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RdfjjionsgerdMtW Dolfebudjer

für die deutle djrifllidje ©egcnmart


Begründet non ^riedrid) lüidjaei Cdiiele

Reibe
t&) Paulus CEO
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William Wrede

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Sweite Ruflage
11.-20. taufend
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|^eligionsgefd)icbtlid)e Volks=
büdjer für die öeutfdje djriftlidje
Gegenwart. I. Reilje, 5./6. ßeft. ozo ozo
629 «29 ßerausgegeben von Cic. ttjeol.
Srieöridj (Didjael Sdjieie.Tübingen
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Tübingen 1907. Verlag von J. C. ß. ODo^r (Paul Siebeck)


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Fublisbed Februar 25, 1907.
Privilege of Copyright in the United States reserved ander the Act
approved March 3, 1905 by J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen.

Alle Rechte, einschliesslich des Uebersetzungsrechts, vorbehalten.

Drutft von 6ebouer'S<tweti<bke in Bolle a. S.


William Wrede
3ur gweiten Auflage von Wredes „Paulus"

Vor einem Jahr fd)on hörte man, Wreöes „Paulus“


errege ein derartiges Intercffe, öafj in Bälde trob der
ftarken erften Auflage fid} die flotwendigkeit einer gwei=
ten herausftellen würde, niemand ahnte damals, da^
noch fchneller der allgu rafd) eilende Cod den Verfaffer
vorher aus unfrer (Ditte reifen, bafg es ihm nur eben
noch vergönnt fein follte, die Korrektur der gweiten Aufs
läge gu lefen unb ihr ein kurges Vorwort — vier Wo=
djen vor feinem Code — voranguftellen. Die vielen alten
und neuen Cefer des „paulus“ aber haben ein Recht ba=
rauf, je$t bei dem Crfcheinen ber gweiten Auflage etwas
von dem (Banne gu hören, der fo klar, fo gewaltig und
ernft in diefem Beft gu ihnen rebet. (Dir, ber ich einft
einem jugendlichen Greife gleichftrebenber Sreunde anges
hörte, deffen Seele der nunmehr verftorbene Sreund war,
erfchien es als eine einfache pflicht, mich her Aufforber*
ung, bem Verdorbenen biefen letgten Sreunbesbienft gu
leiften, nicht gu entgiehen.
William Wrebe würbe am 10 (Dai 1859 in Bücken
(Proving Bannover) geboren, flach Vollendung feines
theologifchen Studienganges war er gwei Jahre (1884
bis 86) Infpektor des theologifchen Stiftes in Göttingen,
3*
dann Prediger in Cangenbolgen b. Alfeld vom Januar 1887
bis Dovember 1889. Crft verbältntsmäfrig fpät entfd)lob
er fid), das pfarramt aufgugeben unb fid) her wiffen»
fd)aftlid)en tbeologifcben Caufbabn 3U widmen. Er er»
warb die Cicentiatenwürde mit einer Differtation „Unter»
fud)ungen gum erften fxlemens»Brief“ und habilitierte fid)
in Göttingen am 7. (T)Ür3 1891 für das Sdd) des neuen
Ceftaments, würbe 1892 als aufjerorbentlicber profeffor
nad) Breslau berufen unb ebenbort 1895 ordentlicher Pro»
feffor, fowie Ceiter der neuteftamentlid)en Abteilung des
evangelifd)=tbeologifcben Seminars. Die theologifd)e Sa=
kultät in Böttingen verlieb ihm den tbeologifcben unb
bie Greifswalder pbilofopbifcbe Fakultät im leisten Jabr
feines Cebens den pbilofophifd)en Ehrendoktor. In fei»
ner Stellung in Breslau blieb Wrebe bis 3U feinem
Enbe. Aufjer feiner Differtation, bem „Paulus“ (1905)
unb einigen kleinen Auffä^en fd)rieb er „über Aufgabe
unb (Detbobe der fogenannten neuteftamentlicben Cbeo»
logie“ (1897), bas (Deffiasgebeimnis in ben Evangelien
(1901), bie €d)tbeit des gweiten Cbeffalonid)erbriefes
(1903), Charakter und Cenbeng bes Jobannesevange»
liums (1903), bas literarifd)e Rätfel bes Bebräerbriefes
(1906). Dod) während bes Abfd)luffes feiner leisten Ar»
beit, mitten in einer vielfeitigen Tätigkeit überrafd)te ibn
im Sommer 1906 eine heimtüchifche Krankheit, unb nach'
bem es guerft gefd)ienen, als würbe er fie leicht überwin»
den, erlag er ihr am 23. Dovember 1906.
In der Gedächtnisrede an feinem Sarge (26. Do»
vember) bat Profejfor D. Rarl (Düller=Cübingen eine
aufjerordentlid) feine und erfd)öpfende Cbarakteriftik von
der Perfönlid)keit bes allgu früh Bingefd)iebenen ge=
geben. Id) möchte mir bie Aufgabe ftellen, ben Cefern
feines Paulus in feine wiffenfd)aftlid)e unb lite»
rarifd)e Eigenart unb Bebeutung einen Einblick
3U verfd)affen.
Das war ber Gefamteinbrudr, ben man aus Wrebes
Arbeiten immer von neuem erhielt: wir ftanben hier vor
einer eigenartigen perfönlid)heit, bie eignen Boben unter
ben Süfren batte unb felbftanbig ihre Wege gu geben
verftanb. Cr batte einen Widerwillen dagegen, fid) in
4*
ausgefallenen Geleifen gu bewegen, er war immer mifc
trauifd) gegen vermeintlich allgemein anerkannte Wahr«
beiten unb Dogmen, die fid), ohne dajg fie begründet wa=
ren, in feine Wiffenfchaft eingufchleicben drohten. Er hielt
fich nicht der CDübe für überhoben, da von neuem die
Sunbamente nadjguprüfen, wo die meiften fröhlich weiter«
bauten; er batte Öen (Dut von vorne angufangen. -
Denn er war eine fchwere, grüblerifche, im beften Sinne
des Worts eine echt niederfächfifche Dafür. Er wurde
nicht leicht fertig und fdjlofj nicht gerne ab. Cangfam
reiften denn auch öie Srüchte feiner Arbeit. 3wifd)en fei«
ner Differtation unb feinem großen Werk über bas
(Deffiasgeheimnis, bas guerft feinen Dam^n weithin be=
kannt machte, liegen volle gehn Jahre! Erft in ben leh«
ten Jahren feines Cebens würbe feine probuktion flüf«
figer, unb von ben gereiften Srüd)ten langjähriger Ar«
beit durfte er eine nach ber andern pflücken.
Was fo in harter Arbeit geworben war, bas wirkte
auch- (Dehrere feiner Schriften waren ein Ereignis für
bie theologifche Welt. Ob er in feiner Arbeit über Auf«
gäbe unb (Detbobe ber fogenannten neuteftamentlichen
Theologie gu Selbe gog gegen eine allgu kleinliche, gweck«
los vielgefchäftige, alles wiffenwollenbe, unter dem Slud)
der Vollftänbigkeit leidende Art der Arbeit und für grö«
fjeren Stil und energifcheres Dringen auf die ßauptfache
eintrat, ob er im „(Deffiasgeheimnis“ bas grofee Srage«
geichen hinter bem meffianifchen Selbftbewufjtfein Jefu
machte unb bem Durcbfchnitt ber Sorfcher, bie ber (Dein«
ung waren, fich in her Evangelien« unb Ceben=Jefu«Sorfch=
ung wie auf einem bequemen unb glatten parkett«Sufe=
boben bewegen gu können, bie gange Unficberbeit ber
Ueberlieferung unb bie Pflicht ängftlicber unb bebutfa«
mer Verficht wieber einfd)ärfte, ob er in feinem Volks«
buch energifcher unb umfaffenber als alle vor ihm, bas
grofee Problem „Jefus ober Paulus“ aufrollte, — feine
Schriften wirkten. Dur wenige ftimmten bem einfam,
abfeits von ben Schlagworten ber Parteien Wanbelnben
unbebingt gu, fehr viele ärgerten fich an ihm, aber alle
fühlten, bafj man an biefen Eeiftungen nicht vorbeigeben
dürfe. Und auch die Widerfprechenden faijen fich in der

5*
Auseinanberfetjung mit ihm jeber Seit gefördert.
Was ibn 311 biefer großen Wirkung befähigte, war
vor allem eine fehr glückliche Vereinigung eines auf bas
Ganje unb Grofee gerichteten Geiftes mit einer liebe=
vollen unb grünblichen Versenkung in bas Ginjelne. Um
fruchtbarer Gelehrfamkeit ijt er ftets aus bem Wege ge»
gangen, unb niemals hat er in feinen Arbeiten überflüp
figen Ballaft gehäuft. Ihm war es immer um wirkliche
fragen unb Probleme 3U tun, er verlor nie bas Ganje
aus ben Rügen und ben Sinn für bie großen Cinien.
Unb bod) war er auch niemals ein Draufgänger, ber
fich um Kleinigkeiten nicht kümmerte, ober ein Stürmer,
ber feines eignen Weges gebt, anbrer CDeinungen nicht
achtend. Rus einer CDenge von €injelbeobad)tungen
ergaben fid) ihm bei feiner Rrbeit allmählich bie Cinien
ber neuen Cöfungen alter Sragen; er batte bie Gebulb unb
3äl)igheit, fein Objekt von allen Seiten anjufeben unb
immer von neuem bie eigene CDeinung in ber Ruseim
anberfetjung mit fremben ju prüfen. Unb bann drang
er jum Ganjen jurück und wufjte mit hünftlerifcher Sä=
higkeit bie Ginjelheiten ineinanber unb aneinanber 51t
fügen unb bem Ganjen der Beweisführung jene faft
fascinierenbe Rraft unb Sicherheit ju geben, bie auch ber
Gegner wiber Willen bewundern mufjte. Unb babei war
Wrebe ein CDeifter ber Befcbränkung. Gr blieb in allen
feinen Arbeiten auf feinem eigenften Gebiet. Dies 6e=
biet war vergleichungsweife eng unb begrenjt. Gr hat
ben mehr unb mehr in bie Weite gehenben Rrbeiten
religionsvergleichenber Rrt mit Sympathie gegenüber ge=
ftanben, von dorther manche Anregung genommen unb
dorthin auch manche Anregung im allgemeinen gegeben,
aber hat fich aktiv daran nicht beteiligt. Gr blieb auf
feinem eigenften Gebiet, aber er burdpnafj es nad) allen
Seiten unb jeigte immer von neuem, wieviel (Döglid)=
keiten unb offene fragen es hier trofj taufenbfältiger
Durcharbeitung noch gebe. So bejeugten denn auch bie
Gegner, felbft bie, welche fich burd) feine kühnen Ge-
banhengänge auf bas tieffte verletjt fühlen mußten, faft
ohne Ausnahme ihren Refpekt vor bem Crnft unb ber
Gewiffenhaftigkeit feiner Sorfchungen.
6*
Im Grunde ftanb auch hier hinter ben Völligen und
der Gigenart bes Gelehrten bie fittlidje Persönlichkeit.
Wrebe war eine Persönlichkeit mit ausgesprochenem Sinn
für unbeftedjliche Wahrhaftigkeit. In einem prächtigen
kleinen Vortrag, ben er im hannoverfcben prebigerverein
als junger Prediger gehalten, („der Prediger und {eine
Suhörer“) Sprach er das fchöne Wort: „Selig aber find,
die keine Phrafen machen, denn Jie werden verftanben
werden.“ Der Phrafe ift er Seit feines Gebens abhold
gewefen. Gr übte h'er bie peinlichste Sauberkeit. Die«
mals verfud)te er fich unb anbere burd) Worte über vor»
hanbene Schwierigkeiten hmwegsutäufchen. Gr ging im«
mer ben Dingen auf ben Grunb. Auf biefem folgen
Gefühl für Wahrhaftigkeit beruhte es, wenn er eine
Gabe, bie bem ßiftoriker unentbehrlich ift, vor allem be=
fafo: bie Dinge und perfonen fich gleichfam vom Ceibe
3U halten unb wieberum felbft mit feinen (Deinungen, An«
liegen unb ßerjenswünfchen von ben Gefchehniffen unb
Gröben ber Vergangenheit fern3ubleiben. (Dandje haben
bas vielleicht für all3u grofoe Rühle unb Unintereffiert«
heit genommen. Das war es nicht; bie ihn näher kann«
ten, wufoten es. Gs war vielmehr bie bemütige Reufdy
heit unb Befcbeibenheit bes Sorfchers, bem nur an ber
Sache lag unb nid)t an ber eignen Perfon, unb ber fich
ftänbig fürchtete, ber Sache gu (djaben, wenn er mit 3U
heifjem ßersen unb 3U unmittelbarer perfönlicher Anteil«
nähme arbeitete. Unb biefe auf ftarker Gelbsucht be«
ruhende Surückhaltung befähigte ihn in Seltenem (Dafoe,
ben Dingen auf ben Grunb 3U fehen unb ben Schleier
eignen Vorurteils unb geheimer Wünfd)e, ber Jo oft fich
über fie lagert, möglichst 3U befeitigen.
(Dit allebem war Wrebe allerbings eine ihrer gan3en
Gigenart nad) vorwiegend kritische Dafür. (Dit feinem
Scharfen Auge {ah er vor allem die Sprünge, Unftimmig«
keiten und Unvollkommenheiten in bem Aufrifo ber bis«
foerigen Arbeiten. Gr fühlte es als feine Aufgabe, bar«
auf aufmerksam 3U madjen, Schutt weg3uräumen, alte
Scheinbar gan3 gefeftigte (Deinungen 3U ftür3en. Viel«
leicht bafo er im berechtigten Gegenfafo bie Sehler unb
Unvollkommenheiten hier un& ba Stärker empfanb, als
r
fie waren, jedenfalls bat er aud) da, wo er über bas
Siel binausging, heilfam, ernüchternd gewirkt und viel»
fad) 3U erneuter Selbftprüfung geswungen.
Unb weiter h<ng mit biefer Eigenart 3u[ammen, dafj
feine Arbeiten unb Schriften 3um Ceil wenigftens gleich»
fam Fragmente blieben. 3u viel alter Schutt unb 3U
viel ßinberniffe waren wegsuräumen, als bafj ber Heu»
bau hätte gleich vollenbet bafteben können, 3U eigenartig,
neu unb mühfam waren bie Wege, die er ging, als bafj
er fie gleich bis 3U Ende hätte burd)meffen können. Am
deutlidjften war bas bei feinem großen Werk über bas
CDeffiasgebeimnis. Es endet mit einem großen Srage»
3eid)en.föat jefus fid) für ben CDeffias gehalten ober
nid)t? Wrebe neigt ber Verneinung biefer Srage 3U, aber
er ift viel 3U vorfid)tig unb gewiffenbaft, bas Dein aus»
3ufpred)en. Hoch hat er nicht alle CDöglid)keiten er»
wogen, noch nicht bas weite Gebiet ber Ueberlieferung
ber Berrenworte burd)forfd)t — was er burd)forfd)en
nennt. Er bleibt auf halbem Wege fteben. Dun feht ihr
felbft 3u; aber 3U welchem Refultat ihr aud) kommt, an
ben von mir aufgeworfenen Sragen unb Ueberlegungen
kommt ihr nid)t mehr vorbei!
Unb fo bat aud) bie vorliegenbe Arbeit Wrebes,
bie id) für bie fd)önfte unb reiffte Srud)t [eines Cebens
halte, unb bie in ihrer bie Dinge durchdringenden Rraft,
ber Seinheit ber Beobachtungen, ber Schönheit bes Auf»
baus ein echtes kleines Runftwerk ift, bod) in ihrem Sd)lufj»
abfd)nitt einen fragmentartigen Charakter. Sie enbet mit
ber großen Srage: jefus oder Paulus? Wredes Eigen»
art entfprad) es, wenn er fo fd)arf wie niemand vor ihm
hier das Entweder — Ober ftellte; er tat, was feines
Amtes war, wenn er die Gegenfätje in ihrer gansen
Schärfe fid)tbar mad)te. Aber feine Betrachtung bleibt
ein Fragment, bas ergäbt werben mufj, benn ohne eine
fold)e Ergötzung würbe die Gefd)id)te bes Urd)riftentums
ein Rätfel. Es führen unftreitig mehr Cinien von jejus
3U Paulus hinüber, als Wrebe fah- Aber leid)t hat
Wrebe uns bie Cöjung nid)t gemacht, unb gegenüber
fo manchen voreiligen ßarmonifierungsverfud)en würbe
er lächelnd ben 13opf fd)ütteln: Glaubt ihr wirklich, bafj
8*
id) mir bas, was ihr vorbringt, nicht fchon lange felbft
gejagt hatte ? Wer an Wredes Einwänden und Be=
denken vorbei will, entfernt fich von der Wahrheit,
wem es aber gelungen fein wirb, fie gu überwinden ober
auf ihr richtiges (Dafj gurückguführen, ber wirb näher
bei ber Wahrheit fein. Unb ber ßeimgegangene fetbft
würbe ber erfte fein, ber fich über ein foldjes Weiter*
arbeiten über ibn hinaus von ßergen freuen würbe, ßat
er bod) fein Werk mit bem fcbönen Satj befd)loffen:
„Doch bie mancherlei ernften Sragen, die fich angeficbts
unferer Darftellung er het>en» muffen der eigenen Er*
wägung des Cefers anheimgegeben werben.“
Und damit hat er aud) fd>on bie Srage, bie allgu
ängftlidje Gemüter an biefem Punkt erheben unb erho*
ben bQben, beantwortet. War es benn recht, bafe eine
Darftellung bes Paulus, bie mit einem Problem unb
einem großen Sragegeichen enbet, weiteren Greifen von
Caien in bie ßanb gegeben würbe? Wir antworten
kühnlich mit einem Ja. In einem 3eitalter, in welchem
auf keinem Gebiet bie geiftigen Kämpfe, Strömungen
unb Gegenffrömungen im kleinen Greife, in ber Gelehr*
tenftube ve.-fcbloffen bleiben, darf die Theologie nicht
warten und fich mit fieben (Dauern umgeben, bis fie
vermeintlich fertige Refultate von unumftöfelicher Gewifr
heit aufguweifen hat- Sie mufg fich nad) aufgen geigen
unb barftellen, fo wie fie ift unb wie fie bleiben wirb, fo
lange fie Wiffenfd)aft bleibt, im Strome bes Werbens,
mit allen Unfertigkeiten, im Ringen unb Streiten. Je
deutlicher unb unverhüilter fie bas tut, um fo mehr gerade
wirb ber £aie bewahrt bleiben, bas was fie bietet, als
geprägte, für alle 3eif geltende Wahrheit bmgunehmen,
befto mehr fich von ihr leiten laffen gu felbftänbigem
Dachbenhen, Sragen und Sorfdgen. Diefen Dienft möge
von neuem bie Arbeit bes ßeimgegangenen, bie nun im
gweiten 3ehntaufenb ausgeht, vielen beutfchen CDännern
unb Srauen erweifen.
Wir aber gebenken noch einmal bes gefchiebenen
Sreunbes unb beklagen ben allgu frühen Abbruch feines
Cebenswerkes. Er würbe freilich, auch wenn ihm eine
längere Cebensgeit befdgieben gewefen wäre, feiner Ei*
9*
genart treu geblieben und manches neue 5ragejeid)en in
der tl)eologifd)en Arbeit aufgerid)tet hQben- Aber wie
manche angefangene Cinie f^ätte er mit feinem feinen
Stift ju Ende jieijen können, wie manche neue Anreg
gung und Förderung hätten wir von ihm ju erwarten
gehabt. Id? wü^te nicht, wer ibn in feiner Eigenart uns
erfe^en könnte, Dod) überwiegt die Wermut der Dank.
Ift die Arbeit feines Cebens in der (Ditte abgebrochen,
die Perföniid)keit, bie mel)r ift als bas etnjelne Werk,
batte Seit jid) ausgugeftalten unb ju vollenben, fie tritt
uns als bas bleibend Wertvolle, das wir in der Er»
innerung bankbar feftbalten, in feinen Arbeiten lebenbig
vor Augen.
Göttingen Wilhelm Bou ff et

10*
Vorwort
Die folgende Darstellung beabsichtigt nicht eine
Cebensgefcbicbte des Paulus 3U geben, fonbern feine
Perfönlicbkeit, Wirkfamkeit, Religion und gefcbicbtiicbe
Bedeutung ju charakterisieren. Vollständigkeit konnte
fie bei bem Reichtum bes Stoffes nicht erftreben, fie
mufcte ficb begnügen, bas Wefentliche bervorgubeben.
(Dancberlei Crgänsungen werben bem £efer andere
Sette der „Religionsgefcbicbtlicben Volksbücher“ bieten,
insbesondere bas von Vifeber über hie Paulusbriefe und bas
von v. Dobfcbütj über bas Rpoftolifcbe Seitalter unb bas
von Jülicher über Jefus unb Paulus.
Sine befonbere Schwierigkeit bereitet einer gemein*
verftänblicben Darftellung bie paulinifebe Theologie. Die
Runjt, von ihr einen wirklichen Begriff 3U geben, ohne
auf fie einsugeben, ift leiber noch nicht erfunden. Ich
konnte mich nicht entfcbliefeen, fie kurs absutun, ba in
ihr 3um großen Teil bie gefcbicbtiiche Bedeutung des
Paulus liegt, habe mich jedoch bemüht, fie fo faßlich
unb überfichtlicb wie möglich 3U befebreiben. Wer bas
Kapitel nur mit Auswahl lefen möchte, fei in erfter Cinie
auf bie Abfcbnitte .Grundlinien der Cbriftuslebre“, „bie
11*
Erlöfungslebre“ und „die Entftebung der Cebre“ bin»
gewiefen.
Den Beweis für meine Auffaffung der paulinifcben
Cebre, die manchen fremdartig berühren mag, konnte
ich in dem engen Rahmen diejer Schrift natürlich nur
in großen 3ügen führen. Diejenigen Cefer jedoch, die fich
eingebender mit ben Sragen befdjäftigen möchten, finden
in einem Anhang wenigstens eine Auswahl von Beleg»
Stellen nebft einigen Erläuterungen; ebenfo 3U ben
übrigen Abfdmitten. Die 3iffern im "texte verweifen
auf bieje Anmerkungen. Sür bie 3itate finb bie üblichen
Abkürjungen gebraucht. Bemerkt fei nur, bafj A6 =
Apoftelgefcbichte ift. Auf 5. 15* ift auch einige Citeratur
über Paulus genannt.
Wer bie Briefe bes Paulus sugleich mit der vor«
liegenden Schrift lefen will, möge jedenfalls eine moderne
Verdeutschung gur Band nehmen, am beften bie, welche
Weisjäcker in feiner Überfetjung bes Denen teftaments
gegeben bat. (Billige Ausgabe cart. 1,50 (D.)

Breslau, 5. De3ember 1904.

W. Wrede.
Sur 2. Auflage.
Durchgreifende Veränderungen bat bie Schrift in
ber vorliegenden 2. Auflage nicht erfahren. Doch habe
ich bei ber Durchficht Unebenheiten getilgt unb einjelne
Sebler verbeffert.

Breslau, 25. Oktober 1906.

w.
12*
Inbaltsver3eicbnis.
Seite
Cinleitung: Quellen....................................................... 1
I. Kapitel: Die Persönlichkeit . 5
1. Jugenb. Bekehrung................................... 6
2. ßrunbjüge bes religiösen Charakters......... 11
3. (Denfchlicb.Sittlicbe Inbivibualität ......... 20
II. Kapitel: Das Lebenswerk.............................................. 28
1. Die CDiHion unb bas (DifSionsverfahren.. 28
2. Die ßemeinbepflege...................................... 37
3. Der Kampf um bas Werk........................... 40
III. Kapitel: Die Theologie................................................. 47
1. Paulus als Cbeologe...................................... 47
2. Darstellung her Cebre .......... ....................... 62
R. ChriStus unb die Crlöfung von ben (Dächten ber
gegenwärtigen Welt........................... 53
a. ßrunblinien ber CbriStuslehre...................53
b. Die Crlöfungslebre................................. 56
1. Das Clenb ber (Denjchheit vor ChriStus
unb ohne ChriStus............................ 56
2. Der Cob unb bie Auferweckung Christi
als bie (Dittel berCrlöfung............... 59
3. Der Ertrag ber Crlöfung....................61
4. Rückblick auf bieCrlöfungslehre . . 65
C. Wichtige befonbere Anfcbauungen in ihrem
ßujammenbange mit ber Crlöjungslebre 68

13*
Seite
B. Der ßegenfa^ gegen öas Judentum: ßefetj unö
ßlaube, Werke unö ßnaöe........................... 72
a. (Dotive unö 3iele öer Rampfeslebre . . 73
b. ßrunölinien öer Rampfeslebre felbft . . 75
3. Die Cntftebung öer Cebre...................................... 79
A. Das jüöifcbe Erbe ............................. 80
B. Die Cntftebung öer „cbriftlicben“ Anjdxiuungen . 82
IV. Kapitel: Die Stellung des Paulus in der Geschichte
des entstehenden Christentums .......... .................. 89
1. Paulus unö öie vorangebenöe Cntwicklung (Jefus,
Urgemeinöe)............................... 89
2. Die Wirkung öes Paulus auf feine Seit ..... 97
Scblufj: Die weltgeschichtliche Beöeutung öes Paulus . . .101
Anhang: Anmerkungen unö Citeraturangaben.................... 107

14*

i
Literatur.
Gemeinverständliche Schriften über Paulus im eigentlichen
Sinne sind: Wernle, Paulus als Heidenmissionar 1899 (Vor­
trag); Weinei, Paulus, der Mensch und sein Werk: die An­
fänge des Christentums, der Kirche und des Dogmas 1904;
von demselben auch das Schriftchen Paulus als Organisator
1899. Eine kurze Skizze: Bousset, Der Apostel Paulus 1898.
Ebenfalls für einen weiteren Leserkreis bestimmt, aber
mehr wissenschaftlichen Charakters sind Hausraths Bio­
graphie: Der Apostel Paulus 2. Aufl. 1872 und der zweite, in
sich abgeschlossene Band von Clemen, Paulus, sein Leben
und Wirken 1904.
Außer diesen Schriften nennen wir nur noch solche
wissenschaftliche Werke, in denen das eigentlich Gelehrte aus­
geschieden ist, oder die doch im Wesentlichen nach der Art
ihrer Darstellung auch gebildeten, aber des Griechischen nicht
mächtigen Nichttheologen zugänglich sind. Hier kommt zu­
nächst Renans Paulus (deutsch 1869) in Betracht, daneben
große Abschnitte in folgenden Werken: Weizsäcker, Das
Apostolische Zeitalter 2. Aufl. 1892 (Über die Theologie, die
Mission und die Gemeindegründungen des Paulus), Pf leiderer,
Das Urchristentum, seine Schriften und Lehren 2. Aufl. 1902,
I. Band (Persönlichkeit, Briefe, Theologie), Wernle, Die An­
fänge unserer Religion 2. Aufl. 1904 (besonders Theologie).
Die unzähligen und zum Teil sehr wichtigen Spezialunter­
suchungen müssen von dieser Übersicht ausgeschlossen
bleiben.

23

15*
Quellen.
In ber 3eit bes werbenden Cbriftentums ift Paulus
die beutlicbfte, ja in gewißem Sinne die einjig deutliche
Geftalt. Pach feinem Lobe folgt eine lange Periode,
aus der auch nicht ein Cbrift, gefchweige ein bedeutender,
greifbar vor uns ftebt. Wie fcbattenbaft bleiben uns
bie unmittelbaren Schüler Jefu, fogar ein Petrus! Allein
auch Jefus felbft ift unferm Auge weit fcbwerer ju«
gänglicb als fein größter Apoftel. Hur wie durch
wallenden Hebel feben wir fein Bild: Vieles gänslicb
bedeckt, Anderes leichter umhüllt; Anderes freilich auch
offen - ber Hebel serreißt.
Von Jefus seugen uns nur fpätere unb nicht von
Augengeugen verfaßte Berichte; über bas Quantum
treuer Runbe, bas fie unsweifelbaft enthalten, haben
fich ftarke Schichten legenbarifcber Ausfchmückungen unb
vom Glauben ber fpäteren Gemeinbe eingegebener Ge*
fcbicbtsbilbungen gelagert; nur nach einer mübfamen
unb von sahlreichen Unficherbeiten umbrobten Ausfcbek
bungsarbeit kann es gelingen, bem Rerne nabesm
kommen. Von Paulus befißen wir im wahren Sinne
„Urkunben“, fo autbentifcb wie irgenb ein anbres Do
hument, bas ber Gefcbicbte felber entftammt, für bie es
Seugt: in feinen Briefen vernehmen wir noch beute
Wrebe, Paulus,
1
feine eigene Stimme, unverfcbleiert, frei von allen Debetu
tönen, ohne eine andere CDübe als bie ber Deutung.
Rueb biefe Quellen geben uns gewife längft nicht
alles, was wir wünfeben möchten. Ruf ben Cebensgang
unb bie Scbickfale bes CDannes laffen fie nur bie unb
ba ein Dicht fallen, unb manchmal nur ein fpärlicbes.
Rber fie geben uns bas, was gerade bei einem beiden der
Religionsgefcbicbte das (Deifte bedeutet: fie seigen uns
doch reebt viel von feinem geiftigen Silbe - unb eben alles
nicht unficber abgefpiegelt in einem fremden Seifte,
fondern lebenstreu, wie es war, unb 3ugleicb bis ins
Innerfte unb Cieffte hinein. Rufs lebenbigfte führen
fie uns in bie (Diffionsarbeit, bie fein Cagewerk aus^
füllt; bas religiöfe Denken bes Rpoftels ftellen fie uns,
wenn auch nur in Brucbftücken unb Rusfcbnitten, bocb
febr vielfeitig unb ebarakteriftifeb vor Rügen, endlich
3eicbnen fie bas Bilb bes (Denfcben unb Cbriften Paulus,
ohne es jeiebnen ju wollen.
Dreisebn Briefe find uns unter dem Damen des
Paulus überliefert. Der folgenden Darftellung liegt die
Rnficbt 3U Gründe, bafj acht von ihnen wirklich von paulus
berrübren, nämlich: ber 1. Cbeffalonicberbrief, ber Sa»
laterbrief, bie 3wei Briefe an bie Korinther, ber Römer
brief, ber Rolofferbrief nebft bem Briefeben an pbü
lemon unb ber pbilipperbrief. Beim 2. Cbeffalonicber
brief fpreeben gegen ben paulinifeben Orfprung febr
febwere, beim Cpbeferbrief noch febwerere Bedenken, bie
febwerften bei ben fog. paftoralbriefen (an Cimotbeus
und Citus). Diefe fünf Briefe halten wir, ohne hier in
einen Beweis eintreten 3U können, mit einer großen
3abl von Kritikern für untergefeboben *). Der koloffer
brief dagegen, ben man ihnen vielfach beigefellt bat,
läfjt ficb mit guten Gründen als echtes Scbriftftück ver
teidigen. Ob ein Brief mehr ober weniger echt ober
unecht ift, ift übrigens von geringem Belang. Dur bie
Echtheit ber paftoralbriefe würbe bas Bilb bes Paulus
wefentlicb veränbern.
Die in Bolland verbreitete, vereinselt auch in
Deutfcbland laut geworbene Rnficbt, {amtliche Paulus
briefe gehörten in eine fpätere 3eit, können wir nur als

2
eine fcbwere Verirrung ber Kritik betrachten. Briefe
wie ber 1. Cbeffalonicber», öer Galater», ber 2. Korinther»
brief weifen in hundert Angaben und Anfpielungen mit
aller Beftimmtbeit auf Verbältniffe, wie fie eben nur
wenige Jabrjehnte nach Jefu Tode denkbar find. Und
der Sälfcber follte noch geboren werden, der es verbände,
fo abfichtslofe, individuelle, rein perfönlicbe und aus dem
(Doment geborene Äußerungen, wie fie ficb hier in Sülle
finden, ju erfinnen und babei obendrein in der Gefamt«
beit der Briefe eine gefcbloffene, originale perfönlicbkeit
als Verfaffer vorgutäufcben.
Alle echten Briefe fallen in bie leiste Cebensperiobe
bes Paulus: kaum ein Jahrzehnt trennt ben frübften
vom fpäteften. Cs ift $u bedauern, baß bie Abftänbe
nicht größer find, oder baß folcbe Selbftjeugniffe nicht
auch aus ber Srübjeit feines Cbriftentums ju Gebote
fteben. Wie anders könnten wir bann bie Entwicklung
des Paulus meffen! Das vorhandene (Daterial fagt uns
vom werbenden Cbriften und Denker recht wenig.
Im übrigen ift es von siemlicber (Dannigfaltigkeit.
Sehr perfönlicbe Briefe neben ftark unperjönlicben;
Briefe an unbekannte und an bekannte Gemeinden.
Bier überwiegen bie fragen bes Gemeinbelebens, ba
bie lehrhafte Auseinanderfeßung ober bie polemik, bort
bie Behandlung befonderer Erlebniffe unb individueller
Bejiebungen.
Die Briefe finden eine Ergänsung — abgefehen
von vereinselten Traditionen bie einsige! — in ber
Apoftelgefcbicbte. Dem Verfaffer biefes Buches ift
bie fcbarfe pbvfiognomie bes Paulus freilich fcbon ftark
verblaßt. Sie bat dem allgemeinen Apoftelantliß plaß
gemacht, das in ber gleichen Schrift auch Petrus jeigt.
Die Reden, bie Paulus hält, bat ber Verfaffer nach
antikem Biftoriherbraucbe feinem Beiden nur geliehen,
wirklich gehaltene Predigten find es nicht; und in ber
Gefcbicbtsbarftellung fehlt es nicht an ftarken Anftößen
im Einjelnen wie im Ganjen. Croßbem ift ber Wert
ber Darftellung bedeutend. Der Verfaffer bat gerade
für bie Gefchicbte bes Paulus treffliches Quellenmaterial
befeffen unb es mehr ober weniger in fein Werk auf»

1*3
genommen. (Dinbeftens in einigen Stücken2) redet recht
eigentlich ein persönlicher Bekannter unö Reijebegleiter
des Paulus. Ohne biejes Buch hätten wir jedenfalls
keinen Saöen für den Gang ber paulinijchen (Biffion,
wenigftens ber Späteren. Cs liefert aber auch manches
fcbätjbare Detail für bie Arbeit wie für die Crlebniffe
des Apoftels, und es jeigt uns fogar gewijfe Seiten
feines Wirkens, die uns die Briefe nicht genügend er«
kennen latfen.

4
I. Kapitel.
Die perfönlicbheit.

1. Jugend. Bekehrung.
*)
Paulus entflammte, wie er felbft gelegentlich
bervorbebt, einer echt jüdifchen Familie; die fogiale
Schicht, der fie angebörte, dürfen wir nicht hoch, aber
auch nicht allju niedrig denken. Seine ßeimat war
Carfus, die Bauptftadt Ciliciens, und fie bliebe es felbft
dann, wenn als fein Geburtsort nach einer im 4. Jahrhundert
bei Kieronymus auftaucbenben Überlieferung das gali«
laeifcbe Städtchen 6is±ala 3U gelten hätte. Denn umfonft
wird er in der Rpoftelgefcbicbte nicht „der Garfer“
beiden.
Garfus war eine grofje, wefentlich belleniftifcbe
Stadt, und nicht nur ein provinjiales Sentrum, fondern
eine Stadt von kultureller Bedeutung, insbefondere ein
Sitj der ftoifchen pbilofopbie. Gin befonderer Ginflufj
griecbifcber Bilbungselemente ift damit indeffen für Paulus

*) Neben diesem griechischen (eig. lateinischen) Namen


führte er den jüdischen Namen Saul. Derartige im Klange
mehr oder weniger ähnliche Doppelnamen waren damals nicht
selten.

5
noch nicht verbürgt. Im Jubenviertel oller Grofeftäbte
gab es Säufer genug, deren orthodoxe Atmofpbäre ber
umgebenden griecbijcben Cuft den 3utritt verfperrte; unb
wenn Paulus (leb dem Jubentume ftrengfter Obfervanj,
bem pbarifäismus, 3uwanbte, wenn er 3um Rabbi be»
ftimmt war, fo läfet dies auf ein Elternhaus fcbliefeen,
bas von bem auflöfenben, erweichenden Geifte ber allge«
meinen Kultur, ber allerbings 3abllofe Juden ber Dia»
fpora ergriffen batte, nur wenig berührt war.
Dennoch war es nichts weniger als bedeutungslos,
bafe er in belleniftifcber Umgebung aufwuebs. Sie bat
ihm fieber Vieles gegeben, was ibn fpäter befähigte,
„den Griechen ein Grieche“ 3U werben. Vor allem lernte
er febon in früher Jugenb bie griechische Sprache be«
berrfeben unb bie grieebifebe Bibel lefen. Die Sprache
aber ift niemals etwas blofe Sormales, fonbern unver»
merkt bie Trägerin unb Vermittlerin von Ideen. Sodann
war es nichts Geringes, bafe er grieebifebe Rrt unb
Denkweife aus ber Höbe fab; mochte er ficb innerlich
auch dagegen abfcbliefcen, diefe Eindrücke konnten doch
fpäter Bedeutung gewinnen. Serner batte hoch auch bas
echte, ftrenge Jubentum ber Diafpora längft gewiffe grie=
ebifdoe Begriffe unb Rnfcbauungen in ficb aufgenommen,
bie gar nicht mehr als grieebifeb empfunden würben. Die
Briefe des paulus enthalten Derartiges1) unb damit 3eug»
nijfe für den indirekten grieebifeben Einfluß - über bas Wie
*
viel benkt man verfebieben. Endlich gibt es hoch auch Rn»
3eicben einer gewiffen Schulung, die auf biefen Boben
binweifen. Eine Kenntnis eigentlich pbilofopbifcber 6e»
banken swar verrät ficb nirgends, unb wenn Paulus
einmal ein Dicbterwort
*) benutjt, fo tut er etwas, was
mancher tut, ber von Literatur nichts weife und keine
Bibliothek befifet. Bemerkenswert ift jeboch feine Schreib»
weife. Bei all ihrer Schwerflüffigkeit unb handgreiflichen
Inkorrektheit geigt fie manchmal einen Sinn für rheto=
rifebe Geftaltung, namentlich für rbythmijebe Gliederung
unb Rundung ber Säfee, wie er ohne ftilijtifebe Unter»

*) Der Spruch 1. Kor. 15, 33: „Die Sitte gut verderbet


schlecht Gespräch“ steht bei dem Komödiendichter Menander.

