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Die Musikdramaturgie von

The Big Lebowski


LUKAS WILKE

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung………………………………………………… 3

2. Musikdramaturgie

2.1 Die Eröffnungssequenz………………………………….. 3

2.2 Die Figur Dude und dessen Identität………………….. 4

2.3 Verknüpfung von Musik und Charakteren……………. 7

2.4 Einsatz klassischer Musik……………………………….. 9

2.5 Die Erzählerfigur…………………………………………… 9

3. Zusammenfassung……………………………………… 10

4. Quellen…………………………………………………….. 10

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1. Einleitung

In dem Film The Big Lebowski (1998, Coen Brothers) wird die Geschichte des Dude’s, ein allen
gesellschaftlichen Normen trotzender Alt-Hippie, welcher im Los Angeles der 1990er Jahre
gefangen ist, erzählt. Als letzte Bastion seines unbeschwerten Lebensstils geht er mit seinen
beiden Freunden Donnie und Walter dem Bowlingsport nach, welcher hier besonders ästhetisch
und als Lebensmittelpunkt des Protagonisten inszeniert wird.

Durch die Namensgleichheit zu einem vermeintlichen Millionär wird der Dude, welcher mit
bürgerlichem Namen Jeffrey Lebowski heisst, zunächst zufällig in die Geschäfte allerhand skurriler
Figuren verwickelt und sieht sich so gezwungen die nun ihm auferlegten Konflikte zu lösen.

In dem folgenden Text soll ein Einblick in die Musik- und Tondramaturgie des Filmes gegeben
werden. Hierzu werden einzelne Themen, welche in musik- und tonspezifische Komplexe
eingeteilt sind vorgestellt und an Hand von Beispielen erörtert.

In dem Film wird ausschließlich prä-existente Musik verwendet. Zu großem Anteil werden
Popsongs verwendet („song scoring“). Diese werden allerdings sehr ausgefeilt eingesetzt und
stehen daher einer komponierten Filmmusik in ihrer dramaturgischen Wirkung in keiner Weise
nach. Folgend wird die Musik im Film unter den selben Gesichtspunkten behandelt wie
komponierte Filmmusik, wenn auch mit solchem „song scoring“ zwangsläufig eine implizite oder
explizite Zitatfunktion einhergeht und die Beziehung zwischen autonomem Ausdrucksgehalt der
Musik und dem Bild sowie der Erzählung für jeden Musikeinsatz überprüft werden muss.

2.1 Die Eröffnungssequenz

Zu Beginn des Filmes The Big Lebowski sehen wir wie ein getrocknetes Grasbüschel (auch
„Steppenläufer“ genannt) vom Wind durch Los Angeles getrieben wird. Dieses bildliche Symbol
der traditionellen Westernfilme wird auf der Tonebene durch einen ebenso traditionsreichen
Musikeinsatz kommentiert.

Es erklingt der Song Tumbling Tumbleweeds (dt.: stolpernder Steppenläufer) von den Sons of the
Pioneers aus dem Jahre 1946.

Mit diesem Musikeinsatz wird die Ästhetik von Westernfilmen der 1950er Jahre zitiert in denen die
Musik der Sons of the Pioneers häufig verwendet wurde. Die LA Weekly Journalistin L.J.
Willamson schreibt folgendes zu der besagten Band.

„The Sons of the Pioneers were a hugely influential Western group formed in 1933 and co-
founded by the singing cowboy Roy Rogers, star of more than 100 Western movies and an
eponymous TV show. […] Evoking the 19th-century cowboy era, the group's smooth
harmonizing was featured in just about every Hollywood Western that featured music from 1935
to 1950.“ (L.J. Williamson 07.03.2013, https://www.laweekly.com/the-definitive-guide-to-the-
music-of-the-big-lebowski/)

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Ferner wird hiermit das auf der Bildebene Gezeigte, der Steppenläufer, durch den Songtitel und
den Text der Musik bestätigt. Robert Rabenalt beschreibt diesen Vorgang in seinem Buch
Musikdramaturgie im Film wie folgt:

„Als Affirmation können die sich bestätigenden Beziehungen zwischen Bild und Ton bzw.
Musik verstanden werden […]. Bei bildorientierter Affirmation unterstreicht Filmmusik die visuell
sichtbaren, äußeren Vorgänge […].“ (Rabenalt 2020, S.276/277)

