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Bauern
(5,369 words)
In der ständischen Gesellschaft der Frühen Nz. bezeichnete B. den Angehörigen eines Standes:
»B. ist, der keinen Adel noch Bürgerl. Stand hat, sondern auf dem Lande das Ackerwerck
abwartet, und daher sein täglich Brod erwirbt«, heißt es 1734 in Zedlers Universallexikon (Adel;
Bürgertum). Da B. mit ihren Händen und in herrschaftlichen Abhängigkeiten arbeiteten, nahm
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der B.-Stand in der ständischen Hierarchie den untersten Rang ein. Obwohl der Begri f B.
keineswegs alle Nutzer, Bearbeiter und Bewohner des Landes umfasste, wurde die Figur des B.
zum Repräsentanten des Landes. In die Konstruktion dieser Figur gingen wirtschaftliche,
soziale, rechtliche, politische und kulturelle Kriterien ein, die z. T. mit dem sog. christl.
Hausvater als Garanten der Ordnung korrespondierten [34].
Wie B. sich selbst bezeichneten, hing von der jeweiligen Kommunikationssituation ab. In
Beschwerden und Supplikationen an Grund- oder Landesherren traten sie als »Untertanen«,
»Hintersassen« oder als »ganze Gemeinde« auf (seit dem späten 16. Jh. auch als Einzelne).
Damit brachten sie zum Ausdruck, dass sie sich ihrer untergeordneten Stellung bewusst waren,
aber auch, dass ihnen das Bittrecht (im 19. Jh. politisch als »Petitionsrecht« gefasst) zustand.
Näher an ihrem Selbstverständnis dürften »Nachbar«, »Genosse« oder »Gemeinsmann« liegen,
die zwar ebenfalls in herrschaftlichen Aufzeichnungen überliefert sind, jedoch auf die
innergemeindliche Kommunikation und die alltäglichen sozialen und wirtschaftlichen
Beziehungen verweisen.
Die Figur des B. spielte (wie bereits seit dem 13. Jh.) in den literarischen und bildlichen
Diskursen der Frühen Nz. im Widerspiel von »B.-Lob« und »B.-Schelte« eine wichtige Rolle.
Dies gilt nicht zuletzt für den B. im Märchen[13]. In der Ständekritik wie Ständedidaxe der
Schwankliteratur (Schwank) diente der niedrige B.-Stand zur Spiegelung der Lasterhaftigkeit
der beiden höheren Stände. Zugleich wurde der B. gegenüber dem Adel aufgewertet, da Gott
ihn als ersten Menschen im Paradies gescha fen hatte: »Als Adam grub und Eva spann, wo war
denn da der Edelmann?« lautete bereits im engl. B.-Aufstand von 1381 die provozierende Frage.
Der B. erscheint geradezu als Vorläufer des sog. Edlen Wilden. So wurde die »Einfalt« – der
gesunde Menschenverstand – des »Karsthans« im Zeichen der evang. Lehre Luthers der
gelehrten Spitz ndigkeit der Kleriker entgegen gesetzt. Mit der humanistischen Rezeption der
antiken Schriften zum Landleben boten B. und bäuerl. Lebensweise dem Gelehrten ein
Gegenbild zur verdorbenen Welt von Hof und Stadt. Noch weiter ging die Landlebendichtung
des 17. Jh.s, in der »der Vorbildliche zum B. wird« [14]. Selbst in die hö sche Welt fand der B.-
Stand Aufnahme, denn die »B.-Wirtschaften« (B.-Hochzeit, B.-Kirmes) wurden seit dem 17. Jh.
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Teil der hö schen Festkultur (Fest) [29]. Mit der Verkleidung als B. und Bäuerin konnte man
sich dem strengen Zeremoniell und seinen Verhaltensnormen zeitweise entziehen und sich
ungezwungener gesellen.
