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DIE L E B E N S A L T E R

ETN BEITRAG ZUR ANTIKEN ETHOLOGIE


UND ZUR G ESC H IC H TE DER ZA H LEN
MIT EINEM ANHANG
ÜBER DIE SCHRIFT VON DER SIEBENZAHL

VON

F R A N Z BOLL

MIT ZWET TAFELN


(
2 F. Boll: Die Lebensalter [90

Leben und hängen sich an alle möglichen Dinge an, ohne daß die Zahl ur­
sprünglich etwas mit ihnen zu tun haben müßte. So mag es sich empfehlen,
einmal auch wieder den umgekehrten Weg zu gehen; also nicht das Material
für eine einzelne Zahl aus allen Lebensgebieten zu sammeln, sondern vielmehr
auf beschränkterem Raume das konkurrierende Spiel der verschiedenen ordnen­
den Zahlen zu beobachten1), wie sie von gegebenen natürlichen Verhältnissen
bald bestimmt, bald ihrerseits auf diese Verhältnisse übertragen werden, also
eine Form und ein Maß in Anwendung bringen, das von außen her, nicht
aus den Dingen selbst erwachsen ist.
Das Gebiet, das hier für eine solche Beobachtung der Wechselwirkung von
natürlichen Verhältnissen und bedeutsamen Zahlen ins Auge gefaßt wird, hat
den Vorzug, daß sein Inhalt uns allen von vornherein nicht fremd ist. 'Ein jeder
lebt’s’, und man kann nicht einmal sagen, daß es 'nicht vielen bekannt’ ist.
Die Teilung der Altersstufen hatte meine Aufmerksamkeit schon lange auf
sich gezogen, bevor ich sie in einen derartigen Zusammenhang zu stellen
begann.2) Auch lange, bevor ich wußte, daß und wieviele Vorgänger ich
hatte. Es wurde eine kleine Schar, als ich näher zusah. Ihre Aufzählung
ließe sich beginnen mit Aristophanes von Byzanz3), dessen A t|fig einen
großen sehr gelehrten Abschnitt über die Namen der Altersstufen bei Menschen
und Tieren enthielten; Jacob Grimm wollte das gleiche für die germani­
schen Sprachen ausführen.4) Näher läge der hier versuchten Betrachtungs­
weise wohl die Absicht des M. Terentius Varro. Er hat in den Tibri De
gradibus’, wie schon Wilh. Wackernagel5), dann M. Schanz vermutete, gewiß
auch die Altersstufen behandelt — Reste dieser Gelehrsamkeit liegen uns
bei Censorinus 'De die natali’ im 14. Kapitel 'De gradibus aetatis humanae’
vor, der gleich im ersten Satz und dann nochmals den Varro zitiert.67) Der
logistoricus 'Atticus de numeris’ gehört gewiß auch hierher (man braucht nur
an die Babylonii numeri bei Horaz zu denken, um den Zusammenhang mit den
Lebensjahren zu verstehen); viel weniger der 'Tubero de origine humana’. Und
als ich in neuerer Literatur mich nach Vorgängern umsah, stieß ich auf den
Heidelberger Symboliker wie auf seinen großen rationalistischen Gegner, die
beide freilich das Thema nur gelegentlich gestreift haben.1) Mehr noch inter­
essierte mich ein dritter, der wieder die Brücke zu Usener schlug: Jacob Grimm

1) Auch Roschers und anderer Arbeiten haben das natürlich nicht unterlassen.
-) Vgl. meine Studien über CI. Ptolemäus (XXL Suppl.-Bd. der Jahrb. f. Philol.)
S. 123, 3; 239.
3) Aristophanis Byzantii fragm. coli. Nauck (1848) S. 87—127 (TJsqi uvo^aoias Tjhxiwv) :
eine Zusammenstellung der Namen der Altersstufen bei Menschen und Tieren. Vgl. dazu
Herennius Philo, Studemund Anecd. I 244, 1 und L. Cohn bei Pauly-Wissowa II 1001 f. über
die Benutzung bei Späteren, u. a. auch bei Pollux (Onomast. II 4); auch ebd. V 470, 42 tf.
(Didymos). — Daß ihm Sueton darin in den Prata gefolgt sei, ist nur eine unsichere Ver­
mutung von Reifferscheid, Sueton S. XV1I1I.
*') Kleinere Schriften I 189. Die Lebensalter S. 23 Anm. 109.
6) Schanz, Rh. Mus. LIV (1899) S. 23 ff*.
7) Creuzer, Symbolik I 401 f.; Lobeck, Aglaophamus S. 937 ff.
(
4 F. Boll: Die Lebensalter [92

so tief wie dieser Größte in der Renaissancekultur wurzelt und darum nie ohne
die Antike wird verstanden werden können. Zu jener Stelle hatte mich einst
die Tetrabiblos des Ptolemaios geführt; und als ich dann die Sache jahrelang
liegen ließ, trat sie mir durch einen Zufall wieder nahe. Jacob Grimm erzählt
in jener Rede von einem Holzschnitt, der ihm aus seiner Jugendzeit gegen­
wärtig blieb1) — ich wiü ihn in seinem eigenen köstlichen Deutsch sprechen
lassen. 'In meiner Eltern Stube hing ein kunstloses Bild an der Wand, das
sich meinem Gedächtnis unauslöschlich einprägte: auf der ersten Stufe stand
die Wiege, aus der nur der Kopf des Kindes hervorguckte. Die zweite Stufe
betraten ein Knabe und ein Mädchen, einander an der Hand fassend und sich
anlachend. Auf der dritten vorgebildet war ein Jüngling und eine Jungfrau, die
sich zwar Arm in Arm legen, jedes aber vor sich hinschauen. Oben in der
Mitte an vierter Stelle befinden sich Jungmann und Jungfrau d. i. Braut und
Bräutigam, beide allein stehend, er mit dem Hut in der Hand vor ihr, sie sich
verneigend. Auf der fünften Stufe steigen ab Mann und Frau, frei einander
führend, auf der sechsten alter Mann und alte Frau, sich noch die Arme
reichend, schon ein wenig gebückt, auf der siebenten endlich wieder unten
Greis und Greisin, jedes mit Stock und Krücken sich forthelfend, und vor ihren
Schritten öffnet sich ein Grab. Die Notwendigkeit des Stabs auf der letzten
Stufe mahnt an den bekannten Ausspruch, daß das Kind auf vier Beinen, der
erwachsene Mensch auf zweien, der Greis auf dreien einhergehe. Mir zweifelt
nicht, wollte ein großer Maler ein solches Bild reich auffassen und mit aller
Lebensglut ausführen, es könnte eins der anmutigsten Kunstwerke entspringen.’
Geradeso, wie es Grimm beschreibt, sah ich das Bild, als ich vor einem Dutzend
Jahren in Schliersee in einem Bauernhaus wohnte: die alte Bäuerin hatte in
ihrer Stube zwei kolorierte Holzschnitte, die sieben Stände und die sieben
Lebensalter, wie sie die Stufen dieses 'Pyramidenlebens’ auf- und absteigen
(es ist aus dieser Art von Darstellung, wie ich nebenbei bemerken darf, ohne
weiteres verständlich, wie Goethe im Maskenzug von 1818, in den wunder­
vollen Versen, wo er von sich selber spricht, zu jenem eigentümlichen Aus­
druck kommt).2) Leider konnte ich später nach der Bäuerin Tod nur das Bild
l) Denselben oder einen ähnlichen Holzschnitt hat offenbar auch Jean Paul (Unsicht­
bare Loge III 12) im Auge, an einer mir durch Goedeke (s. o. S. 91 Anm. 2) bekannten Stelle:
'nachher soll ordentlich a priori angefangen und mit dem Schulmeisterlein langsam in den
drei aufsteigenden Zeichen der Altersstufen hinauf und auf der andern Seite in den drei
niedersteigenden wieder hinabgegangen werden, bis Wuz am Fuße der tiefsten Stufe vor
uns ins Grab fällt.’
!) Rede der Ihne:
Weltverwirrung zu betrachten,
Herzensirrung zu beachten,
Dazu ward der Freund berufen,
Schaute von den vielen Stufen
Unseres P y ra m id e n le b e n s
Viel umher und nicht vergebens.
Man mag sich das Bild, das Goethe vorschwebt, in sieben oder in zehn Stufen (s. u. S. 110 f.)
vorstellen; jedenfalls wüßte ich nicht, wo der Ausdruck sonst seine Wurzel haben sollte.
6 F. Boll: Die Lebensalter
( [94

die Weisheit des Greises in Nestors Gestalt der tatenfrohen Kraft der Jugend
entgegenstellt, bis zu dem köstlichen Eingangsgespräch des Platonischen Staates
und der heiteren Zuversicht, mit der der greise Kephalos dort für das Alter
spricht, und bis zu Ciceros 'Cato Maior de senectute’ und zu spätesten Epi­
grammen der Anthologie.1) Reihen von Aussprüchen der Dichter und Philosophen,
wie sie schon die antiken Florilegien gesammelt, ließen sich anführen, die immer
wieder den Gegensatz scharf aussprechen oder abzuschwächen suchen oder end­
lich wie des greisen Sophokles Chor im 'Ödipus auf Kolonos’ dort nur leicht­
sinnige Torheit und wilde Kämpfe, hier einsames Elend sehen. Aber für unsern
Zweck ist es genug, jene einfachste Teilung durch die Zwei in solcher Kürze
erwähnt zu haben. Die Form der Zweiteilung ist hier durch einen jener ur­
sprünglichsten Gegensätze gegeben, wie sie in Tag und Nacht, Morgen und
Abend, Sommer und Winter den Menschen ergreifen, den natürlichen Menschen,
der ungebrochener Empfindung sich hingibt, mit verdoppelter Gewalt. So mußten
im Banne dieser Zweiteilung zunächst die Gegensätze der beiden Hauptalter
am grellsten ausgemalt werden: die Parallele führt bis zur Gleichung von Jugend
und Alter mit Leben und Tod, ja sie steigert das bis zu dem Gedanken, daß
der wahre Tod, der die Klage verdient, eben das Schwinden des T/ßrjs civ&og,
der Jugendblüte ist.2) Man empfindet aber zugleich an solchen Stellen, daß
eine eigentliche Teilung des Menschenlebens mit diesen zwei Stufen vc6zr]s und
yrjQas-, vollends, wenn die eine {¡ßij heißt, keineswegs immer oder auch nur zumeist
gemeint ist; die äußersten Gegensätze innerhalb des menschlichen Lebens wer­
den gegeneinander gestellt, ohne daß man sich viel darum kümmern möchte,
was vor der vollerblühten Jugend und der letzten Stufe liegt. Bei Mimnermos
allerdings scheint das Alter, das immer wie des Tantalos Stein über uns schwebt,
ganz unvermittelt an die Blüte der Jugend sich anzuschließen.
So ruft denn diese Zweiteilung, die nur in beschränktem Sinne die Fülle
des Lebens in sich aufnehmen kann, von selbst nach einer Dreiteilung: die
Spitze der Pyramide wird gleichsam abgeschnitten, und zwischen der vtotijs,*)

*) Auf die antiken Schriften über das Alter, von Theophrast, Demetrios von Phaleron,
Ariston von Chios oder Keos, Cicero, Plutarcb, Favorinus, Juncus (vgl. Wilhelm, Rh. Mus.
LXII 605, 6 und die Sammlungen in Florilegien [Stob. Floril. 95—97; Maximus Confessor
/.stpdXaux d'eoloyr,ca, X6yog pa m p l yriQcag xai v£orr\xog Migne XCI 917 ff.]) gehe ich nicht
weiter ein. Vgl. über Juncus jetzt eine Freiburger Diss. von Faltin (1910) und das Progr.
von Friedr. Wilhelm, Die Schrift des Juncus TI. yijpcog und ihr Verhältnis zu Ciceros Cato
Maior, Breslau 1911; dazu R. Philippson, Berl. Phil. Woch. 1912 S. 871 ff. Die Philologen,
die Ciceros Cato Maior erklären, sollten Jacob Grimms feine Bemerkungen über das Ver­
hältnis zwischen Cicero und dem Tithonos des Ariston von Chios ('allen Griechen galt
Tithonos für einen abgelebten hilflosen Greis, von dem sich eher jammervolle Klagen über
das verwünschte Alter erwarten ließen als eine sittliche Schutzrede, wie sie der hoch-
alterige rüstige Cato liefert’) und manche anderen nicht übersehen.
-) Vgl. Mimnermos fr. 2, 9; 4; Theognis v. 1069 f. Ganz am Ende des Altertums klingt
in der ersten Elegie des Maximianus das Leid des Alters im Gegensatz zum Glück der
Jugend mit besonderer Bitterkeit wieder; hundert Verse für die Jugend, anderthalb soviel
für das Alter, als sollte seine schwere Last auch so kenntlich werden. Vgl. über das Ge­
dicht und seine Vorbilder Friedr. Wilhelm, Rh. Mus. LXII 601 ff.
8 F . B o l l : D ie L e b e n s a l t e r
( [96

