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Universität Potsdam

Diether Hopf

Mehrsprachigkeit und Schulerfolg bei


Schülern mit Migrationshintergrund

first published in:


Sprache, Stimme, Gehör : Zeitschrift für Kommunikationsstörungen, 31
(2007) 4, ISSN 0342-0477

Postprint published at the Institutional Repository of the Potsdam University:


In: Postprints der Universität Potsdam
Humanwissenschaftliche Reihe ; 123
http://opus.kobv.de/ubp/volltexte/2009/3832/
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:517-opus-38326

Postprints der Universität Potsdam


Humanwissenschaftliche Reihe ; 123
Schwerpu nktthema 163

^ehrsprachigkeit ynd Schulerfolg bei Schylern mit


Migrationshintergrund
ilingualism and School Achievement among Children of Migrant Backgroynd

Autor D. Hopf

Institut Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin

Schlüsselwörter Zusammenfassung Abstract


© Zweisprachigkeit T ¥
O Bilingualismus
Nach w i e vor wird kontrovers diskutiert, w i e As yet, no consensual answer has been given to
© Mehrsprachigkeit
Schule und Unterricht mit den Herkunftsspra- the question of h o w the native languages of stu-
© Herkunftssprache
chen der Schüler mit Migrationshintergrund dents of migrant background and the lingua fran-
© Verkehrssprache
© Lingua franca umgehen sollten und welche Rolle der Verkehrs- ca (German) should be dealt with by the school
© Schulleistungen sprache Deutsch zukommt. W i r d von den einen and in the classroom. The article critically evalu-
© Migration die besondere Bedeutung der Herkunfts- oder ates pertinent research, focusing on the research
© Forschungsmethode Familiensprachen für die Entwicklung der Ver- methods applied, and reaches the conclusion that
© Deutsch als Zweitsprache kehrssprache und der Schulleistungen betont, the competence in native languages apparently
schreiben andere vor allem der Verkehrssprache does not foster the learning of the lingua franca.
Keywords
eine Schlüsselfunktion für das Erreichen guter As far as school achievement is concerned, c o m -
© bilingualism
Lernergebnisse in der Schule zu. Nach einem petence in the lingua franca seems to be very clo-
© multilingualism
Überblick über die quantitativen Rahmenbe- sely connected with school success. Recently pub-
© family language
© lingua franca dingungen, unter denen Schüler mit Migrati- lished studies which contain evidence of causal
© school achievement onshintergrund und ihre Lehrer arbeiten, und relationships between language competence and
© migration nach einem Überblick über die sprachliche Dif- school achievement are especially closely exami-
© research methods ferenzierung, die an den deutschen Schulen an- ned. Furthermore, an intervention study compa-
© German as a second
zutreffen ist, werden zunächst die Erwartungen ring types of treatments for language learning is
language
skizziert, die an den Gebrauch von Herkunfts- discussed and the relevance of broader studies in
sprachen bzw. des Deutschen in der öffentlichen psychological learning theory to school learning
Diskussion geknüpft werden. Im Anschluss is inquired. Finally the consequences of the fin-
daran wird der Stand der Forschung über den dings for school practice and future research are
Zusammenhang von Familiensprache und Ver- summarized and discussed:
kehrssprache sowie von Sprache und Schulleis-
• About one third of all students in school age
tungen bei den Schülern mit Migrationshinter-
are and will be children of migrant back-
grund skizziert und methodenkritisch diskutiert.
ground; their presence will be a constant task
Aufgrund der lückenhaften Forschungsbefunde
of the German schools.
werden schließlich pädagogisch-psychologische
• These students come from more than 150
Untersuchungen zum schulischen Lernen auf
countries and speak close to 200 family langu-
ihre Relevanz für die anstehende Frage geprüft.
ages; the need for a lingua franca is evident.
Schlussfolgerungen für die schulische Praxis, die
Bibliografie • Until today their school achievement is much
dem Stand unseres Wissens entsprechen, sowie
DOI 10.1055/S-2007-985832 worse than that of students without migrant
Aufgaben für künftige Forschung werden ab-
Sprache • Stimme • Gehör background, the difference being between 2
schließend formuliert.
2007;31:163-169 and 3 school years.
© Georg Thieme Verlag KG
• There is a strong co-variation between school
Stuttgart - New York
achievement and competence in the German
ISSN 0342-0477
language which leads to the recommendation
to invest into intense training of the language
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. D. Hopf of the school, without recurrence to the family
Lützelsteiner W e g 45 languages.
14195 Berlin
dhopf@uni-potsdam.de
164 Schwerpunktthema

• Gifted students with migrant background show good school


achievements even if they operate in both languages, their
family languages and the lingua franca; treatments in school
should become more differentiated.
&> Students without any knowledge of German also have to be
differentially treated in the classroom.
• The important role of the family languages for the individual
and for society has to be put into the focus of public discus-
sion.
• Future research should be directed towards finding causal re-
lationships between teaching and learning outcomes and
compare different treatments with German as a second lan-
guage.