Auch nach Revolution und Reformen blieben B. und B.-Stand gesellschaftspolitisch stark
aufgeladene Begri fe. Die Agrarreformen lösten die B. aus ihren herrschaftlichen
Abhängigkeiten, aus den Beschränkungen des Flurzwangs (vgl. Flur) und der
gemeinschaftlichen Nutzungen der Allmenden, machten sie zu selbständig wirtschaftenden
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Grundeigentümern, für die in der Spätau lärung und
auch von Agrarpionier/innen wie Albrecht Thaer der
Begri f » Landwirt« verwandt wurde. Er hat sich
allerdings nur in der Behördensprache (als
Berufsbezeichnung) durchgesetzt. Der B.-Stand der
ständischen Gesellschaft wurde vom untersten zum
»Mittelstand« aufgewertet und in Deutschland wie in
Frankreich zum Garanten gesellschaftlicher Stabilität in
der pauperisierten ländlichen Gesellschaft des Vormärz
stilisiert. Der wertkonservative »traditionale B.« war
erfunden [25]; er erwies sich in den folgenden
Jahrzehnten als hervorragendes Gegenbild zum
Landarbeiter und zum »entwurzelten« städtischen
Proletarier (Unterschichten, städtische). Im Zeitalter des
Nationalstaats und seiner bürgerlichen Gesellschaft Abb. 2: Albrecht Dürer, Der
wurde insbes. in Deutschland »der B.« zum Zentrum des Bauer und seine Frau
»Volkes«, der B.-Stand zur »Quelle gesunder Lebenskraft« (Kupferstich, um 1496/97).
für die übrigen Schichten der Bevölkerung.
Auf die De zite der quanti zierend mit seriellen Quellen arbeitenden Strukturgeschichte
reagierte die Forschung mit der Mentalitätengeschichte, die programmatisch bereits in den
Annales angelegt war, sowie mit der Rezeption anthropologischer Perspektiven und
Arbeitsweisen. Mit dem Interesse an den handelnden Menschen gerieten der Alltag sowie
binnengesellschaftliche Verhältnisse wie Dorfgemeinde, Familie, Geschlechterrollen, lokale
Kon ikte (Revolten) und Kriminalität, aber auch Denk- und Vorstellungshorizonte in den Blick.
Das Konzept der peasant society[42] verdankt seine Rezeption der Passfähigkeit für die Analyse
bäuerl. Gesellschaften in Europa; insbes. erö fnete es die Perspektive auf die kulturellen
Formen bäuerl. Lebensweisen, auf die Bedeutung von Verwandtschafts-Systemen und Klientel-
Verhältnissen, auf eigene Werte, Orientierungen und Mentalitäten bäuerl. Gesellschaften, etwa
the image of limited good (Knappheit).
Nicht zuletzt wurde damit die Trennung zwischen Hochkultur und Volkskultur in Frage gestellt
(Kultur). Gerade dör iche Gesellschaften erwiesen sich für die Analyse komplexer sozialer
Verhältnisse und Beziehungen als geeignete Untersuchungseinheiten, weil in ihnen eine
Vielzahl von Handelnden namentlich grei ar wurde. Dennoch ist selbst hier – gleich ob als
Mikrogeschichte oder Gemeindestudie angelegt – keine »totale Geschichte« möglich, wie
maßgebliche Studien zeigen [3]; [26]; [30]; [28]; [40]; [23]. Die »anthropologische Wende« bot
die Chance, lang etablierte Paradigmen wie den »Agrardualismus« von Gutsherrschaft und
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Grundherrschaft mit den daran gebundenen sozialen und politischen Wertungen
aufzubrechen. Der Begri f der »Gutsherrschaftsgesellschaft« [21] bot eine neue Grundlage für
den europ. Vergleich dör icher Gesellschaften mit den Wechselbeziehungen von Herrschaft
und Untertanen[43].
Grundlegend für die Interpretation der vielschichtigen Wissensbestände ist die Erkenntnis,
dass die Frühe Nz. insofern eine Agrargesellschaft war, als die Erträge des Bodens das
Fundament für die Existenz der Ständegesellschaft darstellten und die B. zugleich eine
wichtige menschliche »Ressource« für die Steuerpolitik (Steuern) des nzl. Staates wie für die
Rekrutierung der stehenden Heere bildeten. Obwohl bis in die Mitte des 19. Jh.s die Mehrheit
der Menschen – mit Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern – auf dem Lande lebte,
ist dies nicht als Indiz für ihre Rückständigkeit zu interpretieren, sondern vielmehr Ausdruck
der begrenzten ökonomischen Möglichkeiten einer Agrargesellschaft.
Zur spezi schen Dynamik der europ. Agrargesellschaft gehört seit dem hohen MA ein
di ferenziertes Städtewesen als Ausdruck gesellschaftlicher Arbeitsteilung (vgl.
