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Aus der Wahrnehmung einer drohenden oder bereits aktuellen realen älteren Tradition einer umweltorientier-
Umweltkrise wird vielfach die Forderung abgeleitet, die Wissenschaften ten Geschichtsbetrachtung; er ist es zu-
sollten in weit höherem Maße als bisher Systemzusammenhänge berücksich- gleich, der die Konzentration der neueren
tigen und auf Nebenwirkungen und unerwünschte Folgen von Handlungen Umweltgeschichte auf eine Geschichte
achten. Wenn die Geschichtswissenschaft ein wichtiges Element kultu- der Umweltverschmutzung so plausibel
reller Selbstverständigung ist, dann könnte daraus ein Appell zu einer macht. Es ist daher kein Wunder, daß sich
umfassenden Geschichte der Beziehungen menschlicher Gesellschaften die Mehrzahl der bisherigen Arbeiten
mit ihrer natürlichen Umwelt abgeleitet werden, die sich nicht darauf damit beschäftigt, Analogien zu aktuellen
beschränkt, lediglich die Vorgeschichte aktueller Problemlagen zu erfor- Problemlagen in der Vergangenheit zu
schen. Eine integrale universalgeschichtlich-ökologische Umweltgeschichte identifizieren und zu untersuchen. Die
könnte zu einer Schule des Denkens in der Weise werden, daß sie den neuere Umweltgeschichte ist in erster
Gesamtzusammenhang zwischen der menschlichen Kultur und den Linie eine Geschichte von Umweltzer-
Naturbedingungen, innerhalb derer sich dieser Kulturprozeß abspielt, störungen, die vor allem für den Zeit-
thematisiert. Eine solche die natürliche Umwelt einschließende Universal- raum der Industrialisierung, zuweilen
geschichte könnte auf die Konstitution von historischen Erzählungen zielen, aber auch in weiter zurückliegenden
welche das Bewußtsein für die Komplexität, aber auch die Verletzlichkeit Zeiträumen thematisiert werden.
der Kultur-Natur-Beziehungen schärft. In diesem Aufsatz soll versucht Umweltorientierte Erklärungsmodelle
werden, Möglichkeiten und Grenzen einer solchen historischen Forschung als solche sind wohl so alt wie geschicht-
zu skizzieren. liche Erklärungen überhaupt. Insofern
"Geschichte" sich darum bemüht, Gesche-
hen in fremden Zeiten (aber auch in
fremden Ländern) nicht nur zu erzählen,
Die Grenzen der sondern auch zu erklären, gehört das um-
weltorientierte Muster zu ihren arche-
die in bestimmten Strömungen der älte- negative oder "limitierende" Voraus- Die Kohle hatte es dort schon immer
ren Kulturanthropologie vertreten wurde, setzung für den Kulturprozeß, das heißt gegeben; zu einem zentralen ökono-
stand jedoch vor der grundsätzlichen sie determinieren ihn nicht, wohl aber mischen Faktor konnte sie allerdings erst
Schwierigkeit, auf diesem Weg kulturellen setzen sie ihm bestimmte Grenzen, inner- seit dem 18. Jahrhundert werden. Für
Wandel nicht erklären zu können. Wenn halb derer er sich seiner eigenen Logik den realen industriellen Durchbruch waren
die Naturvoraussetzungen als wesentlich folgend entwickeln kann. Dieses Konzept also weitere soziale und kulturelle Pro-
konstant gelten, kann eine Kultur zwar wurde vor allem für die Analyse rezenter zesse erforderlich, die nicht mehr aus
als Anpassungsform an diese Umwelt- "primitiver" Kulturen entwickelt, doch den bloßen passiven Naturbedingungen
bedingungen verstanden werden - sollten kann es ohne weiteres auch auf historische abgeleitet werden können.
sich im gleichen Raum unter vergleich- Prozesse übertragen werden.
baren Naturbedingungen jedoch unter- Dies soll anhand eines Beispiels ver-
schiedliche, gar "progredierende" Kul- deutlicht werden. Es ist leicht zu demon-
turformen finden, so scheitert dieses strieren, daß di" Industrialisierung seit 2. Der umwelthygienische Ansatz
Konzept. Aus einer statischen Vorgabe dem 18. Jahrhundert mit dem Zugriff auf
kann kein dynamischer Prozeß abgeleitet fossile Brennstoffe, vor allem Steinkohle Gegenüber den beiden älteren umwelt-
werden. In dem Maße, wie die mensch- verbunden war, und daß ohne fossile geschichtlichen Strömungen des Natur-
liche Geschichte als ein gerichteter und Energieträger ein Durchbruch zum Indu- determinismus und des Possibilismus neh-
dynamischer Prozeß im Sinne des "Fort- striesystem nicht möglich gewesen wäre. men die umweltgeschichtlichen Arbeiten
schritts" verstanden wurde, verlor das Die bloße Naturbedingung des Vorkom- des letzten Jahrzehnts einen Perspektiv-
umweltdeterministische Erklärungsmuster mens fossiler Lagerstätten gehört also wandel vor. Sie fragen vornehmlich nach
daher an Plausibilität. An die Stelle einer zu einer limitierenden Bedingung für Wirkungen der Kultur auf die Natur,
stabilen "Natur" trat zunehmend eine als die Industrialisierung. Stellen wir uns die im Hinblick auf das dominante Bild
autonom, sich selbst erzeugend und selbst etwa vor, in einem Raum wie der Ägäis, einer heraufziehenden Umweltkrise als
transformierend verstandene "Kultur". wo keine Steinkohle lagert, hätte sich deren Zerstörung wahrgenommen wer-
eine sozial ökonomische Dynamik aufge- den. Dieser Ansatz könnte insofern als
baut, vergleichbar der frühkapitalistischen der "umwelthygienische" (12] bezeichnet
Bisher ist Umwengeschichte vor allem Entwicklung in Mittel- und Westeuropa. werden, als ihm gewöhnlich (meist
eine Geschichte von Umwellzerstörungen, Trotz aller sozial-kultureller Dynamik implizite) normative Vorstellungen von
die besonders im wäre hier dennoch ein Vorstoß zu einer einer heilen, gesunden oder harmonisch-
Zeftraum der Industrialisierung. schwerindustrielIen Entwicklung ausge- gleichgewichtigen Natur zugrunde liegen,
zuweilen aber auch in blieben. Das gewerbliche System wäre welche durch bestimmte menschliche
wefter zurückliegenden Zeiträumen bald an die stationären Grenzen gestoßen, Aktivitäten beeinträchtigt wird. Diese
thematisiert werden. die ihm das agrarisch-solare Energie- Sicht wird vor allem in Arbeiten erkenn-
system gesetzt hätte. bar, die sich der Suche nach "Vorläufern"
aktueller Umweltprobleme widmen und
nach Luftverschmutzung (131, Gewässer-
verunreinigung [14], Bodenerosion (15],
Müllbeseitigung [161, Energieknappheit 117J
oder Formen des Umwelt- und Ressour-
cenmanagements [18] in der Vergangenheit
fahnden.
