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Domain

Urheberrecht
Martin Steiger

Im Rechtsalltag gilt die Faustregel, dass Fotografien,


musikalische Kompositionen, Texte und andere Werke
im Zweifelsfall als urheberrechtlich geschützt betrach-
Public

tet werden müssen. Bei solchen Werken bestimmen


Urheber und Rechteinhaber, ob, wann und wie sie
verwendet werden dürfen. Allerdings gibt es viele
Werke, die nie urheberrechtlichen Schutz erlangten
oder nicht mehr urheberrechtlich geschützt sind. Sol-
im

che Werke werden als gemeinfrei bezeichnet und zäh-


len zur Public Domain, das heisst, sie können aus
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urheberrechtlicher Sicht beliebig verwendet werden. heberrechten sind. Dabei ist zu unterscheiden zwischen
Der Begriff Public Domain stammt in der heute ver- Werken, die durch Zeitablauf nicht mehr urheber-
wendeten Form aus dem angloamerikanischen Recht, rechtlich geschützt sind, und Werken, die strukturell
verdrängt inzwischen aber auch im deutschsprachi- gar nie urheberrechtlichen Schutz genossen und des-
gen Raum vermehrt den ursprünglich verwendeten halb von Anfang an direkt zur Public Domain zählten.
Begriff ‹Gemeinfreiheit› (früher auch ‹Gemeingut›).
Seinen urheberrechtlichen Ursprung hat der Begriff Public Domain durch
in Frankreich, wo Ende des 19. Jahrhunderts für die strukturelle Gemeinfreiheit
‹domaine public› ein Bedeutungstransfer auf Imma- Werke, die durch das schweizerische Urheberrecht
terialgüter stattfand, nachdem sich der Begriff vorher nicht geschützt werden, sind einerseits amtliche Er-
allein auf staatlichen Landbesitz bezogen hatte.1 lasse wie Gesetze und Verordnungen, Zahlungsmittel
Im vorliegenden Beitrag wird deshalb der Be- wie Banknoten und Münzen, sämtliche Entscheidun-
griff Public Domain verwendet, unter anderem im gen, Protokolle und Berichte von Behörden und öf-
Einklang mit dem Eidgenössischen Institut für Geis- fentlichen Verwaltungen sowie Patentschriften und
tiges Eigentum (IGE).2 In rechtlicher Hinsicht bleibt veröffentlichte Patentgesuche. Amtliche Übersetzun-
zu beachten, dass sich angloamerikanische und euro- gen solcher Werke sind ebenfalls nicht urheberrecht-
päische Rechtstraditionen erheblich unterscheiden, lich geschützt.
was gerade auch für das Verhältnis von Copyright und Andererseits geniessen viele Werke in der
Urheberrecht gilt.3 Schweiz keinen urheberrechtlichen Schutz, weil sie
keinen ausreichend individuellen Charakter haben und
Umfang der Public deshalb die sogenannte Schöpfungshöhe nicht errei-
Domain in der Schweiz chen. Eine weitere Voraussetzung für die Schutzfä-
Die Public Domain umfasst – zumindest umgangs- higkeit ist gemäss Gesetzeswortlaut das Vorliegen
sprachlich formuliert – jene Werke, die frei von Ur- einer «geistigen Schöpfung» in den Bereichen «Lite-
ratur und Kunst»,4 doch dürfen diesbezüglich keine
1 Vgl. etwa Peukert, Alexander: Die Gemeinfreiheit. Begriff, Funktion,
Dogmatik. Tübingen 2012. hohen Anforderungen gestellt werden, und die Be-
2 Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum (IGE): Häufige griffe werden in einem weiten Sinn verstanden. Auch
Fragen Urheberrecht – Public Domain. Online unter:
www.ige.ch/urheberrecht/haeufige-fragen/public-domain.html
wissenschaftliche Texte gelten als Literatur, und be-
(letztmals aufgerufen am 09. 04. 2015).
3 Vgl. etwa Deterding, Sebastian u. Otto, Philipp: Urheberrecht und 4 Art. 2, Urheberrechtsgesetz (URG). Kommentierter Gesetzeswortlaut
Copyright. Vergleich zweier ungleicher Brüder. Online unter: in: Barrelet, Denis u. Egloff, Willi: Das neue Urheberrecht.
www.bpb.de/gesellschaft/medien/urheberrecht/63355/urheber- Kommentar zum Bundesgesetz über das Urheberrecht und
recht-und-copyright (letztmals aufgerufen am 09. 04. 2015). verwandte Schutzrechte. Bern 2008.

