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Pilotstudie
Sexismus im Alltag
Wahrnehmungen und Haltungen der deutschen Bevölkerung
Autor
1 Einleitung 7
5 Zwischenbefund 30
5
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen
in den Milieus 59
9.1 „Traditionelle“ und „Bürgerliche Mitte“ 61
9.1.1 Männer 61
9.1.2 Frauen 66
9.2 „Benachteiligte“ und „Hedonisten“ 71
9.2.1 Frauen 71
9.3 „Etablierte“ 74
9.3.1 Frauen 74
9.3.2 Männer 78
9.4 „Postmaterielle“ 84
9.4.1 Männer 84
9.4.2 Frauen 87
! Zusammenfassung 96
# Untersuchungssteckbrief 101
A. Qualitative Untersuchung 101
B. Quantitativ-repräsentative Befragung 101
6
1 Einleitung
1 Einleitung
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2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen
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2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen
zu lange und aufdringliche Blicke, eindeutig auf schön kleiden und nicht mehr erotisch wirken
Sex hinweisende Körperbewegungen und Gesten, wollen oder dürfen. Ein Mann spitzte das im
unerwünschte Körperberührung (an Po, Bein, Interview auf das Bild zu, alle würden dann die
Schulter etc.); eine derb-lästerliche Wortwahl nordkoreanische Einheitskleidung tragen. Eine
einer Person gegenüber; lustvolle oder kritisieren- andere Bruchlinie im (nur vermeintlich geteilten)
de Bemerkungen über die aufreizende Kleidung Verständnis von Sexismus ist, dass ein Teil der
einer Person; Bilder mit (halb)nackten Körpern Bevölkerung (Männer und Frauen)1 Sexismus
in Zeitschriften, auf Websites, in sozialen Netz- von Männern gegenüber Frauen als Folge eines
werken; heimliches Onanieren in der Öffentlich- allzu weiblichen Auftretens begreift – somit sind
keit (zum Beispiel am See) mit Blick auf eine Frau Männer die Opfer der Signale von Frauen. Würde
(oder einen Mann); Tuscheln in der Männerrunde man Sexismus vollständig verbannen, wären
über eine vorübergehende Frau (und vice versa) auch Schönheit und Spaß verbannt. Insofern geht
unter Ausnutzung der Gruppenstärke und als es diesen Männern und Frauen darum, nur die
Ausdruck von Überlegenheit; der Wunsch des allzu harten und allzu herabsetzenden, stilistisch
beruflich Vorgesetzten an eine Mitarbeiterin, unsittlichen und unfeinen Formen von Sexismus
sich zu schminken, kurze Röcke, ein Kleid oder zu brandmarken und zu verbannen.
enge Kleidung zu tragen. Zu Sexismus wird eine
Tat, ein Wort oder ein Bild, wenn darin nicht die Damit wird deutlich: Es sind nicht die äußerlichen
Person wahrgenommen wird, ihre Freiheit, Würde Handlungen „an sich“, sondern diese werden zu
und ihr Wille nicht respektiert wird, sondern sexistischen Handlungen
eine Person in ihrer geschlechtlichen Individua-
lität verletzt beziehungsweise als Angehörige 1. durch Motive und Ziele der Handelnden
(Repräsentantin, Ausprägung) eines bestimmten (der Täter);
Geschlechts und als reines Objekt behandelt wird.
Die Abwertung besteht in dieser Benutzung und 2. durch die Situation und die Beziehungs-
Instrumentalisierung und ist damit im Kern eine biographie der beteiligten Personen (eine
temporäre „Entmenschlichung“. Umarmung kann völlig normal und sexismus-
frei sein, wenn beide sich kennen und dies zur
In den Alltagsdefinitionen von Sexismus gibt es Beziehungsqualität gehört);
eine Oberflächenstruktur, die geschlechterüber-
greifend von Frauen und Männern geteilt wird: 3. durch die Interpretation im Kopf der
Sexismus ist ungut, persönlich herabsetzend Betroffenen.
und sozial zu verurteilen. Insofern ist eine Anti-
sexismushaltung eine sehr starke gesellschaft- Dieser dritte Aspekt ist signifikant für tendenziell
liche Norm vom Rang der Unbedingtheit und unterschiedliche Sexismusauffassungen von
festes Element im Kanon verbaler Political Frauen und Männern.
Correctness. Das mag ein Grund dafür sein, dass
diese Vokabel so gern verwendet wird, um das un-
erwünschte Verhalten anderer zu diskreditieren.
1 Keineswegs alle Männer und Frauen! Es gibt Hinweise, dass diese Haltung nicht von der Mehrheit geteilt wird, sondern von einer relevanten
Minderheit, die es zwar in allen Schichten gibt, aber nicht in allen Milieus: primär in den Milieus der „Traditionellen“, „Konservativen“,
„Etablierten“ und der „Bürgerlichen Mitte“. Diese Anteile lassen sich mit den Befunden der Pilotstudie nicht quantifizieren.
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2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen
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2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen
und Beruflichen, auf persönlich-individueller auf die Homosexualität des Täters und/oder eines
und gesellschaftlich-struktureller Ebene, auch Opfers – in zwei Varianten:
im weltanschaulichen Blick auf Geschlechter-
unterschiede letztlich nur Ausdrucksformen 1. Männer werden von homosexuellen Männern
und Manifestationen eines Unterdrückungs- mit dem aufdringlichen Wunsch nach Sex
mechanismus sind, dessen Fundament ein kultu- belästigt;
rell tief verankerter Sexismus ist, der in unserer
Gesellschaft universell verbreitet ist. Insofern ist 2. homosexuelle Männer werden von hetero-
vor allem bei Frauen (und einigen Männern) in sexuellen Männern stigmatisiert beziehungs-
gehobenen Leitmilieus der Begriff Sexismus nicht weise herabgewürdigt, weil sie schwul sind –
fokussiert auf moralische Tabuverletzung durch somit nicht aufgrund ihres Geschlechts,
situative Entgleisungen bei persönlich-zwischen- sondern ihrer Geschlechtsorientierung.
menschlichen Beziehungen, sondern hat in nuce
eine gleichstellungspolitische und gesamtgesell- Umgekehrt betonen Frauen, dass Frauen
schaftliche Ausdehnung. Opfer von Sexismus anderer Frauen werden,
die ihnen verbal oder nonverbal vorwerfen,
Konträr dazu erkennt ein Teil der Männer dass sie sich nicht so kleiden, schminken oder
(vor allem ab mittlerem Alter sowie in tra- verhalten, wie man das als anständige oder „rich-
ditionellen und bürgerlichen Milieus) tige“ Frau tun sollte. Meistens lautet der Vorwurf,
unakzeptablen Sexismus nur in derb-verletzenden sich allzu aufreizend für Männer zu zeigen; selte-
Worten, Gesten und Bildern. Für sie ist Sexismus ner ist der Vorwurf, sich zu wenig weiblich zu
keine flächendeckende Grundströmung, sondern geben. Beides sind moralisch-stilistische Vorhal-
eine moralische Verfehlung einzelner Personen tungen und Übergriffe auf ihre individuelle
und Personengruppen. Dass es Sexismus auch Expression ihrer Geschlechtlichkeit.
in der Werbung und im Showbusiness gibt,
bestreiten sie nicht, sondern deuten diesen als Für einen Teil der Männer ist Sexismus
Instrument zur Absatzförderung und Gewinn- ein Kampfbegriff des Feminismus, der von
steigerung, was moralisch zwar bedenklich sei, Vertreterinnen und Vertretern dessen,
aber so funktioniere nun mal Wirtschaft. Sexis- was aus ihrer Sicht Genderideologie ist, verwendet
mus fällt für diese Männer primär in die Kategorie werde, um Männer zu bekämpfen und weiter zu
„persönlicher Anstand“, weniger in die Bereiche unterdrücken. Insofern sei der sprachliche Begriff
Zivilisation und gesellschaftskulturelle Struktur. Sexismus lediglich ein Propagandabegriff und
selbst eine Ideologie, die sich gegen Männer rich-
Hier zeigt sich eine weitere Diskrepanz tet. Solche Haltungen, die bei einer relevanten
zwischen Frauen und Männern: Beide Minderheit der männlichen (und weiblichen)
assoziieren mit Sexismus reflexhaft Bevölkerung in einer Untersuchung 2017 identi-
die sexorientierte Übergriffigkeit von Männern fiziert und quantifiziert wurden, sind Kern-
gegenüber Frauen und benennen dies als häufigste überzeugung der Strömung des Maskulismus.3
Beziehungskonstellation von Sexismus. Es sind Die Meinung, Sexismus sei ein Kampfbegriff des
aber fast nur Frauen, die darauf hinweisen, dass aggressiven Feminismus, ist nicht nur im relativ
es auch Übergriffigkeit von Frauen gegenüber kleinen Kreis radikaler Maskulisten und Masku-
Männern gibt. Dies blenden Männer aus fast allen listinnen vorhanden. Teile der Bevölkerung – vor
Milieus (von der Oberschicht bis zur Unterschicht) allem in der Oberschicht und der gehobenen
weitgehend aus. Sie ignorieren oder tabuisieren, Mittelschicht, insbesondere im Milieu der „Etab-
dass Männer Opfer sexueller Übergriffigkeit von lierten“ und der „Bürgerlichen Mitte“ – sind
Frauen sind. Wenn für sie Männer Opfer von Sexis- empfänglich für diese Position und vertreten sie
mus sind, dann durch andere Männer mit Bezug als Haltung selbstbewusst und souverän.
3 Vergleiche Wippermann, Carsten: Männer-Perspektiven. Auf dem Weg zu mehr Gleichstellung? Hg. vom Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend, Berlin 2017, Seite 59–63. Danach gehören 6,3 Prozent aller Männer und 1,5 Prozent aller Frauen zum engeren Kern
des Maskulismus, weitere 33,7 Prozent der Männer und 15,2 Prozent der Frauen sind empfänglich für einzelne maskulistische Einstellungen.
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2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen
Die Gegenposition dazu vertreten erst in der Situation der Kommunikation existiert,
Frauen und Männer im Milieu „Post- sondern ebenso vorher und nachher – auf den
materielle“ (und eine Minderheit von sogenannten Hinterbühnen. Das sind beispiels-
Frauen im Milieu „Etablierte“): Für sie sind Leug- weise Situationen, in denen sich Männer in einer
nung oder Relativierung der aktuellen Diskrimi- Gruppe über die sexuellen Qualitäten bestimm-
nierung von Frauen das Kernelement einer neuen ter Frauen aus ihrem Umfeld oder den Medien
Form von Sexismus. Dieser Sexismus sei besonders bewertend austauschen, oder Situationen, in
perfide, subversiv und aggressiv, weil er eine schon denen sie – nachdem sie jemanden auf der Straße,
lange erreichte Gleichberechtigung behaupte und im Club, in der Kneipe, im Zug oder im Schwimm-
weitere Bestrebungen zur Durchsetzung von bad provozierend „angemacht“ haben, zum Bei-
Gleichberechtigung als unfaire Vorteilsnahme zu spiel durch Bemerkungen oder Hinterherpfeifen –
Lasten der Männer kategorisiere. Dieser Sexismus sich im Kreise der Vertrauten über ihre Performance
umfasst nach Auffassung von „postmateriellen verständigen. Aus einer reinen Männergruppe,
Frauen“ vor allem folgende fünf Aspekte: einer Frauengruppe oder aus gemischten Gruppen
heraus sich über ein Geschlecht lustig zu machen,
1. Leugnung, dass es eine fortwährende ist nach Auffassung vor allem von Frauen aus dem
Diskriminierung von Frauen gibt; Milieu „Postmaterielle“ die Wurzel von Sexismus,
2. Leugnung der Privilegien von Männern; ebenso das singuläre Stimulieren über Erotik-
3. Betonung der Privilegien von Frauen; magazine in Print, Video oder Chatrooms. Sexis-
4. Ablehnung der Änderung der sozialen mus beginnt für sie im Kopf, hat aber eine soziale
Geschlechterhierarchien sowie einer Dimension – zum einen, weil das andere (oder
substanziellen Änderung der Rollen von gleiche) Geschlecht insgesamt sowie mittelbar
Frauen und Männern in den verschiedenen konkrete Angehörige dieses Geschlechts objekti-
gesellschaftlichen Räumen; fiziert, verdinglicht wird, als Instrument der
5. das Zeichnen einer ernsthaften Bedrohung eigenen Erzeugung, Steigerung und Vergewisse-
durch einen aggressiven Feminismus, der rung von Lust oder Macht dient. Eine soziale
sozialistisch-revolutionär die Grundfesten Dimension hat dies zum anderen, weil sexistische
einer offenen, liberalen Gesellschaft Anspielungen und Angriffe im öffentlichen Raum
zerstören wolle. häufig aus einer Gruppe heraus erfolgen, in der
sich der oder die Einzelne in seiner Männlichkeit
Diese letzten beiden Positionen beschreiben Sexis- beziehungsweise in ihrer Weiblichkeit beweist und
mus nicht als situative Übergriffigkeit, sondern hervortut: Sexismus als Beweis für Stärke und
als strukturelle Übergriffigkeit. Dabei ist Sexismus Indikator von Zugehörigkeit. Von den Mechanis-
in den Horizont der Gleichstellungspolitik und men hinter der Bühne erfahren die Betroffenen in
alltäglichen Gleichstellungskultur gerückt. der Regel nichts – aber sie sind für einen relevan-
ten Teil der Bevölkerung ein substanzielles,
Die ersten Assoziationen und situativen Beschrei- ursächliches Element von Sexismus im Alltag.
bungen von Sexismus beziehen sich auf die
Vorderbühne des Geschehens, auf das sexistische Diese inhaltlichen Befunde sind die Folie, vor der
Auftreten gegenüber einer Person, die als beson- die spontanen Äußerungen der Untersuchung zu
ders sexy oder besonders unsexy, als besonders der Frage „Was ist für Sie Sexismus?“ zu lesen sind.
unweiblich oder besonders weiblich, als besonders Die folgenden Zitatauszüge illustrieren das breite
männlich oder besonders unmännlich verding- Spektrum und die Unterbestimmtheit des Begriffs.
licht, stigmatisiert und herabgewürdigt wird. Die angefügten Angaben zu Geschlecht, Alter und
Sexismus auf der Hinterbühne wird primär von Bildung zeigen, dass die Befunde zentrale Tenden-
jenen mit höherer, akademischer Bildung thema- zen und kulturelle Muster darstellen, man aber
tisiert.4 Vor allem im Milieu der „Postmateriellen“ nicht von der Soziodemographie auf die Sexismus-
betonen Frauen und Männer, dass Sexismus nicht einstellung schließen kann.
4 Die Begriffe Vorderbühne und Hinterbühne wurden von dem Soziologen Erving Goffman eingeführt und illustrieren die Darstellung des Selbst in
sozialen Situationen. Goffman, Erving: The Presentation of Self in Everyday Life. New York 1959. Ders.: Frame Analysis. An Essay on the
Organization of Experience, New York 1974. Ders.: Gender Advertisements, New York 1979.
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2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen
„Sexismus soll bedeuten, dass man nur „Eingriff in meinen privaten Bereich durch
auf das Äußere der Frau schaut, sie auf unerlaubte Handlungen, körperlich oder verbal.“
ihre Figur reduziert.“ [Frau, 68 Jahre, Hauptschule]
[Mann, 31 Jahre, Abitur]
„Dass Männer den Frauen nachstarren und
„Die Meinung, dass ein Geschlecht sich alles erlauben können, nur weil sie meinen,
(das weibliche) dem anderen Geschlecht Männer dürfen das.“
(dem männlichen) unterlegen ist.“ [Frau, 63 Jahre, Studium]
[Frau, 24 Jahre, Studium]
„Auf das Aussehen reduziert zu werden.“
„Sexismus bedeutet für mich Vorurteile [Frau, 24 Jahre, Mittelschule]
und anzügliches Verhalten oder anzügliche
Äußerungen gegenüber Frauen oder auch „Sexismus ist die Benachteiligung aufgrund
anderen Minderheiten.“ von Geschlecht. Dies bedeutet NICHT, dass
[Frau, 32 Jahre, Mittlere Reife] eine Frau benachteiligt ist, wenn sie weniger
arbeitet und weniger verdient. Ich bezeichne
„Die Vorstellung, dass ein Geschlecht es erst dann als Sexismus, wenn eine gleiche
dem anderen von Natur aus überlegen sei. Leistung erbracht wird – gegen verschiedene
Diskriminierung, besonders von Frauen Entlohnung. Zudem sind meiner Meinung
durch Männer.“ nach in der momentanen Gesellschaft die
[Frau, 46 Jahre, Realschule] Männer die Benachteiligten, nicht Frauen.“
[Mann, 18 Jahre, Mittlere Reife]
„Der Glaube, dass Männer von Natur aus
Frauen überlegen seien.“ „Fehlende Gleichberechtigung.“
[Frau, 66 Jahre, Studium] [Frau, 25 Jahre, Studium]
„Vorstellung, nach der ein Geschlecht dem „Belästigung eines Geschlechts mit Bildern,
anderen von Natur aus überlegen sei, und Worten, Berührungen.“
die Diskriminierung, Unterdrückung, Zurück- [Mann, 55 Jahre, Abitur]
setzung, Benachteiligung von Menschen, beson-
ders der Frauen, aufgrund ihres Geschlechts.“ „Sex ist etwas Normales.“
[Mann, 61 Jahre, Mittlere Reife] [Mann, 18 Jahre, noch kein Schulabschluss]
„Sexismus ist eine bewusste sexuelle „Wenn einer süchtig nach Sex ist und nur
Diskriminierung, wie zum Beispiel noch an Sex denkt.“
Vergewaltigung oder sexueller Missbrauch.“ [Mann 23 Jahre, Hauptschule]
[Mann, 22 Jahre, Abitur]
„Übertreibung von normalem Sex.“
[Mann, 55 Jahre, Abitur]
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2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen
„Sexismus ist eine abgetrennte Art von der „Wenn Frauen aufgrund der Tatsache, dass
ganzheitlichen Liebe.“ sie Frauen sind, benachteiligt werden.“
[Mann, 58 Jahre, Studium] [Frau, 39 Jahre, Mittlere Reife]
„0berbegriff für alles, was mit Sex zu tun hat.“ „Sexismus sind Worte oder Handlungen am
[Mann, 67 Jahre, Abitur] anderen oder auch gleichen Geschlecht, die
die Würde und Ehre angreifen und die Person
„Viel reden über Sex.“ diskriminieren.“
[Mann, 42 Jahre, Mittlere Reife] [Frau, 38 Jahre, Studium]
In der Wahrnehmung von Sexismus seitens der Bevölkerung zeigt sich ein breites Spektrum.
Dieses ist vieldimensional aufgespannt, vornehmlich bestimmt durch folgende Pole:
In der Wahrnehmung von Sexismus seitens der Bevölkerung zeigt sich ein breites Spektrum. In der Wahrnehmung von Sexismus seitens der Bevölkerung zeigt sich ein breites Spektrum.
Dieses ist vieldimensional aufgespannt, vornehmlich bestimmt durch folgende Pole: Dieses ist vieldimensional aufgespannt, vornehmlich bestimmt durch folgende Pole:
spontan-eruptiv ↔ regelmäßig, ritualisiert auf eine einzelne Person auf ein Geschlecht
zielend ↔ insgesamt zielend
situativ ↔ strukturell institutionalisiert
bezogen auf bezogen auf
Geschlechtszugehörigkeit ↔ Geschlechtsorientierung
aggressiv (gewalttätig) ↔ spielerisch
das andere Geschlecht das gleiche Geschlecht
prägnant-konkret ↔ diffus-pauschal ↔
betreffend betreffend
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2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen
„Zum Beispiel wenn ein Mann aufgrund „Wenn Frauen auf ihre Sexualität minimiert
seines Geschlechts in der Berufswahl, werden.“
im Sorgerechtsstreit oder sogar in der [Frau, 42 Jahre, Mittlere Reife]
Werbung diskriminiert oder abqualifiziert
wird. Es kann auch gegen das Verhalten „Reduzierung von Frauen auf ihr Geschlecht
gerichtet sein, Stichwort Mansplaining5, und ihre Rolle als Sexualobjekt.“
Manspreading6, oder – was am schlimms- [Frau, 45 Jahre, Studium]
ten ist: wenn Männer mit dem Vorwurf der
Gewalt oder sexueller Übergriffe gegen „Gewalt.“
Frauen oder Kinder gesellschaftlich ver- [Frau, 67 Jahre, Mittlere Reife]
nichtet werden.“
[Mann, 48 Jahre, Mittlere Reife] „Ansichtssache.“
[Frau, 46 Jahre, Mittlere Reife]
„Jemanden bedrängen, verbal oder körperlich,
mit Sex oder anzüglichen Bemerkungen.“ „Ablehnung oder Verachtung
[Mann, 50 Jahre, kein Schulabschluss] Andersgeschlechtlicher.“
[Mann, 38 Jahre, Studium]
„Abfällige Anmache des anderen oder gleichen
Geschlechts auf Trieb ausgerichtet.“
[Mann, 51 Jahre, Mittlere Reife]
5 Der Begriff Mansplaining bezeichnet herablassende Erklärungen eines Mannes, der fälschlicherweise davon ausgeht, er wisse mehr über den
Gesprächsgegenstand als die – meist weibliche – Person, mit der er spricht. Der Begriff benennt die in der Kommunikation häufig von Frauen
empfundenen Machtasymmetrien, deren zugehörige Ab- und Aufwertungswirkungen von Männern oft nicht bemerkt werden. Die Wort-
neuschöpfung entstand bei der Reflexion kommunikativer Machtausübung durch Männer. Inhaltliche Grundlage für die Wortneuschöpfung
war ein 2008 veröffentlichter Essay der amerikanischen Publizistin Rebecca Solnit. Der Neologismus setzt sich zusammen aus man (englisch:
‚Mann‘) und explaining (englisch: ‚erklären‘). Schon seit über einem Jahrhundert wird splain in nicht hochsprachlichen englischen Texten für
explain verwendet. Mansplaining hat im englischsprachigen Bereich parallele Wortschöpfungen nach sich gezogen wie Whitesplaining, was
Rassismus durch Weiße bezeichnet.
6 Der Begriff Manspreading setzt sich zusammen aus man (englisch für: ‚Mann‘) und spreading (englisches Verb to spread, dt. ‚spreizen‘). Mit dem
Begriff wird eine Angewohnheit mancher männlicher Fahrgäste bezeichnet, vor allem (aber nicht nur) in öffentlichen Verkehrsmitteln mit
gespreizter Beinhaltung zu sitzen, wodurch die Bewegungsfreiheit der Sitznachbarn eingeschränkt wird. Einige Autoren halten die gespreizte
Sitzhaltung für eine natürliche Folge des männlichen Körperbaus; andere hingegen deuten sie als Chauvinismus und Machtansprüche von
Räumen. Einige Wissenschaftler, wie etwa Ina Hunger, Professorin für Sport und Pädagogik an der Universität Göttingen, oder Paul Scheibelhofer,
Assistenzprofessor für Kritische Geschlechterforschung am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck, argumentieren,
dass das Manspreading anerzogenes beziehungsweise erlerntes Verhalten sei. Der Begriff Manspreading wird wegen seiner Stereotypisierung des
männlichen Geschlechts als sexistisch kritisiert. Ebenso wird kritisiert, dass ähnliche Verhaltensweisen, die primär von Frauen an den Tag gelegt
werden, von den „Manspreading“-Kampagnen meist ignoriert werden. Eine dieser Verhaltensweisen, die primär vom weiblichen Geschlecht aus-
geht, wäre beispielsweise das sogenannte She-Bagging, bei dem eine Frau ihre Taschen auf den Sitzflächen deponiert und somit Platz wegnimmt.
