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A D M I N I S T O R Y

Z E I T S C H R I F T F Ü R
V E R W A L T U N G S G E S C H I C H T E

B A N D 1 , 2 0 1 6
S E I T E 1 9 3 – 2 2 1

D O I : 10.2478/ADHI-2018-0011

Kafka in Habsburg
Mythen und Effekte der Bürokratie
BURKHARDT WOLF

I. Die Bürokratie in der Habsburgermonarchie

Schon immer war ›die Bürokratie‹ reformbedürftig. Max Weber die preußische Verwaltung vor Augen: eben
Das Kunstwort ›bureaucratie‹ prägte der Physiokrat
1
jene Bürokratie, die man bereits um 1800 als einen un-
Vincent de Gournay schließlich nur, um Kritik an je- menschlichen Mechanismus beklagt hatte, der die Bür-
nem ›Amtsadel‹ zu üben, den Louis XV. Mitte des 18. ger auf bloße »Formulare« (Schiller) zurechtstutze und
Jahrhunderts in Frankreich flächendeckend instal- die Beamten selbst in leblose »Schreibmaschinen« (Frei-
liert hatte. Den neuen Stand denunzierte de Gournay herr von Stein) verwandle.5
als eine selbstherrliche Kaste, die mit ihrer, wie man Der Habsburger Kaiser Joseph II. vertrat ein auf-
in Deutschland bald sagte, tintenverschwenderischen klärerisches Staatskonzept, dessen Kausal- und Final-
»Amtsstubenherrschelei« die freie Entfaltung des ›öf- mechanik sich im Bild einer allumfassenden ›Schreib-
fentlichen Lebens‹ lediglich hemme. Seine Sorge um 2
maschine‹ zusammenfassen lässt: Seine Bürokratie war
die ›Lebendigkeit‹ der verwalteten Untertanen wurde rationalistisch und monokratisch angelegt, insofern
längerfristig zum Leitmotiv der liberalen Bürokratie- er regelrechte ›Bureaux‹ mit Schreibvorlagen und ge-
kritik, ja klingt noch in den ›neoliberalen‹ Reformforde- normten Sprachregelungen einführte, die der verläss-
rungen von heute an. Vor diesem Hintergrund konnte lichen Umsetzung kaiserlicher Zielvorgaben dienen
Robert von Mohl bereits 1846 eine Übersicht zu den – sollten. Seine Beamten verpflichtete er auf unbedingte
seither nur variierten – Gemeinplätzen der Bürokratie- Treue sowie auf eine standesgemäße Lebenshaltung
kritik erstellen. Er selbst betrachtete die »Führung des und führte sogar ›Conduitenlisten‹ zur Kontrolle ihrer
Lebens« durch zahllose Beamte als »falsche Auffassung ›Gemütsbeschaffenheit‹ ein. Ihre ›Urteilskraft‹ sollte
der Staatsaufgabe«, dürfe doch »die Verwaltung keinen nämlich auch im verwaltungstechnischen Einzelfall
Civilprocess mit dem Leben« führen. Max Weber war 3
die kaiserlichen Vorstellungen vom Gemeinwohl und
es schließlich, der diese Schreckvorstellung zum Bild von der ›ratio status‹ zu duplizieren helfen, auf dass
moderner, legaler und rationaler Herrschaft entzerrte, die Bürokraten der Habsburgermonarchie weder als
selbst wenn das – bewusst ›entmenschlichte‹ – bürokra- eigensinnige Subjekte noch als bloß mechanische Ak-
tische System Aktenverkehr und Beamtendisziplin zu teure tätig wurden.6 In diesem Sinne untersagte Joseph
einem so unzerstörbaren wie unentrinnbaren »Gehäu- ihnen in seinem sogenannten »Hirtenbrief« (1783) jede
se der Hörigkeit« zusammenzuschweißen drohe. Als er 4
»mechanisch-knechtische Art« und verlangte statt des-
seinen Idealtypus von Rationalisierung entwarf, stand sen die »Liebe zum Dienst des Vaterlands und seiner

© 2016 Burkhardt Wolf.


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­Mitbürger«.7 Dass er dabei den ›ganzen Menschen‹ be- Doch weil sie bereits seit Maximilian das Privileg guter
schwor, markierte zumindest rhetorisch eine gewisse Bildungs- und Aufstiegschancen genossen; weil sie sich
Distinktion gegenüber der preußischen Rationalisie- das von Joseph anfänglich geforderte Arbeitsethos letzt-
rung, und tatsächlich schien sich die Verwaltung fortan lich selbst zugestanden; und weil sie verantwortlich wa-
weniger am Ideal effizient aktenmäßiger Verwaltung ren für einen imperialen Verwaltungsbetrieb, der den
zu orientieren, als sich vielmehr durch eine spezifi- unterschiedlichen ›Nationalitäten‹ des Reichs allererst
sche Form des Amtsgebahrens und ›menschlichen‹ Um- ein Forum bot, um ihre kulturellen Besonderheiten und
gangs auszuzeichnen. Zur Verfestigung dieses Topos Ansprüche zu artikulieren11 – aus all diesen Gründen
gegensätzlicher ›Verwaltungskulturen‹ trugen nicht sahen sich die Bürokraten als eigentliche imperiale
zuletzt etliche Dichter bei, die, wie Franz Grillparzer, Ordnungsmacht. Diese war es, die nach Josef Redlichs
Hegels Staatsphilosophie als »monströseste Ausgeburt Befund »den ›Staat‹ tatsächlich in ihrem Wirken be-
des menschlichen Denkens«8 abkanzelten oder, wie deutete«, weil sie Habsburgs »vielfältigen Länder- und
Hugo von Hofmannsthal in »Preuße und Österreicher« Völkerverband« allererst eine »organisatorische und
(1917), ein typologisches Schema zu einem konstitutio- gefühlsmäßige Einheit« verschaffte.12 Oder anders ge-
nellen Gegensatz entwarfen. sagt: Die Bürokraten verstanden sich als Surrogat eines
Derlei Dualismen mögen weniger in verwaltungstech- modernen Staats – und zugleich als eigentliche ›Kul-
nischen Realitäten als im Selbstbild von österreichischen turträger‹ des heterogenen Reichs. Anders als etwa in
Beamten und Literaten gegründet gewesen sein, doch Frankreich gab es hier schließlich kein kollektives Nati-
zeugten sie auf jeden Fall für eine charakteristische ›Kul- onalbewusstsein, geschweige denn ein solches mit repu-
turalisierung‹ der imperialen Bürokratie. Dass Habsburg blikanischer Gesinnung. Und anders als in Preußen, wo
nicht bloß, wie am Ende der Donaumonarchie, eine »Ver- die Beamten – nach Reinhart Kosellecks Diktum – »im
suchsstation des Weltuntergangs« (Karl Kraus), sondern Geist die Staatlichkeit ihres Staats« finden konnten,13
zuvorderst eine solche der »Übernationalität« und damit blieb Habsburg ein Hegelianischer Reflexionsbegriff
der kulturpolitisch garantierten kulturellen Vielfalt wer- wie der des ›Geistes‹ fremd.
den konnte, rechnete man hier besonders einer Kraft zu:
9
Sicherlich bemühte man sich noch in der Endzeit
der Bürokratie. Bereits Maximilian I. (1459–1519) hatte der Monarchie um ein Staatskonzept, das auch mit den
sich einen verlässlichen Beamtenstand von Juristen und damaligen Realitäten zu vermitteln war. Gerade die Er-
Wirtschaftsleuten herangezüchtet, um das Reich zu zen- fahrung, dass weder eine ›metaphysische‹ Legitimitäts-
tralisieren, die Steuerleistung zu steigern und die lokale quelle (wie die des Kaisers) noch eine ›Substanz‹ (des
Adelsherrschaft zurückzudämmen. Als ›Bürokratie‹ be- Nationalen), eine behauptete Einmütigkeit (des Volks-
zeichnete man in Habsburg seither nicht nur den Ver- willens) oder das vermeintliche Band der Kultur dazu
waltungsapparat, sondern ebenso jenen Stand, der sich genügte, einen ›Staat‹ zu bilden, hat zuletzt ein spezi-
durch seinen Habitus und Amtsgeist, durch sein Pflicht- fisch österreichisches, nämlich ›rechtspositivistisches‹,
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und Autoritätsbewusstsein als eine Art Herrschaftsadel rein formal-juristisch begründetes Staatskonzept wie
zur Ausübung von Hoheitsrechten betrachtete – und der das Hans Kelsens entstehen lassen.14 Bis zum Nieder-
es sich bis 1918 zugutehielt, zwischen Feudalismus, auf- gang des Reichs wurde der Reichszusammenhang je-
geklärtem Absolutismus und moderner Staatlichkeit al- doch symbolisch durch das Geschlecht der Habsburger
lererst Kontinuität hergestellt zu haben.10 Seit Aufhebung und real durch das Militär, im tagtäglichen Normalbe-
der Feudalverfassung im 16. Jahrhundert sahen sich die trieb schließlich bürokratisch, durch die penible Ver-
Bürokraten als eigentliche Träger des ›imperium‹, was waltung von Staatsbürgern gewahrt, die wohlgemerkt
auch ihre Mimikry an die alte Aristokratie, ihr zeremo- zu weiten Teilen keine Österreicher waren.15 Bereits
niöses Auftreten und ihre charakteristische Sprechwei- Metternich hatte festgestellt, Habsburg werde »nicht re-
se erklären mag. Dabei war ihre ›Reichsgewalt‹ weniger giert, sondern verwaltet«.16 Während von Mohl die Bü-
rational begründet, als vielmehr in der patriarchalen rokratie als ›falsche Auffassung der Staatsaufgabe‹ sah,
Struktur der Reichsregierung verwurzelt, weshalb sie schien sie in Habsburg zu deren imaginärem Statthalter
selbst strenger Disziplin unterworfen waren. geworden.

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Sollte es in Habsburg tatsächlich so etwas wie ein kon- Welt tatsächlich nur mehr im Wort, insbesondere im
stitutionelles ›Staatsdefizit‹ und eine entsprechend poetischen präsent war. Diese Leitkonzeption einer
kompensatorische, imaginäre ›Staatsbildung‹ gegeben mythischen und verlorenen Totalität, der das moder-
haben, dann waren deren Vorkämpfer unter den Bü- ne Erzählen im Nachhinein verpflichtet ist, entlehnte
rokraten ebenso zu suchen wie unter den Literaten. Magris der Theorie des Romans von Georg Lukács, die
Schließlich war die österreichische Literatur von An- ihrerseits bis 1916, während des Niedergangs der Habs-
beginn in der imperialen Bürokratie verwurzelt: Als burgermonarchie, entstanden war. Der spätere Kom-
deren erste Exponenten galten Sekretäre, Kanzler und munist Lukács hatte hier das moderne Signum der ›Ent-
Geheimschreiber wie Johann von Neumarkt oder Enea fremdung‹ noch als ›transzendentale Obdachlosigkeit‹
Silvio Piccolomini, und gerade nach der aufklärerischen begriffen und eine grundsätzliche Opposition zwischen
Bildungsoffensive für Beamte waren fast alle etablierten der modernen Welt, ihrer Prosa und Romanästhetik ei-
Schriftsteller von Berufs wegen Bürokraten – und um- nerseits, der antiken Welt, ihrem Mythos und ihrer Epik
gekehrt zahllose Bürokraten literarisch ambitioniert. 17
andererseits entworfen. In der altgriechischen Welt
Aus eben dieser Konstellation versuchte Claudio Mag- habe sich »Irren« noch als ein bloßer Mangel an Maß
ris 1963 in einer viel diskutierten Studie den Bestand oder Einsicht verstanden, »Sollen« hingegen nur als
und die Fortwirkung eines spezifisch »habsburgischen ein »Noch-nicht-Heimgekehrt-Sein«.21 In der modernen
Mythos« abzuleiten. Als Mythos begreift er »eine Kon- Welt müssten indes Totalitäten wie die der alten episch-
struktion oder eine ideologische Verfälschung«, die als mythischen Welt allererst künstlich oder künstlerisch,
»wahrhaft positive, grundlegende Idee« wirksam wird in nostalgischen oder auch avantgardistischen Schreib-
– im Falle der Habsburgermonarchie als eine Grundle- weisen erschaffen werden. Dass für Lukács die Kunst
gung, die wenig mit der Ratio moderner Staatswesen zu einer Art ›Trotzdem‹ geworden ist, kann und muss
zu tun hat, sich aber im Medium eines literarisch for- man direkt auf Magris’ kompensatorische Konzeption
mierten kollektiven »Empfinden[s] und Bewußtsein[s]« des habsburgischen Mythos beziehen.
vollzieht.18 Ermöglicht habe diesen Mythos allerdings Was Magris’ ›mythopoetische‹ Studie auf Ebene der
nicht bloß dichterische Imagination, sondern zunächst Literatur- und Geistesgeschichte zu finden meint, ha-
eine Verwaltung, die neben medialen Praktiken des ben Historiker, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler
Aktenverkehrs auch eine zeremoniöse Mentalität des immer wieder faktisch zu belegen versucht: die länger-
rechten Maßes und des Ausgleichs zwischen Herrscher- fristigen Effekte der habsburgischen Bürokratisierung.
geschlecht, bürokratischem Beamtenstand und Unterta- Ob mit der k. u. k. Verwaltung wirklich historisch weit-
nen zur Geltung brachte.19 Erst vor diesem Hintergrund reichende Bindekräfte verknüpft sind – dieser Frage hat
habe sich die patriarchale Reichsidee eines ›sacrificium sich im Jahr 2006 eine ganze Forschergruppe gewidmet.
nationis‹ etablieren können, die jeden nationalistischen Ausgegangen war man von der These, dass sich bei Ost-
Furor symbolpolitisch dämpfte, selbst wenn sie faktisch europäern, etwa unter Polen, die ja die Aufteilung ihres
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die innere Kolonisierung der östlichen und südlichen Territoriums durch Preußen, Russland und Habsburg
Reichsgebiete bedeutete. 20
hinnehmen mussten, eine gewisse emotionale Bindung
Für Magris nimmt die Genesis des habsburgischen an das Kaiserreich der Habsburger beobachten lässt. Wie
Mythos 1806 ihren Ausgang, als das ›Heilige Römische die Forschergruppe in ihrem Life in Transition Survey
Reich deutscher Nation‹ aufgelöst wurde. Spätestens schreibt, haben die Habsburger in Osteuropa, verglichen
nachdem Österreich durch die preußische Dominanz mit Imperien wie dem Osmanischen oder Russischen
von der deutschen Entwicklung ausgeschlossen worden Reich, einen relativ guten Ruf genossen. Gerade ihre Bü-
war, habe man eine neue raison d’être für den Reichszu- rokratie hielt man für »weitgehend ehrlich, ziemlich hart
sammenhang gesucht und dazu einen Mythos wie den arbeitend und allgemein von edler Gesinnung«,22 wes-
der ›felix Austria‹ in die Welt gesetzt. Vom habsburgi- halb ehemals habsburgisch verwaltete Gebiete bis heute
schen Mythos lässt sich indes, wie Magris sagt, eigent- ein größeres Vertrauen in die Verwaltung aufbringen.
lich nur nachträglich sprechen, am deutlichsten nach Überprüft wurde, ob es sich hierbei um ein allgemeines
dem Ersten Weltkrieg, da die österreichisch-ungarische Ost-West-Muster handelt, was falsifiziert werden konnte;

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und ob bestehende Vertrauensunterschiede sämtliche flikt – sollte also die Versicherung eine nachhaltige Verge-
staatliche Institutionen betreffen, etwa auch Parlamen- meinschaftung ermöglichen.
te oder Präsidenten. Dabei zeigte sich, dass signifikante Aus ihrem doppelten Imperativ der Einheit und Viel-
Unterschiede nur für die lokale Interaktion mit der Ver- falt erklärte sich auch das sogenannte Regional- oder
waltung gelten. Dieser sogenannte ›Habsburg-Effekt‹ Territorialprinzip der Sozialversicherungen: So wurden
deutet also darauf hin, dass die Donaumonarchie auch etwa sieben regionale Unfallversicherungsanstalten
abseits der Literatur, nämlich in der Bürokratie, ihr eige- unterschiedlichen Kronländern und Kronlandgruppen
nes Ende überlebt hat; und dass der literarische ›Mythos‹ zugeordnet, wobei nur Böhmen (in Prag) und Nieder-
nicht nur sentimentale Ursprungssehnsüchte artikuliert, österreich (in Wien) eigene Anstalten erhielten. Die
sondern eine wirkliche und zählebige habsburgische Gegner dieses Systems forderten eine Organisation, die
Mentalität erfasst hat. sich – wie in Deutschland – reichsweit an einer Gliede-
rung nach Berufen und Betriebsgruppen orientierte: So
sollten etwa alle Bergbauunternehmen auf dem Gebiet
II. Der Reformbürokrat Kafka der Habsburgermonarchie bei derselben Anstalt ver-
sichert werden und in denselben Topf einzahlen. Die
Welche Bereiche und Aspekte der Bürokratie diesen Ef- Befürworter des Territorialprinzips sahen hingegen
fekt besonders bedingt haben könnten, wird im Life in in den Kronländern eigenständig wirtschaftliche und
Transition Survey nicht weiter thematisiert. Doch muss ethnische Interessensgemeinschaften. Im Klartext hieß
ihre wohlfahrtsstaatliche Funktion eine besondere Rol- das: Böhmische Bergbauunternehmer wollten nicht mit
le gespielt haben: Gerade in den letzten Jahrzehnten galizischen oder bosnischen in ein und denselben Topf
des Reichs zeichnete sich nämlich die Verwaltung der geworfen werden, weil sie sich für wirtschaftlich stär-
Habsburgermonarchie dadurch aus, dass sie den – bis ker hielten und sich ohnehin lieber im Rahmen ihrer ei-
dato beispiellosen – wirtschaftlichen und demografi- genen tschechischen Nation zusammenschließen woll-
schen Aufschwung mit einer planmäßigen Sozialpolitik ten. Mit der Organisation der Versicherung stand also
beantwortete. Diese Wende von der alten ›souveräni- mehr als ein politisch neutrales administratives Prinzip
tätslogischen‹ Herrschaft (Michel Foucault) mit ihrer auf dem Spiel; man stritt letztlich um die Form der Ver-
Fixierung auf die Kaiserfigur hin zum ›Vorsorge-Staat‹ gemeinschaftung, die man für sich innerhalb des Habs-
(François Ewald) mit seiner biopolitischen und massen- burger Vielvölkerreichs in Anspruch nehmen wollte.
statistischen Ausrichtung ging mit einem extensiven Aus- Bei Unternehmen wurde entsprechend des soge-
bau der Bürokratie einher, die die Erfassung sämtlicher nannten ›Äquivalenzprinzips‹ gerechnet: Betriebe
Bevölkerungsteile und, durch die Vergabe von Sozialleis- derselben Branche, die schlechter ausgerüstet waren
tungen, auch nichts Geringeres als deren kulturelle ›Inte- und weniger in die Sicherheit ihrer Arbeiter investier-
gration‹ besorgen sollte. Sozialpolitisch war das Deutsche ten, wurden in höhere ›Gefahrenklassen‹ eingereiht
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Reich bereits 1881 mit einem ersten Entwurf zum Unfall- und mussten entsprechend höhere Beitragszahlungen
versicherungsgesetz und mit der Einführung der Arbei- entrichten. Die Kranken- oder Rentenassekuranz der
terversicherung vorangegangen. Mit den Gesetzen zur Beschäftigten war wiederum nach dem ›Solidarprin-
Unfall- und Krankenversicherung von 1887 und 1888 zog zip‹ angelegt: Bezirkskassen mussten Pflichtversicher-
der Vielvölkerstaat nach, um bald auch eine Rentenver- te jeden Alters und unabhängig von Risikomerkmalen
sicherung einzuführen. Damit versicherte man sich der aufnehmen. Diese politische Agenda einer aktiven
Reichsbevölkerung auf doppelte Weise: erstens, indem Umverteilung (von den Fahrlässigen zu den Sicher-
man unter der wachsenden Arbeiterschaft deren ebenso heitsbewussten, von den Reicheren zu den Ärmeren,
wachsende Bereitschaft zum Klassenkampf durch sozia- von den Jüngeren zu den Betagteren) sollte, wie der
le Wohltaten dämpfte; zweitens, indem man die Einheit spätere Finanzminister Leon von Bilinski verkünde-
ebenso wie die Mannigfaltigkeit des Vielvölkerstaats ad- te, den Arbeiter dazu bringen, »diejenige Gesellschaft,
ministrativ wahrte. Gerade an den beiden Bruchstellen welche ihn ebenso mit ihrer Liebe umfängt, wie ande-
der Donaumonarchie – Klassenkampf und Nationenkon- re ihrer Mitglieder, selbst zu lieben.«23 Zugunsten ei-

