Sie sind auf Seite 1von 3

Arbeitsblatt 2.

Vorlesung
Freistetters Formelwelt: Die Anti-Atheisten-Formel von Florian Freistetter

1 Kann man einen Atheisten mit der richtigen Formel in die Flucht schlagen? Dem großen
Mathematiker Leonhard Euler ist das gelungen. Angeblich jedenfalls.
Rund um Weihnachten taucht in den sozialen Medien immer wieder das gleiche Bild mit der
gleichen mathematischen Gleichung auf. Zumindest in meiner Blase der sozialen Medien, es
5 kann gut sein, dass es anderswo weniger mathematisch zugeht. Man kann sich sogar
Pullover mit Weihnachtsmotiven kaufen, auf denen diese Formel zu finden ist. Aus
mathematischer Sicht ist sie komplett irrelevant, der Witz an der Sache besteht nur darin, dass
man die einzelnen Symbole der Gleichung so umstellen kann, dass am Ende dort
»merry = x – mas« steht.
10 Das hat mich an eine andere Formel erinnert:

Mathematisch gibt auch diese Gleichung nicht viel her. Man nimmt eine Zahl b, multipliziert
sie n-mal mit sich selbst, addiert eine Zahl a, dividiert das Ganze durch n und kriegt als
Ergebnis eine weitere Zahl x. Man kann zum Beispiel a = 1, b = 2 und n = 3 setzen und wird
als Resultat x = 3 kriegen. Oder irgendeine andere Kombination. Wie gesagt: Mathematisch
15 ist das alles irrelevant. Aber in Büchern über die Geschichte der Mathematik taucht die
Formel trotzdem immer wieder auf, und ich ärgere mich jedes Mal aufs Neue.
Die Geschichte geht so: Der französische Philosoph Denis Diderot hat in den 1770er Jahren
die russische Zarin Katharina II. in St. Petersburg besucht. Dort ist er mit seinen atheistischen
Äußerungen unangenehm aufgefallen, weswegen die Herrscherin den gerade in
20 St. Petersburg arbeitenden berühmten Mathematiker Leonhard Euler zu Hilfe rief. Diderot
wurde vor den Hofstaat zitiert, Euler ratterte die besagte Formel herunter und setzte ein
»Deswegen existiert Gott, antworten Sie!« dahinter. Diderot, der keine Ahnung von
Mathematik hatte, war dadurch so verunsichert und gedemütigt, dass er St. Petersburg
fluchtartig verließ.
25 Eher so mittelgut erfunden
Ich weiß nicht, was ich an dieser Geschichte unglaubwürdiger finde. Dass ein Mathematiker
vom Rang eines Leonhard Euler sich auf so etwas einlässt und die Mathematik missbraucht,
um eine philosophische Frage unzulässig zu »beantworten«? Oder dass Diderot nicht nur
unfähig war, zu verstehen, dass so eine Formel absolut nichts über die
30 Existenz eines Gottes aussagen kann, sondern darüber hinaus kaum Ahnung vom Thema
hatte und sich durch eine scheinbar komplexe Formel in die Flucht schlagen ließ?
Diderot war einer der gebildetsten Menschen seiner Zeit, er war einer der wichtigsten
Autoren und Organisatoren der »Encyclopédie«, eines der Hauptwerke der Aufklärung. Er
war nachweislich an Mathematik interessiert, hat mathematische Vorlesungen gehört und
35 selbst über mathematisch-physikalische Fragen publiziert (»Mémoires sur différents sujets
de mathématiques«, 1748). Er wusste also Bescheid über Formeln und Zahlen.
Die Geschichte kann nicht wahr sein und ist es auch nicht. Sie stammt aus den
veröffentlichten Erinnerungen des französischen Professors Dieudonné Thiébault über seine
Zeit am preußischen Hof in Berlin. Das mehrbändige Werk hat er mit jeder Menge
40Anekdoten aufgelockert, und die Geschichte über Diderot war eine davon, die er aber nicht
selbst erlebt hat, sondern nur gehört haben will. In seiner Erzählung steht übrigens kein n
unter dem Bruchstrich der Formel, sondern ein z, was die Sache allerdings nicht sinnvoller
macht. Und auch Eulers Name taucht dort nicht auf. Den hat der englische Mathematiker
Augustus De Morgan eingefügt, der die Geschichte 1872 in eines seiner Bücher
45 übernahm. Von da an ist sie immer wieder nacherzählt und ausgeschmückt worden. Doch
egal ob die Anekdote einen wahren Kern hat oder nicht, zeigt sie eines sehr gut.
Mathematik mag zwar auf der reinen Manipulation von Symbolen nach logischen Gesetzen
basieren, bei der den Symbolen selbst im Prinzip keine spezielle Bedeutung zukommt. Das
heißt aber nicht, dass man einer Symbolfolge einfach irgendeine beliebige
50 Bedeutung geben kann. »Gott« steckt ebenso wenig in der Petersburger Formel wie
Weihnachten in
»merry = x – mas«.
(https://www.spektrum.de/kolumne/freistetters-formelwelt-die-anti-atheisten-formel/1799894)
1. Unterstreichen Sie die Fremdwörter im Text.
2. Wer ist Florian Freistetter?
3. Wer ist Diderot?
4. Kennen Sie diese Formel? merry = x – mas
5. Unterstreichen Sie die Verben mit trennbarem Partikel. Suchen Sie ihre Übersetzung.
(Falls Sie sie nicht schon kennen)
6. Ergänzen Sie den Igel mit den Lexemen (aus dem Text) aus dem Bereich
Mathematik.

Mathematik

7. Was erfahren Sie im Text über Diderot?


8. Verbinden Sie und übersetzen Sie die Strukturen.
einen wahren Kern wissen
über etwas Bescheid auffallen
jmd. in die Flucht haben
unangenehm mit etwas schlagen
9. Welches Adjektiv passt? Übersetzen Sie die Strukturen:
wahrer Manipulation
mathematische Bedeutung
beliebige Kern
reine Äußerungen
atheistischen Gleichung

10. Suchen Sie die Synonyme: Resultat, geschehen, erhalten, erscheinen, bekannt,
veröffentlichen, Aufmerksamkeit auf sich ziehen
11. Unterstreichen Sie die Sätze, wo das Indefinitpronomen man erscheint. Übersetzen
Sie sie.
12. Antworten Sie auf die Fragen:
a. Wo war Diderot?
b. Warum ärgert sich die Zarin Katharina II.?
c. Wer hilft ihr?
d. Ist die Anekdote wahr?
e. Was sagt der Autor über diese Formel „merry = x – mas“?
f. Warum glaubt der Autor, dass die Anekdote nicht wahr ist?

Das könnte Ihnen auch gefallen