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BESPRECHUNG

von
OTTO HÖFLER
GERMANISCHES SAKRALKÖNIGTUM. I. BAND, DER RUNENSTEIN
VON RÖK UND DIE GERMANISCHE INDIVIDUALWEIHE.
(Tübingen und Münster/Köln 1952)
[Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur 67, 1954, S. 51—61]
Es ist mißlich, einen Band zu besprechen, dem noch zwei weitere folgen
sollen, mißlich oft aber audi zu warten, bis die da sind. Das kann lange
dauern. Es wird dem Verfasser auch willkommen sein, die Kritik am ersten
Teil für die späteren verwerten zu können. Vielleicht würde die Besprechung
des Gesamtwerks auch allein ein Heft des Anzeigers füllen.
Das Thema des Ganzen, das germanische Sakralkönigtum, wird in
diesem ersten Band noch wenig berührt. Sein Inhalt ist eine neue Deutung
des schwierigen schwedischen Runendenkmals von Rök, mit weiten Ab-
stechern, besonders über das, was Höfler die germanische Individualweihe
nennt, die Weihung einzelner Menschen an einen Gott. Der Band enthält,
wie wir es von Höfler erwarten durften, eine Menge eindrucksvoller neuer
Beobachtungen und Verknüpfungen, er bezeugt wieder die ungewöhnliche
Belesenheit, Stoffkenntnis und Kombinationsgabe des Verfassers. Uns zu
überzeugen, will ihm trotzdem auch diesmal nicht ganz glücken.
Höfler versucht, die Inschrift von Rök einheitlich zu deuten, ohne, wie
es bisher nötig schien, mit Stücken in ihr zu rechnen, die mit dem Hauptstoff
höchstens locker zusammenhängen. Eine Deutung, der das glückt, ist selbst-
verständlich ein großer Fortschritt, und schon der ernste Versuch ist ein Ver-
dienst. Der Sinn der Inschrift ist nach Höfler: Varins Sohn Vemod ist von
20 Seekönigen, die auf Seeland saßen — den Vorgängern derer, die im
10. Jahrhundert die Trelleborg bei Slagelse bauten — erschlagen worden.
Varin zeugt, achtzigjährig oder älter, einen Rächer, weiht ihn schon vor der
Geburt dem zum Gott erhobenen Dietrich von Bern und mahnt ihn an seine
Pflicht. Der Grundgedanke von der Rachemahnung ist alt, neu dagegen, daß
sämtliche >| Aussagen der Inschrift diesem Thema zugeordnet werden. Das
war bis jetzt noch keinem geglückt.
Die Deutung Höflers setzt voraus, daß niemand da war, der Vemod
rächen konnte, weder ein Sohn noch ein Bruder noch sonst ein Gesippe, so
daß es für den greisen Vater nur den Weg gab, einen Rächer zu zeugen,
weiter dann, daß dieser Alte eine Gattin hatte, die noch gebärtüchtig war.

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[52-53] B E S P R E C H U N G V O N OTTO HÖFLER 353

Dies ist vielleicht beides möglich, klingt aber mehr nach Sage als Wirklichkeit.
Es kommt hinzu, idaß der Alte, der da zeugt, nirupR (= nírcédr) genannt
wird, das aber heißt nach unsrer Kenntnis „neunzigjährig" oder „in den
Neunzigern". Höfler setzt es um 10 Jahre zurück, mit der Begründung, daß
es in Island jetzt ein ά n'ira dis aldri in der Bedeutung „in den Achtzigern"
gibt, und er beruft sich dann, im Anschluß ¡an Hugo Pipping, auf eine Stelle
in der isländischen Grágás, an der damit gerechnet wird, daß ein Achtziger
Kinder zeugt (S. 70f.). Es heißt dort áttrcédr, und wenn man sich aufs Is-
ländische dafür stützt, daß nírcédr im Altschwedischen „achtzigjährig" be-
deutet haben könne, dann kann man dies nicht gut dem aitisi, áttrcédr
gleichsetzen, ohne damit zu rechnen, daß dies dann vielleicht „siebzigjährig"
bedeutet hat. In der Grágás steht es so, daß der Mann, wenn er áttrcédr
ist, in Rechtssachen von seinen Erben abhängig wird (vgl. Cleasby-Vigfusson
s. v.). Daß dabei auch der Fall bedacht wird, daß ein Mann dann nodi
heiratet und Kinder zeugt, gehört in die viele Kasuistik dieses Rechtsbuchs
und beweist nicht, daß das damals bei Achtzigjährigen vorkam oder gar
häufig war, geschweige denn bei Neunzigjährigen. Andres aber hat rtírcédr
schwerlich bedeutet. Das Eheweib Varins, das ihm den Sohn gebar, müßte
nach menschlichem Ermessen wohl 40 Jahre jünger gewesen sein als er. Auch
das ist nicht wahrscheinlich. Schon daß die Alten, um einen Sohn zu bekom-
men, einen Gott zu Hilfe rufen, zeigt, so scheint mir, daß es da nicht ganz
mit rechten Dingen zugeht. Das Ganze erinnert doch allzu sehr an das
Wunder von Zacharias und Elisabeth (Lukas 1).
Höflers neue Deutung hat noch weitere ähnlich schwache Stellen. Er
will nicht gelten lassen, daß die Dietrichstrophe der Inschrift auf das Reiter-
standbild des Berners geht, das einst in Aachen stand, er deutet sie auf Diet-
rich als Totenreiter und Wilden Jäger, wie er in späteren Quellen bezeugt ist,
und stützt damit den Schluß, daß der Dietrich, den die Inschrift meint, nicht
der Geschichte oder Heldensage, sondern dem Mythus zugehört (S. 26—30
und 54f.). Er beseitigt dazu den offensten Gegensatz zwischen den beiden
Strophenhälften — Dietrich ritt: jetzt sitzt er zu Pferde —, indem er statt
raip „ritt" rêp „herrschte" einsetzt, hat aber übersehn, daß das zum zweiten
Teil gehörende skialti ub fatlapR den Schild in der Ruhelage am Schulter-
riemen zeigt. Das paßt, wie längst gesehn, zum Aachener Standbild (scutum
sinistro gerebat humero), aber schlecht zum Bild des dahinfahrenden Wilden
Jägers. Zum mindesten wäre für seine Beschreibung ein merkwürdig unty-
pischer Zug gewählt. So, wie die Strophe auf dem Steine steht, zwingt sie
uns die Vorstellung auf, daß Dietrich, der da früher über Land ritt, jetzt
ruhig zu Pferde sitzt.
In der Inschrift von Rök ist von einem die Rede, der vor neun Men-
schenaltern ( f u r niu altum) auf die Welt gekommen war. Höfler meint, daß
stimme zu Theoderich, da von dessen Tod bis zur Errichtung des Steins —
vor oder ] um 850·— rund 300 Jahre verflossen sind (S. 38). Es ist aber nicht
vom Tod, sondern von der Geburt des Manns die Rede, und so muß ja wohl
Kuhn, Kleine Schriften II 23
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354 BESPRECHUNG VON OTTO HÖFLER [53]

