusippos an Xenokrates: Es gab eine Wahl, die von Xenokrates
gegen Herakleides Pontikos und Menedemos mit knapper Mehrheit gewonnen
wurde. Direkt danach und wahrscheinlich aus diesem Grund hat Herakleides
ebenfalls die Akademie und Athen verlassen7. Von diesem Szenario, das höchst-
wahrscheinlich nicht nur von philosophischen Diskussionen, sondern auch von
persönlichen Interessen bestimmt war, weiß man leider nur wenig. Haußleiter
1935, 201–202 vertritt die These, dass die moralische Frage der Tierethik eine Rolle
in diesem Wahlkampf gespielt habe. Aus den Testimonia zum Leben und Frag-
menten des Xenokrates ist zu erkennen, dass er eine tierfreundliche Perspektive
der Ethik vertreten hat, wie unten ausführlicher dargestellt wird. Es wäre inner-
halb der Akademie und vor allem innerhalb seines eigenen Beziehungsfeldes
unwahrscheinlich, dass er der einzige gewesen wäre, der eine solche Meinung
vertreten hätte. Denn Spuren der pythagoreischen Philosophie sind nicht nur bei
Platon, sondern bei allen Mitgliedern der Akademie deutlich zu erkennen8.
Hilfreich wird für unsere Zwecke die folgende Einteilung des inneren Kreises
der Alten Akademie sein: Welche Haltung hatten die Mitglieder zu den folgenden
Fragen: Sollen Menschen Tiere mit Gerechtigkeit behandeln? Bzw. haben Men-
schen moralische Pflichten gegenüber Tieren? Diejenigen, die diese Fragen auf
irgendeine Weise bejahen würden, sind Theophrast und Xenokrates. Aristoteles
dagegen und wahrscheinlich Herakleides würden eine andere Aussage unter-
stützen: Menschen haben keine Pflichten gegenüber den Tieren, und Gerechtig-
keit kann nicht auf Tiere ausgedehnt werden. Die Meinung Platons hingegen ist
schwierig einzuordnen9.

7 Fr. Wehrli 9, Academicorum philosophorum index Herculanensis ed. S. Mekler 1902 p. 38


col VI.
8 Die Beziehung zwischen Pythagoreismus und Platonismus wurde bereits gründlich erforscht.
Thiel 2006, 77 stellt dar, inwiefern Platon Elemente der Philosophie des Pythagoras in seine
­eigene Theorie eingebaut hat: „Dies betrifft auch die pythagoreische Lehre von peras und apei-
ron. Für Platon stellt sich diese Lehre als eine Überlieferung dar, die er in sein Weltmodell ein-
passt. Hier erhält sie sogar einen besonderen Stellenwert, da sie für die Letztbegründung des
Seins die entscheidenden Bausteine liefert.“ Und wie die anderen Mitglieder der Alten Akademie
(Theophrast: Thiel 2006, 122–124, Speusippos: 124–130 und Xenokrates: 130–133) aktiv andere
Elemente des Pythagoreismus entweder überliefert oder an die Lehre Platons angepasst haben.
Haußleiter 1935, 163–233 untersucht, inwiefern einige Mitglieder der Akademie einen pythagorei­
schen Einfluss in Bezug auf die Tierethik gehabt haben. Weitere bibliographische Hinweise zum
Thema findet man in Burkert 1972, 15–96, Zhmud, 2012, 25–60; 415–432 und Horky 2013 85–200.
9 Siehe Dombrowski 1984, 58–64, Haußleiter 1935, 184–198.
74   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

Theophrast aus Eresos, geboren 372/1 oder 371/0 v. Chr., ist vor allem berühmt
aufgrund seiner Schrift Charaktere und seinen Untersuchungen über Pflanzen
(Historia Plantarum). Außerdem ist er bekannt, weil er der Nachfolger des Aris-
toteles wurde und persönlich verantwortlich für die Umwandlung des Lykeions
in eine Bildungseinrichtung10 war, die mehr als zweitausend Studenten während
seiner Schulleitung gesehen hat11. Weniger bekannt ist er als Schüler Platons.
Nur Diogenes Laertios berichtet in der Antike über seine Studienzeit bei Platon12.
Wenn das zutreffend ist, muss er in Athen etwa um 350/349 angekommen sein,
und die Stadt nach dem Tod Platons (348/7) gemeinsam mit Aristoteles verlassen
haben (Mejer 1998, 19). Ausschlaggebend für unsere Untersuchung ist, dass es
durchaus richtig ist zu sagen, dass Theophrast einige Mitglieder der Akademie,
wie Speusippos, Xenokrates, Herakleides Pontikos und selbstverständlich Aris-
toteles kennengelernt und mit ihnen einen intellektuellen Austausch gehabt hat.
Der Schrift Über die Frömmigkeit des Theophrast ist zu entnehmen, dass er Kritik
am Opfersystem seiner Zeit übt. Sein Ziel ist, seine Leser davon zu überzeugen,
dass die echte Frömmigkeit nur erreicht werden kann, wenn auch das Opfern
fromm ist. Fromm zu opfern bedeutet, keine Tiere zu opfern, wie es laut seiner
Geschichte des Opferbrauchs früher üblich gewesen sei. Ausdrücklich schildert
er, dass früher die Menschen die anderen Tiere nicht ermordet (ἐφόνευεν) haben,
weil zwischen ihnen Philia geherrscht habe (DA 2.22.1). Diese Philia war möglich,
weil Tiere und Menschen letztendlich verwandt seien. Aus dieser Verwandtschaft
entstehe dann eine moralische Pflicht gegenüber Tieren. Außerdem spricht Theo-
phrast über spezifische Pflichten, die der Mensch gegenüber Tieren habe, wie
z.  B., sich um die Tiere zu kümmern, die dem Menschen Produkte geben, wie die
Biene. Sorabji 1998, 220 bejaht die Frage „Is Theophrast a significant philoso-

10 Gottschalk 1998, 281–3 stellt die Figur des Theophrast als Verwalter dar, der die täglichen
Schwie­rig­keiten des Peripatos löst. Als Fazit stellt er fest: „It was he (Theophrastus) who estab-
lished it as a school with its own campus and administrative structure, and for some thirty years
he was its chief teacher and administrator, the guardian of its intellectual heritage and its most
productive philosopher and writer.“
11 Wenn man DL 5.37 Glauben schenken kann.
12 DL 5.36: „Zunächst hörte er bei seinem Landsmann Alkippos daheim, dann Platon; schließ-
lich wandte er sich Aristoteles zu.“ (Übersetzung nach Jürß 2010); „οὗτος πρῶτον μὲν ἤκουσεν
Ἀλκίππου τοῦ πολίτου ἐν τῇ πατρίδι, εἶτ' ἀκούσας Πλάτωνος μετέστη πρὸς Ἀριστοτέλην·“ Es gibt
auch eine arabische Quelle mit dieser Information (Fr. 241C Fortenbaugh 1984), die von Mejer
1998, 18–19 genannt wird. Er ist der Meinung, dass der Aufenthalt Theophrasts bei Platon nicht
unwahrscheinlich sei und baut seine restliche Argumentation darauf auf.
 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die Vegetarier   75

pher?“ überwiegend aus dem Grund, dass Theophrast eine Haltung13 gegenüber
den Tieren einnimmt, die seinem Lehrer Aristoteles qualitativ widerspricht14.
Xenokrates’ Haltung in Bezug auf den Fleischverzehr und die Tierethik wurde
bereits von Haußleiter 1935, 198–204 analysiert15. Hier werden einzelne Stellen
erwähnt, um zu zeigen, dass der einstige Leiter der Akademie mit Sicherheit eine
tierfreundliche Haltung gepflegt hat. Über seine Persönlichkeit sagt uns Dioge-
nes Laertios, dass er sich seit seiner Jugend bei Platon in der Akademie aufgehal-
ten und die meiste Lebenszeit dort verbracht hat (DL 4.6), obwohl er auch bereits
als Schulleiter verschiedene repräsentative Aufgaben hatte, wie die Teilnahme an
einer Gesandtschaft nach Makedonien (DL 4.8). Er wird von DL als ein würdiger
(σεμνός) Mann bezeichnet, der die Selbstbeherrschung im großen Maße gepflegt
habe. Über die Selbstbeherrschung hat er ebenfalls theoretisch in seiner verlore-
nen Schrift Peri enkrateias reflektiert.
Seine Einstellung gegenüber Tieren lässt sich aus einigen Quellen rekon­
struieren. Auf der persönlichen Ebene berichtet Diogenes Laertios, wie Xenokra-
tes einen Vogel, der von einem Falken verfolgt wurde, in Schutz nimmt mit der
Rechtfertigung, dass kein Asylsuchender ausgeliefert werden solle16. In Bezug
auf die fleischliche Ernährung ist seine Haltung bei Clemens erhalten: „Xenokra-
tes aber und Polemon, jener in einer besonderen Schrift „Über die Fleischnah-
rung“ (Περὶ τῆς ἀπὸ τῶν ζῴων τροφῆς), dieser in seinen Büchern „Über das na-
turgemäße Leben“ (Περὶ τοῦ κατὰ φύσιν βίου), scheinen ausdrücklich zu sagen,
dass die Fleischnahrung unzuträglich sei, weil sie, sobald sie einmal verdaut sei,

13 Einige der Argumente, die für seine Originalität, fortdauernde Bedeutung und Besonderheit
sprechen, sind von Sorabji 1998, 220 aufgelistet: „As regards quality, we have seen how fully
Theophrastus has thought out his case, and with what a wealth of arguments. His answer to
the still popular Sorites (“You’ll have to avoid vegetables“) is unmatched in antiquity in its com­
prehensiveness. His insistence that robbing animals of life is itself a harm is overlooked by mo-
dern utilitarianism and modern legislation, which confine themselves to the harm of distress. He
scotches the justification based on the dangerousness of some animals. And he carefully adapts
the claim of animal kinship, to free it from the Empedoclean connexion with reincarnation and
with plant life.“
14 In seinen Worten: „I can now explain why I think the Sources show Theophrastus to be a si-
gnificant philosopher. First, as regards originality, he shows himself ready to challenge Aristotle
on central and fundamental doctrines.“ (Sorabji 1998, 220).
15 Dillon 1996, 35 und 2003, 149–150 nimmt an, dass der Vegetarismus des Xenokrates auf einer
pythagoreischen Lehre basiert.
16 DL 4.10: „Einmal flüchtete sich ein von einem Habicht verfolgter Spatz in seinen Schoß:
er streichelte ihn und gab ihn dann mit der Bemerkung frei, einen Hilfesuchenden dürfe man
nicht hintergehen.“ (Übersetzung nach Jürß 2010); „Στρουθίου δέ ποτε διωκομένου ὑπὸ ἱέρακος
καὶ εἰσπηδήσαντος εἰς τοὺς κόλπους αὐτοῦ, καταψήσας μεθῆκεν, εἰπὼν τὸν ἱκέτην δεῖν μὴ
ἐκδιδόναι.“
76   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

auch den Seelen der vernunftlosen Tiere gleichmache.“17 Das heißt, Xenokrates’
Schrift Über die Fleischnahrung enthielt laut Clemens das Argument, dass man
auf das Fleisch verzichten solle, weil der Fleischverzehr die menschliche Seele
der tierischen gleich mache. Es ist sinnvoll anzunehmen, dass dieses Buch auch
andere Argumente enthalten hat. Dass Xenokrates den Vegetarismus sehr wahr-
scheinlich ebenfalls aus ethischen Gründen vertreten hat, lässt sich mit zwei wei-
teren Stellen begründen: Die erste zeigt, dass Xenokrates als Quelle in Plutarchs
Schrift Περὶ σαρκοφαγίας (De esu carnium)18 für eine Diskussion über die Straf-
barkeit des unnötigen Leidens der Tiere verwendet wird; ein weiteres und aus-
führliches Argument ist bei Porphyrios zu finden19: Xenokrates kommentiert die

17 Strom. 7.6.32.9: δοκεῖ δὲ Ξενοκράτης ἰδίᾳ πραγματευόμενος Περὶ τῆς ἀπὸ τῶν ζῴων τροφῆς
καὶ Πολέμων ἐν τοῖς Περὶ τοῦ κατὰ φύσιν βίου συντάγμασι σαφῶς λέγειν, ὡς ἀσύμφορόν ἐστιν
ἡ διὰ τῶν σαρκῶν τροφή, ‹ἣ› εἰργασμένη ἤδη καὶ ἐξομοιοῖ ταῖς τῶν ἀλόγων ψυχαῖς. Xenokra-
tes Fr.100 Heinze; Mullach FPG III p. 109.127. Fr. 267 Parente. (Übersetzung nach Stählin 1937).
Das Kapitel 6 des siebten Buches von Clemens’ Stromateis stellt eine Analyse der heidnischen
Opferbräuche dar und hebt verschiedene Diskussionen hervor, die sich mit dem Vegetarismus
beschäftigen. In diesem Kontext werden die Bücher des Xenokrates und Polemon zitiert.
18 (Fr. 99 H.) Plut. de esu I 996A: „Ich erinnerte vorgestern in meinem Vortrag an die Äußerung
des Xenokrates, dass die Athener einem Mann eine Strafe auferlegten, weil er einem Widder bei
lebendigem Leib die Haut abgezogen hat. Nun ist in meinen Augen einer, der ein lebendiges Ge-
schöpft martert, ebenso strafwürdig wie einer, der ihm das Leben ganz nimmt und es hinmordet.
Aber wir achten offenbar mehr auf das, was wider die Gewohnheit, als auf das, was wider die
Natur geschieht.“ (Übersetzung nach Giebel 2016); „ἐμνήσθην δὲ τρίτην ἡμέραν διαλεγόμενος τὸ
τοῦ Ξενοκράτους, καὶ ὅτι Ἀθηναῖοι τῷ ζῶντα τὸν κριὸν ἐκδείραντι δίκην ἐπέθηκαν οὐκ ἔστι δ',
οἶμαι, χείρων ὁ ζῶντα βασανίζων τοῦ παραιρουμένου τὸ ζῆν καὶ φονεύοντος, ἀλλὰ μᾶλλον, ὡς
ἔοικε, τῶν παρὰ συνήθειαν ἢ τῶν παρὰ φύσιν αἰσθανόμεθα.“
19 DA 4.22.2–5 (fr.98H, fr.252 Parente): „(2) According to tradition, Triptolemos was the most an-
cient of the legislators of Athens, and Hermippus writes of him as follows, in book two of On the
Legislators. ‘They say that Triptolemos made laws for the Athenians, and Xenokrates the philo-
sopher says that these three are still in force at Eleusis: respect parents, honour the gods with
crops, do not harm animals. (3) The first two, Xenokrates says, were rightly handed down, for our
parents are benefactors and we must return good for good so far as possible, and we must give
the gods first-fruits from what they have given us that helps us to live. But as for the third, he is at
a loss to know what Triptolemos had in mind when he instructed people to abstain from animals.
(4) “Did he simply think“ he asks “that it is terrible to kill one’s kin, or did he realise that the ani-
mals most useful to us were being killed by people for food? So, wanting to make life civilised, he
tried to preserve those animals which live with humans and those that are the most tame; unless,
indeed, having ordained that the gods should be honoured with fruits, he thought this kind of ho-
nour would last longer if there were no animal sacrifices to the gods.’’ (5) Xenokrates gives several
other reasons, which are not reliable; it is enough for us that, according to him, this was a law of
Triptolemos.“ (Übersetzung nach Clark 2000); „(2) τῶν τοίνυν Ἀθήνησι νομοθετῶν Τριπτόλεμον
παλαιότατον παρειλήφαμεν· περὶ οὗ Ἕρμιππος ἐν δευτέρῳ περὶ τῶν νομοθετῶν γράφει ταῦτα·
φασὶ δὲ καὶ Τριπτόλεμον Ἀθηναίοις νομοθετῆσαι, καὶ τῶν νόμων αὐτοῦ τρεῖς ἔτι Ξενοκράτης
 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die Vegetarier   77

mythologische Zuschreibung eines uralten Gesetzes, das den Tierschutz vertritt,


an Triptolemos. Sein Ziel ist herauszufinden, welche Hintergründe das dritte
Gesetz des Triptolemos – Tieren keinen Schaden zuzufügen (ζῷα μὴ σίνεσθαι) –
hatte. Porphyrios zieht verschiedene Möglichkeiten in Betracht: 1. Es sei furcht-
bar, Verwandte zu töten; 2. die Tiere würden getötet, obwohl sie eigentlich für die
schwere Arbeit benutzt werden sollten; 3. viele andere Gründe, die Porphyrios
für nicht zutreffend (akribeis) hält und deswegen nicht wiedergibt. Als sicher
führt Xenokrates an, dass die Götter mit Früchten geehrt und keine Tiere ge­
opfert werden sollten. Zu dieser Argumentation passend, wie Parente 1981, 412–13
anmerkt, ist die Stelle, in welcher er behauptet, dass auch vernunftlose Wesen
eine Vorstellung des Göttlichen hätten20. Diese ganze Diskussion erlaubt uns an-
zunehmen, dass die von Porphyrios zitierten Auszüge mit großer Wahrschein-
lichkeit einen Platz in seiner Schrift Über die Fleischnahrung hatten. Dies spricht
auch dafür, dass die Mitglieder der Alten Akademie aktiv über das Thema der
Fleischnahrung und der Tierethik diskutiert haben. Noch spezifischer zeigt es,
dass der Beitrag Theophrasts in Über die Frömmigkeit keine einsame Stimme21
war, und dass der Opferbrauch ebenfalls von Xenokrates aufgrund der Verwandt-
schaft der Lebewesen gründlich kritisiert wurde22.
Auf der anderen Seite der Diskussion stand Aristoteles im Vordergrund.
Seine Meinung bezüglich des Verhältnisses zwischen Menschen und Tieren ist
eindeutig. Er widerlegt alle gängigen Argumente, die Pflichten gegenüber Tieren
für richtig halten. Als erstes ist er ein Gegner der Idee, dass menschliche Seelen
in tierische Leiber wandern können. Dann wiederum erkennt er nicht an, dass

ὁ φιλόσοφος λέγει διαμένειν Ἐλευσῖνι τούσδε· γονεῖς τιμᾶν, θεοὺς καρποῖς ἀγάλλειν, ζῷα μὴ
σίνεσθαι. (3) τοὺς μὲν οὖν δύο καλῶς παραδοθῆναι· δεῖ γὰρ τοὺς μὲν γονεῖς εὐεργέτας ἡμῶν
γεγενημένους ἀντ' εὖποιεῖν ἐφ' ὅσον ἐνδέχεται, τοῖς θεοῖς δὲ ἀφ' ὧν ἔδωκαν ἡμῖν [ὠφελίμων]
εἰς τὸν βίον ἀπαρχὰς ποιεῖσθαι· περὶ δὲ τοῦ τρίτου διαπορεῖ, τί ποτε διανοηθεὶς ὁ Τριπτόλεμος
παρήγγειλεν ἀπέχεσθαι τῶν ζῴων. (4) πότερον γάρ, φησίν, ὅλως οἰόμενος εἶναι δεινὸν τὸ ὁμογενὲς
κτείνειν ἢ συνιδὼν ὅτι συνέβαινεν ὑπὸ τῶν ἀνθρώπων τὰ χρησιμώτατα τῶν ζῴων εἰς τροφὴν
ἀναιρεῖσθαι; βουλόμενον οὖν ἥμερον ποιῆσαι τὸν βίον πειραθῆναι καὶ τὰ συνανθρωπεύοντα καὶ
μάλιστα τῶν ζῴων ἥμερα διασῴζειν. εἰ μὴ ἄρα διὰ τὸ προστάξαι τοῖς καρποῖς τοὺς θεοὺς τιμᾶν
ὑπολαβὼν μᾶλλον ἂν διαμεῖναι τὴν τιμὴν ταύτην, εἰ μὴ γίγνοιντο τοῖς θεοῖς διὰ τῶν ζῴων θυσίαι.
(5) πολλὰς δὲ αἰτίας τοῦ Ξενοκράτους καὶ ἄλλας οὐ πάνυ ἀκριβεῖς ἀποδιδόντος ἡμῖν αὔταρκες
τοσοῦτον ἐκ τῶν εἰρημένων, ὅτι τοῦτο νενομοθέτητο ἐκ τοῦ Τριπτολέμου.“
20 Clem. Alex. Strom. 5.13, fr. 21 H, fr. 220 Parente: „Im Allgemeinen verzweifelt Xenokrates aus
Chalkedon allerdings nicht, dass die Vorstellung über das Göttliche auch bei unvernünftigen
Tieren vorhanden ist.“ „καθόλου γοῦν τὴν περὶ τοῦ θείου ἔννοιαν Ξενοκράτης ὁ Καλχηδόνιος οὐκ
ἀπελπίζει καὶ ἐν τοῖς ἀλόγοις ζᾠοις.“
21 Wie Dierauer 1977, 99 ebenfalls bemerkt hat.
22 Siehe Haußleiter 1935, 200.
78   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

auf irgendeine Weise eine Verwandtschaft zwischen den Lebewesen existiere und
damit verwirft er alle Möglichkeiten, Freundschaft oder Liebe zu anderen Wesen
zu empfinden. Zuletzt legt er eindeutig dar, dass Tiere keine Vernunft besitzen23.
Ein anderer Gegner des Vegetarismus innerhalb der Akademie war Herak-
leides Pontikos. Laut Gottschalk 1980, 2 ist er „one of the most enigmatic figures
in the history of Greek philosophy“. Herakleides Pontikos, eine Schwellenfigur
zwischen dem Peripatos und der Akademie, zwischen Philosoph und Literat,
war in der Antike am meisten für seine Dialoge bekannt, die einen Einfluss auf
Cicero und Varro hatten24. Für unsere Diskussion ist es wichtig zu sagen, dass
sein Kontakt mit Aristoteles und sehr wahrscheinlich mit Theophrast nur in der
Akademie stattgefunden hat und nicht im Lykeion, da er angeblich Athen vor
der Rückkehr des Aristoteles verlassen hat. Dieser Kontakt muss intensiv genug
gewesen sein, damit ihn Sotion und danach Diogenes Laertios 5.86 als einen
Hörer des Aristoteles bezeichnen. Vor Aristoteles sind auch Speusippos und
Platon als Lehrer von Herakleides genannt. Dass er eine institutionelle Rolle in
der Akademie gespielt hat, ist aus verschiedenen und unabhängigen Quellen
bekannt25. Er sei der Vertreter Platons in Athen gewesen, während der Schullei-
ter zum zweiten Mal nach Sizilien reiste. Er sei nach dem Tod Platons, während
der Amtszeit Speusipps in Athen geblieben, als Xenokrates, Theophrast, Aristote-
les und andere Athen verlassen hatten. Am wichtigsten ist aber die Beschreibung
der Ergebnisse der bereits oben erwähnten Wahl zum Scholarchen nach dem Tod
Speusipps, in welcher Herakleides gegen Xenokrates verloren hat. Nach dieser
Niederlage kehrte er nach Herakleia Pontike zurück26.
Die übrige Lehre des Herakleides, die sich nur aus Fragmenten rekonstru-
ieren lässt, hat keine direkte Beziehung zu dem Fragment Gegen die Vegetarier.
Einige mögliche Berührungspunkte werden aber an dieser Stelle präsentiert und
behandelt.
Die aus dem Abaris stammenden Fragmente27 sprechen von der Gefahr
durch Schlangen, die durch die Intervention einiger Hunde abgewiesen werden.

23 Für ausführliche Diskussionen der Haltung des Aristoteles in Bezug auf Tiere siehe Haußlei-
ter 1935, 233–236, Dierauer 1977, 100–151, Osborne 2009, 63–98 und besonders Sorabji 1993, 7–97
(erster Teil des Buches – Mind).
24 Wie man dem Fr. 27a-f Wehrli = Fr. 21a-f Schütrumpf entnimmt.
25 Fr. 2, 3, 4 und 9 Wehrli = Fr. 3,1, 6 und 10 Schütrumpf.
26 Fr. 9 Wehrli = Fr. 10 Schütrumpf Academicorum philosophorum index Herculanensis ed.
S. Mekler 1902 p. 38 col VI.
27 Fr. 74–75 Wehrli = Fr. 131–132 Schütrumpf: Anecdota Graeca ed. I. Bekker I 178, Lexica Segue-
riana: „(…) From Heraclides Ponticus’s second book of What is attributed to Abaris: ‘Out of the
nearby holes crept forth snakes, charging vehemently at his body. But they were stopped by the
 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die Vegetarier   79

Zusätzlich wird ganz klar dargestellt, dass die Götter ein positives Interesse an
den Menschen haben. Die Schrift Gegen die Vegetarier zeigt auch die Schlange als
Beispiel der Gefährlichkeit des Tierreichs (1.14.2 und 1.20.2). Ebenfalls wird der
Hund als Beispiel der συνανθρωποῦντες (mit den Menschen lebenden Wesen)
genannt, die deswegen nicht zum Verzehr freigegeben sind (1.14.3). Die von den
Göttern gezeigte Zuneigung zum Menschengeschlecht wird in Kapiteln 2.2.4 und
3.4 näher analysiert werden, um zu zeigen, dass bei Herakleides bereits eine
Theorie der Philanthropia (1.14.2) im Gegensatz zu einer der Oikeiotes, wie bei
Theophrast (DA 2.22.2), existierte.
Eine weitere Ähnlichkeit mit der Lehre des Herakleides ist in Absatz 1.19
zu erkennen. Obwohl bereits gezeigt wurde, dass die Terminologie28 in diesem
Absatz von der neuplatonischen Philosophie geprägt ist, kann man davon aus-
gehen, dass der Inhalt dieser Seelenlehre doch auf Herakleides zurückzuführen
ist. Als erstes wurde bereits von anderen anerkannt, dass die Auseinanderset-
zung der Seelenlehre, die man in 1.19.1–2 sieht, auf der Basis ihrer Komplexität
und Thematik ausreichend wäre, um diese Herakleides zuzuschreiben29. Diese
Passage wird oft als ironisch oder spöttisch angesehen30. Sie sollte aber als eine
ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Problem der Existenz tierischer Seelen
verstanden werden, wenn man davon ausgeht, dass Tiere Seelen besitzen, aber
diese gleichzeitig nicht denselben moralischen oder ontologischen Wert haben
wie die der Menschen. Es muss noch einmal betont werden, dass Herakleides
sowohl die Seelenwanderung als auch den Glauben an die Unsterblichkeit der
Seele ernst genommen hat31. Wenn dies so ist, wird die Rechtfertigung des Tier-

dogs barking at them.“; „(…) Ἡρακλείδου Ποντικοῦ ἐκ τοῦ δευτέρου λόγου τῶν εἰς τὸν Ἄβαριν
ἀναφερομένων: ἐκ δὲ τῶν ἐγγὺς φωλεῶν ἐξείρπυσαν ὄφεις ἐπὶ τὸ σῶμα σφοδρῶς ὀρούοντες.
ἐκωλύοντο μέντοι ὑπὸ τῶν κυνῶν ὑλακτούντων αὐτούς“. Und Anecdota Graeca ed. I. Bekker
I 145, Lexica Segueriana: „(…) From Heraclides Ponticus’s What is attributed to Abaris. ‘He said
that the divine spirit, having become a young man, placed the tree upon him and ordered him
to believe about the gods that they exist and pay attention to human affairs.“; „(…) Ἡρακλείδου
Ποντικοῦ τῶν εἰς Ἄβαριν ἀναφερομένων: ἔφη δὲ (sc. Ἄβαρις?) τὸ δένδρον αὐτῷ τὸν δαίμονα
νεανίαν γενόμενον ἐπιθεῖναι, προστάξαι δὲ πιστεύειν περὶ θεῶν, ὡς εἰσίν τε καὶ τῶν ἀνθρωπίνων
ἐπιστρέφονται πραγμάτων.“
28 Siehe Kapitel 1.1.4.
29 BP 1977, 28–29, Haußleiter 1935, 203.
30 Haußleiter 1935, 202–3: „Von der spöttischen Argumentation, nach der man im Falle der
Sterblichkeit der Tierseelen diesen durch Tötung kein Unrecht zufüge, im Falle ihrer Unsterblich-
keit dagegen ihnen durch Tötung sogar eine Wohltat erweise, indem man ihnen so zu schnellerer
Mensch-Werdung verhelfe, war bereits die Rede.“
31 Siehe oben Gottschalk 1980, 98–102: „With these doctrines about the gods Heraclides com-
bined a belief in the immortality and transmigration of the soul“. Siehe Fr. 90–103 Wehrli = Fr.
80   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

tötens erforderlich. Die Lösung ist hier einfach dargestellt: Die Tiere freuten sich
auf ihren Tod, weil sie sich dann in eine höhere Gestalt, und zwar in eine mensch-
liche, inkarnieren und sich endlich befreien dürften. Dieses Argument, das auf
den ersten Blick spöttisch aussieht, bekommt eine sinnvolle Ergänzung (1.19.2):

„Denn der Wiederaufstieg zum Menschen, der über alle vernunftlosen Wesen herrscht wie
der Gott über die Menschen, wäre schneller. Dies ist Grund genug, die übrigen Tiere zu ver-
nichten, sofern sie Unrecht durch das Töten von Menschen tun.“

Zuerst ist die bereits oben besprochene ontologische Hierarchisierung als Grund
für das Töten der Tiere angegeben. Dann wird die folgende These vertreten: Weil
Tiere den Menschen Unrecht tun, darf man sie vernichten. Dies wurde auch in
1.14.1 als eine allgemeine Theorie der Philanthropia unter den Menschen und
einem gleichzeitigen Hass des Menschen gegenüber den Tieren dargestellt. Auch
dort wird die Möglichkeit, dass Tiere Menschen Unrecht zufügen, als Rechtferti-
gung für eine allgemeine Tötung der Tiere angegeben.
Eine weitere ähnliche Charakteristik ist die räumliche Vorstellung eines Auf-
stiegs der Seele, die oft in 1.19 vorkommt und durch das Wort ἐπάνοδος ausge-
drückt wird, das dreimal auftaucht. In den Fragmenten des Herakleides ist die
Vorstellung geläufig, dass die Seelen nach dem Tod des Körpers einen Aufstieg
erleben. Das Ziel der Reise der Seelen liegt dann im All bei den Sternen und der
Milchstraße32.
Außerdem gibt es drei starke Hinweise, die Herakleides mit der Diskussion
um die Tierethik verbinden: Erstens kannte er sich gut mit der pythagoreischen
Philosophie aus, wie seine fragmentarischen Schriften Pythagorika und Abaris
zeigen, und hatte eine eigene Fassung verschiedener Lehren der Pythagoreer,
wie z.B die der Seelenwanderung33. Gottschalk ist der Meinung, dass er Kritik an
dem Anteil der pythagoreischen Lehre, die nicht gut bei den Aufgeklärten seiner
Zeit ankam34 – in diesem Fall den Ernährungs-Tabus –, übte. Es wird anhier eine

55, 56, 53, 54A, 57, 58, 52, 50, 46-D, 47, 48, 51 und 49 Schütrumpf für seine komplexe Beschreibung
des Werdegangs der Seele und Fr. 89 Wehrli = Fr. 86 Schütrumpf für seine Erklärung über die
Metempsychose bei der Figur des Pythagoras. Diese Darstellung behauptet sogar, dass die Seele
des Pythagoras nicht nur in Menschen und Tiere eingegangen ist, sondern auch in Pflanzen.
32 Diese Vorstellung wird vor allem in den folgenden Fragmenten präsentiert: Fr. 96 Wehrli = Fr.
52 Schütrumpf und Fr. 97 Wehrli = Fr. 50 Schütrumpf.
33 Vgl. Gottschalk 1980, 98–102.
34 Gottschalk 1980, 29 „Heraclides, who, like many other members of the Academy, was an
­admirer of Pythagoreanism, may well have given his work a propagandistic slant, as Aristoxenos
was to do a generation later. In particular he may have tried to mitigate those of their beliefs and
practices which enlightened opinion in his time found objectionable.“
 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die Vegetarier   81

andere Meinung vertreten und zwar, dass die von Gottschalk so genannten „Auf-
geklärten“ in Bezug auf diese Angelegenheit gespalten waren, wie die bisherigen
Aufführungen gezeigt haben, und genau deswegen eine Rechtfertigung erforder-
lich war. Zweitens war die Debatte um die Tierethik ein brisantes Thema in der
platonischen Akademie, wie in diesem Kapitel gezeigt wurde, und es ist nicht
unwahrscheinlich, dass Herakleides Pontikos eine Meinung dazu hatte. Drittens
wird sein Name von Porphyrios als Quelle für ein Exzerpt einer Schrift verwendet,
das gegen die Argumente der Vegetarier spricht, wie in Kapitel 1.1.4 besprochen
wurde. Gottschalk, Wehrli und Schütrumpf akzeptieren lediglich den Absatz 1.26
als herakleidisch mit der Begründung, dass nur dort sein Name erwähnt wird.
Diese willkürliche Entscheidung wird hier abgelehnt, da kein Grund besteht,
einen Teil des Inhalts des Fragments Gegen die Vegetarier dem von Porphyrios
namentlich genannten Philosophen nicht zuzuschreiben.
Durch diese Darlegungen sollte gezeigt werden, dass Charaktere wie Xeno-
krates und Theophrast sehr wahrscheinlich engagierte Gesprächspartner hatten,
genauso wie ihre Einwände Ziele hatten. Die Diskussion über die Tierethik und
deren mögliche Ableitung – die Diskussion um den Vegetarismus – war keines-
wegs eine einseitige Debatte, sondern hat mit großer Wahrscheinlichkeit die Auf-
merksamkeit der Mitglieder der Alten Akademie Platons so auf sich gezogen, dass
es immer noch möglich ist zu sehen, wie diese Diskussion Spuren in den jeweili-
gen Lehren hinterlassen hat, wie in diesem Kapitel gezeigt wurde.
In dieser Hinsicht lässt sich die These vertreten, dass sowohl Theophrasts
Peri Eusebeias als auch die Vorlage für das spätere Werk des Klodios aus Neapel in
diesem streitbeladenen Kontext, in welchem die Meinungen über die Beziehung
zwischen Menschen und Tieren sehr heterogen waren und zwei entgegengesetzte
Gruppen gebildet haben, entweder als Schrift erschienen oder mindestens dem
Inhalt nach als Gesprächsthema generiert worden sind.

2.1.2 Die Diskussion über das Fleischessen im 1. Jhr. v. und n. Chr.

„Wie es scheint, war damals der Vegetarismus Mode geworden. Vgl. vor allem neben der
vegetarischen Lebensweise der Sextier, zu denen wir jetzt kommen, das vegetarische Heil-
verfahren des Antonius Musa, des Leibarztes des Kaisers Augustus, sowie die vorwiegend
fleischlose Diät des Dichters Horaz. Dann würde also Clodius gegen eine Modetorheit ange-
kämpft haben und darum vielleicht in seiner Polemik so heftig geworden sein.“

So beschreibt Haußleiter 1935, 297–298 die Atmosphäre des 1. Jh. vor und nach
Chr. in Bezug auf die vegetarische Lebensweise. Die moderne Rezeption des oben
genannten Schriftstellers Klodios aus Neapel wurde bereits im Kapitel 1.1.2 aus-
führlich diskutiert, aber in welchem Kontext er seine Arbeit veröffentlicht hat,
82   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

wird in diesem Kapitel besprochen werden. An dieser Stelle wird gezeigt, gegen
welche Strömungen seine Schrift Gegen die Vegetarier polemisiert, die sehr wahr-
scheinlich eine Bearbeitung einer verlorenen Schrift des Herakleides Pontikos
ist35. So gut wie nichts kann mit Sicherheit über seine Person gesagt werden, le-
diglich dass er nach der Schlacht von Actium gelebt und von mehreren Ereignis-
sen des späten 1. Jh. v. Chr. berichtet hat36, was man als Indiz versteht, dass er
zwischen dem 1. Jh. v. Chr. und dem 1. Jh. n. Chr. gelebt hat. Dieser Zeitraum der
römischen Geschichte ist vielleicht zusammen mit dem 5. Jh. v. Chr. in Griechen-
land die am besten erforschte Periode der Antike. Neben den Eroberungskriegen,
dem Fall der Republik, dem Verlauf der Bürgerkriege und dem Anfang des Prin-
zipats haben die Römer ihr Alltagsleben weiter geführt und weiter Entscheidun-
gen getroffen, wie z.  B., was zum Abendbrot gegessen wird. Zum einen war in
dieser Periode der Verzehr von Fleisch in Vergleich mit anderen antiken Kulturen
hoch37, zum anderen war die Elite mit der Wiederbelebung einer alten Lebens-
weise bzw. Lehre konfrontiert und zwar mit dem Pythagoreismus.
Es ist nicht korrekt, den Pythagoreismus mit dem Vegetarismus gleichzuset-
zen, aber in vielen Fällen traten beide Lebensweisen zusammen auf. Aus diesem
Grund ist es ratsam, die Diskussion über den Vegetarismus in dem neupytha­
goreischen Ambiente zu verfolgen, das mit dem Gelehrten, Senator und guten
Freund von Cicero Nigidius Figulus38 in Verbindung steht. Diese Figur hat eine
bestimmte Rolle in der Verschwörung des Catilina gespielt sowie in dem darauf
folgenden Bürgerkrieg. Carcopino 1926, 196–20239 und Della Casa 1962, 51–5240
sprechen über eine geheime Gemeinschaft der Pythagoreer, die Nigidius als

35 Siehe Kapitel 1.1.4.


36 Siehe Kapitel 1.1.1 und 1.1.2.
37 Zum Fleischverzehr in Rom siehe André 2013, 115–129.
38 Die Fragmente, die die Gelehrtheit des Nigidius zeigen, sind die Testimonia (hier zitiert nach
Liuzzi 1983) 1, 6, 7, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 25. Die Fragmente, die seine Rolle als Senator
oder aktiven Poltiker darstellen, sind 1, 11 und 13, und die, welche die Freundschaft und das
Vertrauen des Cicero andeuten, sind 11, 12, 17.
39 Carcopino 1926, 198: „Nigidius, en effet, n’était pas seulement un lettré, un savant, un
philosophe. C’était un apôtre que la parole de Pythagore, telle qu’il croyait l’entendre, avait
­enthousiasmé.  (…) En tout cas, il professait le pythagorisme comme une foi et s’était assigné
la mission d’en faire refleurir dans Rome, non seulement les idées, mais les disciplines et les
cultes.“
40 Della Casa 1962, 51: „Il fatto che Nigidio, improvvisamente, riesca a creare a Roma una orga-
nizzazione, è dovuto alla transformazione della lotta politica che si radicalizza. (…) È questo il
momento dei sodalicia; ma bisogna stare attenti a definire questi sodalicia ‘che uomini di cul­
tura’ – scrive il Ferrero – aderenti o simpatizzanti per il pitagorismo nigidiano costituiscono una
classe dei intellettuali ausiliari della direzione politica aristocratica.“
 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die Vegetarier   83

Anführer gehabt habe und politisch sehr aktiv gewesen sei. Dagegen bezeich-
net Musial 2001, 366–367 die Annahme der Existenz solch einer organisierten
pythagoreischen Gemeinschaft als übertrieben und vertritt die Ansicht, dass
einige Phänomene, die im 1. Jh. v. Chr. en vogue waren, wie die Astrologie und der
Umgang mit Magie und Okkultismus, mit dem Pythagoreismus übereinstimmen.
Für unser Interesse – die Verbindung zwischen Vegetarismus und Pythagoreis-
mus zu untersuchen – gibt es bei den Fragmenten von Nigidius tatsächlich nichts
zu finden, aber es muss darauf hingewiesen werden, dass Nigidius Bücher sowohl
über die Natur des Menschen (De hominum naturalibus – Swoboda 1964, 130) als
auch über die Tiere (De animalibus41 – Swoboda 1964, 131) geschrieben hat. Der
Inhalt dieser Werke kann aufgrund der spärlichen Fragmente kaum rekonstru-
iert werden und vermittelt keine eindeutige Position des Nigidius in Bezug auf
die Verhältnisse zwischen Menschen und Tieren. Das einzige, was in diese Rich-
tung geht, ist eine Stelle, an der Nigidius von Freundschaft unter Tieren berichtet
(Plin.  9.88). Von den Fragmenten her, die keine Testimonia sind, darf man ihn
weder einen Pythagoreer noch einen Tierfreund nennen. Trotzdem stellen ihn
nicht nur die Testimonia 7 und 27 als Pythagoreer dar, sondern ganz besonders
das Testimonium 6 (Cicero Tim. 1.1), das ihn als den Erneuerer der Doktrin des Py-
thagoras bezeichnet. Neben Nigidius kannte Cicero mindestens zwei weitere Per-
sonen, die als Pythagoreer bezeichnet werden können, nämlich P. Vatinius42, der
sich laut Cicero selbst Pythagoreer genannt hat, und M. Terentius Varro, der von
mehreren Quellen als Pythagoreer bezeichnet wird43. Es muss gefragt werden,
was Cicero für pythagoreisch gehalten hat, um Nigidius als Erneuerer des Pytha-
goreismus zu bezeichnen. Flinterman 2014, 348 zählt die Passagen auf, in denen

41 Della Casa 1962, 124–126 hebt die Beziehungen dieser Schrift bzw. De extis mit anderen
Schriften vor, die eine tierfreundliche Haltung vertreten, wie Bruta animalia ratione uti und De
sollertia animalium des Plutarch.
42 So beschreibt Flinterman 2014, 346 die Beziehung zwischen Cicero und Vatinius: „Nigidius
was not the only Pythagorean among Cicero’s contemporaries. As we saw above, in 56 BC the ora-
tor accused P. Vatinius of using the name of Pythagoras to cover up his crimes (Against Vatinius
14). The Scholia Bobiensia in Vat. 14 (146.8–9 Stangl) add the information that Cicero in a speech
For Vatinius, given two years later, put a much more positive spin on Vatinius’ Pythagoreanism.
That Vatinius considered himself a Pythagorean is, therefore, certain. His case attests both the
possibility of conscious Pythagoreanism among the Roman elite around the middle of the first
century BC and the risks to one’s reputation entailed by such a choice.“
43 In seinen Schriften sind mehrere pythagoreische Aspekte vorhanden, wie Flinterman 2014
346–347 nachgewiesen hat; außerdem sagt Plinius 35.46, dass er auf „pythagoreische Weise“
(Pythagorio modo) begraben wurde.
84   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

Cicero die pythagoreische Doktrin kommentiert44, hat dabei aber übersehen, dass
eine weitere Passage der Schrift De re publica ebenfalls Ciceros Bild vom Pythago-
reismus vermitteln könnte:

„Denn das sei Aufgabe eines guten und gerechten Mannes, jedem das zuzuteilen, was
einem jeden gebühre. (19) Werden wir dann etwa zuerst den sprachlosen Tieren etwas zutei-
len? Denn keine mittelmäßigen Männer, sondern sehr bedeutende und überaus kundige,
Pythagoras und Empedokles, erklären, für alle Lebewesen gelte eine einzige Rechtsord-
nung (unam … condicionem iuris esse), und rufen laut, denen, die ein Lebewesen verletzt
hätten, stünden unsühnbare Strafen hervor. Es ist also ein Verbrechen, einem Tier Schaden
zuzufügen.45“ (Übersetzung: von Albrecht 2013)

Diese außergewöhnliche Stelle zeigt, dass Cicero nicht nur den metaphysischen
Aspekt der Metempsychose mit Pythagoras und Empedokles in Verbindung
gesetzt hat, sondern auch die Doktrin der Verwandtschaft der Lebewesen als
Grundlage für ethische Verhältnisse gekannt hat, die hier in einer rechtsphiloso-
phischen Diskussion auftaucht. Besonders interessant ist es hervorzuheben, dass
dieses politische und philosophische Momentum ausschlaggebend für die Ent-
wicklung zweier Begriffe war, die unsere moderne Zeit geprägt haben, nämlich
dignitas und humanitas. Der Begriff dignitas ist in den römischen Quellen weit
verbreitet und bedeutet in den meisten Fällen eine Bewertung der sozialen, politi-
schen und moralischen Stellung des Individuums (Pöschl 1989, 12–16, Forschner
1998, 95–96). Obwohl das Wort dignitas mehrfach in den Schriften Ciceros auf-
taucht, ist die folgende Stelle (De officiis 3.105–106) die einzige, die eine gewisse
Systematisierung des Begriffs darstellt, und wird deswegen als eine Art Geburt-
stunde des modernen Begriffes der Menschenwürde verstanden, wie Von der
Pfordten 2016, 16 und Pöschl 1989, 38–42 bereits erkannt haben. In seiner Diskus-

44 „As far as Pythagorean doctrine is concerned, Cicero offers mostly brief references, for ex-
ample to the notion that the universe originates from numbers and mathematical principles
(Academica 2.118; cf. Tusc. 1.20); to the immortality of the soul (Tusc. 1.38; Sen. 78); as well as to
the preference for bloodless sacrifice (Nat. D. 3.88) and the notorious taboo on beans (Div. 1.62
and 2.119). In the field of ethics Pythagorean friendship is a recurrent topic, and the orator is,
naturally, interested in Pythagorean involvement in politics (De or. 3.139; Off. 1.155). The music
of the spheres is mentioned and attributed to Pythagoras in On the Nature of the Gods (3.27); it
receives an extended description in the Dream of Scipio (Rep. 6.18–19).“
45 Cicero Resp. 3.11.18–19: „Esse enim hoc boni viri et iusti, tribuere id cuique quod sit quoque
dignum. Ecquid ergo primum mutis tribuemus beluis? Non enim mediocres uiri sed maxumi et
docti, Pythagoras et Empedocles, unam omnium animantium condicionem iuris esse denun­
tiant clamantque inexpiabilis poenas impendere iis, a quibus uiolatum sit animal. Scelus est
igitur nocere bestiae, quod scelus qui velit“
 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die Vegetarier   85

sion über die menschliche dignitas vertritt Cicero die Meinung, dass Menschen
und Tiere wesentlich anders sind und deswegen anders behandelt werden sollen:

„Aber es kommt bei der ganzen Untersuchung über die Pflicht darauf an, immer vor Augen
zu haben, wie sehr die Natur des Menschen dem Vieh und den übrigen Tieren über-
legen ist; jene empfinden nichts außer der Lust und stürzen mit aller Kraft auf sie los, der
Geist des Menschen aber nährt sich durch Lernen und Denken, immer erforscht oder tut er
etwas und lässt sich von der Freude am Sehen und Hören leiten. Ja, auch wenn sich jemand
den Vergnügungen in stärkerem Maße hingibt, nur dass er nicht dem Vieh zuzurechnen ist
(manche sind nämlich nicht der Sache nach, sondern nur dem Namen nach Menschen),
doch wenn er einen etwas aufrechteren Gang hat, verbirgt und verheimlicht er aus Scham
seinen Hang zur Lust, wie sehr er auch von ihr ergriffen wird. 106 Daraus ist ersichtlich,
dass körperliche Lust der Vorrangstellung des Menschen nicht voll gerecht wird und dass
sie verachtet und abgelehnt werden muss; wenn aber jemand auf die Lust Wert legt, dann
muss er sorgfältig darauf achten, dass er bei ihrem Genuss Maß hält. Deshalb sollen Ernäh-
rung und Pflege des Körpers der Gesundheit und der Stärkung dienen und nicht der Lust.
Und wenn wir uns vor Augen halten wollen, welche Überlegenheit und Würde (dignitas)
in unserer Natur liegen, werden wir auch verstehen, wie schändlich es ist, sich Ausschwei-
fungen zu ergeben und üppig und verweichlicht zu leben, und wie moralisch es ist, ein
sparsames, enthaltsames, ernsthaftes und nüchternes Leben zu führen.“ (Übersetzung
nach Nickel 2008)46

Forschner 1998, 97–98 ist überzeugt, dass der philosophische Begriff der dignitas
stark von den Stoikern geprägt ist. Die Stellen, die er zitiert, um diese Meinung zu
rechtfertigen (De finibus 3.20, 65 und SVF II, 528 = Areios Didymos nach Eusebius
Preparatio evangelica 15,15,1–5-7), sprechen für eine universelle Gemeinschaft
unter den Menschen. Diese wird auch in der Diskussion über die soziale Oikeio-
sis47 stark hervorgehoben, aber die Beziehungen zwischen dem Oikeiosis-Begriff
und dem Dignitas-Begriff müssen noch näher untersucht werden, bevor man

46 105 Sed pertinet ad omnem officii quaestionem semper in promptu habere, quantum na-
tura hominis pecudibus reliquisque beluis antecedat; illae nihil sentiunt nisi uoluptatem ad
eamque feruntur omni impetu, hominis autem mens discendo alitur et cogitando, semper ali-
quid aut anquirit aut agit uidendique et audiendi delectatione ducitur. Quin etiam, si quis est
paulo ad uoluptates propensior, modo ne sit ex pecudum genere – sunt enim quidam homines
non re, sed nomine – sed si quis est paulo erectior, quamuis uoluptate capiatur, occultat et dis-
simulat appetitum uoluptatis propter uerecundiam. 106 Ex quo intellegitur corporis uoluptatem
non satis esse dignam hominis praestantia eamque contemni et reici oportere; sin sit quispiam
qui aliquid tribuat uoluptati, diligenter ei tenendum esse eius fruendae modum. Itaque uictus
cultusque corporis ad ualetudinem referatur et ad uires, non ad uoluptatem. Atque etiam si con-
siderare uolemus quae sit in natura excellentia et dignitas, intellegemus quam sit turpe diffluere
luxuria et delicate ac molliter uivere quamque honestum parce, continenter, seuere, sobrie.
47 Siehe Kapitel 3.1 für eine ausführliche Diskussion über die Rolle der individuellen und so­zia­
len Oikeiosis.
86   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

feststellen kann, dass sie innerhalb einer universellen Theorie der Menschenver-
wandtschaft in Zusammenhang stehen.
Der Humanitas-Begriff evoziert ebenfalls zwei verschiedene Ideen. Zum
einen bezeichnet er die allgemeine Bildung des Menschen und kann mit der
griechischen Paideia verglichen werden, zum anderen steht er für eine Verbin-
dung zwischen allen Menschen, die für eine moralische Beziehung spricht, und
bezieht sich auf einige Eigenschaften des griechischen Begriffs Philanthropia48.
Das Merkmal, das für diese Untersuchung wichtig ist, ist die ontologische Diffe-
renzierung zwischen Menschen, Tieren und Göttern aufgrund der zweiten Bedeu-
tung von humanitas. Dass Cicero die beiden gegensätzlichen Haltungen so gut
gekannt hat – „Tieren gebühren moralische Pflichten seitens der Menschen“, und
„Tiere sind wesentlich anders als Menschen“, woraus folgt, dass die Menschen
den Tieren gegenüber keine moralischen Pflichten haben –, zeigt, dass beide Hal-
tungen auch im 1. Jh. v. Chr. einigermaßen verbreitet waren.
Der Höhepunkt der Verbreitung der vegetarischen Lebensweise scheint in der
frühen Kaiserzeit gewesen zu sein. Während der Regierung des Augustus (ein-
schließlich des Triumvirats) ist der Einfluss der Schule der Sextier bekannt, und
in der Dichtung sind in den Werken Ovids wichtige Belege für die Verbreitung des
Vegetarismus zu finden, wie unten gezeigt wird. Die frühe vegetarische Haltung
Senecas, der diese Lebensweise von seinem Lehrer Sotion übernommen hat, sagt
auch viel über die Reaktion der Nicht-Vegetarier zum Thema, da Seneca seine
vegetarische Haltung aufgrund der Gefahr, politisch verfolgt zu werden, aufge-
geben hat. Ein später, aber sehr einflussreicher Vertreter des Vegetarismus war
Plutarch, der dem Thema mehrere Bücher gewidmet hat. Neben ihm ist auch die
mysteriöse Figur des Apollonios aus Tyana zu erwähnen, der eine konsequente
Enthaltsamkeit als Lebensweise geführt hat49. Wie Haußleiter 1935, 297–298
bereits erkannt hat, war diese Periode stark von vegetarischen Ideen geprägt,
und das Buch des Klodios aus Neapel, das eine harte Kritik am Vegetarismus übt,
passt hervorragend in diesen konfliktbeladenen Kontext.

48 Für ausführliche Diskussionen über den Begriff humanitas, siehe Rieks 1967, Rothe 1978, aber
auch Grimal 1960, 100: „lorsque se dégagea avec clarté la conception de l’humanitas, l’idée que
le seul fait d’appartenir à l’espèce humaine constituait une véritable parenté, analogue à celle
que liait les membres d’une même gens ou d’une même cité et créant des devoirs de solidarité,
d’amitié ou tout au moins de respect“. Die Rolle des Begriffes Philanthropia in der Oikeiosis-
Debatte wird in Kapitel 3.4 behandelt.
49 Sowohl Plutarch als auch Apollonios werden hier nicht näher diskutiert. Für Plutarchs Tier­
ethik und Vegetarismus siehe Newmyer 2013, Haußleiter 1935, 211–233, Dombrowski 1984, 88–98;
und für die Diskussion über Apollonios’ Lebensweise siehe Haußleiter 1935, 299–313.
 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die Vegetarier   87

Die Schule der Sextier50, die von Quintus Sextius dem Älteren gegründet
wurde, ist nur durch wenige Quellen bekannt51. Sie begann ihre Aktivitäten wahr-
scheinlich nach Caesars Tod und schloß ihre Tore gegen 19 n. Chr., als fremde
Kulte von Rom durch ein von Tiberius angeregtes senatus consultum verbannt
wurden. Das Hauptelement der Schule war die Wiederbelebung der Verbindung
zwischen Philosophie und Lebensweise, indem die Mitglieder eine strenge as-
ketische Lebensart, die von einer Mischung aus Pythagoreismus und Stoizismus
bestimmt war, verfolgten. Die bekannten Mitglieder dieser Schule außer Quintus
Sextius waren sein Sohn, Sextius Niger, Crassicius Pasicles, Celsius Cornelius,
Sotion und Papirius Fabianus. Die letzten zwei waren ebenfalls Lehrer des
Seneca, und die Lehre der Enthaltsamkeit von fleischlicher Nahrung ist in fol-
gender Passage bezeugt, wie sie von Quintus über Sotion zu Seneca gelangt ist:

108.17 „Da ich es unternommen habe, Dir darzulegen, mit wie viel größerem Schwung
ich mich in jungen Jahren der Philosophie zuwandte, als ich sie im Alter fortführe, werde
ich gestehen, ohne mich zu schämen, welche Liebe zu Pythagoras mir Sotion eingepflanzt
hat. Er erklärte, warum jener auf Fleischgenuss verzichtet hatte (animalibus abstinuisset)52,
warum später Sextius. Verschieden war bei beiden der Grund, aber doch bei beiden groß­
artig. 18 Sextius glaubte, der Mensch habe ohne Blutvergießen genug Nahrung, und es
werde Grausamkeit zur Gewohnheit, so wie das Ausweiden zum Vergnügen geworden
worden sei. Überdies bemerkte er, die Möglichkeit zu unnötigem Konsum sei einzuschrän-
ken, und argumentierte, es seien unserer Gesundheit verschiedene Nahrungsmittel zuwider
und unserem körperlichen Wohlbefinden abträglich. 19 Pythagoras dagegen erklärte, es
bestehe unter allen Organismen eine verwandtschaftliche Verbindung und ein Austausch
der Seelen (animorum commercium), die von einer Gestalt in die andere übergingen. Keine
Lebenskraft geht, wenn Du ihm glaubst, zugrunde, ja sie verweilt nur einen winzigen
Augenblick, bis sie in einen anderen Körper übergeht. Wir werden sehen, über welche
Wechselfälle der Zeiten und wann sie durch Wanderung durch recht viele Wohnstätten in
einen Menschen zurückkehrt. Vorerst ruft sie bei den Menschen Furcht vor dem Verbrechen
oder Verwandtenmord wach, könnten sie doch ahnungslos auf die Seele ihres Erzeugers
stoßen und sie bei Tötung oder Verzehr verletzen, wenn in einem Körper der Lebensatem
irgendeines Verwandten hauste. 20 Nachdem Sotion dies dargelegt und mit eigenen Argu-
menten untermauert hatte, fuhr er fort: „Glaubst Du nicht, dass die Seelen sich auf andere
und wieder andere Körper verteilen und dass, das was wir Tod nennen, eine Wanderung

50 Die Untersuchungen von Di Paola 2014, 227–339 und Haußleiter 1935, 296–299 werden hier
verwendet, um die Schule der Sextier zu präsentieren.
51 Siehe insbesondere Seneca De Ira 2.36; 3.36; Epistulae ad Lucilium 59.7; 64.2–3 und 5; 73.12
und 15; 98.13; 108.18 und Claudianus Mamertus De Statu animae 2.8, aber auch Plutarch Quo
modo quis suos in virtute sentiat profectus 5, Plinius, der Ältere, Naturalis Historiae 18.68 und
Suetonius De grammaticis 18.
52 Der lateinische Begriff animalibus abstinere ist mit dem griechischen Begriff ἀπέχεσθαι
ἐμψύχων vergleichbar.
88   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

(migrationem) ist? Glaubst du nicht, dass in diesem zahmen und wilden oder im Wasser
lebenden Tier jener Geist eines früheren Menschen wohnt? Glaubst Du nicht, dass nichts in
der Welt zugrunde geht, sondern nur seinen Ort wechselt? Dass nicht nur Himmelskörper
sich in bestimmten Kreisbahnen bewegen, sondern auch Lebewesen Wechselfälle durchei-
len und dass die Geistseelen sich in einem Kreislauf bewegen? Große Männer haben dies
geglaubt. 21 Halte deshalb auf jeden Fall Dein Urteil (iudicium) zurück, lass im Übrigen
alle Fragen auf sich beruhen. Wenn diese Lehre richtig ist, dann bedeutet der Verzicht auf
Verzehr von Tieren (abstinuisse animalibus) Rechtlichkeit; wenn falsch, Anspruchslosigkeit
(frugalitas). Was für einen Schaden hast Du für Deine Bereitschaft, daran zu glauben? Ich
nehme Dir (nur) Nahrung für Löwen und Geier weg.“ 22 Aufgrund dieser Lehre begann ich
auf Verzehr von Fleisch zu verzichten (abstinere animalibus), und nach einem Jahr war die
Gewohnheit nicht nur leicht zu ertragen, sondern sie war angenehm. Ich glaubte, mein
Geist sei wendiger, möchte Dir aber heute nicht mehr versichern, ob dies wirklich zutraf.
Du fragst, wie ich damit aufgehört habe. Meine Jugendzeit war in die frühe Regierungs-
zeit des Kaisers Tiberius gefallen. Kulte aus fremden Ländern wurden damals verbannt,
und zu den Beweisen für Aberglauben wurde der Verzicht auf das Fleisch bestimmter Tiere
(quorundam animalium abstinentia) gezählt. Deshalb kehrte ich auf Bitten meines Vaters,
der nicht verleumderische Beschuldigungen fürchtete, sondern die Philosophie ablehnte,
zur früheren Essgewohnheit zurück. Und er überredete mich ohne Schwierigkeit zu einer
besseren Ernährungsweise.“ (Übersetzung nach Gunermann 1998)53

53 Seneca Epistulae morales ad Lucilium 108.17–22: „17 Quoniam coepi tibi exponere quanto
maiore impetu ad philosophiam iuvenis accesserim quam senex pergam, non pudebit fateri
quem mihi amorem Pythagoras iniecerit. Sotion dicebat quare ille animalibus abstinuisset
(Vgl. mit dem grieschischen Terminus ἀποχὴ τῶν ἐμψύχων), quare postea Sextius. Dissimilis
utrique causa erat, sed utrique magnifica. 18 Hic homini satis alimentorum citra sanguinem esse
credebat et crudelitatis consuetudinem fieri ubi in voluptatem esset adducta laceratio. Adiciebat
contrahendam materiam esse luxuriae; colligebat bonae valetudini contraria esse alimenta varia
et nostris aliena corporibus. 19 At Pythagoras omnium inter omnia cognationem esse dicebat et
animorum commercium in alias atque alias formas transeuntium. Nulla, si illi credas, anima
interit, ne cessat quidem nisi tempore exiguo, dum in aliud corpus transfunditur. Videbimus per
quas temporum vices et quando pererratis pluribus domiciliis in hominem revertatur: interim
sceleris hominibus ac parricidii metum fecit, cum possent in parentis animam inscii incurrere
et ferro morsuve violare, si in quo ‹corpore› cognatus aliqui spiritus hospitaretur. 20 Haec cum
exposuisset Sotion et implesset argumentis suis, ‘non credis’ inquit ‘animas in alia corpora atque
alia discribi et migrationem esse quod dicimus mortem? Non credis in his pecudibus ferisve aut
aqua mersis illum quondam hominis animum morari? Non credis nihil perire in hoc mundo,
sed mutare regionem? nec tantum caelestia per certos circuitus verti, sed animalia quoque per
vices ire et animos per orbem agi? Magni ista crediderunt viri. 21 Itaque iudicium quidem tuum
­sustine, ceterum omnia tibi in intrego serva. Si vera sunt ista, abstinuisse animalibus innocen-
tia est; si falsa, frugalitas est. Quod istic credulitatis tuae damnum est; alimenta tibi leonum et
vulturum eripio.’ 22 His ego instinctus abstinere animalibus coepi, et anno peracto non tantum
facilis erat mihi consuetudo sed dulcis. Agitatiorem mihi animum esse credebam nec tibi hodie
adfirmaverim an fuerit. Quaeris quomodo desierim? In primum Tiberii Caesaris principatum
iuventae tempus inciderat: alienigena tum sacra movebantur et inter argumenta superstitionis
 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die Vegetarier   89

Diese Erklärung Senecas präsentiert vier Generationen – Pythagoras, Sextius,


Sotion und Seneca –, die mit dem Vegetarismus zu tun hatten und aus verschie-
denen Gründen diese Lebenshaltung gepflegt haben. Einige dieser Argumente
werden ebenfalls von Klodios aus Neapel behandelt, wie z.  B., ob das Fleisch den
Körper besser oder schlechter macht. Sextius meinte, es würde zu Einschränkun-
gen führen und Vielfalt an Nahrung sei wider die Gesundheit, während Klodios
überzeugt ist, dass Fleischkonsum sowohl keinen körperlichen Nachteil mit sich
bringe (DA 1.15.1) als auch medizinisch gesehen zum Vorteil führe (1.17.1). Außer-
dem erwähnt Sotion die Argumentation, dass es möglich wäre, einen Verwandten
zu verzehren, falls eine menschliche Seele in einem Tier sein kann. Für Klodios
hingegen würde gerade die Enthaltsamkeit von Tierprodukten zu Kannibalismus
führen (1.24.1). Klodios erkennt auch in Pythagoras das Urvorbild der vegetari-
schen Lebensweise (1.15.3) und ist bereit, das Argument der Metempsychose zu
widerlegen (1.18.1; 1.19.1–3) und sogar Pythagoras selbst als Förderer des Fleisch-
verzehrs zu bezeichnen (1.26.2). Die Disjunktion, die von Sotion vorgeschlagen
wird (Fleischverzicht ist entweder gerecht oder führt zu frugalitas) wird nicht
von Klodios besprochen, findet aber bei Plutarch eine Parallele54. Die Haltung
Senecas, erst den Vegetarismus anzunehmen und ihn danach abzulegen, sagt
viel über die politische Ebene solcher Entscheidungen aus, vor allem, was das
Tieropfer angeht – ein sehr wichtiger Bestandteil des politischen Lebens55. Die
Verwicklungen zwischen Opferbräuchen und Fleischverzehr werden auch von
Klodios aus Neapel ausführlich behandelt, indem er den religiösen Aspekt des
Fleischverzehrs hervorhebt (1.22.1–2; 1.25.1–10).
Auch in der Dichtung ist belegt, dass der Vegetarismus durch die Figur des
Pythagoras bekannt war. Die berühmte Rede des Pythagoras in Ovids Metamor-
phosen 15.60–47956 wurde bereits gründlich untersucht57. Hier sollen nur die
Punkte hervorgehoben werden, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Klodios’ Gegen
die Vegetarier aufweisen. Der Erzähler schreibt Pythagoras zwei gegensätzliche

ponebatur quorundam animalium abstinentia. Patre itaque meo rogante, qui non calumniam
timebat sed philosophiam oderat, ad pristinam consuetudinem redii; nec difficulter mihi ut in-
ciperem melius cenare persuasit.“
54 Wie Ricchi 2016, 9–11 gezeigt hat.
55 Nikolaos von Damaskus in seiner quasi propagandistischen Schrift Vita Augustae setzt die
Figur des Augustus regelmäßig mit dem Opferritus in Verbindung (nach der Markierung von Ma-
litz 2003 in I, IV, V, VIII und XXIV). Price analysiert in seinem Buch Rituals and Power (1986,
207–233) diese und andere Quellen, um das Opfer als Teil des politischen Ritus darzustellen. Vgl.
auch Heyman The power of sacrifice, 2007, 1–45.
56 Alle Übersetzungen der Metamorphosen, die in dieser Arbeit verwendet werden, sind von
Breitenbach 1964.
57 Siehe Bömer 1986, 272–381, Long und Sedley 1987, Hardie 1995.
90   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

Argumente zu, und zwar sagt er, dass Pythagoras derjenige gewesen sei, der den
Fleischverzehr zuerst als verwerflich bezeichnet hat58, lässt aber den Samier auch
über ein goldenes Zeitalter (v. 15.96–100) sprechen59, in welchem kein Fleisch ver-
zehrt wurde. Diese Debatte steht bei Klodios (1.13.1–5) im Vordergrund, weil er für
eine Entwicklung des Menschen plädiert, in welcher das Fleisch als Nahrung für
die Menschen am Anfang der Zeiten eine große Rolle gespielt hat, anders als Theo-
phrast, der den Anfang der Zeiten mit fleischloser Nahrung in Verbindung gesetzt
hat, wie der Pythagoras des Ovid. Ferner lässt Ovid Pythagoras über andere Nah-
rungsmittel sprechen, wie etwa das Getreide, die Milch und den Honig60:

Tab. 3

Ovid Metamorphosen 15.75–80 Gegen die Vegetarier DA 1.21.1

„Sterbliche, hütet euch doch, mit frevelnder 1.21.1 „Wenn aber jemand dies einfach als
Speise die Leiber Euch zu beflecken! Es gibt ungerecht empfindet, soll er weder Milch
ja Getreide und Obst, das der Bäume Zweige noch Wolle noch Eier noch Honig verwenden.
belastet, die Reben sind voll von strotzen- Wie du nämlich einem Menschen Unrecht
den Trauben; Kräuter gibt es voll Süße und tust, wenn du seine Kleidung wegnimmst, so
andere, die man mit Feuer weich und milde tust du Unrecht, wenn du ein Schaf scherst,
sich kocht; man raubt euch die Feuchte der da dies die Kleidung des Schafes ist. Und die
Milch nicht, niemand nimmt euch den Honig, Milch ist nicht für dich entstanden, sondern
der duftet von Thymian-Blüten.“ für die neugeborenen Tierjungen, und die
Biene hat für sich selbst das Essen gesam-
melt, welches du wegnimmst, um dir selbst
Freude zu bereiten.“

„Parcite, mortales, dapibus temerare nefandis „Εἰ δ' ἅπαξ ἀδικίαν τις ταύτην ἡγεῖται,
corpora! Sunt fruges, sunt deducentia ramos μήτε γάλακτι χρήσθω μήτ’ ἐρίῳ μήτε ᾠοῖς
pondere poma suo tumidaeque in vitibus μήτε μέλιτι. Ὡς γὰρ ἄνθρωπον ἀδικεῖς
uvae, ἀφαιρούμενος τὴν ἐσθῆτα, οὕτως καὶ τὴν ὄιν
sunt herbae dulces, sunt, quae mitescere πέξας· ἐσθὴς γὰρ αὕτη τοῦ προβάτου· καὶ τὸ
flamma γάλα οὐ σοὶ γέγονεν, ἀλλὰ τοῖς ἀποκυηθεῖσι
mollirique queant; nec vobis lacteus umor τέκνοις· ἥ τε μέλισσα ταύτην αὑτῇ τροφὴν
eripitur nec mella thymi redolentia florem.“ συνελέξατο, ἣν ἀφελόμενος, ἡδονὴν σαυτῷ
κατεσκεύασας.“

58 V. 72f: „primusque animalia mensis / arguit inponi.“


59 Ähnlich wie in Met. 1.89–112.
60 Wie bereits in Met. 1.111–112 erwähnt wurde. Siehe Kapitel 2.2.1 für die Nutzung der Tierpro-
dukte.
 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die Vegetarier   91

Der philologos Klodios konnte die Argumentation, die sehr wahrscheinlich auf
Herakleides Pontikos zurückgeht61, benutzen, um auf die ethischen Schwierigkei-
ten des Verzehrs von Milch und Honig – auch im römischen Kontext – hinzuwei-
sen. Ebenfalls war der Topos der Herrschaftsräume der Land-, Wasser- und Luft-
tiere Ovid und sehr wahrscheinlich der römischen intellektuellen Elite bekannt.
Solche Themen traten häufig in der Diskussion über den Fleischverzehr auf.
Weiter spricht der Charakter Pythagoras bei den Metamorphosen über ein
harmonisches Zusammenleben im goldenen Zeitalter zwischen Menschen und
Tieren (Tab. 4, S. 92):
Die Triade Himmel-Erde-Wasser bei Ovid, die durch die Vögel, die Hasen
und die Fische ausgedrückt wird, ist die Bühne für den vollkommenen Frieden,
auf der alle Tierarten harmonisch miteinander koexistieren. Freilich hat Klodios
eine ganz andere Idee über das Zusammenleben mit Tieren, die vielmehr einem
Apokalypse-Bild ähnelt. Dies wird ebenfalls im Rahmen der Triade Himmel-Erde-
Wasser ausgeführt und betont den Wettbewerbscharakter der Welt, in der alle
Lebewesen um Raum und Nahrung kämpfen müssen. Zusätzlich ist auch bei
Klodios die Rede von einem Krieg zwischen Menschen und Tieren (DA 1.14.1), was
gänzlich der Idee von Frieden unter allen Lebewesen widerspricht.
Insgesamt darf man von einer verbreiteten Diskussion über die vegetarische
Lebensweise in der höheren Schicht der römischen Gesellschaft um die Zeitwende
sprechen. Dass diese Diskussion nicht nur um den mystisch-religiösen Aspekt
des Vegetarismus ging, der normalerweise durch die Lehre der Metempsychose
ausgedrückt wird, zeigt die Argumentation des Klodios aus Neapel, der bereit ist,
sowohl ethische als auch ökologische und hygienische Argumente anzuwenden,
um den Fleischverzehr zu rechtfertigen. Dies ist Beweis genug dafür, dass der
Vegetarismus nicht nur innerhalb bestimmter religiöser Lehren Platz gefunden
hat, sondern eine Lebensweise war, die zu den Ansprüchen von verschiedenen
Menschen gepasst haben könnte und eine vielfältige Gestalt besessen hat.