6
weifung unö Übung fcbwer erlangt wirb. (Ban vergegen«
wärtige fich nur Öen Rufbau öes ein3ig fchönen bymnus
auf die Ciebe2).
In öer Bauptfacbe bleibt aber öie Bildung Öes
Paulus öie Bildung des Rabbinen. €r bat fie an der
Quelle gefucbt; denn er ging nach Jerufalem. Die
Apoftelgefcbicbte macht ibn jum Schüler öes gefeierten
Rabbi ßamaliel8). (Ban bat Öie D0H3 angesweifelt,
wohl mit Unrecht. Sei fie aber wahr oöer falfcb: öie
Catfadae, Öafj Paulus durch öie rabbinifcbe Schule ge­
gangen ift, ftebt feft aus feinen Briefen; 3U öeutlicb
3eigen fie öie Spuren. Auch öas Öarf uns nicht beirren,
öafj er öas Banöwerk eines Ceöerarbeiters erlernt batte.
Wir finöen unter Öen Rabbinen Schmiede, Cifchler,
Schufter und anöere Bandwerker.
Was man in Jerufalein lernte, mochte bimmelweit
von dem verfcbieden fein, was man auf Rboöus, in Ro«
rintb, Rom oöer auch in Carfus unter Bilöung verftanö;
eine Bilöung war es öocb auch. Paulus befafe einen
febr fcbarfen Verftanö. In öiefer Schule wurde er in
einer beftimmten Richtung entwickelt. Die Runft, £ebr=
fätje 3U fpalten, aus prämiffen 3U folgern, ganse Schluß
ketten 3U bilden, der Einrede mit Widerrede 3U begegnen,
mit einem Worte eine Art juriftifcber Beweismetboöe in
religiöfen Sragen 3U handhaben, bat er hier gelernt,
damit allerdings auch die f^unft, fpitjfinöig 3U werden.
Alle öiefe Daten betreffen lediglich die Ausrüftung
öes (Bannes. Dur ein eitriger 3ug aus feiner vor>
chriftlicben 3eit beleuchtet uns den Charakter, freilich in
Wahrheit ein Cbaraktersug! Cs ift fein „Cifer“; her
Cifer, der ibn treibt, in gefetjlicher Korrektheit öas
ßöcbfte 3U leiften, und der ibn 3um gewalttätigen Ver«
folger der Anhänger )efu macht4). Diefer junge ]uöe
bat ohne 3weifel das Geficbt des echten Sanatikers.
In feiner Seele brennt Seuer; es ftacbelt ibn öie Begier,
es feinen Altersgenoffen im jüöifcben Wefen 3uvor3utun8),
unö er verftebt 3U baffen, wie nur immer öer Gläubige
Öen Andersgläubigen gebaut bat. Aber öiefer Sana«

7
tismus ift gewifr nicht von der gemeinen Art — das
lehrt der fpätere Paulus beftimmt genug. Seine Wurjel
ift bie Ciebe 3U feiner Religion; die Bekämpfung bes
falfchen Glaubens ift ihm eine Pflicht gegen Gott.

&
Die Caufbabn bes pbarifäifchen 3eloten war rafch
unb plötjlicb 3U Enbe. Paulus gehört ju ben feltenen
(Denfchen, beren £eben burch ein einjiges Ereignis aufs
fchärffte in swei föälften 3erfcbnitten wirb. Er erfährt
einen bis in bie Ciefe reicbenben Bru<h, er wirb ein
Anderer und lebt fortan in bem Bewufjtfein, ein Anberer
geworben 3U fein, gleicbfam ein neues Ich empfangen
3U haben. Das ift an ficb etwas Ungeheures. Es füllt
bas gan3e Gemütsleben mit bem nicht verlöfcbenben Ge»
fühle eines Rontraftes von einft unb jetjt, es fchafft einen
ein3igen groben Orientierungspunkt für alles Denken
unb Empfinden, unb es verleibt bamit ber Perfönlicbkeit
eine Ronsentration unb Gefchloffenheit, wie fie bem 3er»
flatternden Dafein ber CDenge unerreichbar ift.
Als religiöfen Empörer unb als Cügenmeffias hatte
Paulus Jefus gehabt. Sein Verbrecbertob am Rreuse
3eigte ja am beften, was es mit ihm war. Aber auf
bem Wege nach Damaskus, wofelbft ber ortboboxe
Rämpfer auf verfprengte Jünger fabnben wollte, erblickte
er diefen Jefus im bimmlifcben Cicbte und würbe un*
wiberftehlicb von ber Über3eugung ergriffen, bie bas
Gericht war über fein bisheriges Cun: ber Gekreu3igte
ift lebendig, alfo ift er ber CDeffias. Diefer Augenblick
entfcbieb über fein Ceben.
Was war gefcbeben? Paulus felbft bat uns ben Vor
gang nie befcbrieben, fonbern ibn nur in ein paar Anbeu=
tungen geftreift ’). Die Apoftelgefcbicbte gibt eine Be-
fcbreibung, fogar in breifacher Wiederholung. Im Rem
deckt fie fich mit jenen Andeutungen; aber fchon bie
offenbaren Wiberfprüche in ben drei Berichten7) machen
mifetrauifcb gegen bas, was über biefen Rem binausgebt.

8
Soviel ftebt feft: Jefus bann nicht leibhaftig vor
feinem Seinbe geftanben haben. Ruch bie eigenen Vor«
ftellungen bes Paulus fcbliefeen bas aus. Denn Paulus
kennt keine Ruferftebung bes Sleifcbes; er fcbreibt ben
Ruferftanbenen wohl einen Ceib 3U, aber einen „geiftigen“,
immateriellen, für bie äufjeren Sinne alfo nicht wahr»
nebmbaren. Glaubte er demnach Jefus als Ruferftan«
denen ju fchauen, fo kann das kein gewöhnliches „fleifch»
liebes“, kein wirkliches „Sehen“ gewefen fein. 6s war
alfo eine Vifion, und Vifionen find Vorgänge im menfeb«
lieben Geifte unb Grgeugniffe bes menfcblieben Geiftes,
mag auch ber Vifionär es nicht anders wiffen, als bafj
fein Ruge von aufjen Bilder empfängt, fein Obr von
*).
aufeen Göne vernimmt Vermutlich bat Paulus nie«
mals daran gesweifelt, dafj er Jefus wirklich gefeben
habe. Jedenfalls wäre der 3weifel alsbald dem Glauben
unterlegen. Die Vifion wirkte auf ibn mit der vollen
f^raft einer objektiven Catfacbe.
natürlich bat bies Grlebnis feine gureicbenben Ur«
fachen gehabt, fo gut wie bie Vifionen berer, bie Savona«
rola nach feinem Lobe lebendig faben. In der perfön«
lieben Rrt des Paulus, in Gindrücken, die er empfangen,
in Grfcbütterungen feiner Seele mu|j es begründet ge«
wefen fein. Gin Rnberes ift es, ob wir im Stande find,
diefe Urfacben ju bejeiebnen. Sieber bat er von den
Cbriffuserfcbeinungen gewußt, deren die Jünger Jefu ficb
rühmten, unb es war von Bedeutung, bafj fie feine Ge«
danken befchäftigten und bem eignen Grieben bas Vor«
bilb lieferten; folebe Vifionen haben ja leicht eine an­
regende und felbft anftechende Rraft. Wollen wir aber
tiefer ergründen, was damals in feiner Seele lebte, fo
find Vermutungen billig, Wiffen ift teuer. Ob 3. B. das
Bers bes Verfolgers vom Bekennermute ber Jünger,
ober ob es von Worten Jefu befonbers ergriffen war,
wer will bas fagen?
Sine wirkliche Rnfcbauung vom ßergange werben
wir nie erlangen. Seftsubalten ift nur, bafj Paulus nicht

*) Einige Theologen haben von „objektiven Visionen“ ge­


sprochen, aber das ist kein wissenschaftlicher Begriff.

9
fcbon 3uvor öurcb Belehrung gewonnen fein kann, foöajj
bie Vifion 3um Rnbängfel würbe. CDenfcblicbe Ünter=
wetfung bat er als Grunblage feines Glaubens aus*
örücklicb verneint8), unö jo ober fo mujj bie Crfcbeinung
für ibn ben Charakter bes piötjlicben unb Überwältigen«
ben gehabt haben. (Bitten im Baffe kann ibn in ber
Cat ber göttliche Cichtftrabl getroffen haben. Vorbereitet
war bie Vifion auch bann. Denn auf ber Oberfläche
kann ficb fanatifcbe Seinbfcbaft behaupten, unb in ber
tiefe Öocb, ohne bafe man ficb feiber verftebt, ber 3weifel
nagen, Gäbrung unb Revolution um ficb greifen, ein
Deues ficb emporkämpfen.
Der Umfcbwung, ben bie Crfcbeinung in Paulus ber«
verbrachte, lag nicht auf bem Gebiete bes (Doralifcben.
Ruch als pbarifäer batte er mit leibenfcbaftlicher Bin«
gäbe unö tiefer Rufricbtigkeit Gott gebient unb feinem
Willen gelebt. So brauchte er ficb nicht wie anbere
„Bekehrte“ von einem Sünbenleben, von Sinnenluft unb
Weltliebe absukehren, um fortan ein Eüfjer unb Beiliger
3U werben. Die Scbulb feines Cebens fiebt er auch
nicht in feiner Bärte unb Ünbulöfamkeit, fonbern ein3ig
in ber Verkennung ]efu, in bem Irrtum, ber ibn bis 3ur
Verfolgung ber göttlichen Sache geführt batte. Seine
Bekehrung war öaber, fo fieber fie fofort auch praktifcb
fein Ceben umgeftaltete, ihrem Wefen nach ein Um=
fcblag her Überseugung. Eine „Offenbarung“ war
ihre Grunblage; öenn bas war ihm bie Crfcbeinung )efu;
er antwortete auf bie Offenbarung mit bem Glauben an
bas, was fie verkünbete.
Bier Hegt ber Grunb, weshalb ber Cbrift paulus
unö öer pbarifäer Paulus hoch nicht 3wet verfcbieöene
Perjonen finb. Die Richtung feines Strebens würbe ge«
wifj völlig veränöert; unö im Verlaufe bes neuen Weges
wirkte vielerlei auf ibn, um feine perfönlicbkeit uni3U»
gieren unb ihr Clemente beisumifeben, bie ihr auf Öer
alten Bahn fremö geblieben wären. Rber bas eigen!«
liebe Seelenmetall blieb bocb Öaffelbe - niebt nur bas
Cemperament, bas überhaupt Bekehrungen nicht ausju=
tilgen pflegen, fonbern auch ber kern bes Charakters,
ber gan3en fittticben Rrt.

10
Dennoch bleibt es auch wahr: öer gange COenfcb
wurde ein anderer. Rlle feine Süßigkeiten und €igen>
(chatten empfangen gleicbfam eine neue Seele, werden
von ber neuen Übergeugung ergriffen und durchglübt
und neuen Rufgaben bienftbar gemacht.

2. Grunögüge bes religiöfen Charakters.


€in nicht gekanntes Gefühl ber Befreiung war ber
unmittelbarste Crtrag ber Bekehrung für Paulus. Cs
burcbbrang ibn bis in die leigte Safer. Wie ein Rufc
atmen geht es noch durch bie fpät gefcbriebenen Briefe:
„Das Rite ijt vergangen, fiebe, es ift neu geworben.“
Befreit weife er fich von biefer gangen Welt mit ihrem
Clenbe, ihrem nichtigen Streben und dem Sluche ihrer
Sünbe; eine höhere Welt ift ihm durch Cbriftus geöffnet,
und es ift ihm, als lebte er fchon in ihr. Was ift fein
ganges bisheriges Ceben gewefen? Cin Ringen ohne
Cohn, ein Weg ohne Siel, harter Srobnbienft unb uner=
füllte Sebnfucbt. jefet aber gebt Öer Weg »von ßerr=
iicbkeit gu ßerrlicbkeit."
Untrennbar von öiefem Befreiungsgefüble ift öas
Bewufetfein, öafe er alles ber Gnade verdankt. Cr felbft
bat keinen Rnteil an feiner Verwandlung, auch nicht den
geringften. Cin Wunder bat fie bewirkt, öie Gnade bat
es vollbracht. Unb fie erfafete den Widerwilligen, öen
Sünder! Seine Schuld bildet bie dunkle Solie der Gnade:
um fo heller leuchtet fie felbft. hinweg denn mit allem
Rühmen! Gott und Cbriftus find altes, öer (Benfcb nichts.
Diefe Sprache öer Demut ift bei Paulus keine Redensart,
fonbern ber Rusöruck ber Crfabrung. Rber von gleicher
Stärke find bie anbern Cmpfinbungen, bie Öas Grieben
ber Gnade entgünbet: bie Dankbarkeit und bie Sreube.
Sie geben ibm bymnen ein.
Dies finö öie bleibenden Grunötöne im religiöfen
Charakter bes paulus: ein neues freuöiges, ja fiegbaftes
Lebensgefübl, eine tiefe Cmpfinöung eigner Ohnmacht,

11
Unwürbigkeit unb Bedürftigkeit und eine reine, perfön«
liebe Dankbarkeit - nur verfebwiftert ficb der feligen
Gewißheit des Befifees doch eine grofee Sebnfucbt, die
über alles Gewonnene hinaus nach vorn und narb oben
eilt, 3ur ßerrlicbkeit eines Gebens, das die Erbe gang
hinter ficb bat. In allem aber fpürt man, bafe biefer
(Dann ficb bewufet ift, in realer Berührung mit der über»
finnlicben Welt 3U fteben. Er redet nicht wie einer, der
von Gott und Chriftus durch ßörenfagen weife, fondern
wie einer, der ihnen perfönlicb begegnet ift, von ihnen
felbft ergriffen ift.
Paulus war hiernach eine febr innerliche persönlich«
keit, und biefe Innerlichkeit ift recht eigentlich die Wärme
feiner Briefe. Indeffen Ausruben und Schwelgen in
Empfindungen ift keineswegs feine Sache. Unter allen
(Ditgaben, die er von der Datur empfangen batte, nahm
eine ebenfo jähe als kühne Willenskraft den erften
piafe ein. Schon deshalb mufete er auch als Cbrift ein
(Dann der tat fein, ebenfo aktiv für bas Evangelium
wie einft bagegen. Daju entfprangen nun eben ber
tiefen Ergriffenheit feines Gemütes febr ftarke Antriebe,
barunter gewife auch bas Verlangen, ju fühnen. So
wirb fein Geben in Wahrheit Arbeit, Anftrengung und
Rampf.
Es ift erftaunlicb, wie er plan auf plan durchführt,
ein Stück Boden nach dem andern für feine Sache 3U
erobern fuebt, wankenden Befife befestigt, Seinden bie
Stirne bietet, kleine Sragen mit ganjem Intereffe er«
lebigt unb die grofeen nicht vergifet, Direktiven gibt und
felber sugreift, das Habe unb bas Seme 3ugleich unv
fafet unb in allem niemals ermattet. Aber noch weit
gröfeer erfebeint biefe Tätigkeit, wenn man bie unauf«
börlicben Entfagungen unb Opfer ermifet, bie fie for«
berte. ßunger und Dürft, alle Unbilden und Säbrlid>
keiten befcbwerlicber, weiter, unficberer Reifen, Schiff«
brueb, Gefängnis, Schläge, (Difebanblung bis 3ur Gebens«
gefabr, bitterfte Gebäffigkeiten unb obendrein bie plage
bet täglichen Arbeit — alles bat er burebgemaebt febon
3U einer Seit'), als noch vielerlei Schweres feiner war»
tete; unb nichts bat feine Energie vernichten, feine Sreu«

12
bigkeit erfcbüttern können. Vielleicht ift überhaupt kein
anderer 3ug am Charakter biefes (Bannes, wenn es
nur ein „3ug“ ift, fo der Bewunderung wert wie biefe
Opferkraft — wie denn auch mit den Worten, die er über
feine Leiben gefchrieben bat, ficb wenig in feinen Briefen
vergleichen läfet2). F5at bas Cbriftentum überhaupt bas
Ceiden geadelt, fo bat auch Paulus einigen Anteil daran.
Er ift, ganj abgefeben von feinem Enbe, der typifcbe
grofee (Bärtyrer, der mit nacktem Sufee über Dornen
gebt, fie fühlt unb ihrer bocb nicht achtet, ja ftolj ficb
ihrer rühmt, weil fie ein Angeld mehr find auf die ßerr=
licbkeit, und weil fie das Öefetj an den Lag bringen, bafe
Schwäche unb Sterben der Rraft Gottes Raum fcbafft,
alfo Stärke unb Leben ift.
niemand kann jweifeln, bafe ein Wirken wie
biefes aus echter, tiefer ßingabe an bie Sache unb
aus einem nie verlegenden Entbufiasmus geboren ift.
Wer aber bie (Botive jergliebert, wirb hoch auch einen
perfönlicben Beweggrund in Anfcblag bringen. Paulus
war nicht frei von einem (freilich religiös gefärbten)
Ebrgeij, unb biefem gebt bann bei alter wirklichen
Demut gegen Gott ein entfprecbenbes Selbftgefübl jur
Seite, bas mit ber vulgären Befcbeibenbeit wenig ge«
mein bat, aber allerdings auch nicht mit Eitelkeit ju
verwecbfeln ift. Er bat .mehr gearbeitet denn fie
alle“; aber er weife es auch. Er ift intereffiert für das
(Bafe feiner Ceiftung, gern erwürbe er ficb befondere
Verbienfte vor Gott. Als fein Apoftelrecht nimmt er es
in Anfprucb, von den Gemeinden verpflegt ju werden.
Aber bafe er auf dies Recht verjicbtet und ficb von
feiner Bände Arbeit nährt, bas ift ihm ein befonberer
„Rubm“ über bas pflicbtmäfeige hinaus; und mit
Empbafe erklärt er, lieber gebe er fein Leben bin als
biefen Ruhm3). Solche Gedanken mögen manchmal bei
feinen beroifcben Anftrengungen im Spiele gewefen fein.
(Ban darf ficb daran bei dem Prediger der Gnade
nicht ftofeen. Die (Bafeftäbe einer engen Logik find
bei folcber perfönlicbkeit nicht am ptatje. Der
bimmlifcbe Lohn behielt für Paulus ftets Bedeutung.
Es ift ber alte pbarifäer, ber hier beutlkb jum Vor-

13
fcbein kommt. Inbeffen ift biefer »Ebrgeij“ auch nicht
ju ftarh ju betonen; es ift ein mitwirkenbes, be>
gleitendes (Dotiv - nicht mehr.
Weit wichtiger, ja gerabeju fundamental für das
Verständnis feiner ganjen Arbeit unb fcblicfelicb ber
perfönlicbkeit felbft ift etwas Anderes: paulus wufete
ficb verpflichtet; verpflichtet durch einen göttlichen
Spejialauftrag.
Diefem Glauben an Öen Beruf entflammt aber«
mals ein Selbltbewufetfein, unb es ift ftärker als jenes
mehr private Selbftgefübl der eigenen Ceiftung, nimmt
biefes übrigens in ficb auf ober verfcbmiljt mit ihm.
Am mäcbtigften äußert es ficb allerdings, wo er
Sache unb perfon gegen Gegner ju fchüfeen bat4).
Aber vorhanden ift es überall. Sein Inhalt ift: er ift
Apoftel, von Gott felbft recht eigentlich präbeftiniert6)
jum Sendboten bes Evangeliums unb mit entfprecbenben
Rräften ausgerüjtet, jwar nicht ber einjige Apoftel,
aber hoch jebem anberen ebenbürtig unb auch mit einem
einjigartigen Werke, ber ßeibenmiffion, einjigartig be=
traut. in ber Cat Paulus weife hier nichts von
eigenem Entfcbluffe, nur von göttlicher Sendung; unb
darin vollendet [ich für ibn erft bie erfahrene Gnabe:
ber Verfolger ift nicht nur umgewanbelt, fonbern von
Gott jur Säule feiner Sache gefefet. Das gibt ihm bas
ftolje Gefühl einer eigenen Roheit unb befonberer
Rechte unb damit den Con ber Autorität fowie bas
Bewufetfein ber Vorbildlichkeit ®), wenn er auch ein
Extra=Cbriftentum keineswegs in Anfprucb nimmt. Das
bringt aber auch eine ganj eigene Einheit von Perfon
und Sache hervor. Die Perfon gebt ganj in ber Sache
auf — Paulus fühlt ficb Gott und ber Aufgabe gegen’
über wirklich ganj als Diener. Aber vielleicht mufe
bie Sache auch einmal bie Eigenheit unb den Anfprucb
der perfon decken.
Dach feinen eigenen Angaben7) wäre bies Be»
rufsgefübl von Anfang an in ihm fertig gewefen; ber
Augenblick ber Bekehrung felbft hätte ihm bie Be*
ftimmung — nicht jum Apoftel überhaupt, fonbern -
jum ßeibenapoftel erfcbloffen. Das fiebt hoch nach einer

14
kleinen Rugentäufcbung aus. Die Erfaffung eines fo
fpegiellen Berufs in biefem (Doment ift pfycbologifcb
kaum gu vergeben. In ber Erinnerung verbürgt ficb
ja auch leicht bie Perspektive; man fcbaut Dinge
ineinander, die urfprünglicb auseinander lagen, falls
fie nur innerlich gufammengehören. Jedenfalls war
die Erkenntnis feiner Cebensaufgabe eine Wirkung
der Erfcbeinung Cbrifti gewefen; andrerfeits bildete es
— vor ihm felbft, wie vor andern — den Recbtstitel für
feine Rpoftelwürbe, bafo er Jefus ebenfogut „gefeben“
habe, wie jene Rpoftel, bie in feiner ßefellfchaft ge=
lebt batten. Der Gedanke, Cbriftus habe ibn damals
felbft berufen, lag ba nicht weit.
Das apoftolifche Selbftgefübl, wie es aus ben
Briefen redet, wäre bann auch erft allmählich erwacbfen.
Das ift ohnehin nur wabrfcbeinlich. Ebe nicht Erfolge
für ibn geugten, gefammelte Gemeinden feine Be=
ftimmung für bas Werk ungweibeutig bartaten, ehe er
nicht als (Deifter eine Schaar von Belfern befehligte,
konnte er feine Würbe nicht fo empfinden, wie es ber
Sali ift.
Wahr bleibt aber jedenfalls, bafo Paulus ber
Rufgabe, für Cbriftus gu wirken, febr früh gewifo
würbe, unb fieber bat er ficb bann auch ebenfo früh
feine aufoerorbentliche Begnadigung durch die Erfcbeinung
als eine göttliche Beftallung für biefen Beruf gebeutet.
Wahr bleibt vor allem, bafo ber Gebanke der Pflicht
in waebfenbem (Dafoe ein mächtiger Bebel für feine
Tätigkeit gewefen ift.

&
Der 2. Rorintberbrief enthält im 12. Kapitel eine
eingigartige Stede. Paulus befchreibt einen eingelnen
(Doment feines religiöfen Cebens mit wenigen, aber
fpreebenben Gügen. Es ift wieher eine Vifion. Er hat
ficb einmal „bis gum dritten Bimmel", ja in bas Para«
dies entrafft gefühlt; nein, er ift feiner (Deinung nach
wirklich babin entrafft worben unb bat dort Worte ge«

15
hört, wie fie (Denfcbenmund nicht ausfprecben darf.
Das Bewufetfein feiner körperlichen Exiftenj batte er
dabei verloren. Denn er weife nicht, ob er „in oder
aufeer bem Körper“ war. Alfo öas volle Bild
ekftatifcber Versuchung.
(Jnsweifelbaft ift ihm gerade diefe Stunde ein be«
fonderer ßöbepunkt feines Lebens. Vierjebn ganse Jabre
mufe er jurückdenken, um etwas fo Aufeerordentlicbes
berichten 3U können. Ebenfo unsweifelbaft bat er „6e>
fichte“ und „Offenbarungen“ doch auch fonft manchmal
erlebt,8) fei es auch oft nur im Craume. Seine eigenen
Erwägungen fefeten ficb um in Offenbarungen, ober die
Offenbarungen weckten auch wieder Entfcblüffe in ibm.
Ekftatifcbe 3uftände find ibm ferner aus den Gottes«
dienften bekannt, fie gehörten gum „Sungenreden“, in
dem er (Deifter war®). Anderes reibt ficb an. Der
Apoftel glaubt, für (Domente wenigjtens, an feine
eigene Infpiration; vom „Geifte“ meint er Erkenntniffe
wunderbarer Art 3U empfangen10).
All dergleichen läfet ficb nicht überfeben, um fo
weniger, wenn man bebenkt, welche grundlegende Be«
deutung eine Vifion, die erfte, für fein ganjes Leben
gewonnen bat. Das Religiöfe erfcbeint hier jum
Scbwärmerifcben gefteigert; und Paulus ftebt da als
der Bruder all jener Erleuchteten und „Scbwarmgeifter“,
die in ber Reformationsgeit geächtet würben, unb hie
noch beute in Sekten aufsutaucben pflegen. Wer folche
Dinge erlebt, ber jebafft vielleicht Grofees, in bem ift
jedenfalls die Religion Leben und Glut; und warum
Tollten die Sebnfucbtsgefüble, die Erregungen und
Kämpfe, die ficb jur Versückung gehalten, blofe da«
durch unedler werden, dafe fie diefe Sorm annebmen?
Aber bie Erfcbeinung jelbft empfinden wir doch immer
als etwas Krankhaftes. (Injertrennlicb von biefer
Art religiöfen Erlebens ift ftets bie Selbfttäufcbung; unb
wenn fie nicht immer gefährlich ift, ift fie es doch ju«
weilen. (Dan betrachtet als Offenbarung, was doch
nur eigener Gedanke oder die Spiegelung eigener
Seelenvorgänge ift. Überdies entftebt leicht die

16
Deigung, ficb felbft in abnorme 3uftänbe binein3ufteigem,
was wir freilich von Paulus nicht behaupten können.
Die Veranlagung bes Apoftels für bas Vifionäre hing
mit feiner körperlichen Organisation, mit der [tarken Er«
regbarkeit feines Dervenlebens 3ufammen. freilich ge­
hört die Gkftafe und der Glaube an Offenbarungen der«
mafeen 3ur Signatur der ganjen urchriftlieben Gemein«
febaft, dafe es an und für ficb einer befonderen Erklärung
für den Gin3elnen gar nicht 5U bedürfen febeint. Wer
Paulus gefcbicbtlicb vergehen und gerecht würdigen will,
wird diefe Catfacbe ja keinen Augenblick vergeffen. In«
deffen bat er felbft in der ßefebreibung jenes großen
Gejicbtes etwas angegeben, was 3U dem Schluffe nötigt,
bafe er mehr als Anbere 3um Erleben von Vifionen ver«
anlagt war.
Gr gebenkt eines febweren Ceibens, bas er wie bie
Wirkung einer unheimlichen, bämonifeben (Dacht emp«
findet — ein „Dorn“ würbe ihm ins Sleifch gegeben,
Satans Engel feblug ibn mit Säuften11). Cro^ feines
Siebens ift bas Ceiben nicht gewichen, fonbern wieber«
gekehrt. Sein 3ufammenbang mit ber Ver3Ückung er«
bellt baraus, baf; er es ficb fromm als eine göttliche
Warnung beutet, ficb folcber hoben Offenbarungen nicht
3u überbeben.
ßier ift ein beftimmtes Krankbeitsbilb geseiebnet:
Paulus bat, wie auch anbere Grofje ber Gefdoicbte, 3. B.
Cäfar unb Dapoleon, an epileptifcben 3ufällen gelitten.
Das ift mehr als vage Vermutung, denn die Schilderung bes
Apoftels trifft mit ber Catfacbe 3ufammen, bafe Vijionen
bei Epileptikern vielfach beobachtet finb. Die Seligkeit
bes Schauens erhabener ßilber, bas Scbwinben bes
körperlichen Bewufjtfeins, ber Rrampf mit feinen Gr«
febütterungen unb Scbmersen — es ift ein einjiger patbo«
logifcber Vorgang, trug ficb Ähnliches auf bem Wege
nach Damaskus 3U? Wir haben keinen Anhalt bafür.
Jedenfalls fällt hier auf die Gntftebung jener erjten
Vifion ein gan3 befonderes Eicht.
Von diefen Dingen febweigen biefje einen wefent«
lieben 3ug im Gefamtbilde des (Dannes auslöfeben.
Wabrfcbeinlicb würden wir manches in feinem Charakter
Wreöe, Paulus.
II 17
beffer vergeben, könnten wir biefe krankhafte Erregbar«
keit feiner Datur ficberer abfcbätgen. Übertreibung aber
ift vom Übel. Überwiegend ift bei Paulus hoch öer
Einbruch öer Gefunbbeit. Plus feinen Briefen fpricht ja
ein reich bewegtes, auch rafcbem Stimmungsumfcblage
unterworfenes Gefühlsleben, feine Frömmigkeit geigt
eine Innigkeit, öie oft etwas Ceiöenfcbaftlicbes bat, feine
religiöse Sprache kann ficb gum mächtigen Pathos ffeb
gern, aber öas alles ift öoch keine Exaltiertheit unö
verrät nicht öie flackernde Unruhe einer kranken Seele.
Unö unjere Quellen liefern auch Bilder, öie öen Vifionär
gang vergeffen laffen. Wer denkt an ibn, wenn er die
befonnene Weisheit und praktifcbe Rlugbeit bemerkt,
mit her Paulus in bie mancherlei Fragen öes korintbifcben
Gemeinöelebens eingreift, oöer wenn er öie Schilderung
feiner Seereife lieft, öas anfcbaulicbfte Ergählungsftück
öes Fleuen Eeftanients I2), in dem ein bewunöernöer
Reifegefäbrte öie perfon öes (Deifters gwar allgufebr
in öen Vorbergrunb geftellt bat, aber öoch noch deutlich
erkennen läfet, ba^ Paulus in öen Verwirrungen öes
Schiffbruchs nicht etwa nur durch feine Propbegeiungen,
fondern durch überlegene Rube unö Vernunft felbft dem
beiönifcben Scbiffsperfonal Refpekt abnötigt? In feiner
Perfönlicbkeit lagen eben doch ftarke Elemente, öie dem
Überfluten öes Scbwärmerifcben einen Damm entgegen«
fetgten: vor allem Öer auf öie Dat gefpannte Wille, aber
auch öer fcbarfe Blick für öie wirklichen Dinge in feinem
Geficbtskreife unö öie Fähigkeit verftänöigen Denkens.

iS
Eine Rebrfeite öer religiöfen Eigenart öes Rpoftels,
wenn man will, auch eine Vorausfetgung für fie, jeden«
falls unlöslich mit ihr verknüpft, ift feine Stellung gu
öen Dingen unö Verhältniffen öes weltlicb«natürlicben
Cebcns. Es ift gwar fein Wort: „alles ift euer“; aber
als Rusbruck einer „weltoffenen“ Stimmung ift es fieber
richt gemeint Er ift in biefem punkte fo giemlicb

18
bas Gegenteil von Cutber — die Ähnlichkeit mit ihm
ift überhaupt nur eine begrenjte —, nabe verwandt da«
gegen gewiffen Typen des Pietismus.
Seine Ballung ift den einjelnen Dingen gegenüber
Gleichgiltigkeit, bie hier unb bort in Abneigung unb
Seinbfcbaft übergebt, ber ganzen Welt gegenüber
Peffimismus.
Weltliche Sreuben exiftieren nicht für ibn. Die
Cilien auf bem Selbe unb bie Vögel bes ßimmels kümmern
ibn nicht. Doch bas mag bei einem antiken Stäbter
nicht wunbernebmen. Aber auch Sympathie mit ben
edleren Srücbten ber Kultur blickt nirgends durch. Welt«
liebe Wiffenfcbaft bat er gewifr verachtet, wo fie ihm
etwa begegnete—bie göttliche Weisheit bat ja gerabe«
3U ihr ODerkmal baran, bafe fie der Vernunft nicht ein«
geht14). Die Arbeit um Gut unb Befitj ift ihm nichts:
man foll haben, als hätte man nicht. Er kennt kein
Samilienleben unb fiebt barin keinen Verluft, rühmt es
vielmehr als feine Gnabengabe, bafe er kein Verlangen
3ur Cbe fpürt. Cbelofigkeit wäre eigentlich immer bas
Ibeal, wenn nicht bie menfcbliche Dafür fie ben (Deiften
wiberrietelß). Bürgerliche Selbftänbigkeit ift ihm wenig:
ber Sklave, ber Chrift wirb, foll ruhig Sklave bleiben,
felbft wenn er frei fein kann16). An ber Welt im gan3en
aber unb ihrem Ceben fiebt er nur bie Dichtigkeit, bie
Krankheit, bas Sünbenverberben. Das Düftere biefer
Auffaffung würbe noch viel ftärker wirken, wenn nicht
bie Erlöfungsfreube einen fo ftarken Glans über feine
Briefe breitete.
€s ift burebaus nicht nur ber Glaube, dafj bas €nbe
ber Welt vor ber Tür ift, was ibn fo denken läjjt; feine
Urteile über bie Cbe werben babureb 3. B. noch nicht
verftänblicb. Seiner CDeinung nach entsiebt ber Verbei«
ratete fein Lers bem ßerrn, inbem er es bem Gatten
gibt; unb ber Cebige bewahrt allein bie volle Reinheit17).
Cs bandelt [ich jebocb auch nicht ausfcbliefjlicb, wie hier,
um afketijebe Anfcbauungen. Am wenigften aber ge=
nügen befonbere Crfabrungen ober Beobachtungen über
das beibnifebe Ceben 3ur Erklärung. Vielmehr ift es
vor allem {eine aans? Religiosität felbft, bie ihm keinen

II* 19
Raum für weltliche Intereffen läfet. Die Religion ift ihm
alles, daher das Andere nichts. Dabei aber ftebt er,
fo febr es fich um eine Seite feiner eigenften Persönlich*
keit handelt, im 3ujammenbang mit einer Stimmung,
die in feiner 3eit überhaupt mächtig war. Die weit*
und dafeinsmüde Art von jübifcbapokalyptifcben Schriften
wie das 4. Ruch Cfra ift von näcbfter Verwandtfcbaft.
Aber auch auf beidnifcbem Boben batte biefer peffimis*
mus damals feine Vertreter. In der Cebenspbilofopbie,
die die f. g. Kyniker, mehr von jtoifcben Gedanken be*
einflufjte Prediger als pbilofopben, auf die Gaffe trugen,
findet er eine auffallende parallele.

