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Erobert durch tausend Küsse

Lindsay Armstrong

Julia 1280
5/1 1998

gescannt von suzi_kay korrigiert von Dodoree


1.KAPITEL
Ryan Bailey war ohnehin kein umgänglicher Mann, a-
ber wenn er in Wut geriet, so wie jetzt, war er einfach
unmöglich.
Kim Lingard saß auf einem der mit hellem Leder bezo-
genen Designerstühle in seinem großen, luxuriösen Büro
und war froh, nicht im Zentrum des Sturms zu sein.
Ihr klassisches schwarzes Kostüm und die makellose
weiße Seidenbluse saßen perfekt. Sie hatte die langen,
schlanken Beine in den feinen Nylonstrümpfen sittsam
übereinander geschlagen, die Hände auf dem Notizblock
in ihrem Schoß gefaltet und lauschte unbehaglich dem
Wutausbruch ihres Chefs, den Blick gesenkt.
"Das ist die dritte Ausschreibung, die wir innerhalb von
drei Monaten an dieselbe Firma verloren haben", fuhr
Ryan die beiden Männer vor seinem Schreibtisch an.
"Was ist los, zum Teufel? Wofür bezahle ich Ihnen ein
kleines Vermögen - für die Vernichtung von Bailey
Construction? Langsam habe ich meine Zweifel, ob ..."
"Wir haben uns bei den Angeboten genau an Ihre Wei-
sungen gehalten, Ryan", sagte Bill Fortune schnell.
"Und natürlich ist Ihnen weder nach dem zweiten noch
nach dem dritten Mal der Gedanke gekommen, es könnte
etwas faul sein", sprach Ryan verächtlich weiter. "Sie
haben sich einfach zurückgelehnt wie Pfadfinder nach
der Schnitzeljagd!"
"Sie waren doch auf Geschäftsreise, und ..."
Ryan erhob sich zu seiner imponierenden Größe. "Muss
ich mich denn um alles selbst kümmern? Sie wissen ver-
dammt gut, dass keiner uns hätte unterbieten können, es
sei denn, mit minderwertigen Materialien, oder ..." Er
machte eine bedeutsame Pause. "... es war ein klein we-
nig Bestechung und Korruption im Spiel."
"Ryan, ich habe mich auch gewundert", sagte Bill be-
sänftigend. "Aber wir haben nun mal nicht Ihre ... Ihre
Art, mit solchen Sachen umzugehen." Er zuckte die
Schultern.
"Dann machen Sie sich diese Art zu eigen", erwiderte
ihr Boss kalt.
"Oder Sie sind gefeuert... alle beide. Das wäre dann al-
les." Er setzte sich wieder und knallte den Aktenordner
zu.
Die beiden Männer gingen, mit einem letzten, verlege-
nen Blick auf Kim. Sie hatte das Büro kurz vor ihnen
betreten und war schroff gebeten worden, sich einen
Moment zu gedulden. Jetzt stand sie nicht gleich auf,
sondern nahm die Gelegenheit wahr, ihren Arbeitgeber
aus den Augenwinkeln zu betrachten.
Ryan Bailey war vierzig, groß und dunkelhaarig und
strahlte natürliche Autorität aus. Sein markantes Gesicht
konnte nicht als gut aussehend bezeichnet werden, doch
er hatte durchdringend blickende graue Augen, die sein
Gegenüber an die Wand nageln und, wenn es sich um
Frauen handelte, um den Verstand bringen konnten.
Er war geschieden und hatte sein Vermögen aus eigener
Kraft gemacht, zuerst mit Bailey Construction - er war
Bauingenieur -, aber später auch in anderen Industrie-
zweigen. Seit Kims Einstellung war er die meiste Zeit auf
Reisen gewesen, aber sie hatte genug über ihn gehört, um
zu wissen, dass er ein vielschichtiger, überraschend ge-
bildeter Mann sein musste - wenn er seine Mitmenschen
nicht gerade wie eine Dampfwalze überfuhr.
"Warum sehen Sie so überheblich vor sich hin, Miss
Lingard?"
unterbrach er sie urplötzlich in ihren Gedanken.
Kim kniff die Augen zusammen. "Ich habe mich nur
gefragt, ob es notwendig war, mich an dieser kleinen
Szene teilhaben zu lassen", erwiderte sie unerschrocken.
"Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie, trotz Ihrer Aus-
zeichnungen, Ihrer Erfahrungen bei Sotheby's, Ihrer
zweifellos verfeinerten, wenn nicht überkultivierten Le-
bensart et cetera nur Verwalterin meiner Kunstsammlung
sind - und damit eine meiner Angestellten?"
Kim wäre ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen,
doch sie entgegnete ruhig: "Und darf ich Sie daran erin-
nern, dass ich nur auf Ihre Frage geantwortet habe?
Selbst wenn ich Küchenhilfe in einem Imbiss wäre, wür-
de ich von meinem Chef vernünftiges Benehmen erwar-
ten."
"Sie halten mich also für unvernünftig?" erwiderte er
schroff. "Dann sehen Sie es doch mal so: Ohne Bailey
Construction würde es keine Kunstsammlung geben, die
Sie verwalten könnten."
Sie stand auf und strich sich den Rock glatt. "Vielleicht
könnten Sie mich anrufen, wenn Sie in besserer Stim-
mung sind, Mr. Bailey? Ich glaube nicht, dass wir uns im
Moment über irgend etwas einigen können, und ..."
"Aber Kim, da irren Sie sich." Er lehnte sich in seinem
Sessel zurück und betrachtete sie nachdenklich. "Sind Sie
jemals von einem Mann ganz langsam ausgezogen wor-
den? Hat Ihnen jemals ein Mann unter den Rock gefasst
und Sie gestreichelt?"
Kim antwortete nicht - sie war einfach sprachlos.
Ryan Bailey wartete höflich einen Moment, bevor er
weiter sprach.
"Haben Sie es niemals darauf angelegt, einen Mann zu
verführen?
Natürlich nicht mit Ihrer kühlen, perfekten Art, obwohl
das allein schon eine Versuchung darstellt. Aber die Vor-
stellung, dass Sie aus sich herausgehen, dass Sie Ihren
schlanken, schönen Körper ungehemmt und wollüstig
bewegen ..."
"Mr. Bailey..."
"... könnte einen Mann um den Verstand bringen", un-
terbrach er sie und sprach dann gelassen weiter: "Ich bin
sicher, schwarze Spitzenunterwäsche würde Ihnen un-
glaublich gut stehen." Ironisch blickte er ihr direkt in die
wütenden Augen. "Sie sehen, Miss Lingard, über einige
oder alle diese Dinge könnten wir uns einigen."
Kim tat das einzige, was sie tun konnte, bevor sie sich
in ihrer Wut lächerlich machte: Sie drehte sich um,
stürmte aus dem Büro und knallte die Tür hinter sich zu,
ohne sich um den verblüfften Blick von Pam Mayer zu
kümmern, seiner Sekretärin.
Bailey Construction und die angegliederten Firmen
nahmen drei Stockwerke von Bailey House in Anspruch,
eines großen Gebäudes direkt am Hafen. Im Empfangs-
bereich und in Ryan Baileys Büroräumen hatte ein Teil
seiner Kunstsammlung Platz gefunden.
Heute gönnte Kim den wertvollen Gemälden zum ers-
ten Mal keinen Blick, nicht einmal den Streetons, die sie
besonders liebte, sondern ging geradewegs in ihr Büro,
das auf den Brisbane-River hinausging.
Der Fluss glänzte in der Nachmittagssonne, doch auch
darauf achtete sie heute nicht.
Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen,
immer noch zornig bei der Erinnerung an all die Unver-
schämtheiten, die sie sich gerade hatte gefallen lassen
müssen.
Entschlossen ging sie zum Telefon und wollte gerade
den Hörer abnehmen, als es klingelte. Sie meldete sich
kurz angebunden. "Ja?"
"Kim, hier ist Pam. Ich ... Mr. Bailey hat mich gebeten
..." "Pam, sagen Sie ihm bitte, er soll zur Hölle fahren."
"Ich glaube nicht, dass ich das tun sollte, Kim", wider-
sprach Pam mit vorwurfsvollem Unterton. "Es würde ihn
nur noch schwieriger machen."
"Schwierig? Der Mann ist unmöglich!" stieß Kim wü-
tend hervor.
"Das finde ich nicht. Er hat soviel für mich getan, und
..."
Kim seufzte unterdrückt. Es war ein offenes Geheimnis
in der Firma, dass Pam Ryan Bailey anbetete, weil er sie
von der einfachen Stenotypistin zu seiner Sekretärin er-
hoben hatte und weil er ihr anscheinend dabei behilflich
gewesen war, sich aus einer gewalttätigen Beziehung zu
befreien.
Unvermittelt unterbrach sie Pams Lobeshymne. "Na
gut, Was will er?
Nur damit ich Ihnen sagen kann, dass ich es nicht tue."
"Also, für heute Abend mussten wir kurzfristig einen
Empfang für eine Regierungsdelegation aus Papua-
Neuguinea arrangieren. Es geht um den Bau einer Brü-
cke, und ... er möchte, dass Sie daran teilnehmen", spulte
Pam schnell herunter.
"Ich weiß nichts über Brückenbau und nur wenig über
PapuaNeuguinea", entgegnete Kim. "Außerdem ..."
"Er möchte Sie als Kuratorin seiner Kunstsammlung
dabeihaben. Der Minister ist anscheinend sehr an austra-
lischer Kunst interessiert, besonders an der der Aborigi-
nes. Und außerdem sammelt er antike papuanische
Kunstgegenstände. Kim ..." Pam atmete tief ein. "Bitte!"
Warum tue ich das? fragte Kim sich, nachdem sie auf-
gelegt hatte.
Warum kündige ich nicht einfach und verschwinde?
"Weil ich Ryan Bailey etwas heimzahlen will", stieß sie
zwischen den Zähnen hervor und lehnte sich nachdenk-
lich im Stuhl zurück.
Außerdem ging es um eine der bedeutenderen privaten
Kunstsammlungen Australiens, nicht nur um Kunstge-
genstände, sondern auch um Briefmarken und Münzen.
Anders als bei einer Stelle in der Nationalgalerie oder
einer ähnlichen staatlichen Institution hatte sie hier ziem-
lich freie Hand.
Ryan hatte zwar genaue Vorstellungen von dem, was
und was er nicht kaufen wollte, doch sie hatten entdeckt,
dass ihr Geschmack sich ähnelte. Er schien recht angetan
von ihrem Urteilsvermögen und ihren Ideen über die Art
und Weise, seine Sammlung zu vervollständigen.
Bis jetzt, überlegte sie gereizt. Bisher war er die meiste
Zeit auf Reisen gewesen, und jetzt fragte sie sich, wie sie
mit einem Mann arbeiten sollte, der anscheinend nur an
das eine dachte. Aber dachten nicht alle Männer daran?
Was sollte sie tun - sich im Kloster verstecken? Nein. Die
meisten Männer sagten zumindest nicht, was sie dachten,
benutzten nicht diese gemeine, erniedrigende Sprache.
Außer ...
Unvermittelt stand sie auf, nahm ihre Handtasche und
ging in den Waschraum. Während sie sich kaltes Wasser
über die Handgelenke laufen ließ, betrachtete sie sich
aufmerksam im Spiegel.
Sie war groß und schlank, ein unbedingter Vorteil,
wenn es um Kleidung ging. Ihr Vater hatte einmal gesagt,
sie sei "elegant gebaut"
und solle sich nicht ärgern, dass sie nicht als hübsch im
landläufigen Sinn bezeichnet werden konnte. Es sei viel
besser, ein interessantes Gesicht zu haben.
Wirklich interessant? fragte sie sich jetzt und holte ih-
ren Lippenstift aus der Tasche. Sicher, sie hatte ein
schmales Kinn, Nase und Mund waren gut geschnitten,
die Sommersprossen fielen auf ihrer hellen Haut kaum
auf, und die braunen Augen passten gut zu dem dichten
dunklen Haar, das sie in einer sorgfältig geschnittenen
Kurzhaarfrisur trug.
Sie hatte einen schlanken Hals und hielt sich stets sehr
aufrecht. Die Nägel ihrer schmalen Hände waren sorgfäl-
tig manikürt, aber sie benutzte niemals Nagellack, und
ihr einziger Schmuck war ein auffälliger Goldring am
kleinen Finger der linken Hand.
Für ihre achtundzwanzig Jahre wirkte sie ausgespro-
chen selbstsicher und gelassen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass
sie eine ungewöhnliche Erziehung genossen hatte. Ihre
Mutter war gestorben, als sie, Kim, noch sehr klein ge-
wesen war. Sie war vor allem durch ihren Vater beein-
flusst worden, einem ehemaligen Richter am Obersten
Gerichtshof, einem Mann mit Geschmack und kritischem
Urteilsvermögen. Auch er war jetzt tot und hatte ihr ein
nicht unbedeutendes Vermögen hinterlassen.
Während und nach ihrer Schulzeit war sie viel gereist
und hatte im Rahmen eines Austauschprogramms ein
Jahr in Japan verbracht, weshalb sie fließend Japanisch
sprach. Nach ihrem Studium der Kunstgeschichte war sie
sich inzwischen einer gewissen Reputation in der Kunst-
welt sicher.
Aber hatte gerade das sie in den Ruf einer Frau mit
"verfeinerter, wenn nicht überkultivierter Lebensart" ge-
bracht?
"Nein", flüsterte sie. "Es kommt darauf an, Kim, diesen
Mann nicht an dich heran zu lassen ... das ist alles."
"Ich glaube, die berühmtesten australischen Impressio-
nisten stammen aus der ,Heidelberger Schule', Herr Mi-
nister, benannt nicht nach der Stadt in Deutschland, son-
dern nach einem Vorort von Melbourne, wo sie sich ab
und zu trafen. Sie waren die ersten bedeutenden nationa-
len Maler, abgesehen von den Aborigines, deren Werke
damals leider ignoriert wurden."
"Was bedeuten soll, sie haben Australien nicht gemalt,
dass es wie Europa aussieht", sagte der Minister, ein gro-
ßer, dunkelhäutiger Mann mit einem gewinnenden Lä-
cheln.
"Genau." Kim lächelte auch. "Mr. Bailey kann sich
glücklich schätzen, einige ihrer besonders schönen Wer-
ke zu besitzen."
"Und er kann sich vor allem glücklich schätzen, Sie zu
haben, Miss Lingard", erwiderte er höflich. "Gehe ich
recht in der Annahme, dass Sie Richter Lingards Tochter
sind?"
"Ja, Sir", sagte sie herzlich. "Sie kannten meinen Va-
ter?"
"Recht gut sogar ... ein großartiger Mann. Jetzt lassen
Sie uns weitergehen, die Gemälde interessieren mich."
So kam es, dass der Minister fast eine Stunde bei ihr
blieb, was von den Kollegen anerkennend bemerkt wur-
de.
"Dem Himmel sei Dank für Sie, Kim", flüsterte Bill
Fortune ihr ins Ohr, nachdem sie den Minister wieder bei
Ryan abgeliefert hatte. Der Champagner floss in Strö-
men, Kanapees wurden herumgereicht, und aufwendige
Blumenarrangements leuchteten im diskret gedämpften
Licht. "Wenn wir diesen Auftrag kriegen, wird er viel-
leicht die drei vergessen, die wir verloren haben."
Kim nahm sich ein Glas Apfelsaft. "Das bezweifle ich,
Bill. Ich glaube, er hat ein gutes Gedächtnis! Wie halten
Sie es nur mit ihm aus?"
Bill betrachtete sie neugierig. "Er ist eben der Beste in
diesem Geschäft." Ein seltsamer Unterton schwang in
seiner Stimme mit.
"Ich würde mich nicht darauf verlassen, dass ich diesen
Auftrag für Sie an Land ziehe, Bill."
"Der Minister wirkte beeindruckt. Von Ihnen und der
Kunst!"
"Er kannte meinen Vater, und er interessiert sich wirk-
lich für Kunst, das ist alles."
"Manchmal dreht sich die Welt um diese kleinen Din-
ge", versicherte Bill ihr.
Als Kim spätabends in die Tiefgarage kam, stand ihr
schnittiger Ford Capri merkwürdig schief da.
Missmutig betrachtete sie den platten Reifen, und ihre
Laune verbesserte sich nicht, als sie den Ersatzreifen im
Kofferraum begutachtete, der ebenfalls verdächtig
schlapp aussah. Sie schlug die Heckklappe zu und be-
schloss, ein Taxi nach Hause zu nehmen.
Während sie noch überlegte, ob sie aus dem Büro einen
Wagen rufen oder auf der Straße ihr Glück versuchen
sollte, trat Ryan Bailey aus dem Lift und kam auf sie zu.
"Probleme, Miss Lingard?" fragte er. "Kann ich Ihnen
helfen?"
Den ganzen Abend war sie ihm aus dem Weg gegan-
gen, und nun das!
"Ich hätte wissen müssen, dass Sie es sind", sagte sie
müde.
Er lächelte. "Der letzte, den Sie um Hilfe bitten wür-
den? Wie ärgerlich! Dabei könnte ich Ihnen wirklich hel-
fen, zum Beispiel den Reifen wechseln."
"Nein, denn der Ersatzreifen ist auch platt. Ich nehme
ein Taxi und lasse den Wagen morgen reparieren."
Er zog amüsiert eine Augenbraue hoch. "Wirklich kein
guter Tag für Sie, Miss Lingard! Aber Sie brauchen kein
Taxi zu rufen. Ich fahre Sie nach Hause."
"Vielen Dank, Mr. Bailey", sagte sie kühl. "Sie sind
auch der letzte, von dem ich mich nach Hause bringen
lassen würde. Aus irgendeinem Grund bin ich nicht gern
mit Männern zusammen, die über meine Unterwäsche
diskutieren." Im Weggehen hörte sie ihn leise lachen.
Doch auf der Straße war weit und breit kein Taxi zu se-
hen. Während sie noch unschlüssig dastand, hielt ein
blauer Lamborghini neben ihr, und Ryan lehnte sich über
den Sitz aus dem Beifahrerfenster und sagte trocken:
"Steigen Sie ein, Kim. Um diese Zeit allein hier herum-
zulaufen ist gefährlicher als alles, was Sie von mir zu
befürchten haben."
Sie biss sich auf die Lippe und machte den Fehler, sich
umzusehen.
Als sie in der Nähe eine Gruppe von Jugendlichen her-
umlungern sah, stieg sie seufzend in den Wagen.
"Wohin möchten Sie fahren?"
"Nach Hause", sagte sie schroff. "Oder bis zum nächs-
ten Taxistand.
Ich möchte nicht, dass Sie meinetwegen einen Umweg
machen müssen."
"Ich habe eine bessere Idee." Er warf ihr einen vernich-
tenden Blick zu, als sie sichtlich zusammenzuckte. "Es
gibt in der Nähe ein gutes Restaurant, das jetzt noch ge-
öffnet hat - ich jedenfalls bin von den Kanapees nicht satt
geworden. Dort sind Sie sicher, und wir könnten uns
trotzdem unterhalten. Zum Beispiel darüber, warum Sie
noch für mich arbeiten, wie lange Sie es noch tun wollen
und warum Sie mich nicht schon richtig beschimpft ha-
ben." Als sie protestieren wollte, sagte er ungeduldig:
"Entweder wir sprechen jetzt darüber, oder wir trennen
uns."
"Ich ... Es gäbe nichts zu besprechen, wenn Sie nicht
diese dummen Bemerkungen gemacht hätten", entgegne-
te sie wütend.
Er zuckte die Schultern. "Es war bis dahin auch für
mich kein besonders guter Tag."
Das Restaurant, das er ausgesucht hatte, hatte weißge-
kalkte Wände und eine niedrige Decke. Die Tische waren
groß genug, dass man zu zweit bequem daran essen
konnte, und standen so weit auseinander, dass man sich
ungestört fühlen konnte. Es gab gelbe Servietten und
gelbe Tischtücher, und das warme Kerzenlicht verlieh
dem Raum eine behagliche Atmosphäre. Die köstlichen
Essensdüfte machten Kim bewusst, dass sie tatsächlich
hungrig war.
Sie entschied sich für Pfeffersteak mit Gemüse, und
Ryan schloss sich ihrer Wahl an. Er bestellte außerdem
eine Flasche Wein und schwieg, bis der Kellner ihnen
eingeschenkt hatte.
Und auch dann sagte er nur: "Nun?", lächelte leicht und
prostete ihr zu.
Kim trank einen Schluck. "Nun ... was?" Sie drehte den
Stiel des Glases zwischen den schlanken Fingern, wäh-
rend sie Ryan kühl betrachtete.
Über dem weißen Hemd und der Seidenkrawatte trug er
einen maßgeschneiderten dunkelgrauen Anzug, unter
dem breite Schultern zu erahnen waren. Er hatte ein mar-
kantes Gesicht, bemerkenswert graue Augen und einen
sinnlichen Mund, und in seinem dichten dunklen Haar
zeigten sich bereits die ersten grauen Strähnen.
"Wollen Sie anfangen, oder soll ich?" Er warf ihr einen
belustigten Blick zu.
Sie nahm seine Herausforderung nicht an. "Heute
Nachmittag haben Sie mir diese Wahl nicht gelassen."
Er schnitt ein Gesicht. "Entschuldigung."
Jetzt war sie doch überrascht. "Angenommen."
Ryan kniff die Augen zusammen. "Das ist alles?"
"Ja. Was haben Sie denn erwartet?"
Er überlegte. "So etwas wie eine Strafpredigt viel-
leicht."
"Das ist nicht meine Art, Mr. Bailey."
Er betrachtete sie lange. "Aber Sie waren wütend auf
mich."
Kim lächelte leicht. "Ja, das war ich. Aber inzwischen
habe ich nachgedacht und bin zu dem Schluss gekom-
men, dass der Job mich immer noch interessiert. Voraus-
gesetzt natürlich, solche Zwischenfälle kommen nicht
mehr vor."
"Und vorhin in der Tiefgarage?" erinnerte er sie, ein i-
ronisches Funkeln in den Augen.
"Ach ja .... ein kleiner Schnitzer von mir", gab sie e-
benso ironisch zu.
"Manchmal bin ich vielleicht nicht so ...fair, wie ich
sein möchte. Also wäre es die einfachste Lösung, Mr.
Bailey, wenn wir uns strikt auf das Geschäftliche be-
schränken würden." , "Sie sind gut, Kim, sehr gut", sagte
er langsam und schwieg, als sie die Lippen zusammen-
presste. Dann sprach er weiter: "Außerdem habe ich es
Ihnen zu verdanken, dass ich den Auftrag für den Bau
einer Brücke in Papua bekommen habe. Was sagen Sie
dazu?"
Kim sah ihn verblüfft an. "Wie bitte? Aber ich habe nur
..:"
"... wenig getan", stimmte er zu. "Doch damit haben Sie
den Minister auf unsere Seite gezogen. Mein Kompli-
ment."
Sie blinzelte und trank einen Schluck Wein. Bevor sie
sich von ihrer Überraschung erholt hatte, sprach er wei-
ter: "Warum geben Sie nicht zu, dass Sie immer noch
wütend auf mich sind? Dann würden Sie mir noch besser
gefallen. Es ist nicht normal, sich so zurückzuhalten."
Leichte Röte stieg ihr in die Wangen. Am liebsten hätte
sie ihm gesagt, dass es ihr ganz egal sei, was ihm gefiel
oder nicht. Doch statt dessen entgegnete sie nach kurzem
Überlegen: "Dann gehen Ihre und meine Vorstellungen
über Normalität wohl weit auseinander."
Die Steaks wurden gebracht, und eine Weile aßen sie
schweigend.
Schließlich sagte Ryan: "Heutzutage sind viele Frauen
sehr beredt, und besonders in diesen Dingen."
Kim ließ die Gabel sinken. "Mein Vater hat mich ge-
lehrt, jeder sozialen und politischen Äußerung gegenüber
sehr vorsichtig zu sein, ob es eine feministische, kommu-
nistische oder sonst eine ist - wenn Sie das damit meinen.
Und er hat mich vor Verallgemeinerungen gewarnt. Ich
war tatsächlich sehr wütend auf Sie, aber schließlich sind
Sie nur ein Mann von vielen. Und was wichtiger ist ..."
Sie blickte ihn kühl an. "... nicht einmal in Wut würde ich
die Dinge, die Sie zur Sprache gebracht haben, diskutie-
ren wollen. Auch wenn Sie das enttäuscht", fügte sie hin-
zu.
"Ich verstehe." Ryan legte das Besteck weg. "Wollen
Sie damit sagen, dass Sie sich nie solche Gedanken über
mich gemacht haben wie ich mir über Sie?"
Kim schob den halbvollen Teller von sich. "Hören Sie
..."
Ryan hob die Hand und sagte ironisch: "Nur um eines
klarzustellen:
Ich hatte nicht vor, Ihnen auf diese Art zu sagen, dass
Sie eine wunderbare Frau sind. Aber genau das denke
ich, und ich denke auch, dass wir gut zusammenpassen,
Miss Lingard. Aber wenn Sie sich entschlossen haben,
sich nicht beeindrucken zu lassen, werde ich Sie nicht
weiter drängen."
"Ich bin tatsächlich nicht beeindruckt", versicherte sie
schroff. Doch seine Worte hatten ein Gefühl der Entrüs-
tung in ihr ausgelöst, und sie wusste nicht, warum.
"Gut." Er schenkte ihr Wein nach. "Leben Sie mit je-
mandem zusammen?"
"Nein. Und Sie?"
Er lachte. "Nein. Irgendwie wusste ich es."
"Dass ich nicht mit jemandem zusammenlebe?" Sie be-
trachtete ihn von oben herab, "Ja. Sie wirken ganz ein-
fach nicht so, als hätten Sie eine leidenschaftliche Bezie-
hung zu einem Mann."
"Muss ich Sie daran erinnern, dass Sie gerade eben erst
gesagt haben, Sie würden nicht weiter drängen?"
"Dies ist etwas anderes", erwiderte er.
"Das bestreite ich ..."
"Ich habe das Gefühl, Kim", sagte er spöttisch, "dass
Sie Ihr halbes Leben damit zubringen, etwas zu bestrei-
ten."
"Würden Sie mich ausreden lassen?"
"Natürlich." Er blickte sie gespielt erwartungsvoll an.
Kim betrachtete ihn ärgerlich. "Jetzt habe ich den Fa-
den verloren."
"Sie wollten gerade Stellung nehmen zu meiner An-
nahme, dass Sie nicht so wirken, als ob ..."
"Ach ja ... zwei Dinge", unterbrach sie ihn. "Männer,
die solche Experten auf dem Gebiet der ... Anzüglichkei-
ten sind oder sich dafür halten, bewundere ich nicht be-
sonders ..."
"Halten Sie das wirklich für anzüglich? Ich glaube eher,
es ist genau das, was zwischen den Geschlechtern seit eh
und je vor sich geht. Es liegt doch schließlich in der
menschlichen Natur, sich ein Urteil über bestimmte Din-
ge zu bilden. Natürlich gibt es einige Menschen, die ein
besonderes Talent dafür haben, die menschliche Natur
sozusagen ... zu erniedrigen. Aber ich weiß, dass ich im
Recht bin, und deshalb sollten Sie mir diesen Vorwurf
nicht machen."
"Das ist das Unlogischste, was ich je gehört habe", er-
klärte sie verächtlich.
"Na gut." Ryan zuckte die Schultern. "Und was war Ihr
zweiter Punkt?"
"Dass Sie von mir vielleicht noch einige Überraschun-
gen zu erwarten haben, Mr. Bailey."
"Aber nicht jetzt?"
"Nein, nicht jetzt", erwiderte sie ruhig und blickte ihm
direkt in die Augen. "Aber Tatsache bleibt: Es gibt kei-
nen Mann in meinem Leben.
Und wenn Sie mich trotzdem nicht beeindrucken kön-
nen, dann heißt das einfach, dass ich nicht an Ihnen inte-
ressiert bin."
Er lachte. "Etwas heißt es sicher: Dass Sie eine würdige
Gegnerin sind, Kim. Aber nachdem wir all das geklärt
haben ..." Er sah sie erwartungsvoll an. "... ich habe eini-
ge Gemälde von meiner Reise mitgebracht. Ich glaube,
ich behalte sie in meinem Haus, doch sie sollten trotzdem
katalogisiert werden. Wann könnten Sie kommen?"
Sie atmete tief ein. "Wann es Ihnen passt, Mr. Bailey",
sagte sie kühl.
2. KAPITEL
Ryans Haus, eine gelb verputzte Villa im mediterranen
Stil, lag direkt am Fluss und besaß einen eigenen Anle-
ger, an dem eine große Motoryacht vertäut war.
Das Anwesen wurde durch ein kompliziertes Alarmsys-
tem geschützt.
Während Kim darauf wartete, dass das ferngesteuerte
Tor vom Haus aus geöffnet wurde, bemerkte sie auf dem
Bürgersteig einen jungen rothaarigen Mann mit einem
wilden roten Bart, der entweder sie oder ihren Wagen
anstarrte.
Sie war es gewohnt, dass ihr schnittiger Capri Auf-
merksamkeit erregte, zumal sie bei dem guten Wetter das
Verdeck heruntergeklappt hatte. So zuckte sie die Schul-
tern und fragte sich, ob der Mann wohl wusste, dass auf
der anderen Seite der Mauer ein Lamborghini stand.
Dann schwang das Tor auf, sie fuhr hindurch und hatte
den Zwischenfall schon vergessen.
Ryans Haushälterin, eine Frau in mittleren Jahren, öff-
nete ihr die Tür und führte sie in die Bibliothek. "Er tele-
foniert gerade und kommt gleich, Miss Lingard", sagte
sie. "Hier sind die neuen Bilder - ich weiß nicht, wo er
die noch hinhängen will! Und jetzt entschuldigen Sie
mich bitte, er erwartet heute Abend Gäste."
"Ich komme schon zurecht, Mary", versicherte Kim ihr
und untersuchte in den nächsten zwanzig Minuten inte-
ressiert die vier Gemälde. Eines davon betrachtete sie
geradezu ehrfürchtig. Ein wenig neidisch musste sie
zugeben, dass sie die Bilder selbst gekauft hätte, wenn sie
die Gelegenheit und das nötige Kleingeld gehabt hätte.
"Was halten Sie davon?" erklang plötzlich eine Stimme
von der Tür.
Kim fuhr herum. Ryan trug eine helle Leinenhose und
ein weißes Hemd, das über seinem gebräunten Hals ge-
öffnet war. Er wirkte locker und entspannt. Sie hatten
sich seit vier Tagen nicht gesehen.
Sie musste zugeben, dass sie sich gar nicht wohl fühlte,
während er sie von Kopf bis Fuß betrachtete: ihr kurz-
ärmliges rotes Seidenkleid und die dazu passenden hoch-
hackigen Pumps. Nervös umklammerte sie ihre rote
Handtasche.
"Ich bin beeindruckt", sagte sie, um das Schweigen zu
brechen.
"Ich auch." Das klang wieder einmal zweideutig. "Aber
bevor Sie sagen: ,Hören Sie, Mr. Bailey, lassen Sie uns
auf die Bilder zurückkommen' - mit diesem Sisley hatte
ich wirklich Glück, oder?"
Nach einem Blick auf die sanfte Harmonie der Land-
schaft und die Fülle der Farben seufzte sie wehmütig.
"Wie haben Sie ihn nur gefunden?"
"Ein englischer Freund von mir hat ihn auf dem Dach-
boden seines alten Hauses entdeckt."
"Und er ist immer noch Ihr Freund?"
"Oh, ich habe ihm einen fairen Preis dafür gezahlt." Er
kniff die Augen zusammen. "Ich weiß nur nicht, wo ich
ihn anbringen soll."
"Ich würde ihn in mein Schlafzimmer hängen - beim
Aufwachen wäre es ein netter Anblick", sagte Kim spon-
tan. - Ryan überlegte einen Moment. "Ein guter Gedanke.
Ich werde ihn also in mein Schlafzimmer hängen und
daran denken, wie Sie aufwachen, Kim."
Sie wollte protestieren und sagte dann so locker wie
möglich: "Ich bin wieder mal hereingefallen - Sie müssen
schon entschuldigen. Also, wenn Sie alle Papiere bei-
sammenhaben, werde ich ins Büro fahren und die Versi-
cherungen fertig machen. Dieses hier ..." Sie deutete auf
ein kleines Stillleben.
"... muss neu gerahmt werden, die anderen sind in gu-
tem Zustand, aber..."
"Ich möchte nicht, dass Sie ins Büro zurückfahren,
Kim", unterbrach er sie. "Heute Nachmittag habe ich
andere Pläne mit Ihnen."
Sie erstarrte. "Was soll das heißen?"
"Ich erwarte Gäste und mache mit ihnen eine kleine
Bootsfahrt. Ich möchte Sie dabeihaben - als meine Kura-
torin."
"Auf einer Bootsfahrt? Erzählen Sie mir nicht, dass Sie
wieder den Auftrag für den Bau einer Brücke haben wol-
len, denn das glaube ich Ihnen nicht! Also ..."
"Nein, aber Brad Oldfield ist einer meiner Gäste."
"Also ... Brad Oldfield?!" wiederholte sie ungläubig.
"Ja, tatsächlich." Ryan lächelte ein wenig boshaft. "Ei-
ner unserer führenden Maler, den ich für heute Abend
aus seiner Einsiedelei herauslocken konnte. Kommen Sie
mit?"
Sie befeuchtete sich mit der Zunge die Lippen und sag-
te schwach:
"Aber ich bin gar nicht dafür angezogen." "Es wird eine
reine Vergnügungsfahrt."
Er hatte recht.
Seine fünfzehn Meter lange Yacht "Sandra-Lee" hatte
zwei Decks und einen Salon, der in Ausstattung und
Komfort der letzte Schrei war.
Ein junger weiß gekleideter Mann steuerte sie, und Ma-
ry war ebenfalls an Bord, um für die Bewirtung zu sor-
gen.
Während sie im Schein der Abendsonne den Brisbane
River hinunterfuhren, saß Kim auf einer gepolsterten
Bank auf dem hinteren Deck, ein Glas Apfelsaft in der
Hand und Brad Oldfield neben sich.
Es waren noch ungefähr sechzehn andere Gäste da,
freundliche, lebhafte Menschen, wenn auch die meisten
Frauen anscheinend versuchten, sich gegenseitig in Klei-
dung und Schmuck auszustechen.
Offenbar waren die anderen sich über Kims Status nicht
im klaren, was sie erst feststellte, als Brad sie aus stahl-
blauen Augen im alten, wettergegerbten Gesicht fixierte
und fragte: "Sie sind also seine neuste Eroberung? Hof-
fentlich wissen Sie, was Sie tun."
Es dauerte einen Moment, bis Kim begriff. "Erobe-
rung? O nein ..."
"Kein einfacher Mann. Es hat Sandra einiges gekostet,
das herauszufinden. Sie hätte ihn nie heiraten sollen -
ihre Beziehung war wie die Verbindung eines Tigers und
eines Lamms", sagte Brad verächtlich und sprach dann
nachdenklich weiter: "Komisch, dass er den Namen des
Bootes nicht geändert hat - sie ist meine Nichte, wissen
Sie. Ich glaube nicht, dass sie je über ihn hinweggekom-
men ist..."
"Mr. Oldfield", unterbrach Kim ihn, "ich bin nur für
seine Kunstsammlung zuständig, nicht mehr."
"Was? O ja, er hat mir erzählt, dass er jemanden dafür
eingestellt hat.
Aber ich habe an einen alten, bebrillten Mann gedacht
oder an einen langhaarigen Yuppie. Na gut! Für gewöhn-
lich mag ich Kuratoren nicht, aber vielleicht mache ich
für Sie eine Ausnahme, vorausgesetzt, Sie reden nicht so
dumm daher, wie es sonst in Kunstkreisen üblich ist. Ich
male, was ich malen will, und ob es den Leuten gefällt
oder nicht, ist ihre Sache."
Kim lächelte leicht. "Mr. Oldfield, ich mag Ihre Bilder
sehr gern. Aber jetzt sollten wir vielleicht besser über das
Wetter oder die Landschaft sprechen, oder?"
Er lachte aus vollem Hals und hakte sich bei ihr unter.
"Mit Vergnügen, meine Liebe. Ryan ist eben doch ein
Glückspilz", sagte er zu den anderen und trug damit zur
allgemeinen Verwirrung bei.
Es war schon dunkel, als sich die Sandra-Lee auf den
Rückweg machte, vorbei an den glitzernden Lichtern von
Brisbane.
Sie passierten die New-Farm-Werften und Breakfast
Creek, während die Gesellschaft immer ausgelassener
wurde. Obwohl Brad Oldfield als Einsiedler galt, stand er
häufig im Mittelpunkt. Ein besonderes Auge hatte er für
schöne Frauen, und irgendwann vertraute er Kim an, dass
sie die schönste von allen sei.
"Man merkt, dass er nicht all zu oft herauskommt", sag-
te Ryan zu Kim, als er ihre leicht geröteten Wangen be-
merkte. "Sie haben offensichtlich einen Fang gemacht."
"Er ist ein richtiger Schwerenöter", erklärte sie kurz
angebunden.
"Aber ich mag ihn trotzdem. Ich wusste nicht, dass Sie
verwandt sind."
"Nur entfernt, durch Heirat." Er betrachtete sie lange,
einen nachdenklichen Ausdruck in den grauen Augen.
Kim wusste, was er sich fragte: Ob sie sich für seine
Heirat interessierte - nein, das tat sie nicht. Und wie um
das zu beweisen sich selbst? überlegte eine verräterische
innere Stimme -, wandte sie sich ab.
Eine Stunde nachdem die Yacht am Steg festgemacht
hatte, hatten sich die meisten Gäste verabschiedet. Kim
wollte eigentlich auch gehen, doch Brad erwies sich
plötzlich als sehr redselig. Als alle anderen fort waren,
erklärte er unvermittelt, er wolle jetzt schlafen gehen.
"Ryan hat mir ein Bett für die Nacht angeboten." Er
zwinkerte ihr zu, kletterte ein wenig unsicher von Bord
und verschwand in Richtung Haus.
Kim sah ihm verblüfft nach und ging dann in den Sa-
lon, wo Ryan über einem dicht mit Zahlen beschriebenen
Blatt am Tisch saß.
Bei ihrem Eintreten sah er auf und legte den Füller bei-
seite. "Ich dachte schon, er würde Sie nie gehen lassen."
"Ich auch." Sie griff nach ihrer Tasche. "Also, vielen
Dank..."
"Warum nehmen wir nicht noch einen Drink zusam-
men, Kim? Ich bin sicher, das hat Brad damit bezweckt."
Vor Überraschung fiel ihr die Tasche aus der Hand, und
mit einem unterdrückten Fluch bückte sie sich und hob
sie auf. "Warum hätte er das tun sollen?" fragte sie
schroff.
Ryan zuckte die Schultern. "Er mag mich, trotz allem,
was mit Sandra passiert ist."
"Ich verstehe nicht ganz." Kim hatte sich aufgerichtet
und umklammerte ihre Tasche mit beiden Händen.
Er lächelte. "Ich glaube, er hat beschlossen, mir von
Mann zu Mann ein wenig Hilfe zu leisten, was Sie an-
geht."
"Wie bitte?" Sie blickte ihn ungläubig an. "Haben Sie
ihm etwa erzählt, dass ..."
"Kein Wort", erwiderte er.
"Aber warum hat er dann ... Ich bin sprachlos!"
"Wahrscheinlich hat er mein Interesse an Ihnen erraten.
Entschuldigung", sagte er, aber es klang eher spöttisch.
"Haben Sie nicht neulich gesagt, Sie wollten mich nicht
drängen?"
erinnerte sie ihn kühl.
"Und, habe ich Sie bisher auch nur angerührt?" fragte
er ironisch.
"Es gibt auch andere Arten, jemanden unter Druck zu
setzen", sagte sie bitter. "Und sollte ich mich jedes Mal,
wenn ich in Ihrer Firma bin, mit solchen Dingen herum-
schlagen müssen, dann hat es ohnehin keinen Zweck."
"Warum setzen Sie sich nicht und erklären mir alles?
Oder ich erkläre Ihnen alles. Nach all dem Apfelsaft heu-
te Abend - wie wäre es mit Champagner?" fragte er.
"Ich hasse Champagner", erklärte sie kalt.
"Dann einen Kaffee? Mary hat welchen gemacht." Er
deutete auf das Büfett. "Fühlen Sie sich mir eigentlich
überlegen, Kim?"