61 Siehe Kapitel 1.1.4 und 2.1.1.


92   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

Tab. 4

Ovid Metamorphosen 15.99–103 Gegen die Vegetarier DA 1.16

„Damals vermochten die Vögel gesichert die 1.16.1 „Wohlan, nimm einmal an, dass
Luft zu durchkreuzen, alle Menschen von dieser Lehre überzeugt
Furchtlos schweifte der Hase umher in den werden, was für ein Schicksal wird dann
freien Gefilden, die Nachkommenschaft der Tiere erleben?
niemals warf man die Haken, die gläubigen Keinem ist unbekannt, wie stark sich sowohl
Fische zu ködern: das Schwein als auch der Hase vermehren.
Alles war frei von Fallen, kein Trug zu Füg aber auch einfach alle anderen Tiere
be­fürchten; hinzu. Woher soll es dann Weide für diese
es herrschte tiefer Friede.“ geben, und was werden die Bauern erleiden?
2 Denn ‹falls› sie die Zerstörer nicht töten,
wenn sie die Fruchtfelder verwüsten, wird die
Erde die Masse der Tiere nicht mehr ertragen,
und die Sterbenden (Tiere) werden durch die
Fäulnis Verderben verursachen, und nach der
Ausbreitung einer Seuche wird kein Ausweg
mehr übrig sein. Denn werden sowohl das
Meer, die Flüsse und die Seen voll mit Fischen
sein, genauso wie die Luft mit Vögeln und die
Erde mit allen Arten von Landtieren.“

„Tunc et aves tutae movere per aera pennas, 1.16.1 „Φέρε δὲ καὶ πεισθῆναι πάντας
et lepus inpavidus mediis erravit in arvis, ἀνθρώπους τῷ δόγματι. Τίνα τοίνυν ἡ ἐπιγονὴ
nec sua credulitas piscem suspenderat hamo: τῶν ζῴων ἕξει μοῖραν; ὗς μὲν γὰρ ὅσα τίκτει
cuncta sine insidiis nullamque timentia καὶ λαγὼς οὐδένα λανθάνει· πρόσθες δὲ καὶ
fraudem τἄλλα ζῷα πάνθ' ἁπλῶς. Πόθεν οὖν τούτοις
plenaque pacis erant. (…)“ ἡ νομή, καὶ τί πείσονται οἱ γεωργοί; 2 Καὶ
γὰρ ‹εἰ› φθειρομένων τῶν καρπῶν τοὺς
φθείροντας οὐκ ἀποκτείνουσιν, ἡ γῆ τε τὸ
πλῆθος οὐκ οἴσει τῶν ζῴων, τά τε θνῄσκοντα
ἐκ τῆς σηπεδόνος φθορὰν ἐμποιήσει,
λοιμοῦ τε κατασχόντος οὐκ ἔσται καταφυγή.
Θάλασσα μὲν γὰρ καὶ ποταμοὶ καὶ λίμναι
ἰχθύων πεπλήσονται, ὁ δὲ ἀὴρ ὀρνίθων, ἡ δὲ
γῆ πλήρης ἑρπετῶν παντοίων.“
 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die Vegetarier   93

2.1.3 Pro und contra Fleischkonsum in der Umgebung des Porphyrios

Der letzte Zeitraum, in dem die Schrift Gegen die Vegetarier auftaucht, ist das
dritte Jh. n. Chr., in welches das Wirken des Porphyrios fällt. Sowohl die Über-
lieferung des Textes als auch die Zitierweise des Porphyrios wurden bereits in
Kapitel 1.1.3 und 1.1.4 diskutiert. Hier wird die Haltung der philosophischen Um-
gebung des Porphyrios besprochen werden, um feststellen zu können, was für
eine Leserschaft die Schrift DA gehabt haben könnte. Am Ende werden die Re-
aktionen des Porphyrios auf die Schrift des Klodios aus Neapel thematisiert und
somit die letzte zeitliche Schicht dieses Werks im Kontext analysiert werden.
Im dritten Jh. n. Chr. findet die Diskussion über den Vegetarismus innerhalb
der neuplatonischen Schule statt. Plotin, die wichtigste Figur dieser Gruppe, hat
laut Porphyrios VP 2 eine vegetarische Lebensweise gepflegt, und es ist durch
Porphyrios auch bekannt, dass sein Mitschüler Firmus Castricius ebenfalls Vege-
tarier war, aber zu einem bestimmten Zeitpunkt diesen Lebensstil aufgegeben hat
(DA 1.1.1). Anhand der Antwort des Porphyrios auf die Entscheidung des Firmus
Castricius kann man davon ausgehen, dass der Vegetarismus ein zentraler Be-
standteil des Lebens innerhalb der plotinischen Schule war. Porphyrios’ Antwort
an Firmus ist gerade die Anfertigung der Schrift DA. Der Text gehört zu seinen
Moral-Schriften, besitzt die Form eines Briefes und wurde an Firmus Castricius
adressiert, mit dem Porphyrios, wie mit einem Bruder, in Beziehung stand (VP
7), zumindest die Selbstinszenierung. Porphyrios erfuhr von Besuchern, dass
Firmus nicht mehr auf die Enthaltsamkeit von der fleischlichen Nahrung achtete.
Obwohl Porphyrios sehr enttäuscht von seinem Freund war, versucht er eine ver-
nünftige Rede aufzubauen, in welcher er nicht nur auf die Argumente von Firmus
antwortet, sondern auch auf die von verschiedenen Gruppen. Wichtig ist dabei zu
bemerken, dass Firmus sogar öffentliche Reden gegen den Vegetarismus gehal-
ten hat (DA 1.1.1), was dafür spricht, dass die Öffentlichkeit immer noch Interesse
an der Diskussion über den Vegetarismus hatte, wie im 1. Jh. n. Chr.
Die zentrale Figur des Vegetarismus im dritten Jh. n. Chr. ist der in Tyros
232–3 n. Chr. mit dem Namen Malkos geborene Philosoph, der später Porphyrios
genannt wurde62. Er ist in der Literatur häufig erwähnt worden als derjenige,
der die Schriften Plotins ediert und seine Lehre systematisiert hat. Traditionell
wurde Porphyrios trotz seiner Gelehrsamkeit in der Fachliteratur als unoriginell
bezeichnet, vor allem wenn man ihn mit seinem Lehrer verglichen hat. Grund
dafür ist sein Erfolg als Kommentator des Aristoteles und die bereits erwähnte
Zusammenarbeit mit Plotin. Nicht einmal das erste ausführliche Werk über sein

62 Die wichtigste moderne Biographie des Porphyrios nach Bidez 1913 ist Smith 2011, 717–773.
94   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

Leben und seine Schriften – Bidez 1913 – hat diese Meinung geändert. Heutzu-
tage aber ist diese These nicht mehr gültig, inbesondere nach den Werken von
Dörrie 1959, der neue Fragmente von Porphyrios gesammelt und seinem Denken
neue Bedeutungen verliehen hat, Smith, 1974 und 1993, der auf die Unterschiede
zwischen dem Denken des Plotin und dem des Porphyrios hingewiesen und die
ausführlichste Fragmentsammlung des Philosophen ediert hat, und Johnson
201363, der die Rolle des Porphyrios als „translator“ sowohl der Kulturen als auch
der theologischen und philosophischen Ideen herausgearbeitet hat.
Viele andere Autoren hätten ebenfalls hier zitiert werden müssen, wenn es
das Ziel dieser Untersuchung wäre, die Reichweite des Denkens des Porphyrios
darzustellen. Jedoch sind für unsere Untersuchung lediglich die Aspekte seines
Denkens relevant, die sich mit dem Vegetarismus beschäftigt haben. Porphyrios
ist nicht nur ein Verteidiger des Vegetarismus als Lebensstil, sondern auch ein
Forscher auf diesem Gebiet. Er erlebte die letzte Phase der Geschichte des Vege-
tarismus in der Antike und bietet uns eine Zusammenfassung der Entwicklung
dieser Lebensweise, die in der Zeit, in der er schreibt, schon eine 900 Jahre alte
Tradition hatte. Sein Werk DA beschränkt sich nicht auf eine moralische Aus­
einander­setzung mit verschiedenen Positionen sowohl gegen als auch für die
Enthaltsamkeit, sondern ist ebenso das Ergebnis seiner historischen Forschun-
gen über das Fleischverbot. Denn die von Porphyrios genannten Argumente
können größtenteils einer bestimmten philosophischen Schule oder einem Phi-
losophen zugeordnet werden. Solche Bemühungen, die Einstellungen von ver-
schiedenen philosophischen Schulen zu systematisieren, sind entscheidend,
weil sie erlauben, eine Geschichte des Vegetarismus als Idee zu verfolgen. Por-
phyrios hat Zugang zu den wichtigsten Quellen bezüglich der Enthaltsamkeit von
fleischlicher Nahrung gehabt und infolgedessen hat er die Terminologie verschie-
dener Gruppen oder Individuen, die das Thema diskutiert haben, kennengelernt.
Außerdem hat Porphyrios das Thema kulturübergreifend verglichen, indem er
im vierten Buch verschiedene Völker und Religionen analysiert hat64. Er hat sich
nicht nur mit den Termini seines eigenen intellektuellen Milieus beschäftigt,
sondern musste teilweise kulturvergleichend arbeiten.
Für Haußleiter 1935, 316–337 ist der Vegetarismus des Porphyrios aufgrund
einer Askese, die das geistige Leben fördert, zu erklären. Er nennt den Philoso-

63 Für eine ausführliche Bibliographie über Porphyrios siehe Johnson 2013.


64 Porphyrios berichtet über den Vegetarismus unter den Griechen (4.2), den Spartanern (4.3),
den Ägyptern (4.6–10), den Juden (4.11–15), den Syrern (4.15), den Persern (4.16), den Indern
(4.17–18), und den Kretern (4.19). Für eine ausführliche Aufzählung der Quellen im vierten Buch
siehe Patillon / Segonds 1995, LVI–LVII.
 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die Vegetarier   95

phen einen „Prediger der Asketik“ und versucht die Argumente für den Vege-
tarismus, die in der Schrift DA zu finden sind, dieser Definition zuzuordnen65.
Insbesondere verwendet er Stellen aus der Paränese im ersten Buch und aus dem
zweiten Buch66, um zu zeigen, dass Porphyrios von einem „religiös bedingten
Spiritualismus“ gesteuert wird. Dieses Vorhaben trifft auf Schwierigkeiten, wenn
man die tierethischen Argumente des dritten Buches verstehen möchte. Hauß-
leiter 1935, 332 erkennt diese Schwierigkeit an und zählt die Argumente „morali-
scher Art“ separat auf67. Für ihn ist Porphyrios lediglich durch die Lehre Plotins
und die neupythagoreische Literatur eines Apollonios von Tyana und Plutarchs
beeinflusst (Haußleiter 1935, 336–337).
Laut BP 1977, LXII–LXIII kann der Vegetarismus des Porphyrios durch „le
desir de partager le repas des dieux“ begründet werden. Die berühmte These von
Detienne wird hier benutzt, um dem Vegetarismus eine „tiefere“ Begründung zu
geben. Diese strukturalistische Interpretation des Phänomens dient dazu, eine
metaphysische Motivation der Menschen zu finden, die sich des Fleisches enthal-
ten. Eine weitere Begründung basiert auf dem Begriff der griechischen „sagesse“.
Diese Weisheit wird hier in Verbindung mit den teilweise mythischen Weisen Grie-
chenlands, wie Orpheus, Abaris, aber auch Pythagoras, gesetzt. Die Eigenschaft,
die hervorgehoben wird, ist die Herrschaft der Seele über den Körper. Das heißt
der Vegetarismus sei ein Aspekt des ewigen Kampfes zwischen der geistigen und
der materiellen Welt (BP 1977, LXIV). Außerdem spielt die „différentiation“ nach
Meinung der französischen Autoren eine große Rolle. Denn der Vegetarismus sei
besonders bei Porphyrios ein Weg, sich von anderen zu unterscheiden. Letzlich
wird die Dämonologie des Porphyrios als Begründung für die Enthaltsamkeit an-
gegeben (BP 1977, LXIV). Denn für den Syrer führt der Verzehr von Fleisch böse
Dämonen in den Körper hinein (DA 2.43 und 2.47).
Es ist schwierig, die verschiedenen Argumente, die in DA zu finden sind, in
eine Ordnung zu bringen. Die meisten Argumente, die mit der Askese und Selbst-
beherrschung operieren, passen zu Porphyrios’ Konzept der Philosophie als Got-
tesverehrung68, weil sie sich mit der aktiven Förderung der Trennung der Seele
vom Körper beschäftigen. Das Thema des dritten Buches aber – die Gerechtigkeit

65 Haußleiter 1935, 320 „Wenn wir auch die Motive später noch genauer betrachten werden, so
mag gleich zu Anfang bemerkt werden, dass Porphyrios’ asketische Vorschriften von dem denk-
bar stärksten Spiritualismus getragen sind.“
66 Erwähnt werden die Diskussionen über das Erreichen des Maßes durch die Vernunft in DA
1.44 und die äußere und innere Reinheit in DA 2.45.
67 „Die einzigen Motive, die neben dem spiritualischen Hauptmotiv noch Erwähnung verdie-
nen, sind moralischer Art.“
68 Siehe dazu Tanaseanu-Döbler 2008, 34–36.
96   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

gegenüber anderen Lebewesen – kann nur indirekt mit dieser aktiven persönli-
chen Förderung in Verbindung gesetzt werden und zeigt ein Paradox: Die vegeta-
rische Lebensweise ist für die Philosophen gedacht, aber die Ethik, die dahinter
steckt, könnte eine bestimmte Stellungnahme von allen Menschen fordern. Denn
Porphyrios charakterisiert sein angestrebtes Publikum, indem er sagt, dass die
vegetarische Lebensweise nicht für alle Menschen notwendig sei, sondern nur
für diejenigen, die überlegt haben, wer sie seien, woher sie kommen, wohin sie
gehen wollen und was für Gewohnheiten sie pflegten69 – mit anderen Worten für
die Philosophen. Alle asketischen Vorschriften kommen diesem Publikum ent-
gegen, da sie meistens individuelle Entscheidungen voraussetzen. Andersartig
sind aber seine Mahnungen in Bezug auf das Tieropfer (zweites Buch der Schrift
DA). Sogar wenn man Tiere töten oder opfern muss, folgt daraus nicht, dass man
sie verzehren muss (DA 2.2. 2.4.1–2, 2.44, 2.54–58). Porphyrios hat nicht vor, eine
Revolution im Opfersystem in Gang zu setzen, aber beabsichtigt innerhalb des
Opfersystems, das Opfern von bescheidenen, unbeseelten und immateriellen
Dingen zu fördern70. Selbstverständlich sind es in erster Linie die Philosophen,
die solche Opfer darbringen sollten. Aber sein allgemeiner Ansatz – man muss
opfern, was man von den Göttern bekommen hat – schließt auch andere Men-
schen ein, wie den Bauern, der sein Getreide opfert71. Ganz konkret vertritt Por-

69 DA 1.27.1: „but to the person who has thought about who he is and whence he has come and
where he should try to go, and who has principles about food, and about other proper behaviour,
which are different from those in other ways of life.“ (Übersetzung nach Clark 2000); „ἀνθρώπῳ
δὲ λελογισμένῳ, τίς τέ ἐστιν καὶ πόθεν ἐλήλυθεν ποῖ τε σπεύδειν ὀφείλει, τά τε περὶ τροφὴν
κἀν τοῖς ἄλλοις καθήκουσιν ἐξηλλαγμένα τῶν κατὰ τοὺς ἄλλους βίους ὑποτιθεμένῳ.“ Siehe aber
auch DA 2.3.1–2 und 4.18.
70 DA 2.33.1: „For myself, I am not trying to destroy the customs which prevail among each peo-
ple: the state is not my present subject. But the laws by which we are governed allow the divine
power to be honoured even by very simple and inanimate things, so by choosing the simplest we
shall sacrifice in accordance with the law of the city, and will ourselves strive to offer a fitting
sacrifice, pure in all respects when we approach the gods.“ (Übersetzung nach Clark 2000); „ἐγὼ
δὲ τὰ μὲν κεκρατηκότα παρ’ ἑκάστοις νόμιμα λύσων οὐκ ἔρχομαι· οὐ γάρ μοι περὶ πολιτείας
νῦν πρόκειται λέγειν· δεδωκότων δὲ τῶν νόμων, ἐν οἷς πολιτευόμεθα, καὶ διὰ τῶν λιτοτάτων
καὶ ἀψύχων γεραίρειν τὸ θεῖον, τὸ λιτότατον αἱρούμενοι νόμῳ τε πόλεως θύσομεν καὶ αὐτοὶ
σπουδάσομεν τὴν προσήκουσαν θυσίαν ποιεῖσθαι, καθαροὶ πανταχόθεν τοῖς θεοῖς προσιόντες.“
71 DA 2.34.4–5: „For sacrifice is an offering to each god from what he has given, with which he
sustains us and maintains our essence in being. (5) So, as a farmer offers corn-ears and fruits,
so we offer them fine thoughts about them, giving thanks for what they have given us to con-
template, and for feeding us with the true food of seeing them, present with us, manifesting
themselves, shining out to save us“ (Übersetzung nach Clark 2000); „ἀπαρχὴ γὰρ ἑκάστῳ ὧν
δέδωκεν ἡ θυσία, καὶ δι' ὧν ἡμῶν τρέφει καὶ εἰς τὸ εἶναι συνέχει τὴν οὐσίαν. ὡς οὖν γεωργὸς
δραγμάτων ἀπάρχεται καὶ τῶν ἀκροδρύων, οὕτως ἡμεῖς ἀπαρξώμεθα αὐτοῖς ἐννοιῶν τῶν περὶ
 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die Vegetarier   97

phyrios die Meinung, dass das Töten der Tiere für Mantik ungerecht ist72. Diese
Haltung kann nur anhand der Argumente des dritten Buches verstanden werden.
Also durch die Pflege einer gegenüber anderen Wesen gewaltlosen Haltung hätte
man auch die Möglichkeit „dem Gott ähnlicher zu werden“ (3.27.2), und genau
dies verbindet das Verhältnis zu anderen Lebewesen mit dem persönlichen seeli-
schen Aufstieg. Dieses persönliche Streben, anderen Lebewesen keinen Schaden
zuzufügen, ist ein wichtiger Teil des Werdegangs des Philosophen zur Reinigung
der Seele, bietet aber gleichzeitig eine allgemeine ethische Prämisse, die von
Nicht-Philosophen verwendet werden kann73.
Warum beschäftigt sich Porphyrios so intensiv mit den Stoikern und den Epi-
kureern, wenn diese Schulen im dritten Jh. n. Chr. keine große Bedeutung mehr
hatten? Zuerst muss erwähnt werden, dass nicht nur Porphyrios, sondern sowohl
sein Lehrer Plotin als auch sein Schüler Jamblichos Doxographien in ihren Werken
verfasst haben74. Dies spricht dafür, dass ein allgemeineres Kompositionsprinzip
dahinter stecken könnte. Der in DA genannte Gegner des Vegetarismus, Firmus
Castricius, ist ein Mitglied der Schule des Porphyrios und es gibt keine Nachricht
über aktive Stoiker, die sich mit dem Thema der Tiervernunft oder der Tierethik
im dritten Jh. n. Chr. auseinandergesetzt hätten. Porphyrios aber sagt, dass er
sich nicht mit den Argumenten des Firmus auseinandersetzen, sondern die Argu-
mente der großen Philosophen aufgreifen möchte, die gegen den Vegetarismus

αὐτῶν καλῶν, εὐχαριστοῦντες ὧν ἡμῖν δεδώκασιν τὴν θεωρίαν, καὶ ὅτι ἡμᾶς διὰ τῆς αὐτῶν θέας
ἀληθινῶς τρέφουσι, συνόντες καὶ φαινόμενοι καὶ τῇ ἡμετέρᾳ σωτηρίᾳ ἐπιλάμποντες·“.
72 DA 2.51.1–2: „Es könnte nämlich jemand sagen, dass wir einen Großteil der Weissagung durch
Eingeweide unmöglich machen, wenn wir uns der Tötung von Lebewesen enthalten. Ein solcher
soll demgemäß auch die Menschen hinschlachten. Denn noch mehr, wie man sagt, wird die
Zukunft durch deren Eigenweide erkennbar. Auch erkunden viele der Barbaren [die Zukunft]
durch menschliche Eingeweide. Aber wie es zu Ungerechtigkeit und Selbstsucht gehörte, wegen
der Weissagung den Artgenossen zu töten, so ist es auch ein Unrecht, wegen der Weissagung
das vernunftlose Lebewesen zu schlachten.“ (Übersetzung nach Pötscher 1964; „φαίη γὰρ ἄν τις
ὅτι πολὺ μέρος ἀναιροῦμεν μαντείας τῆς διὰ σπλάγχνων, ἀπεχόμενοι τῆς τῶν ζῴων ἀναιρέσεως.
οὐκοῦν ὁ τοιοῦτος ἀναιρείτω καὶ τοὺς ἀνθρώπους· ἐπιφαίνεται γὰρ μᾶλλον, ὡς φασίν, τοῖς
τούτων σπλάγχνοις τὰ μέλλοντα· καὶ πολλοί γε τῶν βαρβάρων δι' ἀνθρώπων σπλαγχνεύονται.
ἀλλ' ὥσπερ ἀδικίας καὶ πλεονεξίας ἦν τὸ ἕνεκα μαντείας ἀναιρεῖν τὸν ὁμόφυλον, οὕτω καὶ τὸ
ἄλογον ζῷον σφάττειν μαντείας ἕνεκα ἄδικον.“
73 Mehr dazu in Kapitel 3.5 und 3.6.
74 Einige Beispiele der doxographischen Arbeit Plotins sind in Enneaden 4.1.2 (Stoiker); 4.7.3
(Atomisten), 4.8 (Heraclitus, Empedokles und Platon) und 5.1.8–9 (Platon, Parmenides, Anaxa-
goras, Heraklitus, Aristoteles, Pythagoras und Pherekydes) zu finden. Jamblichos De Anima ent-
hält durchgehend Meinungen anderer Philosophen, wie man beispielsweise an den folgenden
Stellen sieht: 1; 3 (Aristoteles), 2 (Atomisten), 4 (Severus, Speusippos, Pythagoreer, Xenokrates,
Hippasos und Platon), 5 (Plotin, Porphyrios und Amelios).
98   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

gesprochen haben. Diese sollen ebenfalls die Argumente des Firmus enthalten75.
Damit meint er neben den Epikureern und anderen Philosophen vor allem die
Stoiker. Das Argument über die Tiervernunft und über die moralische Berücksich-
tigung der Tiere zielt auf den Kern der stoischen Ethik, weil Vernunft zu besitzen
das Kriterium ist, um gerecht behandelt zu werden. Mehrere Quellen berichten,
dass die Stoiker sich polemisch mit den Argumenten bezüglich der Tiervernunft
anderer philosophischen Schulen auseinandergesetzt haben. Die besten erhal-
tenen Beispiele dieser Auseinandersetzung sind folgende: Philo aus Alexandria
in seinem Dialog De animalibus, in dem die Argumente für die Tiervernunft, die
von seinem Neffen in Rom vorgetragen wurden, mithilfe verschiedener stoischer
Lehren widerlegt werden; Plutarchs De sollertia animalium und De esu carnium,
wobei die erste Schrift die Vielfalt der stoischen Argumente besser darstellt; und
Sextus Empiricus, der ebenfalls die stoische Argumentation gegen die Tierver-
nunft in seiner Schrift Pyrrhoniae hypotyposes darstellt76. Es kann festgehalten
werden, dass zur Zeit des Porphyrios die stoische Argumentation gegen Tier-
vernunft und gegen die moralische Berücksichtigung der Tiere unabhängig von
der stoischen Schule geworden ist. Sie hat einen Platz in der Diskussion über
die Tierethik und den Vegetarismus bekommen und wurde weiter verwendet und
widerlegt, weil sie ihre Überzeugungskraft nicht verloren hatte. Diese gewisse
Unabhängigkeit des Arguments spricht auch dafür, dass die Diskussion über den
Vegetarismus in der Antike nicht nur ein Streit zwischen Schulen gewesen ist,
sondern einen selbständigen Bereich in der Ethik gebildet hat.
Es wurde bereits dargestellt, auf welche Weise Porphyrios die Schrift des
Klodios aus Neapel zitiert hat. Wie hat aber Porphyrios auf die Schrift des Ne-
apolitaners reagiert? Viele Punkte, die in Gegen die Vegetarier erwähnt werden,
bekommen eine Antwort von Porphyrios entweder durch ein weiteres Zitat oder
aus seiner eigenen Feder. Die meisten intertextuellen Verbindungen gibt es zwi-
schen zwei von Porphyrios wiederholt zitierten Schriften, nämlich zwischen der
Schrift des Klodios Gegen die Vegetarier und der Schrift des Theophrast Über die
Frömmigkeit, und werden in Kapitel 2.2.1–4 ausführlich behandelt. Zusätzlich
beantwortet Porphyrios die folgenden Argumente, die in Gegen die Vegetarier
auftauchen: 1. Das Argument der Zunahme der Anzahl der Tiere als Bedrohung
für das Überleben der Menschheit – 1.16.1–2 und 1.24.1, aber auch 1.5.2 (Stoiker
und Peripatetiker) und 1.11.4–5 (Hermarch) – wird in 4.14.2–3 beantwortet, indem

75 DA 1.26.4: „Τοιαῦτα μὲν καὶ τὰ παρὰ Κλωδίῳ, καὶ Ἡρακλείδῃ τῷ Ποντικῷ, Ἑρμάρχῳ τε
τῷ Ἐπικουρείῳ, καὶ τοῖς ἀπὸ τῆς στοᾶς καὶ τοῦ περιπάτου, ἐν οἷς καὶ τὰ ὑμέτερα, ὅσα ἡμῖν
ἀπηγγέλθη, περιείληπται.“
76 Für eine Diskussion dieser Tradition siehe Kapitel 3.2.2.
 Die drei historischen Schichten der Schrift Gegen die Vegetarier   99

Porphyrios darauf hinweist, dass viele Tierarten von den Menschen nicht ver-
zehrt werden und sie trotzdem die Welt durch ihre Anzahl nicht überfüllt haben,
weil sie ein kurzes Leben haben und sie ohne die Menschen nicht lange leben
können; 2. Wenn Pflanzen auch Seelen haben, ist es ungerecht, sie zu töten (1.18.1
und 1.21.2, aber auch 1.6.3). Dieses Thema wird von Porphyrios an den Stellen
2.13.1 (Zitat von Theophrast), 3.18.2 3.19.2 (wahrscheinliches Zitat von Plutarch)
3.26.12 und 3.27.2 (Porphyrios’ eigene Meinung) erwähnt und in Kapitel 3.5 und
3.6 ausführlicher diskutiert; 3. Auf das Thema des Fleischessens bei den ersten
Menschen (1.13) wird nicht nur mit Theophrasts Geschichte des Opferbrauchs ge-
antwortet77, sondern auch mit verschiedenen Vorstellungen idealisierter Vergan-
genheiten, die insbesondere im vierten Buch dargestellt werden: 3.27.10, 4.2.1–9
(Darstellungen eines goldenen Zeitalters); 4.3–5.2 (frugale spartanische Gesell-
schaft); 4.5.2–6 (Vergangenheit verschiedener Völker, die eine Art Enthaltsamkeit
pflegten).
Die Verteidigung des Vegetarismus über alle Maßen, wie man sie bei Por-
phyrios sieht, nahm mit Jamblichos ein Ende. Seine Position ist komplexer zu
verstehen. Trotz seiner Identifikation durch andere als Neupythagoreer und des
in seiner Vita Pythagorica (31.187) enthaltenen Gebots, sich des Beseelten zu ent-
halten, gilt Jamblichos als ein Vertreter des blutigen Tieropfers im Kontext des
kultischen Rituals, im Gegensatz zu Porphyrios, der für Opfer anderer Arten plä-
diert (DA 2.34). In direkter Auseinandersetzung mit Porphyrios78 wertet Jambli-
chos das Tieropfer als wichtiges Element der Theurgie79 und argumentiert, dass
das Blutopfer wichtig für verschiedene niedrigere Mächte sei und diese wiede-
rum notwendig für das Hinaufsteigen zum Immateriellen80 seien. Ebenfalls ist
der Begriff der Oikeiotes Jamblichos81 wesentlich anders zu verstehen als der

77 Eine detallierte Auseinandersetzung dieser Debatte ist in Kapitel 2.2.1 zu finden.


78 Die Stelle De Mysteriis 5.4 stellt die gegensätzlichen Meinungen der Philosophen deutlich
dar: „Nor should that problem which occurs to you as a source of conflict, that is, the question
of abstention from animal food, occasion any difficulty, if you consider it correctly. For it is not
in order that the gods may not be polluted by vapours arising from animal substances that those
ministering to them abstain from living things“; „Οὐδὲ γὰρ ὅπερ σε εἴσεισιν ὡς μαχόμενον περὶ
τῆς τῶν ἐμψύχων ἀποχῆς ἔχει τινὰ δυσκολίαν, εἴ τις αὐτὸ ὀρθῶς ὑπολαμβάνοι· οὐ γὰρ δὴ ἵνα
μὴ οἱ θεοὶ τοῖς ἀπὸ ζῴων ἀτμοῖς χραίνωνται, διὰ τοῦτο οἱ θεραπεύοντες αὐτοὺς ἀπέχονται
τῶν ἐμψύχων.“
79 Für eine ausführliche Diskussion über den Theurgie-Begriff bei Porphyrios und Jamblichos
siehe Tanaseanu-Döbler 2008, 34–61 und 2013, 45–135.
80 Siehe weiter Jamblichos De Mysteriis 5.14, 18; Haußleiter 1935, 342.
81 De Mysteriis 5.7, 9 und 6.3.
100   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

des Theophrast, was die gewaltlose Behandlung der Tiere angeht82. Für Krulak
2014, 354–36083 ist aus folgenden Gründen das blutige Opfer ein wesentlicher Be-
standteil der Theurgie des Jamblichos: 1. es rufe die göttliche φιλία hervor, die
verantworlich für die theurgische Wirksamkeit sei; 2. materielle Opfer reinigen
den Körper und befreien die Seele vom Körper; 3. das blutige Opfer sei die An-
fangsphase des Theurgieprozesses und 4. die Einheit mit dem Göttlichen (ἕνωσις)
könne nur durch die Zusammensetzung aus Opfer und Gebet in einem theurgi-
schen Ritual stattfinden.
Die Debatte zwischen Jamblichos und Porphyrios über das Tieropfer aus der
Perspektive des Vegetarismus verlangt eine tiefere Untersuchung, die in dieser
Arbeit nicht vorgenommen wird84.
Nachdem die drei historischen und intelektuellen Kontexte der Erscheinung
der Schrift Gegen die Vegetarier analysiert wurden, sollen nun die Ähnlichkeiten
zwischen ihr und der Schrift des Theophrast Über die Frömmigkeit herausgear-
beitet werden.

2.2 Die Fragmente Gegen die Vegetarier


und Über die Frömmigkeit des Theophrast im Vergleich

Die Analyse der intertextuellen Bezüge zwischen beiden Fragmenten wird zeigen,
dass eine direkte Beziehung zwischen den Schriften Gegen die Vegetarier und
Über die Frömmigkeit vorhanden ist. Die thematischen Ähnlichkeiten sind zahl-
reich und werden unter den folgenden Punkten in weiteren Unterkapiteln näher
behandelt: 2.2.1: Die Urgeschichte der Nahrung und die soziale Funktion des
Feuers; 2.2.2: Die Beziehung zwischen Menschen und Pflanzen und die ethische
Debatte über die Tierprodukte; 2.2.3: Der Kannibalismus und der Vegetarismus
als Diskurse über Zivilisation und 2.2.4: Das Wesen der Seele und die Verwandt-
schaft der Lebewesen. Die in dieser Arbeit vorgeschlagene Beziehung beider
Schriften untereinander zeigt sich nicht nur in der Behandlung ähnlicher und

82 Vgl. Sorabji 1993, 187: „Moreover, the belonging (oikeiosis, oikeiotes) which in Theophrastus
united us to the animals and in the Stoics estranged us from them, is here used in a third way.
It is said to connect animals to their creators, the demons and, more indirectly to the gods and
the supreme god. By an irony, however, this produces an almost Stoic result. It makes animals
suitable material for sacrifice, because it enables us to set in motion all these divinities.“ Mehr
dazu Shaw 1995,149–151 und Krulak 2014, 355–356.
83 Außerdem bietet Krulak 2014, 353–354 eine ausführliche Bibliographie zum Thema Opfer bei
den Neuplatonikern an.
84 Dazu Porphyrios’ Ad Anebum passim, Haußleiter 1935, 397–342 und Sorabji 1993, 184–188.
 Die Fragmente im Vergleich   101

teilweise identischer Themen, sondern auch in Form von Spuren, die auf eine
gezielte Diskussion zwischen den Autoren zurückzuführen sind. Diese vertreten
jeweils ihre konkurrierenden Lebensvorstellungen in Bezug auf die ontologische
und moralische Bewertung des Status der Pflanzen, Tiere, Menschen und Götter.
Außerdem sind die dialektischen Aspekte in spezifischen und konkreten Einwän-
den innerhalb der Schriften zu erkennen, wie für jedes der genannten Themen
gezeigt werden wird. Da die Autorschaft der Schrift Gegen die Vegetarier nicht
sicher bestimmt werden kann, wird die in diesem Kapitel angebotene Analyse
lediglich anhand des Textes und ohne die Identifizierung des Autors erfolgen.
Die möglichen Zuschreibungen des Inhaltes der Schrift und die entsprechenden
Konsequenzen wurden separat in Unterkapitel 1.1.4 diskutiert.
Einige einleitende Worte über die Schrift Über die Frömmigkeit sind zur
Vorbereitung auf die Gegenüberstellung der beiden Traktate notwendig. Theo-
phrasts Über die Frömmigkeit (περὶ εὐσεβείας) handelt hauptsächlich vom Thema
des Tieropfers. Sein Hauptargument ist, dass man pflanzliche Opfer statt Tierop-
fer darbringen solle, wie es früher Brauch gewesen sei (DA 2.12). Die Fragmente
des Textes finden sich ebenfalls bei Porphyrios (DA 2.5–32); sie wurden sowohl
von Bernays als auch von Pötscher exzerpiert und werden in der Literatur über
Theophrast überwiegend als echt anerkannt85.
Die Hauptthemen86 des Traktates sind folgende: 1. Eine Geschichte des
menschlichen Opferbrauches, verbunden mit der Entwicklung der menschlichen
Ernährungsweise, und eine etymologische Untersuchung des Wortes Thysia und
seiner Verwandten (2.5–7); 2. Eine Liste der Völker, die gegen den Opferbrauch
waren und dafür bestraft worden sind (2.8); 3. Die Erklärung der Herkunft und
Begründung des Tier-Opfers (2.12.1); 4. Eine allgemeine Apologie und Recht-
fertigung des Pflanzenopfers anstelle des Tieropfers (2.12.2–15, 2.19–21); 5. Eine
Darstellung der Theorie der Verwandtschaft zwischen allen Lebewesen und ihrer
ethischen Konsequenzen in Bezug auf den Opferbrauch (2.22–26); 6. Ein Ver-
gleich zwischen den Bräuchen anderer Völker bezüglich des Opferns der Tiere
(2.26); 7.  Eine Erwägung der Verbindungen zwischen Kannibalismus und Blut-
opfer (2.27); 8. Fazit und Wiederholung der Hauptaussage: „Denn wie nicht jeg-
liches den Göttern geopfert werden darf, so ist ihnen ein Opfer auch nicht von
jedem gleich angenehm“ (2.32)87.

85 Siehe Bernays 1866, Pötscher 1964, Fortenbaugh 2003, 12;173–174; 2011, 69–73, Brink, 1956,
124–128, Sorabji 1993; 1998, 211–221.
86 Für eine detailliertere Auseinandersetzung mit der Schrift siehe Fortenbaugh 2003, 173–192
und Obbink 1988, 272–295.
87 Übersetzung von Pötscher 1964, 183.
102   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

Das Fragment, das in DA 3.25 zu finden ist, ist andererseits schwierig einzuor-
den. Es kann entweder zu der Schrift Über die Frömmigkeit oder zu einer anderen
verlorenen Schrift Theophrasts namens Περὶ ζῴων φρονήσεως καὶ ἤθους (Über
die Intelligenz und Charaktere der Tiere) gehören (Pötscher 1964, 182–183). For-
tenbaugh 2011, 570 kann auch diese Entscheidung nicht endgültig treffen, aber
tendiert dazu, das Fragment zu der Schrift Über die Frömmigkeit zu zählen. Seine
Gründe, die für uns überzeugend genug sind, lauten:

„First, establishing a natural relationship between human beings and animals is essential
to Theophrastus’ argument against animal sacrifice. A zoological work focused on animals
might assume such a relationship without arguing for it. Second, since it seems certain that
the Theophrastean material that Porphyry introduces into Book 2 of On Abstinence is taken
from On Piety, it is simplest to assume that he has drawn on the same work in Book 3.“

Das Ziel dieses Kapitels ist zu untersuchen, inwiefern beide Schriften konkurrie-
rende Diskurse gestaltet und auf welche Weise sie einen dialektischen Prozess im
Spiegel der Diskussion über den Vegetarismus generiert haben.

2.2.1 Urgeschichte der Nahrung und die soziale Funktion des Feuers

Haben die ersten Menschen hauptsächlich Fleisch gegessen oder eine auf Pflan-
zen basierte Ernährung gehabt? Haben sie mit Feuer gekocht oder die Nahrung
roh verzehrt? Diese Fragen können noch nicht endgültig beantwortet werden.
Viele haben in der Geschichte ihre Meinungen dazu geäußert und die Diskussion
ist sogar unter zeitgenössischen Wissenschaftlern umstritten und nicht frei von
moralischen Wertungen. Die beiden Schriften Gegen die Vegetarier und Über die
Frömmigkeit enthalten ebenfalls Meinungen zum Thema der „Urnahrung“ der
Menschen. Diese sollen in diesem Unterkapitel analysiert werden, um zu zeigen,
wie sie sich gegensätzlich aufeinander beziehen.
Die Debatte über die Ernährung unserer Vorfahren fasziniert moderne Wis-
senschaftler, die sich mit Evolution beschäftigen. Es wird unter anderem ­intensiv
zur Rolle des Fleischessens und des Kochens in der Ernährungsweise der ersten
Hominiden geforscht. Die Ergebnisse solcher Diskussionen sind als nicht defini-
tiv zu verstehen und stellen verschiedene Hypothesen auf, wie z.  B.: Der Homo
Erectus sei hauptsächlich ein Jäger gewesen und das Fleisch habe eine große
Rolle in seiner täglichen Nahrung gespielt88; andere behaupten, er sei überwie-

88 Siehe Lee et. al 1968 Man the hunter. Insbesondere die in diesem Buch erschienenen Artikel
von Washburn, S. und Lancaster, C.S. The evolution of hunting. Die Autoren schreiben der Jagd
 Die Fragmente im Vergleich   103

gend ein Aasfresser gewesen, und das Jagen habe eine Nebenrolle in der Tätig-
keit gespielt, sich mit Energie zu versorgen89. Eine weitere Theorie vertritt einen
ausgeglicheneren Einfluss zwischen der Rolle des Fleisches und der pflanz­
lichen Nahrung in Bezug auf die Zusammensetzung der Diät unserer Vorfahren90.
Ebenfalls ist umstritten, wie bedeutsam das Kochen war und ab wann es eine
übliche Tätigkeit des Menschen geworden ist. Einige Forscher vermuten, dass die
Fähigkeit des Kochens mit Feuer eine frühe und entscheidende Eigenschaft der
Vorfahren der Menschen gewesen sei und dadurch die Menschen eine viel brei-
tere Auswahl an Pflanzen gehabt haben, die früher nicht essbar waren91. Andere
sind der Meinung, dass der Homo Erectus problemlos ohne Kochen überleben
konnte92, d.  h., dass das Kochen eine Kunst sei, die nur eine untergeordnete Rolle
in der Evolution gespielt habe. Schließlich zeigt Sussman 1999, 454–457 die deut-
liche Mischung von biologischen und moralischen Erklärungen in einigen dieser
Theorien auf93.

den Schlüssel zum Verständnis nicht nur der Evolution der Menschen als Art, sondern auch für
die Fortschritte ihrer sozialen, emotionalen und intellektuellen Fähigkeiten zu, wie Washburn
und Lancaster in Lee et. al. 1968, 293 schreiben: „Human hunting is made possible by tools, but
it is far more than a technique or even a variety of techniques. It is a way of life, and the success
of this adaptation (in its total social, technical, and psychological dimensions) has dominated
the course of human evolution for hundreds of thousands of years. In a very real sense our
intellect, interests, emotions, and basic social life – all are evolutionary products of the
sucess of the hunting adaptation.“
89 Binford 1985, 297 analysiert die Daten aus der Olduvai-Schlucht und ist der Meinung, dass
„They (the hominids) were scavenging the consumed kills and scavenging death sites of ani-
mals after most of the other predator-scavengers had abandoned the carcass and scattered some
of its parts.“ Er behauptet, dass das Jagen keinen großen Einfluss auf unsere Evolution gehabt
habe, weil es als eine systematische Tätigkeit erst später aufgetreten sei: „Systematic hunting of
moderate to large animals appears to be a part of our modern condition, not its cause“ (Binford
1985, 321).
90 Stanford und Bunn 2001, 356 verstehen die Ernährung der ersten Menschen als vielfältig:
„Whether or not tubers were a dominant component in the diet of early Pleistocene Homo, there
is a consensus that hominid diets were primarily plant based, as they are among modern tropical
foragers. High-quality meat was a rewarding but inherently risky supplement that, nevertheless,
increased in significance during the evolution of the Homo clade.“
91 Wrangham et. al 1999 schlagen vor, dass die Menschen sehr früh das Feuer beherrscht hät-
ten. Stahl 1984 erklärt, wie gering der Zugriff auf pflanzliche Nahrung für die Menschen sei,
wenn sie das Feuer nicht beherrscht hätten, aufgrund verschiedener Toxine, die in ungekochter
pflanzlicher Nahrung vorhanden seien.
92 Stratus 1989, 488 ist der Meinung, dass der Mensch erst im Jungpaläolithikum (50.000–
10.000 v. Chr.) das Feuer ganz unter Kontrolle gehabt habe, obwohl es eventuell schon früher
benutzt worden war. D.  h., der Homo Erectus habe diese Kunst nicht beherrscht.
93 Besonders bei Washburn und Lancaster in Lee et. al. 1968, Dart 1953 und Cartmill 2009.
104   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

Er fragt sich, ob die modernen Theorien über die Verhältnisse unserer Vor-
fahren in Bezug auf die Ernährung die Zeugnisse richtig interpretiert haben oder
ob sie lediglich Bestätigungen unserer Traditionen und Glaubenssysteme sind.
So Sussman 1999, 469:

„We are forced to ask, are these theories generated by good scientific fact, or are they just
‘good to think’, in the Levi-Straussian sense, because they reflect, reinforce and reiterate
our traditional cultural beliefs? Are the scientific facts being interpreted in such a way as to
reinforce our traditional Christian or European myths of morality and ethics? Is the theory
generated by the data, or are the data manipulated to fit preconceived notions of human
morality and ethics? Because the data in support of these theories have been weak, and
yet the theories created have been extremely similar, I am inclined to believe that ‘man the
hunter’ is a myth and that the myth will continue to reappear in writings on human nature
and morality long into the future.“

Eine Auswertung dieses Streits ist nicht das Ziel dieser Arbeit. Was jedoch her-
vorgehoben werden sollte, ist die Tatsache, dass die Diskussion über die Ernäh-
rungsweise der „ersten Menschen“ in der modernen Wissenschaft anscheinend
immer noch von moralischen Vorstellungen geprägt ist94. Es sollte betont werden,
dass einige dieser Theorien die Arbeit moderner Geisteswissenschaftler stark be-
einflusst haben, wie z.  B. die Arbeit von Walter Burkert. Seine Theorie der Gewalt
in der Religion95, die seinen Homo Necans geprägt hat, basiert auf der Idee, die

94 Es gibt zahlreiche Beispiele von Wissenschaftlern auf diesem Gebiet neben Sussman, die
anderen Kollegen vorwerfen, ihre eigenen moralischen Vorstellungen mit der Wissenschaft zu
vermischen. Einige davon finden sich in den Kommentaren der Artikel von Wrangham et. al.
1999 The raw and the stolen: Cooking and human origins: „Now, what they have produced may
not be science, but it has the makings of an absolutely charming story – although its implications
embody a stereotype that is guaranteed to grate on feminist sensibilities, the archetypical picture
of the female as defined by the role of provider of food and sexual gratification“ (C. Loring Brace
S. 577), und „Wrangham et al. offer a story of the behavioral ecology of early Pleistocene Homo
that requires the use of digging sticks to obtain deeply buried tubers and the controlled use of
fire to cook them. As an alternative to the prevalent view that the incorporation of high-quality
meat into the hominid diet selected for encephalization and the evolution of more human-like
behavior in early Homo, the cooked-tuber story will appeal to readers for whom concepts such as
‘meat’, ‘hunt’, and ‘kill’ are dreaded four-letter words and unwanted elements in human ance-
stry. (Henry T. Bunn, S. 579). “
95 Burkert 2011, 10–13 reflektiert über seine theoretischen Voraussetzungen (unter anderem
The evolution of Hunting in Man the Hunter) und kommt zu dem folgenden allgemeinen Schluss:
„Damit aber steht von Anfang an Blutvergießen und Töten im Zentrum der Grundordnung
menschlicher Gesellschaft, die auf Kooperation und Reziprozität beruht.“ Weiterhin drückt Bur-
kert in einer Mischung aus Wissenschaft und moralischer Rede seine Meinung aus: „sie (die Jagd)
ist und bleibt fast überall Männersache; und für fast alle Menschen ist der Fleischgeschmack
 Die Fragmente im Vergleich   105

in Man the Hunter vertreten wird. Abschließend ist an dieser Stelle Stanford und
Bunn 2001, 4 zuzustimmen: “each era in the study of human behavioral origins
has treated meat-eating in its own way, based on the most reasonable interpreta-
tions of the available data.“ Eben dies geschieht auch in den Schriften Gegen die
Vegetarier und Über die Frömmigkeit.
In den Kultur- und Sozialwissenschaften wird das Feuer von vielen als eine
Art Anfang der Zivilisation bezeichnet96. Lévi-Strauss 1964 kennzeichnet die
menschliche Fähigkeit, Essen zu kochen, als das oberste Kriterium, das die Men-
schen von den Tieren trennt. In seinem Le cru et le cuit versteht er das Rohe und
das Gekochte als gegensätzliche Oberkategorien, die einen tiefen Einblick in die
Struktur des menschlichen Denkens erlauben97. Einer der wertvollsten Beiträge
der Arbeit von Lévi-Strauss ist die Sammlung verschiedener mythologischer Va-
rianten der Entdeckung bzw. Erfindung des Feuers in den Gê- und Bororo-Stäm-
men98. Diese sprechen dafür, dass in diesen Gesellschaften die Entdeckung des
Feuers mit dem Kochen und der Organisation sozialer Strukturen eng verbun-
den war. Für die Fragestellung dieser Arbeit ist es hilfreich, die Beiträge einiger
Anthropologen anzuführen, die sich mit den ethischen Konsequenzen indigener
Ontologien beschäftigen. Diese Diskussion findet im so genannten Ontological
turn99 statt. Festzuhalten ist, dass verschiedene ontologische Perspektiven für ge-
wöhnlich unterschiedliche ethische Konsequenzen erzeugen und diese Ontolo-

etwas besonderes, das wahre Zentrum eines guten Essens. Dies ist das Paläolithikum in uns. Die
Regression zum Vegetarier ist möglich, bedarf aber eines gewissen seelischen Aufwandes. Jagd
und Fleischessen hat die Menschheit geprägt.“
96 Goudsblom 1995, 14, ein Unterstützer und Entwickler der Idee des Zivilisationsprozesses von
Norbert Elias, bewertet mit diesen Worten die Bedeutsamkeit des Feuers für die Zivilisation: „Zu
lernen, wie man Feuer kontrolliert, war und ist eine Form der Zivilisation. Weil Menschen das
Feuer gezähmt und es zu einem Teil ihrer eigenen Gesellschaften gemacht haben, sind diese Ge-
sellschaften komplexer und die Menschen selbst zivilisierter geworden.“ und Burkert 1977, 108
„Feuer ist Grundlage zivilisatorischen Lebens, ist ursprünglichster Schutz vor Raubtieren – und
darum auch vor bösen Geistern –, spendet Wärme und Helligkeit, und doch bleibt es schmerz-
haft-gefährlich, ja Urbild der Vernichtung.“
97 Lévi-Strauss 1964, 9: „Le but de ce livre est de montrer comment des catégories empiriques
telles que celles de cru et de cuit, de frais et de pourri, de mouillé et de brûlé, etc. définissables
avec précision par la seule observation ethnographique et chaque fois en se plaçant au point de
vue d’une culture particulière, peuvent néanmoins servir d’outils conceptuels pour dégager
des notions abstraites et les enchainer en propositions.“
98 Wie z.  B. die mythische Variationen der Gê der Entdeckung des Feuers in Lévi-Strauss 1964,
74–81; der Tukuna 134, der Bororo 135 und der Ofaié 136.
99 Fausto 2007, 497 fasst diese Herangehensweise so auf: „The fundamental premise shared by
these approaches is that, in Amerindian (and North Eurasian) ontologies, intentionality and
reflexive consciousness are not exclusive attributes of humanity but potentially available to all
106   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

gien dementsprechend konkurrierend auftreten können. Dies dient lediglich als


Inspiration, um eine erfolgreiche Analyse zweier unterschiedlicher ontologischer
Perspektiven zu unternehmen, wie sie sich bei Gegen die Vegetarier und Über die
Frömmigkeit zeigen.
Auch in der griechischen Mythologie besitzt das Feuer keinen geringen Wert,
sondern eine zentrale Bedeutung. Nennenswert sind drei Hauptaspekte dieses
Bereichs: Die häuslichen Herde, die durch Hestia100 eine heilige Funktion erhal-
ten; die Figur des Hephaistos als Gott der Schmiede und drittens die Rolle des
Prometheus als Geber des Feuers an die Menschen. Die letzten zwei wurden aus-
führlich von Furley101 in seinen Studies in the use of fire in ancient Greek religion
behandelt. Sowohl die Perspektive des Strukturalismus als auch die historisch-
psychologische Interpretation von Burkert werden von ihm besprochen und die
Rolle des Feuers wird als zentral in Bezug auf den Opferbrauch, das Kochen und
die Sozialisierung hervorgehoben. Eine Lücke in seiner Arbeit ist das Fehlen einer
tieferen Analyse des Feuers als Herd in der Form von Hestia102. Diese mythologi-
sche Figur und ihre entsprechende Erscheinung in der Realität – der gewöhn-
liche Hausherd – spielen eine zentrale Rolle in der Auseinandersetzung mit
den Schriften Gegen die Vegetarier und Über die Frömmigkeit, wie unten gezeigt
wird.
Haußleiter 1935, 57–87 hat die Meinungen der antiken Autoren bezüglich der
Vorstellungen der ersten Menschen in zwei Gruppen geteilt. Auf der einen Seite
stehen diejenigen, die den Anfang der Zeiten als eine goldene Epoche der Har-
monie zwischen Menschen, Göttern und Tieren angesehen haben. Dieser Gedan-
kengang ist mit einer Idee der Degeneration der menschlichen Moral verbunden
und wird teilweise als Ausgangspunkt für moralische Einwände benutzt, die eine
Rückkehr zur ursprünglichen Lage fordern. Die bedeutendsten Vertreter dieser
Weltanschauung seien Hesiod, Theophrast und Platon. Zum anderen gibt es die-

beings of the cosmos. In other words, animals, plants, gods, and spirits are also potentially per-
sons and can occupy a subject position in their dealings with humans“.
100 Burkert 1977, 265 ordnet Hestia als eine der kleineren Gottheiten ein und beschreibt ihre
Bedeutung in der griechischen Gesellschaft auf folgende Weise: „Hestia, ionisch Histie, ist das
Alltagswort für den ‘Herd’ als Zentrum des Hauses und der Familie; (…) Auch die Gemeinschaft
der Polis hat zum Zentrum einen ‘gemeinsamen Herd’, der in einem Tempel oder im Ratsgebäude
steht. Der nie erlöschende Herd im Tempel von Delphi galt zuweilen als der ‘gemeinsame Herd’
von ganz Griechenland. Der Herd ist eine Opferstelle für Libationen und kleine Speisegaben; das
Mahl beginnt, indem man sie ins Feuer wirft.“
101 Furley 1981, 1–14;189–201. Er sieht den Prometheus-Mythos wie folgt: “I believe that the
three episodes of Hesiod’s myth can and should be understood as all related to the single com-
plex theme of marriage and the exchange of women between family hearths“ S. 198.
102 Mit Ausnahme der Rolle des Herdes als zentralen Ort in den Eheriten (Furley 1981, 188–189).
 Die Fragmente im Vergleich   107

jenigen, die die ersten Menschen als tierähnliche Wesen bezeichnet haben und
der Meinung sind, dass der Fortschritt der Kultur und der Moral mit der zeitlichen
Entwicklung der Menschen gewachsen ist. Diese Theorie wurde unter anderem
von Demokrit, Aristoteles und Hermarchos, dem Epikureer, vertreten. Sowohl die
Not als auch die göttliche Intervention werden als Werkzeuge angesehen, die die
sozialen Fähigkeiten der Menschen wie das Zusammenleben vorantreiben.103
Diese beiden Weltanschauungen stellen nur eine Vereinfachung der Lebens-
vorstellungen der zitierten Autoren dar. Trotzdem trägt ihre Gegenüberstellung
dazu bei, die Meinungen des Verfassers des Traktats Gegen die Vegetarier und
des Theophrast in einem größeren Rahmen zu verstehen. Denn Theophrast ist
ein Vertreter der ersten Gruppe, die eine idealisierte Vorstellung des goldenen
Zeitalters schildert104. Er wendet diese Anschauung zur Erklärung eines bestimm-
ten menschlichen sozialen Phänomens an und zwar des Opfers. Theophrast be-
absichtigt, eine Geschichte des Opfers zu schreiben, indem er eine idealisierte
Weiterentwicklung der Opfergabe im Einklang mit der Entwicklung der mensch-
lichen Ernährungsweise beschreibt. Seine Chronologie des Opfers läuft auf die
folgende Weise: Zuerst ist nur Gras geopfert worden, da die Menschen nur einen
geringen Zugang zu Nahrung gehabt haben: „Nicht davon also pflegten sie früher
zu opfern, sondern vom Kraute, gewissermaßen nachdem sie mit den Händen
einen Flaum der zeugenden Natur abgenommen hatten.“105 Nach vielen Gene-
rationen – es ist im Text nicht ersichtlich wie vielen – hätten sie angefangen,
Myrrhe, Kasia, Weihrauch und Safran zu opfern:

„Eine schier unermeßliche Zeit scheint es her zu sein, wie Theophrast sagte, seitdem
der sicher gescheiteste Stamm von allen und im heiligsten, vom Nil wohnbar gemachten
Lande zu Hause, erstmals von rechten Anfang begann, den himmlischen Göttern Weihe­
gaben – freilich nicht aus Myrrhe, auch nicht aus einem Gemisch von Kasia, Weihrauch und
Safran  – zu opfern. Viele Generationen später nämlich griff man zu diesen Dingen, und

103 Vergleichbar ist die Diskussion über den Begriff des Fortschritts in der griechischen Den-
ken, wie Dodds 2973 in seinem The Ancient Concept of Progress anbietet. Er erkennt auch unter
anderem, dass die Vorstellung von Theophrast eine idealisierte Rückkehr zum ursprünglichen
Zustand vertritt und dass diese sich in einen Gegensatz zu der aristotelischen Lehre stellt (Dodds
1973, 16–17). Vgl. auch Edelstein 1967. An dieser Stelle wurde Haußleiters Darstellung der Sache
bevorzugt, da er sich spezifischer mit der Frage des Vegetarismus in Bezug auf den Ursprung des
Menschen beschäftigt.
104 Obwohl Fortenbaugh 2003, 175 ausschließt, dass Theophrast eine Rückkehr in die Ur-Situa­
tion vertritt, ist er der Meinung, dass der Text doch von einer Rückkehr zu einem alten Brauch
handelt: Zum fleischlosen Opfer.
105 DA 2.5.2: „οὐ τούτων οὖν ἔθυον πρότερον, ἀλλὰ χλόης, οἱονεί τινα τῆς γονίμου φύσεως
χνοῦν ταῖς χερσὶν ἀράμενοι.“ (Übersetzung nach Pötscher 1964).
108   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

der Mensch, der sich auf die Wanderung begab und sich auf die Suche nach dem notdürfti-
gen Lebensunterhalt machte, hätte nur unter vielen Mühen und Tränen Tropfen von diesen
Dingen den Göttern geopfert“106.