Die Dreiteilung des Lebens ist durch die Natur selber gegeben, gerade wie
beim Lichttag. Die Parallele vom Tageslauf der Sonne und Menschenleben, die
in Jacob Grimms Rede über das Alter besonders fein mitspielt, ist den antiken
Passungen des Sphinxrätsels anscheinend fremd1); aber schon Empedokles kennt
sie2): und der Zusammenhang von Sonnenaufgang und Leben, von Sonnen­
untergang und Tod gehören zu den Bildern von unmittelbarster Evidenz.3) Die
Astrologie kann hier anknüpfen: Hermes Trismegistos stellt das 'erste Alter’
zum Horoskop, d. h. zu dem im Osten aufgehenden Teil des Himmelgewölbes;
das zweite zum fieaovgdvrm a, der Himmelsmitte; und das Ende des Lebens zum
Westen.1) Unmittelbar den Tages- und Jahreslauf der Sonne selbst vergleichen
Martianus Capella und Johannes von Gaza mit den drei Stufen des Lebens. Die
Phasen des Mondes, die ein deutsches Gedicht des XII. Jahrhunderts den drei
Altern gegenüberstellt, sind, soviel ich mich entsinne, erst bei einem Astro­
logen des IV. Jahrhunderts in den so naheliegenden unmittelbaren Zusammen­
hang mit dem Menschenleben gebracht. Die drei alten griechischen Jahreszeiten
aber verglich schon Eratostbenes mit den drei Lebensaltern.6)
oberst der Greis, den der Tod niederschlägt; und rechts und links ausbiegend, und doch zu­
gleich zwischen den beiden, also zwischen Anfang und Ende, Krieger und Frau für die Lebens­
höhe. Er hat selber Verse dazu gemacht, die er sogar anfangs über dem Brunnen auf einer
Scbrifttafel anbringen wollte: 'Die Jugend ist ein Morgen Voll Licht und ohne Sorgen,
Jedoch sie hält nicht an. Das Kind wird Weib, wird Mann. Es folgt ein rastlos Streben
Nach höherem Glück im Leben, Bald Freude und bald N ot, Zuletzt der süße Tod’ (vgl.
F. v. Ostini, Böcklin S. 115) — glücklicher ersetzte er das dann durch jene lateinische
Inschrift. In Tizians schönem Bilde in der Bridgewater-Gallerie in London, das man 'Die
drei Lebensalter’ nennt — 'das Liebespaar, schlummernde Kinder, der Greis im Voraus­
schauen des Todes, und rundum die eben verjüngte W elt in wunderbarem Reichtum aus­
gebreitet’ — ist das Motiv der Lebensalter weit mehr Nebensache als bei Böcklin: es
schwingt nur eben mit, ungefähr in dem gleichen Maß wie auf dem großen Wiener Augustus-
Cameo, wo 'das Altersverhältnis der Drei, auf denen das gegenwärtige und künftige Heil
der W elt beruhen sollte, in den drei Menschenaltern Greis, Mann und Knabe wunderbar
zum Ausdruck kommt’ (Wilamowitz, Zwei Edikte des Germanicus S. 810: das muß freilich
nach Willers’ Datierung der Gemme auf 7 v. Chr. nun modifiziert werden). Die christliche
Kunst verwertet denselben Gedanken in der Darstellung der heiligen drei Könige: Wacker-
nngel S. 17; Kehrer, Die heil, drei Könige II 103 u. ö.
’) Vgl. Ohlert, Rätsel und Rätselspiele der alten Griechen * S. 24 f. über die antiken
Fassungen; die mittelalterliche, in der die Tageszeiten für die drei Alter den Vergleich ab­
gehen, kenne ich durch Wackernagels Vermittlung (S. 16) aus Goedeke, Gengenbach S. 56G.
Aristot. Poet. 2 1 : b yfjQag ngbg ßiov, xai kenigee itgog rniiguv igel xoivvv rr,v
ioitigccv yiigag i'jiiigag, v.al xb yf/gag tenigav ßiov ij, woneg ’Eynrtdov.Xiig, övaiutg ßiov. Vgl.
Weiteres bei Meineke, FCG. III 488, auf den Wackernagel hinweist (Alexis, Hegesander).
8) Vgl. diese Jahrbücher XXI 120,1; dazu die eben zitierte Aristotelesstelle oder
beispielshalber Clemens Alex. Protr. S. 80, 25 St.: ovxog (Christus als div.atoGvvr,g r/Xiog)
r ijv dvrtir tig CcvaxoXrjv ntxiiyccysv xcä xbv ftavaxov elg £(oi]v 6tvecxavg(ooev.
4 < utul. codd. astr. gr. VIII 3 S. 117, 34 (Hermes Trismegistos bei Antiochos).
1 Sonnenlauf und Leben: Mart. Cap. I 76; Johannes Gaz. Descr. mundi ed. P. Fried-
1linder, Johannes von Gaza und Paulus Silentiarius (1912) I 56 ff.; vgl. seinen Kommentar
S. l*o l 1 läßt sich übrigens bei Johannes auch an Vierteilung (ßgttpog, ¿jxvg ¿¿mj?,
i l ß y i g t o v ) denken. — Mondphasen und Leben: Paul. Alexandr. c. 27: 2tX-qvri av^rioiv
>i i (ihihihi iov jruvxbg noislxcu diu ti]g löiccg slxovog xbv xtov ¿v&gwnajv ßiov iv ¿cviouaXict
(
10 F. Boll: Die Lebensalter [98

Zwölf ist hier eben mit dem Gegenstand der Vergleichung gegeben, nicht erst
durch den Vergleich mit den Tieren hinzugebracht.
Plutarch hat uns im Lykurgos und anderwärts jene Verse überliefert, in
denen mit unübertrefflicher Kürze die Generationen eines kriegerischen Volkes1)
sich darstellen:
D ie G reise: Wir sind gewesen kampfesstarke Männer einst.
D ie M än n er: Wir aber sind es; hast du Lust, sieh uns ins Aug’.
D ie K nab en : Wir aber werden einstens noch viel stärker sein —
Erinnerung, Erfüllung, Erwartung als die typischen Züge der drei Lebensalter.
Es ist nun reizvoll zu sehen, wie bei dem Philosophen, der das Schema der
drei Altersstufen vor allem eindringlich durchgeführt hat, hei A risto te le s,
die gleichen drei Typen zugrunde liegen. Ihm war nun freilich die Dreizahl
aus ganz besonderen Gründen wesentlich. Es ist das einer der Punkte, wo der
sonst den Pythagoreern nicht eben wohlgesinnte Philosoph ihnen weit ent­
gegenkommt; am Anfang der Schrift 'Über den Himmel’ steht als prächtiger
Eingang das Kapitel über die drei Dimensionen, das sich auf die Lehre der
Pythagoreer beruft, wonach Ende und Mitte und Anfang die Zahl des Alls, die
Dreiheit ausmachen, also die erste vollkommene Zahl; 'daher haben wir diese’,
fährt Aristoteles fort, 'von der Natur wie ihr Gesetz genommen, und wenden
sie auch in den Götterdiensten an’.2) Für die Drei, sagt er weiter, 'gebrauchen
wir zuerst die Bezeichnung als navteg, die noch nicht für die Zwei in Anwen­
dung kommt; da sprechen wir von &a(fox(QOL,. Wie man sieht, ist Aristoteles
nahe an die von Usener vertretene Auffassung gekommen, daß die Drei die
ursprüngliche Endzahl der Menschheit ist, wie sie den Pythagoreern der xiletog
«ptitpög war. Für die Sprachen trifft das noch heute zu: wenn es bei den
Marshallinsulanern einen Quatralis gibt, wie bei den Melanesiern einen Trialis
Grimm zu dem erwähnten Märchen; Läw a. a. 0.; Wolfg. Schultz, Dokumente der Gnosis
S. 6 ff.) werden es sie b e n Lebensalter: zu den drei Tieren des deutschen Märchens sind
hier ganz unorganisch, wie Schultz m it Recht betont, König, Schwein und Bock für die
ersten drei Alter und das Nichts für das letzte gekommen. — Z ehn Alter und zehn Tiere,
verschieden für die zwei Geschlechter z. B. im Liederbuch der Clara Hätzlerin, hei Tobias
Stimmer usw.; vgl. Wackernagel S. Soff.; Bolte a. a. 0. S. XVIII, der u. a. die Figuren
eines Straßburger Hauses aus dem XVI. Jahrh. erwähnt; auch auf einem Augsburger kolo­
rierten Holzschnitt des XVIII. Jahrh. (im Germanischen Museum in Nürnberg) fand ich sie.
Z w ö lf Alter und zwölf Tiere auf dem unten S. 110 Anm. 1 erwähnten italienischen Holz­
schnitt. — Von Tieren in größerer Zahl sind die drei Lebensalter auch auf dem oben S. 95
Anm. 2 erwähnten Fresko von Kusejr 'Amra umgehen (vgl. unsere Abbildung Taf. I 1 ); aber
es ist kein direktes Anzeichen dafür da, daß auch hier an diese Symbolik zu denken sei. —
Auch die vier Temperamente werden im Mittelalter mit vier Tieren zusammengestellt (vgl.
den interessanten Holzschnitt aus dem Calendrier des Bergers (XV. Jahrh.) bei E. Male,
L’art relig. de la fin du moyen äge en France S. 319): hier kann, was ich nicht näher aus­
führen will, astrologischer Einfluß vorliegen; bei der Parallele von Lebensaltern und Tieren
ist er kaum anzunehmen. Auch Tugenden und Laster haben im Mittelalter Tiersymbole,
wieder unter teihveisem Einfluß der Astrologie.
*) Ober die genauere Einteilung der spartanischen und kretischen Altersklassen
s. Nilsson, Klio XII 308 ff. *) Vgl. Usener, Dreiheit (Rh. Mus. LVIII) S. 1.
12 F. Boll: Die Lebensalter
c [100

Hoffnung, richtet sich aufs Künftige, und das Leben steht noch vor den Jungen.
So denken sie gut und hoch von sich undjvon andern und erwarten von der
Welt das Schöne. Dem steht das Zuwenig an 'Erinnerung’ gegenüber, d. h. an
Erfahrung: also au Wissen und Weltkenntnis. So sind die Jungen arglos, zu­
traulich, geneigt zum Erbarmen und lassen sich leicht täuschen; sie verachten
die bloße Nützlichkeit, denn sie haben keine niederziehenden Erfahrungen ge­
macht und wissen noch nicht viel von der gemeinen Notdurft des Lebens
Das Gegenteil in allem sind nun die Alten: zu wenig Kraft und Wärme,
zu viel Erfahrung, zu wenig Erwartung. So fehlt ihnen der Mut und das Zu­
trauen, die liebenswürdige cvrj&eca, die Harmlosigkeit der Jugend; ihre xaxoij&sia
ist geneigt, alles Schlimme zu argwöhnen. Sie haben erfahren, daß das meiste,
was im Leben begegnet, nicht gut ist; so sind sie kleinlich, ängstlich, skeptisch
— sie 'm einen’ nur mehr, mit unendlichem Wenn und Abei-, sie wollen von
nichts wissen. Dafür sind sie freilich reich an Einsicht und scheinen besonnen,
ohne sich übrigens viel um den Schein zu kümmern. Sie leben mehr in der
Erinnerung als in der Erwartung; von dem, was geschehen ist, lieben sie zu
sprechen und immer wieder zu sprechen, weil ihnen die Erinnerung Freude macht.
Und zwischen beiden stehen nun in der Mitte die dx/xK^ovzcg. Sie haben
nur das Gute von beiden: Kraft und Erfahrung und Zuversicht sind vereint; die
Gegensätze gleichen sich in ihnen aus, sie sind odxppovss ,«£r’ ¿vdpiag xcti txv-
dpfiot ufTß ncnppoövvyg- sie denken an das Schöne und an das Nützliche im Leben.
Dieses dritte Alter ist sehr viel kürzer charakterisiert als die beiden andern;
sehr begreiflich, da sich in ihm das Charakteristische aufhebt oder zu einer
Harmonie vereinigt. So muß es wohl in der Darstellung blasser ausfallen als
die beiden andern, für die das bezeichnende Schlagwort sich ohne weiteres
einstellt: Erwartung und Erfahrung. Diesen Grundzug, wie nicht wenig anderes,
hat Schopenhauer in einer besonders hübschen Form wiederholt: 'Wenn, in
meinen Jünglingsjahren, es an meiner Tür schellte, wurde ich vergnügt; denn
ich dachte, nun käme es. Aber in späteren Jahren hatte meine Empfindung
bei demselben Anlaß vielmehr etwas dem Schrecken Verwandtes: ich dachte:
'da kommts’.1) Die nahe Berührung der Urteile des Aristoteles mit der Schät-
’) Schopenhauer, Parevga und Paralipom. (Werke IV in Reclams Ausg.) im Schluß-
kapitel des I. Bandes 'Vom Unterschiede der Lebensalter’ S. 536. — Sehr ähnlich und
doch wieder etwas anders Hebbel in dem mir von Weinreich nachgewiesenen Epigramm
'Unterschied der Lebensalter’ :
Hat dir der Tag was gebracht? So fragt sich am Abend der Jüngling.
Hat dir der Tag was geraubt? fragt sich der Hann und der Greis.
Bei Goethe in dem kleinen Gedicht 'Die Jahre’ (Ausg. von 1840, II 253) steht dasselbe:
Die Jahre sind allerliebste Leut’;
Sie brachten gestern, sie bringen heut’,
Und so verbringen wir Jüngern eben
Das allerliebste Schlaraffen-Leben.
Und dann fällt’s den Jahren auf einmal ein,
Nicht mehr wie sonst bequem zu seyn,
Wollen nicht mehr schenken, wollen nicht mehr borgen,
Sie nehmen heute, sie nehmen morgen.
14 F . B o l l : D ie L e b e n s a l t e r [102
alles in die Zukunft schiebend und die Vergangenheit preisend, da er ein Knabe
war. Die direkten Berührungen mit Aristoteles1) treten von selbst zutage;
gleichwohl lehrt schon die Vierteilung, daß der Dichter, dem auch Lukrez nicht
viel hätte geben können, nach seiner Art gegenüber allen Vorbildern, auch der
Komödie, selbständig geblieben ist — genau so selbständig wie Goethe in seiner
'Grabschrift’, die gleichfalls unmittelbar an das Erlebte sich hält.2)
Am liebsten geschieht aber die Teilung durch die Vierzahl im Zusammen­
hang mit einem Bilde, das uns jetzt freilich als das natürlichste und von selbst
gegebene erscheinen mag, es aber doch nicht stets gewesen sein kann. Es ist
das die Spiegelung des Menschenlebens durch die vier Jahreszeiten. Da trifft
dann notwendig auf den Frühling das Kindes- und Knabenalter, mag man nun
die Frist abgrenzen wie man will. Ganz fest steht diese Vierteilung und ihre
Abgrenzung nach je 20 Jahren für die Pythagoreer und für die Hippokratische
Schriftensammlung. Nach einer zuletzt auf den alten pythagoreischen Lpöc
Xoyog zurückgehenden Lehre, die uns am genießbarsten Ovid in der Predigt
des Pythagoras am Schluß der Metamorphosen3) vorträgt, zerfällt das Menschen­
leben in vier Abschnitte zu je 20 Jahren, die ihre nächste Parallele in den
vier Jahreszeiten haben. Bei Ovid wird freilich zunächst umgekehrt der Jahres­
lauf der Sonne mit den vier Altersstufen verglichen. Als die X. und XL Te-
traktys stehen die Jahreszeiten und die Lebensalter bei Theon von Smyrna4)
nebeneinander.
Ist diese Gleichung volkstümlich, oder ist sie erst von den Pythagoreern
erdacht? Die Teilung in 4 x 2 0 Lebensjahre findet ihren Rückhalt schon bei
Hesiod und in Solons Gedicht gegen Mimnermos, das die normale Lebensdauer
auf 80 Jahre annimmt. Und mehrere attische Institutionen, die Roscher5) zu­
sammengestellt hat, zeugen von dem Werte, der auf das Schwabenalter in Athen
bei Berufung von aanpQovierai, y.oaar^ui. Choregen für Knabenchöre gelegt
wurde, während andrerseits die attischen Epheben gerade mit vollendetem