Wieder war sie überrascht. "Nein, was meinen Sie da-
mit?"
"Setzen Sie sich, und ich erkläre es Ihnen."
Frustriert ließ sie sich auf die Couch sinken.
Der Salon der Sandra-Lee war in grauen und elfenbein-
farbenen Tönen gehalten: elfenbeinfarbener Teppichbo-
den, graugeblümte weiche Polstermöbel, schwarze Mar-
morlampen und jadegrüne Lampenschirme, die ein sanf-
tes Licht verbreiteten. Es war ein eleganter und doch be-
haglicher Raum, und Kim fragte sich unwillkürlich, ob
Ryan das Boot oft benutzte und wen er auf seinen Fahr-
ten mitnahm.
"Bitte." Er stellte eine Tasse Kaffee auf das Seiten-
tischchen und setzte sich wieder an den Tisch. "Wo wa-
ren wir? Ach ja, Sie haben noch nicht auf meine Frage
geantwortet."
"Warum, um alles in der Welt, sollte ich mich Ihnen
wohl überlegen fühlen?" erklärte sie trocken.
"Sie entstammen einer langen Generation von Staatsbe-
amten - einer Ihrer Vorfahren war sogar Premier von
Queensland, wenn ich mich nicht irre -, während mein
Vater Bergmann war."
Kim blinzelte. "Das wusste ich nicht."
"Sie halten mich also nicht für einen Emporkömmling,
der nur vorgibt, an Kunst interessiert zu sein?"
"Ich ... Nein!" protestierte sie. "Warum werfen Sie mir
das ständig vor?"
Er lächelte und faltete die Hände. "Dann haben Sie
nicht bemerkt, dass Sie heute Abend wirkten wie ein
Vollblut zwischen Bauernkleppern? "
Sie verschluckte sich beinahe an ihrem Kaffee. "Wie
können Sie es wagen, so etwas zu behaupten?"
"Dann muss es wohl unbewusst geschehen sein:" Er
verzog spöttisch den Mund. "Jedenfalls haben Sie den
Schmuck der anderen Frauen höchst widerwillig betrach-
tet. Ich könnte mir vorstellen, dass die Damen innerlich
zusammengezuckt sind und sich gewünscht haben, nur
winzige Perlen in den Ohren zu tragen und höchstens
einen goldenen Ring."
"Na gut." Sie hatte die Stimme erhoben. "Sie halten
mich also für snobistisch. Es stimmt, ich mag diese Zur-
schaustellung von Schmuck nicht, aber das hat nur mit
meiner persönlichen Vorliebe und gar nichts mit Ihnen zu
tun."
Ryan lächelte übertrieben freundlich. "Das erleichtert
mich."
"Ach ..." Ungeduldig wandte Kim sich wieder ihrem
Kaffee zu.
"Und wie ist es mit Ihren anderen Vorlieben? Zum Bei-
spiel bei Männern. Wie mögen Sie diese am liebsten?"
"Das werde ich mit Ihnen wohl kaum diskutieren", er-
klärte sie vorsichtig. "Auf die Gefahr hin, wieder als sno-
bistisch zu gelten: Ich finde diese ganze Sache ge-
schmacklos "und ... anzüglich", fügte sie gefährlich leise
hinzu und betrachtete ihn kühl.
"Das könnten wir leicht auf die Probe stellen", sagte er
und stand auf.
"Viele Frauen wissen nämlich gar nicht, wie sie einen
Mann beurteilen sollen. Aber ob ich etwas davon verste-
he oder nicht, ich weiß genau, dass Sie unerfahrener sind,
als Sie glauben - völlig unerfahren nämlich."
Wieder war es ihm gelungen, sie zu schockieren; und
sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Er sagte
leise: "Also ist Ihnen das auch schon bewusst geworden,
Kim? Warum versuchen Sie es dann nicht einmal mit
meiner Hypothese: Dass Sie bisher die falschen Männer
gewählt haben?"
Das Sprechen fiel ihr schwer. "Wie ... wie können Sie
ein solches Urteil fällen, wo wir uns doch kaum kennen?"
stieß sie schließlich heiser hervor.
Er zuckte die Schultern. "Aus mehreren Gründen. Zum
Beispiel, dass Sie im Moment auf alle Männer allergisch
reagieren. Und was die anderen Gründe angeht - eines
Tages werde ich sie Ihnen vielleicht erzählen."
Kim stand unvermittelt auf, um ihre Verwirrung zu ü-
berspielen. Diese Andeutung eines Versprechens hatte
eine seltsame Wirkung auf sie, und was sie sagen wollte,
blieb ihr in der Kehle stecken.
Sie standen sich dicht gegenüber, und plötzlich wurde
Kim von seiner rauen Männlichkeit überwältigt. Sie frag-
te sich, wie es wohl wäre, in den Armen dieses Mannes
zu liegen, seine Stärke zu fühlen, seine Hände auf ihrem
Körper zu spüren ...
Und zu ihrem Entsetzen merkte sie, dass ihr ein Krib-
beln über den Rücken lief, ihr ganz heiß wurde und eine
seltsame Erregung in ihr aufstieg.
Kim schluckte und überlegte, ob er wohl sah oder ahn-
te, welche Wirkung er auf sie hatte. Doch er bewegte sich
nicht, sondern betrachtete sie nur aus klugen grauen Au-
gen.
Natürlich merkt er es, dachte sie ärgerlich und sagte:
"Ich gehe jetzt."
"Ja. Gute Nacht, Kim. Mary wird Ihnen das Tor öff-
nen", erwiderte er ruhig, und nur mühsam gelang es ihr,
den Blick von seinem loszureißen und sich umzudrehen.
Kim verbrachte einige unruhige Tage. Nicht weil sie
Ryan Bailey sah, sondern weil sie sich unbehaglich fühl-
te, sich kaum konzentrieren konnte und wütend auf sich
selbst war. Wie konnte sie sich von einem Mann aus dem
Gleichgewicht bringen lassen, der bekannt war für seine
Wirkung auf Frauen?
Mag ich ihn deshalb nicht? fragte sie sich eines A-
bends, als sie allein in ihrem Apartment beim Essen saß.
Normalerweise liebte sie ihre Wohnung, die groß und
hell war und auf der anderen Seite des Flusses lag. Sie
hatte sie zum größten Teil mit Möbeln aus ihrem Eltern-
haus eingerichtet, wunderbaren Stücken, die ihr Vater,
ein begeisterter Antiquitätensammler, angeschafft hatte.
Kim hatte eine eigene Kunstsammlung, kein Vergleich
mit der von Ryan Bailey, doch sie war stolz darauf.
Sie war eine begeisterte Hobbyköchin und veranstaltete
oft Dinnerpartys, zu denen sie ihre zahlreichen Freunde
einlud. Dreimal in der Woche spielte sie Tennis, gab au-
ßerdem einen Zeichenkurs für behinderte Kinder und
schneiderte leidenschaftlich gern. Wenn man von ihrem
Arbeitgeber einmal absah, hatte sie einen Job den sie
liebte und der sie forderte. Ihr Beruf erlaubte ihr, viel auf
Reisen zu sein und das zu tun, was ihr am meisten Spaß
machte. Und ihren nächsten Urlaub würde sie auf den
Fidschiinseln verbringen. Sie hatte ein erfülltes, befriedi-
gendes Leben, wie es schien.
Warum kam ihr das plötzlich nur so ... abgestanden
vor?
Unvermittelt stand sie auf und ging zur Spüle, um ihren
Teller abzuwaschen. Sie benahm sich völlig lächerlich!
Trotzdem musste sie zugeben, dass sie auf Ryan Baileys
Fragen anscheinend keine Antwort hatte. Lebte sie in
einem Elfenbeinturm, war sie tatsächlich snobistisch?
Vermisste sie die Liebe so sehr, dass sogar ein Mann wie
Ryan Bailey etwas - ja, was eigentlich? - in ihr aufwüh-
len konnte?
Wie hatte er nur erkannt, dass die beiden Beziehungen,
die sie hinter sich hatte, in einer Katastrophe geendet
hatten? Das beunruhigte sie am meisten.
Natürlich konnte er unmöglich die Einzelheiten wissen,
aber anscheinend hatte er etwas gespürt. Beide Male hat-
te sie geglaubt, verliebt zu sein, und beide Male hatten
ihre Erwartungen sich nicht erfüllt. Seufzend wandte sie
sich von der Spüle ab. Es war ein deprimierender Gedan-
ke, dass sie sich zweimal den falschen Mann ausgesucht
hatte.
Was nicht besagte, dass Ryan der richtige Mann für sie
wäre. Seine dominante, arrogante Art brachte sie in Rage.
Und doch ertappte sie sich im Lauf des Abends dabei,
dass sie an Sandra Bailey dachte, die laut ihrem Onkel
niemals über Ryan hinweggekommen war.
Deshalb war es für sie ein Schock, als sie Sandra am
nächsten Tag begegnete.
Kim war auf dem Weg zu ihrem Büro, als ihr in der
Empfangshalle eine attraktive blonde Frau entgegenkam.
Sie war wunderbar gekleidet und nach der neusten Mode
frisiert, wirkte aber ein wenig schüchtern.
Die Empfangsdame begrüßte sie übertrieben höflich.
"Guten Morgen, Mrs. Bailey. Wie geht es Ihnen? Mr.
Bailey erwartet Sie schon ... Oh, einen Moment, Miss
Lingard, Mr. Bailey möchte Sie gern um zehn Uhr se-
hen."
"Warum?" erkundigte Kim sich, ziemlich unwirsch,
woraufhin sich Sandra Bailey zu ihr umdrehte und sie
ansprach. "Sie müssen Kim Lingard sein. Mein Onkel,
Brad Oldfield, hat mir erzählt, dass er Sie getroffen hat.
Wie geht es Ihnen?"
"Gut, vielen Dank." Kim hatte sich wieder unter Kon-
trolle, obwohl sie sich angesichts Sandras perfekter Klei-
dung in ihrem einfachen grasgrünen Leinenkostüm fast
armselig vorkam. "Ich habe mich sehr gefreut, Ihren On-
kel kennen zu lernen, Mrs. Bailey."
"Er ist eine Persönlichkeit, nicht wahr? Oh ... ich glau-
be, ich sollte Ryan nicht warten lassen." Sandra schnitt
ein Gesicht. "Auf Wiedersehen."
"'Auf Wiedersehen." Kim blickte ihr nach und dachte
an die Geschichte von Tiger und Lamm ...
Um zehn Uhr unterhielt sie sich im Vorzimmer gerade
mit Pam, als die Tür zu Ryans Büro geöffnet wurde und
er seine Exfrau hinauskomplimentierte. "Du meldest dich
also?"
"Ja." Sandra sah ihn an, und ihr Blick verriet, was sie
für ihn empfand.
"Kommen Sie herein, Miss Lingard. Ich glaube, Sie
und Sandra kennen sich schon?"
"Was ist los?" erkundigte Kim sich gereizt, als sie sein
Büro betreten hatte. Sie sah nicht nur ungeduldig aus, sie
fühlte sich auch so und seltsam unruhig obendrein.
"Sie sollten mir lieber erzählen, was ich getan habe.
Setzen Sie sich", sagte Ryan.
Sie gehorchte widerwillig. "Nichts. Ich warte."
Er betrachtete sie fragend. "Ist es wegen Sandra?"
"Wieso Sandra? Sie hat nichts mit mir zu tun. Aber da
wir gerade beim Thema sind: Warum liebt sie Sie immer
noch?"
"Das tut sie nicht..."
"Ach kommen Sie. Zumindest sieht sie so aus, und ihr
Onkel hat gesagt..."
"Kim", unterbrach Ryan sie, "verlangen Sie einen ge-
nauen Bericht über meine Ehe und meine Exfrau? Und
wenn ja, warum?"
Ihre Blicke begegneten sich - aus wütenden dunklen
und amüsierten grauen Augen. "Weshalb haben Sie mich
herbestellt, um mich Ihrer Exfrau vorzuführen?" erkun-
digte sie sich ärgerlich.
"Warum sollte ich das wohl tun?"
"Vielleicht weil Sie manchmal ein ziemlicher Macho
sind?"
Er schnitt ein Gesicht. "Manchmal vielleicht, aber ge-
rade eben nicht.
Und ich verstehe auch nicht so ganz, warum ich Sie
meiner Exfrau vorführen sollte, aber Sie werden es mir
sicher gleich erklären."
Darauf wusste Kim nichts zu erwidern. Sie presste die
Lippen zusammen und betrachtete ihn aus zusammenge-
kniffenen Augen, bevor sie schließlich kühl fragte: "Also,
warum haben Sie mich herbestellt?"
"Ich habe von einem jungen Maler eine Bitte um Unter-
stützung bekommen. Er hat mir ein Gemälde geschickt,
und in dem Begleitschreiben schlägt er vor, seine Bilder
aufzuhängen, denn dann würden sich sicher bald mehr als
genug Käufer finden, und er sei großzügigerweise bereit,
den Gewinn mit mir zu teilen.
Punkt eins, weshalb ich Sie zu mir gebeten habe. Punkt
zwei: Ein Fernsehsender möchte einen Beitrag über mei-
ne Kunstsammlung bringen."
Kim zog die Augenbrauen hoch. "Warum nicht? Das
kann den Ruf Ihrer Sammlung nur verbessern. Sind Sie
einverstanden?"
"Eigentlich ja, obwohl ich nicht gern im Licht der Öf-
fentlichkeit stehe", sagte er nachdenklich. "Aber es muss
richtig angepackt werden. Deshalb möchte ich, dass Sie
mit den Leuten verhandeln und sicherstellen, dass ich
nicht als neureicher Prahlhans dargestellt werde, der alles
zusammenrafft, was man mit Geld kaufen kann, obwohl
er einen van Gogh nicht von einem Constable unter-
scheiden kann."
"Ich soll also dafür sorgen, dass Sie als Mann mit Ge-
schmack und Kultur herauskommen? Mr. Bailey, Sie
überraschen mich wirklich.
Haben Sie keine Angst, dass ich es übertreibe?" fragte
sie unschuldig.
"Nein", erklärte Ryan trocken.
Plötzlich fühlte sie sich viel besser. "Gut. Und was ist
mit dem Gemälde, das heute morgen gekommen ist? Ist
es gut?"
"Das müssen Sie entscheiden." Er ging durch das Zim-
mer und schob einen Vorhang beiseite. Dahinter stand,
gegen die Wand gelehnt, das große Bild einer schönen
nackten Frau, die inmitten einer Blumenwiese kniete.
"Ich weiß, dass es nicht Sandras Geschmack ist, und Pam
war peinlich berührt, als sie es auspackte, deshalb habe
ich es lieber versteckt. Außer vor Ihrem professionellen
Auge."
"Das wäre doch das richtige für Ihr Schlafzimmer, Mr.
Bailey! Es hat tatsächlich etwas für sich, eine gewisse
Vitalität, aber Ihr Personal wäre sicher ein wenig be-
fremdet, wenn Sie es hier aufhängen würden."
"Sprechen Sie jetzt als Kunstkennerin oder als Frau,
Kim?"
"Ich spreche als Frau, die erst kürzlich in der Zeitung
von einem Wandgemälde gelesen hat, das gewisse Par-
tien der weiblichen Anatomie zeigt und im Foyer eines
Geschäftsgebäudes ausgestellt wurde. Kein Wunder, dass
viele der dort arbeitenden Frauen wütend waren."
"Ja, das habe ich auch gelesen", sagte er amüsiert. "Sie
meinen also, ich sollte diesem Künstler empfehlen, sich
an eine Galerie zu wenden, die Kunst um der Kunst wil-
len ausstellt?"
"Das überlasse ich Ihnen. Hängen Sie es doch zu Hause
oder in Ihrem Boot auf, wenn es Ihnen gefällt", schlug sie
zuckersüß vor. "Wie heißt er?"
"Mark Markham."
"Noch nie von ihm gehört."
"Ich auch nicht." Ryan ließ den Vorhang fallen. "Das
wäre alles, Kim.
Pam hat alle Unterlagen über die Fernsehsendung."
"Großartig", sagte Kim betont heiter, um ihren Ärger zu
überspielen.
"Ich werde mich gleich darauf stürzen."
Sie hatte fast einen Monat Zeit, um sich auf die Sen-
dung vorzubereiten. Ryans Lebenslauf allerdings, der
vom Sender angefordert worden war, bereitete ihr
Schwierigkeiten.
Ihre Bitte um seine Stellungnahme blieb wirkungslos.
Am Telefon erklärte ihr der zuständige Redakteur, dass
seine Aufzeichnungen sehr unvollständig seien, weil Ry-
an bisher die Öffentlichkeit gescheut habe, und bat sie
um weitere Informationen.
"Ich weiß, dass sein Vater Bergarbeiter war, mehr
nicht", platzte Kim heraus. "Aber vergessen Sie das lie-
ber, bis ich herausgefunden habe, was er über sich preis-
geben will."
"Miss Lingard, wie wäre es, wenn wir in der Sendung
auch Sie vorstellen würden?" schlug der Redakteur vor.
"Wir wissen einiges über Sie und könnten uns vorstellen,
dass Sie für unsere Zuschauer eine interessante Persön-
lichkeit sein würden."
Sie schnitt ein Gesicht. "Auch darüber gebe ich Ihnen
so schnell wie möglich Bescheid - versprochen."
"Pam, wo ist Mr. Bailey?"
"Er ist im Moment sehr beschäftigt, Kim. Ich habe all
Ihre Aktennotizen an ihn weitergegeben, aber ..."
"Hören Sie, ich brauche ihn! Ich kann nicht..."
"Woher dieser plötzliche Sinneswandel, Miss Lin-
gard?" erklang eine tiefe Stimme hinter ihnen.
Kim atmete tief durch und drehte sich aufgebracht zu
Ryan um. "Wo waren Sie, Mr. Bailey?" fragte sie her-
risch. "Erst beauftragen Sie mich, diese Sendung vorzu-
bereiten, und dann machen Sie sich unsichtbar! Wenn Sie
Bailey Construction auf diese Art leiten, wundert es
mich, dass es nicht längst Konkurs gemacht hat!"
Pam stöhnte auf und warf ihr einen gekränkten Blick
zu. Doch Ryan verzog nur ironisch den Mund. "Schon
gut, Pam. Kim nimmt kein Blatt vor den Mund, sie ist
fast eine Künstlerin, und deshalb setzt sie andere Prioritä-
ten, glaube ich. Hm ... wann habe ich den nächsten Ter-
min?"
"In einer Dreiviertelstunde, Mr. Bailey, aber an der
Goldküste, und Sie werden ohnehin zu spät kommen. Ihr
Wagen wartet schon unten."
"Dann rufen Sie an, und sagen Sie, ich sei aufgehalten
worden." Er wandte sich an Kim. "Und wenn Sie mich so
dringend brauchen, dann werden Sie mich wohl begleiten
müssen."
"Aber das ist lächerlich", protestierte sie. "Den ganzen
Weg ... Und wie komme ich zurück?"
"Warren, mein Chauffeur, wird Sie fahren. Ich bleibe
über Nacht dort.
Das ist mein letztes Angebot", fügte er zuckersüß hin-
zu.
Sie betrachtete ihn wütend. "Also dann, na gut!"
Warren erwies sich als der junge Mann, der das Boot
gesteuert hatte und der neben seiner Tätigkeit als Chauf-
feur auch als Gärtner fungierte. Der Wagen war ein alter
Rolls-Royce, der im Fond sogar eine Bar hatte.
Ryan machte es sich bequem. "Nicht schlecht, oder?"
Kim rückte so weit von ihm ab wie möglich und nahm
Notizblock und Stift aus ihrer Tasche. "Ich bin beein-
druckt, Mr. Bailey", erklärte sie ironisch. "Erst der Lam-
borghini, dann dies, und alles für einen Mann."
"Den Rolls-Royce sehe ich als ein Symbol für Bailey
Construction", sagte er liebenswürdig. "Ich lasse oft
Kunden damit abholen, und außerdem kann man unter-
wegs bequem ein Nickerchen halten, was ich getan hätte,
wenn Sie nicht gewesen wären. Dieser Wagen ist ein
Statussymbol, während der Lamborghini einfach zum
Vergnügen da ist."
"Darf ich das notieren? Und entschuldigen Sie, dass ich
Ihnen bei Ihrem Nickerchen im Weg stehe."
Er lächelte. "Notieren Sie auch das, Kim."
Sie presste die Lippen zusammen und beneidete ihn um
seine Selbstbeherrschung.
Nach kurzem Schweigen begann er: "Also, reden wir
über die leidenschaftlichen Botschaften, die Sie mir ha-
ben zukommen lassen."
Kim zwang sich, die Ironie in seinen Worten zu igno-
rieren, und sagte scheinbar ruhig: "Wenn sie so klangen,
dann nur, weil die Leute vom Sender mir leidenschaftli-
che Botschaften zukommen lassen, in denen sie mich
auffordern, ihnen bei der Ausarbeitung des Berichts be-
hilflich zu sein. Sie wollen Hintergrundinformationen
über Sie."
"Das halte ich nicht für nötig."
"Mir wurde versichert, dass eine halbstündige Sendung
auch etwas über den Menschen enthalten müsste, nicht
nur über seine Sammlung.
Außerdem haben sie mich gebeten ... Sie wollen auch
mich in der Sendung haben", sagte sie kühl. "Auch das
möchte ich erst mit Ihnen klären."
"Warum nicht?"
Sie sah aus dem Fenster auf den Pacific Highway hin-
aus. "Hören Sie", sagte sie schließlich, "könnten wir nicht
so etwas wie einen Lebenslauf über Sie zusammenstel-
len? Immerhin haben Sie dadurch die Möglichkeit, Ihre
eigene Version zu verbreiten. Wenn wir ihnen gar keine
Informationen geben, besteht die Gefahr, dass sie etwas
ausgraben oder sogar erfinden."
"Na gut", stimmte er gelassen zu. "Aber zuerst erzählen
Sie mir, wie der Rest der Sendung aussehen soll."
"Ich kann natürlich nur Vorschläge machen. Schließlich
ist es nicht mein Programm. Ich würde gern bekannt ma-
chen, wie umfassend die Sammlung ist, deshalb habe ich
eine Liste der wirklich interessanten Bilder gemacht -
einheimische Kunst, ungewöhnliche Gemälde oder sol-
che, die mit Anekdoten verbunden sind, über ihr Entste-
hen, den Maler oder wie Sie sie erworben haben." Sie
nahm ein Blatt aus ihrer Tasche und reichte es ihm.
Er überflog es. "Gute Idee."
"Dann könnten wir einige der wirklich bekannten Bil-
der vorstellen und am Ende zu den Münzen und Medail-
len kommen, insgesamt also ein umfassendes Bild Ihrer
Sammlung bieten."
"Unterbrochen von Ihren und meinen Kommentaren?"
"Ja. Aber ich halte mich auch gern zurück, wenn Sie
möchten."
"Nein. Immerhin wäre es ein interessanter Kontrast: Sie
für die Kultur, ich für das Geld.!'
"Ich habe gewusst, dass Ihnen mein Plan nicht gefällt",
erklärte sie.
"Nein, Kim, das war nur ein kleiner Scherz. Ich sehe
genau, dass Sie durch Ihre Fähigkeiten meiner Sammlung
beträchtlichen Stil verleihen. Tatsächlich betrachte ich
Sie als eine fast genauso gute Investition wie meinen
Sisley."
"Soll das ein Kompliment sein?"
"Durchaus."
Wieder sah sie aus dem Fenster, während der klimati-
sierte Wagen fast lautlos Meile um Meile zurücklegte.
"Und was ist mit Ihrer Lebensgeschichte?" erkundigte sie
sich schließlich.
"Haben Sie etwas im Sinn wie ,Ryan Bailey, der Sohn
eines Bergarbeiters' oder so ähnlich?"
Sie schnitt ein Gesicht. "Das habe ich dem Redakteur
schon erzählt", gestand sie. "Ich bin damit sozusagen
herausgeplatzt."
"Tatsächlich?" Er betrachtete sie amüsiert. "Keine Sor-
ge. Ich schäme mich dessen nicht, und es ist kein Ge-
heimnis. Also benutzen Sie es ruhig."
"Und weiter?" fragte sie, als er schwieg.
"Pam wird etwas für Sie vorbereiten."
"Hören Sie, das hatten wir schon einmal, damit lasse
ich mich nicht mehr abspeisen", sagte Kim zornig. "Was
glauben Sie wohl, warum ich mich zu dieser langen,
langweiligen Fahrt zur Goldküste bereit erklärt habe?"
"Sie ist gar nicht so lang, wir sind gleich da", merkte
Ryan beschwichtigend an. "Und gelangweilt habe ich
mich eigentlich auch nicht, deshalb ..."
"Aber Sie müssen dieselbe Strecke auch nicht sofort
wieder zurückfahren!" stieß sie hervor und sprach dann
ruhiger weiter: "Also, ich werde einige Sätze über Sie
zusammenschreiben, vor allem über den Erfolg von Bai-
ley Construction. Wenn es dem Redakteur nicht gefällt,
soll er es weglassen. Und wenn es Ihnen nicht gefällt,
können Sie mich feuern oder zur Hölle fahren oder bei-
des!"
"Ganz, wie Sie wünschen, Kim."
"Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?" "Weil
Sie unglaublich attraktiv sind, wenn Sie ärgerlich wer-
den. Ah, wir sind da", erklärte er, als der Wagen vor dem
Sheraton Mirage hielt. "Ich würde Sie als Ausgleich für
die lange, langweilige Fahrt gern zum Essen ausführen,
aber leider ..."
"Vergessen Sie es." Sie wandte sich demonstrativ ab,
drehte sich aber gleich darauf noch einmal zu ihm um.
"Und planen Sie nicht noch mehr dieser unnützen Spritz-
touren ein."
"Ich bin ernstlich zerknirscht, Kim. Und in Zukunft
werde ich mich wie ein guter Arbeitgeber benehmen, fest
versprochen."
"Verschwendete Mühe. Eher könnten Sie versuchen,
das Rote Meer zu teilen!"
Kim änderte ihre Meinung über Ryan auch nicht, als
Pam ihr anvertraute, wie großzügig er sich mehreren
Wohltätigkeitsorganisationen gegenüber erweise.
"Und? Warum sollte er das nicht tun?"
Pam betrachtete sie vorwurfsvoll. Sie versuchten gera-
de, gemeinsam eine komprimierte Geschichte von Bailey
Construction auszuarbeiten.
"Ich dachte, das könnten Sie vielleicht mit einbringen.
Zugegeben, er ist sehr eigen mit seinem Privatleben, aber
trotzdem sollten mehr Leute wissen, dass er ein guter
Mensch ist."
Kim seufzte angesichts der Ergebenheit in dem Blick
des anderen Mädchens. "Pam, dafür brauchte ich seine
Zustimmung, und ich glaube nicht, dass er sie geben
würde", sagte sie schließlich.
"Das stimmt. Ach, es war auch nur so eine Idee. Kom-
men ... kommen Sie jetzt besser mit ihm zurecht, Kim?"
Kim wollte schon antworten, besann sich dann aber ei-
nes Besseren.
"Ja, vorausgesetzt, wir beschränken uns auf das Ge-
schäftliche", erwiderte sie kurz angebunden.
"Bestimmt hält er sich daran", sagte Pam überzeugt.
Und Pam sollte tatsächlich recht behalten. In den
nächsten Wochen hielt Ryan Bailey sich daran, wenn
seine und Kims Wege sich kreuzten.

3.KAPITEL
"Trinken wir etwas zusammen?" .
"Danke, Mr. Bailey, aber ..."
"Ach kommen Sie, Kim", sagte Ryan schroff, während
das Fernsehteam Kameras und Scheinwerfer zusammen-
packte. "Seit Wochen spielen wir Katz und Maus. Geben
Sie sich einen Ruck."
Während er sie in sein Büro führte, spürte Kim im Rü-
cken die neugierigen Blicke der Angestellten von Bailey
Construction, die sich versammelt hatten, um die Drehar-
beiten zu beobachten. - In seinem Büro öffnete Ryan das
Baufach. "Setzen Sie sich", befahl er.
Die Lippen rebellisch zusammengepresst, setzte sie
sich auf einen der mit Leder bezogenen Designerstühle.
Er war schon dabei, eine Champagnerflasche zu öffnen,
als ihm etwas einfiel. "Was trinken Sie eigentlich, Miss
Lingard, außer Apfelsaft?"
"Sie haben nicht zufällig Campari und Soda?"
"Ich weiß nicht ... Ach, zufällig doch, aber Zitrone kann
ich Ihnen leider nicht anbieten."
Sie sagte nichts, während er den Drink mixte. Er reichte
ihr das schlanke Glas und schnitt ein Gesicht, als sich
ihre Blicke trafen.
Dann setzte er sich ihr gegenüber auf den anderen
Stuhl.
"Ich frage mich, was Sie mehr ärgert - als Angestellte
behandelt zu werden oder nicht als solche behandelt zu
werden. Prost!" Er hob sein Glas in einer kleinen ironi-
schen Geste.
"Ich ärgere mich manchmal einfach über Sie. Prost!"
"Ich habe Sie schon einmal gefragt, warum arbeiten Sie
dann noch weiter für mich?" erkundigte er sich.
"Und ich habe Ihnen schon einmal geantwortet. Wenn
ich die Vorund Nachteile abwäge, überwiegen die Vor-
teile dieses Jobs." Kim stellte ihr Glas ab. "Heute hat er
mir sogar ein wenig Publicity eingebracht."
Ryan betrachtete sie einen Moment schweigend. "Sie
waren gut", gab er schließlich zu.
"Sie auch", erklärte sie sachlich.
"Meinen Sie nicht, dass wir zur Abwechslung einmal
versuchen sollten, uns in der Gegenwart des anderen zu
entspannen?"
Sie schüttelte den Kopf. "Nein."
"Wovor haben Sie Angst, Kim? Vor sich selbst?" fragte
er ruhig.
"Ach, der alte Trick?"
"Die alten Tricks sind nicht immer die schlechtesten."
Sie fragte sich, ob er wohl ahnte, dass sie sich nur so
abwehrend verhielt, um ihre Unsicherheit zu verbergen.
In den letzten Wochen hatte sie sich absichtlich von ihm
ferngehalten, und es ärgerte und verunsicherte sie noch
mehr, dass auch er Distanz gewahrt und ihre Beziehung
auf einer strikt geschäftlichen Basis gehalten hatte.
Immer wieder hatte sie sich gesagt, dass sie den Mann
nicht mochte.
Für wen hielt er sich eigentlich? Er machte sich an sie
heran, um sie am nächsten Tag wie eine x-beliebige An-
gestellte zu behandeln.
Doch ob sie ihn mochte oder nicht, sie musste zugeben,
dass sie sich seiner immer mehr bewusst wurde, vor al-
lem im körperlichen Sinn, doch war das so überraschend?
Den meisten seiner weiblichen Angestellten ging es e-
benso, denn Ryan Bailey war ein gefährlich attraktiver
Mann, wenn man ihn näher kennen lernte.
Kim erschauerte, aber nicht vor Widerwillen. Genau
das war es: Er war gefährlich. Er konnte seine Mitmen-
schen mit Worten zerstören.
Er war so verdammt klug und überheblich, er war stark
und groß und gut gebaut, so dass sie nicht umhin konnte,
sich zu fragen, wie er wohl als Liebhaber wäre. Und all
die anderen Frauen in seinem Leben:
seine Exfrau, die Gerüchte um seine Geliebten ...?
Sie blickte unvermittelt auf und ertappte ihn dabei, dass
er sie nachdenklich betrachtete: ihr dunkles Haar, die
kleinen Sommersprossen, ihren Mund, die Nase, den
Ausschnitt ihrer schwarzen Kostümjacke, ihre langen,
schlanken Beine unter dem engen schwarzen Rock ...
Plötzlich war sie sich ihres Körpers sehr bewusst, und
ihr fiel ein, dass sie unter dem klassischen Kostüm ironi-
scherweise spitzenbesetzte schwarze Unterwäsche trug.
Sie überlegte verzweifelt, was sie sagen könnte, um die
Spannung zu brechen, da klingelte das Telefon.
"Ach", sagte er langsam, "wahrscheinlich der Anruf aus
Port Moresby, wegen der Brücke in Papua-Neuguinea. Es
kann eine Weile dauern, aber trinken Sie in Ruhe aus,
bevor Sie gehen, Kim."
Die Botschaft in ihren Augen war ganz deutlich: Du
mieser Kerl!
Ohne ein weiteres Wort stand sie auf und verschwand.
In den nächsten Tagen war Kim so wütend, dass sie so-
gar beim Tennis nichts als Fehler machte, obwohl sie
eine ausgezeichnete Spielerin war. Sie versuchte, sich zur
Vernunft zu ermahnen, konnte sich aber dennoch nicht
dazu durchringen zu kündigen. Dass sie Ryan nicht sah,
half ihr zumindest, ihre Beherrschung zurück zu gewin-
nen.
Am Samstag Nachmittag klingelte es an der Woh-
nungstür, und als Kim öffnete, stand zu ihrer Verblüffung
der kräftige, rothaarige junge Mann vor ihr, den sie vor
einigen Wochen auf dem Bürgersteig vor Ryans Haus
gesehen hatte.
"Miss Lingard?" begann er höflich. "Ich bin Mark
Markham. Nett, Sie kennen zu lernen."
Sie betrachtete ihn verblüfft. "Sie sind ..."
"Ja. Ich habe die Nackte auf der Wiese gemalt. Haben
Sie es gesehen?"
"Ich... Ja, aber..."
"Und was halten Sie von meinem Bild, Miss Lingard?"
"Oh, es hat gewiss seine Qualitäten", sagte sie langsam.
"Miss Lingard, würden Sie mir einen sehr großen Ge-
fallen tun? Für morgen Vormittag habe ich eine Art Aus-
stellung meiner Bilder geplant in einem Bootsschuppen",
fügte er entschuldigend, aber charmant hinzu. "Ich habe
einige Freunde eingeladen. Würden Sie kommen und
sich die Bilder ansehen? Bitte."
"Na ja, ich ... Mr. Markham, woher wissen Sie eigent-
lich, wer ich bin und wo ich wohne?"
"Ich habe Sie im Fernsehen gesehen und Ihre Adresse
im Telefonbuch nachgeschlagen", sagte er einfach.
"Aha." Kim schnitt ein Gesicht bei der Erinnerung an
ihr Unbehagen, sich zusammen mit Ryan im Fernsehen
zu sehen. "Hat er Ihnen das Bild zurückgeschickt?"
"Ja." Mark lächelte jungenhaft. "Aber ich bin Optimist.
Und wenn Sie Nackte nicht mögen, gibt es noch tausend
andere Motive", fügte er eifrig hinzu.
Kim überlegte kurz und lächelte dann. "Na gut, geben
Sie mir Ihre Adresse. Aber was Mr. Bailey angeht, kann
ich Ihnen natürlich nichts versprechen."
Er überreichte ihr eine handgeschriebene Karte und
dankte ihr überschwänglich, bevor er ging. Erst später
fragte sie sich, was er damals vor Ryan Baileys Haus zu
suchen gehabt hatte. Dann zuckte sie die Schultern und
vergaß es.
Der nächste Tag war sonnig, aber sehr schwül, und es
sah verdächtig nach Gewitter aus. Kim entschied sich für
eine weite graue Hose und ein ärmelloses weißes Seiden-
top, schlüpfte in weiße Espadrilles und setzte einen breit-
randigen Strohhut auf, der mit einem weißgrauen Band
umwunden war.
Sie nahm auch ihren Schläger und eine Tasche mit
Tenniskleidung und frischer Wäsche mit, weil sie hinter-
her zum Club fahren wollte.
Nachdem sie in den letzten Tagen so wild und unkon-
trolliert gespielt hatte, war es Zeit, ihren Freunden klar-
zumachen, dass sie nicht zur Amokläuferin geworden
war.
Beschwingt wie seit langem nicht mehr, machte sie sich
auf die Suche nach Mark Markhams Bootsschuppen, der
auf der anderen Seite des Flusses am Strand des Dough-
boy Creek lag. Nach längerem Suchen fand sie ihn
schließlich, versteckt zwischen einem schäbigen Cam-
pingplatz und einer Bootswerft.
Mark begrüßte sie und dirigierte ihren Wagen zu einer
Art Unterstand, half ihr beim Aussteigen und schlug vor,
das Autoverdeck zu schließen.
"Aber so lange wollte ich nicht bleiben", wandte Kim
ein.
"Oh, in dieser Gegend kann man nie wissen. Vielleicht
sollten Sie auch Ihre Tasche und den Schläger mit hinein
nehmen - nur vorsichtshalber", fügte er feierlich hinzu.
Sie sah sich um, zuckte die Schultern und gehorchte.
In der Mitte des Schuppens, der von einer hölzernen
Galerie eingefasst war, lag ein kleines, altertümliches
Boot aufgebockt, und an den Holzwänden hingen die
unterschiedlichsten farbenfrohen Bilder.
In einer Ecke stand ein weiß gedeckter Tisch mit Glä-
sern und einer Karaffe Wein. Kim war unwillkürlich ge-
rührt von der Aufmachung und Mr. Markhams naivem,
jugendlichem Charme. Sie schätzte ihn auf höchstens
dreiundzwanzig.
Erst nachdem sie ein halbes Glas von dem billigen
Rotwein getrunken und einige seiner Bilder begutachtet
hatte - am besten gefielen ihr die Landschaftsmalereien
und seine Darstellungen von Booten -, ging ihr auf, dass
sie der einzige Gast war. Sie wollte ihn gerade darauf
ansprechen, als ihr schwindlig wurde. Die Augen angst-
voll geweitet, drehte sie sich zu ihm um, doch sie brachte
kein Wort hervor. Er fing sie auf, als sie taumelte, und
das letzte, was sie hörte, bevor sie ohnmächtig wurde,
war seine ernste Stimme: "Tut mir leid, Miss Lingard,
aber manchmal ist man gezwungen, solche Dinge zu tun
...
für die Kunst."
Kim erwachte mit dem deutlichen Gefühl, auf See zu
sein, und zwar auf rauer See. Im ersten Moment glaubte
sie zu träumen. Es war doch völlig unmöglich, dass ... Sie
schloss die Augen, doch als sie diese wieder öffnete, lag
sie immer noch auf einer graugeblümten Couch, eine
schwarze Marmorlampe auf dem Tischchen neben sich.
Sie war tatsächlich an Bord der Sandra-Lee.
Schnell setzte sie sich auf, hielt sich den schmerzenden
Kopf und fuhr erschrocken zusammen, als sie eine ihr
vertraute Stimme sagen hörte:
"Nehmen Sie's nicht allzu schwer, Kim."
"Sie!" stieß sie hervor und drehte sich zu Ryan Bailey
um, der auf dem Boden gegen eine Säule gelehnt saß, die
langen Beine in der hellen Leinenhose von sich gestreckt.
Sein dunkles Haar war ungewohnt zerzaust, und sein
gelbes Hemd wies Schmutzspuren auf.
"Wie können Sie es wagen, so etwas mit mir zu tun?"
fuhr sie ihn an und wollte aufstehen. Doch in diesem
Moment schlingerte das Boot bedenklich, und sie ließ
sich in die Polster zurücksinken.
"Ich habe nichts getan", widersprach er schroff. "Wie
Sie sehen, bin ich an diese Säule gefesselt."
Ein entsetzter Blick auf die Hände hinter seinem Rü-
cken bestätigte Kim, dass er die Wahrheit sagte. "Sind
Sie verrückt? Wer steuert denn dann dieses verdammte
Boot?" Das legte sich gerade auf die andere Seite, als sie
wieder aufstehen wollte. "Hören Sie, Mr. ..."
Ryan lächelte leicht. "Ich habe mich schon gefragt,
wann Sie das sagen würden. Kim, glauben Sie wirklich,
dass ich mich selbst an eine Säule fesseln würde? Wa-
rum? Um mit Ihnen irgendwelche abartigen Sexspielchen
zu treiben?"
Das Blut stieg ihr in die Wangen, was sie noch mehr
ärgerte. "Und was geht dann hier vor?"
"Wir sind gekidnappt worden."
"Gekidnappt?" wiederholte sie verständnislos.
"Gekidnappt", erklärte er ironisch.
"Warum? Aber wer ... etwa Mark Markham?"
"Genau. Wie sind Sie hierher gekommen?" erkundigte
er sich höflich.
"Wenn dieses verdammte Boot nur nicht so schlingern
würde!"