Stadtentwicklung; Stadt-Land-Beziehungen). Gleichzeitig mit der Stadt als privilegiertem Ort
für Handwerker und Kau eute entstand der selbständig wirtschaftende B. als Spezialist für den
sich ausweitenden Getreideanbau. »Agrarisch« und »bäuerl.« wurden seit dem 12. Jh. in dem
Maße identisch wahrgenommen, wie die Herren ihre Eigenwirtschaften au östen und das
Land mit B. besetzten. Diese Konstellation legt o fen, dass B. keineswegs primär
»Selbstversorger« waren, die ggf. ihre »Überschüsse« auf den städtischen Märkten verkauften;
ihre Produktion war vielmehr so ausgelegt, dass Adel, Geistliche und Bürger, die nicht
landwirtschaftlich arbeiteten, mit Getreide, Fleisch und gewerblichen Rohsto fen versorgt
werden konnten. Hinzu kamen viele Dienstleistungen, z. B. für den Warentransport. Da ein Teil
der herrschaftlichen Abgaben in Geld gefordert wurde, lief der Ertragstransfer zu einem nicht
unerheblichen Teil über die städtischen Märkte. Bäuerl. Wirtschaften unterlag damit den
Chancen und Risiken ökonomischer Wechsellagen (Agrarkonjunkturen).
Dieser Prozess beruhte auf der Dynamik einer innergesellschaftlichen Di ferenzierung und
einer zunehmenden innereurop. wirtschaftlichen Ver echtung, während von der Entdeckung
der Neuen Welt und der sich anschließenden europäischen Expansion mit den entstehenden
Weltmärkten neue Impulse auf die europ. Gesellschaften ausgingen (Atlantische Welt;
Weltwirtschaft). So erweiterten B. den Anbau von Färbep anzen (Farbsto fe) und
Faserp anzen, der wichtige Grundlage für die Herstellung der stark nachgefragten
verschiedenen Leinenarten (z. B. Segeltuch und Sackleinen) war. In den Alpenregionen
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(Alpwirtschaft) und in den Niederlanden reagierten die Milchbauern mit der Umstellung auf
die Herstellung von haltbarem Hartkäse (Fettkonsum), der u. a. für die Verproviantierung der
Schi fsbesatzungen auf den langen Atlantikfahrten guten Absatz fand (vgl. Abb. 4). V. a. aber
bewirkte die neue Nachfrage die »gewerbliche Durchdringung des Landes«
(Protoindustrialisierung), die Landbewohnern mit wenig oder ohne Landbesitz Arbeit insbes.
im Textil und Metall verarbeitendem Gewerbe bot (z. B. Nägel-, Nadelherstellung).
Dementsprechend wuchs die Zahl dieser Dor ewohner, während die absolute Zahl der bäuerl.
Höfe meist konstant blieb und vielerorts eine Minderheit der dör ichen Haushalte darstellte.
Das Bevölkerungswachstum wurde von diesen unterbäuerl. Schichten getragen (
Unterschichten), die darauf angewiesen waren, ihren Getreidebedarf weitgehend bei den B. zu
decken. Die Bedeutung dieses innerdör ichen Marktes ist für das bayerische Unter nning
exakt nachgewiesen worden [3].
Der B. war ein homo oeconomicus, der sich sehr unterschiedlichen Herausforderungen stellte,
nicht nur den Unwägbarkeiten des Wetters und den daran gebundenen Ernteschwankungen
sowie längerfristigem Klimawandel (Kleine Eiszeit; Klimatrends), sondern auch Veränderungen
der Nachfrage mit Absatzkrisen wie bei den Bevölkerungseinbrüchen nach dem
Dreißigjährigen Krieg. B. wurden mit den Zumutungen von Grund- und Gutsherren wie mit
Steuerforderungen der nzl. Staaten konfrontiert, denen sie sich energisch zu widersetzen
verstanden. Sie erwiesen sich als fähig, Risiken der verschiedensten Art zu kalkulieren und
ergri fen alle Chancen, um ihre Lage zu verbessern. Sie waren exibel in ihren
Wirtschaftsweisen (z. B. bei der Nutzung der Brache), soweit dies die Grundherren zuließen. Zu
ihrem Handlungsrepertoire gehörten familiale Strategien wie Heiratsbeschränkungen über die
Erhöhung oder Herabsetzung des Heiratsalters der Kinder. Der Reformen aufgeschlossene
»Muster-B.« der Au lärungszeit war somit keine »Ausnahme seines Standes«, sondern ein
typischer B., der seine Gewinnchancen zu nutzen wusste. Diese Bewertung stützen etwa B. in
Schleswig-Holstein als Träger der Agrarreformen.