von Theoderichs Geburtsjahr, um 455, gerechnet werden. Das ergibt an die


400 Jahre Abstand. Da ist es nichts mit den neun Menschenaltern. Neun ist
hier, und ebenso in den neunzig Jahren, die der Vater alt war, doch
wohl kaum etwas andres als die aus der Edda wohlbekannte mythische Zahl.
Die dann bald folgenden Runen auktumiRanubsakaR erklärt Höfler
als auk (ok) dcémir enn umb (of) sakar „und er entscheidet noch jetzt über
Kampfschicksale oder Kämpfe" (S. 39—44 und 52). Dama um sakar ist eine
aus Eddaliedern bekannte Formel (HH. II 21, Grp. 29 und Gdr. II 35), deren
Sinn zwar nicht klar ist, die jedoch, da sie nur von Menschen gebraucht ist,
nicht die Bedeutung haben kann, die ihr Höfler gibt. Ahn. sçk heißt, ebenso
wie seine meisten Verwandten, „Streitsache, Rechtsstreit" (samt „Anklage,
Schuld, Ursache" und drgl.), aber nicht „Kampf" (mit Waffen). In dieser
Bedeutung ist germ. *sak5 nur in ags. sacu bezeugt, und da auch nur in der
Dichtung, und dann bei einigen Skalden, die unter englischem Einfluß ge-
standen haben (Egill Hfl. 13 snót saka „Kampfweib", = Walküre, Sigvatr
X 6 sçkum „im Kampf", Pórarinn loft. I I 3 sçkrammr „kampfstark" und
vielleicht Arnórr Pórd. VI 4 saklaust „kampflos"). Die isländische Sammlung
der Vokabeln für „Kampf" (Pulur I V k) enthält fast 40 Wörter, aber sçk
ist nicht dabei. Dcéma um (of) sakar kann darum kaum andres heißen als
„zu Gericht sitzen, Urteil sprechen" (oder „sich über Dinge unterhalten"),
nicht aber „über Kampfschicksale entscheiden", wie es Höfler braucht.
Ähnlich steht es mit dem Verbum gialda „gelten", dessen Part. perf. in
der Form kultint (altn. goldinn) auf dem Steine steht. Höfler sieht darin den
Ausdruck für die Weihe des nodi ungezeugten Sohns an den zum Gott er-
hobenen Dietrich und bemüht sich zu beweisen, daß germ, geldan auch diese
Bedeutung gehabt hat (S. 74—81), kann aber Zeugnisse dafür höchstens aus
längst christlichen Zeiten bringen. Das ist kein Zufall, denn in geldan steckt
von früh an der Sinn nicht nur der Übertragung des Eigentumsrechts, sondern
der Sache selbst, des Auslieferns, Überantwortens, der wirklichen Leistung,
und zwar meist einer als schuldig angesehenen Leistung, bis hin zum Bezahlen
und Zurückerstatten. Anders ist es mit geh an „geben", das oft neben geldan
steht. Es geht meist auf Hingabe aus freiem Willen (Geschenk) und setzt auch
nicht nötig die direkte Auslieferung voraus. Deshalb konnte die freiwillige
Weihung eines Menschen an einen Gott nicht mit geldan bezeichnet werden,
wohl aber mit geban, und so geschieht es, wo von ihr die Rede ist, im alten
Norden auch fast überall (sieh Höfler S. 95, 157, 178—80, 214f., 288, 364),
nie aber mit geldan (gialda). Das gilt auch von den Skaldenversen, die
Höfler als Hauptzeugen nennt (S. 79f.). Der Skalde sagt da, er habe einen,
den er erschlug, Odin „gegeben" und diesem „Gauts Opferspeise gegolten"
(guldum galga valdi Gauts tafn). Das Objekt tafn bezeugt es, daß eine wirk-
liche Opferung gemeint ist. So wie bei diesem Skalden mit tafn, so ist gialda
auf dem Stein von Rök, nach Höflers Deutung, mit húsl verbunden (kultint
kvanaR husli), das nach unserer Kenntnis ebenfalls „Opfer" bedeutet hat
(got. hunsl „{hjcria"). Höfler wendet auch dies zum Weiheopfer (S. 81). I

