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Anaerobtechnik
Norbert Dichtl
Institut für Siedlungswasserwirtschaft
Technische Universität Braunschweig
Braunschweig
Deutschland
Die Bearbeitung des Werkes wurde mit Mitteln der Oswald-Schulze-Stiftung unterstützt.
Springer Vieweg
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Vorwort zur 3. Auflage
Das 1993 erstmalig und 2005 in einer 2. vollständig überarbeiteten Auflage erschiene-
ne Buch „Anaerobtechnik. Handbuch der anaeroben Behandlung von Abwasser und
Schlamm“ stellt im deutschsprachigen Raum das umfangreichste und wichtigste Hand-
buch für diesen Bereich dar. Seit dem Erscheinen der 2. Auflage hat sich eine Vielzahl von
Entwicklungen und Änderungen im Bereich der Anaerobtechnik ergeben, die in die nun
vorliegende Neuauflage eingeflossen ist. Neben einer Aktualisierung der einzelnen Kapitel
wurde das neue Handbuch insbesondere um die folgenden Punkte erweitert:
• In der Bundesrepublik Deutschland werden ca. 3/4 aller kommunalen Schlämme aus
der Abwasserreinigung anaerob behandelt. Neben einer Reduzierung der organischen
Inhaltstoffe dient die anaerobe Behandlung auch der Verringerung der pathogenen Kei-
me und der Verbesserung der Entwässerungseigenschaften (Kap. 4).
V
VI Vorwort zur 3. Auflage
• Die anaerobe Industrieabwasserbehandlung wird etwa seit Mitte der 1970er-Jahre für
Abwässer mit einer hohen organischen Belastung (z. B. Lebensmittel- und Papierindus-
trie) als Vorbehandlungsstufe zur Reduzierung der CSB-Konzentration eingesetzt. Die
Anzahl der Anlagen in Deutschland steigt seitdem stetig und beträgt etwa 258 (Stand
2012), von denen noch etwa 211 betrieben werden. Mit der Weiterentwicklung der an-
aeroben Reaktortechnologie erschließen sich immer mehr Anwendungsfelder; auch die
anaerobe Kommunalabwasserbehandlung gewinnt in tropischen und subtropischen
Ländern an Bedeutung (Kap. 5, 6 und 7).
• Die Anzahl landwirtschaftlicher Anaerobanlagen zur Vergärung von landwirtschaft-
lichen Wirtschaftsdüngern und nachwachsenden Rohstoffen ist in den vergangen Jah-
ren weiter stark angestiegen. Während 1990 die installierte Leistung in diesem Bereich
bei etwa 1 MWel lag, betrug sie 2010 2.370 MWel. Ebenso ist auch die produzierte Strom-
menge von 0,3 GWh (1990) auf 14.454 GWh (2010) deutlich angestiegen (BMU 2012)
(Kap. 8.1 und 8.2).
• Auch hinsichtlich der Vergärung organischer Reststoffe bestehen erhebliche Bio-
gaspotenziale, insbesondere im Bereich der Lebensmittelindustrie (z. B. Schlempen,
Trester). Die Potenziale industrieller Reststoffe können für Deutschland mit bis zu
4.000 GWh/a abgeschätzt werden; zusätzliche Potenziale entstehen auch bei der an-
aeroben Umsetzung der organischen Fraktion des Biomülls (Abschn. 8.3).
• Wesentlich beim Einsatz anaerober Verfahren ist die Biogas- bzw. Faulgasverwertung
– mögliche Verfahren und Potenziale sind daher in Abschn. 9.1., die Anforderungen an
die Sicherheit in Abschn. 9.2. dargestellt.
• Das beim anaeroben Prozess entstehende Gas, das sich hauptsächlich aus Methan und
Kohlenstoffdioxid sowie ggf. weiteren Gasen (z. B. H2S) zusammensetzt, wird bei der
Schlammstabilisierung als Faulgas (DIN 4045) und bei der Vergärung nachwachsen-
der Rohstoffe sowie im Rahmen der Abwasserbehandlung als Biogas bezeichnet. Das
EEG unterscheidet dagegen zwischen Klärgas (Gas, das bei der Schlammfaulung und
anaeroben Abwasserbehandlung entsteht), Deponiegas und Biogas (Gas, das durch an-
aerobe Vergärung von Biomasse gewonnen wird). In den folgenden Kapiteln werden die
unterschiedlichen Begriffe beibehalten, so wird im Rahmen der Schlammstabilisierung
i. d. R. der Begriff Faulgas, für die anderen Bereiche die Bezeichnung Biogas verwendet.
• Bei den Reaktoren werden ebenfalls unterschiedliche Bezeichnungen mit Faulbehälter
(Schlammstabilisierung), Anaerobreaktor (Abwasserbehandlung) und Fermenter (Bio-
gasanlagen) verwendet.
• Ebenso wird im eher landwirtschaftlich geprägten Biogasbereich die Beschickung bzw.
Substratzugabe auch als „Fütterung“ bezeichnet, was im wissenschaftlichen Sinn der
Substratzufuhr entspricht.
Vorwort zur 3. Auflage VII
Da die Autoren das für ihren Bereich gebräuchliche Vokabular verwenden, ist beim Lesen
zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Bezeichnungen für den gleichen Begriff auftre-
ten können. Eine Vereinheitlichung dieser Begriffe ist für die Zukunft wünschenswert,
kann jedoch durch dieses Buch nicht geleistet werden.
Insgesamt haben etwa 40 Autoren an der Aktualisierung und Überarbeitung mitge-
wirkt, bei denen wir uns herzlich für ihre Arbeit bedanken. Wir freuen uns, Ihnen hiermit
ein „Anaerobhandbuch“ auf dem neuesten Stand präsentieren zu können, das Ihnen als
Grundlage und Nachschlagewerk für Ihre Arbeit dienen und dazu beitragen soll, dass die
Anaerobtechnik auch in Zukunft als sichere und ökologisch sinnvolle Technologie ver-
mehrt Anwendung findet.
Wir danken der Oswald-Schulze-Stiftung für die finanzielle Unterstützung des Projektes.
Das Herausgeberteam
und Schriftleitung
Rosenwinkel, Kroiss, Dichtl, Seyfried, Weiland, Hinken
Inhaltsverzeichnis
IX
X Inhaltsverzeichnis
η Wirkungsgrad
ηtherm, ηelek thermischer/elektrischer Wirkungsgrad
µ Wachstumsrate
µmax maximale Wachstumsrate
A Grundfläche [z. B. m2]
ADM1 Anaerobic Digestion Model No. 1
AFS Abfiltrierbare Stoffe
AGW Arbeitsplatzgrenzwert
Anammox anaerobe Ammoniumoxidation
AOB ammoniumoxidierende Bakterien
AOP Advanced Oxidation Processes
AOX adsorbierbare organisch gebundene Halogene
ARA Abwasserreinigungsanlage
BB Belebungsbecken
Bd Fracht [kg/d]
BHKW Blockheizkraftwerk
BoTR Schlammbelastung [kg CSB/(kg oTR · d)]
BR Raumbelastung
BSB5 Biologischer Sauerstoffbedarf nach 5 d
c Spezifische Wärmekapazität; Wasser c = 4,187 KJ/(kg · K)
CF Carbon Footprint
CIP Cleaning in Place (ortsgebundene Reinigung)
CO2eq CO2-Äquivalent
CSB chemischer Sauerstoffbedarf
CSBhom chemischer Sauerstoffbedarf hom – homogenisiert
CSBfil chemischer Sauerstoffbedarf fil/filtr/mf – (membran-)filtriert
CSBelim chemischer Sauerstoffbedarf elim – eliminiert
CST Capillary Suction Time – kapillaren Fließzeit
XIII
XIV Abkürzungsverzeichnis
VV Vorversäuerung
WT Wärmetauscher
ρ Dichte
Gesetze/Verordnungen/Vorschriften
AbfKlärV Klärschlammverordnung
AbwAG Abwasserabgabegesetz
AbwV Abwasserverordnung
BBodSchG Bundes-Bodenschutzgesetz
BBodSchV Bundes-Bodenschutzverordnung
BImSchG Bundes-Immissionsschutzgesetz
BioAbfV Bioabfallverordnung
BiomasseV Biomasseverordnung
BioStoffV Biostoffverordnung
DepV Deponieverordnung
DüG Düngegesetz
DüMG Düngemittelgesetz
DüMV Düngemittelverordnung
DüV Düngeverordnung
EEG Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien
(Erneuerbare-Energien-Gesetz)
LWG Landeswassergesetze
TA Luft Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft
TierNebG Tierische Nebenprodukte Beseitigungsgesetz
TRBS Technische Regeln für Betriebssicherheit
TRGS Technische Regeln für Gefahrstoffe
TrinkV Trinkwasserverordnung
UVPG Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung
WHG Wasserhaushaltsgesetz
Verbände/Institutionen
Inhaltsverzeichnis
1.1 Historische Entwicklung ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 1
1.2 Weitere Entwicklungen der anaeroben Schlammstabilisierung ��������������������������������������������� 4
1.3 Anaerobe Abwasserbehandlung ������������������������������������������������������������������������������������������������� 7
Literatur ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 16
1.1 Historische Entwicklung
Die Anaerobtechnik nutzt biologische Prozesse unter Abwesenheit von Sauerstoff, wobei
organische Stoffe letztlich zu Methan und zu anorganischen Stoffen wie Kohlenstoffdi-
oxid und Ammonium zersetzt werden. Erdgeschichtlich gehören Methanbakterien zu den
ältesten Lebewesen, die bereits existierten, als die Erde noch nicht die heutige sauerstoff-
haltige Atmosphäre hatte. Die „anaerobe Zersetzung“ als natürlicher Vorgang wird von
der Menschheit erst in neuerer Zeit gezielt eingesetzt. Erste Vorläufer einer anaeroben Ab-
wasserreinigung waren die Faulschächte in den Städten des Indus-Kulturkreises. So be-
richtet Erhard (1954), dass etwa 6.500 v. Chr. in den Städten Mohenjodaro und Harappa
vor den Häusern in den Anschlussleitungen an die damals schon vorhandene Kanalisation
Schächte angeordnet waren, die vom Abwasser durchflossen wurden und in denen die
Schwerstoffe sich absetzten und ausfaulen konnten. Zweifelsohne wollte man damals den
Gestank in den im Rechteckprofil gebauten Kanälen durch Ablagerungen vermeiden. Im
sog. klassischen Altertum sind solche „Hauskläranlagen“ nicht zu verzeichnen.
Erst im Mittelalter wird von sog. Eh-Gruben (Faulgruben) berichtet, in die man Abwäs-
ser hineinlaufen ließ, weniger um sie zu reinigen als um sie loszuwerden. In den Schlös-
sern und Burgen wurden oftmals Kellereien oder unterirdische Gewölbe als Eh-Gruben
genutzt. Wenn sie voll waren, wurden sie einfach zugemauert, was oftmals lange Zeit spä-
ter gar manchen Schatzsucher verbitterte. Dass diese Methode „anaerober Abwasserreini-
gung“ den Bauwerken nicht gut bekam, zeigt ein Unglück, welches 1183 beim Reichstag
in Erfurt unter Kaiser Friedrich I. geschah: Hier brach der angefaulte Boden des Festsaals,
welcher sich über einer solchen Eh-Grube befand, ein und drei Fürsten, fünf Grafen, viele
Edle und mehr als hundert Ritter kamen in der Eh-Grube um (Erhard 1954). Als ein Wun-
der wurde es angesehen, dass kein Kirchenfürst zu Schaden kam. Heute lässt sich dieses
„Wunder“ leicht physikalisch erklären: Das spezifische Gewicht einer Ritterrüstung und
das eines dicken Bauches sind eben unterschiedlich groß.
Ende des 18. Jahrhunderts waren nach Strell (1913) und Hösel (1987) in der deutschen
Stadt Bunzlau in Schlesien teilweise „Senkgruben“ der damals bereits weitgehend ausge-
bauten Kanalisation vorgeschaltet. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde in
Frankreich der erste wichtige Beitrag zu einer gezielten anaeroben Abwasserbehandlung
geleistet.
Der Franzose Mouras vergrößerte die Faulgruben und schloss sie luftdicht ab, sodass
eine Ausfaulung des Abwassers und seiner Feststoffe erfolgte. Über die sog. Mouras’ Au-
tomatic Scavenger und die „Verflüssigung“ der organischen Feststoffe im Abwasser be-
richtet Moigna (1982). Er bezeichnet die Erfindung als die „einfachste, schönste und si-
cherlich großartigste aller modernen Erfindungen“ (McCarty 1982). In England wurde
um 1890/1891 eine Faulkammer entwickelt, die über einem größeren Leervolumen eine
Steinschicht aufwies, durch die das gefaulte Abwasser von unten nach oben floss; zweifels-
ohne das erste anaerobe Biofilm-Verfahren (anaerobes Festbett).
1895 entwickelte Cameron in Exeter, England, ein großes geschlossenes Becken ähn-
lich dem „Mouras Automatic Scavenger“, welches er als „Septic Tank“ patentiert bekam
(Abb. 1.1).
Diese „Septic Tanks“ wurden für die Vorbehandlung von Mischabwasser hinter Rechen
in einer Größenordnung von bis zu ca. 20.000 m3/d eingesetzt (McCarty 1982). In den
USA wurden durch Talbot die Septic Tanks zusätzlich mit Tauchwänden ausgerüstet, die
bis zu 0,6–1,0 m in die Wasseroberfläche eintauchten. Cameron erkannte schon frühzeitig
den Wert des Faulgases, welches in den Tanks entstand. So wurde das entstehende Faul-
gas in Exeter für die Beleuchtung und Heizung eingesetzt. Der Abfluss der Septic Tanks
1.1 Historische Entwicklung 3
war jedoch häufig schwarz und stark sauerstoffzehrend. Auch verstopften auftreibende
Schlammflocken oftmals nachgeschaltete aerobe Filterbetten. 1899 erkannte Clark in Law-
rence, Massachusetts, als erster dieses Problem und ließ den abgesetzten Schlamm dann in
getrennten Becken ausfaulen (McCarty 1982). Der englische Gesundheitsingenieur Wil-
liam O. Travis entwickelte 1904 das nach ihm benannte Travis-Becken (Abb. 1.2), welches
als 2-stöckiges Becken einen getrennten Faulraum für den absinkenden Schlamm aufwies
(Mc Carty 1957). Von Nachteil war allerdings, dass etwa 10–20 % des Abwassers durch den
Schlammteil geleitet wurden, wodurch das Abwasser anfaulte und stank (Imhoff 1925).
Den entscheidenden Fortschritt brachte Imhoff mit der Erfindung des Emscher Brun-
nens (Emscher-Becken, Imhoff Tank), bei dem der Faulraum so abgetrennt wurde, dass er
nicht mehr vom Abwasser durchflossen wurde (Abb. 1.3). Das Patent stammt von 1906;
im gleichen Jahr wurde auch die erste Emscherbrunnenanlage in Essen-Recklinghausen
gebaut (Imhoff 1910, 1925).
Die Erfindung des Emscherbrunnens und die sich daran anschließenden Untersuchun-
gen und Weiterentwicklungen haben die gesamte Anaerobtechnik entscheidend beein-
flusst.
4 1 Geschichte der Anaerobtechnik
Schon frühzeitig erkannte man den Einfluss der Temperatur auf die Faulgeschwindig-
keit. So hat bereits Kessener (1912) genaue Empfehlungen für die Durchflusszeit in Ab-
hängigkeit der Temperatur und damit die Größe von Faulräumen zur Behandlung von
Strohpappe-Abwässern angegeben.
Die Abhängigkeit des Gasertrages von der Temperatur wurde systematisch von Rudolfs
(1927) untersucht; bei gleicher Schlammmenge stieg die kurzzeitige Gasproduktion mit
der Temperatur an, wenn zwar der gesamte Gasertrag bis zur Faulgrenze gleich blieb. Die
Beheizung von Faulbehältern für hochkonzentrierte Abwässer oder für Schlamm wurde
in den verschiedensten Ländern entwickelt. Erste Versuche wurden bereits 1914 bei der
Emschergenossenschaft und beim Ruhrverband durchgeführt. Im gleichen Jahr (1914)
wurde Imhoff und Blunk das erste Patent zur Beheizung von getrennten Faulräumen er-
teilt. Der Ruhrverband speiste in Essen-Recklinghausen 1927 das überschüssige Gas in
das städtische Gasnetz ein. Ein weiteres Patent zur Beheizung von Schlammfaulräumen
bei Emscherbrunnen wurde Imhoff und Blunk (1921) erteilt. Die Beheizung wurde durch
Warmwasser vorgenommen, welches durch das gewonnene Faulgas erwärmt worden war.
Während beim Emscherbrunnen der Schlammfaulraum automatisch vom Abwasser im
darüber liegenden Absetzteil temperiert wurde, fehlte diese „Warmhaltung“ bei getrenn-
ten Schlammfaulbehältern. Deshalb wurde damals der Vorschlag gemacht, getrennte
Schlammfaulbehälter Wand an Wand neben Absetzbecken zu bauen, um die Abwasser-
wärme zu nutzen. Als Kuriosum ist das Patent zu erwähnen, Schlammfaulbehälter in
Kraftwerkshallen aufzustellen, um die dort herrschende Wärme zu nutzen.
Die Kombination von Emscherbrunnen mit in den Absetzteil eingebauten aeroben
Tauchkörpern wurde in Langendreer und in Kettwig angewendet, wobei die über Pressluft
belüfteten Tauchkörper mit ca. 75 % Wirkungsgrad die besten Ergebnisse brachten (Imhoff
1926).
unter der Schwimmdecke nicht einhielt. Als Nachfaulbehälter hinter dem Faulraum eines
Emscherbrunnens wurden getrennte Faulbehälter allerdings schon frühzeitig seit 1912
eingesetzt (Imhoff 1925; Wiegmann 1957) und von Imhoff und Blunk (1913) patentiert
(Abb. 1.4).
Mit den Nutzungsmöglichkeiten des Faulgases stieg natürlich das Interesse an einer
hohen spezifischen Gasproduktion und damit an einer Intensivierung der Faulung mit
immer kürzeren Durchflusszeiten, was in den 80er-Jahren zur Propagierung von unsin-
nig kurzen Faulzeiten führte. Dabei wurde vergessen, dass der Schlammfaulbehälter bio-
logisch gesehen ein Ausschwemmreaktor ist, dessen Durchflusszeit nicht kürzer als die
Wachstumsrate der am langsamsten wachsenden Organismen sein darf; in der Schlamm-
faulung sind das die Acetatbakterien.
Die Durchmischung von getrennten Faulräumen wurde in ihrer Bedeutung schon früh-
zeitig erkannt. Bereits 1912 wurde Imhoff und Blunk ein Patent zum „Schlammmischen
im getrennten Faulraum“ erteilt. Die Art der Durchmischung hatte auch Einfluss auf die
Konfiguration des Faulbehälters. So wurden unter Einfluss von Imhoff auf der Kläranlage
Essen-Rellinghausen vom Ruhrverband zwei unterschiedliche Faulbehälter gebaut und in
Betrieb genommen (Fries 1931). Der eine hatte eine kegelförmige Sohle und ein Rührwerk
an der Oberfläche, der andere hatte eine flache Sohle mit einem von oben angetriebenen
Krählwerk und einer Umwälzpumpe (Abb. 1.5).
Erstaunlich war, dass das Krählwerk mit unten liegendem Lager im Faulbehälter über
30 Jahre ohne nennenswerte Störungen lief. Er war allerdings, wie sich der Autor seiner-
seits beim Ausbau persönlich überzeugen konnte, nach dem alten, leider heute histori-
schen Grundsatz des Schiffbaus konstruiert: Man glaubt kaum, was Eisen alles aushält,
wenn man viel davon nimmt.
Die Umwälzung von Faulbehältern wurde 1926 nach einem Vorschlag von Prüss er-
heblich durch den Einsatz von Schraubenschauflern verbessert, die erstmalig von der Em-
schergenossenschaft auf Kläranlagen in Essen-Frohnhausen und in Oberhausen in den
6 1 Geschichte der Anaerobtechnik
Abb. 1.5 Faulbehälter der Kläranlagen Essen-Rellinghausen mit je 1.400 m3 Inhalt. (Fries 1931)
Faulbehältern eingesetzt wurden. Die später nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland
beliebte Umwälzung mit außen liegenden Umwälzpumpen hat einen schlechten Wir-
kungsgrad, wie eigene Tracervermessungen des Autors ergeben haben. Die schrittwei-
se im Laufe der Jahrzehnte entwickelte Umwälzung mit Faulgas wird im Ausland gerne
angewendet und lässt auch Faulbehälter mit flacher Sohle zu. Eine Fehlentwicklung war
hingegen, Faulbehälter mit einem „Trübwasser“-Abzug auszurüsten. Ein intensiv genutz-
ter Faulbehälter hat als biologischer Reaktor schon durch das entstehende Faulgas eine
ständige Durchmischung, sodass statt Schlammwasser (Trübwasser) nur dünner Schlamm
abgezogen wird, wodurch die eigentliche Kläranlage eine unnötige Belastung erfährt. In
Abb. 1.6 ist ein solcher Faulbehälter abgebildet (Bischofsberger 1993).
1.3 Anaerobe Abwasserbehandlung 7
Bei der Faulbehälterheizung haben sich heute allgemein außen liegende Wärmetau-
scher durchgesetzt. Innen liegende Doppelmantelheizzylinder (z. B. System Oswald Schul-
ze) werden kaum noch angewendet.
1.3 Anaerobe Abwasserbehandlung
Die Nutzung des Faulgases zur Stromerzeugung, wobei die Abwärme hier in Gasmoto-
ren zur Heizung benutzt wird, die geringe Überschussschlammproduktion und der auch
sonst geringe Energiebedarf machten die anaerobe Abwasserbehandlung für die Industrie-
abwasserbehandlung interessant. Buswell (1930a, b) stellte in seinen Untersuchungen die
Vorteile der zweistufigen anaeroben Behandlung von Brennereiabwässern (Schlempen,
Lutterwasser) heraus. In dem „Vorfaulraum“ wird das sauer ankommende Abwasser durch
den faulenden alkalischen Inhalt des Faulbehälters neutralisiert. Er empfiehlt, wie auch
andere Autoren, die regelmäßige Zugabe von Faulschlamm aus städtischen Faulbehältern.
1950 veröffentlichte Buswell einen Überblick über fünf amerikanische Anaerobanlagen.
Mit Brennerei-Abwasser wurde bei Raumbelastungen von 4,4–14,1 kg organischer Sub
stanz pro m3 · d ein Abbau von 75–90 % erzielt. Der Gasertrag lag bei bis zu 3 m3/(m3 · d)
Faulrauminhalt, bzw. 270–580 L/kg organische Substanz. Man darf sich nicht darüber täu-
schen, dass die zweistufige Faulung damals nur eine unterteilte Methangärung war und
noch nicht eine gezielte Trennung in eine Hydrolyse- und Versäuerungsstufe einerseits
und eine Acetat- und Methanstufe andererseits bedeutete. Diese biologische Trennung
wurde in ersten Ansätzen jedoch von Nolte (1928) ausgeführt. Die günstigen Ergebnisse
bei Brennerei- und Zuckerfabrikabwässern und auch bei anderen hochkonzentrierten or-
ganischen Abwässern mit der regelmäßigen Zugabe von kommunalem Faulschlamm dürf-
ten einerseits auf die Impfung mit anaeroben Bakterien zurückzuführen sein; andererseits
ist aber auch die damit erfolgte Zugabe eventuell fehlender Nährsalze und Spurenelemente
von Bedeutung, wie Seyfried et al. (1984) bei der anaeroben Reinigung von Pektinabwäs-
sern feststellen konnten. Dass statt kommunalen Faulschlammes sich auch Kuhdung als
vorzügliches Impfmaterial eignet, stellten Sen und Bhaskaran (1962) in Untersuchungen
zur Reinigung von Abwässern einer Melassebrennerei fest.
Da geschlossene Anaerobbehälter relativ teuer sind, wurden vielfach Faulteiche einge-
setzt, die auch heute noch in Entwicklungsländern eine preiswerte Möglichkeit zur Reini-
gung organischer Industrieabwässer bieten. Die biologischen Vorgänge sind die gleichen
wie bei geschlossenen Behältern; die Verfahrenstechnik unterscheidet sich nur wenig:
Bei Teichanlagen wird das Abwasser in der Regel nicht zusätzlich aufgeheizt. Die große
offene Oberfläche lässt einerseits unangenehme Gerüche austreten, und andererseits wird
die Faulung hemmender Sauerstoff eingetragen. Die bei geschlossenen Behältern gefürch-
tete Schwimmdecke ist bei Teichanlagen ein willkommener Abschluss. Etliche Autoren
weisen darauf hin, dass bei offenen Faulanlagen die Schwimmdecke nicht zerstört werden
sollte. Eine früher oft in Deutschland angewendete Verfahrenstechnik ist das von Nolte
8 1 Geschichte der Anaerobtechnik
(1928) entwickelte Gärfaulverfahren, auch Salzwedeler Verfahren genannt, bei dem meh-
rere Teiche in Kaskaden hintereinander geschaltet werden.
Unter Gärung verstand Nolte die Versäuerungsstufe und unter Faulung die Methan-
stufe. Diese Teich-Verfahrenstechnik wurde – manchmal mit kleinen Abweichungen, die
in der stark ausgeprägten Individualität von Zuckerfabrikdirektoren begründet sind – bis
in die 60er-Jahre in der Zuckerindustrie häufig angewendet.
Da der Wirkungsgrad von anaeroben-aeroben Teichanlagen begrenzt ist, die Teiche
relativ viel Platz brauchen und die Geruchsbelästigungen oftmals nicht gering waren, er-
folgte die Entwicklung der Anaerobtechnik nach dem Zweiten Weltkrieg in Richtung der
geschlossenen Anaerob-Reaktoren.
Die Erkenntnis, dass der Schlammgehalt im Reaktor den Wirkungsgrad erheblich be-
einflusst, führte zu der wohl wichtigsten Entwicklung in der Anaerob-Technik: weg vom
Ausschwemmreaktor, hin zum anaeroben Belebungsverfahren (Kontaktverfahren). In der
Literatur wird Schroepfer et al. (1955) die Erfindung des anaeroben Belebungsverfahrens
(Kontaktverfahrens) zugeschrieben. Das ist falsch. Die erste halbtechnische Versuchsan-
lage wurde in den 40er-Jahren von Jung bei einer im Niersverband gelegenen Strohpappe-
fabrik betrieben; die Ergebnisse wurden 1949 veröffentlicht (Jung 1949). Die erste groß-
technische anaerobe Belebungsanlage wurde in den Jahren 1951/1952 vom Ruhrverband
in Nuttlar an der oberen Ruhr für eine Hefefabrik und Brennerei in Betrieb genommen
(Rohde 1951, 1960; Sierp 1953). Schroepfer hatte die Ergebnisse mit seiner kleineren halb-
technischen Versuchsanlage bei einer Fleischwarenfabrik 1955 veröffentlicht, wobei davon
auszugehen ist, dass er von der bereits großtechnisch betriebenen deutschen Anlage nichts
wusste. Etwa zeitlich parallel zu Jung führte Stander (1950) in Südafrika ebenfalls Versuche
in einer kleinen Labor-Versuchsanlage mit Abwässern der Gärungsindustrie nach dem an-
aeroben Belebungsverfahren durch und stellte die Überlegenheit dieser neuen Verfahrens-
technik fest: Die Durchflusszeit konnte im Anaerob-Reaktor auf unter zwei Tage gesenkt
werden. Die erste großtechnische Anlage wurde in Südafrika Ende der 50er-Jahre für eine
Winzerei gebaut. Hier setzte man den neu entwickelten „Clarigester“ der Firma Dorr ein
(Abb. 1.7), welcher das Nachklärbecken in den Faulbehälter integrierte.
Jung nannte das von ihm entwickelte Verfahren „Schnellfaulung“. In Abb. 1.7 ist die
halbtechnische Versuchsanlage schematisch dargestellt. Der zunächst offene Faulbehälter
wurde mit einem Paddelwerk umgerührt. Die Nachklärung bestand aus einem Dortmund-
brunnen. Ein daneben angeordneter Schlammfaulbehälter für den Überschussschlamm
wurde auf ca. 30 °C beheizt. Der Anaerob-Reaktor war unbeheizt und hatte eine relativ
niedrige Temperatur von 12–14 °C. Trotz der niedrigen Temperatur gelang es, den KMnO4-
Verbrauch von ca. 5.000 mg/L auf unter 2.500 mg/L und den BSB5 von rd. 2.500 mg/L auf
unter 1.500 mg/l zu senken bei einer Durchflusszeit von 24 h. Nach einigen Wochen zeigte
der Anaerobschlamm Überlastungserscheinungen, offensichtlich durch gespeicherte Kol-
loide. Es wurde deshalb ein kleiner Teilstrom des Rücklaufschlammes durch den beheizten
Faulbehälter und wieder zurück in den Prozess geführt. Dies führte zu einer Verbesserung
und Stabilisierung des anaeroben Abbaues. Es war die erste Anwendung eines „anaeroben
Biosorptionsverfahrens“.
1.3 Anaerobe Abwasserbehandlung 9
Ende der 40er-Jahre wurde vom Ruhrverband auf der Kläranlage Fröndenberg eine An-
aerobanlage für die Abwässer einer Strohpappenfabrik bis zur Stilllegung der Produktion
Anfang der 60er-Jahre betrieben. Sie stellt eine Vorstufe zum anaeroben Belebungsverfah-
ren dar und arbeitete außerordentlich stabil. Wie in Abb. 1.8 dargestellt, wurde die Anlage
als Zweier-Kaskade und annähernd als Rohrreaktor ausgeführt. Paddelwerke sorgten für
eine gute Querdurchmischung. Die Reaktoren hatten ein Gesamtvolumen von 1.122 m3;
bei einem mittleren Zufluss von 5 L/s betrug die Durchflusszeit 3 Tage. Die BSB5-Raum-
belastung lag mit einer mittleren Konzentration von 5.400 mg/L bei rd. 1,8 kg/(m3 · d); der
KMnO4-Verbrauch im Zulauf betrug rd. 15.000 mg/L, die Raumbelastung an organischen
Feststoffen rd. 2,6 kg oTS/(m3 · d). Mit dem entstandenen Faulgas (1,25 m3/m3 bzw. 150 L/
kg oTS) wurde ein Rücklauf, welcher am Ende der zweiten Kaskade „Impfschlamm“ in den
Zulauf brachte und etwa 40 % vom Zulauf betrug, aufgeheizt, sodass eine Temperatur von
27–30 °C eingehalten werden konnte. Der Wirkungsgrad der Anaerobanlage lag auf den
BSB bezogen bei über 77 %. Der relativ hohe pH-Wert von 9–11 im Zulauf wurde durch
die anaerobe Behandlung auf 6,5–7 gesenkt. Der hohe Gehalt an Schwefelwasserstoff im
Ablauf konnte durch die Zugabe von Eisensalzen weitgehend zu Eisensulfid umgesetzt
werden.
10 1 Geschichte der Anaerobtechnik
Abb. 1.8 Großtechnischer Vorläufer des anaeroben Belebungsverfahrens für eine Strohpappenfab-
rik in Fröndenberg. (Ruhrverband, Rohde 1951)
durch Jung (1949), den Ruhrverband (Sierp 1953; Rohde 1951, 1960), Stander (1950) und
Schroepfer et al. (1955), hat sich die Technik des Rückhalts in vier Richtungen entwickelt:
Der externe Rückhalt als Sedimentation wird entscheidend unterstützt durch eine Ent-
gasung, die als Turmvakuumentgasung (Seyfried et al. 1984) oder als flache Beckenent-
gasung (Kanow und Kirchheim 1984) ausgeführt werden kann. Schrägklärer (Parallelab-
scheider), wie z. B. von Hasenböhler (1982) eingesetzt wurden, haben sich nur bedingt
12 1 Geschichte der Anaerobtechnik
1. Bei kohlenhydrathaltigen oder fetthaltigen Abwässern ist die Trennung der Versäue-
rung von der Methanstufe vorteilhaft.
2. Die Entdeckung von Bryant et al. (1967), dass die Methanstufe einen Zwischenabbau-
schritt, nämlich die Acetatstufe, beinhaltet. Die Acetatbakterien leben in enger Sym-
biose mit den Methanbakterien (interspecies transfer), die den erforderlichen niedrigen
Wasserstoffpartikeldruck gewährleisten. Wird diese Symbiose gestört, z. B. durch hoch-
tourige Pumpen, geht die Umsatzleistung zurück (Seyfried 1975).
Die genauere Kenntnis der Abbauwege hat die 1-stufige Anaerobtechnik (Abb. 1.10) in
vielen Fällen durch die 2-stufige Technik (Abb. 1.11) verdrängt.
Es war zwar schon bekannt, dass Anaerobier unter Stressbedingungen kleine Agglo-
merationen, sog. Pellets, bilden können, jedoch Lettinga et al. (1979) nutzen diese Eigen-
schaft als erste aus und entwickelten den Schlammbettreaktor, oder allgemein UASB-Re-
aktor ( Upflow Anaerobic Slugde Blanket) genannt. Dieser Reaktor ist als Prinzipskizze in
Abb. 1.12 dargestellt. Der Vorteil dieser Verfahrenstechnik ist, dass sich im Schlammbett
eine sehr hohe Dichte an Biomasse befindet, bei gleicher Schlammbelastung entsprechend
hohe Raumbelastungen zulässt, und dass sich die Pellets gegenüber Schlammflocken leich-
ter zurückhalten lassen. International sind etliche Hundert UASB-Reaktoren in Betrieb.
1.3 Anaerobe Abwasserbehandlung 13
Problem war jedoch, dass solche Schüttungen leicht verstopften, wie auch ein jüngeres
Beispiel einer norddeutschen Kartoffelstärkefabrik gezeigt hat. Erst der Einsatz moderner
Kunststoff-Füllelemente brachte gute Ergebnisse (Seyfried und Austermann-Haun 1990).
Der Einsatz von kleinen beweglichen Materialien (z. B. Schwebebett-Verfahren, „Moving
Bed“) brachte einen höheren Biomassengehalt ohne Verstopfungsprobleme (Switzenbaum
und Jewell 1980). Eine weitere Entwicklung war das Wirbelbett-Verfahren (Fluidised Bed),
welches sich jedoch nicht so gut bewährte. Einen umfangreichen Report über die Entwick-
lung von Biofilmreaktoren bringen Henze und Harremoes (1983). Eine Übersicht über
einige moderne Reaktoren ist in Abb. 1.13 dargestellt.
Eine besondere 2-stufige Verfahrenstechnik wurde erstmals in Marne eingesetzt (Aus-
termann-Haun und Seyfried 1994). Die hochkonzentrierten Abwässer verschiedener
Lebensmittelbetriebe werden vorversäuert, wobei durch einen tangentialen Zulauf eine
zyklonartige Strömung erzeugt wird. Die nicht hydrolysierten Feststoffe können so aus
der Mitte der Sohle abgezogen werden und in den kommunalen Schlammfaulbehälter ge-
geben werden. Das versäuerte und nicht mehr mit gröberen Feststoffen belastete Abwasser
wird in einem Festbettreaktor mit schwimmendem Bewuchsmaterial ausgefault und in der
kommunalen Kläranlage aerob gereinigt. Der BSB-Wirkungsgrad beträgt in der Anaerob-
Stufe über 80 %. Abbildung 1.14 zeigt ein Betriebsschema.
Die jüngste Entwicklung in der Anaerob-Technik ist der Einsatz von Ultrafiltrations-
membranen zum Rückhalt der Biomasse. Choate et al. (1982) berichten von den Proble-
men mit dem Einsatz einer Ultrafiltration hinter einem UASB-Reaktor. Die Fluxleistung
sank nach kurzer Zeit von 25 auf 14 L/(m2 · h) und konnte nur durch regelmäßige Rei-
1.3 Anaerobe Abwasserbehandlung 15
Abb. 1.14 Anaerobe Vorbehandlung des Industrieabwassers auf der Kläranlage Marne; Vorver-
säuerung mit integrierter Abscheidung der nicht hydrolysierten Feststoffe; Festbettmethanreaktor.
(Seyfried und Austermann-Haun 1990)
nigung mit Ätznatron und Hypchlorid wiederhergestellt werden. Außerdem durfte die
Membrananlage jeweils nur 8 h/d betrieben werden.
Wesentlich erfolgreicher war der Einsatz von Ultrafiltrationsmembranen bei einer
Maisstärkefabrik in Südafrika (Ross et al. 1992). Hinter einem mit Pelletschlamm betrie-
benen Clarigester wurden die aus der Nachklärung abtreibenden Pellets über ein Bogen-
sieb zurückgehalten. Der feststoffarme Ablauf wurde dann in der Ultrafiltrations-Mem-
brananlage gefiltert; das Konzentrat lief wieder zurück in den Anaerobreaktor. Das Be-
triebsschema und die wesentlichen Betriebsdaten sind in Abb. 1.15 aufgeführt. Bei dieser
Membrananlage wird geschickt ein Problem umgangen, welches von Brockmann (1998)
näher untersucht wurde. Durch die erforderlichen Druckerhöhungspumpen bei der Ultra-
filtration wird der Anaerobschlamm auf die Dauer so gestresst, dass die Leistungsfähigkeit
deutlich nachlässt. Bei der südafrikanischen Anlage wird jedoch der Anaerobschlamm be-
reits vorher abgeschieden und zurückgeführt. Aus den vorgenannten Problemen dürfte
sich in Zukunft eher die Mikrofiltration durchsetzen, bei der eine Druckerhöhung nicht
erforderlich ist.
Die Geschichte der Anaerobtechnik ist gekennzeichnet durch zwei große Technologie-
sprünge in den Jahren von 1906–1920 und von 1950–1980. Seitdem sind nur noch kleinere
Schritte zu verzeichnen. Bei einem Vergleich der Schlammbelastungen stellt sich heraus,
dass die meisten Hochleistungsreaktoren für die Abwasserbehandlung im gleichen Bereich
liegen; nur der jeweilige Schlammgehalt ist unterschiedlich. Viele Reaktoren, die in jünge-
rer Zeit entwickelt wurden (Böhnke et al. 1993), sind mittlerweile Geschichte, da sie sich
am Markt nicht behaupten konnten.