"Da draußen tobt ein ziemlicher Sturm."
Kim wurde blass. "Wo sind wir?" fragte sie.
"Moreton Bay."
"Soll das ein Witz sein?"
"Nein. Aber er kommt mit der Sandra-Lee ganz gut zu-
recht. Wie hat er Sie hierher gebracht, Kim?"
Sie schluckte und berichtete ihm alles. "Er muss etwas
in den Wein getan, mich dann in sein altes Boot verfrach-
tet und hergebracht haben, während ich bewusstlos war.
Kein Wunder, dass er mir geraten hat, den Wagen abzu-
schließen und meine Sachen mitzunehmen." Sie schwieg,
als sie in einer Ecke ihre Tasche und den Tennisschläger
entdeckte.
"Ich habe mich schon gefragt, ob Sie hier Tennis spie-
len wollen."
"Nein. Ich wollte hinterher noch in den Club. So etwas
Hinterhältiges!
Ich hätte ihn gleich fragen sollen, was er vor Ihrem
Haus zu suchen hatte!"
Ryan lächelte grimmig. "Zugegeben, der junge Mann
hat die Sache recht gut vorbereitet."
"Und wie sind Sie hierher gekommen?" fragte sie hilf-
los.
"Ich hatte beschlossen, für einige Tage zum Fischen zu
fahren. Als ich vorgestern Nacht vor St. Helena ankerte,
hat er mich im Schlaf überrascht, niedergeschlagen und
gefesselt. Und in dem Zustand bin ich mehr oder weniger
die ganze Zeit gewesen."
Erst jetzt entdeckte Kim die große Schramme an seiner
Schläfe. "Er ist also nicht nur verrückt, sondern auch ge-
walttätig!"
"Na ja. Immerhin hat er sich entschuldigt. Sagte, er
würde es nur für die Kunst tun."
"Genau das hat er mir auch erzählt!" erinnerte sie sich.
"Und ... warum hat er uns entführt?"
"Für ihn ist es keine Entführung. Er meint, dass er mich
nur so auf sich aufmerksam machen kann. Ich soll ihm
hunderttausend Dollar für seine Gemälde zahlen, dann
würde er mich freilassen, ohne mir ein Haar zu krümmen.
Es scheint ihm überhaupt nicht in den Sinn zu kommen,
dass ich ihn nach meiner Freilassung sofort verhaften
lassen würde."
"Dann machen Sie ihn bloß nicht darauf aufmerksam!"
bat Kim.
"Aber warum bin ich hier?"
Ryan versuchte, es sich ein wenig bequemer zu ma-
chen. "Das ist wahrscheinlich mein Fehler. Ich habe ihm
gesagt, dass ich Gemälde nie ohne den Rat meines Kura-
tors kaufe."
Sie blickte ihn starr an. "Das ist doch ... Haben Sie ihm
etwa auch noch meinen Namen verraten?"
"Nein, und ich habe auch nicht erwähnt, dass es sich
um eine Frau handelt. Ich habe nur zu sagen vergessen,
dass wir gemeinsam in ..."
"... der Fernsehsendung waren! Wie dumm sind Sie ei-
gentlich?" stieß sie verächtlich hervor. "Ich kann's nicht
glauben!"
"Das sollten Sie aber, Kim", sagte er spöttisch. "Und
zuallererst sollten Sie mich endlich von diesen verdamm-
ten Handschellen befreien. Wir brauchen einen Bolzen-
schneider oder eine Metallsäge."
"Eine Metallsäge?" wiederholte sie schwach, während
ein Blitz den Salon erhellte. "Bei dem Seegang würde ich
Ihnen glatt den Arm abschneiden! Warum geben Sie ihm
nicht das Geld? Sie haben doch genug! Wo ist er über-
haupt?"
"Er steuert von Deck aus", sagte Ryan finster. "Ich habe
mich nie erpressen lassen und werde jetzt nicht damit
anfangen. Nehmen Sie sich zusammen", fügte er bissig
hinzu.
Kim funkelte ihn wütend an und stand auf. Der Blick
aus dem Fenster war entmutigend: graue sturmgepeitsch-
te See, prasselnder Regen und Mark Markhams kleines
Boot, das an einer Schleppleine hinter der Sandra-Lee
hinter her schaukelte.
Plötzlich fiel ihr etwas ein. "Sie müssen doch ein Funk-
gerät an Bord haben! Wenn Sie mir sagen, wie es funkti-
oniert, kann ich damit Hilfe rufen!" Sie war schon auf
dem Weg zur Kommandobrücke, die neben dem Salon
lag.
"Er hat alles zerstört."
Kim atmete sehr tief ein. "Und ich fand ihn ganz char-
mant! Ich..." '
"Er ist völlig übergeschnappt."
"Aber Sie haben doch gesagt..."
"Ja, aber wer weiß, wozu er noch fähig ist? Immerhin
hat er Sie in eine Falle gelockt, betäubt und entführt! Mit
Booten scheint er sich zwar recht gut auszukennen, aber
dies ist eine außergewöhnliche Situation, und ich ..."
Kim biss sich auf die Lippe. "Sie haben recht", sagte sie
unvermittelt.
"Wo finde ich die Sachen?"
Ryan erklärte ihr den Weg zum Maschinenraum und
wo sie die Werkzeugkiste finden würde. Es war ein
furchtbares Erlebnis, denn der Maschinenraum befand
sich tief im Bauch der Sandra-Lee, die sich immer wieder
von einer auf die andere Seite neigte, so dass Kim
manchmal nur auf allen vieren kriechen konnte. Blass
und erschöpft kehrte sie endlich in den Salon zurück.
Nach der Hitze und dem Gestank da unten war ihr übel,
und sie atmete tief die kühle Luft ein, die durch die ge-
öffnete Tür hereinströmte.
"Keine Metallsäge und die Bolzenschneider sind zu
schwer." Als Ryan fluchte, fügte sie hinzu: "Aber ich
habe dies gefunden." Sie hob eine Feile hoch.
"Gutes Mädchen. Und nun an die Arbeit." Sie kniete
neben ihm und hatte vielleicht fünf Minuten gefeilt, als
Ryan plötzlich sagte: "Er kommt herunter! Verstecken
Sie die..."
Kim ließ die Feile fallen und setzte sich darauf. Voller
Panik zermarterte sie sich den Kopf nach einer unver-
fänglichen Ausrede, weshalb sie neben Ryan auf dem
Boden saß - und tat das einzige, was ihr einfiel: Sie legte
ihm die Arme um den Nacken und lehnte den Kopf an
seine Schulter.
"Na so was!" Mark Markham stand in der offenen Tür,
die Beine gespreizt, Bart und Haare feucht und zerzaust,
einen fast irren Blick in den blauen Augen. "Ich habe mir
doch gleich gedacht, dass ihr mehr seid als Kunstsamm-
ler und Kuratorin! Tut mir ja wirklich leid wegen des
Wetters, aber ich komme schon zurecht. Ich weiß zwar
nicht genau, wo wir sind, aber ich bringe Sie schon hin,
keine Sorge."
Damit kletterte er wieder die Leiter hinauf.
Kim stöhnte. "Wohin will er uns bringen?"
"Keine Ahnung", sagte Ryan. "So nett dies auch ist,
Kim, aber je eher ich frei bin, desto besser."
Sie schrak zurück, als hätte sie sich verbrannt, und
machte sich wütend wieder an die Arbeit. Gerade als sie
triumphierend die Verbindungskette durchgefeilt hatte,
ging ein Ruck durchs Schiff, sie stieß mit dem Kopf ge-
gen die Säule, und dann wurde es dunkel um sie.
Sie wusste nicht, wie lange sie bewusstlos gewesen
war, als sie wieder zu sich kam. "Wo bin ich?" flüsterte
sie. Draußen war es dunkel, und auch der Salon war nur
schwach erleuchtet.
"Keine Sorge, Kim", sagte Ryan beruhigend. "Sie ha-
ben sich nur den Kopf gestoßen, das ist alles."
"Alles ... alles?!" Schlagartig kehrte die Erinnerung zu-
rück, und sie versuchte, sich aufzusetzen, aber alles um
sie her war in Schieflage.
Sie merkte, dass sie auf dem Fußboden lag, in Ryans
Armen. "Was ist passiert?" fragte sie ängstlich, "Ruhig",
flüsterte er. "Was passiert ist? Unser verrückter Freund
hat das Boot auf Grund gesetzt und sich davongemacht.
Keine Sorge, wir sind nicht in unmittelbarer Gefahr."
Jetzt fiel Kim auch auf, dass die Motoren verstummt
waren und das einzige Geräusch das Toben des Windes
war. "Warum ist er fort?"
"Keine Ahnung. Vielleicht hat ihn der Stoß zur Ver-
nunft gebracht, jedenfalls hat er sein Boot genommen
und ist weg."
"Wir ... wir sitzen also fest. Auf einer Insel oder so?"
"Ja. Ich habe mich ein wenig umgesehen während Sie
ohnmächtig waren. Ich hatte Angst, es könnte eine der
vielen Sandbänke in der Moreton Bay sein, aber es ist ein
Strand, und für den Moment sind wir sicher", erklärte er
ruhig.
"Wissen Sie, welche Insel es ist?"
"Nein, aber wenn der Sturm nachlässt, kann ich viel-
leicht erkennen, wo wir sind", sagte er, als sie zusam-
menzuckte. "Ich kenne die Bucht gut. Wenn das Wetter
sich bessert, findet man uns auf jeden Fall, und bis dahin
haben wir genug zu essen und zu trinken. Die Sandra-Lee
hat Schlagseite, und ich weiß nicht, ob sie beschädigt ist,
deshalb sollten wir uns lieber am Strand einrichten."
"Ihr armes Boot." Tränen schimmerten plötzlich in ih-
ren Augen.
"Ja, aber sie ist gut versichert."
"Wird jemand Sie vermissen?"
Er zögerte kurz. "Nein, es sei denn, in der Firma gibt es
Schwierigkeiten."
Sie richtete sich auf. "Dann müssen Sie doch irgendwie
erreichbar sein. Nicht nur über Funk, oder?" fragte sie
aufgeregt.
"Ja", erwiderte Ryan grimmig. "Ich hatte auch ein Han-
dy dabei, aber auch das hat Markham außer Funktion
gesetzt, ebenso wie die Seenotfunkboje. Und die Leucht-
raketen hat er offenbar auch mitgenommen."
Sie ließ sich zurücksinken, und er legte wieder die Ar-
me um sie. "Also wird er wahrscheinlich eher gerettet
werden als wir, stimmt's?"
flüsterte sie und erschauerte. "Haben Sie seinen Blick
gesehen? Er ist wirklich irre!"
"Die meiste Zeit ist er wahrscheinlich ziemlich nor-
mal."
"Und ich mochte einige seiner Gemälde sogar, beson-
ders seine Küstenlandschaften."
"Mehr als seine Nackten?"
Sie kicherte und rieb die Wange an seiner Schulter.
"Viel mehr." Dann wurde ihr bewusst, was sie getan hat-
te, und sie richtete sich schnell auf. "Was sollen wir jetzt
tun? Oh ... Sie haben doch bestimmt ein Beiboot!"
"Ja, aber er hat es benützt, um zu seinem Boot zu
kommen."
"Es würde ihm recht geschehen, wenn er ertrinkt", sag-
te sie rachsüchtig.
"Hm ... wie geht es Ihnen?"
"Besser." Sie betastete vorsichtig ihren Kopf. "Und Ih-
nen?"
"Ich habe auch eine Beule." .
"Hat er Sie wieder niedergeschlagen?" fragte sie ent-
setzt.
"Nicht ganz, aber durch den Aufprall war ich so
benommen, dass ich Markham nicht verfolgen konnte,
als er mit dem Beiboot und der Funkboje stiften ging",
sagte er bitter.
Unwillkürlich stieg etwas wie Mitgefühl in ihr auf, und
sie lächelte ihn herzlich an. "Ich weiß nicht, aber das
Ganze macht Sie irgendwie viel... menschlicher."
"Vielen Dank", erwiderte Ryan ernsthaft und fluchte,
als der Sturm aufheulte und die Sandra-Lee sich mit ei-
nem grässlichen Knirschen zur Seite neigte. "Kim, wir
müssen von Bord, aber zuerst werde ich mich draußen
noch einmal umsehen. Vielleicht könnten Sie inzwischen
einige lebenswichtige Dinge zusammenpacken?"
Sie wollte protestieren, doch er blickte sie so unnach-
giebig an, dass sie schließlich einwilligte.
Ryan brachte keine guten Neuigkeiten von draußen mit.
Er hatte ein Loch im Rumpf der Sandra-Lee entdeckt,
und es wehte ein starker, ablandiger Wind, der das Boot
vom Strand wegzutreiben drohte. Wenn das geschah und
Wasser in den beschädigten Rumpf eindrang, bestand die
Gefahr, dass die Sandra-Lee sank. Ryan hatte zwar den
Anker geworfen, bezweifelte aber, dass es etwas nützen
würde.
"Wir müssen so viele Lebensmittel, Wasser und sonsti-
ge Dinge mitnehmen, wie wir können, Kim", sagte er.
"Und zwar so schnell wie möglich. Ich habe am Strand
einen Platz gefunden, wo wir uns einrichten können."
"Wann wird der Sturm nachlassen?" fragte sie ängst-
lich.
"Keine Ahnung. Im Moment sieht es so aus, als würden
wir es noch mit einer ganzen Reihe von Stürmen zu tun
bekommen."
"Und ich hatte heute morgen schon das Gefühl, es wür-
de ein Gewitter geben", sagte sie schwach.
"Ich auch ... Wahrscheinlich geben sie schon seit Tagen
Sturmwarnungen im Radio durch."
Sie zuckte zusammen. "Ich habe gehört, dass östlich
von Gladstone ein Wirbelsturm gemeldet wurde, mir aber
weiter keine Gedanken darüber gemacht. So weit wird er
doch wohl nicht kommen, oder?"
Ryan fluchte und sagte dann: "Nein, aber die Auswir-
kungen könnten schon zu spüren sein. Ich werde eine Art
Flaschenzug bauen, damit wir die Sachen von Bord
schaffen können. An die Arbeit."
Es war eine anstrengende Nacht. Kim weinte fast vor
Erschöpfung und Angst, als Ryan ihr in der nassen Dun-
kelheit von Bord half. Der Sturm war so heftig, dass sie
kaum aufrecht stehen konnte und sich verzweifelt an Ry-
an klammerte. Die Gezeiten hatten gewechselt, so dass
das Wasser sich jetzt mit dem Wind bewegte, und die
Sandra-Lee zerrte an ihrer Ankerkette.
Und dann plötzlich, mit einem grässlichen Knirschen,
gab die Kette nach - und das Boot drehte sich und trieb
langsam fort in die Dunkelheit.

4. KAPITEL
"Das ist unglaublich", hörte Kim sich im Halbschlaf
murmeln, und der Klang ihrer Stimme weckte sie vol-
lends auf. Sie bewegte sich ein wenig und stöhnte, denn
sämtliche Muskeln und Knochen schienen ihr weh zu,
tun, und auch ihr Kopf schmerzte unerträglich.
"Was ist los?"
Mühsam schlug sie die bleischweren Lider auf und
flüsterte benommen: "Ich fühle mich, als wäre ich durch
die Mangel gedreht worden."
"So war es ja auch beinahe. Hallo", sagte Ryan, als ihre
dunklen Augen klarer wurden.
Er war ihr so nahe, dass sie zum ersten Mal die kleinen
dunklen Flecken in seinen grauen Augen bemerkte. Und
gleich darauf entdeckte sie noch etwas: Er hielt sie fest
im Arm, und sie lagen nebeneinander lang ausgestreckt
auf einer gepolsterten Liegestuhlauflage unter einem vor-
springenden Felsen. Der Regen trommelte auf die Lein-
wand, die Ryan wie eine Art Sonnensegel zwischen Fel-
sen und Strand gespannt hatte, und durch die Öffnung
drang graues Dämmerlicht.
Mach dich jetzt nicht lächerlich, warnte eine innere
Stimme sie, aber lass auch nicht zu, dass es dir zu sehr
gefällt. Bei dem Gedanken musste sie leicht lächeln.
"Und was soll das jetzt bedeuten?" fragte er.
Kim machte sich los und setzte sich auf. "Nichts. Dies
ist eben eine außergewöhnliche Situation, Mr. Bailey. Ich
fühle mich schrecklich, und wahrscheinlich sehe ich auch
dementsprechend aus", fügte sie im Plauderton hinzu.
"Es klingt nicht so, als hätte der Sturm nachgelassen."
"Nein." Er richtete sich ebenfalls auf. "Eine Tasse Kaf-
fee und ein Aspirin werden Ihnen sicher helfen, und au-
ßerdem sehen Sie gar nicht schrecklich aus."
Kim fuhr sich mit der Hand durchs Haar und blickte an
sich hinunter.
Ihre weiße Bluse und die Hose waren verschmutzt und
an mehreren Stellen zerrissen. "Kaffee? Wie clever von
Ihnen, den Campingkocher mitzunehmen!"
Er lächelte. "Ich werde es uns noch viel gemütlicher
machen, Miss Lingard."
Sie zog die Augenbrauen hoch. "Wie spät ist es?"
"Elf Uhr. Wir haben verschlafen."
"Zumindest heult der Wind nicht mehr so stark. Haben
Sie schon einen Blick nach draußen geworfen?"
"Das wollte ich gerade tun."
Sie begleitete ihn. Im Tageslicht wirkte der Strand zwar
weniger beängstigend als letzte Nacht, doch man konnte
wegen des Regens nicht weit sehen. Hinter ihnen erhob
sich eine Klippe, und vor ihnen erstreckte sich das auf-
gewühlte bleigraue Meer, ohne jedes Zeichen der Sandra-
Lee.
Kim beobachtete schweigend, wie Ryan den Horizont
absuchte und die Lippen zusammenpresste. Schließlich
sagte er: "Unsere Morgentoilette erledigen wir am besten
dort hinten. Die Leinwand wird Sie trocken halten, und
es gibt viele Büsche. Ich gehe zuerst und sehe mich um."
Als Kim später zurückkehrte, hatte er auf dem Kocher
schon Wasser aufgesetzt, und wenig später reichte er ihr
einen Becher Instantkaffee und ein Aspirin.
"Eine schöne Art, den Tag zu beginnen", sagte sie tro-
cken. "Was meinen Sie, ob sie gesunken ist?"
"Wahrscheinlich." Er setzte seinen Becher ab, um eine
Dose gebackene Bohnen zu öffnen. "Aber je nachdem,
wo wir uns befinden, könnte sie unter Wasser noch sicht-
bar sein, ragt vielleicht sogar heraus, denn die Bucht ist
an einigen Stellen sehr seicht."
"Und die anderen Stellen?" fragte sie ruhig.
"Mehr als zwanzig Meter tief." Er ließ die Hände sin-
ken und sah ihr direkt in die Augen. "Kim, wenn wir
sparsam mit dem Wasser umgehen und es noch länger
regnet, können wir tagelang hier aushalten. Lebensmittel
haben wir mehr als genug. Und sobald es das Wetter er-
laubt, werden sie nach uns suchen - vor allem wenn ich
mich bei diesem Sturm nicht melde. Wir müssen also nur
abwarten, das Beste daraus machen und nicht in Panik
geraten."
"Wer sagt, dass ich das tue?" Sie hob das Kinn und
warf ihm einen kühlen Blick zu.
Er betrachtete sie einen Moment und lächelte leicht.
"Braves Mädchen. Können Sie kochen?"
"Ja."
"Dann schlage ich vor, Sie kümmern sich ab jetzt ums
Kochen, und ich konzentriere mich darauf, uns sicher
und trocken zuhalten."
"Jawohl, Skipper."
"Kim..."
"Nein, Mr. Bailey ... Ryan", verbesserte sie sich, "das
ist nur meine Art, Ihnen zu sagen, dass ich auf Ihrer Seite
stehe."
In den nächsten Stunden lenkte sie sich damit ab, ihren
Unterschlupf bewohnbar zu machen. "Als Sie gestern
Nacht darauf bestanden, alldies Zeug mitzunehmen, hätte
ich fast gemeutert", erzählte sie ihm.
"Dabei war das sehr klug von Ihnen."
Er hatte nicht nur reichlich Lebensmittel und Trinkwas-
ser mitgenommen, sondern auch an Kleidung, Handtü-
cher und einige Plastikplanen gedacht, die sie jetzt auf
dem Sand ausbreiteten. In einer Ecke hatte sie die beiden
Kühlboxen mit Lebensmitteln aufgestellt, den Picknick-
korb, den Erste-Hilfe-Kasten und eine Plastikschachtel,
in der sich verschiedene Dinge befanden, unter anderem
ein Kompass, eine Karte der Moreton Bay und Spielkar-
ten. Sie hatten zwei Container mit Wasser, und alle ge-
eigneten Behältnisse standen draußen, um Regen aufzu-
fangen.
Es freute sie, dass sie zumindest an ihre Tennistasche
gedacht hatte, die neben sauberer Kleidung auch ihren
Kosmetikbeutel und ihre Bürste enthielt.
Doch als sie sich um drei Uhr nachmittags in ihrem
kleinen trockenen Unterstand umblickte und auf den Re-
gen lauschte, der auf die vom Wind gebeutelte Leinwand
trommelte, war all ihre Energie plötzlich verschwunden.
Sie barg das Gesicht in den Händen.
"Legen Sie sich hin, Kim", sagte Ryan ruhig. "Im Mo-
ment können Sie nicht mehr tun." .
"Sie müssen doch auch erschöpft sein", erwiderte sie
heiser. "Sie haben letzte Nacht viel härter gearbeitet als
ich."
"Ich bin es gewöhnt." Er breitete ihr eine Liegestuhl-
auflage aus, setzte sich und lehnte sich gegen den Felsen.
Nach kurzem Zögern rollte Kim sich auf den Kissen
zusammen. "Sie scheinen sich mit all diesen Dingen sehr
gut auszukennen. Woher kommt das?"
Er betrachtete sie, doch sie blickte zum Felsen über sich
hinauf. "Wie ich schon sagte, mein Vater war Bergarbei-
ter in Ipswich, aber in seiner Freizeit suchte er oft im
Outback nach Halbedelsteinen. In den Schulferien nahm
er mich fast immer mit. Wir hatten alles dabei, Zelte,
Schlafsäcke, Campingkocher."
"Und, haben Sie etwas gefunden?"
"Nicht viel. Aber einem Kind macht es eben trotzdem
Spaß."
"Sie sind einen langen Weg gegangen, nicht wahr?"
flüsterte sie schläfrig.
"Ja." Er betrachtete lange ihre zusammengerollte, selbst
in der Erschöpfung noch anmutige Gestalt, bevor er den
Blick abwandte.
"Habe ich Ihnen schon erzählt, wie ich zur Kunst ge-
kommen bin?"
"Nein."
"Als ich ungefähr fünfzehn war, wollte ich meiner Mut-
ter ein Weihnachtsgeschenk kaufen. Ich hatte nicht viel
Geld, deshalb ging ich in einen Trödelladen, eigentlich
auf der Suche nach einer Porzellanfigur. Sie mochte sol-
che Dinge, Und da entdeckte ich ein kleines Ölgemälde,
eine sanfte, verschwommene Landschaft in einem alten,
kaputten Rahmen.
Leider konnte ich es mir nicht leisten und kaufte statt
dessen eine kleine Porzellankatze. Aber dieses Bild ging
mir nicht aus dem Kopf.
Es schien mir eine ganz neue Welt zu eröffnen. Wahr-
scheinlich weil die Kohlegruben von Ipswich nicht gera-
de der schönste Ort der Welt sind. Ich ging immer wieder
hin, um es zu betrachten, immer in Angst, es könnte ver-
kauft worden sein. Und eines Tages war es tatsächlich
weg. Da habe ich mir geschworen, irgendwann einmal
selbst Kunstwerke zu besitzen."
"Das ist... wunderschön", sagte Kim.
Er lachte leise, und als er wieder zu ihr hinüberblickte,
hatte sie die Augen geschlossen und war eingeschlafen.
Drei Stunden später setzte sie sich auf und reckte sich.
Draußen war es dunkel, es regnete immer noch, doch
eine Gaslampe erhellte ihren Unterschlupf. Dann sah sie
Ryan vor dem Kocher knien. "Oh, das ist mein Job", ent-
schuldigte sie sich.
"Schon gut. Es ist ohnehin nur Suppe aus der Dose.
Hungrig?"
"Ja." Es überraschte sie selbst. "Wirklich unglaublich,
was Sie alles an Bord hatten!"
"Ich habe ... hatte", korrigierte er sich, "immer alles da-
bei, falls sich einmal spontan ein Grillfest am Strand er-
geben sollte. Den großen Grill habe ich leider vergessen,
dann hätten wir mehr Möglichkeiten gehabt."
"Bei diesem Regen?" erinnerte sie ihn spöttisch.
"Es war ein Gasgrill, aber er war auch verdammt
schwer. Möchten Sie vor dem Essen einen Drink? Ich
habe eine Flasche Brandy dabei, wenn es zum Verdünnen
auch nur Wasser gibt."
"Gern." Kim lächelte. "Aber ich fühle mich ziemlich
schmutzig."
"Wie wäre es mit einer Dusche im Regen?" Als sie ihn
erstaunt ansah, fügte er hinzu: "Kalt ist es draußen nicht,
zumindest ein Trost."
"Stimmt." Sie nahm den Plastikbecher, den er ihr reich-
te. "Aber ich habe nur einmal Kleidung zum Wechseln
dabei, also verschiebe ich die Dusche lieber auf morgen."
"Ich kann Ihnen noch saubere T-Shirts anbieten."
"Wer war der Maler?" fragte sie unvermittelt.
Er zog fragend die Augenbrauen hoch.
"Der damals Ihr Interesse an Kunst geweckt hat, meine
ich", fügte sie erklärend hinzu und trank einen Schluck
Brandy.
"Ach so." Ryan tat den Deckel auf den Suppentopf und
drehte den Kocher ab, bevor er seine Lieblingsposition
einnahm und sich gegen den Fels lehnte, die Knie hoch-
gezogen. "Brad Oldfield. Es war eines seiner frühen Bil-
der, aus der Zeit, bevor er berühmt wurde. Komisch, aber
es ist mir nie gelungen, das Bild zu finden."
"Brad ..." wiederholte Kim verblüfft. "Wie klein doch
die Welt ist!
Aber Sie müssen damals schon ein gutes Urteilsvermö-
gen gehabt haben."
Er schnitt ein Gesicht. "Es gibt viele Menschen, die
keins haben und seine Werke doch lieben."
"Was haben Sie gedacht, als Sie ihn kennen gelernt ha-
ben?"
"Wie klein doch die Welt ist." Er lächelte.
"Wie lange waren Sie mit ihr verheiratet?" platzte sie
heraus.
"Entschuldigung, ich weiß gar nicht, warum ich das
frage", fügte sie verlegen hinzu und betrachtete den In-
halt ihres Bechers, um Ryan nicht ansehen zu müssen.
"Wahrscheinlich weil wir gerade beim Thema sind.
Sieben Jahre", erwiderte Ryan.
Sie sah auf und vergaß ihre Verlegenheit. "Doch nicht
etwa das verflixte siebte Jahr? Sie müssen doch schon
viel früher gemerkt haben, dass es nicht klappt zwischen
Ihnen?"
"Ja. Ich habe es schon viel früher gemerkt", sagte er
trocken. "Aber wenn es Sie nicht wirklich interessiert ..."
Er zuckte die Schultern.
Nach einer langen Pause sagte Kim: "Ich bin wohl zu
neugierig, aber sonst gibt es nichts zu tun, und ..."
Er betrachtete sie undurchdringlich und verzog den
Mund, bevor er wieder die Schultern zuckte. "Wir waren
beide noch sehr jung, als wir uns trafen. Ich fünfund-
zwanzig und sie achtzehn. Ich hatte gerade mit Bailey
Construction angefangen, und auch vorher hatte ich nur
kämpfen müssen, selbst darum, länger als bis fünfzehn
auf der Schule bleiben zu können. Mein Vater war zu der
Zeit arbeitslos, und meiner Mutter ging es gesundheitlich
nicht gut.
Sandra tauchte auf, als ich mich verzweifelt nach - wie
soll ich es sagen - nach Trost sehnte. Ich hatte es satt, mir
die Mädchen vom Hals zu halten, ich hatte die Armut
satt, ich hatte ..."
"Moment, was soll das heißen: Mädchen vom Hals zu
halten?"
"Na ja, da waren die lebenslustigen, modernen Mäd-
chen, die mit jedem schliefen, weil es in war. Und die,
die es auch taten, aber hinterher anfingen zu klammern
und von Heirat und Familie redeten.
Sandra war anders. Man hätte sie als gut erzogen und
altmodisch bezeichnen können. Sie legte es nicht darauf
an, mit mir zu schlafen, sie war vornehm und gelassen.
Ich habe zu spät gemerkt, dass sie Angst vor Sex hatte
und wahrscheinlich immer haben würde, dass ich sie be-
herrschen konnte, was ich auch tat, obwohl ich mich da-
für hasste. Manchmal hätte ich sie am liebsten geschüt-
telt, um sie zu zwingen, diese bedächtige, vornehme
Maske fallen zu lassen, die mich doch anfangs so ange-
zogen hatte. Aber es war keine Maske, sie war wirklich
so.
Sie konnte die Tragweite meiner Pläne, meiner Visio-
nen nicht verstehen und war entsetzt, als ich Risiken ein-
ging, um das Geschäft zu erweitern. Als ich die Sandra-
Lee kaufte, war sie schockiert und besorgt, und sie hatte,
wie sich später herausstellte, Angst vor Booten.
Ich habe gesagt, sie war wirklich so. Aber manchmal
hoffe ich für sie, dass es nicht stimmt."
"Was meinen Sie damit?" Kim zog die Stirn kraus.
Er sah sie nicht an. "Dass ich vielleicht einfach nur der
falsche Mann für sie war. Dass ich sie vielleicht unwis-
sentlich - und manchmal auch wissentlich - in diese Pas-
sivität gedrängt habe, weil ich nichts bin als ..." Er
schwieg und zuckte die Schultern.
"Nichts als übermächtig, arrogant und voller Leben und
Energie", beendete Kim seinen Satz trocken. "Aber ge-
schlagen haben Sie sie hoffentlich nicht."
Er warf ihr einen ironischen Blick zu. "'Ich habe schon
einiges getan, aber noch nie eine Frau geschlagen. Ob-
wohl es auch andere Wege gibt, jemandem weh zu tun."
"Sicher", stimmte sie zu. "Hat sie sich nie gewehrt?"
"Nicht wirklich. So habe ich sieben Jahre damit ver-
bracht, alle möglichen Gefühle zu bekämpfen und mich
wie ein Schwein zu fühlen, weil ich es nicht konnte. Und
sie hat sieben Jahre verzweifelt versucht, mit mir Schritt
zu halten und mir Kinder zu schenken, doch auch das ist
ihr nicht gelungen."
"Dann war die Scheidung wahrscheinlich das beste für
Sie beide.
Sicher sieht sie es inzwischen genauso, nach ... wie viel
Jahre ist das nun her?"
"Acht. Manchmal denke ich, sie tut es, und dann wieder
bin ich mir nicht sicher."
"Warum sind Sie in Verbindung geblieben?"
Er schnitt ein Gesicht und seufzte. "Vielleicht aus
Schuldgefühlen.
Außerdem hat sie Anteile an der Firma. Ich wollte sie
damals absichern."
"Hat sie sich in all den Jahren denn nie wieder verliebt?
Immerhin ist sie doch erst dreiunddreißig?"
"Sie hatte einige völlig unpassende Affären", erwiderte
Ryan gleichmütig.
"Und Sie?"
Er verzog den Mund zu einem leichten Lächeln.
"Es gibt da Gerüchte über Geliebte", erklärte sie gera-
deheraus.
"Sie sollten nicht alles glauben, was Sie hören, Kim.
Seit Sandra hat es nur eine ernstzunehmende Frau in
meinem Leben gegeben, und ehe die sich als meine Ge-
liebte zu erkennen gegeben hätte, wäre sie lieber gestor-
ben. Nach einigen Jahren haben wir uns in Freundschaft
getrennt. Sie ist jetzt verheiratet."
"Ich dachte, Männern ..." Kim schwieg.
"Nein, den meisten Männern fällt es nicht leicht, wie
Mönche zu leben, oder was wollten Sie sagen?" fragte er.
"Na ja..."
"Mir auch nicht, und deshalb habe ich mich manchmal
dann doch hinreißen lassen. Es gab keine Prozession von
Frauen, nur weil ich es mir hätte leisten können oder weil
ich unersättlich bin. Sind Sie jetzt beruhigt?" Seine grau-
en Augen glitzerten spöttisch.
Sie blickte auf und betrachtete Ryan kühl. "Mit solchen
Bemerkungen erinnern Sie mich immer wieder daran,
dass ich Sie eigentlich nicht mag."
"Immerhin ein Fortschritt, wenn Sie es meistens ver-
gessen können!"
"Das habe ich nicht gesagt." Sie schwieg, als plötzlich
außer dem Trommeln des Regens ein anderes, sehr selt-
sames Geräusch hörbar wurde. Mit einemmal knirschte
und knackte es, die Leinwand blähte sich auf und flatterte
in ihren Unterstand. "Was war das?" flüsterte Kim ängst-
lich..
Er nahm ihre zitternde Hand und legte ihr einen Arm
um die Schultern. "Bestimmt der Baum oben auf dem
Felsüberhang. Der Regen muss die Erde weggespült ha-
ben. Keine Sorge, hier sind wir sicher."
"Aber wenn wir hier begraben werden ... Ein Erdrutsch
..."
"Dafür gibt es über uns nicht genug Fels und Erde,
Kim", beruhigte er sie. "Wahrscheinlich war es nur ein
Baum, und mit dem werde ich schon fertig. Oder ich ver-
suche es zumindest, während Sie Ihren Brandy austrin-
ken." Er küsste sie sanft auf den Mund und schob sie von
sich, um dann in die nasse Dunkelheit zu verschwinden.
Kim sah ihm lange nach.
"Heute Abend kann ich nicht mehr viel tun", sagte Ry-
an, als er eine halbe Stunde später zurückkehrte. Das
Haar klebte ihm feucht am Kopf, er war lehmverschmiert
und nass bis auf die Haut. "Aber ich bin auf den Felsvor-
sprung geklettert, und ich glaube, dass nicht mehr herun-
terkommen kann."
"Und ich glaube, jetzt sollten Sie lieber eine Dusche
nehmen, während ich mich weiter ums Essen kümmere."
"Gute Idee." Er griff nach einem Handtuch und trocke-
ner Kleidung und zögerte dann. "Hm ..."
"Sagen Sie Bescheid, wenn Sie fertig sind, dann drehe
ich mich um, damit Sie sich anziehen können", sagte Kim
unbefangen.
"Zu Befehl, Ma'm", erwiderte er gehorsam und verließ
ihren Unterschlupf, während Kim sich beglückwünschte,
weil sie so gelassen mit dieser Situation umgegangen war
- genau wie vorhin mit den seltsamen Empfindungen, die
sein Kuss in ihr hervorgerufen hatte.
Nach dem Essen räumte sie auf, kochte Kaffee und
setzte sich, fand aber keine Ruhe. "Ich hätte heute Nach-
mittag nicht schlafen sollen", sagte sie nervös.
Ryan lag entspannt auf den Kissen, die Arme hinter
dem Kopf verschränkt. "Warum erzählen Sie mir nicht
etwas über sich?" schlug er vor.
"Wenn Sie erwarten, dass ich Ihnen jetzt Intimitäten
anvertraue, sozusagen als Gegenleistung für das, was Sie
..."
"Nein", protestierte er.." Außerdem war das, was ich
Ihnen erzählt habe, eigentlich nicht so intim."
"Das sehe ich etwas anders, aber ... Wo soll ich anfan-
gen?"
"Wie sind Sie zur Kunst gekommen?"
Kim überlegte. "Eigentlich war sie immer Bestandteil
meines Lebens.
In meinem Zimmer hing ein kleines Bild, eine Kerze in
einem silbernen Kerzenhalter, ziemlich plump gemalt,
aber ich erinnere mich, dass ich es als ganz kleines Kind
sehr geliebt habe."
"Haben Sie jemals versucht, selbst zu malen?"
"Ja, aber es war nichts Besonderes. Meine Talente sind
eher Kochen und das Entwerfen und Nähen von Klei-
dern."
Er zog die Augenbrauen hoch. "Ihre Kleider sehen aber
nicht selbst genäht aus."
"Einige sind es auch nicht."
"Und das rote Seidenkleid?"
"Das war ..." Sie schwieg und fragte sich, warum ihr
plötzlich so heiß wurde.
"Sie haben Geschick, Miss Lingard." Nach einer kurzen
Pause fragte er: "Haben Sie jemals an Heirat gedacht?"
Kim seufzte. Bestimmt kam es daher, dass sie irgendwo
auf einer Insel in der Moreton Bay festsaß, inmitten eines
schrecklichen Sturms - aber plötzlich beschloss sie, ehr-
lich zu sein. "Ja, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass
es bei mir gut gehen würde."
Er wandte sich ihr zu. "Warum nicht?"
"Ich bin wohl zu unabhängig, auf Kinder bin ich auch
nicht wild, und außerdem fühle ich mich ganz glücklich
so."
"Haben Sie jemals mit einem Mann zusammengelebt?"
Sie warf ihm einen viel sagenden Blick zu, doch er sah
sie leider gerade nicht an. "Nein", erwiderte sie kühl.
"Aber wie Sie schon bemerkt haben: Ganz unerfahren bin
ich nicht, und ich kenne mich zumindest gut genug, um
beurteilen zu können, dass mit mir nicht gut zu leben
wäre."
"Das könnte sich ändern."
"Wenn der richtige Mann auftauchen würde? Viel-
leicht." Sie zuckte die Schultern. "Aber bis dahin bleibe
ich, wie ich bin."
"Und was tun Sie, wenn der Richtige auftaucht, Kim?"
Sie lachte, aber mehr um den plötzlichen Anflug von
Ärger und Unbehagen zu überspielen. "Da mir das bisher
noch nicht passiert ist, weiß ich es nicht."
"Und was ist Ihnen bisher passiert?"
"Ich ..." Sie zögerte und sprach dann nachdenklich wei-
ter: "Manchmal frage ich mich, was ich vermisse, aber
wenn ich mir dann einige meiner Freunde ansehe, über-
lege ich, ob mir überhaupt etwas entgeht.
So viele Menschen heiraten, und so viele bereuen es
anscheinend sehr schnell", fügte sie stirnrunzelnd hinzu.
"Wie verhalten Sie sich, wenn Sie verliebt sind? Oder
waren Sie es noch nie?"
"Fragen Sie die beiden Männer, in die ich verliebt war
... oder es zu sein glaubte", sagte sie ironisch. "Und über-
haupt, was führen Sie eigentlich im Schilde?"
"Heute Abend nichts mehr. Entschuldigen Sie, aber ich
bin plötzlich furchtbar müde. Wenn Sie schlafen wollen,
können Sie die anderen Kissen benutzen."
Sie ballte die Hände zu Fäusten. "Soll ich das Licht
ausmachen?"
"Nein, es stört mich nicht."
"Schön. Ich glaube, ich lege mir noch eine Patience.
Wer weiß, vielleicht hilft es sogar?"
Er lachte leise. "Warum sind Sie so wütend, Kim?"
"Ihre Art, Gespräche anzufangen und mich dann links
liegen zulassen, ist einfach unmöglich!"
Aber er murmelte nur schläfrig: "Ich werde mich bes-
sern."
Sie beschäftigte sich noch eine Stunde mit ihrer Patien-
ce und suchte dann noch einmal das Gebüsch auf, wobei
sie darauf achtete, nicht nass zu werden, und ängstlich
nach Spinnen Ausschau hielt oder nach Schlimmerem.
Ryan hatte sich nicht bewegt, als sie zurückkehrte.
Während sie ihn betrachtete, musste sie unwillkürlich an
echte Partnerschaft denken, mit einem Mann, der gleich-
zeitig ihr Geliebter wäre. Wie oft hatte sie sich gefragt,
ob so etwas überhaupt möglich war?
Nicht mit ihm, nicht mit einem Mann, der so offen-
sichtlich daran gewöhnt war, das Kommando zu führen.
Sandra hatte sich ihm gebeugt, aber sie, Kim, würde ihn
bis zum Letzten bekämpfen.