’) Vgl. Kießling-Heinze zur Stelle. Maximianus I 195 ff. geht auf Horaz zurück.
Puerilta adulescentia iuventus maturitas auch bei Ambrosius, Abr. II 9, 65, wie der Thes.
unter aetas nachweist; infans puer adulescens senex Seneca, Epist. 121, 16. — Vier Alters­
stufen unterscheidet unter den Kämpfern bei Homer Ps.-Plutarch, Vita Hom. II c. 199
(v&ihregoi, texucipnztg, tttt7cti7ui/.iüi. y toter : das würde also für das ganze Leben auf min­
destens fünf führen.
!) 'Als Knabe verschlossen und trutzig, als Jüngling anmaßlich und stutzig, als Mann
zu Thaten willig, als Greis trübsinnig und grillig.’
s) XV 199 ff. Die von Diels (Arch. f. Gesch. d. Philos. III 464) ermittelte letzte Quelle
wird griechisch durch den Auszug aus Alexander Polyhistor bei Diog. Laert. VIII 10 reprä­
sentiert: äiaipincu di aal tut tov av&Qwnov ßiov ovta 'nccig uvtooiv frei*, vizyrtexor tixooiv,
virjvirjg tixoGiv, yttttev fix.out r. ui ds rii.iv.iui ttqÖs tag mgag etdt avtLuizQui' naig tan.
vtr\viov.og {Hyog. vf7]vir\g tf iitvvzitooor. y toter ytiiiwv' fort d’ ttvztn u utv verjviovtog ttttpaxtttr.
o di vtr\vii\g ¿vtjg. Vgl. zu der Stelle auch Ed. Schwartz bei Pauly-Wissowa I 2858. Minder
deutlich ist der Vergleich m it den Jahreszeiten (unbestimmt wie vielen) bei Cic. De sen. 70.
4) S. 98, 11 ff.
6) Die Tessarakontaden und Tessarakontadenlehren der Griechen und anderer Völker,
ßer. Sachs. Ges. d. Wiss. Phil. Hist. Kl. LXI (1909) 2. Heft S. 78 ff.
16 F. Boíl: Die Lebensalter
( [104

Auf dem Relief von Carnuntum aber sind die drei ersten Jahreszeiten durch
drei Jünglinge und nur die letzte abweichend durch einen eingehüllten Greis
wiedergegeben.1)
Sehr bezeichnend ist die Treue, mit der die griechische Kunst des Mittel­
alters die Tradition festhält. Auf einem interessanten Monument, einem Fresko­
gemälde aus dem thessalischen Dorfe Sophades am Peneios, dessen Entstehungs­
zeit Didron, der es beschreibt2), leider nicht angibt, erscheint der Zeitlauf in
vierfacher Weise symbolisiert: in der Mitte Apdvog als blumengeschmückter
Jüngling; um ihn zunächst die vier Jahreszeiten gebildet als Jüngling, blühender
und gereifter Mann und Greis, jede mit ihrem Element3); auf den Speichen
des Zeitenrades aber noch einmal Kind und Jüngling und Mann und Greis,
also hier erst eigentlich die vier Altersstufen, und über allem schwebend König
Äbe.uos, in den vier Ecken Sonne und Mond, Tag und Nacht. Es ist inter­
essant zu sehen, wie die Tradition für die vier Jahreszeiten offenbar den Jüng­
ling als die erste Stufe festhält, während für die vier Altersstufen, auch wenn
sie in so nahe Verbindung mit den Jahreszeiten geraten, vielmehr, wie es natür­
lich ist, das Kind den Anfang macht.
Die Parallele der vier Jahreszeiten und Altersstufen war von der pythago­
reischen Lehre festgelegt. In der Medizin kommen weitere Paare von solcher
Art hinzu: die vier Elemente und die vier Hauptqualitäten des Körpers, auf
denen die Elemente beruhen; die vier Körpersäfte (Blut, Schleim, gelbe und
schwarze Galle) und danach die vier Temperamente. In der Schrift liegt (pvetos
úvftgáitov, die Aristotelische Tradition dem Schwiegersohn des ¡Hippokrates,
dem Polybos, zuschrieb, ist die Elementar- und Qnalitätenlehre in der Form,
wie sie Aristoteles übernommen hat, und ebenso die Humoralpathologie vor­
handen. Die aus so mannigfachen Quellen gespeiste Schrift liegt 0tuizr¡g aber
kombiniert in hygienischer Absicht mit der Lehre von den Stoffqualitäten auch
die von dem Einfluß der vier Jahreszeiten auf gewisse Lebensalter, die für sich
allein — unter pythagoreischem Einfluß — auch schon in der Schrift liegt•)

•) Ob llené Dussaud, liev. archéol. IV. Sér. tom. 1 (1003) S. 375 ff. die Darstellungen
des bekannten und vielbesprochenen Altars des Malachbel im Kapitolinischen Museum (ab­
gebildet bei Lajard, Mein, de l’Acad. d. Inscr. (Paris) XX 2 [1854] pl. I et II, vgl. Drexler
in Roschers Mythol Lexikon II 2300 f.; Cumont a. a. O. I 164, 3) mit Recht auf die So ne
m it ihrem vierfachen Tages- und Jahreslauf deutet, ist bei der Art der Ausführung (der
lockige Sonnengott besteigt den Wagen erst, was doch kein Gegensatz zur Geburt des
Sonnengottes wäre und nicht wohl einen andern Moment des Tages- oder Jahreslaufs dar­
stellen kann) nicht sicher, obgleich zwei der Darstellungen — Kind, das aus der Zypresse
mit Widder auf der Schulter hervorkommt, und Kronos mit Harpe — damit sehr ansprechend
erklärt wären. — Auf die ä g y p ti s c h e Parallele zwischen Tages- und Jabreslauf der Sonne
und den vier Menschenaltern möchte ich hier nicht noch einmal eingehen, da ich darüber
erst kürzlich in meinen Griech. Kalendern I (Sitzungsber. Heidelb. Akad. 1010, 16. Abh.
S. 42 ff.) gesprochen habe. Die Hauptstelle steht in der Sonnentheorie des Macrobius Saturn.
.1 18, 9.
*) Didron, Annal. archéolog. I 425 ff.; ich kenne diesen Aufsatz durch Wackernagel S. 18.
*) S. darüber unten S. 105.
(
18 F. Boll: Die Lebensalter 1106

sanguinische Art oder aber die immer leise mitscbwingeucle Melancholie


der Jugendjahre, Zorn und Mut des wollenden Mannes und die Melancholie
oder das matte Phlegma des Greises zutreffend ausgesprochen fanden.1) Auch
der Renaissance war die Parallele bekannt. Albrecht Dürer hat in einem Holz­
schnitt für Conrad Celtis Quatuor libri amorutn in vier Eckfiguren zugleich die
vier Winde, die vier Temperamente und die vier Lebensalter zum Ausdruck
gebracht, im Anschluß an Celtis selbst, dessen vier Bücher den vier Lebens­
altern entsprechen.
Usener hat darauf hingewiesen, daß die Fünfzahl, obgleich sie durch die
Finger der Hand unmittelbar gegeben ist, von typischer Verwendung so gut
wie ausgeschlossen bleibt2); das bestätigt sich in unserm Fall aufs merkwürdigste,
da doch im Grunde die Teilung in Kindheit, Knaben-, Jünglings-, Mannes-,
Greisenalter uns wohl die allernatürlichste ist. Aber Rundzahl und Zählungs­
abschnitte sind etwas sehr Verschiedenes. Es fehlte der Fünf die Stütze in einem
allbekannten und einleuchtenden System der Zeiteinteilung, wie sie die Drei, die
Vier, die Sieben besaßen: die fünftägige Woche der Babylonier und Ägypter
ist den Griechen ziemlich unbekannt geblieben.3) So fehlt den seltenen Stellen
in der griechischen Literatur, wo fünf Alter erscheinen, alles Typische: sie tragen
einen Zufallscharakter.4) Römische Verhältnisse führten dagegen den Varro zu
einer solchen Fünfteilung. Er unterscheidet fünf Stufen zu je fünfzehn Jahren"};
davon sind die erste Stufe durch die ungefähr im 15. Jahr, nach Eintritt der
Pubertät, vorgenommene Anlegung der tof/a virilis und wiederum die vierte
Stufe durch das 60. Jahr und die mit dessen Zurücklegung nach Varro6) verbun­
dene Befreiung der senes dcpontani von allen öffentlichen Geschäften bezeichnet.
Die Namen der fünf Stufen werden hei Censorinus und Servius7) sehr ab-
') Vgl. darüber die Sammlungen von Low a. a. 0. S. 9 ff.; auch J. E. Erdmann, Psychol.
Briefe '• S. 79 ff.
*) D reiheit (a. a. 0.) S. 35G.
:: Vgl. Roscher, Die ennead. und hebdomad. Fristen (Abh. Sachs. Ges. Phil.-hist. Kl.
XXI) S. 74 f. und meine Bemerkungen in dem Art. 'Hebdomas 5 bei Pauly-Wissowa VII 2549 f.
') Plutarch, De E ap. Delph. c. 18 (vrpuov, Trat? , vios, ¿ttuagtov, yigoav) : auf Heraklit
wird man den Satz kaum zurückführen dürfen; vgl. weiter Bywater zu fr. 7S; J. Bernays,
Rh. Mus. VII 106, 1 . Irenaeus C. haeres. II 22, 4 S. 330 ed. Harvey und 24, 4 (S. 339, in der
Polemik gegen die Siebenzahl und die W ichtigkeit der Zahl überhaupt).
'-) An solche Stufen zu je 15 Jahren denkt offenbar auch Tacitus im Agricola c. 3:
per quindecim anno*, grande mortahr aevi spatium: die Zeitdauer war durch Domitians
Regierung u n g e f ä h r gegeben, aber der Zusatz ¡/runde mortalis aevi spatium wäre ohne
solchen Nebenbezug müßig. Die Fortsetzung bei Tacitus bestätigt das (quibus iuvenes ad
senectutcm . . . pervenintus): das ist für die Frage der Entstehungszeit des Dialogus nicht
ohne Belang. Wölfflin, Arch. f. lat. Lex. IX (1896) S. 541, der das, wie ich nachträglich
bemerke, schon gesehen hat, weist darauf hin, daß noch in der Regel des hl. Benedikt die
Stufe der Kindheit bis zu 15 Jahren gerechnet wird (c. 70).
6) De vita p. R. II bei Nonius S. 623; vgl. Mommsen, Staatsrecht II 1 , 408, 2. Vier
Stufen (wobei die iurentus, vom 17.—59. Jahre, ungeteilt, also die Trennung der seniores
und juniores mit dem 46. Jahre in der Zenturienverfassung beiseite bleibt) bei Voigt, Röm.
Privataltert. S. 791 f. (also infantiu, pueritia bis zum 17. Jahre, iuventus bis zum 69., dann
senectus). ’) Censor. D d. n. 14, 2; Servius zur Aen. V 295.
(
20 V. B o l l : D ie L e b e n s a lte r [1 0 8

