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Dekonstruktiver Femini smus

L iteraturwissenschaft
in Amerika
H erausgegeben von
Barbara Vinken

Feministische Diskussionen haben sich mittlerweile in einem akademi-


schen Zusammenhang so niedergeschlagen, daß spezifisch geschlechts-
theoretische Studien in den einzelnen Disziplinen vorliegen. Besonders
ausgeprägt ist eine solche Diskussion in den USA und hier am weitesten
vorangeschritten in der Literaturtheorie.
Der hier vorliegende Band versammelt inzwischen klassisch gewordene
Beiträge der amerikanischen literarurtheoretischen Dekonstruktion zur
Geschlechterdifferenz und dokumentie rt die daran anschließende Feminis-
mus-Debatte, in der es darum geht, für die richtigen Absichten die nötige
Methode zu finden. Bekannte Autorinnen wie Barbara Johnson, Shoshana
Felman, Gayatri Spivak und andere haben eine moralisch-soziologisie-
rende Diskussion vom Kopf auf neue poljtische Füße gestellt. Die Rezep-
tion französischer Theorie hat eine Entwicklung des literarurwissenschaft-
lichen und des philosoph ischen Dekonstruktionsbegriffs zu r Folge, der
schließlich am Feminismus nicht nur zugespitzt worden ist, sondern umge-
kehrt stellen sich auch Fragen des Feminismus in diesem Paradigma neu. Suhrkamp
Meinen New Yorker Studentinnen und Studenten Inhalt
Cynthia Chase, Shoshana Felman, Barbara Hahn,
Anselm Haverkamp, Bettine Menke, Josef Merkt und meine Mutter Barbara Vinken
Katharina Vinken haben mir auf verschiedene Weise Dekonstruktiver Feminismus - Eine Einleitung . . . . . . . . 7
bei der Arbeit an diesem Band geholfen.
Dafür möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Teil I
Defiguration
Shoshana Felman
Weiblichkeit wiederlesen .................. 33

Mary Jacobus
Judith, Holofernes und die phallische Frau . . . . . . . . 62
Cynthia Chase
Die witzige Metzgersfrau: Freud, Lacan und
die Verwandlung von Widerstand in Theorie . . . . . . . . 97
Barbara Johnson
Mein Monster- Mein Selbst . . . . . 130

Teil II
Refiguration
Barbara Johnson
Lyrische Anrede, Belebung, Abtreibung 147
Gayatri Spivak
Verschiebung und der Diskurs der Frau t83
Naomi Schor
edition suhrkamp 1678 Dieser Essentialismus, der keiner ist-
Neue Folge Band 678 Irigaray begreifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
Erste Auflage 1991
© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1991 Eve Kosofsky Sedgwick
Erstausgabe Das Tier in der Kammer: Henry James und
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das
des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch das Schreiben homosexueller Angst . . . . . . . . . . . . 247
Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Satz.: Leingärmer, Nabburg
Drucilla Cornell
Druck: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden Das feministische Bündnis mit der Dekonstruktion . . . . 279
Umschlagentwurf: Willy Fleckhaus
Printed in Germany

1 1 3 4 5 6 - 97 96 95 94 93 92
trauten Leser raten, es einfach zu ignorieren.• Vgl. History as Writing,
in: Clio 7 (1978), S. 460.
Naomi Schor
41 Luce lrigaray, Ce sexe qui n'en est pas une, Paris 1977, S. 24; dt. Das Dieser Essentialismus, der keiner ist -
Geschlecht, das nicht eins ist, Berlin 1979, S. 23.
42 Roland Barthes richtete einen vergleichbaren Vorwurf an •eine Gruppe
lrigaray begreifen':•
revolutionärer Studenten«: Ecrivains, intellectuels, professeurs, in: Tel
Quel, Nr. 47 (1971), S. 8. Angesichts der Tradition des akademischen
Radikalismus in Frankreich und unserer Erfahrungen mit der alten
Neuen Linken sollte »feministisch« nicht als eine Untermenge zu •re- Jacques Derrida hatte vor einigen Jahren darauf hingewiesen, daß
volutionär• begriffen werden. in dem in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausgearbei-
43 Spivak, French Feminism in an International Frame, in: Yale French teten institutionellen Modell der Universität für die Disziplin der
Studies, Nr. 62 (1981), S. 154-184. Frauenforschung keine Vorkehrung getroffen war und kein Raum
44 Diese und die vorhergehende Passage sind abgeänderte Zitate aus zur Verfügung stand: ,.In der Struktur des klassischen Berliner
French Feminism in an International Frame. Modells war für Frauenforschung kein Platz vorgesehen.« 1 Frau-
45 Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Berlin 1960-1968, Ergänzungs-
band I, S. 579-580.
enforschung, ein Feld, das heute kaum 20 Jahre alt ist, ist ein ver-
spätetes Anhängsel; ein dem Berliner Modell, das von den ameri-
kanischen Institutionen der Hochschulausbildung übernommen
wurde, nachgetragener Einfall. Für Derrida ergibt sich daraus die
Frage: Welchen Status hat dieser neue Flügel? Wirkt er bloß wie
eine Hinzufügung oder eher wie ein Supplement - gleichzeitig in-
nerhalb und außerhalb des Hauptgebäudes: »Geht es bei der Frau-
enforschung einfach darum, einen Mangel aufzufüllen in einer
Struktur, die bereits vorhanden ist, darum, eine Lücke auszufül-
len?« (Ebd.) Wäre diese Frage mit ja zu beantworten, so läge im
klaren Erfolg der Frauenforschung auch bereits ihr Scheitern be-
schlossen. »Indem Maße, wie die Frauenforschung die essentiellen
Prinzipien der Struktur des früheren Universitätsmodells nicht ih-
rerseits in Frage gestellt hat, läuft sie Gefahr, bloß eine weitere
Zelle im universitären Bienenkorb zu sein.« (S. 191) Es geht mit
anderen Worten um die Frage, ob Frauenforschung, wie sie es von
Anfang an behauptet hat, sich essentiell von den anderen Diszipli-
nen unterscheidet, die in das traditionelle deutsche Modell der In-
stitution U nivcrsität eingepaßt wurden, oder ob sie in Wirklichkeit
eher vom selben Zuschnitt ist, verschieden vielleicht in ihrem For-
schungsgegenstand, doch grundsätzlich gleich in ihren Beziehun-
gen zur Institution und den sozialen Werten, aus deren Bewahrung
und Weitervermittlung sie ihre Existenzberechtigung zieht. Was
für einen Unterschied, fragt Derrida, macht Frauenforschung in
der Universität: · » Was ist der Unterschied, wenn es denn einen
gibt, zwischen einer universitären Institution von Forschung und
Lehre mit dem Namen ,Frauenforschung< und irgendeiner anderen
219
Institution von Forschung und Lehre in der Universität oder in der nach er ruft, eine Frauenforschung, die essentiellverschiedenwäre
Gesellschaft als ganzer?« (S. 190) Derrida hebt im weiteren hervor, von ihren Bruder- und Schwesterdisziplinen? Wie läßt sich ausge-
daß in der Ansammlung empirischer Forschung über Frauen, in hend vom Anti-Essentialismus der Dekonstruktion - dazu gleich
der Übernahme von Stellen durch feministische Wissenschaftler, mehr-eine essentielle Differenz zwischen femininen und maskuli-
im scheinbar spektakulären Erfolg der Frauenforschung die femi- nen Türhütern des Gesetzes begründen? Wie kann Frauenfor-
nistische Kritik der Institution zu kurz gekommen ist. In den Au - schung von anderen Disziplinen essentiell verschieden sein in
gen der Dekonstruktion ist die Frauenforschung gefährlich nahe einem philosophischen System, das beständig daran arbeitet, alle
daran, »bloß eine weitere Zelle im akademischen Bienenkorb zu essentiellen Differenzen, alle Essentialisierung von Differenzen zu
sein«. subvenieren?
Derridas Darstellung der Beziehung der Frauenforschung zur Diese Fragen sind für mich von besonderer Bedeutung, weil der
Institution ist vielleicht nicht ganz unparteiisch und nicht hinrei- Konflikt innerhalb der Fakultät der Frauenforschung von Anfang
chend informiert: Frauenforschung ist - sofern man überhaupt an in starkem Maße ein Konflikt - und zwar ein sehr heftiger - um
über ein so weites und heterogenes Feld allgemeine Aussagen tref- Essentialismus gewesen ist; und diesem Konflikt möchte ich mich
fen kann-weder so erfolgreich gewesen noch mit solcher Leichtig- nun im folgenden zuwenden. Zunächst möchte ich die Kritiken am
keit kooptiert worqen, wie Derrida es hinstellt, jedenfalls nicht Essentialismus untersuchen, die in den vergangenen Jahren vorge -
mehr oder weniger als die Dekonstruktion, mit der sie, wie er dar- bracht worden sind, und dann einen kurzen Vergleich zwischen
legt, häufig von ihren gemeinsamen Feinden verknüpft wird. Simone de Beauvoir und Luce Irigaray anstellen, den beiden be-
Meine Besorgnis liegt indessen an anderer Stelle: Was ich auch wei- deutendsten Theoretikern des Feminismus in Frankreich, die all-
terhin an Derridas Bemerkungen, die während eines Seminars am gemein als exemplarische Vertreter anti-essentialistischer bzw.
Pembroke Center for Teaching and Research on Women (Brown essentialistischer Positionen gelten. Abschließend möchte ich
University) vorgetragen wurden, verblüffend finde, ist sein Un- innerhalb des Raumes, den ich, so hoffe ich, für eine neue Sicht auf
vermögen, die Grundlagen zu artikulieren, auf denen Frauenfor- Irigaray eröffnet habe, ihre Transposition des Essentialismus be-
schung ihre Differenz finden würde. Meine Verblüffung wächst gutachten.
noch, wenn ich in der veröffentlichten Transkription des Semi-
nars, das ich besucht und zu dem ich auch beigetragen habe, fol-
gendes lese: I. Dieser Essentialismus, der keiner/nicht eins ist
Dies ist eine Frage des Gesetzes: sind diejenigen, die in der Frauenfor-
schung involviert sind - Lehrende, Studierende, Forschende-, die (für-) Was der Revisionismus, um nicht zu sagen Essentialismus, für den
Hüter des Gesetzes oder nicht? Siewerden sich erinnern, daß in Kafkas Pa- Marxismus-Leninismus gewesen ist, das ist der Essentialismus für
rabel vom Gesetz zwischen dem Türhüter des Gesetzes und dem Mann den Feminismus: das Hauptidiom eines intellektuellen Terroris-
vom Lande kein essentiellerUnterschiedbesteht; ihre Positionen sind ent- mus und das privilegierte Instrument politischer Orthodoxie.
