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ODER
THORSTEN UND LAYLA
FRAGMENT
ERSTER GESANG
Wahrlich, ich sah den Markt und die Straße nie so verlassen!
Wie wenn alles gefegt wär, sieht mein Oldenburg aus nun,
Oder alle sind umgekommen! Nicht mehr fünfzig nun gibt es
Von den Bewohnern der Stadt! Was wird die Neugier nicht sehen!
Hier rennt jeder in Eile, um die traurigen Ströme
Syrischer Flüchtlinge anzuschauen, die elenden Leute.
Ja, sie kommen am Damm des Heiligen Geistes vorüber.
Alle eilen herzu in der sengenden Hitze des Mittags.
Ich, gut gläubig, wollt mich nicht von der Stelle bewegen,
Um die Sorgen zu bezeugen von flüchtenden Menschen,
Die mit wenig geretteter Habe sind hier her vertrieben,
Kommen von jenseits des Mittelmeeres, der syrischen Heimat,
Ihrem schönen Land, das im Bürgerkriege befindlich,
Kommen zu uns, und durch das grüne Ammerland schweifen
Sie und kommen hierher, gelegen an Hunte und Haaren.
Du hast Gutes getan, du meine treuherzige Doris,
Unser Sohn, der Thorsten, ist so freundlich gewesen,
Etwas zu bringen von Essen und Trinken und etliche Kleidung,
Dieses unter dem syrischen Volke lieb zu verteilen,
Denn, wie Jesus sagt, das Geben ist frommer als Nehmen.
Wie die Jugend den Wagen fährt und ist sicher am Steuer,
Welche Krontrolle hat er über die Stärke der Pferde,
Ist nicht unser Mercedes eine schöne Erscheinung?
Mit Bequemlichkeit sitzen vier im Innern des Wagens,
Und im Kofferraume ist Platz für Kisten und Kästen.
Diesmal ist er allein gefahren mit unserem Wagen.
O wie leicht ist um die Ecke gerollt der Mercedes. -
So, als er saß auf der Bank vor seinem eigenen Hause,
Sprach der fromme Johann zu seiner treuherzigen Doris,
Er, der war der Wirt des sauberen Goldenen Löwen.
Drauf gab Antwort und sagte der treue und freundliche Johann:
Möchte doch unser Thorsten sie treffen und ihnen bescheren
Schwarzen Kaffee zu Stärkung und vom fettigen Braten,
Jeans und T-Shirts den Männern und lange Kleider den Frauen,
Und ein gutes Wort von der göttlichen Liebe zur Tröstung.
Aber was soll ich tun, was kann ich tun bei dem Elend?
Dieses Starren auf solche Leiden schmerzt meine Seele.
Mich betrüben die Nachrichten über so grausames Schicksal,
Schreibt die Nordwestzeitung täglich doch von dem Elend des Weltkriegs.
Wenig können wir geben nur und nur falten die Hände.
Lasst uns erneuern nun nicht mehr diese traurigen Bilder,
Weiß ich doch, wie gerne die Angst das Herz sticht des Menschen,
Ja, die Angst ist oft schlimmer als das eigentlich Böse.
Kommt nun, Ariadne und Gudrun, freundliche Damen,
Kommt mit Doris und mir in unsre dämmrige Stube,
Wo die sengende Sonne nicht sticht, die Schwüle nicht plagt uns,
Da die festen Mauern uns frische Kühle bescheren.
Dort wird Doris uns eine Flasche französischen Weines
Öffnen, roten Bordeaux, der wird den Kummer uns brechen.
Hier vor der Tür ist es gut nicht zu trinken in sengender Hitze,
Wespen summen und Fliegen hier um die Gläser voll Rotwein. -
So verlegte man die Beratung ins kühlere Zimmer.
Ruhig und ernst gab Antwort der Sohn von Johann und Doris:
Wenn ich gehandelt, wie du es loben magst, heilige Gudrun,
Weiß ich es nicht, ich folgte dem, was mein Herz mir geboten,
Wie ich genau berichten werde. Liebliche Mama,
Lange hast du gewühlt in deinen älteren Sachen,
Sammelnd und wählend, dass nicht zu spät ein Bündel entstanden,
Auch für Wein hast du gesorgt und für knusprige Brote.
Als ich dann aus der Haustür trat und kam zu der Straße,
Strömte eine Schar von syrischen Flüchtlingen, Männern,
Frauen und Kindern, dahin und ich sah der Flüchtlinge Elend.