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3 Beobachtung von Sexismus im eigenen Umfeld
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3 Beobachtung von Sexismus im eigenen Umfeld
Sexismus ist – das zeigen die Alltagsdefinitionen und empfinden es als unangenehm, wenn jemand
der Frauen und Männer – interpretationsab- die Abstandsregel verletzt (einer Person zu nahe
hängig. Dies gilt sowohl für die Perspektive der kommt und wenn diese zurückweicht , um den
Täter wie für Betroffene. Es ist für die Fassung des Abstand zu vergrößern, dieser erneut zu nahe
Phänomens Sexismus elementar, sich klarzu- kommt). Bestimmte Personen wie etwa die Part-
machen, dass Sexismus im Kern eine Frage der nerin/der Partner, Eltern oder gute Freunde
Deutung und Auslegung von Worten, Gesten, dürfen meistens in diesen Raum eindringen; hier
Taten, Bildern ist – und damit Kommunikation. gelten andere Abstandsregeln, ebenso notgedrun-
Signifikante Symbole (George Herbert Mead) gen in spezifischen Situationen im vollgedrängten
werden von einigen mit einer bestimmten Bus, in der Bahn oder im Fahrstuhl. Genau dies
(semantischen und wertenden) Notation sexistisch sind Situationen, das zeigt unsere Untersuchung,
aufgefasst und in einen spezifischen Bedeutungs- in denen Frauen häufig Sexismus erfahren, wenn
horizont gestellt; für andere hingegen gelten sie beispielsweise eine fremde Person diese Situation
keineswegs als sexistisch oder nur minderen (aus)nutzt, um in ihren persönlichen Raum ein-
Grades. Damit ist für die kulturelle, politische und zudringen. Ein anderes Territorium ist die soge-
pädagogische Behandlung des Themas auf eine nannte Hülle, die nicht wie der persönliche Raum
elementare kommunikative Kompetenz hinzu- variiert, sondern unser Körper selbst ist. Auch
weisen: die Fähigkeit, sich in die Perspektive des bezogen auf die Hülle haben wir soziale Regeln,
anderen hineinzuversetzen und das eigene Reden wer uns berühren darf, in welchen Körperbe-
und Handeln daran auszurichten, wie dies reichen die Berührung erlaubt ist (und wo ein
vom Gegenüber wohl verstanden wird. Es spricht strengstes Tabu besteht), in welchen Situationen
einiges für die Hypothese, dass Sexismus vielfach Ausnahmen zulässig sind und wie lange Körper-
von Asymmetrie zwischen Tätern und Betroffe- kontakt erlaubt ist. Auch hier berichten die
nen begleitet ist und dass diese Asymmetrie Befragten in den Gruppenwerkstätten, dass sie
vornehmlich in Taubheit, Ignoranz oder Lust unter anderem in öffentlichen Verkehrsmitteln,
(alternativ: erotischem Egoismus, Überlegenheits- Fahrstühlen, Discos, Clubs und Konzerten immer
und Machtbedürfnis, wirtschaftlichem Profit) der wieder erleben, dass fremde Personen den dicht-
Täter und Täterinnen besteht, sich die Wirkung gedrängten Raum dazu nutzen, um in körper-
ihrer ausgesandten Signale auf aktuell oder lichen Kontakt zu kommen (gelegentlich auch,
potenziell betroffene Personen vorzustellen und um sich dabei sexuell zu stimulieren).
sie zu verantworten. Gleichzeitig ist zu betonen,
dass auch Betroffene nicht per se passiv sind, In der Alltagswahrnehmung der Frauen und
sondern in einem aktiven Deutungsakt bestimmte Männer gibt es neben dem persönlichen Raum
Signale als sexistisch deuten, dadurch mental und und der (Körper-)Hülle eine Reihe weiterer räum-
emotional ernsthaft verletzt werden und sich licher und symbolischer Reservate, die im Fall von
herabgewürdigt fühlen. sexistischen Übergriffen verletzt werden. Dazu
gehören beispielsweise Kommunikationsreservate:
Dieser Mangel an sozialer und moralischer Kom- Dies sind in der Alltagsdeutung der Bevölkerung
petenz erfährt im Lichte einer anderen Perspek- die Rechte eines Individuums, ein gewisses Maß
tive an Präzision: Die soziologischen Arbeiten von an Kontrolle darüber auszuüben, wer es wann zu
Erving Goffman zum Alltag (Everyday Life) zeigen, einem Gespräch auffordern kann und in welcher
dass wir im sozialen Miteinander sogenannte Sprache mit einem gesprochen werden darf – hier
Territorien des Selbst haben, die wir beanspruchen vor allem in Bezug auf die persönliche Nähe und
und verteidigen, die zum Bewahren unseres Selbst Geschlechterorientierung. Zum Kommunikations-
und unserer Würde sozialmoralisch (normativ) reservat gehört ebenso das Recht einer im Gespräch
geschützt sind und für die es eine Benutzungs- befindlichen Gruppe, nicht durch die Einmischung
ordnung gibt, die situations- und personenspezi- oder das Mithören anderer Personen behelligt zu
fisch variieren kann. Ein Beispiel ist der persön- werden. Dies gilt für analoge Gespräche, aber ein
liche Raum als Territorium, das den Körper eines solcher Regelkanon besteht auch im Internet –
Individuums umgibt und für das es Abstands- etwa mit Blick auf das Verschicken von Mails,
regeln gibt. So halten Gesprächspartner in der Einmischen und Auftreten in Chatrooms sowie
Regel den Abstand einer Armlänge voneinander das Verschicken von Texten und Bildern in digi-
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3 Beobachtung von Sexismus im eigenen Umfeld
talen (sogenannte sozialen) Netzwerken. Hier zu deuten. Die beiden Relationen „Täter – Opfer“
berichten vor allem Frauen, dass sie dort Hate sowie „Männer – Frauen“ stehen in einem doppel-
Speech erleben, die sie in ihrer Würde angreift, ten asymmetrischen Deutungsverhältnis zueinan-
dass sie pornographische Bilder auf ihr Smart- der. Das führt dazu, dass Frauen deutlich seltener
phone oder ihren digitalen Account bekommen, als Männer Sexismus beobachten, bei dem Männer
dass sie im Alltag gelegentlich oder immer wieder das Opfer sind. Die Wahrnehmungsfilter führen
auf Personen treffen, die ihnen Face-to-Face dazu, dass Frauen bestimmte Verhaltensmuster
durch Wortwahl und Botschaft viel zu nahe treten bei Männern eher als (Facette von) Sexismus
und auch bei eindeutigen Zeichen der Abwehr gegenüber Frauen deuten als ein ähnliches Ver-
aufdringliche Hartnäckigkeit zeigen. Auch das halten von Frauen gegenüber Männern. Umge-
sogenannte Sexting, das unerwünschte Übersen- kehrt: Die Untersuchung gibt Grund zu der These,
den von Bildern mit sexuellem Inhalt via E-Mail dass in der Alltagskultur unserer Gesellschaft die
oder digitale soziale Netzwerke, ist nach Auffas- Aufmerksamkeit für Sexismus gegenüber Män-
sung von 82 Prozent der Frauen und 72 Prozent nern, was situative Übergriffe betrifft (aber auch
der Männer Sexismus. strukturelle Benachteiligung), nicht so ausgeprägt
ist wie für Sexismus gegenüber Frauen. Das hat
In der Wahrnehmung der Bevölkerung sind seine Gründe in den asymmetrischen Macht-
Frauen persönlich häufiger von Sexismus betroffen strukturen der Vergangenheit und Gegenwart.
als Männer. Auch in der Werbeindustrie werden
deutlich mehr Frauen als Männer als Objekte zur • 31 Prozent der Frauen beobachten mehrmals
Stimulierung von positiven Gefühlen und Lust in im Monat Sexismus gegenüber Frauen und nur
Print und Videoclips eingesetzt. Wenn gleichzeitig 12 Prozent solchen gegenüber Männern
Männer weniger Sexismus in ihrer Umgebung (Differenz von 19 Prozentpunkten).
beobachten, als Frauen das tun, dann hängt das
mit jenen bei Frauen und Männern offenbar • Umgekehrt beobachten 24 Prozent der Männer
unterschiedlichen Wahrnehmungsfiltern und Sexismus gegenüber Frauen und 17 Prozent
Kompetenzen zusammen, sich in die Perspektive solchen gegenüber Männern mehrmals im
des anderen hineinzuversetzen und die Signale Monat (Differenz von 7 Prozentpunkten).
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3 Beobachtung von Sexismus im eigenen Umfeld
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3 Beobachtung von Sexismus im eigenen Umfeld
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3 Beobachtung von Sexismus im eigenen Umfeld
Dieselbe Wirklichkeit (Sexismus gegen Frauen/ Das bedeutet umgekehrt, dass 64 Prozent der
Sexismus gegen Männer) wird von Frauen und älteren Frauen und 56 Prozent der älteren Männer
Männern mit unterschiedlicher Sensibilität von Sexismus direkt als Opfer betroffen oder
wahrgenommen und gedeutet. indirekt als Beobachter involviert sind. 18 Prozent
der Frauen und 14 Prozent der Männer ab 65 Jah-
Die Kluft bei der Sensibilität für Sexismus ist ren nehmen mehrmals im Monat Sexismus in
zwischen Frauen und Männern am größten in ihrem Umfeld wahr. Auch wenn die Betroffenheit
jungen Jahren: Im Alter bis 24 Jahre beobachten ungleich auf die Generationen verteilt ist und
59 Prozent der Frauen und 39 Prozent der Männer die Formen unterschiedlich sein mögen: Sexismus
im eigenen Umfeld Sexismus mehrmals im lässt sich nicht auf eine Lebensphase oder eine
Monat (Differenz von 20 Prozentpunkten). Altersgruppe eingrenzen.
In den folgenden Altersgruppen geht Sexismus
(genauer: die Sensibilität dafür) signifikant zurück;
gleichzeitig wird der Gap in der Wahrnehmung
zwischen Frauen und Männern kleiner: Im Alter
von 25 bis 34 Jahren nehmen 44 Prozent der
Frauen und 32 Prozent der Männer in ihrem
Umfeld Sexismus wahr (Differenz von 12 Prozent-
punkten); im Alter von 35 bis 44 Jahren sind dies
26 Prozent der Frauen und 24 Prozent der Männer
(Differenz von 2 Prozentpunkten).
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4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien
7 Das Adjektiv schlimm, das zum Wortschatz des Goethe-Zertifikats B1 gehört, hat gemäß Duden (Stand 10/2019) vor allem die folgenden
Bedeutungsschwerpunkte:
1. schwerwiegend und üble Folgen nach sich ziehend;
2. in hohem Maße unangenehm, unerfreulich; negativ; übel, arg;
3. (in moralischer Hinsicht) schlecht, böse, niederträchtig.
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4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien
in der sozialwissenschaftlich-hermeneutischen
Analyse als vordergründig, als nicht authentisch
und als Floskel.
2. Ganz anders die Sicht der Betroffenen:
Von jenen, die selbst mehrmals im Monat
von Sexismus betroffen sind, finden 74 Prozent
der Frauen und 64 Prozent der Männer Sexismus
Dieses gilt in besonderem Maße für jene, die zwar (sehr) schlimm. Erst eigene Betroffenheit erzeugt
nicht selbst von Sexismus betroffen sind, aber und steigert das Wissen über die negativen Folgen
diesen in ihrem Umfeld mehrmals im Monat für die Betroffenen. Es gibt aber auch 26 Prozent
gegenüber anderen beobachten: Von diesen finden der Frauen und 36 Prozent der Männer, die solches
43 Prozent der Frauen und 49 Prozent der Männer erlebt haben und als wenig oder überhaupt nicht
Sexismus im Alltag nicht schlimm. Umgekehrt schlimm beschreiben. Es gibt einen Schutz-
empfinden 57 Prozent der Frauen und 51 Prozent mechanismus, sich von Übergriffen und Angriffen
der Männer, die zwar nicht Opfer, aber Beobach- auf die sexuelle Selbstbestimmtheit und Würde
tende sind, Sexismus im Alltag als (sehr) schlimm. nicht betreffen zu lassen. Der Mechanismus
Die unmittelbare Erfahrung von Sexismus als besteht in der Zuschreibung der Harmlosigkeit
Beobachterin/Beobachter erhöht sowohl die (englisch harm = verletzen) solcher Übergriffe.
Empathie für Betroffene als auch für die Kritik Deutlich wird das in den qualitativen Interviews,
an Sexismus als Angriff auf Kultur und Zivili- bei denen vor allem Frauen beschreiben, dass sie
sation, und zwar stärker, als es die erfahrungsfreie, in solchen Situationen zwar besser offensiv auf
rein abstrakte Information vermag: Wer mittelbar verbale Kommentare oder Angriffe reagieren
erfährt, dass es Alltagssexismus gibt, diesen aber sollten, aber in der Regel darauf verzichten, weil
selbst nicht einmal beobachtet, zeigt wenig sie von der Situation zu überrascht sind, dem
Empathie für Betroffene und schätzt die Folgen Angreifer oder der Gruppe von Männern körper-
für die Alltagskultur als gering ein. Letztlich kann lich unterlegen sind und sich ohnmächtig fühlen –
das als banale Erkenntnis genommen werden: und vor allem, weil sich durch eine aktive abweh-
Eine eigene Erfahrung oder Beobachtung ist rende Reaktion die Situation für sie selbst zeitlich
eindrücklicher als eine abstrakte Information. verlängern würde und verschärfen könnte.
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4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien
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4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien
Sie wären dem Angriff und der Erniedrigung noch den Angriff auf seine Geschlechtszugehörigkeit.
länger ausgesetzt. Insofern besteht die Strategie Ein Geschlecht wird instrumentell missbraucht.
im Weitergehen, Ignorieren, Ausblenden, Ver-
drängen, aber auch in der Bagatellisierung der Erfährt man im eigenen Alltag öfter Sexismus,
Situation, um nicht Opfer zu sein. erhöht dies die Sensibilität für Sexismus in den
Medien: 85 Prozent der Frauen und 75 Prozent
der Männer, die monatlich Opfer von sexistischen
Bemerkungen, Gesten, körperlichen Attacken sind,
4.2 Sexismus in den nehmen medialen Sexismus als schlimm wahr.
Persönliche Erfahrungen von Sexismus steigern
Medien das Bewusstsein für sexistische Strömungen und
Strukturen jenseits der eigenen Lebenswelt sowie
Anders die Empfindungen gegenüber medialem für die Bedeutung von Medien, über die Sexismus
Sexismus: Obwohl sie nicht direkt als Person etabliert, institutionalisiert und damit gesell-
angesprochen werden, empfinden 75 Prozent schaftsfähig wird. Sexismus wurde und wird in
aller Frauen und 61 Prozent aller Männer Sexis- den Medien zur gesellschaftlichen Normalität,
mus in den Medien als schlimm. Die erotisch- gewinnt damit an Akzeptanz und verliert gleich-
laszive Darstellung von Frauen und Männern zeitig an Skandalisierungspotenzial und findet
als Sexobjekt und Luststeigerungsfaktor in in einigen Milieus Legitimation aufgrund seiner
Bildern, Filmen und (Werbe-)Botschaften zum Normalität und ökonomischen Nützlichkeit.
Zweck der Verkaufsförderung wird von der
Mehrheit der Bevölkerung als schlimm bewertet. Gegen diesen medialen Sexismus anzugehen,
In solchen medialen Darstellungen wird die wird einerseits in weiten Teilen der Bevölkerung
Würde des Individuums zwar nicht direkt gefordert oder trifft auf Verständnis, selbst bei
angetastet und herabgesetzt, aber indirekt durch der Mehrheit jener, die selbst keine sexistischen
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4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien
8 Näheres in Kapitel 7.
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4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien
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4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien
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4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien
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5 Zwischenbefund
5 Zwischenbefund
Sexismus ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl Was für Angehörige eines Milieus überhaupt nicht
von Darstellungs-, Ausdrucks-, Angriffs- und als sexistisch gilt, wird von Angehörigen eines
Übergriffs- und Herabwürdigungsformen. Eine anderen Milieus als sehr sexistisch aufgefasst.
klare, eindeutige, von (nahezu) allen geteilte Was beispielsweise Männer im Milieu „Hedonis-
Ablehnung von Sexismus gibt es in der Bevölke- ten“ als cool und witzig empfinden, wird von
rung aber nur bei einem engen Ausschnitt von Frauen im Milieu „Postmaterielle“ als sexistisch
Themen. Das sind Vergewaltigung, sexuelle herabwürdigend erlebt. Ein Aufeinandertreffen
Nötigung und gezielte Berührung körperlicher beider kann eine fatale unsexistisch/sexistische
Intimbereiche, somit bereits strafrechtlich rele- Kommunikationsirritation sein – je nach Milieu-
vante Delikte. Hingegen ist der weitaus größere perspektive. Der Deutungsgraben kann tief, breit
Bereich geschlechterorientierter Verletzungen und eklatant sein. An dem Beispiel wird auch
in der Bevölkerung divergent, sowohl in der deutlich, dass es Sexismus nicht nur von oben
faktischen Sortierung und Benennung (Ist etwas (Täter in gehobener Machtposition) nach unten
sexistisch, erotisch, flirten?) als auch in der norma- (Betroffene in geringerer Position) gibt, sondern
tiven Bewertung. auch von unten nach oben aus Rache oder als
subversiver Machtgebrauch zur Kompensation
Ob etwas als sexistisch gilt und kodifiziert ist, von Ohnmacht und Frustration.
hängt von der Deutung der Kommunikations-
zeichen ab. Damit ist Sexismus – in der Wahr- Zeichen, die sexistisch gemeint sein könnten, ob
nehmung der Frauen und Männer – ein von Fremden oder Vertrauten, lassen sich oft nicht
Beziehungsbegriff. Die sozialwissenschaftliche sicher als sexistisch identifizieren. Ein Beispiel:
Untersuchung kommt zu dem Befund, dass es Von jemandem sehr lange heimlich oder offen
nicht nur um Motive wie Macht, Erniedrigung beobachtet, betrachtet, angestarrt zu werden (im
oder Lustgewinn geht, sondern dass auch der Fitnessstudio, in der Bahn, am Badesee), kann
Lebensweltbezug eine entscheidende Rolle spielt. sexistische Motive haben, aber auch im Gegenteil
Lebenswelten (soziale Milieus) sind Deutungs- einfach Gefallen, Attraktivität, Interesse ausdrücken.
gemeinschaften bezüglich bestimmter Zeichen
und fassen Menschen zusammen, die sich in ihrer Aus Sicht der Bevölkerung ist Sexismus in seiner
Lebensauffassung und Lebensweise ähneln. Was Kernbedeutung definiert als Herabwürdigung
als sexistisch gilt, erfährt in jedem Milieu eine einer Person aufgrund der Geschlechtszugehörig-
(etwas) andere Deutung und Wertung; die Breite keit oder der Geschlechtsorientierung. Es gibt
und Tiefe sind milieuspezifisch, und zwar mit je die Stigmatisierung eines Geschlechts insgesamt
eigener Kodifizierung. Das erzeugt im Binnenraum sowie die sexistische Stigmatisierung einer Person,
eines Milieus eine weitgehend klare und einver- Letzteres aufgrund dessen, dass diese dem nor-
nehmliche Einschätzung, Distinktion und Stig- mativen Geschlechterbild des Täters beziehungs-
matisierung dessen, was als Sexismus gilt – jedes weise der Täterin nicht entspricht (Mangel) oder
Milieu hat eigene Wahrnehmungsfilter, Deutungs- aber in außerordentlich hohem Maße entspricht
muster und normative Reaktionsmuster kultiviert. (Übererfüllung), sodass diese Person als Objekt
der eigenen Bedürfnisse genutzt wird. Diese
Aber: Sexismus findet nicht nur im Binnenraum Instrumentalisierung bedeutet Verdinglichung.
eines Milieus statt, sondern auch – sogar meistens –
zwischen Menschen aus unterschiedlichen Milieus.
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5 Zwischenbefund
In den qualitativen Gruppenwerkstätten dieser ausdrücken und formulieren): Gibt es das über-
Untersuchung beschreiben Frauen und Männer haupt: Flirten ganz ohne Instrumentalisierung
verschiedene Arten der Verdinglichung (der und Verdinglichung? Und wie ist das Verhältnis
Objektifizierung, also der Einordnung als bloßes von Macht und Sexismus – wer steht im Dienst
Objekt) einer Person, bei denen sich sechs haupt- des je anderen? Ist der Sexismus gegenüber dem
sächliche Muster9 zeigen: anderen Geschlecht nur eine von mehreren For-
men der Demonstration von Stärke, Überlegen-
1. Instrumentalisierung: Die Person gilt als heit, Macht? Oder liegt der Grund in einer weltan-
Werkzeug für eigene Zwecke (instrumentality); schaulichen (zum Beispiel politischen, religiösen)
Perspektive, die das eine Geschlecht grundsätzlich
2. Aberkennung der Selbstbestimmung des oder für bestimmte Bereiche als höherwertig
anderen (denial of autonomy, inertness); erachtet, dem anderen Geschlecht eine (unter
anderem sozial, sexuell, beruflich, familiär) die-
3. Besitzergreifung: die Person (ihr Körper oder nende Funktion oder gar die prinzipielle Uneig-
Körperteile, ihr Bewusstsein, ihr Gemüt) gilt nung zuschreibt, sodass bei bestimmten Themen
in der Situation temporär oder dauerhaft als das andere Geschlecht erst gar nicht in den Blick
Eigentum von jemand anderem (ownership); gerät, faktisch ausgeblendet und damit diskrimi-
niert wird (zum Beispiel Frauen in Führungs-
4. Reduktion auf Funktionalität, Austausch- positionen, Männer in Kitas)? Ist der Sexismus
barkeit: die Person ist ersetzbar, sie wird Zweck oder Mittel, causa finalis oder causa instru-
betrachtet als Figur und Material für eigene mentalis? In der Wahrnehmung der Bevölkerung
Interessen (fungibility); vermischen sich beide Kausalitäten.
9 Diese korrespondieren mit Objektifizierungsformen, die einst die Philosophin Martha Nussbaum identifiziert hat. Vergleiche Nussbaum, Martha:
„Objectification“. In: Philosophy and Public Affairs, Herbst 1995; 24, Research Library Core, Seite 249–291.
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6 Sexismus selbst erlebt oder gegenüber anderen beobachtet
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6 Sexismus selbst erlebt oder gegenüber anderen beobachtet
Eine Antwort liefert der Befund, dass Männer mit im Alltag Sexismus selbst erfährt oder beobachtet,
geringem Bildungsabschluss nur zu 29 Prozent nimmt bei Männern der unteren Bildungsschicht
Sexismus im Alltag wahrnehmen und mehrheit- weniger als ein Drittel solchen Sexismus wahr.
lich nur Männer mit Abitur oder Studium (53 Pro- Auch in akademischen Bildungsschichten nehmen
zent). Das scheint bei Frauen ähnlich zu sein, denn 53 Prozent der Männer und 71 Prozent der Frauen
Sexismus diagnostizieren am häufigsten Frauen Sexismus im eigenen Umfeld wahr. Diese Diffe-
mit akademischer Ausbildung (71 Prozent), dann renzen lassen auf unterschiedliche Sensitivitäten
jene mit Abitur ohne Studium (68 Prozent) und für Alltagssexismus bei Männern und Frauen
am wenigsten jene mit Hauptschulabschluss oder schließen. Die Sensoren und Deutungsmuster sind
ohne Schulabschluss (53 Prozent). Während also in unterschiedlich voreingestellt und trainiert für
allen Bildungsschichten die Mehrheit der Frauen sexistische Zeichen der verschiedenen Arten.
Haben Sie schon sexistische Übergriffe gegen sich oder anderen gegenüber erlebt?
Ja 29 43 53 53
Nein 71 57 47 47
Ja 53 55 68 71
Nein 47 45 32 29
33
6 Sexismus selbst erlebt oder gegenüber anderen beobachtet
6.1 An welchen Orten Es gibt Grund zur Hypothese, dass die eigene
Wohnung als Tatort von Sexismus tabuisiert wird
Sexismus erlebt wird oder dass solche Vorkommnisse nicht gegenüber
anderen – zum Beispiel in sozialwissenschaft-
Sexismus ist zwar omnipräsent, aber nicht an allen lichen Befragungen – erwähnt werden. Das Ver-
Orten in gleicher Dichte und Häufigkeit. Frauen schweigen und Tabuisieren erfolgt zum Teil aus
erleben Sexismus vor allem an öffentlichen Plät- Scham, Sexismus auf eigenem Terrain zugelassen
zen durch Unbekannte (46 Prozent), am zweit- zu haben (dies würde vor allem bei Männern als
häufigsten am Arbeits- oder Ausbildungsplatz Schwäche und männlicher Makel ausgelegt), oder
durch Kolleginnen und Kollegen oder durch um den Partner beziehungsweise die Partnerin,
Vorgesetzte (41 Prozent) sowie in öffentlichen die Eltern oder auch Großeltern nicht öffentlich
Verkehrsmitteln (30 Prozent). Der häufigste Ort oder Bekannten gegenüber zu beschädigen.
sexistischer Übergriffe ist für Männer hingegen
der Arbeits- und Ausbildungsplatz (45 Prozent); Umgekehrt ist der Sport vor allem für Männer ein
erst dann folgen öffentliche Plätze (42 Prozent) Bereich, in dem sie durch Bemerkungen, Gesten,
und öffentliche Verkehrsmittel (29 Prozent). Handlungen und Ähnliches in ihrer Männlichkeit
sexistisch herabgewürdigt und verletzt werden:
Auch die eigene Wohnung ist ein Ort sexistischer 18 Prozent der Männer, die im Alltag Sexismus
Übergriffigkeit verbaler oder körperlicher Art, erleben, ordnen dies dem Sport zu, hingegen nur
besonders für Frauen. 12 Prozent der betroffenen 10 Prozent der Frauen. Frauen fühlen sich beim
Frauen haben in ihrer eigenen Wohnung sexisti- Sport primär von Männern aufdringlich oder
sche Übergriffe erfahren, „nur“ 7 Prozent der heimlich beäugt („begafft“), bekommen ungebete-
Männer. Auch diese Zahlen sind nicht als objektive ne Kommentare oder „Hilfe“ im chauvinistischen
Fakten zu lesen, sondern als subjektive Erinne- Gestus, werden in der Sauna „begutachtet“ oder
rungen, die selektiven Filtern unterliegen. erhalten von anderen Frauen in der Umkleide-
34
6 Sexismus selbst erlebt oder gegenüber anderen beobachtet
kabine kritische Resonanz in Bezug auf ihr Outfit Neben diesen Ausdrucksformen von Sexismus am
und ihre Form. Männer hingegen werden, bezogen persönlichen körperlichen Gegenüber zeigt sich
auf (schwache) Leistung, (mangelnde) Geschick- Sexismus auch medial vermittelt – durch digitale
lichkeit, (fehlenden) Mut oder in ihrem Körperbau, soziale Netzwerke (Frauen 30 Prozent; Männer
in ihrer Männlichkeit angegriffen – meist von 34 Prozent), E-Mails und Briefe (Frauen 11 Prozent;
anderen Männern, seltener auch von Frauen. Männer 14 Prozent) sowie Telefonate (Frauen und
Männer je 8 Prozent). Bemerkenswert ist, dass
diese Ausdrucksformen von Sexismus von Frauen
und Männern in etwa mit gleicher Häufigkeit
6.2 Welche Formen von wahrgenommen werden. Insofern besteht hier kein
geschlechtsspezifisches Wahrnehmungsgefälle.
Sexismus erlebt werden
Wie drückt sich Sexismus aus, was sind seine
häufigsten expressiven Formen? Betroffene
erleben Sexismus am häufigsten als verbale
Übergriffe im persönlichen Gespräch Face-to-Face
(45 Prozent der Frauen; 47 Prozent der Männer).
Weitere häufige Formen des Alltagssexismus sind
Gesten sowie Hand- und Körperbewegungen ohne
körperliche Berührung (39 Prozent der Frauen;
38 Prozent der Männer) und mit Körperkontakt
(36 Prozent der Frauen; 32 Prozent der Männer).
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6 Sexismus selbst erlebt oder gegenüber anderen beobachtet
36
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
10 Dies gilt auch mit Blick auf einzelne Positionen im radikalen Feminismus beziehungsweise in einigen feministischen Diskursen, nach denen
Männer nicht von Sexismus betroffen sein können, weil aufgrund der fortbestehenden hegemonialen Männlichkeit das Machtungleichgewicht
weiter bestehe und der Blick auf Männer als Opfer des Sexismus (durch Frauen) den Blick auf die realen Verhältnisse verschleiere.
11 Vergleiche Nohl, Arnd-Michael: Interview und dokumentarische Methode. Anleitungen für die Forschungspraxis, Wiesbaden 2012. Bohnsack,
Ralf/Nentwig-Gesemann, Iris/Nohl, Arnd-Michael (Hg.): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer
Sozialforschung, Berlin 2007. Bohnsack, Ralf: Dokumentarische Methode: Theorie und Praxis wissenschaftlicher Interpretation. In: Hug, Theo
(Hg.): Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? Band 3, Baltmannsweiler 2001, Seite 326–345.
37
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
ist überrascht von der Frage, ob sie schon mal auf sexistische Attacken, etwa vulgäre Begriffe (über
ihr Smartphone oder ihren Social-Media-Account sie als Frau oder über andere Frauen), ein unnöti-
sexistische Fotos und Videoclips zugeschickt ger (aufdringlicher) Körperkontakt in der Bahn,
bekamen – eine typische Antwort ist: „Na klar, anzügliche Äußerungen oder „Hinterherpfeifen“
selbstverständlich, schon oft! Nicht nur ich; alle, die aus einer Gruppe von Männern oder auch am
ich näher kenne. Das ist völlig normal, das geht jeder Arbeitsplatz der Chef, der sagt, wie schön er es
so!“ Ebenso bekannt sind für viele Frauen Situatio- fände, wenn sie ein Kleid oder kurze Röcke tragen
nen, in denen sie von einem Mann oder einer würde.