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[54] BESPRECHUNG VON OTTO HÖFLER 355

Von dieser Weihung soll auch noch im nächsten Satz die Rede sein. Die
Runenfolge uaimsiburiniR(i)R wird als Entsprechung eines altn. hveim sé
borinn nidr „wem der Sohn geboren sei" verstanden, und das folgende traki,
= altn. drengi, soll darauf die Antwort sein und Theoderich meinen, nicht
als den Vater, sondern als den, dem das Kind geweiht ist (S. 263f., 267 und
271f.). Daß traki = drengi ist, ist sehr wahrscheinlich, daß aber ein vergött-
liditer großer König drengr genannt sein könne, das steht im Widerspruch zu
allem, was wir von der Geschichte dieses Wortes wissen (Kuhn, Arkiv 58,
112—14 [hier 399—400], K. M. Nielsen, Aarboger 1945, 111—21). Nie ist
ein König drengr genannt, und auch nie ein Gott. Das trifft die älteren Deu-
tungen der Stelle nicht weniger als die neue Höflers. Der Begriff des Helden,
mit dem sich dieser hilft, ist unserm Altertum fremd gewesen.

In allen berührten Fällen kann Höfler für sich geltend machen, daß wir
die Sprache der Westgoten im Jahrhundert der Röker Inschrift wenig ken-
nen. Wir können aber nichts andres tun, als nach dem, was wir über die Her-
kunft der Wörter und ihren Gebrauch in andern Ländern und dann später-
hin wissen, die Wahrscheinlichkeit auszuredinen. Alles andre führt schnell
zu Willkür. Wir wissen zu wenig, um mit dieser Inschrift fertig zu werden,
das ist nun einmal so.
Seine Auslegung von gialda und drengr hilft Höfler zu dem Schluß,
daß Varin den Sohn, auf den er hofft, dem in der Strophe genannten Dietrich
(von Bern) geweiht hat, damit dieser ihm, und zwar als Stellvertreter Odins,
bei der Rache hilft (besonders S. 267). Dieser Schluß verliert durch das eben
Ausgeführte, so scheint es mir, den Boden. Höfler legt jedoch auf dies Ergeb-
nis den größten Wert, und er schiebt in die Untersuchung ein langes Kapitel
ein, in dem er Parallelen für diese Weihung erörtert. Es umfaßt die Hälfte
des ganzen Bands (S. 83—256) und sprengt das Hauptthema, die Interpreta-
tion der Inschrift, gründlich auseinander. Alle diese Parallelen hülfen, zu-
mal Dietrich da nirgends beteiligt ist, auch wenn sie sämtlich alt und sicher
wären, nicht über die Lücken in den Argumenten hinweg, mit denen Höfler
die Weihung an den Berner auf dem Stein von Rök zu beweisen sucht. Da
ihm aber auch diese „Individualweihen" sehr am Herzen liegen, darf ich den
ihnen gewidmeten Mittelteil nicht Übergehn, obschon idi — idas muß ich
gestehn — zwischen ihnen und dem Gesamtthema des sakralen Königtums
wenig Zusammenhang erkennen kann.

Höf1er hat auf den 174 Seiten seines Einschubs eine Unmasse Stoff zu-
sammengebracht, um das Dasein und zugleich die Wichtigkeit der Einzel-
weihe darzutun, und er versucht, wie er das zu tun pflegt, sein Ergebnis nach
allen Seiten so zu sichern, daß es Stich hält. Ich bekenne mich gern überzeugt,
daß viele Überlieferungen von dieser Weihe, obwohl sie meist in Quellen
stehn, die wenig wert sind, echte Kerne enthalten und wir sie nicht länger
mit dem Stempel des literarischen Motivs beiseite schieben dürfen. An vielen
Stellen ist Höfler jedoch wieder allzu phantasievoll, und manches, das er
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356 BESPRECHUNG VON OTTO HÖFLER [54-55]

