Sie sind auf Seite 1von 104

Sexismus im Alltag

Wahrnehmungen und Haltungen der deutschen Bevölkerung

Pilotstudie
Sexismus im Alltag
Wahrnehmungen und Haltungen der deutschen Bevölkerung

Sozialwissenschaftliche bevölkerungsrepräsentative Untersuchung im Auftrag


des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Professor Dr. Carsten Wippermann


DELTA-Institut
für Sozial- und Ökologieforschung GmbH
Fischhaberstraße 49A
82377 Penzberg

HRB 187781, Amtsgericht München

Autor

Prof. Dr. Carsten Wippermann


carsten.wippermann@delta-sozialforschung.de
Inhalt

1 Einleitung 7

2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen 8

3 Beobachtung von Sexismus im eigenen Umfeld 16

4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag


und in den Medien 22
4.1 Sexismus im eigenen Alltag 22
4.2 Sexismus in den Medien 25
4.3 Sexismus oder Flirten? 28

5 Zwischenbefund 30

6 Sexismus selbst erlebt oder gegenüber anderen beobachtet 32


6.1 An welchen Orten Sexismus erlebt wird 34
6.2 Welche Formen von Sexismus erlebt werden 35

7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen 37


7.1 Anteil der Betroffenen, Häufigkeit der Übergriffe 37
7.2 Von wem sexistische Übergriffe kommen 42
7.3 Nach sexistischem Übergriff schon einmal Anzeige erstattet 44
7.4 Sich gegen Sexismus zur Wehr setzen 48
7.5 Kein „Opfer“ sein – die Tat stigmatisiert den Angreifer 50
7.6 Wunsch nach mehr Maßnahmen der Politik 50

8 Die aktuelle Sexismusdebatte 53


8.1 Ein polarisiertes und differenziertes Einstellungsspektrum 53
8.2 Einstellungen zu #MeToo 54

5
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen
in den Milieus 59
9.1 „Traditionelle“ und „Bürgerliche Mitte“ 61
9.1.1 Männer 61
9.1.2 Frauen 66
9.2 „Benachteiligte“ und „Hedonisten“ 71
9.2.1 Frauen 71
9.3 „Etablierte“ 74
9.3.1 Frauen 74
9.3.2 Männer 78
9.4 „Postmaterielle“ 84
9.4.1 Männer 84
9.4.2 Frauen 87

! Zusammenfassung 96

" Fazit 100

# Untersuchungssteckbrief 101
A. Qualitative Untersuchung 101
B. Quantitativ-repräsentative Befragung 101

6
1 Einleitung

1 Einleitung

Ausgangspunkt der Pilotstudie Sexismus im Alltag Inhaltlich werden Erfahrungen, Wahrnehmungen,


ist die Frage, was die Menschen in Deutschland Reaktionsmuster und Strategien im Umgang
unter Sexismus verstehen, ob und wo sie Sexismus mit Sexismus exploriert. Dabei geht es um die
in ihrem Alltag erfahren oder beobachten, welche subjektiven Wahrnehmungen und Typisierungen,
Möglichkeiten des Umgangs, der Bewältigung, wer die Opfer von Sexismus im Alltag sind, was die
der Vermeidung, der Vorkehrung sie sehen und Täterinnen und Täter charakterisiert, wo Sexismus
was ihre Vision von einer sexismusfreien Gesell- im Alltag vorkommt und wo nicht, was Orte,
schaft ist. Sozialräume und Situationen von Sexismus sind.
Es geht im Weiteren um präventive oder interve-
Der Rahmen einer Pilotstudie ist begrenzt, ihre nierende Maßnahmen, die Betroffene ergreifen
Funktion elementar: Da es zum Themenfeld (können) und auch um Maßnahmen, die Frauen
Sexismus kaum belastbare aktuelle sozialwissen- und Männer der Politik zur Vorbeugung gegen
schaftliche Untersuchungen gibt, ist es ratsam, Sexismus und zum Schutz vor Sexismus zuweisen.
vor einer umfangreichen Untersuchung dieses
Feld zu sondieren und erste Erkenntnisse zu In der durch Medienberichte beförderten und in
gewinnen. Diese können einerseits Grundlage allen sozialen Milieus verankerten Vorstellung
für politische Maßnahmen sein, andererseits sind meistens Frauen von Sexismus betroffen,
eine umfangreichere Untersuchung vorbereiten. die „Opfer“ sexistischer Übergriffe und Instru-
Dazu wurden qualitativ sechs Gruppenwerk- mentalisierung. Gleichwohl gilt es den Blick offen
stätten sowie quantitativ eine bevölkerungs- zu halten, dass Männer nicht nur Täter, sondern
repräsentative Befragung mit einem Stichproben- auch Opfer sexistischer Übergriffigkeit (verbaler,
umfang von 2.172 Personen durchgeführt. habitueller, physischer Art) durch andere Männer
und durch Frauen sein können.
Ein entscheidendes Element dieser Pilotstudie ist
es, keine wissenschaftliche Definition von Sexis- Die Kapitel 2 bis 8 beschreiben die Befunde aus
mus (kriminologischer, rechtlicher, psychologi- der bevölkerungsrepräsentativen Befragung, an
scher, kulturwissenschaftlicher, politischer oder einzelnen Stellen angereichert mit Erkenntnissen
soziologischer Provenienz) vorab zu setzen und aus der qualitativen Untersuchung. Das Kapitel 9 –
den Befragten vorzugeben. Eine solche Definition „Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellun-
könnte zu einer systematischen Verengung der gen in den Milieus“ – geht eine Stufe tiefer und
Perspektive führen und den Vorwurf welt- beschreibt auf der Grundlage der qualitativen
anschaulicher oder disziplinärer Einseitigkeit Gruppenwerkstätten mit Frauen und Männern
provozieren. Vielmehr wurde die Definition offen- aus verschiedenen Milieus deren Verständnis von
gelassen, um von den Menschen selbst zu erfah- Sexismus. Dabei werden nicht nur unterschied-
ren, was sie unter Sexismus verstehen, woran liche Dimensionen, Aspekte und Facetten von
sie Sexismus im Alltag erkennen, welche Verhal- Sexismus deutlich, sondern auch Gegensätze in
tensweisen sie als sexistisch deuten. Dazu gehört den Deutungen und Bewertungen, die tief in der
auch die Abgrenzung, was für sie kein Sexismus lebensweltlichen Milieulogik verankert sind.
ist. Wo verläuft die Grenze? Kapitel 9 kann auch unabhängig von den vorheri-
gen gelesen werden.

7
2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen

2 Was die Menschen unter


Sexismus verstehen
Die empirische Bestandsaufnahme zum Begriff Gemeinsam ist den subjektiven Definitionen von
Sexismus zeigt, dass nahezu jede und jeder dieses Sexismus, dass er kein Identifikationsbegriff ist,
Wort kennt. Bei allen löst es spontan prägnante, sondern ein Distanzierungsbegriff mit der Beto-
negativ behaftete Wortassoziationen, Bilder, nung, dass Sexismus moralisch zu verurteilen ist,
Szenen und Bewertungen aus. Trotz des termi- kulturell eine niedrige Stufe sozialer Beziehungen
nologisch unterbestimmten Wortgebildes (latei- darstellt und eigentlich in privaten und öffent-
nisch-englischer Wortstamm mit Ideologiekenn- lichen Räumen nichts zu suchen hat. Insofern
zeichnung anhand der Endung -ismus) ist dieses erzielt das Wort spontan Abwehr und Missbilli-
Wort fester Bestandteil im Sprachschatz. Durch gung. Begründet werden diese damit, dass Sexis-
die Unterbestimmheit des Wortes Sexismus mus ein Geschlecht pauschal beziehungsweise
eröffnet sich ein individueller Bedeutungshori- eine konkrete Person aufgrund ihres Geschlechts
zont. Jede und jeder hat Assoziationen zu Bildern, herabsetzt, erniedrigt, sie auf Äußerlichkeiten
Redewendungen, sozialen Situationen. Die reduziert und nicht als Person anerkennt, sondern
Vorstellungen zu Sexismus speisen sich für eigene Zwecke als Objekt instrumentalisiert.
Das sind aus Sicht der Bevölkerung vor allem
1. aus eigenen Alltagserfahrungen als Betroffene soziale Profilierung (sich im Kontext einer Gruppe
oder Beobachter, bei denen aktuelle indivi- beweisen durch herablassende Äußerungen),
duelle Ereignisse mit dem Label „sexistisch“ sexuelle Luststeigerung (vor allem Bilder, Wer-
gekennzeichnet oder frühere Erlebnisse als bung, Filme) sowie Dominanz- und Machtgebaren.
solche klassifiziert werden und bei denen
diese Typisierungen ein Orientierungs- und Gemeinsam ist den persönlichen Eindrücken
Deutungsrahmen für künftige ähnliche der Menschen auch, dass es kaum eine Sphäre
Situationen sind; unserer Gesellschaft gibt, die frei von Sexismus
ist. Sexismus ist omnipräsent und omnipotent im
2. aus medialen Berichterstattungen über reale Sinne einer „Gefahr“, die überall auftreten kann.
Ereignisse in der Welt, die sich dieses Schlag- Es gibt Sexismus im Privaten und in der Öffent-
worts bedienen als Überschrift, Deutung oder lichkeit, indoor und outdoor, in direkten per-
Verurteilung; sönlichen Interaktionen (Face-to-Face), medial
vermittelt am Telefon, online und in sozialen
3. aus medialen Kunstprodukten (Werbung, Netzwerken, strukturell industriell fabriziert in
Filme, Shows), die – aus ökonomischem Zeitschriften, in Filmen, in der Werbung sowie
Interesse – in instrumentalisierenden Weisen in der Unterhaltungsindustrie. Einerseits – so
männliche oder weibliche Personen als Figu- die Meinung – ist Sexismus „nicht gut und nicht
ren eines Geschlechts zeigen und sie dabei richtig“, andererseits lässt sich mit Sexismus Geld
(positiv oder negativ) stilisieren und damit verdienen, dient eine bestimmte und dosierte,
verkürzen. nonverbal mit Bildern arbeitende Form von
Sexismus der Verkaufsförderung. Und hier seien
Jede dieser Quellen wird in den Erzählungen der auch Frauen aktiv Mitwirkende, wenn dieses ihren
Menschen genutzt, um zu sagen und an Beispielen Interessen dient.
deutlich zu machen, was sie unter Sexismus ver-
stehen und wo dieser vorkommt. Dabei funktio- Zugleich ist Sexismus ein Sammelbegriff für
nieren diese drei Bezüge wechselseitig als Bestäti- verschiedene Formen der Übergriffigkeit und
gung der Realität und Omnipräsenz von Sexismus. Herabwürdigung des anderen Geschlechts:

8
2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen

zu lange und aufdringliche Blicke, eindeutig auf schön kleiden und nicht mehr erotisch wirken
Sex hinweisende Körperbewegungen und Gesten, wollen oder dürfen. Ein Mann spitzte das im
unerwünschte Körperberührung (an Po, Bein, Interview auf das Bild zu, alle würden dann die
Schulter etc.); eine derb-lästerliche Wortwahl nordkoreanische Einheitskleidung tragen. Eine
einer Person gegenüber; lustvolle oder kritisieren- andere Bruchlinie im (nur vermeintlich geteilten)
de Bemerkungen über die aufreizende Kleidung Verständnis von Sexismus ist, dass ein Teil der
einer Person; Bilder mit (halb)nackten Körpern Bevölkerung (Männer und Frauen)1 Sexismus
in Zeitschriften, auf Websites, in sozialen Netz- von Männern gegenüber Frauen als Folge eines
werken; heimliches Onanieren in der Öffentlich- allzu weiblichen Auftretens begreift – somit sind
keit (zum Beispiel am See) mit Blick auf eine Frau Männer die Opfer der Signale von Frauen. Würde
(oder einen Mann); Tuscheln in der Männerrunde man Sexismus vollständig verbannen, wären
über eine vorübergehende Frau (und vice versa) auch Schönheit und Spaß verbannt. Insofern geht
unter Ausnutzung der Gruppenstärke und als es diesen Männern und Frauen darum, nur die
Ausdruck von Überlegenheit; der Wunsch des allzu harten und allzu herabsetzenden, stilistisch
beruflich Vorgesetzten an eine Mitarbeiterin, unsittlichen und unfeinen Formen von Sexismus
sich zu schminken, kurze Röcke, ein Kleid oder zu brandmarken und zu verbannen.
enge Kleidung zu tragen. Zu Sexismus wird eine
Tat, ein Wort oder ein Bild, wenn darin nicht die Damit wird deutlich: Es sind nicht die äußerlichen
Person wahrgenommen wird, ihre Freiheit, Würde Handlungen „an sich“, sondern diese werden zu
und ihr Wille nicht respektiert wird, sondern sexistischen Handlungen
eine Person in ihrer geschlechtlichen Individua-
lität verletzt beziehungsweise als Angehörige 1. durch Motive und Ziele der Handelnden
(Repräsentantin, Ausprägung) eines bestimmten (der Täter);
Geschlechts und als reines Objekt behandelt wird.
Die Abwertung besteht in dieser Benutzung und 2. durch die Situation und die Beziehungs-
Instrumentalisierung und ist damit im Kern eine biographie der beteiligten Personen (eine
temporäre „Entmenschlichung“. Umarmung kann völlig normal und sexismus-
frei sein, wenn beide sich kennen und dies zur
In den Alltagsdefinitionen von Sexismus gibt es Beziehungsqualität gehört);
eine Oberflächenstruktur, die geschlechterüber-
greifend von Frauen und Männern geteilt wird: 3. durch die Interpretation im Kopf der
Sexismus ist ungut, persönlich herabsetzend Betroffenen.
und sozial zu verurteilen. Insofern ist eine Anti-
sexismushaltung eine sehr starke gesellschaft- Dieser dritte Aspekt ist signifikant für tendenziell
liche Norm vom Rang der Unbedingtheit und unterschiedliche Sexismusauffassungen von
festes Element im Kanon verbaler Political Frauen und Männern.
Correctness. Das mag ein Grund dafür sein, dass
diese Vokabel so gern verwendet wird, um das un-
erwünschte Verhalten anderer zu diskreditieren.

Blickt man hingegen in den sozialwissenschaft-


lichen Interviews tiefer, dann zeigt sich die eigent-
liche Mentalitätsstruktur, und hier offenbaren sich
vielfältige Risse und tiefe Gräben in Verständnis
und Akzeptanz von Sexismus. Bei dieser Tiefen-
struktur zeigt sich, dass ein Teil der Männer (und
Frauen) sich eine Welt ohne Sexismus langweilig
vorstellt: Frauen würden sich dann nicht mehr

1 Keineswegs alle Männer und Frauen! Es gibt Hinweise, dass diese Haltung nicht von der Mehrheit geteilt wird, sondern von einer relevanten
Minderheit, die es zwar in allen Schichten gibt, aber nicht in allen Milieus: primär in den Milieus der „Traditionellen“, „Konservativen“,
„Etablierten“ und der „Bürgerlichen Mitte“. Diese Anteile lassen sich mit den Befunden der Pilotstudie nicht quantifizieren.

9
2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen

Frauen  betonen, dass sie


übergriffige Erfahrungen
gelegentlich nicht als störend empfinden, sie emo-
Gegenüber als sexistischer Übergriff gedeutet
werden – und vice versa. In den qualitativen
Befragungen zeigte sich, dass Frauen und Männer
tional und mental beiseiteschieben, ignorieren, als bei vielen Spielarten selbst unsicher sind in der
lächerlich abtun – abhängig von ihrer Stimmung, Deutung, bei der sie falschliegen und die Wahr-
inneren Disposition und situativen Robustheit. nehmung beziehungsweise das Motiv des je ande-
Allerdings sind das Ausnahmen: Auch wenn einige ren missinterpretieren. Die meisten unterscheiden
Frauen von eigener Robustheit durch Gewöhnung klar zwischen Sexismus und Flirten, betonen
sprechen, empfinden und reflektieren die meisten dabei aber zugleich, dass für sie in konkreten Situ-
Frauen sexistische Übergriffe grundsätzlich als ationen die Grenze nicht immer klar und sicher
störend und herabwürdigend. Nur ihre persön- zu erkennen ist. Es gibt Grund zur These, dass es
liche Art der Aufnahme und des Umgangs variie- zwischen Flirten und Sexismus einen Überlap-
ren je nach Tagesbefindlichkeit. Der „Reiz“ (die pungsbereich gibt, dass beide nicht zwei diametral
Tat) war aber objektiv sexistisch. Es gibt allerdings gegenüberliegende Pole einer Dimension sind,
auch Frauen2 (meist mit sehr hoher Bildung im sondern zwei unterschiedliche Dimensionen mit
Milieu der „Konservativen“ und „Etablierten“), graduellen Ausprägungen darstellen. Es gibt einen
die nach eigener Aussage nirgends Sexismus Sexismus ohne Flirt, einen Flirt ohne Sexismus,
beobachten, selbst überhaupt nicht von Sexismus aber auch Sexismus in Gestalt des Flirtens – und
betroffen sind und dies teils ironisch, teils koket- das jeweils für beide Akteure einer Situation.
tierend bedauern.
Die Unterbestimmtheit des Begriffs Sexismus

Männer  aller Altersgruppen


hingegen (vor allem
mit mittlerer und geringer Bildung) betonen,
führt zu oft gegensätzlichen Verständnissen
dessen, was Sexismus ist, was nicht und wo die
Grenze verläuft:
dass eine Handlung nur dann sexistisch ist, wenn
die betreffende Person das auch bemerkt und sie Vor allem für jüngere Frauen in modernen
sich herabgewürdigt sieht. So sei beispielsweise Milieus („Postmaterielle“, „Performer“,
das Tuscheln über die erotische Kleidung einer „Expeditive“, „Hedonisten“) ist Sexismus
Frau, über ihre Köperform oder darüber, was ein weites Feld und wird eng assoziiert mit Fol-
man sich in der Phantasie mit dieser Frau oder gendem: ungleiche Bezahlung von Frauen und
einer Frau mit ähnlicher Figur so alles vorstellt, Männern, Unterrepräsentanz von Frauen in
nicht sexistisch, wenn diese Frau das gar nicht Führungspositionen, dass vor allem Frauen vom
mitbekommt. Sexismus beginnt für diese Männer Risiko der Altersarmut betroffen sind, Vergewal-
nicht schon im eigenen Kopf und liegt nicht in tigungen, körperliche und andere Formen von
der Haltung der Handelnden, sondern ist ein Gewalt gegen Frauen, das traditionelle Geschlech-
Effekt bei der Betroffenen. Wenn sich eine Frau terverständnis, in dem noch immer Frauen als das
von Gesten, Mimik, Worten oder Bildern in ihrer „schöne“ und Männer als das „starke“ Geschlecht
Würde als Frau oder als Person nicht herabge- gelten, ebenso strukturelle Benachteiligungen
setzt sieht, sich daran nicht stört, dies im Gegen- durch das Ehegattensplitting und das Lohnsteuer-
teil womöglich als erotisches Spiel, Flirten oder klassensystem. Insofern ist Sexismus auch von
Kompliment auffasst, so ist das für diese Männer rechtsrelevanten Themen wie Nötigung, struktu-
kein Sexismus (dies gilt analog im umgekehrten relle Ungleichstellung und Ungleichbehandlung,
Geschlechterverhältnis). Diskriminierung und Gewalt nicht scharf und klar
abzugrenzen, sondern ist im Alltagsverständnis
Ob eine Handlung Sexismus oder Flirten ist, lässt von Frauen und Männern aus den genannten
sich in der Regel nicht von außen feststellen und Milieus ein weites, vielgestaltiges, kohärentes Feld
kodifizieren (Ausnahmen sind sehr eindeutige, mit wechselseitigen Verzahnungen. Dem liegt die
extreme Zeichen). Was für einen Kommunika- Vorstellung zugrunde, dass die verschiedenen For-
tionsteilnehmer als Flirten gemeint ist, kann beim men der Benachteiligung von Frauen im Privaten

2 In den qualitativen Befragungen waren dies Einzelfälle.

10
2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen

und Beruflichen, auf persönlich-individueller auf die Homosexualität des Täters und/oder eines
und gesellschaftlich-struktureller Ebene, auch Opfers – in zwei Varianten:
im weltanschaulichen Blick auf Geschlechter-
unterschiede letztlich nur Ausdrucksformen 1. Männer werden von homosexuellen Männern
und Manifestationen eines Unterdrückungs- mit dem aufdringlichen Wunsch nach Sex
mechanismus sind, dessen Fundament ein kultu- belästigt;
rell tief verankerter Sexismus ist, der in unserer
Gesellschaft universell verbreitet ist. Insofern ist 2. homosexuelle Männer werden von hetero-
vor allem bei Frauen (und einigen Männern) in sexuellen Männern stigmatisiert beziehungs-
gehobenen Leitmilieus der Begriff Sexismus nicht weise herabgewürdigt, weil sie schwul sind –
fokussiert auf moralische Tabuverletzung durch somit nicht aufgrund ihres Geschlechts,
situative Entgleisungen bei persönlich-zwischen- sondern ihrer Geschlechtsorientierung.
menschlichen Beziehungen, sondern hat in nuce
eine gleichstellungspolitische und gesamtgesell- Umgekehrt betonen Frauen, dass Frauen
schaftliche Ausdehnung. Opfer von Sexismus anderer Frauen werden,
die ihnen verbal oder nonverbal vorwerfen,
Konträr dazu erkennt ein Teil der Männer dass sie sich nicht so kleiden, schminken oder
(vor allem ab mittlerem Alter sowie in tra- verhalten, wie man das als anständige oder „rich-
ditionellen und bürgerlichen Milieus) tige“ Frau tun sollte. Meistens lautet der Vorwurf,
unakzeptablen Sexismus nur in derb-verletzenden sich allzu aufreizend für Männer zu zeigen; selte-
Worten, Gesten und Bildern. Für sie ist Sexismus ner ist der Vorwurf, sich zu wenig weiblich zu
keine flächendeckende Grundströmung, sondern geben. Beides sind moralisch-stilistische Vorhal-
eine moralische Verfehlung einzelner Personen tungen und Übergriffe auf ihre individuelle
und Personengruppen. Dass es Sexismus auch Expression ihrer Geschlechtlichkeit.
in der Werbung und im Showbusiness gibt,
bestreiten sie nicht, sondern deuten diesen als Für einen Teil der Männer ist Sexismus
Instrument zur Absatzförderung und Gewinn- ein Kampfbegriff des Feminismus, der von
steigerung, was moralisch zwar bedenklich sei, Vertreterinnen und Vertretern dessen,
aber so funktioniere nun mal Wirtschaft. Sexis- was aus ihrer Sicht Genderideologie ist, verwendet
mus fällt für diese Männer primär in die Kategorie werde, um Männer zu bekämpfen und weiter zu
„persönlicher Anstand“, weniger in die Bereiche unterdrücken. Insofern sei der sprachliche Begriff
Zivilisation und gesellschaftskulturelle Struktur. Sexismus lediglich ein Propagandabegriff und
selbst eine Ideologie, die sich gegen Männer rich-
Hier zeigt sich eine weitere Diskrepanz tet. Solche Haltungen, die bei einer relevanten
zwischen Frauen und Männern: Beide Minderheit der männlichen (und weiblichen)
assoziieren mit Sexismus reflexhaft Bevölkerung in einer Untersuchung 2017 identi-
die sexorientierte Übergriffigkeit von Männern fiziert und quantifiziert wurden, sind Kern-
gegenüber Frauen und benennen dies als häufigste überzeugung der Strömung des Maskulismus.3
Beziehungskonstellation von Sexismus. Es sind Die Meinung, Sexismus sei ein Kampfbegriff des
aber fast nur Frauen, die darauf hinweisen, dass aggressiven Feminismus, ist nicht nur im relativ
es auch Übergriffigkeit von Frauen gegenüber kleinen Kreis radikaler Maskulisten und Masku-
Männern gibt. Dies blenden Männer aus fast allen listinnen vorhanden. Teile der Bevölkerung – vor
Milieus (von der Oberschicht bis zur Unterschicht) allem in der Oberschicht und der gehobenen
weitgehend aus. Sie ignorieren oder tabuisieren, Mittelschicht, insbesondere im Milieu der „Etab-
dass Männer Opfer sexueller Übergriffigkeit von lierten“ und der „Bürgerlichen Mitte“ – sind
Frauen sind. Wenn für sie Männer Opfer von Sexis- empfänglich für diese Position und vertreten sie
mus sind, dann durch andere Männer mit Bezug als Haltung selbstbewusst und souverän.

3 Vergleiche Wippermann, Carsten: Männer-Perspektiven. Auf dem Weg zu mehr Gleichstellung? Hg. vom Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend, Berlin 2017, Seite 59–63. Danach gehören 6,3 Prozent aller Männer und 1,5 Prozent aller Frauen zum engeren Kern
des Maskulismus, weitere 33,7 Prozent der Männer und 15,2 Prozent der Frauen sind empfänglich für einzelne maskulistische Einstellungen.

11
2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen

Die Gegenposition dazu vertreten erst in der Situation der Kommunikation existiert,
Frauen und Männer im Milieu „Post- sondern ebenso vorher und nachher – auf den
materielle“ (und eine Minderheit von sogenannten Hinterbühnen. Das sind beispiels-
Frauen im Milieu „Etablierte“): Für sie sind Leug- weise Situationen, in denen sich Männer in einer
nung oder Relativierung der aktuellen Diskrimi- Gruppe über die sexuellen Qualitäten bestimm-
nierung von Frauen das Kernelement einer neuen ter Frauen aus ihrem Umfeld oder den Medien
Form von Sexismus. Dieser Sexismus sei besonders bewertend austauschen, oder Situationen, in
perfide, subversiv und aggressiv, weil er eine schon denen sie – nachdem sie jemanden auf der Straße,
lange erreichte Gleichberechtigung behaupte und im Club, in der Kneipe, im Zug oder im Schwimm-
weitere Bestrebungen zur Durchsetzung von bad provozierend „angemacht“ haben, zum Bei-
Gleichberechtigung als unfaire Vorteilsnahme zu spiel durch Bemerkungen oder Hinterherpfeifen –
Lasten der Männer kategorisiere. Dieser Sexismus sich im Kreise der Vertrauten über ihre Performance
umfasst nach Auffassung von „postmateriellen verständigen. Aus einer reinen Männergruppe,
Frauen“ vor allem folgende fünf Aspekte: einer Frauengruppe oder aus gemischten Gruppen
heraus sich über ein Geschlecht lustig zu machen,
1. Leugnung, dass es eine fortwährende ist nach Auffassung vor allem von Frauen aus dem
Diskriminierung von Frauen gibt; Milieu „Postmaterielle“ die Wurzel von Sexismus,
2. Leugnung der Privilegien von Männern; ebenso das singuläre Stimulieren über Erotik-
3. Betonung der Privilegien von Frauen; magazine in Print, Video oder Chatrooms. Sexis-
4. Ablehnung der Änderung der sozialen mus beginnt für sie im Kopf, hat aber eine soziale
Geschlechterhierarchien sowie einer Dimension – zum einen, weil das andere (oder
substanziellen Änderung der Rollen von gleiche) Geschlecht insgesamt sowie mittelbar
Frauen und Männern in den verschiedenen konkrete Angehörige dieses Geschlechts objekti-
gesellschaftlichen Räumen; fiziert, verdinglicht wird, als Instrument der
5. das Zeichnen einer ernsthaften Bedrohung eigenen Erzeugung, Steigerung und Vergewisse-
durch einen aggressiven Feminismus, der rung von Lust oder Macht dient. Eine soziale
sozialistisch-revolutionär die Grundfesten Dimension hat dies zum anderen, weil sexistische
einer offenen, liberalen Gesellschaft Anspielungen und Angriffe im öffentlichen Raum
zerstören wolle. häufig aus einer Gruppe heraus erfolgen, in der
sich der oder die Einzelne in seiner Männlichkeit
Diese letzten beiden Positionen beschreiben Sexis- beziehungsweise in ihrer Weiblichkeit beweist und
mus nicht als situative Übergriffigkeit, sondern hervortut: Sexismus als Beweis für Stärke und
als strukturelle Übergriffigkeit. Dabei ist Sexismus Indikator von Zugehörigkeit. Von den Mechanis-
in den Horizont der Gleichstellungspolitik und men hinter der Bühne erfahren die Betroffenen in
alltäglichen Gleichstellungskultur gerückt. der Regel nichts – aber sie sind für einen relevan-
ten Teil der Bevölkerung ein substanzielles,
Die ersten Assoziationen und situativen Beschrei- ursächliches Element von Sexismus im Alltag.
bungen von Sexismus beziehen sich auf die
Vorderbühne des Geschehens, auf das sexistische Diese inhaltlichen Befunde sind die Folie, vor der
Auftreten gegenüber einer Person, die als beson- die spontanen Äußerungen der Untersuchung zu
ders sexy oder besonders unsexy, als besonders der Frage „Was ist für Sie Sexismus?“ zu lesen sind.
unweiblich oder besonders weiblich, als besonders Die folgenden Zitatauszüge illustrieren das breite
männlich oder besonders unmännlich verding- Spektrum und die Unterbestimmtheit des Begriffs.
licht, stigmatisiert und herabgewürdigt wird. Die angefügten Angaben zu Geschlecht, Alter und
Sexismus auf der Hinterbühne wird primär von Bildung zeigen, dass die Befunde zentrale Tenden-
jenen mit höherer, akademischer Bildung thema- zen und kulturelle Muster darstellen, man aber
tisiert.4 Vor allem im Milieu der „Postmateriellen“ nicht von der Soziodemographie auf die Sexismus-
betonen Frauen und Männer, dass Sexismus nicht einstellung schließen kann.

4 Die Begriffe Vorderbühne und Hinterbühne wurden von dem Soziologen Erving Goffman eingeführt und illustrieren die Darstellung des Selbst in
sozialen Situationen. Goffman, Erving: The Presentation of Self in Everyday Life. New York 1959. Ders.: Frame Analysis. An Essay on the
Organization of Experience, New York 1974. Ders.: Gender Advertisements, New York 1979.

12
2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen

„Sexismus soll bedeuten, dass man nur „Eingriff in meinen privaten Bereich durch
auf das Äußere der Frau schaut, sie auf unerlaubte Handlungen, körperlich oder verbal.“
ihre Figur reduziert.“ [Frau, 68 Jahre, Hauptschule]
[Mann, 31 Jahre, Abitur]
„Dass Männer den Frauen nachstarren und
„Die Meinung, dass ein Geschlecht sich alles erlauben können, nur weil sie meinen,
(das weibliche) dem anderen Geschlecht Männer dürfen das.“
(dem männlichen) unterlegen ist.“ [Frau, 63 Jahre, Studium]
[Frau, 24 Jahre, Studium]
„Auf das Aussehen reduziert zu werden.“
„Sexismus bedeutet für mich Vorurteile [Frau, 24 Jahre, Mittelschule]
und anzügliches Verhalten oder anzügliche
Äußerungen gegenüber Frauen oder auch „Sexismus ist die Benachteiligung aufgrund
anderen Minderheiten.“ von Geschlecht. Dies bedeutet NICHT, dass
[Frau, 32 Jahre, Mittlere Reife] eine Frau benachteiligt ist, wenn sie weniger
arbeitet und weniger verdient. Ich bezeichne
„Die Vorstellung, dass ein Geschlecht es erst dann als Sexismus, wenn eine gleiche
dem anderen von Natur aus überlegen sei. Leistung erbracht wird – gegen verschiedene
Diskriminierung, besonders von Frauen Entlohnung. Zudem sind meiner Meinung
durch Männer.“ nach in der momentanen Gesellschaft die
[Frau, 46 Jahre, Realschule] Männer die Benachteiligten, nicht Frauen.“
[Mann, 18 Jahre, Mittlere Reife]
„Der Glaube, dass Männer von Natur aus
Frauen überlegen seien.“ „Fehlende Gleichberechtigung.“
[Frau, 66 Jahre, Studium] [Frau, 25 Jahre, Studium]

„Sexismus ist ein maskulines Substantiv. „Unangemessene Darstellung von Frauen


Diskriminierung, hauptsächlich von Frauen oder Männern zum Beispiel in den Medien.
durch Männer, die auf der Vorstellung beruht, Beispielsweise, wenn eine Frau in sehr
dass ein Geschlecht dem anderen von Natur knappem Kleid mit großzügigem Dekolleté
aus überlegen ist.“ ein Produkt in einem Werbespot anpreist.“
[Mann, 43 Jahre, Mittlere Reife] [Frau, 20 Jahre, Abitur]

„Vorstellung, nach der ein Geschlecht dem „Belästigung eines Geschlechts mit Bildern,
anderen von Natur aus überlegen sei, und Worten, Berührungen.“
die Diskriminierung, Unterdrückung, Zurück- [Mann, 55 Jahre, Abitur]
setzung, Benachteiligung von Menschen, beson-
ders der Frauen, aufgrund ihres Geschlechts.“ „Sex ist etwas Normales.“
[Mann, 61 Jahre, Mittlere Reife] [Mann, 18 Jahre, noch kein Schulabschluss]

„Sexismus ist eine bewusste sexuelle „Wenn einer süchtig nach Sex ist und nur
Diskriminierung, wie zum Beispiel noch an Sex denkt.“
Vergewaltigung oder sexueller Missbrauch.“ [Mann 23 Jahre, Hauptschule]
[Mann, 22 Jahre, Abitur]
„Übertreibung von normalem Sex.“
[Mann, 55 Jahre, Abitur]

13
2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen

„Sexismus ist eine abgetrennte Art von der „Wenn Frauen aufgrund der Tatsache, dass
ganzheitlichen Liebe.“ sie Frauen sind, benachteiligt werden.“
[Mann, 58 Jahre, Studium] [Frau, 39 Jahre, Mittlere Reife]

„0berbegriff für alles, was mit Sex zu tun hat.“ „Sexismus sind Worte oder Handlungen am
[Mann, 67 Jahre, Abitur] anderen oder auch gleichen Geschlecht, die
die Würde und Ehre angreifen und die Person
„Viel reden über Sex.“ diskriminieren.“
[Mann, 42 Jahre, Mittlere Reife] [Frau, 38 Jahre, Studium]

„Sexbesessen.“ „Eine Frau herabwürdigen und schlecht


[Mann, 48 Jahre, Mittlere Reife] behandeln.“
[Frau, 47 Jahre, Mittlere Reife]
„Es kann gefährlich sein, aber sexistisch
zu sein, ist geil ficken.“ „Ich verstehe darunter Aussagen und Taten, die
[Mann, 38 Jahre, Studium] das andere Geschlecht in seiner Intimität und
Würde angreifen, zum Beispiel das unerlaubte
„Größter Blödsinn, den ich je gehört hab.“ Anfassen an intimen Zonen.“
[Mann, 20 Jahre, Mittlere Reife] [Frau, 63 Jahre, Hauptschule]

„Wenn mich eine Frau mit ihren Blicken „Frauenfeindliche Diskriminierung.“


auszieht und feucht wird, die Bitches.“ [Frau, 65 Jahre, Studium]
[Mann, 31 Jahre, Mittlere Reife]
„Wenn verschiedene Gruppen andere, egal
„Sexismus ist, wenn man zum Beispiel der welchen Geschlechts, angreifen, anfassen
Meinung ist, dass Frauen für den Haushalt oder belästigen beziehungsweise ihre sexuelle
und die Kinder sorgen müssen und nur die Richtung massiv beleidigen oder ihnen etwas
Männer arbeiten gehen.“ antun.“
[Frau, 16 Jahre, noch kein Schulabschluss] [Frau, 65 Jahre, Abitur]

In der Wahrnehmung von Sexismus seitens der Bevölkerung zeigt sich ein breites Spektrum.
Dieses ist vieldimensional aufgespannt, vornehmlich bestimmt durch folgende Pole:

In der Wahrnehmung von Sexismus seitens der Bevölkerung zeigt sich ein breites Spektrum. In der Wahrnehmung von Sexismus seitens der Bevölkerung zeigt sich ein breites Spektrum.

Dieses ist vieldimensional aufgespannt, vornehmlich bestimmt durch folgende Pole: Dieses ist vieldimensional aufgespannt, vornehmlich bestimmt durch folgende Pole:

spontan-eruptiv ↔ regelmäßig, ritualisiert auf eine einzelne Person auf ein Geschlecht
zielend ↔ insgesamt zielend
situativ ↔ strukturell institutionalisiert
bezogen auf bezogen auf
Geschlechtszugehörigkeit ↔ Geschlechtsorientierung
aggressiv (gewalttätig) ↔ spielerisch
das andere Geschlecht das gleiche Geschlecht
prägnant-konkret ↔ diffus-pauschal ↔
betreffend betreffend

14
2 Was die Menschen unter Sexismus verstehen

„Die Schande der heutigen Gesellschaft.“ „Verunglimpfung des anderen Geschlechts.“


[Mann, 49 Jahre, Studium] [Mann, 59 Jahre, Studium]

„Zum Beispiel wenn ein Mann aufgrund „Wenn Frauen auf ihre Sexualität minimiert
seines Geschlechts in der Berufswahl, werden.“
im Sorgerechtsstreit oder sogar in der [Frau, 42 Jahre, Mittlere Reife]
Werbung diskriminiert oder abqualifiziert
wird. Es kann auch gegen das Verhalten „Reduzierung von Frauen auf ihr Geschlecht
gerichtet sein, Stichwort Mansplaining5, und ihre Rolle als Sexualobjekt.“
Manspreading6, oder – was am schlimms- [Frau, 45 Jahre, Studium]
ten ist: wenn Männer mit dem Vorwurf der
Gewalt oder sexueller Übergriffe gegen „Gewalt.“
Frauen oder Kinder gesellschaftlich ver- [Frau, 67 Jahre, Mittlere Reife]
nichtet werden.“
[Mann, 48 Jahre, Mittlere Reife] „Ansichtssache.“
[Frau, 46 Jahre, Mittlere Reife]
„Jemanden bedrängen, verbal oder körperlich,
mit Sex oder anzüglichen Bemerkungen.“ „Ablehnung oder Verachtung
[Mann, 50 Jahre, kein Schulabschluss] Andersgeschlechtlicher.“
[Mann, 38 Jahre, Studium]
„Abfällige Anmache des anderen oder gleichen
Geschlechts auf Trieb ausgerichtet.“
[Mann, 51 Jahre, Mittlere Reife]

„Abfällige Bemerkungen über das


Aussehen oder das Geschlecht anderer
Personen.“
[Mann, 57 Jahre, Abitur]

5 Der Begriff Mansplaining bezeichnet herablassende Erklärungen eines Mannes, der fälschlicherweise davon ausgeht, er wisse mehr über den
Gesprächsgegenstand als die – meist weibliche – Person, mit der er spricht. Der Begriff benennt die in der Kommunikation häufig von Frauen
empfundenen Machtasymmetrien, deren zugehörige Ab- und Aufwertungswirkungen von Männern oft nicht bemerkt werden. Die Wort-
neuschöpfung entstand bei der Reflexion kommunikativer Machtausübung durch Männer. Inhaltliche Grundlage für die Wortneuschöpfung
war ein 2008 veröffentlichter Essay der amerikanischen Publizistin Rebecca Solnit. Der Neologismus setzt sich zusammen aus man (englisch:
‚Mann‘) und explaining (englisch: ‚erklären‘). Schon seit über einem Jahrhundert wird splain in nicht hochsprachlichen englischen Texten für
explain verwendet. Mansplaining hat im englischsprachigen Bereich parallele Wortschöpfungen nach sich gezogen wie Whitesplaining, was
Rassismus durch Weiße bezeichnet.
6 Der Begriff Manspreading setzt sich zusammen aus man (englisch für: ‚Mann‘) und spreading (englisches Verb to spread, dt. ‚spreizen‘). Mit dem
Begriff wird eine Angewohnheit mancher männlicher Fahrgäste bezeichnet, vor allem (aber nicht nur) in öffentlichen Verkehrsmitteln mit
gespreizter Beinhaltung zu sitzen, wodurch die Bewegungsfreiheit der Sitznachbarn eingeschränkt wird. Einige Autoren halten die gespreizte
Sitzhaltung für eine natürliche Folge des männlichen Körperbaus; andere hingegen deuten sie als Chauvinismus und Machtansprüche von
Räumen. Einige Wissenschaftler, wie etwa Ina Hunger, Professorin für Sport und Pädagogik an der Universität Göttingen, oder Paul Scheibelhofer,
Assistenzprofessor für Kritische Geschlechterforschung am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck, argumentieren,
dass das Manspreading anerzogenes beziehungsweise erlerntes Verhalten sei. Der Begriff Manspreading wird wegen seiner Stereotypisierung des
männlichen Geschlechts als sexistisch kritisiert. Ebenso wird kritisiert, dass ähnliche Verhaltensweisen, die primär von Frauen an den Tag gelegt
werden, von den „Manspreading“-Kampagnen meist ignoriert werden. Eine dieser Verhaltensweisen, die primär vom weiblichen Geschlecht aus-
geht, wäre beispielsweise das sogenannte She-Bagging, bei dem eine Frau ihre Taschen auf den Sitzflächen deponiert und somit Platz wegnimmt.