Was waren das für Gedanken? Sie schüttelte ungedul-
dig den Kopf, streckte sich auf dem Kissen aus und
löschte die Lampe. Doch einschlafen konnte sie nicht.
Letzte Nacht hatte Ryan beide Liegestuhlauflagen ü-
bereinander gelegt, und sie hatten, trotz der Enge gut
geschlafen, obwohl die Kissen nicht so weich wie eine
Matratze waren. Und ihr war auch nicht so kalt gewesen -
nicht, dass sie wirklich fror, aber nach der Schwüle des
Tages waren die Temperaturen doch beträchtlich gesun-
ken. Und gestern Abend war sie im Gegensatz zu jetzt
völlig erschöpft gewesen.
Nachdem sie sich stundenlang hin und her gewälzt hat-
te, sagte er plötzlich: "Kim, so geht das nicht."
"Oh, habe ich Sie aufgeweckt?" Aber es tat ihr gar
nicht leid. Im Gegenteil, er sollte dafür büßen, dass er
Mark Markham von ihr erzählt hatte. Denn nur deshalb
war sie hier und musste neben allen Entbehrungen auch
noch seine Gegenwart ertragen. Nur deshalb trug sie seit
zwei Tagen dieselbe Kleidung, nur deshalb war sie nicht
so kühl und gelassen wie gewöhnlich.
"Ja, das haben Sie. Was ist los?"
"Nichts!" stieß sie hervor. "Ich liebe es, Sand zwischen
den Zähnen zu haben, bei lebendigem Leib von Insekten
aufgefressen zu werden und auf etwas zu schlafen, das
sich anfühlt wie eine Parkbank, während über meinem
Kopf ein Wirbelsturm tobt. Und ganz besonders reizend
finde ich den Gedanken, dass Markham vielleicht da
draußen herumlungert ... Nein, nichts, Mr. Bailey. Und
noch etwas!" Gereizt setzte sie sich auf. "Sie sind wahr-
scheinlich schon in allen Schlagzeilen. Ich kann es direkt
vor mir sehen: ,Millionär vermisst'!
Und was wird es erst geben, wenn der vermisste Milli-
onär mit einer Frau wieder auftaucht: ,Vermisster Millio-
när mit geheimnisvoller Frau gefunden'!"
"Dann müssen wir ihnen eben klarmachen, wer Sie sind
und wie Sie hierher kamen, oder?" erwiderte er ruhig.
Sie schnaufte verächtlich. "Und natürlich wird das jeder
glauben."
"Das garantiere ich Ihnen." Als sie erneut einen ver-
ächtlichen Laut ausstieß, sagte er: "Kim, ich versuche
jetzt, es Ihnen ein wenig leichter zu machen. Aber ver-
stehen Sie es bloß nicht falsch." Er stand auf, schaltete
eine Taschenlampe ein und streckte ihr die Hand entge-
gen.
"Was soll das?" fragte sie misstrauisch.
"Ich mache es uns nur ein wenig bequemer. Kommen
Sie, stehen Sie auf wie ein braves Mädchen."
Kim warf ihm vorsichtig einen Blick zu und gehorchte
schließlich, ohne seine ausgestreckte Hand zu nehmen.
Sie beobachtete, wie er die beiden Liegestuhlauflagen
übereinander legte und nach einem großen Badehandtuch
griff.
"Letzte Nacht hat es funktioniert. Legen Sie sich hin.
Ich habe keinerlei Absichten - außer Sie zu beruhigen
und zum Schlafen zu bringen, damit auch ich schlafen
kann", fügte er trocken hinzu.
"Soll das etwa heißen, Sie ..." Kim schwieg unvermit-
telt.
"Ja, ich werde genau das tun, was ich gestern Nacht ge-
tan habe."
Sie errötete. "Das war etwas anderes. Ich war übermü-
det und verzweifelt."
"Im Moment sind Sie auch nicht gerade ein Ausbund an
Gelassenheit", sagte er ironisch, und ein Anflug von Un-
geduld schwang in seiner Stimme mit. "Kommen Sie." Er
knipste die Taschenlampe aus, setzte sich und zog Kim
zu sich hinunter. Dann breitete er das Handtuch über sie.
"Meinetwegen brauchen Sie mich nicht anzusehen. Dre-
hen Sie sich einfach um, ich lege mich dann hinter Sie."
Und wenig später lag sie dann mit dem Gesicht zum
Felsen, Ryans Arm um ihre Taille.
"Warum zählen Sie nicht Bilder oder so etwas?" schlug
er vor.
"Denken Sie einfach an alle Gemälde, die Sie gern in
der Sammlung hätten, die ich übrigens ein wenig ab-
wechslungsreicher gestalten möchte, habe ich Ihnen das
schon gesagt? Ich erwarte einige Skulpturen und andere
Kunstgegenstände aus Papua, allerdings nur leihweise für
eine Ausstellung. Kennen Sie sich damit aus?"
"Nein." Ihr Interesse war jedoch geweckt, und sie un-
terhielten sich einige Zeit über die Sammlung, bis Ryan
plötzlich schwieg und Kim merkte, dass er eingeschlafen
war.
Sie kam sich lächerlich vor. Seit einigen Wochen stand
ihre Welt kopf, und sie fühlte sich gar nicht mehr wie die
kühle, selbstbewusste Kim Lingard von früher. Sie war
wie besessen von dem Zwang, diesen Mann zu bekämp-
fen, und doch konnte sie in seinen Armen liegen und sich
sicher fühlen. Wie seltsam!
Schließlich fiel sie doch in einen tiefen und traumlosen
Schlaf. Als sie erwachte, war sie allein. Einige Minuten
überlegte sie, was anders war an diesem Tag, und dann
wusste sie es: Der Regen hatte aufgehört, und durch die
Öffnung der Leinwand sah sie blasses Sonnenlicht.
Aufgeregt sprang sie auf.
Sie sah Ryan weit draußen im Meer schwimmen. Im-
mer noch hingen die Wolken tief, und dazwischen war
nur hin und wieder ein Stück blauer Himmel zu sehen,
doch sie verspürte plötzlich ein solches Hochgefühl, dass
sie, ohne weiter nachzudenken, Hose und Bluse abstreifte
und sich in Slip und BH ins Wasser stürzte.
"Wie schön, endlich kein Regen mehr!" rief sie Ryan
zu.
Eine halbe Stunde lang zog sie ihre Bahnen parallel
zum Strand, und als sie erfrischt und atemlos aus dem
Wasser watete, stand Ryan in seinen Shorts da und hielt
ihr ein Handtuch entgegen.
"Danke", sagte sie völlig außer Atem und wickelte sich
darin ein.
"Das war wunderbar!" Sie strich sich das nasse Haar
aus dem Gesicht.
"Und jetzt reiben Sie sich mit diesem Tuch ab", sagte
er. "Ich habe es in frischem Wasser ausgespült. Damit
bekommen Sie fast alles Salz ab."
"Mr. Bailey, in diesen Dingen sind Sie wirklich absolu-
te Spitze." Kim lächelte. "Was wäre ich nur ohne Sie?
Tut mir leid, dass ich mich gestern Abend so dumm
benommen habe", fügte sie hinzu.
"So schlimm war es nicht."
Impulsiv sagte sie: "Dafür mache ich Ihnen jetzt ein
schönes Frühstück."
Er ließ sie allein, damit sie sich frische Wäsche und ih-
re Tennissachen anziehen konnte. Danach briet sie
Schinken und machte Rührei aus den beiden einzigen
Eiern, die den Transport von der Sandra-Lee unbeschadet
überstanden hatten. "Na, wie ist das?" Sie reichte ihm
den gefüllten Teller..
"Wunderbar, vielen Dank."
"Was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht?"
"Ich habe ein großes ,SOS' in den Sand gegraben.
Nachher können wir es vielleicht mit Steinen füllen, da-
mit es besser zu erkennen ist."
"Wie wäre es mit Flaggen oder einem Feuer? Obwohl
wahrscheinlich alles noch zu nass ist."
"Ja, aber die Flaggen sind eine gute Idee."
Sie hörte auf zu essen. "Haben Sie eine Ahnung, wo
wir sind?"
Er zuckte die Schultern. "Tut mir leid, nein. Die Sicht
ist immer noch schlecht, und der Kompass scheint ver-
rückt zu spielen. Nach dem Frühstück sehen wir uns die
Insel an. Zumindest ist jetzt Flugwetter."
"Hoffentlich bleibt es auch so", sagte sie besorgt.
Nach dem Frühstück füllten sie das SOS-Zeichen mit
Steinen und rammten Stöcke in den Sand, an denen sie
Kleidungsstücke festbanden. Dann machte Ryan sich auf
Erkundungstour zur anderen Seite der Insel und ließ Kim
am Strand zurück, weil sie dort besser sichtbar sei, wie er
meinte.
Während er fort war, entdeckte sie in der Ferne zwei
Flugzeuge, rannte am Strand hin und her und winkte mit
einem roten Handtuch, doch die Maschinen kamen nicht
näher. Im Lauf des Vormittags schoben sich wieder
dunkle Wolken vor die Sonne, und die Luft wurde heiß
und stickig.
Ryan kehrte nach einigen Stunden zurück. "Ich weiß
jetzt, wo wir sind. Die Insel ist unbewohnt - eine der we-
nigen in der Moreton Bay", sagte er ironisch. "Und es
sieht nach weiterem Regen aus."
"Haben Sie die Flugzeuge gesehen?"
"Ja. Keine Sorge, es kommen noch mehr."
Die Schwüle war fast unerträglich geworden, als eine
Stunde später ein Rettungshubschrauber erschien, der ein
Fernsehteam an Bord hatte. Sie beobachteten, wie er lan-
dete, und Ryan nahm Kim bei der Hand. "Damit endet
dann wohl dieses Kapitel in unserem Leben, und wir
können zum nächsten kommen."
"Was meinen Sie damit?" fragte sie unsicher.
"Meine liebe Kim ..." Er sah sie durchdringend an. "...
ich habe mich auf unserer Insel sehr zurückgehalten, weil
alles andere Ihnen gegenüber unfair gewesen wäre. Aber
wenn wir wieder in der Zivilisation sind, brauche ich das
nicht mehr, oder?"
Sie machte sich los und funkelte ihn wütend an. "Das
hätte ich mir denken können!"
Er zog amüsiert die Augenbrauen hoch. "Was? Dass ich
mich immer wie ein Gentleman benehme?"
"Dass Sie niemals aufgeben würden!"
"Komisch, und ich hatte gedacht, Sie wären mir dank-
bar, dass ich mich seit unserer Entführung um Sie ge-
kümmert habe, Miss Lingard", erwiderte er und wandte
sich den Reportern zu, die vom Hubschrauber auf sie
zukamen.

5. KAPITEL
Am nächsten Morgen las Kim die Zeitung mit sehr ge-
mischten Gefühlen, und mehr als einmal fragte sie sich,
ob das wirklich alles ihr passiert war. Der Artikel über
Ryan Bailey ärgerte sie, besonders das Foto von ihnen
beiden am Strand. Obwohl es undeutlich war, konnte
man sehen, dass sie sich bei der Hand hielten. Der Arti-
kel begann:
Selfmade-Millionär Ryan Bailey wurde nach einer an-
geblichen Entführung gestern zusammen mit der Kurato-
rin seiner Kunstsammlung, Kim Lingard, auf einer un-
bewohnten Insel gefunden.
Weiter hieß es, dass Anklage gegen Mark Markham er-
hoben worden und die Sandra-Lee verschwunden sei.
Dann folgte eine Zusammenfassung über Ryans Leben
und Erfolge.
Kim ließ die Zeitung sinken und dachte über Mark
Markham nach, um sich abzulenken. Er war noch nicht
gefasst worden, aber ihr Auto hatte man unversehrt neben
dem Bootsschuppen gefunden.
Während sie noch darüber nachdachte, klingelte das
Telefon. Nach einigen Minuten hitziger Diskussion warf
sie ärgerlich den Hörer auf die Gabel und nahm ihn so-
fort wieder ab, als der Apparat erneut klingelte. "Ja!"
"Wie geht es Ihnen, Kim?" fragte Ryan.
"Ich bin, wütend! Gerade habe ich von einer Zeitschrift
ein Angebot bekommen für meine Exklusivgeschichte",
erklärte sie sarkastisch.
"Ich habe Ihnen doch gesagt, dass so etwas passieren
würde!"
Er lachte. "In einigen Tagen ist Gras über die Sache
gewachsen.
Warum kommen Sie in der Zwischenzeit nicht zu mir?"
"Sie sind wohl völlig verrückt!"
"Hier würden Sie nicht belästigt werden. Ich habe einen
Sicherheitsdienst engagiert, um die Presse fernzuhalten."
"Aber ... Ich bin sprachlos", sagte sie abweisend.
"Das wäre allerdings eine ganz neue Seite an Ihnen,
obwohl Sie mir schon ein paar Mal damit gedroht haben.
Essen Sie dann wenigstens heute mit mir zu Abend?"
Sie seufzte. "Ryan, Sie haben mir eine Woche Urlaub
gegeben. Lassen wir es dabei."
"Kim, entweder kommen Sie zum Essen zu mir, oder
ich komme zum Essen zu Ihnen." An seinem veränderten
Tonfall hörte sie, dass er es ernst meinte.
"Ich ... ich werde nicht da sein", erwiderte sie atemlos.
"Dann warte ich, bis Sie zurück sind."
"Warum unterhalte ich mich eigentlich mit Ihnen?"
fragte sie erbost.
"Weil Sie eine sehr hartnäckige Frau sind", erklärte er
trocken. "Aber ich kann auch sehr hartnäckig sein. Um
sieben Uhr holt mein Fahrer Sie ab."
An diesem Tag bekam sie viel Besuch. Von Freunden,
die aus erster Hand von ihrem Abenteuer hören wollten,
und von einem Kriminalbeamten, der ihre Aussage noch
einmal mit ihr besprechen wollte. Kim war entsetzt, weil
er sich sehr besorgt zeigte, dass sie allein lebte.
"Was meinen Sie damit?" fragte sie scharf. "Halten Sie
Mark Markham für ..."
"Ich will Sie nicht unnötig beunruhigen", sagte der Be-
amte vorsichtig, "aber wir wissen inzwischen etwas mehr
über ihn. Er ist sehr labil, und einer seiner Psychiater hat
gesagt, dass er zu irrationalen, spontanen Handlungen
neigt."
"Das glaube ich gern", erwiderte sie langsam. "Aber
wenn er nicht in der Moreton Bay ertrunken ist, wird er
sich jetzt doch sicher von uns beiden fernhalten?"
"Der Arzt sagte uns, dass er sehr hartnäckig sein kann,
wenn er einmal einen Plan gefasst hat. An Mr. Bailey
wird er sich wahrscheinlich nicht wieder herantrauen,
aber vielleicht sieht er Sie als Mittel, um an ihn heranzu-
kommen."
Kim dachte nach. "Haben Sie darüber mit Mr. Bailey
gesprochen?"
"Ja, Ma'am. Ich habe ihm den Bericht des Psychiaters
übergeben. Uns ist nämlich eingefallen, dass Markham
anzunehmen scheint, Sie und Mr. Bailey ..." Der Beamte
zögerte kurz. "... würden sich nahe stehen.
Sie haben uns beide versichert, dass Sie nur so getan
haben, um Mr.
Baileys Befreiungsversuch zu tarnen. Doch in Mark-
hams Augen könnten Sie deshalb das lohnendere Opfer
für eine Entführung sein, und zwar allein."
"O nein!" Kim stand auf und ging im Zimmer auf und
ab, um ihre leicht geröteten Wangen und ihr Entsetzen zu
verbergen.
"Unsere Vermutung ist vielleicht weit hergeholt", sagte
der Beamte beruhigend. "Aber Sie müssen sich klarma-
chen, dass wir es offensichtlich mit einem Schizophrenen
zu tun haben. Wir hoffen natürlich, ihn schnell zu fassen,
doch infolge des Sturms sind wir völlig überlastet. Der
Schaden in Brisbane und um die Bucht herum ist im-
mens, und Zwischenfälle, die sonst auffallen würden,
erscheinen jetzt vielleicht normal. Es wäre eine große
Hilfe für uns, Miss Lingard, wenn ... Haben Sie Freunde
oder Familienangehörige, bei denen Sie einige Wochen
bleiben könnten?"
"Einige Wochen?"
"Das würde schon genügen", sagte er ernsthaft.
"Ich ... denke darüber nach."
Er stand auf und lächelte. "Vielen Dank, Ma'am. Bitte
informieren Sie uns über Ihren Aufenthaltsort. Und bis
dahin halten Sie die Türen verschlossen."
Es dauerte lange, bis Kim mit ihrem Aussehen zufrie-
den war. Das blaue, mit großen cremefarbenen Blumen
bedruckte Seidenkleid mit dem großzügigen Ausschnitt
betonte ihre schmale Taille und war kurz genug, um ihre
schlanken Beine in den hochhackigen Sandaletten voll
zur Geltung zu bringen. Zum Glück war der Wirbelsturm
weiter gezogen, und es war wieder warm und sonnig.
Pünktlich um sieben Uhr klingelte es, und in einem An-
fall von Panik ließ Kim die Kette vor, als sie die Tür öff-
nete. Doch es war tatsächlich Warren, der zum Glück in
einem unauffälligen Wagen gekommen war, falls, wie er
sagte, die Presse sie noch verfolge.
Als er in die Auffahrt zu Ryans Haus einbog, fragte sie
verärgert:
"Findet das Abendessen hier statt?"
"Ja, Miss Lingard. Mr. Bailey hält es für besser, sich
nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen."
Kim fühlte sich überrumpelt, sagte aber nichts.
Ryan öffnete ihr persönlich die Tür und führte sie auf
eine mit roten Fliesen ausgelegte Terrasse. In einer Ecke
neben dem Swimmingpool war der Tisch gedeckt, mit
Kerzen und Hibiskusblüten in einer Glasschale. Ein Jas-
minstrauch rankte sich an der Wand empor und verström-
te einen betörenden Duft, und die Unterwasserbeleuch-
tung im Pool war angeschaltet, so dass das Wasser
durchscheinend blau schimmerte.
Ryan schob ihr einen Stuhl zurecht und reichte ihr ein
hohes Glas.
"Campari und Soda. Hoffentlich macht es Ihnen nichts
aus, hier bei mir zu essen. Ich halte es für sicherer."
Kim schwieg. Obwohl sie ihn erst vor vierundzwanzig
Stunden zuletzt gesehen hatte, war sie erstaunt über die
Wirkung, die er auf sie ausübte.
Sein sorgfältig gekämmtes dichtes Haar mit den silber-
nen Strähnen erinnerte sie daran, wie es nass und zer-
zaust ausgesehen hatte. Der Dreitagebart war verschwun-
den, aber selbst in dem kurzärmligen Designerhemd und
der blauen Leinenhose wirkte sein Körper stark und un-
bezwingbar.
"Was soll ich hier?" fragte sie unvermittelt, als er sich
ihr gegenübersetzte. "Ich habe dieses Katz- und Maus-
spiel satt. Wenn Sie mit mir schlafen wollen ..."
"Wollen Sie das mit mir nicht auch, Kim?" unterbrach
er sie ruhig.
"Sie sollten zumindest ehrlich sein und zugeben, dass
Sie es sind, die hier Katz und Maus spielt."
"Na gut, ich habe daran gedacht, mit Ihnen zu schla-
fen", gab sie kühl zu. "Aber ich tue es nicht. Wollen Sie
den Grund wissen?"
"Natürlich." Er betrachtete ihr schimmerndes dunkles
Haar, ihr energisch erhobenes Kinn und ließ den Blick an
der perfekten Linie ihres Halses bis zum Ausschnitt ihres
Kleides gleiten.
Sie atmete tief ein. "Sandras Onkel hat gesagt, Sie und
Sandra seien wie Tiger und Lamm gewesen. Wir beide,
Sie und ich, sind das zwar nicht, aber wir würden ebenso
wenig zusammenpassen. Aus irgendeinem Grund habe
ich ständig das Gefühl, Sie bekämpfen zu müssen. Tut
mir leid, aber das ist die Wahrheit."
"Und denken Sie auch ständig daran, mit mir zu schla-
fen?"
"Nicht halb soviel."
"Das könnte sich ändern", erklärte er betont langsam.
"Falls Sie damit sagen wollen, dass unsere Meinungs-
verschiedenheiten verschwinden werden, sobald ich mich
Ihnen hingebe, mich Ihnen unterwerfe, so irren Sie sich,
Ryan."
Er lächelte flüchtig. "Sie sind mehr Feministin, als Sie
sich eingestehen wollen", erwiderte er. Bevor sie etwas
sagen konnte, fügte er hinzu: "Nein, ich will Sie nicht mir
unterwerfen, denn dann würden Sie mir nur halb so sehr
gefallen. Aber ich glaube, dass viel von Ihrer Kampfbe-
reitschaft in Wirklichkeit etwas ganz anderes ist."
"Daran habe ich auch schon gedacht", platzte sie her-
aus.
Er zog die Augenbrauen hoch. "Haben Sie die anderen
Männer auch bekämpft?"
"Nein", erwiderte sie schnell. "Ich meine ... Ich dachte,
ich würde mich irgendwie ändern und vielleicht meine
Unabhängigkeit aufgeben wollen. Aber es war nicht so.
Trotzdem mochte ich sie", betonte sie.
"Vielleicht ist es bei Ihnen eben ganz anders", sagte er
sanft. "Und nun trinken Sie aus. Mary serviert gleich den
ersten Gang. Tut mir leid, dass wir so früh essen, aber ich
muss morgen zeitig weg. Ich fliege für einige Tage nach
Port Moresby in Papua-Neuguinea. "
Kim warf ihm einen empörten Blick zu. "Wie können
Sie es wagen, mich ständig so zu behandeln?"
"Wie denn? Sie wollen nicht mit mir schlafen. Was gibt
es dann noch darüber zu sagen? Im Moment zumindest."
"Manchmal hasse ich Sie wirklich", sagte sie bitter.
"Wir könnten uns ja über etwas anderes streiten",
schlug er vor.
"Haben Sie jemanden, bei dem Sie einige Wochen un-
terschlüpfen können?"
Sie versuchte, ihren Ärger zu unterdrücken. "Ich denke
schon, aber ich würde meine Freunde nur ungern belästi-
gen. Und außerdem, was ist, wenn er mich verfolgt? Er
ist verrückt genug, um einen ganzen Haushalt zu entfüh-
ren."
"Dann bleiben Sie besser hier, Kim. Ah, Mary, vielen
Dank." Er stand auf und half der Haushälterin, den Ser-
vierwagen herein zu schieben.
Kim aß einige Bissen der köstlichen Vorspeise, bevor
sie etwas erwiderte. "Haben Sie mich deshalb heute mor-
gen angerufen?" Sie trank einen Schluck Wein.
"Ja, unter anderem."
"Warum haben Sie mich dann nicht gleich gefragt?"
"Ich wollte Sie nicht unnötig beunruhigen."
"Genau das hat auch der Polizeibeamte gesagt", erwi-
derte sie schroff.
"Bevor er mir erst richtig Angst eingejagt hat. Na ja, so
schlimm war es auch nicht, aber ..." Sie winkte ab, als
Ryan etwas sagen wollte.
"Was würden die Leute von den Zeitungen mir anbie-
ten, wenn sie erfahren würden, dass ich hier bin?"
"Mit etwas Glück wird es niemand merken. Überhaupt,
ist es Ihnen nicht viel wichtiger, vor Mark Markham si-
cher zu sein?" Der Blick seiner grauen Augen war un-
durchdringlich.
"Und was ist mit Ihnen? Wäre ich vor Ihnen sicher?"
Er betrachtete sie schweigend, und Kim spürte ärger-
lich, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Schließlich
sagte er trocken: "Die Bemerkung sollten wir lieber strei-
chen, Kim. Und ich habe auch keine Lust, den ganzen
Abend mit Ihnen zu streiten. Wenn Sie Ihren Job behal-
ten wollen, bleiben Sie hier, bis Markham gefasst ist.
Zufällig habe ich genug für Sie zu tun, denn die Kunst-
werke aus PapuaNeuguinea sind angekommen, und es
gibt keinen Katalog, sondern nur rätselhafte handschrift-
liche Aufzeichnungen. Danke, Mary", sagte er, als die
Haushälterin eine Platte mit gebratenem Lamm auf den
Tisch stellte. "Würden Sie mir bitte das Telefon brin-
gen?"
"Was haben Sie vor?" erkundigte Kim sich ungläubig.
"Das werden Sie schon sehen." Er begann, den Braten
zu zerteilen.
Gleich darauf brachte Mary ihm das Handy, und er zog
eine Visitenkarte aus der Hemdtasche, rief den Beamten
an, der bei Kim gewesen war, und erklärte ihm, dass Kim
wie verabredet bis auf weiteres bei ihm bleiben würde.
"Stimmt", sagte er ins Telefon, "es ist wirklich die beste
Lösung. Hier ist es so sicher wie in Fort Knox. Auf Wie-
dersehen." Er schaltete das Telefon aus und sah Kim an.
"Ich soll Ihnen sagen, dass Sie sich richtig entschieden
haben. Mary", fügte er hinzu, als diese mit dem Gemüse
erschien, "Kim wird ab heute bei uns bleiben. Warren
kann morgen ihre Sachen holen."
"Ich habe schon ein Gästezimmer vorbereitet", erwider-
te Mary und wandte sich lächelnd an Kim. "Wie schön,
dass Sie bei uns bleiben, Miss Lingard! Und Sie brau-
chen sich keine Sorgen mehr um diesen schrecklichen
jungen Mann zu machen."
Kim schwieg, bis Mary gegangen war, dann sagte sie:
"Sie erinnern mich an eine Dampfwalze, Ryan Bailey."
"Ich bin nur vernünftig, Kim." Es klang, als würde er
zu einem Kind sprechen. "Und zu Ihrer Beruhigung: Ich
habe mich noch nie einer Frau aufgedrängt." Als sie är-
gerlich die Lippen zusammenpresste, hob er sein Glas
und sagte: "Und über welches Thema sollen wir für den
Rest dieses köstlichen Essens sprechen?"
"Über das Wetter", erwiderte sie prompt. "Denn es gibt
nichts, worüber ich sonst mit Ihnen sprechen wollte, Mr.
Bailey."
Er lachte leise. "Na gut, aber eines rate ich Ihnen, Kim:
Schmieden Sie keine Fluchtpläne, während ich weg bin.
Es wäre nicht nur verrückt und unverantwortlich, sondern
auch sehr unvernünftig. Mit anderen Worten, ich erwarte,
Sie bei meiner Rückkehr hier anzutreffen."
"In Ordnung, aber erwarten Sie keine Wiedersehens-
freude."
"Auf der Insel waren Sie viel netter." Er schnitt ein Ge-
sicht, legte das Besteck beiseite und stand auf. "Das Des-
sert werden Sie ohne mich genießen müssen. Ich habe
noch zu tun. Gute Nacht, Kim, und fühlen Sie sich ganz
wie zu Hause."
Kims Schlafzimmer lag im zweiten Stock und hatte ei-
ne Veranda, die um den ganzen ersten Stock führte und
auf den Pool hinausging. Es war ein schönes Zimmer, mit
einer fröhlichen bunten Tagesdecke auf dem breiten Bett,
weichem, hellem Teppichboden und farblich dazu pas-
senden Vorhängen. Das angrenzende Badezimmer war
ganz in weißem Marmor gehalten und mit einer umfang-
reichen Kollektion von duftenden Toilettenartikeln aus-
gestattet. Nicht einmal der Bademantel fehlte, und Mary
lieh ihr ein Nachthemd.
Dennoch war Kim unbehaglich zumute, als sie allein in
der Dunkelheit lag. Sie fühlte sich seltsam zerrissen. Ei-
nerseits wusste sie, dass sie recht daran tat, sich von Ry-
an fernzuhalten. Andererseits hatte sie ein merkwürdiges
Gefühl von Unvermeidbarkeit, das sie hilflos machte und
neugierig.
Und zu alledem musste sie ständig daran denken, dass
Ryan nur wenige Meter von ihr entfernt schlief.
Plötzlich fragte sie sich, warum sie so unabhängig war.
Sicher hatte es etwas damit zu tun, dass sie ohne Mutter
aufgewachsen war und einen sehr unabhängigen Mann
zum Vater gehabt hatte.
Eine liebevolle Gemeinschaft zwischen Erwachsehen
hatte sie in ihrer Familie nie erlebt. Hatte sie deshalb eine
zu idealistische, vielleicht sogar naive Vorstellung von
einer Beziehung?
Aber was für eine Beziehung könnte sie zu Ryan ha-
ben? Würde es immer einen Teil von ihm geben, an dem
keine Frau teilhaben konnte?
Und was würde geschehen, wenn sie mit ihm schlief
und feststellte, dass sie mehr wollte, als er geben konnte?
Warum dachte sie überhaupt darüber nach?
Sie erwachte sehr früh und hörte jemanden im Pool
schwimmen.
Obwohl sie wusste, dass nur er es sein konnte, drängte
etwas sie aufzustehen.
Im Licht der aufgehenden Sonne sah sie Ryan, der sei-
ne Bahnen im schimmernden Wasser zog. Das nasse
Haar klebte ihm am Kopf, die breiten Schultern waren
gebräunt, die Hüften sehr schmal in der blauen Badehose.
Sie beobachtete ihn, bis er schließlich zum Beckenrand
schwamm und sich leicht und geschmeidig aus dem
Wasser stemmte. Dann ging sie zurück ins Bett.
Die drei Tage, in denen er fort war, wurden für Kim zu
einer Zeit des Friedens.
Tagsüber packte sie in der Bibliothek vorsichtig die
Kisten mit Kunstschätzen aus - Masken, seltsame Kopf-
bedeckungen, Schnitzereien, Muscheln, Waffen,
Gebrauchsgegenstände - und überlegte, wie sie in der
Ausstellung am besten präsentiert werden konnten.
Gleichzeitig arbeitete sie an einer genauen Beschreibung
jedes Gegenstandes und an einer Geschichte des histori-
schen Hintergrundes. In Ryans Bibliothek entdeckte sie
Bücher zu diesem Thema, und im Lauf der Vorbereitun-
gen wuchs ihr Interesse an der Inselwelt Melanesiens.
In ihrer Freizeit schwamm und las sie und entdeckte
Stück für Stück den riesigen Garten mit seinen Garde-
nien, Bougainvilleen, den einheimischen Büschen und
Bäumen und seltenen bunten Vögeln.
Sie lernte auch Ryans Haus kennen, das selbst bei hei-
ßem Wetter kühl blieb und trotz der großzügigen Aus-
stattung nicht überladen wirkte, so dass seine Kunst-
sammlung wunderbar zur Geltung kam. Oft saß sie mit
Mary in der Küche - ein Meisterwerk modernster Tech-
nologie und tauschte Rezepte aus.
Kim war in der Bibliothek gerade mit dem Auspacken
einer weiteren Kiste beschäftigt, als Ryan nach Hause
kam. Sie hörte ein Geräusch an der Tür und drehte sich
um, doch sie brachte kein Wort hervor.
Er war noch formell gekleidet und betrachtete sie von
Kopf bis Fuß:
ihre kurzärmlige cremefarbene Seidenbluse, die hell-
braunen Shorts, ihre langen, inzwischen leicht gebräun-
ten Beine in den braunen Sandaletten. Sein durchdrin-
gender Blick machte sie unruhig.
Es schien, als könnte er durch ihre Kleidung hindurch
sehen, aber am schlimmsten war, dass sein Blick sie er-
regte, dass sie sich ihres Körpers plötzlich sehr bewusst
wurde und spürte, wie ihre Haut zu kribbeln begann.
"Kim?" sagte er nur und sah sie fragend an, und sie
wusste genau, was er damit ausdrucken wollte.
"Ich ..." Sie befeuchtete die Lippen mit der Zunge.
Er kam langsam auf sie zu, bis er vor ihr stand und sie
den Kopf zurückneigen musste, um ihn ansehen zu kön-
nen. "Darf ich?" fragte er kaum hörbar.
Kim konnte nicht sprechen, denn plötzlich, zum ersten
Mal in ihrem Leben, fühlte sie sich von einem so starken
Verlangen gepackt, dass kein Wort, keine Bewegung es
brechen konnte, nicht einmal als er sie in die Arme nahm
und küsste.
Ein Gefühl der Erleichterung durchflutete sie wie ein
wilder Strom. Es war nicht nur sein leidenschaftlicher
Kuss, sondern die Tatsache, von ihm gehalten zu werden,
das Gefühl seiner Brust, die sich gegen ihre presste, die
Sehnsucht, alles zu spüren, was an ihm stark und über-
wältigend männlich war und bis auf den Grund ihrer
Weiblichkeit zu dringen schien.
Schließlich hob er den Kopf, hielt sie aber weiter an
sich gepresst, während er ihr tief in die Augen sah und
leise fragte: "Wirst du mich jetzt schlagen, Kim?" Das
Du kam ihm ganz selbstverständlich über die Lippen.
Sie schloss kurz die Augen und sagte stolz: "Nein. Aber
ich werde auch nicht mit dir ins Bett gehen, obwohl ich
mich manchmal danach gesehnt habe."
Er ließ die Hände über ihre Hüften gleiten, und ein
Funkeln erschien in seinen Augen. Ist es so etwas wie
Bewunderung? fragte sie sich.
"Na gut", sagte er und küsste sie leicht auf die Lippen,
bevor er sie losließ und sich umsah und zwischen den
halb ausgepackten Kisten herumging. "Dem Minister
liegt viel an dieser Ausstellung. Das Foyer von Bailey
Construction wäre ein guter Platz, um die Bilder jeder-
mann zugänglich zu machen, und für Bewachung rund
um die Uhr wäre dort auch gesorgt."
"Eine gute Idee, aber dann brauchst du Glasvitrinen.
Wie geht es dem Minister?"
"Ich soll dich von ihm grüßen. Er hofft, dass du dich
von der Entführung erholt hast."
"Danke. Warst du wegen der Brücke dort?"
"Ja."
"Es klingt vielleicht dumm, aber hast du schon jemals
eine Brücke gebaut?"
Er betrachtete sie ironisch. "Ja, warum?"
"Bisher habe ich deinen Namen immer nur im Zusam-
menhang mit Gebäuden gehört."
"Mein erstes großes Projekt war zufällig eine Brücke,
deshalb interessiert mich diese hier besonders. Zumal sie
einen Test für uns darstellt: Der Ort ist sehr abgelegen
und die Infrastruktur im Moment mehr als ungenügend."
"Warum soll die Brücke dann gerade dort gebaut wer-
den?"
"Weil es in der Gegend große Goldvorkommen gibt. Es
sind noch andere Firmen beteiligt, aber die Leitung liegt
bei Bailey Construction."
"Ein Ruhmesblatt für dich?"
"Das wird sich erst herausstellen, wenn die Arbeit er-
folgreich beendet ist. Irgendwann nehme ich dich einmal
mit dorthin, Kim. Und jetzt ziehe ich mich erst einmal
um. Wie wäre es mit einem Drink auf der Terrasse?"
Ihre Blicke begegneten sich, und sie sagte kühl: "Gern,
danke." Doch insgeheim überlegte sie, ob er sich ihrer
wirklich so sicher war. Hatte er deshalb gesagt, er würde
ihr eines Tages seine Brücke zeigen?
Doch als sie wenig später zusammen auf der Terrasse
saßen, erwähnte er ihre leidenschaftliche Begegnung in
der Bibliothek mit keinem Wort und sagte auch sonst
nichts Persönliches.
"Was macht unser Freund Mark Markham?"
"Er scheint nach wie vor verschwunden zu sein. Die
Polizei hat gestern angerufen, um mir zu sagen, dass er in
Queensland und New South Wales mit Haftbefehl ge-
sucht wird", antwortete sie. "Und von der Sandra-Lee
gibt es auch nichts Neues. Du vermisst sie bestimmt sehr,
stimmt's?"
"Ja. Aber Boote sind zu ersetzen. Willst du vor dem Es-
sen die Nachrichten sehen? Ich bin gar nicht mehr auf
dem laufenden."
"Was immer du willst."
Sie sahen sich die Nachrichten an und aßen dann zu
Abend, immer noch in derselben unpersönlichen Atmo-
sphäre. Kim wusste nicht, was sie denken sollte. War
dies derselbe Mann, dem sie vor einigen Stunden nicht
hatte widerstehen können?
Verhielt Ryan sich absichtlich so? Nachdem sie einen
Schritt getan hatte, der nicht rückgängig zu machen war.
Quälte er sie so, weil sie gesagt hatte, sie würde nicht mit
ihm schlafen?
Erst nach dem Essen wurde er ein wenig persönlicher.
Mary servierte den Kaffee im kleinen Wohnzimmer, ei-
nem gemütlichen Raum mit braunen Ledersofas und
schönen Teppichen auf dem gefliesten Boden. Hier stan-
den der Fernseher und eine hochmoderne Quadrophonie-
anlage, auf dem Tisch stapelten sich Zeitschriften, und
über einer antiken Mahagonikommode hing stolz der
Sisley an der Wand.
"Und wie verbringst du deine Abende, Kim?" fragte
Ryan, als Mary gegangen war.
"Je nach Laune, manchmal mit Lesen oder Nähen", er-
widerte sie langsam. "Wenn etwas Interessantes im Fern-
sehen kommt, sehe ich es mir an, wenn nicht, höre ich
Musik oder schreibe Briefe, oder ich krame einfach her-
um - das, was die meisten Menschen abends zu Hause
eben tun."
Sie streifte die Schuhe ab und zog die Füße unter sich,
wie sie es auch zu Hause zu tun pflegte. "Und zweimal in
der Woche spiele ich abends Tennis."
"Fühlst du dich manchmal einsam?" Er hatte die Beine
weit ausgestreckt und die Fernbedienung des Fernsehers
in der Hand.
"Nein, eigentlich nicht. Warum hast du das Bild hier
aufgehängt? Dies ist doch ein eher privates Zimmer ..."
Sie schwieg unvermittelt.
Er schnitt ein Gesicht und lächelte. "Ich habe mir deine
Worte zu Herzen genommen - mit dem Sisley nicht an-
zugeben, meine ich. Es ist mein Lieblingszimmer, des-
halb habe ich hier am meisten davon.
Zuerst wollte ich ihn im Schlafzimmer aufhängen, aber
das hätte meine Selbstbeherrschung doch zu sehr bean-
sprucht."
Nach kurzem Zögern entschied Kim sich für den An-
griff. "Hast du dieses Problem meinetwegen?"
"Glaubst du, ich hätte sonst das Thema mit deiner
schwarzen Spitzenunterwäsche aufgebracht?" entgegnete
er und fügte amüsiert hinzu: "Und du, Kim, küsst du
Männer immer so, wie du mich vorhin geküsst hast,
wenn du dieses ‚Problem' mit ihnen nicht hast?"
"Nein", erwiderte sie kühl.
"Also schlägst du dich immer noch mit unseren Mei-
nungsverschiedenheiten herum", erklärte er ironisch.
"Ja", gab sie so gelassen wie möglich zu.
"Ich hoffe, du hältst mich darüber auf dem laufenden",
sagte er und schaltete den Fernseher ein.
Hätte es nicht eine Sendung gegeben, die auch sie inte-
ressierte, sie wäre aufgestanden und hinausgegangen.
Statt dessen saßen sie einträchtig nebeneinander vor dem
Fernseher.
Als der Film zwei Stunden später zu Ende war, stand
Kim gähnend auf und verkündete, sie würde ins Bett ge-
hen. Er begleitete sie nach oben bis zur Tür ihres Schlaf-
zimmers.
"Gute Nacht", sagte sie und zuckte zusammen, als er
sie am Handgelenk packte.
"Nein, ich werde dich nicht belästigen, Kim", erklärte
er trocken. "Ich möchte nur eines wissen: Hast du vor,
Zärtlichkeiten zu verteilen, wann es dir passt? Oder gibst
du zu, es geht uns beide etwas an, dass ich die Gelegen-
heit nicht ausgenutzt habe, obwohl es ein Kinderspiel
gewesen wäre?"
"Kinderspiel?" wiederholte sie heiser.
"O ja, Kim. Aber so bin ich nicht, und du täuschst dich,
wenn du das denkst", sagte er langsam, ein spöttisches
Funkeln in den Augen, und ließ ihr Handgelenk los.
"Vielleicht solltest du darüber nachdenken.
Gute Nacht, meine Liebe."
