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Bonum est diffusivum sui.

Ein Beitrag zum Verhältnis von Neuplatonismus und Christentum*

von K L A U S KREMER, Trier

Inhalt

I. Einleitung 994

II. Piaton 997

III. Plotin 998


1. Alles Vollkommene bringt ein Anderes hervor 999
2. Freigewollte Emanation? 1005
3. N o t w e n d i g e Emanation? 1011
IV. Proklos und Dionysius Pseudo-Areopagita 1017

V. Augustinus 1023

VI. Thomas von Aquin 1026

I. Einleitung

Zu den hervorstechendsten Merkmalen der christlichen Schöpfungslehre ge-


hört der Begriff der freigewollten Schöpfung. Nicht aus irgendeiner Naturnot-
wendigkeit (necessitate naturae), sondern aufgrund von Weisheit und Freiheit hat
Gott die Welt ins Sein geführt. Darüber, d. h. was die quaestio facti betrifft,
gibt es bei den christlichen Autoren, mögen sie theologisieren oder philoso-
phieren, nicht den leisesten Zweifel. So schreibt etwa Clemens Alexandrinus
(f215) bei seiner Erklärung, daß es zum Wesen Gottes gehöre, Gutes zu tun
(άγαθοποιειν), daß Gott nicht unfreiwillig gut sei (άκων άγαθός), sondern daß
er freiwillig seine Güter verteile (εκούσιος δέ ή των άγαθών μετάδοσις) 1 . Hip-

D e r Beitrag stellt die wesentlich überarbeitete Fassung des Aufsatzes dar, der 1965 bei
Minerva in Frankfurt am Main in der Festgabe 'Parusia' für JOHANNES HIRSCHBERGER
unter folgendem Titel veröffentlicht wurde: 'Das "Warum" der Schöpfung: "quia bonus"
vel/et "quia voluit"? Ein Beitrag zum Verhältnis v o n Neuplatonismus und Christentum
an Hand des Prinzips "bonum est diffusivum sui'" (241—264).

1
Strom. VII 4 2 , 4 ; vgl. VII 6 9 , 5 ; Protrept. IV 6 3 , 3 ; XII 120,2; Paed. 1 2 7 , 2 (STÄHLIN).
ZUM VERHÄLTNIS VON NEUPLATONISMUS UND CHRISTENTUM 995

polyt erklärt: εις γαρ θεός εστίν, φ δει πιστεύειν, άλλ5 άγέννητος, άπαθής,
άθάνατος, πάντα ποιων ώς θέλει, καθώς θέλει, οτε θέλει 2 . Und Basilius der
Große 3 verkündet in seiner ersten Homilie ins Hexaëmeron: τη ροπή τού θελή-
ματος μόνη εις το είναι παρήγαγε τα μεγέθη τών όρωμένων. Von Augustinus
stammt jenes für die christliche Schöpfungslehre ungemein bezeichnende Wort:

Qui ergo dicit, quare fecit Deus caelum et terram? Respondendum ei, quia
voluit. Voluntas enim Dei causa est caeli et terrae et ideo maior est voluntas
Dei quam caelum et terra. Qui autem dicit, quare voluit facere caelum et
terram? maius aliquid quaerit quam est voluntas Dei. Nihil autem maius
inveniri potest4.

Nach J. P. MÄHER erblickt daher Augustinus im Willen Gottes den Grund für die
Schöpfung der Welt 5 . Ebenso akzentuiert Boethius (|524) die Freiwilligkeit der
Schöpfung 6 . Gottes freies Schöpfertum gehört zu dem Repertorium eines Albert
des Großen 7 , eines Bonaventura 8 , eines Thomas von Aquin 9 , eines Meister Eck-
hart 1 0 und eines Nikolaus von Cues 1 1 , um einige von den Großen des Mittel-
alters zu nennen 12 . Allein, so selbstverständlich die quaestio facti ist — man

2 Contra Noetum c. 8; P G 1 0 , 8 1 6 B ; ferner c. 10; 8 1 7 A . Vgl. auch Orígenes, bei Eusebius,


Praep. Evang. VII 20; P G 2 1 , 5 6 5 Α Β.
3 Horn. 1 1 , 2 ; P G 2 9 , 8 C . Vgl. dazu M. BERGER, Die Schöpfungslehre des hl. Basilius
des Großen. Programm des Kgl. humanistischen Gymnasiums Rosenheim für das Jahr
1896/97. Teil I (Rosenheim 1897) 16, 33 f., 40, 43 ; Teil II (Rosenheim 1898) 3.
4 De Gen. contr. manich. I 2, 4; PL 3 4 , 1 7 5 . Ferner Ad Orosium I 3; PL 42, 671. De div.
quaest. 83, q. 28; P L 40, 18. Enarr. in Ps. 134, 10; C C L 40, 1945.
5 Saint Augustine's Defense of the Hexaemeron against the Manicheans (Rome 1946) 52.
6 Vgl. De Hebd., Ausg. v. STEWART-RAND (London 6 1953) 4 6 , 1 2 0 ; 4 8 , 1 5 2 ; 5 0 , 1 5 9 .
7 Vgl. die ausgezeichnete Studie von J . SCHNEIDER, Das Gute und die Liebe nach der Lehre
Albens des Großen: Veröffentlichungen des Grabmann-Instituts zur Erforschung der
mittelalterlichen Theologie und Philosophie, N . F . , Bd. 3 (München 1967), bes. 5 6 , 5 7 ,
6 0 f . , 62, 6 9 , 9 8 mit den dort angegebenen Belegen. Ferner die nach wie vor gute, wenn
auch schon ältere Studie von H. KÜHLE, Die Entfaltung des Gottesbegriffes zum Begriffe
des höchsten Gutes nach Albert dem Großen (Münster 1931), bes. 59, 65, 66f., 72 , 75, 76
(ebenfalls mit Belegen).
8 In I Sent. d. I. dub. X I I I (I 44); in I Sent. d. X L I V 1, 2 ad 4um (I 785); in I Sent. d. X L V
2 , 1 conci. (I 804); in I Sent. d. X L V 2 , 1 ad 3um, ad 4um (I 805). - Die römischen Ziffern
in Klammern bezeichnen den 1. Band der Ausgabe von Quaracchi, die arabischen Ziffern
die Seiten dieser Ausgabe. Nach dieser Ausgabe wird zitiert!
9 De pot. Dei III 1 ad 9um; III 4 c . ; III 13, c.; III 15, c.; V 3 ad 5um; S. th. I 14,9 ad
3um; I 1 9 , 4 , c.; I 19,10, c.; I 4 5 , 6 , c.; I 4 6 , 1 , c. u. ad 6um; I 6 1 , 2 ad l u m ; De
ver. X X I I I 2 ad 3um; X X I I I 4 ad 6um; I Sent. 35, 1 , 1 ; in D N nnr. 88; 271 (PERA) et
passim.
10 Vgl. etwa L W I 5 0 , 1 9 ; 5 2 , 8 - 1 5 ; 1 8 9 , 7 - 1 5 ; 2 9 9 , 1 0 ; 1 9 4 , 1 - 4 ; 3 1 4 , 6 - 1 5 ; 5 1 0 , 1 2 - 5 1 2 , 6 ;
II 4 7 , 1 — 11 et passim.
11 De dato 4 (h IV, N . 109, Z. 15f.); De vis. 8 (p I, Fol. 102 v , Z. 10); Ven. sap. 27 (h
X I I , Ν . 81, Ζ. 12; Ν . 82, Ζ. 1 0 - 1 2 ) .
12 Sehr eindrucksvoll belegt dies L. SCHEFFCZYKS weit ausholendes Buch 'Schöpfung und
Vorsehung': Handbuch der Dogmengeschichte, hrsg. ν. M. SCHMAUS U. A. GRILLMEIER,
Bd. II 2 a (Freiburg/Br. 1963).
996 KLAUS KREMER

konnte sich dafür einfach auf die hl. Schrift (vgl. etwa Ps. 113,11; 1 3 4 , 6 ; Jak.
1 , 1 8 ; Apoc. 4 , 1 1 u . a . ) und später auf das Florentinum und Vaticanum I berufen
(vgl. D 706; 1783; 1805) —, die quaestio iuris ist um so schwieriger. Wie ist näm-
lich diese Freiheit Gottes „nach außen" {ad extra) zu verstehen? Auch wenn Gott
aus Freiheit des Willens schafft, bedarf er eines „motivierenden Grundes". Got-
tes Tun ist nicht grundlos. Die gesamte christliche Tradition hat diese Notwen-
digkeit von Anfang an ebenso gesehen und gewürdigt wie die göttliche Freiheit.
Kein geringerer als LEIBNIZ hat erklärt, nicht zuletzt im Hinblick auf die Car-
tesische Position, wonach die ewigen Wahrheiten der Metaphysik und der Geo-
metrie und folglich auch die Regeln der Güte, der Gerechtigkeit und der Voll-
kommenheit nichts als Wirkungen des göttlichen Willens sind 1 3 : „Außerdem hat
es den Anschein, daß jeder Wille einen Grund des Wollens voraussetzt, und daß
selbstverständlich dieser Grund dem Willen naturgemäß vorhergeht" 1 4 . Das trifft
natürlich auch auf den göttlichen Willen zu. „Denn zu glauben, Gott handele
in irgendeinem Falle, ohne einen Grund für seinen Willen zu haben, das ist,
abgesehen davon, d a ß es u n m ö g l i c h s c h e i n t , eine Ansicht, die seiner Herr-
lichkeit wenig angemessen ist. Nehmen wir beispielsweise an, Gott wähle zwi-
schen A und Β und entscheide sich für A , ohne irgendeinen Grund zu haben,
es Β vorzuziehen, so sage ich, daß diese Handlung Gottes zumindest nicht
lobenswert wäre; denn alles L o b muß einen vernünftigen Grund haben, der hier
ex hypothesi nicht zu finden ist. Ich hingegen glaube, daß Gott nichts tut, wo-
für er nicht des R ü h m e n s wert i s t " 1 5 . Das hat auch Augustinus empfunden.
Drei Dinge sind es vor allem, so stellt er fest, die man über die Kreatur wissen
soll: quis eam fecerit, per quid fecerit, quare fecerit16? Daß Gott die Welt ge-
schaffen habe, weil er es wollte (quia voluit), ist darum nicht sein letztes Wort
in dieser Frage. In ' D e civitate Dei' erklärt er nämlich:

„Man kann keinen besseren Grund angeben als den, daß das Gute durch
den guten Gott geschaffen werden sollte, was auch Piaton für die beste
Antwort auf die Frage nach dem Warum der Schöpfung gehalten h a t " 1 7 .

13 DESCARTES, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie mit den sämtlichen Ein-
wänden und Erwiderungen. Hrsg. V. A. BUCHENAU. Philos. Bibliothek Meiner (Hamburg
1954) 374 f.
14 LEIBNIZ, Metaphysische Abhandlung § 2 (HERRING). Philos. Bibliothek Meiner (Hamburg
1958). In seinem Kommentar zu c De coelesti Hierarchie' von Dionysius schreibt Albert der
Große: Quando autem aliquid producitur non per necessitatem naturae, sed per libertatem
voluntatis, non sufficit ad productionem scientia et potentia agentis . . . sed oportet, ut ap-
petitus voluntatis inclinetur ad productionem rei . . . id autem quo inclinatur voluntas ad
agendum, est bonitas primi agentis; et ideo proprium est bonitatis eius educere res per crea-
tionem (c. IV § 1 d. 1 sol; X I V 99 BORGNET). Vgl. ferner bei J . SCHNEIDER, a . a . O .
(Anm. 7) 57, 62, 104.
15 ebd. § 3. Hervorhebung von mir! Vgl. auch § 19.
16 De civ. Dei X I 21 u. 24; C C L 48, 340 u. 343f.
17 Nec causa melior quam ut bonum crearetur a Deo bono. Hanc etiam Plato causam condendi
mundi iustissimam dicit, ut a bono Deo bona opera fierent (De civ. Dei X I 2 1 ; C C L
48, 340).
ZUM VERHÄLTNIS VON NEUPLATONISMUS U N D CHRISTENTUM 997

Wird aber jetzt die Freiheit Gottes nicht wieder illusorisch gemacht? Denn
wenn Gott aufgrund seiner Güte und Vollkommenheit geschaffen hat, scheint
sein Tun eben doch in die Nähe der Naturnotwendigkeit gerückt, wenn nicht gar
mit ihr identifiziert zu werden. Gott ist mit metaphysischer Notwendigkeit gut
und vollkommen; das Gegenteil bedeutete einen Widerspruch. Verlegt man nun
den Grund der Schöpfung in eben diese Güte, dann scheint er mit derselben
Notwendigkeit schaffen zu müssen, durch die er auch gut ist. Außerdem kennen
wir einen hochinteressanten Präzedenzfall. Im Neuplatonismus ist der Topos von
der schöpferischen Güte Gottes beheimatet. Aber gerade im Neuplatonismus er-
blickte man von jeher den Prototyp einer Philosophie, die Gott der schöpfe-
rischen Freiheit beraubt 1 8 . Oder wäre das Wort von der schöpferischen Güte
Gottes anders zu interpretieren, so, daß Gott zwar schafft, weil er gut ist, aber
dies dennoch o d e r gerade deshalb aus Freiheit tut?

II. Piaton

Der Versuch einer Deutung dieses Wortes muß von jenem Piatonzitat des
Timaios 1 9 ausgehen, das den geistes- und problemgeschichtlichen Hintergrund
dafür abgibt:

„ E r war voller Güte (αγαθός ήν); wer aber gut ist, für den gibt es niemals
und nirgends Neid (άγαθώ δε ουδείς . . . φθόνος). Völlig unberührt davon
wollte er, daß alles ihm so ähnlich wie möglich sei. Darin also nach der
Lehre der einsichtigsten Männer den eigentlichen Grund des Werdens und
des Weltalls zu sehen, dürfte wohl am richtigsten sein".

Die Neuplatoniker, allen voran Plotin, berufen sich ebenso sehr darauf wie
Augustinus. Für das Verständnis dieses Piatonwortes ist zu beachten, daß es

18 Repräsentativ dafür sind die Studien von: L. GRANDGEORGE, Saint Augustin et le N é o -


platonisme (Paris 1896, Nachdruck Frankfurt/M. 1967) 102, 103, 107; M. BERGER, a . a . O .
(Anm. 3) 1 2 9 — 4 5 ; J. PÉGHAIRE, L'axiome " b o n u m est diffusivum sui" dans le néoplatonisme
et le thomisme: Revue de l'université d'Ottawa 1 (1932) 5*—30*; G. M. MANSER, Das
Wesen des Thomismus (Fribourg 3 1 9 4 9 ) 582—586; C . TRESMONTANT, La métaphysique
du christianisme et la naissance de la philosophie Chrétienne (Paris 1961). Auch W .
BEIERWALTES, Proklos. Grundzüge seiner Metaphysik: Philosoph. Abhandlungen, Bd. 24
(Frankfurt/M. 2 1 9 7 9 ) 143f., erblickt in der freien bzw. notwendigen Schöpfung einen der
grundlegenden Unterschiede zwischen christlichem und griechischem Denken. Ferner
J. SCHNEIDER, a. a. O . (Anm. 7) 56, 70, 298. L. SWEENEY, Basic Principles in Plotinus' Philo-
sophy: Gregorianum 42 (1961) 506—516, bes. 512; J . BARION, Plotin und Augustinus. Unter-
suchungen zum Gottesproblem (Berlin 1935) l l l f . und 1 2 5 f . ; L . SCHEFFCZYK, Einführung
in die Schöpfungslehre (Darmstadt 2 1 9 8 2 ) 32 f.
19 2 9 e 1 - 3 0 a 2. Vgl. auch Phaidr. 247 a 7.
998 KLAUS KREMER

überhaupt nicht aus der Problemlage heraus geboren ist: notwendige oder frei-
willige Schöpfung. E s ist weder auf einen Determinismus noch auf einen Vo-
luntarismus festgelegt, sondern entsteht und liegt außerhalb dieser Problematik,
es sei denn, man wollte in dem έ β ο υ λ ή θ η (29 e 3) bereits einen freien schöpferi-
schen Akt des Demiurgen erblicken. Aber der Text dürfte dies kaum hergeben 2 0 .
D e r angemerkte Sachverhalt ist von großer Bedeutung für Plotin, der auch nicht
von der Fragestellung, notwendige oder freiwillige Schöpfung, ausgeht, sondern
nach einem G r u n d für das Dasein der Welt sucht. Er findet ihn ebenso wie
Piaton, sein Lehrer A m m o n i o s Sakkas 2 1 und dessen Schüler Orígenes der Christ 2 2
in der Güte und Vollkommenheit Gottes. O b Freiheit damit vereinbar ist, und wie
christliche Denker dieses Problem gelöst haben, soll die hier versuchte Inter-
pretation zeigen.

III. Plotin

Plotin selbst gilt als Vertreter einer notwendigen Schöpfung bzw. Emana-
tion. ( O b die plotinische Emanation bereits eine Schöpfung aus dem Nichts dar-
stellt, ist eine Frage für sich, der hier nicht weiter nachgegangen werden soll.
Ich verweise dafür auf meine Arbeit: 'Die neuplatonische Seinsphilosophie und
ihre Wirkung auf T h o m a s von Aquin', Leiden 2 1971.) Diese Lesart ist derart ver-
breitet, daß eine weitere Anführung von Belegen sich erübrigt 2 3 . O b sie haltbar
ist, ist dadurch freilich nicht bewiesen. Versuchen wir, ihr im folgenden etwas
nachzuspüren. Wir greifen zu diesem Zweck die einschlägigen Texte heraus und
gliedern sie gleichzeitig in drei Textgruppen auf.

20 Vgl. die Kommentare v. CORNFORD U. TAYLOR ZU Piatons 'Timaios'.


21 Für Ammonios Sakkas vgl. W. THEILER, Ammonios der Lehrer des Orígenes: Quellen
und Studien zur Geschichte der Philosophie, hrsg. ν. P. WILPERT, Bd. X (Berlin 1966) 1 —
45. THEILER glaubt, aus dem Alexandriner Hierokles (um 420 n. Chr.) das System des
Ammonios Sakkas wiedergewonnen und die ammoniscile Schülerschaft des Kirchenlehrers
Orígenes zum erstenmal strikt bewiesen zu haben (ebd. 39). Grund der Schöpfung nach
Ammonios ist Gottes Güte (Belege bei THEILER, ebd. 22). Vgl. jetzt aber zu Ammonios
F. M. SCHROEDER, Ammonius Saccas, ob. in diesem Bd. ( A N R W II 36,1) 493—526.
22 Vgl. D e princ. III 5,3; 272, 25 (KOETSCHAU). Ferner der von Orígenes beeinflußte Basilius
der Große: Horn. 1,7; P G 2 9 , 1 8 C . Clemens Alexandrinus, Strom. V I 1 6 ; 5 0 4 , 1 - 4
(STÄHLIN 1939). Tertullian, Adv. Marc. 113; C C L 1, 477f.; 114; C C L 1, 478f. Für
Avicenna, Wilhelm von Auvergne, Albert den Großen u. Ulrich von Straßburg vgl.
J . SCHNEIDER, a . a . O . (Anm. 7) 30f., 33f., 56f., 62, 101, 296 u. passim. In der Predigt 23
sagt Meister Eckhart: „ E i n Meister sagte: Daß alle Grashalme so ungleich sind, das kommt
vom Überfluß der Güte Gottes, die er im Überfluß in alle Kreaturen gießt, auf daß
seine Herrlichkeit um so mehr offenbart werde" Q. QUINT, Meister Eckhart, Deutsche
Predigten und Traktate, Regensburg 5 1978, 259,3—5).
23 Vgl. oben Anm. 18 u. unten Anm. 7 0 - 7 9 .
Z U M VERHÄLTNIS V O N N E U P L A T O N I S M U S U N D CHRISTENTUM 999

1. Alles Vollkommene bringt ein Anderes hervor

Da ist zunächst einmal eine Textgruppe, in der das platonische Motiv quia
bonus erat dominiert. Hierher gehören IV 8,5f. (6) 24 ; V 4,1 (7); VI 9,6 (9);
V 1,6 (10); V 1,7; V 2,1 (11); V 5,12 (32); II 9,3 (33); V 3 , 1 5 f . (49). In diesen
und anderen Texten wirft Plotin stets die Frage auf, warum das Eine nicht bei
sich stehengeblieben sei, sondern ein Anderes hervorgebracht habe, wie aus dem
Einen das Viele hervorgegangen sei 25 . Dies sei die Grundfrage 2 6 . Einem mög-
lichen Mißverständnis ist hier a priori vorzubeugen. Plotins Frage nach dem
Warum und Wie der Emanation könnte den Anschein erwecken, als maße Plotin
es sich an, auf der „ H ö h e " Gottes zu stehen, um von hier aus das Warum und
Wie beurteilen zu können. Das wäre jedoch eine Täuschung. Plotin ist sich be-
wußt, daß wir nur von unten nach oben und nicht umgekehrt von oben nach
unten steigen können. Hier gibt es für den menschlichen Geist keine Deduktion,
sondern nur einen Aufstieg vom Sinnlichen zum das Sinnliche ermöglichenden
Intelligiblen. Plotin hat dies eigens angemerkt bei der Frage, wie wir um Gott
wissen können 2 7 . Er läßt es ebenfalls unmißverständlich durchblicken bei der
Frage nach dem Warum der Welt 28 . W e i l die Welt in ihrer Vielfalt und Schön-
heit existiert, erhebt sich für den menschlichen Geist sozusagen spontan die
Frage, was den Schöpfer „veranlaßte", sie hervorzubringen. Plotin antwortet:
„Wenn das Erste vollkommen ist, das Vollkommenste von allem, und auch
die erste Kraft (δύναμις), dann muß es von allen Dingen das Kraftvollste
sein und die anderen Kräfte, insofern sie kräftig sind, nur ein Abbild von
ihm. N u n sehen wir aber, wie von den übrigen Dingen alles, was zu seiner
Reife kommt, zeugt und sich nicht zufrieden gibt, in sich zu verharren,
sondern ein anderes hervorbringt, und zwar nicht nur was bewußten Willen
(προαίρεσιν) hat, sondern auch was ohne bewußten Willen aus sich wachsen
läßt, ja selbst das Unbeseelte gibt, soviel es kann, von seinem Wesen ab; so
erwärmt z.B. das Feuer, der Schnee kältet, die Arzneien üben eine ihrem
Wesen entsprechende Wirksamkeit auf andere Dinge, alle ahmen sie damit
nach Kräften den Urgrund nach in bezug auf Ewigkeit der Existenz und
Güte. Wie sollte da das Vollkommenste, das Erste Gute bei sich selbst
stehenbleiben, gleichsam mit sich kargend oder aus Schwäche (ώσπερ φθό-
νησαν εαυτού ή άδυνατήσαν), welches doch aller Dinge Kraft ist (δύναμις
πάντων)? Wie könnte es dann noch Urgrund sein? Es muß mithin auch
etwas aus ihm hervorgehen, wenn anders es auch noch die anderen Dinge
geben soll, welche doch von ihm her ihre Existenz haben; denn daß sie sie
von ihm haben, ist notwendig" 2 9 .