Gruppe von Männern allzu lang – offensichtlich
oder heimlich – angestarrt und unangenehm von Die selektive Unempfindlichkeit aus Selbstschutz
Blicken verfolgt werden, dass ein Mann ihr auf und die Gewöhnung an „soften“ Sexismus ist ein
den kurzen Rock, ihre Beine oder den Busen starrt, kritisches Moment, denn es etabliert bestimmte
dass in einem vollbesetzten öffentlichen Verkehrs- Formen des Sexismus als normal und (scheinbar)
mittel ein Mann sich an sie drängt und länger als akzeptiert. Dagegen bedarf es politischer und
nötig Körperkontakt hält und Ähnliches. All das ist pädagogischer Initiativen zur Re-Sensibilisierung
für einen erheblichen Teil der Frauen so alltäglich, dafür, dass auch alltägliche, weniger offensive
dass sie dies gar nicht spontan mit dem Attribut Eingriffe in die Geschlechterwürde schlichtweg
„sexistisch“ versehen, sondern erst bei ausführli- Verletzungen sind, die nachhaltig Spuren hinter-
chem Gespräch darüber. Die Alltäglichkeit solcher lassen. Insofern geht es nicht nur um Re-Sensi-
Erfahrungen erzeugt Gewöhnung, nimmt die bilisierung, sondern auch um eine Kultur, die
Überraschung und lässt abstumpfen, nimmt Sensibilität gegenüber alltäglichem Sexismus
diesen Formen des Sexismus ihre Relevanz – denn zu bewahren. Banaler Alltagssexismus wirkt und
wenn sie sich stets darüber aufregen und verletzt wertet die Adressaten ab. Das in diesem Zusam-
fühlen würden, wäre für manche jeder Tag ein Tag menhang gewählte Attribut „banal“ meint keines-
der Verwundung. Davor schützen sie sich durch wegs, dass dieser Sexismus unerheblich, belanglos
Nivellierung und Ausblendung. In den Vorder- oder folgenlos wäre, im Gegenteil: Im Sinne von
grund treten damit zunehmend extremere Hannah Arendt meint „banal“ hier, dass dieser
38
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
Sexismus keine Tiefe hat und dass er zugleich in früheren Jahren werden nicht erinnert, weil
so alltäglich, normal und weit verbreitet ist.12 eine Reihe solcher Übergriffe damals gar nicht
als Sexismus aufgefasst wurden. Der Begriff
Wenn, wie die Befragten feststellen, Sexismus in Sexismus ist zwar schon älter, aber bis in die
allen gesellschaftlichen Bereichen und Schichten 1980er/1990er Jahre war er nicht in den medialen
omnipräsent und omnipotent ist, sollte man mei- und lebensweltlichen Diskurs und damit nicht in
nen, dass mit zunehmendem Alter der Anteil jener das öffentliche Problembewusstsein eingedrun-
steigt, die schon einmal sexistische Übergriffe gen. Es scheint unwahrscheinlich, dass es von den
erfahren haben (die sogenannte Prävalenz). Doch 1950er bis 1990er Jahren weniger Sexismus gab als
das Gegenteil ist der Fall: Der Anteil sinkt mit heute, zumal in der Restaurationsphase nach dem
zunehmendem Alter – und er sinkt bei Männern Zweiten Weltkrieg mit der Zurückdrängung von
stärker als bei Frauen, allerdings auf einem gerin- Frauen aus dem Arbeitsmarkt und aus Führungs-
geren Niveau. Das verlangt nach Erklärungen. positionen, mit dem Wiedereinnehmen der Rolle
des Familienoberhaupts durch aus dem Krieg
Der empirische Befund, dass der Anteil der von heimgekehrte Männer und mit der Persistenz
Sexismus betroffenen Frauen und Männer mit traditioneller Familienbilder und klarer (hierar-
zunehmendem Alter zurückgeht, kann nur chischer) Geschlechterrollen.13 Was nicht erinnert
unzureichend mit nachlassender, lückenhafter wird, kann nachträglich nicht quantifiziert
Erinnerung erklärt werden. Sexistische Übergriffe werden; insofern muss offenbleiben, wie viele
12 Vergleiche Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 1964.
13 Man denke beispielsweise an das erste Gleichberechtigungsgesetz von 1957 (das vom Bundesverfassungsgericht 1959 kassiert wurde), an
Fernseh- und Radiosendungen zur Verkehrserziehung (zum Beispiel „Der siebte Sinn“), Werbung mit dem Normbild der traditionellen Hausfrau,
strukturelle Ungleichstellung in Bezug auf Erwerbstätigkeit, Entgeltungleichheit oder ungleiche Erreichbarkeit von Führungspositionen, Verge-
waltigung in der Ehe (bis 1997 kein Straftatbestand) oder die erst 1977 mit dem Ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts aufge-
hobene Hausfrauenehe, die es einem Ehemann ermöglichte, seiner Gattin die Erwerbstätigkeit zu verbieten, oder den erst 1969 aufgehobenen
Paragraph 175 StGB, der Homosexualität unter Strafe stellte – allerdings war die soziale Ächtung von homosexuellen Frauen und Männern damit
längst noch nicht beseitigt.
39
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
Frauen und Männer in den ersten drei Nach- zum anderen als wachsende Sensibilität und Auf-
kriegsjahrzehnten tatsächlich Sexismus erlebten. merksamkeit („Fühler“) von Frauen für sexistische
Oder erlebte sexistische Situationen wurden Übergriffe aufgrund der medialen Diskurse zur
verdrängt, um sie zu vergessen, sich nicht dauer- Gleichstellungspolitik, zum Feminismus, zu #Me-
haft als Opfer solcher Situationen zu erinnern Too und Ähnlichem. Die beiden Interpretationen
und dadurch weiter beschädigt zu werden. Sicher schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich.
haben sich durch Wertewandel und Lebensstil,
Generationenwandel und Zeitläufte bis heute die Bei Männern nimmt der Anteil jener, die
Ausdrucksformen persönlicher Übergriffigkeiten sich an selbst erlebte sexistische Über-
verändert, aber strukturelle Formen der Benach- griffe erinnern, von den älteren zu den
teiligung eines Geschlechts gab und gibt es nach- jüngeren Generationen einen ähnlichen Verlauf.
weislich in allen Dekaden. In der älteren Männergeneration (über 65 Jahre)
sagen 21 Prozent, dass sie früher oder heute
Es scheint paradox, dass jüngere Generationen sexistische Übergriffe erlebt haben oder erleben,
von Sexismus stärker betroffen sind als ältere in der nachfolgenden Generation (die 45- bis
Generationen. Auf der einen Seite ist durch Pro- 64-Jährigen) 32 Prozent, bei 35- bis 44-Jährigen
zesse der Individualisierung und Pluralisierung 36 Prozent, bei 25- bis 34-Jährigen 40 Prozent
der Lebenswelten sowie durch die Reichweite und und schließlich in der jüngsten Generation (unter
Anonymität neuer digitaler Medien das Spektrum 25 Jahre) 43 Prozent. Das ist eine Verdoppelung
an sexistischen Möglichkeiten und Instrumenten, von der ältesten zur jüngsten Männergeneration
auch die Verführung dazu, enorm gewachsen. Auf in Bezug auf die Betroffenheit von Alltagssexismus.
der anderen Seite haben der gewachsene mediale
Diskurs über Gleichstellungspolitik und struktu- Festzuhalten ist: In allen Altersgruppen haben
relle Ungleichstellung von Frauen und Männern, deutlich mehr Frauen als Männer in ihrem Leben
in den letzten Jahren der Netzfeminismus, das schon Sexismus erfahren (die Abstände betragen
Hashtag #aufschrei (seit 201314) über die kleinen zwischen 18 und 35 Prozentpunkte). Dabei sind
sexistischen Übergriffigkeiten im Alltag, der die Abstände zwischen den Zahlen der Frauen und
Women’s March am 20.01.2017, die #MeToo-Bewe- denen der Männer, die von Sexismus betroffen
gung seit 2017 oder die Time’s Up-Bewegung seit sind, in den jüngeren Altersgruppen relativ stabil.
2018 dazu geführt, dass die Sensibilität gegenüber In keiner Altersgruppe ist die Kluft zwischen
Sexismus in seinen zahlreichen Spiel- und Aus- Männern und Frauen hinsichtlich der Prävalenz
drucksarten ebenfalls gestiegen ist. 68 Prozent von Sexismus so groß wie bei jenen in reiferen
der Frauen und 43 Prozent der Männer im Alter Lebensjahren.
unter 25 Jahren sagen, dass sie schon Adressaten
(„Opfer“) sexistischer An- und Übergriffe waren. Es gibt Grund zu der Annahme, dass Frauen, die
vor 1955 geboren und mehrheitlich in den 1960er
Verfolgt man die Entwicklung von den Jahren sozialisiert wurden, eine andere, vielleicht
älteren zu den jüngeren Generationen, stärkere Sensibilität für strukturellen und per-
dann steigt bei Frauen der Anteil der im sönlichen Sexismus haben als Frauen, die in den
Leben schon von Sexismus Betroffenen: Er beträgt 1970er/1980er Jahren aufgewachsen sind. Im
bei 45- bis 64-Jährigen 50 Prozent, bei 35- bis Kontrast dazu stehen Männer derselben Gene-
44-Jährigen 62 Prozent, bei 25- bis 34-Jährigen ration (vor 1955), die deutlich seltener in ihrem
64 Prozent und in der jüngsten Generation, bei Leben sexistische Übergriffe erfahren haben.
den unter 25-Jährigen, 68 Prozent. Das kann in Angesichts der patriarchalischen Gesellschafts-
zwei Weisen interpretiert werden: zum einen struktur der Nachkriegsjahrzehnte und der
als objektive Zunahme von sexistischen Über- hegemonialen Männlichkeit scheint das wenig
griffen mit zunehmender Modernisierung der verwunderlich. Im Gegenteil überrascht der
Gesellschaft, was vor allem jüngere Frauen trifft; hohe Anteil von 21 Prozent der über 64-jährigen
14 Im Dezember 2018 kündigte die Mitintitiatorin von #aufschrei, Anne Wizorek, an, dass die Plattform von #aufschrei und der Blog kleinerdrei
eingestellt würden.
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7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
Männer, die im Leben von Sexismus betroffen sind vielfältig, etwa weil sie sich bei der Erledigung
waren oder sind (was immer sie unter Sexismus des Haushalts engagieren (Kochen, Waschen,
verstehen). Die Untersuchung gibt keinen Auf- Putzen) und dafür von anderen Männern feixende
schluss darüber, in welchen Altersphasen und Bemerkungen mit Angriffen gegen ihre „Männ-
Lebensabschnitten sie Sexismus ausgesetzt waren. lichkeit“ erfahren. Sexismus erleben aber auch
Aber der Anteil von Männern dieses Alters, die Männer in jüngeren Lebensjahren, beispielsweise
derzeit gelegentlich oder regelmäßig Sexismus aufgrund ihrer Ausbildungs- und Berufswahl
erfahren, ist mit 13 Prozent sehr hoch. Bei Frauen (bei als „Frauenberuf“ stigmatisierten Erziehungs-
im Alter ab 65 Jahren ist der Anteil jener, die und Pflegeberufen), weil sie keine Vollzeitstelle
aktuell von Sexismus betroffen sind, mit 30 Pro- anstreben, weil sie ihrer beruflich erfolgreichen
zent noch deutlich höher als bei Männern. Frau den Rücken freihalten, weil sie durch Reduk-
tion ihres Erwerbsumfangs den beruflichen Wie-
Insgesamt zeigt sich bei Frauen und Männern dereinstieg ihrer Partnerin ermöglichen, weil sie
eine Zäsur um das 45. Lebensjahr herum. Frauen ihre Familie nicht ernähren können, weil sie
und Männer, die jünger als 45 Jahre sind, erleben homosexuell sind und einige (wenige) aufgrund
aktuell deutlich häufiger sexistische An- und ihrer Transsexualität oder Intersexualität.
Übergriffe als jene, die älter als 45 Jahre sind.
Insofern scheint diese fünfte Lebensdekade eine Spannend ist der Blick auf jene, die mehrmals im
Zäsur zu sein, ab der deutlich weniger Frauen und Monat Alltagssexismus erfahren. Hier zeigt sich
Männer von sexistischen Übergriffen betroffen ein deutlicher Alterseffekt: 36 Prozent aller Frauen
sind. Spannend ist für weitere Untersuchungen und 17 Prozent aller Männer unter 25 Jahren sind
die Frage, welche Formen und welche Inhalte von monatlich von sexistischen Übergriffen betrof-
Sexismus weiterbestehen und welche zurückgehen. fen – damit doppelt so viele Frauen wie Männer.
Während bei Frauen in den folgenden Altersdeka-
Damit rücken Männer in den Blick, die auch noch den die Anteile jeweils geringer werden (22 Pro-
in späteren Lebensjahren – immer noch oder erst- zent bei 25- bis 34-Jährigen, 13 Prozent bei 35- bis
mals – Opfer von Sexismus werden. Die Gründe 44-Jährigen, 6 Prozent bei 45- bis 54-Jährigen), ist
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7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
bei Männern der Anteil bis in die fünfte Lebens- gen am Arbeitsplatz (Männer 30 Prozent, Frauen
dekade relativ stabil und beträgt zwischen 16 Pro- 23 Prozent), aus dem weiteren Freundes- und
zent und 19 Prozent; erst danach ist er erheblich Bekanntenkreis (Frauen 20 Prozent, Männer
geringer – mit 4 Prozent. Im Alter von 35 bis 18 Prozent), gefolgt von dem engeren Freundes-
44 Jahren sind – nach eigenen Auskünften – sogar kreis (Männer 15 Prozent, Frauen 9 Prozent). Es
mehr Männer (16 Prozent) als Frauen (13 Prozent) folgen sexistische Grenzüberschreitungen durch
von Sexismus betroffen. berufliche Vorgesetzte sowie durch Lehrerinnen
und Lehrer in Ausbildung und Schule. Jede und
jeder zehnte Betroffene erfährt Sexismus von
Personen, die beruflich in der Hierarchie über
7.2 Von wem sexistische ihnen stehen, die ihnen gegenüber in einer
Machtposition sind (mit Führungs- und meistens
Übergriffe kommen Fürsorgeverantwortung). Interessant ist, dass
9 Prozent der betroffenen Frauen und 5 Prozent
Die meisten sexistischen Übergriffe erleben der Männer Sexismus durch Familienangehörige
60 Prozent der betroffenen Frauen und 46 Pro- erleben. In diesen Fällen ist die Familie nicht
zent der Männer von Unbekannten. Frauen sind Schutzraum, sondern Tatort, an denen die Betrof-
häufiger den Übergriffen ihnen fremder, anony- fenen den Übergriffen von engsten Vertrauten
mer Täter ausgesetzt als Männer. Männer hin- ausgesetzt sind, wobei spezifische, zum Teil beson-
gegen erleben häufiger als Frauen sexistische ders hohe Hürden bestehen, sich zu wehren, Hilfe
Bemerkungen oder Übergriffe von beruflichen von außen zu holen oder solche Situationen zu
Kollegen und Kolleginnen sowie aus dem meiden.
engeren Freundeskreis.
Bisher wurden Täterkreise des „in der letzten Zeit
In der Rangfolge kommen nach Übergriffen durch (in den letzten zwölf Monaten) erlebten“ Sexis-
Unbekannte solche durch Kolleginnen und Kolle- mus beschrieben. Was ist anders, wenn man
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7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
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7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
Sexismus „im ganzen bisherigen Leben“ in den ten sich damit auseinandersetzen, die Situation
Blick nimmt (und sich die betroffenen Personen vergegenwärtigen, müssten die Situation aus-
richtig erinnern)? führlich anderen gegenüber beschreiben, hätten
die schwierige Beweislast, wären durch diesen
• Ähnlich wie in der aktuellen Jahresprävalenz Akt weiterhin Opfer des Übergriffs und wären
erfahren auch in der Lebenszeitprävalenz zugleich Täterin beziehungsweise Täter der
deutlich mehr Fraueals Männer Sexismus Strafanzeige mit den sozialen Konsequenzen des
durch Fremde: 52 Prozent der Frauen und Rechtfertigungsdrucks.
31 Prozent der Männer sind von sexistischen
Übergriffen ihnen unbekannter Täterinnen Nicht nur gegenüber Behörden, sondern auch
und Täter betroffen. im Familien- und Bekanntenkreis bestünde ein
sozialmoralischer Legitimierungsdruck, zu erklä-
• Die Zahl sexistischer Übergriffe durch beruf- ren, dass die Anzeige wirklich notwendig war,
liche Kolleginnen und Kollegen sowie aus dem dass die Konsequenzen einer Anzeige im adä-
weiteren Freundes- und Bekanntenkreis ist bei quaten Verhältnis zur Tat stehen und warum
betroffenen Frauen und Männern etwa gleich man nicht auf eine Anzeige verzichtet hat. Dazu
groß (zwischen 28 Prozent und 31 Prozent). gehören beispielsweise Fragen, ob ein langer
anzüglicher Blick auf die Bluse, eine Bemerkung
• Signifikant häufiger als Männer erleben Frauen über die Figur oder über die sexuelle Orientie-
sexistische Attacken durch beruflich Vorgesetz- rung tatsächlich eine Strafanzeige rechtfertigt.
te, durch Familienangehörige oder Verwandte. Die meisten verneinen dies für sich selbst und
wollen keinen Sittenstaat mit Sittenpolizei oder
Sexismusbezichtigungskultur.
Signifikant ist der geringe Anteil der Betroffenen, Dazu kommt, dass ein erheblicher Teil der sexis-
die den rechtlichen und sozialen Aufwand auf tischen Übergriffe von Fremden kommt, und eine
sich nehmen, jemanden wegen Sexismus anzu- Anzeige gegen Unbekannt scheint den Betroffe-
zeigen. Das liegt zum einen daran, dass es in vie- nen wenig erfolgreich.
len Bereichen ein Tabu ist, Familienangehörige,
Freunde, Bekannte, Arbeitskolleginnen und Bemerkenswert ist, dass Frauen in Bezug auf Straf-
-kollegen,Vorgesetzte anzuzeigen (es sei denn, anzeigen aufgrund sexistischer Übergriffe deut-
es liegt eine offensichtlich schwere Straftat vor – lich zurückhaltender sind als Männer, obwohl
aber selbst dann besteht in vielen Fällen Zurück- Frauen häufiger betroffen sind. Das liegt daran,
haltung). Soziale Normen sowie die Furcht vor dass Frauen besonders oft Sexismus von Fremden
weiterer Stigmatisierung hemmen Betroffene erleben. Zudem sind geschlechterspezifische Nor-
mit Blick auf eine Strafanzeige: Sie würden durch men wirksam, sodass Frauen solche Situationen
eine solche Tat die bereits erfolgte Abwertung nicht zu einem öffentlichen Tatbestand machen.
zeitlich verlängern und präsent halten. Sie müss- Sie fürchten polizeilichen Aufwand sowie Auf-
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7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
wand von amtlicher Seite und aus dem privaten sozialen Umfelds sowie des Staats bemisst und
Umfeld den Vorwurf der Dramatisierung. Der legt praktisch fest, ob bestimmte sexistische
erwartete Rechtfertigungsdruck bezüglich einer Äußerungen und Handlungen als Verstoß gegen
Anzeige ist bei Frauen größer als bei Männern. die guten Sitten, gegen geltende Konventionen
Wenn ein Mann eine Anzeige wegen Sexismus oder gegen das Recht verstoßen.15 Unsere Gesell-
erstattet, muss dem – so das voreingestellte Inter- schaft legt durch die Mittel und die Schwere der
pretationsmuster – ein schwerwiegender Vor- Ahndungen fest, welche Formen geschlechter-
gang zugrunde liegen. Frauen fürchten hingegen – orientierter Übergriffigkeit überhaupt als uner-
so der Befund der qualitativen Untersuchung –, laubte Grenzverletzungen gelten und als wie
eine Anzeige legitimieren zu müssen, weil sich schwer die Grenzverletzungen angesehen werden.
jemand zwar nicht anständig verhalten haben Zweck ist die Aufrechterhaltung sozialer Ordnung
mag, dies aber vielleicht doch nur eine Bagatelle und diese bestimmt sich nach der Qualität der
war. Dieses Ausräumen des Bagatellvorwurfs ist Sanktionierungen.
für diese Frauen eine Belastung und ein Übergriff
zweiter Ordnung. In der qualitativen Untersuchung gab es bei
allen Befragten ein sehr hohes Maß an Überein-
Außerdem ist es ein gesellschaftliches und milieu- stimmung, dass nicht jeder sexistische Übergriff
spezifisches Selbstregulativ, ob und wie sexistische strafrechtlich geahndet werden sollte: Aufdring-
Handlungen markiert und sanktioniert werden. liches Starren auf Beine, Po oder Busen, Hinter-
Die (dauerhafte) Reaktion von Betroffenen, des herpfeifen, feixende Bemerkungen und Ähnliches
15 Hier bietet der Soziologe Max Weber mit seinen definitorischen Beschreibungen der Herstellung von sozialer Ordnung eine Orientierung: Was
für eine Qualität der Verstoß für die soziale Ordnung hat, bemisst sich an der Qualität der Sanktion: Etwas gilt (nur) als Sittenverstoß, wird der
Verstoß gegen eine geltende Ordnung zwar bemerkt und innerlich missbilligt, aber äußerlich nicht sanktioniert (das konstituiert eine bestimmte
soziale Ordnung als Sitte). Es wird zum Verstoß gegen Konventionen, wenn die Geltung der Ordnung bei Abweichung auf eine relativ allgemeine
und praktisch fühlbare Missbilligung stößt (das markiert eine soziale Ordnung als Konvention). Es wird zum Verstoß gegen geltendes Recht, wenn
dessen Geltung äußerlich garantiert ist mit Ahndung der Verletzung durch einen eigens darauf eingestellten Stab.
45
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
sollten nicht zur Anzeige gebracht werden. Das griffen vorsehen. Dass Alltagssexismus hingegen
würde – so die mehrheitlichen Einstellungen der kategorisch straffrei sein sollte, befürworten nur
Frauen und Männer – auf einen Überwachungs- 7 Prozent der Bevölkerung – 93 Prozent lehnen
staat und eine Denunziationsgesellschaft eine allgemeine Straffreiheit von Sexismus ab.
hinauslaufen, die sie auf keinen Fall wollen. In dieser Frage zeigen sich signifikante Unter-
Insofern liegt der Schwerpunkt der Auseinander- schiede zwischen Frauen und Männern: Sexis-
setzung darin, wie es ermöglicht werden kann, mus grundsätzlich nicht als Straftat zu ahnden,
dass sexistische Übergriffe nicht einfach ertragen befürworten 10 Prozent der Männer, aber nur
werden, sondern geahndet werden.16 In den 4 Prozent der Frauen. Sexismus in jedem Fall als
qualitativen Gruppenwerkstätten betonten die Straftat zu begreifen, befürworten 44 Prozent
Frauen und Männer aus den unterschiedlichen der Frauen, aber nur 27 Prozent der Männer.
Schichten und Milieus vor allem drei Maßnah-
menstränge: Empowerment der aktuell und Dieses Meinungsbild ist recht stabil und robust:
potenziell Betroffenen, Aufklärung über das Der Wunsch nach Strafbarkeit steigt nicht im
Ausmaß von Alltagssexismus in der Gesellschaft Fall eigener Betroffenheit – eher im Gegenteil.
sowie über die Folgen der davon Betroffenen In der Gruppe derer, die noch nie Adressatin oder
sowie Enttabuisierung von Alltagssexismus. Adressat eines sexistischen Angriffs gewesen sind,
ist der Anteil an Frauen, die eine Strafbarkeit in
In der Frage, ob Sexismus im Alltag strafbar sein jedem Fall fordern, mit 50 Prozent sogar höher als
sollte, ist die Bevölkerung geteilt: 35 Prozent sind bei jenen, die selbst schon Sexismus erlebt haben
der Auffassung, dass Sexismus im Alltag strafbar (40 Prozent).
sein sollte; die Mehrheit von 58 Prozent hingegen
differenziert und würde die Strafbarkeit nur für
ein bestimmtes Spektrum von sexistischen Über-
16 Im Vokabular Max Webers: dass Sexismus nicht Sittenverstoß ist, sondern Verstoß gegen eine Konvention.
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7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
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7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
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7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
konkrete Situation vorüber, drohen keine Fort- von Sexismus zu sein, das Beziehungsklima zu
setzungen – das ist bei Sexismus im Privaten stören etc.
und Beruflichen anders.
83 Prozent aller Frauen und 73 Prozent aller
Wer nicht von Fremden Sexismus erfährt, sondern Männer, die von Sexismus betroffen sind, haben
am Arbeitsplatz von Kolleginnen oder Kollegen die Einstellung, dass es zu wenig professionelle
oder gar von einem/einer Vorgesetzten, zu dem/ Unterstützung gibt. Die Unsicherheit bezüglich
der ein Abhängigkeits- und Unterordnungsver- der adäquaten Reaktionen, die Furcht vor einem
hältnis besteht, sieht sich einer besonders kompli- Schutz der Täterin/des Täters im privaten Kon-
zierten Situation ausgesetzt. Sind Bemerkungen text (Familie, Verwandtschaft, Freundeskreis)
nicht eindeutig als sexistische Belästigung oder sowie im beruflichen Zusammenhang (Kollegin-
Nötigung erkennbar, sondern „lediglich“ sexistisch nen und Kollegen, Vorgesetzte im eigenen Betrieb,
(„Sie könnten sich mehr schminken“; „Kurze Röcke Kooperationspartnerinnen und -partner, Kundin-
stehen Ihnen gut. Sie haben doch schöne Beine!“), nen und Kunden) sind groß. Hier wünschen sich
bestehen große Unsicherheiten im Verhalten und die meisten deutlich mehr professionelles Ver-
schon in der Deutung. Viele Betroffene stellen haltenswissen für typische Situationen, Rezept-
sich selbstkritisch Fragen: Wie stark war diese wissen über die verschiedenen Methoden und
Grenzüberschreitung? War es wirklich sexistisch Instrumente für den Umgang.
gemeint, wie es bei mir ankommt oder war es
nur ein ungeschickt formuliertes Kompliment? Mehr professionelle Unterstützung bedeutet aus
Rechtfertigt die Aktion eine harsche Reaktion Sicht der Bevölkerung keinen Regelkatalog mit
meinerseits? Was riskiere ich durch eine offensive Verhaltensanweisungen; solches ist ausdrücklich
Reaktion der Missbilligung? Wie werde ich von nicht gewollt, denn es würde die Freiheit und
anderen Kolleginnen und Kollegen gesehen, wenn Leichtigkeit des Alltags einschränken. Maßnahmen
ich heftig reagiere? Viele Betroffene fürchten, im zur Vorbeugung gegen Sexismus im Alltag dürfen
Kreis der Kolleginnen und Kollegen isoliert zu das Miteinander nicht kompliziert machen bezie-
werden, ausgesetzt zu sein mit dem Stigma, Opfer hungsweise „nicht verkomplizieren“. Der Wunsch
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7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
zielt vielmehr auf Empowerment im Sinne von Menschen angegangen und in der eigenen
Ermächtigung. Es geht um Verhaltenssicherheit, Geschlechtlichkeit herabgewürdigt wird, kann
die Entwicklung persönlicher Skills, Strategien nicht ernsthaft und in Tiefe gedemütigt werden.
und Maßnahmen, die den Grad an Autonomie, Vielmehr diskreditiert die angreifende Person
Selbstbestimmung und Selbstschutz des bezie- mit der Tat sich selbst und offenbart die eigene
hungsweise der Einzelnen erhöhen sollen, sich vor Würdelosigkeit.
sexuellen Übergriffen zu schützen, sich in Situa-
tionen souverän zu verhalten, sich zu wehren und
erlebte Situationen konstruktiv zu verarbeiten.
7.6 Wunsch nach mehr
Maßnahmen der Politik
7.5 Kein „Opfer“ sein –
„Die Politik“ – wer immer die Akteure konkret
die Tat stigmatisiert den sind – wird oft adressiert zur Lösung von kompli-
50
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
Die Forderung an die Politik nach mehr Maßnah- werden (für die meisten Männer die Zeit einer
men wird mehrheitlich in allen Bildungsschichten Bindung an eine Partnerin/einen Partner sowie
geteilt. Der Appell an die Politik wird bei Frauen der ersten beruflichen Karrieresprünge), einher-
in allen Altersgruppen von einer sehr großen gehend mit Vorbehalten gegen einen Verhaltens-
Mehrheit getragen (zwischen 78 Prozent und kodex, während besonders viele Frauen dieser
85 Prozent in den Alterssegmenten). Lebensphase sich mehr Schutz und Sicherheit
vor Sexismus wünschen.