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ner reichseinheitlichen Liebe zum Reich sollten jedoch Webers, als Promotor – den Doktortitel erlangte und im
auch ethnische Konflikte durch die Einrichtungen der selben Jahr das besagte Praktikum antrat. 1907 machte
Sozialversicherung entschärft werden. Man sprach er als Aushilfskraft in der Prager Filiale der Assicurazioni
von einem habsburgischen ›Reichsbewusstsein‹ oder, Generali erste Erfahrungen in der Versicherungsbranche,
wie Karl Lueger, von einem übernationalen Zugehörig- 1908 besuchte er an der Prager Handelsakademie einen
keitsgefühl, das jeden, »welcher Provinz auch immer Kurs zur Arbeiterversicherung und wurde alsdann, zu-
er entstammt und welche Sprache immer er spricht«, nächst als Aushilfsbeamter, bei der AUVA angestellt. Seit
einbeziehen sollte.24 Freilich brachte auch dieses wohl- 1910 war er dort als ›Concipist‹, seit 1913 dann als ›Vi-
fahrtsstaatliche Konzept von ›Reichseinheit‹ etliche zesekretär‹, 1920 als ›Anstaltssekretär‹ und 1922 schließ-
Konflikte mit sich – Konflikte etwa um die Bestimmung lich als ›Obersekretär‹ beschäftigt. Der ›Konzeptsbeamte‹
der Amtssprachen oder um die (ihrerseits administrati- Kafka war zunächst mit Rechtsexpertisen zu Gesetzestex-
ve) Bestimmung der Volksgruppen. Nicht nur, weil die ten befasst. In der ›Rekursabteilung‹ bearbeitete er die
Deutschen ethnisch-sprachlich eine Majorität stellten, Einsprüche von Unternehmern, die sich in die falsche
sondern auch, weil sie den Großteil der habsburgischen Gefahrenklasse und dadurch in eine zu hohe Beitragska-
Beamtenschaft ausmachten; weil sie als kaiserliche Bü- tegorie eingeordnet sahen. Als er in die Unfallabteilung
rokraten über das gesamte Reich verstreut waren; und versetzt wurde, hatte er eben diese ›Einreihungen‹ vorzu-
weil sie sich schließlich als die stärksten Befürworter nehmen, war hier aber auch mit anspruchsberechtigten
der modernen Sozialpolitik hervortaten – aus all diesen Parteien, nicht zuletzt mit verunfallten Arbeitern befasst.
Gründen verstanden sich die deutschen Beamten, wie »Wie bescheiden diese Menschen sind«, wunderte er sich
es Friedrich Kleinwächter noch 1947 nennen sollte, als einmal. »Statt die Anstalt zu stürmen und alles kurz und
»die objektiven Österreicher«. 25
klein zu schlagen, kommen sie bitten.«29 Wahrscheinlich
Ein derart ›objektiver Österreicher‹ war, ungeachtet verwies Kafka hiermit auf den politischen Hintersinn
seiner Prager Herkunft und seines jüdischen Glaubens, der Versicherung, denn institutionalisiert wurde diese
auch Franz Kafka. Als waschechter habsburgischer Be- ja nicht zuletzt, um etwaige Aufstände der unteren Klas-
amter war er dabei eigentlich nur von 1906 bis 1907 sen zu verhindern. Schließlich, nämlich seit dem Ersten
tätig, nämlich als Praktikant beim Prager Landes- und Weltkrieg, arbeitete Kafka dann im Ausschuss für Heilbe-
Strafgericht. Nach 1908 arbeitete er dann an der Pra- handlung. Hier kämpfte er wiederholt um die Anerken-
ger Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt (AUVA) für nung ›traumatischer Neurosen‹, auch und gerade wenn
das Königreich Böhmen in einer Position zwischen Be- sie von vermeintlichen ›Renten-Querulanten‹ geltend
amtem und Angestelltem – eine Mischexistenz, wie sie gemacht wurden.
nach Siegfried Kracauers Beobachtung das Arbeitsleben Zur Selbstverwaltung und zugleich zu gesetzeskräfti-
seit 1900 generell zusehends hervorbrachte.26 Anders gen Verordnungen ermächtigt, bearbeitete die halbstaat-
als von seinem Freund und späteren Herausgeber Max liche Behörde der AUVA die Ansprüche der Versicherten
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Brod kolportiert, beklagte Kafka allerdings nur in aku- und vergab dabei, auf massenstatistischer Grundlage,
ten Schreibkrisen sein »schreckliches Doppelleben« als Sozialleistungen. Man arbeitete deshalb hauptsächlich
literarischer Autor und als Angestellter.27 Seine Litera- ›vor dem Gesetz‹. Entsprechend waren die Bürokraten
tur und Bürotätigkeit schlossen einander weniger aus, hier, neben Juristen, auch Versicherungsexperten oder
als dass sie einander bedingten. Denn nicht anders als Ingenieure, Mathematiker oder Mediziner, und beson-
der tägliche Anstaltsdienst erfüllte sich Kafkas nächt- ders Kafka wirkte weniger als Exponent von Recht und
liches Schreiben, wie er einmal notierte, in der Sorge Gesetz denn vielmehr als ein Manager biopolitischer
um »eine unübersehbare Zahl Menschen«. (N II, 260 f.) Verwaltung und Vergemeinschaftung. Kafka war also
Letztlich verstand er seine literarische Autorschaft als ein Insider und zugleich ein Outsider der Rechtspraxis.
ein fortgesetztes »Im-Dienst-Sein«. 28
Er war ein Bürokrat, der, wenn nötig, mit der Imple-
Studiert hatte Kafka seit 1901 versuchsweise Chemie, mentierung von Gesetzen befasst war, dabei aber vor
Kunstgeschichte und Germanistik, dann aber ernsthafter allem die regulative und ausgleichende Funktion der
Jura, ehe er 1906 – mit Alfred Weber, dem Bruder Max Versicherungsanstalt im Auge hatte. Was Kafka als ›Re-

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formbürokraten‹ letztlich vorschwebte, war, wie er es welt – etwa über Codes des Affektiven und Emotionalen
in einem seiner Vorträge für die AUVA nannte, eine »le- – laufend im System selbst reflektiert und die Bürokra-
bendige Institution« (A, Mat. 643), in der – anders, als tie gleichsam ›verlebendigt‹ wird.34 Kafka strebte also
man es den Behörden nachsagte30 – das Rechtsempfin- an, was die zu seiner Zeit neuesten Verwaltungslehren
den, die Wünsche und Emotionen aller Beteiligten eben- als informelle ›Gefühlsarbeit‹ und ›betriebsklimatische‹
so in Rechnung gestellt wurden wie die Aktenlage und Umwandlung des bloßen ›Zweckraums‹ in einen ›Le-
offizielle Rechtsprechung. bensraum‹ forderten.35
In einem der vielen Texte, die er als ›Anstaltsautor‹ Im Idealfall waren Bürokratien für Kafka nicht hier-
der AUVA verfasste, schrieb er, man müsse in der bü- archisch, sondern bottom up zu organisieren. In seinen
rokratischen Praxis »gegenüber dem menschlichen wie Anstaltstexten analysierte, kommentierte und kritisier-
wissenschaftlichen Teil des Problems« gleich gerecht te er deshalb die herrschenden Kommunikationsver-
sein (A, 207) – und hiermit meinte er einerseits die hältnisse innerhalb der Anstalt (etwa ihre schemati-
halbamtliche, ohne Gesetzeszwang, weil psychologisch schen Formulare und Tabellen) sowie zwischen Anstalt
wirksame Kommunikation mit Unternehmern und Ar- und Klienten (etwa die Abläufe in den Einspruchsver-
beitern; andererseits aber die Statistik als formales fahren). Und in Härtefällen löste er die kommunikati-
Mittel der Konfliktlösung zwischen den verschiedenen ven Verwerfungen durch informelle, nur halbamtliche
Klassen und Nationalitäten der Habsburgermonar- Kommunikation mit den Beteiligten. Musste die AUVA
chie. Obschon von Kafka bis heute bevorzugt bürokra- etwa ein – nach seinem Empfinden – unzulängliches
tiekritische Aperçus zitiert werden wie: »Die Fesseln oder ungerechtes Gesetz anwenden, so konnte hier
der gequälten Menschheit sind aus Kanzleipapier«,31 entweder, wie es Kafka listig nannte, »eine authenti-
war er letztlich ein Fürsprecher der – statistisch aus- sche Gesetzesinterpretation«, also eine Manipulation
gebauten – Bürokratie. Der Gegensatz zwischen dem des ursprünglichen Gesetzestexts, Abhilfe schaffen (A,
natürlichen Leben und dem »toten Mechanismus« des 138). Oder aber gesetzestreue Verordnungen wurden
bürokratischen »Apparat[s]«, wie ihn Alfred Weber in so lange durch spezifizierende und die Spezifikation
seiner Schrift »Der Beamte« aufstellte, 32
machte für spezifizierende Verordnungen ergänzt, bis sich das Ge-
Kafka letztlich wenig Sinn. ›Ursprüngliche‹ Völker oder setz gleichsam verflüssigte und es nachträglich seinen
Gemeinschaften waren für ihn nämlich – nicht anders ›billigen‹ Sinn erhielt – eine Konstellation, die man aus
als für Kafkas gleichaltrigen Prager Zeitgenossen Hans Kafkas Erzähltexten kennt, und die, in ihrer letzten Kon-
Kelsen – eine bloße Einbildung oder rhetorische Figur: sequenz, weniger beklemmend ›kafkaeske‹ als vielmehr
Dem Recht und der Verwaltung standen sie nicht voran, befreiend komische Effekte zeitigen muss.
sondern gingen aus einer bestimmten Rechts- und Ver-
waltungskultur allererst hervor.
Umgekehrt war für Kafka die ›Rationalität‹ einer III. Mythen der Organisation
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Verwaltung nicht von deren ›Sensibilität‹ für den Zu-


stand und die Erfordernisse des Lebens zu trennen. Um ihren eigenen Bestand und Fortbestand, um ihre
Wie Hermann Bahr sagten etliche von Kafkas Zeitge- Strukturen und Abläufe zu rechtfertigen, legen sich Or-
nossen der habsburgischen Verwaltung nach, sie habe, ganisationen gewisse Ursprungserzählungen und Rituale
»statt immer wieder Wirklichkeit in sich einzulassen, zurecht, die zuweilen in umfassenderen Bestandsmy-
ihr nachzugeben und sich selber umzuformen«, diesel- then gründen36 – so wie im habsburgischen Mythos der
be erstickt oder im Stile eines bürokratischen »morbus Donaumonarchie. Aufgerufen werden derlei Narrative
Austriacus« degenerieren lassen. 33
Wie man im Duktus und Zeremonien in Krisensituationen, aber auch bei ei-
späterer Organisationstheoretiker sagen könnte, forder- ner bloßen Umstrukturierung oder Neujustierung. Ein
te Kafka deshalb Organisationen, die als formal-selbst- Beispiel hierfür beschrieb Kafka mit Blick auf die AUVA
referenzielle Entscheidungssysteme zwar funktionale und seine dortige Ernennung zum Oberkonzipisten im
Autonomie genießen, die aber für das verwaltete Leben Jahr 1910. Die Beförderung Kafkas und zweier Kollegen
irritabel sind, so dass die Differenz von System und Um- ging hier im Beisein des Anstaltspräsidenten vonstatten,

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einer Figur, die »dem normalen Beamten [...] das Gefühl autorität, die im baren Unsinn kaiserlicher Botschaften
einer Zusammenkunft mit dem Kaiser« ersetzt.37 Als der gründet. Man vergleiche den Bericht nur mit jener Sze-
ältere Kollege mit seiner Dankesrede anhob, lauschte der ne, die Joseph Roth 1932 im Radetzkymarsch zum my-
Präsident »in seiner gewöhnlichen, bei feierlichen Ge- thischen Spiegelstadium der habsburgischen Identität
legenheit gewählten, ein wenig an die Audienzhaltung ausformulieren sollte: Bei der Audienz reflektiert sich
unseres Kaisers erinnernden, tatsächlich (wenn man will der Kaiser mit seinem bürokratischen Habitus in seinem
und nicht anders kann) urkomischen Stellung«, was Kaf- bürokratischen Untertanen, dem Bezirkshauptmann
ka zu kleineren, noch als Hustenanfall zu kaschierenden von Trotta, der sich mit seinem kaiserlichen Amtsgeba-
Lachanfällen reizte. Als aber der Präsident selbst
38
ren selbst im bürokratischen Kaiser reflektiert – und so
weiter und so fort.41 Nur führt diese offenkundige Leere
seine Rede anfieng, wieder diese übliche, längst vor- des habsburgischen Mythos bei Roth nicht zur Komik,
her bekannte, kaiserlich schematische, von schweren sondern zu Trübsinn und Melancholie – und dann, in
Brusttönen begleitete, ganz und gar sinnlose und Roths Fortsetzungsroman Die Kapuzinergruft (1938), zur
unbegründete Rede, [...] konnte ich mich nicht mehr endgültigen Beerdigung der habsburgischen Bürokratie.
halten und alle Hoffnung schwand mir, dass ich mich Kafkas Humor kann man hingegen, mit einer klassischen
jemals würde halten können. [...] Natürlich lachte Theorie des Komischen wie der Jean Pauls, beschreiben
ich dann, da ich nun schon einmal im Gange war, als ein auf das Unendliche angewandtes Endliches, das
nicht mehr bloss über die gegenwärtigen Spässchen, mit der kleinen Welt lachend das Unendliche ausmisst42 –
sondern auch über die vergangenen und die zukünfti- in Kafkas Fall anhand der kleinen Welt des Büros das Un-
gen und über alle zusammen und kein Mensch wusste endliche des Kaiserreichs. Jedenfalls führte das Lachen
mehr, worüber ich eigentlich lache; eine allgemeine bei Kafka zu einer Demontage bürokratischer Amtswür-
Verlegenheit fieng an, nur der Präsident war noch de, die ihm wohl nie verziehen werden sollte.43 Dass sie
verhältnismässig unbeteiligt, als grosser Mann, der ihm dann aber doch vergeben wurde, und zwar auf rein
an Vielerlei in der Welt gewöhnt ist und dem übrigens bürokratischem Wege, sagt einiges über Kafkas messiani-
die Möglichkeit der Respektlosigkeit vor seiner Person sches Verständnis der Bürokratie. Den Entschuldigungs-
gar nicht eingehn kann.39 brief, den er zusammen mit Max Brod verfasste, akzep-
tierte der Anstaltspräsident anstandslos.
Die Situation eskalierte, nachdem der zweite Kollege zu Eben diesem Anstaltspräsidenten, Otto Pribram näm-
einer so spontanen wie unbeholfenen Rede ansetzte. Als lich, hat Kafka auch eine weitere Analyse bürokratischer
er »etwas (schon im Allgemeinen und hier insbesonde- Organisationsmythologie gewidmet – einen kurzen Er-
re) Läppisches daherredete, wurde es mir zu viel, die zähltext, in dem es zu Beginn heißt: »Poseidon saß an
Welt, die ich bisher immerhin im Schein vor den Augen seinem Arbeitstisch und rechnete. Die Verwaltung aller
gehabt hatte, vergieng mir völlig und ich stimmte ein so Gewässer gab ihm unendliche Arbeit.« (N II, 300) Un-
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lautes rücksichtsloses Lachen an, wie es vielleicht in die- endlich ist die Arbeit schon deshalb, weil Poseidon die
ser Herzlichkeit nur Volksschülern in ihren Schulbänken Rechnungen seiner vielen Hilfskräfte in seiner göttlichen
gegeben ist. Alles verstummte und nun war ich endlich Gründlichkeit nochmals durchrechnet und ihm dabei
mit meinem Lachen anerkannter Mittelpunkt.« Um dem nichts weniger als die Verwaltung sämtlicher Gewässer
Ganzen ein Ende zu bereiten, fand der Präsident »irgend zufällt. »Man konnte ihm doch unmöglich etwa ein be-
eine Phrase, die meinem Heulen irgend eine menschli- stimmtes Meer zuweisen, abgesehen davon daß auch
che Erklärung gab, ich glaube eine Beziehung zu einem hier die rechnerische Arbeit nicht kleiner sondern nur
Spass, den er vor langer Zeit gemacht hatte. Dann entliess kleinlicher war, konnte der große Poseidon doch immer
er uns eilig. Unbesiegt, mit grossem Lachen, aber totun- nur eine beherrschende Stellung bekommen. Und bot
glücklich stolperte ich als erster aus dem Saal.«40
man ihm eine Stellung außerhalb des Wassers an, wur-
Kafkas in der AUVA legendär gewordener Lachanfall de ihm schon von der Vorstellung übel« (ebd., 301). Am
widerlegt das Klischee vom ›Visionär‹ totalitärer Büro- missmutigsten aber zeigt sich Poseidon über die geläufi-
kratien. Er demaskiert und demontiert gerade jene Amts- gen Vorstellungen, die man von seinem Amt hat,