24
D i e Zahlen in Klammern meinen die chronol. Folge der Schriften.
25
V 1, 6 , 1 f. 4 f . ; V 1, 7 , 5 ; V 2 , 1 , 3 ; V 9, 14,4; III 9 , 4 , 1 ; V 3 , 1 5 , 3 . 3 5 ; V 3, 1 6 , 1 6 - 2 0 ;
V 4 , 1 , 2 3 ; V 4 , 2 , 1 2 etc. Vgl. auch H . R. SCHWYZER, Artikel Tlotinos': RE-Band X X I , 1
(1951) 5 6 9 , 1 - 1 6 .
26
V 1 , 6 , 3 f.
27
V 3 , 1 4 , 1 - 8 ; auch VI 9 , 5 , 3 4 ; VI 8 , l l , 7 f .
28 29
Vgl. V 4, 1; IV 8 , 5 u. 6; V 1,6; III 2 , 1 ; III 2 , 2 ; II 9 , 8 . V 4,1,23-39.
1000 KLAUS KREMER

V 1,6 bringt im Grundriß dasselbe; auch die gleichen Beispiele sind da, mit
Ausnahme der Arzneien, an deren Stelle die wohlriechenden Stoffe gerückt sind.
Im gleichen Rahmen bewegen sich V 1,7, V 3,15f. und IV 8,5f. In letzterem
wird als neuer Gedanke hervorgehoben, daß im Falle der Nicht-Schöpfung alle
Dinge verborgen geblieben wären, da sie im Einen der Gestalt ermangelten.
Einem jeden Wesen wohnt nämlich das Streben inne, das ihm Nachgeordnete
hervorzubringen und sich zu entfalten. Das Motiv vom neidlosen Geben und der
überströmenden Fülle und Vollkommenheit findet sich ebenfalls in V 5,12, so-
dann in V 2,1, mit dem wichtigen Zusatz hier, τω μηδέν ζητείν, μηδέ εχειν,
μηδέ δεΐσθαι, und erfährt in II 9,3 eine letzte Steigerung. Die Seele, die in der
Schau des Nus verharrt, wird dadurch erleuchtet und gibt dies Licht weiter an
das unter ihr Liegende 30 .

„So wird, wenn irgendwo ein Feuer brennt, rings alles erwärmt, was dazu
überhaupt imstande ist. Dabei ist das Feuer dem Maß unterworfen; Kräfte
aber, die kein Maß ermißt, sollen sein, ohne daß sie von ihrer Kraft mit-
teilen? . . . Nein, eine jede muß notwendig von ihrem Eigensein auch einem
Anderen mitteilen; sonst kann das Gute nicht gut sein (ή το αγαθόν ουκ
αγαθόν εσται), sonst der Geist nicht Geist, die Seele nicht, was sie ist, wenn
nicht . . . auch etwas zu zweit lebt . . ." 3 1 .

Die dargestellte Textgruppe veranschaulicht folgende Grundgedanken:


a) Es ist die Tatsache der Existenz der Welt, die nach ihrem Schöpfer und
dem Warum ihrer Existenz fragen läßt. Dieses Warum ist die absolute und daher
neidlose Güte Gottes, seine unendliche Vollkommenheit und sein Überfluß an
schöpferischer Kraft.
b) Zur Erläuterung dieses Motivs greift Plotin auf folgende Beobachtung
zurück. Im Reiche des Sinnlichen und Werdens bringt jedes vollkommene Wesen
ein sich Ähnliches hervor. Kein Ding behält das Gute für sich, sondern teilt es
mit: das Feuer die Wärme, der Schnee die Kälte, die wohlriechenden Stoffe den
Duft usw. Dann kann natürlich auch das Allervollkommenste und Beste, das
Gute schlechthin, nicht bei sich stehenbleiben. Man müßte ihm sonst Neid oder
Unvermögen zuschreiben! — Verkehrt wäre es jedoch, die Notwendigkeit, die
in den von Plotin zur Illustration angeführten Beispielen zum Ausdruck kommt,
auch auf Gott, das Eine oder Gute, übertragen zu wollen. Bei den genannten
Dingen vollzieht sich die diffusio bonitatis tatsächlich notwendig; aber nicht
darum ist es Plotin zu tun, sondern einzig um die Tatsache, daß die diffusio
bonitatis in a l l e n Seinsregionen stattfindet. Auch dort, wo freier Wille herrscht;
denn in V 4,1,29 sagte er ausdrücklich, daß jedes, was zu seiner Vollendung
komme, zeuge, und zwar nicht nur was b e w u ß t e n Willen habe (προαίρεσις) 3 2 .

30
II 9 , 2 , 1 0 - 1 8 .
31
II 9 , 3 , 4 - 1 1 .
32
Gemeint ist damit bewußtes Wollen, überlegtes Streben, ein Vorsatz. Vgl. Arist., E N III, 5;
1113 a 10. Dazu den Kommentar von F. DIRLMEIER, Aristoteles. Werke in deutscher
Übersetzung. Bd. 6. Nikomachische Ethik (Berlin 1956, 71976) 327f.
ZUM VERHÄLTNIS VON NEUPLATONISMUS UND CHRISTENTUM 1001

Also auch der freie Wille teilt sein bonum mit, frei natürlich und nicht notwendig
wie die vernunftlosen Dinge.

c) Nicht die absolute Notwendigkeit, daß das Eine sich mitteilen muß, soll
betont werden, sondern die unbedingte Notwendigkeit, daß alles Seiende auf
das Eine oder Gute zurückzuführen ist. Besonders markant in V 4,1,1 : „Wenn
es etwas nach dem Ersten gibt, so muß es notwendig aus Jenem stammen". Ferner
V 4 , l , 3 8 f . ; V 1,6,8; II 9 , 1 - 3 ; V 3 , 1 6 , 1 0 - 1 6 ; V 5 , 4 , 1 - 6 .

d) Von größter Bedeutung sodann ist die Feststellung Plotins, daß das Eine
oder Gute nicht deshalb überströmt, um dadurch zu sich selbst zu kommen. Die
Emanation darf nicht als notwendige Ergänzung oder Bereicherung des Einen
aufgefaßt werden. Das wäre ein grobes MißVerständnis ! Das Eine nimmt den
Weltprozeß nicht deshalb in Kauf, um in und durch ihn sein eigenes Wesen zu
verwirklichen bzw. zu vollenden. Nichts bedürfend, nichts suchend hat es den
Nus hervorgebracht33. „Der Urgrund aber ist nicht bedürftig der Dinge, die
nach ihm sind, sondern der Urgrund aller Dinge ist aller Dinge unbedürftig" 34 ,
weil er sich selbst in jeder Hinsicht genügt35. Auch hier gilt es zu sehen, was
Plotin tatsächlich geschrieben hat. Für ihn ist Gott das Allervollkommenste; als
solcher steht er bereits am Anfang, nicht erst am Ende des Weltprozesses. Seine
Schöpfungen beeinträchtigen seine eigene Realität in keiner Weise. Denn die
Emanation ist nicht so zu verstehen, als ob das Emanierte aus Gott herausflösse
und daher eine Minderung seiner Substanz bedeutete 36 . Diesem Gott kann aber
auch, eben aufgrund seiner ewigen Selbstvollendung, durch die Emanation nichts
mehr zuwachsen 37 . Es ist bei Plotin nicht anders als bei allen Vätern und Scho-
lastikern, wenn sie lehren, Gott könne durch seine Schöpfung weder etwas ver-
lieren noch etwas gewinnen. Diese Anschauung ist bereits bei Plotin zu einem
Topos ausgebildet. Die Schöpfungen des Einen bedeuten daher für Plotin bloß
eine O f f e n b a r u n g der Herrlichkeit Gottes und der geistigen Welt 38 , nicht mehr
und nicht weniger, was die Welt ja auch für die Patristik und Scholastik ist. — Die
absolute Unbedürftigkeit Gottes gegenüber allem von ihm Hervorgebrachten, die
bei Plotin als Selbstverständlichkeit erscheint, wird bei den christlichen Denkern

33 V 2 , 1 , 7 f . ; V 4 , 1 , 1 2 ; V 5 , 1 2 , 4 0 - 4 9 ; I 8 , 2 , 2 - 7 ; III 8, 1 1 , 1 5 f .
34 VI 9 , 6 , 3 5 ; V 3 , 1 1 , 1 6 - 1 9 ; I 7 , 1 , 2 0 - 2 4 ; V 5 , 9 ; III 8 , 1 1 , 9 - 1 1 ; VI 8 , 2 1 , 2 3 - 2 6 .
35 VI 9 , 6 , 4 5 ; VI 9 , 6 , 2 7 - 3 4 ; VI 8 , 1 1 , 3 2 ; VI 8 , 1 5 , 2 7 f . ; II 9 , 1 , 8 - 1 2 ; I 8 , 2 , 4 f .
36 VI 9 , 9 , 1 - 7 ; V 1 , 3 , 9 - 1 2 ; III 8 , 8 , 4 6 ; VI 9 , 5 , 3 7 ; VI 5 , 3 , 5 ; V 5 , 5 , 1 f.
37 I 6 , 7 , 2 5 - 2 7 ; V 5 , 1 2 , 4 0 - 4 3 ; III 8 , 9 - 1 1 ; V 1 , 6 , 1 6 - 2 7 ; VI 8 , 1 5 , 1 1 ; VI 9 , 6 , 2 8 ; V 1 , 4 , 1 3 .
38 IV 8 , 6 , 2 3 - 2 8 ; IV 8 , 5 , 3 3 - 3 8 ; II 9 , 8 , 9 - 2 9 ; II 9 , 4 ; II 9 , 1 6 ; III 2 , 1 - 3 . Proklos, in
Tim. I 3 6 8 , 2 - 1 1 (DIEHL); Prop. 140 der Stoich. theol. - Ü b e r den gesamten Problem-
komplex der Emanation vgl. meine Arbeit: 'Die neuplatonische Seinsphilosophie und
ihre Wirkung auf Thomas von Aquin': Studien zur Problemgeschichte der antiken und
mittelalterlichen Philosophie, hrsg. v. J . HIRSCHBERGER in Verb, mit B . LAKEBRINK, Bd. I
(Leiden 2 1 9 7 1 ) , bes. 3 0 3 - 3 0 8 , 3 2 1 - 3 2 4 , 4 1 9 - 4 2 4 , 5 3 0 - 5 3 5 ; ferner meinen Artikel
'Emanation': Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. v. J . RITTER, Bd. II (Basel
1972) 4 4 5 - 4 4 8 .
1002 KLAUS KREMER

einen der Hauptgründe für den Beweis von Gottes freiem schöpferischen Wirken
bilden 39 .

Hält man sich diese vier Grundgedanken auf dem Hintergrund der ploti-
nischen Darstellungen vor Augen, ebenfalls die hervorgehobene Notiz, daß Plo-
tin nicht von der Alternative „freiwillige oder notwendige Schöpfung" ausgeht,
dann dürfte sich folgende Interpretation des Axioms bonum est diffusivum sui
ergeben. Denn daß dieses Axiom, wofür alle auf den Pseudo-Areopagiten sich
berufen 40 (Der Wortlaut läßt sich bei ihm jedoch nicht belegen41. Er geht auf
einen früheren christlichen Autor zurück, der ebenfalls von Plotin beeinflußt
ist. Ich hoffe, dies in einer gesonderten Studie zeigen zu können.), in seiner
prägnanten Formulierung Plotins quälende Frage nach dem Warum und Wie der
Emanation trifft, ist aus dem Gesagten ersichtlich42. Sein Inhalt besagt nach dem
Dargelegten: Zur Natur des Guten gehört es, sich mitzuteilen, sich auszugießen
und zu verströmen. Sonst kann, wie Plotin treffend bemerkt, das Gute nicht gut
sein 43 . Im Reiche des Vollkommenen herrscht die Vollkommenheit nur dann,
wenn das Vollkommene sich mitteilt. Ganz in Plotins Sinne wird Proklos später
die Formulierung prägen:

αγαθού γαρ ή μετάδοσις είς πάν το μετέχειν δυνάμενον, και το μέγιστόν


έστιν ού τό άγαθοειδές, άλλα το άγαθουργόν 44 .
Und noch Nikolaus von Cues schreibt in 'De visione Dei' von Gott:

Sed scio quod visus tuus est bonitas illa maxima, quae se ipsam non potest non
communicare omni capaci45.

Die res naturales wie etwa das Feuer, der Schnee, die Arzneien usw. teilen
ihr bonum notwendig mit, aufgrund ihrer Natur. Man kann diese Notwendigkeit
mit LEIBNIZ46 die physische Notwendigkeit heißen. Sie liegt in der Mitte zwischen
der moralischen und der metaphysischen Notwendigkeit. Hier gibt es keine Frei-
heit. Anders im Reiche des Geistes, wo das Axiom ebenfalls gilt, die Mitteilung des
Guten aber nunmehr aufgrund von Freiheit und nicht mehr aus Notwendigkeit
erfolgt. Hier gibt es keine physische Notwendigkeit, geschweige denn metaphy-
sische, sondern bloß moralische Notwendigkeit. Aber diese hebt, wie LEIBNIZ
gezeigt hat, die Freiheit nicht auf. Sie besagt nämlich weder innere Nötigung
noch äußeren Zwang, sondern das Gesetz, das dem Vollkommenen und insbe-

39 Vgl. unten S. 1026f.


40 Bes. De div. nom. PG 3; 693 B; 697; 7 1 6 B C ; 717f.; De coel. hierar. PG 3; 177C.
41 Vgl. auch TH.-A. AUDET, Approches historiques de la Summa Theologiae: Études
d'Histoire littéraire et doctrinale XVII (1962) 17 u. 17 Anm. 1.
42 Das hat PÉGHAIRE, a.A.O. (Anm. 18) 11, richtig beobachtet.
43 II 9 , 3 , 8 f .
44 S t . t h . , Pr. 122; p. 1 0 8 , 1 9 - 2 1 (DODDS).
45 De vis. 4 (p I, Fol. 100 r , Z. 32f.); vgl. auch De dato 2 (h IV, N. 97, Z.12): Optimum est sui
ipsius diffusivum; (N. 100, Z. 8). M. Eckhart, Predigt 9 (QUINT): DW I 1 4 9 , 1 - 1 3 .
46 Die Theodizee. Übers, v. A. BUCHENAU. Einf. Essay v. M. STOCKHAMMER (Hamburg
2 1968). Einl. Abhandl. 34 (§ 2); Anhang 416f. (III. Einwand). Vgl. auch unten S. 1013.
ZUM VERHÄLTNIS VON NEUPLATONISMUS UND CHRISTENTUM 1003

sondere dem Vollkommensten auferlegt ist. Versuchen wir, es an einem Beispiel


zu erläutern. Eine Mutter, die wirklich gut ist, wird sich in Liebe und guten
Taten für ihre Familie verströmen. Warum? Eben deshalb, weil sie gut ist! Eine
andere und bessere Antwort könnte man gar nicht geben. Würde man ihr ent-
gegenhalten: Dann tust Du das Gute also nicht mehr aus Freiheit, sondern weil
Deine gute bzw. vollkommene Natur Dich dazu nötigt, dann würde sie ant-
worten: Keineswegs! Eben weil ich gut und vollkommen bin, bin ich auch zum
Guten frei. Hinter meinem Tun steht keine blinde Notwendigkeit, sondern
größte Freiheit.
Schon J . W O L F hat in seinem Plotinbuch mit einem richtigen Gespür für
Plotins Denken unterschieden zwischen einer „Naturnotwendigkeit" auf der
einen und einer „moralisch-ästhetischen Notwendigkeit" auf der anderen Seite.
Letztere allein liege dem Emanationsprozeß Plotins zugrunde47. Auch CH. TH.
WAGNER kommt in seiner Plotinstudie zu dem Ergebnis, daß die Notwendigkeit,
mit der das Eine sich überallhin ergießen muß, keinen Mangel an Freiheit be-
deute48.
In ähnlicher Weise wie Plotin wird später Philipp de Grève, Kanzler der
Pariser Universität (fl236), der nicht im entferntesten daran denkt, Gottes freies
schöpferisches Wirken in Frage zu stellen, erklären:

Item altera ratio ipsius boni, secundum quam dicitur: Bonum est diffusivum
aut multiplicativum esse, data est per posterius, per proprietatem consequen-
tem bonum. Bonum enim, quod bonum est, communicativum alicuius esse,
ut summum bonum communicat esse et bene esse omnibus aliis entibus.
Similiter et cetera entia communicant inter se esse alicuius modi, secundum
quod invicem unum indiget altero49.