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reits einige wenige Töne können als musikalische Bei unbekannten Urhebern erlischt der urheberrecht-
Kunst betrachtet werden. liche Schutz 70 Jahre (beziehungsweise 50 Jahre bei
Ob ein Werk zur Public Domain zählt, entschei- Software) nach der Veröffentlichung des entsprechen-
det sich deshalb meist am geforderten individuellen den Werks. Bei verwaisten Werken, das heisst Werken,
Charakter. Da sich entsprechende Rechtssicherheit deren Urheber nicht mehr ermittelt werden kann,
in Bezug auf einzelne Werke nur durch rechtskräftige erlischt der urheberrechtliche Schutz 70 Jahre (bezie-
Entscheidungen von Gerichten erwirken lässt, müssen hungsweise 50 Jahre bei Software) nach dem mut-
Werke im Zweifelsfall als urheberrechtlich geschützt masslichen Tod des Urhebers.
gelten. Inwiefern beispielsweise eine Fotografie als Bei den meisten Werken dauert der urheber-
sogenanntes Knipsbild gemeinfrei ist, kann häufig rechtliche Schutz etwas länger als 70 Jahre (bezie-
nur vermutet werden. In der Schweiz gibt es nur we- hungsweise 50 Jahre bei Software) nach dem Tod des
nig eidgenössische und kantonale Rechtsprechung Urhebers, denn die Schutzdauer wird jeweils ab dem
zur Schöpfungshöhe, und die ergangenen Leitent- 31. Dezember gerechnet. Somit fallen urheberrecht-
scheide in Bezug auf Fotografien – sie zeigen den Sän- lich geschützte Werke jeweils erst per 1. Januar des
ger Bob Marley, den Unternehmer Nicolas Hayek nächsten Jahres in die Public Domain, was inzwischen
sowie den Wachmann Christoph Meili – sind wider- vielerorts alljährlich als ‹Public Domain Day› gefeiert
sprüchlich.5 wird. Da mit dem neuen schweizerischen Urheber-
rechtsgesetz per 1. Juli 1993 die Schutzdauer von vor-
Public Domain mals 50 Jahren auf 70 Jahre verlängert wurde, fielen
durch Zeitablauf in der Schweiz nach einem Unterbruch von 20 Jahren
Für Werke, die in der Schweiz urheberrechtlich ge- am 1. Januar 2014 erstmals wieder Werke in die Pu-
schützt sind und somit noch nicht zur Public Domain blic Domain.6 Mangels Rückwirkung blieben Werke,
zählen, gilt der entsprechende Schutz während einer die damals bereits gemeinfrei waren, in der Public
Dauer von 70 Jahren nach dem Tod des jeweiligen Domain.7
Urhebers beziehungsweise bei mehreren beteiligten
Personen nach dem Tod des letzten beteiligten Urhe-
bers. Für Software beträgt die Schutzfrist 50 Jahre.
Bei audiovisuellen Werken wie beispielsweise Filmen 6 Kempf, Claudia u. Korrodi, Martin: Erstmals seit 20 Jahren werden
ist ausschliesslich der Tod des Regisseurs massgeblich. wieder Werke gemeinfrei. Domaine public. In: SUISAinfo 1/2014,
S. 8–9. Online unter: www.suisa.ch/fileadmin/user_upload/service/
5 Bundesgerichtsentscheid (BGE) 130 III 168 ‹Bob Marley›; Rechtstipps_Recht_Rat/2014-01_Domaine_public.pdf
BGE 130 III 714 ‹Christoph Meili›; Urteil des Handelsgerichts des (letztmals aufgerufen am 09. 04. 2015).
Kantons Aargau vom 29. August 2012 ‹Nicolas Hayek›. 7 BGE 124 III 266.