15
3 Beobachtung von Sexismus im eigenen Umfeld

3 Beobachtung von Sexismus


im eigenen Umfeld
Die Unterbestimmtheit des Begriffs Sexismus • wöchentlich beobachten ihn 18 Prozent
sowie die vielfältigen und diffusen Assoziationen der Frauen und 9 Prozent der Männer;
mit Blick auf den Begriff mögen Gründe dafür sein,
dass Frauen und Männer unterschiedlich häufig • mehrmals im Monat beobachten ihn 28 Prozent
Sexismus beobachten oder selbst erfahren. Die der Frauen und nur 15 Prozent der Männer.
Hälfte aller Männer nimmt im eigenen Umfeld
überhaupt keinen Sexismus wahr, aber nur ein Die Unterschiede sind statistisch signifikant und
Drittel der Frauen. Die Sensibilität für Sexismus ist inhaltlich höchst instruktiv, denn Frauen und
bei Frauen und Männern zum Teil – je nach Milieu- Männer leben zumeist in gemeinsamen Alltags-
zugehörigkeit – sehr verschieden, was ein Phäno- sphären. Sie erleben dieselbe Wirklichkeit, neh-
men geschlechtsspezifischer Alltagskulturen ist men sie aber anders wahr und deuten dieselben
sowie auf die Sozialisation zurückzuführen ist. Situationen unterschiedlich. Dabei gibt es keinen
neutralen Standpunkt, von dem aus sich objektiv
• Mehrmals pro Woche beobachten 12 Prozent beurteilen ließe, ob mangelnde Sensibilität
der Frauen (mehr als jede zehnte Frau) und mancher Männer oder Übersensibilität mancher
nur 5 Prozent der Männer Sexismus; Frauen diese Divergenz erzeugt.

16
3 Beobachtung von Sexismus im eigenen Umfeld

Sexismus ist – das zeigen die Alltagsdefinitionen und empfinden es als unangenehm, wenn jemand
der Frauen und Männer – interpretationsab- die Abstandsregel verletzt (einer Person zu nahe
hängig. Dies gilt sowohl für die Perspektive der kommt und wenn diese zurückweicht , um den
Täter wie für Betroffene. Es ist für die Fassung des Abstand zu vergrößern, dieser erneut zu nahe
Phänomens Sexismus elementar, sich klarzu- kommt). Bestimmte Personen wie etwa die Part-
machen, dass Sexismus im Kern eine Frage der nerin/der Partner, Eltern oder gute Freunde
Deutung und Auslegung von Worten, Gesten, dürfen meistens in diesen Raum eindringen; hier
Taten, Bildern ist – und damit Kommunikation. gelten andere Abstandsregeln, ebenso notgedrun-
Signifikante Symbole (George Herbert Mead) gen in spezifischen Situationen im vollgedrängten
werden von einigen mit einer bestimmten Bus, in der Bahn oder im Fahrstuhl. Genau dies
(semantischen und wertenden) Notation sexistisch sind Situationen, das zeigt unsere Untersuchung,
aufgefasst und in einen spezifischen Bedeutungs- in denen Frauen häufig Sexismus erfahren, wenn
horizont gestellt; für andere hingegen gelten sie beispielsweise eine fremde Person diese Situation
keineswegs als sexistisch oder nur minderen (aus)nutzt, um in ihren persönlichen Raum ein-
Grades. Damit ist für die kulturelle, politische und zudringen. Ein anderes Territorium ist die soge-
pädagogische Behandlung des Themas auf eine nannte Hülle, die nicht wie der persönliche Raum
elementare kommunikative Kompetenz hinzu- variiert, sondern unser Körper selbst ist. Auch
weisen: die Fähigkeit, sich in die Perspektive des bezogen auf die Hülle haben wir soziale Regeln,
anderen hineinzuversetzen und das eigene Reden wer uns berühren darf, in welchen Körperbe-
und Handeln daran auszurichten, wie dies reichen die Berührung erlaubt ist (und wo ein
vom Gegenüber wohl verstanden wird. Es spricht strengstes Tabu besteht), in welchen Situationen
einiges für die Hypothese, dass Sexismus vielfach Ausnahmen zulässig sind und wie lange Körper-
von Asymmetrie zwischen Tätern und Betroffe- kontakt erlaubt ist. Auch hier berichten die
nen begleitet ist und dass diese Asymmetrie Befragten in den Gruppenwerkstätten, dass sie
vornehmlich in Taubheit, Ignoranz oder Lust unter anderem in öffentlichen Verkehrsmitteln,
(alternativ: erotischem Egoismus, Überlegenheits- Fahrstühlen, Discos, Clubs und Konzerten immer
und Machtbedürfnis, wirtschaftlichem Profit) der wieder erleben, dass fremde Personen den dicht-
Täter und Täterinnen besteht, sich die Wirkung gedrängten Raum dazu nutzen, um in körper-
ihrer ausgesandten Signale auf aktuell oder lichen Kontakt zu kommen (gelegentlich auch,
potenziell betroffene Personen vorzustellen und um sich dabei sexuell zu stimulieren).
sie zu verantworten. Gleichzeitig ist zu betonen,
dass auch Betroffene nicht per se passiv sind, In der Alltagswahrnehmung der Frauen und
sondern in einem aktiven Deutungsakt bestimmte Männer gibt es neben dem persönlichen Raum
Signale als sexistisch deuten, dadurch mental und und der (Körper-)Hülle eine Reihe weiterer räum-
emotional ernsthaft verletzt werden und sich licher und symbolischer Reservate, die im Fall von
herabgewürdigt fühlen. sexistischen Übergriffen verletzt werden. Dazu
gehören beispielsweise Kommunikationsreservate:
Dieser Mangel an sozialer und moralischer Kom- Dies sind in der Alltagsdeutung der Bevölkerung
petenz erfährt im Lichte einer anderen Perspek- die Rechte eines Individuums, ein gewisses Maß
tive an Präzision: Die soziologischen Arbeiten von an Kontrolle darüber auszuüben, wer es wann zu
Erving Goffman zum Alltag (Everyday Life) zeigen, einem Gespräch auffordern kann und in welcher
dass wir im sozialen Miteinander sogenannte Sprache mit einem gesprochen werden darf – hier
Territorien des Selbst haben, die wir beanspruchen vor allem in Bezug auf die persönliche Nähe und
und verteidigen, die zum Bewahren unseres Selbst Geschlechterorientierung. Zum Kommunikations-
und unserer Würde sozialmoralisch (normativ) reservat gehört ebenso das Recht einer im Gespräch
geschützt sind und für die es eine Benutzungs- befindlichen Gruppe, nicht durch die Einmischung
ordnung gibt, die situations- und personenspezi- oder das Mithören anderer Personen behelligt zu
fisch variieren kann. Ein Beispiel ist der persön- werden. Dies gilt für analoge Gespräche, aber ein
liche Raum als Territorium, das den Körper eines solcher Regelkanon besteht auch im Internet –
Individuums umgibt und für das es Abstands- etwa mit Blick auf das Verschicken von Mails,
regeln gibt. So halten Gesprächspartner in der Einmischen und Auftreten in Chatrooms sowie
Regel den Abstand einer Armlänge voneinander das Verschicken von Texten und Bildern in digi-

17
3 Beobachtung von Sexismus im eigenen Umfeld

talen (sogenannte sozialen) Netzwerken. Hier zu deuten. Die beiden Relationen „Täter – Opfer“
berichten vor allem Frauen, dass sie dort Hate sowie „Männer – Frauen“ stehen in einem doppel-
Speech erleben, die sie in ihrer Würde angreift, ten asymmetrischen Deutungsverhältnis zueinan-
dass sie pornographische Bilder auf ihr Smart- der. Das führt dazu, dass Frauen deutlich seltener
phone oder ihren digitalen Account bekommen, als Männer Sexismus beobachten, bei dem Männer
dass sie im Alltag gelegentlich oder immer wieder das Opfer sind. Die Wahrnehmungsfilter führen
auf Personen treffen, die ihnen Face-to-Face dazu, dass Frauen bestimmte Verhaltensmuster
durch Wortwahl und Botschaft viel zu nahe treten bei Männern eher als (Facette von) Sexismus
und auch bei eindeutigen Zeichen der Abwehr gegenüber Frauen deuten als ein ähnliches Ver-
aufdringliche Hartnäckigkeit zeigen. Auch das halten von Frauen gegenüber Männern. Umge-
sogenannte Sexting, das unerwünschte Übersen- kehrt: Die Untersuchung gibt Grund zu der These,
den von Bildern mit sexuellem Inhalt via E-Mail dass in der Alltagskultur unserer Gesellschaft die
oder digitale soziale Netzwerke, ist nach Auffas- Aufmerksamkeit für Sexismus gegenüber Män-
sung von 82 Prozent der Frauen und 72 Prozent nern, was situative Übergriffe betrifft (aber auch
der Männer Sexismus. strukturelle Benachteiligung), nicht so ausgeprägt
ist wie für Sexismus gegenüber Frauen. Das hat
In der Wahrnehmung der Bevölkerung sind seine Gründe in den asymmetrischen Macht-
Frauen persönlich häufiger von Sexismus betroffen strukturen der Vergangenheit und Gegenwart.
als Männer. Auch in der Werbeindustrie werden
deutlich mehr Frauen als Männer als Objekte zur • 31 Prozent der Frauen beobachten mehrmals
Stimulierung von positiven Gefühlen und Lust in im Monat Sexismus gegenüber Frauen und nur
Print und Videoclips eingesetzt. Wenn gleichzeitig 12 Prozent solchen gegenüber Männern
Männer weniger Sexismus in ihrer Umgebung (Differenz von 19 Prozentpunkten).
beobachten, als Frauen das tun, dann hängt das
mit jenen bei Frauen und Männern offenbar • Umgekehrt beobachten 24 Prozent der Männer
unterschiedlichen Wahrnehmungsfiltern und Sexismus gegenüber Frauen und 17 Prozent
Kompetenzen zusammen, sich in die Perspektive solchen gegenüber Männern mehrmals im
des anderen hineinzuversetzen und die Signale Monat (Differenz von 7 Prozentpunkten).

18
3 Beobachtung von Sexismus im eigenen Umfeld

19
3 Beobachtung von Sexismus im eigenen Umfeld

20
3 Beobachtung von Sexismus im eigenen Umfeld

Dieselbe Wirklichkeit (Sexismus gegen Frauen/ Das bedeutet umgekehrt, dass 64 Prozent der
Sexismus gegen Männer) wird von Frauen und älteren Frauen und 56 Prozent der älteren Männer
Männern mit unterschiedlicher Sensibilität von Sexismus direkt als Opfer betroffen oder
wahrgenommen und gedeutet. indirekt als Beobachter involviert sind. 18 Prozent
der Frauen und 14 Prozent der Männer ab 65 Jah-
Die Kluft bei der Sensibilität für Sexismus ist ren nehmen mehrmals im Monat Sexismus in
zwischen Frauen und Männern am größten in ihrem Umfeld wahr. Auch wenn die Betroffenheit
jungen Jahren: Im Alter bis 24 Jahre beobachten ungleich auf die Generationen verteilt ist und
59 Prozent der Frauen und 39 Prozent der Männer die Formen unterschiedlich sein mögen: Sexismus
im eigenen Umfeld Sexismus mehrmals im lässt sich nicht auf eine Lebensphase oder eine
Monat (Differenz von 20 Prozentpunkten). Altersgruppe eingrenzen.
In den folgenden Altersgruppen geht Sexismus
(genauer: die Sensibilität dafür) signifikant zurück;
gleichzeitig wird der Gap in der Wahrnehmung
zwischen Frauen und Männern kleiner: Im Alter
von 25 bis 34 Jahren nehmen 44 Prozent der
Frauen und 32 Prozent der Männer in ihrem
Umfeld Sexismus wahr (Differenz von 12 Prozent-
punkten); im Alter von 35 bis 44 Jahren sind dies
26 Prozent der Frauen und 24 Prozent der Männer
(Differenz von 2 Prozentpunkten).

Die Untersuchung zeigt, dass „von Sexismus


betroffen“ assoziiert wird mit jungen Frauen und
jungen homosexuellen Männern sowie mit
Frauen im mittleren Lebensalter. Frauen und
Männer in reiferem, späterem Lebensalter kom-
men der Bevölkerung dabei nur selten und kaum
spontan in den Sinn. Dabei zeigen die Befragungs-
daten, dass im Alter ab 65 Jahren nur 36 Prozent
der Frauen und 44 Prozent der Männer in ihrem
Alltag überhaupt keinen Sexismus beobachten.

21
4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien

4 Moralische Empfindung von


Sexismus im eigenen Alltag
und in den Medien
Die repräsentative Pilotstudie zeigt, dass die große 36 Prozent der Männer) Sexismus in ihrem
Mehrheit der Frauen und der Männer Sexismus eigenen Alltag als „schlimm“ bezeichnen.
ablehnt. Es gibt, zumindest auf der öffentlich
kommunizierten Oberfläche, eine ausgeprägte Die Mehrheit empfindet Alltagssexismus als
und fast unwidersprochene Norm, dass Sexismus nicht schlimm, viele deshalb, weil sie nicht selbst
moralisch, ethisch und zivilisatorisch unakzep- betroffen sind. Hier zeigen sich zwei Momente:
tabel ist. Insofern hat eine (zumindest verbale)
Ablehnung von Sexismus den Rang des sozial
Erwünschten erreicht und kann Antisexismus als
soziale Norm betrachtet werden. Zugleich muss
1. Wer selbst keine sexistischen Übergriffe
erlebt hat, kann Sexismus nur von einer
distanzierten Warte aus beurteilen. Das erfolgt
sowohl dieser Schluss als auch die Verhaltenswirk- bei einigen mit dem bewussten Versuch, sich in
samkeit der Norm bezweifelt werden, wenn man die Perspektive der Opfer hineinzuversetzen, den
die Tiefenstrukturen betrachtet (dazu Kapitel 9) Übergriff und seine Folgen nachzuempfinden und
und den Blick darauf wirft, wie häufig Sexismus die Konsequenzen für die Person und Zivilisation
im Alltag beobachtet wird. Die Daten geben Grund zu reflektieren – und wird von ihnen als empa-
zu der Annahme, dass es eine Kluft zwischen thische Haltung, als Mitmenschlichkeit begriffen,
offizieller Haltung und eigentlicher Haltung zum gelegentlich mit moralisch-stilistischem Gestus.
Sexismus gibt sowie eine Kluft zwischen Ein- Die Mehrheit jener, die selbst keinem Sexismus
stellung und Verhalten. Letzteres meint die Gleich- ausgesetzt sind, kommentiert das Thema von
zeitigkeit von mentaler (moralischer, kultureller) einer anderen Warte aus – ebenfalls mit morali-
Verurteilung von Sexismus und sexistischer schem Gestus, aber meist, ohne sich in die Befind-
Verhaltenspraxis. Davon ist zu unterscheiden, lichkeit der Betroffenen hineinzuversetzen, und
ob Sexismus als schlimm7 empfunden wird. zugleich mit dem Habitus reflektierter Nüchtern-
heit: Sexismus ist schäbig und ungut, aber kein
Drama. 31 Prozent der Frauen und 32 Prozent
der Männer finden tatsächlich stattgefundenen
4.1 Sexismus im Sexismus „schlimm“ – hingegen bewerten 69 Pro-
zent der Frauen und 68 Prozent der Männer
eigenen Alltag sexistische Übergriffe im Alltag als „eher nicht
schlimm“ oder „überhaupt nicht schlimm“; hier
Es scheint paradox, dass zwar die Mehrheit der gibt es keine Geschlechterdifferenz. Diese Frauen
Bevölkerung Sexismus ablehnt und sich von Tat und Männer zeigen kaum Empathie für Betroffe-
und Tätern distanziert, dass aber nur 38 Prozent ne. Es gibt zwar kommunikative Phrasen des
der Bevölkerung (40 Prozent der Frauen, Bedauerns und Mitgefühls, aber die erweisen sich

7 Das Adjektiv schlimm, das zum Wortschatz des Goethe-Zertifikats B1 gehört, hat gemäß Duden (Stand 10/2019) vor allem die folgenden
Bedeutungsschwerpunkte:
1. schwerwiegend und üble Folgen nach sich ziehend;
2. in hohem Maße unangenehm, unerfreulich; negativ; übel, arg;
3. (in moralischer Hinsicht) schlecht, böse, niederträchtig.

22
4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien

in der sozialwissenschaftlich-hermeneutischen
Analyse als vordergründig, als nicht authentisch
und als Floskel.
2. Ganz anders die Sicht der Betroffenen:
Von jenen, die selbst mehrmals im Monat
von Sexismus betroffen sind, finden 74 Prozent
der Frauen und 64 Prozent der Männer Sexismus
Dieses gilt in besonderem Maße für jene, die zwar (sehr) schlimm. Erst eigene Betroffenheit erzeugt
nicht selbst von Sexismus betroffen sind, aber und steigert das Wissen über die negativen Folgen
diesen in ihrem Umfeld mehrmals im Monat für die Betroffenen. Es gibt aber auch 26 Prozent
gegenüber anderen beobachten: Von diesen finden der Frauen und 36 Prozent der Männer, die solches
43 Prozent der Frauen und 49 Prozent der Männer erlebt haben und als wenig oder überhaupt nicht
Sexismus im Alltag nicht schlimm. Umgekehrt schlimm beschreiben. Es gibt einen Schutz-
empfinden 57 Prozent der Frauen und 51 Prozent mechanismus, sich von Übergriffen und Angriffen
der Männer, die zwar nicht Opfer, aber Beobach- auf die sexuelle Selbstbestimmtheit und Würde
tende sind, Sexismus im Alltag als (sehr) schlimm. nicht betreffen zu lassen. Der Mechanismus
Die unmittelbare Erfahrung von Sexismus als besteht in der Zuschreibung der Harmlosigkeit
Beobachterin/Beobachter erhöht sowohl die (englisch harm = verletzen) solcher Übergriffe.
Empathie für Betroffene als auch für die Kritik Deutlich wird das in den qualitativen Interviews,
an Sexismus als Angriff auf Kultur und Zivili- bei denen vor allem Frauen beschreiben, dass sie
sation, und zwar stärker, als es die erfahrungsfreie, in solchen Situationen zwar besser offensiv auf
rein abstrakte Information vermag: Wer mittelbar verbale Kommentare oder Angriffe reagieren
erfährt, dass es Alltagssexismus gibt, diesen aber sollten, aber in der Regel darauf verzichten, weil
selbst nicht einmal beobachtet, zeigt wenig sie von der Situation zu überrascht sind, dem
Empathie für Betroffene und schätzt die Folgen Angreifer oder der Gruppe von Männern körper-
für die Alltagskultur als gering ein. Letztlich kann lich unterlegen sind und sich ohnmächtig fühlen –
das als banale Erkenntnis genommen werden: und vor allem, weil sich durch eine aktive abweh-
Eine eigene Erfahrung oder Beobachtung ist rende Reaktion die Situation für sie selbst zeitlich
eindrücklicher als eine abstrakte Information. verlängern würde und verschärfen könnte.

23
4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien

24
4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien

Sie wären dem Angriff und der Erniedrigung noch den Angriff auf seine Geschlechtszugehörigkeit.
länger ausgesetzt. Insofern besteht die Strategie Ein Geschlecht wird instrumentell missbraucht.
im Weitergehen, Ignorieren, Ausblenden, Ver-
drängen, aber auch in der Bagatellisierung der Erfährt man im eigenen Alltag öfter Sexismus,
Situation, um nicht Opfer zu sein. erhöht dies die Sensibilität für Sexismus in den
Medien: 85 Prozent der Frauen und 75 Prozent
der Männer, die monatlich Opfer von sexistischen
Bemerkungen, Gesten, körperlichen Attacken sind,
4.2 Sexismus in den nehmen medialen Sexismus als schlimm wahr.
Persönliche Erfahrungen von Sexismus steigern
Medien das Bewusstsein für sexistische Strömungen und
Strukturen jenseits der eigenen Lebenswelt sowie
Anders die Empfindungen gegenüber medialem für die Bedeutung von Medien, über die Sexismus
Sexismus: Obwohl sie nicht direkt als Person etabliert, institutionalisiert und damit gesell-
angesprochen werden, empfinden 75 Prozent schaftsfähig wird. Sexismus wurde und wird in
aller Frauen und 61 Prozent aller Männer Sexis- den Medien zur gesellschaftlichen Normalität,
mus in den Medien als schlimm. Die erotisch- gewinnt damit an Akzeptanz und verliert gleich-
laszive Darstellung von Frauen und Männern zeitig an Skandalisierungspotenzial und findet
als Sexobjekt und Luststeigerungsfaktor in in einigen Milieus Legitimation aufgrund seiner
Bildern, Filmen und (Werbe-)Botschaften zum Normalität und ökonomischen Nützlichkeit.
Zweck der Verkaufsförderung wird von der
Mehrheit der Bevölkerung als schlimm bewertet. Gegen diesen medialen Sexismus anzugehen,
In solchen medialen Darstellungen wird die wird einerseits in weiten Teilen der Bevölkerung
Würde des Individuums zwar nicht direkt gefordert oder trifft auf Verständnis, selbst bei
angetastet und herabgesetzt, aber indirekt durch der Mehrheit jener, die selbst keine sexistischen

25
4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien

Erfahrungen machen. Andererseits scheinen • 56 Prozent der Frauen erfahren im Alltag


solche Statements der Bändigung von medialem keine sexistischen Übergriffe auf ihre Person.
Sexismus bei einigen Teilen der Bevölkerung 68 Prozent von diesen betrachten zwar
primär Pauschalmoral zu sein – denn zugleich medialen Sexismus als schlimm, aber nur
werden (vor allem von Männern, aber auch von 31 Prozent alltäglichen Sexismus.
einigen Frauen) Bedenken geäußert, dass die
Alternative keine erotikfreie Wirtschaft und Ge- • 68 Prozent der Männer erleben nach eigener
sellschaft sein dürfe. In diesen Segmenten besteht Angabe keine sexistischen Übergriffe auf ihre
eine Gleichzeitigkeit verbaler Stigmatisierung von Person. 57 Prozent dieser Männer empfinden
medialem Sexismus einerseits und dem Festhalten Sexismus in den Medien als schlimm, aber nur
an seinem gesellschaftlichen Wert sowie seiner 32 Prozent Sexismus im eigenen Alltag. Für
wirtschaftlichen Funktion andererseits. 68 Prozent ist dieser harmlos, bedeutungslos –
oder gar spannend und lustig.
• 62 Prozent der Bevölkerung erfahren im
eigenen Alltag keine sexistischen Übergriffe Sexismus in den Medien wird (verbal) weniger
auf ihre Person.8 Von diesen bewerten 62 Pro- akzeptiert und mehr skandalisiert als Sexismus
zent zwar Sexismus in den Medien als schlimm im eigenen Umfeld – wenn man selbst im Alltag
(38 Prozent nicht), aber nur 32 Prozent Sexismus sexistischen Äußerungen und Übergriffen nicht
in ihrem alltäglichen Umfeld (68 Prozent ausgesetzt ist. Die Mehrheit jener, die keine sexis-
hingegen nicht). tischen Übergriffe erleben, verharmlost solche
Übergriffe im Alltag. Diese sind für sie entweder
eine abstrakte, theoretische Information oder eine

8 Näheres in Kapitel 7.

26
4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien

27
4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien

beiläufige Beobachtung bei anderen, werden aber 4.3 Sexismus oder


nicht als skandalös, ungut, negativ bewertet. Die
soziale Norm der Ablehnung und Stigmatisierung Flirten?
von Sexismus wird weitgehend auf die Medien
fokussiert und reduziert. Ist jede Form von Sexismus schlimm, moralisch zu
verurteilen und aus unserer Alltagskultur auszu-
Was bedeutet es, wenn medialer Sexismus im merzen? Und wie ist dies zu sehen für Rituale der
Vergleich zu alltäglichem Sexismus weit häufiger Beziehungssuche, bei der Attraktion und Eros ein
als ungut beschrieben wird? Die dokumentarische unverzichtbarer Teil der Alltagskultur sind, für
Analyse der qualitativen Interviews gibt Anlass zu die das Spiel an den Grenzen (den Territorien des
der Annahme, dass „die Medien“ für einen Teil der anderen Selbst) und Grenzübertritte Vorausset-
Bevölkerung eine Containerkategorie zur Adres- zung für das Anbahnen enger Beziehungen sind,
sierung von moralischen und stilistischen Über- was gemeinhin als Flirten bezeichnet wird? Diese
treibungen und Verfehlungen jedweder Art sind. Frage soll an dieser Stelle nicht philosophisch oder
kulturtheoretisch angegangen werden, sondern
Wer pauschal und diffus die Medien (oder die aus Sicht der Bevölkerung. 27 Prozent stimmen
Wirtschaft) moralisch kritisiert, erhebt sich der Aussage zu (3 Prozent sogar sehr stark), dass
selbst auf einen höheren Moralsockel und hat Sexismus nicht immer schlimm ist, sondern nur
zugleich eine Hauptursache für die Verführung eine Art von Flirten. Es gibt nach dieser Auffas-
von Menschen zu sexistischen Übergriffen im sung bestimmte Formen des Sexismus, die akzep-
Alltag ausgemacht. Das ist insofern spannend, tabel und harmlos sind, sogar notwendig, weil
als öffentliche Medien einer institutionalisierten sonst eine erotische Beziehung zwischen zwei
ethischen und juristischen Kontrolle unterliegen – Menschen unmöglich, weil (moralisch) verbotene
Alltagssexismus hingegen nicht. Grenzüberschreitung wäre. 33 Prozent aller Män-
ner und 22 Prozent aller Frauen sehen dies so.
Dabei wird in weiteren Untersuchungen der
Bereich der Medien zu differenzieren sein, Dem diametral entgegengesetzt ist die von
zumindest grobe Kategorien wie zum Beispiel 73 Prozent der Bevölkerung (von 32 Prozent sehr
stark) vertretene Einstellung, dass Flirten und
1. Massenmedien zur passiven Rezeption (unter Sexismus nichts miteinander zu tun haben. Für
anderem Fernsehen, Filme, Werbeclips, Werbe- sie ist die Aussage „Sexismus ist nicht immer
plakate, Websites), die zwar strategisch an schlimm, sondern auch nur eine Art von Flirten“
Zielgruppen adressiert werden, aber nicht an eine unzulässige Verharmlosung von Sexismus,
konkrete Personen; weil sie die beiden Sphären vermengt und einen
breiten grauen Übergangsbereich der Toleranz
2. persönlich adressierte Botschaften via E-Mail, und sogar der Notwendigkeit sexistischer Über-
Twitter, Facebook, Snapchat, WhatsApp, griffigkeit impliziert. 78 Prozent der Frauen und
Threema et cetera; 67 Prozent der Männer unterscheiden zwischen
der uneingeschränkt positiven Sphäre des Flirtens
3. Blogs und Foren im Internet; einerseits und andererseits der Sphäre des Sexis-
mus, die allerdings unterschiedlich bewertet wird.
4. Videogames: PC-Spiele oder Konsolen (zum Für manche ist Sexismus kategorisch negativ
Beispiel Xbox, Playstation, Nintendo Wii) sowie behaftet, für andere ambivalent, für andere lustig-
Hybridformen von PC und Konsole (zuletzt provozierend, für wieder andere dagegen ist
zum Beispiel Steam Machine). „Sexismus“ eine Kampfvokabel des offensiv-
aggressiven Feminismus oder aber in der Umkeh-
rung eine hilfreiche Methode, um die aus ihrer
Sicht richtige und vormals geltende, durch
Feminismus, Gleichstellungspolitik und Gender-
bewegung untergrabene und „pervertierte“
Geschlechterordnung wieder herzustellen.

28
4 Moralische Empfindung von Sexismus im eigenen Alltag und in den Medien

29
5 Zwischenbefund

5 Zwischenbefund

Sexismus ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl Was für Angehörige eines Milieus überhaupt nicht
von Darstellungs-, Ausdrucks-, Angriffs- und als sexistisch gilt, wird von Angehörigen eines
Übergriffs- und Herabwürdigungsformen. Eine anderen Milieus als sehr sexistisch aufgefasst.
klare, eindeutige, von (nahezu) allen geteilte Was beispielsweise Männer im Milieu „Hedonis-
Ablehnung von Sexismus gibt es in der Bevölke- ten“ als cool und witzig empfinden, wird von
rung aber nur bei einem engen Ausschnitt von Frauen im Milieu „Postmaterielle“ als sexistisch
Themen. Das sind Vergewaltigung, sexuelle herabwürdigend erlebt. Ein Aufeinandertreffen
Nötigung und gezielte Berührung körperlicher beider kann eine fatale unsexistisch/sexistische
Intimbereiche, somit bereits strafrechtlich rele- Kommunikationsirritation sein – je nach Milieu-
vante Delikte. Hingegen ist der weitaus größere perspektive. Der Deutungsgraben kann tief, breit
Bereich geschlechterorientierter Verletzungen und eklatant sein. An dem Beispiel wird auch
in der Bevölkerung divergent, sowohl in der deutlich, dass es Sexismus nicht nur von oben
faktischen Sortierung und Benennung (Ist etwas (Täter in gehobener Machtposition) nach unten
sexistisch, erotisch, flirten?) als auch in der norma- (Betroffene in geringerer Position) gibt, sondern
tiven Bewertung. auch von unten nach oben aus Rache oder als
subversiver Machtgebrauch zur Kompensation
Ob etwas als sexistisch gilt und kodifiziert ist, von Ohnmacht und Frustration.
hängt von der Deutung der Kommunikations-
zeichen ab. Damit ist Sexismus – in der Wahr- Zeichen, die sexistisch gemeint sein könnten, ob
nehmung der Frauen und Männer – ein von Fremden oder Vertrauten, lassen sich oft nicht
Beziehungsbegriff. Die sozialwissenschaftliche sicher als sexistisch identifizieren. Ein Beispiel:
Untersuchung kommt zu dem Befund, dass es Von jemandem sehr lange heimlich oder offen
nicht nur um Motive wie Macht, Erniedrigung beobachtet, betrachtet, angestarrt zu werden (im
oder Lustgewinn geht, sondern dass auch der Fitnessstudio, in der Bahn, am Badesee), kann
Lebensweltbezug eine entscheidende Rolle spielt. sexistische Motive haben, aber auch im Gegenteil
Lebenswelten (soziale Milieus) sind Deutungs- einfach Gefallen, Attraktivität, Interesse ausdrücken.
gemeinschaften bezüglich bestimmter Zeichen
und fassen Menschen zusammen, die sich in ihrer Aus Sicht der Bevölkerung ist Sexismus in seiner
Lebensauffassung und Lebensweise ähneln. Was Kernbedeutung definiert als Herabwürdigung
als sexistisch gilt, erfährt in jedem Milieu eine einer Person aufgrund der Geschlechtszugehörig-
(etwas) andere Deutung und Wertung; die Breite keit oder der Geschlechtsorientierung. Es gibt
und Tiefe sind milieuspezifisch, und zwar mit je die Stigmatisierung eines Geschlechts insgesamt
eigener Kodifizierung. Das erzeugt im Binnenraum sowie die sexistische Stigmatisierung einer Person,
eines Milieus eine weitgehend klare und einver- Letzteres aufgrund dessen, dass diese dem nor-
nehmliche Einschätzung, Distinktion und Stig- mativen Geschlechterbild des Täters beziehungs-
matisierung dessen, was als Sexismus gilt – jedes weise der Täterin nicht entspricht (Mangel) oder
Milieu hat eigene Wahrnehmungsfilter, Deutungs- aber in außerordentlich hohem Maße entspricht
muster und normative Reaktionsmuster kultiviert. (Übererfüllung), sodass diese Person als Objekt
der eigenen Bedürfnisse genutzt wird. Diese
Aber: Sexismus findet nicht nur im Binnenraum Instrumentalisierung bedeutet Verdinglichung.
eines Milieus statt, sondern auch – sogar meistens –
zwischen Menschen aus unterschiedlichen Milieus.

30
5 Zwischenbefund

In den qualitativen Gruppenwerkstätten dieser ausdrücken und formulieren): Gibt es das über-
Untersuchung beschreiben Frauen und Männer haupt: Flirten ganz ohne Instrumentalisierung
verschiedene Arten der Verdinglichung (der und Verdinglichung? Und wie ist das Verhältnis
Objektifizierung, also der Einordnung als bloßes von Macht und Sexismus – wer steht im Dienst
Objekt) einer Person, bei denen sich sechs haupt- des je anderen? Ist der Sexismus gegenüber dem
sächliche Muster9 zeigen: anderen Geschlecht nur eine von mehreren For-
men der Demonstration von Stärke, Überlegen-
1. Instrumentalisierung: Die Person gilt als heit, Macht? Oder liegt der Grund in einer weltan-
Werkzeug für eigene Zwecke (instrumentality); schaulichen (zum Beispiel politischen, religiösen)
Perspektive, die das eine Geschlecht grundsätzlich
2. Aberkennung der Selbstbestimmung des oder für bestimmte Bereiche als höherwertig
anderen (denial of autonomy, inertness); erachtet, dem anderen Geschlecht eine (unter
anderem sozial, sexuell, beruflich, familiär) die-
3. Besitzergreifung: die Person (ihr Körper oder nende Funktion oder gar die prinzipielle Uneig-
Körperteile, ihr Bewusstsein, ihr Gemüt) gilt nung zuschreibt, sodass bei bestimmten Themen
in der Situation temporär oder dauerhaft als das andere Geschlecht erst gar nicht in den Blick
Eigentum von jemand anderem (ownership); gerät, faktisch ausgeblendet und damit diskrimi-
niert wird (zum Beispiel Frauen in Führungs-
4. Reduktion auf Funktionalität, Austausch- positionen, Männer in Kitas)? Ist der Sexismus
barkeit: die Person ist ersetzbar, sie wird Zweck oder Mittel, causa finalis oder causa instru-
betrachtet als Figur und Material für eigene mentalis? In der Wahrnehmung der Bevölkerung
Interessen (fungibility); vermischen sich beide Kausalitäten.

5. Legitimität von Übergriffigkeit und


Verwundung: Zulässigkeit, die Person zu
beschädigen oder zu zerstören (violability);

6. Leugnung des Subjektstatus: Desinteresse


für Gefühle, Gedanken, Erfahrungen und Ziele
der betroffenen Person (denial of subjectivity).

Objektifizierung in diesem mehrdimensionalen


Horizont hat eine spezifische Charakteristik,
wenn man unter Sexismus jede Diskriminierung
von Menschen aufgrund ihres zugeschriebenen
Geschlechts fasst. Darunter fallen dann auch
Geschlechterrollen, strukturelle Ungleichbehand-
lung sowie hierarchisierende Ideologien der Über-
und Unterordnung der Geschlechter qua Natur.

Die genannten Muster sind fließend. So ergeben


sich aus Sicht der Bevölkerung im Alltag erheb-
liche Schwierigkeiten, etwa diejenige, zu erkennen,
was (ungeschicktes) Flirten ist und was Sexismus –
was zu Orientierungsunsicherheit führt, und zwar
in jeder Situation immer wieder neu. Dabei stellen
sich Frauen und Männer in fast allen Milieus fol-
gende Frage (die sie sprachlich je milieuspezifisch

9 Diese korrespondieren mit Objektifizierungsformen, die einst die Philosophin Martha Nussbaum identifiziert hat. Vergleiche Nussbaum, Martha:
„Objectification“. In: Philosophy and Public Affairs, Herbst 1995; 24, Research Library Core, Seite 249–291.

31
6 Sexismus selbst erlebt oder gegenüber anderen beobachtet

6 Sexismus selbst erlebt oder


gegenüber anderen beobachtet
Frauen und Männer, die Sexismus erleben oder anderen Orten oder in anderen Branchen und
beobachten, nehmen unterschiedliche Formen Berufen als jene, die keinen solchen Sexismus
von Sexismus wahr und differenzieren: wahrnehmen. Ist Sexismus somit eine Frage
mangelnder Sensibilität oder überempfindlicher
1. Alltagssexismus gegenüber konkreten Interpretation? Diese Frage lässt sich von keinem
Personen neutralen Standpunkt aus beantworten, denn das
a) durch Unbekannte, Verständnis von Sexismus ist sehr breit und unter-
b) durch Bekannte und Freunde, schiedlich. Der Befund zeigt aber, wie dringlich
c) durch Angehörige. eine öffentliche, lebensweltliche und gesamt-
gesellschaftliche Auseinandersetzung darüber
2. Struktureller Geschlechtersexismus durch ist, was als Sexismus gilt, was nicht, wo die
gesellschaftliche, betriebliche und private Grenzen verlaufen und warum.
Rollenzwänge mit der Folge der systema-
tischen Benachteiligung aufgrund der Ge- Deutlich mehr Frauen (63 Prozent) als Männer
schlechtszugehörigkeit. (49 Prozent) nehmen Alltagssexismus gegen sich
oder andere wahr. Damit wird deutlich, dass eine
3. Medialer Sexismus durch Produktion und dialogische und kritische (unterscheidende)
Einsatz geschlechterstereotyper Bilder, Auseinandersetzung über Sexismus nicht nur
Filme, Shows und Botschaften zum Zweck zwischen den Geschlechtern, sondern auch
der Verkaufsförderung und für das Absatz- innerhalb eines Geschlechts notwendig ist; nicht
marketing von Produkten – dies zeigt sich vor nur zwischen Menschen aus unterschiedlichen
allem in der Wirtschaft sowie in der Unter- Bildungs- und Einkommensschichten, sondern
haltungsindustrie von Film und Fernsehen. auch innerhalb einer sozialen Schicht; nicht nur
zwischen Menschen aus verschiedenen Milieus,
4. Nutzung professioneller Prostitution als sondern auch innerhalb eines Milieus.
systematische Verdinglichung von Menschen
als Instrumente sexueller Bedürfnisse und Eine differenzierte Betrachtung zeigt, dass der
Phantasien. Bildungsabschluss einen erheblichen Einfluss auf
Erleben und Wahrnehmung von Alltagssexismus
Sexismus ist für die meisten omnipräsent. Aber hat: Je höher die Bildung, umso häufiger haben
einen an konkrete Personen adressierten Sexis- Frauen und Männer schon Übergriffe gegen sich
mus in ihrem persönlichen Umfeld beobachtet oder anderen gegenüber erlebt. Es gibt statistisch
nur ein Teil der Frauen und Männer: 56 Prozent einen starken positiven Zusammenhang zwischen
aller Frauen und Männer im Alter ab 16 Jahren Bildung und Sexismussensitivität. Das zeigt sich
haben in ihrem Umfeld sexistische Übergriffe analog bei anderen soziodemographischen Merk-
anderen gegenüber beobachtet oder waren selbst malen, wie Einkommensschicht und Berufsposi-
betroffen. 44 Prozent zucken die Schulter und tionsschicht. Das führt zur Frage: Steigt mit der
sagen in Befragungen, dass ihnen Sexismus gegen sozialen Position das objektive Risiko von Sexis-
konkrete Personen in ihrem Umfeld noch nie mus beziehungsweise entwickelt und entfaltet
untergekommen ist. Das scheint merkwürdig, sich Sexismus mit zunehmender Hierarchiestufe?
denn jene, die Sexismus beobachten oder selbst Oder steigt mit der sozialen Lage die differenzierte
erfahren, leben beziehungsweise arbeiten nicht Wahrnehmung von verschiedenen Signalen und
in anderen Milieus, in anderen Schichten, an Zeichen, die als sexistisch interpretiert werden?

32
6 Sexismus selbst erlebt oder gegenüber anderen beobachtet

Eine Antwort liefert der Befund, dass Männer mit im Alltag Sexismus selbst erfährt oder beobachtet,
geringem Bildungsabschluss nur zu 29 Prozent nimmt bei Männern der unteren Bildungsschicht
Sexismus im Alltag wahrnehmen und mehrheit- weniger als ein Drittel solchen Sexismus wahr.
lich nur Männer mit Abitur oder Studium (53 Pro- Auch in akademischen Bildungsschichten nehmen
zent). Das scheint bei Frauen ähnlich zu sein, denn 53 Prozent der Männer und 71 Prozent der Frauen
Sexismus diagnostizieren am häufigsten Frauen Sexismus im eigenen Umfeld wahr. Diese Diffe-
mit akademischer Ausbildung (71 Prozent), dann renzen lassen auf unterschiedliche Sensitivitäten
jene mit Abitur ohne Studium (68 Prozent) und für Alltagssexismus bei Männern und Frauen
am wenigsten jene mit Hauptschulabschluss oder schließen. Die Sensoren und Deutungsmuster sind
ohne Schulabschluss (53 Prozent). Während also in unterschiedlich voreingestellt und trainiert für
allen Bildungsschichten die Mehrheit der Frauen sexistische Zeichen der verschiedenen Arten.

Haben Sie schon sexistische Übergriffe gegen sich oder anderen gegenüber erlebt?