W i e ist die diffusio bonitatis zu verstehen? Aus den Beispielen, die Plotin
anführt, geht hervor, daß die genannten Dinge wie Feuer, Schnee usw. etwas
von ihrem eigenen Wesen abgeben, wobei sie einen Realitätsverlust erfahren. Das
gilt nicht mehr für das Mitteilen beim Einen, beim Nus und bei der Seele. Plotin
hat eigens Verwahrung dagegen eingelegt. Aus dem Guten, schreibt er in VI 9,9,
1 ff., geht das Leben, der Geist, das Sein . . . hervor; „nicht als flössen diese Dinge
aus ihm und verringerten ihn damit; er ist ja keine Masse. Dann müßten diese
Hervorbringungen vergänglich sein, sie sind aber ewig, weil ihr Urgrund unver-
ändert bleibt und sich nicht in sie zerteilt, sondern ganz bleibt" 50 . Beim Hervor-
gang der Seele aus dem Geist, der zweiten Hypostase, merkt er an: Die Seele ist
„die ganze Wirkungskraft, die der Geist ausströmt, um ein anderes zur Existenz
zu bringen; so wie beim Feuer zu scheiden ist die ihm innewohnende und die von
ihm gespendete Wärme — nur daß man beim Geist die Wirkungskraft nicht als

47 D e r Gottesbegriff Plotins ( F r e i b u r g / B r . 1 9 2 7 ) 57 f.
48 Die vielen Metaphern und das eine Modell der plotinischen Metaphysik (Heidelberg 1 9 5 7 )
Dissertation, ungedruckt, 76.
49 S u m m a de b o n o , zitiert bei J . SCHNEIDER, a . A . O . ( A n m . 7) 3 5 A n m . 7 6 . E b d . S. 3 3 —
35 auch die Auffassung des Wilhelm von Auvergne.
50 Vgl. auch V I 9 , 5 , 3 6 f . ; V 5 , 5 , 1 f.; VI 7, 3 2 , 2 0 f .
1004 KLAUS KREMER

Ausfließendes (ουκ έκρέουσαν) denken muß, sondern die Wirkungskraft beharrt


in ihm, während die äußere als eine gesonderte in die Existenz tritt" 5 1 . Was aus
dem Einen oder Nus hervorgeht, ist jeweils Abbild (είκών), Nachahmung (μίμη-
μα), Spur (ϊχνος) von ihm, eine Teilhabe an ihm, daher ein wahrhaft Anderes,
das seinem Prinzip nur noch ähnlich (ομοιον), aber nicht mehr identisch mit
ihm ist 52 . Insofern also Gott, Geist und Seele ein Ebenbild ihrer hervorbringen,
gehört unser Axiom in den Bereich der causa efficiens53, wenn man diesen Aus-
druck ungeachtet aller ihm anhaftenden Aporien einmal beibehalten will; richtiger
jedoch in den Bereich der allerdings dynamisch gefaßten und mit dem finis identi-
schen Formursache. Denn die diffusio meint Setzung des Seienden durch Aus-
strahlung des Seins, Konstituierung alles Seienden aufgrund von Teilhabe des
Prinzipiats an dem Prinzip, so daß dieses in jenem sich zwar abbildet, nicht aber
sich selbst komplementiert.
Trifft die hier gegebene Interpretation des Axioms ins Schwarze, dann wäre
der Gedanke einer freiwilligen Schöpfung bzw. Emanation bei Plotin nicht ausge-
schlossen. Das Prinzip als s o l c h e s involviert jedenfalls keinen Determinismus,
und i n s o f e r n Plotin den Hervorgang des Vielen aus dem Einen damit zu deuten
sucht, entgeht er dem Vorwurf der notwendigen Schöpfung. Das wird noch deut-
licher werden, wenn wir später auf Augustinus und Thomas zu sprechen kommen
werden, die, wie fast alle anderen christlichen Autoren, in diesem Axiom den
Grund für die Schöpfung der Welt erblicken, ohne dadurch die Freiheit von
Gottes schöpferischem Wirken gefährdet zu sehen. So erklärt z.B. Albert der
Große in seinem Kommentar zu 'De divinis nominibus' : . . . cum primum non
agat necessitate naturae, sicut sol illuminât, ne moveatur ab aliquo quod in nobis
sit, sed tantum sua bonitate . . . J . S C H N E I D E R , der diesen Text zitiert 54 und im

51 V 1 , 3 , 8 - 1 2 . Ferner VI 5,3,5.21; Proklos, in Tim. I 3 9 0 , 9 - 2 1 (DIEHL).


52 V 1,3; V 1,6; V 1,7; V 2,1; V 3,7; V 3,12; V 3,16; V 4,1; V 4,2; III 2 , 1 - 3 ;
IV 8,6; VI 7,32; VI 9,3; VI 8,18; VI 9,6.
53 Das Beste hierüber in der Synthese von causa efficiens u. finalis bei Bonaventura: in I Sent,
d. 45,2,1 conci. (I 804): Hinc est, quod cum intelligimus, vere voluntatem esse in Deo, et
proprietas voluntatis sit producere ea quae exeunt per modum liberalitatis, quod dicimus
Deum, in quantum voluntas est, esse causam rerum. Ratio autem, quare voluntati
attribuitur causalitas, haec est: quia ratio causandi est bonitas et in ratione effectivi et
in ratione finis. Nam „bonum dicitur diffusivum", „et bonum est propter quod omnia";
effectivum autem non fit efficiens in effectu nisi propter finem. Illud ergo, quod dicit con-
iunctionem principii effectivi cum fine, est ratio causandi in effectu; sed voluntas est actus,
secundum quem bonum reflectitur supra bonum sive bonitatem; ergo voluntas unit effec-
tivum cum fine. Et hinc est, quod voluntas est ratio causare faciens in effectu; et ideo attri-
buimus Deo rationem causalitatis sub ratione voluntatis, non sic sub aliis rationibus. Et
hoc colligitur ex verbis Dionysii in quarto de Divinis Nominibus, ubi dicit, quod 'bonitatem
ut principium et ut continentiam et ut finem omnia appetunt; ut principium, a quo sunt;
ut continentiam, per quam salvantur; ut finem, in quem tendunt'. Vgl. auch in II Sent. d.
1 pars II dub. I (II 51).
54 a.a.O. (Anm. 7) 60 Anm. 98. Ulrich von Straßburg in seiner Summa de summo bono II
tr. 3 c. 2 (ed. COLLINGWOOD) 303: Sed summum bonum non operatur per potentiam diffe-
rentem a sua essentia producendo res, sed per suam essentiam. Etformalis ratio huius operis
est ipsa bonitas, ut dicunt Boethius ('De hebdomadibus') et Plato ('Timäus' 29), quia eius
ZUM VERHÄLTNIS VON NEUPLATONISMUS U N D CHRISTENTUM 1005

Gegensatz zur Notwendigkeit der neuplatonischen Emanation die Freiheit der


Schöpfung bei Albert dem Großen betont, sah sich aufgrund dessen zu der Äuße-
rung veranlaßt: „Das Licht als Bild der göttlichen Wirksamkeit wird von der
naturhaften Art der Lichtstrahlung abgegrenzt durch die Betonung der Freiheit
der Hervorbringung, die a u f g r u n d des A u s g a n g s v o n d e r g ö t t l i c h e n
G u t h e i t angenommen wird, während der W a h r h e i t n a c h A l b e r t s Auffas-
sung eine solche f r e i e Verursachung nicht zukommen würde. Auch hier wird
also der durch die Gutheit bestimmte Wille als Ursprung angenommen" 5 5 . Albert
der Große und sein Interpret J. SCHNEIDER erblicken daher in der bonitas divina
keinen notwendigen, sondern einen freien Grund für Gottes schöpferisches Wir-
ken, ja Albert erblickt in der bonitas die Alternative zur necessitas naturae.
Bei Plotin jedoch müssen noch zwei weitere Textgruppen untersucht wer-
den, von denen die eine den Gedanken einer gewollten Emanation tangiert, die
andere dagegen diesen Gedanken auszuschließen scheint.

2. Freigewollte Emanation?

Erwähnt wurde bereits jenes Wort, daß alles Vollkommene zeuge; auch das,
was bewußten Willen habe (V 4,1,29) 5 6 . In V 5,12 (32) wird ausgeführt, daß
das Gute nicht des aus ihm Entstandenen bedarf. „Er bleibt nämlich der gleiche,
der er war, ehe er dies hervorbrachte. Es wäre Ihm ja auch gleichgültig, wenn es
nicht entstanden wäre (έπεί ούδ' ctv έμέλησεν αύτω μή γενομένου). Auch würde
Er nicht mißgünstig sein (έφθόνησεν), wenn noch ein Anderes die Möglichkeit
hätte, aus Ihm zu entstehen" 57 . Die Schöpfung wird hier derart in das Belieben
Gottes gestellt, daß sie für ihn geradezu zur Gleichgültigkeit und Indifferenz
herabsinkt. Von Notwendigkeit kann also keine Rede sein. In VI 7,8,13 f. (38)
findet sich ebenfalls eine überraschende Äußerung vom Nus, der zweiten ploti-
nischen Hypostase: „Wer hätte zum Stehen bringen können eine Kraft, welche
bei sich zu bleiben sowohl wie aus sich hervorzutreten vermochte" (τίς γαρ αν
εστησε δύναμιν μένειν τε καί προϊέναι δυναμένην). Voraus geht freilich die
Bemerkung, daß die Welt nicht bei den jenseitigen Dingen stehenbleiben
konnte 5 8 . Das ist jedoch nichts anderes als die Überlegung des bonum diffusivum,
die die Freiheit nicht aufzuheben braucht. Die Schrift II 1,1 (40) bringt sodann
den Gedanken, daß es zwar keine deutliche Vorstellung (σαφήνειαν) vermittle,
wenn man die βούλησις Gottes als Ursache für die ewige Welt ansetze, dies aber

ratio est esse diffusivum sui et esse ut dicit Dionysius. Ergo in omnia creata diffundit
similitudinem suae bonitatis.
55
ebd. 61 f. Hervorhebungen von mir!
56
S. oben S. 1000f.
57
V 5,12,43-45. Z. St. J. WOLF, a . a . O . (Anm. 47) 58: „Von Anfang an also stellte sich
das Eine an sich insofern indifferent zu der Frage, ob Etwas oder nichts, ob dieses oder
ein andres entstehe. ' J e t z t freilich, wenn man sich auf den Bod^n der Wirklichkeit stellt,
ist die Möglichkeit ausgeschlossen, daß nichts entstehe . . .'".
58
VI 7,8,13. Vgl. auch II 9 , 8 , 2 0 - 2 2 .
67 ANRW II 36.2
1006 KLAUS KREMER

dennoch wahr sei 59 . (Nach III 8,9,16—18 sagen wir auch nichts Deutliches —
σαφές —, wenn wir das erste Prinzip als das Gute und das schlechthin Einfache
bezeichnen, obgleich dies wahr ist.) Die Existenz der ewigen Welt wird auf den
Willen Gottes zurückgeführt, wofür Plotin sich nach T H E I L E R auf seinen Lehrer
Ammonios Sakkas berufen konnte. Denn dieser habe eine von Ewigkeit her durch
den Willen Gottes geschaffene Welt gelehrt 60 . Daß dies nach Plotins Ansicht
keine deutliche Vorstellung vermittelt, könnte an dem bereits eingangs erwähnten
Umstand liegen, daß Gottes Tun nicht grundlos ist, es daher nicht genügt, alles
einfach bloß auf den Willen Gottes zu schieben. Der beste Beweis dafür sind
wiederum Augustinus und Thomas, wie wir noch sehen werden. In V 3,15 plagt
Plotin sich mit dem Gedanken, wie das Eine alle Dinge hervorbringen konnte.
Es konnte sie nicht zuvor in sich enthalten, weil es dann Vielheit wäre. Also
ist es bloß das Vermögen aller Dinge, δύναμις πάντων, freilich nicht τω πάσχειν,
sondern τω ποιεϊν 6 1 . „Also wie kann Es eigentlich hervorbringen, was Es nicht
in sich trägt? Denn Es kann ja nicht aufs Geratewohl und ohne daß Es überlegt,
was Es hervorbringen will, trotzdem hervorbringen" (ού γαρ ώς ετυχε, μή
δ' ένθυμηθείς Ô ποιήσει, ποιήσει ομως) 62 . H A R D E R 1 , V 88, und H E N R Y - S C H W Y -
ZER weichen in Text und Interpunktion von HARDER2 ab, so daß bei ihnen die
Überlegung gerade negiert wird 6 3 . Gibt man HARDER2 recht, wozu wir neigen,
dann geschähe das Hervorbringen des Einen aufgrund von Denken und Freiheit.
Schließlich ist die tiefsinnige Schrift VI 8 zu erwähnen, wo Plotin die Identität
von „Sein", Willen und Freiheit in Gott (βούλησις, θέλησις, έλεύθερον, αύτ-
εξούσιον, αιρεσις) herausarbeitet 64 , ohne jedoch die freie Schöpfung zum Thema
seiner Reflexionen zu machen. In VI 8,17,20ff. und VI 8 , 1 8 , 3 8 - 4 3 finden sich
jedoch deutliche Aussagen. Auf letztere Stelle hat nach mir auch T H . K O B U S C H
aufmerksam gemacht 65 . Er bezeichnet sie allerdings „als Fremdkörper" im ploti-
nischen Denken. Im „Rahmen eines genuin platonisch-plotinischen Denkens"
sei „eine seinsetzende βούλησις undenkbar" 6 6 . K O B U S C H vermutet daher christ-
lichen Einfluß 67 .

59
II 1 , 1 , 2 - 4 ; vgl. auch II 1 , 1 , 3 4 . 3 7 . - Vgl. dazu HARDER2, IV b, 399f. - In der zeitlich
vorangehenden Schrift VI 8 , 1 7 , 1 ff. sieht Plotin die Welt geordnet w i e v o m Willen ( π ρ ο α ί -
ρεσις) eines Schöpfers. Vgl. dazu die nun folgenden Ausführungen.
60
Vgl. a . a . O . ( A n m . 21) 2 2 - 2 4 .
61
V 3 , 1 5 , 2 7 - 3 5 (49).
62
V 3 , 1 5 , 3 5 f . S o H A R D E R 2 , V a, 1 6 4 u . d i e A n m . i n V b , 3 8 7 .
63
S o a u c h CILENTO U. MACKENNA-PAGE i n i h r e n U b e r s e t z u n g e n .
64
Bes. wichtig VI 8 , 1 3 , 5 - 1 1 . 25-40. 43f. 5 0 - 5 8 ; VI 8 , 1 5 , 1 9 - 2 4 ; VI 8 , 1 8 , 3 8 - 4 3 ; VI
8 , 2 0 , 1 7 - 1 9 . 2 8 - 3 9 ; V I 8 , 2 1 , 1 - 1 9 . 3 0 - 3 3 . F e r n e r P . HENRY, L e p r o b l è m e d e la l i b e r t é
c h e z Plotin: R e v u e n é o - s c o l a s t i q u e de P h i l o s o p h i e 33 (1931) 5 0 - 7 9 ; 1 8 0 - 2 1 5 ; bes. 3 1 8 - 3 9 .
H . R. SCHVYZER, a . a . O . (Anm. 25) 561; V. CILENTO, La radice metafisica della libertà
nell'antignosi plotiniana: La Parola del Passato 82 (1962) 94—123; É. BRÉHIER, 'Notice'
z u V I 8 in s e i n e r E n n e a d e n a u s g a b e ( 1 1 9 - 1 3 2 ) . J . BARION, a . A . O . ( A n m . 1 8 ) 81 — 8 5 .
65
Studien zur Philosophie des Hierokles von Alexandrien. Untersuchungen zum christlichen
Neuplatonismus: Epimeleia. Beiträge zur Philosophie, Bd. 27 (München 1976) 80.
66
ebd. 81.
67
ebd. 7 7 , 7 9 , 8 0 .
ZUM VERHÄLTNIS VON NEUPLATONISMUS U N D CHRISTENTUM 1007

In VI 8,17 legt Plotin gemäß dem Grundgedanken von VI 8 dar, daß man
schon vom Geist, der aus einer Vielheit von rationalen Formen besteht, das Un-
gefähr und den Zufall (ώς ετυχε και ώς συνέβη) fernhalten muß. Wenn aber der
Geist noch ein Prinzip über sich hat, dann kann es bei diesem erst recht kein
Ungefähr geben und „dann ist einleuchtend, daß dieses (Prinzip) dem so aus
rationaler Form Bestehenden nahesteht, und daß kraft Seiner das so aus ratio-
naler Form Bestehende ist und an Jenem teilhat und so ist, w i e J e n e s w i l l ,
und das Vermögen von Jenem ist" (και μετέχον έκείνου καί οίον θέλει εκείνο
καί δύναμις έκείνου).
In VI 8,18,38—43 stellt Plotin zunächst fest, daß Jenes (= das Eine) so ist
wie das im Geist, nur viel größer (32 f.). Der Geist ist Abbild des Einen, und es
herrscht bei ihm in jedem Stück Vernunft und Ursache (λόγος καί αιτία). Ur-
sache aber der Ursache ist Jenes Wesen (αίτιον δέ εκείνο τοϋ αιτίου). „Es ist
folglich in größerem Maße Ursache, da es gleichsam das Ursächlichste, die wah-
rere Ursache ist (αίτιώτατον καί άληθέστερον αιτία), es enthält ja zusamt alle
geistigen Ursachen, die einmal aus ihm hervorgehen werden; es bringt hervor
nicht das Ungefähr, sondern das, was n a c h s e i n e m e i g e n e n W i l l e n ist
(γεννητικόν τοϋ ούχ ώς έτυχεν, άλλ' ώς ήθέλησεν αυτός); und dieser Wille
(θέλησις) ist nicht vernunftwidrig, noch zielt er auf das Beliebige oder wie es ihm
einfiel, sondern wie es sich gebührt" (ούδ'ώς έπήλθεν αύτω, άλλ' ώς εδει). Auf-
fallend ist, daß beide Stellen in völliger Kohärenz mit der oben behandelten Stelle
in V 3,15,35f. es ablehnen, daß das Eine aufs Geratewohl hervorbringt (ούχ ώς
ετυχεν). Greift man den Zentralgedanken von VI 8 auf, wonach das Eine nicht
ist, „wie es sich traf" (ώς συνέβη), sondern wie Es selber wollte (ώς ήθέλησεν)
und frei ist in seinem Tun, nicht der Notwendigkeit (άνάγκη) unterworfen 6 8 (VI
8,7,11 — 15), dann ergibt sich folgende Parallelität: Wie das Eine nicht von un-
gefähr ist, sondern wie Es will, so bringt Es auch nicht von ungefähr hervor,
sondern wie Es will.
Die Schrift VI 8 insgesamt verdiente eine sehr ausführliche Behandlung, die
ich mir aus Raumgründen hier leider versagen muß. Wie Thomas so könnte auch
Plotin sagen: sed divinum esse est eius intelligere et velie; et ideo quod per suum
esse facit, facit per intellectum et voluntatem69.

68
E. BRÉHIER, 'Notice' zu VI 8 in seiner Enneadenausgabe, sieht das Grundproblem von VI 8
folgendermaßen: « Ce discours contient deux assertions liées ensemble concernant l'origine
de l'Un et son mode d'action: 'L'Un n'a d'autre origine que le hasard et n'existe que par
accident; l'Un ne tenant pas son être de lui-même n'est pas libre et fait nécessairement tout
ce qu'il fait'y (119). Ähnlich HARDER2, IV b, 357: „Mehr beschäftigt Plotin, um das Oberste
zu fassen, nicht etwa der Zwang — der Zwang kann ja nur unterhalb des Obersten Platz
haben; er ist vielleicht (2,14) Naturzwang, άνάγκη φύσεως (neben dem Geist zur Wahl ge-
stellt schon bei Euripides Tro. 886) —, sondern der Zufall (von VI 8 , 7 , 1 2 . 3 2 an immer
wieder vorgeführt) . . . Die immer wieder anvisierte Lösung ist die: das oberste Wesen fällt
mit seinem Wirken . . . und seinem Willen zusammen". Zwang erst nach dem Einen: VI
8,9,11 ff.
69
In D N , nr. 271 (PERA). In VI 8 , 1 3 , 7 f . ist erstmals die Identifizierung von Wollen und
'Seinsheit' im Einen vollzogen: ή βούλησις αύτοΰ καί ή ουσία ταύτόν εσται. Vgl. dazu
auch HARDER2, IV b, 382.

