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62 Forschungsjournal NSB, Jg.

19, 3/2006

ANALYSE mit populärer afroamerikanischer Musik aus


Urbanen Zentren wie New York City, Detroit
oder Chicago assoziiert.
W h o are the r Boyz in the Hood'?
Als mit den 1990er Jahren der Begriff ur-
Gewalt, Geschlecht und Ethnizität in
ban music im Mainstream auftaucht, erfährt er
urban music Videoclips
eine Erweiterung um hybride Musik wie
Wenn wir über sexualisierte und sexuelle Ge- Drum'n' Bass oder UK Garage. Urban Music
waltdarstellungen in Musikvideos sprechen, ste- scheint die neue und für manche auch die poli-
hen HipHop und vor allem Gangsta Rap für tisch korrektere Bezeichnung für afroamerika-
ihren Sexismus, ihre Homophobie und ihre im- nische und hybride Musik zu sein - allerdings
plizite Gewaltbereitschaft im Zentrum der Kri- weist dieser angeblich ,race'-neutrale Begriff
tik. Diese Genres afroamerikanischer Musik eine Reihe von rassistischen Untertönen auf.
werden gemeinsam mit R&B und anderer hyb- Urban music ist für Musikindustrie, Plattenla-
rider Musik unter dem Begriff urban music bels und Musikjournalistinnen die geeignete
gefasst. In diesem Artikel greife ich einige Be- Bezeichnung, um jede Art von afroamerikani-
deutungen von urban music auf, um daran scher und hybrider Musik, die seit den 1990ern
anschließend die Frage zu diskutieren, wie Ge- in europäischen und us-amerikanischen Groß-
walt, Geschlecht und Ethnizität in urban music städten entstand, für weiße Hörerinnen neu zu
Videoclips repräsentiert werden. Dabei schlage vermarkten.' Darüber hinaus ist das Labeling
ich vor, die stereotypen Repräsentationen von afroamerikanischer Musik unter urban für
Schwarzer Männlichkeit als gewalttätige und weiße und nicht-Schwarze Musikerinnen will-
frauenfeindliche in einem breiteren historischen kommen, um diese Musikrichtungen aufzugrei-
und gesellschaftspolitischen Kontext zu veror- fen, ohne mit den politischen Aussagen von afro-
ten. amerikanischer Musik in Berührung zu kom-
men. Auf dem .Black Music Congress' an der
Urban Music London City University 2004 kamen die Teil-
Der Begriff urban music lässt sich auf die us- nehmerinnen zu dem Schluss: „(...) Urban mu-
amerikanischen urban contemporary Radio- sic has no compulsion to express the serious
stationen zurückführen, die sich in den 1970er black experience or struggle. (...) It perpetuates
und 1980er Jahren der Vermarktung von Hip- the excesses within our culture by glamorising
Hop, Rap, Reggae und zeitgenössischem R&B the materialistic bling-bling, disrespect the
verschrieben hatten. Erstmals tauchte der Be- womanhood, use of profanity, crass dancing,
griff urban contemporary mit dem New Yorker etc".2
Radio-DJ Frankie Crocker Mitte der 1970er Jah- Der Begriff urban music sollte die multikul-
re auf, der sein Programm aus HipHop und turelle Atmosphäre in us-amerikanischen, briti-
R&B-Hit-Singles zusammenstellte und vor al- schen oder französischen Großstädten reflek-
lem afroamerikanische Frauen zwischen 18 und tieren und afroamerikanische wie hybride Mu-
34 Jahren ansprechen wollte. ,Mainstream ur- sikstile vereinen, die ethnische und kulturelle
ban' und,Urban Top 40', zwei weitere ,urban'- Minderheiten entwickel(te)n. Dieses Vorgehen
Radiostationen, erweiterten ihr Programm ab- zielt auf einen diskursiven Richtungswechsel in
seits von Hit-Singles mit dem Ziel, das Publi- den Diskussionen über , Race '/Ethnizität und
kum um männliche Afroamerikaner, aber auch Musik ab: Populare Musik von People of Co-
Latinos, Asian-Americans und Weiße zu ver- lour3 wird unter urban gefasst, und an die Stelle
größern. Seit damals wird urban vorwiegend der Verbindung zwischen ,Race', Ethnizität und