Auf solche Weise zu verfahren, gilt oft
als so selbstverständlich, daß sich jeg-
liche methodische Reflexion zu erübrigen
scheint. Das ist um so mehr der Fall, wenn
es gelingt, in der Gegenwart vertraute
Argumentationsmuster und Zuordnungen
auch auf vergangene Umweltsünden an-
zuwenden. Als Vorbild wird hierbei die
Sozialgeschichte erachtet, die auf den
Schultern der Sozialphilosophie und
Soziologie der letzten zweihundert Jahre
steht. Innerhalb dieses "sozialen" Para-
Eine industrielle Entwicklung, wie wir digmas gelten wesentliche Züge der Wirk-
Umweltorientierte Erklärungsmodelle sie in den letzten zweihundert Jahren lichkeit dann als verstanden, wenn es
als solche sind wohl soan erlebt haben, konnte daher nur von einem gelingt, sie bestimmten, sozial definierten
wie geschichtliche Erklärungen überhaupt. Naturraum ihren Ausgang nehmen, in Akteuren zuzuordnen. Die Identifikation
welchem fossile Brennstoffe nicht nur von "Handlungen" mit "Interessen" macht
prinzipiell vorhanden, sondern auch leicht es möglich, bestimmte soziale Gruppen
Die umweltorientierte Kulturanthropo- zugänglich waren. Dies war in Groß- als wirklichkeitsprägend zu sehen. Ein
logie des 20. Jahrhunderts entwickelte im britannien der Fall. Umgekehrt bedeutet Fall von Naturzerstörung scheint dann
Anschluß an Franz Boas als Antwort das Vorkommen von Steinkohle in Groß- hinreichend erklärt zu sein, wenn der-
auf diese Schwierigkeit das Konzept britannien aber natürlich nicht, daß sich jenige Interessent gefunden ist, der bei
des "Possibilismus" [IIJ: Hiernach bilden dort auch zwangsläufig eine schwerin- diesem Vorgang einen Nutzen davonge-
die Umweltbedingungen lediglich eine dustrieIle Entwicklung formieren mußte. tragen hat. Die gesamte Gesellschaft (oder
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3. Der universalgeschichtlich-
ökologische Ansatz
Die umwelthygienisch orientierte For-
schung benutzt in ähnlicher Weise wie
der ältere Umweltdeterrninismus kausale
Argumentationsmuster, nur kehrt sie eben nen, was angesichts dessen, daß Natur-
die Verursachungsrichtung um: Nicht zusammenhänge selbst eine evolutionäre
perten, die nichts verstehen und alles ent- mehr die Natur wirkt auf die Kultur, Eigendynamik der Musterbildung auf-
schuldigen [191. Alles also in vollständiger sondern die (im wesentlichen "sozial" weisen, eigentlich unter "Naturzerstörung"
Analogie zu einem heutigen Giftmüll- definierte) Kultur wirkt auf die Natur. zu verstehen sein soll. Wenn "Natur"
skandal. Aus einer solchen Analyse lassen Demgegenüber soll hier das Programm selbst keine inhaltlich definierbare Ord-
sich dann völlig symmetrische Schlüsse einer universalgeschichtIich-ökologisch nung oder Identität besitzt, sondern sich
ziehen. Die erste Variante argumentiert orientierten Umweltgeschichte vorgestellt selbst immer wieder als ein Fluß von
nach dem Muster, es sei alles schon werden, welches Motiven der kulturöko- Ordnungszusammenhängen neu konsti-
einmal dagewesen, es gebe nichts Neues logischen (20) sowie der kulturmateria- tuiert, ist "Naturzerstörung" nichts anderes
unter der Sonne und Umweltprobleme listischen [21J Anthropologie folgt, ohne als der Übergang von einem Ordnungs-
gehörten somit zur conditio humana. jedoch mit diesen identisch zu sein 122J. zustand in einen anderen, der nur eben
Die zweite Variante zieht daraus den Eine solche integrale Umweltgeschich- jeweils neue Eigenschaften besitzt, die
Schluß, daß es zu UmweItproblemen te erweitert sich zu einer umfassenden von Elementen dieses Ordungszustands,
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die sich in der Konfrontation der von ihr punkt ihrer erwünschten Lösbarkeit zu
gesteuerten Population mit der Natur konstruieren.
Das universalgeschichtlich-ökologische ergeben. Die Population kann sich nur Aus diesen allgemeinen Prämissen
Modell thematisiert Beziehungen zwischen behaupten, sofern sie über kulturelle lassen sich die Aufgaben einer künftigen
drei Faktoren: Muster verfügt, die mit ihrer Umwelt- ökologisch-universalgeschicht]ich orien-
1. das natürliche Ökosystem; integration kompatibel sind. Die Natur tierten Umweltgeschichte skizzieren. Zu
2. die physische Population von Menschen; muß Wirkungen verarbeiten, die von der diesem Zweck sei ein konzeptioneller
3. spezielle symbolische Kulturen. Population ausgehen und in ihr Störungen Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen eine
hervorrufen, wobei die zentrale Schwierig- künftige Umweltgeschichte operieren
der Mensch-Umwelt-Beziehung, dessen keit darin besteht, daß der extrasoma- könnte. Sodann ist danach zu fragen, ob
Schicksal sich in einem evo]utionären tische Modus kultureller Evolution der und inwieweit ein solches Forschungspro-
(Selektions- )Prozeß bewähren müßte. menschlichen Population eine Innova- gramm überhaupt realisierbar ist. Es lassen
Die Beziehung von Population und tionsgeschwindigkeit ermöglicht, die mit sich vier Aufgabenfelder unterscheiden.