Danach folgt das Opfer der Baumblätter:

„Als dann die Erde nach dem von Anfang an sprießenden Gras auch schon Bäume hervor-
brachte und die Menschen zuerst die Eichenfrucht zu essen begonnen hatten, zündeten sie
von der Nahrung aus Mangel nur wenig, aber von deren Blättern eine größere Menge den
Göttern zum Opfer an.“107.

Die Entwicklung schreitet voran: Nach Getreide kamen Kuchen, dann Blumen,
Wein, Hönig, und Öl:

„Von dieser Situation ausgehend, und als sich die Früchte, aber sogar der Weizen in grö-
ßeren Mengen fand, fügten wir schon Opfergaben von Kuchen und allem übrigen zu den
Opfern an die Götter hinzu. Häufig sammelten die Menschen von damals Blumen und
nicht weniger erzeugten sie eine Mischung, wenn sie in ihrem Leben etwas Ansprechen-
des und durch seinen Geruch der göttlichen Empfindung Entsprechendes hatten. Und das
eine banden sie zu Kränzen, das andere schütteten sie ins Feuer, und als sie andere göttli-
che Flüssigkeiten von Wein und Honig und ferner von Öl für den menschlichen Gebrauch
fanden, opferten sie auch von diesen den Göttern als deren Verursachern.“108

Und schließlich tritt nach der Aufzählungen einiger anderer lebloser Opfer das
fleischliche Opfer in Erscheinung:

106 DA 2.5.1: „ἀνάριθμος μέν τις ἔοικεν εἶναι χρόνος, ἀφ' οὗ τό γε πάντων λογιώτατον γένος,
ὡς φησὶν Θεόφραστος, καὶ τὴν ἱερωτάτην ὑπὸ τοῦ Νείλου κτισθεῖσαν χώραν κατοικοῦν ἤρξατο
πρῶτον ἀφ' Ἑστίας τοῖς οὐρανίοις θεοῖς θύειν οὐ σμύρνης οὐδὲ κασίας καὶ λιβανωτοῦ κρόκῳ
μιχθέντων ἀπαρχάς· πολλαῖς γὰρ γενεαῖς ὕστερον παρελήφθη ταῦτα, καὶ πλάνης καὶ μαστὴρ ὁ
ἄνθρωπος γιγνόμενος τῆς ἀναγκαίας ζωῆς μετὰ πολλῶν πόνων καὶ δακρύων σταγόνας τούτων
ἀπήρξατο τοῖς θεοῖς.“ (Übersetzung nach Pötscher 1964). Fortenbaugh 2003, 176 ist der Meinung,
dass diese Produkte zum Ende der ersten Phase (Gras) oder in ein Übergangsstadium zwischen
der ersten und zweiten Phase gehören.
107 DA 2.5.6: „ὅθεν μετὰ τὴν ἐξ ἀρχῆς πόαν δενδροφυούσης ἤδη τῆς γῆς, πρώτης δρυὸς
καρποφαγήσαντες, τῆς μὲν τροφῆς διὰ τὴν σπάνιν μικρά, τῶν δὲ φύλλων αὐτῆς πλείω τοῖς θεοῖς
εἰς τὰς θυσίας ἀνῆπτον.“ (Übersetzung nach Pötscher 1964).
108 DA 2.6.3–4: „ἀφ' ὧν ὁρμωμένοις ἡμῖν, καὶ τῶν κριθῶν ἀλλὰ καὶ τῶν πυρῶν ἀφθονωτέρων
γιγνομένων, προσετίθεντο πελάνων ἤδη καὶ τῶν λοιπῶν ἁπάντων ἀπαρχαὶ τοῖς θεοῖς εἰς τὰς
θυσίας· πολλὰ μὲν ἀνθολογούντων, οὐκ ἐλάττω δὲ τούτων μιγνύντων ‹τῶν› τότε, εἴ τι καλὸν
εἶχον ἐν βίῳ καὶ πρέπον ὀσμῇ πρὸς θείαν αἴσθησιν. καὶ τὰ μὲν στέφοντες, τὰ δ'εἰς πῦρ δωρούμενοι,
θείας ἑτέρας σταγόνας οἴνου καὶ μέλιτος ἔτι δ' ἐλαίου ταῖς χρείαις ἀνευρίσκοντες ἀπήρχοντο καὶ
τούτων τοῖς αἰτίοις θεοῖς.“ (Übersetzung nach Pötscher 1964).
 Die Fragmente im Vergleich   109

„Als aber nun die Opfergaben bei den Opferungen für die Menschen immer frevelhafter
wurden, wurde die Sitte der furchtbarsten Opfer, voll von Roheit, eingeführt, so dass die
früher über uns ausgesprochenen Flüche nun also ihre Erfüllung gefunden zu haben schei-
nen: Die Menschen töteten und befleckten die Altäre mit Blut, seitdem sie Hungersnöte und
Kriege durchgemacht und Blut gekostet hatten.“109

Seine Interpretationsmethode der Entwicklung des Opferns besteht darin, zeit-


genössische Rituale zu untersuchen und Spuren zu sammeln, die auf alte Opfer-
bräuche hindeuten. Diese Mischung aus Ethnographie und Archäologie der Sitten
erfolgt zu folgenden Themen: Erklärung der Aufbewahrung des ewigen Feuers in
den Tempeln aufgrund der ersten pflanzlichen Opfer110; Ableitung einer alten Ge-
schichte des Opferns von Baumblättern wegen der in seiner Zeit immer noch übli-
chen Holzopfer111; Anmerkung zur Heiligkeit des Getreides für die Alten auf Basis
der Beobachtung eines bestimmten gegenwärtigen Brauches und zwar, Getreide
vor dem Opfer ins Feuer zu werfen112; und Konstatierung, dass die Alten Pflanzen
anstatt Tiere geopfert hätten, aufgrund der Analyse des athenischen Festzuges zu
Ehren der Sonne und der Jahreszeiten113. Eine erste Bewertung dieser Entwick-
lung würde darauf hinweisen, dass Theophrast die Entwicklung der Menschen in
Übereinstimmung mit der Entwicklung der Moral parallel laufend sieht. Diese In-
terpretation ist aber falsch, weil Theophrast das Ende dieser Entwicklung als ver-

109 DA 2.7.10: „πόρρω δὲ τῶν περὶ τὰς θυσίας ἀπαρχῶν τοῖς ἀνθρώποις προϊουσῶν παρανομίας,
ἡ τῶν δεινοτάτων θυμάτων παράληψις ἐπεισήχθη, ὠμότητος πλήρης, ὡς δοκεῖν τὰς πρόσθεν
λεχθείσας καθ' ἡμῶν ἀρὰς νῦν τέλος εἰληφέναι, σφαξάντων τῶν ἀνθρώπων καὶ τοὺς βωμοὺς
αἱμαξάντων, ἀφ' οὗ λιμῶν τε καὶ πολέμων πειραθέντες αἱμάτων ἥψαντο.“ (Übersetzung nach
Pötscher 1964).
110 DA 2.5.2: „Denn für diese bewahrten sie auch Feuer ewig in den Heiligtümern, da dieses
ihnen am wesensähnlichsten wäre.“ (Übersetzung nach Pötscher 1964); „τούτοις γὰρ καὶ τὸ πῦρ
ἀθάνατον φυλάττομεν ἐν τοῖς ἱεροῖς ὡς ὂν μάλιστα αὐτοῖς ὁμοιότατον.“
111 DA 2.5.5: „Die Ursprünglichkeit der genannten Rauchopfer (Thymiamata) kann jemand ein-
sehen, wenn er beobachtet, dass viele Menschen auch heute noch zusammengehackte Stücke
von wohlriechenden Klötzen opfern.“ (Übersetzung nach Pötscher 1964); „τὴν δὲ ἀρχαιότητα
τῶν εἰρημένων θυμιαμάτων κατίδοι τις ἂν ἐπιβλέψας ὅτι πολλοὶ καὶ νῦν ἔτι θύουσι συγκεκομμένα
τῶν εὐωδῶν ξύλων τινά.“
112 DA 2.6.2: „Daher verwenden wir auch jetzt noch zum Abschluss der Opfer die gemahlenen
Opfergaben, wobei wir durch unser Tun die Weiterentwicklung der Opfer aus ihrem Ursprung
bezeugen, ohne dass wir allerdings überblicken, weswegen wir die einzelnen dieser Handlun-
gen setzen.“ (Übersetzung nach Pötscher 1964); „ὅθεν ἔτι καὶ νῦν πρὸς τῷ τέλει τῶν θυσιῶν
τοῖς ψαισθεῖσι θυλήμασι χρώμεθα, μαρτυροῦντες μὲν τῷ πραττομένῳ τὴν ἐξ ἀρχῆς τῶν θυμάτων
αὔξησιν, οὐ συνορῶντες δὲ τίνος χάριν τούτων ἕκαστα δρῶμεν.“
113 DA 2.7.1: „Hierfür scheint auch die in Athen selbst jetzt noch begangene Prozession zu Ehren
des Helios und der Horen Zeugnis zu geben.“ (Übersetzung nach Pötscher 1964); „οἷς μαρτυρεῖν
ἔοικεν καὶ ἡ Ἀθήνησιν ἔτι καὶ νῦν δρωμένη πομπὴ Ἡλίου τε καὶ Ὡρῶν.“
110   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

dorben114 empfindet und der Meinung ist, dass die Tiere nur aus Not wegen des
Krieges und des Hungers überhaupt geopfert worden sind115. Das moralisch de-
generative Element der Entwicklung ist hier deutlich dargestellt und kann nach
Theophrast letztlich nur rückgängig gemacht werden, wenn die Menschen die
alten Sitten wieder annehmen und dadurch die Frömmigkeit zurückgewinnen. In
diesem Fall bedeutet diese Vorschrift nämlich, dass die Menschen wieder Pflan-
zen statt Tieren opfern sollen. Wie Fortenbaugh 2003, 174–175 bereits gezeigt hat,
muss diese Rückkehr nicht zu der ersten Phase des Opfers (Gras) gehen, sondern
bezieht sich nur auf den Verzicht auf das blutige Opfer. Zusätzlich ist in diesem
Fall klar zu erkennen, dass Theophrast überzeugt ist, dass Tiere und Menschen
nicht nur Verwandte sind, sondern auch eine Art Gemeinschaft bilden, die durch
Philia weiter erhalten werden soll. Insgesamt wird in der Schrift Über die Fröm-
migkeit gleichzeitig eine Weltanschauung vertreten, die die Tiere und Menschen
als Verwandte versteht und die Entwicklung der Menschen als degenerativ be-
wertet. Die vorgeschlagene Lösung für dieses Problem ist für Theophrast, die
Tiere wieder als Verwandte zu betrachten, damit die Rückkehr in den ursprüngli-
chen Zustand der Frömmigkeit erreicht werden kann.
Das Bild der Ernährungsweise der ersten Menschen, das in der Schrift Gegen
die Vegetarier geschildert wird, weist dagegen auf eine andere Art der Bezie-
hung zwischen Menschen und ihrer Nahrung hin. Die in diesem Fall angewen-
dete Methode ist deduktiv und spekulativ. Nachdem die Behauptung, dass die
Menschen Fleischesser seien, aber keine Rohfleischesser116, als wahre Prämisse
festgestellt wird, werden die Folgerungen dieser Aussage für die Evolution des
Menschen erschlossen. Die Pflanzen bildeten die Hauptquelle der Energie dieser
Menschen, bis sie das Feuer entdeckt hätten. Erst dann hätte das Fleisch geges-

114 Fortenbaugh 2003, 179–188 diskutiert die sechs von Theophrast genannten Gründe, keine
Tiere zu opfern.
115 Für die Übersetzung der Passage DA 2.7.2 siehe oben.
116 DA 1.13.1 „εἶναι μὲν γὰρ κατὰ φύσιν ἀνθρώπῳ τὸ σαρκοφαγεῖν, παρὰ φύσιν δὲ τὸ ὠμοφαγεῖν“.
Mit einer Wiederholung der Idee in DA 1.13.4. Nur Plutarch De esu 994F-995A bestreitet diese
These in der Antike, indem er sagt, dass der menschliche Körper von seiner Struktur her nicht
zum Verzehr von Fleisch wie der der anderen fleischessenden Tiere vorbereitet ist: „Einfach
absurd ist es, sagen wir, wenn diese Leute sich auf die Natur selbst als Ursprung berufen. Im
Gegenteil – das Fleischessen ist für den Menschen durchaus nichts Naturgegebenes, das geht
schon einmal aus seinem Organismus hervor.“ (Übersetzung nach Giebel 2016); „Ἀλλ’ ἄγε
παρειλήφαμεν (ἄλογον γὰρ εἶναί φαμεν  – Helmbold 1968) ἐκείνους λέγειν τοὺς ἄνδρας ἀρχὴν
ἔχειν τὴν φύσιν· ὅτι γὰρ οὐκ ἔστιν ἀνθρώπῳ κατὰ φύσιν τὸ σαρκοφαγεῖν, πρῶτον μὲν ἀπὸ τῶν
σωμάτων δηλοῦται τῆς κατασκευῆς.“
 Die Fragmente im Vergleich   111

sen werden können, weil es gekocht werden konnte117. Das Feuer wird in dieser
Darstellung als heilig (ἱερώτατον) empfunden und daraus kann man schließen,
dass die Tiere nicht nur gegessen, sondern auch geopfert wurden. Hesiod verbin-
det als Mythograph das Feuer durch das Verb καίω (verbrennen) mit dem Opfer,
das die Menschen nach dem Streit in Mekone dargebracht haben (Hes. Th. 557).
Ferner wurde die Rolle des Feuers beim Opfern unter Jamblichos von Shaw 1995,
149–151 und Krulak 2014, 356–367 analysiert. Sie bezeichnen die zerstörende und
assimilierende Wirkung des Feuers als schlüssig sowohl für die Konvertierung
des materialen Opfers in eine dem Göttlichen angemessenere Substanz als auch
für die Befreiung der Seele, die in der Materie enthalten ist. Dieser heilige Aspekt
wird nicht nur mit dem Verzehr des Fleisches und anderer Nahrungsmittel ver-
bunden, sondern auch mit der Gründung einer Proto-Gesellschaft, in welcher
die Mitglieder als Herdgenossen (συνέστιοι) bezeichnet werden118. Das heißt,
der Mensch konnte durch die Entwicklung einer Technik (der Umgang mit dem
Feuer) nicht nur seine Ernährung bestimmen, sondern auch seine sozialen Fähig-
keiten in Gang setzen.
Es zeigt sich, dass diese Schrift eine Weltanschauung darstellt, in welcher
die Evolution der Menschen entlang der Evolution der Sitten läuft, wie bei der
zweiten Gruppe, die Haußleiter analysiert hat. Statt von einem positiven, idealen
Ausgangspunkt auszugehen, wie etwa von einem goldenen Zeitalter, oder von
einer Erzählung, in welcher alle Menschen in Harmonie mit der Natur leben, sind
die Menschen hier durch biologische Regeln eingeschränkt und müssen darüber
hinaus die Schwierigkeiten des Lebens mit Hilfe der Technik überwinden. Diese
Hypothese beabsichtigt mithilfe einer universellen Hauptaussage, die nichts
über den moralischen Status der Tiere im Vergleich zu den Menschen explizit
sagt, zu erklären, warum die ersten Menschen kein Fleisch gegessen haben. Die
Tiere werden lediglich als Nahrungsmittel angesehen, die nach der Entdeckung
des Feuers als Energiequelle für die Menschen erschlossen werden können. Diese

117 Diese Aussage wird vier mal hintereinander mit verschiedenen Betonungen wiederholt.
1. DA 1.13.1 „Τοὺς γὰρ παλαιοὺς φασὶν τῶν ἐμψύχων ἀποσχέσθαι οὐ δι' εὐσέβειαν, διὰ δὲ τὸ μήπω
εἰδέναι τὴν τοῦ πυρὸς χρῆσιν· ὡς δ' ἔμαθον, τιμιώτατόν τε καὶ ἱερώτατον νομίσαι, Ἑστίαν τε
προσειπεῖν, καὶ συνεστίους ἀπὸ τούτου γενέσθαι, καὶ λοιπὸν χρήσασθαι τοῖς ζῴοις.“ 2. DA 1.13.2
„Πυρὸς οὖν εὑρεθέντος ἀπολαβεῖν τὸ κατὰ φύσιν, δι' ἑψήσεως προσεμένους τὰ κρέα.“ 3. DA 1.13.4
„ὡς δὲ ἡ τοῦ πυρὸς εὑρέθη χρῆσις, πυρικμήτοις οὐ μόνον τοῖς κρέασιν, ἀλλὰ καὶ τοῖς ἄλλοις, ὡς
εἰπεῖν, τοῖς πλείστοις βρωτοῖς ἐχρῶντο.“ Und 4. DA 1.13.4 „Τὸ μὲν οὖν πρῶτον οὐ προσεφέροντο
τὰ ἔμψυχα· οὐ γὰρ ἦν ὠμοφάγον ζῷον ὁ ἄνθρωπος“. Für die Übersetzungen siehe Kapitel 1.
118 DA 1.13.1: „ὡς δ' ἔμαθον, τιμιώτατόν τε καὶ ἱερώτατον νομίσαι, Ἑστίαν τε προσειπεῖν, καὶ
συνεστίους ἀπὸ τούτου γενέσθαι, καὶ λοιπὸν χρήσασθαι τοῖς ζῴοις.“ Für die Übersetzung siehe
Kapitel 1.
112   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

Perspektive reiht sich neben jene von Aristoteles und Hesiod ein, die in der Ein-
leitung besprochen wurde.
Die Heiligkeit bzw. der Ehrenplatz des Feuers in der antiken Gesellschaf-
ten spielt eine wichtige Rolle in beiden Schriften, da die ersten Menschen laut
Theophrast Gras und andere pflanzliche Nahrungsmittel verbrannt haben, um
die Götter zu verehren. Das Feuer sei das Mittel, durch welche die Opfergabe ver-
ewigt werde119. Außerdem wird noch erwähnt, dass das unsterbliche Feuer, das
sich immer noch in den Heiligtümern in Theophrasts Zeit befinde, einen Bezug
zu diesem ursprünglichen Opfern besäße. Andererseits steht in der Schrift Gegen
die Vegetarier Folgendes: „Als sie aber gelernt haben, dieses (das Feuer) sowohl
als das ehrenvollste als auch das heiligste zu betrachten, haben sie es Hestia
genannt und sind aus diesem Grund Herdgenossen (συνέστιοι) geworden und
haben die übrigen Tiere verwendet.“ Das heilige Feuer übt in diesem Kontext eine
soziale Funktion aus: Es bringt die Menschen zusammen, um das Essen zu teilen.
Die klare Personifizierung des Feuers durch die Nennung von Hestia offenbart
eine Parallele in der Wortwahl zur Erzählung Theophrasts, der die Redewen-
dung „ἀφ' Ἑστίας“ verwendet, die für gewöhnlich als „Am Anfang der Zeiten“
übersetzt wird, aber wörtlich etwa „Seitdem Hestia existiert“ bedeutet, um die
ersten Opfer mit Hestia (Feuer/Foyer) in seiner Erzählung zu verknüpfen120. In
beiden Darstellungen ist das Feuer als Zentrum eines wichtigen sozialen Phäno-
mens zu identifizieren: Der Religion. Gernet 1976, 382–402 in seinem Buch Sur le
symbolisme politique: le foyer commun erläutert die Bedeutung des Herdes und
der Göttin Hestia für die Entwicklung der politischen Gesellschaft in Griechen-
land121: Als zentraler Ort sowohl der Begegnung als auch des Schutzes und der

119 DA 2.5.2: „Auf diese Weise grüßten sich durch das Opfer die sichtbaren Himmelsgötter und
bereiteten ihnen ewige Feuerehrungen“. „ταύτῃ τοὺς φαινομένους οὐρανίους θεοὺς τῇ θυσίᾳ
δεξιούμενοι καὶ τοῦ πυρὸς ἀπαθανατίζοντες αὐτοῖς τὰς τιμάς.“
120 DA 2.5.1: „Eine schier unermeßliche Zeit scheint es her zu sein, wie Theophrast sagte, seit-
dem der sicher gescheiteste Stamm von allen und im heiligsten, vom Nil wohnbar gemachten
Lande zu Hause, erstmals von rechten Anfang begann, den himmlischen Göttern Weihega-
ben – freilich nicht aus Myrrhe, auch nicht aus einem Gemisch von Kasia, Weihrauch und Saf-
ran – zu opfern.“ „ἀνάριθμος μέν τις ἔοικεν εἶναι χρόνος, ἀφ' οὗ τό γε πάντων λογιώτατον γένος,
ὡς φησὶν Θεόφραστος, καὶ τὴν ἱερωτάτην ὑπὸ τοῦ Νείλου κτισθεῖσαν χώραν κατοικοῦν ἤρξατο
πρῶτον ἀφ' Ἑστίας τοῖς οὐρανίοις θεοῖς θύειν οὐ σμύρνης οὐδὲ κασίας καὶ λιβανωτοῦ κρόκῳ
μιχθέντων ἀπαρχάς·“
121 Gernet 1976, 383 fasst seine Meinung so zusammen: „Mais le symbole qu’on retiendra pré-
sentement est celui qui est caractéristique de la cité par excellence, qui passe pour aussi ancien
qu’elle, et qui est au coeur de l’institution politique: c’est le Foyer commun. Par hypothese, il se
rapporte à une création sociale qui a donné ses fondements à l’humanité antique, qui n’est ail-
leurs pas tellement reculée qu’elle se dérobe tout à fait aux prises de l’histoire, et dont certaines
 Die Fragmente im Vergleich   113

Nahrungsaufnahme bilde der Herd einen Prototyp der Zivilisation. Theophrast


will die ursprüngliche Verwendung des Feuers mit dem frommen tierlosen Opfer
verknüpfen, während der Autor der Schrift Gegen die Vegetarier darauf abzielt,
sein Naturgesetz – der Mensch ist ein Fleischesser von Natur aus – mit diesem
ersten mythischen Moment der komplexen sozialen Integration zu verbinden.
Ein konkreter Bezug der Texte aufeinander wird in der folgenden Passage
deutlich:
„Sie behaupten nämlich, dass die Alten sich der Tiere nicht aufgrund der
Frömmigkeit enthalten hätten, sondern weil sie den Nutzen des Feuers noch
nicht gekannt hätten (DA 1.13.1)“. Haußleiter 1935, 70 erkennt an dieser Stelle
eine Spitze gegen Theophrast, da die Frömmigkeit das Leitmotiv Theophrasts
Buches ist. Diese Stelle repräsentiert jedoch viel mehr als eine Spitze. Die bloße
Nennung des Hauptthemas Theophrasts – die Frömmigkeit – trägt dazu bei, den
Bezug beider Texte herzustellen, aber das darunter Liegende ist noch wichtiger
für die Erklärung des Verlaufes der gegensätzlichen Argumentationen. Der Autor
der Schrift Gegen die Vegetarier erkennt den Kern des Arguments des Theophrast,
d.  h. die Annahme, dass die Frömmigkeit die Erscheinung eines idealisierten Zeit-
alters ist, in welchen die Menschen keine Tiere gegessen haben. Dagegen erklärt
er diesen scheinbaren früheren Vegetarismus nicht durch eine ideale Lebens-
weise der Alten, sondern durch eine von ihm erfundene biologische Eigenheit
der Menschen: Der Mensch ist kein Rohfleischesser, aber ein Fleischesser. Dies
ist der Schlüssel, der die Vorstellung einer progressiven moralischen Entwicklung
der Menschen im Einklang mit dem technologischen Fortschritt bringt. Es ist die
Erklärung des Prometheus-Mythos außerhalb eines mythologischen Kontexts.
Schließlich ist es die Leistung des Autors der Schrift Gegen die Vegetarier, die Er-
klärung einer Lebensweise, die schon in der Mythologie ausgeprägt war, zu säku-
larisieren. Anders gesagt, wird die Entwicklung des Menschen in der Schrift Gegen
die Vegetarier ohne jeglichen mythologischen Einfluss erzählt. Denn die Anpas-
sung der Menschen an die Umwelt erfolgt durch die Entwicklung der Technik, in
diesem Fall die Nutzung des Feuers, und nicht durch die Gabe eines Gottes.
Also darf man diese direkte Gegenüberstellung der Argumente als eine nicht
nur thematische, sondern auch argumentative Ebene annehmen. Einerseits plä-
diert Theophrast mit einer historischen Rekonstruktion des Opferbrauchs für
eine degenerative Vorstellung der menschlichen Entwicklung, die auf einer my-
thologischen goldenen Ära basiert, anderseits bietet der Autor der Schrift Gegen
die Vegetarier eine Hypothese des menschlichen Fortschritts, die sich auf eine

significations peuvent être éclairées par cette projection à la fois institutionelle et, au sens large
du mot, mythique.“
114   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

allmähliche Progression der menschlichen Fähigkeiten und Nutzung der Umwelt


begründet. Diese zwei Haupttheorien zur menschlichen Entwicklung in der
Antike treffen sich in diesem Streitgespräche vor dem Hintergrund der vegetari-
schen Lebensweise. Dies gilt als weiterer Beweis, dass diese zwei Schriften eine
enge Beziehung besitzen.

2.2.2 Die Beziehung zwischen Menschen und Pflanzen


und die ethische Debatte um die Tierprodukte

Neben der Debatte über das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren gibt es eine
Diskussion, die von der Beziehung zwischen Menschen und Pflanzen handelt.
Die Frage „dürfen Menschen Tieren Schaden zufügen?“, welche eine bedeutende
Rolle in der Tierethik spielt, bekommt eine neue Perspektive, wenn sie umformu-
liert wird: „Dürfen Menschen Pflanzen Schaden zufügen?“. In der modernen tie-
rethischen Diskussion wird diese Frage auf verschiedene Weise bejaht122. In der
Antike haben die Gegner des Vegetarismus dieses Argument mehrfach benutzt,
um die logischen Schlussfolgerungen der vegetarischen Ethik in Frage zu stellen.
Sorabji 1993, 102–3 hat bereits die wichtigsten Stellen der Debatte um das Men-
schen-Pflanzen-Verhältnis in der Antike gesammelt und diskutiert. Er hat gezeigt,
dass dieses Argument zuerst von Solon123, danach von den Peripatetikern und Sto-
ikern (DA 1.4 und 1.5–6) und schließlich von Augustinus124 verwendet worden ist.

122 Insbesondere von Singer 2015, 235–236, Nussbaum 2010, 490 (Pflanzen sind nicht empfin-
dungsfähig) und Regan 2003, 80, 101 (Pflanzen sind kein subject of a life). Für eine umfassende
Behandlung dieser Thematik sowie eine Vertretung des Begriffs der Würde der Kreatur siehe
Odparlik 2007, 73–101.
123 Nach Plutarchs Sep. Sap. Conv. 159 B-C: „For no living man feeds upon another living
creature; nay, we put to death the animate creatures and destroy these things that grow in the
ground, which all are partakers in life, in that they absorb food, and increase in size; and herein
we do wrong.“ (Übersetzung nach Babbitt 1962); „ζῶν γὰρ οὐδεὶς ἀπ' οὐδενὸς τρέφεται ζῶντος,
ἀλλὰ θανατοῦντες τὰ ἔμψυχα, καὶ τὰ φυόμενα, τῷ τρέφεσθαι καὶ αὔξεσθαι μετέχοντα τοῦ ζῆν,
ἀπολλύντες ἀδικοῦμεν.“
124 Augustinus De civitate dei 1.20: „On this basis some try to extend this commandment even to
wild and domestic animals and maintain that it is wrong to kill any of them. Why not then extend
it also to plants and to anything fixed and fed by roots in the earth? For things of this kind, though
they have no feeling, are said to live, and therefore can also die, and hence when violence is exer-
cised, be slain.“ (Übersetzung nach McCracken 1981); „Unde quidam hoc praeceptum etiam in
bestias ac pecora conantur extendere, ut ex hoc nullum etiam illorum liceat occidere. Cur non
ergo et herbas et quidquid humo radicitus alitur ac figitur? Nam et hoc genus rerum, quamvis
non sentiat, dicitur vivere ac per hoc potest et mori, proinde etiam, cum vis adhibetur, occidi.“
 Die Fragmente im Vergleich   115

Ein zweites Thema, das in der Antike nicht so prägnant war, handelt von
der ethischen Nutzung der Tierprodukte. Dabei wird gefragt, ob es gerecht sei,
Pro­dukte wie Milch, Eier, Wolle und Honig zu verwenden. Es ist belegt, dass für
einige Pythagoreer sowohl ein strenges Verbot, Eier zu essen, als auch das Ver­
bot, wollene Kleidung zu tragen, existiert hat125. Der Verzehr von Honig wird an-
dererseits ethisch nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil hat der Honig sogar eine
wichtige Rolle in der Ernährung der Pythagoreer gespielt126.
In diesem Unterkapitel soll erläutert werden, aus welchen Gründen die Argu-
mente, die in der Schrift Gegen die Vegetarier (DA 1.21.1–2) enthalten sind, einen
direkten Bezug auf die in der Schrift Über die Frömmigkeit (DA 2.13.1–2.26) darge-
stellte Meinung haben. Dazu sollen die Hauptthemen beider Passagen präsen-
tiert und analysiert werden. Im Einzelnen geht es um die Frage, ob der Mensch
eine ethische Beziehung zu den Pflanzen herstellen kann, und um die Diskussion
über die ethische Verwendung der Tierprodukte, wie Milch, Honig und Wolle.
Zuletzt wird gezeigt, wie sich die Terminologien beider Fragmente aufeinander
beziehen und was dies zur Interpretation der Schriften beiträgt. Außerdem wird
gezeigt, wie beide Autoren durch verschiedene Herangehensweisen an die selben
Themen beabsichtigen, den Verzehr von Tierprodukten zu rechtfertigen.
Sorabji 1993, 102 erkennt ebenfalls, dass sowohl in der Schrift Gegen die Vege-
tarier als auch in jener Über die Frömmigkeit eine Diskussion über das Thema des
Pflanzen-Menschen-Verhältnisses stattfindet. Er bezeichnet Theophrasts Beitrag
als „the most comprehensive reply“ zum Thema und deutet auf eine Beziehung
zwischen den in beiden Texten vorhandenen Argumenten hin. Dieser Bezug wird
genauer in diesem Unterkapitel untersucht und es wird gezeigt, dass es sich bei
dieser Stelle eigentlich nicht nur um eine vage Reminiszenz, sondern um einen
konkreten intertextuellen Bezug handelt.
Da die Stellen relativ kurz sind und sich die sowohl terminologischen als
auch thematischen Ähnlichkeiten besser erkennen lassen, wenn sie nebenein-
ander stehen, soll an dieser Stelle eine Tabelle mit den betreffenden Passagen
präsentiert werden:

125 Haußleiter 1935 106; 203–204 sammelt und analysiert die Passagen, die diese Verbote be-
zeugen, wie Plutarch Quaest. conv. 635E und Diog. Laert. 8.33 für das Verbot, Eier zu essen, und
Jamblichos Vita Pythag. 28.149; Apuleius Apol. 56, Philostrat Vita Apoll. 8,7, 195–197; 219–234 und
besonders Herodot 2.81.1 für das Verbot, Wolle zu tragen.
126 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Thema findet sich in Haußleiter 1935, 97–
127. Die bedeutendsten Stellen zum Honigverbrauch sind Porphyrios. Vita Pythag. 34, Jambli-
chos, Vita Pythag. 97 und Diog. Laert. 8.19.
116   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

Tab. 5

Über die Frömmigkeit 2.13.1 Gegen die Vegetarier 1.21.1–2


Übersetzung: Pötscher (Fragment 7)

2.13.1 „Aber vielleicht könnte jemand sagen, 1.21.1 „Wenn aber jemand dies einfach
dass wir auch den Pflanzen etwas rauben. als ungerecht empfindet, soll er weder
Doch nicht gleicher Art ist der Entzug! Denn [er Milch noch Wolle noch Eier noch Honig
geschieht] nicht gegen ihren Willen. Auch wenn verwenden. Wie du nämlich einem
wir sie unberührt lassen, werfen sie nämlich Menschen Unrecht tust, wenn du seine
selbst die Früchte ab, und die Ernte der Früchte Kleidung wegnimmst, so tust du Unrecht,
ist nicht mit der Vernichtung dieser (nämlich der wenn du ein Schaf scherst, da dies die
Pflanzen) verbunden, wie wenn die Tiere das Leben Kleidung des Schafes ist. Und die Milch
lassen müssen. Es ist gebührend, auch den Ertrag ist nicht für dich entstanden, sondern
des Bienenproduktes, der aus unseren Mühen für die neugeborenen Tierjungen, und
entsteht, seinem Nutzen nach gemeinsamen zu die Biene hat für sich selbst das Essen
besitzen. Die Bienen nämlich tragen aus Pflanzen gesammelt, welches du wegnimmst, um
den Honig zusammen, wir aber kümmern uns um dir selbst Freude zu bereiten. 2 Und ich
diese. Deshalb muss auch so geteilt werden, dass habe bisher über die Lehre der Ägypter
ihnen keinerlei Schaden erwächst. Das für jene geschwiegen, dass wir auch den Pflan-
Unbrauchbare, für uns aber Nützliche mag der zen Unrecht tun würden, wenn wir sie
Lohn von jenen [an uns] sein. Von Tier­opfern also anrühren. Aber wenn diese unseretwillen
Hände weg! Im übrigen ist doch auch alles der entstanden sind, dann stellt sowohl die
Götter [Eigentum], uns aber scheinen die Früchte Biene Honig wie ein Sklave für uns her als
zu gehören. Denn wir säen und pflanzen sie und auch wächst die Wolle der Schafe, die für
ziehen sie durch alle anderen Bemühungen hoch. uns Schmuck und Wärme ist.“
Es ist also von unserem und nicht von fremdem
Eigentum zu opfern.“

2.13.1 „ἀλλ’ ἴσως τις ἂν εἴποι, ὅτι καὶ τῶν φυτῶν 1.21.1 „Εἰ δ' ἅπαξ ἀδικίαν τις ταύτην
ἀφαιροῦμέν τι. ἀλλ' οὐχ ὁμοία ἡ ἀφαίρεσις· οὐ ἡγεῖται, μήτε γάλακτι χρήσθω μήτ’
γὰρ παρὰ ἀκόντων. καὶ γὰρ ἡμῶν ἐασάντων, αὐτὰ ἐρίῳ μήτε ᾠοῖς μήτε μέλιτι. Ὡς γὰρ
μεθήσει τοὺς καρπούς, καὶ ἡ τῶν καρπῶν λῆψις ἄνθρωπον ἀδικεῖς ἀφαιρούμενος τὴν
οὐ μετ' ἀπωλείας αὐτῶν, καθάπερ ὅταν τὰ ζῶα ἐσθῆτα, οὕτως καὶ τὴν ὄιν πέξας· ἐσθὴς
τὴν ψυχὴν πρόηται. καὶ τὴν παρὰ τῶν μελιττῶν γὰρ αὕτη τοῦ προβάτου· καὶ τὸ γάλα
δὲ τοῦ καρποῦ παράληψιν ἐκ τῶν πόνων ἡμῶν οὐ σοὶ γέγονεν, ἀλλὰ τοῖς ἀποκυηθεῖσι
γιγνομένην, κοινὴν ἔχειν προσήκει καὶ τὴν ὄνησιν. τέκνοις· ἥ τε μέλισσα ταύτην αὑτῇ τροφὴν
συνάγουσι γὰρ αἱ μέλιτται ἐκ τῶν φυτῶν τὸ μέλι, συνελέξατο, ἣν ἀφελόμενος, ἡδονὴν
ἡμεῖς δὲ αὐτῶν ἐπιμελούμεθα. διὸ καὶ δεῖ οὕτω σαυτῷ κατεσκεύασας. 2 Καὶ τὸν τῶν
μερίζεσθαι, ὡς μηδεμίαν αὐταῖς γίγνεσθαι βλάβην. Αἰγυπτίων λόγον σεσίγηκα, ὅτι καὶ τῶν
τὸ δ' ἄχρηστον μὲν ἐκείναις, ἡμῖν δὲ χρήσιμον εἴη φυτῶν ἀδικοῦμεν ἁπτόμενοι. Εἰ δὲ ταῦθ'
ἂν μισθὸς ὁ παρ' ἐκείνων. ἀφεκτέον ἄρα τῶν ζῴων ἡμῶν χάριν γέγονεν, καὶ ἡ μέλισσα ἡμῖν
ἐν ταῖς θυσίαις. καὶ γὰρ ἄλλως πάντα μὲν τῶν θεῶν δουλεύουσα τὸ μέλι ἐργάζεται, καὶ τὸ
ἐστίν, ἡμῶν δὲ δοκοῦσιν εἶναι οἱ καρποί· ἡμεῖς ἔριον ἐπιφύεται τῶν προβάτων, ὃ ἡμῖν
γὰρ καὶ σπείρομεν αὐτοὺς καὶ φυτεύομεν καὶ ταῖς κόσμος καὶ ἀλέα.“
ἄλλαις ἐπιμελείαις ἀνατρέφομεν. θυτέον οὖν ἐκ
τῶν ἡμετέρων, οὐ τῶν ἀλλοτρίων·“
 Die Fragmente im Vergleich   117

Theophrasts Argument hat als Ausgangspunkt einen fremden Einwand, der viel-
leicht nur polemisch zu verstehen ist: Dieser jemand (τις), der meint, dass die
Menschen ebenfalls etwas von den Pflanzen raubten, lässt sich auf dem ersten
Blick nicht identifizieren, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass dieser Einwand
auf die so genannte Lehre der Ägypter zurückgeht, die in der Schrift Gegen die
Vegetarier DA 1.21.2 auftaucht127. Theophrast liefert darauf seine Antwort: Der
Entzug sei nicht der gleichen Art. Die Rechtfertigung ist geschickt, weil sie den
Begriff des Willens (akonta) in die Diskussion einbringt. Aus dieser allgemeinen
Überlegung geht Theophrast zu einem konkreten Beispiel über und zwar dem
menschlichen Umgang mit den Bienen. Die von den Pflanzen selbst geworfenen
Früchte werden als Vergleichsgegenstand für Theophrast verwendet, um den
Entzug des Honigs zu rechtfertigen, da die Biene ebenfalls nicht vernichtet wird,
wenn wir ihre Erzeugnisse verwenden. Theophrast rechtfertigt das Nehmen von
Honig durch die Fürsorge der Menschen. Fortenbaugh 2003, 181–182 erkennt in
dieser Stelle eine Anwendung des aristotelischen Prinzips der Verteilungsgerech-
tigkeit (NE 5.3 1131a10-b24, 5.5 1134a1–6). Er idealisiert an dieser Stelle einen so-
zialen Vertrag zwischen Menschen und Bienen, in welchem die Interessen beider
Parteien bewahrt werden, indem man festlegt, dass die Bienen keinen Schaden
erfahren sollten.
Die Argumentationsstruktur ist folgende: Man muss fromm opfern128, dies
bedeutet keine Tiere töten, weil sie dabei das Leben verlieren129; fromm ist keiner,

127 Méautis 1922, 176 findet in Plutarchs De Iside 365 A eine mögliche Erklärung dieser Lehre:
„Deshalb wird den Verehrern des Osiris sowohl einen Kulturbaum zu zerstören als auch eine
Wasserquelle zu blockieren verboten“, „διὸ καὶ τοῖς τὸν Ὄσιριν σεβομένοις ἀπαγορεύεται
δένδρον ἥμερον ἀπολλύναι καὶ πηγὴν ὕδατος ἐμφράττειν“. Wie Haußleiter 1935, 289 bereits er-
kannt hat, ist die Verallgemeinerung dieser Meinung als eine weit verbreitete ägyptische Lehre,
wie sie sich in DA 2.21.2 lesen lässt, nicht belegt.
128 DA 2.12.2: „Das Schönste aber und Wertvollste [von dem], womit uns die Götter Wohltaten
erweisen, sind die Früchte, denn durch diese erhalten sie uns und geben sie uns die Möglichkeit,
rechtschaffen zu leben; daher soll man sie [mit Gaben] davon ehren.“ (Übersetzung nach Pöt-
scher 1964); „κάλλιστα δὲ καὶ τιμιώτατα ὧν ἡμᾶς οἱ θεοὶ εὖ ποιοῦσιν, οἱ καρποί· διὰ γὰρ τούτων
ἡμᾶς σῴζουσιν καὶ νομίμως ζῆν παρέχουσιν· ὥστε ἀπὸ τούτων αὐτοὺς τιμητέον.“ und DA 2.12.4:
„Das Opfer ist nämlich gemäß seiner Bezeichnung eine fromme Handlung.“ (Übersetzung nach
Pötscher 1964); (…) „ἡ γὰρ θυσία ὁσία τίς ἐστι κατὰ τοὔνομα.“
129 DA 2.12. 3: „Man muss auch in der Tat jenes opfern, durch dessen Opferung wir nieman-
den schädigen, denn nichts muss für alle so ohne Schaden ablaufen wie das Opfer. Wenn aber
jemand sagte, dass nicht weniger als die Früchte uns auch die Tiere der Gott zum Gebrauch
gegeben hat – aber, wenn die Tiere geopfert werden, bringt dies ihnen doch einen Schaden, da
sie das Leben verlieren. Daher darf man diese nicht opfern.“ (Übersetzung nach Pötscher 1964);
„καὶ μὴν θύειν δεῖ ἐκεῖνα ἃ θύοντες οὐδένα πημανοῦμεν· οὐθὲν γὰρ ὡς τὸ θῦμα ἀβλαβὲς εἶναι χρὴ
πᾶσιν. (…) εἰ δὲ λέγοι τις ὅτι οὐχ ἧττον τῶν καρπῶν καὶ τὰ ζῷα ἡμῖν ὁ θεὸς εἰς χρῆσιν δέδωκεν,
118   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

der mit fremdem Eigentum (das Leben der Tiere) opfert130; Früchte zu nehmen
ist gestattet, weil es nicht gegen den Willen der Pflanzen geschieht131; Honig zu
nehmen ist ebenfalls erlaubt, weil menschliche Arbeit ebenfalls darin steckt
und weil die Biene von den Menschen geschützt werde132; Früchte zu nehmen
ist ebenfalls zulässig, weil die Menschen die Pflanzen säen und hochziehen133.
Fazit: Man soll nur die Dinge opfern, die einem gehören134.
Die Nutzung sowohl des Honigs als auch der Pflanzen ist aus zwei Gründen
gerechtfertigt: Zum einen gehören diese Produkte den Menschen, weil sie bei der
Herstellung mitgearbeitet haben, zum anderen und ausschlaggebend dürfen die
Menschen Früchte und Honig verwenden, weil das Entnehmen nicht gegen deren
Willen geschieht.
Die entsprechende Stelle der Schrift Gegen die Vegetarier fängt mit einem
Gebot an: „Wenn aber jemand dies einfach als ungerecht empfindet, soll er weder
Milch noch Wolle noch Eier noch Honig verwenden.“ Das hervorgehobene De-
monstrativpronomen bezieht sich sehr wahrscheinlich auf die vorherige Argu-
mentation (DA 1.20.2), in welcher die Tötung der Tiere, die das Potenzial hätten,
Menschen Schaden zuzufügen, gerechtfertigt wurde. Der Autor beabsichtigt zu
zeigen, dass auch in einer fleischlosen Diät Widersprüche zu finden sind. Diese
sind: 1. „Wie du nämlich einem Menschen Unrecht tust, indem du seine Klei-
dung wegnimmst, so tust du Unrecht, wenn du ein Schaf scherst, da diese die
Kleidung des Schafes ist“; 2. „Und die Milch ist nicht deinetwegen entstanden,
sondern für die neugeborenen Tierjungen“; 3. „und die Biene hat für sich selbst
das Essen gesammelt, welches du wegnimmst, um dir selbst Freude zu bereiten.“
Zum Schluss nennt er die bereits erwähnte Lehre der Ägypter, aus der hervor-
geht, dass wir auch den Pflanzen Unrecht tun, wenn wir sie anrühren würden.
Ein sozialer Vertrag zwischen Tieren und Menschen ist undenkbar für den Autor
der Schrift Gegen die Vegetarier, da sein Hauptargument einen gerechten Krieg
zwischen Tieren und Menschen voraussetzt (DA 1.14.2).

ἀλλ' ὅτι γε ἐπιθυομένων τῶν ζῴων φέρει τινὰ βλάβην αὐτοῖς, ἅτε τῆς ψυχῆς νοσφιζομένων. οὐ
θυτέον οὖν ταῦτα.“ und DA 2.13.3: „Von Tieropfern also Hände weg!“ (Übersetzung nach Pöt-
scher 1964); „ἀφεκτέον ἄρα τῶν ζῴων ἐν ταῖς θυσίαις.“
130 DA 2.12.4: „Fromm ist aber niemand, der mit fremdem Eingentum Dank abstattet, auch
wenn er – gegen den Willen des Eigentümers – Früchte oder Pflanzen nähme.“ (Übersetzung
nach Pötscher 1964); „ὅσιος δὲ οὐδεὶς ὃς ἐκ τῶν ἀλλοτρίων ἀποδίδωσι χάριτας, κἂν καρποὺς
λάβῃ κἂν φυτά, μὴ ἐθέλοντος.“
131 Siehe Tabelle 5 oben.
132 Siehe Tabelle 5 oben.
133 Siehe Tabelle 5 oben.
134 DA 2.13.4: „Es ist also von unserem und nicht von fremdem Eigentum zu opfern“ (Überset-
zung nach Pötscher 1964); „θυτέον οὖν ἐκ τῶν ἡμετέρων, οὐ τῶν ἀλλοτρίων·“
 Die Fragmente im Vergleich   119

Zuerst muss deutlich hervorgehoben werden, dass beide Passagen die Dis-
kussion über die Pflanzenethik als Bausteine der Argumentation für die Rechtfer-
tigung zur Nutzung von Tierprodukten verwenden. Theophrast sieht einerseits in
dem Verhältnis zwischen Menschen und Pflanzen ein positives Beispiel für seine
Rechtfertigung zur Verwendung der Tierprodukte, die auf einer Idee des sozialen
Vertrags basiert. Andererseits wendet der Autor der Schrift Gegen die Vegetarier
dieselbe Methode an, um seine eigene moralische Vorstellung zu präzisieren und
zwar, dass die Menschen eine Vorherrschaft über die anderen Lebewesen besit-
zen und diese ihre Produkte zugunsten des Menschen wie Sklaven herstellen
müssen.
Auch auf der terminologischen Ebene ist zu erschließen, dass die Beiträge
sich stark aufeinander beziehen. Der erste Einwand, der von Theophrast erwähnt
wird (DA 2.13.1; „ἀλλ’ ἴσως τις ἂν εἴποι ὅτι καὶ τῶν φυτῶν ἀφαιροῦμέν τι“),
stellt eine inhaltliche und formale Parallele mit „καὶ τὸν τῶν Αἰγυπτίων λόγον
σεσίγηκα, ὅτι καὶ τῶν φυτῶν ἀδικοῦμεν ἁπτόμενοι“ (DA 1.21.2) dar. Theophrast
beabsichtigt, das Verb aphaireo von seiner negativen moralischen Bedeutung zu
bereinigen, indem er erklärt, dass die Art des Entzuges, der bei den Pflanzen ge-
schieht, anders sei, weil es nicht gegen deren Willen geschehe. Für den Autor
der Schrift Gegen die Vegetarier geht es andererseits darum, das Antasten der
Pflanzen als eine klar negative moralische Tätigkeit darzustellen, damit sein Ar-
gument wirksamer wird. Zusätzlich gilt es zu beachten, dass der erste Teil seiner
Argumentation ebenfalls mit Hilfe des Verbs aphaireo erfolgt: „ὡς γὰρ ἄνθρωπον
ἀδικεῖς ἀφαιρούμενος τὴν ἐσθῆτα, οὕτως καὶ τὴν ὄιν πέξας· ἐσθὴς γὰρ αὕτη τοῦ
προβάτου“ (DA 1.21.1). In diesem Fall verwendet er erneut das Verb adikeo, um
klar auszudrücken, dass, wenn das Wegnehmen (aphaireo) als eine ungerechte
moralische Aktion verstanden wird, auch andere vergleichbare Tätigkeiten, wie
das Scheren des Schafes, oder der Entzug sowohl der Milch als auch des Honigs,
gleichfalls ungerecht sind. Noch konkreter ist die Behandlung des Themas der
Bienen. Während Theophrast den Entzug des Honigs rechtfertigt, der von den
Bienen gesammelt wurde135, findet sich in der Schrift Gegen die Vegetarier eine
klare Aussage, dass das Sammeln des Honigs nicht für den Menschen gedacht
sei: „ἥ τε μέλισσα ταύτην αὑτῇ τροφὴν συνελέξατο, ἣν ἀφελόμενος ἡδονὴν
σαυτῷ κατεσκεύασας“ (DA 1.21.1). Die Verben syllego und synago besitzen hier pa-
rallele Funktionen, und jede Aussage enthält eigene gegensätzliche moralische
Schlussfolgerungen, obwohl sie denselben Ausgangspunkt hatten.

135 DA 2.13.1: „συνάγουσι γὰρ αἱ μέλιτται ἐκ τῶν φυτῶν τὸ μέλι, ἡμεῖς δὲ αὐτῶν
ἐπιμελούμεθα. διὸ καὶ δεῖ οὕτω μερίζεσθαι, ὡς μηδεμίαν αὐταῖς γίγνεσθαι βλάβην“ (siehe Über-
setzung oben).
120   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

Insgesamt zeigt diese spezifische Debatte, dass beide Schriften sehr nahe bei-
einander liegen und beide zu einer Verschärfung der vegetarischen Lebensweise
beigetragen haben, indem ihre Widersprüche hervorgehoben und teilweise gelöst
werden. Auch die Figur des Vegetariers als Anhänger einer vollkommenen Ethik
wird hier in Frage gestellt, und die Ergebnisse der Diskussion – die Rechtferti-
gung der Nutzung einiger Tierprodukte – helfen, einen Eindruck der täglichen
Gewohnheiten des Vegetariers in der Antike zu erhalten, solange wir sie aus Dis-
kursen entnehmen dürfen.

2.2.3 Kannibalismus und Vegetarismus: Entgegengesetzte Diskurse über


Zivilisation

„Só a antropofagia nos une. Socialmente. Economicamente. Filosoficamente.“


„Nur die Anthropophagie verbindet uns. Sozial. Wirtschaftlich. Philosophisch.“

Oswald de Andrade – Manifesto Antropófago – Anthropophagisches Manifest136

Andere Artzugehörige zu verzehren – Kannibalismus – ist vielleicht das größte


universelle Tabu der westlichen Zivilisation und wird gleichzeitig von manchen
als anthropologische Konstante suggeriert137. Neben den Mythen und Sagen, die
den Kannibalismus darstellen, gibt es auch zahlreiche Berichte über Völker und
Stämme, die diesen Brauch pflegen oder gepflegt haben, sowie Nachrichten über
westliche Individuen, die sich als Kannibalen bezeichnen. Ein ähnlicher Begriff –
die Menschenfresserei – stimmt mit dem Kannibalismus überein, wenn er von
Menschen durchgeführt wird, aber steht ebenfalls für die Beziehung zwischen
anderen Lebewesen und den Menschen, besser gesagt, wenn andere Lebewesen
von menschlichem Fleisch kosten. Die beiden griechischen Oberbegriffe, die
diese Handlungen darstellen, sind die ἀλληλοφαγία – eventuell durch ein τοῦ
γένους (innerhalb der Art) ergänzt – und die ἀνθρωποφαγία (Gronau 2015, 67).

136 Erster Aphorismus des berühmten Manifests, das erstmals in der Revista de Antropofagia im
Mai 1928 in São Paulo erschienen ist. Dieses Manifest hat eine künstlerisch-intellektuelle Bewe-
gung von großer Bedeutung in Brasilien ausgelöst, die in einer symbolischen Anthropophagie
die einzige Weise mit dem Anderen in Beziehung zu stehen sah: „Única lei do mundo. Expressão
mascarada de todos os individualismos, de todos os coletivismos. De todas as religiões. De todos
os tratados de paz. (…)“ Und noch stärker: „Só me interessa o que não é meu. Lei do homem. Lei
do antropófago.“ In Übersetzung: „Einziges Gesetz der Welt. Getarnter Ausdruck aller Indivi­dua­
lis­men, Aller Kollektivismen. Aller Religionen. Aller Friedensverträge. (…)“ „Mich interessiert
nur, was nicht meins ist. Gesetz des Menschen. Gesetz des Anthropophagen.“
137 Dazu Pöhl 2015, 9–10.
 Die Fragmente im Vergleich   121

Die Anthropophagie ist ebenfalls eine Weltanschauung. Lévi-Strauss teilt die


sozialen Gruppen in Bezug auf die Art und Weise, wie sie mit Wesen umgehen,
die von der Norm abweichen, in zwei Kategorien ein: Diejenigen, die abnorme
Wesen verzehren bzw. integrieren, um sie zu neutralisieren – die Anthropopha-
gen – und diejenigen, die diese Wesen aus der Gesellschaft ausspeien – die Anth-
ropemen138 –, indem sie die Menschen z.  B. ins Gefängnis oder in die Verbannung
schicken139. Lévi-Strauss spricht über zwei Arten des Kannibalismus, nämlich
über den Notkannibalismus und dem positiven Kannibalismus140. Der Notkan-
nibalismus sei eine reine Ernährungsfrage. Also, wenn die Menschen gar keine
andere Ernährungsquelle besitzen und deswegen einander verzehren. Der posi-
tive Kannibalismus, der auch als Notkannibalismus entstehen kann, ist dagegen
ein Phänomen, das eine mystiche, magische oder religiöse Rolle in der Gesel-
schafft spielt. Außerdem wird der Kannibalismus ebenfalls als eine Metaphysik
verstanden, wie Viveiros de Castro 2009 in seinem Buch Métaphysiques Canni-
bales postuliert. In seiner Theorie des Perspektivismus bzw. Multinaturalismus
vertritt er, dass in der amerindischen Ontologie alle Wesen das Potenzial haben,
Personen zu sein141. Diese stehen in einer Beziehung des Ausbeutens zueinan-

138 Ein Neologismus von Lévi-Strauss aus den griechischen Wörtern ἄνθρωπος und ἐμέω (sich
übergeben, erbrechen) zusammengestellt.
139 Lévi-Strauss 1955, 464: „Mais surtout, nous devons nous persuader que certains usages qui
nous sont propres, considérés par un observateur relevant d’une société différente, lui apparaî-
traient de même nature que cette anthropophagie qui nous semble étrangère à la notion de la
civilisation. Je pense à nos coutumes judiciaires et pénitentiaires. A les étudier du dehors, on
serait tenté d’opposer deux types de sociétés: celles qui pratiquent l’anthropophagie, c’est-à-dire
qui voient dans l’absorption de certains individus détenteurs de forces redoutables le seul moyen
de neutraliser celles-ci, et même de les mettre à profit; et celles qui, comme la nôtre, adoptent ce
qu’on pourrait appeler l’anthropémie (du grec émein, vomir); placées devant le même problème,
elles ont choisi la solution inverse, consistant à expulser ces êtres redoutables hors du corps
social en les tenant temporairement ou définitivement isolés, sans contact avec l’humanité, dans
des établissements destinés à cet usage. A la plupart des sociétés que nous appelons primitives,
cette coutume inspirerait une horreur profonde; elle nous marquerait à leurs yeux de la même
barbarie que nous serions tentés de leur imputer en raison de leurs coutumes symétriques.“
140 Lévi-Strauss 1955, 463 dazu: „Prenons le cas de l’anthropophagie que, de toutes les pratiques
sauvages, est sans doute celle qui nous inspire le plus d’horreur et de dégoût. On devra d’abord
en dissocier les formes proprement alimentaires, c’est-à-dire celles où l’appétit pour la chair hu-
maine s’explique par la carence d’autre nourriture animale, comme c’était le cas dans certaines
îles polynésiennes. De telles fringales, nulle societé n’est moralement protégée; la famine peut
entraîner les hommes à manger n’importe quoi (…) Restent alors les formes d’anthropophagie
qu’on peut appeler positives, celles que relèvent d’une cause mystique, magique ou religieuse.“
141 Viveiros de Castro 2009, 22: „Tous les animaux et autres composantes du cosmos sont in-
tensivement des personnes, virtuellement des personnes, car n’importe lequel d’entre eux peut
se révéler être (se transformer en) une personne. Il ne s’agit pas d’une simple possibilité lo-
122   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

der. Zusätzlich können manche Wesen ihre Körper tauschen und die Funktion
des Jägers/Opfers invertieren. Dieses notwendige und gegenseitige Verzehren
produziert körperliche Merkmale und ordnet die asymmetrischen Funktionen
innerhalb der Beziehungen. Die Möglichkeit, die Perspektive des Feindes einzu-
nehmen, wird als eine kannibalische Metaphysik bezeichnet142. Jenseits der phy-
sischen und metaphysischen Ebene, andere Menschen zu verzehren, gibt es eine
diskursive Ebene, die das Kulturphänomen des Kannibalismus als Grenzzieher
sowohl zwischen Kulturen als auch zwischen zivilisatorischen Etappen verwen-
det143. Kannibalen sind in dieser Hinsicht die Anderen. Das heißt, diejenigen, die
entweder im Raum oder in der Zeit noch nicht in der Lage sind, sich als eine zi-
vilisierte Gesellschaft zu bezeichnen. Im griechisch-römischen Kontext sind die
Berichte über einige „Barbaren“ beispielhaft für den ersten und die Erzählungen
über die Urmenschen ein Beispiel des zweiten Falles. In dieser Untersuchung
ist es hilfreich, die vielfältigen Aspekte der Diskurse über den Kannibalismus in
einer kulturgeschichtlichen Perspektive zu betrachten. Denn die Nutzung der so-
zialen Konstruktion eines Kannibalen wurde als Argument sowohl für die Zuspre-
chung als auch für die Widerlegung der vegetarischen Lebensweise angewendet,
wie unten behandelt wird.
In der griechischen und römischen Mythologie gibt es zahlreiche Beispiele
von Kannibalen und Menschenfressern144. Die bekanntesten kannibalischen
Handlungen sind die des Titanen Kronos, der seine Kinder aß, um seine Herr-
schaft über die Welt zu sichern, des Thyestes, der durch eine List des Atreus seine
eigenen Söhne als Mahl verspeiste, aber auch die des Lykaon, der Zeus einen ge-
kochten Menschen als Speise servierte145.
Der Kannibalismus und der Vegetarismus wurden in der antiken Literatur
häufig in Zusammenhang gebracht. Odysseus durfte z.  B. verschiedene phantasti-

gique, mais d’une potentialité ontologique. La ‘personnitude’ et la ‘perspectivité’ – la capacité


d’occuper un point de vue – est une question de degré, de contexte et de position, plutôt qu’une
propriété distinctive de telle ou telle espèce.“
142 Viveiros de Castro 2009, 21: „L’affinité virtuelle est le schématisme caractéristique de ce que
Deleuze appellerait la “structure Autrui” des mondes amérindiens et, comme telle, elle est mar-
quée de façon indélébile par le signe du cannibalisme, un motif omniprésent de l’imagination
relationnelle des habitants de ces mondes. Perspectivisme interspécifique, multinaturalisme
ontologique et altérité cannibale forment ainsi les trois versants d’une alter-anthropologie in-
digène (…)“
143 Siehe dazu Nagy 2009, 9–10, Pöhl 2015, 39–44 und Scherr 2015, 137–139.
144 Dazu Nagy 2009 passim, Gronau 2015, 65–100.
145 Siehe Nagy 2009, 43–55 für eine Analyse der Mythen des Lykaon und Thyestes und Scherr
2015, 121–125 für eine Aufzählung verschiedener kannibalischer Mythen.
 Die Fragmente im Vergleich   123

sche Länder besichtigen sowie auf seinen Reisen Kenntnis von verschiedenen Le-
bensstilen erlangen. Neben den menschenfressenden Kyklopen (Od. 9.105–564)
wurde Odysseus ebenfalls in die Welt der kannibalischen Laistrygonen (Od. 10.
80–132) und der vegetarischen Lotophagen (Od. 9.82–104) eingeführt146. Nagy
2009, 15–17 ist der Meinung, dass die vegetarischen und die kannibalischen Hal-
tungen entgegengesetzte Positionen in der Ordnung der griechischen sozialen
Welt einnehmen: Die eine sei ideal und makellos und die andere der Zenit des
Mangels an gesellschaftlicher Tugend. Dazwischen gebe es aber das religiöse
Opfer, das dem regulären Menschen einen Weg anbietet, trotz seiner Schwächen
fromm zu leben.
Ein weiterer Berührungspunkt zwischen der Schrift Gegen die Vegetarier und
der Über die Frömmigkeit ist gerade die Assoziation zwischen Kannibalismus und
Vegetarismus. Wie man sich vorstellen kann, verwendet jeder Autor diesen Ver-
gleich mit gegensätzlichen Zielen. Zwar ist in beiden Fällen die nackte Existenz-
not das Movens, das die leidenden Menschen zum Kannibalismus führt, aber der
Vegetarier ordnet dies in einen allgemeinen Degenerationsprozess ein, während
der Anti-Vegetarier den Kannibalismus als direkte Folge des Vegetarismus dar-
stellt. Während Theophrast im Kannibalismus den Untergang der vegetarischen
und frommen Lebensweise sieht, bezeichnet der Autor der Schrift Gegen die Vege-
tarier den Kannibalismus als eine mögliche Folge der vegetarischen Haltung, wie
man den Texten auf der nächsten Seite (Tab. 6) entnehmen kann.
Beide Texte gehen von Notkannibalismus aus. Der erste setzt den Notkanni­
balismus in die Vergangenheit und der zweite in eine mögliche Zukunft, in der
sich der Mensch tierischer Nahrung enthalten würde. Theophrast bringt aber
den Notkannibalismus zusätzlich mit dem positiven Kannibalismus als Bestand-
teil des religiösen Brauches in der Geschichte der Menschheit zusammen. Nagy
2009, 34 ist der Meinung, dass diese Haltung einmalig in der klassischen Litera-
tur sei und zeigt, wie sogar Porphyrios, der Theophrasts Geschichte des Opfers
größtenteils übernimmt, diesen Aspekt ablehnt147. Für Porphyrios ist der Kan-
nibalismus als Bestandteil einer menschlichen Institution unmöglich, und alle
konkreten Fälle, wie der Belagerungskannibalismus (DA 2.57.1–3), werden einfach
als unfromm und von der Norm abweichend bezeichnet. Denn sein Hauptargu-
ment im zweiten Buch lautet folgendermaßen: Wenn man den Mächten Tiere
opfern muss, heißt es nicht, dass man sie verzehren muss. Deswegen will er nicht
zugeben, dass Menschen als Opfer irgendwann in der Geschichte als ­akzeptabler