Lernziel
Y Ein Drittel bis ein Fünftel der Schüler in der Mittelstufe der
Kenntnisse über Beziehungen zwischen schulischem Lerner- westdeutschen Sekundärschulen sind also Migrantenschüler. In
folg und Sprachkompetenz bei Migrantenkindern. niedrigeren Klassenstufen, z.B. in der Grundschule, sind die
Quoten noch höher; die Tendenz ist steigend. Die Schüler leben
in Deutschland nicht nur in Ballungszentren, sondern - das ist
Einleitung wichtig - zu großen Teilen auch in kleineren Städten oder auf
• dem Land.
Im folgenden Beitrag geht es um den aktuellen Stand unseres Betrachtet man die Herkunft dieser Schüler, so rekrutieren sie
Wissens über das Verhältnis von Zwei- oder Mehrsprachigkeit sich aus über 150 Ländern. Die Mehrzahl von ihnen (ca. 70%)
zu den Schulleistungen bei Schülern mit Migrationshintergrund. gehört derzeit drei großen Gruppen an. Dies sind die Kinder:
Eng verbunden damit ist die Frage nach d e m Verhältnis der Her- • aus der Türkei
kunfts- (oder Familien-)sprachen zur Verkehrssprache, dem • aus der ehemaligen Sowjetunion
Deutschen. Es gibt über diese Thematik international eine fast die zu einer Sammelgruppe von Nationen gehörigen Schüler,
unübersehbare Forschungsliteratur, w o v o n hier vor allem die die jeweils nur durch eine kleine Anzahl von Personen vertre-
neu erschienenen Arbeiten thematisiert werden sollen. Diese ten ist. In dieser Sammelgruppe stecken über 100 verschie-
spiegeln interessante Entwicklungen wider und geben Hinweise dene Herkunftsländer und noch mehr Familiensprachen.
für den Umgang mit Zweisprachigkeit in der Schulpraxis. Von den drei großen Gruppen bilden die Türken mit 19% die
kleinste. Die zweitgrößte Gruppe sind die Schüler aus der ehe-
maligen Sowjetunion mit 24%. Die größte Gruppe von allen aber
Quantitative Rahmendaten ist die Sammelgruppe: über 26% der Migrantenschüler stam-
• men aus einer dreistelligen Zahl von Ländern. Dieser Tatbestand
Zunächst ist ein kurzer Überblick über den Umfang und die Zu- ist für unsere Frage von Bedeutung.
sammensetzung der hier interessierenden Schülergruppe not- Es ist wichtig, sich diese Vielfalt klar zu machen angesichts der
wendig, weil nur so die Aktualität und Brisanz des Themas deut- irreführenden Tendenz in der öffentlichen Diskussion, meist au-
lich werden kann. tomatisch an türkische Schüler zu denken, wenn von Migran-
Eine große und immer noch steigende Anzahl (und eine stei- tenschülern die Rede ist.
gende Quote!) der Schüler in unseren öffentlichen Schulen hat
einen Migrationshintergrund. Diese Kinder wachsen überwie-
gend mit einer anderen Erstsprache als Deutsch auf. Rahmendaten zum Sprachgebrauch
Brauchbare Daten für unsere Frage kommen weniger aus den •
offiziellen Statistiken, in denen z. B. die Aussiedler wegen ihres Die bei uns lebenden Migrantenschüler kommen nicht nur aus
deutschen Passes nicht getrennt ausgewiesen sind, sondern aus einer großen Zahl von Ländern, sondern sprechen eine noch
repräsentativen sozialwissenschaftlichen Studien; die neuesten größere Zahl verschiedener Sprachen - die Zahl liegt nahe bei
stammen aus der zweiten PISA- Studie [1], in der die einbezo- 200; allein für Westberlin waren z.B. Ende der 80er Jahre 187
genen Schüler im Alter von 15 Jahren Auskunft gegeben haben verschiedene Familiensprachen in der offiziellen Schulstatistik
u.a. über die Herkunft ihrer Eltern und ihren Sprachgebrauch zu ausgewiesen. Für die Beschulung ist dabei von Bedeutung, dass
Hause und im Alltag. es in Deutschland nur eine geringe Ghettobildung gibt, sodass
W i r können danach folgende Angaben machen: im Regelfall in einer Schulklasse Schüler aus unterschiedlichen
In Gesamt-Deutschland hat ein gutes Fünftel aller 15-jährigen Herkunftsländern sitzen. W i r haben also in Deutschland nicht
Schüler einen Migrationshintergrund. Die Quoten in den Bun- die komfortable Situation, die man z. B. in den USA vorfindet, w o
desländern sind sehr verschieden und betragen bis über ein die ganz überwiegende Mehrzahl der anderssprachigen Kinder
Drittel der Schülerschaft. Die höchsten Quoten finden wir in Spanisch spricht. In unseren Schulen herrscht vielmehr eine
Bremen (36%), Hamburg, Baden-Württemberg und Hessen, die multilinguale, keine bilinguale Situation vor. In Deutschland gibt
niedrigsten in Thüringen (4%), Sachsen-Anhalt und Mecklen- es deshalb einen besonders großen Bedarf nach einer Lingua
burg-Vorpommern. Bayern liegt mit 21 % im Durchschnitt der franca, einer gemeinsamen Sprache für alle.
BRD. W i e benutzen die Migrantenschüler ihre Sprachen? Genauer:
welche Sprache verwenden sie in Schule und Freizeit, z.B. beim
Schwerpunktthema