gegengesetzt, aber symmetrisch. Als Mitglieder einer Universität sind wir Dem ehrwürdigen Vokabular der Philosophie entliehen, hat das
alleTürhüter des Gesetzes(... ) Wiederholt sich diese Situationselbst in der Wort Essentialismus im Kontext des Feminismus die Zauberkraft
Frauenforschung oder nicht? Ist da etwas in der abstrakten oder gar topi- gewonnen, zum Schweigen zu verurteilen, zu exkommunizieren
schen Idee einer Frauenforschung, das potentiell die Kraft hat, sofern das
und dem Vergessen zu übergeben. Essentialismus ist im Feminis-
möglich ist, die grundlegende institutionelle Struktur der Universität, des
Gesetzesder Universität zu dekonstruieren? (S. 191- 192; Hervorhebungen mus unserer Modeme Anathema. Doch gibt es Zeichen, ermuti-
von mir-N. S.) gende Zeichen - in Form geplanter Bücher, in Arbeit befindlicher
Dissertationen, privater Unterhaltungen - , die nicht so sehr auf
Ist das, wonach Derrida also ruft, dieses potentiell dekonstruktive eine Rückkehr des oder zum Essentialismus hindeuten als vielmehr
etwas, von der Art eines essentiellen Unterschiedes? Ist das, wo- auf eine Anerkennung der im Namen eines Anti-Essentialismus
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~
begangenen Exzesse und auf die Dringlichkeit, die eigentlichen den Kritiken. Nun sind diese Kritiken zumeist ineinander ver-
Positionen eines Konfliktes zu überdenken, von dem alle Parteien schachtelt, innerhalb eines Artikels oder eines Buches so dicht mit-
wohl übereinstimmend behaupten würden, daß er seine Produkti- einander verwoben, daß sie scheinbar ein innerlich konsistentes,
vität eingebüßt hat. 2 gegen eine unverrückbare monolithische Position gerichtetes Ar-
Was ist mit dem Essentialismus im Kontext des Feminismus ge- gument bilden. Wenn man sich aber zu rein heuristischen Zwecken
meint, und was sind die Hauptargumente, die gegen ihn von seinen die Mühe macht, die verschiedenartigen Stränge dieser Kritiken zu
Kritikern ins Feld geführt wurden? Gemäß einer Standarddefi- entwirren - ich werde vier solcher Kritiken unterscheiden - , so
nition aus dem Dictionary of Philosophy and Religion ist Essentia- wird sichtbar, daß sie verschiedenen, gar konfligierenden Interes-
lismus der »Glaube, daß die Dinge über Wesen(heiten) (essences) sen dienen und sich auf unterschiedliche, häufig unvereinbare be-
verfügen«. Was ist nun aber ein Wesen oder eine Wesenheit? Wie- griffliche Rahmensetzungen stützen. Wie sehr diese Kritiken sich
derum aus demselben Wörterbuch: »das, was ein Ding zu dem auch immer in der Praxis überlappen und durchdringen mögen, so
macht, was es ist«, und weiter: »das, was im Hinblick auf einen Be- entsprechen sie, hat man sie erst einmal voneinander getrennt, den
griff oder ein Ding notwendig ist und sich nicht verändert«. 3 Es- Hauptrichtungen in der feministischen Theorie von Bcauvoir bis
sentialismus besteht im spezifischen Kontext des Feminismus im zur Gegenwart.
Glauben, daß die Frau ein Wesen hat, daß die Frau durch ein oder 1. Die auf Befreiung zielende Kritik: dies ist die Kritik des Es-
durch eine Anzahl angeborener Attribute spezifiziert werden sentialismus, die zuerst von Beauvoir ausformuliert wurde und mit
kann, die über Kulturen hinweg und durch die Geschichte hin- der radikal-feministischen Zeitschrift Questions feministes, die sie
durch ihr sich nicht veränderndes Sein definieren und bei deren mitbegründet hat, in enge Verbindung gebracht wird. »Man wird
Fehlen sie ihre Kategorisierung als Frau einbüßt. In weniger ab- nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht«, lautet Beau-
strakten und mehr praxisbezogenen Termini ist im Kontext des voirs berühmte Erklärung aus Le deuxieme sexe. s Dies ist die Leit-
Feminismus derjenige ein Essentialist, der, anstatt die Pole von maxime der kulturalistischen oder konstruktionistischen Kritik
Geschlecht (sex) und Geschlechtsrolle (gender) sorgfältig ausein- des Essentialismus, die darauf insistiert, daß Weiblichkeit ein kul-
anderzuhalten, das Weibliche auf biologische Weiblichkeit proji- turelles Konstrukt im Dienste der unterdrückten Mächte des Pa-
ziert, derjenige, für den der Körper, d. h. der weibliche Körper, triarchats sei. Durch Hochhalten einer im Körper begründeten es-
wie komplex und problematisch auch immer, der Fels des Feminis - sentiellen Differenz der Frau, so das Argument, spielt der Essen-
mus bleibt. tialismus der patriarchalen Ordnung, die sich traditionell auf
Doch habe ich nicht durch die gerade eben gegebene Definition anatomische und physiologische Differenzen berufen hat, um die
des Essentialismus selbst wieder eine Essentialisierung vorgenom- soziopolitische Entmachtung der Frauen zu legitimieren, direkt in
men, da doch Definitionen, per definitionem, quasi essentialistisch die Hände. Wenn Frauen Gleichheit erlangen und vollständig be-
sind? Anti-Essentialismus geht genau so, nämlich durch Essentia- freite Personen werden sollen, so müssen die vielfältigen Formen
lisierung des Essentialismus, vor; er tut so, als ob es einen Essentia- der Ausbeutung und Unterdrückung, denen sie unterworfen sind
lismus, ein Wesen des Essentialismus gäbe. Wenn uns daran gele- - ob diese nun ökonomischer oder politischer Natur sind-, sorg-
gen ist, über den zunehmend unfruchtbaren Konflikt um den fältig analysiert und unermüdlich hinterfragt werden. Essentiali-
Essentialismus hinauszukommen, so müssen wir damit beginnen, stische Argumente, die nicht imstande sind, die Rolle des Sozius in
den Essentialismus zu dc-cssentialisieren, denn genausowenig wie der Hervorbringung der Frauen in Betracht zu ziehen, sind Brem-
die Dekonstruktion ist der Essentialismus eins.4 Die Vielfalt der sen am Rad des Fortschritts.
Essentialismen-man könnte zum Beispiel französischen Essentia- 2. Die auf Sprache bezogene Kritik: Dies ist die aus den Schrif-
lismus von natürlicher Verschiedenheit, naiven Essentialismus von ten und Seminaren Lacans abgeleitete und mit besonderem Nach-
strategischem Essentialismus, heterosexuellen von homosexuel - druck von englisch-amerikanischen Filmkritikern und -theoreti-
lem unterscheiden - wird offenbar in der Vielfalt der ihn betreff en- kern, die in solchen Journalen wie Screen, mlf und Camera
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1a
Obscura schreiben, vorgebrachte Kritik. Was der Sozius für Beau- Körpern. Als eine strategische Position, die eingenommen wird,
voir und ihre Nachfolger ist, das ist die Sprache für Lacan und die um spezifische politische Ziele zu erreichen, hat der feministische
Lacanianer. Der Essentialist ist in dieser Perspektive ein naiver Essentialismus jedoch seinen Platz in der Dekonstruktion.
Realist, der sich weigert anzuerkennen, daß der Verlust des Refe- 4. Die feministische Kritik: Ich habe diese Rubrik bewußt für
renten die Bedingung für den Eintritt des Menschen in die Sprache die einzige Kritik des Essentialismus aufgespart, die aus dem Inne-
ist. Innerhalb der um den Phallus zentrierten symbolischen Ord- ren der Frauenbewegung entstanden ist. Kein - männlicher oder
nung kann es keinen unmittelbaren Zugang zum Körper geben: weiblicher - Eigenname kann dieser Kritik als legitimierende
das feine Netz der Sprache schirmt den Körper dagegen ab, auf Quelle beigelegt werden; sie tritt aus den vielstimmigen Diskursen
eine Weise wahrgenommen zu werden, die nicht bereits kulturell feministischer Denker und Aktivisten - denen der schwarzen
präformiert ist. Essenrialismus ist daher in Lacanscher Terminolo- Frauen, denen der Chicana, denen der Lesbierinnen und denen der
gie ein Effekt des Imaginären, und es ist kein Zufall, daß einige der ersten Welt und der dritten Welt - hervor. Das jüngste Werk von
machtvollsten verführerischsten Evokationen des Weiblichen, na- Teresa de Lauretis, Alice Doesn't, und die Edition eines Tagungs-
mentlich diejenigen von lrigaray und Cixous, mit der Präsenz und berichts, Feminist Studies/Critical Studies, lassen sich indes als Ex-
der Fülle des prä-diskursiven Prä-Ödipalen mitschwingen. In der emplifizierungen dieses Trends anführen. Essentialisrnus ist dieser
vom Phallus regierten symbolischen Ordnung »gibt es Die Frau Kritik zufolge eine Form von »falschem Universalismus«, der die
nicht«, wie Lacan gnomisch bemerkt. 6 Was wir statt dessen haben, Vitalität der neu geborenen Frauen des Feminismus bedroht. In
sind Subjekte, deren sexuelle Einschreibung allein durch die Posi- seiner majestätischen Singularität verschwört sich das Nomen Frau
tionen bestimmt wird, die sie im Hinblick auf den Phallus einneh- mit der Verleugnung der real gelebten - geschlechtlichen, ethni-
men; und diese Positionen können zumindest theoretisch einer schen, rassischen, nationalen, kulturellen, ökonomischen, genera-
Veränderung unterworfen werden. Die eigentliche Aufgabe femi- tionsgebundenen - Differenzen, die Frauen voneinander und von
nistischer Theorie ist es indessen nicht, daran mitzuwirken, den sich selbst trennen. Feministischer Anti-Essentialismus teilt mit
Status von Frauen in der Gesellschaft zu verändern - denn das Ge- der Dekonstruktion die Überzeugung, daß Essentialismus und bi-
setz des Symbolischen ist als ewig gesetzt-, sondern die Mechanis- näre Opposition innerlich zusammengehören; daher auch die von
men, durch die weiblich Geborene als Frauen positioniert werden, ihnen vollzogene Ersetzung (displacement) von Frau-als-verschie-
ausfindig zu machen und zu denaturalisieren. den-vorn-Mann durch eine Vorstellung von innerlich differenzier-
3. Die philosophische Kritik: der Bezugspunkt ist hier die von ten und geschichtlich in ihre Position versetzten Frauen. 7
Derrida erarbeitete und von feministischen Derridianern, die sich Anders als die Dekonstruktion und alle die anderen Kritiken des
von Irigaray und Cixous bis zu einigen der wichtigsten feministi- Essentialismus, die ich hier allzu knapp begutachtet habe, sieht
schen Kritiker und Theoretiker auf der anderen Seite des Atlantiks einzig die feministische Kritik ihre Aufgabe darin, spezifisch weib-
erstrecken, verbreitete Kritik. Essentialisrnus steht aus dieser Sicht liche Subjektivitäten zu konstruieren, und deswegen halte ich diese
in Komplizenschaft mit der abendländischen Metaphysik. Sich der Kritik auch für die zwingendste. Genau im Umfeld der strittigen
binären Opposition Mann/Frau zu verschreiben heißt, ein Gefan- Differenzen zwischen Frauen und innerhalb von Frauen beginnt
gener des Metaphysischen mit seinen Illusionen der Präsenz, des sich die Sackgasse zwischen Essentialismus und Anti-Essentialis-
Seins, der festen Bedeutungen und Identitäten zu bleiben. Der Es- mus endlich zu öffnen: denn genauso wie die drängenden Streit-
sential ist ist in diesem Schema nicht - wie für Lacan - einer, der punkte der Rasse und der Ethnizität gewisse Anti-Essentialisten
sich weigert, die phallozentrische Ordnungsvorgabe des Symboli- nötigen, ihre Kritiken im Namen politischer Realitäten zurückzu-
schen zu akzeptieren, sondern einer, dem es nicht gelingt, das Spiel nehmen, nötigen sie gewisse Essentialisten, ihre Annahme eines
der Differenz in Sprache und die damit bewirkte Differenz anzuer- weiblichen Wesens, das weithin als ausschließend wahrgenommen
kennen. Jenseits des Gefängnisses des Binären spielen vielfältige und zu Recht von Minderheitenfrauen denunziert wird, in Frage
Differenzen indifferent auf ihrer Geschlechtsrolle entzogenen zu stellen.