zurückzahlt, von dem fordert die Natur die einzelnen Posten, Gesicht und Gehör
und oft beide zugleich, oder läßt ihn gar zum zweitenmal zum Kinde werden.
Wem die Götter Wohlwollen, den lassen sie jung sterben. Der melancholische
Untergrund, freilich nicht zugleich die Ausführung, die beim vierten Alter un­
freiwillig komisch wirkt, erinnert an Verse Logaus, die Wackernagel für die
Sechsteilung heranzieht:
Ein Kind vergißt sich selbst; ein Knabe kennt sich nicht1);
Ein Jüngling acht sich schlecht; ein Mann hat immer Pflicht;
Ein Alter nimmt Verdruß; ein Greis wird wieder Kind:
Was meinstu, daß doch diß für Herrlichkeiten sind?
Vielleicht noch mehr mag allerdings eines größeren Dichters Schilderung daran
erinnern, die ich später analysieren werde.
Die Sechszahl kenne ich im Griechischen sonst nur bei Pollux. Im Latei­
nischen hat sie Augustin2), wo sich die sexta actas hominis mit dem letzten
Weltalter, qua dominus venit, verbindet: die Einteilung der Weltalter ist seit­
dem die eigentliche tragende Stütze für die Sechsteilung des Menschenlebens.
Durch Isidor von Sevilla, der natürlich wie immer auch hier nur kompiliert,
ist sie im Mittelalter weit verbreitet worden; die Grenzlinien, die er zieht,
beruhen übrigens auf der Zusammenfassung von sieben Jahren oder ihren
Vielfachen. Durch eine Teilung des Greisenalters in eine frühere Stufe vom
49.— 56. Jahr, und eine mittlere vom 57.—70. werden sieben Alter daraus in
einem apokryphen Stücke, das ich einmal in einer Chiemseer Handschrift als
einen Brief3) des Evangelisten und Arztes Lukas an die christlichen Arzte fand:
schade, daß diese apokryphe Weisheit fast gar nichts Originelles gibt.4)
So sind wir denn schon mehrfach an die Zahl geraten, die zur Einteilung
’) 'Ein Knabe, der sich selbst nicht kennt’ Goethe im ersten Wilhelm Meister (S. Sä).
s) Pollux, Onomast. II 8 ff. Augustin, De div. quaest. lib. unus 58 S. 43 (infantia
pucritiu adotesceniia iuventus gravitas sencctus); eine Reihe anderer Stellen aus Augustin
und andern Kirchenschriftstellern, die vor allem auch für die Theorie der W eltalter im
Mittelalter bedeutsam wurden, nennt v. Dobschütz, Byz. Zeitschr. XII 5G3. Ebenso Isidor,
Orig. XI 2 , der jedoch noch scnium als pars ultima scncctulis spezialisiert: ähnlich Diffe­
rent. lib. II e. 19 f, wo er jedoch bei den sechs Altern bleibt.
3) Clin. 5257, f. 26: beginnend Nunc de actibus (so, nicht aetatibus, ein merkwürdiger
Anklang an die Shakcspearestelle, die ich unten erläutere) hominis disseram. Abgedruckt
aus meiner Abschrift (allerdings mit groben Fehlern) in der oben S. 81 Anm. 2 genannten
Schrift von Höhn. Zu pucri = pari, was 'Lukas’ aus Isidor (an der zuletzt genannten Stelle!
hat, vgl. Varro bei Censorinus 14, 2. — Nur Zufall sind wohl die sechs Alter (es fehlt
infantin) am Westportal von NOtre-Dame de Paris (E. Male, L’ai-t relig. du XIII siede en
France S. 128, 2); doch sind auch am Baptisterium von Parma am Westportal nur sechs
Lebensalter (in einer Wiedergabe der Parabel von den Weinbergsarbeitern) dargestellt:
(Sauer, Symbolik S. 2(51, mit Abbildung, und 352). Weiteres s. bei F. Piper, Evangel. Kalender
1806 S. 62 ff.
*) Harnack in seiner Schrift über Medizinisches aus der alten Kirchengeschichte
(Texte u. Unters. VIII 4) kennt eie nicht, hat aber nicht viel damit verloren. — In der
älteren christlichen Literatur verzeichnet Harnack keine derartigen physiologischen Ab­
teilungen des Lebens; doch vgl. F. Wilhelm, Rh. Mus. LXII 605, 6 über den roaop der
riiupcratio scncciutis bei christlichen Autoren.
(
22 F. Boll: Die Lebensalter [110

Ursprungs sein mögen. Weitere Bedeutung bat das trotz der Nenn zahl und
ihrer gewaltigen sonstigen Wirksamkeit nicht erlangt.
Endlich die Zehnzahl: auch sie spielt in der Theorie der Altersstufen im Alter­
tum eine geringe Holle: wenn Solon 10 Hebdomaden annimmt, so ist 10 der
Quotient, aber nicht der Divisor; und andere wie der Peripatetiker Staseas und
die Schicksalsbücher der Etrusker kamen auf zwölf, Psellos sogar auf fünf­
zehn Hebdomaden. Das bedeutet wenig und hat nicht viel Einfluß gehabt. Auch
andere Teilungen, bei denen das Leben in zwölf oder fünfzehn Stufen zerlegt
wurde, sind erst dem Mittelalter geläufiger geworden.1) Merkwürdig verbreitel

«las letzte Alter aber heißt hier ¿G/atuyrimo^, beides wie bei Herenuius Philo. — Auf die
Bedeutung der Neunzahl für die Lebensalter, aber auch der neunten Stunde, des neunten
Tages und ihre Symbolik in Dantes Vita Nuova tdeutsch von Hauser, Herl. 1906, S. 9. 12.
31. 87 f. 108) weist mich Weinreich hin: S 87 f. stehen äußerst merkwürdige Ausführungen,
von völlig pythagoreischem, zum Teil astrologischem Inhalt f'da es nach Ptolemaeus und der
christlichen Wahrheit gemäß neun Himmel gibt, die sicli bewegen’ . . . 'daß bei ihrer
|BeatricesJ Geburt alle die neun beweglichen Himmel aufs vollkommenste zueinander
standen’ n. a. 'Die Zahl 3 ist die Wurzel der 9* usw.). — Die seltsamen 'neun Leben’ in
Shakespeares Komeo und Julia III 1 (die Stelle fehlt in Schlegels Übersetzung, in der von
Gundolf Bd. II 65 steht sie), von denen Mercutio dem 'guten Katzen fürsten’ Tybalt eines
herauszunehmen droht ('eines von euren neun Leben’) und die übrigen acht durchzuwalken,
sind in der New Yariorum Edition of Shakespeare, die ich einsah, nicht erklärt. Man könnte
an die neun Altersstufen denken, aber die Stelle ist eher aus jener durch Ausonius ver­
mittelten Hesiodischen Weisheit zu beurteilen, wonach (vgl. Koscher, Thilol. N. F. XXI
[1908] S. 158 lf.) die 'geschwätzige Krähe’ neun Menschenleben in sich hat (vgl. auch die
deutschen Verse aus Job. Agricola Lei Wackcrnagel S. 23): das zähe Leben der Katze, das
auch bei uns sprichwörtlich ist, h at die Elisabethaner und noch spätere, wie mich M. Förster
belehrt, dazu veranlaßt der Katze (deren Name in der englischen Tiersage Tybalt ist) n iitc
lires beizulegen. Vgl. auch Dyer, Folk-Lore of Shakespeare S. 162).
*) Über die Zwölfzahl der Lebensalter nach Staseas (im 1. vorchristl. Jahrli., dem von
Cicero erwähnten Lehrer und Hausgenossen des Piso) vgl. Censorin. 14, 5: über die etrus­
kischen Schicksalsbücher Varro cbd. Es ist klar, daß die zwei Stufen zu den zehn des
Solon lediglich um der Zwölfzahl willen hinzugefügt sind; so hatte mau die beiden heiligen
Zahlen vereinigt, die für die Astrologie die Hauptrolle spielten; es ist nicht ausge­
schlossen, daß diese schon bei Staseas dafür maßgebend war. Dagegen ist der im Grunde
absurde Gedanke, zwölf Lebensalter nach den zwölf Tierkreiszeichen abzuteilen, der jüdi­
schen Literatur des Mittelalters Vorbehalten geblieben (vgl. Löw a. a. O. S. 24 : 'Manche
jüngere Midraschisten verfallen sogar auf den barocken Gedanken, den Menschen die zwölf
Zeichen der Ekliptik durchlaufen zu lassen, wobei sie natürlich zu sehr weit hergeholten
Vergleichungen ihre Zuflucht nehmen mußten.’) Bei Gower, Confessio amantis (abgeschl.
spätestens 1393), auf die mich Weinreich hinweist, ist Buch VIII v. 2835 ff. zwar nach der
Randbemerkung (fptod status hominis 3[ensibus mini et/m/iarant-ur) eine Vergleichung mit
den zwölf Monaten beabsichtigt, in Wirklichkeit aber docli nur die Vierteilung durchge­
führt. Aber ein französisches Gedicht des XIV. Jahrh. ' dont. chfu/uc vers a ce (joiit iVmncr-
Uime <jne laisse la science de la rie’ hat jenen Vergleich der zwölf Altersstufen (zu je sechs
Jahren) mit den zwölf Monaten durchgeführt, und auf ihm beruhen die anmutigen von
freundlicheren, aber seichteren Versen begleiteten Bilder einer Reihe von livres d'heures
aus der Druckerei von Thielman Kerver am Eude des XV. Jahrh. (vgl. E. Mâle, L’art relig.
de la fin du moyen âge en France, Paris 1908, S. 324 ff.: den Hinweis auf das Buch ver­
danke ich C. Neumann). Zwölf Stufen von je zehn Jahren (10. Jahr bis 120.), mit italieni­
schen Ottaven von J. Chr. Artopeus, gen. Wolkenstern, und je einem symbolisierenden Tier
24 F . B o l l : D ie L e b e n s a l t e r [112
Ein Rücklick zeigt, daß — abgesehen von der übermächtigen Siebenzahl,
der wir uns sogleich zuwenden werden — für die antike Einteilung des Men­
schenlebens im Grunde nur die Drei und Vier von wesentlicher Bedeutung sind:
die eine ausgehend von der Zwei, indem sie zwischen Anfang und Ende den
Höhepunkt setzt, die andere an die Vierzahl der Jahreszeiten sich anschließend,
alle beide aber von hervorragender Bedeutung in der Zahlenmystik der Pytha-
goreer. Die anderen Zahlen, die Fünf, die Sechs, auch die Neun und Zehn, haben
hier nur geringe Gestaltungskraft bewiesen, obwohl die natürlichen Verhältnisse
mindestens der Fünf günstig waren. Aber eine Rundzahl dringt nur dann durch,
wenn sie sich in mehr als einer Provinz eines Gebietes bewährt; daß selbst
Monate und Indiktionszyklus herhalten müssen, zeigt, wie sehr das Bedürfnis
einer solchen gegenseitigen Anlehnung der Zeiteinheiten vorhanden ist. Eine
solche Anlehnungsmöglichkeit aber war wohl bei der Vier und bei der Sieben,
aber nicht oder nicht in gleichem Maße bei den übrigen Zahlen vorhanden.

11
Die dominierende Zahl, die an Verbreitung und Einfluß alle andern schließ
lieh hinter sich läßt, ist die Sieben. Wie kaum eine andere schien gerade sie
sich immer und überall als eine natürliche Offenbarung aufzudrängen. Uavra
(piitßdopa. Durch den Umlauf des Mondes gegeben, bestätigte sie ihre Geltung
an Plejaden und Hyaden und Großem und Kleinem Bären und Orion und zu­
letzt an der Zahl der sieben Wandelsterne, die mit eigenem Willen und un­
abhängiger Bewegung ihre Straße durch die Fixsterne zogen.1) So scheint sie
am Himmel, der den Juden und den Christen wie den Griechen die Herrlich­
keit Gottes erzählt, unmittelbar und vielfach geoflenbart; so ist sie auch in den
nachchristlichen Jahrhunderten die heilige Zahl schlechthin geblieben5), die sie