Männer (ohne Schüler), Angaben in Prozent

Bildungsabschluss Kein Abschluss/ Weiterführende Abitur, Fachhochschul- Studium


Hauptschule Schule ohne Abitur reife ohne Studium (Diplom, Staatsexamen,
Bachelor, Magister

Ja 29 43 53 53

Nein 71 57 47 47

Frauen (ohne Schülerinnen), Angaben in Prozent

Bildungsabschluss Kein Abschluss/ Weiterführende Abitur, Fachhochschul- Studium


Hauptschule Schule ohne Abitur reife ohne Studium (Diplom, Staatsexamen,
Bachelor, Magister

Ja 53 55 68 71

Nein 47 45 32 29

33
6 Sexismus selbst erlebt oder gegenüber anderen beobachtet

6.1 An welchen Orten Es gibt Grund zur Hypothese, dass die eigene
Wohnung als Tatort von Sexismus tabuisiert wird
Sexismus erlebt wird oder dass solche Vorkommnisse nicht gegenüber
anderen – zum Beispiel in sozialwissenschaft-
Sexismus ist zwar omnipräsent, aber nicht an allen lichen Befragungen – erwähnt werden. Das Ver-
Orten in gleicher Dichte und Häufigkeit. Frauen schweigen und Tabuisieren erfolgt zum Teil aus
erleben Sexismus vor allem an öffentlichen Plät- Scham, Sexismus auf eigenem Terrain zugelassen
zen durch Unbekannte (46 Prozent), am zweit- zu haben (dies würde vor allem bei Männern als
häufigsten am Arbeits- oder Ausbildungsplatz Schwäche und männlicher Makel ausgelegt), oder
durch Kolleginnen und Kollegen oder durch um den Partner beziehungsweise die Partnerin,
Vorgesetzte (41 Prozent) sowie in öffentlichen die Eltern oder auch Großeltern nicht öffentlich
Verkehrsmitteln (30 Prozent). Der häufigste Ort oder Bekannten gegenüber zu beschädigen.
sexistischer Übergriffe ist für Männer hingegen
der Arbeits- und Ausbildungsplatz (45 Prozent); Umgekehrt ist der Sport vor allem für Männer ein
erst dann folgen öffentliche Plätze (42 Prozent) Bereich, in dem sie durch Bemerkungen, Gesten,
und öffentliche Verkehrsmittel (29 Prozent). Handlungen und Ähnliches in ihrer Männlichkeit
sexistisch herabgewürdigt und verletzt werden:
Auch die eigene Wohnung ist ein Ort sexistischer 18 Prozent der Männer, die im Alltag Sexismus
Übergriffigkeit verbaler oder körperlicher Art, erleben, ordnen dies dem Sport zu, hingegen nur
besonders für Frauen. 12 Prozent der betroffenen 10 Prozent der Frauen. Frauen fühlen sich beim
Frauen haben in ihrer eigenen Wohnung sexisti- Sport primär von Männern aufdringlich oder
sche Übergriffe erfahren, „nur“ 7 Prozent der heimlich beäugt („begafft“), bekommen ungebete-
Männer. Auch diese Zahlen sind nicht als objektive ne Kommentare oder „Hilfe“ im chauvinistischen
Fakten zu lesen, sondern als subjektive Erinne- Gestus, werden in der Sauna „begutachtet“ oder
rungen, die selektiven Filtern unterliegen. erhalten von anderen Frauen in der Umkleide-

34
6 Sexismus selbst erlebt oder gegenüber anderen beobachtet

kabine kritische Resonanz in Bezug auf ihr Outfit Neben diesen Ausdrucksformen von Sexismus am
und ihre Form. Männer hingegen werden, bezogen persönlichen körperlichen Gegenüber zeigt sich
auf (schwache) Leistung, (mangelnde) Geschick- Sexismus auch medial vermittelt – durch digitale
lichkeit, (fehlenden) Mut oder in ihrem Körperbau, soziale Netzwerke (Frauen 30 Prozent; Männer
in ihrer Männlichkeit angegriffen – meist von 34 Prozent), E-Mails und Briefe (Frauen 11 Prozent;
anderen Männern, seltener auch von Frauen. Männer 14 Prozent) sowie Telefonate (Frauen und
Männer je 8 Prozent). Bemerkenswert ist, dass
diese Ausdrucksformen von Sexismus von Frauen
und Männern in etwa mit gleicher Häufigkeit
6.2 Welche Formen von wahrgenommen werden. Insofern besteht hier kein
geschlechtsspezifisches Wahrnehmungsgefälle.
Sexismus erlebt werden
Wie drückt sich Sexismus aus, was sind seine
häufigsten expressiven Formen? Betroffene
erleben Sexismus am häufigsten als verbale
Übergriffe im persönlichen Gespräch Face-to-Face
(45 Prozent der Frauen; 47 Prozent der Männer).
Weitere häufige Formen des Alltagssexismus sind
Gesten sowie Hand- und Körperbewegungen ohne
körperliche Berührung (39 Prozent der Frauen;
38 Prozent der Männer) und mit Körperkontakt
(36 Prozent der Frauen; 32 Prozent der Männer).

35
6 Sexismus selbst erlebt oder gegenüber anderen beobachtet

36
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

7 Von Sexismus im Alltag


selbst betroffen
7.1 Anteil der Betrof- 1. Frauen sind so häufig und regelmäßig im
Alltag sexistischen Übergriffen ausgesetzt,
fenen, Häufigkeit der und sie erleben durch traditionell geprägte

Übergriffe Rollen für Frauen in der Erwerbsarbeit wie in


der Familienarbeit weitere subkutane Formen
von Sexismus, dass viele „softe“ Spielarten des
44 Prozent aller Frauen und 32 Prozent aller Sexismus von ihnen zum Teil gar nicht mehr
Männer erleben Situationen, in denen sie per- als empörend, sexistisch, abwertend empfun-
sönlich Adressatin beziehungsweise Adressat den werden, weil sie so selbstverständlich und
sexistischer Zeichen und Übergriffe sind. normal geworden sind.
Wöchentlich sehen sich 8 Prozent aller Frauen
und auch 7 Prozent aller Männer sexistischen Damit wären die in der Repräsentativbefragung
Angriffen gegen ihre Person ausgesetzt, mehr- erhobenen Anteile eine Unterschätzung der Rea-
mals monatlich 14 Prozent aller Frauen und lität. Dazu geben die qualitativen Gruppenwerk-
11 Prozent aller Männer. Diese Selbstauskünfte stätten mit Frauen belastbare Belege. Die Befunde
dokumentieren die Häufigkeit solch alltäglicher geben aber auch Anlass für diese Hypothese:
Handlungen gegen die Würde und Unantastbar-
keit der Person in ihrer Geschlechtsidentität. 2. Die gesellschaftlichen Wahrnehmungsfilter
für Sexismus gegenüber Männern sind zu
Sexismus ist kein Phänomen, das auf Frauen wenig entwickelt und kaum differenziert,
fokussiert oder reduziert werden kann: Ein Drittel sodass dieses Phänomen nur unzureichend
aller Männer ist im Alltag von Sexismus betroffen. erfasst wird. Das wird befördert durch die
Hier bedarf die öffentliche, (gleichstellungs) soziale Tatsache, dass das gesellschaftlich
politische, mediale und kulturelle Debatte einer dominante Männerbild es erschwert, dass
Justierung.10 Auch in der Bevölkerung dominie- ein Mann sich als – wehrloses – Opfer sexis-
ren Bilder von Sexismus gegenüber Frauen. Hin- tischer Übergriffe überhaupt wahrnimmt
gegen sind die Formen des Sexismus gegenüber und anerkennt. In diesem Fall wären auch
Männern (Worte, Gesten, Handlungen) weniger die Anteile der von Sexismus betroffenen
präsent und prägnant, werden bagatellisiert und Männer ein zu niedriger Wert.
erwähnt mit dem Zusatz „Ach ja, und es trifft
Männer manchmal auch“. Untersucht man das Datenmaterial mit den
Methoden der dokumentarischen Analyse11, die
Zugleich ist zu hinterfragen, ob die Sensibilität nicht nur danach fragt, was, sondern auch, wie
gegenüber sexistischen Übergriffen bei Frauen etwas gesagt wurde, zeigt sich eindrucksvoll, wie
und Männern gleich ist. Die Befunde liefern beiläufig vor allem jüngere Frauen alltägliche
Anhaltspunkte für folgende Hypothese: Begebenheiten erwähnen: Fast jede von ihnen

10 Dies gilt auch mit Blick auf einzelne Positionen im radikalen Feminismus beziehungsweise in einigen feministischen Diskursen, nach denen
Männer nicht von Sexismus betroffen sein können, weil aufgrund der fortbestehenden hegemonialen Männlichkeit das Machtungleichgewicht
weiter bestehe und der Blick auf Männer als Opfer des Sexismus (durch Frauen) den Blick auf die realen Verhältnisse verschleiere.
11 Vergleiche Nohl, Arnd-Michael: Interview und dokumentarische Methode. Anleitungen für die Forschungspraxis, Wiesbaden 2012. Bohnsack,
Ralf/Nentwig-Gesemann, Iris/Nohl, Arnd-Michael (Hg.): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer
Sozialforschung, Berlin 2007. Bohnsack, Ralf: Dokumentarische Methode: Theorie und Praxis wissenschaftlicher Interpretation. In: Hug, Theo
(Hg.): Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? Band 3, Baltmannsweiler 2001, Seite 326–345.

37
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

ist überrascht von der Frage, ob sie schon mal auf sexistische Attacken, etwa vulgäre Begriffe (über
ihr Smartphone oder ihren Social-Media-Account sie als Frau oder über andere Frauen), ein unnöti-
sexistische Fotos und Videoclips zugeschickt ger (aufdringlicher) Körperkontakt in der Bahn,
bekamen – eine typische Antwort ist: „Na klar, anzügliche Äußerungen oder „Hinterherpfeifen“
selbstverständlich, schon oft! Nicht nur ich; alle, die aus einer Gruppe von Männern oder auch am
ich näher kenne. Das ist völlig normal, das geht jeder Arbeitsplatz der Chef, der sagt, wie schön er es
so!“ Ebenso bekannt sind für viele Frauen Situatio- fände, wenn sie ein Kleid oder kurze Röcke tragen
nen, in denen sie von einem Mann oder einer würde.
Gruppe von Männern allzu lang – offensichtlich
oder heimlich – angestarrt und unangenehm von Die selektive Unempfindlichkeit aus Selbstschutz
Blicken verfolgt werden, dass ein Mann ihr auf und die Gewöhnung an „soften“ Sexismus ist ein
den kurzen Rock, ihre Beine oder den Busen starrt, kritisches Moment, denn es etabliert bestimmte
dass in einem vollbesetzten öffentlichen Verkehrs- Formen des Sexismus als normal und (scheinbar)
mittel ein Mann sich an sie drängt und länger als akzeptiert. Dagegen bedarf es politischer und
nötig Körperkontakt hält und Ähnliches. All das ist pädagogischer Initiativen zur Re-Sensibilisierung
für einen erheblichen Teil der Frauen so alltäglich, dafür, dass auch alltägliche, weniger offensive
dass sie dies gar nicht spontan mit dem Attribut Eingriffe in die Geschlechterwürde schlichtweg
„sexistisch“ versehen, sondern erst bei ausführli- Verletzungen sind, die nachhaltig Spuren hinter-
chem Gespräch darüber. Die Alltäglichkeit solcher lassen. Insofern geht es nicht nur um Re-Sensi-
Erfahrungen erzeugt Gewöhnung, nimmt die bilisierung, sondern auch um eine Kultur, die
Überraschung und lässt abstumpfen, nimmt Sensibilität gegenüber alltäglichem Sexismus
diesen Formen des Sexismus ihre Relevanz – denn zu bewahren. Banaler Alltagssexismus wirkt und
wenn sie sich stets darüber aufregen und verletzt wertet die Adressaten ab. Das in diesem Zusam-
fühlen würden, wäre für manche jeder Tag ein Tag menhang gewählte Attribut „banal“ meint keines-
der Verwundung. Davor schützen sie sich durch wegs, dass dieser Sexismus unerheblich, belanglos
Nivellierung und Ausblendung. In den Vorder- oder folgenlos wäre, im Gegenteil: Im Sinne von
grund treten damit zunehmend extremere Hannah Arendt meint „banal“ hier, dass dieser

38
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

Sexismus keine Tiefe hat und dass er zugleich in früheren Jahren werden nicht erinnert, weil
so alltäglich, normal und weit verbreitet ist.12 eine Reihe solcher Übergriffe damals gar nicht
als Sexismus aufgefasst wurden. Der Begriff
Wenn, wie die Befragten feststellen, Sexismus in Sexismus ist zwar schon älter, aber bis in die
allen gesellschaftlichen Bereichen und Schichten 1980er/1990er Jahre war er nicht in den medialen
omnipräsent und omnipotent ist, sollte man mei- und lebensweltlichen Diskurs und damit nicht in
nen, dass mit zunehmendem Alter der Anteil jener das öffentliche Problembewusstsein eingedrun-
steigt, die schon einmal sexistische Übergriffe gen. Es scheint unwahrscheinlich, dass es von den
erfahren haben (die sogenannte Prävalenz). Doch 1950er bis 1990er Jahren weniger Sexismus gab als
das Gegenteil ist der Fall: Der Anteil sinkt mit heute, zumal in der Restaurationsphase nach dem
zunehmendem Alter – und er sinkt bei Männern Zweiten Weltkrieg mit der Zurückdrängung von
stärker als bei Frauen, allerdings auf einem gerin- Frauen aus dem Arbeitsmarkt und aus Führungs-
geren Niveau. Das verlangt nach Erklärungen. positionen, mit dem Wiedereinnehmen der Rolle
des Familienoberhaupts durch aus dem Krieg
Der empirische Befund, dass der Anteil der von heimgekehrte Männer und mit der Persistenz
Sexismus betroffenen Frauen und Männer mit traditioneller Familienbilder und klarer (hierar-
zunehmendem Alter zurückgeht, kann nur chischer) Geschlechterrollen.13 Was nicht erinnert
unzureichend mit nachlassender, lückenhafter wird, kann nachträglich nicht quantifiziert
Erinnerung erklärt werden. Sexistische Übergriffe werden; insofern muss offenbleiben, wie viele

12 Vergleiche Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 1964.
13 Man denke beispielsweise an das erste Gleichberechtigungsgesetz von 1957 (das vom Bundesverfassungsgericht 1959 kassiert wurde), an
Fernseh- und Radiosendungen zur Verkehrserziehung (zum Beispiel „Der siebte Sinn“), Werbung mit dem Normbild der traditionellen Hausfrau,
strukturelle Ungleichstellung in Bezug auf Erwerbstätigkeit, Entgeltungleichheit oder ungleiche Erreichbarkeit von Führungspositionen, Verge-
waltigung in der Ehe (bis 1997 kein Straftatbestand) oder die erst 1977 mit dem Ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts aufge-
hobene Hausfrauenehe, die es einem Ehemann ermöglichte, seiner Gattin die Erwerbstätigkeit zu verbieten, oder den erst 1969 aufgehobenen
Paragraph 175 StGB, der Homosexualität unter Strafe stellte – allerdings war die soziale Ächtung von homosexuellen Frauen und Männern damit
längst noch nicht beseitigt.

39
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

Frauen und Männer in den ersten drei Nach- zum anderen als wachsende Sensibilität und Auf-
kriegsjahrzehnten tatsächlich Sexismus erlebten. merksamkeit („Fühler“) von Frauen für sexistische
Oder erlebte sexistische Situationen wurden Übergriffe aufgrund der medialen Diskurse zur
verdrängt, um sie zu vergessen, sich nicht dauer- Gleichstellungspolitik, zum Feminismus, zu #Me-
haft als Opfer solcher Situationen zu erinnern Too und Ähnlichem. Die beiden Interpretationen
und dadurch weiter beschädigt zu werden. Sicher schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich.
haben sich durch Wertewandel und Lebensstil,
Generationenwandel und Zeitläufte bis heute die Bei Männern nimmt der Anteil jener, die
Ausdrucksformen persönlicher Übergriffigkeiten sich an selbst erlebte sexistische Über-
verändert, aber strukturelle Formen der Benach- griffe erinnern, von den älteren zu den
teiligung eines Geschlechts gab und gibt es nach- jüngeren Generationen einen ähnlichen Verlauf.
weislich in allen Dekaden. In der älteren Männergeneration (über 65 Jahre)
sagen 21 Prozent, dass sie früher oder heute
Es scheint paradox, dass jüngere Generationen sexistische Übergriffe erlebt haben oder erleben,
von Sexismus stärker betroffen sind als ältere in der nachfolgenden Generation (die 45- bis
Generationen. Auf der einen Seite ist durch Pro- 64-Jährigen) 32 Prozent, bei 35- bis 44-Jährigen
zesse der Individualisierung und Pluralisierung 36 Prozent, bei 25- bis 34-Jährigen 40 Prozent
der Lebenswelten sowie durch die Reichweite und und schließlich in der jüngsten Generation (unter
Anonymität neuer digitaler Medien das Spektrum 25 Jahre) 43 Prozent. Das ist eine Verdoppelung
an sexistischen Möglichkeiten und Instrumenten, von der ältesten zur jüngsten Männergeneration
auch die Verführung dazu, enorm gewachsen. Auf in Bezug auf die Betroffenheit von Alltagssexismus.
der anderen Seite haben der gewachsene mediale
Diskurs über Gleichstellungspolitik und struktu- Festzuhalten ist: In allen Altersgruppen haben
relle Ungleichstellung von Frauen und Männern, deutlich mehr Frauen als Männer in ihrem Leben
in den letzten Jahren der Netzfeminismus, das schon Sexismus erfahren (die Abstände betragen
Hashtag #aufschrei (seit 201314) über die kleinen zwischen 18 und 35 Prozentpunkte). Dabei sind
sexistischen Übergriffigkeiten im Alltag, der die Abstände zwischen den Zahlen der Frauen und
Women’s March am 20.01.2017, die #MeToo-Bewe- denen der Männer, die von Sexismus betroffen
gung seit 2017 oder die Time’s Up-Bewegung seit sind, in den jüngeren Altersgruppen relativ stabil.
2018 dazu geführt, dass die Sensibilität gegenüber In keiner Altersgruppe ist die Kluft zwischen
Sexismus in seinen zahlreichen Spiel- und Aus- Männern und Frauen hinsichtlich der Prävalenz
drucksarten ebenfalls gestiegen ist. 68 Prozent von Sexismus so groß wie bei jenen in reiferen
der Frauen und 43 Prozent der Männer im Alter Lebensjahren.
unter 25 Jahren sagen, dass sie schon Adressaten
(„Opfer“) sexistischer An- und Übergriffe waren. Es gibt Grund zu der Annahme, dass Frauen, die
vor 1955 geboren und mehrheitlich in den 1960er
Verfolgt man die Entwicklung von den Jahren sozialisiert wurden, eine andere, vielleicht
älteren zu den jüngeren Generationen, stärkere Sensibilität für strukturellen und per-
dann steigt bei Frauen der Anteil der im sönlichen Sexismus haben als Frauen, die in den
Leben schon von Sexismus Betroffenen: Er beträgt 1970er/1980er Jahren aufgewachsen sind. Im
bei 45- bis 64-Jährigen 50 Prozent, bei 35- bis Kontrast dazu stehen Männer derselben Gene-
44-Jährigen 62 Prozent, bei 25- bis 34-Jährigen ration (vor 1955), die deutlich seltener in ihrem
64 Prozent und in der jüngsten Generation, bei Leben sexistische Übergriffe erfahren haben.
den unter 25-Jährigen, 68 Prozent. Das kann in Angesichts der patriarchalischen Gesellschafts-
zwei Weisen interpretiert werden: zum einen struktur der Nachkriegsjahrzehnte und der
als objektive Zunahme von sexistischen Über- hegemonialen Männlichkeit scheint das wenig
griffen mit zunehmender Modernisierung der verwunderlich. Im Gegenteil überrascht der
Gesellschaft, was vor allem jüngere Frauen trifft; hohe Anteil von 21 Prozent der über 64-jährigen

14 Im Dezember 2018 kündigte die Mitintitiatorin von #aufschrei, Anne Wizorek, an, dass die Plattform von #aufschrei und der Blog kleinerdrei
eingestellt würden.

40
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

Männer, die im Leben von Sexismus betroffen sind vielfältig, etwa weil sie sich bei der Erledigung
waren oder sind (was immer sie unter Sexismus des Haushalts engagieren (Kochen, Waschen,
verstehen). Die Untersuchung gibt keinen Auf- Putzen) und dafür von anderen Männern feixende
schluss darüber, in welchen Altersphasen und Bemerkungen mit Angriffen gegen ihre „Männ-
Lebensabschnitten sie Sexismus ausgesetzt waren. lichkeit“ erfahren. Sexismus erleben aber auch
Aber der Anteil von Männern dieses Alters, die Männer in jüngeren Lebensjahren, beispielsweise
derzeit gelegentlich oder regelmäßig Sexismus aufgrund ihrer Ausbildungs- und Berufswahl
erfahren, ist mit 13 Prozent sehr hoch. Bei Frauen (bei als „Frauenberuf“ stigmatisierten Erziehungs-
im Alter ab 65 Jahren ist der Anteil jener, die und Pflegeberufen), weil sie keine Vollzeitstelle
aktuell von Sexismus betroffen sind, mit 30 Pro- anstreben, weil sie ihrer beruflich erfolgreichen
zent noch deutlich höher als bei Männern. Frau den Rücken freihalten, weil sie durch Reduk-
tion ihres Erwerbsumfangs den beruflichen Wie-
Insgesamt zeigt sich bei Frauen und Männern dereinstieg ihrer Partnerin ermöglichen, weil sie
eine Zäsur um das 45. Lebensjahr herum. Frauen ihre Familie nicht ernähren können, weil sie
und Männer, die jünger als 45 Jahre sind, erleben homosexuell sind und einige (wenige) aufgrund
aktuell deutlich häufiger sexistische An- und ihrer Transsexualität oder Intersexualität.
Übergriffe als jene, die älter als 45 Jahre sind.
Insofern scheint diese fünfte Lebensdekade eine Spannend ist der Blick auf jene, die mehrmals im
Zäsur zu sein, ab der deutlich weniger Frauen und Monat Alltagssexismus erfahren. Hier zeigt sich
Männer von sexistischen Übergriffen betroffen ein deutlicher Alterseffekt: 36 Prozent aller Frauen
sind. Spannend ist für weitere Untersuchungen und 17 Prozent aller Männer unter 25 Jahren sind
die Frage, welche Formen und welche Inhalte von monatlich von sexistischen Übergriffen betrof-
Sexismus weiterbestehen und welche zurückgehen. fen – damit doppelt so viele Frauen wie Männer.
Während bei Frauen in den folgenden Altersdeka-
Damit rücken Männer in den Blick, die auch noch den die Anteile jeweils geringer werden (22 Pro-
in späteren Lebensjahren – immer noch oder erst- zent bei 25- bis 34-Jährigen, 13 Prozent bei 35- bis
mals – Opfer von Sexismus werden. Die Gründe 44-Jährigen, 6 Prozent bei 45- bis 54-Jährigen), ist

41
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

bei Männern der Anteil bis in die fünfte Lebens- gen am Arbeitsplatz (Männer 30 Prozent, Frauen
dekade relativ stabil und beträgt zwischen 16 Pro- 23 Prozent), aus dem weiteren Freundes- und
zent und 19 Prozent; erst danach ist er erheblich Bekanntenkreis (Frauen 20 Prozent, Männer
geringer – mit 4 Prozent. Im Alter von 35 bis 18 Prozent), gefolgt von dem engeren Freundes-
44 Jahren sind – nach eigenen Auskünften – sogar kreis (Männer 15 Prozent, Frauen 9 Prozent). Es
mehr Männer (16 Prozent) als Frauen (13 Prozent) folgen sexistische Grenzüberschreitungen durch
von Sexismus betroffen. berufliche Vorgesetzte sowie durch Lehrerinnen
und Lehrer in Ausbildung und Schule. Jede und
jeder zehnte Betroffene erfährt Sexismus von
Personen, die beruflich in der Hierarchie über
7.2 Von wem sexistische ihnen stehen, die ihnen gegenüber in einer
Machtposition sind (mit Führungs- und meistens
Übergriffe kommen Fürsorgeverantwortung). Interessant ist, dass
9 Prozent der betroffenen Frauen und 5 Prozent
Die meisten sexistischen Übergriffe erleben der Männer Sexismus durch Familienangehörige
60 Prozent der betroffenen Frauen und 46 Pro- erleben. In diesen Fällen ist die Familie nicht
zent der Männer von Unbekannten. Frauen sind Schutzraum, sondern Tatort, an denen die Betrof-
häufiger den Übergriffen ihnen fremder, anony- fenen den Übergriffen von engsten Vertrauten
mer Täter ausgesetzt als Männer. Männer hin- ausgesetzt sind, wobei spezifische, zum Teil beson-
gegen erleben häufiger als Frauen sexistische ders hohe Hürden bestehen, sich zu wehren, Hilfe
Bemerkungen oder Übergriffe von beruflichen von außen zu holen oder solche Situationen zu
Kollegen und Kolleginnen sowie aus dem meiden.
engeren Freundeskreis.
Bisher wurden Täterkreise des „in der letzten Zeit
In der Rangfolge kommen nach Übergriffen durch (in den letzten zwölf Monaten) erlebten“ Sexis-
Unbekannte solche durch Kolleginnen und Kolle- mus beschrieben. Was ist anders, wenn man

42
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

43
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

Sexismus „im ganzen bisherigen Leben“ in den ten sich damit auseinandersetzen, die Situation
Blick nimmt (und sich die betroffenen Personen vergegenwärtigen, müssten die Situation aus-
richtig erinnern)? führlich anderen gegenüber beschreiben, hätten
die schwierige Beweislast, wären durch diesen
• Ähnlich wie in der aktuellen Jahresprävalenz Akt weiterhin Opfer des Übergriffs und wären
erfahren auch in der Lebenszeitprävalenz zugleich Täterin beziehungsweise Täter der
deutlich mehr Fraueals Männer Sexismus Strafanzeige mit den sozialen Konsequenzen des
durch Fremde: 52 Prozent der Frauen und Rechtfertigungsdrucks.
31 Prozent der Männer sind von sexistischen
Übergriffen ihnen unbekannter Täterinnen Nicht nur gegenüber Behörden, sondern auch
und Täter betroffen. im Familien- und Bekanntenkreis bestünde ein
sozialmoralischer Legitimierungsdruck, zu erklä-
• Die Zahl sexistischer Übergriffe durch beruf- ren, dass die Anzeige wirklich notwendig war,
liche Kolleginnen und Kollegen sowie aus dem dass die Konsequenzen einer Anzeige im adä-
weiteren Freundes- und Bekanntenkreis ist bei quaten Verhältnis zur Tat stehen und warum
betroffenen Frauen und Männern etwa gleich man nicht auf eine Anzeige verzichtet hat. Dazu
groß (zwischen 28 Prozent und 31 Prozent). gehören beispielsweise Fragen, ob ein langer
anzüglicher Blick auf die Bluse, eine Bemerkung
• Signifikant häufiger als Männer erleben Frauen über die Figur oder über die sexuelle Orientie-
sexistische Attacken durch beruflich Vorgesetz- rung tatsächlich eine Strafanzeige rechtfertigt.
te, durch Familienangehörige oder Verwandte. Die meisten verneinen dies für sich selbst und
wollen keinen Sittenstaat mit Sittenpolizei oder
Sexismusbezichtigungskultur.

7.3 Nach sexistischem Viele von Sexismus Betroffene vermeiden es,


sich diesem Prozess einer Anzeige zeitlich und
Übergriff schon einmal organisatorisch, aber vor allem mental-psychisch,

Anzeige erstattet behördlich sowie sozial (privat, beruflich) auszu-


setzen: wie weiter im Alltag den Arbeitskollegin-
nen und Arbeitskollegen sowie Vorgesetzten
90 Prozent aller Frauen und 86 Prozent aller gegenübertreten, auch jenen, die mit dem Über-
Männer, die schon von sexistischen Übergriffen griff nichts zu tun haben? Wie weiter im Familien-
betroffen waren, haben für diese noch nie Anzeige und Verwandtschaftsverbund miteinander umge-
bei der Polizei oder anderen Behörden erstattet. hen? Droht hier nicht dauerhafte Stigmatisierung
10 Prozent der Frauen und 14 Prozent der Männer der eigenen Person? Die Risiken sind für die
haben schon einmal Anzeige erstattet, 3 Prozent meisten nicht abschätzbar; die ungewollten und
beziehungsweise 4 Prozent schon mehrmals. ungeahnten Nebenfolgen scheinen sehr hoch.

Signifikant ist der geringe Anteil der Betroffenen, Dazu kommt, dass ein erheblicher Teil der sexis-
die den rechtlichen und sozialen Aufwand auf tischen Übergriffe von Fremden kommt, und eine
sich nehmen, jemanden wegen Sexismus anzu- Anzeige gegen Unbekannt scheint den Betroffe-
zeigen. Das liegt zum einen daran, dass es in vie- nen wenig erfolgreich.
len Bereichen ein Tabu ist, Familienangehörige,
Freunde, Bekannte, Arbeitskolleginnen und Bemerkenswert ist, dass Frauen in Bezug auf Straf-
-kollegen,Vorgesetzte anzuzeigen (es sei denn, anzeigen aufgrund sexistischer Übergriffe deut-
es liegt eine offensichtlich schwere Straftat vor – lich zurückhaltender sind als Männer, obwohl
aber selbst dann besteht in vielen Fällen Zurück- Frauen häufiger betroffen sind. Das liegt daran,
haltung). Soziale Normen sowie die Furcht vor dass Frauen besonders oft Sexismus von Fremden
weiterer Stigmatisierung hemmen Betroffene erleben. Zudem sind geschlechterspezifische Nor-
mit Blick auf eine Strafanzeige: Sie würden durch men wirksam, sodass Frauen solche Situationen
eine solche Tat die bereits erfolgte Abwertung nicht zu einem öffentlichen Tatbestand machen.
zeitlich verlängern und präsent halten. Sie müss- Sie fürchten polizeilichen Aufwand sowie Auf-

44
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

wand von amtlicher Seite und aus dem privaten sozialen Umfelds sowie des Staats bemisst und
Umfeld den Vorwurf der Dramatisierung. Der legt praktisch fest, ob bestimmte sexistische
erwartete Rechtfertigungsdruck bezüglich einer Äußerungen und Handlungen als Verstoß gegen
Anzeige ist bei Frauen größer als bei Männern. die guten Sitten, gegen geltende Konventionen
Wenn ein Mann eine Anzeige wegen Sexismus oder gegen das Recht verstoßen.15 Unsere Gesell-
erstattet, muss dem – so das voreingestellte Inter- schaft legt durch die Mittel und die Schwere der
pretationsmuster – ein schwerwiegender Vor- Ahndungen fest, welche Formen geschlechter-
gang zugrunde liegen. Frauen fürchten hingegen – orientierter Übergriffigkeit überhaupt als uner-
so der Befund der qualitativen Untersuchung –, laubte Grenzverletzungen gelten und als wie
eine Anzeige legitimieren zu müssen, weil sich schwer die Grenzverletzungen angesehen werden.
jemand zwar nicht anständig verhalten haben Zweck ist die Aufrechterhaltung sozialer Ordnung
mag, dies aber vielleicht doch nur eine Bagatelle und diese bestimmt sich nach der Qualität der
war. Dieses Ausräumen des Bagatellvorwurfs ist Sanktionierungen.
für diese Frauen eine Belastung und ein Übergriff
zweiter Ordnung. In der qualitativen Untersuchung gab es bei
allen Befragten ein sehr hohes Maß an Überein-
Außerdem ist es ein gesellschaftliches und milieu- stimmung, dass nicht jeder sexistische Übergriff
spezifisches Selbstregulativ, ob und wie sexistische strafrechtlich geahndet werden sollte: Aufdring-
Handlungen markiert und sanktioniert werden. liches Starren auf Beine, Po oder Busen, Hinter-
Die (dauerhafte) Reaktion von Betroffenen, des herpfeifen, feixende Bemerkungen und Ähnliches

15 Hier bietet der Soziologe Max Weber mit seinen definitorischen Beschreibungen der Herstellung von sozialer Ordnung eine Orientierung: Was
für eine Qualität der Verstoß für die soziale Ordnung hat, bemisst sich an der Qualität der Sanktion: Etwas gilt (nur) als Sittenverstoß, wird der
Verstoß gegen eine geltende Ordnung zwar bemerkt und innerlich missbilligt, aber äußerlich nicht sanktioniert (das konstituiert eine bestimmte
soziale Ordnung als Sitte). Es wird zum Verstoß gegen Konventionen, wenn die Geltung der Ordnung bei Abweichung auf eine relativ allgemeine
und praktisch fühlbare Missbilligung stößt (das markiert eine soziale Ordnung als Konvention). Es wird zum Verstoß gegen geltendes Recht, wenn
dessen Geltung äußerlich garantiert ist mit Ahndung der Verletzung durch einen eigens darauf eingestellten Stab.

45
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

sollten nicht zur Anzeige gebracht werden. Das griffen vorsehen. Dass Alltagssexismus hingegen
würde – so die mehrheitlichen Einstellungen der kategorisch straffrei sein sollte, befürworten nur
Frauen und Männer – auf einen Überwachungs- 7 Prozent der Bevölkerung – 93 Prozent lehnen
staat und eine Denunziationsgesellschaft eine allgemeine Straffreiheit von Sexismus ab.
hinauslaufen, die sie auf keinen Fall wollen. In dieser Frage zeigen sich signifikante Unter-
Insofern liegt der Schwerpunkt der Auseinander- schiede zwischen Frauen und Männern: Sexis-
setzung darin, wie es ermöglicht werden kann, mus grundsätzlich nicht als Straftat zu ahnden,
dass sexistische Übergriffe nicht einfach ertragen befürworten 10 Prozent der Männer, aber nur
werden, sondern geahndet werden.16 In den 4 Prozent der Frauen. Sexismus in jedem Fall als
qualitativen Gruppenwerkstätten betonten die Straftat zu begreifen, befürworten 44 Prozent
Frauen und Männer aus den unterschiedlichen der Frauen, aber nur 27 Prozent der Männer.
Schichten und Milieus vor allem drei Maßnah-
menstränge: Empowerment der aktuell und Dieses Meinungsbild ist recht stabil und robust:
potenziell Betroffenen, Aufklärung über das Der Wunsch nach Strafbarkeit steigt nicht im
Ausmaß von Alltagssexismus in der Gesellschaft Fall eigener Betroffenheit – eher im Gegenteil.
sowie über die Folgen der davon Betroffenen In der Gruppe derer, die noch nie Adressatin oder
sowie Enttabuisierung von Alltagssexismus. Adressat eines sexistischen Angriffs gewesen sind,
ist der Anteil an Frauen, die eine Strafbarkeit in
In der Frage, ob Sexismus im Alltag strafbar sein jedem Fall fordern, mit 50 Prozent sogar höher als
sollte, ist die Bevölkerung geteilt: 35 Prozent sind bei jenen, die selbst schon Sexismus erlebt haben
der Auffassung, dass Sexismus im Alltag strafbar (40 Prozent).
sein sollte; die Mehrheit von 58 Prozent hingegen
differenziert und würde die Strafbarkeit nur für
ein bestimmtes Spektrum von sexistischen Über-

16 Im Vokabular Max Webers: dass Sexismus nicht Sittenverstoß ist, sondern Verstoß gegen eine Konvention.

46
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

47
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

7.4 Sich gegen Sexismus Reaktionsmechanismen und kein praktisches


Wissen, wie sie sich schützen oder sich dem
zur Wehr setzen Aggressor beziehungsweise der Aggressorin
widersetzen könnten. Sie erlebten sich über-
Sich gegen Sexismus zur Wehr zu setzen, ist rumpelt und ohnmächtig.
schwer – das berichtet die Mehrheit der Frauen
(74 Prozent) und Männer (65 Prozent), die von Viele Betroffene erinnern sich, dass es bei einem
Alltagssexismus betroffen sind. Auch von jenen, solchen Erlebnis ihr vordringliches Ziel war, aus
die selbst bisher nicht Opfer von sexistischen der Situation so schnell wie möglich herauszu-
Übertritten wurden, vermuten 69 Prozent der kommen, ihr zu entfliehen, sie nicht durch ein
Frauen und 56 Prozent der Männer, dass es offensives Auftreten zu verlängern und somit
schwer sei, sich in solch einer Situation zur Wehr für sich selbst nicht zu verschlimmern, zumal
zu setzen. Selbsterfahrung und Situationsvermu- sie nicht sicher waren, wie die Aggrressorin
tung liegen nahe beieinander. beziehungsweise der Aggressor auf ihre Reaktion
reagieren würde. Erst im Nachhinein denken sie
Die qualitativen Interviews geben hier konkrete darüber nach, dass es vielleicht besser gewesen
Einblicke. Von sexistischen Provokationen und wäre, offensiv und auch für Außenstehende
Herabsetzungen durch Worte oder Gesten werden erkennbar vehement und somit souverän auf
die meisten überrascht. Es gibt Ausnahmen bei die Attacke zu reagieren und durch ihre Reaktion
jenen, die häufiger oder sogar regelmäßig sexisti- der Täterin oder dem Täter deutlich zu signalisie-
sche Übergriffe erleben, solche gewohnt sind ren, dass solches inakzeptabel ist.
und sich darauf einstellen. Doch in der Regel
rechneten die Betroffenen nicht mit sexistischen Noch vergleichsweise leicht fällt Betroffenen der
Übergriffen auf ihre Person, waren auf einen Umgang mit Sexismus durch Unbekannte im
solchen „Überfall“ nicht eingestellt und nicht öffentlichen Raum. Hier sind das Überraschungs-
vorbereitet. Die meisten verfügten nach eigener moment und die zum Teil aggressiv herabwür-
Erinnerung in der konkreten Situation über keine digende Form das größte Problem. Doch ist die

48
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

konkrete Situation vorüber, drohen keine Fort- von Sexismus zu sein, das Beziehungsklima zu
setzungen – das ist bei Sexismus im Privaten stören etc.
und Beruflichen anders.
83 Prozent aller Frauen und 73 Prozent aller
Wer nicht von Fremden Sexismus erfährt, sondern Männer, die von Sexismus betroffen sind, haben
am Arbeitsplatz von Kolleginnen oder Kollegen die Einstellung, dass es zu wenig professionelle
oder gar von einem/einer Vorgesetzten, zu dem/ Unterstützung gibt. Die Unsicherheit bezüglich
der ein Abhängigkeits- und Unterordnungsver- der adäquaten Reaktionen, die Furcht vor einem
hältnis besteht, sieht sich einer besonders kompli- Schutz der Täterin/des Täters im privaten Kon-
zierten Situation ausgesetzt. Sind Bemerkungen text (Familie, Verwandtschaft, Freundeskreis)
nicht eindeutig als sexistische Belästigung oder sowie im beruflichen Zusammenhang (Kollegin-
Nötigung erkennbar, sondern „lediglich“ sexistisch nen und Kollegen, Vorgesetzte im eigenen Betrieb,
(„Sie könnten sich mehr schminken“; „Kurze Röcke Kooperationspartnerinnen und -partner, Kundin-
stehen Ihnen gut. Sie haben doch schöne Beine!“), nen und Kunden) sind groß. Hier wünschen sich
bestehen große Unsicherheiten im Verhalten und die meisten deutlich mehr professionelles Ver-
schon in der Deutung. Viele Betroffene stellen haltenswissen für typische Situationen, Rezept-
sich selbstkritisch Fragen: Wie stark war diese wissen über die verschiedenen Methoden und
Grenzüberschreitung? War es wirklich sexistisch Instrumente für den Umgang.
gemeint, wie es bei mir ankommt oder war es
nur ein ungeschickt formuliertes Kompliment? Mehr professionelle Unterstützung bedeutet aus
Rechtfertigt die Aktion eine harsche Reaktion Sicht der Bevölkerung keinen Regelkatalog mit
meinerseits? Was riskiere ich durch eine offensive Verhaltensanweisungen; solches ist ausdrücklich
Reaktion der Missbilligung? Wie werde ich von nicht gewollt, denn es würde die Freiheit und
anderen Kolleginnen und Kollegen gesehen, wenn Leichtigkeit des Alltags einschränken. Maßnahmen
ich heftig reagiere? Viele Betroffene fürchten, im zur Vorbeugung gegen Sexismus im Alltag dürfen
Kreis der Kolleginnen und Kollegen isoliert zu das Miteinander nicht kompliziert machen bezie-
werden, ausgesetzt zu sein mit dem Stigma, Opfer hungsweise „nicht verkomplizieren“. Der Wunsch

49
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

zielt vielmehr auf Empowerment im Sinne von Menschen angegangen und in der eigenen
Ermächtigung. Es geht um Verhaltenssicherheit, Geschlechtlichkeit herabgewürdigt wird, kann
die Entwicklung persönlicher Skills, Strategien nicht ernsthaft und in Tiefe gedemütigt werden.
und Maßnahmen, die den Grad an Autonomie, Vielmehr diskreditiert die angreifende Person
Selbstbestimmung und Selbstschutz des bezie- mit der Tat sich selbst und offenbart die eigene
hungsweise der Einzelnen erhöhen sollen, sich vor Würdelosigkeit.
sexuellen Übergriffen zu schützen, sich in Situa-
tionen souverän zu verhalten, sich zu wehren und
erlebte Situationen konstruktiv zu verarbeiten.
7.6 Wunsch nach mehr
Maßnahmen der Politik
7.5 Kein „Opfer“ sein –
„Die Politik“ – wer immer die Akteure konkret
die Tat stigmatisiert den sind – wird oft adressiert zur Lösung von kompli-

Angreifer zierten und nicht einfach lösbaren Problemlagen.