146 Weitere Beispiele werden unten behandelt.


147 Vgl. Nagy 2009, 30–34.
124   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

Tab. 6

Theophrasts Über die Frömmigkeit Gegen die Vegetarier


Übersetzung: Pötscher (Fragment 13)

2.27.1 „Ursprünglich nämlich opferte man 1.24.1 „Das Gegenteil würde aber passieren


den Göttern Früchte. Als wir aber mit der Zeit von dem, worauf er (Pythagoras) zielte. Wenn
die fromme Haltung vernachlässigt hatten, wir uns nämlich der Tiere enthielten, würden
und da die Menschen auch in Not an Früchten wir uns nicht nur von einem Reichtum dieser
geraten waren und aus Mangel an gebräuch- Art und Lust verabschieden, sondern auch
licher Nahrung sich dazu hatten hinreißen unsere Felder zugrunde richten, weil sie von
lassen, das Fleisch der Mitmenschen zu den Tieren zerstört würden, und die ganze
essen, da brachten sie damals das erste Erde wird sowohl von Schlangen als auch von
Mal – unter vielen flehentlichen Gebeten an Vögeln eingenommen werden, sodass sowohl
das Daimonion – den Götter Opfer aus ihrer das Pflügen schwierig wird, die gesäten
Mitte dar, indem sie nicht nur auch das, was Samen von den Vögeln gesammelt würden als
an Schönstem unter ihnen war, den Götter auch die reifen Früchte von den Vierbeinern
weihten, sondern auch über die Schönsten ganz verzehrt werden würden. Wenn aber
hinaus nach [anderen] des Stammes griffen.“ ein so großer Mangel an Nahrung entstünde,
würde bittere Not erzwingen, sodass wir uns
gegen einander wenden müssen.“

2.27.1 „ἀπ’ ἀρχῆς μὲν γὰρ αἱ τῶν καρπῶν 1.24.1 „Τοὐναντίον δὲ συμβήσεσθαι ὧν


ἐγίνοντο τοῖς θεοῖς θυσίαι· χρόνῳ δὲ τῆς οὗτος ἐστοχάζετο. Εἰ γὰρ ἀποστησόμεθα τῶν
ὁσιότητος ἡμῶν ἐξαμελησάντων, ἐπεὶ καὶ ἐμψύχων, οὐ μόνον πλούτου τοῦ τοιούτου καὶ
τῶν καρπῶν ἐσπάνισαν καὶ διὰ τὴν τῆς ἡδονῆς ἀπολειψόμεθα, ἀλλὰ καὶ τὰς ἀρούρας
νομίμου τροφῆς ἔνδειαν εἰς τὸ σαρκοφαγεῖν ἀπολοῦμεν, φθειρομένας ὑπὸ τῶν θηρίων,
ἀλλήλων ὥρμησαν, τότε μετὰ πολλῶν λιτῶν ὑπό τε ὄφεων καταλήψεται πᾶσα ἡ γῆ καὶ τῶν
ἱκετεύοντες τὸ δαιμόνιον σφῶν αὐτῶν πετεινῶν, ὥστε καὶ τοὺς ἀρότους χαλεπῶς
ἀπήρξαντο τοῖς θεοῖς πρῶτον, οὐ μόνον ὅτι γίγνεσθαι, καὶ τὰ σπαρέντα εὐθύς τε ὑπὸ τῶν
κάλλιστον ἐνῆν αὐτοῖς καὶ τοῦτο τοῖς θεοῖς ὀρνίθων ἀναλέγεσθαι, καὶ τὰ τελεωθέντα
καθοσιοῦντες, ἀλλὰ καὶ πέρα τῶν καλλίστων ὑπὸ τῶν τετραπόδων ἅπαντα ἀναλίσκεσθαι.
προσεπιλαμβάνοντες τοῦ γένους·“ Τοσαύτης δὲ ἀπορίας βρωτῶν γιγνομένης
ἀνάγκη πικρὰ καταλήψεται ἐπ' ἀλλήλους
τραπέσθαι.“
 Die Fragmente im Vergleich   125

sozialer Brauch verzehrt wurden148. Theophrast jedoch bleibt nicht auf der the-
oretischen Ebene, sondern liefert auch Beispiele dafür, dass die Menschheit
Menschenopfer verzehrt hat: Die Erzählung der Bassarai149, die in Frevel und
Rausch ihre Menschenopfer verzehrten, findet sich in DA 2.8.3. Für Theophrast
ist genau die Institutionalisierung des Kannibalismus, der zuerst aus der Not
heraus entstanden sei, ein Ergebnis der allmählichen moralischen Degeneration
der Menschheit. Denn sie handelt von einer radikalen Abkehr von der vegetari-
schen Lebensweise zu einem kannibalischen System. Diese Wende ist der kriti-
sche Punkt einer Fortschrittsvorstellung150, in der der Mensch von einem idealen
zu einem verdorbenen Zustand wechselt.
Der Autor der Schrift Gegen die Vegetarier will hingegen den Zusammenhang
zwischen Vegetarismus und Kannibalismus auf eine andere Weise erklären. Die
Menschen würden dann gezwungen, sich kannibalisch zu verhalten, wenn sie
darauf verzichten würden, Tiere zu verzehren. Dieser Einwand fängt bereits in
der vorhergehenden Passage an (siehe Kapitel 1.2.2 für den griechischen Text):

„Die Behauptung, dass Pythagoras aus langer Voraussicht diese Sicherheitsvorkehrung


getroffen hätte, mit der Absicht, die Menschen vor dem Kannibalismus zu bewahren, ist
naiv. Denn wenn in der Zeit des Pythagoras alle Menschen einander gegessen hätten, wäre
der ein Schwätzer, der die Menschen vom Verzehr anderer Tiere abgehalten hätte, um sie

148 DA 2.57.3–58.1: „Now it does not follow that, because famine and war cause the eating of
other animals, we must also accept doing so for pleasure: we have not agreed to cannibalism.
Nor does it follow that, because people have sacrificed animals to certain powers, we must also
eat them; for those who sacrificed humans did not for that reason eat human flesh. 2.58.1 These
arguments have demonstrated that eating animals does not necessarily follow from sacrifi-
cing them.“ (Übersetzung nach Clark 2000); „οὐ τοίνυν ἐπεὶ λιμοὶ καὶ πόλεμοι αἴτιοι τῆς τῶν
ἄλλων ζῴων βρώσεως γεγόνασιν, ἐχρῆν ταύτην καὶ δι' ἡδονὴν παραδέξασθαι, καθάπερ οὐδὲ τὴν
ἀνθρωποφαγίαν προσηκάμεθα· οὐδὲ ἐπεὶ ἔθυσάν τισι δυνάμεσιν ζῷα, ἐχρῆν καὶ ἐσθίειν αὐτά.
οὐδὲ γὰρ ἀνθρώπους θύσαντες ἐγεύσαντο τούτου γε ἕνεκα σαρκῶν ἀνθρωπίνων. 2.58.1 ἀλλ' ὅτι
μὲν τῷ θύειν οὐχ ἕπεται τὸ καὶ ἐσθίειν πάντως τὰ ζῷα, διὰ τούτων ἀποδέδεικται·“ und DA 2.2.1:
„First, then, I say it does not follow from killing animals that one must necessarily also eat them:
by conceding one of the two, I mean slaughter, one does not thereby postulate eating. For in-
stance, the laws allow defence against enemies who attack, but eating them is held to be bey-
ond the bounds of humanity“ (Übersetzung nach Clark 2000); „πρῶτον μὲν γὰρ οὐ φαμὲν εἶναι
ἀκόλουθον τῷ ἀναιρεῖν τὰ ζῷα τὸ δεῖν ἐξ ἀνάγκης αὐτὰ καὶ ἐσθίειν, οὐδ' ὁ τὸ ἕτερον διδούς, λέγω
δὲ τὸ σφάττειν, τίθησι πάντως καὶ τὸ ἐσθίειν. αὐτίκα πολεμίους μὲν ἐπιόντας οἱ νόμοι ἀμύνεσθαι
συνεχώρησαν, ἐσθίειν δ' αὐτοὺς οὐκέτ' εἶναι κατ' ἄνθρωπον δέδοκται.“
149 Die Bassarai sind Dionysos-Anhängerinnen, über die Aischylos ein Stück – nur noch frag-
mentarisch erhalten – geschrieben hat. Mehr dazu siehe den Artikel Bassarai in der RE V 1897,
104. Seaford 2005, 606 argumentiert, dass in diesem Werk mehrere Bezüge zum Pythagoreertum
zu finden seien.
150 Wie in Kapitel 2.2.1 dargestellt wurde.
126   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

vom Kannibalismus abzubringen. Denn dadurch hätte er sie eher dazu ermuntert, weil er
gezeigt hätte, dass es das gleiche sei, einander zu essen und sich vom Fleisch von Schwei-
nen und Rindern zu sättigen. 2 Wenn es aber damals keinen Kannibalismus gab, warum
bedurfte es einer solchen Lehre? Aber wenn er für sich selbst und seine Gefährten diesen
Brauch festgesetzt hat, war die Lehre schändlich. Denn sie zeigt, dass die, die mit Pythago-
ras zusammengelebt haben, Kannibalen waren.“ (DA 1.23.1)

Der Autor schreibt Pythagoras eine direkte Verbindung zwischen dem Vegetaris-
mus und dem Kannibalismus zu. Der Philosoph soll folgendes behauptet haben:
Wenn der erste gefördert wird, kann der zweite verhindert werden. Der Hinter-
grund dieser Kritik ist wahrscheinlich die Lehre der Seelenwanderung. Diese geht
davon aus, dass menschliche Seelen in tierische Körper eingehen können. Diese
zu verzehren könnte also als ein Akt des Kannibalismus gelten – ein Kannibalis-
mus der Seelen. Das heißt, der Autor der Schrift Gegen die Vegetarier begegnet
einem möglichen metaphysischen Kannibalismus mit Argumenten, die die Dis-
kussion auf eine physische Ebene lenken, und zwar zu dem körperlichen Kanni-
balismus.
Das Argument, das hier von Interesse ist, wird in DA 1.24.1 dargestellt (siehe
oben): Der Vegetarismus wird als Auslöser des Kannibalismus bezeichnet, weil
die Tiere nicht mehr zu kontrollieren wären und dadurch die Erde von ihnen
überfüllt würde. Erneut wird das Motiv der Tierapokalypse verwendet, aber
diesmal wird es mit dem Notkannibalismus zusammengebracht. Das heißt, für
den Autor der Schrift Gegen die Vegetarier ist die vegetarische Haltung nicht nur
für die Eroberung der Erde durch die Tiere verantwortlich, sondern sie ist auch
der ultimative Ursprung des Kannibalismus.
Von der Struktur her erweisen sich beide Argumentationen als ähnlich. Jeder
Autor beabsichtigt, die Verbindung zwischen Kannibalismus und Vegetarismus
für sein eigenes moralisches Ziel anzuwenden. In dieser Hinsicht wird der Kanni-
balismus wieder zum Maßstab für die Grenzen der Zivilisation. Die Verwendung
eines ähnlichen Argumentationsmusters – der Zusammenhang zwischen Kanni-
balismus und Vegetarismus – spricht weiter dafür, dass eine echte Auseinander-
setzung zwischen dem Autor der Schrift Gegen die Vegetarier – und Theophrast
stattgefunden hat. Um mit den Worten von Oswald de Andrade zu spielen: Wenn
die Anthropophagie nicht uns alle verbunden hat, hat sie zumindest diese zwei
Autoren verbunden.
 Die Fragmente im Vergleich   127

2.2.4 Das Wesen der Seele und die Verwandtschaft der Lebewesen

Zunächst soll hier untersucht werden, auf welche Weise die Ideen, die in der
Schrift Gegen die Vegetarier 1.19.1; 1.14.2 zu finden sind, eine Kritik an den Stand-
punkten üben, die Theophrast (Über die Frömmigkeit bzw. Über die Intelligenz und
Charaktere der Tiere 3.25.1–3 und 2.22.1) dargestellt hat. Die Diskussion handelt
zu Beginn von der Bestimmung der Grundbestandteile der Lebewesen und fragt,
ob eine Verwandtschaft zwischen den verschiedenen Lebewesen aus physischen
und psychologischen Ähnlichkeiten abgeleitet werden kann. Danach kommt die
Frage hinzu, ob bzw. inwiefern eine Verwandtschaft zwischen den Lebewesen als
ein ethischer Parameter verstanden werden soll. Insbesondere wird diskutiert, ob
die Existenz von Freundschaft, Zuneigung oder Liebe zwischen Menschen und
Tieren möglich ist.
Theophrast entwickelte in DA 3.26.1–3151 eine Theorie der Verwandtschaft der
Lebewesen, um die moralische Berücksichtigung der Tiere zu rechtfertigen. Diese
Theorie basiert auf einem biopsychologischen Vergleich zwischen den Grundbe-
standteilen der Tiere und der Menschen, wie Haut, Fleisch, besonders aber den
Seelen. So Theophrast:

„Theophrast aber hat auch die folgende Theorie bekanntgemacht. Diejenigen, welche von
denselben gezeugt sind, ich meine nämlich von demselben Vater und derselben Mutter,
bezeichnen wir als einander von Natur aus angehörig. Und ferner halten wir auch die von
denselben Ahnherren Gezeugten für einander angehörig, freilich auch die eigenen Mitbür-
ger untereinander durch die Gemeinschaft des Landes und des gegenseitigen Zusammenle-
bens. Solche nämlich beurteilen wir dann nicht mehr als einander Angehörige, weil sie von
denselben abstammten, wenn nicht eben irgendwelche ihrer ersten Vorfahren dieselben
[Menschen] wie die Stammväter des Geschlechtes waren oder von denselben herstammten.
So nun, glaube ich, sagen wir, dass der Hellene dem Hellenen, der Barbar dem Barbaren
und alle Menschen einander angehörig und verwandt sind, aus einem der beiden [Gründe],
entweder weil sie derselben Ahnen Nachkommen sind, oder wegen der Gemeinsamkeit
von Nahrung, Sinnesart und gleichem Geschlecht. Infolgedessen aber behaupten wir auch,
dass alle Menschen untereinander und vollends auch mit allen Lebewesen (=Tieren) ver-
wandt sind. Denn die Grundbestandteile der Leiber sind dieselben. Ich meine dies aber
nicht bezugnehmend auf die primären Elemente: Aus diesen bestehen nämlich auch die
Pflanzen. Aber etwa Haut, Fleisch und die den Lebewesen eigene Art von Flüssigkeiten.
Viel mehr aber noch dadurch, dass die in ihnen wohnenden Seelen gleicher Art sind.
Ich meine selbstverständlich in ihren Triebregungen und Zornerlebnissen, überdies in den

151 Für eine ausführliche Diskussion der Echtheit und der Länge des Fragments siehe Forten-
baugh 1984 275–277. In dieser Arbeit wird die Position von Fortenbaugh akzeptiert, der den Text
von Theophrast nur in DA 3.25.1–3 enthalten sieht. Siehe das Kapitel 3.6 für eine weitere Diskus-
sion der Autorschaft dieser und benachbarter Stellen.
128   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

richtigen Reaktionen und vor allem anderen in den Wahrnehmungen. Aber wie es bei den
Leibern ist, so haben auch die einen der Lebewesen vollkommene Seelen, die anderen
weniger so geartete, alle aber haben fürwahr dieselben Grundbestandteile. Dies zeigt ja die
Zusammengehörigkeit (οἰκειότης) der Gemütsbewegungen.“152

Diese Passage stellt die in der Forschung sogenannte οἰκειότης-Theorie dar. In ihr
wird vorausgesetzt, dass die Menschen nicht nur mit anderen Menschen, sondern
auch mit den übrigen Tieren eine Verwandtschaft aufgrund der Zusammenge-
hörigkeit der Gemütsbewegungen besitzen. Theophrast entwickelt eine Theorie
der Verwandtschaft, die aus zwei Grundregeln besteht: Es existiere Verwandt-
schaft zwischen Lebewesen entweder aufgrund der Abstammung oder aufgrund
gemeinsamer Eigenschaften, die bedeutsam seien. Als Folge dieses Umstandes
zieht Theophrast den Schluss, dass Tiere und Menschen verwandt seien, weil sie
nicht nur leibliche Gemeinsamkeiten besitzen, sondern auch ihre Seelen gleicher
Art seien. Die Konsequenz dieser Aussage ist, dass die Potenzialitäten der Seelen
wie die Qualität der Emotionen, Wahrnehmungsvermögen, psychologische Re-
aktionen und sogar Aspekte der Vernunft (ἔτι δὲ τοῖς λογισμοῖς)153 sowohl der
Menschen als auch der Tiere ähnlich seien und dadurch eine Zusammengehö-
rigkeit der Gemütsbewegungen bestehe (ἡ τῶν παθῶν οἰκειότης). Einige bemer-
kenswerte Aspekte dieser Theorie müssen hervorgehoben werden. Die Universa-

152 Pötschers 1964 Übersetzung von 3.25.1–3 mit meiner Ergänzung des Satzes „Θεόφραστος…
λόγῳ“, den Pötscher in seinem Fragment nicht berücksichtigt: „Θεόφραστος δὲ καὶ τοιούτῳ
κέχρηται λόγῳ. τοὺς ἐκ τῶν αὐτῶν γεννηθέντας, λέγω δὲ πατρὸς καὶ μητρός, οἰκείους εἶναι
φύσει φαμὲν ἀλλήλων· καὶ τοίνυν καὶ τοὺς ἀπὸ τῶν αὐτῶν προπατόρων σπαρέντας [οἰκείους
ἀλλήλων εἶναι νομίζομεν] καὶ μέντοι ‹καὶ› τοὺς ἑαυτῶν πολίτας τῷ τῆς τε γῆς καὶ ‹τῆς› πρὸς
ἀλλήλους ὁμιλίας κοινωνεῖν. οὐ γὰρ ἐκ τῶν αὐτῶν ἔτι τότε τοιούτους ἀλλήλοις φύντας οἰκείους
αὑτοῖς εἶναι κρίνομεν, εἰ μὴ ἄρα τινὲς τῶν πρώτων αὐτοῖς προγόνων οἱ αὐτοὶ τοῦ γένους ἀρχηγοὶ
πεφύκασιν ἢ ἀπὸ τῶν αὐτῶν. οὕτω δέ, οἶμαι, καὶ τὸν Ἕλληνα μὲν τῷ Ἕλληνι, τὸν δὲ βάρβαρον
τῷ βαρβάρῳ, πάντας δὲ τοὺς ἀνθρώπους ἀλλήλοις φαμὲν οἰκείους τε καὶ συγγενεῖς εἶναι, δυοῖν
θάτερον, ἢ τῷ προγόνων εἶναι τῶν αὐτῶν, ἢ τῷ τροφῆς καὶ ἠθῶν καὶ ταὐτοῦ γένους κοινωνεῖν.
οὕτως δὲ καὶ τοὺς πάντας ἀνθρώπους ἀλλήλοις τίθεμεν καὶ συγγενεῖς, καὶ μὴν ‹καὶ› πᾶσι τοῖς
ζῴοις· αἱ γὰρ τῶν σωμάτων ἀρχαὶ πεφύκασιν αἱ αὐταί· λέγω δὲ οὐκ ἐπὶ τὰ στοιχεῖα ἀναφέρων
τὰ πρῶτα· ἐκ τούτων μὲν γὰρ καὶ τὰ φυτά· ἀλλ' οἷον δέρμα, σάρκας καὶ τὸ τῶν ὑγρῶν τοῖς ζῴοις
σύμφυτον γένος· πολὺ δὲ μᾶλλον τῷ τὰς ἐν αὐτοῖς ψυχὰς ἀδιαφόρους πεφυκέναι, λέγω δὴ ταῖς
ἐπιθυμίαις καὶ ταῖς ὀργαῖς, ἔτι δὲ τοῖς λογισμοῖς, καὶ μάλιστα πάντων ταῖς αἰσθήσεσιν. ἀλλ' ὥσπερ
τὰ σώματα, οὕτω καὶ τὰς ψυχὰς τὰ μὲν ἀπηκριβωμένας ἔχει τῶν ζῴων, τὰ δὲ ἧττον τοιαύτας,
πᾶσί γε μὴν αὐτοῖς αἱ αὐταὶ πεφύκασιν ἀρχαί. δηλοῖ δὲ ἡ τῶν παθῶν οἰκειότης.“
153 Fortenbaugh 1984, 282–285 zieht den Schluss, dass Theophrast anders als Aristoteles Tiere
einen gewissen Grad an der Vernunft zugeschrieben hat: „Er (Theophrast) sah keine tiefe Kluft
mehr zwischen Tier und Mensch, so dass in der scala naturae der obere Einschnitt wegfiel; und
in der Schrift Περὶ ζῴων φρονήσεως καὶ ἤθους sammelte er viel Material, das geeignet war, die
Annahme einer tierischen Form von Intelligenz zu stützen.“
 Die Fragmente im Vergleich   129

lisierung der Verwandtschaft der Menschheit ist sehr innovativ und, wenn dieses
Fragment als von Theophrast stammend betrachtet wird, ist dies die früheste
Stelle in der griechischen Literatur, die für eine so klare Verbindung und Ver-
wandtschaft der Menschheit spricht. Insbesondere ordnet Theophrast Begriffe,
die bestimmte Gruppen von Menschen wie Barbaren und Hellenen bezeichnen,
unter einer allgemeinen Verwandtschaft der gesamten Menschheit ein. Diese
Argumentation erfolgt durch die Anwendung des Bildes von einer Ausdehnung
von moralischen Kreisen. Zuerst wird die Kernfamilie als Zentrum der Verwandt-
schaft benannt, dann die entfernte Familie, danach die Mitbürger, in Folge sehr
abstrakte Kategorien wie Hellenen und Barbaren, dann die gesamte Menschheit
und schließlich werden alle Menschen und Tiere als verwandt bezeichnet. Gör-
gemanns 1983, 182–183 weist auf die inhaltliche Verbindung der Oikeiotes-Lehre
mit einer Theorie der Gerechtigkeit hin und merkt an, dass im Schwesterbegriff
Oikeiosis diese Verbindung nicht unbedingt vorhanden ist. Sorabji 1993, 131 zieht
sogar eine Parallele zwischen der Verwandtschaft-Theorie des Theophrast mit der
modernen Vorstellung von Darwin über „the descent of man from the apes“ und
bezeichnet weiter Theophrast als einen raffinierten Verteidiger einer Verwandt-
schaft zwischen Menschen und Tieren, da für ihn diese Verwandtschaft aus kör-
perlichen und seelischen Gemeinsamkeiten bestehe und nicht aus dem Glauben
an die Wiedergeburt wie bei Pythagoras und Empedokles. Dieses analytische
Modell der Kreise, die sich erweitern, ist eine mögliche Quelle für die spätere
soziale Oikeiosis, wie in Kapitel 3.1 und 3.4 besprochen wird. Weitere Ähnlich-
keiten zwischen den Oikeiosis- und Oikeiotes-Theorien werden im dritten Kapitel
behandelt; insbesondere wird auf die Frage eingegangen, ob Porphyrios Aspekte
der Oikeiotes-Theorie oder der Oikeiosis-Lehre für seine eigenen ethischen Vor-
stellungen angepasst hat.
Auf der Oikeiotes-Theorie baut Theophrast die übrigen Aspekte seiner mora-
lischen Vorstellungen auf, nämlich, dass die anderen Tiere auch Objekt der Zu-
neigung des Menschen sein können. Die Verwandtschaft zwischen den Lebewe-
sen wird neben der Freundschaft als einer der Gründe genannt, warum früher die
Menschen die anderen Tiere nicht gemordet haben, wie diese Stelle zeigt:

„Denn als die Liebe und die Empfindung der Verwandtschaft alles beherrschte, mordete
offenbar niemand (ein Lebewesen), da er glaubte, dass die übrigen der Lebewesen (ihm)
verwandt (οἰκεῖα) seien.“154

154 DA 2.22.1: „τῆς γὰρ οἶμαι φιλίας καὶ τῆς περὶ τὸ συγγενὲς αἰσθήσεως πάντα κατεχούσης,
οὐδεὶς οὐθὲν ἐφόνευεν, οἰκεῖα εἶναι νομίζων τὰ λοιπὰ τῶν ζῴων.“
130   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

Die Kausalität zwischen dem Gefühl der Zusammengehörigkeit (οἰκεῖα) und der
Möglichkeit, andere Tiere als Freunde und Verwandte zu betrachten, wird deut-
lich hervorgehoben. Aus dieser Verwandtschaft entstehen moralische Pflichten,
wie die Pflicht, andere Wesen nicht zu töten, wenn sie das nicht verdient haben
(DA 2.22.1). Es wurde bereits in Kapitel 2.2.1 dargestellt, wie Theophrast eine idea-
lisierte Erzählung der Vergangenheit als ein positives Modell ethischen Handelns
versteht. Dieses Prinzip soll auch hier angewendet werden, um sagen zu dürfen,
dass Theophrast sowohl die Freundschaft als auch die Verwandtschaft zwischen
den Lebewesen als etwas nicht nur Positives, sondern auch Wünschenswertes für
seine eigene Zeit betrachtet hat.
In der Schrift Gegen die Vegetarier findet sich die Erwähnung einer Lehre,
die der des Theophrast sehr ähnlich ist. Es wird erneut ein Einwand eines unbe-
kannten Autors aufgenommen (τις). Die Stelle DA 1.19.1 diskutiert die Substanz
der Seele und, ob die Menschen zu derselben Gattung von Tieren gehören. Sie
lautet: „Einer wird sagen, dass man einen Artgenossen nicht töten dürfe, wenn
jedenfalls die Seelen der Tiere wesensgleich mit unseren seien.“155 Der Autor der
Schrift Gegen die Vegetarier erkennt, dass es eine Tradition gibt, die glaubt, dass
die Seelen der Tiere dieselbe Substanz wie die der Menschen hätten. Diese bietet
dann auch genügend Gründe, um die Tötung eines dann Gattungsangehörigen
zu verbieten. Obwohl die an dieser Stelle angewendete Terminologie einen klaren
Einfluss der neuplatonischen Terminologie offenbart, wie in Kapitel 1.1.4 erklärt
wurde, sind Termini wie ὁμόφυλον und ὁμοούσιοι vergleichbar mit den Termini,
die Theophrast benutzt, wie συγγενεῖς und ἀδιαφόρους πεφυκέναι.
Selbstverständlich gab es neben Theophrast andere Philosophen, die ein
ähnliches Verständnis des Mensch-Tier-Verhältnisses gehabt haben, wie Empedo-
kles und Pythagoras. Es ist aber auszuschließen, dass dieser Einwand von Empe-
dokles stammt, da seine Theorie der Zusammengehörigkeit der Wesen ebenfalls
Pflanzen einschließt, während Theophrast sich bemüht, Argumente zu liefern,
die die Pflanzen aus diesem Verhältnis ausschließen156. Dasselbe kann nicht über
die Lehre des Pythagoras gesagt werden. Haußleiter 1935, 135–136 hat vorgeschla-
gen, dass der Einwand, der sich in DA 1.19 findet, eine Wiedergabe der Lehre

155 1.19.1: „Ἀλλ' οὐ χρῆναι φήσει τις κτείνειν τὸ ὁμόφυλον, εἴ γε ὁμοούσιοι αἱ τῶν ζῴων ψυχαὶ
ταῖς ἡμετέραις.“
156 Andere Ähnlichkeiten zwischen Theophrast und Empedokles in Hinsicht auf das Verhältnis
zwischen den Lebewesen, insbesondere die Bezüge zwischen dem Begriff Oikeiotes des Theo-
phrast und dem von Empedokles vertretenen Begriff Philia, wurden von Balaudé 1997, 46–49
analysiert.
 Die Fragmente im Vergleich   131

des Pythagoras sei157. Das ist möglich, aber verbietet nicht, dass Theophrast in
diesem Punkt dieselbe oder eine ähnliche Meinung vertreten hat. Der in diesem
Kapitel durch zahlreiche Beispiele der Intertextualität gezeigte Zusammenhang
beider Schriften (Gegen die Vegetarier und Über die Frömmigkeit) erlaubt es uns,
diese Passage als einen weiteren Berührungspunkt zwischen den beiden Schrif-
ten anzusehen.
Um den Vergleich mit der Lehre der Pythagoreer noch detaillierter durch-
zuführen, sollen nun die Stellen DA 2.22 und DA 1.14.2 verglichen werden. Die
erste Passage, die von Theophrast stammt, wurde schon oben besprochen und
handelt von der φιλία und συγγένεια, die aus dem Gefühl der Zusammengehö-
rigkeit (οἰκεῖα) stammen. Die zweite Stelle, die aus der Schrift Gegen die Vege-
tarier stammt, beschäftigt sich mit den Emotionen, die Menschen gegenüber
Menschen und Menschen gegenüber Tieren empfinden: „Denn es gibt nicht nur
Hass (μῖσος) gegen das, was wir töten, sondern auch Liebe (στοργή) von Mensch
zu Mensch.“158 Der Kontext, in welchem diese Meinung geäußert wurde, ist die
Rechtfertigung eines gerechten Krieges der Menschen gegen die Tiere und reprä-
sentiert die Erscheinung einer universellen Philanthropie – eine Vorliebe von
Menschen für Menschen –, die gleichzeitig den Hass gegen Tiere voraussetzt.
Eine ähnliche Überzeugung hat Aristoteles Pol. 1.8 vertreten159. Diese hält die Idee
eines gerechten Kriegs zwischen Menschen und Tieren für natürlich.
Als wahrscheinliche Vorlage dieser Idee kann die Ilias 22.261–267 verstanden
werden. In dieser Passage erklärt ein wütender Achilles Hektor, der um eine ver-
nünftige Verständigung zwischen den beiden Helden gebeten hatte, warum es
unmöglich sei, ein Abkommen abzuschließen. Durch die Analyse des Menschen-
Tiere- und Tiere-Tiere-Verhältnisses baut Achilles sein Argument auf, wie folgt:

„Ἕκτορ μή μοι ἄλαστε συνημοσύνας ἀγόρευε·


ὡς οὐκ ἔστι λέουσι καὶ ἀνδράσιν ὅρκια πιστά,
οὐδὲ λύκοι τε καὶ ἄρνες ὁμόφρονα θυμὸν ἔχουσιν,
ἀλλὰ κακὰ φρονέουσι διαμπερὲς ἀλλήλοισιν,
ὣς οὐκ ἔστ' ἐμὲ καὶ σὲ φιλήμεναι, οὐδέ τι νῶϊν
ὅρκια ἔσσονται, πρίν γ' ἢ ἕτερόν γε πεσόντα
αἵματος ἆσαι Ἄρηα ταλαύρινον πολεμιστήν.“

157 Wie er erklärt: „Wichtiger für uns ist das von Porphyrios De abst. 1.19 mitgeteilte Argument,
das sicher auf Herakleides Pontikos zurückgeht. Denn in ihm wird die pythagoreische Lehre von
der Seelenwanderung vorausgesetzt und mit der Vernichtung des tierischen Lebens in Verbin-
dung gebracht.“
158 DA 1.14.2: „οὐ γὰρ μόνον ἐστὶ μῖσος κατὰ τῶν κτεινομένων, ἀλλὰ καὶ στοργὴ πρὸς ἄνθρωπον
ἀνθρώπου.“
159 Wie bereits in der Einleitung diskutiert wurde.
132   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

„Hektor, du unerträglicher, sprich mir nicht von Verträgen;


wie zwischen Löwen und Menschen keine treuen Eide existieren
und sowohl Wölfe als auch Schafe keinen einträchtigen Geist besitzen,
sondern ganz und gar zueinander übel gesinnt sind,
so gibt es für mich und für dich keine Freundschaft, und werden keine
Eide von uns stattfinden, bevor einer von uns beiden wohl fällt
und mit Blut Ares, den tapferen Krieger, sättigt.“

Die Unmöglichkeit für Löwen und Menschen, ὅρκια zu schließen, wird als Tatsa-
che von Achilles angesehen und gilt als Vorlage für die Situation, in welcher er
und Hektor sich befinden. Aufgrund der Tötung des Patroklos sind sie nicht mehr
nur Gegner, sondern Feinde, die sich hassen. Dies verbietet, dass sie irgendeine
Art Freundschaft füreinander empfinden, die eine Voraussetzung für einen Eid
zwischen den beiden gewesen wäre. Dies ist nicht das normale Verhältnis zwi-
schen den Helden in der Ilias, da es für Krieger möglich war, Gastfreundschaft
und Freundschaft für die Gegner zu empfinden. Das bedeutendste Beispiel der
Gastfreundschaft auf dem Schlachtfeld ist der Austausch der Waffen zwischen
Glaukos und Diomedes (Ilias 6.119–236). Ein weiteres Zeichen der Freundschaft
und des Respekts ist in dem Zweikampf zwischen Hektor und Aias (Ilias 7.233–
312) zu spüren, das durch die folgende Aussage Hektors deutlich wird: „ἠμὲν
ἐμαρνάσθην ἔριδος πέρι θυμοβόροιο, ἠδ' αὖτ' ἐν φιλότητι διέτμαγεν ἀρθμήσαντε“.
(Ilias 7.301–2). Einen weitereren Fall bildet das Mitleid und die Gastfreundschaft
des Achilles, als Priamos den Leichnam Hektors erbittet (Ilias 24. 471–670).
Achilles stellt einen Ausnahmefall dar, da er wegen des Todes des Patrok-
los vom Hass besessen ist. Dieser besondere Hass muss hervorgehoben werden,
um diese Stelle zu verstehen, da er entscheidend für einen der Hauptpunkte des
Werkes ist – die Tötung von Hektor. Der Vergleich zur Tierwelt muss an dieser
höchst dramatischen Stelle dem Hörer bzw. dem Leser verkünden, wie weit Achil-
les von der menschlichen Welt entfernt ist, so dass er einen anderen Artgleichen
wie einen Artfremden betrachtet. Richardson 1993, 133 merkt an, dass es sich um
kein gewöhnliches Simile zwischen Mensch und Tier handelt. Denn für ihn re-
präsentiert dieser Vergleich „a proverbial truth about relationships in the world
of animals and men, and then transfers this in an unusual way to the present si-
tuation“. Alle Möglichkeiten, Freundschaft zu schließen, sind hier erschöpft. Da
nur Hass und Feindschaft übrig sind, überschreitet Achilles ethische Grenzen ge-
genüber Hektor und macht mit ihm und mit seinem Leichnam alles, was er will.
Genau gegen solch eine Vorstellung spricht sich Theophrast mit seiner
Theorie der οἰκειότης aus. Es heisst für ihn, dass die Tiere nicht nur Verwandte der
Menschen seien, sondern dass die φιλία zwischen den Wesen durchaus möglich
und wünschenswert sei, um Frömmigkeit zu erreichen. Andererseits eignet sich
jener Gedankengang sehr für die moralische Vorstellung des Autors der Schrift
Zwischenfazit   133

Gegen die Vegetarier. Für ihn ist klar, dass es als Argument nicht reicht, artfremd
zu sein, um ein Wesen zu töten. Es muss nicht nur Hass zwischen den Wesen
existieren, sondern auch gleichzeitig Liebe (στοργή) für die Artgleichen bewahrt
werden. Der gerechte Krieg zwischen Tieren und Menschen wird gerechtfertigt,
indem man die Tiere nicht nur als nicht verwandt betrachtet, sondern auch als
von Natur aus zu hassende Wesen. Die Gegenüberstellung zweier diametraler
Begriffe wie φιλία (Über die Frömmigkeit) und μῖσος (Gegen die Vegetarier) mit
dem Zweck, die moralischen Pflichten gegenüber Tieren zu rechtfertigen, zeigt
sowohl, dass die beiden Autoren eine sehr ähnliche Argumentationsstruktur in
dieser Hinsicht entwickelt haben, als auch, dass die dargestellten Meinungen ge-
gensätzliche Perspektiven vertreten.

2.3 Zwischenfazit

Es wurde gezeigt, wie die Schrift Gegen die Vegetarier in drei verschiedenen
Epochen ihre Wirkung hinterlassen hat und gegen welche Strömungen sie sich
gerichtet hat. Die platonische Akademie stellt das wahrscheinliche Szenario dar,
in dem diese Schrift verfasst wurde. Danach haben der Vegetarismus und seine
entsprechende Gegenbewegung, die in der Schrift Gegen die Vegetarier ausge-
drückt wird, im 1. Jh. v. Chr. und n. Chr. einen neuen Aufstieg erlebt. Schließlich
sind die letzten Spuren von der Schrift Gegen die Vegetarier im Werk DA des Por-
phyrios zu verfolgen.
In diesem Kapitel wurden ebenfalls die Vielfalt, Qualität und Ähnlichkeiten
der Argumente, die in den Schriften Gegen die Vegetarier und Über die Frömmig-
keit auftauchen, analysiert. Es ist unmöglich mit Sicherheit festzustellen, welcher
Text auf welchen reagiert. Einerseits kann man anhand der Argumente, die in
Kapitel 2.2.1 vorgestellt wurden, davon ausgehen, dass die Schrift Gegen die Vege-
tarier eine Antwort auf die Schrift Über die Frömmigkeit ist, andererseits sprechen
die Argumente, die in Kapitel 2.2.2 enthalten sind, stark dafür, dass Theophrast
derjenige ist, der auf Herakleides Pontikos reagiert hat. Die Argumente, die in
2.2.3 und 2.2.4 gezeigt wurden, enthalten keine besondere Merkmale, die diese
Unsicherheit auflösen können. In beiden Fällen können die Beiträge sowohl als
Kritik als auch als Antwort verstanden werden.
Es ist wahrscheinlicher, dass Herakleides Pontikos für den Inhalt der Schrift
Gegen die Vegetarier verantwortlich ist. Dennoch kann man nicht ausschließen,
dass Klodios im 1. Jh. v. oder n. Chr. das Buch des Theophrast gelesen und be-
antwortet haben könnte. Dies würde für die Einordnung der Schrift Gegen die
Vegetarier als Antwort auf die Schrift Über die Frömmigkeit sprechen. Hingegen
muss auch berücksichtigt werden, dass Theophrast jünger als Herakleides Ponti-
134   Die dreischichtige Schrift Gegen die Vegetarier im Vergleich

kos gewesen war und es deswegen wahrscheinlicher wäre, dass Theophrast sein
Buch später als Herakleides veröffentlicht hätte.
Keines der vorherigen Argumente ist ausschlaggebend, um diese Frage end-
gültig zu beantworten. Wichtiger ist dabei anzumerken, dass dieses Streitge-
spräch stattgefunden hat, da beide Schriften auf derselben argumentatorischen
Ebene stehen und mehrere entgegengesetzte Argumente enthalten.
Alle in diesem Kapitel behandelten Themen – die „Urnahrung“ der ersten
Menschen; die Verhältnisse zwischen Pflanzen und Menschen und die Nutzung
der Tierprodukte; die Verbindung zwischen Kannibalismus und Vegetarismus
und die Diskussion über das Wesen der Seele und die Verwandtschaft der Le-
bewesen – werden ebenfalls von Porphyrios in anderen Stellen der Schrift DA
besprochen. Der Schluss des dritten Buches (3.27.10–11) und ein Teil des vierten
(vor allem DA 4.2.1–9) stellen verschiedene Interpretationen des goldenen Zeital-
ters dar. Diese beschäftigen sich mit der Nahrung der ersten Menschen auf einer
mythologischen Ebene. Die Frage des Kannibalismus fordert ebenfalls eine Stel-
lungnahme von ihm, die er in DA 2.57.1–3 anbietet160.
Hier soll nun noch näher verfolgt werden, welche Wirkungen die Einwände
über die Verhältnisse zwischen Menschen und Pflanzen und die Verwandtschaft
der Lebewesen auf die ethische Lehre des Porphyrios gehabt haben. Dies wird im
nächsten Kapitel vorgenommen, in dem gezeigt wird, dass der Aufbau des ethi-
schen Konstrukts des Porphyrios die zwei genannten Fragestellungen beantwor-
ten muss, um eine kohärente Einheit zu erzielen. Dass Porphyrios mehr als 600
Jahre nach Herakleides und Theophrast und 300 Jahre nach Klodios gelebt hat
und trotzdem auf ihr Streitgespräch eingehen muss, spricht für die Stärke ihrer
Argumentation, die bis in das dritte Jh. n. Chr. ihre Wirkung spüren ließ.

160 Für eine ausführliche Diskussion der Haltung des Porphyrios in Bezug auf den Kannibalis-
mus siehe Nagy 2009, 28–34 und Kapitel 2.2.3.
Drittes Kapitel
Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen
Menschen, Tieren und Pflanzen: Oikeiosis,
­Philanthropia und „räumliche Terminologie“
in der Schrift DA
Nachdem gezeigt wurde, dass Porphyrios eine Debatte zwischen den Schriften
Gegen die Vegetarier und Über die Frömmigkeit überliefert hat, wird nun darauf
eingegangen, welche Themen er aus dieser Auseinandersetzung für sein eigenes
Streitgespräch mit den Stoikern übernommen hat. Die wichtigsten Aspekte, die
die Argumentation des Porphyrios prägen, sind die Reflexionen zur Philanthropia
als ethischer Baustein, wie man aus DA 1.14.2 und DA 2.22.1 entnehmen kann;
dann die Frage, ob Pflanzen im Denken der Menschen moralisch berücksichtigt
werden sollten, wie in DA 1.18, 1.21.1–2 und 2.13.1 angesprochen wird; und insbe-
sondere die Frage nach der Verwandtschaft der Lebewesen, die durch den Begriff
Oikeiotes ausgedrückt wurde (DA 3.25.1).
In der Schrift DA spielt die Auseinandersetzung des Porphyrios mit der stoi-
schen Ethik –insbesondere mit dem Oikeiosis-Begriff – eine wichtige Rolle. Dieser
wurde in DA 1.4–6 aus stoischer1 und 1.7–13 aus epikureischer Perspektive2
eingeführt. Diese Debatte dominiert das dritte Buch, das von der Gerechtigkeit
handelt. Das genannte Buch enthält zuerst eine Einleitung (3.1), in der Porphyrios
ankündigt, dass er auf die Stoiker antworten wird, dann eine lange Reihe von
Zitaten anderer Autoren mit gelegentlichen Einfügungen des Porphyrios (3.2 bis
3.25)3 und als letztes eine Schlussfolgerung, die sich als die eigentliche Stimme
des Porphyrios offenbart (3.26–27)4.
In diesem Kapitel wird untersucht, wie Porphyrios sich bemüht, diese Viel-
falt zu bewältigen, indem er eine historische Perspektive des Grundbegriffs Oi-
keiosis in Betracht zieht und den Grundstein dieser Lehre hinterfragt. Die Art und
Weise, wie der Terminus Oikeiosis in der Schrift DA verwendet wird, ist nicht nur
originell, sondern zeigt auch, dass Porphyrios den Begriff systematisch studiert
und dargestellt hat. Er bietet zunächst einen Blick in die Meinung verschiede-

1 Siehe Kapitel 3.2.1.


2 Siehe Kapitel 3.3.
3 Für eine ausführliche Behandung des Inhalts und Komposition des dritten Buches siehe Ka-
pitel 3.2.2.
4 Wie in Kapitel 3.6 behandelt wird.
136   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

ner philosophischer Schulen, die sich mit dem Thema beschäftigt haben. Dann
hebt er die historischen Aspekte ähnlicher und verwandter Argumente – wie den
­Oikeiotes-Begriff – hervor, stellt danach die stoische Konzeption des Begriffs in
Frage und entwickelt selbst eine Variante des Begriffs, die zu seiner eigenen Le-
bensvorstellung passt. Man findet in der Schrift DA in jedem Buch Argumente, die
sich mit dem Begriff Oikeiosis beschäftigen. Es wird hier gezeigt, dass diese Stellen
nicht zufällig sind, sondern eine strukturierte Untersuchung der Geschichte des
Begriffes darstellen. Der Begriff Oikeiosis leistet vor allem eine dynamische Erklä-
rung – im Gegensatz zu der statischen Konnotation des Oikeiotes-Begriffes – für
die Abgrenzung zwischen Wesen. Aus der Formulierung der Stoiker folgt, dass alle
vernünftigen Wesen aufgrund ihrer Fähigkeit, sich selbst als vernünftige Wesen
zu erkennen, in einer Beziehung zueinander stehen. Porphyrios intendiert, dieses
Konzept zu ändern, zeigt aber vorher bewusst, wie der Begriff in verschiedenen
Kontexten verwendet wird. Nachdem dies dargelegt ist, wird darauf hingewie-
sen, dass Porphyrios ebenfalls die Diskussion um die Philanthropia als ethisches
Element zu seiner Debatte hingezogen hat, um sie als gültiges Argument abzuleh-
nen. Anschließend werden die Stellen DA 3.26–7 kommentiert, um zu zeigen, dass
Porphyrios eine „räumliche Terminologie“ für seine Ethik in Auseinandersetzung
mit den oben erwähnten philosophischen Begriffen entworfen hat.
Fay Edwards 2014 hat einen bahnbrechenden Aufsatz mit dem Ziel veröf-
fentlicht, ein großes Rätsel des porphyrischen Denkens zu lösen: Hat Porphyrios
wirklich daran geglaubt, dass Tiere vernünftig sind? Ein Leser, der nur die Schrift
DA gelesen hat, wird die Frage sofort bejahen, aber der, der die anderen Werke
von Porphyrios kennt, insbesondere die logischen Schriften Eisagoge, Eis tas
kategorias Aristotelous, aber auch Ad Gaurum5, wird zugestehen müssen, dass
Tiere in diesen Werken stets als vernunftlos betrachtet werden. Edwards 2014,
23–37 hat Licht auf diesen Widerspruch geworfen und diskutiert die verschiede-
nen Lösungen und Haltungen, die es bis jetzt in der Literatur dazu gegeben hat.
Schließlich präsentiert sie ihre eigene Lösung6, die verspricht, eine große Wende
in der Debatte um Porphyrios herbeizuführen. Dies ist auch gerechtfertigt, da sie
tatsächlich durch eine sorgfältige Lektüre des Textes diesen Widerspruch gelöst
zu haben scheint. Ihr Vorschlag ist folgender: Porphyrios lässt sich auf die Dis-
kussion der Stoiker ein, indem er nur die Begriffe und Voraussetzungen seiner

5 Für eine ausführliche Diskussion der relevanten Passagen in den logischen Traktaten, siehe
Edwards 2014, 22–30.
6 Als Zusammenfassung einer Argumentation, die in einem noch nicht erschienenen Buch aus-
führlicher dargestellt wird. Mittlerweile ist ein weiterer Teil ihrer Argumentation bei Edwards
2016 erschienen.
 Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen   137

Gesprächspartner benutzt, und versucht, innerhalb des stoischen Systems deren


Auffassung als unhaltbar zu erklären. Das heißt, der größte Teil der Schrift DA
(insbesondere das dritte Buch) ist eine dialektische Diskussion, die Porphyrios
mit den Stoikern führt. Die Schlussfolgerung ist, dass für Porphyrios als Neupla-
toniker Tiere vernunftlos sind, aber laut Porphyrios’ Interpretation des Vernunfts-
begriffes der Stoiker hätten die Tiere folgerichtigerweise Anteil an der Vernunft7.
Einige Passagen außerhalb der Schrift DA8, in welchen Porphyrios die ontologi-
schen Unterschiede zwischen Menschen und anderen Lebewesen darstellt, sind
Sententiae 129 und 4310. Die Meinung von Edwards stützt sich großenteils auf die
folgende Passage, die auf eine dialektische Auseinandersetzung mit den Stoikern
hinweist: „Denn nachdem dies bewiesen ist, werden wir mit Fug und Recht auch
ihnen gemäß das Gerechte auf alle Tiere ausdehnen.“11
Dieses gute Argument von Edwards provoziert eine weitere Frage: Was ist
dann für Porphyrios der Hauptgrund, warum man keine Tiere essen soll, wenn
nicht, dass sie vernünftig sind? Edwards 2014, 41 erkennt in der Passage 3.26.9–10

7 Edwards 2014, 42: „In short, Porphyry’s argument in Book 3 takes, as its premises, the Stoic
conceptions of rationality and justice, and attempts to show that animals are rational on the
Stoic understanding of rationality, and to draw the conclusion that they are therefore owed jus-
tice according to the Stoic understanding of justice. Porphyry himself believes neither that ani-
mals are rational (according to his own Neoplatonic conception), nor that justice dictates the
way we act only towards other rational beings. Thus, Porphyry’s logical works are consistent
with On Abstinence because, contra the consensus interpretation, he is not committed to the
position that animals are rational in On Abstinence.“
8 Für die komplexe Frage, ob Porphyrios daran glaubte, dass Menschen in tierische Körper ein-
gehen könnten, siehe Augustinus De civitate dei 10.30, 12.27, 13.19 und Aineas von Gaza Theo-
phrastus S. 11,19–12,25. Auch Dörrie und Baltes 2002, 102–100; 366–382, Helmig 2008, 250–255.
9 „Nicht nur bei den Körpern gibt es homonyme Benennungen, sondern auch das Leben ist ein
Homonym in Bezug auf das, was auf unterschiedliche Weise lebt. Eine Lebensart ist das Leben der
Pflanze, eine andere das Leben der Beseelten und wiederum eine andere die des über Geist Verfü-
genden; eine andere das Leben der Natur, eine andere das der Seele, eine andere das des Geistes
und wiederum eine andere das des Jenseitigen.“ Nach der Übersetzung von Larrain 1987, 78 von
„Οὐ μόνον ἐν τοῖς σώμασι τὸ ὁμώνυμον, ἀλλὰ καὶ ἡ ζωὴ τῶν πολλαχῶς· ἄλλη γὰρ ζωὴ φυτοῦ,
ἄλλη ἐμψύχου, ἄλλη νοεροῦ, ἄλλη φύσεως, ἄλλη ψυχῆς, ἄλλη νοῦ, ἄλλη τοῦ ἐπέκεινα.“ Larrain
1987 wird aufgrund der hilfreichen deutschen Übersetzung des Textes in dieser Arbeit verwendet.
Eine aktuellere und ausführlicher kommentierte Edition haben Brisson et al. 2005 veröffentlicht.
10 „Einige meinten doch, dass dem so ist, dass nur ein Namensunterschied dem Wesen des
Geistes und dem der Phantasia zugefügt worden war. Die Phantasia im vernünftigen Lebewesen
hielten sie für das Denken.“ Nach der Übersetzung von Larrain 1987, 102 „ὅπερ καὶ ἐδόκει τισὶν
ὀνόματος διαφορᾶς προστεθείσης τῇ τοῦ νοῦ ὑποστάσει καὶ τῆς φαντασίας· ἡ γὰρ ἐν λογικῷ ζῴῳ
φαντασία δέδοκτο αὐτοῖς νόησις.“
11 DA 3.1.4: „τούτου γὰρ ἀποδειχθέντος εἰκότως δὴ καὶ κατὰ τούτους πρὸς πᾶν ζῷον τὸ δίκαιον
παρατενοῦμεν.“
138   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

den wahren Grund für Porphyrios, nach einer vegetarischen Haltung zu streben,
und argumentiert folgendermaßen:

„Yet Porphyry’s Neoplatonic conception of justice differs radically from the Stoic concep-
tion. This is made clear towards the end of Book 3, when he tells us that the Stoics have
‘failed to recognise the peculiar character of justice’, which does not depend on οἰκείωσις
between rational beings, but instead consists in a state of soul in which the rational part
exercises its proper rule over the irrational (3.26.9–10). This state of soul, Porphyry thinks,
necessarily results in, and is produced by, harmlessness towards all harmless animals –
that is, by vegetarianism. This is a view which Porphyry is evidently deriving from book 4
of Plato’s Republic (441e; cf. also Timaeus 41b). His conception is such that, although he
believes vegetarianism is a natural consequence of justice, this has nothing at all to do with
the rationality of non-human animals.“

Bedeutet das in Folge dessen, dass die ganze Diskussion um den Oikeiosis-Begriff
für Porphyrios’ Position überflüssig war, da er ihn zugunsten einer allgemeinen
gewaltlosen Haltung verwirft? Hier wird argumentiert, dass dies nicht der Fall ist
und dass die Oikeiosis-Lehre auch einen Platz im ethischen Denken von Porphy-
rios besitzt. Dieses Kapitel wird zeigen, wie Porphyrios eine eigene Ethik in Bezug
auf Menschen, Tiere und Pflanzen mit Hilfe einer räumlichen Terminologie und
durch die Nutzung der Oikeiosis-Lehre der Stoiker entwickelt hat. Die Herange-
hensweise des Porphyrios in Bezug auf diesen Begriff ist durchdacht und stellt
einen allmählichen Aufbau des Hauptarguments des Buches dar. Erstens wird
hier gezeigt, wie er die Oikeiosis-Lehre auf der Ebene der moralischen Unterschei-
dung zwischen Menschen und Tieren in verschiedenen philosophischen Schulen
analysiert hat, um seine eigene Fassung des Begriffes in Verbindung mit anderen
Lehren als eine Lösung für das Problem der moralischen Differenzierung zwischen
den Lebewesen herauszuarbeiten. Dann wird darauf hingewiesen, dass seine Be-
mühung, seinen Leser durch die Meinungen der verschiedenen Philosophen zu
führen, einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Geschichte des Begriffes
geleistet hat. Gemeint ist die Möglichkeit, eine wichtige Macht in Bezug auf die
Entwicklung des Begriffs Oikeiosis in neuem Licht zu sehen: die Liebe, vor allem
in Form der Zuneigung und Freundschaft (στοργή und φιλία). Diese Philanthropia
wird als ethischer Parameter von ihm später abgelehnt. Zuletzt wird argumentiert,
dass Porphyrios eine innovative „räumliche Terminologie“ konsequent anwendet,
um die Problematik der ontologischen Abgrenzungen zwischen den Lebewesen
zu behandeln. In dieser Untersuchung werden als räumliche Terminologie alle
Begriffe betrachtet, die aus dem semantischen Feld des Raumes stammen12 und
von Porphyrios als Metapher für die ethischen Verhältnisse zwischen den Lebe-

12 Die Kapitel 3.5 und 3.6. unten beschäftigen sich näher mit dem Thema.
 Bisherige Forschung über den Oikeiosis-Begriff   139

wesen benutzt werden. Diese räumliche Terminologie steht in engem Zusammen-


hang mit dem Oikeiosis-Begriff, weil das metaphorische Bild der Ausdehnung der
Gerechtigkeit auf andere Lebewesen, das von Porphyrios häufig verwendet wird,
einen operativen Begriff in der Oikeiosis-Lehre findet.