Kopfrechnen; beim Lesen und Schreiben von Briefen und E- L2 und außerdem für die geistige Entwicklung insgesamt, und
Mails, beim Betrachten von Videos und Fernsehen? Darüber somit auch für die Schulleistungen.
wissen wir seit der Veröffentlichung der erwähnten zweiten W e n n man überprüft, ob sich die Cummin'sche Hypothese in
PISA-Studie erstmals Genaueres, jedenfalls was die 15-jährigen der bisherigen Forschung bestätigt findet, so zeigt sich, kurz ge-
Schüler (meist Klasse 9) betrifft; übrigens auch Genaueres als in sagt: es gibt bis heute keinen tragfähigen Beleg für ihre Richtig-
vielen anderen Ländern bekannt ist. keit. Kinder und Jugendliche brauchen keine vorab ausentwi-
In dieser Studie wurden die Migrantenschüler sowohl nach dem ckelte LI für das optimale Erlernen der L2; sie müssen auch
Gebrauch der Herkunfts- oder Familiensprache ( L I ) als auch der nicht die LI beherrschen, um begabungsgerechte Schulleis-
Verkehrssprache Deutsch (L2) befragt. Auf der Grundlage der Er- tungen zu erzielen. Jedenfalls lässt sich die erwartete Wirkungs-
gebnisse kann man die Schüler in 3 Gruppen einteilen [ 2 ] : richtung empirisch nicht finden [4].
• deutschsprachige (sprechen im Alltag öfter Deutsch als die Cummins ist nicht der einzige Wissenschaftler, der über den Zu-
LI) sammenhang von LI und L2 geforscht hat, wenngleich er die bei
• zwei-oder mehrsprachige (sprechen Deutsch und dieandere(n) w e i t e m stärkste Wirkung in der öffentlichen Diskussion entfal-
Sprache(n) in gleichem Umfang) tet hat. Im Folgenden sollen weitere Untersuchungen zu diesem
• fremdsprachige (sprechen die LI häufiger als Deutsch) Thema im Überblick dargestellt werden.
Die Verteilung in der BRD (über alle Nationen) sieht folgender- Zunächst aber eine wichtige Vorbemerkung:
maßen aus: 51 % der Migrantenschüler sind deutschsprachig; Es geht bei den folgenden Ausführungen ausdrücklich nicht um
31 % sind z w e i - oder mehrsprachig; 13 % fremdsprachig. die kleine Gruppe der genuin z w e i - oder mehrsprachigen Per-
Dabei weisen die Schüler j e nach Herkunftsland große Unter- sonen, von denen wir alle persönlich den einen oder anderen
schiede im Sprachgebrauch auf. Beispielsweise sind bei den kennen und bewundern, oder um solche Sprachkönner w i e
Türken nur 32% deutschsprachig, bei den Polen hingegen 64%. Martin Buber oder Jorgos Papandreou oder Felix Pollak, die ganz
Und unter den „Fremdsprachigen" findet man das Maximum offensichtlich in zwei oder mehr Sprachen vollkommen zu Hau-
von 20% bei den Türken und den Schülern aus der ehemaligen se sind. Solche Menschen gehören meist zu den Hochbegabten,
Sowjetunion. Die besten W e r t e (im Sinne einer Beteiligungs- denen keine w i e auch immer geartete Schule oder Sprachenfol-
möglichkeit am deutschsprachigen Unterricht) - hohe Deutsch- ge etwas anhaben kann.
sprachigkeit bzw. niedrige Fremdsprachigkeit - weisen Polen Sondern es geht hier um alle Schüler, und das heißt, mehrheit-
und die Angehörigen der Sammelgruppe aus vielen verschie- lich um die große Zahl der ganz normalen, durchschnittlich inte-
denen Herkunftsstaaten auf. ressierten und durchschnittlich lernfähigen Kinder; sowie auch
Es gibt nun z w e i große Fragen in unserem Zusammenhang, die um die lernlangsamen Kinder. Sie machen das Gros der Schüler-
im Übrigen nicht nur im schulischen Kontext von Bedeutung schaft aus, ihnen muss sich Schule und Unterricht widmen, muss
sind: die richtigen Akzente für ihre Förderung setzen und Überforde-
• W i e steht es um das Verhältnis von LI und L2 zueinander? rung vermeiden. Letzteres ist besonders wichtig im Falle der
Entwickeln sich die sprachlichen Kompetenzen unabhängig Schüler mit Migrationshintergrund, weil diese in jeder Hinsicht
voneinander? Fördert das Erlernen der LI das Lernen der L2, ungleich umfangreichere Lernaufgaben zu bewältigen haben als
oder ist es eher hinderlich? Schüler ohne Migrationshintergrund; gerade auch jenseits von
i" W i e hängen Zwei- (oder Mehr-)sprachigkeit und Schulleis- Schule und Unterricht.
tungen zusammen? Die empirischen Untersuchungen über Auswirkungen bilingu-
aler Sprachförderung auf den Erwerb der Verkehrssprache, die
unabhängig von der Theorie von Cummins durchgeführt wur-
2mm Z u s a m n e n B i a g i g mm L I und 12 den, weisen, was die methodische Anlage betrifft, eine große
• Vielfalt auf: es gibt kleine Fallstudien (zahlreich); experimentel-
Von früh an, seit die „Gastarbeiterkinder" in deutschen Schulen le Untersuchungen (sehr selten); Surveys; Großuntersuchungen
als besondere Gruppe wahrgenommen worden sind, hat man mit sechsstelligen Schülerzahlen.
der Muttersprachenfrage besondere Aufmerksamkeit gewid- Erfreulicherweise kommen schon seit Jahren so genannte Meta-
met. analysen der Originalstudien auf den Markt, das sind Über-
Die folgenreichste Annahme hinsichtlich der Bedeutung des Er- sichten über die Forschungsliteratur, bei denen die Untersu-
lernens der LI für den Erwerb der L2 bei Migrantenschülern und chungen nach klar definierten methodischen Kriterien ausge-
für ihre geistige Entwicklung, die auch heute noch virulent ist wählt und miteinander verglichen werden. Diese Metaanalysen
und sowohl in wissenschaftlichen Publikationen w i e in den M e - kamen allerdings zu widersprüchlichen Endergebnissen: W ä h -
dien immer wieder vorgetragen wird, ist die von Cummins. rend die einen fanden, dass Unterricht in der LI die L2 fördert,
Cummins hat 1979 [3] (1984 auf deutsch) eine Hypothese for- ergab sich bei anderen, dass bilinguale Beschulung Nachteile mit
muliert, wonach ein Kind in „doppelter Halbsprachigkeit" endet, sich bringt.
w e n n es nicht zunächst seine Erstsprache ausentwickelt hat bis Zu erklären ist diese Diskrepanz vor allem mit den unterschied-
etwa zum Stadium der formalen Operationen sensu Piaget (also lichen methodischen Instrumenten, welche zu den verschie-
bis etwa zum 10. oder 11. Lebensjahr). Cummins selbst hat das denen Zeitpunkten zur Verfügung standen oder welche den j e -
übrigens als Hypothese formuliert, weil es keine tragfähigen Be- weiligen Autoren geläufig waren, so dass manche Original-Un-
lege aus der Forschung dafür gab. Seine Hypothese ist aber in tersuchungen für akzeptabel gehalten wurden, die dies nach
Deutschland sofort w i e ein fester Befund rezipiert worden und neueren - oder nach anspruchsvolleren - methodischen Stan-
wird auch heute noch v e r w e n d e t als Argument für bilinguale dards nicht sind. Insofern ist es ein Glücksfall, dass diese Arbei-
Erziehung von früh an, für muttersprachlichen Unterricht in ten kürzlich erneut gründlich und nach besonders strengen for-
verschiedenen Varianten etc., eben weil man glaubt, dass das schungsmethodischen Kriterien durchgesehen worden sind;
Erlernen der LI von größter Bedeutung sei für das Erlernen der
166 Sch werpun ktth ema