Die Untersuchung zeigt, dass die deutliche Mehr-
heit der Bevölkerung keine generalisierte pau-
Der Opferbegriff ist stigmatisiert. Frauen und schale Ausweitung und Verschärfung des Straf-
Männer, die Adressaten sexistischer Attacken rechts für Alltagssexismus will, aber auch keine
wurden, sehen sich nicht als „Opfer“, lehnen diese Rücknahme bisheriger Straftatindikatoren etwa
Bezeichnung ab. Im Rahmen der qualitativen für sexuelle Belästigung und sexuelle Nötigung.
Untersuchung wurde deutlich, dass Betroffene Vielmehr plädiert die Mehrheit der Bevölkerung
mit dem Label „Opfer“ eine zusätzliche Herab- dafür (und das ist als Appell an die politischen
würdigung verbinden: Passivität, Ausgeliefert- Entscheidungsträger zu interpretieren), Alltags-
sein, Ohnmacht, Wehrlosigkeit. Man wäre dazu sexismus genauer in den Blick zu nehmen und
gemacht worden, der eigenen Würde und Haltung die bestehenden Maßnahmen hinsichtlich ihrer
als souveränes Subjekt beraubt, ein Angriff zwei- Relevanz und Wirksamkeit zu überarbeiten – stets
ten Grades durch begriffliche Stigmatisierung. orientiert an den drei Parametern, potenziell
Das mahnt bei politischen und pädagogischen Betroffene besser als bisher zu schützen und zu
Überlegungen zu sprachlicher Sorgfalt, etwa unterstützen, keinem Täterschutz Vorschub zu
bei der Entwicklung und Kommunikation von leisten und eine liberale Alltagskultur zu wahren.
Konzepten zur Prävention oder Intervention.
Deutlich ist das Votum der Bevölkerung für mehr
Aus Sicht der Befragten müssten ohnehin nicht Prävention: 72 Prozent der Bevölkerung (80 Pro-
die Betroffenen, sondern die Täterinnen und zent aller Frauen und 65 Prozent aller Männer)
Täter im Zentrum stehen. Anders als das Label fordern von der Politik mehr Maßnahmen, um
„Opfer“ wird die Bezeichnung Täterin beziehungs- Sexismus vorzubeugen. Dieser Appell kommt
weise Täter nicht abgelehnt. Die Überlegungen mehrheitlich nicht nur von jenen, die selbst im
und Zuschreibungen der Befragten in der Unter- Alltag Sexismus immer wieder erleben (von denen
suchung gingen sehr schnell dahin, die Angreifen- fordern 80 Prozent der Frauen und 68 Prozent der
den als krank, in der Sozialisation und Persön- Männer mehr politische Maßnahmen), sondern
lichkeitsentwicklung gestört, sexsüchtig oder auch von jenen, die selbst noch keinen Alltags-
aufgrund von Minderwertigkeitskomplexen sexismus erlebt haben (80 Prozent der Frauen,
machtversessen zu verdächtigen. Solche Unter- 62 Prozent der Männer; zusammen 69 Prozent).
stellungen sind zwar haltlos in dem Sinne, dass Jede dritte Frau und jeder fünfte Mann unter-
es meist kein fundiertes Wissen über die Täterin stützt diese Forderung „voll und ganz“. Damit
beziehungsweise den Täter gibt. Aber solche drückt die deutliche Mehrheit der Bevölkerung
unterstellten Motive entlasten, weil sie die oder aus, dass beim Sexismus kein Stillstand und kein
den Angreifenden als nicht ernst zu nehmendes „weiter so“ richtig ist, sondern Handlungsbedarf
Gegenüber charakterisieren. Wer von solchen seitens der Politik besteht.

50
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

Die Forderung an die Politik nach mehr Maßnah- werden (für die meisten Männer die Zeit einer
men wird mehrheitlich in allen Bildungsschichten Bindung an eine Partnerin/einen Partner sowie
geteilt. Der Appell an die Politik wird bei Frauen der ersten beruflichen Karrieresprünge), einher-
in allen Altersgruppen von einer sehr großen gehend mit Vorbehalten gegen einen Verhaltens-
Mehrheit getragen (zwischen 78 Prozent und kodex, während besonders viele Frauen dieser
85 Prozent in den Alterssegmenten). Lebensphase sich mehr Schutz und Sicherheit
vor Sexismus wünschen.
Bei Männern hingegen findet diese Forderung an
die Politik nach mehr dem Sexismus vorbeugen-
den Maßnahmen von den älteren Altersgruppen
hin zu den jüngeren eine wachsende Zustimmung
(von 58 Prozent bei über 65-Jährigen auf 73 Pro-
zent bei 16- bis 24-Jährigen).

Auffällig ist eine irritierende Abweichung im


Alterssegment der 25- bis 34-Jährigen: In keiner
Altersgruppe ist die Kluft bei der Forderung an
die Politik nach mehr vorbeugenden Maßnah-
men so groß wie hier: 85 Prozent der Frauen (der
höchste Wert überhaupt) und nur 59 Prozent der
Männer (der zweitniedrigste Wert). Wenn diese
Befunde keine statistische Zufallsabweichung
sind, sondern sich in weiteren Untersuchungen
bestätigen, kann dies als Indikator für Unsicher-
heit bei Männern dieser Lebensphase gesehen

51
7 Von Sexismus im Alltag selbst betroffen

52
8 Die aktuelle Sexismusdebatte

8 Die aktuelle Sexismus-


debatte
8.1 Ein polarisiertes politischeres Hinsehen verlangen. Zu diesen
gehören etwa 28 Prozent der Frauen und 15 Pro-
und differenziertes zent der Männer. Auf der anderen Seite zeigen

Einstellungsspektrum sich jene, die die aktuelle Sexismusdebatte für


völlig übertrieben halten, keine Einmischung
des Staats wollen, die Gefahr einer neuen Sitten-
Die Wahrnehmung von persönlichem, wirtschaft- polizei fürchten und die aktuelle Sexismusdebatte
lich-werblichem und strukturellem Sexismus sowie konkrete Initiativen wie die #MeToo-Bewe-
in der Gesellschaft ist das eine, die Ablehnung gung für eine gefährliche und verantwortungs-
oder Unterstützung der Sexismusdebatte das lose Kampagne gleichstellungsfixierter Gender-
andere. Der Begriff Sexismus impliziert Negatives, ideologinnen und -ideologen halten. Zum harten
moralisch Verwerfliches, sozial Verstörendes und Kern dieses Segments gehören etwa 15 Prozent
Abzulehnendes, lässt auf eine sozialpathologische der Männer und 8 Prozent der Frauen.
Fehlentwicklung und Anomie der einzelnen Täte-
rin beziehungsweise des einzelnen Täters oder auf Zwischen diesen beiden Polen gibt es ein breites
ökonomische Interessen eines Unternehmens Spektrum mit sehr subjektiven Einschätzungen
oder einer Branche schließen. Diese reflexhafte zur Verbreitung von Sexismus sowie dazu, welche
Reaktion nahezu aller Befragten stellt die sozial Formen von Sexismus moralisch geschmacklos
erwünschte Oberflächenresonanz dar. Blickt man und unakzeptabel sind, welche geschmacklos,
jedoch in den Interviews tiefer, dann zeigt sich aber zu tolerieren sind und welche reizvoll und
eine differenziertere Wirklichkeit der Tiefenstruk- spannend sind, weil sie Spiel im natürlichen
tur, die kein so harmonisches und konsistentes Geschlechterverhältnis sind.
Bild der Ablehnung von Sexismus liefert. Sexismus
ist für einen Teil der Bevölkerung – für Männer Insgesamt stehen 40 Prozent der Bevölkerung der
und Frauen – durchaus auch positiv besetzt, reiz- Sexismusdebatte distanziert gegenüber; 60 Pro-
voll und Ausdruck von Lust am Leben. Damit wird zent befürworten sie weitgehend oder voll und
ein breites Spektrum sichtbar. ganz. Interessant ist, dass Frauen die Sexismus-
debatte mehrheitlich befürworten (68 Prozent),
In einer ersten, groben Annäherung lassen sich Männer hingegen nur etwa zur Hälfte (49 Prozent),
auf der einen Seite vehemente Gegnerinnen und obwohl Männer nach eigener Auskunft häufig
Gegner von Sexismus identifizieren, die in ihrem selbst von Sexismus betroffen sind. Das führt zur
Alltag, in der gesamten (medialen) Öffentlichkeit Hypothese, dass die aktuelle Sexismusdebatte nur
sowie in rechtlichen, politischen, arbeitsmarkt- unzureichend (oder gar nicht) die Erfahrungen
lichen, familiären, ehelichen Strukturen17 Sexis- von betroffenen Männern aufnimmt und zu sehr
mus nicht akzeptieren und die aktuelle Sexismus- auf Frauen fokussiert ist. Insofern spiegelt die
debatte überhaupt nicht für übertrieben halten, Sexismusdebatte nicht adäquat den Alltagssexis-
sondern im Gegenteil ein noch viel genaueres und mus von Frauen und Männern. Wenn Männer nur

17 Dies umfasst vor allem aus Sicht von jenen mit höherer Bildung die Ungleichstellung von Frauen und Männern in vielerlei Hinsicht: unter
anderem Entgeltungleichheit, zu geringer Anteil von Frauen in Führungspositionen (auch in öffentlichen Ämtern, zum Beispiel im aktuellen
Deutschen Bundestag), Lohnsteuerklassensystem, Ehegattensplitting, höheres Altersarmutsrisiko von Frauen sowie von Alleinerziehenden,
traditionelle oder teiltraditionelle Rollenteilung in der Partnerschaft mit den Folgen ungleicher Einkommenschancen oder auch ungleiche
Risiken und Spätfolgen aufgrund des Ehegüterrechts mit dem gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft (Scheidungsfall).

53
8 Die aktuelle Sexismusdebatte

geringfügig weniger als Frauen von Sexismus Bei der Bekanntheit des Hashtags gibt es keine
betroffen sind und wenn Männer gewonnen signifikanten Unterschiede zwischen den Alters-
werden sollen als Akteure einer gesellschaftlichen gruppen, wohl aber den Bildungsschichten. Von
Debatte oder als Mitwirkende zur Beseitigung von jenen mit akademischem Abschluss kennen
Sexismus im Alltag, dann bedarf dieser Diskurs 92 Prozent #MeToo, mit Hochschulreife ohne
einer Korrektur im Sinne der Berücksichtigung Studium 89 Prozent, mit Mittlerer Reife 82 Pro-
der Erfahrungen und Einstellungen von Männern. zent und mit geringer Schulbildung 63 Prozent.
Das bedeutet, dass das Hashtag in allen Bildungs-
An den beschriebenen Polen harscher Ablehnung und Alterssegmenten bei mehr als der Hälfte
und Befürwortung der Sexismusdebatte findet bekannt ist.
sich jeweils nur eine Minderheit. Die Mehrheit
der Bevölkerung (67 Prozent) zeigt keine klare Die große Bekanntheit von #MeToo spiegelt
Entschiedenheit dafür oder dagegen (64 Prozent sich in einer zwar geringeren, aber doch von
der Frauen, 70 Prozent der Männer). der Mehrheit der Bevölkerung getragenen posi-
tiven Haltung zu #MeToo. Obwohl die Bevölke-
rung keine belastbaren Belege haben kann, ist das
Zutrauen in die Sensibilisierungskräfte von #Me-
8.2 Einstellungen zu Too groß: 65 Prozent aller Frauen und 54 Prozent
aller Männer sind der Meinung, dass die #MeToo-
#MeToo Debatte wichtig sei, weil sie gegenüber Sexismus
sensibilisiere. 31 Prozent aller Männer (12 Prozent
In der Untersuchung wurde gefragt, wie bekannt sehr stark) und 20 Prozent aller Frauen (5 Prozent
die #MeToo-Bewegung18 ist und welche Einstel- sehr stark) gehen auf Distanz zu #MeToo und
lungen die Frauen und Männer zu #MeToo haben. teilen nicht die Auffassung, dass dieses Hashtag
In der Bevölkerung ab 16 Jahren hat #MeToo zur Sensibilisierung beiträgt.
einen hohen Bekanntheitsgrad – 85 Prozent haben
den Namen schon mal gehört. Nur 15 Prozent der
Männer und Frauen geben an, noch nie etwas von
#MeToo gehört zu haben, Name und Bewegung
sind ihnen unbekannt.

18 #MeToo ist ein Hashtag, das ab Mitte Oktober 2017 im Zuge des Harvey-Weinstein-Skandals große Verbreitung in den sozialen Netzwerken erfuhr.
Erstmals wurde das Hashtag #MeToo 2006 von der Amerikanerin Tarana Burke in dem sozialen Netzwerk MySpace verwendet – im Rahmen einer
Kampagne, deren Ziel es war, Bestärkung durch Empathie unter jenen afroamerikanischen Frauen zu fördern, die Erfahrungen mit sexuellem
Missbrauch gemacht hatten. Das Hashtag wurde 2017 durch die Schauspielerin Alyssa Milano populär: In Reaktion auf den Weinstein-Skandal
rief sie am 15. Oktober 2017 zur Nutzung des Hashtags auf und ermutigte von Sexismus betroffene Frauen, es in ihren Tweets zu verwenden, um
auf das Ausmaß sexueller Belästigung und sexueller Übergriffe aufmerksam zu machen. Am selben Tag, als Milano mit ihrem Tweet den Aufruf
startete, wurde das Hashtag mehr als 200.000 Mal auf Twitter verwendet; am Folgetag waren es über eine halbe Million Tweets. Auf Facebook
verwendeten innerhalb der ersten 24 Stunden 4,7 Millionen Benutzer in über zwölf Millionen Postings dieses Hashtag. Die Plattform berichtet,
dass 45 Prozent der Benutzer in den Vereinigten Staaten eine Freundin oder einen Freund haben, die beziehungsweise der dieses Hashtag ver-
wenden habe. Mehr als 10.000 Personen antworteten auf Milanos Ursprungstweet. Das wöchentlich erscheinende amerikanische Nachrichten-
magazin Time würdigte 2017 „The Silence Breakers“ als Person of the Year, und damit all die Frauen und Männer, die in der #MeToo-Bewegung
ihr Schweigen gebrochen haben. Das Hashtag fand schnell weltweit Verbreitung und Anhängerschaft, zog aber auch Kritik auf sich. In Deutsch-
land etwa sagte in der Talkshow „Maischberger“ am 13. Dezember 2017 die Schauspielerin Sophia Thomalla: „Ich finde, dass die Kampagne eine
Beleidigung für die wahren Vergewaltigungsopfer ist“. Und die Journalistin Astrid Frohloff äußerte in der gleichen Sendung die Einschätzung, eine
Vermengung von Missbrauch, Vergewaltigung und Anmache durch #MeToo sei gefährlich. Weiter gingen in Frankreich rund 100 Künstlerinnen
und Journalistinnen, wie Catherine Deneuve oder Ingrid Caven, die einen offenen Brief unterzeichneten, den Sarah Chiche, Catherine Millet,
Catherine Robbe-Grillet, Peggy Sastre und Abnousse Shalmani verfasst hatten und den die französische Tageszeitung Le Monde am 9. Januar 2018
veröffentlichte. In diesem warnten sie vor dem „Klima einer totalitären Gesellschaft“. Die ersten Sätze lauten: „Die Vergewaltigung ist ein Ver-
brechen. Aber die Anmache oder das Anbaggern (i. O.: la drague), das insistiert oder ungeschickt ist, ist kein Delikt wie auch die Galanterie keine
machistische Aggression ist.“ #MeToo habe eine „Kampagne der Denunziation und öffentlicher Anschuldigungen“ ausgelöst – die Beschuldigten
seien auf eine Stufe mit sexuellen Aggressoren gestellt worden, ohne antworten oder sich verteidigen zu können. Als Folge konstatierten sie eine
„Säuberungswelle“, von der insbesondere Kunst und Kultur betroffen seien, was zu einer unfreien Gesellschaft führen könne. #MeToo befördere
zudem einen Puritanismus und spiele so Gegnern der Emanzipation in die Hände. Zwar sei es legitim, die Formen sexueller Gewalt gegenüber
Frauen zu vergegenwärtigen. Eine beharrliche oder ungeschickte Anmache sei jedoch kein Vergehen – schließlich gebe es keine sexuelle Freiheit
ohne eine „Freiheit, jemandem lästig zu werden“. Obwohl bereits seit Oktober 2017 in Verwendung, war #MeToo auf Twitter in Deutschland
(nach #WirSindMehr) das zweitmeistgenutzte Debattenhashtag des Jahres 2018.

54
8 Die aktuelle Sexismusdebatte

55
8 Die aktuelle Sexismusdebatte

56
8 Die aktuelle Sexismusdebatte

57
8 Die aktuelle Sexismusdebatte

Berechnet man die Haltung nur auf Basis derer, in ihrem Alltag gibt (bezogen nur auf jene, die
denen #MeToo zumindest dem Namen nach #MeToo kennen: 29 Prozent), und ähnlich viele,
bekannt ist (also ohne jene 15 Prozent, die dieses dass es weniger Sexismus in den Medien gibt, und
Hashtag nicht kennen), dann befürworten 76 Pro- wenn dies tatsächlich der objektiven Wirklichkeit
zent der Frauen und 63 Prozent der Männer die entspräche, dann wäre das ein enormer Wandel
#MeToo-Debatte (die jeweilige Differenz zu durch diesen Impuls.
100 Prozent sind Anteile derer, die auf Distanz
gehen). Auffällig ist, dass es hier keinen Unter- Vor allem für den Sexismus im Alltag ist ent-
schied in den Bildungsschichten gibt: Das Ver- scheidend, was die Menschen wahrnehmen und
trauen in das Sensibilisierungspotenzial von deuten – denn das ist (ihre) soziale Wirklichkeit.
#MeToo für Alltagssexismus ist bei jenen mit Signifikant ist hier ein Alterseffekt der #MeToo-
Hauptschulabschluss (68 Prozent) ebenso groß wie Debatte: Von den Personen im Alter von 16 bis
bei jenen mit Studium (69 Prozent). Das gilt auch 24 Jahren, die #MeToo kennen, sagen 37 Prozent
für die verschiedenen Altersgruppen (die Werte der Frauen und 35 Prozent der Männer, dass die
betragen etwa 66 Prozent) – mit einer auffälligen Debatte dazu beigetragen habe, dass es weniger
Ausnahme: Personen im Alter von mindestens Sexismus in ihrem Alltag gibt. In keiner anderen
55 Jahren haben noch mehr Zutrauen in die Altersgruppe findet sich ein so hoher Wert.
Aufklärungskraft von #MeToo (73 Prozent). Das
aber sind vor allem Frauen dieser Generation
(80 Prozent), weniger die Männer (63 Prozent).

Groß ist zwar das Vertrauen in die Sensibilisie-


rungskraft von #MeToo, aber vorsichtig und
zurückhaltend die Bilanz des bisher Bewirkten:
Dass die #MeToo-Debatte zu weniger Sexismus im
Alltag beigetragen hat, glauben nur 25 Prozent
aller Frauen und Männer (60 Prozent der Frauen
und Männer bezweifeln das mehr oder weniger
stark). Dass unter anderem die #MeToo-Debatte
zu weniger Sexismus in den Medien geführt habe,
glauben ähnlich wenige Frauen und Männer.

Diese Einschätzungen der Bevölkerung sind


Meinungen ohne empirische, belastbare Daten-
basis, eine subjektive Wahrnehmung aus ihrer
Lebenswelt heraus. Eine pessimistische Lesart
wäre, dass #MeToo zwar Hoffnung auf Sensibili-
sierung bezüglich des omnipräsenten Sexismus
im Alltag und in den Medien macht, aber diese
Verheißung nicht einzulösen vermag. Eine andere
Lesart ist, das noch unausgeschöpfte Potenzial
der -Debatte zu sehen. Eine optimistische Lesart
verweist auf die kurze Zeit, in der es das Hashtag
von Oktober 2017 bis Dezember 2018 (Zeitpunkt
der Untersuchung) überhaupt erst gibt – 14 Mona-
te. Wenn in dieser Zeit 25 Prozent aller Frauen und
Männer feststellen, dass es weniger Sexismus

58
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

9 Konträre Ansichten und


tiefe Gräben: Einstellungen
in den Milieus
Die empirischen Felderkundungen haben das Ziel, haben. Das bezieht sich auf Praktiken und Ein-
zu verstehen, was die Menschen unter Sexismus stellungen, was als normal akzeptiert wird und
verstehen. Es geht nicht um Messungen am was nicht, auch darauf, welche Maßnahmen
Maßstab einer vorgegebenen wissenschaftlichen sinnvoll und maßvoll sind, wie Regelverstöße zu
Definition von Sexismus, sondern um Alltagser- ahnden und welche präventiv anzugehen sind.
fahrungen und Alltagsdeutungen, die mit dem
Wort Sexismus verbunden werden. Alltag: Dieser Die quantitativen Befunde lassen erahnen, dass es
Begriff hat in den Sozialwissenschaften eine lange tiefe Gräben in diesen Vorstellungen gibt. Es gibt
Tradition und tiefe Fundierung in der soziologi- zwar milieuübergreifende, gesellschaftsweit
schen Phänomenologie (Alfred Schütz19), Rollen- geteilte Vorstellungen von Sexismus. Aber diese
theorie (Erving Goffman20) und Ethnomethodo- erweisen sich als Minimalkonsens mit Einstel-
logie (Harold Garfinkel21). Mit Alltag gemeint ist lungen der Political Correctness. In den bisher
die intersubjektive sinnhafte Welt der Menschen beschriebenen repräsentativen Befunden gibt
im Lichte ihrer alltäglichen Handlungen und Er- es zahlreiche Indikatoren, dass Sexismus unter-
fahrungen: Diese wird als Lebenswelt bezeichnet. schiedlich häufig wahrgenommen wird (von
überhaupt nicht bis wöchentlich) und oft gegen-
In der modernen Gesellschaft gibt es nicht eine sätzlich bewertet wird. In den Befunden der quali-
Lebenswelt, die alle Menschen teilen. Vielmehr tativen Tiefenuntersuchungen, die nun vorgestellt
gliedert sich unsere Gesellschaft in mehrere werden, werden die konträren Ansichten greif-
Lebenswelten, die als „soziale Milieus“ bezeichnet bar verständlich gemacht und wird die Tiefe der
werden. Diese Alltagswelten unterscheiden sich Gräben in den gegensätzlichen Auffassungen zu
signifikant voneinander: durch unterschiedliche Sexismus ausgelotet. Die konkreten Erfahrungen
Lebensauffassungen und Lebensweisen. Die und Einstellungen zu Sexismus haben eine je
Menschen eines Milieus haben je eigene Moder- eigene milieuspezifische Färbung. Dabei gibt es
nitätsauffassungen, -kulturen und -geschwindig- auch innerhalb eines Milieus zum Teil signifikante
keiten, was als „Gleichzeitigkeit des Ungleich- Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Die
zeitigen“ (Ernst Bloch) bezeichnet werden kann. mitunter umfangreichen Zitatenauszüge aus den
Die Koordinaten der Orientierung folgen einem Interviews sind nicht zu verstehen als Begrün-
spezifischen Kompass; Werte und Normen haben dung oder Belege, sondern dienen lediglich der
in jedem Milieu je eigene Bedeutungen. Das hat Illustration.
zur Konsequenz, dass Vorstellungen von Mann-
sein und Frausein, vom Rollengefüge zwischen Dieser qualitative Teil der Pilotstudie deckt nicht
Frauen und Männern (beruflich und privat), von die gesamte Milieulandschaft ab, sondern gibt ty-
Regeln und Formen des Umgangs mit dem ande- pologische Einblicke in einzelne Milieus. Grund
ren Geschlecht milieuspezifische Ausprägungen sind ökonomische Restriktionen der Pilotstudie.

19 Schütz, Alfred: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie. Wien 1932. Ders., zusammen mit
Thomas Luckmann: Strukturen der Lebenswelt (Soziologische Texte; Bd. 82). Neuwied 1975.
20 Goffman, Erving: The Presentation of Self in Everyday Life. New York 1959.
21 Garfinkel, Harold: Studies in Ethnomethodology. Prentice Hall, Englewood Cliffs, N. J. 1967.

59
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

Je einzeln behandelt werden die Milieus der Information


„Etablierten“ und der „Postmateriellen“ – jeweils Wenn im Folgenden die Haltungen von
die Sicht der Frauen und der Männer; zu je einem Männern beziehungsweise Frauen eines
Milieusegment zusammengefasst sind „Traditio- Milieus oder Milieusegments beschrieben
nelle“ und „Bürgerliche Mitte“ (hier Frauen und werden, ist dies zu lesen als die dominante
Männer) sowie „Benachteiligte“ und „Hedonisten“ Strömung in diesem Milieu. Das bedeutet
(nur die Sicht von Frauen). Nicht behandelt sind nicht, dass alle Männer beziehungsweise
Frauen und Männer in den Milieus der „Perfor- Frauen in diesem Milieu die jeweilige Auf-
mer“, „Expeditiven“ und „Konservativen“. Auch fassung teilen. Es gibt vermutlich im Milieu
dies ist ein Kompromiss aufgrund ökonomischer noch andere Strömungen. Die hier vorgestell-
Rahmenbedingungen. Im Rahmen einer Haupt- ten Befunde haben gleichwohl den Stellen-
untersuchung müsste jedes Milieu separat wert, typologisch zu sein für einen erheblichen
untersucht und innerhalb eines Milieus würden Teil der Männer beziehungsweise Frauen im
womöglich verschiedene Strömungen in den jeweiligen Milieu.
Einstellungen zu Sexismus – geschlechterdifferen-
ziert – identifiziert werden. Denn es gibt Grund zu Verschiedene Strömungen zu Verständnis,
der Annahme, dass es signifikante Unterschiede Einstellungen und Erfahrungen mit Sexismus
zwischen „Traditionellen“ und der „Bürgerlichen innerhalb eines Milieus müssten im Rahmen
Mitte“ gibt, ebenso zwischen „Hedonisten“ und einer umfangreicheren Untersuchung erfasst
„Benachteiligten“. werden. Eine solche wäre in der Lage, auch das
Verhältnis der Strömungen im Milieubinnen-
raum zu erkennen, zum Beispiel inwieweit sie
gegensätzlich sind oder nur Ausdifferenzierun-
gen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und
Pointierungen derselben Grundhaltung sind.

60
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

9.1 „Traditionelle“ und


„Bürgerliche Mitte“ „Sexismus ist für mich jedes geschlechts-
spezifische Fehlverhalten, verbal oder durch
Körperlichkeit, irgendeine Art von Abfälligkeit,
9.1.1 Männer in welcher Form auch immer. Ob das ein Blick
ist oder eine Bemerkung, was auch immer.“
Im Milieusegment der „Traditionellen“ und der
„Bürgerlichen Mitte“ sind Männer ohne akade- „Sexismus ist für mich, wenn eine Person
mische Ausbildung häufig selbständige Handwer- in abschätziger Weise auf ihr Geschlecht
ker und Landwirte, einfache und mittlere Ange- reduziert wird.“
stellte, einfache Arbeiter, Facharbeiter, Meister.
In den Befragungen dieser qualitativen Unter- „Sexismus ist eine Form von Rassismus,
suchung waren diese Männer berufstätig als Ver- geschlechterspezifisch natürlich. Das Thema
sicherungskaufmann, Lagerfachwirt, Schiffsbauer, oder das Wort wird aber im Moment auch ein
Bürokaufmann, Fachinformatiker, Industriekauf- wenig ausgelutscht. Es ist eine ungute Form,
mann, Einzelhandelskaufmann, Installateur. Menschen abzugrenzen.“

In der qualitativen Untersuchung zeigte sich „Sexismus ist für mich die Vor- oder Benach-
zunächst eine von allen vehement geäußerte teiligung eines gewissen Geschlechts … Es ist
Ablehnung von jeglichen Arten des Sexismus. Dies schwierig, das in einen Satz zu fassen. Vor- oder
zeigte sich zu Beginn beispielhaft in den Aussagen: Benachteiligung eben.“

61
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

„Sexismus ist für mich zum Beispiel, wenn Das Narrativ in diesem Milieusegment folgt somit
Casinowerbung gemacht wird mit spärlich einer Dramaturgie, die von (fast) allen Männern
bekleideten Damen oder Formel 1, da wird dieser Lebenswelten geteilt und wechselseitig
auch viel mit weiblichen Personen gearbeitet. bestärkt wird. Nach der Vergewisserung, dass die
Wenn der Fokus quasi in Richtung Erotik geht.“ Kulisse wechselseitig anerkannt ist (Sexismus
ist nicht gut), werden differenziert die eigent-
„Sexismus ist für mich, wenn etwas – egal lichen Probleme mit dem Sexismus ausgetauscht.
ob männlich oder weiblich – gegenüber einer Die anfängliche Kritik am alltäglichen Sexismus
anderen Person wiedergegeben wird. Es ist aber wandelte sich in Kritik an der Sexismusdebatte.
auch ein Phänomen von bestimmten Frauen- So sei Sexismus „ein überstrapazierter Begriff“,
gruppen. Für die ist alles Sexismus! Das sind „ausgelutscht und ein bisschen missbraucht“. Ein
eben diese Öko-Trullas.“ zentraler Einwand ist die „Überdrehung“ von
Sexismus in der aktuellen Debatte und Alltags-
kultur:
Diese Statements entsprechen dem Kanon der
Political Correctness und belegen, dass Sexismus
auf dieser Ebene öffentlicher Einstellungen nor- „Die Zeit, die wir früher hatten, da wurde das
mativ missbilligt wird. Die Männer dieser Milieus ganz oft unter den Teppich gekehrt. Heute ist
beobachten Sexismus überall – Zitat: „Sexismus das natürlich wichtig, dass es da ist, und dann
gibt’s überall: Werbung, Arbeit, Schule, Alltag, wird gleich Bam-Bam-Bam von allen Seiten
Produkte, Einkauf, Witze, Minirock, Brüste“ – und dran gezogen. Das finde ich spooky.“
betonen, wie wichtig es sei, darüber zu diskutieren.
Zugleich wird Sexismus als Debatte verstanden,
die von einzelnen Gruppen, überwiegend Frauen, Ein zweiter Einwand besteht aus zwei aufeinander
bestimmt und am Laufen gehalten wird aufbauenden Argumenten mit Loopingeffekt:
(„Öko-Trullas“). Die aktuelle Sexismusdebatte sei eng auf Sexis-
mus gegen Frauen fixiert; Männer als Betroffene
Je länger die Befragungen dauerten, umso mehr kämen darin gar nicht vor, obwohl doch auch
zeigte sich die tiefer liegende Mentalitätsstruktur, Männer betroffen seien. Männer würden in der
die in erheblicher Spannung und teilweise im Debatte ausgeblendet und damit benachteiligt.
Gegensatz steht zur zuvor geäußerten Ächtung Dass Männer als Betroffene von Sexismus nicht
von Sexismus. Während in den Erzählungen das oft thematisiert werden, liege vor allem daran,
Ausgangsprogramm immer wieder rezitiert wurde dass Männer weniger empfindlich seien als Frauen.
(„Sexismus ist ein absolut berechtigtes Thema“;
„Sexismus ist negativ“), lagerten sich zunehmend
andere Positionen darüber, Schichtung um „Sexismus ist irgendwie aber auch einseitig.
Schichtung, sodass die eingangs geäußerte anti- Wenn ich an Sexismus denke, denke ich eigent-
sexistische Haltung als wohl verinnerlichte Über- lich nur, dass Frauen sexistisch behandelt
zeugung zwar bestehen blieb und gegenüber den werden. Ich denke auch, dass es in den meisten
Zuhörenden beständig vergewissert wurde, aber Fällen nur bei Frauen vorkommt. Es kann schon
zunehmend wurde ihr pauschaler und offiziöser sein, dass das auch bei Männern vorkommt,
Charakter kristallin. Die antisexistische Haltung aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich
erweist sich als vordergründige Position und bil- Männer nicht so schnell auf den Schlips getreten
det die Kulisse für die eigentlichen und gegen- fühlen. Im Allgemeinen wird eher bei der Frau
läufigen Haltungen, für deren Anerkennung jenes darüber geredet und nicht beim Mann.“
Ausgangsprogramm einer grundsätzlichen, mora-
lisch anständigen Haltung offenbar benötigt wird.

62
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

Die hier oft verwendete Metapher „sich auf den Was an einem Ort gelte, dürfe woanders nicht
Schlips getreten fühlen“ ist instruktiv. Abgesehen verboten sein. Das führt sie zu der generalisier-
davon, dass meist Männer Schlipse tragen, impli- ten Aussage, dass Sexismus von bestimmten
ziert sie, dass eine zu große Empfindlichkeit der Gesellschaftsgruppen (ohne dass diese Gruppen
vermeintlichen Opfer das eigentliche Problem benannt oder näher charakterisiert werden) ange-
ist. Damit ist der Fokus ganz vom Täter auf das prangert werde und diese überall Sexismus witter-
Opfer geschoben, dessen Gefühlswelt das eigent- ten. Diesem Anprangern von Sexismus halten sie
liche Problem im Sexismus darstellt. Und zugleich entgegen, dass jeder eben andere Grenzen habe
wird dem Opfer der Opferstatus aberkannt, weil und dass sie sich von solchen singulären, quanti-
(in der Regel) Frauen in ihrer Empfindlichkeit – tativ marginalen Gesellschaftsgruppen nicht
einige auch in ihrer Reaktion – übertreiben. diktieren lassen, was Sexismus ist und was nicht.
Ergänzt wird diese Haltung durch die Meinung,
dass Frauen mehr über solche Gefühle reden Ein vierter Einwand betont die zweifelhafte
würden als Männer. Wenn also Männer – darin Vorbildfunktion prominenter Frauen, die den
besteht der Loopingeffekt – deutlich seltener als Sexismus befördern und für ihre finanziellen
Betroffene in der Sexismusdebatte vorkommen, Interessen nutzen. Als Beispiele dienen etwa
dann aus Sicht dieser Männer deshalb, weil Frauen Kim Kardashian, Verona Feldbusch/Pooth oder
hier besonders (über)empfindlich und kommuni- Helene Fischer, die für sehr viele Frauen heute
kativ seien. Daher kämen Männer in der Sexis- Vorbild seien mit der Botschaft, mit der öffent-
musdebatte nicht zu selten vor, sondern Frauen lichen Betonung und gezieltem Einsatz weib-
zu oft, weil Frauen auch alltäglich Belangloses licher Reize ökonomisch, medial und sozial
zu sensibel als Sexismus deuten und dieses mit (zum Beispiel am Arbeitsplatz, bei der Karriere)
vielen Schleifen kommunizieren würden, sodass erfolgreich sein zu können. Daher betonen
aus einer Bagatelle ein gewaltiges persönliches, Männer aus diesen Milieus: „Viele wollen doch
kulturelles und gesellschaftliches Problem selbst Sexsymbol sein, die richten sich doch her“.
gemacht werde. Sexistisch sind nach Auffassung dieser Männer
niemals sie selbst, sondern stets andere Männer
Ein daran anschließender dritter Einwand ist die (im Betrieb, im privaten Umfeld) und vor allem
völlige Relativierung des Begriffs Sexismus. Frauen, die sexistische Reaktionen bei Männern
Dieser sei „ein absolut nicht definierter Begriff. provozieren.
Für manch einen ist es dies, für manch anderen das.
Für einen ist es etwas Negatives, für einen anderen
etwas Positives, wohl schon eher öfter negativ, aber „Angenommen, eine Frau kommt im Minirock
es ist ein schwammiger Begriff.“ Wenn der Begriff an, dann macht die das doch nicht, weil sie
aber beliebig ist, dann ist es kaum möglich, die nichts anderes zum Anziehen gefunden hat,
Grenzen von Sexismus abzustecken. Daher beto- sondern die erwartet doch eine gewisse Reak-
nen Männer in diesen Milieus häufig und hart- tion von männlicher Seite. Wenn man die jetzt
näckig, wie „schwammig“ und subjektiv der Begriff überhaupt nicht beachtet, ist die vielleicht
Sexismus sei. Beispielhaft dafür das Argument, eingeschnappt.“
dass in ein Damenwäschegeschäft „natürlich auch
schöne Bilder gehören mit Dessous“. Niemand störe „Bei uns sind die Frauen im Sommer gerne sehr
sich an diesen Werbebildern; aber auf einer Bau- luftig bekleidet, da fängt es doch schon an!“
stelle oder in einer Werkstatt werde es sofort als
sexistisch bewertet, wenn man dort ein Plakat mit
Frauen in Unterwäsche aufhängt. Aus Sicht dieser
Männer ist das unplausibel und nicht logisch:

63
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

„Viele wollen doch Sexsymbol sein. Aber wenn „Wenn einer jetzt sagt ‚meine Alte‘ oder so,
man dann irgendwas sagt, vielleicht ‚Hey, geil, dann ist das jetzt vielleicht nicht sehr nett
geiles Fahrgestell …‘ oder was auch immer, und despektierlich, aber in Niederbayern ist
dann ist das für die jetzt vielleicht toll. Man das die offizielle Form, über seine Frau zu reden.
würde vielleicht sagen, das ist anzüglich, das Wenn ich so von ‚meiner Alten‘ rede, dann habe
ist Sexismus, aber in diesem Fall wartet die Frau ich die ja schon, dann ist die Kummer gewöhnt
eigentlich auf diese Reaktion. Ich glaube nicht, oder weiß, wie sie das zu nehmen hat.“
dass die darauf wartet, dass jemand sagt ‚geiles
Fahrgestell‘, sondern eher auf ‚Sie haben einen
tollen Stil‘, ‚Das Kleid ist toll‘ oder ‚Wunder- Neben prominenten Frauen sowie auf sexuelle
schöne Beine!‘. Es kommt auf den Ton, auf die Wirkung hin orientierte, Frauen, „auf die primitive
Worte an, es gibt schon Derbe, die dann sagen Männer anspringen“, werden vor allem pauschal
‚Let’s go‘ aber … ‚Schöne Beine‘ darf man sagen, „die Medien“ als Auslöser von Alltagssexismus
aber ‚Geiles Fahrgestell‘ ist schon wieder derb.“ ausgemacht. In der Regenbogenpresse (Yellow
Press), in Boulevardzeitschriften und -zeitungen
sowie in einigen TV-Sendungen (Promi- und
In dieser milieutypischen Vorstellung entscheiden Boulevardsendungen) sehen diese Männer
Form und Stil der Äußerung, ob etwas sexistisch eine Hauptursache für eine Sexismusindustrie,
ist oder nicht; eine Herabwürdigung oder ein die nahezu alle erreicht und eine Welt voller Sex
Kompliment. Nicht auf den Inhalt, sondern auf und Sexskandale suggeriert. Banalitäten und
die (verbale) Verpackung kommt es an. Nicht Nichtigkeiten würden zur Sensation gemacht
Motive und Ziele sind Kriterien für Sexismus, („aufgebauscht“). Dabei entlarven gerade die
sondern Feinheit oder Derbheit der Artikulation. Beschreibungen eine große Neugier dieser
Männer genau auf die Bilder. Das dokumentie-
Die Darstellung der Männer in diesem Milieu ist ren ihre zahlreichen, sehr konkreten Angaben
stets darum bemüht, sich als moralische Verächter zu Zeitschriften, TV-Sendungen, Websites unter
von herabwürdigenden Äußerungen zu zeigen. anderem, die diese Männer kennen. Man sieht sich
Andererseits werden bestimmte Formulierungen als Opfer des Boulevardsexismus und kritisiert
nicht als sexistisch decodiert, sondern als tradi- diesen einerseits moralisch; andererseits wird es
tionelle Alltagskultur, die nur von jenen falsch kritisiert, wenn die angekündigten erotischen
(als sexistisch) verstanden wird, die von außen Bilder hinter ihren Erwartungen zurückbleiben.
kommen und keine Binnenperspektive haben.

