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Projektatlas

Evaluation
Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Eine Initiative von: JUGEND- UND FAMILIENMINISTER-


KONFERENZ DER LÄNDER
Eine Initiative von:
2 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten
Inhalt | 3

Inhalt

Evaluation im BiSS-Programm: Anlage und Zielsetzungen der


zehn Evaluationsprojekte  4

Zahlen und Fakten  10

Alltagsintegrierte sprachliche Bildung im Elementarbereich  12


1. BiSS-E2  14
2. BiSS-E1  18
3. allE  22
4. SPRÜNGE  26

Gezielte sprachliche Bildung in der Schule  30


5. Eva-Prim  32
6. BiSS-EOS  35
7. EvaFa  39
8. EVA-Sek  43

Diagnostik und Förderung der Lese­fähigkeit sowie


Vermittlung von Lesestrategien  48
9. BiSS-EvalLesen  50
10. EILe  54

Impressum  58
4 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Evaluation im BiSS-Programm:
Anlage und Zielsetzungen der
zehn Evaluationsprojekte

Sofie Henschel | Sarah Gentrup | Petra Stanat

In Deutschland verfehlen im Durchschnitt etwa Kindertageseinrichtungen zusammen, die sich


13 % der Viertklässlerinnen und Viertklässler gemeinsam auf den Weg gemacht haben, Kon-
(IQB-Bildungstrend 2016; Stanat, ­Schipolowski, zepte der Sprachbildung, Sprachförderung bzw.
Rjosk, Weirich und Haag, 2017) und 23 % Leseförderung umzusetzen.
der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler
(IQB-Bildungstrend 2015; Stanat, Böhme, Wie gut und erfolgreich die Konzepte in
Schipolowski und Haag, 2016) den Mindest- insgesamt 51 ausgewählten BiSS-Verbünden
standard im Lesen. Diese Kinder und Jugendli- mit etwa 100 Kindertageseinrichtungen und
chen sind demnach nicht ausreichend auf die 200 Schulen tatsächlich umgesetzt werden,
Anforderungen vorbreitet, die der Alltag an wird in zehn externen Evaluationsprojekten
ihre Sprach- und Lesefähigkeiten stellt. In der untersucht (vgl. Deutschlandkarte, Abb. 1).
institutionellen Bildung wird diesen Ergebnissen Jedes Projekt begleitet die Umsetzung und
in den letzten Jahren verstärkt mit zahlreichen Weiterentwicklung von drei bis sieben Verbün-
Maßnahmen zur Sprachbildung und Sprach- den, die sich über mehrere Länder verteilen. Die
förderung, insbesondere zur Leseförderung, Verbünde eines Evaluationsprojekts verfolgen
begegnet. Diese Bemühungen sind zunächst typischerweise ein gemeinsames Ziel (z. B. die
ermutigend. Jede dieser Maßnahmen muss sich Verbesserung des Leseverständnisses). Die
allerdings daran messen lassen, ob sie tat- Art und Weise, wie dieses Ziel erreicht werden
sächlich zur Weiterentwicklung professioneller soll (z. B. welche Diagnoseinstrumente und
Sprachförderkompetenzen der pädagogischen Fördermaterialien eingesetzt werden), und die
Fach- und Lehrkräfte sowie zu einer Verbesse- lokalen Kontextbedingungen, unter denen die
rung sprachlicher Kompetenzen der geförderten Umsetzung stattfindet (z. B. Heterogenität der
Kinder und Jugendlichen beiträgt. Eine solche Lernenden), unterscheiden sich aber teilweise
systematische Überprüfung der Qualität und auch zwischen den Verbünden innerhalb eines
Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen Evaluationsprojekts. Um mit dieser Heteroge-
steht aber oft noch aus. Ein wesentliches Ziel nität umzugehen und gleichzeitig möglichst
der Bund-Länder-Initiative „Bildung durch aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen, wurde
Sprache und Schrift“ (BiSS), an der seit dem vom BiSS-Trägerkonsortium in Abstimmung mit
Jahr 2013 etwa 200 Kindertageseinrichtungen Bund und Ländern ein entwicklungsorientiertes
und 400 Schulen aus allen Ländern beteiligt Evaluationskonzept erarbeitet (vgl. Henschel,
sind, besteht deshalb darin, die Qualität und Stanat, Becker-Mrotzek, Hasselhorn und
Wirksamkeit vielversprechender Maßnahmen, Roth, 2014). Dieses gibt vor, dass die Ver-
die in den BiSS-Verbünden umgesetzt werden, bünde durch regelmäßige Rückmeldungen von
genauer zu untersuchen. Ein BiSS-Verbund Zwischenergebnissen dabei unterstützt werden
setzt sich aus drei bis zehn Schulen oder sollen, die umgesetzten Maßnahmen fortlau-
Evaluation im BiSS-Programm: Anlage und Zielsetzungen der zehn Evaluationsprojekte | 5

Abb. 1: Übersicht über die an Evaluationsprojekten beteiligten BiSS-Einrichtungen und wissenschafltichen Institute.
6 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

fend weiterzuentwickeln und Bedingungen für Modulen, die in Abb. 2 dargestellt sind. Bei den
eine nachhaltige Umsetzung unter den lokalen Modulen handelt es sich um inhaltliche Arbeits-
Voraussetzungen zu schaffen. Der Schwerpunkt felder, denen sich die Maßnahmen der Ver-
der im Rahmen von BiSS durchgeführten Eva- bünde zur Sprachbildung, Sprachförderung und
luationsprojekte liegt auf formativer Evaluation, Leseförderung zuordnen lassen und die alle drei
die auf eine prozessbegleitende Optimierung Bildungsetappen vom Elementarbereich über die
der Maßnahmen für die Praxis abzielt. Primarstufe bis zur Sekundarstufe I verbinden.

Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Projekt­ Themenschwerpunkt 1:


atlasses wird die Arbeit in allen zehn Projekten Alltagsintegrierte sprachliche Bildung im
noch fortgeführt. Gleichzeitig beschäftigen Elementarbereich
sich die Länder bereits jetzt mit möglichen Im Kindergartenalltag sollen pädagogische
Transferperspektiven, die sich aus dem BiSS- Fach­kräfte in möglichst vielen Situationen,
Programm für die zukünftige Gestaltung wie beispielsweise beim gemeinsamen Essen,
und Weiterentwicklung von Maßnahmen zur Spielen oder Bilderbuchbetrachten, vielfältige
Sprachbildung, Sprachförderung sowie zur Lerngelegenheiten schaffen, um die sprachliche
Leseförderung ergeben. Die zu erwartenden Entwicklung der Kinder zu fördern. Der großen
Ergebnisse aus den Evaluationsprojekten Relevanz einer alltagsintegrierten sprachlichen
werden bei der Planung der Transfervorhaben Bildung und Förderung stehen bisher allerdings
eine wesentliche Rolle spielen. Umso wichtiger nur wenige belastbare Ergebnisse zur Qualität
ist es daher, mit diesem Projektatlas bereits und Wirksamkeit der umgesetzten Fördermaß-
jetzt einen Einblick in die Fragestellungen zu nahmen und Professionalisierungsangebote für
Maßnahmen der Sprachbildung, Sprachförde- die pädagogischen Fachkräfte gegenüber. Vier
rung und Leseförderung zu geben, mit denen der zehn BiSS-Evaluationsprojekte (BiSS-E2,
sich die Projekte beschäftigen. Zudem werden BiSS-E1, allE, SPRÜNGE) beschäftigen sich mit
zu ausgewählten Teilaspekten erste Zwischen- diesem Themenschwerpunkt und gehen unter
ergebnisse berichtet und deren Implikationen anderem der Frage nach, inwieweit und unter
für die Praxis sowie ihr Potenzial zur Weiter- welchen Bedingungen es gelingt, die vielfälti-
entwicklung der eingesetzten Maßnahmen gen Lerngelegenheiten, die sich im Kita-Alltag
diskutiert. Vor allem Personen mit Steuerungs- ergeben, systematisch zur sprachlichen Bildung
funktionen auf Landesebene und pädagogischen der Kinder zu nutzen. Über alle Projekte hinweg
Fach- und Lehrkräften auf Funktionsstellen, zeigen erste Ergebnisse, dass im Sprach-
die sich mit den aus BiSS abzuleitenden förderwissen und Sprachförderhandeln sehr
Transferperspektiven befassen, sowie Wissen- große Unterschiede zwischen pädagogischen
schaftlerinnen und Wissenschaftlern, die zu Fachkräften bestehen. Umso wichtiger ist es,
sprachlicher Bildung und Förderung arbeiten, Professionalisierungsmaßnahmen so weiterzu-
liefert der Projektatlas einen ersten kompakten entwickeln, dass diese nicht nur Wissen ver-
Überblick über die laufenden Evaluationspro- mitteln, sondern die pädagogischen Fachkräfte
jekte im BiSS-Programm. dabei unterstützen (z. B. durch Coaching),
sprachförderliche Interaktionsstrategien im
Um welche Themenschwerpunkte Kita-Alltag erfolgreich anzuwenden.
geht es in den Evaluationsprojekten?
Themenschwerpunkt 2:
Die BiSS-Evaluationsprojekte befassen sich mit Gezielte sprachliche Bildung in der Schule
drei übergeordneten Themenschwerpunkten. Während im Elementarbereich wesentliche
Diese orientieren sich an den sogenannten BiSS- Grundlagen sprachlicher Bildung gelegt
Evaluation im BiSS-Programm: Anlage und Zielsetzungen der zehn Evaluationsprojekte | 7

werden, geht es im Schulkontext darum, von Ansätzen zur sprachlichen Bildung im


sie — gerade auch in fachlichen Kontexten Primarbereich (Eva-Prim, BiSS-EOS) und in
— weiterzuentwickeln. Lehrkräfte sollen in der Sekundarstufe I (EvaFa, EVA-Sek) in ver-
die Lage versetzt werden, den Unterricht in schiedenen fachlichen Kontexten beziehen. Die
allen Fächern und unter teils sehr hetero­ ersten Ergebnisse der Projekte identifizieren
genen Bedingungen sprachanregend zu u. a. Herausforderungen und Entwicklungspo-
gestalten. Diese anspruchsvolle Forderung ist tenziale von Professionalisierungsmaßnahmen
mittlerweile in fast allen Rahmenlehrplänen und Diagnoseverfahren. Weiterhin werden
der Länder verankert. Allerdings fehlen auch unterschiedliche Modelle zur Beschulung von
im Schulkontext nach wie vor gut beschrie- neu zugewanderten Jugendlichen mit sehr
bene und evaluierte Ansätze sowie geeignete geringen Deutschkenntnissen dargestellt und
Fördermaterialien. Vier weitere BiSS-Evalua­ die damit verbundenen Chancen und Heraus-
tionsprojekte gehen deshalb unterschiedli- forderungen beschrieben, die sich im pädago-
chen Fragestellungen nach, die sich auf die gischen Alltag für Lehrkräfte und Schülerinnen
Weiterentwicklung und Wirksamkeitsprüfung und Schüler ergeben.

Gezielte sprachliche
Bildung in der Schule

Modul P1: Gezielte sprachliche Bildung


in alltäg­lichen und fachlichen
Kontexten
Modul S4: Sprachliche Bildung in
fachlichen Kontexten
Modul SE: Sprachliche Förderung von
Alltagsintegrierte Seiteneinsteigern

sprachliche Bildung im
Elementarbereich
Modul E1: Gezielte alltagsintegrierte
­Sprach­bildung
Modul E2: Unterstützung der Sprach­ Diagnostik und Förderung der
entwicklung von Kindern Lesefähigkeit sowie Vermittlung
unter 3 Jahren
von Lesestrategien
Modul E6: Übergang vom Elementar-
zum Primarbereich Modul P3: Diagnose und Förderung
der Leseflüssigkeit und
ihrer Voraussetzungen
Modul P4: Diagnose und Förderung
des Leseverständnisses
Modul S2: Lese- und Schreibstrategien
im Verbund vermitteln

Abb. 2: Themenschwerpunkte der BiSS-Evaluationsprojekte und zugehörige BiSS-Module.


8 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Themenschwerpunkt 3: gegenseitigen Hospitationen). Zudem scheint


Diagnostik und Förderung der Lesefähigkeit eine verbindliche Verankerung der Fördermaß-
sowie Vermittlung von Lesestrategien nahmen im Schulprogramm sinnvoll zu sein, um
Der dritte Themenschwerpunkt bezieht sich eine kontinuierliche Umsetzung zu begünstigen
auf die Evaluation von Maßnahmen zur Dia- und dadurch sicherzustellen, dass die Lernen-
gnostik und Förderung von Lesefähigkeiten den die vermittelten Fähigkeiten und Strategien
sowie zur Vermittlung von Lesestrategien. In erwerben und festigen.
der Primar­stufe zielen diese Maßnahmen vor
allem auf grundlegende Fähigkeiten, insbeson- Insgesamt liefern die vorliegenden Beiträge
dere die Förderung der Leseflüssigkeit und des aus den zehn BiSS-Evaluationsprojekten einen
Leseverständnisses, ab. In der Sekundarstufe I ersten, kompakten Einblick in ausgewählte
knüpfen die Maßnahmen daran an und legen Themen­bereiche, mit denen sich die Projekte
den Fokus auf die Vermittlung (meta)kognitiver aktuell beschäftigen. Über den hier dargestellten
Lesestrategien. Jeweils ein Evaluationsprojekt Einblick hinaus werden in den einzelnen Pro-
im Primarbereich (BiSS-EvalLesen) und in der jekten weitere Fragestellungen — insbesondere
Sekundarstufe I (EILe) befasst sich mit der zur Qualität und Wirksamkeit der umgesetzten
Frage, unter welchen Bedingungen die Förde- Maßnahmen — in den Blick genommen. Oft
rung gelingt. Erste Ergebnisse zeigen, dass die handelt es sich um noch laufende längsschnitt-
Materialien zur Leseförderung in den meisten liche Studien mit mehreren Messzeitpunkten,
Klassen zwar vorhanden sind, diese aber noch teilweise werden Vergleiche mit einer Kontroll-
zu selten und zu unsystematisch eingesetzt gruppe vorgenommen, die nicht an der Maß-
werden. Die Umsetzung der Lesefördermaß- nahme teilnahm, und mitunter fließen neben
nahmen fällt den Lehrkräften leichter, wenn quantitativen Fragebogen- und Testdaten auch
sie häufiger Gelegenheit dazu haben, sich mit qualitative Beobachtungen im Kita-Alltag oder
Kolleginnen und Kollegen auszutauschen (z. B. in der Schule (z. B. mit Hilfe von Videodaten)
in Form von regelmäßigen Teamtreffen und in die fortlaufenden Analysen ein. Zum Zeit-
punkt der Fertigstellung dieses Projektatlasses
hatte noch kein Projekt seine Arbeit vollständig
abgeschlossen. Insbesondere Ergebnisse zu
Wirksamkeits- und Gelingensbedingungen und
daraus abzuleitende Entwicklungs- und Trans-
Verwendete Literatur
ferpotenziale für die zukünftige Gestaltung von
Henschel, S., Stanat, P., Becker-Mrotzek, Maßnahmen zur Sprachbildung, Sprachförderung
M., Hasselhorn, M. & Roth H.-J. (2014).
Evaluations­konzept der Bund-Länder-Initiative
und Leseförderung werden daher in weiteren
„Bildung durch Sprache und Schrift“. Online BiSS-Publikationen — wie etwa dem fünften
verfügbar unter: http://www.biss-sprachbildung. Band der Reihe „Bildung durch Sprache und
de/pdf/141209_Evaluationskonzept-BiSS.pdf
Schrift“, der voraussichtlich im Winter 2019
Stanat, P., Böhme, K., Schipolowski, S. & Haag,
erscheinen wird — vertieft.
N. (Hrsg.) (2016). IQB-Bildungstrend 2015.
Sprachliche Kompetenzen am Ende der 9. Jahr-
gangsstufe im zweiten Ländervergleich. Münster: Aber zunächst freuen wir uns, Ihnen pünktlich
Waxmann. Online verfügbar unter: http://www.iqb.
zur Jahrestagung des BiSS-Programms den
hu-berlin.de/bt/BT2015/Bericht
Projektatlas der BiSS-Evaluationsprojekte präsen-
Stanat, P., Schipolowski, S., Rjosk, C., Weirich, S.
& Haag, N. (Hrsg.) (2017). IQB-Bildungstrend
tieren zu dürfen, und wünschen Ihnen im Namen
2016. Kompetenzen in den Fächern Deutsch der Autorinnen und Autoren und des BiSS-
und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe Trägerkonsortiums eine bereichernde Lektüre.
im zweiten Ländervergleich. Münster: Waxmann.
Online verfügbar unter: http://www.iqb.hu-berlin.
de/bt/BT2016/Bericht
Evaluation im BiSS-Programm: Anlage und Zielsetzungen der zehn Evaluationsprojekte | 9
10 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Zahlen und Fakten

Evaluationsprojekte Projektleitungen

28
10
Verbünde Fach- und Lehrkräfte

51
933
Vorträge und Symposien Fachartikel und Bücher

25
67
Zahlen und Fakten | 11

Mitarbeitende Wissenschaftliche Institute

19
58
Schulen und Kitas Kinder und Jugendliche

306
7.793
Entfernung Institute zu Präsentierte Poster
Verbünden (km)

39.240 18
12 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Alltagsintegrierte
sprachliche Bildung im
Elementarbereich
Alltagsintegrierte sprachliche Bildung im Elementarbereich | 13
14 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

BiSS-E2
Alltagsintegrierte Sprachbildung und -diagnostik in
Kitas: Formative Prozessevaluation der Bund-Länder-
Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift“
Sina Fischer | Claudia Wirts

Was sind der Hintergrund und die wird der Stand der Entwicklung von Qualifizie-
Ziele des Projekts? rungsmaterialien dargestellt.

Das Evaluationsprojekt BiSS-E2 begleitet BiSS- Wie wurde methodisch vorge­


Verbünde in Brandenburg, Berlin und Sachsen gangen?
bei ihren Bemühungen zur Optimierung alltags-
integrierter Sprachbildung wissenschaftlich. Ziel Die Umsetzungsqualität wurde vor und nach
des Projekts ist die formative und summative der BiSS-Qualifizierung mit dem siebenstufigen
Evaluation des Moduls E2 „Unterstützung der Interaktionsbeobachtungsverfahren „CLASS
Sprachentwicklung von Kindern unter drei Jah- Toddler“ (La Paro, Hamre und Pianta, 2012)
Dr. Claudia Wirts, ren“ (es waren im Projekt aber auch zahlreiche in unterschiedlichen Alltagssituationen am
Prof. Dr. Fabienne Becker-
Fachkräfte beteiligt, die mit Kindern im Alter Vormittag erhoben. Werte von 1 bis 2 auf
Stoll
(IFP) von 3-6 arbeiten, vgl. auch Ergebnisse zum der Skala der CLASS Toddler indizieren ein
Nicole Baginski* Projekt BiSS-E1). niedriges Niveau der Interaktionsqualität in
Dr. Anne-Kristin Cordes*
den einzelnen Dimensionen, Werte von 3 bis
Dr. Erik Danay*
Dr. Franziska Egert Dabei werden drei Hauptziele verfolgt: 5 ein mittleres Niveau und Werte von 6 bis
Sina Fischer ▪▪ Die formative Prozessbegleitung der teilneh- 7 ein hohes Niveau. Über einen Zeitraum von
Julia Horvath
menden Verbünde im Modul E2. vier Wochen nach den Erhebungen wurde der
Nesiré Schauland
Andrea Steeger ▪▪ Die summative Evaluation von Wirkungen der Tablet-Fragebogen „SpraBi“ (Wirts und Reber,
*nicht aus Projektmitteln finanziert implementierten Konzepte zur sprachlichen 2015) zu sprachlichen Bildungsaktivitäten im
Bildung im Prä-Post-Vergleich (angepasst Kita-Alltag eingesetzt. Hierfür protokollierten
an die Implementierungsziele der BiSS- die teilnehmenden Fachkräfte tagesrückblickend
Verbünde). ihre pädagogischen Aktivitäten im Bereich der
▪▪ Die Weiterentwicklung bzw. Ergänzung von alltagsintegrierten Sprachbildung und tagesak-
Qualifizierungsmaterialien für die Sprachbil- tuelle Bedingungsfaktoren. Außerdem wurden
dung in Kindertageseinrichtungen (Qualitäts- Informationen zu strukturellen Rahmenbedin-
entwicklung). gungen und zur Orientierungsqualität mittels
schriftlichem Fragebogen erhoben.
Im Folgenden werden Ergebnisse für das
Krippenalter im Bereich Interaktionsqualität Was sind die (vorläufigen) Ergeb-
und Sprachliche Bildungsaktivitäten sowie die nisse?
Zusammenhänge von Sprachförderplanung und
Interaktionsqualität im Kindergartenalter aus Interaktionsqualität
den Prätestdaten der Evaluation (vor der Qua- Zur Umsetzungsqualität alltagsintegrierter
lifizierung erhoben) vorgestellt. Des Weiteren Sprachbildung wurden zum ersten Messzeit-
Alltagsintegrierte sprachliche Bildung im Elementarbereich | 15

punkt die Interaktionen von 43 Fachkräften, Die Qualität der begleitenden Lernunterstüt- Verbünde
die Kinder im Krippenalter betreuten, mit der zung liegt im Mittelfeld (M=3,72). Diese Sprachberatung — Video­
gestützte Interaktions­
CLASS Toddler eingeschätzt. In die Analysen Qualitätseinschätzung setzt sich zusammen aus analyse (BB)
flossen Daten aus BiSS-E1 und BiSS-E2 ein. einem Wert im niedrigen Bereich für die Qua-
BIK e. V. — Berliner Institut
Die Qualität der Interaktionen im Krippenalter lität des individuellen Lernfeedbacks und zwei für Kleinkindpädagogik und
wird in zwei Bereichen erfasst. Der Bereich Werten im unteren Mittelfeld in den Dimensi- familienbegleitende Kinder-
betreuung e. V. (BE)
Unterstützung von Emotionen und Verhalten onen Unterstützung sprachlichen Lernens und
erfasst das emotionale Klima, die Feinfühligkeit Unterstützung von Lernen und Entwicklung. Kindertageseinrichtungen
des AfJFB (Amt für Jugend,
der Fachkräfte, die Orientierung an kindlichen Familie und Bildung) Leipzig
Bedürfnissen sowie das Verhaltensmanagement. Sprachliche Bildungsaktivitäten (SN)
Der zweite Bereich ist die Begleitende Lernun- Insgesamt konnten Daten von 39 pädago­
terstützung. Diese umfasst die Unterstützung gischen Fachkräften aus Kindertagesstätten,
sprachlichen Lernens, die Feedbackqualität und die mit Kindern im Alter von 0 bis 3 Jahren
die Unterstützung von Lernen und Entwicklung. arbeiten, in die Datenanalyse eingeschlossen
Die Ergebnisse zur Interaktionsqualität sind werden. Die Fachkräfte machten im Mittel an
in Abb. 1 dargestellt. Im Krippenalter liegt die elf Tagen Angaben mithilfe des Tablet-Frage­
Qualität der Unterstützung von Emotionen und bogens „SpraBi“. Es liegen insgesamt Angaben
Verhalten bei den beteiligten Fachkräften im von 291 Vormittagen vor (siehe Abb. 2).
mittleren bis hohen Qualitätsbereich (M=5,73).
Das heißt, es gelingt den pädagogischen Fach- Im Krippenalter kommen kommunikativ
kräften gut, ein positives Klima zu schaffen. Die genutzte Pflegeaktivitäten mit knapp drei Mal
Fachkräfte sind meist feinfühlig und orientieren (M=2,87) pro Vormittag am häufigsten vor.
sich an den Bedürfnissen der Kinder. Ausge- Es folgen Einzelgespräche (M=2,35) und
drückte Negativität (z. B. Schreien, Sarkasmus) aktiv begleitete Spielaktivitäten (M=1,73). Am
in der Gruppe ist kaum zu beobachten. Die seltensten finden sich auch im Krippenbereich
Qualität der Verhaltensunterstützung hingegen die Aktivitäten im Bereich Mehrsprachigkeit,
ist im oberen Mittelfeld angesiedelt. hier sogar durchschnittlich nur 0,03 pro