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Musik, wie diese beim Begriff ,Black Music' Angeles, in denen vor allem Migrantinnen und
offensichtlich ist, tritt der Konnex zwischen People of Colour leben bzw. leben sollten. Hier
Afroamerikanerinnen und Urbanität. Dieser werden Fragen nach Machtregimen und rassis-
Versuch, eine neue Begrifflichkeit mit einer neu- tischen stadtplanerischen Maßnahmen im Zu-
en Vermarktungsstrategie einzuführen, ignoriert sammenhang mit minorisierten Gruppen viru-
und dethematisiert die strukturellen und indivi- lent. Birgit Rommelspacher (1995) prägte den
duellen rassistischen A u s g r e n z u n g e n von Begriff der Dominanzkultur, um zu beschrei-
Künstlerinnen mit migrantischem Hintergrund ben, wie die Zugehörigkeit zur Dominanzkultur
oder Schwarzen Künstlerinnen. mit ökonomischen, sozialen und kulturellen Pri-
Zugleich rekurriert urban music auf zwei vilegien für Angehörige der Mehrheitsgesell-
unmittelbar miteinander verbundene Phänome- schaft verbunden ist, die Menschen nicht-wei-
ne, die in den Entstehungsgeschichten von afro- ßer Hautfarbe und/oder ohne EU- bzw. us-ame-
amerikanischer und hybrider Musik eine zen- rikanischer Staatsbürgerschaft verwehrt bleiben.
trale Rolle spielen: Erstens auf die Migrations- In Los Angeles zeigte sich die Zugehörigkeit
bewegungen in westeuropäischen und us-ame- zur Dominanzkultur lange Zeit u.a. durch das
rikanischen Großstädten sowie den generellen Verbot für Afroamerikanerinnen, in die Vororte
Einfluss von Migrantinnen auf die Entwick- zu ziehen und als die ,blue-collar'-Industrie, die
lung von Popularmusik, und zweitens auf den traditionell Afroamerikanerinnen und Migran-
Verweis im Begriff urban music auf die Le- tinnen beschäftigte, auf eine ökonomische Kri-
bens- und Arbeitsbedingungen von People of se zusteuerte, blieb eine arbeitslose und immo-
Colour und Migrantinnen in us-amerikanischen bile Schwarze Bevölkerung im Stadtzentrum
und europäischen Urbanen Zentren. zurück, die weitere Abwanderungsbewegungen
von Weißen aus dem Stadtkern nach sich zog.
Wesentlicher Motor für die Entwicklung von
afroamerikanischer und hybrider Musik waren In europäischen Großstädten wie beispiels-
und sind die Migrationsbewegungen von Afro- weise Paris oder London leben People of Co-
amerikanerinnen, Osteuropäerinnen oder Inder- lour und Migrantinnen vor allem am Stadtrand
innen von einer vermeintlich territorial und eth- und in den Vororten, die durch schlechte Wohn-
nisch festgeschriebenen und scheinbar authen- qualität, Arbeitslosigkeit und mangelnde Ver-
tischen .Dritte-Welt-Kultur' hin zu westlichen kehrsverbindungen charakterisiert sind. In Wien
Metropolen während und nach dem Zweiten hingegen zeigt sich durch den städtischen Ge-
Weltkrieg (vgl. Aydogdu/Frketic 2006). Obwohl meindebau und durch die so genannten Arisie-
diese Migrationsbewegungen unterschiedliche rungen' von Wohnungen und Häusern durch
(Hinter-)Gründe und Auslöser haben, wurde vor die Nazis und ihre Mitläuferinnen (die sich bei-
allem in den ehemaligen Kolonialländern Frank- de zum Großteil bis heute weigern, den Besitz
reich und Großbritannien der Einfluss von mig- an ihre ursprünglichen Eigentümerinnen zu re-
rantischer Kunst- und Musikproduktion als fran- tournieren) ein migrantlnnenfeindlicher Woh-
zösischer Rap, Bhangra, Bollywood Film oder nungsmarkt. Viele Hausbesitzerinnen weigern
die jamaikanische Sound System Kultur sicht- sich, Wohnungen an Migrantinnen zu vermie-
bar, die erfolgreich im Mainstream landeten. ten, und bis vor kurzem war es Migrantinnen
Die zweite Verbindung, die der Begriff ur- nicht erlaubt, Gemeinde Wohnungen zu mieten.
ban music vorschlägt, ist der Rekurs auf die Diese Beispiele illustrieren, wie urbane Räu-
verarmten, mit schlechter Infrastruktur ausge- me politisch organisiert werden. Der Begriff
statteten Stadtviertel in us-amerikanischen Groß- urban music verweist daher abhängig von der
städten wie New York City, Detroit oder Los historischen Entwicklung so genannter ,Ghet-