zuletzt vor ein paar Monaten von Limbird und Stanat v o m Max- noch der relative Schulbesuch der Migrantenkinder in Haupt-
Planck-Institut für Bildungsforschung [5]. schule, Realschule, Gymnasium auffällig anders: sie stellen eine
Was ist nach dieser Übersicht der heutige Stand unseres W i s - große Quote in den Hauptschulen und eine geringe in den Gym-
sens? nasien; ungefähr dreimal so viele Schüler ohne Migrationshin-
Die Befunde aus den zahllosen Einzelstudien, aber auch aus den tergrund besuchen nach heutigem Stand das Gymnasium, und
überblicksartigen Metaanalysen, bleiben - auch nach heutigem nur halb so viele eine Hauptschule. Dabei gibt es deutliche Un-
Stand - widersprüchlich. Man kann derzeit keine sicheren terschiede zwischen den Nationen [6].
Schlüsse ziehen, w e d e r zugunsten noch zu Ungunsten bilingu- Die Verteilung auf die Schultypen ist nur ein grober Indikator für
aler schulischer Angebote. W e d e r gibt es belastbare Nachweise Chancengleichheit. Genaueres, insbesondere in inhaltlicher Hin-
darüber, ob und in w e l c h e m Ausmaß die schulische Förderung sicht, erfährt man über standardisierte Schulleistungstests. Die
der LI den Erwerb der L2 begünstigt, noch ob sie ihn behindert. jüngsten und brauchbarsten Daten stammen aus den genannten
Die widersprüchliche Befundlage hat ihren Grund vor allem in PISA-Studien, von denen bisher z w e i Messungen (2000 und
einigen methodischen Schwächen vieler Untersuchungen zum 2003) ausgewertet worden sind. Sie beziehen sich auf 15-Jährige
Verhältnis der L1 zur L2, von denen einige genannt werden sol- und die Fächer Mathematik, Naturwissenschaften, Lesen und
len: auf die Problemlösekompetenz.
• Bei denjenigen Studien, die Vorteile für bilinguale Programme In den Tests zur Lesekompetenz (PISA 2000) liegen die Migran-
in der Schule gefunden haben, muss man meist konstatieren, tenschüler ungefähr 2 Schuljahre hinter den anderen. In Mathe-
dass die Kontrollgruppen einem relativ unqualifizierten Un- matik beträgt ihr Rückstand ebenfalls gut 2 Schuljahre, und in
terricht ausgesetzt waren, während die bilingualen Experi- den Naturwissenschaften zwischen 2 und 3 Schuljahren.
mentalgruppen erstklassigen Unterricht bei den Experimen- Was die alltägliche Sprachpraxis anbetrifft, so ist folgender Be-
tallehrern erhielten. Vor allem: Es gibt keine Studie, bei der fund der jüngsten Studie von Interesse: W e n n man die Migran-
die im bilingualen Unterricht übliche zusätzliche Lernzeit in tenschüler in 3 Gruppen unterteilt, w i e oben bereits geschehen
der LI zu einer entsprechenden langen qualifizierten Förde- - also in Deutschsprachige, Zweisprachige und Fremdsprachige
rung der L2 bei den Kontrollgruppen in Konkurrenz getreten - und die schulischen Leistungen dieser drei Gruppen vergleicht,
wäre. zeigt sich ein ausgeprägter Zusammenhang zwischen der All-
• Zum Forschungsstand ist außerdem zu vermerken, dass prak- tagssprache und den Lernergebnissen in der Schule, und zwar in
tisch keine brauchbaren Untersuchungen vorliegen, die Aus- dem Sinn, dass der häufigere Gebrauch des Deutschen mit deut-
kunft geben über die Auswirkungen unterschiedlicher m o n o - lich besseren Schulleistungen einhergeht. Während die „mehr-
lingualer Ansätze (z.B. Deutsch als Zweitsprache; oder Kon- sprachigen" oder die „fremdsprachigen" Migranten im Durch-
zentration auf die Schulsprache). schnitt ein bis z w e i Schuljahre hinter dem Mittelwert aller
• Der Mangel an empirischer Forschung in der BRD ist im Üb- Schüler zurück liegen - und zwar nicht nur in der Lesekompe-
rigen besonders bedauerlich, da der Föderalismus für die For- tenz, sondern auch in Mathematik - , kommen die „deutschspra-
schung eigentlich eine günstige Situation schafft, indem er chigen" Migranten in vielen Bundesländern mit ihren Schulleis-
Vergleiche zwischen unterschiedlichen Ansätzen ermöglicht. tungen nahe an den Gesamt-Durchschnitt heran.
W i r haben z.B. w e d e r Studien darüber, ob das so genannte Dies entspricht einer anderen Analyse der Daten aus der ersten
Bayerische Modell (ein bilinguales Transitionsmodell) sich PISA-Studie: Hält man die Lesekompetenz konstant - also bei
günstiger auf die schulische und die sprachliche Entwicklung gleicher Lesekompetenz im Deutschen - , gibt es so gut w i e kei-
der Schüler mit Migrationshintergrund ausgewirkt hat als ne Unterschiede in den Schulleistungen zwischen d e n Schülern
z. B. das Nordrhein-Westfälische Modell mit seinen Vorberei- mit und ohne Migrationshintergrund.
tungsklassen oder das Berliner Modell mit seinem Konsulats- Nach den zitierten Befunden aus diesen methodisch gut g e -
unterricht oder die bundesweit in vielen Schulen vorherr- machten Studien fühlt man sich veranlasst zu sagen: weil die
schende Einbeziehung der Migranten in den Regelunterricht Migrantenschüler schlecht deutsch sprechen, liegen ihre
ohne j e d e zusätzliche Förderung bzw. mit DaZ (Deutsch als Schulleistungen niedrig. Es ist ja auch plausibel, dass Kinder, die
Zweitsprache). Um so heftiger waren die öffentlichen Kontro- zu Hause und mit ihren Freunden meist russisch, türkisch, grie-
versen über die vermeintlichen Vorzüge oder Nachteile der chisch, albanisch, arabisch sprechen, in der ganz auf deutsch
Modelle. funktionierenden Schule Schwierigkeiten haben.
Man darf trotzdem nicht in den Fehler verfallen und aus diesen
Daten eine ursächliche Beziehung zwischen den genannten Va-
Zum Zusammenhang von Zweisprachigkeit und riablen als erwiesen betrachten. Denn es handelt sich hier um
Schuileistung Korrelationen, die sich in Querschnittuntersuchungen ergeben
• haben, also um das gleichzeitige Auftreten von 2 Variablen in
Deutlich besser sieht die Forschungslage zum Thema Zweispra- einer Momentaufnahme. Solche Ergebnisse zeigen keine kau-
chigkeit und Schulleistung aus. Seit mehr als 35 Jahren ist b e - salen Beziehungen. Es könnte ja z.B. so sein, dass es sich bei den
kannt - und dieser Befund wiederholt sich bis heute - , dass die Schülern mit guten Deutschkenntnissen um besonders intelli-
Schüler mit Migrationshintergrund erheblich niedrigere gente Schüler handelt, die dann natürlich auch gute Schulleis-
Schulleistungen aufweisen als die Schüler ohne Migrationshin- tungen erbringen; dann wäre die Intelligenz die Ursache für
tergrund; wobei die Situation in Deutschland im internationa- beides: sowohl für die guten Deutschkenntnisse als auch für die
len Vergleich besonders negativ auffällt. Die frühen Untersu- guten Schulleistungen.
chungen mussten allerdings ohne repräsentative Testergebnisse Um solchen Problemen aus d e m W e g zu gehen, haben die Auto-
auskommen und haben die Leistungsdifferenzen nur anhand ren der genannten Studien versucht, möglichst viele in Frage
der unterschiedlichen Quoten von Migrantenkindern in den Se- kommende Variablen zu kontrollieren. Es zeigt sich z. B., dass bei
kundarschultypen dokumentieren können. So ist auch heute Kontrolle des Sozialstatus der Schüler ein zwar etwas geringerer,
Schwerpunktthema 167