Schnell ging ich weiter und fuhr mit Schnelligkeit mit dem Motorrad
In das Heerlager, wo, wie ich hörte, sie ausruhen sollten,
Wo sie geduldig warten auf einen besseren Morgen.
Dahin die Alexanderstraße hinab ich mich stürzte,
Und da sah ich einen Karren mit manchem Gerümpel,
Neben dem Karren ging mit raschen Schritten ein Mädchen,
Und mit Wanderstöcken bei ihr gebrechliche Alte.
Vorwärts drängen sie jetzt, und jetzt mit langsamen Schritten
Bleiben sie zurück, geschickt lässt der Karren sich lenken.
Als das Mädchen mich wahrnahm, nahte sie still dem Motorrad,
Und sie wandte sich an mich mit den folgenden Worten:
Nicht so beklagenswert ist unser Zustand wie heute
Hier auf dieser Wanderung. Das ist nicht meine Gewohnheit,
Um Geschenke bei Fremden zu betteln, denn selten gibt gerne
Ein Germane, um loszuwerden den lästigen Bettler.
Aber die Not treibt mich zu sprechen. Hier ist eine Mutter,
Welche schwanger mit einer gesegneten Frucht ihres Leibes,
Die mit Ächzen und Stöhnen wanderte, kurz vor den Wehen,
In das Lager der Flüchtlinge, wo wir ausruhen wollen,
Wenn wir ankommen, sie ist vielleicht schon nieder gekommen.
Solltest du Wäsche jeglicher Art haben, gib sie der Mutter,
Wenn du voll bist von Nächstenliebe zum Herzen der Armen.
Darauf gab Antwort die Mutter und sagte: Du sollst nicht, mein Thorsten
Nachtragend sein und dich ärgern über die kindischen Mädchen,
Ja, die Menschen sind Kinder, und du liebst doch die Kinder.
Julie, mein ich, die Schöne, ist doch heimlich geschmeichelt.
Lass deine Auserwählte sein die entzückende Julie!
Nachdenklich sagte der Sohn: Ich weiß nicht, sind sie nur kindisch
Oder böse? Diese Kränkung sitzt tief mir im Herzen.
Nein, ich kann nicht mehr ertragen ihr Violoncello
Und ihre heuchlerischen Halleluja-Gesänge!
DRITTER GESANG
Als sie fort war, sprach also der milde lächelnde Vater:
Was für ein Volk sind die Frauen! Genau wie die lieblichen Kinder,
Kinder und Frauen wollen leben nach eignem Gefallen,
Während wir Männer nichts tun, als zu loben, zu schmeicheln.
Immer gilt doch das vertrauenswürdige Sprichwort der Alten:
Wer nicht voran schreitet, der geht zurück im geistigen Leben.
VIERTER GESANG
Da gab der arme Junge sich ganz seinem Kummer hin, weinend
Lag er am tröstenden Busen seiner heiligen Mutter,
Und er gab Antwort gebrochen: Wahrlich, die Worte des Vaters
Haben mich verletzt, die Worte, die ich nicht verdient hab,
Heute nicht, noch zu irgend einem anderen Zeitpunkt,
Denn es war früh meine heilige Pflicht, die Eltern zu ehren.
Keiner wusste mehr vom Leben, so dachte ich immer,
Keiner war reicher an Altersweisheit, so dachte ich immer,
Als die Eltern, die mich gezeugt und hatten mit Strenge
Mich erzogen die Zeit meiner Kindheit, die seligen Tage.
Vieles von meinen Spielkameraden ertrug ich in Wahrheit,
Doch ward mein Wohlwollen, das ich ihnen bereitwillig schenkte,
Oft mit Bosheit erwidert. Oft hab ich Schläge erduldet,
Um nicht verspottet zu werden als ein frömmelnder Feigling.
Aber wenn sie es wagten, meinem Vater zu spotten,
Wenn er sonntags spazieren ging mit der Frau in den Armen,
Würdiger Haltung, wenn sie seine Mütze verhöhnten
Oder die maritime Anstecknadel der Mütze,
Die er so stolz getragen wie einen Orden des Kaiserrs,
Drohend erhob ich die Faust und war bereit, mich zu prügeln.
Kam es zum Kampf, so schlug ich ihnen blutig die Nase.
Als ich älter geworden, da hatte ich viel zu ertragen
Von der Strenge des Vaters, gewaltsamen Worten, gerichtet
Eher an mich als an die andern, die schuldiger waren.