Unterstützung von Emotionen und Verhalten 5,73


Positives Klima 5,62
Negatives Klima 1,15
Feinfühligkeit 5,37
Orientierung am Kind 5,10
Verhaltensunterstützung 5,00
Begleitende Lernunterstützung 3,72
Unterstützung von Lernen und Entwicklung 3,57
Feedbackqualität 2,68
Unterstützung sprachlichen Lernens 3,65

1 2 3 4 5 6 7

Abb. 1: Ergebnisse zur Interaktionsqualität im Krippenalter vor Beginn der Qualifizierung (1 und 2 = niedrige Qualität,
3 bis 5 = mittlere Qualität, 6 und 7 = hohe Qualität; N=43).
16 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Vormittag, gefolgt von Aktivitäten zu phonolo- Weitere und vertiefend dargestellte Ergebnisse
gischer Bewusstheit und Schrift (M=0,08). Pro finden sich bei Wirts et al. (2018).
Vormittag wird durchschnittlich ein Krippenkind
gezielt beobachtet. Was bedeutet das für die Praxis?

An einem Vormittag begleiten Fachkräfte in Die Ergebnisse zeigen vor allem Handlungs-
der Kinderkrippe im Schnitt sieben sprachliche bedarf bezüglich der Interaktionsqualität im
Aktivitäten aus durchschnittlich drei der sechs Bereich der Lernunterstützung und bezüglich
Aktivitätsbereiche. der Quantität von sprachlichen Bildungsak-
tivitäten im Kita-Alltag. In Aus-, Fort- und
Fallvignetten zur Planung von gezielten Unter- Weiterbildung sollte hier der Fokus gezielt auf
stützungsangeboten die konkrete Umsetzung lernunterstützender
Die Kompetenzen der Fachkräfte im Bereich Interaktionen und Aktivitäten und deren Umset-
der Planung sprachlicher Unterstützung wurden zung in konkreten Alltagssituationen gerichtet
mit einer Fallvignette zur Sprachförderung werden.
nach Hendler et al. (2011) erhoben. Analysiert
wurden Daten von 75 Kindergartenfachkräften Aufgrund der oben beschrieben Studiener-
aus fünf Bundesländern, die im Rahmen der gebnisse, wurde die Qualifizierungsplattform
Studien BiSS-E1, BiSS-E2 und BIKE befragt „Fachlich fit — Sprachliche Bildung in der Kita“
wurden. Die Fachkräfte waren aufgefordert, zu konzipiert. Hier finden sich zu Themen, die
einer sprachlichen Problemstellung eines Kindes noch Optimierungsbedarf zeigen, Materialien
passende, konkrete Förderangebote zu formu- zur Qualifizierungsunterstützung (online ab
lieren. Es zeigte sich ein signifikanter positiver Herbst 2018 unter www.ifp.bayern.de). Zu
Zusammenhang zwischen der Kompetenz der verschiedenen Alltagssituationen (Freispiel
Fachkräfte zur Sprachförderplanung (erhoben drinnen und draußen, Bilderbuchsituation,
mittels Fallvignette) und der sprachlichen Essenssituationen) und sprachlichen Bildungs-
Unterstützung (gemessen mit der CLASS aktivitäten (Thematisierung von Schrift und
Pre-K; Pianta, La Paro und Hamre, 2008). Das phonologischer Bewusstheit, Aktivitäten im
bedeutet, dass Fachkräfte, denen die Unter- Bereich Mehrsprachigkeit, Portfolioarbeit) wer-
stützungsplanung besser gelingt, auch häufig den auf der Qualifizierungsplattform Fachtexte,
bessere Interaktionen mit den Kindern zeigen. Filmbeispiele mit Arbeitshinweisen (entwickelt

Kommunikativ genutzte Pflegeaktivitäten 2,87


Einzelgespräche 2,35
Aktiv begleitete Spielaktivitäten 1,73
Gezielte Beobachtung Kinder 1,25
Bilderbuchaktivitäten 0,97
Gesprächsrunde oder Erzählaktivitäten 0,73
Phonologische Bewusstheit oder Schrift 0,08
Aktivität im Bereich Mehrsprachigkeit 0,03

0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5

Abb. 2: Häufigkeit sprachlicher Aktivitäten pro Vormittag im Krippenalter basierend auf Angaben zu 291 Vormittagen.
Alltagsintegrierte sprachliche Bildung im Elementarbereich | 17

im Projekt BiSS-E1) sowie weitere Materialien So soll der Prozess von der strukturierten oder
zusammengestellt. Fort- und Weiterbildnerin- freien Beobachtung zur zielgerichteten Planung
nen, aber auch pädagogische Fachkräfte finden pädagogischer Aktivitäten in der Praxis erleich-
hier geeignete Informationen praxisnah und tert werden.
verständlich aufbereitet.

App zum Beobachtungstransfer: Der beobach-


tete Zusammenhang zwischen der Kompetenz
zur spezifischen Unterstützungsplanung (Fall­
vignetten) und der Interaktionsqualität (CLASS)
deutet darauf hin, dass die kindbezogene,
spezifische Planung sprachlicher Bildungsak-
tivitäten in der Aus-, Fort und Weiterbildung
stärker in den Fokus gerückt werden sollte.
Um den Transfer von Beobachtungsergebnissen
in die pädagogische Planung zu unterstützen,
wurden daher eine Android-Applikation und
eine Browser-Anwendung für Fachkräfte in
Kindertageseinrichtungen entwickelt. Diese
sollen pädagogischen Fachkräften helfen, aus
Beobachtungsergebnissen gezielt pädagogische
Schritte für die alltagsintegrierte Sprachbildung
der Kinder abzuleiten. Die Anwendungen bieten
hierfür verschiedene Zugänge: Über die Auswahl
von sprachlichen Bildungsbereichen, eingesetz-
ten Beobachtungsverfahren oder Interessen und
Themen können passgenau Ideen für sprach-
liche Bildungsaktivitäten ausgewählt werden.

Verwendete Literatur Zum Weiterlesen

Hendler, J., Mischo, M., Wahl, S. & Strohmer, Wirts, C., Egert, F., Fischer, S., Radan, Wirts, C., Egert, F., Fischer, S., Radan, J.,
J. (2011). Das sprachbezogene Wissen J., Reber, K., Reichl, S., Schauland, N., Reber, K., Reichl, S., Schauland, N., Quehen-
angehender frühpädagogischer Fachkräfte im Quehenberger, J. Danay, E. & Becker-Stoll, F. berger, J. Danay, E. & Becker-Stoll, F. (2018).
Wissenstest und in der Selbsteinschätzung. (2018). Zwischenbericht zu den formativen Zwischenbericht zu den formativen und
Empirische Pädagogik, 25(4), 518-542. und summativen Evaluationen (BiSS-E1 summativen Evaluationen (BiSS-E1 und BiSS-
und BiSS-E2) der Bund-Länder-Initiative E2) der Bund-Länder-Initiative Bildung durch
La Paro, K., Hamre, B. & Pianta, R. (2012). Bildung durch Sprache und Schrift. München: Sprache und Schrift. München: Staatsinstitut
Classroom Assessment Scoring System. Staatsinstitut für Frühpädagogik. Online für Frühpädagogik. Online verfügbar unter:
Manual (Toddler). Baltimore: Paul H. Brookes verfügbar unter: www.ifp.bayern.de www.ifp.bayern.de
Publishing Co.
Wirts, C. & Reber, K. (2015). Fragebogen zu Wirts, C., Egert, F. & Reber, K. (2017). Early
Pianta, R., La Paro, K. & Hamre, B. (2008). sprachlichen Bildungsaktivitäten in Kindertages- Literacy in deutschen Kindertageseinrichtungen.
Classroom Assessment Scoring System. einrichtungen. Unveröffentlichtes Manuskript. Eine Analyse der Häufigkeit von Literacy-
Manual (Pre-K). Baltimore: Paul H. Brookes Aktivitäten im Kita-Alltag. Forschung Sprache,
Publishing Co. 5(2), 96-106. Online verfügbar unter:
www.forschung-sprache.eu
18 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

BiSS-E1
Alltagsintegrierte Sprachbildung und -diagnostik in
Kitas: Formative Prozessevaluation der Bund-Länder-
Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift“
Sina Fischer | Claudia Wirts

Was sind der Hintergrund und die (1. Qualifizierungsrunde) und drei aus Bayern)
Ziele des Projekts? einmalig nach Abschluss der ersten Qualifizie-
rungsetappe erfasst. Bei den Verbünden, die
Das Evaluationsprojekt BiSS-E1 hat den zum ersten Messzeitpunkt noch nicht mit der
Schwerpunkt einer formativen Evaluation von Hauptqualifizierung begonnen hatten (Baden-
Qualifizierungsmaßnahmen in Bezug auf all- Württemberg), wurde jeweils vor und nach der
tagsintegrierte sprachliche Bildung (BiSS-Modul Qualifizierung erhoben. In die hier präsentierten
E1) in Kindertageseinrichtungen in Bayern, Auswertungen flossen zudem Daten aus dem
Sachsen und Baden-Württemberg. Altersbereich 3-6 aus dem Projekt BiSS-E2 (Ver-
bünde aus Berlin, Brandenburg und Sachsen) ein.
Prof. Dr. Fabienne Becker- Das Evaluationsprojekt verfolgt drei Ziele:
Stoll,
Dr. Claudia Wirts
▪▪ Erfassen der Umsetzungsqualität alltags­ Die Interaktionsqualität im Alltag wurde mit
(IFP) integrierter Sprachbildung dem Beobachtungsinstrument „CLASS Pre-K“
Nicole Baginski* ▪▪ Untersuchen des Einflusses von Bedingungs- (Pianta, La Paro und Hamre, 2008) einge-
Dr. Anne-Kristin Cordes*
faktoren auf die alltagsintegrierte Sprachbil- schätzt. Über einen Zeitraum von vier Wochen
Dr. Erik Danay*
Sina Fischer dung nach den Hospitationen wurde der Tablet-Fra-
Julia Quehenberger ▪▪ Unterstützen der Verbünde bei der Quali- gebogen „SpraBi“ (Wirts und Reber, 2015) ein-
Julia Radan
tätsentwicklung gesetzt. In diesem protokollierten die Fachkräfte
Nesiré Schauland
*nicht aus Projektmitteln finanziert
tagesrückblickend ihre pädagogischen Aktivitä-
Die Wahl dieser Schwerpunkte zielt darauf ab, ten im Bereich der alltagsintegrierten Sprach­
Forschung und Praxis zu alltagsintegrierter bildung und tagesaktuelle Bedingungsfaktoren.
Sprachbildung in Kindertageseinrichtungen
nachhaltig zu fördern. Basierend auf den Was sind die (vorläufigen) Ergeb-
Ergebnissen der Studie werden, neben wissen­ nisse?
schaftlichen Publikationen, verschiedene
Praxispublikationen erstellt und Qualifizierungs- Interaktionsqualität
tools entwickelt, um den Praxistransfer der Insgesamt wurde die Interaktionsqualität vor
Forschungserkenntnisse zu unterstützen. Beginn der Hauptqualifizierung bei 65 Fach-
kräften mittels CLASS Pre-K eingeschätzt,
Wie wurde methodisch vorge­ die drei Bereiche von Interaktionsqualität
gangen? erfasst. Die Emotionale Unterstützung erfasst
das emotionale Klima in der Einrichtung, die
Die Umsetzungsqualität wurde bei der Teil- Feinfühligkeit der Fachkraft und ob diese sich
stichprobe mit bereits fortgeschrittener Quali- flexibel an den Bedürfnissen der Kinder orien-
fizierungsmaßnahme (ein Verbund aus Sachsen tiert. Die Organisation des Kita-Alltags umfasst
Alltagsintegrierte sprachliche Bildung im Elementarbereich | 19

ein effektives Verhaltensmanagement der Lernens liegt im unteren Mittelfeld. Diese Verbünde
Fachkräfte genauso wie den Beschäftigungsgrad Durchschnittswerte sind mit deutschen Kitas Bildung durch Sprache
und Schrift in Mannheimer
der Kinder und die Qualität des Lernarrange- anderer Stichproben vergleichbar (Suchodoletz Kitas — BiSS (BW)
ments (Angebot an Materialien und Aktivitä- et al., 2014; Wildgruber et al., 2016). Die
Waiblinger Verbund zur
tengestaltung). Der dritte Bereich schätzt die Daten zeigen eine große Varianz zwischen Alltagsintegrierten Sprach-
Qualität der Lernunterstützung ein, welche die den Fachkräften, was bedeutet, dass einige förderung (BW)

kognitive Anregung, die Qualität des Feedbacks Fachkräfte einzelne oder mehrere Bereiche Qualitätsentwicklung
bezüglich individueller Lernprozesse und die besonders gut umsetzen, während andere sehr alltagsintegrierter Sprach-
bildung und -diagnostik in
Unterstützung des sprachlichen Lernens in den niedrige Werte erzielen und so Entwicklungs- Kitas — Region Augsburg
Blick nimmt. Alle Dimensionen werden jeweils bedarf deutlich wird. Dies ist insbesondere für (BY)
auf einer siebenstufigen Skala eingeschätzt, die Interpretation der Werte im Bereich der Qualitätsentwicklung
wobei die Werte 1 und 2 als niedrige Qualität, Lernunterstützung wichtig, da hier einzelne alltagsintegrierter Sprach-
bildung und -diagnostik in
3 bis 5 als mittlere Qualität und 6 und 7 als Fachkräfte trotz niedriger Mittelwerte durchaus
Kitas — Region Regensburg
hohe Qualität interpretiert werden. Die Ergeb- im hohen Qualitätsbereich agieren. (BY)
nisse zur Interaktionsqualität sind in Abb. 1 Qualitätsentwicklung
dargestellt. Die Emotionale Unterstützung liegt Die Verbünde, die bereits eine BiSS-Qualifi- alltagsintegrierter Sprach-
durchschnittlich im mittleren bis hohen Qua- zierung durchlaufen hatten, zeigen bei den bildung und -diagnostik in
Kitas — Region Würzburg
litätsbereich (M=5,76), die Organisation des meisten CLASS-Dimensionen etwas höhere (BY)
Kita-Alltags im oberen Mittelfeld (M=5,22). Werte als die oben genannte Stichprobe vor
Kindertageseinrichtungen
Die Qualität der Lernunterstützung liegt über der Qualifizierung. Dabei liegt die Emotionale des AfJFB (Amt für Jugend,
alle Unterbereiche hinweg gemittelt im niedri- Unterstützung auch hier an der Spitze, gefolgt Familie und Bildung) Leipzig
(SN)
gen bis mittleren Qualitätsbereich (M=2,61). vom Bereich Organisation des Kita-Alltags und
Dabei fällt die Qualität in der Dimension einer deutlich niedrigeren Lernunterstützung.
kognitive Anregung sowie die Qualität des Eine kausale Interpretation der Unterschiede
Feedbacks bezüglich individueller Lernprozesse als Qualifizierungseffekt lässt sich aufgrund der
gering aus. Nur die Unterstützung sprachlichen fehlenden Erfassung der Interaktionsqualität vor

Emotionale Unterstützung 5,76


Positives Klima 5,62
Negatives Klima 1,19
Feinfühligkeit 5,33
Orientierung am Kind 5,26
Organisation des Kita-Alltags 5,22
Verhaltensmanagement 5,44
Beschäftigungsgrad der Kinder 5,53
Lernarrangement 4,69
Lernunterstützung 2,61
Kognitive Anregung 2,01
Feedbackqualität 2,55
Unterstützung sprachlichen Lernens 3,25

1 2 3 4 5 6 7

Abb. 1: Ergebnisse zur Interaktionsqualität im Kindergartenalter vor Beginn der Qualifizierung (1 und 2 = niedrige Qualität,
3 bis 5 = mittlere Qualität, 6 und 7 = hohe Qualität; N=65).
20 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

der Qualifizierung bei den Einrichtungen mit keine Aktivitäten im Bereich Mehrsprachigkeit
Einmalerhebung nicht ableiten, da das Start­ durchgeführt zu haben. Auch Aktivitäten im
niveau nicht bekannt ist. Bereich phonologischer Bewusstheit und Schrift
(M=0,2) finden nur selten statt. 42 % der
Sprachliche Bildungsaktivitäten Fachkräfte geben an, im Befragungszeitraum
Insgesamt können Daten von 63 pädago­gischen nie eine solche Aktivität durchgeführt zu haben.
Fachkräften in die Datenanalyse eingeschlossen Eine gezielte Beobachtung von Kindern (frei
werden. Die Fachkräfte machen im Durchschnitt oder strukturiert) fand im Schnitt einmal pro
an 12 Tagen Angaben mithilfe des Tablet-Frage- Vormittag statt.
bogens „SpraBi“ (siehe Abb. 2).
Insgesamt waren die Fachkräfte pro Vormittag
Die häufigste sprachliche Bildungsaktivität sind durchschnittlich an vier sprachlichen Bildungs-
längere Einzelgespräche (inhaltliche Gesprä- aktivitäten beteiligt.
che mit mindestens vier Sprecherwechseln),
von denen pro Vormittag durchschnittlich drei Aus den Verbünden, bei denen nur einmal
Kinder profitieren. Dies bedeutet, dass von nach erfolgter BiSS-Qualifizierung erhoben
durchschnittlich 17 betreuten Kindern pro wurde, konnten Daten von 29 pädagogischen
Fachkraft mit drei Kindern pro Vormittag län- Fachkräften für 312 Vormittage ausgewertet
gere Gespräche geführt werden. Aktiv beglei- werden. In diesen Verbünden liegen die Werte
tete Spielaktivitäten sind die zweithäufigste in fast allen Bereichen (außer mehrsprachige
Aktivität. Sie erfolgen durchschnittlich einmal Aktivitäten und Gesprächsrunden) tendenziell
pro Vormittag. Hierunter fallen Regelspiele etwas höher, als in den anderen Verbünden.
genauso wie begleitete Bau- oder Rollenspiele Durchschnittlich wurden hier fünf sprachliche
oder Malen und Basteln. Gesprächsrunden und Bildungsaktivitäten pro Vormittag berichtet.
Erzählaktivitäten finden ebenfalls durchschnitt- Insbesondere die Anzahl an Einzelgesprächen
lich einmal pro Vormittag statt. Am seltensten (durchschnittlich fünf Kinder/Vormittag) ist
werden Aktivitäten im Bereich Mehrsprachigkeit höher. Diese Unterschiede sind jedoch nicht
(z. B. Begrüßungsrituale, Lieder) durchgeführt. kausal vergleichend zu interpretieren, da es
Durchschnittlich erfolgen solche Aktivitäten nur sich um unterschiedliche Stichproben han-
0,16 mal pro Vormittag, also etwa alle sechs delt und ein bereits höheres Startniveau der
Vormittage einmal, wobei viele Fachkräfte Verbünde mit erfolgter Qualifizierung nicht
(55%) angeben, im Befragungszeitraum gar auszuschließen ist.