aber immer noch deutlicher Zusammenhang zwischen der Kom- Das klingt überraschend. W i e lassen sich diese Befunde er-
petenz in der L2 und der Schulleistung erhalten bleibt. Das m e - klären?
thodische Problem dabei ist: man kann nur diejenigen Variablen Dass Zweisprachigkeit mit guten Leistungsfortschritten in Ma-
kontrollieren, die man auch erhoben hat; andere, die eventuell thematik einhergeht, erklärt sich in dieser Studie nicht daraus,
ebenfalls wirksam sind, bleiben unerkannt. dass Mehrsprachigkeit die Lernergebnisse in anderen Bereichen
Darauf weisen im Übrigen die Autoren der genannten Studien begünstigt. Vielmehr beziehen sich die Längsschnittdaten nur
selbst immer wieder explizit hin, dass man ihre Daten nicht kau- auf die besseren Schüler, nicht auf die ursprünglich in Klasse 9
sal interpretieren darf. Sie lassen sich dann freilich immer mal untersuchten Schüler insgesamt. Denn am Ende der 10. Klasse
w i e d e r hinreißen, plausible korrelative Zusammenhänge kausal gab es im Wesentlichen nur noch Gymnasiasten und Real-
zu interpretieren, z. B. mit Formulierungen w i e : Die Befunde be- schüler; Hauptschüler, aber auch Sitzenbleiber waren dagegen
legten, „dass die Beherrschung der deutschen Sprache ein wich- in der 2. Messung nicht mehr vertreten. Damit war das gesamte
tiger Bedingungsfaktor für den Kompetenzerwerb" sei. Oder: die schwächere Drittel der Schüler aus der Untersuchung ausge-
Beherrschung der Unterrichtssprache sei „eine entscheidende schlossen. Mit den Worten des Autors: „In der Messwiederho-
Voraussetzung für den Lernerfolg in der Schule" [2]. lungsstudie können also nur Aussagen über die kompetenzstär-
W i r können also, bis es bessere Daten gibt, einen kausalen Zusam- keren Jugendlichen mit Migrationshintergrund gemacht wer-
menhang zwischen Kompetenz in der L2 und Schulleistungen als den." Es ist also die höhere allgemeine kognitive Leistungsfähig-
zwar plausibel ansehen, dürfen uns aber nicht in Sicherheit wiegen keit, die beides ermöglicht hat: Zweisprachigkeit im Alltag und
und davon ausgehen, dass wir eine kausale Beziehung nachgewie- gute Lernfortschritte in Mathematik.
sen hätten. Dazu braucht es andere Arten von Forschungsdesigns.
Entsprechend erklärt sich der ebenfalls zunächst überraschende
Nach diesem Exkurs über forschungsmethodische Probleme bei
Befund, dass das Belegen von Kursen in Deutsch als Zweitspra-
den berichteten Studien ist es umso erfreulicher, dass vor weni-
che mit geringerem Zuwachs der Mathematikleistungen kovari-
gen Wochen Untersuchungen bekannt oder publiziert worden
iert. Auch hier handelt es sich nicht darum, dass DaZ-Kurse
sind, die zumindest teilweise die für eine Kausalanalyse erfor-
(Deutsch als Zweitsprache) das Mathematiklernen behindern,
derlichen methodischen Standards einhalten. Einige davon sind
sondern der Befund beschreibt eine besondere Gruppe, nämlich
Interventionsstudien, in denen Experimental- und Kontroll-
generell leistungsschwache Migrantenschüler, die deswegen zu-
gruppen miteinander verglichen werden, andere sind Längs-
sätzliche Sprachförderung benötigen und außerdem schwache
schnittuntersuchungen, bei denen man prüfen kann, welche
Leistungen in Mathematik erbringen.
Veränderungen sich über die Zeit bei denselben Personen erge-
W i r können aus der Studie lernen, dass Bilingualismus für leicht
ben und worauf sich diese Veränderungen zurückführen lassen.
lernende Schüler, die es ohnehin nicht schwer haben mit der
I. Eine der Interventionsstudien ist das inzwischen über die Schule, keine Leistungsnachteile mit sich zu bringen scheint. Im