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Public Domain und ches gemeinfreies Werk direkt zugänglich ist, darf
urheberrechtliche Schranken man aber immerhin ohne Weiteres eigene Aufnahmen
Das Urheberrecht kennt zahlreiche Schranken, die erstellen oder das Werk auf direkter Grundlage der
eine vergleichsweise freie Verwendung von urheber- Komposition selbst öffentlich aufführen.
rechtlich geschützten Werken erlauben – beispielsweise
zum Eigengebrauch, für Archivierung und Datensi- Public Domain und unterschiedliche
cherung, für bestimmte vorübergehende Vervielfälti- Schutzfristen im Ausland
gungen wie etwa Streaming, für die Verwendung durch Das Urheberrecht ist durch zahlreiche internationale
Menschen mit Behinderungen, bei Werken auf allge- Abkommen weltweit reguliert, doch definieren die
mein zugänglichem Grund (Panoramafreiheit) oder entsprechenden Abkommen wie beispielsweise die
für Zitate. Je nach urheberrechtlicher Schranke kann Berner Übereinkunft, der WIPO8 Copyright Treaty
dadurch eine Verwendung ähnlich wie bei gemein- (WCT), das TRIPS9-Abkommen und der WIPO Perfor-
freien Werken möglich sein. mances and Phonograms Treaty (WPPT) meist nur
Mindestanforderungen an das jeweilige nationale Ur-
Public Domain und verwandte Schutzrechte heberrecht. Aus diesem Grund unterscheiden sich die
In Ergänzung zum direkten Schutz für Urheber kennt weltweiten Schutzfristen erheblich, da sich nach dem
das schweizerische Urheberrecht seit dem 1. Juli 2008 sogenannten Schutzlandprinzip (auch Territoriali-
auch die sogenannten verwandten Schutzrechte. Sie tätsprinzip) jeweils aufgrund der nationalen Rechts-
dienen dem Schutz der Leistungen von Interpreten, ordnung bestimmt, ob (noch) urheberrechtlicher
Herstellern von Tonträgern sowie Sendeunterneh- Schutz besteht. So kennen beispielsweise Staaten wie
men. Sie werden auch als Leistungsschutzrechte oder China und Kanada immer noch eine Regelschutzfrist
Nachbarrechte bezeichnet. Letzteres soll zeigen, dass von 50 Jahren, während in den USA – wenn überhaupt
es sich um eigenständige Rechte handelt, die aber in – aufgrund von mehreren Verlängerungen der Schutz-
enger Nachbarschaft zum Urheberrecht stehen. Ver- fristen frühestens 2019 wieder Werke in die Public
wandte Schutzrechte erlöschen nach 50 Jahren. Domain übergehen werden.10 Im international aus-
Aufgrund von verwandten Schutzrechten kommt
es häufig vor, dass ein Werk selbst in die Public Do- 8 WIPO steht für ‹World Intellectual Property Organization›,
deutsch: Weltorganisation für geistiges Eigentum.
main gefallen ist, aber in seiner vorliegenden Form 9 TRIPS steht für ‹Trade-Related Aspects of Intellectual Property
dennoch nicht beliebig verwendet werden darf. Ein Rights›, deutsch: Handelsbezogene Aspekte der Rechte des
Beispiel sind Tonträger mit Aufnahmen von nicht mehr geistigen Eigentums.
10 Vgl. etwa Fleishman, Glenn: Public domain. Access denied. In: The Eco-
urheberrechtlich geschützten Kompositionen, die vor nomist, 10. Januar 2013. Online unter: www.economist.com/blogs/
weniger als 50 Jahren erstellt wurden. Sofern ein sol- babbage/2013/01/public-domain (letztmals aufgerufen am 09. 04. 2015).