Einzelgespräche 3,11
Gezielte Beobachtung Kinder 1,09
Aktiv begleitete Spielaktivitäten 1,04
Gesprächsrunde oder Erzählaktivitäten 1,03
Kommunikativ genutzte Pflegeaktivitäten 0,66
Bilderbuchaktivitäten 0,62
Phonologische Bewusstheit oder Schrift 0,21
Aktivität im Bereich Mehrsprachigkeit 0,16

0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5

Abb. 2: Häufigkeit sprachlicher Aktivitäten pro Vormittag im Kindergartenalter basierend auf Angaben zu 581 Vormittagen.
Alltagsintegrierte sprachliche Bildung im Elementarbereich | 21

Weitere und vertiefend dargestellte Ergebnisse entstanden. Dabei wurden verschiedene Alltags-
finden sich bei Wirts et al. (2018). situationen und sprachliche Aktivitäten gefilmt
und durch erläuternde Fachkraft- und Expertin-
Was bedeutet das für die Praxis? neninterviews didaktisch so ergänzt, dass sie ein
möglichst hohes Lernpotenzial für Praktikerinnen
Transferpotenziale: Die Ergebnisse zum Zeit- und Praktiker haben. Geplant ist die Bereit-
punkt vor der Qualifizierung zeigen einen stellung als DVD mit Begleitmanual und online
grundsätzlichen Handlungsbedarf hinsichtlich (www.ifp.bayern.de). Es sind Film­sequenzen zu
der Qualität und Häufigkeit sprachlicher Bil- sieben Themenbereichen entstanden, die auf-
dungsaktivitäten im Kita-Alltag. Es wird daher grund der vorab beschriebenen Projektergebnisse
empfohlen, in Qualifizierungsmaßnahmen nicht ausgewählt wurden (z. B.: Bilderbücher dialogisch
nur auf die Vermittlung neuen Wissens zu betrachten, Essenssituationen sprachanregend
setzen, sondern verstärkt auf Möglichkeiten der gestalten, Sprachanlässe im Garten nutzen,
häufigeren Umsetzung von sprachlichen Bil- Mehrsprachigkeit unterstützen).
dungsaktivitäten und sprachförderlichen Inter-
aktionsstrategien im Kita-Alltag zu fokussieren. Online-basiertes Videofeedback: Angelehnt an
Wie Wildgruber, Wertfein, Wirts, Kammermeier Erkenntnisse und Ergebnisse aus der Weiterbil-
und Danay (2016) zeigen konnten, gelingt die dungsforschung wurde ein (online-basiertes)
Umsetzung sprachlicher Lernunterstützung in Video-Feedback-Konzept entwickelt. Dabei
moderierten Situationen (wie z. B. Bilderbuch- werden gemeinsam mit der Fachkraft Video­
betrachtung, Morgenkreis) vielen Fachkräften sequenzen aus ihrem pädagogischen Alltag
besser als in Freispielsituationen und ist insbe- hinsichtlich ihres sprachförderlichen Verhaltens
sondere in Essenssituationen und im Garten sehr reflektiert. Das Konzept sowie Materialien zur
niedrig. Dies bestätigen auch die Daten aus den Durchführung von Videofeedbackgesprächen
Projekten BiSS-E1 und BiSS-E2. (online oder face-to-face) werden 2018
veröffentlicht (Schauland, Fischer und Wirts, in
Filmbeispiele guter Praxis: Um deutlich zu Vorbereitung). Ergebnisse einer Evaluationsstudie
machen, wie in Alltagssituationen sprach­liche im Kontrollgruppendesign belegen die Effektivität
Bildung umgesetzt werden kann, sind im Pro­ des Feedbacks (Schauland, eingereicht).
jekt Filmsequenzen zu Beispielen guter Praxis

Verwendete Literatur

Pianta, R., La Paro, K. & Hamre, B. (2008). actions in German preschools. Early Childhood Wirts, C. & Reber, K. (2015). Fragebogen zu
Classroom Assessment Scoring System. Manual Research Quarterly, 29, 509-519. sprachlichen Bildungsaktivitäten in Kindertages-
(Pre-K). Baltimore: Paul H. Brookes Publishing Co. einrichtungen. Unveröffentlichtes Manuskript.
Wildgruber, A., Wertfein, M., Wirts, C.,
Schauland, N. (eingereicht). Interaktions- Kammermeier, M. & Danay, E. (2016). Situative
verhalten von frühpädagogischen Fachkräften Unterschiede der Interaktionsqualität im Verlauf Zum Weiterlesen
– Qualitätsentwicklung durch online-basiertes des Kindergartenalltags. Frühe Bildung, S. 206-
Videofeedback. Dissertation, Ludwig-Maximili- 213. Fischer, S., Schauland, N. & Wirts, C. (2017).
ans-Universität München. Digitale Medien im Kita-Alltag – Möglichkeiten
Wirts, C., Egert, F., Fischer, S., Radan, J., der Nutzung im frühpädagogischen Kontext.
Schauland, N., Fischer, S. & Wirts, C. (in Reber, K., Reichl, S., Schauland, N., Quehen- BiSS-Journal, 6, 22-26.
Vorbereitung). Konzept für ein online-basiertes berger, J., Danay, E. & Becker-Stoll, F. (2018).
Videofeedback. München: Staatinstitut für Zwischenbericht zu den formativen und Wirts, C., Egert, F. & Reber, K. (2017). Early
Frühpädagogik. summativen Evaluationen (BiSS-E1 und BiSS- Literacy in deutschen Kindertageseinrichtungen.
E2) der Bund-Länder-Initiative Bildung durch Eine Analyse der Häufigkeit von Literacy-Aktivi-
Suchodoletz, A. v., Fäsche, A., Gunzenhauser, Sprache und Schrift. München: Staatsinstitut für täten im Kita-Alltag. Forschung Sprache, 5(2),
C. & Hamre, B. K. (2014). A typical morning in Frühpädagogik. Online verfügbar unter: 96-106. Online verfügbar unter:
preschool: Observation of teacher-child inter- www.ifp.bayern.de www.forschung-sprache.eu
22 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

allE
Gelingensbedingungen alltagsintegrierter sprachlicher
Bildung im Elementarbereich

Katja Koch | Tina von Dapper-Saalfels | Katja Mackowiak | Christine Beckerle | Cordula Löffler | Ina Pauer | Julian Heil

Was sind der Hintergrund und die und das situierte Lernen im Mittelpunkt. Das
Ziele des Projekts? Konzept wurde von den diese drei Verbünde
begleitenden Wissenschaftlerinnen erarbeitet
Das Evaluationsprojekt „Gelingensbedingungen und von geschulten Fortbildnerinnen durchge-
alltagsintegrierter sprachlicher Bildung im führt (Konzept A). Der vierte Verbund knüpfte
Elementarbereich“ (allE) untersucht die Wirk- an ein in diesem Verbund bereits seit zehn
samkeit unterschiedlicher Weiterbildungskon- Jahren etabliertes Weiterqualifizierungskonzept
zepte zur alltagsintegrierten Sprachförderung an. Dieses besteht zum einen aus einem von
in drei Bundesländern (Nordrhein-Westfalen, der Kommune erstellten Fortbildungskatalog
Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg). zu unterschiedlichen frühkindlichen Themen
Prof. Dr. Katja Mackowiak Analysiert werden Verbesserungen in den (u. a. zum Bereich Sprache), aus dem die
(Uni Hannover)
Sprachförderkompetenzen der pädago­ Fachkräfte individuell Veranstaltungen aus-
Dr. Christine Beckerle
gischen Fachkräfte sowie den sprachlichen suchen, zum anderen aus einem Coaching
Prof. Dr. Katja Koch
Leistungen der Kinder. In den vier am Projekt zu alltagsintegrierter Sprachförderung, das
(TU Braunschweig)
Tina von Dapper-Saalfels beteiligten Verbünden nahmen die pädago­ durch geschulte Projektmitarbeiterinnen der
Prof. Dr. Cordula Löffler gischen Fachkräfte an Fortbildungen teil, in begleitenden Universität durchgeführt wurde
(PH Weingarten) denen der Einsatz von Sprachfördertechniken (Konzept B).
Julian Heil (korrektives Feedback, Modellierungstech-
Ina Pauer
niken, Fragetechniken) in drei sprachlichen Die Evaluationsstudie wird gemeinsam von
Schlüsselsituationen (Freispiel, Bilderbuchbe- der Leibniz Universität Hannover (Katja
trachtung, Essensituationen) im Kindergar- Mackowiak, Christine Beckerle), der TU
tenalltag einen der inhaltlichen Schwerpunkte Braunschweig (Katja Koch, Tina von Dapper-
darstellte. Zusätzlich wurden die Kitas bei der Saalfels) und der PH Weingarten (Cordula
Umsetzung des Gelernten durch ein Coaching Löffler, Ina Pauer, Julian Heil) durchgeführt. Im
unterstützt. Die Verbünde unterschieden sich Folgenden werden für den ersten Messzeit-
dabei in der Organisation der Weiterbildung: punkt Ergebnisse zum Wissen über und zum
In drei Verbünden wurde für alle beteiligten Einsatz von Sprachfördertechniken in Bilder-
pädagogischen Fachkräfte gemeinsam eine aus buchbetrachtungen berichtet.
mehreren aufeinander aufbauenden Modulen
bestehende Fortbildungsreihe zur alltagsinte­ Wie wurde methodisch vorge­
grierten Sprachförderung (bestehend aus neun gangen?
Fortbildungen und drei (Video-)Coachings)
innerhalb von einem Jahr durchgeführt. Neben In die Auswertung einbezogen wurden 84
der Vermittlung und Übung von Sprachför- pädagogische Fachkräfte aus 27 verschie-
dertechniken standen die Wortschatzarbeit denen Kindertageseinrichtungen mit jeweils
Alltagsintegrierte sprachliche Bildung im Elementarbereich | 23

einem Kind im Alter von drei bis fünf Jahren. Was sind die (vorläufigen) Ergeb- Verbünde
Das sprachdiagnostische und sprachförderre- nisse? Ulm — Sprachbildung in
Kindertageseinrichtungen
levante Wissen der pädagogischen Fachkräfte (BW)
wurde über eine kurze Filmvignette mit einem Welche Unterschiede lassen sich im Hinblick auf
Gezielte alltagsintegrierte
ausführlichen begleitenden Interview erhoben. das Wissen über und die Anwendung von Sprach- Sprachbildung in Schlüssel­
Den pädagogischen Fachkräften wurde ein fördertechniken bei den pädagogischen Fachkräf- situationen (BW)

authentischer Filmausschnitt einer Bilderbuch- ten bereits zum ersten Messzeitpunkt finden? Gezielte alltagsintegrierte
betrachtung in einer Kindertageseinrichtung Sprachbildung in Schlüssel­
situationen (RP)
gezeigt. Anschließend wurden sie gebeten, Im Hinblick auf das Erkennen (Wissen)
Gezielte alltagsintegrierte
jene Situationen zu identifizieren, in denen die bestand die Aufgabe der pädagogischen Fach-
Sprachbildung in Schlüssel­
Erzieherin sprachfördernd agierte, und die in kräfte darin, beim Betrachten der Film­vignette situationen (NW)
den Situationen zu beobachtenden Sprachför- das Video an den Stellen zu stoppen, an
dertechniken zu benennen. Zudem wurden sie denen sie den Einsatz von Sprachfördertech-
um eine Einschätzung der Sprachfähigkeiten niken beobachten konnten. Beobachtbar waren
des Kindes und des Sprachförderhandelns korrektives Feedback, Modellierungstechniken
der beobachteten Erzieherin gebeten (Itel, in und (offene und geschlossene) Fragen. Ins-
Vorbereitung). Für die Auswertung der meist gesamt enthielt die Vignette 22 Situationen,
halbstündigen Interviews der pädagogischen in denen die Erzieherin insgesamt 37 Sprach-
Fachkräfte wurde ein Kategoriensystem ent- fördertechniken benutzte. Die Auswertung
wickelt, das die Bereiche Wissen über Sprach- zeigt, dass die 84 pädagogischen Fachkräfte
fördertechniken, Kontextwissen zur Gestaltung im Durchschnitt 3,7 der 22 Situationen,
einer Bilderbuchbetrachtung sowie Transfer- in denen eine Sprachfördertechnik vorkam,
wissen zur Sprachförderplanung erfasst. richtig erkannten. Durchschnittlich nannten sie
5,3 von insgesamt 37 Sprachfördertechniken.
Das Sprachförderhandeln der pädagogischen Es fiel ihnen leichter, Fragen zu erkennen,
Fachkräfte wurde über Videographien von während korrektives Feedback und Modellie-
jeweils drei typischen Situationen des Kin- rungstechniken seltener identifiziert wurden.
dergartenalltags erfasst: eine dialogische Zugleich zeigten sich große Unterschiede
Bilderbuchbetrachtung mit einem Kind, eine zwischen den einzelnen pädagogischen
Freispielphase in der Kindergruppe und eine Fachkräften. Einige erkannten keine Situation,
Essenssituation mit mehreren Kindern. Die während andere bis zu 14 Situationen und 16
Videographien, in denen die an der Untersu- Techniken identifizierten.
chung beteiligten pädagogischen Fachkräfte
selbst agierten, dauerten jeweils 15 Minuten. Ähnliches zeigt sich auch im Hinblick auf das
Die Auswertung erfolgte über ein im Projekt- Können und Handeln der pädagogischen Fach-
kontext weiterentwickeltes Kategoriensystem kräfte. Ausgewertet wurden die Videographien
(Beckerle, 2017). Es beinhaltet 13 Einzel- der 15-minütigen Bilderbuchbetrachtung
techniken, die den Bereichen des korrektiven dahingehend, welche Sprachfördertechniken
Feedbacks (z. B. Kind: „Ich bin Kindergarten die pädagogischen Fachkräfte selbst anwenden
gekommt.“, pädagogische Fachkraft: „Ja, du bist und wie häufig diese auftreten. Dabei zeigte
in den Kindergarten gekommen.”), der Model- sich, dass die pädagogischen Fachkräfte in 15
lierungstechniken (z. B. Kind: „Ich habe ein Minuten durchschnittlich 87 Sprachförder-
schnelles Auto.“, pädagogische Fachkraft: „Ein techniken einsetzen. Am häufigsten verwende-
rotes Rennauto hast du.“) und der Fragetech- ten sie Fragetechniken (41 im Durchschnitt),
niken (z. B. pädagogische Fachkraft: „Was siehst gefolgt von Modellierungstechniken (30 im
du auf dem Bild?“) zuzuordnen sind. Durchschnitt) und korrektivem Feedback
24 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

(17 im Durchschnitt). Auch hier zeigten sich belegen, dass die pädagogischen Fachkräfte
wieder individuelle Unterschiede (zwischen 19 die Weiterbildungen mit jeweils unterschied-
und 192 Sprachfördertechniken). lichen Kompetenzen beginnen. Die Unter-
schiede erklären sich möglicherweise auch
Interessante und statistisch bedeutsame dadurch, dass die pädagogischen Fachkräfte
Unterschiede lassen sich zum ersten Mess- der Gruppe B bereits seit längerem an sprach-
zeitpunkt zwischen den beiden Weiterbil- bezogenen Fortbildungen teilnehmen.
dungsgruppen nachweisen. Die pädagogischen
Fachkräfte der Gruppe B identifizierten mehr Was bedeutet das für die Praxis?
Situationen und Sprachfördertechniken,
zeigten also ein größeres Wissen in diesem Zum ersten Messzeitpunkt zeigen sich
Bereich als die päda­gogischen Fachkräfte sowohl individuelle Unterschiede zwischen
der Gruppe A (Gruppe A im Durchschnitt 7, den einzelnen pädagogischen Fachkräften als
Gruppe B im Durchschnitt 9). Umgekehrt auch zwischen den Verbünden. Insgesamt
setzten die pä­dagogischen Fachkräfte der finden sich sehr niedrige Werte im Bereich
Gruppe A häufiger selbst Sprachförder- des Wissens. Es werden nur knapp 8 % der
techniken bei der Bilderbuchbetrachtung in der Filmvignette vorhandenen Sprachför-
ein, agierten also sprachförderlicher als die dertechniken erkannt. Betrachtet man jedoch
pädagogischen Fachkräfte der Gruppe B die von den Befragten selbst angewandten
(Gruppe A im Durchschnitt 87, Gruppe B im Sprachfördertechniken bei der dialogischen
Durchschnitt 60). Da es sich allerdings um Bilderbuchbetrachtung, dann finden sich hier
den ersten Messzeitpunkt handelt, der vor hohe durchschnittliche Werte. So werden im
Beginn der gemeinsamen Fortbildung für die Durchschnitt etwa sechs Techniken pro Minute
pädagogischen Fachkräfte der Gruppe A lag, eingesetzt. Grundsätzlich wird in der Literatur
sagen diese Ergebnisse noch nichts über die angenommen, dass es einen Zusammenhang
Wirksamkeit der beiden Konzepte aus, sondern zwischen dem Wissen über Sprache und dem

Verwendete Literatur

Beckerle, C. (2017). Alltagsintegrierte


Sprachförderung im Kindergarten und in der
Grundschule. Evaluation des „Fellbach-Kon-
zepts“. Weinheim: Beltz Juventa.

Itel, N. (in Vorbereitung). Professionelle Kom-


petenzen von frühpädagogischen Fachkräften
im Bildungsbereich Sprache. Vergleich von
sprachförderbezogenem Wissen und Handeln.
Dissertation. Hannover: Leibniz Universität
Hannover, Institut für Sonderpädagogik.

Müller, A., Smits, S., Geyer, S. & Schulz, P.


(2014). Was ist Sprachförderkompetenz?
Fachwissen und Handlungskompetenz von
Alltagsintegrierte sprachliche Bildung im Elementarbereich | 25

pädagogischen Handeln gibt. Empirischen


Befunden zufolge fallen die Zusammenhänge
zwischen dem spezifischen fachlich-linguisti-
schen Wissen und dem Sprachförderhandeln
eher gering aus (z. B. Wirts, Wildgruber und
Wertfein, 2017). Bisher stützen unsere
Befunde die Ergebnisse anderer Studien, die
belegen, dass pädagogische Fachkräfte sehr
unterschiedlich kompetent hinsichtlich ihres
Sprachförderwissens und Sprachförderhandelns
sind (z. B. Müller, Smits, Geyer und Schulz,
2014). Ob und wie sich das Wissen und
Können der pädagogischen Fachkräfte durch
die beiden Weiterbildungskonzepte A und B
weiterentwickelt, kann zum jetzigen Zeitpunkt
noch nicht geklärt werden. Erkenntnisse
da­rüber, welches Konzept wie wirkt, wird es
erst nach der Auswertung des zweiten Mess-
zeitpunkts zum Projektende geben.

Zum Weiterlesen

pädagogischen Fachkräften in der vorschulischen Beckerle, C., Mackowiak, K., Koch, K., Löffler, Kita-Alltag: Zusammenhänge zwischen Wissen
Sprachförderung, In B. Lütke & I. Petersen C., Heil, J., Pauer, I. & Dapper-Saalfels, T. von und Handeln von pädagogischen Fachkräften —
(Hrsg.), Deutsch als Zweitsprache: erwerben, (angenommen). Der Einsatz von Sprachför- Ergebnisse aus dem „allE-Projekt“. Empirische
lernen und lehren. Beiträge aus dem 9. Workshop dertechniken in unterschiedlichen Settings im Pädagogik.
Kinder mit Migrationshintergrund (S. 247-262). Kita-Alltag. Frühe Bildung.
Stuttgart: Klett Fillibach.
Dapper-Saalfels, T. von, Beckerle, C., Heil,
Wirts, C., Wildgruber, A. & Wertfein, M. J., Koch, K., Mackowiak, K., Löffler, C. & Pauer,
(2017). Die Bedeutung von Fachwissen und I. (2018). Prinzipien einer sprachförderlichen
Unterstützungsplanung im Bereich Sprache für Gestaltung von Bilderbuchbetrachtungen
gelingende Interaktionen in Kindertagesein- (Projekt allE). BiSS-Journal, 8, 30-33.
richtungen, In H. Wadepohl, K. Mackowiak, K.
Fröhlich-Gildhoff & D. Weltzien (Hrsg.), Inter- Mackowiak, K., Beckerle, C., Koch, K., Dap-
aktionsgestaltung in Familie und Kindertagesbe- per-Saalfels, T. von, Löffler, C., Pauer, I. & Heil,
treuung (S. 147-170). Wiesbaden: Springer. J. (angenommen). Sprachfördertechniken im
26 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

SPRÜNGE
Sprachförderung im Übergang Kindergarten-
Grundschule evaluieren

Tanja Betz | Ezgi Erdogan | Karin Kämpfe | Diemut Kucharz | Ulrich Mehlem | Sandra Rezagholinia

Was sind der Hintergrund und die Teilstudie 2 untersucht die Interaktionsqualität
Ziele des Projekts? der sprachförderlichen Aktivitäten auf Basis
qualitativer Videoanalysen. Es liegen zu drei MZP
Die Evaluationsstudie SPRÜNGE untersucht 54 Videographien von Sprachfördersituationen
unterschiedliche Settings von Sprachförderung (durchschnittlicher Umfang: 25 Minuten, davon
am Übergang von der Kita zur Grundschule im 11 Videoaufzeichnungen mit Lk) und 15 Proto-
Hinblick auf ihre Wirksamkeit. Es geht um die kolle aus teilnehmenden Beobachtungen vor.
Entwicklung der Sprachkompetenz der Kinder
und der Sprachförderkompetenz der Fach- Teilstudie 3 analysiert mittels leitfadenge-
(Fk) und Lehrkräfte (Lk), um die Qualität der stützter Interviews, wie sich die Kooperation
Prof. Dr. Diemut Kucharz, Sprachförderung und um die sprachförderbe- zwischen den Fk und Lk gestaltet, wie sich
Prof. Dr. Ulrich Mehlem,
zogenen Fortbildungen und Kooperationen der ihre beruflichen Überzeugungen und fachlichen
Prof. Dr. Tanja Betz
(Uni Frankfurt am Main) Fach- und Lehrkräfte. Damit wollen wir zur Orientierungen verändern und erhebt die Rah-
Ezgi Erdogan Klärung von Gelingensbedingungen für wirk- menbedingungen für Sprachförderung. Bisher
Dr. Karin Kämpfe
same Sprachförderung beitragen. wurden Interviews mit 46 Fach-, 24 Lehr- und
Sandra Rezagholinia
29 Leitungskräften geführt.
Wie wurde methodisch vorge­
gangen? Was sind die (vorläufigen) Ergeb-
nisse?
Die Stichprobe umfasst 17 Kitas und 12
Schulen aus sechs Verbünden in Bayern, Berlin Im Folgenden werden Ergebnisse der Teilstudien
und Niedersachsen. Die Sprachförderung am 1 und 3 berichtet. Aus Teilstudie 2 wird das
Übergang wird in einem multiperspektivischen videogestützte Feedbackverfahren erläutert, das
Design in drei Teilstudien zu drei Messzeitpunk- zur Reflexion des eigenen Handelns der Fk und
ten (MZP) analysiert. Lk eingesetzt wird.