Ku]tur ist selbst fließend und komplex. dem genetisch, also DNA-fixierten Modus
Keine Kultur kann bestehen, ohne daß der Tnformationstradierung innerhalb der
eine Population sie trägt; umgekehrt koevo]utionär-ökologischen Muster der 3.1. Rekonstruktion einzelner
kann keine Population existieren, ohne belebten Natur nicht mehr synchroni- Kultur-Natur-Systeme in der Vergangenheit
eine Kultur zu tragen. Eine Kultur kann siert ist. Aus diesem komplexen Spie]
aber (ganz oder teilweise) die Population läßt sich die formelle Möglichkeit einer a) Zuerst müßten die Naturbedingungen,
wechseln; umgekehrt kann auch die Popu- anthropogenen Umwe]tzerstörung her- unter denen eine bestimmte Ku]tur exi-
]ation E]emente einer Kultur verändern, leiten. stiert, so vollständig wie möglich erfaßt
das heißt von außen übernehmen oder Eine von solchen allgemeinen theore- werden. Es handelt sich hierbei zunächst
nach außen abgeben, ohne daß diese Vor- tischen Prämissen ausgehende ökologisch um sämtliche "objektiven Naturvoraus-
gänge wiederum von einer bestimmten orientierte Umwe]tgeschichte muß not- setzungen", die auf die entsprechende
Instanz gesteuert werden könnten. Es wendig universalgeschichtIich ausgerich- Population einwirken, also etwa der Land-
handelt sich um einen offenen evolutio- tet sein. Sie muß die kulturelle Evolu- schaftstyp, das Klima, die Bodenbeschaf-
nären Prozeß mit ungewissem Ausgang. tion als Fortgang und Formenwande] fenheit und die dazugehörige Ausstattung
Das metabolisch-ökologische Profi] der organischen Evo]ution begreifen, um mit Flora, Fauna, Gewässern und Boden-
einer Population, also das, was auf die deren Eigenart verstehen zu können. Der schätzen. Diese einzelnen Faktoren
sie umgebende physische Umwelt wirkt, kulturell konkretisierte "Mensch" ist eine müßten nicht isoliert, vielmehr in ihrem
Für Kulturen, die in größerem Umfang vierung und Zubereitung von Nahrung; riellen Kultur auch die soziale Logik der
Modifikationen ihrer natürlichen Umwelt - die Arten des Transports; betreffenden Kultur selbst entschlüsselt
vornehmen, namentlich also für Agrar- - den Umgang mit Krankheiten; werden, um verstehen zu können, in
gesellschaften, sind zusätzlich die Ener- - die Formen der Energieversorgung; welcher Weise "Kultur", "Population"
gieflüsse und Stoftkreisläufe des genutzten - die Methoden der militärischen Siche- und "Natur" im einzelnen aufeinander
Biotops von Bedeutung, sofern sie eine rung; eingestellt sind [24).
Voraussetzung für diese Modifikation - die explizite kulturelle Reflexion dieses
bilden. Zudem spielt der Einfluß von technischen Wissens sowie die gesell-
Mikroorganismen, von Krankheitserregern schaftliche Organisation, soweit sie Pro- 3.2. Stabilität und Dauer des jeweiligen
und Parasiten eine Rolle, deren Lebens- duktion, Verteilung und Konsumption Kultur-Natur-Systems
zyklen, Zwischenwirtsysteme, selektie- von Gütern berührt.
rende Einflüsse auf die entsprechende Die nun zu erörternde Frage ist, was
Population und deren pathogene Aus- c) In einem zweiten Schritt schließlich die Behandlung des Materials betrifft,
wirkungen analysiert werden müßten. wären die umweltrelevanten Auswirkun- eng verwandt mit der ersten. Es sind im
Alle diese Faktoren müßten so präzise gen von "Verhalten" zu decodieren. In wesentlichen die gleichen Faktoren, die
wie möglich auf unterschiedlicher Aggre- diesen Bereich fallen also Auswirkungen hier zu berücksichtigen sind, doch wer-
gationsebene erfaßt werden: also für von Aktivitäten, die von den betreffen- den sie unter einem anderen Blickwinke]
einen Haushalt, für eine Siedlung, für den Gruppen nicht explizit so gemeint betrachtet. Der erste Fragenkomp]ex hatte
eine Landschaft, für einen ganzen Kultur- sind, wie sie wirken, sondern die eine auf die Beschreibung eines Zustands
typus. objektive, nicht-konzeptualisierte öko- gezielt, dessen Elemente identifiziert und
logische Funktion haben, welche sich
nur dem außenstehenden Beobachter
erschließt. Die folgenden Faktoren kämen AND , •• "'DIe ~f;wS
hierbei in Frage: 't~ 7><1;;. (,.JOA.l..D
srn.J;;'nori LooKS
- Riten und Gebräuche, die Auswirkun- PRe'fU/ BAC~
gen auf die Fruchtbarkeit und die gene- Fot..>l.S .•.
b) Innerhalb des kulturellen Komplexes Ein weiteres Element wäre die Rekon-
ist die Unterscheidung zwischen bewußt struktion anthropogener Umweltverän-
motivierten "Handlungen" und vorbewußt- derungen, sofern sie nicht technisch inten- deren Interaktionen rekonstruiert werden
habitualisiertem "Verhalten" sinnvoll. diert sind, sondern sich als unbewußter sollten. In dem zweiten Fragenkomplex
In einem ersten Schritt wären daher Nebeneffekt von Handlungen ergeben, geht es nun um die Dynamik des unter-
die Methoden und Auswirkungen der die selbst anders motiviert sind, wie etwa: suchten Systems, also darum, wie stabil
produktiven Aktionen der jeweiligen - ungewollte Züchtungseffekte im Ge- oder instabil das Verhältnis der betrach-
Population in bezug auf ihre konkrete folge von Ackerbau, Waldnutzung oder teten Kultur zu ihrer natürlichen Umwelt
Umwelt zu ermitteln, also der Bereich Viehhaltung; war oder wohin es trieb. Im einzelnen
der "Handlungen" im engeren Sinne. - Änderung von Pflanzengesellschaften geht es hier um die folgenden Fragen:
Hierzu gehören der gesamte Komplex oder des Faunenspektrums durch Anbau • Verfügte die Kultur über Methoden,
des technischen Wissens und der explizit oder Rodung, durch Import standort- die eine stationäre Existenz innerhalb
verfügbaren Normen und ihrer Umsetzung fremder Pflanzen oder Tiere; stationärer Umweltbedingungen gestat-
in Arbeitsvorgänge sowie die bewußten - Änderungen des Mikroklimas; tete?
Methoden zur Steuerung der Repro- - Änderungen des Wasserhaushalts; • Leitete die Kultur bestimmte, tenden-
duktion der jeweiligen Bevölkerung. - Änderungen von Infektionsketten, etwa ziell irreversible Veränderungen ein, die
Im einzelnen handelt es sich um die durch geänderte Lebensbedingungen sie selbst unter Anpassungsdruck setzte?
folgenden Faktoren: von Zwischenwirten; • War die betrachtete Kultur vielleicht
- gezielte Fertilitätskontrolle, Initiation, - Änderung der Bodenstruktur etwa gar se]bstdestruktiv in dem Sinne, daß
Sozialisation; durch Beschleunigung von Erosion, sie auf der Nutzung von Umweltfaktoren
- die Methoden der Feldbearbeitung oder durch Stoffexporte, durch Düngung beruhte, die sie selbst im Prozeß dieser
der gewerblichen Produktion; oder Mangel an Düngung. Nutzung verbrauchte oder zerstörte?
- die Anlage der Siedlungen und Gebäu- • Über welche Möglichkeiten zur Korrek-
de; Im Idealfall müßte in diesem Zusam- tur eines bestimmten Handeins oder
- die Gewinnung, Verarbeitung, Konser- menhang einer "histoire totale" der mate- Verhaltens verfügte die jeweilige Kultur,
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wenn sich zeigen sollte, daß ihre innere idealtypischen neolithischen oder jung- stationärer ökologischer Einnischung und
Dynamik auf eine Sackgassenentwicklung steinzeitlichen Agrarkultur entfernt, daß kultureller Kontrolle einer tendenziell
hinsteuerte? der emphatische Begriff einer "Revo- wachsenden Bevölkerungszahl.