224 225
II. Beauvoir und Irigaray: Zwei exemplarische Positionen alltäglichen Lebens. Der schreckliche Sturz aus der Transzendenz
in die Immanenz ist der Stand der Frau. Von einem herrschaftli-
Der Zugang von Frauen zur Subjektivität ist das zentrale Anliegen chen männlichen Subjekt zur Passivität und Wiederholung verur-
der beiden wichtigsten Theoretiker des französischen Feminismus teilt, ist die Frau im Patriarchat eine Gefangene der Immanenz.
des zwanzigsten Jahrhunderts: Simone de Beauvoir und Luce Iri- Wie häufig angemerkt worden ist, schreibt Beauvoirs Theorie der
garay. Tatsächlich teilen beide trotz ihrer in dramatischer Weise Subjektivität so trostlos die traditionellsten Ausrichtungen der
entgegengesetzten Positionen eine grundlegende Überzeugung: abendländischen Metaphysik wieder ein: Positivität steht auf einer
unter dem als Patriarchat bekannten sozialen Arrangement ist das Linie mit Aktivität, während Passivität und mit ihr Weiblichkeit
Subjekt ausschließlich männlich; Maskulinität und Subjektivität als negativ eingeordnet werden. Gleichzeitig arbeitet Beauvoirs ex-
sind bedeutungsgleiche Bezeichnungen. Man betrachte diese bei- emplarischer Anti-Essentialismus jedoch daran, die gemeinsame
den berühmten Aussagen, die erste aus Beauvoirs Le deuxieme Ausrichtung des Transzendenten und des Männlichen zu zerbre-
sexe, die zweite aus Irigarays Speculum: »Er ist das Subjekt, er ist chen; indem sie die unerlöste und unerlösbare häusliche Sphäre der
das Absolute« 8 ; »Jede Theorie des ,Subjekts< (,sujet<)wird stets Kontingenz gegen die öffentliche Sphäre ökonomischer Aktivität
vom ,Männlichen, zu eigen gemacht (approprie)«. 9 Fast unmittelbar eintauschen, können auch Frauen Transzendenz erlangen. Befrei-
drängt sich der Verdacht auf, daß, obgleich beide zentral mit der ung für Frauen besteht in Beauvoirs grand recit der Befreiung
Aneignung der Subjektivität durch die Männer beschäftigt sind, darin, aus der dunklen Höhle der Immanenz herauszutreten »in
Beauvoir und lrigaray tatsächlich nicht über dasselbe Subjekt/den- das Licht der Transzendenz« (Band II, S. 561; dt. S. 669).
selben Gegenstand (the same subject) sprechen. Subjektivität ist Zutiefst einbezogen in die radikale begriffliche Neubestimmung
wie Essentialismus und wie Dekonstruktion nicht eins. Es liegen des (männlichen) Subjekts, wie sie charakteristisch ist für das fran-
Welten 1J zwischen Beauvoirs Subjekt mit seinem beeindruckend zösische Denken nach Sartre, ist lrigarays Subjekt ein verminder-
groß geschriebenen S - verstärkt durch die Großschreibung des tes Subjekt, das mit dem souveränen und entschlossenen Subjekt
Absoluten, dessen Homologon - und lrigarays Subjekt mit seinem der existentialistischen Philosophie wenig Ähnlichkeit hat. Für lri-
klein geschriebenen s und den relativierenden Anführungszeichen, garay - und diese Verschiebung ist entscheidend- ist das Hauptat-
die sowohl »Subjekt« als auch »männlich« umschließen. tribut des Subjekts nicht Aktivität, sondern Sprache. Der homo
Beauvoirs Subjekt ist das vertraute hegelianische Subjekt der exi- faber, der Beauvoir als Modell dient, weicht dem homo parlans.
stentialistischen Ethik, das in einen heroischen Kampf auf Leben Somit ist Irigarays Subjekt in der Praxis ein sprechendes Subjekt,
und Tod mit dem Nicht-Selbst- und das heißt hauptsächlich mit ein Pronomen, erste Person Singular: ich. Und dieses Pronomen
der Umwelt und dem Anderen -verstrickt ist: ist unter den gegenwärtigen sozialen Arrangements ein von den
Männern vor-eingenommenes: »Das ich ist also weiterhin prädo-
Jedes Subjekt setzt sich konkret durch Entwürfe hindurch als eine Tran-
szendenz; es erfüllt seine Freiheit nur in einem unaufhörlichen Übersteigen minant beim Mann.« 11 Der vielbeschworene Tod des Subjekts -
zu anderen Freiheiten, es gibt keine andere Rechtfertigung der gegenwärti- welches allein das männliche Subjekt sein kann 12 - läßt Irigaray ei-
gen Existenz als ihre Ausweitung in eine unendlich geöffnete Zukunft. Je- genartig kalt:
desmal, wenn die Transzendenz in Immanenz verfällt, findet ein Absturz Und daß du dich nicht mehr als absolutes Subjekt behauptest, ändert daran,
der Existenz in ein Ansichsein statt, der Freiheit in Faktizität; dieser Ab- nichcs. Der Atem, der dir Leben gibt, das Gesetz oder die Pflicht, die dich lei-
sturz ist ein moralisches Vergehen, wenn er vom Subjekt bejaht wird; ist er ten, sind sie nicht die Quintessenz deiner Subjektivität? Hältst du nicht mehr
ihm auferlegt, so nimmt er die Gestalt einer Erziehung und eines Druckes fest [ne tiens pas a] an deinem •ich?~ Aber dein •ich« hält dich fest [te tiens)
an; in beiden Fällen ist er ein absolutes Übel. (Le deuxieme sexe, Band I, ( ... )t)
S. 31; dt. S. 21)
Für Frauen kann Zugang zur Subjektivität nichts anderes bedeu-
Für Beauvoir ist Subjektivität Aktivität, eine rastlose Projektion in ten, als daß sie zu autonom sprechenden Subjekten werden. Genau
die Zukunft, ein ruhmreiches Hinausgehen über die I terativität des an dieser Gelenkstelle tritt der Hauptunterschied zwischen Beau-
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voir und lrigaray unübersehbar klar hervor, und einmal mehr Anderen fixierte, indem es auf Frauen eine Weiblichkeit proji-
nehme ich sie als repräsentativ für das, was Anthony Appiah die 1ierte, die aus der Verweigerung der maskulinen Transzendenz ge-
•klassische Dialektik« genannt hat: während es für Bcauvoir das schaffen war. Andershcit ist in Bcauvoirs Schematisierung völlige
Ziel für Frauen ist, an den Privilegien des transzendenten Subjekts '-legativität; es ist das Reich dessen, was Kristeva •Abjckt• ge-
gleichberechtigt zu partizipieren, ist es nach Irigaray das Ziel für nannt hat. lrigarays Projekt ist dem von Beauvoir diametral entge-
Frauen, Subjektivität zu erlangen, ohne spurlos in der vermeintli - gengesetzt, ist aber als dessen notwendiges Korrelat anzusehen. So
chen Indifferenz des shiftersaufzugehen. Zur Verhandlung steht in wie Beauvoir die Mechanismen der Veranderung bloßlegt, entlarvt
diesen zwei gleichermaßen machtvollen und problematischen fe- Irigaray genau die Mechanismen, die wir per Analogie als• Versel-
ministischen Diskursen nicht der Status des Unterschieds, sondern bung« bezeichnen können. Während Veranderung mitcinschließt,
der des Universellen; und der Universalismus ist wahrscheinlich daß dem objektivierten Anderen eine Differenz zugeschrieben
eine der trennendsten und am wenigsten diskutierten Streitfragen wird, die dazu dient, ihre Unterdrückung zu legitimieren, spricht
im heutigen Feminismus. Wenn Irigaray die Frauen als Sprecher Vcrselbung dem objektivierten Anderen das Recht auf ihre Diffe-
einer sexuell markierten Sprache, eines »parlerfemme« sieht, so renz ab, indem sie den Anderen den Gesetzen der phallischen Spe-
geht es ihr, glaube ich, letzten Endes weniger darum, der weibli - kularität unterwirft. Während Veranderung unterstellt, daß der
chen Besonderheit.eine theoretische Form zu geben, als vielmehr Andere erkannt werden kann, schließt Verselbung jedes Wissen
darum, die unterdrückende Fiktion eines universalen Subjekts zu vom Anderen in ihrer Andcrsheit aus. Während die Entlarvung der
entlarven. Frau sprechen heißt vor allem nicht •universal spre- Logik der Veranderung-ob es sich nun um Frauen, Juden oder an-
chen«i.; •kein indifferentes, ersetzbares Subjekt mehr, und auch dere Opfer einer herabsetzenden Stereotypisierung handelt - ein
kein universales mehr• 15 ; •Ich habe weder Lust, ihr Wort zu er- notwendiger Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung von Gleich-
greifen, wie sie das unsere ergriffen haben, noch ,universal< zu heit ist, ist die Entlarvung der Logik der Verselbung ein notwendi-
sprechen.« 16 Für Beauvoir hingegen haben Frauen, eben weil sie ger Schritt, wenn es darum geht, das Universale vom Sockel zu
davon abgehalten wurden, universal zu sprechen, weil sie in der stürzen.