dichte von Fischart zu Tobias Stimmers Holzschnitten der zehn Altersstufen von Mann und
Weib s. bei Englert a. a. 0. S. 390 ff. Noch heute werden wohl in allen Ländern Neu-
ruppiner Bilderbogen mit jenen Zehnjahrstufenbildern verkauft. — Die Zehnerstufen in dem
Epigramm Aovv.iiUtev, oi di Mtvixguvov? Xicuiov Anth. Pal. IX öö sind wohl nur zufällig
(sf Ti? yppdoag ?i)v £v%£Tal, ¿¿log to n yriQaoxsiv noXXwv tig Itttov ötxdöag). Daß auch bei
den Indianern Amerikas sich die Zahl der Altersklassen bis zu zehn fortsetzt, lepne ich
durch Nilsson, Klio XII 321.
') Für Näheres darf ich auf meinen Artikel 'Hebdomas’ hei Pauly-Wissowa verweisen,
wo ich gegen die m. E. in der Hauptsache verfehlten Ansführungen von Nilsson, Arcb. f.
Kelig.-Wiss. XIV 433 Stellung genommen habe. Für die fortgesetzte Parallele dieser Sieben-
heiten unter sich sei als charakteristisch die wohl noch nicht bemerkte Tatsache erwähnt,
daß gerade wie die sieben Planeten auch die Plejaden ¿Q%ayyfiUxc£g dvvdutic bekamen
(Tzetzes aus Proklos zu Hes. Op. v. 382 S. 248, 12 Gaisford).
a) Man mag etwa vergleichen die Äußerung, die freilich nicht mit voller Sicherheit
dem Philolaos zugeschrieben wird (fr. 20 Diels): 'Die Siebenzahl ist gleich der mutterlosen
und jungfräulichen Athene, Führer und Herrscher in allen Dingen, Gott, Eins, ewig seiend,
bleibend, unbeweglich, sich selber gleich, verschieden von allem andern’; und die Worte
des hl. Hieronymus (Job S. 760 A): 'Jpsc enim septeuarius nwnerus septiformas Spiritus
yratias in se danonstrat, ijiiac in hoc micant, ipsique yratiarum Spiritus in endein firmumento
cach sunt fuiycntes. Jyitur stcllae per prophetam scptcin oculi Domini tippcUantnr.’ Die Form
(
56 F . B o l l : D ie L e b e n s a l t e r [114
bat bei den Babyloniern und Juden wie in beliebten Fristen bei Homer und in
der griechischen Medizin längst bestanden, ehe die sieben Planeten als Regenten
jedes Tages eingesetzt und als Wochentagsgötter verehrt wurden; das ist
aller Wahrscheinlichkeit nach erst als ein Erzeugnis der griechisch-ägyptischen
Astrologie des Ncchepso-Petosiris (vor 150 v. Chr.) anzusehen.1)
Das älteste Zeugnis für die Einwirkung der Siebenzahl auf die Teilung der
menschlichen Altersstufen ist für uns, wenn wir von des sogenannten Hesiod
Tjto&fixca absehen, die allbekannte Elegie von den Hebdomaden des Menschen­
lebens, die man früher ohne genügenden Grund dem Solon abstreiten wollte.2) Sie
basiert auf einer Teilung des Menschenlebens in Stufen von je 7 Jahren: es ist 'die
erste literarisch bezeugte Hebdomadentheorie’. Mit 7 Jahren der Zahnwechsel;
mit 14 die Pubertät, mit 21 der Bartwuchs, mit 28 die stärkste körperliche
Kraft; mit 35 die Zeit zum Heiraten und Kindererzeugen; mit 42 der volle
Abschluß des Charakters, mit 49, den 'sieben Hebdomaden’, und noch bis 50,
nlso durch zwei Hebdomaden, die reife Entwicklung von Verstand und Rede;
in der neunten Hebdomade ein Rückgang darin und endlich in der zehnten
nicht mehr zu früh zum Ende. Man sieht, wie im Grunde nur die zwei oder
drei ersten Stufen der Einteilung die Siebenzahl zur wirklichen natürlichen
Grundlage haben, am allerstärksten die tcqmti) tßöoudg, die mit dem auffallenden
körperlichen Vorgang des beginnenden Zahn Wechsels zugleich Abschluß der
Ausbildung im Sprechen bringt.3)
*) Ich kann jetzt meinen bei Pauly-Wissowa mitgeteilten Gründen noch eine neue Stütze
hinzufügen. Bei Yettius Valens (zur Antoninenzeit) I 10 (S. 26, 10 Kroll) wird gehandelt
JI eqi t7iza£(ovov ijrot Gaßßazwiis 7jg.i porg ano %siQog. Die inzdgwvog ist die von der Umlaufs­
zeit und Entfernung bestimmte Anordnung der Planeten (Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars,
-Jupiter, Saturn oder umgekehrt); der Ausdruck findet sich aber, da die inzd^tovog eben der
Reihenfolge der Götter der Planetenwoche zugrunde liegt, besonders gerne im Zusammen­
hang m it dieser (vgl. die von mir a. a. 0. S. 2558, 29 ff. angeführten Stellen). Valens gibt
keine Quelle an; aber jetzt lernen wir durch ein von Cumont, Catal. codd. astr. gr. VIII 3
S. 100, 19 publiziertes Exzerpt aus Thrasyllos, dem Hofastrologen des Kaisers Tiberius, daß
dieser SiaXaußdvn xai zttgi zijg izizu^wvov x a r c zijv JlszuG igt cog xcci jVc g s iß<0, we ainug
cf>T]Giv, zcaguöoGiv. Wenn man dazu hält, daß auch noch anderweitige praktische Verwen­
dung der tTizdgiovog mit geringer und unvermeidlicher Modifikation sich bei^Petosiris-
.Nechepso nachweisen läßt — vgl. a. a. 0. S. 2569, 19 —, so darf die Vermutung, daß auf sie
die Wochenplaneten zurückgehen, nun als doppelt wahrscheinlich gelten. Und die Künst­
lichkeit des Systems zwingt zur Annahme einer einmaligen E r f in d u n g durch einen einzelnen.
*) Gegen Porson, Usener u. a ., die eine späte Entstehung annahmen, s. ßergk PLG.
II 51, auf den ich auch für die Überlieferung verweise (hinzugekommen ist seitdem noch
Anatolios 77. Ssv.ddog v.cci zibv ivz'og avzfjg c(Qi&u<bv ed. Heiberg, Ann. internat. d’histoire,
Congr. de Paris 1900, 5. section, S. 37) und Wilamowitz, Arist. u. Athen II 314 f. Im
übrigen sei für das Gedicht besonders auf Roscher, Hebdomadenlehren (1906) S. 14 ff. ver­
wiesen; daneben auf J. G. Müller im Kommentar zu Joseph. C. Apion. S. 357 und neuer­
dings N. Riedy, Solonis elocutio quatenus pendeat ab exemplo Homeri II (Münch. 1904) S. 2
Anm. 4, der indes mit Unrecht hier an spezifisch semitische Einflüsse denkt. — über die
Siebenzahl in Hesiods 'Tnofh'i-itai (bezeugt ist nur die Forderung, der Unterricht solle nach
•dem siebenten Jahre beginnen) vgl. Quintilian I 1 , 15: Roscher ebd. S. 90 f. Anm. 134 u. 136.
8) Der Zahnwechsel mit sieben Jahren wird auch sonst oft erwähnt (z. B. Aristoph.
R.an. 41S mit den Scholien und Kommentaren, wozu man jetzt Eupolis’ Demen ed. Körte,
(

28 F. Holl: Die Lebensalter [1 1 6

Verherrlichung der Siebenzahl in ihrer Bedeutung für das Menschenleben sein


mag — 'hie est numerus qui lwminem concipi formari edi vivere ali ac per
omnes aetatum gradus tradi atque omnino constare facit” ) — , so hatte doch
schon vorher eine andere Theorie, die des Verfassers der pseudohippokratischen
Schrift IliQl ißdogädcov, die Geltung der Siebenzahl in der Einteilung der Alters­
stufen noch gesteigert. Sie ist offenbar von der Solonischen Hebdomadentheorie,
zugleich aber auch von der Einsicht in ihre Mängel beherrscht. Während Hippon
von Rhegion zu Perikies’ Zeit diesen durch eine verstärkte Kombination der
Sieben- mit der Zehnzahl abzuhelfen suchte2), hat der Fanatiker der Siebenzahl,
der Verfasser jener Hippokratischen Schrift, die unteren vier Stufen des Solou
bis zur völligen körperlichen Ausbildung — nuidlov actis geiguxiov viuviey.og —
in der Dauer von je 7 Jahren beibehalten3); dann aber faßt er in das Alter
des dvr'iQ 3 x 7 Jahre, vom 29. —49., zusammen, sieben weitere, bis zum 56.,
in das des apeeßvii;g und den Rest in das des ytQcov. Und damit erreicht er
eine verdoppelte Anwendung der Siebenzahl: sie ist nicht nur in der Zusammeu-
fügung der Jahre zu Hebdomaden wirksam wie bei Solon, sondern ermöglicht
durch Verbindung mehrerer Hebdomaden zu einer Alterstufe eine Gesamtzahl
von sieben Lebensaltern, die innerlich wieder auf der Siebenzahl aufgebaut sind.
Die Parallele zu den von dem Verfassser unterschiedenen sieben Jahreszeiten
wird ausdrücklich von ihm gezogen. So hat er hier seinen Grund- und Leitsatz
'die Form der ganzen Welt und aller einzelnen Teile ist von Ewigkeit her so
geordnet, daß alle in Gestalt und Bestimmungen die Siebenzahl zum Ausdruck
bringen müssen’ weniger gewaltsam und mit mehr Glück durchgeführt als
sonst. Seine Schrift, die im Corpus Hippocraticum einigermaßen geborgen war,
hat bei den Späteren auch darin Beachtung gefunden: nicht die — vielleicht
nicht einmal beabsichtigte — Siebenzahl der Altersstufen in den Hippokratischen
Aphorismen4), sondern die des Hebdomadisten liegt bei Philon, Plutarcb, Cen-*)

*) Macrobius S. Scip. I 6, G2, nach Straton oder Diokles (s. Roscher ebd. Anin. 143).
s) Censor. De d. n. 7, 2 (vgl. Roscher ebd. S. 36 f.). Auch bei Diokles von Karystos
und Straton wird an der genannten Stelle des Macrobius neben der Siebenzahl die Bedeu­
tung der Zehnzahl, 'qui et ipsc perfectissimus numerus esty, hervorgehoben: wenn die 7 x 7 Jahre
das Lebensalter bezeichnen, das eigentlich 'vollendet’ heißt (wie auch bei Aristoteles der
Rückgang der Zeugungskraft heim Mann mit _dem 49. Jahr verbunden wird), so sind die
7 x 1 0 die meta vivendi
3) Nur diese vier erwähnte auch, in richtigem Gefühl, Theon Smyrn. S. 104, 6 H., der
kurz zuvor des Poseidonios Timaeus-Kommentar zitiert: ixßdXXcir rare odovzas iv ixxxu
ixeot• GittQiia dt xul rjßrj ¿v öevxcgcc ißöopddt, ytvua de cop ininccv iv raiT?, xal r;(j sie
u ?)xoe uvh)v ¿noXaußavtt, r ( v d’ etc xxXdixog ¿v xcxcigxx] ißdoutxdt. Nur die ersten Sieben-
jahrstufen nennt, in Wiedergabe pythagoreischer Lehren, Alexander Aphrod. zu Arist.
Metapb. 985b 26, ed. Hayduck S. 38, 19: xixxcxai ¿nxaurjviaia xai oüovxotpvti xoaovxtov
fitjvtbv xai ijßcioKti negi xijv dcvxcgav ißdupeida -/.ul ytvHijc xxtgi xijv xgixrjv. Die erste Heb­
domas (Zahnausfall) hat Alexander wohl in seinem Bericht aus Flüchtigkeit übersprungen
4) Hippokr. Aphor. IV 24 ff. (dazu Galen XVII 2 S. 627 ff. Kühn) unterscheidet 1 . uixgoi
(für die dypotrje bezeichnend ist), 2. ncudict (vom üdovxotpvciv an), 3. ngtoßrxtnui. 4. frt
ugcGßvxtgoi v.ui xxgbg rr;i rjßxjv n goxxyovxtg. 5. vcavioxOl, 6. oi vuig xijv rfuxiTjV xavxx\r,
7. xxgtoßvxai (damit meint er, wie Galen bemerkt, xovg XL\V toxdxxjv dyovxug rtXixiav). Also
(

30 F . B o í l : D ie L e b e n s a l t e r [118

kulationen verwenden. Jetzt aber treten die 7 Planeten allbeherrschend ein, von
denen wir vorher weder bei Solon1) noch bei Hippokrates oder dem Pseuclo-
hippokrateer oder bei Aristoteles etwas hören. Erst die Astrologie der helleni­
stischen Zeit konnte dem Gedanken des Mikrokosmos, der nach dem Bilde des
Makrokosmos gebaut ist2), diese besondere Zuspitzung geben; wie sie denn auch
sonst dem im Volksglauben so vielfach nur naiv angenommenen Parallelismus
zwischen Welt und Mensch, zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos bewußten
Ausdruck und systematischen Halt verleiht. Die pythagoreische Mystik arbeitet
ihr darin w'ie in manchen anderen Dingen vor und bereitet ihr den Boden.8)
Und wieder wie bei der Zwölfzahl zeigt sich in der hellenistischen Astro­
logie bei der Sieben die Tendenz, die Zeiten allumfassend zu beherrschen. Wie
dort aus den zwölf Tierkreiszeichen heraus die Zwölf einheitlich Stunden, Tage,
Monate, Jahre beherrscht, gleichgültig gegen das Widerstreben wenigstens bei
den Tagen, so entwickelt sich hier aus den 7 Tagen der längst bekannten
planetenlosen Woche ein System der 7 Stunden: ihnen werden die 7 Planeten
in der durch die Entfernung von der Erde gegebenen Reihenfolge zu Göttern
gesetzt, und so nun weiter auch noch den 7 Tagen, dann — viel weniger ver­
breitet — den 7 Monaten der Schwangerschaft und 7 aufeinanderfolgenden
Jahren, endlich 7 Weltaltern als ihre Regenten.4) Und so lag es von vornherein
nahe, auch die 7 Altersstufen des menschlichen Lehens unter die Herrschaft
der 7 Planeten in ihrer für die Astrologie seit Nechepso-Petosiris festen Reihe
nach ihrer Entfernung von der Erde zu stellen und ihnen damit einen be­
stimmten Charakter aufzuprägen.
Von wem zuerst diese Planetenstufen des Menschenlebens aufgestellt worden
sind, das wissen wir nicht. Von Claudius Ptolemaeus, dem ältesten Zeugen für
uns, sicherlich nicht: ist er doch sonst in seiner Astrologie wie in seinen astro-