Generell fragt sich also, ob bestimm- lution" angebracht scheint, auch wenn
ten Gesellschaften der Vergangenheit die es sich in diesem Fall um einen relativ 2. Neolithische Revolution, das heißt
Umweltintegration besser gelungen ist langsamen, regional stark differenzierten Übergang zum Ackerbau, beginnend vor
als der heutigen, wobei es weniger um Prozeß mit zahlreichen Übergangsformen ungefähr 10 000 Jahren. Auf der Basis der
ihre reale als ihre prinzipielle Stabilität und Sonderentwicklungen handelt. Landwirtschaft lassen sich idealtypisch
und Dauerhaftigkeit geht. Neben den beiden großen universal- zwei Gesellschaftsformen unterscheiden,
geschichtlichen Phasenübergängen gibt es die zugleich als historische Sukzessionen
sodann viele kleinere Einschnitte, deren angesehen werden können: a) die sozial
3.3. Periodisierung der Umweltgeschichte Einleitung und Selbstorganisation erklärt relativ undifferenzierte "bäuerliche Gesell-
werden müßte. Da alle diese Übergän- schaft" (peasant society) sowie b) die
Der dritte Fragenkomplex schließt sich ge auch massiv technisch-ökonomisch- sozial geschichtete und kulturell differen-
eng an den zweiten an, doch kehrt er ökologische Implikationen haben, bil- zierte städtisch-agrarische Hochkultur, die
noch einmal die Blickrichtung um. Seine det die Umweltseite einen sinnvollen unterhalb des zivilisatorischen Apparats
Fragestellung lautet: Wie lassen sich Zugang zur Entschlüsselung dieser Dyna- häufig große Segmente der bäuerlichen
die großen historischen Phasenübergänge mik. Ich möchte daher in heuristischer Gesellschaft intakt hält, auf welche sich
der Kulturen identifizieren und erklären? Absicht das folgende universalgeschicht -' diese Gesellschaft bei Zusammenbruch
Es geht also um die Möglichkeit einer liche Periodisierungschema für das Ver- des hochkulturellen Systems wieder zu-
rückziehen kann.
""IWONS OF CUPE:AATe CDNSUME.1t,t ROAl'wI1IfC STf\EE:rS A HO THeRt'S ~o /lI\AH'J of:
of LARGe. ClilU, Tll\JI"'c;. 'lO PINO so,,",€. UNl(IoIO""" eGO Ttt€ "" !t: 'T)fEJI CHOI(E. THE. a) Im vor-hochkulturellen Stadium der
~ORO"ARU •••'1)In coV~A
FULFI j.L.Me,HT .•.
TKe. LA"'o LII(E l,ocUSTt •.. bäuerlichen Gesellschaft wächst die Welt-
bevölkerung auf 50 Millionen. Das natür-
liche Solarenergiesystem wird durch
die Landwirtschaft stark modifiziert, da
immer größere Mengen von Biomasse
für menschliche Zwecke umgelenkt und
monopolisiert werden. Es kommt zur
gezielten (und ungezielten) Züchtung von
Pflanzen und Tieren, Nahrungskonkur-
renten werden als Unkräuter oder Unge-
ziefer bekämpft. Massive Eingriffe in
Pflanzengesellschaften sollen in der Anla-
ge von Monokulturen resultieren. Durch
Rodung, Bewässerung, Entwässerung,
Terrassierung, Aufstauen und Umlenken
von Wasserläufen entsteht eine lokal
jeweils verschiedene agrarische" Kultur-
landschaft". Zugleich entsteht die Mög-
lichkeit umfassenderer anthropogener
historischen Periodisierung unter dem hältnis menschlicher Gesellschaften zu Umweltzerstörungen: Erosion, Verkar-
Gesichtspunkt der Integration einer Kultur ihrer natürlichen Umwelt vorschlagen: stung, Versumpfung, Versalzung, Ver-
in ihre natürliche Umwelt. Hier steht drängung und Ausrottung bestimmter
nicht der Idealtypus einer stationär in ihre 1. Paläolithische Jäger- und Sammler- Spezies, gleichzeitig Schaffung neuer öko-
natürliche Umwelt eingebetteten Kultur gesellschaften: Es gibt weltweit etwa fünf logischer Nischen für "Kulturbegleiter" ,
im Vordergrund, sondern die reale Dyna- Millionen Menschen. Energetisch grün- aber auch für parasitische Mikroor-
mik des historischen Mensch-Umwelt- det sich deren Lebensform auf die ganismen. Die bäuerliche Gesellschaft
Prozesses selbst soll erklärt werden. Dies Abschöpfung von Solarenergie, ohne daß entwickelt eine spezifische soziale und
gilt zum einen für die großen universal- die (pflanzlichen oder tierischen) Energie- technische Dynamik, aus welcher Über-
geschichtlichen Übergänge: die Neoli- konverter gezielt verändert würden. Die schuB-Produktion und sozial-kulturelle
thische Revolution und die Industrielle Umwelteinbettung dieser Gesellschaften Schichtung bis zur Entstehung von Hoch-
Revolution. Hierbei stellt die Industrielle erfolgt analog zu der von Raubtierpopula- kulturen (vor etwa 5000 Jahren) hervor-
Revolution einen historischen Vorgang tionen, mit der Ausnahme des Gebrauchs gehen.