3.1 Bisherige Forschung über den Oikeiosis-Begriff

Es ist bereits bekannt, dass der Begriff Oikeiosis keine direkte Übersetzung in ir-
gendeiner modernen Sprache besitzt und eines der Wörter ist, zu dem jeder Über-
setzer eine Fußnote schreiben muss, um seine Übersetzungsentscheidung zu
rechtfertigen. Oft verwendete Übertragungen sind z.  B. appropriation, familiarity,
belonging und endearment im englischsprachigen Raum, während im deutschen
Sprachraum Zuneigung, Selbsterhaltungstrieb, Familiarität und Selbstaneignung
üblich sind. Die Römer mussten ebenfalls auf diese Problematik eingehen, da der
Begriff einen wichtigen Baustein der stoischen ethischen Philosophie gebildet
hat. Cicero und Seneca benutzen die Wörter commendatio (z.  B.: De finibus 3.16;
63) und conciliatio (Senecas Briefe 121.14; 17 und Ciceros De finibus 3.16), um den
Begriff zu übertragen. Die moderne Literatur, die sich mit diesem Begriff beschäf-
tigt, ist umfangreich, und ein endgültiger Konsens über die Bedeutung und Her-
kunft des Begriffs konnte bis heute nicht erreicht werden.
Schlüsselautoren für das Verständnis dieses Begriffs in der Antike sind Cicero13,

13 De Finibus 3.62: „Damit hängt ihrer Meinung nach auch die Einsicht zusammen, dass die
Natur bewirkt, dass die Kinder von ihren Eltern geliebt werden. Von diesem Ursprung aus kön-
nen wir die Gemeinschaft und Verbindung des menschlichen Geschlechts verfolgen. Diese Er-
kenntnis muss zunächst schon aus der Bildung der Körper und ihrer Glieder gewonnen werden,
die selbst zeigen, dass die Natur auf Fortpflanzung bedacht war. Es könnte aber nicht zusam-
menpassen, dass die Natur einerseits Fortpflanzung wünschte und anderseits nicht dafür sorgte,
dass die von ihr hervorgebrachten Wesen auch geliebt würden. Auch bei den Tieren kann man ja
die Wirkung der Natur beobachten; wenn wir ihre Mühe um die Brut und deren Aufzucht sehen,
meinen wir die Stimme der Natur selbst zu hören. Wie wir offensichtlich von Natur aus vor dem
Schmerz zurückschrecken, so treibt uns deshalb die Natur selbst offenkundig, die zu lieben, die
wir gezeugt haben.“ (Übersetzung nach Merklin 2010); „Pertinere autem ad rem arbitrantur in-
tellegi natura fieri, ut liberi a parentibus amentur; a quo initio profectam communem humani ge-
neris societatem persequimur. Quod primum intellegi debet figura membrisque corporum, quae
ipsa declarant procreandi a natura habitam esse rationem. Neque uero haec inter se congruere
possent, ut natura et procreari uellet et diligi procreatos non curaret. Atque etiam in bestiis uis
naturae perspici potest; quarum in fetu et in educatione laborem cum cernimus, naturae ipsius
uocem uidemur audire. Quare ut perspicuum est natura nos a dolore abhorrere, sic apparet a
natura ipsa, ut eos quos genuerimus amemus, impelli.“
140   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

Diogenes Laertios14 und Hierokles15. Von allen Versuchen einer Definition von
Oikeiosis in der Antike ist vielleicht der von Plutarch De Stoicorum repugnantiis
12, 1038 C am klarsten: „Die Oikeiosis scheint die Wahrnehmung und Erfassung
des Eigenen zu sein“ (ἡ γὰρ οἰκείωσις αἴσθησις ἔοικε τοῦ οἰκείου καὶ ἀντίληψις
εἶναι). Diese Definition entsteht im Rahmen einer harten Kritik an dem Begriff,
nämlich, dass die Stoiker die Rolle der Wahrnehmung unterschätzen, wenn sie
die Oikeiosis auf die Menschheit in moralischen Kontexten einschränken16. Nicht

14 DL 7.85–9: „Der erste Trieb eines Lebewesens zielt nach ihnen auf die Selbsterhaltung, weil
die Natur es von Geburt an sich zugeneigt macht; nach Chrysipp (Über höchste Ziele 1) gilt die
erstrangige Zuneigung eines jeden Lebewesens seiner eigenen Konstitution und dem Bewußt-
sein davon. Denn es wäre unwahrscheinlich, dass die Natur das Lebewesen mit sich selbst ver-
fremdet oder so geschaffen hat, dass es sich zu sich selbst weder fremd noch zugeneigt verhalte.
Es ist also festzustellen, dass die Natur das Lebewesen als ein sich selbst zuneigendes geschaf-
fen hat. Daher weist es alles Schädliche ab und akzepiert alles Zugehörige.“ (Übersetzung nach
Jürß 2010); „Τὴν δὲ πρώτην ὁρμήν φασι τὸ ζῷον ἴσχειν ἐπὶ τὸ τηρεῖν ἑαυτό, οἰκειούσης αὐτὸ τῆς
φύσεως ἀπ' ἀρχῆς, καθά φησιν ὁ Χρύσιππος ἐν τῷ πρώτῳ Περὶ τελῶν, πρῶτον οἰκεῖον λέγων
εἶναι παντὶ ζῴῳ τὴν αὑτοῦ σύστασιν καὶ τὴν ταύτης συνείδησιν· οὔτε γὰρ ἀλλοτριῶσαι εἰκὸς ἦν
αὐτὸ ‹αὑτῷ› τὸ ζῷον, οὔτε ποιήσασαν αὐτό, μήτ' ἀλλοτριῶσαι μήτ' [οὐκ] οἰκειῶσαι. ἀπολείπεται
τοίνυν λέγειν συστησαμένην αὐτὸ οἰκειῶσαι πρὸς ἑαυτό· οὕτω γὰρ τά τε βλάπτοντα διωθεῖται
καὶ τὰ οἰκεῖα προσίεται.“
15 Hierokles’ Buch Ἠθικὴ Στοιχείωσις (Bestandteile der Ethik) ist in einem sehr schlechtem Zu-
stand auf einem Papyrus überliefert. Die Beschreibung der Oikeiosis-Lehre legt viel Gewicht auf
die aisthesis, wie hier (1.30–35) zu sehen ist: „One must therefore understand that, from this
moment, an animal differs from a nonanimal in two respects, that is, in perception and in impul-
se. For the present, we do not need to discuss the latter, but it is necessary, I believe, to speak,
at least briefly, about perception. [35] For it contributes to a knowledge of the ‘first thing that is
one’s own and familiar’, which is the subject that we in fact said would be the best starting point
for the elements of the ethics.“ (Übersetzung nach Ramelli und Konstan 2009); „Τοὐντεῦθεν
ἐνθυμητέον ἐστίν, ὅτι πᾶν ζῶιον τοῦ μὴ ζώιου δυοῖν ἔχει διαφοράν, αἰσθήσει τε καὶ ὁρμῆι· ὧν
θατέρου μὲν οὐδὲν πρὸς τὸ παρὸν δεόμεθα· βραχέα δὲ δοκεῖ γε περὶ τῆς αἰσθήσεως εἰπεῖν· φέρει
γὰρ εἰς γνῶσιν τοῦ πρώτου οἰκείου, ὃν δὴ λόγον ἀρχὴν ἀρίστην ἔφαμεν ἔσεσθαι τῆς ἠθικῆς
στοιχειώσεως.“
16 Seine ganze Antwort lautet in der Schrift De Stoicorum repugnantiis 12, 1038 B-C lautet: „Why
then again in every book of physics, yes and of morals too, does he keep writing ad nauseam
that from the moment of birth we have a natural congeniality to ourselves, to our members and
to our own offspring? In the first book concerning Justice he says that even the beasts have been
endowed with congeniality to their offspring in proportion to its need, except in the case of fi-
shes, for their spawn is nourished of itself. Yet there is neither sensation in subjects for which
no object is sensible nor congeniality in those to which nothing is congenial, for congeniality
seems to be sensation or perception of what is congenial.“ (Übersetzung nach Cherniss 1976);
„πῶς οὖν ἀποκναίει πάλιν ἐν παντὶ βιβλίῳ φυσικῷ ‹τὰ› ἴδια καὶ ἠθικῷ γράφων ὡς ’οἰκειούμεθα
πρὸς αὑτοὺς εὐθὺς γενόμενοι καὶ τὰ μέρη καὶ τὰ ἔκγονα τὰ ἑαυτῶν’; ἐν δὲ τῷ πρώτῳ περὶ
Δικαιοσύνης καὶ τὰ θηρία φησὶ συμμέτρως τῇ χρείᾳ τῶν ἐκγόνων ᾠκειῶσθαι πρὸς αὐτά, πλὴν
 Bisherige Forschung über den Oikeiosis-Begriff   141

nur Plutarchs Darstellung des Begriffes taucht in einer Kritik auf, sondern auch
die von Seneca17, der sich fragt, wie ein Kind, das noch keine Vernunft besitzt,
sich seines Selbsts durch die Vernunft bewusst werden kann. Dieses erste Niveau,
die sogenannte individuelle Oikeiosis, d.  h. die Erfassung des eigenen Selbst,
stellt dann eine primäre Kraft dar, die in allen Tieren anwesend ist. Wichtig ist
dabei hervorzuheben, dass die Fähigkeit, sich selber wahrzunehmen und zu er-
halten, aus einer Liebe oder Zuneigung zum Ich hervorgeht18. Forschner 2008,
171 erklärt dieses Phänomen auf folgende Weise: „Der Kerngedanke der stoischen
Oikeiosislehre besteht darin, dass die Natur alle Lebewesen mit Selbstliebe und
einem Muster instinktiver Verhaltensimpulse ausgestattet hat, die der Selbst- und
Arterhaltung dienen“. Besonders deutlich ist die oben erwähnte Formulierung
Senecas zu diesem Thema. Letztlich heißt dies für die Stoiker, dass alle Tiere ihre
eigene Selbstwahrnehmung besitzen und nur dadurch in der Lage sind, sich in
die Umwelt zu integrieren.
Die bedeutsamen Beiträge zum Oikeiosis-Begriff in der Fachliteratur werden
nun hier kurz eingeführt. Dirlmeier 1937 hat die These vertreten, dass die Oikeio-

τῶν ἰχθύων· ‘αὐτὰ γὰρ τὰ κυήματα τρέφεται δι' αὑτῶν’. ἀλλ' οὔτ' αἴσθησίς ἐστιν οἷς μηδὲν
αἰσθητὸν οὔτ' οἰκείωσις οἷς μηδὲν οἰκεῖον· ἡ γὰρ οἰκείωσις αἴσθησις ἔοικε τοῦ οἰκείου καὶ
ἀντίληψις εἶναι.“
17 Senecas Briefe 121.14: „«Ihr behauptet», sagt man, «jedes Lebewesen mache sich zuerst mit
seiner Konstitution vertraut, die menschliche Konstitution aber sei vernunftbegabt, und daher
mache sich der Mensch mit sich nicht als ein bloß belebtes, sondern als ein vernunftbegabtes
Lebewesen vertraut. Insofern nämlich ist der Mensch sich selbst lieb und wert, als er ein Mensch
ist. Wie kann sich daher ein Kind mit einer vernunftbegabten Konstitution vertraut machen, ob-
wohl es noch gar nicht vernünftig ist?»“ (Übersetzung nach Gunermann 1988); „‘Dicitis’ inquit
‘omne animal primum constitutioni suae conciliari, hominis autem constitutionem rationalem
esse et ideo conciliari hominem sibi non tamquam animali, sed tamquam rationali: ea enim
parte sibi carus est homo qua homo est. Quomodo ergo infans conciliari constitutioni rationali
potest cum rationalis nondum sit?’“
18 Senecas Brief 121.17: „Zunächst wendet sich das Lebewesen sich selbst zu: es muss nämlich
etwas da sein, worauf alles andere bezogen werden kann. Ich suche nach einem Vergnügen. Für
wen? Für mich; folglich sorge ich mich für mich. Ich meide den Schmerz. In wessen Interesse? In
meinem eigenen; folglich sorge ich für mich. Wenn ich alles aus Sorge um mich tue, hat die Sorge
um mich Vorrang vor allem anderen. Diese findet sich in allen Lebewesen, sie wird ihnen nicht
beigebracht, sondern ist angeboren.“ (Übersetzung nach Gunermann 2014); „Primum sibi ipsum
conciliatur animal; debet enim aliquid esse ad quod alia referantur. Voluptatem peto, cui? mihi:
ergo mei curam ago. Dolorem refugio, pro quo? pro me: ergo mei curam ago. Si omnia propter
curam mei facio, ante omnia est mei cura. Haec animalibus inest cunctis nec inseritur, sed in-
nascitur.“ und 121.24: „Zuallererst übergab ihnen die Natur als Rüstzeug zum Überleben die An-
passungsfähigkeit (Selbsterhaltungstrieb) und die Selbstliebe.“ (Übersetzung nach Gunermann
2014); „Primum hoc instrumentum in illa natura contulit ad permanendum, [in] conciliationem
et caritatem sui.“ Weiteres bei Dierauer 1977, 200–203.
142   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

sis-Lehre eigentlich eine Erfindung des Peripatos sei, während Pohlenz 1940 der
Meinung war, dass sich die Oikeiotes-Theorie des Peripatetikers Theophrast we-
sentlich von der (stoischen) Oikeiosis unterscheide. Danach hat Brink 1956, der
die Meinung von Pohlenz teilt, darauf hingewiesen, dass einige Bestandteile der
Oikeiosis-Lehre doch eine peripatetische Quelle besitze (aber nicht die wesentli-
chen Bestandteile). Später hat Long 1996, 250–263 Wert auf den self-perception-
Aspekt der Oikeiosis-Lehre und ihre Verbindung mit dem modernen neurologi-
schen Begriff ‘proprioception’ gelegt (S.  259), und Pembroke 1971, 114–149 hat
sich den Fragen des Übergangs von der individuellen zur sozialen Oikeiosis und
der ‘consciousness’ gewidmet19. Görgemanns 1983, 181–185 hat für eine ‘semanti-
sche Analyse’ des Begriffes plädiert und die Rezeption des Begriffes durch Areios
Didymos dargestellt. Weiter hat Engberg-Pedersen 1990 das Gewicht von Mensch
und Natur in der Oikeiosis-Theorie neu beurteilt und vertreten, dass innerhalb
des Begriffs der Oikeiosis eine Theorie der Willensfreiheit vorhanden sei. Dann
hat Sorabji 1993,122–133 sich mit der Frage auseinandergesetzt, wie wichtig der
Begriff für die moralische Unterscheidung zwischen Tieren und Menschen sei.
Forschner 2008, 186 hat seinerseits eine für diese Arbeit ausschlaggebende Idee
entwickelt: „Wir sind heute an den Gedanken gewöhnt, dass der Prozess persona-
ler Identitätsfindung mit einer Abgrenzung unseres Selbst von seiner Umgebung
verbunden ist. (…) Für die Stoiker stellt er (der Oikeiosis-Begriff) sowohl eine
zunehmende Ein- und Abgrenzung als auch eine progressive Ausdehnung des
Selbst dar“. Vigo 2012 hat einen Band mit mehreren Beiträgen herausgegeben,
die sich mit der Frage der Oikeiosis als „natürlicher Basis der Moralität“ ausein-
andersetzt, und jüngst hat Schmitz 2014 den Begriff in Ciceros De finibus im Licht
peripatetischer Philosophie des 1. Jh. v. Chr. kontextualisiert.
Eine zweite Ebene der Oikeiosis-Theorie betrachtet die Frage, ob diese Wahr-
nehmung und Erfassung des Eigenen auch in Beziehung zu anderen Wesen exis-
tiert – die sogenannte soziale Oikeiosis. Von Zenon an ist zu erkennen, dass eine
moralische Beziehung unter den Menschen Weisheit in ihnen voraussetzt20. Da
sich dieses Argument außerhalb eines erklärenden Kontexts findet, ist es schwie-
rig zu sagen, was er damit genau sagen wollte. Später wird eine ähnliche Idee von
Chrysipp aufgegriffen und zwar, dass Tiere aufgrund ihrer Oikeiosis eine Art Zuge-

19 „Oikeiosis and allotriosis are, as this statement confirms, the conditions without which con-
sciousness could not arise“ S.140.
20 Diog. Laert. 7.33: „Dementsprechend macht er im Staat allein die Tugendhaften zu wirklichen
Mitbürgern, Freunden, Angehörigen und Freien, so dass nach den Stoikern Eltern und Kinder,
da sie nicht weise sind, einander hassen.“ (Übersetzung nach Jürß 2010); „Πάλιν ἐν τῇ Πολιτείᾳ
παριστάντα πολίτας καὶ φίλους καὶ οἰκείους καὶ ἐλευθέρους τοὺς σπουδαίους μόνον, ὥστε τοῖς
στωικοῖς οἱ γονεῖς καὶ τὰ τέκνα ἐχθροί· οὐ γάρ εἰσι σοφοί.“
 Bisherige Forschung über den Oikeiosis-Begriff   143

hörigkeitsgefühl nicht nur zu sich selbst, sondern auch zu ihren Nachkommen21


empfinden. Hierokles ist derjenige, der am ausführlichsten die Idee einer mora-
lischen Gemeinschaft zwischen Menschen vertritt. Für den späteren stoischen
Philosophen stehen die Menschen in einem von mehreren moralischen Kreisen
geformten System, indem der erste Kreis das Selbst umfasst, der zweite die engere
Familie (Mutter, Vater und Kinder), der dritte die gesamte Familie, der vierte die
Gemeinde, der fünfte das eigene Volk und der äußerste alle Menschen22. Diese
Theorie des Kosmopolitismus geht davon aus, dass jeder jeden und somit alle
Menschen als eigen wahrnehmen und erfassen kann und dass diese Möglichkeit,
an dem Anderen sich selbst zu erkennen, die Basis einer moralischen Beziehung
zwischen den Menschen ist. Das gleiche Motiv der sozialen Kreise wird auch von
Cicero verwendet23.

21 Chrysipp SVF iii. 179 – Plutarch De stoic. repug. 12.1038B: „that we from the moment of birth
we have a natural congeniality to ourselves, to our members, and to our own offspring“ (Überset-
zung nach Cherniss 1968; „οἰκειούμεθα πρὸς αὑτοὺς εὐθὺς γενόμενοι καὶ τὰ μέρη καὶ τὰ ἔκγονα
τὰ ἑαυτῶν“).
22 Ramelli 2009, 91 (Stobaeus Florileg. 4.84, 23 (Vol. III p. 134, 1 Meineke): „For each of us,
most generally, is circumscribed as though by many circles, some smaller, some larger, some
surrounding others, some surrounded, according to their different and unequal relations to one
another. The first and closest circle is that which each person draws around his own mind, as the
center: in this circle is enclosed the body and whatever is employed for the sake of the body. For
this circle is the shortest and all but touches its own center. The second after this one, standing
further away from the center and enclosing the first, is that within our parents, siblings, wife,
and children are ranged. Third, after these, is that in which there are uncles and aunts, grand-
fathers and grandmothers, the children of one’s siblings, and also cousins. After this comes the
one that embraces all other relatives. Next upon this is the circle of the members of one’s fellow
citizens, and so, finally that of those who border one’s city and that of people of like ethnicity.
The furthest out and largest one, which surrounds all the circles, is that of the entire race of
human beings.“ (Übersetzung nach Ramelli und Konstan 2009); „ὅλως γὰρ ἕκαστος ἡμῶν οἷον
κύκλοις πολλοῖς περιγέγραπται, τοῖς μὲν σμικροτέροις, τοῖς δὲ μείζοσι, καὶ τοῖς μὲν περιέχουσι,
τοῖς δὲ περιεχομένοις, κατὰ τὰς διαφόρους καὶ ἀνίσους πρὸς ἀλλήλους σχέσεις. πρῶτος μὲν γάρ
ἐστι κύκλος καὶ προσεχέστατος, ὃν αὐτός τις καθάπερ περὶ κέντρον τὴν ἑαυτοῦ γέγραπται
διάνοιαν· ἐν ᾧ κύκλῳ τό τε σῶμα περιέχεται καὶ τὰ τοῦ σώματος ἕνεκα παρειλημμένα. σχεδὸν
γὰρ ὁ βραχύτατος καὶ μικροῦ δεῖν αὐτοῦ προσαπτόμενος τοῦ κέντρου κύκλος οὗτος. δεύτερος
δὲ ἀπὸ τούτου καὶ πλέον μὲν ἀφεστὼς τοῦ κέντρου, περιέχων δὲ τὸν πρῶτον, ἐν ᾧ τετάχαται
γονεῖς ἀδελφοὶ γυνὴ παῖδες. ὁ δ' ἀπὸ τούτων τρίτος, ἐν ᾧ θεῖοι καὶ τηθίδες, πάπποι τε καὶ
τῆθαι, καὶ ἀδελφῶν παῖδες, ἔτι δὲ ἀνεψιοί. μεθ' ὃν ὁ τοὺς ἄλλους περιέχων συγγενεῖς. τούτῳ
δ' ἐφεξῆς ὁ τῶν δημοτῶν καὶ μετ' αὐτὸν ὁ τῶν φυλετῶν, εἶθ' ὁ πολιτῶν, καὶ λοιπὸν οὕτως ὁ
μὲν ἀστυγειτόνων, ὁ δὲ ὁμοεθνῶν. ὁ δ' ἐξωτάτω καὶ μέγιστος περιέχων τε πάντας τοὺς κύκλους
ὁ τοῦ παντὸς ἀνθρώπων γένους.“
23 Cicero de fin. 5.65: „Bei allem sittlich Guten, über das wir sprechen, gibt es aber nichts, was
glanzvoller, und nichts, was weiter verbreitet wäre, als die Verbindung von Menschen miteinan-
144   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

Diese Idee geht sehr wahrscheinlich aus der in Porphyrios’ DA zitierten


Passage des Theophrast, in welcher ein ähnlicher Begriff – Oikeiotes24 – erklärt
wird, hervor. Es gibt eine lange Debatte, die versucht, die Beziehung zwischen
Theophrasts Begriff der Oikeiotes und dem Begriff Oikeiosis zu bewerten. Von
Arnim und Dirlmeier25 waren der Meinung, dass Oikeiosis auf Oikeiotes basiert,
aber Pohlenz und danach Brink haben erfolgreich gezeigt, dass beide Begriffe
verschiedener Herkunft sind und unterschiedliche Zwecke haben. Oikeiotes steht
für eine biopsychologische Verwandtschaft zwischen Tieren und Menschen,
während Oikeiosis eine psychologische Beziehung zu einem selbst darstellt, wie
Brink 1956, 140–1 erklärt: „On the contrary, the two theories are unlike in origin
and purpose. Theophrastus appears to have been as innocent of the psychologi-
cal finesse of oikeiosis, as the Stoics initially were of the scientific implications of
Theophrastus’s biology“26. In der Erklärung von Theophrast werden die Bezüge
nicht nur von Mensch zu Mensch hervorgehoben, sondern auch zu allen Tieren27.

der, ihre Interessengemeinschaft und die Menschenliebe selbst. Sie entsteht ja sogleich mit dem
Urpsrung des Menschen, weil die Eltern ihre Kinder lieben und die ganze Hausgemeinschaft
durch Ehe und Abstammung verbunden ist; von dort dringt sie allmählich nach außen, erst
durch verwandschaftliche Beziehungen, dann durch Verschwägerugen, danach durch Freund-
schaften, später duch Nachbarschaften, weiter durch Mitbürger und durch Leute, die von Staats
wegen Verbündete und Freunde sind, schließlich durch die umfassende Gemeinschaft des gan-
zen menschlichen Geschlechts.“ (Übersetzung nach Merklin 2010); „In omni autem honesto, de
quo loquimur, nihil est tam illustre nec quod latius pateat quam coniunctio inter homines homi-
num et quasi quaedam societas et communicatio utilitatum et ipsa caritas generis humani,
quae nata a primo satu, quod a procreatoribus nati diliguntur et tota domus coniugio et stirpe
coniungitur, serpit sensim foras, cognationibus primum, tum affinitatibus dende amicitiis, post
uicinitatibus, tum ciuibus et iis qui publice socii atque amici sunt, deinde totius complexu
gentis humanae“. Siehe auch de officiis 1.50–55.
24 Siehe Kapitel 2.2.4 für eine Übersetzung der relevanten Stellen und eine Diskussion über den
Begriff Oikeiotes.
25 Dirlmeier 1937, 75: „Für die Lösung der Frage, wer die geschlossene Oikeiosis-Lehre in de fin.
5 geschaffen habe, bleibt also nur noch der Schluß, daß Antiochus zuverlässig berichtet hat und
daß Theophrast der Schöpfer der ersten Oikeiosis-Lehre ist.“
26 Pohlenz 1940, 13 hatte schon vorher die Differenzierung zwischen den beiden Termini im Ton
einer Kritik an Dirlmeier 1937, 88 dargestellt: „Ausführlich weist Theophrast nach, daß nicht nur
die Menschen sondern auch die Tiere uns οἰκεῖα καὶ συγγενῆ sind, weil sie dieselbe leibliche und
seelische Beschaffenheit haben und unter den gleichen Lebensbedingungen aufwachsen. Aber
er beruft sich ausschließlich auf diese objektive Verwandtschaft; von einem in unserer Natur
wurzelnden Triebe, der uns mit den anderen Lebewesen verbindet und zu ihnen hinzieht, also
von einer Oikeiosis im stoischen Sinne oder gar von einer φιλανθρωπία, die man hineingedeutet
hat, steht kein Wort da.“
27 DA 3.25.3.
 Die Stoiker bei Porphyrios   145

Aber warum sind die Tiere dann bei den Stoikern ausgeschlossen, wenn
sogar diese anerkennen, dass Tiere auch Zuneigung zu ihren Nachkommen emp-
finden? Das höchste Gesetz der stoischen Philosophie lautet ‘man soll natur-
gemäß leben’. Dierauer erklärt, wie dies für die Stoiker aussieht: „Naturgemäß
leben (κατὰ φύσιν ζῆν) bedeutet dann für den Menschen vernunftgemäß leben
(κατὰ λόγον ζῆν)“28. Das heißt vor allem, dass der Mensch sich nicht als allein-
stehendes Wesen verstehen soll, und ferner, dass er einen möglichen Bezug zu
allen anderen vernünftigen Wesen herstellen kann, indem er sie als sein eigen
erfassen kann. Die Tiere hätten hingegen keinen Zugang zur Welt der Vernunft
und dadurch stünden sie vom Prinzip her außerhalb jeglicher moralischen Be-
ziehung zu vernünftigen Wesen. Die Differenzierung zwischen Tieren und Men-
schen spielte eine große Rolle in der stoischen Ethik und taucht immer wieder
als ein Kriterium auf, um darzulegen, was die echten Güter der Menschen seien,
nämlich alles, was allein den Menschen eigen ist.29

3.2 Die Stoiker bei Porphyrios

3.2.1 Erster stoischer Einwand

Im ersten Kapitel (1.4) der Doxographie der Gegner des Vegetarismus (1.4–26)
findet sich ein Argument, das von den Stoikern stammt. Die Paragraphen vier bis
sechs zielen darauf ab, eine Wiedergabe einiger Argumente der Stoiker und Peri-
patetiker in Bezug auf das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren zu präsen-
tieren. Warum Porphyrios sich mit stoischen Argumenten im dritten Jahrhundert
auseinandersetzt, wurde in Kapitel 2.1.3 besprochen. Das Hauptargument der
Stoiker kann wie folgt ausgedrückt werden: Falls wir eine moralische Gemein-
schaft mit den vernunftlosen Tieren teilen, werden wir entweder die Gerechtig-
keit zerstören, weil wir die Tiere verzehren und ausbeuten, oder das Leben der
Tiere leben, weil wir auf die Tiernutzung verzichten müssten. Die Zugehörigkeit

28 Vgl. Dierauer 1977, 202 und Diog. Laert. 7. 86: „Da aber allen vernunftbegabten Wesen die
Vernunft zur besseren Lebensführung verliehen wurde, fällt für sie vernunftgemäßes Leben rich-
tig mit naturgemäßem zusammen.“ (Übersetzung nach Jürß 2010); „τοῦ δὲ λόγου τοῖς λογικοῖς
κατὰ τελειοτέραν προστασίαν δεδομένου, τὸ κατὰ λόγον ζῆν ὀρθῶς γίνεσθαι ‹τού› τοις κατὰ
φύσιν·“
29 Dierauer 1977, 205: „Die Stoiker gingen soweit zu behaupten, nur das sei für den Menschen
wirklich von Wert, was ihm allein zugehöre, was er also nicht mit den Tieren teile.“ Und „(…) Das
allein ist für den Menschen das Gute, was allein ihm eigen ist“ (id … unum bonum est in homine
quod unum hominis“. Sen. epist. 76, 11).
146   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

der Tiere zu unserer moralischen und politischen Gemeinschaft steht im Mittel-


punkt dieses Arguments.
Dieser Abschnitt fängt mit dem Ausdruck „Unsere Gegner sagen“ an und endet
mit „Dies sind also die Hauptargumente der Stoiker und Peripatetiker“. Obwohl
Porphyrios die allgemeine Quelle nannte, verrät er uns nicht, welchen Autoren
die Argumente gehören, und schweigt auch darüber, aus welchen Büchern sie
stammen. In Plutarchs De sollertia animalium 963 F bis 964B ist eine Passage ent-
halten, die anscheinend wörtlich von Porphyrios zitiert wurde (γίγνεται γὰρ ἢ τὸ
ἀδικεῖν… bis zu …ᾧ καθ' Ἡσίοδον). Interessanterweise zitiert Porphyrios weder
Anfang noch Schluss dieser Passage wörtlich, sondern vermittelt uns ein leicht
abgeändertes Argument, das so nicht bei Plutarch zu finden ist. Die Analyse der
Passage wird zeigen, was die wichtigsten Ähnlichkeiten und Unterschiede zwi-
schen den beiden Stellen sind, und was dies zum Verständnis der Oikeiosis-Lehre
bei Porphyrios beiträgt.
Auf der nächsten Seite sind die beiden Passagen zum Vergleich gegenüberge-
stellt, um ihre Unterschiede hervorzuheben (Tab. 7).
Nunmehr muss noch gezeigt werden, wo und auf welche Weise die Texte
des Porphyrios und Plutarch auf verschiedene Argumentationsgänge hinwei-
sen. Plutarch bemühte sich zu argumentieren, dass die Tiere eine Art Vernunft
besitzen. Die Mehrheit der Argumente dieser Art werden in der Schrift von dem
Charakter Autobulos vertreten. Sein Gesprächspartner, Soklaros, hingegen bringt
oft Einwände und Argumente anderer philosophischer Schulen, vor allem der
Stoiker. An dieser Stelle versucht er zu beweisen, dass es die Gerechtigkeit nicht
mehr geben würde, falls auch die Tiere vernünftig wären, weil wir dann entweder
notwendigerweise ungerecht handeln oder das Leben der Tiere leben müssten30.
Die „Gegner“ bei Porphyrios vertreten eine andere Meinung. Sie behaupten,
dass die Gerechtigkeit verwirrt würde, falls wir zu den Tieren eine ähnliche Be-
ziehung hätten, wie zu den Menschen und Göttern. Ob sie vernünftig sind oder
nicht, spielt an dieser Stelle bei Porphyrios eine geringere Rolle in Bezug auf das
Hauptargument, bzw. es steht aus der Perspektive des Gegners fest: sie sind es
nicht.

30 Die Fortführung der oben zitierten Stelle, die beinahe wörtlich von Porphyrios (DA 1.4.4) zi-
tiert wird, lautet: „Es wird nämlich für uns entweder das Ungerechte notwendig, wenn wir keine
Rücksicht auf sie nehmen; oder das Leben wird unmöglich und unzugänglich, wenn wir sie nicht
nutzen; und wir werden gewissermaßen die Lebensart der Tiere leben, falls wir die Nutzung der
Tiere aufgeben.“; „γίγνεται γὰρ ἢ τὸ ἀδικεῖν ἀναγκαῖον ἡμῖν ἀφειδοῦσιν αὐτῶν, ἢ μὴ χρωμένων
αὐτοῖς τὸ ζῆν ἀδύνατον καὶ ἄπορον· καὶ τρόπον τινὰ θηρίων βίον βιωσόμεθα, τὰς ἀπὸ τῶν θηρίων
προέμενοι χρείας“ (De sollertia animalium 964 A).
 Die Stoiker bei Porphyrios   147

Tab. 7

Plutarch De sollertia animalium 963F–964A Porphyrios DA 1.4.1–3

„Soklaros: du scheinst mir richtig in deiner 1.4.1 „Sofort also sagen unsere Gegner,
Vermutung zu liegen. Denn die Stoiker und dass die Gerechtigkeit verwirrt und das, was
die Peripatetiker strengen sich argumentativ nicht bewegt werden soll, bewegt wird, falls
eher in die gegenteilige Richtung an, dass wir das Gerechte nicht nur auf die vernünf-
die Gerechtigkeit wohl dann nicht entstehen tigen, sondern auch auf die vernunftlosen
dürfte, sondern durchaus ungeordnet und Wesen ausdehnen, 2 indem wir glauben, dass
ohne festen Bestand vorhanden sein dürfte, nicht nur Menschen und Götter mit uns in
falls alle Tiere an der Vernunft Anteil hätten.“ Beziehung stehen, sondern uns auch zu den
vernunftlosen wilden Tieren, die keine Bezie-
hung zu uns besitzen, in vertrauter Weise
verhalten und wir nicht die einen zur Arbeit
benützen, die anderen zur Speise, indem
wir sie als Wesen fremder Art und unserer
Gemeinschaft wie auch unseres Staates
Unwürdige betrachten. 3 Denn derjenige, der
diese Wesen wie Menschen behandelt, indem
er sie schont und sie nicht schädigt, hängt
der Gerechtigkeit etwas an, was sie nicht
tragen kann, und richtet ihre Möglichkeit
zugrunde und vernichtet das Eigene durch
das Fremde.“

„ΣΟΚΛ. Ὀρθῶς μοι δοκεῖς ὑπονοεῖν· οἱ 1.4.1 „εὐθὺς τοίνυν φασὶν οἱ ἀντιλέγοντες


γὰρ ἀπὸ τῆς Στοᾶς καὶ τοῦ Περιπάτου μάλιστα τὴν δικαιοσύνην συγχεῖσθαι καὶ τὰ ἀκίνητα
πρὸς τοὐναντίον ἐντείνονται τῷ λόγῳ, τῆς κινεῖσθαι, ἐὰν τὸ δίκαιον μὴ πρὸς τὸ λογικὸν
δικαιοσύνης τότ᾽ ἄν γένεσιν οὐκ ἐχούσης, μόνον τείνωμεν, ἀλλὰ καὶ πρὸς τὸ ἄλογον·
ἀλλὰ παντάπασιν ἀσυστάτου καὶ ἀνυπάρκτου 2 οὐ μόνον τοὺς ἀνθρώπους καὶ τοὺς θεοὺς
γινομένης, εἰ πᾶσι τοῖς ζῴοις λόγου μέτεστι·“ προσήκοντας ἡγούμενοι, οἰκείως δὲ καὶ πρὸς
τὰ ἄλλα θηρία τὰ μηδὲν ἡμῖν προσήκοντα
ἔχοντες, καὶ οὐχὶ τοῖς μὲν πρὸς ἔργον
χρώμενοι, τοῖς δὲ πρὸς ἐδωδήν, ἔκφυλα
καὶ ἄτιμα τῆς κοινωνίας καθάπερ πολιτείας
νομίζοντες. 3 ὁ γὰρ καθάπερ ἀνθρώποις
καὶ τούτοις χρώμενος φειδόμενός τε καὶ
μὴ βλάπτων, προσάπτων τῇ δικαιοσύνῃ ὃ
μὴ δύναται φέρειν, καὶ τὸ δυνατὸν αὐτῆς
ἀπόλλυσι καὶ διαφθείρει τῷ ἀλλοτρίῳ τὸ
οἰκεῖον.“
148   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

Obwohl in den zwei Passagen zwei verschiedene Thesen verteidigt werden,


ist der Wortschatz trotzdem ähnlich. Das Wort „Gerechtigkeit“ dient (bei Plutarch
in einer Genitivus-Absolutus-Konstruktion und bei Porphyrios als AcI) als Kern
beider Argumentationen, aber bei Porphyrios taucht auch „τὸ δίκαιον“ als
Subjekt des Nebensatzes auf, der uns zeigt, dass Porphyrios’ Text von der Be-
rücksichtigung von Tieren und nicht von der Tiervernunft handelt. Außer-
dem ist es wichtig anzumerken, dass sich das bei Plutarch verwendete Verb
„ἐντείνομαι“ bei Porphyrios als „τείνω“ widerspiegelt. Obwohl „ἐντείνομαι“ und
„τείνω“ grundsätzlich verschiedene Bedeutungen haben, ist es nicht unwahr-
scheinlich, dass Porphyrios beim Rezipieren der genannten Passage eine Ins-
piration an dem von Plutarch gewählten Wort ἐντείνομαι gefunden hat. Τείνω
ist bei Porphyrios ein zentrales Verb, weil es die Möglichkeit ausdrückt, die Ge-
rechtigkeit auf andere Tiere auszudehnen. Dieser fast visuelle Effekt der Aus-
dehnung der moralischen Verantwortung von einer Gruppe auf eine andere ist
durchaus eine mächtige Metapher der moralischen Berücksichtigung der Tiere,
die bei Plutarch nicht in Verbindung mit diesem Verb vorkommt. Die Nutzung
des Potenzials dieser Metapher als „räumliche Terminologie“ der moralischen
Beziehungen zwischen Menschen und Tieren wird sich als ein wiederkehrendes
Motiv bei Porphyrios zeigen. In den nächsten Kapiteln wird darauf eingegangen,
wie er seine Argumentation mithilfe solcher räumlicher Terminologie aufgebaut
hat.
Die Passage bei Plutarch spricht, wie oben angedeutet, über den Anteil der
Tiere an der Vernunft und ist so zu verstehen, dass die Menschen und Götter
die einzigen sind, die daran Anteil haben. Es ist nirgendwo direkt die Rede
von einer Oikeiosis zwischen Menschen, Göttern und Tieren. Wiederum ist bei
­Porphyrios die Nutzung des Adverbs οἰκείως ausschlaggebend, denn dadurch
wird das Hauptargument korrekt eingeordnet. Letzlich geht es an beiden Stellen
um die Oikeiosis-Theorie. Porphyrios lässt mehr Raum für die Ausführung der
Argumentation und verknüpft die Frage der Gerechtigkeit den Tieren gegen-
über nicht nur mit der Nicht-Entstehung der Gerechtigkeit, wie Plutarch es tut,
sondern auch mit anderen Aspekten, wie der Beziehung zwischen Artgenossen
und sogar mit politischen Verhältnissen zwischen Menschen (ἔκφυλα καὶ ἄτιμα
τῆς κοινωνίας καθάπερ πολιτείας νομίζοντες). Am Ende macht er erneut eine
klare Aussage, die eine Verbindung zur stoischen Oikeiosis-Theorie herstellt:
Wenn man Tiere gerecht behandelt, wird man das Eigene durch das Fremde
vernichten (καὶ τὸ δυνατὸν αὐτῆς ἀπόλλυσι καὶ διαφθείρει τῷ ἀλλοτρίῳ τὸ
οἰκεῖον).
Die Zuordnung des stoischen Arguments in 1.4, die mehr Wert auf die Zu-
gehörigkeit der Tiere zu der menschlichen Sphäre als auf die Vernunft der Tiere
legt, zeigt, dass Porphyrios bereits während des ersten Einwandes seine eigene
 Die Stoiker bei Porphyrios   149

Interpretation des Begriffes prägen will. Denn letztlich handelt es sich hier um
eine stoische Meinung, die durch die Terminologie von Porphyrios wiedergege-
ben wird. Damit beabsichtigt er, Licht auf die Seite der Oikeiosis-Lehre, die für
ihn brauchbarer ist, zu werfen. Dies ist der Aspekt der moralischen Verhältnisse
zwischen unterschiedlichen Wesen, die durch räumliche Metaphern ausgedrückt
werden. Diese Interpretation der Passage unterstützt die Meinung, dass Porphy-
rios die Einwände seiner Gegner ernst genommen hat und dass er die Argumente
dialektisch erwidert hat, indem er sie zuerst präsentiert, danach auf die Fehl-
schlüsse hinweist und schließlich eine Lösung aus der Konfrontation mit anderen
Ideen eingeführt hat.

3.2.2 Weitere stoische Einwände

Außer der oben besprochenen Passage nimmt die Auseinandersetzung mit den
Stoikern im dritten Buch einen wichtigen Platz ein. Von dessen 27 Kapiteln sind
nur drei ganz Porphyrios zuzurechnen und zwar die Einleitung (3.1) und der
zusammenfassende Abschluss (3.26–7). Die Passagen dazwischen sind laut BP
1979, 138–9 weitgehend abgeschrieben oder paraphrasiert worden. Der Inhalt
der Mehrheit dieser Passagen ist entweder die Darstellung oder die Widerlegung
einer stoischen Meinung. Die französischen Editoren identifizieren die Quellen
dieses Buches folgendermaßen: 3.2.1 bis 3.18.2: Unbekannte akademische Schrift;
3.18.3 bis 3.20.6: Fragment von Plutarch (fr. 193 Sandbach); 3.20.7 bis 3.24.5:
Exzerpt aus Plutarch De sollertia animalium 2–5; 3.25.1 bis 3.25.4: Fragment von
Theophrast. Zusätzlich ordnen sie die Unterkapitel 3.26.8–9 und 3.27.9–10 als Ex-
zerpte Plutarch Sept. sap. conv. 160A–C zu.
BP 1979, 138–143 sind der Meinung, dass die Partie 3.2–18 so viele Ähnlich-
keiten mit Philon von Alexandria De animalibus 10–75 und Sextus Empiricus
Pyrrhoniae hypotyposes 1.62–77 aufweist, dass eine gemeinsame Quelle für die
drei Autoren existiert zu haben scheint. Clark 2000, 163 dagegen bezweifelt,
dass es eine gemeinsame schriftliche Quelle für die drei Schriften gegeben
hat: Es handle sich um eine allgemeine Fragestellung über die Tiervernunft,
die in diesem philosophischen Milieu gängig gewesen sei. Alle drei Schriften
enthalten ebenfalls stoische Einwände gegen die Tiervernunft. Dierauer 1977,
269–270 glaubt, dass die Übereinstimmung einiger Stellen von Porphyrios und
Sextus „ein schlagender Beweis für die direkte oder indirekte Abhängigkeit
von der gleichen Vorlage“ sei, ist aber insgesamt folgender Meinung: „spätes-
tens am Anfang des 1.  Jh.  n. Chr. gab es also bereits ein festes Argumentati-
onsschema für den Nachweis der Tiervernunft, das die späteren Texte im we-
sentlichen beibehielten“. Ob es eine zugrundeliegende, uns nicht bekannte
150   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

Quelle31 gegeben hat, kann man nicht wissen. Was man aber noch erkennen
kann, ist, dass der Ideenaustausch zwischen den Stoikern und anderen Schulen
– vor allem der platonischen – die Frage der Tiervernunft als wesentliche Frage
gestellt hat. Dies ist in den meisten Fällen ebenfalls mit der Frage der Tierethik
verbunden, wie Sorabji 1993 passim bereits analysiert hat.
Hier sollen die in dieser Partie behandelten Themen zusammenfassend dar-
gestellt werden:
1. die Darstellung der verschiedenen Arten von Logos (προφορικός und
ἐνδιάθετος);
2. die Erwägung, welche Tiere welche logos besitzen und welche nicht (3.2–1-3);
3. die Behauptung, dass Tiere aufgrund der Philautia der Menschen als ver-
nunftlos bezeichnet werden (3.2.4);
4. ausführliche Diskussion des λόγος προφορικός mit verschiedenen Verglei-
chen zwischen den Sprachen der Menschen und den Sprachen der Tiere, mit
dem Schluss, dass man die Sprache der Tiere genauso nicht versteht, wie
man andere menschliche Sprachen nicht versteht (3.3);
5. Diskussion der Möglichkeit, die Sprache der Tiere zu deuten (Tiere können
aufrufen, freundlich wirken, zeigen, dass sie gefüttert werden wollen und
andere Botschaften vermitteln; 3.4);
6. Darstellungen von engen Verbindungen zwischen Menschen und Tieren und
wie sie sich auch ohne eine gemeinsame Sprache verstehen (3.5.1;6–7), sowie
die Aussage, dass die Vernunft nicht in der Sprache liegt, da Gott trotz seines
Schweigens sicherlich vernünftig ist (3.6.4–6);
7. Demonstration mit verschiedenen Beispielen, dass Tiere logisch denken und
lernen können (3.6.1–5);
8. Diskussion über den λόγος ἐνδιάθετος und Einführung der Idee, dass Tiere
logos in einer anderen Weise als Menschen besitzen (3.7.1; 3.8.7–8), sowie Hin-
weise auf die Ähnlichkeiten des menschlichen und tierischen Körpers und
der Seele (3.7.2–7; 3.8.1–6);
9. Beweis durch verschiedene Beispiele, dass Tiere eine vernünftige Seele
haben (viele Parallelen mit dem Stoiker Hierokles; 3.9);
10. Tiere besitzen von Natur aus logos, da logos nicht erlernbar ist (3.10.1–3), Erin-
nerung (3.10.3), Untugenden (3.10.4; 3.13.3), und andere Fähigkeiten (3.10.5–7;
3.15.1);
11. Tiere besitzen ebenfalls Tugenden (3.11.1–3; 3.13.2–3);

31 Wie Tappe 1912, 49–54 vorschlägt, dass die stoischen Einwände gegen eine wahrscheinlich
von Karneades geschriebene Schrift gerichtet sind.
 Die Stoiker bei Porphyrios   151

12. allgemeines Plädoyer für die Soziabilität der Tiere und verschiedene Bei-
spiele, wie sie an unserer Gesellschaft teilnehmen, aber keine gerechte Be-
handlung erfahren (3.12.1–5);
13. Kritik an der epikureischen Lehre, dass Tiere keinen Vertrag mit den Men-
schen schließen können, und die Aussage, dass Tiere Sklaven der Menschen
sind (3.13.1–2);
14. Tiere verfügen über Entscheidungsvermögen (3.14.1);
15. Tiere haben keine politischen oder bürgerlichen Aktivitäten, aber viele Men-
schen haben sie auch nicht (3.15.4–5);
16. Geschichten über die Verbindungen zwischen Tieren und Göttern (3.16.1–7);
17. Erzählungen über Tiere, die Menschen erzogen haben und andere, die den
Göttern ihre Epitheta gegeben haben (3.17.1–2).

Für unsere Untersuchung sind aber die meisten Aspekte, die in den Kapiteln 3.2
bis 3.17.3 dargestellt werden, nicht relevant, da es sich hauptsächlich um die
Frage der Tiervernunft und nicht direkt um die Frage der sozialen Oikeiosis
handelt. Selbstverständlich ist die Tiervernunft ein wesentlicher Aspekt der
Theorie der Oikeiosis, da laut den Stoikern das ausschlaggebende Kriterium für
die soziale Oikeiosis die Teilnahme am logos ist. Aber unser Interesse liegt mehr
an der Analyse der Terminologie des dynamischen Prozesses der Ausdehnung
der Gerechtigkeit auf andere Wesen. Deswegen werden hier die einzelnen Fragen
der Tiervernunft nicht näher untersucht. Zudem wurde diese Thematik bereits
mehrfach bearbeitet, wie z.  B. von Sorabji 1993, 7–107, Labarrière in Cassin und
Labarrière 1997, 259–279, Newmyer 2013, 10–46 und Osborne 2009, 63–98.
3.18.1–2 bildet einen Übergang von der bis hierher zitierten Quelle (oder
Quellen, da man nicht sicher sein kann, wie viele Quellen Porphyrios benutzt
hat) zum nächsten Abschnitt, der Plutarch zugeschrieben wird. Diese Stellen be-
reiten scheinbare Schwierigkeiten für die auch in dieser Arbeit akzeptierte Ar-
gumentation von Edwards 2014, dass für Porphyrios Tiere vernunftlos sind und
der Inhalt des dritten Buches eine dialektische Auseinandersetzung mit den Stoi-
kern darstellt. Denn hier zeigt sich Porphyrios als Doxograph und gibt mit seinen
eigenen Worten Hinweise, dass er bisher ledglich seine Quellen wiedergegeben
hat32 und dass er weiter fremde Autoren zitieren bzw. paraphrasieren wird33. Die

32 DA 3.18.1: „These arguments, and others which I shall report in turn while surveying what
the ancients said (…)“ (Übersetzung nach Clark 2000); „διὰ μὲν τούτων καὶ ἄλλων, ὧν ἑξῆς
μνησθησόμεθα τὰ τῶν παλαιῶν ἐπιτρέχοντες (…).“
33 3.18.3: „To begin with, as Plutarch also says, if our nature has need of some things and we
make use of them, we should not therefore extend injustice to every length and against all [crea-
152   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

Schwierigkeit liegt nun darin, dass zwischen diesen zwei deutlichen Hinweisen
ein kleiner Exkurs über die Eigenschaften der Tiere und der Pflanzen dargebracht
wird, in welchem sowohl die vernünftige Natur der Tiere als auch die vernunft-
lose Natur der Pflanzen bestätigt werden34. Es ist nicht zu bezweifeln, dass diese
Paragraphen aus der Feder des Porphyrios stammen, da die Art und Weise des
Zitierens und die Terminologie seinem Stil entsprechen und die Nutzung des
Verbs παρατείνω mit τὸ τῆς δικαιοσύνης die „räumliche Terminologie“ der Aus-
dehnung der Gerechtigkeit verwendet, wie unten systematisch gezeigt wird. Um
diese Stellen jedoch mit dem Abschluss des Buches (DA 3.26–27) in Einklang zu
bringen, muss man davon ausgehen, dass Porphyrios nur mit dem stoischen
Begriff des Logos arbeitet und sich bemüht, innerhalb des stoischen Systems
die Gerechtigkeit auf die Tiere auszudehnen. An dieser Stelle geht es nicht um
seine persönliche Haltung zur Vernunft der Tiere oder Pflanzen, sondern um die
dialogische Auseinandersetzung mit den bisher zitierten stoischen Einwänden.
Diese Position kann man besonders aufgrund der folgenden Wortwahl des Por-
phyrios vertreten: „Wenn aber die Gerechtigkeit für vernünftige Lebewesen gilt,
wie unsere Gegner sagen, warum gilt dann unserer Auffassung nach die Gerech-
tigkeit nicht auch für sie (die Tiere)?“35. An dieser Stelle hebt er noch einmal seine
dialektische Haltung hervor, indem er deutlich darauf hinweist, dass er sich im
Streitgespräch mit den Stoikern befindet (καθάπερ φασὶν οἱ ἀντιλέγοντες). Weiter
wird in Kapitel 3.6 auf die Diskussion eingegangen, ob und inwiefern Porphyrios
Pflanzen ethisch berücksichtigt.

tures].“ (Übersetzung nach Clark 2000); „ἀρχὴν δέ, ὡς καὶ Πλούταρχος φησίν, οὐκ ἐπεὶ δεῖταί
τινων ἡμῶν ἡ φύσις καὶ χρώμεθα τούτοις, ἤδη ἐπὶ πᾶν προακτέον καὶ πρὸς πάντα τὴν ἀδικίαν.“
34 3.18.1–2 „… show that animals are rational; in most of them logos is imperfect, but it is cer-
tainly not wholly lacking. (…) We shall not extend concern for justice as far as plants, because
they appear to be quite incompatible with logos. Yet there too we are accostumed to make use
of the fruits, but not to cut down the tree with the fruit, and we harvest grain and pulses when
they are dried out and falling to the ground and dead, whereas no one would eat an animal that
has died, except for fish, and those who we kill by violence. So there is great injustice there.“
(Übersetzung nach Clark 2000); „… δείκνυται λογικὰ ὄντα τὰ ζῷα, τοῦ λόγου ἐν τοῖς πλείστοις
ἀτελοῦς μὲν ὄντος, οὐ μὴν παντελῶς ἐστερημένου. (…). οὐ γὰρ καὶ πρὸς τὰ φυτὰ παρατενοῦμεν
τὸ τῆς δικαιοσύνης, διὰ τὸ φαίνεσθαι πολὺ τὸ πρὸς τὸν λόγον ἀσύγκλωστον. καίτοι κἀνταῦθα τοῖς
καρποῖς χρῆσθαι εἰώθαμεν, οὐ μὴν σὺν τοῖς καρποῖς κατακόπτειν καὶ τὰ πρέμνα. τὸν δὲ σιτικὸν
καρπὸν καὶ τὸν τῶν χεδρόπων αὐανθέντα καὶ εἰς γῆν πίπτοντα καὶ τεθνηκότα συλλέγομεν, ζῴων
δὲ τὰ θνησείδια [πλὴν τῶν ἰχθύων, ἃ καὶ αὐτὰ βίᾳ ἀναιροῦμεν] οὐκ ἄν τις προσενέγκαιτο· ὥστε
πολὺ τὸ ἄδικον ἐν τούτοις.“
35 3.18.1 „τῆς δὲ δικαιοσύνης πρὸς τὰ λογικὰ οὔσης, καθάπερ φασὶν οἱ ἀντιλέγοντες, πῶς οὐχὶ
καὶ πρὸς ταῦτα εἴη ἂν ἡμῖν τὸ δίκαιον“
 Die Stoiker bei Porphyrios   153

Ab 3.18.3 greift Porphyrios wieder auf Plutarch zurück. Obwohl diese Stellen
mit keiner unabhängigen Überlieferung von Plutarch verglichen werden können,
ist deutlich, dass es um die Nutzung eines längeren Plutarch-Textes aufgrund der
Benennung der Quelle (ὡς καὶ Πλούταρχός φησιν) geht. Sandbach 1967 bezeich-
net die Partie 3.18.3 bis 3.20.7 als Fragment 193 eines unbekannten Buches, gegen
die Meinung von Bernays 1866 148–9, der dieses Fragment als einen Teil von De
esu carnium verstanden hat. Dieses Fragment enthält als Haupthema die morali-
sche Rücksichtnahme auf Tiere und stellt die Einwände der Stoiker als Leitmotiv
dar, wie bereits im dritten Buch geschehen ist: Das erste Thema ist die Verwir-
rung der Gerechtigkeit, die eintritt, wenn wir die Tiere gerecht behandeln (3.18.4);
danach werden die Wahrnehmung als Ursprung der Oikeiosis und die ­Oikeiosis
als Ursprung der Gerechtigkeit besprochen (3.19.2). In beiden Fällen wird die Oi-
keiosis-Lehre namentlich zitiert36. Sandbach (Fragment 193) glaubt, dass diese
Passage (3.19.2–3) ein auf Plutarch basierender Einschub des Porphyrios ist, aber
er erläutert nicht warum. Sorabji 1993, 208 spricht über eine „passage apparently
drawn from a lost discussion by Plutarch“, und Newmyer 2013, 72 verweist auf
einen möglichen Hintergrund für diese Diskussion37. Man sollte diese Stelle so
verstehen, dass Porphyrios weiter den Inhalt des Plutarch-Textes wiedergibt,
weil die Stellungnahme über die moralische Rücksichtnahme auf Pflanzen eine
andere Meinung enthält als in 3.26–27. Außerdem ist die Definition der Oikeiosis
an dieser Stelle genau dieselbe, die Plutarch De stoic. 12, 1038 C38 anbietet und
zwar, dass die Wahrnehmung der Ursprung der Oikeiosis sei. Porphyrios definiert
nirgendwo die stoische Theorie der Oikeiosis mit solchen Ausdrücken und ist
vielmehr interessiert am sozialen Aspekt der Oikeiosis-Theorie. Zuletzt wird die
Meinung des Chrysipp dargestellt, dass die Menschen für die Götter und die Tiere
für die Menschen erschaffen wurden, und verschiedene Beispiele werden einge-
fügt, die zeigen, welche Tiere nützlich für die Menschen sind und aus welchen
Gründen (3.20.1–3). Danach werden Tiere aufgezählt, die nicht für die Menschen
nützlich sind, und es folgt die Behauptung, dass Menschen Tiere auch aus Ag-

36 3.18: „Denn die Wahrnehmung ist der Ursprung aller Aneignung und Entfremdung, und die
Schüler des Zenon setzen die Oikeiosis als Ursprung der Gerechtigkeit.“; „καὶ γὰρ οἰκειώσεως
πάσης καὶ ἀλλοτριώσεως ἀρχὴ τὸ αἰσθάνεσθαι. τὴν δὲ οἰκείωσιν ἀρχὴν τίθενται δικαιοσύνης οἱ
ἀπὸ Ζήνωνος.“
37 „The Plutarchan source for Porphyry’s argument may not be altogether lost, but may perhaps
be detected behind his claim, made in the course of his proof for the rationality of animals, that
it is absurd to call one tree less intelligent than another or one vegetable more cowardly than
the next, when nature has not accorded them the faculty of thought (ἡ τοῦ φρονεῖν δύναμις, De
sollertia animalium 963A) in any degree at all.“
38 Siehe oben Kapitel 3.1.
154   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

gression, Lust oder Spaß töten, während Tiere nur aus Not und Hunger töteten
(3.20.4–6).
Das letzte Zitat aus Plutarch (3.20.7 bis 3.25.5: De sollertia animalium 959E–
963F) ist auch das einzige im dritten Buch, das eine unabhängige Überlieferung
besitzt und dadurch das einzige, das sicher zeigt, dass es sich um ein mehr oder
weniger wörtliches Zitat von Plutarch handelt. Die Analyse beider Passagen wurde
bereits von mehreren Autoren durchgeführt, insbesondere aber müssen die Er-
gebnisse des Beitrags von Pötscher hervorgehoben werden, wie in Kapitel 1.1.3.2
ausgeführt wurde. Dieses Fragment verfolgt weiter die Frage, ob Tiere aufgrund
ihrer Teilhabe an der Vernunft moralisch zu berücksichtigen sind. Die Antwort
Plutarchs ist, dass Tiere eine im Vergleich mit den Menschen niedrigere Art von
Vernunft besitzen, aber immerhin ist die Vernunft in ihnen anwesend (DA 3.22.8
bis 3.23.1–8)39.
Man darf annehmen, dass Porphyrios vor sich eine lange Tradition von Dis-
kussionen sowohl über die Tiervernunft als auch über die moralische Berücksich-
tung der Tiere insgesamt hat. Er wählt die verschiedenen Einwände der Stoiker als
Leitmotiv dieses Buches und lässt andere Autoren, insbesondere Plutarch, diesen
Einwänden widersprechen. Dabei ist es schwierig, die Stimme des Porphyrios zu
isolieren, da er vielmehr eine bereits vorhandene Diskussion wiedergibt und nur
gelegentlich neue Argumente beisteuert. Wie viel er von diesen Argumenten für
seine Ethik übernimmt, ist schwer zu beurteilen, aber die hier vorgeschlagene
Methode ist, den Kapiteln 3.1 und 3.26–7 den Vorrang zu geben in Bezug auf die
Feststellung der Ethik des Porphyrios, wie unten im Kapitel 3.6 dargestellt wird.

3.3 Die epikureische Oikeiosis

Nachdem nun die Stellen, die die Meinung der Stoiker bezüglich der Oikeiosis
und der Tiervernunft beinhalten, dargestellt wurden, wird jetzt die Position der
Epikureer, die im ersten Buch enthalten ist, näher betrachtet. Die Analyse der
Passage, die deren Meinung enthält, ist für unser Forschungsinteresse vorteil-
haft, weil in ihr sowohl der Oikeiosis-Begriff namentlich erwähnt wird als auch
ein wichtiger Baustein für die Entwicklung von Porphyrios’ räumlicher Termino-

39 Wie Newmyer 2013, 40 erkannt hat: „The concluding reflections of Autobulus and Soclarus
(962B-965D) that immediately precede the comparative analysis of the lifestyles of land and sea
animals, serve to recapitulate a number of points in Plutarch’s case for the rationality of animals,
in particular his fundamental thesis that the reasoning faculty in animals differs from that in
humans quantitatively rather than qualitatively.“
 Die epikureische Oikeiosis   155

logie vorhanden ist. Diese Diskussion wird in DA nach dem stoischem bzw. pe-
ripatetischem Einwand und vor dem des Klodios aus Neapel präsentiert. Nach
dieser Anordnung wird auch in dieser Arbeit vorgegangen.
In 1.7–12 findet sich der nur in der Schrift DA erhaltene Beitrag des Epikureers
Hermarchos, der wahrscheinlich zu dessen Schrift Gegen Empedokles gehört40.
Die Themen dieses Fragments sind die Herkunft der Gerechtigkeit, die Entste-
hung des Mordgesetzes und die Frage der Tierethik. Was die Tierethik betrifft,
wendet Hermarchos die epikureische Philosophie an und kommt zu dem Schluss,
dass Tiere nicht gerecht behandelt werden sollen, weil sie keine Vernunft besit-
zen und deshalb nicht in der Lage sind, soziale Verträge mit Menschen zu schlie-
ßen (1.12.5–6).
Besonders wichtig ist anzumerken, dass Hermarchos in diesem Fragment die
Möglichkeit in Erwägung zieht, dass die Oikeiosis ein legitimer Grund für die Ge-
meinschaft der Menschen ist. Selbstverständlich übernimmt er diese Erklärung
nicht als Hauptgrund dafür, aber er ist bereit, der Oikeiosis eine Nebenrolle zuzu-
schreiben, wie hier zu sehen ist:

1.7.1 „Die Epikureer sagen, als ob sie eine gewaltige Genealogie durchgingen, dass die
alten Gesetzgeber, nachdem sie die Gemeinschaftlichkeit des Lebens der Menschen und
ihre Handlungen zueinander in Betracht gezogen haben, das Schlachten eines Menschen
als unheilig bezeichneten und besondere Strafen daran knüpften, vielleicht weil irgend-
ein Sinn natürlicher Zugehörigkeit (Oikeiosis) zwischen den Menschen vorhanden ist,
aufgrund ihrer Ähnlichkeit der Gestalt und der Seele, so dass uns das Töten eines solchen
Wesens nicht so leicht fällt wie das Töten eines anderen Wesens von denen, die (zu töten)
erlaubt ist. 2 Aber der Hauptgrund, warum dieses verabscheut und als unheilig bezeichnet
wurde, war, dass es in Hinsicht auf die gesamte Ordnung des Lebens als nicht nützlich
angesehen wurde.41“

Viele Autoren sehen die Nutzung des Begriffes Oikeiosis in diesem Zusammen-
hang als einen Einschub des Porphyrios (Pembroke 1971, 147; Long und Sedley
1987, 137), da Hermarchos älter als Chrysipp ist und die Doktrin der sozialen
Oikeiosis normalerweise Chrysipp zugeschrieben wird. Vander Waerdt 1988

40 Obbink 1988. Siehe das Kapitel 1.1.4 für eine ausführlichere Diskussion über die Autorschaft
der Schrift.
41 „οἱ δὲ ἀπὸ τοῦ Ἐπικούρου ὥσπερ γενεαλογίαν μακρὰν διεξιόντες φασὶν ὡς οἱ παλαιοὶ
νομοθέται, ἀπιδόντες εἰς τὴν τοῦ βίου κοινωνίαν τῶν ἀνθρώπων καὶ τὰς πρὸς ἀλλήλους πράξεις,
ἀνόσιον ἐπεφήμισαν τὴν ἀνθρώπου σφαγὴν καὶ ζημίας οὐ τὰς τυχούσας προσῆψαν, τάχα μὲν
καὶ φυσικῆς τινὸς οἰκειώσεως ὑπαρχούσης τοῖς ἀνθρώποις πρὸς ἀνθρώπους διὰ τὴν ὁμοιότητα
τῆς μορφῆς καὶ τῆς ψυχῆς εἰς τὸ μὴ προχείρως φθείρειν τὸ τοιοῦτον ζῷον ὥσπερ ἕτερόν τι τῶν
συγκεχωρημένων· οὐ μὴν ἀλλὰ τήν γε πλείστην αἰτίαν τοῦ δυσχερανθῆναι τοῦτο καὶ ἀνόσιον
ἐπιφημισθῆναι τὸ μὴ συμφέρειν εἰς τὴν ὅλην τοῦ βίου σύστασιν ὑπολαβεῖν.“
156   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

ist gegen diese Meinung und plädiert dafür, dass das Wort Oikeiosis doch von
Hermarchos stamme und dieser eine Anpassung der stoischen an die epikure-
ische Philosophie unternehme. Die Ansicht von Vander Waerdt begründet sich
darin, dass er 1.10 (insbesondere die Stelle ὅπως ἀπεχόμενοι τοῦ συγγενοῦς
διαφυλάττωσι τὴν κοινωνίαν) als eine weitere Erklärung des in 1.7.1 zitierten Be-
griffes Oikeiosis ansieht. Er ist der Meinung, dass Hermarchos eine natür­liche
Verwandtschaft zwischen Menschen annimmt, die durch den Begriff Oikeiosis
ausgedrückt werde, sie aber nicht als Ursprung der Gerechtigkeit ansieht, da eine
Gesellschaft nur zwischen Wesen möglich sei, die bereit seien, für das Überle-
ben der Gemeinde zu agieren42. Es wurde bereits die Frage gestellt, ob der von
Hermarchos gemeinte Begriff Oikeiotes statt Oikeiosis gewesen sei, da seine
kurze Erklärung der Ähnlichkeiten von Körper und Seele (διὰ τὴν ὁμοιότητα τῆς
μορφῆς καὶ τῆς ψυχῆς) viel eher die Theorie von Theophrast als die der Stoa in
Erinnerung rufe. Vander Waerdt argumentiert, dass trotz der Ähnlichkeiten der
Passagen Theophrast hier nicht der Hauptgesprächspartner des Hermarchos sei,
weil die von Theophrast vorgeschlagene Verwandtschaft nicht nur Menschen,
sondern auch Tiere betrifft und sich dadurch wesentlich von dem unterschei-
det, was Hermarchos mit seinem Oikeiosis-Begriff verteidigt43. Letzlich wird die
Oikeiosis-Lehre hier im epikureischen Rahmen erklärt, indem Hermarchos die
natürliche Verwandtschaft der Menschen nur in Zusammenhang mit der Idee
des sozialen Vertrags in Betracht zieht, um das Verbot von Mord zu begründen
(Vander Waerdt 1988, 100)44.
Die in dieser Arbeit vertretene These, dass Porphyrios mit einem besonderen
Interesse an der Oikeiosis-Lehre die philosophischen Schriften der Gegner und
Unterstützer des Vegetarismus gelesen hat45, unterstützt die Haltung von Vander
Waerdt, dass der Oikeiosis-Begriff in 1.7.1 als ursprünglich von Hermarchos stam-

42 Vander Waerdt 1988, 98: „Let us consider, then, how Hermarchus has integrated οἰκείωσις
into the Epicurean genealogy of morals. I shall argue that while Hermarchus does use οἰκείωσις
in the Stoics’ sense as natural kinship for our fellow-man, he rejects their use of it as the foun-
dation of justice by restricting this kinship to members of a community who contribute to its
survival.“
43 Vander Waerdt 1988, 97: „It is not likely, though, that Theophrastus is Hermarchus’ main
target. He does use οἰκείωσις rather than οίκειότης, and οἰκείωσις, after all, originated in the
Stoa. (…) In particular, Theophrastus, does not use οίκειότης to designate a relation to oneself,
which is the central feature of Stoic οἰκείωσις; and he extends οίκειότης even to irrational ani-
mals, which the Stoics certainly do not do with οἰκείωσις.“
44 „But Hermarchus, I suggest, is employing the closest Epicurean counterpart to explain how
man’s natural kinship (which the Stoics call οἰκείωσις) led, in utilitarian fashion, to the prohibi-
tion of homicide to which he refers at 1.7.1.“
45 Vgl. Kapitel 3.1.
 Klodios aus Neapel und Herakleides Pontikos: Liebe und Philanthropia   157

mend gelesen werden sollte. Die Übertragbarkeit der Gerechtigkeit auf andere
Wesen, die Porphyrios verteidigt (3.26–7), wird auch bei Hermarchos vorausge-
setzt, aber er ist nur bereit, die Gerechtigkeit bis zu den Wesen auszudehnen, die
in der Lage sind, einen Vertrag zu schließen, wie man unten entnehmen kann.
Obwohl dies der Meinung von Porphyrios widerspricht, ist auch hier hervorzuhe-
ben, dass die Metapher der Ausdehnung der Gerechtigkeit seinen Gedanken stark
prägt, wie es bei den Stoikern in 1.4 der Fall war:

1.12.5 „Wenn man nun einen Vertrag wie mit den Menschen auch mit den übrigen Tieren
schließen könnte, dass sie weder uns töten noch von uns willkürlich getötet werden sollen,
hätte man problemlos das Gerechte bis dahin fortführen können. Denn diese Ausdeh-
nung würde zur Sicherheit führen.“46

Das Verb ἐπιτείνω gemeinsam mit ἐξάγω und die Präposition μέχρι spiegeln die
„räumliche Terminologie“ der Moral wider, die von Porphyrios systematisch ver-
wendet wird. Porphyrios ist interessiert an der Möglichkeit der Ausdehnung der
moralischen Grenzen und hebt jene Anmerkungen seiner Gegner hervor, die mit
dieser Metapher operieren. Hier liegt deutlich ein Fall vor, in welchem Porphy-
rios durch seine räumliche Terminologie die Meinung einer fremden philosophi-
schen Schule wiedergibt. Diese Stelle spricht ebenfalls dafür, dass Hermarchos
in 1.7.1 über die Oikeiosis- und nicht die Oikeiotes-Lehre referiert, da man hier
die dynamische Ausdehnung der moralischen Grenzen entnehmen kann, die die
Oikeiotes-Lehre nicht voraussetzt.