Es liegt auf der Hand, dass das Verhalten von B. nicht von »der« bäuerl. Mentalität gesteuert
wurde, sondern von wechselnden Erfahrungen, unter denen die von Herrschaft und Ohnmacht
gegenüber der Natur zweifellos eine wichtige Rolle spielten. Gleichwohl implizierte
Herrschaftserfahrung für einen Kleinbauern oder Kleinst-B. (Häusler) nicht allein die
Abhängigkeit vom Grundherrn, sondern auch die untergeordnete Stellung in der bäuerl.
Gemeinde oder die Abhängigkeit von einem Kreditgeber (Agrarkredit). Die Naturabhängigkeit
wirkte sich auf Getreide-B. anders aus als auf Vieh-B. (Viehwirtschaft) und wurde von ihnen in
unterschiedlichen Formen »gebannt«. Dazu gri fen sie auf konfessionsspezi sche religiöse
Absicherungen zurück, aber auch auf magische Praktiken, für die sie keiner kirchlichen
Assistenz bedurften (Magie). Risikominimierung war auch hier Kennzeichen bäuerl.
Rationalitäten.
Das Ende der Agrargesellschaft folgte den Reformen und den verbesserten
landwirtschaftlichen Anbaubedingungen (Arbeitseinsatz, Düngung) nicht auf dem Fuß. Es
kam erst, als es in der Mitte des 19. Jh.s möglich wurde, bei Missernten Getreide mit den
modernen Verkehrsmöglichkeiten zwischen den Regionen auszutauschen und in großen
Mengen aus Übersee einzuführen (Transport und Verkehr).
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2.4. Recht, Eigentum und soziale Stellung
Die Mehrheit der B. – abgesehen von den B. in den Marschen und einigen Alpenregionen,
sowie denjenigen, die über freies Eigentum verfügten – befand sich in direkten
herrschaftlichen Abhängigkeiten unterschiedlicher Art, die Ein uss auf ihre wirtschaftliche,
rechtliche und politische Handlungsfähigkeit nahmen, aber auch eine große Spannbreite
bäuerl. Existenzweisen zuließen. Das von ihnen bearbeitete Land war nicht ihr Eigentum,
sondern wurde ihnen vom Grundherrn gegen bestimmte regelmäßige Geld- und
Naturalabgaben sowie Dienste zur Nutzung entweder erblich verliehen oder verpachtet; ihre
Verfügungsgewalt über Haus, Hof und Land war je nach Besitz- und Erbrecht mehr oder
weniger begrenzt, erlaubte bei gutem Besitzrecht die hypothekarische Belastung sowie den
Verkauf. Angewiesen auf »Schutz und Schirm« des Gerichtsherrn leisteten sie diesem v.a. Fuhr-
und Botendienste, zahlten aber auch Gerichtsgebühren und ggf. Strafgelder, wenn sie das
Gericht in Anspruch nahmen (Leistungen, bäuerliche). Als dritte Form der Abhängigkeit
beschränkte die Leibherrschaft/Leibeigenschaft die persönliche Freiheit von B. Abgesehen von
den realen Belastungen wurde »Leibeigenschaft« als Inbegri f persönlicher Unfreiheit für die
ihr Unterworfenen zum Reizwort, das sie mit Sklaverei assoziierten. Zu den Abgaben und
Diensten der B. aus diesen herrschaftlichen Abhängigkeiten kamen Leistungen an die Kirche
zum Unterhalt des Kirchengebäudes und des Pfarrers, bei den Protestanten auch seiner
Familie, sowie das Schulgeld. Weitere Beträge gingen an die Dorfgemeinde für deren laufende
Aufgaben.