„Ich erlebe das auch in den Medien. Ich bin


„Ich erlebe das in der Mittagspause auch mit online bei verschiedenen Zeitungen, tz oder az,
verheirateten Kollegen, wenn da Mädels da gibt es bei der tz kaum einen Tag, das wird
kommen oder junge attraktive Frauen, und dann so aufgebauscht, der Skandal – die
dann wird gesagt: ‚Die hat dicke Töpfe, die Sensation: ‚Lena Meyer-Landrut – der Nippel-
hat ein dickes Fahrgestell …‘. Mich regt so was blitzer‘, oder ‚Ohne BH, ohne Schlüpfer, man
auf, ich möchte das nicht. Und ich denke, ich sieht die halbe Arschbacke‘. Das wird so aufge-
verstehe das auch nicht, denn das sind teilweise bauscht, das ist schon nicht mehr normal. Das
verheiratete Männer und ich habe das Bedürfnis kann doch mal passieren, dass man bei Frauen
gar nicht. Vielleicht bin ich noch nicht lange mal einen Nippel sieht durch den BH durch,
genug verheiratet, keine Ahnung.“ aber das wird dann so aufgebauscht, als wenn
die das mit Absicht gemacht hätte. So richtig
„Mir haben die Kolleginnen erzählt, dass unser künstlich erzeugt werden diese Artikel. Die
Chef immer, wenn sie alleine mit ihm im Zimmer Frauen laufen Sturm und wenn man das Bild
waren, seine Blicke immer zwischen den Augen ansieht, ist da gar nichts zu sehen. Das ist alles
und Brüsten wechselten.“ sehr primitiv.“

64
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

Diese Männer sehen sich sowohl als Opfer der „Hinterherschauen ohne Pfeifen ist ganz
Sexismusindustrie als auch der Sexismusentlar- normal. Man kann doch hinschauen, wenn man
vungshysterie bestimmter (weiblicher) Kreise. was Schönes sieht. Wenn man die aus der
Aber Opfer von Alltagssexismus seien nicht sie Situation nicht herausreißt, würde die das doch
selbst, sondern allenfalls homosexuell orientierte überhaupt nicht merken. Ich würde ja nicht zu
Männer. In dieser Weltanschauung und Welt- mir selber sagen: ‚Uiiih, da habe ich jetzt eine
erfahrung kommt „normalen“, starken Männern Dreiviertelsekunde zu lange geschaut.‘ Es müsste
nicht die Opferrolle zu. Das liegt ihrer Ansicht schon jemand in meiner Gruppe dann bemerken,
nach daran, dass Frauen das „schöne Geschlecht“ selbst wenn es die betreffende Person nicht
seien – und nicht Männer. Erst durch eine nicht- bemerkt. Es muss also von der betreffenden oder
normale Geschlechterorientierung werden einer außenstehenden Person bemerkt werden,
Männer zu Opfern. Opfer von Alltagssexismus sonst ist das doch kein Sexismus.“
werden Männer somit primär durch Abweichung
vom Normalitätsmodell der Heterosexualität. Hier
kommen die Übergriffe – so die Wahrnehmung – Erhellend über die Haltung zum Alltagssexismus
von heterosexuellen Männern und Frauen. Dieses sind Reaktionen auf die Phantasiefrage: „Stellen
Stigma von homosexuellen Männern wird über- Sie sich einmal vor, über Nacht gäbe es plötzlich
deckt und kaschiert durch moderate Kritik am keinen Sexismus mehr in Deutschland. Woran
Sexismus gegenüber schwulen Männern. würden Sie das merken?“ Die Reaktionen von
Männern aus den Milieus „Traditionelle“ und
„Bürgerliche Mitte“ waren, dass die Print-, TV- und
„Wir haben in der Arbeit einen dabei, der Online-Medien sexfrei wären und die Gesellschaft
ist homosexuell und der ist …, ja, ein wenig uniform („wie in Nordkorea“) – damit ohne Schön-
phlegmatisch. Der bekommt auch immer so heit, reizlos, freudlos.
Spitzen ab. Ein bisschen Gaudi, da kommt
schon mal was vor, manchmal auch zu viel
aus meiner Sicht.“ „Musikantenstadel oder eine andere Sendung,
da hätten alle die gleiche Uniform an. Sich gut
kleiden ist dann ja auch schon Sexismus, das ist
Vor allem sehen sich diese Männer mit den ja dann auch nicht mehr möglich, das ist dann
kaum lösbaren Schwierigkeiten konfrontiert, die wie in Nordkorea.“
„schwammigen Grenzen“ zu beachten, um nicht –
zu Unrecht – als sexistisch zu gelten. Es gebe „Es würde keine Ferkelmagazine
Grenzen, aber die seien bei fast allem fließend. mehr zu kaufen geben.“
Nicht sexistisch ist es für einen Teil der Männer
aus diesen Milieus, wenn die Frau (als Objekt der „Es gibt so Nacktformate im Fernsehen,
Begierde/Bewunderung) oder jemand Drittes das würde es nicht mehr geben.“
die Äußerungen oder Gesten gar nicht bemerkt.
Unter Sexismus fällt nur bemerktes Handeln,
etwas Äußerliches. Sexismus allein als mentales Eine sexismusfreie Gesellschaft hätte primär
Muster, als bloße Einstellung, als Gedanken, als Einschränkung im Angebot der Medien- und
Haltung, als unbemerktes Handeln gibt es für Konsumgesellschaft zur Folge. Gar nicht in
Männer in diesen Milieus typischerweise nicht. den Blick geraten Einstellungen und Verhalten
ihrer Alltagswelt, weder beruflich noch privat,
ebenso wenig gesellschaftliche Strukturen im
„Das Hervorheben von Körperlichkeit, wie zum Geschlechterverhältnis.
Beispiel Brüsten. Wenn man zum Beispiel sagt
‚Hast du die Titten gesehen‘, kann man das
vielleicht im kleinen Männerkreis sagen, aber
man sollte erst mal gucken, ob das irgendeine
Frau hört. Dann ist es absolutes No-Go.“

65
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

9.1.2 Frauen „Sexismus ist zum Beispiel, wenn Werbung


gemacht wird mit spärlich bekleideten Damen
Frauen in den Milieus „Traditionelle“ und oder Autowerbung und Automessen, wenn sich
„Bürgerliche Mitte“ sind mehrheitlich in Teilzeit Frauen auf der Motorhaube räkeln müssen.“
erwerbstätig. Ein geringer Teil ist dauerhaft
nicht erwerbstätig, andere sind aufgrund familien-
bedingter Erwerbsunterbrechung aktuell nicht Frauen in diesem Milieusegment haben signifi-
erwerbstätig; sehr wenige arbeiten Vollzeit. kant andere Einstellungen zum Sexismus als
Typische Berufe sind Verkäuferin im Einzel- die zuvor beschriebenen Männer dieser Milieus.
handel,  Bürokauffrau, Assistentin (zum Beispiel Ähnlich ist, dass sie Sexismus reflexhaft zunächst
im Einkauf, Vertrieb, Marketing, Rechnungs- auf Frauen als Betroffene beziehen. Doch sie
wesen), Sekretärin, Krankenschwester, Hebamme, thematisierten in den sozialwissenschaftlichen
Physiotherapeutin, Erzieherin, Altenpflegerin Gesprächen deutlich früher, prägnanter und
sowie andere Sorge- und Gesundheitsberufe. durch episodenhafte Beispiele illustriert auch
Sexismus gegen Männer – und zwar nicht redu-
ziert auf homosexuelle Männer als Betroffene.
„Sexismus ist für mich, wenn ein Mensch, egal In der Wahrnehmung dieser Frauen sind auch
ob Mann oder Frau, gegen seinen Willen etwas Männer, „vor allem junge und gutaussehende“,
Sexuelles aufgedrängt bekommt, egal, ob das Opfer von Alltagssexismus, und zwar
jetzt verbal ist, ob es per Grabschen ist oder mit
abwertenden Worten. Etwas, das gegen meinen 1. durch erotisch-übergriffige Attacken
Willen geschieht, bezogen auf sexuelle Dinge.“ homosexueller Männer gegenüber
attraktiven Männern;
„Sexismus fängt schon im Gedanken an. Es
können auch Frauen sein, die sexistisch sind, 2. durch Attacken heterosexueller Männer
zum Beispiel abwertend gegenüber Männern. gegenüber homosexuellen Männern auf-
Es sind nicht nur die Männer, die die Frauen grund ihrer „nicht normalen“ Sexualpartner-
abwertend behandeln oder etwas Abwertendes orientierung;
sagen. Es können auch die Frauen sein, wenn
die bis in die Extreme gehen.“ 3. durch sexistische Übergriffe von Frauen gegen-
über Männern (was Männer in diesem Milieu-
„Sexismus bedeutet Oberflächlichkeit, dass segment ausblenden, tabuisieren, verneinen);
man die Person auf ihr Äußeres reduziert.“
4. durch Missbrauch von Lehrern und Klerikern,
„Sexismus bedeutet für mich auch, wenn zum die ihre Macht qua Hierarchie missbrauchen
Beispiel Chefs ihre Macht ausspielen, wenn und die Wehrlosigkeit ihrer Opfer ausnutzen.
man im Büro abgewertet wird, wenn man da
reduziert wird aufs Äußere.“ Das wahrgenommene Spektrum des Sexismus
beziehungsweise dessen, was alles unter das Label
„Sexismus bedeutet für mich Belästigung, Sexismus gefasst wird, ist sehr breit. Dazu gehören
weil das schon über das Flirten hinausgeht.“ (wörtliche Auszüge aus den Interviews):

„Sexismus fängt mit anzüglichen Bemerkungen


an und ist einfach eine Herabwürdigung des • „anzügliche Bemerkungen wie ‚Hey, Süße‘“,
anderen, egal, ob männlich oder weiblich. Es ist
die Herabsetzung.“ • „dass die Blicke gleich haften bleiben,
wenn man mal einen Rock trägt“,
„Sexismus ist für mich die Vor- oder Benach-
teiligung eines gewissen Geschlechts.“ • „dass man herunterreduziert wird auf
das Äußere“,

66
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

• „dass auf Bildern und in Filmen überall nackte „Eine Freundin von mir arbeitet als Flugbeglei-
oder halbnackte Frauen zu sehen sind“, terin, und da fliegt sie auch nach Amerika. Und
vorgestern war sie in einem Schnellrestaurant
• „Angrabschen – zum Beispiel an den Hintern in Amerika und dort gibt es hübsche operierte
fassen, zum Beispiel im Büro oder in der Bahn“ Frauen. Man kann alles sehen, die laufen da in
Hot Pants rum und man kann fast die Brust-
• „dass wir zwar offiziell Gleichberechtigung warzen sehen und die bedienen dann die Gäste
haben, aber im Grunde genommen ist es so: Der mit dem Essen. Solange es solche Frauen gibt,
Mann geht Vollzeit arbeiten und die Frau bleibt gibt es auch Sexismus. Wenn die Frauen das
zuhause bei den Kindern am Herd. So, wie es in mitmachen oder öffentlich zur Schau stellen,
den 60er Jahren schon war“. können wir so viel sprechen wie wir wollen.“

„Wenn ich die ganzen Mädels sehe, die die


Herabwürdigung einer Person aufgrund ihrer Selfies mit Schmollmund posten und die Taille –
bloßen Geschlechtszugehörigkeit; Leistungs- je dünner, umso besser –, dann geht das doch
defizite, Fehler oder mangelnde Fertigkeiten irgendwie radikal in diese Richtung. Wir sind
auf ihr Geschlecht zurückzuführen; eine Person weit davon entfernt, nicht sexistisch zu sein.“
verächtlich machen aufgrund ihres weniger
gefälligen Aussehens; eine Person zum Sexobjekt „Frauen nutzen das doch auch! In unserem Büro
stilisieren aufgrund ihres sehr guten Aussehens: hat eine Kollegin einfach mal ein Knöpfchen an
All dies ist aus Sicht dieser Frauen ebenso Sexis- ihrer Bluse aufgemacht, wenn sie was wollte.
mus wie die expressiv-erotische Selbstdarstellung Das hat schon gereicht, die Verlockung, damit
von Frauen in digitalen Medien und Zeitschriften hat die gleich alles durchgesetzt.“
sowie der geringe Anteil von Frauen in Führungs-
positionen in Familie, Politik und Wirtschaft,
ungleiche Bezahlung, traditionelle Rollenteilung Klar ist die Abgrenzung zwischen Sexismus und
oder auch Bevorzugungen von Frauen am Arbeits- Flirten: Ein „nettes und ehrliches Kompliment ist
platz, wenn bestimmte Frauen durch weibliche keineswegs sexistisch“, wenn der Respekt für die
Reize ihre Ziele besser durchsetzen können (und Person gilt; ebenso sich daran freuen, eine schöne
diese Methode erfolgreich ist). Frauen sind nicht Frau oder einen schönen Mann zu sehen und das
nur die überwiegend von Sexismus Betroffenen, auch zu sagen. Kein Sexismus ist aus Sicht dieser
sondern einige Frauen sind auch Täterinnen, Frauen ein erotischer Kontakt, der auf Gegensei-
indem sie sich offensichtlich und gezielt erotisch- tigkeit und Einverständnis beruht, ein „Geben
sexy präsentieren und damit einerseits situative und Nehmen auf gleicher Ebene“. Sobald jemand
Genugtuung empfinden (Männern gefallen), es auf Flirtsignale nicht positiv reagiert, zurücktritt
sich andererseits für sie sozial – und manchmal und verneint, ist eine Grenze gesetzt, an der ein
auch finanziell – lohnt. Doch damit übernehmen Gegenüber eigentlich unbedingt stoppen muss.
sie das Muster der Männer, bedienen und repro- Wenn die Person die Signale nicht annimmt, das
duzieren es. Nein nicht akzeptiert, ist das für diese Frauen
sexistisch. Sexismus beginnt da, wo es nicht um
die Person geht, sondern um ihre Eigenschaften
„Wenn ich an die Rappervideos denke, wo für die persönliche Befriedigung, wenn die Frau
wirklich …, gerade mal, dass die nicht mitein- zum Objekt sexueller Lüste oder Fantasien degra-
ander vögeln, ich kann da nicht hingucken, diert wird, wenn die Frau dies bewusst befördert
du siehst da nur Ärsche, du siehst nur Brüste. oder gar provoziert – und natürlich, wenn es zu
Das regt mich so auf. Da schalte ich sofort ab. unerwünschtem Körperkontakt kommt.
Auf der einen Seite beschweren sich die Frauen,
dass es dieses Problem gibt, auf der anderen
Seite wird es so angeheizt.“

67
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

Die Schwierigkeit besteht darin, wie zwei flirtende Während Männer dieser Milieus bei der Frage
Menschen jeweils erkennen, ob sie auf der „glei- der Strafbarkeit lavieren und auf die subjektive
chen Ebene“ sind. Man kann in den Kopf des je Ansichtssache verweisen, haben Frauen eine
anderen nicht hineinschauen. Die „gleiche Ebene“ klarere und restriktive Haltung: Wenn ein
ist somit eine wohlwollende Unterstellung, dass sexistischer Übergriff eindeutig gegen den
mein Gegenüber mich nicht zum Objekt macht, Willen geschieht, sollte er strafbar sein. Das
sondern mich als Subjekt anerkennt und inte- entscheidende Kriterium sind nicht Art (verbal,
ressant findet. Die von Frauen in diesem Milieu körperlich), Grad oder Situation des Übergriffs,
verwendete Formel vom „Geben und Nehmen auf sondern dass dieser gegen den Willen erfolgte
gleicher Ebene“ impliziert, dass hier permanent und die betroffene Person aufgrund ihres Ge-
Unsicherheit herrscht, jederzeit Verletzungen schlechts beschädigt wurde. Die Frage, ob es
und Missbrauch auftreten können und man sich staatliche Rechtsgewalt braucht, um solche
nie sicher sein kann, vom anderen instrumenta- Übergriffe zu ahnden, beantworten Frauen in
lisiert zu werden. Gleichwohl gilt die Vermutung diesem Segment weitgehend klar: Es gibt Frauen,
der gleichen Ebene als ein wichtiger Vertrauens- die sich in solchen Situationen selbst wehren
vorschuss, der allerdings durch die Beobachtung können und eigentlich kein Gesetz bräuchten;
und Bilanzierung über die Symmetrie (oder Asym- aber eine Lösung ist zu orientieren an jenen
metrie) vom Geben und Nehmen permanent Frauen, die sich aufgrund persönlicher oder
überprüft werden sollte. sozialer, physischer oder mentaler Disposition
nicht wehren können. Dabei sei neben Menschen
in geringerer sozialer Lage oder beruflicher
„Wenn Poesie dabei ist, wenn es um die Schön- Abhängigkeit (Übergriff durch Vorgesetzte oder
heit geht, ist das nicht sexistisch. Aber wenn es Kollegen) auch zu denken an Menschen mit
um die Geilheit geht, dann ist es schlimm.“ körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung,
an ältere Menschen, kranke Menschen oder
„Sexismus ist ganz klar dieser ungewünschte Menschen in besonderen Lebenssituationen.
Körperkontakt, bei der Massage begrabscht zu
werden. Das ist uns auch allen schon passiert,
gerade in Urlaubsorten, im Hotel sogar. Dann „Ich habe bei uns im Krankenhaus mitbekom-
zweideutige Bemerkungen. Männer und Frauen, men, da ist eine Frau nach der OP auf der
die als Objekt angesehen werden.“ Intensivstation im Aufwachraum von einem
Pfleger an den Brüsten berührt worden.“
„Wenn die Frau zur Ware reduziert wird, das
ist es, glaube ich. Die ist ein Hilfsmittel zum „Wenn eine Frau im Bus steht und ein Mann
Verkauf einer Ware und ist somit selber Ware. reibt sich an ihr mit seinem Geschlechtsteil,
Man fühlt sich dann einfach degradiert.“ dann ist das einfach ein Übergriff und muss
bestraft werden.“
„Es geht darum, dass man einen Menschen be-
nutzt. Wenn ich ein Mann bin und grabsche in „Wenn dich jemand im Betrieb schlechtmacht,
der U-Bahn eine Frau an, dann benutze ich sie weil er neidisch auf deine Position ist, und er
in diesem Moment. Wenn ich es schön finde, sagt so etwas wie ‚Du als Frau …, hahaha‘ und
jetzt ihren Hintern in der Hand zu haben, dann die Männer lachen dich alle aus, sollte das
benutze ich sie, also gegen ihren Willen. Das eigentlich bestraft werden, weil das ist eine
ist Sexismus.“ Schädigung von deinem Ruf.“

„Schlimm am Sexismus ist, dass man als Objekt


gesehen und abgewertet wird und nicht gesehen Schwierig sei die Lösung in Situationen ohne
wird, welche Fähigkeiten ich habe und wer ich körperlichen Kontakt: Solange man nicht körper-
bin.“ lich angefasst werde, könne man strafrechtlich

68
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

nichts machen. Das aufdringliche Stieren sei Sicht der Frauen haben sexistische Täter „sicher
nicht nachweisfähig. Signifikant ist hier, dass alle so einen Frauenhass oder Komplexe und müssen
es nicht darum geht, ob eine solche Handlung sich etwas beweisen“; sie würden kein glückliches
strafbar sein solle, sondern „dass man da nichts Leben führen; ihnen fehle etwas im Leben; sie
machen“ könne. „haben alle ein Defizit“; es sei bei ihnen ein innerer
Zwang; der sexistische Übergriff gebe ihnen eine
Im Unterschied zu Männern assoziieren Frauen innere Befriedigung; sie seien in ihrer Kindheit
dieser Milieus mit Sexismus die #MeToo-Bewe- oder Jugend von ihrer Mutter nur gedemütigt und
gung mit Stichworten zu Harvey Weinstein von Mädchen ihrer Jugendzeit gehänselt worden.
oder Dieter Wedel. Die Aufmerksamkeit und das Söhne seien vielleicht von ihren Müttern miss-
Bewusstsein für die strukturelle oder systemische braucht worden und hätten daher grundsätzlich
Dimension von Sexismus sowie die Protestbewe- ein gestörtes Verhältnis zu Frauen. Diese wild
gung sind bei Frauen stärker als bei Männern in spekulativen, nicht auf belegten Wahrnehmungen
diesem Milieusegment. Im Zusammenhang mit im eigenen Umfeld beruhenden, sondern sich aus
der #MeToo-Debatte wird betont, dass es nicht der Boulevardpresse speisenden stereotyp-pau-
nur Sexismus gegen Frauen, sondern auch Sexis- schalisierenden Erklärungsversuche laufen auf
mus gegen Männer gebe – Assoziationen sind eine Fundamentalerklärung zu: Die Täter seien
etwa Kevin Spacey, Bill Crosby, Rudolph Mosham- selbst Opfer ihrer Sozialisation, durch die sie auf
mer, ebenso eigene Beobachtungen oder Erzäh- ihre Triebe zurückgeworfen worden seien, ein
lungen, dass Männer auch begrabscht würden, Prozess der Diskulturation, der niedere Triebe
aber „vielleicht nicht so häufig, das findet eher im entfesselt habe, beziehungsweise diese dienten zur
Verborgenen statt“. Sexismus gegen Männer sei Kompensation ihres Defizits. Zu diesen psychoso-
weniger manifest, finde eher im „sozialen Dark- zialen Defiziten komme zweitens, dass sexistische
room“ statt. Betroffen seien – so die Vermutung Täter ihre Grenzen einfach nicht kennen würden.
und Wirklichkeitsauffassung – häufig männliche (Interessant: In diesen Passagen der sozialwissen-
Models, junge gutaussehende Männer und schaftlichen Interviews sprechen die Frauen nur
Homosexuelle. über männliche Täter, nicht über Täterinnen.)
Der mangelnde Respekt vor Grenzen und vor den
Täterinnen und Täter von Sexismus gegen Frauen Territorien des anderen führe zu Grenzüberschrei-
und Männer seien nicht nur jene, die die Über- tungen, die diesen Männern als Tabuverletzung
griffe tätigen, sondern auch jene, die solche oft einfach nicht bewusst seien. Sie seien so sehr
beobachten oder davon wissen und dennoch auf ihre eigene Gefühlswelt fokussiert (allein oder
nichts sagen. Die stillschweigende Duldung als in der Gruppe), dass sie keine Empathie für die
Beobachter in unmittelbarer Nähe zur Situation Betroffenen ihrer Taten entwickeln würden. Be-
(zum Beispiel in der Bahn, auf öffentlichen Plät- sonders verführerisch seien solche Grenzverletzun-
zen, beim Sport) mache die Mittäterschaft aus. gen für Männer in Machtpositionen. Gleichwohl
Das geschehe aus Feigheit in der Situation, weil komme Sexismus in allen sozialen Schichten vor.
man seine Ruhe haben möchte, sich der Gruppe
der Übergreifenden nicht gewachsen fühlt, weil
man den Familienfrieden nicht gefährden will. „Dieser Geschäftsführer sah gut aus, der
Das sei Sexismus zweiten Grades. war verheiratet und der hatte Geld, aber er
hat einfach seine Macht ausgenutzt.“
Ausführlich werden die Täter (ersten Grades)
charakterisiert, wobei diese Beschreibungen „Aus den unteren Schichten sind es dann
einerseits Ursachen und Motive für sexistische eben diese hässlichen Männer, die nichts
Übergriffe umschreiben, andererseits selbst eine gebacken kriegen.“
Herabwürdigung der Täter darstellen, die durch
psychosoziale Deformation oder biographische „Männer haben mehr Testosteron und sind mehr
Sozialisationsdefizite gekennzeichnet seien: Aus triebgesteuert. Und sie haben mehr Macht.“

69
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

In allen Schichten gebe es Menschen mit Macht, „Wenn ein Junge im Teenageralter viele Freun-
damit auch die Tendenz zum Machtmissbrauch. dinnen hat, sagt der Vater ‚Toll, du bist echt ein
Dieser geschehe … scharfer Hund und sammle ruhig ordentlich
Erfahrungen‘. Bei einem Mädchen, das alle
1. innerhalb einer Schicht beziehungsweise eines vierzehn Tage einen neuen Freund hat, heißt es
Milieus (also sexistischer Machtmissbrauch im dann: Die ist dann auf dem besten Weg, eine
Binnenraum einer Schicht beziehungsweise Schlampe zu sein. Da geht es doch schon los.“
eines Milieus);
„Gibt es ein Wort für einen Mann,
2. gegenüber Personen aus anderen, niedrigeren der eine Schlampe ist?“
Schichten beziehungsweise Milieus (also
schicht- beziehungsweise milieuübergreifen-
der Sexismus). Zur Vorbeugung von Sexismus sowie für den
Umgang mit Übergriffen sehen Frauen in diesem
Aus ihrer Erfahrung heraus erklären Frauen aus Segment eine Reihe von Möglichkeiten, adressie-
den Milieus „Traditionelle“ und „Bürgerliche ren diese aber fast ausschließlich an die Unter-
Mitte“ den ursächlichen Kern von Sexismus als nehmen sowie die Politik. Dabei sei es nicht rat-
Folge des Syndroms von mangelnder Zivilisation sam, den Begriff Sexismus zu verwenden, weil
und Hierarchie, von psychosozialer Deformation dieser eine abschreckende Wirkung habe und
und Machtmissbrauch, ein ungutes Zusammen- jene stigmatisiere, die sich gegen Alltagssexismus
fallen von Zivilisationsverlust und Machtzuwachs: engagieren, sowie jene, die als Betroffene oder
„So was gibt es überall, wo die Hierarchie ist.“ Täter Hilfe suchen.


Tat und Täter werden nicht nur moralisch ver- Unternehmen sollten Weiterbildungs-
urteilt; die Beschreibungen der Täter hinsichtlich seminare anbieten, allerdings nicht unter
ihrer Motive und Gründe sind selbst eine despek- dem Thema Sexismus, sondern zum Beispiel
tierliche Zeichnung der Täter in ihrem Charakter unter der Überschrift „Umgang am Arbeitsplatz“.
und Wesen. Damit erheben diese Frauen die Diese unternehmensinternen Seminare sollten
Betroffenen über die Täter – die Opfer sind den regelmäßig, beispielsweise vierteljährlich, statt-
Tätern moralisch und charakterlich überlegen. finden. Diese könnten in geschlechterhomogenen
Umgekehrt verstärkt genau das die Erniedrigung Gruppen stattfinden, besser aber geschlechter-
und Verletzung, wenn eine Person durch ein aus gemischt, damit alle erfahren, welche Erfahrungen
Sicht des Opfers so verachtenswertes Wesen gemacht werden. Jede/jeder dürfe dort ihren/
herabgewürdigt wird. Durch den Einbezug der seinen Ballast loswerden. Zu klären wäre im Vor-
Dimension Macht wird die gesellschaftliche feld, ob die Unternehmensleitung beziehungs-
Dimension geöffnet: Sexismus ist nicht nur ein weise die Bereichsleitung an den Seminaren
privates, individuelles Fehlverhalten, sondern ein verpflichtend teilnehmen muss oder ob deren
Symptom der gesellschaftlichen Struktur und Teilnahme ein Hemmnis für den offenen Dialog ist,
des Systems. sodass sich einige nicht trauen, alles anzusprechen.

Rudimentär vorhanden, wenn auch nicht tief Ergänzend könnte ein Beschwerdebriefkasten
verankert und noch längst kein Narrativ im eingerichtet werden, in dem sexistische Vor-
Binnenraum dieses Milieus ist die Einstellung, kommnisse anonym oder offen einer Vertrauens-
dass geschlechtsspezifische Zuschreibungen person (zum Beispiel der Gleichstellungs-
irgendwie mit Sexismus zu tun haben – und dies beauftragten) gemeldet werden. Auch dieser
sich auch in Worten, Begriffen sowie der Struktur Briefkasten könnte unter einem anderen Label
unserer Sprache und in praktischen Sprachge- stehen, zum Beispiel „Zwischenmenschliches“.
wohnheiten niederschlägt. Besonders gelte das
für Jugendliche, bei denen Jungen und Mädchen
je andere Rollenbilder vermittelt bekommen.

70
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus


An die Politik adressiert sind Hinweise, den Ein anderer Teil der Frauen teilt die Einschät-
Gang vor das Arbeitsgericht zu erleichtern. zungen der Männer im Milieu: Man würde sich
Viele sehen im Fall von betriebsinternem Sexis- permanent selbst verdächtigen, ob man in öffent-
mus nicht nur große sozial-kollegiale Hürden, lichen Verkehrsmitteln zu nah an einer anderen
sondern auch finanzielle, zeitliche und organi- Person sitzt, ob Berührungen in engen Räumen
satorische: Sich im Fall von erlebtem Sexismus (Fahrstuhl, Bus, Bahn) vom anderen als Sexismus
rechtlich zu beraten und gegebenenfalls zu ausgelegt werden kann. Diese systematisch
wehren, ist mit großen Unsicherheiten behaftet, Unsicherheit erzeugenden (Selbst-)Verdächti-
weil das Thema auch im Freundeskreis sowie gungen im Alltag würden auch das Spiel der
unter Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz Geschlechter miteinander hemmen und unter-
tabuisiert ist. Insofern besteht hier der Wunsch binden. Flirten wäre ein Risiko nicht nur der
nach einem niedrigschwelligen Angebot zur persönlichen Zurückweisung, sondern stünde
Beratung und anwaltlichen Unterstützung. unter einem potenziellen moralischen oder
strafrechtlichen Verdikt.
Außerhalb von Betrieben gelten Verbraucher-
zentralen als Vorbild für Beratungs- und Hilfe-
stellen. Das Argument ist: Wenn es für Konsum- „Es traut sich doch dann kein Mensch mehr auf
güter, Dienstleistungen und Sozialbeziehungen der Welt mit irgendjemandem zu flirten. Das ist
organisierte Beratungen gibt, sollte eine Stadt eine ja trostlos. Die ganze #MeToo-Debatte, die
Anlaufstelle einrichten, die „handfeste Tipps“ ganze Erotik ist im Arsch.“
geben könnte. Das kann verbunden werden mit
einer telefonischen Beratungsnummer (Hotline).
Schilder in Bussen und Bahnen sowie auf öffent- Wichtig ist beiden Gruppen, dass die Eindäm-
lichen Plätzen, die auf diese Hotline hinweisen mung von Sexismus nicht zu einer Kultur behörd-
(„Bei sexistischen Übergriffen wenden Sie sich an licher Sittenpolizei führen darf, und dass die
folgende Nummer“), würden Betroffenen das Menschen im Alltag nicht die Rolle einer privaten
Gefühl geben, nicht allein zu sein – und würden Sittenpolizei übernehmen.
womöglich einige Täter abschrecken.

Woran würde man merken, wenn es in Deutsch-


land plötzlich keinen Sexismus mehr gäbe? Was 9.2 „Benachteiligte“
wäre anders? Ein Teil der Frauen erwartet im
Gegensatz zu Männern dieser Milieus keine uni- und „Hedonisten“
forme, freudlose Gesellschaft. Die meisten ver-
muten, dass sie in ihrem eigenen privaten oder
beruflichen Umfeld kaum Veränderungen bemer- 9.2.1 Frauen
ken würden. Erhebliche Veränderungen erwarten
sie in den Medien – TV-Werbung und Werbe- Die in den qualitativen Gruppenwerkstätten
plakate wären anders gestaltet. Es wäre eine Welt, befragten Frauen aus den Milieus „Benachteiligte“
die nicht fade wäre, aber eine, in der unbedingter und „Hedonisten“ sind in folgenden milieutypi-
Respekt und Wertschätzung gegenüber Frauen schen Berufsfeldern tätig: Mitarbeiterin in der
bestünden. Das würde das tägliche Miteinander Gastronomie (Bar, Club), Kinderpflege, Altenpflege,
im Privaten und Beruflichen betreffen, aber auch Angestellte im Großhandel, Verkäuferin in einer
strukturelle Aspekte wie etwa gleiche Bezahlung Boutique, Kassiererin im Discounter, Sekretä-
für gleiche Arbeit. Es ist signifikant, dass Gleich- rin, Mitarbeiterin im Callcenter (Minijob). Der
stellungsaspekte wie Entgeltgleichheit und Frauen Anteil der Alleinerziehenden und der Familien-
in Führungspositionen für diese Frauen Indikator ernährerinnen ist in diesen beiden Milieus groß.
und Effekt der Beseitigung von Sexismus wären. Das Alter der hier Befragten liegt zwischen 20 und
42 Jahren.

71
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

Frauen in Milieus der modernen Unterschicht bestimmung und Autonomie. Natürlich gäbe es
verbinden mit Sexismus Frauenfeindlichkeit auch Filme mit weiblichen Helden (Lara Croft,
sowie die bewusste Ungleichbehandlung oder Wonder Woman), aber diese würde man sehen
Ausschließung aufgrund des Geschlechts. Haupt- als Frau, die selbstbewusst eine Männerrolle
sächlich sehen sie Frauen als Betroffene von übernehme – aber eben keine Frauenrolle. In den
Sexismus – vor allem sich selbst. In keinem meisten Filmen sei die Heldin eine unterstützende
anderen Milieu ist die Bereitschaft, sich selbst Partnerin des großen männlichen Helden (Total
als Opfer von sexistischen Übergriffen zu outen, Recall, Mission Impossible und andere). Und wenn
so groß wie hier. eine Frau beruflich an der Spitze dargestellt werde,
dann zeige man stets ihre Mängel, Makel und
Die Frauen beschreiben ausführlich sehr unter- bösen Abgründe, die durch die Leitungsposition
schiedliche Situationen, Szenen und Episoden beziehungsweise ihren Ehrgeiz erzeugt oder
erlebter Übergriffe (in der Regel von Männern). sichtbar würden.
Gleichwertig dazu betonen sie ihr Unbehagen
und Missfallen über mediale Darstellungen von Natürlich seien auch Männer in mancher Hin-
Frauen in zwei Richtungen: Diese seien zum einen sicht von Alltagssexismus betroffen, nicht nur
erotische Objekte der Begierde zum Zweck der persönlich, sondern aus strukturell. Ein Beispiel
Verkaufsförderung. Zum anderen würden Frauen seien Männer in Erzieher- oder Pflegeberufen,
in Filmen und in der Werbung in einer traditio- die schneller als Frauen verdächtigt (beäugt,
nellen Rolle dargestellt, die für ihr Lebensglück geschmäht, stigmatisiert) werden, wahrschein-
einen Mann brauchen, die ohne diesen unzu- lich homosexuell oder pädophil zu sein.
frieden und unvollständig sind. Dagegen werden
Männer in medialen Darstellungen inszeniert Doch in den qualitativen Interviews beziehungs-
als jene, die höhere Ziele anstreben, beruflich weise Gruppengesprächen dieser Untersuchung
erfolgreich und dadurch attraktiv sind, eine dominieren episodenhafte Beschreibungen
große Leidenschaft für ein Lebensprojekt haben, sexistischer Übergriffe und Situationen, die
mit Kreativität, Power und Know-how die Welt sie selbst oder ihre Freundinnen häufig oder
retten – immer mit den Signalen der Selbst- gelegentlich erleben.

72
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

„Sexismus im Alltag fängt für mich schon bei immer darum geht, dass sie Ehemänner kennen-
Kleinigkeiten an, zum Beispiel wenn ich im lernen und keine anderen Ziele im Leben haben.
Sommer mit einer kurzen Hose oder kurzem Solange sie einen Mann an ihrer Seite haben, ist
Rock in der U-Bahn sitze und angestarrt werde. alles gut, sonst nicht. Männer in Filmen haben
Für mich fängt es da an, wo ich mich unwohl andere Ziele in ideeller, beruflicher Hinsicht. Das
fühle, weil ich weiblich ausschaue; und es hört wird bei Frauen oft vernachlässigt.“
da auf, wo ich beleidigt werde.“
„Als Sexismus empfinde ich die Werbungen,
„Bei mir in der Arbeit will mein Chef, dass ich denn meistens werden da nur die ganz dünnen
mich schminke, damit das besser rüberkommt. Frauen genommen, die wirklich die Kurven
Dabei habe ich keinen Kundenkontakt. Ich sehe haben, also nicht dick sind.“
nur die Kollegen und ihn. Ich schminke mich
aber nicht, weil jede Frau das selbst zu entschei-
den hat, ob sie sich schminkt oder nicht.“ Frauen in diesen Milieus sehen sich in einem
ausweglosen Dilemma: Kleiden sie sich betont
„Ich habe auch eine Freundin, die in einer Bar weiblich, was einige gern tun und wozu sie auch
arbeitet, und die hat gesagt bekommen, dass häufig Lust haben („wenn man kurze Sachen trägt
sie sich weiblicher anziehen soll. Die läuft eher oder Ausschnitt“), gehen sie das Risiko ein, dass
in weiten Pullis und Hosen rum. Er meint, kurze sie Lustobjekt von Fremden werden, die sie
Röcke, enge Lederhose und figurbetonte „dumm anschauen oder anmachen, mit Sprüchen
Kleidung kommen besser bei den Gästen an.“ wie ‚Hey, du Geile, gibt mir deine Nummer!‘“. Aber
„wenn man sich nicht schminkt oder unweiblich
„Ich finde es blöd, dass viele Jungs aus rumläuft“, seien sie als Frau nicht interessant und
meinem Freundeskreis sagen, dass die Frau unattraktiv. Sie haben den Eindruck, sich nicht-
in die Küche gehört, dass die Frau auf das sexy verkleiden zu müssen, „um nur nicht dumm
Kind aufpasst und nicht arbeitet, sondern angemacht“ zu werden. Damit aber bestehe das
nur die Männer das Geld verdienen.“ Risiko, dass sie als unweiblich stigmatisiert wer-
den. Egal wie sie sich kleiden und ausrüsten, sie
„Mir ist es mehrmals passiert, im Kino oder in rechnen mit sexistischen Reaktionen.
der U-Bahn betatscht zu werden. Und einmal
am Badesee – da hat ein Typ zu mir rüberge-
starrt und sich selbst befriedigt. Ich finde, das „Oft wird das Argument verwendet: ‚Selbst
ist schlimmer, als wenn er dich nur antatscht.“ schuld, wenn sie damit rumläuft‘. Aber ich
meine, wenn man es mag, zu betonen, was
„In der U-Bahn ist mir mal was komplett man hat, muss man nicht direkt dafür belästigt
Krankes passiert: Wir sind mit dem Bus zum oder angemacht werden.“
Job gefahren und meine Kollegin saß auf einem
dieser hohen Plätze und ein Mann stand und
hat sich immer an ihrem Bein gerieben. Am Auf den Ton komme es an. Daher ist ihnen
Anfang dachte sie, dass der da in jeder Kurve wichtig, dass sie viele Kommentare und Nähe-
irgendwie da hinkommt, aber irgendwann war rungsversuche überhaupt nicht sexistisch finden.
es so auffällig, dass wir so geschrien haben, dass Entscheidend sei, dass es um sie als Person gehe,
der Busfahrer den auch rausgeschmissen hat.“ dass sie persönlich angesprochen werden, dass
ein Kompliment oder ein bewundernder, auch
„Ich finde es auch sexistisch, wie Frauen in musternder Blick ihrem individuellen Erscheinen
den Medien dargestellt werden. Zum Beispiel gilt – und sie nicht ein bloßes, eigentlich aus-
wird immer Werbung mit Frauen gemacht, die tauschbares Objekt der Begierde sind. Sie wollen
halb nackt sind. Andersrum wird das weniger begehrt werden – aber fordern den Respekt ihres
gemacht, das kommt vielleicht auch vor, aber Einverständnisses oder ihrer Ablehnung. Die
es sind meistens Frauen. Ich empfinde es auch Missachtung dieser Grenze verbaler, habitueller
als sexistisch, dass es in Filmen bei den Frauen und körperlicher Art definiert für sie Sexismus.

73
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

9.3 „Etablierte“ Souverän ist der Habitus und offensiv die Kom-
munikation, eine realitätsgerechte und treff-
sichere Diagnose der gesellschaftlichen Situation
9.3.1 Frauen und zum Thema Sexismus geben zu können.