dar, den wir eindeutig identifizieren von Feuer. Allerdings treten auch bereits
können und dessen Ausgang von einer spezifisch anthropogene Umweltprobleme b) Das Stadium der agrarischen Hoch-
bestimmten Region sowie die weitere auf: In Pioniersituationen bei Eroberung kulturen (bis zum 18. Jahrhundert): Die
Ausbreitung wir genau kennen. Das ist neuen Lebensraums besteht die Möglich- Weltbevölkerung wächst auf 300-600
bei dem Vorgang, den wir analog zur keit zur Übetjagung bis hin zur Ausrottung Millionen. Jetzt entstehen größere Sied-
Industriellen Revolution die Neolithische bestimmter Faunen. Die Entfachung lungen, schließlich Städte als Zentren
Revolution nennen, nicht so einfach. von Flächenbränden zum Zweck der Jagd von Macht und Militär, von Handel und
Dennoch ist die idealtypische Kultur führt zur Veränderung von Pflanzengesell- Gewerbe mit einer Tendenz zu tech-
der Jäger und Sammler im Paläolithi- schaften bis hin zur Versteppung. Es nischen Innovationen. Als Agrargesell-
kum, der Altsteinzeit, so weit von der besteht eine komplizierte Balance von schaften bleiben auch die traditionellen
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Hochkulturen prinzipiell innerhalb der "Barbaren" und kulturellen Zusammen- und Hunger werden von einer noch recht
stationären Knappheitsgrenzen des natür- brüchen führen können. kargen, aber stabilen Versorgung der
lichen Solarenergiesystems, daher gibt Masse der Bevölkerung abgelöst. In den
es immer eine Tendenz zu lokalem 3. Die Industrialisierung, die aus den Industrieländern setzt ein demographi-
Energiemangel im Sinne der Bildung Fesseln der stationär angelegten Agrar- scher Übergang ein, verursacht durch
von "Knappheitsinseln" in der Nähe von gesellschaft ausbricht, ist als historische eine Abnahme der Infektionskrankheiten
Siedlungs- und Gewerbezentren. Das Singularität der europäisch-hochkultu- mit steigender und sich stabilisieren-
metabolische Niveau der Gesellschaft rellen Entwicklung anzusehen. Es kommt der Lebenserwartung. Die Landwirtschaft
muß sich unterhalb einer nur in engem zur Einleitung einer säkularen Bevöl- arbeitet noch mit geringen externen
Umfang flexiblen stationären Obergrenze kerungsexplosion (auf bisher 5-6 Milliar- Inputs, in relativ geschlossenen Kreis-
einrichten. Daraus folgt eine Tendenz zu den). Die physische Grundlage hierfür läufen, weiterhin mit positivem energe-
Armut und Mangelernährung, es kommt bildet der Übergang zur Nutzung fossiler tischem Erntefaktor; ihre Ertragssteige-
zu periodischen Hungersnöten, zu einer Energieträger, was die Beschränkungen rungen sind eher auf neue Methoden
inhärenten Übervölkerung. Es gibt eine des agrarischen Solarenergiesystems über- des Fruchtwechsels, der Feldbestellung
Vielzahl von neuartigen oder verschärf- winden läßt und einen relativen Energie- und auf erste Ansätze zur Mechanisierung
ten Umweltproblemen: Erosion, Boden- Überfluß einleitet. Die Folgen sind eine zurückzuführen als auf einen massiven
erschöpfung, Entwaldung. Auch der Änderung des energetischen Charakters Einsatz von Stoffen und Energie fossilen
gewerbliche Sektor sowie die urbanen der Landwirtschaft, die Urbanisierung Ursprungs. Die neuartigen und massiv
Agglomerationen erzeugen ihre spezi- und Industrialisierung, schließlich ein auftretenden Umweltzerstörungen haben
fischen Umweltprobleme: Stoffe wie exponentielles Wachstum zahlreicher überwiegend punktuellen Charakter, das
Schwermetalle und bestimmte Chemika- physischer Parameter (Bevölkerungs- heißt, sie sind in der Nähe von primär
lien treten neu beziehungsweise in neuer größe, Energieumwandlung, Transport- gewerblichen Emittenten zu beobachten,
Konzentration auf und werden unkon- menge und -geschwindigkeit, pro-Kopf- aber noch nicht flächendeckend. Die Um-
trolliert in Luft und Wasser emittiert. Umsatz von immer mehr Stoffen wegen weltbelastung durch Konsumenten ist -
Der Zugriff auf Bestände mineralischer der Produktion neuartiger Warentypen). abgesehen von den Fließgewässern - eher
Rohstoffe setzt gewerbliche Kulturen Unter umweltgeschichtlichem Gesichts- marginal. Es gibt eine Vielzahl von
unter einen permanenten Prospektions- punkt lassen sich innerhalb des Industria- "Verschmutzungsinseln" neben weitge-
sowie technischen Innovationsdruck. lisierungsprozesses zwei Hauptphasen hend unbeeinträchtigten Räumen, die
Die hohe Bevölkerungsdichte führt zu unterscheiden: weiterhin von den Merkmalen (und Pro-
blemen) der agrarischen Kulturlandschaft
MEtol H/l\IE. BaN ASX\HG WMy HE SE€I"IS"1tl SE SM_T EN!)I'F TO ''''Vf:>I'r geprägt sind. Die Emittenten verfahren
A~1) PAA~\I'IG i:oll DE!t.l"JEAttol(E ET BoT CANT fiG-
\NA':!J OF DE.sTAD~I""S TIf& P1A••••• vor dem Aufkommen von Umweltschutz-
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bewegungen recht bedenkenlos; "Um-
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weltzerstörung" ist noch kein politisch be-
setztes Thema. Die Weltbevölkerung er-
reicht 1950 die Zahl von 2.4 Milliarden.
nun negativer energetischer Erntefaktor lung vom ursprünglichen Elend, Mangel vorliegen und wo am einfachsten an
in der Landwirtschaft; Transformation und Ausgeliefertsein an unkontrollierte die herkömmlichen Methoden der Sozial-
der agrarischen Kulturlandschaft in die Naturrnächte. Dagegen kann universal- und Technikgeschichte angeknüpft wer-
neuartige suburbanisierte Industrieland- geschichtlich gezeigt werden, daß jeder den kann. Auch hier stellen sich jedoch
schaft; massives Artensterben, flächen- Kulturtypus seine spezifischen Integra- Schwierigkeiten ein, denen im Rah-
deckende Verseuchung von Gewässern tionsformen und Umweltprobleme hat, men der Geschichtswissenschaft, wie sie
bei gleichzeitiger Verknappung von Trink- deren Erfahrungsqualität uns vermutlich gewöhnlich betrieben wird, nur schwer
wasser. unzugänglich bleiben wird, während wir begegnet werden kann. Historiker sind
Die Umweltprobleme werden jetzt ubi- über seine funktionale Dynamik wohl gewohnt, mit Quellen zu arbeiten, wobei
quitär und nehmen beunruhigende Grö- einige Aussagen machen können. es sich in der Regel um Dokumente,
ßenordnungen an. Es kommt zur wahr- vielleicht auch noch um Bilder, Karten,
nehmbaren anthropogenen Änderung Unser Periodisierungsvorschlag orien- Inschriften oder Münzen handelt. Nun
globaler physischer Parameter wie der tiert sich einerseits an natürlich-ökolo- kann in diesen Quellen eigentlich nur das
Gaszusammensetzung der Atmosphäre, gischen Parametern wie Bevölkerungs- repräsentiert sein, was den Zeitgenossen
des Strahlungsmilieus, zum landesweiten, größe und Energiefluß, anderseits an bewußt war, das heißt beim Studium
wenn nicht globalen Eintrag unkontrol- kulturellen Eigentümlichkeiten, vor allem solcher Quellen kann nur abgelesen wer-
lierter Chemikalien, zur großflächigen in der Unterscheidung von bäuerlichen den, was in den Bereich der "Handlungen"
Erosion, zum Verbrauch fossilen Wassers, (Stammes- )Gesellschaften und (strati- fällt. Allerdings sind Historiker durch-
zur Verschärfung des Zugriffs auf er- fizierten und differenzierten) agrarischen aus gewohnt, zwischen den ja grundsätz-
schöpfliche Rohstofflagerstätten. Neuar- Hochkulturen. Es ist freilich nicht ausge- lich lückenhaften Quellenüberlieferungen
tige technische Verfahren drängen sich schlossen, daß bei einer anderen Gewich- Konjekturen herzustellen, Vermutungen
auf wie die Gentechnik oder die zivile wie tung der Parameter andere oder feinere also über Wirklichkeitselemente, die nicht
militärische Nutzung von Kernenergie. Periodisierungen möglich werden; auch direkt überliefert sind. Woher nehmen
Die Bevölkerungsexplosion in der Dritten steht die Periodisierung wie jeder Versuch sie aber den Stoff zu diesen Vermutungen?