Die Musik erklingt zunächst (00:00:24 - 00:02:17) auf der zweiten auditiven Ebene. Sie ist damit
als externe Musik zu verstehen und nicht Teil des imaginativen Handlungsraumes (auch non-
diegetisch). Sobald der Supermarkt gezeigt wird (00:02:17) erklingt die Musik auf der ersten
auditiven Ebene. Sie funktioniert nun als Teil der Ausstattung der Szene und wird gefiltert, sowie
verzerrt wiedergegeben, sodass der Eindruck entsteht die Musik wird tatsächlich von
Lautsprechern im Supermarkt wiedergegeben. Wenige Sekunden später betritt der Protagonist
des Filmes, der Dude den Bildausschnitt. Die Musik befindet sich also im selben Klangraum wie
die Figur - wir hören, was die Figur ebenso hört.

Wenig später befindet sich der Dude an der Supermarktkasse und es wird für wenige Sekunden
(00:03:20 - 00:03:28) ein TV-Ausschnitt auf einem Fernseher neben der Kasse gezeigt.

In diesem Ausschnitt wird die historische Aussage H.W. Bush’s in Bezug auf den 2. Golfkrieg und
die Annektierung des Staates Kuwait durch den Irak im Jahre 1990 gezeigt („This will not stand,
this aggression against Kuwait“). Durch dieses Zitat wird eine neue Deutungsebene des
Musikeinsatzes eröffnet. Während die Musik der Sons of Pioneers eine romantisierende
Erinnerung an den „alten Westen“ der 1950er Jahre erweckt, gleichwohl sie während des zweiten
Weltkriegs veröffentlicht wurde, erinnert der Film The Big Lebowski, veröffentlicht im Jahre 1998,
an den besagten zweiten Golfkrieg in den frühen 1990er Jahren.

Auch wenn diese Analogie im weiteren Verlauf des Filmes nicht wieder aufgegriffen wird, ist das
Thema Krieg durchaus unterschwellig präsent. Nicht zuletzt durch den Charakter Walter Sobchak,
einem stolzen Vietnamkriegsveteran, welcher bei jeglicher Gelegenheit von seinen Erfahrungen
berichtet. (Die Idee dieser These wird ebenso im oben genannten Artikel der LA Weekly von L.J.
Williamson formuliert.)

Sobald der Dude den Supermarkt wieder verlässt (00:03:28) erklingt die Musik wieder ungefiltert
auf der ersten auditiven Ebene und ist auch hier wieder als externe Musik außerhalb des
imaginativen Handlungsraumes eingesetzt. Der Dude betritt wenig später (00:03:48) seine
Wohnung und die Eröffnungssequenz endet so wie auch der Song mit dem Eintritt in die
Wohnung.

2.2 Die Figur Dude und dessen Identität

Die im vorangegangenen Abschnitt besprochene Musik der Eröffnungssequenz bietet nebst den
bereits genannten Funktionen eine erste Charakterisierung des Dude’s.

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Der Dude wird hier mittels des Songtextes und dem vorangegangenen bildlichen Eindruck mit
dem Steppenläufer assoziiert, sodass sich im Songtext beschriebene Eigenschaften des
Steppenläufers auf den Charakter des Dudes übertragen lassen. So heisst es z.B.

„Cares of the past are behind,


Nowhere to go, but I'll find,
Just where the trail will wind,
Drifting along with the tumblin' tumbleweeds

[…] Lonely, but free, I'll be found“


(Tumbling Tumbleweeds - Sons of Pioneers, 1946)

Ferner ist die Identität des Dude stark von Musik geprägt. Als er Maude einen kurzen Abriss
seiner beruflichen Karriere gibt (01:28:00 - 01:30:00) berichtet er, dass er einst Roadie für
Metallica war. An mehreren Stellen im Film drückt er seine Liebe zu der Musik der Band
Creedence Clearwater Revival aus (z.B. 01:05:00) und hegt gleichermaßen einen brennenden
Hass gegen die Band The Eagles (z.B. 01:26:00). Diese Momente starken Affektes sowie die
Handlungsbeats des Filmes werden häufig durch Musik illustriert.