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tos' einmal auf die Zentren der Städte, ein ande- migrantischem Hintergrund, angeeignet wurde,
res Mal auf die Stadtränder und Vororte. bleibt das Ghetto als symbolischer Ausdruck
Urbane Räume fungieren als eine .soziale für ein verarmtes und von Gewalt geprägtes
Geografie' (Rommelspacher 1995), die sich in Leben eines der zentralen Themen in Rap Lyrics
der Trennung der Lebenssphären von People und HipHop Videoclips. Urban music Video-
of Colour und Migrantinnen auf der einen Seite clips, die Street Crime, Sex und Gewalt (Poli-
und Mehrheitsangehörigen auf der anderen zeigewalt sowie Gewalt gegen Frauen) themati-
Seite herstellt. .Soziale Geografien' lassen An- sieren, zählen heute zu den am häufigsten ge-
gehörige der Dominanzkultur glauben, in ei- spielten Musikvideos auf MTV Germany und
ner völlig homogenen Umwelt zu leben, wäh- VIVA. Für diese, ständig wiederkehrenden, Vi-
rend alle so genannten ,Anderen' in .Ghettos' deoclips werden häufig zwei unterschiedliche
ihre Heimat finden (sollten). Ein Großteil der Bühnenbilder eingesetzt: Erstens der Stadtbe-
unter urban music subsumierten Musikrich- zug zur Visualisierung von Armut, Gewalt und
tungen entstand und entsteht in so genannten Arbeitslosigkeit und zweitens Clubs als Ort für
.Ghettos', die People of Colour und Migran- die Demonstration männlicher sexueller Potenz.
tinnen zugewiesen sind bzw. werden. Urban Diese Bühnenbilder bilden zwei der zentralen
music kann daher als ein Produkt d e r , sozialen Kategorien.
Geografien' und als eine vehemente Gegenre-
de gegen diese verstanden werden; gleichzei- ,Boyz in the Hood'
tig zeigt sich an vielen Gangsta-Rap-Lyrics und Charakteristisch für Gangsta Rap Videoclips ist
Videoclips Frauenfeindlichkeit, Sexismus und der Stadtbezug, der die globalisierte Symbolik
Homophobie. des HipHop ausdrückt und einen lokalen Be-
zug herstellt. Bei diesem zirkulären Prozess fun-
Urban Music Videoclips giert die Stadt mit ihrer Urbanen Architektur als
Für meine Analyse von urban music Videoclips „ein theatrales Mittel zur medialen Produktion
habe ich HipHop, Rap und R&B Musikvideos von Lokalität" (Klein/Friedrich 2003: 122).
von MTV Germany und VIVA von Januar bis Umgesetzt wird die Bezugnahme auf die Stadt
April 2006 aufgenommen. Ich fand drei Kate- mit Bühnenbildern wie Parkdecks, Hochhäu-
gorien 4 von urban music Videos, in denen se- sern, Bahnhöfen oder Basketballplätzen, die zu
xistische und sexualisierte (Gewalt-)Darstellun- Tanzflächen oder Räumen werden, in denen
gen von Frauen zur Visualisierung der Lyrics Gangs miteinander rivalisieren.
eingesetzt werden. Im Mittelpunkt dieser Insze- Videoclips wie ,Hustler Ambition' von 50
nierungen steht der .Schwarze Musiker' als Cent oder ,Made You Look' von NAS zeigen
Rapper. Er repräsentiert eine Schwarze Männ- den Rapper als Hauptdarsteller, der sich als
lichkeit in einer Mischung von politischem Gangsta, Pimp oder Hustler inszeniert. Der
Empowerment, maskuliner Härte und Sexis- Rapper erzählt Geschichten, wie er gemeinsam
mus. mit seiner Gang den öffentlichen Raum als ein
Seit dem Beginn von HipHop existiert eine Terrain für aggressive Auseinandersetzung, Ri-
Vielzahl von unterschiedlichen Ausdrucksfor- valität und männerbündisches Verhalten erobert.
men, die vom Crime Rap über den Party und Er präsentiert ein Universum der .harten Män-
Sex Rap bis zum Nonsense Rap sämtliche Spiel- nerwelt', in dem Frauen, wenn überhaupt, nur
arten abdecken. Und obwohl HipHop durch die am Rande Platz finden wie auf den Beifahrer-
Musikindustrie und die Medien globalisiert und und Rücksitzen von monströsen Angeberautos.
kommerzialisiert und durch Teenager, oft mit Beispielsweise werden im 50 Cent Video ,Hust-