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gerichteten Internet sind Urheberrechtsverletzungen Verwendung von Werken
in der Folge kaum zu vermeiden, da die Abrufbarkeit in der Public Domain
in einem anderen Land grundsätzlich zur Anwendung Werke in der Public Domain können beliebig ver-
des dortigen Urheberrechts führt. wendet werden, da sie nicht oder nicht mehr urhe-
berrechtlich geschützt sind. So können Erben und
Public Domain durch Verzicht andere Rechteinhaber insbesondere den Zugang zu
auf das eigene Urheberrecht? Werken nicht mehr mit Verweis auf das Urheberrecht
Das Urheberrecht an einem Werk entsteht automa- einschränken oder nur kostenpflichtig erlauben, denn
tisch und unabhängig vom entsprechenden Urheber- ihnen fehlt in der Public Domain jegliche urheber-
willen. Aus diesem Grund ist es in der Schweiz nicht rechtliche Verfügungsmacht.
möglich, das Urheberrecht an einem eigenen Werk Hingegen gibt die Public Domain keinen An-
vollständig aufzugeben, anders als beispielsweise in spruch auf freien Zugang zu einem Werk, und nicht-
den USA. urheberrechtliche Beschränkungen bezüglich Ver-
Urheber können immerhin erklären, dass sie wendung sowie Zugang sind weiterhin möglich. So
– soweit gesetzlich möglich – auf ihr Urheberrecht an können Museen beispielsweise mit Verweis auf ihr
allen oder bestimmten eigenen Werken verzichten. Hausrecht sowie ihre Hausordnung das Abfotogra-
Sie können aber auch ohne solche Erklärung die be- fieren oder sonstige Reproduzieren von gemeinfreien
liebige Verwendung ihrer Werke dulden. Im Rahmen Werken in ihren Räumlichkeiten einschränken oder
der Creative-Commons-Lizenzen besteht die soge- gar vollständig verbieten. Häufig ist das Fotografieren
nannte Public Domain Dedication, abgekürzt ‹CC0›. auf private Zwecke oder bestimmte Ausstellungsbe-
In den USA verzichtet ein Urheber damit auf sein reiche beschränkt und es dürfen nicht beliebige fo-
Copyright, während es sich in der Schweiz um eine tografische Mittel wie Blitz oder Stativ verwendet
bedingungslose Lizenz handelt, die eine Werkver- werden. So wird verhindert, dass solche Werke ohne
wendung wie in der Public Domain ermöglicht, ohne Fotoerlaubnis in hoher Qualität digitalisiert werden
dass der Urheber aber vollständig auf sein Urheber- können.
recht verzichten könnte. Grundvoraussetzung ist je- Genauso können beispielsweise Internetarchive
weils, dass ein Urheber überhaupt noch vollumfänglich ihre gesammelten Fotografien oder ihre gesammelte
über die Rechte an seinen Werken verfügt und diese Musik lediglich in geringer Auflösung veröffentlichen
nicht etwa teilweise an eine Verwertungsgesellschaft und im Übrigen den Zugang für andere Verwendun-
abgetreten hat. gen an vertragliche Bedingungen knüpfen. Wer sich
entsprechend vertraglich verpflichtet und dagegen
verstösst, kann wegen Vertragsverletzung auf dem
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zivilen Rechtsweg belangt werden. Gerade auch öf- richtliche Entscheidungen erwirkt werden. Unab-
fentlich-rechtliche oder zumindest öffentlich finan- hängig davon bleibt das Public-Domain-Werk aber
zierte Institutionen bekunden häufig Mühe damit, gemeinfrei, und lediglich die Reproduktion geniesst
ihre Sammlungen im Internet in hoher Qualität und allenfalls urheberrechtlichen Schutz als sogenanntes
zur freien Verfügung anzubieten. Werk zweiter Hand.
Möglich sind ausserdem Wasserzeichen sowie Das Abfotografieren von zweidimensionalen
die Verwendung von Digital Rights Management Werken wie beispielsweise Gemälden in einem Mu-
(DRM) wie insbesondere technische Schutzmassnah- seum bewirkt normalerweise nur eine einfache Ver-
men, Technical Protection Measures (TPM). Letztere vielfältigung beziehungsweise eine sogenannte Re-
dürfen in der Schweiz zwar bereits bei urheberrecht- produktionsfotografie. Ein solches Werk ist mangels
lich geschützten Werken teilweise umgangen werden, Individualität in der Schweiz nicht urheberrechtlich
bei Werken in der Public Domain bestehen mangels geschützt und kann als Teil der Public Domain belie-
urheberrechtlichem Schutz aber gar keine solchen big verwendet werden. Ausnahmsweise kann eine
urheberrechtlichen Schranken mehr. künstlerische Fotografie vorliegen, welche die not-
Unabhängig vom Urheberrecht bestehen zahl- wendige Schöpfungshöhe erreicht, wodurch Urheber
reiche weitere gesetzliche Beschränkungen. So bei- oder Rechteinhaber über deren Verwendung bestim-
spielsweise Straftatbestände für bestimmte pornogra- men können.