Teilstudie 1 überprüft mittels standardisierter Der Beitrag von Fortbildungen zur Professiona-
Verfahren die sprachlichen Kompetenzzu- lisierung im Bereich Sprachförderung
wächse bei Kindern (SET 5-10: Petermann, Der Onlinetest SprachKoPF erfasst die Sprach-
2010; LiSe-DaZ: Schulz und Tracy, 2011) förderkompetenzen von Fk und Lk in den
und die Sprachförderkompetenzen bei Fk und Dimensionen Wissen über Sprache, Sprach­
Lk (Onlinetest SprachKoPF: Thoma und Tracy, erwerb und Mehrsprachigkeit sowie im Können
2014). Bisher haben 165 Kinder zu zwei MZP zu Sprachförderung und Sprachdiagnostik.
an den Sprachstandserhebungen teilgenommen; Zusätzlich werden Daten zum persönlichen
50 Fk und Lk haben den Onlinetest ausgefüllt. und beruflichen Hintergrund erfasst.
Alltagsintegrierte sprachliche Bildung im Elementarbereich | 27

Die beteiligten 30 Fk und 20 Lk haben eine Im Könnensbereich ist der Unterschied zwar Verbünde
vergleichbare Altersstruktur und eine durch- auch bedeutsam, aber nicht so stark ausge- Sprachbildung durch
entdeckendes Lernen in der
schnittliche Berufserfahrung von 18 Jahren. prägt und liegt bei beiden Berufsgruppen knapp Lernwerkstättenarbeit am
Die Auswertung des SprachKoPF zum ersten über dem durchschnittlichen Normwert. Die Übergang Kita-Grundschule
MZP zeigte, dass 74 % der Fk und 65 % der Grafik zeigt außerdem, dass das durchschnitt- — Verbund Brunnenviertel
(BE)
Lk bereits vor der Teilnahme an BiSS Fortbil- liche Wissen und Können innerhalb der beiden
Entdeckendes Lernen und
dungen im Bereich Sprache besucht hatten. Berufsgruppen breit gestreut ist und gleich-
Sprachbildung am Übergang
Während die Fk insgesamt durchschnittlich ca. zeitig ein großer Überlappungsbereich vorliegt. Kita — Grundschule — ein
80 Stunden Fortbildungen absolvierten, sind es Das bedeutet, dass es Fk und Lk gibt, die über Berliner Kooperationsprojekt
(BE)
bei den Lk mit durchschnittlich 125 Stunden einen vergleichbaren Wissens- und Könnensbe-
jedoch deutlich mehr. Zum zweiten MZP geben stand verfügen. Zum zweiten MZP konnte bei Vorkurs Deutsch für
Kinder mit zusätzlichem
lediglich 5 Fk (ca. 22 h) und 7 Lk (ca. 12 h) an, beiden Berufsgruppen nur ein geringer Zuwachs Unterstützungsbedarf im
weitere Fortbildungen zur Sprachförderungen im Wissen und Können gemessen werden, der Deutschen als Erst- und
besucht zu haben. eher dem Zufall zuzuschreiben ist. Bei der Zweitsprache — Region
Augsburg (BY)
Überprüfung, ob der Wissens- und Könnens-
Vorkurs Deutsch für
Bedeutsame Unterschiede zwischen Fk und Lk stand mit der Anzahl besuchter Fortbildun-
Kinder mit zusätzlichem
zeigen sich auch in den Dimensionen Wissen gen zusammenhängt, zeigte sich bei den Lk Unterstützungsbedarf im
und Können. Die Fk (M=0,34) weisen durch- kein Zusammenhang, bei den Fk dagegen ein Deutschen als Erst- und
Zweitsprache — Region
schnittlich bedeutsam niedrigere Werte im ­positiver Zusammenhang zum Bereich Können,
Dingolfing-Landau (BY)
Bereich Wissen über Sprache auf als die Lk nicht aber zum Wissen. Das bedeutet, dass
Vorkurs Deutsch für
(M=0,63), was u. a. auf die unterschiedlichen die Fk mit mehr besuchten Fortbildungen auch Kinder mit zusätzlichem
Ausbildungsgänge zurückzuführen ist. Dennoch über mehr Können in der Sprachförderung Unterstützungsbedarf im
befinden sich die Ergebnisse der Fk im Norm- verfügen. Deutschen als Erst- und
Zweitsprache — Region
bereich, die der Lk darüber (siehe Abb. 1). Freising (BY)

Kooperationsverbund
­Kindergärten — Grund­
schulen Jever (NI)
0,9
0,83
0,8

0,7

0,61 M=0,63 0,64


0,6
0,54
0,5

0,4
M=0,34 0,35
M=0,32
0,3 M=0,22

0,2

0,1
0,09 0,09
0,02
0,0
Wissen Fk Wissen Lk Können Fk Können Lk

Abb. 1: Teilstudie 1 — Gegenüberstellung Wissen und Können der pädagogischen Fach- und Lehrkräfte (Fk und Lk).
Anmerkungen: Mittelwertvergleich des Wissens (T=7,990; Sig. (2-seitig)<0,001) und Könnens (T=1,999; Sig.
(2-seitig)=0,055) pädagogischer Fach- und Lehrkräfte. Normbereich Wissen Fk=0,33, Lk=0,55; Normbereich
Können Fk=0,26, Lk=0,30.
28 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Professionalisierung durch videobasiertes Ressourcen — zu einer systematischen Ver-


Feedback ankerung von wechselseitiger Hospitation und
In Teilstudie 2 werden ausgewählte Sprachför- Videographie an.
dersituationen daraufhin untersucht, wie sich
Kinder an der Förderung beteiligen (Isler, Künzli Professionalisierung durch institutionenüber-
und Wiesner, 2014). Als Hinweis auf eine greifenden Austausch und Kooperation
höhere Qualität wird ein häufigeres Auftreten Die BiSS-Initiative hat mit regelmäßigen Ver-
satzförmiger bzw. satzübergreifender Beiträge bundtreffen und gemeinsamen Fortbildungen
von Kindern angesehen. Für deren Zustande- Gelegenheitsstrukturen für einen intensiveren,
kommen sind nicht nur Redeaufforderungen, institutionenübergreifenden Austausch geschaf-
Fragen oder sonstige Stimulierungstechniken fen. In den Interviews wird deutlich, dass sich
der Pädagoginnen und Pädagogen entscheidend, die Fk und Lk durch diese Strukturen von der
sondern auch ein Interaktionsstil, der selbst­ Verantwortung entlastet fühlen, selbst einen
initiierte, spontane Äußerungen von Kindern Rahmen zu schaffen, der über organisatorische
ermöglicht, diese thematisch weiterführt und Absprachen oder den Austausch über einzelne
andere Kinder gezielt miteinbezieht. Kinder hinausgeht. Sie beschreiben eine größere
Wertschätzung und Stärkung des Bewusstseins
Die Videoanalysen dienen — im Rahmen einer für die Arbeit der anderen Institution:
formativen Evaluation — als Basis für Feed-
backgespräche mit den beteiligten Fk. Anhand Fk: „Also ich glaube schon, dass die Schule in
der Videoaufnahme und eines vollständigen der Zwischenzeit auch bewusster wahrnimmt,
Transkripts wählen die Pädagoginnen und was wir hier tun. Also dass sie auch einen
Pädagogen sowie das Evaluationsteam je eine Blick dafür bekommt, was im Vorfeld geleis-
oder mehrere Szenen unter einer bestimmten tet wird, um die Kinder halt auf die Schule
Fragestellung (z. B. Umgang mit zurück- vorzubereiten.“
haltenden Kindern, Sprachfördertechniken,
didaktisches Arrangement) aus. Nach einer Lk: „Und auch der Austausch jetzt mit unserer
Selbsteinschätzung der Fk werden Hand- Kita ist eigentlich sehr positiv, weil man einfach
lungsalternativen diskutiert. Hierfür werden doch merkt, dass man viele Gemeinsamkei-
im Transkript die Beiträge der Kinder im ten hat, weil man sich besser kennenlernt.
Hinblick auf ihre sprachlichen Kompetenzen Weil man sich besser wertschätzt, also mehr
und Mitwirkungsmöglichkeiten in der Situation wertschätzt.“
überprüft. Am Ende des Gespräches benennt
die Fk, an welchen Aspekten sie weiterarbeiten Durch den Austausch werden Lernprozesse
möchte. angestoßen und die unterschiedlichen Perspek-
tiven von Fk und Lk als bereichernd erlebt:
In den bisher geführten Gesprächen zeigten
die beteiligten Fk eine hohe Bereitschaft, Lk: „Und es war auch interessant, dass sie [Fk]
sich über die Gestaltung von Sprachförder- eben einen ganz anderen Blick hat als wir aus
situationen auszutauschen. Die detaillierten der Schule, nicht? Weil wir aus der Schule,
Transkripte wurden als hilfreich eingeschätzt. wir sind immer so: Ja, und es darf nur ja nicht
In einigen Einrichtungen wird V­ ideographie laut sein und [...] es muss alles irgendwie wie
bereits zur professionellen Selbst- und am Schnürchen so ablaufen [...]. Und sie dann
Fremdreflexion eingesetzt. Unsere Feed- gesagt hat: Ja, aber die Kinder waren ja alle
backgespräche regen die Kolleginnen und aktiv und es war ja total kreativ. Und also sie
Kollegen — trotz eines Mangels an zeitlichen hatte einfach einen viel positiveren Blick auch
Alltagsintegrierte sprachliche Bildung im Elementarbereich | 29

auf die Kinder und auch auf alles, als wir aus greifenden Austausch und Kooperation und
der Schule.“ eröffnen zugleich Möglichkeiten für durchgän-
gige Sprachbildung und -förderung. Dadurch
Abstimmungen zwischen Fk und Lk im Sinne lassen sich Lernprozesse in Gang setzen, um
einer anschlussfähigen Sprachförderung mit ein tieferes Verständnis für die Förderstrate-
institutionenübergreifenden Konzepten und gien und eine höhere Wertschätzung für die
Strategien werden nur vereinzelt thematisiert. pädagogische Arbeit in Kita und Grundschule
Zudem gibt es Anhaltspunkte für machtförmige zu erreichen.
Strukturen im Verhältnis zwischen Fk und Lk,
die damit einhergehen, dass Kooperationen und
Abstimmungsprozesse am Übergang nicht ‚auf
Augenhöhe‘ vollzogen werden.

Was bedeutet das für die Praxis?

Fortbildungen haben einen Einfluss auf die


Dimension Können der Sprachförderkompe­
tenz vor allem bei den Fk. Um ihre Wirksam-
keit zu erhöhen, sollten Videographie und
institutionen­übergreifender Austausch in den
Fokus gerückt werden. Der Einsatz von Sprach-
fördervideos auf Fortbildungen trägt zu einer
fallbasierten Reflexion professionellen Handelns
bei. Neben Best-Practice-Beispielen sind auch
Szenen hilfreich, an denen sich konträre
pädagogische Handlungsoptionen veranschau-
lichen und begründen lassen. Verbundtreffen
und gemeinsame Fortbildungen fungieren als
Gelegenheitsstrukturen für institutionenüber-

Verwendete Literatur Zum Weiterlesen

Isler, D., Künzli, S. & Wiesner, E. (2014). Betz, T., Koch, K., Mehlem, U. & Nentwig- Schriftsprachförderung entwickeln (S. 214-
Alltagsgespräche im Kindergarten — Gelegen- Gesemann, I. (2016). Strukturwandel im 227). Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag.
heitsstrukturen für den Erwerb bildungssprach- Elementarbereich. Herausforderungen für
licher Fähigkeiten. Schweizerische Zeitschrift für pädagogische Fachkräfte und Organisationen Kucharz, D. (2017). Qualifizierung der
Bildungswissenschaften, 36(3), 459-479. am Beispiel des Umgangs mit Sprachförde- Fachkräfte im Elementarbereich, In C. Titz, S.
rung und Bildungsplänen, In K. Liebers, B. Geyer, A. Ropeter, H. Wagner, S. Weber & M.
Petermann, F. (2010). Sprachstandserhe- Landwehr, S. Reinhold, S. Riegler & R. Schmidt Hasselhorn (Hrsg.), BiSS-Band 1: Konzepte zur
bungstest für Kinder zwischen 5 und 10 Jahren. (Hrsg.), Facetten grundschulpädagogischer und Sprach- und Schriftsprachförderung entwickeln
Göttingen: Hogrefe Verlag. grundschuldidaktischer Forschung (Jahrbuch (S. 249-261). Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag.
Grundschulforschung, Bd. 19/2, S. 115-131).
Schulz, P. & Tracy, R. (2011). Linguistische Wiesbaden: VS
Sprachstandserhebung — Deutsch als Zweitspra-
che. Göttingen: Hogrefe Verlag. Kucharz, D. (2017). Alltagsintegrierte
sprachliche Bildung und Förderung im Elemen-
Thoma, D. & Tracy, R. (2014). SprachKoPF- tarbereich, In C. Titz, S. Geyer, A. Ropeter, H.
Online v072. Instrument zur standardisierten Wagner, S. Weber & M. Hasselhorn (Hrsg.),
Erhebung der Sprachförderkompetenz pädago­ BiSS-Band 1: Konzepte zur Sprach- und
gischer Fachkräfte. Mannheim: MAZEM.
30 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Gezielte sprachliche
Bildung in der Schule
Gezielte sprachliche Bildung in der Schule | 31
32 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Eva-Prim
Evaluation im Primarbereich: Sprachförderung in
­alltäglichen und fachlichen Kontexten im Rahmen
der Bund-Länder-Initiative BiSS
Isabell Deml | Karin Binder | Magdalena Schulte | Alexandra Merkert | Lena Bien-Miller | Anja Wildemann | Anita Schilcher | Stefan Krauss |
Gerlinde Lenske | Astrid Rank

Was sind der Hintergrund und die und den entsprechenden Lehrkräften wurden
Ziele des Projekts? ebenfalls erhoben. Die Evaluation fand an drei
MZPen auf drei Ebenen — Verbund, Lehrkraft
Das Projekt „Eva-Prim“ untersucht die (bil- und Kind — statt. Die Daten wurden vor Ort
dungs-)sprachlichen und mathematischen in den Schulen erhoben und es wurde auf
Leistungen von Schülerinnen und Schülern aus vielfältige Erhebungs- und Auswertungsme-
vier BiSS-Verbünden, welche im Rahmen des thoden (etwa Befragungen, Leistungstests und
BiSS-Moduls P1 „Gezielte sprachliche Bildung in Videographien) zurückgegriffen. Im Sinne einer
alltäglichen und fachlichen Kontexten“ verschie- formativen Evaluation wurden den beteiligten
dene Sprachförderkonzepte entwickelt und in Einrichtungen die Ergebnisse der ersten beiden
Prof. Dr. Astrid Rank, der Praxis angewendet haben. Die Evaluation MZPe in Rückmelderunden mitgeteilt. Dies
Prof. Dr. Anita Schilcher,
begleitet dazu die Schülerinnen und Schüler diente den Verbünden als Orientierung für mög-
Prof. Dr. Stefan Krauss
(Uni Regensburg) über drei Messzeitpunkte (MZP) hinweg von der liche Schwerpunktsetzungen bei der Weiterar-
Karin Binder zweiten bis zur vierten Jahrgangsstufe. Zugleich beit. Resultate des dritten MZPs werden den
Dr. Isabell Deml
liegt der Fokus des Projekts auch auf dem Verbünden bei einer abschließenden Gesamt-
Magdalena Schulte
Professionswissen und dem Unterrichtshandeln darstellung der Evaluationsergebnisse präsen-
von Lehrkräften in den Bereichen Sprachförde- tiert. Anhand von Interviews wurde ermittelt,
Prof. Dr. Anja Wildemann,
Jun.-Prof. Dr. Gerlinde rung und Mathematik. Das Vorhaben untersucht, wie die Verbünde arbeiten, welche inhaltlichen
Lenske (1) wie sich die Verbundarbeit, also die syste- Schwerpunkte sie gewählt haben und wie sie
(Uni Koblenz-Landau)
matische Auseinandersetzung mit Mitteln der zusammengesetzt sind. Auf Kindebene wurden
Lena Bien-Miller
Alexandra Merkert Sprachförderung und Diagnostik, genau gestal- die bildungssprachlichen Fähigkeiten der Kinder,
tet, (2) wie das Professionswissen der Lehrkräfte ihre mathematischen Kompetenzen, die Lesefer-
im Bereich Sprachförderung im Mathematik­ tigkeit, der rezeptive Wortschatz, die kognitiven
unterricht aussieht und (3) inwieweit sich dieses Fähigkeiten und der soziodemographische
mit ihrem Unterrichtshandeln und den sprachli- Hintergrund erfasst. Zur Feststellung der
chen und fachlichen Leistungen der Schülerinnen produktiven bildungssprachlichen Fähigkeiten
und Schüler in Zusammenhang bringen lässt. entstand im Rahmen eines Dissertationsprojekts
das Diagnoseverfahren SAMT — Sprachliche
Wie wurde methodisch vorge­ Ausdrucksfähigkeit im Mathematikunterricht
gangen? (Merkert, in Vorbereitung). Die Lehrkräfte wur-
den bezüglich ihres fachdidaktischen Wissens
An der Evaluation nahmen vier Verbünde mit in den Bereichen Sprachförderung und Mathe-
insgesamt 810 Schülerinnen und Schülern matik getestet. Hierzu wurden im Projekt zwei
sowie 82 Lehrkräften teil. Daten einer Kon­ Instrumente entwickelt und an MZP zwei und
trollgruppe mit 242 Schülerinnen und Schülern drei eingesetzt: für die Messung des Profes-
Gezielte sprachliche Bildung in der Schule | 33

sionswissens im Bereich Sprachförderung der Punkten (Standardabweichung: 3,44 Punkte) bei Verbünde
Test FaWi-S (Fachdidaktisches Wissen Sprache), einer maximal möglichen Punktzahl von 34, so Sprachbildung in Grund­
schulen der Stadt Ulm
für die Messung der mathematikdidaktischen dass noch Verbesserungspotenzial vorhanden ist. (BW)
Kompetenz der Test FaWi-M (Fachdidaktisches Das sprachförderliche Wissen der Lehrkräfte ist
Voneinander Lernen durch
Wissen Mathematik). Um einen Einblick in das hierbei sehr unterschiedlich ausgeprägt. Überdies kooperative Sprachbildung
Unterrichtshandeln von Lehrkräften zu erhalten, lassen sich auch teils bedeutsame Unterschiede und -diagnostik von Ganz-
tagsschule und Hort (BY)
wurden am zweiten MZP in zwei Verbünden zwischen den einzelnen Verbünden feststellen
acht Mathematikstunden videographiert, die in (siehe Tab. 1). Sprachbrille auf! im Mathe­
matikunterricht (NW)
einem weiteren Dissertationsprojekt mit einem
Tab. 1: Unterschiede im sprachförderlichen Wissen Sprache in alltäglichen und
Schwerpunkt auf das sprachförderliche Handeln
(N: Anzahl der Lehrkräfte, M: arithmetisches M
­ ittel, fachlichen Kontexten der
der Lehrkräfte qualitativ ausgewertet werden SD: Standardabweichung, emp. Max.: empirisches Grundschule (ST)
(Schulte, in Vorbereitung). ­Maximum).