67*
1008 KLAUS K R E M E R

Plotin ist also, so viel zeigt diese Ubersicht, der Gedanke einer freigewollten
Schöpfung nicht ganz fremd; er berührt ihn, ohne ihm jedoch einen wirklich
zentralen Platz in seinem System zuzuweisen. Das wird erst bei den christlichen
Denkern geschehen.
Dennoch lehnt die überwiegende Mehrheit der Interpreten Plotins und des
Neuplatonismus einen freigewollten Hervorgang der Dinge aus dem Guten ab.
In seiner großen Besprechung der ersten Auflage meiner Arbeit 'Die neuplato-
nische Seinsphilosophie und ihre Wirkung auf Thomas von Aquin' (1966) und der
ersten Fassung des vorliegenden Aufsatzes erklärt L. ELDERS, daß es im ploti-
nischen Einen weder Wahlfreiheit noch wahrhafte Liebe zur Welt gebe. Weder
wolle noch liebe das Eine seine Wirkungen, denen gegenüber es sich völlig in-
different verhalte 7 0 . Auch E . - W . PLATZECK legt in der Besprechung meiner
beiden genannten Arbeiten dar, daß das plotinische Eine in der Setzung der Ema-
nationsstufen nicht frei sei. „Denn das Eine und das Gute sind identisch, und die
Gutheit kann wegen dieser Identität nach Plotin unmöglich nicht w i r k e n " 7 1 .
R . HARDER, der bahnbrechende Plotinforscher in unserem Jahrhundert, schreibt
in seinem Aufsatz 'Plotins Leben, Wirkung und Lehre': „Einen göttlichen Ent-
schluß zur Schöpfung kann es nicht geben" 7 2 . W . THEILER stellt in seinem Auf-
satz über 'Ammonios und Porphyrios' fest 7 3 : „Die Allmacht göttlichen Willens
bei Ammonios . . . imponierte Porphyrios, während Plotin dem obersten Gott
das Wollen genommen hatte, V 1 , 6 , 2 6 7 4 , oder in V I 8 , 1 3 , 2 1 nur als Selbstwollen
gelten ließ". Genauso urteilt E. R . DODDS in seiner Abhandlung 'Tradition und
persönliche Leistung in der Philosophie Plotins' 7 5 , dem sich H . R . SCHWYZER
anzuschließen scheint 7 6 . Und TH. KOBUSCH kommt zum selben Ergebnis 7 7 wie
nach ihm auch M. ATKINSON78. Eindringlicher noch als L. ELDERS hat sich F.
RICKEN mit meiner Auffassung auseinandergesetzt 79 . E r kommt zunächst auf die
von mir im vorhergehenden genannten und im folgenden Abschnitt 'Notwendige
Emanation?' zu nennenden Plotinstellen zu sprechen, ohne indessen auf die von
mir herausgestellte Eigenart des λογισμός und der προαίρεσις einzugehen. Seine
Endüberlegung lautet, daß es für das plotinische Eine zwar keinen ihm „äußeren
G r u n d " bzw. keine ihm „äußere Ursache" gebe, daß es aber dennoch „aufgrund

70 Revue Thomiste 67 (1967) 616.


71 Philosophisches Jahrbuch 75 (1967) 192.
72 In: R. HARDER, Kleine Schriften, hrsg. v. W. MARC (München 1960) 271.
73 In: Porphyre. Entretiens sur l'antiquité classique: Tome XII (Vandoeuvres-Genève 1960)
115; DERS., a . a . O . (Anm. 21) 158.
74 Zur Interpretation dieser Stelle vgl. den folgenden Abschnitt: 'Notwendige Emanation?'
75 In: Die Philosophie des Neuplatonismus, hrsg. v. C. ZINTZEN: Wege der Forschung,
Bd. 436 (Darmstadt 1977) 63 f.
76 Ammonios Sakkas, der Lehrer Plotins: Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaf-
ten. Vorträge G 260 (Opladen 1983) 75. - Wichtig f. THEILER, a . a . O . (Anm. 21).
77 a . a . O . (Anm. 65) 74, 7 9 - 8 1 .
78 Plotinus: Ennead V. 1. On the three principal hypostases. A Commentary with Translation
(Oxford 1983) 142f.
79 Emanation und Schöpfung: Theologie und Philosophie 49 (1974) 483—486.
ZUM VERHÄLTNIS VON NEUPLATONISMUS U N D CHRISTENTUM 1009

einer inneren Notwendigkeit" schaffe 80 . Es fragt sich allerdings, was mit dieser
„inneren Notwendigkeit" gemeint ist. RICKEN scheint diesen Begriff an zwei
Gegebenheiten verdeutlichen zu wollen: an der Tatsache des zwar nicht durch
fremde Ursachen genötigten, aber dennoch notwendigen Wollens, wie es im
Streben aller Menschen nach dem Guten vorliegt (Das malum als malum kann
nicht erstrebt werden!), und an der Tatsache, daß, unter Berufung auf Aristoteles,
das Glück als letztes Ziel des menschlichen Wollens Gegenstand „einer notwen-
digen βούλησις" ist. Diese beiden Arten von innerer Notwendigkeit treffen
sicher auf das plotinische Eine zu. Auch es will, wie jedes Wesen, notwendig
das Gute, das es selbst ist, und als die „Quelle aller Vollkommenheiten" (VI
9,5,36) will es sich notwendigerweise. Es ist „Liebe zu sich selbst" — αύτοΰ
ερως - (VI 8,15,1; 16,13 f.).
Mit diesen beiden Arten von innerer Notwendigkeit haben wir aber noch
nicht die Wirksamkeit des Einen „nach außen" berührt, das Problem, ob und in
welcher Weise das Eine von sich Unterschiedenes und Anderes will. Wenn bei
diesem Wirken „nach außen" innere Notwendigkeit das Geschehen bestimmen
soll, wie RICKEN meint, was könnte das für eine innere Notwendigkeit sein?
RICKEN selbst äußert sich dazu nicht weiter!
M. RAST, der vor mehr als 30 Jahren das verdienstvolle Buch geschrieben
hat 'Welt und Gott. Philosophische Gotteslehre' 81 , kommt bei der Begründung
sowohl der Freiheit Gottes als auch des Motivs Gottes in der Weltschöpfung 82
auf die Möglichkeiten einer inneren Notwendigkeit zu sprechen. Es heißt bei
ihm: „Eine Nötigung zur Weltschöpfung ließe sich nur herleiten entweder aus
einem inneren blinden Drang oder aus einer bewußten Sehnsucht nach dieser
Welt, die den göttlichen Willen ganz in ihren Bann zöge" (149). „Die erste
Möglichkeit ist im Ernst undenkbar. Denn sie setzte in Gott ein Bedürfnis vor-
aus, eine Ergänzungsfähigkeit, die durch die Schöpfung erfüllt würde. Das ist
mit seiner Unendlichkeit und Unbedingtheit unvereinbar. Außerdem bedeutet
ein blinder Drang bei einem reinen Geist einen innern Widerspruch; wo reines
Licht der Erkenntnis alles durchleuchtet, wo dieses Licht das Wesen selbst aus-
macht, kann es keinen blinden Drang, keine Sehnsucht geben, die das Verborgene
erst ans Licht bringen müßte. In Gott gibt es kein 'dunkles Prinzip', das 'ver-
klärt' werden sollte in der Offenbarung durch die Welt. Die Welt ist nicht eine
Offenbarung Gottes für ihn selbst. Als 'in sich stehendes Erkennen', als unend-
licher Geist benötigt Gott einer solchen nicht, weil es für ihn nichts Verhülltes
gibt. Man kann nur von einer Offenbarung Gottes an die vernünftigen Geschöpfe
sprechen; diese aber ist seine freie Tat" (149f.).
Dazu ist zu sagen, daß Plotin eine Ergänzungsbedürftigkeit des Einen durch
dessen Emanationen bzw. Schöpfungen nicht nur nicht kennt, sondern stets aus-
drücklich ausgeschlossen hat. Ist das plotinische Eine auch nicht „reiner Geist",
weil mehr und höher als der reine Geist (VI 8,18,32f.), so gibt es in ihm und
für es weder erst ans Licht zu bringendes Verborgenes noch sonst ein irgendwie

80
ebd. 485.
81
(Freiburg/Br. 1952).
82
ebd. 149f. u. 177f.
1010 KLAUS KREMER

„dunkles Prinzip", das in der Offenbarung durch die Welt „verklärt" werden
müßte. Plotin lehrt expressis verbis, daß das Eine nichts als reines Licht ist (z. B.
V 3,17,28-38). Seine Lehre in VI 9,6,43—47, daß das Eine nichts erkennt,
selbst sich nicht, zieht gerade nicht die scheinbar unvermeidliche Konsequenz
nach sich, daß das Eine um das, was es in sich hat bzw. richtiger: was es in sich
ist, nicht „weiß". „Denn es ist eines und bei sich selbst und bedarf nicht des
Denkens seiner selbst" (VI 9,6,49f.). Es gibt nämlich noch eine höhere Art des
Erfassens seiner selbst, als sie in Wissenschaft und Vernunft vorliegt 83 . Sie trifft
sowohl für das Eine als auch für die menschliche Seele in der unio mystica zu.
„Der zweite Grund für eine notwendige Weltschöpfung wäre", fährt RAST
fort (150), „daß Gott die Geschöpfe aus einer bewußten Sehnsucht notwendig
bejahen müßte wie sich selbst. Das aber würde ihn wiederum von etwas ab-
hängig machen, was nicht er selbst ist. Es wäre wiederum ein Zeichen, daß er
der Welt zu seiner Vollendung bedürfte, was seiner Unendlichkeit widerstreitet".
Ebenso bedarf das plotinische Eine, wie schon mehrmals gesagt, nicht der
Welt zu seiner Selbstvollendung. Die Worte von RAST, im Zusammenhang mit
dem Schöpfungsmotiv formuliert, gelten für den plotinischen Gott nicht weniger
als für den christlichen: „Das letzte Motiv (zur Schöpfung) kann nur Gott selbst
sein; nicht seine Selbstverwirklichung oder Selbstoffenbarung; er ist auch ohne
die Welt die Fülle des Seins, die 'reine Wirklichkeit'; er ist sich auch ohne die
Geschöpfe wegen seiner vollendeten Geistigkeit bis in seine letzten Tiefen offen-
bar" (177f.).
Auch L. SCHEFFCZYK versteht die Freiheit Gottes bei der Schöpfung „als
Freisein Gottes von jedem Zwang äußerer Ursachen" und als Freisein von „inne-
ren Notwendigkeiten". Bei „innerer Notwendigkeit", die von ihm nicht näher
bestimmt wird, die jedoch im Neuplatonismus vorliegen soll, ergäbe sich fol-
gende Gott-Welt-Beziehung: „Die Welt gehörte notwendig zu Gott und Gott
zur Welt, der Pantheismus und der Monismus wären nicht mehr abzuwehren" 8 4 .
Den Pantheismus gibt es jedoch im Neuplatonismus, vor allem bei Plotin, über-
haupt nicht! Wenn SCHEFFCZYK die „altchristliche Tradition" für die „innere
Freiheit" Gottes mit Augustinus zusammenfaßt 85 : „Gott schuf das alles, was ge-
schaffen ist, nicht aus irgendeinem Zwang, nicht aus irgendeiner Bedürftigkeit,
sondern aus reiner Güte allein (De civitate Dei XI 24)", so fragt man sich, wo
denn hier der Unterschied zu Plotin liegen soll.
Es bleibt die Frage, was das für eine innere Notwendigkeit sein könnte,
aufgrund derer das Eine den Geist und mittels des Geistes die Seele und alles
übrige hervorgebracht haben soll 86 . Werden wir hier nicht wiederum auf jene
angeblich absolute Notwendigkeit zurückgeworfen, die in dem Prinzip bonum est
diffusivum sui enthalten sein soll? Wie können sich dann aber die christlichen
Denker dieses Prinzips bedienen u n d gleichzeitig an der Freiheit Gottes im
Schöpfungsakt festhalten?

83
Vgl. z . B . III 8 , 9 , 1 9 - 2 3 ; VI 7 , 3 5 , 1 9 - 2 5 ; VI 9 , 4 , 1 - 3 .
84
a . a . O . (Anm. 18) 32.
85
ebd. 33.
86
Vgl. auch den folgenden Abschnitt u. unten A n m . 209.
ZUM VERHÄLTNIS V O N NEUPLATONISMUS UND CHRISTENTUM 1011

Sicherlich, bei Plotin sind die Anklänge an ein freigewolltes Schaffen sehr
wenige und sehr schwach. Im Zentrum seiner Überlegungen steht der Gedanke
vom bonum diffusivum. Werden die wenigen und schwachen Anklänge eines frei-
gewollten Schaffens nun nicht vollends zum Verstummen gebracht durch eine
Reihe von Texten, die von einem notwendigen Hervorgang sprechen?

3. Notwendige Emanation?

Das Eine kann nicht geschaffen haben, indem Es sich bewegte. Denn alles,
was sich bewegt, muß etwas haben, zu dem es sich hinbewegt. Folglich kann
das, was aus ihm entstand, nur dadurch entstanden sein, indem „jenes unbewegt
war, sich nicht zu ihm neigte oder einen Entschluß faßte . . . " (ού προσνεύσαν-
τος ουδέ βουληθέντος) 87 . Trotz der klar ausgesprochenen Negation des Willens
ist man versucht, darin nicht eine Ablehnung des Willens überhaupt zu erblicken,
sondern jener Form von Willen, die eine Veränderung im Wollenden hervorruft.
Plotins Philosophie kreist um das Eine 88 , näherhin um das Bemühen, jede Art
von Bewegung aus ihm herauszuhalten, ohne es jedoch zu einem bewußtlosen
oder gar toten Sein zu machen 89 . Wie er ihm nun die νόησις abspricht, um ihm
dafür eine Art ύπερνόησις zurückzugeben 90 , so könnte er ihm auch die βούλησις
absprechen wollen, um sie ihm modo eminentiori zuzusprechen. Die zitierte
Stelle wäre dann eher ein Beleg für Plotins negative Theologie als für eine Nega-
tion des göttlichen Willens. Dafür spricht ferner, daß das hier negierte προσνεύω
in VI 8,16,24 in Form von νεύσις ausdrücklich für das Eine in Anspruch ge-
nommen wird. — Äußerst scharf scheint aber dann die Notwendigkeit der Schöp-
fung in folgenden Texten akzentuiert zu werden: Das Dasein des mundus sensi-
bilis beruht nicht auf Überlegung und Klügelei (εκ διανοίας καί έπιτεχνήσεως),
sondern auf Notwendigkeit 91 . „Es ist aber dies Weltall zur Entstehung gelangt
nicht aufgrund einer Überlegung (ού λογισμω), . . . sondern weil es zwangs-
läufig noch eine weitere Wesenheit geben muß te" (άλλα φύσεως δευτέρας
άνάγκτι) 92 . Die Schönheit unseres Weltalls führt sich auf den intelligiblen Kosmos
zurück 93 . Folglich darf niemand mit dem Urheber seines Daseins hadern, schon
darum nicht, „weil es zwangsläufig (έξ άνάγκης) ins Dasein getreten ist, nicht

87
V 1,6,15—27; auf diese Stelle beziehen sich vorrangig die meisten Autoren. Vgl. auch VI
9,6,40 u. unten S. 1017-1021, zu Proklos.
88
Vgl. III 8 , 9 , 1 - 3 ; III 8,10; III 8,11; V 1,6,4 etc. Nach É. BRÉHIER, 'Notice' zu VI 8 seiner
Enneadenausgabe (123 f.), ist die einzige Frage, die Plotin in diesem Traktat beschäftigt:
« comment la notion de 'choses qui dépendent de nous' ou de liberté peut-elle s'appliquer aux
dieux?». Mit diesen Göttern sind der N u s und das Eine gemeint. Vgl. auch ebd. 124, 125,
bes. 126, 129, 130, 131.
89
V 4 , 2 , 1 5 - 1 9 ; VI 8 , 7 , 4 6 - 5 1 ; VI 8,18,32 etc.
90
VI 9 , 6 , 4 3 - 5 7 ; VI 7,39; VI 8,16,33; VI 8,16,16.
91
II 9,8,20f.; vgl. auch 23.27; III 2,1,18; I 8,7,21; IV 8 , 3 , 2 7 - 3 0 .
92
III 2 , 2 , 8 f . HARDER2, V b, 337 bemerkt: „An die autonome Wirkung eines Naturgesetzes
ist gedacht".
93
III 2 , 3 , 1 - 3 .
1012 KLAUS KREMER

aufgrund einer Ü b e r l e g u n g ( ο υ κ έκ λ ο γ ι σ μ ο ύ ) , s o n d e r n w e i l die h ö h e r e W e s e n -


heit nach d e m G e s e t z der N a t u r ihr E b e n b i l d h e r v o r b r a c h t e " 9 4 .
A u f den ersten Blick hin scheint P l o t i n d a m i t einer g e w u ß t e n u n d g e w o l l t e n
E m a n a t i o n eine klare A b s a g e erteilt z u haben. N i c h t W i s s e n u n d W o l l e n , s o n d e r n
N o t w e n d i g k e i t ist der G r u n d der S c h ö p f u n g . O d e r w ä r e P i o tins W o r t anders z u
interpretieren? Sicherlich, P l o t i n hat den λ ο γ ι σ μ ό ς bei der S c h ö p f u n g gestrichen;
aber n i c h t deshalb, w e i l er j e d w e d e A r t geistigen E r k e n n e n s bei G o t t u n d d e m
N u s eliminieren w o l l t e , s o n d e r n lediglich die u n v o l l k o m m e n e A r t des D e n k e n s ,
die d e m λ ο γ ι σ μ ό ς anhaftet. D a s ergibt sich eindeutig aus I V 3 , 1 8 , 1 — 13 u n d
V I 7 , 1 , 2 8 f f . 9 5 , w o der λ ο γ ι σ μ ό ς als eine d e f i z i e n t e A r t des E r k e n n e n s u n d daher
als b l o ß z u r diesseitigen W e l t g e h ö r e n d hingestellt w i r d . D a s gleiche gilt für die
π ρ ο α ί ρ ε σ ι ς , die m a n nach V I 8 , 1 7 , 1 — 12 e b e n s o w i e die π ρ ό ν ο ι α n o c h nicht
einmal auf den N u s übertragen darf, g e s c h w e i g e d e n n auf das E i n e 9 6 , d e s s e n
W i r k s a m k e i t ja ü b e r G e i s t , V e r n u n f t u n d L e b e n hinausliegt (VI 8 , 1 6 , 3 5 f . ) . A l s o
nicht die geistige W i r k s a m k e i t v o n „ D e n k e n " u n d „ W o l l e n " überhaupt soll d e m
E i n e n g e n o m m e n w e r d e n , s o n d e r n nur die u n v o l l k o m m e n e n F o r m e n dieser
Tätigkeiten in der diesseitigen W e l t .
S c h o n für die s c h ö p f e r i s c h e W e l t s e e l e k o m m t , w i e P l o t i n in seiner A b -
h a n d l u n g g e g e n die G n o s t i k e r herausarbeitet, nicht ein Schaffen a u f g r u n d v o n

94
III 2 , 3 , 3 - 5 ; vgl. auch III 2 , 1 4 , 1 - 4 ; III 2 , 3 , 5 f . ; VI 8 , 1 7 , 1 - 9 ; VI 8,14,30.
95
Ebenso IV 3 , 1 3 , 1 7 - 2 0 ; IV 4 , 1 0 , 7 - 2 9 ; III 2 , 1 4 , 2 f . ; VI 2,21,34; VI 9,5,-8f.; IV 8 , 1 , 7 f . ;
VI 8,14,30f.; VI 8,17,4; V 3,3,14: ή ότι ψυχήν δεϊ έν λογισμοϊς είναι. Auch διάνοια,
διέξοδος und διανόησις gehören nicht in den Bereich von Hen und Nus. Vgl. V 3,9,20—22;
V 3,17,23f.27; V 8 , 6 , 7 - 1 9 . Ferner H . R. SCHWYZER, Bewußt und Unbewußt bei Plotin:
Les Sources de Plotin. Entretiens sur l'antiquité classique, Tome V (Vandoeuvres —Genève
1960) 373. Auch H . R. SCHLETTE, Das Eine und das Andere. Studien zur Problematik des
Negativen in der Metaphysik Plotins (München 1966) 83 Anm. 111, kommt zu dem
Ergebnis, daß man weder beim Einen noch beim Nus von einem λογισμός sprechen kann.
Sogar die νόησις εαυτού ist dem Einen abzusprechen (VI 9,6,46—57). Ferner W. B E I E R -
WALTES, Denken des Einen. Studien zur neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungs-
geschichte (Frankfurt/M. 1985) 84 Anm. 26.
96
Vgl. auch SCHWYZER, a . a . O . (Anm. 95) 372; HENRY, a . a . O . (Anm. 64) 339, hat dies zu
wenig beachtet. Als unzulänglich müssen auch die Bemerkungen von ELDERS, a. a. O .
(Anm. 70) 616, angesehen werden, der seine These von der Notwendigkeit der Emanation
mit einigen der von mir zusammengestellten Belege über die φύσεως άνάγκη begründet,
ohne das bei Plotin in aller Breite vorhandene quia-bonus-Motiv zu diskutieren und ohne
auf die besonderen Ausdrücke von λογισμός und προαίρεσις zu achten, die selbstverständ-
lich weder dem Einen noch dem Nus zukommen können. Die Alternative zu dem elimi-
nierten λογισμός stellt daher nicht die von ELDERS behauptete «nécessité naturelle» dar,
sondern die höchste Form von „Denken" und „Wollen" überhaupt. - Untersucht man die
in dem von J. H . SLEEMAN U. G. P O L L E T erarbeiteten 'Lexicon Plotinianum' (Leiden 1980)
angeführten Stellen zu προαίρεσις, so zeigt sich, daß diese im Bereich der menschlichen
Seele und der Gestirnseelen anzusiedeln ist. Nach IV 4,35,24—26 hat zwar das Weltwesen
einen Willen (προαίρεσις), aber nach IV 4,36,24—26 bedarf das All dieses Willens nicht,
da es höher als die προαίρεσις steht. Was schon vom All negiert wird, muß daher erst
recht vom Schöpfer des Alls negiert werden (vgl. III, 3,3,19), erst recht vom Nus und
vom Einen.
ZUM VERHÄLTNIS V O N N E U P L A T O N I S M U S U N D CHRISTENTUM 1013