So folgt auf die Eröffnungssequenz eine Szene, in der der Dude von 3 Schlägertypen heimgesucht
wird, welche seine Wohnung demolieren und ihn körperlich angreifen. Schließlich stellt sich der
Angriff als Missverständnis heraus, da der Dude einen Namensvetter hat, der eigentlich Ziel des
Angriffs werden sollte. Darauf folgend setzt der zweite Song des Filmes ein - The Man In Me von
Bob Dylan. Dieser Song illustriert erstmalig die musikalische Klangwelt des Dude. Der Song,
welcher im Jahre 1970 veröffentlicht wurde, stellt eine Reminiszenz an die „Flower Power“ - Ära
der 1960/70er Jahre dar. Der Dude, welcher sich selbst als Hippie bekennt, hält ebenso weiterhin
an seinem freien Lebensentwurf fest, obwohl sich die Welt um ihn herum gewandelt hat (der Film
spielt Anfang der 1990er Jahre). In dieser Szene erklingt die Musik auf der ersten auditiven Ebene
und wird auf der Tonebene ausschließlich durch Bowlinggeräusche ergänzt. Diese Geräusche
nehmen ebenso eine besondere Rolle ein, welche in 3.2 erläutert wird. Der Übergang in die
nächste Szene (00:07:45) wird auch hier wieder durch den Wechsel der Musik von der ersten
auditiven Ebene auf die zweite auditive Ebene vollzogen. Die Musik erklingt nun gefiltert und
verhallt im imaginativen Handlungsraum, der Bowlinghalle. Der Song erklingt erneut in einer
späteren Szene (00:29:45), in der der Dude ebenso verprügelt wird und bildet so eine
strukturgebende Klammer zwischen den beiden Szenen der Gewalt.

In einer weiteren Szene in der Bowlinghalle wird der Charakter Jesus eingeführt, welcher als
Antagonist des Dudes auftritt. Er verkörpert jegliches Gegenteil vom Dude: er ist narzisstisch,
arrogant und ordentlich während der Charakter des Dude’s zerstreut, stoisch und gleichgültig ist.

Jesus wird daher mit Musik der vom Dude gehassten Band The Eagles charakterisiert. Bei
00:25:00 erklingt der Song Hotel California welcher ursprünglich ein Hit der Band Gipsy Kings aus
den 1970er Jahren war. Diese Coverversion von den Eagles ist eine Fassung in
lateinamerikanischem Stil. Dies betont die Herkunft der Figur Jesus in dem der autonome
Ausdrucksgehalt der Musik auf den Charakter übertragen wird.

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Dieser Musikeinsatz stellt ebenso eine Analogie zwischen der Bowlingszene in The Big Lebowski
und der vom Dude geliebten Musik der 1970er Jahre dar. Der Musikproduzent des Filmes, T Bone
Burnett, beschreibt in einem Interview die Rolle der Eagles in Bezug auf die Musikszene aus den
1970er Jahre folgendermaßen:

„[The Eagles] sort of single-handedly destroyed that whole scene that was brewing back
then.“ (Andy Greene Rolling Stone Issue 1060, 04.09.2008)

Ebenso wie die Eagles in den 1990er Jahren die Musikszene aus den 1970er Jahren „zerstörten“
greift nun der „Neuling“ Jesus, die vom Dude geliebte, alte Bowlingszene an, in der er mit seinen
Freunden spielt.

In dieser Szene erklingt die Musik zunächst auf der zweiten auditiven Ebene und wechselt nach
dem Wurf Jesus’ (00:26:38) auf die erste auditive Ebene und funktioniert als Umgebungsmusik in
der Bowlinghalle.

Eine weitere Eigenschaft der Figur des Dude’s ist die Freude am Rausch, am Konsum von
bewusstseinserweiternden Drogen. Als der Dude den Pornofilmproduzenten Jackie Treehorn in
seinem Anwesen besucht wird er von selbem unwissentlich betäubt und verliert sich in
Halluzinationen, die in einer Traumsequenz (01:20:30) dargestellt werden. Diese Traumsequenz ist
wie ein Musikvideo strukturiert, da sie mit dem Anfang des Song’s Just Dropped In von Kenny
Rogers and the first Edition (1968) beginnt und auch wieder mit dem Song endet. Außerdem wird
zu Beginn der Titel Gutterballs eingeblendet. Es folgen Tanzchoreografien, Symbole und
Verquickungen aus der Welt des Bowling, sowie aus der Welt des Pornofilmes. Die Traumsequenz
wird mit einem Bowlinggeräusch begonnen, danach hört man nur noch den Song und vereinzelt
Bowlinggeräusche.