*) Keine Spur auch nur der Absicht, die sieben Jahre seiner zehn Stufen nun ihrer­
seits wieder nach den Planeten zu gliedern, wie es spätere Theorie ta t (Hermes, dh. Abu
Ma'sar, De revolut. nativit. S. 216).
*) Am deutlichsten vielleicht bei Proklos in Tim. S. 348 A gesagt, an der Spitze der
von ihm mitgeteilten Theorie der acht Seelenteile in ihrem Verhältnis zu Fixsternhimrael
und Planeten: dti wg xbv olor xóouov ovxat xal x'ov av&Qwnov imoxityaoftai xelsítog, ótoxi
xal fuxpóg ÍGTI xal ovxog xoGuog• fysi yocQ xal w v v xal lóyov xal &eiov Gcbua xal &W¡xov,
ojöneg xb nur, xal óir¡QT¡xai avu Zóyov xco navxl.
*) S. o. S. 112 Anm. 2. — Ich benütze die Gelegenheit hier zu bemerken, daß der von mir
in Bd. XXI 119 angenommene pythagoreische Einfluß aui Pindar fr. 107 mir durch eine brief­
liche Darlegung von Wilamowitz widerlegt ist, die durch die neuen Fragmente bestätigt wurde.
4) Für sieben Stunden und sieben Wochentage darf ich auf meinen Artikel fHebdomas’
verweisen (P.-W.); für die sieben oder acht Monate der Schwangerschaft unter den sieben
Planeten s. den auf noch nicht bekannten Quellen beruhenden byzantinischen Dialog
Hermippos s. de astrol. I 14 (der erste gehört dem Saturn, der zweite bis achte der Reihe
von Mond bis Saturn, endlich der neunte wieder dem Mond, der zugleich das erste Lebens­
alter beherrscht (s. u. S. 121 Anm. 2); vgl. auch Boucbé-Leclercq S. 509 ff. Sieben aufeinander
folgende J a h r e beherrscht von den Planeten als Chronokratores*. s. in dem gleichen Dialog
I 15 S. 22, 17 Kr.-V. Sieben W eltalter unter der Herrschaft der Planeten: z. B. Cumont,
Cata!, codd. a 6tr. IV 118 f.
<
32 F . B o l l : D ie L e b e n s a l t e r [120

aus einem späteren1), entlehnt er auch den originell scheinenden Gedanken, dem
ersten Planeten, dem Monde, sieben Jahre zu geben, dann dem Merkur acht,
der Venus neun und so fort, so daß schließlich — und das ist das Gelungene
an diesem System — der segensreiche Jupiter zwölf Jahre (die Zahl eines
Jupiterumlaufs) und der traurige Saturn als letzter dreizehn erhält.
Das ist das Material außer dem Abschnitt von Ptolemaios’ TetrabiblosJ i
Es bedeutet im Grunde nur wenig. Um so mehr verdient die Darstellung bei
Ptolemaios eine nähere Betrachtung: schon weil sie, neben Aristoteles und Horaz,
•das lebensvollste Bild des Menschenlebens im Rahmen der Altersstufen bildet,
das uns überhaupt in der antiken Literatur erhalten ist; und dann wegen ge­
wisser Zusammenhänge mit einer Reihe von Vorstellungen, die das Interesse
an diesem Abschnitt erhöhen. Zunächst sei er hier in freier Nachbildung, die
den Sinn, nicht den Wortlaut ausprägen will, mitgeteilt, der Textgestalt gemäß,
•die bis jetzt aus den Handschriften sich mir als die zuverlässigste ergeben hat.3)
Wer lächerliche Fehlgriffe vermeiden will, bemerkt der Verfasser einleitend,
•der muß bei der astrologischen Voraussage, die auf dem individuellen Horoskop
beruht, auch Allgemeines beachten: die (im Buch II ausführlich behandelte)
•Sonderart der einzelnen Völker, die auch die körperliche und geistige Bildung
des einzelnen bis zu einem gewissen Grade beherrscht; und die jeweilige Alters-

II «64 de Ferdaria Solis (über das W ort ferdaria, das wohl nur aus negLodog auf
dem Weg über das Arabische verdorben ist; vgl. Brockelraann, Catal. V 1 S. 15, 1; Ruelle
a. a. 0.). Darin heißt es: Sotis tjuulem ferdaria sunt anni decem, Veneris autem octo, Mer-
curii tredeeim, Luucie novem, Saturni undecini, Jovis du-odccivi, Muriis septem: also Mars 7,
Venus 8, Mond 9, Sonne 10, Saturn 11, Jupiter 12, Merkur 13. Diese Zahlenreihe hat Katrarios
mit den sieben Altersstufen kombiniert und so in der relativen Selbständigkeit, die sich
auch sonst bei ihm zeigen läßt, eine Art n e u e n Systems gewonnen.
s) Ein paar Exzerpte und Reimereien verdienen nur in der Note eine kurze Erwäh­
nung. Achtzehn schlechte byzantinische Jamben (E xtcc ßgorüv vofiiJe rüg Tjlixiag), die die
Lebensalter nach Planeten ordnen und offenbar nach Ptolemaios gemacht sind, stehen zu­
letzt bei Congny, Anthol. gr. III 330. — Das kleine Kapitelchen Jlfpl t ü r inice rj/.miiv im
Vindob. phil. gr. 108 f. 139v (Catal. codd. astr. VI 23) ist wohl aus Ptolemaios exzerpiert;
ebenso wohl auch das in Ambros. 420 (H 22 sup) f. 10v. Die Zahlen aus Ptolemaios, ohne
die Planeten, hat die Liste a ' bei ßoissonade, Anecd. II 454. E. v. Dobschütz hat in der
Byzant. Zeitschr. XII (1903) S. 551, vgl. ebd. S. 663 eine ähnliche Liste — wo ebenfalls die
Planeten weggelassen sind — aus einem Theophanios povayog (VIII.—XI. Jahrh.) beraus-
gegeben; es stimmt in den Jahresabschnitten für die ersten drei Alter <ßinq:og natg un-
Ocixiov) mit Ptolemaios überein, hat aber dann geändert (vtuviov.oe 23.—44. Jahr, ¿vfjQ
45.—50., yjjpsvs 57.—60., nQtaßvrr,g 07. bis zum Ende). Die Zahlen, von denen eine (50 als
8 x 7 ) Solonischen Ursprungs ist, eine andere (60) mit Tzetzes stimmt, sind nicht allzuschwer
zu verstehen: Stufe 1—3 hat 22 Jahre, Stufe 4, die mittelste, wieder 22 und Stufe 5 und 6
abermals 22 — was noch folgt, ist eben in seiner Dauer unbestimmbar. Im Monac. 287
f. 59T ist Tzetzes exzerpiert (Catal. codd. astr. VII 15). Bei Moschopulos endlich (II. ayjd.
S. 134; Opusc. S. 49) stehen sieben Altersstufen, n a c h denen die Kffoviog (die von Saturn
bestimmte) folgt: sonst pflegt die Reihe damit zu schließen — der Verf. will vielleicht der
Astrologie aus dem Wege gehen.
>) Ich lege dabei vor allem den Cod. Vatic. 1038 saec. XIII zugrunde (vgl. Sitzungsber.
Münch. Akad. 1S99 S. 81 ff.); doch muß auch die dem Proklos fälschlich zugeschriebene
Paraphrase, die im X. Jahrh. schon vorlag, beachtet werden.
(
34 F. Boll: Die Lebensalter [122

legt die Narrenschuocb von im’, wie es gut deutsch ein Übersetzer des XV. Jahrh.1)
verständlich macht.
Die zweite Hälfte des Mannesalters, vom 42.-56. Jahre, regiert der schlimme
Planet Mars, der Unheilstifter. Er bringt den herben Ernst und den Kummer
in das Leben, Sorgen und Qual für Leib und Seele; er gibt die erste schmerz­
liche Erkenntnis, daß die Blüte vorbei ist, und drängt so den Menschen dazu,
mit harter Mühe2), bevor das Ende nahe kommt, etwas Rechtes zu leisten.
Noch einmal kommt ein Höhepunkt des Lehens: das erste Greisenalter. Da
geht es weise, geht bedächtig. Ihm gebietet der Planet Jupiter, der Segensreiche,
durch zwölf Jahre, vom 57.—68. Er bringt Abkehr vom Gewaltsamen, Müh­
seligen, von wilder Unruhe und gefahrvollen Bestrebungen: an ihre Stelle tritt
der Sinn für Gemessenheit und Bedächtigkeit, die Neigung zu kluger Berech­
nung, die Fähigkeit und Lust, anderen zu raten und zu trösten; aber auch ein
verstärkter Drang nach Ehre, Ruhm, Freiheit, doch alles getragen von gehaltener
vornehmer Ruhe.
Dann kommt das letzte Alter, das dem lichtschwächsten und langsamsten
Planeten untersteht, dem Saturn. Das ist die letzte Stufe des abwärtsschreitenden
Lebens: da erkalten und erlahmen alle Bewegungskräfte des Leibes und der
Seele; Triebe, Genüsse, Wünsche — alles schwächt sich ab, Mutlosigkeit, Mattig­
keit, Unlust zu allem nimmt überhand, bis das Leben vollends erstarrt.
Das hier entrollte Lebensbild, dessen Typen es nicht an Wahrheit fehlt,
und dem es so kunstvoll gelingt, auch dem rüstigen Greisenalter sein Recht zu
geben3) — dieses Lebensbild ist deshalb besonders bemerkenswert, weil die
Planeten, die seinen Charakter bestimmen, nicht etwa für diesen Zweck erst in
gerade diese Reihenfolge gestellt sind; es ist vielmehr, wie schon bemerkt, die
Ordnung der Planeten, wie sie durch ihre Entfernung von der Erde und ihre
Umlaufszeit gegeben und seit ungefähr dem II. Jahrh. v. Chr. in Astronomie
und Astrologie immer mehr kanonisch geworden ist. Aber auch die Zahl der
Jahre, die jeder einzelnen Altersstufe in ziemlich naturgemäßerWeise beigelegt
werden, ist wohl in allen Fällen von astronomischen Planetenzyklen entlehnt:
die 19 Jahre der Sonne sind der bekannte Metonische Zyklus; 8 Jahre umfaßt
der kleinste Zyklus der Venus (8 Sonnenjahre sind 5 synodische Venusjahre),
15 der des Mars; der Jupiter läuft in ungefähr 12 Jahren, in seiner 'Dodeka-
eteris’, einmal durch die Tierkreiszeichen4); und wenn Ptolemaios für den Mond

') Über diesen unten S. 130 f.


-) «ftu nuvov: man sieht, wie die 'Kampfarbeit’ aus dem Wesen des Planeten den
Ton angibt.
s) Vgl. zu dessen Charakteristik Juncus bei Stob. IV 50, 27 (S. 1029, 17 ff. Ilense i, auch
Cie. De sen. 9, 28.
*j Zum Venus- und zum Marszyklus vgl. F. X. Kugler, Sternkunde Babels 1 43: zu
elfterem auch Ginzel in Lehmanns Beitr. I 376, 1 ; Keil, Hermes XL1I 555 f. (Anm.); zur
Dodekaeteris des Jupiter, die auch im Osten Asiens weite Verbreitung hat, z. B. Geop. 1 12
(Zoroaster; und meinen Artikel 'Dodekaeteris 5 hei Wissowa; Catal. codd. astrol. V 171 f. Die
vier Jahre der ersten Altersstufe, die dem Mond gehören, hat 'Hermes5, dh.Ahü Ma'sar oder
seine griechische Quelle auf die vier Elemente gedeutet; dagegen behauptet der anonyme
(

36 F. Boll: Die Lebensalter 1124

Einflüsse geführt; aber sosehr das auch Beachtung verdient, so ist damit zu­
nächst doch nur eine Einzelheit erledigt. Ein älteres astrologisches Buch möchte
für Ptolemaios wohl am ehesten unmittelbar in Betracht kommen; aber auch
bei diesem wäre nach der Quelle der ganzen Vorstellung zu fragen.
Jede Aufstellung von Altersstufen geht, auch wo sie sich nicht darüber
klar wird, von dem Gedanken aus, daß in bestimmten Zeitabschnitten der kör­
perliche und geistige Zustand des Menschen sich völlig ändere. Dieser Glaube,
der noch heute weithin verbreitet ist1), war der antiken Philosophie vor allem
seit Heraklit geläufig; die Spuren sind hei Epicharmos und Platon, bei Pytha-
goreern und Stoikern zu finden.2) 'Nascentes morimur’ heißt es bei dem stoisch
gerichteten römischen Dichter der Astrologie3); das ist Heraklitisch in doppeltem
Sinne, in der Lehre vom n u v x a p£f, an die Plutarch4) dabei erinnert, wie andrer­
seits in der von der Einheit der Gegensätze — 'Ein und dasselbe ist’s immer,
das in uns wohnt, als Lebendes und Totes, als Waches und Schlafendes, als
Junges und Altes’: doch in denselben Fluß steigst du nicht zum zweitenmal:
von der Zeugung zur Geburt, vom Säugling bis zum Greis nie ein Sein, nur
ein Werden. Jedes Alter ist in Wahrheit das Sterben des andern: keiner ist
und keiner bleibt der gleiche — wie könnten wir sonst uns an dem freuen,
was uns einst mißfiel, das lieben und bewundern, was wir einst haßten und
schalten; weder Gestalt noch Gesicht bleibt sich gleich — wir sind immer
andere: 'w ir w erden viele’.
Den entschiedensten Ernst macht mit dieser Vorstellung eine große Anzahl
von unkultivierten Völkern, bei denen die Annahme, daß der Mensch bei fort­
schreitendem Alter nicht derselbe bleibe, zu einem wiederholten Namenswechsel
führt.6) Diese Sitte, die hei Eingeborenen von Nord- und Südamerika, bei Negern
<j(>()oc schon vor Ps.-Galen einmal — kaum durch Ptolemaios, sondern durch seine Quelle —-
eingeführt worden sein. — Den Ausdruck xavsiztxi bat im gleichen Fall auch Macrobius
S. Scip. II 6, 71: movcri incipit vis generationis in mascttlis et purgatio feminarum. — Ver-
gleichen mag man auch noch die Charakteristik des vorletzten Alters to iTuloyuiTiy.ov %dv-
xiov v.ui vo v Q's t iv.bv Y.UL itccgcgivf)7.rixoi ¿cvTticdysi mit der Bemerkung bei Macrobius
ebd. 76, daß der mehr als Siebzigjährige 'ob omni officio vacuus soli exercitio sapientiae
vacat et omnevi usum sui in su a d e n d o habet' .
’) 'Alle sieben Jahre ändert sich der Mensch in seinem körperlichen Zustand nach dem
Sprichwort’ (Höfler, Deutsches Krankheitsnamenbuch S. 647).
*) Für Epicharm ist fr. 170 Kaibel zu vergleichen (dazu J. Bernays, Kl. Sehr. I 100 ff.):
für Platon Plüidon 87 DE (Sokrates versteht es dann S. 96 D anders, von öfterem Inkor­
poriertwerden der Seele); für -die späteren Pytbagoreer, unter Heraklitischem Einfluß, s. die
Literatur bei Diels, Arch. f. Gesch. der Philos. III 465; für die Stoiker etwa Cbrysipp (der
auf Epicharm verweist) bei Plut. De comm. not. S. 1083 A ff. ( = Arnim fr. 762); Zeller
III 1 3, 94. Seneca, Epist. 121, 16, der sich auf Poseidonios und Archedemos als Quellen be­
ruft, betont Einheit und Wandel in den Altersstufen ungefähr mit gleichem Nachdruck.
Am klarsten aber ist der Gedanke, um den es sich hier dreht, bei Seneca Ad Marciam
21, 6 f. (auch Epist. 24, 20) und bei Marc Aurel IX 21 ausgesprochen: gUxioiv it&aa fiira-
ßoXi] fidvaTO?.
!) Manil. IV 16. *) De E ap. Delph. c. 18.
*) S. darüber reiches Material bei Wilutzky, Prähistor. Recht I: Die Eheverfassungen
(Berl. 1903) S. 3 Anm. 'Dem verwandelten Menschen gibt man oder er gibt sich selbst
<
38 F. Boll: Die Lebensalter [126