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wie er etwa immerfort mit dem Dreizack durch die sie einmal gewesen sein mochten: Analog zu Kafkas
Fluten kutschiere. Unterdessen saß er hier in der bürokratischen Karikaturen des Kaisers herrscht im
Tiefe des Weltmeeres und rechnete ununterbrochen, Falle Poseidons nur eine römische Karikatur des grie-
hie und da eine Reise zu Jupiter war die einzige chischen Rangobersten, herrscht nur Jupiter statt Zeus.
Unterbrechung der Eintönigkeit, eine Reise übrigens, Mit Walter Benjamin könnte man auch sagen, Kafka
von der er meistens wütend zurückkehrte. So hatte demontiere hier den Mythos und eröffne eine messia-
er die Meere kaum gesehn, nur flüchtig beim eiligen nische Aussicht, um sie zugleich aufzuschieben.44 Denn
Aufstieg zum Olymp, und niemals wirklich durch- der Messias wird, wie Kafka an anderer Stelle schreibt,
fahren. Er pflegte zu sagen, er warte damit bis zum »nicht am letzten Tag kommen«, sondern einen Tag spä-
Weltuntergang, dann werde sich wohl noch ein stiller ter: »am allerletzten«. (N II, 56 f.) Jedenfalls kommen Po-
Augenblick ergeben, wo er knapp vor dem Ende nach seidons gründliche Amtsgeschäfte zu keinem Ende – es
Durchsicht der letzten Rechnung noch schnell eine sei denn, am Jüngsten aller Tage. Erst wenn, nach dem
kleine Rundfahrt werde machen können. (ebd., 302) Wortlaut der biblischen Johannes-Offenbarung (Off., 21,
1), kein Meer mehr ist, und wenn, worauf der bürokra-
tisch-apokalyptische Terminus des ›Doomsday‹ ja ver-
Kafkas Erzählung kann man als Gegenstück jenes Staats- weist, alle Verwaltungsakten zugeklappt werden, um
mythos ›katexochen‹ verstehen, der ebenso unverkenn- eine letzte Generalinventur vorzunehmen – erst dann
bar mit dem Meer assoziiert ist: des Leviathan. Thomas wird Poseidon von seinem Amt erlöst sein, und er kann
Hobbes bediente sich des altbiblischen Meeresungeheu- endlich aufbrechen zu »eine[r] kleine[n] Rundfahrt«.
ers, um es als Mythos des Souveräns ins Bild zu setzen. Es ist fast müßig zu sagen, dass diese Beschreibung
Bei Kafka indes kann von Staat und Souverän keine Rede Poseidons nicht nur Kafkas Vorgesetztem Pribram,
sein. Poseidon ist ein Bürokrat, der hauptsächlich am Ar- sondern ebenso ihm selbst gilt. In seinen Tagebüchern
beitstisch zu rechnen hat, um sein Reich zusammenzuhal- hat Kafka schließlich unablässig Buch geführt und
ten. Wahrscheinlich gibt es keine Bürokratie, die sich auf dauernde Berechnungen angestellt: Von der Entschei-
den griechischen Meeresgott beruft. Kafkas Text jedoch dung, in diese oder jene Theateraufführung zu gehen
entwirft diesen Organisationsmythos, um der Bürokratie oder eben nicht zu gehen, über die Frage eines Woh-
kosmogonische Weihen zu verleihen: Selbst der Schöp- nungswechsels bis hin zu seinen Heiratsplänen mit
fungsmythos, in dem der Geist über den chaotischen Felice Bauer hat Kafka versucht, alle Eventualitäten
Wassern schwebt, mündet in bürokratische Akte(n); und abzuwägen, auszurechnen und die Vor- und Nachteile
selbst antike Elementargötter sind, statt das freie Spiel seiner Beschlüsse exakt zu bilanzieren. Entsprechend
der Naturkräfte zu personifizieren, an ihren Schreib- lässt sich folgende Notiz auf Poseidon so gut wie auf
tisch gekettet. Den Poseidon-Mythos deutet Kafka dabei Kafka selbst beziehen: »Er saß über seinen Rechnun-
zu einem neuen Herrschaftsmythos um: Einerseits fehlt gen«, heißt es. »Große Kolonnen. Manchmal wandte er
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seinem Reich (ganz wie dem habsburgischen) offenbar sich von ihnen ab und legte das Gesicht in die Hand.
ein fester ›Grund‹ wie der der Volksgemeinschaft, in dem Was ergab sich aus den Rechnungen? Trübe, trübe
sich ein Nationalstaat verwurzeln könnte; andererseits Rechnung«. (N I, 408) Nicht nur, dass seit der Frühneu-
wird dieser Mangel durch bürokratische ›Gründlichkeit‹ zeit Zahlengelehrte als Hypochonder und melancholi-
kompensiert. Poseidon waltet über sein unergründliches sche Naturen bestimmt wurden, in deren humores die
Reich nur, indem er es bis ins Letzte verwaltet. schwarze Galle überwiegt; der Trübsinn des Rechnens
Kein Wunder, dass sich Poseidon ärgert, wenn und Berechnens stellt sich bei Kafka, spiegelverkehrt
man von ihm denkt, er befinde sich auf einer dauern- zum lebensbefreienden Lachen, deshalb ein, weil das
den Kreuzfahrt durch die Weltmeere: Das unendliche Lebendige, wie er schreibt, »sich nicht ausrechnen«
Arbeitsaufkommen hindert ihn schließlich daran, das lasse. (N II, 147) Was Kafka also vom Leben fernhielt,
Meer persönlich zu erfahren. Tritt er einmal eine Rei- war »der tief in mir sitzende Beamte«45 – und nicht, wie
se an, dann eine Dienstreise zu seinem Vorgesetzten. Max Brod und nach ihm zahllose andere behaupten,
Doch sind Vorgesetzte hier auch nicht mehr das, was seine Amtstätigkeit in der AUVA.

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IV. Vor dem Gesetz tischen‹ Verwaltung und dem Rechtsempfinden oder
der Gesetzesvorstellung der Verwalteten zu vermitteln,
Kafkas Auffassung der Bürokratie hatte einen doppel- mithin jener Rechts- und Gesetzeskrise abzuhelfen, als
ten Aspekt: Einerseits – und dies vor allem in seinen deren Symptom man nicht zuletzt den österreichischen
amtlichen und theoretischen Betrachtungen – forderte Rechtspositivismus verstehen kann – auch dies gehörte
er ganz im Sinne zeitgenössischer Bürokratiekritiker, zu den Aufgaben eines versicherungstechnischen Büro-
die Organisation auf das Leben und die Wirklichkeit zu kraten wie Kafka.
öffnen. Andererseits operieren – die besonders in sei- ›Türhüter-Legende‹ wurde seine Erzählung Vor dem
nen längeren Erzähltexten beschriebenen – Bürokra- Gesetz genannt, weil sie das Gesetz im Sinne einer Zu-
tien selbstbezüglich und rekursiv. Wenn sie sich aber, gangsfrage und gerade nicht eines Verbots oder Im-
ganz wie es die spätere Organisationstheorie behaupten perativs konkretisiert. Es verschließt sich denen, die
wird, damit allererst ihre eigene Umwelt erschaffen, es bloß interpretieren, aber nicht als Verfahrenstech-
wird die Frage hinfällig, ob bürokratisch getroffene Ent- nik zu begreifen vermögen. Und in eben diesem Sinne
scheidungen wirklichkeitsgemäß und in diesem Sinne werden Sozialgesetze verhandelt, die weniger einen
wahr seien. »Man muss nicht alles für wahr halten, man transzendenten Sinn oder eine untersagte Schwelle der
muss es nur für notwendig halten«, heißt es im Proceß Überschreitung markieren, als schlichtweg die Vergabe
(P, 303). Diese Maßgabe wiederum entspricht nicht erst von Sozialleistungen regeln. Wenn Gesetzesfragen Zu-
dem systemtheoretischen Diktum Niklas Luhmanns, Bü- gangsfragen, Organisationen aber Netzwerke sind, die
rokratien komme es weniger auf Wahrheit und Wirk- aus unabsehbar langen Serien von Entscheidungen und
lichkeitsbezug an als vielmehr auf die quasi-technische Operationen bestehen und deren Verknüpfung für Au-
Akzeptanz von Entscheidungen – auf ›Legitimität durch ßenstehende noch dazu willkürlich oder zufällig erschei-
Verfahren‹. Bereits Kelsens ›Reine Rechtslehre‹ leitete nen muss, ergibt sich für den, der das Gesetz ergründen
die ›Zwangsordnung‹ der Verwaltung und des Staats will, rasch der Eindruck von Unergründlichkeit. Sagt der
von einem System logisch verknüpfter Rechtsnormen Advokat Huld im Proceß, die »Rangordnung und Steige-
ab, in dem die Normen durch ihr bloßes Gesetzsein und rung des Gerichtes sei unendlich und selbst für den Ein-
ihre ›Positivität‹ charakterisiert sind, nicht aber durch geweihten nicht absehbar« (P, 157), wird als juristische
einen vorgängigen ›souveränen‹ Willen (sei es des Kai- Hierarchie ausgegeben, was aus bürokratischen Serien
sers oder Volks) oder einen ›metaphysischen‹ (religiö- von Schreibakten und Aktenversendungen besteht. Des-
sen oder naturrechtlichen) Sinn. Unter diesen Vorzei- halb gelangt Josef K., als er seinem Urteil und dem ent-
chen kann es in Kafkas Texten kein Geheimnis ›hinter sprechenden Gesetz auf den Grund zu gehen versucht,
dem Gesetz‹ geben. von einer Rechtskanzlei und einem Schreibbüro in das
Das Gesetz ist hier, wie es Walter Benjamin einmal nächste, ohne dass ersichtlich wäre, wie die eine Kanz-
formuliert hat, »eigentlich eine Attrappe«, 46
weshalb lei mit dem anderen Büro zusammenhängt. Auf Josef K.s
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es Kafkas Vor dem Gesetz betitelter Text als das zeigt, Weg durch die vermeintlichen Gerichtsbehörden offen-
was diskursiv unzugänglich und als solches leer ist; was bart sich, dass das vermeintliche Gesetz weniger trans-
zahllosen Interpretationen Tür und Tor öffnet, zugleich zendenter als ›praxeologischer‹ Natur ist und sich hier
aber jedweden substanziellen Sinn vereitelt. Das Gesetz sogar Privates und Amtliches überlappen, wenn etwa der
ist, wie es einer der empörten, weil zur Versicherung Parteienverkehr im Schlafzimmer abgewickelt wird. Und
verpflichteten Unternehmer an die AUVA schrieb, ein es zeigt sich, dass die Logik bürokratischer Verkettungen
bloßes »Gesetzt« (A, 962) – eine Setzung, die erst nach- weniger mit anschaulich räumlichen als vielmehr mit to-
träglich, erst durch jene Prozeduren Sinn oder Bedeu- pologischen Ordnungen zu tun hat, wenn Josef K. etwa
tung erlangt, die es juristisch auslegen oder bürokra- vom Dachstuhl eines Vorstadthauses in eine innerstädti-
tisch umsetzen; und deren Legitimität sich nicht aus sche Kanzlei eintritt. Offensichtlich gibt es keinen privi-
irgendwelchen ethischen Quellen speist, sondern aus legierten Ort der Macht oder des Gesetzes. Macht besteht
der Einheitlichkeit und Stringenz des Verfahrens. Zwi- darin, den Zugang zum Gesetz auf komplizierte Art zu
schen den neuen sachlichen Maßgaben einer ›biopoli- regeln – oder auch zu unterbinden.

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Gilles Deleuze und Félix Guattari haben mit Blick auf ist mit dem ›Bauen‹ bei Kafka keine Vorstellung eines
Kafka die moderne Bürokratie, die sich mit ihren unab- unerschütterlichen Gemeinschaftsgrunds verbunden.
sehbaren Kontiguitäten, ihren allgegenwärtigen Kanz- Wie seine Fragmente zum Bau der chinesischen Mauer
leien und Büros dem Leben zu überlagern sucht, von zeigen, kann es nur um den Prozess eines fortwähren-
einer imperialen, despotischen und ins Transzendente den Um- und Weiterbaus gehen, oder mit Blick auf die
entrückten Bürokratie unterschieden, die sich in Monu- verwaltungspraktische Realität der Sozialversicherung
mentalbauten wie Türmen und Mauern repräsentiert gesagt: um das bloße ›Teilbausystem‹ dieser nach dem
und, dem Anspruch nach, alles überblickt. Als Autor Territorialprinzip gegliederten Assekuranz.
und Beamter stehe Kafka an der Schwelle zwischen Für Kafka waren es nicht mehr Kaiserfiguren mit
beiden Bürokratien.47 Dabei zeigen seine Texte, dass ihren höchsten Gesetzen, von denen sich die Verfas-
die vermeintlich allerfassende Herrschaft mitsamt ih- sung der Gemeinschaft ableitete; vielmehr musste sich
ren ›Attrappen‹ von Gesetz und Schuld niemals lücken- das Reich vor den der Gesellschaft inhärenten Gesetzen
los wirksam sein kann, dass sie sich selbst demontiert (ihrer Sterblichkeit, Produktivität etc.) bewähren. Sollte
und als leer und überholt enthüllt. Auch im bürokrati- das neue Gesetz der Gemeinschaft das ›Gesetz der gro-
schen Normalbetrieb der AUVA hatte Kafka weniger mit ßen Zahl‹ sein, hatten Reformbürokraten wie Kafka es
Gesetz und Schuld zu tun als mit der Möglichkeit von nicht nur im alltäglichen Parteienverkehr zur Anwen-
Unfall, Krankheit und Tod sowie mit deren massensta- dung zu bringen. Jene massenstatistische Regularität,
tistischer Berechnung und assekuranztechnischer Kom- an der sich die innere Gesetzmäßigkeit der Gesellschaft,
pensation. Das Gesetz trat nur dann auf den Plan, wenn ihre Entwicklung und ihre Fehlentwicklungen ablesen
ein vorsätzlich gemeinschaftsschädigendes, ein im so- ließ, um darauf mit geeigneten sozialpolitischen Maß-
lidarstaatlichen Sinne schuldhaftes Verhalten vorlag. 48
nahmen zu reagieren, musste allererst ermittelt wer-
Und mit derart ›Schuldigen‹ hatte Kafka fast tagtäglich den. Und dazu benötigte man jene sozialstatistischen
zu tun, denn immer wieder versuchten böhmische Un- Daten, die allein eine biopolitisch programmierte und
ternehmer, sich durch Falschangaben aus der Verant- medientechnisch aufgerüstete Bürokratie ermitteln
wortung zu stehlen und zugleich solidargemeinschaft- konnte. Über die etablierte Praxis des Akten- und Par-
liche Leistungen in Anspruch zu nehmen. teienverkehrs hinaus war die Bürokratie zu einer Tech-
Wenn bei Kafka irgendein Gesetz tatsächlich nologie geworden.
herrscht, dann das sozialstatistische der ›großen Zahl‹,
wie es der Mathematiker Siméon Denis Poisson 1835
getauft hatte. Diesem wurde schließlich auch politisch V. Der bürokratische Apparat
oberste Gesetzeskraft zuteil, als Bismarck 1881 vor dem
Deutschen Reichstag eine ›Kaiserliche Botschaft‹ ver- Als Student belegte Kafka 1905 bei dem Prager Professor
las, die als ›Magna Charta‹ der deutschen Sozialversi- Heinrich Rauchberg ein Seminar zu ›Allgemeiner und
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cherung berühmt werden sollte; und als Kaiser Franz österreichischer Statistik‹. Bereits 1890 hatte Rauchberg
Joseph 1885 die entsprechenden habsburgischen Kran- als Organisator der Volkszählung versprochen, »die ge-
ken- und Unfallversicherungsgesetze ankündigte. Dass samte heimatsberechtigte Bevölkerung der einzelnen
beide Reden nur imaginär den einzelnen Staatsbürger, politischen Bezirke in möglichst kurzer Frist kennen zu
mit der Bevölkerung aber realiter eine statistische Enti- lernen«.49 Hierfür setzte Rauchberg erstmals in Europa
tät adressierten, hat Kafka in einer »Sage« gezeigt, »die jene Zählmaschine ein, die sich bereits beim US-Zensus
dieses Verhältnis gut ausdrückt« (N I, 351): in der Sage von 1890 bewährt hatte. Anders als das vormalige ma-
von der »Kaiserlichen Botschaft«, denn hier wird die Di- nuelle Zählverfahren anhand von Listen basierte das
rektkommunikation zwischen Kaiser und Untertan als der batteriebetriebenen Hollerith-Maschine auf ›Indi-
bloße Träumerei sichtbar. Offenbar ist in Kafkas Texten vidualkarten‹, in die die Merkmalcodes jeder einzelnen
das Reich nicht mehr durch den Kaiser zusammenzuhal- Person (wie Umgangssprache, Wohnort, Beruf, Alter,
ten, sondern alleine noch durch ein ›soziales Bauwerk‹ Konfession) eingestanzt wurden, um den Kartenbestand
wie das der allumfassenden Versicherung. Allerdings dann beschleunigt durchzuzählen und zu sortieren. Das

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Funktionsprinzip dieser Maschine inklusive ihrer Bau- rokratische Praxis den Menschen regelrecht entwirklicht.
elemente Batterie, Kontaktapparat und Relaisanlage hat Denn erst dann kann er zum sozialen (oder sozialversi-
Kafka dann für die Apparatur seiner Strafkolonie (seit cherten) Wesen werden, sobald er als Lochkarte im elek-
1914 entstanden, 1919 publiziert) übernommen – selbst trischen Zähl- und Sortiermechanismus zirkuliert. Wenn
wenn hier Holleriths ›keypunch‹, der Kartenlocher zum sich in Formularen die »Formalisierung, Spezialisierung
Einstanzen der ›Individualangaben‹, mit der Zählvor- und Standardisierung« der Verwaltung generell mani-
richtung gleichsam kurzgeschlossen wird. 50
festiert, dann in den Hollerith-Karten im Besonderen die
Steuerungs- und Kontrolldimension jenes bürokratischen
Apparats, der seit Beginn des 20. Jahrhunderts neben der
öffentlichen auch die betriebliche Organisation betraf.51
Bereits Max Weber hatte auf die gemeinsame Wurzel von
Betrieb und Bürokratie in der ›Rationalisierung‹ verwie-
sen und die Arbeitsphysiologie und Automatisierung als
deren jüngsten Spross bezeichnet. Selbst ein exponierter
Entscheidungsträger wie der Richter sei unter diesen Vor-
zeichen ein bloßer »Paragraphen-Automat [...], dessen
Funktionieren [...] im großen und ganzen kalkulierbar
ist«.52 In ihrer eigentümlichen ›Gewissenhaftigkeit‹ hatte
also, wie der zum Marxismus bekehrte Lukács schrieb,
die moderne Bürokratie die neuen formalistischen Prä-
missen geradezu »ins ›Ethische‹ versenkt«.53