Der Song ist dem Genre des Acid-Rock zuzuordnen. So werden im Songtext allerhand
Versinnbildlichungen eines Drogenrausches thematisiert. Im Folgenden ein paar Auszüge:

„[…] I found my mind in a brown paper bag within


I tripped on a cloud and fell-a eight miles high
I tore my mind on a jagged sky
[…]
I got up so tight I couldn't unwind
I saw so much I broke my mind
[…]
Someone painted "April Fool" in big black letters on a "Dead End" sign
I had my foot on the gas as I left the road and blew out my mind
Eight miles out of Memphis and I got no spare
Eight miles straight up downtown somewhere
[…]“ (Just Dropped In - Mickey Newbury, 1968)

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Der Autor des Song’s Mickey Newbury beschreibt den Song selbst als warnendes Beispiel gegen
den Drogenmissbrauch.

Dieser Musikeinsatz funktioniert als affektorientierte Affirmation. Robert Rabenalt beschreibt dies
wie folgt:

„Affektorientierte Affirmation betrifft dagegen die inneren Vorgänge der belebten Natur, die […]
mit den äußeren Vorgängen sichtbar assoziiert werden können […].“ (Rabenalt 2020, S.278)

Da wir es hier aber mit präexistenter Musik zu tun haben ist nicht davon auszugehen, dass die
Musik eine differenzierte Gefühlsdarstellung einer Figur aufgreift oder gar dem Bild hinzufügt. Viel
mehr wurde hier ein Song eingesetzt dessen autonomer Ausdrucksgehalt kongruent mit der
extremen Affektdarstellung im Bild ist. Gleichwohl auch hier die Figurenspezifische
Genrezuordnung erhalten bleibt (siehe 2.3 Verknüpfung von Musik und Charakteren).

2.3 Verknüpfung von Musik und Charakteren

Zu diesem Thema (und auch zu einigen weiteren) haben der amerikanische Datenanalytiker
Steven Braun und der ebenso amerikanische Musikprofessor Matthew McDonald eine interaktive
Visualisierung erstellt, welche unter folgendem Link zu erreichen ist : www.stevengbraun.com/
dev/big-lebowski// .

Aus der unten als Screenshot abgebildeten Grafik geht hervor an welchen Stellen im Film Musik
eingesetzt wird und ob sie diegetisch (dunklere Farbe) oder non-diegetisch eigesetzt ist (hellere
Farbe. Außerdem wird der Musikeinsatz figurenspezifisch in vier Genrezuordnungen (und damit
Farben) unterteilt.

Abb. 1 A Visual Guide to The Big Lebowski


(Steven Braun, Matthew McDonald
www.stevengbraun.com/dev/big-lebowski//)

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Das erste hier aufgeführte Genre ist mit der Farbe gelb markiert und der Figur The Stranger
zugeordnet welche als Erzähler fungiert und in 3.1 erläutert wird. Diese Figur wird mit
Countrymusik charakterisiert welche in 2.1 bereits hinlänglich erörtert wurde.

Komplementär dazu eingefärbt werden die Musikeinsätze des Dude’s lila dargestellt und
repräsentieren die Rockmusik der 1970er Jahre. Diese Figurenspezifische Genrezuordnung wurde
bereits in 2.2 erläutert. Die Figur Maude (grün gekennzeichnet), die Tochter des Namensvettern
Mr. Lebowski, ist bildende Künstlerin und wird mit Jazz - und Avant Garde - Musik charakterisiert.
Dies repräsentiert nicht nur ihre ebenso avantgardistische bildende Kunst auf der Tonebene,
sondern betont ihr stilvoll inszeniertes Auftreten durch den autonomen Ausdrucksgehalt der
Musik. So wird beispielsweise eine Szene (00:42:40), in der Maude nackt an einer Seilbahn
hängend über ihr Bild fliegt um es von oben mit Farbklecksen zu besprenkeln, mit der
avantgardistischen Vokalmusik von Meredith Monk (Walking Song) illustriert. Die Musik erklingt
hier auf der ersten auditiven Ebene, obgleich keine der Figuren auf die Musik reagiert. Allerdings
erklingt die Musik verhallt und damit tatsächlich im imaginativen Handlungsraum, in Maude’s
Atelier. Die Musik unterstützt die skurril anmutende Szene und bestätigt so die Reaktion des
Dude’s mit Unverständnis und Überforderung. Die Tonebene ist außerdem mit metallischen
Impacts, welche lang und kalt nachhallen versehen welche die Fremdartigkeit des Gezeigten
zusätzlich illustrieren.

Das Musikgenre des alten Mr. Lebowski ist die klassische Musik, welche in orange markiert ist.