3.4 Klodios aus Neapel und Herakleides Pontikos:


Liebe und Philanthropia

Es ist hier darauf hinzuweisen, dass die Lehre der Philanthropia eine größere Rolle
in der Entwicklung des Begriffs des sozialen Oikeiosis gespielt hat, als bisher in
der Forschungsliteratur anerkannt wird. Es ist bekannt, dass die individuelle
­Oikeiosis und die soziale Oikeiosis nicht organisch zueinander passen (siehe
oben das Kapitel 3.1) und dass sehr wahrscheinlich die soziale Oikeiosis eine
spätere Entwicklung der Theorie bildet. Umstritten ist, wie die Stoiker, besonders
Chrysipp, die Verbindung zwischen den beiden Oikeioseis hergestellt haben, da
die meisten Texte diesen Übergang nicht explizit ausführen, sondern ihn a priori

46 „εἰ μὲν οὖν ἠδύναντο ποιήσασθαί τινα συνθήκην ὥσπερ πρὸς ἀνθρώπους οὕτω καὶ πρὸς τὰ
λοιπὰ τῶν ζῴων ὑπὲρ τοῦ μὴ κτείνειν μηδὲ πρὸς ἡμῶν ἀκρίτως αὐτὰ κτείνεσθαι, καλῶς εἶχε
μέχρι τούτου τὸ δίκαιον ἐξάγειν· ἐπιτεταμένον γὰρ ἐγίγνετο πρὸς τὴν ἀσφάλειαν.“
158   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

voraussetzen47. In diesem Zusammenhang ist der Vorschlag von Brink48 weiter-


führend, dass die Idee von Theophrast, die Menschen stünden in Beziehung zu
anderen Wesen in sich erweiternden Kreisen (DA 3.25), als Basis für die spätere
soziale Oikeiosis verwendet werden könne. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass
die spätere Entwicklung der sozialen Oikeiosis eine Übernahme dieses Aspektes
der Oikeiotes-Lehre durch die Stoiker ist. In diesem Rahmen wird hier gezeigt,
dass eine andere Diskussion zwischen Theophrast und Herakleides einen weite-
ren Baustein dieser Entwicklung gebildet haben könnte: Die über die Liebe zur
Menschheit. Die Liebe oder Zuneigung spielt eine große Rolle in der individuel-
len Oikeiosis und wird ausführlich dargestellt49. Andererseits ist die Funktion der
Liebe in der sozialen Oikeiosis nicht so deutlich50. Sie wird als Erweiterung des
Arguments benutzt, jedoch oft auch nur als logische Übertragung von der Liebe
zu den Nachkommen auf die Oikeiosis zu allen vernünftigen Wesen51.
Die Hauptthese ist hier, dass die Liebe zur Menschheit (Philanthropia) als
ethische Lehre ein weiteres Element der späteren sozialen Oikeiosis ist. Genauso
wie Porphyrios die Oikeiotes-Lehre in Form einer Ausdehnung von moralischen
Kreisen von Theophrast überliefert hat, hat er auch die Polemik zwischen Theo-
phrast und Herakleides bzw. Klodios dargestellt.
Porphyrios war der Meinung, dass die bloße Philanthropia kein ausreichen-
des ethisches System bildet, da diese nicht in der Lage sei, echte Gerechtigkeit
abzubilden, wie man der folgenden Stelle entnehmen kann:

47 Wie Pembroke 1971, 121 analysiert: „The validity of this doctrine (die soziale Oikeiosis) was
challenged in antiquity, and in modern times both its orthodoxy and the date at which it was first
formulated have been disputed. The arguments involved, therefore, need to be stated with some
care: specifically, not so much because of their complexity but to make it clear what they leave
out, a gap which in surviving texts is closed not by the Stoics but by the Peripatetics.“
48 Brink 1956, 137–138: „Theophrastus’s principle had, however, some part to play in the later
development of moral theory because it helped to fill an important gap in the cosmopolitanism
of the Stoics. (…) Thus, one may surmise, Theophrastus’s chain of relationships helped to fill an
awkward gap in the Stoic doctrine. His Oikeiotes, and some of the examples cited in Stobaeus,
precede the World State in the Stoic context of the De Finibus (3.64)“.
49 Cic. de fin. 3.16
50 Wie Schmitz 2014, 86–7 zusammenfasst: „Die Liebe der Eltern zu den Kindern findet sich
auch in anderen stoischen Quellen. Warum daraus die communis humani generis societas folgen
soll, (…) bleibt im vorliegenden Text [gemeint ist Cic. de fin. 3.62] aber unklar: Auch die stoischen
Quellen schweigen hier.“
51 Mit der Fragestellung „The problem remains how, if at all, Chrysippus made the connexion
between parental affection and universal oikeiosis“ analysiert Pembroke 1971, 123–132 die Haupt-
passagen, die diesen Sprung von der Liebe zu den Nachkommen zur Liebe zur Menschheit dar-
stellen.
 Klodios aus Neapel und Herakleides Pontikos: Liebe und Philanthropia   159

3.26.9 „Denn der Gott hat uns sicherlich nicht die Selbsterhaltung ohne Ausbeutung
eines anderen Wesens unmöglich gemacht, weil er uns auf diese Weise unsere Natur als
den Anfang der Ungerechtigkeit hinzugefügt hätte. Aber vielleicht scheinen diese Leute
die Eigentümlichkeit der Gerechtigkeit nicht zu kennen, welche der Meinung waren, die
Gerechtigkeit aufgrund der Oikeiosis unter Menschen einzuführen. Denn diese wäre wohl
eine Liebe zur Menschheit (φιλανθρωπία), aber die Gerechtigkeit liegt in der Zurück-
haltung und im Nicht-Schaden-Zufügenden allen Wesen gegenüber, die keinen Schaden
verursachen. Der gerechte Mensch denkt auf diese und nicht auf jene Weise, so dass sich
die Gerechtigkeit, da sie ja im Nicht-Schaden-Zufügenden liegt, auch bis zu den Beseelten
erstreckt.“52

Dieser Angriff gegen die Lehre der Philanthropia zielt nicht nur gegen die stoi-
sche Tradition der Oikeiosis, sondern auch gegen andere Denker, die für eine na-
türliche Liebe zur Menschheit plädiert haben. In seiner Doxographie der Gegner
des Vegetarismus hat er auch die Lehre des gerechten Kriegs gegen die Tiere und
des natürlichen Hasses der Menschen gegenüber Tieren überliefert (1.14.2). Diese
Meinung stand im Gegensatz zu der von Theophrast, wie in Kapitel 2.2.4 gezeigt
wurde, und spricht dafür, dass die Diskussion um die moralische Einordnung der
Lebewesen auch vom semantischen Feld der Liebe (φιλία und στοργή) und des
Hasses (μῖσος) bestimmt wurde.
Die Geschichte der Verwendung des Begriffes Philanthropia  in der griechi-
schen Literatur wurde bereits von anderen erforscht. Hier werden die Beiträge
von Lorenz 1914, Le Déaut 1964, 255–29453 und Berthelot 200354 herangezogen,
um zu zeigen, wie sich der Begriff und seine Rolle in der ethischen Terminologie
entwickelt haben. Die ersten, die über einen Philanthropos sprechen, sind der
Tragödien-Charakter Kratos (v. 11) und danach Hephaistos (v. 28) im Prometheus

52 „οὐ γὰρ δὴ μὴ μετὰ κακώσεως ἑτέρου τὴν ἑαυτῶν σωτηρίαν ἀμήχανον ἡμῖν ὁ θεὸς ἐποίησεν·
ἐπεὶ οὕτω γε τὴν φύσιν ἡμῖν ἀρχὴν ἀδικίας προσετίθει· μήποτε δὲ καὶ ἀγνοεῖν οὗτοι ἐοίκασι τὸ
ἰδίωμα τῆς δικαιοσύνης, ὅσοι ἐκ τῆς πρὸς ἀνθρώπους οἰκειώσεως εἰσάγειν ταύτην ᾠήθησαν·
αὕτη μὲν γὰρ φιλανθρωπία τις ἂν εἴη, ἡ δὲ δικαιοσύνη ἐν τῷ ἀφεκτικῷ καὶ ἀβλαβεῖ κεῖται
παντὸς ὅτου οὖν τοῦ μὴ βλάπτοντος. καὶ οὕτως γε νοεῖται ὁ δίκαιος, οὐκ ἐκείνως· ὡς διατείνειν
τὴν δικαιοσύνην καὶ ἄχρι τῶν ἐμψύχων κειμένην ἐν τῷ ἀβλαβεῖ.“
53 In einem Artikel namens Φιλανθρωπία dans la littérature grecque, jusqu’au Nouveau Testa-
ment.
54 Für die Rolle der Philanthropia unter den Juden siehe Berthelot 2003, der auch einen Über-
blick über den Begriff in der griechisch-römischen Welt anbietet, vor allem in Bezug auf die poli-
tischen Verhältnissen inter poleis und auf die Rolle des Begriffs der Gastfreundlichkeit (Berthelot
2003, 17–57). Sulek 2010 hat als Ausgangspunkt der Untersuchung der Philanthropia den moder-
nen Begriff der Philanthropie ausgewählt und versucht in der Antike Parallele zu der gegenwär-
tigen philanthropischen Haltung zu finden. Sein Schluss ist, dass der Aspekt, der die verschie-
denen Konzepte der Philanthropie durch die Jahrhunderte verbindet, „(the) love motivating the
greater realization of human potential“ ist (Sulek 2010, 399).
160   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

vinctus des Aischylos, der damit Prometheus bezeichnet. Diese Verwendung ist
für unsere Diskussion aus zwei Gründen wegweisend: Erstens ist hervorzuhe-
ben, dass die erste Anwendung des Begriffes eine negative Bewertung enthält,
da Kratos und Hephaistos Prometheus eine Schwäche vorwerfen, weil letzlich
nur seine philanthropische Haltung die Ursache seines Verbrechens sei55. Dies
sind zusammen mit der Verwendung durch Porphyrios (DA 3.26.9) die einzigen
Stellen, wo die Philanthropia eine negative Bewertung bekommt, da bei Por-
phyrios die Philanthropia nicht hinreichend als ethische Haltung gilt, wie unten
im Kommentar zur Passage 3.26.9 besprochen wird. Zweitens ist zu bemerken,
dass diese Philanthropia eine Art emotionale Kommunikation zwischen Wesen
unterschiedlichen Ranges bezeichnet, da Kratos, Hephaistos und Prometheus
göttliche Wesen sind56. Einen Gott (Hermes) charakterisiert der Begriff auch in
Aristophanes’ Frieden v. 390, wobei dort die Philanthropia wieder als eine reine
positive Bezeichnung auftritt. Ähnlich ist auch die Bezeichnung von Eros als
φιλανθρωπότατος in Platons Symposium 189C57. Auch Tiere wurden als philan-
thropoi bezeichnet, wie Xenophon in De re equestri 2.3 (Pferd), De venatione 6.25
(Hund) und Aristoteles in Historia animalium 617b, 26 (Frankoline) und 630a, 9
(Schakal)58 zeigen. Dies spricht auch dafür, dass dieser Begriff sehr geeignet war,
ontologische Grenzen zu überschreiten, da dadurch die Liebe sowohl der Tiere
als auch der Götter zum Menschen ausgedrückt wird. Später wurde der Begriff
Philanthropia von den Rednern in Griechenland zu einer großen politischen
Tugend erhoben, indem sie die Gemeinschaftlichkeit der menschlichen Gesell-
schaft durch das Gefühl der Zuneigung unter Menschen hervorhoben59. Schließ-
lich vertritt Berthelot 2003, 56–56 die folgende These:

„En conclusion, la notion de philanthrôpia revêt une multitude d’acceptions, avec parfois
un sens très technique (…). Par-delà ces multiples acceptions, elle apparaît surtout comme
une vertu politique et sociale (plutôt que philosophique). Originellement caractéristique
divine, elle devient une vertu royale, mais désigne également le comportament des citoyens

55 Man muss dazu sagen, dass sowohl Kratos als auch Hephaistos in diesem Werk moralisch
dubiose Figuren repräsentieren, die funktional als Vollstrecker der Macht des Zeus agieren.
56 Wie Le Déaut 1964, 257 ebenfalls bemerkt hat: „Il s’agit, on le voit, de deux groupes naturel-
lement distincts et la ‘philanthropie’ est le sentiment qui incline à partager les intérêts du groupe
opposé“.
57 „Ist er doch der menschenfreundlichste unter den Göttern, ein Helfer der Menschen und Arzt
für das, dessen Heilung wohl das größte Glück für das Menschengeschlecht bedeutet.“ (Über-
setzung nach Paulsen und Rehn 2006); „ἔστι γὰρ θεῶν φιλανθρωπότατος, ἐπίκουρός τε ὢν τῶν
ἀνθρώπων καὶ ἰατρὸς τούτων ὧν ἰαθέντων μεγίστη εὐδαιμονία ἂν τῷ ἀνθρωπείῳ γένει εἴη.“
58 Vgl. Lorenz 1914, 11–14 und Le Déaut 1964, 267 für mehrere Beispiele.
59 Le Déaut 1964, 267–286, Lorenz, 1914 19–30.
 Klodios aus Neapel und Herakleides Pontikos: Liebe und Philanthropia   161

qui contribuent à la prosperité de la cité et au bien-être de leurs concitoyens; elle est même
associée à la démocratie, et ce dès le 4 siècle av. n.è., le terme a tendance à se banaliser, au
point de ne plus désigner qu’une attitude affable, polie.“

Diese Lehre wurde auch in philosophischen Kreisen nicht verachtet, obwohl ihre
Anwendungen oft paradoxe Ergebnisse hervorriefen. Erwähnungen von Philan-
thropia als Element und Baustein ethischer Systeme gibt es bei einigen Autoren.
Die erste Spur dieser Lehre in der peripatetischen Schule ist bei Aristoteles zu
finden60. Schmitz 2014, 193 sammelt die Passagen über die Philanthropia, die von
Aristoteles stammen oder ihm zugeschrieben werden: Bei Diogenes Laertios sind
dies die Passagen D.L. 5.17 und 5.21, die jeden Menschen als wertvollen Adres-
saten seines Mitleids und seiner Gabe bezeichnen. Jedoch ist EN 8,161 die ein-
deutigste Fundstelle im aristotelischen Werk, die eine übergreifende Philanthro-
pia schildert. Schmitz 2014, 193 warnt aber zu Recht, dass diese Fundstelle ein
Einzelfall ist und nicht mit Aristoteles’ Ethik zusammenpasst. Eine universelle
Liebe zur Menschheit kann also aus der aristotelischen Lehre nicht abgeleitet
werden, da sein ethisches System einen wesentlichen Unterschied zwischen den
Menschen vorausetzte, wie aus der Stelle EN 9,10 zu entnehmen ist. Nichtsdesto-
trotz fährt Schmitz 2014, 193 fort: „hier scheint nun von Aristoteles selbst schon
die Verbindung zwischen Oikeiosis und φιλία anhand des Wortpaares οἰκεῖον
und φίλον hergestellt worden zu sein“. Und wie verhalten sich die nachfolgen-
den Peripatetiker zu diesem Thema? Schmitz 2014, 194 ist der Meinung: „diese
Ausweitung der Menschenliebe wird auch schon von Theophrast vorgenommen,
der hier das Vorbild sein mag“62. Dies ist irreführend, da Theophrast von einer

60 Lorenz 1914, 39: „Peripateticorum in doctrina ergo philanthropia ut amor omnium hominum
iam ante Stoicorum tempora fuit; apud Aristotelem quidem ratio nondum recte ad usum adi-
uncta est, apud Theophrastum vero et in testimoniis Stobaei et Ciceronis, quae quidem quorum
temporum fontes respiciant non apparet, philanthropiam infinitam invenimus.“
61 „Sie findet sich offenbar als Naturtrieb zwischen Erzeuger und Erzeugtem einerseits, zwi-
schen Erzeugtem und Erzeuger anderseits, nicht nur bei den Menschen, sondern auch bei den
Vögeln und fast allen Lebewesen, auch bei Wesen gleicher Abstammung, als Zusammengehö-
rigkeitsgefühl; ganz besonders allerdings bei den Menschen, weshalb wir die allgemeine Men-
schenliebe lobend anerkennen. Man kann auch in (den Unbilden) der Fremde erleben, wie nahe
ein jeder Mensch dem anderen steht und wie befreundet er ihm ist.“ (Übersetzung nach Dirlmei-
er 1983); „φύσει τ' ἐνυπάρχειν ἔοικε πρὸς τὸ γεγεννημένον τῷ γεννήσαντι καὶ πρὸς τὸ γεννῆσαν
τῷ γεννηθέντι, οὐ μόνον ἐν ἀνθρώποις ἀλλὰ καὶ ἐν ὄρνισι καὶ τοῖς πλείστοις τῶν ζῴων, καὶ τοῖς
ὁμοεθνέσι πρὸς ἄλληλα, καὶ μάλιστα τοῖς ἀνθρώποις, ὅθεν τοὺς φιλανθρώπους ἐπαινοῦμεν. ἴδοι
δ' ἄν τις καὶ ἐν ταῖς πλάναις ὡς οἰκεῖον ἅπας ἄνθρωπος ἀνθρώπῳ καὶ φίλον.“
62 Gemeint ist die erste peripatetische Doxographie, die in Stobaios’ Eklogen zu finden ist
(2,7,13–14 p. 116, 19–128, 9 W).
162   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

φιλία unter allen Menschen und Tieren spricht, die durch eine natürliche Ver-
wandtschaft verbunden sind – eine ethische Ansicht, die sich sehr deutlich von
der des Aristoteles unterscheidet63. Andererseits ist es wahrscheinlicher, dass
Theophrasts Kollege Herakleides Pontikos die Philanthropie-Lehre des Aristote-
les benutzt haben könnte, um seine eigene Ethik der Ausgrenzung der Tiere im
Streit mit Theophrast zu rechtfertigen, da Herakleides an derselben Stelle eben-
falls seine Theorie des gerechten Krieges als Argument präsentiert (DA 1.14.2). Die
Philanthropia als Maßstab für den Bereich der Ethik, die von Porphyrios DA 3.26.9
kritisiert wird, erhält eine deutliche Verteidigung im Einwand des Herakleides
Pontikos bzw. Klodios aus Neapel. Das Kapitel DA 1.14 enthält eine Schilderung
des gerechten Krieges zwischen Menschen und Tieren auf der Basis einer natürli-
chen Liebe (στοργή) unter den Menschen und des Hasses (μῖσος) von Menschen
gegenüber Tieren.
Dies hilft ebenfalls die Position von Areios Didymos in Bezug auf die Oikei-
osis-Lehre im 1. Jh. v. Chr. besser zu verstehen. Dieser wird als Kompilator der
peripatetischen Lehre bezeichnet und hat einen Text über die Oikeiosis-Lehre64
geschrieben, der versucht, diese Lehre der peripatetischen Schule zuzuordnen.
Er bietet eine Mischung aus stoischer Terminologie mit anderen von ihm hervor-
gehobenen analytischen Termini, wie „τὸ δι' αὕθ' αἱρετὸν“, also „Das um seiner
selbst willen“. Dieser Terminus entspricht in den meisten Fällen der stoischen
Oikeiosis, verleiht ihm aber eine peripatetische Färbung65. Dydimos verbindet die
Oikeiosis mit dem Trieb, die eigenen körperlichen Funktionen sowie die Bewah-
rung der Gesundheit und die Erlangung der Vergnügung zu erreichen66. Der phi-
lanthropische Aspekt seiner Darstellung der Oikeiosis-Lehre ist besonders deut-
lich an der in Tabelle 8 aufgeführten Stelle67.

63 Siehe Sorabji 1998, 220.


64 Görgemanns 1983, 181–2 weist aber darauf hin, dass der Text wahrscheinlich aus mehreren
Federn stammt.
65 Siehe Görgemanns 1983, 177–178.
66 Siehe Tsouni 2014,15–16, die auf Stob. Eclog. 2.118.13–20 W basiert.
67 An dieser Stelle werden nur die Ähnlichkeiten zwischen Areios und der Schrift Gegen die
Vegetarier hervorgehoben. Für eine ausführliche Diskussion der Theorie der Oikeiosis bei Areios
siehe Görgemanns 1983, 165–187; für eine Diskussion über die Philanthropia in Areios und Theo-
phrast siehe Fortenbaugh 2011, 558–560.
 Klodios aus Neapel und Herakleides Pontikos: Liebe und Philanthropia   163

Tab. 8

Areios Didymos (Stobaeus 3.6–7 DA 1.14.2


­Görgemanns 1983 bzw. pp. 121
Wachsmuth)

„Denn wer sieht, dass ein Mensch von einem „Denn es gibt keinen, der nicht, wenn er eine
Tier bedroht wird, würde ihn nicht retten, Schlange sieht, sie tötet, falls er kann, damit
falls er könnte? (…) Aber weil eine allgemeine weder er noch generell ein anderer Mensch
Liebe zur Menschheit unter uns existiert, gebissen wird. Denn es gibt nicht nur Hass
ist das um seiner selbst willen erstrebens- gegen das, was wir töten, sondern auch Liebe
werte viel deutlicher in einer Beziehung zu von Mensch zu Mensch.“
Freunden.“

„Τίνα γὰρ οὐκ ἂν ἐξελεῖσθαι θεασάμενον „Οὐκ ἔστιν γὰρ ὅστις ἰδὼν ὄφιν οὐκ ἔκτεινε
ἄνθρωπον ὑπὸ θηρίου καταδυναστευόμενον, δυνάμενος, ὡς μήτ' αὐτὸς δηχθείη μήτ' ἄλλος
εἰ δύναιτο; (…) Ἐπεὶ δὲ κοινή τις ἡμῖν ὑπάρχει ἁπλῶς ἄνθρωπος· οὐ γὰρ μόνον ἐστὶ μῖσος
φιλανθρωπία, πολὺ μᾶλλον πρὸς τοὺς κατὰ τῶν κτεινομένων, ἀλλὰ καὶ στοργὴ πρὸς
ἐν συνηθείᾳ ‹φίλους› τὸ δι' αὕθ' αἱρετὸν ἄνθρωπον ἀνθρώπου.“
φανερώτερον·“

Der Kontext dieser Passage ist Areios’ persönliche Interpretation des Modells der
moralischen Kreise, die sich erweitern. Wenn seiner Meinung nach Kinder „um
ihrer selbst willen“ geliebt werden müssen, müssen ebenfalls Eltern, Geschwis-
ter, Ehepaaren und am Ende Mitbürger aus diesem Grund geliebt werden (Sto-
baeus 3.1–5 Görgemanns 1983 bzw. pp. 120 Wachsmuth). Areios Didymos legt als
Voraussetzung der menschlichen Existenz eine vorliegende Liebe zur Menschheit
fest, die als Erklärung zur Entstehung der Freundschaft und infolgedessen der
moralischen Beziehungen unter den Menschen dient. Diese moralischen Bezie-
hungen werden im Kontrast zur Tierwelt definiert. Denn der Mensch, der einen
anderen vor einer externen Gefahr der Tierwelt schützt, folgt lediglich einer ein-
gebauten Liebe zu Menschheit.
In der Schrift Gegen die Vegetarier ist ein sehr ähnlicher Gedankengang ent-
halten. Derjenige, der Tiere tötet, schützt nicht nur sich selbst, sondern die ganze
Menschheit, die durch die angeborene Liebe von Mensch zu Mensch angetrie-
ben wird. Diese Gegenüberstellung zeigt, dass nicht nur auf der theoretischen
Ebene – die die Existenz einer zugrundeliegenden Philanthropia unter den Men-
schen postuliert, die sie alle verbindet –, sondern auch auf der Ebene der sprach-
lichen Gestalt deutliche Parallellen bestehen. Der Mensch, der einen anderen
in Gefahr sieht, soll ihm helfen, falls er dazu in der Lage ist. Dieser Nebensatz
wird bei Areios mit der Konjunktion εἰ plus das Verb δύναμαι im Optativ und bei
Klodios mit dem Partizip desselben Verbs ausgedrückt. Klodios hat das Buch
164   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

Gegen die Vegetarier im 1. Jh. v. Chr. geschrieben68, etwa zur gleichen Zeit, als
Areios Didymos seine Doxographie der peripatetischen Ethik verfasst hat. Diese
Idee von Philanthropia konnte man, ebenso wie die Idee eines gerechten Kriegs
gegen Tiere, bereits bei Aristoteles finden. Diese Tatsachen sprechen dafür – wie
Schmitz 2014 passim bereits gezeigt hat – dass im 1. Jh. v. Chr. ein reger Austausch
zwischen den Stoikern und Peripatetikern stattgefunden hat, und noch spezifi-
scher, dass die Stelle DA 1.14 einen Platz in dieser Diskussion besitzt.
Weiter lässt sich die These vertreten, dass Porphyrios bewusst die Diskussion
nicht nur der Stoiker und Epikureer über die soziale Oikeiosis-Lehre, sondern
auch die bei Herakleides bzw. Klodios aufgegriffen und wiedergegeben hat. Die
Ausdehnung der Gerechtigkeit nur auf Menschen, die bei den Stoikern durch die
soziale Oikeiosis-Lehre geprägt wird, findet eine Parallele in der Philanthropie-
Lehre, die in 1.14.2 formuliert ist. Oben wurde bereits erklärt, wie die soziale
und die individuelle Oikeiosis nicht ohne weiteres zusammenzubringen sind. Es
wurde in diesem Kapitel die These vertreten, dass eines der von der individuel-
len Oikeiosis unabhängigen Elemente für die Entwicklung der sozialen Oikeiosis
eben die Lehre der Philanthropia ist. Das heißt, Porphyrios hat die Ähnlichkeiten
zwischen diesen zwei Lehren – also zwischen sozialer Oikeiosis und Philanthro-
pia – erkannt und auf eine argumentative Ebene gestellt.
Für den Neuplatoniker war entscheidend, die philanthropia als ethischen Pa-
rameter abzulehnen, wie er es in DA 3.26.9 tut, um seine eigene angepasste Vor-
stellung des Oikeiosis-Begriffs einzuführen. Diese besitzt keinerlei Verbindung
mit einer unbegründeten Liebe zur Menschheit, sondern beabsichtigt, durch
die Idee der Ausdehnung der Gerechtigkeit, alle Lebewesen zu erreichen, wie in
Kapitel 3.5 und 3.6 gezeigt wird. Die Tatsache, dass Porphyrios in seiner Schrift DA
beide Seiten dieser Diskussion überliefert hat, also die Nutzung der philanthropia
als Merkmal für ethische Verhältnisse und eine kritische Version des Oikeiosis-
Begriffs, der sich auf den Aspekt der Aneignung zu anderen Lebewesen und nicht
auf die Wirkung der sozialen Oikeiosis konzentriert, die größtenteils auf philan-
thropia basiert, zeigt, dass er nicht nur seine ethische Position darstellt, sondern
auch einen Beitrag zur Geschichte der Philosophie leistet.

68 Für eine ausführliche Diskussion über Klodios aus Neapel und seine Beziehung zu Heraklei-
des Pontikos, siehe Kapitel 1.1.3 und 2.
 Reichweite und Grenzen der Gerechtigkeit: Räumliche Terminologie und Ethik   165

3.5 Reichweite und Grenzen der Gerechtigkeit:


Räumliche Terminologie und Ethik

Bevor jede einzelne Stelle der Passage DA 3.26–27 in Kapitel 3.6 analysiert wird,
soll nun systematisch gezeigt werden, wie Porphyrios eine „räumliche Termino-
logie“ für seine ethische Diskussion entworfen und konsequent angewendet hat.
Zuerst wird summarisch darauf eingegangen, was Gerechtigkeit für Porphy-
rios innerhalb des neuplatonischen Kontexts bedeutet hat. Die folgende Dar-
stellung der Tugenden von Brisson 2006, 93–99 bildet ein treffendes Schema zu
dem Thema69. Die Gerechtigkeit sei zusammen mit der Weisheit, der Mäßigung
und der Tapferkeit eine der vier Tugenden, die von Platon als Haupttugenden be-
zeichnet werden (Politeia 4. 427e–444e). In Auseinandersetzung mit Phaedo 67b
und Theaetetus 176a–b fingen bei Plotin (Enneaden 1.2.19) die Überlegungen zu
einer Gradierung der Tugenden an, die sich in bürgerlich, reinigend und kon-
templativ klassifizieren ließen. Porphyrios vertiefte diesen Gedankengang in der
Schrift Sententiae (hier: 32), die einen direkten Bezug zu den Enneaden des Plotin
aufzeigte, und definierte die Tugenden in ihren bürgerlichen, reinigenden, kon-
templativen und pragmatischen Ausprägungen (εἶδος ἀρετῶν). Die bürgerliche
(politikos) Gerechtigkeit sei die Eigentätigkeit in Harmonie mit ihrer eigenen Rolle
zu herrschen und beherrscht zu werden70. Auf der reinigenden Ebene (katharsis),
zu welcher das Individuum nur Zugang habe, wenn es die erste bürgerliche Ebene
erfüllt habe, definierte Porphyrios die Gerechtigkeit als das Ergebnis der unan-
gefochtenen Herrschaft der Vernunft und des Intellekts über die Seele71. In der
kontemplativen Gradierung (theoria), die als Praxis der Reinigung zu verstehen
sei, werde die Gerechtigkeit als die Erfüllung der Rollen von jedem Teil der Seele
verstanden, indem ihre Aktivitäten dem Intellekt untergeordnet und auf ihn hin-
gerichtet tätig seien72. Auf der vierten Ebene stünden die paradigmatischen Tu-
genden. Brisson erklärt, dass diese Tugenden eigentlich nicht mehr Tugenden der
Seele, sondern des Intellekts seien; sie funktionierten also wie Modelle der Tu-
genden. Die Gerechtigkeit sei in diesem Rahmen die Leistung des eigenen Werkes
durch den Intellekt73. Die kontemplativen Tugenden seien nur den Göttern und

69 Diese Interpretation wurde von Höchsmann 2017 passim verfeinert und kontextualisiert; ihre
Untersuchung wird hier ebenfalls als Quelle angenommen.
70 Sententiae 32. p.18: „δικαιοσύνη δὲ ἡ ἑκάστου τούτων ὁμοῦ οἰκειοπραγία ἀρχῆς πέρι καὶ τοῦ
ἄρχεσθαι.“
71 Sententiae 32 p. 19: „ἡγουμένου δὲ λόγου καὶ νοῦ καὶ μηδενὸς ἀντιτείνοντος ἡ δικαιοσύνη.“
72 Sententiae 32 p. 29: „δικαιοσύνη δὲ οἰκειοπραγία ἐν τῇ πρὸς τὸν νοῦν ἀκολουθίᾳ καὶ τὸ πρὸς
νοῦν ἐνεργεῖν.“
73 Sententiae 32. p 21: „τὸ δὲ οἰκεῖον ἔργον ἡ οἰκειοπραγία“.
166   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

die pragmatischen dem Vater der Götter zugänglich; die Menschen sollen darauf
abzielen, die bürgerlichen und in einigen besonderen Fällen, in denen der Philo-
sophen, die reinigenden Tugenden zu erreichen.
Dennoch enthält die Schrift DA weitere Definitionen der Gerechtigkeit, die in
Anspruch genommen werden sollen. Höchsmann 2017, hat diese bei Porphyrios
gesammelt und ihren Bezug zu den platonischen Vorstellungen kommentiert74.
Die Rolle der Vernunft in der Gerechtigkeit, wie man in Sententiae 32 p. 29 sieht,
wird in DA 3.26.9–1075 hervorgehoben. Ebenfalls sei die platonische Definition der
Gerechtigkeit, keinen Schaden zuzufügen, bei Porphyrios DA 3.26.9–10 deutlich
zu erkennen76. Edwards 2016, 269–274 harmonisiert die Stellen in Sententiae mit
der in DA, indem sie vorschlägt, dass sich für Porphyrios die Gerechtigkeit um den
Seelenzustand des Agens und nicht um die Vernunft oder andere Eigenschaften
des Patiens drehe77. Das heißt, Edwards lehnt die Positionen ab, die behaupten,
dass Porphyrios den Tieren Gerechtigkeit aufgrund ihrer Vernunft zugesprochen
hat.
In dieser Arbeit wird die Interpretation von Edwards 2016 akzeptiert, dass
die Gerechtigkeit für Porphyrios eine Frage des Seelenzustandes des Agens sei.
Dennoch sind noch Fragen offen: Wie verwendet Porphyrios sprachlich den
Begriff Gerechtigkeit in DA? Was bedeutet in den Einzelfällen, gerecht gegen-
über anderen zu agieren, und was sind die Grenzen dieser Aktionen? Welche
Rolle hat die Oikeiosis-Theorie der Stoiker in dieser Ethik gespielt? Diese Fragen
werden in diesem und dem nächsten Kapitel beantwortet. Unser Hauptanliegen
ist es, festzustellen, wie Porphyrios den Gerechtigkeitsbegriff in der Praxis aus-
drückt. In der Schrift DA bringt er die Gerechtigkeitsverhältnisse zwischen Men-
schen, Tieren und Pflanzen in ein Schema, das auf folgende Weise dargestellt
werden kann: Die Verwendung des Verbs τείνω oder eines seiner Komposita in
Verbindung mit einem Terminus für Gerechtigkeit (entweder τὸ δίκαιον oder

74 Sie bezeichnet die Erscheinung der Gerechtigkeit bei Porphyrios folgendermaßen: Justice as
‘abstaining and doing no harm’ (Höchsmann 2017, 154), Justice as harmony in Plato (Höchsmann
2017, 156), und Justice in relation to law in Porphyry and Plato (Höchsmann 2017, 170).
75 Für eine Übersetzung und Kommentar der Passage siehe Kapitel 3.6.
76 Siehe den Kommentar unten zur Stelle 3.26.9–10 mit einer Diskussion über die platonische
Herkunft dieser Passage.
77 Edwards 2016, 273: „In sum, then, Porphyry’s theory of justice has it that the justice of an
action is determined solely by reference to the soul state of the agent, with just actions resul-
ting from just soul states and unjust actions from unjust soul states. This theory, combined with
Porphyry’s belief that there is more than one just soul state, allows him to maintain that the very
same action can be just at one level and unjust at another. In particular, it allows him to main-
tain that civic justice is perfectly compatible with being a meat-eater, while purificatory justice
(i.  e. that of the philosopher) entails vegetarianism.“
 Reichweite und Grenzen der Gerechtigkeit: Räumliche Terminologie und Ethik   167

δικαιοσύνη) sowie eine Präposition, die den räumlichen Aspekt der Ausdehnung
hervorhebt, gefolgt von einem Rezipienten dieser Ausdehnung – in den meisten
Fällen Tieren. Das Verb τείνω kann auf verschiedene Weisen übersetzt werden,
behält aber immer den Sinn des Ausdehnens bzw. Erstreckens. Im übertragenen
Sinn wird es benutzt, um abstrakte Werte, wie die Zeit, die Natur und den Geist,
auszudehnen. Die Verwendung des Verbs, die eine gewisse Plastizität des aus-
gedehnten Objektes voraussetzt, dient für Porphyrios als räumliche Metapher
der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Wesen, die ontologisch anders
eingeordnet sind. Innerhalb der Spannung, die das Verb τείνω produziert, wird
die Möglichkeit in Erwägung gezogen, Lebewesen wie Pflanzen und Tiere mit der
Gerechtigkeit zu erreichen. Porphyrios bedient sich der räumlichen Metapher, um
seine eigene ethische Terminologie zu prägen.
In dieser Arbeit wurden neun relevante Stellen mit der MIPVU-Methode
analysiert. Die MIPVU-Methode (Steen et. al. 2010) erzielt eine Systematisierung
innerhalb der Metaphernforschung in Hinsicht auf die Identifizierung von lexi-
kalischen Einheiten, die metaphorisch verwendet werden können. Sie hat nicht
den Anspruch, Aussagen über die mentalen Verbindungen zwischen Wort und
Begriff herzustellen, sondern nur die linguistischen Äußerungen (utterances) als
metaphorisch oder nicht metaphorisch zu klassifizieren. Die Methode basiert auf
dem Vergleich zwischen der Grundbedeutung (basic meaning) und der kontex-
tuellen Bedeutung (contextual meaning) in jeder lexikalischen Einheit innerhalb
eines Textes. Nach dem Vergleich von beiden Bedeutungen wird entschieden,
ob das Wort potenziell als Metapher angewendet wurde oder nicht. Hinweise
auf eine metaphorische Anwendung sind zu sehen, wenn sich die kontextuelle
Bedeutung von der Grundbedeutung unterscheidet. Diese Unterschiede können
sich z.  B. in Hinsicht auf die Greifbarkeit des Wortes, auf die Beziehung zu einer
körperlichen Aktion und auf die Genauigkeit zeigen. Falls die kontextuelle Be-
deutung anders ist als die der Grundbedeutung, muss man sich fragen, ob jene
im Vergleich zu dieser verstanden werden kann; wenn ja, sollte die lexikalische
Einheit als metaphorisch markiert werden. Die Relevanz dieses Vorgehens zeigt
sich, weil man besondere Aufmerksamkeit jedem Teil des Textes schenken muss,
um die Entscheidung zu treffen, ob es sich um eine Metapher handelt oder nicht.
Dies gewährt einen tieferen Einblick in die Struktur des Textes und erlaubt, Ver-
bindungen herzustellen, die auf den ersten Blick nicht deutlich sind.
Konkret wurden in dieser Arbeit die räumlichen Metaphern berücksichtigt,
die Porphyrios verwendet, um die Idee der Ausdehnung der Gerechtigkeit auf
andere Lebewesen auszudrücken. Es wurde festgestellt, dass sich Porphyrios
mehrfach auf die Source Domain „Raum“ bezieht, um die Target Domain „Ethik“
bzw. „Gerechtigkeit“ zu verstehen. Für eine detaillierte Analyse der Stellen mit
der MIPVU-Methode siehe Anhang.
168   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

Tabelle 9 zeigt, wie dieses Muster in jeder Passage der Schrift DA, die zu
unserer Diskussion relevant ist, verwirklicht wurde.

Tab. 9

Verb Stelle Passage Autor

τείνω 1.4.1 εὐθὺς τοίνυν φασὶν οἱ ἀντιλέγοντες τὴν Zitat der


δικαιοσύνην συγχεῖσθαι καὶ τὰ ἀκίνητα Stoiker und
κινεῖσθαι, ἐὰν τὸ δίκαιον μὴ πρὸς τὸ λογικὸν Peripatetiker
μόνον τείνωμεν, ἀλλὰ καὶ πρὸς τὸ ἄλογον·

Sofort also sagen unsere Gegenredner, dass


die Gerechtigkeit verwirrt und das, was nicht
bewegt werden soll, bewegt wird, falls wir
das Gerechte nicht nur auf die vernünftigen,
sondern auch auf die vernunftlosen Wesen
ausdehnen;

ἐπιτείνω 1.12.5 εἰ μὲν οὖν ἠδύναντο ποιήσασθαί τινα Zitat der


συνθήκην ὥσπερ πρὸς ἀνθρώπους οὕτω καὶ Epikureer
πρὸς τὰ λοιπὰ τῶν ζῴων ὑπὲρ τοῦ μὴ κτείνειν
μηδὲ πρὸς ἡμῶν ἀκρίτως αὐτὰ κτείνεσθαι,
καλῶς εἶχε μέχρι τούτου τὸ δίκαιον ἐξάγειν·
ἐπιτεταμένον γὰρ ἐγίγνετο πρὸς τὴν
ἀσφάλειαν.

Wenn man nun einen Vertrag wie mit den


Menschen auch mit den übrigen Tieren schlie-
ßen könnte, dass sie weder uns töten noch
von uns willkürlich getötet werden sollen,
hätte man problemlos das Gerechte bis dahin
fortführen können. Denn diese Ausdehnung
würde zur Sicherheit führen.

παρατείνω 3.1.4 ἐς οὖν τὸν περὶ τῆς δικαιοσύνης λόγον Porphyrios’


μεταβαίνοντες, ἐπείπερ ταύτην πρὸς τὰ Einleitung
ὅμοια δεῖν μόνα παρατείνειν εἰρήκασιν des dritten
οἱ ἀντιλέγοντες, καὶ διὰ τοῦτο τὰ ἄλογα Buches
διαγράφουσι τῶν ζῴων (…)

Nun gehen wir zur Darlegung über die Gerech-


tigkeit über. Weil unsere Gegenredner sagen,
dass man diese nur auf die Ähnlichen (wie
wir) ausdehnen darf, und dadurch verwerfen
sie die vernunftlosen Tiere (…)
 Reichweite und Grenzen der Gerechtigkeit: Räumliche Terminologie und Ethik   169

Tab. 9 (Fortsetzung)

Verb Stelle Passage Autor

παρατείνω 3.1.4 τούτου γὰρ ἀποδειχθέντος εἰκότως δὴ καὶ Porphyrios’


κατὰ τούτους πρὸς πᾶν ζῷον τὸ δίκαιον Einleitung
παρατενοῦμεν. des dritten
Buches
Denn nachdem dies bewiesen ist, werden
wir mit Fug und Recht auch ihnen gemäß das
Gerechte auf alle Tiere ausdehnen.

ἐκτείνω 3.12.1 θαυμάσειε δ' ἄν τις τοὺς τὴν δικαιοσύνην Wahrschein-


ἐκ τοῦ λογικοῦ συνιστάντας καὶ τὰ μὴ lich ein
κοινωνοῦντα τῶν ζῴων ἄγρια καὶ ἄδικα Zitat einer
λέγοντας, μηκέτι δὲ ἄχρι τῶν κοινωνούντων unbekann-
τὴν δικαιοσύνην ἐκτείνοντας. ten Schrift

Aber es könnte sich jemand über diejenigen


wundern, die die Gerechtigkeit aus der Ver-
nunft ableiten und sagen, dass die Tiere, die
nicht mit uns leben, wild und ungerecht sind,
aber die Gerechtigkeit nicht einmal auf die
Haustiere ausdehnen.

παρατείνω 3.18.2 οὐ γὰρ καὶ πρὸς τὰ φυτὰ παρατενοῦμεν τὸ τῆς Wahrschein-


δικαιοσύνης, διὰ τὸ φαίνεσθαι πολὺ τὸ πρὸς lich ein
τὸν λόγον ἀσύγκλωστον· Zitat einer
unbekann-
Denn wir werden die Angelegenheit der ten Schrift
Gerechtigkeit nicht auch bis auf die Pflanzen
ausdehnen, weil sie mit der Vernunft gar nicht
kompatibel zu sein scheinen.

παρεκτείνω 3.26.5 ὁ γὰρ λέγων ὅτι ὁ παρεκτείνων τὸ δίκαιον ἄχρι Porphyrios’


τῶν ζῴων φθείρει τὸ δίκαιον, ἀγνοεῖ ὡς αὐτὸς Schluss
οὐ τὴν δικαιοσύνην διασῴζει, ἀλλ' ἡδονὴν des dritten
ἐπαύξει, ἥ ἐστι δικαιοσύνῃ πολέμιον. Buches

Denn der, der sagt, dass der, der das


Gerechte auf Tiere ausdehnt, das Gerechte
zerstört, weiß nicht, dass er selbst nicht die
Gerechtigkeit bewahrt, sondern die Lust
fördert, die eine Feindin der Gerechtigkeit
ist.
170   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

Tab. 9 (Fortsetzung)

Verb Stelle Passage Autor

διατείνω 3.26.9 καὶ οὕτως γε νοεῖται ὁ δίκαιος, οὐκ ἐκείνως, Porphyrios’


ὡς διατείνειν τὴν δικαιοσύνην καὶ ἄχρι τῶν Schluss
ἐμψύχων κειμένην ἐν τῷ ἀβλαβεῖ. des dritten
Buches
Der gerechte Mensch denkt auf diese und
nicht auf jene Weise, so dass sich die Gerech-
tigkeit, die im Nicht-Schaden-Zufügenden
liegt, auch bis zu den Beseelten erstreckt.

παρατείνω 3.27.2 οὕτως ὁ μὴ μόνον στήσας τὸ ἀβλαβὲς ἐν Porphyrios’


ἀνθρώποις, παρατείνας δὲ καὶ εἰς τὰ ἄλλα Schluss
ζῷα μᾶλλον ὅμοιος θεῷ, καὶ εἰ ἄχρι φυτῶν des dritten
δυνατόν, ἔτι μᾶλλον σῴζει τὴν εἰκόνα. Buches

Ebenso ist der, der das Nicht-Schaden-


Zufügende nicht nur auf die Menschen
beschränkt, sondern es bis auf die Tiere aus-
dehnt, dem Gott ähnlicher, und wenn es ihm
möglich ist, es bis auf die Pflanzen auszudeh-
nen, wahrt er dieses Bild noch mehr.

Die Verben τείνω, ἐπιτείνω, ἐκτείνω, παρεκτείνω und διατείνω werden jeweils
einmal verwendet, während das Verb παρατείνω viermal vorkommt. Dreimal
werden die Verben in einer finiten, aktiven Form benutzt (1.4.1, 3.1.4 und 3.18.2),
zweimal als Infinitiv – einmal als AcI (3.26.9) und einmal in einer Infinitivkon-
struktion (3.1.4) –, und viermal als Partizipien – zwei davon attributiv (1.12.5,
3.26.5) und zwei prädikativ (3.27.2, 3.12.1). Die Präposition πρὸς (1.4.1 zweimal, 3.14
zweimal und 3.18.2 einmal) wird fünfmal, ἄχρι (3.12.1, 3.26.5, 3.26.9 und 3.27.2)
viermal und εἰς (3.27.2) nur einmal angewendet. Der Ausdruck τὸ δίκαιον ist das
Akkusativobjekt der Verben in vier Fällen (1.4.1, 1.12.5, 3.1.4 und 3.26.5), während
δικαιοσύνη viermal (3.1.4, 3.12.1, 3.26.9 und einmal als τὸ τῆς δικαιοσύνης
3.18.2) vorkommt. Einmal steht τὸ ἀβλαβὲς (3.27.2) als Bezugswort für das Verb
παρατείνας – dieses Beispiel wird hier mit in Betracht gezogen, da Porphyrios
kurz davor erklärt, dass die Gerechtigkeit im Nicht-Schaden-Zufügenden liegt
(3.26.9), und diese zwei Begriffe deswegen semantisch in diesem Kontext sehr
nah beieinander stehen.
 Reichweite und Grenzen der Gerechtigkeit: Räumliche Terminologie und Ethik   171

Diese sowohl syntaktische als auch morphologische Vielfalt verbirgt nicht, dass
in allen diesen Fällen das Thema die Ausdehnung der Gerechtigkeit auf andere
Lebewesen ist. Das Verb τείνω und seine Komposita werden in der griechischen
Literatur zahlreich im übertragenen Sinn verwendet, aber die Kombination zwi-
schen ihnen und δικαιοσύνη oder τὸ δίκαιον ist selten belegt. Eine Suche in der
TLG Database78, die die Kombination der Lemmata der Verben τείνω, ἐπιτείνω,
ἐκτείνω, παρεκτείνω, διατείνω und παρατείνω in Verbindung mit den Termini
δικαιοσύνη oder τὸ δίκαιον erfassen sollte, zeigt, dass nur wenige Passagen – von
Porphyrios DA abgesehen – nach einer sorgfältigen Analyse den oben besproche-
nen Sinn aufweisen. Die eine Passage, die δικαιοσύνη als Objekt von παρατείνω
hat, ist der Psalm 35.11 der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der
Septuaginta79, welche häufig von weiteren Autoren entweder zitiert, paraphra-
siert oder kommentiert wurde80. Der aufmerksame Leser wird aber merken, dass
diese Passage, obwohl sie beinahe die syntaktische Struktur der oben analysier-
ten Stellen besitzt81, nicht diesselbe Bedeutung aufweist wie in Porphyrios’ räum-
licher Terminologie. Denn παρατείνω besitzt in diesem Kontext vielmehr den Sinn
des Gewährens, der auch durch das Verb „erhalten“ ausgedrückt werden kann
(vgl. u. Anm. 79). Eine weitere Passage, die diese Verbindung enthält, gehört zur
christlichen Literatur und ist in Eusebius’ Commentarius in Isaiam 2.33 belegt:
„Daher gebe ich weder meine Haltung preis noch überlasse ich einem anderen
meine Gottheit, welche aus der Gerechtigkeit besteht, die sich auf alle Menschen
erstreckt.“82 Eusebius, der etwas später als Porphyrios gewirkt hat, wendet das
Verb ἐκτείνω auf eine sehr ähnliche Weise an wie der Neuplatoniker, und seine
Anwendung unterscheidet sich nur darin, dass die Rede nicht von der Ausdeh-
nung der Gerechtigkeit auf andere Lebewesen handelt, sondern sie sich nur auf
die Menschen erstreckt.

78 Die Untersuchung fand zwischen den 2. 11. 2015 und den 4. 11. 2015 statt.
79 Psalm 35.11: „παράτεινον τὸ ἔλεός σου τοῖς γινώσκουσίν σε καὶ τὴν δικαιοσύνην σου
τοῖς εὐθέσι τῇ καρδίᾳ“. Nach der Einheitsübersetzung: „Erhalte denen, die dich kennen, deine
Huld / und deine Gerechtigkeit den Menschen mit redlichem Herzen!“
80 Wie z.  B.: Eusebius Commentaria in Psalmos 23.321.36, 23.321.39–40 und 23.1268.15; Origenes,
Fragmenta in Psalmos 35.11.1–10, Cyrillus Expositio in Psalmos 69.921.28; Theodoretus Interpreta-
tio in Psalmos 80.1125.1 und Diodorus Commentarii in Psalmos Psalm 35.11.
81 Mit Ausnahme von räumlichen Präpositionen wie πρὸς, μὲχρι oder εἰς.
82 „διὸ ‹τὴν ἐμαυτοῦ δόξαν› οὐ καθυφίημι οὐδὲ ‹ἑτέρῳ› παραχωρήσαιμι τὴν ἐμὴν θεότητα, ἥτις
δικαιοσύνης τῆς εἰς πάντας ἀνθρώπους ἐκτεινομένης συνίσταται.“
172   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

Obwohl die Verbindung zwischen τείνω und seinen Komposita und δικαιοσύνη
oder τὸ δίκαιον so selten in der griechischen Philosophie vorkommt, ist die
Nutzung von τείνω und seinen Komposita in übertragenem Sinn dicht belegt.
Hier werden einige Fälle in Betracht gezogen, die wahrscheinlich als Vorlage für
Porphyrios’ Terminologie gedient haben. Das Werk DA ist vor allem eine Aus­
einandersetzung des Porphyrios mit der ethischen Philosophie der Stoa, und die
erste Anwendung des hier diskutierten Begriffes findet sich in einer Wiedergabe
stoischer Philosophie durch Porphyrios. Tabelle 10 zeigt eine ähnliche Anwen-
dung der Verben ἐκτείνω und διάτείνω in Bezug auf die Ausdehnung der Natur,
der Vernunft oder der natürlichen Dinge bis zu Pflanzen und Tieren.

Tab. 10

ἡ φύσις τὸ καθῆκον / λόγος


τὸ ἀκόλουθον

‹τὴν θείαν δὲ φύσιν παρὰ τὸ καθῆκον δὲ τὸ τί οὖν φασιν οἱ Στωικοὶ


θαυμαστέον μέχρι ἐναντίως. τοῦτο διατείνει δικαιοσύνην τινὰ καὶ Fall
τῶν ἀλόγων ἐκτείνασαν καὶ εἰς τὰ ἄλογα τῶν ζῴων, καὶ πρὸς τὰ ἄλογα τῶν ζῴων
τὸ οἱονεὶ πρὸς τὰ λογικὰ (Zenon Testimonia et frag- ἐσῴζετό τι δίκαιον ἡμῖν,
μίμημα›. (Chrysipp menta SVF vol. 1, 230) ἀλλ' ἐπεὶ λόγον ἔχομεν τὸν
­Fragmenta Moralia SVF vol. ἐπ’ ἀλλήλους τε καὶ θεοὺς
3 368) διατείνοντα, οὗ τὰ ἄλογα τῶν
ζῴων μὴ μετέχοντα οὐκ ἂν
ἔχοι τι πρὸς ἡμᾶς δίκαιον.
(Chrysipp Fragmenta moralia
SVF vol. 3, 370)

Ἡ δὲ φύσις διατείνει καὶ ἔτι δὲ ‹καθῆκόν› φασιν


ἐπὶ τὰ φυτά. (Chrysipp εἶναι ὃ πραχθὲν εὔλογον
­Fragmenta logica et physica [τε] ἴσχει ἀπολογισμόν, οἷον
SVF vol. 3, 458) τὸ ἀκόλουθον ἐν [τῇ] ζωῇ,
ὅπερ καὶ ἐπὶ τὰ φυτὰ καὶ
ζῷα διατείνει· (Chrysipp
Fragmenta Moralia SVF
vol. 3, 493)

ἐπειδὴ ἡ φύσις καὶ εἰς


φυτὰ – – καὶ εἰς λίθους
διατείνει. (Chrysipp Frag-
menta Moralia SVF vol. 3, 9)
 Reichweite und Grenzen der Gerechtigkeit: Räumliche Terminologie und Ethik   173

Die ausgewählten Beispiele bestätigen die Nutzung dieser bestimmten Redewen-


dung, die durch die Verben διατείνω und ἐκτείνω die Ausdehnung der abstrakten
Wesenheit bis zu den Tieren, Pflanzen und Steinen darstellt. Von der Sprachan-
wendung her sind diese Beispiele vergleichbar mit den Fällen, die oben diskutiert
wurden, und könnten einen Einfluss auf die Terminologie des Porphyrios gehabt
haben. Ganz besonders ist das Fragment 3, 370 von Chrysipp hervorzuheben,
das als Auszug in Sextus Empiricus Adversus mathematicos 9.130–131 steht. Der
Kontext dieses Fragments ist eine Kritik an der pythagoreischen Vorstellung, dass
Gerechtigkeit unter Menschen und Tieren gelte, weil sie alle das pneuma teilen.
Sextus zitiert die Stoiker, um zu zeigen, dass die Vernunft und nicht das pneuma
ausschlaggebend ist für die Zuschreibung der Gerechtigkeit. Der logos wird hier
mit dem Verb διατείνω verwendet, um auszudrücken, dass er sich nur auf die
Menschen und Götter erstreckt. Dies bildet eine sehr ähnliche Verwendung der
räumlichen Terminologie wie bei Porphyrios, aber mit dem Unterschied, dass in
dieser Stelle der Logos und nicht die Gerechtigkeit ausgedehnt wird.
Außerdem ist die räumliche Metaphorik bzw. Terminologie ein beliebtes
Motiv bei den Platonikern und Neuplatonikern – eine Thematik, die noch zu er-
forschen ist. Die Operation mit räumlicher Terminologie ist ebenfalls in Porphy-
rios’ Sententiae (1, 2, 3, 16, 20, 21, 27, 28, 29, 33 – besonders ausgeprägt –, 43 und
44) zahlreich zu finden, wobei noch genauere Untersuchungen gemacht werden
müssten, um die Terminologie in diesem Werk systematisch zu erfassen.
Eine weitere Frage ist, ob eine als metaphorisch markierte lexikalische Einheit
absichtlich oder nicht absichtlich ist. Die Diskussion zwischen Gibbs und Steen
ist eine Einleitung zu diesem Thema, da Gibbs 2011, 27–49 der Meinung ist, dass
es unmöglich sei, Absichtlichkeit durch die Analyse von lexikalischen Einheiten
zu erfassen, und dass jede sprachliche Nutzung absichtlich sei. Außerdem be-
hauptet er, dass so einen typologischen Unterschied zu unterstützen, einen Rück-
schritt in der Metaphernforschung bedeutet. Denn diese würde die „absichtliche
Metapher“ auf den Rang von Metaphern, wie man sie seit Aristoteles verstanden
hat, degradieren: Also sie primär als ästhetisch und stilistisch, aber sekundär
in Bezug auf Denkprozesse zu betrachten (Gibbs 2011, 31). Dies bedeutete dann
einen Rückschritt für die Conceptual Metaphor Theory, in der behauptet wird,
dass Metaphern komplexe mentale Denkstrukturen ausdrücken. Steen versucht
dieses Missverständnis zu vermeiden, indem er sagt, dass seine Deliberate Me-
taphor Theory nichts über mentale Prozesse zu sagen hat, sondern nur über die
linguistischen Äußerungen, also über die Pragmatik. Auf dieser Basis kann man
die Äußerungen analysieren und entscheiden, ob sie potenziell absichtlich oder
konventionell sind. Das Kriterium sei, dass eine absichtliche Metapher die Source
Domain bei dem Leser oder Hörer aktiv aufrufen muss und er die Target Domain
nur durch diesen referenziellen Aufruf verstehen kann. Steen setzt also den Para-
174   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

meter auf die Aufmerksamkeit. Wenn der Leser oder Hörer seine Aufmerksamkeit
auf die Source Domain lenken müsse, um eine lexikalische Einheit zu verstehen,
sei diese eine absichtliche Metapher. Eine nicht absichtliche Metapher hingegen
sei so verwurzelt in der Sprache, dass der Leser bzw. der Hörer sich nicht mehr
aktiv auf die Source Domain beziehen müsse, um die Bedeutung zu verstehen83.
Die punktuelle Anwendung einer räumlichen Metapher spricht dafür, dass
diese nicht absichtlich ist. Denn räumliche Metaphern sind sehr verbreitet in der
Sprache. In der im Anhang dargestellten Untersuchung scheinen die meisten
räumlichen Metaphern nicht absichtlich zu sein, wenn sie im Einzelnen betrach-
tet werden. Aber wenn diese Anwendung im Kontext untersucht wird, wird fest-
gestellt, dass Porphyrios räumliche Metaphern, die miteinander eng verwandt
sind, konsequent anwendet, um den Begriff Gerechtigkeit zu bestimmen. Eine
systematische Anwendung einer bestimmten metaphorischen Kategorie kann auf
mehreren Ebenen betrachtet werden. Semino 2008, 22–26 fasst einigen Kriterien
zusammen, um die Erscheinung von mehreren metaphorischen Ausdrücke zu
analysieren. Die Repetition des selbst metaphorischen Ausdrucks sei ein Zeichen
für die interne Kohärenz des Textes, die Thema und Argument verbindet. Bei
Porphyrios sind einige Ausdrücke (παρατείνω, ἐπιτείνω u.  a.) mehrfach benutzt
worden, um den Leitfaden der Argumentation zu strukturieren. Dann sei eben-
falls die Recurrence der Ausdrücke eine bedeutsame Markierung für die Vielfäl-
tigkeit der metaphorischen Nutzung ohne die Situation, dass nur ein bestimmter
Ausdruck wiederholt verwendet wird. Verschiedene wörtliche Äußerungen, die
auf eine allgemeine Quelle zurückgreifen, werden als Recurrent bezeichnet. In
dritten Buch der Schrift DA sind alle oben analysierten Begriffe Beweise für eine
vielfältige Recurrence im Text. Schlussendlich spricht Semino über die Bedeu-
tung von metaphorischen Clusters innerhalb eines Textes. Die hohe Anzahl von
Metaphern in einem bestimmten Teil des Textes konfiguriert ein metaphorisches
Cluster. Wenn dieses Cluster ebenfalls metaphorische Repetitions bzw. Recur-
rences enthält, spricht man von einer Extended Metaphor. Dieser Begriff hilft zu
verstehen, wie die Metaphern miteinander in Bezug stehen und wie durch diese
Beziehungen einige Narrative entstehen. Bei Porphyrios ist klar zu erkennen,
dass seine argumentative Stärke von der Wirkung solcher räumlichen Metaphern
abhängt. Für Porphyrios wird die Gerechtigkeit einerseits als ein Objekt verstan-
den, das man in einen moralischen Kreis hinein oder aus ihm heraus stellen
kann, andererseits wird sie als eine Linie betrachtet, die sich verschieben lässt,

83 Siehe Steen 2015, 67–72 für eine Antwort auf Gibbs und Steen Attention to metaphor: where
embodied cognition and social interaction can meet, but may not often do so (im Erscheinen) für
eine ausführliche Behandlung der Aufmerksamkeit als Parameter für eine absichliche Metapher.
 Reichweite und Grenzen der Gerechtigkeit: Räumliche Terminologie und Ethik   175

um die moralischen Grenzen zu definieren. Diese Nutzung der metaphorischen


Sprache ist für Porphyrios kein rhetorisches Mittel, sondern ein wesentlicher Teil
der Definition des Begriffs der Gerechtigkeit. Dadurch ist er ebenfalls in der Lage,
seine Gerechtigkeitstheorie mit dem Oikeiosisbegriff zusammenzubringen. Wie
er das gemacht hat, wird in Kapitel 3.6 ausführlich behandelt.
In der Schrift DA sind selbstverständlich weitere räumliche Metaphern ver-
wendet worden. Es ist nicht das Ziel dieser Untersuchung, sie alle zu analysieren,
sondern nur diejenigen, die auf die Idee der Ausdehnung auf andere Lebewesen
hinweisen. Nichtsdestotrotz wird in Kapitel 3.6 der Fokus auf die Analyse einiger
räumlicher Metaphern gelegt84. Sie zeigen, dass Porphyrios bewusst und absicht-
lich die räumliche Terminologie anwendet, um seine eigene philosophische Ar-
gumentation voranzubringen. Dadurch kann man mit Sicherheit feststellen, dass
es sich um eine Extended Metaphor handelt. Dieses Szenario ist die Bühne, auf
der die Fähigkeiten räumlicher Metaphern, ethische Verhältnisse zwischen Lebe-
wesen anschaulich zu erklären, auftreten.
Aufgrund dieser Untersuchungen lässt sich die Meinung vertreten, dass Por-
phyrios der einzige Autor in der griechischen Literatur ist, der die Metapher der
Ausdehnung der Gerechtigkeit auf andere Wesen in einer kohärenten Terminolo-
gie angewendet hat. Die Regelmäßigkeit der Anwendung dieser Terminologie in
der Schrift DA erlaubt einige Schlussfolgerungen zu ziehen: 1. Porphyrios benutzt
das metaphorische Potenzial des abstrakten Bildes der Ausdehnung der Gerech-
tigkeit nicht nur, um seine eigene ethische Vorstellung darzustellen, sondern
auch, um die Lehre seiner Gegner wiederzugeben, indem er eine einheitliche
Terminologie dieses tierethisch relevanten Phänomens entwickelt und konse-
quent anwendet; 2. Somit wurden die Passagen 1.4.1 (Wiedergabe der stoischen
und peripatetischen Meinung), 1.12.5 (Wiedergabe der epikureischen Meinung),
3.12.1 (Zitat eines unbekannten Autors) und 3.18.2 sehr wahrscheinlich von Por-
phyrios’ eigener räumlicher Terminologie beeinflusst. Dies bedeutet nicht, dass
Porphyrios sie neu erfunden hat, sondern nur, dass er die erwähnten Passagen
mit seiner eigenen Terminologie wiedergegeben hat. Diese Erfahrung hilft bei der
Identifizierung der fremden Quellen in der Schrift DA, die eine gewaltige Aufgabe
ist; 3. Die kreative Seite des Philosophen muss hervorgehoben werden, da er
nicht nur mit der Terminologie seiner Vorgänger oder der seiner Gegner operiert,
sondern selbst eine kohärente Terminologie entwickelt, der der Unterstützung
seiner ethischen Vorstellung dient. In Zusammenhang mit weiteren räumlichen

84 Siehe Kommentare in Kapitel 3.6 zur metaphorischen Nutzungen folgender lexikalischer


Einheiten: ἀποκόπτω 3.26.2, παρεκτείνω 3.26.5, περιγράφω 3.26.7, διατείνειν 3.26.9, παρατείνω
3.27.2, ἔξωθεν 3.27.4, ἔνδοθεν 3.27.11, ὁριστής 3.27.7 und ἐξορισθείσης 3.27.9.
176   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

Termini, die in diesem Kapitel analysiert wurden, wird diese kohärente Stimme
noch deutlicher, was für die Einheit und Originalität der Schrift DA spricht, die oft
nur als Quellen-Steinbruch angesehen wird.
Nach dieser Diskussion über die Besonderheiten der Nutzung der räumlichen
Metaphorik bei Porphyrios werden die Passagen 3.26–27 übersetzt und kommen-
tiert, mit dem Ziel aufzuzeigen, auf welche Art und Weise diese räumliche Termi-
nologie seine ethische Lehre geprägt hat.