διάνοια in Frage 97 , sondern nur aufgrund der Schau (θέα) der Ideen in dem
ihr vor- bzw. übergeordneten Geist 98 . Lehnt Plotin daher an diesen Stellen ein
Schaffen der Weltseele aufgrund von „Planen und Sinnen" (διάνοια) bzw. auf-
grund von „Berechnen und Uberlegen" (λογισμός) ab, weil er das Schaffen in die
Natur der Weltseele verlegt — „das Schaffen lag in ihrer Natur, ihre Kraft war
das Schöpferische" (II 9,4,15f.) —, so bedeutet dies mitnichten einen Gegensatz
zum Schaffen aufgrund der Schau des Geistes. Denn gerade die Kraft zum
Schaffen kommt der Weltseele aufgrund dieser Schau zu. „So weit sie sich
dieser Schau hingibt, um so weit ist sie schöner und mächtiger" 99 .
Wie sollte daher das Eine anders schaffen können als eben dadurch, daß
es sich selbst in seinem „über-denkenden Erkennen" (ύπερνόησις) erblickte 100
und in seinem Wollen bejahte 101 . Das sind die beiden Wirksamkeiten im
Einen 102 . Der Traktat VI 8 arbeitet die Wirksamkeit (ενέργεια) des Ersten in
einer Kühnheit ohnegleichen heraus. „Denn man darf sich nicht scheuen, ihn als
erste Wirksamkeit (ένέργειαν την πρώτην) ohne Seinsheit (ουσία) anzusetzen,
sondern in eben dieser Wirksamkeit hat man so etwas wie seine Existenz (ύπό-
στασιν) zu erblicken. Wollte man ihn als E x i s t e n z o h n e W i r k s a m k e i t an-
setzen, so wäre der Urgrund unvollständig und unvollkommen der vollkommen-
ste aller Gründe. Und wenn man die Wirksamkeit erst hinzusetzte, so beließe
man ihm nicht seine Einheit. Wenn nun die Wirksamkeit vollkommener ist als
die Seinsheit, das Erste aber das Vollkommenste ist, so muß Er die erste Wirk-
samkeit sein" 103 . VI 8,16,30—36 versucht dann, den geheimnisvollen Charakter
dieser Wirksamkeit ein wenig zu erhellen. „Wenn nun seine Wirksamkeit nicht
geworden ist, sondern immer da war und gleichsam sein Erwachen ist (έγρήγορ-
σις), wobei das Erwachte nicht von ihr verschieden ist, ein immerwährendes
Erwachen und ein Denken über dem Denken (ύπερνόησις), dann ist er das,
zu dem er erwachte. Und dies Erwachen ist 'jenseits der Seinsheit' (έπέκεινα
ουσίας), des Geistes, des vernunftgemäßen Lebens (καί νου και ζωής εμφρονος),
das aber ist er selbst. Mithin ist er selbst eine Wirksamkeit, die über Geist, Ver-
nunft und Leben hinausliegt".
Er ist also Energeia 104 , besser verharrende Energeia 105 , weil er nicht auf
etwas außer, sondern in ihm blickt 106 , mag diese Energeia auch über νους,

97
II 9 , 2 , 1 4 ; II 9 , 4 , 1 5 ; II 9 , 8 , 2 0 f . In IV 8 , 8 , 1 5 präzise von der Weltseele: μηδ' έκ λ ο γ ι σ μ ο ύ .
98
II 9 , 2 , 1 4 - 1 6 ; II 9 , 4 , 8 f . ; dazu HARDER2, III b, 4 1 9 , 4 2 3 . Entsprechend in IV 8 , 8 , 1 5 :
Durch „reinen Geist" (νψ) wirkt sie.
"119,2,16.
100
Bes. VI 8 , 1 6 ; auch VI 8 , 1 8 , 3 2 - 4 3 ; V 4 , 2 , 1 8 . 3 5 ; VI 9 , 6 , 4 6 - 5 0 .
101
S . o . A n m . 64. Er ist „Liebe zu sich selbst": VI 8 , 1 5 , 1 ; 1 6 , 1 3 f .
102
Vgl. auch R. ARNOU, Le Désir de D i e u dans la Philosophie de Plotin (Paris 1 1921, R o m
2
1967) 143 A n m . 1: « L ' U n se connaît en quelque sorte; il s'aime en quelque manière; il y a
là un effort pour concevoir ce que peut être la vie intime de Dieu».
103
VI 8 , 2 0 , 9 - 1 5 . Hervorhebung von mir!
104
VI 8 , 1 6 , 1 5 . 2 5 . 3 0 . 3 1 . 3 5 ; VI 8 , 1 2 , 2 2 - 2 6 ; VI 8 , 1 3 , 5 - 8 ; VI 8 , 1 5 , 2 0 f . ; VI 8 , 2 0 , 7 - 1 5 ; V
4,2,35.
105
VI 8 , 1 6 , 1 5 .
106
VI 8 , 1 6 , l l f . 2 0 f . 2 5 — 3 0 ; VI 8 , 1 7 , 2 5 f .
1014 KLAUS KREMER

φρόνησις und ζωή hinausliegen 107 . Alle unsere Begriffe müssen nämlich bei
ihrer Anwendung auf Gott mit einem οίον versehen werden 108 . Nach V 1,6,16—
19 und V 1,7,5 f. entsteht der Nus dadurch, daß das Eine sich auf sich selbst
zurückwendet und sich dabei „erblickt" 109 . Nimmt man die beiden Stellen
von VI 8,17,20f. und VI 8,18,38—43 hinzu, wo die Hervorbringung des Nus
dem Willen des Einen zugeschrieben wird, dann haben wir ein auf Denken und
Wollen beruhendes Erzeugen des Nus! Auch der Geist 110 , ebenso die Seele111,
wird schöpferisch tätig durch das Erkennen (νοεΐν) seiner selbst. In III 8,8,25f.
wird darum erklärt, daß alles Seiende ein Nebenprodukt (πάρεργον) von Be-
trachtung (θεωρία) sei 112 . Der Nus schafft, erklärt Proklos später 113 , indem er
sich selbst erkennt (τω νοεΐν έαυτόν).
Bedenkt man all dies, vor allem den von Plotin immer wieder hervorge-
hobenen Gedanken, daß das Erste das Vollkommenste sei, dann scheint es kaum
möglich, das Erste bei der Hervorbringung und Zeugung des Nus der Freiheit
beraubt sehen zu wollen. Albert der Große wird später schreiben : perfectissimum
agens non agit per necessitatevi naturae, sed per voluntatem et sapientiam: sapien-
tiae autem perfectio consistit in ordine secundum optimum modum universi114.
Immerhin, das Wort von der ohne λογισμός und προαίρεσις stattfindenden
Emanation war gefallen. Wer nicht auf seinen Sinn achtete, konnte und mußte
darin die Ablehnung einer freigewollten Schöpfung erblicken. Besonders anstößig
wirkte es natürlich auf christliche Kreise, die in der Welt das Ergebnis gött-
licher Weisheit und göttlichen Willensentschlusses sahen.
Das Wort von der φύσεως ανάγκη 1 1 5 tat ein übriges und letztes dazu.
Denn damit war ja die Notwendigkeit der Schöpfung in aller Form ausge-
sprochen und geradezu sanktioniert. In der necessitas naturae, die etwa Albert
der Große, Thomas, Eckhart und Cusanus so leidenschaftlich bekämpfen, be-
kämpfen sie diese von Plotin datierende φύσεως ανάγκη. Gemeint war aber,

107
VI 8 , 1 6 , 3 1 - 3 7 ; VI 7 , 3 9 , 1 6 - 3 4 .
108
VI 8 , 1 3 , 4 7 - 5 0 . In VI 8 , 9 , 4 4 - 4 7 schreibt Plotin: indem Es das ist, was Es will;
oder vielmehr, auch dies 'was Es will' hat es von sich gestoßen hinab ins Reich der seienden
Dinge, Es ist seinerseits größer als alles Wollen (θέλειν) und weist dem Wollen einen Platz
unter sich an".
109
Vgl. zur Deutung der beiden Stellen jetzt: H . R. SCHWYZER, Nachlese zur indirekten
Uberlieferung des Plotin-Textes: Museum Helveticum 26 (1969) 259f. und ebd. die Anm.
15 u. 16.
110
V 3,7,18-26.
111
V 3 , 7 , 2 6 - 3 4 ; II 9,4.
112
Vgl. dazu III 8 ganz.
113
In Tim. I 3 3 5 , 2 2 - 2 4 ; 3 3 5 , 2 9 - 3 3 6 , 3 ; 3 9 6 , 5 - 2 6 (DIEHL); vgl. in Parm. 791,14.21 f. (COU-
SIN2): τω νοεΐν έαυτόν ποιητής εσται πάντων. Vgl. auch DODDS, Proclus. The Elements of
Theology (Oxford 21963) 290f.
114
In II Sent. 1,3 ad 3um; XXVII 12 (BORGNET). In S. Th. I qu. 54; XXXI 553 (BORGNET)
heißt es: Agere propter finem non habitum in seipso, qui non est nisi per opus acquiratur,
indigentiae est; et sic non agit Deus. Agere autem ut nihil agenti acquiratur opere operato,
largitatis et magnificentiae summae est. Et hoc modo Deus agit. — Zur Textergänzung und
Verbesserung dieser Stelle vgl. H . KÜHLE, a . a . O . (Anm. 7) 61 Anm. 45.
115
III 2 , 2 , 8 f . ; vgl. ferner III 2,3,35; II 9 , 8 , 2 0 - 2 9 ; II 9,3,8.
ZUM VERHÄLTNIS VON NEUPLATONISMUS UND CHRISTENTUM 1015

wie wir jetzt wissen, bloß das Gesetz, daß jedes Vollkommene ein sich ähn-
liches Ebenbild hervorbringt; die res naturales notwendig, die geistbegabten
Wesen dagegen bewußt und gewollt, aufgrund bloßer m o r a l i s c h e r Notwendig-
keit. Diese war intendiert, nicht die physische und metaphysische.
An dieser moralischen Notwendigkeit setzt der zweite Kritikpunkt von
F. RICKEN ein 1 1 6 . Für diesen Begriff berufe ich mich, wie RICKEN richtig sieht,
auf LEIBNIZ. Unter moralischer Notwendigkeit versteht LEIBNIZ das Gesetz,
wonach das vollkommenste Wesen auf die vollkommenste Weise handeln und
darum das Beste wählen „ m u ß " , bzw. wonach weise und tugendhafte Personen
ihrer Weisheit und Tugendhaftigkeit entsprechend handeln „ m ü s s e n " 1 1 7 . Die
moralische Notwendigkeit setzt Erkennen und Wollen, in welcher Form auch
immer, im handelnden Prinzip voraus, ist jedoch der Freiheit, wie LEIBNIZ dar-
zulegen nicht müde wird, gerade nicht entgegengesetzt. Denn sie stempelt das
vom Besten Unterschiedene keineswegs zur Unmöglichkeit, so daß das von
Gott Unterlassene einen Widerspruch einschlösse 1 1 8 . Wäre letzteres der Fall, läge
die metaphysische Notwendigkeit vor, die mit Freiheit unverträglich ist. So kann
LEIBNIZ schreiben: „ F ü r Gott gibt es also eine Freiheit, die nicht nur vom
Zwange, sondern auch von der Notwendigkeit unabhängig ist. Ich rede hier von
metaphysischer Notwendigkeit; denn der Zwang des Weisen zur Wahl des Besten
ist eine moralische Notwendigkeit" 1 1 9 .
Eben diesen Begriff von moralischer Notwendigkeit, den ich hier zugrunde
lege, mißversteht RICKEN 120 , weil er darin „eine absolute N ö t i g u n g " erblickt:
„Dieser Begriff der moralischen Notwendigkeit ist geeignet, das Wollen von
Pio tins Einem bei der Erzeugung des Geistes zu erklären. Für die christliche
Schöpfungslehre ist er dagegen unbrauchbar . . . Läge für Gott eine solche
moralische Notwendigkeit vor, die Welt zu schaffen, so könnte er nicht wollen,
die Welt nicht zu schaffen, d. h. er wollte das Dasein der Welt notwendig" 1 2 1 .
Diese Folgerung ist jedoch nach LEIBNIZ gerade nicht zutreffend, weil,
wie schon gesagt, das durch die Wahl des Besten Ausgeschiedene dadurch nicht
unmöglich gemacht wird. „ N u n ist nichts notwendig", lautet ein Grundsatz
von LEIBNIZ 122 , „dessen Gegenteil möglich ist". Gegenüber BAYLE bemerkt er
daher: „Diese vorgebliche . . . Notwendigkeit ist nur moralischer Natur, wie
wir dargetan haben: sie berührt die Freiheit gar nicht, sondern hat im Gegenteil
ihre beste Anwendung zur Voraussetzung; sie bewirkt nur, daß die Gegenstän-
de, die Gott nicht wählte, möglich bleiben" 1 2 3 .
Die moralische Notwendigkeit kommt nach LEIBNIZ bei Gott in zwei-
facher Form zum Ausdruck, die er so beschreibt: „ . . . die Güte hat Gott

116 a . a . O . ( A n m . 79) 485f.


117 a . a . O . ( A n m . 46) II. Teil, 257i. ( § 2 0 1 ) ; vgl. auch §§ 1 9 1 , 2 0 0 , 2 2 8 , 2 3 0 , 2 3 1 , 2 3 3 ; ferner
Einl. Abhandlung 34 (§ 2); Betrachtungen 428f. Vgl. auch oben S. 1002f.
118 ebd. II. Teil, 279 (§ 230).
119 ebd.
120 a. a. O . ( A n m . 79) 486.
121 ebd.
122 a . a . O . ( A n m . 14) 31 f. (§ 13).
123 a . a . O . ( A n m . 46) II. Teil, 280 (§ 231).
1016 KLAUS K R E M E R

zum Schaffen getrieben, damit er sich mitteilen konnte; und dieselbe Güte treibt
ihn im Verein mit seiner Weisheit zur Erschaffung des Besten; darunter ist alles
folgende, die Wirkung und die Mittel, verstanden. Sie treibt ihn an, ohne ihn
zu nötigen, denn sie macht das, was sie nicht erwählte, keineswegs unmöglich" 124 .
Was ergibt sich daraus für Plotin? Bisher wurde gezeigt, daß es in dem
Einen, dem Allervollkommensten, zumindest Erkenntnis in Form eines „Über-
denkens" (bzw. eines Selbstbewußtseins) und daß es Willen in ihm gibt. Durch
beide Tätigkeiten ist das Eine auf sich selbst bezogen, und sie machen sein Wesen
aus 125 . Ferner wurde gezeigt, daß das grundlegende Schöpfungsmotiv bei Plotin
die Güte des Einen bzw. Gottes ist. Auch die Stellen, die von einem notwendigen
Hervorgang sprechen, enthalten zugleich das Motiv vom bonum diffusivum126.
Ausgeschlossen hat Plotin beim Hervorbringen des Einen bzw. Geistes ein „Uber-
legen" und „Ausklügeln", wie es in der diesseitigen Welt angetroffen wird.
Dies zu Recht! Aber damit muß eben nicht Denken und Wollen in jedweder
Form beim Hervorbringen ausgeschlossen sein, wenn es dafür auch nur schwache
Anklänge im plotinischen Schrifttum gibt. ATKINSON weist in seinem Kommen-
tar 127 darauf hin, daß die für die Negation eines freigewollten Schaffens stets in
Anspruch genommene Stelle V 1,6,26f. neben der βούλησις auch eine πρόσνευ-
σις des Einen beim Hervorbringen ablehne. Letzteres wohl deshalb, weil Plotin
das von den Gnostikern angenommene „Herabsinken" (νεϋσις/νεϋσαι) 128 der
schöpferischen Seele beim Erschaffen bekämpft und es deshalb erst recht vom
Einen in bezug auf die Hervorbringung des Nus fernhalten wolle. Wichtig ist
Plotin einzig die Einsicht, daß das an sich und reine Gute das Gute nicht für
sich behalten kann, sondern einem anderen mitteilen „muß", wenn dies doch
schon die dem Einen nachgeordneten Dinge tun, wie die Erfahrung lehrt. Aber
dieses „muß" bedeutet eben keine absolute Nötigung bzw. absolute Notwendig-
keit, wie das oben angeführte Zitat des LEIBNIZ belegt und die unten noch zu be-
handelnden christlichen Autoren zeigen werden. KOBUSCH hat sehr zutreffend er-
kannt, daß „das άγαθοποιείν . . . ein nicht determinierender Wesenszug Gottes"
ist 1 2 9 . ,,'Αγαθότης nötigt nicht, sondern befähigt allererst zur Tätigkeit ad ex-
tra" 1 3 0 .
Aufschlußreich ist ein Vergleich mit SPINOZAS Erklärung des Hervorganges
der Dinge aus Gott. Er notiert in seiner 'Ethik', die zugleich seine Metaphysik
ist, in der Anmerkung zu Lehrsatz 17: „Ich glaube jedoch klar genug gezeigt zu
haben (siehe Lehrsatz 16), daß aus der höchsten Macht Gottes oder seiner un-
endlichen Natur unendlich vieles auf unendlich viele Weise, das heißt Alles, not-
wendig geflossen ist oder immer mit der gleichen Notwendigkeit folgt; auf die-
selbe Weise, wie aus der Natur des Dreiecks von Ewigkeit und in Ewigkeit folgt,

124 ebd. 278 (§ 228).


125 Vgl. VI 8 , 1 3 , 6 f . u. 1 6 , 3 0 - 3 4 .
126 V l , 6 , 3 0 f f . ; II 9 , 8 , 2 1 - 2 6 ; III 2 , 2 , 9 - 1 2 ; III 2 , 3 , 4 f .
127 a . a . O . (Anm. 78) 142.
128 II 9 , 4 , 6 - 1 0 ; II 9,11,13; II 9 , 1 2 , 3 9 - 4 3 ; vgl. aber oben S. 1011 zu VI 8 , 1 6 , 2 4 .
129 a . a . O . (Anm. 65) 77.
130 ebd. 78.
Z U M VERHÄLTNIS V O N N E U P L A T O N I S M U S U N D CHRISTENTUM 1017

daß seine drei Winkel gleich zwei rechten sind" 1 3 1 . Das Beispiel vom Dreieck ver-
deutlicht in aller Form die absolute Notwendigkeit, die LEIBNIZ auch die geo-
metrische bzw. logische und metaphysische Notwendigkeit nennt. Jetzt ist das
Gegenteil unmöglich geworden, weil es einen Widerspruch involvierte. LEIBNIZ
hat sich immer wieder gegen diese absolute Notwendigkeit beim Hervorgang der
Welt aus Gott gewandt und beim Notwendigkeitsbegriff aus guten Gründen eine
dreifache Differenzierung vorgenommen: die schon genannte absolute (= meta-
physische, logische, geometrische) Notwendigkeit, die physische Notwendigkeit,
wie sie etwa in den Naturgesetzen vorliegt und die auch schon das Gegenteil zu-
läßt, und schließlich die moralische Notwendigkeit, die die Freiheit nicht auf-
hebt, sondern voraussetzt 132 . Nirgendwo gibt es bei Plotin Andeutungen dafür,
daß sein Grundgedanke vom bonum diffusivum diese absolute Notwendigkeit
meint, so daß das Eine deshalb den Geist hervorgebracht habe, weil das Gegen-
teil auf einen Widerspruch führte. Das pio tinische bonum diffusivum meint nicht
eine solche Widersprüchlichkeit, sondern die Eigenart und das Proprium des
Guten, sich mitzuteilen. Das Gegenteil bleibt möglich, wie aus V 5,12,43—45
und VI 7,8,13 f. zu ersehen ist. Hätte das Eine das Gute für sich behalten, dann
wären „alle anderen Dinge verborgen geblieben", heißt es in IV 8,6,1—6 133 . Im
selben Kapitel derselben Schrift hebt Plotin ebenfalls hervor, daß der sinnenhafte
Kosmos nicht mehr, aber auch nicht weniger als „eine Offenbarung des voll-
endeten Guten im geistigen Reich, seiner Kraft und seiner Güte ist" 1 3 4 . Damit
hat Plotin der Freiheit Gottes im Wirken „nach außen" Raum gelassen, wenn-
gleich er selbst diese Freiheit kaum gelehrt hat. In seinem Augustinusbuch be-
merkt E. GILSON, gestützt auf die maßgeblichen Augustinustexte: „Die Güte
Gottes hat nicht zugelassen, daß eine gute Schöpfung im Nichts bliebe" 13S .