Dies betont die Schwere, die mit dem Charakter einhergeht. So wird beispielsweise in der Szene
(00:22:00), in welcher Mr. Lebowski den Dude darüber informiert, dass seine Frau Bunny entführt
wurde, Mozart’s Requiem in d-moll KV 626 Lacrimosa eingesetzt. Hier wird die dunkle Vorahnung,
der tatsächlich eintretende Tod der geliebten Bunny und die damit verbundene Totenmesse, durch
den Musikeinsatz artikuliert. Außerdem wird mit dem Einsatz des Lacrimosa („Das Tal der Tränen“)
nicht nur das Öffnen der Doppeltür und der Eintritt in „das Tal der Tränen“ - des Mr. Lebowski
betont (00:22:05), sondern auch auf den nachfolgenden Dialog Bezug genommen. Mr. Lebowski
weint und spricht dem Dude gegenüber seine Tränen wie folgt an : „Are you surprised at my tears,
sir? […] Strong men also cry... strong men also cry.“ (00:23:28). Mit dieser Dialogpassage wird der
Chor endgültig vom Orchester abgelöst. Nun werden die Tränen des Mr. Lebowski auf der
Dialogebene artikuliert, die Musik hingegen „schweigt“ und illustriert weiterhin den Affekt.

Robert Rabenalt beschreibt diese dialogorientierte Affirmation wie folgt:

„Dialogorientierte Affirmation zeigt sich darin, dass Musik auf im Dialog oder voice over
geäußerte Stichworte „reagiert“.“ (Rabenalt 2020, S.279)

Gleichwohl wird der autonome Ausdrucksgehalt, die tragische Schwere, auf die Szene
übertragen. In dieser Szene erklingt die Musik auf der ersten auditiven Ebene. Dies wird durch die
Pegelerhöhung deutlich, die mit dem Eintritt in das Kaminzimmer einhergeht (00:22:05).
Gleichermaßen wird der Pegel wieder reduziert als der Dude das Zimmer verlässt (00:24:35).

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2.4 Einsatz klassischer Musik

Wie im vorigen Abschnitt bereits beschrieben, ist der Einsatz klassischer Musik meistens mit dem
alten Mr. Lebowski assoziiert. Dennoch gibt es weitere Musikeinsätze, welche eine andere
dramaturgische Funktion haben.
Ein besonders vielschichtiger Einsatz klassischer Musik ist in der Szene der Tanztheater-
Performance von Allan, dem Vermieter vom Dude, zu finden. Hier präsentiert der untersetze,
unbeholfen tanzende Mann seinen „Tanzzyklus“, eine szenische Performance zu Mussorgsky’s
Pictures at an Exhibition. Die Musik erklingt hier auf der ersten auditiven Ebene im imaginativen
Handlungsraum, dem Theatersaal. Musik und Bild stehen in dieser Szene in engem Bezug,
dennoch könnte deren jeweiliger Ausdruck nicht unterschiedlicher sein. Diesen „beziehungsvollen
Kontrast“ beschreiben Adorno und Eisler in ihrem Text Kompositionen für den Film
folgendermaßen:

„[…] wie Musik, anstatt sich in der Konvention der Nachahmung des Bildvorganges oder seiner
Stimmung zu erschöpfen, den Sinn der Szene hervortreten läßt, indem sie sich in Gegensatz
zum Oberflächengeschehnis stellt.“ (Adorno und Eisler 1944, S. 34)

Der Kontrast zwischen kunstvoller Orchestermusik und stümperhaftem Tanz etabliert den
Vermieter als Witzfigur. Diese Darstellung wird erst durch den Musikeinsatz erzielt, da er ohne
dessen Fallhöhe auch schlicht als unbeholfen gelten könnte, ohne unfreiwillige Komik.

Außerdem hat dieser Musikeinsatz eine ironische Kommentarfunktion. Der hier ausgewählte erste
Satz aus Mussorgsky’s Pictures at an Exhibition trägt den Titel Gnomus (dt.: der Gnom). Somit
wird auf einer weiteren Ebene der in dieser Szene gezeigte, kleine, untersetzte Vermieter auf einer
weiteren Ebene als „Gnom“ (kleinwüchsiges, menschenähnliches Fabelwesen) kommentiert.