mitnimmt, ist ausgesprochen schwach, so daß es ihm viel mehr schaden als
nützen kann.
Sehr schwach scheint mir zum Beispiel das, was von geweihtem Haar
gesagt wird. Die Namen Ódinkárr und Víkárr sollen Männer mit solchem
Haar bezeichnen (S. 126—34 und 153—61), und auch die einfachen Kárr
und Kári \ sollen das tun (227 und 234—36), ja selbst für Haraldr nimmt
Höfler es an (106). Ich habe kárr bisher für eine umlautlose Nebenform von
kœrr „lieb" gehalten. Man erklärt dies zwar als entlehnt aus altfrz. eher,
aber afkárr, idas neben ihm steht und „furchtbar, unheimlich" oder „wild"
bedeutet, weist in andre Richtung. Ein kárr, das „vertraut, lieb" oder Ähn-
liches heißt, würde außer afkárr auch die Namen Ódin-kárr und Styr-kárr
(zu styrr „Lärm, Kampf") gut erklären, während „kraus, haarig" vor dem
zweiten versagt — Vi karr ist viel eher ein Vik-arr (< *Wïka-harjaz) —.
Höf 1er hat zwar in Opinkaur (statt Opinkar) auf dänischen Runensteinen
eine Stütze für seine Erklärung, aber so sicher, daß sie keine Rücksicht auf
andre Möglichkeiten verlangt und der Name den Schluß auf eine „mythische
Bindung innerhalb des dänischen Königsadels" und „ein urdänisches Wodan-
königtum" trägt (so Höfler S. 127 und 133), ist sie nicht. Als eine Bezeich-
nung des Haupthaars mit kultischer Verwendung galt bis jetzt germ. *hazd-
am besten gestützt. Mit ihm ist im Altnordischen (außer Haddingr) nur ein
einziger Mannesname gebildet, Pór-haddr. Man sollte deshalb meinen, es sei
im Norden vor allem Thor, der mit geweihtem Haar oder dessen Haar mit
dem Kult zu tun gehabt hat. Das würde auf etwas andres lenken als die
Weihung, die Höfler meint. Pórhaddr hätte ihn deshalb davor warnen
sollen, von allen andern Namen, die mit dem H a a r zu tun zu haben scheinen,
auf Weihung an Odin zu schließen. Er tut jedoch, was Pórhaddr zu sagen
scheint, als etwas Sekundäres ab (S. 227 Anm. 499).
Einer der auf dänischen Runensteinen genannten Odinkaure wird
dróttinfastr „herrenfest" genannt, d. h. fest zu seinem Herren stehend (Skern
2). Höf 1er .deutet das auf Treue gegen seinen Herren Odin und glaubt damit
„noch ein unmittelbares Zeugnis für das Odin-Weihekriegertum" gewonnen
zu haben (S. 133). Der Skalde Sigvat braucht das nahverwandte dróttinhollr
von Männern, die ihrem König treu sind (XI 1), und bezeichnet auch seinen
christlichen Gott als dróttinn (XII 22 und lv. 11). Beides stimmt zu west-
germanischem Gebrauch. Der genannte dänische Stein ist wenig älter als diese
skaldischen Belege, und sein Odinkaur muß Christ gewesen sein, wenigstens
dem Namen nach. Da nun ferner nichts davon bekannt ist, daß Heiden einen
Gott ihren dróttinn nannten, und das Wort in der Dichtung der heidnischen
Zeit auch sonst noch selten ist und damals, wie es scheint, nicht hoch im Range
stand, so scheint es mir sehr gewagt, das dróttinfastr des dänischen Steins auf
Odin zu beziehn, und bedenklich, damit dann in der erwähnten Art zu
operieren.
Es ist aber so, wo es um Weihungen, Kultbünde und Ähnliches geht, da
droht Höflers gutes kritisches Vermögen auszusetzen. Er weiß d a zwar, dank

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[55-56] BESPRECHUNG VON OTTO HÖFLER
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seiner vorzüglichen Belesenheit, viel heranzuziehn, das ihm hilft, darunter


manche starken und eindrucksvollen Stützen, aber es verbirgt sich nicht, daß
die Überzeugung vom Dasein des Gesuchten und der Richtigkeit des Ergeb-
nisses älter ist als viele seiner Eideshelfer. Dadurch ist gekommen, daß so
manches, das Höfler heranzieht, den nicht überzeugen will, der nicht schon
vorher überzeugt war.
Ein zweites Stück von dieser Art, wichtiger im Aufbau des Gesamten,
ist die Verknüpfung der geheimnisvollen 20 Könige der Röker Inschrift, die
vier Winter auf Siulunt saßen, mit der Trelleborg, die da an der Westküste
der I Insel Seeland ausgegraben ist, die aber über 100 Jahre jünger ist als der
Stein von Rök. Es ist, nächst Siulunt = altn. Selund „Seeland", vor allem
die merkwürdig regelmäßige Anlage dieses Lagers, ihre „Mathematizität",
wie Höfler sagt, mit einer sauberen doppelten Vierteilung, die Höfler dazu
geführt hat, es mit den 20 Königen des Röker Steins zu verknüpfen, denn
auch die sind in vier gleiche Gruppen gegliedert (S. 308—17, mit Nachträgen
369—76). Was Höfler da ausführt, ist scharfsinnig, schlägt .aber schwerlich
durch. Der auf dem Runenstein bezeugte mathematische Aufbau geht nicht
weiter als zu einer schlichten Vierung, die erst durch andres, das nicht zur
Mathematik gehört, .auffallend wird. In der Anlage der Trelleborg aber ist
die Vierteilung gerade das, das noch am ersten verständlich ist.