Eigentlich wollte sie nicht darüber nachdenken, aber sie
tat es doch, allein in ihrem Zimmer. Sie erinnerte sich an
die beiden Nächte, in denen sie in seinen Armen geschla-
fen hatte, und das unbehagliche Gefühl beschlich sie, er
könnte recht haben. Ein "Kinderspiel" wäre es nicht ge-
rade für ihn gewesen, aber es wäre ihr schwer gefallen,
ihm zu widerstehen.
Unglücklich überlegte sie, dass sie ziemlich in der Pat-
sche saß.
Warum konnte sie nicht einfach wütend auf ihn sein?
Die Gelegenheit dazu bekam Kim gleich am nächsten
Tag.
Sie sahen sich morgens nur kurz beim Frühstück. Ryan
erkundigte sich, wie weit sie mit den Kunstschätzen aus
Papua-Neuguinea sei, und sie sagte, dass sie damit noch
einige Tage beschäftigt sein würde.
"Gut. Ich bin den ganzen Tag außer Haus."
Worauf sie nichts erwiderte.
Am späten Nachmittag kam Mary in die Bibliothek und
bat Kim, sich das Esszimmer anzusehen.
"Natürlich, aber warum?" erkundigte Kim sich.
"Ich habe eine neue Farbkombination ausprobiert, und
weil Sie doch viel von Kunst verstehen, Miss Lingard,
dachte ich, Sie könnten mir sagen, ob es in Ordnung ist."
Etwas verwundert folgte Kim ihr in das große Esszim-
mer und sah, dass es für eine Dinnerparty hergerichtet
war. Der große Tisch mit der Glasplatte und den schmie-
deeisernen Beinen war für acht Personen gedeckt, mit
einem dunkelgrünen Damasttischtuch, weißen Servietten,
kostbarem weißen Porzellan und einer flachen Schale mit
tiefroten Rosen.
"Wunderbar, Mary", sagte Kim ehrlich. "Aber ... ist das
für heute Abend?"
"Ja", erklärte Mary glücklich. "Sie werden hier sitzen,
Mr. Bailey gegenüber."
Kim atmete tief ein. "Ich soll auch kommen?"
"Aber ja! Hat er Ihnen denn nichts gesagt?"
"Nein. Nein, kein Wort", erwiderte Kim mühsam be-
herrscht.
"Dann hat er es wohl vergessen", erklärte Mary. "Er
musste ja auch an so vieles denken! Aber die Gäste
kommen erst um halb acht. Sie haben also noch viel Zeit.
Soll ich noch etwas für Sie bügeln, oder ..."
"Vielen Dank, Mary, aber ich werde nicht kommen. Tut
mir leid, dass ich Ihre Tischordnung durcheinander brin-
ge, aber ausgerechnet heute habe ich eine Verabredung
zum Essen."
"Ja, mit mir", ertönte hinter ihr eine Stimme.
Sie fuhr herum und funkelte Ryan wütend an. "Du
kannst mich nicht wie eine Gefangene behandeln, Ryan
Bailey", sagte sie schroff.
"Genauso wenig wie du das Recht hast, überall zu
verbreiten, dass ich hier wohne!"
"Leider kann ich nicht wie ein Einsiedler leben, Kim",
erwiderte er trocken. "Und dieses Essen steht schon seit
geraumer Zeit fest.
Außerdem ..." Er warf ihr einen süffisanten Blick zu.
"... ein Mann, auf den Markhams Beschreibung passt,
wurde vor deinem Haus beobachtet. Also wirst du heute
Abend nirgendwohin gehen, es sei denn, du bist ver-
rückt!"

6. KAPITEL
Kim zog sich fluchtartig in ihr Schlafzimmer zurück.
Sie war kaum drei Minuten allein, als Ryan eintrat, ohne
anzuklopfen, und die Tür hinter sich schloss.
Sie stand an der offenen Tür, die zur Veranda führte,
und bei seinem Eintreten wirbelte sie herum, die Arme
vor der Brust verschränkt, und betrachtete ihn ärgerlich.
Er hatte die Anzugjacke ausgezogen, die Ärmel hoch-
geschoben und die Krawatte gelockert und sah immer
noch beeindruckend aus. Ein starker Mann, der sich ge-
lassen gegen die Wand lehnte und sie mit dem durch-
dringenden Blick aus seinen rätselhaften grauen Augen
durcheinander brachte.
Schließlich sagte sie: "Du hast kein Recht, einfach he-
reinzukommen, auch wenn es dein Haus ist!"
"Entschuldige", erwiderte er süffisant. "Warum rea-
gierst du so, Kim?
Aus Angst, weil sich deine Befürchtungen bestätigt ha-
ben und Markham dich anscheinend tatsächlich ver-
folgt?"
"Natürlich finde ich den Gedanken nicht gerade ange-
nehm", sagte sie scharf. "Aber das ist nicht der eigentli-
che Grund. Ich habe dir gesagt, ich will nicht, dass sich
jeder das Maul darüber zerreißt, weil ich im Haus des
begehrtesten Junggesellen des Landes wohne. Ich selbst
würde es wahrscheinlich auch tun. Es liegt einfach in der
menschlichen Natur." "
"Kim, die Leute reden ohnehin schon über uns", sagte
er gelassen.
"Wer ... Ach, du meinst diesen Verrückten? Aber er ist
doch nur ..."
Sie schwieg unvermittelt. "Wer noch?"
"Meine liebe Kim", begann er ruhig, "nachdem du zum
ersten Mal wütend aus meinem Büro gestürmt bist, sind
in der Firma Gerüchte über uns in Umlauf gekommen,
und nach unserem gemeinsamen Auftritt in der Fernseh-
sendung auch außerhalb, von der Entführung ganz zu
schweigen. Und außerdem stimmen die Gerüchte." Er
machte eine abwehrende Handbewegung, als sie etwas
sagen wollte.
"Nämlich insofern, als dass wir uns zueinander hinge-
zogen fühlen. Du bist der einzige Mensch, der daran zu
zweifeln scheint."
"Im Gegenteil, im Moment bin ich wahrscheinlich der
einzige Mensch, der recht hat. Aber davon abgesehen,
sobald bekannt wird, dass ich hier wohne, bin ich ein für
allemal als eine deiner Frauen abgestempelt!"
"Oder umgekehrt", sagte er trocken und lächelte.
"Was meinst du damit?"
"Ich könnte als einer deiner Männer abgestempelt wer-
den."
"Das ist einfach lächerlich", erwiderte sie verächtlich.
"Schließlich ...
schließlich ist es dein Haus!"
"Wie du schon mehrfach festgestellt hast", erklärte er
und zog spöttisch die Augenbrauen hoch. "Und weiter?"
Sie lachte verächtlich und wandte sich ab.
"Außerdem sind meine Gäste heute Abend japanische
Geschäftsleute, die nur für eine Woche in Australien
sind. Ihre Englischkenntnisse sind nicht sehr gut, und es
würde mich wundern, wenn sie diesen alltäglichen
Klatsch in alle Welt hinausposaunten - zumal sie sehr
höfliche Leute sind. Du siehst, Kim, ich habe nicht die
Absicht, deinen Aufenthaltsort bekannt zu machen, zu-
mindest nicht, bis Markham gefasst ist. Obwohl er wahr-
scheinlich ohnehin vermutet, dass du hier bist."
Kim fuhr zu ihm herum. "Und warum hast du mir das
nicht gesagt?"
fragte sie bissig. "Warum hast du ..."
"Ich genieße es immer, wenn du so weise über uns re-
dest." Er lächelte leicht. "Und manchmal ist es schwer,
deinen Redefluss zu unterbrechen." "Unsinn! Dir macht
es nur Spaß, mich zu quälen!"
"Das auch", gab er zu.
Kim ließ sich aufs Bett sinken. "Ich weiß wirklich
nicht, warum ich mir das gefallen lasse", sagte sie zu-
sammenhanglos und fuhr sich mit der Hand übers Ge-
sicht.
"O doch, das weißt du, Kim" sagte er ungerührt. "Au-
ßerdem hast du im Moment keine Wahl. Also wirf dich
in Schale, und komm herunter. Du sprichst doch Japa-
nisch?"
"Fließend", erwiderte sie bitter.
"Ein Vorteil, und außerdem sind einige der Gäste
Kunstkenner. Sie bringen mir einige japanische Seiden-
malereien mit. Auch deshalb dachte ich, du würdest die-
sen Abend genießen, weil du der Langeweile deines ...
Kerkers für einige Zeit entkommen könntest."
Das Blut stieg ihr in die Wangen, und sie senkte den
Kopf und betrachtete ihre Hände. Es dauerte eine Weile,
bis sie ihm in die Augen sehen konnte. "Würdest du jetzt
bitte gehen? Ich ... ich kann dich im Moment nicht ertra-
gen."
Er richtete sich auf. "Ich wüsste einen Weg, wie wir
besser miteinander auskommen könnten, Kim, aber dazu
ein andermal. Also, kommst du herunter? Natürlich
kannst du dein Abendessen auch hier oben einnehmen, in
selbstgerechter Einsamkeit", fügte er spöttisch hinzu.
In seinen Augen las sie, dass er ebenso wenig nachge-
ben wollte wie sie. "Na gut, ich komme herunter", sagte
sie trotzig.
"Schön." Ryan lächelte und ging, und Kim hatte das
dumpfe Gefühl, wieder einmal von ihm überrumpelt
worden zu sein.
Ich benehme mich wirklich idiotisch, schalt sie sich.
Wahrscheinlich amüsierte er sich köstlich, weil er mit ihr
machen konnte, was er wollte!
Während sie sich umzog, hörte sie ihn im Pool
schwimmen, aber dieses Mal ging sie nicht ans Fenster.
Es ärgerte sie, dass sie nur ein einziges, für eine solche
Gelegenheit passendes Kleid von zu Hause mitgebracht
hatte. Nicht des Kleides wegen - es war sehr schön, aus
schwarzem Crèpe, hatte einen mit Jetperlen bestickten
Kragen und ließ die Schultern frei.
Nein, der Grund für ihren Ärger war, dass sie zu diesem
Kleid einen trägerlosen BH brauchte, und der einzige,
den sie dabeihatte, war aus schwarzer Spitze. Sie hatte
auch einen Slip aus spitzenbesetztem schwarzen Satin,
und im Winter trug sie dazu gewöhnlich schwarze
Strümpfe und einen schwarzen Strumpfhalter.
Sofort entschied sie, dass sie heute bestimmt keine
Strümpfe tragen würde. Erstens war es zu heiß, und ...
zweitens? fragte eine innere Stimme, um gleich darauf
die Antwort zu geben: Strümpfe und Strumpfhalter aus
schwarzer Spitze wären genau das, was Ryan Bailey sich
vorstellte, und ...
Wie kam sie eigentlich auf solche Gedanken?
In ausgesprochen schlechter Laune duschte sie und fön-
te sich verbissen die Haare, bis sie wie dunkle Seide
glänzten. Und ihre Stimmung verbesserte sich nicht, als
sie sich, nur mit Slip und BH
bekleidet, im Spiegel erblickte.
Dennoch blieb sie unwillkürlich stehen, die Hände in
die Hüften gestemmt, und betrachtete ihre schlanke,
wohlproportionierte Gestalt, die langen Beine, und ohne
es zu wollen, musste sie an Ryan denken, an seine Größe,
seinen starken gebräunten Körper und wie sie im Bett
wohl zusammenpassen würden.
Ein sinnliches, erregendes Kribbeln durchflutete sie,
und sie schluckte und wandte sich schnell vom Spiegel
ab.
Doch diese seltsamen Gedanken gingen ihr nicht aus
dem Kopf, während sie überflüssigerweise ihr dezentes
Make-up überprüfte, die Lippen noch einmal nachzog
und ihre sorgfältig manikürten Fingernägel begutachtete.
Am kleinen Finger trug sie den Siegelring ihres Vaters,
den sie hatte enger machen lassen, damit er ihr passte.
Sie überprüfte den Sitz ihres Kleides, das eine Hand-
breit über dem Knie endete, betrachtete ihre leicht ge-
bräunten Beine und die schwarzen Plateausandaletten, bis
ihr bewusst wurde, dass sie die Entscheidung nicht mehr
aufschieben konnte. Sollte sie nach unten gehen oder
nicht?
Sie ging nach unten.
Es war Mitternacht, als Kim sich, wie es in Japan üb-
lich war, zum Abschied sechsmal verbeugte. Sie stand
neben Ryan am Portal des Hauses, während die japani-
schen Geschäftsleute, alle dasselbe strahlende Lächeln im
Gesicht, zu der großen Limousine gingen, die sie zum
Hotel zurückbringen sollte.
Als der Wagen verschwunden war, wandte Ryan sich
zu ihr um. "Ein erfolgreicher Abend, Kim. Du warst sehr
gut."
"Die Seele der Party", erwiderte sie trocken. "Ich glau-
be, ich werde nie als Dolmetscherin arbeiten, es ist zu
anstrengend. Aber wieso erfolgreich? Übers Geschäft
wurde doch gar nicht gesprochen."
"Das kommt noch. Übrigens vielen Dank für deine
Mühe."
"Soll das heißen, ich habe dir wieder eine Brücke be-
schert?" fragte sie ironisch.
Er sah auf sie hinunter. "Das erzähle ich dir bei einem
Schlummertrunk am Pool."
"Nein, für mich keinen Alkohol mehr", wehrte sie e-
nergisch ab.
"Kein Alkohol, einfach etwas Kaltes und Erfrischendes.
Ich glaube, ich gehe noch einmal schwimmen. Es ist so
heiß." - Kim zögerte. Was war schlimmer: allein in ihrem
stickigen Zimmer zu liegen, ihn schwimmen zu hören
und sich nach einer Erfrischung zu sehnen?
Oder bei ihm zu sein? Dagegen war jede Klimaanlage
machtlos.
"Einverstanden", sagte sie schließlich etwas hilflos.
Sie gingen gemeinsam hinauf. In ihrem Zimmer zog sie
das Kleid aus und streifte die schwarze Unterwäsche ab,
ein kleines ironisches Funkeln in den Augen. Ihre Hände
zitterten plötzlich, als sie in Badeanzug und -mantel
schlüpfte und nach einem Handtuch griff.
Einen Moment stand sie zögernd im Raum, bevor sie
sich einen Ruck gab und die Treppe hinunter auf die Ter-
rasse ging, die nur vom Mond erhellt wurde.
Ryan war noch nicht da. Sie ließ sich langsam und ge-
nießerisch in den Pool gleiten, obwohl das Wasser nicht
besonders kühl war. Gleich darauf gesellte Ryan sich zu
ihr.
Sie schwammen nicht sehr lange, doch Kim fühlte sich
erfrischt, als sie sich schließlich aus dem Becken stemm-
te. Einen Moment stand sie da und genoss die leichte
Brise auf der feuchten Haut, bevor sie sich in ihr Hand-
tuch wickelte und sich auf einen Liegestuhl setzte. Ryan
folgte ihr und reichte ihr ein Glas.
"Mango und Ananas. Sehr gut für die Haut."
"Danke." Langsam begann sie sich zu entspannen. Das
blaue Wasser schwappte im Pool, und jenseits des Gar-
tens spiegelte sich der Mond im Fluss. Ein leichter Wind
verbreitete süßen Jasminduft.
"Übrigens hat man die Sandra-Lee gefunden. In dreißig
Metern Tiefe."
Kim betrachtete seine grimmig zusammengepressten
Lippen. "Das tut mir leid", sagte sie ruhig. "Bedeutet es,
dass sie nicht zu retten ist?"
"Ja. Seltsam, heute hat Sandra mich besucht, und als
ich es ihr erzählte, war sie ziemlich verstört." "Aber du
hast doch gesagt, sie ..."
"Stimmt, sie hat das Boot nie gemocht, aber es hat ihr
geschmeichelt, dass ich es nach ihr benannt habe. Sie
meinte, damit sei das letzte Band durchtrennt."
"Ich weiß nicht, was ich sagen soll", gab Kim zu.
"Du brauchst nichts zu sagen."
"Warum hast du es mir dann erzählt?"
"Das wollte ich eigentlich nicht. Ich habe wohl nur laut
gedacht." Er schnitt ein Gesicht. "Aber jetzt kann ich
ebenso gut weiterreden. Ich hoffe, es ist für sie wirklich
das letzte Band gewesen und dass sie sich endlich frei
fühlt, wenn sie sich erst einmal beruhigt hat.
Was wollte ich noch sagen? Ach ja, heute Abend hast
du mir keine Brücke beschert, aber vielleicht den Aus-
schlag für einen Vertrag mit einem japanischen Konsor-
tium gegeben, das sich am Bau eines Yachthafens und
eines Einkaufszentrums an der Sunshine Coast beteiligen
will."
Er warf ihr einen spöttischen Blick zu und fügte sanft
hinzu: "Überleg mal, was wir erreichen könnten, du und
ich, auf einer permanenten Basis."
Kim beugte den Kopf zurück und betrachtete die Ster-
ne. "Das habe ich nicht gehört", sagte sie schließlich.
"Und ich glaube auch nicht, dass ich an diesem Erfolg
beteiligt war. So werden Geschäfte nicht gemacht, also
ist deine Annahme, wir könnten zusammen viel errei-
chen, ohnehin falsch. Außerdem dachte ich, wir wollten
heute nicht mehr von solchen Dingen reden."
"Es ist nicht mehr heute." Er warf einen Blick auf seine
Armbanduhr.
Schweigend nippte sie an ihrem Drink, bis ihr etwas
einfiel.
"Vermutet Sandra, dass etwas zwischen uns ist?"
"Wahrscheinlich, obwohl sie nichts gesagt hat. Kim,
warum erzählst du mir nicht den wahren Grund für deine
Zurückhaltung? Ist es Sandra?"
"Nein. Ja, ich meine ..." Sie atmete zittrig ein. "Natür-
lich denke ich an sie, nicht nur an ihre Gefühle, sondern
auch in dem Zusammenhang, wie es wäre, mit dir zu le-
ben. Manchmal ist es unmöglich ..." Sie zögerte und ver-
suchte, vielleicht zum ersten Mal, all ihre Zweifel in
Worte zu fassen. "Manchmal ist es unmöglich, bei dir
den tatkräftigen, mächtigen Industriellen vom Mann zu
trennen. Das Geschäftliche spielt bei dir eine so große
Rolle, dass ich mich oft frage, ob du überhaupt abschal-
ten kannst und nicht jede Frau in ... eine, bildlich gespro-
chen, Schublade deines Lebens einsortierst mit einem
Etikett darauf." Sie zuckte die Schultern. "Und dann bin
ich noch da. Aber ich habe dir von mir erzählt."
Er schnitt ein Gesicht. "Angenommen, ich bin so, wäre
ich dann nicht der ideale Partner für eine Frau, der viel an
ihrer Freiheit liegt?"
Sie richtete sich auf. "Du bestreitest meine Worte also
nicht?"
"Das habe ich nicht gesagt. Ich theoretisiere nur."
"Es hat keinen Zweck, über unbekannte Faktoren zu
theoretisieren", sagte sie schroff. "Bist du so oder nicht?"
Er lächelte leicht amüsiert, als machte er sich über sie
lustig. "Ich weiß es nicht."
"Dann versuch es herauszufinden, Ryan Bailey, und
wenn es soweit ist, lass es mich wissen. Aber wenn du
glaubst, ich würde es riskieren, mich zu ..." Sie schwieg
und biss sich auf die Lippe.
"Verlieben?" schlug er vor. "Ich glaube, so etwas pas-
siert einfach, ob nun unbekannte Faktoren im Spiel sind
oder nicht."
"In meinem Fall würde ich nicht darauf wetten."
Ryan lachte leise. "Nur weil du dir bisher die falschen
Männer ausgesucht hast, Kim, kannst du die Liebe nicht
aus deinem Leben verbannen."
"Aber es heißt auch nicht, dass du der eine bist", sagte
sie betont kühl und fügte abwehrend hinzu: "Wer sagt dir
denn - ausgerechnet dir -, dass es an den Männern lag?
Du hast sie nie getroffen."
"Nein, aber ich kann sie mir gut vorstellen."
"Also, dann lass hören!" sagte Kim wütend.
Er zog die Augenbrauen hoch. "Aber vergiss nicht, dass
du mich dazu aufgefordert hast", warnte er sie. "Mal se-
hen ... Sie waren ungefähr in deinem Alter, kultiviert,
haben die richtigen Schulen besucht und sind Stammgäs-
te in Ballymore, wo sich die oberen Zehntausend von
Brisbane so gern zum Rugby versammeln. Zweifellos
gutaussehende Männer, talentiert und gebildet, wahr-
scheinlich im juristischen Bereich tätig, der dir, ja durch
deinen Vater ebenso vertraut ist wie die künstlerische
Welt - und als seine Tochter warst du wahrscheinlich
eine recht gute Partie ... Habe ich recht?"
Kim blickte ihn an, die Lippen so fest zusammenge-
presst, dass sie blass wirkten. Ihre dunklen Augen funkel-
ten gefährlich. "Wie kannst du ..."
Doch er ließ sie nicht ausreden. "Ich bin also auf dem
richtigen Weg", sagte er, einen Anflug von Spott in der
Stimme. "Und ich bin noch nicht am Ende, meine liebe
Kim. Keiner von ihnen war reif genug, in dir das Be-
wusstsein zu wecken, eine Frau zu sein." Er schwieg und
sah sie an. "Statt dessen verursachten sie dir ein Gefühl
der Unzufriedenheit, mit dir selbst und mit ihnen, und das
bestärkte dich noch in deiner hochgestochenen, herri-
schen Art, mit Männern umzugehen."
"So bin ich nicht!" fuhr sie ihn an.
"Dir ist also nie in den Sinn gekommen, du könntest zu
willensstark für diese Männer gewesen sein?"
Sie wollte vehement protestieren, doch dann sagte sie
nur bitter: "Du willst also sagen, ich würde eine starke
Hand oder etwas dergleichen brauchen? Oh, wie ich sol-
che Ansichten verabscheue - beinahe so sehr wie dich!"
"Ich sagte doch: Du bist viel mehr Feministin, als du
glaubst", erklärte Ryan und lächelte leicht. "Nein, ich
finde einfach, du bist intelligent, wunderschön, sehr
geistreich und viel zu schade für gut aussehende, char-
mante junge Männer, die zwar den richtigen sozialen
Hintergrund haben, aber geistig und körperlich nicht zu
dir passen."
"Das ist reine Theorie", erwiderte sie verächtlich und
wandte sich ab.
"Aber es stimmt, oder?"
Sie seufzte. "Keine Ahnung, wie du darauf gekommen
bist. Ich kann nur hoffen, du hast nicht in meiner Privat-
sphäre herumgestochert ..."
"Nein."
"Dann bin ich wohl sehr leicht zu durchschauen."
Er antwortete nicht.
Kim trank ihr Glas leer und stellte es auf die Fliesen.
"Weil ich so leicht zu durchschauen bin und weil ich mir
deiner Meinung nach ja immer die falschen Männer aus-
suche ..." Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. "...
überrascht es mich, dass du nicht lockerlässt."
"Das sollte es aber nicht", erwiderte er gelassen. "Zum
einen, weil ich mir schon vor einiger Zeit geschworen
habe, dich zu kriegen, Kim Lingard. Und zum anderen,
weil ich weiß, wenn wir jetzt zusammen hinaufgehen
würden, ins Bett, würde dein wunderbarer Körper für
mich lebendig werden. Du willst mich fast ebenso sehr
wie ich dich, und für dich wäre es so etwas wie eine Her-
ausforderung, wie du sie so sehr liebst. Damit würde ich
dich schon bei Laune halten, bis wir einer Meinung wä-
ren. Das Ergebnis wäre verblüffend, da bin ich mir si-
cher."
Kim richtete sich auf und erwiderte gefährlich leise:
"Was du sagst, ist einfach ... erniedrigend, und ..." Sie
konnte nicht weiter sprechen.
"Nein. Ich habe nur gesagt, wie du bist und wie ich bin.
Glaubst du wirklich, dass Liebe immer eine unschuldige,
zauberhafte Sache ist?"
"Nein, aber ich glaube ..." Unvermittelt schwang sie die
Beine auf den Boden und stand auf. "Eigentlich weiß ich
nicht, was ich glaube", sagte sie bitter. "Aber eines habe
ich mir geschworen: Wenn ich mich einmal einem Mann
hingebe, dann heißt das ,alles oder nichts', und wenn mir
eine solche Liebe nicht begegnet, dann ..." Sie machte
eine viel sagende Handbewegung.
Er stand ebenfalls auf. "Kim, wie willst du die wahre
Liebe denn erkennen, wenn du dich dagegen wehrst?"
"Das ist meine Sache." Sie funkelte ihn wütend an.
"Na gut." Er betrachtete sie amüsiert. "Du brauchst dich
nicht zu verteidigen."
"Du bist mir nicht gerade eine Hilfe!"
"Weil ich dir nicht auf Knien die ewige Liebe geschwo-
ren habe? Oder weil ich dich durchschaue?" Er sah ihr in
die großen, erstaunt blickenden Augen. "Oft ist das ver-
lässlicher als sentimentale und gefühlvolle Liebesschwü-
re."
Kim betrachtete ihn sehr lange, bevor sie mit seltsam
hohler, heiserer Stimme sagte: "Das Problem ist, dass ich
dich eigentlich nicht kenne.
Nein, sag nichts mehr. Ich gehe jetzt schlafen."
"Wenn es Sie tröstet, Miss Lingard", erwiderte er leise,
"ich schwimme noch eine Runde, bevor ich mich hinle-
ge."
Irgendwann am nächsten Morgen gab Kim gereizt den
Versuch auf, sich auf das Katalogisieren der papuani-
schen Kunstwerke zu konzentrieren. Die Ellbogen auf
Ryans Schreibtisch gestützt, das Kinn in die Hand gelegt,
überlegte sie finster, dass sie nicht einmal das Land ver-
lassen konnte, um vor Mark Markham sicher zu sein,
denn ihr Pass war abgelaufen.
Darum hatte sie sich schon vor Wochen kümmern wol-
len, um im Hinblick auf ihre Reise zu den Fidschiinseln
in weniger als zwei Monaten alles bereit zu haben. Doch
sie hatte es vergessen.
Der Grund dafür war natürlich Ryan, und bei dem Ge-
danken, dass er ahnen könnte, was er ihr antat, was er in
ihr verursachte, schauderte sie. Wie war ihm das nur ge-
lungen?
"Einen Penny für Ihre Gedanken", erklang plötzlich ei-
ne ihr bekannte Stimme von der Tür der Bibliothek her.
"Oh!" Sie drehte sich um. "Mr. Oldfield! Was tun Sie
denn hier?"
platzte sie ziemlich unhöflich heraus.
"Also wirklich!" Brad Oldfield betrat das Zimmer.
"Was oder wer hat Sie so verärgert, Miss Lingard? Las-
sen Sie mich raten. Ryan?"
"Wie kommen Sie darauf?" erwiderte sie kühl.
"Einfach nur so. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass er ein
Tiger ist.
Erzählen Sie mir nicht, Sie widerstehen ihm immer
noch!"
Die Art, wie er mit der Zunge schnalzte, machte sie wü-
tend. "Hat er Ihnen etwa ..."
"Nein."
"Was wissen Sie dann darüber?" fragte sie schroff.
"Ich glaube, dass Sie die perfekte Partnerin für ihn sind,
das ist alles.
Allerdings dachte ich, er hätte schon alles geklärt, als
Sie zusammen auf der Insel festsaßen." Er schüttelte
schalkhaft den Kopf. "Aber Ryan genießt eben den
Kampf!"
Er sah, wie sie zusammenzuckte, warf ihr einen ironi-
schen Blick zu und sagte: "Und was ich hier tue ... Ich
bin zum Mittagessen eingeladen. Es ist Samstag, und da
nehmen sich sogar Geschäftsmänner manchmal einen
halben Tag frei."
"Stimmt", ertönte in diesem Moment eine andere
Stimme, und Ryan betrat das Zimmer, sehr sportlich in
weißer Hose und dunkelblauem Hemd. "Hast du etwa
vergessen, dass heute Samstag ist, Kim?"
"Wenn du es genau wissen willst, ja", sagte sie schroff.
"Ist ja auch egal", beschwichtigte er sie. "Kannst du
Golf spielen?"
"Nein."
"Ich frage nur, weil Brad und ich das nach dem Essen
vorhaben, und ich dachte, es würde dir gefallen, mal raus
zu kommen." Er überlegte.
"Du könntest ja den Caddie fahren."
"Nein danke", lehnte sie höflich ab. "Ich habe noch zu
tun."
"Also Ryan", erklärte Brad vorwurfsvoll, "selbst für
mich alten Mann ist es augenscheinlich, dass du die Sa-
che nicht sehr clever angepackt hast! Ich bin erstaunt,
sehr erstaunt, und ..."
"Und ich bin erstaunt über Sie, Brad Oldfield!" unter-
brach Kim ihn grob und sprang auf. "Erstens war er mit
Ihrer Nichte verheiratet, die ihm immer noch nachtrauert,
und zweitens habe ich nicht das geringste mit Ihnen zu
tun! Guten Tag, Gentlemen. Ich hoffe, Sie verlieren alle
Ihre Golfbälle!" Dann drehte sie sich um und verließ das
Zimmer.
Im Weggehen hörte sie Ryan leise sagen: "Irgendwie
glaube ich nicht, dass Kim mit uns zu Mittag isst."
Er ist ein Monster, dachte sie wütend und schlug die
Schlafzimmertür hinter sich zu. Sie musste fort von hier!
Sie zog eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche und
wartete ungeduldig, bis sie Ryan und Brad davonfahren
hörte. Dann rief sie den Kriminalbeamten an, der sie da-
mals besucht hatte. Er bestätigte ihr, dass vor ihrem Haus
ein Mann gesehen worden sei, der Markham ähneln wür-
de und sich ein wenig seltsam benommen habe. Nein,
leider hätten sie ihn noch nicht fassen können.
"Na gut." Kim atmete tief ein. "Ich rufe eigentlich an,
um Ihnen zu sagen, dass ich für einige Tage den Aufent-
haltsort wechsle. Nein, keine Sorge. Ich werde ins Hilton
ziehen. Dort bin ich bestimmt ebenso sicher wie hier, und
ich verspreche, niemandem die Tür zu öffnen. Spätestens
am Montag morgen melde ich mich bei Ihnen."
Nachdem sie aufgelegt hatte, packte sie eine kleine Ta-
sche und bestellte ein Taxi. Mary hielt gerade ihr Mit-
tagsschläfchen, und Kim hinterließ ihr eine Nachricht mit
der Bitte, sich keine Sorgen zu machen. Sie wusste in-
zwischen, wie das elektrische Tor zu bedienen war, und
da Warren gerade den Pool säuberte, gelang es ihr, un-
bemerkt zu entkommen.
In ihrem Zimmer im Hilton angekommen, atmete Kim
erleichtert auf.
Doch langsam ging ihr auf, dass sie ständig nervöse
Blicke über die Schulter warf, seitdem sie das Haus ver-
lassen hatte, und dass sie sich angespannt und erschöpft
fühlte. Deshalb legte sie sich aufs Bett und beschloss
fernzusehen, doch da das Programm vorwiegend aus
Kindersendungen und Sportberichten bestand, schlum-
merte sie schon nach kurzer Zeit ein.
Das Klingeln des Telefons weckte sie. Es war schon
dämmrig, und sie meldete sich benommen. "Hallo?"
Am anderen Ende atmete jemand schwer, dann wurde
aufgelegt. Das ist doch unmöglich, dachte sie, und das
Herz klopfte ihr bis zum Hals.
Hastig setzte sie sich auf und wählte mit bebenden Fin-
gern die Nummer der Telefonzentrale. Doch dort konnte
man ihr nur sagen, dass ein Mann sie verlangt habe. Und
außerdem sei da gerade ein anderer Anruf für sie.
"Einen Moment, nein", sagte sie zusammenhanglos,
doch es war schon zu spät. Gleich darauf ertönte ein Kli-
cken, und sie hörte eine ihr vertraute Stimme fragen:
"Kim?"
"O Ryan", stieß sie hervor, ganz schwach vor Erleichte-
rung. "Gott sei Dank!"
"Kim, bist du in Ordnung?" fragte er kurz angebunden.
"Ja, ja, aber hast du gerade schon mal angerufen?"
"Nein. Ich bin gerade erst nach Hause gekommen und
habe von Mary alles erfahren. Warum?"
"Ich glaube, Markham hat versucht..."
"Kim, bleib, wo du bist, und öffne niemandem die Tür,
bis ich da bin."
"Aber woher weiß ich, dass du es bist?" Ihre Stimme
zitterte.
"Ich rufe dich aus der Halle an und bringe den Ge-
schäftsführer mit, damit er mich hereinlässt. In zwanzig
Minuten bin ich da."
Die zwanzig Minuten erschienen ihr wie eine Ewigkeit,
bis er mit dem Geschäftsführer und einem Polizisten auf-
tauchte. Als sie ihn ängstlich ansah, entspannte sich sein
finsteres Gesicht ein wenig, und er sagte sanft: "Jetzt ist
nicht die Zeit für gegenseitige Beschuldigungen, meine
Liebe. Erzähl uns, was passiert ist."
"Ich komme mir furchtbar lächerlich vor", erklärte Kim
eine Stunde später, als sie wieder in Ryans Haus waren.
Sie stand unter dem großen Kronleuchter in der Halle,
ihre Tasche noch neben sich. Mary hatte sie zur Begrü-
ßung erleichtert umarmt und sich dann diskret zurückge-
zogen. Sie waren allein. "Das solltest du auch", sagte
Ryan ausdruckslos.
Das Blut stieg ihr in die Wangen, und Kim wandte be-
schämt den Kopf ab.
"Aber vielleicht habe ich dich auch dazu getrieben",
sprach er weiter.
"Das tut mir leid." Er sah, dass sie etwas erwidern woll-
te, aber keinen Ton hervorbrachte, und fragte leise: "Kim,
warum machst du es uns nur so schwer?" Er nahm ihre
Hand, und als Kim keinen Widerstand leistete, zog er sie
in die Arme.
"Bin ich ..." Ihre Stimme schwankte. "Bin ich wirklich
so?"
Er küsste sie aufs Haar. "Leider bin ich vielleicht ge-
nauso wie du.
Was können wir nur dagegen tun?"
Sie lehnte sich an ihn, und erst nach langer Zeit flüster-
te sie: "Lass mir ein wenig mehr Zeit."
"Solange du mir dies hier erlaubst..." Sein Mund suchte
ihre Lippen und küsste sie sanft.
Doch gerade, als Kim beinahe bereit war, den Kampf
endlich aufzugeben, als ihre Leidenschaft erwachte und
sie eintauchen wollte in seine Nähe, hörte sie Mary hinter
sich diskret hüsteln.
Ryan fluchte unterdrückt, ließ Kim widerwillig los und
drehte sich langsam zu seiner Haushälterin um.
"Jemand aus Port Moresby ist am Telefon", sagte Mary
verlegen. "Es scheint sehr dringend zu sein."

7. KAPITEL
Zehn Minuten später klopfte es an Kims Schlafzimmer-
tür, während sie gerade dabei war, ihre Reisetasche aus-
zupacken. Ryan trat ein, schloss die Tür hinter sich und
setzte sich aufs Bett. Er machte einen gereizten Eindruck.
"Langsam fange ich an, diese Brücke zu hassen."
Sie sah ihn fragend an. "Erzähl mir nicht, du musst heu-
te Abend noch nach Port Moresby!"
"Nein, aber nach Sydney. Eine der beteiligten Firmen
macht Schwierigkeiten. Sollte es Verzögerungen geben,
könnte uns das viel Geld kosten. Ich nehme den letzten
Flug."
"Warum? Könntest du nicht jemand anders schicken?"
"Nein, in diesem Fall nicht."
Schweigend öffnete sie eine Schublade, räumte ihre
Wäsche ein und hängte einen Rock in den Schrank.
"Kim, machst du dir immer noch Sorgen um Mark-
ham?"
"Nicht so wie am Anfang. Aber immerhin muss er die-
ses Haus beobachtet haben und meinem Taxi gefolgt
sein. Ich verstehe nur nicht, warum, er sich so lange Zeit
gelassen hat, bis er im Hotel angerufen hat."
"Wahrscheinlich um dich in Sicherheit zu wiegen. Aber
jetzt, da er sich gezeigt hat, wird es nicht mehr lange
dauern, bis er gefasst wird."
Sie erschauerte. "Das hoffe ich. Es war ein schreckli-
ches Gefühl."
Ryan betrachtete sie lange. "Aber hier bist du ganz si-
cher. Die Polizei hat den Schutz verstärkt, und ich habe
noch weitere Sicherheitsleute eingestellt. Vorausgesetzt
also, du machst keine Dummheiten."
"Volltreffer."
"Möchtest du mit mir kommen?"
Überrascht setzte sie sich auf die andere Bettkante. "Für
eine Nacht?"
fragte sie überflüssigerweise.
"Eher für zwei oder drei."
"Ich ... glaube nicht", sagte sie langsam und sprach
dann energisch weiter: "Nein, wirklich nicht. Ich stecke
bis über die Ohren in papuanischen Kunstwerken", fügte
sie mit einem Anflug von Humor hinzu.
Er stand auf, ging ums Bett und zog sie hoch, "Du hast
wohl recht", sagte er leise. "Ich hätte ohnehin nicht viel
Zeit für dich. Aber glaub mir, ich würde dich nicht allein
lassen, wenn du hier nicht völlig sicher wärst."
"Ja", flüsterte sie heiser.
Ryan verzog den Mund. "Und was ist mit allem ande-
ren?"
"Welchem ... Ach, das." Sie errötete leicht.
"Erlaubst du mir wenigstens ein bisschen mehr davon?"
Er zeichnete mit dem Finger die Linie ihrer Wangen nach
und berührte sanft ihren Mund.
"Ein bisschen mehr, ja", erwiderte sie unsicher und
fragte sich, ob er wusste, wie nahe sie schon daran gewe-
sen war, zu kapitulieren.
"Ich werde mich bemühen, es nicht zu übertreiben", er-
klärte Ryan ernsthaft, obwohl seine Augen amüsiert fun-
kelten. Er umarmte und küsste sie nur kurz, bevor er sie
von sich schob. "Allerdings muss ich das erst üben."
"Danke, auch für dein Verständnis vorhin."
"Gern geschehen." Das Telefon neben dem Bett klin-
gelte. "Das wird für mich sein. Also, ich muss fort. Ich
nehme das Gespräch in meinem Zimmer an. Pass auf
dich auf." Und dann war er verschwunden.
Kim befolgte Ryans Rat am nächsten Tag so gewissen-
haft, dass sie nicht einmal die Umgebung des Hauses
verließ. Statt dessen hatte sie viel Zeit zum Nachdenken
und gelangte schließlich zu der Einsicht, dass Ryan
wahrscheinlich seinen Willen bekommen würde und sie
wenig dagegen tun konnte oder wollte - trotz aller Zwei-
fel, ob sie es riskieren konnte, sich in einen Mann wie ihn
zu verlieben.
Am zweiten Tag jedoch überstürzten sich die Ereignis-
se. Zuerst kam Sandra Bailey zu Besuch. Eine verlegene
Mary führte sie in die Bibliothek und verschwand schnell
mit der Ankündigung, ihnen einen Kaffee zu bringen.
"Hallo", sagte Kim unsicher.
"Hallo, Kim", erwiderte Sandra ruhig. "Hoffentlich stö-
re ich Sie nicht." Sie schnitt ein Gesicht. "Ich musste
mich durchsuchen lassen, bevor man mich eingelassen
hat."
"Ach, das ist nur, weil ... Ich glaube, Sie wissen, warum
ich hier bin, Mrs. Bailey."
"Ja, aber nennen Sie mich doch Sandra." Sandra schob
Verpackungsmaterial von einem Stuhl und setzte sich,
bevor sie sich umsah. "Dieses Zimmer hat sich zu seinem
Vorteil verändert, obwohl ich nie verstanden habe, wozu
Ryan es braucht."
"Sie haben also hier gelebt?" fragte Kim, ohne weiter
nachzudenken.
"Nur ein Jahr, nicht lange genug, um dem Haus meinen
Stempel aufzudrücken, aber das ist mir ja auch bei Ryan
nicht gelungen. Mein Onkel hat mir erzählt, dass Sie Ry-
an ,hinhalten', so hat er es genannt."