16 1 Geschichte der Anaerobtechnik
Abb. 1.15 Anaerobanlage mit Ultrafiltration zur Behandlung von Abwässern einer Maisstärkepro-
duktion. (Ross et al. 1992)
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Grundlagen anaerober Prozesse
2
Claudia Gallert, Josef Winter und Karl Svardal
Inhaltsverzeichnis
2.1 Mikrobielle Grundlagen der Methangärung (Claudia Gallert, Josef Winter) ����������������������� 20
2.1.1 Einleitung ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 20
2.1.1.1 Energiegewinn bei aeroben und anaeroben mikrobiellen
Umsetzungen ����������������������������������������������������������������������������������������������������� 21
2.1.1.2 Thermodynamik ����������������������������������������������������������������������������������������������� 24
2.1.1.3 Massen- und Energiebilanz ����������������������������������������������������������������������������� 26
2.1.2 Anaerobe Nahrungskette ������������������������������������������������������������������������������������������������� 28
2.1.2.1 Hydrolyse von Biopolymeren ������������������������������������������������������������������������� 29
2.1.2.2 Fermentation von Monomeren ���������������������������������������������������������������������� 32
2.1.2.3 Acetogenese der Gärprodukte ����������������������������������������������������������������������� 35
2.1.2.4 Methanogenese ������������������������������������������������������������������������������������������������� 38
2.1.3 Biogasquantifizierung ����������������������������������������������������������������������������������������������������� 44
2.1.4 Einflussfaktoren auf die Methangärung ����������������������������������������������������������������������� 46
2.1.4.1 Verdopplungszeit und Wachstumsraten ������������������������������������������������������� 47
2.1.4.2 Schlammrückführung und Verweilzeit ��������������������������������������������������������� 48
2.1.4.3 Homogenisierung/Durchmischung ��������������������������������������������������������������� 50
2.1.4.4 Räumliche Nähe und syntrophe Wechselbeziehungen ������������������������������� 51
2.1.4.5 pH-Wert ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 51
2.1.4.6 Betriebstemperatur ������������������������������������������������������������������������������������������� 52
2.1.4.7 Sauerstoffgehalt und Redoxpotenzial ����������������������������������������������������������� 53
2.2 Chemische Grundlagen anaerober Prozesse (Karl Svardal) ��������������������������������������������������� 53
2.2.1 Chemische Gleichgewichte ��������������������������������������������������������������������������������������������� 53
2.2.1.1 Löslichkeit von Gasen ������������������������������������������������������������������������������������� 54
2.2.1.2 Dissoziationsgleichgewichte schwacher Säuren und Basen ����������������������� 55
2.2.1.3 Dissoziationsgleichgewichte schwer löslicher Salze
(Löslichkeitsprodukt) ��������������������������������������������������������������������������������������� 60
2.2.2 Chemische Parameter und deren Bedeutung bei der anaeroben
Abwasserreinigung ����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 62
2.2.2.1 Der chemische Sauerstoff Bedarf (CSB) ������������������������������������������������������� 62
2.2.2.2 TOC ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 63
2.2.2.3 BSB5 ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 64
2.2.2.4 Stickstoffverbindungen ����������������������������������������������������������������������������������� 64
2.2.2.5 Phosphorverbindungen ����������������������������������������������������������������������������������� 66
2.2.2.6 Schwefelverbindungen ������������������������������������������������������������������������������������� 66
2.2.2.7 Säurekapazität (Alkalinität) ����������������������������������������������������������������������������� 67
2.2.2.8 Wasserdampfflüchtige organische Fettsäuren ��������������������������������������������� 70
2.2.2.9 Calcium ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 70
2.2.2.10 Faulgaskomponenten ��������������������������������������������������������������������������������������� 70
2.2.3 Chemische Umwandlung des organischen Kohlenstoffs unter
anaeroben Bedingungen ������������������������������������������������������������������������������������������������� 71
2.2.4 Bilanzierung des Anaerobreaktors ��������������������������������������������������������������������������������� 73
2.2.4.1 CSB-Bilanz ��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 75
2.2.4.2 Schwefelbilanz ��������������������������������������������������������������������������������������������������� 77
Literatur ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 77
2.1.1 Einleitung
Die gesamte Biomasse auf der Erde entsteht durch Kohlendioxid-Fixierung bei der Photo-
synthese von Pflanzen und aquatischen Mikroorganismen. Sie dient Tieren oder dem
Menschen als Nahrungsquelle. Die Re-Mineralisation pflanzlicher und tierischer Rest-
stoffe zu CO2 erfolgt durch Mikroorganismen und kann unter aeroben bzw. anaeroben
Bedingungen stattfinden. Unter aeroben Bedingungen werden abgestorbene pflanzliche
und tierische Reststoffe mit Sauerstoff zu Kohlendioxid und Wasser mineralisiert, wobei
auch Ammonium und Sulfid hauptsächlich aus dem Eiweißabbau und Phosphat aus dem
Abbau phosphathaltiger Zellkomponenten freigesetzt werden. Unter anoxischen bzw. an-
aeroben Bedingungen, wenn kein Sauerstoff als terminaler Elektronenakzeptor für Re-
2.1 Mikrobielle Grundlagen der Methangärung 21
duktionsäquivalente zur Verfügung steht, werden die Elektronen auf andere Elektronen-
akzeptoren wie z. B. Nitrat, Eisen, Mangan, Sulfat oder Carbonat übertragen. Sind unter
anaeroben Bedingungen auch diese anorganischen Elektronenakzeptoren nicht verfügbar,
werden die Elektronen auf organische Zwischenprodukte des Stoffwechsels übertragen
und es entstehen Gärprodukte wie z. B. Milchsäure aus Pyruvat oder n-Butyrat und Alko-
hole aus Acetat. Diese Gärprodukte sind „reduzierter“ als ihre aus dem Stoffwechsel stam-
menden organischen Elektronenakzeptoren. Gärungen werden nach den dominierenden
Abbauprodukten benannt, so z. B. Milchsäuregärung bei der Yoghurt-, Buttermilch- oder
Silageherstellung, alkoholische Gärung bei der Bier- oder Weinbereitung bzw. der tech-
nischen Alkoholherstellung und Propionsäure- oder Buttersäuregärung im Pansen von
Rindern, in Anaerobreaktoren (Faulbehältern) von Kläranlagen oder in industriellen und
landwirtschaftlichen Biogasanlagen. Gärungen sind wichtig für die Haltbarmachung von
Lebens- und Futtermitteln, sie sind aber auch die entscheidenden Prozesse für den anae-
roben Abbau von Biomasse zu Sumpf-, Faul- oder Biogas im Anschluss an die Hydrolyse
von pflanzlichen oder tierischen Biopolymeren. Bei einigen Gärungen, z. B. der Butter-
säuregärung wird neben Butyrat und CO2 bereits molekularer Wasserstoff gebildet und
ausgeschieden. Weiterer Wasserstoff entsteht bei der Acetogenese von Propionat, Butyrat,
und höheren Fettsäuren, die aber nur bei sehr niedrigem Wasserstoffpartialdruck zu Ace-
tat und CO2 umgesetzt werden können. Für einen vollständigen Abbau von z. B. Butyrat
müssen Methanbakterien den Wasserstoff mit CO2 und auch das Acetat zu Methan umset-
zen. Wasserstoff hat über den Partialdruck eine zentrale Regelfunktion für den anaeroben
Abbau organischer Substanzen zu Biogas.
Aerobe Mikroorganismen haben gegenüber den Anaerobiern den großen Vorteil, dass sie
die bei der Glykolyse von Kohlenhydraten und bei der Pyruvatdecarboxylation auf NAD +
übertragenen Reduktionsäquivalente sowie die bei der Oxidation des Acetats zu CO2 im
Citronensäurezyklus (TCA-Zyklus) auf NAD + oder Flavinadenindinucleotid (FAD) über-
tragenen Reduktionsäquivalente über die Atmungskette unter Energiekonservierung via
oxidativer Phosphorylierung umsetzen können (Gl. 2.2). Für den membrangebundenen
Elektronentransport in der Atmungskette erfolgt zuerst eine Ladungstrennung des Was-
serstoffs [H] der reduzierten Coenzyme in Elektronen und Protonen. Die Elektronen
durchlaufen die kaskadenartige Anordnung von Elektronencarriern (z. B. Cytochrome,
Flavoproteine) in der Atmungskette, bevor sie mit Protonen und Sauerstoff zu Wasser re-
agieren (Gl. 2.2).
1 O + 2 e− + 2 H +
Atmungsketten-Phosphorylierung
2 2 > H2O (2.2)
(Biochemische Energiekonservierung)
Durch die Ladungstrennung entsteht ein Protonengradient in der Membran, dessen Ener-
gie mittels ATPase durch Bildung von ATP aus ADP und Pi konserviert werden kann.
Das ATP dient als Energielieferant für Wachstum, Vermehrung, Beweglichkeit und die
Aufrechterhaltung der notwendigen Lebensvorgänge in der Zelle. Die beim Abbau von or-
ganischen Substanzen erzielbare Energieausbeute hängt von der Art der Substrate und von
vielen weiteren Faktoren ab. Ausgehend von einem Mol Hexose (180 g Glukose = 2870 kJ)
können bei der vollständigen Mineralisation zu CO2 und Wasser ca. 2/3 des Energiege-
haltes unter Bildung von maximal 38 Mol ATP (ca. 50 kJ/mol Phosphoanhydridbindung
des ATPs) konserviert werden. Ca. 1/3 der Energie der Hexose geht als Reaktionswärme
verloren. Die beim aeroben Abbau von Kohlenhydraten über Glykolyse, Pyruvatdecarbo-
xylation und Acetatoxidation gebildeten Reduktionsäquivalente werden auf die Coenzy-
me NAD + und FAD übertragen. Diese speisen die Elektronen dann auf unterschiedlichem
Energieniveau in die Atmungskette ein. Die Energiedifferenz beim Elektronentransport
von zwei Elektronen des NADH/H+ bzw. des FADH2 zum terminalen Elektronenakzeptor
O2 reicht für die Bildung von 3 Mol ATP bzw. von 2 Mol ATP über Atmungsketten-Phos-
phorylierung aus. Durch die „portionsweise“ Konservierung von Energie beim Elektro-
nentransport in der Atmungskette läuft die aus der Chemie bekannte „Knallgasreaktion“
moderat und nicht explosionsartig ab (Gl. 2.2).
Die große Energieausbeute von 38 Mol ATP hat ihre Ursache in der Differenz der Re-
doxpotenziale (Δ E0´) der Redoxpaare ½ O2/H2O (+ 0,82 V), NAD + /NADH/H + (− 0,32 V)
bzw. FAD/FADH2 (− 0.22 V) bei pH ± 7 im Cytoplasma. Steht kein Sauerstoff für die Auf-
nahme von Elektronen zur Verfügung, ergibt sich die Energieausbeute aus der Differenz
der Redoxpotenziale der stattdessen vorhandenen alternativen Redoxpaare wie NO3−/N2
bei der Denitrifikation (+ 0,74 V), Fe3 + / Fe2 + bei der Eisenatmung (+ 0,76 V bzw. + 0,2 V
bei pH 7), SO42−/H2S bei der Sulfatreduktion (− 0,22 V) oder CO2/CH4 bzw. CO2/Acetat
bei der Carbonatreduktion (− 0,24 V bzw. − 0,28 V), wobei die Energieausbeute mit sin-
2.1 Mikrobielle Grundlagen der Methangärung 23
(OHNWURQHQDN]HSWRUHQ
bei der aeroben Veratmung 12
von Glukose – 2870 kJ/mol 0Q
(=100 %). Für die Berechnung
&Ğ ϯн
der Energieausbeute bei der
Eisenreduktion wurde ein E0´ 62
kendem Δ E0´ abnimmt. Die Energieausbeuten bei der „Veratmung“ von Glukose mit ver-
schiedenen Elektronenakzeptoren unterscheiden sich um den Faktor 10 (Abb. 2.1).
Stehen keine „externen“ anorganischen Elektronenakzeptoren aus dem umgebenden
Milieu zur Verfügung, so wird bei den gärenden Mikroorganismen ein im Stoffwechsel
entstandenes reduzierbares Zwischenprodukt als „interner Elektronenakzeptor“ mit einer
spezifischen Dehydrogenase reduziert. Bei der Milchsäuregärung ist dies Pyruvat, das mit
NADH/H + unter Katalyse einer L- oder D-Laktat-Dehydrogenase zu L- oder D-Laktat
reduziert und aus der Zelle ausgeschleust wird (Gl. 2.3).
Pyruvat + NADH / H + → Laktat + NAD + (2.3)
Fd ⋅ H 2 → Fd ox + H 2
(2.4b)
2.1.1.2 T hermodynamik
Die Methangärung ist sowohl in naturbelassenen Ökosystemen wie auch in gesteuerten
Methanreaktoren für die Abwasser- und Abfallbehandlung ein mikrobiologischer Prozess
mit einer komplexen Reaktionskette, die bei unlöslichen Biopolymeren beginnt und bis
zur Biogasfreisetzung reicht. Ohne Kenntnis der thermodynamischen Zusammenhänge
der aufeinanderfolgenden Reaktionen und der dafür erforderlichen Bedingungen ist eine
Steuerung zur Prozessoptimierung in Anaerobreaktoren nicht möglich. Bei allen Reaktio-
nen entstehen Produkte mit einer geringeren Energie als die Ausgangssubstrate. Die Ener-
giedifferenz wird zum Teil konserviert und für Wachstum genutzt oder als Wärme freige-
setzt. Um vorhersagen zu können, ob eine Reaktion unter den gegebenen Voraussetzungen
in der gewünschten Richtung abläuft, ist die Kenntnis der Temperatur, des pH-Wertes, der
Salinität, des Redoxpotenzials und der Reaktionsprodukte (Gl. 2.5a) von Bedeutung. Da
biologische Reaktionen fast immer reversibel sind, sind Edukt- und Produktkonzentra-
tionen von der Gleichgewichtskonstante KGl für die vorliegenden Reaktionsbedingungen
abhängig (Gl. 2.5b).
aA + bB ↔ cC + dD (2.5a)
A,B = Edukte;
C,D = Produkte
a,b,c,d = Anzahl der Reaktanden
( C) c × ( D ) d
K Gl = (2.5b)
(A)a × (B) b
Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ist ein System nur dann in der Lage,
Arbeit zu verrichten, wenn die Änderung der freien Energie ∆G negativ ist (für p, V,
T = konstant). Die freie Energie ∆G kann nach Gleichung 2.6 berechnet werden:
∆G = ∆G 0′ + RT lnK Gl (2.6)
Dabei bedeutet ∆G0´ die Änderung der freien Energie unter Standardbedingungen, d. h.
bei 25 °C (298 °K) und einer Konzentration von 1 mol L-1, mit Ausnahme der Konzentra-
tion von H + -Ionen: Diese sollte 10−7 mol L-1 betragen, da die meisten biologischen Reak-
tionen bei einem pH-Wert um 7 ablaufen. ∆G0´ ist für jede Reaktion eine Konstante. Der
zweite Term in Gl. 2.6 ist eine Variable die von der Gleichgewichtskonstanten KGl und so-
mit von der Konzentration der beteiligten Reaktionspartner abhängig ist. Die Ermittlung
der ∆G0´-Werte erfolgt gemäß folgender Beziehung (Gl. 2.7):
∆G 0′ = Σ∆G 0′ Produkte − Σ∆G 0′ Edukte (2.7)
Für viele biochemische Reaktionen ist der ∆G0´-Wert experimentell ermittelt und in Ta-
bellenwerken zusammengetragen worden (z. B. Thauer et al. 1977). Reaktionen mit einem
positiven ∆G0´ sind endergone Reaktionen, die mit einem negativen ∆G0´ sind exergone
Reaktionen. Da Reaktionen gemäß dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik nur dann
spontan ablaufen, wenn ∆G < 0 ist, und ∆G0´ eine feste Größe ist, kann die Reaktionsrich-
tung nur durch Veränderung von KGl in Gl. 2.6 beeinflusst werden.
Das Redoxpotenzial E0´ unter Standardbedingungen (25 °C, c = 1 mol L–1, pH 7) be-
schreibt die Tendenz einer Substanz, oxidiert bzw. reduziert zu werden. Das Redoxpoten-
zial für das Redoxpaar 2 H + /H2 beträgt –0,42 V, für das Redoxpaar NAD + /NADH/H +
–0,32 V. Mithilfe der Nernst-Gleichung (Gl. 2.8) ist es möglich, die Änderung der freien
Energie ∆G0´ einer Reaktion zu berechnen.
∆G 0′ = − nF × ∆E 0′ (2.8)
Setzt man die bekannten Größen für die Freisetzung von molekularem Wasserstoff aus
NADH + H + (Gl. 2.9) in die Nernst-Gleichung ein, so errechnet sich ein ΔG0´ von + 19,29 kJ/
mol. Die Reaktion ist endergon und kann unter Standardbedingungen nicht ablaufen.
NADH / H + → NAD + + H 2 ∆G 0′ = +19, 29 kJ mol −1 (2.9)
∆G
log p H 2 * = log p H 2 − (2.10)
n × 2, 303 RT
C6H12O6 + 3 O2 Æ 3 CO2 + 3 H2O + Biomasse (BM) + Wärme C6H12O6 Æ 2,85 CO2 + 2,85 CH4 + Biomasse (BM) + Wärme
2870 kJ Æ 1980 kJ in BM + 890 kJ als Wärme 2870 kJ Æ 2541 kJ in CH4 + 198 kJ in BM + 131 kJ als Wärme
Massenbilanz Massenbilanz
Endprodukte: CO2, H2O Endprodukte: CO2, CH4
50 % 90-95 %
Restverschmutzung:
~1 %
Restverschmutzung:
max.5 %
Organische Fracht:
100 %
Organische Fracht:
100 %
Biomasse: 50 % Biomasse: 5 %
Energiebilanzbilanz Energiebilanzbilanz
0% 4.6%
6.9%
31%
69% 88.5%
Abb. 2.2 Unterschiede beim aeroben und anaeroben Abbau eines kohlenhydrathaltigen Abwassers.
Neben den stöchiometrischen Umsatzgleichungen ist schematisch die Massen- und Energiebilanz
unter aeroben Bedingungen (Hochlast-Bedingungen) a) und anaeroben Bedingungen b) dargestellt.
Für die Energiebilanz wurde die Restverschmutzung nicht mit berücksichtigt. Der durchschnittliche
Energiegehalt von Biomasse (BM) beträgt 22 kJ pro g TS
2.1.2 Anaerobe Nahrungskette
Global betrachtet wird ein größerer Anteil von toter pflanzlicher und tierischer Biomasse
aerob durch Mikroorganismen in die Ausgangskomponenten CO2 + H2O zersetzt als an-
aerob zu Faulgas, Biogas oder Sumpfgas umgewandelt wird. Der aerobe Umsatz kann ohne
technische Sauerstoffzufuhr submers in flachen Teichen, Seen und Totgewässern von Flüs-
sen oder mit künstlicher Belüftung in belüfteten Abwasserteichen oder Belebungsbecken
von Kläranlagen bzw. im Wasserfilm bei der Kompostierung von organischem Material
oder im Biofilm von Tropfkörpern geschehen. Voraussetzung ist eine ausreichende Sauer-
stoffversorgung (minimal 0,4 mg L–1) durch ungehinderte Diffusion aus der Atmosphäre
in Abwasserteichen, durch aktive Belüftung in Belebungsbecken oder durch Schaffung von
lockeren Schütt-Strukturen für den Luftzutritt bei der Kompostierung oder durch den Ka-
min-Effekt in Tropfkörpern.
Für den anaeroben Abbau muss Sauerstoff ausgeschlossen werden. Während eine Viel-
zahl aerober Mikroorganismen Biopolymere und andere komplexe organische Verbin-
2.1 Mikrobielle Grundlagen der Methangärung 29
dungen hydrolysieren und bis zu Kohlendioxid und Wasser „veratmen“ kann, erfolgt der
anaerobe Abbau von organischen Stoffen in einer Nahrungskette aus hydrolytisch/fermen-
tativen, acetogenen und methanogenen Bakterien (Abb. 2.3). Die Umsatzleistungen kön-
nen zum Teil nur in Syntrophie mit den Folgeorganismen in der Nahrungskette vollbracht
werden. Zu Beginn des anaeroben Abbaus müssen fermentative Bakterien Exoenzyme für
die Hydrolyse von unlöslichen Biopolymeren zu löslichen Mono- oder Oligomeren expri-
mieren und ausscheiden. Freigesetzte Monomere werden von den fermentativen (= aci-
dogenen) Bakterien aufgenommen und bei niedrigem pH überwiegend zu CO2, H2 und
2
Acetat umgesetzt, während bei hohem pH zusätzlich längerkettige organische Säuren und
2
Alkohole (Versäuerung) ausgeschieden werden (Abb. 2.3). Die längerkettigen Fettsäuren
können von den acetogenen Bakterien nur in enger syntropher Kopplung mit methanoge-
nen Bakterien weiter zu Acetat, CO2 und H2 abgebaut werden. Voraussetzung ist, dass die
Methanbakterien den dafür nötigen niedrigen Wasserstoffpartialdruck durch Umsetzung
von H2 mit CO2 zu Methan und niedrige Acetatkonzentrationen durch Acetatumsatz zu
Methan und CO2 schaffen. So wird ein vollständiger Abbau von organischen Reststoffen
zu Biogas möglich.
Der ungehinderte Massenfluss von Kohlenhydraten, Fetten und Eiweiß zu Biogas erfor-
dert einen pH von < 10–4 bar (0,1 Pa), der durch Syntrophie zwischen acidogenen bzw. ace-
2
togenen Bakterien mit methanogenen (und/oder sulfatreduzierenden) Bakterien (2.1.2.3)
und durch ein ausreichend hohes Schlammalter erreichbar ist (2.1.4.2). Die Substratver-
sorgung muss so dosiert werden, dass die am langsamsten wachsende Bakteriengruppe
der anaeroben Nahrungskette nicht durch Wasserstoffanreicherung inhibiert wird. Eine
Wasserstoffhemmung würde sich nachteilig auf alle Mitglieder der stoffwechselphysiolo-
gisch fein aufeinander abgestimmten Flora auswirken, weil letztendlich auch der Abbau
von Biopolymeren auf der Stufe der Fermentation durch eine starke pH-Wert Erniedri-
gung bei der Versäuerung oder Acidogenese zum Erliegen käme. Zudem könnten Ände-
rungen des pH-Wertes durch Verschiebung von Dissoziationsgleichgewichten (z. B. NH3/
NH4 + oder H2S/HS–/S2–, Kap. 2.2.1.2) auf unterschiedlichen Stufen der Methangärung zu
Hemmungen führen. Grundsätzlich sind hohe Konzentrationen von geladenen Verbin-
dungen für die Methangärung weniger toxisch als die ungeladenen Verbindungen, weil
die Aufnahme von Ionen an der Zellmembran der Bakterien kontrolliert werden kann,
während die ungeladenen Ausgangsverbindungen zum Konzentrationsausgleich einfach
durch die Zellmembran diffundieren können.
%LRSRO\PHUH
.RKOHQK\GUDWH 3URWHLQH )HWWH
D +\GURO\VHGXUFK([RHQ]\PH
+ 61+
E )HUPHQWDWLRQ
6XEVWUDWEHUVFKXVV 6XEVWUDWOLPLWDWLRQ
RGHU,QKLELHUXQJ NHLQH,QKLELHUXQJ
S+ ! EDU S+ EDU
+ &2$FHWDW &2+
G 0HWKDQRJHQHVH
&+ &2
Abb. 2.3 Schematische Darstellung der anaeroben Nahrungskette ausgehend von einem Biopoly-
mer, das durch. (a) Hydrolyse, (b) Fermentation, (c) Acetogenese und (d) Methanogenese bis zu den
Endprodukten CH4 und CO2 (Biogas) abgebaut wird
• Bei der Hydrolyse von Kohlenhydraten werden glykosidische Bindungen gespalten und
letztendlich Monomere oder Dimere mit der allgemeinen Summenformel Cn(H2O)n
freigesetzt. Die Hydrolyse der meisten Kohlenhydrate verläuft optimal im leicht sauren
pH-Bereich und ändert den pH-Wert nicht. Cellulose, das wichtigste Strukturpolymer
in Pflanzen, wird durch Cellulasen (Endo- und Exoglucanasen) zu Cellobiose gespal-
ten, die durch eine Cellobiase zu zwei Glukosemolekülen hydrolysiert wird. Für den
Abbau von Stärke werden Amylasen, Glucoamylasen und Pullulanasen benötigt. Hemi-
cellulosen werden entsprechend den Hauptzuckerkomponenten durch Xylanasen oder
andere Hydrolasen zu Dimeren, z. B. Xylobiose und schließlich zu Pentosen gespalten.
Zum Abbau von Pektin oder Chitin werden Pektinasen und Chitinasen benötigt.
• Peptidbindungen in Proteinen werden durch Proteasen und Peptidasen hydrolysiert
und es entstehen Oligopeptide, Dipeptide und Aminosäuren mit der allgemeinen Sum-
menformel C2H4O2N-R (zusätzlich noch das Element S bei Cystein und Methionin).
Die Hydrolyse läuft optimal im neutralen bis schwach alkalischen pH-Bereich ab. Beim
Abbau von Aminosäuren wird zunächst durch Desaminierung und Schwefelabspaltung
NH4 + und HS– frei, welche zusammen mit dem CO2/HCO3–/CO32– aus dem Abbau des
Fettsäurerestes für die pH-Stabilisierung sorgen. Es gibt verschiedene Klassen von Pro-
teasen, z. B. Zink-Proteasen oder alkalische Proteasen, die eine ähnliche Thermostabili-
tät wie beispielsweise Amylase aufweisen.
• Bei der Spaltung der Esterbindung von verseifbaren Lipiden (Acylglyceride, Phos-
phoglyceride, Wachse) entstehen Fettsäuren mit der allgemeinen Summenformel
CnH2n + 1COOH und Glycerin, höhere Alkohole oder Phosphat. Die für die Fettspaltung
32 2 Grundlagen anaerober Prozesse
Als mengenmäßig wichtigste Biopolymere neben Kohlenhydraten, Fetten und Eiweiß gibt
es eine Reihe von weiteren polymeren Verbindungen, die z. T. natürlichen Ursprungs sind
oder synthetisch hergestellt werden und entweder biologisch abbaubar sind oder zu den
„recalcitranten“, biologisch schwer abbaubaren Stoffen zählen. Hierzu gehören Nuklein-
säuren (Desoxyribonukleinsäure DNS und Ribonukleinsäure RNS), Chitin, Lignin und
Kautschuk, aliphatische und aromatische Polymere wie z. B. Polyethylenglykol (Kühler-
flüssigkeit), polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), polychlorierte Bipheny-
le (PCB), Kunststoffe (Polyethylen, Polypropylen, Polyvinylchlorid), Polyacrylnitrile, Poly-
amide, Silikone und viele mehr. Oftmals besteht für diese Polymere ein großer Unterschied
zwischen aerober und anaerober Abbaubarkeit. Zudem werden viele dieser Verbindungen
nur co-metabolisch, d. h. nur bei Anwesenheit von anderen, biologisch verwertbaren Subs-
tanzen abgebaut. Im günstigsten Fall erfolgt ein vollständiger Abbau, häufig aber nur eine
Biotransformation und im ungünstigsten Fall werden solche Verbindungen gar nicht bio-
logisch abgebaut. Wegen der strukturellen Komplexität und der chemischen Vielfalt dieser
polymeren Verbindungen wird hier nicht näher auf deren weiteren Abbau eingegangen.
Die Exoenzymaktivität von saccharolytischen, proteolytischen oder lipolytischen Bak-
terien kann durch Lysehöfe (Aufhellungszonen) um die Bakterienkolonien auf Agarnähr-
böden, in denen die entsprechenden Biopolymere suspendiert oder emulgiert sind und
eine Trübung hervorrufen, detektiert werden. Durch Aktivität der Exoenzyme wird das
entsprechende Biopolymer abgebaut und es kommt zu einer Aufhellung um die Kolonie.
Tab. 2.1 Übersicht der verschiedenen Gärwege ausgehend von Kohlenhydraten. Der Zuckerabbau
durch Glykolyse führt zu 2 Mol Pyruvat + 2 Mol NADH/H+ gemäß Gleichung 2.11
Name Reaktion ATP Mikroorga-
(mol/mol) nismen der
Gattung
Alkoholische 2 Pyruvat + 2 NADH/H + → 1 Sarcina,
Gärung 2 Ethanol + 2 CO 2 + 2 NAD + 2 Saccharomyces
• Beim glykolytischen Abbau von Kohlenhydraten entsteht Pyruvat, das zentrale Ab-
bauprodukt im Kohlenhydratstoffwechsel, sowie reduziertes NADH/H+ und ATP und
reduziertes NADH/H + (Gl. 2.11). In Ermangelung von Sauerstoff als externen Elekt-
ronenakzeptor (2.1.1.1) muss der reduzierte Wasserstoffüberträger bei gärenden Or-
ganismen durch Übertragung von [H] auf Zwischenprodukte des Stoffwechsels unter
Bildung reduzierter Gärprodukte regeneriert werden. Mögliche Gärwege mit den zu-
gehörigen Reaktionen sind in der Tab. 2.1 zusammengestellt.
Glukose + 2 NAD + + 2 ADP + 2 Pi → 2 Pyruvat + 2 NADH / H + + 2 ATP (2.11)
• Bei der Hydrolyse von Proteinen und (Oligo-)Peptiden werden die 20 häufigsten und
4 selten vorkommenden Aminosäuren freigesetzt und durch spezifische Transporter
34 2 Grundlagen anaerober Prozesse
in die Zelle geschleust. Der erste Schritt beim Aminosäureabbau ist die Entfernung der
Aminogruppe durch oxidative Desaminierung, Transaminierung oder desaturative
Desaminierung (direkte Eliminierung von Ammoniak mit Reduktionsäquivalenten).
Da einige Aminosäuren neben den Aminogruppen auch SH-Gruppen enthalten (z. B.
Cystin, Methionin) entsteht beim Eiweißabbau neben Ammoniak auch Schwefelwas-
serstoff. Nach der Entfernung der Aminogruppe werden die gebildeten organischen
Säuren bzw. deren Salze, wie z.B. Pyruvat, 2-Oxoglutarat, Oxalacetat oder die in den
Gleichungen 12–15 erwähnten Fettsäuren weiter abgebaut. Andere Intermediate wie
z. B. Zimtsäure aus der Desaminierung von Phenylalanin werden über spezielle Abbau-
wege weiter oxidiert. Neben Desaminierungsreaktionen führen Decarboxylierungen
(Abspaltung von CO2) zu primären Aminen. Die sehr geruchsintensiven und hochto-
xischen biogenen Amine Cadaverin, Putrescin oder Agmatin entstehen vorwiegend im
sauren pH-Bereich.
Valin + 2 H 2 O → i -Buttersaure
+ CO 2 + NH 3 + 2 H 2 (2.14)
• Beim Abbau von Fetten, Ölen und Wachsen entstehen Fettsäuren und Glycerin. Lang-
kettige Fettsäuren werden durch Permeasen in die Zelle aufgenommen. Für den wei-
teren Abbau werden Fettsäuren durch ATP-abhängige CoA-Ligasen mit Coenzym
2.1 Mikrobielle Grundlagen der Methangärung 35
Zu den Bakterien mit lipolytischer Aktivität zählen Spezies der Gattungen Pseudomonas,
Staphylococcus, Propionibacterium, Clostridium, Streptomyces, u. a.
Bei den meisten anaeroben Abbaureaktionen bestimmt der Wasserstoffpartialdruck die
Zusammensetzung der Gärprodukte. Je höher der Wasserstoffpartialdruck ansteigt, umso
mehr wird das Gärprodukte-Spektrum von Essigsäure und Wasserstoff zu „reduzierteren“
Verbindungen wie Propion-, Butter-, oder Valeriansäure und zu Alkoholen verschoben.
Das NADH/H + aus dem Abbau von Kohlenhydraten (Gl. 2.11) oder Fettsäuren (Gl. 2.17)
kann bei einem pH > 4,1 × 10–4 bar (siehe Abschn. 2.1.1.2, Gl. 2.10) nicht mehr durch H2-
2
Freisetzung regeneriert werden. Nur wenn die C-abbauenden Bakterien in syntrophen
Konsortien optimal mit H2-verwertenden Bakterien interagieren und nicht mit Substraten
überfrachtet werden, aus deren Abbau sie schneller Wasserstoff produzieren als er von
methanogenen oder sulfatreduzierenden Bakterien verwertet werden kann, sind Acetat,
CO2 und H2 die hauptsächlichen fermentativen Abbauprodukte von Kohlenhydraten. Die
Bildung von längerkettigen Fettsäuren (z. B. von Buttersäure) kann unterbleiben und es ist
keine acetogene Population für den vollständigen Abbau nötig. Wurden aber bei der Vor-
lagerung von Abwässern oder in der Vorversäuerung bereits längerkettige Fettsäuren pro-
duziert bzw. in einem Anaerobreaktor aus eiweißhaltigen Substraten gebildet (Gl. 2.13 bis
2.15), ist eine acetogene Population obligatorisch erforderlich für den weiteren Abbau. In
einem im Gleichgewicht arbeitenden System ist diese Population in der Regel vorhanden;
die vorhandene Biomasse hat sich an das Substratspektrum angepasst.
CO2 und H2 umgesetzt werden. Die anaerobe Oxidation von Buttersäure (Gl. 2.18), Pro-
pionsäure (Gl.2.19), Ethanol (Gl. 2.20) oder Essigsäure (Gl. 2.21) sind endergone Reaktio-
nen mit einem positiven ∆G0´-Wert.
2.1 Mikrobielle Grundlagen der Methangärung 37
CH 3 − CH 2 − CH 2 − COOH + 2 H 2 O → 2 CH 3 − COOH + 2 H 2 ∆G 0′ = + 48, 3 kJ mol −1
(2.18)
CH 3 − CH 2 − COOH + 2 H 2 O → CH 3 − COOH + CO 2 + 3 H 2 ∆G 0′= +76, 5 kJ mol −1
(2.19)
Für die Berechnung der ∆G0´-Werte wurden die Werte der freien Bildungsenergie für die
hauptsächlich bei pH 7 vorliegenden ionischen Spezies verwendet d. h. nicht CO2 sondern
HCO3− + H + , Acetat anstelle von Essigsäure, Propionat anstelle von Propionsäure und Bu-
tyrat anstelle von Buttersäure.
Sowohl die direkte Wasserstofffreisetzung bei Gärungen als auch die bei der Oxida-
tion von Fettsäuren oder Alkoholen zu Essigsäure oder Essigsäure und Kohlendioxid kann
aus thermodynamischen Gründen nur dann ablaufen, wenn die Endprodukte Wasserstoff
und/oder Essigsäure durch syntroph gekoppelte Folgereaktionen ständig verbraucht wer-
den (Veränderung des variablen Terms von Gl. 2.6). Zu den syntrophen Bakterien gehören
neben den schon erwähnten Vertretern der Gattung Syntrophomonas und Syntrophobacter
auch Spezies der Gattung Pelobacter, Syntrophus, Smithella, etc. Auf die synthrophe Acetat-
Oxidation (Gl. 2.21 und Abb. 2.3) wird in Abschn. 2.1.2.4 näher eingegangen.
Für die Berechnung der ∆G0´-Werte wurden die Werte der freien Bildungsenergie für die
bei pH 7 hauptsächlich vorliegenden ionischen Spezies verwendet.
2.1.2.4 Methanogenese
Methanbakterien als Endglied der anaeroben Nahrungskette verwerten die Reaktionspro-
dukte der fermentativen und acetogenen Bakterien, nämlich H2, CO2 (Gl. 2.24), Formiat
(Gl. 2.25) und Acetat (Gl. 2.26). Ist Sulfat vorhanden, konkurrieren Sulfatreduzierer meist
erfolgreich mit den Methanbakterien um diese Substrate.
2.1 Mikrobielle Grundlagen der Methangärung 39
-150
-50
50
100
,
0 -1 -2 -3 -4 -5 -6 -7 -8
log pH2 [bar] Methanogenese Propionatoxidation
Butyratoxidation Ethanoloxidation
-150
ǻ* bei 25 oC, pH 7 [kJ pro Reaktion]
-100
-50
50
100
,
0 -1 -2 -3 -4 -5 -6 -7 -8
log pH2 [bar] Methanogenese Propionatoxidation
Acetat [M] Butyratoxidation Ethanoloxidation
Abb. 2.4 (a) Einfluss des Wasserstoff-Partialdrucks log pH2 und (b) Einfluss des Wasserstoff-Partial-
drucks log pH und der Acetat-Konzentration auf die Gibbs Energie ΔG´ für den Abbau von Ethanol,
2
Propionat, Butyrat (1 mM) und für die Methan-Bildung aus H2 und CO2. Der dunkle Bereich mar-
kiert das „thermodynamische Fenster“ für die anaerobe Umsetzung von Propionat. Erst ab einem
log pH von − 4,19 = 0,65 × 10−4 bar in Abb. 2.4a) bzw. einem log pH von − 3,14 = 0,71 × 10−3 bar in
2 2
Abb. 2.4b) wird die Acetogenese von Propionat exergon (ΔG < 0). Der niedrige pH und die Verwer-
2
tung von Acetat werden durch syntrophe Umsetzung mit Methanbakterien erreicht
4 H 2 + CO 2 → CH 4 + 2 H 2 O ∆G 0′ = −135, 6 kJ mol −1 (2.24)
a 10 µm b 10 µm
Für die Berechnung der ∆G0´-Werte wurden die Werte der freien Bildungsenergie für die
bei pH 7 hauptsächlich vorliegenden ionischen Spezies verwendet.