2.5 Die Erzählerfigur

Wie bereits in 2.1 und 2.4 beschrieben ist die Erzählerfigur eng verknüpft mit dem Einsatz von
Country-Musik, welche dessen Cowboy-Charakter auf der Musikebene illustriert. Außerdem wird
die Herkunft und das Alter unmittelbar mit dem Stimmklang assoziiert. Eine tiefe, raue
Männerstimme im langsamen Sprechrhythmus lässt auf das gehobene Alter schließen und der
starke Südstaatenakzent und die Wortwahl (z.B. „fella“, dt.: Kerl) komplettieren den auditiven
Eindruck. Der Film beginnt also als epische Erzählung, dessen Erzähler zunächst aus auktorialer
Erzählperspektive in die Handlung einführt. Nach dem Prolog wechselt der Film in eine
dramatische Erzählung, in der die Erzählerfigur in der Mitte des Filmes (00:59:55) ihren zweiten
Auftritt hat. Wie bereits in der Eröffnungssequenz erklingt an dieser Stelle erneut Tumbling
Tumbleweeds von den Sons of the Pioneers. Die Musik funktioniert an dieser Stelle
strukturgebend und bildet eine Klammer vom Prolog hin zur Intermission, welche exakt auf der
Hälfte des Filmes eingesetzt ist. Hier erklingt die Musik auf der ersten auditiven Ebene. Sie ist
gefiltert und verhallt, sodass sie als Umgebungsmusik an der Bar der Bowlinghalle eingesetzt
wird. Die Erzählerfigur The Stranger manifestiert sich an dieser Stelle das erste mal visuell und

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führt einen kurzen Dialog mit dem Dude. Der dritte Auftritt dieser Figur ist ebenso strukturgebend
im Epilog des Filmes (01:50:20). An dieser Stelle erklingt erneut ein Country-Song - Dead Flowers
von Townes van Zandt.

3. Zusammenfassung

Der Musikeinsatz in The Big Lebowski ist vor allem durch den alleinigen Einsatz autonomer Musik
bestimmt. Eine der damit einhergehenden dramaturgischen Funktionen ist die Übertragung des
autonomen Ausdrucksgehaltes der Musik auf das Filmgeschehen. Dies kann durch historischen
oder soziokulturellen Kontext der Musik eine Charakterisierung der damit verknüpften Figuren
bewirken oder einen Affektgehalt auf die Szene oder Figur übertragen. Nicht zuletzt werden in The
Big Lebowski entsprechend der Inszenierung des Protagonisten zu großem Anteil Pop- und
Rockstücke der 1970er und 1990er Jahre eingesetzt. Darüber hinaus bietet der Soundtrack
allerdings eine enorme Spannweite an Genres, welche mit der Vielfältigkeit der Figuren einhergeht.
Hinzu kommen die kommentierende Funktion der autonomen Musik, sowie der Einsatz der selben
als Mittel der Verfremdung oder Komik. Ist die Erkennbarkeit der Titel gegeben, so ist außerdem
eine Zitatfunktion zu konstatieren, welche unter anderem strukturgebend eingesetzt wird. Die
Beziehung zwischen Bild und Ton ist in dem Film häufig affirmativ, wenngleich einige
kontrapunktische Einsätze der Narration weitere semantische Ebenen hinzufügen, die nur durch
die Kombination aus Musik und Bild entstehen. Ferner wird die Musik in The Big Lebowski häufig
nicht nur auf einer auditiven Ebene eingesetzt, sondern erfährt einen dynamischen Umgang mit
dem Wechsel der auditiven Ebenen. So werden hier dramaturgische Bögen geschaffen und
Szenen, sowie Erzählstränge miteinander verbunden.

4. Quellen

Flückiger, Barbara (1999, 2012), Sound Design, hg. v. Chritine N. Brinckmann : Schüren Verlag

Rabenalt, Robert (2020), Musikdramaturgie im Film : edition tex + kritik im Richard Boorberg
Verlag

Adorno, Theodor W. und Eisler, Hanns (1944/2003), Komposition für den Film, hg. v. Rolf
Tiedemann : Suhrkamp Verlag

L.J. Williamson, 07.03.2013 :

https://www.laweekly.com/the-definitive-guide-to-the-music-of-the-big-lebowski/

William Robert Rich, 13.12.2011 :

https://screenplayhowto.com/screenplay-analysis/the-big-lebowski-analysis/

Andy Greene Rolling Stone Issue 1060, 04.09.200 :

https://www.rollingstone.com/music/music-news/inside-the-dudes-stoner-soundtrack-187983/

Steven Braun, Matthew McDonald: https://www.stevengbraun.com/dev/big-lebowski/

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