Medien bekannt gewordene so genannte Jacobs Sommer- Übrigen gelten, bis w i r mehr wissen, die Befunde aus den zi-
camp [7]. Hier hat man 150 Migrantenkinder aus dritten tierten Surveys, nämlich dass Migrantenschüler nur dann glei-
Grundschulklassen im Sommer 2004 in der Nähe von Bremen che Schulleistungen erbringen w i e Schüler ohne Migrationshin-
in Schullandheimen in den Sommerferien einige Wochen be- tergrund, wenn ihr Deutsch gut ist.
treut und ihnen neben Freizeitaktivitäten ein Theaterspiel- Die zuletzt genannten Studien sind wichtige Schritte auf dem
programm sowie systematischen Deutschunterricht (Gram- W e g zur Identifikation von Ursachen und Wirkungen. Sie zeigen
matik) angeboten. Ziel war, ihre Deutschkenntnisse zu ver- zwar noch nicht abschließend, aber doch deutlicher, als wir es
bessern und herauszufinden, auf welche Weise dies am effek- bisher wissen konnten, was unter normalen schulischen Bedin-
tivsten geschieht. Der Lernzuwachs wurde bestimmt und mit gungen getan werden sollte, w e n n man die Schulleistungen die-
einer Kontrollgruppe von ca. 80 Schülern verglichen, die ih- ser Schüler verbessern will.
ren normalen Sommer verbrachten. Die Ergebnisse befinden Bis es genügend belastbare, spezifische Forschungsbefunde gibt,
sich noch in der Auswertung, immerhin ist inzwischen so viel können wir außerdem auf Bestände und Befunde einschlägiger
deutlich, dass nur der systematische Deutschunterricht eine psychologischer Forschungen zurückgreifen, die seit vielen Jahr-
signifikante und nachhaltige Sprachförderung im Deutschen zehnten betrieben werden und eine große Zahl gesicherter Er-
erbracht hat, nicht aber Theaterspielen oder Freizeitbetreu- gebnisse erbracht haben. Insbesondere ist hier an Erkenntnisse
ung; explizite, nicht implizite Sprachförderung hat sich als aus der Lernpsychologie zu denken.
wirksam erwiesen. Auch in einer kurzen Interventionszeit
Aus Platzgründen lässt sich das hier nicht im Detail darstellen,
lassen sich die Deutschkenntnisse von Migrantenschülern si-
insbesondere ist aber auf eine Variable hinzuweisen, die sich
gnifikant verbessern, sofern man explizit die L2 lehrt; und
durchgängig als entscheidend für Lernerfolg (welcher Art auch
zwar ohne Förderung der LI.
i m m e r ) erwiesen hat: Time on Task [9]. Je mehr Zeit ein Mensch,
II. Über einen ungewöhnlich großen und guten Datensatz ver- gleich welchen Alters und gleich bei welcher Aufgabe, mit dem
fügt eine gerade erst publizierte Längsschnittuntersuchung, Erlernen einer gestellten Aufgabe verbringt, desto besser sind
bei der man ca. 8.500 Schüler der 9. Klassen im Jahr 2003 un- seine Lernergebnisse - vorausgesetzt, er verwendet diese Zeit
tersucht und nach einem Schuljahr wieder getestet hat [8]. auch ganz auf die Lernaufgabe.
Etwa ein Drittel der Schüler ging im Längsschnitt verloren. Dies scheint ein sehr simples Prinzip zu sein. Es ist allerdings
Was unsere Frage betrifft, haben sich z w e i Hauptbefunde erge- immer wieder z.B. durch die Hoffnung ersetzt worden, dass es
ben: eine Übertragung dessen, was man in einem Bereich gelernt hat,
• Zwei- oder Mehrsprachigkeit von Migrantenschülern geht auf einen anderen Bereich gebe. Diese Hoffnungen auf Transfer
mit guten Leistungsfortschritten in Mathematik einher. haben sich nur sehr selten erfüllt [10]. Als Beispiel dafür kann
> Schüler, die Zusatzkurse in DaZ (Deutsch als Zweitsprache) der oben diskutierte, vermutete Transfer der Kompetenz in der
besuchen, haben einen besonders geringen Leistungszuwachs LI auf die L2 dienen, für die sich bisher keine belastbaren Belege
in Mathematik. beibringen ließen.
168 Schwerpu n ktthema