Was sind die (vorläufigen) Ergeb- Verbund N M SD emp. Max.


nisse? V1 30 19,23 3,18 24,37
V2 14 21,38 2,93 26,75
Gestaltung der Verbundarbeit
Die Evaluation hat die Annahme gestützt, dass V3 22 20,68 2,73 27,53
die Verbünde in ihrer organisatorischen Struktur V4 16 17,50 4,09 22,22
und inhaltlichen Arbeit sehr heterogen gestaltet
sind. Es finden sich einerseits Verbünde, die von Erwähnenswert ist außerdem der negative
zentraler Stelle stark angeleitet und wissen- Zusammenhang zwischen dem fachdidaktischen
schaftlich begleitet werden, andererseits solche, Wissen im Bereich Sprachförderung und der
bei denen die beteiligten Schulen ihre Organisa- Berufserfahrung der getesteten Lehrkräfte: Je
tionsform und Themenschwerpunkte größtenteils weiter die Ausbildung der Lehrkräfte zurück-
selbst wählen. Während z. B. die Mitglieder eines liegt, desto schlechter schneiden sie ab.
Verbundes durch wöchentliche E-Mails über
Entwicklungen im Programm informiert werden, Beim mathematikdidaktischen Fachwissen der
Fachkonferenzen und ein gut abgestimmtes Lehrkräfte zeigen sich mit einem durchschnitt-
Fortbildungsangebot sowie ausführliches Mate- lichen Ergebnis von 4,54 Punkten (Standard­
rial zum Thema Sprachförderung erhalten, wurde abweichung: 1,54) bei einer maximal möglichen
in einem anderen Verbund die Begleitung von Punktzahl von 8 Ergebnisse, die ebenfalls noch
Seiten der Verbundkoordination durch Fortbil- ausbaufähig sind. Tab. 2 zeigt die Mittelwerte
dungen und Workshops auf Wunsch der teil- und Standardabweichungen der erreichten
nehmenden Einrichtungen im Laufe des Projekts Punktzahlen getrennt nach Verbünden.
komplett eingestellt. Inhaltlich wird u. a. mit dem
WEGE-Konzept gearbeitet, bei dem integriertes Tab. 2: Unterschiede im mathematikdidaktischen Wissen
(N: Anzahl der Lehrkräfte, M: arithmetisches Mittel, ­
Fach- und Sprachenlernen stattfindet, indem SD: Standardabweichung, emp. Max.: empirisches
Fachwortschatz zunächst eingeübt und schließ- ­Maximum).
lich in immer offeneren sprachlichen Kontexten
angewendet wird (Verboom, 2017). Verbund N M SD emp. Max.
V1 30 4,44 1,80 7,80
Professionswissen der Lehrkräfte
V2 14 4,38 1,29 6,80
Beim Professionswissen im Bereich Sprachför-
derung erreichen die Lehrkräfte am zweiten V3 21 4,83 1,34 7,00
MZP ein durchschnittliches Ergebnis von 19,64 V4 16 4,51 1,52 6,35
34 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Die Befragungen der Lehrkräfte verdeutli- lässt sich aber sagen, dass die Lehrkräfte des
chen, dass die Lehrkräfte Sprachförderung im Verbundes, dessen Schülerinnen und Schüler
Mathematikunterricht grundsätzlich befürwor- bei den bildungssprachlichen Fähigkeiten und
ten sowie Enthusiasmus für das Fach Deutsch der Lesefertigkeit die besten Leistungen erzie-
und den Deutschunterricht mitbringen. Da die len, den höchsten Mittelwert beim Professions-
teilnehmenden Schulen teils einen hohen Anteil wissen im Bereich Sprachförderung erreichen.
an Kindern mit Migrationshintergrund aufwei-
sen, erscheint auch der Wille zum Einbezug von Was bedeutet das für die Praxis?
Herkunftssprachen in den Unterricht relevant:
Hier findet sich unter den Lehrkräften etwas Die Evaluation möchte herausarbeiten, inwieweit
weniger Zustimmung. Professionswissen in den Bereichen Sprachför-
derung und Mathematik unmittelbar auf das
Leistungen der Schülerinnen und Schüler Unterrichtshandeln der Lehrkräfte und so mittel­
Auf Ebene der Schülerinnen und Schüler zeigt bar auf die Leistungen der Schülerinnen und
die Stichprobe bei den kognitiven Fähigkeiten, Schüler wirkt. Diese Erkenntnisse können für die
dem rezeptiven Wortschatz, der Lesefertigkeit, Studieninhalte der Lehrkräfteausbildung genutzt
den bildungssprachlichen Fähigkeiten und der und hier Lücken geschlossen werden, indem z. B.
mathematischen Kompetenz zufriedenstellende die Bedeutung von Bildungssprache auch im
Resultate, wie sie für diese Altersgruppe ins- Fachstudium stärker thematisiert wird.
gesamt zu erwarten sind. Die Lesefertigkeit der
Schülerinnen und Schüler hat sich vom ersten Für Lehrkräfte, die sich bereits im Schuldienst
zum zweiten MZP verbessert, wobei dies den befinden, kann gezeigt werden, in welchen
erwartbaren Verbesserungen innerhalb eines fachdidaktischen Bereichen von Sprachförde-
Schuljahres entspricht. rung und Mathematik das eigene theoretische
Professionswissen noch erweitert werden kann
Inwieweit ein Zusammenhang zwischen dem und Fortbildungsbedarf besteht.
Professionswissen der Lehrkräfte und den Leis-
tungen der Schülerinnen und Schüler besteht, Die Gesamtdaten können genutzt werden, um
kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zu beschreiben, welche Sprachförderbedingun-
abschließend beantwortet werden. Zumindest gen zu guten Leistungen bei Schülerinnen und
Schülern führen. So wird eine fundierte Gestal-
tung von praxisorientierten Weiterbildungs-
angeboten und Materialien zur integrativen
Verwendete Literatur Sprachförderung möglich. Für einen wirksamen
Merkert, A. (in Vorbereitung). Sprachliche Ausdrucksfähigkeit in und nachhaltigen Transfer wäre allerdings eine
Mathematik - Konzeption eines diagnostischen Instruments zur Messung Fortführung des Projekts, vor allem mit Fokus
der schriftsprachlichen Kompetenzen von Dritt- und Viertklässlern
(SAMT).
auf Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis,
erforderlich. Wenn die in der Schulpraxis ent-
Schulte, M. (in Vorbereitung). Sprachförderliches Lehrerhandeln im
Mathematikunterricht der Primarstufe. Videoanalysen zur Unterrichts­ standenen, aber bislang noch schwer fassbaren
interaktion im Rahmen des Projekts Eva-Prim. Konzepte mit wissenschaftlicher Begleitung wei-
Verboom, L. (2017). WEGE durch den Sprachförderdschungel – Struk- ter theoretisch fundiert, stärker standardisiert
turierung des Fachwortschatz-Lernprozesses, In A. S. Steinweg (Hrsg.), und mit konkreten Unterrichtsbeispielen aus den
Mathematik und Sprache. Tagungsband des AK Grundschule in der GDM
2017 (S. 57-72). Bamberg: University of B
­ amberg Press (Mathematik­
Verbünden angereichert würden, ergäbe sich die
didaktik Grundschule, Band 7). Möglichkeit zu einer flächendeckenden Ver-
breitung und Nutzung der von den Verbünden
Zum Weiterlesen
erarbeiteten Sprachförderansätze.

www.eva-prim.ur.de
Gezielte sprachliche Bildung in der Schule | 35

BiSS-EOS
Förderung der Bildungssprache Deutsch in der Primar-
stufe: Evaluation, Optimierung und Standardisierung von
Tools im BiSS-Projekt
Miriam Vock | Anna Gronostaj | Michael Grosche | Ute Ritterfeld | Nicole Zaruba | Eva Kalinowski | Birgit Ehl | Michèle Paul | Nadine Elstrodt |
Michélle Möhring | Anja Starke

Was sind der Hintergrund und die Die Lehrkräfte aus den kooperierenden Grund-
Ziele des Projekts? schulen führten die Erhebung mit unterschied-
lichem Stimulusmaterial (einer Bildergeschichte,
Das Projekt BiSS-EOS fokussiert die Frage, wie einem Fotoalbum mit Erlebniserzählungen und
die Förderung der Bildungssprache Deutsch in einem selbstkonzipierten Bilderbuch) mündlich
der Grundschule gelingen kann. Dazu evalu- und schriftlich durch. Die detaillierte Auswer-
ieren wir die Umsetzungsqualität von bereits tung aller Daten erfolgte durch Projektmitar-
laufenden Maßnahmen der Sprachdiagnostik, beitende.
der Sprachförderung und der Professionali-
sierung von Lehrkräften in den ausgewählten Förderung
Schulverbünden; betrachtet wird das Modul P1 Sprachförderung realisieren die am Projekt Prof. Dr. Miriam Vock,
Dr. Anna Gronostaj
„Gezielte sprachliche Bildung in alltäglichen und beteiligten BiSS-Verbünde nach dem Scaffol-
(Uni Potsdam)
fach­lichen Kontexten“. ding-Konzept von Gibbons (2002). Scaffolding Eva Kalinowski
ist eine Methode, bei der durch bedarfsan- Lisa Niendorf
Wie wurde methodisch vorge­ gepasste Unterstützung der Lernenden der Annelie Schulze
Nicole Zaruba
gangen? schrittweise Aufbau von Sprachkompetenzen
erreicht werden soll, wobei Sprachförderung
Prof. Dr. Ute Ritterfeld
Diagnostik bei der Unterrichtsplanung beginnen sollte. Um (TU Dortmund)
Sprachdiagnostik wird nur in einem der von zu untersuchen, wie die von uns begleiteten Nadine Elstrodt
Michélle Möhring
uns begleiteten Verbünde explizit durchgeführt. Verbünde die Scaffolding-Methode im Unter-
Dr. Anja Starke
Dieser Verbund arbeitet mit der „Profilana- richt einsetzen, befragten wir die 44 Lehrkräfte
lyse nach Grießhaber“ (2013) als Sprach- in drei Verbünden mittels Fragebogen zu ihrer Prof. Dr. Michael Grosche
diagnoseinstrument. Die Profilanalyse ist ein Unterrichtspraxis. Dabei erfragten wir auch (Uni Wuppertal)
nicht-standardisiertes Diagnoseverfahren zur mögliche Einflussfaktoren auf die Umsetzung Birgit Ehl
Michèle Paul
Bewertung grammatischer Fähigkeiten, das fachintegrierter Sprachförderung sowie die kon-
darauf basiert, die Position des Verbs zu analy- kreten Maßnahmen zur Umsetzung.
sieren, um Aussagen über den grammatischen
Entwicklungstand zu treffen. Da bisher keine Professionalisierung
empirischen Befunde zur Güte des Verfahrens Um die Konzepte der Professionalisierungsmaß-
vorlagen und die Lehrkräfte Zweifel an der Gül- nahmen zu evaluieren, wurden deren Merkmale
tigkeit der Testergebnisse hatten, untersuchten mit dem aktuellen Forschungsstand zu wirksa-
wir mithilfe von 403 ein- und mehrsprachigen men Fortbildungen in Beziehung gesetzt. Die
Kindern der Klassen 1 – 4 die Testgüte der Informationen zu den Fortbildungskonzepten
Profilanalyse. wurden durch Interviews mit Akteurinnen (z. B.
Fortbildnerinnen), Dokumentenanalysen des
36 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Verbünde Fortbildungsmaterials sowie, in einem Fall, anderem von der (selbst wahrgenommenen)
Sprachschätze Wuppertal wissenschaftlichen Publikationen zu einem Sprachförderkompetenz der Lehrkräfte abhängt.
(Primarstufe) (NW)
Vorläuferprojekt gewonnen. Zusätzlich wurde in Die unterrichtliche Umsetzung von Scaffolding
Sprachsensibler Fachunter-
zwei Fortbildungsmaßnahmen ausschnittsweise steht mit den Faktoren zeitliche Ressourcen,
richt in den Grundschulen
in der Stadt Bottrop (NW) hospitiert. wahrgenommene Relevanz/Effektivität für das
Koordiniertes fachliches Sprachlernen der Kinder sowie mit der Einstel-
und sprachliches Lernen Was sind die (vorläufigen) Ergeb- lung der Eltern zu sprachförderlichem Unter-
im Unterricht in allen nisse? richt im Zusammenhang.
Fächern — ein forschungs­
basiertes Entwicklungs­
projekt — Verbund Diagnostik Professionalisierung
Jahrgangsstufen 3 und 4 Die „Profilanalyse nach Grießhaber“ erwies sich Im Bereich Professionalisierung zeigte sich, dass
(NW)
in der Praxis als zeitaufwändig und schwierig in die Fortbildungsmaßnahmen der Verbünde viele
BiSS-Sprache-RP —
der Handhabung. Unsere Studie ergab, dass die Merkmale wirksamer Fortbildungen aufweisen.
Gezielte alltagsintegrierte
Sprachbildung in Schlüs- Testgüte des Verfahrens in seiner derzeitigen Alle Maßnahmen sind langfristig angelegt und
selsituationen (RP) Form nicht zufriedenstellend ist (Ehl et al., wurden unter Einbezug wissenschaftlicher
Fachübergreifende Sprach- 2018). Mit dem Bilderbuch zur Profilanalyse Expertise geplant und umgesetzt. Basierend
und Leseförderung (SL) wurde deutlich, dass die meisten Grundschul- auf wissenschaftlichen Sprachfördermodellen
kinder (88%) die grammatischen Erwerbsstu- wird in jedem Konzept anwendungsbezo-
fen bereits erreicht haben. Die Profilanalyse genes Wissen vermittelt (siehe Abb. 1). Die
ließ somit keine ausreichende Differenzierung Teilnehmenden befassen sich mit dem Lernen
der Leistungsstände zu. Daher haben wir das der Schülerinnen und Schüler, z. B. durch
Verfahren in der Durchführung und Auswertung Fallbeispiele. Die Fortbildungen initiieren
optimiert und standardisiert. Eine einheitliche Lehrkräftekooperation und fokussieren aktives,
Instruktion, geeignetes Stimulusmaterial sowie praxisbezogenes Lernen. In allen Maßnahmen
ein Regelkatalog zur Auswertung wurden wird sprachförderliches Unterrichtsmaterial
erstellt und eingesetzt. Weitere Sprachstands­ entwickelt oder bereitgestellt.
indikatoren sowie eine zweistufige unter-
richtsnahe Diagnostik werden nun ergänzt und Zudem zeigen einzelne Konzepte Best-
hinsichtlich ihrer Testgüte überprüft. Practice-Beispiele in der Umsetzung von Gelin-
gensfaktoren guter Fortbildungen im Bereich
Förderung Sprachförderung: Ein Verbund adressiert
Im Scaffolding-Konzept ist vorgesehen, dass die individuelle Einstellungen zum Thema Mehr-
Lehrkraft die sprachlichen Anforderungen einer sprachigkeit. Eine Fortbildung nutzt Coachings
geplanten Unterrichtsreihe zunächst analysiert und Videoaufnahmen. Im Rahmen von Profes-
und den sprachlichen und fachlichen Lernstand sionellen Lerngemeinschaften werden in einem
der Kinder feststellt. Unsere Ergebnisse zeigen Verbund die Rahmenbedingungen für eine dau-
jedoch, dass ein Drittel der befragten Lehr- erhafte Kooperation der Lehrkräfte geschaffen.
kräfte diese Anforderungsanalyse selten oder Eine weitere Fortbildung setzt einen Schwer-
nie ausführt und daher Aufgaben und Hilfe­ punkt auf die Entwicklung von umfangreichem
stellungen im Unterricht nicht an den Lern- sprachförderlichem Unterrichtsmaterial.
stand der Schülerinnen und Schüler angepasst
werden können. Die Sprachförderung bleibt Entwicklungsfelder konnten bei mehreren
damit unspezifisch. Fortbildungen in den Kategorien Strukturierung
und Klarheit von Lerninhalten, Verstärkung von
Die Befragung ergab zudem, dass die Durch- kooperativem und aktivem Lernen, Dokumen-
führung der Anforderungsanalyse unter tation und Standardisierung der Fortbildung,
Gezielte sprachliche Bildung in der Schule | 37

In allen Fortbildungen durchgängig umgesetzt

Kontinuität Kombination Verschränkung von Einbezug


verschiedener Input, Erprobung wissenschaftlicher
Fortbildungsformate und Reflexion Expertise

Einige Fortbildungen zeigten Best-Practice-Beispiele für

Individuelle Dauerhafte Entwicklung von Individuelle


Coachings und Kooperation und umfangreichem Haltungen zu Kultur
Videoreflexion Austausch zwischen sprachförderlichem und Mehrsprachig-
Teilnehmenden Unterrichtsmaterial keit thematisiert

Entwicklungspotenzial mehrerer Fortbildungen in folgenden Kategorien identifiziert

Strukturierung Verstärktes Dokumentation Einbezug von Die Teilnahme


und Klarheit kooperatives und Kultur und fördernde
und Standardisierung Herkunfts- Rahmen-
aktives Lernen sprache / bedingungen
Wertschätzung
von Mehr-
sprachigkeit

Abb. 1: Zusammenfassung der Ergebnisse der Konzeptevaluationen ausgewählter Fortbildungen in Verbünden im Modul P1
„Gezielte sprachliche Bildung in alltäglichen und fachlichen Kontexten“.

Rahmenbedingungen, die für eine Teilnahme der schränkt empfehlenswert. Sie schärft zwar
Lehrkräfte förderlich sind und dem Einbezug möglicherweise den sprachdiagnostischen Blick
von Kultur und Herkunftssprache bzw. Wert- der Lehrkräfte, trifft aber keine verlässlichen
schätzung von Mehrsprachigkeit identifiziert Aussagen über den grammatischen Entwick-
werden. lungsstand der Kinder. Es besteht also ein
deutlicher Entwicklungsbedarf für Sprachdia­
Was bedeutet das für die Praxis? gnostikinstrumente, da diese für eine adäquate
Sprachförderung unerlässlich sind.
Diagnostik
Sprachdiagnostik wird in den Verbünden bisher Förderung
nicht systematisch und flächendeckend ange- Die Umsetzung der Sprachförderung im Unter-
wendet. Ein Grund dafür könnte sein, dass die richt hängt zunächst maßgeblich davon ab, ob
verfügbaren Instrumente wenig praxis­tauglich sich die Lehrkräfte selbst als kompetent für
sind. Zudem zeigten unsere Analysen, dass das die Sprachförderung einschätzen. Die Selbst-
in der Praxis durchaus verbreitete Instrument einschätzung von Lehrkräften kann im Rahmen
„Profilanalyse nach Grießhaber“ die üblichen eines Projekts wie BiSS vor allem im Rahmen
Gütekriterien nicht zufriedenstellend erfüllt. der Fortbildungen positiv beeinflusst werden.
Die Profilanalyse ist in ihrer jetzigen Form Lipowsky und Rzejak (2015) nehmen an, dass
für den Einsatz in Grundschulen nur einge- das Erleben der eigenen Selbstwirksamkeit
38 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

im Rahmen von Fortbildungen eine wichtige Orientierung an Best-Practice-Beispielen in


Vorrausetzung dafür ist, dass Lehrkräfte neue der Umsetzung potenziell wirksamer Ansätze,
Handlungsstrategien im Unterricht erproben. könnten Fortbildungskonzepte weiterentwi-
Hilfreich ist dabei individuelles Feedback von ckelt werden. So könnte durch Professionelle
Expertinnen und Experten sowie Unterstützung Lerngemeinschaften die Kooperation zwischen
beim Interpretieren von Daten und Ableiten von Lehrkräften gestärkt werden. Fortbildungs-
Folgerungen für den Unterricht. konzepte sollten schriftlich festgehalten und
fortlaufend ergänzt werden, damit sich andere
Professionalisierung Fortbildnerinnen und Fortbildner, Lehrkräfte
Die untersuchten Fortbildungen sind prinzipiell und Entscheidungsträgerinnen und -träger ein
gut konzipiert und umgesetzt, weisen aber in umfassendes Bild machen können. Schließlich
einigen Aspekten noch Verbesserungspoten- wurde deutlich, dass Fortbildungen nicht ohne
zial auf (siehe Abb. 1): So empfehlen wir, die entsprechende Ressourcen umsetzbar sind. Für
Wertschätzung von Mehrsprachigkeit und den die Dokumentation benötigen die Fortbildner­
Einbezug von Kultur und Herkunftssprache innen und Fortbildner personelle Ressourcen.
stärker als bisher zu fokussieren. Eine klare Gute Rahmenbedingungen auf struktureller
Strukturierung von Lerninhalten kann Fort- Ebene, etwa das Einbeziehen der Teilnehmen-
bildungsteilnehmenden die Organisation ihres den in Entscheidungsprozesse und genügend
eigenen Wissens erleichtern und eine nach- Zeit, können zum Gelingen der Fortbildung
haltige Nutzung des Gelernten durch Nach- beitragen.
schlagemöglichkeiten unterstützen. Durch eine

Verwendete Literatur Zum Weiterlesen

Ehl, B., Paul, M., Bruns, G., Fleischhauer, Ehl, B., Paul, M. & Grosche, M. (2017). Eig-
E., Vock, M., Gronostaj, A. & Grosche, M. net sich die „Profilanalyse nach Grießhaber“ als
(2018). Testgütekriterien der „Profilanalyse Sprachdiagnostikinstrument im Grundschulalter?
nach Grießhaber“. Evaluation eines Verfahrens Erste Ergebnisse aus dem Evaluationsprojekt
zur Erfassung grammatischer Fähigkeiten von BiSS-EOS. BiSS-Journal, 7, 29–32.
ein- und mehrsprachigen Grundschulkindern.
Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Kalinowski, E., Gronostaj, A., Westphal, A.
& Vock, M. (im Druck). Lehrkräftefortbildung
Gibbons, P. (2002). Scaffolding language, und Sprachförderung – Eine Tagebuchstudie im
scaffolding learning: Teaching second language Projekt „Bildung durch Sprache und Schrift“.
learners in the mainstream classroom. Ports- Empirische Pädagogik, Themenheft 2 (Sprach-
mouth: Heinemann. förderung: Formative und summative (BiSS-)
Evaluationen im Elementar- und Primarbereich).
Grießhaber, W. (2013). Die Profilanalyse für
Deutsch als Diagnoseinstrument zur Sprach-
förderung. Online verfügbar unter https://
www.uni-due.de/imperia/md/content/prodaz/
griesshaber_profilanalyse_deutsch.pdf.