Abb. 1: Schema der Hollerith-Maschine


Abb. 2: Kartenlocher
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In der Erzählung gemahnt der Apparat an Nietzsches


›Theater der Grausamkeit‹, weil er auf den fleischlichen
und individuellen Körper und nicht auf den kartierten
und kollektiven Körper der Gesellschaft zugreift. Litera-
risch wird hier jenes Verfahren umgekehrt, das der statis-
tischen Maschine erst ihren Sinn verleiht: Die Abstraktion
eines ›unerschöpflichen‹ Individuums zu einem Merk-
malsträger, der wiederum durch ein ›punched transcript‹
substituiert wird. Mit Schiller gesagt, übersetzt Kafkas
Text administrative ›Formulare‹ wieder in die Gestalt
›ganzer Menschen‹, so als müsste die Literatur zum Statt-
halter realistischer Darstellung werden, während die bü- Abb. 3: Werbeplakat für die Hollerithmaschine

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›Funktionsbegriff‹, den man – mit Verweis auf Ernst Cas-


sirers gleichnamiges Buch – dem technischen und juris-
tischen Denken nach 1900 zugeschrieben hat.55 Wenn es,
nach dem Muster von Kelsens Grundnorm, als Operati-
onsbedingung der Maschine eingesetzt und dennoch als
konkrete Handlungsanweisung interpretiert wird, muss
dies zu einer fatalen Verwirrung der Bezugsebenen füh-
ren. Mit Blick auf die logische Typenlehre um 1900 hat
man deshalb von einem ›type mismatch‹ gesprochen:
Beschreibt die Maxime nur ein leeres Gesetz, kann die
Datenverarbeitung der Strafkolonie damit nichts anfan-
gen.56 Befehlen zu befehlen, Daten zu sein, mag vielleicht
für die spätere Turing-Maschine Sinn machen, nicht aber
für eine Sozialstatistik nach Holleriths und Rauchbergs
Entwürfen.
Zwar war die Hollerith-Maschine bereits program-
mierbar, was auch die Peripetie in Kafkas Strafkolonie
bedingt: Der Offizier, heißt es, »ordnete das Räderwerk
scheinbar gänzlich um« (D, 238). Doch erscheint mit Kaf-
kas Maschinerie, die systematisch Modernes und Ana-
Abb. 4: Werbeplakat für die Hollerithmaschine
chronistisches legiert, noch als Mechanismus, was seit
1895, als Otto Schäffler (Rauchbergs Kollege bei der Volks-
Die Hollerith-Maschine ist eine Schreib-Lese-Maschine, zählung) seinen ›Generalumschalter‹ patentieren ließ,
die die gestanzten Löcher mechanisch ausliest, ähnlich bereits eine Frage von Relais und variablen Schaltungen
wie Kafkas ›Verurteilter‹ nicht »mit den Augen«, wohl war. Diese gaben der Maschine das operative Gesetz, nach
aber »mit seinen Wunden« die Urteilsschrift »entziffert«. dem Merkmale kombiniert, Karten sortiert und zuletzt
»Bis jetzt war noch Händearbeit nötig, von jetzt aber ar- Entscheidungen getroffen werden konnten. Während sich
beitet der Apparat ganz allein«, erklärt Kafkas Offizier. Bürokraten bereits aus juristischen, statistischen oder
(D, 219f., 204 f.) Doch ist es gerade diese Vorstellung eines technischen Experten rekrutierten, geht die Rechtspflege
operativ geschlossenen, ›blinden‹ und von aller Hand- und Verwaltung in Kafkas Erzählung noch auf ein und
und Schreibarbeit befreiten Verfahrens, die das Schreck- denselben ›alten‹ Kommandanten zurück, der zugleich
bild der automatisierten Bürokratie und in Kafkas Erzäh- »Soldat, Richter, Konstrukteur, Chemiker, Zeichner« war
lung auch ihren Kollaps hervorruft. Wird ihr zuletzt die und dessen überlieferte Skizzen – halb Diagramme, halb
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Maxime »Sei gerecht!« (D, 238) einprogrammiert, besorgt Texte – als esoterische Verfahrensvorschrift gelten. Dem
die Maschine nur die Exekution des Offiziers und ihren Reisenden zeigen die ihm präsentierten Blätter lediglich
eigenen Zusammenbruch. Diese Maxime kann man als »labyrinthartige, einander vielfach kreuzende Linien, die
das jüdische Gesetz aller Gesetze, als den kategorischen so dicht das Papier bedeckten, daß man nur mit Mühe die
Imperativ Kants oder aber als die leere (rein hypotheti- weißen Zwischenräume erkannte«. (D, 210, 217)
sche oder fiktive) ›Grundnorm‹ des Neukantianers Kel- Was bei Kafka als palimpsestartiger heiliger Text des
sen deuten: als jenes bloß gesetzte, dem Rechtssystem mythisch entrückten Kommandanten erscheint und des-
aber ›transzendental‹ zugrunde liegende und damit Be- halb an ein enigmatisches und unvordenkliches Gesetz
amte wie Rechtssubjekte verpflichtende und verbindlich gemahnt, entspricht, nüchterner betrachtet, dem Schalt-
anleitende ›Sollen‹, das selbst nicht zu artikulieren ist, plan der bürokratischen Maschine. Von einer ›Anschau-
weil dies eine ihm nochmals zugrunde liegende Ebene ungsqual‹,58 wie sie der Reisende bei Betrachtung der
voraussetzen würde. 54
Allgemein zeugt dieses ›Gesetz‹ geheimnisvollen Urschrift dieses seltsamen Verfahrens
bei Kafka für jenen Wechsel vom ›Substanzbegriff‹ zum erleidet, berichteten auch die ersten mit der Hollerith-

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Maschine befassten Bürokraten: Den statistischen Hand- Kolonie, der charismatische Kommandant und oberste
langern des US-Zensus kam die Lektüre der Zählkarten Befehlshaber, ist in eine mythische Vorzeit entrückt.
als, wie eine Zeitung schrieb, »refinements of torture« An seiner Statt übernimmt ein Offizier das ›officium‹.
vor, während der Bau- und Schaltplan der Maschine, Neben dem Verurteilten tritt zudem noch ein Reisen-
je nach Kenntnisstand, Verzückung (wie bei Kafkas Of- der auf – als Kritiker jener Strafpraxis, die eigentlich
fizier) oder Unverständnis (wie bei Kafkas Reisenden) eine Verwaltungspraxis ist: der routinierten Einschrei-
auslöste. Auf jene Anfeindungen, die seiner Maschine bung des ›nomos‹, des gemeinschaftlichen Gesetzes in
entgegen schlugen, antwortete ihr US-amerikanischer den Körper des Untertanen. Anlass des Geschehens ist
Erfinder Herman Hollerith 1877 nur: »still it is the gene- eine anstehende Straf- oder Verwaltungsreform, von
sis«.59 Denn letztlich war mit Holleriths Apparat und sei- deren Abträglichkeit der Offizier den externen Gutach-
ner »Summierung der Angaben jener Gruppen von Zähl- ter überzeugen will. Letztlich kommt die gesamte Sze-
werken [...] eine unfehlbare Kontrolle für das fehlerlose ne einer Demonstration mit rhetorisch-persuasivem
Funktionieren der Maschine« gegeben, wie Rauchberg Zweck gleich. Früher ging die Einschreibung öffentlich,
1891 betonte. Die Zeitschrift Electric Engineer desselben nach Art eines Straf- oder auch Kanzlei-Zeremoniells
Jahres schrieb daher: »The apparatus works as unerrin- vonstatten. »Was für Zeiten, mein Kamerad!«, ruft der
gly as the mills of the Gods«.60 Und folgerichtig bezeichnet Offizier, umarmt den befremdeten Reisenden und legt
Kafkas Offizier die von der Maschine ermittelte »Schuld« ihm, wie es heißt, den Kopf auf die Schulter. »Ich woll-
als »immer zweifellos«. (D, 212) te Sie nicht etwa rühren«, entschuldigt er sich sogleich,
»Dank der in dem Instrumentarium investierten und versucht fortan, den Reisenden durch die sachli-
Geistesarbeit bleibt seinen Handlangern der Besitz von che Beschreibung des Apparats zu gewinnen. (D, 226
Kenntnissen erspart«, stellte Siegfried Kracauer noch f.) Seine Überzeugungsarbeit changiert also zwischen
Ende der 1920er-Jahre fest, als er von den mechanisier- einem sentimentalen Mythos und verfahrenslogischen
ten Büros der Angestelltenstadt Berlin berichtete. 61
»An Argumenten.
der Maschine selbst kann jedermann sofort arbeiten«, Man mag an prominente Bürokratiekritiker wie den
hatte Rauchberg bereits drei Jahrzehnte vorher verkün- Beamten Josef Olszewski63 oder Alfred Weber denken,
det, und dabei werde man, wie er schrieb, »an das Dich- wenn der Offizier beklagt, ein »großer Forscher des
terwort gemahnt: ›Doch was er webt, das weiss kein We- Abendlandes« habe das hiesige »Verfahren« für »un-
ber.‹ Er braucht es auch nicht zu wissen.«62 Legitimität menschlich« erklärt. Noch näher liegt eine Referenz
wurde schließlich durch das bloße Verfahren hergestellt auf den Juristen und Kriminologen Robert Heindl, des-
(im Falle der Hollerith-Maschine durch das alte Jacquard- sen viel gelesenen Bericht Meine Reise nach den Straf-
Verfahren zur Lochkartensteuerung von Webstühlen). kolonien (1913) auch Kafka studiert hat, um neben dem
Und während sich Kafkas Erzählung um die Autonomie vernichtenden Urteil über die kolonialistische Depor-
einer Maschine dreht, die noch keine regelrechte Rechen- tationspraxis (das eher ökonomischen als moralischen
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maschine, in ihren Verfahrensabläufen aber völlig bere- Überlegungen folgt) auch etliche bürokratiekritische
chenbar ist, rückt sie nicht nur grausame Strafpraktiken Beobachtungen zu übernehmen: Nicht nur, dass ins-
einer abgelegenen Kolonie ins Bild, sondern auch die besondere in den französischen Kolonien ein frucht-
bürokratische Kolonisierung der ›Lebenswelt‹: die »Ver- loser, eher die Beamten als die Sträflinge bestrafender
dinglichung« (Lukács), »Enthumanisierung« (Kracauer) »Bureaukratismus« herrschte, wie Heindl schreibt. Als
und »Herrschaft durch Niemanden« (Hannah Arendt). »Zweck und Endziel des ganzen Strafvollzuges« be-
zeichnet er die »Metamorphose des Verbrechers«, und
hierzu sind etliche der besserungswilligen Kriminellen
VI. Die bürokratische »als Schreiber in den Bureaus«, als »Kanzleidiener«
Kolonisierung oder »Zeichner angestellt«.64 Die Bürokratie wirkt also
nicht nur repressiv auf die Delinquenten, vielmehr wird
Wie schon die Figurenkonstellation zeigt, steht hier sie zum Existenzmodell ihrer Bewährung. Einer von
Bürokratiekritik zur Debatte: Die Gründerfigur der ihnen kann »bei den Frauen einen unerhörten Erfolg«

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aufweisen und ist zu dem Schluss gekommen, »daß er Höllenmaschine, in der ästhetische, ethische, rechtli-
selbst ein gekröntes Haupt sei«. Andere Häftlinge tun che und auch technische Bauteile auf folgenreiche Art
sich als Erfinder hervor, um Bohrmaschinen, Stanzap- zusammenwirken. Auf der Ebene bürokratiekritischer
parate oder einen Prügelapparat zu entwerfen, »an den Metaphorik mag ›die Maschine‹ der Strafkolonie Alfred
die Renitenten mit ausgespannten Armen und Beinen Webers repressivem bürokratischem ›Apparat‹ entspre-
geschnallt werden«, zudem ›göttlich funktionierende‹, chen. Und auf dieser Ebene kann es auch nicht weiter
selbsttätige Exekutionsmaschinen ohne jede »Verwen- verwundern, wenn ein zur Verwaltung ›Verurteilter‹
dung für Menschenhände«, deren »abschreckende Wir- (womit wir wohl alle gemeint sind) im normalen Ver-
kung« wiederum »zweifellos« sei. Insgesamt erscheinen waltungsgang von seinem ›Urteil‹, das heißt von der
die Sträflinge bei Heindl als Bürokraten, die an ihrer aktenmäßigen Bearbeitung seines Falls, nicht umge-
eigenen Unterwerfung durch einen grausamen »Ver- hend und explizit benachrichtigt wird. Er erfährt es ja
waltungsapparat« arbeiten.65 Und letztlich suggeriert im Vollzug der Verwaltung, er »erfährt es ja auf seinem
der mythische Kommandant aus Kafkas Erzählung, der Leib« (ebd., 211), wie es bei Kafka heißt.
wie eine Kompositfigur aus Heindls Delinquenten wirkt, Auf der Ebene literaturwissenschaftlicher Diskurs-
dass am Grunde der Bürokratie nicht allein ein leerer analyse wiederum wurde bislang ein ganzer Maschi-
Formalismus, sondern auch das Verbrechen steht. nenpark aufgefahren, um Kafkas Apparat historisch
Kafkas Reisender sieht sich zunächst als Ethnologe, dingfest zu machen: Von Kaffeemahlmaschinen, die er
der »fremde Verhältnisse« nicht vorschnell verurteilen aus dem väterlichen Kolonialwarenladen kennen muss-
soll. Nach einigem Zögern »aber sagte er, wie er mußte: te, über Phonographen, die – wie in der Strafkolonie
›Nein.‹ [...] Ich bin ein Gegner dieses Verfahrens.« Des beschrieben – keine zeichenhaft lineare, sondern eine
Offiziers »ehrliche Überzeugung« gehe ihm nahe, kön- analoge Seitenschrift absetzen (und die als Medien der
ne ihn aber »nicht beirren«. Hierin erschöpft sich die Verhöraufzeichnung natürlich bürokratisch relevant
Expertise des Reisenden, und dass ihn das »Verfahren« sind), bis hin zu Tätowierapparaten, die seit 1891 im
trotz der Demonstration »nicht überzeugt« hat (D, 229, Handel waren, hat man immer wieder Maschinen be-
235 f.), ist auch für den Offizier allein entscheidend: nannt, die Kafkas Text lesbar machen sollten. Auf die
Fortan unansprechbar, programmiert er die Maschi- Hollerith-Maschine, die mit Kafkas amtlichem und lite-
ne auf jenen type mismatch, der den Code des Rechts rarischem Schreiben auf vielerlei Ebenen alliiert ist, hat
aufs Recht oder das Verfahren der Bürokratie auf diese als erster Benno Wagner hingewiesen, der Mitheraus-
selbst anwendet. Was aber bedeutet des Reisenden Ex- geber der neu edierten Amtlichen Schriften.66 Dass aber
pertise? Das alte »Verfahren«, für das »es also Zeit« ist die Maschine der Strafkolonie ein diskursiv zusammen-
(ebd., 236), sieht er als überkommene Gemengelage aus geflickter Apparat ist, der auf die Basis der Hollerith-
Personenkult, Sentimentalität und Autoreferenzialität. Maschine diese oder jene Elemente anmontiert, verrät
Und darin kann man exakt jenes Mischungsverhältnis dabei schon der Erzähltext selbst: »Die Maschine ist
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erkennen, das die Bürokratie im Augenblick des Reichs- sehr zusammengesetzt«, entschuldigt sich der Offizier,
kollapses charakterisierte: Die Hypostasierung des »es muß hie und da etwas reißen oder brechen; dadurch
Staats in der Kaiserfigur; der emotionale Kitt des habs- darf man sich aber im Gesamturteil nicht beirren las-
burgischen Mythos; und eine formalistische Verfahrens- sen.« (ebd., 221) Auch die Forschung sollte sich im Ge-
ordnung, die statt einer Ordnung des Zwangs nur eine samturteil nicht beirren lassen: Es gibt buchstäblich
Zwangsordnung hervorbringt. stichhaltige Gründe dafür, hier in erster Linie das Funk-
Womöglich jedoch geht es Kafka in diesem Text gar tionsprinzip statistischer Datenverarbeitung am Werk
nicht so sehr um ›Bürokratie-Kritik‹, um das ›krinein‹ zu sehen, selbst wenn in Kafkas diskursivem Gewebe an
oder die Unterscheidung der wahren von der verfehlten etlichen Stellen etwas reißen oder brechen sollte.
Bürokratie. Denn vielleicht führt Kafka hier nichts an- Insgesamt bildet der Apparat der Strafkolonie eine
deres vor, als dass das Konzept der Bürokratie – gerade Art Funktionsdiagramm moderner Bürokratien. Wie
in Habsburg – eine interdiskursive Montage darstellt. später der Organisationstheoretiker Herbert A. Simon
Für seine Strafkolonie montiert er eine Art diskursive sollte man nicht nur das Gefüge bürokratischer Institu-