Tat »kein Empfinden des Universalen« haben, so wenig an bedeu- Insofern Veranderung und Verselbung bei der Unterdrückung
tenden Beiträgen zur großen humanistischen Tradition geleistet. der Frauen 1usammenwirken, müssen die Wirkungsweisen beider
Mittelmaßigkeit ist das Los jener Schöpfer, die sich nicht »für das Prozesse entlarvt werden. Und doch hat sich bis heute die Ausar-
Universum verantwortlich« fühlen. 17 beitung dieser beiden Projekte als eine für feministische Theoreti-
Es ist hier nicht meine Aufgabe, zwischen diesen beiden von mir ker nicht zu fassende, in der Tat nicht zu bewältigende Aufgabe er-
umrissenen exemplarischen Positionen zu entscheiden, sondern zu wiesen, denn genauso wie Beauvoirs Analyse die Theoretisierung
versuchen zu verstehen, wie, ausgehend von denselben Grundan- von Differenz, besser-und diese Unterscheidung ist entscheidend
nahmen über die Exilierung der Frauen aus der Subjektivität, - von Differenz als Positivität, verwirft, erweist sich die I rigarays
Beauvoir und lrigaray zu so radikal verschiedenen Schlußfolge- als unfähig, Differenz, das heißt Differenz als Positivität, nicht zu
rungen kommen; und weiter zu zeigen, daß das Werk Irigarays theoretisieren. Zu einem der mißlichsten Momente kommt es auf
nicht verstanden werden kann, ohne daß es in Beziehung zum den letzten Seiten von le deuxieme sexe, wo ßeauvoir den Leser
Beauvoirschen Werk gesetzt wird. Zu diesem Zweck müssen davon zu überzeugen sucht, daß die Befreiung der Frauennichtei-
Beauvoirs und Irigarays Theorien der Subjektivität in den größeren nen vollständigen Verlust von Differenz zwischen 11ännern und
Rahmen ihrer jeweiligen Unternehmungen gestellt werden. Beau- Frauen bedeuten wird; das ganze Gewicht des Vorhergehenden
voir legt in Le deuxieme sexe die Mechanismen dessen bloß, was hingegen hatte gerade gegen eine Theoretisierung einer positiven
wir mit einem von Mary Louise Pratt geprägten Ausdruck• Veran- Differenz, ja in der Tat gegen jede Grundlegung von Differenz ge-
derung« (•othering«)18 nennen können: die Mittel, durch deren kämpft, indem sowohl der Körper als auch das Soziale als Orte be-
Gebrauch das Patriarchat die Frauen auf dem Platz des absoluten deutungsvoller sexueller Differenz ausgeschaltet wurden. Beau-
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voir verrät sich selbst auf diesen abschließenden Seiten, auf denen durch Mois Gebrauch des Wortes »positiv« angezeigt. Denn letz-
sie vom Scheitern der Frauen handelt, Größe in der Welt des Intel- ten Endes ist die Frage, die von Irigarays Versuchen, weibliche Be-
lekts zu erlangen: »Sie kann eine ausgezeichnete Theoretikerin sonderheit zu theoretisieren - was nicht mit dem »Definieren« der
werden, sich ein zuverlässiges Talent erwerben. Aber sie hat sich Frau verwechselt werden darf, eine Aufgabe, die, so schreibt sie,
dabei die Ablehnung von all dem abgerungen, was sie an Differen- besser den Männern überlassen bleiben sollte-, aufgeworfen wird,
tem an sich hatte. « 19 Ähnlich setzt sich lrigaray durch ihre uner- die nach Differenz innerhalb von Differenz. Irigarays Wette ist
bittliche Entlarvung der Mechanismen der Verselbung, der Öko - die, daß die Differenz wiedererfunden werden kann, daß die
nomie dessen, was sie die »Echonomie« des Patriarchats nennt, mit unechte, aus Frauenfeindlichkeit gesetzte Differenz zurückerobert
der Übernahme einer Logik der Veranderung dem Vorwurf genau werden kann, um zu einer radikal neuen Differenz zu werden, die
dessen aus, was ungeachtet ihrer Proteste ihr Essentialismus ge- als die erste ernsthafte historische Bedrohung für die Hegemonie
nannt worden ist. 20 Mir geht es hier darum, deutlich zu machen, des männlichen Geschlechts anzusehen wäre. lrigarays Wette ist
daß jede Position ihre unausweichliche Logik hat und daß diese die, daß in der Weiblichkeit es eine (lalune femme) Frau gibt: ..un-
Unausweichlichkeit das Gesetz des Selben/ Anderen ist. Wenn aJle ter all diesen/ihren Erscheinungen, unter all diesen/ihren Entlei-
Differenz der Veranderung zugeschrieben wird, dann läuft man hungen und Kunstgriffen sub-sistiert noch diese andere. Jenseits
die Gefahr der Verselbung, und umgekehrt: wenn aJle Verleug- all dieser/ihrer Gestalten von Leben und Tod noch lebendig.« 22
nung der Differenz als auf Verselbung hinauslaufend angesehen Mimesis ist der Ausdruck, den Irigaray sich aus dem Vokabular
wird, dann läuft man die Gefahr der Veranderung. Mit anderen der Philosophie zu eigen macht, um ihre Strategie zu beschreiben,
Worten: es ist genauso unsinnig, Beauvoir den Vorwurf zu machen, die Maskerade der Frau, ihre sogenannte Weiblichkeit, in ein Mit-
sie befördere den Verlust der Differenz zwischen Männern und tel zu r Wiederaneignung des Weiblichen zu verwandeln:
Frauen, wie lrigaray dafür zu kritisieren, daß sie diese Differenz be- Es geht darum, diese [dem Weiblichen historisch zugeschriebene) Rolle
fördere, ja gar theoretisiere. Und doch scheint die Logik, die ich aus freiwillig zu übernehmen. Was schon heißt, eine Subordination umzukeh-
diesen zwei exemplarischen feministischen Diskursen herauszuzie- ren in Affirmation, und von dieser Tatsache aus zu beginnen, jene zu verei-
hen versuche, den meisten der scharfen Kritiken an lrigaray entgan- teln.( ... ) Mimesis (mimesis)zu spielen bedeutet also für eine Frau den Ver-
gen zu sein, die sich wiederholt darum bemüht haben, ihre brillante such, den Ort ihrer Ausbeutung durch den Diskurs wiederzufinden, ohne
sich darauf einfach reduzie ren zu lassen. Es bedeutet, sich - als das, was
Darstellung der spekularen Logik des Phallozentrismus von ihrer
sich auf der Seite des »Sinnlichen•, der •Ma terie« befindet - wieder den
Theoretisierung einer spezifischen weiblichen Differenz zu tren- »Ideen«, insbesondere den Ideen von ihr, zu unterwerfen, so wie sie in/von
nen. Tori! Mois Formulierung ist in dieser Hinsicht typisch: einer »männlichen• Logik ausgearbeitet wurden; aber, um durch einen Ef-
fekt spielerischer Wiederholung das »erscheinen• zu lassen, was verborgen
( ... )nachdem sie gezeigt hat, daß Weiblichkeit bisher ausschließlich in be-
bleiben sollte: die Verdeckung einer möglichen Operation des Weiblichen
zug auf die Logik des Selben konstituiert wurde, erliegt sie der Versu-
in der Sprache. Es bedeutet außerdem, die Tatsache zu •entschle iern•, daß,
chung, eine eigene, positive Theorie der Weiblichkeit zu entwickeln. Aber,
wenn die Frauen so gut mimen, es daran liegt, daß sie nicht einfach in dieser
wie wir gesehen haben, heißt die •Fra u« zu definieren, sie zwangsläufig zu
essentialisieren. 21 Funktion aufgehen. Sie bleiben ebensosehranderswo.2J
Mimesis24 (mimetisme) bei lrigara y ist weithin und durchaus kor-
Mein Argument geht a contrario: lrigara ys Hervorbringung einer rekt als Beschreibung eines parodistischen Diskursmodus inter-
positiven Theorie der Weiblichkeit ist nicht Abirrung, nicht Sünde pretiert worden, mit dem der Diskurs der Frauenfeindlichkeit
(um die theologische Metapher auszuweiten), sondern logische durch Verstärkungs- und Reartikulationseffekte, die, in Mary Ann
Erweiterung ihrer Dekonstruktion der spekularen Logik der Ver- Doanes Worten, daran arbeiten, »eine defarniliarisierte Version
selbung. Das Problematische an lrigarays Theoretisierung des von Weiblichkeit zur Aufführung zu bringen« 2s, dekonstruiert
Weiblichen - die, darauf sollte hingewiesen werden, tatsächlich werden soll. Doch es gibt noch einen weiteren Aspekt der Mimesis
nur einen Aspekt oder Moment ihres Werkes ausmacht - wird - ein offenkundig polysemischer Ausdruck 26 -, der zum großen
230 231
Teil fehlgelesen und sogar unterdrückt worden ist, weil er eine III. Irigaray begreifen
weitaus strittigere und gewagtere Operation ins Spiel bringt, et-
was, das eher eine Umwertung als eine Zurückweisung des Dis- Est-cequ'i/ n'y a pas une fluidite,
kurses der Misogynie ist, ein Bemühen, das Kind festzuhalten, quelque deluge, qui pourrait ebranler
während das Badewasser ausgeschüttet wird. So schreibt Irigara y cet ordresocial?29
zum Beispiel in Le corps-a-corpsavec la mere: Ou sont, au present, /esfluides?J0
Geschichtlichsind wir die Hüterinnen des Körperlichen, wir haben diese
Hut nicht aufzugeben,sondern müssensiealsdie unsrigeidentifizieren,in- Wenige von Irigarays Behauptungen über die weibliche Besonder-
dem wir die Männer auffordern, aus uns nicht •ihre Körper«, ein Unter- heit haben heftigere Beschuldigungen des Essentialismus hervor-
pfand ihrer Körper zu machen.27 gerufen als ihre »ungeheuerliche« These, die Frau erfreue sich einer
besonderen Beziehung zum Flüssigen. Eine der ersten Thesen die-
Der Gebrauch, den Irigaray von dem Wort Mimesis macht, mimt ser Art taucht in Ce sexe qui n'en est pas un auf, wo Irigaray in der
ihre Strategie, verkörpert im voraus ihre Wette, die als ein Beispiel Hochzeit der »ecriture feminine« sowohl das Schreiben als auch
dessen beschrieben werden könnte, was Derrida als Paläonymie be- das Sprechen von Frauen als flüssig charakterisiert.