Bei Männern hingegen findet diese Forderung an
die Politik nach mehr dem Sexismus vorbeugen-
den Maßnahmen von den älteren Altersgruppen
hin zu den jüngeren eine wachsende Zustimmung
(von 58 Prozent bei über 65-Jährigen auf 73 Pro-
zent bei 16- bis 24-Jährigen).
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7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen
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8 Die aktuelle Sexismusdebatte
17 Dies umfasst vor allem aus Sicht von jenen mit höherer Bildung die Ungleichstellung von Frauen und Männern in vielerlei Hinsicht: unter
anderem Entgeltungleichheit, zu geringer Anteil von Frauen in Führungspositionen (auch in öffentlichen Ämtern, zum Beispiel im aktuellen
Deutschen Bundestag), Lohnsteuerklassensystem, Ehegattensplitting, höheres Altersarmutsrisiko von Frauen sowie von Alleinerziehenden,
traditionelle oder teiltraditionelle Rollenteilung in der Partnerschaft mit den Folgen ungleicher Einkommenschancen oder auch ungleiche
Risiken und Spätfolgen aufgrund des Ehegüterrechts mit dem gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft (Scheidungsfall).
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8 Die aktuelle Sexismusdebatte
geringfügig weniger als Frauen von Sexismus Bei der Bekanntheit des Hashtags gibt es keine
betroffen sind und wenn Männer gewonnen signifikanten Unterschiede zwischen den Alters-
werden sollen als Akteure einer gesellschaftlichen gruppen, wohl aber den Bildungsschichten. Von
Debatte oder als Mitwirkende zur Beseitigung von jenen mit akademischem Abschluss kennen
Sexismus im Alltag, dann bedarf dieser Diskurs 92 Prozent #MeToo, mit Hochschulreife ohne
einer Korrektur im Sinne der Berücksichtigung Studium 89 Prozent, mit Mittlerer Reife 82 Pro-
der Erfahrungen und Einstellungen von Männern. zent und mit geringer Schulbildung 63 Prozent.
Das bedeutet, dass das Hashtag in allen Bildungs-
An den beschriebenen Polen harscher Ablehnung und Alterssegmenten bei mehr als der Hälfte
und Befürwortung der Sexismusdebatte findet bekannt ist.
sich jeweils nur eine Minderheit. Die Mehrheit
der Bevölkerung (67 Prozent) zeigt keine klare Die große Bekanntheit von #MeToo spiegelt
Entschiedenheit dafür oder dagegen (64 Prozent sich in einer zwar geringeren, aber doch von
der Frauen, 70 Prozent der Männer). der Mehrheit der Bevölkerung getragenen posi-
tiven Haltung zu #MeToo. Obwohl die Bevölke-
rung keine belastbaren Belege haben kann, ist das
Zutrauen in die Sensibilisierungskräfte von #Me-
8.2 Einstellungen zu Too groß: 65 Prozent aller Frauen und 54 Prozent
aller Männer sind der Meinung, dass die #MeToo-
#MeToo Debatte wichtig sei, weil sie gegenüber Sexismus
sensibilisiere. 31 Prozent aller Männer (12 Prozent
In der Untersuchung wurde gefragt, wie bekannt sehr stark) und 20 Prozent aller Frauen (5 Prozent
die #MeToo-Bewegung18 ist und welche Einstel- sehr stark) gehen auf Distanz zu #MeToo und
lungen die Frauen und Männer zu #MeToo haben. teilen nicht die Auffassung, dass dieses Hashtag
In der Bevölkerung ab 16 Jahren hat #MeToo zur Sensibilisierung beiträgt.
einen hohen Bekanntheitsgrad – 85 Prozent haben
den Namen schon mal gehört. Nur 15 Prozent der
Männer und Frauen geben an, noch nie etwas von
#MeToo gehört zu haben, Name und Bewegung
sind ihnen unbekannt.
18 #MeToo ist ein Hashtag, das ab Mitte Oktober 2017 im Zuge des Harvey-Weinstein-Skandals große Verbreitung in den sozialen Netzwerken erfuhr.
Erstmals wurde das Hashtag #MeToo 2006 von der Amerikanerin Tarana Burke in dem sozialen Netzwerk MySpace verwendet – im Rahmen einer
Kampagne, deren Ziel es war, Bestärkung durch Empathie unter jenen afroamerikanischen Frauen zu fördern, die Erfahrungen mit sexuellem
Missbrauch gemacht hatten. Das Hashtag wurde 2017 durch die Schauspielerin Alyssa Milano populär: In Reaktion auf den Weinstein-Skandal
rief sie am 15. Oktober 2017 zur Nutzung des Hashtags auf und ermutigte von Sexismus betroffene Frauen, es in ihren Tweets zu verwenden, um
auf das Ausmaß sexueller Belästigung und sexueller Übergriffe aufmerksam zu machen. Am selben Tag, als Milano mit ihrem Tweet den Aufruf
startete, wurde das Hashtag mehr als 200.000 Mal auf Twitter verwendet; am Folgetag waren es über eine halbe Million Tweets. Auf Facebook
verwendeten innerhalb der ersten 24 Stunden 4,7 Millionen Benutzer in über zwölf Millionen Postings dieses Hashtag. Die Plattform berichtet,
dass 45 Prozent der Benutzer in den Vereinigten Staaten eine Freundin oder einen Freund haben, die beziehungsweise der dieses Hashtag ver-
wenden habe. Mehr als 10.000 Personen antworteten auf Milanos Ursprungstweet. Das wöchentlich erscheinende amerikanische Nachrichten-
magazin Time würdigte 2017 „The Silence Breakers“ als Person of the Year, und damit all die Frauen und Männer, die in der #MeToo-Bewegung
ihr Schweigen gebrochen haben. Das Hashtag fand schnell weltweit Verbreitung und Anhängerschaft, zog aber auch Kritik auf sich. In Deutsch-
land etwa sagte in der Talkshow „Maischberger“ am 13. Dezember 2017 die Schauspielerin Sophia Thomalla: „Ich finde, dass die Kampagne eine
Beleidigung für die wahren Vergewaltigungsopfer ist“. Und die Journalistin Astrid Frohloff äußerte in der gleichen Sendung die Einschätzung, eine
Vermengung von Missbrauch, Vergewaltigung und Anmache durch #MeToo sei gefährlich. Weiter gingen in Frankreich rund 100 Künstlerinnen
und Journalistinnen, wie Catherine Deneuve oder Ingrid Caven, die einen offenen Brief unterzeichneten, den Sarah Chiche, Catherine Millet,
Catherine Robbe-Grillet, Peggy Sastre und Abnousse Shalmani verfasst hatten und den die französische Tageszeitung Le Monde am 9. Januar 2018
veröffentlichte. In diesem warnten sie vor dem „Klima einer totalitären Gesellschaft“. Die ersten Sätze lauten: „Die Vergewaltigung ist ein Ver-
brechen. Aber die Anmache oder das Anbaggern (i. O.: la drague), das insistiert oder ungeschickt ist, ist kein Delikt wie auch die Galanterie keine
machistische Aggression ist.“ #MeToo habe eine „Kampagne der Denunziation und öffentlicher Anschuldigungen“ ausgelöst – die Beschuldigten
seien auf eine Stufe mit sexuellen Aggressoren gestellt worden, ohne antworten oder sich verteidigen zu können. Als Folge konstatierten sie eine
„Säuberungswelle“, von der insbesondere Kunst und Kultur betroffen seien, was zu einer unfreien Gesellschaft führen könne. #MeToo befördere
zudem einen Puritanismus und spiele so Gegnern der Emanzipation in die Hände. Zwar sei es legitim, die Formen sexueller Gewalt gegenüber
Frauen zu vergegenwärtigen. Eine beharrliche oder ungeschickte Anmache sei jedoch kein Vergehen – schließlich gebe es keine sexuelle Freiheit
ohne eine „Freiheit, jemandem lästig zu werden“. Obwohl bereits seit Oktober 2017 in Verwendung, war #MeToo auf Twitter in Deutschland
(nach #WirSindMehr) das zweitmeistgenutzte Debattenhashtag des Jahres 2018.
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8 Die aktuelle Sexismusdebatte
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Berechnet man die Haltung nur auf Basis derer, in ihrem Alltag gibt (bezogen nur auf jene, die
denen #MeToo zumindest dem Namen nach #MeToo kennen: 29 Prozent), und ähnlich viele,
bekannt ist (also ohne jene 15 Prozent, die dieses dass es weniger Sexismus in den Medien gibt, und
Hashtag nicht kennen), dann befürworten 76 Pro- wenn dies tatsächlich der objektiven Wirklichkeit
zent der Frauen und 63 Prozent der Männer die entspräche, dann wäre das ein enormer Wandel
#MeToo-Debatte (die jeweilige Differenz zu durch diesen Impuls.
100 Prozent sind Anteile derer, die auf Distanz
gehen). Auffällig ist, dass es hier keinen Unter- Vor allem für den Sexismus im Alltag ist ent-
schied in den Bildungsschichten gibt: Das Ver- scheidend, was die Menschen wahrnehmen und
trauen in das Sensibilisierungspotenzial von deuten – denn das ist (ihre) soziale Wirklichkeit.
#MeToo für Alltagssexismus ist bei jenen mit Signifikant ist hier ein Alterseffekt der #MeToo-
Hauptschulabschluss (68 Prozent) ebenso groß wie Debatte: Von den Personen im Alter von 16 bis
bei jenen mit Studium (69 Prozent). Das gilt auch 24 Jahren, die #MeToo kennen, sagen 37 Prozent
für die verschiedenen Altersgruppen (die Werte der Frauen und 35 Prozent der Männer, dass die
betragen etwa 66 Prozent) – mit einer auffälligen Debatte dazu beigetragen habe, dass es weniger
Ausnahme: Personen im Alter von mindestens Sexismus in ihrem Alltag gibt. In keiner anderen
55 Jahren haben noch mehr Zutrauen in die Altersgruppe findet sich ein so hoher Wert.
Aufklärungskraft von #MeToo (73 Prozent). Das
aber sind vor allem Frauen dieser Generation
(80 Prozent), weniger die Männer (63 Prozent).
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
19 Schütz, Alfred: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie. Wien 1932. Ders., zusammen mit
Thomas Luckmann: Strukturen der Lebenswelt (Soziologische Texte; Bd. 82). Neuwied 1975.
20 Goffman, Erving: The Presentation of Self in Everyday Life. New York 1959.
21 Garfinkel, Harold: Studies in Ethnomethodology. Prentice Hall, Englewood Cliffs, N. J. 1967.
59
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
In der qualitativen Untersuchung zeigte sich „Sexismus ist für mich die Vor- oder Benach-
zunächst eine von allen vehement geäußerte teiligung eines gewissen Geschlechts … Es ist
Ablehnung von jeglichen Arten des Sexismus. Dies schwierig, das in einen Satz zu fassen. Vor- oder
zeigte sich zu Beginn beispielhaft in den Aussagen: Benachteiligung eben.“
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
„Sexismus ist für mich zum Beispiel, wenn Das Narrativ in diesem Milieusegment folgt somit
Casinowerbung gemacht wird mit spärlich einer Dramaturgie, die von (fast) allen Männern
bekleideten Damen oder Formel 1, da wird dieser Lebenswelten geteilt und wechselseitig
auch viel mit weiblichen Personen gearbeitet. bestärkt wird. Nach der Vergewisserung, dass die
Wenn der Fokus quasi in Richtung Erotik geht.“ Kulisse wechselseitig anerkannt ist (Sexismus
ist nicht gut), werden differenziert die eigent-
„Sexismus ist für mich, wenn etwas – egal lichen Probleme mit dem Sexismus ausgetauscht.
ob männlich oder weiblich – gegenüber einer Die anfängliche Kritik am alltäglichen Sexismus
anderen Person wiedergegeben wird. Es ist aber wandelte sich in Kritik an der Sexismusdebatte.
auch ein Phänomen von bestimmten Frauen- So sei Sexismus „ein überstrapazierter Begriff“,
gruppen. Für die ist alles Sexismus! Das sind „ausgelutscht und ein bisschen missbraucht“. Ein
eben diese Öko-Trullas.“ zentraler Einwand ist die „Überdrehung“ von
Sexismus in der aktuellen Debatte und Alltags-
kultur:
Diese Statements entsprechen dem Kanon der
Political Correctness und belegen, dass Sexismus
auf dieser Ebene öffentlicher Einstellungen nor- „Die Zeit, die wir früher hatten, da wurde das
mativ missbilligt wird. Die Männer dieser Milieus ganz oft unter den Teppich gekehrt. Heute ist
beobachten Sexismus überall – Zitat: „Sexismus das natürlich wichtig, dass es da ist, und dann
gibt’s überall: Werbung, Arbeit, Schule, Alltag, wird gleich Bam-Bam-Bam von allen Seiten
Produkte, Einkauf, Witze, Minirock, Brüste“ – und dran gezogen. Das finde ich spooky.“
betonen, wie wichtig es sei, darüber zu diskutieren.
Zugleich wird Sexismus als Debatte verstanden,
die von einzelnen Gruppen, überwiegend Frauen, Ein zweiter Einwand besteht aus zwei aufeinander
bestimmt und am Laufen gehalten wird aufbauenden Argumenten mit Loopingeffekt:
(„Öko-Trullas“). Die aktuelle Sexismusdebatte sei eng auf Sexis-
mus gegen Frauen fixiert; Männer als Betroffene
Je länger die Befragungen dauerten, umso mehr kämen darin gar nicht vor, obwohl doch auch
zeigte sich die tiefer liegende Mentalitätsstruktur, Männer betroffen seien. Männer würden in der
die in erheblicher Spannung und teilweise im Debatte ausgeblendet und damit benachteiligt.
Gegensatz steht zur zuvor geäußerten Ächtung Dass Männer als Betroffene von Sexismus nicht
von Sexismus. Während in den Erzählungen das oft thematisiert werden, liege vor allem daran,
Ausgangsprogramm immer wieder rezitiert wurde dass Männer weniger empfindlich seien als Frauen.
(„Sexismus ist ein absolut berechtigtes Thema“;
„Sexismus ist negativ“), lagerten sich zunehmend
andere Positionen darüber, Schichtung um „Sexismus ist irgendwie aber auch einseitig.
Schichtung, sodass die eingangs geäußerte anti- Wenn ich an Sexismus denke, denke ich eigent-
sexistische Haltung als wohl verinnerlichte Über- lich nur, dass Frauen sexistisch behandelt
zeugung zwar bestehen blieb und gegenüber den werden. Ich denke auch, dass es in den meisten
Zuhörenden beständig vergewissert wurde, aber Fällen nur bei Frauen vorkommt. Es kann schon
zunehmend wurde ihr pauschaler und offiziöser sein, dass das auch bei Männern vorkommt,
Charakter kristallin. Die antisexistische Haltung aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich
erweist sich als vordergründige Position und bil- Männer nicht so schnell auf den Schlips getreten
det die Kulisse für die eigentlichen und gegen- fühlen. Im Allgemeinen wird eher bei der Frau
läufigen Haltungen, für deren Anerkennung jenes darüber geredet und nicht beim Mann.“
Ausgangsprogramm einer grundsätzlichen, mora-
lisch anständigen Haltung offenbar benötigt wird.
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
Die hier oft verwendete Metapher „sich auf den Was an einem Ort gelte, dürfe woanders nicht
Schlips getreten fühlen“ ist instruktiv. Abgesehen verboten sein. Das führt sie zu der generalisier-
davon, dass meist Männer Schlipse tragen, impli- ten Aussage, dass Sexismus von bestimmten
ziert sie, dass eine zu große Empfindlichkeit der Gesellschaftsgruppen (ohne dass diese Gruppen
vermeintlichen Opfer das eigentliche Problem benannt oder näher charakterisiert werden) ange-
ist. Damit ist der Fokus ganz vom Täter auf das prangert werde und diese überall Sexismus witter-
Opfer geschoben, dessen Gefühlswelt das eigent- ten. Diesem Anprangern von Sexismus halten sie
liche Problem im Sexismus darstellt. Und zugleich entgegen, dass jeder eben andere Grenzen habe
wird dem Opfer der Opferstatus aberkannt, weil und dass sie sich von solchen singulären, quanti-
(in der Regel) Frauen in ihrer Empfindlichkeit – tativ marginalen Gesellschaftsgruppen nicht
einige auch in ihrer Reaktion – übertreiben. diktieren lassen, was Sexismus ist und was nicht.
Ergänzt wird diese Haltung durch die Meinung,
dass Frauen mehr über solche Gefühle reden Ein vierter Einwand betont die zweifelhafte
würden als Männer. Wenn also Männer – darin Vorbildfunktion prominenter Frauen, die den
besteht der Loopingeffekt – deutlich seltener als Sexismus befördern und für ihre finanziellen
Betroffene in der Sexismusdebatte vorkommen, Interessen nutzen. Als Beispiele dienen etwa
dann aus Sicht dieser Männer deshalb, weil Frauen Kim Kardashian, Verona Feldbusch/Pooth oder
hier besonders (über)empfindlich und kommuni- Helene Fischer, die für sehr viele Frauen heute
kativ seien. Daher kämen Männer in der Sexis- Vorbild seien mit der Botschaft, mit der öffent-
musdebatte nicht zu selten vor, sondern Frauen lichen Betonung und gezieltem Einsatz weib-
zu oft, weil Frauen auch alltäglich Belangloses licher Reize ökonomisch, medial und sozial
zu sensibel als Sexismus deuten und dieses mit (zum Beispiel am Arbeitsplatz, bei der Karriere)
vielen Schleifen kommunizieren würden, sodass erfolgreich sein zu können. Daher betonen
aus einer Bagatelle ein gewaltiges persönliches, Männer aus diesen Milieus: „Viele wollen doch
kulturelles und gesellschaftliches Problem selbst Sexsymbol sein, die richten sich doch her“.
gemacht werde. Sexistisch sind nach Auffassung dieser Männer
niemals sie selbst, sondern stets andere Männer
Ein daran anschließender dritter Einwand ist die (im Betrieb, im privaten Umfeld) und vor allem
völlige Relativierung des Begriffs Sexismus. Frauen, die sexistische Reaktionen bei Männern
Dieser sei „ein absolut nicht definierter Begriff. provozieren.
Für manch einen ist es dies, für manch anderen das.
Für einen ist es etwas Negatives, für einen anderen
etwas Positives, wohl schon eher öfter negativ, aber „Angenommen, eine Frau kommt im Minirock
es ist ein schwammiger Begriff.“ Wenn der Begriff an, dann macht die das doch nicht, weil sie
aber beliebig ist, dann ist es kaum möglich, die nichts anderes zum Anziehen gefunden hat,
Grenzen von Sexismus abzustecken. Daher beto- sondern die erwartet doch eine gewisse Reak-
nen Männer in diesen Milieus häufig und hart- tion von männlicher Seite. Wenn man die jetzt
näckig, wie „schwammig“ und subjektiv der Begriff überhaupt nicht beachtet, ist die vielleicht
Sexismus sei. Beispielhaft dafür das Argument, eingeschnappt.“
dass in ein Damenwäschegeschäft „natürlich auch
schöne Bilder gehören mit Dessous“. Niemand störe „Bei uns sind die Frauen im Sommer gerne sehr
sich an diesen Werbebildern; aber auf einer Bau- luftig bekleidet, da fängt es doch schon an!“
stelle oder in einer Werkstatt werde es sofort als
sexistisch bewertet, wenn man dort ein Plakat mit
Frauen in Unterwäsche aufhängt. Aus Sicht dieser
Männer ist das unplausibel und nicht logisch:
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
„Viele wollen doch Sexsymbol sein. Aber wenn „Wenn einer jetzt sagt ‚meine Alte‘ oder so,
man dann irgendwas sagt, vielleicht ‚Hey, geil, dann ist das jetzt vielleicht nicht sehr nett
geiles Fahrgestell …‘ oder was auch immer, und despektierlich, aber in Niederbayern ist
dann ist das für die jetzt vielleicht toll. Man das die offizielle Form, über seine Frau zu reden.
würde vielleicht sagen, das ist anzüglich, das Wenn ich so von ‚meiner Alten‘ rede, dann habe
ist Sexismus, aber in diesem Fall wartet die Frau ich die ja schon, dann ist die Kummer gewöhnt
eigentlich auf diese Reaktion. Ich glaube nicht, oder weiß, wie sie das zu nehmen hat.“
dass die darauf wartet, dass jemand sagt ‚geiles
Fahrgestell‘, sondern eher auf ‚Sie haben einen
tollen Stil‘, ‚Das Kleid ist toll‘ oder ‚Wunder- Neben prominenten Frauen sowie auf sexuelle
schöne Beine!‘. Es kommt auf den Ton, auf die Wirkung hin orientierte, Frauen, „auf die primitive
Worte an, es gibt schon Derbe, die dann sagen Männer anspringen“, werden vor allem pauschal
‚Let’s go‘ aber … ‚Schöne Beine‘ darf man sagen, „die Medien“ als Auslöser von Alltagssexismus
aber ‚Geiles Fahrgestell‘ ist schon wieder derb.“ ausgemacht. In der Regenbogenpresse (Yellow
Press), in Boulevardzeitschriften und -zeitungen
sowie in einigen TV-Sendungen (Promi- und
In dieser milieutypischen Vorstellung entscheiden Boulevardsendungen) sehen diese Männer
Form und Stil der Äußerung, ob etwas sexistisch eine Hauptursache für eine Sexismusindustrie,
ist oder nicht; eine Herabwürdigung oder ein die nahezu alle erreicht und eine Welt voller Sex
Kompliment. Nicht auf den Inhalt, sondern auf und Sexskandale suggeriert. Banalitäten und
die (verbale) Verpackung kommt es an. Nicht Nichtigkeiten würden zur Sensation gemacht
Motive und Ziele sind Kriterien für Sexismus, („aufgebauscht“). Dabei entlarven gerade die
sondern Feinheit oder Derbheit der Artikulation. Beschreibungen eine große Neugier dieser
Männer genau auf die Bilder. Das dokumentie-
Die Darstellung der Männer in diesem Milieu ist ren ihre zahlreichen, sehr konkreten Angaben
stets darum bemüht, sich als moralische Verächter zu Zeitschriften, TV-Sendungen, Websites unter
von herabwürdigenden Äußerungen zu zeigen. anderem, die diese Männer kennen. Man sieht sich
Andererseits werden bestimmte Formulierungen als Opfer des Boulevardsexismus und kritisiert
nicht als sexistisch decodiert, sondern als tradi- diesen einerseits moralisch; andererseits wird es
tionelle Alltagskultur, die nur von jenen falsch kritisiert, wenn die angekündigten erotischen
(als sexistisch) verstanden wird, die von außen Bilder hinter ihren Erwartungen zurückbleiben.
kommen und keine Binnenperspektive haben.
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
Diese Männer sehen sich sowohl als Opfer der „Hinterherschauen ohne Pfeifen ist ganz
Sexismusindustrie als auch der Sexismusentlar- normal. Man kann doch hinschauen, wenn man
vungshysterie bestimmter (weiblicher) Kreise. was Schönes sieht. Wenn man die aus der
Aber Opfer von Alltagssexismus seien nicht sie Situation nicht herausreißt, würde die das doch
selbst, sondern allenfalls homosexuell orientierte überhaupt nicht merken. Ich würde ja nicht zu
Männer. In dieser Weltanschauung und Welt- mir selber sagen: ‚Uiiih, da habe ich jetzt eine
erfahrung kommt „normalen“, starken Männern Dreiviertelsekunde zu lange geschaut.‘ Es müsste
nicht die Opferrolle zu. Das liegt ihrer Ansicht schon jemand in meiner Gruppe dann bemerken,
nach daran, dass Frauen das „schöne Geschlecht“ selbst wenn es die betreffende Person nicht
seien – und nicht Männer. Erst durch eine nicht- bemerkt. Es muss also von der betreffenden oder
normale Geschlechterorientierung werden einer außenstehenden Person bemerkt werden,
Männer zu Opfern. Opfer von Alltagssexismus sonst ist das doch kein Sexismus.“
werden Männer somit primär durch Abweichung
vom Normalitätsmodell der Heterosexualität. Hier
kommen die Übergriffe – so die Wahrnehmung – Erhellend über die Haltung zum Alltagssexismus
von heterosexuellen Männern und Frauen. Dieses sind Reaktionen auf die Phantasiefrage: „Stellen
Stigma von homosexuellen Männern wird über- Sie sich einmal vor, über Nacht gäbe es plötzlich
deckt und kaschiert durch moderate Kritik am keinen Sexismus mehr in Deutschland. Woran
Sexismus gegenüber schwulen Männern. würden Sie das merken?“ Die Reaktionen von
Männern aus den Milieus „Traditionelle“ und
„Bürgerliche Mitte“ waren, dass die Print-, TV- und
„Wir haben in der Arbeit einen dabei, der Online-Medien sexfrei wären und die Gesellschaft
ist homosexuell und der ist …, ja, ein wenig uniform („wie in Nordkorea“) – damit ohne Schön-
phlegmatisch. Der bekommt auch immer so heit, reizlos, freudlos.
Spitzen ab. Ein bisschen Gaudi, da kommt
schon mal was vor, manchmal auch zu viel
aus meiner Sicht.“ „Musikantenstadel oder eine andere Sendung,
da hätten alle die gleiche Uniform an. Sich gut
kleiden ist dann ja auch schon Sexismus, das ist
Vor allem sehen sich diese Männer mit den ja dann auch nicht mehr möglich, das ist dann
kaum lösbaren Schwierigkeiten konfrontiert, die wie in Nordkorea.“
„schwammigen Grenzen“ zu beachten, um nicht –
zu Unrecht – als sexistisch zu gelten. Es gebe „Es würde keine Ferkelmagazine
Grenzen, aber die seien bei fast allem fließend. mehr zu kaufen geben.“
Nicht sexistisch ist es für einen Teil der Männer
aus diesen Milieus, wenn die Frau (als Objekt der „Es gibt so Nacktformate im Fernsehen,
Begierde/Bewunderung) oder jemand Drittes das würde es nicht mehr geben.“
die Äußerungen oder Gesten gar nicht bemerkt.
Unter Sexismus fällt nur bemerktes Handeln,
etwas Äußerliches. Sexismus allein als mentales Eine sexismusfreie Gesellschaft hätte primär
Muster, als bloße Einstellung, als Gedanken, als Einschränkung im Angebot der Medien- und
Haltung, als unbemerktes Handeln gibt es für Konsumgesellschaft zur Folge. Gar nicht in
Männer in diesen Milieus typischerweise nicht. den Blick geraten Einstellungen und Verhalten
ihrer Alltagswelt, weder beruflich noch privat,
ebenso wenig gesellschaftliche Strukturen im
„Das Hervorheben von Körperlichkeit, wie zum Geschlechterverhältnis.