IV. Proklos und Dionysius Pseudo-Areopagita

Sowohl sachlich wie terminologisch gesehen stoßen wir bei Proklos zunächst
noch auf die unveränderte Position Plotins. Das Gute schafft aufgrund seiner
Güte 1 3 6 , kennt keinen Neid 1 3 7 , weil es darüber wie über jede Bedürftigkeit (εν-
δεια) erhaben ist 138 . Spricht man ihm den Willen ab (βούλησις), so ist das nicht

131
Die Ethik, nach geometrischer Methode dargestellt. Ubers., Anmerk. und Register von
O . BAENSCH: Philos. Bibliothek, Bd. 92 (Hamburg 1955) 22f.
132
a . a . O . (Anm. 46) Einl. Abhandlung 34 (§ 2).
133
Vgl. auch II 9 , 8 , 2 4 f . ; vgl. oben S. 1000.
134
IV 8 , 6 , 2 3 - 2 6 . Ähnlich in der Schrift gegen die Gnostiker: II 9 , 4 , 2 2 - 3 2 u. II 9 , 8 , 8 - 2 0 .
135
Der heilige Augustinus. Eine Einführung in seine Lehre (Hellerau 1930) 334.
136
St. th., PPr. 25; 27 (DODDS); in Tim. I 3 6 2 , 2 8 - 6 3 , 7 ; 3 6 5 , 2 0 - 2 6 ; 381,20; III 7 , 8 - 1 7
(DIEHL). Beide Schriften im folgenden nach diesen Ausgaben zitiert.
137
PPr. 98; 122; 131.
138
In Tim. I 3 6 3 , 9 - 1 1 ; 3 6 3 , 2 6 - 6 4 , 7 ; 3 6 4 , 2 3 - 6 5 , 3 ; 3 6 5 , 2 6 - 6 6 , 2 .
1018 KLAUS KREMER

als einfache Negation, sondern im Sinne der negativen Theologie aufzufassen 1 3 9 .


Es ist ja auch „nicht Vermögen", „sondern das Maß allen Vermögens", nicht
Sein, sondern Prinzip des Seins, „daher auch nicht Willen, weil dieser erst von
ihm stammt" 1 4 0 . Erst recht transzendiert es die Sphäre des λογισμός 1 4 1 .
Im Unterschied zu Plotin kommt aber nun das voluntative Moment viel
stärker zum Vorschein: Der Demiurg, der nicht mit dem Guten überhaupt, son-
dern mit dem νους νοερός zusammenfällt 1 4 2 , übt seine schöpferische Tätigkeit
nämlich aufgrund von überlegtem und freiem Entschluß (βούλησις) aus 1 4 3 . Re-
präsentativ für viele Texte mag eine Stelle stehen, die zugleich als Quelle für
das dionysische Sonnengleichnis in IV 1 von 'De Div. N o m . ' 1 4 4 in Frage kom-
men könnte und daher für dessen Interpretation von größter Relevanz ist:

„Wenn der Demiurg nämlich immer gut ist, w i l l er (βούλεται) immer allen
Dingen das Gute geben. Wie nämlich die Sonne durch ihr Sein (εν οσω εστί)
alles erleuchtet, und wie das Feuer erwärmt — aufgrund ihres Wesens ist sie
nämlich erleuchtend, das Feuer dagegen erwärmend (κατ'ούσίαν γάρ έστιν
ô μεν φωτιστικός, το δε πυρ θερμαντικόν) —, so w i l l (βούλεται) auch das
ewig Gute immer das Gute. Wenn er aber immer das Gute w i l l , vermag
er es auch immer, damit er nicht, zwar wollend, aber unvermögend, das
Schicksal der dürftigsten Dinge erleide. Denn auch der sittlich Gute will
nichts anderes, als was er vermag. Wenn er aber immer das Gute zu schaffen
vermag, tut er es auch immer, damit er nicht vergeblich (άτελής) das Ver-
mögen (δύναμις) besitze . . . " 1 4 S .

„ D i e Uberfülle, das Tätig- und Erzeugendsein machen die Eigentümlichkeit


der βούλησις a u s " 1 4 6 .

Auch im Neuplatonismus ist die Schöpfung also nicht „unwilled", wie DODDS
meint 1 4 7 .
W. BEIERWALTES hat in seiner Proklosarbeit mit Recht auf die Bedeutung
des Willens bei Proklos aufmerksam gemacht, jedoch mit der kaum zulässigen
Einschränkung, daß der Wille des Demiurgen die Welt nicht in ihrem „ D a ß "

139 In T i m . I 3 6 4 , 1 0 - 1 6 .
140 ebd.; ferner in Tim. I 4 1 2 , 5 - 1 0 .
141 St. th., Pr. 122 (p. 108,11); vgl. auch Pr. 189 (von der Seele; wie Plotin IV 3 , 1 3 ) . Der
Ausdruck λογισμός bereits bei Piaton, Tim. 34 a 8.
142 In T i m . I 3 1 7 , 1 7 - 1 9 ; 21; 3 6 0 , 1 6 - 2 8 ; 3 6 1 , 1 9 - 2 6 ; 3 6 2 , 2 - 9 ; 3 6 5 , 1 0 - 3 6 6 , 2 ; 3 6 8 , 2 3 f . ; St.
th., Pr. 34 (p. 3 8 , 3 f . ) .
143 In Tim. I 3 1 8 , 3 - 8 ; 3 6 2 , 2 - 9 ; 3 6 6 , 2 - 4 ; 3 6 7 , 2 - 6 . 1 2 . 2 0 - 2 9 ; 3 6 8 , 1 ; 3 7 1 , 4 - 7 . 1 3 - 1 9 ;
3 7 2 , 1 3 - 2 0 ; 3 7 9 , 2 6 - 3 8 0 , 2 ; 3 9 4 , 1 2 - 2 5 ; 3 9 6 , 5 - 2 5 ; 4 1 2 , 1 - 1 0 ; III 2 0 9 , 1 5 f . Β ο ύ λ η σ ι ς bei
Arist., N E III 6; 1113 a 15. D a z u den Kommentar von DIRLMEIER, a . a . O . (Anm. 32) 332.
Bei Proklos von π ρ ο α ί ρ ε σ ι ς unterschieden, die dem Demiurgen nicht z u k o m m t , in T i m . I
390, lOf. (wie Plotin VI 8 , 1 7 , 1 - 9 ) , wohl der Seele, in Parm. 7 8 7 , 2 f . (COUSIN 2 ). N a c h
dieser Ausgabe wird der Parmenideskommentar zitiert.
144 Vgl. unten S. 1022.
145 In T i m . I 3 6 7 , 2 0 - 3 6 8 , 1 ; vgl. auch 3 7 1 , 9 - 3 7 2 , 1 9 ; 372,19 - 31; 3 8 1 , 8 - 1 0 . 1 5 f .
146 In T i m . I 3 7 1 , 1 7 - 1 9 ; 3 7 2 , 8 - 1 0 .
147 a . a . O . (Anm. 113) 290.
Z U M VERHÄLTNIS V O N N E U P L A T O N I S M U S U N D CHRISTENTUM 1019

setze, sondern nur in ihrem „Wie" gründe, daß sie nämlich gut sei 148 . KOBUSCH
hat sich ihm angeschlossen 149 .
Bei Proklos müssen folgende Momente zusammen gesehen werden:
1. Wirken (ποιεϊν) durch Sein (αύτφ τω είναι) und Wirken durch Denken
(νοεΐν) schließen einander nicht aus. Denn der demiurgische Nus schafft, indem
er durch sein Sein schafft, gerade durch sein Denken 1 5 0 . Dieses macht ja sein Sein
aus. Völlig zutreffend schreibt BEIERWALTES: „Der denkende Vollzug des Seins
von Geist in ihm selbst aber ist zugleich wirkendes Schaffen ad extra" 151 . Niko-
laus von Cues wird später bei der Gegenüberstellung von göttlichem und mensch-
lichem Erkennen erklären 152 : Conceptio divinae mentis est rerum producilo; con-
ceptio nostrae mentis est rerum notio. Si mens divina est absoluta entitas, tunc
eius conceptio est entium creatio; et nostrae mentis conceptio est entium assimilatio.
2. Ebenso wie der Nus alles durch sein Denken schafft, schafft er alles durch
sein Wollen bzw. seinen Willen 153 . Dabei fallen folgende Einzelmomente auf:
a) Für die Tätigkeit des Schaffens bzw. Hervorbringens, die dem Willen zu-
geschrieben wird, werden fast dieselben Ausdrücke verwandt wie für das Schaf-
fen, das dem Denken des Nus zugeschrieben wird. Es sind dies, wenn man bloß
die in den Anmerkungen 143 und 150 angegebenen Textstellen einmal zugrunde
legt, folgende Worte:

Bereich der Willenstätigkeit Bereich der Denktätigkeit


- δημιουργεί - δημιουργικόν
- γεννητικόν - γεννώσιν
- γίνεται - γίγνεται
- ενεργεί
- κατασκευάσαντα
- παράγει παραγει
- ποιεί ποιεί
- προήλθεν
- το είναι χορηγών
- ύφίσταντα ύφίστησιν, ύποστατικόν

148
a . a . O . (Anm. 18) 144f., 145 Anm. 86.
149
a. a. O. (Anm. 65) 79.
150
Klassisch hierfür der Text in St. th., Pr. 174 (p. 152,10—15): εί γαρ νοητόν έστι και νους
ταύτόν και το εινα έκαστου τη νοήσει xfj εν έαυτω [ταύτόν], ποιεί δε α ποιεί τω είναι,
καί παράγει κατά το είναι ο έστι, καί τω ν ο ε ΐ ν άν παράγοι τα παραγόμενα, το γαρ
είναι καί το ν ο ε ΐ ν εν αμφω. και γαρ ó νους και [πάν] το öv το έν αύτφ ταύτόν. εί
ούν ποιεί τω είναι, το δε είναι ν ο ε ΐ ν έστι, ποιεί τω νοεΐν. Ferner in Parm. 7 9 1 , 1 4 - 1 6 .
21 f.; 8 4 3 , 3 1 - 8 4 4 , 4 ; in Tim. I 3 3 5 , 1 9 - 2 5 ; 3 5 2 , 5 - 1 0 ; 390,10; 3 9 6 , 3 - 2 6 ; 4 2 1 , 2 7 - 4 2 2 , 1 ;
Theol. Plat. V 16; 276,45f. (PORTUS).
151
a . a . O . (Anm. 18) 146.
152
De mente 3 (h V, S. 57, Ζ. 1 3 - 1 6 ) .
153
Vgl. oben Anm. 143.
1020 KLAUS KREMER

b) Der Wille bzw. das Wollen des demiurgischen Nus wird von Proklos
konsistent mit βούλησις bzw. βούλεσθαι und θέλημα wiedergegeben, nicht mit
προαίρεσις, ebenso das Denken mit νοεϊν, nicht etwa mit λογίζεσθαι und λογισ-
μός. Die im Parmenideskommentar von Proklos aufgeworfene Fragestellung, ob
die Ursache dieser Welt durch προαίρεσις und λογισμός oder durch ihr Sein
selbst das All hervorbringe 1 5 4 , kann daher nur im Sinn der zweiten Möglichkeit
entschieden werden. Denn προαίρεσις und λογισμός kommen dem Nus nicht
zu, wohl aber Wollen und Denken in Form von βούλεσθαι und νοειν. So Schloß
auch Plotin ein Hervorbringen der Welt durch die schöpferische Weltseele zwar
aufgrund von διάνοια und λογισμός aus, nicht aber aufgrund der der Weltseele
eigentümlichen „Schau" (θέα) des Geistes l s s . Der Nus muß „durch sein Sein
wirken", heißt es im 'Timaioskommentar', damit wir ihn nicht „dem Vorsatz
(προαίρεσιν) und der zweideutigen Entscheidung (άμφίβολον ροπή ν ) " unter-
werfen 1 5 6 . Gemäß προαίρεσις schaffen bedeutet an der angegebenen Stelle des
Parmenideskommentars ebenfalls, daß das Wirken dann „unbeständig (άστατος)
und zweideutig (άμφίβολος) sei, zu jeweils anderer Zeit sich anders verhalte und
der Kosmos vergänglich sein werde" (786,22—24).
c) Wie stark der voluntative Faktor für das schöpferische Wirken des Nus
bestimmend ist, zeigt das im 'Timaioskommentar' erörterte Problem, ob der
Demiurg noch gut sein könne, wenn er auch das Böse und Übel gewollt habe 1 5 7 .
Hat er es andererseits nicht gewollt, wie kann es dann sein? V o r allem aber:
„Dann gibt es etwas, was gegen den Willen (ακουσίως) des Vaters von allem ge-
worden i s t " 1 5 8 . Mit anderen Worten: Weder das Übel noch die Welt überhaupt
kann „unfreiwillig" durch den Nus geworden sein.
d) Zu erinnern ist ferner an das schon genannte Proprium des Willens, Uber-
fülle zu sein, tätig zu sein und zu erzeugen 1 5 9 .

3. Die drei Momente, nämlich Schaffen durch Sein, durch Denken und
durch Wollen, die sich schon bisher als einander zugeordnet erwiesen haben, faßt
Proklos dann in folgendem Satz zusammen: „Insofern der Demiurg Nus ist,
bringt er alles durch seine Gedanken hervor, insofern er Noeton ist, schafft er
durch sein Sein, insofern er Gott ist, allein durch seinen W i l l e n " 1 6 0 . KOBUSCH
war auf der richtigen Fährte, als er diese Stelle neben zwei anderen 1 6 1 als „ver-

154 In Parm. 7 8 6 , 1 6 - 7 8 8 , 1 ; vgl. in Tim. I 2 6 8 , 6 - 1 3 .


155 Vgl. oben S. 1012f.
156 In Tim. I 3 9 0 , 9 - 1 1 ; vgl. oben Anm. 143.
157 In Tim. I 3 7 3 , 2 8 - 3 8 1 , 2 1 .
158 ebd. 374,1 f.
159 Vgl. oben Anm. 146.
160 In Tim. I 3 6 2 , 2 - 4 : . . . καθό μεν νοΰς ό δημιουργός, παράγει τα πάντα ταϊς έαυτοΰ
νοήσεσι, καθό δε νοητόν έστιν αύτω τω είναι ποιεί, καθό δέ θεός, τω βούλεσθαι μόνον.
Vgl. dazu oben S. 1007 den Text des Thomas von Aquin, wo wir auch die drei genannten
Momente haben. Genauso Albert der Große in seinem Kommentar zu 'De divinis nomini-
bus': Unde cortcedimus eum agere ex ordine suae sapientiae et per libertatem suae volun-
tatis et tarnen secundum suam essentiam, non tarnen secundum necessitatem essentiae (zi-
tiert bei SCHNEIDER, a . a . O . [Anm. 7] 62, Anm. 105).
161 Nämlich in Tim. I 3 1 8 , 6 u. 362,7.
ZUM VERHÄLTNIS VON NEUPLATONISMUS U N D CHRISTENTUM 1021

dächtige(n) Stellen" im Sinne einer seinsetzenden Tätigkeit des göttlichen Willens


bezeichnete 1 6 2 . Dennoch blieb er bei seiner Auffassung, daß der göttliche Wille
lediglich eine das Seiende in seiner Wiebeschaffenheit bestimmende Instanz sei.

4. D e r Wille des demiurgischen N u s wirkt nicht losgelöst von der Güte,


sondern in Abhängigkeit von ihr, durch sie bestimmt und motiviert 1 6 3 : „ A u f -
grund seiner Güte schafft er durch seinen Willen alles". Die Triade von Vor-
sehung, Wille und Güte, die beim Hervorbringen wirksam ist, muß nach Proklos
so verstanden werden, „ d a ß die Vorsehung am Willen hängt, der Wille jedoch am
G u t e n " 1 6 4 . BEIERWALTES bemerkt richtig: „ E s kann also im Horizont dieses
Denkens nie gesagt werden, daß der Wille allein das bewegende Element des
Hervorgangs sei, sondern die Einheit von Gutheit, Wille und Vordenken (πρό-
νοια)"165.

5. Keinen Zweifel mehr darüber gibt es bei Proklos, daß auch die H y l e selbst
kein vorgegebenes Prinzip mehr, sondern daß sie geschaffen ist. Mehrfach hat
er dies geäußert 1 6 6 , und im Kreis heutiger Interpreten herrscht darüber Einig-
keit 1 6 7 .

6. Schließlich hat Proklos wie schon Plotin vor ihm nur zu deutlich gesehen,
daß Ewigsein und dennoch gleichzeitig Geschaffensein einander nicht wider-
sprechen 1 6 8 .

Man wird daher DODDS darin zustimmen, daß im Gegensatz zu einer zeit-
lich anfangenden Schöpfung im Christentum die Neuplatoniker nur eine von
Ewigkeit her bestehende Schöpfung kennen, nicht jedoch darin, daß die neu-
platonische „emanative creation" ungewollt und das Denken die einzig schöpfe-
rische Kraft ist 1 6 9 .
Wir verdanken Proklos sodann die schöne und aufschlußreiche Formulie-
rung, daß zum Guten die Mitteilung seiner selbst gehöre, und daß das Größte
nicht das Gut-Sein (άγαθοειδές), sondern das G u t - T u n sei (άγαθουργόν) 1 7 0 ,
womit Plotins quaestio vexata nach dem Warum der Schöpfung aufs beste be-
antwortet ist.

162 a . a . O . (Anm. 65) 79.


163 In T i m . I 3 6 2 , 7 f . : καί δια την άγαθότητα βουλήσει πάντα π ο ι ε ί . . .
164 In T i m . I 3 7 1 , 6 f . ; 4 1 2 , 2 - 5 .
165 a . a . O . (Anm. 18) 145.
166 St. th., Pr. 72 (p. 6 8 , 2 4 - 2 7 ) ; Pr. 59 (p. 5 6 , 3 6 f . ) ; in T i m . I 3 7 3 , 3 - 5 ; 3 8 4 , 3 0 - 3 8 5 , 1 7 ;
3 8 6 , 4 - 3 8 7 , 2 5 ; 3 9 2 , 2 4 f . ; 3 9 3 , 2 1 - 3 9 4 , 3 1 ; 4 4 0 , 4 ; II 1 0 2 , 6 - 1 1 ; in R e m p . I 3 7 , 2 7 f f .
(KROLL).
167 Vgl. etwa DODDS, a . a . O . (Anm. 113) 232 u. 239; meine Arbeit, a . a . O . (Anm. 38) 532;
BEIERWALTES, Identität und Differenz: Philosophische Abhandlungen, B d . 49 (Frank-
f u r t / M . 1980) 95 A n m . 39; DERS., a . a . O . (Anm. 95) 190.
168 S t . t h . , Pr. 34 (p. 3 8 , 5 ) . Für Plotin III 2 , 1 , 2 0 - 2 6 u. II 9 , 3 , 1 1 - 1 8 .
169 a . a . O . (Anm. 113) 290. In Parm. 8 0 2 , 2 0 - 2 2 ; C o d . C u s . 186, Fol. 41 r .
170 Pr. 122 (p. 1 0 8 , 1 9 - 2 1 ) ; griech. Text oben S. 1002. Ferner: In T i m . I 3 7 2 , 3 3 - 7 3 , 5 : το γ α ρ
θ ε ί ο ν άγονον ε ί ν α ι πώς άγαθόν; . . . 373,29—31: άγαθοΰ γ α ρ το πάν άγαθύνειν, φ
κατ' ούσίαν το άγαθόν, ώσπερ καί θ ε ρ μ ο ί το θ ε ρ μ α ί ν ε ι ν , φ κατ' ούσίαν το θ ε ρ μ ό ν .