3. CDenfchlicb=fi111icbe Individualität.

Die religiöfe Art bes Paulus gibt fich in ben Briefen


unverkennbar kunb. Wärme unb Diefe bes Gefühls,
Kraft unb Begeifterung, Unmittelbarkeit bes religiöfen
Erlebens unb auch Ausfcbliefslicbkeit bes Intereffes —
alles vereinigt (ich, um ibn 3U einer fpe3ififcb unb im
höcbften Sinne religiöfen Datur ju ftempeln. Darf man
im gleichen Sinne auch von einer fpejififcb etbifcben Per*
fönlicbkeit reden? Daran 3weifeln wir, fo fieber Paulus
auch unter den großen fittlicben Charakteren ein hoher
piats gebührt.
Cin tiefer fittlicber Gruft burcb3iebt jeden feiner Briefe.
€r kennt keinen andern Gott als ben, ber bie Sünbe
bafet unb bas Gute befiehlt; ein reines Ceben ift ihm
ein Stück ber Religion felbft. Unleugbar enthalten feine
etbifcben Vorfcbriften viele 3eugniffe eines fein ent*
wickelten fittlicben Gefühls. Wer verlangen kann, ba&
man aus Rückficbt auf ben innerlich unfreien Bruber
auch auf erlaubte Dinge versiebten foll, wer wieberum
ben Grunbfa^ ausfpriebt, bafe man auch erlaubtes meiden
foll, fotange bie fittlicbe Überseugung, bas Gewiffen, 3U
feinem Genuffe nicht ihr volles ]a fpriebt1), ber bat

20
folcbes Seingefübl befeffen. Unö wer könnte begweifeln,
Safe Paulus, was er Andern predigte, lauteren Sinnes
bei ficb felber gur Cat 311 machen fucbte? Schon in öer
pbarifäifcben Gefetjesfcbule batte er gelernt, gewiffenbaft
an ficb 3U arbeiten, feinen Willen 3U 3Ügeln, fid? Regeln
3U fetsen, auch ficb felbft 3U beobaditen. Alles, was in
bas Gebiet der „ ßeiligung“, d. b. ber Selbftjucbt ge«
hört, wirb hier feine Wuseln haben. Darin bat er
aber niemals nadjgelaffen. Gr war der Cäufer in ber
Rennbahn, ber nach dem Rleinoö jagt.
Die Anerkennung von Idealen ift aber doch kein
gans jicberer CDafjftab für bas wirkliche Wefen, am
wenigften bie Empfehlung von Vorjdiriften, bie nur 3um
überlieferten Cugenbibeal gehören. Das Streben, er«
kannte Fehler 3U nieiben, fdjliefjt nicht ein, öa^ man
ficb felber wirklich voll erkennt. Der religiöfe Entbufias-
mus fiebert keineswegs vor menfcblicben Schwächen,
kann fogar einige begünffigen. Und bie Selbftbeiligung,
bie ßerrfd?aft über niebrige Criebe, verbürgt nicht immer
bie moralifcben Werte, bie im Verhältnis bes ODenfcben
3um CDenfchen entfebeiben.
jedenfalls ift es 3iemlicb fchwer, ein volles, bie
feineren 3üge faffenöes Gilb ber fittlicben Individualität
bes Paulus 3U gewinnen. Briefe fpiegeln bie perfön«
Iichkeit bes Verfaffets, aber Briefe täufchen auch
darüber. Denn auch wo fie io frei finb von pofe unö
gemaditem Wefen wie bie paulinifd^en, {teilen fie bie
Perfönlicbkeit doch immer in das Eicht, in dem fie
ficb felber fieht, unb in dem fie gefeben ju werben
wünfebt. Ein aktiver Charakter wie paulus gibt ficb
ferner nur im ßanbeln beutlid? ju erkennen. Was aber
feben wir von feinem ßanbeln? ODancberlei äufrere
Umriffe, febr viel auch von bem religiöfen Seifte, ber
es befeelt, wenig aber nur von feinem Verhalten in be«
fttmmten Cagen, feinen konkreten Be3iebungen 3U
(Denfdjen unö Dingen — unb darin träte doch erft öer
moralifebe Gehalt bes ßanbelns deutlich sutage. Ur=
teile CDitlebenber über bie ßanölungen wie bie perfön«
Iichkeit fehlen faft gan3. Wer fagt uns, wie ein

21
Petrus, ein Barnabas von bem (Banne berührt würben,
ber fie überflügelte, unb ber recht unfanft mit ihnen gu«
fammenftiefj? Cs wäre interefjant, bas gu wiffen.

Paulus rühmt nicht umfonft von feiner Arbeit in


ben Gemeinben: „Wo ift einer fcbwacb, unb ich wäre
es nicht? Wo bat einer Ärgernis, unb es brennt mich
nicht?“2) Gr bat eine reiche, gu unaufhörlichem Dienfte
bereite Ciebeskraft befeffen, war weicher Regungen
fähig unb vermochte Töne von ebenfo großer 3artbeit
als Innigkeit ju finben. Selbft in bem rauben Galater=
briefe begegnet eine Stelle biefer Art8). Das fcbönfte
3eugnis aber enthält ber Brief an bie Philippen
Dennoch empfangen wir nicht gerabe ben Einbruch
einer bervorragenben natürlichen Güte, eines unbeirr»
baren Wohlwollens gegen ben (Denfcben als folcben.
Dicht jebe Gemeinbe brachte ihm folcbes Vertrauen, fo=
viel Anhänglichkeit unb treue Sürforge entgegen wie
bie von pbilippi. Unb bies waren Bebingungen feiner
Ciebe. Sie galt ben Sreunben feiner Sache, ben
CDiffionsobjekten, um bie er werben, ben Gewonnenen,
für bie er arbeiten unb opfern konnte. Sie war echte,
bergenswarme, perfönliche fiebe, aber bocb burcb
anbere als rein menfcblicbe Begiebungen beftimmt ober
mitbeftimmt. Dort, wo man eigne Wege gebt, ficb ihm
nicht bingibt ober gar Wiberfpruch geigt, ift er leicht
mit ben (Denfcben fertig, wenn er auch leicht wieber
gu vergeiben fcbeint4). €r wirb oft gereigt, fcbroff,
barfcb unb bitter unb fängt an gu ironifieren, was er
meifterbaft verftebt6). Das Betragen bes Petrus in
Antiochia nennt er, obwohl mit einem gewifjen fachlichen
Rechte, kurgweg ßeuchelei0). (Dit ber gangen (Dacht
unb Ceibenfcbaft feiner Persönlichkeit aber trifft er
feine eigentlichen Gegner, bie jubencbriftlicben Cebrer, bie
ibm in feinen eigenen Gemeinben, befonbers in Galatien
unb Rorinth, entgegentraten. Er verflucht fie ohne Um-

22
ftänbe, helfet fie Cügenapoftel, trügerifcbe Arbeiter,
Diener bes Satans, bie bie CDaske von Dienern ber
Gerechtigkeit annehmen, ja er jcbilt fie ßunbe7). Rein
3weifel, auch ber bekehrte Paulus hätte folcbe Gegner
ober auch Abtrünnige als Seinbe Gottes gewalttätig
3U verfolgen vermocht, wenn er nur bie CDacht gehabt
hätte.
Sein Grimm gegen biefe Ceute ift übrigens wohl
3U verfteben. Denn fie bebrobten bas Werk, für bas
er lebte, batten in feine Getneinben Verwirrung hinein*
getragen unb auch mit Anklagen unb Verbäcbtigungen
gegen ibn felbft nicht gefpart. Solchen Ceuten konnte
er natürlich nicht objektiv unb unparteiifcb gegenüber*
treten. Allein er malt fie alfeu fcbwar3. Dafj bieje
Cefet3eseiferer bocb auch einer Sache bienen wollten,
bafe fie von ihrem Stanbpunkte aus bas echte Chriften*
tum burcb bie Cebre bes Deuerers Paulus gefäbrbet
wähnten, kann ernstlichem 3weifel nicht unterliegen.
Beim Apojtel erfährt man nichts bavon. Gr unterteilt
nur rein perfönliche, fetbftfücbtige, niebrige unb häßliche
CDotive: fie wollen fleh nur bei ben Juben burcb ihren
Gefetseseifer lieb Rinb machen unb fiefo ber Verfolgung
entsieben, bie bas Rreu3 Cbrifti mit ficb bringt8). In
einem anbern Salle ift bie Gerechtigkeit bes Urteils
minbeftens recht fraglich9). Wäbrenb ber Apoftel in
Born gefangen faf;, trieben bort einige Cbriften CDiffion,
bie offenbar von Paulus nichts wifjen wollten, jebocb
3U feiner Cebre, wie es febeint, in keinem febärferen
Gegenfatje ftanben. Paulus fpriebt äufrerft bitter über
fie — ihre Verteibigung hören wir leiber nicht —, er
fagt nichts Geringeres, als bafe es ihnen ftatt um bie
Verkünbigung Cbrifti nur um ben Verbruf; 3U tun fei,
ben fie ihm mit ihrer prebigt bereiten. Gr fügt aller-
bings ein weitber3ig klingenbes Wort hinjU, burcb bas
er ficb über ben perfönlicben Gegenfak 3u erbeben
febeint: „Was tuts? So ober fo, mit unb ohne ßinter
gebanken, Cbriftus wirb bekannt gemacht, unb barüber
freue ich mich“. Aber bas ift wohl nur eine Art Refi*
gnation, burcb bie bie Bitterkeit ber Stimmung noch
binburebfebeint.

23
Was man auf gegnerischer Seite öem Rpoftel
nacbfagte, läfjt ficb 3um Ceil Öen Rnfpielungen öer Briefe
noch entnehmen. Da hätten wir alfo einmal 3eitgenÖffifcbe
Stimmen. (T)an warf ihm vor: er fei feige, in öer Räbe
nämlich fei er Öemüfig unö fcbwacb, aus öer Seme, in
öen Briefen, fei er ftreng unö führe Öas gro^e Wort;
ferner, er empfehle unö rühme ficb felbft, werfe ficb jum
Berrn öes Glaubens in öer Gemeinöe auf, fei öoppeb
jüngig, wankelmütig in feinen planen, fcbreibe anöers,
als er öenke, unö fucbe CBenfcben gefällig 3U fein10).
Seinen Versiebt auf öas Recht, von öer Gemeinöe
öen Unterhalt 3U bejieben, öeutete man öabin, öafe er
ficb felbft nicht für einen echten Rpoftel halte; übrigens
wiffe er in feiner Schlauheit öie Gemeinöe öocb ausju=
beuten, inöem er öie von ihr aufgebrachten Rollektem
gelöer angreife11).
Die Gebäffigkeit öiefer Rusftreuungen ift, nament»
lieb in öer Veröäcbtigung feiner Reölicbkeit, offenbar.
So wenig fie aber im allgemeinen für eine Charakteristik
öes Paulus brauchbar finö, ein RÖrncben Wahrheit kann
in öeni einen oöer anöern Suge fehr wobl ftecken, 3. B.
iin Punkte öes Selbftrubms. Jeöenfalls enthalten feine
eigenen Briefe Spuren einer gewijfen Biegfamkeit, man
öarf wobl [agen, Politik, öie ungünftiger Deutung eine
ßanöbabe bot. In einem Salle febeint uns öas be=
fonöers klar 3U fein.
Der Rpoftel legte, als er in CDaceöonien unö
Griecbenlanö war, öas größte Gewicht auf öie €infamm=
lung einer Rollekte für öie jerufalemijcbe Gemeinöe. Sie
follte in öiefer Gemeinöe 3U feinen Gunften fpreeben.
Damit Öer Cinöruck beöeutenö fei, mu^te öie Rollekte
reich fein. Swei gan3e Rapitel bat er im 2. Rorintber»
briete12) öiefeni Gegenftanöe gewiömet. Wer fie aber
unbefangen lieft unö öureb öie erbauliche Sprache 3um
Rerne bringt — man mufe suweilen bei Paulus erbau=
liebe Formeln unö Sloskeln in Rbsug bringen —, wirö
kaum einen gan3 angenehmen GinÖruck haben. Bier
reöet, wenn auch unbewußt, ein Caktiker, öer ficb auf
CDenfcben verfteht unö einige kleine Umwege nicht fcheut,
um 3U feinem Siele 3U gelangen. Ruf jeöe Rrt, 3. B.
24
mit ftarkem ßinweis auf bie bimmlifcben 3infen, fucbt
er feinen Cefern öie Rollekte mundgerecht 3U machen;
unö öa er ihrer nicht gan3 fieber ift, ftreut er forcierte
Cobfprücbe ein, er rühmt fogar ihre Bereitwilligkeit 3um
Geben unö läfet öoeh öeutlicb erkennen, bafe er felber
eigentlich nicht an fie glaubt13).
(Ban wirö öergleicben nicht aufbaufeben; aber wer
[o fchreiben kann, öer bat auch in andern Süllen um
öer Wirkung willen ein Wort 3U viel gejagt, kleine
Runftgriffe angewendet, ein wenig gefärbt unö ficb
akkomobiert. Cine gewiffe Berechnung könnte man
felbft in bem Briefeben finben, in bem Paulus ben an»
gefebenen Cbriften Philemon in Roloffae ju bewegen
fucbt, einen entlaufenen Sklaven, den er felbft injwifeben
bekehrt bat, freundlich wieder angunebmen ober - noch
lieber - ihm als Gehilfen 3urück3u[enben. In ber Cat
jeigt bies Scbriftftüch unübertrefflich, wie ber bei aller
Wucht feiner Perfönlicbkeit aufjerorbentlicb fein organi»
fierte (Bann auf (Benfcben ein3ttdringen verftebt. Aber
»Berechnung“ wäre ba bocb ein unangebrachtes, vor
allem ein ju grobes Wort. Die Runft ber Überredung
wirkt hier durchaus fympatbifcb und liebenswürdig. In
feiner CBifcbung von ßerjlidokeit unb Verbinblicbkeit,
Vertraulichkeit unb 3urückbaltung ift bas Billet von einem
gerabe3U ungewöhnlichen Rei3 — bas Seinfte, was wir
in biefer Rrt von ber ßanb bes Paulus befitjen.
€s mufe auffallen, bafe ein folcber (Bann keine
unbebingte ßerrfebaft über öie ßer3en feiner Gemeinbe«
glieöer befafe: in Rorintb wie in Galatien bat er es er<
leben muffen, wie ficb grofee Schichten seitweife von ihm
abwanöten, foöafj öer ganse Beftanö öer Gemeinden in
Srage geftellt febien. Die Grünöe lagen 3um teil gewife
aufrer feiner Perfon, 3um Teil aber bocb wobl auch in
ihr. Rbgefeben davon, baf; fein Rufjeres wenig impo«
nierte, unb auch bavon, Öa^ mancher bie kräftige Derb«
beit unb bie unnacbficbtliche Strenge nicht vertragen
konnte, mit öer er fittlicber Caxbeit ober Störungen bes
Gemeinfcbaftslebens 3U begegnen wufcte, febeint er hoch
auch kein gan3 liebenswürdiges Baturell gehabt 3U haben,
fo gewinnend er fein konnte unb oftmals war. €r ftand

25
in feinen Gemeinden bocb wie ein ßerrf±er, war gewohnt
feinen Willen burcbsufetjen unb Anderen auf3U3wingen,
beanfprucbte bie Autorität des Apoftels, batte immer
Recht und seigte minder Gefügigen leicht die raube
Seite. Sin folcher (Dann bat wohl Scharen bewundern*
der Verehrer unb ergebene, bienfteifrige Sekretäre, aber
er ftöfjt auch ab unb nimmt bie gegen fich ein, bie nicht
erbrückt werben möchten.

Genug bes Ein3elnen. Dicht einen föeiligen haben


wir gefchilbert, fonbern einen (Denfchen. Die erbauliche
Betrachtung breitet leicht über eine folche Geftalt bie
konventionelle Eintönigkeit bes farblofen Ibealcbriften aus.
Das ift nicht gut. Paulus hatte einige wirkliche
Schwächen, vielleicht mehr, als wir feben. Es finb,
wie es fcbeint, bie Schwächen berer, die bei
einem leibenfcbaftl ichen, reisbaren Cempe»
ramente bie eigne Perfon völlig mit Gottes
Sache identifigieren, oder auch die Schwächen
berer, bie einem 3wecke leben unb alle unb
alles an berStellung 3U biefem 3wecke meffen.
Die humanen Cugenben ber Billigkeit unb Gerechtigkeit,
ber Weitber3igkeit, Dulbfamkeit unb Achtung jedes per*
fönlicben Rechtes, ber überlegenen (Dilbe unb Güte unb
jener Gerabbeit, ber auch bie leifen Verjchiebungen unb
bie unfcbulbigeren fünfte einer inftinktiven Diplomatie
fremb finb - fie werden in folcben CDenfcben leicht
3urückgebrängt. Sie finb auch nicht bie Stärke bes
Paulus gewejen. Aber fie waren — bas kommt ihm
3U gute — überhaupt nicht bie Stärke bes Chriften*
tums jener 3eit, wie fie benn auch in ber fittlicben
(Dabnrebe nicht nur bei Paulus 3urücktreten.
Es finb aber wirklich nur Schwächen, nicht Slecken,
es finb bie Sebler feiner Eugenben. (Jnb Paulus kann
es vertragen, ba^ man fie nicht 3ubeckt. Eben weil er
ficb gans mit Gottes Sache ibentifisiert unb mit voller,

26
warmer Seele einem 3wecke bingegeben ift, der über
ihm ftebt, darf er beanfprucben, von diefem feinem
3entrum aus beurteilt 3U werden, und dann ift jeder
3weifel an der Lauterkeit feines eigentlichen Wollens
und an der Ccbtbeit feines innerften Wefens ausge»
fcbloffen.
Die größten Gegenfäfee waren in diefer reich aus»
geftatteten Datur vereinigt. 3ielbewufet und impulfiv,
ftürmifcb und ftetig, rückfichtslos und gart, in feiner lnto=
leranj berb bis 3ur ßärte und Biffigkeit und doch ein
Gefüblsmenfcb, ein ßerj; unbeugfam und doch gefcbmeidig,
gan3 fcbwärmerifcbe Glut und gan3 nüchterne Rlugbeit,
ein Denker und ein Sinner und noch mehr ein raftlofer Rr=
beiter — kein Schema will ausreicben, den gansen
(Denfcben 3U umfpannen. Cs fehlt viel, dafe fein Wefen
3U der ßarmonie verklärt wäre, wie fie ruhigeren Seelen
befcbieden ift. Fiber es ift doch alles von einem
Geifte durcbbaucbt, alles durchdrungen von dem einen
großen Cebensgedanken, der feiner Religion entfpringt.
Sür ibn wirkt er, opfert, ftreitet, lebt und ftirbt er. Und
deshalb bleibt er nicht blofe ein grofeer, fondern aucb
ein edler Charakter: ein treuer ßaushalter, ein im
tiefften Grunde felbftlofer Rämpfer und ein wahrer Seid.

27
II. Rapitel.
Das Cebenswerk.

1. Die CDiffion unb bas (Diffionsverfabren.


Paulus ift nicht ber einjige ßeibenmiffionar feiner 3eit
gewefen; neben ihm haben Anbere felbftänbig, wenn
auch manchmal in Berührung mit ihm, gearbeitet. Gr
ift aber auch nicht ber erfte ßeibenmiffionar gewefen.
Den Anfang haben vielmehr allem Anfcbein nach un«
bekannte (Dänner aus Cypern unb Cyrene gemacht.
Durch jene Verfolgung, ber Stephanus jum Opfer fiel,
von Jerufalem verfprengt, prebigten fie in ber Weltftabt
Antiodjia in Syrien „ben ßellenen“1) - biefe Dachricbt
ber Apoftelgefchicbte ift fchwerlicb 3U verwerfen. In
biefe Arbeit ift Barnabas noch vor Paulus eingetreten.
Denn er erfcbeint ihm gegenüber junäcbft beutlicb als
ber Altere unb frühere2). Gr bat überhaupt wohl
mehr bebeutet, als wir wiffen; unb es bat längere
3eit gebraucht, ehe fein Geführte Paulus ibn über»
wacbfen hatte.
Dennoch bat bie Überlieferung nicht fo unrecht,
wenn fie alle Anbern hinter Paulus verfcbwinben läfet;
er bleibt ber eine, entfcheibenbe (Dann. Gs ift nicht
allein bie Gröfee ber Arbeit unb bes Grfolges. Gr bat

28
ber ßeibenmiffion auch erft wirkliche Heftigkeit unb
ßlarbeit gegeben, inbem er ihr bas volle Recht bes
Dafeins erkämpfte, er bat ihr Öen großen, in bie Weite
gebenden 3ug eingebaucbt unb das mächtige, er=
weckende Vorbild geliefert.
Wie er jum ßeibenmiffionar geworben ift, darüber
fehlt jede brauchbare Dachricht, fobalb man darauf ver
sichtet, den Anfang in die Bekebrungsftunbe felbft su
legen. Sicher bat er fcbon in ben erften Örei Jabren
nach ber Bekehrung, bie ficb auf „Arabien“ unb Da=
maskus verteilen, 3U prebigen begonnen. Denn Da’
maskus mufjte er als Flüchtling verlaffen8). Allein bat
er fcbon bamals ßeiben gepredigt? Cs ift keineswegs
unwabrfcheinlicb, dafj er suerft in der Jubenfcbaft wirkte
unb bann erft in Antiochia bie neue Bahn betrat.

&
Den Gang ber paulinifcben (Diffion fafjt man her«
kömmlicb in bem Schema von brei großen Reifen auf,
bie jebesmal nach Antiochia ober Jerufalem surückge=
führt batten. Aber bas genügt fcbon darum nicht, weil
Paulus bereits vor ber erften Reife viele Jahre miffioniert
batte. Serner blieb Antiochia in ber [päteren Seit
nicht wirklich bie fejtliegenöe Bafis ber (Diffionssüge.
Gewiffe punkte feiner Wirkfamkeit, vor allem Cpbefus,
werben felbft su einer Art Bafis für kleinere unb
größere Ausflüge.
Sür ben Überblick ift es sunächjt bas Wichtigfte,
swei pbafen unb swei ßauptfelber ber (Diffion su
unterfcbeiden. Jene brei Jahre nach ber Bekehrung
bleiben babei aufeer Betracht.
Die erfte Cpocbe, bie reichlich 14 Jahre umfaßt4),
batte ihren Schauplatj in Syrien, fpesiell Antiochia, und
in dem benachbarten ßeimatlande bes Paulus, Cilicien.
Dafj hier Carfus felbft eine grofee Rolle gefpielt bat,
ift mehr als wabrfcbeinlich, aber doch nur Vermutung.
Denn über ber großen Arbeit, bie in bieje Gebiete

29
fällt, liegt tiefftes Dunkel. Dach der Apoftelgefchicbte “)
gebärt jedoch noch in diefen 3eitraum jene „erfte“ Reife
mit Barnabas, die nach Cypern und in einige klein«
afiatifcbe Gebiete führte.
Die gweite Periode, die mit der Gefangennahme
des Paulus (58 oder 59 n. Cbr.) endet, ijt nur etwa
halb jo lang, und doch ift fie bei weitem die wichtigere.
Der Scbauplatg erweitert ficb nach Borden, vor allem
aber gebt der 3ug nach dem Weften und damit erft
recht in die eigentliche Welt der griecbifcb«römifcben
Kultur. Paulus betritt Guropa, d. b. er wirkt in
(Dacedonien und Griechenland („Acbaja“). Daneben
bilden teile von Rleinafien das Arbeitsfeld: im Innern
die Candfcbaft Galatien6), fodann die Striche der Weft«
küfte, die die römifcbe Proving „Afien“ ausmacbten, -
in der Solgegeit ein gang befonders wichtiger Sitg bes
Cbriftentums. Bier war Gpbefus, in Guropa Corinth
bie bebeutenbfte Grünbung.
Von Antiochia bis tbeffalonicb unb Rorintb, ja
Illyrien7) — bas ift ein fcbönes Stück ber damaligen
Welt. Doch ftellen ficb leicht übertriebene Vorjtellungen
ein. Die cbriftlicbe Sprache liebte Byperbeln wie bie,
bafe CDacebonien bas Wort Gottes angenommen habe,
ober bafj bas Cvangelium „aller Welt kunb geworben
fei“8). Gs war bies bie Sprache ber Wirkenben unb
Glaubenden: die Wirklichkeit fab etwas anders aus.
Die Gütigkeit des Paulus bat jene Gebiete ja nicht ent«
fernt in ihrer gangen Breite unb tiefe umfaßt. Das
platte Canb kommt überhaupt nicht in Srage, böcbftens
in Syrien. Die (Diffion gilt ben Stäbten unb gwar faft
nur ben bebeutenberen plätgen an ben großen ßanbels«
unb Verkebrsftrafjen. Denn biefe geiebnen Paulus
feine Routen vor. Überwiegenb find es daher bie
l^üftengegenben, in benen er verweilt.
Am eingelnen Orte aber bedeuteten die Grfolge
der prebigt für ben kühlen Betrachter von bamals
nicht febr viel. Die gange Arbeit bes Paulus erregte
bie allgemeine Aufmerkfamkeit kaum mehr als bie
Wirkfamkcit eines begabten unb feurigen Sekten«
prebigers in einer größeren Stabt von beute, es fei

30
benn baß 3ufammenftöße mit ber polißei ober Rra«
walle ibn bekannt machten. Würben in einer einßelnen
ßroßftabt bunbert ober bunbertfünfßig perfonen gewonnen,
fowar bas gewiß fcbon ein ganß ungewöhnlicher Erfolg.
Das Werk Öes Paulus wirb bamit nicht berabgefeßt.
Wenn bunbert Perfonen annähernd bunbert werbende
Kräfte, wenn brei ober vier Stäöte einer Provinß ebenfoviele
Beröe einer rafcb wacbfenöen Bewegung find, ift es
nicht fo wenig. Und immer bleibt bie Sammlung einer
ßwar kleinen, aber feft verkitteten Gemeinschaft in fo weit
auseinanberliegenben ßegenben für einen Einßelnen
eine außerordentliche Ceiftung. Am meiften Bewunbe»
rung weckt aber bas kübne Vorwärtsbrängen ber
ßweiten Periode.
€in neuer ßeift fcbeint damals die (Diffion bes
Paulus ergriffen ßu haben. Schon ber rafcbe Über»
gang von ßebiet ßu ßebiet beutet darauf, ebenfo aber
auch jener kübne plan9) bes Apoftels, über Rom bis
ßur Weftgrenße ber Welt, nach Spanien, ßu geben unb
hort ßu wirken. Wer (ich mit folcbem Vorfaß tragen
konnte, ber bat offenbar auch ßuvor nicht bloß ge=
taftet unö fich öurcb öie ßelegenbeit von Punkt ßu
Punkt fcbieben laffen, fo oft bas namentlich anfangs
öer Sali gewefen fein wirb, fonöern er bat nach Ent«
würfen und nach einem Überblick gebandelt. Bier
paßt denn in der Pat nur öer eine Dame „Weltmiffion“:
öas Evangelium foll binnen kurßem wirklich ßu allen
Völkern getragen werben, unö öem Apoftel fällt öer
ßauptteil öer Arbeit ßu. Daß fein £auf jäb abge=
brocben würbe — fcbwerlicb ift er noch nach Spanien
gelangt -, ändert nichts an der Weite feiner ßedanken.
Sür uns bat ein plan wie der genannte etwas
pbantaftifcbes unö geraöeßu Befremdliches. Paulus er«
wartete den baldigen Eintritt des Weitendes. Auf eine
langfame Verbreitung feines ßlaubens von den eroberten
Punkten aus konnte er alfo nur wenig rechnen. Wes«
halb bann biefes in bie Serne Schweifen? War bie Ar»
beit in ßalatien etwa getan? Bot öie Pacbbarfcbaft nicht
reiche unö viel bequemere Selber? Es fcbeint, baß feine
leßten Schänken weniger nach öer Sahl öer gewonnenen

31
Individuen und der eingelnen Orte rechneten als nach
gangen Cändern oder Provingen: war Chrifti Dame nur
überhaupt in jede Proving getragen, fo batte bie gange
Welt - das war für Paulus wefentlicb bas römifcbe
Reich - bas Cvangelium vernommen. Bei folcber Ruf«
faffung trieb bann bie Srwartung bes Weitendes, auch
fonft ein mächtiger Rnfporn, gerade gum eiligen Ruf’
juchen neuer Scbauplätje.
Dafe Paulus überhaupt ben engeren Begirk bes
erften fyrifcb’cilicijcben Wirkungskreifes verliefe unb nun
ben hoben Slug nahm, wirb durch bie Verhandlungen
in Jerufalem unb Rntiochia bedingt gewefen fein, in
denen er bas Recht feiner Beibenmiffion vertreten batte,
unb gulefet mit Petrus unb Barnabas gufammengeraten
war. €r ftellte ficb fortbin mehr auf ficb felbft. Die
näheren Bufammenhänge find uns verborgen.

Rado ber Rpoftelgefcbicbte batte Paulus regelmäfeig


guerft ben Juden gepredigt und ficb erft, wenn fie feine
Botfcbaft förmlich verwarfen, das Redjt guge«
fprocben, gu ben Beiden gu geben10). Dieter feltfame
0runbfa$ bei dem CDanne, der ficb fpegiell mit der Bei«
denmiffion betraut wufete! Das ift in ber Cat unglaub«
lieb. Inbeffen finb mit biefer febematifeben Vorftellung
bie pofitiven Dacbriditen noch nicht beseitigt, nad> denen
Paulus in ber Cat bei ben jübifeben Synagogen angu=
knüpfen pflegte. Sie bürften mehr Vertrauen verdienen,
als ihnen bie Kritik vielfach gefchenkt bat. Sagt er
von ficb felbft, er fei ben Juden wie ein Jude geworben,
um Juden gu gewinnenS1), fo ift biefe Praxis nicht fo
auffallenb, näher betrachtet aber erfebeint fie fogar als
eine Bedingung feiner Crfolge.
Das Judentum ber Diafpora würbe in ber givilifierten
Welt bewifeelt, verfpottet unb gebafet, unb es übte doch
auf manche Kreife eine flarke Rngiebungskraft. Von
feiner Seite aber batte es Arbeit daran gefefet, um

32
Cerrain 311 gewinnen. Durch eine Propaganda, die ge»
rabesu als ein halbes Vorbild ber christlichen (Diffion
betrachtet werben darf, batte es allerorten Scharen von
Profelyten unb „Gottesverebrern“ ficb angegliebert. Die
Schattierungen waren babei febr jablreicb unb reichten
vom bloßen Synagogenbefucber bis 3um Volljuben.
Diefe Verbältniffe gewährten Paulus grofee Vor»
teile. Indem er in her Jubenfcbaft, wo er ja wirklich am
leicbteften anknüpfen konnte, Besiebungen [ucbte, auch
als Jude in ber Synagoge fprach, führte er feine Reli»
gion aufs hefte in einer Stabt ein. Sie erfcbien als
Abart eines Glaubens, ber längft bas Intereffe erregt
batte. Vor allem aber fanb er in jenem Anhang bes
Judentums fofort ein Publikum „aus ben Beiden“, bas,
we.m eines, auf feine prebigt vorbereitet war, unb bas
ihm 3ugleicb bie Brücke 3U ben eigentlich beibnifcben
Greifen fcblug. Vieles bat ficb in jener 3eit vereint,
bem neuen Glauben bie Wege 3U ebnen. Was bie^
es nur für ben CDiffionar, bafe bie eine griecbifche Sprache
allenthalben verjtanben unb gefprocben würbe! Aber
kaum ift etwas Anderes fo wichtig, als bie grofee Vor»
arbeit, bie bas Jubentum getan batte, unb bie nun ein»
fach benutjt werben konnte.
Das Jubentum bat ficb gerächt unb bie Sörberung,
bie es bem Apoftel wiber Willen gewährte, burch fort»
gefetjte ßemmung, ja Verfolgung wettgemacbt. Cr war
ben Jubeneben nidot nur ber Apoftat, ber Verkünber eines
verfluchten Glaubens; er war auch ber Störenfrieb, ber
Rivale, ber in ihrem Deiche fifcbte. Paulus bat biefe
Wut buchstäblich an feinem Ceibe fpüren müffen. Sünf»
mal, ersäblt er felbft, traf ibn allein bie Strafe ber
Auspeitfcbung12). Unb überall wiederholten ficb die
Verfucbe, ben pöbel auf ibn 311 betjen unb bie Behörden
durch Denunsiation gegen ibn mobil 5U machen.

Wreöe, Paulus
III 33
Elegans unb Geschliffenheit ber Rebe ift es nicht
gewesen, woburcb Paulus auf feine 3ubÖrer gewirkt
hat, Er bat hier felbft einen CDangel gefühlt13). Srei*
lieb ein wirklicher CDangel war es ihm gar nicht: das
rhetorische Beiwerk, wie es bem Gaumen her Aufge=
klärten behagt, könnte bie Kraft bes Evangeliums nur
beeinträchtigenu). Der Cejer ber Briefe wirb jebocb
von ber Rebegabe bes Apoftels günstiger denken als
er felbft. Wer beim Diktieren fo in Schwung unb Seuer
geraten, fo fiegbaft mit ben Gebanken vorwärtsftürmen
kann, ber batte auch als Reöner gewi^ etwas, was bie
ßörer in [einen Bann 50g unb an (eine Sache feffelte.
Aber was war es um biefe Sache? Wie hat Paulus als
GDijfionar fein Evangelium bargeboten?
Die Verkündigung vor ben ]uben mag man fich
leicht ausmalen. Schwieriger liegt bie Srage nach bem
Charakter ber Predigt an bie Selben. Ihre Beant=
wortung hängt 3um teil an ber Vorftellung, bie wir
uns vom Publikum bes Apoftels machen.
Dafe feine Anhänger überwiegend den unteren und
ärmeren Schichten angehörten, ift bekannt genug: vor
allem trauen unb Sklaven, daneben kleine 6ewerbe=
treibende unb ßanbelsleute; ber Bauer fehlte. Uns
intereffiert jebocb hier nur bie religiöfe Befchaffenheit
biefes Publikums.
CDan barf bas 3eitalter bes paulus, im ganjen
genommen, nicht für irreligiös ober religionsfeinblicb
halten. Allerdings arbeiteten viele CDächte am Sturge
bes polvtbeismus. Aber biefe Bewegung wirkte gu*
näcbft in ben oberen Schichten; unb vor allem war ein
eigentümliches neues religiöfes Geben im Entfteben, bas
bie Welt mehr unb mehr ergriff: bie Religionen bes
Orients batten ihren Eroberungsjug in bie griecbifcb=
römifebe Welt angetreten unb biefe Belebung berbeige=
führt. Das Alte verbanb fich babei in gabllofen Sonnen
mit bem Deuen. Es ift eben bie 3eit bes „Synkretis=
mus“, ber Religionsmifcbung; bie verfchiebenften Religi»
onen vermählen fich. Das Reue lag vor allem in öem
Verlangen nach Erlöfung, Der Gedanke an bas ]em
feits war lebendig, man fuebte Reinheit unb „Wieberge=

34
burt“, Erlöfung von ber Endlichkeit, Erlöfung gum ewigen
Geben, und man fragte nach bem Wege ber Erlöfung.
Ibn fanb man gewiejen in (Dyfterien unb Kulten. Die
„Weibe“ — wir würben jagen: bas Sakrament —
fpielte eine grofee Rolle; fie teilte bas „Geben“ mit ober
gab bie Bürgschaft für feinen Befity War man durch
ben geheimnisvollen Ritus in bie religiöfe Geineinfcbaft
aufgenommen, fo fühlte man fiel) erlöft. Das ift kein
erfeböpfenbes Bild. Ent(cbiebene Eenbeng auf Askefe
unb Weltverneinung, Verlangen nach Offenbarung unb
anberes käme hingu.
Gewifc war manchem Beiden am Cbriftentum vor
allem fein Gegenfatg gegen ben Götterglauben i’ympatbifcb.
Denn er kam ber im Beibentum felbft entstandenen
Kritik unb Rufklärung, pofitiv gesprochen, bem ftark
monotbeiftifeben Suge ber Seit entgegen. Rber es ift
klar, bak noch gang anbere Dinge angiebenb wirken
konnten. Der cbriftlicbe Gedanke bes ewigen Gebens
und feine Rebrfeite, bie Ibee bes fcbrecklicben Gerichtes,
ber Glaube an bie Erlöfung durch Cbriftus, bie heilige
Schrift mit ihren untrüglichen göttlichen Orakeln, — alles
bas fanb wefentlicbe Anknüpfungspunkte vor. Damenh
lieh waren auch bie heiligen Banblungen geradegu eine
Empfehlung ber neuen, ebenfalls ja orientalifeben, Religion:
bie "taufe als „Weihe“, bas Berrnmabl als Seitenftück
gu ben mancherlei kultifcben CDabigeiten15).
Dies alles will bedacht fein, will man ficb eine
Vorftellung von ber eigentlichen (Difjionspreb:gt bes
Paulus unb auch von ihrer Wirkung bilden. Seine Briefe find
jamtlicb an bereits Gewonnene unb Unterwiefene ge=
richtet, geben baber von ihr keinen unmittelbaren
Begriff.
Die Betonung bes Glaubens an ben einen Gott
unb bie Kritik ber Vielgötterei tritt in ihnen gang gua
rück. In ber predigt mufg Jie Bedeutung gehabt haben.
Paulus ging babei gang in jübifeben Sufgftapfen. Er
baebte nicht „religionsgefcbicbtlicb", batte überhaupt kein
Auge für verfebiebene Religionsinbivibualitäten. Auf gut
jübifcb unterjcbieb er einfach unb mafjiv gwijeben ]uden>

111* 35
tum und „ßeiöentum“, und das ßeiöentum war ibin
unterfcbiebslos Sinfternis und Veröerbensmaffe; feine
düftere Schilderung desfelben *) arbeitet ja auch gans
mit konventionell jüöifcben Serben. Als Prediger wird
er demnach bie übliche jüöifcbe Polemik gegen bie Göfeen
von B0I3 unb Stein, gegen bie lafterbaften unb tier *
geftaltigen Götter verwertet unb gewife auch nicht ver»
beblt haben, bafe hinter Öen angeblichen Göttern feinö=
liebe unb furchtbare Dämonen lauerten. Im 3ufammen=
bang bamit wies er bann auf das 3eugnis, bas die
Schöpfung für Öen einen Gott und Schöpfer ab’
lege 18).
Dennoch wäre die Vorftellung unrichtig, als hätte
er mit öiefen Dingen grraöe beginnen unb bas fpegififcb
Cbriftlicbe im Intereffe einer vernunftgemäfecn unb päba»
gogifchen llnterwcijung 3unäcbft jurückftellen muffen. In
Wahrheit wäre es gar nicht fo vernunftgemäfe unb päöa»
gogifcb gewefen, bas Vernünftige 3U predigen - felbft
wenn er auf diefe Geficbtspunkte befondern Wert ge=
legt hätte. Denn man fuebte in der Religion, aufeer in
gebildeteren Greifen, gar nicht 3uerft bas Vernünftige,
man war voll empfänglich für myftifebe Gedanken. So
3eigen uns denn auch Andeutungen der Briefe, dafe er
ficb gar nicht gefebeut bat, fogleicb mit dem bervor3U=
treten, was ihm der Kernpunkt war. In Rorintb bat er
fogar trofe der Gunft, in ber hier bie „pbilofopbie“,
ö. b. die Rhetorik, ftanb, gan3 direkt mit dem für die
Seiden anjtöfeigften Punkte begonnen, mit ber „Darr
beit“ bes Rreu3es Cbrifti: in ihm liege öie Grlöfung,
daher fei es öie göttliche Weisheit17).