zeichnet hat: »daß man manchmal einen alten Namen beibehalten
Und doch, die Frau, es spricht. Doch nicht »ähnlich«, nicht •gleich«, nicht
muß, wenn man einen neuen Begriff einführen möchte«. 28 Im spezi- »identischmit sich• noch zu irgendeinemx usw. Es spricht •flüssig«.JJ
fischen Kontext des Feminismus benennt die alte Mimesis, auf die
zuweilen auch als Maskerade Bezug genommen wird, die angebli- Diese These hat einigen feministischen Theoretikerinnen ein sol-
chen Talente der Frauen, den Diskurs des Herrn, einschließlich des ches Unbehagen bereitet, daß sie nichts Eiligeres zu tun hatten, als
Diskurses der Misogynie, nachzuahmen. Auf einer zweiten Stufe sie einer Irigarayschen Mimikry in Gestalt einer ironischen Distan-
wird das Nachahmen zur Parodie, und Mimesis bedeutet dann keine zierung statt der von mir weiter oben skizzierten positiven Form
irregeleitete Maskerade, sondern eine heimliche Mimikry. Und der Mimesis zuzuschreiben:
schließlich-in der dritten Bedeutung von Mimesis, die ich aus Iriga- Ihre Verknüpfungvon Weiblichkeitmit dem, worauf siesich alsdie »realen
rays Schriften herauszuziehen suche - erlangt Mimesis die Bedeu- Eigenschaftender Fluida« bezieht - innerliche Friktionen, Druckunter-
tung von Differenz als Positivität, eine freudvolle Wiederaneignung schiede, Bewegung,eine spezifischeDynamik, die ein Fluidumnicht-iden-
der Attribute des Anderen, die nicht einfach mit einer bloßen Um- tisch zu sich selbst macht-, ist selbstverständlichbloß Erweiterung und
kehrung der gegebenen phallozentrischen Machtverteilung ver- Nachahmung einer patriarchalenKonstruktion von Weiblichkeit.JZ
wechselt werden darf. Für Irigaray wie für andere französische Anti- Und doch wird, wie Irigarays Verbindung weiblicher Flüssigkeit
Feministinnen neueren Datums würde eine Umkehrung - die mit Fluß, Nicht-Identität, Nähe usw. anzeigt, dem Flüssigen in ih-
Machtübernahme durch die Frauen, die sie als letztes Ziel der Femi- rer Philosophie des Elementaren ein hoher Wert beigemessen:
nistinnen amerikanischer Prägung ansehen - die spekulare Ökono- »Warum soll sich aufrichten / erigieren als ein Festes mehr wert sein
mie, die diese Anti-Feministinnen zerschlagen wollen, an ihrem denn verfließen als Flüssiges von zweien« 33 (zwei Lippen); »Mein
Platz belassen. Die Mimesis, die hinter der Maskerade und der Mi- Leben ist nichts als Biegsamkeit, Zärtlichkeit, bewegende Unge-
mikry liegt- eine essentiellere Mimesis gleichsam, eine Mimesis, die wißheit des Flüssigen«. 34
die ursprüngliche platonische Mimesis in Erinnerung ruft-, bedeu- Wo kommt diese Vorstellung von der Flüssigkeit des Weibli-
tet keine Verkehrung der Misogynie, sondern ein Hervortreten des chen, wenn nicht gar der Weiblichkeit des Flüssigen her? Es ist
Weiblichen, und das Weibliche kann nur von inner- oder unterhalb- nicht zu leugnen, daß es eine Aneignung aus dem Repertoire der
um Irigarays archäologische Metapher auszuweiten - der Weiblich- Misogynie ist: ,.Geschichtlich sind die Eigenschaften des Flüssigen
keit hervortreten, innerhalb deren sie verborgen liegt. Die Differenz dem Weiblichen überlassen worden. «35 Doch was für die Anti-Es-
innerhalb der Mimesis ist die Differenz innerhalb der Differenz. sentialistinnen noch schlimmer ist: es sieht so aus, als ginge es aus
232 2 33
einer nicht-problematisierten Lektüre direkt aus dem weiblichen Fluida dafür bereits teilweise eine Deutung abgibt. «42 Das Reale ist
Körper in seiner hormonalen Unmittelbarkeit hervor. Es wird in bei Irigaray weder unmöglich noch unerkennbar: es ist das Flüs-
der Tat in dreifacher Weise durch die weibliche Physiologie be- sige. Folglich verknüpft Irigaray im weiteren Verlauf genau dieses
stimmt: Artikels beständig das Flüssige und das Reale und spricht von
»dem Realen der Dynamik der Fluida« und »einer Ökonomie rea-
Das anale Stadium besteht bereits in der Lust am »Festen«. Nun, das Ge-
ler Flüsse«. 43
nießen des flüssigen besteht, so scheint es mir, bei den Frauen noch über
das sogenannte orale Stadium hinaus weiter: die Lust des »es fließt« in ihr, Zwei Bemerkungen sind hierzu angebracht: erstens, setzt man
außer ihr, ja sogar: zwischen ihnen. 36 all das voraus, was ich zuvor gesagt habe, so macht diese neue Kri-
tik an Irigaray gewiß einen merkwürdigen Eindruck. Doch mir
Das Element des Meeres ist also zugleich das Fruchtwasser( ... ) und es ist geht es hier weder darum, Irigaray zu »verteidigen«, noch den Es-
ebenso, so scheint es mir, etwas, welches das weibliche Genießen sehr gut sentialismus zu befördern, sondern vielmehr die Auseinanderset-
darstellt. 37
zung zu de-hysterisieren; zu zeigen, wie die obsessive Verlegung
Der ontologische Primat von Frau und Flüssigem gehört für sie zu des Schwerpunkts auf das, was so locker das Biologischegenannt
dem von der patriarchalen Metaphysik Verdrängten; das Verges- wird, dazu geführt hat, die Lektüre eines derart herausfordernden
sen der Fluida nimmt ,am Muttermord teil, der entsprechend dem und anspruchsvollen Denkerin wie Irigaray verarmen zu lassen.
Irigarayschen Ursprungsmythos die abendländische Kultur be- Zweitens: aus der Perspektive des Anti-Essentialismus ist anderer-
gründet: »Er beginnt zu sein in den Flüssigen und dank ihrer. « 38 seits insofern nichts besonders Überraschendes an der Komplizen-
Unzweifelhaft liegt Irigarays Verbindung des Flüssigen mit dem schaft von Essentialismus und Szientismus, als beide zumindest
Weiblichen eine Referenz auf den weiblichen Körper zugrunde. 39 auf einer gewissen Ebene einen fundamentalen Materialismus im-
Die Anti-Essentialistin würde hier haltmachen, Irigarays Ansprü- plizieren. Doch aufgrund des roten Tuchs (wenn es nicht gar ein
che als fehlgeleitet abweisen und nichts weiter damit zu tun haben »red herring«, ein z_urTäuschung eingesetzter Lockvogel, ist), das
wollen - und nur wenige der schärfsten Kritiker Irigarays haben der Essentialismus darstellt, ist die Frage des Mater-ialismus von
sich mit dem Werk, das nach 1977 veröffentlicht worden ist-was Irigaray niemals wirklich angesprochen worden. Anscheinend fin-
immerhin der Hauptteil dessen ist, was sie geschrieben hat-, her- den manche Feministinnen es angenehmer, den Körper aus den
umgeplagt. 40 Indem sie sich so verhalten, übersehen sie einen wei- Bezirken der hohen Theorie zu entfernen -und damit natürlich ge-
teren und gleichfalls lästigen, aber letztlich interessanteren Aspekt nau die Hierarchien zu verstärken, die sie eigentlich demontieren
ihres Werkes. Und dieser ist das Vertrauen, das sie in das Univer- wollten -, statt sorgfältig auseinanderzuhalten, was zum Körper
sum der Naturwissenschaft, insbesondere in die Physik (aber auch gehört und was zur Welt der Materie.
in die Chemie, insofern die Grenze zwischen beiden nicht immer Die Behauptung, die Naturwissenschaft genieße in den Schrif-
eindeutig gezogen werden kann) setzt, die in ihrem begrifflichen ten Irigarays einen besonderen Status, impliziert nicht die These,
Universum ein seltsames und weitgehend unüberprüftes Privileg daß die Naturwissenschaft, der Herrschaftsdiskurs unserer Zeit,
genießt. 41 fn der Tat ist in ihren Schriften über das unterdrückte sich der feministischen Kritik Irigarays habe entziehen können.
weibliche Element des Wassers die referentielle Realität, auf die Das ist nicht der Fall. Mit Gelächter und Zorn hat Irigaray auf die
sich Irigaray leidenschaftlich zur Begründung ihrer Thesen beruft, angebliche Neutralität des naturwissenschaftlichen Diskurses rea-
weniger eine physiologische als eine physische; auf den Fels des giert, einer Form von Schrift, die wie alle Schrift durch das Ge-
Materialismus und nicht auf den des Essentialismus sucht Irigaray schlecht eine Modulierung erfährt, die jedoch mehr als irgendeine
die Wahrheit ihres Anspruchs zu gründen. So schreibt sie in einem andere Subjektivität bestreitet. Die Unfähigkeit der Naturwissen-
Aufsatz mit dem Titel Le langage de l'homme: »Doch diese Spra- schaft, die geschlechtliche Ausprägung (gendering) der Sprache
che der Frau(en) wird noch heute zensiert, verdrängt, verkannt anzuerkennen, schlägt sich im Unvermögen nieder, theoretisch
{... )selbst jetzt noch, wo die Wissenschaft von der Dynamik der adäquat zu erfassen, was von ihr mit dem Weiblichen assoziiert
234 2 35
wird: insbesondere die Elemente, insbesondere das Flüssige. So pitel in Speculum „genau im Zentrum des ,Speculum,-Teils (und
stellt lrigaray in Le „mecanique« des fluids die »Naturwissen- zugleich des ganzen Buches)( ... ) Descartes sinkt in die innerste
schaft« wegen ihres Unvermögens, eine» Theorie der Fluida« aus- Höhle des Buches. « 47 Dieses Kapitel ist, wie Moi weiter bemerkt,
zuarbeiten, an den Pranger. Und dennoch beruft sie sich in einigen traditionell zumindest in seiner Darstellung des Subjekts des Co-
ihrer Schriften neueren Datums, auch wenn sie ihre in hohem gito: das »Ich« des Cogito istselbsterzeugt, konstituiert durch eine
Maße kritische Einstellung zur Ideologie der Naturwissenschaft radikale Verleugnung sowohl des anderen als auch der körperli-
beibehält, ständig auf naturwissenschaftliche Theorien als Mo- chen Ursprünge des Menschen: ,.,Ich, denke, also wird dieses
delle, als Analogien für die weibliche Sexualität. Um ein Beispiel Ding, dieser Körper, der auch die Natur ist, der zudem noch die
zu geben: gelegentlich einer Zurückweisung der thermodynami- Mutter ist, zu der Ausdehnung, die für seine analytischen For-
schen Prinzipien, die Freuds Theorie der Libido zugrunde liegen, schungen, seine wissenschaftlichen Projektionen, die geregelte
als eher auf die männliche denn auf die weibliche Sexualität pas- Ausübung seines Imaginären, die nutzbringende Praktizierung
send, schreibt Irigaray: seiner Technik zur Verfügung steht.«◄8 Hier geht es um die Konsti-
tution einer Ontologie, die alle Betrachtungen ausschließt, die mit
Die weibliche Sexualität ließe sich vielleicht besser- sofern die Notwendig- der physischen Welt zu tun haben: »Dasselbe trifftfür die Betrach-
keit besteht, ein naturwissenschaftliches Modell zu evozieren - mit dem in tungen über die Frau, die Frauen zu. Eine Gynäkologie, eine
Übereinstimmung bri~gen, was Prigogine •dissipative• Strukturen
nennt"\ die über den Austausch mit der äußeren Welt operieren, die sich
Dioptrik, gehören nicht länger rechtmäßig der Metaphysik an.