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tionen als Maschine begreifen, sondern auch selbstbe- erhofft, mag eine letzte Apotheose und Verklärung sein,
zügliche Maschinen wie die Kafkas (oder dann diejenige eine Art Martyrium des von Gerechtigkeit erfüllten Amt-
Turings) als Bürokratien. Sichtbar, und zwar spektaku- mannes. Doch führt das Ganze wieder nur zur Parodie
lär sichtbar, wird Kafkas Maschine allerdings nur dann, der Parusie, zur transzendenzlos leeren, ja lächerlichen
wenn sie explizit zur Begutachtung vorgeführt wird. Wiederholung von Jesu Kreuzestod. Wie Jean Paul sagt,
Abseits der Demonstration entschwindet sie durch ihre bahnt der Humor, als umgekehrt Erhabenes, über eine
»stille Arbeit [...] förmlich der Aufmerksamkeit« (ebd., »Höllenfahrt« dem Lachen seine »Himmelfahrt«.67 Und
243) – ganz so, wie sich automatisierte Datenverarbei- dies mag auch erklären, wieso Kafka 1916 in München,
tung im Normalbetrieb weitgehend unbemerkt voll- bei seiner öffentlichen Lesung der Strafkolonie, seiner-
zieht. Und mehr noch: Wenn Kafka von einer Watte- seits in Lachen ausbrach, während etliche Zuhörerinnen
oder Filzschicht auf dem Bett spricht, nimmt er jenes vor Schreck in Ohnmacht gefallen sein sollen. Nicht nur,
Bureau beim Wort, als das man in der Frühzeit der Ver- dass der Amtmann Kafka im Jahr nach Entstehung der
waltung filzgewebte Rechentücher bezeichnete. Erzählung im AUVA-Ausschuss für Heilbehandlung an-
Zu guter Letzt kann man den Kollaps des Apparats mit gestellt werden sollte, auch dass es im Text selbst heißt,
jener Demontage verknüpfen, die Kafka, wie geschildert, »ähnliche Apparate« könne man »in Heilanstalten« be-
ebenso an anderen Organisationsmythen der Bürokratie sichtigen (ebd., 209), deutet darauf hin, dass hier weni-
vorgenommen hat. Der Zusammenbruch der Maschine ger ›heilstheologische‹ Fragen das Thema sind, als dass
und damit von Bürokratie überhaupt wird dabei auch es vielmehr um die ›Heilung‹ von der Bürokratie und, in
in der Strafkolonie von Affekten begleitet: zunächst vom diesem Zuge, um die heilende Wirkung des Lachens geht.
Affekt der Scham, als der Soldat dem Verurteilten »mit ei- Der Offizier aber, der hartnäckig in der alten Straf-
nem Messer hinten Hemd und Hose durchschnitt, so daß justiz und Bürokratie das Heil zu finden versucht, wird
sie von dem Verurteilten abfielen; er wollte nach dem auch in seiner letzten Amtshandlung kein mysterium
fallenden Zeug greifen, um seine Blöße zu bedecken«. hinter dem ministerium finden: auf dem »Gesicht der
(ebd., 220) Schließlich verwandelt sich der Affekt der Leiche«, heißt es, war »kein Zeichen der versprochenen
Scham jedoch in Gelächter. Denn während der Offizier Erlösung [...] zu entdecken.« (ebd., 245) Diese Stelle bil-
der Maschine das Gesetz der Gesetze einprogrammiert, det allerdings noch nicht den Schluss von Kafkas Erzäh-
zieht der eben freigelassene und nun erstmals lebendig lung. Seine Tagebücher dokumentieren, dass er für die
wirkende Verurteilte Hemd und Hose wieder an. Dabei seit 1914 entworfene Erzählung über Jahre hinweg nach
mussten »der Soldat wie der Verurteilte laut lachen, einem geeigneten Schluss suchte. In einem seiner Text-
denn die Kleidungsstücke waren doch hinten entzweige- entwürfe steht der Reisende unter dem Eindruck jener,
schnitten. Vielleicht glaubte der Verurteilte verpflichtet wie es heißt, »glatte[n] maschinenmäßige[n] Widerle-
zu sein, den Soldaten zu unterhalten, er drehte sich in gung, welche die Meinung des Off. hier gefunden hatte«.
der zerschnittenen Kleidung im Kreise vor dem Soldaten, Grübelnd und erschöpft setzt er sich an die Grube:
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der auf dem Boden hockte und lachend auf seine Knie
schlug.« (ebd., 239) Diese inmitten des ernsten Gesche- Hätte sich sein Schiff durch diesen weglosen Sand
hens recht unvermittelte Szene, die, wenn man so will, hierher zu ihm geschoben, um ihn aufzunehmen, – es
die Aufteilung von Jesu Kleidern zu Fuße seines Kreu- wäre am schönsten gewesen. Er wäre eingestiegen,
zes parodiert, verwandelt den Affekt der Scham in jenes nur von der Treppe aus hätte er noch dem Offizier
kindliche Lachen, dem Kafka selbst schon im Angesicht einen Vorwurf wegen der grausamen Hinrichtung des
des Präsidenten erlegen ist. Verurteilten gemacht. Ich werde es zuhause erzählen
Dass aber auch die fachmännische Kritik und Beur- hätte er noch mit erhobener Stimme gesagt, damit
teilung des bürokratischen Apparats nur Unsinn zeitigt, es auch der Kapitän und die Matrosen hörten die
zeigt der Offizier letztendlich an seinem eigenen Leib. sich oben neugierig über das Bordgeländer beugten.
Konsequenterweise stellt er sein ›officium‹ zur Verfü- »Hingerichtet?« hätte daraufhin der Offizier mit
gung, und wie bei einer Destitution entkleidet er sich, um Recht gefragt. »Hier ist er doch« hätte er gesagt und
sich selbst in die Maschine zu legen. Was er sich hiervon auf des Reisenden Kofferträger gezeigt. [...] »Meine

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Anerkennung« mußte der R. sagen und sagte es gern. Mythen wie dem habsburgischen das Heilsversprechen
»Ein Taschenspielerkunststück?« fragte er noch. artikuliert, der Bestand des alten Reichs sei im Glauben
»Nein« sagte der O. »ein Irrtum ihrerseits ich bin zumindest aufgehoben, so mag man daraus schließen:
hingerichtet, wie Sie es befahlen.« Noch aufmerksa- Nicht die Bürokratie ist unentrinnbar, wohl aber der
mer horchten jetzt Kapitän und Matrosen. Und sahen mit ihr verquickte Mythos.
sämtlich wie jetzt der O. über seine Stirn hinstrich
und einen krumm aus der geborstenen Stirn vorra-
genden Stachel enthüllte. (T, 826 f.) VII. Bürokratisches Erzählen

Zuletzt gehen, nach Maßgabe einer tropisch getrübten Wie wäre von der Bürokratie abseits ihrer Mythen zu er-
Urteilskraft, Traum und Wirklichkeit oder Wirklichkeit zählen? Nach einer Antwort auf diese Frage hat Kafka in
und Möglichkeit wild durcheinander. Wenn Daten die seinen fragmentarisch gebliebenen Romanen, besonders
Tropen der Menschen sind, werden mit der humanis- im Proceß und Schloß, gesucht. Durch die bloße Rede
tischen Abschaffung bürokratischer Verfahren auch bürokratischer Figuren oder durch die Beschreibung bü-
Beamtenexistenzen beseitigt – und was bleibt, sind die rokratischer Milieus kann man die Administration selbst
Widergänger des vormaligen ›officiums‹. Ähnlich wie im nicht darstellen. Ein »Kommunikationsnetz« kann, wie
später entstandenen Text zu Poseidon assoziiert Kafka es Niklas Luhmann formuliert hat, »nicht zur mündli-
hier die Bürokratie mit ›weglosen‹ oder ›glatten‹ Räumen chen Verhandlung erscheinen.«69 Wohl aber kann die
wie der Wüste oder dem Meer. Und in diesem Zusam- Literatur sich in einem Erzählen üben, in dem Amtliches
menhang koppelt er einen möglichen Schluss der Erzäh- und Persönliches immer schon ineinander übergegan-
lung an eine spätromantische und sagenhafte Erzählung: gen sind. In der AUVA war Kafka der bevorzugte, weil
an Wilhelm Hauffs Gespensterschiff (1826). Bis zu seiner vielseitigste ›Anstaltsautor‹. Als solcher aber produzierte
Erlösung muss dessen Kommandant nach Sonnenunter- er ausnahmslos Schriften, in denen gerade keine ›Persön-
gang immer wieder ein und dieselbe Schreckensnacht er- lichkeit‹, sondern vielmehr eine Behörde zum Ausdruck
leben, in der er einst als Seeräuber einen frommen Der- gelangte. Wo Kafka als Autor zeichnete, war er zumeist
wisch hingerichtet hat. Tagsüber ist dieser Kommandant nicht der Verfasser. Wo aber sein Vorgesetzter autori-
mit einem Nagel durch die Stirn untot an den Schiffsmast sierte, war fast immer Kafka am Werke. Was mithin statt
geheftet. Er ist damit ein Widergänger jenes sagenhaften seiner ›authentischen‹ Stimme zur Sprache kam, war ein
Widergängers, der auf den neuzeitlichen Weltmeeren als modernes Verwaltungssystem: ein heterogenes Diskurs-
›Fliegender Holländer‹ gefürchtet war. gefüge von Hand- und Maschinenschriftlichem, Gutach-
Berücksichtigt man, dass Kafka 1917, zur selben Zeit ten und Rekursen, Konzepten und Berechnungen – und
also, in seinen letzten Fragmenten zum ›Jäger Gracchus‹ nicht zuletzt von selbstreferenziellen Sprachregelungen
eine weitere – auch bürokratisch einschlägige – Variante und rechtsgültigen Verfügungen. (vgl. A, 18–20)
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zum ›Fliegenden Holländer‹ ausbuchstabiert hat,68 zeigt Wie beschrieben, musste die Prager AUVA die in Böh-
sich, wie sein offener Schreibprozess seinerseits einen men versicherten Betriebe in verschiedene ›Gefahren-
glatten, weglosen Raum interdiskursiver Bezüge durch- klassen‹ einreihen. Doch wurde ihr »ein Recht zur Be-
quert. Im vorliegenden Textentwurf ermöglicht ihm der sichtigung der versicherten Betriebe nicht eingeräumt«,
sagenhafte revenant der Seefahrtsgeschichte, zu seiner weswegen ihr Wahrnehmungsapparat hauptsächlich aus
eigentlichen Pointe und zu seinem Erzählabschluss zu Schrift- und Datensätzen bestand. (A, Mat., 116 f.) Direkte
finden: Was von Sagen und Mythen fortwirkt, sind ihre Anschauung vor Ort nahm nur ein k. k. Gewerbeinspek-
gespenstischen Widergänger. Entsprechend ist das, was tor, der allein im ministeriellen Auftrag Zugang zu den
in der Strafkolonie ebenso wie in Habsburg, die sich Betrieben bekam. Ein solcher Inspektor hatte, wie es im
1917 gerade auflöst, von der alten Bürokratie bleibt, Unfallversicherungsgesetz von 1887 heißt, »über die von
nur ein Grabmal und dessen Inschrift »Glaubet und ihm gemachten Wahrnehmungen unmittelbar an die
wartet!« (D, 247). Das Grab des alten Kommandanten Versicherungsanstalt die entsprechenden Mittheilungen
ist gleichsam Kafkas Kapuzinergruft. Und wenn sich in zu richten.« (ebd., 52) Ein Versicherungsbeamter wie Kaf-

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ka musste also mit unterschiedlichen Perspektiven haus- Erzählung umstellen. Wenn Kafka also ›amtssprachlich‹
halten: mit den Verlautbarungen der Unternehmer; mit erzählt, dann weniger, weil er damit die Kälte und Le-
den Mitteilungen der Inspektoren, die nur ausgewählte bensfeindlichkeit der bürokratischen Schriftsätze zum
Einblicke in die Betriebe bekamen und natürlich selbst Stilprinzip erhebt. Vielmehr sind für ihn Lebensformen
selektiv verfuhren; mit den Aussagen von Arbeitern oder unweigerlich institutionelle Fakten und muss für ihn
mit etwaigen Unfallberichten; und schließlich mit dem, ›das Leben‹, um nicht nur sprachlose Umwelt zu blei-
was die statistischen Zahlenwerke und entsprechenden ben, immer schon durch den Wahrnehmungs-, Schreib-
Kalkulationen der AUVA sagten. und Diskursapparat der Bürokratie gegangen sein.
Schon weil die Anstalt nur Auskünfte einholen und Dies zeigt sich am deutlichsten in seinen Romanen:
diese nur formal und rechnerisch, zuweilen auch in- episodisch noch im Verschollenen, konsequent dann im
formell überprüfen konnte, waren ihre Berichte so Proceß, der gleichzeitig mit der Strafkolonie verfasst wur-
heterogen wie vielstimmig. Und da sie möglichen Ver- de. Relevant wird hier nämlich Josef K.s Biografie, diese
schleierungsmaßnahmen der Unternehmer oder der ›Schrift seines Lebens‹ erst, sobald ihn ein ungreifbares
immer möglichen Bestechlichkeit von Inspektoren auf ›Gericht‹ als aktenkundig adressiert – als ›verhaftet‹, wie
den Grund gehen musste, hatten ihre Berichte zuweilen es in Kafkas parodistischem Rechtsjargon heißt. Einzig
den Charakter detektivischer Ermittlungsprotokolle. So an den Rändern dieses ›Prozesses‹, in dem Josef K. ge-
wie die AUVA in der Grauzone von Wissen und Nicht- zwungen ist, sich einen Lebenslauf zu verschaffen und
wissen, von Wahrscheinlichkeit und bloßem Schein der somit sein eigenes Leben, vermittelt über den Amtsweg,
Wahrheit, von Mutmaßung und Verdacht operieren aktenförmig zu machen, regt sich ein Affekt, eine beun-
musste, ist Kafkas Erzählen wiederholt als ein ›hypothe- ruhigende Wahrnehmung, die zu keiner Handlung führt:
tisches‹ bezeichnet worden. Seine Erzählstimme ist, wie zuerst bei Josef K.s Verhaftung, die mit dem Schrecken
es Friedrich Beißner bereits 1952 beschrieb, »nirgends des Erwachens, eines dunklen Uranfangs der Erzählung,
dem Erzählten voraus, auch wenn er im Praeteritum er- zusammenfällt; und zuletzt, bei seiner Hinrichtung, als
zählt. Das Geschehen erzählt sich selber im Augenblick, Scham, die ihn, der nur mehr nacktes Leben ist, zu »über-
in paradox praeteritaler Form«, 70
und es erzählt dabei leben« scheint.73 Zwischenzeitlich, also im eigentlichen
immer auch von der Beschränkung und gleichzeitigen Romangeschehen, enthüllt sich das Gesetz wiederholt als
Pluralisierung sämtlicher Erzählperspektiven. ›Attrappe‹: Es ist eine Hohlform, die allein durch so end-
Der »Deutungsfuror«, dem diese Erzählweise nicht wie sinnlos hinzugefügte Vor-Schriften gefüllt wird. Als
nur bei den Interpreten, sondern schon bei den Erzähl- Josef K. erkennt, dass ›das Gesetz‹ leer und der Gerichts-
figuren stattgibt, ist nach Günter Anders’ Formulierung apparat bloße Kulisse ist, wird der bürokratische Charak-
»das Stigma der Entmächtigten«, das Manko dessen, der ter der allumgreifenden Macht nur umso deutlicher. In
»die Welt interpretieren muß, weil andere sie verwal- einem Fragment des Romans wird er telefonisch in eine
ten«; zugleich ist er aber »Kafkas poetische Chance«, Gerichtskanzlei vorgeladen und dabei gewarnt:
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sein Sprungbrett »in die weiten und verschlungenen Ho-


rizonte der ›Wenns‹ und der Konjunktive«, die das Sein Seine unerhörten Bemerkungen darüber, dass die Ver-
der Verwaltung in seiner Abgründigkeit enthüllen.71 In höre unnütz sein [sic], kein Ergebnis haben und keines
Kafkas Erzähltexten artikuliert sich kaum jemals ein haben können [...] dass er nicht mehr hinkommen
personales Erlebniszentrum. Fast immer bestehen sie werde, dass er teleph. oder schriftliche Einladungen
aus Diskursgefügen, die allenfalls einer paradox unper- nicht beachten und Boten aus der Tür werfen werde –
sönlichen oder ›Vierten Person‹ zuzurechnen wären.72 alle diese Bemerkungen seien protokolliert74.
Weil sämtliche pronominalen Aspekte aus eben dieser
›Vierten Person‹ hervorgehen und weil derart nicht ein- Dem ›Gericht‹ mag man, schon weil es sich in räumli-
mal ein Ich-Erzähler (wie der der Erstfassung des Schlo- cher Gestalt repräsentiert, noch entkommen. Der Bü-
ßes) ein privilegiertes Wissen von sich selbst, von sei- rokratie aber, die in einer rekursiven Volte selbst noch
ner Lage und seinen Motiven hat, konnte Kafka seinen ihre Kritik und Missachtung zu den Akten nimmt, ist je-
letzten Roman ohne Weiteres von einer Ich- auf eine Er- der ›verhaftet‹. Und dafür, dass ihre ›Anrufung‹ immer

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schon ergangen und, anders als bei einem Boten oder VIII. Die kommunikative
Brief, deren Annahme auch nicht zu ›verweigern‹ ist, Bürokratie
zeugt an dieser Stelle das Telefon.
Führt Josef K. die Auseinandersetzung mit ›dem Ge- Unter diesen Vorzeichen ist, wie es im Proceß heißt, für
richt‹ immer nur zu dessen entleerten Schauplätzen, »den Verdächtigen«, also letztlich für uns alle, »Bewegung
kann man daraus folgern: Es besteht, wie im habsburgi- besser als Ruhe, denn der welcher ruht kann immer, ohne
schen Strafprozessrecht zu Kafkas Zeit festgeschrieben, es zu wissen auf einer Wagschale sein und mit seinen
nur ausnahmsweise in mündlichen und öffentlichen Sünden gewogen werden.« (P, 262) Einmal als juristisches
Hauptverhandlungen, im Normalfall aber in schriftli- Theater der Referenz erkannt, entpuppt sich das Gericht
cher und geheimer Untersuchung.75 Im Normalbetrieb als bürokratisch-biopolitische Institution, die nirgendwo
fällt das Gericht mit Bürokratie zusammen. Was sie – die und überall waltet; die unser Leben verwaltet, indem sie
ja beide nur in Rechtsnormen und deren Stufenbau be- es ›schreibt‹ und, mehr noch, jederzeit zu stimulieren
stehen – unterscheidet, ist nach Kelsen nicht der mehr versucht. Kafkas letztes Romanfragment (von 1922) dreht
oder weniger enge Gesetzesbezug, sondern allein ihre sich um eben diese unsere Lage vor der Institution, oder
organisationstechnische Verfassung und die »Qualität besser: um die Lage der Institution in unserem Leben.
des für die Organfunktion zur Verfügung stehenden Derlei Lageverhältnisse versucht hier jedenfalls ein Land-
Menschenmaterials« – ein unterschiedlicher Grad von vermesser zu erkunden: kulturgeschichtlich der Träger
Engagement, Korruption und Konfusion.76 Gibt es aber jenes Amts, das den Boden und seine Gliederung, den
einen Schauplatz, auf dem die sogenannten ›Urteile‹ ge- Raum und ›nomos‹ allen sozialen Lebens, das also den
fällt werden, dann nicht nur in den Amtsstuben. ›Urtei- Spiel- und Möglichkeitsraum von Kultur bezeichnen soll
le‹ gründen sich, wie es in einem Postskript zum Proceß und damit auch die Grundlagen imperialer Verwaltung
heißt, »auf Erhebungen hier und dort, bei Verwandten sondiert.78 K. versucht, im ›Dorf‹ die sozialen Netzwerke
und Fremden, [...] in der Familie und in der Öffentlich- zu kartografieren, dann im ›Schloß‹ die »Bureaueinrich-
keit, in Stadt und Dorf, kurz überall.« (N II, 378) tungen«, die hier als »das Wichtigste« gelten. (S, 108)79 Von
Bei ›Erhebungen‹ mag man zunächst an statistische den Dorfbewohnern wird indessen der Landvermesser,
Datensammlungen denken, wie sie Behörden nach Art dessen Beruf zu Kafkas Zeit als Musterbeispiel einer ›ka-
der AUVA produziert haben. Doch scheint bereits im kanisch‹ unsicheren ›Stellung‹ galt,80 als nicht integrier-
Proceß die Sphäre des Bürokratischen längst aus den bares, nichtiges und noch dazu störendes Element be-
Amts- und Schreibstuben und aus dem Verfügungsbe- zeichnet. Die Wirtin etwa sagt zu ihm: »Sie sind nicht aus
reich der Inspektoren und Statistiker heraus diffundiert. dem Schloß, Sie sind nicht aus dem Dorfe, Sie sind nichts.
Nur ausnahmsweise ergehen Urteile zu Gericht, nur Leider aber sind Sie doch etwas, ein Fremder, einer der
ausnahmsweise werden Erhebungen von Amts wegen überzählig und überall im Weg ist, einer wegen dessen
angestellt. Im Normalfall geschieht das, was Luhmann man immerfort Scherereien hat [...].« (80)
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das »Ereignis« bürokratischer Entscheidung nennt,77 im K., den man als Bürokratie-Kritiker in Zeiten einer bü-
Sozialen. Und das heißt einerseits: an den kulturellen rokratiekritisch optimierten und dauerhaft reformierten
Ausfransungen innerhalb der Verwaltungen, in jenem Bürokratie betrachten kann, tritt zur Vermessung eines
Informellen, das sich an den bürokratischen Akt anla- sozialen ›nomos‹ an, der sich nicht einmal mehr räum-
gert – sei es Sympathie oder Antipathie, Höflichkeit oder lich projizieren lässt: Schon die hier alles beherrschen-
Affekt, Billigkeit oder Korruption, Schriftlichkeit oder de Basisunterscheidung zwischen ›Dorf‹ und ›Schloss‹
Mündlichkeit im Amt selbst sowie im Verkehr zwischen führt in die Irre. Denn sobald im Dorf, ist man bereits im
Behörde und Bürger. Andererseits ist das Soziale über- Schloss – und doch niemals dort, weil es sich aus nächster
haupt entscheidend: jenes Außeramtliche, das sich nicht Nähe als »ein recht elendes Städtchen, aus Dorfhäusern
in die Bürokratie einlagert, sondern auf das hin sich die zusammengetragen«, entpuppt. (17) Zwischen Schloss
Bürokratie selbst öffnet. und Dorf, Bürokratie und Sozialem ist keine feste und
»bestimmte Grenze« gezogen, vielmehr verschlingen
sich Amt und Leben auf unvorhersehbare Weise; vonein-