Höfler zielt bei der behandelten Verknüpfung auf die kultischen


Kriegerbünde hin, die ein altes Objekt seiner Forschung sind. Ein soldier,
eigentümlich organisierter Bund soll um 850 den Westgoten Vemod umge-
bracht und um 1000 die Trelleborg angelegt haben. Die auf dem Stein als
die Väter von je fünfen der 20 Könige dieses Bunds genannten Radulf,
Rugulf, Harud und Bern deutet Höfler als verschiedene Gestalten Odins,
denen die fünf sich igeweiht und als deren Söhne sie darum gegolten hätten.
Dies Thema der Odin verpflichteten Kriegerbünde war schon früher
einmal angerührt, in einem Abschnitt über Ivar vidfadmi in dem großen Ein-
schub über die Einzelweihe, auch da im Zusammenhang mit Rök und der
Trelleborg (S. 134—49). Auf dieses Stück, das mir das schwächste des Bandes
scheint, will ich noch etwas eingehn. Mit der Hilfe von 6 Ortsnamen, 2
Othins-vi und 4 Othins-hilL·, wird da ein harudisches Stützpunktsystem im
nördlichen Jutland und auf Fünen konstruiert, das zur Beherrschung der See-
wege diente und dessen Gründer, nach dem Zeugnis der genannten Namen,
im Dienste Odins standen. Von ihm aus soll sowohl das norwegische Haru-
denland (Hprdaland) wie auch das sagenhafte Reich Ivar vidfadmis gegrün-
det sein — die Haruden waren ja, so hören wir, als alte Kampfgefährten
Ariovists längst „auf Expansion eingestellt" (S. 152), und sie werden darum
auch „hervorragende Odinsverehrer" gewesen sein (142) —. Als Ziehvater
Ivars wird ein Hgrdr genannt, hinter ihm vermutet man Odin. Hgrdr aber
ist, so meint Höfler, der Heros eponymos der Haruden (altn. Hçrdar), unter
diesem Namen habe der Bund in der jütischen Heimat des Stammes seinem

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358 BESPRECHUNG VON OTTO HÖFLER [56-57]

Schutzgott gedient. Aus den scheinbar westgermanischen Formen mit w- im


Anlaut, die es bei den meisten der herangezogenen Ortsnamen gibt (Vonsild
neben Onsild <C.Othinshill¡e)> schließt er, daß auch Westgermanen an dem
Kriegerbund beteiligt waren, sowie weiter, daß er zwischen 650 und 800 be-
standen haben müsse. Da nun auch im Königsbuijd der Röker Inschrift West-
germanen gewesen sein sollen und auch einer von seinen Vätern Harupr
(= Hgrdr) geheißen hat, so haben, ist dann der letzte Schluß, die beiden
Bünde wohl zusammengehangen (S. 342).
In diesem Abschnitt ist das meiste Mythus des 20. Jahrhunderts. Es gibt
keine 4 alten Othinshilhe, sondern nur 3, da wir Ν erre Onsild und Sendre
Onsild südlich von Hobro, die nur 3 km auseinander liegen, nur als eines
rechnen können. Auf der andern Seite aber gibt es in Dänemark wahrschein-
lich noch 3 weitere Othinsvi, die heutigen Oens südwestlich von Horsens,
Vojens westlich j von Hadersleben und Onsved nördlich von Roskilde
(Kr. Haid, Vore stednavne 222). Die 8 Orte, die so zusammenkommen,
liegen alle auffallend ähnlich, nah der Küste, im Durchschnitt 5—6 km von
der See. Das mindeste sind 4 km, das höchste 11. Was Dänemark sonst an
kultischen Ortsnamen hat, ist, soweit ich es prüfen konnte, durchweg nicht
so gelegen. Einige sind nur 1 km von der See, andere tief im Innern (so be-
sonders das wichtige Viborg). Die 8 Othinsvi und Othinshilhe liegen zwar
nah der See, aber dodi weit von den offenen Küsten, in der Nähe schützen-
der Buchten. Das sieht tatsächlich nach einem Plane aus. Da es aber Namen
von Heiligtümern sind, muß man die Erklärung wohl zunächst vom Kult
her suchen. Sie ist auch, scheint mir, leicht zu finden. Es werden Kultstätten
sein, die für eine weite Landschaft leicht erreichbar sein sollten, sowohl zu
Lande wie zu Wasser, die man aber wegen der Gefahren, die vom Meere
drohten, nicht dicht ans Ufer setzen mochte. Auch die Lage weit von den
Außenküsten kann der Sicherheit halber gewählt sein. Zu ihrer Erklärung
genügt jedoch, daß man eine zentrale Lage in einer großen Landschaft
wünschte. Audi die Handelsplätze sind ja gern so angelegt.
Warum in Dänemark nur die Heiligtümer Odins so zu liegen scheinen,
kann ich hier nicht erörtern. Es liegt wohl an den Zuständen eines begrenz-
ten Zeitraums. Die Erklärung in dem maritimen Stützpunktsystem eines
kultischen Männerbunds zu suchen, scheint mir weit vom Wege. Odens in
Sailing liegt vom Hauptfahrwasser des Limfjords 9 km ab, Vonsild in Him-
merland 25. Dennoch nennt Höfler diese beiden „eine ideale Basis, von
welcher aus der Fjord als Ausgangspunkt für die Schiffahrt in die Nord-
und Ostsee gesichert werden konnte" (S. 147). Und von dem Vonsild, das
4 km landeinwärts südlich von Kolding liegt, 12 km in der Luftlinie von der
Enge des Kleinen Belts und fast 20 km von der alten Übergangsstelle dar-
über, behauptet er, es sperre „einen der wichtigsten Schiffahrtswege Nord-
europas" und sichere und beherrsche den Übergang nach Fünen (S. 147 und
342). Warum müssen auch die Othinsvi und Othinshilhe nach einem Plane
angelegt sein? Was für Systeme stecken dann in den Ódinsakr und Ódinsey,

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[57-58] BESPRECHUNG VON OTTO HÖFLER 359

den Pórshof, Pórsland und Porsnes (usw.) im übrigen Norden? Es scheinen


mir auch Sonderlinge, die ein System von Stützpunkten gründen und für sie
alle nur zwei Namen haben.