Lobeck nicht genügend gewürdigten hermetischen Gedicht, das von den 'Emxu
noXvjtXavteg spricht1):
iozi d' ev tv
Mijvr] Z s v g ’’siQrjg IJacpi-g Kgdvog "Hhog 'EQpTjg'
zovvek an ai&EQtov pEpEQiopE&a nvEvpazog eXkelv
Scckqv yiktötet ypkov yivEOiv koyov vnvov oqeS,iv .
A & k q v (iev iozi Ki)6vog, Zevg cT 7] yivECig, koyog EgpJjg,
dvpbg 'Agrjg^ Mrjvrj ö' ctQ vjtvog, Kv&eqeic( ö oQEgig,
I i i k i o g ze y e k a t g ' z o v z ( p yccg ccnaCcc ö i K a l a g
K a i d ’u i jz ij ö i d v o i a y e k d K a l k ü Op o g u nE iQ W V .

Lobeck hat damit schon eine Stelle bei Proklos2) zusammengebracht, wo die
Fixsternsphäre und die sieben Planeten die acht Teile des menschlichen Seelen­
wesens bestimmen. An beiden Orten fehlt jener tief pessimistische Zug, dem
der Weg der Seele durch die Planeten ein Sündenfall ist und ihre Geschenke
nichts als Laster. Nicht ausschließlich dominieren diese üblen Planetengeschenke
im Poimandres, aber sie sind weitaus in der Überzahl, während bei Isidor wieder
die guten Gaben überwiegen und im Testament der zwölf Patriarchen mit jedem
der sieben Planeten ein guter Geist und ein nvEvpa nXdvrjg verbunden ist.3)
Mitten zwischen diesen Listen, die alle hermetischer oder astrologischer
Provenienz sind, steht die Reihe der Altersstufen, die Ptolemaios in sein Werk
aufgenommen hat. Auch bei ihm spielt der Mensch eine Planetenrolle um die
andere, vom Mond bis zum Saturn; das Geschenk des untersten Planeten ver­
wertet er zuerst, um zuletzt die unfrohe Gabe des obersten durchzukosten. Und
wie jene Listen alle durch mancherlei Beziehungen miteinander verbunden sind4),
so ist es kein Zufall, daß er sich mit ihnen allen, und mit mehreren sogar
wörtlich berührt. Die physische Entwicklung in der Mondstufe (tö trjs av^tjaecjc
J) Bei Stob. Ecl. I 6, 174 ( = Anthol. App. n. 40 Jacobs); Lobeck, Aglaopb. S. 926;
Roscher, Hebdomadenlehren S. 173. Die Frage, ob als Verfasser 'Hermes* oder vielmehr
Theon der Alexandriner anzusehen ist, berührt uns hier wenig; entschieden ist sie kaum,
vielleicht überhaupt nicht zu entscheiden.
*) In Tim. S. 348 A, vgl. Lobeck ebd.
8) Ich verweise der Kürze halber auf Roschers Tabelle a. a. 0. und für das Testament
der XII Patriarchen auf Reitzenstein S. 52, 2 ; die Isidorstelle, die bei beiden wie bei Zie­
linski im Arch. f. Rel.-Wiss. VIII und IX (Hermes und die Hermetik) zu fehlen scheint,
steht De nat. rer. cap. III (er schreibt hier die Wochennamen der Lehre zu, wonach die
Menschen von den sieben Planeten ihre Eigenschaften erhalten: ' e x S o l e s p i r i t u n i , e x L u n a
c o r p u s , e x M e r c u r io lin g u a in et s a p ie n tia m , e x V eu ere v o lu p ta te m , e x M a r te fe r v o r e m , e x
Jo ve te m p e r a n tia m , e x S a tu rn o ta r d ita te m : ta lis j n ip p e e x s titit g e n tiliu m s tu ltitia q u i s ib i
f i n x e r u n t ta rn r i d i c u l o s a f i g n i c n t a ’
(aus Isidor schöpft Beda, De tempor. rat. c. VII). — Inter­
essant ist die Umkehrung des Verhältnisses durch Ambrosius, Epist. XL1V (Migne X V I1185 f.),
eine richtige Abhandlung über die Sieben- (und Acht-)Zahl: da sind die sieben v i r t u t e s
p r x n c i p a l e s s a n c t i S p i r i t u s , die der Prophet Jesaias XI 2, 3 umfaßt haben soll, die Ursache
für die Existenz der sieben Planeten und des Septentrio.
4) Vieles liegt bei Roscher ohne weiteres zu Tage; bemerkenswert scheint mir außer­
dem die Übereinstimmung zwischen A'oprj xöogov (vgl. Zielinski, Arch. VIII 365, %) und den
oben zitierten hermetischen Versen, wonach zum Mond ibrvos gehört. Bei Troklos in Alkib.
an der oben S. 119, 2 angeführten Stelle ist mit der obersten Stufe des Saturn das cccpioraG&cu
zrjg yevEGEcog gegeben; dazu paßt, daß Jupiter in den hermetischen Versen die ytvsoig vertritt.
(

40 F. Boll: Die L e b e n s a lte r [128

Buch des Nechepso und Petosiris so gut bekannt war, astrologische Literatur,
vielleicht unter dem Namen des Hermes, verwertet hat, die in Hermetik und
Neuplatonismus auf ihre besondere Art weiterwirkte.

Das Mittelalter hat die alte Weisheit nicht völlig verlernt. Im Osten sorgte
dafür schon die Fortdauer der astrologischen Texte: Ptolemaios und seine Kom­
mentatoren, dann der griechische Abu Ma'sar, der Dialog Hermippos und so
mancherlei kürzere Exzerpte erhielten die Parallelen zwischen den Altersstufen und
den Planeten lebendig. Im Malbuch vom Berge Athos, wo gelehrt wird, den König
Kosmos im Kreise der vier Jahreszeiten, der zwölf Tierkreiszeichen und der sieben
Lebensalter zu zeigen, fehlen freilich die Planeten: aber wenn das vierte Alter,
das mittelste, durch einen König auf dem Throne dargestellt werden soll, wäh­
rend andere Symbolik dieser Art völlig fehlt, so wird das durch den latenten
Gedanken an den vierten Planeten, den des Königs Helios, leicht verständlich.1)
Im Westen hat die Kirche dem astrologischen Weltbild mit weit stärkerem
Erfolg zugesetzt, mochte sie auch selber die Reihe der sieben Todsünden von
ihm empfangen haben; die sieben Altersstufen und Weltalter konnten auch
so noch an den sieben Horen des Stundengebets ihre Stütze finden.2) Aber
mit dem Eindringen des übermächtigen arabischen Geisteslebens, das ganz auf
der antiken Grundlage ruht, ist die Astrologie bis zum Ausgang der Renais­
sance in ihrer universellen Bedeutung nur immer gewachsen. Michael Scotus,
der Hofastrolog des Kaisers Friedrich II., kann den Reigen eröffnen. In seiner
großen Naturphilosophie, die vom Geiste astrologischer Spekulation erfüllt
ist, kehrt die Parallele der Planeten mit den Altersstufen sogleich wieder,
ein wenig verändert, weil an der in Betracht kommenden Stelle nur von
den fünf eigentlichen Planeten, ohne Sonne und Mond, die Rede ist: Saturn
soll dargestellt werden als Greis, Jupiter als Mann von vierzig Jahren, Mars
als iuvenis — weiter ist die Gegenüberstellung nicht getrieben.8) Aber ein
vielleicht auch mit seiner Lehre zusammenhängender 'Liber physiognomiae’ in
der Biblioteca Estense in Modena zeigt in seinen reizvollen Miniaturbildchen
die alte Parallele — und zwar hier zweimal für beide Geschlechter — völlig
durchgeführt, die Planeten, eingereiht in ihre Häuser im Tierkreis, neben den
Altersstufen, ganz in der korrekten alten Ordnung: zum Mond der Knabe mit
Steckenpferd, das Mädchen mit Puppe; zum Merkur beide lesend oder der
Knabe mit einem Buch, das Mädchen mit einer Spindel; zur Venus Jüngling
und Mädchen mit Blumen und Mandoline; die Sonne als König, und dazu
ein vornehmer junger Mann und ein Mädchen in langem Gewand und hoher
Haube; neben dem wohlgerüsteten Mars wieder ein Krieger und ein Mädchen

’) Vgl. Wackernagel S. 27 nach Piper, Mythol. u. Symbolik I 2, 336; Brockhaus, Kunst


in den Athosklöstern S. 157.
*) Vgl. Sauer, Symbolik S. 77, 6.
3) Der Text ist abgedrnckt von F. Saxl in seinen lehrreichen 'Beiträgen zu einer Ge­
schichte der Planetendarstellungen im Orient nnd im Okzident’, in der Zeitschrift 'Der
Islam’ III (1912) S. 175. Über das Werk des Michael Scotus s. meine 'Sphaera’ S. 439 ff.
42 F . B o l l : D ie L e b e n s a l t e r [130

die nicht isoliert bleibt, sehen wir durchgeführt: wenn die Parallele bei Ptolemaios
den Mars, wie es die korrekte Planetenordnung fordert, mit dem fünften Alter
verglich, so hat sie das zwar geschickt genug mit den Kämpfen des späteren
Mannesalters begründet, aber den näher liegenden Gedanken an die Jahre des
Kriegsdienstes nicht auf die Dauer verdrängen können. So wird hier das vierte
Alter, nicht erst das fünfte, durch einen Krieger repräsentiert mit Fahne und
Schwert, und erst das fünfte durch einen vornehmen Mann mit Barett und Beutel,
ln allen für uns wesentlichen Zügen ist mit der Miniatur der Augsburger Hand­
schrift in Übereinstimmung ein Holzschnitt des Britischen Museums, der un­
gefähr der gleichen Zeit angehört und ebenfalls deutschen Ursprungs ist.1) In
manchem anders, aber für uns nicht weniger bedeutsam, spricht Luther in
seinen Tischreden*) von diesen Dingen, an die ihn der Geburtstag seines
Hänschens erinnert: 'Septimus annus dimactericus. Am Tage Bonifatij ist mein
Son Hans, sprach Dr. M. L., sechs Jar alt und gehet in das siebende Jar.
Egu celcbrabo eins natales, quia iam ingreditur seplimum annum, qui est Clima-
etericus, id est, variativus, denn das siebende Jar wandelt allzeit den Menschen.
Prima est infantia, deinde pueritia, in qua assuefaciendi sunt ad litterarum studia
et artcs. Im viertzehenden Jar beginnen sie in die Welt zu sehen. Ibi tune do-
cendi sunt in maioribus. In 21. anno appetunt maiora et coniugium, Anno 2S.
sunt Oeconomi et Patres famüias, Anno 35 sunt Politici aut Ecdesiastici, 42. anno
ibi sunt reges3), et mox deinde sensu deficiunt. Sic septimus annus cuiuslibet hominis
est climactericus, adferens novam vitam, mores et aliam conditionem.’ Da haben
wir nicht nur die anni climacterici und die durch Helios bestimmte Bezeichnung
des gereiften Alters durch den König wieder, sondern vor allem auch die wesent­
liche Vorstellung, daß jedes Alter im Grunde neues Leben ist.
Man mag die direkte Hindeutung auf die Planeten an diesen Stellen ver­
missen; aber dessen bedurften die Menschen jener Zeit nicht erst. Manchmal
aber ward ihrer ausdrücklich gedacht. Ein Holzschnitt des XV. Jahrb., den
Wackernagel beschreibt4), zeigt die vier Alter (jmer, iuvenis, vir, senex) im
Bilde; der deutsche Text dazu befolgt ebenfalls die Vierteilung, nach den vier
Temperamenten, die für jedes Alter bezeichnend sind. Aber auf eigentümliche

‘) Jedoch hat er korrekter statt des zehnspeichigeu Glücksrades das achtspeichige.