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1er Ambition' Frauen zur Gänze ausgeschlos- Potenz und die Ausübung sexueller Gewalt ge-
sen, während sie in ,Made you look' als genüber Frauen (und Männern) deutlich.
schmückender Aufputz von Parkplätzen, Bas- Diese .Black Macho' Attitüde führte in den
ketball-Feldern und verlassenen U-Bahnstatio- afroamerikanischen Befreiungsbewegungen
nen eingesetzt werden. Diese Repräsentationen immer wieder zu heftiger Kritik, denn, wie bell
sind typische Darstellungen für Schwarze Män- hooks (1994) feststellt, auch die meisten
ner und für (Schwarze wie weiße) Frauen im Schwarzen Männer des 19. Jahrhunderts kämpf-
Gangsta Rap. ten nicht für die Gleichberechtigung der Frau.
Kobena Mercer und Isaac Julien argumen- Sie erkannten zwar die wesentliche Rolle der
tieren, dass die Repräsentation Schwarzer Männ- Schwarzen Frau als Freiheitskämpferin in der
lichkeit durch die Geschichte der Sklaverei, des Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei, hiel-
Kolonialismus und des Imperialismus geformt ten aber dennoch daran fest, dass Frauen sich
wurde: Der weiße männliche Sklavenhalter ver- den Männern unterordnen und damit der von
weigerte den männlichen Schwarzen Sklaven der weißen Gesellschaft festgeschriebenen Ge-
zentrale männliche Attribute wie Autorität, fa- schlechterideologie und den vorgeschriebenen
miliäre Verantwortung und den Besitz von Pri- Geschlechterrollen entsprechen sollten. Diese
vateigentum. Durch diese kollektiven histori- Geschlechterordnung wurde auch von der Black
schen Erfahrungen, die sich bis ins Heute tra- Power Bewegung kaum in Frage gestellt, ob-
dieren, haben Schwarze Männer patriarchale gleich Schwarze Feministinnen beharrlich dar-
Werte wie physische Stärke, sexuelle Potenz an Kritik übten.
und die Ausübung der Kontrolle als Mittel des Die Vorstellung, durch die Aneignung von
Überlebens gegen das repressive und gewalttä- Normen und Werten hegemoniale Männlich-
tige System der Unterordnung angenommen keit zu erlangen, setzt sich bis heute in ver-
(vgl. Mercer/Julien 1994). schiedenen stereotypen Repräsentationen
In einem von Rassismus geprägten Reprä- Schwarzer Männlichkeit in der Popularkultur
sentationsregime wie jenem der Popularkultur fort. Im Gangsta Rap zeigt sich eine Form der
dient der Ansatz von Mercer und Julien zur Er- Schwarzen Männlichkeit, die durch den Ein-
klärung der stereotypen Darstellung Schwarzer satz typischer Ghetto-Architektur unterstrichen
Männlichkeit im Gangsta Rap. An Rappern wie wird.
50 Cent, Ice Cube, Snoop Dogg oder Ice Τ, als
Vorreiter des glorifizierten Pimp-Lebensstils, Club Live
zeigt sich überspitzt die Rebellion gegen die Das zweite Bühnenbild in urban music Video-
Unterwerfung Schwarzer Männer durch Ver- clips ist das des Clubs. Auch hier steht der Rap-
sklavung, Kolonisierung und Imperialismus. per im Mittelpunkt, der mit seiner Gang und der
Beispielsweise kritisiert Ice Τ mit seinem Song tanzenden Menge, den Fans, den Rap-Text dia-
,Cop Killer' (1992) mit dem Refrain ,F**k the logisch inszeniert. Wie in den Gangsta Rap Vi-
Police! ' die Polizeigewalt gegen Rodney King deos sind Männer als aktive Protagonisten in
und äußerte sich zu den Riots in Los Angeles in der Überzahl und ihre Körper- und Bewegungs-
den 1990ern. sprache ist stereotyp mit aufrechtem Oberkör-
Gleichzeitig wird durch die Exklusion von per, direktem Blick in die Kamera, gestischem
Frauen in den Videoclips und durch ihre Er- Einsatz der Hände, Finger und Arme. Nelly im
niedrigung als .Bitches' in den Lyrics die An- Videoclip ,Hot in Here' oder Pharaohe Monk
eignung und Inkorporierung typischer Werte im Video , Simon Says' rappen, kommunizieren
,hegemonialer Männlichkeit' 5 wie die sexuelle mit der tanzenden Crowd und taxieren Frauen,