Li ^^-,4

*) Röm. 1, 18 ff. Die zu den „Apokryphen“ unseres


Alten Testaments zählende „Weisheit Salomos“ bietet fast zu
jedem Zuge Parallelen.

36
2. Die ßemetnbepflege.
CDit einem flüchtigen Evangelifieren war es für
Paulus nicht getan: alles lag ihm an befeftigten 6e=
meinben, Die Sorge, bie er aufwenbet, um folche gu
Jebaffen, gehört baber fo gut 311 feiner (Diffionsarbeit
wie bas raftlofe Wanbern 311 neuen Acherpläßen unb
bas grunblegenbe prebigen.
Als Organifator, als Vater unb, wenn man niebt
3U febr an bie Befcbäftigung mit ben innern flöten bes
Gingelnen benkt, als „Seelforger“ ber ßemeinben nötigt
Paulus 3ur Bewunberung.
Das Wenigfte waren äußere Einrichtungen. Was
er an folcben, vermutlich bureb bas CDufter ber jübifeben
Diafporagemeinben beeinflußt, gefchaffen haben mag,
bleibe hier unerörtert. Von einer „Verfaffung1' kann
man überhaupt nicht gut reben. Dagu waren bie Ver=
bältniffe viel 3U klein unb unfertig. Die Belehrung unb
Erbauung ber ßemeinbe aber war überhaupt noch nicht
Sache kirchlicher Beamter; fie lag gan3 von felbft in ber
ßanb berer, bie vom „ßeifte“ bie „ßabe“ bagu batten.
Aber welche Sülle von Sragen unb Aufgaben
brachte bas innere Ceben ber ßemeinbe! Das jübifche
Element allerbings, bas gang wohl nirgenbs fehlte, ftanb
bureb eine beftimmte Schulung ben Intereffen bes Apoftels
ohne weiteres nabe, vermochte ibm barum auch wichtige
Hilfskräfte gu liefern. Wie anbers war es bei ben ge­
wonnenen Selben! Eine Rluft fchieb fie großenteils von
feinen fittlicben Anfcbauungen, am meiften auf bem ße=
biete bes ßefcblccbtslebens unb überhaupt bes Sinnlichen
ßenuffes. Paulus brachte bie ftrenge CDoral eines Juben
mit, unb mit ihr war es ibm bitter ernft, er konnte nichts
davon abiaffen. Da batte feine fittliche Unterweifung
ein großes Selb. Die gottesbienftlicben Bräuche bes
Heibentums ragten weit in bas tägliche bürgerliche Ceben
hinein, unb wenn es ficb nur um bas SDeifch bes (Darktes
banbelte. Darf ber Cbrift bas feilgebotene Opferfleifcb
kaufen unb effen? Darf er es, wenn es als folcbes
gerabesu beklariert ift? Darf er weitergeben unb einer
beibnifeben Ginlabung gu ben (Dahlgeiten folgen, wo
man ficb um bas ßößenopfer fammelt1)? Im Ebeleben
entstanden 3ablreicbe praktifcbe Probleme, fcbon durch
die vielen (Difcbeben, aber auch durch die Deigung 3ur
Askefe. Soll die cbriftlicbe Srau ficb vom beibnifcben
Gatten trennen? Darf die lebige Cbriftin einen föeiben
beiraten? die Witwe wieder beiraten? empfiehlt ficb
überhaupt Enthaltung von ber Che2)? In all biefen unb
vielen anbern Bejiebungen waren bie Bahnen, bie bas
cbriftlicbe Ceben einjufcblagen hätte, erft auf3ufucben unb
feftjulegen. (Dochte bas Jubentum ber Diafpora einige
folcber Probleme fcbon gekannt haben, in ber ßaupb
jache waren fie neu. Cs galt alfo für Paulus, jum
erften (Dal eine Art kafuiftifcber Gemeinbeetbik 3U
fcbaffen. (Dan müfjte hier bas ganse Bilb nacbseicbnen,
bas ber 1. Rorintberbrief gewährt. Er führt in biefe
ordnende, entfAeidende, 3urecbtbiegenbe Tätigkeit mitten
hinein unb ftellt ber Umficbt, ber Dücbternbeit unb dem
Takte bes Apoftels ein glänsenbes 3eugnis aus. Am
meiften aber feinem Gemeinfcbaftsfinne.
In Rorintb3) fcbwelgte man in ber Ekftafe. Siner
nach bem anbern beginnt im Gottesbienfte in unver=
ftänblicben, versuchten Cauten unb Worten 3U beten
unb 311 fcbreien, unb jeher improvifiert, wie ibn ber
Geift treibt; er rebet längft „in Bungen", ehe bie Flach’
barn fertig finb. paulus fiebt im ekftatifcben Reben
wirklich ein Werk bes heiligen Geiftes; aber biefem
Wefen ftemmt er ficb kräftig entgegen. Der Prophet,
fagt er, ber weisfagt, mahnt unb tröftet, ift viel mehr
wert als ber Bungenrebner; benn er rebet verftänblicb,
unb nur vcrftänblicbe unb verftänbige Rebe fördert bie
Gemeinbe. Über allen Geiftesgaben aber gibt es noch
ein weit ßöberes, bas foll allem voranfteben: bie Ciebe4).
- Der asketifcben Auffaffung ber Ebefragen ift ber
Apoftel ja innerlich böcbft geneigt, aber er ift weit davon
entfernt, ihr für bie Praxis ber Gemeinbe unbedingt das
Wort 311 reden. Er dämpft den asketifcben Drang faft
mehr, als bafj er ibn ermunterte; benn er fiebt bie 6e=
fahren. - Die Baltung jener Ceute, bie aus asketifcber
Scheu bas Sleifdo unb ben Wein5) meiden, ober bie in
Angft finb, fie könnten ficb burcb Effen von Opferfleifcb
verfünbigen8), erfcbeint ihm als innerliche Unfreiheit.

38
eigentlich verlangte fein Prinjip, ihr keinen Schritt
nachjugeben unb die Gleichgiltigkeit folcher Äufjerlicb=
keiten ju verfechten; dennoch fordert er von bem, ber
ficb frei fühlt in folchen Sragen, bafe er feine Sreibeit
daran gebe, wenn ber „fcbwacbe“ Bruber ficb baran ftöfjt.
Bier empfindet man ftark, wie der Gedanke feines
Werkes feine Seele erfaßt bat unb felbft bie Ent­
faltung feiner Perfönlicbkeit beftimmt: bas Intereffe ber
Gemeinfcbaft brängt in ibm felbft bas Scbwärmerifcb»
Asketifcbe surüch, es fordert bie erfte Stelle; immer gilt
es bas, „was aufbaut“, flicht von ungefähr besbalb
bie vielen (Bahnungen gur Einmütigkeit unb sum
Srieben, 3ur Bruderliebe, jur Unterordnung und 3ur
Ordnung. Und wie fcbarf greift er 3U, wenn man die
Bahn der geregelten, anftändigen Sitte verlädt7), oder
wenn Cliquen unb Parteien, unb mögen fie auch auf
ibn felber fcbwören, bie Gemeinde mit Spaltung be»
droben ”).
Es ftebt ein Bild vor ibm, ein Ideal der Rircbe,
wenn man fcbon fo fagen darf: ein Bunb, um einen
ßerrn gefammelt, einträchtig und feft gefcbloffen, jedes
Glied an feiner Stelle, jede Kraft bem 6an3en nut3bar °),
Reinheit her Sitten fein Rennseicben gegenüber einer
verberbten Umgebung unb sugleicb feine Ebre vor ihr10);
jeber kleine Bunb aber mit allen feinesgleicben nab
unb fern ficb eins füblenb unb lebenbig sum größeren
Gan3en verbunben. Diefem Ibeal 3ur Wirklichkeit 3U
verhelfen — bas ift bas eigentliche Bemühen feiner
Seelforge. Es ift „kirchliches“ Empfinden, was ibn
leitet.
Paulus arbeitete nicht allein. Er vervielfältigte
ficb felbft durch feine Schüler, Gehilfen unb, nicht 3U
vergeffen, Gehilfinnen. Silvanus, Cimotbeus, Citus
fteben in erfter Cinie; aber eine Sülle anberer Damen
tritt bin3u. Von einem, Epapbras, erfahren wir faft
3ufällig burch ben Rolofferbrief, bafj er in den drei
pbrygifcben Stäbten Roloffä, Caobicea unb ßierapolis
Gemeinden gegründet und der Autorität bes Paulus
unterftellt bat.

39
natürlich gehörte es 3ur Sürforge für hie 6e«
meinben, bafe Paulus fie wieder befucbte. Daran hing
3uweilen, ob er bie Säben in feiner Band behielt. Da«
neben gebende man hier aber auch ber Korrefpondens,
von ber ja nur ein Ceil, wenn auch ein befonbers
wichtiger, auf uns gekommen ift. Seine Briefe find
wirklich felbft ein Stück (Diffion, unb fo mufe man fie
lefen — freilich nicht nur in Brocken ober „Sprüchen“
unb nicht nur in veraltetem Deutfcb um ihren Rei3
3u empfinben. Sie erfefeen bie perfönliche Gegenwart
bes Paulus, bereiten feine Befucbe vor unb greifen,
balb fchneller bingefcbrieben, balb forgfältiger erwogen,
direkt in bie fcbwebenben Sragen bes Gemeinde«
lebens ein.

3. Der Kampf um bas Werk.


Der ßeibenmiffion bes Paulus trat in ber ent«
ftebenben Kirche felbft eine Gegenftrömung von größter
CDacht in den Weg. Sie ging aus von ber CDiffions«
auffaffung ber fogenannten ürgemeinbe, b. b. ber Juben«
chriften in jerufalem. Wie ein Bleigewicht bat ficb biefe Auf-
faffung an ben vorwärtsfcbreitenben Apoftel gebangt
und ihm einen Kampf aufgenötigt, in dem feine Arbeit
viel Kraft versehren mufete, aber freilich auch wahrhaft
erftarkte.
Das gan3e Bild bat feine böcbft unerfreulichen
Seiten unb gerftört unbarmbersig die Vorftellung von
dem rein idealen Charakter bei- urcbriftlicben Suftänbe.
Anbrerfeits barf biefer Kampf aber unter ben gegebenen
Vorausfefeungen wirklich eine gefcbicbtlicbe Dotwenbig«
keit beifeen, unb auch hier war ber Kampf „ber Vater
ber Dinge".
Da Jefus trotj freierer ßaltung bas (Dofesgefetj
felbft nicht angetaftet batte, fo batte bie (Jrgemeinbe von
Anfang an bie jübijcben Cebcnsfitten beibebalten. In
ber Sfolge aber fteigerte ficb ihr Konfervatismus, fie
40
verjubete mehr oder weniger: geraöe öie entffebenöe
Reiöenmiffion wirkte Reaktion. Diefe Ceute waren
überhaupt noch keine „Chriften“, fie wollten felbft nichts
fein als meffiasgläubige Juden.
Jefus batte an Reibennüffion überhaupt nicht ge=
dacht. Gleichwohl batte ficb auch von öiefem BoÖen
aus eine Tätigkeit unter öen beiden vielleicht entwickeln
können, Aber dann hätte der Beide den vollen ober
halben Übertritt jum Judentum auf ficb nehmen
muffen. In der (Diffion felbft aber lag andrerfeits der
kräftigfte Antrieb, öie jüdifcben Riten bei Seite 5U
fcbieben. Die Befcbneibung, die Gefetje über reine und
unreine Speifen waren für öen beiden einfach Schlage
bäume. Diefe Bräuche erfcbienen ja nicht nur befremd»
lieb unö hindifcb; fie waren wirkliche Caften für öas ge*
fellfcbaftlicbe Heben, festen dem Spotte aus unö fcbufen
Trennung in öen Familien. (Dan öenke nur an öie Be>
fcbränkung auf kofcberes Sleifcb.
So {fanden ficb alfo öie Dinge gegenüber: eine
(Diffion, für öie öie Gefetjesfreiheit Cebensluft war, und
eine Gemcinfcbaft, der öas Gefe^ ßeiligtum war. Wie
konnte öiefe Gemeinfcbaft Ceute als ebenbürtig be=
trachten, öie öas nicht kannten, was ihr als Grund»
foröerung öer Frömmigkeit galt? Diefer Standpunkt ift
befcbränkt, uns heutigen erfcbeint er vielleicht 3U be»
fcbränkt. (Dan mufj fühlen, wie ein Jude fühlen mufcte.
Wie wäre es, wenn bei uns eine kirchliche Gruppe die
Taufe für entbehrlich, ja für ein Remmnis öes Gvange»
Hums erklärte?
Schlang ficb nun Öocb um Öie Vertreter öer (Diffion
unö um die ürgemeinöe öas Banö öes einen Glaubens,
fo war eine Rrife mit ftarken Aufregungen kaum ver»
meiölicb; unö um fo weniger, als Jerufalem als CDutter»
gemeinde eine natürliche Autorität für alle Chriften be»
fafe. Ihre fcbärffte Sufpitjung erfuhr öie Situation aber
erft dadurch, öafj öie Reiöenmiffion keine reine €r=
fcbeinung war, b. h. öafj überall neben öen Reiben auch
Juden gläubig wurden. Beide Teile bildeten eine Ge»
meinfcbaft. Wie follte öa die Praxis fein? Der Juden»
chrift mugte von feinem Standpunkt aus öen Reiben»

41
cbriften als unrein anfeben, er durfte ficb mit ihm -
was hiefe das! - nicht gum Abendmahl nieberfetjen,
auch kein beidencbrijtiicbes CDäbchen beiraten. Die vor*
drängende ßeidenmiffion führte daher notwendig bagu,
den Judencbriften im Beibenlanbe gleichfalls dem Gefefg
gu entfremden. Ebenfo notwendig folgte darauf der
Rüd^fcblag des jüdischen Empfindens.

In biefen Bahnen bat ficb nun der Cebenskampf


des Apoftels wirklich bewegt.
Seine Briefe geigen das fcbärffte Gefühl für das,
was auf bem Spiele ftanb, wenn ber neue Glaube bau*
ernb mit jübifcben Cebensformen belaftet würbe. Die
Klarheit feines pringips prägt fido ja aufs deutlichste
in feinen tbeologifcbcn Gedanken aus. Er bat biefe
Klarheit vermutlich aber erft fcbrittweife gefunben, und
gwar durch bie Praxis bes Evangelifierens felber. Dafe
bie Entfcbeibung für ben Sortfcbritt ihm leicht würbe,
hängt irgendwie jedenfalls mit feiner Bekehrung gu*
fammen. (Ditgewirkt bat wabrfcbeinlicb aber auch bas'
Vorbild, bas bie freier gerichtete jüöifdae Propaganda
ber Diafpora gab. Seine Entwicklung deutlich gu geicb*
neu finb wir nicht imftanbe.
Auch ben Kampf felbft überfeben wir nicht entfernt
vollftänbig. Dod? kennen wir aus feinem Verlaufe gwei
cingelne bebeutfame Sgenen unb einen Teil ber An*
ftrengungen, bie man madote, um ber gefe^esfreien
(Diffion ans Ceben gu geben.
Die erfte Sgene fpielt in Jerufalem unb ift wirklich
eine Art Eröffnung bes gangen Sdjaujpiels. Die bei*
den berühmten Berichte darüber, Gal. Rap. 2 unb Apoftel*
gefcbicbte Rap. 15, bie gabllofe tbeologifd^e Sehern in Be*
wegung gefegt haben, enthalten unausgleichbare Wiber*
fprüd^e. Die Apoftelgefcbicbte bat fieber einiges ver*
feboben; aber aud^ ber Bericht bes Augengeugen paulus
läßt Wünfcbe übrig: er enthält Dunkelheiten, ift überbies
in einer leibenfcbaftlichen Stunbe gefebrieben unb verfolgt
bie beftimmte Cenbeng, feine Unabhängigkeit von ben
Apofteln in Jerufalem bargutun. Vielleicht ift ba hoch

42
auch ein wenig „Beleuchtung“ in Abjug ju bringen. Das
eigentlich Tatfäcblicbe mufe aber richtig fein.
einige von den ftrengften Gefefeeseiferern waren
nach Antiochia gekommen unb hatten bas treiben bes
Paulus an Ort unb Stelle beobachtet. Der Bericht
biefer teilte - beifeenb beifet fie Paulus „eingefcblicbene
falfcbeBrüber“ —batte in Jerufalem Befremben unb Er»
regung bervorgerufen. eine perfönlicbe Ausfpracbe
würbe notwenbig: Paulus ging mit Barnabas und bem
noch unbefcbnittenen Titus nach Jerufalem. So kam es
ju ber Verbanblung, bie man allju pomphaft „bas
Apoftelkonjil“ genannt bat. Paulus wufete, es banble
fich darum, ob er „vergeblich gelaufen fei“2). Ruf ben
Spruch ber ürapoftel kam es an. Cs war ein Glück
für ibn, bafe er bisher mit biefen nur ganj flüchtige Be=
rübrung gehabt batte3). Gr batte baburch Seit gehabt,
Tatfacben ju fcbaffen, ehe man ihm in ben Rrm fiel.
Eben biefe Tatfacben aber überwältigten bie „Säulen ber
Gemeinbe“, Jakobus,ben „Bruberbes Berrn", Petrus unb
Johannes. Sie mußten jugefteben: paulus batte nicht
nur Beiben gewonnen; es batten ficb bei ihnen auch die*
felben Gaben bes Geiftes eingeftellt wie bei ben Juben«
cbriften. Das war Gottes Urteil, unb fo liefe man ficb
durch bie Extremen nicht abbalten, ihm bie Bruberbanb
ju reichen unb feine Rrbeit in gewiffen Grenjen anju«
erkennen4).
In gewiffen Grenjen. Denn über ein Scbieblicb«
frieblicb kam es bocb nicht hinaus. Die Einigung be>
beutete jugleicb Trennung: Paulus ju ben Beiden,
Petrus ju den Juden. Paulus verfpracb dabei, für bie
Rrmen in Jerufalem ju kollektieren. Das trug wahr«
fcbeinlich baju bei, bie Rpoftel für ibn ju ftimmen; als
eigentliche Bedingung erfdieint es nicht - wie er denn
überhaupt verneint, bafe ihm Bebingungen gemacht
worben feien5).
Eine Anerkennung bes Paulus durch bie Autori«
täten — unb bocb wie wenig eine wirkliche Eöfung!
Das kann bie jweite Sjene lehren, ein (Domentbilb,
bas uns Paulus im Streit mit Petrus jeigt8). petrus be«
fuebte bie Antiocbener und jeigte fich babei anfangs

43
febr weitbergig; obne Scheu fafe er mit den beiden»
cbriften gu Cijcbe. Aber Jakobus liefe ibn - in gang
folgerichtiger (Difebilligung feines Benehmens — durch
Boten bearbeiten7), unb nun fcbwankte ber wenig konfe»
quente Charakter gurück. Paulus mufete feben, wie nun
aucb Andere, felbft fein alter College Barnabas, irre
wurden, unb wie Petrus felbft auf bie Beibencbrijten
einen Druck übte. Das erbitterte ibn aufs böchfte, unb
hier, auf feinem eignen Boden, erteilte er der Säule
von Jerufalem nun die derbfte Cektion. Das Cnbe war
eine ftarke Verftimmung. Paulus ging bald auf ein
ferneres (Diffionsfeld und obne Barnabas. CDan fleht,
bie Abmachung von Jerufalem reichte nicht bin, ben
fcbärfften Konflikt gu binbern, fobalb Juden» und Beiden»
cbriften ficb wirklich berührten.
Biermit reifet der eigentliche Sahen ber Creigniffe
für uns ab. Aber bas Wicbtigfte, was bie Solgegeit
bradjte, ift uns hoch binreicbenb beutlicb: bas Juben»
cbriftentum organifierte in ben eigenen Gemeinden bes
Paulus eine förmliche Gegenmifjion. Cs find Spuren
vorbanben, bafe ficb bie Bewegung nidot auf Galatien
unb Korintb befcbränkte8).
Die Agitatoren errangen wenigftens geitweilig
giemlicb gefährliche Crfolge. Sie verfügten aber aucb
über wirkliche Waffen gegen paulus. Batte nicht Jefus
felbft im Gefefee gelebt? war er nicht befchnitten worben?
Waren nicht bie ürapoftel bie entfcbeibenben (Dänner,
ba fie mit Jefus gelebt batten? War paulus ein wirk»
lieber Apoftel ? Diefe Srage würbe febr ernftbaft er»
hoben9). Seine Vifion nannte man eine Illufion, feine
Autorität eine Anmafeung. Die Ceute batten von ihrem
Standpunkt nicht unrecht. Kam cs auf bas perfönlicbe
Verhältnis gu Jefus an, fo lag hier für paulus eine
wunbe Stelle.
Die Süden diefer Agitation liefen obne Sweifel
fcbliefelicb in Jerufalem gufammen. Recht dunkel bleibt
aber, wie bie ürapoftel felbft bagu ftanben. Sie mit
ber Bewegung einfach gu ibentifigieren, gebt nicht an10);
ohne irgenb welchen Rückhalt in diefen Greifen hätten

44
aber die Sendlinge auch wenig Aussicht gehabt11). Ruf
)akobus fällt öer meifte Verdacht.

Paulus ift Sieger geblieben in diefem denkwürdigen


Kampfe. Gr vertrat ja den Sortfcbritt und die natur»
gemäße Entwicklung, aber er hat auch tapfer gestritten.
Sreilicb fcbeint es ohne gelegentliche Kompromiße nicht
abgegangen ju fein.
Rls er juletjt nach paläftina kam, bat er in Rück»
ficht auf jüdifcbe Gefühle ein echt jüdifcbes Gelübde auf
ficb genommen. In ähnlicher Rückficbt batte er früher
den Cimotbeus befcbneiden laffen. Dicfe Dacbricbten der
RpoftelgefcbicbteI2) find freilich von der Kritik fcbarf be=
ftritten worden. Rber doch wefentlicb von der Verkeilung
aus, dafe Paulus ftets völlig prinjipientreu gebandelt
habe. Richtiger dürfte es fein, an der ßand diefer Er»
jäblungen, die trotj beigemifchten unrichtigen 3ügen nicht
nach purer Erfindung ausfeben, eine übertriebene Vor»
fteliung von feiner Konfequenj ju berichtigen. Dafj er
unter Umftänden „den Gefe^esleuten ein Gefetjesmann
geworden fei“, erklärt er ja felbft13). G)ag man das
fo oder fo beurteilen: er felbft bat eine Verleugnung
feiner Sache nicht darin gefeben; und gefcbicbtlicb be»
trachtet bleibt folcbe Akkomodation etwas Unterge»
ordnetes, weil fie ihm gerade ein (Dittel war, feine feft»
liegenden Siele ju erreichen.
Übrigens drängt ficb doch die Srage auf, wie es kam,
dafj der Streit nicht jur vollen Spaltung führte. Paulus
wäre an ficb gewife Revolutionär genug gewefen, um feine
Kirche von jerufalem ganj losjureifjen. Es bat ibn
Verfchiedenes gebindert, am meiften aber die feftgewurjelte
Rutorität der jerufalemifcben (Duttergemeinde. Sie reichte
tief bis in feine eigenen Gemeinden hinein; aber auch
Paulus felbft geftand, wenn auch halb widerwillig, „den
löeiligen von Jerufalem“ einen befondern Rdel ju. Spitjige
und febarfe, in der ßi^e der Polemik geäußerte Be»
merkungenu) dürfen darüber nicht täufchen. Gr war
felber Judencbrift, räumte dem Volke Gottes ein be»
fonderes Rnrecbt auf das ßeil ein und konnte den
Glauben der ßeidenebriften wie ein Gefcbenk betrachten,

45
das ihnen von öen eigentlichen Inhabern, den gläubigen
Juden, gemacht worden fei und ihnen befondere Verpflicht
hingen gegen diefe auferlege15). Ruf das Verhältnis 3U
Jerufalem harn ihm daher doch fehr viel an. Der befte
Beweis ift, dafe er die Kollekte für die Rrmen dafelbft
fo wichtig nahm. €s war dies vor allem ein Rkt
feiner kirchlichen Politik: er wollte damit die Stimmung
in Jerufalem verbeffern1G).

46
111. Kapitel.
Die Theologie.

1. paulus als Cbeologe.


Moderne Vorstellungen muß man ausdrücklich verbannen,
wenn man Paulus einen Theologen nennt. Er besaß keine
theologische Gelehrsamkeit in unserm Sinne und hat auch mit
unsern Dogmatikern und Ethikern geringe Ähnlichkeit. Niemals
hat er ein System seiner Lehre entwickeln wollen, selbst im
Römerbriefe nicht. Er schreibt immer als Missionar, Organi­
sator und Volksredner, entwickelt seine Gedanken auf ge­
gebenen Anlaß hin, und immer nur nach einzelnen Seiten. So
könnte man überhaupt irre werden, ob „Theologie“ hier der
rechte Name ist. Aber er ist nicht zu entbehren.
Ohne weiteres ist zweierlei klar. Erstens zeigt sich
ein starkes theologisches Element in seiner Beweisführung,
und diese ist am ausgebildetsten, wenn er polemisch schreibt.
Hier tritt der Einfluß der rabbinischen Schulung am sicht­
barsten hervor, in der Art der Schlußfolgerung wie in der
Verwertung der Schrift1). Zweitens sagt Paulus selbst deut­
lich genug, wie hoch er die Erkenntnis (Gnosis) schätzt. Er
erklärt, daß er den gereiften Christen nicht blos das einfache
Evangelium predige, sondern eine „Weisheit“2). Es ist eine
Art Wissenschaft der Inspirierten, ganz etwas Anderes als
menschliche Weisheit, ja dem „natürlichen Menschen“ völlig

47
unverständlich. Der „Geist“ ist es, von dem er diese Er­
kenntnis haben will; denn der Geist kennt die Dinge, die über
die Vernunft sind, und offenbart sie. Wir würden es Theosophie
oder religiöse Spekulation nennen. Es handelt sich dabei uni
das Verständnis geheimnisvoller Schriftaussagen, vor allem um
ein Eindringen in die Wege und Ratschlüsse Gottes, ein
Vorauserkennen künftiger Entwicklungen8).
Alles dies liegt nun freilich mehr an der Peripherie, und
handelte es sich nur darum, so wäre das Theologische leicht
von der „Religion“ des Paulus zu subtrahieren. Aber es steht
weit mehr in Frage. Der Apostel hat in Wahrheit eine große
Gesamtanschauung entworfen, die einen ganzen Reichtum von
theologischen Voraussetzungen, Sätzen und Folgerungen in
sich befaßt; das ganze Christentum erscheint bei ihm bis zu
einem gewissen Grade als ein Gedankenbau.
Wie verhält sich dazu nun seine Religion? Antwort:
beides ist gar nicht zu trennen. Die Religion des Apostels
selbst ist durchaus theologisch, seine Theologie ist
seine Religion. So falsch die Meinung ist, als handle es
sich bei ihm um eine kühle, verstandesmäßig anzueignende,
gewissermaßen jenseits der Frömmigkeit schwebende „Lehre“,
so falsch ist die andere, als ließe sich die Frömmigkeit des
Paulus beschreiben ohne die Gedanken, mit denen er
Christus, seinen Tod und seine Auferstehung erfaßt hat. Schon
in der Bekehrungsstunde gab ein klarer, formulierbarer Ge­
danke seinem Leben das neue Gepräge; der einfache Satz:
„Jesus ist der Messias“ mit seinen nächsten Folgerungen war
alles; und er ist bereits der Keim eines Dogmas. Seine
„Theologie“ aber ist nur der entwickelte Keim.

Betrachten wir den Theologen Paulus etwas näher.


Man kann leicht sehen, daß seine Gedankengängc etwas
sehr Elastisches haben. Gewisse unverrückbare fiauptlinien
sind vorhanden, im übrigen bewegt sich das Denken von
Brief zu Brief, ja von Kapitel zu Kapitel recht sorglos und
frei, ganz unbekümmert um die logische Übereinstimmung des

48
Einzelnen. Die Gesichtspunkte und Begründungen wechseln,
sie durchkreuzen einander, ohne daß Paulus es merkt. Es ist
daher gar keine Kunst, Widersprüche bei ihm aufzustöbern,
selbst in Hauptgedanken. Einmal heißt es: die Heiden haben
in ihrem Gewissen auch ein Gesetz und können danach ge­
richtet werden. Bald darauf: in der Zeit von Adam bis Moses
habe den Menschen die Sünde nicht angerechnet werden
können, da es noch kein Gesetz gab1). Hier ist offenbar der
erste Gedanke vergessen. Oder dem Satze, der Mensch werde
nicht durch Werke, sondern durch den Glauben gerecht, tritt
der andere zur Seite, das Urteil im Gericht werde nach den
Werken des Menschen ergehen. Gequälte Ausgleichsversuche
sind in all solchen Fällen vom Übel. Gefährlich ist es aber
auch, zu behaupten, Paulus könne etwas nicht meinen, weil es
zu unmöglichen Konsequenzen führen würde. Die Konse­
quenzen können „unmöglich“ sein, aber man muß fragen, ob
Paulus sie gesehen hat. Vielleicht ist es gerade lehrreich,
daß er es nicht getan hat.
Zum Teil ist dieses Denken in Fragmenten eine Wirkung
der rabbinischen Schule. Bei den Rabbinen pflegt alle Er­
örterung vom einzelnen Schriftworte oder vom Spezialproblem
auszugehen. Es ist ein Denken von Fall zu Fall, ohne Sinn
für den systematischen Zusammenhang eines Ganzen.
Bekannter ist, was die paulinische Methode des Schrift­
beweises den Rabbinen zu danken hat. Jede geschichtliche
Auffassung des Alten Testaments liegt Paulus natürlich fern.
Er teilt mit seiner Zeit den Glauben an die wörtliche Inspi­
ration. Trotz all seiner Angriffe auf das Gesetz ist er doch
niemals an dem göttlichen Offenbarungsbuche selbst irre ge­
worden; und der Beweis aus der Schrift ist ihm nicht nur
wichtig, um jüdische Widersacher ins Unrecht zu setzen, sondern
an sich. In Wahrheit entnimmt er freilich der Schrift meist
nur das, was er selbst in sie hineingelegt hat. Ein Haupt­
mittel ist ihm dabei die Methode der allegorischen Deutung;
durch sie entläuft man dem Joche des Schriftbuchstabens,
ohne seiner Heiligkeit etwas abzubrechen. Jedes kann alles
bedeuten, ist hier die Devise, wenn man nur den geheimen
Sinn erkennt. Das ist die zum Prinzip erhobene Willkür, die
Willkür hat aber doch auch ihre Methode. Wenn Paulus z. B.
dem Spruche: „Du sollst dem dreschenden Ochsen das Maul
Wrebe, Paulus
IV 49
nicht verbinden“ die Frage hinzufügt: „Kümmert sich Gott
etwa um die Ochsen, oder gehen nicht überall seine Worte
auf uns?“*), so legt er nach dem Grundsätze aus, daß die
Schrift nichts sagen könne, was Gottes nicht würdig sei.
Und wenn er den Griechen in Galatien die Belehrung gibt,
die „dem Samen Abrahams“ gegebene Verheißung könne nur
auf Christus gehen, da es „dem Samen“, nicht „den Samen“
(in der Mehrzahl) heiße, so bedient er sich auch da einer
öfter befolgten Auslegungsregel®).
Theologisch wichtiger als diese Methode ist aber die
Verwertung der Schrift als Weissagungsbuch. Auch darin steht
Paulus auf den Schultern seiner Lehrer, aber bei ihm wie bei
den Christen überhaupt trat hier doch eine ganz wesentliche
Fortbildung ein: der Drang, Weissagungen im Alten Testamente
aufzuspüren, wächst ins Ungeheure, und alles wird nun ganz
prinzipiell auf Jesus und die Endzeit der Welt bezogen. Der
Grundsatz heißt: „was geschrieben ist, ist um unsertwillen ge­
schrieben“’). Das Alte Testament wird in dieser Behandlung
mehr und mehr zu einem christlichen Buche.
So fremd diese Dinge den modernen Menschen anmuten,
weit fremder ist ihm doch mancherlei in der eigentlichen
Gedankenbildung des Apostels. Ihm ist vieles ohne weiteres
einleuchtend, was uns gar nicht einleuchtet, auch denen nicht,
die sich besonders auf ihn berufen. Man kann bei ihm geradezu
von einer eigenen Logik sprechen, die von der unsern wesent­
lich abweicht.
Paulus kann in Einem Atem unter dem „Haupte des
Mannes“ seinen Kopf und wieder Christus verstehen. Die
Sitte, daß der Mann beim Gottesdienste den Kopf entblößt,
rechtfertigt er mit dem Argument: andernfalls schände er sein
Haupt (d. h. Christus). Für uns ist das Spielerei. Paulus
empfindet die Umdeutung gar nicht. Er allegorisiert sozusagen
seine eigenen Gedanken und nimmt die allegorische Be­
ziehung ebenso ernst wie die eigentliche8).
Solche fremdartigen Dinge aber reichen bis in die Haupt­
anschauungen des Apostels hinein. Dafür ein Beispiel, das
zugleich unserer späteren Darstellung vorarbeiten wird.
Eine große Rolle spielt in dieser Theologie der Gedanke:
was dem Anfänger einer geschichtlichen Reihe widerfährt, das
widerfährt damit auch der ganzen Reihe. Adam ist das Haupt

50
einer Menschheit Er repräsentiert die ganze Gattung Mensch.
Was von ihm gilt, gilt deshalb auch von allen, die mit ihm
Zusammenhängen. Stirbt er, so sterben auch alle, die seines­
gleichen sind. Christus ist wieder der Anfänger einer Reihe.
Wird er also auferweckt, so alle mit ihm — ohne weiteres9).
Paulus formuliert das Gesetz einmal ganz bestimmt: „wie der
irdische (Adam) ist, so sind auch die Irdischen, und wie der
Himmlische (Christus) ist, so sind auch die Himmlischen“10).
Ähnlich wird auch Abraham als der Typus aller derer ge­
dacht, die seine wahren Söhne sind, d. h. glauben, wie er.
Was an ihm zu beobachten ist, findet daher von selbst auch
auf sie Anwendung11).
Wir sehen durchaus nicht ein, weshalb man von dem
Anfänger auf die folgende Reihe schließen soll. Wir fragen
deshalb sofort nach einer Vermittlung: wie und weshalb hat
denn das Erlebnis Adams oder Christi solche Wirkung aut
andere? Für Paulus hat die Sache dagegen unmittelbare
Evidenz. Er nimmt einen undefinierbaren Zusammenhang
zwischen der Gattung und dem Einzelnen an, *) und er sieht
einen Paralleiismus in der Geschichte, der nun einmal so sein
sollte. D. h. er denkt unter einem Gesetze, das für uns
nicht gilt.
Überhaupt liegt Paulus nichts ferner, als eine Vernünftig­
keit der Deduktion, wie sie ein heutiger religiöser Denker an­
strebt. Das läßt sich namentlich an seiner Geschichtsbetrach­
tung erkennen. Überall sieht er göttliche Zwecke im Verlaufe
der Dinge. Das versteht sich fast von selbst, wenn die Ge­
schichte Gegenstand des religiösen Denkens wird. Aber nichts
von einer allmälichen, stufenartigen, vernünftig aufsteigenden
Entwicklung in der Geschichte, es geht vielmehr durch harte
Gegensätze und Brüche hindurch. Denn Gottes Wege sind
keineswegs eben und klar; es gehört zu ihrem Wesen, daß sie
paradox sind und gegen Menschenwitz verstoßen. Das Gesetz
hat nach Paulus keine vorbereitende, erziehliche Bedeutung
gehabt, es hat die Menschheit dem Heile nicht näher gebracht,
nicht einmal, indem es die Sehnsucht nach der Erlösung er­
weckte. Es glich vielmehr — nach antiken Verhältnissen
geredet — dem Sklaven, der als Aufseher und „Zuchtmeister“

*) Am deutlichsten ist das bei Christus, da hier jeder Gedanke an


eine Vererbung ausgeschlossen ist.

IV* 51
den unmündigen Knaben gängelt und seiner Freiheit beraubt;
es knechtete nur und stieß erst recht ins Elend, indem es die
Sünde hervorrief13). Das sollte so sein, sagt Paulus, das
wollte Gott — der Gedanke ist ihm nicht zu herb. Nur hatte
Gott dabei bereits die geheime Absicht, einst diese verderben­
schaffende Einrichtung aufzuheben; und seine Gnade sollte
durch diesen Gegensatz nur um so strahlender dastehen.
Dieser göttliche Endzweck schwebt freilich als letzter Gedanke
über allem, auch über der Verhärtung des Volkes Israel, die
Gott ebenfalls wollte18): alles Herbe, Schrille und Harte löst
sich schließlich auf in dem harmonischen Jubel der Erlösten.
Das sind Seiten und Proben des paulinischen Denkens —
nicht mehr. Die Darstellung seiner Theologie bietet von
selbst Gelegenheit, andere Seiten hervorzuheben.