entlang Energieniveaus entwickeln und deren Ordnung nicht auf die Suche Anthropos-logos, dessen Geschlecht sich nur durch das, was er aus-
nach einem Gleichgewicht hinausläuft, sondern auf das Überschreiten von schließt, verkennt, mißachtet, zu erkennen gibt, und durch das,
Schwellen, die einer Überwindung von Unordnung oder Entropie ohne was sich in seinen Rändern sagt. «49 Um so überraschender ist es, in
Entladung entsprechen. •s der Ethik der sexuellen Differenz einen anderen Descartes zu ent-
decken, einen Descartes, dessen Abhandlung über die Leiden-
Desgleichen deutet Irigaray später in demselben Aufsatz an, daß schaften der Seele den Begriff der Verwunderung enthält, der den
die jüngsten Resultate der in der Physik wie auch in der Linguistik liebsten Wunsch Irigarays wahr werden läßt-die (Wieder)Verbin-
geleisteten Arbeit ein Licht auf die Besonderheiten der Beziehung dung des Körpers und der Seele, des Physischen und des Metaph y-
von Frauen zum Aussagevorgang werfen könnten: »Bestimmte sischen: ,.Es gilt wieder ein wenig Descartes zu lesen und sich zu
Forschungen in der Theorie des Diskurses, aber auch in der Phy- erinnern oder zu erfahren, wie es in den Leidenschaften um die Be-
sik, scheinen den bislang blinden Ort ihres Nicht-Zugangs zur wegung bestellt ist. Es ist angebracht, auch über die Tatsache zu
Diskursivität erhellen zu können.«<!(,Mit welcher Frage auch im- meditieren, daß alle Philosophen -außer den letzten? warum nur?
mer sie an die Naturwissenschaftler herantritt, und manche von ih- - stets auch Physiker gewesen sind und ihre metaphysischen Un-
nen - wie in Le sujet de la science est-il sexue?-sind in der Tat im- tersuchungen stets auf kosmologische Untersuchungen gestützt
pertinent, so versucht doch Irigaray immer wieder, die Wahrheit haben oder mit solchen begleiteten( ... ) Diese Spaltung zwischen
ihrer Theorien in den neuesten naturwissenschaftlichen Erkennt- den physikalischen Wissenschaften und dem Denken stellt freilich
nissen zu verankern. Sie weiß, daß der naturwissenschaftliche Dis- das dar, was das Denken selbst bedroht.«;o
kurs nicht neutral ist, doch nichtsdestoweniger sieht sie ihn als In Descartes' Abhandlung findet also Irigaray die Allianz des
letzte Quelle der Legitimierung an. Naturwissenschaft ist Iriga- Physischen und des Metaphysischen, des Materiellen und des
rays Fetisch. Transzendentalen, die für sie das philosophische Ideal darstellt. Es
Warum also werden die Naturwissenschaften und spe2.iell die tut wenig zur Sache, daß Descartes bei der Ausarbeitung seiner
Physik in Irigarays Schriften privilegiert? Die Antwort wird deut- Vorstellung der Verwunderung die sexuelle Differenz nicht im
lich, wenn man die zentrale Rolle Descartes' in Irigarays Schriften Sinn gehabt hat: »Die sexuelle Differenz könnte da situiert wer-
in Betracht zieht. Wie Moi festgestellt hat, steht das Descartes-Ka- den. Doch Descartes denkt nicht daran. Er begnügt sich damit
236 2 37
festzustellen, daß das Differente anzieht. « 51 » Er differenziert die psychanalyse und Le sujet de la scienceest-il sexue?, anzusehen.
Triebe nicht entsprechend den Geschlechtern. Dagegen ordnet er Im ersten der beiden Aufsätze, in dem lrigaray sich an die männli-
die Verwunderung als erste Leidenschaft ein. Eine von Freud ver- chen Türhüter der (Lacanschen) psychoanalytischen Institution
gessene Leidenschaft? Eine Leidenschaft, die einen Weg wahrt wendet, ist ihr Ton von Anfang an selbstsicher, aufsässig, unver-
zwischen Physik und Metaphysik, zwischen körperlichen Ein- schämt. Wie anders doch der Ton ihrer an die Naturwissenschaft-
drücken und auf ein empirisches oder transzendentes Objekt ge- ler gerichteten Ansprache. Als sie sich an die Mitglieder des »Semi-
richteten Bewegungen.« 52 So fungiert bei Irigaray Descartes so - nars zur Geschichte und Soziologie wissenschaftlicher Ideen und
wohl als der Philosoph, der unwiderruflich den Körper von der Tatsachen« der Universite de Provence in Marseille wendet, gibt
Seele getrennt hat, wie auch als der, der sie aufs glänzendste wie- sie einen seltenen Anfall von Lampenfieber zu: »Seit langem nicht
dervereint. Die Physik wird hierbei von Irigarays radikalem Mate- mehr habe ich bei der Vorstellung, öffentlich zu sprechen, derar-
rialismus in den Dienst genommen; von ihrem Wunsch, zu einer tige Hemmungen verspürt« 54, teilt sie ihrem Publikum mit. Das
vorsokratischen (jedoch zugleich post-nietzscheanischen und Problem ist ein Problem der Anrede: während der an die Analyti-
post-bachelardschen) Auffassung der vier generischen Elemente ker gerichtete Text mit einem entschiedenen »Messieurs les ana-
als begründende Elemente zurückzukehren, was - ich wiederhole lystes« beginnt, setzt die Ansprache an die Naturwissenschaftler
- nicht dasselbe ist wie Essentialismus. mit der Hinterfragung des Aktes der Ansprache als solcher ein:
Aber das ist nicht alles: Irigarays letztes Ziel ist nicht sozusagen » Wie mit Wissenschaftlern sprechen?«
55
die Rückversetzung der Physik in die Metaphysik, sondern viel- Irigaray steht vor den Naturwissenschaftlern, wie eine Frau vom
mehr die Zerstörung der Metaphysik des Seins durch die Erset - lande vor dem Gesetz steht: »Angst vor einer absoluten Macht,
zung einer Physik des Festen durch eine Physik des Flüssigen. die in der Luft schwebt, vor dem Urteil einer Autorität, die überall
Heidegger steht für den Augenblick in der Geschichte der Philoso- anwesend ist, ohne daß man sie wahrnehmen kann, einem Tribu-
phie, an dem ein mögliches Fragen nach der Vorrangigkeit des Fe- nal, das a limine ohne Richter, ohne Anwalt, ohne Angeklagten
sten erdgebunden, eben auf den Boden der Metaphysik gegründet fungiert. Doch das juridische System ist am Ort. Es gibt eine
bleibt. Die Zerstörung der Metayphysik ist mit einer Anamnese Wahrheit, der man sich, ohne daß es einem angezeigt wird, unter-
verbunden, mit einer Erinnerung, der Wiederversammlung der werfen muß, gegen die man, ohne es zu wollen und ohne es zu wis-
vergessenen Elemente: sen, verstoßen kann. Diese höchste Instanz übt ihre Gewalt aus,
Die Metaphysiksetzt stets irgendwieeine festeSchalevoraus, um von die- ob Sie es wollen oder nicht.« 56
ser ausgehend eine Konstruktion aufzurichten. Eine Physik also, die die Derridas Lektüre von Kafkas Parabel zufolge besteht kein we-
feste Ebeneprivilegiertoder zumindest konstituierte(... ) Solangewie Hei- sentlicher Unterschied zwischen dem Mann vom Lande und dem
deggernicht die »Erde«verläßt, verläßt er auch nichtdie Metayphysik. Die Türhüter des Gesetzes. Ihre Positionen sind im Hinblick auf das
Metaphysikschreibt sich weder über/in das Wasser noch über/ in die Luft Gesetz entgegengesetzt, aber auch symmetrisch: »Die beiden Prot-
noch über/in das Feuer( ... ) Und deren Abgründe, von unten herauf oder agonisten sind gleichermaßen vor das Gesetz gestellt, aber sie ste-
von oben herab, erfahrenfreilichihre Deutung im Vergessender Elemente, hen sich einander gegenüber«, schreibt Derrida.57 Doch was ist,
die nicht dieselbeDichte haben. Das Ende der Metaphysik,solltees vorge-
wenn der Mann vom Lande durch eine Frau ersetzt wird? Gibt es
schriebensein durch ihre Wiedererfindungin der Physik unserer Zeit?51
keinen wesentlichen Unterschied zwischen der Frau vom Lande,
Am Ende bringt uns das Infragestcllen von Irigarays Beziehung hier der feministischen Philosophin Luce Irigaray, und den Türhü-
zur Naturwissenschaft auf die Frage nach der Institution zurück- tern des Geset zes, in diesem Falle den Naturwissenschaftlern, de-
schließlich macht eine Lektüre von Parlern 'estjamais neutre deut- ren Fakultät heutzutage in unseren Universitäten weitgehend
lich, daß ihre Interventionen sich nicht lesen las&en,ohne daß man beherrschend ist?58 Wenn der Mann vom Lande durch eine Frau
deren institutionellen Kontext in Betracht zieht. Man braucht sich ersetzt wird, kann man dann so ohne weiteres von Positionen spre-
bloß die beiden stärksten Aufsätze in diesem Band, La misere de la chen, die entgegengesetzt und symmetrisch sind, ohne Gefahr zu
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laufen, in eine Logik der Verselbung zurückzufallen, in genau das, Ellen Rooney - sowie Elizabeth Weed, Nancy K. Millcr und Kaja Silver-
was Irigaray einen »alten Traum von Symmetrie« genannt hat? man für ihre vieUältigen Formen der Unterstützung und Kritik danken.
Es kann keine einfachen Antworten auf diese Fragen geben, die
zudem durch die ungemein starke Interpretation, die Derrida dem (Aus dem Amerikanischen von Hans-Dieter Gondek)
Gesetz in Kafkas Parabel gegeben hat, enorm kompliziert werden.
Aber falls Irigaray hier als eine Exemplifizierung der feministi-
schen Intervention in der Institution genommen werden kann,
Anmerkungen
dann läßt sich allerdings, wie vorsichtig auch immer, der Unter -
schied erkennen, den Frauenforschung macht: denn anstatt sich " This Essentialism that is not one; Coming to Grips with lrigaray, in:
einfach an die Türhüter des Gesetzes zu adressieren - wenn über- Differences 2/i (1989), S. 38- 58. (N. Schors Titel ist L. Trigarays Titel
haupt eine Adresse jemals einfach ist-, formt Irigaray die eigentli- Ce sexe qui n'en est pas un nachgebildet einschließlich der zweiten Be-
chen Bedingungen der Hervorbringung und der Durchsetzung des deutung, daß auch dieser »Essentialismus« nicht »eins« ist. -A. d. Hg.)
Gesetzes um. Indem sie die Frage nach dem Geschlecht (gender)
der Wissensproduzenten aufwirft, bringt die Frauenforschung im- 1 Jacques Derrida, Women in the Beehive: A Seminar with Jacques Der-
mer eine radikale B@fragungder Bedingungen der Produktion und rida, in: subjectslobjects 1984, S. 5- 19; wiederabgedruckt in: AliceJar-
Verbreitung von Wissen, der Konstitution der Disziplinen, der dine/Paul Smith (Hg. ), Men in Feminism, New York 1987, S. I 89-203;
hier S. 190. Bei seiner Erstveröffendichung in dem Brown student jour-
hierarchischen Anordnung der Fakultäten innerhalb der Institu- nal subjects! objects war auf Wunsch Derridas die Transkription des Se-
tion ins Spiel. Indem Irigaray sich mit den radikalsten Elementen minars mit einem einschränkenden Hinweis versehen worden, der in
der Naturwissenschaften verbündet, weist sie außerdem den Weg Men in Feminism wiederabgedruckt ist und den ich hier aufnehmen
zu dem, was wir, Prigogine paraphrasierend-der diesen Ausdruck möchte, um den unentscheidbaren Status des Textes •irgendwo zwi-
von Jacques Monod entlehnt hat - , eine »nouvelle alliance« zwi- schen Rede und Schrift «, •autorisiert, aber autorenlos« (S. 189) zu be-
schen der Frauenforschung und dem Gesetz nennen könnten, tonen. Alle Zitate beziehen sich auf die wiederabgedruckte Fassung
einen »neuen Bund«, der über bloße Opposition hinausginge. dieses Textes.