Welt erweist sich als unaufhaltsam. zur Klassifikation einer Vielzahl von Es sind zum einen explizite Theorien
Die Weltbevölkerung erreicht 1992 etwa Elementen immer vor Abgrenzungspro- aus Wissenschaften der Gegenwart, wie
5.5 Milliarden, im Jahre 2050 werden blemen. Der naheliegende Ausweg aus etwa aus der Soziologie, vor allem aber
es wahrscheinlich 10 Milliarden sein. diesen Schwierigkeiten, auf Klassifikation sind es Plausibilitäten hinsichtlich der
Zugleich entsteht in einzelnen Industrie- und Periodisierung ganz zu verzichten Struktur der Wirklichkeit, die dem un-
ländern ein neues Umweltbewußtsein, reflektierten Alltagsbewußtsein ent-
formieren sich Umweltbewegungen TKE 8~sr ",..,s~ AtI':I90D:l M~ coMe ul' \oI1'n(
und ist ein erster Schub der Umweltge- '3E:f l'oA AU oIJll,. PJU>8\..EMt Ir.JUS"T""' s IT ",!'Cl
stammen. Dies ist nun, wenn es um
Gegenstände der "Natur" geht, in viel
setzgebung zu beobachten. DD I'IOTl-iINC". höherem Maße zu erwarten als hin-
sichtlich der "Kultur", da Historiker
Dieses grobe umwelthistorische Pe- als Kulturwissenschaftler in der Regel
riodisierungsschema der Universalge- über ein gewisses Maß an kritischer
schichte wird vor allem in heuristischer kultureller Selbstreflexion verfügen,
Absicht entwickelt. Es handelt sich we- den Naturwissenschaften aber eher
niger um die abschließende Darstellung verständnislos gegenüberstehen.
gesicherter Forschungsergebnisse als Auch eine Umweltgeschichte, die
um den Versuch, einen groben Orien- sich nicht den hohen Ansprüchen einer
tierungsrahmen zu entwerfen, der sich humanökologischen histoire totale un-
vor allem gegen zwei komplementäre terwirft, sondern bescheiden im Rah-
Erklärungsfallen richtet: men der umwelthygienischen Sozial-
geschichte bleiben will, kann daher
• Die erste Falle ist die Dichotomisie- nicht umhin, weit mehr, als dies bisher
rung von krisenhafter Gegenwart und der Fall war, naturwissenschaftliche
heiler Vergangenheit, die sich häufig Methoden und Erklärungsmodelle
in den beliebten Gegenüberstellungen aufzugreifen und zu integrieren. Nun
von "früher" und "heute" findet. Aus uni- und sich der reinen Narration von Singu- weiß man, daß die Integration diszi-
versalgeschichtlicher Perspektive gibt es laritäten zuzuwenden, würde jedoch plinärer Methoden, wie sie gerade für
aber kein absolutes "Früher", sondern eine bedeuten, sich auf ein Spiel einzulassen, die Umweltgeschichte gefordert wird, ein
Sukzession einzelner Kulturtypen mit das bestenfalls ästhetische Qualitäten sehr schwieriges Unterfangen ist, welches
unterschiedlichem ökologischem Profil. besitzt. dem üblichen Gang der Wissenschafts-
entwicklung entgegen strebt, die in Rich-
• Die zweite Falle besteht darin, ver- tung auf Spezialisierung und Differen-
gangenen Kulturen absolute Qualitäten 3.4. Umweltverschmutzungsgeschichte zierung treibt. Allerdings ist heute viel
zuzuschreiben. Geradezu archetypisch von Interdisziplinarität die Rede, doch ist
hierfür ist der Gegensatz von Barbaren Als einen vierten Aufgabenbereich es eine Sache, wenn in einem Kolloquium
und edlen Wilden; umweltgeschichtlich der realen Umweltgeschichte möchte einmal ein Fachfremder spricht, eine an-
gewendet ist dies einerseits die Erzählung ich schließlich die Suche nach Vorgängern dere aber, wenn sich tatsächlich ein For-
von der ursprünglichen harmonischen aktueller Problemlagen nennen. Es ist schungszusammenhang bildet, innerhalb
Einheit mit der Natur (die besonders in der dies, wie bereits erwähnt, die Form der dessen jeder Beteiligte einerseits in seinem
Indianer-Folklore floriert) und anderseits Umweltgeschichte, zu der bisher (zumin- Fach kompetent und anderseits aber auch
die (modernisierungstheoretische) Erzäh- dest in Deutschland) die meisten Arbeiten bereit ist, die Ergebnisse seines Fachs nur
Essay 17
GAlA 2 (1993) no. I
als Element eines umfassenderen Erklä- jeweils auf dem Niveau der avanciertesten derjenigen Naturwissenschaften vertraut
rungszusammenhangs zu verstehen. In der Wissenschaften analysiert. Anderseits ist zu machen, die sein Forschungsgebiet
umwelthistorischen Praxis wird daher ver- jedoch auszuschließen, daß ein einzelner berühren. Ohne Frage ist auf dem Feld
mutlich nur das übrigbleiben, was Jürgen Forscher imstande sein könnte, dies je der umwelthygienisch ausgerichteten
Mittelstraß einmal die "lnterdisziplinarität wirklich kompetent zu leisten. Im dis- historischen Forschung in den nächsten
im eigenen Kopf" genannt hat [261. Wer ziplinären Kontext der Geschichtswis- Jahren viel zu leisten und harrt ein enor-
würde aber nicht erwarten, daß gerade sie senschaft bietet sich lediglich der Rekurs mes Material der Entdeckung. Die Grund-
bald an natürliche Grenzen stößt! auf das Fachgebiet der Sozial- und Tech- fragen einer humanökologisch orientierten
Diese Schwierigkeit, die sich der um- nikgeschichte an, also die Übernahme Umweltgeschichte sind aber vermutlich
welthygienisch orientierten Umweltge- des umwelthygienischen Paradigmas ebensowenig prinzipiell zu lösen wie die
schichte bietet, gilt für das Programm einer mit all seinen unbefriedigenden Folgen. ihres finalen Gegenstands: der von einer
ökologisch orientierten Umweltgeschichte Ein inter- disziplinärer Kontext, Transformation bedrohten natürlichen
aber in noch viel größerem Maße. Es ist welcher eine ökologisch orien- Umwelt des Industriesystems, das sich
kein Zufall, daß der universal- selbst mit ihr transformieren wird.