Ihr Blick wirkte gehetzt. Wieder war sie perfekt frisiert
und wunderbar gekleidet, und sie sah jünger aus als drei-
unddreißig. Auf Kim wirkte sie beinahe wie ein junges
Mädchen.
"Tut mir leid, wenn ich das sage, Sandra, aber Ihr On-
kel sollte sich nicht in anderer Leute Leben einmischen",
erklärte sie.
"Ich weiß." Sandra strich sich den Rock glatt. "Um ehr-
lich zu sein, ich glaube, er benutzt Sie, um ... weil er
mich zwingen will, Ryan zu vergessen."
"Und Sie können es trotzdem nicht?" fragte Kim vor-
sichtig.
"Ich dachte, es wäre mir schon gelungen, aber ..." Sand-
ra richtete sich auf. "Doch ich kann es. Es wäre nie gut
gegangen zwischen uns."
"Aber warum ..." Kim zögerte, doch sie musste diese
Frage stellen.
"Warum tun Sie sich dann dies an? Ganz abgesehen
von mir, denn ich bin ganz sicher nicht seine ... Gelieb-
te."
"Sehen Sie", begann Sandra nachdenklich, "ich kann
nicht vergessen, dass er sich einmal sehr von mir ange-
zogen gefühlt hat. Und dann denke ich, wenn es mir nur
gelingen würde, sein Interesse ... Sie finden mich wahr-
scheinlich albern, doch so ist es. Aber wenn ich Sie dann
sehe ..." Sie machte eine Handbewegung und zuckte die
Schultern. "Ich weiß, es ist lächerlich, aber Sie scheinen
die Richtige für ihn zu sein, viel besser als ich. Sie sind
intelligenter als ich, viel energischer - alles, was ich nicht
bin. Also hat Onkel Brad vielleicht doch recht. Habe ich
etwas Falsches gesagt?" Sie sah Kim aus großen Augen
an.
Denn Kims Miene zeigte Entsetzen, weil diese Frau seit
fünfzehn Jahren unglücklich in einen Mann verliebt war,
der absolut nicht zu ihr passte.
"Nein." Kim schloss kurz die Augen und nahm sich zu-
sammen. "Oder doch. Es geht nicht darum, wer besser für
ihn ist - ich bin einfach nur anders. Ich bin nicht sicher,
ob ich die Richtige für Ryan bin oder er der Richtige für
mich ist. Aber auch für Sie wird es den passenden Mann
geben, Sandra. Oh, wie kann ich Ihnen nur begreiflich
machen, dass ich völlig unparteiisch bin?"
"Sie versuchen also, mir zu sagen, dass ich nicht die
richtige Frau für ihn bin?" Sandra lächelte traurig. "Das
weiß ich. Aber manchmal denke ich, dass es vielleicht
keine Frau gibt, die für Ryan richtig wäre.
Ab und zu verschließt er sich einfach, und man kann
nicht zu ihm durchdringen. Trotzdem, er ist jetzt vierzig,
und da überlegt er vielleicht, wem er dies alles hinterlas-
sen kann: Es wäre schade, wenn es ... niemanden gäbe.
Wie dem, auch sei", sprach sie weiter und stand auf, "ei-
gentlich wollte ich Ihnen nur sagen, dass ich gewusst
habe, eines Tages würde so etwas passieren, und dass Sie
meinen Segen haben."
"Sandra." Kim zögerte und suchte nach Worten. "Bitte
tun Sie mir einen Gefallen. Sehen Sie das Ganze einmal
von der anderen Seite.
Denken Sie nicht immer daran, dass Sie nicht die rich-
tige Partnerin für ihn waren, sondern dass er für Sie auch
nicht der optimale Mann war und nicht geduldig oder
zärtlich genug war, dass er Ihre Werte nicht erkannt und
Sie nicht verstanden hat.
Er hat Millionen gemacht, aber deshalb ist er doch nicht
besser als andere Menschen", fügte sie eindringlich hin-
zu. "Im Gegenteil, wahrscheinlich hat er all das nur er-
reicht, weil er bereit war, über Leichen zu gehen. Dafür
bewundere ich ihn nicht, und das sollten Sie auch nicht
tun."
Sandra blickte sie wie hypnotisiert an, aber ihre Ant-
wort sollte Kim nie erfahren, denn Mary kündigte einen
weiteren Besucher an.
"Ein Polizeibeamter", sagte sie. "Ich habe den Kaffee
noch nicht fertig, aber..."
Sandra erwachte aus ihrer Erstarrung. "Ich wollte oh-
nehin gerade gehen. Auf Wiedersehen, Kim."
"Sandra ..." Doch die Frau rannte fast aus dem Zimmer.
Kim schloss kurz die Augen und dachte: Was habe ich
jetzt getan?
"Miss Lingard?"
"Ach ja, Mary, bringen Sie ihn bitte herein."
"Und, was hat Markham jetzt wieder angestellt?" fragte
sie gespielt heiter, nachdem Mary den Beamten hereinge-
führt hatte.
"Es freut mich, Ihnen mitteilen zu können, dass er hin-
ter Schloss und Riegel sitzt", erwiderte er. "Aber Sie
müssen ihn natürlich identifizieren. Mr. Bailey ist nicht
da?"
Kim richtete sich auf. "Sie haben ihn also gefasst? Das
erleichtert mich sehr."
Der Beamte schnitt ein Gesicht. "Gefasst eigentlich
nicht. Er hat sich selbst gestellt."
Kim blickte ihn einen Moment an und begann zu la-
chen.
"Entschuldigen Sie", brachte sie schließlich hervor.
"Warum hat er das nur getan?"
"Der Mann ist völlig verrückt, Ma'am. Er hat gesagt, er
müsse sich endlich an die Arbeit machen und seine Meis-
terwerke malen. Ich soll Ihnen seine Entschuldigung ü-
berbringen."
Sie blinzelte ungläubig. "Ich muss ihm doch nicht per-
sönlich gegenübertreten, oder?"
"Nein, Ma'am. Sie sollen ihn aus einer Reihe von Män-
nern identifizieren, bleiben selbst aber unsichtbar. Es ist
nur eine Formalität."
Dennoch fühlte Kim sich völlig ausgelaugt, als sie ins
Haus zurückkehrte. Markhams beflissene Unterwürfig-
keit hatte sie seltsam traurig gemacht, und trotz all des
Chaos, das er angerichtet hatte, fragte sie sich mitleidig,
ob es für seine Krankheit eine Heilung geben würde.
Doch zumindest war sie nicht mehr an Ryans Haus ge-
bunden. Die Erinnerung an Sandras Besuch kehrte un-
vermittelt zurück und verursachte ihr Unbehagen. Und
dafür schien es nur eine Lösung zu geben: zwischen sich
und Ryan ein wenig Abstand zu bringen.
"Das wird Mr. Bailey nicht gefallen, Miss Lingard", er-
klärte Mary unbehaglich. "Mir war schon beim letzten
Mal, als Sie gegangen sind, nicht ganz wohl."
"Aber jetzt ist die Gefahr vorüber, Mary. Und schließ-
lich kann ich kommen und gehen, wann ich will!"
"Sicher, aber ..." Mary sah sehr besorgt aus. "Es ist
nicht mein Haus, aber ich habe das Gefühl, Sie rennen
vor ihm davon, und ... das wird ihm nicht gefallen."
"Er wird sich damit abfinden müssen", erklärte Kim
trocken, doch dann wurde ihre Stimme sanfter. "Ich kann
Ihnen gar nicht genug dafür danken, wie Sie mich hier
aufgenommen haben, Mary, aber wissen Sie, ich brauche
einfach etwas Zeit für mich."
"Hat es ... etwas mit Mrs. Bailey zu tun?" fragte Mary
vorsichtig.
"Nein", log Kim, und dann fiel ihr noch etwas ein. "Es
hat wohl keinen Zweck, Sie zu bitten, Mrs. Baileys Be-
such nicht zu erwähnen?" Als Mary ein eigensinniges
Gesicht machte, zuckte Kim die Schultern. "Na gut, ver-
gessen Sie es."
"Ich weiß, es ist manchmal nicht einfach mit ihm", er-
klärte Mary hartnäckig. "Aber er ist kein schlechter
Mensch."
"Und er kann sich glücklich schätzen, eine so loyale
Haushälterin wie Sie zu haben, Mary", erwiderte Kim
warm. "Und diesmal gehe ich nicht einfach so. Ich werde
ihm eine Nachricht hinterlassen, aber das ist mein letztes
Angebot", fügte sie mit einem Anflug von Humor hinzu.
Lieber Ryan ... Kim ließ den Füller sinken. Nein, das
klang nicht gut, also zerriss sie den Briefbogen und be-
schloss, die Anrede wegzulassen. Sie schrieb:
Ich hoffe, es ist Dir recht, wenn ich einige Tage Urlaub
nehme. Jetzt, da Markham gefasst ist, fühle ich mich völ-
lig sicher. Ich danke Dir für alles, was Du für mich getan
hast. Mary hat recht, es sieht so aus, als würde ich vor
Dir davonrennen, aber ich muss mir erst über meine Ge-
fühle für Dich klar werden.
Viele Grüße, Kim.
Kim las den Brief einige Male durch und schnitt ein
Gesicht, weil er nicht das ausdrückte, was sie gern gesagt
hätte. Aber dann kam ihr Sandra Baileys gehetzter Ge-
sichtsausdruck wieder in den Sinn, und sie schob den
Bogen schnell in einen Umschlag. Wieder verließ sie das
Grundstück in einem Taxi, doch diesmal mit Marys be-
sorgtem Gesicht vor Augen und übermächtigen Schuld-
gefühlen.
Zu Hause beschloss sie, dass es keinen Zweck hatte,
herumzusitzen und sich schuldig zu fühlen oder zu über-
legen, was Ryan tun würde.
Nein, sie würde einige Tage verreisen, und zwar sofort,
für den Fall, dass er noch heute nach Hause kommen
würde.
Also buchte sie drei Nächte in einem Badeort an der
Sunshine Coast und fuhr noch am selben Nachmittag
dorthin.
Doch schon am nächsten Tag wurde ihr klar, dass sie
ihre Probleme damit nicht lösen konnte. Würde er sich
immer so vor ihr verschließen, immer die Firma und das
Geldverdienen an die erste Stelle setzen? Obwohl ihr die
Logik sagte, dass seine Exfrau eigentlich ihre ärgste
Feindin sein müsste, fragte sie sich, ob sie jemals mit
dem Gedanken an Sandra und deren Trauer glücklich
werden könnte.
Und dann war da noch das Risiko, dass es mit ihnen
schief gehen könnte und sie hinterher verzweifelt wäre.
Sie saß am Strand, sah blicklos vor sich hin und er-
schauerte, als ihr klar wurde, dass sie davor vielleicht am
meisten Angst hatte. Etwa deshalb, weil es schon passiert
war und sie sich schon in ihn verliebt hatte? Saß sie des-
halb hier und überlegte, was er gerade denken und tun
könnte?
Unruhig stand sie auf und hatte das Gefühl, von der
lieblichen Landschaft, dem Strand und dem Meer er-
drückt zu werden. Die Aussicht, zwei entspannte freie
Tage zu verleben, hatte jeden Reiz verloren, denn sie
wusste, dass sie diese nur mit endlosen Grübeleien
verbringen würde. Noch am selben Nachmittag fuhr sie
nach Brisbane zurück.
Aber dort erwartete sie schon das nächste Problem.
Was sollte sie tun?
Gleich zu ihm gehen oder am nächsten Morgen einfach
wieder zur Arbeit erscheinen? Oder die Kündigung ein-
reichen und das Land verlassen? Doch dann fiel ihr der
abgelaufene Reisepass ein. Sie schüttelte den Kopf,
murmelte etwas sehr Unfeines vor sich hin und griff e-
nergisch zum Telefon.
Mary meldete sich und erzählte ihr ziemlich kurz ange-
bunden, dass Mr. Bailey immer noch in Sydney sei und
sie nicht wisse, wann er zurückkommen würde.
"Hat er ... War er sehr wütend?" fragte Kim beschämt.
Dass sie so tief gesunken war! Nicht zum ersten Mal
wünschte sie sich, dass ihre Beziehung zu Ryan nicht
ständig im Licht der Öffentlichkeit stehen würde.
"Ich weiß nicht, Miss Lingard", erwiderte Mary. "Er hat
nur gesagt, Sie sollten ihn bitte so bald wie möglich we-
gen der Ausstellung anrufen. Er möchte wissen, ob alles
bereit ist, denn in zwei Wochen kommt der Mann, der die
Sachen geschickt hat, irgendein Minister aus Papua-
Neuguinea."
Für einen Moment war Kim sprachlos. Nach einer Pau-
se sprach Mary weiter: "Warren und ich mussten die Stü-
cke zusammenpacken und zur Firma schicken. Das soll
ich Ihnen auch von Mr. Bailey sagen."
"Mary..."
"O Miss Lingard, ich habe Sie doch gewarnt!" Plötzlich
klang Mary sehr viel wärmer. "Er ist kein Mann, der mit
sich spielen lässt, und ich habe doch mit meinen eigenen
Augen gesehen, dass Sie und er ... Ich weiß, ich habe
nicht das Recht, das zu sagen, aber ich mag Sie, und ..."
Sie schwieg unvermittelt und wiederholte dann: "Mr.
Bailey lässt nicht mit sich spielen."
Nein? hätte Kim am liebsten erwidert. Statt dessen sag-
te sie so beherrscht wie möglich: "Mary, ich weiß Ihre
Anteilnahme zu schätzen. Vielen Dank, aber sorgen Sie
sich nicht um mich."
Nachdem sie aufgelegt hatte, nahm sie das Telefonbuch
und schleuderte es quer durchs Zimmer. Dann biss sie die
Zähne zusammen und schwor sich, Ryan Bailey eine
Lektion zu erteilen.
Wahrscheinlich war es verrückt, aber irgend jemand
musste einmal damit beginnen.
Am nächsten Morgen zog Kim sich mit besonderer
Sorgfalt an. Das kurze gelbe Leinenkleid hatte einen e-
ckigen Ausschnitt und passte farblich genau zu ihren
hochhackigen Schuhen. Dazu wählte sie eine wunder-
schöne alte Goldkette und legte ein wenig Lippenstift in
dezentem Goldbraun auf. Ihre Haut war inzwischen
leicht gebräunt, so dass die Sommersprossen kaum noch
auffielen, und ihr dunkles Haar glänzte wie Seide.
Sie sah - wie sie vor dem Spiegel feststellte - schick
und dennoch geschäftstüchtig aus und fragte sich im sel-
ben Moment, warum das eine Rolle spielte. Weil es eben
so ist, sagte sie sich grimmig, und in dieser Stimmung
fuhr sie zum Büro.
Ihr Erscheinen in Bailey House verursachte einigen
Wirbel. Überall wurde sie aufgeregt begrüßt und ausge-
fragt. Die meisten wollten natürlich etwas über ihr un-
freiwilliges Zusammensein mit Mr. Bailey auf der Insel
wissen. Während Kim versuchte, die vielen neugierigen
Blicke zu ignorieren, bemerkte sie, dass niemand sich
nach ihrem unfreiwilligen Aufenthalt in seinem Haus
erkundigte.
Sie konnte nur annehmen, dass tatsächlich nichts an die
Öffentlichkeit gedrungen war, und dafür war sie dankbar.
Doch gleichzeitig überlegte sie ein wenig zynisch, dass
Ryan es wahrscheinlich nur aus Sicherheitsgründen ge-
heim gehalten hatte.
Sie war kaum fünf Minuten in ihrem Büro, da rief Pam
Myer an.
"Kim! Willkommen zurück!"
"Danke, Pam. Woher wissen Sie es?"
"Mindestens zehn Leute hatten nichts Eiligeres zu tun,
als es mir zu erzählen."
"Das kann ich mir vorstellen", erwiderte Kim trocken.
"Hm, gibt es ein Problem, weil ich zurück bin?"
"Nein, warum denn?"
"Ach, nur so. Ich habe Mr. Bailey lange nicht gesehen."
"Er ist in Sydney", vertraute Pam ihr an. "Aber er hat
mich gebeten, Ihnen zu sagen, Sie möchten sich bei Ihrer
Rückkehr..."
"Sofort den papuanischen Kunstwerken widmen", be-
endete Kim den Satz für sie. "Bestellen Sie ihm, ich wür-
de auf der Stelle damit anfangen."
"Gut", erwiderte Pam und schien ein wenig hilflos an-
gesichts der Ironie in Kims Worten. Bevor sie sich verab-
schiedete, sagte sie nur noch: "Es ist gut, Sie gesund und
munter wiederzuhaben, Kim."
"Danke, Pam." Kim legte auf und fühlte sich etwas be-
schämt.
Sie verbrachte den ganzen Tag bei den Kunstwerken im
Lagerraum und vervollständigte ihren Katalog. Um Vier-
tel vor fünf beschloss sie, für heute Schluss zu machen,
und sammelte ihre Unterlagen ein. Sie war gerade auf
dem Weg zu ihrem Büro, als ihr in der Empfangshalle
Ryan entgegenkam, begleitet von Bill Fortune. Da die
beiden stehen blieben, musste sie notgedrungen dasselbe
tun.
"Hallo, Mr. Bailey", brach die Empfangsdame das ver-
legene Schweigen. "Wie war Ihre Reise?"
Ryan betrachtete Kim beinahe unverschämt von Kopf
bis Fuß, bevor er sich dem Mädchen zuwandte. "An-
strengend, danke, Heather. Ich sehe, dass Miss Lingard in
den Schoß der Gemeinde zurückgekehrt ist."
"Ja, seit heute morgen", erwiderte Heather, aber es
klang nicht mehr ganz so heiter, und sie warf Kim einen
verlegenen Blick zu, offensichtlich verunsichert durch
Ryans Ton.
"Welch ein Glück für uns", erklärte er gefährlich sanft
und wandte sich wieder Kim zu. "Also, Kim, geben Sie
mir eine Viertelstunde, um noch einige Dinge mit Bill zu
klären, und dann möchte ich Sie in meinem Büro sehen."
Kim bemerkte zwei Dinge gleichzeitig: Wie beunruhi-
gend deutlich sie sich Ryans Gegenwart bewusst war,
obwohl sie so wütend auf ihn war. Und die Entschlos-
senheit, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen, wenn
er sie in der Öffentlichkeit bloßstellte.
Deshalb warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr und
sagte betont kühl: "Nur wenn Sie mir die Überstunden
bezahlen, Mr. Bailey. Ich habe nämlich in einer Viertel-
stunde Feierabend."
"Natürlich", erwiderte er wie nebenbei. "Es interessiert
mich, wie Sie Ihre ... Dienste nach Feierabend einschät-
zen, Miss Lingard. Sehr hoch, könnte ich mir vorstellen",
fügte er hinzu und ließ den Blick unverschämt langsam
über ihren Körper gleiten.
Bill schloss peinlich berührt die Augen und wandte sich
halb ab, während Heather vor Überraschung den Mund
öffnete, wobei sie nicht gerade vorteilhaft wirkte. Und
Kim trat einen Schritt vor und hob die Hand, um Ryan
ins Gesicht zu schlagen.
Doch im letzten Moment besann sie sich, ließ die Hand
sinken und sagte laut und liebenswürdig: "Es gibt eini-
ges, was nicht einmal Sie sich mit Geld kaufen können,
Mr. Bailey. Ich gehöre zufällig dazu."
Leider blieb ihr nur ein kurzer Moment, um die Wut zu
genießen, die plötzlich in seinen Augen aufflammte, be-
vor er leise hervorstieß:
"Wenn Ihnen daran liegt, nicht schreiend und um sich
schlagend in mein Büro gezerrt zu werden, dann kommen
Sie freiwillig mit. Bill, wir sehen uns morgen", sagte er
mit leicht erhobener Stimme und wandte sich wieder
Kim zu. "Also?"
"Du bist der größte Mistkerl, der mir jemals unterge-
kommen ist!"
stieß Kim hervor, als er die Tür hinter ihnen geschlos-
sen hatte. Sie zitterte am ganzen Leib und hatte die Hän-
de vor Wut zu Fäusten geballt.
"Das Kompliment kann ich zurückgeben", sagte er
schroff. "Du bist die schwierigste, widersprüchlichste
Frau, der ich jemals begegnet bin, eine richtige Furie!
Oder was ist sonst mit dir los, Kim?" Er ließ seine Akten-
tasche auf den Schreibtisch fallen und streifte ungeduldig
die Jacke von den Schultern.
"Was meinst du damit?" erkundigte sie sich.
"Wie kommst du dazu, so kühl und unbewegt hier auf-
zutauchen, als wäre nichts geschehen?" Seine grauen
Augen glitzerten kalt und verächtlich.
"Ich verstehe nicht..."
"Nein? Ich glaube doch. Es ist ja so einfach, einen
Mann zu quälen und zur Weißglut zu treiben. Bist du
etwa eine der Frauen, die daraus so etwas wie Befriedi-
gung ziehen?" fragte er geringschätzig.
Sie wurde blass. "Nein, so bin ich nicht!" stieß sie hef-
tig hervor.
"Noch so ein alter Aberglaube der Männer, einer der äl-
testen und abgedroschensten!"
Einen Moment schien er amüsiert, doch dann wurde
sein Ausdruck wieder hart. "Wir haben schon einmal
über diese abgedroschenen, aber wahren Dinge gespro-
chen. Also, warum bist du hier? Um mir eine Lektion zu
erteilen?"
Es war zwecklos, alles abzustreiten. Ihre geröteten
Wangen verrieten sie. "Ja", sagte sie geradeheraus.
"Interessant." Er setzte sich an seinen Schreibtisch und
lockerte seine Krawatte. "Dann erzähl mir, welche Lekti-
on du mir erteilen willst, Kim."
Sie betrachtete ihn einen Moment nachdenklich und
versuchte, sein Lächeln zu ignorieren. Schließlich sagte
sie etwas ruhiger: "Hör zu, ich habe nur das getan, wor-
auf ich ein Recht habe, auch wenn ich damit anscheinend
deinen Stolz verletzt habe, Ryan. Ich habe einfach nur
gedacht: Wenn er zurück zum alten Chef-und-
AngestelltenVerhältnis will, dann soll er es haben!"
"Und dann hast du dich offensichtlich zum Kampf be-
reit gemacht", erwiderte er ironisch. "Kim, ich sage dies
nicht gern, weil es auch wieder abgedroschen klingt, aber
du läufst Gefahr, eine verbitterte alte Jungfer zu werden.
Lass mich dich lieben, und ich könnte es dir beweisen.
Ich hoffe, für heute hast du genug gekämpft, denn ich
würde mich gern aus dem Ring zurückziehen. Ich fühle
mich leicht erschöpft." Er lächelte ausdruckslos. "Aber
ich werde versuchen, morgen wieder fit für unsere nächs-
te Begegnung zu sein."
"Darauf würde ich nicht zählen, Ryan Bailey." Kim
drehte sich auf dem Absatz um.
Doch so erschöpft konnte er nicht sein, denn er sprang
auf und war mit wenigen Schritten bei ihr, um sie ohne
Umschweife in die Arme zu ziehen. Seine Stimme klang
ganz anders, als er fragte: "Oder ist es etwas ganz ande-
res, Kim? Bist du eine der Frauen, die sich gern unter-
drücken und gegen ihren Willen nehmen lassen? Damit
sie hinterher jede Verantwortung für ihr Tun ablehnen
können?"
Widerstreitende Gefühle stiegen in Kim auf. Entsetzen,
weil er das von ihr dachte, Panik, weil ihr Körper sie ver-
raten könnte, sobald Ryan sie berührte, und immer noch
brennende Feindseligkeit.
All das musste er in ihren Augen gesehen haben, denn
er lachte leise und sagte: "Meine liebe Kim, du kannst
mir eine Lektion erteilen, mich bekämpfen oder mich
hassen, aber etwas hasst du nicht - wenn ich dich küsse.
Und genau deshalb ist mir dein sonstiges Verhalten ziem-
lich unverständlich."
Und dann küsste er sie.
Stocksteif lag sie in seinen Armen und überlegte, ob sie
ihn beißen, kratzen oder treten sollte. Aber sie wusste
auch, dass jede Gegenwehr sinnlos war. Dass sie aus rei-
nem Instinkt reagierte und ihr die Dinge wie sie befürch-
tet hatte - aus der Hand genommen wurden, während er
die Hände über ihren Körper und den Mund von ihren
zusammengepressten Lippen über ihren Hals gleiten ließ.
Erregung durchflutete sie, und das Gefühl der Unge-
rechtigkeit, das sie vorher empfunden hatte, verwandelte
sich unvermittelt in überwältigendes Verlangen. Plötzlich
ging ihr auf, wie lange sie es nur unterdrückt hatte seit
ihrer ersten Begegnung, hier, in diesem Büro.
Dennoch war sie verblüfft über die Macht ihrer Emp-
findungen.
Einerseits fühlte sie sich wie ein unerfahrenes Mädchen
bei der Begegnung mit dem ersten Mann, gleichzeitig
jedoch wie eine Frau, die in der Lage war, das Entzücken
zurückzugeben, das er ihr bereitete.
Und wenn ich es will? dachte sie benommen. Selbst auf
die Gefahr hin, sich damit an ihn zu binden und sich nie
mehr anders entscheiden zu können? Sie hatte zweimal
geglaubt, verliebt zu sein, aber nie hätte sie gedacht, dass
ihr das passieren könnte.
Doch gleich darauf vergaß sie alles. Sie gab Ryans
Drängen nach und öffnete die Lippen, als er sie an sich
presste und sie seinen Körper an ihrem spürte. Und eine
erregende Welle purer Lust über sie hinwegrollte.
Er ließ sie kurz los, und ihr wurde bewusst, dass sie an
der Tür lehnte, den Kopf nach hinten geneigt hatte und
heftig atmete.
Ryan stützte die Hände rechts und links von ihrem
Kopf gegen die Tür und beobachtete sie nur, sah, wie
sich ihre Brüste unter dem gelben Leinenkleid hoben und
senkten und der Puls an ihrem Hals pochte.
Und sie fühlte, wie ihr Körper reagierte, als wäre er al-
lein für diesen Mann gemacht und flehte darum, sich ihm
zu unterwerfen.
Sie befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge und flüs-
terte: "Ich ...
ich verstehe nicht, warum ..."
"Ich weiß", erwiderte er ebenso leise. "Aber ich habe
die ganze Zeit gewusst, dass es in dieser Hinsicht eine
unberührte, beinahe naive Seite an dir gibt, Kim Lin-
gard."
"Ich ..."
"Genug geredet." Und er umfasste ihre Schultern, um
wenig später die Hände über ihren Körper gleiten zu las-
sen, und sie wusste, dass er gleich das tun würde, wovon
er schon bei ihrer ersten Begegnung gesprochen hatte. Er
würde ihr Kleid hochschieben und ihre Hüften streicheln,
während sie wie erstarrt an der Tür lehnte.
Und genau das tat er, während ihre Blicke sich nicht ei-
nen Moment voneinander lösten. Sie atmete schneller,
wollte reagieren, als er eine Hand in ihren Slip gleiten
ließ. Seine Berührung war so schockierend, so überwälti-
gend vertraulich, dass sie nur die Augen schließen und
leise aufstöhnen konnte, während ihr ganzer Körper sich
nach mehr sehnte und ihre Erregung wuchs.
"Kim?"
"Nicht", stöhnte sie und erschauerte heftig.
Er zog die Hand zurück und das Kleid wieder hinunter
und sah ihr in die großen, erstaunt blickenden Augen,
und sie meinte, ihn seufzen zu hören. Sie fühlte sich
plötzlich schrecklich beschämt, machte sich von ihm los
und schaute ihn einen Moment voller Panik an. Und be-
vor er sie aufhalten konnte, war sie schön aus dem Zim-
mer gestürmt.
Es tröstete sie nur, dass das Vorzimmer leer war und er
nicht versuchte, ihr zu folgen.

8. KAPITEL
Zu Hause tat Kim etwas für sie ganz Untypisches: Sie
schenkte sich einen großen Brandy ein und trank die
Hälfte in einem Schluck aus, bevor sie das Glas auf dem
Esstisch abstellte und mehrmals tief einatmete.
Dann duschte sie ausgiebig, schlüpfte in einen dünnen
Seidenmorgenmantel und ging in die Küche, um sich ein
leichtes Abendessen zuzubereiten. Sie beschäftigte sich
unablässig, nur um nicht nachdenken zu müssen.
Und deshalb hätte sie sich auch niemals vorstellen kön-
nen, dass es Ryan Bailey sein könnte, der an der Woh-
nungstür klingelte, als ihr Omelett fast fertig war. Sie
dachte, es sei die Freundin, die ihr während ihrer Abwe-
senheit eine Nachricht in den Briefkästen gesteckt hatte
und wieder vorbeischauen wollte.
Zuerst wollte Kim nicht aufmachen. Doch dann fiel ihr
ein, dass man es von der Straße und vom Flur aus sehen
konnte, wenn in ihrer Wohnung Licht brannte, und so
ging sie schließlich widerwillig zur Tür und überlegte
angestrengt, unter welchem Vorwand sie die Freundin
wieder wegschicken könnte. Aber als sie sah, wer drau-
ßen stand, war sie zunächst sprachlos.
"Nein ..." brachte sie schließlich heiser hervor.
"Doch, Kim", sagte Ryan sachlich. "Wir werden jetzt
einiges klären.
Dessen, was geschehen ist, musst du dich nicht schä-
men, und ich erlaube nicht, dass du dich mit Schuldge-
fühlen herumplagst, aus welchen Gründen auch immer."
Er schloss die Tür hinter sich und nahm Kim in die Ar-
me. "Weißt du", flüsterte er an ihrem Haar, "ich wecke in
dir dieselben Gefühle wie du in mir."
Fünf Minuten später hörte er auf, sie zu küssen, aber
nur, weil es in der Wohnung plötzlich angebrannt roch.
"Oh, mein Omelett!" rief Kim und löste sich von ihm.
Ryan folgte ihr in die Küche, und gemeinsam begutachte-
ten sie die Bescherung.
Schließlich schaltete Ryan den Herd aus und trug die
Pfanne zur Spüle. Dann meinte er lächelnd, dass sie wohl
jetzt einen Drink brauchen könnten. Worauf sie beschämt
gestand, dass sie schon einen halben Brandy getrunken
habe.
"Darf ich dann einen mittrinken?" fragte er amüsiert.
Kim führte Ryan ins Wohnzimmer, schenkte ihm einen
Brandy ein und griff verlegen nach ihrem halbleeren
Glas.
"Komm zu mir", bat er und setzte sich aufs Sofa.
Sie zögerte kurz und nahm dann neben ihm Platz.
"Warum redest du nicht mit mir, Kim?" fragte er. "Er-
zähl mir, was dir im Kopf herumgeht."
Sie dachte kurz nach und sagte dann errötend: "Ich
dachte, du hättest geseufzt." Als er die Augenbrauen
hochzog, strich sie nervös ihren Morgenmantel glatt und
sprach weiter: "Hinterher ... Und du bist mir nicht ge-
folgt."
Es zuckte um seinen Mund. "Ich dachte, du hättest es
nicht so gern, wenn ich dich durch die ganze Firma jage."
"Stimmt. Aber ..." Sie zuckte die Schultern.
"Wenn ich geseufzt habe", sagte er nach einem Mo-
ment, "dann nur, weil du so entsetzt warst, so ... ver-
ständnislos, das ist alles. Nicht weil ich es missbilligt
habe."
"Das dachte ich auch nicht", sagte sie schroff, biss sich
dann aber auf die Lippe.
"Also hast du dein eigenes Verhalten missbilligt?"
Sie antwortete nicht, sondern stand auf und ging zum
Fenster.
Schweigend blickte sie in die Dunkelheit hinaus und
trank hin und wieder einen Schluck Brandy. "Wahr-
scheinlich", sagte sie schließlich und drehte sich zu ihm
um, den Kopf hoch erhoben. "Vielleicht hast du recht,
vielleicht bin ich dumm und naiv, aber es ist nicht gerade
angenehm, das zu wissen."
Ryan stand geschmeidig wie eine Raubkatze auf, ging
zu ihr und nahm ihr das Glas aus der Hand. "Kim, das ist
die Chemie zwischen uns, diese wunderbare Anzie-
hungskraft zwischen Mann und Frau. Gib wenigstens das
zu. Und wenn du nicht glaubst, dass mir viel an dir liegt,
dann lass es mich dir zeigen."
Er schob ihr den Morgenmantel von den Schultern und
ließ die Lippen über ihre nackte Haut gleiten. Darunter
trug sie nur einen Slip.
"Überall Sommersprossen", sagte er unbefangen und
umfasste ihre Schultern.
"Das weißt du doch", flüsterte sie. "Schließlich hast du
mich schon in BH und Slip gesehen."
"Nur kurz." Nach kurzem Zögern schob er den Stoff
noch weiter zurück, bis der lose geschlungene Gürtel sich
löste und der Morgenmantel sich öffnete. "Und so noch
nie. Aber ich wusste immer, dass ich nicht enttäuscht
werden würde." Er betrachtete lange ihre Brüste und
blickte ihr dann direkt in die Augen. "Darf ich?"
Kim öffnete erstaunt die Lippen, weil seine Frage so
unerwartet kam und sie beinahe traurig machte. Sie
schloss die Augen. "Ja. Bitte."
"Bevor ich etwas tue ... Du weißt, wohin das führen
wird, nicht wahr, Kim?"
"Ins Bett?" Sie öffnete die Augen wieder, die seltsam
funkelten. "In dieser Hinsicht habe ich dich so weit be-
kämpft, wie ich konnte, Ryan."
"Das erleichtert mich sehr", gestand er ernsthaft. "Ich
hatte schon fast einen Minderwertigkeitskomplex."
"Und das soll ich glauben?" Sie lachte leise, wurde aber
wieder ernst, als ihre Blicke sich begegneten. "Noch ei-
nes."
Jetzt lächelte er, während er ihre Hände in seine nahm.
"Lass mich raten. Du willst dich über diesen Moment
hinaus auf nichts festlegen?"
Sie errötete, wich seinem Blick aber nicht aus. "Ge-
nau."
"Das dachte ich mir, und auch für mich ist es in Ord-
nung. Wer arm dran ist, kann nicht wählerisch sein, o-
der?"
Als er die Hände unter den Morgenmantel gleiten ließ
und Kim umfasste, stockte ihr der Atem, und dann legte
sie ihm unvermittelt beide Arme um den Nacken und
barg das Gesicht an seiner Schulter.
"Ich weiß nicht, wer hier ärmer dran ist, aber das
Schlafzimmer ist dort hinten", flüsterte sie und fühlte,
wie er erschauerte. Und dann hob er sie hoch und trug sie
dorthin.
Nachdem er ihr den Morgenmantel abgestreift hatte, lag
sie auf dem Bett und schloss unwillkürlich die Augen,
während er sich entkleidete.
Gleich darauf spürte sie ihn neben sich und hörte ihn
sagen: "Das haben wir schon einige Male gemacht, uns in
den Armen gehalten."
"Hm. Es scheint aber schon lange her zu sein."
"Ich weiß." Er streichelte sie.
"Meinst du, man wird ihn anklagen?"
"Das bezweifle ich."
"Ich weiß nicht, warum ich es nicht gleich bemerkt ha-
be, aber er hat Ähnlichkeit mit Vincent van Gogh - was
seinen Stil angeht, und außerdem hat er auch rotes Haar
und ist seelisch labil."
"Vielleicht war van Gogh sein großes Vorbild." Ryan
berührte sie ganz leicht.
Sie lächelte und atmete tief ein. "Das ist wunderschön."
"Für mich auch. Übrigens mag ich dein Schlafzimmer."
Endlich öffnete sie die Augen und sah sich um. Es war
ein großer Raum mit lavendelblau gestrichenen Wänden.
Das Doppelbett mit dem geschwungenen Kopf- und Fuß-
teil aus Kirschbaum hatte ihren Eltern gehört, und Tep-
pich, Bettwäsche und Überdecke waren ganz in Elfen-
beintönen gehalten.
Es gab ein dazu passendes Ankleidetischchen aus
Kirschbaum mit einem gerahmten Spiegel, vor dem
Fenster stand ein wunderbarer Sekretär aus Nussbaum,
und an der Wand über dem Bett hingen Gemälde, Kunst-
drucke und Fotos in Goldrahmen. Ein Hutständer aus
Messing stand in einer Ecke des Zimmers, behängt mit
Kims Hüten wie mit exotischen Früchten. Die Kleidung,
die sie vor dem Duschen abgestreift hatte, lag im Zimmer
verstreut.
"Es ist übrigens nicht kitschig", sagte er ruhig und fuhr
fort, sie sanft zu streicheln.
"Nein." Sie atmete schneller. "Ich wollte immer so ein
Schlafzimmer, aber eigentlich mit Ausblick auf einen
Garten. Ryan ..." Sie schloss die Augen wieder.
"Sag mir, wenn ich irgend etwas falsch mache", flüster-
te er.
"Das ist es nicht", stieß sie hervor und klammerte sich
erschauernd an ihn, als er ihr den Slip abstreifte.
"Was dann?"
"Es ist einfach zu schön ..."
"Und wunderbar für mich." Er nahm sie in die Arme
und ließ die Hände über ihren nackten Rücken gleiten,
um sie dann zu küssen, bis sie atemlos vor Erregung er-
schauerte.
Doch diese Erregung steigerte sich nur noch, als er eine
ihrer Brustspitzen zwischen die Lippen nahm und sie
sanft liebkoste. Kim bäumte sich unwillkürlich auf, zog
ein Knie an und krallte die Fingernägel in Ryans Rücken.
"Tu mir das nie wieder an", flüsterte sie heiser und biss
sich auf die Lippe, als sie gleich darauf seine Hände zwi-
schen ihren Schenkeln spürte.
"Nie wieder", versicherte er rau. "Ich war länger ent-
haltsam, als ich aushalten konnte." Sanft legte er sie auf
den Rücken und sagte ruhig:
"Verzeih mir, Kim", bevor er endlich eins mit ihr wur-
de.
Stunden später erwachte Kim mit dem seltsamen Ge-
fühl, dicht unter der Zimmerdecke über dem Bett zu
schweben. Verwirrt stöhnte sie auf. Ryan neben ihr be-
wegte sich und zog sie schläfrig in die Arme.
"Was ist los?"
"Nichts." Sie barg das Gesicht an seiner Schulter.
"Sag es mir, Kim."
Schließlich gab sie nach und fügte hinzu: "Ist das die
Wirkung, die du auf mich hast?"
Er küsste sie auf den Mund. "Und was ist mit der Wir-
kung, die du auf mich hast?"
"Sag's mir ..." flüsterte sie.
"Also, ich bin schon wieder ganz wild auf dich. Hast du
etwas dagegen?"
"Nein." Und sie nahm ihn wieder voller Hingabe in sich
auf.
Als sie hinterher atemlos nebeneinander lagen, Arme
und Beine ineinander verschlungen, empfand sie ein nie
gekanntes Glücksgefühl, das sich bei der Aussicht, eine
ganze Nacht in Ryans Armen zu verbringen, zur Glück-
seligkeit steigerte.
Nach einer Weile sagte er: "Ich muss gehen, leider."
Kim bewegte sich unruhig. "Nein, bitte nicht. Ich schla-
fe so gern neben dir ein."
"Mir geht es mit dir genauso, aber ..."
"Warum bleibst du dann nicht?" Sie richtete sich auf,
fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und sah ihn her-
ausfordernd an.
Er zeichnete mit dem Finger ihre Brüste nach. "Mein
Wagen steht zum Beispiel direkt vor deiner Haustür,
Miss Lingard", sagte er spöttisch.
Sie lehnte sich zurück und atmete tief ein. "Oh." "Das
würde normalerweise nicht viel bedeuten, aber ..." Er
schwieg.
Trocken sagte sie: "Wir würden berühmt werden.
Nein", wehrte sie ab, als er etwas erwidern wollte, und
setzte sich wieder auf. "Ich stelle mir gerade vor, wie es
wäre, wenn ich mich im Morgengrauen davonschleichen
müsste."
"Ich habe dir doch gesagt, dass es vielleicht umgekehrt
kommen könnte."
Sie betrachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen.
"Was soll das..."
"Dass ich einer deiner Männer wäre", erklärte Ryan
ernsthaft.
"Immerhin ist dies dein Haus."
Sie verzog den Mund. "Wenn du willst, dass ich mir lä-
cherlich vorkomme, Ryan, dann ist dir das gelungen.
Was sollen wir also tun?"
"Komm her."