2. Darstellung öer Cebre.


Die paulinische Gedankenwelt steht in einem unver­
kennbaren Gegensatz zum Judentum. Aber dieser Gegensatz
beherrscht doch nur einen bestimmten Kreis von Gedanken.
Die eigentliche Erlösungslehre des Paulus beherrscht er nicht,
sie ist ein geschlossenes Ganze für sich. Es empfiehlt sich,
zuerst dieses Ganze, diese Erlösungslehre, darzustellen, da­
nach die Antithese gegen das Judentum. Nur betrachte man,
was so zu bequemerer Auffassung geschieden wird, nicht als
ein Zweierlei, das von Paulus als solches empfunden würde,
und das vollständig auseinanderfiele. Beide Gedankenkreise
greifen in Wahrheit fortwährend und nach vielen Seiten in
einander über: beide haben ja auch ihren Mittelpunkt in
Christus.
An dieser Stelle bitten wir den Leser, der uns folgen
will, ausdrücklich, sich all seiner etwaigen Vorstellungen von
der paulinischen Lehre nach Kräften zu entschlagen. Unter
den zahllosen kirchlichen Christen, die die Anschauungen des
Paulus zu teilen glauben, gibt es heute kaum einen, der sie wirk­
lich in dem Sinne verstünde, wie sie gemeint sind; und das
Gleiche gilt von denen, die gegenüber dem Apostel ihre Vor­

52
behalte machen. Höchstens einige Glieder gewisser kleinerer
Gemeinschaften nähern sich einem getreuen Verständnisse.
Wer aber Paulus halb richtig versteht, dem ist seine Lehre
schwerer zu verdeutlichen, als dem, der ihn gar nicht kennt

s
Christus und die Erlösung von den Mächten der
gegenwärtigen Welt.
Wir beginnen nicht mit einer Lehre von Gott. Die eigen­
tümlichste Aussage des Paulus über Gott ist eben die, daß er
Christus zum Heil der Menschen gesandt hat. D. h. die ganze
paulinische Lehre ist Lehre von Christus und seinem Werk;
dies ist ihr Wesen.
Beide, die Person und das Werk Christi, sind untrenn­
bar. Christus ist für den Apostel ja noch nicht zum objektiven
Lehrsatz geworden, den man betrachten könnte, ohne seiner
Bedeutung für die Welt zu gedenken. Sein wesentlichster
Gedanke über ihn ist gerade der, daß er der Erlöser ist. Mit
diesem Vorbehalt lassen sich aber doch die Aussagen über
Christus bis zu einem gewissen Grade aus dem Ganzen heraus­
lösen. Wir versuchen es, weil es dem Verständnisse dient,
und auch weil die Christusanschauung des Paulus eine so be­
sondere geschichtliche Bedeutung gewonnen hat.

II
Grundlinien der Christuslehre.
Der gewöhnliche Messiasbegriff reicht keineswegs aus,
um den paulinischen Christus zu kennzeichnen. Denn Christus
hat seine Bedeutung hier nicht mehr für das Judenvolk, son­
dern für die Menschheit. Andererseits ist er seinem Wesen
nach etwas ganz Anderes als ein zum Messias erhobener
Mensch.
Dies Wesen drückt am einfachsten und zugleich am
schärfsten der Name „Sohn Gottes“ aus.1) Er ist metaphysisch

53
gemeint, d. h. der Sohn Gottes ist als solcher eine über­
menschliche, eine göttliche Gestalt. Von einer Erzeugung
durch Gott ist freilich nicht die Rede; aber sein Ursprung liegt
doch in Gott — Gott ist ja „der Vater unsers Herrn Jesu
Christi“ —, und vor allem hat er als Sohn Anteil an der geistigen,
unsinnlichen Natur des Einen Gottes, er ist ein Himmelswesen.
Er ist älter als alles Geschaffene, ja Paulus macht die weit­
gehende Aussage, daß er bei der Weltschöpfung als Vermittler
tätig gewesen sei: „durch ihn ist alles geschaffen“.3)
Den vollen Begriff dieses wunderbaren Wesens gibt indessen
nur die Geschichte, die es erlebt hat. Zuerst war es im Himmel
(Präexistenz), dann lebte es in Menschengestalt auf Erden, da­
nach kehrte es in den Himmel zurück, in die alte Herrlichkeit.
In dieser letzten Phase erhält es sogar noch mehr, als es einst
verlassen hatte, denn es wird nun mit der vollen göttlichen
Herrschergewalt ausgestattet — ein Lohn für die Selbsternied­
rigung, die es aus Gehorsam gegen Gott und aus Liebe zu
den Menschen auf sich genommen.3)
Das zwiefache Leben im Himmel bereitet dem Ver­
ständnis keine Schwierigkeit. Der springende Punkt liegt in
der Auffassung der Menschheit.
Indem Christus die Menschheit annimmt, gibt er die
göttliche Daseinsweise auf; seine Menschheit ist der Wider­
spruch zu dieser, mithin auch der Widerspruch zu seinem
eigentlichen Wesen. Paulus nennt sie eine „Entleerung“, näm­
lich vom göttlichen Sein. Im Himmel lebte der Sohn in „Gottes
Gestalt“, als Mensch trägt er „Sklavengestalt“. Der einstige
„Reichtum“ ist durch eine „Verarmung“ abgelöst, womit wieder
die Menschheit an sich, nicht eine besondere Niedrigkeit des
Lebens Jesu gemeint ist. Er erschien „in Gestalt des Sünden­
fleisches“, während er zuvor ein Geistwesen war.4)
Alle diese Äußerungen haben ein eigentümliches Pathos.
Es ist Paulus das Wunder der Wunder, daß der Gottessohn
sich so herablassen konnte. Vor allem aber zeigen sie, daß
es Paulus durchaus auf die substantielle Veränderung
ankommt, die mit der Menschwerdung vor sich geht. Dies
wird jedoch noch heller beleuchtet durch ein Anderes.
Das, was wir an dem Menschen Jesus preisen, spielt
beim Apostel gar keine Rolle. Nichts liegt ihm ferner als
religiöse Heroenverehrung. Jesu sittliche Majestät, seine Rein­

54
heit und Frömmigkeit, seine Tätigkeit in seinem Volke, seine
Prophetenart — also der ganze konkrete ethisch-religiöse In­
halt seines Erdenlebens bedeutet für seine Christuslehre —
nichts.6) Die „Menschheit“ scheint etwas rein Formales zu sein.
Hier wird man denn an dieser ganzen Menschheit des
Christus irre, und es erhebt sich sehr ernstlich die Frage, ob
sie nicht ein bloßer Schein ist. Man ist versucht, an jene
ketzerischen Lehrer der alten Kirche zu denken, die behaup­
teten, Christus habe nur einen Scheinleib gehabt, die Kreuzigung
habe ihn selbst eigentlich gar nicht getroffen. Aber Paulus
würde eine derartige Auffassung doch weit von sich weisen.
An der Realität der Menschheit Christi liegt ihm sehr viel, so
viel, daß ohne sie Christus gar nicht der Erlöser der Menschen
sein könnte. In der Tat, wenn der Mensch ein Wesen ist,
das Vater und Mutter hat, auf Erden wandelt, einen Leib von
Fleisch besitzt, dem Tode preisgegeben ist: so ist der pauli-
nische Christus ein wirklicher Mensch.
Uns freilich gehört mehr zur Menschheit. Und wenn
der Mensch ein Wesen ist, das menschlich denkt, fühlt und
will, und zwar nicht im Allgemeinen, sondern in ganz be­
stimmter, individueller Art: dann ist dieser Christus kein wirk­
licher Mensch. Die Wahrheit ist: Paulus fehlt der Begriff der
Persönlichkeit, der menschlichen Individualität. Daher bleibt
für uns die Menschheit Christi, wie er sie denkt, ein ungreif­
barer Schemen.
Es ist ja auch nicht denkbar, daß ein substantiell gött­
liches Wesen mit der Menschheit eine wahre Verbindung ein­
gehen könnte. Die Menschheit paßt eben nicht zu seiner
Natur. Die Formeln des Paulus bringen das auch klar zum
Ausdruck. Er sagt nicht geradehin: der Gottessohn wurde
Mensch, sondern: er „trat auf in Menschengestalt“ (oder
„Menschenabbild“), er wurde „an Erscheinung wie ein Mensch
erfunden“, kam „in Gestalt des Sündenfleisches“. Die
Menschheit ist ihm also eigentlich etwas Fremdes, ein Bettler­
gewand, daß der himmlische Königssohn für eine Weile über­
wirft, um es wieder abzustreifen.
Die Frage liegt nahe, wie sich während der Erdenzeit
Christi das Göttliche in ihm zu seiner Menschheit verhält.
Er bleibt doch in irgend einem Sinne, der er war; er wird
kein anderer. Wird sich das nicht trotz des menschlichen

55
Kleides verraten? Wir gehen auf die Frage absichtlich nicht
ein, um die Aufmerksamkeit nicht auf einen unwesentlichen
Punkt zu lenken. Das Wesentliche ist und bleibt, daß das
Erdenleben des Christus das Gegenteil göttlicher Herrlichkeit
ist; an dieser Niedrigkeit allein hängt das Interesse des Apostels.
Er denkt in dieser Hinsicht gerade entgegengesetzt wie
Johannes, bei dem der himmlische Glanz des Sohnes eben
durch die Fleischeshülle fort und fort hindurchstrahlt, und
das Erdenleben Christi zur Offenbarung der Herrlichkeit
Gottes wird.
Alles in allem ist klar: in Christus selbst liegt keinerlei
Grund, eine Durchgangszeit in Menschengestalt zu durchleben,
die für ihn ja nur Verlust bedeutet. Der Grund liegt allein
in den Menschen. Denn ihr Heil, das nehmen wir vorweg,
hängt durchaus am Tode und an der Auferstehung Christi.
Darum und darum allein bedarf es der Menschwerdung. Wirk­
lich: der Gottessohn wird Mensch, um zu sterben und aufzu­
erstehen. Hier ist deutlich, wie diese Christuslehre in die
Erlösungslehre einmündet, und wie sie ohne diese gar nicht
zu verstehen ist.

Die Erlösungslehre.
Ganz von selbst ergeben sich für diese Lehre drei
Fragen: 1) Worin liegt das Elend, von dem die Erlösung be­
freit? 2) Wie und wodurch bewirkt Christus die Erlösung?
3) Worin besteht der Ertrag der Erlösung?

1. Das Elend der Menschheit vor Christus und ohne Christus.


Die Erlösung ist nach Paulus, kurz und doch genau ge­
sagt, Erlösung von dieser ganzen gegenwärtigen Welt0). Jede
andere Fassung, etwa Erlösung von der Sünde, wäre schließ­
lich zu eng. Diese gegenwärtige Welt erhält aber ihren
Charakter dadurch, daß die Menschen in ihr unter der Herr­
schaft schlimmer und finsterer Gewalten stehen. Es handelt

56
sich zunächst um das »Fleisch“, die Sünde, das Gesetz
und den Tod.
Für Paulus sind alle diese Dinge nicht bloß abstrakte
Begriffe in unserem Sinne; seinem antik gearteten Denken
erscheinen vielmehr solche Abstrakta wie wirkende Mächte,
*),
fast wie Wesenheiten Die Sünde tritt gleichsam handelnd
auf1), der Tod kann in einer Reihe stehen mit den über­
irdischen Geistern, die der Christus überwindet, er wird wie ein
Einzelwesen von ihm vernichtet8).
Alle jene Mächte stehen im engsten Bunde. Wer der
einen ausgeliefert ist, verfällt auch den andern. Das Wichtigste
ist dabei das Verhältnis von Fleisch und Sünde.
Das Wort Fleisch bedeutet, so oft es auch einen all­
gemeineren Sinn hat, nach dem bezeichnendsten Sprachgebrauch
des Paulus den äußeren, materiellen Teil des Menschen,
seine Leiblichkeit. Jeder Mensch „ist im Fleische“, d. h. er
steht in einem endlichen, sinnlichen Dasein. Damit ist nun
aber ohne weiteres die Sünde gegeben. Sie haftet unlösbar
am Fleische, „wohnt“ im Fleische, ja sie entstammt dem
Fleische und seinen Trieben. Schon der Ausdruck „Fleisch
der Sünde“ spricht das aus9). Allerdings leitet Paulus die
Sünde nach einer andern, mehr historisch gearteten Betrachtung
— freilich nicht ganz in dem Sinne, wie es später die Kirchen­
lehre gemeint hat — von der Sünde Adams her10). Aber wenn
man die Frage aufwürfe (die er nicht stellt) woher denn die
Sünde Adams?, so bliebe kaum etwas Anderes übrig, als
wieder der Hinweis auf das Fleisch.
Der Mensch ist also durch sein bloßes irdisches und
körperliches Dasein der Macht, der Sünde unterworfen. Die
Sünde ist nicht nur tatsächlich bei allen Menschen verbreitet,
sondern sie ist eine Notwendigkeit
Um die Knechtschaft noch zu verschärfen, tritt das Gesetz
hinzu. Das Gesetz macht die Sünde zur strafwürdigen Über­
tretung und Schuld; es steigert die Sünde noch, indem es sie
reizt, sich geltend zu machen; und wenn es dem Menschen

•) Atan denke etwa daran, wie die „Liebe“ (Eros, Amor) bei den
Alten zur Gottheit wird, oder wie bei den s. g. Gnostikern „das Wort“, „die
Weisheit“, „das Leben“ usw. als Wesen aus dem Urgrund der Dinge hervor­
gehen. Hier erscheint nur gesteigert, was auch bei Paulus vorliegt.

57
„Erkenntnis der Sünde“ gibt, so heißt das lediglich: es bringt
ihm zum Bewußtsein, wie tief sein Elend ist11). Dies Elend
wird nun aber am meisten darin offenbar, daß die Sünde un­
weigerlich und nach feststehendem Gesetze den Tod nach
sich zieht, und zwar den Tod, auf den kein Leben mehr
folgt. So bleibt denn dem Menschen schließlich nichts als
jener Ausruf (bei dem man das Wort Leib nicht übersehen
möge): „Ich unglücklicher Mensch, wer wird mich erretten
von diesem Leibe des Todes?“12).
Eigentlich ist hiermit die Lage der unerlösten Mensch­
heit vollständig geschildert. Doch wird das Bild noch durch
eine eigenartige Anschauung ergänzt: Paulus glaubt, daß die
Menschheit ohne Christus in der Gewalt mächtiger Geister
ist, der Dämonen und der Engelmächte.
Bei uns gehören die Engel den Kindern und den Dichtern,
für den Apostel und seine Zeit sind sie sehr reale und ernst­
hafte Größen. Er sieht in ihnen aber keineswegs nur freund­
liche Helfer und Diener Gottes, sondern ein großer Tei! dieser
Wesen ist auf seine eigene Herrschaft bedacht und steht im
Verhältnis feindseliger Konkurrenz zu Gott. Es sind jene
.Gewalten“, „Kräfte“, „Herrschaften“, „Hoheiten“, von denen
seine Briefe manchmal reden13). Sie fließen bei Paulus zum
guten Teile zusammen mit den ursprünglich von ihnen unter­
schiedenen „Dämonen“, an deren Spitze der Satan steht.
Diese Wesen führen nun recht eigentlich das Regiment
in „dieser" Welt; Gott hat es ihnen für eine Zeit überlassen.
Darauf weisen schon jene Namen hin, noch deutlicher der
andere: „Herrscher dieser Welt“14). Die Menschen sind
darum der Tücke und Macht dieses Geisterreichs preisgegeben.
Wenn den Erlösten weder „Engel noch Gewalten“ von der
Liebe Gottes mehr scheiden können16), so haben sie vor der
Erlösung das offenbar vermocht, sie hatten ihn in der Gewalt.
Hier ist also die ganze Auffassung des Menschenelendes
sozusagen ins übersinnliche Gebiet verlegt. Oder es spielt
alles in zwei Sphären, oben und unten zugleich. Denn sachlich
läßt sich die Herrschaft der Dämonen von der Herrschaft der
Sünde und ihrer Verbündeten nicht trennen. Eben die Dämonen
locken und verführen ja zur Sünde, insbesondere auch zur
Sünde des Götzendienstes13), eben der Teufel wirkt den Tod
des Fleisches17), und selbst hinter dem Gesetze stehen die

58
Engel, sie haben es dem Moses übermittelt und sind seine
Patrone18).
Trostloser kann also der Zustand der Menschheit gar
nicht sein; kein Stern scheint in dieses Dunkel. Und dabei
macht das Verhalten des Einzelnen gar keinen Unterschied.
Ob er besser oder schlechter, frommer oder unfrommer ist,
kommt gar nicht in Betracht — er bleibt verloren. Und auch
der Jude hat nichts voraus.
Erlösung kann es nach dem allen nicht geben, es gehe
denn der Mensch aus diesem fleischlichen, irdischen Dasein
über in ein geistiges, von der Materie befreites, aus der
Sphäre der Sünde in die der Gerechtigkeit, aus dem Bereiche
des Gesetzes in den der Freiheit, aus dem Tode ins ewige
Leben, aus der Herrschaft der Geister in die Herrschaft Gottes.
So sehr die Sünde bei Paulus im Zentrum steht, wir wieder­
holen es: es gilt mehr als die Befreiung von ihr, Der
Mensch muß frei werden von den Banden des Leibes und
der Erdenwelt, d. i. er muß sterben. Stirb und werde! ist die
Devise.
Christus ist es, der die Befreiung vollbringt.

2. Der Tod und die Auferweckung des Christus als die Mittel
der Erlösung.
Zwei Erlebnisse eines Einzelnen bringen in der ganzen
Menschheit die Wendung. Wie ist das möglich? Es ist nur
verständlich, wenn man weiß, was Tod und Auferweckung für
Christus selbst bedeuten.
Diese Bedeutung ruht nun durchaus auf der Tatsache,
daß er Mensch wird. Denn dies heißt gar nichts Anderes,
als daß er in das soeben geschilderte Elend der Menschheit
selber eintritt. Er nimmt Fleisch an, das Fleisch ist aber,
wie Paulus ausdrücklich sagt18), auch bei ihm „Fleisch
der Sünde“. Er tritt also auch zur Sünde in Beziehung,
begibt sich in ihre Gewalt. „Den, der (in seinem himm­
lischen Dasein) Sünde nicht kannte, hat Gott für uns (mit
seiner Menschwerdung) zur Sünde gemacht“30). Dieser Ge­
danke ist allerdings nicht ganz leicht zu fassen. Natürlich
meint Paulus nicht, daß Christus Sünde getan habe; das
ist ausgeschlossen. Aber er denkt an eine allgemeine

59
sozusagen objektive Sündigkeit der Menschennatur, wie sie
vorhanden ist, ehe es zur wirklichen Übertretung kommt.
Christus tritt als Mensch aber auch unter die Gewalt des
Gesetzes, und da er Sündenfleisch trägt, bedroht es ihn wie
alle Sünder mit seinem Fluche.at) Endlich führt ihn die
Menschwerdung natürlich in den Machtbereich der Geister.
Denn sie sind es, die ihn eigentlich ans Kreuz geschlagen
*)
haben.
Aus dem allen ergibt sich nun die Notwendigkeit seines
Todes. Er muß sterben, weil er Mensch ist; denn er trägt
alles das an sich, was bei allen Menschen zum Tode führt,
insbesondere die Sünde.
Hier aber schlägt die Betrachtung gänzlich um. Der
Tod ist zugleich die Befreiung Christi von all diesen Unheils­
mächten. Denn er tritt durch ihn nun wieder gänzlich aus ihrer
Sphäre heraus, er trägt nun nicht mehr Fleisch und hat darum
nun auch mit Sünde, Gesetz und Tod nichts mehr gemein. Es
heißt: „er starb der Sünde ein für alle Mal“ und: „der Tod
ist über ihn nun nicht mehr Herr“.23) Anders ausgedrückt:
die Mächte, in deren Gebiet er eintrat, lassen ihn
am Kreuz ihre Gewalt fühlen — im gleichen Augen­
blicke aber büßen sie sie ein, oder sie werden von
ihm überwunden, und durch die Auferstehung geht er nun
in ein neues, ihnen nicht verfallenes Dasein.
An dieser Stelle nun erinnern wir uns,
**
) daßPaulusChristus
als Vertreter der menschlichen Gattung betrachtet. Damit
ist für unsere Frage die einfache Lösung gegeben: was
Christus geschehen ist, ist allen geschehen. Alle
sind deshalb mit dem Moment seines Todes so gut wie er
selbst von den feindlichen Gewalten erlöst, und alle mit seiner
Auferweckung in ein unzerstörbares Leben versetzt. „Einer ist für
alle gestorben; also sind alle gestorben." Oder: „Gott sandte
seinen Sohn in Gestalt des Sündenfleisches und verdammte (in
seinem Tode) die Sünde im Fleisch (zum Tode)“; d. h. mit der Ver­
nichtung seines Fleisches ist sozusagen die Gesamtmasse des

*) 1. Kon 2, 6—8. Auf Pilatus und seinesgleichen passen die Verse


nicht Paulus meint: die Dämonen sind in ihre eigene Grube gefallen. Sie
glaubten Christus durch die Kreuzigung zu vernichten. Sie hätten ihn aber
nicht gekreuzigt, hätten sie Gottes Weisheit erkannt, d. h. geahnt, dass das
Kreuz Christi der Welt das Heil, ihnen selbst das Ende bringen sollte.
**) Oben S. 30 f.

60
Fleisches samt der an ihm hängenden Sünde beseitigt. Oder:
„Christus hat uns vom Fluch des Gesetzes erlöst, indem er
Fluch für uns ward“; d- h. als Mensch dem Gesetz unterstellt,
verfiel er notwendig seinem Fluche, hob diesen Fluch aber auch
für alle auf, indem er durch sein Sterben die Sphäre des Gesetzes
verließ. Oder: der Kreuzestod ist der Triumph über die Engel­
mächte, sie sind damit zum Spott gemacht.23)
So hat der Tod Christi allerdings eine stellvertretende
Bedeutung; aber das hat doch nicht den Sinn der kirchlichen
Lehre; schon darum nicht, weil die Auferweckung hier genau
ebenso stellvertretend ist wie der Tod.24)
Das Verhältnis der Auferweckung zum Tode Christi ist
übrigens bei dieser Anschauung ganz besonders einfach. Sie
ist nicht bloß das göttliche Amen zum Tode des Gottessohnes,
seine Legitimation, sie ist vielmehr die Kehrseite des Todes
selbst. Der Tod ist das Ablegen des alten Kleides, die Auf­
erweckung das Anziehen des neuen. Eins ist nicht ohne das
andere; die Frage, was Paulus wichtiger sei, ist gegenstandslos.
Freilich die Spekulation über den Tod Christi ist bei
ihm weit reicher entwickelt als die über die Auferstehung. Die
dargelegte, in den verschiedensten Briefen vertretene Auf­
fassung des Todes ist nämlich nicht die einzige, die Paulus
kennt; nur, wie uns scheint, die am meisten ausgebildete.
Daß aber um den Tod sich mehr Gedanken sammeln, hat
guten Grund. An der Auferstehung ist nichts zu deuten, sie
ist einfach der Eingang in das herrliche Leben. Der Kreuzestod
muß dagegen allen Inhalt erst durch Deutung empfangen; an
sich hat er mit der Erlösung gar nichts zu tun. Und außerdem
— der Tod Christi war für Paulus naturgemäß ein schweres
Problem, er reizte das Denken.

3. Der Ertrag der Erlösung.


Durchaus folgerichtig nach der entwickelten Lehre be­
schreibt Paulus den Zustand der Erlösten. Er sagt: sie sind
„mit Christus gestorben“ oder „auferweckt“. Oder in speziellerer
Fassung: „sie sind der Sünde, dem Gesetze gestorben“,*) „der

*) Luthers Übersetzung: „der Sünde abgestorben“ (RÖm. 6, 2) führt


irre, da sie die Vorstellung eines inneren Prozesses erweckt. Von den
Gläubigen wird genau dieselbe Wendung wie von Christus (Röm. 6, 10)
gebraucht.
Welt gekreuzigt,“ „der Leib der Sünde ist vernichtet,“ sie sind
„nicht mehr im Fleische,“ aber auch ganz einfach: sie sind
„gestorben.“25) Der Gesamteindruck dieser Aussagen ist: sie
haben die ganze gegenwärtige Welt bereits hinter sich.
Vielleicht ist die Gefahr des Mißverständnisses nirgends
so groß als an diesem Punkte. Herkömmlich faßt man nämlich
alle solche Aussprüche ethisch auf. Das „Sterben“ soll
immer nur ein vom Tode Christi hergenommenes Bild für die
Überwindung der Sünde sein, wobei dann die sonderbare Vor­
liebe des Apostels für dieses Bild nicht weiter erklärt wird.
In Wahrheit sind jene Ausdrücke durchaus eigentlich
gemeint. Paulus denkt an den wirklichen Tod, an ein
Sterben, wie es Christus selbst erfahren hat, eine Mitbeteiiigung
an seinem Tode. Die Befreiung von der Sünde ist die Folge
dieses Sterbens, ist also mitgemeint, aber sie ist doch nur ein
Stück des Ganzen, wenn auch ein sehr wichtiges. Diese
eigentliche Fassung der Ausdrücke verlangt schon die
Konsequenz der ganzen Lehre. Besteht das Elend des
Menschen darin, daß er im Fleische ist, so muß sein Glück
daran hängen, daß er von ihm frei wird, d. h. stirbt.
Jene Mißdeutung ist indessen sehr begreiflich. Denn
das Fleisch ist doch beim Gläubigen einfach noch da, er ist
noch in der Welt, das Leben der Herrlichkeit ist noch nicht
angebrochen. Und Paulus sagt das natürlich jeden Augenblick
selber. Er sagt das Gleiche freilich eben so gut von der
Sünde. Ihre Macht soll gebrochen sein, und doch setzt jede
seiner Mahnungen voraus, daß sie es eben noch nicht ist.
Es ergibt sich hier also ein scheinbarer Widerspruch:
die Erlösung soll perfekt sein, und ist es doch noch nicht, da
der Fleischesleib noch nicht abgelegt ist. Einstweilen heißt
es: „Euer Leben ist (noch) verborgen mit Christus in Gott“.26)
Für Paulus ist es aber zweifellos kein Widerspruch, denn
beides, das „schon“ und das „noch nicht“, spricht er ganz
unmittelbar nebeneinander aus; besonders gern in der Form:
Ihr seid der Sünde gestorben, so laßt sie nun auch nicht mehr
in euch herrschen37).
Man kann sagen: die Worte über die Erlösung nehmen
vorweg, was erst die Zukunft bringt. Aber für den Apostel
hat die Erlösung doch schon ihre volle Wahrheit, weil Christus
gestorben und auferstanden ist. Insofern ist alles schon

62
fertig, es ist so gut, als ob es da wäre. Tod und Auferweckung
Christi schließen Tod und Auferweckung aller ein. Jene sind
vollzogene, festliegende Tatsachen, damit auch diese. Aber
allerdings — die äußerliche Verwirklichung des im idealen
*)
Sinne bereits Geschehenen bringt erst die Zukunft
Es ist dies sehr wichtig: die ganze paulinische Auffassung
vom Heile trägt den Charakter der Spannung; einer Spannung,
die vorwärts drängt zur endlichen Lösung, zum wirklichen
Tode. Das irdische Leben ist überhaupt nicht der Rahmen,
in dem das Heil schon zum Abschluß kommt.
Man vergegenwärtige sich hier besonders kräftig eine
Tatsache, die überhaupt nie bei Paulus vergessen werden darf.
Er glaubte mit voller Kraft an das baldige Kommen Christi
und das nahe Ende der Welt. Die in der Vergangenheit
liegende Erlösungstat Christi und der Anbruch der künftigen
Herrlichkeit liegen ihm deshalb ganz nahe zusammen. Jene
Tat gehört in Wahrheit schon zur „Endzeit“; sie ist der erste
Akt der letzten Entwicklung, auf den nun alles Andere rasch
und notwendig folgen muß. Hierdurch wird jene Spannung,
jene Richtung nach vorwärts besonders verständlich.
Gern hat man behauptet, Paulus habe die Auffassung
des Heiles, die die älteste Gemeinde gehabt habe, dadurch
verändert, daß er den Schwerpunkt aus der Zukunft in die
Vergangenheit verlege, die Seligkeit des Christen als bereits
vorhanden denke und statt der Hoffnung den Glauben betone.
Es ist leicht zu sehen, daß das nur eine durchaus halbe Wahr­
heit ist. Alle Aussagen über die Erlösung als vollzogene Tat­
sache schlagen sofort um in Aussagen über die Zukunft. Ja
gewiß, Christus ist gestorben und der Gläubige mit ihm, aber
jede Erläuterung des Gedankens zeigt, daß er seine Bedeutung
einbüßt, wenn nicht auf eine Fortsetzung des Geschehenen
gerechnet wird. Der Glaube ist immer selbst Hoffnung; denn,
was ist, ist noch nicht das, was sein soll. Aus den zahllosen
Belegen dafür greifen wir einen einzigen heraus. Die Erlösten
)
sind „Söhne
** Gottes“. In seinem Vollsinn bedeutet dieser

*) Charakteristisch heißt es Gal. 2, 20: „Ich bin mit Christus ge­


kreuzigt worden; was lebt, bin nicht mehr ich, in mir lebt vielmehr Christus.
Was ich aber jetzt lebe im Fleische, das lebe ich im Glauben an den
Sohn Gottes usw.“ Das Leben im Fleische ist nur noch wie ein Rest.
") Paulus scheut diesen Ausdruck noch nicht Johannes sagt nur
noch: „Kinder“ Gottes. „Sohn“ ist für ihn nur Christus.

63
Ausdruck für die Christen das gleiche wie für Christus, nur
abgeleiteterweise. Man ist „Sohn Gottes“, wenn man an der
geistigen, vom Körper und Materie freien Seinsweise Gottes
teilhat, wie sie „Christus der Erstgeborene unter vielen
Brüdern“28), seit der Auferstehung besitzt Nun heißt es,
ihr seid schon jetzt Söhne, nicht mehr Sklaven — nämlich dem
Rechte und der Grundlage nach; sofort aber heißt es auch:
„wir seufzen in Erwartung der Sohnschaft, nämlich der
Erlösung unseres Leibes“29).
Demnach wäre also wohl das sichere Fundament des
Heils im Werke Christi gelegt, seine Verwirklichung aber
stünde doch noch gänzlich aus? Eins ist zu ergänzen. Etwas
Wesentliches ist doch bereits da: der Geist Gottes.
Diese Größe ist für Paulus außerordentlich wichtig. Er
versteht darunter eine übernatürliche Kraft, die in den Menschen
eingeht, in ihm „wohnt“, wirkt und schafft, ihn „treibt".110)
Zuweilen scheint er in ihm sogar eine himmlische Substanz zu
sehen, die den Menschen dann auch substantiell verändert. Der
Gläubige ist „im Geiste“, gerade wie er zuvor „im Fleische“
war.’1) Zur Erklärung dient, daß das ganze jenseitige Leben
den Charakter des „Geistigen“ trägt. Der Geist ist „der Geist
des (überirdischen) Lebens.“83) Sein Besitz bedeutet also, daß
ein Vorschmack der künftigen Welt bereits vorhanden ist. Er
ist ein Geschenk der Endzeit, in der die Kräfte jener Welt
bereits in dieses Dasein hinein wirken. Sein Herabsteigen zu
den Menschen ist an die Auferstehung Christi gebunden, durch
die ja Christus selbst wieder zum Geiste geworden ist.
Paulus nimmt an, daß jeder Christ, indem er gläubig
wird, den Geist ohne weiteres besitzt und durch ihn zum
„Sohne Gottes“ wird33). Durchaus konsequent! Sollte man mit
Christus den Tod erlitten haben — das hat jeder Christ —
und doch keinen Teil an seinem Leben besitzen? Sichtbar
und offenbar aber wird der Geist an seinen Wirkungen. Sein
Walten zeigt sich in den Wunderkräften und -gaben, die im
Gemeindeleben täglich wahrzunehmen sind: in der Kraft,
Kranke zu heilen, in der Prophetie, die die Geheimnisse der
Zukunft erlauscht, in der Zungenrede, bei der sichtlich nicht
der Mensch seiber, sondern ein anderes Wesen aus ihm redet,
seufzt und „Abba, Vater“ schreit.34) Allein es ist bedeutsam,
daß Paulus nicht nur an solche übernatürliche Wirkungen denkt

64
Wenn die Sünde zum Wesen dieser Welt gehört, so wird sich
der Geist auch in all dem offenbaren, was ihr entgegenwirkt,
in jedem guten und sittlichen Werke, ja auch in Frieden,
Freude und Glaubensgewißheit; denn das alles ist dem
„natürlichen“ Menschen unerreichbar.85)
Hier nähert sich der Apostel der modernen Auffassung,
daß der heilige Geist als sittliche Kraft im Herzen des
Menschen das Gute erzeugt. Aber es ist doch wieder nicht
die moderne Auffassung selbst. Denn daran denkt er nicht, daß
der Geist die innerste Persönlichkeit durchdringt und mit ihr
eins wird. Diese psychologische Vorstellungsweise bleibt ihm
fremd. Der Geist behält immer den Charakter einer über-
natürlich-naturhaften Größe, die wie etwas Fremdes im
irdischen Menschen waltet.
Im übrigen weist nun gerade die Tatsache, daß der Geist
schon wirkt, abermals auf die Zukunft. Der Geist ist doch
nur das „Unterpfand“ für das ganze Heil, nur die „Erstlings­
frucht“ — die volle Ernte muß noch folgen.86)

4. Rückblick auf die Erlösungslehre.


Das Gebäude dieser Lehre ist von großer Geschlossenheit
Dem Leser wird freilich das Ganze vielleicht recht kompliziert
erscheinen. Aber nur darum, weil ihm diese Vorstellungswelt
halb oder ganz fremd ist. Im Grunde ist die Lehre sehr
einfach. Die Probe ist, daß man sie in ganz kurzen Sätzen
aussprechen kann. Christus, der Sohn Gottes, gibt die Sohn­
schaft auf und wird ein elender Mensch wie wir, damit wir,
die Menschen, zu Söhnen Gottes werden; Christus begibt sich
in das Gebiet der Sünde, überwindet sie aber durch seinen
Tod, so kommen wir, die wir in den Banden der Sünde
schmachten, von ihr los — derartige Sätze enthalten alles,
worauf es ankommt. Sie sind immer nur eine Variation des
Themas: Christus wird, was wir sind, damit wir durch seinen
Tod werden, was er ist.
Es bedarf nun aber noch einiger Erläuterungen.
1. Das ganze Bild der Erlösung kann unpersönlich und
kalt erscheinen. Sie vollzieht sich ganz außerhalb des einzelnen
Menschen, und die Vorgänge scheinen sich an Christus sozu-

Wrede, paulus.
V65
sagen nur abzuspielen. Doch Paulus fühlt warm bei diesen
Gedanken: sie sind ihm der Ausdruck unendlicher göttlicher
Gnade. Gottes persönliche Liebe ist es, die alles veran­
staltete, Christi selbstverleugnende Liebe, die alles durch­
führte. Diese Liebe ist es, die zum Herzen des Apostels
spricht, und ihr antwortet nicht sein Verstand, sondern sein
Gemüt, seine Frömmigkeit. Seine Theologie ist ihm wirklich
Religion.
Man kann mancherlei Nuancen religiöser Gefühle nennen,
die den Reflex der Lehre bilden. Charakteristisch ist aber,
daß seine Stimmung sich zwischen zwei Polen bewegt:
triumphierender Freude und harrender Sehnsucht. Das ist
notwendig, weil das Heil gegenwärtig und künftig zugleich ist.
Im ganzen schlägt die Freude vor über das, was Gott schon
getan hat. Das ist es ja, was der Apostel erlebt hat, und
worin er das felsenfeste Fundament für alles Weitere sieht.
Aber immer wieder bricht sich doch auch die Sehnsucht Bahn,
die hieran noch kein Genüge findet87). —
Tiefgreifende Differenzen trennen die paulinische Heils­
lehre von den Gedanken moderner Gläubigkeit.
2. Zunächst pflegt die moderne Anschauung das Heil
in den Menschen selbst oder in sein Bewußtsein zu verlegen.
Friede des Herzens, ein reines Gewissen, eine sichere Gewiß­
heit der Gnade, das Bewußtsein der Vergebung — das ist die
„gegenwärtige Seligkeit“, von der man spricht. Mag auch das
ewige Leben noch steigern, mag es irdische Schranken ent­
fernen — das Wesentliche ist vorhanden. Paulus sieht in all
diesen subjektiven Gemütszuständen das Heil selbst nicht im
geringsten, es ist vielmehr seinem Wesen nach etwas Objek­
tives, eine Veränderung des Daseins selbst und der Daseins­
bedingungen. Gleich wichtig ist ein Anderes.
3. Wir haben mehrfach eine einseitig ethische Deutung
der paulinischen Lehre abgelehnt. Daß sie so herrschend ge­
worden ist, erklärt sich eben auch daraus, daß man den Ab­
stand des modernen Denkens von dem des Paulus nicht er­
kennt Für uns ist die Sünde durchaus Sache des persönlichen
Willens, wenn auch nicht notwendig des bewußten. Wir pflegen
streng zwischen dem bloß Naturhaften und dem Sittlichen zu
scheiden. Paulus ist diese Scheidung fremd. Fleisch
und Sünde gehören ihm unlösbar zusammen, auch beim Gläu­

66
bigen noch. Und deshalb bringt die Erlösung auch nicht bloß
eine ethische Umwälzung. Vielmehr bedeutet sie eine natur­
hafte Veränderung der Menschheit, aus der sich dann die
ethische erst ergibt.
4. Eine Frage ist bisher nicht gestellt worden: wie ge­
langt der einzelne Mensch in den Besitz des Heiles? Die Ant­
wort lautet ganz einfach: durch Glauben und Taufe. Von der
Taufe wird noch zu reden sein. Beim Glauben fällt auf, daß
Paulus gar keinen Versuch macht, ihn näher zu beschreiben und
die Merkmale zu bestimmen, die rechten und falschen, nor­
malen und mangelhaften Glauben unterscheiden. Der Glaube
ist ganz einfach gehorsame8^ Annahme und Bejahung der
Predigt von der Erlösung. Die Überzeugung von ihrer Wahr­
heit stellt ohne weiteres jene mystische Verbindung mit Christus
her, kraft deren nun sein Tod und seine Auferstehung sich
auf den Glaubenden von selbst übertragen, so daß er auch ge­
storben und auferstanden ist. Gewiß kann der Glaube auch
als Vertrauen oder Hoffnung erscheinen, aber auf all solche
Bestimmungen fällt kein Gewicht,
Auch darin tritt eine starke Abweichung von moderner
Auffassung zutage. Die heutige Dogmatik wie die populäre
Unterweisung kennt zwar auch eine objektive Erlösung; aber
sie denkt in der Heilslehre doch auch stets an die Vorgänge
im einzelnen Menschen. Sie fragt, wie in der einzelnen Seele
der Prozeß verläuft und verlaufen muß, der der Frucht des
Christentums teilhaftig macht. Seit der Reformation steht dieses
Problem geradezu im Mittelpunkte. Man bestimmt das Wesen
des Glaubens, erörtert sein Verhältnis zur Buße, fragt, wie aus
dem Glauben die Sittlichkeit erwächst u, s. f. Die Lehre vom
Heil ist also zum guten Teile Lehre von der menschlichen
Frömmigkeit und ihrer normalen Entstehung oder religiöse
Psychologie. Dies ganze Kapitel fällt nun bei Paulus voll­
ständig aus. Der Grund: er denkt bei seiner Lehre gar nicht
an das Individuum und die psychologischen Prozesse in ihm,
sondern stets an die Gattung, die ganze Menschheit. Das
Sterben mit Christus ist ein allgemeines Faktum, das sich an
allen Gläubigen gleichmäßig vollzieht, kein mit besondern Er­
fahrungen und Empfindungen verbundenes Erlebnis der ein­
zelnen Seele.
Eben weil es sich aber bei Paulus um die Gattung han­

V* 67
delt, ist die Art seines Denkens durchaus geschichtlich.
D. h. alle seine Gedanken über das Heil sind Gedanken über
eine Heilsgesch ichte, eine Geschichte zwischen Gott und der
Menschheit, die auf Erden spielt, aber auch im Himmel — eigent­
lich immer^an beiden Orten zugleich. Paulus sieht immer große
Perioden der Menschheitsentwicklung vor sich und denkt über­
all in den zeitlichen Gegensätzen: einst, jetzt, künftig. Alle
Hauptbegriffe seiner Theologie tragen dies geschichtliche Ge­
präge. Fleisch und Geist sind nicht nur dem Wesen nach ent­
gegengesetzt, sondern aufeinander folgende Perioden, ebenso
Tod und Leben, Sünde und Gerechtigkeit, Knechtschaft und
Sohnschaft, und Christus steht da als der Wendepunkt einer
alten und einer neuen Zeit. Es ist dies einer der wesentlich­
sten Züge der paulinischen Betrachtungsweise. Seine Frömmig­
keit selbst empfängt durch die Heilsgeschichte ihren Charakter,
Heilsgeschichte ist der Inhalt seines Glaubens.