Vonsild und Vojens (neben Onsild und Odense) setzen wegen ihres v-
kein westgerm. Wodan statt des altnord. Ódinn voraus, wie Höfler meint.
Altn. δ und o sind im Jütischen weithin zu uo und zum Teil, besonders im
Anlaut, zu wo (vo) geworden. Es gibt da oben Formen wie wog = altn. ok
„Joch", wos = altn. óss „Mündung", dazu die Dörfer Vos-borg und Vos-
trup, beide an Mündungen, weiter wost — altn. ostr „Käse", pwot = dän.
port „Pforte", swol = altn. sòl „Sonne", twon = altn. porn „Dorn" und
drgl. mehr. P. K. Thorsen nennt ein kwon-gwol = altn. *korn-golf „Korn-
scheune" (Bidrag til narrejysk lydlsere, Kbh. 1886, 36). Auch Odins Name
hat an dieser Entwicklung nicht nur in den Ortsnamen teil, die Höfler her-
anzieht. Es gibt auch wonsda/wojensda = altn. ódinsdagr „Mittwoch" und
bei Hadersleben die Orte Vonsbxk und Vonsmose (alt Odensbek und
Odhensmose — Sonderjyske Stednavne 2,84 und 167). Hiermit fällt auch
Höflers Altersberechnung für die erörterten Namen hin. |

Wenn es nun trotzdem richtig wäre, was Höfler aus den Othinsvi und
Othinshillœ macht, was hätte es mit den Haruden, mit Ivar vidfadmi und
den Königen vom Röker Stein zu tun? Da der erschlossene Kriegerbund seine
Stützpunkte nach Othin nannte, hat er seinen Gott ja wohl nicht unter dem
Namen Harupr verehrt. Es liegt von diesen 8 Plätzen auch keiner in dem
uns bekannten alten Harudenland (Harsyssel). Daß die Haruden ein beson-
ders nahes Verhältnis zu Wodan/Odin hatten, wird durch nichts gestützt.
Höflers Schluß von einem harudischen Haufen im Heere Ariovists auf
Wodankult des Stammes zieht nach sich, daß alle germanischen Scharen, die
jemals auf Eroberung ausgezogen sind (bis hin zu den Heeren Hitlers?), her-
vorragende Wodanverehrer gewesen sind, und nicht nur sie selbst, sondern
auch das Volk, aus dem sie kamen. Da wird die Religionsgeschichte einfach.
Daß die Machtgrundlage Ivar vidfadmis in Jütland war, ist eine bloße Ver-
mutung, gegründet allein auf Hçrâr als Namen seines Pflegevaters. Wäre
damit wirklich Odin als Stammvater der Haruden gemeint, warum dann
nicht derer in Norwegen oder Norddeutschland? Audi die Verknüpfung der
Könige des Röker Steins mit dem jütisch-harudischen Kriegerbund geht vom
Namen Hçrdr (HartipR) aus, wird aber weiter damit gestützt, daß auf
beiden Seiten Westgermanen beteiligt gewesen seien. Für Rök schließt es
Höfler aus den Namen der Könige. Wir wissen aber vom ostnordischen
Namenschatz des 9. Jahrunderts viel zu wenig, als daß wir ihm Namen des-
halb aberkennen dürfen, weil sie sonst nur im Westgermanischen bezeugt
sind. In dem Genitiv BirnaR scheint allerdings die deutsche Form Bern (statt
altn. Biçrri) zu stecken. Da jedoch in Rök, wie der Dativ skialti mit dem
Vokal des Genitivs (statt *skilti) zeigt, die Flexion der «-Stämme damals
schon nicht mehr intakt war, so kann BirnaR (statt *BiarnaR) wohl umge-

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360 BESPRECHUNG VON OTTO HÖFLER [58-59]

kehrt sein i dem Dativ verdanken. Es war im Nordischen aber auch ein
'•'Bern (ohne Brechung) möglich.
Hçrâr — flektiert allerdings wie eine Entsprechung von got. hardus
„hart" — ist auch ein historischer Mannesname, und es ist da früher und
sicherer bezeugt denn als Name Odins. Die Hardar saga Grímkelssonar er-
zählt von einem Manne dieses Namens, der auf einer Insel vor der Küste
Islands einen Räuberhaufen führte. Er war vorher in Gautland gewesen,
und da hatte ihm ein Alter geholfen, der sich Bigrn nannte, hinter dem die
Saga aber Odin vermutet. Auch sein Großvater hieß Bigrn, sein Pflegevater
aber Grimr. Seinen Tod fand er dadurch, .daß ihn im Kampf die Heerfessel
(herfigturr) lähmte. Hier kommt viel zusammen, das auf den Odinshelden
weist: die Namen Hgrdr, Bigrn und Grimr — Hörds Vater hieß außerdem
Grim-kell —, die Höfler alle als Namen Odins heranzieht, dann Odin als
verkappter Helfer und der Tod durch den herfigturr. Da wird Odin seinen
Helden heimgeholt haben (eine seiner Walküren hieß Herfigtur). Auch zum
Stein von Rök scheint Verbindung zu bestehn: zwei der genannten Namen,
Hgrdr und Bigrn, sind dort unter den Namen der Königsväter, und es war
in Gautland, der Landschaft von Rök, wo Odin dem Helden geholfen hat.
Zum Dritten gibt es auch mit dem vermeinten harudischen Kriegerbund in
Jutland Berührung, nicht nur durch den Namen Hgrdr, sondern auch durch
den Stützpunkt an der See, den Hörd kommandierte. Der Schluß: Im letzten
Viertel des 10. Jahrhunderts, um dieselbe Zeit, | in der der harudische Odins-
kriegerbund die Trelleborg an der Küste Seelands als Stützpunkt baute,
richtete ein Teil von ihm einen kleinen Stützpunkt auf einer Insel an der
Westküste Islands ein. Sie nannten ihren Führer nach ihrem Stammheros und
Bundesgott Hgrdr, legten seinem Pflegevater einen zweiten Namen dieses
Gottes bei und glaubten, dieser habe seinem Schützling einmal, verkappt
unter dem Namen Bigrn — unter dem er in dem Bunde ebenfalls bekannt
war, unter anderm als Großvater Hörds — in großer Not beigestanden,
habe ihn später aber mit der Hilfe der Heerfessel zu sich geholt.