In den herrschaftlichen Berechtigungen auf bestimmte Abgaben und Dienste (Fron) waren
Steuerungsmöglichkeiten bäuerl. Wirtschaftens angelegt, die zum einen Schwerpunkte in der
Produktion bildeten, zum anderen die Verfügung über Arbeitskräfte und Viehstapel für den
Ackerbau, aber auch über die Vermarktung der Erträge implizierten. Da jedoch die Art und
Höhe der Leistungen nicht ohne weiteres gesteigert oder verändert werden konnten und
zudem, soweit es sich um Geldrenten handelte, von Geldentwertungen betro fen waren,
hielten Grund- und Gutsherren nach anderen Einkommensquellen Ausschau. Gegenüber den
Untertanen lassen sich generell zwei Strategien ausmachen. Vielfach wurde die Anzahl der
Abgabep ichtigen erhöht, indem bei den Herren- und Verwaltungssitzen, in den Dörfern oder
auf marginalen Ländereien Kleinstellen (Gärtner, Söldner, Kötter) angelegt wurden, deren
Inhaber den Grundherren Hauszins und Schutzgeld zahlten und teilweise zusätzlich in
protoindustriellen Gewerben tätig waren. In den Gutsherrschaften veränderte sich das
Verhältnis von bäuerl. Wirtschaften und herrschaftlichen Eigenbetrieben. Zum einen wurden
B. ausgekauft oder »gelegt« (Bauernlegen), um die Wirtschafts äche zu vergrößern, zum
anderen eigneten sich die Gutsherren die Arbeitskraft, die Spanntiere und die Geräte der
bäuerl. Betriebe für die Bewirtschaftung der Eigenbetriebe an. Das System beruhte auf einer
sorgfältigen Balance einer kleinen Zahl von leistungsfähigen B.-Höfen mit z. T. großbäuerl.
Zuschnitt, herrschaftlichen Eigenbetrieben und einer großen Zahl Landarmer und Landloser
für tagtägliche wie saisonale Arbeiten. Auf Grund der hohen Belastungen waren im 18. Jh. die
erbuntertänigen B. als Kern der gutswirtschaftlichen Arbeitsverfassung vielfach schlechter
gestellt als die Kleinstelleninhaber [8].
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Die Entwicklung ging aber nicht generell auf Kosten der B. So wurde z. B. in Bayern nach dem
Dreißigjährigen Krieg ein Teil des verwüsteten Landes mit eingewanderten Österreichern
besetzt, ein anderer Teil zunächst den verbliebenen B. zur (extensiven) Bewirtschaftung
aufgedrängt, um der Abgaben nicht ganz verlustig zu gehen. In Brandenburg und Pommern
wurden verlassene Orte ebenfalls mit bäuerl. Neusiedlern besetzt, z. T. jedoch zu schlechten
Bedingungen, da die Einwanderer vielfach weder Inventar, Vieh, Saatgut noch Geld
mitbrachten. Dagegen erhielten Exulanten wie die Salzburger, welche sich nach der großen
Pest 1708 im Herzogtum Preußen niederließen, gute Bedingungen, wie sie ihnen aus ihren
Herkunftsgebieten selbstverständlich waren. Gerade in Preußen gehörte die B.-Schutzpolitik,
die sich gegen das gutsherrliche Bauernlegen richtete, zu den bezeichnenden
»innenpolitischen« Maßnahmen, mit denen die B. als steuerfähiger Stand und als Lieferanten
von Soldaten für das preuß. Heer erhalten werden sollten. Eine analoge Politik betrieben
andere größere Landesherren, z. B. die Landgrafen von Hessen-Kassel.
Die rechtlichen und sozialen Formen der Besitzweitergabe erlauben es, bäuerl. Strategien der
Interessenwahrung auf die Spur zu kommen und den Anteil der B. an der sozialen
Di ferenzierung der dör ichen Gesellschaft zu erkennen. Die Weitergabe des Hofes war
herrschaftlich im bäuerlichen Besitzrecht entweder in Form von erblichem Besitz oder als
Pacht bereits seit dem MA vielfach schriftlich geregelt, ließ aber eine große Vielfalt an
Gestaltungsmöglichkeiten zu; ihre Unübersichtlichkeit veranlasste im 16. Jh. Grund- und
Landesherrn dazu, sie aufzuzeichnen und, wo möglich, in Landes- und Policeyordnungen zu
vereinheitlichen. Erben war in vielen Fällen ein höchst kon iktreicher Vorgang, da es eine
unverzichtbare Basis für die zukünftige ökonomische und soziale Existenz darstellte
(Erbpraxis, ländliche). Es kam nicht allein zu Auseinandersetzungen zwischen Geschwistern, z.