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ander getrennt sind sie allein durch mobile und flexible, weiter auf Stellensuche zu gehen. Das Attribut, das Kaf-
zuweilen unmerkliche, zuweilen unüberwindliche »Bar- ka ursprünglich für K. vorgesehen hatte, war sinnfäl-
rieren«. (S, 275) Man kann auch nicht behaupten, vom ligerweise: »arbeitslos«.82 Später heißt es, K. habe sich
Schlossberg aus, auf dem eine zumindest »scheinbare eine gewisse Stellung der »Unverletzlichkeit« erkämpft,
Leere« (7) herrscht, fiele ein panoptischer Blick auf das die allerdings in einer sinnlosen und verzweifelten Frei-
zwanglos disziplinierte und daher wenigstens ›schein- heit zum Warten bestehe. (169)
bar‹ ungezwungene Leben ringsherum. Zwar ist für K. Diese ›Freiheit‹ muss nicht bedeuten, dass man nicht
unverkennbar, »daß er beobachtet« wird; doch »die Bli- ›aufgenommen‹ oder gar ›entlassen‹ ist. »Niemand hält
cke des Beobachters konnten sich nicht festhalten und Sie hier zurück, aber das ist doch noch kein Hinauswurf«
glitten ab.« (156) Keineswegs unterdrückt hier eine allem (118), wird K. einmal erklärt. Später wird ihm beschei-
entrückte Bürokratie das ihr ausgesetzte Leben; wie die nigt, seine »landvermesserischen Arbeiten« seien »lo-
Szene der Aktenverteilung (431–433) zeigt, wird der be- benswert«, obwohl K. nicht recht versteht, wie eine »Ar-
hördliche Apparat von innen her durch bürokratische beit, die ich nicht mache«, gelobt werden kann. (187, 189)
Leidenschaften und Idiosynkrasien beherrscht, gibt es Er begreift offenbar nicht, dass im Aufgabenprofil der
also in der Anstalt selbst ein soziales Feld mit eigenen Angestellten die Dauerbereitschaft zur Kommunikation
Gliederungen und Dynamiken. zusehends wichtiger wird als konkrete Verrichtungen.
Wenn K. zufällig »die Verteilung der Akten« zu Ge- Während man, mit Dirk Baecker gesagt, in klassischen
sicht bekommt, also sieht, »was niemand mitansehn« Organisationen »nur auf seinen Stellenplan und in sei-
darf, weil es ihm die Spontaneität und Zufälligkeit vor ne Aufgabenbeschreibung zu schauen brauchte, um her-
Augen führt, mit der man seinen eigenen »allerkleins- auszufinden, was von einem verlangt wurde«, muss jetzt
ten Fall« bearbeitet (438, 444), wird ihm eine exponier- endlos »kommuniziert« werden.83 Als wäre er unter den
te Rolle als Beobachter zuteil. Im Dorf wie im Schloss neuen bürokratischen Verhältnissen zu einer endlos ir-
ein teilnehmender Beobachter, übt K. Bürokratie-Kritik renden ›Ahasver‹-Figur geworden, heißt K. deshalb im
im Modus der Autopsie. Dadurch aber kann ›K.‹ umso Dorf bald »der ewige Landvermesser«. (37) Und sagt er
mehr als Statthalterfigur des Schloß-Autors Kafka die- einmal im Stile eines Querulanten: »Ich will [...] mein
nen, denn beide stehen inner- und zugleich außerhalb Recht« (119), so bleibt dieser womöglich aufrührer­ische
der Bürokratie. Mehr noch: Sowohl Kafkas Schriftstü- Affekt folgenlos, weil letztlich gegenstandslos. Im Schloss
cke als auch die des Schlosses werden zumeist näch- gibt es nämlich so wenig klassische Rechte wie dauerhaf-
tens verfasst, finden aber zu keiner Geschlossenheit te Berechtigungen zu vergeben. Niemand kann den Zu-
und zu keinem Abschluss. Der fiktionale bürokratische gang zu jenem Sozialen verbürgen, in dem offenbar die
Schreibverkehr entspricht Kafkas realem literarischem entscheidenden Entscheidungen fallen.
Schreibprozess, zumal jener wie dieser von den Sekre- Dies zeigt schon der Brief Klamms: Dieser höhere
tären beziehungweise von Kafka selbst als »schlechte Beamte, dessen Name im Tschechischen nichts anderes
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Angewohnheit« (174) bezeichnet wird und insbesonde- als ›Illusion‹ bedeutet, teilt K. schriftlich mit, er sei, »wie
re textintern wie textgenetisch unklar ist, wo Das Schloß Sie wissen in die herrschaftlichen Dienste aufgenom-
eigentlich anfängt und wo es aufhört.81 So »unsicher« men.« (40) Im Gespräch mit dem Dorfvorsteher wird K.
wie die Lage der Institution muss aber auch die Stellung aber schon bald klar, dass der Brief keine Aussage ent-
des Landvermessers sein. (85) Denn nicht nur, dass K. hält, und schon gar keine rechtsverbindliche, sondern
das ›Schloß‹ und ›Dorf‹ nur dadurch zu ›vermessen‹ nur eine Äußerung darstellt, deren »private Bedeutung
vermag, dass er vermessen genug ist, immerzu in die im freundschaftlichen oder feindseligen Sinne« zu nichts
privaten und intimen Angelegenheiten der Dorfgemein- berechtigt, zugleich aber viel wichtiger ist als jede »amt-
schaft und auch der Beamten einzudringen, was hier liche Zuschrift«. (114, 117) Das Schreiben bestätigt K.s
niemand »brauchen« kann und den Posten des Land- ›Aufnahme‹. Es verspricht, ihm, »soweit es möglich ist,
vermessers nur umso überflüssiger macht. (95) Unklar gefällig zu sein«, versichert ihm aber auch, Klamm wer-
bleibt auch, ob er als Landvermesser aufgenommen ist, de ihn »nicht aus den Augen verlieren«. (40) Dafür, dass
und was eine Aufnahme anderes bedeuten könnte, als er aufgenommen ist, wird K. allerdings – wie jedem pre-

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kär Beschäftigten – die »Beweislast« aufgebürdet. (114) Vorzeichen ein Beamter wie Klamm geradezu entrückt.
Bereits in den 1920er-Jahren hatte man sich also offen- Wenn aber selbst subalterne Figuren wie die Gehilfen
sichtlich mit halbamtlich beglaubigten Vielleicht-Anstel- dafür bürgen, dass Klamm jederzeit »Zutritt« zu K. selbst
lungen zu arrangieren; und hatte man die fortlaufende bekommen kann, sollte man weniger von seinem Ent-
Stellenkonkurrenz als Mittel zu begreifen, sich eine vitale zug oder seinem Rückzug auf erratische Bescheide als
und rührige, das heißt ›flexible‹ Angestellten-Identität zu von seiner »Überfülle« sprechen – es gibt eher »zu viel
verschaffen. Kracauer etwa schrieb über die stolze »Exis- Klamm«.85 Ist die Bürokratie mit dem Leben regelrecht
tenzunsicherheit« des neuen Angestellten: »Er fühlt sich ›verklammert‹, dann gibt es auch keinen strikten Unter-
ordentlich geschmeichelt darüber, daß die Voraussicht schied »[z]wischen den Bauern und dem Schloß«. (20)
anerkannt wird, mit der er es fertig gebracht hat, stets Weil er mit jedem kommunikativen Ereignis seine Stel-
ersetzt werden zu können.« 84
lung zu wechseln scheint, ist ein Beamter nicht nach Art
Wenn Bescheide wie der Klamms als private Äuße- eines ›Individuums‹ zu adressieren. Auf ›dividuelle‹ Wei-
rungen zu verstehen sind, entwickeln verwaltete Subjek- se verändert er laufend seine Bestimmung und Erschei-
te einen regelrechten ›Deutungsfuror‹. Erreicht K. eine nung, sodass sich die Bürokraten untereinander einmal
Nachricht, so interpretiert er, um dem vermeintlichen unterscheiden, dann wieder gleichen, zwischen ihnen
Sinn der Äußerung habhaft zu werden, auch das Äuße- eine »immerfort angezweifelte Ähnlichkeit« herrscht
re des Boten, denn alles, »auch sein Blick, sein Lächeln, und es keine Überraschung sein kann, dass sich die Be-
sein Gang schien eine Botschaft zu sein, mochte er auch amten gegenseitig immerzu »vertreten« (295). Taucht
von dieser nichts wissen.« (46) Die amtliche ›Anrufung‹ er im Dorf selbst auf, dann ändert ein und derselbe Be-
(Louis Althusser) hat den Amtsverkehr zu einer Kom- amte mit jeder Verrichtung (beim Biertrinken oder im
munikation werden lassen, in der neben unablässiger Gespräch, beim Wachen oder Schlafen) unablässig sein
Bereitschaft auch die dauernde Konjektur entscheidend »wirkliches Aussehn«. (278, 286)
wird – und dies sogar bei Botschaften, die man selbst an »Nun gehn natürlich alle diese Unterschiede auf kei-
die Behörden richtet. Folglich ist bei jener Nachricht, die ne Zauberei zurück, sondern sind sehr begreiflich«, wie
K. seinerseits an Klamm expedieren lässt, weniger der Olga erklärt, denn sie »entstehen durch die augenblickli-
Wortlaut entscheidend als vielmehr, wie sie als Äuße- che Stimmung, den Grad der Aufregung, die unzähligen
rung »vor Klamm erklingen« wird. (197) Und versucht Abstufungen der Hoffnung oder Verzweiflung, in welcher
K. seinerseits, einen Beamten – im Doppelsinne – ›anzu- sich der Zuschauer« sein Bild vom Beamten macht. (278)
rufen‹, kann er nicht sichergehen, dass der Angerufene Amtswesen erlangen ihr Mysterium also nicht durch
auch der Beamte ist. »Vielmehr ist es wahrscheinlich ein rein amtliche, sondern generell durch soziale Kommuni-
kleiner Registrator«, weshalb selbst die exakte Adresslo- kation, die das Bild vom Bürokraten immerzu neu pers-
gik der Telefonie nichts anderes verbürgt, als dass kom- pektiviert und affektiv auf diese oder jene Weise färbt.
muniziert wird. Technisch gesprochen, das »Rauschen« Oder anders gesagt: So wie die bürokratische und soziale
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und, organisationsmythisch verstanden, der »Gesang«, Sphäre tendenziell zur Deckung gebracht werden, ent-
den man im Dorf vom Kommunikationsaufkommen des scheiden über den Erfolg des amtlichen Parteienverkehrs
Schlosses alleine zu hören bekommt, sind »das einzige zusehends die zwischenmenschlichen Beziehungen, die
Richtige und Vertrauenswerte, was uns die hiesigen Te- jeweilige Positionierung im persönlichen Netzwerk und
lephone übermitteln, alles andere ist trügerisch.« (116 f.) die entsprechende emotionale Wirkung, die man aufein-
Dass an der Kommunikation nur ihr Stattfinden si- ander ausübt. Bei Kafka zeichnet sich damit bereits jenes
cher ist, nicht aber, wie in ihr Information und Mitteilung Managementprogramm ab, das ab den 1930er-Jahren un-
verknüpft sind; und dass die Bedeutung der Aussagen ter dem Titel der ›human relations‹ firmieren wird. Am
ganz und gar vom Sinn der Äußerungen, vom Kontext wichtigsten sind folglich an Klamms Schreiben, diesem
und der Weise des Aussagens abhängt – aus dieser dop- – wie es der Dorfvorsteher nennt – »Privatbrief« (114),
pelten kommunikativen Unsicherheit speist sich letztlich die mit ihm eröffneten ›Beziehungen‹. Wie jeder Beamte,
das Mysterium der Bürokraten, ihrer Allgegenwart und ja wie jeder Bote, ist Klamm nicht gerade ein »Freund«,
ihrer Erscheinungsweisen. Zwar erscheint unter diesen wohl aber ein »Geschäftsfreund« (112), welcher nicht

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nur den Verkehr mit den Behörden erleichtern kann, hierarchischen Instanzenzug mehr gibt,86 auf den sich
sondern diese auch als Privatperson vertritt. das Amtsbegehren richten könnte, und wenn Entschei-
Letztlich findet die wirkliche Bewährung der ›Stel- dungen dezentral, hie und da, auf den Behörden so sehr
lensuchenden‹ nicht erst im amtlichen, sondern bereits wie im Sozialen getroffen werden, kann es freilich auch
im sozialen Verkehr statt, zu dessen lebendiger Gestal- zu Ungleichzeitigkeiten, zu Vorwegnahmen und Aufschü-
tung die Bürokratie ja letztlich anreizen soll. Bei seinen ben kommen, sodass man über eine »längst entschiedene
Bemühungen um Anerkennung dämmert K. deshalb Angelegenheit noch immer leidenschaftlich berät.« (110)
sehr bald, »daß hier ein etwas leichtsinnigeres Verfah- Die ›gute Ordnung‹ der alten Bürokratie gerät in diesem
ren, eine gewisse Entspannung nur direkt gegenüber Zuge vollends durcheinander, und so scheint man auch
den Behörden am Platze war, während sonst aber im- K.s Akte verwechselt und ihm dann irrtümlich das Stel-
mer große Vorsicht nötig war, ein Herumblicken nach lenangebot eines Landvermessers zugestellt zu haben.
allen Seiten vor jedem Schritt.« Unter den Bedingun- Einerseits verdankt sich K.s Amt einem bürokrati-
gen der Reformbürokratie sind Amt und Leben, wie es schen Fehler. Andererseits aber kann hier kein Fehler
heißt, so verflochten, als »hätten sie ihre Plätze gewech- vorliegen, ist es doch, wie der Dorfvorsteher sagt, »ein
selt«. (94) Nur »kindlich« war also K.s anfängliche Vor- Arbeitsgrundsatz der Behörde, daß mit Fehlermöglich-
stellung, »dort oben« herrsche entrückt »die Behörde keiten überhaupt nicht gerechnet wird.« (104) Tatsäch-
in ihrer unentwirrbaren Größe« (291). Jenes »außer- lich gibt es hier keine Fehler mehr, insofern Fehler kei-
amtliche, völlig unübersichtliche, trübe, fremdartige ne Verfehlungen, sondern erwünscht sind. »Das richtige
Leben«, in das er sich zunächst zurückverwiesen sieht, Verhalten ist keine Verpflichtung auf bestimmte Vorga-
entpuppt sich als eigentlicher Wirkungsraum der Be- ben mehr«, wie man zur heutigen Managementkultur
hörden, herrscht hier doch immer schon eine gewisse festgestellt hat, »sondern eine Reflexion auf die Frage,
»Lückenlosigkeit der amtlichen Organisation«, sodass was aus Fehlern gelernt werden kann. [...] Die Fehler-
»jeder der irgendein Anliegen
hat oder der aus sonsti- kultur gipfelt in Verhältnissen loser Nachbarschaft, in
gen Gründen über etwas verhört werden muß, sofort, denen Verbindungen geknüpft und wieder aufgelöst,
ohne Zögern, meistens sogar noch ehe er selbst sich die gestärkt und wieder geschwächt werden.«87 Das ›Dorf-
Sache zurechtgelegt hat, ja noch ehe er selbst von ihr schloss‹ oder ›Schlossdorf‹ ist so gesehen eine bestens
weiß, schon die Vorladung erhält.« (417) fehlgesteuerte Kontrollgesellschaft – und kontrolliert
wird hier (frei nach Kleist), wie man durch einen schö-
nen Fehler mit sich selbst bekannt geworden.88 Nicht
IX. Das Amtsbegehren eine oberste Behörde kontrolliert diese Fehlerkultur.
»Es gibt nur Kontrollbehörden«, heißt es im Roman.
Der »behördliche Apparat« fällt mit dem sozialen Orga- (104) Bürokratien sind letztlich nicht mehr spezifische
nismus, seiner »Spannung« und »Aufreizung« zusam- Mittel, die ›rational‹ auf feste Zwecke programmiert
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men, weshalb hier wie da »die Leidenschaft, mit welcher wurden. Vielmehr bestehen sie nur in der pausenlosen
die Sache ergriffen wird«, entscheidend ist. (110, 420) »Organisation der Organisation durch Kommunikati-
Nicht nur innerhalb der Amtsstuben, allerorten macht on«.89 Zu kommunikativen Ereignissen innerhalb einer
sich ein gewisses ›Amtsbegehren‹ geltend. Und dieses allumfassenden Dauerkommunikation geworden, die-
gründet, am deutlichsten bei K., im schlichten »Verlan- nen sämtliche Behörden der, wie es heißt, »bewunde-
gen hier zu bleiben« (215), also eine feste Stelle zu fin- rungswürdigen Einheitlichkeit des Dienstes«. (92)
den. Hierzu sind Beziehungen zu den Ämtern vonnöten, Vor dem Hintergrund dieser Fehler- und Kontroll-
die wiederum nur durch soziale Beziehungen aufzubau- kultur kann es dem Stellensuchenden K. nur helfen,
en sind. (vgl. 495) Einmal mit den Behörden in Kontakt, dass seine Akte, in die er Einsicht begehrt, offensicht-
bedarf es aber auch hier sozialer Kompetenzen, ja regel- lich verstellt wurde. »Der Akt ist also nicht gefunden«,
rechter Verführungskünste, denn »amtliche Entschei- resümiert der Vorsteher die vergebliche Suche. »Scha-
dungen sind scheu wie junge Mädchen«. (273) Wenn es de, aber die Geschichte kennen Sie ja schon, eigentlich
im Amtsverkehr keinen einsinnigen, eindeutigen und brauchen wir den Akt nicht mehr.« (113) Und tatsäch-