Beispiel Brüsten. Wenn man zum Beispiel sagt
‚Hast du die Titten gesehen‘, kann man das
vielleicht im kleinen Männerkreis sagen, aber
man sollte erst mal gucken, ob das irgendeine
Frau hört. Dann ist es absolutes No-Go.“
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
• „dass auf Bildern und in Filmen überall nackte „Eine Freundin von mir arbeitet als Flugbeglei-
oder halbnackte Frauen zu sehen sind“, terin, und da fliegt sie auch nach Amerika. Und
vorgestern war sie in einem Schnellrestaurant
• „Angrabschen – zum Beispiel an den Hintern in Amerika und dort gibt es hübsche operierte
fassen, zum Beispiel im Büro oder in der Bahn“ Frauen. Man kann alles sehen, die laufen da in
Hot Pants rum und man kann fast die Brust-
• „dass wir zwar offiziell Gleichberechtigung warzen sehen und die bedienen dann die Gäste
haben, aber im Grunde genommen ist es so: Der mit dem Essen. Solange es solche Frauen gibt,
Mann geht Vollzeit arbeiten und die Frau bleibt gibt es auch Sexismus. Wenn die Frauen das
zuhause bei den Kindern am Herd. So, wie es in mitmachen oder öffentlich zur Schau stellen,
den 60er Jahren schon war“. können wir so viel sprechen wie wir wollen.“
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
Die Schwierigkeit besteht darin, wie zwei flirtende Während Männer dieser Milieus bei der Frage
Menschen jeweils erkennen, ob sie auf der „glei- der Strafbarkeit lavieren und auf die subjektive
chen Ebene“ sind. Man kann in den Kopf des je Ansichtssache verweisen, haben Frauen eine
anderen nicht hineinschauen. Die „gleiche Ebene“ klarere und restriktive Haltung: Wenn ein
ist somit eine wohlwollende Unterstellung, dass sexistischer Übergriff eindeutig gegen den
mein Gegenüber mich nicht zum Objekt macht, Willen geschieht, sollte er strafbar sein. Das
sondern mich als Subjekt anerkennt und inte- entscheidende Kriterium sind nicht Art (verbal,
ressant findet. Die von Frauen in diesem Milieu körperlich), Grad oder Situation des Übergriffs,
verwendete Formel vom „Geben und Nehmen auf sondern dass dieser gegen den Willen erfolgte
gleicher Ebene“ impliziert, dass hier permanent und die betroffene Person aufgrund ihres Ge-
Unsicherheit herrscht, jederzeit Verletzungen schlechts beschädigt wurde. Die Frage, ob es
und Missbrauch auftreten können und man sich staatliche Rechtsgewalt braucht, um solche
nie sicher sein kann, vom anderen instrumenta- Übergriffe zu ahnden, beantworten Frauen in
lisiert zu werden. Gleichwohl gilt die Vermutung diesem Segment weitgehend klar: Es gibt Frauen,
der gleichen Ebene als ein wichtiger Vertrauens- die sich in solchen Situationen selbst wehren
vorschuss, der allerdings durch die Beobachtung können und eigentlich kein Gesetz bräuchten;
und Bilanzierung über die Symmetrie (oder Asym- aber eine Lösung ist zu orientieren an jenen
metrie) vom Geben und Nehmen permanent Frauen, die sich aufgrund persönlicher oder
überprüft werden sollte. sozialer, physischer oder mentaler Disposition
nicht wehren können. Dabei sei neben Menschen
in geringerer sozialer Lage oder beruflicher
„Wenn Poesie dabei ist, wenn es um die Schön- Abhängigkeit (Übergriff durch Vorgesetzte oder
heit geht, ist das nicht sexistisch. Aber wenn es Kollegen) auch zu denken an Menschen mit
um die Geilheit geht, dann ist es schlimm.“ körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung,
an ältere Menschen, kranke Menschen oder
„Sexismus ist ganz klar dieser ungewünschte Menschen in besonderen Lebenssituationen.
Körperkontakt, bei der Massage begrabscht zu
werden. Das ist uns auch allen schon passiert,
gerade in Urlaubsorten, im Hotel sogar. Dann „Ich habe bei uns im Krankenhaus mitbekom-
zweideutige Bemerkungen. Männer und Frauen, men, da ist eine Frau nach der OP auf der
die als Objekt angesehen werden.“ Intensivstation im Aufwachraum von einem
Pfleger an den Brüsten berührt worden.“
„Wenn die Frau zur Ware reduziert wird, das
ist es, glaube ich. Die ist ein Hilfsmittel zum „Wenn eine Frau im Bus steht und ein Mann
Verkauf einer Ware und ist somit selber Ware. reibt sich an ihr mit seinem Geschlechtsteil,
Man fühlt sich dann einfach degradiert.“ dann ist das einfach ein Übergriff und muss
bestraft werden.“
„Es geht darum, dass man einen Menschen be-
nutzt. Wenn ich ein Mann bin und grabsche in „Wenn dich jemand im Betrieb schlechtmacht,
der U-Bahn eine Frau an, dann benutze ich sie weil er neidisch auf deine Position ist, und er
in diesem Moment. Wenn ich es schön finde, sagt so etwas wie ‚Du als Frau …, hahaha‘ und
jetzt ihren Hintern in der Hand zu haben, dann die Männer lachen dich alle aus, sollte das
benutze ich sie, also gegen ihren Willen. Das eigentlich bestraft werden, weil das ist eine
ist Sexismus.“ Schädigung von deinem Ruf.“
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
nichts machen. Das aufdringliche Stieren sei Sicht der Frauen haben sexistische Täter „sicher
nicht nachweisfähig. Signifikant ist hier, dass alle so einen Frauenhass oder Komplexe und müssen
es nicht darum geht, ob eine solche Handlung sich etwas beweisen“; sie würden kein glückliches
strafbar sein solle, sondern „dass man da nichts Leben führen; ihnen fehle etwas im Leben; sie
machen“ könne. „haben alle ein Defizit“; es sei bei ihnen ein innerer
Zwang; der sexistische Übergriff gebe ihnen eine
Im Unterschied zu Männern assoziieren Frauen innere Befriedigung; sie seien in ihrer Kindheit
dieser Milieus mit Sexismus die #MeToo-Bewe- oder Jugend von ihrer Mutter nur gedemütigt und
gung mit Stichworten zu Harvey Weinstein von Mädchen ihrer Jugendzeit gehänselt worden.
oder Dieter Wedel. Die Aufmerksamkeit und das Söhne seien vielleicht von ihren Müttern miss-
Bewusstsein für die strukturelle oder systemische braucht worden und hätten daher grundsätzlich
Dimension von Sexismus sowie die Protestbewe- ein gestörtes Verhältnis zu Frauen. Diese wild
gung sind bei Frauen stärker als bei Männern in spekulativen, nicht auf belegten Wahrnehmungen
diesem Milieusegment. Im Zusammenhang mit im eigenen Umfeld beruhenden, sondern sich aus
der #MeToo-Debatte wird betont, dass es nicht der Boulevardpresse speisenden stereotyp-pau-
nur Sexismus gegen Frauen, sondern auch Sexis- schalisierenden Erklärungsversuche laufen auf
mus gegen Männer gebe – Assoziationen sind eine Fundamentalerklärung zu: Die Täter seien
etwa Kevin Spacey, Bill Crosby, Rudolph Mosham- selbst Opfer ihrer Sozialisation, durch die sie auf
mer, ebenso eigene Beobachtungen oder Erzäh- ihre Triebe zurückgeworfen worden seien, ein
lungen, dass Männer auch begrabscht würden, Prozess der Diskulturation, der niedere Triebe
aber „vielleicht nicht so häufig, das findet eher im entfesselt habe, beziehungsweise diese dienten zur
Verborgenen statt“. Sexismus gegen Männer sei Kompensation ihres Defizits. Zu diesen psychoso-
weniger manifest, finde eher im „sozialen Dark- zialen Defiziten komme zweitens, dass sexistische
room“ statt. Betroffen seien – so die Vermutung Täter ihre Grenzen einfach nicht kennen würden.
und Wirklichkeitsauffassung – häufig männliche (Interessant: In diesen Passagen der sozialwissen-
Models, junge gutaussehende Männer und schaftlichen Interviews sprechen die Frauen nur
Homosexuelle. über männliche Täter, nicht über Täterinnen.)
Der mangelnde Respekt vor Grenzen und vor den
Täterinnen und Täter von Sexismus gegen Frauen Territorien des anderen führe zu Grenzüberschrei-
und Männer seien nicht nur jene, die die Über- tungen, die diesen Männern als Tabuverletzung
griffe tätigen, sondern auch jene, die solche oft einfach nicht bewusst seien. Sie seien so sehr
beobachten oder davon wissen und dennoch auf ihre eigene Gefühlswelt fokussiert (allein oder
nichts sagen. Die stillschweigende Duldung als in der Gruppe), dass sie keine Empathie für die
Beobachter in unmittelbarer Nähe zur Situation Betroffenen ihrer Taten entwickeln würden. Be-
(zum Beispiel in der Bahn, auf öffentlichen Plät- sonders verführerisch seien solche Grenzverletzun-
zen, beim Sport) mache die Mittäterschaft aus. gen für Männer in Machtpositionen. Gleichwohl
Das geschehe aus Feigheit in der Situation, weil komme Sexismus in allen sozialen Schichten vor.
man seine Ruhe haben möchte, sich der Gruppe
der Übergreifenden nicht gewachsen fühlt, weil
man den Familienfrieden nicht gefährden will. „Dieser Geschäftsführer sah gut aus, der
Das sei Sexismus zweiten Grades. war verheiratet und der hatte Geld, aber er
hat einfach seine Macht ausgenutzt.“
Ausführlich werden die Täter (ersten Grades)
charakterisiert, wobei diese Beschreibungen „Aus den unteren Schichten sind es dann
einerseits Ursachen und Motive für sexistische eben diese hässlichen Männer, die nichts
Übergriffe umschreiben, andererseits selbst eine gebacken kriegen.“
Herabwürdigung der Täter darstellen, die durch
psychosoziale Deformation oder biographische „Männer haben mehr Testosteron und sind mehr
Sozialisationsdefizite gekennzeichnet seien: Aus triebgesteuert. Und sie haben mehr Macht.“
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
In allen Schichten gebe es Menschen mit Macht, „Wenn ein Junge im Teenageralter viele Freun-
damit auch die Tendenz zum Machtmissbrauch. dinnen hat, sagt der Vater ‚Toll, du bist echt ein
Dieser geschehe … scharfer Hund und sammle ruhig ordentlich
Erfahrungen‘. Bei einem Mädchen, das alle
1. innerhalb einer Schicht beziehungsweise eines vierzehn Tage einen neuen Freund hat, heißt es
Milieus (also sexistischer Machtmissbrauch im dann: Die ist dann auf dem besten Weg, eine
Binnenraum einer Schicht beziehungsweise Schlampe zu sein. Da geht es doch schon los.“
eines Milieus);
„Gibt es ein Wort für einen Mann,
2. gegenüber Personen aus anderen, niedrigeren der eine Schlampe ist?“
Schichten beziehungsweise Milieus (also
schicht- beziehungsweise milieuübergreifen-
der Sexismus). Zur Vorbeugung von Sexismus sowie für den
Umgang mit Übergriffen sehen Frauen in diesem
Aus ihrer Erfahrung heraus erklären Frauen aus Segment eine Reihe von Möglichkeiten, adressie-
den Milieus „Traditionelle“ und „Bürgerliche ren diese aber fast ausschließlich an die Unter-
Mitte“ den ursächlichen Kern von Sexismus als nehmen sowie die Politik. Dabei sei es nicht rat-
Folge des Syndroms von mangelnder Zivilisation sam, den Begriff Sexismus zu verwenden, weil
und Hierarchie, von psychosozialer Deformation dieser eine abschreckende Wirkung habe und
und Machtmissbrauch, ein ungutes Zusammen- jene stigmatisiere, die sich gegen Alltagssexismus
fallen von Zivilisationsverlust und Machtzuwachs: engagieren, sowie jene, die als Betroffene oder
„So was gibt es überall, wo die Hierarchie ist.“ Täter Hilfe suchen.
→
Tat und Täter werden nicht nur moralisch ver- Unternehmen sollten Weiterbildungs-
urteilt; die Beschreibungen der Täter hinsichtlich seminare anbieten, allerdings nicht unter
ihrer Motive und Gründe sind selbst eine despek- dem Thema Sexismus, sondern zum Beispiel
tierliche Zeichnung der Täter in ihrem Charakter unter der Überschrift „Umgang am Arbeitsplatz“.
und Wesen. Damit erheben diese Frauen die Diese unternehmensinternen Seminare sollten
Betroffenen über die Täter – die Opfer sind den regelmäßig, beispielsweise vierteljährlich, statt-
Tätern moralisch und charakterlich überlegen. finden. Diese könnten in geschlechterhomogenen
Umgekehrt verstärkt genau das die Erniedrigung Gruppen stattfinden, besser aber geschlechter-
und Verletzung, wenn eine Person durch ein aus gemischt, damit alle erfahren, welche Erfahrungen
Sicht des Opfers so verachtenswertes Wesen gemacht werden. Jede/jeder dürfe dort ihren/
herabgewürdigt wird. Durch den Einbezug der seinen Ballast loswerden. Zu klären wäre im Vor-
Dimension Macht wird die gesellschaftliche feld, ob die Unternehmensleitung beziehungs-
Dimension geöffnet: Sexismus ist nicht nur ein weise die Bereichsleitung an den Seminaren
privates, individuelles Fehlverhalten, sondern ein verpflichtend teilnehmen muss oder ob deren
Symptom der gesellschaftlichen Struktur und Teilnahme ein Hemmnis für den offenen Dialog ist,
des Systems. sodass sich einige nicht trauen, alles anzusprechen.
Rudimentär vorhanden, wenn auch nicht tief Ergänzend könnte ein Beschwerdebriefkasten
verankert und noch längst kein Narrativ im eingerichtet werden, in dem sexistische Vor-
Binnenraum dieses Milieus ist die Einstellung, kommnisse anonym oder offen einer Vertrauens-
dass geschlechtsspezifische Zuschreibungen person (zum Beispiel der Gleichstellungs-
irgendwie mit Sexismus zu tun haben – und dies beauftragten) gemeldet werden. Auch dieser
sich auch in Worten, Begriffen sowie der Struktur Briefkasten könnte unter einem anderen Label
unserer Sprache und in praktischen Sprachge- stehen, zum Beispiel „Zwischenmenschliches“.
wohnheiten niederschlägt. Besonders gelte das
für Jugendliche, bei denen Jungen und Mädchen
je andere Rollenbilder vermittelt bekommen.
70
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
→
An die Politik adressiert sind Hinweise, den Ein anderer Teil der Frauen teilt die Einschät-
Gang vor das Arbeitsgericht zu erleichtern. zungen der Männer im Milieu: Man würde sich
Viele sehen im Fall von betriebsinternem Sexis- permanent selbst verdächtigen, ob man in öffent-
mus nicht nur große sozial-kollegiale Hürden, lichen Verkehrsmitteln zu nah an einer anderen
sondern auch finanzielle, zeitliche und organi- Person sitzt, ob Berührungen in engen Räumen
satorische: Sich im Fall von erlebtem Sexismus (Fahrstuhl, Bus, Bahn) vom anderen als Sexismus
rechtlich zu beraten und gegebenenfalls zu ausgelegt werden kann. Diese systematisch
wehren, ist mit großen Unsicherheiten behaftet, Unsicherheit erzeugenden (Selbst-)Verdächti-
weil das Thema auch im Freundeskreis sowie gungen im Alltag würden auch das Spiel der
unter Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz Geschlechter miteinander hemmen und unter-
tabuisiert ist. Insofern besteht hier der Wunsch binden. Flirten wäre ein Risiko nicht nur der
nach einem niedrigschwelligen Angebot zur persönlichen Zurückweisung, sondern stünde
Beratung und anwaltlichen Unterstützung. unter einem potenziellen moralischen oder
strafrechtlichen Verdikt.
Außerhalb von Betrieben gelten Verbraucher-
zentralen als Vorbild für Beratungs- und Hilfe-
stellen. Das Argument ist: Wenn es für Konsum- „Es traut sich doch dann kein Mensch mehr auf
güter, Dienstleistungen und Sozialbeziehungen der Welt mit irgendjemandem zu flirten. Das ist
organisierte Beratungen gibt, sollte eine Stadt eine ja trostlos. Die ganze #MeToo-Debatte, die
Anlaufstelle einrichten, die „handfeste Tipps“ ganze Erotik ist im Arsch.“
geben könnte. Das kann verbunden werden mit
einer telefonischen Beratungsnummer (Hotline).
Schilder in Bussen und Bahnen sowie auf öffent- Wichtig ist beiden Gruppen, dass die Eindäm-
lichen Plätzen, die auf diese Hotline hinweisen mung von Sexismus nicht zu einer Kultur behörd-
(„Bei sexistischen Übergriffen wenden Sie sich an licher Sittenpolizei führen darf, und dass die
folgende Nummer“), würden Betroffenen das Menschen im Alltag nicht die Rolle einer privaten
Gefühl geben, nicht allein zu sein – und würden Sittenpolizei übernehmen.
womöglich einige Täter abschrecken.
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
Frauen in Milieus der modernen Unterschicht bestimmung und Autonomie. Natürlich gäbe es
verbinden mit Sexismus Frauenfeindlichkeit auch Filme mit weiblichen Helden (Lara Croft,
sowie die bewusste Ungleichbehandlung oder Wonder Woman), aber diese würde man sehen
Ausschließung aufgrund des Geschlechts. Haupt- als Frau, die selbstbewusst eine Männerrolle
sächlich sehen sie Frauen als Betroffene von übernehme – aber eben keine Frauenrolle. In den
Sexismus – vor allem sich selbst. In keinem meisten Filmen sei die Heldin eine unterstützende
anderen Milieu ist die Bereitschaft, sich selbst Partnerin des großen männlichen Helden (Total
als Opfer von sexistischen Übergriffen zu outen, Recall, Mission Impossible und andere). Und wenn
so groß wie hier. eine Frau beruflich an der Spitze dargestellt werde,
dann zeige man stets ihre Mängel, Makel und
Die Frauen beschreiben ausführlich sehr unter- bösen Abgründe, die durch die Leitungsposition
schiedliche Situationen, Szenen und Episoden beziehungsweise ihren Ehrgeiz erzeugt oder
erlebter Übergriffe (in der Regel von Männern). sichtbar würden.
Gleichwertig dazu betonen sie ihr Unbehagen
und Missfallen über mediale Darstellungen von Natürlich seien auch Männer in mancher Hin-
Frauen in zwei Richtungen: Diese seien zum einen sicht von Alltagssexismus betroffen, nicht nur
erotische Objekte der Begierde zum Zweck der persönlich, sondern aus strukturell. Ein Beispiel
Verkaufsförderung. Zum anderen würden Frauen seien Männer in Erzieher- oder Pflegeberufen,
in Filmen und in der Werbung in einer traditio- die schneller als Frauen verdächtigt (beäugt,
nellen Rolle dargestellt, die für ihr Lebensglück geschmäht, stigmatisiert) werden, wahrschein-
einen Mann brauchen, die ohne diesen unzu- lich homosexuell oder pädophil zu sein.
frieden und unvollständig sind. Dagegen werden
Männer in medialen Darstellungen inszeniert Doch in den qualitativen Interviews beziehungs-
als jene, die höhere Ziele anstreben, beruflich weise Gruppengesprächen dieser Untersuchung
erfolgreich und dadurch attraktiv sind, eine dominieren episodenhafte Beschreibungen
große Leidenschaft für ein Lebensprojekt haben, sexistischer Übergriffe und Situationen, die
mit Kreativität, Power und Know-how die Welt sie selbst oder ihre Freundinnen häufig oder
retten – immer mit den Signalen der Selbst- gelegentlich erleben.
72
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
„Sexismus im Alltag fängt für mich schon bei immer darum geht, dass sie Ehemänner kennen-
Kleinigkeiten an, zum Beispiel wenn ich im lernen und keine anderen Ziele im Leben haben.
Sommer mit einer kurzen Hose oder kurzem Solange sie einen Mann an ihrer Seite haben, ist
Rock in der U-Bahn sitze und angestarrt werde. alles gut, sonst nicht. Männer in Filmen haben
Für mich fängt es da an, wo ich mich unwohl andere Ziele in ideeller, beruflicher Hinsicht. Das
fühle, weil ich weiblich ausschaue; und es hört wird bei Frauen oft vernachlässigt.“
da auf, wo ich beleidigt werde.“
„Als Sexismus empfinde ich die Werbungen,
„Bei mir in der Arbeit will mein Chef, dass ich denn meistens werden da nur die ganz dünnen
mich schminke, damit das besser rüberkommt. Frauen genommen, die wirklich die Kurven
Dabei habe ich keinen Kundenkontakt. Ich sehe haben, also nicht dick sind.“
nur die Kollegen und ihn. Ich schminke mich
aber nicht, weil jede Frau das selbst zu entschei-
den hat, ob sie sich schminkt oder nicht.“ Frauen in diesen Milieus sehen sich in einem
ausweglosen Dilemma: Kleiden sie sich betont
„Ich habe auch eine Freundin, die in einer Bar weiblich, was einige gern tun und wozu sie auch
arbeitet, und die hat gesagt bekommen, dass häufig Lust haben („wenn man kurze Sachen trägt
sie sich weiblicher anziehen soll. Die läuft eher oder Ausschnitt“), gehen sie das Risiko ein, dass
in weiten Pullis und Hosen rum. Er meint, kurze sie Lustobjekt von Fremden werden, die sie
Röcke, enge Lederhose und figurbetonte „dumm anschauen oder anmachen, mit Sprüchen
Kleidung kommen besser bei den Gästen an.“ wie ‚Hey, du Geile, gibt mir deine Nummer!‘“. Aber
„wenn man sich nicht schminkt oder unweiblich
„Ich finde es blöd, dass viele Jungs aus rumläuft“, seien sie als Frau nicht interessant und
meinem Freundeskreis sagen, dass die Frau unattraktiv. Sie haben den Eindruck, sich nicht-
in die Küche gehört, dass die Frau auf das sexy verkleiden zu müssen, „um nur nicht dumm
Kind aufpasst und nicht arbeitet, sondern angemacht“ zu werden. Damit aber bestehe das
nur die Männer das Geld verdienen.“ Risiko, dass sie als unweiblich stigmatisiert wer-
den. Egal wie sie sich kleiden und ausrüsten, sie
„Mir ist es mehrmals passiert, im Kino oder in rechnen mit sexistischen Reaktionen.
der U-Bahn betatscht zu werden. Und einmal
am Badesee – da hat ein Typ zu mir rüberge-
starrt und sich selbst befriedigt. Ich finde, das „Oft wird das Argument verwendet: ‚Selbst
ist schlimmer, als wenn er dich nur antatscht.“ schuld, wenn sie damit rumläuft‘. Aber ich
meine, wenn man es mag, zu betonen, was
„In der U-Bahn ist mir mal was komplett man hat, muss man nicht direkt dafür belästigt
Krankes passiert: Wir sind mit dem Bus zum oder angemacht werden.“
Job gefahren und meine Kollegin saß auf einem
dieser hohen Plätze und ein Mann stand und
hat sich immer an ihrem Bein gerieben. Am Auf den Ton komme es an. Daher ist ihnen
Anfang dachte sie, dass der da in jeder Kurve wichtig, dass sie viele Kommentare und Nähe-
irgendwie da hinkommt, aber irgendwann war rungsversuche überhaupt nicht sexistisch finden.
es so auffällig, dass wir so geschrien haben, dass Entscheidend sei, dass es um sie als Person gehe,
der Busfahrer den auch rausgeschmissen hat.“ dass sie persönlich angesprochen werden, dass
ein Kompliment oder ein bewundernder, auch
„Ich finde es auch sexistisch, wie Frauen in musternder Blick ihrem individuellen Erscheinen
den Medien dargestellt werden. Zum Beispiel gilt – und sie nicht ein bloßes, eigentlich aus-
wird immer Werbung mit Frauen gemacht, die tauschbares Objekt der Begierde sind. Sie wollen
halb nackt sind. Andersrum wird das weniger begehrt werden – aber fordern den Respekt ihres
gemacht, das kommt vielleicht auch vor, aber Einverständnisses oder ihrer Ablehnung. Die
es sind meistens Frauen. Ich empfinde es auch Missachtung dieser Grenze verbaler, habitueller
als sexistisch, dass es in Filmen bei den Frauen und körperlicher Art definiert für sie Sexismus.
73
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
9.3 „Etablierte“ Souverän ist der Habitus und offensiv die Kom-
munikation, eine realitätsgerechte und treff-
sichere Diagnose der gesellschaftlichen Situation
9.3.1 Frauen und zum Thema Sexismus geben zu können.
„Etablierte Frauen“ haben in der Regel eine Diese Frauen aus dem Milieu „Etablierte“ de-
akademische Qualifikation. Die Mehrheit von monstrieren zum Stichwort Sexismus vor allem
ihnen ist berufstätig – in mittlerer oder gehobe- zwei Grundhaltungen:
ner Führungsposition in größeren Unternehmen
oder Verbänden – oder aber selbständig in der 1. Sie selbst erleben in ihrem Alltag überhaupt
Geschäftsführung in kleinen oder mittleren keinen oder kaum Sexismus. Wenn einmal
Unternehmen. Andere haben ihre Erwerbstätig- jemand ihnen gegenüber Grenzen überschrei-
keit dauerhaft unterbrochen, um ganz für ihre ten sollte, weisen sie diese Person bestimmend
Familie da zu sein und um ihrem Ehemann für und definitiv zurück.
dessen Berufskarriere den Rücken freizuhalten.