Angewandt auf unseren Fall heilst dies: j e mehr Zeit Migranten- scheint; für begabte Kinder ist Zweisprachigkeit zumutbar. Für
schüler auf das aktive Erlernen der L2 verwenden, desto höher durchschnittliche und langsame Lerner dagegen ist die Förde-
werden sich ihre Kompetenzen darin entwickeln. W e n n sie da- rung der L1 mit hoher Wahrscheinlichkeit kontraproduktiv, weil
gegen ihre - ja immer begrenzte! - Zeit in das Erlernen der L1 sie wichtige Lernzeit in Anspruch nimmt, hier ist die intensive
investieren, bleibt naturgemäß weniger für anderes übrig. Förderung der Verkehrssprache vorrangig. Der Erkenntnisfort-
Eine Sprache zu erlernen erfordert im Übrigen viel Zeit, w i e w i r schritt aus diesen Befunden heißt: Man muss das schulische An-
aus unterschiedlichen Studien wissen; man muss die Lerndauer gebot differenzieren. Guten Schülern kann man auch die LI an-
in Jahren ansetzen. W e n n man gute Leistungen in den Schulfä- bieten. Allerdings haben auch sie nur eine endliche Lernzeit zur
chern erzielen möchte, wird es daher eine große Hilfe sein, sich Verfügung, und auch für sie gilt das Gesetz der Time on Task.
beim Lernen der Verkehrssprache zunächst auf die Schulsprache Auch begabten Schülern fällt eine zweite Sprache nicht einfach
zu beschränken; das reduziert die Lernaufgabe beträchtlich. Bei zu, sie kostet erhebliche Lernzeit.
der Schulsprache handelt es sich zum einen um die Umgangs- Ein Dilemma besteht hinsichtlich der Rolle der Herkunftsspra-
sprache in schulischen Angelegenheiten, zum anderen um die chen. W i r wissen um ihre große Bedeutung für den Einzelnen,
jeweiligen Sprachen der Schulfächer. auch jenseits von Schulleistungen. Und sie sind ein enormer
Reichtum für die Gesellschaft insgesamt. Über eine angemes-
sene Rolle und Förderung der Herkunftssprachen sollte differen-
Zusammenfassung und Schlussfalgerungen ziert und öffentlich nachgedacht werden. Was die Schule be-
T trifft, ist es sicherlich das Beste, eine Förderung der LI anzubie-
Nach dem heutigen Stand der Forschung lassen sich, holzschnitt- ten, sobald die L2 hinreichend beherrscht wird. Ein großes Pro-
artig, die vorgetragenen Überlegungen folgendermaßen zusam- blem dabei ist die Vielzahl der Sprachen, die wohl kaum ohne
menfassen und anwenden: computer-unterstützten Unterricht bewältigt werden kann.
Es gibt eine steigende Anzahl (und eine steigende Quote) von Es gibt Grenzfälle, die gesonderter Überlegung bedürfen, z.B.
Migrantenschülern. Mittelfristig muss man im Durchschnitt Neuankömmlinge oder Schulanfänger ohne Deutschkenntnisse.
etwa von einem Drittel aller Schüler ausgehen. Es handelt sich Besonders für sie ist es wichtig, das Sprachlernen zunächst auf
also um eine dauerhafte Aufgabe der Schule, diese Kinder opti- die Schulsprache zu begrenzen. Im Übrigen bedarf es weiterer
mal zu fördern. Differenzierungen, j e nach vorliegenden Bedürfnissen. Geeignet