3.6 Porphyrios als „Grenzbestimmer der moralischen


­Landschaft“: Übersetzung und Kommentar der Passage
DA 3.26–27
Die Kapitel DA 3.26–27 sind ganz besonders deshalb hervorzuheben, weil sie auf
den Autor Porphyrios85 selbst zurückgehen. Da er in DA sehr oft Meinungen von
anderen Autoren wiedergibt, stellt sich auch oft die Frage, welche Stellen seine
eigenen Gedanken abbilden und welche nur Wiedergaben fremder Autoren sind.
Die Passage 3.26–7 bildet in diesem Zusammenhang eine Art letztes Wort des Por-
phyrios in Bezug auf die Bestimmung des moralischen Umgangs mit Tieren und
Pflanzen. Er zitiert immer noch viele verschiedene philosophische Strömungen,
aber hier benutzt er die Ideen anderer, um seine eigenen Vorstellungen darzule-
gen. Es gibt freilich einige Passagen, die eine direkte Beziehung zu anderen be-
kannten Quellen besitzen, insbesondere Teile der Kapitel 3.26.8–9 und 3.27.9–10,
wie BP bereits angedeutet haben. Aber nur 3.27.9–10 ist ein mehr oder weniger
direktes Zitat aus Plutarchs Septem sapientum convivium, während 3.26.8 eine
Anspielung auf Xenophons Memorabilia 1.3.5 darstellt und der erste Satz in 3.26.9
die Verneinung dessen ist, was die entsprechende Stelle in Plutarchs Septem sa-
pientum convivium 159C schildert.
Wie kreativ er mit den verschiedenen Lehren umgeht, wird hier für jede Stelle
konkret kommentiert, um zu zeigen, dass Porphyrios viel Wert auf die Meinung
sowohl seiner Gegner als auch seiner Unterstützer legt und dass er eine beson-
dere Fähigkeit besitzt, Argumente dialektisch zu synthetisieren und dadurch
etwas Neues zu gewinnen. Insbesondere ist hervorzuheben, wie er die Oikeiosis-
Lehre seiner ethischen Lehre anpasst, aber auch, wie er dies mit den Doktrinen

85 Es ist umstritten, ob 3.26.1–3 noch die Meinung Theophrasts widerspiegelt (Dodds 1950, 148),
aber Fortenbaugh 1984 275–276 hat gezeigt, dass es wahrscheinlicher ist, dass Porphyrios die
Lehre von Theophrast für sein eigenes Ziel benutzt. DA 3.1 und 3.18 kommen auch sehr wahr-
scheinlich aus der Feder des Porphyrios.
 Porphyrios als „Grenzbestimmer der moralischen ­Landschaft“   177

der Epikureer, Theophrast, Platon und Pythagoras ebenfalls tut. Außerdem ist
hier seine Rolle als kreativer Denker hervorzuheben, der die Moral mittels räum-
licher Terminologie beschreibt, um die ontologischen Eigenarten der verschiede-
nen Lebewesen durch entsprechende Kategorien zu analysieren.
Zusammen mit 3.26–27 sind 3.1 und 3.18 die einzigen Stellen, die im dritten
Buch mit Sicherheit Porphyrios allein zugeschrieben werden kann86. Dort wurde
die räumliche Terminologie ebenfalls benutzt, wenn er über die Beziehungen
zwischen den Menschen und den Tieren spricht. Zwei Mal wird hier das Verb
παρατείνω verwendet, um die Ausdehnung der Gerechtigkeit auf die Tiere zu be-
zeichnen:

3.1.4 „Nun gehen wir zur Darlegung über die Gerechtigkeit über. Weil unsere Gegenredner
sagen, dass man diese nur auf die Ähnlichen [wie uns] ausdehnen darf, und dadurch ver-
werfen sie die vernunftlosen Tiere. Wohlan, wir wollen die gleichzeitig wahre und pythago-
reische Lehre darstellen, indem wir zeigen, dass jede Seele, die an der Wahrnehmung und
an der Erinnerung teilnimmt, vernünftig ist. Denn nachdem dies bewiesen ist, werden wir
mit Fug und Recht auch ihnen gemäß das Gerechte auf alle Tiere ausdehnen.“87

An dieser Stelle wird das dialektische Vorhaben des dritten Buches deutlich
gemacht. Edwards 2014 passim und Edwards 2016, 274–288 hat bereits gezeigt,
dass Porphyrios in der Diskussion mit den Stoikern zeigen will, dass nach deren
Kriterien Tiere als vernünftig betrachtet werden sollten und die Gerechtigkeit
auch bis zu ihnen ausgedehnt werden musste. Seine eigene Konzeption von
Vernunft ist jedoch eine andere und setzt nicht Wahrnehmung und Erinnerung
voraus, wie unten dargelegt wird.
Die unten kommentierten Stellen folgen auf ein Zitat von Theophrast, das
über die Verwandtschaft der Lebewesen spricht. Dies ist eine sehr oft debattierte
Stelle, da sie originelle Argumente von Theophrast präsentiert und uns erlaubt,
ihn als einen eigenständigen Denker im Bereich der Ethik zu sehen. Dies ist die
Stelle, in der die berühmte Oikeiotes-Theorie geschildert wird und über die viele
Bücher geschrieben worden sind88. Nach diesem Auszug übernimmt wieder Por-

86 So ist die Meinung von BP 1979, 138, die aber auch vertreten, dass die Unterkapitel 3.26.8–9
und 3.27–10 nicht von Porphyrios stammen.
87 „ἐς οὖν τὸν περὶ τῆς δικαιοσύνης λόγον μεταβαίνοντες, ἐπείπερ ταύτην πρὸς τὰ ὅμοια δεῖν
μόνα παρατείνειν εἰρήκασιν οἱ ἀντιλέγοντες, καὶ διὰ τοῦτο τὰ ἄλογα διαγράφουσι τῶν ζῴων,
φέρε ἡμεῖς τὴν ἀληθῆ τε ὁμοῦ καὶ Πυθαγόρειον δόξαν παραστήσωμεν, πᾶσαν ψυχήν, ᾗ μέτεστιν
αἰσθήσεως καὶ μνήμης, λογικὴν ἐπιδεικνύντες· τούτου γὰρ ἀποδειχθέντος εἰκότως δὴ καὶ κατὰ
τούτους πρὸς πᾶν ζῷον τὸ δίκαιον παρατενοῦμεν.“
88 Siehe oben Kapitel 2.2.4 und 3.1. Für eine ausführliche Bibliographie siehe Fortenbaugh 2011,
553, der diese Stelle als Text 531 der ethischen Schriften des Theophrast anführt.
178   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

phyrios die Federführung und fängt an, seine eigene ethische Haltung im Diskurs
mit den bisherigen Autoren darzustellen:

3.26.1 „Sodass angenommen, dass sie (die Tiere) mit uns verwandt sind, wenn es nach
Pythagoras offenbar ist, dass sie auch dieselbe Seele zugeteilt bekommen haben, wohl einer
zu Recht als gottlos beurteilt wird, wenn er sich nicht des Unrechts gegenüber den mit ihm
Verwandten enthält.“89

Durch die Anwendung von Theophrasts Oikeiotes-Lehre beabsichtigt Porphyrios


einen Fehlschluss in der sozialen Oikeiosis-Theorie der Stoiker zu finden und
damit seine eigene moralische Vorstellung zu verteidigen. An dieser Stelle gilt die
Oikeiotes-Lehre als Grundprämisse und noch dazu wird die pythagoreische Lehre
der Gleichheit der Seelen erwähnt, um die Ähnlichkeiten der Wesen hervorzuhe-
ben. Der Konditionalsatz, den Porphyrios verwendet, um über die pythagoreische
Lehre zu sprechen, kann ein Zeichen sein, dass er selber an diese Lehre nicht
glaubt (wie auch aus anderen Schriften zu erschließen ist) und dieses Element
nur rhetorisch anwendet. Damit möchte er das religiöse Äquivalent fehlender Ge-
rechtigkeit – die Gottlosigkeit – miteinbeziehen und zeigen, dass diese Ungerech-
tigkeit nicht nur gegenüber den Menschen, sondern auch gegenüber den Göttern
ausgeübt wird.

3.26.2 „Und nicht weil einige von ihnen wild sind, wird die Familiarität dadurch abge-
schnitten. Denn auch nicht in geringerem Maße, sondern sogar in höherem sind einige
Menschen Übeltäter gegen ihre Nachbarn und werden wie von einem Wind der eigenen
Natur und Verworfenheit dazu gebracht, den Leuten, auf die sie treffen, Schaden zuzufü-
gen. Daher töten wir diese auch, ohne dass wir so unsere Haltung gegenüber dem Zivilisier-
ten90 abschneiden.“91

Hier wird die Meinung Theophrasts in DA 2.22 bestätigt, dass das Individuum und
nicht die Gattung bestraft werden soll, falls eine Ungerechtigkeit begangen wird.
Das Verb ἀποκόπτω wird zweimal verwendet, um die Metapher der Zugehörigkeit
als eine Linie zu zeichnen, die sich weiter erstreckt oder abgeschnitten werden

89 „ὥστε συγγενῶν ὄντων, εἰ φαίνοιτο κατὰ Πυθαγόραν καὶ [τὴν] ψυχὴν τὴν αὐτὴν εἰληχότα,
δικαίως ἄν τις ἀσεβὴς κρίνοιτο τῶν οἰκείων τῆς ἀδικίας μὴ ἀπεχόμενος.“
90 Der Ausdruck τὸ ἥμερον wird hier als „das Zivilisierte“ wiedergegeben, weil die Rede von
Menschen im Kontext einer Zivilisation handelt. Sonst wird er in dieser Arbeit mit dem Sinn
„zahm“ übersetzt.
91 „οὐ μὴν ὅτι τινὰ ἄγρια αὐτῶν, διὰ τοῦτο τὸ οἰκεῖον ἀποκέκοπται· οὐθὲν γὰρ ἧττον ἀλλὰ
καὶ μᾶλλον τῶν ἀνθρώπων ἔνιοι κακοποιοί τε τῶν πλησίον εἰσὶ καὶ φέρονται πρὸς τὸ βλάπτειν
τὸν ἐντυχόντα καθάπερ ὑπό τινος πνοῆς τῆς ἰδίας φύσεως καὶ μοχθηρίας· διὸ καὶ ἀναιροῦμεν
τούτους, οὐ μέντοι ἀποκόπτομεν τὴν πρὸς τὸ ἥμερον σχέσιν.“
 Porphyrios als „Grenzbestimmer der moralischen ­Landschaft“   179

kann. Dies erinnert stark an DA 1.4 und die Parallelen werden noch deutlicher
in den nächsten Paragraphen. In diesem Fall will Porphyrios diese Linie, die die
Beziehung zwischen zivilisierten Menschen repräsentiert, nicht aufgrund wilder
Individuen abschneiden. Wichtig ist dabei zu bemerken, dass τὸ οἰκεῖον eben-
falls wieder auftaucht und bezeichnet, was gerettet werden soll, wenn man nur
die wilden Tiere straft. Diese Lehre der Bestrafung der einzelnen Fälle im Gegen-
satz zu einer pauschalisierten Bestrafung der Art wird später eine große Rolle im
Aufbau seiner Ethik spielen, da der gerechte Mensch durch die Vernunft immer
die gerechte Entscheidung treffen muss. Denn es ist unmöglich, vollkommen ge-
waltlos zu leben (siehe unten 3.27.3 und 7).
Porphyrios operiert regelmäßig mit dem semantischen Feld des Wortes
βλάβη – Schaden – (βλάπτω, τὸ ἀβλαβές, ἀβλαβής). Er verwendet hingegen nicht
den Begriff βία (Gewalt). Dies spricht dafür, dass seine Ethik eine Haltung fordert,
die ganz konkret das Schädigen verbietet. In dieser Arbeit wird das Substantiv
τὸ ἀβλαβές mit dem Ausdruck Das Nicht-Schaden-Zufügende und das Adjektiv
ἀβλαβής als unschädlich wiedergegeben.

3.26.3 „So nun, wenn einige der Tiere auch wild sind, müssen jene genau wie diese Art von
Menschen zerstört werden, weil sie so sind, aber die Beziehung zu den übrigen und zahme-
ren darf nicht verlassen werden. Keiner von beiden aber soll gegessen werden, so wie auch
kein ungerechter Mensch gegessen werden soll.92“

Hier geht es um eine Anwendung des vorherigen Arguments auf die Tierwelt.
Dadurch will Porphyrios zeigen, dass er Theophrasts Auffassung in DA 2.22 über-
nimmt und dieses als Gegenargument zu der stoischen Vorstellung dient. Ganz
besonders zu beachten ist das Verbot, sowohl Tiere als auch Menschen zu ver-
speisen, ganz egal ob sie ungerecht oder gerecht sind.

3.26.4–5 „Aber jetzt tun wir viel Unrecht, indem wir sowohl die Zahmen als auch die Wilden
und Ungerechten zerstören und die Zahmen essen. Denn in beiderlei Hinsicht sind wir
ungerecht, weil wir sie töten, obwohl sie zahm sind, und auch weil wir diese verzehren und
ihr Tod lediglich das Ziel hat, Nahrung zu beschaffen. 3.26.5 Jemand könnte aber zu diesem
auch etwas folgender Art hinzufügen: Derjenige nämlich, der sagt, dass der, welcher das
Gerechte auf Tiere ausdehnt, das Gerechte zerstört, weiß nicht, dass er selbst nicht die
Gerechtigkeit bewahrt, sondern die Lust fördert, die eine Feindin der Gerechtigkeit ist. Also
wenn das Ziel die Lust ist, wird die Gerechtigkeit offensichtlich zerstört.“93

92 „οὕτως οὖν, εἰ καὶ τῶν ζῴων τινὰ ἄγρια, ἐκεῖνα μὲν ὡς τοιαῦτα ἀναιρετέον καθάπερ καὶ τοὺς
τοιούτους ἀνθρώπους, τῆς δὲ πρὸς τὰ λοιπὰ καὶ ἡμερώτερα σχέσεως ‹οὐκ› (add. Fogerolles)
ἀποστατέον· ἑκατέρων δὲ οὐδέτερα βρωτέον, ὡς οὐδὲ τοὺς ἀδίκους τῶν ἀνθρώπων.“
93 „νῦν δὲ πολὺ τὸ ἄδικον ποιοῦμεν ἀναιροῦντες μὲν καὶ τὰ ἥμερα [ὅτι] καὶ τὰ ἄγρια καὶ τὰ
ἄδικα, ἐσθίοντες δὲ τὰ ἥμερα· κατ' ἄμφω γὰρ ἄδικοι, ὅτι ἥμερα ὄντα ἀναιροῦμεν καὶ ὅτι ταῦτα
180   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

Die Argumentation der Stoiker von DA 1.4 wird hier noch einmal wiedergegeben,
aber diesmal hat Porphyrios vor, sie zu widerlegen. Die Terminologie bleibt bei
der Metapher der Ausdehnung der Gerechtigkeit, die durch das Verb παρεκτείνω
und die Präposition ἄχρι ausgedrückt wird. Porphyrios argumentiert, dass die
echte unterliegende Motivation der Stoiker eigentlich die gleiche ihrer Erzfeinde,
der Epikureer, sei, nämlich die Lust. An dieser Stelle kann man sehr deutlich die
porphyrische Herkunft der Ideen erkennen, obwohl in der Schrift DA nicht immer
leicht zu identifizieren ist, wann Porphyrios oder eine seiner Quellen spricht.

3.26.6 „Denn wem ist nicht klar, dass das Gerechte durch die Enthaltsamkeit gefördert
wird? Denn der, der sich jedes Beseelten enthält, auch derer, die nicht mit ihm zusammen
zur Gemeinschaft beitragen, wird sich noch viel mehr einer Schädigung der Verwandten
enthalten. Denn nicht wird der, der die Gattung liebt, die Art hassen, sondern vielmehr um
wieviel größer die Gattung der Tiere ist, um soviel mehr wird er sowohl gegenüber der Art
als auch gegenüber dem Eigenen Gerechtigkeit94 bewahren.“95

Porphyrios wendet hier die Terminologie des Bereichs der Logik an, um seine
ethische Argumentation durchzuführen. Γένος, εἶδος und μέρος (ein besonderer
neuplatonischer Begriff für Art oder Element96) sind Begriffe, die zur Hierarchi-
sierung des Seins dienen. Er operiert hier mit dem Einwand von 1.14, in welchem
Herakleides bzw. Klodios aus Neapel für eine allgemeine Liebe zur Menschheit,
begleitet von einem Hass gegenüber Tieren (siehe Kapitel 2.2.4 und 3.4) plädiert.
Die Verben φιλῶν und μισήσει stehen hier für die Antithese, die Herakleides/
Klodios mit den Termini στοργὴ und μῖσος bezeichnen. Porphyrios will damit
sagen, dass wenn man die höchste Kategorie liebt, man automatisch auch die
unteren Kategorien liebt, und dadurch wäre die Gerechtigkeit für seine eigene Art
und für das, was oikeios ist, bewahrt. Dadurch kann man behaupten, dass er die
Tiere als einen Teil des οἰκεῖον bezeichnet.

θοινώμεθα, καὶ ψιλῶς ὁ τούτων θάνατος εἰς τὴν βορὰν ἔχει τὴν ἀναφοράν. 3.26.5 προσθείη
δ' ἄν τις τούτοις καὶ τὰ τοιαῦτα. ὁ γὰρ λέγων ὅτι ὁ παρεκτείνων τὸ δίκαιον ἄχρι τῶν ζῴων
φθείρει τὸ δίκαιον, ἀγνοεῖ ὡς αὐτὸς οὐ τὴν δικαιοσύνην διασῴζει, ἀλλ' ἡδονὴν ἐπαύξει, ἥ ἐστι
δικαιοσύνῃ πολέμιον. ἡδονῆς γοῦν οὔσης τέλους, δείκνυται δικαιοσύνη ἀναιρουμένη.“
94 „Gerechtigkeit“ steht hier für den demonstrativen Pronom ταύτην, der sich jedoch sowohl auf
κοινωνίαν (Gemeinschaft) oder auf δικαιοσύνη (Gerechtigkeit) beziehen kann.
95 „ἐπεὶ ὅτι τὸ δίκαιον συναύξεται διὰ τῆς ἀποχῆς τίνι οὐ δῆλον; ὁ γὰρ ἀπεχόμενος παντὸς
ἐμψύχου, κἂν μὴ τῶν συμβαλλόντων αὐτῷ εἰς κοινωνίαν, πολλῷ μᾶλλον πρὸς τὸ ὁμογενὲς τῆς
βλάβης ἀφέξεται. οὐ γὰρ ὁ τὸ γένος φιλῶν τὸ εἶδος μισήσει, ἀλλὰ μᾶλλον ὅσῳ μεῖζον τὸ γένος τὸ
τῶν ζῴων, τοσούτῳ καὶ πρὸς τὸ μέρος καὶ τὸ οἰκεῖον ταύτην διασώσει.“
96 Wie in Plot. 3.6.18 und Dam. In Parmenidem 193.
 Porphyrios als „Grenzbestimmer der moralischen ­Landschaft“   181

3.26.7 „Derjenige also, der die Oikeiosis gegenüber dem Tier hergestellt hat, wird auch
keinem Tier unrecht tun; aber derjenige, der die Gerechtigkeit nur auf den Menschen
beschränkt, ist auch bereit, als sei er dazu gezwungen, die Zurückhaltung vom Unrecht
abzuwerfen.“97

Diese Stelle zeigt, dass Porphyrios die Oikeiosis-Lehre in seine ethische Denk-
weise übernommen hat und sie als eine dynamische Verbindung zwischen Wesen
versteht. Nochmals verwendet er die Metapher der Linien, diesmal durch das
Verb περιγράφω, welches die Gerechtigkeit nur der Menschheit zuschreibt. Aber
ausschlaggebend ist die Möglichkeit, die Oikeiosis herzustellen. Das heißt, hier
zeigt sich, dass Porphyrios in der Lage ist, einen Unterschied zwischen dem dy-
namischen Aspekt der Oikeiosis, die sich zu anderen Wesen herstellen lässt, und
der von Natur aus statischen Eigenschaft der Oikeiotes zu machen.

3.26.8 „Daher ist auch die Würze von Pythagoras genussvoller als die von Sokrates. Denn
dieser sagte, dass der Hunger die Würze der Nahrung sei, Pythagoras aber sagte, dass
kein Unrecht zu tun und mit Gerechtigkeit zu süßen die Würze sei. Denn die Vermeidung
der tierischen Nahrung wäre eine Vermeidung aller ungerechten Taten in Bezug auf die
Nahrung.“98

Der Vergleich hier dient vor allem dem Ziel zu zeigen, dass Gerechtigkeit vor der
Not Vorrang hat und dass die Ernährung ebenfalls eine ethische Haltung fordert,
um ein gerechtes Leben zu führen.

3.26.9 „Denn der Gott hat uns sicherlich nicht die Selbsterhaltung ohne Ausbeutung
eines anderen Wesens unmöglich gemacht, weil er uns auf diese Weise unsere Natur als
den Anfang der Ungerechtigkeit hinzugefügt hätte. Aber vielleicht scheinen diese Leute
die Eigentümlichkeit der Gerechtigkeit nicht zu kennen, welche der Meinung waren, die
Gerechtigkeit aufgrund der Oikeiosis unter Menschen einzuführen. Denn diese wäre wohl
eine Liebe zur Menschheit, aber die Gerechtigkeit liegt in der Enthaltsamkeit und im
Nicht-Schaden-Zufügenden allen Wesen gegenüber, die keinen Schaden verursachen. Der
gerechte Mensch denkt auf diese und nicht auf jene Weise, so dass sich die Gerechtigkeit,
die im Nicht-Schaden-Zufügenden liegt, auch bis zu den Beseelten erstreckt.“99

97 „ὁ τοίνυν τὴν οἰκείωσιν πεποιημένος πρὸς τὸ ζῷον, οὗτος καὶ τό τι ζῷον οὐκ ἀδικήσει· ὁ δὲ
μόνον περιγράψας ἐν ἀνθρώπῳ τὸ δίκαιον ἕτοιμος ἐστιν ὡς ἐν στενῷ ἀπορρῖψαι τὴν ἄφεξιν τῆς
ἀδικίας.“
98 „ὥστε καὶ τοῦ Σωκρατικοῦ ὄψου ἥδιον τὸ Πυθαγόρειον. ὃ μὲν γὰρ ὄψον τροφῆς τὸ πεινῆν
ἔλεγε, Πυθαγόρας δὲ τὸ μηθένα ἀδικεῖν καὶ ἐφηδύνειν δικαιοσύνῃ τὸ ὄψον. ἡ γὰρ φυγὴ τῆς
ἐμψύχου τροφῆς φυγὴ ἦν τῶν περὶ τὴν τροφὴν ἀδικημάτων.“
99 „οὐ γὰρ δὴ μὴ μετὰ κακώσεως ἑτέρου τὴν ἑαυτῶν σωτηρίαν ἀμήχανον ἡμῖν ὁ θεὸς ἐποίησεν·
ἐπεὶ οὕτω γε τὴν φύσιν ἡμῖν ἀρχὴν ἀδικίας προσετίθει· μήποτε δὲ καὶ ἀγνοεῖν οὗτοι ἐοίκασι τὸ
ἰδίωμα τῆς δικαιοσύνης, ὅσοι ἐκ τῆς πρὸς ἀνθρώπους οἰκειώσεως εἰσάγειν ταύτην ᾠήθησαν·
182   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

Diese Stelle bildet einen tiefen Zugang zur Ethik des Porphyrios und zeigt, wie
geschickt er mit seinem Gesprächspartner auf verschiedenen Ebenen umgeht.
Hier wird die Oikeiosis-Lehre erneut explizit erwähnt, um zu zeigen, dass die-
jenigen, die sie nur auf Menschen beschränken, den wahren Charakter der Ge-
rechtigkeit nicht verstanden haben. Das heißt, er lehnt nicht die ganze Oikeiosis-
Lehre ab, sondern nur die Oikeiosis, die allein auf Menschen eingeschränkt wird.
Porphyrios will damit das dynamische Potenzial der Ausdehnung, das einen Teil
der Oikeiosis-Lehre bildet, verwenden, um die Gerechtigkeit auf weitere, nicht-
menschliche Lebewesen ausdehnen zu können. An dieser Stelle erfolgt also die
Übertragung der räumlichen Terminologie der Ausdehnung der Gerechtigkeit auf
andere Lebewesen (ὡς διατείνειν τὴν δικαιοσύνην καὶ ἄχρι τῶν ἐμψύχων κειμένην
ἐν τῷ ἀβλαβεῖ), die erstmals in der stoischen Diskussion über die Oikeiosis (siehe
Kapitel 3.2, 3.6 und Tabelle 9) entstanden ist, auf die gewaltlose Ethik des Por-
phyrios.
Warum operiert Porphyrios viel öfter mit dem Oikeiosis-100 und nicht mit dem
Oikeiotes-Begriff? Man könnte erwarten, dass sich Porphyrios auf die Autorität
des Theophrast stützen würde, um für eine ethische Vorstellung zu plädieren, die
auf vielen Ebenen Berührungspunkte mit der Ethik des berühmten Nachfolgers
des Aristoteles besitzt. Tatsächlich aber lässt sich beobachten, dass Porphyrios
häufiger den Begriff seiner Gegner benutzt, um eine eigene Idee zu entwickeln,
wie oben gezeigt wurde. Hier wird gezeigt, dass die Oikeiosis-Lehre ein viel effizi-
enterer Begriff für die räumliche Vorstellung der Ethik des Porphyrios ist.
Beide Begriffe leiten sich aus einem raumbezogenen Wort ab, dem οἶκος, und
das Verb οἰκέω bedeutet nicht nur wohnen, sondern auch einen Ort zu besie-
deln, was die Verbindung zwischen Ort und Aneignung ausdrückt101. Das heisst,
die Oikeiosis- und Oikeiotes-Theorien besitzen tief in ihrer Wortherkunft einen
räumlichen Aspekt. Was die eine von der anderen unterscheidet, wurde bereits
oben im Detail erklärt102: Oikeiosis steht für eine dynamische Beziehung der An-
eignung, während Oikeiotes für eine abgeschlossene sowohl biologische als auch
psychologische Beziehung zwischen den Lebewesen steht. Sogar an den Suffi-
xen wird bereits deutlich, dass der größte Unterschied zwischen beiden Begrif-
fen in der Möglichkeit der Ausdehnung liegt, da das Suffix -της für eine feste

αὕτη μὲν γὰρ φιλανθρωπία τις ἂν εἴη, ἡ δὲ δικαιοσύνη ἐν τῷ ἀφεκτικῷ καὶ ἀβλαβεῖ κεῖται
παντὸς ὅτου οὖν τοῦ μὴ βλάπτοντος. καὶ οὕτως γε νοεῖται ὁ δίκαιος, οὐκ ἐκείνως, ὡς διατείνειν
τὴν δικαιοσύνην καὶ ἄχρι τῶν ἐμψύχων κειμένην ἐν τῷ ἀβλαβεῖ.“
100 DA 1.7.2, 3.19.2, 3.26.9
101 Siehe Görgemanns 1983, 185 für seine semantische Analyse des Begriffes Oikeiosis, insbe-
sondere die Hervorhebung des Akts der Aneignung.
102 Siehe Kapitel 3.1.
 Porphyrios als „Grenzbestimmer der moralischen ­Landschaft“   183

Eigenschaft steht, während das Suffix -σις für dynamische Prozesse angewendet
wird. Porphyrios ist an einer Ethik der vernunftbasierten Entscheidung interes-
siert, in welcher die moralischen Grenzen nicht fest angegeben sind, sondern von
der handelnden Person durch die Vernunft bestimmt werden. Zum einen kann
die Oikeiotes-Lehre wenig zu dieser Vorstellung beitragen, da ihre Grenzen von
Anfang an bereits fest vorgegeben sind. Zum anderen ist der Oikeiosis-Begriff an-
passungsfähiger und geeigneter für seine Ethik, die auf der Ausdehnung der Ge-
rechtigkeit und des Nicht-Schaden-Zufügenden basiert. Anpassungsfähiger, weil
er nicht auf einem geschlossenen bzw. vorgegebenen System basiert, wie die Oi-
keiotes-Theorie, die klare, unbewegliche Grenzen vorschreibt, sondern auf einer
Lehre, die die Anpassungsfähigkeit als Grundprinzip enthält. Denn das ständige
Aneignen setzt eine Adaptionsfähigkeit voraus.
Anschließend übt er eine harte Kritik an der Philanthropia. Es handelt sich
um eine sehr seltene negative Anwendung des Begriffs Philanthropia, der oft eine
äußerst positive Wertung in der Geschichte der griechischen Ideen besitzt (siehe
oben Kapitel 3.4). Diese Kritik kann als Adressaten den in 1.14 zitierten Klodios
aus Neapel und Herakleides Pontikos haben, die sich dafür aussprechen, dass
eine allgemeine Liebe zur Menschheit existiert, und aus dieser Liebe den ge-
rechten Krieg gegen Tiere ethisch rechtfertigen. Gleichfalls kann es sich um eine
Kritik an der Schilderung der Menschen als Philanthropoi in 1.5 handeln (ἀλλὰ καὶ
ἡμῖν τοῖς ἡμέρως καὶ φιλανθρώπως ζῆν δοκοῦσιν ποῖον ἔργον ἀπολείπεται γῆς).
Danach zeigt er, wie die Gerechtigkeit bewahrt werden kann, und zwar durch
Enthaltsamkeit und eine nicht schädigende Haltung. Diese beiden Elemente, die
sehr stark in der ganzen pythagoreischen Tradition auftauchen und von Porphy-
rios übernommen wurden, werden in diesem klar definierten Kontext verwendet.

3.26.10 „Deswegen ist die Substanz der Gerechtigkeit, dass die Vernunft über die Unver-
nunft herrscht und die Unvernunft folgt. Denn wenn die eine herrscht und die andere folgt,
besteht die Notwendigkeit, dass der Mensch gegenüber allen Wesen unschädlich ist. Denn
wenn die Leidenschaften unter Kontrolle gebracht und die Begierden und die Triebe aus-
gelöscht sind, und die Vernunft die ihr zustehende Herrschaft hat, folgt sofort die Anglei-
chung an das Bessere.“103

103 „διὸ καὶ ἡ οὐσία αὐτῆς ἐν τῷ τὸ λογιστικὸν ἄρχειν τοῦ ἀλόγου, ἕπεσθαι δὲ τὸ ἄλογον.
ἄρχοντος γὰρ τούτου, τοῦ δ’ ἑπομένου, πᾶσα ἀνάγκη ἀβλαβῆ εἶναι πρὸς πᾶν ὅτιοὖν ἄνθρωπον.
συνεσταλμένων γὰρ τῶν παθῶν καὶ τῶν ἐπιθυμιῶν καὶ ὀργῶν μεμαρασμένων, τοῦ δὲ λογισμοῦ
τὴν οἰκείαν ἔχοντος ἀρχήν, εὐθὺς ἡ ὁμοίωσις ἕπεται ἡ πρὸς τὸ κρεῖττον.“
184   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

Die Unschädlichkeit als ethisches Prinzip wird hier mit Hilfe der Lehre Platons
begründet: In Pol. 379b werden die Götter als gut und unschädlich104 bezeichnet.
Um den Gott nachzuahmen, muss man dann auch nicht-schädigend handeln.
Des Weiteren ist das Thema der Herrschaft des vernünftigen Teils über die Seele
in Pol. 441e105 zu finden; und Platon verbindet die Idee der Gerechtigkeit mit dem
Unterlassen Schaden zufügender Handlungen bereits in Pol. 335e106. In Crito 49d
spricht er nicht über Schaden zufügen, sondern über Unrecht tun (ἀδικεῖν)107.
Diese Darstellung stimmt ebenfalls inhaltlich mit der Passage in der Sententiae
32.4–12 überein, in welcher die bürgerlichen Tugenden besprochen werden, da
auch dort das höchste Ziel der Tugenden ist, dass der Nächste keinen Schaden
nimmt108. Porphyrios kombiniert an dieser Stelle die Herrschaft der Vernunft
über die Unvernunft mit der Notwendigkeit, keinen Schaden zuzufügen, falls der
vernünftige Teil herrscht.
Dadurch aktualisiert Porphyrios die Zentralität der Vernunft als Parameter
des moralischen Handelns. Für die Stoiker und Epikureer ist „vernünftig zu sein“
die Bedingung sine qua non, um moralisch behandelt zu werden. Für Porphyrios

104 „Gott ist aber doch in Wirklichkeit gut und muss auch so dargestellt werden? Ganz gewiss.
Und etwas Gutes ist doch nie schädlich, nicht wahr? Ich glaube nicht. Und was nicht schädlich
ist, richtet auch keinen Schaden an? Auf keinen Fall. Und was nicht schadet, tut auch nichts
Schlechtes? Auch das nicht. Was aber nichts Schlechtes tut, das kann auch nicht Ursache von
etwas Schlechtem sein? Natürlich nicht!“ (Übersetzung nach Rufener 2000); „Οὐκοῦν ἀγαθὸς ὅ
γε θεὸς τῷ ὄντι τε καὶ λεκτέον οὕτω; Τί μήν; Ἀλλὰ μὴν οὐδέν γε τῶν ἀγαθῶν βλαβερόν· ἦ γάρ; Οὔ
μοι δοκεῖ. Ἆρ' οὖν ὃ μὴ βλαβερὸν βλάπτει; Οὐδαμῶς. Ὃ δὲ μὴ βλάπτει κακόν τι ποιεῖ; Οὐδὲ
τοῦτο. Ὃ δέ γε μηδὲν κακὸν ποιεῖ οὐδ' ἄν τινος εἴη κακοῦ αἴτιον; Πῶς γὰρ;“
105 „Der vernünftigen Überlegung kommt es aber doch zu, zu regieren, weil sie weise ist und die
Sorge für die ganze Seele hat; dem Muthaften aber, ihr Untertan zu sein und beizustehen.“ (Über-
setzung nach Rufener 2000); „Οὐκοῦν τῷ μὲν λογιστικῷ ἄρχειν προσήκει, σοφῷ ὄντι καὶ ἔχοντι
τὴν ὑπὲρ ἁπάσης τῆς ψυχῆς προμήθειαν, τῷ δὲ θυμοειδεῖ ὑπηκόῳ εἶναι καὶ συμμάχῳ τούτου“.
106 „Uns ist nämlich klar geworden, dass der Gerechte in keinem Falle jemandem Schaden zu-
fügt.“ (Übersetzung nach Rufener 2000); „οὐδαμοῦ γὰρ δίκαιον οὐδένα ἡμῖν ἐφάνη ὂν βλάπτειν“.
107 „ob (…) wir in unseren Beratungen davon ausgehen können, dass es niemals recht ist,
Unrecht zu tun oder zu vergelten oder sich gegen erlittenes Unrecht zu wehren, indem man
selbst wieder Böses tut.“ (Übersetzung nach Rufener 2004); „πότερον (…) ἀρχώμεθα ἐντεῦθεν
βουλευόμενοι, ὡς οὐδέποτε ὀρθῶς ἔχοντος οὔτε τοῦ ἀδικεῖν οὔτε τοῦ ἀνταδικεῖν οὔτε κακῶς
πάσχοντα ἀμύνεσθαι ἀντιδρῶντα κακῶς“.
108 „Die Tugenden des Bürgers bestehen in der Mäßigung in den Affekten und in der Gefolg-
schaft, die der vernünftigen Bedenkung des Geziemenden im Handeln geleistet wird. Da diese
Tugenden auf Gemeinwesen abzielen und darauf, dass der Nächste keinen Schaden nimmt, wer-
den sie wegen ihrer sammelnden und vereinenden Kraft bürgerliche Tugenden genannt.“ (Über-
setzung nach Larrain 1987, 86 von „Αἱ μὲν τοῦ πολιτικοῦ ἐν μετριοπαθείᾳ κείμεναι τῷ ἕπεσθαι
καὶ ἀκολουθεῖν τῷ λογισμῷ τοῦ καθήκοντος κατὰ τὰς πράξεις· διὸ πρὸς κοινωνίαν βλέπουσαι τὴν
ἀβλαβῆ τῶν πλησίον ἐκ τοῦ συναγελασμοῦ καὶ τῆς κοινωνίας πολιτικαὶ λέγονται.“
 Porphyrios als „Grenzbestimmer der moralischen ­Landschaft“   185

ist „vernünftig zu sein“ nicht das entscheidende Merkmal, um moralisch behan-


delt zu werden, sondern, um moralisch gegenüber anderen zu handeln. Denn nur
der Mensch als einziges vernünftiges Lebewesen ist in der Lage, Leidenschaften
und Begierden unter Kontrolle zu halten. Deshalb ist es dem Menschen möglich,
die Vernunft zu benutzen, um gewaltlos gegenüber anderen Wesen zu handeln.
Diese ständige, durch die Vernunft gesteuerte Selbstbeherrschung ist der Weg
zur Angleichung an das Bessere, d.  h. an das Göttliche. Denn die Angleichung
ist nichts anders als das Nachahmen des Gottes, der gut ist und keinen Schaden
zufügt. Die platonische Lehre der Angleichung an Gott soweit möglich ist im Dialog
Theaetetus 176a-b109 formuliert110. Porphyrios erwähnt diese Lehre auch in DA
1.54.6 (ὁμοιώσεως τοῦ θεοῦ), 2.43.3 (θεῷ μὲν καὶ τοῖς ἀμφ' αὐτὸν ὁμοιοῦσθαι),
2.45.4 (ὁμοιουμένου ταῖς περὶ τοῦ θείου), und 3.26.13 (siehe unten)111. In DA 1.57.2
verwendet er stattdessen das Verb οἰκειοῦσθαι, um eine ähnliche Beziehung des
Menschen zu Gott zu beschreiben112. Dies ist ein weiterer Hinweis, dass Porphy-
rios die stoische Terminologie in seine eigene übernimmt, wie Plotin dies eben-
falls oft tat113.
Einerseits bildet dann die Angleichung an Gott als oberste Ziel des Philoso-
phen eine vertikale Achse, die auf die Überschreitung des körperlichen Daseins
zielt, andererseits bildet die dynamische Oikeiosis eine horizontale Achse, die
die Gerechtigkeit auf andere Lebewesen im Rahmen des normalen alltäglichen
Lebens ausdehnen kann. Diese zwei Achsen kreuzen sich, da der Philosoph ein
unschädliches Leben gegenüber den anderen Lebewesen führt.

109 „Daher gilt es auch zu versuchen, von hier so schnell wie möglich dorthin zu entfliehen.
Die Flucht aber besteht in der möglichsten Verähnlichung mit Gott; ihm ähnlich werden heißt
aber gerecht und fromm werden auf dem Grund richtiger Einsicht.“ (Übersetzung nach Apelt
1988); „διὸ καὶ πειρᾶσθαι χρὴ ἐνθένδε ἐκεῖσε φεύγειν ὅτι τάχιστα. φυγὴ δὲ ὁμοίωσις θεῷ κατὰ
τὸ δυνατόν· ὁμοίωσις δὲ δίκαιον καὶ ὅσιον μετὰ φρονήσεως γενέσθαι.“
110 Roloff 1970 untersucht die möglichen vorplatonischen Erscheinungen dieser Lehre mit der
Rechtfertigung, dass Pythagoras diese bereits vor Platon vertreten hatte, wie Areios Didymos bei
Stob. Ecl. Eth. II. 7, A. 49 ausführt.
111 Vgl. Clark 2000, 143.
112 „It is not possible to be familiar with a god – not even with one of the particular gods, let
alone the god who singly is above all higher than incorporeal nature – by following just any
lifestyle, especially flesh-eating; one can hardly even with all kinds of purifications of soul and
body, become worthy of awareness of the god, that is if one has a fine nature and lives a pure
and holy life.“ (Übersetzung nach Clark 2000); „θεῷ δὲ οὐδὲ τῶν μερικῶν τινί, οὐχ ὅτι τῷ ἐπὶ
πᾶσιν καὶ ὑπὲρ τὴν ἀσώματον φύσιν ἁπλῶς μεθ' ὁποίας οὖν διαίτης καὶ ὅλως σαρκοφαγίας ἐνῆν
οἰκειοῦσθαι, ἀλλ' ἁγνείαις παντοίαις καὶ ψυχῆς καὶ σώματος μόλις καταξιοῦσθαι τῆς ἐκείνου
ἐπαισθήσεως, φύντι τε καλῶς καὶ ζῶντι ὁσίως καὶ καθαρῶς.“
113 Vgl. Graeser 1972 passim und Meijer 1988, 61–76.
186   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

3.26.11 „Das Bessere ist durch und durch unschädlich und es kann durch seine Macht
alle bewahren, allen Gutes tun und benötigt nichts; wir aber sind durch die Gerechtig-
keit unschädlich allen gegenüber, aber aufgrund der Sterblichkeit bedürfen wir das
Notwendig.“114

Porphyrios fängt an dieser Stelle an zuzugestehen, dass es für Menschen un-


möglich ist, eine vollkommene ethische Haltung gegenüber allen Lebewesen
zu haben. Dafür verwendet er ein ähnliches Argument, wie es die Peripatetiker
in 1.6.2 angeführt haben, um Tiere zu nutzen, und zwar, dass der Mensch nicht
selbstgenügsam ist (ὃ γὰρ ἤδη εἰρήκαμεν, τὴν φύσιν αὐτάρκη μὲν οὐκ οὖσαν, ἀλλ'
ἐνδεῆ πολλῶν).

3.26.12 „Aber das Nehmen der notwendigen Mittel schadet weder Pflanzen, wenn wir das
nehmen, was sie herunterfallen lassen, noch Früchten, wenn wir die Früchte von toten
(Lebewesen) verwenden, noch den Schafen, wenn wir ihnen durch das Abscheren eher
nützen und an ihrer Milch teilhaben, aber ihnen dafür unsere Fürsorge gewähren.“115

Porphyrios will dann dieses Problem mit Hilfe der Lehre des Theophrast (DA 2.13.1–
2) lösen: Wenn wir gleichsam einen für beide – Tiere und Menschen – vorteilhaf-
ten Vertrag schließen, indem wir als Gegenleistung für die Produkte der Tiere und
Pflanzen unsere Fürsorge anbieten, dürfen wir von ihnen profitieren. Gleichzeitig
beantwortet er die Kritik, die Herakleides bzw. Klodios in 1.21 äußerten, dass die
Milch und die Wolle der Tiere zu benutzen Raub sei. Dies scheint auch eine Antwort
seitens Porphyrios auf die Haltung der Epikureer zu sein, dass es unmöglich sei,
Verträge mit Tieren zu schließen (DA 1.7–12). Natürlich kann man nicht erwarten,
dass Theophrast eine solche Diskussion mit der epikureischen Philosophie hatte,
aber dass auch Porphyrios dieses Argument für sich beansprucht, kann durchaus
zeigen, dass Porphyrios die Argumente der Epikureer widerlegen möchte.

3.26.13 „Deswegen steckt der gerechte Mensch bei den Dingen seines Körpers zurück, fügt
sich aber selbst kein Unrecht zu. Denn durch dessen Erziehung und Selbstbeherrschung
wächst das innere Gute, d.  h. die Angleichung an Gott.“116

114 „τὸ δὲ ἐν τῷ παντὶ κρεῖττον πάντως ἦν ἀβλαβές, καὶ αὐτὸ μὲν διὰ δύναμιν καὶ σωστικὸν
πάντων καὶ εὐποιητικὸν πάντων καὶ ἀπροσδεὲς πάντων· ἡμεῖς δὲ διὰ μὲν δικαιοσύνην ἀβλαβεῖς
πάντων, διὰ δὲ τὸ θνητὸν ἐνδεεῖς τῶν ἀναγκαίων.“
115 „ἡ δὲ τῶν ἀναγκαίων λῆψις οὐ βλάπτει οὔτε φυτά, ὅταν ἃ ἀποβάλλουσι λάβωμεν, οὔτε
καρπούς, ὅταν τεθνηκότων χρησώμεθα τοῖς καρποῖς, οὔτε πρόβατα, ὅταν διὰ τῆς κουρᾶς αὐτὰ
μᾶλλον ὀνήσωμεν καὶ τοῦ γάλακτος κοινωνήσωμεν παρέχοντες αὐτοῖς τὴν ἐξ ἡμῶν ἐπιμέλειαν.“
116 „διὸ προσπίπτει ὁ δίκαιος οἷον ἐλαττωτικὸς ἑαυτοῦ τῶν κατὰ σῶμα, οὐκ ἀδικεῖ δὲ ἑαυτόν·
αὔξει γὰρ τῇ τούτου παιδαγωγίᾳ καὶ ἐγκρατείᾳ τὸ ἐντὸς ἀγαθόν, τοῦτ' ἔστιν ἡ πρὸς θεὸν
ὁμοίωσις.“
 Porphyrios als „Grenzbestimmer der moralischen ­Landschaft“   187

Danach widmet er sich dem platonischen Aspekt der Trennung von Körper und
Seele und der Lehre der Angleichung an Gott. Dadurch ist deutlich zu erkennen,
dass er bestrebt ist, eine Argumentation zu entwickeln, die sich kohärent in sein
eigenes System einfügt.

3.27.1 Die wahre Gerechtigkeit wird weder bewahrt, wenn die Lust das Ziel ist noch wenn
die ersten Dinge gemäß der Natur das Glück erfüllen oder sie allen angeboten werden.
Denn bei vielen sind die Regungen der vernunftlosen Natur der Anfang der Bedürfnisse
der Ungerechtigkeit. Sofort brauchen sie den Tierverzehr, um ihre Natur, wie sie sagen, als
kummerlose und nicht dessen bedürftige, wonach sie verlangt, zu bewahren. Aber wenn
die möglichst nahe Angleichung an Gott das Ziel ist, wird das Nicht-Schaden-Zufügende in
allen Fällen bewahrt.“117

In Fortsetzung des Arguments, dass die Bedürfnisse aufgrund der vernunftlosen


Natur im Menschen vorhanden sind, wird gezeigt, dass es trotz dieser schwieri-
gen Lage möglich ist, sie zu überwinden, indem man sich gewaltlos verhält und
dadurch die Angleichung an Gott erreicht.

3.27.2 „Solch einer also, der durch Leidenschaften gesteuert wird und nur gegenüber
seinen Kindern und seiner Frau unschädlich ist, aber gegenüber anderen missachtend und
eigennützig, wird nur zu sterblichen Dingen angeregt und durch diese in Erstaunen ver-
setzt, weil in ihm die Unvernunft herrscht. Derjenige aber, der durch Vernunft gesteuert
wird, bewahrt das Nicht-Schaden-Zufügende sowohl gegenüber seinen Mitbürgern als auch
vielmehr Fremden und allen Menschen. Der, der die Unvernunft unterworfen hat, überragt
jene an Vernunft, und deswegen ist er auch gottähnlicher. Ebenso ist der, der das Nicht-
Schaden-Zufügende nicht nur auf die Menschen beschränkt, sondern es bis auf die anderen
Tiere ausdehnt, Gott ähnlicher, und wenn es ihm möglich ist, es bis auf die Pflanzen aus-
zudehnen, wahrt er dieses Bild noch mehr.“118

117 „οὔτε τοίνυν ἡδονῆς οὔσης τέλους ἡ ὄντως σῴζεται δικαιοσύνη, οὔτε τῶν πρώτων κατὰ
φύσιν συμπληρούντων τὴν εὐδαιμονίαν, ἢ ἐκκειμένων γε πάντων. ἐν πολλοῖς γὰρ τὰ τῆς ἀλόγου
κινήματα φύσεως καὶ αἱ χρεῖαι ἀδικίας κατάρχει. αὐτίκα τῆς ζῳοφαγίας ἐδεήθησαν, ἵνα τὴν φύσιν,
ὡς φασίν, διαφυλάξωσιν ἀλύπητον καὶ ἀνενδεᾶ ὧν ὀρέγεται. τοῦ δ' ὁμοιοῦσθαι θεῷ ὄντος τέλους
ὡς ἔνι μάλιστα, σῴζεται τὸ ἀβλαβὲς ἐν ἅπασιν.“
118 „ὅνπερ τοίνυν τρόπον ὁ πάθεσιν ἀγόμενος πρὸς μόνα τέκνα καὶ γυναῖκα ἀβλαβής, τῶν δὲ
ἄλλων καταφρονητικὸς καὶ πλεονέκτης, ὡς ἂν τοῦ ἀλόγου κρατοῦντος ἐν αὐτῷ, πρὸς τὰ θνητὰ
ἐγείρεται καὶ ταῦτα ἐκπλήττεται, ὁ δὲ λόγῳ ἀγόμενος καὶ πρὸς πολίτην τηρεῖ τὸ ἀβλαβὲς καὶ
ἔτι μᾶλλον πρὸς ξένους καὶ πρὸς πάντας ἀνθρώπους, ὁ τὴν ἀλογίαν ἔχων ὑπήκοον, καὶ αὐτὸς
παρ' ἐκείνους λογικώτερος, διὰ ταῦτα δὲ καὶ θειότερος· οὕτως ὁ μὴ μόνον στήσας τὸ ἀβλαβὲς ἐν
ἀνθρώποις, παρατείνας δὲ καὶ εἰς τὰ ἄλλα ζῷα μᾶλλον ὅμοιος θεῷ, καὶ εἰ ἄχρι φυτῶν δυνατόν,
ἔτι μᾶλλον σῴζει τὴν εἰκόνα.“
188   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

Wie will Porphyrios aber diese moralische Linie ziehen, wenn er der Meinung
ist, dass man allen Lebewesen keinen Schaden zufügen soll, aber gleichzeitig zu-
gesteht, dass es unmöglich ist, das eigene Leben weiter zu führen, ohne einige
Lebewesen zu verwenden? Die Antwort findet sich eben an dieser Stelle, in der
Porphyrios eine Abstufung dessen vornimmt, was dringend für seine Ethik not-
wendig ist, und dessen, was wünschenswert ist. Er folgt dem Modell der Erweite-
rung der konzentrischen Kreise, wie es auch Theophrast, die Stoiker, Cicero und
Areios taten119. Er ist der Meinung, dass die Gerechtigkeit und die Ähnlichkeit
mit Gott je nach Kreis wachsen. Es reicht dann nicht, nur die engere Familie als
Vertraute zu empfinden, sondern man muss weiter in den Kreis der Mitbürger
und danach der Fremden und somit aller Menschen hineingehen. Durch das Verb
παρατείνω, das, wie oben gezeigt120, ein Teil der Terminologie für die moralische
Begrenzung bildet, zieht er die Linie noch weiter bis zu den Tieren. Wenn man
auch die Linie bis zu den Pflanzen je nach Situation ziehen kann, ist dies noch
besser, wie das Wort δυνατόν ausdrückt. Dies bestätigt die Meinung von Corrigan
2014, 372–393, dass für Porphyrios und allgemein im Neuplatonismus die Hier-
archisierung der Menschen, Tiere und Pflanzen nicht so definiert ist, wie man
bisher angenommen hat121.
Porphyrios ist vor allem an einer durchführbaren Ethik interessiert, die er im
Alltag ausüben kann und die er vernünftig als Lebensstil verteidigen kann. Damit
will er eine sichere Entfernung zu Utopien schaffen, wie der von Empedokles,
die eine gleichwertige Verwandtschaft zwischen allen Lebewesen (einschließlich
Pflanzen) schildert, oder der Lehre der Metempsychose, die die ethische Bezie-
hung zwischen Menschen und Tieren auf eine metaphysische Ähnlichkeit der
Seelen begründet. Die Schrift DA ist am Ende ein Versuch, die vegetarische Ethik
als eine mögliche Lebensart zu präsentieren. Letzlich ist diese Ethik immer noch
sehr anspruchvoll und nur für wenige zugänglich, wie er anerkennt, indem er als
sein Publikum „die Philosophen“ nennt122.

3.27.3 „Wenn dies nicht möglich ist, sondern die Beschränkung unserer Natur darin
besteht, dann kommt von hier die die Klage der Älteren, dass:

„wir aus solchen Streitigkeiten und Zankereien geboren sind“,

119 Siehe Kapitel 3.1.


120 Und ausführlicher in Kapitel 3.5.
121 „What we find here and in later Neoplatonism is a cosmic attitude and an attentiveness
to the lives of animals and of plants that have been almost entirely lost and that provide good
evidence for supposing that modern negative views about hierarchy and the elimination of the
importance of individuals (whether humans, other animals or plants) are simply misguided.“
122 Vgl. Kapitel 2.1.3.
 Porphyrios als „Grenzbestimmer der moralischen ­Landschaft“   189

weil wir das Göttliche weder unversehrt noch in allem unbeschadet bewahren können.
Denn wir sind nicht in allem bedürfnislos.“123

In dieser Hinsicht findet Porphyrios in der stoischen Oikeiosis-Theorie die pas-


sende Grundlage für seine Ethik der Gewaltlosigkeit, die durch das Nicht-Scha-
den-Zufügende ausgedrückt wird. Sorabji 1993, 156124 und Fortenbaugh 1984,
277125 aber sind der Meinung, dass Porphyrios’ Haltung eher auf der Oikeiotes-
Lehre des Theophrast als auf der Oikeiosis-Lehre basiert, weil er Wert auf die ge-
meinsamen Eigenschaften der Lebewesen legt. Diese Meinung ist nicht zutref-
fend: Die Oikeiotes-Lehre spricht nicht über Pflanzen, da sie nicht diesselben
Eigenschaften wie die Menschen und Tiere besitzen, d.  h. Pflanzen sind stark
von Menschen und Tieren getrennt. Dies ist nicht der Fall bei Porphyrios, der
versucht, nach Möglichkeit Pflanzen in den moralischen Kreis einzubeziehen,
indem man die Gewaltlosigkeit durch einen Oikeiosis-Prozess, wenn es möglich
ist, bis zu ihnen ausdehnt126. Dies zeigt, dass die Oikeiotes-Lehre ein sowohl sta-
biles als auch geschlossenes System ist, während die Oikeiosis ein dynamisches
und adaptionsfähiges System bildet (wie bereits oben gezeigt wurde). Der ein-
zelne Fall und der individuelle Aspekt des moralischen Handelns werden hervor-

123 „εἰ δὲ μή, ἀλλ' ἐντεῦθέν γε τὸ τῆς φύσεως ἡμῶν ἐλάττωμα, ἐντεῦθεν τὸ θρηνούμενον πρὸς
τῶν παλαιῶν, ὡς
τοίων ἔκ τ' ἐρίδων ἔκ τε νεικέων γενόμεσθα,
ὅτι τὸ θεῖον ἀκήρατον καὶ ἐν πᾶσιν ἀβλαβὲς σῴζειν οὐ δυνάμεθα· οὐ γὰρ ἐν πᾶσιν ἦμεν
ἀπροσδεεῖς·“
124 „But whatever Theophrastus may have said, Porphyry makes use of his materials in an in-
teresting way. He treats these similarities in animals not as parts of some technical theory of
justice, like the Stoic one, but simply as relevant reasons for our treating them justly. It is this
emphasis on animals themselves that makes his call for justice look more like an assertion of
their rights. But even here what he is emphasising about the animals, like Pythagoras and Em-
pedocles before him, is their relation to us, their belonging. Oikeiotês is a relational term and so
the emphasis may not be so purely on the animals themselves as to provide an unmistakable
appeal to rights.“
125 Bei der Diskussion der Passage 3.25.1–3 behauptet Fortenbaugh folgendes: „Es ist wichtig zu
bemerken, dass in unserem Text von οἰκειότης und nicht von οἰκείωσις die Rede ist. Die erstere
stellt ein gegenseitiges Verhältnis dar, woran Porphyrius Interesse hat, weil er eine Ähnlichkeit
und dadurch Gerechtigkeit zwischen Menschen und Tieren beweisen will. Die letztere ist eine
stoische Idee, welche weder ein gegenseitiges Verhältnis noch Gerechtigkeit zwischen Tieren
und Menschen begründet.“
126 Eine weitere Motivation des Porphyrios, Pflanzen ethisch zu berücksichtigen, mag der Wun-
sche nach einer Antwort auf das Argument des Herakleides bzw. Klodios sein, die die Widersprü-
che der ethischen Haltungen gegenüber Pflanzen in Frage stellen. Ausführlicher wurde dieses
Thema in Kapitel 2.2.2 besprochen.
190   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

gehoben, indem der Philosoph immer die Möglichkeit hat zu entscheiden, wann
es notwendig ist, andere Lebewesen ungerecht zu behandeln und wann nicht.
Dombrowski liest diese Passage anders und vertritt die Meinung, dass Porphyrios
es für unmöglich hält, dass die Gerechtigkeit auf die Pflanzen ausgedehnt werden
kann, da sie nicht wahrnehmungsfähig seien127. Diese Interpretation kann nicht
als richtig angenommen werden, weil Porphyrios ausdrücklich die Pflanzen in
den moralischen Kreis aufnehmen möchte, indem er sagt: wenn es möglich ist,
und nicht: wenn es möglich wäre, wie Dombrowski interpretiert. Zusätzlich
ist hier nirgends die Rede von der Wahrnehmungsfähigkeit der Pflanzen. Dom­
browskis Hauptthese ist, dass Porphyrios das Argument der „Marginal Cases“128
vertreten hat und diese Passage, in der Porphyrios eindeutig auch Pflanzen Ge-
rechtigkeit zuschreibt, passt nicht zu seiner Vorstellung. In dieser Hinsicht ist
Porphyrios viel mehr an einem ethischen Element interessiert, das ihm erlaubt,
seiner Ablabeia-Lehre mehr Reichweite einzuräumen. Die Beschränkungen dieser
Reichweite werden hier durch eine Mischung aus dem Argument der Peripateti-
ker (DA 1.6) und Begriffen aus Empedocles fr.18 Inwood (DK 124) ausgedrückt: Es
ist nicht möglich alles unversehrt zu bewahren, weil wir nicht selbstgenügsam
sind.

3.27.4 „Der Grund ist aber das Werden und dass wir in Armut geboren sind, da die Überfülle
verschwunden ist. Die Armut aber erwarb aus fremden Mitteln ihre Bewahrung und die
Ordnung, durch die sie ihre Existenz empfang. Wer nun mehr von außen her braucht, ist
stärker an die Armut festgenagelt. Und je mehr er bedarf, desto mehr ist er ohne Anteil an
Gott und lebt mit der Armut zusammen.“129

127 Dombrowski 2014, 552: „On the agent-centred side, because he thinks that assimilation to
divinity is the end of human life, innoxious (ablabes) conduct towards those beings that can be
injured should be preserved as much as possible. He would even extend such conduct to plants,
were it possible to do so, but their lack of sentience makes this impossible (21–7).“
128 Diese These wird ausführlicher in seinem Aufsatz Vegetarianism and the Argument from
Marginal Cases in Porphyry ausgeführt. Eine kurze Erklärung des Arguments der “Marginal
Cases“ lautet nach Dombrowski 1984b, 142 so: „Theological statements of man’s privileged sta-
tus cannot be philosophically justified. But to say that we can legitimately eat animals because
human beings are rational, or autonomous, or just, or language-users, etc., is not true of many
human beings. These “marginal cases“ include infants, the mentally enfeebled, and the like. If
we “lower“ our standard to that of sentiency (e.  g., the ability to experience pain) so as to protect
these people, we must also protect many animals, including those that we eat.“
129 „αἰτία δὲ ἡ γένεσις καὶ τὸ ἐν τῇ πενίᾳ ἡμᾶς γενέσθαι, τοῦ πόρου ἀπορρυέντος. ἡ δὲ πενία ἐξ
ἀλλοτρίων τὴν σωτηρίαν καὶ τὸν κόσμον, δι' οὗ τὸ εἶναι ἐλάμβανεν, ἐκτᾶτο. ὅστις οὖν πλειόνων
δεῖται τῶν ἔξωθεν, ἐπὶ πλέον τῇ πενίᾳ προσήλωται· καὶ ὅσῳ πλεόνων ἐνδεής, τοσούτῳ θεοῦ μὲν
ἄμοιρος, πενίᾳ δὲ σύνοικος.“
 Porphyrios als „Grenzbestimmer der moralischen ­Landschaft“   191

In den nächsten Paragraphen wird eine platonische Erklärung des Bösen von
Porphyrios angeboten, das auf das Werden (γένεσις) zurückgehe und letzlich im
Fall der Seele in die Materie seinen Ursprung finde, wie in 3.27.6 geschildert wird.
Die praktischen Konsequenzen im Alltag will Porphyrios durch die Verwendung
von räumlichen Termini wie „außen“ (ἔξωθεν), „innen“ (ἔνδοθεν – 3.27.11) und
σύνοικος demonstrieren, das normalerweise ein Wort für die Ehe ist, aber hier
das Zusammenleben in demselben Raum bezeichnet. Dies passt zu seiner räum-
lichen Konzeptualisierung der moralischen Beziehungen, die sich bis jetzt in der
Terminologie der moralischen Linien gezeigt hat, und baut eine mächtige Meta-
pher auf, die in 3.27.7 weiter ausgeführt wird. Ebenfalls verwendet er eine solche
Terminologie in seiner Sententia 40. Dort sagt er, dass der Mensch versuchen
soll, nur zu sein, um ganz zu werden, aber „wenn jemand aus dem Nichtseienden
wird, so ist er nicht Ganzer (ganz), sondern er ist mit der Armut verbunden und
bedürftig aller Dinge.“ (Übersetzung nach Larrain 1987)130.

3.27.5 „Das dem Gott Ähnliche hat nämlich durch seine Ähnlichwerdung sofort den
echten Reichtum. Keiner aber, der reich ist und nichts begehrt, tut Unrecht; denn solange
er Unrecht tut, ist er arm, trotz des Besitzens aller Reichtümer und aller Joche der Erde,
weil er mit der Armut zusammenlebt, und deswegen eben ist er auch ungerecht und gottlos
und unfromm und mit aller Schlechtigkeit verbunden, deren Existenz der Fall der Seele zur
Materie hin, mithin der Verlust des Guten, herbeiführte.“131

Hier werden die Schlechtigkeit und die Armut als Konsequenzen für alle unge-
rechten Taten, die letztlich ihren Ursprung in dem Fall der Seele haben, genannt.

3.27.6 „Alles ist also unsinnig, solange man von seinen Prinzipien abgekommen ist, und es
besteht Mangel an allen Dingen, solange man nicht auf die Überfülle schaut. Man ähnelt
dem Sterblichen der eigenen Natur, solange man sein eigenes Selbst nicht erkannt hat. Die
Ungerechtigkeit ist äußerst tüchtig darin, sich selbst zu überreden und diejenigen, die ihr
Untertan sind, zu bestechen, weil die Beziehung zu ihr mit Lust assoziiert ist“132

130 „οὐδ' εἶπας οὐδὲ σύ ‘τοσοῦτός εἰμι’, ἀφεὶς ‹δὲ› τὸ ‘τοσοῦτος’ γέγονας πᾶς· καίτοι καὶ
πρότερον ἦσθα πᾶς, ἀλλὰ καὶ ἄλλο τι προσῆν σοι μετὰ τοῦ ‘πᾶς’ καὶ ἐλάττων ἐγίνου τῇ προσθήκῃ,
ὅτι μὴ ἐκ τοῦ ὄντος ἦν ἡ προσθήκη· οὐδὲν γὰρ ἐκείνῳ προσθήσεις. ὅταν οὖν τις καὶ ἐκ τοῦ μὴ
ὄντος γένηται, οὐ πᾶς, τῇ πενίᾳ σύνοικος καὶ ἐνδεὴς πάντων·“
131 „τὸ γὰρ θεῷ ὅμοιον τῇ ὁμοιώσει εὐθὺς πλοῦτον ἔχει τὸν ἀληθινόν. πλουτῶν δὲ οὐδεὶς καὶ
χρῄζων μηδενὸς ἀδικεῖ· ἕως γὰρ ἀδικεῖ, κἂν πάντα ἔχῃ χρήματα κἂν πάντα τῆς γῆς πλέθρα,
πένης ἐστὶν πενίᾳ ὑπάρχων σύνοικος, διὰ ταῦτα δὴ καὶ ἄδικος καὶ ἄθεος καὶ ἀσεβὴς καὶ πάσῃ
κακίᾳ ἔνοχος, ἧς τὴν ὑπόστασιν ἡ πρὸς τὴν ὕλην τῆς ψυχῆς πτῶσις κατὰ στέρησιν τοῦ ἀγαθοῦ
παρήγαγεν.“
132 „λῆρος οὖν πάντα, ἕως τις τῆς ἀρχῆς ἀπέσφαλται, καὶ ἐνδεὴς πάντων, ἕως οὗ πρὸς τὸν
πόρον οὐ βλέπει, εἴκει τε τῷ θνητῷ τῆς φύσεως αὑτοῦ, ἕως τὸν ὄντως ἑαυτὸν οὐκ ἐγνώρισεν.
192   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

3.27.7 „Wie aber bei der Wahl der Lebensweisen derjenige, der Erfahrung mit beiden Arten
hat, ein genauerer Richter ist als der, der Erfahrung nur mit einer von beiden hat; so ist
bei den Wahlen und den Vermeidungen der Pflichten der, der aus einer höheren Position
entscheidet, ein sichererer Richter auch in Bezug auf niedrigere Angelegenheiten als der,
der von unten das Vorliegende entscheidet. Daher ist der, der nach dem Verstand lebt, ein
genauerer Grenzbestimmer als der, der nach der Unvernunft lebt, in Bezug auf was gewählt
werden muss und was nicht. Denn er durchschritt auch die Unvernunft, weil er am Anfang
mit ihr zu tun hatte; der aber, der keine Erfahrung mit den Dingen des Verstandes hat, über-
redet die, die ihm ähnlich sind – ein Kind, das anderen Kindern Blödsinn erzählt.“133

Die topographischen Aspekte der moralischen Entscheidung werden an dieser


Stelle hauptsächlich benutzt, um diejenigen zu bezeichnen, die in der Lage sind,
gute Entscheidungen zu treffen. Die verschiedenen Ebenen (oben, unten), die Por-
phyrios als Metapher für die Erfahrung mit dem Bösen und dem Gutem benutzt,
bereiten das Terrain für eine sehr starke Metapher des Menschen als moralischer
Akteur: Der Mensch als Grenzbestimmer (ὁριστής), als der Mensch, der morali-
sche Grenzen (ὅρος) zieht. Durch diesen Begriff werden die dynamischen und ab-
wechslungsreichen Aspekte des moralischen Handelns durch eine räumliche Me-
tapher ausgedrückt, da der Mensch nicht nur einer abgeschlossenen Ethik folgen,
sondern immer die eigenen Grenzen bestimmen sollte. Das Wort ὁριστής kann im
übertragenden Sinn als Richter übersetzt werden, evoziert aber an dieser Stelle
seine ursprüngliche Bedeutung, um hervorzuheben, dass ein Richter derjenige ist,
der moralische Grenzen zieht. Das Ziel des Lebens soll laut Porphyrios die Gewalt-
losigkeit sein, aber inwiefern und bis wohin sie angewendet werden kann, kann
nur das Individuum als Grenzbestimmer entscheiden, da auch es selbst Grenzen
besitzt, weil es nicht über selbstständige Mittel zum Leben verfügt. Der Kompass
soll laut Porphyrios der Verstand (νοῦς) sein, der solche Differenzierungen je
nach Situation vorzunehmen erlaubt. Hier wird offensichtlich, dass für Porphy-
rios der größte Unterschied zwischen Menschen und anderen Tieren ist, dass die
Menschen nach dem Verstand (νοῦς) leben. Durch diesen Verstand sind sie in der
Lage, Entscheidungen zu treffen, die moralische Einsichten voraussetzen, aber
dies bedeutet nicht, dass nur Menschen von der Gerechtigkeit profitieren können.