&
Wichtige besondere Anschauungen in ihrem Zu­
sammenhänge mit der Erlösungslehre.
Als eine Seite der religiösen Persönlichkeit des Paulus
selbst haben wir die weltabgewandte Art seiner Lebensauf­
fassung gewürdigt. Die Schilderung seiner Lehre läßt uns er­
kennen, wie tief diese Lebensauffassung in seiner gesamten
Denkweise begründet ist. Wer so wie er es als ein Verhäng­
nis empfindet, daß der Mensch an die Sinnenwelt gefesselt ist,
der kann an den Gütern, Verhältnissen und Institutionen des
weltlichen Lebens kein wirkliches Interesse haben. Es ist ja
alles zum Untergänge verurteilt, alles nur „Fleisch“ und ver­
schwindet je eher, desto besser.
Aber es gilt, einige weitere Anschauungsgebiete zu be­
rühren, die von den Erlösungsgedanken ein besonderes Licht
empfangen.
Eine ganze Welt konkreter, zum Teil sehr phantastischer
Vorstellungen umfaßt die Zukunftserwartung des Paulus.
Das große Drama der letzten Zeit, in der Gottes Feinde ver­
nichtet werden, mit den Gipfelpunkten der Totenauferstehung
und des Gerichts geht dem „Leben“ voran, das kein Tod mehr
töten kann. Diese Anschauungen schließen sich nun unmittel­

68
bar an die Erlösungstehre an; denn sie blickt ja auf die
kommende Herrlichkeit hinaus. Deutlich läßt sich jedoch auch
wahrnehmen, wie das Zukunftsbild in besonderer Art der Er­
lösungsanschauung entspricht. Machtvoll tritt der Gedanke der
Auferstehung hervor — bei denen, die Christi Ankunft erleben,
wird sie durch die Verwandlung ersetzt —; sie ist die un­
mittelbare Frucht der Auferstehung Christi. Aber es ist nicht
die Auferstehung des alten Leibes; denn „Fleisch und Blut
können das Reich Gottes nicht erben“. Für den Erlösten
paßt nur ein lichter, verklärter, „geistiger“ Leib, wie ihn der
erstandene Christus selber trägt™). Das Jenseits kann über­
haupt hier keine sinnlichen Farben tragen, irdische Freuden
taugen nicht für den Himmel, auch nicht in reinerer Form.
Alle nationalen Träume, wie sie der Jude hegt, sind ebenfalls
mit der Welt des Fleisches begraben. Wie der Gläubige er­
fährt aber auch die ganze Schöpfung eine Verklärung. Denn
auch sie seufzt jetzt in den Banden der Vergänglichkeit40).

Sieht man von den halb sozialen, halb ethischen Vor­


schriften für das Gemeindeleben ab, so zeigt die Ethik des
Paulus nach dem Inhalt ihrer Forderungen wenig originale
Züge. Es ist im ganzen die jüdische Ethik, vermindert frei­
lich — und das ist ja höchst bedeutsam — um die Gesetzlich­
keit und vermehrt um ein paar wichtige christliche, doch dem
Apostel nicht ausschließlich eigene Züge. Unter ihnen tritt
die Betonung der Liebe hervor, speziell der Bruderliebe, wie
sie das Leben der kleinen Gemeinschaft verlangt. Dazu
kommt, daß der Gedanke des nahen Gerichts und der baldigen
Ankunft Christi besondere Motive für das sittliche Handeln in
den Vordergrund drängt: Nüchternheit, Wachsamkeit ist not,
überhaupt würdige Bereitung auf die Stunde der Entscheidung.
Allein man sieht leicht, wie auch die Ethik einmündet
in die Hauptgedanken, und wie sie von daher eine besondere
Bedeutung empfängt. Die Idee, daß der Christ kraft des Todes
und der Auferstehung Christi in einem neuen Leben steht,
und die Idee des Geistes, der ja das Neue auf Erden recht
eigentlich darstellt, geben dem Kampfe gegen den alten Menschen
den stärksten Akzent — es gilt, die Verpflichtung zu fühlen,
die der Besitz des Geistes einschiießt, es gilt, „nach dem Geist“
zu wandeln41). Zugleich aber geben sie die Hoffnung, daß der

69
Kampf nicht aussichtslos ist. Wird dabei die Heiligung des
Leibes und der Krieg gegen die Sinnlichkeit ganz besonders
eingeschärft, so hängt das noch speziell mit der Anschauung
vom Fleische zusammen. Wie stark Paulus praktisch für die
ethischen Fragen interessiert ist, haben wir .hier nicht zu
schildern.

Paulus kennt nicht bloß einzelne Gemeinden, sondern


eine Kirche als einheitliche Größe. Die Christen bilden einen
Körper, sie sind unter einander Glieder, zugleich aber Glieder
Christi; denn er ist das Haupt, das zu dem Leibe gehört12).
Die Glaubenden treten eben mit Christus in eine mystische
Gemeinschaft, so daß alles, was er hat, erlebt und ist, in ge­
heimnisvoller Weise auf sie überfließt. Sie sind „in Christus“,
und er ist „in ihnen“, gerade wie sie „im Geiste“ sind und
der Geist „in ihnen“. Damit sind wir mitten in bekannten Ge­
danken13). Es ergibt sich von selbst, daß die Kirche für den
Apostel viel mehr ist als eine Gemeinschaft des Kultus oder
als ein religiöser Verein mit besonderer Verfassung: sie ist
ihm im Grunde die neue Menschheit selbst, die durch ihre
Einheit mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen aus der
ganzen sonstigen Menschheitsmasse als das wahre Volk Gottes
herausgehoben ist.

Endlich ein Wort über die Sakramente. Hier ist be­


sonders der Punkt, wo man sehen kann, daß die derben, massiven
Anschauungen, ja, man muß es sagen, der Aberglauben und
die Zauberei der Volksreligion Paulus keineswegs fremd
sind. Er hat von den heiligen Handlungen der Taufe und des
Herrnmahles, die übrigens nicht seine Schöpfungen sind, keines­
wegs rein geistige, etwa symbolische Vorstellungen. Gewiß
kann er auch Symbole in ihnen finden, und er tut es, aber
ebenso sicher sind sie ihm ihrem eigentlichen Wesen nach
wirkliche Sakramente, d. h. Handlungen, die auf naturhafte
Weise wirken, ohne daß die Persönlichkeit mit ihren Empfin­
dungen und Gesinnungen dabei in Betracht käme. Sehr be­
zeichnend ist namentlich die Tatsache, daß er an der Sitte,
lebende Christen zugunsten Verstorbener stellvertretend zu
taufen, um ihnen auch nach dem Tode den Segen der Taufe zu-

70
zuwenden, insbesondere ihnen die Auferstehung zu sichern, keinen
Anstoß nimmt, ja ihr einen Beweis für die Auferstehung ent­
lehnt44). Ebenso ist er der Ansicht, daß unwürdiges Essen
und Trinken beim Abendmahl vermöge rein magischer Wirkung
Krankheit, ja Tod bewirkt46), wie er denn auch von der feier­
lichen Bannung eines Sünders sein leibliches Verderben er»
wartet48).
Aber gerade diese sakramentalen Anschauungen ermög­
lichen ihm, zwischen den heiligen Handlungen und seiner
Eriösungslehre die engste Verbindung zu schaffen. Die natur­
hafte Umwandlung des Menschen wird durch naturhafte Vor­
gänge vermittelt.
Die Taufe, der Akt, der sichtbar darstellt, daß ein Jude
oder Heide zum Glauben gekommen ist, ist nach Paulus „Taufe
in den Tod Christi“47). Dieser Ausdruck ist bei unserer Tauf­
sitte schlechthin unverständlich, denn er setzt voraus, daß der
Täufling untergetaucht wird. Man muß aber auch wissen, daß
Taufe eigentlich nur „Tauchbad“ heißt, taufen „tauchen“.
Das Verschwinden des Täuflings im Wasser wird nun als ein
Sinnbild seines Todes, das Auftauchen als ein Sinnbild
seiner Auferstehung verstanden. Aber es ist doch weit
mehr als ein Sinnbild. Die Taufe ist ein „Eintauchen in
den Christus“,Christus wird dabei „angezogen“ wie ein Kleid48);
das will sagen, der Gläubige wird Christus einverleibt, sodaß
er nun sozusagen eine Person mit ihm bildet. Nur ein anderer
Ausdruck hierfür ist es, daß er „in den Tod Christi getaucht“
wird. Es bedeutet, daß er mit diesem Tode eins wird, d. h.
nun auch tot ist. „Der Leib der Sünde“ findet in der Wasser­
flut sein Grab, und hervortaucht ein Wesen, das eine neue
Natur besitzt40). Nahe verwandt ist die Vorstellung, daß die
Taufe den Geist mitteilt. Die Taufe ist es also recht eigent­
lich, die samt dem Glauben dem Einzelnen auf durchaus reale
wenn auch undefinierbare Weise die Erlösung vermittelt
oder ihn zum Gliede des Leibes Christi macht.
Ähnlich ist aber auch das Abendmahl gedacht. Es
handelt sich da um „übernatürliche Speise“ und „übernatür­
lichen Trank“50). Und ebenso wie der, welcher am heidnischen
Opfermahie teilnimmt, damit in die Gemeinschaft der Dämonen
tritt, so daß sie nun in ihm hausen können, ebenso wird der,
welcher im Herrnmahl Leib und Blut Christi genießt, damit in die

71
Gemeinschaft Christi versetzt61). Die Einheit mit Christus ist
ja freilich seit der Taufe längst vorhanden, durch das Abend­
mahl aber wird sie erneuert und gestärkt.

Der Gegensatz gegen das Judentum:


Gesetz und Glaube; Werke und Gnade.
Von dem bekanntesten Gedanken des Paulus, der soge­
nannten Rechtfertigungslehre, haben wir bisherganz geschwiegen.
In diesem Schweigen liegt ein Urteil. Die Reformation hat uns
gewöhnt, diese Lehre als den Zentralpunkt bei Paulus zu be­
trachten. Sie ist es aber nicht. Man kann in der Tat das
Ganze der paulinischen Religion darstellen, ohne überhaupt
von ihr Notiz zu nehmen, es sei denn in der Erwähnung des
Gesetzes. Es wäre ja auch sonderbar, wenn die vermeint­
liche Hauptlehre nur in der Minderzahl der Briefe zum Worte
käme. Und das ist der Fall; d. h. sie tritt überall nur da auf,
wo es sich um den Streit gegen das Judentum handelt1). Da­
mit ist aber auch die wirkliche Bedeutung dieser Lehre be­
zeichnet: sie ist die Kampfeslehre des Paulus, nur aus
seinem Lebenskämpfe, seiner Auseinandersetzung mit dem
Judentum und Judenchristentum verständlich und nur für diese
gedacht, — insofern dann freilich geschichtlich hochwichtig und
für ihn selbst charakteristisch.
Paulus hat diesen theoretischen Kampf mit dem ganzen
Geschütz seiner rabbinischen Gelehrsamkeit geführt. Er ver­
fährt dabei freilich sehr künstlich; ein Jude hätte keine Mühe
gehabt, in seinen krausen Beweisen eine schwache Stelle um
die andere aufzudecken. Es wäre aber sehr verkehrt und sehr
ungerecht, bei diesem Eindrücke stehn zu bleiben. In der
Hülle dieser seltsamen Beweisführungen stecken große, wahr­
haft bedeutende Intentionen. Auf diese kommt es an. Will
man sie aber erfassen, so hat man zuerst nach den Motiven <
und Zielen der Theorie zu fragen. Sind diese klar, so ist sie
selbst ohne Schwierigkeit zu überblicken.

72
Motive und Ziele der Kampfeslehre.

Ein Punkt scheint besonders deutlich zu sein. Als


Missionar konnte Paulus nicht dulden, daß man die jüdische
Lebenssitte, die Beschneidung mit allem Zubehör, zu einer
Bedingung für das Christentum der Heiden machte. Dann
konnte sie aber auch kein notwendiges Merkmal des Christen­
tums für den Juden sein. Sie war höchstens Privatsache des
Einzelnen. Der Streit um diese Dinge bedeutete aber für den
Apostel die Nötigung, die Bedingung für den Eintritt ins
Christentum positiv zu bestimmen. Da wäre nun vielleicht zu
erwarten, er hätte den Gegensatz gebildet: nicht die jüdischen
Riten sind notwendig, sondern nur die Moral des Gesetzes'2).
Allein damit hätte er den springenden Punkt nicht getroffen.
Was aus dem Heiden einen Christen machte, war nicht die
Moral, und noch weniger war sie es, die den Juden vom
Christen unterschied. Das wahre Unterscheidungsmerkmal
war einzig der Glaube an Jesus Christus. Da haben wir den
Ursprung der Formel: nicht das Gesetz mit seinen
Werken, sondern der Glaube. Es war hiernach Paulus
das Thema gestellt, die Überflüssigkeit, vielleicht Schädlich­
keit der mosaischen Zeremonien, andererseits die Notwendig­
keit und Genügsamkeit des Glaubens an Christus zu beweisen.
Das Negative war dabei die Hauptsache.
Aber Paulus greift nun keineswegs nur die jüdischen
Satzungen an, sondern das ganze Gesetz, Es gilt in völlig
umfassendem Sinne: „Christus ist des Gesetzes Ende“3). Und
das ist zunächst das Rätselhafte. Weshalb werden die Moral­
gebote denn nicht ausgenommen? Wie kann ihnen der Glaube
an Christus entgegen sein? Freilich Paulus meint ja niemals,
daß der Inhalt der sittlichen Vorschriften, etwa der zehn
Gebote, falsch sei4). Aber er verneint doch das Recht des
Gesetzes, ihre Erfüllung zu fordern; er erklärt jedes „du
sollst“ für aufgehoben, und auch das ist rätselhaft genug.
Paulus sah sich der jüdischen Religion gegenüber. Sie
lehnte Christus als Erlöser ab, und doch behauptete sie, zu
dem gleichen Ziele zu führen, das die Erlösung verbürgte,
zum ewigen Heil. Der Weg dazu war das Halten der Gebote,
das Tun. Dieser Heilsweg aber verkörperte sich im Gesetze;
es war der Sinn des ganzen Gesetzes, den Menschgp auf

73
das Tun zu verweisen. Mit dieser Erkenntnis erschloß sich
Paulus ein Gegensatz der Prinzipien. Hier: Gott vollbringt
alles allein, indem er Christus sendet; dort: die Werke
des Gesetzes sind es, denen der Lohn wird. Da haben
wir den Ursprung der Formel: nicht die Werke des
Menschen, sondern die Gnade. Es war danach
Paulus die Aufgabe gestellt, den Heilsweg des Juden­
tums als Irrweg oder das Judentum selbst als eine
überwundene und falsche Religion, dagegen die Gnade,
die mit dem Erlöser alles gab, als den Inbegriff der
wahren, einzig zum Ziele führenden Religion zu erweisen.
Hier aber ist eigentlich das Positive die Hauptsache. Die Be­
kämpfung der jüdischen Religion ist nur das Mittel, um die
eigene Glaubensanschauung zu verteidigen und durchzusetzen.
Die Erlösungslehre bildet also die feststehende Basis für die
Verwerfung des Gesetzes. Es handelt sich um eine Schutz­
lehre für die Gnade oder, was dasselbe ist, für den Erlöser
und den Wert seiner geschichtlichen Tat.
Die Auffassung der jüdischen Religion ist hierbei ein
wenig karrikierend. Denn auch sie kannte die Gnade und
konnte sie sogar betonen. Aber der vorherrschende Zug ist
doch getroffen, wenn das Prinzip ihrer Frömmigkeit im Voll­
bringen von Leistungen oder im Erwerben von Verdiensten
gefunden wird. Eine Erkenntnis allerersten Ranges aber war
es, das Christentum als Religion mit eigenem Prinzipe,
d. h. als etwas völlig Neues zu erfassen.
Es handelt sich also eigentlich um zwei Tendenzen:
1) die Mission soll frei bleiben von der Last der jüdischen
Nationalbräuche; 2) die Überlegenheit des christlichen Er­
lösungsglaubens über das gesamte Judentum soll gesichert
werden. Die Rechtfertigungslehre ist nun weiter nichts
als das Mittel, diese Tendenzen durchzufechten. Bei
ihrer Darstellung lassen sich aber die beiden Motive nicht
auseinander halten; denn sie verschlingen und verschmelzen
sich bei Paulus überall.

74
Grundlinien der Kampfeslehre selbst.
Die jüdische Grundanschauung, die Paulus im Auge hat,
knüpft das Heil in sehr einfacher Weise an die „Gerechtig­
keit“ des Menschen. Hält der Mensch die Gebote, so erklärt
ihn Gott im Gerichte für gerecht oder „rechtfertigt“ ihn. Er
handelt dabei wie ein Richter, der dem Angeklagten keine
besondere Gunst zuwendet, sondern einfach unparteiisch nach
feststehender Norm einen Tatbestand feststellt und danach
sein Urteil abgibt, das dann über das Geschick des An­
geklagten entscheidet.
Diese juristisch geartete Lehre wird von Paulus negiert.
Zunächst weist er nach, daß tatsächlich kein Mensch der
göttlichen Norm entspricht. Nur das Halten des ganzen
Gesetzes könnte Rettung im Gerichte bringen, aber niemand
hält es ganz; denn alle ohne Ausnahme sind Sünder5).
Aber Paulus geht noch weiter. Es war überhaupt nie­
mals Gottes Absicht, daß das Gesetz zum Heil führen sollte.
Denn „der Buchstabe, d. h. das Gesetz, tötet“; erfahrungs­
gemäß übt es eine verderbliche Wirkung, es ruft ja nur die
Sünde hervor8). Hier könnte man fast den Gedanken er­
warten, es sei überhaupt vom Teufel. Soweit kann Paulus
aber nicht gehen. Indessen kann er doch betonen, daß das
Gesetz, wiewohl zuletzt eine Veranstaltung Gottes, unmittel­
bar bloß von den Engeln, nicht von Gott selbst, dem Moses
übermittelt sei, und darin einen Beweis seiner völligen
Minderwertigkeit erblicken'1). In der Geschichte der Mensch­
heit ist es deshalb lediglich ein vom unbegreiflichen Gotte
gewolltes Intermezzo8).
Dies die Widerlegung der jüdischen These. Das Ver­
ständnis der positiven Anschauung, die Paulus ihr ent­
gegenstellt, hängt nun ganz an der Einsicht, daß er sie in der
Form der jüdischen Lehre nachgebildet hat.
Er sagt: der Mensch wird gerecht durch den Glauben,
oder: der Glaube wird als Gerechtigkeit gerechnet8). Nimmt
man dies buchstäblich, so steht die paulinische Lehre nicht
über der jüdischen, sondern unter ihr. Das hat der
Laienverstand nicht der Schlechtesten tausendfach empfunden.
Er hat sich nicht ausreden lassen, daß ein wenn auch mangel­
haftes Tun sittlich immer noch mehr wert sein müsse als ein
Glaube, eine Überzeugung, die gar keine Anstrengung kostet.

75
An diesem Eindruck ist Paulus selbst nicht unschuldig, eben
weil er sich des jüdischen Schemas bedient. Wenn die religi­
öse Kinderlehre noch heute wider alle pädagogische Vernunft
mit seinen Formeln arbeitet, so ist der Erfolg ziemlich sicher
der, daß der Glaube als die eigentliche gottgefällige Leistung
erscheint, mag dieser Gedanke dann der sittlichen Bequem­
lichkeit zusagen oder von der sittlichen Energie einfach weg­
geworfen werden.
Aber die wirkliche Meinung des Paulus war eine andere.
In Wahrheit will er sagen, daß es für das Verhältnis zu Gott
überhaupt nicht auf Leistung und Verdienst ankommt, auch
nicht auf das des Glaubens- Gott rechtfertigt den Menschen
„umsonst“, „aus Gnade“10). Und dabei heißt „rechtfertigen“
nichts weiter, als daß er ihn von seiner Sünde losspricht, ihm
eben seine Gnade bedingungslos zuwendet, die sich der Glaube
dann aneignet. D. h. der Ausdruck „rechtfertigen“ büßt seinen
juristischen Sinn völlig ein, ja er schließt die juristische Vor­
stellung vom Verhältnis zwischen Mensch und Gott aus, oder
er wird sachlich unpassend: der beste Beweis, daß ihn Paulus
nur um der jüdischen Lehre willen gewählt hat. Der Gedanke
ist also: Gott tritt dem Menschen überhaupt nicht als Richter
gegenüber, er zeigt sich vielmehr als Geber. Und hiermit
springt aus den mißverständlichen Formen eine ebenso schlichte
als zutreffende Beschreibung des Wesens der Frömmigkeit her­
vor. Denn das eigentlich Religiöse in der Religion, wie es
dem Bewußtsein jedes wirklich Frommen entspricht, ist der
Gedanke, daß der Mensch Gott gegenüber ganz der Empfan­
gende, Gott allein der Gebende ist.
In dieser Betonung der Gnade liegt der Punkt, in dem
Luther mit Paulus wirklich zusammentrifft. Im übrigen deckt
sich Luthers Lehre durchaus nicht mit dieser paulinischen
Theorie, so präzis sie ihre Formeln erneuert. Gerade die
Differenz aber kann dazu dienen, den Sinn des Paulus
schärfer zu beleuchten.
Luther fragt: wie kommt der einzelne Mensch, der in
der Kirche steht und den Erlösungsglauben der Kirche teilt,
über die qualvolle Unsicherheit hinweg, ob das Heil, die Ver­
gebung der Sünde, auch ihm persönlich gelte. Seine Ant­
wort ist: erfindet die persönliche Gewißheit, wenn er erkennt,
daß es lediglich auf die Gnade ankommt, die Gott jedem be­

76
dingungslos versprochen hat. Paulus hat den Einzelnen gar
nicht im Sinn; die Frage der persönlichen Heilsgewißheit spielt
deshalb bei ihm keine Rolle. Er fragt, wie wir sahen, teils
ganz allgemein nach der Bedingung für den Eintritt in die
Kirche und findet sie im Glauben; teils ebenso allgemein nach
dem Wege, auf dem die Menschheit überhaupt zum Heil ge­
langt, und hier weist er auf die Gnade, die in der Erlösung
offenbar geworden ist“). Man darf daher auch bei der
Rechtfertigung nicht an ein persönliches Erlebnis des Indi­
viduums oder an subjektive, psychische Prozesse denken.
Sie ist vielmehr ganz ebenso gedacht wie jenes Sterben
mit Christus, das von allen gilt, die zu Christus gehören. Im
Grunde ist sie daher gar nichts Anderes als die geschichtliche
Erlösungstat Christi selbst oder sein Tod. Mit dieser Tat hat
Gott für alle erklärt, daß es auf Gnade und Glauben, nicht
auf Werke und Gesetz ankommt.
Hier tritt denn nochmals die Frage nach dem Sinn des
Todes Christi auf. Unleugbar hat Paulus Opfervorstellungen
zur Deutung herangezogen, insbesondere die Vorstellung des
Sühnopfers12). Das besagt aber zunächst weiter nichts, als
daß die Wirkung, die nach jüdischer Ansicht dem Opferblute
eignet, ohne alle weitere Reflexion auf das Blut Christi über­
tragen wird. Sein Tod wird als Opfertod verstanden; deshalb
wirkt er, was das Opfer wirkt, nämlich Sühnung oder Ver­
gebung der Sünden, d. h. er verleiht dem Menschen Gerechtigkeit.
Indessen setzt man meist gerade hier eine ausgebildete
Theorie über den Tod Christi voraus, und zwar eine Theorie,
die mit der orthodox-kirchlichen Lehre ganz oder beinah iden­
tisch wäre. Gott konnte seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit
wegen den sündigen Menschen nicht gnädig sein, er mußte
sie strafen. Aber Christus, der als Sündloser nicht zu sterben
brauchte, erlitt stellvertretend für sie die Strafe des Todes.
Dadurch wurde der Gerechtigkeit Gottes genuggetan, und nun
konnte er seine Gnade walten lassen. — Ohne Zweifel läßt sich
manches für eine solche Deutung verschiedener paulinischer
Worte sagen13). Gleichwohl glauben wir nicht daran. Vor
allem sagt Paulus nie, daß Gott erst dann vergeben könne,
wenn seine Gerechtigkeit befriedigt sei. Und das wäre sehr
auffallend; denn diese Grundvoraussetzung drängt sich stets
vor, wo man die Anschauung hegt. Paulus redet aber auch

77
nie von einer Versöhnung Gottes; es ist Gottes eigene
Liebe, die nach der Zeit der Feindschaft Versöhnung und
Frieden schafft14).
Bemerkenswert ist aber, daß auch in diesem Zusammen­
hänge wieder jene Idee erscheint, daß sich alles, was von
Christus gilt, von selbst auf seine Glieder überträgt. Der
Gehorsam des Einen, heißt es hier, wirkt die Gerechtigkeit
aller1' ’). Überhaupt führt auch diese Kampfeslehre überall in
die alten Gedanken über die Erlösung zurück. Wer von der
Sünde befreit ist, ist eben einfach gerecht18). Daher kann die
Gerechtigkeit auch als der Ausfluß des neuen Lebens gelten,
das der Christ durch sein Sterben mit Christus empfängt. Ja
es wäre nicht schwer zu zeigen, daß dieses Sterben selber
im Grunde mit der Rechtfertigung zusammenfällt.
Auch die Gerechtigkeit, die der Mensch empfängt, wird
daher erst in der Zukunft zur vollen Realität. Der erste Ein­
druck spricht allerdings stark dagegen. Die Rechtfertigung er­
scheint deutlich als ein schon gegenwärtiges Gut, auf welches
das Gut des ewigen Lebens notwendig, aber erst in der Zukunft,
folgt17). Aber Paulus hat diese Trennung nur vorgenommen,
weil die jüdische Lehre das ewige Leben als die Folge der
auf Erden erworbenen Gerechtigkeit vorstellte. In Wahrheit ist
die Gerechtigkeit des Menschen doch nur insofern vorhanden,
als der Tod Christi, der sie bewirkt, eine zweifellos gewisse
Tatsache ist. Ebenso gut kann sie auch wieder als Gegen­
stand der Hoffnung erscheinen18).

Schon Paulus selbst mußte den Vorwurf hören, seine


Lehre begünstige die sittliche Gleichgiltigkeit, indem sie alles
auf die Gnade stelle und das Gesetz ablehne. Er antwortete,
der Geist wirke alles von selbst, was das Gesetz nur ver­
langen könne19).
Man kann aber nicht leugnen, die radikale Ablehnung
des Gesetzes behält etwas Künstliches. Keine ethische Religion
kann auf den Gedanken verzichten, daß Gott dem Menschen
Gebote gibt. Paulus selber gibt dem Zeugnis. Denn der Ge­
danke des Gesetzes drängt sich doch überall wieder bei ihm
ein, sei es daß er vom „Gesetze Christi“ redet, oder von der Zu­
sammenfassung des Gesetzes im Gebot der Nächstenliebe "j.

78
Ja was heißt es anders, wenn er fort und fort in Imperativen
die sittlichen Gebote einschärft? Aber noch mehr: wo die
Polemik schweigt, tritt auch die Vergeltungslehre wieder ganz
unverhüilt zu Tage: Gott richtet nach den Werken. Eine kon­
sequente Ausbildung hat diese Lehre also nicht gefunden.
Geschichtlich bleibt stets die Hauptsache, daß sie das
Christentum vor den Satzungen schützt, und daß sie die
Scheidung des Judentums vom Christcntume ausspricht, damit
zugleich aber — zum ersten Male — das volle Bewußtsein um
die Eigenart der christlichen Religion. In dieser Hinsicht sind
die Kap. 3 und 4 im Galaterbrief das Dokument eines denk­
würdigen Moments der Reiigionsgeschichte.
Doch ist die Lösung vom Judentume noch keine völlige.
Paulus selbst ist trotz allem nie ganz von ihm losgekommen.
Er, der die Bestimmung des Heils für alle verficht, schreibt
bis zuletzt den Juden doch ein besonderes Anrecht zu; denn
er fühlt als jüdischer Patriot31). Nur dieser Patriotismus hat
ihm die Idee einer schließlichen Gesamtbekehrung Israels ein­
gegeben22), die eben als Ausdruck solchen Fühlens mensch­
lich ergreifend ist, aber doch auch sehr phantastisch. Ein Ab­
fall von seiner Lehre selbst ist sie allerdings nicht. Denn er
erwartet vom Judentume, daß es einst aufhören werde, jüdisch
zu sein.

3. Die Entftebung öer Cebre.


Athene sprang gewappnet in voller Kraft aus dem Haupte
des Zeus hervor. So ist die Theologie des Paulus nicht ent­
standen. Sie ist gewachsen und geworden, und wir begreifen
sie wie alles Geschichtliche nur in dem Maße wirklich, als wir
in ihr Werden hineinsehen. Das wird ja stets nur sehr un­
vollkommen gelingen. Immerhin lassen sich wertvolle Erkennt­
nisse gewinnen, die geeignet sind, dem Bilde der uns fertig
entgegentretenden Anschauung noch mehr Leben zu geben.

IS
79
Das jüdische Erbe.
Paulus hatte bereits eine Theologie, als er Christ wurde.
Natürlich vermochte er sie nicht wie ein abgetragenes Kleid
von sich zu werfen. Die neue Anschauung, die die Bekehrung
brachte, konnte die alte wohl umschmelzen, mußte aber auch
ein gut Teil von ihr in sich aufnehmen. Überhaupt erzeugt
eine neue Religion neue Anschauungen nur insoweit, als neue
religiöse Realitäten vorhanden sind. Deren gab es im Jesus-
glauben damals aber eigentlich nur zwei: Jesus selbst mit
seinem Leben und die Gemeinde. Diese Realitäten haben die
original-christlichen Gedanken geschaffen, und die sind gewiß das
Entscheidende; aber der Zahl nach verschwinden sie vor den
jüdischen Anschauungen, die in sie aufgehen oder unverändert
mit ihnen verwachsen.
Daß in der paulinischen Gedankenwelt ein großes jüdi­
sches Erbe steckt, läßt sich nun auch bestimmt beweisen. Ja es
ist gar nicht unverständlich, daß Paul de Lagarde diesen Gegner
des Judentums den jüdischsten aller Apostel heißen konnte.
Als geschulter Theologe hat er eben eine besondere Fülle
ausgeprägt jüdischer Ideen besessen. Ohne zu große Mühe
ließe sich aus den Briefen eine leidlich umfassende jüdische
Theologie zusammenstellen; die jüdischen Parallelen wären
leicht zu beschaffen. Wir skizzieren nur einige Hauptsachen.
Vom Monotheismus dürfen wir schweigen. Aber auch
die ganze Vorstellung vom Walten des Einen Gottes, wie er
in die Geschichte eingreift, seine Zwecke in ihr durchführt,
wie er alles vorhersieht und vorherbestimmt, hat nicht erst
der Christ Paulus erdacht. Jene harten Gedanken von Gottes
Prädestination und allmächtiger Willkür — er begnadet, wen
er will, und verhärtet, wen er will1) — hätte er als Pharisäer
zwar nicht auf Israel angewendet, aber fremd waren sie ihm
darum nicht. Wer vermöchte sie auch aus der Anschauung
von Christus, seinem Tode und seiner Auferstehung herzu­
leiten? Und alles, was daraus nicht herzuleiten ist, ist durch­
weg jüdisch.
Den Rahmen der gesamten paulinischen Lehre bildet
die jüdische Anschauung von dem Gegensatz zweier Welten
(Äonen), einer gegenwärtigen, irdischen und einer kommenden,
himmlischen. Hier haben wir die Grundlage für die geschichtliche
Betrachtungsweise des Paulus. Hier ist auch die paulinische

80
Auffassung von Heil und Seligkeit gegeben. Daß das Heil
auf dieser Erde nicht erreichbar ist, weil es eben wesentlich
Verneinung der Erde ist, daß es „Leben“, Unvergänglichkeit,
Herrlichkeit ist, das bedeutet keine Änderung der jüdischen
Anschauung. Und dazu tritt nun die ganze Fülle der Vor­
stellungen über die Zukunft. Da ist alles jüdisch vom Gericht
mit seinem Zorn und seiner Vergeltung bis zur großen
„Drangsal“ vor dem Ende, zum „Schall der letzten Posaune“
und zum Sieg des Messias über die feindlichen Geister2).
Nur Christus steht in neuer Weise im Zentrum des Bildes und
doch wieder in alter. Denn auch der Messias der Juden hat
seinen eigentlichen Platz im Zukunftsgemälde.
Eine andere Gedankengruppe betrifft den Menschen.
Der ethische Pessimismus des Paulus wurzelt im Judentum:
die jüdischen Apokalypsen wissen von der Allgemeinheit der
Sünde und vom „bösen Herzen“ des Menschen, mögen sie
auch einzelne Ausnahmen vorbehalten. Dieselben Apokalypsen
wissen von der verheerenden Wirkung der Sünde Adams.
Durch ihn entstand die „dauernde Schwäche“ in der Mensch­
heit, sein Fall ward der Fall aller3). So war also auch der
Gedanke von Christus als dem Repräsentanten der neuen
Menschheit halb vorgebildet. Und welchem Juden wäre es
etwas Neues gewesen, daß der Tod Folge und Sold der Sünde
sei? Daß heute alle solche specifisch jüdischen Ideen weithin
als „specifisch christlich“ gelten, ist eine eigene Ironie.
Die Bedeutung des jüdischen Engel- und Dämonen­
glaubens für Paulus wurde wiederholt gestreift. Auch jene
Idee, daß die Engel an der Gesetzgebung auf dem Sinai be­
teiligt waren, ist lange vor ihm vorhanden gewesen. Nur hat
erst er — ein Zeichen, wie er in diesen Vorstellungen lebte
— einen Beweis für den Unwert des Gesetzes daraus gemacht.
Aber erschöpft ist dies Gebiet mit den besprochenen Vor­
stellungen keineswegs. Daß die Gläubigen einst die Engel
richten werden, daß die Frauen, die ihr Haupt beim Gottes­
dienst nicht bedecken, sich den lüsternen Blicken der Engel
aussetzen, daß die Sterne, die Himmelskörper, Leiber von
Engelwesen sind4) — solcher Einzclgedanken, die wiederum
übernommen sind, ließen sich nicht wenige nennen.
An die Schrift mit ihrer Verheißung und ihren Weis­
sagungen, an die Bedeutung, welche die jüdische Auffassung von

Wreöe, Paulus.
VI 81
der biblischen Geschichte für Paulus behielt — auch schon vor
ihm war Abraham als der Held des Glaubens gefeiert worden
—, an die Beurteilung des Heidentums und seines Kultus
braucht nicht mehr erinnert zu werden. Und auch damit wäre
das Thema durchaus nicht erschöpft5)- Aber schon der flüch­
tige Abriß zeigt hinlänglich, was diese jüdische Gedankenwelt
für das geschichtliche Verständnis des Paulus bedeutet Die
Hauptfrage bleibt gleichwohl, wie die eigentlich christlichen
Gedanken entstanden sind, die dieses jüdische Material wie
ein Sauerteig erfaßten und durchdrangen.