geschichtlich-
telbar empirische Forschungsprogramme darauf, diese kulturelle Musterbildung und lung, die menschliche Gesellschaft sei
und Forschungsprojekte ableiten lassen. Dynamik in der Vergangenheit zu ver- analog zu einem Zweck-Mittel-System
Dieser Schluß scheint vielleicht resigna- stehen und zu rekonstruieren (vergleiche durchkonstruiert: Sie "will" bestimmte
tiver, als er gemeint ist. In den Mittelpunkt dazu den Exkurs auf Seite 19) . Die Bear- Zwecke verfolgen, über die sie sich durch
des im Abschnitt 3 vorgeschlagenen beitung dieses Themenkomplexes ist inso- bestimmte Verfahren geeinigt hat, und
humanökologischen Grundmodells ist die fern von großer Bedeutung, als sich die "wählt" sich dann bestimmte, für die
symbolische "Kultur" als das eigentliche aktuelle Umweltkrise in ihrem Kern als gewählten Zwecke geeignet erscheinende
"Subjekt" der Mensch-Umwelt-Beziehung eine Krise der Kultur entschlüsseln läßt. Mittel aus. Wenn sich nun zeigen sollte,
gestellt worden. Diese Kultur wurde aus- In der heutigen umweltpolitischen daß diese Mittel die angestrebten Zwecke
drücklich nicht als bloßes instrumentelles Debatte wird vielfach gefragt, was "der verfehlen lassen (der Wunsch nach Wohl-
Aggregat zum Zwecke der Umweltinte- Mensch" denn angesichts der herauf- stand also etwa den unerwünschten Be-
gration der entsprechenden Population ziehenden Umweltkrise "tun" könne; gleiteffekt der Umweltzerstörung hat), so
verstanden, sondern es wurde ihr ein hohes werden Forderungen nach neuen Einstel- gibt es in dieser Sicht zwei Möglichkeiten:
Maß an Autonomie und autopoietischer lungen zur Natur, nach einer Haltung Man kann versuchen, für die gegebenen
Eigendynamik zugeschrieben. Eine rea- der "Verantwortung" oder gar nach einer Zwecke geeignetere Mittel zu finden;
listische Möglichkeit umweltorientier- neuen "Ethik" erhoben. Hinter dergleichen sollte sich dies aber als unmöglich erwei-
ter historischer Forschung zielt deshalb Projekten steht in der Regel die Vorstel- sen, so müßte man letztlich darangehen,
Cambridge University Press, Sozialen Hygiene", in: Handbuch der Hygiene Wiley, New York (1977);
Cambridge (1988). Vo\. 4, Supp\., Jena (\904), p. 791-1046. vergleiche auch T. Bargatzky: Einführung in
[3] Das Jahrbuch Technologie und Politik, in dem [13] Etwa G. SpeIsberg: Rauchplage - Hundert die Kulturökologie, Reimer, Berlin (1986).
(Band 16, 1980) einige der ersten umwelt- Jahre Saurer Regen, Alano, Aachen (1984); [21] M. Harris: Cultural Materialism, Random
historischen Arbeiten in Deutschland A. Andersen, R. Ott, E. Schramm: House, New York (1979).
erschienen, trägt nicht zufallig den Untertitel: "Der Freiberger Hüttenrauch 1849-1865. Dieser Ansatz hat zu interessanten
"Das Magazin zur Wachstumskrise" . Umweltauswirkungen, ihre Wahrnehmung Ergebnissen geführt, vergleiche die
[4] Vergleiche die Übersichten bei T. Glacken: und Verarbeitung", Technikgeschichte 53 synthetisierende populäre Darstellung in
Traces on the Rhodian Shore - Nature and (1986) 169-200; M. Harris: Kannibalen und Könige-
Culture in Western Thought from Ancient P. Brimblecombe: The Big Smoke - A History Die Wachstumsgrenzen der Hochkulturen,
Times 10 the End of the 18th Century, of Air Pollution in Landon Since Medieval Klett-Cotta, Stuttgart (1990).
University 01' California Press, Times, Methuen, London (1987). [22J Die Unterschiede werden pointiert in der
Berkeley (1967). [14J Etwa T. Kluge, E. Schramm: Wassernöte- Darstellung bei B. Glaeser: "Natur in der
[5] Vergleiche J.W. Johnson: "01' Differing Ages Umwelt- und Sozialgeschichte des Krise? Ein kulturelIes Mißverständnis",
and Climes", Journal ofthe History of ldeas Trinkwassers, Alano, Aachen (1986); GAlA 1 (1992) 195-203.
12 (1960) 465-480. T. Rommelspacher: "Das natürliche Recht auf [23] Eine ausführlichere Darstellung dieses
[6] Vergleiche hierzu die Darstellung bei Wasserverschmutzung", in F.-J. Brüggemeier, Modells siehe bei R.P. Sieferle:
N. Stepan: The /dea of Race in Science - T. Rommelspacher (Ed.): Besiegte Natur, "Überlegungen zu einer Naturgeschichte der
Great Brirain 1800-/960, Macmillan, C.H. Beck, München (1987), p. 42-63. Umweltkrise", in J.P. Wils (Ed.):
London (1982); [15] E. Schramm: "Zu einer Umweltgeschichte des Na/ur als Erinnerung?,
R.P. Sieferle: Die Krise der menschlichen Bodens", in F.-J. Brüggemeier, T. Rommels- Attempto, Tübingen (1992), p. 75-110.
Natur - Zur Geschichte eines Konzepts, pacher (Ed.): Besiegte Natur, eH. Beck, [24] In diese Richtung zielt der Ansatz von
Suhrkamp, Frankfurt am Main (1989); München (1987), p. 86-105; D. Groh: "Strategien, Zeit und Ressourcen.
M.A. de Gobineau: Essai Sllr l'inegalite des K.W. Weeber: Smog über Attika, Artemis, Risikominimierung, Unterproduktivität und
races humaines (1853/55); Zürich (1990), p. 17-38. Mußepräferenz - die zentralen Kategorien
G. V. de Lapouge: Les selections sociales [16] J. Sydow (Ed.): Städtische Versorgung und von Subsistenzökonomien", in D. Groh:
(1896); Entsorgung im Wandel der Geschichte, Anthropologische Dimensionen der
L. Woltmann: Politische Amhropologie Thorbecke, Sigmaringen (1981); Geschichte, Suhrkamp, Frankfurt am Main
(1903). J. von Simson: Kanalisation und Städle- (1992), p. 54-113.