So der Parteivorstand der Sozialdemokraten geärgert
Hatte meinen Vater, ich musste den Ärger ertragen.
Hast du nicht Mitleid gehabt mit mir, dem gezüchtigten Sohne?
Vieles hab ich gelitten. Doch denk ich immer noch herzlich
Und mit Respekt an die Großmut der Eltern, der Fürsorge Mühe,
Gaben und Güter mir zu bescheren und reinliches Hochdeutsch
Und die Ehrfurcht vor Gott, der Großmutter lag sie am Herzen,
Und der Vater verstand die Klugheit, Vermögen zu sparen
Für den Sohn. Doch leider! Zu sparen, um später zu ernten
In der ungewissen Zukunft, das macht nicht glücklich,
Haufen auf Haufen und Haus auf Haus, das macht uns nicht selig,
Wen es auch schön ist, wenn man nicht leiden muss Elend und Hunger.
Auch der Vater wird alt und älter wird auch der Sprössling,
Soll ich die Sorgen von morgen tragen, mit Sorgen mich plagen,
Und die Freude des Tages verlieren, die seltenen Freuden?
Schau den Obstgarten an, das Maisfeld, des Weinkellers denke,
Fruchtbar ist die Mutter Natur und Gott ist uns gnädig!
Aber seh ich das Fenster meines Zimmers im Hause,
Ach, wie oft hab ich nachts da gelegen, den Mond angeschmachtet,
Oder die Sonne ersehnt, den einzigen Engel der Erde!
Wenige Stunden Schlaf nur gönnte der Mohn mir des Traumgotts,
Alles erschien mir einsam, Haus und Garten und Wäldchen,
Wie eine Wüste, die schmachtet nach der Liebe der Frauen!
FÜNFTER GESANG
Gib sie mir, Papa, sagte der Sohn zum heiligen Vater,
Sicher gewählt hat mein Herz, sie ist die Beste der Töchter!
Aber der Vater war stumm. Da hob sich die heilige Hirtin
Gudrun, ergriff das Wort und sagte: Der Augenblick ist es,
Der entscheidet. Fixiert ist doch das Leben der Menschen
Und es setzt sich durch mit Macht sein künftiges Schicksal.
Lange wird beraten, aber des Augenblicks Arbeit
Muss die Entscheidung sein. Der Weise allein kennt den Kairos.
Immer ist es gefährlich, sich mit andern vergleichen,
Wenn wir treffen die Wahl, wir so nur die Gefühle verwirren.
Thorsten ist rein. Von Kindheit an hab ich gekannt den Getauften,
Niemals als Knabe wollte er dieses und jenes erhaschen,
Was er wünschte, war auch für ihn das Gute und Beste,
Und er hielt daran fest. So musst du dich nicht verwundern,
Was du dir lange gewünscht hast, eine Braut deinem Sohne.
Es ist wahr, dass die gegenwärtige Frauen-Erscheinung
Nicht die Form deiner Wünsche trägt, wie du dirs gedacht hast,
Unsere Wünsche verbergen oft vor uns selbst die Objekte,
Die wir wünschen. Geschenke kommen von oben in Formen,
Wie sie der Himmel bestimmt. So missversteh nicht die Jungfrau,
Die jetzt von deinem guten und klugen Sohne geliebt wird!
Glücklich der Mensch ist, dem die Erste Liebe die Hand gibt
Und in dessen Herz nicht schmachten vergebens die Wünsche.
Seine ganze Haltung versichert mir, dass jetzt sein Schicksal
Ist entschieden. Wahre Liebe reift im Momente
Und der Jugendliche reift heran zu der Männlichkeit Stärke.
Er ist nicht leicht zu bewegen. Ich fürchte, wird sie ihm verweigert,
Wird seine Jugend ihm traurig vergehen, die sollte doch schön sein.
Nachdenklich Antwort gab drauf Ariadne, die Ärztin,
Deren Zunge seit langem schon gezittert von Worten:
Bitte, lasst uns wie immer den goldenen Mittelweg gehen.
Eile langsam! Das war das Motto des Kaisers Augustus.
Ich bereitwillig stelle mich zur Verfügung dem Nächsten,
Bin bereit, ihm zu tun, was ich tun kann mit schlichtem Verständnis.
Denn die Jugend braucht vor allem die weisere Führung.
Lass mich also gehn, dass ich untersuche die Jungfrau,
Dass ich frage die Leute, da sie lebt, die sie kennen.
Es ist nicht einfach mich zu betrügen. Ich kenne den Wortsinn.