„Etablierte Frauen“ haben in der Regel eine Diese Frauen aus dem Milieu „Etablierte“ de-
akademische Qualifikation. Die Mehrheit von monstrieren zum Stichwort Sexismus vor allem
ihnen ist berufstätig – in mittlerer oder gehobe- zwei Grundhaltungen:
ner Führungsposition in größeren Unternehmen
oder Verbänden – oder aber selbständig in der 1. Sie selbst erleben in ihrem Alltag überhaupt
Geschäftsführung in kleinen oder mittleren keinen oder kaum Sexismus. Wenn einmal
Unternehmen. Andere haben ihre Erwerbstätig- jemand ihnen gegenüber Grenzen überschrei-
keit dauerhaft unterbrochen, um ganz für ihre ten sollte, weisen sie diese Person bestimmend
Familie da zu sein und um ihrem Ehemann für und definitiv zurück.
dessen Berufskarriere den Rücken freizuhalten.
Die in der Pilotstudie befragten Frauen hatten 2. Die #MeToo-Bewegung habe den Sexismus-
Betriebswirtschaft, Jura, Humanmedizin, Tier- vorwurf salonfähig gemacht, generalisiert
medizin, International Business und Netzwerk- und übertrieben, sodass einem die Männer
Ingenieurswissenschaften studiert und sind im heute leidtun würden, denn sie stünden
Alter zwischen 32 und 47 Jahren; die meisten unter Generalverdacht und dürften sich
sind verheiratet (die Hälfte hat Kinder), andere Frauen gegenüber nicht mehr locker, ent-
Single. Diese Frauen begreifen sich als ökono- spannt, unverkrampft werbend verhalten.
mische, verbandliche oder technologische Ent-
scheidungselite sowie als kompetente Autorität Flirten sei für Männer zu einem hohen Risiko
aufgrund ihres sozialen Status an der Spitze der geworden. Zudem sei die Glaubwürdigkeit
Gesellschaft und ihrer beruflichen Verantwortung. jener Frauen zweifelhaft, die nach zehn oder

74
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

zwanzig Jahren einen Mann bezichtigen, sie zum Souverän blicken diese Frauen auf ihren Alltag. In
Sex genötigt zu haben: Hier müsse man die Motive ihrem Narrativ zu Sexismus sind sie selten oder
dieser Frauen für eine solch späte Anklage hinter- nie Opfer, sondern sie meistern bei Bedarf solche
fragen mit dem Verdacht, dass ein erheblicher Teil Situationen. Nur noch in wenigen Bereichen
dieser Frauen auf der Welle der Sexismusbezich- sehen sie eine Ungleichstellung von Frauen, etwa
tigung surft zum Zweck der Selbstvermarktung beim Anteil von Frauen in Führungspositionen,
oder aus finanziellen Beweggründen. Das führt zum Teil auch beim Entgelt. Dieses basale Narrativ
aus ihrer Sicht zu einer Ausuferung des Sexismus- wird flankiert von drei Begleitnarrativen:
begriffs, der ausdifferenziert und hypersensibili-
siert wurde, so dass fast alle Begegnungen und 1. Man darf nicht übertreiben! Dieses beziehen
Relationen zwischen Frauen und Männern unter sie zum einen auf Übergriffe von Männern
Sexismusverdacht geraten sind. Damit habe die mit „extrem sexistischen Verbalaussagen“
Bezeichnung „Sexismus“ eine grenzenlose Expan- oder aufdringlichen Blicken“, zum anderen
sion erfahren und mitunter ideologischen Cha- auf die Reaktion von Frauen auf jenes Auf-
rakter angenommen.. In den drei Nachkriegs- treten von Männern. Natürlich gebe es sexis-
jahrzehnten, als Frauen ohne Einverständnis ihres tische Chauvinisten, aber diese Abweichler
Ehemanns nicht ins Ausland reisen konnten, nicht von Regeln der guten Sitten seien Ausnahmen,
erwerbstätig sein durften, gesetzlich und kulturell denen einfach durch klare Ansagen dezidiert
auf die Hausfrauenrolle reduziert wurden, habe Grenzen gezogen werden könnten und sollten.
es wohl Sexismus gegeben. Aber heute seien wir Hier gehe es darum, nicht übertrieben zu
viel weiter und freier. „Etablierte“ Frauen heben reagieren, sondern souverän dem Angreifer zu
hervor, was für sie kein Sexismus ist: Komplimen- begegnen – aber dann auch aus einer Situation
te über das äußere Aussehen oder die Leistung kein Grundsatzproblem zu machen. Proble-
einer Frau; gentlemanlikes Auftreten, Galanterie; matischer sei der Sexismus von radikalen
Hilfsbereitschaft (zum Beispiel am Flughafen oder Feministinnen und #MeToo, die oft durch
Bahnhof den schweren Koffer heben), die nicht unbelegte Verdächtigungen, haltlose Motiv-
herablassend ist und der Frau keine Kompetenz unterstellungen und falsche Behauptungen
aufgrund ihres Geschlechts abspricht. zum eigenen Vorteil übertrieben Angriffe
gegen Männer und traditionell galantes
In den Interviews erwähnten diese Frauen Verhalten führen würden.
nebenbei, gleichsam als Selbstverständlichkeit,
dass sie selbst kaum Sexismus erfahren in Form 2. Absolute Gleichstellung wird es nicht geben:
von persönlicher Erniedrigung oder Abwertung. Männer und Frauen seien von Natur aus unter-
Sexismus gegen andere Frauen würden sie zwar schiedlich, hätten einen unterschiedlichen
gelegentlich, aber insgesamt selten und sehr Geschlechtscharakter. Daraus ergibt sich im
selektiv beobachten: Beispiele dafür seien bei Alltag in der Partnerschaft und Familie die
einigen Männern (und auch Frauen, betonen sie) Tendenz zu einer Rollenteilung, die sich
Vorurteile, dass Frauen gelegentlich Schwierig- bewährt habe, ebenso bei Berufswahlen und
keiten beim Autofahren oder Einparken hätten; Funktionen im Unternehmen. Geschlechts-
dass es in einer Partnerschaft und Familie die typische Neigungen schließen nicht aus, dass
Frauen sind, die selbstverständlich die häus- so manche Frau keine Neigung oder kein
lichen Tätigkeiten verrichten, die Organisation Talent zur Hausarbeit, zum Kochen oder zur
von Haushaltshilfen (und Kommunikation mit Versorgung der Kinder hat, dass eine Frau gut
ihnen) übernehmen, ebenso die Organisation geeignet ist für Führungsverantwortung im
der Pflege von Eltern und Schwiegereltern. Unternehmen: Wichtig ist „etablierten“ Frauen,
Sexismus gebe es auch in einigen Castingshows, dass eine offene Gesellschaft dies der indivi-
in der Werbung (Automessen, Pirelli-Kalender), duellen Entscheidung der Einzelnen über-
in den Social Media (zum Beispiel Datingportale lassen müsse und das freie Spiel der Kräfte
wie tindrdate.de) sowie – so ihre Vermutung – nicht durch extern gesetzte Regeln künstlich
aufgrund einer lesbischen Orientierung. gesteuert werden dürfe. Daher sei eine Gleich-
stellungsvision, die für alle Frauen und Männer

75
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

in allen Bereichen absolut gleiche Chancen „Sexismus bedeutet ein bisschen Nachteil
ermöglichen wolle und dies an Verteilungen für die Frau. Andererseits habe ich das Gefühl,
messe (Wie viele Frauen sind in Führungs- dass Frauen das manchmal übertreiben
position? Wie viel Sorgearbeit übernehmen gegenüber den Männern, dass sie die Situation
Frauen im Haushalt, bei der Versorgung von sehr gern ausnutzen. Ich bin nicht der Mensch,
Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen? der sagt, die Frau hat immer Recht, weil sie
Wie viele Frauen sind in bisher traditionell Frau ist. #MeToo, das ist lächerlich mit den
männlichen Ausbildungen und Berufen tätig? Vorwürfen nach 10 oder 20 Jahren.“
Wie lange ist die Erwerbsunterbrechung von
Müttern und Vätern nach der Geburt ihres „Die #MeToo-Geschichte: Man kann auch alles
Kindes?), ideologisch motiviert – und dadurch übertreiben und auf die Spitze bringen. Und
eine andere Form von Sexismus. In dieser Sexismus ist ein in letzter Zeit sehr hochstilisier-
Hinsicht habe Gleichstellungspolitik heute tes Thema. Da muss ich auch als Frau sagen:
die Tendenz, sexistisch zu sein. Man kann alles übertreiben.“

3. Sexismus im normalen Umfang ist nicht „Sexismus wird heute sehr stark übertrieben.
schlimm: Sexismus per se ist nicht negativ – Natürlich gibt es Sexismus, ich kenne da viele
davon sind Frauen im Milieu „Etablierte“ Beispiele, aber man muss sich auch selber
überzeugt. Andere in ihrer Sexualität zu sehen, wehren. Das ist eine Frage des Auftretens.“
zu behandeln, sei Teil der Geschlechtsidenti-
tät – der eigenen wie der anderen. Man dürfe „Es kommt immer sehr auf das Auftreten an.
Sexismus nicht verkürzen auf Tabuübertre- Also wenn ich einen kurzen Minirock anhabe
tungen und Verletzungen von Menschen, bei und mir dann die Männer unter den Rock
denen ihnen die Würde genommen werde. schauen können auf der Rolltreppe, dann bin ich
Vielmehr müsse man den Blick weiten und die selber schuld, wenn ich diese Blicke bekomme.“
vielen Weisen von positivem Sexismus sehen.
Denn Sexismus sei Kernelement einer aufge- „Ja, vor 50 Jahren, da musste man den Ehemann
klärten, modernen, freien Gesellschaft. Nur fragen, ob man arbeiten darf, und man durfte
Entgleisungen einzelner Individuen seien kein eigenes Konto haben. Das können wir uns
negativ. Insofern ist aus ihrer Sicht der Teil heute gar nicht mehr vorstellen. Für uns heute
des zu Recht beklagten negativen Sexismus ist das alles komplett selbstverständlich. Und
eine Frage des persönlichen Anstands und jetzt hängt man sich so an einem Thema auf,
Stils, aber nicht der gesellschaftlichen Struk- wo ich mir denke: Wieso habt ihr euch alle so?“
tur. Hier seien durch Reformen im Zuge der
Emanzipation viele der vormals bestehen- „Ich erlebe keinen Sexismus, schade vielleicht!“
den Ungerechtigkeiten mittlerweile beseitigt
worden, sodass heute jede und jeder die glei- „Ich könnte jetzt den Abend füllen mit lustigen
chen Chancen habe. Aber das bedeute auch Geschichten zum Thema Sexismus. Ich finde, es
die Selbstverantwortung, diese Chancen zu wird aktuell übertrieben. Mir tun die Männer
nutzen. Sexismus als negatives strukturelles schon leid. Ich habe früher als Messehostess
Merkmal unserer Gesellschaft vermögen sie gearbeitet während meiner Studienzeit. Also
nicht zu erkennen – es sei denn, den aggressi- da könnte ich Geschichten erzählen von Auf-
ven, übertriebenen Feminismus. den-Hintern-Klopfen, Anschauen, anzügliche
Bemerkungen. Aber man muss drüberstehen,
man darf nicht überreagieren, man darf es sich
„Was so schlimm ist am Sexismus? aber auch nicht gefallen lassen. Man muss nur
Im normalen Umfang gar nichts!“ einen Satz setzen und Grenzen aufzeigen. Das
können vielleicht viele nicht und irgendwann
„Absolute Gleichstellung – das gibt es nicht. ist es zu spät.“
Das werden wir nie erreichen. Es wird immer
Ungleichheiten geben. Dieses Gleichstellungs-
bestreben ist nett, aber irgendwo muss man
einen Punkt machen.“

76
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

Episodenhafte Erzählungen von negativ-sexisti- sondern wird sichtbar in irritierenden einzelnen


schen Situationen haben die Funktion, die eigene Momenten, die als „sexistisch-ungerecht“ charak-
Überlegenheit und Souveränität des Umgangs terisiert werden:
damit zu demonstrieren. Das zeigt beispielhaft die
Charakterisierung dieser Situationen als „lustige • die Erziehung zu stereotypen Geschlechter-
Geschichten“. Die Wahrnehmung und Verarbei- rollen schon bei kleinen Kindern („Das ist ja
tung steht in schroffem Gegensatz zu sexisti- immer noch so, dass Mädchen mit den Puppen
schen Erlebnissen, die Frauen aus den Milieus und die Jungs mit den Autos spielen sollen“);
der „Benachteiligten“, „Hedonisten“, „Bürger-
lichen Mitte“ und „Postmateriellen“ machen. • die Etikettierung von Frauen als „Schlampe“
und Männern als „toller Hecht“ („Als ich
Flankiert wird die Distanzierung von Feminismus schwanger war und meiner Nachbarin sagte,
und #MeToo durch die Betonung, dass durch die dass ich einen Jungen bekomme, meinte sie:
übertriebene Genderorientierung heute Männer ‚Dann soll er viele Mädchen haben, damit er eine
die eigentlich Leidtragenden und gesellschaftlich große Erfahrung hat‘. Ich habe sie dann gefragt,
benachteiligt seien. Als Beispiele dafür führen sie wie das ist, wenn ich ein Mädchen bekommen
an, dass es Frauenbeauftragte und inzwischen würde. Da meinte sie: ‚Ja dann nicht. Dann wäre
auch Gleichstellungsbeauftragte gebe, aber keine sie eine Hure.‘ Das finde ich schon sexistisch“);
Männerbeauftragten; dass nach Ehescheidungen
das Sorgerecht in der Regel der Mutter zugespro- • Vorurteile gegenüber Frauen, bestimmte Fähig-
chen werde, weil man davon ausgehe, dass das keiten nicht zu haben (das Auto einparken) oder
Kind bei der Mutter besser aufgehoben sei; dass für bestimmte Tätigkeiten automatisch zustän-
Männer durch das „Quotengesetz“ für oberste dig zu sein (Haushalt: Kochen, Staubwischen,
Führungspositionen benachteiligt würden; dass Toiletten reinigen und Ähnliches);
es in Unternehmen Mentoringprogramme für
Frauen auf den Weg zu Führungspositionen • anzügliche Bemerkungen und „ausziehendes“
gebe – und meistens Männer mit gleicher Quali- Anschauen („Wenn man mit den Augen aus-
fikation und gleichem Ehrgeiz nicht zu diesen gezogen wird. Gerade in der Therme oder in
Mentoringprogrammen zugelassen seien; dass es der Sauna“);
Frauenparkplätze gebe, aber keine Männerpark-
plätze; dass bei Stellenausschreibungen stehe, • Absprechen von Autonomie und Kompetenz
Frauen würden bei gleicher Eignung bevorzugt. („Sexismus ist, wenn Männer die Hauptadres-
santen sind. Egal ob die Telekom, das Finanzamt
oder wer sonst anruft: ‚Kann ich Ihren Mann
„Wenn bei Stellenausschreibungen steht: Frauen sprechen?‘ Aber ich stehe da doch auch drauf?
oder Behinderte haben Vorrechte. Ich habe mir ‚Ja, aber wir wollten eigentlich …‘. Das geht
da schon immer gedacht, ich werde da mit überhaupt nicht, wenn das ein gemeinsames
Behinderten gleichgestellt, das ist Hardcore.“ Konto oder eine gemeinsame Versicherung ist“).

„Manche Frauen haben nur das Ziel, was vom Bei der Frage nach einer Utopie – „Wenn es keinen
Mann zu gewinnen – oder Rache. Ich kenne das Sexismus mehr gäbe: Was wäre für Sie anders,
sehr gut aus meinen Fällen aus dem Familien- woran würden Sie merken, dass es keinen Sexis-
recht. Manchmal wundere ich mich, wozu mus mehr gibt?“ – betonten in der qualitativen
Frauen fähig sind sich auszudenken.“ Befragung alle Frauen aus diesem Milieu: Es
würde für sie nichts anders sein! Sie würden es
vermutlich nicht einmal bemerken. Eine sexis-
Unter der Oberfläche dieses dominanten Narra- musfreie Gesellschaft würde für sie nicht mehr
tivs gibt es bei „etablierten“ Frauen subkutan ein Lebensqualität im Alltag bedeuten. Verändern
zweites, gegenläufiges Narrativ, das nicht so stark würde sich vielleicht, dass mehr Frauen in Män-
erscheint, aber im Laufe der sozialwissenschaft- nerberufen und Männer in Frauenberufen wären,
lichen Interviews immer häufiger zutage tritt. dass auch Frauenfußball mehr beachtet würde
Dabei ist dieses gegenläufige Narrativ keine (allerdings würden sie ohnehin lieber Männer-
geschlossene „Erzählung“ wie das Hauptnarrativ, fußball schauen).

77
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

9.3.2 Männer von Gebildeten. Wenn es aber jenseits dieser


Fälle in Deutschland Sexismus gebe, dann seien
Im Milieu der „Etablierten“ sind Männer beruflich hauptsächlich Männer die Betroffenen, weniger
meist in hohen oder höchsten Führungspositio- Frauen – und zwar systematisch und kulturell
nen der Wirtschaft oder von Verbänden, haben verankert. Die Sexismusdebatte insbesondere
eine akademische Ausbildung und verstehen durch #MeToo sei ein Herrschaftsinstrument von
sich als die Leistungselite unserer Gesellschaft. Frauen aus dem links-grünen Lager, mit dem jeder
Ausgeprägt sind Erfolgsethik, Machbarkeits- Mann unter Generalverdacht gestellt werde und
denken, Exklusivitätsansprüche und Distinktions- jede Handlung, jede Äußerung von Männern als
kultur in Lebensführung und Lebensstil. Einge- sexistisch diffamiert werden könne – und in der
bunden in vielfältige Aufgaben mit großer letzten Zeit tatsächlich werde. Umgekehrt könn-
Verantwortung haben sie den kosmopolitischen ten sich Frauen in der Öffentlichkeit heute fast
Habitus des Entrepreneurs und (Top-)Managers. alles erlauben, ohne dass sie dafür kritisiert
Das Alter (80-Prozent-Anteil) in diesem Milieu werden. Dazu nennen diese Männer eine Reihe
liegt zwischen 35 und 60 Jahre; in der qualitativen von Beispielen, die aus ihrer Sicht überzeugende
Studie wurden Männer im Alter zwischen 36 und und valide Indikatoren für institutionalisierten
54 Jahren befragt. Berufsqualifikationen der Sexismus gegen Männer seien:
Befragten waren ein Studium der Betriebswirt-
schaft, Medizin, Verwaltungswissenschaft, Jura, • Männer zahlen den größten Teil der Einkom-
Chemie, Ingenieurswissenschaft. Berufstätig sind menssteuern, doch das Geld werde vom Staat
sie in großen internationalen Konzernen, mittle- für Frauenförderung und Genderforschung
ren Unternehmen, Verbänden und der öffentli- ausgegeben: Sexismus gegen Männer.
chen Verwaltung.
• Geht ein Mann mit einer Frau ins Restaurant,
In keiner anderen hier befragten Gruppe zeigt erwarte diese von ihm selbstverständlich,
sich eine so große Ablehnung der #MeToo-Bewe- dass er die Rechnung zahlt. Die von Männern
gung und vehemente Abwehr der gesellschaft- gegenüber Frauen erwartete Galanterie und die
lichen Relevanz des Themas Sexismus. „Etablierte Erwartung finanzieller „Fürsorge“ (alles zahlen)
Männer“ tragen dies vor im Habitus, aufgrund sei im Grunde Sexismus.
ihrer hohen Bildung, Welterfahrung und beruf-
lichen Erfahrung den eigentlichen Kern der Sexis- • Mädchen und junge Frauen erzielen heute
musdebatte zu kennen und entlarvt zu haben. in der Schule und im Studium bessere Noten,
Jeder der Befragten betonte, dass er selbst pro- die Mehrheit aller Studienabsolventen und
gressiv, liberal und modern sei, sich im Alltag in Promovierenden seien Frauen. Das liege aber
emanzipierten Kreisen bewege – und gerade daher nicht daran, dass Jungen und junge Männer
eine ablehnende Haltung gegenüber der Sexis- dümmer geworden seien, sondern alle Kraft
musdebatte entwickelt habe. Der Begriff Sexis- werde auf Frauenförderung gelegt. Das beginne
mus ist aus ihrer Sicht ein Propagandawerkzeug schon in Kitas und der Grundschule. Sexismus
aus dem linksradikalen Lager des Feminismus. gegen Männer beginne schon in jungen Jahren.

In der Öffentlichkeit sei das Wort Sexismus • Mütter können nach der Geburt ihres Kindes
negativ besetzt, was dazu geführt habe, dass jeder ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen, solange
anständige und in verantwortlichen Positionen sie wollen, um bei ihrem Kind zu sein – hier
tätige Mensch aus Gründen der Political Correct- hätten alle Verständnis im privaten Umfeld
ness öffentlich gedrängt werde, sich als Gegner und am Arbeitsplatz. Der Vater hingegen sei
von Sexismus zu bekennen. Das sei ein Effekt gezwungen, das Haupteinkommen zu erwirt-
einer offensiven, grenzen- und maßlosen Gender- schaften, und hätte nicht das gleiche Entschei-
bewegung beziehungsweise des aggressiven dungsrecht wie seine Partnerin. Und wenn
Feminismus. Natürlich gebe es gegen Frauen Männer im Betrieb mehr als zwei Monate
unakzeptable körperliche Übergriffe und vulgär Elternzeit nehmen wollten, stünden sie vor
herabwürdigende Ausdrücke, meistens von großen Hürden, zum einen im Kreis der
Männern aus der Unterschicht, gelegentlich auch Kollegen, gegenüber Vorgesetzten, gegenüber

78
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

Vertragspartnern, zum anderen gegenüber • Entgeltungleichheit gebe es nicht – jedenfalls


der Partnerin, der Mutter des Kindes, die nicht in dem medial verkündeten Ausmaß.
sich zu Unrecht gedrängt fühle, aufgrund der Würde man Frauen und Männer in gleicher
beabsichtigten längeren Elternzeit des Mannes Position und bei gleicher Leistung miteinander
nun früher als von ihr selbst geplant das vergleichen, sei der Unterschied minimal.
Einkommen substanziell mitzuverdienen.
• In öffentlichen Einrichtungen gibt es für
• Es werde kritisiert, dass Frauen in deutschen Frauen reservierte Räume und Zeiten, unter
Parlamenten unterrepräsentiert seien. Das anderem Damensauna, Ladies Day, Damen-
liege aber schlicht daran, dass der Anteil von programm bei Konferenzen, Eintrittsfreiheit
Frauen in politischen Parteien sehr gering sei. bei bestimmten Veranstaltungen – für Männer
Dies wiederum liege daran, dass sich Frauen gebe es solche Vergünstigungen überhaupt
offensichtlich viel weniger für Politik interessie- nicht. Das sei eine Benachteiligung aufgrund
ren würden als Männer. Eine Quotenregelung ihres Geschlechts.
für mehr Frauen – gar paritätisch – in den
Parlamenten wäre eine sexistische Benachteili- • Manche Frauen würden ihre weiblichen Reize
gung von Männern. im Beruf – andere auch privat – einsetzen, um
ihre Ziele zu erreichen. Das seien im beruf-
• Ähnliches gelte für Führungspositionen in lichen Alltag beispielsweise geöffnete obere
der Wirtschaft: Frauen seien zwar unterprä- Blusenknöpfe und ein tiefes Dekolleté.
sentiert auf den oberen Führungsebenen. Aber
das läge daran, dass sie durch Erwerbsunter- • In Parkhäusern gibt es Frauenparkplätze, auf
brechungen nicht die erforderliche berufliche denen zu parken (bisher) Männern untersagt ist.
Kontinuität hätten und nicht die Bereitschaft, Das sei eine Benachteiligung von Männern und
die damit verbundenen Härten auf sich zu daher Sexismus.22
nehmen: Frauen wollten nicht ständig im
Rampenlicht stehen, nicht ständig in der Kritik, Populäre Themen der Gleichstellungspolitik sind
nicht ständig im Wettbewerb, sie wollten nicht aus Sicht „etablierter Männer“ ein feministischer
den ganzen Tag kämpfen müssen. Daher wür- Hype, den man eine Zeitlang akzeptieren, aushal-
den sich viele qualifizierte Frauen sagen: Das ten und sogar bedienen müsse. Eine Benachteili-
tue ich mir und meiner Familie nicht an. Und gung von Frauen, die gegen das Grundgesetz
wenn es im Betrieb und im Führungsmanage- verstoße, gebe es nicht. Geschlechterunterschiede
ment schwierig wird, würden einige Frauen die seien evolutionär gewachsen. Rollenmodelle in
Flucht ergreifen („Da wird man schwanger“), der Arbeitsteilung hätten sich als Best Practice
würden eine Familie gründen und müssten entwickelt, immer mehr verfeinert und sich als
damit keine Schwäche zugeben. Die gesetzliche erfolgreich erwiesen. Praktisch funktionierende
Quote vernachlässige oder ignoriere dies und Rollenteilungen dürfe man nicht einer überzo-
sei damit Sexismus gegen Männer. Denn viele genen Gleichstellungsideologie wegen aufgeben.
Männer, die die Hard Skills und die Soft Skills
mitbrächten, würden nicht in Führungsposi- Natürlich, so das Zugeständnis, gebe es auch
tion kommen, weil einer Quotenfrau der Sexismus gegen Frauen: Das seien Situationen,
Vorzug gegeben werde. in denen gegen den ausdrücklichen Willen der
Betroffenen jemand seine Macht ausnutzt:

22 Ein Jurastudent hatte 2018 gegen die Existenz von Frauenparkplätzen auf einem öffentlichen Parkplatz der Stadt Eichstätt geklagt mit dem
Argument, es gebe ja auch kleine und schwächere Männer; es gehe ihm um nicht weniger als die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Am
Tag der Urteilsverkündung des Münchner Verwaltungsgerichts am 23. Januar 2019 trat er vor die Presse mit der Aussage „Ich fühle mich als
Mann diskriminiert“. Der Kläger sehe seine Klage jedoch nicht nur als Akt zum Wohle der Männer, sondern auch der Frauen. Denn die Eichstätter
Schilder würden den Eindruck erwecken, dass Frauen schwächer seien. Das Gericht folgte dieser Argumentation nicht. Man werde im Verfahren
Fragen zu den Themen wie Gleichbehandlung und Diskriminierung nicht nachgehen, erklärte der Vorsitzende Richter und fügte hinzu:
„Nebenbei gesagt, würden wir die Frauenparkplätze auch nicht infrage stellen, wenn es sachliche Gründe dafür gibt.“ Das Gericht störte sich
jedoch an der Ausgestaltung der Schilder. Diese erweckten den Eindruck, es bestünde ein sogenannter Rechtsschein. Das bedeutet, die Schilder
erwecken bei den Autofahrern den Eindruck, es handle sich nicht lediglich um eine Bitte der Stadt an die Männer. Vielmehr könnten viele
meinen, sie seien verpflichtet, die Parkplätze für Frauen freizuhalten. Das Gericht schlug deshalb vor, die Parkplätze neu zu beschildern.

79
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

aggressive Belästigung, körperlicher Übergriff, Sexismus in der deutschen Binnenbevölkerung


nicht einvernehmlicher Sex, vulgäres Verhalten gehöre definitiv nicht dazu. (Ausnahmen seien
sowie „alles, was rechtswidrig beziehungsweise einige fremde Kulturen und extreme Anhänger
gegen moralische Normen verstößt“. Hier bestehe von Religionen, die nicht die Kultur der Eman-
Common Sense, dass solches Sexismus sei. Doch zipation hätten wie die deutsche Bevölkerung
das seien relativ seltene Situationen, die nicht und wie gut integrierte Menschen mit Migra-
darüber hinwegtäuschen dürften, dass die durch tionshintergrund.)
#MeToo forcierte Debatte über Sexismus gegen
Frauen maßlos übertrieben und strategisch sei. Sexismus gehöre zum Leben, zum Miteinander
und zur produktiven Spannung zwischen den
Männer stünden heute unter Generalverdacht, Geschlechtern. Würde es keinen Sexismus mehr
während Frauen kategorisch als verdachtsfrei geben und sich die #MeToo-Bewegung durch-
gelten – im Namen der Emanzipation. Beispiels- setzen, würde sich kaum ein Mann mehr trauen
weise würden in TV-Talkrunden die Äußerungen zu flirten, würde die Bevölkerung schrumpfen,
von Männern aufmerksam sondiert in Bezug gäbe es eine Sittenpolizei, die Männer penibel
auf manifeste oder latente Frauenfeindlichkeit kontrollieren und empfindlich bestrafen würde,
und hegemoniale Männlichkeit – und bei Bestäti- während Frauen sich weiterhin ungehemmt
gung auch sanktioniert. Frauen hingegen dürften äußern können.
sich in solchen Runden weitgehend frei und
sanktionslos über Männer äußern. Das werde als Die dokumentarische Analyse der qualitativen
legitimes Recht aufgrund der jahrhundertelangen Interviews zeigt bei diesen Männern Unbehagen
und vermeintlich auch heutigen Unterdrückung und Missbilligung, dass der öffentliche Diskurs
von Frauen akzeptiert, sei aber letztlich Sexismus weiblich dominiert ist, dass Männer nicht primär
gegen Männer. Es bestehe ein gesellschaftliches produktiv schaffende Leistungsträger sind (Hel-
und mediales Tabu, Frauen als Täterinnen syste- den der Moderne, des Fortschritts, der Lösungen),
matisch und individuell in den Blick zu nehmen. sondern im Licht unmoralischer Taten themati-
Die Beweislast gegenüber einer Frau als Täterin siert werden.
müsste überwältigend groß sein, damit sie gese-
hen und akzeptiert würde – aber selbst in solchen Eine Projektion, sich eine Gesellschaft ohne
Fällen würde das als seltene Ausnahme einsor- Sexismus vorzustellen, lehnen diese Männer
tiert und nicht als Symptom, wie das umgekehrt kategorisch ab: „Sex und Sexismus gehören zum
gegenüber Männern geschehe. Die mediale Leben wie die Luft zum Atmen.“ Wer Sexismus
Inszenierung von Frauen als Opfer männlicher abschaffen wolle, etwa durch ein Regelwerk oder
Gewaltherrschaft und aktueller struktureller Gesetze, würde damit das Ende der Menschheit
Benachteiligung sei Methode und ein Herrschafts- einläuten. Das stünde im Widerspruch zu unserer
instrument von Vertreterinnen (und einigen freiheitlichen demokratischen Gesellschaft und
männlichen Vertretern) des Feminismus. wäre ein autoritärer Überwachungsstaat.

Das Sexismusnarrativ dieser Männer aus dem Im Gegensatz zu anderen Milieus ist auffällig, dass
Milieu „Etablierte“ ist eine Strategie der offensiven Männer (und Frauen) der „Etablierten“ Sexismus
Abwehr mit doppelter Zielrichtung: überhaupt nicht mit Macht verbinden. Während
vor allem Frauen aus den übrigen Mileus stets
1. Es gibt strukturellen, institutionellen Sexismus, betonen, dass Sexismus eng an Macht geknüpft
aber nicht so sehr von Männern gegen Frauen, und im Kern Machtmissbrauch sei, blenden
sondern von Frauen gegen Männer. „Etablierte“ diese Dimension von Macht syste-
matisch aus. Sexismus ist für sie keine Folge von
2. Sexismus ist eine Phantomdiskussion und Macht, die zu Instrumentalisierung von direkt
Schimäre, eine Erfindung von Feministinnen, oder mittelbar Abhängigen verleiten könne (nur
die Gender zur Ideologie gemacht haben und in seltenen Ausnahmen geschehe das). „Etablierte“
die normale Bevölkerung mit einem Hysterie- sind in der Regel aufgrund ihrer höchsten sozialen
und Denunziationsprogramm überziehen. Es Lage, ihrer finanziellen Ressourcen und ihrer
gebe wichtigere Probleme in Deutschland, und beruflichen Positionen in der Situation von

80
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

Machtfülle. Das gibt Grund zu der Hypothese, Wer dieses gerade in der Moderne zur Entfaltung
dass die Leugnung von Sexismus (vermutlich gekommene freie Spiel der Geschlechterkräfte
unbewusst) die Funktion hat, ihre Situation von kontrollieren und nivellieren wolle, sei Ingenieur
Machthaben zu legitimieren, zu immunisieren an einer uniformen, erotikfreien Gesellschaft
und zu imprägnieren gegen moralische Anwürfe. mit Zwangsprogramm. Erotik und das Spiel der
Technik ist die Umkehrung: Sexismus gibt es Geschlechter seien nur möglich, wenn man
nicht „von oben“ durch die Leistungselite, son- einander auch hinsichtlich der äußeren weib-
dern im Gegenteil „von unten“ durch moralisch lichen und männlichen Attribute wahrnimmt,
zweifelhafte Personen in den unteren Schichten bewertet und begehrt. Beziehung ist immer
(„Vulgäre“), durch die vermeintlichen Opfer Grenzübertritt. Das Kriterium, es müsse „auf
(Frauen) sowie als revolutionäres Instrument gleicher Augenhöhe“ geschehen, sei eine Täu-
durch aggressive linke Feministinnen (deren schung, denn Menschen seien immer verschieden
primäre Motive Neid und eine andere Gesell- und nie auf Augenhöhe. Wichtiger sei eine andere
schaft der Frauenherrschaft seien). Grenze: das nachdrücklich Nein zu respektieren.
Ein erstes, anfängliches Nein hingegen könne auch
Hier zeigen sind grundlegende Haltungen zur Teil des erotischen Spiels der Geschlechter
öffentlichen Sexismusdebatte: Der Erhalt des sein – hier allen Anfängen zu wehren, wäre
Status quo, ergänzt durch Korrekturen und Vor- verheerend für Flirt auf  dem Weg zur festen Be-
kehrungen gegenüber vulgären Entgleisungen. ziehung. Die Grenze zu erkennen, sei eine  Frage
Doch hier sei nicht der Staat, sondern Zivilcou- von Bildung und Stil. Die unterschiedlichen
rage gefordert. Es sei eine Frage des Anstands Rollen, die Männer und Frauen zueinander
und des Stils und damit letztlich der Bildung und meistens haben, seien kein Zwangsprogramm,
dürfe keineswegs in staatliche oder betriebliche sondern hätten sich offensichtlich als erfolgreich
Verordnungen münden. Die Eindämmung von etabliert: Männer hätten sich bewährt als stark,
verachtenswertem Sexismus verlange keine ver- überlegen, entscheidungsfreudig, durchsetzungs-
bindlichen gesatzten Regeln, im Gegenteil: Solches stark sowie galant, charmant, beschützend und
würde in eine legalisierte Hexenjagd münden, sei fördernd gegenüber Frauen – das werde auch
Bestätigung und Verstärkung von #MeToo. Die seitens der Frauen erwartet. Es gebe auch Frauen
Maxime von „Etablierten“ ist Privatisierung. mit diesen Eigenschaften oder Beziehungen mit
umgekehrten Rollenerwartungen. Aber das sei
Wer dieses missachte, unterminiere die Grund- auch gut so im sich evolutionär entfaltenden Spiel
pfeiler unserer offenen und freien Gesellschaft. individueller Charaktere.
Diese Männer haben die offene, teils subtile
Einstellung, dass Frauen und Männer einen
unterschiedlichen Geschlechtscharakter haben, „Persönlich fühle ich mich nicht betroffen.
im Wesen unterschiedlich und mit unterschied- Für mich ist das ein theoretisches Thema,
lichen Talenten und Fähigkeiten ausgestattet es wird stark politisiert, auch überbewertet
sind, die teils natürlich angelegt, teils evolutionär und mit Vorverurteilungen behaftet.“
gewachsen und optimiert sind. Dazu gehört auch
das vielfältige, spannungsreiche, aber sich eben „Im Prinzip gehört Sexismus als Begriff zum
auch arbeitsteilig „organisch“ ergänzende Verhält- Waffenarsenal der Political Correctness, die
nis und Spiel der Geschlechter miteinander. Hier schlicht ganz gerne dazu hergenommen wird,
gebe es zwar auch Schattenseiten, Irritationen um vor allem Druck auf Männer auszuüben.“
und Verletzungen, aber das sei normal in Entwick-
lungsprozessen und dürfe nicht davon ablenken,
dass der Prozess insgesamt produktiv ist.

Grenzüberschreitungen zwischen den Geschlech-


tern in Maßen sind gut und notwendig – so die
Haltung von Männern im Milieu „Etablierte“.

81
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

„Ich habe einen sehr großen Bekanntenkreis, „Ein paar Beispiele von Sexismus: die Erwartung,
darunter auch sehr viele Frauen. Ich komme gut die grundsätzlich zu erfüllen ist – der Mann
aus mit Frauen, glaube ich, ich kann mich mit zahlt alles. Das ist natürlich Sexismus und
denen ganz gut unterhalten und die sich auch Quatsch. Sie, die Frauen, wollen alles und
mit mir. Und kürzlich hat eine Bekannte zu mir gleichzeitig auf dem Alten beharren. Aktuell
gesagt, sie wäre wieder mal froh, wenn ihr das Beispiel mit den Frauenparkplätzen, da
wieder mal ein süßer Typ so richtig hinterher- kam heute das Urteil, dass das einfach so nicht
pfeifen würde auf der Straße. So nach dem zulässig ist. Es impliziert ja auch, dass Frauen
Motto ‚Die Männer von heute haben ja keine grundsätzlich von allen Männern bedroht
Eier mehr in der Hose‘. So reden auch Frauen.“ werden. Frauenbadetage und Ladies Day. Beim
Skifahren gibt es zum Beispiel Tage, da bekom-
„Die heutige Generation von Frauen, mit denen men Frauen den Skipass zum Kinderpreis. Das
wir leben, wie selbstbewusst die jetzt sind, wie ist nett, aber ich sehe persönlich keinen Grund,
eigenständig sie ihr Leben meistern mit allen warum ich nicht auch an einem anderen Tag
Höhen und Tiefen. Da denke ich mir schon, ohne den Skipass zum Kinderpreis bekomme. Mir
arrogant als Mann von oben zu wirken, da ist ist der Gedanke dahinter egal, ich ärgere mich,
viel gemacht worden. Grundsätzlich hat sich dass ich jeden Tag voll bezahlen darf. Oder
seit dem Ersten Weltkrieg sehr viel getan beim Frauenbadetage oder die Frauenecke im
Miteinander. Die Vorverurteilung von #MeToo, Fitnessstudio. Vielleicht gibt es auch Männer,
der Generalverdacht unter #MeToo, das ist für die nicht so von Frauen begafft werden wollen.
mich Hexenjagd.“ Die Frauen werden mehr geschützt, das gibt es
in jede Richtung. Das ist Sexismus in allen
„Eine kurze Episode: Vor zwei oder drei Jahren Bereichen der Gesellschaft.“
wurde ein neuer Mitarbeiter eingestellt und
der hat den Damen immer so auf den Ausschnitt „Die Anrede! Ich schreibe grundsätzlich –
geschaut in der Kantine. Der wurde raus- egal, dass wir mehr Frauen haben als Männer –
geschmissen nach der Probezeit, nur weil er immer ‚Liebe Kollegen‘. Da hat sich noch
ein bisschen gestarrt hat.“ keiner daran gejuckt. Bis auf einen männlichen
Kollegen, dessen Schwester eine Professur
„Sexismus – wenn irgendetwas gegen den in Genderstudies anstrebt. Das sagt ja alles.
Willen der anderen Person gemacht wird, Er will ‚Kolleginnen‘, Gendersternchen, Trans-
kann das nichts Positives sein.“ person, divers und 65 andere Formen. Was ist
eine Transperson, was ist mit Genderfluiden,
„Sexismus ist Ausnutzen von Abhängigkeits- schon mal darüber nachgedacht? Das ist eine
verhältnissen: Ein Abteilungsleiter nimmt eine Frechheit, das ist Faschismus.“
Mitarbeiterin auf Dienstreise mit, die einen
Zeitvertrag hat. Nach der Dienstreise wird der „Es gibt Frauen, die möchten nicht angeschaut
Zeitvertrag nicht verlängert. Da weiß man, da ist werden. In der U-Bahn gibt es immer wieder
nichts gelaufen. Das habe ich tatsächlich erlebt, Typen, die schauen besonders lüstern oder
das ist Sexismus pur. Wobei man da auch nicht starren, und dann setzen sich die Frauen um.
mal was Strafbares nachweisen kann.“ Aber das ist ja auch nicht weiter tragisch.
Schauen darf man ja noch! Man kann ja kein
„In der Politik wird immer beklagt, dass nur so Gesetz machen: Länger als zwei Sekunden
wenig Frauen in Führungspositionen sind. Aber schauen ist jetzt Starren und somit eine Ord-
in allen Parteien sind die Frauen nur so um die nungswidrigkeit und wird mit Strafgeld belegt.“
20 Prozent. Klar, dass sie nicht in die Führung
kommen: Frauen interessieren sich nicht so
für Politik, Frauen sind weniger Mitglied in
öffentlichen Volksparteien. Da ist es auch klar,
dass der Männeranteil deutlich höher ist.“

82
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

„Wenn Betonungen von Attraktivität oder „Jede Werbung, jede Moderatorin, jede darf
Nichtattraktivität, was normal menschlich ist sich beliebig abwertend über Männer äußern.
und evolutorisch gewünscht; wenn das schon Gar kein Problem, alles okay. ‚Schwestern
moralisch verwerflich sein soll laut Political dürfen das‘; ‚Frauenpower‘ – alles akzeptiert.
Correctness, dann ist Political Correctness Wenn Männer dasselbe formulieren, wir
falsch, aber nicht die Natur. Spannungen tauschen einfach nur die Wörter aus – ein
zwischen Mann und Frau gibt es immer und Riesenaufschrei: Neandertaler!“
wird es immer geben. Wenn’s die mal nicht
mehr gibt, dann sterben wir aus. Insofern sollte „Dieser Gender-Pay-Gap ist ein totes Pferd, das
man es nicht zu weit treiben.“ ab und an wieder aus dem Schrank geholt wird
und je nach politischem Gutdünken aufgestellt
„Traditionelle Rollenbilder und Verhaltens- wird. Diese Studien gibt es, die sagen, Frauen
formen, die sich über Jahrtausende bewährt bekommen weniger. Aber wurde auch berück-
haben, weil sich der Mensch so weit entwickelt sichtigt, die Qualifikation, die Erfahrungen, die
hat, das war halt Best Practise. Das muss man individuellen Voraussetzungen, die derjenige
erstmal so attestieren. Wenn man sich jetzt hat, der das Geld bekommt, damit er auch das
Gesellschaften anschaut, die emanzipatorisch Geld bekommt? Wir haben das bei uns in der
tendenziell wie unsere sind, versus Gesellschaf- Firma mal versucht zu schauen, ob Ähnliches
ten in Asien, in Afrika, im vorderen Orient – und vorliegt. Bei uns definitiv nicht.“
die Reproduktionserfolge: Wir werden immer
weniger und die anderen wachsen stark. So, „Als Opfer sehe ich mich nicht. Aber diese
was heißt das? Haben wir ineffiziente Ideen, Rosinenpickerei der Frauen! Ich bewege mich in
sind die anderen effizienter? Ganz sicher! Sind einem sehr emanzipatorischen aufgeklärten
wir wirtschaftlich erfolgreicher? Aber ganz Umfeld. Aber da ist schon so ein Rollenbild.
sicher – noch! Wir müssen aufpassen: Die besten Aufgeklärt auf der einen Seite, wird trotzdem
Gesellschaften sind gerade anfällig, zu sehr ins erwartet, du lädst die zum Essen ein oder sonst
Dogmatische abzurutschen, sprich, Sexismus als was. Du sollst zahlen. Du holst sie ab und du
Kampfbegriff, der die Rollen der Geschlechter bringst sie nach Hause. Wenn ich das mal von
zunehmend vergiftet mit allen Konsequenzen, einer verlangen würde: ‚Was bist denn du für ein
die sich daraus ergeben: weniger Familien, Gentleman oder Typ?‘ Solche Sprüche kommen
weniger Kinder, mehr Streit und letztendlich eine da. Es stört mich an vielen Frauen, sich von
Form der Degeneration. Wenn es eine Krankheit jedem das Beste zu nehmen. So ein paar Sachen
wäre, wäre es eine degenerative Krankheit. waren ja früher schon ganz gut, wie das da so
Letztendlich, wer hat denn den Begriff Sexismus üblich war.“
aufgebracht, das geht auf Lenin zurück. Die
haben quasi, die Linke in den Anfängen, also „Ein guter Freund von mir ist Lehrer. Der macht
Marx, Engels und gerade Lenin, die haben schon sich täglich Gedanken, das sind Mädchen,
versucht, möglichst Gruppen zu identifizieren, hauptsächlich Frauen so im Alter zwischen 16
die sie ansprechen können: Frauen. Frauen und 18, der wird extremst sexistisch provoziert.
hatten zu dieser Zeit relativ wenig Rechte, die Er mag Frauen, aber der muss so dermaßen
waren unzufrieden, die konnte man ansprechen, aufpassen, was er sagt oder tut. Die kommen
auf die Weise Mitglieder gewinnen.“ so gekleidet, die haben fast nichts an.“

