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Die Art und Weise wie Sprache genutzt wird und wie diese Nutzung selbst die Wahrnehmungen
und Vorstellungen der Menschen beeinflussen kann, ist eine Problematik, welche schon im
Daodejing thematisiert wird. Vor allem Dichotomien werden als Beispiele genannt, da an ihnen sehr
deutlich gezeigt werden kann, wie Wörter ihre Bedeutung dadurch bekommen, dass sie sich von
anderen Wörtern unterscheiden bzw. dass sie gerade diese anderen Wörter nicht sind. Dadurch
entsteht aber auch eine Abhängigkeit zwischen den Bedeutungen der Wörter, was wie gesagt bei
Dichotomien leicht zu erkennen ist, da man dann etwas als „gut“ bezeichnet, weil man etwas als
nicht „schlecht“ (als Gegenteil von „gut“) auffasst. Weitere Zweiteilungen sind zum Beispiel:
„stark“ und „schwach“, „arm“ und „reich“ oder „natürlich“ und „künstlich“ usw. An diesen
Begriffen zeigt sich, dass ihre Bedeutung vom jeweils anderen Begriff abhängt. Jemand ist reich,
weil er nicht arm ist und er ist nicht arm, weil es Menschen gibt, die ärmer sind. Würde es aber
nicht so etwas wie arme Menschen geben, wie soll dann jemand reich sein? Die beiden Begriffe
brauchen in diesem Kontext betrachtet den jeweils anderen, um überhaupt eine gewisse Bedeutung
zu haben.
Im Daodejing werden nun diese Dichotomien als Beispiele genutzt, um zu zeigen, dass diese
eindeutige Einteilung in jeweils immer zwei Bereiche unnatürliche Unterschiede in der Welt schafft.
Dass in der Natur Unterschiede vorkommen, ist an sich nichts ungewöhnliches, im Gegenteil ist es
sogar das, was die Natur ausmacht. Auch der Mensch als natürliches Wesen erkennt sich dadurch,
dass er sich von den anderen Dingen unterscheidet. Die Frage ist aber welche Unterschiede in der
Natur vorkommen und welche erst dadurch entstehen, dass sie durch Sprache vom Menschen in die
Natur gesetzt werden und was das für Folgen für die Natur, aber auch für den Menschen hat. Und
diese Frage stellt das Daodejing, wenn es die Dichotomien hinterfragt. Denn wenn zum Beispiel ein
Gegenstand in der Natur vorkommt und ein Mensch ihn als „groß“ bezeichnet, weil der Gegenstand
für den Menschen nicht „klein“ ist, dann bedeutet das nicht, dass der Gegenstand für sich selbst
„groß“ ist; hat er überhaupt ein Konzept von „Größe“? Diese Unterschiede werden erst vom
Menschen durch Sprache gesetzt, indem innerhalb der Sprache Konzepte entwickelt werden, die
unteranderem dazu dienen, Dinge zu kategorisieren, zum Beispiel als „groß“ oder „klein“. Das
Daodejing hinterfragt nun ob diese Konzepte und Kategorien als solche wirklich in der Natur
vorkommen oder ob sie künstlich sind, da sie erst durch die menschliche Sprache entstehen. Es
zeigt dadurch aber auch, was für Probleme entstehen, wenn durch diese Zweiteilungen, einer der
beiden Begriffe von der Gesellschaft bevorzugt wird. Wenn die Gesellschaft zum Beispiel „reich“
über „arm“ stellt, dann kann es dazu kommen, dass man von den Mitmenschen als Versager


betrachtet wird, wenn man nicht reich ist, was zu einem Leistungsdruck unter den Menschen führen
kann und dass sie vielleicht Wege einschlagen, an denen sie eventuell nicht einmal Interesse haben,
nur um mehr Geld zu verdienen und letztendlich bloß, weil es diese künstliche Zweiteilung
zwischen den beiden Begriffen gibt.

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