Die Migrantenschüler stammen aus sehr vielen Ländern und dürfte auch hier der computer-unterstützte Unterricht sein, der

sprechen noch mehr Sprachen. W i r haben im Schulalltag eine sich auch w e g e n der Streuung der Migrantenschüler übers Land

multilinguale Situation vor uns, keine bilinguale. Auch gibt es und wegen der geringen Ghettobildung empfiehlt.

eine große regionale Varianz. Die wichtigste Folgerung heißt: Auf jeden Fall brauchen wir verstärkte Forschung, die metho-

W i r sind im Kontext der deutschen Schule auf eine Lingua franca disch so angelegt ist, dass man aus den Resultaten Ursache-Wir-

angewiesen. Selbst w e n n man von der Richtigkeit bilingualen kungs-Zusammenhänge ableiten kann. Erst in allerletzter Zeit

Unterrichts für alle überzeugt wäre, für fast 200 Herkunftsspra- hat es hier ermutigende erste Schritte gegeben. Inhaltlich muss

chen ist ein solcher kaum realisierbar. sich Forschung auch darauf richten, die Effektivität unterschied-
licher einsprachiger Förderprogramme in der Verkehrssprache
Nach w i e vor weisen Migrantenschüler erheblich niedrigere
zu überprüfen.
Schulleistungen auf als Schüler ohne Migrationshintergrund.
Dies gilt zwar international, in besonders prägnanter Weise aber
für Deutschland. Bei uns liegen diese in der Sekundarstufe I um
2-3 Schuljahre zurück. Da abgebrochene Schullaufbahnen, und Fragen zur Selbstkontrolle
schlechte Schulleistungen überhaupt, sich für die Betroffenen T
lebenslang negativ auswirken, müssen erhebliche Anstren- 11. Welche Sprache wird in Deutschland von Migranten-
gungen unternommen werden, damit diese Schüler begabungs- kindern im Alltag am häufigsten benutzt?
gerechte Schulleistungen erzielen. a) Die meisten Migrantenkinder sprechen im Alltag häu-
Die Schulleistungen der Migrantenschüler kovariieren mit der figer Deutsch als ihre Familiensprache
Beherrschung der Verkehrssprache Deutsch: Defizite in der L2 b ) Die meisten Migrantenkinder sprechen im Alltag
gehen einher mit schlechten Schulleistungen, Beherrschung der Deutsch und ihre Familiensprache etwa gleich häufig
L2 geht einher mit normalen Schulleistungen. Bei aller Vorsicht c) Die meisten Migrantenkinder sprechen im Alltag häu-
gegenüber einer kausalen Zuschreibung ist es - nach den Survey- figer ihre Familiensprache als Deutsch
daten (PISA etc.) und aufgrund der Befunde der Lernpsycho-
logie (Time on Task) - hoch plausibel, dass dem Erlernen der L2 12. In welcher Sprache sollte Migrantenkinder in der Schule
absolute Priorität gegeben werden sollte, damit diese Schüler unterrichtet werden?
möglichst schnell d e m Unterricht ohne Einschränkung folgen a ) W e n n möglich, sollten der Unterricht in den ersten
können. Klassen in der Muttersprache erfolgen, da perfekte Fä-
Systematische, explizite Förderung der L2 führt zu greifbaren higkeiten in der Muttersprache Voraussetzung für den
Fortschritten; von impliziter Förderung (Theaterspielen) ist w e - gelungenen Erwerb einer Zweitsprache sind
niger zu erwarten (Jacobs Sommercamp Interventionsstudie). b) Bilingualer Unterricht erbringt nachweislich die besten
W i r wissen jetzt, dass intensiver Unterricht in Deutsch als z w e i t - Ergebnisse hinsichtlich der Fähigkeiten in der Mutter-
sprache erfolgreich sein kann, und zwar ohne Rückgriff auf die sprache und in Deutsch
LI. c) Der Unterricht sollte in Deutsch erfolgen, da die Be-
Aus der gerade erschienenen Längsschnittuntersuchung schließ- herrschung der Verkehrssprache über die sozialen Ent-
lich wissen wir, dass Zweisprachigkeit für begabte Migranten- wicklungschancen eines Kindes entscheidet
schüler kein Handicap hinsichtlich ihrer Schulleistungen zu sein
Schwerpunktthema

d) Der Unterricht sollte differenzieren: Migranten-Kinder


mit hoher Lernfähigkeit können Zweisprachigkeit be-
wähltigen; lernlangsamere sollten sich auf die Ver-
kehrsprache konzentrieren.

13. Welche Art der Sprachförderung in Deutsch ist für Schüler


mit Migrationshintergrund effektiv?
a ) A m effektivsten ist eine implizite Sprachförderung z.B.
durch Theaterspiele
b ) A m effektivsten ist ein systematischer Deutschunter-
richt mit einer strukturierten Vermittlung u.a. von
Grammatikkenntnissen
c) Bislang gibt es keine empirischen Belege für die Über-
legenheit der einen oder anderen Vorgehensweise

Literatur
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(Hrsg). PISA 2003. Der z w e i t e Vergleich der Länder in Deutschland
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