„Ästhetik und Sex sells. Warum? Weil wir so „Diese Möglichkeit haben nur Frauen. Zum
verdrahtet sind und weil es von der Natur so Beispiel bei einem Bewerbungsgespräch. Zwei
gewollt ist. Das ist der Punkt und daran ist gleiche Bewerber, aber der Mann hat halt nur
nichts verkehrt.“ das, was er kann. Als Frau kannst du dann
noch eine Karte ziehen.“

83
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

„Das gab es ja immer schon. Wenn wir Unter- 9.4 „Postmaterielle“


schriften vom Vorgesetzten gebraucht haben,
habe ich zur Auszubildenden gesagt ‚Jetzt mach’
mal die Bluse ein bisschen weiter auf und dann 9.4.1 Männer
kommst du mit den Unterschriften zurück‘.“
„Postmaterielle“ Männer stehen in weltanschau-
„Und weil Frauen sich dessen bewusst sind, licher, lebensphilosophischer und stilistischer
setzen sie es als Mittel, teilweise als Waffe ein.“ Gegnerschaft zu „Etablierten“. Bei den Männern
mit hoher akademischer Bildung zeigt sich bei
„Nicht persönlich, aber strukturell werde ich gleichstellungspolitischen Themen ein tiefer
schon diskriminiert, denn als Steuerzahler zahle Graben gegenüber „Etablierten“, insbesondere in
ich meine Steuern. Und was macht der Staat der Wahrnehmung und Bewertung von Sexismus.
mit dem Geld? Frauenförderung! Der Staat
fördert gewisse Bildungseinrichtungen, gewisse Im Milieu „Postmaterielle“ haben Männer –
ideologisch verbrämte Inhalte, wo wir als ähnlich wie bei „Etablierten“ – mehrheitlich eine
Männer unter Umständen nicht so gut ab- akademische Ausbildung (in der Regel sogar
schneiden. Es gibt eine Frauenbeauftragte! höher), allerdings sind die Einkommen und
Wo ist der Herrenbeauftragte? Gibt es nicht. Vermögenswerte im Durchschnitt geringer.
Ich als Steuerzahler unterstütze Institutionen, Beruflich tätig sind die in dieser Pilotstudie
die Männer nicht gerade bevorteilen. Ich Befragten im Bereich Pädagogik, Medizin, Psycho-
bezahle meine eigene Diskriminierung. Nicht logie, Denkmalpflege, Museen, alte oder neue
schön und auch nicht sinnvoll.“ Sprachwissenschaften. Ausgeprägt sind eine
konstruktiv-kritische Haltung gegenüber Neolibe-
„Wie die Luft zum Atmen da ist, so ist Sexismus ralismus und Globalisierung sowie eine radikal
da. Man könnte das ja auch ‚Geschlechtsmus‘ kritisch-ablehnende Haltung gegenüber Rassis-
nennen. Es gibt zwei Geschlechter und mehr mus, Fremdenfeindlichkeit und Maskulismus.
sogar und die wird es auch in Zukunft geben,
und solange gibt es auch Sexismus. Das Thema Das Projekt der Gleichstellung der Geschlechter
Mann – Frau – andere Genders: Der einzige ist in diesem Milieu Teil ihrer Utopie von einer
Grund, warum wir jetzt darüber sprechen, ist, guten und gerechten Gesellschaft. Die Welt ist
weil es jetzt so aufgekommen ist. Ansonsten nicht in Ordnung, daher „Change the world!“:
hat es Sexismus schon immer gegeben, bei Insbesondere sind sie der Auffassung, dass die
den alten Römern und den Neandertalern.“ verfassungsrechtliche Norm „Männer und Frauen
sind gleichberechtigt“ weder in den gesellschaft-
„Mit dem Thema Sexismus verbinden wir sofort lichen Strukturen noch in den Alltagskulturen
immer Geschlechterprobleme. Sexismus ist bereits realisiert ist und dass es in unserer Gesell-
eigentlich was Normales. Wenn wir sagen, mor- schaft historisch gewachsenen und auch nach
gen gibt es keinen Sexismus mehr, könnten wir dem Zweiten Weltkrieg bewusst gewollten
gleich sagen, morgen gibt es keine Autos mehr.“ „legalisierten Sexismus“ gibt. Damit gemeint
sind normative Rollen von Frauen und Männern
„Solange es Geschlechter gibt, wird es immer in der Familie (wie im Ersten Gleichberechtigungs-
auch Sexismus geben. Das ist vollkommen gesetz von 1957) und die bis heute bestehenden
normal, das ist gesund, das ist von der Natur hegemonial-männlichen Machtstrukturen in
gewollt. Punkt und Ende. Das Gute wäre aber, vielen Branchen wie der Mode-, Automobil- und
dass sämtliche Genderstudies-Leute arbeitslos Werbeindustrie, in denen Frauen als Objekte
wären und es mal mit echter Arbeit probieren und erotische Fleischware benutzt werden.
müssten. Und das ist mal was Schönes, weil
dafür müssten wir nicht mehr bezahlen.“

84
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

Diese Männer nehmen die divergenten Positionen Dazu sei eine Grundsatzdiskussion über Grund-
in der Sexismusdebatte in Deutschland wahr, rechte und Menschenrechte nicht förderlich,
kritisieren den ideologisch motivierten, dis- gerade wenn diese unter der Fahne von individu-
ruptiven Charakter aus dem Lager des Anti- eller Freiheit erfolge: Denn Grundrechte und
feminismus und Maskulismus, den wechselseitig Menschenrechte seien nicht verhandelbar. Man
diffamierenden Ton und das Vokabular („Gender- müsse ausgehen von der UN-Menschenrechtskon-
ideologie“, „Genderismus“, „Genderwahn“ und vention und dem in der Verfassung der Bundes-
Ähnliches). Sie sehen Nähen zum Rassismus, zum republik Deutschland formulierten Grundgesetz-
(Neo-)Konservativismus und zur identitären artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Weltanschauung. Gleichwohl halten sie für den Das sei der unbedingte Rahmen für Diskussionen
Zusammenhalt einer demokratisch verfassten über Sexismus in der Gesellschaft und zugleich
offenen Gesellschaft einen gesellschaftlichen, eine Hilfe, um auch latenten Sexismus wahrzu-
inter- und binnenlebensweltlichen Dialog für nehmen oder eine Hexenjagd unter der Fahne des
wichtig darüber, inwieweit es heute Sexismus Sexismus zu entlarven.
gibt im alltäglichen Zusammenleben, in Rollen-
arrangements von Partnerschaften und Familien, Die folgenden längeren Zitate veranschaulichen
in Betrieben und öffentlichen Institutionen, in Perspektive und Logik von „postmateriellen
den Medien und der Werbung und in politischen Männern“: einerseits die scharf konturierte eigene
Sektoren wie Wirtschaft, Gesundheit, Familien- Position, andererseits der Appell an einen gesell-
recht, Ehegüterrecht, Scheidungsrecht, Steuer- schaftlichen Diskurs in der demokratischen
recht. Sich hier zu verständigen sei wichtig zur offenen Gesellschaft.
sachlichen Behandlung des Themas und für den
Zusammenhalt der Gesellschaft. Dazu gehöre
auch, den Blick zu öffnen für strukturelle Benach- „Ich bin der Meinung, dass Sexismus ein sehr
teiligungen für Männer heute – ohne damit die wichtiges aktuelles gesellschaftliches Thema ist.
Benachteiligung von und den Sexismus gegenüber Jetzt ist die Frage, warum. Ob das jetzt medial
Frauen zu relativieren oder gar auszublenden: gemacht worden ist, ob das politisch gewollt ist
Benachteiligung und Sexismus gegenüber Frauen oder ob wir tatsächlich die Probleme haben?
einerseits, Benachteiligung und Sexismus gegen- Das will ich jetzt erst mal dahingestellt lassen.
über Männern andererseits seien kein Nullsum- Fakt ist, dass wir in einer Gesellschaft leben, die
menspiel, sondern müssen realitätsgerecht in den aus sexistischen Rollenverteilungen erwachsen
Blick und Diskurs genommen werden. ist. Das muss ständig unter die Lupe genommen
werden: Wie können wir eine Gleichberechti-
Impulse ihrer Kritik am alltäglichen und media- gung zwischen Geschlechtern, ich würde das
len Sexismus sind für „postmaterielle Männer“ noch weiter fassen, zwischen allen Beteiligten
Emanzipation sowie das ständige Arbeiten an hier schaffen? Das ist natürlich etwas, was man
einer Utopie vom aufgeklärten Individuum mit ständig auf den Prüfstand stellen muss. Im
ganzheitlichem Lebensentwurf in einer von Alltag begegnet uns Sexismus überall, es ist ein
Ideologien, überkommenen Strukturen und gesellschaftliches Phänomen, in verschiedenen
Populismen emanzipierten Gesellschaft. Aus ihrer Schichten wahrscheinlich unterschiedlich. Ich
Sicht ist Emanzipation (Geschlechtergerechtigkeit, glaube, dass da auch das Aufwachsen und der
Wertschätzung und Würde des Individuums) Bildungshintergrund eine ganz große Rolle
der Maßstab für die Sexismusdebatte. Das verlan- spielen wie man mit dem anderen Geschlecht
ge eine offene Debatte mit Erkundungen: Dazu umgeht oder generell, wie tolerant man mit
gehören auch Kritik an Personen und von Struk- anderen Menschen umgeht. Ich glaube, dass
turen; aber diese müssten von Anfang an die Aufklärung ganz, ganz wichtig ist.“
Offenheit und den Willen zur Korrektur aufgrund
von Belegen und Evidenzen aktiv mitbringen und
vorantreiben, damit keine Kultur der Denunzia-
tion oder Pauschalisierung entsteht. Das ist in
ihrem Verständnis Aufklärung.

85
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

„Man muss natürlich immer den Diskurs suchen, der Geschlechterverteilung hoch gelobt, in der
die Situation betrachten, Schwarz-Weiß-Denken familiären und in der beruflichen Ebene. Das ist
bringt uns nicht weiter. Es ist ein gesellschaft- politisch legalisierter Sexismus.“
liches Phänomen, das immer mehr zunimmt,
in allen Bereichen. Ich muss an den Brief dieser „Der Ausweg aus dem Sexismus ist generell
französischen Schauspielerin denken. Es ist die Emanzipation von jedermann, nicht nur
natürlich ein Wahnsinnsauslöser gewesen, diese von Frauen, auch von Männern: dass man sich
#MeToo-Debatte für diese Sexismusdiskussion. bewusst wird, frei wird, selbständig wird.“
Dass es gezielte sexuelle Gewalt gegen Frauen
war, auf die sich #MeToo bezieht, das ist natür- „Wir erleben in der Gesellschaft offenen und
lich eine einseitige Herangehensweise. Davon versteckten Sexismus. Es gibt was, was wir gar
muss man sich freimachen. Es ist ein Phänomen, nicht wahrnehmen als Sexismus, der dennoch
das Teil von Sexismus ist, aber es erschließt nicht da ist. Es gibt gewisse Dinge, die passieren, und
das ganze Problem. Das gibt es auch anders- man sagt ‚Nein, das ist kein Sexismus!‘ – obwohl
rum. Sexuelle Gewalt oder sexuelle Belästigung man das aus der Sicht des ‚Opfers‘ sexistisch
ist eine Definitionsfrage: Sehe ich das als den motiviert begreift. Das ist die Diskussion, die wir
Kern des Sexismus oder ist es eine Folge? Da bin führen müssen, dass man eine offene Ausei-
ich mir selbst nicht schlüssig.“ nandersetzung mit diesen unterschiedlichen
subjektiven Meinungen hat und man dann
„Das grundlegende Problem ist, dass schon zu einem Konsens gelangt. Natürlich ist es
beim Anbahnen eines Flirts nicht immer davon schlimmer, wenn die Tat da ist, weil man durch
auszugehen ist, dass die zwei Beteiligten auf moralischen Überbau von dem Grundgedanken
Augenhöhe kommunizieren. Das ist eben ganz der Motivation wegkommt. Das muss ich
entscheidend. Wenn man aus bestimmten natürlich – in Richtung Gedankenpolizei – dem
Rollenverständnissen herauskommt, wie ‚die dialektischen Wesen Mensch zugutehalten, dass
schwache Frau – der starke Mann‘, dann traut man sich selbst korrigieren kann und muss.“
sich die Frau vielleicht nicht zu sagen, mit dem
nicht und mit dem schon. Da muss man ganz „Wir müssen eben eine Definition finden in
sensibel sein, das ist schwierig. Das ist in der unserer Gesellschaft, das ist was ganz Wichtiges,
Kommunikation zwischen Mann und Frau dass wir einen Diskurs führen über das, was
manchmal komplex. Das ist ein Thema, das Sexismus ist und was nicht. Da gibt es unter-
den Sexismus berührt, dass man da aus Rollen- schiedliche Meinungen und daraus resultiert
verständnissen heraus unterschiedliche Kommu- sozusagen eine Normierung des Ganzen. Es gibt
nikationen hat und vielleicht auch nicht die natürlich Ansätze, wie zum Beispiel: Spielt es
gleiche Augenhöhe.“ eine Rolle in den Menschenrechten oder in der
UN-Charta? Entspricht das unseren gesell-
„#MeToo, das war ja auch eine Vorverurtei- schaftlichen Vorstellungen, wo wir hinwollen?“
lung – Männer sind so! Das ist schon Sexismus.“
„Es ist ein Prozess, sich einer Utopie anzunähern,
„Wenn man ein striktes Rollenverständnis mit- und das sollte der Mensch auch verfolgen, um
bringt, Mann macht das und Frau macht das, ist sich weiterzuentwickeln. Das geht in der verant-
das Sexismus, weil man Menschen aufgrund des wortlichen Auseinandersetzung mit sich selbst
Geschlechts von Berufen und Karriere ausgrenzt. und mit den Gegebenheiten, in denen man
Oder weil man ausgrenzt, weil man sich eben existiert, und mit dem Gegenüber. Ich schwanke
lieber zuhause mit den Kindern beschäftigt. Es immer zwischen den zwei Zitaten: ‚homo homini
ist dieses Adenauer-Bild, das unsere Gesellschaft lupus – ein Wolf ist der Mensch dem Menschen‘,
nach dem Krieg nachhaltig geprägt hat, das und Karl Valentins ‚Der Mensch ist gut – die Leid
geht ja bis heute hin, und ein Familienbild san schlecht‘. Ein Weg in diese Utopie wäre, dass
geschaffen hat, das bis heute nicht aufgebro- man eine eigenverantwortliche Herangehens-
chen worden ist. Da wird ein willentliches Bild weise hat.“

86
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

„Es geht um die grundlegende Gleichberech- 4. Die Charakterisierung der Andersartigkeit


tigung, ganz egal, welchen Geschlechts, welcher und naturhaften Wesensverschiedenheit
Herkunft und so weiter. Das ist das Allerwich- dient zur Begründung der Zuweisung unter-
tigste, was wir verteidigen müssen. Und da ist schiedlicher gesellschaftlicher Räume und
natürlich die Sexismusdebatte wichtig, weil es Funktionen in Wirtschaft und Gesellschaft.
diese Benachteiligung eben gibt. Und dann ist
es nicht nur ein Kampfbegriff. Aber diese Basis 5. Das dient zur Legitimierung der Moral von
dürfen wir nicht verlassen, die müssen wir spezifischen Kommunikations- und Verhal-
verteidigen, das ist der Kern unserer Gesellschaft tensweisen mit und zwischen Personen, die
und unserer Freiheit.“ unterschiedlichen Gruppen angehören.

Die zentrale Kritik von „Postmateriellen“ gilt


In ihrer eigenen Wahrnehmung und Analyse ist der Aberkennung der Individualität einer
Sexismus in Deutschland weit verbreitet, in den Person, die dadurch instrumentalisiert, zum
Alltagskulturen wie in den Systemen verankert. Objekt gemacht und benachteiligt werde.
„Postmaterielle Männer“ sind der Auffassung, dass Dabei reflektieren „postmaterielle Männer“
Sexismus in enger Verbindung mit dem Rassis- ihr Argument kritisch: Bei der Begegnung mit
mus steht, insofern als Muster und Mechanismus einer fremden Person (Mann oder Frau) sei die
ähnlich sind. Die wesentlichen Schritte in diesem individuelle Persönlichkeit noch nicht bekannt,
Prozess beschreiben sie wie folgt: könne noch gar nicht gekannt und nicht berück-
sichtigt werden. Eine Person kennenzulernen
1. Eine Person wird aufgrund eines äußerlichen erfolge stets zunächst über äußerliche, für alle
Merkmals (Geschlecht, Ethnie, Rasse, Herkunft) erkennbare Merkmale wie Geschlecht, Körperbau,
einer Personengruppe zugeordnet. Dieses Kleidung, Auftreten und so weiter. Das sei unver-
Merkmal der Zuordnung wird als charak- meidbar im Prozess der Annäherung und Aus-
teristisch, zentral oder wesensbestimmend lotung von Interesse an und Attraktivität einer
erklärt. Individuelle Eigenschaften einer Person. Zum Sexismus werde dies, wenn im
Person gelten in diesem Zuge als sekundär, weiteren zeitlichen Verlauf kein Interesse an der
nichtig oder irrelevant. individuellen Person besteht, wenn der Zugang
zur Individualität der anderen weiblichen oder
2. Die Ausprägungen des zentralen Merkmals männlichen Person blockiert wird, obwohl
werden in eine hierarchische Ordnung weiter Kontakt mit und Interesse an der Person
gebracht (Mann – Frau/heterosexuell – bestehen. Sie werde in diesem Zug und Maß
homosexuell/ethnische Zugehörigkeiten objektiviert, zu einer bloßen und prinzipiell aus-
via Herkunft oder Hautfarbe) und bewertet. tauschbaren Figur, die aufgrund ihres Geschlechts
Bestimmte Merkmalsausprägungen erhalten und ihrer Ausstattung begehrt, verabscheut,
je nach Rangposition gesellschaftliche Gel- ausgegrenzt, benachteiligt, ausgenutzt wird.
tung, Nützlichkeit, spezifische Zugangsrechte,
aber auch Pflichten.
9.4.2 Frauen
3. Aufgrund der Naturhaftigkeit des zentralen
Merkmals und der gesellschaftlichen Funktio- „Postmaterielle Frauen“ stehen in ihren Ansichten
nen der Merkmalsausprägungen erwachsen zu Sexismus noch mehr als Männer in diesem
Legitimationen zur unterschiedlichen Behand- Milieu in radikaler Gegnerschaft zu Frauen und
lung der untergeordneten Personengruppe. vor allem Männern im Milieu der „Etablierten“.
In dieser Perspektive tritt der Eigenwert einer Die Argumente „postmaterieller Männer“ zeigen
Person als Individuum zurück und verschwin- sich bei Frauen des Milieus nahezu identisch.
det geradezu. Allerdings ist die gleichstellungspolitische Pers-
pektive stärker ausgeprägt und differenzierter.
Prägnant sind episodische Erzählungen, wie sie

87
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

selbst in ihrem Alltag Sexismus erfahren oder Diese Frauen nehmen mit Sorge wahr, dass ein
beobachten. Während Männer dieses Milieus erheblicher Teil der Bevölkerung – vor allem
auch die Gleichstellungsdimension betonen, ist Männer, aber zunehmend auch Frauen – der
diese für Frauen der zentrale Hebel. In keiner Genderdebatte überdrüssig sind. Insofern gelte
anderen Gruppe ist der Link zwischen situativem es hier klug vorzugehen, um Brücken der not-
Alltagssexismus und strukturellem Sexismus so wendigen Diskurse nicht abzubrechen. Gleich-
eng wie hier. Aus ihrer Sicht muss die Sexismus- wohl halten sie Sexismus keineswegs für ein
debatte die Einheit von gleichstellungspolitischem Luxusthema im postmodernen Zeitalter, son-
und zivilbürgerlichem Diskurs sein. Konkrete dern für ein in Alltagskultur und Institutionen
Sphären sind für sie vor allem die geschlechter- tief verwurzeltes Grundübel.
asymmetrischen Strukturen am Arbeitsmarkt
sowie die Rollenteilung in Partnerschaft und In keinem Milieu wird der Zusammenhang von
Familie, ebenso Erziehung und Berufswahl, die Sexismus und Macht so eng gesehen, so diffe-
stereotype Geschlechterbilder erzeugen und renziert in wechselseitiger Kausalität analysiert
reproduzieren, die ihrerseits zwar nicht direkt, wie bei Frauen im postmateriellen Milieu. Eben-
aber mittelbar Sexismus im Alltag und in Medien so stark wird die strukturelle Etablierung von
befördern, beziehungsweise ihnen einen Rahmen Sexismus in unserer Gesellschaft thematisiert,
sozialer Akzeptanz und Normalität geben. die Normalisierung in vielen Bereichen, die eine
Persistenz der Ungleichstellung zwischen Frauen
Die in dieser Pilotstudie befragten Frauen haben und Männern erzeuge. Sexismus sei hier Folge
einen akademischen Abschluss (oder befinden und Ursache: Sexismus und Ungleichstellung
sich derzeit im Studium) in Politikwissenschaften, von Frauen und Männern seien sich wechsel-
Philosophie, Geschichte, Kunstgeschichte, Kunst, seitig stabilisierende Stützen sozialer Ungerech-
Musikwissenschaften, Sprachwissenschaften, tigkeit. Dies zeige sich nicht nur in Partnerschaf-
TV-/Radiojournalismus. Das Alter liegt zwischen ten mit traditionellen Geschlechterrollenbildern
19 und 52 Jahren. In diesem Milieu verstehen (auch der eigene Partner habe mitunter sexistische
sich Frauen als aufgeklärte, reflektierte, kritische Einstellungen, wenn er der Meinung sei, dass Toi-
Begleiterinnen des gesellschaftlichen Wandels. lette putzen, Staub wischen, Kinder versorgen pri-
Ausgeprägt ist eine für das konkrete Individuum mär Sache der Mutter sei, weil diese das von Natur
sensible, liberale Grundhaltung mit der Utopie aus besser könne), sondern in gleicher Dichte in
der Emanzipation von überkommenen Struktu- öffentlichen Sphären wie in Werbung, Ausbil-
ren der Unterdrückung und von Verkürzungen dungs- und Berufsberatungen, Einkommenschan-
des Menschseins. Mehr noch als Männer dieses cen im Lebensverlauf, Chancen auf Führungsposi-
Milieus halten „postmaterielle Frauen“ ein ganz- tionen sowie in der staatlichen Administration.
heitliches, sozial gerechtes und ökologisches
Leben für erstrebenswert. Zu den wichtigsten Beispielhaft weisen „postmaterielle Frauen“ auf
Prinzipien gehört Geschlechtergerechtigkeit. eine aktuelle Meldung hin, dass es bei der Steuer-
Doch hier diagnostizieren sie aufgrund persön- erklärung technisch problematisch sei, wenn sich
licher Erfahrungen im Alltag sowie durch fort- eine Frau zuerst in das Formular einträgt: Das
laufende kritische Wahrnehmung des gesellschaft- System, das die Steuererklärung auswerten soll,
lichen Zeitgeschehens (lokal, regional, national, stürzt beim Finanzamt ab. Die Finanzbeamten
europaweit, international) für Deutschland müssen die Zahlen von Hand in die dafür vorge-
sehenen Felder einfügen. Für diese Frauen ist dies
1. Rückständigkeit bei Gleichstellungszielen nur ein Symptom einer strukturellen und tief
im Vergleich zu anderen (westlichen) Ländern implementierten Schieflage, wie sexistisch deut-
sowie sche Steuerformulare im Allgemeinen und die
Steuersoftware im Besonderen seien. Die Ehefrau
2. einen erheblichen und institutionell ver- steht dort immer an zweiter Stelle, auch wenn
ankerten Sexismus, der sich beispielsweise sie mehr verdient als der Mann. An ihn adressiere
in hartnäckigen Rollenstereotypen zeige. das Finanzamt aber die Post, egal, ob er die Erklä-
rung gemacht habe oder wie viel er verdient. Für
„postmaterielle Frauen“ ist dies ein Beleg für die
Robustheit überkommener sexistischer Strukturen.

88
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

Andere signifikante Beispiele seien etwa die Männer 90 Prozent aller Sätze. Frauen als Heldin-
Normalität, dass Frauen trotz gleicher Qualifika- nen eigener, also nicht stereotyp männlicher Art
tion wie Männer noch selten in Führungsposi- und Vielfalt seien selten. Das habe seine Ursache
tionen kämen, dass Frauen in fast allen Branchen vermutlich in sexistischer Filmförderung und in
und Hierarchiestufen schlechter bezahlt werden, Routinen der Drehbuchautoren. Und in deutschen
dass ihnen bestimmte Berufe weitgehend ver- Fernsehfilmen und -serien würden Frauen noch
sperrt werden – nicht aufgrund rechtlicher Hür- immer überwiegend in der Rolle präsentiert, auf
den, sondern aufgrund kultureller Barrieren. So der Suche nach einem Mann zu sein, während
gebe es kaum Dirigentinnen, Regisseurinnen oder Männer auch allein und einsam existieren, ohne
prominente „Star“-Köchinnen. An der Spitze von dass ihnen dies als Makel zugeschrieben werde.
Verbänden stünden meistens Männer; Hauptrol- Der „einsame Wolf“ ist akzeptiert, die „einsame
len in Kinofilmen haben meistens Männer. Es gäbe Wölfin“ ein Versagen der Frau. Natürlich habe
zwar reihenweise Filme mit Männern als helden- man mittlerweile oft eine starke Frau in das
haften Problemlösern, aber nur wenige Filme, Rollensetting eingebaut, aber diese sei lediglich
in denen diese Rollen mit Frauen besetzt seien – das Alibi, das von der Gesamtstruktur ablenke –
und wenn, dann würden Frauen die Merkmale und sie werde häufig so ausgestaltet, dass sie als
männlicher Helden imitieren müssen: Ausnah- abschreckendes Beispiel für Frauen in Führung
men würden von Gegnern der Emanzipation gelten.
konfirmatorisch als Gegenbeweis herangeführt.
Auch würden rein zeitlich in Filmen mehr männ- Ebenso hätten Forscher der Universität Yale
liche Hauptdarsteller gezeigt und hätten mehr kürzlich herausgefunden, dass eine naheliegende
Redeanteil als weibliche – eine performative In- Lösung von Frauen nicht darin bestehen könne,
szenierung hegemonialer Männlichkeit. Eine maskulines Auftreten zu imitieren. Die Unter-
Analyse von Hollywoodfilmen durch die amerika- suchung habe gezeigt, dass in Talkshows oder
nische Rechercheplattform The Pudding, bei der Radiobeiträgen die Zuhörer und Zuhörerinnen
2.000 Drehbücher analysiert wurden, habe gezeigt: eine Frau mit hohem Redeanteil als aggressiv
Bei drei Vierteln aller Filme haben Männer mehr empfinden. Männer würden für ihr Monologisie-
Sprechtext; in 15 Prozent aller Filme sprechen ren belohnt, Frauen bestraft. Von Männern werde

89
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

vorbehaltlos erwartet, dass sie ihre Leistungen sexistischer Blick, wenn der „Adressat“ bezie-
hervorheben, offen für ihren Standpunkt eintre- hungsweise der „Gegenstand“ dieses nicht mit-
ten und dafür streiten. Frauen müssten bei dem- bekommt. Sexismus beginne im Kopf des Täters,
selben Verhalten mit Egotripvorwürfen rechnen. sei eine Frage der Einstellung und Haltung.
Nicht jeder sexistische Gedanke führt zur Tat.
Solche Erfahrungen machen sie selbst im beruf- Insofern werde auch zum Täter beziehungs-
lichen Alltag oder beobachten dies bei Kollegin- weise zur Täterin, wer sich seinen sexistischen
nen – gerade bei jenen mit hoher Qualifikation Gedanken hingibt, selbst wenn es kein konkretes
und je höher sie in der Unternehmenshierarchie „Opfer“ gibt oder die Adressaten einen Blick
sind: Mit Hosenanzug und „männlicher“ Rhetorik nicht bemerken. Opfer aber sei gleichwohl ein
sind sie schnell unbeliebt, gelten als hart, selbst- bestimmtes Geschlecht (unter anderem Frauen,
süchtig, dominant, karrieregeil, arrogant, unweib- Intersexuelle, Transsexuelle), seien Angehörige
lich, gar unsexy. Feminines Auftreten hingegen einer Geschlechterorientierung (schwul, lesbisch),
werde von Männern und auch einigen Frauen die als nicht normal stigmatisiert werden, seien
als durchsetzungsarm bis inkompetent verstan- Personen, deren Verhalten nicht den stereo-
den. Weil eine Frau in einer Führungsposition typen Erwartungen und Normen einer Gruppe
immer wahrgenommen werde im Horizont eines entspricht. (Beispiele: eine Frau, die dominant,
bestimmten vornormierten Geschlechterstereo- laut, bestimmend auftritt, die beruflich LKW-
typs „Frau“, habe sie, egal was sie tut, immer ein Fahrerin ist, Präsidentin eines Fußballvereins
Defizit: Tritt sie „wie eine Frau“ auf, hat sie einen oder Leiterin eines Technologieunternehmens/
Makel aufgrund ihres geschlechterkonformen ein Mann, der gern strickt, zurückhaltend und
Verhaltens; tritt sie „wie ein Mann“ auf, hat sie „zart besaitet“ ist, der Geburtshelfer ist, Erzieher
einen Makel aufgrund ihres geschlechterdevianten in einer Kita oder Putzkraft.)
Verhaltens. Das sei Sexismus, weil durch die mit
massiv normativen Rollenbildern aufgeladene Als Alltagssexismus fassen „postmaterielle Frauen“
Fundamentalkategorie „Geschlecht“ die individu- nicht nur die Tat des Täters/der Täterin, sondern
elle Person und ihre Leistung wertend überdeckt auch das duldende Schweigen all jener, die
und präjudiziert werde. Dazu werden Urteile über Sexismus beobachten und nicht intervenieren.
Frauen viel stärker als bei Männern bestimmt Die Akzeptanz von Sexismus sei sekundärer
durch äußerliche Merkmale wie Kleidung, Ausse- Sexismus. Wenn beispielsweise eine junge Frau
hen, Gestik, Mimik: Frauen werden hier „als Frau“ in der U-Bahn belästigt wird durch offensichtliches
kritischer wahrgenommen – von Männern und Starren auf den Ausschnitt, durch verbale Übergrif-
von Frauen. Sexismus sei auch, wenn eine Frau fe, durch ungewollte körperliche Berührung, sich
sich dieser Perspektive ausliefert, sie adaptiert dadurch ausgesetzt und unsicher fühlt, dann sei es
und ihr Handeln an ihr orientiert, um mögliche seitens der Beobachter sexistisch, dies zu dulden.
sexistische Reaktionen des Umfelds nicht zu pro-
vozieren, etwa bei der Kleiderwahl, im Auftreten Das führt zur näheren Bestimmung, was für
oder in der Kommunikation – beruflich und privat. Frauen im postmateriellen Milieu Sexismus ist.
Aus ihrer Sicht ist Sexismus eine Reduzierung
Der persönliche Sexismus im Alltag, den einer Person auf ihre Geschlechtszuschreibung,
Frauen aus diesem Milieu als Betroffene selbst ihre Geschlechterorientierung und/oder ihr
erfahren und innerhalb oder außerhalb ihres Geschlechterverhalten, bei der ihr – graduell
Milieus beobachten, wird aus Sicht „postmateriel- oder vollständig – Würde und Individualität
ler Frauen“ befördert durch vielfältige, miteinan- genommen wird. Man nimmt eine Person nur
der verschränkte Elemente in Infrastrukturen eindimensional wahr (in Bezug auf Sex oder
und Geschlechterrollen: Das bezeichnen sie als Gender) und behandelt sie als austauschbares
Struktursexismus. Objekt einer Geschlechterkategorie, als Instru-
ment oder Objekt für persönlichen Gebrauch,
Alltagssexismus ist aus Sicht „postmaterieller kommerzielle Interessen, soziale oder körperliche
Frauen“ nicht erst eine Tat, die von einem Opfer Befriedigung. Ausgangspunkt solcher Täter und
bemerkt wird und bei der es sich unwohl fühlt. Täterinnen seien vor allem heteronormative
Sexismus ist auch eine übergriffige Tat oder ein Vorstellungen von Mannsein und Frausein:

90
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

etwa mit Blick auf den Körperbau einer Frau oder herabwürdigenden Sexismus gibt und die Täter
eines Mannes, ihre oder seine Kleidung, Auftreten sich uneinsichtig oder arrogant zeigen, dann seien
und Stil, soziale Räume und das Rollengefüge im Emotion und Wut auch richtig und gefordert.
Privaten und Beruflichen. Diese Beschreibungen
in den qualitativen Interviews zeigen das Bestre- Männer dürften nicht pauschal verdächtigt
ben von „postmaterieller Frauen“, Sexismus als werden als aktuelle oder potenzielle Täter – das
methodischen Begriff und Messinstrument zu wäre ebenso Sexismus. Diesen Fehler habe eine
nutzen, um strukturelle und lebensweltliche Strömung des Feminismus in den 1960er/1970er
Faktoren sozialer Geschlechterungerechtigkeit Jahren gemacht; und diesen Fehler scheinen
zu verstehen und zu erklären. einige radikale Feministinnen im Sog der #MeToo-
Bewegung zu begehen. Damit würde nahezu
Gleichwohl ist es das ausdrückliche Ziel, keine alles, was Männer tun oder lassen, als sexistisch
Sittenpolizei und keine äußerlichen Kontroll- betrachtet und wäre fast jedes Verhalten von
mechanismen zu etablieren, sondern ein öffent- Frauen prinzipiell nicht sexistisch – beides allein
liches Bewusstsein für die Konsequenzen von aufgrund der Geschlechterzugehörigkeit. Inso-
Sexismus: Was macht Sexismus mit Betroffenen, fern sei es wichtig, die eigene „Sexismusbrille“
aber auch mit den Täterinnen und Tätern? Man immer wieder zu reinigen und auf Verzerrungen
solle dabei nicht bei den Betroffenen ansetzen, zu überprüfen.
sondern bei den Täterinnen und Tätern. Sexismus
fange im Kopf an und sei eine Frage der Haltung.
Daher seien Eindämmung und Ausmerzung von „Sexismus fängt schon damit an, wenn man
Sexismus ein Prozess der Selbstkontrolle und auf dieses Körperliche reduziert wird und nicht
Selbstzivilisierung – dazu aber bräuchten Täterin- Persönlichkeit und Charakter mit einbezogen
nen und Täter entsprechende Resonanzen ihres werden. Denn das gehört komplett zu einem
unmittelbaren Umfelds auf ihr intendiertes oder Menschen.“
tatsächliches Verhalten: Zu entwickeln sei ein
Gespür für die Person, die Gegenstand sexisti- „#MeToo und wie diese Frauen bewertet
scher Übergriffe und Begierden sei; es geht um werden: dass man Zweifel hat, was diese Frauen
die Kompetenz, sich hineinzuversetzen in die sagen! Wieso geht man davon aus, dass die
Perspektive des anderen und sich zu vergegen- Frauen keine valide Aussage getroffen haben?
wärtigen, wie unwohl sich diese Person bei einem Die Unterstellung, dass Frauen einem Mann
sexistischen Reiz oder Übergriff fühlt. Diese bewusst etwas Falsches vorwerfen, um ihm zu
Empathie durch Reziprozität der Perspektive zu schaden, selbst Vorteile zu haben, Publicity oder
schaffen sei ein stets unabgeschlossenes Projekt. so – diese Vorurteile und dieser Täterschutz sind
Dazu müsse aber in öffentlichen Diskursen das Sexismus gegen Frauen.“
Bewusstsein geschaffen werden (immer wieder
neu), dass Sexismus andere konkrete Individuen „Es begann mit diesen Anklagen aus der Holly-
und ein gesamtes Geschlecht herabwürdige. woodbranche und da ging es um Vergewal-
tigung und Nötigung. Mich hat gestört, dass
Vor diesem Hintergrund halten „postmaterielle ich irgendwann neben diesen krassen Vorfällen
Frauen“ die #MeToo-Debatte nicht für die zen- auch Tweeds gelesen habe wie ‚Der Typ im
trale Lösung oder gar einen Durchbruch. Aber Aufzug hat mich heute angeschaut‘. Da habe ich
die Debatte habe dem Prozess der Bewusst- mir gedacht: Wenn es für die schlimm gewesen
machung einen wichtigen Schub gegeben – so ist, ist es okay; aber da vermischt man gerade
irritierend und übertrieben einzelne Aussagen verschiedene Ebenen.“
im Zuge von #MeToo aus ihrer Sicht auch tat-
sächlich seien: Das sei Teil der Debattenkultur.
Selbstkritisch solle bei dieser darauf geachtet
werden, dass Alltagssexismus sachlich wahr-
genommen, bewertet und kommentiert wird –
jenseits aller Ideologie. Wenn es aber bewussten,

91
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

„Sind die armen Männer immer in potenzieller Ich habe mich dann woanders hingesetzt, habe
Gefahr, von den Frauen als Sexualstraftäter mich nicht getraut, zu ihm was zu sagen oder zu
dargestellt zu werden, obwohl sie das überhaupt andern was zu sagen. Und ich habe mich lange
nicht sind? Es würde mich wirklich interessieren, danach nicht getraut, es irgendjemandem zu
warum sowas immer wieder kommt. Ich denke erzählen, weil ich gedacht habe, dass die alle
mir oft: ‚Oh Gott, da muss man aufpassen, man denken: ‚Ja die, so schlimm wird es schon nicht
kann ganz schnell Rufmord am Mann begehen, gewesen sein.‘ Für mich war es schon schlimm.
da muss man sich nicht so anstellen, da muss Seitdem setze ich mich in der Bahn oder im Bus
man nicht wegen jedem Blick was sagen.‘ Die nie mehr an die Fensterseite, ich sitze immer am
Verantwortung wird immer wieder in die Hände Gang, damit ich aufstehen kann, wenn was ist.“
der Frau gelegt: WIR müssen was sagen, WIR
müssen uns wehren. ABER: Wir müssen über- „Bei meinen Großeltern ist es so, dass meine
haupt nichts tun – UNS wird was getan. Die Oma immer zu meiner Mutter sagt, immer wenn
Männer müssen sich ändern! Gesellschaftlich sie Streit mit ihrem Mann hat: ‚Ja, da musst du
muss sich etwas ändern!“ halt netter sein und eine Frau muss sich halt
fügen.‘ Oder mein Opa nach dem Essen: ‚Also,
„Mein Mann hat sich aufgeregt, dass ich die Frauen gehen jetzt in die Küche und die
zwei Nachmittage in Folge unterwegs war und Männer eine rauchen.‘ Sie symbolisieren das
ihm die Kinder dagelassen habe, obwohl er nach außen und die leben auch nach diesem
gerade in Elternzeit ist. Und er meinte, es reicht Bild und ich tue mich oft schwer, damit umzu-
eigentlich, wenn ich halbtags arbeite, weil die gehen, weil das doch sehr sexistisch ist. Oder
Mutter nach Hause gehört. Da fängt für mich mein Opa versucht auch immer, meiner Schwes-
Sexismus an, das ist Diskriminierung. Klar bin ter und mir auf den Hintern zu klopfen. Und ich
ich die Mutter, aber das heißt nicht automatisch, sage dann immer: ‚Nein, das möchte ich nicht.‘
dass ich zuhause am Herd stehen muss.“ Das sind halt immer so kleine Sachen.“

