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KULTÜRLICH

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Mailied
Wie herrlich leuchtet
Mir die Natur!
Wie glänzt die Sonne!
Wie lacht die Flur!

Es dringen Blüten
Aus jedem Zweig
Und tausend Stimmen
Aus dem Gesträuch,

Und Freud‘ und Wonne


Aus jeder Brust.
O Erd‘! O Sonne!
O Glück! O Lust!

O Lieb‘! O Liebe!
So golden-schön,
Wie Morgenwolken
Auf jenen Höhn!

Du segnest herrlich
Das frische Feld,
Im Blütendampfe
Die volle Welt.

O Mädchen, Mädchen,
Wie lieb‘ ich dich!
Wie blickt dein Auge!
Wie liebst du mich!

So liebt die Lerche


Gesang und Luft,
Und Morgenblumen
Den Himmelsduft,

Wie ich dich Liebe


Mit warmem Blut,
Die du mir Jugend
Und Freud‘ und Mut

Zu neuen Liedern
Und Tänzen gibst.
Sei ewig glücklich,
Wie du mich liebst!

Johann Wolfgang von Goethe

Goethes Gedicht „Mailied“, in früheren Werken auch


noch „Maifest“ genannt, besteht aus neun Strophen
mit vier Versen. Bis auf die zweite Strophe weist das
Gedicht ein Reimschema nach dem Muster abcb auf,
ein einheitliches Metrum gibt es nicht.

Die ersten drei Strophen handeln von der


Bescha!enheit der Natur, empfunden durch das
lyrische Ich. Die dritte Strophe leitet zum Leitthema
Liebe über, was im folgenden Teil des Gedichts
behandelt wird. In den Strophen vier bis sechs geht
es aber nicht mehr um die Liebe an sich, sondern um
ein bestimmtes Mädchen, welches das lyrische Ich
liebt. Dies zieht sich auch durch die letzten drei
Strophen.

Durch Wörter und


Beschreibungen wie
„herrlich leuchtet“ (V. 1),
„glänzt“ (V. 2), „golden-
schön“ (V. 14) und
„Himmelsduft“ (V. 28) wird
eine positive, warme und
fröhliche Stimmung
erzeugt. Die für Goethe so
Johann Wolfgang
typischen Ausrufe „O Erd‘! O
von Goethe,
Sonne! O Glück! O Lust! O
Ölgemälde von
Lieb‘! O Liebe!“ (V. 11-13)
Joseph Karl Stieler
vermitteln eine gewisse
(1828)
Ausgelassenheit, die dem
lyrischen Ich die Worte zu
rauben scheint. Die wenigen Wörter vermitteln die
starken Glücksgefühle des lyrischen Ichs. Die drei
Verse kann man außerdem als Klimax verstehen.
Dies zeigt die Verbindung von Natur und Liebe, mit
der im ganzen Gedicht gespielt wird.

Die Liebe scheint vollkommen, so wie die Natur.


Betrachtet man das Gedicht aber aus folgendem
Blickwinkel, wirkt die Stimmung eher bedrückend.
Goethe erlebte selbst diese Liebe, empfand sie als
„leicht“ und maß ihr keine große Bedeutung zu. Hilde
Spiel, österreichische Schriftstellerin und Journalistin,
bezeichnet diese Liebe in ihrer Interpretation als
dauerhafte Neigung, aber nicht als richtige Liebe.
Man könnte die explosive, betörende Liebe auch mit
den Jahreszeiten vergleichen. So schnell der Frühling
kommt, die Natur erwacht und alles blüht, so schnell
wird auch alles wieder welk und kahl und so schnell
vergeht auch Goethes Liebe.

Johann Wolfgang von Goethe wurde 1749 in


Frankfurt am Main geboren und starb 1832 in
Weimar. Der Durchbruch gelang ihm 1774 mit
seinem Roman „Die Leiden des jungen Werther“ und
dem Drama „Götz von Berlichingen. Im Alter von 26
Jahren kam er an den Hof von Weimar und lebte dort
bis zu seinem Tod. 1782 wurde Goethe von Kaiser
Joseph II. geadelt, erst seitdem trug er das Wort „von“
in seinem Nachnamen. 1806 heiratete er Christiane
Vulpius, mit der er fünf Kinder bekam, wovon jedoch
nur das Älteste überlebte. Im gleichen Jahr erschien
sein Werk „Faust“, 1831 erschien davon der zweite
Teil. Zwei Mal reiste Goethe nach Italien, was ihn
künstlerisch sehr prägte. Nach seiner zweiten
Italienreise arbeitete er eng mit Friedrich Schiller
zusammen. Die Werke werden heute als „Weimarer
Klassik“ bezeichnet und bilden einen Meilenstein in
der deutschsprachigen Literatur.

Goethe p"egte über die Jahre


Beziehungen mit verschiedenen
Frauen. Besonders bedeutsam
war die innige Beziehung zu
Charlotte von Stein, die sich in
1770 Briefen und Gedichten
Goethes widerspiegelt. Jedoch
handelte es sich (nach jetzigem
Charlotte von Stand der Forschung) um eine
Stein platonische Liebe, da von Stein
verheiratet war. Weitere
Frauenbekanntschaften, die Ein"uss auf Goethes
Werke nahmen waren u.a. Charlotte Bu! („Die
Leiden des jungen Werthers“), Wilhelmine Herzlieb
(„Sonette“) und Anna Katharina Schönkopf („Die
Laune des Verliebten“).

Das Gedicht „Mailied“ ist Teil der Sesenheimer Lieder


und richtet sich an die Pfarrerstochter Friederike
Brion, die er während seines Studiums in Straßburg
kennenlernte.

Bildquelle: Gemeinfrei (Wikimedia Commons)

ZITAT DER WOCHE

“Zu viele Worte machen oft sprachlos.”

– Horst Fleitmann (*1951), Autor

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