fische und rassendiskriminierende Werke, teilweise Beim Abfotografieren von dreidimensionalen
bis hin zum strafbaren Besitz – und ohne Rücksicht Werken wie beispielsweise einer Skulptur in einem
darauf, ob ein Werk zur Public Domain zählt. Bei Museum hingegen findet eine Umgestaltung von drei
Werken, die noch lebende Personen zeigen, ist jeweils zu zwei Dimensionen statt. Dabei bestimmt der Foto-
der Persönlichkeitsschutz wie insbesondere das Recht graf unter anderem über den Blickwinkel und weitere
am eigenen Bild zu beachten. Gestaltungselemente, sodass ein neues urheberrecht-
lich geschütztes Werk entsteht, weil das Public-Do-
Urheberrecht an reproduzierten main-Werk dadurch nur noch in der vom Fotografen
Public-Domain-Werken gewählten Form betrachtet werden kann.
Bei der Reproduktion von gemeinfreien Werken ent- Übersetzungen von Public-Domain-Werken
stehen unter Umständen erneut urheberrechtlich ge- können häufig ebenfalls urheberrechtlich geschützt
schützte Werke. Bei einer möglichst originalgetreuen sein, denn eine Übersetzung stellt grundsätzlich eine
‹handwerklichen› Reproduktion dürfte es zwar meist Bearbeitung einschliesslich der notwendigen Indivi-
an der notwendigen Individualität fehlen, aber Rechts- dualität dar. Auch Neuauflagen von gemeinfreien
sicherheit müsste letztlich durch rechtskräftige ge- Werken können urheberrechtlichen Schutz geniessen,
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wobei dieser im Einzelfall zu prüfen ist, unter ande- ihrer Forderung nach einem Lichtbildschutz bislang
rem in Abhängigkeit vom Grad der Bearbeitung und nicht durch.
Gestaltung. An den jährlichen Urheberrechtsgesprächen
am Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum
Aktuelle Entwicklungen (IGE) wurde 2014 der sogenannte Copyfraud thema-
zur Public Domain tisiert.12 Beim Copyfraud werden urheberrechtliche
Ab Herbst 2012 tagte die Arbeitsgruppe zur Optimie- Ansprüche geltend gemacht, die mangels urheber-
rung der kollektiven Verwertung von Urheberrechten rechtlichem Schutz oder infolge von urheberrechtli-
und verwandten Schutzrechten (AGUR12). Die AGUR12 chen Schranken gar nicht bestehen – beispielsweise,
hatte insbesondere den Auftrag, Anpassungen des um unliebsame Inhalte bei Internetplattformen wie
schweizerischen Urheberrechts an die technische Ent- Youtube löschen zu lassen. Das heutige Urheberrecht
wicklung – das heisst an Digitalisierung und Internet in der Schweiz sieht keine Sanktionen für solche Ur-
– zu prüfen. Gemäss dem AGUR12-Schlussbericht, heberrechtsanmassungen vor, sodass insbesondere
der am 6. Dezember 2013 veröffentlicht wurde, stan- kostenpflichtige Abmahnungen gegen behauptete
den zahlreiche Themen im Zusammenhang mit Ein- Urheberrechtsverletzungen weitgehend folgenlos mög-
schränkungen der Public Domain zur Diskussion, lich sind. Für die Abgemahnten lohnt es sich finan-
flossen aber nicht in die Empfehlungen der Arbeits- ziell gesehen meistens nicht, den urheberrechtlichen
gruppe ein.11 Schutz der abgemahnten Werke anwaltlich oder gar
Solche Themen betrafen unter anderem eine gerichtlich prüfen zu lassen. An den Gesprächen
Verlängerung der Schutzfrist für verwandte Schutz- wurde nicht bestritten, dass Copyfraud bekämpft wer-
rechte von 50 auf 70 Jahre, einen Zwang für Urheber den muss, doch sind bislang keine entsprechenden
zur kommerziellen Verwertung ihrer Werke (Vergü- gesetzlichen Bemühungen absehbar.
tungszwang) und die Einführung des sogenannten Rechtlich gesehen gilt der Grundsatz, dass ein-
Lichtbildschutzes. Mit dem Lichtbildschutz, wie ihn zelne Urheberrechte und nicht die Gemeinfreiheit
unter anderem Deutschland kennt, würden Fotogra- beziehungsweise Public Domain in ihrem Umfang
fien, die nicht individuell (genug) gestaltet sind, urhe- beschränkt sind. Die Erhaltung der heutigen Public
berrechtlich geschützt und damit der Public Domain Domain ist dennoch gefährdet, beispielsweise durch
entzogen. Auch im Nachgang zur AGUR12 drangen
die organisierten Berufsfotografen in der Schweiz mit 12 Vgl. Digitale Allmend: Urheberrechtsgespräch 2014 beim Institut
für Geistiges Eigentum (IGE). Kurzbericht von Hartwig Thomas.
11 Vgl. dazu Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum (IGE): Online unter: http://allmend.ch/2014/05/urheberrechtsgesprach-
AGUR12. Online unter: www.ige.ch/urheberrecht/agur12.html 2014-beim-institut-fur-geistiges-eigentum-ige
(letztmals aufgerufen am 09. 04. 2015). (letztmals aufgerufen am 09. 04. 2015).