68 ANRW II 36.2
1022 KLAUS KREMER

Im plotinisch-proklischen Fahrwasser segelt nun auch noch D i o n y s i u s ,


der Pseudo-Areopagite. Grund der Schöpfung ist negativ die Neidlosigkeit 171 ,
positiv daher der Charakter des Guten als eines schlechthin Guten und die
περιουσία an Vermögen 172 . Gott, das Allursächliche, ist τέλειος nicht nur, weil
er in sich vollendet und übervollkommen ist, . . . sondern auch weil er weder
vermehrt noch vermindert werden kann, insofern er alle Dinge im voraus in sich
enthält (προέχων) und gemäß einer unaufhörlichen, stets mit sich identischen,
übervollen und nicht verminderungsfähigen Darreichung überströmt 1 7 3 . Darum
kann Dionysius die Behauptung wagen, daß es die Natur des Guten sei, hervor-
zubringen und zu retten (φύσις γαρ τω άγαθω το παράγειν καί σώζειν), wie
es ja auch zum Feuer gehöre, zu wärmen und nicht zu kälten 174 . Dionysius mag
den Vergleich von Proklos entlehnt haben 175 , während das Beispiel vom Feuer
über Plotin 176 letztlich auf Piaton 1 7 7 zurückgeht. Gerade dieser Vergleich sugge-
riert natürlich wieder den Gedanken, daß alles derart notwendig aus dem Guten
hervorgehe wie die Wärme aus dem Feuer. Das gleiche gilt von dem berühmten
Sonnengleichnis in D N IV l 1 7 8 : So wie unsere Sonne, nicht überlegend oder
wollend (ού λογιζόμενος ή προαιρούμενος), sondern bloß durch ihr Sein 179 alles
erleuchtet . . ., so sendet auch das Gute (τάγαθόν) . . . durch sein Sein allem
Seienden in analoger Weise die Strahlen seiner ganzen Gutheit zu. In beiden
Stellen ein Bekenntnis zum Determinismus erblicken zu wollen, wäre jedoch ver-
kehrt. Zum Ausdruck kommen sollen lediglich der Gedanke Plotins, daß das
Gute nicht gut sein kann, wenn es seine Güte nicht mitteilt, und der Gedanke
des Proklos, daß es größer ist, Gutes zu tun als es bloß zu sein. Das muß, wie
der Parallel text bei Proklos es auch zeigt 180 , Denken und freien Willen nicht
ausschließen, weil die Mitteilung des Guten sich zwar in j e d e r Seinsschicht,
aber dem arteigenen Charakter der jeweiligen Seinsschicht entsprechend voll-
zieht. Der Aquinate hat mit einem ausgezeichneten Sensorium für diesen Sach-
verhalt in seiner Interpretation von IV 1 die freie Willenstätigkeit Gottes aus-
drücklich für Dionysius vindiziert 181 . Clemens Alexandrinus ist ebenso wie Dio-
nysius der Ansicht, daß es zum Wesen Gottes gehöre, Gutes zu tun, wie es zum
Feuer gehöre zu wärmen — unser platonisches Beispiel — und zum Licht zu

171
De div.nom. PG 3; 893 D; 956 B. - Im folgenden mit der Abkürzung D N und unter
Angabe der Kolumnenseite in PG, Bd. 3, zitiert.
172
D N 893 D; vgl. zum Ausdruck Proklos, St. th., Pr. 27 (p. 30,25); in Tim. I 381,20; Plo-
tin, IV 8,6,11.14; V 2,1,14; V 4 , l , 2 4 f . ; VI 7,32,33.
173
D N 977 B.
174
D N 716 BC.
175
In Tim. I 373,29-31 (Text oben Anm. 170); bes. 375,23-25: ού γαρ πυρός, φασί (sc.
Plat. Rep. 335 D), το ψύχειν ούδέ χιόνος xò θερμαίνειν ουδέ τοΰ παναγάθου το κακύνειν.
176
IV 7,4,29; IV 3,10,30.
177
Rep. 335 CD.
178
D N 693 Β.
179
Wohl von Proklos abhängig: St. th., PPr. 174; 189.
180
S. oben S. 1018.
181
I n D N n n r . 8 8 u . 2 7 1 (PERA).
ZUM VERHÄLTNIS VON NEUPLATONISMUS UND CHRISTENTUM 1023

erleuchten 182 . Aber, so wurde bereits erwähnt 183 , er tut dies nicht unfreiwillig
wie das Feuer, sondern aufgrund von Freiheit. Betrachtet man allerdings die Bei-
spiele, an Hand derer und in deren Milieu Gottes schöpferische Tätigkeit zu
erläutern versucht wird, dann kann man, verführt durch diese Beispiele, nur allzu
leicht auf den Gedanken einer notwendigen Schöpfung kommen. Und diese Kon-
sequenz ist denn auch tatsächlich gezogen worden 184 .
Der dionysische Gott hat aber nicht nur Wissen und Erkennen seiner
selbst 185 — Dionysius ist in diesem Punkt nicht so zurückhaltend wie Plotin —,
sondern auch Willen. Die Ideen im Geiste Gottes stellen keine bloßen intelli-
giblen Formen mehr dar, sondern zugleich göttliche und gute Willensäußerungen
(θεία καί άγαθά θελήματα) 186 . Damit ist die Voluntarisierung der Gottesidee
vollzogen, die im paganen Bereich von Plotin 187 eingeleitet wird, dem christlichen
Denken jedoch von Anfang an gegeben war 188 .

V. Augustinus

Sehr temperamentvoll stellt Augustinus verschiedentlich den Willen Gottes


als die letzte ratio für die Schöpfung heraus 189 . Aber ebenso häufig antwortet
er mit dem quia-bonus-Motiv190. Man hat darum bei Augustinus zwei Tradi-
tionen unterschieden191; eine theologische, die von der Offenbarung herkomme
und das voluntative Moment betone, so sehr, daß Augustinus unter die Volun-
taristen zu geraten schien; eine philosophische, die vom Neuplatonismus, ins-

182 Strom. I 8 6 , 3 (STÄHLIN).


183 Strom. V I I 4 2 , 4 (STÄHLIN); S. oben S. 9 9 4 .
184 D a z u PERA in seiner Ausgabe von D N (S. 166).
iss Vgl b e s Djsj 8 6 9 Α - C : είδέναι, γνώσις, γινώσκειν έ α υ τ ό ν , επιστήμη.
186 D N 8 2 4 C . Ferner 716 Α ( β ο υ λ η θ ε ί ς ) ; 733 A ; 736 A ; 9 1 7 A ; D e eccl. hier. P G 3 ; 3 7 3 D ;
3 7 6 B ; Epist. 8, P G 3 ; 1085 D . F ü r das Willensmoment bei Dionysius vgl. n o c h O . SEM-
MELROTH, Gottes ausstrahlendes L i c h t : Scholastik 2 8 ( 1 9 5 3 ) 483 — 8 8 ; R . ROQUES, L'uni-
vers dionysien. Structure hiérarchique du m o n d e selon le P s e u d o - D e n y s : Théologie, T o m e
2 9 (Paris 1954) 101 f.; L . SCHEFFCZYK, a . a . O . ( A n m . 12) 67.
187 Bes. die Schrift VI 8. S. oben S. 1 0 0 6 f . - THEILER, a . a . O . ( A n m . 2 1 ) 2 3 , führt sie bereits
auf die Gaiusschule und A m m o n i o s Sakkas zurück.
ISS VG[ G BENZ, Marius Victorinus und die Entwicklung der abendländischen Willensmeta-
physik: Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte, B d . 1 (Stuttgart 1932) 3 2 7 f f .
189 S. oben S. 9 9 5 A n m . 4.
190 Vgl. oben den T e x t S. 9 9 6 . Ferner D e civ. Dei X I 22 ( C C L 48, 3 4 0 ) : Hanc tarnen cau-
sam, -id est ad bona creanda bonitatem Dei, hanc, inquam, causam tarn iustam atque ido-
neam, quae diligenter considerata et pie cogitata omnes controversias quaerentium mundi
originem terminât . . .; X I 21 ( 3 4 0 ) ; X I 2 3 ( 3 4 0 ) ; X I 2 4 ( 3 4 3 f . ) ; C o n f . X I I I 1 , 1 ; X I I I 2 , 2 ;
X I I I 4 , 5 ; Epist. V 15 ( P L 3 3 , 7 2 7 ) ; D e Trin. X I 5 , 8 ( C C L 5 0 , 3 4 4 ) ; D e doctr. christ. I
3 2 , 3 5 ( C C L 3 2 , 2 6 ) ; D e Gen. ad litt. I 7 , 1 3 ( P L 3 4 , 2 5 1 ) .
191 R . - H . COUSINEAU, Creation and F r e e d o m . A n Augustinian P r o b l e m : " Q u i a v o l u i t " a n d / o r
"quia b o n u s " : Recherches Augustiniennes II (Paris 1962) 2 5 3 — 71.

68'-
1024 KLAUS KREMER

besondere von Plotin herrühre und Augustinus eher zum Deterministen zu


stempeln scheine. Durch diesen neuplatonischen Strom sei die auf einen freien
Willensentschluß zurückgehende Schöpfung zutiefst bedroht 192 . Augustinus
selbst habe die Schwierigkeit zu beheben versucht, indem er das bonum diffu-
sivum der Platoniker in einen amor diffusivus umgewandelt habe 193 . C o u -
siNEAU zweifelt jedoch, ob diese Transformation die im pio tinischen System lie-
genden latenten Konsequenzen wirklich unschädlich gemacht habe. Das System
des Augustinus sei aller Wahrscheinlichkeit nach an tinomisch, weil er teilweise
miteinander unverträgliche Begriffe aufstelle und das Ganze zugleich als wahr
ansehe 194 . Um ihm gerecht zu werden, müsse man zur dialektischen Aussage
greifen 195 .
Da das Christentum auf eigenen Quellen fußt und Augustinus andererseits
vom Neuplatonismus beeinflußt ist, lassen sich tatsächlich diese beiden Tradi-
tionsströme bei ihm unterscheiden. Die Betonung der voluntas ist natürlich in
erster Instanz auf das Konto der Offenbarung zu buchen. Alle christlichen
Denker sind hierin den nichtchristlichen überlegen. Aber das quia-voluit-Motiv
braucht keineswegs mit dem quia-bonus-Motiv in Konflikt zu geraten, weil
letzteres auch für die Freiheit geöffnet ist. Die diffusio bonitatis kann sich not-
wendig wie auch frei vollziehen; von Hause aus ist sie weder einseitig deter-
ministisch noch einseitig voluntaristisch zu verstehen. Nur wenn man in dem
quia-bonus-Motiv Notwendigkeit erblickt, wozu C O U S I N E A U neigt 196 , ergibt sich
die augustinische Antinomie mit ihrer Zuflucht zur Dialektik. Daß Plotin nicht
ganz unschuldig ist an einer solchen Auslegung seines Schöpfungsmotivs, haben
wir in dieser Untersuchung gezeigt. Interessant ist jedoch die Bemerkung von
CH. BOYER197, Augustinus habe bis zu seinem Ende Plotin in einem orthodoxen
Sinne verstanden. Es verdient registriert zu werden, daß im Zusammenhang mit
dem Schöpfungsmotiv das augustinische Schrifttum keinerlei Polemik gegen die
Neuplatoniker, wohl aber gegen die Manichäer aufzuweisen hat. Gegenüber
diesen wird das quia-bonus-Motiv verteidigt. Augustinus empfand darum auch
keine Schwierigkeit, beide Motive, wie auch Bonaventura später 198 , im selben
Text unterzubringen, Gott d e s h a l b frei zu heißen, weil er gut sei 1 9 9 :

192 ebd. 253,255,258,268f.


193 ebd. 262.
194 ebd. 270.
195 ebd. 271.
196 ebd. 255,258,264,269.
197 Christianisme et Néo-Platonisme dans la formation de saint Augustin (Paris 1920, 31953)
112. Vgl. auch P. HENRY, Plotin et l'Occident: Spicilegium Sacrum Lovaniense, vol. 15
(Louvain 1934, 21954) 90 ff.
198 In II Sent. d . i . pars II dub.I (II 51): quia bonus est Deus, vult se diffundere; et quia
vult se diffundere, vult creaturam producere; et quia Deus vult creaturam producere, vult
creaturam esse; et ita, quia bonus est, sumus. Vgl. auch in II Sent. d. 1,1, q. 1 conci. (II 40):
quia summae bonitatis, multa vult producere et se communicate. In I Sent. d. 44,1, q. 2 ad
4um (I 785); in I Sent. d. 1 dub. XIII (I 44).
199 Enarr. in Ps. 134,10 (CCL 40, 1945). Vgl. auch F.-J. THONNARD, Caractères platoniciens
de l'ontologie augustinienne: Augustinus Magister I (Paris 1954) 322.
ZUM VERHÄLTNIS VON NEUPLATONISMUS UND CHRISTENTUM 1025

Non omnia quae fecit, coactus est facere, sed omnia quaecumque voluit, fecit:
causa omnium quae fecit, voluntas eius est. Facis tu domum, quia si nolles
facere, sine habitatione remaneres; nécessitas cogit te facere domum, non
libera voluntas . . . omnia haec necessitate facis. Deus bonitate fecit, nullo
quod fecit eguit; ideo omnia quaecumque voluit, fecit.

In 'De civ. Dei' X I 24 erscheint darum genauso wie hier und in dem bereits von
Albert dem Großen zitierten T e x t 2 0 0 als Alternative zur necessitas die bonitas,
worin Augustinus die libertas nicht gefährdet, sondern gerettet sieht:

'Vidit Deus, quia bonum est', satis significatur Deum nulla necessitate, nulla
suae cuiusquam utilitatis indigentia, sed sola bonitate fecisse quod factum est,
id est, quia bonum est201.

N o c h FRANZ VON BAADER wird später so argumentieren 2 0 2 . Die Freiheit vom


Anderen begründet hier zugleich die Freiheit zum Anderen.
Darum dürfte es auch nicht von Erfolg gekrönt sein, wenn man an die Stelle
des bonum diffusivum den amor diffusivus setzt, weil darin das freiheitliche
Moment viel stärker zum Ausdruck komme (Ganz abgesehen davon, daß es eines
solchen Auswegs gar nicht bedarf!). Denn wenn Gott diese Welt geschaffen hat,
weil er sie liebte, taucht unweigerlich nach Art eines Regresses die zurück-
greifende Frage auf, warum Gott diese Welt überhaupt liebe. Darauf gibt es keine
bessere Antwort als die mit seiner summa bonitas. Nach Thomas von Aquin
liebt Gott alles propter excessum suae bonitatis203, und nach Richard von St. Vik-
tor ist die Liebe Folge der G ü t e 2 0 4 .

200 Vgl. oben S. 1004. Ebenso in seinem Kommentar zu Dionysius' 'De coelesti Hierarchia' (vgl.
oben Anm. 14). LEIBNIZ in seiner 'Theodizee': „Der Entschluß zur Schöpfung ist frei-
willig: Gott ist keinem Gut abgeneigt; das Gut, ja sogar das größte Gut, treibt ihn zu
Handlungen, zwingt ihn aber nicht; denn seine Wahl stempelt das vom Besten Unter-
schiedene keineswegs zur Unmöglichkeit; sie bewirkt durchaus nicht, daß das von Gott
Unterlassene einen Widerspruch einschließt" (a.a.O. [Anm. 46] Teil II, § 230).
201 CCL 48, 343. Vgl. auch ST. J. GRABOWSKI, The All Present God. A Study in St.
Augustine (St. Louis and London 1954) 255f.: Die Dinge gehen aus Gott hervor nicht
aufgrund von Notwendigkeit, sondern aufgrund seiner Güte, die die Freiheit beinhaltet.
Auch É. GILSON, a.a.O. (Anm. 135), erblickt keine Schwierigkeit darin, den Voluntaris-
mus der ersten Textgruppe mit dem Piatonismus der zweiten Textgruppe in Einklang zu
bringen (539). Nur darf man nicht einzig den Voluntarismus der ersten Textgruppe auf
den Grund des Daseins der Welt und den Piatonismus der zweiten Textgruppe bloß auf
die Frage, „weshalb der Wille Gottes eine solche Welt, wie die unsere, gewollt haben
könne", beziehen (333f.). Denn in beiden Textgruppen geht es um die Kardinalfrage,
warum überhaupt noch Seiendes außer Gott sei. Die Identität dieser Frage in beiden Text-
gruppen ist von Augustinus durch das jeweils verwendete quare verbürgt. Die vorläufige
Antwort auf diese Frage ist die voluntas Dei, die definitive der durch die Güte motivierte
Wille.
202 Dazu HEMMERLE, Franz v. Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung: Symposion
13 ( F r e i b u r g / B r . 1 9 6 3 ) 1 1 7 - 1 4 4 , bes. 1 4 4 .
203 I n D N n r . 4 0 9 (PERA).
204 V g l . J . SCHNEIDER, a . a . O . ( A n m . 7) 3 7 .
1026 KLAUS KREMER

VI. Thomas von Aquin

Im Vergleich zu Plotin und Proklos wird bei Thomas, wie schon bei D i o -
nysius und besonders bei Augustinus, die Freiheit des göttlichen Schöpfungsaktes
forciert 2 0 5 . Sie gehört zu den Standardsätzen der christlichen Denker. M i t Plo-
tin und Proklos ist Thomas sich darin einig, daß G o t t nicht aus irgendeiner Be-
dürftigkeit oder N o t heraus geschaffen h a t 2 0 6 . W o aber jede Bedürftigkeit und
jeder Mangel fehlt, da gibt es auch keine, so hatte schon Augustinus argumen-
tiert 2 0 7 , Notwendigkeit. Viele L e h r b ü c h e r 2 0 8 haben diese Argumentation zur
Sicherung der Freiheit Gottes aufgegriffen, polemisieren aber gleichzeitig von
hier aus gegen die neuplatonische N o t w e n d i g k e i t 2 0 9 ! ! ! Eine weitere thomanische
Begründung für die freigewollte Schöpfung lautet: D a die bonitas Dei vollkom-
men ist und ohne die geschaffenen Dinge zu sein vermag, aus denen ihr nichts
an Vollkommenheit zuwachsen kann, will sie diese Dinge nicht n o t w e n d i g 2 1 0 .
Diese Voraussetzungen für eine freiwillige Schöpfung erfüllt auch das plotinische

205 Vgl. oben Anm. 9.


206 De ver. 23,4,c. (fin.); De pot. Dei I 5,c.; III 15 ad 12um; III 17 ad 14um; I Sen:.
45,1,2, so; II Sent. 15,3,3 ad 2um; C . G . I 93 § Amplius.
207 De div. quaest. 83 (PL 40,16): Ubi nulla indigentia, nulla nécessitas; ubi nullus defectus,
nulla indigentia; nullus autem defectus in Deo; nulla ergo necessitas. Ferner Athenagoras,
De resurrect. 12 (PG 6,995).
208 Vgl. G. M. MANSER, a.a.O. (Anm. 18) 598; É. GILSON, Le Thomisme (Paris 5 1948)
179-86; F. VAN STEENBERGHEN, Ontologie: Philos. Lovan. IV (Einsiedeln 2 1953) 340—45;
PÉGHAIRE, a.a.O. (Anm. 18) 28; J. BRINKTRINE, Die Lehre von der Schöpfung (Pader-
born 1956) 50f. u. 55f. Vgl. auch TH. SPECHT, Lehrbuch der Dogmatik I (Regensburg
3 1925) 196-203; M. SCHMAUS, Katholische Dogmatik II 1 (München 5 1954) 8 0 - 8 2 u.

87—90; M. PREMM, Katholische Glaubenskunde I (Wien 1951) 359f. ; P O H L E — G U M M E R S -


BACH, Lehrbuch der Dogmatik I (Paderborn 10 1952), bes. 501 u. 517f.; D I E K A M P - J Ü S S E N ,
Katholische Dogmatik II (Münster 10 1952) 1 2 - 1 8 u.a. Auch Handbuch theol. Grundbe-
griffe II (München 1963) 510F. ; J . P. JOSSUA, L'axiome "bonum est diffusivum sui" chez
S.Thomas d'Aquin: Revue des Sciences Religieuses 40 (1966) 127—153, bes. 152. — Ab-
weichend von den Genannten: W. KERN, Zur Theologischen Auslegung des Schöpfungs-
glaubens: Mysterium salutis. Grundriß heilsgeschichtlicher Dogmatik, hrsg. v. J. FEINER U.
M. LÖHRER, Bd. II (Einsiedeln 1967) 464-545, bes. 500.
209 Dabei wäre einmal zu klären, was für eine Notwendigkeit das sein soll: 1. Jede Art von
Notwendigkeit des Bedürfens haben die Neuplatoniker abgelehnt, damit also auch die
Notwendigkeit des Bedürfnisses, sich im Emanationsprozeß entweder offenbaren oder gar
erst vollenden zu müssen. 2. Auch die sog. metaphysische, logische oder geometrische
Notwendigkeit scheidet aus, da weder Plotin noch Proklos erklärt haben, es sei wider-
sprüchlich, wenn das Gute sich nicht mitteile. 3. Bliebe also noch die Notwendigkeit, mit
der etwa die Sonne ihren Glanz oder das Feuer seine Wärme ausstrahlt, die man mit Leibniz
am besten als physische Notwendigkeit bezeichnet und die im Reich der vernunftlosen
Dinge anzutreffen ist. Kann Plotin jedoch im Ernst daran gedacht haben, diese Art von
Notwendigkeit dem Einen zuzuschreiben, dessen Natur im „Uber-Denken" und „Wollen
seiner selbst" besteht?
210 S. th. I 19,3, c.; ad 2um; ad 4um; De ver. 23,4, c. (fin.); C.G. I 80; De pot. Dei Χ 2 ad
6um; III 15 ad 12um; III 17 ad 14um; Com. in Ephes. I 5 - 6 a ; lect. 1, nr. 11-12.
ZUM VERHÄLTNIS VON NEUPLATONISMUS UND CHRISTENTUM 1027

Eine. Begründet man ferner die Freiheit der Schöpfung damit, daß Gott Erken-
nen zukommt 2 1 1 , dann müßte auch dem plotinischen Einen die Freiheit zugebil-
ligt werden, da es ja eine Art ύπερνόησις besitzt. In diesen drei Punkten gibt es
zwischen den neuplatonischen und christlichen Denkern keinen Unterschied.
Thomas ist sich aber m i t Plotin noch in einem weiteren und zwar entscheiden-
den, ja dem entscheidenden Punkt überhaupt einig 212 . Diese Übereinstimmung
soll im folgenden herausgearbeitet werden. Sehen wir uns deshalb die Beantwor-
tung der Frage an, utrum Deus velit alia a se (S. th. I 19,2). Bereits P É G H A I R E
konstatierte hier «un écho très net de Plotin»213, ohne indessen die nötigen Kon-
sequenzen zu ziehen. T H . A. A U D E T hat in seiner historischen Untersuchung zur
'Summa Theologiae' des Aquinaten gezeigt, daß alle großen Themen der thoma-
nischen Summa wie Trinität, Inkarnation, Schöpfung — dabei wird ausdrücklich
S. th. I 19,2 genannt — und gubernatio rerum von dem neuplatonischen Prinzip
bonum est diffusivum sui beherrscht sind 214 . Das steht im Gegensatz zu L. EL-
DERS, der in der zitierten Besprechung meiner Arbeit den Einfluß des Neuplato-
nismus auf das Schöpfungsmotiv bedeutend verringern möchte, um dafür den der
Hl. Schrift zu erhöhen 215 . Um die Tragweite dieses Textes zu ermessen, stellen
wir einige pio tinische Parallelen daneben.