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lich braucht der Roman keine Büro-Akten mehr, son- lich« geführt und zuweilen in »Abwesenheit nachträglich
dern beschränkt sich fortan auf Erzähl-Akte. Einerseits aufgesetzt von jemandem, der gar nicht bei der Bespre-
geht er über in jenes Genre der ›Dorfgeschichten‹, mit chung war« (143). Sie dienen somit eher im rituellen und
dem man seit dem Vormärz gegen die Bürokratie, zu- symbolischen als im beweiskräftigen Sinne der neuen
gleich aber für die gemeindliche Selbstverwaltung und guten Ordnung. Nicht anders ist es um die eigentlichen
ihr »frisches, selbsttätiges Leben« gekämpft hat.90 An- Amtstermine, um die Anhörungen und Verhöre bestellt:
dererseits vermisst er aufs Neue jenes Terrain, das die Hier kennt man letztlich keinen »Unterschied zwischen
habsburgische Autorin Marie von Ebner-Eschenbach gewöhnlicher Zeit und Arbeitszeit«, zwischen sozialem
seit 1883 mit ihren Dorf- und Schloßgeschichten abge- und amtlichem Umgang mehr. (411) Wie im Falle von K.s
steckt hat. Für Kafka kann es aber mittlerweile keine Besuch bei Bürgel kann der Amtsverkehr auch nachts
Geschichten mehr geben, die von der Verwaltung gänz- vonstattengehen, und es entscheidet hier weniger die Ak-
lich unberührt geblieben wären. Immer schon, ob nun tenlage als abermals »die Leidenschaft, mit welcher die
aufs Dorf oder aufs Schloss bezogen, schöpfen sie aus Sache ergriffen wird«. (420) An die Stelle bürokratischer
Akten oder werden selbst zum Gegenstand von Akten. Sprachregelungen kann hier leicht eine »Sprache der Lie-
›Schloßgeschichten‹, wie sie im Dorf erzählt werden, be« treten, die würdige Amtshandlungen in regelrechten
dienen dabei nicht nur der »Unterhaltung«; von ihnen Amtsmissbrauch übergehen und die Parteien in einer
»nähren« sich etliche Dorfbewohner, weil sie von ihnen kurzzeitigen unio mystica verschmelzen lässt.91
Aufschluss erhoffen über den weitreichenden »Einfluß«, Hat das allgegenwärtige ›Amtsbegehren‹ zuletzt Amt
den das Schloss auf »die Existenz eines Menschen«, auf und Leben fast ununterscheidbar gemacht, kann auch
das Schicksal ganzer Familien oder die Zukunft des Dorfs nicht mehr von einer obrigkeitlichen oder Fremdver-
insgesamt nimmt. (102, 322 f.) Umgekehrt verschaffen waltung die Rede sein. Der Kampf um Selbstverwal-
›Dorfgeschichten‹ den Behörden Aufschluss über verwal- tung, den sich die Dorfgeschichten des Vormärz auf die
tungsrelevante Einzelfälle, aber auch über den Aggre- Fahnen schrieben, scheint bei Kafka gewonnen. Die
gatszustand des Sozialen und über die kursierenden Er- ›lebendige Institution‹ ist vom Verkehr und von den
wartungen an das Schloss, sodass etliche Aktenvorgänge Befindlichkeiten der Bevölkerung nachgerade untrenn-
auf bloßen Klatschgeschichten beruhen. Sobald Amt und bar. Die Schlossbehörden können, wie jeder beliebige
Leben und damit auch Bürokratie und Erzählen in derart Dorfbewohner, ebenso gnadenlose Ungerührtheit wie
engen Austausch, ja fast zur Deckung kommen, enthal- informelle Empathie zeigen. Und im Zuge dieser Annä-
ten Dorfgeschichten ebenso die umlaufenden Schloss- herung von Amt und Leben hat die Verwaltung zuletzt
geschichten wie Schlossgeschichten die amtliche Samm- auch einen gewissen ›narrative turn‹ vollzogen: Das
lung von Dorfgeschichten. Nicht nur ›archaische‹, auch Schloss schreibt offenbar nur mehr, um das Dorf erzäh-
und gerade moderne und reformierte Bürokratien zeh- len zu lassen. Doch verlieren sich diese Erzählungen
ren also von Geschichten, gehören diese doch zu jener immer mehr im Hörensagen: »Er sagte, dass sie sagte,
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lebensweltlichen Handlungssphäre, die vom amtlichen dass sie gehört hatte, dass er gesagt hatte, usw. In diesen
Entscheidungsapparat nicht mehr kategorial zu trennen unübersichtlichen Wechseln von Erzählerinnen und
scheint. Behördliches entscheidet sich hier ebenso sehr Erzählern, Standpunkten und Referenzen«92 erschöpft
im Alltäglichen, wie Allerweltshandlungen von den Be- sich zuletzt das Romanfragment – und mit ihm auch der
hörden motiviert werden. unermüdliche K. Wenn man will, kann man an Kafkas
Zwar führt, wie es heißt, »der einzige Weg« zu den Schreiben (und Leben) jene Auffassungen und Prakti-
Beamten und Behörden »durch die Protokolle«, (177) ken nachbuchstabieren, die seit der Jahrhundertwende
scheint also nach wie vor eine alles beherrschende dem Problem menschlicher Ermüdung galten: von den
Schriftmacht den Gang der Dinge zu steuern. Doch ist die unternehmerischen Maßnahmen, die der Energieöko-
Textsorte Protokoll generell ein Transformator zwischen nomie des Arbeiters durch die Balance von Leistungsin-
Rede und Akte, und zudem werden die Mitschriften hier tensität und Erholung gerecht werden wollten; über die
von höheren Beamten wie Klamm prinzipiell nicht gele- lebensreformerische Sorge um einen tendenziell über-
sen. Mehr noch: Sie werden nur informell und »halbamt- anstrengten und morbiden Körper; bis hin zum ›Stress‹,

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den man seit den 1930ern in lebenswissenschaftlichen – insbesondere in Olgas ausufernde Erzählung, die im
Homöostasekonzepten entdeckte und sogleich auf den Buchdruck auf fast hundert Seiten kommt. Als Zuhörer
flexibilisierten, eigenmotivierten und jederzeit um Sta- übt er sich zunächst in grenzenloser Empathie für al-
tusgewinn ringenden Angestellten übertrug. les geschilderte Leiden, das Olga und ihrer Familie wi-
Von Anbeginn, schon bei der ersten Annäherung an derfahren ist. Unter dem Eindruck der stundenlangen
das Schloss, zeigt sich K. erschöpft – zunächst nur von Erzählung wird er jedoch irgendwann apathisch, gibt
der Anreise, dann aber von jeder neuen Bekanntschaft. jede Seelenbestrebung auf, die nach einem Amt wie
(vgl. 7, 21) Fortan wird er versuchen, »seine Kräfte ge- dem des Landvermessers verlangt – und verschwindet
sammelt zu halten«. (54) Schließlich ist das Ermüdende zuletzt zur Gänze aus allen Geschichten. Nicht einmal
seiner Stellensuche nicht, dass ihm jemals »mit wirkli- als Zuhörer scheint er mehr präsent. Seine ewige Stel-
chem Zwang gedroht« würde, sondern vielmehr, dass lensuche, seine eigene Geschichte und damit auch die
ihm tagtäglich »die Gewalt der entmutigenden Umge- Romanhandlung gelangen an ihr offenes Ende. Die-
bung, der Gewöhnung an Enttäuschungen,
die Gewalt ses Ausufern und Ausfransen der Erzählung hat man
der unmerklichen Einflüsse jedes Augenblicks« zuge- als Kafkas ›Spätstil‹ bezeichnet.94 Doch anders als die
mutet wird. (43) Freilich betrifft diese Erschöpfung hier Entstehungszeit des Romans kurz nach dem Ende des
alle und jeden: Auf Boten wie Barnabas wirkt ihr Dienst Reichs und seiner Bürokratie vermuten lässt, mündet
in unablässiger Aufmerksamkeit ebenso »ermüdend« dieser Spätstil nicht in Sentimentalität und Nostalgie.
wie auf die niederen Beamten, die vom seinerseits er- Kafka blickt nicht melancholisch zurück auf dem habs-
schöpften Klamm weitere »Störungen« fernzuhalten ha- burgischen Mythos. Er blickt vielmehr erschöpft nach
ben. (282, 428) Jeder scheint hier »immerfort müde [...], vorn – nach vorn in unsere Gegenwart.
ohne daß dies aber die Arbeit schädigte, ja es schien sie Kafkas Texte hat man als »Mitschriften« bezeichnet,
vielmehr zu fördern«, weil unablässige Erschöpfung mit die sich nicht nur metaphorisch oder thematisch um
unablässigem Bemühen zusammenfällt. (429) Dennoch Fragen der Bürokratie drehen, sondern mit ihr bereits
mündet das alles beherrschende ›Amtsbegehren‹ zu- ›metonymisch‹, nämlich auf Ebene der Schreibverfah-
letzt in die »Versuchung [...], sich ins Bett zu legen und ren alliiert sind.95 Zur Bürokratie steht Kafkas derart
endlos zu schlafen.« (403) Beim immer müden Bürgel, ›protokollarisches‹ Schreiben in einem Verhältnis der
der sein Büro zu einem Schlafplatz umgewandelt hat, Zeitgenossenschaft, aber auch der reflexiven Distanz.
um vom Bett aus sämtliche »Korrespondenzen« und Ihre diversen Aggregatszustände – von amtsadligen
»Parteieinvernahmen« zu erledigen, (406) gibt K. dieser Kulturträgern über biopolitische Institutionen bis hin
Verlockung nach und findet im Schlaf endlich Rast und zur flexiblen Kontroll- und Kommunikationsmacht der
Ruh. Was er zuletzt aufgibt, ist sein Amtsbegehren. Zukunft – verbindet er in diesem Zuge mit jeweils ei-
Denn nicht nur durch ›schöne Fehler‹, sondern (wie gentümlichen Formen der Vergemeinschaftung, die das
es bei Kleist exakt heißt) durch »schöne Anstrengung ›Staatsdefizit‹ der Habsburgermonarchie zuletzt durch
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mit sich selbst bekannt gemacht«, findet er sein letztes ein spezifisches ›Amtsbegehren‹ ausgleichen sollen.
Ziel darin, vom ziellosen Streben loszukommen. 93
Of- Kafkas unterschiedliche Formen der Mitschrift – von
fenbar hat er erkannt, dass ihm mit dem Niedergang der Demontage althabsburgischer Mythen über die
der alten Bürokratie und mit der Einrichtung lebens- Analyse formaler Administrationstechniken bis hin zur
gerechter ›Adhocratien‹ zwar die verschuldende Kraft Vermessung bürokratisierter Lebenswelten – kann man
des Gesetzes und der ermüdende Druck der Disziplin als unterschiedliche Modi der Bürokratiekritik verste-
erspart bleibt, dafür aber dauernde Initiative, Verän- hen. Als letzte und triftigste Form dieser Kritik erscheint
derung und Flexibilität, mithin die einsame Verant- aber die Erschöpfung des Bürokratiediskurses selbst.
wortung um seinen Werdegang abverlangt wird. Als Mit ihr geht Kafka nicht nur über jenen Stand hinaus,
›erschöpftes Subjekt‹ begibt sich K. zu guter Letzt nicht den die Bürokratiereform und -reflexion seiner Zeitge-
mehr auf die Ämter, sondern versenkt sich in die Ge- nossen erreicht hat. Er überschreitet auch die Gattung
schichten, wie sie vom Schloss und Dorf im Umlauf sind literarischer ›Mitschrift‹.

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V O G L , Joseph: »Vierte Person. Kafkas Erzählstimme«, in: DVjs 68/4
(1994), S. 745–756. W A G N E R , Benno: »›Die Majuskel-Schrift unseres
Erden-Daseins‹. Kafkas Kulturversicherung«, in: Hofmannsthal-Jahrbuch
12 (2004), S. 327–363. W E B E R , Alfred: »Der Beamte«, in: Neue Rund-
schau 21 (1910), S. 1321–1339. W E B E R , Max: Gesammelte politische
Schriften, hg. von Johannes Winckelmann, Tübingen 51988. •  Parla-
ment und Regierung im neugeordneten Deutschland. Zur politischen
Kritik des Beamtentums und Parteiwesens, Berlin ²2011. W E E K S , An-
drew: »Kafka und die Zeugnisse vom versunkenen Kakanien«, In: Spra-
che im technischen Zeitalter 88/15 (1983), S. 325–332. W O L F , Burk-
hardt: Fortuna di mare. Literatur und Seefahrt, Zürich, Berlin 2013.
W O L F F , Hermann: Die akademischen Berufe, Bd. VI.: Der Techniker,
Berlin 1919. W O R R I N G E R , Wilhelm: Formprobleme der Gotik,
München 21922.
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1 Überliefert in: Correspondance littéraire, philosophique et critique Untertanen in die verschiedenen Ländereien geschickt und dort
de Grimm et de Diderot, Neuausgabe, Bd. 4: 1764-1765, Paris 1829, letztlich als Sendbote imperialer Unterstützung (gegen die örtlichen
S. 11, S. 326. Autoritäten) willkommen geheißen wird.
2 Johann Heinrich Campe, Wörterbuch zur Erklärung und Verdeut- 16 Zit. nach: Barbara Liegl, Wolfgang C. Müller, »Senior Officials in Aus-
schung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke, tria«, in: Edward C. Page, Vincent Wright (Hg.), Bureaucratic Élites in
Braunschweig 1813, S. 161. Western European States. A Comparative Analysis of Top Officials,
3 Robert von Mohl, »Über Bureaukratie«, in: Ders., Politische Schrif- Oxford 1999, S. 90–120, S. 90.
ten. Eine Auswahl, hg. von Klaus von Beyme, Wiesbaden 1966, 17 Vgl. hierzu Joseph P. Strelka, »Die sozialgeschichtliche Entwicklung
S. 276–310, hier S. 286, S. 294. und die kulturmorphologische Funktion des Beamten in der öster-
4 Max Weber, Gesammelte politische Schriften, hg. von Johannes reichischen Literatur«, in: Ders. (Hg.), Der Beamte und der Offizier
Winckelmann, Tübingen 51988, S. 332. in der österreichischen Literatur, Bern, u. a. 1994, S. 17–31, hier
5 Friedrich Schiller, »Über die ästhetische Erziehung des Menschen S. 18–22.
in einer Reihe von Briefen«, in: Ders., Theoretische Schriften, hg. 18 Claudio Magris, Der habsburgische Mythos in der modernen öster-
von Rolf-Peter Janz, Frankfurt am Main 2008, S. 556–676, hier S. 573; reichischen Literatur, Wien 2000, S. 11, S. 23.
Karl Freiherr vom und zum Stein, Briefe und amtliche Schriften, Bd. 19 Vgl. Ebenda, S. 27–29.
1: Studienzeit. Eintritt in den preussischen Staatsdienst. Stein in 20 Vgl. Ebenda., S. 25 f.
Westfalen (1773–1804), hg. von Erich Botzenhart und Walther Hu- 21 Ebenda, S. 24 f.
batsch, Stuttgart 1957, S. XXVIII. 22 Sascha O. Becker, et al., »The Empire Is Dead, Long Live the Empire!
6 Vgl. hierzu ausführlich: Peter Becker, »›Kaiser Josephs Schreibmaschi- Long-Run Persistence of Trust and Corruption in the Bureaucracy«,
ne‹. Ansätze zur Rationalisierung der Verwaltung im aufgeklärten Ab- in: The Economic Journal 126 (2016), S. 40–74, hier S. 41.
solutismus«, in: Pensionssysteme im öffentlichen Dienst in Westeu- 23 Zit. nach: Monika Senghaas, Die Territorialisierung sozialer Siche-
ropa (19./20. Jh.). Jahrbuch für Europäische Verwaltungsgeschichte, rung. Raum, Identität und Sozialpolitik in der Habsburgermonar-
Baden-Baden 2000, S. 223–254, hier S. 224 f., S. 231 f., S. 244 f. chie, Wiesbaden 2015, S. 207.
7 Der Geist in Österreichs und Nassau’s Staatsverwaltung [...], Frank- 24 Zit. nach: Ebenda., S. 208.
furt am Main 1825, S. 11, S. 15. 25 Friedrich Kleinwächter, Der fröhliche Präsidialist, Wien 1947, S. 102.
8 Zit. nach: Waltraud Heindl, Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Be- – Vgl. hierzu auch Redlich, Das österreichische Staats- und Reichs-
amte in Österreich, Bd. 1: 1780 bis 1848, Wien, u. a. ²2013, S. 74; problem, S. 246.
9 Jörg Mauthes Abwandlung von Karl Kraus’ Diktum, zit. nach: Markus 26 Siegfried Kracauer, Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutsch-
Kóth, »Aber es handelt sich eben um ein phantastisches Land«. Das land, Berlin 132013, S. 82.
Österreichbild in den literarischen Werken Jörg Mauthes – ein Beitrag 27 Franz Kafka, Tagebücher, in: Ders., Kritische Ausgabe der Schriften
zur Identitätsgeschichte der Zweiten Republik, Wien 2009, S. 82 f. und Tagebücher, hg. von Jürgen Born, Gerhard Neumann, Malcolm
10 Alfred Hoffmann, »Bürokratie insbesondere in Österreich«, in: Hein- Pasley und Jost Schillemeit, 15 Bde., Frankfurt am Main 2002, S. 29.
rich Fichtenau, Erich Zöllner (Hg.), Beiträge zur neueren Geschichte – Im Folgenden wird diese Ausgabe im fortlaufenden Text als mit
Österreichs, Wien, u. a. 1974, S. 13–31, hier S. 24 f., S. 30. Bandsigle (in diesem Fall für die Tagebücher: T) zitiert.
11 Pieter Judsons ›neue Geschichte‹ des Habsburger Reichs etwa ver- 28 Brief an Milena Jesenská, August 1920, in: Franz Kafka, Briefe an
schiebt den Fokus bewusst von der Nationalitätengeschichte wieder Milena, erweiterte Neuausgabe, hg. von Jürgen Born und Michael
auf die Reichsgeschichte: »it was institutions of empire that consti- Müller, Frankfurt am Main 1995, S. 229.
tuted the focus of political activity and emotional loyalties«, was be- 29 Max Brod, Franz Kafka. Eine Biographie, Frankfurt am Main 1962,
sonders im 19. Jahrhundert und dem »cultural turn« in Politik und S. 102.
Verwaltung offenbar geworden sei. – Pieter M. Judson The Habsburg 30 Zum Österreicher und seiner ›Behörde‹ vgl. etwa Hermann Bahr:
Empire. A New History, Cambridge, London 2016, S. 270, S. 382. »Er traut ihr nicht, sie ihm nicht. Er erschrickt, wenn er vor sie ge-
12 Josef Redlich, Das österreichische Staats- und Reichsproblem. Ge- rufen wird. Sie ist gereizt, wenn er sich doch einmal an sie wenden
schichtliche Darstellung der inneren Politik der habsburgischen muß. Und beide wünschen sich nur, nichts miteinander zu tun zu
Monarchie von 1848 bis zum Untergang des Reiches, Bd. 1, Leipzig haben.« Hermann Bahr, »Rat Schrimpf«, in: Das Hermann-Bahr-
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1920, S. 451. Buch, Berlin 1913, S. 198–204, hier S. 200.