δεινὴ δὲ ἡ ἀδικία πείθειν ἑαυτὴν καὶ δεκάζειν τοὺς ὑπ' αὐτῆς συνεχομένους, διότι σὺν ἡδονῇ
προσομιλεῖ τοῖς τροφίμοις.“
133 „ὥσπερ δὲ ἐν βίων αἱρέσεσιν ἀκριβέστερος κριτὴς ὁ πεῖραν ἀμφοῖν εἰληφὼς τοῦ θατέρου
πειραθέντος μόνου, οὕτως ἐν αἱρέσεσι καὶ φυγαῖς καθηκόντων ἀσφαλέστερος κριτὴς ὁ ἐκ τοῦ
ἐπαναβεβηκότος κρίνων καὶ τὸ ἧττον τοῦ κάτωθεν κρίνοντος τὰ προκείμενα. ὥστε ὁ κατὰ νοῦν
ζῶν τοῦ κατὰ τὴν ἀλογίαν ἀκριβέστερος ὁριστὴς ὧν τε αἱρετέον καὶ ὧν μή· διῆλθε γὰρ καὶ δι'
ἀλογίας, ἅτε ἐξ ἀρχῆς ταύτῃ προσομιλήσας· ὁ δὲ ἄπειρος ὢν τῶν κατὰ νοῦν πείθει τοὺς ὁμοίους,
παῖς ἐν παισὶ φλυαρῶν.“
 Porphyrios als „Grenzbestimmer der moralischen ­Landschaft“   193

Eine vertiefte Untersuchung zur Rolle der Begriffe Nous und Logos bei Por-
phyrios ist noch zu leisten. Zusammenfassend kann an dieser Stelle gesagt
werden, dass in der plotinischen Metaphysik der nous als eigenständige Hypo-
stase betrachtet wird, während der logos als Vermittler und Ausdruck der Hy-
postasen verstanden wird (Schubert 1968, 52–53). Der nous (zweites Prinzip) sei
also der logos des hen (erstes Prinzip), die Seele (drittes Prinzip) sei der logos des
nous und der intelligible Teil in der wahrnehmbaren Welt sei der logos der Seele,
also der immaterielle und intelligible Anteil, der in die vergängliche Welt von der
Seele eingeführt wird (Enneaden 6.10.45). Die Vermittler-Funktion des logos wird
von Früchtel 1970, 13 hervorgehoben, der den logos als „rationale Formkraft, die
in ihrer doppelten Wirkweise den Hypostasen Sein gibt, zugleich aber auf den
Urgrund ihres Seins zurückweist“ bezeichnet. Der dynamische Aspekt des logos
als Bindeglied zwischen den Hypostasen wird ebenfalls von Früchtel 1970, 68 als
ausschlaggebend für die Einheit der neuplatonischen Metaphysik bezeichnet:

„Logos und Arche sind dabei derart umgeformt worden, dass die Prinzipien in ihrem Stu-
fenbau eine Aufgliederung fanden, wobei der Logosbegriff das dynamische Bindeglied mit
der Funktion der geistigen Formkraft wurde. Diese Momente verleihen dem plotinischen
Denken seine Geschlossenheit“.

Außerdem wird der stoische Einfluss auf die Vorstellung des logos bei Plotin von
Witt 1930, 103–111 hervorgehoben. Die Kapazität der Emanation des logos auf alle
Ebenen der Wirklichkeit sei eine Adaption der spermatischen Wirkung des stoi-
schen logos. Dieses sei aber idealistisch und nicht materialistisch, wie die Stoiker
behauptet haben, zu verstehen.
Bei Porphyrios ist eine solche systematisierte Betrachtung des logos schwie-
riger zu finden. Laut Edwards 2016, 274–288, die sich mit den Begriffen von logos
bei den Stoikern und bei Porphyrios auseinandergesetzt hat, ist der logos bei Por-
phyrios eine im Menschen geborene Kraft, die dafür verantworlich sei, dass der
Mensch die essenziellen Formen wiedererkennen könne134. Für die Stoiker hinge-
gen sei der Logos im Menschen eine durch Erfahrung entwickelte Kraft, die für
verschiedene geistliche menschliche Tätigkeiten wie Erinnerungen, Wahrneh-
mungen und Gemütsbewegungen zuständig sei135.

134 Für die ganze Argumentation siehe Edwards 2016, 279–281, die u.  a. auf Porphyrios’ Ad
Gaurum 12.5.2.2–4, 12.1.3–12.3.2 (Vernunft ist den Menschen angeboren) und Porphyryos’ in
Ptol. Harm. 14,31–15,5 basiert (die Funktion des logos ist, die Objekte, die in der vergänglichen
Welt durch die Wahrnehmung empfindbar sind, mit der Wiedererkennung der Formen zu er­
gänzen).
135 Für die Argumentation und die Analyse mehrerer Quellen dieser Debatte siehe Edwards
2016, 276–279.
194   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

Wenn man die plotinische Vorstellung des logos als dynamisches Bindeglied
zwischen den Hypostasen in Anspruch nehmen darf, um die Ethik des Porphy-
rios besser zu verstehen, lässt sich sagen, dass für Porphyrios eine vernünftige
Seele (logike psyche) die Voraussetzung für die Nachahmung des Gottes ist, weil
der nous nur durch den verbindenden und dynamischen logos betrachtet werden
kann. Denn die Fähigkeit des logos, die Formen wiederzuerkennen, ist nichts
anders als ein dynamischer Austausch zwischen den Hypostasen. Ausschlagge-
bend für die soteriologische Ethik des Porphyrios ist aber die Betrachtung des
nous selbst, die unter anderem durch eine gewaltlose Einstellung gegenüber
allen Lebewesen erfolgt und nur Lebewesen, die an der Vernunft teilnehmen, zu-
gänglich ist.

3.27.8 „Aber sie sagen, wenn alle durch diese Argumente überzeugt werden, was wird uns
bevorstehen? Es ist klar, dass wir glücklich sein werden, wenn die Ungerechtigkeit aus den
Grenzen der Menschen verbannt wird und die Gerechtigkeit auch unsere Mitbürgerin ist,
wie sie es im Himmel ist.“136

Noch einmal verwendet Porphyrios räumliche Terminologie mit dem Partizip


ἐξορισθείσης, das sich hier auf die Ungerechtigkeit bezieht, die außerhalb der
Grenzen der Menschen geschickt werden soll. Dies bedeutet nicht, dass Unge-
rechtigkeit gegenüber Tieren geübt werden soll, wie in der stoischen Auffassung,
sondern, dass nur die Menschen in der Lage sind, die Ungerechtigkeit durch die
Ausübung der Vernunft und der Gewaltlosigkeit als menschenfremd zu betrach-
ten. Dahinter steckt die Formulierung einer gemeinsamen Politeia, in der die ge-
rechten und gottähnlichen Menschen in Harmonie leben dürften. Dies wird er-
reicht, indem die ungerechten und gottlosen Menschen aus dieser Gemeinschaft
verbannt werden. Am Ende wird auch die Dualität Erde-Himmel verwendet, um
zu zeigen, dass im himmlischen Raum die Gerechtigkeit eine Mitbürgerin ist.
Die in den letzten Absätzen analysierten raümlichen Metapher sprechen dafür,
dass Porphyrios bewusst eine Extended Metaphor des Raumes verwendet hat, um
seine Ethik zu definieren.

3.27.9 „Aber nun wäre es dasselbe, wie wenn die Danaiden nicht wüssten, welches Leben
sie leben sollten, falls sie von der Aufgabe befreit wären, ein durchbohrtes Fass mit einem
Sieb zu füllen. Was wird mit uns sein, fragen sie, wenn wir damit aufhören würden, unsere
Leiden und Verlangen zu fördern, von denen alles zerfließt, da wir aufgrund unserer Uner-

136 „ἀλλ’ εἰ πάντες, φασί, τούτοις πεισθεῖεν τοῖς λόγοις, τί ἡμῖν ἔσται; ἢ δῆλον ὡς
εὐδαιμονήσομεν, ἀδικίας μὲν ἐξορισθείσης ἀπ' ἀνθρώπων, δικαιοσύνης δὲ πολιτευομένης καὶ
παρ' ἡμῖν, καθάπερ καὶ ἐν οὐρανῷ.“
 Porphyrios als „Grenzbestimmer der moralischen ­Landschaft“   195

fahrenheit mit dem Schönen das Leben lieben, das auf dem Notwendigen beruht und nur
für das Notwendige da ist?“137

3.27.10 „Was werden wir also machen, fragst du, Mensch? Lass uns das goldene Geschlecht
nachahmen, lass uns die Befreiten nachmachen. Denn mit ihnen lebten Aidos, Nemesis und
Dike zusammen, weil sie sich mit der Frucht aus der Erde begnügten; denn die Frucht für sie

„trug die getreidespendende Erde von selbst,


reichlich und im Überfluss.“

Und was die Befreiten früher ihren Herren als Sklaven verschafften, verschaffen sie jetzt
sich selbst.“138

Hier beendet Porphyrios seine Darlegung mit einem Aufruf zu einer Rückkehr in
eine idealisierte Vergangenheit, die er als Symbol für Gewaltlosigkeit und fried­
liches Zusammenleben annimmt. Dies dient ebenfalls als Einleitung in sein
nächstes Buch, das sich intensiver mit der Frage des Goldenen Zeitalters be-
schäftigt. Dieses für die Diskussion über den Vegetarismus in der Antike wichtige
Motiv wurde bereits in der Einleitung und in den Kapiteln 2.2.1, 2.2.2 und 2.2.3
be­sprochen.

3.27.11 „Nachdem du aus der Knechtschaft des Körpers und aus dem Dienst der Leiden-
schaften wegen des Körpers befreit worden bist, wie du jene auf allerlei Weise mit äußeren
Dingen genährt hast, wirst du auch nicht anders als dich selber auf allerlei Weise mit
inneren Dingen nähren, indem du das Eigene gerecht in Empfang nimmst und nicht mehr
durch Gewalt das Fremde raubst.“139

Als Abschluss zu der in den letzten Absätzen oft benutzten räumlichen Termino-
logie, werden hier ἔξωθεν und ἔνδοθεν gegenübergestellt. Seine letzte Aufforde-

137 „νῦν δ' ὅμοιον, ὡς εἰ [καὶ] αἱ Δαναΐδες ἠπόρουν τίνα βίον βιώσονται ἀπαλλαγεῖσαι τῆς
περὶ τὸν τετρημένον πίθον διὰ τοῦ κοσκίνου λατρείας. τί γὰρ ἔσται ἀποροῦσιν, εἰ παυσαίμεθα
ἐπιφοροῦντες εἰς τὰ πάθη ἡμῶν καὶ τὰς ἐπιθυμίας, ὧν τὸ πᾶν διαρρεῖ ἀπειρίᾳ τῶν καλῶν τὸν ἐπὶ
τοῖς ἀναγκαίοις καὶ ὑπὲρ τῶν ἀναγκαίων στεργόντων ἡμῶν βίον.“
138 „τί τοίνυν πράξομεν, ἐρωτᾷς, ὦ ἄνθρωπε; μιμησώμεθα τὸ χρυσοῦν γένος, μιμησώμεθα τοὺς
ἐλευθερωθέντας. μεθ' ὧν μὲν γὰρ Αἰδὼς καὶ Νέμεσις ἥ τε Δίκη ὡμίλει, ὅτι ἠρκοῦντο τῷ ἐκ γῆς
καρπῷ· καρπὸν γάρ σφισιν
ἔφερεν ζείδωρος ἄρουρα
αὐτομάτη πολλόν τε καὶ ἄφθονον·
οἱ δέ γε ἐλευθερωθέντες ἃ πάλαι τοῖς δεσπόταις ὑπηρετοῦντες ἐπόριζον, ταῦτα ἑαυτοῖς
πορίζουσιν.“
139 „οὐκ ἄλλως καὶ σὺ τοίνυν ἀπαλλαγεὶς τῆς τοῦ σώματος δουλείας καὶ τῆς τοῖς πάθεσι τοῖς
διὰ τὸ σῶμα λατρείας, ὡς ἐκεῖνα ἔτρεφες παντοίως τοῖς ἔξωθεν, οὕτως αὑτὸν θρέψεις παντοίως
τοῖς ἔνδοθεν, δικαίως ἀπολαμβάνων τὰ ἴδια καὶ οὐκέτι τὰ ἀλλότρια βίᾳ ἀφαιρούμενος.“
196   Die Grenzen der Gerechtigkeit zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen

rung – das Eigene wieder aufzugreifen und das Fremde nicht mehr zu rauben –
enthält eine terminologische, nicht aber inhaltliche Parallele zu der Passage in 1.4
(προσάπτων τῇ δικαιοσύνῃ ὃ μὴ δύναται φέρειν, καὶ τὸ δυνατὸν αὐτῆς ἀπόλλυσι
καὶ διαφθείρει τῷ ἀλλοτρίῳ τὸ οἰκεῖον.)
Es wurde gezeigt, dass Porphyrios ein ethisches Konstrukt aus verschiedenen
Lehren sowohl der Gegner als auch der Unterstützer gebaut hat, um seinen Le-
bensstil als praktikabel darzustellen und zu rechtfertigen. Die Basis bildet die pla-
tonische Lehre der Gewaltlosigkeit, die sich durch die Annahme des dynamischen
Begriffs der Oikeiosis auf andere Lebewesen je nach Fall ausgedehnt werden
kann. Dies widerspricht einer statischen Vorstellung, in der sich Tiere und Men-
schen aufgrund ihrer Verwandtschaft in einem vorgegebenen ethischen System
befinden, wie die Oikeiotes-Theorie des Theophrast voraussetzt. Aufgrund der
Abhängigkeit des Menschens als eines nicht selbstgenügsamen Wesens ist die
Reichweite dieser Ausdehnung durch die Vernunft zu bemessen. Dadurch wird
der Mensch ein Grenzbestimmer der moralischen Landschaft, da er aus verschie-
denen Gesichtspunkten und Erfahrungen immer die moralischen Grenzen des
Handelns setzen muss. Dieses moralische Handeln kann nur von Lebewesen, die
nach dem Verstand (νοῦς) leben, durchgeführt werden. Dadurch wird ein Unter-
schied zwischen den Werten des nous und des logos in der Ethik des Porphyrios
herausgearbeitet und zwar, dass der logos eine dynamische Kraft, die als Vermitl-
ler zwischen den Hypostasen agiert, und der nous eine Hypostase, nach der das
Individuum sein Leben richten soll, bildet. Durch den logos ist der Mensch in der
Lage, den nous zu betrachten, indem er unter anderem ein gewaltloses Leben ge-
genüber anderen Lebewesen führt.

3.7 Zwischenfazit

In diesem Kapitel wurde die Meinung vertreten, dass Porphyrios im dritten Buch
aus der Auseinandersetzung mit verschiedenen philosophischen Schulen, aber
hauptsächlich mit den Stoikern eine räumliche Terminologie für seine Ethik ent-
wickelt und konsequent angewendet hat. Die Argumentation ist auf drei Ebenen
erfolgt: 1. Die Darstellung der Rolle der Oikeiosis-Lehre in der Schrift DA, ins-
besondere die Unterscheidung von Oikeiosis und Oikeiotes; 2. Die zugrundelie-
gende Funktion der Philanthropia in der Entwicklung der Oikeiosis-Lehre und die
von Porphyrios gemachte deutliche Unterscheidung des dynamisch-räumlichen
Aspekts der Oikeiosis von der stabilen und unbeweglichen Philanthropia; 3. Die
Harmonisierung verschiedener Aspekte seiner ethischen Lehre durch die konse-
quente Anwendung einer räumlichen Terminologie, die vielfältig ist.
Die angewendete Methode war es, die Schlüssel-Passagen der Schrift DA für
Zwischenfazit   197

diese Diskussion einzeln darzustellen, zu übersetzen und zu analysieren. Dadurch


wurde gezeigt, dass Porphyrios seine Quellen einige Male mit einer räumlichen
Terminologie wiedergegeben hat und für andere die Ausdrücke seiner Quellen
behalten hat. Insbesondere hat er eine neue Form für die stoische Argumentation
der ausschließenden Zuschreibung der Gerechtigkeit zu den vernünftigen Wesen
durch die Nutzung der Metapher der Ausdehnung der Gerechtigkeit auf andere
Wesen entwickelt.
Damit ist der allgemeine Hintergrund gegeben, auf dem Porphyrios’ eigene
platonische ethische Antwort auf die Argumente der Nicht-Vegetarier bzw. ins-
besondere der Stoiker erfasst werden kann. Ausgehend von platonischen Kern-
stellen insbesondere in der Politeia und im Theaitetos entwickelt Porphyrios die
Vorstellung, dass Gerechtigkeit durch die Ausrichtung der Seele, bzw. ihres ver-
nünftigen Teils auf die Nachahmung Gottes hin bestimmt wird. Da Gott – und das
Gerechte – bei Platon explizit dadurch charakterisiert werden, keinen Schaden
zu bewirken, ergibt sich gleichsam als Nebenprodukt, dass der nach der Anglei-
chung an Gott bzw. Gerechtigkeit strebende Mensch automatisch möglichst wenig
Schaden bewirken wird. Es wurde hervorgehoben, dass Porphyrios mit einer im
Bereich der Pflanzen variablen Grenze arbeitet, die der Situation des Menschen
in der Wirklichkeit Rechnung trägt – er ist eben nicht bedürfnislos wie Gott. Diese
ethische Position wurde durch raumbezogene Metaphorik ausgedrückt; insbe-
sondere die Ausdehnung der Gerechtigkeit auf möglichst viele Klassen von Lebe-
wesen erweist sich als Porphyrios’ Beitrag, den er unter Rückgriff auf Theophrast
wie die stoische Oikeiosis-Lehre in eigener Verarbeitung prägt. Durch diese Ak-
zentverschiebung auf die ablabeia als Erscheinungsform der Gerechtigkeit wird
die problematische Frage nach der Tiervernunft und der Seele der Tiere aus dem
Bild langsam ausgeblendet; diese sind passive Objekte der ablabeia und der Ge-
rechtigkeit, aber keine eigenständige Subjekte gerechten Handelns. Als Resultat
steht am Ende, dass nur der Mensch in der Lage ist, moralisch zu handeln, weil
er das einzige Wesen ist, das nach der Vernunft agieren kann. Die Konsequenz
daraus ist, dass der Mensch Verantwortung gegenüber anderen Lebewesen trägt,
wenn er beabsichtigt, ein gutes Leben zu führen.
Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und
Ausblick

Durch die ausführliche Darstellung und Diskussion zweier Streitgespräche über


den Vegetarismus in der Antike sollte das Hauptaugenmerk auf die innovative
Argumentation gelenkt werden, die aus diesen dialogischen Prozessen entstan-
den ist.
Dafür war die im ersten Kapitel vorgenommene philologische Behandlung
der fragmentarischen Schrift Gegen die Vegetarier (Πρὸς τοὺς ἀπεχομένους τῶν
σαρκῶν) ausschlaggebend. Zum ersten Mal wurde diese fragmentarische Schrift
unabhängig von der Schrift DA ediert und übersetzt. Damit wird auch die erste
deutsche Übersetzung dieses Teils von DA seit mehr als hundert Jahren vorgelegt.
Zusätzlich wurde sowohl durch eine Auseinandersetzung mit der Autorenfrage
als auch durch eine sorgfältige Analyse der Zitierweise des Porphyrios die Basis
für eine grundsätzliche Diskussion über den Platz dieser Schrift in der Geschichte
der Tierethik und des Vegetarismus in der Antike gelegt.
Danach wurde gezeigt, dass der Inhalt dieser Schrift sehr wahrscheinlich
in einem platonischen Kontext entstand. Denn unter anderem wird Heraklei-
des Pontikos von Porphyrios als Quelle zitiert, und diese Schrift weist mehrere
intertextuelle Bezüge zu der Schrift des Theophrast Über die Frömmigkeit auf.
Es wurde ebenfalls dargestellt, inwiefern die Schrift Gegen die Vegetarier eine
Wirkung im 1. Jh. vor und nach Chr. gehabt hat, indem die Ähnlichkeiten der
Argumente mit verschiedenen Quellen (insbesondere Ovid, Seneca und Areios
Didymos) dargestellt und erklärt wurden. Schließlich wurde die Rezeption der
Schrift im dritten Jh. durch Porphyrios analysiert, um zu zeigen, dass die Wirkung
solcher Argumente immer noch präsent war. Denn Firmus Castricius, Porphyrios’
neuplatonischer Kollege, führte solche Argumente gegen den Vegetarismus an.
Es wurde angemerkt, dass beide Schriften konkurrierende ontologische Vorstel-
lungen in Bezug auf den Wert der verschiedenen Lebewesen vertreten haben. Dies
konnte auf vier verschiedenen argumentatorischen Ebenen festgestellt werden:
Beide antike Autoren (Theophrast und Herakleides Pontikos) haben jeweils einen
Diskurs sowohl über die „Urnahrung“ der ersten Menschen als auch über die Er-
findung des Feuers entwickelt, der ihre jeweilige moralische Meinung in Bezug
auf das Fleischessen untermauerte. Dann wurde dargestellt, wie sie auf die Dis-
kussion über die Widersprüche der vegetarischen Lebensweise eingingen, insbe-
sondere auf die Frage, ob man Pflanzen gerecht behandeln sollte. Dieser Einwand
wurde später von Porphyrios aufgenommen. Danach wurde gezeigt, wie sie Vor-
stellungen vom Kannibalismus in Verbindung mit dem Vegetarismus gesetzt
haben. Denn Theophrast sah das Ende des frommen, vegetarischen Opfers im
 Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Ausblick   199

Kannibalismus, während Klodios warnte, dass gerade die vegetarische Lebens-


weise zum Kannibalismus führen könnte. Abschließend wurde dargestellt, wie
beide Autoren ihre Bewertung der Lebewesen grundsätzlich begründet haben:
Theophrast hat die Theorie der Oikeiotes entworfen, in der alle Menschen und
Tiere auf einer biopsychologischen Ebene verwandt sind, während Herakleides
bzw. Klodios eine Theorie der Philanthropia heranzog, um sowohl die Liebe zur
Menschheit als auch den Hass gegenüber den anderen Lebewesen zu rechtfer­
tigen.
Diese gegensätzlichen Vorstellungen wurden im dritten Kapitel im Rahmen
eines Streitgespräches zwischen Porphyrios und den Stoikern näher untersucht.
Durch die Analyse der Passagen DA 3.1 und 3.26–27 wurde gezeigt, dass Porphy-
rios eine Ethik der Gewaltlosigkeit entwickelt hat, indem er Elemente von ver-
schiedenen philosophischen Schulen übernahm. Das höchste Ziel des mensch-
lichen Lebens war für den Philosophen, Gott ähnlicher zu werden. Dies erfolgt
durch die Nachahmung des Gottes, der gut und gewaltlos ist. Eines der Elemente,
das Porphyrios für seine Ethik übernimmt, ist die stoische Theorie der Oikeio-
sis. Der dynamische Aspekt der Theorie wurde verwendet, um die Reichweite
der Gerechtigkeit auf andere Lebewesen darzustellen. Dies erfolgte durch die
Anwendung einer räumlichen Terminologie, die zum ersten Mal in der antiken
Literatur regelmäßig verwendet wurde – die Idee der Ausdehnung der Gerechtig-
keit auf andere Lebewesen. Porphyrios entwickelt somit eine Ethik, nach welcher
alle Lebewesen (einschließlich Pflanzen) theoretisch gerecht behandelt werden
sollten, d.  h. ihnen soll kein Schaden zugefügt werden. Aber aufgrund der Be-
grenzung der Charakteristik des menschlichen Daseins, das nicht selbstgenü-
gend ist und Ernährung braucht, muss der Mensch mithilfe der Vernunft wie ein
Grenzbestimmer der Moral agieren, indem er je nach spezifischem Fall die richtige
Entscheidung trifft. Dies verleiht dem Menschen immense Verantwortung, weil er
der einzige ist, der in der Lage ist, mit Vernunft zu handeln. Letzlich erfährt das
geistige Ziel des Philosophen – Gott ähnlicher zu werden – eine Systematisierung
des Handelns durch die räumliche Beschreibung der moralischen Entscheidung,
die aus der Auseinandersetzung mit dem Oikeiosis-Begriff entstanden ist.
Im Allgemeinen erfreuen sich aktuell die Forschungsfelder der Tier-Mensch-
Verhältnisse, der Tierethik und des Vegetarismus in der Antike eines stetig wach-
senden Interesses. Dies entspricht einer modernen Tendenz, die Beziehungen der
Menschen zu ihrer Umwelt besser verstehen zu wollen. Jedoch ist im deutsch-
sprachigen Raum noch umfassende Grundlagearbeit zur weiteren Erforschung
dieses Themengebietes zu leisten, wie z.  B. die Anfertigung moderner und
kommentierter Übersetzungen von grundlegenden antiken Schriften, die diese
Themen behandeln, wie Porphyrios DA. In dieser Arbeit wurden nur zwei von
mehreren Streitgesprächen über den Vegetarismus in der Antike untersucht. Das
200   Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Ausblick

Netzwerk möglicher Interaktionen zwischen Vegetariern und Nicht-Vegetariern


in der Antike konnte somit nur in einem kleinen Ausschnitt dargestellt werden.
Der Vegetarismus in der Antike ist gerade aus heutiger Sicht ein höchst relevantes
und gleichzeitig vielversprechendes Themengebiet. Diese Untersuchung versteht
sich als Denkanstoß für dessen weitere Erforschung.
Anhang
Analyse der Stellen mit der MIPVU-Methode
Unten wird die Analyse der ersten Stelle (1.4.1) mit der MIPVU-Methode kom-
plett gezeigt; für die anderen Stellen werden nur die lexikalischen Einheiten,
die eine metaphorische Nutzung haben, aufgelistet. Die Sätze werden anhand
ihrer Wortarten, Grundbedeutungen und kontextuellen Bedeutungen unterteilt.
Um die Grundbedeutung festzustellen, wurde das corpus-based Wörterbuch LSJ
­verwendet.

1.4.1 εὐθὺς τοίνυν φασὶν οἱ ἀντιλέγοντες τὴν δικαιοσύνην συγχεῖσθαι καὶ τὰ


ἀκίνητα κινεῖσθαι, ἐὰν τὸ δίκαιον μὴ πρὸς τὸ λογικὸν μόνον τείνωμεν, ἀλλὰ καὶ
πρὸς τὸ ἄλογον·

Wörter POS Grund­ Kontextuelle Metaphorische


bedeutung Bedeutung Nutzung?

εὐθὺς Adverb As soon as, for Zum Beispiel Nein


example

τοίνυν Partikel Therefore, also Nein


­accordingly

φασὶν Verb To say sagen Nein

οἱ ἀντιλέγοντες Substantivier- The opponent Die Gegner Nein


tes Partizip

τὴν Substantiv Righteousness, Die Ja


δικαιοσύνην justice ­Gerechtigkeit Source Domain
(SD): Flüssigkeit

Target Domain
(TD): Ethik,
Gerechtigkeit

συγχεῖσθαι Verb Pour together vermischen Ja


SD: Flüssigkeit
TD: Ethik,
­Gerechtigkeit

καὶ Konjunktion And und Nein

ἀκίνητα Substantivier- Unmoved, Unbewegte Ja


tes Adjektiv ­immovable SD: Raum
TD: Natur und
Ethik
202   Anhang: Analyse der Stellen mit der MIPVU-Methode

Wörter POS Grund­ Kontextuelle Metaphorische


bedeutung Bedeutung Nutzung?

κινεῖσθαι Verb Set in motion bewegen Ja


SD: Bewegung
TD: Ethik

ἐὰν Konjunktion If wenn Nein

τὸ δίκαιον Substantivertes Right das Gerechte Ja


Adjektiv SD: Objekt
TD: Ethik,
­Gerechtigkeit

μὴ Konjunktion Negative, not. Negativ Nein

πρὸς Präposition On the side of, auf, bis Ja


in the direction SD: Raum
of TD: Ethik

τὸ λογικὸν Substantivertes Possessed Vernünftige Nein


Adjektiv of reason, Wesen
­intellectual

μόνον Adverb Only nur Nein

τείνωμεν Verb Präs Stretch, pull ausdehnen Ja


tight SD: Raum
TD: Ethik

ἀλλὰ Konjunktion But aber Nein

καὶ Konjunktion And und Nein

τὸ ἄλογον Substantivertes Brutes, animals Unvernünftige Nein


Adjektiv Wesen

–– D
ie wörtliche Gruppe τὴν δικαιοσύνην (die Gerechtigkeit) soll nicht als reine
Metapher verstanden werden, sondern die Reichweite der Gerechtigkeit wird
metaphorisch durch das Verb συγχεῖσθαι ausgedrückt. Aus diesem Grund
wurde sie als metaphorisch markiert. Die Gerechtigkeit (τὴν δικαιοσύνην)
wird wie eine Flüssigkeit, die sich mit anderen vermischt, betrachtet. Auf
diese Art und Weise werden auch τὸ δίκαιον und weitere Begriffe interpre-
tiert. Das Unbewegte (ἀκίνητα) steht hier für das Natürliche in einem Ver-
gleich zwischen der Moral und der Natur, das durch die Bewegung (κινεῖσθαι)
schlechter wird. Dann wird das Gerechte durch das Verb τείνωμεν metapho-
risch ausgedehnt, während die Präposition πρὸς die Reichweite der Ausdeh-
nung der Gerechtigkeit ausdrückt.
 Anhang: Analyse der Stellen mit der MIPVU-Methode    203

1.12.5 εἰ μὲν οὖν ἠδύναντο ποιήσασθαί τινα συνθήκην ὥσπερ πρὸς ἀνθρώπους
οὕτω καὶ πρὸς τὰ λοιπὰ τῶν ζῴων ὑπὲρ τοῦ μὴ κτείνειν μηδὲ πρὸς ἡμῶν ἀκρίτως
αὐτὰ κτείνεσθαι, καλῶς εἶχε μέχρι τούτου τὸ δίκαιον ἐξάγειν· ἐπιτεταμένον γὰρ
ἐγίγνετο πρὸς τὴν ἀσφάλειαν.

Wörter POS Grund­ Kontextuelle Metaphorische


bedeutung Bedeutung Nutzung

μέχρι Präposition so far as bis SD: Raum


TD: Ethik

τούτου Pronomen this dahin SD: Raum (Stell-


vertretend für die
Tierwelt)
TD: Ethik

τὸ δίκαιον Substantiv Just das Gerechte SD: Objekt


TD: Ethik

ἐξάγειν Verb lead out, lead fortführen, SD: Raum


away ausdehnen TD: Ethik

ἐπιτεταμένον Verb stretch upon die Ausdeh- SD: Raum


nung TD: Ethik

πρὸς Präposition in the direction zu SD: Raum


of TD: Ethik

–– τ ὸ δίκαιον wird als ein Objekt verstanden, das bis (μέχρι) dahin fortgeführt
werden kann. Dahin (τούτου) steht für eine symbolische Repräsentation der
Tierwelt. Diese Ausdehnung der Gerechtichtkeit (ἐπιτεταμένον) bildet ihrer-
seits den Weg zur (πρὸς) Sicherheit.
204   Anhang: Analyse der Stellen mit der MIPVU-Methode

3.1.4 ἐς οὖν τὸν περὶ τῆς δικαιοσύνης λόγον μεταβαίνοντες, ἐπείπερ ταύτην πρὸς
τὰ ὅμοια δεῖν μόνα παρατείνειν εἰρήκασιν οἱ ἀντιλέγοντες, καὶ διὰ τοῦτο τὰ ἄλογα
διαγράφουσι τῶν ζῴων…

Wörter POS Grund- Kontextuelle Metaphorische


bedeutung Bedeutung Nutzung

ταύτην Demonstrativ- This Diese SD: Objekt


(δικαιοσύνη) pronom, der für TD: Ethik
Gerechtigkeit
steht

πρὸς Präposition in the direction zu SD: Raum


of TD: Ethik

παρατείνειν Verb stretch out, ausdehnen SD: Raum


alonge, beside TD: Ethik

διαγράφουσι Verb mark out by verwerfen SD: Linie


lines, delineate TD: Ethik

–– E
rneut wird die Gerechtigkeit durch ein räumliches Bild ausgedrückt
(παρατείνειν + πρὸς). Einmalig im Text ist die Nutzung des Verbs διαγράφουσι,
um die Linien der moralischen Zugehörigkeit der Tiere (τὰ ἄλογα) zu ziehen.

3.1.4 τούτου γὰρ ἀποδειχθέντος εἰκότως δὴ καὶ κατὰ τούτους πρὸς πᾶν ζῷον τὸ
δίκαιον παρατενοῦμεν.

Wörter POS Grund- Kontextuelle Metaphorische


bedeutung Bedeutung Nutzung

πρὸς Präposition in the direction zu SD: Raum


of TD: Ethik

τὸ δίκαιον Substantiv Just das Gerechte SD: Objekt


TD: Ethik

παρατενοῦμεν Verb stretch out, ausdehnen SD: Raum


along, beside TD: Ethik
 Anhang: Analyse der Stellen mit der MIPVU-Methode    205

3.12.1 θαυμάσειε δ' ἄν τις τοὺς τὴν δικαιοσύνην ἐκ τοῦ λογικοῦ συνιστάντας


καὶ τὰ μὴ κοινωνοῦντα τῶν ζῴων ἄγρια καὶ ἄδικα λέγοντας, μηκέτι δὲ ἄχρι τῶν
κοινωνούντων τὴν δικαιοσύνην ἐκτείνοντας.

Wörter POS Grund­ Kontextuelle Metaphorische


bedeutung Bedeutung Nutzung

ἄχρι Präposition so far as bis SD: Raum


TD: Ethik

τὴν δικαιοσύνην Substantiv Justice Gerechtigkeit SD: Objekt


TD: Ethik

ἐκτείνοντας Verb stretch out ausdehnen SD: Raum


TD: Ethik

3.18.2 οὐ γὰρ καὶ πρὸς τὰ φυτὰ παρατενοῦμεν τὸ τῆς δικαιοσύνης, διὰ τὸ


φαίνεσθαι πολὺ τὸ πρὸς τὸν λόγον ἀσύγκλωστον·

Wörter POS Grund- Kontextuelle Metaphorische


bedeutung Bedeutung Nutzung

πρὸς Präposition in the direction zu SD: Raum


of TD: Ethik

παρατενοῦμεν Verb stretch out, ausdehnen SD: Raum


along, beside TD: Ethik

τὸ τῆς Substantiv Justice Gerechtigkeit SD: Objekt


δικαιοσύνης TD: Ethik
206   Anhang: Analyse der Stellen mit der MIPVU-Methode

3.26.5 ὁ γὰρ λέγων ὅτι ὁ παρεκτείνων τὸ δίκαιον ἄχρι τῶν ζῴων φθείρει τὸ
δίκαιον, ἀγνοεῖ ὡς αὐτὸς οὐ τὴν δικαιοσύνην διασῴζει, ἀλλ' ἡδονὴν ἐπαύξει, ἥ
ἐστι δικαιοσύνῃ πολέμιον.

Wörter POS Grund- Kontextuelle Metaphorische


bedeutung Bedeutung Nutzung

ὁ παρεκτείνων Substantivier- stretch out in ausdehnen SD: Raum


tes Partizip line TD: Ethik

τὸ δίκαιον Substantiv just das Gerechte SD: Objekt


TD: Ethik

ἄχρι Präposition as far as bis SD: Raum


TD: Ethik

–– D
ie letzten vier Stellen weisen auf dasselbe Verständnis der Gerechtigkeit als
ein Objekt hin, das durch den moralischen Raum ausgedehnt werden kann.

3.26.9 καὶ οὕτως γε νοεῖται ὁ δίκαιος, οὐκ ἐκείνως, ὡς διατείνειν τὴν δικαιοσύνην


καὶ ἄχρι τῶν ἐμψύχων κειμένην ἐν τῷ ἀβλαβεῖ.

Wörter POS Grund- Kontextuelle Metaphorische


bedeutung Bedeutung Nutzung

διατείνειν Verb stretch to the ausdehnen SD: Raum


uttermost, TD: Ethik
extend

τὴν Substantiv Justice Gerechtigkeit SD: Objekt


δικαιοσύνην TD: Ethik

ἄχρι Präposition as far as bis SD: Raum


TD: Ethik

κειμένην Verb lie down, to liegen SD: Raum


rest TD: Ethik

ἐν Präposition inside, in in SD: Raum


TD: Ethik

τῷ ἀβλαβεῖ Substantiv without harm, Nicht-Schaden- SD: Objekt


harmless Zufügende TD: Ethik

–– D
ie Gerechtigkeit (τὴν δικαιοσύνην) wird an dieser Stelle doppelt bestimmt.
Zum einen liegt sie im Nicht-Schaden-Zufügenden, zum anderen kann sie wie
ein Objekt bis zu den Beseelten (τῶν ἐμψύχων) ausgedehnt werden.
 Anhang: Analyse der Stellen mit der MIPVU-Methode    207

3.27.2 οὕτως ὁ μὴ μόνον στήσας τὸ ἀβλαβὲς ἐν ἀνθρώποις, παρατείνας δὲ καὶ εἰς


τὰ ἄλλα ζῷα μᾶλλον ὅμοιος θεῷ, καὶ εἰ ἄχρι φυτῶν δυνατόν, ἔτι μᾶλλον σῴζει τὴν
εἰκόνα.

Wörter POS Grund- Kontextuelle Metaphorische


bedeutung Bedeutung Nutzung

στήσας Verb to stand beschränken SD: Raum


TD: Ethik

τὸ ἀβλαβὲς Substantiv without harm, Nicht-Schaden- SD: Objekt


harmless Zufügende TD: Ethik

ἐν (ἀνθρώποις) Präposition inside, in bei Menschen, auf SD: Raum


Menschen TD: Ethik

παρατείνας Verb stretch out, along ausdehnen SD: Raum


TD: Ethik

εἰς Präposition into bis SD: Raum


TD: Ethik

ἄχρι Präposition as far as bis SD: Raum


TD: Ethik

–– D
as Nicht Schaden-Zufügende übernimmt die Rolle der Gerechtigkeit und
wird wie ein Objekt an dieser Stelle durch das Verb παρατείνας auf die Tiere
und, wenn möglich auf die Pflanzen, ausgedehnt.
Literaturverzeichnis

Editionen und Übersetzungen antiker Quellen


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Register

Namen- und Sachregister


Actium 19, 82 Clemens 75  f.
Agatharchides 40  f., 43 CMT (Conceptual Metaphor Theory) 14,
Ägypten, Ägypter, ägyptisch 42, 57, 61, 66, 173
94, 116–118 Cyrillus 171
Aischylos 125, 159  f. Damaskios 181
Älian 72 Détienne und Vernant 9  f., 95
Angleichung an Gott 183, 185–187, 197 Dierauer 2, 8, 10  f., 44, 77  f., 141, 145, 149
Appian 27 Diodor 171
Apuleius 115 Diodor Siculus 42
Areios Didymos 85, 142, 162–164, 185, 188, Diogenes Laërtius 45, 74  f., 78, 115, 140, 142,
199 145, 161
Aristophanes 160 DMP (Deliberate Metaphor Theory) 173  f.
Aristoteles (siehe auch Stellenregister) 12, Dombrowski 1  f., 8, 10, 23, 44, 73, 86, 190
72–75, 77  f., 93, 103, 112, 128, 162, 164, Doxographie der Gegner des Vegetarismus 
173, 182 4, 6  f., 17, 37, 145, 159
Athen, Athener, athenisch 16, 70, 73  f., 76, Edwards 136  f., 151, 166, 177, 193
78, 109  f. Empedokles 10–12, 34, 36, 53, 75, 84, 97,
Äthiopien 42, 57, 66 129  f., 155, 188, 190
Augustin 114, 137 Epikur, Epikureer, epikureisch 2, 6, 12, 24,
Ausdehnung der Gerechtigkeit auf andere 29, 34–37, 43, 49, 53, 65, 97  f., 107, 136,
Lebewesen als Metapher 17, 139, 151  f., 151, 154–156, 164, 168, 175, 177, 180, 184,
157, 164, 168, 171, 175, 177, 180, 182  f., 197, 186
199, 202 Esel 42, 57
Baltzer 22  f. Eusebius 31, 85, 171
Bentley 22, 25  f., 28 Extended Metaphor 174  f., 194
Bernays 3, 22  f., 25–29, 31–33, 36, 38, 44, Feuer 16, 20, 41, 55, 67, 70, 90, 100, 102  f.,
46, 52, 64, 101, 153 105  f., 108–113, 198
Bogos 19, 27, 62  f. Firmus Castricius 5, 93, 97  f., 198
BP 6  f., 16, 22  f., 27, 32, 36, 38, 40–42, Fortenbaugh 74, 101  f., 107  f., 110, 117, 127,
44–48, 50, 52, 54, 56, 58, 60, 62, 64, 162, 176  f., 189
67–69, 79, 94  f., 149, 176  f. Fragment, fragmentarisch 3, 5–7, 16, 19,
Brink 101, 142, 144, 158 21  f., 25  f., 29, 30–33, 38–40, 45  f., 49  f.,
Burkert 3, 10–12, 73, 104–106 54, 67, 71, 73, 78–83, 94, 100–103, 115  f.,
Cassius Dio 19 124  f., 127  f., 130  f., 149, 153–155, 171–173,
Chairemon 32, 46 198
Chrysipp 37, 42, 140, 142  f., 153, 155, 157  f., Golf von Neapel (siehe auch Klodios aus
172  f. Neapel) 29
Cicero (siehe auch Stellenregister) 78, Griechenland, Grieche, griechisch 1  f., 6,
82–86, 142, 161, 188 8, 10  f., 16  f., 24–27, 29, 40, 42  f., 49, 55,
Clark 1, 6, 22  f., 27  f., 32  f., 42, 76, 96, 125, 57, 71, 82, 86, 88, 94  f., 106–108, 112,
149, 151  f., 185 120–123, 125, 129, 159–161, 171  f., 175,
Claudianus Mamertus 87 185
224   Register

Gerechtigkeit 6, 9, 12  f., 17, 73, 95, 113, 129, Metempsychose 44, 80, 84, 89, 91, 188
135, 139, 145, 147  f., 151–153, 155–159, Methone 19, 27, 63
164–175, 177–183, 185–192, 194, 197, 199, MIPVU-Methode 15, 167, 201–207
201  f., 204–207 Nagy 122  f., 134
Görgemanns 129, 142, 162  f., 182 Nauck 6, 16, 28, 46–48, 50, 52, 54, 56, 58,
Gottschalk 72, 74, 78–81 60, 62, 64, 68  f.
Handschriften 6, 46–49, 67–69 Neuplatonismus, Neuplatoniker 2, 8, 12, 16,
Haußleiter 1–3, 7, 10, 22  f., 27, 29, 38–40, 19, 25, 39, 45, 79, 93, 100, 130, 137, 164  f.,
44, 73, 75, 77–81, 86  f., 94  f., 99  f., 106  f., 171, 173, 180, 188, 193, 198
111, 113, 115, 117, 130 Newmyer 1  f., 8, 86, 151, 153  f.
Herakleides Pontikos (siehe auch Stellen- Nigidius Figulus 82  f.
register) 72, 74, 78–81, 133  f., 157  f., 162, Nikolaos von Damaskus 89
164, 180 Nous, νοῦς, Vernunft 179, 183–185, 192–194,
Herodot 40, 115 196  f., 199
Hesiod 8  f., 12, 106, 111  f. Opfer
Homer 8, 11, 66, 68, 123, 131  f. allgemein 9–11, 39, 74, 76  f., 89, 96, 99,
Horaz 27, 81 101, 106  f., 109, 112  f., 118, 123  f.
Hund 3, 42, 57, 78  f., 160 menschlich 11, 101, 109, 123–125
Inder 94 pflanzlich 74, 77, 84, 96, 101, 107–109,
Jamblichos 97, 99  f., 111, 115 112  f., 117  f., 198
Juden 20, 43, 57, 66, 94, 159 tierisch 1, 6, 9, 11, 21, 42, 44, 57, 61, 63,
Kannibalismus, kannibalisch, Kannibale 16, 65  f., 76, 89, 96  f., 99–102, 109–111,
21, 44, 61, 63, 71, 89, 100  f., 120–123, 116, 118, 123, 125, 199
125  f., 134, 199 Oikeiosis, Οἰκείωσις 4, 17, 85–87, 100, 129,
Klodios aus Neapel (siehe auch Stellen- 135–142, 144, 146, 148  f., 151, 153–159,
register) 2  f., 6  f., 12  f., 16, 19  f., 23–29, 162, 164, 166, 176, 178, 181–183, 189,
31, 34  f., 37–39, 41–44, 47, 52–55, 64  f., 196  f., 199
67, 69  f., 81, 86, 89–91, 93, 98, 133  f., Oikeiotes, Οἰκειότης 10, 79, 99, 100,
155, 157  f., 162–164, 180, 183, 186, 189, 128–130, 132, 135  f., 142, 144, 156–158,
199 177  f., 182  f., 189, 196, 199
Krieg zwischen Menschen und Tieren 12  f., Origen 171
20, 42, 55, 57, 91, 118, 131–133, 159, 162, Ovid 90–92, 198
164, 183 Peripatetiker, peripatetisch 2, 6, 24, 34  f.,
Lévi-Strauss 104  f., 121 43, 53, 65, 72, 74, 78, 98, 114, 142,
Liebe, Storge, Philia 42, 57, 74, 78, 87, 145–147, 155, 158, 161  f., 164, 168, 175,
110, 127, 129–131, 133, 138  f., 141, 144, 186, 190
157–164, 180  f., 183, 195, 199 Perser 94
Logos, λόγος, Vernunft 98, 128, 141, 145, Pferd 42, 57, 160
150–152, 165  f., 169, 172  f., 177, 183–185, Pherekydes von Syros 10, 98
187, 193  f., 196  f. Philanthropia, Φιλανθρωπία 17, 79, 80, 86,
Medizin, medizinisch 20  f., 27, 44, 59, 63, 135  f., 138, 144, 157–164, 182  f., 196, 199
66, 89 Philo 2, 98, 149
Metapher, Metaphernforschung 4, 13–17, Philostrat 115
138  f., 148  f., 157, 167, 173–176, 178, 180  f., Platon 11  f., 39, 71–75, 78, 97, 106, 165  f., 177,
191  f., 194, 197, 201–207 184  f., 197
Metaphysik, metaphysisch 8, 72, 84, 95, Platons Akademie 2, 16, 44, 70–75, 77  f., 81,
121  f., 136, 188, 193 133
 Namen- und Sachregister   225

Plinius 83, 87 Theophrast (siehe auch Stellenregister) 3,


Plotin 5, 25, 45, 93  f., 97, 165, 185, 193 10, 12, 26, 28, 32  f., 39  f., 71, 73–75, 77  f.,
Plutarch (siehe auch Stellenregister) 8, 10, 81, 90, 98–102, 106–108, 110, 112  f., 115,
86, 89, 95, 99, 151, 153 117, 119, 123–131, 133  f., 137, 142, 144  f.,
Porphyrios (siehe Stellenregister) 149, 156, 158  f., 161  f., 176–179, 182, 186,
Pötscher 3, 31–33, 46, 97, 101  f., 107–109, 188–190, 196–199
116–118, 124, 128, 154 Tierapokalypse 20, 43, 56–58, 64  f., 126
Pythagoras, Pythagoreismus, pythagoreisch, Tierethik 2, 8, 28, 31, 49, 71, 73, 75, 77, 80  f.,
Pythagoreer 1–3, 10–12, 20  f., 26, 34, 86, 95, 97  f., 114, 150, 155, 175, 198  f.
43–45, 53, 57, 61, 63, 65  f., 71, 73, 75, 80, Tierprodukte
82–84, 87–91, 95, 97, 99, 115, 124–126, Eier 23, 61, 71, 90, 115  f., 118
129–131, 173, 177  f., 181, 183, 185, 189 Honig 45, 61, 71, 90  f., 108, 115–119
Räumliche Terminologie 4, 13, 17, 136–139, Milch 23, 61, 65, 71, 80, 90, 115  f.,
148, 152, 157, 167, 175–177, 194, 197 118  f., 186
Rind 61, 63, 126 Wolle 45, 61, 90, 115  f., 118, 186
Rom, Römer, römisch 1  f., 5, 10, 16, 25, Tiervernunft 2, 6, 10, 78, 97  f., 128, 145–151,
29, 44, 70, 82–84, 87, 91, 98, 122, 139, 154  f., 197
159 Tyros 20, 24, 93
Schlange 55, 57, 59, 61, 63, 78  f., 124, 163 Urgeschichte der Nahrung 71, 100–104,
Schwein 20, 42, 57, 63, 66, 92, 126 107  f., 110–113, 134, 199
Seneca 44, 86–89, 139, 141, 198 Vegetarismus
Sextus Clodius 26–28 Forschungsgeschichte 1–3, 6–8, 28  f., 37,
Sextus Empiricus 3, 11, 98, 173 44, 49, 70–75, 78, 81–84, 89, 91–94,
Sizilien 27, 40, 78 97, 107, 117, 122  f., 138
Sorabji 1  f., 8, 10, 23, 38, 42–44, 74  f., 78, Gründe für und gegen den
100  f., 114  f., 129, 142, 150  f., 153, 162, 189 Vegetarismus 1–3, 5  f., 8, 10  f., 16  f.,
Sparta, Spartaner, spartanisch 63, 94, 99 19–24, 26, 28  f., 34, 37, 39, 43–45, 53,
Spatial Turn 15 55–66, 70  f., 75  f., 78, 81  f., 86–90, 93,
Stobaios 143, 158, 161–163, 185 95–102, 106  f., 110, 112–120, 122–127,
Stoizismus, Stoiker, stoisch 2, 4, 6, 12  f., 17, 131–134, 138, 153, 156, 159, 163, 188,
24, 34  f., 53, 65, 85, 87, 97  f., 100, 112, 114, 190, 195, 197–200
135–159, 161  f., 164, 166, 168, 172  f., 175, Verspottung 2  f., 20, 78–80
177–180, 182, 184  f., 188  f., 193  f., 196  f., Vertrag zwischen Tieren und
199 Menschen 117–119, 131  f., 151, 155–157,
Strabo 19 168, 186
Sueton 26–28, 87 Vogel 9, 57, 59, 63, 65, 75, 91  f., 124, 161
Syria, syrisch 94  f. Xenokrates 39, 72–78, 81, 97
Text Re-use 29  f., 37  f. Xenophon 160, 176
Theodoret 172 Zenon 142, 153, 172
Stellenregister
Aelianus Clemens
Varia Historia 3.19: 72 Stromateis 7.6.32.9: 75  f.
Aeschylus Clodius Neapolitanus
Bassarai: 125  Contra vegetarianos (siehe Porphyrius DA
Prometheus Vinctus v. 11–28: 159  f. 1.13–26)
Agatharchides Cyrillus
De Mari Erythraeo (bei Photius Bibliotheka Expositio in Psalmos 69.921.28: 171
250.449b und Diodor Siculus Damascius
3.16.5–6): 40  f., 43 In Parmenidem 193: 181
Appianus Diodorus
Mithridatica 75.323–4: 27 Comentarii in Psalmos 35.11: 171
Apuleius Diodorus Siculus
Apol. 56: 115 Bibliotheca 3.16.5–6: 42
Aristophanes Diogenes Laertius
Pax v. 390: 160 Vitae 5.36, 5.37: 74; 4.6, 4.8,
Aristoteles 4.10: 75; 5.86: 78; 8.19, 8.33: 115; 
De anima 2.2–46, 3.4–7: 9  f., 97  7.85–9: 140; 7.33: 142; 7.86: 145; 
EN 8,1; 9,10: 161 5.17, 5.21: 161
Historia animalium 617b, 26; 630a, Eusebius
9: 160  Commentaria in Psalmos 23.321.36,
Pol. 1.8, 1256b: 10–13, 131  23.321.39–40, 23.1268.15: 171
Rhet. 1405a, 3–5; 15–17; 1405b7–10, Commentarius in Isaiam 2.33: 171 
1410b, 10–15: 13  f.  Preparatio Evangelica 15,15,1–5–7: 85 
Augustinus Heraclides Ponticus: 72  f. (Fr. Wehrli 9),
De civitate dei 1.20: 114; 10.30, 12.27, 74, 78 (Fr. 2,3,4 und 9 Wehrli),
13.19: 137 79–81, 133  f., 157  f., 162, 164,
Cassius Dio 180 
Historia Romana 50.11: 19 Abaris Fr. 74–75 Wehrli: 78
Cicero Contra vegetarianos (siehe Porphyrius –
Academica 2.118: 84 DA 1.13–26)
Ad. Att. 12.13.1, 12.14.4: 27 Herodotus
De finibus 3–16, 3–62: 139, 158; 1.63: Hist. 3.19–25: 40; 2.81.1: 115
139; 5.65: 143 Hesiodus
De nat. deor. 2.160: 42; 3.27, 3.88: 84 Erga 277–9: 8  f., 12
De officiis 1.50–55: 144; 1.155: 84;  Theog. 535–613: 8  f., 12; 557: 111
3.105–106: 84  f. Homerus
De Or. 3.139: 84 Ilias 1.479: 68; 22.261–267: 131; 
Div. 1.62, 2.119: 84 6.119–236, 7.233–312, 24.471–670,
Phil. 2.17, 3.9: 26  f.; 2.43: 28 7.301–302: 132
Resp. 3.11.19: 11; 3.11.18–19, 6.18–19: 84 Od. 9.105–564, 10.80–132, 9.82–104:
Sen. 78: 84 123
Tim. 1.1: 83 Horatius
Tusc. 1.20, 1.38: 84 Serm. 2.3.161: 27
Claudianus Mamertus Iamblichus
De Statu animae 2.8: 87 De anima: 97 
Stellenregister   227

De Mysteriis 5.4, 5.7.9, 5.14.18, 6.3: Quis suos 5: 87 


99–100 Quaest.conv: 2; 635E: 114 
Vita Pythagorica 28.149, 34, 97: 115;  Secundum Epicurum: 49 
31. 187: 99–100 Sept. sap. conv: 2; 159B–C: 114; 
Nicolaus Damascenus 160A–C: 149; 159C: 176 
Vita Augustae I, IV, V, VIII, XXIV: 89 Porphyrius
Nigidius Figulus 1. Buch DA 1.1: 5, 6, 93; 1.2: 5; 1.3: 7,
De animalibus: 83 20, 22, 24–26, 28, 33  f., 47, 52  f., 67; 
De hominum naturalibus: 83 1.4: 2, 6, 32  f., 35  f., 114, 135, 146–148,
Origenes 157, 168, 170, 175, 179, 180, 196,
Fragmenta in Psalmos 35.11.1–10: 171 201; 1.5: 2, 6, 36, 44, 98, 115,
Ovidius 183; 1.6: 33, 35  f., 99, 182, 190; 
Met. 1.89–112, 1.111–112, 15.75–80: 90  f.; 1.7: 2, 6, 35–37, 135, 155–157, 182,
15–99–103: 92 186; 1.9: 36; 1.10: 156; 1.11: 36,
Philo 44, 98; 1.12: 35  f., 155, 157, 168,
De animalibus 10–75: 2, 98, 149 170, 175, 203; DA 1.13–26 (Contra
Philostratus vegetarianos): 5–7, 19, 21, 37  f., 47, 49; 
Vita Apoll. 8,7, 195–197; 219–234: 115 1.13: 19  f., 35, 37, 39–41, 48, 54  f.,
Plato 66–69, 90, 99, 110  f., 113; 1.14: 20,
Crito 49d: 184 37, 42, 45, 48  f., 54  f., 66, 69, 79  f., 91,
Phaedo 67b: 165 118, 127, 131, 135, 159, 162–164, 180,
Politeia 335e, 379b, 441e: 184;  183; 1.15: 20, 43  f., 47  f., 56  f., 68, 89; 
4.427e–444e: 165 1.16: 20, 44  f., 47, 56  f., 68, 92, 98; 
Theaetetus 176a–b: 165 1.17: 20, 27  f., 44, 58  f., 66, 68  f., 89; 
Plinius 1.18: 20, 44, 58  f., 66, 69, 89, 99, 135; 
Naturalis historiae 35.46: 83; 18.68: 87 1.19: 20, 37, 44  f., 47  f., 58  f., 66, 69,
Plotinus 79  f., 89, 127, 130  f.; 1.20: 21, 37, 45,
En. 4.4.28 und 4,7.19: 45; 4.1.2, 4.73, 48, 60  f., 69, 79, 118; 1.21: 21, 38,
4.8, 5.1.8–9: 97; 1.2.19: 165; 6.10. 46, 48, 60  f., 90, 99, 115–117, 119, 135,
45: 193 186; 1.22: 21, 37, 44, 60  f., 89; 1.23:
Plutarchus 21, 43–45, 60  f., 126; 1.24: 20, 37,
Animine: 49  43  f., 62  f., 89, 99, 124, 126; 1.25: 19,
Bruta animalia ratione uti sive Gryllus: 2, 21, 27, 44, 46, 62  f., 66, 69, 89; 
49, 83  1.26: 19–21, 24, 26, 35, 37, 43  f., 48  f.,
De amore prolis: 2  64–67, 81, 89, 98; 1.27: 6, 66, 96; 
De esu: 2, 6, 49, 98; 995C–E, 998C: 43;  1.44: 95; 1.54: 185; 1.57: 185
996A: 76, 995F–995A: 110 2. Buch DA 2.1: 5; 2.2: 96, 125; 2.3: 96; 
De Iside 365A: 117  2.4: 33; 2.5–32 (Theophrasts De
De sollertia: 2, 26, 83, 98; 959E– Pietate), 2.5: 101, 107–109, 112; 
963F: 32  f., 36, 38; 963F 964B:  2.6: 108  f.; 2.7: 101, 109  f.; 2.8: 101,
146–148; 2–5: 149; 959E–F, 125; 2.12: 101, 117  f.; 2.13: 99, 101,
962B–965D: 154  115  f., 118  f., 135, 185; 2.14–15: 101; 
De Stoic. repug. 12.1038C: 140  f.; 12.1038 2.19: 101; 2.21: 101, 117; 
B: 143; 12.1038C: 153  f.  2.22: 74, 79, 101, 127, 129–131, 136,
Fr. 93 Sandbach: 149, 153 179, 180; 2.26: 101, 115; 
Lucullus 10–11: 27 2.27: 101, 124; 2.28: 11, 101; 
Marcus Cato: 2  2.32: 101; 2.33: 96, 2.34: 96, 99; 
228   Register

2.36: 33; 2.43: 95, 185; 2.44: 96;  Seneca


2.45: 95, 185; 2.47: 95; 2.51: 97;  Ad Lucilium 59.7, 64.2, 5.73.12, 5.73.15,
2.54: 96; 2.57: 123, 125, 134;  98.13, 108.18: 87; 108.17–22: 44,
2.58: 125 86–89; 121.14: 139, 141; 121.17: 141 
3. Buch DA 3.1: 5, 33, 137, 176, 198;  De Ira 2.36: 87
3.2: 135, 151; 3.14: 170; 3.18: 33, 99, Sextus Empiricus
149, 151–153, 169  f., 175–177, 205;  Adv. Math. 9.127.8: 11; 9.130–131: 173
3.19: 99, 153, 182; 3.20: 33, 43, 149, Pyrr. hyp.: 3, 98; 1.62–77: 149 
153  f.; 3.22: 154; 3.23: 154;  Stobaeus
3.24: 149; 3.25: 11, 102, 127  f., 135, Eclog. p. 116, 19–128, 9 W: 161; 
144, 149, 154, 158, 190; 3.26: 5, 99, p. 2.118.13–20 W: 162; 
127, 135, 137  f., 149  f., 153  f., 157, 159  f., p. 120–121: 163; p. 49, 8 W: 185
162, 164–166, 169  f., 175–183, 185  f., Florileg. 4.84,23: 143 
199, 206; 3.27: 97, 99, 134, 149, Strabo
170, 175–177, 187  f., 191  f., 194  f., Geographika 8.4.3: 19
207 Suetonius
4.Buch DA 4.1: 5; 4.2: 99; 4.3: 99;  De grammaticis 5, 29: 27  f.; 18: 87
4.4: 99; 4.5: 99; 4.6–4.19: 94;  Theodoretus
4.14: 98; 4.18: 96; 4.22: 76 Interpretatio in Psalmos 80.1125.1: 172
Ad Anebum: 100  Theophrastus
Ad Gaurum 2.1: 45, 136; 12: 193  Char.: 74
Eisagoge: 136 De Pietate (siehe Porphyrius)
Eis tas kategorias Aristotelous: 136 Hist. plant.: 74
Ptol. Harm. 14, 31–15,5: 193 Xenophon
Sententiae: 46, 173; 12: 137; 32: 165  f., De re equestri 2.3: 160
184; 40: 191; 43: 137, 173  De venatione 6.25: 160
Vita Plotini 2: 93; 7: 5  Memorabilia 1.3.5: 176

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