Die in der Pilotstudie befragten Frauen hatten 2. Die #MeToo-Bewegung habe den Sexismus-
Betriebswirtschaft, Jura, Humanmedizin, Tier- vorwurf salonfähig gemacht, generalisiert
medizin, International Business und Netzwerk- und übertrieben, sodass einem die Männer
Ingenieurswissenschaften studiert und sind im heute leidtun würden, denn sie stünden
Alter zwischen 32 und 47 Jahren; die meisten unter Generalverdacht und dürften sich
sind verheiratet (die Hälfte hat Kinder), andere Frauen gegenüber nicht mehr locker, ent-
Single. Diese Frauen begreifen sich als ökono- spannt, unverkrampft werbend verhalten.
mische, verbandliche oder technologische Ent-
scheidungselite sowie als kompetente Autorität Flirten sei für Männer zu einem hohen Risiko
aufgrund ihres sozialen Status an der Spitze der geworden. Zudem sei die Glaubwürdigkeit
Gesellschaft und ihrer beruflichen Verantwortung. jener Frauen zweifelhaft, die nach zehn oder
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
zwanzig Jahren einen Mann bezichtigen, sie zum Souverän blicken diese Frauen auf ihren Alltag. In
Sex genötigt zu haben: Hier müsse man die Motive ihrem Narrativ zu Sexismus sind sie selten oder
dieser Frauen für eine solch späte Anklage hinter- nie Opfer, sondern sie meistern bei Bedarf solche
fragen mit dem Verdacht, dass ein erheblicher Teil Situationen. Nur noch in wenigen Bereichen
dieser Frauen auf der Welle der Sexismusbezich- sehen sie eine Ungleichstellung von Frauen, etwa
tigung surft zum Zweck der Selbstvermarktung beim Anteil von Frauen in Führungspositionen,
oder aus finanziellen Beweggründen. Das führt zum Teil auch beim Entgelt. Dieses basale Narrativ
aus ihrer Sicht zu einer Ausuferung des Sexismus- wird flankiert von drei Begleitnarrativen:
begriffs, der ausdifferenziert und hypersensibili-
siert wurde, so dass fast alle Begegnungen und 1. Man darf nicht übertreiben! Dieses beziehen
Relationen zwischen Frauen und Männern unter sie zum einen auf Übergriffe von Männern
Sexismusverdacht geraten sind. Damit habe die mit „extrem sexistischen Verbalaussagen“
Bezeichnung „Sexismus“ eine grenzenlose Expan- oder aufdringlichen Blicken“, zum anderen
sion erfahren und mitunter ideologischen Cha- auf die Reaktion von Frauen auf jenes Auf-
rakter angenommen.. In den drei Nachkriegs- treten von Männern. Natürlich gebe es sexis-
jahrzehnten, als Frauen ohne Einverständnis ihres tische Chauvinisten, aber diese Abweichler
Ehemanns nicht ins Ausland reisen konnten, nicht von Regeln der guten Sitten seien Ausnahmen,
erwerbstätig sein durften, gesetzlich und kulturell denen einfach durch klare Ansagen dezidiert
auf die Hausfrauenrolle reduziert wurden, habe Grenzen gezogen werden könnten und sollten.
es wohl Sexismus gegeben. Aber heute seien wir Hier gehe es darum, nicht übertrieben zu
viel weiter und freier. „Etablierte“ Frauen heben reagieren, sondern souverän dem Angreifer zu
hervor, was für sie kein Sexismus ist: Komplimen- begegnen – aber dann auch aus einer Situation
te über das äußere Aussehen oder die Leistung kein Grundsatzproblem zu machen. Proble-
einer Frau; gentlemanlikes Auftreten, Galanterie; matischer sei der Sexismus von radikalen
Hilfsbereitschaft (zum Beispiel am Flughafen oder Feministinnen und #MeToo, die oft durch
Bahnhof den schweren Koffer heben), die nicht unbelegte Verdächtigungen, haltlose Motiv-
herablassend ist und der Frau keine Kompetenz unterstellungen und falsche Behauptungen
aufgrund ihres Geschlechts abspricht. zum eigenen Vorteil übertrieben Angriffe
gegen Männer und traditionell galantes
In den Interviews erwähnten diese Frauen Verhalten führen würden.
nebenbei, gleichsam als Selbstverständlichkeit,
dass sie selbst kaum Sexismus erfahren in Form 2. Absolute Gleichstellung wird es nicht geben:
von persönlicher Erniedrigung oder Abwertung. Männer und Frauen seien von Natur aus unter-
Sexismus gegen andere Frauen würden sie zwar schiedlich, hätten einen unterschiedlichen
gelegentlich, aber insgesamt selten und sehr Geschlechtscharakter. Daraus ergibt sich im
selektiv beobachten: Beispiele dafür seien bei Alltag in der Partnerschaft und Familie die
einigen Männern (und auch Frauen, betonen sie) Tendenz zu einer Rollenteilung, die sich
Vorurteile, dass Frauen gelegentlich Schwierig- bewährt habe, ebenso bei Berufswahlen und
keiten beim Autofahren oder Einparken hätten; Funktionen im Unternehmen. Geschlechts-
dass es in einer Partnerschaft und Familie die typische Neigungen schließen nicht aus, dass
Frauen sind, die selbstverständlich die häus- so manche Frau keine Neigung oder kein
lichen Tätigkeiten verrichten, die Organisation Talent zur Hausarbeit, zum Kochen oder zur
von Haushaltshilfen (und Kommunikation mit Versorgung der Kinder hat, dass eine Frau gut
ihnen) übernehmen, ebenso die Organisation geeignet ist für Führungsverantwortung im
der Pflege von Eltern und Schwiegereltern. Unternehmen: Wichtig ist „etablierten“ Frauen,
Sexismus gebe es auch in einigen Castingshows, dass eine offene Gesellschaft dies der indivi-
in der Werbung (Automessen, Pirelli-Kalender), duellen Entscheidung der Einzelnen über-
in den Social Media (zum Beispiel Datingportale lassen müsse und das freie Spiel der Kräfte
wie tindrdate.de) sowie – so ihre Vermutung – nicht durch extern gesetzte Regeln künstlich
aufgrund einer lesbischen Orientierung. gesteuert werden dürfe. Daher sei eine Gleich-
stellungsvision, die für alle Frauen und Männer
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
in allen Bereichen absolut gleiche Chancen „Sexismus bedeutet ein bisschen Nachteil
ermöglichen wolle und dies an Verteilungen für die Frau. Andererseits habe ich das Gefühl,
messe (Wie viele Frauen sind in Führungs- dass Frauen das manchmal übertreiben
position? Wie viel Sorgearbeit übernehmen gegenüber den Männern, dass sie die Situation
Frauen im Haushalt, bei der Versorgung von sehr gern ausnutzen. Ich bin nicht der Mensch,
Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen? der sagt, die Frau hat immer Recht, weil sie
Wie viele Frauen sind in bisher traditionell Frau ist. #MeToo, das ist lächerlich mit den
männlichen Ausbildungen und Berufen tätig? Vorwürfen nach 10 oder 20 Jahren.“
Wie lange ist die Erwerbsunterbrechung von
Müttern und Vätern nach der Geburt ihres „Die #MeToo-Geschichte: Man kann auch alles
Kindes?), ideologisch motiviert – und dadurch übertreiben und auf die Spitze bringen. Und
eine andere Form von Sexismus. In dieser Sexismus ist ein in letzter Zeit sehr hochstilisier-
Hinsicht habe Gleichstellungspolitik heute tes Thema. Da muss ich auch als Frau sagen:
die Tendenz, sexistisch zu sein. Man kann alles übertreiben.“
3. Sexismus im normalen Umfang ist nicht „Sexismus wird heute sehr stark übertrieben.
schlimm: Sexismus per se ist nicht negativ – Natürlich gibt es Sexismus, ich kenne da viele
davon sind Frauen im Milieu „Etablierte“ Beispiele, aber man muss sich auch selber
überzeugt. Andere in ihrer Sexualität zu sehen, wehren. Das ist eine Frage des Auftretens.“
zu behandeln, sei Teil der Geschlechtsidenti-
tät – der eigenen wie der anderen. Man dürfe „Es kommt immer sehr auf das Auftreten an.
Sexismus nicht verkürzen auf Tabuübertre- Also wenn ich einen kurzen Minirock anhabe
tungen und Verletzungen von Menschen, bei und mir dann die Männer unter den Rock
denen ihnen die Würde genommen werde. schauen können auf der Rolltreppe, dann bin ich
Vielmehr müsse man den Blick weiten und die selber schuld, wenn ich diese Blicke bekomme.“
vielen Weisen von positivem Sexismus sehen.
Denn Sexismus sei Kernelement einer aufge- „Ja, vor 50 Jahren, da musste man den Ehemann
klärten, modernen, freien Gesellschaft. Nur fragen, ob man arbeiten darf, und man durfte
Entgleisungen einzelner Individuen seien kein eigenes Konto haben. Das können wir uns
negativ. Insofern ist aus ihrer Sicht der Teil heute gar nicht mehr vorstellen. Für uns heute
des zu Recht beklagten negativen Sexismus ist das alles komplett selbstverständlich. Und
eine Frage des persönlichen Anstands und jetzt hängt man sich so an einem Thema auf,
Stils, aber nicht der gesellschaftlichen Struk- wo ich mir denke: Wieso habt ihr euch alle so?“
tur. Hier seien durch Reformen im Zuge der
Emanzipation viele der vormals bestehen- „Ich erlebe keinen Sexismus, schade vielleicht!“
den Ungerechtigkeiten mittlerweile beseitigt
worden, sodass heute jede und jeder die glei- „Ich könnte jetzt den Abend füllen mit lustigen
chen Chancen habe. Aber das bedeute auch Geschichten zum Thema Sexismus. Ich finde, es
die Selbstverantwortung, diese Chancen zu wird aktuell übertrieben. Mir tun die Männer
nutzen. Sexismus als negatives strukturelles schon leid. Ich habe früher als Messehostess
Merkmal unserer Gesellschaft vermögen sie gearbeitet während meiner Studienzeit. Also
nicht zu erkennen – es sei denn, den aggressi- da könnte ich Geschichten erzählen von Auf-
ven, übertriebenen Feminismus. den-Hintern-Klopfen, Anschauen, anzügliche
Bemerkungen. Aber man muss drüberstehen,
man darf nicht überreagieren, man darf es sich
„Was so schlimm ist am Sexismus? aber auch nicht gefallen lassen. Man muss nur
Im normalen Umfang gar nichts!“ einen Satz setzen und Grenzen aufzeigen. Das
können vielleicht viele nicht und irgendwann
„Absolute Gleichstellung – das gibt es nicht. ist es zu spät.“
Das werden wir nie erreichen. Es wird immer
Ungleichheiten geben. Dieses Gleichstellungs-
bestreben ist nett, aber irgendwo muss man
einen Punkt machen.“
76
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
„Manche Frauen haben nur das Ziel, was vom Bei der Frage nach einer Utopie – „Wenn es keinen
Mann zu gewinnen – oder Rache. Ich kenne das Sexismus mehr gäbe: Was wäre für Sie anders,
sehr gut aus meinen Fällen aus dem Familien- woran würden Sie merken, dass es keinen Sexis-
recht. Manchmal wundere ich mich, wozu mus mehr gibt?“ – betonten in der qualitativen
Frauen fähig sind sich auszudenken.“ Befragung alle Frauen aus diesem Milieu: Es
würde für sie nichts anders sein! Sie würden es
vermutlich nicht einmal bemerken. Eine sexis-
Unter der Oberfläche dieses dominanten Narra- musfreie Gesellschaft würde für sie nicht mehr
tivs gibt es bei „etablierten“ Frauen subkutan ein Lebensqualität im Alltag bedeuten. Verändern
zweites, gegenläufiges Narrativ, das nicht so stark würde sich vielleicht, dass mehr Frauen in Män-
erscheint, aber im Laufe der sozialwissenschaft- nerberufen und Männer in Frauenberufen wären,
lichen Interviews immer häufiger zutage tritt. dass auch Frauenfußball mehr beachtet würde
Dabei ist dieses gegenläufige Narrativ keine (allerdings würden sie ohnehin lieber Männer-
geschlossene „Erzählung“ wie das Hauptnarrativ, fußball schauen).
77
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
In der Öffentlichkeit sei das Wort Sexismus • Mütter können nach der Geburt ihres Kindes
negativ besetzt, was dazu geführt habe, dass jeder ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen, solange
anständige und in verantwortlichen Positionen sie wollen, um bei ihrem Kind zu sein – hier
tätige Mensch aus Gründen der Political Correct- hätten alle Verständnis im privaten Umfeld
ness öffentlich gedrängt werde, sich als Gegner und am Arbeitsplatz. Der Vater hingegen sei
von Sexismus zu bekennen. Das sei ein Effekt gezwungen, das Haupteinkommen zu erwirt-
einer offensiven, grenzen- und maßlosen Gender- schaften, und hätte nicht das gleiche Entschei-
bewegung beziehungsweise des aggressiven dungsrecht wie seine Partnerin. Und wenn
Feminismus. Natürlich gebe es gegen Frauen Männer im Betrieb mehr als zwei Monate
unakzeptable körperliche Übergriffe und vulgär Elternzeit nehmen wollten, stünden sie vor
herabwürdigende Ausdrücke, meistens von großen Hürden, zum einen im Kreis der
Männern aus der Unterschicht, gelegentlich auch Kollegen, gegenüber Vorgesetzten, gegenüber
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22 Ein Jurastudent hatte 2018 gegen die Existenz von Frauenparkplätzen auf einem öffentlichen Parkplatz der Stadt Eichstätt geklagt mit dem
Argument, es gebe ja auch kleine und schwächere Männer; es gehe ihm um nicht weniger als die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Am
Tag der Urteilsverkündung des Münchner Verwaltungsgerichts am 23. Januar 2019 trat er vor die Presse mit der Aussage „Ich fühle mich als
Mann diskriminiert“. Der Kläger sehe seine Klage jedoch nicht nur als Akt zum Wohle der Männer, sondern auch der Frauen. Denn die Eichstätter
Schilder würden den Eindruck erwecken, dass Frauen schwächer seien. Das Gericht folgte dieser Argumentation nicht. Man werde im Verfahren
Fragen zu den Themen wie Gleichbehandlung und Diskriminierung nicht nachgehen, erklärte der Vorsitzende Richter und fügte hinzu:
„Nebenbei gesagt, würden wir die Frauenparkplätze auch nicht infrage stellen, wenn es sachliche Gründe dafür gibt.“ Das Gericht störte sich
jedoch an der Ausgestaltung der Schilder. Diese erweckten den Eindruck, es bestünde ein sogenannter Rechtsschein. Das bedeutet, die Schilder
erwecken bei den Autofahrern den Eindruck, es handle sich nicht lediglich um eine Bitte der Stadt an die Männer. Vielmehr könnten viele
meinen, sie seien verpflichtet, die Parkplätze für Frauen freizuhalten. Das Gericht schlug deshalb vor, die Parkplätze neu zu beschildern.
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
Das Sexismusnarrativ dieser Männer aus dem Im Gegensatz zu anderen Milieus ist auffällig, dass
Milieu „Etablierte“ ist eine Strategie der offensiven Männer (und Frauen) der „Etablierten“ Sexismus
Abwehr mit doppelter Zielrichtung: überhaupt nicht mit Macht verbinden. Während
vor allem Frauen aus den übrigen Mileus stets
1. Es gibt strukturellen, institutionellen Sexismus, betonen, dass Sexismus eng an Macht geknüpft
aber nicht so sehr von Männern gegen Frauen, und im Kern Machtmissbrauch sei, blenden
sondern von Frauen gegen Männer. „Etablierte“ diese Dimension von Macht syste-
matisch aus. Sexismus ist für sie keine Folge von
2. Sexismus ist eine Phantomdiskussion und Macht, die zu Instrumentalisierung von direkt
Schimäre, eine Erfindung von Feministinnen, oder mittelbar Abhängigen verleiten könne (nur
die Gender zur Ideologie gemacht haben und in seltenen Ausnahmen geschehe das). „Etablierte“
die normale Bevölkerung mit einem Hysterie- sind in der Regel aufgrund ihrer höchsten sozialen
und Denunziationsprogramm überziehen. Es Lage, ihrer finanziellen Ressourcen und ihrer
gebe wichtigere Probleme in Deutschland, und beruflichen Positionen in der Situation von
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
Machtfülle. Das gibt Grund zu der Hypothese, Wer dieses gerade in der Moderne zur Entfaltung
dass die Leugnung von Sexismus (vermutlich gekommene freie Spiel der Geschlechterkräfte
unbewusst) die Funktion hat, ihre Situation von kontrollieren und nivellieren wolle, sei Ingenieur
Machthaben zu legitimieren, zu immunisieren an einer uniformen, erotikfreien Gesellschaft
und zu imprägnieren gegen moralische Anwürfe. mit Zwangsprogramm. Erotik und das Spiel der
Technik ist die Umkehrung: Sexismus gibt es Geschlechter seien nur möglich, wenn man
nicht „von oben“ durch die Leistungselite, son- einander auch hinsichtlich der äußeren weib-
dern im Gegenteil „von unten“ durch moralisch lichen und männlichen Attribute wahrnimmt,
zweifelhafte Personen in den unteren Schichten bewertet und begehrt. Beziehung ist immer
(„Vulgäre“), durch die vermeintlichen Opfer Grenzübertritt. Das Kriterium, es müsse „auf
(Frauen) sowie als revolutionäres Instrument gleicher Augenhöhe“ geschehen, sei eine Täu-
durch aggressive linke Feministinnen (deren schung, denn Menschen seien immer verschieden
primäre Motive Neid und eine andere Gesell- und nie auf Augenhöhe. Wichtiger sei eine andere
schaft der Frauenherrschaft seien). Grenze: das nachdrücklich Nein zu respektieren.
Ein erstes, anfängliches Nein hingegen könne auch
Hier zeigen sind grundlegende Haltungen zur Teil des erotischen Spiels der Geschlechter
öffentlichen Sexismusdebatte: Der Erhalt des sein – hier allen Anfängen zu wehren, wäre
Status quo, ergänzt durch Korrekturen und Vor- verheerend für Flirt auf dem Weg zur festen Be-
kehrungen gegenüber vulgären Entgleisungen. ziehung. Die Grenze zu erkennen, sei eine Frage
Doch hier sei nicht der Staat, sondern Zivilcou- von Bildung und Stil. Die unterschiedlichen
rage gefordert. Es sei eine Frage des Anstands Rollen, die Männer und Frauen zueinander
und des Stils und damit letztlich der Bildung und meistens haben, seien kein Zwangsprogramm,
dürfe keineswegs in staatliche oder betriebliche sondern hätten sich offensichtlich als erfolgreich
Verordnungen münden. Die Eindämmung von etabliert: Männer hätten sich bewährt als stark,
verachtenswertem Sexismus verlange keine ver- überlegen, entscheidungsfreudig, durchsetzungs-
bindlichen gesatzten Regeln, im Gegenteil: Solches stark sowie galant, charmant, beschützend und
würde in eine legalisierte Hexenjagd münden, sei fördernd gegenüber Frauen – das werde auch
Bestätigung und Verstärkung von #MeToo. Die seitens der Frauen erwartet. Es gebe auch Frauen
Maxime von „Etablierten“ ist Privatisierung. mit diesen Eigenschaften oder Beziehungen mit
umgekehrten Rollenerwartungen. Aber das sei
Wer dieses missachte, unterminiere die Grund- auch gut so im sich evolutionär entfaltenden Spiel
pfeiler unserer offenen und freien Gesellschaft. individueller Charaktere.
Diese Männer haben die offene, teils subtile
Einstellung, dass Frauen und Männer einen
unterschiedlichen Geschlechtscharakter haben, „Persönlich fühle ich mich nicht betroffen.
im Wesen unterschiedlich und mit unterschied- Für mich ist das ein theoretisches Thema,
lichen Talenten und Fähigkeiten ausgestattet es wird stark politisiert, auch überbewertet
sind, die teils natürlich angelegt, teils evolutionär und mit Vorverurteilungen behaftet.“
gewachsen und optimiert sind. Dazu gehört auch
das vielfältige, spannungsreiche, aber sich eben „Im Prinzip gehört Sexismus als Begriff zum
auch arbeitsteilig „organisch“ ergänzende Verhält- Waffenarsenal der Political Correctness, die
nis und Spiel der Geschlechter miteinander. Hier schlicht ganz gerne dazu hergenommen wird,
gebe es zwar auch Schattenseiten, Irritationen um vor allem Druck auf Männer auszuüben.“
und Verletzungen, aber das sei normal in Entwick-
lungsprozessen und dürfe nicht davon ablenken,
dass der Prozess insgesamt produktiv ist.
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„Ich habe einen sehr großen Bekanntenkreis, „Ein paar Beispiele von Sexismus: die Erwartung,
darunter auch sehr viele Frauen. Ich komme gut die grundsätzlich zu erfüllen ist – der Mann
aus mit Frauen, glaube ich, ich kann mich mit zahlt alles. Das ist natürlich Sexismus und
denen ganz gut unterhalten und die sich auch Quatsch. Sie, die Frauen, wollen alles und
mit mir. Und kürzlich hat eine Bekannte zu mir gleichzeitig auf dem Alten beharren. Aktuell
gesagt, sie wäre wieder mal froh, wenn ihr das Beispiel mit den Frauenparkplätzen, da
wieder mal ein süßer Typ so richtig hinterher- kam heute das Urteil, dass das einfach so nicht
pfeifen würde auf der Straße. So nach dem zulässig ist. Es impliziert ja auch, dass Frauen
Motto ‚Die Männer von heute haben ja keine grundsätzlich von allen Männern bedroht
Eier mehr in der Hose‘. So reden auch Frauen.“ werden. Frauenbadetage und Ladies Day. Beim
Skifahren gibt es zum Beispiel Tage, da bekom-
„Die heutige Generation von Frauen, mit denen men Frauen den Skipass zum Kinderpreis. Das
wir leben, wie selbstbewusst die jetzt sind, wie ist nett, aber ich sehe persönlich keinen Grund,
eigenständig sie ihr Leben meistern mit allen warum ich nicht auch an einem anderen Tag
Höhen und Tiefen. Da denke ich mir schon, ohne den Skipass zum Kinderpreis bekomme. Mir
arrogant als Mann von oben zu wirken, da ist ist der Gedanke dahinter egal, ich ärgere mich,
viel gemacht worden. Grundsätzlich hat sich dass ich jeden Tag voll bezahlen darf. Oder
seit dem Ersten Weltkrieg sehr viel getan beim Frauenbadetage oder die Frauenecke im
Miteinander. Die Vorverurteilung von #MeToo, Fitnessstudio. Vielleicht gibt es auch Männer,
der Generalverdacht unter #MeToo, das ist für die nicht so von Frauen begafft werden wollen.
mich Hexenjagd.“ Die Frauen werden mehr geschützt, das gibt es
in jede Richtung. Das ist Sexismus in allen
„Eine kurze Episode: Vor zwei oder drei Jahren Bereichen der Gesellschaft.“
wurde ein neuer Mitarbeiter eingestellt und
der hat den Damen immer so auf den Ausschnitt „Die Anrede! Ich schreibe grundsätzlich –
geschaut in der Kantine. Der wurde raus- egal, dass wir mehr Frauen haben als Männer –
geschmissen nach der Probezeit, nur weil er immer ‚Liebe Kollegen‘. Da hat sich noch
ein bisschen gestarrt hat.“ keiner daran gejuckt. Bis auf einen männlichen
Kollegen, dessen Schwester eine Professur
„Sexismus – wenn irgendetwas gegen den in Genderstudies anstrebt. Das sagt ja alles.
Willen der anderen Person gemacht wird, Er will ‚Kolleginnen‘, Gendersternchen, Trans-
kann das nichts Positives sein.“ person, divers und 65 andere Formen. Was ist
eine Transperson, was ist mit Genderfluiden,
„Sexismus ist Ausnutzen von Abhängigkeits- schon mal darüber nachgedacht? Das ist eine
verhältnissen: Ein Abteilungsleiter nimmt eine Frechheit, das ist Faschismus.“
Mitarbeiterin auf Dienstreise mit, die einen
Zeitvertrag hat. Nach der Dienstreise wird der „Es gibt Frauen, die möchten nicht angeschaut
Zeitvertrag nicht verlängert. Da weiß man, da ist werden. In der U-Bahn gibt es immer wieder
nichts gelaufen. Das habe ich tatsächlich erlebt, Typen, die schauen besonders lüstern oder
das ist Sexismus pur. Wobei man da auch nicht starren, und dann setzen sich die Frauen um.
mal was Strafbares nachweisen kann.“ Aber das ist ja auch nicht weiter tragisch.
Schauen darf man ja noch! Man kann ja kein
„In der Politik wird immer beklagt, dass nur so Gesetz machen: Länger als zwei Sekunden
wenig Frauen in Führungspositionen sind. Aber schauen ist jetzt Starren und somit eine Ord-
in allen Parteien sind die Frauen nur so um die nungswidrigkeit und wird mit Strafgeld belegt.“
20 Prozent. Klar, dass sie nicht in die Führung
kommen: Frauen interessieren sich nicht so
für Politik, Frauen sind weniger Mitglied in
öffentlichen Volksparteien. Da ist es auch klar,
dass der Männeranteil deutlich höher ist.“
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„Wenn Betonungen von Attraktivität oder „Jede Werbung, jede Moderatorin, jede darf
Nichtattraktivität, was normal menschlich ist sich beliebig abwertend über Männer äußern.
und evolutorisch gewünscht; wenn das schon Gar kein Problem, alles okay. ‚Schwestern
moralisch verwerflich sein soll laut Political dürfen das‘; ‚Frauenpower‘ – alles akzeptiert.
Correctness, dann ist Political Correctness Wenn Männer dasselbe formulieren, wir
falsch, aber nicht die Natur. Spannungen tauschen einfach nur die Wörter aus – ein
zwischen Mann und Frau gibt es immer und Riesenaufschrei: Neandertaler!“
wird es immer geben. Wenn’s die mal nicht
mehr gibt, dann sterben wir aus. Insofern sollte „Dieser Gender-Pay-Gap ist ein totes Pferd, das
man es nicht zu weit treiben.“ ab und an wieder aus dem Schrank geholt wird
und je nach politischem Gutdünken aufgestellt
„Traditionelle Rollenbilder und Verhaltens- wird. Diese Studien gibt es, die sagen, Frauen
formen, die sich über Jahrtausende bewährt bekommen weniger. Aber wurde auch berück-
haben, weil sich der Mensch so weit entwickelt sichtigt, die Qualifikation, die Erfahrungen, die
hat, das war halt Best Practise. Das muss man individuellen Voraussetzungen, die derjenige
erstmal so attestieren. Wenn man sich jetzt hat, der das Geld bekommt, damit er auch das
Gesellschaften anschaut, die emanzipatorisch Geld bekommt? Wir haben das bei uns in der
tendenziell wie unsere sind, versus Gesellschaf- Firma mal versucht zu schauen, ob Ähnliches
ten in Asien, in Afrika, im vorderen Orient – und vorliegt. Bei uns definitiv nicht.“
die Reproduktionserfolge: Wir werden immer
weniger und die anderen wachsen stark. So, „Als Opfer sehe ich mich nicht. Aber diese
was heißt das? Haben wir ineffiziente Ideen, Rosinenpickerei der Frauen! Ich bewege mich in
sind die anderen effizienter? Ganz sicher! Sind einem sehr emanzipatorischen aufgeklärten
wir wirtschaftlich erfolgreicher? Aber ganz Umfeld. Aber da ist schon so ein Rollenbild.
sicher – noch! Wir müssen aufpassen: Die besten Aufgeklärt auf der einen Seite, wird trotzdem
Gesellschaften sind gerade anfällig, zu sehr ins erwartet, du lädst die zum Essen ein oder sonst
Dogmatische abzurutschen, sprich, Sexismus als was. Du sollst zahlen. Du holst sie ab und du
Kampfbegriff, der die Rollen der Geschlechter bringst sie nach Hause. Wenn ich das mal von
zunehmend vergiftet mit allen Konsequenzen, einer verlangen würde: ‚Was bist denn du für ein
die sich daraus ergeben: weniger Familien, Gentleman oder Typ?‘ Solche Sprüche kommen
weniger Kinder, mehr Streit und letztendlich eine da. Es stört mich an vielen Frauen, sich von
Form der Degeneration. Wenn es eine Krankheit jedem das Beste zu nehmen. So ein paar Sachen
wäre, wäre es eine degenerative Krankheit. waren ja früher schon ganz gut, wie das da so
Letztendlich, wer hat denn den Begriff Sexismus üblich war.“
aufgebracht, das geht auf Lenin zurück. Die
haben quasi, die Linke in den Anfängen, also „Ein guter Freund von mir ist Lehrer. Der macht
Marx, Engels und gerade Lenin, die haben schon sich täglich Gedanken, das sind Mädchen,
versucht, möglichst Gruppen zu identifizieren, hauptsächlich Frauen so im Alter zwischen 16
die sie ansprechen können: Frauen. Frauen und 18, der wird extremst sexistisch provoziert.
hatten zu dieser Zeit relativ wenig Rechte, die Er mag Frauen, aber der muss so dermaßen
waren unzufrieden, die konnte man ansprechen, aufpassen, was er sagt oder tut. Die kommen
auf die Weise Mitglieder gewinnen.“ so gekleidet, die haben fast nichts an.“
„Ästhetik und Sex sells. Warum? Weil wir so „Diese Möglichkeit haben nur Frauen. Zum
verdrahtet sind und weil es von der Natur so Beispiel bei einem Bewerbungsgespräch. Zwei
gewollt ist. Das ist der Punkt und daran ist gleiche Bewerber, aber der Mann hat halt nur
nichts verkehrt.“ das, was er kann. Als Frau kannst du dann
noch eine Karte ziehen.“
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Diese Männer nehmen die divergenten Positionen Dazu sei eine Grundsatzdiskussion über Grund-
in der Sexismusdebatte in Deutschland wahr, rechte und Menschenrechte nicht förderlich,
kritisieren den ideologisch motivierten, dis- gerade wenn diese unter der Fahne von individu-
ruptiven Charakter aus dem Lager des Anti- eller Freiheit erfolge: Denn Grundrechte und
feminismus und Maskulismus, den wechselseitig Menschenrechte seien nicht verhandelbar. Man
diffamierenden Ton und das Vokabular („Gender- müsse ausgehen von der UN-Menschenrechtskon-
ideologie“, „Genderismus“, „Genderwahn“ und vention und dem in der Verfassung der Bundes-
Ähnliches). Sie sehen Nähen zum Rassismus, zum republik Deutschland formulierten Grundgesetz-
(Neo-)Konservativismus und zur identitären artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Weltanschauung. Gleichwohl halten sie für den Das sei der unbedingte Rahmen für Diskussionen
Zusammenhalt einer demokratisch verfassten über Sexismus in der Gesellschaft und zugleich
offenen Gesellschaft einen gesellschaftlichen, eine Hilfe, um auch latenten Sexismus wahrzu-
inter- und binnenlebensweltlichen Dialog für nehmen oder eine Hexenjagd unter der Fahne des
wichtig darüber, inwieweit es heute Sexismus Sexismus zu entlarven.
gibt im alltäglichen Zusammenleben, in Rollen-
arrangements von Partnerschaften und Familien, Die folgenden längeren Zitate veranschaulichen
in Betrieben und öffentlichen Institutionen, in Perspektive und Logik von „postmateriellen
den Medien und der Werbung und in politischen Männern“: einerseits die scharf konturierte eigene
Sektoren wie Wirtschaft, Gesundheit, Familien- Position, andererseits der Appell an einen gesell-
recht, Ehegüterrecht, Scheidungsrecht, Steuer- schaftlichen Diskurs in der demokratischen
recht. Sich hier zu verständigen sei wichtig zur offenen Gesellschaft.
sachlichen Behandlung des Themas und für den
Zusammenhalt der Gesellschaft. Dazu gehöre
auch, den Blick zu öffnen für strukturelle Benach- „Ich bin der Meinung, dass Sexismus ein sehr
teiligungen für Männer heute – ohne damit die wichtiges aktuelles gesellschaftliches Thema ist.