Die entwicklungsgeschichtlich sehr „alten“ Methanbakterien gehören in die Domäne
der Archaea. Sie unterscheiden sich in vielen Merkmalen von den „klassischen“ Bakterien
aus der Domäne der Bacteria, zu der die fermentativen und acetogenen Bakterien ge-
hören. Neben unterschiedlichem Zellwand- und Zellmembran-Aufbau haben die strikt
anaeroben Methanbakterien eine Reihe von besonderen Coenzymen, die an der Über-
tragung von C1-Verbindungen bzw. an Redoxreaktionen beteiligt sind. Besonders interes-
sant ist das wasserstoffübertragende Coenzym F420, das im oxidierten Zustand Licht der
Wellenlänge 420 nm absorbiert und im blau-grünen Bereich fluoresziert. Dies kann man
zur mikroskopischen Unterscheidung der Methanbakterien von den fermentativen und
acetogenen Bakterien nutzen.
Das Substratspektrum der Methanbakterien beschränkt sich auf CO2, das mit Wasser-
stoff oder Reduktionsäquivalenten verschiedener Herkunft zu Methan reduziert werden
kann, Formiat und Kohlenmonoxid sowie Acetat und weitere „Methylsubstrate“ (Tab. 2.2).
Die H2/CO2– und Formiat-verwertenden hydrogenotrophen Methanbakterien sind phy-
logenetisch divers und werden in 3 Ordnungen und eine Vielzahl von Familien und Gat-
tungen unterteilt. Die acetotrophen Methanbakterien gehören zur Familie Methanosar-
cinaceae. Acetat kann nur von Vertretern der Ordnung Methanosarcinales, zu denen die
Gattungen Methanosarcina und Methanosaeta gehören, verwertet werden. Zu den Met-
hanosarcinaceae zählen aber noch weitere 7 Gattungen, die andere Methylverbindungen
(Methanol, Methylamine, Methylmercaptan, Methylsulfid) zu Methan umsetzen können.
Die Abb. 2.5 zeigt filamentös wachsende Methanosaeta spec. und Aggregat-formende Met-
hanosarcina spec., die für die Acetatumsetzung zu Methan sorgen.
Der „Flaschenhals“ des anaeroben Abbaus ist häufig die Methanbildung aus Acetat,
welche im Vergleich zur Methanbildung aus H2/CO2 mit deutlich geringeren Umsatzraten
und Energiegewinn abläuft (Tab. 2.2). Obwohl die meisten Arten der Gattung Methano-
2.1 Mikrobielle Grundlagen der Methangärung 41
sarcina in Reinkultur H2/CO2, Acetat oder Methanol umsetzen können, scheint es keine
Methanosarcina spec. zu geben, die H2/CO2 und Acetat oder Methanol gleichzeitig ver-
werten können. Die der Gattung Methanosaeta zuzuordnenden Spezies scheinen hingegen
nur Acetat zu verwerten. Für den vollständigen Abbau von organischen Verunreinigungen
innerhalb der anaeroben Nahrungskette (Abb. 2.3) werden sowohl hydrogenotrophe als
auch acetotrophe Methanbakterien benötigt. Dies soll mit nachfolgendem Beispiel ver-
deutlicht werden.
Bei der Vergärung eines kohlenhydrathaltigen Abwassers in syntropher Vergesellschaf-
tung von saccharolytischen Clostridien oder Eubacterium spec. mit hydrogenotrophen
und acetotrophen Methanbakterien entsteht Biogas mit einem Anteil von je 50 % CH4 und
CO2. Die Ausgangszucker werden über Glykolyse (Gl. 2.27) und Pyruvat-Decarboxylation
(Gl. 2.28) mit Freisetzung der Reduktionsäquivalente als H2 (Gl. 2.29a und b) abgebaut. Als
Zwischensumme des syntrophen Glukoseabbaus ergibt sich Gl. 2.30. Acetat und Wasserstoff
werden von acetotrophen (Gl. 2.31a) und hydrogenotrophen Methanbakterien (Gl. 2.31b)
zu Methan umgesetzt. Dabei stammen 2/3 des Methans aus der acetotrophen und 1/3 des
Methans aus der hydrogenotrophen Methanbildung. Das Resultat des Glukoseabbaus durch
Clostridien oder Eubacterium spec. in Syntrophie mit acetotrophen und hydrogenotrophen
Methanbakterien ohne Berücksichtigung von Biomassewachstum zeigt Gl. 2.32.
2 NADH/H + 2 Fd ox . → 2 NAD + + 2 Fd ⋅ H 2
+
(2.29a)
4 Fd ⋅ H 2 ( aus Gl. 28 und Gl. 29a ) → 4 Fd ox . + 4 H 2 (2.29b)
Tab. 2.3 Vergleich der metabolischen Eigenschaften von Methanbakterien und Sulfat-reduzieren-
den Bakterien
Methanbakterien Sulfatreduzierer
Domäne Archaea Bacteria, Archaeaa
Phylum Euryarchaeota Delta-Proteobacteria
Hydrogenotrophe und aceto- Nicht-Acetat-Oxidierer
trophe Methanbakterien Acetat-Oxidierer
Schwefel-Reduzierer
Substratspektrum Sehr begrenzt Vielfältig, inklusiv
C1-Verbindungen, Acetat Polymere, Aromaten,
Fettsäuren
H2 als Elektronen-Donor 4 H 2 + CO 2 → 4 H 2 + H 2SO 4 →
CH 4 + 2 H 2 O H 2S + 4 H 2 O
∆G 0′ − 135, 6 kJ mol −1 ∆G 0′ − 152, 2 kJ mol −1
Acetat als Elektronen-Donor CH 3COOH → CH 3COOH + H 2SO 4 →
CH 4 + CO 2 2 CO 2 + H 2S + 2 H 2 O
∆G 0′ − 31, 0 kJ mol −1 ∆G 0′ − 47, 6 kJ mol −1
KS für H2 [µM]b 6 1
KS für Acetat [mM] c
3 und 0,77 d
0,2
Hemmung durch Sulfid 270 e
85f
Ki50 [mg L–1]
Gärung Nein Ja (bei Abwesenheit von Sulfat)
Pyruvat, Laktat
Die Berechnung der DG0´ -Werte erfolgte für die bei pH 7 vorkommenden ionischen Spezies d. h. für
Acetat, HCO3– + H+, HSO4–, HS–
a
Derzeit eine Gattung bekannt ( Archeoglobus)
b
Daten aus Kristjansson et al. 1982
c
Werte für Methanosarcina barkeri und Desulfobacter postgatei (Schönheit et al. 1982)
d
Durchschnittswert für Methanosaeta spec. aus Conklin et al. 2006
e
Daten aus Oleszkiewicz et al. 1989
f
Daten aus McCartney and Oleszkiewicz 1991
Faulgas ausgetragen wird. Ab einer gewissen, wegen der Dissoziation von H2S pH-abhän-
gigen Konzentration hemmt H2S die Methanbakterien und in noch höherer Konzentration
auch die Sulfatreduzierer (Tab. 2.3). Ein Nachteil für die Methangärung ist die Ausfällung
nicht nur von überschüssigen Eisenionen, sondern auch von essenziellen Metallionen (z. B.
Ni2 + , CO2 + , Mo2 + , Mn2 + , etc.) als schwerlösliche Metallsulfide (Me2 + + S 2– MeS↓), was
zu Mangelerscheinungen mit reduzierter Biogasbildung führen kann. Erhöhte H2S/HS–
Konzentrationen im Biogas erfordern eine Gasaufbereitung (z. B. durch Luftinjektion in
den Gasraum des Reaktors zur Schwefelausscheidung oder durch Absorption von H2S an
Raseneisenerz) vor der Nutzung in einem BHKW, um Motor-Korrosion und SO2 im Abgas
zu vermeiden. Eine positive Begleiterscheinung der Sulfatreduktion ist die verbesserte syn-
trophe Oxidation von Fettsäuren, da die meisten Propionsäure-Oxidierer Sulfatreduzierer
sind und der notwendige niedrige pH wegen des niedrigeren Ks–Wertes eher erreicht wird.
2
44 2 Grundlagen anaerober Prozesse
2.1.3 Biogasquantifizierung
Biogas ist ein Gasgemisch aus hauptsächlich CO2 und CH4 sowie H2, H2S, NH3, Wasser-
dampf und verschiedenen Spurengasen (z. B. flüchtige organische Siliziumverbindungen).
Beim Biogas kommt es in erster Linie auf den Methangehalt an, weil dieser den Heiz- oder
Brennwert ergibt. Methan verbrennt gemäß Gl. 2.33 mit O2 zu CO2 und Wasser.
CH 4 + 2 O 2 → CO 2 + 2 H 2 O + Energie (2.33)
Die Standardverbrennungsenthalpie (ΔVH0) von Methan (25 °C, 101,325 Pa) beträgt
− 890,4 kJ mol−1. Dadurch ergibt sich ein Heizwert für Methan von 36,4 MJ m−3 oder
10,1 kWh m−3 (1 J entspricht 1 Ws; Molvolumen von Gasen bei 25 °C = 24,45 L). Die Ver-
brennung des H2S-Anteils im Biogas/Faulgas zu SO2 wäre ebenfalls möglich. Wegen Korro-
sionsproblemen in Gasmotoren und wegen Anforderungen an die Abgasqualität muss das
H2S aus dem Rohgas z. B. mit Raseneisenerz oder Aktivkohle weitgehend entfernt werden.
Buswell-Gleichung1
1
Cc H h Oo N nSs + ( 4c − h − 2o + 3n + 2s ) H 2 O →
4
1
( 4c − h + 2o + 3n + 2s ) CO2
8
(2.34)
1
+ ( 4c + h − 2o − 3n − 2s ) CH 4
8
+ nNH 3 + sH 2S
In Tab. 2.4 sind die theoretischen Biogas- bzw. Methanausbeuten für Kohlenhydrate, Fett
und Protein sowie für deren Monomere Bausteine zusammengefasst. Die Gaszusammen-
setzung ist im Wesentlichen vom Oxidationsgrad der eingesetzten Substrate abhängig.
Danach werden bei der Vergärung von Kohlenhydraten oder Zuckern die niedrigsten
Methangehalte im Biogas erzielt, wohingegen fetthaltige Substrate zu den höchsten Me-
thangehalten führen (Tab. 2.4). Bei der Hydrolyse werden die Polymere in der Regel zu
Oligomeren und schließlich zu Monomeren gespalten. Da bei der Synthese der Polyme-
re die jeweilige Bindung (glykosidische Bindung bei Kohlenhydraten, Peptidbindung bei
Proteinen, Esterbindung bei Fetten) durch Wasseraustritt zustande kommt, wird „schein-
1
Bei 100 %igem Stoffumsatz ohne Berücksichtigung der Biomasseneubildung, die je nach Schlamm-
alter 5–10 % der C-Substrate benötigt.
2.1 Mikrobielle Grundlagen der Methangärung 45
Tab. 2.4 Gasbildungspotenzial verschiedener Reinsubstanzen berechnet nach der erweiterten Bus-
well-Gleichung (Gl. 2.34) bei 100 % Stoffumsatz und ohne Berücksichtigung von Biomasseneubil-
dung. Die Werte entsprechen theoretischen Maximalwerten
Verbindung Summen- MG [g Mol–1] Biogas [LN Methan [LN CH4–Gehalt
formel kg–1] kg–1] [%]
Hexose- C6H12O6 180 747 373 50
Monomer
z. B. Glukose
Cellobiose C12H22O11 342 786 393 50
Hexose-Poly- C60H102O51a 1638 821 410 50
mere
z. B. Stärke,
Cellulose
Fettsäuren C16H32O2 256 1400 1006 72
z. B.
Palmitinsäure
Fette z. B. C51H98O6 806 1417 1007 71
Palmitinsäu-
retriglycerid
Aminosäuren C3H7O2N 89 755 377 50
z. B. Alanin
Protein C30H52O11N10a 728 923 462 50
z. B.
Polyalanin
Biomasse C5H7O2N 113 991 495 50
Das Molvolumen eines Gases bei STP (Standard Temperatur (° C) und Druck (10 Pa = 1 bar) beträgt
5
22,4 L = LN
a
Polymer bestehend aus 10 monomeren Bausteinen
bar“ mehr Biogas bei Vergärung gleicher Gewichtsmengen eines Polymers im Vergleich
zum Monomer erzielt. Bei der Hydrolyse wird aber Wasser zur Bindungslösung einge-
führt (Wasserterm der Buswell-Gleichung), und somit sind die Gasausbeuten bezogen auf
Monomere wieder gleich.
Beim methanogenen Abbau von Kohlenhydraten beträgt der theoretische Methananteil
im Biogas 50 % (Gl. 2.32, Tab. 2.4). Beim methanogenen Fettabbau enthält das Biogas den
höchsten Methananteil, weil die langkettigen Fettsäuren, die bei der Lipolyse freigesetzt
werden, stark reduzierte Verbindungen sind. Je geringer der „O“-Anteil in einer organi-
schen Verbindung ist, desto mehr CH2-Gruppen liegen vor und desto höher ist schließ-
lich die Methanausbeute. Beim methanogenen Abbau von Proteinen ist der Methananteil
im Biogas von der Aminosäure-Zusammensetzung abhängig. Beim anaeroben Abbau von
Alanin beträgt der Methananteil ca. 50 %, bei anderen Aminosäuren kann der Methange-
halt im Biogas zwischen minimal 37,5 % und maximal 62,5 % betragen. Da Ammonium-
Ionen aus dem Abbau von Proteinen zusammen mit Bicarbonat- oder Carbonat-Anionen
(= gelöstes CO2 bei pH ≫ 7) NH4HCO3 oder (NH4)2CO3 bilden, wird in der Praxis schein-
bar zu wenig Biogas mit einem zu hohen Methangehalt von > 50 % gebildet.
46 2 Grundlagen anaerober Prozesse
Die Zusammensetzung des Biogases kann durch Prozesssteuerung nur begrenzt be-
einflusst werden. Sie hängt wesentlich von der Art des Inputmaterials ab. Darüber hinaus
wird der Methangehalt von Prozessparametern wie der Gärtemperatur, dem pH-Wert,
dem Belastungszustand des Reaktors und der hydraulischen Verweilzeit beeinflusst.
Für die Ermittlung der zu erwartenden Gaszusammensetzung und der Gasmenge
bei der anaeroben Behandlung von komplex zusammengesetzten Abwässern reicht eine
Elementaranalyse zur Berechnung mit der Buswell-Gleichung nicht aus. Eine entschei-
dende Rolle spielt der Abbaugrad aller bei der Elementaranalyse erfassten Komponenten.
Da einerseits die Elementarzusammensetzung der eingesetzten Substrate nur aufwendig
bestimmt werden kann und andererseits dynamische Effekte der Methangärung, die bei
der großtechnischen Umsetzung in semikontinuierlichen oder kontinuierlichen Verfah-
ren auftreten, bei stationären Modellierungsansätzen nicht berücksichtigt werden, gibt es
seit Ende der 1960er-Jahre unterschiedlichste Ansätze, den anaeroben Abbau organischer
Substanzen wirklichkeitsnäher zu simulieren. Eines der aufwendigsten und weit verbrei-
tetsten Modelle ist das Anaerobic Digestion Model No. 1 (ADM1), welches von der „IWA
Task Group for Mathematical Modeling of Anaerobic Digestion Processes“ 2002 veröffent-
licht wurde (Batstone et al. 2002). Neben den vier biologischen Prozessphasen der anaero-
ben Nahrungskette (Hydrolyse, Fermentation, Acetogenese und Methanogenese) enthält
das Modell einen Desintegrationsschritt (Freisetzung der Biopolymere sowie von Inert
stoffen aus komplexen Substraten). Außerdem werden eine Reihe von Phasenübergängen
und Gleichgewichtsreaktionen berücksichtigt. Die Löslichkeit der Gase (CH4, CO2) und
ihre Dissoziationsgleichgewichte (z. B. CO2/HCO3–) werden berücksichtigt. Die gemesse-
ne Gasmenge ist nicht identisch mit der gebildeten Gasmenge. Neben Reaktionen erster
Ordnung werden auch Monod-basierte Kinetik-Ansätze, sowie Biomassewachstum und
Biomassezerfall implementiert. Vorteil des ADM1 ist die Konvertierung der Messgrößen
in CSB-Einheiten, größter Nachteil ist die notwendige Implementierung von sehr vielen
Komponenten (24 bis 32) und Prozessen (19), was vom messtechnischen Aufwand her
selten zu leisten ist.
6lXUHELOGQHU $FHWRJHQH +\GURJHQRWURSKH DFHWRWURSKH
%DNWHULHQ 0HWKDQEDNWHULHQ
Die Toleranzbereiche für Abweichungen von den optimalen Werten nach unten oder oben
sind für manche Parameter relativ groß (z. B. pH, O2-Gehalt), für andere Parameter aber
relativ eng. So nehmen maximale Wachstumsraten µmax für Temperaturabweichungen
vom Optimum zu niedrigeren Temperaturen nur langsam ab, während nur wenige Grad
Temperaturerhöhung beim Überschreiten bestimmter Grenzen (mesophil/thermophil)
Wachstum und Stoffwechsel zum Erliegen bringen können. Bei der Methangärung kom-
plexer Abwässer bzw. organischer Feststoffe kann die hydrolytisch/fermentative, acetogene
und methanogene Phase in einem einstufigen Reaktor ablaufen, da die beteiligten Bakteri-
en ein breites Optimum für die unterschiedlichen Milieubedingungen haben.
Abbauraten sind über Wachstumsraten an die Biomassevermehrung geknüpft, die wie-
derum von den verfügbaren Substratkonzentrationen (Gl. 2.35, Monod 1949) abhängen.
Monod-Gleichung
S
µ = µmax (2.35)
KS + S
μ = Wachstumsrate
μmax = maximale Wachstumsrate
S = Substratkonzentration
KS = Halbsättigungskonstante d.h. die Substratkonzentration, bei der μmax = ½ ist
Abb. 2.7 Schlammpellets in einem UASB-Reaktor einer Papierfabrik (a) mit einer Grösse von
3 - 5 mm (b). Fluoreszensmikroskopische Aufnahme von Methanbakterien in den Schlammpelletts
(c). Deutlich sichtbar ist eine Aggregierung der Methanbakterien
Abb. 2.8 Bewachsenes Festbett in einem FBR, der mit Molke betrieben wurde (a). Unbewachse-
nes Trägermaterial (b) und fluoreszenzmikroskopische Aufnahme von Methanbakterien im Biofilm
(c) Deutlich sichtbar ist die homogene Verteilung von Methanbakterien
2.1.4.3 Homogenisierung/Durchmischung
Die Durchmischung und ggf. Zerkleinerung und Homogenisierung des Substrates vor der
Einbringung in einen Anaerobreaktor hat einen direkten Einfluss auf den Stofftransport
innerhalb des Reaktors und auf den Austrag der partikulären Rückstände und Bakterien.
Abgesehen vom Energiebedarf für eine zu intensive Durchmischung sollten hohe Scher-
kräfte nicht zur Zerstörung der Schlammaggregate führen, weil sonst die räumliche Nähe
2.1 Mikrobielle Grundlagen der Methangärung 51
von acetogenen und methanogenen Bakterien (siehe 2.1.2.3 und 2.1.4.4), die für eine un-
gestörte Methanogenese notwendig ist, verloren geht. Bei der Homogenisierung müssen
demnach die Vorteile der guten Durchmischung und des Biogasaustrags gegenüber der
(Scher)-Beständigkeit funktional strukturierter Schlammpartikel/-Aggregate abgewogen
werden.
2.1.4.5 pH-Wert
Der pH-Wert im Reaktor hängt von der organischen Zusammensetzung des Zulaufs der
Anaerobanlagen (z. B. organische Säuren) sowie den enthaltenen Mineralsäuren (z. B.
HCl, H2SO4) und Laugen (z. B. NaOH, Ammonium) ab. Organische Säuren, wenn sie
nicht schon im originären Abwasser vorhanden sind, entstehen bei einsetzenden Versäue-
rungsprozessen im Kanal oder erst später bei der gezielten Vorversäuerung aus neutralen
Schmutzkomponenten. Bei der Methangärung von Kohlenhydraten in einem einstufigen
Prozess ohne Vorversäuerung laufen parallel zu den pH-senkenden Versäuerungsprozes-
sen (Bildung organischer Säuren durch Acidogenese) auch pH-anhebende Abbauprozesse
für Säuren (Abbau der organischen Säuren durch Acetogenese und Methanogenese) ab.
52 2 Grundlagen anaerober Prozesse
Bei hoher Pufferkapazität durch Mineralsalze, Mineralsäuren und Laugen erfolgt trotz
der Versäuerung selbst bei hoher Konzentration von organischen Säuren nur ein geringer
Abfall des pH-Wertes, der durch den Abbau der organischen Säuren wieder kompensiert
wird. Ein ähnliches pH-Verhalten würde bei der Vergärung von Fetten eintreten, während
bei der Vergärung von Eiweiß der bei der Versäuerung und Desaminierung freigesetzte
und in der Gärflüssigkeit gelöste Ammonium-Stickstoff zu einem Anstieg des pH-Wertes
führt. Dem kann nur die Bildung von Ammoniumbicarbonat und das gelöste CO2 ent-
gegenwirken.
Der optimale pH-Bereich für die Hydrolyse von Biopolymeren und die Versäuerung
von Monomeren liegt zwischen 5,2 und 6,3, der für die Acetogenese von flüchtigen Fett-
säuren und für die Methanogenese zwischen 6,7 und 7,5. Da die acetogenen und metha-
nogenen Bakterien sehr empfindlich auf niedrige pH-Werte reagieren, die hydrolytischen
und versäuernden Bakterien aber auch noch bei neutralen pH-Werten ausreichend aktiv
sind, sollte der pH-Wert in einem einstufigen Prozess nicht unter 6,7 abfallen.
Wird die Hydrolyse und Versäuerung in einem zweistufigen Prozess von der Acetoge-
nese und Methanogenese getrennt, sollte der pH-Wert im Versäuerungsreaktor nicht unter
pH 5,2 abfallen. Das vorversäuerte Abwasser kann dann dem Methanreaktor zudosiert
und bei pH ≥ 6,7 methanisiert werden. Durch den Abbau der organischen Säuren findet
automatisch eine pH-Wert-Erhöhung statt, sodass auf eine pH-Korrektur eventuell ver-
zichtet werden kann. Zudem stabilisiert CO2 aus dem C-Abbau und Ammonium aus dem
Eiweißabbau das Carbonat- und Ammonium-Puffersystem im Abwasser. Bei hohen Kon-
zentrationen des Substrates (z. B. durch Feststoffe verursacht) ist eine getrennte Versäue-
rung nicht sinnvoll, weil der Versäuerungsprozess eventuell durch Produkt-Hemmung in-
hibiert würde. Auch die Vermeidung einer Milchsäuregärung ist wichtig, wenn ein hoher
Versäuerungsgrad angestrebt werden soll.
2.1.4.6 Betriebstemperatur
Der Temperaturbereich für mikrobielles Wachstum reicht vom Gefrierpunkt bis über
100 °C, wobei keine Organismen bekannt sind, die über den gesamten Bereich wachsen
können. Generell nimmt das Wachstum vom Temperaturoptimum eines Bakteriums zu
niedrigeren Temperaturen über eine großen Bereich nur langsam, zu höheren Tempera-
turen hingegen über einen kleinen Temperaturanstieg sehr schnell ab. Für die technisch
eingesetzte Methangärung spielen die sehr niedrigen und die sehr hohen Temperaturen
keine Rolle. Methanreaktoren werden entweder psychrophil (< 10 bis 20 °C), mesophil
(zwischen 20 und 45 °C) oder thermophil (bei 45 bis 65 °C) betrieben. Bei jeder Betriebs-
temperatur reichern sich die am besten an den Temperaturbereich adaptierten Bakterien
an. Ein abrupter Wechsel von mesophilem zu thermophilem Betrieb oder umgekehrt in
einem Methanreaktor ist daher nicht möglich.
Die meisten Methanreaktoren werden im mesophilen Temperaturbereich betrieben,
da zwischen 35 und 38 °C optimale Umsatzraten bei überschaubarem Aufwand für die
Temperierung erzielt werden. Ein Betrieb im thermophilen Bereich bei eventuell leicht
erhöhten Umsatzraten, aber geringerer Prozessstabilität (z. B. bei 60 °C) hätte lediglich den
2.2 Chemische Grundlagen anaerober Prozesse 53
Vorteil, dass eine Hygienisierung des Gärrestes erreicht wird, was vor allem bei der Ver-
gärung von Klärschlamm, Biomüll oder industriellen Reststoffen relevant sein könnte.
Karl Svardal
2.2.1 Chemische Gleichgewichte
Massenwirkungsgesetz:
K=
[C] ⋅ [ D ]
(2.37)
[ A ] ⋅ [ B]
K…. Gleichgewichtskonstante
Tab. 2.6. Henry-Konstanten für Methan, Kohlendioxid und Schwefelwasserstoff und deren Tempe-
raturabhängigkeit lg KH = A/T − B + C ⋅ T ( T…Temperatur in K nach Helgeson 1967)
Komponente KH (35 °C) A B C
[mol⋅L–1⋅bar–1]
CH4 1,16 ⋅ 10−3 2370,40 16,33 0,0185
CO2 2,67 ⋅ 10−2 2385,73 14,0184 0,01526
H2S 8,07 ⋅ 10−2 1851,5 10,337 0,0105
Die Henry-Konstante nimmt i. d. R. mit steigender Temperatur ab, wodurch die Löslich-
keit der Gase geringer wird. Die geringfügige Abhängigkeit der Henry-Konstante vom
Druck und vom Salzgehalt des Wassers (Ionenstärke) kann für praktische Berechnungen
vernachlässigt werden.
Die beim Anaerobprozess maßgeblichen Gase sind Methan, Kohlendioxid und Schwe-
felwasserstoff. Wasserstoff hat für die Physiologie anaerober Bakterien große Bedeutung,
die auftretenden Konzentrationen bzw. Partialdrücke sind aber so gering, dass er für die
Bilanzierung der Stoffströme keine Rolle spielt.
Die im Faulgas enthaltenen Gaskomponenten stehen mit dessen gelöster Menge im
Gleichgewicht. Die Henry-Konstanten für diese Reaktionen und auch deren Temperatur-
abhängigkeit sind bekannt. In Tab. 2.6 sind die Henry-Konstanten für Methan, Kohlen-
dioxid und Schwefelwasserstoff bei 35 °C tabellarisch dargestellt. Aus den Werten wird
erkennbar, dass die Löslichkeit von H2S und CO2 deutlich höher liegt als jene von CH4.
Aber auch Methan ist im Ablauf von Anaerobreaktoren gelöst (ca. 17 mL CH4/L, das ent-
spricht einem CSB von 50 mg/L) Da der Partialdruck für Methan in der Luft sehr gering
2.2 Chemische Grundlagen anaerober Prozesse 55
ƉŵďĂƌ
ϴϬ
ϲϬ
ϰϬ
ϮϬ
Ϭ
Ϭ ϭϬ ϮϬ ϯϬ ϰϬ ϱϬ ϲϬ
dĞŵƉĞƌĂƚƵƌΣ
ist, entweicht Methan aus den Abläufen von Anaerobreaktoren, sobald sie mit der Luft in
Kontakt kommen, dies ist in Hinblick auf die Klimarelevanz zu berücksichtigen. Da dieser
Wert nicht von der Abwasserkonzentration abhängt, bedeutet das bei wenig konzentrier-
tem Abwasser einen merkbaren Methanverlust (ca. 5 % bei einer anaerob abgebauten CSB-
Konzentration von 1000 mg/L, 2,5 % bei 2000 mg/L).
Bei der Zusammensetzung des Faulgases ist zusätzlich noch der Wasserdampfgehalt zu
berücksichtigen. Bei den für Methanbakterien optimalen Temperaturen von ca. 35 °C ist
der Dampfdruck des Wassers bereits relativ hoch. Da angenommen werden kann, dass die
Faulgasatmosphäre im Anaerobbehälter wasserdampfgesättigt ist, liegt der Anteil des Was-
serdampfs im Faulgas bei 1 bar Gesamtdruck bei rund 5 % (Abb. 2.9), also höher als bei-
spielsweise der Gehalt an H2S. Zu berücksichtigen ist dies vor allem bei der Abkühlung des
Faulgases z. B. in Transportleitungen. Durch den bei niedrigerer Temperatur geringeren
Sättigungsdampfdruck kondensiert das überschüssige Wasser und führt zur Bildung eines
durch die darin gelösten anderen Gaskomponenten meist hochkorrosiven Kondensats, bei
Temperaturen unter 0 °C kann sich auch Eis bilden, was zu sehr gefährlichen Verstopfun-
gen von Gasleitungen führen kann.
HA H + + A −
Es soll nur erwähnt werden, dass H + -Ionen in wässrigen Lösungen immer in hydratisierter
Form vorliegen. Für die formale Schreibweise wird immer H + verwendet, wobei damit das
hydratisierte Proton gemeint ist.
Allgemein lässt sich für die Dissoziation von Säuren das Massenwirkungsgesetz in der
Form anschreiben:
56 2 Grundlagen anaerober Prozesse
[H + ] ⋅ [A − ]
Ks = (2.39)
[HA]
{A − } = f A ⋅ [A − ]
Für die praktische Anwendung werden daher „reale“ Dissoziationskonstanten cK auf Basis
der Konzentrationen ermittelt. Diese haben nur für das jeweilige System und eigentlich
auch nur für einen bestimmten Zustand Gültigkeit. Da die Aktivität der H + -Ionen über
die potenziometrische pH-Messung verfügbar ist, werden auch „gemischte“ Dissoziations-
konstanten definiert, bei denen H + als Aktivität und alle anderen Ionen als Konzentration
eingehen, wie in Gl. (2.40)
…. „gemischte“ Dissoziationskonstante
{H + } ⋅[A − ]
K S′ = (2.40)
[HA]
Die bei der anaeroben Abwasserreinigung maßgeblichen schwachen Säuren und Basen
sind:
• Kohlensäure,
• Schwefelwasserstoff,
• organische Säuren,
• Ammonium.
Kohlensäure
Kohlendioxid dissoziiert in wässriger Lösung (Kohlensäure) und verhält sich als schwache
zweibasige Säure.
Für die Dissoziation gilt:
+ −
1. Stufe: CO 2 (aq ) + H 2 O H + HCO3
− + 2−
2. Stufe: HCO3 H + CO3
{H + } ⋅ [CO32 − ]
′
K C2 = (2.42)
[HCO3− ]
Die pK-Werte für beide Dissoziationsstufen der Kohlensäure bei 35 °C sowie die Koeffizi-
enten zur Berechnung der Werte bei anderen Temperaturen sind in Tab. 2.7 zusammen-
gefasst.
58 2 Grundlagen anaerober Prozesse
Aus Gl. (2.41) und Gl. (2.42) ist zu sehen, dass die Gleichgewichtslage, also der Anteil
der einzelnen Kohlensäureformen (CO2 – HCO3– – CO32−), ausschließlich von der H + -
Konzentration, d. h. vom pH-Wert, abhängig ist.
Die relativen Anteile der einzelnen Dissoziationsprodukte der Kohlensäure (Kohlen-
säureformen) sind aus Gl. (2.41) und Gl. (2.42) und der Massenbilanz für den anorgani-
schen Kohlenstoff (TIC) Gl. (2.43) berechenbar:
TIC = [CO 2 ] + [HCO3− ] + [CO32 − ] (2.43)
K′ K′ ⋅ K′
f (CO 2 ) = 1 + C+1 + C1 + 2C 2 (2.44)
{H } {H }
K C′ 1
f (HCO3− ) = ⋅ f ( CO 2 ) (2.45)
{H + }
K C′ 1 ⋅ K C′ 2
f (CO32 − ) = ⋅ f ( CO 2 ) (2.46)
{H + }2
Schwefelwasserstoff
Schwefelwasserstoff reagiert in wässriger Lösung wie Kohlendioxid als schwache zweibasi-
ge Säure. Es gelten analog folgende Gleichgewichte:
+ −
1. Stufe: H 2S H + HS
2. Stufe: HS H + S
− + 2−
{H + } ⋅ [S2− ] (2.48)
′
KS2 =
[HS− ]
Die pK-Werte für beide Dissoziationsstufen des Schwefelwasserstoffs bei 35 °C und die
Koeffizienten zur Berechnung der Werte bei anderen Temperaturen für pKS1 sind in
Tab. 2.7 zusammengefasst. Für pKS2 ist die Temperaturabhängigkeit nicht bekannt. Da die
Gleichgewichtskonstante für die zweite Dissoziationsstufe von Schwefelwasserstoff zumin-
dest vier Zehnerpotenzen kleiner ist als die der H + -Aktivität im Anaerobbehälter, ist der
Anteil des als S2– vorliegenden reduzierten Schwefels sehr gering und der Fehler bei Ver-
nachlässigung dieses Anteils daher meist zulässig.
2.2 Chemische Grundlagen anaerober Prozesse 59
Organische Säuren
Stellvertretend für alle beim Anaerobprozess relevanten einbasigen organischen Säuren
soll hier die Dissoziation der Essigsäure (HAc) dargestellt werden:
HAc H + + Ac −
Die relativen Anteile der dissoziierten und undissoziierten Essigsäure lassen sich durch
Kombination mit der Massenbilanz für die gesamte Essigsäure (analytisch bestimmte Es-
sigsäure cHAc) aus Gl. (2.49) und Gl. (2.50) berechnen:
cHAc = [Ac − ] + [HAc] (2.50)
′
K Ac
[Ac − ] = ′
⋅ cHAc (2.51)
K Ac + {H + }
{H + }
[HAc] = ′
⋅ cHAc (2.52)
K + {H + }
Ac
In Tab. 2.7 ist die Dissoziationskonstante der Essigsäure und deren Temperaturabhängig-
keit dargestellt. Die pKS Werte von Propion- und Buttersäure (jene organischen Säuren,
die im Anaerobreaktor in maßgeblichen Konzentrationen vorkommen können) sind etwa
gleich groß wie der pKS Wert der Essigsäure (zwischen 4,7–4,9). Es ist daher gerechtfertigt,
alle 3 Säuren als Essigsäureäquivalente anzugeben. Die Toxizitätsgrenze der Konzentration
der undissoziierten Säuren ist allerdings für die einzelnen Säuren unterschiedlich, hier
kann also nicht mit Essigsäureäquivalenten gearbeitet werden.
Ammonium – Ammoniak
Ammoniumstickstoff ist bei der anaeroben Reinigung von großer Bedeutung. Aus Ana-
logiegründen wird Ammonium als schwache Säure betrachtet. Es dissoziiert in ein Proton
(H + ) und Ammoniak (Ammonium-Ammoniak-Gleichgewicht):
NH +4 H + + NH 3
Analog der Essigsäure sind die Anteile an Ammoniak und Ammonium aus der analytisch
ermittelten Ammoniumkonzentration berechenbar:
c NH4 = [ NH +4 ] + [ NH 3 ] (2.54)
K N′
[ NH ] = {H
3 +
} + K N′
⋅ cNH4 (2.55)
{H + } (2.56)
[NH +4 ] = +
⋅ cNH4
{H } + K N′
• Kalziumkarbonat
• Schwermetallsulfide
Kalziumkarbonat
Das thermodynamische Löslichkeitsprodukt von Kalziumkarbonat ist definiert als:
{ }{
K CaCO3 = Ca 2 + ⋅ CO32 − }
2+ 2+
= [Ca ] × f (Ca ) × [CO32 − ] × f (CO32 − )
Die Werte zeigen, dass das Löslichkeitsprodukt von der Art des Abwassers abhängig ist
und ungefähr ein bis zwei Größenordnungen größer ist als der thermodynamische Wert
für stark verdünnte reine Lösungen. Es zeigt sich auch eine gewisse Abhängigkeit vom
pH-Wert, wobei allerdings die Unterschiede im für die anaerobe Behandlung günstigen
Bereich von untergeordneter Bedeutung sind.
Schwermetallsulfide
Die Sulfide fast aller Schwermetalle weisen nur eine sehr geringe Löslichkeit auf. In Tab. 2.9
sind einige Löslichkeitsprodukte von Schwermetallsulfiden in Form der pKL–Werte dar-
gestellt.
Bei diesen pKL–Werten kann angenommen werden, dass Schwermetalle im Anaerob-
behälter praktisch zur Gänze ausfallen, solange Sulfid vorhanden ist. Eine Ausnahme bil-
det Chrom, von dem kein schwer lösliches Sulfid existiert.
Die Sulfidfällung kann ausgenutzt werden um eine H2S–Toxizität zu beheben. Durch
Zugabe eines Schwermetallsalzes (meist FeCl3) kann der Gehalt an gelöstem H2S durch
Sulfidfällung (aufgrund des Gleichgewichts H2S – HS– – S 2–, Abschn. 2.2.1.2) vermindert
werden. Bei Verwendung von Fe(III) Salzen muss berücksichtigt werden, dass dreiwertiges
Eisen im Anaerobreaktor zu zweiwertigem Eisen reduziert werden muss. Es kann ange-
nommen werden, dass für diese Reduktion ebenfalls H2S verwendet wird.
2 Fe3+ + 3 H 2S 2 FeS ↓ + S ↓ + 6 H +
Aufgrund der Größe des Löslichkeitsprodukts von FeS kann weiter angenommen werden,
dass diese Reaktion quantitativ abläuft. Für die Behebung eines kurzfristig zu hohen H2S–
Gehalts ist diese Maßnahme daher anwendbar, wobei anzunehmen ist, dass die Reaktion
in der oben dargestellten Form abläuft. Dabei wären für 1 kg entfernten Sulfid-Schwefel
1,16 kg Fe notwendig. Beachtet werden muss noch der Verbrauch an Alkalität, der ein Ab-
sinken des pH-Wertes im Faulbehälter verursachen kann.