1. Respondeo dicendum quod Deus non solum se vult, sed etiam alia a se. Quod
apparet a simili prius216 introducto.
2. Res enim naturalis 2. V 1,6,30—37: Καί πάντα τα οντα, εως μένει, έκ
non solum habet natu- της αύτών ουσίας άναγκαίαν την περί. αύτά προς το
ralem inclinationem re- εξω αύτών έκ της παρούσης δυνάμεως δίδωσιν αύ-
speau proprii boni, ut των έξηρτημένην ύπόστασιν, εικόνα ούσαν οίον άρ-
acquirat ipsum cum non χετύπων ών έξέφυ. Πυρ μεν την π α ρ ' αύτού θερμό-
habet, vel ut quiescat in τητα. καί χιών ούκ εϊσω μόνον το ψυχρόν κατέχει.
ilio cum habet; sed et- μάλιστα δε οσα εύώδη μαρτυρεί τούτο, εως γάρ
iam ut proprium bo- έστι, πρόεισί τι έξ αύτών . . .
num in alia diffundat IV 8,6,7f.: εΐπερ εκάστη φύσει τούτο ενεστι το μετ'
secundum quod possibile αυτήν ποιειν και έξελίττεσθαι . . .
est.
3. Unde videmus quod 3. V 1 , 6 , 3 7 - 3 9 : K a i πάντα δέ οσα ήδη τέλεια γεννά.
omne agens, inquantum το ôè άεί τέλειον άεί καί άίδιον γεννά, καί ελαττον
est actu etperfectum, fa- δέ έαυτοϋ γεννά.

211
S.th. I 19,4, e. (fin.); D e pot. Dei III 15, c. (3. ratio); C . G . II 23 § Item; I Sent. 4 5 , 1 , 3 ; D e
subst. sep. nr. 100 (SPIAZZI): A quolibet enim agente procedit effectus secundum modum
sui esse. Esse autem primi principii est eius intelligere et velie. Procedit igitur universitas
rerum a primo principio sicut ab intelligente et volente. Intelligentis autem et volentis est
producere aliquid non quidem ex necessitate, sicut ipsum est, sed sicut vult et etiam intelligit.
212
Gemeint ist natürlich bloß eine sachliche Ubereinstimmung!
213
a . a . O . (Anm. 18) 20 A n m . 48.
214
a . a . O . (Anm. 41) 19.
215
a . a . O . (Anm. 70) 616.
216
S.th. I 19,1.
1028 KLAUS KREMER

cit sibi simile. Onde et V 4 , 1 , 2 6 - 3 0 : ο τι δ' αν των άλλων είς τελείωσιν ϊη,
hocpertinet ad rationem όρώμεν γεννών καΐ ουκ άνεχόμενον εφ' έαυτού
voluntatis, utbonum... μένειν, άλλ' ετερον ποιούν, ου μόνον ö τι αν προ-
communicet secundum αίρεσιν εχτ), άλλα και δσα φύει άνευ προαιρέσεως,
quod possibile est. και τα άψυχα . . .
4. Et hoc praecipue pertinet ad voluntatem divinum, a qua per quandam simili-
tudinem derivatur omnis perfectio.
5. Unde, si res natura- 5. V l , 6 , 3 9 f . : Ti ούν χρή περί του τελειοτάτου
les, inquantumperfectae λέγειν; μηδέν άπ' αυτού ή τα μέγιστα μετ' αυτόν.
sunt, suum bonum aliis V 4 1,34—36: πώς οΰν το τελεώτατον καί τό πρώτον
communicant, multo αγαθόν εν αύτω σταίη ώσπερ φθόνησαν έαυτοΰ ή
magispertinet ad volun- άδυνατήσαν, ή πάντων δύναμις; πώς δ' άν ετι άρχή
tatem divinam, ut bo- ειη;
num suum aliis per simi-
litudinem communicet,
secundum quod possibile
est.
6. Sic igitur vult et se esse, et alia. Sed se ut finem, alia vero ut ad finem,
inquantum condecet divinam bonitatem etiam alia ipsam participare217.

Versuchen wir, die wichtigsten Gedanken herauszuheben.


1. Beide Denker lehren übereinstimmend, daß jede res naturalis, die zu
ihrer Vollkommenheit gelangt ist, zeugt, d.h. ein sich Ähnliches hervorbringt.
Thomas spricht von einer inclinatio naturalis, Plotin von einem Streben, das
jedem Wesen innewohnt, wofür er auch Notwendigkeit setzen kann, was sich
sachlich von der inclinatio des Thomas nicht unterscheidet. Dieses Streben nach
der diffusio proprii boni gehört auch zur ratio voluntatis.
2. Aus dieser prinzipiellen Überlegung heraus, daß jedes Seiende aufgrund
seiner Vollkommenheit ein ihm Ähnliches erzeuge, folgern beide Denker wieder-
um übereinstimmend: Dann kann man auch von Gott, dem Vollkommensten,
nichts anderes als die diffusio seiner bonitas erwarten.
3. Die diffusio bonitatis erfolgt bei Thomas wie schon bei Plotin, Proklos,
Dionysius und Augustinus über den Weg der Partizipation. Secundum quod pos-
sibile est, wie Thomas ausführt, auch damit das plotinische καθόσον δύναται
überraschenderweise treffend (V 4,1).
4. Obwohl Thomas von einer inclinatio naturalis, von einem pertinere ad
rationem voluntatis spricht und den Schluß von den vollkommenen res naturales
auf den absolut vollkommenen göttlichen Willen vollzieht, genauso wie Plotin,

217 S.th. I 19,2. Vgl. auch S.th. I 19,4 ad 3um; I 106,4,c.; III l,l,c.; De pot. Dei II 1,c.;
III 17 ad lum; C.G. I 37; II 6; I 75; III 24 (fin.); I Sent. II 1,4 contra; in DN nnr. 306,
3 0 8 , 3 0 9 , 3 1 2 , 4 0 9 (PERA).
ZUM VERHÄLTNIS VON NEUPLATONISMUS U N D CHRISTENTUM 1029

erblickt er darin keine Aufhebung der göttlichen Willensfreiheit. So verstanden


wir auch Plotin. Die Ausführungen des Aquinaten dürften eine gewisse Bestäti-
gung unserer Interpretation Pio tins bilden.

Mit dieser Analyse von S. th. I 19,2 hat L. E L D E R S sich nicht einverstanden
erklärt. Der Artikel 2 sei im Gesamtkontext der quaestio 19 zu sehen, was
zweifelsohne richtig ist. Auf die Frage, welche Abhängigkeit die von Gott ge-
wollten Dinge in bezug auf Gott haben, antworte Thomas in dieser Weise:
«Les choses ne peuvent venir de Dieu par un processus nécessaire, car s'il en était
ainsi les effets seraient infinis comme leur cause216. La production des créatures est
donc déterminée par la volonté divine, par un véritable choix (electio: S. th. I
19,4 ad lum), motivé par la bonté de Dieu: bonitas est ei ratio volendi omnia
alia (I.e. ad 3um)» 2 1 9 . N u n , daß Thomas im Unterschied zu Plotin die voluntas
Dei bei der Schöpfung besonders hervorhebt, ist oben vermerkt worden. Aber
hinter der voluntas Dei steht nach Thomas die bonitas als Grund der freigewollten
Schöpfung. Zur Begründung dafür, wie die bonitas divina ratio volendi omnia
alia ist, gibt Thomas in dem genannten ad 3um den Rückverweis auf S. th. I
19,2, wo die Schöpfung eben mit der diffusio bonitatis begründet wird 2 2 0 . Darin
liegt die vollkommene Ubereinstimmung mit Plotin. Er unterscheidet sich von
ihm durch die Betonung des Willens, was im Hinblick auf Plotin wiederum be-
weist, daß die diffusio bonitatis nicht ins Reich der Notwendigkeit gehört.
Für die Thomasinterpretation ergibt sich aus der Analyse von S. th. I 19,2
sowie der übrigen einschlägigen Stellen 221 noch eine wichtige Erkenntnis. Das
Prinzip bonum est diffusivum sui wird bei Thomas durchaus nicht nur im Sinne
der causa finalis interpretiert, wie mehrere Stellen es nahezulegen scheinen 222 und
viele Autoren im Anschluß daran behaupten, sondern gerade auch im Sinne der
Mitteilsamkeit, also nicht nur final, sondern auch kausal (causa efficiens)223. J. P.

218
Demnach dürften wir bei Plotin im Gegensatz zu der von E L D E R S vertretenen Ansicht
gar keine notwendige Emanation haben, da das Emanierte eben nicht mehr unendlich wie
seine Ursache, sondern geringer ist. Ähnliches ergibt sich aus SCHEFFCZYK, a. a. O. (Anra.
18) 32: s. oben S. 1010.
219
ELDERS, a . a . O . ( A n m . 7 0 ) 6 1 6 .
220
Damit erledigt sich die weitere Behauptung von E L D E R S (ebd. 616f.) von selbst: «Pour saint
Thomas le principe que le bien se répand ne fournit pas l'explication ultime de la création;
il y a place pour le mystère de la liberté souveraine et transcendante de Dieu». Natürlich
gibt es diesen Platz für das Geheimnis der souveränen und transzendenten Freiheit Gottes,
aber nicht im Gegensatz zum bonum diffusivum, sondern gerade seinetwegen. — Auch
H . K Ü H L E kommt in seiner zitierten Albertstudie (a. a. O . [Anm. 7 ] ) zu dem Ergebnis, daß
sowohl für Albert wie für Thomas der neuplatonische Gedanke von der diffusio bonitatis
den Grund darstelle, warum Gott geschaffen habe. Ebenso J. SCHNEIDER, a. a. O . (Anm. 7)
105.
221
S. oben Anm. 217.
222
Z.B. S.th. I 5,4 ad 2um; De ver. 21,1 ad 4um; I Sent. 34,2,1 ad 4um.
223
Belege dafür sind S.th. I 19,2 und die dazu oben Anm. 217 angeführten Stellen. Daß wir
beide Interpretationen auch bei Bonaventura haben, wurde oben (Anm. 53) bereits ange-
merkt. Für Albert den Großen und dessen Schüler Ulrich von Straßburg hat J . S C H N E I D E R
1030 KLAUS K R E M E R

JossuA hat in seinem sehr umsichtigen Aufsatz 224 ausdrücklich notiert, daß man
bei der Interpretation dieses Prinzips bei Thomas viel zu wenig auf die beiden
komplementären Aspekte (den finalen wie kausalen) geachtet habe, die bei Tho-
mas vorliegen 225 . Ohne die kausale Bedeutung der diffusio dürfte die finale zu-
dem nicht verständlich werden. Denn damit das Erste Gute sich im Sinne des finis
den Geschöpfen mitteilen kann, ist vorausgesetzt, daß diese Geschöpfe bereits
existieren. Das aber setzt seinerseits die diffusio im kausalen Sinn voraus, wo-
durch die Geschöpfe allererst ihr Sein und Gutsein vom primum bonum und da-
mit ihre Ähnlichkeit mit ihm haben, um danach streben zu können 226 . In diesem
Sinne ist die kausale Bedeutung der diffusio sogar früher als die finale. Wir ge-
winnen daher eine Kreisbewegung, die vom summum bonum als „Wirkursache"
ausgeht und sich ihm wieder als Finalursache zuwendet.
Eine bisher unbeachtete Aporie muß jedoch noch zu lösen versucht werden.
Plotins Anschauung über das Gute gipfelte in dem Satz: Das Gute ( = Gott) kann
nicht gut sein . . ., wenn es nicht von seinem Eigensein einem Anderen mit-
teilt 227 . Ähnlich Proklos 228 und Dionysius 229 ! Hier schleicht sich nun leicht fol-
gende Überlegung ein: Wie das Gute nicht nicht gut sein kann, sondern mit
absoluter Notwendigkeit gut sein muß, so müßte es sich auch mit derselben
metaphysischen Notwendigkeit mitteilen. Diese sozusagen unterschwellige Fol-
gerung dürfte ebenfalls mit schuld daran sein, daß die Neuplatoniker mit dem
Verdikt der notwendigen Schöpfung belegt wurden. Aber nirgendwo hat Plotin
diese Folgerung gezogen, so nahe sie doch lag. Seine Notwendigkeit meint stets
nur die physische Notwendigkeit, die sich in den res naturales ausdrückt, und
jene moralische Notwendigkeit, die den mit Willen begabten Wesen auferlegt ist.
Dieselbe Problematik, sogar noch verschärft, finden wir bei Thomas: Einerseits
haben wir da die forcierte Freiwilligkeit der Schöpfung, andererseits die plotinische
Überlegung, daß alles Vollkommene sein bonum mitteile. Es sei dies eine incli-
natio naturalis der res naturalis, gehöre zur ratio voluntatis230, ja Thomas erklärt:
quia de ratione boni est, quod ab eo procédant effectus per eius communica-
tionem231. Hat Plotin etwas anderes gemeint? Oder muß man umgekehrt deshalb

es trefflich herausgearbeitet ( a . a . O . [Anm. 7] 2 3 , 3 7 , 4 4 , 5 5 - 5 7 , 5 9 f . , 63,65,71-74,102,


104f., 296); vgl. auch K Ü H L E , a . a . O . (Anm. 7) 61 f., 75f. Für Augustinus hat G I L S O N ,
a . a . O . (Anm. 135) 539, darauf hingewiesen. Für Thomas von Aquin vgl. J . S C H N E I D E R ,
a . a . O . (Anm. 7) 105; TH. A. AUDET, a . a . O . (Anm. 41) 16.
2 2 4 a . a . O . (Anm. 208) 125-153.

2 2 5 ebd. 145.

226 Vgl. auch die diesbezüglichen guten Bemerkungen von J. S C H N E I D E R bei der Darstellung
von Alberts Lehre ( a . a . O . [Anm. 7] bes. 67f., 72f., 74f.).
2 2 7 II 9 , 3 , 7 - 9 (oben S. 1000).

2 2 8 St.th., Pr. 122 (oben S. 1002).

2 2 9 D N PG 3; 977 Β u. 716 B C (oben S. 1022f.).

2 3 0 S.th. I 19,2, c.

2 3 1 In D N nr. 136; nr. 36: cum de ratione boni sit quod se aliis communicet . . .; nnr. 213;
227; 229; 269; S. th. 1 II 1,4 ad lum: . . . de ratione boni est, quod aliquid ab ipso effluat;
2 II 117,6 ad 2um; I 106,4,c.: nam de ratione boni est quod se aliis communicet·, C . G .
II 6; I 37 (fin.); III 24; I Sent. IV 1,1,so.; II 1,4 contra; S.th. III 1,1,c.; I 62,9 ad 2um;
103,6,c.
ZUM VERHÄLTNIS V O N NEUPLATONISMUS U N D CHRISTENTUM 1031

auch von Thomas konstatieren, wie PLATZECK es gegenüber Plotin tut 2 3 2 , daß sein
Gott unmöglich nicht wirken könne, womit die Freiheit endgültig aufgehoben
wäre? Ratio meint in diesem Zusammenhang wohl das Wesen, und Wesen be-
deutet notwendige Sachverhalte. Urgiert man diesen Begriff der ratio, dann kann
es keine freigewollte, sondern nur noch eine notwendige Schöpfung à la S P I N O Z A
geben. Dann würde Gott mit der gleichen Notwendigkeit schaffen, kraft welcher
er auch existiert und gut ist. Allein, diese Texte aufgrund ihrer Vokabeln im
Sinne einer notwendigen Schöpfung interpretieren zu wollen, wo Thomas sonst
mit aller Vehemenz die freigewollte Schöpfung vorträgt 233 , scheint doch schlech-
terdings unmöglich zu sein. In den beiden Aussagereihen einen nicht gelösten
oder gar nicht einmal bemerkten Widerspruch entdecken zu wollen, dürfte eine
kaum annehmbare Überlegung sein. Die Lösung liegt anderswo!
Das Wort bonum est diffusivum sui234 zählt zu den ersten Gegebenheiten
des menschlichen Geistes, stellt also ein erstes Prinzip im eigentlichen Sinne des
Wortes dar, das daher weder bewiesen noch erklärt, sondern nur umschrieben
und an Beispielen erläutert werden kann. Keiner hat dies deutlicher gesehen als
Plotin! Darum sein ständiger Rückgriff auf die — freilich immer irgendwie defi-
zienten — Beispiele und seine wiederholten Ansätze, um des Problems Herr zu
werden. Obwohl diese ersten Prinzipien unvermittelt und durch sich selbst evi-
dent sind, leuchten sie uns nicht alle mit der gleichen Evidenz entgegen. Es hängt
dies davon ab, inwieweit wir Subjekt und Prädikat eines solchen Prinzips durch-
schauen 235 . So zeigt Thomas im Anschluß an Boethius, daß der Satz incorporalia
non sunt in loco zwar ein indicium per se notum ist, aber bloß für die sapientes,
denen die Bedeutung von S und Ρ bekannt ist 236 .
Etwas Ähnliches gilt für unser Axiom, dessen Selbstevidenz nicht derart ge-
geben ist wie etwa die des Kontradiktionsprinzips, sondern intensiverer Reflexion
bedarf (vgl. oben Anm. 190, Augustinus: bonitas Dei. . . quae diligenter consi-
derata et pie cogitata omnes controversias quaerentium mundi originem termi-
nât . . .). Dieser Umstand sowie sein Axiomcharakter machen es aber verständ-
lich, warum wir solche N o t haben, die Wahrheit dieses Prinzips aufzuzeigen.
Hierin ist der Grund zu suchen für unsere unangemessene und inadäquate
Sprache, für die man das einst von Bonaventura auf Augustinus gemünzte Wort
anführen möchte: plus dicens et minus volens intelligi. Daher kann es passieren,
daß ein Riß klafft zwischen dem, was wir sagen, und dem, was wir sagen wollen.
Plotin und Thomas sind die Kronzeugen dafür.

232
a . a . O . (Anm. 71) 192. PLATZECKS Behauptung, daß das plotinische Gute wegen seiner
Identität mit dem Einen unmöglich nicht wirken könne, stimmt einfach nicht. Denn nicht
aufgrund dieser Identifizierung teilt sich das Gute mit, sondern weil es das Erste Gute und
das Allervollkommenste ist.
233
Charakteristisch für diese scheinbare Doppelgleisigkeit auch: in D N nnr. 269 u. 271. Ferner
De pot. Dei III 15 ad 12um.
234
Uber seinen Ursprung vgl. die Bemerkung oben S. 1002.
235
S.th. I 2, l , c . ; De pot. Dei VII 2 ad l l u m .
236
S.th. I 2, l , c .
1032 KLAUS KREMER

Plotins quaestio vexata nach dem Warum und Wie der Emanation ist also
nicht mit einem „Entweder-Oder", sondern mit einem „Sowohl-Als-Auch" zu
beantworten: Weil Gott gut war und nichts bedurfte, darum hat er die Welt
hervorbringen w o l l e n . Thomas:
Optima ratio, qua Deus omnia facit, est sua bonitas et sua sapientia, quae
maneret, etiam si alia vel alio modo faceret237.

237
De pot. Dei I 5 ad 14um.

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