Benachteiligung von und den Sexismus gegenüber Jetzt ist die Frage, warum. Ob das jetzt medial
Frauen zu relativieren oder gar auszublenden: gemacht worden ist, ob das politisch gewollt ist
Benachteiligung und Sexismus gegenüber Frauen oder ob wir tatsächlich die Probleme haben?
einerseits, Benachteiligung und Sexismus gegen- Das will ich jetzt erst mal dahingestellt lassen.
über Männern andererseits seien kein Nullsum- Fakt ist, dass wir in einer Gesellschaft leben, die
menspiel, sondern müssen realitätsgerecht in den aus sexistischen Rollenverteilungen erwachsen
Blick und Diskurs genommen werden. ist. Das muss ständig unter die Lupe genommen
werden: Wie können wir eine Gleichberechti-
Impulse ihrer Kritik am alltäglichen und media- gung zwischen Geschlechtern, ich würde das
len Sexismus sind für „postmaterielle Männer“ noch weiter fassen, zwischen allen Beteiligten
Emanzipation sowie das ständige Arbeiten an hier schaffen? Das ist natürlich etwas, was man
einer Utopie vom aufgeklärten Individuum mit ständig auf den Prüfstand stellen muss. Im
ganzheitlichem Lebensentwurf in einer von Alltag begegnet uns Sexismus überall, es ist ein
Ideologien, überkommenen Strukturen und gesellschaftliches Phänomen, in verschiedenen
Populismen emanzipierten Gesellschaft. Aus ihrer Schichten wahrscheinlich unterschiedlich. Ich
Sicht ist Emanzipation (Geschlechtergerechtigkeit, glaube, dass da auch das Aufwachsen und der
Wertschätzung und Würde des Individuums) Bildungshintergrund eine ganz große Rolle
der Maßstab für die Sexismusdebatte. Das verlan- spielen wie man mit dem anderen Geschlecht
ge eine offene Debatte mit Erkundungen: Dazu umgeht oder generell, wie tolerant man mit
gehören auch Kritik an Personen und von Struk- anderen Menschen umgeht. Ich glaube, dass
turen; aber diese müssten von Anfang an die Aufklärung ganz, ganz wichtig ist.“
Offenheit und den Willen zur Korrektur aufgrund
von Belegen und Evidenzen aktiv mitbringen und
vorantreiben, damit keine Kultur der Denunzia-
tion oder Pauschalisierung entsteht. Das ist in
ihrem Verständnis Aufklärung.
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„Man muss natürlich immer den Diskurs suchen, der Geschlechterverteilung hoch gelobt, in der
die Situation betrachten, Schwarz-Weiß-Denken familiären und in der beruflichen Ebene. Das ist
bringt uns nicht weiter. Es ist ein gesellschaft- politisch legalisierter Sexismus.“
liches Phänomen, das immer mehr zunimmt,
in allen Bereichen. Ich muss an den Brief dieser „Der Ausweg aus dem Sexismus ist generell
französischen Schauspielerin denken. Es ist die Emanzipation von jedermann, nicht nur
natürlich ein Wahnsinnsauslöser gewesen, diese von Frauen, auch von Männern: dass man sich
#MeToo-Debatte für diese Sexismusdiskussion. bewusst wird, frei wird, selbständig wird.“
Dass es gezielte sexuelle Gewalt gegen Frauen
war, auf die sich #MeToo bezieht, das ist natür- „Wir erleben in der Gesellschaft offenen und
lich eine einseitige Herangehensweise. Davon versteckten Sexismus. Es gibt was, was wir gar
muss man sich freimachen. Es ist ein Phänomen, nicht wahrnehmen als Sexismus, der dennoch
das Teil von Sexismus ist, aber es erschließt nicht da ist. Es gibt gewisse Dinge, die passieren, und
das ganze Problem. Das gibt es auch anders- man sagt ‚Nein, das ist kein Sexismus!‘ – obwohl
rum. Sexuelle Gewalt oder sexuelle Belästigung man das aus der Sicht des ‚Opfers‘ sexistisch
ist eine Definitionsfrage: Sehe ich das als den motiviert begreift. Das ist die Diskussion, die wir
Kern des Sexismus oder ist es eine Folge? Da bin führen müssen, dass man eine offene Ausei-
ich mir selbst nicht schlüssig.“ nandersetzung mit diesen unterschiedlichen
subjektiven Meinungen hat und man dann
„Das grundlegende Problem ist, dass schon zu einem Konsens gelangt. Natürlich ist es
beim Anbahnen eines Flirts nicht immer davon schlimmer, wenn die Tat da ist, weil man durch
auszugehen ist, dass die zwei Beteiligten auf moralischen Überbau von dem Grundgedanken
Augenhöhe kommunizieren. Das ist eben ganz der Motivation wegkommt. Das muss ich
entscheidend. Wenn man aus bestimmten natürlich – in Richtung Gedankenpolizei – dem
Rollenverständnissen herauskommt, wie ‚die dialektischen Wesen Mensch zugutehalten, dass
schwache Frau – der starke Mann‘, dann traut man sich selbst korrigieren kann und muss.“
sich die Frau vielleicht nicht zu sagen, mit dem
nicht und mit dem schon. Da muss man ganz „Wir müssen eben eine Definition finden in
sensibel sein, das ist schwierig. Das ist in der unserer Gesellschaft, das ist was ganz Wichtiges,
Kommunikation zwischen Mann und Frau dass wir einen Diskurs führen über das, was
manchmal komplex. Das ist ein Thema, das Sexismus ist und was nicht. Da gibt es unter-
den Sexismus berührt, dass man da aus Rollen- schiedliche Meinungen und daraus resultiert
verständnissen heraus unterschiedliche Kommu- sozusagen eine Normierung des Ganzen. Es gibt
nikationen hat und vielleicht auch nicht die natürlich Ansätze, wie zum Beispiel: Spielt es
gleiche Augenhöhe.“ eine Rolle in den Menschenrechten oder in der
UN-Charta? Entspricht das unseren gesell-
„#MeToo, das war ja auch eine Vorverurtei- schaftlichen Vorstellungen, wo wir hinwollen?“
lung – Männer sind so! Das ist schon Sexismus.“
„Es ist ein Prozess, sich einer Utopie anzunähern,
„Wenn man ein striktes Rollenverständnis mit- und das sollte der Mensch auch verfolgen, um
bringt, Mann macht das und Frau macht das, ist sich weiterzuentwickeln. Das geht in der verant-
das Sexismus, weil man Menschen aufgrund des wortlichen Auseinandersetzung mit sich selbst
Geschlechts von Berufen und Karriere ausgrenzt. und mit den Gegebenheiten, in denen man
Oder weil man ausgrenzt, weil man sich eben existiert, und mit dem Gegenüber. Ich schwanke
lieber zuhause mit den Kindern beschäftigt. Es immer zwischen den zwei Zitaten: ‚homo homini
ist dieses Adenauer-Bild, das unsere Gesellschaft lupus – ein Wolf ist der Mensch dem Menschen‘,
nach dem Krieg nachhaltig geprägt hat, das und Karl Valentins ‚Der Mensch ist gut – die Leid
geht ja bis heute hin, und ein Familienbild san schlecht‘. Ein Weg in diese Utopie wäre, dass
geschaffen hat, das bis heute nicht aufgebro- man eine eigenverantwortliche Herangehens-
chen worden ist. Da wird ein willentliches Bild weise hat.“
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selbst in ihrem Alltag Sexismus erfahren oder Diese Frauen nehmen mit Sorge wahr, dass ein
beobachten. Während Männer dieses Milieus erheblicher Teil der Bevölkerung – vor allem
auch die Gleichstellungsdimension betonen, ist Männer, aber zunehmend auch Frauen – der
diese für Frauen der zentrale Hebel. In keiner Genderdebatte überdrüssig sind. Insofern gelte
anderen Gruppe ist der Link zwischen situativem es hier klug vorzugehen, um Brücken der not-
Alltagssexismus und strukturellem Sexismus so wendigen Diskurse nicht abzubrechen. Gleich-
eng wie hier. Aus ihrer Sicht muss die Sexismus- wohl halten sie Sexismus keineswegs für ein
debatte die Einheit von gleichstellungspolitischem Luxusthema im postmodernen Zeitalter, son-
und zivilbürgerlichem Diskurs sein. Konkrete dern für ein in Alltagskultur und Institutionen
Sphären sind für sie vor allem die geschlechter- tief verwurzeltes Grundübel.
asymmetrischen Strukturen am Arbeitsmarkt
sowie die Rollenteilung in Partnerschaft und In keinem Milieu wird der Zusammenhang von
Familie, ebenso Erziehung und Berufswahl, die Sexismus und Macht so eng gesehen, so diffe-
stereotype Geschlechterbilder erzeugen und renziert in wechselseitiger Kausalität analysiert
reproduzieren, die ihrerseits zwar nicht direkt, wie bei Frauen im postmateriellen Milieu. Eben-
aber mittelbar Sexismus im Alltag und in Medien so stark wird die strukturelle Etablierung von
befördern, beziehungsweise ihnen einen Rahmen Sexismus in unserer Gesellschaft thematisiert,
sozialer Akzeptanz und Normalität geben. die Normalisierung in vielen Bereichen, die eine
Persistenz der Ungleichstellung zwischen Frauen
Die in dieser Pilotstudie befragten Frauen haben und Männern erzeuge. Sexismus sei hier Folge
einen akademischen Abschluss (oder befinden und Ursache: Sexismus und Ungleichstellung
sich derzeit im Studium) in Politikwissenschaften, von Frauen und Männern seien sich wechsel-
Philosophie, Geschichte, Kunstgeschichte, Kunst, seitig stabilisierende Stützen sozialer Ungerech-
Musikwissenschaften, Sprachwissenschaften, tigkeit. Dies zeige sich nicht nur in Partnerschaf-
TV-/Radiojournalismus. Das Alter liegt zwischen ten mit traditionellen Geschlechterrollenbildern
19 und 52 Jahren. In diesem Milieu verstehen (auch der eigene Partner habe mitunter sexistische
sich Frauen als aufgeklärte, reflektierte, kritische Einstellungen, wenn er der Meinung sei, dass Toi-
Begleiterinnen des gesellschaftlichen Wandels. lette putzen, Staub wischen, Kinder versorgen pri-
Ausgeprägt ist eine für das konkrete Individuum mär Sache der Mutter sei, weil diese das von Natur
sensible, liberale Grundhaltung mit der Utopie aus besser könne), sondern in gleicher Dichte in
der Emanzipation von überkommenen Struktu- öffentlichen Sphären wie in Werbung, Ausbil-
ren der Unterdrückung und von Verkürzungen dungs- und Berufsberatungen, Einkommenschan-
des Menschseins. Mehr noch als Männer dieses cen im Lebensverlauf, Chancen auf Führungsposi-
Milieus halten „postmaterielle Frauen“ ein ganz- tionen sowie in der staatlichen Administration.
heitliches, sozial gerechtes und ökologisches
Leben für erstrebenswert. Zu den wichtigsten Beispielhaft weisen „postmaterielle Frauen“ auf
Prinzipien gehört Geschlechtergerechtigkeit. eine aktuelle Meldung hin, dass es bei der Steuer-
Doch hier diagnostizieren sie aufgrund persön- erklärung technisch problematisch sei, wenn sich
licher Erfahrungen im Alltag sowie durch fort- eine Frau zuerst in das Formular einträgt: Das
laufende kritische Wahrnehmung des gesellschaft- System, das die Steuererklärung auswerten soll,
lichen Zeitgeschehens (lokal, regional, national, stürzt beim Finanzamt ab. Die Finanzbeamten
europaweit, international) für Deutschland müssen die Zahlen von Hand in die dafür vorge-
sehenen Felder einfügen. Für diese Frauen ist dies
1. Rückständigkeit bei Gleichstellungszielen nur ein Symptom einer strukturellen und tief
im Vergleich zu anderen (westlichen) Ländern implementierten Schieflage, wie sexistisch deut-
sowie sche Steuerformulare im Allgemeinen und die
Steuersoftware im Besonderen seien. Die Ehefrau
2. einen erheblichen und institutionell ver- steht dort immer an zweiter Stelle, auch wenn
ankerten Sexismus, der sich beispielsweise sie mehr verdient als der Mann. An ihn adressiere
in hartnäckigen Rollenstereotypen zeige. das Finanzamt aber die Post, egal, ob er die Erklä-
rung gemacht habe oder wie viel er verdient. Für
„postmaterielle Frauen“ ist dies ein Beleg für die
Robustheit überkommener sexistischer Strukturen.
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Andere signifikante Beispiele seien etwa die Männer 90 Prozent aller Sätze. Frauen als Heldin-
Normalität, dass Frauen trotz gleicher Qualifika- nen eigener, also nicht stereotyp männlicher Art
tion wie Männer noch selten in Führungsposi- und Vielfalt seien selten. Das habe seine Ursache
tionen kämen, dass Frauen in fast allen Branchen vermutlich in sexistischer Filmförderung und in
und Hierarchiestufen schlechter bezahlt werden, Routinen der Drehbuchautoren. Und in deutschen
dass ihnen bestimmte Berufe weitgehend ver- Fernsehfilmen und -serien würden Frauen noch
sperrt werden – nicht aufgrund rechtlicher Hür- immer überwiegend in der Rolle präsentiert, auf
den, sondern aufgrund kultureller Barrieren. So der Suche nach einem Mann zu sein, während
gebe es kaum Dirigentinnen, Regisseurinnen oder Männer auch allein und einsam existieren, ohne
prominente „Star“-Köchinnen. An der Spitze von dass ihnen dies als Makel zugeschrieben werde.
Verbänden stünden meistens Männer; Hauptrol- Der „einsame Wolf“ ist akzeptiert, die „einsame
len in Kinofilmen haben meistens Männer. Es gäbe Wölfin“ ein Versagen der Frau. Natürlich habe
zwar reihenweise Filme mit Männern als helden- man mittlerweile oft eine starke Frau in das
haften Problemlösern, aber nur wenige Filme, Rollensetting eingebaut, aber diese sei lediglich
in denen diese Rollen mit Frauen besetzt seien – das Alibi, das von der Gesamtstruktur ablenke –
und wenn, dann würden Frauen die Merkmale und sie werde häufig so ausgestaltet, dass sie als
männlicher Helden imitieren müssen: Ausnah- abschreckendes Beispiel für Frauen in Führung
men würden von Gegnern der Emanzipation gelten.
konfirmatorisch als Gegenbeweis herangeführt.
Auch würden rein zeitlich in Filmen mehr männ- Ebenso hätten Forscher der Universität Yale
liche Hauptdarsteller gezeigt und hätten mehr kürzlich herausgefunden, dass eine naheliegende
Redeanteil als weibliche – eine performative In- Lösung von Frauen nicht darin bestehen könne,
szenierung hegemonialer Männlichkeit. Eine maskulines Auftreten zu imitieren. Die Unter-
Analyse von Hollywoodfilmen durch die amerika- suchung habe gezeigt, dass in Talkshows oder
nische Rechercheplattform The Pudding, bei der Radiobeiträgen die Zuhörer und Zuhörerinnen
2.000 Drehbücher analysiert wurden, habe gezeigt: eine Frau mit hohem Redeanteil als aggressiv
Bei drei Vierteln aller Filme haben Männer mehr empfinden. Männer würden für ihr Monologisie-
Sprechtext; in 15 Prozent aller Filme sprechen ren belohnt, Frauen bestraft. Von Männern werde
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vorbehaltlos erwartet, dass sie ihre Leistungen sexistischer Blick, wenn der „Adressat“ bezie-
hervorheben, offen für ihren Standpunkt eintre- hungsweise der „Gegenstand“ dieses nicht mit-
ten und dafür streiten. Frauen müssten bei dem- bekommt. Sexismus beginne im Kopf des Täters,
selben Verhalten mit Egotripvorwürfen rechnen. sei eine Frage der Einstellung und Haltung.
Nicht jeder sexistische Gedanke führt zur Tat.
Solche Erfahrungen machen sie selbst im beruf- Insofern werde auch zum Täter beziehungs-
lichen Alltag oder beobachten dies bei Kollegin- weise zur Täterin, wer sich seinen sexistischen
nen – gerade bei jenen mit hoher Qualifikation Gedanken hingibt, selbst wenn es kein konkretes
und je höher sie in der Unternehmenshierarchie „Opfer“ gibt oder die Adressaten einen Blick
sind: Mit Hosenanzug und „männlicher“ Rhetorik nicht bemerken. Opfer aber sei gleichwohl ein
sind sie schnell unbeliebt, gelten als hart, selbst- bestimmtes Geschlecht (unter anderem Frauen,
süchtig, dominant, karrieregeil, arrogant, unweib- Intersexuelle, Transsexuelle), seien Angehörige
lich, gar unsexy. Feminines Auftreten hingegen einer Geschlechterorientierung (schwul, lesbisch),
werde von Männern und auch einigen Frauen die als nicht normal stigmatisiert werden, seien
als durchsetzungsarm bis inkompetent verstan- Personen, deren Verhalten nicht den stereo-
den. Weil eine Frau in einer Führungsposition typen Erwartungen und Normen einer Gruppe
immer wahrgenommen werde im Horizont eines entspricht. (Beispiele: eine Frau, die dominant,
bestimmten vornormierten Geschlechterstereo- laut, bestimmend auftritt, die beruflich LKW-
typs „Frau“, habe sie, egal was sie tut, immer ein Fahrerin ist, Präsidentin eines Fußballvereins
Defizit: Tritt sie „wie eine Frau“ auf, hat sie einen oder Leiterin eines Technologieunternehmens/
Makel aufgrund ihres geschlechterkonformen ein Mann, der gern strickt, zurückhaltend und
Verhaltens; tritt sie „wie ein Mann“ auf, hat sie „zart besaitet“ ist, der Geburtshelfer ist, Erzieher
einen Makel aufgrund ihres geschlechterdevianten in einer Kita oder Putzkraft.)
Verhaltens. Das sei Sexismus, weil durch die mit
massiv normativen Rollenbildern aufgeladene Als Alltagssexismus fassen „postmaterielle Frauen“
Fundamentalkategorie „Geschlecht“ die individu- nicht nur die Tat des Täters/der Täterin, sondern
elle Person und ihre Leistung wertend überdeckt auch das duldende Schweigen all jener, die
und präjudiziert werde. Dazu werden Urteile über Sexismus beobachten und nicht intervenieren.
Frauen viel stärker als bei Männern bestimmt Die Akzeptanz von Sexismus sei sekundärer
durch äußerliche Merkmale wie Kleidung, Ausse- Sexismus. Wenn beispielsweise eine junge Frau
hen, Gestik, Mimik: Frauen werden hier „als Frau“ in der U-Bahn belästigt wird durch offensichtliches
kritischer wahrgenommen – von Männern und Starren auf den Ausschnitt, durch verbale Übergrif-
von Frauen. Sexismus sei auch, wenn eine Frau fe, durch ungewollte körperliche Berührung, sich
sich dieser Perspektive ausliefert, sie adaptiert dadurch ausgesetzt und unsicher fühlt, dann sei es
und ihr Handeln an ihr orientiert, um mögliche seitens der Beobachter sexistisch, dies zu dulden.
sexistische Reaktionen des Umfelds nicht zu pro-
vozieren, etwa bei der Kleiderwahl, im Auftreten Das führt zur näheren Bestimmung, was für
oder in der Kommunikation – beruflich und privat. Frauen im postmateriellen Milieu Sexismus ist.
Aus ihrer Sicht ist Sexismus eine Reduzierung
Der persönliche Sexismus im Alltag, den einer Person auf ihre Geschlechtszuschreibung,
Frauen aus diesem Milieu als Betroffene selbst ihre Geschlechterorientierung und/oder ihr
erfahren und innerhalb oder außerhalb ihres Geschlechterverhalten, bei der ihr – graduell
Milieus beobachten, wird aus Sicht „postmateriel- oder vollständig – Würde und Individualität
ler Frauen“ befördert durch vielfältige, miteinan- genommen wird. Man nimmt eine Person nur
der verschränkte Elemente in Infrastrukturen eindimensional wahr (in Bezug auf Sex oder
und Geschlechterrollen: Das bezeichnen sie als Gender) und behandelt sie als austauschbares
Struktursexismus. Objekt einer Geschlechterkategorie, als Instru-
ment oder Objekt für persönlichen Gebrauch,
Alltagssexismus ist aus Sicht „postmaterieller kommerzielle Interessen, soziale oder körperliche
Frauen“ nicht erst eine Tat, die von einem Opfer Befriedigung. Ausgangspunkt solcher Täter und
bemerkt wird und bei der es sich unwohl fühlt. Täterinnen seien vor allem heteronormative
Sexismus ist auch eine übergriffige Tat oder ein Vorstellungen von Mannsein und Frausein:
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
etwa mit Blick auf den Körperbau einer Frau oder herabwürdigenden Sexismus gibt und die Täter
eines Mannes, ihre oder seine Kleidung, Auftreten sich uneinsichtig oder arrogant zeigen, dann seien
und Stil, soziale Räume und das Rollengefüge im Emotion und Wut auch richtig und gefordert.
Privaten und Beruflichen. Diese Beschreibungen
in den qualitativen Interviews zeigen das Bestre- Männer dürften nicht pauschal verdächtigt
ben von „postmaterieller Frauen“, Sexismus als werden als aktuelle oder potenzielle Täter – das
methodischen Begriff und Messinstrument zu wäre ebenso Sexismus. Diesen Fehler habe eine
nutzen, um strukturelle und lebensweltliche Strömung des Feminismus in den 1960er/1970er
Faktoren sozialer Geschlechterungerechtigkeit Jahren gemacht; und diesen Fehler scheinen
zu verstehen und zu erklären. einige radikale Feministinnen im Sog der #MeToo-
Bewegung zu begehen. Damit würde nahezu
Gleichwohl ist es das ausdrückliche Ziel, keine alles, was Männer tun oder lassen, als sexistisch
Sittenpolizei und keine äußerlichen Kontroll- betrachtet und wäre fast jedes Verhalten von
mechanismen zu etablieren, sondern ein öffent- Frauen prinzipiell nicht sexistisch – beides allein
liches Bewusstsein für die Konsequenzen von aufgrund der Geschlechterzugehörigkeit. Inso-
Sexismus: Was macht Sexismus mit Betroffenen, fern sei es wichtig, die eigene „Sexismusbrille“
aber auch mit den Täterinnen und Tätern? Man immer wieder zu reinigen und auf Verzerrungen
solle dabei nicht bei den Betroffenen ansetzen, zu überprüfen.
sondern bei den Täterinnen und Tätern. Sexismus
fange im Kopf an und sei eine Frage der Haltung.
Daher seien Eindämmung und Ausmerzung von „Sexismus fängt schon damit an, wenn man
Sexismus ein Prozess der Selbstkontrolle und auf dieses Körperliche reduziert wird und nicht
Selbstzivilisierung – dazu aber bräuchten Täterin- Persönlichkeit und Charakter mit einbezogen
nen und Täter entsprechende Resonanzen ihres werden. Denn das gehört komplett zu einem
unmittelbaren Umfelds auf ihr intendiertes oder Menschen.“
tatsächliches Verhalten: Zu entwickeln sei ein
Gespür für die Person, die Gegenstand sexisti- „#MeToo und wie diese Frauen bewertet
scher Übergriffe und Begierden sei; es geht um werden: dass man Zweifel hat, was diese Frauen
die Kompetenz, sich hineinzuversetzen in die sagen! Wieso geht man davon aus, dass die
Perspektive des anderen und sich zu vergegen- Frauen keine valide Aussage getroffen haben?
wärtigen, wie unwohl sich diese Person bei einem Die Unterstellung, dass Frauen einem Mann
sexistischen Reiz oder Übergriff fühlt. Diese bewusst etwas Falsches vorwerfen, um ihm zu
Empathie durch Reziprozität der Perspektive zu schaden, selbst Vorteile zu haben, Publicity oder
schaffen sei ein stets unabgeschlossenes Projekt. so – diese Vorurteile und dieser Täterschutz sind
Dazu müsse aber in öffentlichen Diskursen das Sexismus gegen Frauen.“
Bewusstsein geschaffen werden (immer wieder
neu), dass Sexismus andere konkrete Individuen „Es begann mit diesen Anklagen aus der Holly-
und ein gesamtes Geschlecht herabwürdige. woodbranche und da ging es um Vergewal-
tigung und Nötigung. Mich hat gestört, dass
Vor diesem Hintergrund halten „postmaterielle ich irgendwann neben diesen krassen Vorfällen
Frauen“ die #MeToo-Debatte nicht für die zen- auch Tweeds gelesen habe wie ‚Der Typ im
trale Lösung oder gar einen Durchbruch. Aber Aufzug hat mich heute angeschaut‘. Da habe ich
die Debatte habe dem Prozess der Bewusst- mir gedacht: Wenn es für die schlimm gewesen
machung einen wichtigen Schub gegeben – so ist, ist es okay; aber da vermischt man gerade
irritierend und übertrieben einzelne Aussagen verschiedene Ebenen.“
im Zuge von #MeToo aus ihrer Sicht auch tat-
sächlich seien: Das sei Teil der Debattenkultur.