62 2 Grundlagen anaerober Prozesse
Ob der ausgefallene elementare Schwefel langfristig als entfernt gelten kann, ist nicht
gewiss. Bakterien, die im anaeroben Milieu elementaren Schwefel zu H2S reduzieren kön-
nen, sind bekannt (Schlegel 1981). Deren Vorhandensein im anaeroben Schlamm lässt sich
kaum ausschließen. Es muss daher damit gerechnet werden, dass bei längerer Anwendung
dieser Maßnahme der Schwefel wieder zu H2S reduziert wird und indirekt für die Eisen-
reduktion CSB verwendet wird. Danach würde stöchiometrisch ein Mol Eisen mit einem
Mol Sulfid reagieren und damit für 1 kg entfernten Sulfid-Schwefel 1,74 kg Fe notwendig
sein. Für eine dauernde Anwendung kommt diese Maßnahme, besonders wenn man den
unter Umständen erhöhten Neutralisationsmittelbedarf einrechnet, aus Kostengründen
kaum infrage.
Eine andere Anwendung der Sulfidfällung ist die gezielte Entfernung und Rückgewin-
nung von Schwermetallen aus dem Abwasser. Das biologisch produzierte Sulfid wird dabei
als Fällungsreagens verwendet. In dieser Richtung wurden Versuche zur Entfernung von
Zink aus Abwasser der Viskoseproduktion mit gutem Erfolg durchgeführt (Kroiss et al.
1985). Eine Anwendung wurde großtechnisch realisiert (Parravicini et al. 2007).
zu Cr(+ III) reduziert. Die verbrauchte Menge an Cr(+ VI) wird danach in die äquivalente
Menge an Sauerstoff umgerechnet und als CSB in mg O2/L angegeben. Die Bestimmung ist
nach DEV genormt, es stehen auch zuverlässige Küvetten-Tests zur Verfügung.
Aufgrund der Analysenmethodik kann angenommen werden, dass der gesamte redu-
zierte Kohlenstoff zur Oxidationsstufe + IV (CO2) oxidiert wird. Eine Ausnahme bilden
quartäre Ammoniumverbindungen (z. B. Betain in Melasse). Diese werden bei der CSB-
Bestimmung nicht erfasst, sind jedoch biologisch abbaubar. Reduzierter Schwefel wird zur
Oxidationsstufe + VI (SO42–) oxidiert. Stickstoff in der Oxidationsstufe -III (NH4–N und N
in Amin- und Amidverbindungen) wird bei der Analysenmethodik nicht oxidiert. Stick-
stoff in Oxidationsstufe + III (Nitrit) wird zu Nitrat (Ox.St. + V) oxidiert.
Bei der Bestimmung ist zu berücksichtigen, dass speziell im Ablauf anaerober Abwas-
serreinigungsanlagen häufig Schwefelwasserstoff bzw. Sulfide in größeren Konzentratio-
nen vorhanden sind, die bei der Probenahme und -aufbewahrung zum Teil entweichen,
der verbleibende Teil aber dann bei der CSB-Bestimmung erfasst wird. Soll nur der CSB
der organischen Verschmutzung erfasst werden, muss der Gehalt an reduziertem Schwefel
(H2S, HS–, S 2–) bestimmt werden und dessen CSB (gerechnet) abgezogen werden.
Der CSB (chemische Sauerstoff-Bedarf) stellt den vielleicht wichtigsten Parameter zur
Beurteilung der organischen Verschmutzung bei Industrieabwasser dar. Bei sorgfältiger
Analytik und Probenvorbehandlung (Homogenisierung der partikulären Stoffe) kann bei
der CSB-Bestimmung mit einem Aufschlussgrad von über 95 % gerechnet werden (Moser
1993). Auch die Bestimmung des CSB von Schlämmen ist bei entsprechender Verdünnung
und Homogenisierung möglich. Der CSB bietet die Möglichkeit der Bilanzierung einer
Anlage (siehe Abschn. 2.2.4.1).
2.2.2.2 TOC
Der TOC (Total Organic Carbon) ist eine weit verbreitete Methode zur Bestimmung der
organischen Verunreinigung, speziell für Industrieabwasser. Die Analysenmethodik lässt
sich weitgehend automatisieren, sodass die Möglichkeit einer kontinuierlichen Erfassung
der organischen Verschmutzung in einzelnen Abwasserteilströmen besteht. Es kann somit
auch eine kontinuierliche Zulauf- und Ablaufkontrolle erfolgen. Aufgrund der methodisch
bedingten sehr geringen Probemengen und den dadurch sehr hohen Ansprüchen an die
Probenvorbereitung (Homogenisierung) kommt es bei feststoffhaltigen Proben sehr häu-
fig zu Fehlmessungen (Minderbefunde).
Aus dem Verhältnis CSB: TOC kann die mittlere Oxidationszahl des Kohlenstoffs be-
rechnet werden, was einen Hinweis auf die Hauptkomponenten der Verschmutzung (Koh-
lenhydrate, Eiweiß, Fette) erlaubt.
Eine Bilanzierung über den TOC ist nicht möglich, wohl aber über den gesamten Koh-
lenstoffgehalt (TC), allerding ist die analytische Erfassbarkeit des anorganischen Kohlen-
stoffs (TIC) wegen des Gas-Flüssigkeitsgleichgewichtes und der Dissoziationsstufe der
Kohlensäure sehr schwierig.
64 2 Grundlagen anaerober Prozesse
2.2.2.3 BSB5
Der BSB5 (Biochemische Sauerstoff-Bedarf) ist der klassische Parameter zur Bestimmung
der organischen Verschmutzung in kommunalem Abwasser. Ähnlich wie beim CSB wird
ein Sauerstoffbedarf ermittelt, allerdings nicht für eine (vollständige) chemische Oxida-
tion der organischen Inhaltsstoffe, sondern für den Abbau durch Bakterien. Heterotrophe
Bakterien, die für den Abbau der organischen Stoffe verantwortlich sind, oxidieren einen
Teil dieser Verbindungen mit O2 zur Energiegewinnung, der andere Teil wird zum Aufbau
neuer Biomasse umgebaut (nicht oxidiert). Daraus folgt, dass der Sauerstoffbedarf bei bio-
logischem Abbau innerhalb von 5 Tagen geringer sein muss als bei chemischer Oxidation.
Bei kommunalem Abwasser liegt das Verhältnis CSB:BSB5 bei ca. 2:1, also nur etwa 50 %
des organischen Kohlenstoffs wird beim BSB5 tatsächlich oxidiert; der Rest wird in neue
Biomasse eingebaut bzw. zu einem geringen Teil (fehlende Hydrolyse von Feststoffen)
nicht abgebaut.
Industrieabwasser weist oft eine sehr einseitige Zusammensetzung auf und enthält
Verbindungen, für deren Abbau adaptierte oder überhaupt spezielle Bakterien notwendig
sind. Im BSB5-Ansatz sind diese speziellen Mikroorganismen kaum oder nicht vorhanden,
und die Inkubationszeit (5 d) reicht nicht für eine entsprechende Adaptierung aus. Somit
kommt es sehr oft zu im Vergleich zum CSB sehr niedrigen Messwerten und damit zu
sehr hohen CSB:BSB5-Verhältnissen. Eine Aussage über die Abbaubarkeit der Abwasse-
rinhaltsstoffe ist daraus nicht abzuleiten, da vielfach nur bei der BSB5-Bestimmung die
Bakterienpopulation nicht entsprochen hat. Ein CSB:BSB-Verhältnis ≤ 2 lässt auf eine gute
Abbaubarkeit schließen, höhere Werte lassen ohne entsprechende weitergehende Abbau-
barkeitstests keine Aussage zu.
Bei der Bestimmung des BSB5 in konzentrierten Abwässern (Industrieabwässern) soll-
te unbedingt die Probe zur Bestimmung verdünnt werden (Verdünnungsmethode, DEV
H51), da es sonst sehr oft zu Hemmungen und damit zu Minderbefunden kommen kann.
Für die anaeroben Prozesse ist die BSB5–Analytik nur wenig aussagekräftig. Im Ab-
lauf anaerober Abwasserreinigungsanlagen wird bei der BSB5-Bestimmung das Sulfid wie
beim CSB miterfasst, weil es biologisch oxidiert wird.
Eine Bilanzierung über den BSB5 ist prinzipiell nicht möglich.
2.2.2.4 Stickstoffverbindungen
Stickstoff hat beim Anaerobprozess zwei wichtige Funktionen. Einerseits ist Stickstoff zum
Aufbau von Biomasse – unabhängig ob aerob oder anaerob – unbedingt notwendig, an-
dererseits hat Stickstoff in Form von Ammonium speziell bei der anaeroben Behandlung
einen wesentlichen Einfluss auf die Alkalität und damit auf den pH-Wert. Kapp (1984)
zeigte, dass bei der anaeroben Schlammbehandlung der Ammoniumgehalt direkt mit der
Alkalität korreliert, was bedeutet, dass Ammonium bei der Schlammfaulung im Wesent-
lichen das einzige mit dem Hydrogenkarbonat im Gleichgewicht stehende Kation ist.
Da anaerobe Bakterien keine grundsätzlich andere chemische Zusammensetzung auf-
weisen als aerobe Bakterien, kann angenommen werden, dass die Biomasse bezogen auf
deren CSB etwa 8–9 % N enthält (McCarty 1972). Wird angenommen, dass anaerob etwa
2.2 Chemische Grundlagen anaerober Prozesse 65
4–15 % des entfernten CSB für den Biomasseaufbau verwendet werden, so liegt der Stick-
stoffverbrauch der Bakterien bei etwa 0,3–1,5 % bezogen auf den abgebauten CSB. Diesen
Bedarf geben auch Henze und Harremoes (1983) aufgrund einer umfassenden Literatur-
studie an. Je geringer das anaerobe Schlammalter ist, desto höher wird auch der Nährstoff-
bedarf.
KN
Im KN (Kjeldahl Nitrogen, früher TKN – Total Kjeldahl Nitrogen) werden der organische
Stickstoff und der Ammonstickstoffgehalt erfasst. Der TKN entspricht also der Konzent-
ration des gesamten reduzierten Stickstoffs.
Bei der Hydrolyse von organischen Verbindungen, wie etwa Proteinen oder Amino-
säuren, aber auch heterocyclischen Stickstoffverbindungen, wird der in diesen Molekülen
enthaltene organisch gebundene Stickstoff in Form von Ammoniak frei (Schink 1988).
Da die Hydrolyse die Voraussetzung für einen weiteren anaeroben Abbau ist und i. d. R.
bei der Abwasserbehandlung nicht den limitierenden Abbauschritt darstellt, kann bei den
meisten Abwässern angenommen werden, dass fast der gesamte im Zulauf enthaltene KN
im Anaerobbehälter als Ammonstickstoff frei wird, soweit er nicht für den Biomasseauf-
bau verwendet wird.
Ammonium – Ammoniak
Für die Beurteilung eines Rohabwassers ist der Ammonstickstoffgehalt (NH4–N + NH3–N)
meist von geringer Aussagekraft. Es sollte gleichzeitig immer der Gehalt an KN ermittelt
werden, da bei der anaeroben Abwasserreinigung meist der überwiegende Teil des organi-
schen Stickstoffs in Ammonstickstoff umgewandelt wird.
Ammonstickstoff ist die Form des Stickstoffs, die von den Bakterien zum Aufbau der
Zellsubstanzen aufgenommen werden kann. Er ist zum einen für die Versorgung der Bak-
terien mit Nährstoffen von Interesse, zum anderen ist er auch ein ganz wichtiger Parameter
für die Bildung von Pufferkapazität im Anaerobreaktor. In sehr hohen Konzentrationen
kann Ammonium auch toxisch für die an der anaeroben Abwasserreinigung beteiligten
Bakterien werden. Dabei dürfte jedoch nur der undissoziierte Ammoniak (NH3) wirksam
sein (Gallert et al. 1998).
Von großer Bedeutung ist die Ammonstickstoff-Konzentration im anaerob gereinigten
Abwasser natürlich auch zur Beurteilung der aeroben Nachreinigungsschritte (Nitrifika-
tion), besonders auch in Verbindung mit dem noch vorhandenen abbaubaren CSB (Denit-
rifikation). Bei sehr hohen Ammoniumkonzentrationen kann auch die Deammonifikation
(s. Kap. 10) zur Stickstoffentfernung eingesetzt werden.
2.2.2.5 Phosphorverbindungen
Phosphor, in Form von Orthophosphat, ist für Bakterien zum Aufbau von Zellsubstanz,
speziell der Nukleinsäuren und Nukleotide (z. B. ATP, ADP) unbedingt notwendig. Für
eine ausreichende Versorgung der Bakterien mit Phosphor ist daher Sorge zu tragen. Die
benötigte Phosphormenge ist abhängig vom Biomassewachstum und vom Ertragskoeffi-
zient Y. Für anaerobe Bakterien liegt der Phosphorbedarf zwischen etwa 1/7 (Speece und
McCarty 1964) und 1/3 (Kroiss et al. 1985a) des Stickstoffbedarfs.
Ansonsten spielt der Phosphor beim anaeroben Reinigungsprozess nur eine unterge-
ordnete Rolle. Das Potenzial an Fällungskapazität für Magnesiumammoniumphosphat
(MAP) kann aus der Abwasserzusammensetzung abgeschätzt werden. Diese Fällungsreak-
tion kann zu sehr unangenehmen Folgen in Behältern und Rohrleitungen führen.
2.2.2.6 Schwefelverbindungen
Sulfat
Sulfat ist ein sehr häufiger Inhaltsstoff von Industrieabwässern. Es ist bei der anaeroben
Reinigung von besonderer Bedeutung, weil es in diesem Milieu im Gegensatz zum ae-
roben an den biochemischen Redoxprozessen maßgeblich teilnimmt und von speziellen
Bakterien zu Sulfid reduziert wird. Dabei ist die Sulfatreduktion weniger für die Massen-
bilanz von Interesse als vielmehr aufgrund der Toxizität des Endprodukts, des Schwefel-
wasserstoffs. Der Schwefelwasserstoffgehalt des Faulgases spielt auch eine wichtige Rolle
bei der Gasverwertung.
Die Bestimmung von Sulfat kann nach DEV, D5 oder D19 erfolgen.
Sulfit
Sulfit wirkt auch auf anaerobe Bakterien toxisch. Über die Toxizität von Sulfit bzw. über die
Reduktion von Sulfit zu Schwefelwasserstoff sind noch kaum genauere Untersuchungen
vorhanden. Da Sulfit bei der dissimilatorischen Sulfatreduktion (Schlegel 1981) als Zwi-
schenprodukt auftritt, ist anzunehmen, dass sulfatreduzierende Bakterien auch Sulfit zur
Energiegewinnung nutzen können.
Bei Versuchen zur anaeroben Reinigung von Kondensaten aus der Sulfitzellstoffpro-
duktion wurden einige Erkenntnisse über das Verhalten von Sulfit gewonnen (Ferguson
und Benjamin 1985; Kroiss et al. 1985). Dabei wurde gezeigt, dass nach Adaption eine
anaerobe Behandlung auch bei Sulfit-Konzentrationen von über 100 mg/L im Zulauf mög-
lich ist.
2.2 Chemische Grundlagen anaerober Prozesse 67
Die Bestimmung von Sulfit nach DEV ist in Abwässern infolge der komplexen Matrix
kaum möglich. Schwendt und Bäurle (1985) zeigen Methoden der Sulfitbestimmung auf,
die auch bei den meisten Abwässern anwendbar sind.
Schwefelwasserstoff
Die analytische Bestimmung des gelösten H2S ist relativ aufwendig. Infolge der hohen
Flüchtigkeit des Schwefelwasserstoffs ist einer gewissenhaften Probenahme und -vorberei-
tung besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Repräsentative Messergebnisse sind nur in
Stichproben zu erwarten. Parallel zur H2S Bestimmung sollte unbedingt auch der pH-Wert
gemessen werden, damit der undissoziierte Anteil des Schwefelwasserstoffs, der für die
Toxizität auf Bakterien entscheidend ist, berechnet werden kann.
Die Konzentration des gelösten, undissoziierten Schwefelwasserstoffs lässt sich mit aus-
reichender Genauigkeit wesentlich einfacher und rascher aus dem H2S-Gehalt des Faul-
gases berechnen (Abschn. 2.2.1.1). Nach dem Henry’schen Gesetz gilt:
[H 2S] = K H , H2S ⋅ pH2S (2.57)
Damit kann aus dem H2S-Gehalt des Faulgases sehr einfach und schnell auf eine eventuelle
Hemmung geschlossen werden. Bei Kenntnis des pH-Werts kann auch unter Einbezie-
hung von Gl. (2.47) und (2.48) der gesamte Sulfidgehalt berechnet werden.
Die Säurekapazität wird durch Titration einer Probe mit einer Maßlösung einer starken
Säure (HCl) bestimmt. Das Ergebnis wird in mmol/L angegeben. Der pH-Endwert der Ti-
tration von 4,3 ist von den Dissoziationskonstanten der Kohlensäure abgeleitet (bei pH 4,3
liegen 99 % des gelösten anorganischen Kohlenstoffs als CO2 vor). Dieser Titrationsend-
punkt gilt also nur für Wässer, in denen Kohlensäure als einzige schwache Säure vorhan-
den ist. Liegen noch andere schwache Säuren vor (schwache organische Säuren oder H2S),
so gilt dieser Endpunkt eigentlich nicht mehr. Aber auch in diesem Fall gibt es Möglichkei-
ten, die Säurekapazität zu bestimmen (Svardal 1991). Mit der dort beschriebenen Methode
68 2 Grundlagen anaerober Prozesse
Betrachtet man in Gl. (2.58) den pH-Bereich zwischen 6 und 8, dann ist die Konzentration
von CO32−, H+ und OH− im Vergleich zu HCO3- deutlich niedriger und in der Summie-
rung vernachlässigbar. Damit gilt näherungsweise:
SK ≈ [HCO3− ] (2.60)
Für Abwässer bzw. Abläufe von Anaerobanlagen, die auch organische Säuren (angegeben
als Essigsäure) enthalten, gilt für den pH-Bereich zwischen 6 und 8 analog entsprechend
Gl. (2.59):
SK ≈ [HCO3− ] + [Ac − ] (2.61)
Betrachtet man ein System, das aus verschiedenen z. T. schwachen Säuren und Basen zu-
sammengesetzt ist (Abwasser, Anaerobreaktor), so gilt unter Anwendung der Ladungs-
bilanz:
[Na + ] + [ NH +4 ] + 2 ⋅ [Ca 2+ ] + [H + ]
= [HCO3− ] + 2 ⋅ CO32 − + [Ac − ] + [HS− ] + 2 ⋅ [S2 − ] + [OH − ] + [Cl − ] (2.62)
Dabei steht [Na + ] für alle vollständig dissoziierten Kationen (etwa auch für [K + ]) und
[Cl-] für alle vollständig dissoziierten Anionen (Säurereste starker Säuren). Ersetzt man
in der Ladungsbilanz die entsprechenden Ionen durch die Säurekapazität (Gl. (2.62) –
Gl. (2.59)), so erhält man:
SK = [ Na + ] + [ NH 4+ ] + 2 ⋅ [Ca 2 + ] − [Cl − ] (2.63)
Die Betrachtung der Säurekapazität als Differenz aller Kationen und der vollständig dis-
soziierten Anionen bietet vom Verständnis her den Vorteil, dass die Säurekapazität eine
vom Wasser (Abwasser) gegebene Größe ist. Durch eine Veränderung der Konzentration
einer schwachen Säure, wie etwa des Kohlensäuregehalts oder des Gehalts an organischen
Säuren, wird die Säurekapazität nicht verändert, es ändert sich nur der pH-Wert.
Ammonium (NH4 +) wird in dieser Definition getrennt angeführt, kann aber für pH-
Werte, wie sie in biologischen Reinigungsanlagen auftreten, als vollständig dissoziiert an-
gesehen werden, verhält sich also wie z. B. Na + .
2.2 Chemische Grundlagen anaerober Prozesse 69
Die Säurekapazität kann sich nur ändern, wenn die Konzentration der vollständig dis-
soziierten Kationen und Anionen in unterschiedlichem Maß geändert wird. So verändert
die Zugabe von NaCl die Säurekapazität nicht, weil die Konzentration von Na + (Kation)
und Cl- (Anion) gleichermaßen steigt.
Wird je Liter ein mmol NaOH (Natriumhydroxid) zugegeben, so erhöht sich die Säure-
kapazität um 1 mmol/L, genau das gleiche bewirkt die Zugabe von einem mmol NaHCO3
(Natriumhydrogenkarbonat). In beiden Fällen wird das zugegebene Natrium vollständig
dissoziieren und zur Gänze als Na + vorliegen. Entsprechend der Ladungsbilanz muss die
gleiche Menge an korrespondierenden Anionen vorhanden sein. Durch die Zugabe von
NaOH wird die OH-Konzentration kurzzeitig erhöht und damit steigt entsprechend des
„Ionenprodukts des Wassers“ der pH-Wert. Damit wird aber auch das Kohlensäuregleich-
gewicht verschoben, das zuvor in der Lösung vorliegendes CO2 dissoziiert und die Kon-
zentration an HCO3− und CO32− steigt. Die Zugabe von Natriumhydrogenkarbonat bewirkt
−
gleichzeitig eine Erhöhung der Konzentration der HCO3 -Ionen, wodurch das Kohlensäu-
regleichgewicht weniger verändert wird. Der pH-Wert bei Zugabe von NaOH wird kurz-
zeitig – bis die entsprechende Menge an CO2 in Lösung gegangen ist – deutlich höher an-
steigen als bei Zugabe von NaHCO3. Nach wenigen Minuten wird sich nahezu der gleiche
pH-Wert einstellen, im Falle der NaOH-Zugabe wird er geringfügig höher sein, weil der
CO2–Gehalt des Faulgases durch die Gleichgewichtsverschiebung etwas absinken muss.
Die Säurekapazität kann sich auch im Zuge biologischer Reaktionen ändern. Im anae-
roben Milieu sind die wichtigsten Beispiele dafür:
org.geb.N → NH +4 + OH −
• Sulfatreduktion
− −
4 → HS + OH
SO 2−
Je Gramm (= 1/32 mol) reduziertem SO42-S verschwindet 1/32 mol eines 2-basigen voll-
ständig dissoziierten Anions, 1/32 mol einer schwachen Säure (Schwefelwasserstoff) ent-
steht. Infolge der 2–Basigkeit des Sulfats steigt die Säurekapazität um 2/32 mol.
Zur Abschätzung der Säurekapazität, die zum Erreichen eines bestimmten pH-Werts
im Anaerobreaktor notwendig ist, kann Gl. (2.61) herangezogen werden. Es kann ange-
nommen werden, dass bei pH-Werten im neutralen Bereich die entscheidenden organi-
schen Säuren fast vollständig als Ion (dissoziiert) vorliegen, also [Ac−] der analytischen
Essigsäure-Konzentration in mmol/L entspricht. Mithilfe des Henry’schen Gesetzes (siehe
Abschn. 3.1.1) lässt sich unter Vorgabe eines bestimmten CO2-Partialdrucks (CO2-Gehalt
70 2 Grundlagen anaerober Prozesse
des Faulgases) die Konzentration an gelöstem CO2 berechnen. Daraus ist aufgrund des
−
Dissoziationsgleichgewichts (Abschn. 2.2.1.2, Gl. (2.41)) HCO3 für den gewünschten pH-
Wert berechenbar. Somit kann der Zusammenhang zwischen pH-Wert und Säurekapazität
abgeschätzt werden (siehe Abschn. 3.2).
2.2.2.9 Calcium
Der Calciumgehalt des Rohabwassers ist deshalb von großer Bedeutung, weil es infolge
des hohen CO2-Angebotes im Anaerobreaktor zur Bildung von Calciumcarbonat (CaCO3)
kommt. Wegen der geringen Löslichkeit von Calciumcarbonat fällt dieses dann im Reaktor
aus und kann somit zu verschiedensten Betriebsproblemen führen. Das Calciumcarbonat-
problem sollte bei Calciumkonzentrationen über 100 mg/L in jedem Fall besonders be-
rücksichtigt werden (Svardal 1991a).
2.2.2.10 Faulgaskomponenten
Kohlendioxid
Faulgas besteht zu etwa 20–40 % aus Kohlendioxid. CO2 ist ein inertes, geruchloses, un-
giftiges Gas, das im Wesentlichen nur den Heizwert des Faulgases verringert. Der CO2-
Gehalt des Faulgases ist abhängig von der Abwasserkonzentration und -zusammensetzung
(CSB/TOC – Verhältnis), aber vor allem auch vom pH-Wert im Faulbehälter. Ein Anstieg
des CO2-Gehalts deutet meist auf einen pH-Abfall hin, der zum Beispiel durch eine Stö-
2.2 Chemische Grundlagen anaerober Prozesse 71
rung der Methanbakterien und eine damit verbundene Anreicherung von organischen
Fettsäuren zustande gekommen ist.
Die Bestimmung erfolgt am besten gaschromatografisch. Kohlendioxid kann auch gas-
volumetrisch (Absorption in Lauge) bestimmt werden, wobei Schwefelwasserstoff mitbe-
stimmt wird. Für die Routinebestimmung haben sich auch Gasprüfröhrchen oder mobile
Gasmessgeräte basierend auf IR-Absorption bewährt.
Methan
Methan ist der Energieträger im Faulgas, der Anteil liegt bei 60–80 %. Es ist ein geruchlo-
ses, ungiftiges und brennbares Gas (Heizwert: 40 MJ/Nm3). Der Gehalt im Faulgas kann
gaschromatografisch oder durch IR-Absorption ermittelt werden.
Schwefelwasserstoff
Schwefelwasserstoff (H2S) ist ein unangenehm („nach faulen Eiern“) riechendes, giftiges
(MAK = 5 ml/m3) und brennbares Gas. Der H2S-Gehalt des Faulgases ist im Wesentlichen
vom Sulfatgehalt, der CSB-Konzentration des Abwassers und vom pH-Wert im Anaero-
breaktor abhängig. H2S im Faulgas steht immer mit dem gelösten H2S im Gleichgewicht,
sodass nach Messung eines dieser Werte der andere berechnet werden kann.
Zu beachten ist die stark korrosive Wirkung des Schwefelwasserstoffs sowie die Bildung
von schwefelsäurehaltigen Kondensaten, wenn auch nur geringer Luftzutritt vorhanden
ist, auch diese Kondensate sind stark korrosiv.
Ziel der anaeroben Abwasserbehandlung ist es, die organische Verschmutzung (reduzier-
ter Kohlenstoff ausgedrückt als CSB und TOC) in Methan und Kohlendioxid umzuwan-
deln. Diese Methanbildung, als Folge eines mikrobiologisch gesehen mehrstufigen Pro-
zesses (siehe Kap. 2.1), entspricht einer Verlagerung des Kohlenstoffs und des CSB in die
Gasphase und damit einer Entfernung aus der flüssigen Phase.
Der anaerobe Abbau ist chemisch betrachtet eine Disproportionierung des organischen
Kohlenstoffs in Kohlenstoff mit der Oxidationszahl − 4 (CH4) und Kohlenstoff mit der
Oxidationszahl + 4 (CO2). Das Verhältnis zwischen dem biologisch produzierten Methan
und dem biologisch produzierten Kohlendioxid ist abhängig von der mittleren Oxida-
tionszahl des Kohlenstoffs der abgebauten Verbindungen.
Als formale Redoxreaktion gilt:
OS + IV − IV
C→ x C + y C (2.64)
Für die Reaktionsgleichung gilt einerseits die Massenbilanz und andererseits die La-
dungsbilanz:
Massenbilanz:
x+ y =1 (2.65)
Ladungsbilanz:
OS = 4 ⋅ x + ( −4) ⋅ y (2.66)
bzw.
4 − OS
y= (2.68)
8
x und y entsprechen den jeweiligen Anteilen an CO2 und CH4, die pro Mol umgewandel-
tem org. Kohlenstoff gebildet werden. Durch Division erhält man das Verhältnis (Mol-
bzw. Volumenverhältnis) des mikrobiell produzierten Kohlendioxids und Methans (CO2/
CH4).
x CO 2 4 + OS
= = (2.69)
y CH 4 4 − OS
Unter der Annahme, dass Kohlenstoff das einzige bei der CSB-Bestimmung oxidierbare
Element ist, was bei den meisten Abwässern zumindest näherungsweise gilt, lässt sich aus
dem Verhältnis CSB/TOC die mittlere Oxidationszahl des Kohlenstoffs im Abwasser und
damit die spezifische Menge an produzierten Methan und Kohlendioxid berechnen (Gujer
und Zehnder 1983).
Ein Mol Kohlenstoff mit der mittleren Oxidationsstufe OS wird bei der CSB-Bestim-
mung zu einem Mol Kohlenstoff der Oxidationsstufe + IV oxidiert, dabei werden (4– OS)
Mol Elektronen übertragen:
OS + IV
C → C + (4 − OS)e − (2.70)
Ein Mol org. C entspricht 12 g TOC, ein Mol Elektronen ist einem CSB von 8 g O2 äqui-
valent. Daher ergibt sich als CSB für 1 g TOC (gleichbedeutend dem Verhältnis CSB/TOC)
in Abhängigkeit der mittleren Oxidationszahl:
2.2 Chemische Grundlagen anaerober Prozesse 73
CSB 8
= ⋅ (4 − OS) (2.71)
TOC 12
Die mittlere Oxidationszahl lässt sich also aus dem CSB/TOC Verhältnis berechnen:
3 CSB
OS = 4 − ⋅ (2.72)
2 TOC
Durch Einsetzen von Gl. (2.72) in Gl. (2.69) erhält man das Verhältnis von produziertem
Methan zu produziertem Kohlendioxid in Abhängigkeit vom mittleren CSB/TOC-Ver-
hältnis:
CO 2 16 1
= ⋅ −1
CH 4 3 CSB (2.73)
TOC
Bilanzen sind die Grundlagen, mithilfe derer Stofftransportvorgänge beschrieben und die
zugehörigen Messergebnisse auf Richtigkeit überprüft werden können. Stoffe werden in
das System „Kläranlage“ importiert und exportiert, sie erfahren dabei innerhalb des Sys-
tems meist eine Umwandlung (Transformation) oder Speicherung. Können ein Stoff und
alle seine Umwandlungsprodukte an den Systemgrenzen quantitativ erfasst werden, so ist
eine Bilanzierung möglich. Am einfachsten wird eine Bilanzierung, wenn ein Stoff keiner
Transformation unterliegt, oder wenn Analysemethoden zur Verfügung stehen, die die
Gesamtheit eines Stoffes (chemisches Element) erfassen.
Für die allgemeine Formulierung einer Massenbilanz eines Stoffes müssen die Trans-
port-, Transformations- und Speichervorgänge kombiniert werden. Allgemein formuliert,
nimmt für den Fall, dass der Stoff in seiner Gesamtheit erfasst werden kann, eine Massen-
bilanz die Form in (Abb. 2.10) an.
6L6L«6LQ 6WRIIIUDFKWHQLQGDV6\VWHP>NJG@
6H6H«6HQ 6WRIIIUDFKWHQDXVGHP6\VWHP>NJG@
6 6WRIIPHQJHLP6\VWHP >NJ@
74 2 Grundlagen anaerober Prozesse
Für einen bestimmten Bilanzzeitraum gilt also für einen bilanzierbaren Stoff:
Die Summe aller zufließenden Frachten minus der Summe aller abfließenden Frachten
muss gleich der Änderung der Stoffmenge im System sein.
Für viele in der Abwasserreinigung betrachtete Stoffe gilt, dass die im System vorhan-
dene Menge einem Vielfachen der täglich zu- bzw. abtransportierten Frachten entspricht.
Das bedeutet, dass bei kurzen Betrachtungszeiträumen (Stunden, Tage) die Bestimmung
der Änderung der im System vorhandenen Stoffmengen innerhalb der Messgenauigkeit
der Parameter liegt und damit keine Aussagekraft gegeben ist.
Bilanzen sind am einfachsten zu erstellen, wenn alle Änderungen in den Massenspei-
chern (Belebungsbecken, Belebtschlamm, Faulbehälter) vernachlässigt werden können.
Maßgebend für eine Bilanz ist die im System vorhandene Menge des betrachteten Stoffes
am Beginn und am Ende des Bilanzzeitraumes. Werden die Bilanzen über längere Zeiträu-
me erstellt, sodass die Änderung der im System (z. B. Anaerobreaktor) gespeicherten Men-
ge verglichen mit den transportierten Stofffrachten gering (vernachlässigbar) wird, so gilt:
Die Summe aller zufließenden Frachten ist gleich der Summe aller abfließenden Frach-
ten.
Aussagekräftige Massenbilanzen können über Zeiträume erstellt werden, die mehre-
ren Aufenthaltszeiten der jeweiligen Stoffe entsprechen. Die Aufenthaltszeiten sind haupt-
sächlich vom Aggregatzustand der Stoffe abhängig. So werden sich gasförmige Stoffe (z. B.
Methan) nur wenige Minuten, flüssige Stoffe etwa der hydraulischen Aufenthaltszeit ent-
sprechend (einige Stunden) und Feststoffe gleich dem Schlammalter (definitionsgemäß
mittlere Aufenthaltszeit im Belebungsbecken, Faulbehälter), d. h. einige Wochen im Sys-
tem Abwasserreinigung aufhalten. Da in den meisten Bilanzen Feststoffe beteiligt sind, ist
als Bilanzzeitraum zumindest deren mittlere Aufenthaltszeit (Schlammalter), besser ein
Vielfaches davon, zu wählen.
Ein weiterer Grund, Bilanzierungen über größere Zeitspannen vorzunehmen, liegt
darin, dass durch die z. T. stichprobenhafte Beprobung und Messung unsystematische
Schwankungen auftreten können. Erfahrungsgemäß gleichen sich solche Schwankungen
über einen längeren Zeitraum wieder aus.
In Anwendung auf die anaerobe Abwasserreinigung kann der Anaerobreaktor als
„black box“ betrachtet werden (Kroiss 1985). Die Schnittstellen nach außen sind Zulauf,
Ablauf, Gas- und Überschussschlammabzug (Abb. 2.11).
2.2 Chemische Grundlagen anaerober Prozesse 75
6FKODPP
• CSB und
• Schwefel.
2.2.4.1 CSB-Bilanz
Der CSB ist ein Maß für die Oxidationsäquivalente (ausgedrückt als g O2), die für die
Oxidation der in der Probe enthaltenen Stoffe benötigt werden. CSB, der in die Abwasser-
reinigungsanlage gelangt, kann entweder oxidiert werden oder er muss die Anlage wieder
verlassen. Bei der aeroben biologischen Reinigung steht als Oxidationsmittel nur Sauer-
stoff (O2) zur Verfügung. Die Differenz der zu- und abfließenden CSB-Frachten (inkl. der
CSB-Fracht des Überschussschlamms) muss also einem (definierten) Sauerstoffverbrauch
(OVC) entsprechen, der Sauerstoffverbrauch für die Nitrifikation ist nicht enthalten (weil
bei der CSB-Bestimmung TKN nicht oxidiert wird).
Bei anaeroben Prozessen kommt kein Oxidationsmittel zum Einsatz, es kommt aus-
schließlich zu einer Umformung von gelösten bzw. suspendierten partikulären organi-
schen Verbindungen in Methan. Enthält das Abwasser Sulfat, wird dieses reduziert und
somit ein Teil der Reduktionsäquivalente auf H2S übertragen. Da gelöstes H2S bzw. Sulfide
bei der analytischen CSB-Bestimmung miterfasst werden und der CSB von H2S im Faul-
gas genauso wie der von Methan berechenbar ist, lässt sich eine geschlossene CSB-Bilanz
berechnen.
In Abb. 2.12 ist die CSB-Bilanz eines Anaerobreaktors schematisch dargestellt. Die zu-
bzw. abfließenden Frachten sind aus messtechnisch erfassbaren Größen berechenbar:
• CSB-Zulauf: Die zufließende CSB-Fracht lässt sich aus der analytisch bestimmten CSB-
Konzentration des homogenisierten Zulaufs und dem Durchfluss berechnen.
• CSB-Ablauf: Die CSB-Fracht im Ablauf ist in gleicher Weise aus der CSB-Konzentra-
tion des homogenisierten Ablaufs und dem Durchfluss zu berechnen. Wichtig ist, den
CSB des gelösten H2S mit zu erfassen, also die Probe unmittelbar nach der Entnahme
zu analysieren (Stichprobe).
76 2 Grundlagen anaerober Prozesse
&6%=XODXI &6%$EODXI
$QDHUREUHDNWRU
&6%6FKODPP
Bei anaeroben Prozessen ist der aus dem Substrat erzielbare Energiegewinn für die Bakte-
rien sehr gering. Das heißt, der Ausbeutekoeffizient ist sehr klein (Henze und Harremoes
1983). Die Bakterien müssen, im Vergleich zu Aerobiern, zum Aufbau von Biomasse we-
sentlich mehr Substrat abbauen. Daher ist der Anteil des gelösten CSB des Zulaufs, der
als Biomasse in den Überschussschlamm verlagert wird, gering (in der Praxis 5–10 %).
Enthält der Zulauf inerte CSB-haltige (organische) Feststoffe, die im Faulschlamm ange-
reichert werden, so müssen diese berücksichtigt werden.
Zur Vereinfachung der Schreibweise wird für die Bilanzierung der effektiv anaerob in
Methan umgewandelte CSB betrachtet (= CSBb).
CSBb = CSB des Zulaufs
In der Praxis entspricht CSBb näherungsweise der Differenz des CSB des Zulaufs und des
CSB im entgasten (H2S-freien) Ablauf, korrekterweise unter der Voraussetzung, dass der
Literatur 77
Ablauf den produzierten Überschussschlamm (Biomasse und inerte Feststoffe des Zu-
laufs) enthält.