So etwa ist die Art, wie Höfler kombiniert. Aber die Grundlage der
Saga ist geschichtlich. Hörd war der Sohn eines kleinen isländischen Goden,
er verfiel der Acht und wurde in der Not zum Räuber und Bandenführer.
Sein maritimer Stützpunkt war ein Räubernest. Oder betrügen uns hier Saga
und Landnámabók? Es steht auch schlecht mit Bigrn, Grimr und Hgrdr als
alten Beinamen Odins. Die Skalden nennen keinen von ihnen, und, von dem
noch ungeklärten Gautr abgesehn, auch keinen andern, der, wie die genann-
ten drei, zugleich als Mannesname üblich war. Grimr hat wenigstens eine
Stütze in den Grímnismál, die zwei andern aber auch nicht einmal dort,
sondern allein in spät aufgezeichneten Überlieferungen unkontrollierbarer
Herkunft.
Es ist schade, daß der Exkurs in die „Individualweihe" mit den kriti-
sierten Stücken belastet ist. Er enthält sehr viel Gutes, dem man eine andere

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[59-60] BESPRECHUNG VON OTTO HÖFLER. 361

Gesellschaft wünscht. Ganz zufrieden bin ich aber auch nach diesem Abstrich
nicht. Die heidnische Vorzeit wird mir zu sehr als Einheit behandelt, als habe
sich da kaum je etwas verändert. Unter dem, was wir von der Entwicklung
des Heidentums erkennen, ist manches, das Odin angeht, den Gott der
meisten Menschenweihen, und deshalb auch, mehr oder weniger, diese selbst.
Ich denke vor allem an den starken Rückgang der Menschenopfer seit der
Zeit der Kimbernzüge, daran, daß man Wodans hohe Stellung für jung zu
halten pflegt und daß der Glaube, alle Gefallenen gingen zu ihm ein, in Nor-
wegen noch um 900 schwerlich bestanden hat, damit aber auch Walhall und
manches andre, das dazu gehört. Das will beachtet werden und warnt. Aber
Höfler sieht -darüber hinweg. Das zeigt er deutlich zum Beispiel da, wo er
auf Casars Zeit zurückgreift, um die Haruden der Wikingerzeit als große
Odinverehrer zu erweisen (vgl. oben). Es ist ein Sprung über fast tausend
Jahre.
Höfler beschränkt sich grundsätzlich auf die „Individualweihe", die
Weihung Einzelner, behandelt in -den Kriegerbünden aber auch die Weihung
von Gruppen, ohne sie klar von jener abzuheben. Er erkennt damit wohl an,
daß dieser Unterschied wenig Bedeutung hat. Mir erscheint viel wichtiger die
Zweiteilung danach, ob man Menschen weiht, denen man wohl will — dar-
unter auch sich selbst — oder aber solche, -deren Tod man will. Auch dies
zweite konnte Einzelne treffen, kommt aber wenig zu Wort. Das hängt
offenbar mit etwas anderm zusammen, wo mir Höfler das Bild zu verzeich-
nen scheint. Er nimmt das Dunkle, Unheimliche, das tr-emendum, im Wesen
Odins zu leicht und schiebt es zu sehr auf spätere Einflüsse ab (zum Beisp.
S. 83f.).
Man kann fast sagen, -der erörterte Band fließt über von Stoff. Nicht
nur, daß das große Mittelstück über die Einzelweihen den Hauptteil ausein-
andersprengt und manchen Ballast mitschleppt, es wird auch noch so entsetz-
lich viel Ί in Anmerkungen gestopft, und dann noch in Nachträge, daß meine
Lesekunst davor versagen wollte. Die Lektüre eines inhalts- und gedanken-
reichen, nicht sehr übersichtlichen Textes, der volle Konzentration verlangt,
auf 350 Seiten 1300mal unterbrechen zu müssen, um-die Anmerkungen mit-
zulesen, da in Hunderten von ihnen ähnlich Wichtiges steht wie oben im
Text, einzelne davon selbst bis zu 3 Seiten lang, dazu in einem so kleinen
Druck, daß es -die Augen schmerzt, -das ist keine Freude. Es gibt da drei Wege.
Man kann die Lektüre bei jedem Anmerkungszeichen unterbrechen, das aber
heißt oft mitten im Satz, um jede Anmerkung d a zu lesen, wohin sie gehört.
Das ist jedoch kaum noch Lektüre zu nennen, solches Lesen in Fetzen. Man
kann auch warten, bis man an einen größeren Einschnitt kommt, an -dem die
Unterbrechung weniger stört, und -dann -an die Anmerkungen gehn. Dann
muß man bei vielen suchen, worauf sie sich im Text beziehn. Ist das fertig,
dann sucht man im Haupttext den verlorenen Eaden wieder. Anmerkungen,
sagt man, machen den Text leserlicher. D a s tun sie nur dann, wenn man sich
nicht um sie schiert. Das ist der dritte Weg, mit ihm halte ich es meist. Aber