Mit anderen Worten: sofern sie auf der Dissymmetrie der 2 Ich beziehe mich hier in entsprechender Reihenfolge auf Teresa

von den Türhütern und der Frau vom Lande mit Blick auf das Ge- Brennan (Hg.), Between Psychoanalysis and Feminism, London 1989,
und Diana Fuss, Essentially Speaking, New York 1989, deren Buch aus
setz eingenommenen Positionen beharrt, kann die Frauenfor-
einer Dissertation an der Brown University hervorging. Der Grundton
schung, zumindest in ihrem »utopischen Horizont«, letzten zu diesem new deal im Hinblick auf den Essentialismus wurde mög-
Endes nie »bloß eine weitere Zelle im akademischen Bienenkorb« licherweise in der Fußnote zu einem Text angeschlagen, den Mary
sem. Russo vor kurzem auf einer feministischen Tagung vortrug. Darin
Das Vorangegangene ist die revidierte Fassung eines Vortrags, den ich schreibt sie: •Die Gefahren des Essentialismus, darin liegend, daß der
während einer an der Universicy of Alabama in Tuscaloosa abgehaltenen weibliche Körper, ob in Beziehung zur Repräsentation oder zur ,Ge-
Konferenz unter dem Titel •Üur Academic Contract: The Conflict of the schichte der Frauen<, gesetzt wird, sind treffend konstatiert worden,
Faculties in America• gehalten habe. Diese Konferenz hat seitdem einen derart treffend in der Tat, daß der Anti-Essentialismus im Moment zum
Fußnoten-Status in der Geschichte des Poststrukturalismus erhalten, da wahrlich größten Hindernis für die Arbeit in Kulturtheorie und -politik
anläßlich dieser Versammlung der Skandal von »Paul de Man's wartime geworden sein dürfte und ersetzt werden muß« (in: Teresa de Lauretis
journalism« über die Vereinigten Staaten hereinbrach. Ich möchte Richard [Hg.], Feminist Studies/Critical Studies, Bloomington 1986, S. 228;
Rand für seine Einladung zur Teilnahme an diesem Ereignis und Jacques Hervorhebung von mir - N. S.).
Derrida für seine Antwort auf meine Bemerkungen sowie für alle seine wei- 3 William J. Reese, Dictionary of Philosophy and Religion: Eastern and
teren Gaben danken. Western Thought, Humanities Press, New Jersey 1980, S. 81 und 80.
Ich möchte auch den Mitgliedern meiner feministischen Lektüregruppe 4 Wiederholt hat Derrida im Verlauf eines mit James Creech, Peggy Ka-
- Christina Crosby, Mary Ann Doane, Coppelia Kahn, Karen Newman, muf und Jane Todd geführten Interviews auf dem Plural von Dekon-

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struktion bestanden: •Ich denke nicht, daß es da so etwas wie eine De- zierten Kritiken unterscheidet. Dieses anscheinende Fehlen oder Fehl-
konscruktion gibt«; •( ... )es ist schwierig, die eine Dekonstruktion [la schlagen einer deutlichen marxistischen Kritik des Essentialismus in
deconstruction] zu definieren.( ... ) Ich persönlich würde soga .r sagen, jüngster Zeit ist um so überraschender, als doch die Kritik des Essentia-
daß ihre stärksten Anliegen dadurch gewahrt werden, daß man die He- lismus eindeutig an dem von Beauvoir (und anderen) vom Marxismus
terogenität beibehält( ... )• -Deconstruction in America: An lnteroiew übernommenen Ausgangspunkt stand. Wenn das Buch von Riley und
with Jacques Derrida, in: Critical Exchange, Nr. 17 ( 1985), S. 1-33, die Aufsätze von Haraway zum jetzigen Zeitpunkt die einzige Artiku-
hier S. 4 und 6. Am Ende seine Schlußfolgerung, daß es richtiger sei, lation einer postmodernen marxistischen Kritik des Essentialismus
von Dekonstruktionen zu sprechen als von einer einzelnen Dekon- sind, die wir haben, dann könnte man vielleicht sagen, daß für sie die
struktion. Essentialistin diejenige ist, die die Geschichte nicht gelesen hat.
Paris 1949, Band II, S. 13; dt . Das andere Geschlecht, Reinbek bei 8 le deuxieme sexe, a. a. 0., Band I, S. r 5; dt. Das andere Geschlecht,
Hamburg 1951 (Ausgabe in einem Band), S. 265 (Übersetzung leicht a. a. 0., S. 1 1.
verändert-A. d. Ü.). 9 Luce lrigaray, Speculum. De l'autre femme, Paris r974, S. 165; dt. Spe-
6 Jacques Lacan, Seminaire XX: Encore, Paris 1975, S. 68; dt. Seminar culum. Spiegel des anderen Geschlechts, Frankfurt am Main 1980,
XX: Encore, übersetzt von Norbert Haas, Vreni Haas und Hans- S. 169 (Übersetzung leicht verändert - A. d. Ü. ).
Joachim Metzger, Weinheim/Berlin 1986, S. 80. ro Im Original There is a world of difference ... ; Schor spielt auf den Titel
7 Es gibt eine extreme Form von Anti-Essencialismus, einen Anwärter des Buches von Barbara Johnson, A World of Difference, Baltimore
für eine fünfte Kategorie der Kritik, welche behauptet, daß die Erset- 1987, an -A. d. Ü.
zung von Frau durch Frauen das Problem des Essentialismus nichtlöst, 11 Luce Irigaray, L'ordre sexuel du discours, in: Langages, Nr. 85 (1987),
sondern bloß verschiebt. Diese Position wird von Denise Riley reprä- S. 81-r23, hierS. 83.
sentiert, die in einem Kapitel mit dem Titel »Does Sex Have a Hi- r2 Vgl. Nancy K. Miller, Changing the Subject: Authorship, Writing, and
story ?«sagt:•( ... ) nicht nur ,Frau, (,woman,), sondern auch ,Frauen, the Reader, in: Teresa de Lauretis (Hg.), Feminist Studies!CriticalStu-
(,women,) ist hinderlich( ... ) wir können weder ,Woman, ausklam- dies, a. a. 0., S. 102-r20.
mern, dessen Großschreibung uns bereits auf die darin liegenden Ge- 13 Luce Irigaray, Passions elementaires, Paris 1982, S. ror.
fahren aufmerksam macht, noch die bescheidenere klein geschriebene 14 Luce Irigaray, Le corps-a-corps aveclami!re, Montreal 1981, S. 63-64.
Fassung ,woman,, wenn wir das gewöhnliche, unschuldig klingend e r 5 Luce Irigara y, Par/er n'est jamais neutre, Paris 198 5, $. 9.
,women< unüberprüft stehenlassen« (Denise Riley, Am l that Name? r6 Corps-a-corps ... , S. 63-64. lronischerweise hat es Irigaray, indem sie
Feminism and the Category of • Women« in History, Minneapolis 1988, das Ideal eines universellen Subjekcs zugunsten eines weiblich markier-
S. r). Vgl. Donna Haraway, die in ihrem A Manifesto for Cyborgs an- ten Subjekts verworfen hat, wie auch andere bürgerliche weiße Femini-
merkt: •Es ist kein Zufall, daß in unserer Zeit Frau in Frauen auseinan- stinnen nur dahin gebracht, der Universalität einen anderen Ort zu ge-
derfällt« -A Manifesto for Cyborgs: Science, Technology, And Socialist ben, eine neue Hegemonie einzurichten. Die damit aufkommende
Feminism in the 198os, in: Socialist Review, Nr. 80 (1985), S. 65-107; Frage ist die: wie ist eine Subjektivität theoretisch auszuarbeiten, die
wiederabgedruckt in: Elizabeth Weed (Hg.), Coming to Terms: Femi- das Universelle nicht wieder einschreibt, die sich nicht selbst dadurch
nism, Theory, Politics, New York 1989, S. 173-204, hierS. 79; Hervor- konstituiert, daß sie gleichzeitig andere ausschließt und inkorporiert?
hebungen von mir-N. S.). Dies ist vielleicht der Ort, um eine Kritik- 17 Le deuxii!me sexe, Band II, S. 557; dt. S. 665.
form anzusprechen, deren sichtliches Fehlen sicherlich manche überra- 18 Mary Louise Pratt, Scratches on the Face of the Country: or, What Mr.
schen wird: eine moderne marxistische Kritik des Essentialismus. Ich Barrow Saw in the Land of the Bushmen, in: Henry Louis Gates,
betone das Wort »modern•, da schließlich Beauvoirs Kritik des Essen- $. r 38-r63.
tialismus in le deuxieme sexe dem Marxismus viel verdankt, dem sie r9 Le deuxieme sexe, Band II, S. 552; dt. S. 662 (Übersetzung leichtverän-
sich damals verschrieben hatte . Wiewohl die Schriften von Louis Alt- dert -A . d. Ü.).
husser und Pierre Macherey, um nur die wichtigsten, mit Lacan und 20 lrigarays ausdrücklichste Zurückweisung des Essemialismus findet
Derrida zeitgleichen marxistischen Theoretiker anzuführen, einige sich in dem li!vres voilees betitelten Abschnitt vonAmante Marine, wo
bahnbrechende Studien über von weiblichen Autoren stammende er- sie schreibt: »Sie konstiruiert sich nicht deshalb als eine. Sie verschließt
zählende Literatur angeleitet haben, haben sie meines Wissens keine sich nicht über oder in einer Wahrheit oder einem Wesen. Das Wesen
Kritik des Essentialismus generiert, die sich von den bereits skiz- einer Wahrheit bleibt ihr fremd. Sie bat nicht noch ist sie ein Sein.•

242 243
(Amante Marine, de Friedrich Nietzsche, Paris 1980, S. 92) Irigarays 32 Mary Ann Doane, The Desire to Desire ... , S. 104 (Hervorhebung von
beste Verteidigung gegen den Essentialismus-Vorwurf ist die heraus- mir - N. S.).
fordernde Pluralität des Femininen; es kann kein Wesen geben in einem 33 Passions elementaires, S. 18.
begrifflichen System, das per definitionem anti-unitär ist. 34 Ebd., S. 28.
21 Toril Moi, Sexual!Textual Politics, London 1985, S. 139; dt. Sexus - 35 Ce sexe ... , S. 113; dt. S. 1 20 (Übersetz~_ngleicht verändert - A. d. Ü. ).
Text-Herrschaft. Feministische Literaturtheorie, Bremen 1989, S. 164 36 Ce sexe ... , S. 137; dt. S. 145-146 (Ubersetzung leicht verändert -
(Übersetzung leicht verändert- A. d. Ü. ). A. d. Ü.).