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den oben erwähnten Copyfraud, vor allem aber durch
eine weitere Ausdehnung des urheberrechtlichen
Schutzes, unter anderem durch immer neue Leistungs-
schutzrechte jenseits der ursprünglichen Urheber-
rechte. In der Schweiz begann diese Entwicklung
Anfang der 1990er-Jahre mit dem damals neuen Ur-
heberrechtsgesetz. Jene Interessengruppen, die in der
Schweiz noch nicht vom Geldsegen durch Leistungs-
schutzrechte profitieren, lobbyieren aus eigenen wirt-
schaftlichen Interessen mit grosser Ausdauer, beispiels-
weise die Berufsfotografen für den oben erwähnten
Lichtbildschutz. Die Public Domain benötigt deshalb
auch in der Schweiz engagierte Verteidiger, die öffent-
lich überzeugend darlegen, wieso der urheberrechtli-
che Grundsatz der Gemeinfreiheit im Interesse der
Allgemeinheit sowie zugunsten von Kreativität und
kultureller Vielfalt erhalten werden muss.

Martin Steiger (* 1978) ist Anwalt Luftfahrtindustrie tätig. Martin


für Recht im digitalen Raum mit Steiger engagiert sich ehrenamt-
eigener Kanzlei und Unternehmer. lich für die Digitale Allmend und
Nach dem Studium an der Univer- die Digitale Gesellschaft, auch in
sität St. Gallen (HSG) war er für urheberrechtlichen Fragen.
grosse, international ausgerichtete www.steigerlegal.ch
Anwaltskanzleien sowie in der

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