B. wegen der Ab ndungen, und zwischen der Witwe und den Kindern des B., sondern bei der
Hofübergabe zu Lebzeiten der Eltern (lat. inter vivos) auch um das Altenteil (Ausgedinge), das
den Hoferben in seiner Wirtschaftsführung unter Umständen erheblich einschränkte [24].
Die gegensätzlich erscheinenden Erbsysteme verloren in der sozialen Praxis ihre Trennschärfe.
Dies ist für Frankreich beim Wechsel von der ungeteilten zur geteilten Weitergabe während der
Revolution und nach der Einführung des Code Civil herausgearbeitet worden [8]. In den
Konsequenzen für die ökonomische und soziale Di ferenzierung der Dörfer unterschieden sich
die beiden Systeme jedoch erheblich. Die geschlossene Weitergabe produzierte
Kleinstellenbesitzer und landlose Haushalte (Einlieger), soweit die Geschwister der Hoferben
im Dorf blieben, und damit ein breites Spektrum dör icher Existenzweisen mit Dominanz der
großen Bauern. Realteilung reproduzierte kleine B., bot aber die Möglichkeit, größeren
Landbesitz zu erwerben und »Voll-B.« zu werden. In einem Teil der hessischen Dörfer
bestanden beide Systeme nebeneinander: Es gab Hufen, die nicht geteilt werden konnten, und
»Erbstücke«, die von den Besitzern nach Belieben geteilt und verkauft wurden. Die
Hufenbesitzer waren »Voll-B.«, die Mehrzahl der Besitzer von Erbstücken jedoch Klein- und
Kleinst-B., eine Minderheit »Ackerleute« mit Pferden.
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Die in dör ichen Gesellschaften vorzu ndenden ökonomischen und sozialen
Di ferenzierungen waren somit nicht nur in den angeführten makroökonomischen
Entwicklungen und den herrschaftlichen Interessen angelegt, sondern besaßen ein Pendant in
den ländlichen Erbpraktiken. Vielfach überkreuzten sich bäuerl. und herrschaftliche
Interessen, wie das Beispiel der Kleinstellen zeigt. Allerdings entstanden durch die Zunahme
kleiner Stellen sehr oft Kon ikte mit der Gemeinde um die Nutzung der Allmende, die für B.
wie kleine Leute von hoher Bedeutung für die Viehhaltung war. Klein- und Kleinst-B. zogen
Jungvieh auf, das sie wegen Futtermangels nicht über den Winter bringen konnten, dessen
Verkauf ihnen jedoch wichtige Einnahmen brachte. Dies ist ein Hinweis darauf, dass für die
wirtschaftliche Situation eines Haushalts nicht allein die Größe des Landbesitzes
ausschlaggebend war, sondern in diesem Fall die Teilhabe an gemeindlichen Nutzungen. Es
bedarf lokaler Maßstäbe, um bäuerl. Landbesitz sozial und gemeindepolitisch bewerten zu
können [30].
Heide Wunder
Für die Bewertung von B. als politische Akteure sind mehrere Aspekte zu berücksichtigen:
(1) In den meisten Territorien des Heiligen Röm. Reichs besaßen B. wie in den meisten europ.
Ländern keine Landstandschaft (nur in Schweden waren B. im Reichstag vertreten). Damit
waren B. jedoch keineswegs von der Politik ausgeschlossen. So sind für südwestdt.
Kleinterritorien »Landschaften« nachgewiesen, denen B. angehörten, die z.B. bei der
Besteuerung vom Landesherrn konsultiert werden mussten [4]. In Süd-, West- und
Norddeutschland waren bäuerl. Repräsentanten an »Landschaften« und anderen Institutionen
bei der Tilgung landesherrlicher Schulden und der Durchsetzung von »guter Ordnung und
Policey« beteiligt, bezeichnenden Aufgaben der Ständeversammlungen in größeren Territorien.