22 Amante marine ... , S. 126. 37 Corps-a-corps .. . , S. 49.
23 Lucc Irigaray, Ce sexe qui n'en est pas un, Paris 1977, S. 73-74; dt. Das 38 L'oubli .. . , S. 35.
Geschlecht, das nicht eins ist, Berlin 1979, S. 78 (Übersetzung leicht ver- 39 In einer brillanten Verteidigung Irigarays gegen ihre anti-essentialisti-
ändert- A. d. Ü.). schen Kritiker warnt unsJane Gallop vor einer •zu wörtlichen Lektüre
24 Des weiteren argumentativen Kontextes, nämlich der gewollten An- der Irigarayschen Anatomie• - Lip Service, in: Thinking Through the
gleichung von •Mimesis• und »Mimikry«, wegen behalte ich die von Body, New York 1988, S. 92-99, hier$. 94. Wenn Irigarayetwaim Plu-
Schor gewählte Übersetzung von »mimecisme• durch »Mimesis« bei, ral von den Lippen des weiblichen Geschlechts spricht, dann ist das von
obgleich der in der deutschen Übersetzung gewählte Terminus »Mimi- ihr verwandte Wort •levres« eine Katachrese, eine obligatorische Meta-
kry« gewiß präziser ist. - A. d. Ü. pher, die die referentielle Bedeutung des Textes effektiv kurzschließt:
25 Mary Ann Doane : The Desire to Desire: The Woman's Film of the »lrigaray verkörpert die weibliche Sexualität in dem, was, in diesem
r94o's, Bloomington 1987, S. 182. Moment in der Geschichte der Sprache, immer nur figurativ ist, was
26 Siehe Paul Rico:ur, Mimesis and Representation, in: Annals of Scholar- niemals einfach für die Sache selbst genommen werden kann« (ebd.,
ship 2 (1981), S. 15-32. Irigaray lä.ßt dieser Polysemie ihr volles Spiel, S. 98). So brillant Gallops Argumente gegen eine naiv referentielle Lek-
indem sie uns zum Beispiel in einer Passage aus Ce sexe ... daran erin- türe des textuellen Körpers von Irigaray auch sind, am Ende erkennt sie
nert, daß bei Platon Mimesis zweifach ist: »die mimesis als Produktion, selbst an, daß »die Geste einer getrübten, aber nichrsdestotrotz be-
die eher aufseiten der Musik wäre, und die mimesis, die bereits in einem harrenden Refcrentialität« für lrigarays Projekt der Konstruktion ei-
Prozeß der Imitation, der Spekul.arisation, der Adäquation und der Re- ner • nicht-phallomorphischen Sexualität• (ebd., S. 99) wesentlich
produktion einbegriffen wäre. Letztere ·wurde in der ganzen Geschichte ist.
der Philosophie immer bevorzugt ( ... ) Die erste scheint immer unter- 40 Es ist kein Zufall, daß einer der gedankenreichsten und ausgewogensten
drückt worden zu sein( ... ) Nun, es ist zweifellos in und ausgehend von neueren Aufsätze über lrigaray auf der Lektüre ihrer gesamten Werke
dieser ersten mimesis, daß die Möglichkeit eines Schreibens von Frau aufbaut und nicht wie viele (obgleich nicht alle) der in hohem Maße kri-
aufkommen kann.« (S. 129-130; dt. S. 137; Übersetzung leicht verän- tischen Analysen allein auf den gegenwärtig in Übersetzung zugängli-
dert) Die Frage ist, um Yeats zu paraphrasieren: wie kann man Mimesis chen Werken; siehe Margaret Whitford, Luce Irigaray and the Female
von Mimesis unterscheiden? (Anspielung auf die Endzeile des Gedichrs lmaginary: Speaking as a Woman, in: Radical Philosophy, Nr. 43
»Among School Children• von William Butler Yeats: •How can we s.
( 1986), 3-8.
know the danccr from the dance?« - A. d. Ü.) 4 1 In diesem Punkt möchte ich Whitfords Bewertung des Platzes der Na-
27 Corps-a-corps .. . , S. 29; dt. Körper-an-Körper mit der Mutter, in: Luce turwissenschaften in Irigarays Diskurs näher bestimmen: •Ihre Dar-
Irigaray, Zur Geschlechterdifferenz. Interviews und Vorträge, Wien stellung der abendländischen Kultur läuft ungefähr so: Unsere Gesell-
1987, S. 111 (Übersetzung leicht verändert-A. d. Ü.). schaft wird von einem destruktiven Imaginären beherrscht (dessen
28 Positions, Paris 1972, S. 96; dt. Positionen, übersetzt von Dorothea Apotheose die Ideologie der Naturwissenschaft ist, die in den Statusei-
Schmidt, Wien 1986, S. 138. ner privilegierten Wahrheit erhoben worden ist)• - Luce Irigaray and
29 Corps-a-corps ... , S. 81. [Gibt es eine Flüssigkeit, irgendeine Flut, die ehe Female lmaginary ... , a. a. 0., S. 5. Meine These ist die, daß sie,
diese soziale Ordnung erschüttern könnte?] wiewohl sie den Imperialismus einer geschlechrsneutralcn Naturwis-
30 Luce lrigaray, L'oubli de l'air chez Martin Heidegger, Paris 1983, senschaft verurteilt - einer Naturwissenschaft, die vom lebengebenden
S. 35.(Wo sind, gegenwärtig, diese Flüssigen?] weiblichen Körper abgeschnitten ist und uns mit •vielfältigen Formen
31 Ce sexe ... , S. 109; dt. S. 1 l 5 (Übersetzung leicht verändert - der Zerstörung des Universums• bedroht-, weiterhin die Naturwis-
A. d. Ü.). senschaft als einen Ort •privilegierter Wahrheit« ansieht. - Ethique de

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la diffcrence sexuelle, Paris 1984, S. 13, dt. Ethik der sexuellen Diffe-
renz, Frankfurt am Main 1991, S. 11 (Übersetzung hier und im folgen-
Eve Kosofsky Sedgwick
den leicht verändert-A. d. Ü.); vgl. auch den prononcierten ökologi- Das Tier in der Kammer: Henry James und
schen Strang in Equai to Whom?, in: differences, 112.(1989).
42 Parlern'estjamaisneutre, Paris 1985, S. 290-291; sieheauchS. 289. das Schreiben homosexueller Angst'~
43 Ebd., S. 291 (Hervorhebung im Original).
44 Der Hinweis gilt hier der mit einem Nobelpreis ausgezeichneten Erfor-
schung dissipativer Strukturen durch Ilya Prigogine. Für weitere Infor - l. Die männliche Angst vor Homosexualität historisieren
mationen über Prigogines Theorien, deren Einfluß auf Irigaray von er-
heblicher Bedeutung gewesen ist, siehe das Buch von Ilya Prigogine Im Alter von 25 Jahren war D. H. Lawrence begeistert vom Werk
und Isabelle Stengers, La nouvelle alliance. Metamorphose de la science, James M. Barries. Er hatte das Gefühl, daß es ihm half, sich selbst
Paris 1979; dt. Dialog mit der Natur. Neue Wege naturwissenschaftli- zu verstehen und zu erklären. ,.Lies Barries Sentimental Tommy
chen Denkens, München 198t. Kurz nach meiner ersten Präsentation und Tommy and Grizel«, schrieb er Jessie Chambers. »Sie werden
dieses Textes erhielt ich einen Brief von Katherine Hayles, die mir mit-
dir helfen zu verstehen, wie es sich mit mir verhält. Ich befinde
teilte, daß sie bei einer Sichtung der Beziehungen zwischen moderner
Literantr und Naturwissenschaft »von gewissen Parallelen zwischen mich in genau derselben Mißlichkeit. « 1
den neuen Paradignlen der Naturwissenschaft und der gegenwärtigen r4 Jahre später allerdings zählte Barrie für Lawrence zur Gruppe
feministischen Theorie•, insbesondere der von Irigaray, überrascht jener Schriftsteller, die er sich zu passenden Objekten seiner auk-
worden ist. Ich bin ihr für diese wertvolle Bestätigung meines Argu- torialen Gewalt auserkoren hatte. »Was für einen Sinn hat es, hoff-
mentes sehr dankbar. nungslos zu sein, solange man noch einen genagelten Stiefel hat,
45 Le sujet de la science est-il sexue?, in: Parler n'est jamais neutre, S. 314; mit dem man [sie] treten kann? Nieder mit den Armen im Geiste!
engl. ls the Subject of Science Sexed?, in: Cultural Critique 1 (1985), Ein Krieg! Doch das Subtilste, die intimste Kriegsführung. Die Vi-
S. 81 (Hervorhebungvonmir-N. S.). sage dessen zerschlagen, von dem man weiß, daß es verdorben
46 Ebd., S. 319; engl. S. 86 (Hervorhebung von mir-N. S.).
ist.« 2
47 Tori! Moi, Sexual!Textual Politics, a. a. 0., S. 131; dt. S. 154.
48 Speculum, S. 232; dt. S. 233 (Übersetzung leichtverändert-A. d. Ü.).
Indes sind die Jahre von 1910 bis 1924 nicht nur für Umbrüche in
49 Ebd., S. 128-229;dt. S. 129(Übersetzungleichtverändert-A. d. Ü.). den intimen Kriegführungen eines Schriftstellers bezeichnend ge-
50 Ethique, S.; dt. S. 88. wesen. Aber Lawrences Abdriften zu einer brutalen, Männlichkeit
51 Ebd., S. 81; dt. S. 96. stilisierenden Verleugnung seiner frühen Identifizierung mit Bar-
52 Ebd., S. 82; dt. S. 97. ries sexuell unentschiedenen Charakteren spiegelt zwei recht un-
53 L'Oubli, S. 10. terschiedliche Verläufe wieder: erstens natürlich Umbrüche im hi-
54 Le sujet, S. 308; engl. S. 74. storischen und intellektuellen Kontext, in dem britische Literatur
55 Ebd., S. 307; engl. S. 73, gelesen werden konnte; zweitens jedoch eine im Haß kristallisierte
56 Ebd., S. 307; engl. S. 74-75. Verbuchstäblichung dessen, was Barries einflußreiche Romane
57 Jacques Derrida, Prejuges, devant Laloi, in:Jacques Derrida etal., La
schlicht als »das Subtilste, die intimste ·Kriegsführung« innerhalb
faculte de juger, Paris 1985, S. 118.
58 Die Frage des GeschlechtS (gender) wird von Oerrida in seiner Lektüre eines Mannes geschildert hatten, als etwas, das sich zwischen Män-
aufgeworfen, jedoch nicht als eine, die die •beiden Protagonisten• be- nern abspielt. Barries Romansequenz war außerdem an den verlet-
trifft. Für Derrida ist das eigentlich Problematische das Geschlecht des zenden Wirkungen interessiert, die dieser maskuline Bürgerkrieg
Gesetzes, auf Deutsch das Gesetz (Neutrum), auf Französisch la loi auf Frauen hatte; Lawrence dagegen nicht.
(Femininum) (Prijugis, S. 124). Ich vertrete hier die These, daß der Barrie, auf den Lawrence zu-
nächst so launisch begeistert und am Ende dann so heftig reagierte,
aus einer postromantischen Tradition fiktionaler Meditationen
heraus über das Sujet insbesonders der männlichen Angst vor Ho-
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