[7] L. Febvre, L. Bataillon: La terre et /'evolwion hygiene im 19. Jahrhundert, VDI-Verlag, [25] C. Pfister: "Das 1950er-Jahre-Syndrom: Der
humaine - lntroduction geographiqlle cl Düsseldorf (1983); Energieverbrauch unscrer Zivilisation in
I'histoire, Renaissance du livre, Paris (1922). U. Dirlmeier: "Zu den Lebensbedingungen in historischer Perspektive", Na/ur und Mensch
Einen Höhepunkt dieser Sicht bildet das erste der mittelalterlichen Stadt - Trinkwasser- 34 (1992) 1-4.
Kapitel in F. Braudei: Das Millelmeer und die versorgung und Abfallbeseitigung", in: [26] J. Mittelstraß: "Wohin geht die Wissen-
mediterrane Welt in der Epoche Philipps 1I, B. Hcrrmann (Ed.): Mensch und Umwelt im schaft?", Konsranzer Blätter für
Suhrkamp, Frankfurt am Main (1990). Mitleialler, Deutsche Verlags-Anstalt, Hochschulfragen 26 (1989) 106;
[8] K.A. Wittfogel: "Geopolitik, geographischer Stuttgart (1986), p. 236-241; vergleiche auch
Materialismus und Marxismus", in Unter dem R.J. Evans: Dealh in Hamburg - Society and "Auf dem Wege zur Transdisziplinarität",
Banner des Marxismus 3 (1929) 17-51, Politics in the Cholera Years 1830-1910, GAlA I (1992) 250.
485-522,698-735; Clarendon Press, Oxford (1987); [27] So schon L. White: "The Historical Roots of
K.A. Wittfogel: "Die natürlichen Ursachen G. Hösel: Unser Abfall aller Zeiten- Our Ecological Crisis", Science 155 (1967)
der Wirtschaftsgeschichte", Archiv für Eine Kulturgeschichte der Städtereinigung, 1203-1207, der im Christentum den
Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 67 Jehle, München (1990). entscheidenden Sündenbock identifiziert,
(1932)466-492,579-603,711-731. [17] D. Lohrmann: "Energieprobleme im was eine umfangrcichc Debatte ausgelöst hat.
Wittfogel arbeitete diesen Ansatz später zu Mittelalter - Zur Verknappung von Vergleiche zuletzt R. Groh, D. Groh:
seiner Theorie der "hydraulischen Despotie" Wasserkraft und Holz in Westeuropa bis zum "Religiöse Wurzeln der ökologischen Krise -
aus: Orien/al Despotism, New Haven (1957); Ende des 12. Jahrhunderts", Vierreljahrschrift Naturteleo]ogie und Geschichtsoplimismus in
Die Orientalische Despotie, Ullstein, für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 66 der frühen Neuzeit", in: Weltbild und
Berlin (1977). (1979) 297-317; Na/uraneignung - Zur Kulturgeschichte der
[9] Vergleiche etwa E. Le Roy Ladurie: Times of R.J. Gleitsmann: "Rohstoffmangel und Nalllr, Suhrkamp, Frankfurt am Main (1991),
Feast, Times of Famine - A History of Lösungsstrategien - Das Problem vor- p. 11-91.
Climme since the Year 1000, Allen & Unwin, industrieller Holzknappheit", [28] V. Hösle: Philosophie der ökologischen
Garden City (1971); Technologie und Politik 16 (1980) 104-154; Krise, C.H. Beck, München (1991), p. 43-68.
T.M. Wigley, M.J. Ingram, G. Farmer (Ed.): R.P. Sieferle: Der unlerirdische Wald- [29] T.S. Kuhn: The Structure of Scienlific
Climme allli HislOry - Studies in Past Energiekrise und Industrielle Revolution, Revolutions (1962); Die Struktur wissen-
Clinwtes and their Impact on Man, C.H. Beck, München (1982); schaftlicher Revolutionen, Suhrkamp,
Cambridge University Press, Cambridge J. Radkau: "Holzverknappung und Krisen- Frankfurt am Main (1973).
(1981); bewußtsein im 18. Jahrhundert", Geschichte [30] M. Foucault: Les mots et les choses (1966);
R.I. Rotberg, T.K. Rabb (Ed.): Climme and und Gesellschaft 9 (1983) 513-543. Die Ordnung der Dinge - Eine Archäologie
History, Princeton University Press, [18] R.J. Gleitsmann: "Die Haubergwirtschaft des der Humanwissenschaften, Suhrkamp,
Princeton (1981); Siegerlandes als Beispiel für ressourcen- Frankfurt am Main (1974).
H.H. Lamb: Klima und Kulturgeschichte, schonende Kreislaufwirtschaft" , [31] Vergleiche etwa K. Thomas: Man and the
Rowohlt, Reinbek (1989); Scripta Merca/urae 16 (1982) 21-54. Natural World - Changing Attitudes in
C. Pfister: Klimageschichte der Schweiz [19] Deutlich etwa in A. Anderscn (Ed.): England, 1500-1800, Penguin,
1525-1860, Haupt, Bem (31988). Umweltgeschichte - Das Beispiel Hamburg, Harrnondsworth (1984);
[10] W.H. McNeill: Plagues and Peoples, Ergebnisse Verlag, Hamburg (1990); R.P. Sieferle: Die Krise der menschlichen
Anchor Press, Garden City (1976); vergleiche auch schon A.E. Dingle: Natur - Zur Geschichte eines Konzepts,
G. Twigg: The Black Death - A Biological "Das schlimmste aller Übel- Landbesitzer, Suhrkamp, Frankfurt am Main (1989);
Reappraisal, Batsford, London (1984); Alkalifabrikanten und Luftvcrschmutzung, R.P. Sieferle: Bevölkerungswachstum und
J. Ruffie, J.c. Soumia: Die Seuchen in der 1828-1864", in Nalurhaushalt, Suhrkamp,
Geschichte der Menschheit, R.P. Sieferle (Ed.): Fortschritte der Frankfurt am Main (1990);
Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart (1987). Nalllrzerstörung, Suhrkamp, R. Groh, D. Groh: "Von den schrecklichen zu
[11] F. Boas (Ed.): General Anthropology, Heath, Frankfurt am Main (1988), p. 6 I-94. den erhabenen Bergen - Zur Enstehung
Boston (1938); vergleiche M. Harris: [20] J. Steward: Tizeory of Culture Change- ästhetischer Naturerfahrung", in: Weltbild und
The Rise of Anthropological Theory, Crowell, The MelllOdology of Multilinear Evolution, Nalllrane,ignung, Suhrkamp, Frankfurt am
New York (1968). University of IlIinois Press, Urbana (1955); Main (1991), p. 92-149.
[12] Traditionell fielen Fragen der "Umwelt- J.W. Bennett: The Ecological Transition,
geschichte" in das Gebiet der Hygiene, Pergamon, New York (1976); (Eingegangen am 13. November 1992;
vergleiche T. Weyl: "Zur Geschichte der D.L. Hardesty: Ecological Anthropology, mitgeteilt von D. Groh)