2.2.4.2 Schwefelbilanz
Schwefel als bilanzierbare Größe ist bei der anaeroben Reinigung von besonderer Bedeu-
tung, weil es in diesem Milieu im Gegensatz zum aeroben an den biochemischen Redox-
prozessen maßgeblich teilnimmt. Schwefel ist eines der Elemente, die beim anaeroben Ab-
bau neben dem Kohlenstoff ihre Ladungszahl ändern und damit in die CSB-Bilanz einge-
hen. Dabei ist die Sulfatreduktion weniger für die Massenbilanz von Interesse als vielmehr
aufgrund der Toxizität des Endprodukts, des Schwefelwasserstoffs. Darauf wird in Kap. 3
detailliert eingegangen.
Von den aufgezeigten Formen des Schwefels sind normalerweise nur Sulfat und Schwe-
felwasserstoff bzw. Sulfid mengenmäßig von Bedeutung. SO2 bzw. Sulfit und organisch
gebundener Schwefel sind bei manchen Abwässern von Bedeutung, wobei die dabei auf-
tretenden Probleme bezüglich Toxizität und Reduktionsweg weitgehend ungeklärt sind
(siehe Abschn. 2.2.2.6).
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Einflussfaktoren auf die anaeroben
biologischen Abbauvorgänge 3
Helmut Kroiss und Karl Svardal
Inhaltsverzeichnis
Karl Svardal
E-Mail: svardal@iwag.tuwien.ac.at
Chemische Reaktionen, und damit auch biochemische Reaktionen, sind stark temperatur-
abhängig. So lässt sich z. B. aus den Gesetzen der Thermodynamik ableiten, dass mit stei-
gender Temperatur die Geschwindigkeit chemischer Reaktionen zunimmt. Da die Stoff-
wechselprozesse von Organismen eine Vielzahl chemischer und biologischer Reaktionen
sind, ist mit zunehmender Prozesstemperatur ein Ansteigen der Stoffwechselaktivität der
Mikroorganismen zu erwarten. Eine beliebige Temperaturerhöhung ist verständlicher-
weise nicht möglich, da dies zu einer Veränderung biologischer Makromoleküle führen
und einen normalen Stoffwechsel unmöglich machen würde. Hieraus resultiert, dass der
maximale Stoffumsatz einer Organismenart nur bei bestimmten Temperaturen erreicht
wird. Die Lage des optimalen Temperaturbereichs ist organismenspezifisch und kann je
nach Organismenart unter 20 °C und bis zu über 80 °C betragen. Daher erfolgt häufig auch
eine Einteilung der Mikroorganismen nach Temperaturbereichen, wobei der psychrophile
(unter 20 °C), der mesophile (20 bis 40 °C) und der thermophile (über 40 °C) Temperatur-
bereich unterschieden werden (Weide und Aurich 1979). Die angegebenen Temperatur-
bereiche stellen nur Anhaltswerte dar; Angaben anderer Autoren sind durchaus unter-
schiedlich.
Der Einfluss der Temperatur auf die Aktivität der versäuernden Bakterien wurde bisher
wenig untersucht. Bisherige praktische Erfahrungen zeigen jedoch, dass sie hinsichtlich
ihrer Umgebungstemperatur unempfindlich und flexibel sind. Bei der Versäuerung von
Glucose haben Zoetemeyer et al. (1982) die in Abb. 3.1 dargestellten Aktivitäten in Ab-
hängigkeit von der Prozesstemperatur gemessen.
Es sind zwei ausgeprägte Temperaturoptima, zum einen im mesophilen Bereich bei
35 °C und zum anderen im thermophilen Bereich bei 48 bis 55 °C zu lokalisieren, wobei
die maximale Versäuerungsrate bei thermophilen Temperaturen angezeigt ist. Die Aus-
geprägtheit der Optima lässt bereits Schlüsse auf die Prozessempfindlichkeit zu. Während
im mesophilen Bereich ein breites Maximum vorliegt, ist das thermophile Temperatur-
optimum sehr ausgeprägt, was bei geringen Temperaturschwankungen bereits zu einem
Abb. 3.2 Abhängigkeit der maximalen Umsatzraten von Methanbakterienstämmen von der
Temperatur
die im Betrieb jedenfalls nicht kurzzeitig überschritten werden darf, ohne den gesamten
anaeroben Abbauprozess zu gefährden.
Da die Zusammensetzung kommunaler Schlämme starken Schwankungen (Trocken-
wetter-Regenwetter, Wochenende-Werktag) unterworfen ist, die meisten Methanbildner
ihre höchsten Substratumsatzraten im mesophilen Temperaturbereich erreichen und eine
Mischpopulation mit hoher Artenvielfalt einen stabileren Abbau gewährleisten kann, ist
die großtechnische Anwendung einer thermophilen Methanstufe zur Schlammbehand-
lung nicht allgemein zu empfehlen. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn spezielle Industrie-
abwässer zu methanisieren sind. In Abhängigkeit vom anfallenden Substrat ist unter der
Voraussetzung, dass thermophile Methanbakterien bei diesem speziellen Substrat beson-
ders hohe Umsatzraten erreichen, eine thermophil betriebene Methanstufe denkbar.
Der thermophile Bereich ist in letzter Zeit wieder vermehrt auch großtechnisch inter-
essant geworden. Dabei ist meist nicht die höhere Umsatzrate ausschlaggebend, sondern
die verbesserte Abtötung pathogener Keime bei der höheren Temperatur, die bei land-
wirtschaftlicher Klärschlammverwertung bedeutsam ist. Aus anderen Gründen wird heute
häufig ein zweistufiger Schlammstabilisierungsprozess (1. Stufe thermophil, 2. Stufe meso-
phil) eingesetzt. Bei speziellen Industrieabwässern kann auch die höhere Abbaugeschwin-
digkeit genutzt werden.
Der pH-Wert ist definiert als der negative dekadische Logarithmus der Wasserstoffio-
nenkonzentration. Der pH-Wert dient zur Angabe der Wasserstoff (H+)- oder Hydroxid
(OH−)-Ionenkonzentration in wässriger Lösung und damit zur Kennzeichnung ihres basi-
schen oder sauren Verhaltens.
Die ungestörte Entwicklung der Mikroorganismen ist sehr eng mit einem optimalen
pH-Wert verbunden. Dies ist leicht verständlich, wenn man weiß, dass die Enzymaktivität
als grundlegende Voraussetzung für die Stoffwechselprozesse der Lebewesen stark vom
pH-Wert abhängig ist. Optimale Milieubedingungen der verschiedenen Organismenarten
erstrecken sich vom sauren über den neutralen bis hin zum alkalischen Bereich. Dabei
kann der optimale Bereich sehr eng, aber auch weit gefasst sein.
Die anaerobe Biozönose ist als sehr pH-spezifisch einzustufen. In der Literatur wird der
Toleranzbereich für den pH-Wert allgemein von pH = 6,8 bis pH = 7,5 angegeben (Kapp
1984). Dieser enge pH-Bereich wirft häufig im praktischen Betrieb von Anaerobanlagen
erhebliche Probleme auf, da in Abhängigkeit von der Abwasser- bzw. Schlammbeschaffen-
heit vom optimalen Toleranzbereich stark abweichende pH-Werte vorliegen können. Des
Weiteren geht oftmals mit den biochemischen Umsetzungsprozessen im Reaktor selbst
eine pH-Wert-Verschiebung einher.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen aerober und anaerober Behandlung besteht da-
rin, dass der Anaerobprozess in geschlossenen Reaktoren unter einer eigenen, von den
anaeroben Mikroorganismen aufgebauten Atmosphäre abläuft. Durch deren im Vergleich
3.2 Einfluss des pH-Wertes und der Säurekapazität 85
&2*HKDOW
S+
6lXUHNDSD]LWlW>PPRO/@
Abb. 3.3 Abhängigkeit des pH-Wertes im Faulbehälter von der Säurekapazität bei unterschiedli-
chem CO2-Gehalt des Faulgases
zu Luft völlig anderer Zusammensetzung ergeben sich aufgrund der Wechselwirkung zwi-
schen flüssiger und gasförmiger Phase auch andere Konzentrationen der gelösten Kom-
ponenten. Die Endprodukte des anaeroben Abbaus von organischen Kohlenstoffverbin-
dungen sind im Wesentlichen Kohlenstoffdioxid und Methan. Im Gegensatz zur aeroben
Abwasserreinigung, bei der das durch den Abbau gebildete Kohlendioxid über die Atmo-
sphäre entfernt wird, steht beim anaeroben Verfahren durch die geschlossene Betriebs-
führung das gebildete CO2 mit der Flüssigkeit im Gleichgewicht. CO2 wirkt in wässriger
Lösung als schwache Säure. Nach dem Henry’schen Gesetz ist die gelöste Konzentration
dem Partialdruck der Komponente proportional.
Der im Vergleich zu aeroben Reinigungsverfahren wesentlich höhere CO2-Gehalt in
der Gasphase bewirkt auch eine höhere Konzentration an gelöster Kohlensäure.
Für den sich im Anaerobreaktor einstellenden pH-Wert ist die zur Neutralisation der
gebildeten Kohlensäure zur Verfügung stehende Menge an Alkalien (Säurekapazität) maß-
gebend. Welcher CO2-Gehalt im Faulgas der Anaerobanlage zu erwarten ist, hängt von der
biologisch produzierten CO2-Menge und der Lage der Dissoziationsgleichgewichte, also
wieder vom pH-Wert ab. Die Berechnung ist daher nur iterativ möglich (Svardal 1991).
Diese in Abb. 3.3 dargestellte Säurekapazität muss in der flüssigen Phase im Faulbehälter
vorhanden sein. Sie ist üblicherweise gleich der Säurekapazität des Ablaufs, nicht aber der
des Zulaufs, da im Abwasser meist Substanzen enthalten sind, die bei der normgemäßen
Bestimmung der Säurekapazität von Bedeutung sind, sich aber während der anaeroben
Behandlung verändern (z. B. organische Säuren, Amine). Enthält der Zulauf nur geringe
Konzentrationen an organischen Säuren, reicht es für eine überschlägige Abschätzung des
Neutralisationsmittelbedarfes meist aus, die Säurekapazität des filtrierten Zulaufs und den
Gehalt an organisch gebundenem Stickstoff (org. geb. N = KN − NH4-N) zu ermitteln. Die
Säurekapazität im Anaerobreaktor ergibt sich näherungsweise zu:
86 3 Einflussfaktoren auf die anaeroben biologischen Abbauvorgänge
Ist die im Abwasser enthaltene Säurekapazität zu gering, um einen ausreichend hohen pH-
Wert zu erreichen, muss neutralisiert werden. Die notwendige Menge an Neutralisations-
mittel in mmol/L ergibt sich aus der Differenz zwischen vorhandener und gewünschter
Säurekapazität. Dies gilt allerdings nur für vollständig lösliche carbonatfreie Neutralisa-
tionsmittel, im Wesentlichen also für Natronlauge und Ammoniak.
Natriumcarbonat (Na2CO3) erhöht zwar die Säurekapazität, gleichzeitig wird dem An-
aerobreaktor aber anorganischer Kohlenstoff zugeführt, der den CO2-Partialdruck erhöht.
Es ist also eine etwas höhere äquivalente Menge notwendig als von NaOH, um die glei-
che Wirkung zu erzielen. Dies gilt in noch stärkerem Maß für Natriumhydrogencarbonat
(NaHCO3), das aber wegen seines höheren Preises großtechnisch praktisch nie verwendet
wird.
Der Einsatz der sonst sehr häufig verwendeten Neutralisationsmittel Calciumoxid
(CaO) bzw. Calciumhydroxid (Ca(OH)2) ist bei der anaeroben Abwasserreinigung pro-
blematisch. Durch den hohen CO2-Partialdruck im Faulbehälter ist die Löslichkeit von
Calcium sehr gering. Wird das Löslichkeitsprodukt für Calciumcarbonat überschritten,
fällt Calcium als Kalk (CaCO3) aus. Die Löslichkeit von Calcium ist im Wesentlichen vom
pH-Wert und vom CO2-Partialdruck abhängig.
Bei der anaeroben Behandlung von Rohschlämmen aus Abwasserreinigungsanlagen
stellt sich im Anaerobreaktor im Allgemeinen ein günstiger pH-Wert ein. Im Zuge der
Umwandlung der organischen Verbindungen zu Methan wird der organisch gebundene
Stickstoff als Ammoniak frei. Als alkalische Substanz bewirkt NH3 durch Dissoziation in
Ammonium (NH4+) eine Anhebung der Säurekapazität und damit eine Neutralisation des
gelösten CO2.
Die CO2-Konzentration im Faulschlamm ist proportional dem CO2-Gehalt des Faul-
gases, dieser schwankt zwischen 25 und 35 %. Die Ammonium-Konzentration im Faul-
schlamm ist proportional der Konzentration an hydrolysierbarem org. geb. N im Roh-
schlamm und damit dessen Feststoffgehalt. Eine weitergehende Voreindickung (z. B. durch
MÜSE – Mechanische Überschussschlamm-Entwässerung) bewirkt somit eine höhere Al-
kalität im Faulschlamm und damit eine Stabilisierung des Faulprozesses.
Bei der anaeroben Fermentation wird ein Großteil des Substrates über organische
Säuren als Zwischenprodukte der eigentlichen Methanisierung zugänglich gemacht
(siehe Kap. 2.2). Nach Kroiss (1986) beeinflusst jedoch die Konzentration der organischen
Säuren, insbesondere bei schlecht gepufferten Substraten, den pH-Wert sehr stark. Die
Bildung organischer Säuren geht mit einer pH-Wert-Senkung einher, dessen Folge eine
Hemmung der Methanbildung ist.
Besonders bei der Reinigung hoch konzentrierter Abwässer besteht die Gefahr, in den
Bereich der Essigsäuretoxizität zu gelangen (siehe Kap. 3.5.4). Ist das Substrat zudem noch
sehr leicht zu versäuern, kann ein stabiler Betrieb nur bei einem hohen Wirkungsgrad,
d. h. geringen Restsäurekonzentrationen im Abfluss, aufrechterhalten werden. Zur Ver-
3.3 Einfluss der Durchmischung 87
hinderung eines Absinkens des pH-Wertes im Zusammenhang mit einer steigenden Kon-
zentration an Essigsäure schlägt Kroiss (1985) folgende betriebliche Maßnahmen vor:
Reaktortypen gegeben. Auch bei allen Umwälzsystemen mit Pumpen und Rohrleitungen
ist darauf zu achten, dass lokale Bereiche mit hohen Scherkräften (schnell laufende Um-
wälzpumpen, hydraulische Jets zur Durchmischung) vermieden werden.
Nach Saake (1986) sind die verfahrenstechnischen Gegensätzlichkeiten bezüglich der
Anforderungen zur Durchmischung in Tab. 3.1 zusammengefasst gegenübergestellt.
Bei der Charakterisierung der Mischungsverhältnisse muss man bei den anaeroben
Abwasserreinigungsverfahren zwischen der flüssigen Phase und den Feststoffen unter-
scheiden. Speziell bei Reaktoren mit sehr gut absetzbarer anaerober Biomasse kann eine
fast vollständige Durchmischung in der flüssigen Phase auftreten, ohne dass die Feststoffe
(Flocken, Pellets) gleichmäßig im Reaktorvolumen verteilt sind, wie dies in den Schlamm-
bettreaktoren erwünscht ist. Bei Reaktoren zur anaeroben Schlammbehandlung dagegen
ist auch eine weitgehend gleiche Verteilung der Feststoffe im gesamten Reaktor anzustre-
ben. Mit der zunehmenden Viskosität der Schlämme bei steigendem Feststoffgehalt steigt
auch die erforderliche Energiedichte zur Durchmischung. Dies ist vor allem bei der Ver-
besserung der Voreindickung (z. B. maschinelle Überschussschlammeindickung) zu be-
rücksichtigen.
Neben der Durchmischung mit verschiedenen maschinellen Einrichtungen zur Faul-
raumumwälzung durch Pumpen, Rührwerke, Schraubenschaufler etc. kann auch eine
3.4 Einfluss der Substratzusammensetzung 89
Zur Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen und zum Aufbau neuer Zellsubstanz benö-
tigen die Organismen geeignete Substrate, aus denen sie die zur Lebenserhaltung erforder-
liche Energie synthetisieren.
Bei der Abwasserreinigung und Schlammbehandlung ist das Substrat (Abwasser/
Schlamm) als maßgebliche Einflussgröße auf die sich ausbildende Biozönose anzusehen.
Die Substratzusammensetzung ist aber auch dafür verantwortlich, welchen Milieuverhält-
nissen die Biomasse im Anaerobreaktor ausgesetzt ist, z. B. welcher pH-Wert erreicht wird
und ob hemmende Konzentrationen bestimmter Abbauprodukte erreicht werden. Die
abbauende Bakterienpopulation wird unter entsprechend optimierten Randbedingungen
(z. B. Temperatur, pH-Wert, Durchmischung etc.) einen maximalen Stoffumsatz anstre-
ben, bis es zu einem Defizit lebensnotwendiger Nährstoffe (z. B. Kohlenstoff, Stickstoff,
Phosphor, Spurenelemente) kommt. Eine Limitierung lebensnotwendiger Substratkom-
ponenten führt zur Einstellung der Stoffwechselaktivität. Daher ist die Substratzusam-
mensetzung in ihrer Gesamtheit von entscheidender Bedeutung, wenn ein möglichst weit-
gehender Abbau organischer und anorganischer Verschmutzungskomponenten bewirkt
werden soll.
Neben den organischen Substanzen sind auch eine Vielzahl anorganischer Stoffe, wie
zum Beispiel Stickstoff, Phosphor, Calcium, Natrium oder Kalium für die Lebewesen er-
forderlich. Darüber hinaus ist noch ein ausgewogenes Angebot an Spurenelementen von
Bedeutung (siehe Kap. 3.6).
90 3 Einflussfaktoren auf die anaeroben biologischen Abbauvorgänge
3.4.1 Substratkonzentration
Der Abbau bzw. die Entfernung von organischen Kohlenstoffverbindungen ist eine der
wesentlichen Forderungen an die Abwasserreinigung. Organische Kohlenstoffverbindun-
gen stellen einen Energieinhalt dar. Bei aeroben Verfahren werden diese Verbindungen
durch Belüftung mit Hilfe von Bakterien zu CO2 oxidiert. Bei der anaeroben Behandlung
werden die organischen Verbindungen in eine verwertbare Form von Energie (Methan)
umgewandelt. Der Anteil der für die Bakterien nutzbaren Energie ist im anaeroben Be-
reich wesentlich geringer als im aeroben, was zur Folge hat, dass die spezifischen Umsatz-
raten bezogen auf die Biomasse wesentlich höher sind. Dadurch wird die Biomassepro-
duktion (Schlammanfall) deutlich verringert. Die geringe spezifische Biomasseproduktion
bedeutet jedoch auch, dass dem Feststoffrückhalt in einem anaeroben System besondere
Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Mit geringer Abwasserkonzentration ist der er-
forderliche Schlammrückhalt bei konventionellen Nachklärbecken kaum mehr möglich,
sodass eine Mindestkonzentration an abbaubarem CSB vorhanden sein muss. Niedrige
CSB- Konzentrationen im Abwasser führen bei anaeroben Reinigungsverfahren im We-
sentlichen zu folgenden Problemen:
• Wasser-Feststoff-Abtrennung (Schlammrückhalt)
• Gasverluste durch gelöstes Gas im Ablauf
• Energiebilanz.
• toxischer Zwischenprodukte
• Mischungsproblemen
3.4 Einfluss der Substratzusammensetzung 91
• Fällungsreaktionen
• Gas-Feststoff-Trennung.
3.4.2 Feststoffgehalt
Das Fließverhalten einer Flüssigkeit wird in erheblichem Maße von der Menge und Art
der enthaltenen Feststoffe bestimmt. In der Abwassertechnik wird das Kriterium „Fließ-
verhalten“ jedoch nicht zur Differenzierung zwischen Abwässern und Schlämmen heran-
gezogen. Gemäß DIN 4045 (Anonym 1985) ist Schlamm der Sammelbegriff für alle „aus
dem Abwasser abtrennbaren, wasserhaltigen Stoffe, ausgenommen Rechengut, Siebgut
und Sandfanggut“. Die Trockenmassenkonzentration TSR in g/L (auch als Trockensubs-
tanzgehalt, Feststoffgehalt, Schlammgehalt, Schlammtrockensubstanz bezeichnet) ist die
in einem bestimmten Volumen enthaltene Trockenmasse. Sie wird nach DIN 38414 Teil 2
bestimmt. Nach derselben Norm ist der Trockenrückstand TR (Trockenmassenanteil), der
in Prozent angegeben wird, zu bestimmen.
Insgesamt können für die anaeroben Verfahren zumindest 6 verschiedene Arten von
Feststoffen von Bedeutung sein:
Die ersten vier Fraktionen müssen als Überschussschlamm oder Feststoffgehalt des Ab-
wassers das Verfahren verlassen, sonst kommt es zu einer Anreicherung dieser Feststoffe
im System durch dauerhafte Ablagerungen. Die beiden letzten Fraktionen müssen das Sys-
tem über das Faulgas oder als gelöste Stoffe des Ablaufes verlassen.
Der anorganisch-mineralische Anteil der Feststoffe im Reaktor kann je nach Größe und
Form von den Bakterien auch als Siedlungsfläche angenommen werden, was häufig die
Trennung von Biomasse und gereinigtem Abwasser erleichtert. Dieser Effekt führt u. a.
beispielsweise zur Ausbildung von Pellets und Granula, wie sie bei Schlammbettreaktoren
gebildet werden (siehe Kap. 5.2) (Inden 1977).
Bei der anaeroben Behandlung von Schlämmen (z. B. Klärschlammstabilisierung) wird
üblicherweise die organische Trockenmasse des zugeführten Substrates als Bemessungs-
größe für Anaerobreaktoren, und zwar über die Berechnung der organischen Raumbelas-
tung, verwendet. Nachteil dieser Bemessungsgröße ist, dass keine Aussage zur Abbaubar-
keit der organischen Stoffe und damit der wirklichen Substratversorgung der Bakterien
gemacht wird. Bei der Behandlung kommunaler Schlämme wird auch der Gasertrag direkt
92 3 Einflussfaktoren auf die anaeroben biologischen Abbauvorgänge
auf den Abbau der organischen Trockenmasse bezogen (siehe Kap. 4.2). Diese Werte sind
Erfahrungswerte und gelten nur für übliche kommunale Schlämme. Bei anderen Schläm-
men (z. B. Abfälle aus der Nahrungsmittelindustrie) ist die organische Trockenmasse als
Bemessungswert und Bezugswert für die zu erwartende Gasmenge nur bedingt geeignet.
Im Prinzip ist auch bei den Anaerobprozessen das Schlammalter, also die mittlere Ver-
weilzeit der Bakterien im Reaktor, die beste Bezugsgröße zur Abbauleistung. Bei den Re-
aktoren ohne Anreicherungsschritt (Ausschwemmreaktoren), wie sie bei der Schlamm-
behandlung verwendet werden, sind Schlammalter und Schlammaufenthaltszeit gleich.
Die Differenzierung des Feststoffgehaltes nach den verschiedenen Fraktionen spielt eine
untergeordnete Rolle.
Bei allen Verfahren mit Biomasseanreicherung ist die mittlere Verweilzeit der aktiven
Biomasse im Reaktor für die Leistung maßgebend. Für deren Bestimmung müssen der
Feststoffgehalt des Reaktorinhaltes (kg TS), die mittlere abgezogene Überschussschlamm-
fracht (kg TS/d) und die mittlere Feststofffracht im Ablauf (kg TS/d) ermittelt werden. Nur
wenn alle drei Feststoffströme den gleichen Anteil an aktiver Biomasse enthalten und der
Reaktor voll durchmischt ist, kann das Schlammalter einfach berechnet werden. Die Feh-
lermöglichkeiten bei der Bestimmung des Schlammalters sind prinzipiell groß. Je größer
und schwankender der Feststoffgehalt im Zulauf ist, desto ungenauer werden in der Regel
die Messergebnisse und deren Interpretation. So kann auch die häufig getroffene Annah-
me, dass die organische Trockensubstanz ein Maß für die aktive Biomasse ist, oft nicht
aufrechterhalten werden. Dies ist bei der Angabe von organischen Schlammbelastungen
(kg CSB/(kg oTS∙d)) anzumerken.
Es gibt gute Hinweise aus der Praxis, dass die gemeinsame anaerobe Behandlung von
Abwasser und organischen Schlämmen nur in begrenzten Mischungsverhältnissen prob-
lemlos möglich ist, insbesondere weil für Abwasser und Schlamm unterschiedliche An-
aerobverfahren optimal sind. Eine Reihe von Abwasserreinigungsverfahren ist sogar be-
sonders empfindlich gegenüber höheren Feststoffgehalten (z. B. Festbettverfahren, UASB).
Für die anaerobe Behandlung von Abwässern, bei denen hohe (anorganische) Feststoff-
frachten im Zulauf enthalten sind oder im Reaktor durch Fällung entstehen, wurde der
EKJ-Reaktor entwickelt (Kroiss und Svardal 1988), bei dem diese bei vollem Betrieb selek-
tiv vom Boden des Reaktors ausgetragen werden können.
Inden (1977) und Kapp (1984) haben den Einfluss des Feststoffgehaltes auf den Verlauf
der Schlammfaulung untersucht. Beide Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass bis zu
einem Feststoffgehalt von 10 % kein signifikanter Einfluss zu verzeichnen ist. Abbildung 3.4
zeigt die von Inden (1977) zusammengefassten Ergebnisse aus der Literatur, die die Aus-
wirkungen verschiedener Feststoffgehalte auf die spezifische Gasproduktion darstellen.
Einerseits wird es bei der hohen Viskosität schwieriger, die Transport- und Diffusions-
limitierung zu überwinden, andererseits wirkt ab ca. 8 % Feststoffgehalt bei kommunalen
Faulschlämmen die hohe Ammoniumkonzentration hemmend auf den Abbau.
3.4 Einfluss der Substratzusammensetzung 93
Im Vergleich zu aeroben Prozessen wird bei anaeroben Verfahren sehr viel weniger Bio-
masse, bezogen auf die abgebaute organische Substanz, gebildet (siehe Kap. 2.1.3). Dem-
nach ist auch der Bedarf an Nährstoffen für die anaeroben Mikroorganismen deutlich ge-
ringer als bei den aeroben Bakterien. Für den anaeroben Abbau ist ein Mindestnährstoff-
verhältnis von CSB:N:P von ca. 800:5:1 erforderlich (Saake 1986).
Das Verhältnis von CSB, Stickstoff und Phosphor verdeutlicht, dass beim anaeroben
Kohlenstoffabbau nur geringe Mengen Stickstoff und Phosphor eliminiert werden. Dem-
entsprechend hoch sind auch die Abflusswerte für Stickstoff und Phosphor bei Anaerob-
anlagen; natürlich immer unter Berücksichtigung der Rohabwasser- bzw. Rohschlamm-
beschaffenheit. Dazu trägt auch die im anaeroben Milieu ablaufende Ammonifikation
(org. geb. N → NH3) und eine eventuelle Phosphor-Rücklösung aus den Bakterienzellen
bei. Dieser Umstand kann für eine Stabilisierung des pH-Wertes im Methanreaktor im
alkalischen Bereich durchaus willkommen sein. Es stellt aber sowohl Indirekt- als auch
Direkteinleiter vor das Problem der Einhaltung der sehr niedrigen Grenzwerte für NH4-N
und Gesamtstickstoff.
Da das Eutrophierungsverhalten von Gewässern maßgeblich von den Nährsalzen Stick-
stoff und Phosphor geprägt wird, ist insbesondere bei Direkteinleitung von Industrieab-
wässern die Nachschaltung einer aeroben Reinigungsstufe im Anschluss an einen Anae-
robprozess sinnvoll.
Bei Vorhandensein von Ammonium, Phosphat und Magnesium im Abwasser kann es
bereits bei relativ schwach alkalischen Bedingungen zu plötzlichen und unkontrollierten
Ausfällungen von MAP kommen. Diese Erscheinung ist mitunter für ein rasches Verlegen
von Rohrleitungen in Anaerobanlagen verantwortlich und daher eine gefürchtete Stör-
ursache.
94 3 Einflussfaktoren auf die anaeroben biologischen Abbauvorgänge
3.4.4 Calciumgehalt
Der Calciumgehalt des Rohabwassers ist von großer Bedeutung, weil es zufolge des ho-
hen CO2-Partialdrucks im Anaerob-Reaktor zur Bildung von Calciumcarbonat (CaCO3)
kommt. Wegen der geringen Löslichkeit von Calciumcarbonat fällt dieses dann im Reaktor
aus und kann somit zu verschiedensten Betriebsproblemen führen.
Calciumverbindungen werden in vielen Industriebetrieben im Prozess eingesetzt. Cal-
ciumhydroxid wäre auch die kostengünstigste Verbindung zur Neutralisation schwach ge-
pufferter saurer Abwässer und wird bei aerober Industrieabwasserreinigung auch vielfach
eingesetzt. Bei der anaeroben Industrieabwasserreinigung ist die Anwendung wegen der
möglichen Calciumcarbonatausfällungen deutlich eingeschränkt. Die Anreicherung von
inertem Material führt zu einer Verkürzung des Schlammalters, wodurch die Reinigungs-
leistung und die Stabilität des Prozesses verringert werden können. Die Ablagerung dieses
schweren anorganischen Materials im Faulbehälter, speziell in Festbettreaktoren, kann die
anaerobe Reinigung eines calciumhaltigen Abwassers unmöglich machen.
Die wesentliche Frage bei der anaeroben Behandlung von calciumhaltigem Abwas-
ser ist, ob und in welchem Ausmaß es im Faulbehälter zu Calciumcarbonatausfällungen
kommt. Darüber wurden umfangreiche Untersuchungen und Berechnungen angestellt
(Svardal 1991). Je höher der CSB des Abwassers ist, desto geringer ist der pH-Wert, ab
dem CaCO3-Ausfällungen im Anaerobbehälter zu befürchten sind.
Das Calciumcarbonatproblem sollte bei Calciumkonzentrationen über 100 mg/L in je-
dem Fall besonders berücksichtigt werden.
3.5.1 Begriffserklärung
Da es in der Literatur keine einheitliche Behandlung der Begriffe „Hemmung“ und „To-
xizität“ gibt, in der Praxis aber die Unterscheidung wichtig ist, wird hier eine Definition
vorgeschlagen, die für die folgenden Ausführungen als gültig vorausgesetzt wird.
Unter „Hemmung“ wird im Weiteren eine reversible Veränderung der kinetischen Pa-
rameter der beteiligten Bakterien verstanden. Sie kann durch Abwasserinhaltsstoffe ver-
ursacht sein, die nicht oder kaum am relevanten Stoffwechsel beteiligt sind, aber sie kann
3.5 Einfluss hemmender und toxischer Stoffe 95
3.5.2 Sauerstoff
Während der aerobe Abbau durch Mikroorganismen unter Verbrauch von Sauerstoff ver-
läuft, erfolgt der anaerobe Abbau in Abwesenheit von gelöstem Sauerstoff. Bei der obli-
gat aeroben Atmung übt der Sauerstoff die Funktion des Elektronenakzeptors aus und
ist somit für alle aeroben Organismen essenziell. Fakultativ anaerobe Mikroorganismen
wachsen sowohl in Gegenwart als auch in Abwesenheit von Sauerstoff und können ihren
Stoffwechsel von der aeroben Atmung auf Gärungsatmung (bei O2-Abwesenheit) um-
schalten. Zu diesen Mikroorganismen zählt z. B. ein Großteil der versäuernden Bakterien.
3.5 Einfluss hemmender und toxischer Stoffe 97
Für strikt anaerobe Bakterien führt Sauerstoff schon in geringen Konzentrationen zu einer
Hemmung des Stoffwechsels.
Bei anaeroben Verfahrenstechniken zur Abwasser- und Schlammbehandlung muss, wie
der Begriff „anaerob“ schon besagt, die abbauende Biozönose vor dem Kontakt mit gelös-
tem Sauerstoff geschützt werden. Der Zutritt von Luftsauerstoff wird durch die Verwen-
dung geschlossener Reaktionsräume gewährleistet. Der Gasraum zwischen der Oberfläche
der Flüssigkeit im Reaktor und dem Behälterdeckel wird von dem erzeugten Faulgas aus-
gefüllt und so von Sauerstoff freigehalten. Dies ist bei Inbetriebnahme von Anaerobreak-
toren zu beachten, insbesondere auch weil bei luftgefülltem Gasraum vorübergehend ex-
plosive Luft-Faulgasgemische auftreten. Der Eintrag von Sauerstoff in den Reaktionsraum
kann auch über sauerstoffhaltiges Abwasser hervorgerufen werden, was aber wegen der
geringen Löslichkeit von Sauerstoff im Allgemeinen kein Problem darstellt. Die zum Teil
fakultativen Säurebakterien verbrauchen den eventuell vorhandenen Sauerstoff sehr rasch.
Nachdem zumindest die Methanbakterien (und die Sulfatreduzenten) strikt anaerobe
Bakterien sind, kann zusammenfassend festgestellt werden, dass beim Betrieb von An-
aerobanlagen durch entsprechende konstruktive und betriebstechnische Maßnahmen ein
Kontakt der Biozönose mit Sauerstoff weitgehend ausgeschlossen werden muss.
Es gibt inzwischen großtechnische Erfahrungen, durch gesteuerte Zugabe geringer
Sauerstoffmengen direkt in den Anaerobreaktor Schwefelwasserstoff im Faulgas, allen-
falls auch die Hemmung des anaeroben Abbaues durch Schwefelwasserstoff zu vermei-
den. Es darf maximal so viel Sauerstoff zugegeben werden, dass die Oxidation von H2S
zum molekularen Schwefel vollständig verläuft. Nach der Reaktionsgleichung 2H2S + O2
↔ 2H2O + S2 kann die stöchiometrisch maximal erforderliche Sauerstoffmenge berechnet
werden.
Diese Methode wird sowohl bei kommunalen Schlammfaulbehältern als auch bei ge-
wissen Industrieabwasserreinigungsanlagen eingesetzt. Eine Überdosierung muss mit
großer Sicherheit vermieden werden, um explosive Gasgemische und Hemmungen des
anaeroben Abbaues zu vermeiden.
3.5.3 Schwefelverbindungen
CO 2 + 4H 2 ↔ CH 4 + 2H 2 O ∆G = −135 kJ
CH 3 COOH ↔ CH 4 + CO 2 ∆G = −28, 5 kJ
Sulfatreduktion:
SO 24 − + 4H 2 ↔ H 2S + 2H 2 O + 2OH − ∆G = −154 kJ
Wie die Bildungsenthalpie ΔG zeigt, sind Sulfat reduzierende Bakterien gegenüber den
Methanbakterien energetisch begünstigt, sodass die Substrate Wasserstoff und Essigsäure
bevorzugt für die Sulfatreduktion verwendet werden und nur der verbleibende Rest der
Methanbildung zur Verfügung steht.
Nach dem heutigen Stand des Wissens ist weiter bekannt, dass die Konkurrenz um
das Substrat zwischen Sulfat reduzierenden und Methan bildenden Bakterien auch von
kinetischen Parametern beeinflusst wird. Substratart und -konzentration sowie Typologie
des Biomasserückhaltes im Reaktor können daher eine wesentliche Rolle im Konkurrenz-
kampf spielen.
Es ist immerhin zu erwarten, dass zumindest nach einer längeren Einarbeitungszeit der
gesamte verfügbare Schwefelgehalt des Abwassers in Schwefelwasserstoff umgesetzt wird.
So wie bei einer Reihe von anderen Stoffen kann man davon ausgehen, dass nur der un-
dissoziierte gelöste Schwefelwasserstoff hemmend auf den anaeroben Abbau insbesondere
auf die acetoclastischen Methanbakterien wirkt. Das durch die Sulfatreduktion entstehen-
de Sulfid liegt in einem Reaktor in drei Formen vor:
H 2S HS− + H +
3.5 Einfluss hemmender und toxischer Stoffe 99
ist vom pH-Wert abhängig. Abbildung 3.5 zeigt die deutliche Abhängigkeit des toxischen
H2S-Anteils in dem für die Anaerobtechnologie typischen pH-Bereich zwischen pH 6,0
und 8,0.
Bei pH 6,0 liegen über 90 % des Gesamtsulfides als H2S vor, bei pH 8,0 weniger als 10 %.
Dies bedeutet, dass mit sinkendem pH-Wert und der damit verbundenen Verschiebung
des H2S-Anteils am Gesamtsulfidgehalt in Richtung des undissoziierten H2S-Anteils die
Hemmung zunimmt (Kroiss 1986). Es ist aus den bisherigen Erfahrungen anzunehmen,
dass eine toxische Wirkung nicht zu erwarten ist, weil vorher auch die Sulfatreduktion
selbst durch Schwefelwasserstoff gehemmt wird (Produkthemmung).
Außer durch eine Verschiebung des pH-Werts kann auch durch eine Anhebung der
Prozesstemperatur bis in den thermophilen Bereich (55 °C) eine Verringerung der H2S-
Hemmung angestrebt werden (Hulshoff et al. 1998; Rintala und Lepistö 1998). Da mit stei-
gender Temperatur die Löslichkeit von Schwefelwasserstoff im Wasser abnimmt, kann so-
mit die Konzentration an gelöstem H2S im Reaktor gesenkt werden. Neben den Vorteilen
müssten allerdings auch die Nachteile einer höheren Prozesstemperatur (wie z. B. Prozess-
instabilität und Korrosion) bei jedem einzelnen Anwendungsfall berücksichtigt werden.
Einerseits bewirkt die Sulfatreduktion also eine Verminderung des Methanbildungs-
potenzials, weil ein Teil des abbaubaren CSB im Abwasser für die Schwefelwasserstoff-
bildung verwendet wird, andererseits kann der entstehende Schwefelwasserstoff auch die
Aktivität der Methanbakterien hemmen. Solange die Konzentration an undissoziiertem
gelöstem Schwefelwasserstoff keine Hemmung hervorruft, kann die Sulfatreduktion auch
positive Wirkungen auf den Abbauprozess haben. Einerseits wird, wie die Reaktionsglei-
chung zeigt, bei der Sulfatreduktion ein OH–Ion frei, was zu einer pH-Anhebung führt.