Sie ließ sich wieder in seine Arme sinken, und er küsste
sie aufs Haar.
"Warum lassen wir nicht erst mal alles auf uns zukom-
men?"
"Na gut." Sie fragte sich, ob er den Anflug von Ver-
zweiflung in ihrer Stimme hörte.
Doch er sagte nichts. Und während er sie zärtlich im
Arm hielt, überlegte sie, dass ursprünglich sie es doch
gewesen war, die sich nicht hatte binden wollen. Aber da
hatte sie auch noch keine Ahnung gehabt, dass sie ihn
wenig später anflehen würde, die Nacht mit ihr zu
verbringen.
"Willst du noch, dass ich für dich arbeite?" fragte sie
plötzlich.
"Eigentlich nicht." Als sie zusammenzuckte, fügte er
hinzu: "Aber ich sage das nur, weil es sehr schwer sein
würde, unsere Beziehung zu verheimlichen, wenn wir
uns tagtäglich im Büro sehen würden. Wenn es dir also
nichts ausmacht..."
"Es macht mir etwas aus", sagte sie ruhig. "Alles wäre
viel einfacher, wenn du ein ... gewöhnlicher Mann
wärst." Dann rang sie sich ein Lächeln ab. "Vielleicht
könnte ich nach der Ausstellung von zu Hause aus arbei-
ten?"
"Warum nicht?"
"Und bis dahin gehe ich dir aus dem Weg."
"Das wird dir nicht gelingen."
"Im Büro, meine ich!"
"Na gut. Aber hättest du nicht Lust, das Wochenende
mit mir zu verbringen?"
"Ja, Ryan", sagte sie sanft und fügte ehrlich hinzu: "Ich
könnte mich ohnehin nicht von dir fernhalten."
"Wunderbar. Und nun zeig, dass du einen starken Wil-
len hast, und wirf mich aus dem Bett, ehe ich meine Mei-
nung ändere!"
Sie stöhnte und drückte ihn für einen Moment fest an
sich, bevor sie die Decke beiseite schob und aufstand.
"Ich dusche schnell und mache uns dann einen Kaffee."
"Kim." Er packte sie am Handgelenk.
"Was ist?"
Ein amüsierter Ausdruck lag in seinen grauen Augen.
"Nichts. Ich wollte nur, dass du dich nackt über mich
beugst, mein schöner, willensstarker Liebling."
Sie beugte sich noch tiefer und küsste ihn auf den
Mund. "Dann mach inzwischen das Beste draus!" Sie riss
sich los und rannte ins Badezimmer.
In der Wohnung duftete es nach Kaffee, als Ryan aus
dem Schlafzimmer kam und sich im Gehen die Krawatte
band.
Kim hatte sich nach dem Duschen nicht wieder ange-
zogen, sondern nur den Morgenmantel übergestreift. Jetzt
goss sie Ryan schweigend Kaffee ein.
"Danke." Er nahm den Becher, den sie ihm reichte. "Al-
les in Ordnung?"
Sie blickte ihn an, ohne zu wissen, dass unter ihren Au-
gen dunkle Schatten lagen. "Ja."
Ein seltsamer Zug erschien um seinen Mund, aber es
war nicht die Andeutung eines Lächelns. "Wann sehe ich
dich wieder?" fragte er beiläufig.
"Ich weiß nicht. Welchen Tag haben wir heute? Don-
nerstag."
"Wie wäre es, wenn du am Samstag morgen zu mir
kommst?" schlug er vor. "Heute und morgen Abend bin
ich zu Geschäftsessen eingeladen, oder möchtest du ..."
Er blickte sie fragend an.
Für einen Moment war sie versucht, zuzustimmen und
ihn zu begleiten, aber etwas hielt sie zurück. "Nein, dan-
ke."
"Oder ich könnte danach hierher kommen."
Sie lächelte, unwillkürlich und trank einen Schluck
Kaffee.
"Samstag."
Ryan griff nach ihrer Hand und küsste ihr die Finger.
"Also abgemacht, Samstag. Komm, so früh du kannst.
Ich gehe jetzt."
"Auf Wiedersehen", flüsterte sie.
Aber so einfach ließ er sich nicht abspeisen. Er nahm
ihr den Kaffeebecher ab und zog sie in die Arme. "Du
weißt, dass es dir nicht gefallen würde, wenn ich mich
jetzt anders verhalten würde, oder?"
"Ja", erwiderte sie unsicher. "Achte nicht auf mich."
"Versprichst du mir dann, dass du bis Samstag nicht
wieder vor mir davonrennst?"
"Ich bin nicht..."
"Kim", sagte er sanft, aber nachdrücklich.
"Also gut."
"Schön. Das ist ein Versprechen, vergiss das nicht. Wa-
rum gehst du nicht ins Bett zurück?"
"Das tue ich, sobald du gegangen bist."
"Und es gibt keinen Grund, warum wir in der Zwi-
schenzeit nicht telefonieren sollten." Er schob sie von
sich und lächelte. "Ich rufe dich morgen Abend um sechs
an."
"Ja ... Ach, ich fühle mich einfach lächerlich!" Doch sie
umarmte ihn, machte sich dann los und rang sich ein Lä-
cheln ab. "Und nun verschwinde."
Sie wartete, bis sie den Motor des Lamborghini aufheu-
len hörte. Dann ging sie ins Bett zurück, kuschelte sich in
die zerknüllten Laken und legte den Kopf auf das Kissen,
auf dem immer noch Ryans Kopfabdruck zu sehen war,
als könnte sie damit die Wärme und Geborgenheit seiner
Arme heraufbeschwören. Eine Weile lag sie da, blickte in
die Dunkelheit und dachte nach, weil sie dazu vorher
nicht in der Lage gewesen war.
Sie dachte an ihre alberne Weigerung, Ryan in den
nächsten Tagen zu sehen, und dass es ihre Schuld war,
wenn sie sich nun einsam und verlassen fühlte - ja,
furchtbar verlassen, furchtbar unglücklich, weil er nicht
bei ihr war.
Was war nur aus ihr geworden? Wo war die Kim Lin-
gard, die sie kannte? Niemals wäre ihr auch nur im
Traum eingefallen, dass es mit ihr so weit kommen könn-
te. Sie hatte doch immer ihren Freiraum gebraucht und
nie geklammert.
War das von jetzt an ihre Zukunft? Würde sie akzeptie-
ren müssen, dass auch Ryan seinen Freiraum brauchte?
Und mit ansehen müssen, wie er sich vor ihr verschloss?
Mit einem Anflug von Angst erinnerte sie sich plötzlich
an Sandra.
Und dann fiel ihr noch etwas ein. Ryan hatte Sandras
Besuch nicht erwähnt. Warum nicht? Es gab keine Ant-
wort auf diese Fragen. Sie wusste nur, dass sie plötzlich
ein anderer Mensch war, und mit diesem Gedanken
schlief sie schließlich ein.
Am nächsten Morgen musste Kim sich zwingen, ins
Büro zu gehen:
Ein Blick in den Spiegel sagte ihr, dass sie blass und er-
schöpft aussah.
Und ausgerechnet da musste sie Bill Fortune in die
Arme laufen.
"Kim!" begrüßte er sie lächelnd. "Na, haben Sie es ihm
gestern Abend ordentlich gegeben?"
"Ich ... Eigentlich nicht", erwiderte sie und eilte weiter
den Korridor zu ihrem Büro entlang. Tatsächlich hatte sie
den Zwischenfall von gestern Nachmittag schon fast ver-
gessen - kein Wunder angesichts dessen, was danach
passiert war.
"Erzählen Sie!" Bill hielt mit ihr Schritt.
Seufzend blieb sie stehen. "Wir sind zu einer Einigung
gekommen, Bill. Das heißt, wir haben uns geeinigt, dass
wir uns über nichts einigen können - außer über Kunst."
Sie schnitt ein Gesicht.
"Gut für Sie. Ich meine, ich bewundere Ryan sehr, aber
es schadet auch nichts, wenn jemand ihm einmal Paroli
bietet." Er zögerte und blickte sie forschend an. "Aber
verlieben Sie sich bloß nicht in ihn."
Sie zuckte zusammen.
"Weil ich zufällig weiß, dass er mit seiner Arbeit ver-
heiratet ist", sprach Bill sachlich weiter. "Er ist eine Ma-
schine, kein Mann. Ich bin lange genug in der Firma, um
das zu wissen. Und ich weiß auch genug über die Frauen
in seiner Umgebung, um die Zeichen zu erkennen ob-
wohl es bei Ihnen mehr gewesen sein muss als nur, ihn
vor den Traualtar zu zerren. Aber ich habe schon beinahe
zuviel gesagt. Bis dann, Kim."
In ihrem Büro schloss sie dankbar die Tür hinter sich
und dachte ein wenig verwundert über Bill nach. Sie
kannte ihn nicht besonders gut, wusste nur, dass er unge-
fähr in Ryans Alter und mit einer ziemlich farblosen Frau
verheiratet war, mit der er drei oder vier Kinder hatte.
Ihre Überlegungen wurde durch das Summen des Tele-
fons unterbrochen. Es war ein Anruf der Firma, die
Schaukästen für die Ausstellung liefern sollte, und das
Gespräch half ihr, sich abzulenken.
Mit solchen und anderen Dingen beschäftigte sie sich
den ganzen Tag, bis um vier Uhr nachmittags Pam anrief.
"Kim, Mr. Bailey hat mich gebeten, Sie zu fragen, ob
Sie vielleicht fünf Minuten für ihn übrig hätten."
"Jetzt?" fragte Kim unsicher.
"Ja, aber nur, wenn Sie Zeit haben."
"Na gut."
Ryan stand auf, als Kim das Büro betrat, und für einen
Moment sahen sie sich über seinen Schreibtisch hinweg
nur an.
Dann sagte er ruhig: "Ich konnte nicht bis Samstag war-
ten. Ich konnte nicht einmal warten, bis ich deine Stimme
am Telefon höre."
"O Ryan." Sie erschauerte, und dann lag sie schon in
seinen Armen.
"Ich habe dich vermisst", sagte sie überflüssigerweise
und rieb ihre Wange an seiner Schulter.
"Das ist gut", erklärte er ernsthaft. "Dann stehe ich we-
nigstens nicht so allein da."
"Nein. Nein."
Er küsste sie lange und betrachtete sie dann, ein spitz-
bübisches Funkeln in den Augen. "Ich würde gern noch
ganz andere Dinge mit dir tun, aber ich werde mich be-
herrschen."
"Das rate ich dir auch!" Doch sie lächelte. "So ist es
schon schlimm genug. Stell dir nur mal vor, Pam kommt
herein!" Sie warf nervös einen Blick über die Schulter
zur Tür.
"Das wird sie nicht, denn ich habe ihr gesagt, dass ich
nicht gestört werden will", versicherte er ihr.
"Damit hast du Öl ins Feuer gegossen."
"Was meinst du damit?" Er sah sie aus zusammenge-
kniffenen Augen an.
Beinahe hätte sie ihm von Bill erzählt, sagte dann aber
nur: "Die Leute reden eben."
Er ließ sie los, nahm sie dann aber bei der Hand, führte
sie zu einem der lederbezogenen Designerstühle und be-
deutete ihr, sich zu setzen.
"Wäre es denn so schlimm, wenn unsere Namen in Zu-
sammenhang gebracht würden?" fragte er. "Eigentlich ist
das ja ohnehin schon passiert."
Kim wollte protestieren, hielt sich dann aber zurück
und sagte nur:
"Bitte setz dich, Ryan, sonst muss ich immer zu dir auf-
sehen."
Er gehorchte und stützte die Ellenbogen auf den Tisch,
der zwischen ihnen stand.
Langsam sprach sie weiter: "Wie dem auch sei, wir
können unmöglich lange so weitermachen." Ihre Blicke
trafen sich. "Aber gestern Nacht hast du selbst gesagt,
dass es mir anders nicht gefallen würde."
"Ich habe mich gefragt, ob du die Dinge heute morgen
nicht vielleicht anders sehen würdest."
Sie spürte einen kleinen Stich im Herzen. Hatte er sie
gestern Nacht etwa nur auf die Probe gestellt? Dann war
sie sang- und klanglos durchgefallen.
Was meinte er also? Geistesabwesend betrachtete sie
die Zeitschriften, die auf dem Tisch lagen, und sah ihm
unvermittelt direkt in die Augen. "Du willst also sagen,
dass ich mich albern benommen habe, stimmt's?"
"Ich finde dich überhaupt nicht albern, Kim. Wenn es
so wäre, hätte ich nicht mit dir geschlafen und mich nicht
so nach dir gesehnt. Aber trotz des öffentlichen Interes-
ses, dem leider wohl jeder ausgesetzt ist, der sich in einer
Position wie meiner befindet - ist es nicht allein unsere
Sache? Wir müssen uns ja nicht gerade zur Schau stel-
len."
Sie sah ihm in die gelassen blickenden grauen Augen
und fragte sich, ob er wusste, wie es war, in den Klatsch-
spalten der Zeitungen als seine ehemalige Geliebte abge-
stempelt zu sein.
"Ich lasse mich nicht viel in der Öffentlichkeit sehen,
außer aus geschäftlichen Gründen", sagte er, als hätte er
ihre Gedanken gelesen.
"Und die Presseleute haben es schon längst aufgegeben,
mich zu jagen."
"Was schlägst du also vor?" fragte sie heiser. "Dass es
nichts schadet, wenn du deinen Lamborghini abends öfter
vor meinem Haus parkst?"
"Nein. Ich schlage vor, dass du zu mir ziehst."
Sie öffnete die Lippen.
"Weil wir dann soviel Zeit wie möglich zusammen
verbringen könnten. Mein Beruf erfordert es, dass ich
viel unterwegs bin, aber auf die Art könnten wir uns nach
jeder Geschäftsreise sofort sehen, und wann immer es
machbar ist, könntest du mich begleiten. Und ..." Er lä-
chelte unvermittelt. "... es würde meinem seelischen
Gleichgewicht sehr zuträglich sein."
"Ryan ..." Ihre Stimme schwankte. "Das ist ein großer
Schritt, aber ..."
Sie schwieg und erinnerte sich mit grausamer Deutlich-
keit an das, was ihr gestern in diesem Büro passiert war.
Sei vorsichtig, warnte eine innere Stimme sie. Denk an
dein eigenes seelisches Gleichgewicht, beschwor sie sich,
denk an Sandra, denk an ... Bill Fortune. War Ryan wirk-
lich eine Maschine, obwohl er sie so geliebt und solche
Empfindungen in ihr ausgelöst hatte? Auf was würde sie
sich einlassen? Etwa in eine Schublade gesteckt zu wer-
den mit der Beschriftung "Geliebte"? Bereit und willig,
wann immer er Zeit hatte?
Und dann fiel ihr noch etwas ein, und dieser Gedanke
erschütterte sie zutiefst. Warum bat er sie nicht, ihn zu
heiraten?
"Nein, Ryan. Ihr war nicht bewusst, dass sie blass ge-
worden war, sah nur, dass er sie aus zusammengekniffe-
nen Augen durchdringend betrachtete. "Bitte, lass es
mich erklären."
"Warum fängst du nicht an, indem du mir sagst, wie du
dich gestern Abend gefühlt hast, als ich weg war?"
schlug er vor.
Kim biss sich auf die Lippe, doch ihre Energie war zu-
rückgekehrt, und sie beschloss, ehrlich zu sein. "Einsam
und töricht, und es hat mir keinen Spaß gemacht, so auf
die Probe gestellt zu werden."
"Kim..."
"Nein. Dies hier ist einfach zuviel, nach allem, was ges-
tern Nacht passiert ist." Sie fragte sich, warum es so weh
tat, zwang sich aber weiter zu sprechen. "Ich mache dir
ein Angebot. Du hast recht, es geht keinen etwas an au-
ßer uns, und ich kann nicht einfach vorgeben, dass ich
nie mit dir hätte schlafen sollen. Ich ... Es hat mich be-
schäftigt, und das tut es noch immer. Es wäre unehrlich,
das zu leugnen.. Aber ich werde noch nicht zu dir ziehen.
Ich meine ..." Sie verkrampfte die Hände. "Ich glaube ..."
"Dass ich dir noch mehr beweisen muss, bevor du es
tust? Wie?"
fragte er. "Im Bett?"
Das Blut schoss ihr in die Wangen. "Nein", sagte sie
schroff.
"Wie dann?" Etwas wie Heiterkeit erschien in seinen
Augen.
Sie schloss kurz die Augen. Wie sollte sie ihn fragen,
ob eine Frau überhaupt jemals zu ihm durchdringen
konnte, ob er beschlossen hatte, dass es Zeit war, für ei-
nen Erben seines Namens und seiner Firma zu sorgen?
Das war die eine Seite der Sache, über die nachzudenken
sie sich bisher geweigert hatte.
"Kim?" drängte er, einen Anflug von Gereiztheit in der
Stimme.
Das war genug. Sie betrachtete ihn mit einem trotzigen
Gesichtsausdruck. "Ich werde es dir sagen, wenn du es
erreicht hast, Ryan."
"Müssen wir denn immer nur gegeneinander kämpfen,
Kim?" fragte er.
"Kommt darauf an, ob du meine Bedingungen an-
nimmst."
Er betrachtete sie nachdenklich. "Soll das heißen, du
begleitest mich heute oder morgen zu einem der Abend-
essen?"
"Ich ..." Was habe ich getan? fragte sie sich.
"Es ist doch nichts dabei, wenn du mich als Gast zu ei-
nem Abendessen begleitest, oder?" Seine Augen funkel-
ten leicht amüsiert.
"Was würde das bringen?" stieß sie mühsam hervor.
"Erstens wären wir zusammen. Wir könnten zusammen
nach Hause gehen - zu deinem oder meinem Zuhause. Du
würdest nicht allein herumsitzen."
"Na gut", gab sie unvermittelt nach. "Morgen Abend."
"Und das ist dein letztes Angebot?"
"Ja!"
"Meine liebe Kim", sagte er sanft, "obwohl ich dich
viel lieber ausziehen und einige andere schöne Dinge mit
dir machen würde, die du dir vielleicht vorstellen kannst
- ich muss dir sagen, dass ich deinen Mut bewundere."
Sie ließ resigniert die Schultern sinken. "Tatsächlich?"
Ryan stand auf und zog sie hoch. "Ja. Vielleicht denkst
du ja dasselbe von mir, wenigstens ein bisschen."
Kim blickte ihm in die Augen, als er ihre Schultern um-
fasste und die Hände über ihre Arme gleiten ließ. Seine
Nähe ließ sie erschauern, genauso wie die Erinnerung an
seinen großen, starken Körper in ihrem Bett, an seine
gebräunte Haut, an den sehnsüchtigen Wunsch, wieder
dort zu sein, neben ihm, und seine Hände auf ihren Brüs-
ten zu spüren ...
"Ja", erwiderte sie ruhig. "Es gibt einige Dinge, die ich
an dir bewundere."
"Meine Art, dich zu lieben?" schlug er ironisch vor.
"Unter anderem. Aber das werde ich jetzt nicht weiter
erklären." Ihre Stimme zitterte ein wenig. "Ich spare es
mir lieber für andere Gelegenheiten auf."
Er lächelte unvermittelt. "Ich bin gespannt. Kommst du
morgen Abend mit zu mir?"
"Ja ..."
"Ich hole dich um sieben Uhr ab. Würdest du mir einen
Gefallen tun?
Es ist eine sehr formelle Angelegenheit: Smoking, Flie-
ge und so weiter. Würdest du etwas Schwarzes anzie-
hen?"
"Das habe ich schon einmal", sagte sie und hätte sich
gleich darauf am liebsten die Zunge abgebissen. "Aber
nur, weil ich nichts anderes dabeihatte."
"Ich weiß, aber morgen Abend wirst du nicht so hart
arbeiten müssen wie bei den Japanern. Abendessen mit
anschließendem Tanz für eine amerikanische Handelsde-
legation."
Er ließ die Hände über ihren Körper gleiten, und Kim
musste sich zwingen, die Beherrschung zu wahren. "Wie
wäre es mit etwas, das geradezu nach schwarzer Unter-
wäsche schreit?" schlug sie vor.
"Auf jeden Fall", erklärte Ryan ernsthaft. "Und, sind
wir wieder Freunde?" Er nahm ihre Hand in seine.
"Ja ..."
Kim betrachtete sich nervös im Spiegel. Das engge-
schnittene dunkelviolette Spitzenkleid mit dem tiefen
Ausschnitt und den, kurzen Ärmeln ließ sie noch größer
und schlanker erscheinen. Als einzigen Schmuck trug sie
winzige, mit Perlen besetzte Ohrstecker und eine Kette
aus Perlen und Amethysten, und ihre Abendtasche aus
violettem Taft passte genau zum Kleid.
Als Ryan klingelte, warf sie einen letzten Blick auf ihr
Spiegelbild und schaltete das Licht aus. Dann griff sie
nach der kleinen Reisetasche, die fertig gepackt im Flur
stand, und öffnete die Tür.
Sekundenlang betrachteten sie sich nur. In seinem
schwarzen Abendanzug, dem blendendweißen Hemd und
mit der Fliege sah er so selbstsicher aus, als würde er nie
etwas anderes tragen, und wirkte elegant und distinguiert.
Schließlich lächelte er und fragte: "Willst du mich nicht
hereinbitten, Kim?"
"Aber ich ... Haben wir denn noch Zeit?"
"Ungefähr zehn Minuten."
"Ist irgend etwas?"
"Ja." Er nahm ihr die Reisetasche ab, ging vor ihr her
ins Wohnzimmer und schaltete das Licht ein. "Ich möch-
te mir die Zeit nehmen, dich zu begrüßen, dich zu be-
trachten, was ein wenig wie die Betrachtung eines
Kunstwerkes ist", sagte er sanft und ließ den Blick über
ihre schlanke Gestalt gleiten, über ihr schimmerndes
dunkles Haar, ihre weiche, leicht gebräunte Haut.
"Danke." Es klang etwas steif.
"Hast du das Kleid selbst genäht?"
"Nein. Ryan ..."
"Darf ich dich berühren?"
"Also, ich..."
"Ganz vorsichtig? Ich bringe auch dein Make-up und
deine Frisur nicht durcheinander." Er umfasste ihre Tail-
le. "Bereust du es?" fragte er ruhig.
"Ich ..." Sie biss sich auf die Lippe. "Ich bin mir nicht
sicher. Warum fragst du?"
"Normalerweise merke ich sofort, wenn dich etwas
stört. Wenn du zum Beispiel die wunderschönen Lippen
zusammenpresst, wenn du den Kopf besonders hoch
hältst und mich überheblich anblickst."
Sie blinzelte. "Sehe ich dann wirklich so aus?"
"Ja. Und von Anfang an hat mich genau das angezogen.
Ich hatte das Gefühl, du würdest mich ordentlich in mei-
ne Schranken weisen."
"Leider habe ich das nie geschafft!"
"Auf den Versuch kommt es an", flüsterte er. "Hm, und
du riechst auch gut, Shalimar?"
Sie nickte und legte ihm plötzlich die Hände aufs Re-
vers. "Du siehst aber auch gut aus."
"Vielen Dank, Ma'am. Neben dir werde ich allerdings
verblassen."
"Ich bezweifle, dass so etwas überhaupt möglich ist."
Sie lächelte.
"Aber wie dem auch sei, jetzt fühle ich mich besser.
Vielleicht war ich einfach nur nervös."
"Aus Angst, ich würde in alle Welt hinausposaunen,
dass wir ein Liebespaar sind? Nein, heute nicht, so ver-
führerisch dieser Gedanke auch ist. Heute gehen wir nur
zusammen essen, in aller Freundschaft, und die Leute
können denken, was sie wollen. In Ordnung?"
Kim zog die Augenbrauen hoch. "Manchmal gibt es di-
rekt Seiten an dir, die ich mag, Ryan."
"Nochmals danke", erwiderte er unterwürfig, doch in
seinen Augen erschien ein ausgelassenes kleines Fun-
keln.

9. KAPITEL
"Hat es dir gefallen?"
"Es war ein angenehmer Abend", sagte Kim.
"Du hast mir verschwiegen, wie gut du tanzt."
"Du bist aber auch kein schlechter Tänzer."
Sie standen nebeneinander auf dem Balkon von Ryans
Haus. Es war eine warme, windstille Nacht, und im brei-
ten, glitzernden Fluss spiegelten sich die Lichter vom
anderen Ufer.
"Bist du sehr müde?" fragte Ryan.
"Ja, und außerdem wieder sehr nervös", erwiderte Kim
nach kurzem Zögern. "Ich weiß nicht, warum."
"Vielleicht weil zwischen uns doch nicht nur Freund-
schaft war, als wir miteinander getanzt haben?"
Sie schloss kurz die Augen und sagte einfach: "Ja. Ich
weiß nicht, ob wir jemals einfach nur Freunde sein könn-
ten."
"Damit müssen wir nicht unbedingt heute Abend an-
fangen."
"Nein." Sie wandte sich ihm zu und flüsterte: "Bitte
nimm mich in den Arm, Ryan."
"Davor hatte ich Angst", gestand er etwas später, nach-
dem er den Reißverschluss ihres Kleides geöffnet und es
ihr abgestreift hatte.
"Wovor?"
"Wie dir schwarze Spitzenunterwäsche stehen würde."
"Oh." Im gedämpften Licht seines Schlafzimmers sah
Kim an sich hinunter und stieg aus dem Kleid, bevor er
sie wieder in die Arme nahm. Unwillkürlich musste sie
lachen. "Weißt du, dass ich das alles einmal wegwerfen
wollte?"
"Erzähl mir nicht so etwas!" Er hielt sie auf Armeslän-
ge von sich, um sie zu betrachten: ihre helle Haut, die
durch den schwarzen BH
schimmerte, die schmale Taille und die sanft ge-
schwungenen Hüften, die nackte Haut, die zwischen dem
spitzenbesetzten schwarzen Strumpfgürtel, dem winzigen
Slip und den schwarzen Strümpfen hervorblitzte. "Weißt
du, was mich noch an dir angezogen hat?"
sprach er weiter.
"Nein, sag's mir."
"Die Art, wie du gehst, deine langen, weit ausholenden
Schritte." Er legte die Hände auf ihren Po. "Deine Bewe-
gungen sind sehr vielversprechend."
"Tatsächlich?" flüsterte sie, ein amüsiertes Funkeln in
den Augen.
"Wie gefällt dir dann das hier?" Und sie bückte sich,
hob das Kleid auf und ging durch den Raum, um es in
den Kleiderschrank zu hängen. Dann kehrte sie langsam
zu Ryan zurück und stellte sich vor ihn hin.
Er setzte sich auf die Bettkante. "Ich dachte, du wärst
müde."
"Das dachte ich auch, aber plötzlich bin ich so wach
wie noch nie in meinem Leben", sagte sie ehrlich. "Und
ich zeige dir, wozu ich jetzt Lust habe. Ich weiß aller-
dings nicht, warum. So etwas habe ich noch nie getan."
Sie verzog den Mund. "Hoffentlich hast du nichts dage-
gen."
Sie öffnete ihren BH und streifte ihn ab, dann den
Strumpfgürtel und den Slip, und schließlich stellte sie
nacheinander ein Bein aufs Bett und rollte langsam die
schwarzen Strümpfe herunter. Erst dann sah sie ihn ernst
und fragend an - weder kokett noch verlegen.
Ryan murmelte etwas Unverständliches und streckte
die Arme nach ihr aus. "Wie könnte ich etwas dagegen
haben?" Er barg den Kopf zwischen ihren Brüsten, und
etwas später liebte er sie so wild und ausdauernd, dass sie
beide hinterher völlig erschöpft waren.
"Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist", sagte
Kim nach dem Aufwachen am nächsten Morgen verwun-
dert.
"Aber du brauchst es nicht zu bereuen", versicherte Ry-
an ihr.
"Ob es vielleicht vom Tanzen kam?"
"Woher auch immer, mir hat es sehr gefallen." Ryan
nahm sie in die Arme.
"Ich bin noch ganz durcheinander", erklärte sie und
musste unwillkürlich lächeln, als sie ihren nächsten Ge-
danken laut aussprach.
"So siehst du viel zugänglicher aus - mit den zerzausten
Haaren und Bartstoppeln am Kinn." Sie zeichnete die
Linie seines Kinns mit dem Finger nach.
"War ich gestern Nacht etwa unzugänglich?" fragte er
und presste sie fester an sich.
"Irgend etwas ist gestern Nacht in mich gefahren. Ich
weiß nur nicht, was, und deshalb bin ich ein wenig
durcheinander."
"Ich bin hoffentlich nicht schuld daran, oder?"
"Na ja, du bist sicher für meine angenehme Müdigkeit
verantwortlich." Sie reckte und streckte sich genüsslich.
"Es würde mich nicht wundern, wenn ich sogar einige
Schrammen hätte", fügte sie fröhlich hinzu. "Wir haben
uns wohl beide ein wenig gehen lassen."
"Vielleicht sollten wir mal nachsehen?" schlug er vor.
"Nein, das sollten wir nicht. Es würde nur zu weiteren
...
Begegnungen dieser Art führen, und danach ist mir im
Moment nicht.
Weißt du, was ich jetzt gern tun würde?"
"Was denn?"'
"Eine Runde im Pool schwimmen und dann ausgiebig
frühstücken."
"Das ließe sich machen. Und den Rest des Tages?".
"Was möchtest du denn tun?" Sie küsste ihn leicht auf
den Mund.
"Nichts", sagte er langsam. "Einfach nur bei dir sein."
Ryan und Kim verbrachten einen Tag mit Nichtstun
und gingen früh ins Bett.
"Wie wäre es jetzt mit einer Begegnung der besonderen
Art?" fragte Ryan und schloss die Schlafzimmertür hinter
sich.
Sie umarmte ihn. "Mir ist sehr danach, mich lieben und
anbeten zu lassen."
"Klingt gut, und mir geht es erstaunlicherweise ähn-
lich." Er lächelte sie an und begann, ihre Bluse aufzu-
knöpfen. "Trägst du immer aufeinander abgestimmte
Unterwäsche?" fragte er mit einem Blick auf ihren Slip
und weißen BH, nachdem er ihr den Rock abgestreift
hatte.
"Nein, nicht immer. Manchmal trage ich sogar die gu-
ten alten gerippten Baumwollhöschen.''
"Die bekommen an dir bestimmt eine ganz neue Bedeu-
tung."
Kim lachte leise. " So wie alles in letzter Zeit anschei-
nend eine neue Bedeutung bekommen hat. Ich habe mich
nie als besonders ... sexy empfunden. Vielleicht hast du
recht, wenn du sagst, dass ich einfach noch zu unerfahren
war." In einem Anflug von Hochmut hob sie für einen
Moment das Kinn. "Aber letztendlich bist du derjenige,
der es beurteilen muss, glaube ich."
"Ob du sexy bist oder nicht? Ersteres, und zwar sehr."
"Ist das alles?"
"Was soll ich noch sagen? Oder soll ich dich nach allen
Regeln der Kunst verführen, so wie gestern Nacht?"
"Daran waren wir wohl beide beteiligt." Sie lächelte
strahlend. "Aber deinem Angebot kann ich nicht wider-
stehen. Es gefällt mir zu sehr", erwiderte sie ernsthaft.
Ryan lächelte und beugte den Kopf, um sie zu küssen.
"Das passt mir gut, denn ich kann mich kaum noch be-
herrschen."
"Wie schön!"
Lachend hob er sie hoch, trug sie zum Bett und liebte
sie leidenschaftlich. Danach schliefen sie ein, und Kim
erwachte erst wieder, als er ihre Beine streichelte. Sie
streckte sich zufrieden, als sie seine Finger in dem dunk-
len gekräuselten Haar zwischen ihren Schenkeln spürte,
und lächelte. "Darf ich etwas ausprobieren?"
flüsterte sie.
"Was immer du willst."
Einige Minuten später sagte er: "Das ist eine sehr gute
Idee, Kim, nein, sie ist sogar brillant."
Sie lachte leise, während sie auf ihm lag und die feinen
Falten um seinen Mund mit dem Finger nachzeichnete.
"Ich habe irgendwo gelesen, dass Frauen diese Position
öfter einnehmen sollten, weil sie ihnen mehr Freiheit
verschafft."
"Und stimmt das?"
Sie bewegte sich leicht. "Es fühlt sich auf jeden Fall gut
an."
Er stöhnte. "Tu mir das nicht zu lange an!"
"Gefällt es dir nicht?"
"Ganz im Gegenteil." Er lächelte sie an. "Sie wissen
genau, was ich meine, Miss Lingard!"
Kim erwiderte sein Lächeln. "Ich muss sagen, ich weiß
auch nicht, ob ich das lange aushalte!" Sie stöhnte auf,
als er sie an sich presste und wieder in schwindelnde Hö-
hen entführte, immer höher, bis sich ihre Leidenschaft
schließlich in einem gemeinsamen Höhepunkt entlud.
"Was sollen wir morgen machen?" fragte Kim schläf-
rig, nachdem sie geduscht hatten und wieder im Bett la-
gen.
"Wie wäre es mit einer Runde Golf? Ich könnte dir eine
Stunde geben."
"In dieser Hinsicht habe ich dich getäuscht. Ich habe
schon Golf gespielt."
Er lächelte. "Das hätte ich mir denken können!"
"Bis vor einigen Jahren habe ich oft gespielt, jetzt al-
lerdings nicht mehr so häufig, aber ich finde mich auf
dem Golfplatz schon zurecht."
"Dann lass uns doch zur Sanctuary Cove fahren, eine
Runde spielen und dann im Hyatt zu Mittag essen, oder
wo immer du magst. Ich muss gestehen, ich habe einen
Hintergedanken dabei. Unser geplantes Feriendorf an der
Sunshine Coast soll ganz ähnlich dem an der, Sanctuary
Cove werden, wenn auch ohne Golfplatz. Und außerdem
liegt dort ein Boot, für das ich mich interessiere."
Sie schwieg einen Moment, doch der Gedanke, mit ihm
über einen Golfplatz zu laufen, gefiel ihr sehr. "Das
klingt wunderbar. Können wir vorher zu mir fahren und
meine Schläger holen?"
"Warren kann das erledigen. Wir fahren früh los. Mü-
de?"
"Sehr", flüsterte sie.
"Dann schlaf jetzt. Verdammt!" stieß er hervor, als das
Telefon neben dem Bett klingelte. "Ich nehme das Ge-
spräch unten an." Er küsste sie leicht und stand auf.
Kim konnte die Augen kaum noch offen halten. "Ver-
giss nicht zurückzukommen", flüsterte sie.
"Niemals."
Doch sie schlief schon fest, als er zurückkehrte, und
merkte nicht, dass er sie lange betrachtete und seufzte,
bevor er zu ihr ins Bett kam.
Und als sie erwachte, lag er nicht mehr neben ihr, son-
dern zog sich schon an.
Sie setzte sich auf, gähnte ausgiebig und reckte sich.
"Ich habe nicht gedacht, dass du so früh los willst", sagte
sie lächelnd. "Warum hast du mich nicht geweckt?"
Er setzte sich auf die Bettkante und nahm Kims Hand.
"Kim, es tut mir schrecklich leid, aber es gibt Schwierig-
keiten in Singapur. Ich fliege heute noch hin."
Gestern Nacht hatte er sie mit seiner Liebe atemlos ge-
macht, jetzt machte er es mit dieser Mitteilung. Ihre Ent-
täuschung war so groß, so übermächtig, dass sie die Hän-
de zu Fäusten ballte, um nicht laut zu schreien und um
sich zu treten.
Tu mir das nicht an, bat sie ihn insgeheim. Sie hatte
sich heftiger in ihn verliebt, als sie es jemals für möglich
gehalten hätte. Sie hatte Dinge getan, die sie nie für mög-
lich gehalten hätte. Sie konnte nicht mehr zurück, und
nun tat er das, verhielt sich wie eine Maschine, nicht wie
ein Mensch.
"Kim", sagte er zärtlich, "glaub mir, ich würde alles
darum geben, hier bleiben zu können, aber es geht wirk-
lich nicht anders."
"Nein ..." Die Stimme wollte ihr kaum gehorchen. "Ich
meine, ich glaube dir. Also kein Golf. Na gut." Sie riss
sich zusammen. "Dann vielleicht ein andermal."
"Ja. Es wird noch viele andere Male geben, noch viele
andere Tage."
"Gut." Sie entzog ihm die Hand und schlüpfte auf der
anderen Seite aus dem Bett, "Wie wäre es, wenn ich dich
zum Flughafen bringe?
Auf dem Rückweg kann Warren mich zu Hause abset-
zen. Mir fällt gerade ein, dass heute in meinem Tennis-
club ein Turnier stattfindet.
Vielleicht kann ich mich noch dafür eintragen!"
"Kim..."
"Nein, Ryan, ich bin in Ordnung", sagte sie energisch.
"Es geht eben nicht anders."
"Du könntest mit mir kommen." Er kam auf sie zu.
"Nein." Sie schnitt ein Gesicht. "Mein Reisepass ist ab-
gelaufen. Ich habe zwar einen neuen beantragt, aber es
dauert noch, bis ich ihn bekomme. Wie lange bleibst du
weg?"
"Nicht lange. Ich muss einige Dinge ein für allemal klä-
ren. Es ist lebenswichtig für Bailey Construction, sonst
würde ich dich nicht so zurücklassen." Er umfasste ihre
Taille.
Sie blickte zu ihm auf und fragte sich, ob sich wohl in
ihren Augen spiegelte, was sie empfand: der Aufruhr, der
Schmerz. "Ich glaube dir", sagte sie beinahe gleichmütig.
Doch beim Abschied am Flughafen hatte Kim Mühe,
ihre Verzweiflung zu verbergen. "He, man könnte fast
denken, du würdest nie zurückkehren", versuchte sie zu
witzeln, aber ihre Stimme bebte verräterisch. "Ich glaube,
ich gehe lieber." Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und
küsste Ryan leicht auf den Mund. "Pass auf dich auf!"
"Du auf dich auch, Kim." Ryan nahm sie in die Arme
und küsste sie so stürmisch und leidenschaftlich, dass sie
erbebte und nach Atem rang, als er sie losließ. "Ich melde
mich", sagte er sanft und drehte sich um.
Keiner von beiden wusste, dass gerade ein berühmter
Golfspieler auf dem Flughafen angekommen war und
von einem großen Presseaufgebot erwartet wurde. Sie
bemerkten auch nicht, wie einer der Fotografen ein Gäh-
nen unterdrückte, sich gelangweilt umsah und beinahe
seine Kamera fallen ließ, als er Ryan Bailey in leiden-
schaftlicher Umarmung mit Kim Lingard erblickte, die er
kannte, weil er vor einigen Wochen an Bord des Ret-
tungshubschraubers gewesen war.
Kim spielte an diesem Sonntag kein Tennis mehr, ob-
wohl sie es lieber hätte tun sollen. Denn so ging sie nur
unruhig in ihrer Wohnung umher, gequält von der Er-
kenntnis, dass sie nichts lieber tun würde, als den Rest
ihres Lebens mit Ryan zu verbringen, als seine Ehefrau,
Geliebte, Partnerin und Mutter seiner Kinder.
Doch sie würde es niemals ertragen, hinter Bailey
Construction zurückzustehen, mit ansehen zu müssen,
wie Ryan sich vor ihr verschloss.
Dann wieder überlegte sie, ob sie nicht aus einer Mücke
einen Elefanten machte. Sie hatte doch von Anfang an
gewusst, dass er kein Mann war, der jeden Tag pünktlich
um fünf Uhr nach Hause kam, und das erwartete sie auch
gar nicht. Aber dass er dieses erste gemeinsam verbrachte
Wochenende zerstörte und nicht bereit war, jemand an-
ders zu schicken oder die Abreise um einen Tag zu ver-
schieben.
Weil er seine Arbeit nicht delegieren konnte, weil er
meinte, sich um alles selbst kümmern zu müssen? Oder
weil keine Frau ihm je genug bedeuten konnte? Wie oft
hatte sie sich diese Fragen schon gestellt?
Und dann gab es da noch Sandra.
Am nächsten Morgen erwarteten Kim gleich zwei
schockierende Neuigkeiten, von denen eine direkt mit
Sandra zu tun hatte.
Kim war in ihrem Büro, als Bill Fortune sie aufsuchte.
"Hallo, Bill'', sagte sie kurz angebunden. "Wollen Sie
mir noch mehr Ratschläge erteilen?"
Er schloss die Tür hinter sich und betrachtete sie ruhig.
"Kim, Sie machen einen großen Fehler."