Die Entstehung der „christlichen“ Anschauungen.


Ohne Zweifel hat das Erleben des Paulus einen ge­
wissen Anteil an seiner Lehre gehabt. In der Bekehrung er­
lebte er die Gnade, sein Urteil über das Gesetz verschob sich,
seine Gesetzlichkeit erhielt einen Stoß; und wenn sich sein
Denken so stark auf den Tod Christi konzentrierte, so wirkte
darin nach, daß ihm dieser Tod zuvor das große „Ärgernis“
gewesen war. Gleichwohl lassen sich die konkreten Ge­
danken des Apostels doch nur zum kleinsten Teile als der
einfache Reflex seiner Erlebnisse verstehen.
Scharfsinnige Forscher wollten nun zeigen, wie er rein
durch die Nötigung seines logischen Denkens dazu gekommen
sei, aus seinen Erfahrungen und aus jüdischen Voraussetzungen
seine Hauptlehren zu entwickeln. Aber sie operierten mit zu­
viel zweifelhaften Annahmen, um wahrhaft zu überzeugen.
Wir kennen den Zustand des Paulus zur Zeit der Bekehrung
und den Zwang seines Denkens zu wenig, um sicher zu
sagen, welche Folgerungen er bilden mußte. Dabei werden
wir uns bescheiden müssen.
Nach der eigentlich populären Vorstellung war Paulus
vor dem Tage von Damaskus in einem vergeblichen Ringen
um die Gerechtigkeit vor Gott. Statt sittlicher Fortschritte
Niederlage auf Niederlage und damit wachsende Verzweiflung.
In solcher Verfassung erlebte er die Erscheinung. Daher
brachte sie ihm sofort die Erkenntnis, daß nur die Gnade,

82
niemals menschliches Tun zum Heile führe: die Rechtfertigungs­
lehre wäre also der unmittelbare Ertrag,
Vorausgesetzt wird dabei, daß diese Lehre bei Paulus
das ein und alles sei. Daß das irrig ist, haben wir gesehen
(S. 72). Aber wie steht es mit dieser Auffassung von seinem
einstigen Seelenzustande? Geradezu hat Paulus nie hierüber
geredet. Aber in jener ergreifenden Schilderung von dem
Kampfe des „inneren Menschen“, der das Gute will, gegen den
übermächtigen „äußeren Menschen“ und gegen die Sünde soll
er das eigne Erleben gezeichnet haben*). Allein wenn er
hier „ich“ sagt, so beweist das noch nichts für ein eigentliches
Selbstbekenntnis. Auch allgemeingiltige Sätze kann ich in
der „Ichform“ aussprechen, und setzte man überall statt des
Ich ein Du, so wäre nichts geändert. Wirklich sprechen gute
Gründe für diese Deutung: das Ich ist der unerlöste Mensch
überhaupt; sein Elend wird gemalt, und zwar darum so besonders
düster, weil Paulus vom Standpunkt der Erlösung redet7).
Unleugbar freilich hatte sich die Stellung des Juden zu seinem
Gesetze mit der Zeit verwandelt. Die einstige naive Zuver­
sicht, das Gesetz halten zu können, jene Freude des Psalmisten,
die da sprach: „Ich habe Lust an deinem Gesetze“, war viel­
fach einer Stimmung gewichen, die das Gesetz als Druck und
Bürde empfand. So kann auch Paulus niederdrückende Er­
fahrungen bei seinem Heiiigungsstreben sehr wohl gemacht
haben, und insofern kann auch Erlebtes in seiner Schilderung
stecken. Aber das beweist nicht im geringsten, daß seine
Seele nun gerade vor der Bekehrung dieser einen Empfindung
voll war. Sein eignes Wort, er sei als Pharisäer im Gesetz
untadlig gewesen, klingt um so weniger danach, als ihm dabei
gerade die Bekehrung vorschwebt8). Die Wahrheit ist: die
Seelenkämpfe Luthers haben für dies Bild des Paulus Modell
gestanden*).
Damit schwindet jeder Anlaß, die Lehre von der Recht­
fertigung und die Verwerfung der Gesetzeswerke frischweg
aus der Bekehrung abzuleiten. Die Gnade empfinden heißt
noch lange nicht sie in einen Gegensatz zum Tun des
Menschen stellen. An Tod und Auferweckung Christi
glauben bedeutet am allerwenigsten die Nötigung, die Be­
schneidung und andere Riten abzutun, zumal wenn Christus,
wie Paulus glaubte, selber das Gesetz gehalten hat10).

VI* 83
Wir haben es schon angedeutet (S. 73) — diese Lehre
entsprang zunächst den Bedürfnissen der pauiinischen Heiden­
mission. Sie lieferte die theoretische Stütze für die Eman­
zipation von den jüdischen Satzungen. Die Praxis war hier
die Mutter der Theorie, nicht umgekehrt, wenn auch die
Praxis bereits eine Entwertung der Satzungen voraussetzt.
Hat Paulus den Satzungen gerade den Glauben gegenüber­
gestellt, so weist das darauf hin, daß es die praktische Frage
galt, was den Christen zum Christen mache. Später erst wird
er dazu fortgeschritten sein, das ganze Gesetz als das Prinzip
der Werke abzulehnen.

Weit wichtiger als diese Dinge ist die Frage: wie ent­
*)
stand die paulinische Anschauung von Christus? Für den,
der wie Paulus selbst ein überweltlich - göttliches Wesen in
Jesus sieht, gibt es hier freilich kein Problem. Wer aber Jesus
für das hält, was er war, nämlich für eine geschichtlich-
menschliche Persönlichkeit, dem muß die Kluft zwischen diesem
Menschen und dem Gottessohn des Paulus ungeheuer er­
scheinen. Seit dem Tode Jesu war noch längst kein Menschen­
alter verstrichen, und schon war seine Gestalt nicht nur ins
Unendliche gewachsen, sondern völlig verändert. Wie kam das?
Aus dem Eindruck der Persönlichkeit Jesu ist
dies Christusbild nicht entstanden. Man hat es oftmals
behauptet, aber niemals bewiesen.
Paulus hat Jesus vermutlich nie gesehen, jedenfalls
einen persönlichen Eindruck von ihm überhaupt nicht
empfangen; und hätte er ihn empfangen, so wäre er derartig
gewesen, daß er zu seinem Verfolger wurde. Wie viel er von
den Anhängern Jesu über sein Leben und seine Person er­
fahren hatte, ehe er zu seiner Christusanschauung gelangte,
ist schwer zu sagen. Für die Zeit nach der Bekehrung stellt
er eine Belehrung durch die Urapostel selber in Abrede”).
Nehmen wir aber gegen die Wahrscheinlichkeit an, daß er
schon früh von Jesus viel gehört hatte, so wird es nur um so

•) Ergänzungen zu dieser Ausführung bietet Abschnitt IV

84
auffallender, daß das alles gar keine Bedeutung für ihn ge­
winnt. Wir wissen ja schon, daß ihm an der Menscheit Jesu
nicht der ethisch - religiöse Gehalt der Person oder des
irdischen Lebens das Wichtigste ist, sondern das Ablegen des
göttlichen Daseins. Aus dem eigentlichen „Leben“ Jesu —
von der Menschwerdung und Auferstehung sehen wir dabei ab —
ist ihm nur ein einziges Ereignis wichtig: die Vernichtung des
Lebens, der Tod. Dieser aber ist ihm wieder nicht die
sittliche Tat eines Menschen — aller Märtyrerkultus in diesem
Sinne liegt ihm so fern als möglich —, ja er ist ihm über­
haupt keine geschichtliche Tatsache, sondern eine über­
geschichtliche, ein Vorgang in der übersinnlichen Welt. Denn
er ist ihm nichts ohne seine erlösende Kraft.
Nur in einem Falle wäre die menschliche Persönlichkeit
Jesu maßgebend: wenn sich die Christuslehre als Idealisierung,
Verklärung, Apotheose Jesu darstellte, sodaß die geschichtliche
Wirklichkeit noch hindurchschiene. Aber so ist es gewiß
nicht. Oder wäre die Demut, der Gehorsam und die Liebe,
die den Gottessohn erfüllen, als er den Himmel mit der elen­
den Erde vertauscht, ein Reflex des barmherzigen, demütigen
Menschen Jesus? Hätte Paulus die mannigfaltigen Charakter­
züge Jesu in großartiger Zusammenfassung in die himmlische
Gestalt hineinverlegt? Man hat es gemeint, aber es ist nicht
richtig. Gehorsam heißt Christus darum, weil er sich dem
göttlichen Ratschluß, ihn zum Heil der Welt zu senden, nicht
widersetzte, obwohl er ihn sein göttliches Sein kostete und ihn
ans Kreuz brachte; demütig, weil er sich selbst zur Niedrig­
keit der Erde herabließ. Liebe aber mußte sein Motiv sein,
weil seine Menschwerdung und sein Tod die höchste Wohltat
für die Menschen waren. Solche Wohltat entstammt natürlich
der Absicht wohlzutun, d. h. eben der Liebe12). Alle diese
ethischen Prädikate sind also nicht aus einem Eindrücke vom
sittlichen Charakter Jesu geschöpft, sondern aus dem Er­
lösungsglauben des Apostels selbst entstanden.
Diese Betrachtung ist indessen noch unvollständig. Die
Hauptfrage ist: kann man überhaupt für möglich halten, daß
Paulus selber Jesus zum himmlischen Gottessohn erhoben
hätte? Dies Bedenken trifft dann aber nicht allein den Ver­
such, die paulinische Christuslehre aus dem Eindruck der
Persönlichkeit Jesu abzuleiten. Mit derselben Stärke trifft

85
es auch die Meinung, der Apostel habe aus dem himmlischen
Dasein des Auferstandenen — oder aus andern Gedanken —
den „Schluß“ gezogen, der Christus müsse schon vor seinem
Erdenleben existiert haben. Und ebensowenig ist die andere
Vorstellung haltbar, eine Art „Trieb“, die Würde Jesu zu
„steigern“, habe dazu geführt, aus dem menschlichen Messias
der Urgemeinde den übermenschlichen Gottessohn zu machen.
Alle diese Ansichten machen den Kern dieser
Christuslehre zum Geisteserzeugnis des Paulus,
zum Werk seiner Phantasie. Und das ist das Unmög­
liche. Denn niemals läßt sich die großartige Sicherheit, Zu­
versicht und Begeisterung seines Glaubens verstehen, wenn
sein Fundament eine selbsterdachte Vorstellung war.
Es bleibt nur eine einzige Erklärung: Paulus glaubte
bereits an ein solches Himmelswesen, aneinengött­
lichen Christus, ehe er an Jesus glaubte. Bevor er
Christ wurde, erschien es ihm als Frevel, Jesus den Christus
zu heißen. Glich doch dieser Mensch so gar nicht dem
himmlischen Christusbilde, das er in sich trug. Im Momente
der Bekehrung aber, als Jesus ihm nun in der lichten Herr­
lichkeit seines Auferstehungsdaseins entgegentrat, da identifi­
zierte er ihn mit seinem Christus und übertrug nun ohne
weiteres auf Jesus alle die Vorstellungen, die er von dem
Himmelswesen bereits hatte, z. B. die, daß es schon vor
der Welt existierte und an ihrer Erschaffung beteiligt war.
Dazu bedurfte es keiner Verstandesoperation, keines „Schlusses“.
Glaubte er überhaupt in seiner Vision Jesus als den Christus
zu sehen, so mußte er sich ihn auch genau so vorstellen, wie
er diesen Christus längst gedacht hatte. Der Mensch Jesus
wurde also eigentlich nur der Träger all der gewaltigen Prä­
dikate, die bereits feststanden; aber die Seligkeit des Apostels
lag darin, daß er das, was er bisher lediglich gehofft hatte,
nun als greifbar in die Welt eingetretene Realität betrachten
konnte. Hier sieht man aber von neuem, wie viel es bedeu­
tete, daß er Jesus nicht kannte. Vertraute Jünger konnten
nicht so leicht glauben, der Mann, der mit ihnen in Kaperna­
um zu Tisch gesessen oder auf dem galiläischen See gefahren
war, sei der Schöpfer der Welt. Für Paulus fiel dies Hinder­
nis fort.

86
Hat er nun schon vor seiner Bekehrung von diesem
göttlichen Christus gewußt, so muß es im Judentum Kreise
gegeben haben, die denselben Glauben hatten. Läßt sich aber
ein solcher Glaube auf diesem Boden wirklich nachweisen?
Soviel ist gewiß, jüdische Apokalypsen kennen wirklich einen
Messias, der vor seinem Erscheinen bereits im Himmel lebt
und erhabener ist als selbst die Engel. Damit haben wir ein
höchst wichtiges Datum. Ob freilich alle Züge des paulinischen
Christus von den vorliegenden Messiasvorstellungen der Apo­
kalypsen aus verständlich werden, muß hier dahin gestellt
bleiben. Die Forschung ist eben erst dabei, sich des Problems
recht zu bemächtigen. Die Hauptsache ist zunächst die Ein­
sicht, daß der paulinische Christus nur dann verständlich wird,
wenn man annimmt, daß bereits der Pharisäer Paulus eine
Summe von fertigen Vorstellungen über ein göttliches Wesen
*).
besaß, die dann auf den geschichtlichen Jesus übergingen
Seine Christusanschauung erfuhr aber durch die Be­
kehrung insofern eine Veränderung, als nun das menschliche
Leben Jesu mit den Hauptpunkten Tod und Auferstehung in
das Bild aufgenommen wurde. Im Gesamtleben des Himmels­
wesens stellte dies menschliche Dasein zwar nur eine vorüber­
gehende Phase dar, aber der Tod und die Auferstehung war
doch eben für die Menschen das Erlösende.
Wir hätten hiernach etwa folgendes Gesamtbild der
Entwicklung.
Das Erste war die Christusanschauung selbst. Hierauf
ruht die ganze Auffassung der Erlösung. Denn Tod und Aufer­
weckung Christi werden nicht als Erlebnisse eines Menschen
gedacht, sondern durchaus als Erlebnisse eines menschge­
wordenen göttlichen Wesens. Daran hängt ihre allgemeine,
welterlösende Bedeutung. In diesem Doppelereignis fand Pau­
lus den Schlüssel zu der an sich rätselhaften Menschwerdung
des Gottessohnes. Die Erlösungsanschauung selbst war wieder
durch die Vorstellungen bestimmt, die der Apostel mitbrachte. Er
erwartete von seinem Christus, daß er die bösen Mächte der

•) Übertragungen solcher Art sind übrigens keineswegs bloß bei Pau­


lus anzunehmen. Wenn Jesus z. B. bei Johannes „das Wort“ (der Logos)
heißt, so war auch dies eine umlaulende religiöse Vorstellung, die dann
Jesus zugeeignet wurde.

87
Welt, auch die Dämonen, besiegen und einen neuen Zustand
der Dinge herbeiführen werde. Die Lösung dieser Aufgabe
fand er dann aber gerade in den beiden Heilsereignissen. Wie
er dazu kam, bleibe offen. Vermutlich haben ihm diese Ge­
danken längst festgestanden, als die polemischen Interessen
dazu führten, die Lehre von der Rechtfertigung auszuprägen.
IV. Rapitel.
Die Stellung des Paulus in der ßefcbicbfe
des enthebenden Cbriftentums.
1. Paulus und die vorangehende Entwicklung.
Die Bedeutung der religiöfen Anfchauung des Pau»
lus kann nur dann klar erfa&t werden, wenn man ibn
mit der Urgemeinde, vor allem aber mit Jefus felbft
vergleicht. Ein folcber Vergleich mag jwar mißlich
fcbeinen, fo lange die Gedanken Jefu nicht fieber er»
mittelt und umfebrieben finb. Allein die entfebeidenden
Punkte liegen doch deutlich vor Augen. (Dan mufr nur
im allgemeinen feftbalten, dafe ber Stoff unferer brei
erjten Evangelien nur feinem Grunbftocke nach fchon vor
ber Ausbilbung ber paulinifeben Theologie vorbanben
war, jum guten Teil bagegen erft neben unb nach ihr,
ja bie unb ba febon unter ihrem Einfluß entftanben ift.
Paulus entftammt einer anbern Schicht bes Juden»
tums als Jefus. Die Weisheit ber Rabbinen, bie Speku»
lation ber Apokalyptiker, auch bie £uft belleniftifcber
Gebanken war für ibn etwa bas, was für Jefus bie
fcblicbte Frömmigkeit einfacher Volkskreife war. Die
ganje religiöfe Sprache bes Paulus bat fo eine andere

89
ßöbenlage als öie Sprache Jefu. Dort eine Sülle von
Begriffen, öie als Begriffe bebanöelt unö verarbeitet
weröen. Die Grfcbeinungen Öes religiöfen Cebens fteben
unter allgemeinen Kategorien, 3. B. „Sünöe“. überall
ift öie Reflexion am Werke; öie Religion läfet ficb eben
vom Denken unö Geöanken gar nicht trennen. Bei
Jefus öagegen eine einfache, faft elementare Sprache.
Wenige, aber febr mächtig wirkenöe religiöfe Vor»
ftellungen. Rein wefentlicber Anteil öes Intellekts.
Rein Verknüpfen unö Unterfcbeiöen von Begriffen. Reine
hompligierten Reiben von Geöanken. Sonöern nur eine
äufjerft leicht fafjlicbe Anwenöung öer feftftebenöen reli«
giöfenGrunöbegriffe auf öie Praxis öes religiöfen Cebens,
insbefonöere für öas Gewijfen unö öen Willen.
hiernach könnte man vermuten, Paulus habe öas
„Cvangelium Jefu“ mit ßilfe Öer ihm gegebenen Be=
griffswelt tbeologifcb aufgefafjt, ausgemün3t unö umge»
bilöet, oöer er fei öer tbeologifcbe Ausleger unö
Sortfetjer Jefu.
Dies ift in öer moöernen "Cbeologie in öer "Cat Öie
vorberrfcbenöe Auffaffung. Julius Wellbaufen, öer Bahn»
brecber öer altteftamentlicben Kritik, bat fogar mit Be-
tonung ausgefprocben, Paulus fei in Wahrheit öerjenige
gewefen, öer öas Gvangelium Jefu verftanöen habe.
Aöolf ßarnack unö viele Anöere haben es wieöerholt.
leb vermag öiefem Urteil jeöoch niebt 3U3uftimmen,
febe öarin vielmehr einen nicht geringen gefcbicbtlicben
Irrtum.

IS
Wie weit reicht öer wirkliche Ginflufj, Öen öie Pre»
öigt Jefu - natürlich nur öurch Vermittlung öer un=
mittelbaren Jünger oöer öer Urgemeinöe — auf Paulus
geübt bat?
Verbinöungslinien taffen fich ohne Srage vielfach
vom einen 3um anöern sieben; ein Ginflufr Jefu ift Öa=
mit aber noch gar nicht erwiefen. Beiöe CDänner ge

90
hören öem Judentum öer gleichen Seit an. Da verftebt
es fich einfach von felbft, öafj ihre Religion eine ganje
Rnjahl gemeinfamer 3üge aufweift. CDufj 3. B. in ber
Predigt Jefu öie Grkiärung liegen, wenn paulus Gott
„unfernVater“ nennt, oder wenn er öen Befitj öer Gottes«
kinöfchaft rühmt? Cängft vor Jefus kannte öas Judentum
Öen Vaternamen, öacbte auch Gott nicht nur als öen
Vater Israels, fonbern jebes Greinen; nicht einmal bas
ift wahr, dafj erft Jefus biefen Damen fo in öen Vorder«
grunö gestellt habe J). Gbenfo rechnete öas Juöentum
öie Gotteskindfcbaft oöer Gottesfohnfcbaft 3U öen wefent«
lieben Gütern öer Religion. Gerade die Rnfcbauung
von Gott aber, die fich bei Jefus mit dem Vaternamen
verbindet - er waltet über allem, forgt in unerfeböpf»
lieber Güte für jeden, 3äblt die Baare auf dem ßaupte
- fie findet famt der ihr entfpreebenden eigenen Stirn«
mung des Gottvertrauens bei Paulus kaum einen Dach«
ball. — Dafj das paulinifebe Bild Öer 3ukunft eigentüm«
liebe Geöanken Jefu fortpflanse, ift trotj ftarken Über»
einftimmungen ebenfo 3weifelbaft.
Sieber waren Paulus manche Vorfcbriften unb Re»
geln Jefu aus ber Überlieferung bekannt, unö fieber
galten fie ihm als Dorrn2). Sehr möglich ift, bafj auch
in CDabnungen wie ber, bie Verfolger 3U fegnen8), um»
laufende Sprüche Jefu nachklingen; ausgemacht ift es
nicht, ba bas Judentum auch folcbe Gedanken gekannt
bat. Die Ciebe 3um Däcbften bat dem Rpoftel febr
wabrfcbeinlicb wie allen Cbriften als ein feftes „Gebot
bes Berrn“ gegolten. Sie bedeutet aber für ihn bocb
nicht baffelbe wie für Jefus und tritt im Gründe 3urück
hinter öer Ciebe 3um Bireben- unö Glaubensgenoffen,
hinter öer „Bruöerliebe“; unö öiefeGemeinöetugenö könnte
auch in öer jüöifcben Diafpora mehr betont fein, als
wir wiffen. (Dag man aber auf öiefem Gebiete etwas
mehr oöer weniger an fachlichen Berührungen mit Jefus
annebmen: öen befonöern moralifeben Bauch öer Sprüche
Jefu, ihre gewaltige, majeftätifebe Rrt, ihre eigene kri»
tifebe Schärfe oöer ibr Dringen auf innere Wahrheit -
bat wohl noch kein feiner Gmpfinöenöer aus öer Sitten»
predigt öes Paulus berausgefühlt.

91
Am einleuchtendsten fcbeint, baß feine Abkehr von
ben jübifcben Satjungen unb bie Befreiung des Evan«
geliums von allen nationalen Schranken eine Ronfequens
ber baltung Jefu ift. Aber gerade hier ift bie Unab»
bängigkeit bes Paulus unfcbwer 3U erkennen. Ruch
nicht ein emsiges (Dal bat er ficb in feiner Polemik
auf Jefu freie Stellung 3um Gefeß berufen. Unb baß
bas kein 3ufall ift, dafür bürgt ein 3weites: er glaubt
ja gerade, baß Jefus ganj gefetjlicb gelebt bat, unb
rechnet bas 3ur Erniedrigung bes Öottesfobnes: Cbriftus
trat unter bas Gefeß unb würbe ein Diener ber Be=
fcbneibung4).
0an3 offenbar finb aber auch bie (Dotive bes Pau«
lus an biefem punkte völlig anbere als bie Jefu6). Jefu
Polemik gegen gefeßlicbes Wefen ift burcbaus mora»
lifcher Art. Er wendet ficb gegen bie Satjungen, wenn
unb weil fie bie fittiiche Gefinnung töten, ber Srömmig»
keit bie Seele nehmen, bie Äußerlichkeit, ben Schein an
Stelle bes Wefens feßen. Wo findet man bei Paulus
folcbe etbifebe Kritik ber Gefeßlicbkeit ? Gr ficht gegen
bas Gefetj als (Diffionar unb als Sachwalter ber Er»
löfung in Cbriftus. Das ift etwas Anberes. Unb wiebe»
rum - Jefus entwertet bie nationalen Vorjüge bes
Jubentums, inbem er im Juben nur ben (Denfcben fiebt
unb begehrt, Paulus proklamiert bas Beil für alle Dati»
onen: ift bas bas Gleiche? CDag man ba eine ge=
wiffe Wablverwanbtfcbaft finden: ber eigentliche Sinn
bleibt wefentlich verfebieben6), unb nicht barum bat Pau»
lus bie nationalen Unterfcbiebe für gleicbgiltig erklärt,
weil er „Jefus verftanben“ hätte.

Die Srage nach bem Einfluß ber Prebigt Jefu auf


Paulus bringt fcbwerlicb viel wefentlicbe Cntfachen 3U
Cage. Aber fie ift überhaupt nicht bie entfebeibenbe.
Die Bauptfacbe ift vielmehr, wie ber objektive Ab»
ftanb ber paulinifeben Cebre von ber Prebigt

92
Jefu ju bemeffen ift. ßier führt aber ein Vergleich
einjelner Punkte durchaus nicht jum Siel; es mufe das
3entrale auf beiden Seifen ins Auge gefaxt werden.
Jefus fagt: „Ihr fallt vollkommen fein, wie euer
bimmlifcher Vater vollkommen ift“. paulus fagt: »Der
feines eignen Sohnes nicht verfchont bat, wie follte er
uns mit ihm nicht alles fcbenken?“
Jefus fagt: »Wenn dein Auge dich ärgert (verfucbt),
wirf es weg; es ift dir beffer einäugig in das Reich
Gottes einjugeben, als mit jwei Augen in die ßölle
geworfen ju werden“. Paulus fagt: »Cbriftus ift uns
geworden jur Weisheit von Gott, jur Gerechtigkeit,
ßeiligung und Crlöfung“.
Jefus fagt: „niemand kann jwei ßerren dienen . . .
Ihr könnt nicht Gott dienen unb bem CDammon.“
Paulus fagt: »Cbriftus warb um unferer Sünbe willen
babingegeben unb um unferer Rechtfertigung willen
auferweckt.“
Jefus fagt: »niemand, der die Band an den
Pflug gelegt bat und rückwärts fcbaut, ift gefcbickt
für bas Reich Gottes.“ Paulus fagt: „Gott bat uns
errettet aus ber Gewalt ber Sinfternis unb verfemt in
bas Reich bes Sohnes feiner Ciebe“7).
Das finb doch wohl Ausfagen, in denen auf
beiden Seiten der Charakter bes Ganjen jur Cr-
fcbeinung kommt.
Bei Jefus jielt alles auf bie perfönlicbkeit bes
Cinjelnen. Cs gilt, bafe ber CDenfcb feine Seele ganj
unb ungeteilt Gott unb feinem Willen bingebe. Das
CDeifte in ber prebigt Jefu bat daher bie Sorm ober
hoch ben Charakter bes Imperativs. Cohn unb Strafe
fteben freilich überall hinter bem fittlicben Appell, unb
es finb für Jefus keineswegs entbehrliche Gedanken;
aber fie bienen vor allem, ben Crnft unb bie Schärfe
bes Gotteswillens unb bie Gröfee ber Verantwortung
empfinden ju laffen. Gewife jeigt die Predigt Jefu
noch andere 3üge, aber der ßerjpunkt liegt, wenn
irgendwo, in diefen Dingen.
Bei Paulus ift das 3entrum eine gefcbicbtlich=
übergefchicbtlicbe Gottestat oder ein Gefüge von Gottes=

93
taten, bie ber ganjen (Denfcbbeit ein fertiges Beil mit«
teilen. Wer an biefe Gottestaten - (Denfcbwerbung,
Cod und Ruferftebung eines bimmlifchen Wefens -
glaubt, dem fällt das ßeil 3U.
Und biefe Rnfcbauung, für Paulus der Inbegriff
ber Religion, das Balkengefüge für den Bau feiner
Srömmigkeit, ohne bas fie sufammenftürjte, - fie wäre
bie Sortfetjung ober Umbildung des Evangeliums Jefu?
Wo ift hier das Evangelium geblieben, das Paulus
verftauden haben foll ?
Jefus weife von dem, was für Paulus das ein
und alles ift, - nichts. (Dag man immer auf feinen
Rnfprucb verweifen, gum (Defjias auserfeben ju fein:
bafe er ficb felbft jum Gegenftanbe eines Glaubens ober
einer Cebre gemacht hätte, mufe man trotj einigen
Evangelienworten, bie es fagen, be3weifeln. Dafe er
feinem Cobe Bedeutung für das ßeil 3ugefcbrieben
hätte, ift fo unwabrfcbeinlicb wie möglich, obwohl auch
biefer Gebanke ein paar (Dal in bie Evangelien einge«
brungen ift8).
Paulus anbrerfeits 3eigt fieber eine Reibe Be«
rübrungspunkte mit ben Sprüchen Jefu. Aber all ber«
gleichen gehört bei ihm 3U ben Dingen 3weiter Orbnung,
ber Kern feines Evangeliums liegt anberswo.
(Dan benke übrigens auch nicht nur an „Rn«
febauungen“, fonbern an bie fubjektive Religiofität felbft.
So grofe bas etbifebe Inteteffe bes Paulus ift, er bat
öer fittlicben Güte bes Charakters bocb 3weifellos etwas
Rnbres vorgeordnet, und nidot nur in der Polemik: es
ift der Glaube, d. b. eine Über3eugung mit gan3 be«
ftimmtem, formulierbarem ]nbalt, im Grunde der Glaube
an ein Dogma, mag es ficb in feiner Einfachheit unb
ßerslicbkeit von ben kalten unb fpintbifierenben Be«
ftimmungen fpäterer Seiten auch noch fo febr 3U feinem
Vorteil unterfebeiben. (Dan kann auch fagen: bei Paulus ift
bie erfte Srage, ob ber (Denfcb Glieb ber Kirche ift. Rlle
menfcbliche Vortreff liebkeit kann ihm keinen Wert verleiben,
wenn er niebt biefe Bebingung erfüllt ober an ben ge*
kreu3igten unb auferweckten Gottesfobn glaubt. Diefer
Glaube kennt 3war keine Schranke ber Dationalität,

94
aber er wirb felbft 3U einer Schranke, die 3wei Rlaffen
von (Denfcben fcbeiöet. Rein menfchlith * fittlicbe (Dafj*
ftäbe jur Beurteilung der Frömmigkeit, wie fie Jefus
handhabt, kann es deshalb für Paulus gar nicht geben.
Vorwürfe gegen Paulus aussufprechen, ift müfeig.
Cr bat ficb feine Religion ja nicht willkürlich 3urecbtge=
3immert, fonbern bat inneren unb äußeren Rötigungen
gehorcht. Rur ben Catfacben felbft barf man nichts ab*
hingen. Unb will man nicht beiden Geftalten jede
gefcbicbtlicbe Beftimmtbeit nehmen, fo ergibt ficb,
ba^ ber Rame „Jünger Jefu“ für Paulus wenig pafet,
wenn man damit fein gefcbicbt liebes Verhältnis 3U Jefus
be3eicbnen will. Im wefentlicben ift er im Vergleich mit
Jefus eine neue Crfcbeinung, fo neu, wie es bei einem
großen gemeinfamen Untergründe nur möglich ift. Cr
ftebt von Jefus viel weiter ab als Jefus felbft von öen
ebelften Geftaltungen jübifcher Frömmigkeit. Cs hilft
auch nichts, 3U fagen, Paulus könne gar nicht ebenfo
wie Jefus lehren, öa er eben auf bie Geftalt unb bas
Ceben Jefu 3urückblicke. Wir brauchen es nicht 3U
wiederholen: bas Cebenswerk unb Cebensbilb Jefu bat
bie paulinifebe Theologie eben nicht beftimmt. Rn biefer
Catfache läfet ficb nicht rütteln, mag Paulus foviel von
Jefus gewußt haben, als er will, mögen Crsäblungen von
ihm ibn tiefer bewegt haben, als wir wiffen, mag er ge*
legentlicb in ber CDiffionsprebigt auch bies ober bas
von Jefus berichtet haben. Cr felbft bat ficb freilich als
Jünger unb Rpoftel Jefu gefühlt unb feine Cbre barin
gefunden, es 3U fein; des Reuerns ift er ficb nicht be*
wufjt gewefen. Aber angefiebts Öer Catfacben kann
öies wahrlich niemals beweifen, öafe er Jefu Werk
wirklich nur fortgefetjt unö Jefus verftanöen hätte; über*
Öies war öer, beffen Jünger unö Diener er fein wollte,
gar nicht eigentlich öer gefdoicbtlicbe GDenfcb Jefus,
fonbern ein Anberer.
Gleich in öen erften Jabr3ebnten, öie Öas ent*
ftebende Cbriftentum erlebt, ift alfo ein großer Sprung
in öer Cntwickelung öer Religion felbft feftguftellen.
Auf öen erften Blick öurebaus rätfelbaft, wirö er bei
näherem Sufeben öoch verftänölicb: Paulus hatte mit

95
Jefus feibft keine Sübiung gehabt, war alfo viel weiter
von ihm entfernt, als es nach der seitlichen Höbe
Scheint; ben Glauben batte er burch eine „Offenbarung“
gewonnen; Infolge biefer Umftänbe vermochte er bie
Erscheinung Jefu mit Ibeen von Christus aufgufaffen,
bie gang unabhängig vom (Denfcben Jefus entftanben
waren.
Übrigens kommt ja eins bingu: switchen Jefus
unb Paulus ftebt ber Glaube ber Urgemeinbe; er ift
bie Vorausfetgung für Paulus, unb er bilbet ungweifek
baft eine gewiffe Brücke vom einen gum andern. Schon
für bie Urgemeinbe würbe infolge ber Cbriftusvifionen
bas Wicbtigfte eine „Beilstatfacbe“: Jefus ift auf*
erftanben. Schon für fie war bas Unterfcheibungsmerk*
mal gegenüber bem Judentum eine Glaubensausfage:
Jefus ift als (Deffias erwiefen unb wirb als (Deffias
in Berrlicbkeit erfcbeinen. Schon fie betrachtete ben
Cob Jefu als eine Erfüllung ber Weisfagung unb ba=
mit als ein „meffianifches“ Ereignis. Ohne wefentiiche
Einbeitsmomente im Glauben bes Paulus unb ber
wirklichen Jünger Jefu wäre ja ihr ganges Verhältnis
unb ihr Bewujgtfein wirklich vorbanbener religiöfer Ge-
meinfcbaft überhaupt nicht vorgufteilen. Dennoch ift
auch ber Abftanb gwifchen ber Urgemeinbe unb Paulus
fehr grofe unb in Wahrheit größer, als bie Beteiligten
feibft gewußt haben. Einmal wirb ber gange Borigont
ber Rnfchauung veränbert: nicht mehr bie jübifcbe
Dation liefert ben Rahmen für alle Gebanken, fonbern
bie Welt, bie (Denfcbbeit. ChriStus ift nicht mehr
jübifcher (Deffias, fonbern Weltbeilanb; ber Glaube an
ibn baber nicht mehr eine Sorm bes jübifcben Glau*
bens, fonbern ein neuer Glaube. 3weitens ift bie
Cbriftuslebre neu, nicht blojg weit ber (Denfcb Jefus für
bie Urgemeinbe viel mehr bedeutete, fonbern vor allem,
weil bei Paulus Urfprung unb Wefen Cbrifti bimmlifcb
geworben ift. Daraus ergibt ficb bann drittens eine
wefentlicb neue Schalung bes Codes Cbrifti. Es bleibe
hier unentfcbieben, ob fcbon bie Urgemeinbe ibn als
einen Cob „für bie Sünden“ angefeben bat9); auch
bann wäre er ihr hoch nur ein vereingeltes Ereignis ge»

96
wefen, das man frob war, nicht bloß rechtfertigen,
fonbern auch pofitiv würdigen gu können. Bei Paulus
dagegen ift der Gob Jefu (mit der Auferftehung) ge»
radegu gum eigentlichen (Dyfterium ber Welterlöfung
geworben, gum Sunbamente des Gangen. Daß die
Gefchichtsbetracbtung bes paulus als Ganges etwas
wefentlich Deues ift, ergibt (ich aus alledem von felbft.