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deren Aufgabe es ist, Respekt zu zollen und seln im Sekundentakt zwischen den Großauf-
halbnackt mit lasziven Körperbewegungen zu nahmen des Rappers und den nunmehr verding-
tanzen. lichten Protagonistinnen und den Weitwinkel-
Durch diese sexualisierten Posen und den aufnahmen des tanzenden Publikums.
aggressiv-sexuellen Habitus des Rappers wird Diese Videoclips bilden einen Kontrast zu
im Musikvideo eine Stimmung erzeugt, die es den journalistischen und akademischen Diskur-
erlaubt, dass Frauen zu Objekten von sexuel- sen der 1990er Jahre über Clubkultur, in denen
lem Verhalten werden. Die Verfügungsgewalt der Club als ein hedonistischer sozialer Raum
über den weiblichen Körper wird von der tan- zur Überwindung hegemonialer Vorstellungen
zenden Menge gebilligt und unterstützt. Sie gilt von Männlichkeit und Weiblichkeit porträtiert
daher nicht als Normverletzung, sondern als wird. Angela McRobbie ( 1999) oder Maria Pini
Norm. „Frauen sind verdinglichte Ornamente (1997) illustrieren mit ihren empirischen Studi-
in einer gefährlich-luxuriösen Männerwelt", en, wie der Club von Mädchen und jungen Frau-
beschreiben Klaus Neumann-Braun und Lother en als Terrain für einen größeren Handlungs-
Mikos (2006: 60) die weibliche Position. Un- und Bewegungsspielraum, als ihn andere Ju-
terstützt werden diese Inszenierungen durch die gendkulturen bieten, erobert wird. Tanzen als
auf den männlichen Rezipienten ausgerichtete eine weibliche Strategie des Empowerments
Kameraführung, für den die verhüllten Körper- spielt bei diesen Aneignungsprozessen von rea-
teile der spärlich bekleideten Frauen leicht zu lem und symbolischem Raum eine zentrale Rol-
erahnen sind. Die Kameraeinstellungen wech- le. Allerdings finden wir Repräsentationen von