Andererseits bewirken die Sulfatreduzenten einen besonders niedrigen H2-Partialdruck
100 3 Einflussfaktoren auf die anaeroben biologischen Abbauvorgänge
Abb. 3.7 H2S-Konzentration in der Gas- bzw. Flüssigphase in Abhängigkeit vom CSBred/Sred-Ver-
hältnis bei verschiedenen pH-Werten. (Kroiss 1986)
Abb. 3.8 H2S-Konzentration in der Gas- bzw. Flüssigphase in Abhängigkeit unterschiedlicher CSB-
Zuflusskonzentrationen. (Kroiss 1986)
des zufließenden Abwassers auswirken. Abbildung 3.7 zeigt die H2S-Konzentration in der
Gas- bzw. Flüssigphase in % in Abhängigkeit vom Verhältnis CSBred/Sred unter Berücksich-
tigung verschiedener pH-Werte. Es wird deutlich, dass der Einfluss des pH-Wertes auf die
Hemmwirkung mit abnehmendem CSBred/Sred-Verhältnis zunimmt.
Abbildung 3.8 zeigt den gleichen Zusammenhang in Abhängigkeit von der Zulauf-
konzentration. Es zeigt sich, dass mit steigender Zulaufkonzentration die Gefahr der
Hemmung durch Schwefelwasserstoff umso stärker zunimmt, je kleiner das CSBred/Sred-
Verhältnis ist. In Abb. 3.7 und 3.8 sind drei Bereiche unterschiedlich hinterlegt. Bis etwa
2 % H2S im Faulgas liegt die Hemmung im Bereich der Messgenauigkeit, ab etwa 4 % H2S
im Faulgas kann die Methanbildung aus Essigsäure und damit ein stabiler anaerober Ab-
bau nicht mehr gesichert aufrechterhalten werden. Dazwischen liegt jener Bereich, in dem
102 3 Einflussfaktoren auf die anaeroben biologischen Abbauvorgänge
Zahlreiche Literaturangaben deuten darauf hin, dass das Ausmaß der Sulfidhemmung
allerdings auch von vielen anderen Faktoren, u. a. von Substrat, Schlammart (z. B. sus-
pendierte Biomasse, Pellets, etc.) und Reaktortyp, bedingt ist. Ein Vergleich der einzelnen
Forschungsergebnisse ist aus diesem Grund oft nicht einfach. Visser (1995) fand in seiner
Literaturstudie, dass für suspendierte Biomasse eine 50 %ige Hemmung der Methanbil-
dung aus verschiedenen Substraten in einem Konzentrationsbereich zwischen 100 und
130 mg H2Sundiss./L auftrat. Andere Literaturstudien (Weijma 2000; Colleran et al. 1995)
berichten weiter, dass die hemmende Konzentration für die mesophilen Methanbakterien
zwischen 50 und 400 mg H2Sundiss./L schwankt.
Der beste Betriebsparameter zur Überwachung der H2S-Toxizität ist der H2S-Gehalt
des Gases. Treten erhöhte Werte (z. B. > 3 %) auf, ist unverzügliches Eingreifen erforder-
lich. Folgende Maßnahmen sind geeignet:
Ist bereits bei der Planung einer Anaerobanlage bekannt, dass erhöhte Zulaufkonzentra-
tionen an Schwefelverbindungen zu erwarten sind, kann die Wahl einer zweistufigen Ver-
fahrensführung vorteilhaft sein. Allerdings muss davor gewarnt werden, solche Konzepte
ohne entsprechende Modellrechnungen (Svardal 1991) und ohne entsprechende Pilotver-
suche mit dem Originalabwasser in die Praxis umzusetzen. Nach umfangreichen Untersu-
3.5 Einfluss hemmender und toxischer Stoffe 103
3.5.4 Organische Säuren
Organische Säuren gelangen entweder mit dem Substrat direkt in den Anaerobreaktor
oder werden erst durch die Abbauprozesse im Reaktor selbst gebildet. Bei einem stabil
verlaufenden Faulprozess halten sich das Säureangebot und der Säureabbau durch die Me-
thanbakterien das Gleichgewicht und die Konzentration an organischen Säuren ist gering
(< 200 mg/L). Wenn die maximale Methanbildungskapazität deutlich über dem Säure-
angebot liegt, wird sie durch Substratmangel reduziert (Monodfunktion). Übersteigt die
Säurebildung die maximale Abbaukapazität durch Methanbildung, kommt es zu einem
Anstieg der Konzentration an flüchtigen organischen Säuren, die wiederum hemmend auf
den Stoffwechsel der Essigsäure abbauenden Methanbakterien wirken können. Ähnlich
wie beim Schwefelwasserstoff geht man heute davon aus, dass die Hemmung von der Kon-
zentration des undissoziierten Anteils abhängig ist. Die allgemeine Gleichgewichtsbedin-
gung zwischen der undissoziierten und der dissoziierten Form lautet:
R − COOH R − COO − + H +
Der prozentuale Anteil der undissoziierten Säuren an den Gesamtsäuren ist stark vom
pH-Wert abhängig und von Kroiss (1986) am Beispiel von Essigsäure, Propionsäure und
Buttersäure im pH-Bereich von 6 bis 8 aufgetragen worden (Abb. 3.9).
Weiterhin hat Kroiss anhand von Messwerten von Duarte und Anderson (1982) das
in Abb. 3.10 dargestellte Diagramm berechnet, in dem verschiedene Hemmungswerte in
Abhängigkeit vom pH-Wert und der Gesamtessigsäurekonzentration (Ergebnis der Essig-
säureanalyse) dargestellt sind. Es zeigt sich, dass mit zunehmender Essigsäurekonzentra-
tion im Anaerobreaktor die Hemmung steigt. Um dem entgegenzuwirken, sollte daher ein
möglichst weitgehender CSB-Abbau erfolgen, weil sonst die hohe Restkonzentration an
organischen Säuren eine Hemmung der Methanbildung bewirken kann. Besondere Be-
deutung gewinnt dies im Zusammenhang mit der anaeroben Behandlung hochkonzent-
rierter, leicht versäuerbarer Abwässer, da hier die Gefahr einer Übersäuerung und damit
einer Hemmung der Methanbildung stark ansteigt. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen,
104 3 Einflussfaktoren auf die anaeroben biologischen Abbauvorgänge
dass die Anhäufung flüchtiger organischer Säuren zumeist ein Absinken des pH-Wertes
bewirkt, sodass der Hemmeffekt zusätzlich verstärkt wird (siehe Kap. 3.2).
Als Möglichkeiten einer bereits vorhandenen oder sich ankündigenden Hemmung der
Methanbildung durch erhöhte Säurekonzentrationen entgegenzuwirken, schlägt Kroiss
(1986) folgende Maßnahmen vor:
Eine Hemmung der acetoclastischen Methanbakterien geht praktisch immer mit einem
raschen Anstieg der Propionsäurekonzentration einher. Untersuchungen (Kroiss) haben
den in Abb. 3.11 dargestellten Zusammenhang zwischen der undissoziierten Propionsäu-
rekonzentration und der Hemmung der maximalen acetoclastischen Methanbildung er-
geben.
Man sieht, dass die Hemmung bereits bei sehr geringen Konzentrationen (ca. 3 mg/L)
beginnt und bei etwa 5 mg/L 50 % erreicht. Bei einem pH-Wert von z. B. 6,5 wäre also
nach Diagramm 3.9 bereits eine Propionsäurekonzentration von ca. 150 mg/L höchst alar-
mierend. Eine solche Konzentration kann bei höher konzentrierten Abwässern sehr rasch
auftreten, wenn eine Störung (Überlastung, Hemmung) den Abbau begrenzt. Bei der Es-
3.5 Einfluss hemmender und toxischer Stoffe 105
sigsäure würde erst eine Konzentration von ca. 1.000 mg/L den gleichen Hemmeffekt ver-
ursachen.
Der Abbau der Buttersäure ist gegenüber Propion- und Essigsäure wesentlich stabiler,
sodass Hemmungen durch Buttersäure in der Praxis kaum zu erwarten sind. Es muss an-
genommen werden, dass auch die höheren organischen Säuren Hemmungen hervorrufen
können, aber praktisch nur, wenn sie bereits im Abwasser in hohen Konzentrationen vor-
liegen.
NH +4 NH 3 + H +
106 3 Einflussfaktoren auf die anaeroben biologischen Abbauvorgänge
ist ähnlich wie beim Schwefelwasserstoff und bei den organischen Säuren stark vom pH-
Wert abhängig. Abbildung 3.12 verdeutlicht diesen Zusammenhang (Kroiss 1986). Aller-
dings führt hier eine Abnahme des pH-Wertes zu einer Verringerung des undissoziierten
Anteils und damit der Hemmwirkung für die acetoclastischen Methanbakterien.
Bei vielen Faulprozessen wirkt Ammonium als pH-stabilisierender Faktor, so z. B. bei
der Schlammfaulung, wo durch den Abbau der organischen Feststoffe der gebundene
Stickstoff als Ammonium freigesetzt wird. Auch bei Industrieabwässern werden oft orga-
nische N-Verbindungen bei der Hydrolyse (im Versäuerungsreaktor) zu Ammonium um-
gesetzt. Das kann dazu führen, dass mit steigendem Versäuerungsgrad der pH-Wert steigt
anstatt zu fallen (Moser 2002). Im Methanreaktor kann dann Ammonium den pH-Wert
im schwach alkalischen Bereich stabilisieren, was zur Vermeidung von Hemmung durch
organische Säuren und Schwefelwasserstoff sehr vorteilhaft ist.
Kroiss (1986) hat aus eigenen Untersuchungen und vergleichend aus Angaben von Kos-
ter und Lettinga (1983) zulässige Werte berechnet und dargestellt (Abb. 3.13).
Die hemmungsrelevante Konzentration an Ammoniak (NH3) nimmt wegen der damit
einhergehenden pH-Wert-Anhebung mit steigender Ammoniumkonzentration überpro-
portional zu. Wenn die NH3-Konzentration die Hemmschwelle überschreitet, führt die
Hemmung der Essigsäure abbauenden Methanbakterien zu einer Zunahme der Konzen-
tration an organischen Säuren. Diese bewirkt eine pH-Wert-Absenkung. Als Folge ver-
ringert sich die Hemmwirkung von Ammonium und die Säurekonzentration kann wie-
der vermehrt abgebaut werden. Eine Hemmung durch Ammonium kann also in gewissen
3.5 Einfluss hemmender und toxischer Stoffe 107
Grenzen toleriert werden, weil sie keinen sich selbst verstärkenden Hemmungsprozess in
Gang setzt. Allerdings wird der Abbauwirkungsgrad verschlechtert und die Geruchsinten-
sität des Ablaufes kann stark zunehmen. Für eine aerobe Nachreinigung kann diese Be-
lastung zu Problemen führen, wenn der Effekt bei der Planung nicht berücksichtigt wurde.
Eine höhere Restkonzentration an organischen Säuren im Ablauf führt auch zu ver-
mehrter Gasproduktion in den Schlammabscheideeinrichtungen. Dabei entstehen Gasbla-
sen an den Schlammteilchen, die sich dann erheblich schlechter vom gereinigten Abwasser
trennen lassen und unter Umständen zu hohe Verluste an Biomasse für den Anaerobpro-
zess bewirken.
Je höher die Zulaufkonzentrationen werden, desto mehr hängt die Stabilität des an-
aeroben Reinigungsprozesses davon ab, dass die Restkonzentration an abbaubaren orga-
nischen Verbindungen im Ablauf gering bleibt, die Bakterien also alle substratlimitiert
arbeiten. Damit kann man die Sicherheit gegenüber Kippvorgängen des Faulprozesses
(Substrathemmung) zufolge von Belastungsschwankungen und leichten Hemmwirkungen
erhöhen. Bei dünnen Abwässern (< 3.000 mg/L CSB) ist die Gefahr in den Bereich mas-
siver Substrathemmung zu kommen auch bei mangelhaftem Wirkungsgrad des Abbaues
geringer.
3.5.6 Schwermetalle
Industrielle und gewerbliche Abwässer können je nach Herkunft mehr oder weniger mit
Schwermetallen belastet sein. Bei der mechanischen und biologischen Reinigung derarti-
ger Abwässer kommt es im Allgemeinen zu einer Anreicherung der Schwermetalle im
Schlamm, sodass z. B. die anschließende anaerobe Stabilisierung zumindest teilweise ge-
hemmt werden kann.
Wie viele andere Stoffe wirken Schwermetalle nicht grundsätzlich toxisch, sondern
können auch in geringen Konzentrationen als wichtige Nährstoffe stimulierend auf die
Mikroorganismenaktivität wirken (siehe Kap. 3.6). Die Grenzen von einer Stimulation
über ein gewisses Maß der Hemmung bis zur eigentlichen Toxizität sind fließend und je
nach Metallart und -konzentration sowie den chemischen und physikalischen Milieube-
dingungen stark differierend. Für den praktischen Betrieb relevante Schwermetalle sind
zum Beispiel Kupfer (Cu), Nickel (Ni), Chrom (Cr), Quecksilber (Hg), Cadmium (Cd),
Blei (Pb) und Zink (Zn).
Die Störung des Anaerobprozesses durch überhöhte Metallkonzentrationen äußert sich
durch einen Rückgang der Gasproduktion. Mit der Inaktivierung beziehungsweise Ver-
giftung der methanbildenden Bakterien geht ein Anstieg der Konzentration an flüchtigen
organischen Säuren einher, was wiederum zu einer pH-Wert-Absenkung führt. Hierdurch
wird die Mobilität der Schwermetalle zusätzlich verstärkt.
In diesem Zusammenhang ist der Prozess der Schwermetall-Sulfidfällung von Bedeu-
tung, da dies auch eine Eingriffsmöglichkeit bei durch Schwermetalle gehemmten Biozö-
nosen darstellt. Sind beispielsweise durch den Zufluss oder durch gezielte Zugabe genü-
108 3 Einflussfaktoren auf die anaeroben biologischen Abbauvorgänge
3.5.7 Sonstige Hemmstoffe
Neben den bereits angeführten Substanzen und Stoffgruppen gibt es eine Reihe von Gift-
stoffen, die schon in sehr geringen Konzentrationen hemmend beziehungsweise toxisch
auf die Methanbildung wirken. Zu diesen Stoffen zählen beispielsweise chlorierte Koh-
lenwasserstoffe, Cyanide, Desinfektionsmittel (Chlor-, Phenolverbindungen) und Biozide
(Kühlkreisläufe). Ihre Konzentration in rein kommunalen Klärschlämmen ist zumeist so
gering, dass ein negativer Einfluss auf die anaerobe Stabilisierung der Schlämme nicht zu
befürchten ist. Bei der Industrieabwasserreinigung empfiehlt es sich immer, alle Stoffe,
die in das Unternehmen gelangen (Einkauf), hinsichtlich ihres Verbleibes in den Stoff-
strömen, die das Unternehmen verlassen (Produkt, Wasser, Luft, Abfall), zu überprüfen.
3.6 Spurenelemente 109
3.6 Spurenelemente
Spurenelemente sind Nährstoffe, die in Spuren wirken und für den normalen Ablauf von
Lebensvorgängen unentbehrlich sind. Ein Mangel an Spurenelementen führt zu einer Li-
mitierung des Wachstums der für den Abbau erforderlichen Bakterien. Das kann dazu
führen, dass die Ausschwemmrate deutlich über der eingeschränkten Wachstumsrate der
Bakterien liegt, womit eine stabiler Abbau nicht mehr möglich ist. Einige der Spurenele-
mente sind in zu hohen Konzentrationen wiederum hemmend oder toxisch (z. B. Schwer-
metalle).
Zu den wichtigsten Spurenelementen für anaerobe Prozesse zählen Chrom, Mangan,
Eisen, Kobalt, Kupfer, Zink, Selen, Molybdän, Jod, Nickel, Arsen und Fluor. Insgesamt
kann davon ausgegangen werden, dass alle Elemente, die zum Aufbau der Zellsubstanz
benötigt werden, in verwertbaren Verbindungen den Organismen zur Verfügung stehen
müssen. Neben den Spurenelementen sind auch Stickstoff, Schwefel, Phosphor, Kalium,
Calcium und Magnesium von Bedeutung.
Während diese Substanzen in kommunalen Abwässern und Schlämmen im Allgemei-
nen in ausreichenden Mengen vorhanden sind, kann es bei Industrieabwässern vorkom-
men, dass für eine anaerobe Behandlung essenzielle Einzelstoffe fehlen, und daher eine
Zudosierung erforderlich wird. Wie der Name Spurenelemente bereits aussagt, sind diese
Stoffe nur in geringen Konzentrationen erforderlich. Sahm (1981) hat zu einigen wichtigen
Elementen die erforderlichen Konzentrationen angegeben, wie sie für einen optimalen an-
aeroben Abbau benötigt werden. Die Angaben von Sahm (1981) sind in Tab. 3.3 in Molari-
tät angegeben und in die Dimension (mg/L) umgerechnet worden.
110 3 Einflussfaktoren auf die anaeroben biologischen Abbauvorgänge
Tab. 3.3 Erforderliche Konzentrationen einiger Spurenelemente für einen optimalen anaeroben
Abbau. (Nach Sahm 1981)
Konzentrationen
Element Nach Sahm (1981) in mol Umgerechnet in mg/L
Kobalt 1 · 10 −6
0,06
Molybdän 5 · 10−7 0,05
Nickel 1 · 10 −7
0,006
Selen 1 · 10−7 0,008
Chrom 10 – 1 · 10
−7 −3
0,005–50
Mangan 10−7– 1 · 10−3 0,005–50
Blei 10−7– 1 · 10−3 0,02–200
Literatur
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Literatur 111
Inhaltsverzeichnis
4.1 Klärschlammmengen und -beschaffenheit (Norbert Dichtl)������������������������������������������������� 114
4.1.1 Primärschlamm �������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 116
4.1.2 Sekundärschlamm ��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 117
4.1.3 Tertiärschlamm ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 117
4.1.4 Rohschlamm ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 117
4.1.5 Stabilisierte Schlämme, Faulschlamm ������������������������������������������������������������������������� 118
4.1.6 Stoffbedingte Eigenschaften von Klärschlämmen ����������������������������������������������������� 118
4.1.6.1 Bestimmung des Wassergehaltes und des Trockenrückstandes ��������������� 118
4.1.6.2 Glühverlust und Glührückstand ������������������������������������������������������������������� 118
4.1.6.3 pH-Wert ����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 120
4.1.6.4 Säureverbrauch ����������������������������������������������������������������������������������������������� 120
4.1.6.5 Organische Säuren ����������������������������������������������������������������������������������������� 120
4.1.6.6 Spezifischer Filtrationswiderstand ��������������������������������������������������������������� 121
4.1.6.7 Kompressibilität ��������������������������������������������������������������������������������������������� 121
4.1.6.8 Heizwert ����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 121
4.1.7 Klärschlammmengen ����������������������������������������������������������������������������������������������������� 121
4.1.7.1 Einwohnergleichwerte für Klärschlämme ��������������������������������������������������� 122
4.1.7.2 Auswirkungen der Abwasserbelastung ������������������������������������������������������� 122
4.1.7.3 Auswirkungen der Regenwassermitbehandlung ��������������������������������������� 124
4.1.7.4 Auswirkungen von Wasserinhaltstoffen aus
Gewerbe und Industrieabwasser ������������������������������������������������������������������� 125
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme (Norbert Dichtl) ��������������������������������������������������������� 125
4.2.1 Schlammstabilisierung ��������������������������������������������������������������������������������������������������� 126
4.2.1.1 Stabilisierungskriterien ��������������������������������������������������������������������������������� 126
4.2.1.2 Verfahren der Schlammstabilisierung ��������������������������������������������������������� 128
4.2.2 Klärschlammdesintegration ����������������������������������������������������������������������������������������� 165
4.2.3 Klärschlammentseuchung ��������������������������������������������������������������������������������������������� 178
4.2.3.1 Mechanismen für eine Entseuchung von Klärschlämmen ����������������������� 180
Norbert Dichtl
Fällung und
mechanische Reinigung Vorklärung Flockung
Fällmittel
Sedimentation
Abwasser gereinigtes
Abwasser
Rücklaufschlamm
Rechengut
Primärschlamm
Sandfang- Öle und Fette
gut Überschussschlamm
(Sekundärschlamm)
Rohschlamm
Flockmittel
Dickschlamm
Demzufolge ist dieser Klärschlamm die gewollte Senke der im Abwasser enthaltenen In-
haltsstoffe. Daher gilt es, für die sachgerechte Auseinandersetzung mit den Aufgaben der
Klärschlammbehandlung, möglichst zuverlässige Daten über die Klärschlammmengen
und -beschaffenheiten zugrunde zu legen. Prinzipiell gilt, dass kein Klärschlamm dem an-
deren gleicht, auch wenn die sonstigen Rahmen- und Randbedingungen der Abwasserrei-
nigung (gewähltes Verfahren, Struktur des Entsorgungsgebietes, Entwässerungsverfahren
etc.) identisch scheinen. Aus dieser Sicht sind nachfolgend genannte Werte als Anhalt für
den Fall zu sehen, dass konkrete Messergebnisse nicht oder noch nicht vorliegen.
In DIN 4045 (1985a) werden die Schlammarten, wie sie in Abhängigkeit vom Abwas-
serreinigungsprozess entstehen, definiert. Ein Überblick gibt das Verfahrensfließbild in
Abb. 4.1.
Im Folgenden wird die Menge, Art und Beschaffenheit der einzelnen Schlammströme
erläutert und auf deren Charakterisierung sowie auf die Möglichkeiten zur Behandlung
eingegangen.
116 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
4.1.1 Primärschlamm
Gemäß DIN 4045 (1985a) entsteht Primärschlamm in der mechanischen Stufe einer Ab-
wasserbehandlung. Primärschlamm ist somit ein Resultat der eingesetzten physikalischen
Verfahren zur Abtrennung absetzbarer Stoffe aus dem Abwasser. Kommunaler Primär-
schlamm weist eine unterschiedliche, von grauschwarz über graubraun bis gelb variie-
rende, Farbe auf. Er enthält leicht erkennbare Bestandteile wie Kot, Gemüse, Obstreste,
Papier, Korken, Toilettenpapier etc. und geht nach Entnahme aus dem System ohne weitere
Behandlung schnell in stinkende Fäulnis über. Die Beschaffenheit des Primärschlammes
hängt in erster Linie von der Art der mechanischen Reinigung und hier insbesondere von
der Verweilzeit ab. Auch für heutige Verhältnisse gelten immer noch die von Sierp (ATV
1996) aufgestellten Sedimentationskurven, die in Abb. 4.2 dargestellt sind.
Wie aus dem Fließbild Abb. 4.1 ersichtlich ist, werden oftmals in der mechanischen Ab-
wasserreinigung zwei Sedimentationseinheiten (Sandfang und Vorklärbecken) hintereinan-
der angeordnet. Da die Sedimentation körniger sowie flockiger Abwasserinhaltsstoffe neben
dem spezifischen Gewicht der Partikel- und der Oberflächenstruktur von den Fließverhält-
nissen abhängig ist, ist leicht nachvollziehbar, dass ein sauberer Trennschnitt zwischen San-
den und Primärschlamm durch simple Sedimentationsbecken nicht zu vollziehen ist.
Insofern gilt es, den Trennschnitt zwischen diesen beiden Sedimentationseinrichtungen
infolge praktisch technischer Überlegungen festzulegen. Sandfänge werden angeordnet,
um vor allem die nachfolgenden technischen Einrichtungen wie Behälter, Rohrleitungen,
Pumpen, Gerinne, Kanäle etc. vor den negativen abrasiven Auswirkungen zu schützen.
Insofern gilt hier die alte Faustregel:
Dies gilt vor allem auch deshalb, weil moderne kommunale Kläranlagen in aller Regel mit
Sandwaschanlagen ausgerüstet sind.
4.1 Klärschlammmengen und -beschaffenheit 117
4.1.2 Sekundärschlamm
4.1.3 T
ertiärschlamm
4.1.4 Rohschlamm
Als Rohschlämme bezeichnet man Primär-, Sekundär- und Tertiärschlämme in jeder be-
liebigen Mischung, die auf einer Kläranlage zur Behandlung anstehen. Hierbei ist es für die
Bezeichnung nicht wesentlich, ob die Schlämme bereits einer Schlammwasserabtrennung
unterworfen wurden oder nicht. Rohschlämme sind demzufolge Schlämme vor der Stabi-
lisierung.
118 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Als stabilisierte Schlämme werden alle Schlämme bezeichnet, die im Zuge einer geordne-
ten Schlammbehandlung, einem Stabilisierungsverfahren, sei es biologisch oder chemisch,
unterworfen wurden.
Als Faulschlamm bezeichnet man Schlämme in oder aus einer Anlage zur anaeroben
Schlammstabilisierung. Gut ausgefaulter Schlamm ist infolge der Bildung von FeS in aller
Regel tiefschwarz und riecht leicht erdig, teerartig.
mit:
Deponie x x x x x
Landw. x x x x x x
Verwert.
Stabilisie-
rung
Täglich x x x x x
Wöchent- x
lich
Entwässe-
rung
Täglich x x x x
Wöchent- x x
lich
119
120 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
mit:
Auch wenn nur ein Teil dieser organischen Substanz einer biologischen Stabilisierung zu-
gänglich ist, stellt der organische Trockenrückstand doch eine bessere Kenngröße zur Be-
urteilung eines Schlammes hinsichtlich der Belastung in der Schlammstabilisierung dar
als der Trockenrückstand. Ferner ist mit dem Glühverlust eine Beurteilung des Stabilisie-
rungsgrades nach der Stabilisierung möglich.
4.1.6.3 pH-Wert
Der pH-Wert von Schlämmen aller Art sollte nur elektrometrisch mit einer Glaselektrode
bestimmt werden. Die Messeinrichtung ist mit einwandfreier Pufferlösung regelmäßig zu
kalibrieren. Nach Möglichkeit sollte bei Rohschlämmen eine frisch entnommene Probe
unter Vermeidung von Luftzutritt und CO2-Verlust gemessen werden. Die pH-Wert-Be-
stimmung mit Indikatorpapieren ist zu ungenau und wird daher nicht empfohlen (ATV
1996). Eine pH-Messung in geschlossenen Systemen, z. B. Faulräumen oder deren Um-
wälzleitungen, kann nur eine Veränderung anzeigen, nicht aber einen exakten Wert, da
zwar eine Druck- und Temperaturanpassung möglich ist, nicht aber die der geänderten
Gasatmosphäre. Klärschlämme liegen meist im neutralen pH-Wert-Bereich. Der pH-Wert
des Schlammes kann als Kontrollparameter bei der anaeroben Stabilisierung genutzt wer-
den.
4.1.6.4 Säureverbrauch
Der Säureverbrauch ist eine Maß für die Pufferung des Schlammes gegen Säuren. Die
Bestimmung dieser Kenngröße erfolgt in 100 mL des überstehenden bzw. filtrierten
Schlammwassers, da suspendierte Carbonate die Bestimmung stören können. Verluste an
CO2 durch hohe Turbulenzen beim Umfüllen der Proben sind zu vermeiden. Angege-
ben wird der Verbrauch an Säure in mmol bis zum Erreichen eines pH-Wertes von 4,5
(Gesamtalkalinität) (DIN 1996). Während der Faulung steigt der Säureverbrauch durch
die Zersetzung von Eiweißstoffen in u. a. HCO3 stark an. Durch den hohen Gehalt an
HCO3-Puffer wird der pH-Wert stabilisiert.
4.1.6.5 Organische Säuren
Die Bestimmung der niederen organischen Säuren erfolgt über eine Wasserdampfdestilla-
tion aus phosphorsaurer Lösung und Titration des Destillats mit Natriumhydroxidlösung
(DIN 1999) oder als Einzelbestimmung durch Gaschromatografie. Die organischen Säu-
ren sind die Zwischenprodukte des anaeroben Abbaus und verbrauchen den HCO3-Puffer
im Faulschlamm. Bei der weiteren Zersetzung der organischen Säuren wird dieser Puffer
jedoch wieder zurückgewonnen, sodass in Summe kaum Puffer verbraucht wird. Ist je-
doch das Zusammenspiel der einzelnen Schritte des anaeroben Abbaus gestört, kann es
4.1 Klärschlammmengen und -beschaffenheit 121
zu einer Anreicherung von organischen Säuren und damit zur Unterbrechung des Abbau-
prozesses kommen. Die Konzentration von z. B. Essigsäure sollte 150 mg/L (2,5 mmol/L)
nicht überschreiten. Die Summe aller organischen Säuren sollte unterhalb von 5 mmol/L
liegen.
4.1.6.6 Spezifischer Filtrationswiderstand
Der spezifische Filtrationswiderstand ist ein wichtiger Parameter zur Charakterisierung
des Entwässerungsverhaltens von Schlämmen insbesondere bei Filtrationsverfahren. Er ist
ein Maß für die Fähigkeit, Wasser unter konstanten Druckverhältnissen abzugeben.
4.1.6.7 Kompressibilität
Die Kompressibilität ist die Volumenänderung eines Stoffes unter Druckeinwirkungen. Bei
Klärschlämmen wird mit diesem Kennwert eine Aussage darüber gemacht, wie stark der
spezifische Filtrationswiderstand von den herrschenden Druckverhältnissen abhängig ist.
Je stärker sich der spezifische Filtrationswiderstand bei Änderung des aufgegeben Dru-
ckes verändert, desto höher ist die Kompressibilität des untersuchten Klärschlammes.
4.1.6.8 Heizwert
Der Heizwert von Schlämmen wird auf kaloriemetrischem Wege ermittelt. Es handelt
sich hier um die bei vollständiger und vollkommener Verbrennung von 1 kg Brennstoff
unter konstantem Druck nutzbare Wärmemenge. Der auf die Trockensubstanz bezoge-
ne Heizwert von Klärschlämmen hängt vom Gehalt der organischen Trockensubstanz ab,
da nur dieser Teil der thermischen Umsetzung zugänglich ist. Der mittlere Heizwert von
100 %iger organischer Trockensubstanz beträgt 23 MJ/kg. Angegeben wird meist der obere
Heizwert HO. Der untere Heizwert HU berücksichtigt den Energieverlust durch die Ver-
dampfung des während der Verbrennung von organischer Substanz chemisch gebildeten
H2O. Der Heizwert ist dann ein relevanter Parameter, wenn der Schlamm (nach weitge-
hender Entwässerung) verbrannt werden soll.
Tabelle 4.2 zeigt die Zuordnung der genannten Schlammkennwerte zu den jeweiligen
Schlammarten.
4.1.7 Klärschlammmengen
Wie einleitend erläutert, ist die Kenntnis der Klärschlammmengen zwingende Vorausset-
zung für die Dimensionierung von Schlammbehandlungsanlagen sowie die Planung der
Logistik. Wie später noch gezeigt wird, bildet die Auswertung langjähriger Messreihen der
erforderlichen Daten die beste Grundlage für eine sachgerechte Beurteilung. Da jedoch
oftmals derartige Messdaten nicht zur Verfügung stehen und/oder infolge zu erwartender
Neuanschlüsse bzw. geänderter Rahmen- und Randbedingungen seitens der Abwasserrei-
nigung eine Prognose von Nöten ist, kann der zu erwartende Klärschlammanfall aufgrund
von Erfahrungswerten abgeschätzt werden.
122 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
maßgebend ist. Wünschenswert wäre eine entsprechende Angabe für Klärschlamm. Dies
ist jedoch nicht ohne Weiteres möglich, da insbesondere die jeweiligen Reinigungsverfah-
ren die tatsächlich zu erwartenden und anfallenden Schlammmengen beeinflussen. Nach-
folgend werden hierfür feststoffspezifische Angaben gemacht.
Belastung korrespondieren die ebenfalls aus der Praxis gewonnenen Mittelwerte für den
Klärschlammanfall. Um im Einzelfall von zutreffenden Werten auszugehen, ist daher zu
prüfen, ob die Voraussetzungen einer solchen mittleren Belastung oder davon wesentlich
abweichende Verhältnisse vorliegen.
124 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Abb. 4.3 Auswirkung von Abwasserinhaltstoffen aus industriellem und gewerblichem Abwasser
auf die angewendeten Abwasserreinigungsprozesse. (Möller 1997)
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 125
Norbert Dichtl
Die Behandlung kommunaler Schlämme und deren anschließende Beseitigung bzw. Ver-
wertung ist ein wesentlicher Teilschritt der gesamten Abwasserreinigung. Besonders ver-
deutlicht wird dies durch den hohen Kostenanteil der Schlammbehandlung (ca. 30 bis
50 %) an den Gesamtkosten der Abwasserreinigung.
Dabei richten sich Art und Umfang der Schlammbehandlung maßgeblich nach der spä-
teren Verwertung bzw. Beseitigung. Für die Beseitigung der Klärschlämme stehen grund-
sätzlich die Möglichkeiten einer Rückführung in den Stoffkreislauf (landwirtschaftliche/
landbauliche Verwertung) oder die Ausschleusung aus dem Stoffkreislauf (Verbrennung)
zur Verfügung. Für beide Beseitigungsmöglichkeiten gilt, dass nur in wenigen Ausnahmen
auf eine vorherige Stabilisierung verzichtet werden kann.
Zur Verbesserung der Eigenschaften und Zusammensetzung der Klärschlämme stehen
die Grundoperationen (Möller 1985)
• Schlammstabilisierung,
• Schlammwasserabtrennung und
• Entseuchung
zur Verfügung.
Von besonderer Bedeutung innerhalb dieser grundlegenden Behandlungsmaßnahmen
ist die Schlammstabilisierung. Ihr vorrangiges Ziel besteht in der Reduzierung organischer,
geruchsbildender Inhaltsstoffe, Verringerung der Schlammfeststoffe, Verbesserung der
Entwässerbarkeit und Verminderung von Krankheitserregern. In der Praxis sind haupt-
sächlich die biologischen Stabilisierungsverfahren in der flüssigen Phase von Bedeutung.
Diese gliedern sich in aerobe und anaerobe Verfahren. Im vorliegenden Handbuch werden
schwerpunktmäßig die anaeroben Stabilisierungsverfahren behandelt.
In Abb. 4.4 sind nach Möller die häufigsten Verfahrensketten zur Klärschlammbe-
handlung wiedergegeben. Es zeigt sich, dass in Abhängigkeit des endgültigen Verbleibs
der Reststoffe unterschiedliche Verfahrensschritte von Nöten sind, um zum gewünsch-
126 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Rohschlamm
Entseuchen Entseuchen
(Pasteuri- (Pasteuri-
sieren u.a.) sieren u.a.)
Biologische Stabilisierung
anaerob (a) oder aerob (b)
Eindicken
mit oder ohne Vorkonditionieren
Konditionieren
Entwässern
Natürlich Maschinell
Kompost.
(m.oder o. Veraschen
Nachbe - Müll.) Nachbe -
handl. handl.
Entseu - Nachbe - Nachbe - Entseu -
chung d. handl. handl. chung d.
Kalkzug. Verfesti - Verfesti - Kalkzug.
gung gung
1 2 3 4 5 X X 8 9 10 11 12 X X 15 16 17 18 X X 21 22 23 24 25 26
ten Endprodukt zu gelangen. Die in Abb. 4.4 dargestellten Entsorgungswege sind bereits
heute vom Gesetzgeber (seit dem Jahr 2005) insofern gekappt, als eine Deponierung von
Schlämmen untersagt ist, die den Anforderungskriterien der TA Siedlungsabfall (1993)
(weitestgehende Reduktion des TOC bzw. der oTR auf 3 bzw. 5 %) nicht genügen.
Ungeachtet des Wegfalls der oben genannten Entsorgungsmöglichkeit durch Deponie-
rung behalten die in Abb. 4.4 genannten Verfahrensketten auch für die verbleibenden Ent-
sorgungswege ihre Wichtigkeit und Berechtigung. Darüber hinaus wird weltweit die De-
ponierung von Klärschlämmen noch für Jahrzehnte die Regelentsorgung darstellen.
Im Weiteren werden die Grundoperationen Klärschlammstabilisierung, Klärschlamm-
entseuchung sowie Schlammwasserabtrennung behandelt. Eine Miteinbeziehung der ther-
mischen Verfahren (Klärschlammtrocknung, Klärschlammverbrennung, thermische Son-
derverfahren) findet im Rahmen dieses Handbuches nicht statt, da dies den Rahmen spren-
gen würde. Dafür sind zur Vervollständigung der Befassung mit dem Thema Klärschlamm-
behandlung neue Ansätze im Bereich der Klärschlammdesintegration und Wertstoffrück-
gewinnung sowie ergänzend Angaben über die zu erwartende Kläranlagenrückbelastung
aus der Schlammbehandlung inklusive der Möglichkeiten ihrer Handhabung enthalten.
4.2.1 Schlammstabilisierung
4.2.1.1 Stabilisierungskriterien
In DIN 4045 (1985a) wird ein Schlamm dann als „stabilisiert“ bezeichnet, wenn durch eine
entsprechende Behandlung mindestens eines der beiden Hauptziele der Schlammstabili-
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 127
Tab. 4.4 Erforderlicher Stabilisierungsgrad in Abhängigkeit von der Art der Beseitigung. (Dichtl
1985)
Erforderlicher
Art der Beseitigung Stabilisierungsgrad
Landwirtschaft und Landbau im flüssigen +
voll
Zustand, Schlammteiche stabilisiert
Landwirtschaft und Landbau im entwässerten bedingt
Zustand stabilisiert
Deponie im entwässerten Zustand bedingt bis
teilstabilisiert
-
Deponie nach Verbrennung teilstabilisiert
sierung erreicht ist. Diese Hauptziele sind eine weitgehende Verringerung von geruchsbil-
denden Inhaltsstoffen und die Reduzierung organischer Schlammbestandteile.