(2) Nach der Niederlage im Bauernkrieg von 1524–1526 hatten die B. keineswegs ihre
Handlungsfähigkeit verloren, wie die Vielzahl von Untertanenkon ikten (Revolten) etwa
wegen neuer Steuern, Eingri fen in bäuerl. Rechte oder exzessiver Jagddienste (Jagd) und
Wildschäden bezeugen. Den organisatorischen Kern ihrer Widerständigkeit bildeten die
lokalen Gemeinden, in denen die »Nachbarn« als exklusiver Verband der Haushaltsvorstände
die lokalen Angelegenheiten (Dorf- und Flurordnung, Sanktionen gegen »Verbrecher«) als
»Kon iktgemeinschaft« regelten. Im B.-Krieg und in vielen bäuerl. Bewegungen trat das
gemeinsame Agieren der Haushaltspaare mit verteilten Rollen hervor, aber auch der
Jugendlichen, die auf ihre spätere Position als Haushaltungsvorstände vorbereitet wurden [35].
Für die politischen Handlungsfelder der südwestdt. B. ist der Begri f »Kommunalismus«
geprägt worden [4]. E fektive gemeindliche Organisation fand sich aber auch in
gutsherrschaftlichen Gebieten, wo die Herrschaft keineswegs auf die Mitwirkung der B.
verzichten konnte. Der Reichspublizist Johann Jakob Moser hat gerade die B. solcher Regionen,
zu denen er auch Böhmen zählte, als bes. widerständig charakterisiert [1].
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(3) Die Handlungsfähigkeit der B. in Kon ikten hat sich seit dem 16. Jh. mit der Nutzung des
Gerichtsweges entscheidend erweitert. Diese Form der Kon iktregelung, die »Verrechtlichung
sozialer Kon ikte« [31], war in kleinen Territorien an den Zugang zu übergeordneten
Reichsgerichten, in größeren, auch gutsherrschaftlich geprägten wie Brandenburg, an das
Bestehen territorialer Obergerichte gebunden.
Die vergleichende Analyse bäuerl. Widerstands in verschiedenen europ. Ländern [32], insbes.
in Frankreich und England, zeigt Ähnlichkeiten, aber auch große Unterschiede zu den
Verhältnissen im Reich und erweist sich damit als eine wichtige Sonde, um die Einbindungen
der B. in übergreifende histor. Prozesse, insbes. in die Transformationen der
Agrargesellschaften, zu analysieren [20]. Der Erfolg der bäuerl. Handlungsformen war
unterschiedlich, gleichwohl reichten ihre Konsequenzen weit über die einzelnen Kon ikte
hinaus. In den gerichtlichen Verfahren, insbes. vor den Reichsgerichten, wurden die klagenden
B. mit deren juristischen Denk- und Verfahrensweisen konfrontiert, die sie verstehen lernen
mussten, wenn sie ihre Ansprüche durchsetzen wollten. In den oft jahrzehntelangen Prozessen
in Wetzlar (Reichskammergericht) und Wien (Reichshofrat) erwarben die Vertreter der
Gemeinden erhebliches juristisches Wissen und politische Erfahrungen im Umgang mit den
Institutionen nzl. Staatlichkeit [37]. Die unmittelbare Relevanz dieses neuen Wissens für die
Wahrung der eigenen Interessen beschleunigte den Prozess des gesellschaftlichen Lernens weit
mehr als die elementare Bildung an den ländlichen Schulen, solange diese im dör ichen Alltag
keinen Handlungsbezug besaß. Dies erklärt die kleine Zahl schriftlicher Selbstzeugnisse von B.
und zugleich die Aussagefähigkeit von Anschreibebüchern ( Hausbüchern, die von
schreibkundigen B. geführt wurden) [16].
Heide Wunder
Bibliography
Quellen
/
Sekundärliteratur
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Jh., 1992
[10] S. G , »Alle für einen Mann …«. Leibeigene und Widerständigkeit in Schleswig-
Holstein im 18. Jh., 1991
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/
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[31] W. S , Bäuerlicher Widerstand und feudale Herrschaft in der frühen Nz., 1980
[36] J. T (Hrsg.), The Agrarian History of England und Wales: Bd. 4: 1500–1640, 1967
[40] C. U , Shulamit und Margarete. Macht, Geschlecht und Religion in einer ländlichen
Gesellschaft des 18. Jh.s, 1999
Wunder, Heide, “Bauern”, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online, Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den
Fachherausgebern herausgegeben von Friedrich Jaeger. Copyright © J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH
2005–2012. Consulted online on 14 May 2020 <http://dx-doi-org.uaccess.univie.ac.at/10.1163/2352-0248_edn_COM_244551>
First published online: 2019