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tanzenden Frauen als einen Akt kollektiver In Ne-Yo's Video ,So Sick' sehen wir ein
Selbstermächtigung in den Videoclips nicht, glückliches Paar verliebt durch den Park spa-
denn der Club fungiert zur Inszenierung von zierend und einander küssend, bis die ersten
Hyper-Maskulinität und Machismo. Meinungsverschiedenheiten auftreten und es zur
Die Idee von Clubkultur als Jugend- und Auseinandersetzung kommt. Die Bilder erzäh-
Popularkultur mit einem größeren Spielraum für len d e n Verlauf des Disputs, w ä h r e n d d i e
alternative Inszenierungen von Männlichkeit und männliche R&B-Stimme von der großen Liebe
Weiblichkeit geht auf Disco zurück. Disco als und den bitteren Enttäuschungen singt. Die
f r ü h e Form der Clubkultur entstand in den Bühnenbilder verändern sich mit dem Stim-
1970er Jahren in einem homosexuellen und afro- mungswechsel der beiden Protagonistinnen:
a m e r i k a n i s c h e n U m f e l d und war f ü r viele Das glückliche, verliebte Paar bewegt sich im
Schwarze, Latinos, Queers und Transgender ein öffentlichen Raum wie Parks oder Einkaufs-
urbaner Raum, um den homophoben und ras- strassen, während der Streit in einer bürgerlich
sistischen Attacken im Alltag zu entfliehen. Für eingerichteten Wohnung mit großen Fenstern,
Richard Dyer (1979/1990) wird mit den Disco- die einen imposanten Blick auf die nächtliche
Hits von Grace Jones, Gloria Gaynor oder Di- Stadt erlauben, inszeniert wird. Am Höhepunkt
ana Ross und d e m exzessiven Tanzen als kol- der Auseinandersetzung packt Ne-Yo die Frau
lektive Erfahrung eine spezifische Erotik und an den Oberarmen und stößt sie (nicht zu fest)
Romantik generiert, die sich von jener der Rock- gegen die Wand. Er verlässt wütend die Woh-
kultur unterscheidet. Disco evoziert eine, Ganz- nung, bevor er die Fassung gänzlich verliert.
körpererotik' für beide Geschlechter, während Die Frau bleibt allein in der Wohnung zurück.
Rock auf eine Erotisierung des Phallus abzielt, R&B-Videos wie ,So Sick' verpacken den
die Frauen wie Männer ausschließt, denen der traditionellen abendländischen Dualismus von
Zugang zu phallozentristischem Denken durch öffentlicher, männlicher und privater, weibli-
ihre Hautfarbe, ihre Sexualität oder ihre Klas- cher Sphäre in einem heterosexuellen Bezie-
senzugehörigkeit verwehrt bleibt. hungsdrama. Die glückliche Romanze scheint
Die Möglichkeit, den Club als einen Urba- eine f ü r die Öffentlichkeit zumutbare Angele-
nen Raum zu nutzen, der die hegemoniale Ge- genheit zu sein, während der Disput tunlichst
schlechterideologie aushebeln könnte, wird in hinter verschlossenen Türen im Privaten statt-
kommerziellen H i p H o p Videoclips auf M T V finden sollte.
und VIVA negiert, vielmehr bewirken die sexu- Die dahinterliegende, ursprünglich für Wei-
alisierten und sexistischen Rollen von Frauen ße konstruierte Geschlechterideologie verweist
und die Anwesenheit implizierter G e w a l t a n - auf die festgeschriebenen Rollen für weiße Frau-
drohung) durch den Rappereine .Reifizierung' 6 en als Hausfrauen und Mütter und Männer als
(Gildemeister/Wetterer 1992) der Geschlechter- Familienoberhaupt und Ernährer. Von dieser
differenz. Geschlechterideologie mit ihren angeblichen
Vorzügen waren Schwarze Männer wie Schwar-
The Lovestory ze Frauen ausgeschlossen, denn S c h w a r z e n
Die dritte Kategorie der urban music Video- M ä n n e r n wurden die zentrale Attribute von
clips sind R & B Lovestories. Für die Inszenie- Männlichkeit verweigert und von Schwarzen
rung der L i e b e s g e s c h i c h t e z w i s c h e n einer Frauen wurde erwartet, dass sie sich als Skla-
Schwarzen Frau und einem Schwarzen Mann vinnen auf dem Feld ebenso hart abrackerten
werden öffentliche und private urbane Räume wie die männlichen Sklaven (Spelman 1988:
als Bühnenbilder herangezogen. 123ff).