Die quantitative Beurteilung von Verlauf und Ergebnis der Klärschlammstabilisierung
erfolgt anhand von Stabilisierungskennwerten. In der betrieblichen Praxis und bei der in-
genieurmäßigen Bearbeitung von Schlammstabilisierungsanlagen werden Stabilisierungs-
kriterien für folgende Zwecke benötigt:
• Erfolgskontrolle (Ergebniskontrolle),
• Betriebskontrolle (z. B. zum Erkennen von Störungen),
• Bemessungsparameter (zur Bemessung der Reaktoren),
• Vergleichsparameter (z. B. bei der Auswahl eines Stabilisierungsverfahrens) (Dichtl
1985).
Bei der Formulierung von Stabilisierungskriterien ist jedoch eine Vielzahl von Randbe-
dingungen zu beachten, sodass das Ziel, einen allgemeingültigen, trennscharfen, gut und
schnell zu ermittelnden, reproduzierbaren, repräsentativen Kennwert zu definieren, bis
heute noch nicht erreicht ist. Schon allein die verschiedenartige Zusammensetzung der zu
behandelnden Schlämme und der Einsatz sehr unterschiedlicher Stabilisierungsverfahren
machen es vermutlich unmöglich, einen einzigen, alles umfassenden Stabilisierungskenn-
wert festzulegen. Daher sollten zur Beurteilung des Stabilisierungsergebnisses mehrere
Kennwerte herangezogen werden (Dichtl 1985).
Im Einzelfall wird das angestrebte Stabilisierungsziel maßgeblich durch die spätere
Schlammverwertung bzw. -beseitigung geprägt. Tabelle 4.4 zeigt erforderliche Stabilisie-
rungsgrade für verschiedene Schlammbeseitigungsarten.
Tabelle 4.4 lässt jedoch die Frage offen, wann ein Schlamm als „voll stabilisiert“ bzw.
„teilstabilisiert“ einzuschätzen ist. In der Vergangenheit wurden über 50 verschiedene Sta-
bilisierungskriterien vorgeschlagen. Dichtl (1985) hat anhand einer Literaturauswertung
128 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
• Durchflossener Faulbehälter:
Faulbehälter, der gleichzeitig zum Faulen und Absetzen dient.
• Offener Faulbehälter:
unter Verzicht auf Beheizung und teilweise auch auf Faulgasgewinnung (DIN 1985).
• Geschlossener Faulbehälter:
Faulbehälter mit den Möglichkeiten der Faulgasgewinnung und der Beheizung.
Sowohl „durchflossene Faulbehälter“ als auch „offene Faulbehälter“ sind heute nicht mehr
üblich und werden daher im Weiteren hier nicht näher behandelt, haben aber für Prob-
lemlösungen in Entwicklungsländern durchaus noch praktische Bedeutung.
Auffällige Kennzeichen von Abwasserreinigungsanlagen mit anaerober Schlammsta-
bilisierung sind heute ein oder mehrere meist über Geländeniveau erstellte zylindrische,
eiförmige oder Kegel-Zylinder-kegelförmige „Geschlossene Faulbehälter“ aus Stahl, Stahl-
beton oder Spannbeton. Unabhängig von der Behälterform weisen derartige Faulbehälter
folgende gemeinsame Merkmale auf:
In Abb. 4.5 ist ein „geschlossener Faulbehälter“ mit den wichtigsten Betriebseinrichtungen
dargestellt. Da die geschlossene Bauform in einstufiger mesophiler Betriebsweise der heute
in der Praxis am weitesten verbreitete Anlagentyp ist, spricht man bei dieser Verfahrens-
führung auch vom „konventionellen Faulverfahren“ und von „konventionellen Faulbehäl-
tern“.
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 129
Tab. 4.5 Kennwerte zur Beurteilung des Stabilisierungsgrades aerob behandelter Klärschlämme.
(Nach Dichtl 1985)
Nr. Bezeichnung Quantifizierung Bewertung der Bemerkung
Aussagekraft
1 Abnahme des rel. 25,6 % bei T = 10°C + Quantifizierung
Feststoffglühverlustes 38,0 % bei T = 20°C anhand von Unter-
43,6 % bei T = 30°C suchungen mit
ausschließlich
Primärschlamm
(Behandlungszeit
tA = 32 Tage)
2 C-Gehalt im Endwert 40 % Abnahme + Quantifizierung für
Feststoff 29,3 % bei T = 10°C aerobe Schlämme
44,3 % bei T = 20°C dargestellt untere
49,3 % bei T = 30°C Werte gelten für Sta-
bilisationszeit = 32
Tage
3 BSB5/CSB ≤ 0,10 (≤ 0,15) ++
4 BSB5/org. C. – ++ Ähnlich 3, jedoch
weniger Erfahrung
5 BSB5/C – ++ Ähnlich 3, jedoch
weniger Erfahrung
6 Fäulnisfähigkeit Siehe DEV H 22 + Milieuwechsel
7 Leitorganismen – +
8 Schlammbelastung 0,05–0,10 kg BSB5/(kg + Auf Grund vie-
TS · d) ler Erfahrungen
brauchbar
9 Schlammalter x – + Wird als Bemes-
Stab.-Temp. sungsparameter
verwendet
10 Atmungsakt./oTR 0,12 kg O2/(kg oTS · d) + Unterschiede in
0,10kg O2/(kg oTS · d) der Quantifizie-
0,0012–0,0024 kg O2/(kg rung teilweise auf
oTS · d) Grund verschied.
Messverfahren
11 Atmungsaktivität 0,05 kg O2/(kg oTS · d) + Besser 10 verwenden
0,072kg O2/(kg oTS · d)
12 Reduktasen-Aktivität Formazanbildung ++
(TTC) < 10 mg/g oTS
teilstabilisiert
< 5 mg/g oTS
vollstabilisiert
130 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Tab. 4.6 Kennwerte zur Beurteilung des Stabilisierungsgrades anaerob behandelter Klärschlämme.
(Dichtl 1985)
Nr. Bezeichnung Quantifizierung Bewertung Bemerkung
der Aus-
sagekraft
1 Glühverlust GV 45 ± 5 % +
≤ 45 %
2 GV/GR 45 ± 5% +
55 ± 5%
Die oben genannten Formen haben sich zum einen aus den prozesstechnischen Rah-
men- und Randbedingungen, zum anderen aus bautechnischen Erfordernissen im Lau-
fe der letzten Jahrzehnte herauskristallisiert. Während früher vor allem auf kleinen und
mittleren Kläranlagen geschlossenen Schlammfaulräumen mehrere Funktionen gleich-
zeitig zugewiesen wurden (Trübwasserabtrennung, Schlammstabilisierung, Schlammein-
dickung), werden heute Faulbehälter nahezu ausnahmslos reaktormäßig, d. h. volldurch-
mischt, betrieben. Zur Handhabung, d. h. zur Entnahme anfallender Schwimmdecken in
geschlossenen Behältern ist es erforderlich, die Oberfläche der Behälter möglichst klein
zu gestalten, sodass auftretende Schwimmdecken an dieser Stelle entweder zerstört oder
gezielt entnommen werden können. Aus dieser Forderung leitet sich die Gestaltung in
Deutschland üblicher eiförmiger sowie Kegel-Zylinder-kegelförmiger Faulbehälter ab. Da
die ständige Durchmischung der Klärschlammsuspension prozessbedingt zwingend er-
forderlich ist und größere Ablagerungen unerwünscht sind, bietet sich daher im unteren
Bereich von Schlammfaulbehältern ebenfalls eine kegelförmige Gestaltung an, was letzt-
endlich für die beiden vorgenannten Faulbehältertypen das Entwicklungskriterium war
und ist.
Ab einer gewissen Behältergröße (ca. 3.500 m3) weicht die in Deutschland klassische
Faulbehälterform Kegel-Zylinder-Kegel auf Grundlage der statischen Erfordernisse bau-
und kostentechnische Nachteile gegenüber einer eiförmigen Gestaltung auf, was letztend-
lich zu deren Entwicklung geführt hat. Deutlich preiswerter sind zylinderförmige Behäl-
ter, die jedoch im Bereich von Schwimmdecken und Ablagerungen formbedingt Nachteile
aufweisen.
132 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Von besonderem Vorteil ist eine Durchmischung des Behälterinhaltes in vertikaler Rich-
tung von unten nach oben. Dadurch wird sowohl das Aufsteigen der Gasblasen sowie eine
vorhandene Wärmeströmung unterstützt, als auch jegliche Schichtenbildung vermieden.
Eine derartige Durchmischung kann durch Schraubenschaufler, durch Einpressen von
Faulgas mittels Einpresslanzen oder Mammutpumpen (Bubble Guns) oder durch Um-
pumpen mit außen liegenden Schlammpumpen erfolgen. Diese Systeme können einzeln
angewendet werden. Kombinationen sind jedoch möglich und sinnvoll. Dabei ist jedoch
darauf zu achten, dass die enge thermodynamische Symbiose zwischen acetogenen und
methanogenen Bakterien, die mit einem engen räumlichen Kontakt notwendig verbun-
den ist, durch zu starke Turbulenzen und Scherkräfte nicht beeinträchtigt wird. Darüber
hinaus verschlechtert eine zu starke mechanische Belastung des Schlammes dessen Ent-
wässerungsverhalten bzw. führt zu erhöhtem Verbrauch von Flockungsmitteln bei der
Konditionierung. Somit ergibt sich die divergierende Forderung nach einer schonenden
und dennoch intensiven Durchmischung.
Zur Bemessung der genannten Verfahren existieren keine einheitlichen Bemessungs-
hinweise. Vielmehr basiert in der Praxis die Bemessung der Umwälzeinrichtung für Faul-
behälter auf den bisher vorliegenden Erfahrungen mit dem jeweiligen Umwälzsystem.
Dennoch werden zum Vergleich der verschiedenen Umwälzverfahren folgende Größen
verwendet:
Abb. 4.6 Spezifischer Umwälzenergieeintrag in Abhängigkeit vom Reaktorvolumen für außen lie-
gende Pumpen. (Beckereit 1987)
Abb. 4.7 Spezifischer Umwälzenergieeintrag in Abhängigkeit vom Reaktorvolumen für Rühr- und
Mischwerke. (Beckereit 1987)
Nach Beckereit können die dargestellten Funktionen als Hinweis auf einen möglichen
Bemessungsansatz für spezifische Leistungsbedarfswerte dienen. Für die Berechnung
der zu installierenden Leistung müssen die Funktionsgleichungen noch durch cos φ, der
größenordnungsmäßig zwischen 0,6 und 0,8 anzusetzen ist, dividiert werden. Weiterhin
sind bei der Bemessung untypische Randbedingungen, wie z. B. ungünstige Behälterform,
134 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Wie diese vereinfachten Ansätze zeigen, ist offensichtlich die Qualität der Reaktordurch-
mischung in der betrieblichen Praxis ausgesprochen unterschiedlich. Es wird deutlich,
dass die Umwälzung der Reaktoren lediglich ein Faktor für den geordneten Prozessablauf
der Schlammfaulung ist und somit mit all den anderen Faktoren gemeinsam die Quali-
tät des Prozesses bestimmt. Nicht zu vergessen ist, dass heute üblicherweise zum Zwecke
der Faulraumbeheizung sowie Rohschlammaufheizung außen liegende Umwälzpumpen
mit außen liegenden Wärmetauschern Verwendung finden. Üblicherweise sind auch diese
Systeme auf eine Größenordnung von bis zu 2-maligem täglichem Schlammdurchsatz des
Gesamtvolumens ausgelegt. Diese Umwälzschlammmengen dienen natürlich nicht nur
der Schlammaufheizung, sondern sind zu den vorgenannten Ansätzen für die Faulraum-
umwälzung zuzurechnen.
Das in Abb. 4.5 dargestellte System der Gaseinpressung mit einem innenliegenden
Steigrohr (Mammutpumpe) weist gegenüber den in aller Regel bei Großbehältern ver-
wendeten Schraubenschauflern den Nachteil auf, dass lediglich eine Betriebsrichtung von
unten nach oben realisierbar ist. Darüber hinaus unterstützen Gaseinpressungen jedweder
Art die Schaumbildung in Behältern, sofern diese originär als Resultat der Schlammquali-
tät respektive des Prozesses gegeben ist. Demgegenüber kann mit Hilfe von Schrauben-
schauflern vor allem im Reversierbetrieb oftmals sogar eine Schaumdecke betrieblich si-
cher gehandhabt werden.
Reaktorheizung Von wesentlicher Bedeutung für einen intensiven Faulbetrieb ist die
Gewährleistung einer innerhalb des gesamten Faulraumes möglichst konstanten Tempera-
tur. Konventionelle Faulanlagen arbeiten vorzugsweise im mesophilen Temperaturbereich
bei 30 bis 37 °C, wobei die einmal eingestellte Temperatur nicht verändert werden sollte, da
die mesophilen Bakterien durch Temperaturänderungen in ihrer Leistungsfähigkeit beein-
trächtigt werden (ATV 1983).
Des Weiteren sollte der Rohschlamm bereits vor der Beschickung auf die Faulraum-
temperatur erwärmt werden, um die Entstehung örtlicher Kältenester im Reaktor zu ver-
meiden. Im modernen Faulbetrieb sind grundsätzlich zwei Verfahren zur Übertragung der
erforderlichen Wärmemenge auf den Schlamm zu unterscheiden:
Aus diesen Gründen hat sich die indirekte Übertragung von Wärme auf den Schlamm mit-
tels Wärmetauschern durchgesetzt. Hierzu wurden die unterschiedlichsten Systeme wie
z. B. Eintauchheizrohre (für kleine Anlagen), Rohrmantelwärmetauscher, Rohrschlangen-
wärmetauscher, Spiralwärmetauscher, außen liegende Heizzylinder etc. realisiert, wobei
bis auf wenige Ausnahmefälle, Rohrmantelwärmetauscher für den robusten Betrieb auf
unseren Kläranlagen, ihre Leistungsfähigkeit nachgewiesen haben.
Bei diesen Doppelrohrwärmetauschern werden das Innenrohr mit Faulschlamm und
das Außenrohr mit Heizwasser beaufschlagt, sodass im schlammdurchströmten Rohr Ein-
bauten nicht von Nöten sind.
Darüber hinaus können durch diese Technik auftretende Verkrustungen sowohl che-
misch als auch mechanisch bekämpft werden. Für die Dimensionierung von Doppelrohr-
wärmetauschern können folgende Eckwerte angesetzt werden:
Rechnerisch werden die Wärmetauscher dann in aller Regel auf für Heizungssysteme üb-
liche Vor- und Rücklauftemperaturen (90 bzw. 70 °C) ausgelegt. Infolge der in aller Re-
gel vorhandenen wärmeseitigen Einbindung von Heizkesseln und Blockheizkraftwerken
führt dies für den Betrieb zu einem Temperaturniveau von 80 bis 85 °C im Heizwasser-
vorlauf und 60 bis 65 °C im Heizwasserrücklauf. Die erforderliche Heizwassermenge kann
dann überschlägig, wie im folgenden Beispiel gezeigt, ermittelt werden:
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 137
Beispiel (Überschlagsberechnung)
Faulbehältervolumen 5.000 m3
Hydraulische Aufenthaltszeit ( tR) 20 d
Rohschlammtemperatur 8 °C
Faulraumtemperatur 37 °C
Abstrahlverluste des Faulbehälters 1.000 kJ/(m3 · d)
erforderliche Energie um 1 L Wasser um 1 °C zu erwärmen 1 kcal = 4,19 kJ
Die Entnahme ausgefaulten Schlammes aus dem Faulraum kann während der Beschi-
ckung durch Verdrängung erfolgen. Hierbei ist zu beachten, dass Kurzschlussströmungen
vermieden werden.
In Faulbehältern alter Konzeption wurde durch Schaffung eines Eindickraumes im
Bereich der Behältersohle sowie durch zeitweise Unterbrechung der Durchmischung ver-
sucht, den Faulschlamm durch Absetzen einzudicken und das überstehende Faulwasser
abzuziehen. Infolge der starken Gasentwicklung wurde der Eindickprozess jedoch deutlich
beeinträchtigt, sodass die Bezeichnung Faulwasser nicht gerechtfertigt war. Eher handelte
es sich um einen ausgesprochenen Dünnschlamm. Nach dem weiterentwickelten techno-
logischen Verständnis ist der Faulbehälter heute als volldurchmischter, homogener Bio-
reaktor zu verstehen, dessen Primäraufgabe der Abbau organischer Substanzen ist. Daher
sollte die Durchmischung des Reaktorinhalts kontinuierlich erfolgen. Die Trennung von
Feststoffen und Schlammwasser sollte in nachgeschalteten, unbeheizten Nacheindickern
erfolgen.
Einfahrphase Bevor ein Faulraum betriebsfähig ist und einen prozessstabilen Abbau des
zugeführten Rohschlammes gewährleistet, muss eine genügend hohe Konzentration akti-
ver Biomasse im Reaktor vorhanden sein. Daher muss ein neu anzufahrender Faulraum
zunächst in einer Einfahrphase schrittweise an den endgültigen Belastungszustand heran-
geführt werden. Ebenso wie für den eingefahrenen Faulraum sind während der Einfahr-
phase alle Randbedingungen für einen intensivierten Betrieb einzuhalten, d. h. intensive
Durchmischung, konstante Faulraumtemperatur und Beschickung in kleinen Chargen.
• Erstbefüllung,
• Aufheizung,
• Impfung,
• Rohschlammbeschickung.
Erstbefüllung Zur Erstbefüllung des Faulbehälters wird Betriebswasser oder von Grob-
stoffen (Holz, Plastik etc.) befreites Abwasser verwendet. Eine vollständige Befüllung ist
erforderlich, weil die Bildung eines explosionsgefährlichen Gas-Luft-Gemisches im Faul-
raum vermieden werden muss und darüber hinaus Mischsysteme wie z. B. Schrauben-
schaufler und je nach konstruktiver Anordnung auch die Umwälzsysteme für eine außen
liegende Faulraumheizung nur bei Vollfüllung einsatzfähig sind. Vorteilhaft ist die Ver-
wendung schwach alkalischen Wassers im Bereich von pH 7,0 bis 7,5.
Zu Beginn der anaeroben Umsetzungsprozesse erfolgt zunächst eine Versäuerung, also
ggf. eine pH-Wert-Absenkung, was bei der Verwendung von Wasser mit niedrigen pH-
Werten oder schwachen Puffersystemen oftmals die Zugabe von Alkali zur pH-Wert-An-
hebung erfordert.
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 139
Abb. 4.9 Verlauf der Gasentwicklung während der Einfahrzeit (35 °C) bei unterschiedlichen Impf-
schlammzugaben. (Annen 1959)
Aufheizung Nach der Erstbefüllung wird der Faulbehälterinhalt auf die im Endbetriebs-
zustand vorgesehene Temperatur aufgeheizt. Im Normalfall ist eine Temperatur von 36 bis
37 °C anzustreben. Bereits in dieser Phase muss die Funktionsfähigkeit der Faulraumbe-
heizung und der Faulraumdurchmischung gegeben sein.
Impfung Hat der Faulraum die angestrebte Betriebstemperatur erreicht, kann mit der
ersten Beschickung begonnen werden. Als Beschickungsmaterial sollte zunächst nur gut
adaptierter Faulschlamm (Impfschlamm) aus einem Faulraum mit möglichst gleichem
Temperaturniveau wie der einzufahrende Reaktor Verwendung finden. Je mehr Impf-
schlamm zugeführt wird, umso schneller ist der Faulbehälter eingefahren und betriebs-
bereit. Die Abhängigkeit der Einfahrzeit eines Faulraumes von der Impfschlammzugabe
verdeutlicht Abb. 4.9.
Sollte kein Impfschlamm zur Verfügung stehen, muss direkt mit der Rohschlammbe-
schickung begonnen werden. Hier empfiehlt sich die Zugabe sehr kleiner Chargen. Eine
genaue Kontrolle des Faulbehälterzustandes über entsprechende Kontrollparameter wie
Konzentration an organischen Säuren, Faulgaszusammensetzung und pH-Wert ist un-
erlässlich, will man der Gefahr des Übergangs des Faulprozesses in die saure Gärung vor-
beugen.
wird dann stufenweise erhöht, wobei jede Stufe solange beizuhalten ist, bis ein stabiler
Betriebszustand erreicht wird und sich die Methanbildung durchgesetzt hat.
Dies ist insbesondere an der Gaszusammensetzung zu beobachten, die einen sich ver-
schlechternden Prozessablauf durch einen CO2-Anstieg signalisiert. In solchen Fällen
muss direkt durch eine Rücknahme der Beschickung reagiert werden. Bis zum Erreichen
der vollen Leistungsfähigkeit eines Faulbehälters ist, je nach Menge und Qualität des ein-
gesetzten Impfmaterials, mit einer Einfahrzeit von 20 Tagen bis zu 6 Monaten zu rechnen.
Während der gesamten Einfahrphase ist der Zustand des Faulprozesses durch geeignete
Kontrollparameter zu überprüfen. Dazu zählen:
Bei einem gut eingefahrenen Faulraum liegt die Konzentration der organischen Säuren im
Faulschlamm bei etwa 100 bis max. 300 mg/L. Während der Einfahrzeit sind Werte von
1.000 bis 1.500 mg/L durchaus normal. Werden Konzentrationen von 1.500 bis 2.000 mg/L
erreicht, besteht die Gefahr, dass der Faulbehälter in die saure Gärung übergeht. Um dies
zu vermeiden, muss die Rohschlammbeschickung zunächst für mehrere Tage ausgesetzt
werden. Liegen bereits Werte über 2.000 mg/L vor, empfiehlt sich die Zugabe von Alkali
(z. B. Kalkmilch, besser Natronlauge), um die Randbedingungen im Faulraum zu verbes-
sern. Bei Werten über 4.000 mg/L besteht zumeist kaum eine Chance, den Faulraum noch
kurzfristig zu sanieren (Annen 1959).
Der pH-Wert kann nur als eine orientierende Kontrollgröße angesehen werden, da
er starken Schwankungen unterworfen ist und nicht immer eindeutige Schlussfolgerun-
gen auf den Zustand der Faulung zulässt. Bedeutend aussagekräftiger ist die Entwicklung
der Gasproduktion und der Gaszusammensetzung. Ein Rückgang der Gasproduktion bei
gleichzeitigem Anstieg der CO2-Konzentration ist immer ein Warnzeichen für Störungen
des Faulprozesses. Übliche Werte für CO2 liegen beim eingefahrenen Betrieb im Bereich
von 30 bis 35 %. Während der Einfahrzeit sind CO2-Werte um die 40 % normal. Wichtig ist
aber nicht so sehr der Prozentwert an sich, sondern vielmehr die Tendenz. Bei ansteigen-
dem CO2-Gehalt im Gas ist entsprechende Vorsicht geboten, da dies auf eine Störung der
Methanbildung hinweist.
Die Bestimmung von Trockensubstanz und Glühverlust dient vor allem zur Bilanzie-
rung des Abbaus organischer Substanzen im Faulbehälter und damit letztlich zur Quanti-
fizierung der Abbauleistung. Diese Bestimmung sollte sowohl während der Einfahrzeit als
auch während des Normalbetriebes erfolgen.
Bemessung von Schlammfaulungsanlagen Trotz der Tatsache, dass die anaerobe Stabi-
lisierung eine breite Anwendung findet, hat sich bis heute kein allgemein angewandter
Bemessungsansatz durchsetzen können. Ursache hierfür ist offenbar, dass sich das Bestre-
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 141
• Theoretischer Abbaugrad
Der Grad des Abbaus, der theoretisch erreichbar ist. Er entspricht dem Anteil der ab-
baubaren Substanz an den gesamten im Substrat enthaltenen organischen Substanzen.
• Technischer Abbaugrad (Abbaugrenze)
Der Grad des Abbaus organischer Substanz, der mit einem bestimmten Verfahren im
praktischen technischen Betrieb nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik
erreichbar ist.
Der technische Abbaugrad ist zum einen abhängig von der Zusammensetzung und vom
prozentualen Anteil organischer Stoffe im Rohschlamm und zum anderen von den Pro-
zessbedingungen, wie der Faulraumtemperatur, Reaktordurchmischung etc.. Für die Fest-
legung einheitlicher Bemessungswerte ist eine Abschätzung der in den Bemessungsansatz
einfließenden veränderlichen Größen angebracht. Von Bedeutung ist hier insbesondere
die Rohschlammzusammensetzung, schreibt man den Einfluss der Prozessbedingungen
durch Vorgabe der allgemein anerkannten Regeln der Technik fest. Schlenz (zitiert von
Keefer 1940) hat den Zusammenhang zwischen dem technischen Abbaugrad, dem An-
fangsgehalt an organischen Stoffen im Rohschlamm und der Faulraumtemperatur erst-
malig durch Auswertung von Betriebsdaten verschiedener Faulanlagen herausgestellt.
142 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Abb. 4.10 Abhängigkeit zwischen dem prozentualen Gehalt organischer Stoffe in Rohschlämmen
und dem erforderlichen Abbaugrad bis zum Erreichen der technischen Abbaugrenze für verschie-
dene Faulraumtemperaturen. (Nach Dimowski 1981)
• Faulzeit (d),
• spezifisches Faulraumvolumen pro Einwohner (l/E) sowie die.
• Raumbelastung (kg oTR/(m3 · d)).
144 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Tab. 4.7 Richtwerte für Faulraumgrößen nach Imhoff. (Zitiert in ATV 1983)
Klärverfahren Erdbecken L/E Emscherbrunnen Faulraum
(8–10 °C Winter) L/E 30–33 °C L/E
Mechanische Klärung 150 50 20
Mechanische Kläranlage und 220 100 30
hochbelasteter Tropfkörper
Mechanische Kläranlage und 220 100 35
hochbelastete Belebung
Tab. 4.8 Spezifische Faulraumvolumen in (L/E) für unbeheizte Faulbehälter in Abhängigkeit von
der Schlammart und Belastung nach den Planungs- und Bemessungsgrundsätzen des Landes Nord-
rhein-Westfalen. (Landesamt für Wasser und Abfall NRW 1981)
Schlammart Belastung der offene Emscherbrunnen
biol. Stufea Faulbehälter < 50.000 E ≥ 50.000 E
Primärschlamm – 125 75 50
Mischschlamm, Primär S 180 120 75
und Sekundär
Tropf- bzw. Tauchkörper N 220 150 100
Mischschlamm, Primär S 320 225 150
und Sekundär
Belebung N 220 150 100
a
s schwach belastet, n normal belastet
als schwach belastet gelten:
BTS < 0,15 kg BSB5/(kg TS d) bei Belebungsanlagen
BR < 300 g BSB5/(m3 d) bei Tropfkörpern
BF < 7,0 g BSB5/(m2 d) bei Scheibentauchkörpern
Darüber liegende Belastungen gelten als normal
Wie bereits erwähnt, haben unbeheizte Faulräume an Bedeutung verloren. Sie werden
nur noch für kleine Anschlussgrößen oder in warmen Klimazonen (z. B. vor allem auch in
Entwicklungs- und Schwellenländern) angewendet.
Wesentlich größere Verbreitung findet der einstufig betriebene, volldurchmischte, be-
heizte Faulbehälter. Obwohl der Erkenntnisstand über den Betrieb und die technischen
146 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Tab. 4.9 Bemessungswerte für beheizte Faulräume. (Landesamt für Wasser und Abfall NRW 1981)
Angeschlossene EW
50.000 E 100.000 E
Faulzeit (bezogen auf tägl. höchste d 22 18
eingetragene Rohschlammmenge)
Raumbelastung kg oTS 2,0 3,5
m3 ⋅ d
Beschickung mit Rohschlamm h/d ≥2 4
Die untere Grenze, d. h. etwa 12 bis 15 Tage Faulzeit entsprechend 3,0 bis 4,0 kg TS/(m3 · d),
kann angesetzt werden, wenn:
Weiterhin empfiehlt Kiess (1960), die Faulbehälter nicht zu klein zu bemessen. Aus be-
trieblichen Gründen lässt sich häufig nicht die günstige Feststoffbilanz erreichen, wie sie
sich bei der Berechnung, insbesondere bei der Annahme sehr hoher Belastungen, ergibt.
Ähnlich wie in den Planungs- und Bemessungsgrundsätzen für Abwasserreinigungsan-
lagen des Landes Nordrhein-Westfalen (Tab. 4.8) schlägt v. d. Emde (1974) die Dimensio-
nierung von volldurchmischten Anaerobreaktoren in Abhängigkeit von der Anlagengröße
vor. Als Bemessungsparameter verwendet v. d. Emde die Mindestaufenthaltszeit, den spe-
zifischen Faulraumbedarf bezogen auf den Einwohner und die organische Raumbelastung
(Tab. 4.10).
Auch Böhnke (1977) empfiehlt die Bemessung von volldurchmischten Faulräumen in
Abhängigkeit von der Anlagengröße. Nach seiner Auffassung ist jedoch eine deutliche-
re Differenzierung zwischen den Größen der Abwasserreinigungsanlagen erforderlich
(Tab. 4.11).
Im Gegensatz zu v. d. Emde verzichtet Böhnke auf den Bemessungsparameter „spezi-
fisches Faulraumvolumen pro Einwohner“. Dies erscheint auch durchaus sinnvoll, da der
Rohschlammanfall bezogen auf den Einwohner eine stark schwankende Bezugsgröße und
148 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
vor allem auch von der Voreindickung abhängig ist. Die Verwendung dieses Parameters
erlaubt i. d. R. nur eine grobe Abschätzung des erforderlichen Faulraumvolumens.
Wie bereits erwähnt, benötigen die Methanbakterien die längste Zeit zur Bildung neuer
Zellen. Daher wird von Helmer (1974) eine Mindestaufenthaltszeit oder auch Mindest-
faulzeit in Abhängigkeit von der Generationszeit der Methanbakterien von 12 Tagen für
Großanlagen angegeben. Aus Sicherheitsgründen empfiehlt Helmer (1974) für kleine An-
lagen eine erforderliche Faulzeit von 15 bis 20 Tagen und eine org. Feststoffraumbelastung
von 1,5 bis 3,5 kg oTS/(m3 · d).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Literatur dem planenden Ingenieur zahl-
reiche Bemessungsansätze anbietet, die i. d. R. auf Erfahrungswerten basieren, welche
hauptsächlich bei der anaeroben Behandlung vorwiegend häuslicher Abwasserschlämme
ermittelt wurden. Es wird deutlich, dass die hier genannten Bemessungsansätze z. T. zu
sehr unterschiedlichen Faulbehältergrößen führen. Diese Tatsache mag manchen Planer
verunsichern, sodass es notwendig erscheint, eine Gegenüberstellung der wesentlichen Be-
messungsempfehlungen anhand der üblichen Bemessungsparameter
vorzunehmen.
Tabelle 4.12 verdeutlicht, dass trotz der zunächst verwirrenden Vielzahl von Bemes-
sungsempfehlungen, mit wenigen Ausnahmen, eine weitgehende Übereinstimmung hin-
sichtlich der zuvor genannten Bemessungsparameter besteht.
Zur Vereinfachung der Faulraumbemessung sollen nachfolgend (Tab. 4.13) nochmals
die verschiedenen Dimensionierungswerte aus Tab. 4.12 zusammengefasst und ihr Gültig-
keitsbereich abgegrenzt werden. Aufgrund der relativ hohen Ungenauigkeit wird auf die
Angabe eines Wertes zum spezifischen Faulraumvolumen verzichtet.
Gültigkeitsbereich für Tab. 4.13:
Tab. 4.12 Zusammenstellung verschiedener Dimensionierungsansätze aus der Literatur für kon-
ventionelle Faulbehälter
Literatur Spezif. Faulraum- Theoretische Auf- Raumbelastung Bemerkung
volumen (L/E) enthaltszeit (d) (kg oTS/(m3 · d))
Imhoff 1976 20 – Mechan. Klärung
25–30 – 1,5–4,0 Schlamm a.
Tropfköper
35–40 – Schlamm a.
Belebungsanlage
Planung und – 22 2,0 50.000 E
Bemessungs- – 18 3,5 50.000 E
grundsätze
NRW 1981
Roediger 1967 – 15–20 1,7–2,5 Mesophil bei
Teilintensivierung
– 10–15 2,5–4,0 Mesophil bei voller
Intensivierung
Roediger 1960 – – 2,0 Bei kleinen
Anlagen
– – 3,0 Bei mittleren
Anlagen
– – 5,0 Bei großen
Anlagen
Kiess 1960 – 20 2,5–3,0 Obere Grenze
– 12–15 3,0–4,0 Untere Grenze
Emde 1974 40 20 1,5 50.000 E
30 15 2,0 50.000 E
Böhnke 1977 – 20–30 2,0 50.000 E
– 15–20 3,0 50.000–100.000
– 10–15 4,0 100.000
Helmer 1974 50 20 1,3 Ohne
Voreindickung
35 20 2,0 Mit Voreindickung
– 15 3,0–5,0 Große Anlagen mit
Voreindickung
Hoffmann 1979 – 20 1,5–2,5 Kleine Anlagen:
Teilintensivierung
– 15 2,5–4,0 Größere Anlagen:
Vollintensivierung
150 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
tA = Vfb / Qd
mit
tA = theoretische Aufenthaltszeit
Vfb = Volumen des Faulbehälters
Qd = tägliche Rohschlammmenge
Diese einfache mathematische Darstellung der mittleren Verweilzeit kann durch Umstel-
lung als Bemessungsformel verwendet werden, sofern die erforderliche theoretische Auf-
enthaltszeit sowie die tägliche Rohschlammmenge bekannt sind. Da unsere Faulbehälter in
aller Regel ohne Biomassenrückhalt arbeiten, sind sie somit nichts anderes als sehr große
Fermenter, die im Auswaschbetrieb gezielt einen biologischen Prozess realisieren sollen.
Hieraus ist abzuleiten, dass der Verweilzeit im Zusammenhang mit den Generationszei-
ten der am biologischen Abbau beteiligten unterschiedlichen Organismen eine ganz be-
sondere Rolle zufällt. Bekanntermaßen liegen die Generationszeiten von Bakterien, die an
den Teilschritten der Hydrolyse sowie der Versäuerung beteiligt sind, deutlich unter den
angegebenen Zeiträumen von 15 bis 30 Tagen. Im Bereich der methanogenen Bakterien
sind jedoch durchaus Stämme bekannt, deren Generationszeit im genannten Verweilzeit-
spektrum liegt oder gar höher.
Die organische Raumbelastung im Bereich der Faulraumdimensionierung wird wie
folgt definiert:
wobei gilt
BR = Raumbelastung
QRS = tägliche Rohschlammmenge
TSRS = Feststoffgehalt des Rohschlammes
GV = Glühverlust in kg oTR/kg TR
Diese Definition der zur Bemessung von Faulräumen herangezogene Raumbelastung im-
pliziert, dass in einer Volumeneinheit eines Faulbehälters nur eine bestimmte Masse an or-
ganischer Trockensubstanz pro Zeiteinheit umgesetzt werden kann, ohne dass der Prozess
durch Selbsthemmung geschädigt wird.
Analysiert man alle vorgenannten Werte für die entsprechenden Bemessungsparameter
und die oben genannten Definitionen, so wird deutlich, dass im Grunde genommen die
Raumbelastung in den üblichen Grenzen nicht als Bemessungsparameter, sondern ledig-
lich als Rechenwert anzusehen ist. Sie hängt in hohem Maße vom Gehalt an organischen
Anteilen (GV) des Rohschlammes sowie dem Feststoffgehalt und damit dem Grad der
Voreindickung ab. Insofern ist die Raumbelastung als Bemessungsgröße ohne gleichzei-
tige Angabe des Glühverlustes sowie des Trockenrückstandes mehr als fragwürdig, wo-
hingegen die Logik der Bemessung über die Verweilzeit für einen Fermenter zwingend
erscheint.
Dies erklärt, warum auch heute noch üblicherweise die Bemessung nahezu ausschließ-
lich über die Verweilzeit in einem Spektrum zwischen 15 und 30 Tagen vorgenommen
wird.
Weiterhin abstrahieren alle vorgenannten Bemessungsansätze von der alltäglichen
Praxis des Rohschlammanfalles auf unseren Kläranlagen. In den Abb. 4.13 und 4.14 sind
am Beispiel einer bundesdeutschen Kläranlage (Ausbaugröße ca. 1 Mio. EW) die Häu-
figkeitssummenverteilungen der täglichen Rohschlammmengen sowie der resultierenden
Rohschlammfrachten für 4 aufeinanderfolgende Jahre (1995 bis 1998) wiedergegeben. Es
wird deutlich, dass die täglichen Rohschlammmengen in einem Bereich zwischen 500 und
3.500 m3/d schwanken. Die zugehörigen Rohschlammfrachten liegen in einem Bereich
von ca. 40 bis 240 Mg/d.
Es ist müßig, angesichts derartiger Schwankungsbreiten über ein geringes Mehr oder
Weniger an theoretischer Faulzeit oder organischer Raumbelastung der Faulbehälteranla-
gen zu diskutieren, da diese ganzjährig, d. h. auch bei Auftreten von Spitzen, einen siche-
ren Betrieb gewährleisten müssen.
Zur konkreten Bemessung ist es daher vor dem Hintergrund der zu wählenden Ver-
weilzeit sinnvoll, den Schwankungsbereich einzuengen und für die praktische Bemessung
des erforderlichen Volumens der Schlammfaulungsanlage über die 85 %-Fraktile zu res-
tringieren. Beispielhaft ist für die Auslegung der Schlammfaulungsanlage entsprechend
Abb. 4.13 und 4.14 die Häufigkeitssummenverteilung für die Rohschlammmengen als
gleitendes 21-Tage-Mittel in Abb. 4.15 für die entsprechenden Betriebsjahre dargestellt. Es
wird deutlich, dass dieser Schwankungsbereich nunmehr erheblich reduziert ist und somit
die konkrete Festlegung einer Bemessungsschlammmenge besser möglich wird.