Selbstkritisch solle bei dieser darauf geachtet
werden, dass Alltagssexismus sachlich wahr-
genommen, bewertet und kommentiert wird –
jenseits aller Ideologie. Wenn es aber bewussten,
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
„Sind die armen Männer immer in potenzieller Ich habe mich dann woanders hingesetzt, habe
Gefahr, von den Frauen als Sexualstraftäter mich nicht getraut, zu ihm was zu sagen oder zu
dargestellt zu werden, obwohl sie das überhaupt andern was zu sagen. Und ich habe mich lange
nicht sind? Es würde mich wirklich interessieren, danach nicht getraut, es irgendjemandem zu
warum sowas immer wieder kommt. Ich denke erzählen, weil ich gedacht habe, dass die alle
mir oft: ‚Oh Gott, da muss man aufpassen, man denken: ‚Ja die, so schlimm wird es schon nicht
kann ganz schnell Rufmord am Mann begehen, gewesen sein.‘ Für mich war es schon schlimm.
da muss man sich nicht so anstellen, da muss Seitdem setze ich mich in der Bahn oder im Bus
man nicht wegen jedem Blick was sagen.‘ Die nie mehr an die Fensterseite, ich sitze immer am
Verantwortung wird immer wieder in die Hände Gang, damit ich aufstehen kann, wenn was ist.“
der Frau gelegt: WIR müssen was sagen, WIR
müssen uns wehren. ABER: Wir müssen über- „Bei meinen Großeltern ist es so, dass meine
haupt nichts tun – UNS wird was getan. Die Oma immer zu meiner Mutter sagt, immer wenn
Männer müssen sich ändern! Gesellschaftlich sie Streit mit ihrem Mann hat: ‚Ja, da musst du
muss sich etwas ändern!“ halt netter sein und eine Frau muss sich halt
fügen.‘ Oder mein Opa nach dem Essen: ‚Also,
„Mein Mann hat sich aufgeregt, dass ich die Frauen gehen jetzt in die Küche und die
zwei Nachmittage in Folge unterwegs war und Männer eine rauchen.‘ Sie symbolisieren das
ihm die Kinder dagelassen habe, obwohl er nach außen und die leben auch nach diesem
gerade in Elternzeit ist. Und er meinte, es reicht Bild und ich tue mich oft schwer, damit umzu-
eigentlich, wenn ich halbtags arbeite, weil die gehen, weil das doch sehr sexistisch ist. Oder
Mutter nach Hause gehört. Da fängt für mich mein Opa versucht auch immer, meiner Schwes-
Sexismus an, das ist Diskriminierung. Klar bin ter und mir auf den Hintern zu klopfen. Und ich
ich die Mutter, aber das heißt nicht automatisch, sage dann immer: ‚Nein, das möchte ich nicht.‘
dass ich zuhause am Herd stehen muss.“ Das sind halt immer so kleine Sachen.“
„Einer entfernten Kollegin von mir ist es vor „Zum Beispiel der Typ, der sich gerichtlich über
ein paar Tagen passiert. Die Situation ist so Frauenparkplätze aufgeregt hat. Ich fand das
gewesen, dass sie etwas aufheben wollte, und unmöglich, diese Parkplätze wurden ja wirklich
ist dazu vor ihm in die Knie gegangen; sie hat für Frauen abgestellt wegen einer Vergewal-
kein Dekolleté gezeigt oder so, war wirklich tigung. Und er als 26-jähriger junger Schnösel
bis oben hin zugeschlossen und dann guckte der bildet sich ein, er müsste da klagen. Ich weiß
so von schräg oben auf den Busen und hat ge- nicht, was so einen Menschen reitet. Das grenzt
meint: ‚Oh, du kniest vor mir!‘ Bei dem Mann hat auch an Sexismus, weil der überhaupt keine
man wirklich gesehen, dass ein Film abgegan- Ahnung hat. Dieses Männerding muss er dann
gen ist. Dieses Mädel ist rot geworden und auch durchsetzen, weil Männer haben genau so viel
rausgegangen. – Krass, dass ich erwähnt habe, Rechte wie Frauen. Dabei haben Männer wahr-
dass sie nicht mal ein Dekolleté hatte. Als wäre scheinlich noch viel mehr Rechte. Und wenn den
das wichtig. Schon allein das zeigt, wie schnell Frauen da zehn Parkplätze gestellt werden,
man in einer Rechtfertigungsblase ist.“ dann finde ich das unverschämt, zu sagen, das
geht nicht. So was macht mich voll wütend.“
„Ich hatte vor zehn Tagen ein Erlebnis in der
U-Bahn, da hat sich ein Mann neben mich „Ich habe lange Jahre als Tourismusguide
gesetzt, ganz nah neben mich. Das war mir so gearbeitet und hatte diese Koordinationsrolle
unangenehm, dass ich weggerutscht bin; habe und war in Uniform unterwegs zu einer Gruppe
noch gedacht, ja, kann ja mal passieren. Mit der in der Allianz-Arena, die auf uns gewartet hat.
Zeit ist er wieder immer näher zu mir gerutscht Und ich hatte drei Männer im Schlepptau.
und hat angefangen, mich mit seinem kleinen Klar, dass man bei Fußball vielleicht eher einen
Finger am Bein zu berühren, was mir furchtbar Mann erwartet. Aber es war klar, dass ich das
unangenehm war. Ich hatte eine kurze Hose an, koordiniere, weil meine männlichen Kollegen
aber sonst keinen großen Ausschnitt oder so. alle fünf Meter hinter mir waren. Und dann
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
habe ich unseren Ansprechpartner an der Tür dass seine Cousine mitwollte. Irgendwann hat er
gesehen und bin lächelnd auf den zu. Ich bin mir dann gesagt: ‚Das geht jetzt nicht!‘ Ich
auch nicht so schüchtern, dass man mich durfte da nicht mit, aber ich trinke auch sehr
einfach übersieht. Doch der hat an mir vorbei gerne Weißbier, auch vormittags, wenn ich
meinen männlichen Kollegen begrüßt und ihn gerade darauf Lust habe. Meine Mutter sagte:
gefragt, wie wir das jetzt machen. Und mein ‚Wir können uns ja einen Sekt aufmachen
Kollege hat gemeint: ‚Nein, sie ist die Koordi- zuhause.‘ Aber nein, das wollte ich nicht. Denn
natorin.‘ Das war ein krasses Gefühl. Und es das ist grundsätzlich so was von falsch. Und
gab keinen anderen Grund als mein Geschlecht. dann kam auch von ihr in der Argumentation:
Alles hat darauf hingedeutet. Das fand ich ‚Du gönnst ihnen das nicht, die wollen doch
wahnsinnig sexistisch.“ auch einfach nur mal beisammen sein.‘ Wie weit
weg das ist von diesem Reflexionsmoment zu
„Ich bin Sängerin und mir passiert es schon oft: sagen, darum geht es überhaupt nicht. Es geht
Leute, die bei einem Auftritt waren, haben mich um dieses Strukturelle, um dieses Institutionelle,
auf Facebook gefunden und schreiben mir das nur für Männer ist. Das ist krass, wie wenig
dann mit sexuellem Kontext. Zum Abschluss das reflektiert wird. Ich stehe dann da als ‚die
der Nachrichten heißt es dann oft: ‚Du bist ja aus der Stadt‘.“
Sängerin, tu nicht so: als ob du das nicht kennen
würdest!‘ Also viele Männer haben im Kopf: „Es ist schon auch sexistisch gegenüber der
Wenn eine Frau Sängerin ist, geht sie auch Männerwelt, dass man das Attribut Mann
gleich nach dem Auftritt mit jedem aufs Zimmer. haben muss. Einer meiner Brüder ist ein total
Das finde ich erniedrigend.“ sensibler Typ, der hat gerne Bonsais gezüchtet
und ist musikalisch. Ein bisschen ruhiger und
„Meine Schwester ist Ärztin und hat einen der trinkt auch nicht gerne Bier. Er musste sich
Posten als Chefärztin bekommen. Ihre Kollegen, dann immer verstellen, damit das nicht zu
die auch den Posten wollten, haben vorher und komisch wirkt.“
hinterher kritische Bemerkungen gemacht und
gefragt, warum sie den Posten als Frau bekom- „Attribute, die ein Mann haben muss, sind
men hat, sie sollte doch eigentlich die Kinder auf meistens so welche wie stark, groß, supertoll.
die Welt bringen.“ Bei Frauen ist es meistens: schwach, klein, die
schafft es nicht alleine, die braucht Hilfe von
„Mir ist es auf der Wiesn schon öfters passiert, einem anderen. Aber so ist es ja gar nicht. Ich
wenn es voll ist, dass man da auf den Gängen schaffe auch wirklich viel alleine, obwohl ich so
oder auf der Bank einfach angefasst wird. klein bin. Und so schwach bin ich auch nicht,
Meistens bin ich dann so perplex, dass ich über- dass ich mich nicht alleine rechtfertigen könnte.
haupt nicht weiß, von wem, und das ist schon Ich finde, dass es bei Frauen eben festgelegt ist,
öfters passiert. Ich finde das krass, dass die ‚Ihr seid schwach‘, und bei Männern ist es
Männer diese Situation so ausnutzen und einen einfach dieses ‚Ihr müsst stark sein!‘. Aber es
einfach anfassen.“ passt ja nicht jeder in diese Stereotype rein.“
„Wenn mal eine Feier ist bei meiner Oma auf „Wenn ich meinen Koffer trage, sagt ein Freund
dem Land und wir vor dem Essen in die Kirche von mir schon mal ‚Komm, ich nehm’ den‘ oder
gehen: Danach ist ganz klar, dass die Männer ‚Du kannst das doch nicht tragen‘. Natürlich ist
zum Frühschoppen gehen, und es ist ganz klar, das gut gemeint und es spricht nichts dagegen,
dass die Frauen alle mit den Kindern heimfahren wenn jemand das nett anbietet. Aber dieses ‚Du
und das Essen herrichten und auf die Kinder schaffst das nicht‘ finde ich erniedrigend. Wenn
aufpassen. Ich sehe das überhaupt nicht ein. ich nicht mal meine Tasche tragen kann, wo soll
Irgendwann habe ich es mal eskalieren lassen ich denn hinkommen im Leben?“
und gemeint, ich komme jetzt mit euch mit.
Mein Cousin hat da überhaupt nicht gewusst,
wie er reagieren soll. Dem war das so peinlich,
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
„Sexismus ist, dass man sich selber einschränkt Art von Witzen, das ist für mich eine ganz
bei der Klamottenwahl. Dass man zum Beispiel klare Art von Sexismus, zu sagen, ‚Die Frauen‘ –
sagt, ‚Nein, das ziehe ich nicht an, weil ich dann mit einer lächerlichen Note – und ‚die Männer
unangenehm bedrängt werde‘, eben um da nicht müssen es aushalten‘. Es sind da stets die
zu provozieren. Es sind die Erwartungen, die Frauen, die irrational handeln und unüberlegt
man an die Männer hat, wenn man sich falsch und die Welt nicht verstehen.“
anzieht. Wieso eigentlich ‚falsch‘? Wie verdreht
sind wir schon selbst? Das ist wahrscheinlich „In Musikvideos sind sie halt einfach nur
Sexismus bei mir selbst, wenn ich finde, dass Objekte, die im Hintergrund tanzen oder
das gesellschaftlich so ist. Und dann haben wir rumstehen. Und da ist dann auch nicht
Schuldzuweisungen an die Frau wegen eines zu irgendwie die Geschichte von dem Video,
kurzen Rocks. Zum Beispiel bei sexuellen Über- sondern die sind einfach nur zum Gutaussehen
griffen: ‚Sie hätte sich halt anders anziehen da. Das ist auch Sexismus.“
müssen, ja, selber schuld.ʻ“
„In dem Video ‚Blurred Linies‘ ist das so. Da gibt
„Sexismus hat für mich ganz viel auch mit es in Amerika und bei uns eine Clean Version.
Machtgefälle zu tun. Da kann Flirten eine Aber in der normalen Version ist es so, dass
Methode sein, um diese Machtverhältnisse Frauen in Unterhosen einfach nur so durch-
auszudrücken. Flirten ist ja was Legitimes an laufen die ganze Zeit. Das hat keinen Kontext
sich, aber es kann auch gemeint sein, um den und keinen Sinn. Warum sind die so nackt?
Wind aus den Segeln zu nehmen. Dann kommt Damit sich das Video verkauft. Aber das hat
noch dazu, dass ein Flirtversuch an sich nicht auch funktioniert, leider!“
sexistisch ist, aber wenn dann nicht auf die
Gegenreaktion, die eventuell nicht mehr drauf „Und was so Freizügigkeiten in der Öffent-
eingeht, gewartet wird, dann ist das sexistisch.“ lichkeit angeht: Oft sitzen ja auch in der Stadt
Männer ohne T-Shirt da, aber wenn sich eine
„Ich bekomme fast regelmäßig den Koller, wenn Frau im BH hinsetzen würde, würde es wahr-
ich an den Werbetafeln für eine Waschstraße scheinlich viel mehr Blicke geben. Oder eine
vorbeifahre. Da sind wirklich Frauen im String Frau, die mit vielen Männern was hat, die ist
und mit Sternchen auf den Brustwarzen und die dann eine ‚Schlampe‘, und ein Mann, der mit
putzen die Autos. Was soll denn das? Das gehört vielen Frauen was hat, ist dann ein ‚Weiberheld‘
doch verboten eigentlich! Das sieht aus, als und irgendwie cool, und der hat’s drauf.“
würde es in den Puff gehen und nicht in die
Waschstraße.“ „Ich war bis vor kurzem blond, richtig blond und
längere Haare. Dann habe ich das umfärben
„Im Sommer gab es eine Werbung mit einem lassen. Und dann habe ich wirklich von vielen
splitterfasernackten Mann, der lag auf dem Männern gehört, ‚blond war reizender‘. Aber
Bauch, also man hat seinen Po gesehen und der dann meinte mein Vater, er findet das besser,
hat eine Frauentasche verkauft. Das ist doch weil ich dann ernster genommen werde. Dafür
kein Grund, warum ich eine Tasche kaufe. Und ist Marilyn Monroe ein Vorbild gewesen, die
ich kann mir vorstellen, dass Männer umgekehrt war zwar total intelligent, aber sie hat sich so
das auch so sehen. Da ist eine nackte Frau, dann in diese Richtung verkauft. Fakt ist, die hat das
kaufe ich das, da bekomme ich die gleich dazu. total geprägt, dieses Blond-und-blöd-Ding.“
Sexistisch ist, dass es nur verkauft werden kann,
wenn die nackte Frau daneben steht. Die Frau „Man muss mehr in der Schule oder im
dient da nur als Werbeversprechen.“ Kindergarten das Bild stärken, dass Männer
und Frauen gleichberechtigt sind. Wenn man
„Radioshows am Vormittag sind furchtbar. in der Denkweise was ändern will, muss man
Da hört man so Sachen wie ‚Oh, meine Frau bei den Kindern ansetzen. Es geht darum, dass
hat wieder Schuhe gekauft‘ oder ‚Kauf’ dir Kinder bis 12 oder 14 diese Filme überhaupt
doch eine Handtasche, dann bist du glücklich‘. nicht sehen. Ich finde das provokant, wenn
Vermeintlich total harmlos, aber so albern Rosamunde Pilcher den ganzen Tag läuft und
und doch so präsent. Mario Barth, so diese nicht erst um 20.15 Uhr.“
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9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus
„Auch diese Crash-TV-Serien wie Frauentausch „Unter Frauen kann man sich auch nicht so
oder so. Da sind immer die Frauen zuhause. profilieren, wenn man sexistische Bemerkungen
Die wenigsten der Frauen gehen da arbeiten. macht. Männer nutzen das ja oft, um sich in
Es ist immer dieses Bild: Frauen-zuhause-und- einer Gruppe hervorzuheben. Unter Frauen
Männer-in-der-Arbeit. Ich glaube, dass da vieles ist das nicht so eingebettet.“
im Fernsehen zensiert oder nicht erlaubt werden
sollte, auch in der Werbung und in der Musik.“ „Taten von Männern gegenüber Frauen werden
viel schneller als übergriffig angesehen. Wenn
„Ich bin komplett gegen Zensur. Ich würde ein Mann einer Frau die Hand auf den Arm legt,
niemals etwas zensieren, auch wenn ich wird das schneller als unangemessen gesehen
überhaupt nicht dahinterstehe. Das finde ich als andersrum. Und ich glaube, deswegen ist die
ganz schwierig. Ich würde eher ansetzen bei Angst einer Frau, sich falsch zu verhalten, viel
Lernbedingungen, Kinderbetreuung für alle.“ geringer. Die Grenze von den Empfindungen
einer Frau ist ganz woanders.“
„Mein Mann lebt seinen Sexismus zuhause
schon aus, indem er meint, ich muss mich um
Kinder und Haushalt kümmern. Aber ich weiß, Wie wäre es, wenn es morgen keinen Sexismus
er ist mir immer zu 100 Prozent treu. Der hat mehr geben würde? Woran würde man das aus
mal in der Arbeit, also da hat sich die Sekretärin Sicht dieser Frauen merken? Was wäre anders?
an ihn rangeschmissen. Und das hat den voll Es wäre selbstverständlich, dass Frauen in Füh-
nervös gemacht. Er hat mir das mal erzählt, die rungspositionen sind, dass auch der Vater zuhause
setzt sich immer auf seinen Tisch und hat immer bleibt bei den Kindern, dass die Frauen mit zum
kurze Röcke angehabt und das hat ihn total Frühschoppen gehen. Geschlechterstereotype
genervt. Er hat sich bedrängt gefühlt und ist Zuschreibungen gäbe es nicht mehr mit ihrer
irgendwann zum Chef gegangen. Ihr war das heute drängenden Gewalt. Die Gesellschaft wäre
egal, die wusste ja, dass er verheiratet ist.“ offener, die Freiheit der Einzelnen wäre größer,
Frauen würden sind im Alltag sicherer fühlen.
„Ich finde die Aussage ‚Frauen können keine
Täter sein‘ auch schon sexistisch. Warum denn
nicht? Wenn sie gegen den Willen eines Mannes „Ich muss mir nicht mehr überlegen, was ich
handeln oder versuchen, ihn über Kommentare, anziehe oder wie ich mich zurechtmache, weil
Blicke oder Aussagen über sein Geschlecht ich keine Angst haben muss, dass irgendwie ein
kleinzumachen.“ blöder Kommentar kommt.“
„Ich glaube, dass sich Männer auch einfach „Die netten Komplimente müssen bleiben, aber
nicht trauen, was zu sagen, wegen der Gesell- die verschwinden dann ja auch nicht. Ich stelle
schaft. Es sind ja immer Frauen die Opfer, mir das schon schön vor.“
Männer sind ja größer, stärker und können sich
wehren. Ich glaube, viele trauen sich einfach „Ich denke, dass es generell ein netterer
nicht, was zu sagen, weil sie meinen, dass ihnen Umgang wäre.“
keiner glaubt.“
„Ich muss nicht mehr so viel über Grenzen
„Frauen als Täterinnen machen das nicht so nachdenken, wie hat er das gemeint und so.“
offensichtlich, nicht so brutal und eher hinten-
rum. Die machen das mehr ausgefeilt. Frauen „Es wäre viel entspannter,
denken sich eher ‚Ey, geiler Arsch‘, aber sie auch im Businessbereich.“
würden das nicht sagen. Ich glaube, Frauen
sind eher im Kopf sexistisch.“
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positivem Sexismus. Denn Sexismus ist für sie gehen sie das Risiko ein, Lustobjekt von Frem-
die natürliche und notwendige Basis einer den zu werden. Wenn sie sich hingegen nicht
aufgeklärten, modernen, freien Gesellschaft. schminken oder unweiblich kleiden, gelten sie
nicht als interessante Frau und als unattraktiv.
• Im Milieusegment „Benachteiligte“ und Einige haben den Eindruck, sich nichtsexy
„Hedonisten“ verbinden Frauen mit Sexismus verkleiden zu müssen, „um nur nicht dumm
vor allem Frauenfeindlichkeit, die bewusste angemacht“ zu werden. Egal wie sie sich kleiden
Ungleichbehandlung oder Ausschließung und ausrüsten, sie rechnen mit sexistischen
aufgrund des Geschlechts. Betroffene von Reaktionen.
Sexismus sind nach ihrer Erfahrung haupt-
sächlich Frauen – und sie selbst. In keinem
anderen Milieu ist die Bereitschaft, sich selbst
als Opfer von sexistischen Übergriffen zu outen,
so groß wie hier. Sie empfinden zudem großes
Unbehagen und Missfallen über mediale
Darstellungen von Frauen: Zum einen werden
Frauen inszeniert als erotische Objekte der
Begierde zum Zweck der Verkaufsförderung –
und dabei wird ein Leitbild von Frausein
geliefert, an dem eigentlich jede normale Frau
nur scheitern könne. Zum anderen werden
Frauen in Filmen und in der Werbung in einer
traditionellen Rolle dargestellt, die für ihr
Lebensglück einen Mann braucht, die ohne
diesen unzufrieden und unvollständig ist.
Frauen in diesen Milieus sehen sich in einem
Dilemma: Kleiden sie sich betont weiblich,
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11 Fazit
" Fazit
Der Begriff Sexismus ist weit bekannt. Es gibt sensystem, im Erziehungswesen mit Vorbildern
kaum jemanden, der dieses Wort noch nie gehört und Leitbildern sowie durch mediale Inszenierun-
hat; bei allen löst er spontan Bilder aus und gen von Mannsein und Frausein in Filmen und
aktiviert Einstellungen. Insofern ist der Begriff Werbung in unserem Bewusstsein Spuren hinter-
im Allgemeinbewusstsein verankert und müsste lassen und damit den institutionalisierten, norma-
eigentlich geeignet sein für einen gesellschaft- lisierten und damit unsichtbaren Sexismus auf
lichen Dialog zu dem Thema. Die Untersuchung Dauer stellen und verharmlosen.
aber zeigt, dass das Wort Sexismus für eine
gesellschaftliche Debatte nicht förderlich ist, weil Die Schwierigkeit für politische Akteure besteht in
es als Containerbegriff für alle weltanschaulichen der Zielgruppenansprache – darin aber liegt auch
Vorstellungen und (Feind-)Projektionen benutzt die Lösung: Eine politische Kommunikation mit
wird. Insofern besteht das Risiko, dass bei Verwen- der Zielgruppe der „Etablierten“ zum Beispiel wird
dung des Begriffs Sexismus in Debatten die be- mit dem Begriff Sexismus zunächst reflexhafte
stehenden gesellschaftlichen Gräben offengelegt Vorbehalte und Abwehr gegenüber dem Thema
und womöglich vertieft werden, ohne dass es erfahren. Auf den Begriff zu verzichten, wäre für
zu einer dialogischen Verständigung kommt. die Zielgruppe der „Postmateriellen“ aber fatal,
Allerdings bieten die bereits eingeschliffenen weil für sie der Begriff Sexismus ein strukturelles
Meinungen zu Sexismus die Chance, genau hier Problem benennt, für das ein anderes Wort zu
anzusetzen. Bei Verwendung eines anderen finden zwar praktisch, aber nur ein Ausweich-
Begriffs würden früher oder später dieselben manöver wäre: Letztlich würde auch eine andere
Gräben sichtbar werden. Wortwahl inhaltlich dieselben Mechanismen
beschreiben und würde bei jenen, die Sexismus
Beispielhaft deutlich wurde dies in diametral leugnen oder abwehren, dieselben Ressentiments
entgegengesetzten Positionen: auf der einen erzeugen. Damit stößt man auf den Befund, dass
Seite Männer im Milieu „Etablierte“ mit ausge- das Thema Sexismus eng mit der Weltanschauung
prägten oder latenten maskulistischen Haltungen, verknüpft ist: In welcher Gesellschaft wollen wir
die einen „positiven“ Sexismus für unverzichtbar leben? Eine gesellschaftlich von allen geteilte
halten (wie Luft zum Atmen) und derzeit eher gemeinsame Utopie gibt es offenbar nicht
wachsenden Sexismus gegen die ökonomische (mehr). Hier ist der gesellschaftliche Zusammen-
Ausbeutung von Männern durch Frauenförderung halt ein Stück weit verloren gegangen. Je nach
sowie eine kulturelle Diffamierung von Mann- Utopie und normativer Vorstellung von einer
sein sehen, sowie „etablierte Männer“, die die über guten und richtigen Gesellschaft sind die Filter
Jahrhunderte gewachsene und bewährte Hierar- für den Alltagssexismus unterschiedlich ausge-
chie von Mann und Frau betonen und sich eine bildet und kultiviert.
sexismusfreie Gesellschaft nicht vorstellen
wollen – mit dem Hinweis auf eine Gedanken-
und Sittenpolizei. Auf der anderen Seite Frauen
(und Männer) im Milieu „Postmaterielle“ mit
programmatisch antimaskulistischen Haltungen,
die zu einem Dialog darüber aufrufen, wie über-
kommene traditionelle Rollenpraktiken in der
Partnerschaft, in der Familie, im Lohnsteuerklas-
100
12 Untersuchungssteckbrief
# Untersuchungssteckbrief
A. Qualitative B. Quantitativ-reprä-
Untersuchung sentative Befragung
Für die qualitative Datenerhebung dieser Pilot- → Stichprobe: 2.172 Personen
studie wurden Gruppenwerkstätten durchge-
führt, vier Gruppenwerkstätten mit Frauen und → Stichprobenziehung: repräsentative geschich-
zwei mit Männern. Die Gruppenwerkstätten tete Zufallsauswahl (ADM) der Bevölkerung ab
mit Frauen waren milieukompatibel zusammen- 16 Jahren in zwei Stufen:
gesetzt aufgrund der Erfahrung, welche Milieus • zunächst zufällige Auswahl von Haushalten
in einer Gruppendiskussion konstruktiv mit- • dann im Haushalt zufällige Auswahl der
einander diskutieren können – bei möglichst Befragungsperson
geringen stilistischen Reibungsrisiken:
→ Befragungsform: persönliche Befragung
• „Traditionelle“ und „Bürgerliche Mitte“ (Face-to-Face; CAPI)
• „Benachteiligte“ und „Hedonisten“
• „Etablierte“ → Erhebungszeitraum: 3. bis 18. Dezember 2018
• „Postmaterielle“
→ Gewichtung nach aktuellen Daten des
Mit Männern wurden zwei Gruppenwerkstät- Statistischen Bundesamts (Mikrozensus)
ten durchgeführt: eine Gruppenwerkstatt mit (Bundesländer, Geschlecht, Alter, höchster
Männern mit einem akademischen Abschluss Bildungsabschluss, Berufsausbildung)
und eine mit Männern mit nicht akademischer
Berufsausbildung. Die Männer aus diesen Grup-
pen kamen aus folgenden sozialen Milieus:
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Impressum
Herausgeber:
Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
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11018 Berlin
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Artikelnummer: 4BR214
Stand: )¯¤úĊú 20ȩȧ, ȩ. Auflage
Gestaltung: www.zweiband.de
Druck: MKL Druck GmbH & Co. KG
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rufnummer 115 zur Verfügung. In den teilnehmenden Regionen erreichen Sie die 115 von Montag
bis Freitag zwischen 8 und 18 Uhr. Die 115 ist sowohl aus dem Festnetz als auch aus vielen Mobilfunk-
netzen zum Ortstarif und damit kostenlos über Flatrates erreichbar. Gehörlose haben die Möglichkeit,
über die SIP-Adresse 115@gebaerdentelefon.d115.de Informationen zu erhalten. Ob in Ihrer Region
die 115 erreichbar ist und weitere Informationen zur einheitlichen Behördenrufnummer finden Sie
unter http://www.d115.de.
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