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Die Durchsetzung der dominanten weißen fährt in unterschiedlichen Genres der Popular-
Geschlechterideologie für alle gesellschaftlichen kultur eine Neuauflage. Mit der Einführung des
Gruppen unabhängig ihrer ethnischen oder kul- Begriffs .Urban Music' für afroamerikanische
turellen Zugehörigkeit spiegelt sich in den R&B- (vor allem HipHop, Rap und R&B) und hybri-
Videos wider, in denen vor allem afroamerika- de Musik wurde eine bestimmte Repräsentation
nische Musikerinnen vertreten sind. Die Video- Schwarzer Männlichkeit im Zusammenhang mit
clips dienen der Verfestigung von fixierten Ge- Urbanen Räumen in einen neuen Terminus ge-
schlechterrollen, obwohl sich in der Popkultur hüllt, der auf den ersten Blick die kommerzielle
immer wieder Praxen zur Auflösung von tradi- Vermarktung afroamerikanischer Musikerinnen
tionell festgeschriebener Männlichkeit und Weib- unter gleichbleibenden rassistischen Vorzeichen
lichkeit finden wie Parodie, Fake oder Andro- verschleiern sollte.
gynität. Für Angela McRobbie (1994) führen
diese Praxen und ein neues Selbstbewusstsein Rosa Reitsamer ist Soziologin und DJ in
von Mädchen und jungen Frauen zu .changing Wien.
modes of femininity' und zu einer Unsicherheit
bei Jugendlichen darüber, was es heute in einer Anmerkungen
westlichen Gesellschaft bedeutet, eine Frau oder 'In seinem Buch , Agit-Pop. Schwarze Mu-
ein Mann zu sein. Das Resultat dieser Aufbrü- sik für weiße Hörer' beschreibt Günther Jacob,
che könnte ein neuer Habitus in Bezug auf Ge- wie HipHop und Raggamuffin für weiße Höre-
schlechterbeziehungen sein. rinnen vermarktet und von dieser Zielgruppe
Solche positiven Entwicklungen finden sich angeeignet wurden und werden.
2
weder in kommerziellen R&B-Musikvideos Siehe hierzu: http://www.bbm-on.net/
noch in HipHop, Rap, Rock oder Pop-Video- genre_report.htm (Stand 02.07.2006).
3
clips auf MTV und VIVA. In Mainstream-R&B- People of Colour ist ein selbstgewählter
Videos ist die Aneignung hegemonialer Wert- Begriff von Menschen nicht-weißer Hautfarbe
vorstellungen über Männlichkeit und Weiblich- zur Beschreibung und Verortung ihrer gesell-
keit als Eintrittskarte zu phallozentristischem schaftlichen Positionen.
Denken vorrangig. Eine Ideologie, von der "Ich verwende diese drei Kategorien als
Schwarze Menschen lange Zeit ausgeschlossen Hilfskonstruktionen; sie sind zweifelsohne nicht
waren, und die mit R&B vor allem von afroa- trennscharf, weisen Überschneidungen und
merikanischen Musikerinnen in den Lyrics und Ausreißer auf.
Videoclips zelebriert wird. 'Robert W. Connell definiert hegemoniale
Männlichkeit „(...) als jene Konfiguration ge-
Fazit schlechtsbezogener Praxis (...), welche die mo-
Die drei beschriebenen Kategorien von urban mentan akzeptierte Antwort auf das Legitima-
music Videoclips zielen in je unterschiedlicher tionsproblem des Patriarchats verkörpert und
Inszenierung und mit dem Einsatz verschiede- die Dominanz der Männer sowie die Unterord-
ner Bühnenbilder urbaner Architektur auf eine nung der Frauen gewährleistet (oder gewähr-
monolithische, homogene Darstellung Schwar- leisten soll)" (Connell 2000:98).
6
zer Männlichkeit als ,groß, stark, schlecht, ge- Regine Gildemeister und Angelika Wette-
walttätig, aufbegehrend, sich austobend und rer beschreiben mit dem Begriff ,Reifizierung'
voller schwarzer Wut' (Bogles 2004) ab. Die- gesellschaftliche Prozesse, die die Geschlech-
ses Stereotyp Schwarzer Männlichkeit geht auf terdifferenz verfestigen (vgl. Gildemeister/Wet-
die Sklaven- und Kolonialzeit zurück und er- terer 1992).

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Pulsschlag 69

Literatur Culture. London/New York: Routledge, 155-


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Main: Suhrkamp. Zwischen vielen Grenzen:
Gildemeister, Regine/Wetterer, Angelika Jugendkulturen in Mexiko
1992: Wie Geschlechter gemacht werden. Die
soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlich- ,Ich bin Anarchist, bin Neonazi / bin ein Skin-
keit und ihre Reifizierung in der Frauenfor- head und ein Ökologe. / Ich bin Peronist, bin
schung. In: Knapp, Gudrun-Axeli/Wetterer, Terrorist, Kapitalist / und auch Pazifist. Ich bin
Angelika (Hg.), Traditionen Brüche. Entwick- Aktivist / Gewerkschafter, bin aggressiv und /
lungen feministischer Theorie. Freiburg: Kore, sehr alternativ. Ich bin Sportler / Polytheist und
201-254. nebenbei ein sehr guter Christ. / Fetze ich auf
McRobbie, Angela 1999: In the Culture So- Parties den Slam, / stehe ich zu Hause auf tropi-
ciety. Art, Fashion and Popular Music. London/ cal... / ich werfe gerne Steine und / hebe sie
New York: Routledge. wieder auf / ich schmiere gern Graffiti an die
McRobbie, Angela 1994: Shut Up and Dance: Wand und / wische sie später auch ab. ', heißt es
Youth Culture and Changing Modes of Femini- in einem Songtext der auch hierzulande bekann-
nity. In: Dies., Postmodernism and Popular ten mexikanischen Band Café Tacuba.

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