Lipowsky, F. & Rzejak, D. (2015). Was wir


über gelingende Lehrerfortbildungen wissen.
Journal für LehrerInnenbildung, 15(4), 26-32.
Gezielte sprachliche Bildung in der Schule | 39

EvaFa
Evaluation der Sprachförderung im Fachunterricht der
Sekundarstufe I im BiSS-Programm

Knut Schwippert | Astrid Neumann | Dominik Leiss | Nele Groß | Susann Entrich | Jennifer Plath | Andreas Weber

Was sind der Hintergrund und die mathematische Kenntnisse der Schülerinnen und
Ziele des Projekts? Schüler werden wirksame Aspekte der Förde-
rungen für einen Transfer identifiziert (Output).
Das Verbundprojekt zur „Evaluation der
Sprachförderung im Fachunterricht der Sekun- Die hier vorgestellten Ergebnisse beschreiben
darstufe I im BiSS-Programm“ (EvaFa) wird von erste Analysen aus Unterrichtsbeobachtungen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Interviews mit Lehrkräften. Im Sinne der
der Erziehungswissenschaft, Deutsch- sowie formativen Evaluation soll geklärt werden, wel-
Mathematikdidaktik der Universitäten Hamburg che Herausforderungen bei der Förderung aus
und Lüneburg durchgeführt. Diese evaluieren Sicht der Lehrkräfte bestehen. Weitere, sys-
fachlich und fachdidaktisch Sprachförderma- tematische Auswertungen der Daten erfolgen Prof. Dr. Knut Schwippert
(Uni Hamburg)
terialien und -maßnahmen von ursprünglich nach Abschluss der zweiten Erhebung im Laufe
Dr. des. Nele Groß
sieben ausgewählten BiSS-Verbünden. In des Jahres 2018 mit dem Ziel, die Vernetzung
Prof. Dr. Astrid Neumann,
Kooperation mit Akteurinnen und Akteuren vor der einzelnen Bildungseinrichtungen und die
Prof. Dr. Dominik Leiss
Ort werden Fragen der sprachlichen Bildung genutzten Materialien zu analysieren, um wirk- (Uni Lüneburg)
und des Sprachförderprozesses gemeinsam same Sprachförderstrategien zu identifizieren. Susann Entrich
Jennifer Plath
weiterentwickelt.
Andreas Weber
Wie wurde methodisch vorge­
Angelehnt an das von Ditton (1999) entwi- gangen?
ckelte Input-Output-Modell (vgl. Abb. 1) wird
der Förderprozess im Rahmen der formativen Abb. 2 zeigt den zeitlichen Verlauf der for-
Evaluation kontinuierlich durch Rückmeldungen mativen Evaluation im Rahmen von EvaFa. Zu
über Förderverlauf und -ergebnisse (Output) Projektbeginn wurden die sprachlichen und
anhand einer Rückmeldeschleife (Feedback) mathematischen Fähigkeiten von 681 Schüler­
weiterentwickelt. Durch die Evaluation zugäng- innen und Schülern der Sekundarstufe I (Klasse
lich gemachte Informationen und Erfahrun- 5-10) an 21 Schulen (i. d. R. im Jahr 2017)
gen werden dabei als Analyseergebnisse der schriftlich getestet und relevante Hintergrund-
verbundspezifischen Rahmenbedingungen informationen erfragt. Die nach rund eineinhalb
(Input) aufgegriffen und als wissenschaft­ Jahren wiederholte Befragung in der ersten Jah-
liche Grundlage für die Weiterentwicklung der reshälfte 2018 ermöglicht eine Einschätzung
Sprachbildungsmaßnahme genutzt. Durch die der Veränderung ausgewählter Aspekte.
gemeinsame Betrachtung von Fördermaterialien,
Prozessinformationen über die Förderung in den Informationen über die Förderprozesse werden
Klassen bzw. Kursen und empirisch erfasste anhand verschiedener qualitativer Untersu-
Veränderungen in Bezug auf sprachliche und chungen zusammengestellt. Anhand einer
40 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Verbünde
Von der Alltags- zur
Bildungssprache — Durch- IIa) Prozess:
gängige Sprachbildung in Inhaltliche und
der Sek I (BE)
methodische
Projekt „Sprachbeglei- ­Analyse der Förder-
tung“ — Gymnasien in prozesse (Befra-
Mittel­franken (BY) gungen, Lern- &
BiSS Augsburg — Gymna- Förderportfolios)
sium (BY)

Schreiben, Sprechen, Lesen


im Mathematikunterricht Verbund
der Klassen 9/10 (NW) 2
Sprechen, Lesen, Schreiben I) Input: Verbund Verbund III) Output:
im Mathematikunterricht Analyse der 1 3 Herausarbeitung
der Klassen 5/6 (NW) Rahmen­bedingungen und Dokumenta-
Verbund
Lesen, Schreiben, Sprechen (Befragungen, tion erfolgreicher
5
im Mathematikunterricht Tests & Netzwerk­ Förderprozesse und
der Klassen 7/8 (NW) analysen) Verbund Verbund -materialien für den
4 6 Transfer an Dritte
Sprachsensibler
Mathematik­unterricht Verbund
in Hauptschulen in der 7
­Bildungsregion Ostwest-
falen-Lippe (NW)

IIb) Prozess:
Fachliche und
fachdidaktische
Beratung (gespeist
aus dem Mercator-
Projekt FaSaF sowie
der AG FuS)

Abb. 1: Evaluationskreislauf und Evaluationselemente des EvaFa-Projekts.


Anmerkungen: AG FuS: Arbeitsgruppe Fach und Sprache (www.fach-und-sprache.de [27.8.2018]); FaSaF: „!!Fach-an-Sprache-
an-Fach!!“, ein vom Mercator-Institut gefördertes Projekt (https://tinyurl.com/fach-an-sprache-an-fach [27.8.2018]).

Förderportfolio

Unterrichts- Unterrichts- Unterrichts-


Rückmeldung

Rückmeldung

Rückmeldung

beobachtung beobachtung beobachtung


Formative

Formative

Formative

Gespräch Gespräch Gespräch Gespräch

Lernendenportfolio

Herbst Frühjahr Herbst Frühjahr


2016 | 2017 | 2018
| T estung der Schülerinnen | T estung der Schülerinnen
und Schüler und Schüler

Abb. 2: Schematischer Ablauf der Evaluation im Rahmen von EvaFa auf Schulebene.
Gezielte sprachliche Bildung in der Schule | 41

Dokumentation der durch die Lehrpersonen Empfehlungen zur theoretischen Fundierung


bereitgestellten Förderunterlagen (in Form von Sprachförderkonzepten sowie eine fachdi-
eines Förderportfolios) und der von den Schü- daktische Weiterentwicklung bereits erstellter
lerinnen und Schülern gesammelten Materialien Materialien besprochen.
(Lernendenportfolios) werden systematisch
Informationen über die Förderung dokumentiert Was sind die (vorläufigen) Ergeb-
(z. B. Erfahrungen der Lehrkräfte bei der Mate- nisse?
rialiennutzung und Selbsteinschätzungen der
Lernenden zu Interessen und Motivation), um Als ersten augenscheinlichen Gesamtein-
diese im Rahmen fachdidaktischer Gespräche druck aus den Unterrichtsbeobachtungen
im Anschluss an die Unterrichtsbeobachtungen und Interviews zeigte sich, dass sich die am
zu besprechen. Ein besonderes Augenmerk liegt Projekt beteiligten Lehrkräfte durchgängig mit
im Interview dabei auf den durch die Lehrkräfte viel Engagement den vielschichtigen Heraus-
selbstentwickelten Materialien. forderungen der Sprachbildung zuwenden und
hier auch ihre (z. T. langjährige) Erfahrung
Um zu identifizieren, welche Herausforderungen gewinnbringend einbringen. Lehrkräfte berichten
Lehrkräfte bei der Förderung wahrnehmen, aber auch von der Herausforderung, die eine
wurden Leitfadeninterviews durchgeführt. systematische Vernetzung bzw. ein Austausch
Diese erfassen unter anderem Informationen aufgrund fehlender (Zeit-)Ressourcen bedeu-
über die Initiierung, die Durchführung und die tet. An einigen Schulen wird zudem berich-
Bewertung der Förderung und sind mit Unter- tet, dass von den Lehrkräften individuell als
richtshospitationen durch das Evaluationsteam bewährt charakterisierte Materialien nur selten
verbunden. Bei der Hospitation der 56 Unter- innerhalb des eigenen Kollegiums genutzt
richtsstunden wurden Merkmale zur Struktur, werden. In einigen der Interviews konnten
Transparenz und Klarheit im Unterricht fokus- hierfür zwei Gründe identifiziert werden: Zum
siert (vgl. Helmke, 2003). Darüber hinaus einen sind die Materialien für Kolleginnen und
wurde auch identifiziert, ob in dem beobach- Kollegen teilweise zu spezifisch (beispielsweise
teten Unterricht fachdidaktische Ergänzungen bzgl. Altersgruppe oder Fähigkeitslevel) und
zur fächerübergreifenden Sprachbildung und können daher in anderen Lerngruppen nicht
zur Sprachbildung im Mathematikunterricht eingesetzt werden. Zum anderen verhindern
(Schmölzer-Eibinger, Dorner und Helten- Unsicherheiten über geltendes Copyright die
Pacher, 2014; Leiss, Hagena, Neumann und Weitergabe von Materialien, wenn diese nicht
Schwippert, 2017) realisiert wurden. Jeweils vollständig selbst erstellt worden sind. Des
zwei Beobachter schätzten diese Merkmale Weiteren wurde von mehreren Lehrkräften die
auf „Rating“-Bögen anhand vierstufiger Ska- Vernetzung innerhalb der Schule zu Kolleginnen
len („trifft voll zu“ bis „trifft nicht zu“) ein. und Kollegen zum Austausch von Materialien,
Die im Anschluss geführten Leitfadeninter- aber auch von Erfahrungen und Wissen (z. B.
views wurden inhaltlich an die Eindrücke der Schaffung von Akzeptanz der Sprachförderung)
Beobachtungen angepasst. In diesem Kontext als Herausforderung genannt.
wurden auch konkrete Nachfragen zu spezi­
fischen sprachbezogenen Situationen gestellt, Trotz der identifizierten Herausforderungen
die in der Hospitation beobachtet werden ist positiv hervorzuheben, dass die durch die
konnten. In darauf aufbauendem Feedback Lehrkräfte an professioneller Sprachbildung
wurden später zusätzlich Evaluationsergebnisse orientierte Materialentwicklung — mit ent-
auf Schul- oder Klassenebene im Verhältnis sprechender Dokumentation — auch für Dritte
zur Gesamtstichprobe zurückgemeldet und nutzbar gemacht werden könnte. Ein Interesse
42 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

hieran wurde vielfach artikuliert. Vertiefende Hierin könnte auch der — nachvollziehbare und
Auswertungen der quantitativen und qualita- unter den gegebenen Umständen vernünftige —
tiven Daten können erst nach Abschluss der Ansatz begründet liegen, mit einzelnen Sprach-
zweiten Erhebung im Verlauf des Jahres 2018 bildungseinheiten möglichst leistungshomogene
erfolgen. Gruppen von Schülerinnen und Schülern, wie
z. B. „Sprachförderklassen“, anzusprechen und
Was bedeutet das für die Praxis? ein bewährtes Repertoire an Fördermaterialien
zu nutzen. Eine Bereitstellung von Zeit für
Zusammenfassend lässt sich anhand der ersten Abstimmungen und zum inhaltlichen Austausch
augenscheinlichen Eindrücke und Erfahrun- für und über Materialien dürfte vielen an der
gen aus der Evaluation festhalten, dass eine Sprachbildung Beteiligten helfen. Für eine
wesentliche Herausforderung bei der Umset- intendierte individualisierte Sprachförderung
zung der Förderbemühungen in der fehlenden scheint daher die Bereitstellung von Ressour-
Zeit für Abstimmungen, Reflexion und Weiter­ cen (z. B. Zeit, Material, Fortbildungen) seitens
entwicklung zu liegen scheint. Im Rahmen der bildungsadministrativer Stellen sinnvoll.
Interviews wurde wiederholt angemerkt, dass
mehr Austausch zwischen den im Förder­
verbund aktiven Lehrkräften, aber auch im
gesamten Kollegium wünschenswert wäre.

Verwendete Literatur

Ditton, H. (1999). Qualitätskontrolle und


Qualitätssicherung in Schule und Unterricht.
Ein Überblick zum Stand der empirischen
Forschung. Zeitschrift für Pädagogik, 41.
Beiheft, 73–92.

Helmke, A. (2003). Unterrichtsqualität.


Seelze: Kallmeyer.

Leiss, D., Hagena, M., Neumann, A. &


Schwippert, K. (2017). Mathematik und
Sprache. Empirischer Forschungsstand und
unterrichtliche Herausforderungen (Reihe des
Mercator-Instituts: Sprachliche Bildung, Bd. 3).
Münster: Waxmann.

Schmölzer-Eibinger, S., Dorner, M. &


Helten-Pacher, M.-R. (2014). Sprachförderung
im Fachunterricht in sprachlich heterogenen
Klassen. Stuttgart: Fillbach bei Klett.
Gezielte sprachliche Bildung in der Schule | 43

EVA-Sek
Formative Prozessevaluation in der Sekundarstufe.
­Seiteneinsteiger und Sprache im Fach

Bernt Ahrenholz | Theresa Birnbaum | Udo Ohm | Julia Ricart Brede

Was sind der Hintergrund und die BiSS-Verbünden ein gemeinsames Sprachför-
Ziele des Projekts? derkonzept umsetzten, sondern die Arbeitsge-
meinschaft im Verbund zunächst dafür nutzten,
Das EVA-Sek-Projekt begleitete 33 allgemein­ sich bei verschiedenen Aufgaben (wie z. B. bei
bildende und 16 berufsbildende Schulen bei der Curriculumentwicklung) und mit Hilfe von
der Aufgabe, neu zugewanderte Schüler­innen Fortbildungen gegenseitig zu unterstützen.
und Schüler mit geringen oder ohne Deutsch-
kenntnisse (hier: Seiteneinsteigerinnen und Von den vielfältigen Ergebnissen des Projekts
-einsteiger) ins deutsche Schulsystem zu inte- insgesamt (siehe Ahrenholz, Ohm und Ricart
grieren und hierfür passende Beschulungs- und Brede, 2017; Ahrenholz, Ohm und Ricart
Sprachförderkonzepte zu entwickeln. Die 49 Brede, in Vorbereitung) werden in diesem Prof. Dr. Bernt Ahrenholz
(Uni Jena)
Schulen sind in Bayern, Berlin, Bremen, Ham- Beitrag die Beschulungsmodelle für neu
Theresa Birnbaum
burg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zugewanderte Schülerinnen und Schüler als (Projektkoordinatorin)
angesiedelt und in sieben BiSS-Verbünden Thema herausgegriffen (vgl. zu den Modellen Janine Brunner
Isabel Fuchs
organisiert, wobei jeder der insgesamt drei ausführlich Fuchs, Birnbaum und Ahrenholz,
Dr. Patrick Grommes*
­Forschungsstandorte zwei bzw. drei BiSS- 2017; Fuchs, in Vorbereitung), denn eines der Dr. Britta Hövelbrinks*
Verbünde begleitete. Ziele des EVA-Sek-Projekts war es, — anders Holger Schiffel
als die von Massumi et al. (2015) gezeigten
Seit 2013 kommt eine ungewohnt hohe Anzahl politischen Vorgaben — die realen institutionel- Prof. Dr. Udo Ohm
(Uni Bielefeld)
von neu zugewanderten Kindern und Jugend­ len Rahmenbedingungen aufzuzeigen, um den
Göntje Erichsen
lichen nach Deutschland. Für viele Schulen Beteiligten unterschiedliche Handlungsmög- Stephanie Klein
stellte dies eine neue Herausforderung dar, die lichkeiten zu spiegeln und mögliche Wirkungen Alejandro Romero
Julia Viering
dazu führte, dass sich im Rahmen von BiSS das der Beschulungsformen — auch aus Sicht der
Cluster „Seiteneinstieg ins deutsche Schulsys- Beteiligten — zur Diskussion zu stellen.
Prof. Dr. Julia Ricart Brede
tem“ bildete. Primäres Ziel des EVA-Sek-Projekts (Uni Flensburg)
war es, in einer Prozessevaluation Schulen in Wie wurde methodisch vorge­ Mira Rüter
dieser häufig für sie neuen Situation zu begleiten gangen? Hannah Schrage
*nicht aus Projektmitteln finanziert
und zu unterstützen. Es galt für die Sekundar-
stufe zunächst, ein genaueres Bild in Bezug auf Es galt, die Schulsituation der neu zugewan­
die Vielfalt der Maßnahmen zu gewinnen und derten Schülerinnen und Schüler in den BiSS-
— als bundeslandübergreifendes Projekt — die Schulen und deren Veränderungen sowohl in
unterschiedlichen Umsetzungen administrati- Hinblick auf die Zuwanderungssituation selbst
ver und pädagogischer Lösungen zu erfassen. als auch in Bezug auf Lösungen, die die Schu-
Dem entsprach, dass die am EVA-Sek-Projekt len mit Blick auf das Ziel der Inte­gration der
beteiligten BiSS-Schulen nicht wie in anderen neu zugewanderten Schülerinnen und Schüler
44 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Verbünde
Das deutsche Sprachdiplom A) der Regelklasse (RK) vorgeschaltete Vorbereitungsklasse (VK)
der KMK (DSD I) in Berlin

Qualitätsrahmen ALPHA-VK VK RK VK Schul-


wechsel RK
Sprache — für jugendli- ASF ASF
che Asylsuchen­de und
Flüchtlinge (BY)
B) Vorbereitungsklasse mit integriertem Fachunterricht
Einführung und Implemen-
tierung des Deutschen B1.1) Vorbereitung auf die Teilnahme am B1.2) Vorbereitung auf die Teilnahme am
Sprachdiploms der KMK
Regelunterricht Unterricht einer Regelklasse mit integrierter
(DSD I) in Bremen
und/oder additiver Sprachförderung
Das Deutsche Sprachdi­
plom der KMK (DSD I) in
Hamburg
VK unterricht
Fach-
RK VK unterricht
Fach-
RK
ASF
Das Deutsche Sprachdi­
plom der KMK (DSD I) in
B2.1) Vorbereitung auf einen Berufsschul- B2.2) Vorbereitung auf einen Berufsschul-
Niedersachsen (Allgemein-
bildende Schulen) abschluss abschluss (mit Parallelmodell)

Das Deutsche Sprachdi­


plom der KMK (DSD I) in VK Fach(praxis)-
unterricht
Schulabschluss
+ Ausbildung VK Fach(praxis)-
unterricht
Schulabschluss
+ Ausbildung

Nieder­sachsen (Berufsbil- optional: Praktikum ASF optional: Praktikum

dende Schulen)

Schulische und sprachli- C) Teilintegration


che Integration von neu
zugewanderten Kindern und C1) sukzessive Integration C2) direkte Teilintegration C3) direkte Teilintegration
Jugendlichen in der weiter- mit vorgeschalteter Vorberei- mit sukzessivem Übergang mit festem Übergangszeit-
führenden Schule (NW)
tungsklasse punkt

VK unterricht
Fach-
RK VK RK VK RK
ASF ASF ASF

D) Vollintegration
D1) ohne DaZ- D2) mit additiver D3) mit integrierter D4) mit integrierter
Förderung DaZ-Förderung DaZ-Förderung und additiver DaZ-
Förderung