„Einer entfernten Kollegin von mir ist es vor „Zum Beispiel der Typ, der sich gerichtlich über
ein paar Tagen passiert. Die Situation ist so Frauenparkplätze aufgeregt hat. Ich fand das
gewesen, dass sie etwas aufheben wollte, und unmöglich, diese Parkplätze wurden ja wirklich
ist dazu vor ihm in die Knie gegangen; sie hat für Frauen abgestellt wegen einer Vergewal-
kein Dekolleté gezeigt oder so, war wirklich tigung. Und er als 26-jähriger junger Schnösel
bis oben hin zugeschlossen und dann guckte der bildet sich ein, er müsste da klagen. Ich weiß
so von schräg oben auf den Busen und hat ge- nicht, was so einen Menschen reitet. Das grenzt
meint: ‚Oh, du kniest vor mir!‘ Bei dem Mann hat auch an Sexismus, weil der überhaupt keine
man wirklich gesehen, dass ein Film abgegan- Ahnung hat. Dieses Männerding muss er dann
gen ist. Dieses Mädel ist rot geworden und auch durchsetzen, weil Männer haben genau so viel
rausgegangen. – Krass, dass ich erwähnt habe, Rechte wie Frauen. Dabei haben Männer wahr-
dass sie nicht mal ein Dekolleté hatte. Als wäre scheinlich noch viel mehr Rechte. Und wenn den
das wichtig. Schon allein das zeigt, wie schnell Frauen da zehn Parkplätze gestellt werden,
man in einer Rechtfertigungsblase ist.“ dann finde ich das unverschämt, zu sagen, das
geht nicht. So was macht mich voll wütend.“
„Ich hatte vor zehn Tagen ein Erlebnis in der
U-Bahn, da hat sich ein Mann neben mich „Ich habe lange Jahre als Tourismusguide
gesetzt, ganz nah neben mich. Das war mir so gearbeitet und hatte diese Koordinationsrolle
unangenehm, dass ich weggerutscht bin; habe und war in Uniform unterwegs zu einer Gruppe
noch gedacht, ja, kann ja mal passieren. Mit der in der Allianz-Arena, die auf uns gewartet hat.
Zeit ist er wieder immer näher zu mir gerutscht Und ich hatte drei Männer im Schlepptau.
und hat angefangen, mich mit seinem kleinen Klar, dass man bei Fußball vielleicht eher einen
Finger am Bein zu berühren, was mir furchtbar Mann erwartet. Aber es war klar, dass ich das
unangenehm war. Ich hatte eine kurze Hose an, koordiniere, weil meine männlichen Kollegen
aber sonst keinen großen Ausschnitt oder so. alle fünf Meter hinter mir waren. Und dann

92
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

habe ich unseren Ansprechpartner an der Tür dass seine Cousine mitwollte. Irgendwann hat er
gesehen und bin lächelnd auf den zu. Ich bin mir dann gesagt: ‚Das geht jetzt nicht!‘ Ich
auch nicht so schüchtern, dass man mich durfte da nicht mit, aber ich trinke auch sehr
einfach übersieht. Doch der hat an mir vorbei gerne Weißbier, auch vormittags, wenn ich
meinen männlichen Kollegen begrüßt und ihn gerade darauf Lust habe. Meine Mutter sagte:
gefragt, wie wir das jetzt machen. Und mein ‚Wir können uns ja einen Sekt aufmachen
Kollege hat gemeint: ‚Nein, sie ist die Koordi- zuhause.‘ Aber nein, das wollte ich nicht. Denn
natorin.‘ Das war ein krasses Gefühl. Und es das ist grundsätzlich so was von falsch. Und
gab keinen anderen Grund als mein Geschlecht. dann kam auch von ihr in der Argumentation:
Alles hat darauf hingedeutet. Das fand ich ‚Du gönnst ihnen das nicht, die wollen doch
wahnsinnig sexistisch.“ auch einfach nur mal beisammen sein.‘ Wie weit
weg das ist von diesem Reflexionsmoment zu
„Ich bin Sängerin und mir passiert es schon oft: sagen, darum geht es überhaupt nicht. Es geht
Leute, die bei einem Auftritt waren, haben mich um dieses Strukturelle, um dieses Institutionelle,
auf Facebook gefunden und schreiben mir das nur für Männer ist. Das ist krass, wie wenig
dann mit sexuellem Kontext. Zum Abschluss das reflektiert wird. Ich stehe dann da als ‚die
der Nachrichten heißt es dann oft: ‚Du bist ja aus der Stadt‘.“
Sängerin, tu nicht so: als ob du das nicht kennen
würdest!‘ Also viele Männer haben im Kopf: „Es ist schon auch sexistisch gegenüber der
Wenn eine Frau Sängerin ist, geht sie auch Männerwelt, dass man das Attribut Mann
gleich nach dem Auftritt mit jedem aufs Zimmer. haben muss. Einer meiner Brüder ist ein total
Das finde ich erniedrigend.“ sensibler Typ, der hat gerne Bonsais gezüchtet
und ist musikalisch. Ein bisschen ruhiger und
„Meine Schwester ist Ärztin und hat einen der trinkt auch nicht gerne Bier. Er musste sich
Posten als Chefärztin bekommen. Ihre Kollegen, dann immer verstellen, damit das nicht zu
die auch den Posten wollten, haben vorher und komisch wirkt.“
hinterher kritische Bemerkungen gemacht und
gefragt, warum sie den Posten als Frau bekom- „Attribute, die ein Mann haben muss, sind
men hat, sie sollte doch eigentlich die Kinder auf meistens so welche wie stark, groß, supertoll.
die Welt bringen.“ Bei Frauen ist es meistens: schwach, klein, die
schafft es nicht alleine, die braucht Hilfe von
„Mir ist es auf der Wiesn schon öfters passiert, einem anderen. Aber so ist es ja gar nicht. Ich
wenn es voll ist, dass man da auf den Gängen schaffe auch wirklich viel alleine, obwohl ich so
oder auf der Bank einfach angefasst wird. klein bin. Und so schwach bin ich auch nicht,
Meistens bin ich dann so perplex, dass ich über- dass ich mich nicht alleine rechtfertigen könnte.
haupt nicht weiß, von wem, und das ist schon Ich finde, dass es bei Frauen eben festgelegt ist,
öfters passiert. Ich finde das krass, dass die ‚Ihr seid schwach‘, und bei Männern ist es
Männer diese Situation so ausnutzen und einen einfach dieses ‚Ihr müsst stark sein!‘. Aber es
einfach anfassen.“ passt ja nicht jeder in diese Stereotype rein.“

„Wenn mal eine Feier ist bei meiner Oma auf „Wenn ich meinen Koffer trage, sagt ein Freund
dem Land und wir vor dem Essen in die Kirche von mir schon mal ‚Komm, ich nehm’ den‘ oder
gehen: Danach ist ganz klar, dass die Männer ‚Du kannst das doch nicht tragen‘. Natürlich ist
zum Frühschoppen gehen, und es ist ganz klar, das gut gemeint und es spricht nichts dagegen,
dass die Frauen alle mit den Kindern heimfahren wenn jemand das nett anbietet. Aber dieses ‚Du
und das Essen herrichten und auf die Kinder schaffst das nicht‘ finde ich erniedrigend. Wenn
aufpassen. Ich sehe das überhaupt nicht ein. ich nicht mal meine Tasche tragen kann, wo soll
Irgendwann habe ich es mal eskalieren lassen ich denn hinkommen im Leben?“
und gemeint, ich komme jetzt mit euch mit.
Mein Cousin hat da überhaupt nicht gewusst,
wie er reagieren soll. Dem war das so peinlich,

93
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

„Sexismus ist, dass man sich selber einschränkt Art von Witzen, das ist für mich eine ganz
bei der Klamottenwahl. Dass man zum Beispiel klare Art von Sexismus, zu sagen, ‚Die Frauen‘ –
sagt, ‚Nein, das ziehe ich nicht an, weil ich dann mit einer lächerlichen Note – und ‚die Männer
unangenehm bedrängt werde‘, eben um da nicht müssen es aushalten‘. Es sind da stets die
zu provozieren. Es sind die Erwartungen, die Frauen, die irrational handeln und unüberlegt
man an die Männer hat, wenn man sich falsch und die Welt nicht verstehen.“
anzieht. Wieso eigentlich ‚falsch‘? Wie verdreht
sind wir schon selbst? Das ist wahrscheinlich „In Musikvideos sind sie halt einfach nur
Sexismus bei mir selbst, wenn ich finde, dass Objekte, die im Hintergrund tanzen oder
das gesellschaftlich so ist. Und dann haben wir rumstehen. Und da ist dann auch nicht
Schuldzuweisungen an die Frau wegen eines zu irgendwie die Geschichte von dem Video,
kurzen Rocks. Zum Beispiel bei sexuellen Über- sondern die sind einfach nur zum Gutaussehen
griffen: ‚Sie hätte sich halt anders anziehen da. Das ist auch Sexismus.“
müssen, ja, selber schuld.ʻ“
„In dem Video ‚Blurred Linies‘ ist das so. Da gibt
„Sexismus hat für mich ganz viel auch mit es in Amerika und bei uns eine Clean Version.
Machtgefälle zu tun. Da kann Flirten eine Aber in der normalen Version ist es so, dass
Methode sein, um diese Machtverhältnisse Frauen in Unterhosen einfach nur so durch-
auszudrücken. Flirten ist ja was Legitimes an laufen die ganze Zeit. Das hat keinen Kontext
sich, aber es kann auch gemeint sein, um den und keinen Sinn. Warum sind die so nackt?
Wind aus den Segeln zu nehmen. Dann kommt Damit sich das Video verkauft. Aber das hat
noch dazu, dass ein Flirtversuch an sich nicht auch funktioniert, leider!“
sexistisch ist, aber wenn dann nicht auf die
Gegenreaktion, die eventuell nicht mehr drauf „Und was so Freizügigkeiten in der Öffent-
eingeht, gewartet wird, dann ist das sexistisch.“ lichkeit angeht: Oft sitzen ja auch in der Stadt
Männer ohne T-Shirt da, aber wenn sich eine
„Ich bekomme fast regelmäßig den Koller, wenn Frau im BH hinsetzen würde, würde es wahr-
ich an den Werbetafeln für eine Waschstraße scheinlich viel mehr Blicke geben. Oder eine
vorbeifahre. Da sind wirklich Frauen im String Frau, die mit vielen Männern was hat, die ist
und mit Sternchen auf den Brustwarzen und die dann eine ‚Schlampe‘, und ein Mann, der mit
putzen die Autos. Was soll denn das? Das gehört vielen Frauen was hat, ist dann ein ‚Weiberheld‘
doch verboten eigentlich! Das sieht aus, als und irgendwie cool, und der hat’s drauf.“
würde es in den Puff gehen und nicht in die
Waschstraße.“ „Ich war bis vor kurzem blond, richtig blond und
längere Haare. Dann habe ich das umfärben
„Im Sommer gab es eine Werbung mit einem lassen. Und dann habe ich wirklich von vielen
splitterfasernackten Mann, der lag auf dem Männern gehört, ‚blond war reizender‘. Aber
Bauch, also man hat seinen Po gesehen und der dann meinte mein Vater, er findet das besser,
hat eine Frauentasche verkauft. Das ist doch weil ich dann ernster genommen werde. Dafür
kein Grund, warum ich eine Tasche kaufe. Und ist Marilyn Monroe ein Vorbild gewesen, die
ich kann mir vorstellen, dass Männer umgekehrt war zwar total intelligent, aber sie hat sich so
das auch so sehen. Da ist eine nackte Frau, dann in diese Richtung verkauft. Fakt ist, die hat das
kaufe ich das, da bekomme ich die gleich dazu. total geprägt, dieses Blond-und-blöd-Ding.“
Sexistisch ist, dass es nur verkauft werden kann,
wenn die nackte Frau daneben steht. Die Frau „Man muss mehr in der Schule oder im
dient da nur als Werbeversprechen.“ Kindergarten das Bild stärken, dass Männer
und Frauen gleichberechtigt sind. Wenn man
„Radioshows am Vormittag sind furchtbar. in der Denkweise was ändern will, muss man
Da hört man so Sachen wie ‚Oh, meine Frau bei den Kindern ansetzen. Es geht darum, dass
hat wieder Schuhe gekauft‘ oder ‚Kauf’ dir Kinder bis 12 oder 14 diese Filme überhaupt
doch eine Handtasche, dann bist du glücklich‘. nicht sehen. Ich finde das provokant, wenn
Vermeintlich total harmlos, aber so albern Rosamunde Pilcher den ganzen Tag läuft und
und doch so präsent. Mario Barth, so diese nicht erst um 20.15 Uhr.“

94
9 Konträre Ansichten und tiefe Gräben: Einstellungen in den Milieus

„Auch diese Crash-TV-Serien wie Frauentausch „Unter Frauen kann man sich auch nicht so
oder so. Da sind immer die Frauen zuhause. profilieren, wenn man sexistische Bemerkungen
Die wenigsten der Frauen gehen da arbeiten. macht. Männer nutzen das ja oft, um sich in
Es ist immer dieses Bild: Frauen-zuhause-und- einer Gruppe hervorzuheben. Unter Frauen
Männer-in-der-Arbeit. Ich glaube, dass da vieles ist das nicht so eingebettet.“
im Fernsehen zensiert oder nicht erlaubt werden
sollte, auch in der Werbung und in der Musik.“ „Taten von Männern gegenüber Frauen werden
viel schneller als übergriffig angesehen. Wenn
„Ich bin komplett gegen Zensur. Ich würde ein Mann einer Frau die Hand auf den Arm legt,
niemals etwas zensieren, auch wenn ich wird das schneller als unangemessen gesehen
überhaupt nicht dahinterstehe. Das finde ich als andersrum. Und ich glaube, deswegen ist die
ganz schwierig. Ich würde eher ansetzen bei Angst einer Frau, sich falsch zu verhalten, viel
Lernbedingungen, Kinderbetreuung für alle.“ geringer. Die Grenze von den Empfindungen
einer Frau ist ganz woanders.“
„Mein Mann lebt seinen Sexismus zuhause
schon aus, indem er meint, ich muss mich um
Kinder und Haushalt kümmern. Aber ich weiß, Wie wäre es, wenn es morgen keinen Sexismus
er ist mir immer zu 100 Prozent treu. Der hat mehr geben würde? Woran würde man das aus
mal in der Arbeit, also da hat sich die Sekretärin Sicht dieser Frauen merken? Was wäre anders?
an ihn rangeschmissen. Und das hat den voll Es wäre selbstverständlich, dass Frauen in Füh-
nervös gemacht. Er hat mir das mal erzählt, die rungspositionen sind, dass auch der Vater zuhause
setzt sich immer auf seinen Tisch und hat immer bleibt bei den Kindern, dass die Frauen mit zum
kurze Röcke angehabt und das hat ihn total Frühschoppen gehen. Geschlechterstereotype
genervt. Er hat sich bedrängt gefühlt und ist Zuschreibungen gäbe es nicht mehr mit ihrer
irgendwann zum Chef gegangen. Ihr war das heute drängenden Gewalt. Die Gesellschaft wäre
egal, die wusste ja, dass er verheiratet ist.“ offener, die Freiheit der Einzelnen wäre größer,
Frauen würden sind im Alltag sicherer fühlen.
„Ich finde die Aussage ‚Frauen können keine
Täter sein‘ auch schon sexistisch. Warum denn
nicht? Wenn sie gegen den Willen eines Mannes „Ich muss mir nicht mehr überlegen, was ich
handeln oder versuchen, ihn über Kommentare, anziehe oder wie ich mich zurechtmache, weil
Blicke oder Aussagen über sein Geschlecht ich keine Angst haben muss, dass irgendwie ein
kleinzumachen.“ blöder Kommentar kommt.“

„Ich glaube, dass sich Männer auch einfach „Die netten Komplimente müssen bleiben, aber
nicht trauen, was zu sagen, wegen der Gesell- die verschwinden dann ja auch nicht. Ich stelle
schaft. Es sind ja immer Frauen die Opfer, mir das schon schön vor.“
Männer sind ja größer, stärker und können sich
wehren. Ich glaube, viele trauen sich einfach „Ich denke, dass es generell ein netterer
nicht, was zu sagen, weil sie meinen, dass ihnen Umgang wäre.“
keiner glaubt.“
„Ich muss nicht mehr so viel über Grenzen
„Frauen als Täterinnen machen das nicht so nachdenken, wie hat er das gemeint und so.“
offensichtlich, nicht so brutal und eher hinten-
rum. Die machen das mehr ausgefeilt. Frauen „Es wäre viel entspannter,
denken sich eher ‚Ey, geiler Arsch‘, aber sie auch im Businessbereich.“
würden das nicht sagen. Ich glaube, Frauen
sind eher im Kopf sexistisch.“

„Ich habe noch nie eine Frau erlebt, die einem


Mann hinterhergepfiffen hat. Und ich glaube,
Frauen überlegen sich Sachen eher länger. Die
probieren das vielleicht länger und subtiler.“

95
10 Zusammenfassung

! Zusammenfassung

1. Sexismus ist in der alltäglichen Wahrneh-


mung, Deutung und Wertung der Frauen
und Männer ein unterbestimmter Begriff, der
durch Zuweisung einer fremdbestimmten Funk-
tion zum einen – zum anderen die Konfrontation
einer konkreten Person mit diesem stereotypen
gleichzeitig Assoziationen in viele Richtungen Idealbild, dem sie oder er zu genügen hat. Instru-
erzeugt und mehrdimensional ist: Das betrifft mentalisierung meint, dass für bestimmte egois-
die verschiedenen Erscheinungsformen (unter tisch-erotische und/oder finanziell-ökonomische
anderem Face-to-Face, online über E-Mails und und/oder sozial-machtorientierte Interessen die
digitale soziale Netzwerke, telefonisch, in der Angehörigen eines Geschlechts benutzt und
Werbung) sowie unmittelbare und mittelbare, per- ausgenutzt werden, damit verdinglicht und
sönliche und strukturelle Arten von Sexismus, herabgewürdigt als Person.
abhängig von Situationen und sozialen Kreisen.
Gemeinsam in den Bestimmungen von Sexismus
ist die Herabwürdigung der konkreten Person in
ihrer Geschlechtsidentität, die Objektivierung
3. Unter Sexismus versteht man meistens
persönliche Angriffe einer Person oder
Personengruppe gegenüber einer anderen
und Instrumentalisierung eines Subjekts, dem Person (oder Personengruppe) oder die medial-
Würde und Souveränität genommen werden. werbliche Verwendung von erotisch-sexistisch
Entscheidend ist in der Alltagswahrnehmung, stilisierten Bildern von Angehörigen eines
dass es zahlreiche Phänomene von Sexismus Geschlechts zum Zweck der Verkaufs- und
gibt, die nicht eindeutig sind, sondern im Ermes- Absatzförderung. Eine besondere Art von Sexis-
sen der Betroffenen liegen. Insofern ist Sexismus mus gibt es nach Auffassung der Bevölkerung,
Kommunikation, an der mindestens zwei Akteure wenn Prominente sich selbst zum Objekt machen,
beteiligt sind, die einen kommunikativen Akt gleichsam Täter und Opfer sind – beispielsweise,
jeweils für sich interpretieren. Was ein Absender um damit Geld zu verdienen.
sexistisch meinen kann, muss vom Empfänger
nicht so verstanden werden. Was für einen
Absender ein Flirt oder „Anmache“ ist, kann vom
Empfänger als sexistisch interpretiert werden.
4. Sexismus kann ein politisches und sozio-
kulturelles Instrument sein, wenn Mecha-
nismen und Institutionen ausgebaut und vertei-
Insofern kann es – mit Ausnahme erheblicher, digt werden, die eine systematische Unterordnung
schwerer Übergriffe – keine objektive Instanz eines Geschlechts (oder Menschen einer bestimm-
geben, die Sexismus von einer neutralen Warte ten Geschlechterorientierung) unter das je andere
aus bewertet. Eine pluralistische Gesellschaft der Geschlecht (oder ein Geschlechterorientierung als
Freiheit muss diesen Diskurs dauerhaft führen: Leitbild) vorsehen und behaupten.
Was ist sexistisch und wo verlaufen die Grenzen?

2. Für Sexismus kennzeichnend ist nach Auf-


fassung der Bevölkerung die Verkoppelung
5. Weitgehend gespalten ist die Bevölkerung
(und definitorisch unsicher), ob Sexismus
eine Tat, eine Haltung oder Struktur ist. Fällt in
von zwei Elementen: Stilisierung und Instrumen- die Kategorie Sexismus nur die konkrete äußer-
talisierung eines Geschlechts. Stilisierung meint, liche Tat, und muss diese vom Betroffenen
dass einem Geschlecht bestimmte Merkmale bemerkt werden, damit sie den Charakter „sexis-
stereotyp zugeschrieben werden, übersteigert tisch“ erhält? Eine solche Auffassung findet sich
werden (ins extrem Positive oder extrem Negative) tendenziell häufiger bei Männern in den Milieus
und zum normativen Maßstab erhoben werden. der „Traditionellen“ und der „Bürgerlichen Mitte“.
Sexismus hat hier zwei Konsequenzen: die Verkür- Oder gilt auch eine Tat (Worte, Gesten und
zung des Möglichkeitsraumes eines Geschlechts Sonstiges) als sexistisch, wenn Adressaten diese

96
10 Zusammenfassung

gar nicht bemerken? Eine solche Auffassung


haben tendenziell eher Frauen in der Mitte der
Gesellschaft. Oder gilt als Sexismus bereits vor
7. Wer Sexismus gegen die eigene Person
erlebt, fühlt sich in der konkreten Situation
meistens überrascht und verfügt – nach eigener
der Tat eine entsprechende mentale Haltung, auch Aussage – nicht über ein Repertoire von Reaktio-
wenn diese nicht immer oder nur sehr selten zu nen, die richtig und angemessen sind. 74 Prozent
äußerlichen Handlungen führt? Eine solche der von Alltagssexismus betroffenen Frauen und
Auffassung vertreten überwiegend Frauen und 65 Prozent der von Alltagssexismus betroffenen
Männer in gehobenen Milieus. Fällt unter Sexis- Männer sagen, dass es schwer ist, sich in der Situa-
mus auch eine gesellschaftlich institutionalisierte tion zur Wehr zu setzen. 83 Prozent aller Frauen
(Ungleichheits-) Struktur zwischen Frauen und und 73 Prozent aller Männer, die von Sexismus
Männern, die Vorteile und Nachteile asymme- betroffen sind, haben aus persönlicher Erfahrung
trisch verteilt – nicht nach individueller Leistung, die Einstellung, dass es zu wenig professionelle
sondern nach Geschlechtszugehörigkeit? Bei- Unterstützung gibt. Es besteht weniger eine
spiele dafür sind gleiche Entlohnung bei gleich- Rechtsunsicherheit, sondern vielmehr Verhal-
wertiger Arbeit, Chancen auf Führungspositionen, tensunsicherheit. Insofern ist es der Wunsch der
Alterssicherung … Eine solche strukturelle Sexis- Betroffenen, mehr professionelle Unterstützung
musperspektive mit ausgeprägt gleichstellungs- zu bekommen, und zwar für mehr Verhaltens-
politischem Fokus haben – mehr oder weniger sicherheit. Das meint keinen Regelkatalog mit
konturiert – vor allem Frauen, aber auch Männer Verhaltensanweisungen; ein solcher ist ausdrück-
im Milieu der „Postmateriellen“. lich nicht gewollt, denn er würde die Freiheit und
Leichtigkeit im Alltag des Miteinanders einschrän-

6. Alltäglicher Sexismus ist ein Massen-


phänomen. Derzeit erleben (nach Selbst-
auskunft) 44 Prozent aller Frauen in ihrem Alltag
ken. Der Wunsch zielt vielmehr auf Empower-
ment, die Entwicklung persönlicher Skills,
Strategien und Maßnahmen (auch Best Practices),
sexistische Übergriffe – 14 Prozent mehrmals im um sich vor sexuellen Übergriffen zu schützen,
Monat. Unterschätzt wird, dass mit 32 Prozent sich in Situationen souverän zu verhalten, sich zu
auch ein erheblicher Teil der Männer von Sexis- wehren und erlebte Situationen konstruktiv zu
mus im Alltag betroffen ist. Mehr als jeder zehnte verarbeiten. Dazu gibt es in der Bevölkerung das
Mann (11 Prozent) erlebt Sexismus mehrmals im Bedürfnis nach Aufklärung über das Ausmaß von
Monat. Auch jene, die selbst nicht betroffen sind, Alltagssexismus in der Gesellschaft sowie über die
nehmen in ihrem Alltag Sexismus wahr. Sexismus Folgen der davon Betroffenen sowie Enttabuisie-
ist nach ihrer Beobachtung omnipräsent, ist nicht rung von Alltagssexismus. 80 Prozent aller Frauen
auf einen Alltagsbereich und auf keine Schicht und 65 Prozent aller Männer sprechen sich dafür
beschränkt. Insgesamt haben 63 Prozent aller aus, dass die Politik hier mehr Maßnahmen
Frauen und 49 Prozent aller Männer sexistische ergreift, um Sexismus vorzubeugen.
Übergriffe anderen oder sich selbst gegenüber
erlebt. Je höher die Bildung, umso größer die
Sensibilität für Sexismus in seinen verschiedenen
Ausdrucksformen (und möglicherweise auch
8. In der Oberflächenstruktur gibt es gesell-
schaftsweit eine große mentale und
verbale Distanz zum Sexismus, der allein schon
die Anzahl sexistischer Übergriffe): 71 Prozent aufgrund des ideologisch anmutenden Wort-
der Frauen mit akademischer Bildung und (nur) gebildes als „extremistisch“ gilt. Gegner dieser
53 Prozent der Frauen mit geringem Bildungs- Ablehnung sind Männer und auch einige Frauen,
abschluss sind selbst von sexistischen Übergriffen nicht nur im Strom des Antifeminismus und des
betroffen oder beobachten solche in ihrem Um- Maskulismus, sondern auch im Milieu der „Etab-
feld. Weniger betroffen beziehungsweise weniger lierten“, die das Wort Sexismus für eine Kampfpa-
sensibel in ihrer Beobachtung sind Männer. Von role radikaler Feministinnen halten, die – mit
jenen mit geringer Schulbildung beobachten wenigen Ausnahmen – mit dem Alltag wenig zu
29 Prozent im Alltag Sexismus, von jenen mit tun habe. Es werde medial eine hypersensible und
akademischer Bildung 53 Prozent. die Wirklichkeit verzerrende Wahrnehmungslinse
erzeugt, durch die man in fast allem Miteinander
der Geschlechter mehr oder weniger starken
Sexismus sehen würde.

97
10 Zusammenfassung

9. Neben der sich in den qualitativen und


quantitativen Daten zunächst zeigenden
Dominanz einer moralischen, kulturellen und
• Im Milieusegment „Bürgerliche Mitte“ und
„Traditionelle“ ist die Einstellung in Spuren
vorhanden, dass Sexismus mit der Ungleich-
sozialen Ächtung von Sexismus zeigt sich in der stellung von Frauen und Männern eng ver-
Tiefenstruktur eine Vielfalt unterschiedlicher woben ist. Während Frauen in diesen Milieus
Deutungen und Relativierungen. Die Grenzen als die zwei wichtigsten Hebel gegen Sexismus
verlaufen zwischen den sozialen Milieus unserer die Gleichstellung von Frauen und Männern
Gesellschaft sowie innerhalb der Milieus zwischen sowie das Bemühen der Frauen, sich durch
Frauen und Männern. Outfit und Verhalten nicht zum Objekt sexuel-
ler Triebe von Männern zu machen, sehen,
• Dabei betonen Frauen und Männer im gesell- sehen Männer primär die Frauen gefordert,
schaftlichen Leitmilieu der „Postmateriellen“, mit erotischen Reizen nicht zu provozieren,
dass Sexismus nicht auf persönliche Über- weniger aber strukturelle Aspekte der Gleich-
griffe im Alltag reduziert werden dürfe, sondern stellung. Eine von Sexismus befreite Gesell-
seine Ursachen in der strukturellen Ungleich- schaft erscheint diesen Männern – trotz ihrer
stellung von Frauen und Männern habe: anfänglich demonstrierten Antisexismus-
Ungleichstellung befördere den Alltagssexis- einstellung – wenig attraktiv, sondern ohne
mus. Alltagssexismus sei nicht nur individuelle Schönheit, uniform, reizlos, fade.
Triebenthemmung und Machtmissbrauch,
sondern auch ein Instrument zur Restituierung • Im gehobenen Leitmilieu „Etablierte“ demons-
traditionell-hierarchischer Geschlechterver- trieren Frauen, dass sie selbst keinen Sexismus
hältnisse. Hier gebe es nicht nur den gesell- erfahren oder nie wehrloses Opfer von Alltags-
schaftlich etablierten „normalisierten“ Sexis- sexismus sind. Vulgäre Abweichler von guten
mus von Männern gegenüber Frauen und Sitten seien Ausnahmen, denen durch klare
gegen (homosexuelle) Männer. Es gebe auch Ansagen dezidiert Grenzen gezogen werden
umgekehrt, quasi als Gegenreaktion, Alltags- könnten. Wichtig ist Frauen und Männern in
sexismus von Frauen gegen Männer als Objekte diesem Milieu, in solchen Situationen nicht
für Sex, für eigene Machtdemonstrationen übertrieben zu reagieren sowie in der Debatte
sowie für die Durchsetzung eigener Interessen nicht zu übertreiben – wie #MeToo durch seine
(indem sich Frauen zum Beispiel selbst zum Diffamierungskultur, sodass heute Männer die
Sexobjekt machten) sowie Alltagssexismus eigentlichen Opfer von Sexismus seien. Absolu-
gegen andere Frauen, die dem eigenen Norm- te Gleichstellung wird es nach Auffassung von
bild von Frausein nicht entsprechen. Das sei „Etablierten“ niemals geben, denn schon von
ebenso abscheulich und auszumerzen. Sie Natur aus seien Männer und Frauen unter-
kritisieren den disruptiven Charakter aus dem schiedlich. Daraus ergibt sich im Alltag in der
Lager des Antifeminismus und des Maskulis- Partnerschaft und Familie die Tendenz zu einer
mus, den wechselseitig diffamierenden Ton und Rollenteilung, die sich bewährt habe, ebenso in
das Vokabular, sehen Nähen zum Rassismus Bezug auf Berufswahlen und Funktionen im
und zur identitären Weltanschauung. Gleich- Unternehmen. Primat bleibe die freie Wahl des
wohl halten sie für den Zusammenhalt einer Einzelnen nach Talent und Leistung. Nur in
demokratisch verfassten offenen Gesellschaft wenigen Bereichen sehen sie eine Ungleich-
einen gesellschaftlichen Dialog darüber für stellung von Frauen, etwa beim Anteil von
wichtig, inwieweit es heute im alltäglichen Frauen in Führungspositionen, zum Teil auch
Zusammenleben und in Institutionen Sexismus beim Entgelt. Sexismus im normalen Umfang
gibt. Gleichwohl dürfen in diesem Dialog und ist nicht schlimm; Sexismus per se ist nicht
Streit die Fundamente nicht zur Disposition negativ – so die Überzeugung. Andere in ihrer
gestellt werden: der Verfassungsgrundsatz Sexualität zu sehen und zu behandeln, sei Teil
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ der Geschlechtsidentität. Man dürfe Sexismus
sowie die Menschenrechtscharta der Vereinten nicht auf Tabuübertretungen und Verletzungen
Nationen. Ziel sind Emanzipation und das von Menschen verkürzen, bei denen ihnen die
Arbeiten an einer Utopie von einer guten und Würde genommen werde. Vielmehr müsse man
gerechten Gesellschaft. den Blick weiten für die vielen Arten von

98
10 Zusammenfassung

positivem Sexismus. Denn Sexismus ist für sie gehen sie das Risiko ein, Lustobjekt von Frem-
die natürliche und notwendige Basis einer den zu werden. Wenn sie sich hingegen nicht
aufgeklärten, modernen, freien Gesellschaft. schminken oder unweiblich kleiden, gelten sie
nicht als interessante Frau und als unattraktiv.
• Im Milieusegment „Benachteiligte“ und Einige haben den Eindruck, sich nichtsexy
„Hedonisten“ verbinden Frauen mit Sexismus verkleiden zu müssen, „um nur nicht dumm
vor allem Frauenfeindlichkeit, die bewusste angemacht“ zu werden. Egal wie sie sich kleiden
Ungleichbehandlung oder Ausschließung und ausrüsten, sie rechnen mit sexistischen
aufgrund des Geschlechts. Betroffene von Reaktionen.
Sexismus sind nach ihrer Erfahrung haupt-
sächlich Frauen – und sie selbst. In keinem
anderen Milieu ist die Bereitschaft, sich selbst
als Opfer von sexistischen Übergriffen zu outen,
so groß wie hier. Sie empfinden zudem großes
Unbehagen und Missfallen über mediale
Darstellungen von Frauen: Zum einen werden
Frauen inszeniert als erotische Objekte der
Begierde zum Zweck der Verkaufsförderung –
und dabei wird ein Leitbild von Frausein
geliefert, an dem eigentlich jede normale Frau
nur scheitern könne. Zum anderen werden
Frauen in Filmen und in der Werbung in einer
traditionellen Rolle dargestellt, die für ihr
Lebensglück einen Mann braucht, die ohne
diesen unzufrieden und unvollständig ist.
Frauen in diesen Milieus sehen sich in einem
Dilemma: Kleiden sie sich betont weiblich,

99
11 Fazit

" Fazit

Der Begriff Sexismus ist weit bekannt. Es gibt sensystem, im Erziehungswesen mit Vorbildern
kaum jemanden, der dieses Wort noch nie gehört und Leitbildern sowie durch mediale Inszenierun-
hat; bei allen löst er spontan Bilder aus und gen von Mannsein und Frausein in Filmen und
aktiviert Einstellungen. Insofern ist der Begriff Werbung in unserem Bewusstsein Spuren hinter-
im Allgemeinbewusstsein verankert und müsste lassen und damit den institutionalisierten, norma-
eigentlich geeignet sein für einen gesellschaft- lisierten und damit unsichtbaren Sexismus auf
lichen Dialog zu dem Thema. Die Untersuchung Dauer stellen und verharmlosen.
aber zeigt, dass das Wort Sexismus für eine
gesellschaftliche Debatte nicht förderlich ist, weil Die Schwierigkeit für politische Akteure besteht in
es als Containerbegriff für alle weltanschaulichen der Zielgruppenansprache – darin aber liegt auch
Vorstellungen und (Feind-)Projektionen benutzt die Lösung: Eine politische Kommunikation mit
wird. Insofern besteht das Risiko, dass bei Verwen- der Zielgruppe der „Etablierten“ zum Beispiel wird
dung des Begriffs Sexismus in Debatten die be- mit dem Begriff Sexismus zunächst reflexhafte
stehenden gesellschaftlichen Gräben offengelegt Vorbehalte und Abwehr gegenüber dem Thema
und womöglich vertieft werden, ohne dass es erfahren. Auf den Begriff zu verzichten, wäre für
zu einer dialogischen Verständigung kommt. die Zielgruppe der „Postmateriellen“ aber fatal,
Allerdings bieten die bereits eingeschliffenen weil für sie der Begriff Sexismus ein strukturelles
Meinungen zu Sexismus die Chance, genau hier Problem benennt, für das ein anderes Wort zu
anzusetzen. Bei Verwendung eines anderen finden zwar praktisch, aber nur ein Ausweich-
Begriffs würden früher oder später dieselben manöver wäre: Letztlich würde auch eine andere
Gräben sichtbar werden. Wortwahl inhaltlich dieselben Mechanismen
beschreiben und würde bei jenen, die Sexismus
Beispielhaft deutlich wurde dies in diametral leugnen oder abwehren, dieselben Ressentiments
entgegengesetzten Positionen: auf der einen erzeugen. Damit stößt man auf den Befund, dass
Seite Männer im Milieu „Etablierte“ mit ausge- das Thema Sexismus eng mit der Weltanschauung
prägten oder latenten maskulistischen Haltungen, verknüpft ist: In welcher Gesellschaft wollen wir
die einen „positiven“ Sexismus für unverzichtbar leben? Eine gesellschaftlich von allen geteilte
halten (wie Luft zum Atmen) und derzeit eher gemeinsame Utopie gibt es offenbar nicht
wachsenden Sexismus gegen die ökonomische (mehr). Hier ist der gesellschaftliche Zusammen-
Ausbeutung von Männern durch Frauenförderung halt ein Stück weit verloren gegangen. Je nach
sowie eine kulturelle Diffamierung von Mann- Utopie und normativer Vorstellung von einer
sein sehen, sowie „etablierte Männer“, die die über guten und richtigen Gesellschaft sind die Filter
Jahrhunderte gewachsene und bewährte Hierar- für den Alltagssexismus unterschiedlich ausge-
chie von Mann und Frau betonen und sich eine bildet und kultiviert.
sexismusfreie Gesellschaft nicht vorstellen
wollen – mit dem Hinweis auf eine Gedanken-
und Sittenpolizei. Auf der anderen Seite Frauen
(und Männer) im Milieu „Postmaterielle“ mit
programmatisch antimaskulistischen Haltungen,
die zu einem Dialog darüber aufrufen, wie über-
kommene traditionelle Rollenpraktiken in der
Partnerschaft, in der Familie, im Lohnsteuerklas-

100
12 Untersuchungssteckbrief

# Untersuchungssteckbrief

Grundgesamtheit der Pilotuntersuchung ist die


deutschsprachige Wohnbevölkerung im Alter ab
16 Jahren.

A. Qualitative B. Quantitativ-reprä-
Untersuchung sentative Befragung
Für die qualitative Datenerhebung dieser Pilot- → Stichprobe: 2.172 Personen
studie wurden Gruppenwerkstätten durchge-
führt, vier Gruppenwerkstätten mit Frauen und → Stichprobenziehung: repräsentative geschich-
zwei mit Männern. Die Gruppenwerkstätten tete Zufallsauswahl (ADM) der Bevölkerung ab
mit Frauen waren milieukompatibel zusammen- 16 Jahren in zwei Stufen:
gesetzt aufgrund der Erfahrung, welche Milieus • zunächst zufällige Auswahl von Haushalten
in einer Gruppendiskussion konstruktiv mit- • dann im Haushalt zufällige Auswahl der
einander diskutieren können – bei möglichst Befragungsperson
geringen stilistischen Reibungsrisiken:
→ Befragungsform: persönliche Befragung
• „Traditionelle“ und „Bürgerliche Mitte“ (Face-to-Face; CAPI)
• „Benachteiligte“ und „Hedonisten“
• „Etablierte“ → Erhebungszeitraum: 3. bis 18. Dezember 2018
• „Postmaterielle“
→ Gewichtung nach aktuellen Daten des
Mit Männern wurden zwei Gruppenwerkstät- Statistischen Bundesamts (Mikrozensus)
ten durchgeführt: eine Gruppenwerkstatt mit (Bundesländer, Geschlecht, Alter, höchster
Männern mit einem akademischen Abschluss Bildungsabschluss, Berufsausbildung)
und eine mit Männern mit nicht akademischer
Berufsausbildung. Die Männer aus diesen Grup-
pen kamen aus folgenden sozialen Milieus:

• „Traditionelle“ und „Bürgerliche Mitte“


• „Etablierte“
• „Postmaterielle“

Das Alter der Frauen und Männer in den Grup-


penwerkstätten lag zwischen 18 und 55 Jahren.
An den Werkstätten nahmen je acht bis zehn
Personen teil. Die Dauer der Gruppenwerkstätten
betrug jeweils 2,5 Stunden. Erhebungszeitraum
war Dezember 2018 und Januar 2019.

101
Impressum

Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung;


sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt.

Herausgeber:
Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Referat Öffentlichkeitsarbeit
11018 Berlin
www.bmfsfj.de

Bezugsstelle:
Publikationsversand der Bundesregierung
Postfach 48 10 09, 18132 Rostock
Tel.: 030 18 272 2721
Fax: 030 18 10 272 2721
Gebärdentelefon: gebaerdentelefon@sip.bundesregierung.de
E-Mail: publikationen@bundesregierung.de
www.bmfsfj.de

Für weitere Fragen nutzen Sie unser


Servicetelefon: 030 20 179 130
Montag–Donnerstag: 9–18 Uhr
Fax: 030 18 555-4400
E-Mail: info@bmfsfjservice.bund.de

Einheitliche Behördennummer: 115*

Artikelnummer: 4BR214
Stand: )¯¤úĊ—ú 20ȩȧ, ȩ. Auflage
Gestaltung: www.zweiband.de
Druck: MKL Druck GmbH & Co. KG

* Für allgemeine Fragen an alle Ämter und Behörden steht Ihnen auch die einheitliche Behörden-
rufnummer 115 zur Verfügung. In den teilnehmenden Regionen erreichen Sie die 115 von Montag
bis Freitag zwischen 8 und 18 Uhr. Die 115 ist sowohl aus dem Festnetz als auch aus vielen Mobilfunk-
netzen zum Ortstarif und damit kostenlos über Flatrates erreichbar. Gehörlose haben die Möglichkeit,
über die SIP-Adresse 115@gebaerdentelefon.d115.de Informationen zu erhalten. Ob in Ihrer Region
die 115 erreichbar ist und weitere Informationen zur einheitlichen Behördenrufnummer finden Sie
unter http://www.d115.de.
Engagement Familie Ältere Menschen Gleichstellung Kinder und Jugend

Das könnte Ihnen auch gefallen