"Hören Sie, Bill", begann sie schroff, "es hat nichts mit
Ihnen zu tun, aber ich verstehe nicht ganz, warum ..."
"Haben Sie das gelesen?" Er reichte ihr eine Zeitung, so
aufgeschlagen, dass das große Foto von ihr und Ryan in
inniger Umarmung sichtbar war.
Sie betrachtete es und warf die Zeitung auf den
Schreibtisch.
"Trotzdem hat es nichts mit Ihnen zu tun!"
"Wohin ist er geflogen?"
"Nach Singapur. Wissen Sie das nicht?" fragte sie und
zog misstrauisch die Stirn kraus.
Bill schnitt ein Gesicht. "Er ist für gewöhnlich nicht be-
sonders mitteilsam. Hat er Ihnen den Grund für die Reise
gesagt?"
"Nein. Eine Geschäftsreise, wie üblich ..." Kim schwieg
unvermittelt, und eine leichte Röte stieg ihr ins Gesicht.
"Was würde Ryan wohl zu Ihren kleinen Kommentaren
sagen?" fragte sie nach einem Moment nachdenklich.
"Wenn er ehrlich wäre, würde er mir zustimmen", er-
widerte Bill ironisch. "Sandra ist auch in der Zeitung.
Nein, nicht in dieser."
"Oh. Warum?"
"Sie heiratet wieder."
"Was?" flüsterte Kim, "Ja, ich war auch überrascht",
erklärte Bill. "Ich dachte, sie würde nie über Ryan hin-
wegkommen. Ist sie vielleicht auch nicht." Er zuckte die
Schultern.
"Was meinen Sie damit?"
"Der Mann, den sie heiraten will, ist fünf Jahre jünger
als sie und wirkt auf mich ziemlich geldgierig - erfolglo-
ser Musiker oder so etwas."
Kim betrachtete ihn wie erstarrt.
"Aber Sie haben natürlich recht, es hat nichts mit mir
zu tun. Hat Ryan gesagt, wann er zurückkommt?"
"Nein."
"Wissen Sie, manchmal ist es sehr schwierig, für einen
Mann zu arbeiten, der völlig selbstgenügsam ist", erklärte
Bill vertraulich. "Und zufällig weiß ich, dass es Sandra
viel gekostet hat, herauszufinden, dass er nicht für die
Ehe taugt. Aber warum erzähle ich Ihnen das alles?" Er
lächelte reumütig. "Wahrscheinlich weil ich Sie mag."
Dann ging er.
Kim ließ sich auf einen Stuhl sinken und erinnerte sich
unwillkürlich an den Nachmittag, an dem sie Zeugin ge-
worden war, wie Ryan Bill heruntergeputzt hatte. Und sie
fragte sich, warum sie gerade jetzt daran dachte und das
unbehagliche Gefühl hatte, dass etwas ihr Unverständli-
ches vor sich ging.
Nach einigen Minuten gab sie es für den Moment auf,
dieses Rätsel lösen zu wollen. Sie betrachtete das Foto in
der Zeitung und las mit Widerwillen die Unterschrift:
Hat es zwischen ihnen schon gefunkt, als sie zusammen
entführt wurden? Auf jeden Fall scheinen Ryan Bailey
und Kim Lingard mehr als Kunstsammler und Kuratorin
zu sein.
Dann dachte sie an Sandra, die einen fünf Jahre jünge-
ren Mann heiraten wollte, und an alles, was Bill ihr er-
zählt hatte, und sie schloss die Augen und überlegte: Was
habe ich getan?
Abends fragte sie sich dann allerdings, was sie in Zu-
kunft tun sollte.
Doch die Entscheidung wurde ihr aus der Hand ge-
nommen, als etwas später Ryan anrief.
"Wie geht es dir?" fragte sie, weil ihr nichts anderes
einfiel.
"Ich vermisse dich. Hast du beim Tennis gewonnen?"
"Nein, ich habe gar nicht gespielt, sondern den ganzen
Tag an der Ausstellung gearbeitet. In einigen Tagen ist
alles fertig", sagte sie schnell.
"Gut. Wann kannst du deinen Reisepass abholen?"
Sie zögerte. "Ich ... weiß nicht, ich habe ihn erst letzte
Woche beantragt. Wahrscheinlich in ungefähr zwei Wo-
chen. Warum?"
"Da ich schon mal hier bin, fliege ich morgen gleich
weiter nach Tokio. Ich dachte, du würdest vielleicht gern
mitkommen, aber das können wir ein andermal nachho-
len."
"Ja, Ryan..."
"Kim, ist etwas nicht in Ordnung?"
"Ryan." Sie klang ein wenig verzweifelt. "Wusstest du,
dass Sandra wieder heiratet?"
Stille, dann hörte sie ihn fluchen. "Nein. Wen?"
Kim erzählte ihm, was sie wusste. "Es kommt ziemlich
überraschend, oder?"
"Sehr überraschend", sagte er schroff. "Hör zu, ich habe
morgen noch zwei Sitzungen, aber übermorgen nehme
ich die erste Maschine. Kim, woher weißt du es?"
"Es stand anscheinend in irgendeiner Zeitung. Ich ..."
Sie war drauf und dran, ihm von ihrer Begegnung mit
Sandra zu erzählen, hatte aber nicht den Mut dazu. "Ich
dachte, es würde dich interessieren."
"Nur sie ist zu so etwas fähig", sagte er ungeduldig.
"Leider muss ich jetzt Schluss machen, aber ich rufe dich
an, sobald ich zu Hause bin."
Kim legte auf und betrachtete lange den Hörer. Ja, nur
Sandra, die arme Seele, war zu so etwas fähig, aber zu-
mindest kam er ihretwegen nach Hause.
Am nächsten Tag arbeitete Kim fast bis zum Umfallen
an den papuanischen Kunstgegenständen, aber tief in der
Nacht waren die Vorbereitungen für die Ausstellung end-
lich beendet. Bevor Kim die Firma verließ, legte sie ei-
nen mit "Vertraulich" beschrifteten Umschlag auf Pams
Schreibtisch.
Am nächsten Morgen saß sie im Flugzeug nach North
Queensland.
Auf Hamilton Island ging sie an Bord der "Sun God-
dess", eines schlanken, schnellen Boots, das sie durch die
Whitsunday-Passage nach Hayman Island brachte. Dort
wollte sie versuchen, den Schmerz zu vergessen, den sie
sich selbst bereitet hatte, als sie beschlossen hatte, für
immer aus Ryan Baileys Leben zu verschwinden.
Hayman Island war wunderschön. In den ersten Tagen
schlief Kim viel und fühlte sich körperlich bald besser,
aber ihre verletzte Seele erholte sich nicht. Deshalb ver-
suchte sie es mit körperlicher Betätigung, schwamm im
Pool des Hotels oder im offenen Meer und wanderte
stundenlang in den zerklüfteten Bergen der Insel umher,
was bei der tropischen Hitze sehr anstrengend war.
Sie vermied jeden Kontakt zu anderen Feriengästen und
aß allein in einem kleinen Restaurant am Meer, mit Blick
auf die Bucht und eine liebliche kleine Insel, die auf
Hayman nur "Bali Hi" genannt wurde, deren richtiger
Name aber viel banaler war:
Black Island.
In den beiden Namen sah sie eine symbolische Bedeu-
tung für sich selbst, verglich sie mit der zauberhaften
Vision einer gemeinsamen Zukunft, die die Liebe zu Ry-
an ihr eröffnet hatte und die zerstört worden war, weil
sie, Kim, mehr hatte haben wollen als möglich war.
Abgesehen von den Büchern, die sie aus der Bibliothek
auslieh und im Eiltempo las, galt ihr einziges Interesse
den Kunstwerken, für die Hayman Island berühmt war:
Gemälde, Skulpturen und Ming-Vasen.
Nach zehn Tagen - sie fühlte sich immer noch einsam
und leer - stieß sie in einer Zeitung aus Brisbane auf zwei
Artikel, die sie erschütterten.
Der erste war ein Bericht über die Hochzeit von Sandra
Bailey mit einem Michael Wentworth. Das Foto zeigte
einen jungen Mann mit langem Haar und einer runden
Nickelbrille. Kim ließ die Zeitung sinken und blickte
minutenlang wie erstarrt vor sich hin.
Der zweite Schock erwartete sie im Wirtschaftsteil, den
sie überflog, um sich über den Stand der von ihrem Vater
geerbten Aktien zu informieren. In einer Überschrift
stach ihr der Name Fortune ins Auge. Im Artikel hieß es,
dass Bill Fortune Bailey Construction verlassen habe,
was angesichts seiner langen Zusammenarbeit mit Ryan
Bailey Anlass zu Gerüchten über interne Schwierigkeiten
in der Firma gebe, die an verschiedenen wichtigen Pro-
jekten beteiligt sei.
Warum? fragte Kim sich. Und warum hatte Ryan Sand-
ras Heirat nicht verhindert? Gab es tatsächlich Probleme
in der Firma? Hatte er sich etwa übernommen und war
deshalb nach Singapur geflogen? Hatte sie, Kim, ihn im
Stich gelassen, als er sie gebraucht hatte? Aber warum
hatte er ihr nichts erzählt?
Sie blickte vor sich hin, ohne etwas zu sehen, und hatte
plötzlich das Gefühl zu ersticken, wie es ihr schon einmal
fast passiert war. Die Schönheit und Eleganz von Hay-
man Island berührte sie nicht mehr.
War sie zu sehr mit ihren eigenen Problemen und Be-
dürfnissen beschäftigt gewesen?
Am nächsten Morgen flog Kim nach Brisbane zurück.
Sie traute sich nicht, Ryan zu Hause anzurufen, weil
wahrscheinlich Mary am Apparat gewesen wäre. Pam
hätte sicher eine Nachricht an ihn weitergeleitet, aber
würde er sich melden, nach allem, was sie in ihrem Ab-
schiedsbrief geschrieben hatte - dass sie diese veränderte
Kim selbst nicht mehr kannte und mochte? Nein, sie
musste ihren Stolz überwinden und zu Ryan gehen -
dorthin, wo sie ihn finden würde, wenn er in der Stadt
war: ins Büro.
Erst als sie am späten Nachmittag das Foyer der Firma
betrat, erkannte sie, dass sie einen schrecklichen Fehler
gemacht hatte. Es fand ein Empfang statt. Weißgekleide-
te Kellner reichten Champagner und Kanapees herum,
und während sie noch verblüfft an der Tür stand, kam der
Minister von Papua-Neuguinea auf sie zu und schüttelte
ihr freudestrahlend die Hand.
"Miss Lingard! Wie schön, dass Sie gekommen sind,
obwohl Sie Mr.
Bailey verlassen haben, wie ich hörte. Ich kann Ihnen
zu dieser gelungenen Ausstellung nur gratulieren! Es
macht mich sehr stolz, dass die Kunstwerke meines Lan-
des so hervorragend ausgestellt und beschrieben sind -
alles Ihr Werk, wie man mir sagte."
Kim schluckte und sagte schwach: "Es war mir ein
Vergnügen, Sir."
"Ich habe gerade Mr. Bailey gesagt ... Ah, da ist er ja.
Ich habe gerade gesagt, dass Richter Lingards Tochter
eine sehr talentierte junge Frau ist, nicht wahr, Ryan?"
Ihre Blicke trafen sich, und Ryan betrachtete sie lange
und fast unverschämt von Kopf bis Fuß, bevor er sagte:
"Ja, und ich stimme Ihnen zu - sie ist sehr talentiert. Lei-
der versteht sie nicht, das Beste aus ihrem Talent zu ma-
chen."
"Aber, aber", erklärte der Minister heiter, "ich verstehe
sehr gut, dass Sie wütend sind, weil sie Sie verlassen hat.
Mir würde es sicher genauso gehen. Aber heute Abend
lasse ich mir die Freude nicht verderben, meine Kinder!
Miss Lingard, ich möchte Sie einigen Leuten vorstellen."
Er zog Kim triumphierend mit sich und ließ sie nicht
mehr von seiner Seite, bis der Empfang beendet war. Bei
der Verabschiedung der Gesandtschaft fand sie sich,
krampfhaft lächelnd, plötzlich neben Ryan wieder und
hatte das Gefühl, gespannt wie eine Sprungfeder zu sein.
"Das war das", sagte Ryan, als die Limousine ver-
schwunden war. Er drehte sich zu Kim um und lächelte
unangenehm. "Warum bist du gekommen? Um dich in
deinem Triumph zu sonnen, oder willst du mir noch eine
Lektion erteilen?"
"Ich ..." Sie suchte nach Worten.
Spöttisch beobachtete er ihre vergeblichen Bemühun-
gen und sagte schließlich nachdenklich: "Es ist wahr-
scheinlich sehr unhöflich von mir, aber erinnerst du dich,
was passiert ist, als du mir das letzte Mal eine Lektion
erteilen oder mich zurechtweisen oder mich hassen woll-
test? Ich persönlich erinnere mich sehr gut daran", fügte
er sanft hinzu.

10. KAPITEL
Kim war so wütend, dass sie sich umdrehte und davon-
ging und erst fünf Minuten später merkte, dass sie ihren
Wagen in der entgegen gesetzten Richtung geparkt hatte.
Sie blieb stehen und wollte gerade zurückgehen, als ein
blauer Lamborghini neben ihr am Straßenrand hielt.
"Die Geschichte wiederholt sich. Steig ein, Kim", sagte
Ryan trocken.
"Nein!"
"Entweder du steigst ein, oder ich steige aus und jage
dich die ganze Straße entlang, wenn es sein muss."
"Das wagst du nicht!"
"O doch. Wir haben noch etwas zwischen uns zu klä-
ren, Miss Lingard, und das möchte ich nicht gerade hier
tun." Als er den Motor abstellte und die Fahrertür öffnete,
stieß sie einen unterdrückten Fluch aus und stieg ein.
"Sehr klug", kommentierte er und ließ den Motor wie-
der an.
Sie funkelte ihn wütend an und stieß zwischen zusam-
mengebissenen Zähnen hervor: "Versuch nicht, mich zu
dir oder zu mir nach Hause zu bringen, sonst schreie ich
die ganze Gegend zusammen."
"Hast du solche Angst davor, mit mir allein zu sein?
Warum wohl?"
erwiderte er süffisant. "Na gut, dann suchen wir also
neutralen Boden für unseren kleinen Streit auf." Er fuhr
zu dem Restaurant, in dem sie zum ersten Mal zusammen
gegessen hatten.
Als sie zum Tisch geführt wurden, sagte Kim kühl:
"Das ist reine Zeitverschwendung. Ich habe keinen Hun-
ger."
Ryan ließ den Blick spöttisch über ihr kurzes marine-
blaues Kostüm mit den großen Goldknöpfen gleiten. "Ich
glaube, du hast abgenommen, Kim. Wie hast du das ge-
schafft - durch Marathonlauf, um deine neu erwachte
Liebeslust zu unterdrücken?"
Sie knallte ihre Tasche auf den Tisch und sagte leise
und nachdrücklich: "Noch eine solche Äußerung von dir,
und ich verpasse dir eine Ohrfeige."
"Du willst hier hoffentlich keine Szene machen. Setz
dich." Er betrachtete sie so kalt und drohend, dass sie
errötete und gehorchte.
Er setzte sich ebenfalls und bestellte zwei Brandy, das-
selbe Essen wie damals bei ihrem ersten Treffen und eine
Flasche Wein. "Also", begann er, nachdem der Kellner
den Brandy serviert hatte und gegangen war, "willst du
mir nicht erklären, was dieser gefühlvolle, vorwurfsvolle
Brief zu bedeuten hat, den du mir hinterlassen hast?"
Kim trank einen Schluck Brandy, um sich zu beruhi-
gen. "Ich wollte weder gefühlvoll sein noch dir einen
Vorwurf machen, sondern dir lediglich die Wahrheit sa-
gen. Du bist eine Maschine, kein Mensch.
Für dich wird die Firma immer an erster Stelle stehen,
und ich möchte nicht eines Tages so enden wie ... Sandra
zum Beispiel."
"Du hast dich also in mich verliebt?"
"Nein, in eine Illusion", sagte sie bitter. "Vielleicht hast
du dich auch in ein Trugbild von mir verliebt - und ge-
nauso komme ich mir vor:
wie ein Trugbild."
"Was meinst du damit?"
Sie lehnte sich zurück. "Ich hätte nie gedacht, dass ich
fähig wäre, so etwas zu empfinden. Und du selbst hast
einmal zu mir gesagt, dass eine unabhängige Frau, die
ihre Freiheit schätzt, die ideale Lösung für dich wäre."
"Du wirst immer eine unabhängige Frau sein, Kim."
Sie betrachtete ihn ironisch, ging aber nicht weiter dar-
auf ein. "Und dann dieses Schuldbewusstsein wegen
Sandra. Warum hast du die Hochzeit nicht verhindert?"
fragte sie unvermittelt.
Er betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen.
"Sag du mir erst, warum du dich Sandras wegen schuldig
fühlst. Du hast einmal gesagt, dass die Scheidung wahr-
scheinlich das beste für uns wäre."
"Das war, bevor sie mir erzählt hat, was sie immer noch
für dich empfindet, und bevor ich ihr einen Rat gegeben
habe."
"Wann war das?"
Sie richtete sich langsam auf und stellte ihr Glas ab.
"Hat Mary dir etwa nichts davon erzählt?"
"Nicht dass ich wüsste."
Kim schluckte. "Sie hat mich an dem Tag besucht, an
dem ich..."
"An dem du weggerannt bist? Wann? Schließlich ist
das dreimal passiert, oder?"
Sie betrachtete ihn von oben herab. "Es war bei einer
der Gelegenheiten, an denen du plötzlich wegmusstest -
geschäftlich."
"Ach ja, ich erinnere mich." Er zog die Augenbrauen
hoch. "Und ich war auch nicht ganz ehrlich - Sandra
selbst hat es mir erzählt. Aber erst, als ich versucht habe,
die Hochzeit zu verhindern."
"Sprich weiter", sagte Kim nach langem Schweigen.
"Vielleicht sollte ich von Anfang an beginnen - mit
Sandras Anfang", sagte er ruhig. "Michael Wentworth ist
kein verarmter Musiker, der sich mit Drogen abgibt und
sich in Bars und Clubs herumtreibt, sondern ein hochbe-
gabter Flötist. Er ist fünf Jahre jünger als Sandra und hat
nur den Durchbruch noch nicht geschafft. Außerdem ist
er schüchtern und naiv, aber er liebt Sandra auf seine
eigene beständige, ruhige Art."
"Sprich weiter", sagte Kim wieder, doch sie hörte ihre
Stimme wie aus weiter Ferne.
"Zu ihrer Überraschung stellte Sandra fest, dass sie die-
se Liebe erwiderte. Aber sie konnte sich nicht damit ab-
finden, weil er jünger war als sie, weil sie kein Selbstver-
trauen hatte und weil ... er nicht ich war."
"Ich glaube, ich beginne zu verstehen", sagte Kim
kaum hörbar.
"Das hoffe ich, denn deine Worte haben in einigen Mi-
nuten das erreicht, was ich und andere ihr seit Jahren
klarzumachen versucht haben. Sie sagte, es sei für sie wie
ein Schlag vor den Kopf gewesen.
Plötzlich habe sie erkannt, dass sie es nicht verdiene,
jemanden zu lieben, wenn sie sich immer nur als Spie-
gelbild desjenigen sehen könne. Das gab ihr den Mut, die
Welt und mich zum Teufel zu schicken - und einen jün-
geren Mann zu heiraten, weil er sie beruhigt, weil sie mit
ihm glücklich werden und ihn bemuttern kann, denn das
braucht sie wohl. Ich habe ihnen meinen Segen gegeben."
Kim blinzelte eine Träne weg. "Mir fällt ein Stein vom
Herzen."
"Heißt das, du kommst mit reinem Gewissen zu mir zu-
rück?"
"Nein", flüsterte sie und wandte den Kopf ab.
Das Essen wurde gebracht, und als der Ober ver-
schwunden war, sagte Ryan etwas Überraschendes. "Du
glaubst also lieber Bill Fortune?"
"Woher hast du..."
Er lächelte grimmig. "Vielleicht weißt du nicht, dass
Bill gegangen ist.."
"Doch. Das war ja ein Grund, weshalb ich ..." Sie
schwieg verwirrt.
"Ein Grund, weshalb du zurückgekommen bist?"
Sie brachte kein Wort heraus.
"Dann werde ich dir etwas über Bill Fortune erzählen,
Kim", begann Ryan trocken, "An dem Tag, an dem zwi-
schen uns alles angefangen hat, war ich sehr wütend auf
Bill, weil er sich drei Verträge hat abnehmen lassen, er-
innerst du dich?"
Sie nickte benommen.
"Ich habe es nicht dabei belassen, sondern nachge-
forscht, bis ich den Grund dafür herausfand. Irgend je-
mand hatte Details unserer Angebote an die Konkurrenz
weitergegeben."
Sie öffnete den Mund. "Bill?"
"Ja. Leider musste ich ihm eine Falle stellen, um es zu
beweisen."
"Deshalb also hat er das alles zu mir gesagt." Sie
schluckte. "Und ich war so erstaunt, weil er bei unserer
letzten Begegnung wissen wollte, wohin du geflogen
seist - und das ausgerechnet von mir."
"Er war offensichtlich misstrauisch. Der Anruf in jener
Nacht unserer letzten Nacht", sagte er trocken, "kam von
einem befreundeten Bankier aus Singapur. Er hatte einen
Mann bei sich, der beweisen konnte, dass Bill in die Falle
getappt war, die ich ihm gestellt hatte.
Der Mann wollte Singapur nicht verlassen, und es war
sehr wahrscheinlich, dass er sich anders besinnen und
verschwinden würde.
Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass ich sofort
dorthin fliegen musste, um diese Sache zu klären. Aber
lass dein Essen nicht kalt werden", fügte er hinzu und
griff nach seinem Besteck.
"Aber warum hat Bill das getan?" fragte sie, nachdem
sie einen Bissen gegessen hatte.
"Erstens wurden die Informationen gut bezahlt, aber es
gab noch mehr Gründe. Im Lauf der Jahre begann er,
mich zu beneiden, bis er mich schließlich hasste", erklär-
te Ryan ausdruckslos. "Zumindest hat er mir das gesagt,
als ich ihn zur Rede gestellt habe. Er hat mir auch erzählt,
dass er sich die größte Mühe gegeben habe, mir bei dir
die Tour zu vermasseln - mit Erfolg, wie ich nach deinem
Brief annehmen musste." Ryan hatte aufgehört zu essen
und sah ihr direkt in die Augen.
"Warum hat er dich so gehasst?" fragte sie.
"Ah." Er betrachtete sie amüsiert. "Eine Breitseite,
Kim? Ein Wink mit dem Zaunpfahl, was für ein Monster
ich doch bin, dass ich einen langjährigen Mitarbeiter mit
meiner Arroganz verschrecke - oder Schlimmeres? Na ja,
ich bin vielleicht arrogant, aber auch fair, und echte Be-
mühungen habe ich immer mehr als großzügig belohnt."
Sie verschluckte sich fast an ihrem Steak, trank einen
Schluck Wein, und sagte dann kühl: "Du erinnerst mich
an eine Dampfwalze, Ryan, aber das habe ich dir sicher
schon gesagt."
"Tatsächlich - zum Beispiel auch im Bett?" , "Das ist..."
Sie trank noch einen Schluck und funkelte Ryan wütend
an.
"Ein Schlag unter die Gürtellinie?" Er zog eine Augen-
braue hoch.
"Meines Wissens habe ich in jener Nacht nicht viel ge-
tan. Dafür hast du dich für mich ausgezogen, und ..."
Ihr wurde heiß und kalt. "Hör auf!" flüsterte sie. "Wie
kannst du so schmutzige Dinge sagen! Kein Wunder,
dass ..."
Er unterbrach sie. "Nein, das Wunder ist, dass du in
meinem Bett glücklich bist - sehr glücklich sogar. Nur
außerhalb des Bettes bekämpfst du mich und rennst vor
mir weg, obwohl ich alle deine Gegenargumente ent-
schärft habe." Er klang kalt und verächtlich.
"Aber nun lass uns Nägel mit Köpfen machen. Warum
heiratest du mich nicht? Dann könnten wir viel mehr Zeit
im Bett verbringen."
"Und uns außerhalb des Bettes bis aufs Blut bekämp-
fen? Nein danke, Ryan. Ich gehe jetzt. Und wage es
nicht, mir zu folgen!"
"Kim ..." Er betrachtete sie nachdenklich, als sie unsi-
cher aufstand.
"Nein, das werde ich nicht tun. Aber eines muss ich dir
noch sagen.
Auch wenn wir uns manchmal streiten - es gibt keine
Frau, die eine solche Wirkung auf mich hat wie du, und
ich weiß, dass du für mich Dinge tust, die du für keinen
anderen machen würdest. Vielleicht hätte mich das eines
Tages von der Maschine zum Menschen gemacht.
Aber das ist es eben - ich kann mich leider nicht von
einem Moment auf den anderen in das verwandeln, was
du in mir siehst. Alles Gute, mein Liebling. Vielleicht
blickst du eines Tages zurück und denkst, es ist besser,
wenigstens einmal geliebt worden zu sein, als ... nichts
gehabt zu haben."
Er stand höflich auf, das Gesicht ausdruckslos, während
sie wütend die aufsteigenden Tränen bekämpfte, sich
umdrehte und ging.
Am nächsten Nachmittag lag Kim mit schrecklichen
Kopfschmerzen auf dem Bett, fühlte sich sterbenselend
und fragte sich, ob sie nicht einen schrecklichen Fehler
gemacht hatte. Zugegeben, Ryan konnte unfreundlich
und verletzend sein, aber dennoch musste sie ständig
daran denken, wie er sie geliebt hatte. Im Bett war er
anders gewesen, so ... so ... Sie konnte es nicht beschrei-
ben, aber sie wusste, dass sie sich einsamer vorkam als
jemals in ihrem Leben.
Blicklos sah sie vor sich hin und erinnerte sich daran,
wie er sie gebeten hatte, sie zu heiraten. Doch inzwischen
war ihre Wut selbst darüber verraucht. Sie fragte sich,
warum das so war und warum sie sich nur noch einsam
und kalt und elend fühlte.
Und weil es darauf nur eine Antwort gab, stand sie auf
und ging unruhig in der Wohnung herum. Mit einer Tas-
se Tee und der Tageszeitung in den Händen kehrte sie
schließlich ins Bett zurück und schlug den Börsenteil auf,
weil es das einzige war, was sie interessierte. Auf der
gegenüberliegenden Seite fiel ihr sofort ein Artikel ins
Auge, denn er berichtete über Bailey Construction.
Es war eine Presseerklärung von Ryan, in der er beton-
te, dass Bill Fortune und er sich einvernehmlich getrennt
hätten, er Bill und seiner Familie alles Gute wünschen
und ihm für seine Mitarbeit in der Firma danken würde.
Kim las den Bericht zweimal und schloss kurz die Au-
gen. Fünf Minuten später stand sie auf und ließ sich Ba-
dewasser ein. Als sie nach dem Bad eine blau-weiß ge-
streifte Hose und ein weites blaues Oberteil aus dem
Schrank nahm, sah sie erstaunt, dass es draußen in Strö-
men regnete.
Sie hatte nicht gewusst, welches Wetter gerade war.
Und während sie in ihre weißen Espadrilles schlüpfte,
überlegte sie, dass das kein Wunder war - sie wusste ja
nicht einmal, wer sie selbst war oder was sie mit ihrem
Leben tun sollte.
Einen Moment sah sie blicklos vor sich hin, bevor sie
sich energisch umdrehte und nach dem Autoschlüssel
griff.
Es war Mary, die Kim durch die Sprechanlage sagte,
dass Mr. Bailey zu Hause sei. Es war Mary, die sie an der
Haustür empfing und ein wenig besorgt erklärte, er sei im
kleinen Wohnzimmer und Kim solle ruhig hineingehen.
Als sie eintrat, stand Ryan mit hängenden Schultern am
Fenster, das auf den Garten hinausführte, ein Glas in der
einen Hand, die andere in die Hosentasche geschoben.
Kim räusperte sich, und er drehte sich um und blickte sie
erstaunt an.
"Mary ... hat dir nicht gesagt, dass ich es bin?" fragte
sie stockend.
"Sie hat mir überhaupt nichts gesagt."
"Hast du etwas dagegen, dass ich ..."
"Du scheinst in Mary eine Verbündete zu haben." Er
zuckte die Schultern. "Und ob ich etwas dagegen habe,
dass du gekommen bist, wird sich erweisen. Möchtest du
etwas trinken?" Er sah sie fragend an.
"Nein, danke. Ich wollte ... ich wollte dir einige Dinge
erklären."
Ryan betrachtete sie für einen Moment ausdruckslos
und sagte dann:
"Setz dich."
"Ich glaube, ich bleibe lieber stehen."
"Na gut." Er setzte sich auf eines der Ledersofas.
Kim schluckte, ballte die Hände zu Fäusten und spürte
ihr Herz bis zum Hals klopfen. "Warum hast du diese
Erklärung über Bill abgegeben?"
Er zuckte die Schultern. "Er hat eine Frau und vier
Kinder."
Ihr Blick fiel auf den Sisley, und sie betrachtete das
Bild lange. Dann sagte sie beherrscht: "Darüber wollte
ich mit dir reden."
"Über Bills Familie?"
"Nein. Ich habe immer geglaubt, dich nicht gut zu ken-
nen. Aber heute Nachmittag hat dieser Artikel mir ge-
zeigt, dass es nicht so ist."
"Entschuldige, aber das verstehe ich nicht", erklärte er
trocken.
"Ich habe gemerkt, dass du trotz deiner Arroganz sehr,
sehr ..." Sie zögerte. "Nicht viele Männer würden sich so
um ihre Exfrau sorgen wie du dich um Sandra. Nicht
viele würden Bill Fortune ungeschoren davonkommen
lassen, weil er eine Frau und vier Kinder hat. Pam hast du
aus einer schrecklichen Beziehung herausgeholfen - sie
würde die Hand für dich ins Feuer legen. Und dann ich
..."
"Was ist mit dir, Kim?"
Sie setzte sich auf die andere Couch. "Auf der Insel
hast du dich um mich gekümmert. Und du hast die Gele-
genheit nicht ausgenutzt, obwohl es vielleicht ein Kin-
derspiel gewesen wäre. Ryan, siehst du, ich wusste viel
mehr über dich, als ich mir eingestehen wollte. Aber das
hat alles nur noch schlimmer gemacht." Sie schwieg und
sprach dann weiter: "An dem Morgen, als du nach Singa-
pur geflogen bist, hätte ich am liebsten geschrieen und
um mich geschlagen. Ich hätte dich umbringen können",
flüsterte sie, "so enttäuscht war ich."
Sie meinte, ihn seufzen zu hören, und dann streckte er
die Hand nach ihr aus. Sie zögerte einen Moment, bevor
sie aufstand und sich neben ihn setzte. Er legte ihr den
Arm um die Schultern, und plötzlich merkte sie, dass sie
weinte.
"Es ist so schrecklich, von dir getrennt zu sein",
schluchzte sie. "Aber noch schlimmer ist es, mich des-
halb zu hassen, weil ich mich unvernünftig benehme und
doch nichts dagegen tun kann. Das meinte ich, als ich dir
geschrieben habe, ich würde mich in meiner Haut nicht
mehr wohl fühlen. Und das war noch untertrieben."
"Kim." Er hielt ihren bebenden Körper an sich gepresst
und küsste sie aufs Haar.
"Nein, lass mich weiter sprechen. Also bin ich gegan-
gen, aber das war auch schrecklich. Ich habe mir einzu-
reden versucht, dass ich damit fertig werden würde, aber
in meinem Herzen wusste ich, dass es mir nie gelingen
würde. Ich habe mir einzureden versucht, dass ich mit
dem glücklich sein würde, was du mir geben könntest,
wenn du mich nur heiraten würdest. Ich wollte eine lie-
bende Ehefrau sein, eine Partnerin, eine gute Mutter und
mir vornehmen, nicht zu verzweifeln, wenn du keine Zeit
hättest für die Geburtstage der Kinder oder für unsere
Hochzeitstage, nicht einmal für eine Runde Golf - weil
die Alternative noch schlimmer war.
Aber heute weiß ich, dass ich mich nicht so kontrollie-
ren kann. Das ist ... alles." Sie lehnte den Kopf an seine
Schulter. "Das letzte, wovon Kim Lingard in ihrem Stolz
und ihrer Naivität geglaubt hatte, dass es ihr zustoßen
könnte", fügte sie kaum hörbar hinzu. "Nein, nicht alles.
Ich weiß immer noch nicht, ob du mich liebst oder nur
gemerkt hast, dass die Zeit vergeht und es niemanden
gibt, dem du Bailey Construction hinterlassen kannst."
"Wer ist darauf gekommen?"
"Sandra."
"Ich soll dir etwas von Sandra sagen, Kim." Als sie ihm
ihr tränennasses Gesicht zuwandte, sprach er weiter: "Sie
sagte, wenn sie selbst jemanden für mich hätte aussuchen
können, wärst du es gewesen."
"Wie ... Aber sie kennt mich doch kaum!"
"Nein, aber sie kennt mich, und über dich hat sie an-
scheinend einiges erraten. Und soll ich dir noch etwas
verraten? Wenn du mich nicht heiratest, Kim, und ich
Bailey Construction nicht unseren Kindern hinterlassen
kann, dann werde ich es verkaufen."
"Ryan!" stieß sie hervor. "Aber ..."
"Ich weiß", sagte er und zog sie an sich. "Noch vor ei-
nigen Monaten hätte ich nicht geglaubt, dass eine Frau
mir jemals soviel bedeuten könnte wie du. Aber als ich es
merkte, ging mir auch auf, dass du vielleicht die eine
Frau bist, die ich nicht haben kann. Und das hat mich aus
dem Konzept gebracht.
Und als ich gerade dachte, ich könnte zu dir durchdrin-
gen, habe ich die Dummheit gemacht, dich allein zu las-
sen - vielleicht aus alter Gewohnheit", fügte er selbstiro-
nisch hinzu. "Und ich habe mich extra zurückgehalten,
weil ich dich vielleicht nicht würde haben können vor-
sichtshalber. Aber selbst das hat mich nicht auf die Bit-
terkeit vorbereitet, die ich empfand, als ich glaubte, dich
verloren zu haben.
Deshalb habe ich dich wahrscheinlich gestern Abend so
attackiert.
Was ich gesagt habe, tut mir leid, mein Liebling. Bevor
du vorhin gekommen bist, habe ich gerade daran gedacht,
wie wir miteinander geschlafen haben, wie du dich für
mich ausgezogen hast, und ich habe mich gehasst, weil
ich dachte, ich hätte alles getötet, was zwischen uns war."
"Ryan..."
"Nein, lass mich ausreden", unterbrach er sie sanft. "Ich
habe oft an eine solche Liebe gedacht - an eine Frau, die
mich erregt, der ich nie überdrüssig werden könnte, die ...
mir unter die Haut geht, eine Frau, bei der ich mich auf
den ersten Blick danach sehnen würde, mit ihr zu schla-
fen, aber auch danach, stundenlang mit ihr zu reden. All
diese Dinge. Bei dir war das so, aber gleichzeitig hatte
ich das Gefühl, mich in eine Marmorstatue zu verlieben.
Hinzu kam noch die Herausforderung, der Zauber, dich
mit meiner Liebe lebendig zu machen, diese wunderbare
Leidenschaft in dir zu wecken, nur für mich - und gleich-
zeitig die Angst, dass ich nicht der Mann sein könnte, das
zu schaffen.
Wahrscheinlich habe ich in all den Jahren, in denen ich
mich hinter meiner Arbeit versteckt habe, den Glauben
daran verloren, und deshalb war ich so zynisch, als es
passierte", sagte er trocken.
"Ryan ... Ryan." Wieder stiegen ihr Tränen in die Au-
gen. "So empfindest du es also?"
"Wenn du mich heiratest, hätten wir den Rest unseres
Lebens, um es zu beweisen, aber ..."
Sie legte ihm den Finger auf den Mund. "Nein, sag jetzt
nichts mehr."
Er küsste ihr sanft die Finger. "Doch. Ich muss dir sa-
gen, dass ich mich trotz allem wahrscheinlich nicht über
Nacht ändern kann, aber wenn ich mich dann von dir
trennen muss, wird das Nachhausekommen zu dir für
mich so schön sein wie nie."
"Solange du es damit nicht übertreibst, werde ich mich
tapfer halten", sagte sie sanft. "Ich liebe dich, und ich
fühle mich ganz und gar nicht wie eine Marmorstatue!"
"Und ich mich nicht wie eine Maschine", erwiderte er,
und dann küsste er sie endlich.
"Vielleicht sollte ich das nicht tun", sagte Kim etwas
später.
"Warum nicht?"
"Ich weiß nicht, ob eine vorsichtige Ehefrau so etwas
tun würde obwohl ich noch keine bin."
"Ich bin sicher, genau das würde eine vorsichtige Ehe-
frau tun, vorausgesetzt, sie liebt ihren Mann. Meinst du
das nicht mit ‚vorsichtig'?" Ryan betrachtete ihren
schlanken gebräunten Körper mit den langen Beinen, den
festen Brüsten und den sanft geschwungenen Hüften.
Sie lächelte und ließ die Hände über seine Schultern
gleiten. "Nicht ganz, aber wenn es dir nichts ausmacht..."
Er lachte, und dann zog er sie plötzlich ganz dicht an
sich und flüsterte: "Bei dir zu sein, ist wie im Sonnen-
schein auf einen schneebedeckten Gipfel zu klettern, mit
einem weißen Boot über ein blaues Meer zu segeln, den
Mond zu beobachten, der eine silbrige Bahn über tiefes,
stilles Wasser wirft."
"Manchmal sagst du die wunderbarsten Dinge." Ihre
Stimme zitterte leicht.
"Wann heiratest du mich?"
"Morgen?"
Er lachte. "Mal sehen, ob ich es arrangieren kann."
So schnell konnte Ryan es nicht arrangieren, aber vier
Tage später heirateten sie, und ein Jahr später gab es
wieder etwas zu feiern: die Taufe ihres ersten Kindes, das
schon mit drei Monaten seiner Mutter sehr ähnlich zu
werden versprach, wie Ryan erklärte.
"Wie kommst du darauf?" fragte Kim und betrachtete
ihre winzige dunkelhaarige Tochter, die ruhig in ihrer
Wiege schlief.
"Ich weiß, dass sie deine langen Beine haben wird, dein
störrisches Temperament und dass sie mir das Leben
manchmal sicher zur Hölle machen wird. Ich finde, sie
sieht so aus."
Kim lachte. "Es ist eine Weile her, seit ihre Mutter dir
das Leben zur Hölle gemacht hat."
Er nahm sie bei der Hand und zog sie aus dem Kinder-
zimmer. "Oh, ich weiß nicht", sagte er und zog sie in die
Arme. "Die Mutterschaft steht dir. Und außerdem bin ich
schon den ganzen Nachmittag durch die Hölle gegan-
gen."
Sie atmete tief ein. "Ryan, ist es für dich immer noch so
- Mondlicht und schneebedeckte Gipfel?"
"Nein", sagte er, und als sie ihn mit großen Augen an-
sah, fügte er hinzu: "Es ist noch viel mehr - Frieden, Si-
cherheit. Obwohl ich dich oft nur anzusehen brauche und
mir wünsche, mit dir zu schlafen. Und genau das werde
ich jetzt auch tun. Gute, vorsichtige Mütter ruhen sich
nämlich gern aus, wenn ihre Babys schlafen."
"Ausruhen?" Ein übermütiges Funkeln erschien in ihren
Augen. "Du verwechselst nicht etwa Mütter mit guten,
vorsichtigen Ehefrauen?"
Er küsste sie sanft. "Siehst du? Du machst mir das Le-
ben zur Hölle."
"Andererseits, diese Mutter und Ehefrau könnte sich
nichts Schöneres vorstellen, als mit dir allein zu sein, um
sich ... auszuruhen", erklärte sie ernsthaft. "Ach Ryan, ich
hätte nie gedacht, dass es zwischen uns so wunderbar
wird!"
"Könnte man vielleicht sagen, dass wir füreinander ge-
schaffen sind, Kim?" fragte er und umfasste sanft ihr
Gesicht.
"Ja, das könnte man." Und mit einem glückseligen
Seufzer ließ sie sich in seine Arme sinken.
-ENDE

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