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362 BESPRECHUNG VON OTTO HÖFLER [60-61]

hier, wo so viel in ihnen steckt, habe ich versucht, alle zu lesen, und habe
trotzdem beim zweiten Lesen festgestellt, daß mir viele entgangen waren.
H i e r ist das Anmerkungswesen, an sich schon leidig — und wohl vermeid-
har —, zum reinen Unwesen entartet. Aber H ö f l e r ist damit ja nicht allein.
Es gibt jedoch auch viel in Höflers Buch, das, als Glied in der Kette der
versuchten Beweise, nicht fehlen darf. Aber auch davon fällt manches aus.
D a s sind vor allem wichtige Stücke in der Deutung der R ö k e r Inschrift, die
oben kritisiert sind — besonders die Erklärung und Verwendung von
nírcédr, gialda und drengr —. Dies sind aber nicht die einzigen schwachen
Stellen im Beweisgang. Fest und sicher steht in ihm nur wenig. Über ein mög-
lich oder wahrscheinlich geht es, wie kaum anders zu erwarten, selten hinaus.
Wird aber darauf weitergebaut, Stock auf Stock, das wird nie und nimmer
ein fester Bau. So ist es hier, mehr als wir hinzunehmen gewohnt sind. H ö f l e r
pflegt auch, was so herauskommt, im Fortgang nicht nur als sicher zu neh-
men, sondern spricht ihm hier und da obendrein eine Geltung zu, die weit
über das hinausgeht, was es, wenn es stimmte, bezeugen würde. Er begnügt
sich dann nicht damit, daß es das Erschlossene gegeben hat, sondern behaup-
tet darüber hinaus, daß es so überall gewesen ist. Die Tendenz, der er hier
folgt, kommt schon in der ersten Problemstellung zu Wort: „Wir stehen vor
der Frage, ob die staatlich-politischen Ordnungen der germanischen Früh-
zeit aus rationalistischem Nützlichkeitsdenken stammten oder aus tieferen
Schichten . . ( S . I X , ähnlich S. V I I und in der Zusammenfassung S. 353).
D a s ist ein gefährliches Entweder-oder, das jedoch nicht über diesem Bande,
sondern über dem ganzen Werke steht und ahnen läßt, wohin H ö f l e r uns
führen will.
D a dieser Band im Kern, wenn auch stark überdeckt, dem Nachweis
dient, daß auf dem Stein von R ö k der Berner Dietrich als Helfer bei der
Zeugung eines Rächers angerufen wird, das ganze Werk aber „Germanisches
Sakralkönigtum" genannt ist und auch Einleitung und Schluß auf diese Frage
hinzusteuern scheinen (vgl. das eben gebrachte Zitat), so vermute ich, daß
H ö f l e r in dieser Rolle Dietrichs ein wichtiges Zeugnis für das sakrale König-
tum er- I blickt. Dies Zeugnis kann sie aber nur dann leisten, wenn nur
Königen eine solche Vergöttlichung, wie sie in der Inschrift bezeugt sein soll,
widerfahren ist. Denn wenn sie auch andere Menschen getroffen hat, dann
braucht sie da, wo sie Könige trifft, nicht aus einem sakralen Charakter ihres
Amts geflossen zu sein. Göttliche Verehrung eines Mannes, der nicht von
königlichem Blute war, ist uns bezeugt. Die H a u k s b ó k sagt (in ihrer Redak-
tion der Landnámabók) von Grim kamban, dem Urgroßvater eines Auswan-
derers und angeblich ersten Siedler auf den Färöern, er sei nach dem Tode
wegen seiner Beliebtheit göttlich verehrt (blótinn daudr fyrir pokkasald).
Außerdem scheinen im N o r d e n die Goten insgesamt, nicht nur ihr größter
König, ins Mythische gehoben zu sein. Die Vçluspà läßt die Walküren nach
Godpiód reiten, ins Gotenreich. Was beweist es da sakrales Königtum, wenn
Dietrich auf dem Runenstein wirklich an Odins Stelle angerufen wäre? Hier

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[61] BESPRECHUNG VON OTTO HOFLER 363

sind wir zu einer Aussage fähig, ohne zu wissen, was in den späteren Bänden
steht. Im übrigen müssen wir auf deren Beweismittel warten.
Es ist in Höflers Buch ein so riesiges Material durchgepflügt, es steckt in
ihm so viel Scharfsinn und glänzende Kombination, daß es mir leid tut, daß
ich zu seinem Ergebnis kein reines J a sagen kann. Aber so ist es ja meist bei
ihm.

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