RK RK RK RK
ASF ASF

E) Parallelmodell
E1) E2)
RK

VK VK VK
ASF

/ = sprachliches bzw. fachliches Lernen im Fokus


VK = Vorbereitungsklasse
RK = Regelklasse
ASF = additive Sprachförderung

Abb. 1: Strukturelle Modelle der Verzahnung sprachlicher und fachlicher Unterrichtsangebote (vgl. Fuchs, Birnbaum und
Ahrenholz, 2017).
Gezielte sprachliche Bildung in der Schule | 45

ins Schulsystem durchführten, angemessen zu den Verbünden aus unterschiedlichen ­Ländern


erfassen. Hierzu wurden im Rahmen des drei- als auch zwischen Verbünden innerhalb der
jährigen EVA-Sek-Projekts alle Schulen besucht, einzelnen Länder. Insgesamt wurden fünf
über einen sprach- und schulbiographischen grundlegende Beschulungsmodelle d­ ifferenziert,
Fragebogen die Heterogenität der Klassensitu- innerhalb derer wiederum Spezifikationen
ationen erfasst, die wesentlichen Akteurinnen erkennbar sind. Zentral für die schuladministra-
und Akteure (u. a. Lehrkräfte, Schülerinnen und tive Ebene ist das Verhältnis von Unterricht in
Schüler) interviewt, im Unterricht der Vorberei- Vorbereitungsklassen und Regelunterricht bzw.
tungsklassen wie im Regelunterricht hospitiert von sprachlichem und fachlichem Lernen (vgl.
und z. T. videographiert sowie schriftliche Pro- Abb. 1). Dabei reicht die Bandbreite von vorge-
dukte der Schülerinnen und Schüler analysiert. schaltetem reinem Sprachunterricht (Modelle
Zwischenergebnisse aus den Erhebungen wur- A) bis hin zur unmittelbaren Integration in den
den den beteiligten Schulen (Lehrkräften wie Regelunterricht (Modelle D). Der allergrößte Teil
Schulleitungen) und der Bildungsadministration der beteiligten BiSS-Schulen folgte Varianten
in zwei sogenannten „Feedbackwerkstätten“ der Modelle A bis C, also Lösungen mit Vorbe-
2016 und 2017 präsentiert und gemeinsam reitungsklassen; einzig in NRW wurden Schulen
mit ihnen diskutiert. zum Go-In-Modell (Modell D4) besucht. Kern
dieses Modells ist die Beschulung in Regel-
Basis der herausgearbeiteten Beschulungs- klassen von Beginn an, kombiniert mit einer in
modelle (s. Abb. 1) sind die z. T. mehrfachen den Schulalltag integrierten additiven Sprach-
Besuche an 49 Schulen, die Gespräche mit förderung. Die Modelle E hingegen betreffen
119 beteiligten professionellen Akteurinnen die Fortführung der Vorbereitungsklassen als
und Akteuren sowie die Rückmeldungen in den eigenständige Regelklassen. Besonders vielver-
Feedbackwerkstätten. Zudem erfolgte eine sprechend erscheinen auf Basis der Befunde des
Einschätzung der Modelle sowie damit ver- EVA-Sek-Projekts teilintegrative Lösungen wie
bundener Gelingensbedingungen (z. B. Dauer in den Modellen C. In diesen wird der Aufbau
der Vorbereitungsklasse, Art des Übergangs) in sprachlicher und fachlicher Kompetenzen in ver-
einer Fragebogenstudie mit 196 Akteurinnen schiedenen Formen der Teilintegration zusam-
und Akteuren, um nicht nur die ausgeprägte mengeführt, sodass eine sukzessive soziale
Vielfalt abzubilden, sondern auch die Ein- Integration in die Regelklasse ermöglicht wird.
schätzungen der Beteiligten bezüglich wün-
schenswerter Lösungen zu erhalten. Schließlich Insgesamt kann gezeigt werden, dass die
wurden 56 Schülerinnen und Schüler zu ihrer Verbindung von sprachlichem und fachlichem
Schulsituation befragt. Zu interpretieren sind Lernen von den befragten Lehrenden und Ler-
die Befunde zu den Modellen vor dem Hinter- nenden sehr häufig befürwortet wird, z. B. weil
grund der aufgezeigten Heterogenität und den Schülerinnen und Schüler sich dadurch auf den
konkret beobachteten Unterrichtssituationen, Regelunterricht besser vorbereitet fühlen (vgl.
insbesondere in Hinblick auf die Verbindung von Abb. 2). Dass dies auch gelingen kann, zeigen
sprachlichem und fachlichem Lernen. Unterrichtsanalysen (vgl. Birnbaum, Erichsen,
Fuchs und Ahrenholz, 2018; Birnbaum, in
Was sind die (vorläufigen) Ergeb- Vorbereitung).
nisse?
Welche Beschulungsform in einer Schule
Die Analyse ergab, dass in den BiSS-Schulen umgesetzt wird, hängt zum einen mit den bil-
vielfältige Beschulungsmodelle realisiert wer- dungspolitischen Vorgaben (z. B. Teilintegration
den. Diese unterscheiden sich sowohl zwischen obligatorisch oder nicht) und den jeweiligen
46 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Lehrkräfte und Schulleitungen Aus Sicht der Lernenden kann


befürworten die Integration fachlicher Fachunterricht in Vorbereitungsklassen
Inhalte in das Curriculum von motivieren und auf den Regelunterricht
Vorbereitungsklassen mehrheitlich. vorbereiten.

Aussage im Fragebogen: Schüler 1 (S03SR_ARW21): äh ich finde


„Die Vorbereitungsklasse sollte auch fachliche das also sehr gut °h / °h weil: äh uns das
Inhalte des Regelunterrichts thematisieren.“ vorbereitet hat zu ne äh ein äh zu also (-)
die neunte klasse °h / °h und ja also ich
(magen/machen) die fächer sehr also wie
chemie biologie ich mag das sehr zu lernen
°h / °h also ich bin immer interessant de_
43,4 % 43,9 %
äh: an der fach[/] an das fach zu lernen °h
/ °h deswegen hätte mir ganz gut gehelf[/]
geholfen also

Schüler 2 (S05SR_KOW01): [...] ich


lernte bio, mathe und °was noch° und (-)
geschichte in deutsch. ja, das war neu für
mich und °h nicht nur deutsch als fach
7,5 %
5,3 % lernen, sondern °h mit anderen fächern, ja
biologie und geschichte, das war neu für
mich und interessant (-) und das fand ich
stimme stimme stimme eher stimme sehr gut (-) ja.
voll zu eher zu nicht zu nicht zu

Abb. 2: Fachliches Lernen in Vorbereitungsklassen aus Sicht der Beteiligten (vgl. Fuchs, in Vorbereitung).

finanziellen Ressourcen (z. B. Möglichkeit der den verschiedenen Beteiligten?),


Doppelsteckung, Ressourcenausstattung für ▪▪ Lösungen für die hohe Fluktuation im Schul-
additive Sprachförderung) zusammen. Die Aus- jahr: a) strukturell (Findet vorübergehend
wertungen der Interviews, die Befragung zu den eine gesonderte Beschulung der während
Beschulungsmodellen, die Diskussionen in den des Schuljahres eintreffenden Schülerinnen
Feedbackwerkstätten und die Unterrichtsbeob- und Schüler statt?), b) über Binnendifferen-
achtungen ergaben weitere relevante Faktoren: zierung (vgl. Hövelbrinks, 2017),
▪▪ Ausbildung und Vorkenntnisse der Lehr- ▪▪ Dauer der Beschulung in Vorbereitungs-
kräfte (Sind sie mit den Anforderungen der klassen (6 bis 24 Monate; längere Zeiten
Sprachförderung und den fachlichen Anfor- erfordern eine stärkere Einbindung von fach-
derungen des Regelunterrichts gleicherma- lichem Lernen),
ßen vertraut?), ▪▪ strukturelle und individuelle Lösungen für
▪▪ Einbindung der Beschulung der Seiten- den Übergang von Vorbereitungsklassen in
einsteigerinnen und Seiteneinsteiger im den Regelunterricht (strukturell als unter-
Gesamtsystem der jeweiligen Schule (Inte­ schiedliche Formen der Teilintegration, indivi-
griert die Schule die Beschulung in das duell als Möglichkeit für einzelne Schülerin-
Schulprogramm? Wie verläuft die Kom- nen und Schüler eher und umfangreicher am
munikation und Zusammenarbeit zwischen Regelunterricht teilzunehmen),
Gezielte sprachliche Bildung in der Schule | 47

▪▪ Umfang (und Art) additiver Sprachförderung oben skizzierten Rahmenbedingungen für weitere
zum Regelunterricht (als Einflussfaktor für Gelingensbedingungen können administrativen
den Zeitpunkt des Übergangs in den Regel- sowie schulischen Entscheidungsträgerinnen und
unterricht). -trägern Hinweise in Bezug auf die Verteilung
von Ressourcen und die Gestaltung schulinterner
Der Erfolg der Beschulung hängt neben admi- Integrationskonzepte liefern. Dabei erscheint
nistrativen Lösungen sowie dem Engagement nach Aussage vieler Beteiligter die Vorberei-
und den Kompetenzen der Lehrkräfte auch von tungsklasse ein brauchbares schulorganisato­
der Ausgestaltung eines Curriculums, geeig- risches Modell, wenn sprachliches und fachliches
neten Lern- und Fördermaterialien und spezi­ Lernen verknüpft werden und anschließend
fischen didaktischen Vorgehensweisen ab (z. B. additive Sprachförderung den Regelunterricht
in der Schreibförderung und dem Ausbau litera- ergänzt. Wichtig sind hierbei auch funktio-
ler Kompetenzen), die den besonderen Voraus- nierende Kommunikationsstrukturen, die den
setzungen dieser Zielgruppe gerecht werden. z. T. erst durch EVA-Sek-Feedbackwerkstätten
Nach wie vor handelt es sich dabei weitgehend angestoßenen Austausch zwischen Bildungs-
um Bereiche, für die zunächst noch Lösungen administration, Schulleitungen und Lehrkräften
entwickelt werden müssen, da z. B. Curricula wie weiterführen. Die große Heterogenität der
auch Materialien noch weitgehend fehlen. jeweiligen Anforderungen und die sich laufend
verändernden Bedingungen sprechen zudem für
Was bedeutet das für die Praxis? möglichst flexible administrative Modelle. Dabei
sprechen sich viele Akteurinnen und Akteure
Aus der Prozessevaluation lassen sich vielfach auch für stärker individuelle Lösungen aus, wenn
Bezüge zur Schul- und Unterrichtsentwicklung es z. B. um den Übergangszeitpunkt oder die
herstellen. Die systematisierten Modelle zur Fächerauswahl für frühe Übergänge geht, um
Organisationsform der Beschulung von Seiten- den Bedürfnissen der heterogenen Schülerschaft
einsteigerinnen und Seiteneinsteigern sowie die gerecht werden zu können.

Verwendete Literatur

Ahrenholz, B., Ohm, U. & Ricart Brede, J. Birnbaum, T. (in Vorbereitung). Sprachliches Jugendliche mit Migrationshintergrund“ (S. 259-
(Hrsg.) (in Vorbereitung). Zum Seiteneinstieg und fachliches Lernen in der Unterrichtsinter- 280). Stuttgart: Fillibach bei Klett.
neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher ins aktion mit neu zugewanderten SchülerInnen
Hövelbrinks, B. (2017). Fachbezogenes Lernen
deutsche Schulsystem. Ergebnisse und Befunde (Arbeitstitel), In B. Ahrenholz, U. Ohm, J. Ricart
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aus dem Projekt EVA-Sek (Arbeitstitel). Balt- Brede (Hrsg.), Zum Seiteneinstieg neu zuge-
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mannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. wanderter Kinder und Jugendlicher ins deutsche
phische Fallanalyse mit besonderem Blick auf
Schulsystem. Ergebnisse und Befunde aus dem
Ahrenholz, B., Ohm, U. & Ricart Brede, J. Binnendifferenzierung, In I. Fuchs, S. Jeuk, W.
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(2017). Das Projekt „Formative Prozessevalua- Knapp (Hrsg.), Mehrsprachigkeit: Spracherwerb,
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Sprache im Fach.“ (EVA-Sek), In I. Fuchs, S. und Parallelklasse: Perspektiven professioneller zum 11. Workshop „Kinder und Jugendliche mit
Jeuk & W. Knapp (Hrsg.), Mehrsprachigkeit: Akteure auf die Integration neu zugewanderter Migrationshintergrund“ (S. 191-214). Stuttgart:
Spracherwerb, Unterrichtsprozesse, Seitenein- SchülerInnen in den Regelunterricht (Arbeits­ Fillibach bei Klett.
stieg. Beiträge zum 11. Workshop „Kinder und titel), In B. Ahrenholz, U. Ohm, J. Ricart Brede
Massumi, M., Dewitz, N., Grießbach, J., Terhart,
Jugendliche mit Migrationshintergrund“ (S. 241- (Hrsg.), Zum Seiteneinstieg neu zugewanderter
H., Wagner, K., Hippmann, K. & Altinay, L.
258). Stuttgart: Fillibach bei Klett. Kinder und Jugendlicher ins deutsche Schulsys-
(2015). Neu zugewanderte Kinder und Jugendli-
tem. Ergebnisse und Befunde aus dem Projekt
Birnbaum, T., Erichsen, G., Fuchs, I. & Ahren- che im deutschen Schulsystem. Hg. v. Mercator-
EVA-Sek.
holz, B. (2018). Fachliches Lernen in Vorberei- Institut für Sprachförderung und Deutsch als
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Massumi (Hrsg.), Neuzuwanderung und Bildung: (2017). Zur Beschulung von Seiteneinsteigern. der Universität zu Köln. Online verfügbar unter
Eine interdisziplinäre Perspektive auf Übergänge Strukturelle Lösungen in der Praxis, In I. Fuchs, http://www.mercator-institut-sprachfoerderung.
in das deutsche Bildungssystem (S. 231-250). S. Jeuk & W. Knapp (Hrsg.), Mehrsprachigkeit: de/fileadmin/Redaktion/PDF/Publikationen/MI_
Weinheim: Beltz Juventa. Spracherwerb, Unterrichtsprozesse, Seitenein- ZfL_Studie_Zugewanderte_im_deutschen_Schul-
stieg. Beiträge zum 11. Workshop „Kinder und system_final_screen.pdf.
48 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Diagnostik und Förderung


der Lese­fähigkeit
sowie Vermittlung von
Lesestrategien
Diagnostik und Förderung der Lese­fähigkeit sowie Vermittlung von Lesestrategien | 49
50 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

BiSS-EvalLesen
Bildung durch Sprache und Schrift – Evaluation von
Konzepten und Maßnahmen der fachübergreifenden
Leseförderung im Primarbereich
Annika Teerling | Regine Asseburg | Jennifer Igler | Theresa Schlitter | Annika Ohle-Peters | Olaf Köller | Nele McElvany

Was sind der Hintergrund und die dierte Aussagen hinsichtlich der eingesetzten
Ziele des Projekts? Maßnahmen sowie der Gelingensbedingungen
bei der Umsetzung zu treffen. Die Erkenntnisse
Im Projekt BiSS-EvalLesen werden Konzepte sollen der Bildungspolitik sowie der Praxis künf-
und Maßnahmen der fachübergreifenden Lese- tig bei der Auswahl und Umsetzung entspre-
förderung im Primarbereich (BiSS-Module P3 chender Maßnahmen als Hinweise dienen.
und P4) in bundesweit sieben Verbünden mit
jeweils vier bis neun Schulen evaluiert. In den BiSS-EvalLesen ist u. a. bestrebt, Ansatzpunkte
Modulen stehen die Diagnostik und Förderung zu finden, wie die Implementation — also die
von Leseflüssigkeit sowie -verständnis im Umsetzung von (wissenschaftlichen) Neuerun-
Prof. Dr. Nele McElvany, Fokus. Vor dem Hintergrund der spezifischen gen in die Praxis — an Schulen wirksam unter-
Prof. Dr. Wilfried Bos
Ziele der einzelnen Verbünde wird die Umset- stützt werden kann. Ein Forschungsanliegen,
(TU Dortmund)
PD Dr. Miriam Gebauer* zung der Diagnose- und Fördermaßnahmen welches im Folgenden vorgestellt werden soll,
Jennifer Igler systematisch mit Hilfe von Interviews, Doku- betrifft in diesem Rahmen die affektiv-kognitive
Dr. Annika Ohle-Peters*
mentenanalysen, schriftlichen Befragungen, Auseinandersetzung der Beteiligten im Imple-
Theresa Schlitter
Dr. Franziska Schwabe* Tests und videographierten Unterrichtseinheiten mentationsprozess (Abb. 1). Dabei wird unter-
untersucht. Ziel ist es, wissenschaftlich fun- sucht, inwieweit kommunikative Aspekte damit
Prof. Dr. Olaf Köller
(IPN)
Dr. Regine Asseburg*
Annika Teerling Aspekte der Wahrgenommene
Affektiv-kognitive Auseinandersetzung
*nicht aus Projektmitteln finanziert
Kommunikation Stages of Concern Entwicklung seit
Programmbeginn
▪▪Erfahrungen im
▪▪Mentale
2 – Persönliche Betroffenheit

Team
3 – Aufgabenmanagement

▪▪Häufigkeit der Entwicklung


Kooperation ▪▪Praktische
0 — Kein Bewusstsein

6 – Neuorientierung

▪▪Qualität der
4 – Konsequenzen

Entwicklung
5 – Kooperation
1 — Information

Kooperation ▪▪Sensible
▪▪Diffusion der Entwicklung
Veränderung
▪▪Kommunikation
im Kollegium

Abb. 1: Die affektiv-kognitive Auseinandersetzung mit einer Innovation im Prozesskontext.


Anmerkungen: Integration der Stages of Concern in den Prozesskontext im Rahmen einer Implementation. Adaptiert nach
Wagner et al., 2010; vgl. Teerling et al., im Druck.
Diagnostik und Förderung der Lese­fähigkeit sowie Vermittlung von Lesestrategien | 51

Verbünde
Tab. 1: Messzeitpunkte und Instrumente im Überblick. Gern lesen, viel lesen, gut
lesen: Lesewelten öffnen
MZP I MZP II MZP III MZP IV (BB)
Frühjahr 2016 Sommer 2016 Herbst 2016 Sommer 2017
Förderung der Lesekompe-
Schulleitung Fragebogen* Fragebogen* Fragebogen tenz in allen Fächern (BE)
Interview Interview Lesemäuse: Förderung des
Lese- und Textverständ-
Lehrkräfte Fragebogen* Fragebogen Fragebogen nisses im Grundschulalter
Videographie (BW)
(Feb. 2017)
BiSS Augsburg — Grund­
Schüler/-innen Fragebogen* Fragebogen* schule (BY)

Umsetzung des Konzeptes


Eltern Fragebogen Fragebogen der „Verstärkten Lese­
förderung“ von Grundschu-
Förderkonzepte/ Dokumenten­
len im Rheingau (HE)
Schulprogramme analyse
BiSS-Lesen-RP — Unter-
*Zentrale erfasste Hauptausgangs- Kooperation mit Lesekompetenz (Textverständnis); richtsintegrierte Förderung
Konstrukte motivation für anderen BiSS- Lesemotivation und -häufigkeit des Leseverständnisses
(Beispiele) die Teilnahme Lehrkräften; in kooperativen Settings,
Schwerpunkt Sachtexte
an BiSS; Stand Wahrgenommene
(RP)
der Aktivitäten Entwicklungen
im Bereich seit der Teilnahme WortSCHATZ — Systema-
Diagnostik/ an BiSS tischer Ausbau von Sprache
Förderung und Lesekompetenz in der
Grundschule (TH)

zusammenhängen, wie sich die Beteiligten mit den Schulen. Im Frühjahr 2016 (Messzeitpunkt
den Leseförder- und Lesediagnosemaßnahmen [MZP] I) beantworteten Schulleitungen und
auseinandersetzen (Stages of Concern, Hall beteiligte (Förder-)Lehrkräfte aller teilnehmen-
und Hord, 2006) und wie diese Auseinander- den Verbünde Kurzfragebögen zur Ausgangs-
setzung wiederum mit der wahrgenommenen lage an ihren Schulen, zu den eingeführten
Entwicklung seit Programmbeginn einhergeht Leseförder- und Lesediagnosemaßnahmen
(Teerling, Bernholt, Asseburg, Hasl, Igler, sowie zu möglichen Bedarfen in Bezug auf die
Schlitter, Ohle-Peters, McElvany und Köller, Evaluation. Ergänzend zu den Fragebögen nah-
im Druck). So sollen kommunikative Aspekte men einige, zufällig ausgewählte Schulleitungen
identifiziert werden, die förderlich dafür schei- an Telefoninterviews teil. Zudem wurde eine
nen, dass sich die Beteiligten gewinnbringend Dokumentenanalyse (z. B. Schulprogramme,
mit den Neuerungen auseinandersetzen und Lesecurriculum, BiSS-Materialien) vorgenom-
ihre Arbeitsroutine im Sinne der Neuerungen men. Im Sommer 2016 (MZP II) wurden die
verändern. Schulleitungen und Lehrkräfte aller teilnehmen-
den Verbünde dann mittels Fragebögen zum
Wie wurde methodisch vorge­ Schul-, Unterrichts- und Projektgeschehen an
gangen? ihrer Schule befragt.