Auch das ist antiker Herkunft: es ist nichts anderes als der achtteilige JCvalog Jlsroffieso)?,
in dessen Mysterien ich hier natürlich nicht näher eintreten kann (vgl. die Abbildung bei
Bouche-Leclercq S. 540), oder die Oktatopos des Manilius, Thrasyllos, Antiochos (darüber
werde ich Woch. f. kl. Philol. 1913 in der Besprechung des Catal. codd. astr. VIII 3 einiges
bemerken); dazu auch M. Förster, Herrigs Archiv CXXIX (1912) S. 45 ff. (Sphaera Apulei
und Glücksrad). — Vgl. die Abbildung auf unserer Tafel II Fig. 3.
!) Ich las es in der Ausgabe von Frankfurt 1568, fol. 422v.
s) Bei uns Heutigen regieren nach einem bekannten Wort Bismarcks erst die Fünfzig-
und Sechzigjährigen die Welt.
4) S. 17. 71 ff ist der Text vollständig abgedruckt. Der Holzschnitt ist nach W acker­
nagels Angabe jetzt in die Basler Mittelalterliche Sammlung gelangt, aus Bechsteins
Nachlaß. Einen etwas andern, mit deutschen und lateinischen Versen beschreibt Hoffmann
von Fallersleben, Anz. f. Kunde des deutsch. Mittelalters I (1832) S. 253 f.
<
44 F . B o l l : D ie L e b e n s a l t e r ri32

Der weinerliche Bube, der mit Bündel


Und glattem Morgenantlitz wie die Schnecke
Ungern zur Schule kriecht; dann der Verliebte,
Der wie ein Ofen seufzt, mit Jammerlied
Auf seiner Liebsten B raun; dann der Soldat
Voll toller Flüch’ und wie ein Pardel bärtig,
Auf Ehre eifersüchtig, schnell zu Händeln,
Bis in die Mündung der Kanone suchend
Die Seifenblase Ruhm. Und dann der Richter,
In rundem Bauche, mit Kapaun gestopft,
Mit strengem Blick und regelrechtem Bart,
Voll weiser Sprüch’ und neuester Exempel,
Spielt seine Rolle so. Das sechste Alter
Macht den besockten hagern Pantalon,
Brill’ auf der Nase, Beutel an der Seite;
Die jugendliche Hose, wohl geschont,
ne W elt zu weit für die verschrumpften Lenden:
Die tiefe Männerstimme, umgewandelt
Zum kindischen Diskante, pfeift und quäkt
In seinem Ton. Der letzte Akt, mit dem
Die seltsam wechselnde Geschichte schließt,
Ist zweite Kindheit, gänzliches Vergessen,
Olm’ Augen, ohne Zahn, Geschmack und alles.
Wenn auch vieles nach dem früher Gesagten sich von selbst erklären wird,
so bedarf die Reihenfolge und Charakteristik der sieben Alter doch mancher
besonderen Bemerkung. Beim kleinen Kinde hören wir natürlich von der vygÖTijg,
vielleicht auch der uTtrfeiu aagarog (nietcling and puking in the nurse’s arms),
wie bei Ptolemaios und Galen1) und auf dem deutschen Holzschnitt. Der Mond­
stufe folgt die des Merkur, die Schulzeit; an das Fortdauern des gleichen Tem­
peramentes ('warm und feucht’ sagt der deutsche Holzschnitt) kann the ivhi-
ning school-boy erinnern, wie nachher bei dem Venusalter vielleicht die ivocf'ul
bailad}) Bis hierher ist die Übereinstimmung mit der Planetenreihe vollkommen.
Nun aber kommt die Abweichung: der Soldat ist die nächste Rolle; ’jealous in
honour, sudden and quick in quarreV: das ist ira und fervor in der Todsünden­
reihe und bei Isidor: also Mars. Das wird uns nun nicht mehr verwundern:
Shakespeare macht die Änderung mit, die wir von dem deutschen Holzschnitt und
von der Augsburger Miniatur (s. Tafel II) kennen8): der Krieger rückt — weil es

’) II. ygocatcov II 2 als Beweis für die im naidiov herrschende vygoTr]?: oi yug ¿ 9 -
ilctluoi daxgvovGLV a vtols cti T! qive? avdTiifiTiXaVTCii ytogv^ns lv rs rw özüuczzi oiiXov nXfi&o?
ü&QoifaraL' bXXct ztai ßrjtvovot y.al ü vazixvovG i zpXiyuzx (*puking’). Geh bin unstet und
wunderlich . . . kalt und f e u c h t mein Wirken ist’ sagt der Mond in der Heidelberger
deutschen Hs. 832 f. 101 v (s. u. S. 133 Ahm. 1 ) von sich.
!) Die Melancholie des ersten Jünglingsalters könnte Ptolemaios mit Xvggu tlc yiyvnai
tat? zpz'yuic meinen; aber das W ort kommt für erotische Erregung auch bei Juncus (Stob,
ecl IV 50, 27) vor.
s) S. 0. S. 129 f.
<
46 F . B o l l : D ie L e b e n s a l t e r [134

Diskant (chüdish treble) paßt schon nicht mehr zum Jupiter1), sondern zum
folgenden Alter, dem des Saturn: 'Meine Kind sind siech dürr pleich und kalt’
sagt dieser von sich in der Heidelberger Handschrift. Und so ist das Elend des
letzten Alters bei Shakespeare noch über die Saturnstufe bei Ptolemaios ge­
steigert bis zu jener zweiten Mondstufe, die zweite Kindheit bringt; aber in dem
'gänzlichen Vergessen’ klingt doch die ¿xrjäeta wider, die Gabe des Saturn.2)
Niemand wird hoffentlich den Sachverhalt sich so vorstellen, als habe
Shakespeare sich die Charakteristik der Altersstufen aus allerlei Büchern zu­
sammenlesen müssen.8) Der nicht abzustreitende durch so viele Einzelheiten be­
währte Zusammenhang mit der von uns geschilderten Tradition erklärt sich
einfach daraus, daß diese Vorstellungen, die wir heute uns erst wieder mit
einiger Mühe vor Augen führen müssen, dem Menschen des XVI. Jahrh., dem
Dichter wie seinen Lesern und Hörern, durch Wort und Bild vertraut waren:
diese einst gelehrte Spekulation war, wie so manches andere, längst gemein­
sames Eigentum des Volkes geworden. 'Eine lange Reihe von Geschlechtern
wälzt im Strom der Geschichte den Stoff' der Dichtung, bis ihn erwählte
Geister ergreifen und ihm die Form geben, die einzig, notwendig, ewig ist’
sagt der neueste Erklärer des Faust.4) Das mag auch unser Gegenstand im
kleinen veranschaulichen helfen.
Höher als der Gewinn in Einzelheiten ist der für die Interpretation der
Shakespearestelle im ganzen anzuschlagen. Der Dichter hat zwei Bilder, so
scheint es, hier verbunden: eines von dem Leben als einem Schauspiel, das
andere das von den sieben Altern. Aber es scheint nur so; in Wahrheit ist das
Gleichnis einheitlich. Auch jenes erste Bild ist den Alten sehr geläufig: ox-gvg nag
6 ßlog oder 6 xdouog özijioj5) heißt jenes 'All the World ’s a stage’ auf griechisch.
*) Vgl. S. 133 Amn. 3.
s) Im einzelnen darf man sieb auch hier wieder an Maximianus erinnern, v. 119 ff.:
Jam minor auditus, g u s tu s minor, ipsa c a lig a n t
lu m in a , vix tactu noscerc certa queo,
null ns dulcis udor, mtlla est iam grata voluptas:
s e n sib u s e x p e rte m quis superesse putet?
En L c th a e a mearn subemit o b lic ia meutern
nee confusa sui iam meminisse potest.
3) Schon E. Malone (1790) — ich hatte statt dessen in meinen Ptolemaiosstudien
S. 124 irrig Steevens genannt — verweist zur Shakespearestelle auf den 'Treasury of Ancient
and Modern Times’ (1613), wonach Proldos die Alter so einteilt wie Ptolemaios. Da dieser
Proklos auch die J a h r e so wie Ptolemaios beifügt (die Planeten scheint er wegzulassen),
so ist jedenfalls die Paraphrase zu Ptolemaios Tetrabiblos, die unter Proklos' Namen geht,
nicht der Kommentar zum Alkibiades, gemeint. Die Beschreibung im Treasury ist aber
augenscheinlich viel zu kurz, um zur Erklärung der Shakespearestelle wirklich auszureichen.
4) E. Traumann, Goethes Faust (München 1913) S. 1 .
ö) Vgl. Anthol. Pal. X 72; 'Demokrates’, rvütiuxi n. 84. Die Geschichte des Bildes in
moralphilosophischer Verwendung bei Dümmler, Acad. S. 3 ff.; vgl. auch Wilamowitz,
Hermes XXI (1S89) S. 626 f.; Ers. Caetani - Lovatelli, Thanatos S. 16; Reich, Der Mirnus
I 1, 72. Zu den von Dümmler erwähnten Stellen s. noch Joann. Chrysostomos I 780 Bif.
(Reich I 1 , 197, 1); sehr ausgeführt von Synesius, Ägypt. Erzählungen c. 13 g. E. (/Kos oväcli
oixtiog ¡¡lu'üv, dbXozQiovg dt J&iod'ev nsgixsips&a).
(
4S F. Boll: Die Lebensalter [136

wieder aufgenommen hat, gerade der Philosoph des Pessimismus ist? Daß er
das halb im Scherz tut, versteht sich von selbst; und doch gibt er dem spie­
lenden Vergleich zum Schluß eine ernstere Wendung. Es ist das Schlußkapitel
von S cho p en h au ers Abhandlung 'Vom Unterschied der Lebensalter’, an das
ich erinnern möchte. Der Verfasser gibt sich zwar den Anschein, seine Vorläufer
nicht zu kennen; doch zeigen die sieben Stufen zu je zehn Jahren deutlich den
Anschluß an die Hippokratische Teilung und an die bei den Deutschen des
späten Mittelalters übliche Zusammenfassung von Jahrzehnten; und der Gedanke
der Parallele mit den Planeten, den er allerdings schon durch die Streichung
von Sonne und Mond beträchtlich modernisiert, ist gewiß bei dem Vielbelesenen
auch Nachwirkung der alten Vorbilder. Das geistreiche Spiel verdient es, wie
ich meine, hier zum Schluß seine Stelle zu finden.
'Zwar ist nicht, wie die Astrologie es wollte, das Lebensalter der Einzelnen in
den Planeten vorgezeichnet; wohl aber der Lebenslauf des Menschen überhaupt, sofern
jedem Alter desselben ein Planet, der Reihenfolge nach, entspricht und sein Leben dem­
nach successive von allen Planeten beherrscht wird. — Im zehnten Lebensjahre regirt
Merkur. Wie dieser bewegt der Mensch sich schnell und leicht, im engsten Kreise: er
ist durch Kleinigkeiten umzustimmen; aber er lernt viel und leicht, unter der Herrschaft
des Gottes der Schlauheit und Beredsamkeit. — Mit dem zwanzigsten Jahre tritt die
Herrschaft der Venus ein: Liehe und Weiber haben ihn ganz im Besitze. — Im dreißig­
sten Lebensjahre herrscht Mars: der Mensch ist jetzt heftig, stark, kühn, kriegerisch
und trotzig. — Im vierzigsten regieren die vier Planetoiden: sein Leben geht demnach
in die Breite: er ist frugi, d. h. fröhnt dem Nützlichen, kraft der Ceres: er hat seinen
eigenen Herd, kraft der Vesta: er hat gelernt, was er zu wissen braucht, kraft der
Pallas: und als Juno regiert die Herrin des Hauses, seine Gattin.1) — Im fünfzigsten
Jahre aber herrscht Jupiter. Schon hat der Mensch die meisten überlebt, und dem
jetzigen Geschlechte fühlt er sich überlegen. Noch im vollen Genuß seiner Kraft, ist er
reich an Erfahrung und Kenntniß: er hat (nach Maaßgabe seiner Individualität und
Lage) Auktorität über Alle, die ihn umgeben. Er will demnach sich nicht mehr befehlen
lassen, sondern selbst befehlen. Zum Lenker und Herrscher, in seiner Sphäre, ist er
jetzt am geeignetsten. So kulminirt Jupiter und mit ihm der Fünfzigjährige. — Dann
aber folgt, im sechzigsten Jahre, Saturn und mit ihm die Schwere, Langsamkeit und
Zähigkeit des Bleies:
Viel’ Alte ecbeinen schon den Toten gleich:
Wie Blei, schwer, zähe, ungelenk und bleich. -)

') Dazu macht Schopenhauer die Note: 'Die c. 60 seitdem noch hinzu entdeckten
Planetoiden sind eine Neuerung, von der ich nichts wissen will. Ich mache es daher mit
ihnen, wie mit mir die Philosophieprofessoren: ich ignorire sie; weil sie nicht in meinen
Kram passen.’ Ich habe ihn im Verdacht, daß er hier eine besondere kleine Bosheit gegen
Hegel angebracht hat, dem man nachsagte, er habe den Asteroiden verboten, an der Stelle
unseres Planetensystems entdeckt zu werden, wo sie dann erschienen: wie wenig an der
Sache ist, mag man bei D. F. Strauß, Kl. Sehr. (1862) S. 402 tf. nachlesen.
s) Die Stelle (Romeo und Julia II 6 , von Schopenhauer im Text englisch und in der
Note deutsch gegeben) liefert nebenbei wieder einen Beleg für die oben S. 134 bemerkte
genaue Kenntnis dieser Dinge durch Shakespeare und seine Zeit — Blei ist in der Astrologie
stets das charakteristische Metall des Saturn gewesen.

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