2. Die Wirkung bes Paulus auf feine 3eit.


Wieweit bie Perfon bes Paulus nach feinem Dobe
ein allgemeines Anfeben in ber ßeibenkircbe, bie er
angebabnt batte, genoffen bat, foll hier nicht unterfucbt
werben; es genüge, ben nachweisbaren Einfluß feiner
Gebanken auf die Solgegeit angubeuten.
Die natürlichen (Debien feiner geiftigen Sort»
Wirkung waren gunäcbft in befonberem Sinne feine
vertrauten Schüler unb Gehilfen. Was fie aber wirk»
lieb als folche geleiftet haben, ift gänglich dunkel. Um
jo offenbarer ift, baß der Apoftel felbft eine Weile nach
feinem Lobe in einer neuen Art gu wirken beginnt.
Seine Briefe waren bei ihrer Enftebung keine literarifchen
Produkte, fie waren rein perjönlicbe Äußerungen für
kleine Rreife mit bem gangen Gelegenheitscbarakter
wirklicher Briefe. Dun aber würben fie gefammelt unb
verbreitet, damit erhalten fie mehr unb mehr eine öffent»
liebe Geltung, eine autoritative Bebeutung für bie gange
Rircbe; fcbließlicb werben fie kanonifeb. Auf biefe Weife
wirb paulus nach feinem Cobe ohne fein 3utun gu
einer literarifchen Größe. Was er als folche gewirkt,
fließt für uns großenteils gufammen mit ben unmittet»
baren Anregungen, die vom Gebenden ausgegangen
waren.
Die Spuren feiner Einwirkung find nun in ber
Briefliteratur, bie nach ihm entftebt, mit ßänben gu
greifen. (Dan bewegt ficb in feinen Wenbungen, kopiert
Wrebe, Paulus,
VII 97
manche Formen feiner Briefe und läfet Briefe unter
feinem Damen ausgeben. Diefe Catfacbe bat aber
doch keine größere gejcbicbtliche Bedeutung. Die Ver»
ebrung für Paulus ober ber Wille, ficb ibm anjufchiiefjen,
ift nämlich gar kein (Dafeftab für bie wirkliche geiftige
Gemeinfchaft. Die Briefe an Cimotbeus unb Citus 3. B.
verwerten eine (TDenge paulinifcher Floskeln .fteben aber
in ihrem ganjen Charakter bem Paulus recht fern. Unb
wenn einige Schriften, vor allem ber Cpbeferbrief unb ber
1. Petrusbrief, ein wirkliches Verftänbnis feiner Ge=
banken bekunben, fo ift bas bocb auch nur eine unter*
geordnete Catjache. Die eigentliche Wirkung bes
Rpoftels kann überhaupt nicht erfaßt werben, wenn
man folcben bejonberen literarifcben Cinflüffen nachgebt.
Sie mufe in ber ganjen Breite ber fpäteren Glaubens*
unb Cebrentwicklung bervortreten, ober fie bebautet
nicht viel.

Rls Ganjes, als eigentümlicher Bau ift nun freilich


bie paulinifche Cbeologie in ber Folgejeit im Grunbe
nicht mehr wieberjufinben. Das ift auch natürlich.
Schon darum, weil fie boch immer bie Cbeologie eines
geborenen Juben unb jwar eines pharijäers blieb, b. b.
auf 3ablreicben Vorausfetjungen ruhte, welche bie
Späteren nicht mitbracbten unb ficb auch nicht künftlicb
aneignen konnten.
Dennoch darf man ohne Übertreibung von einer
gewaltigen Dacbwirkung reden. Dabei ift vor allem
an bie Ruffaffung von Cbriftus unb feinem Werke ju
benken. Die Rrt ber fubjektiven Frömmigkeit entfernt ficb
oft von Paulus febr weit. Rber bie Rusfagen über
ben Cbriftus als bimmlifcbes Wefen, bas Fleifcb an*
nahm, über ben „ßeilanb ber Welt“, ber jur Crbe
kam, begegnen uns überall, unb ebenfo bie Gebanken
von ber erlöfenben (TDacbt feines Cobes, mögen auch
bie Formeln manchmal von Paulus etwas abweicbcn.
Die ganje Bebeutung ber Sache kann nichts fo
klar machen wie bas Jobannesevangelium, bas felbft
wieder fo mächtig gewirkt bat. Diefe Schrift läfjt ficb
jwar in ber Eigenart ihrer Gebanken keineswegs voll*

98
ftänbig aus Paulus erklären, aber paulus ift hoch un«
gweifelbaft ihr Sunbament. Wenn ber jobanneifcbe
Cbriftus bavon rebet, wie er beim Vater war, ehe er
Sleifch würbe, fo rebet ba Paulus felber gu uns; unb
wenn Johannes ber Läufer in biefem Cvangelium Jefus
als bas Camm Gottes preift, bas bie Sünben ber Welt
wegnimmt, fo ift es wieber bie Stimme bes Paulus,
freilich bat [ich feit Paulus bie Anfcbauung vom Ceben
Jefu grünblich veränbert. (Jrfprünglicb fucbte man bie
meffianifcbe Berriichheit Jefu in ber Suhunft, nicht in
feinem Crbenleben. Allmählich erhielt bies Ceben immer
kräftigere meffianifcbe Sarbe. Jefus war nicht nur ber
kommenbe Oeffias, fonbern ber gekommene. Bei Jo»
bannes ift bas gange Crbenleben fcbon nichts als eine
ftänbige Ausftrablung göttlicher Glorie. Aber gerabe
barum konnten bie pauünifchen Ibeen in biefer Gr»
gablung felbft gum Ausbruch gelangen. Im Sleifcbe
konnte ficb jetgt ber Gottesfobn bes Paulus barftellen.
In ber Cat, bei Johannes ift bie paulinifcbe Cebre von
Cbriftus in bie Sorm bes Cebensbilbes bineingegoffen
unb gewinnt auf biefem Wege nun neuen Reig unb
neue Gewalt über bie Bergen.

Verwunberung bat oftmals bas Scbickfal ber


paulinifcben Cebre von ber Rechtfertigung erregt. Dach»
klänge von ihr liegen ja vor, aber man fiebt beutlicb,
bafe es nur honfervierte, halb verjtanbene Sormeln finb.
Die bominierenbe unb überall gang naiv ausgefprocbene
Anfcbauung ift bocb, bafj ber Weg gum Beil bas
Balten ber göttlichen Gebote ift, natürlich auch bes Ge«
botes gu glauben.
In Wahrheit ift es nicht fo rätfelbaft, bafe jene
Cebre fo gut wie verfcbwinbet, unb gerabe bann nicht,
wenn fie war, was wir in ihr fanben, eine Kampfes»
lehre. Sie verfcbwinbet barum, weil bie Situation ver»
fchwanb, für bie fie gefchaffen war. Die Srage, bie
einft alles bewegte, wie ficb bekehrte Beiben gum
jübifcben Gefe^e [teilen müfjten, verlor burcb ben Gang
ber Dinge ihre praktifcbe Bebeutung. Cs würbe felbft»

VII* 99
verftänblicb, bafj das ßefetj keinen Rnfprucb erbeben
könne. Was brauchte es bann noch der Ebcorie? Die
£ebre aber, bafj bie Werke bes (Denfchen überhaupt
ohne Bedeutung für das Beil feien, war in weiteren
Breifen wohl niemals verbanden, auch vom moralifcben
empfinden manchmal inftinktiv abgelebnt worben.
Späteren würben bann bie jübifcben Ibeen, mit benen
Paulus babei operierte, noch frember.
Crot} allem bat auch biefe Bampfeslebre einen
grofeen Ertrag binterlaffen. Sie bat eben bie Wirkung
gehabt, ficb felber überflüffig ju machen, unb bas war
nicht wenig. Die ganje nacbpaulinifcbe Birebe verneint
bis auf minimale Breife ben jübifcben Partikularismus:
ber Satj, bafe in Cbriftus nidot Jude, nicht Grieche ift, ift
Gemeingut geworben. Daju ein 3weites: die gan3e
Birebe verwirft bewußt unb förmlich bas jübifcbe Gefe^
ber 3eremonien und empfindet ihre Sreibeit vom Gefetj
als Wefensunterfcbied von der jübifcben Religion. Über»
baupt aber fühlt fie fich von biefer völlig gefcbieben,
viel mehr noch als paulus felbft: eine Generation nach
ihm ift jebes Band mit dem Judentum bereits durch»
fcbnitten.
Sür bas innere Ceben ber Srömmigkeit haben ja
biefe Dinge wenig unmittelbare Bebeutung gehabt.
Sür bie Entwickelung ber Kirche finb fie grunblegenb
gewefen.
So ift nach verfdoiebenen Seiten bie geijtige Si=
gnatur ber bamaligen Birebe bureb Paulus entfeheibenb
beftimmt worben. Doch kann es nicht genügen, ibn im
Rahmen feiner Seit ju betrachten. Seine Geftalt bat
fortgewirkt bureb die Jahrhunderte cbriftlicber Birchen»
unb Bulturgejchicbte.

100
Die weltgefcbicbtlicbe Bedeutung bes Paulus.
In drei Sätjen läfet ficb jufammenfaffen, was Pau»
lus für bie cbriftlicbe Religion gewefen ift:
1. Durch feine CDiffionsarbeit bat er fie auf einen
neuen Boben, in bie eigentliche Welt der griecbifcb = rö-
mifchen Rultur verpflangt.
2. Gr bat ben Jefusglauben nicht nur über bie Cnge
bes Judentums binausgeboben, fondern vom Judentum
feibft losgeriffen unb damit der cbriftlichen Gemeinfcbaft
juerft das Selbftbewufjtfein einer neuen Religion ge=
geben.
3. Gr ift der erfte cbriftlicbe Theologe gewefen unb
bat durch feine Theologie bie entftebenbe Religion ent-
fcbeidenb umgewanbelt.
Betrachten wir biefe brei Punkte noch etwas ge­
nauer.
Crftens. Die ODiffionswirkfamkeit bes Paulus bat
den Trieb jur Ausbreitung bes Cbriftentums mächtig
gefteigert unb bat ben erften Grund gelegt ju dem
l^raftgefübl bes neuen Glaubens, dem Bewufrtfein, er­
obern 3u können unb ju muffen. Unb doch ift dies
noch nicht bas Wichtigfte.

101
Rls Paulus auftrat, wohnte der Glaube an Jefus
in einem Winkel ber Welt, auf bem femitifchen Boben
führte er fein ftilles Eigenbafein. Rls Paulus ftarb,
batte er ficb an jablreicben Stätten ber eigentlichen
Bilbungswelt angefiebelt, und fcbon war ber Scbwer=
punkt vom femitifchen Boben verlegt. Diefe geogra=
pbifche Verfcbiebung war für bas Aufblühen ber neuen
Religion von ungeheurer Bebeufung, mit ihr war aber
jugleicb bie folgenreicbfte innere Entwickelung ber Reib
gion angebabnt. Indem fie in die beibnifcben Gebiete
eingebt, wandelt fie ficb notwendig felbft, ajfimiliert ficb
vieles von frember Religion unb Rnfcbauung unb wirb
ju befonberer Rrt ber Rbwebr wie ber Propaganba unb
damit jur Entwicklung neuer Gedanken unb £ebens=
formen genötigt.
Sweitens. Die Coslöfung bes Chriftentums vom
Judentum bat Paulus nicht von vornherein gefucbt, ge=
rabe bie Entwickelung feiner Lebensarbeit bat ibn aber
baju gedrängt. Seine Dat erfcbeint dabei um fo grofe
artiger, als er felbft bis ju einem gewiffen Grade im
Banne feiner jüdifcben Vergangenheit bleibt. Der prak=
tiker unb her Denker reichen ficb hier aber bie Bände.
Die Rbwebr der jüdifcben Lebensformen vollendet ficb
erft darin, dafj er tbeoretifcb die Selbftändigkeit und
Deubeit der cbriftlicben Religion erfaßt und begründet.
Vor ihm gab es nur eine innerjüdifcbe Sekte, bie ficb
um Jefus fcbarte; als er ftarb, war eine cbriftlicbe Kirche
ba, bie bas Salj ber ganjen Erbe fein wollte.
Drittens. Rnfätje ju einer Theologie waren be»
reits in ber Urgemeinbe vorhanden; fcbon ihre Rner«
kennung bes Riten Teftaments brachte bas mit ficb.
Rber Paulus ift bocb ber eigentliche Schöpfer einer
cbriftlicben Theologie.
Der Schritt von ber Religion jur Theologie ift ftets
von fundamentaler Bedeutung. (Dan empfindet ibn ju»
nächft als ein Rbwärtsfteigen: vom Einfachen, Unmittek
baren, Urlebenbigen jutn Kompilierten, Vermittelten,
Reflektierten. (Dan empfindet ibn aber bocb auch immer
als eine Dotwenbigkeit, als eine Bedingung für die £r=
baltung und bie Sortwirkung her Religion unb infofern

102
als Gewinn. Die Bedeutung einer Religion für die
Rulturwelt hängt doch daran, bafe fie dem Gedanken
eine Rolle suweift, d. b. eben eine Cbeologie erseugt.
Aber wichtiger ift, was Paulus als Cbeologe ge=
fcbaffen bat, oder wie er die entftebende Religion um=
gebildet bat. Dafe er manches Rabbinifcbe ins Cbriftem
tum binübergefübrt bat, ift dabei das Wenigfte. Alles
hingegen ift damit gefagt, dafe er das Cbriftentum 3ur
Crlöfungsreligion gemacht bat. (Dan kann jwar
von aller wirklichen Religion Jagen, daß; fie erlöfend ift
unb fein will, aber an dieje Allgemeinheit denken wir
nicht, wenn wir beftimmte Religionen als Crlöfungsreli»
gionen cbarahterifieren.
Wer bie Religion befcbreiben will, bie in ben Sprüchen
unb Gleicbniffen Jefu lebt, kann gar nicht barauf ver»
fallen, von Grlöfungsreligion 3U fprechen. €rlöfungsge=
banken fpielen swar hinein, wenn man an ben Inhalt
ber Sukunftsboffnung, bas Reich Gottes, benkt, aber
bas Wefentlicbe finb fie nicht. Der Con fällt auf bie
Srömmigheit bes Cin3elnen unb ihren 3ufammenhang
mit bem künftigen Beile. Bei Paulus ift dagegen die
Religion bie angeeignete unb erfahrene CrlÖfung felbft.
Das Grlöfenbe liegt aber in keiner Weife im
(Denfcben, fonbern aufeer ihm in einem göttlichen Gr=
löfungswerke, bas für bie (Denfchbeit ein für alle (Dal
bas Beil bereitet bat. Anbers ausgebrücht: es liegt in
ber Gefchichte, bie swifcben Gott unb der (Denfchbeit
fpielt, in ber „Beilsgefcbicbte“ ober ben „Beilstatfacben“.
Die gan3e Deuerung bes Paulus ift darin befchloffen,
wie er biefe Beilstatfacben, die (Denfchwerbung,
den Cod und die Auferftebung Chrifti, 3um
Sundamente ber Religion gemacht bat.
Will man ben Charakter ber Anfcbauung be3eich=
nen, fo läfjt ficb ber Ausbruch (Dytbus nicht vermeiben.
Wir gebrauchen ibn nicht, um irgenb jemanb 3U vep
letjen. Gr bat auch für uns nichts Verächtliches. Gine
Cehre, bie in ihrem Cieffinn (Dillionen von ßerjen bas
Befte gegeben bat, was fie befaßen, ohne bie ein Cutber,
Paul Gerhardt unb Johann Sebaftian Bach nicht wären,
was fie waren, eine Cehre, bie noch beute Caufenbe

103
unö Abertaufende von ernften und guten Seitgenoffen
tröftet und mit Frieden füllt, eine Eebre, die den etbifcben
Gedanken göttlicher Eiebe und Gnabe wie menfcblicber
Sünöigkeit ben ergreifenöften Rusbruck geliehen bat,
eine folcbe Eebre betrachten wir mit Cbrfurcbt. Aber
ber Gebanke, bafe ein göttliches Wefen ben ßimmel
verläfet, in (Denfcbenbülle einbergebt unb bann ftirbt,
um wieber 311m Bimmel auf3ufteigen, wirb baburcb in
feiner Ratur nicht veränbert. Wer ibm nicht Glauben
jcbenken kann, für ben ift er feinem Wefen nach not»
wenbig eine mytbologifcbe Vorftellung.
Aus all bem folgt nun burcbaus, bafe Paulus als
ber sweite Stifter bes Cbriftentums gu betrachten
ift. Auch bie freigefinnte Cbeologie fcbeut in ber Regel vor
biefem Urteil 3urück. Aber es ift nicht 3U umgeben.
Denn Paulus bat nachweislich, wenn auch nicht ohne
eine gewijfe Vorbereitung, suerft bie Ibeen in bas Cbriften«
tum eingefübrt, die in feiner Gefcbicbte bisher bie mach»
tigften unb einflufereicbften gewefen find. Certullian,
Origenes, Atbanafius, Auguftinus, Anfelm von Canter»
bury, Eutber, Calvin, Sinsenborf — alle biefe grofeen
Eebrer find von ber predigt unö gefcbicbt lieben Perfön»
liebkeit Jefu aus gar nicht 3U vergeben, ihr Christentum
ift als Umbildung „bes Evangeliums“ nicht 3U begreifen;
von Paulus aus find fie su verfteben, wenn auch natür»
lieb nicht ohne verfebiebenartige CDittelgiieber. Denn für fie
alle war bie ßeilsgefcbicbte bas Rückgrat bes Cbriften»
tums, fie lebten für bas, was fie mit Paulus teilten.
Diefer sweite Stifter ber cforiftlicben Religion bat ohne
3weifel gegenüber bem erften im gansen fogar ben
ftärkeren — nicht ben befferen — Einflufe geübt. Er bat
3war nicht überall bominiert, namentlich nicht im Eeben
ber fcfolichten praktifeben Srömmigkeit, aber in weiten
Strecken ber Rirchengefcbicbte — man benke nur an Ron«
jilien unb Eebrftreitigkeiten — bat er ben Gröfeeren,
bem er nur 3U bienen meinte, gans in ben ßintergrunö
gebrängt.
Offenbar aber ift biefe Umbilbung bes Chriften«
tums bie Vorbebingung dafür gewefen, bafe er es als
Religion mit eignem Prinsip bem ]ubentum gegenüber

104
geftellt bat. Ohne feine Crlöfungstbeologie batte er
nicht vermocht, bas Judentum als überwundene Religion
3U betrachten. €r bat den neuen Glauben davor be»
wahrt, als jüdifche Sekte ju verkümmern, er bat ibn
für bie Gejcbicbte gerettet, aber er bat es getban, indem
er ibn in feiner Art umfcbuf.

In Wahrheit, Paulus ift eine Geftalt von weit»


gefcbicbtlicber Gröfje. Jener befonbern Anregungen, bie
ein Auguftin ober Cutber aus ihm gefcböpft haben,
braucht man babei gar nicht ju gebenken. Daf; er reih
giös wie geiftig unb moralifcb eine außerordentliche Per»
fönlicbkeit war, bat ibn befähigt, feine Cebensleiftung
3U vollbringen; ebenfofebr freilich auch, baß er nicht auf
normalem Wege Cbrift wurde. Durch die „Offenbarung“
würbe er von ben Seffeln ber Crabition befreit, unter
ber bie (Ditglieber ber Urgemeinbe ftanben, fie feiste ibn
in ben Stanb, einen neuen Anfang 3U machen.

Jefus ober Paulus - mit biefer Alternative läßt


ficb wenigftens teilweife ber religiöfe unb tbeologifcbe
Rampf ber Gegenwart hennseicbnen. freilich bie alt»
gläubige Richtung meint mit Paulus auch erft ben
gansen unb wahren Jefus 3U haben, unb fie vermag
auch ben gefchichtlichen Jefus bis ju einem gewiffen
Grabe in ihren paulinifcben Cbriftus aufsunebmen.
Dennoch wirb biefer Cbriftus meift ben (Denfcben Jefus
erbrücken. Anbrerfeits will auch bie „moberne Cheo«
logie“ von Paulus nicht laffen. Paulus ift auch reich
genug, um ihr wertvolle Gebanken 3U bieten, bie fie ficb
durchaus aneignen kann. Befonbers fympatbifcb wirb
ihr ftets fein Rampf gegen bas Gefeß fein, obwohl bas

105
„ proteftantifcbe“, bas barin liegt, gern überfcbä^t wirb.
Aber im eigenen Sinne bes Paulus ift bies alles nichts
ohne ben Rem feiner Cbriftuslebre; unb keine Ver­
ehrung ber großen perfönlicbkeit kann für bie Preis«
gäbe biefes Rernes ein Crfats fein. Als Ganser ge­
hört Paulus burchaus ber kirchlichen Ortboboxie, ob
fie nun feine Anfcbauungen im Cinselnen gang getreu
fortfübrt ober nicht.
Doch bie mancherlei ernften fragen, bie ficb ange«
ficbts unferer Darstellung erbeben, muffen ber eigenen Gr»
wägung bes Cefers anbeimgegeben werben. Wir konnten
uns nur bie eine Aufgabe {teilen, bie Geftalt bes Paulus
in einer rein gefcbichtlicben Betrachtung su erfaffen unb
SU würbigen.

106
Anhang:
Anmerkungen und Literaturangaben.
Quellen: S. 1—3.
1) Vischer, Die Paulusbriefe, urteilt über 2. Thess. und
Eph. günstiger. 2) In Kap. 16, 20, 21, 27, 28, wo ein „wir“ in
der Erzählung auftritt („Wirstücke“).

I. Kapitel: Die Persönlichkeit.


1. Jugend. Bekehrung. S. 4—11.
1) Vgl. z. B. den Begriff „Gewissen“ (1. Kor. 8, 7 ff. u.
a. Stellen) und (teilweise) den Gebrauch des Wortes „Fleisch“.
2) 1. Kor. 13. 3) AG. 22, 3. 4) Gal. 1, 13 f; Phil. 3, 5f. 5) Gal.
1, 14. 6) Gal. 1, 15 f; 1. Kor. 15, 8; 9, 1. Vgl. 2. Kor. 4, 6;
Phil. 3, 7 ff. ') AG. c. 9, c. 22 und 26. Von den Begleitern
des Paulus heißt es z. B. 22, 9: „sie sahen das Licht, hörten
aber nicht die himmlische Stimme“. Das Gegenteil sagt 9, 7.
8) Gal- 1, 12.

2. Grundzüge des religiösen Charakters. S. 11—20.


1) 2. Kor. 11, 23ff. 2) 1. Kor. 4, 9ff; 2. Kor. 4, 7ff;
6, 4 ff. 3) 1. Kor. 9, 14-18. 4) Vgl. Gal., 2. Kor. 5) Gal. 1, 15.

107
6) Vgl. z. B. 1. Kor. 4, 16; II, 1. 7) Die Stellen Gal. 1, 16.
Röm. 15, 15 f scheinen so gemeint zu sein. 8) 2. Kor. 12, 1;
Gal. 2, 1; AG. 27, 23 f. 9) 1. Kor. 14, 18. 10) 1. Kor. 2, 6 ff,
11) 2. Kor. 12, 7 ff. 12) AG. c. 27. 13) 1. Kor. 3, 21 f. 14) 1. Kor.
1, 18 ff. 15) 1. Kor. 7, 1. 7. 8. 16) 1. Kor. 7, 21. 17) 1. Kor.
7, 32 ff.

3. Menschlich-sittliche Individualität. S. 20—27.


1) 1. Kor. 8, 7 ff; Röm. 14, 13 ff. 22 f. 2) 2. Kor. 11, 29.
3) Gal. 4,12 ff. 4) 2. Kor. 2,5 ff. 5)2. Kor. 11, 16-12, 10;
1. Kor. 4,8 ff. 6) Gal. 2, 13.7) Gai.1, 8 f; 2. Kor. 11, 13 ff;
Phil. 3, 2. 8) Gal. 6, 12 f; vgl.2. Kor. 10-13. 9) Phil. 1, 15 ff;
vgl. auch 2, 21. 10) 2. Kor. 10, 1 f. 10. 8; 1, 24. 12-23; Gal.
1, 10 (vgl. auch 1. Thess. 2, 5: Schmeichelei). 11) 2. Kor. 11,
10; 12, 16; 7, 2. 12) 2. Kor. 8 und 9. 13) 2. Kor. 8, 7. 24;
9, 2-5.

II. Kapitel: Das Lebenswerk.


1. Die Mission und das Missionsverfahren. S. 28—36.
1) AG. 11, 19 ff. Nach AG. 10 hätte Petrus den ersten
Schritt getan: unrichtig. 2) Man beachte die Reihenfolge der
Namen AG. 13, 1.2; 14, 14. 3) 2. Kor. 11, 32 f; AG. 9, 20-25.
4) Gal. 2, 1; 1, 18. 21; 2, II. Nach anderer Deutung: 11 Jahre.
5) AG. 13 und 14. Was die Reise im Verhältnis zu der Tätig­
keit in Syrien und Cilicien bedeutet hat, läßt sich schwer ab­
schätzen. 6) Zahlreiche Gelehrte verstehen unter dem Galatien
des Paulus allerdings die südlich vom eigentlichen Galatien
gelegenen Landschaften (Pisidien, Lykaonien). 7) Röm. 15, 19.
8) Z. B. Kol. 1, 23. 9) Röm. 15, 23 f. 28. 10) Z. B. AG. 13,
46. 11) 1. Kor. 9, 20. 12) 2. Kor. 11, 24. 13) 1. Kor. 2, 3;
2. Kor. 11, 6. 14) 1. Kor. 2, 4f. 15) 1. Kor. 10, 14-22.
16) Röm. 1, 19 f. 17) 1. Kor. 1, 18-2, 5.

2. Die G e m e i n d e p f 1 e g e. S. 37—40.
1) 1. Kor. 8; 10, 14—23. 2) 1. Kor. 7. 3) 1. Kor. 14.
4) 1. Kor. 12, 31; 13, 1 ff. 5) Röm. 14. 6) 1. Kor. 8; 10, 23ff.
7) 1. Kor. 11, 2 ff. 8) 1. Kor. 1-4; bes. 1, 13 ff; 3, 3 ff.

108
9) 1. Kor. 12, 12 ff; Röm. 12, 4 ff. 10) Z. B. 1. Thess. 4, 12;
1. Kor. 10, 32.

3. Der Kampf um das Werk. S. 40-46.


1) Gal. 2, 4. 2) Gal. 2, 2. 3) Gal. 1, 16-18. 4) Gal.
2, 7 ff. 5) Gal. 2, 6-10. 6) Gal. 2, 11 ff. 7) Gai. 2, 12.
8) Vgl. z. B. Phil. 3, 2f. 9) Gal. 1, 1. 12 ff; 2. Kor. 10, 7 ff; 11,
5ff; 12, 11 f. 10) Die „Extra-Apostel“ 2. Kor. 11, 5; 12, 11
sind nicht die Urapostel. 11) Darauf dürften auch die „Empfeh­
lungsbriefe“ 2. Kor. 3, 1 deuten. 12) AG- 21, 23—26; 16, 3.
13) 1. Kor. 9, 20. 14) Z. B. Gal. 2, 6. 15) Röm. 15, 27; 2.
Kor. 8, 14. 16) Röm. 15, 31 f.

III. Kapitel: Die Theologie.

1. Paulus als Theologe. S. 47—52.


1) Beispiele: Gal. 3 und 4; 2. Kor. 3. 2) 1. Kor. 2, 6—16.
3) Beispiel: Röm. 9—11. 4) Röm. 2, Uff und 5, 13. 5) 1. Kor.
9, 9f. 6) Gal. 3, 16. 7) Z. B. Röm. 15, 4; 1. Kor. 10, 11.
8) 1. Kor. 11, 3 ff. Ähnlich ist 1. Kor. 10, 16 f der Leib Christi
sowohl der wirkliche Leib wie die Gemeinde. 9) Röm. 5, 12 ff.;
1. Kor. 15, 22 u. a. St. 10) 1. Kor. 15, 48. 11) Gal. 3, 6 ff.
12) Gal. 3, 24; 4, 1 f; 3, 19. Röm. 5, 20. 13) Röm. 9; 11, 32.

2. Darstellung der Lehre. S. 52—79.


Christus und die Erlösung von den Mächten der
gegenwärtigen Welt S. 53—72.
1) Andere Titel sind z. B. der „himmlische Mensch“ (1.
Kor. 15, 45 ff), „das Bild Gottes“. 2) 1. Kor. 8, 6; Kol. 1, 15-17.
3) Phil. 2, 6—11; vgl. Röm. 1, 4 u. a. St. 4) Phil. 2, 6f; 2. Kor.
8, 9; Röm. 8, 3. 5) Der „Gehorsam“, von dem Röm. 5, 19
spricht, wird von dem Himmelswesen bewiesen, das sich zum
Erdenleben und bis ans Kreuz erniedrigt. 6) Gal. 1, 4. 7) Röm.
7, 8 ff. 8) 1. Kor. 15, 26. 9) Röm. 7, 13 ff, bes. v. 14. 18. 20.
23 (Glieder = Fleisch); 8, 3; 6, 6 (Leib der Sünde). 10) Röm.
5, 12ff. 11) Röm. 4, 15; 7^7ff. 13; 5, 20; Gal. 3, 19. Röm.
3, 20. 12) Röm. 7, 24. 13) 1. Kor. 15, 24; Kol. 1, 16; 2, 10. 15.

109
(Auch die „Elemente der Welt“ Gal. 4, 3. 9; Kol. 2, 8. 20
sind Engelmächte). 14) 1. Kor. 2, 6. 8. 15) Röm. 8, 38.
16) 1. Kor. 10, 20. 17) 1. Kor. 5,5. 18) Gal. 3, 19 f; vgl.
Hebr. 2, 2; AG. 7, 38. 51. 19) Röm. 8, 3. 20) 2. Kor. 5, 21.
21) Gal. 4, 4; vgl. 3, 10. 13. 22) Röm. 6,10. 9. 23) 2. Kor. 5, 14;
Röm. 8, 3; Gal. 3, 13; (4, 4); Kol. 2, 15. 24) 2. Kor. 5, 15:
„für uns gestorben und auf erstanden“. 25) Röm_6, 4. 8;
Kol. 3, 1; Röm. 6, 2. 11; 7, 4. Gal. 2, 19; 6, 14. Röm. 6, 6.
8, 9. Kol. 3, 3 u. a. St. 26) Kol. 3, 3. 27) Z. B. Röm. 6,
8—13. 28) Röm. 8, 29 (das „Bild Christi“ = seine himmlische
Seinsweise). 29) Vgl. Röm. 8, Uff. mit 8, 23. Auch die Geister
sind durch das Kreuz schon überwunden (Kol. 2, 15) und
müssen doch in der Endzeit noch von Christus bekämpft und
besiegt werden (1. Kor. 15, 24 ff.). 30) Z. B. 1. Kor. 3, 16;
Röm. 8, 14. 31) Röm. 8, 9. Daß der Geist Christi im Leibe
des Menschen wohnt, sichert ihm die Auferweckung, Röm. 8,
11. 32) Röm. 8, 2. 33) Röm. 8, Uff. 34) 1. Kor. 12, 9f;
Röm. 8, 15. 26; Gal. 4, 6. 35) Gal. 5, 22; 1. Thess. 1, 5.
36) 2. Kor. 1, 22; 5, 5; Röm. 8, 23. 37) Röm. 8, 23 ff; 2. Kor. 5,
8; Phil. 1, 21 ff. 38) Paulus spricht oft vom „Gehorsam des
Glaubens“. 39) 1. Kor. 15, 50 ff. 42 ff. 40) Röm. 8, 19 ff.
41) Dies ist die charakteristische Form, in der Paulus vom Geist
als einer ethischen Größe redet. Er stellt keinen Maßstab für
den Einzelnen auf, woran man erkennen könne, ob er den
Geist habe oder nicht. Er setzt vielmehr bei allen den Geist
voraus — es ist ein Glaubenssatz, daß jeder ihn hat, so gut
wie der Satz, daß jeder mit Christus gestorben ist — und
fordert nun, daß man sich entsprechend verhalte. Bezeichnend
1. Kor. 3, 16. 42) 1. Kor. 12, 13-27; 10, 16 f. 43) Nach Kol.
1, 24 kann auch das Erlebnis des einzelnen Gläubigen auf
den ganzen Leib Christi übergehen: die eignen Leiden des
Apostels sind Leiden für diesen Leib und ergänzen die sozu­
sagen noch unvollständigen Leiden Christi. 44) 1. Kor. 15, 29.
45) 1. Kor. 11, 30f. 46) 1. Kor. 5, 5. 47) Röm. 6, 3 f. 48)
Gal. 3, 27. 49) Röm. 6, 3 ff. 50) 1. Kor. 10, 3 f. 51) 1. Kor.
10, 16-21.

110
Der Gegensatz gegen das Judentum: Gesetz und Glaube,
Werke und Gnade S. 72—79.
1) Sie wird ausführlich entwickelt nur im Galater- und
Römerbrief. Daneben vgl. die gleichfalls polemische Stelle
Phil. 3, 6—9. 2) Eine gelegentliche Formulierung dieser Art
steht 1. Kor. 7, 19. 3) Röm. 10, 4. 4) Z. B. Röm. 7, 7. 12. 14:
das Gesetz selbst ist heilig usw. 5) Gal. 3, 10ff; Röm. 3, 9ff.
23. 6) GaL 3, 21. 19; 2. Kor. 3, 6. 7) Gal. 3, 19 f. Der V. 20
sagt, daß nur eine Mehrheit (die Engel) einen Mandatar braucht,
um sich auszusprechen. 8) GaL 3, 15—25. 9) Z. B. Röm. 4,
3 ff. 10) Röm. 3, 24, vgL auch 4, 4. 11) Bei Luther hat daher
auch der „Glaube“ die Note des allerpersönlichsten Vertrauens,
bei Paulus nicht. 12) Z. B. Röm. 3, 25; 1. Kor. 5, 7. 13) Am
meisten fällt Röm. 3, 24 ff. ins Gewicht; doch ist eine andere
Deutung möglich. 14) Röm. 5, 8 ff. 15) Röm. 5, 18 f. 16) Röm.
6, 16 ff. Die Nuance von „gerecht“ ist etwas verschieden,
jcnachdem von der Vergebung der Schuld die Rede ist oder
von der Befreiung von der Macht der Sünde. 17) Röm. 5, 1 ff.
9f. 18) Gal. 5, 5. 19) Röm. 6, 1. 15; Gal. 5, 18. 22 f.
20) Gal. 6, 2; 5, 14; Röm. 13, 8f. 21) Röm. 9, 1-5. 22) Röm. 11.

3. Die Entstehung der Lehre. S. 79—88.


1) Röm. 9, 18 ff. 13. 2) 1. Kor. 7, 26; 15,52. 24 ff. 3) Vgl.
für diese Gedanken das sogenannte 4. Buch Esra (3, 20 ff;
7, 118) und die Apokalypse Baruch. 4) 1. Kor. 6, 3; 11, 10;
15, 40 f. 5) Neben den rein jüdischen kämen auch griechisch­
jüdische (hellenistische) Ideen in Betracht. 6) Röm. 7, 7—25.
7) Typisch ist die Stelle auf jeden Fall. Die Fortsetzung 8, 1
redet ganz allgemein von denen, die in Christus sind. 8, 2
tritt nach der gewöhnlichen Lesart statt des Ich wirklich ein
Du ein. 7, 9 paßt nicht als Schilderung des Erlebten, sondern
spricht nur den dogmatischen Satz aus, daß der Tod Strafe
der Sünde ist. Dazu käme Anderes, z. B. jüdische Parallelen.
8) Phil. 3, 6. 9) Man vergesse auch nicht: Paulus behandelt
die Frage nach den „Werken“ nie als persönliche Frage, er
denkt immer an das Judentum und sein Prinzip. 10) Gal. 4,
4; Röm. 15, 8. 11) GaL 1, 16f; vgl. v. 12. 12) Mit der Vor­
stellung der Liebe Christi wechselt daher auch immer die der
Liebe Gottes. Z. B. Röm. 5, 8.

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IV. Kapitel: Die Stellung des Paulus in der Ge­
schichte des entstehenden Christentums.

1. Paulus und die vorangehende Entwicklung.


S. 89-100.
1) Bündig zeigt das schon die Weisheit Salomos 2,
16—18, wo es geradezu als Kennzeichen des Frommen er­
scheint, daß er Gott seinen Vater nennt 2) 1. Kor. 7, 10; 9,
14 (vgl. 11, 23 ff). 3) Röm. 12, 14. 4) Gal. 4, 4; Röm. 15, 8.
5) Daß es sich bei beiden vielfach um recht verschiedene
Seiten des Gesetzes handelt, hängt damit zusammen. Die
Beschneidung, bei Paulus Hauptpunkt, hätte bei Jesus nie
Gegenstand der Polemik werden können. 6) Einzig in der
Betrachtung Röm. 2, 17—29 könnte man größere Verwandt­
schaft mit dem Geiste der Sprüche Jesu finden, sie ist aber
für das Ganze der paulinischen Anschauung von untergeord­
neter Bedeutung. 7) Jesus: Matth. 5, 48; Mark. 9, 47; Matth. 6,24;
Luk. 9, 62 — Paulus: Röm, 8, 32; 1. Kor. 1, 30; RÖm. 4, 25;
Kol. 1, 13. 8) Mark. 10, 45; 14, 24. 9) Den zwingenden Be­
weis dafür sieht man meist in 1. Kor. 15, 3. Aber daß Paulus
auch das „gestorben für unsere Sünden“ aus der Über­
lieferung erhalten habe, ist nur bei sehr buchstäblicher Auf­
fassung seiner Worte verbürgt.

2. Die Wirkung des Paulus auf seine Zeit.

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