Insgesamt wurden im Rahmen des Projekts zu Anhand des dritten und vierten Messzeit-
vier Messzeitpunkten Daten erhoben (Tab. 1). punktes wurden schließlich vor allem die
Die ersten beiden Messzeitpunkte dienten Entwicklung der Kompetenzen der Schülerin-
zunächst der Erfassung des Ist-Zustandes an nen und Schüler im Zusammenhang mit den
52 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

BiSS-Maßnahmen sowie die Kompetenzen der Was sind die (vorläufigen) Ergeb-
Lehrkräfte und die Entwicklung des Leseunter- nisse?
richts untersucht. Die zwei Erhebungen (MZP III
und IV) fanden zu Beginn und zum Ende des Die Ergebnisse von MZP I weisen auf eine große
Schuljahres 2016/2017 statt. Vor Ort bear- Heterogenität der eingeführten Leseförder- und
beiteten Schülerinnen und Schüler aus fünf Lesediagnosemaßnahmen sowie der schulischen
BiSS-Verbünden sowie Kinder aus Kontrollschu- Voraussetzungen hin.
len, d. h. Schulen ohne BiSS-Teilnahme, Tests
schwerpunktmäßig zur Lesekompetenz und Bezüglich der oben dargestellten Beispielfra-
zum Leseunterricht. Ergänzend wurden Eltern, gestellung wurde auf Grundlage der Frage-
Lehrkräfte und Schulleitungen per Fragebogen bogendaten von insgesamt 76 Lehrkräften
befragt. Darüber hinaus nahmen auch hier und Schulleitungen zu MZP II festgestellt,
einige Schulleitungen an Telefoninterviews teil. dass die an der Studie Beteiligten generell als
kooperationsbereit beschrieben werden können
Zusätzlich wurden einzelne Fördermaßnahmen (Stages of Concern). Dem Modell folgend
videographiert, um den beteiligten Lehrkräften stehen sie den Maßnahmen zur Lesediagnostik
Practice-Beispiele an die Hand geben zu kön- und Leseförderung grundsätzlich positiv und
nen. Die Videos wurden im Frühjahr 2017 in aufgeschlossen gegenüber. Im Hinblick auf
fünf freiwillig teilnehmenden Klassen gewonnen, die genannten sieben Dimensionen variiert
wobei insgesamt sieben verschiedene Förder- dabei die affektiv-kognitive Auseinanderset-
maßnahmen (u. a. „Lesetandem“) videographiert zung der Beteiligten mit den Maßnahmen. Je
wurden. nach Dimension lassen sich zwischen 28,2 %
und 49,3 % dieser Unterschiede auf Aspekte
Die genannte affektiv-kognitive Auseinander- der Kommunikation (Erfahrungen im Team,
setzung wurde zu MZP II erhoben (Stages of Kooperation, Diffusion, Kommunikation im
Concern; Beispielitem: „Ich würde mich gerne Kollegium) zurückführen (Abb. 1). Vor allem
darüber austauschen, wie man mit BiSS-Maß- bereits gesammelte Erfahrungen im Team, die
nahmen Unterricht gestalten kann.“). Mit Hilfe Häufigkeit der Kooperation und die Kom-
verschiedener Fragen bzw. Antwortmöglich- munikation im Kollegium generell erwiesen
keiten kann dabei die Auseinandersetzung im sich dabei als Faktoren, die bedeutsam mit
Hinblick auf sieben Dimensionen (Concerns; dt. der affektiv-kognitiven Auseinandersetzung
Bedenken) abgebildet werden (z. B. persönliche zusammenhängen (Teerling et al., im Druck).
Betroffenheit, Aufgabenmanagement). Zudem Auch die wahrgenommene Entwicklung seit
schätzten die Lehrkräfte u. a. verschiedene Programmbeginn variiert zwischen den Lehr-
Aspekte der Kommunikation (z. B. zur Häufig- kräften. Hier lassen sich je nach Komponente
keit und Qualität der Kooperation) und ihre wiederum 44,9 % bis 68,1 % der Unterschiede
wahrgenommene Entwicklung seit Programm- auf die affektiv-kognitive Auseinandersetzung
beginn ein, wobei sich letztere in eine mentale mit den Maßnahmen zurückführen, wobei vor
(Beispielitem: „Mein Blick für Fähigkeiten und allem die Auseinandersetzung mit den Infor-
Möglichkeiten einzelner Schülerinnen und mationen, der persönlichen Betroffenheit und
Schüler hat sich entwickelt.“), eine praktische den Konsequenzen ausschlaggebend erscheint
(Beispielitem: „Ich habe neue Inhalte für den (Teerling et al., im Druck). Die Daten weisen
Leseunterricht ausprobiert.“) und eine sensible darauf hin, dass es den Beteiligten ­leichter
Komponente (Beispielitem: „Ich bin sensib- fällt, Neuerungen umzusetzen und ihre
ler für Lernschwierigkeiten im Bereich Lesen Handlungsroutine zu ändern, wenn sie bei-
geworden.“) einteilen lässt. spielsweise häufig die Gelegenheit haben, sich
Diagnostik und Förderung der Lese­fähigkeit sowie Vermittlung von Lesestrategien | 53

über die Informationen der Neuerung auszu- und Kremer, 2005). Um die Implementation
tauschen. neuer Maßnahmen in Schulen zu fördern,
könnten insbesondere die Schulleitungen, die
Im Rahmen des Projekts wird derzeit anhand Administration sowie die Funktionstragenden
der Daten der Messwiederholung (MZP III und ermutigt werden, Kapazitäten für einen regen
IV) die Wirkung der BiSS-Teilnahme auf die Austausch und eine häufige Zusammenarbeit
Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und unter den Beteiligten bereitzustellen. So könn-
Schüler, die Lehrkräfte und die Entwicklung ten beispielsweise wöchentliche Projekttreffen
der Unterrichtsqualität untersucht. Anhand institutionalisiert werden. Darüber hinaus sollte
der Ergebnisse der Videographie konnte ein bereits im Vorfeld zur Implementation die
Practice-Video zum Thema „Lesetandem“ Kommunikation im Kollegium generell gefördert
erstellt werden. werden. Zudem erscheint es hilfreich, dass
(bestehende) Teams möglichst langfristig ange-
Was bedeutet das für die Praxis? legt und ggf. mittels Teamentwicklung gefördert
werden.
Es ist zu erwarten, dass sich aus den Ergeb-
nissen des Projekts verschiedene praktisch Das Practice-Video „Lesetandem“ kann zu
nutzbare Empfehlungen ableiten lassen werden. einem nützlichen Tool werden, das künftig
im Rahmen von Lehrkraftfortbildungen oder
In Bezug auf die Beispielfragestellung bestäti- bei der Einführung dieser Fördermaßnahme
gen die bereits vorliegenden Ergebnisse, dass in weiteren Schulen eingesetzt werden kann.
es sich bei Implementationsprozessen um Funktionstragende, Lehrkräfte und Schulleitun-
Entwicklungen handelt, die sozial verankert und gen reagierten bereits sehr positiv.
kommunikativ bedingt sind und deren Erfolg
von den interpersonalen und sozialen Kapazi-
täten an der betreffenden Schule abhängt (Ertl

Verwendete Literatur Zum Weiterlesen

Ertl, H. & Kremer, H. (2005). Innovationen Wagner, E., Fries, S., Gerndt, U., Schaefer, H. & Igler, J., Ohle-Peters, A., Schlitter, T., Teerling,
in schulischen Kontexten: Ansatzpunkte für Schüppel, J. (2010). Wie erfolgreiche Verände- A., Asseburg, R., McElvany, N. & Köller, O.
berufsbegleitende Lernprozesse bei Lehrkräften, rungskommunikation wirklich funktioniert?! Berlin: (2018). Bedeutung motivationaler Lehrkraft-
In H. Ertl & H. Kremer (Hrsg.), Innovationen in Pro Business. merkmale und der Beteiligung an innovativen
schulischen Kontexten (S. 7–14). Eusl-Verlags- Programmen für die Qualität von Leseunterricht,
gesellschaft: Paderborn. In F. Schwabe, N. McElvany, W. Bos & H. G.
Holtappels (Hrsg.), Jahrbuch der Schulentwick-
Hall, G. E. & Hord, S. M. (2006). Implemen- lung. Band 20. Weinheim: Beltz Juventa.
ting Change. Patterns, Principles, and Potholes.
Boston: Allyn & Bacon. McElvany, N., Ohle-Peters, A., Igler, J.,
Schlitter, T., Teerling, A., Asseburg, R. & Köller,
Teerling, A., Bernholt, A., Asseburg, R., Hasl, A., O. (2018). Evaluation der Leseförderung an
Igler, J., Schlitter, T., Ohle-Peters, A., McElvany, Grundschulen im Rahmen von „Bildung durch
N. & Köller, O. (im Druck). Affektiv-kognitive Sprache und Schrift (BiSS)“, In F. Schwabe, N.
Auseinandersetzung mit einer Innovation im McElvany, W. Bos & H. G. Holtappels (Hrsg.),
Implementationsprozess — Eine modellbasierte Jahrbuch der Schulentwicklung. Band 20.
Erfassung. Psychologie in Erziehung und Unter- Weinheim: Beltz Juventa.
richt. Zeitschrift für Forschung und Praxis.
54 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

EILe
Evaluation der Implementation von Konzepten zur
Leseförderung in der Sekundarstufe

Nina Zeuch | Anke Schmitz | Fabiana Karstens | Sarah-Ines Meudt | Elmar Souvignier | Jörg Jost

Was sind der Hintergrund und die Implementationskonzepten (SH: top-down,


Ziele des Projekts? OF: bottom-up). Vergleichsschulen sind fünf
nicht an BiSS beteiligte Schulen in Nordrhein-
Im BiSS-Evaluationsprojekt EILe wird unter- Westfalen (NRW).
sucht, unter welchen Bedingungen die Ver-
ankerung und Verstetigung von theoretisch Wie wurde methodisch vorge­
fundierter und effektiver Förderung der Lese- gangen?
kompetenz im Schulalltag in der Sekundarstufe I
gelingen kann (zu den Schwierigkeiten nach- Der methodische Ansatz beinhaltet die Analyse
haltiger Implementation siehe auch Kretlow der verwendeten Diagnose- und Fördertools,
Prof. Dr. Elmar Souvignier und Helf, 2013, sowie Souvignier und Philipp, Befragungen von Lehrkräften, Unterrichtsbe-
(WWU Münster)
2016). Dabei werden u. a. folgende Teilfrage- obachtungen und Kompetenztestungen bei
Sarah-Ines Meudt
Dr. Nina Zeuch stellungen behandelt: Schülerinnen und Schülern. Diese unterschied-
▪▪ Welche Qualität haben die in den Verbünden lichen Perspektiven sollen ein umfassendes Bild
Prof. Dr. Jörg Jost eingesetzten Diagnose- und Fördertools? der Leseförderung, ihrer Voraussetzungen und
(Uni Köln) ▪▪ Wie, in welchem Umfang und unter welchen Wirksamkeit ermöglichen.
Fabiana Karstens
Bedingungen werden die Tools im Unterricht
Dr. Anke Schmitz
eingesetzt? Am Projekt nehmen 23 Schulen (SH: 9, OF:
▪▪ Wie wirkt sich die Förderung auf Leistungen 11, NRW: 5) mit 54 fünften Klassen (SH: 14,
der Schülerinnen und Schüler aus? OF: 24, NRW: 16) teil, die bis in die sechste
Klassenstufe begleitet werden. Da die Abbil-
Die an EILe beteiligten Verbünde Schleswig- dung von Aktivitäten und Auswirkungen der
Holstein (SH, Niemanden zurücklassen — Lesen Leseförderung im Schulalltag im Mittelpunkt
macht stark) und Oberfranken Ost und West steht, wurde darauf verzichtet, die genannten
(OF) haben sich im Rahmen von BiSS zum Ziel Fragestellungen unter experimentellen (also
gesetzt, Konzepte zur Förderung der Lesekom- kontrollierten) Bedingungen zu untersuchen.
petenz im Schulalltag umzusetzen. In SH liegt
der Fokus auf sprachlicher Bildung in fachlichen Die Unterrichtsbeobachtungen, Befragungen
Kontexten. In OF sollen in beiden Verbünden die der Lehrkräfte und Kompetenztestungen
Bereiche „Diagnose und Förderung des Lese- werden während der Projektlaufzeit mehrmals
verständnisses“, „Lese- und Schreibstrategien“ durchgeführt. Die Analyse der Diagnose- und
und „Selbstreguliertes Lesen und Schreiben“ Fördertools geht von einem Ist-Stand am
umgesetzt werden. Die Verbünde arbeiten mit Beginn des Projekts aus und wird im Falle
unterschiedlichem Material (SH: Lesen macht neuer Entwicklungen im Rahmen des P­ rojekts
stark; OF: Lesefächer) und unterschiedlichen ergänzt. Für die Analyse der Tools sowie
Diagnostik und Förderung der Lese­fähigkeit sowie Vermittlung von Lesestrategien | 55

für die Unterrichtsbeobachtungen kommen laut Projektdokumentation auf der Förderung Verbünde
anhand einschlägiger Standards entwickelte der Lesemotivation (z. B. durch das Sammeln BiSS Oberfranken Ost (BY)

Kriterienkataloge zum Einsatz, bei den Kom- von Lesepunkten und die Dokumentation von BiSS Oberfranken West
(BY)
petenztestungen bewährte Testverfahren Stärken) unter gleichzeitiger Berücksichti-
und Fragebögen und bei den Befragungen gung der Selbstregulation durch kognitive und Niemanden zurücklassen —
Lesen macht stark (SH)
der Lehrkräfte bewährte Fragebogenskalen, metakognitive Strategien. Gemeinsam ist den
ergänzt durch weitere Fragen zur Erfassung Fördertools die Ausrichtung auf hauptsächlich
von spezifischen Rahmenbedingungen an den kognitive Lesestrategien. Eine Verknüpfung
Schulen und individuellen Voraussetzungen der von kognitiven und metakognitiven Strategien
Lehrkräfte. lässt sich durch zusätzliche Reflexionstools
(z. B. Arbeitsblätter zur Reflexion der Strate-
Was sind die (vorläufigen) Ergeb- giekenntnisse und -anwendung) realisieren.
nisse? Unterschiede in den Fördertools bestehen in
der Materialvielfalt und in den Nutzungshin-
Analyse der Lesefördertools weisen zu den Tools für Lehrkräfte sowie in der
Bei der Analyse der in OF und SH vorhandenen unterschiedlich starken Berücksichtigung von
Fördertools wurden unterschiedliche Schwer- Diagnostik. Eine fachspezifische Leseförderung
punkte in der theoretischen Grundlage der ist in SH für das Fach Mathematik mit Hilfe
Konzepte deutlich (siehe Abb. 1): Während in von Material für das Erschließen von Texten mit
OF primär kognitive und metakognitive Aspekte Zahlen vorgesehen. In OF liegt keine fachspe-
der Lesestrategieförderung (z. B. Gliedern eines zifische Ausdifferenzierung des Fördertools vor,
Textes als kognitive Strategie, Überwachung allerdings soll es nicht nur im Deutschunter-
des Textverstehens als metakognitive Strategie) richt, sondern auch im Fachunterricht genutzt
fokussiert werden, basiert das Konzept in SH werden.

Verbund SH top-down
Verbünde OF

Lesemappe (Lesen macht stark) Lesefächer

Ziel: Motivation und Selbstregulation Ziel: Selbstreguliertes Lesen fördern


fördern Einsatz: Deutsch- und Fachunterricht
Einsatz: Deutsch- und Fachunterricht (Arbeit mit Texten), Sekundarstufe I
(Lesezeit), Sekundarstufe I (5.-10. Kl.) (5.-10. Kl.)
Material: Diagnose- (3-teiliger Fahrplan), Material: Diagnose-, Förder- (­Kartenset
Förder- (Lesestreifen mit Lesestrategie- mit Lesestrategie-Instruktionen) und
Instruktionen) und Reflexionstool Reflexionstool
Schwerpunkte: Freie Lesezeit, Fach- Schwerpunkte: Selbstregulation
Förderung Grundlagen: theoretisch / empirisch x
Grundlagen: theoretisch / empirisch

bottom-up

Abb. 1: Zusammenfassung der Förderkonzepte der Verbünde.


56 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Unterrichtliche Nutzung der Tools die Wahrscheinlichkeit, das Material flächen-


Zur Erfassung der unterrichtlichen Leseför- deckender einzusetzen.
derung fanden in SH im Februar 2017, in OF
im März 2017 Unterrichtsbeobachtungen Wirksamkeit der Leseförderkonzepte auf die
statt. Es wurden 31 fünfte Klassen jeweils Kompetenzentwicklung
im Deutsch- und im Mathematik- (SH) bzw. Bei ca. 900 Schülerinnen und Schülern wurden
Biologieunterricht (OF) beobachtet. ­Erhoben u. a. Leseflüssigkeit, Leseverständnis, Lesestra-
wurde, ob die Tools in den beobachteten tegiewissen und Lesefreude als wesentliche
Unterrichtsstunden eingesetzt wurden. Die Facetten der Lesekompetenz erhoben (vgl.
ersten Ergebnisse zur Toolnutzung zeigen, Cromley und Azevedo, 2007; Lenhard, 2013),
dass die Tools über alle Verbünde hinweg im die auch im Fokus der eingesetzten Fördertools
Deutschunterricht in weniger als 10 % aller stehen.
beobachteten Stunden (von insgesamt 61
beobachteten Unterrichtsstunden) eingesetzt Die ersten Ergebnisse lassen im Vergleich mit
wurden. In 6,5 % der Stunden wurden die den Kontrollschulen den Schluss zu, dass sich
Fördertools in adaptierter Form genutzt (z. B. die Leseflüssigkeit der Schülerinnen und Schüler
Übertragung von Tool-Inhalten auf eigens innerhalb eines Schuljahres verbessert, es aber
erstellte Arbeitsblätter). Häufig (43 %) wurde kaum Veränderungen im Leseverständnis oder
anderes Material ohne erkennbaren Bezug zum im Strategiewissen gibt. Die Verbünde unter-
Fördertool zur Anleitung des strategischen scheiden sich im Niveau (auch bedingt durch
Lesens verwendet. Nahezu genauso oft (41 %) die unterschiedlichen Schulformen), nicht aber
wurde auf jegliches Material zur Anleitung des im Zuwachs.
strategischen Lesens verzichtet. In den beob-
achteten Mathematik- oder Biologiestunden Was bedeuten die Erkenntnisse für
wurden keine verbundspezifischen Fördertools, die Praxis?
dafür aber andere Materialien zur Anleitung
des strategischen Lesens (Mathematik: 55 %; Auf der Basis der bisherigen Ergebnisse
Biologie: 26 %) genutzt. können — mit gebotener Vorsicht — eine Reihe
förderlicher Bedingungen für die Umsetzung
Die erste Befragung von insgesamt 110 und Verstetigung von Leseförderkonzepten im
Lehrkräften zeigt, dass die Einsatzhäufig- Schulalltag benannt werden:
keit der Tools auf einem eher niedrigen
Gesamtniveau deutlich variiert. Lehrkräfte Ebene der Lehrkräfte: Die zur Verfügung
schätzen die positiven Wirkungen auf die gestellten Materialien sollten im Regelunter­
Kompetenzentwicklung von Schülerinnen und richt regelmäßiger und intensiver genutzt
Schülern in SH höher ein, sofern eine größere werden. Dabei sollte vor allem stärker auf die
Materialfülle und eine intensivere Begleitung, direkte, explizite Vermittlung von kognitiven
u. a. durch Weiterbildungen, vorhanden sind. und metakognitiven Lesestrategien geachtet
Schulinterne und schulübergreifende Koopera- werden.
tionen scheinen wenig etabliert. Als wichtige
Voraussetzung wird die Unterstützung durch Ebene der Schule: Wichtig sind u. a. die
die Schulleitung und das Kollegium wahr- Stärkung der Kooperation (schulintern und
genommen. Bei kostenneutraler Verfügbar- -extern). Kollegiale Unterstützung und Hos-
keit des Materials, Entlastungsstunden und pitationen erscheinen insbesondere für den
Verbindlichkeiten (z. B. durch Aufnahme der fächerübergreifenden Transfer von Förderprinzi-
Maßnahmen in das Curriculum) erhöht sich pien hilfreich. Förderlich sind zudem eine aktive
Diagnostik und Förderung der Lese­fähigkeit sowie Vermittlung von Lesestrategien | 57

Unterstützung durch die Schulleitung (durch


Wertschätzung, Ressourcen wie z. B. Material
und die Möglichkeit der Teilnahme an Fortbil-
dungen) sowie eine möglichst hohe Verbind-
lichkeit der Lesefördermaßnahmen, z. B. durch
Verankerung im pädagogischen Programm der
Schule.

Verbundebene / Bildungsadministration: Eine


Unterstützung durch Multiplikationskonzepte
und die Bereitstellung finanzieller (für Mate-
rialien) und vor allem zeitlicher Ressourcen
(für Fortbildungen und Konzeptentwicklung)
scheinen sich positiv auf die Implementation
auszuwirken.

Verwendete Literatur

Cromley, J. G. & Azevedo, R. (2007). Testing Souvignier, E. & Philipp, M. (2016). Imple-
and refining the direct and inferential mediation mentation – Begrifflichkeiten, Befunde und
model of reading comprehension. Journal of Herausforderungen, In M. Philipp & E. Souvignier
Educational Psychology, 99(2), 311-325. (Hrsg.), Implementation von Lesefördermaßnah-
men. Perspektiven auf Gelingensbedingungen und
Kretlow, A. G. & Helf, S. S. (2013). Teacher Hindernisse (S. 9-22). Münster: Waxmann.
implementation of evidence-based practices in
Tier I: A national survey. Teacher Education and
Special Education, 36, 167-185.

Lenhard, W. (2013). Leseverständnis und


Lesekompetenz. Grundlagen — Diagnostik —
Förderung. Stuttgart: Kohlhammer.
58 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Impressum

Herausgeberinnen:
Sofie Henschel | Sarah Gentrup | Luna Beck | Petra Stanat

BiSS-Trägerkonsortium
Humboldt-Universität zu Berlin
in Kooperation mit dem Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Internet: www.biss-sprachbildung.de
E-Mail: kontakt@biss-sprachbildung.de

Inhaltliche und gestalterische Koordination: Sarah Gentrup

Layout und Gestaltung: BAR PACIFICO/ Berlin, Steffy Eckers

Gestaltung Deutschlandkarten: Gabriel Tecklenburg, Uta Oettel

Bildnachweise:
S. 14/15, 30/31: BiSS-Trägerkonsortium / Erik-Jan Ouwerkerk
S. 48/49: BiSS-Trägerkonsortium / Annette Etges

Zitiervorschlag:
Henschel, S., Gentrup, S., Beck, L. & Stanat, P. (Hrsg.). (2018). Projektatlas Evaluation: Erste
Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten. Berlin: BiSS-Trägerkonsortium.

Druck: Polyprint GmbH


Diese Publikation wurde klimaneutral und auf FSC zertifiziertem Papier gedruckt.
Impressum | 59

Sprach- und Leseförderung mit BiSS

„Bildung durch Sprache und Schrift“ (BiSS) ist eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung (BMBF), des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend (BMFSFJ) sowie der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Konferenz der Jugend- und
Familienminister (JFMK) der Länder zur Verbesserung der Sprachförderung, Sprachdiagnostik und
Leseförderung.

Das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln,
das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) und die Humboldt-Uni-
versität zu Berlin in Kooperation mit dem Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB)
übernehmen als Trägerkonsortium die wissenschaftliche Ausgestaltung und Gesamtkoordination des
Programms.
60 | Projektatlas Evaluation — Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten

Trägerkonsortium BiSS:

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