13 Reinhart Koselleck, »Staat und Gesellschaft in Preußen 1815–1848«, 31 Gustav Janouch, Gespräche mit Kafka. Aufzeichnungen und Erinne-
in: Werner Conze (Hg.), Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz rungen, erw. Ausgabe, Frankfurt am Main 1968, S. 71.
1815–1848, Stuttgart 1962, S. 79–112, hier S. 90. Hierzu und zum Fol- 32 Vgl. Alfred Weber, »Der Beamte«, in: Neue Rundschau 21 (1910),
genden vgl. auch Waltraud Heindl, »Bürokratie, Staat und Reform. S. 1321–1339, hier S. 1321 f.
Überlegungen zum Verhältnis von Bürokratie und Staat im aufge- 33 Hermann Bahr, Tagebuch 1917, Innsbruck, u. a. 1918, S. 105 f.
klärten Absolutismus von Österreich«, in: Moritz Csáky, Étatisation et 34 Vgl. hierzu etwa bei Herbert A. Simon das Konzept eines General Pro-
bureaucratie. Symposion der Österreichischen Gesellschaft zur Erfor- blem Solving, einer von Affektivität angestoßenen und von Emotiona-
schung des 18. Jahrhunderts, Wien 1990, S. 39–48, hier S. 45 f. lität getönten Urteilsfindung. – Herbert A. Simon, »A Theory of Emoti-
14 Zur Prägung von Kelsens Reiner Rechtslehre und Allgemeinen onal Behaviour«, CIP Working Paper 55 (1963), S. 1–29, hier S. 23 f.
Staatslehre durch das Habsburger ›Staatsproblem‹ vgl. Johannes 35 Vgl. hierzu Sabine Donauer, Faktor Freude. Wie die Wirtschaft Ar-
Feichtinger, Wissenschaft als reflexives Projekt. Von Bolzano über beitsgefühle erzeugt, Hamburg 2015, S. 19 f., S. 33 f., S. 37; und Ni-
Freud zu Kelsen: Österreichische Wissenschaftsgeschichte 1848– klas Luhmann, Der neue Chef, hg. von Jürgen Kaube, Berlin 2016,
1938, Bielefeld 2010, S. 272, S. 280–282, S. 338. S. 46 f., S. 51.
15 Vgl. hierzu auch die in Judson, The Habsburg Empire, S. 16 ff. ge- 36 Vgl. hierzu etwa Christoph Beier, »Regionale Verwaltungskultur,
schilderte ›Urszene‹ von Maria Theresias State Building, in der das selbst-referentielle Systeme und mikropolitisches Agieren. Überle-
Militär zur erstmaligen Zählung und Lokalisierung der verstreuten gungen zur Untersuchung regional unterschiedlichen Verwaltungs-

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handelns«, in: Geographische Zeitschrift 81/3 (1993), S. 129–144, 59 Zit. nach: Geoffrey D. Austrian, Herman Hollerith. A forgotten giant
hier S. 140. of information processing, New York 1982, S. 62, S. 347.
37 Franz Kafka, Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der 60 Rauchberg, »Die elektrische Zählmaschine und ihre Anwendung ins-
Verlobungszeit, hg. von Erich Heller und Jürgen Born, Frankfurt am besondere bei der österreichischen Volkszählung«, S. 99 und Austri-
Main 1976, S. 237. an, Herman Hollerith, S. 70.
38 Ebenda. 61 Kracauer, Die Angestellten, S. 29.
39 Ebenda, S. 238. 62 Rauchberg, »Die elektrische Zählmaschine und ihre Anwendung ins-
40 Ebenda, S. 238–240. besondere bei der österreichischen Volkszählung«, S. 111.
41 Vgl. Joseph Roth, Radetzkymarsch, Köln 1989, S. 269 f. 63 Olszewski hatte 1904 in seiner Studie Bureaukratie das »Leiten der
42 Jean Paul [d. i. Jean Paul Friedrich Richter], Vorschule der Ästhetik, Welt vom Amtstische aus« beschrieben, bei dem »die Kontrolle die
hg. von Norbert Miller, Hamburg 1990, S. 125, S. 129. Kontrolle kontrolliert, und diese eine weitere Oberkontrolle erlebt«.
43 Kafka, Briefe an Felice und andere Korrespondenz, S. 240. Die Bürokratie sah er als letzte, monströse Ausgeburt eines Staats,
44 Vgl. Walter Benjamin, »Franz Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines der »ohne Rücksicht auf das pulsierende Leben und die veränder-
Todestages«, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. II. I, hg. von Rolf lichen vitalen Verhältnisse« verfährt, und vor dem jeder »erschei-
Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main nende Petent [...] schon grundsätzlich ein Beschuldigter« ist. – Josef
1991, S. 409–438, hier S. 415. Olszewski, Bureaukratie, Würzburg 1904, S. 73, S. 98, S. 152 f.
45 Franz Kafka, Briefe 1902–1924, hg. von Max Brod, Frankfurt am 64 Robert Heindl, Meine Reise nach den Strafkolonien, Berlin, Wien
Main 1975, S. 158. 1913, S. 21, S. 193, S. 197.
46 Benjamin, »Franz Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines Todesta- 65 Ebenda, S. 51–53, S. 88, S. 301, S. 305, S. 379, S. 383.
ges«, S. 78 f., S. 98. 66 Vgl. Benno Wagner, »›Die Majuskel-Schrift unseres Erden-Daseins‹.
47 Gilles Deleuze, Félix Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, Frank- Kafkas Kulturversicherung«, in: Hofmannsthal-Jahrbuch 12 (2004),
furt am Main 1976, S. 60–65, S. 102–111. S. 337–348.
48 Dem entsprechen auch Kafkas Erzählungen: »Schuldig werden«, wie 67 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, S. 129.
Adorno schreibt, nur jene von Kafkas Figuren, die »versuchen, das 68 Vgl. hierzu Burkhardt Wolf, Fortuna di mare. Literatur und Seefahrt,
Recht auf ihre Seite zu bringen«. – Theodor W. Adorno, »Aufzeich- Zürich, Berlin 2013, S. 326–335.
nungen zu Kafka«, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 10.1., Frank- 69 Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Frankfurt am Main
furt 1970–1986, S. 254–287, hier S. 286. 1983, S. 212.
49 Heinrich Rauchberg, »Die elektrische Zählmaschine und ihre Anwen- 70 Friedrich Beißner, Der Erzähler Franz Kafka, Stuttgart 41961, S. 32.
dung insbesondere bei der österreichischen Volkszählung«, in: Allge- 71 Günter Anders, Kafka. Pro und Contra. Die Prozeß-Unterlagen, Mün-
meines statistisches Archiv 2 (1891/92), S. 78–126, hier S. 78, S. 95. chen 1951, S. 48 f.
50 Dieser Kartenlocher »drückt den Stift in jene Löcher des Schemas, 72 Zu Gilles Deleuzes Konzept der ›Vierten Person‹ bei Kafka vgl. Jo-
welche den Individualangaben für die betreffende Person entspre- seph Vogl, »Vierte Person. Kafkas Erzählstimme«, in: DVjs 68/4
chen, wodurch die korrespondierenden Löcher in die Karte selbst (1994), 745–756, hier S. 750, S. 754.
geschnitten werden«. – Ebenda, S. 93. 73 Vgl. hierzu Kafkas Hinweis auf die – ursprünglich – geplante Kapitel-
51 Peter Becker, »Formulare als ›Fließband‹ der Verwaltung? Zur Rati- folge in seinem Brief an Max Brod, Zürau, ca. 20. November 1917,
onalisierung und Standardisierung von Kommunikationsbeziehun- in: Frank-Kafka-Hefte 1, in: Franz Kafka, Der Process. Historisch-kri-
gen«, in: Peter Collin, Klaus-Gert Lutterbeck (Hg.), Eine intelligente tische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte,
Maschine? Handlungsorientierungen moderner Verwaltung (19./20. hg. von Roland Reuß und Peter Staengle, Frankfurt am Main, Basel
Jh.), Baden-Baden 2009, S. 281–298, hier S. 281 f. – Zum Einsatz der 1997, S. 32.
Hollerith-Maschine in zeitgenössischen Betrieben vgl. Kracauer, Die 74 Ebenda, Zu Elsa, S. 6.
Angestellten, S.27 f. 75 Zum schriftlich-geheimen Inquisitionsprinzip im Untersuchungs-
52 Max Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutsch- verfahren und zu Alois Zuckers Kritik an dessen Dominanz in der
land. Zur politischen Kritik des Beamtentums und Parteiwesens, Strafprozessordnung vgl. Wolf Kittler, »Heimlichkeit und Schriftlich-
Berlin ²2011 [EA: 1918], S. 26. keit. Das österreichische Strafprozessrecht in Franz Kafkas Roman
219  Bu rk h ard t Wol f — K afk a i n H abs b urg

53 Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewußtsein, Darmstadt, Neu- Der Proceß«, in: The Germanic Review, 78/3 (2003), 194–222, hier
wied ²1977, S. 275. S. 195–199, S. 207.
54 Zum Verhältnis von Kafka und Kelsen vgl. Paul Alberts, »Knowing 76 Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre (1925), Nachdruck, Wien 1993,
Life before the Law: Kafka, Kelsen, Derrida«, in: Brenadan Moran, S. 243.
Carlo Salzani (Hg.), Philosophy and Kafka, Lanham, u. a. 2013, 77 Niklas Luhmann, »Organisation«, in: Willi Küpper, Günter Ortmann
S. 179–197, hier S. 186–188. (Hg.), Mikropolitik Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen,
55 Zu Kelsens Berufung auf Cassirers Funktionsdenken vgl. Feichtin- Wiesbaden 21992, S. 165–185, hier S. 169 f.
ger, Wissenschaft als reflexives Projekt, S. 298. 78 Vgl. Wolfgang Schäffner, »Raster-Orte«, in: Annett Zinsmeister (Hg.),
56 Vgl. Kittler »Schreibmaschinen, Sprechmaschinen. Effekte techni- Constructing Utopia. Konstruktionen künstlicher Welten, Zürich,
scher Medien im Werk Franz Kafkas«, in: Ders., Gerhard Neumann Berlin 2005, S. 47–56, hier S. 48 f., S. 51.
(Hg.), Schriftverkehr, Freiburg im Breisgau 1990, S. 131 f. 79 Die folgenden Stellennachweise aus dem Schloß werden ohne Sigle
57 Zur Strafkolonie und Turing-Maschine vgl. Wolf Kittler, »Schreib- S gegeben.
maschinen, Sprechmaschinen. Effekte technischer Medien im Werk 80 Zum berufsbedingten »entgleiten« und »nicht festbleiben« der
Franz Kafkas«, in: Ders., Gerhard Neumann (Hg.), Schriftverkehr, Landvermesser vgl. Hermann Wolff, Die akademischen Berufe, Bd.
Freiburg im Breisgau 1990, S. 108–141, hier S. 131 f. VI.: Der Techniker, Berlin 1919, S. 276, S. 278. Zum Kampf der k. k.
58 Zu diesem wichtigen Begriff der expressionistischen Stilgeschichte vgl. Angestellten um eine feste ›Dienstpragmatik‹ und zur damit verbun-
Wilhelm Worringer, Formprobleme der Gotik, München 21922, S. 22 f. denen Hoffnung auf eine gesicherte Stellung vgl. Andrew Weeks,

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»Kafka und die Zeugnisse vom versunkenen Kakanien«, In: Sprache


im technischen Zeitalter 88/15 (1983), S. 325–332.
81 Zur ›grenzüberschreitenden‹ Schreibweise Kafkas und zur willkür-
lichen Abtrennung des ›Fürstenzimmerfragments‹ durch Max Brod
vgl. Matthias Schuster, Franz Kafkas Handschrift zum Schloss, Hei-
delberg 2012, S. 51.
82 Rückseite des Blattes 55 von Kafkas Handschrift. Zit. nach: Ebenda,
S. 132.
83 Dirk Baecker, Organisation und Management, Frankfurt am Main
2003, S. 37.
84 Kracauer, Die Angestellten, S. 13, S. 28.
85 Kafkas Manuskript, S. 36, 19r, 23r, zit. nach: Schuster, Franz Kafkas
Handschrift zum Schloss, S. 333, S. 335.
86 Kafkas Schloß-Manuskript mit seinen zahlreichen Neuansätzen und
Korrekturen, Verzweigungen und Streichungen hat man mit dem
dezentralisierten Verwaltungssystem des Schlosses verglichen, das
in diesem Sinne eine metapoetische Figur seines Schreibens dar-
stellt. Dieses Schreiben aber könne nicht einfach, wie durch Max
Brod und seine späteren Herausgeber geschehen, auf die abge-
schlossene Form eines edierten ›Werks‹ gebracht werden. – vgl.
Ebenda, S. 53, S. 55, S. 65, passim.
87 Dirk Baecker, Organisation und Störung, Berlin 2011, S. 58.
88 Vgl. Baecker, Organisation und Management, S. 40 in Abwandlung
von Kleists Marquise von O.
89 Ebenda, S. 19.
90 Redlich, Das österreichische Staats- und Reichsproblem, S. 267. – Zur
Dorfgeschichte vgl. exemplarisch Marcus Twellmann, »›Leben‹ im
Vormärz. Zu Berthold Auerbachs Poetik einer ›volkstümlichen‹ Lite-
ratur«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 133 (2014), S. 267–290.
91 Vgl. hierzu Michael Niehaus, Das Verhör. Geschichte – Theorie – Fik-
tion, München 2003, S. 478–480.
92 Malte Kleinwort, »Das Schloss zwischen Buch und Handschrift«, in:
Ders., Joseph Vogl (Hg.), »Schloss«-Topographien. Lektüren zu Kaf-
kas Romanfragment, Bielefeld 2013, S. 85–108, hier S. 103.
93 Heinrich von Kleist »Die Marquise von O...«, in: Ders., Sämtliche
Werke und Briefe, hg. von Helmut Sembdner, Bd. II., München
3
2013, S. 104–143, hier S. 126.
94 Vgl. hierzu Malte Kleinwort, Der späte Kafka. Spätstil als Stilsuspen-
sion, München 2013, S. 185–198.
95 Vgl. hierzu Kerstin Stüssel, In Vertretung. Literarische Mitschriften
von Bürokratie zwischen früher Neuzeit und Gegenwart, Tübingen
2004, S. 2.
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Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Schema der Hollerith-Maschine, aus: Rudolf Lindner, Bertram


Wohak und Holger Zeltwanger, Planen, Entscheiden, Herrschen. Vom
Rechnen zur elektronischen Datenverarbeitung, Reinbek 1984, S. 63.

Abb. 2: Kartenlocher, aus: Art. »Keypunch« auf Wikipedia, https://up-


load.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/58/CTR_census_machine.
JPG, zuletzt aufgerufen: 10.07.2016

Abb. 3/4: Werbeplakate für die Hollerithmaschine, aus: Lindner 1984,


S. 68, 74.

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Abstract About the Author

From the very beginning, Habsburgian literature was close- Burkhardt Wolf, born in 1969, worked as associate professor
ly tied to the Empire’s »bureaucracy« – both to the adminis- for literature and media studies at the Humboldt-Universität
trative apparatus and to the class of officials who claimed Berlin; momentarily, he is visiting professor at the University
this title as their own. The fact that numerous authors were of Munich and Heisenberg scholar. His publications include
recruited from this class may well have helped to create the the books »Die Sorge des Souveräns. Eine Diskursgeschichte
»Habsburg myth«: the literary romanticisation of bureau- des Opfers« (2004) and »Fortuna di mare. Literatur und See-
crats as loyal to the Emperor and as cultural pillars of a fahrt« (2013, English translation in preparation).
variegated empire that never accomplished to be a state
in the modern sense. However, a real tie-up between the
citizens and the bureaucracy, for which proof can be found
still today and which is referred to as the »Habsburg effect«,
is likely to have arisen due to the welfare state set up in the
latter years of the Danube monarchy. Franz Kafka played
a part in this. In addition to his articles and talks for the
»Workmen’s Accident Insurance Bureau«, his literary texts
also showed Kafka to be an analyst and reformer of both
the old and new bureaucracy. Far from being mutually ex-
clusive, his official duties and his writing constituted two
aspects of one and the same enterprise: Kafka sought to
free bureaucracy from the old Habsburg mythology; to re-
purpose it informally into an arbitrator in the class war and
the conflict of nations; to give those it served a greater in-
volvement in its workings; and to test the scope of a future
bureaucracy that would be permanently reformed and ul-
timately indistinguishable from the social life. Kafka’s tales
thus contain unique accounts of the Habsburg bureaucracy
and of the myths and effects peculiar to it, for they keep
the minutes of Habsburgian administration, while oscilla-
ting between the perspective of officialdom and that of an
increasingly »colonised environment«.
221 B u rk har dt Wo lf — K af ka in H ab s bu rg

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