152 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
120 120
100
Häufigkeitssummen [%]
100
Häufigkeitssumme [%]
80 80
60 60
1995 1996
40 40
20 20
0 0
0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000 4500 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000
Q [m³/d] Q [m³/d]
120 120
100 100
Häufigkeitssumme [%]
Häufigkeitssumme [%]
80 80
60 60
1997 1998
40 40
20 20
0 0
0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000 4500 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000 4500
Q [m³/d] Q [m³/d]
Das gleitende 3-Wochen-Mittel wurde in diesem Beispiel gewählt, weil der Betreiber
der Kläranlage für die neue Schlammfaulung ein hohes Maß an betrieblicher Sicherheit
sowie betriebliche Reserven für die Mitbehandlung von Co-Substraten realisiert wissen
wollte.
Würde man z. B. vor einer Verbrennung der Faulschlämme auf eine Vollstabilisierung
verzichten und eine Aufenthaltszeit in der Größenordnung von zwei Wochen wählen, soll-
te anstatt des gleitenden Drei-Wochen-Mittelwertes ein Zwei-Wochen-Mittelwert aufge-
tragen werden, um so zu einer sachgerechten Bemessungsrohschlammmenge zu gelangen.
Wie aufgezeigt wurde, ist also der Bemessungsparameter „theoretische Aufenthaltszeit“
nur im Zusammenhang mit den täglich anfallenden Rohschlammmengen, vor allem aber
deren Varianz, das Kriterium für die sachgerechte Bestimmung der erforderlichen Volu-
mina. Für die Datensätze, die den Abb. 4.13, 4.14 und 4.15 zugrunde liegen, ergibt sich
demnach folgendes Bemessungsbeispiel:
tA ≅ 20 d
Gewahlt
120 120
Häufigkeitssumme [%]
Häufigkeitssumme [%]
100 100
80 80
60 60
1995 1996
40 40
20 20
0 0
0 50 100 150 200 250 300 350 0 50 100 150 200 250 300 350
TR [t/d] TR [t/d]
120 120
Häufigkeitssumme [%]
Häufigkeitssumme [%]
100 100
80 80
60 60
1997 1998
40 40
20 20
0 0
0 50 100 150 200 250 300 350 0 50 100 150 200 250 300 350
TR [t/d] TR [t/d]
120 120
100 100
Häufigkeitssummen [%]
Häufigkeitssumme [%]
80 80
60 60
40
40
1995
20 1996
20
0 0
0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500
Q [m³/d] Q [m³/d]
120
120
100
Häufigkeitsssumme [%]
100
Häufigkeitssumme [%]
80 80
60 60
40 40
1998
1997
20 20
0 0
0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500
Q [m³/d] Q [m³/d]
Abb. 4.15 Häufigkeitssummenverteilung für QRohschlamm über das gleitende 21-d-Mittel einer deut-
schen Großstadt (ca. 1.000.000 EW)
154 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Da die erhöhten gemessenen Schlammmengen und der daraus resultierende erhöhte Frak-
tilwert für das Jahr 1997 auf betriebliche Ursachen zurückgeführt werden konnte, wurde in
diesem Fall als Bemessungsschlammmenge ein Wert von 2.500 m3/d gewählt. Somit ergibt
sich für die Anlage ein erforderliches Faulraumvolumen von
Tab. 4.14 Maximale Biogasausbeuten bei vollständigem Abbau der organischen Inhaltsstoffe.
(ATV-DVWK 2002a)
Gasausbeute CH4-Gehalt Energie
(m3/kg oTR) (%) (MJ/kg oTR) (kWh/kg oTR)
Kohlenhydrate 0,83 50 15,1 4,2
Proteine 0,72 71 18,4 4,2
Fette 1,43 70 36,0 10,0
Faulgasanfall und -ausbeute Bei der anaeroben Behandlung von Schlämmen entsteht,
neben dem Endprodukt stabilisierter Faulschlamm, das bei den anaeroben Stoffwechsel-
prozessen freigesetzte Faulgas sowie eine mehr oder minder große Rückbelastung der
Kläranlage durch zusätzlich durch den Faulprozess im Schlammwasser gelösten CSB,
Stickstoff und Phosphor. Diese entstehende Gasmenge kann als Biogasproduktion (d. h.
als mit einem definierten Reaktorvolumen pro Zeiteinheit produzierbare Biogasmenge in
m3 Biogas pro m3 Reaktorvolumen und Tag), als Biogasanfall (d. h. aus einer bestimm-
ten Substratmenge pro Zeiteinheit anfallende Biogasmenge in Litern pro Einwohner und
Tag) oder als Biogasausbeute (spezifische Biogasausbeute), (d. h. aus einer bestimmten
Substratmenge entstehende Biogasmenge in Liter/kg oTRzugeführt bzw. Liter/kg oTRabgebaut)
angegeben werden. Alle wertemäßigen Angaben für Schlammfaulungsanlagen sind glei-
chermaßen abhängig von der konkreten Schlammbeschaffenheit des Rohschlammes,
von toxischen Einflüssen, die gegebenenfalls den Faulungsprozess beeinträchtigen kön-
nen, von der optimalen Gestaltung der Verfahrenstechnik, den Belastungszuständen der
Schlammfaulungsanlage sowie des Faulraumvolumens.
Erwartungswerte für die spezifische Biogasausbeute lassen sich aus der stofflichen Zu-
sammensetzung des Rohschlammes abschätzen, wobei sich die Gesamtausbeute nach den
verfügbaren Kohlenhydraten, Proteinen und Fetten richtet. In Tab. 4.14 sind Anhaltswerte
für diese Komponenten wiedergegeben.
Die tatsächliche Biogasausbeute sowie die Biogaszusammensetzung unterscheiden sich
von den oben angegebenen theoretischen Werten, da einige der im Schlamm enthaltenen
Substrate praktisch nicht vollständig abgebaut werden.
Wie oben dargelegt, hängt die praktische Biogasausbeute sowie die zugehörige Bio-
gasproduktionsrate von einer Vielzahl von Randbedingungen ab, die im Einzelnen nicht
zu quantifizieren bzw. zu wichten sind. Insbesondere durch die in den letzten Jahren auf
unseren Klärwerken realisierten Maßnahmen zur weitestgehenden Nährstoffelimination
können alte Werte für den zu erwartenden spezifischen Biogasanfall nicht mehr heran-
gezogen werden. Einen Anhaltspunkt über die heute zu erwartenden Werte gibt Tab. 4.15.
Aktuelle Fragen zur Herkunft, Aufbereitung und Verwertung von Biogasen sind im
ATV-DVWK Arbeitsblatt M 363 (ATV-DVWK 2002a) behandelt.
156 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Tab. 4.15 Abhängigkeit des zu erwartenden Biogasanfalls von der praktizierten Verfahrenstechnik
der Abwasserreinigung nach Kapp; ergänzt durch den ATV-DVWK Fachausschuss AK 8 Biogas.
(ATV-DVWK 2002a)
Betriebsweise der biologi- Organische Belastung Zu erwartender spezifischer
schen Reinigungsstufe von Vorklärung und Biogasanfall
Belebungsstufe
1. Schlammalter in den Bele- Zulauf Belebung 35 g BSB5/ Mittelwert: 20,7 L/(EW · d)
bungsbecken (BB) tTS = 8 d (EW · d) (große Vorklärung) Schwankungsbreite:
(Nitrifikation im Sommer 16,5–25 L/(EW · d)
ggf. Teildenitrifikation)
2. Schlammalter (BB) tTS = 15 d Zulauf Belebung 35 g BSB5/ Mittelwert: 18,3 L/(EW · d)
(weitgehende Nitrifika- (EW · d) Schwankungsbreite:
tion u. Teildenitrifikation 14,5–22 L/(EW · d)
ganzjährig)
3. Schlammalter (BB) tTS = 15 d Zulauf Belebung 48 g BSB5/ Mittelwert: 13,2 L/(EW · d)
(EW · d) (kleine Vorklärung, Schwankungsbreite:
Grobentschlammung) 10,5–15,9 L/(EW · d)
4. Schlammalter (BB) tTS = 15 d Zulauf Belebung 60 g BSB5/ Mittelwert: 7,8 L/(EW · d)
(EW · d) (ohne Vorklärung) Schwankungsbreite:
6,2–9,4 L/(EW · d)
5. Aerobe Stabilisationsanlage Zulauf Belebung 60 g BSB5/ Mittelwert: 4,4 L/(EW · d)
mit tTS = 25 d (EW · d) (ohne Vorklärung) Schwankungsbreite:
3,5–5,3 L/(EW · d)
Faulgas Faulgas
Nachein-
dicker
Überstands-
Rohschlamm
wasser
Faul- Faul-
behälter 1 behälter 2
Zur Schlamm-
entwässerung
• Einstufige Methanisierung
Hydrolyse, Versäuerung und Methanbildung in einem Reaktor (konventionelle Tech-
nik)
• Zweistufige Methanisierung
Hydrolyse und Versäuerung vorzugsweise in der ersten Stufe,
Acetatbildung und Methanbildung vorzugsweise in der zweiten Stufe
• Kaskadenbetrieb
Keine einheitliche Zuordnung der biologischen Abbaustufen
Zunächst soll hier die Verfahrenskombination „anaerob-anaerob“ als Kaskade, also zwei
hintereinander betriebene Anaerobreaktoren, behandelt werden. In Abb. 4.16 ist ein Ver-
fahrensschema von zwei Faulbehältern im Kaskadenbetrieb dargestellt.
Die ersten, bewusst durch Zwischenwände in mehrere hintereinander geschaltete Stu-
fen, aufgeteilten Schlammfaulungsanlagen waren die Faulräume „Neustädter Becken“ und
„Kremer-Kläranlagen“ (Roediger 1967). Durch den Einbau der Zwischenwände konnten
Kurzschlussströmungen verhindert werden, sodass kein schlecht ausgefaulter Schlamm
in den Ablauf gelangen konnte. Die Weiterentwicklung dieser Technik war dann mehr
zufälliger Natur. Waren einstufige Anlagen überbelastet, wurde ein zweiter Faulraum er-
richtet. Der zum Teil ausgefaulte Schlamm wurde dann in dem nachgeschalteten Faulraum
ausgefault. Bei dieser Betriebsweise nimmt die organische Belastung von einer Stufe zur
nächsten ab. Daraus ergeben sich für den Faulprozess einige erhebliche Vorteile, wie zum
Beispiel:
• Schutz der nachgeschalteten Stufe vor Störungen, wie z. B. Giftstöße, Änderung der
Rohschlammzusammensetzung, pH-Wert-Schwankungen u. a.,
• große Impfschlammreserve in der zweiten Stufe, falls es zu Störungen in der ersten Stufe
kommt und
• bei Ausfall einer Stufe kann in dem noch funktionsfähigen zweiten Behälter der anfal-
lende Rohschlamm weiterhin wenigstens teilweise ausgefault werden.
c) Zweistufige Verfahren
Im Gegensatz zum Kaskadenbetrieb, bei dem sich der anaerobe Substratumsatz mehr oder
weniger willkürlich in den einzelnen Reaktoren vollzieht, wird bei zweistufigen Verfahren
(zweistufige Methanisierung) gezielt eine räumliche Trennung, gemäß dem stufenweisen
biologischen Abbau organischer Schlamminhaltsstoffe, angestrebt. Durch spezielle verfah-
renstechnische Maßnahmen ist eine Anpassung der Milieubedingungen an die komplexen
Wechselwirkungen der hydrolysierenden und versäuernden Bakterien einerseits und der
acetogenen und methanogenen Bakterien andererseits möglich.
Durch Schaffung spezifischer Milieubedingungen für die am anaeroben Abbaupro-
zess beteiligten Mikroorganismen in einer ersten, als Versäuerungsstufe betriebenen, an-
aeroben Behandlungsstufe und einer zweiten, als Methanisierungsstufe betriebenen, an-
aeroben Behandlungsstufe werden in getrennten Reaktoren die Voraussetzungen für die
Ausbildung spezialisierter, hochaktiver Biozönosen geschaffen. Gleichzeitig sollen gegen-
seitige Beeinträchtigungen der sehr unterschiedlichen, am anaeroben Abbauprozess be-
teiligten Mikroorganismen, ausgeschaltet werden.
Aufgrund der unterschiedlichen Reaktions- und Generationszeiten der in separaten
Reaktoren kultivierten, spezialisierten Mikroorganismen kann die erste Stufe (Versäue-
rungsstufe) als hochbelastete Stufe betrieben werden, wobei sowohl der mesophile als
auch der thermophile Temperaturbereich Anwendung findet. Die auf biochemischem
Wege gebildeten Zwischenprodukte der ersten Stufe werden dann im nachgeschalteten, als
schwach belastete Stufe betriebenen, zweiten Reaktor (Methanisierungsstufe) in Faulgas,
mineralische Bestandteile und einen Rest schwer abbaubarer organischer Stoffe umgewan-
delt. Dabei erfolgt eine Anpassung der hydraulischen Aufenthaltszeit des Substrates in den
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 159
Faulgas Faulgas
Nachein-
dicker
Überstands-
Rohschlamm
wasser
Faul- Faul-
behälter 1 behälter 2
Zur Schlamm-
entwässerung
mögl. Rücklaufführungen
• Alle Behälter werden vollständig und permanent durchmischt und ohne Trübwasser-
abzug betrieben, sie haben keine Funktion der Schlammeindickung.
• Die Temperatur in der zweiten Stufe wird im mesophilen Bereich zwischen 30 und
37 °C gehalten.
• Die Beschickung erfolgt möglichst gleichmäßig über 24 h verteilt, mindestens aber drei-
mal während des Tages.
• Die Schlämme stammen aus dem mechanischen und biologischen Teil einer mit über-
wiegend kommunalem Abwasser beaufschlagten Kläranlage.
Vl = QR ⋅ tRl
V2 = QR ⋅ tR2
Die zur Bemessung herangezogene Rohschlammmenge sollte nach Wechs (1985) aus Si-
cherheitsgründen folgendermaßen ermittelt werden:
Durch die niedrige Belastung der zweiten Stufe (Vorabbau in der ersten Stufe) und der
mesophilen Temperaturführung, wird ein sehr gut stabilisierter Schlamm mit den bekann-
ten positiven Eigenschaften konventionell gefaulter Schlämme erreicht. Abbildung 4.18
zeigt das Verfahrensschema einer großtechnischen zweistufigen Faulanlage.
Nebeneffekt der thermophilen Betriebsweise der ersten Stufe ist, dass gleichzeitig eine
Entseuchung des Schlammes im Hinblick auf eine weitere Verwertung erzielt werden
kann. Voraussetzung für eine sichere Entseuchung ist eine mindestens zweistündige unge-
störte Verweilzeit des Schlammes in der thermophilen Stufe unter Vermeidung von Kon-
taktmöglichkeiten mit noch unbehandeltem Rohschlamm. Daher ist eine entsprechende
Beschickungstechnik einzuhalten oder es sind entsprechende Verweilbehälter vorzusehen.
Insgesamt lassen sich die Verfahrensvorteile und Einsatzbereiche dieses zweistufigen
Verfahrens wie folgt zusammenfassen:
kosten (durch Belüftung) zu minimieren. Darüber hinaus kann durch thermophile Pro-
zessführung der Aerobstufe – geeignete Verfahrenstechnik vorausgesetzt – eine sichere
Klärschlammentseuchung gewährleistet werden. Da seit einigen Jahren in der Bundesre-
publik Deutschland eine Entseuchung nicht mehr gefordert wird, ist die Bedeutung dieses
Verfahrens (gemessen an den 1970iger- und 1980iger-Jahren) drastisch zurückgegangen.
Vor dem Hintergrund der bereits benannten Ankündigung einer entsprechenden rechtli-
chen Regelung sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene ist jedoch zu erwar-
ten, dass in den nächsten Jahren gegebenenfalls eine Renaissance dieser Verfahrenstechnik
eintritt. Konkret ist zu erwarten, dass für die landwirtschaftliche und landbauliche Ver-
wertung von Klärschlämmen eine Entseuchung in den meisten Anwendungsfällen vor-
geschrieben werden wird.
Im Einzelnen ist sowohl eine aerobe Vorbehandlungsstufe als auch eine aerobe Nach-
behandlungsstufe in Ergänzung zur Anaerobstufe denkbar.
Durch den aeroben Betrieb der 1. Stufe erfolgt infolge aerober Stoffwechselprozesse
eine Selbsterwärmung des Schlammes. Die sonst erforderliche Aufheizung des Schlammes
für die nachfolgende Faulstufe kann i. d. R. entfallen. In der anaeroben Stufe werden die
verbleibenden organischen Stoffe unter Bildung von Faulgas weiter umgewandelt. Dabei
kann jedoch nur ein verminderter Faulgasanfall erwartet werden, da bereits in der ersten
Stufe ein Teil der organischen Schlamminhaltsstoffe oxidiert wurde. Diese Verfahrens-
kombination beinhaltet also immer einen Kompromiss zwischen Energieeinsatz (Luftzu-
fuhr) und Wärmegewinn (exotherme Reaktion) der aeroben Stufe und erzielbarer Faulgas-
ausbeute im Anaerobreaktor.
Für den Aerobreaktor sind folgende Betriebsmöglichkeiten zu unterscheiden:
Mesophiler Betrieb des Aerobreaktors Der mesophile Betrieb des Aerobreaktors ist pro-
blemlos ganzjährig möglich, da kommunale Klärschlämme genügend abbaubare, organi-
sche Stoffe zum Erreichen des mesophilen Temperaturniveaus durch exotherme, aerobe
Umsetzungsprozesse beinhalten. Damit kann eine zusätzliche Aufheizung des Rohschlam-
mes für die anschließende Faulung entfallen. Eine Reduzierung der organischen Belastung
durch den biochemischen Abbau in der ersten Stufe vermindert die Belastung des Anae-
robreaktors, d. h., dass durch Vorschalten einer aeroben Stufe anaerobe Reaktoren ent-
lastet werden können. Die Ziele, die häufig mit einer dem Anaerobreaktor vorgeschalteten
mesophil betriebenen aeroben Stufe verbunden sind, können wie folgt zusammengefasst
werden:
des aeroben Abbaus, um 10 bis 40 % niedriger liegen als bei einer vergleichsweise 20-tä-
gigen mesophilen Faulung (Siekmann 1986). Aufgrund des damit verbundenen Verzichts
auf energiereiches Faulgas sollte die aerobe Stufe vorzugsweise dann thermophil betrieben
werden, wenn eine Entseuchung für die weitere Schlammverwertung beabsichtigt ist.
Die Belüftung der Aerobstufe ist sowohl mit Luftsauerstoff als auch mit technischem
Reinsauerstoff möglich. In aller Regel wurden großtechnische Anlagen für die Belüftung
mit Luftsauerstoff konzipiert, auch wenn hierbei insbesondere in den Wintermonaten
durch hohe Luftmengen die Gefahr der Reaktorauskühlung besteht.
Insgesamt ist die zweistufig aerobe/anaerobe Verfahrenstechnik dann ein leistungsfä-
higes und wirtschaftliches Stabilisierungsverfahren, wenn eine simultane Klärschlamm-
entseuchung beabsichtigt ist. Besondere Vorteile bietet diese Technik für den Einsatz auf
Kläranlagen kleinerer und mittlerer Ausbaugrößen.
4.2.2 Klärschlammdesintegration
Desintegrationsverfahren
physikalisch/mechanisch
thermisch
- Rührwerkskugelmühle
- < 100 °C
- Scherspalthomogenisator
- > 100 °C - Ultraschall
chemisch - Elektroimpuls
- Nassoxidation - Lysatzentrifuge
- Ozon
- alkalische Hydrolyse
(NaOH, NH3) biochemisch
- saure Hydrolyse
- Enzymzugabe
(HCl, H2SO4)
- Autolyse
Es wird deutlich, dass sowohl thermische als auch chemische, biochemische, physikali-
sche und mechanische Wirkmechanismen herangezogen werden können, um das Ziel der
Zellzerstörung zu realisieren. Hierbei ergeben sich dann natürlich verfahrensbedingt auch
unterschiedliche Eigenschaften und Zusammensetzungen der jeweiligen Desintegrate.
Um für die vorgenannten unterschiedlichen Wirkmechanismen und Verfahrensweisen
eine Vergleichbarkeit herzustellen, war es notwendig, eine quantitative Bestimmung des
Aufschlussgrades zu definieren. Mittlerweile haben sich hierfür zwei Kennwerte durch-
gesetzt, die auch international angewendet werden.
Möglichkeiten für die Bestimmung des Aufschlussgrades ergeben sich aus der Messung
der Sauerstoffverbrauchsrate der Schlammsuspension sowie des chemischen Sauerstoff-
bedarfes (CSB) der flüssigen Phase des Schlammes.
Die biologische Aktivität eines Schlammes kann hierbei durch die Messung der Sauer-
stoffverbrauchsrate ermittelt werden. Durch den mechanischen Zellaufschluss werden
Mikroorganismen inaktiviert oder zerstört und verlieren somit ihre Fähigkeit, Sauerstoff
zu verbrauchen. Konkret ergibt sich der Aufschlussgrad aus dem Verhältnis der Sauer-
stoffverbrauchsrate der aufgeschlossenen zu der der unaufgeschlossenen Schlammprobe.
OV
AS = 1 − (%)
OV0
Bei der Bestimmung des Aufschlussgrades nach der CSB-Methode werden die durch den
Zellaufschluss in Lösung gebrachten organischen Inhaltsstoffe quantifiziert, wobei zur Be-
rechnung des Aufschlussgrades aus den Messwerten, die Bestimmung der maximalen frei-
setzbaren CSB-Menge notwendig ist. Hierfür wird der Schlamm durch Mischen mit einer
einmolaren Natronlauge im Verhältnis von 1:1 (10 min Inkubation bei 90 °C) alkalisch
hydrolysiert. Die CSB-Messung erfolgt dann in einer membranfiltrierten Probe (ATV-
DVWK 2000a).
CSB − CSB0
ACSB = (%)
CSBL − CSB0
Prinzipiell sind beide vorgestellten Messwerte für die Beurteilung des Aufschlussgrades
von Überschussschlämmen anwendbar, jedoch nicht für alle Desintegrationsverfahren.
So kann z. B. der Aufschlussgrad von ozonisierten Schlämmen nicht mit der Methode
der Sauerstoffzehrung quantifiziert werden, da bei der Ozonisierung reaktive Radikale frei
werden, die wichtigen funktionellen Gruppen von Enzymen und Mikroorganismen oxi-
dieren. Somit wird durch die Abtötung bzw. Hemmung der Mikroorganismen eine Zeh-
rungsmessung quasi unmöglich. Die konkreten Werte lassen sich nicht interpretieren.
Neben den beiden vorgenannten Kennwerten zur Quantifizierung des Aufschlussgra-
des wird in der Praxis oftmals vereinfachend lediglich der gelöste CSB im Schlammwasser
als Kontrollwert herangezogen.
168 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Von den genannten Verfahren entwickelt sich derzeit das Cambi-Verfahren, vor allem
in Großbritannien, in Nordeuropa und weltweit in unterschiedlichen Verfahrensvarian-
ten zum Marktführer. Derzeit sind ca. 80 Anlagen realisiert. Insgesamt muss bewertend
festgestellt werden, dass alle hochthermischen Verfahren zum einen einen hohen Wärme-
bedarf aufweisen und zum anderen apparativ mit entsprechenden Einrichtungen zur Wär-
merückgewinnung oder Rückkühlung ausgerüstet sein müssen, die im Kläranlagenbetrieb
besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Oftmals werden die Verfahren dann eingesetzt,
wenn aus anderen Quellen preiswerte oder kostenlose Wärmeenergie auf entsprechendem
Temperaturniveau vorliegt (Weisz et al. 2000).
Einen qualitativen Eindruck über die Leistungsfähigkeit der thermischen Verfahren,
dargestellt als gelöster CSB im Schlammwasser, über der Behandlungstemperatur gibt
Abb. 4.21 Es verdeutlicht, dass mit steigender Temperatur ebenso, wie mit erhöhter Ver-
weilzeit für die Temperatureinwirkung der gelöste CSB im Schlammwasser überpropor-
tional steigt.
einem Druck von 1–2 MPa im Temperaturbereich > 130 °C mit einer Aufenthaltszeit von
ca. 30 min. Durch diese Randbedingungen erfolgt ebenfalls eine CSB-Freisetzung von
> 90 %, was letztendlich in praxi einer Reduzierung der Filterkuchenmenge um etwa 80 %
entspricht. Diesen Vorteilen stehen als Nachteile die Aufsalzung des Wassers sowie die auf-
wendige apparative und materialtechnische Anlage (Korrosion) gegenüber (ATV-DVWK
2003b).
Gegenüber dem sauren Aufschluss ist auch eine Desintegration als alkalische Hydro-
lyse möglich. Auch bei dieser Vorgehensweise wird in aller Regel die Reaktivität durch
Temperatureinwirkung erhöht. Die Zuführung von Alkalien hat eine verseifende Wirkung
auf die Zellbausteine der Mikroorganismen, wodurch bei Proteinen eine Öffnung der Pep-
tidbindung erfolgt und Lipide durch Spaltung der Fettsäureester beeinflusst werden. Es
kommt somit zu einer Freisetzung der Zellinhaltsstoffe und einer partiellen Hydrolyse von
Polymerbausteinen.
Über die bisher genannten Ansätze hinaus wird derzeit auch oftmals der Versuch unter-
nommen, die chemische bzw. chemisch-thermische Desintegration als Verfahrensschritt
zur Phosphor-Rückgewinnung zu integrieren. Als Beispiel sei hier der Krepro-Prozess der
Firma Chemwater/Alpha Laval genannt (Recktenwald 2002). Die Vorgehensweise ist bei-
spielhaft in Abb. 4.22 dargestellt.
Bei diesem Prozess wird auf 5 bis 7 % TR eingedickter Überschussschlamm mit Schwe-
felsäure bei einem pH-Wert von ca. 1,5, einer Temperatur von 150 °C und einem Druck
von 4 bar über 30 min behandelt. Dabei gehen 40 bis 60 % der organischen Inhaltsstoffe in
Lösung. Die Reststoffe lassen sich mittels üblicher Trenntechnik (Zentrifugen) auf ca. 45 %
TR einengen. Im Anschluss an diese Behandlung folgt eine stufenweise Anhebung des
pH-Wertes auf pH 9,5, wobei dann ein phosphorreicher Schlamm (35 % TR) abgetrennt
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 171
werden kann. Das Zentrat aus diesem Prozess kann als Kohlenstoffquelle für die Denitri-
fikation im Bereich der Abwasserreinigung Verwendung finden.
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, eine chemische Desintegration mithilfe einer
Ozonbegasung zu realisieren. Bei der Reaktion von Zellen mit Ozon werden die unge-
sättigten Fettsäuren der Zellmembran angegriffen. Durch die so beschädigte Membran
dringt dann Ozon in das Innere der Zelle und reagiert dort mit den vorhandenen Zy-
toplasmasubstanzen, was zu einer Zellzerstörung führt. Weiterhin werden so ungelöste
organische Makromoleküle in kleine, wasserlösliche Verbindungen umgewandelt, was
zu einer weitgehenden Hydrolyse führt. Auch für diese Verfahrenstechnik scheint nach
heutigem Kenntnisstand lediglich die Behandlung des Überschussschlammes sinnvoll,
wobei die Ozonbeaufschlagung in einem Bereich zwischen 0,01 und 0,06 g O3/g TR zu
Aufschlussgraden zwischen 10 und 30 % ACSB führt. Bei diesen Aufschlussgraden kann
von einer Steigerung der Gasausbeute von ca. 20 % (in einer konventionellen einstufigen
Schlammfaulung) ausgegangen werden (ATV-DVWK 2003b).
Schwimmschlamm
B Nach-
Vorklär- klär-
Belebungsbecken
becken becken
Primär-
schlamm E
A C Rücklaufschlamm
E1
D1
D2 D Überschußschlamm
E2
Faul-
behälter F
G Konditionierung und Entwässerung
- Desintegrationsgerät
Mahlraum
100
90
80 HDH, TR = 10 - 15 g/kg
Aufschlußgrad As [%]
HDH, TR = 38 g/kg
70 RWKM, TR = 10 g/kg
RWKM, TR = 42 g/kg
60
UH, TR = 8 - 22 g/kg
SH, TR = 10 - 24 g/kg
50
40
30
0
1000 10000 100000
35
ozonisiert
30
25
Abbaugrad ηoTR [%]
20
Hochdruckhom ogenisator, ∆ p = 400 bar
15
Hochdruckhom ogenisator, ∆ p = 200 bar
10
unaufgeschlossen
0
0 10 20 30 40 50
Aufschlußgrad ACSB [%]
Abb. 4.26 Erreichte Abbaugrade für verschieden aufgeschlossene Faulschlämme bei anaerober
Behandlung im submersen Betrieb. (Kopp et al. 1997)
176 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Hochdruckhomogenisator
500
Rührwerkskugelmühle
400
Kjeldahlstickstoff KN [mg/L]
300
200
100
Hochdruckhomogenisator
Rührwerkskugelmühle
80
Phosphat PO4-P [mg/L]
60
40
20 Hochdruckhomogenisator
Rührwerkskugelmühle
0
0 20 40 60 80 100
Aufschlußgrad As[%]
liegen, dass oftmals die Versuche zu kurz oder zu gering adaptiert durchgeführt wurden.
Prinzipiell kann der dem Faulungsreaktor zugeführte Kohlenstoff lediglich in gasförmiger
Form oder gelöst als Rückbelastung zur Kläranlage das System verlassen, sodass im Grun-
de genommen Bilanzen zu schließen sein müssten.
In Abb. 4.27 ist die stoffliche Veränderung der Parameter CSB, Kjeldahlstickstoff und
Phosphat in Abhängigkeit des Aufschlussgrades AS beispielhaft für die Aggregate Hoch-
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 177
FKHP6DXHUVWRIIEHGDUI&6%ILOWU>PJ/@
belastung in Abhängigkeit von
,6WXIH ,,6WXIH XQDXIJHVFKORVVHQ$V
der hydraulischen Verweilzeit. +'+EDU$V
(Kopp et al. 1997) +'+EDU$V
5:.0$V
.MHOGDKO6WLFNVWRII.1>PJ/@
XQDXIJHVFKORVVHQ$V
+'+EDU$V
+'+EDU$V
,6WXIH ,,6WXIH 5:.0$V
,6WXIH ,,6WXIH XQDXIJHVFKORVVHQ$V
3KRVSKDW323>PJ/@
+'+EDU$V
+'+EDU$V
5:.0$V
+\GUDXOLVFKH9HUZHLO]HLWWYO>G@
zusätzlichen Eiweißabbau weiter an. Demgegenüber ist der zusätzlich gebildete CSB offen-
sichtlich anaerob sehr gut abbaubar, sodass davon auszugehen ist, dass dieser Kohlenstoff
überwiegend in Biogas umgesetzt wird. Sowohl aus großtechnischen Betriebsergebnissen
als auch aus labor- und halbtechnischen Untersuchungen lässt sich ableiten, dass durch die
Klärschlammdesintegration zusätzlich umgesetzter Kohlenstoff zu ca. 85 bis 90 % in Form
von Biogas und in etwa zu 10 bis 15 % als Kläranlagenrückbelastung das Anaerobsystem
verlässt.
Insgesamt ist festzustellen, dass die Verfahren zur Klärschlammdesintegration in den
letzten Jahren deutlich weiter entwickelt wurden, wobei jedoch anzumerken ist, dass die
Sinnigkeit des Einsatzes in letzter Konsequenz von den tatsächlich auftretenden Kosten
sowie Einsparungen durch diesen Verfahrensschritt abhängt. In aller Regel ist davon aus-
zugehen, dass durch den Mehrertrag aus der Verstromung des zusätzlichen Biogases diese
Technik nicht finanziert werden kann. Jedoch ist bei hohen Entsorgungskosten für die
entwässerten Klärschlämme je nach Anlagengröße ggf. ein wirtschaftlicher Betrieb mög-
lich. Einen großtechnischen Vergleich unterschiedlicher Verfahren zur Desintegration im
Hinblick auf den wirtschaftlichen Effekt hat Winter 2003 untersucht und kommt ebenfalls
zum vorgenannten Ergebnis (Winter 2003).
4.2.3 Klärschlammentseuchung
Abwasser
Klärschlamm
Lebensmittel
Wasser Ackerland
Frucht Tier
Außerdem muss das Verfahren zu einem Klärschlamm führen, der direkt nach der Be-
handlung in einem Gramm Schlamm
Die Bestimmung der Salmonellen, der Enterobacteriaceen und der Wurmeier erfolgt dabei
durch von den zuständigen Landesbehörden bestimmte Institute“ (ATV 1988).
Vor dem Hintergrund der vorgenannten Novellierung der Klärschlammverordnung
sowie einer erhöhten Sensibilität der Öffentlichkeit – spätestens seit der EHEC-Seuche
im Jahr 2011 – hat die DWA im Jahr 2012 eine Ad hoc-Arbeitsgruppe Hygiene ins Leben
gerufen, um Gefährdungen, die durch gereinigtes Abwasser und Klärschlamm entstehen
können, besser einzuschätzen, die bisherigen Empfehlungen (ATV 1988) dem neuesten
Kenntnisstand anzupassen und um letztendlich die Frage zu beantworten, ob z. B. eine
Entseuchung von Kläranlagenablauf oder abzuleitender Abwässer zwingend erforderlich
ist. Mit Ergebnissen ist im Jahr 2014 zu rechnen.
Abb. 4.30 Einfluss von Zeit und Temperatur auf einige Krankheitserreger nach Feachem et al.
(1983)
• einer ausreichenden pH-Wert-Verschiebung, wie diese durch die Zugabe von Kalkhyd-
rat zum Beispiel bei der Schlammkonditionierung oder durch die Zugabe von Brannt-
kalk eintritt.
• einer ausreichenden ionisierenden Bestrahlung (ATV 1988).
Oberhalb dieser Geraden ist eine sichere Abtötung der jeweiligen Krankheitserreger ge-
währleistet. Im Bereich der Sicherheitszone kann eine vollständige Abtötung aller Krank-
heitserreger erwartet werden (Bau und Pöpel 1986).
1. Zu den Verfahren, „für die aufgrund der bereits auf breiterer Basis vorliegenden, auch
in der Untersuchungsmethodik ausreichend gesicherten Ergebnisse bei bestimmten
definierten Verfahrens- und Prozessbedingungen (ATV 1988) die Verfahrenskontrolle
schon jeweils grundsätzlich als erfüllt gilt,“ (ATV 1988) gehören:
− die Schlammpasteurisierung (Vorpasteurisierung),
− die aerob-thermophile Schlammstabilisierung (ATS),
− die aerob-thermophile Schlammbehandlung mit anschließender Faulung,
− die Behandlung von Klärschlamm mit Kalk als Ca(OH)2 (Kalkhydrat, Löschkalk),
− die Behandlung von Klärschlamm mit Kalk CaO (Branntkalk, ungelöschter Kalk),
− die Kompostierung von Klärschlamm in Mieten,
− die Kompostierung von Klärschlamm in Reaktoren (ATV 1988).
2. Zu den Entseuchungsverfahren, „für die noch der Nachweis zur Verfahrenskontrolle zu
führen ist“, (ATV 1988) gehören:
− Verfahren zur Entseuchung von Klärschlämmen gemäß Punkt 1 mit davon abwei-
chenden Verfahrens- und/oder Prozessbedingungen,
− andere Verfahren bzw. Verfahrenskombinationen oder andere Verfahrensketten
(ATV 1988).
Um sicherzustellen, dass alle Schlammpartikel entseucht werden und um somit eine Re-
kontaminierung zu vermeiden, müssen die im Schlamm enthaltenen größeren Partikel
abgesiebt oder maschinell zerkleinert werden (Ø < 5 mm). Des Weiteren ist zur Sicher-
stellung des Entseuchungsprozesses die Trennung der Zulaufseite von der Ablaufseite un-
abdingbar. Kurzschlussströmungen sind konstruktiv zu vermeiden.
Die Entseuchungsverfahren werden in Verfahren für die Entseuchung von
• Flüssigschlamm und
• entwässerten Klärschlämmen
gegliedert.
• 70 °C – 25 min,
• 75 °C – 20 min,
• 80 °C – 10 min.
Auch bei noch höheren Temperaturen darf eine Einwirkzeit von 10 min nicht unterschrit-
ten werden. Pasteurisierungsanlagen beinhalten die Verfahrensschritte Erhitzen, Verwei-
len und Abkühlen. Hierfür werden verschiedene Systeme eingesetzt, z. B. das Dampfein-
pressverfahren, System Roediger oder das MTS-Verfahren, System Klöckner.
• 23 h bei 50 °C oder
• 10 h bei 55 °C oder
• 4 h bei 60 °C.
Während der Einwirkzeit darf nicht mit Rohschlamm beschickt werden. Das ATS-Ver-
fahren eignet sich i. d. R. für Kläranlagen mit Anschlusswerten von 10.000 bis 50.000 EW.
Duale biologische Stabilisierung Hier wird eine aerob-thermophile Stufe mit einer
nachgeschalteten anaeroben mesophilen oder thermophilen Faulungsstufe gekoppelt. In
der aerob-thermophilen ersten Stufe wird durch eine ausreichend hohe Temperatur, die
durch selbstgängige exotherme Stoffwechselvorgänge und durch Stützheizung mittels
Fremdenergie erreicht wird, die Entseuchung sichergestellt. Die nachfolgende anaerobe
mesophile oder thermophile Stabilisierung gewährleistet gleichzeitig die notwendige Pro-
zesssicherheit der Entseuchung. Bei diesem zweistufigen Verfahren gilt der behandelte
Schlamm als entseucht, wenn in der ersten Stufe entweder die Anforderungen an eine
Vorpasteurisierung erfüllt sind oder wenn die Einwirktemperatur von mindestens 60 °C
während einer Einwirkzeit von durchgehend mindestens vier Stunden eingehalten wird.
Während dieser Einwirkzeit darf kein Rohschlamm zugeführt werden. In der zweiten
(anaeroben) Stufe müssen Temperaturen von mindestens 30 °C eingehalten werden.
184 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Behandlung von Klärschlamm mit Kalk als Ca(OH)2 Ca(OH)2 (Calciumhydroxid, Kalk-
hydrat, Löschkalk) dient bei Zugabe vor der Verwertung der Entseuchung, bei Zugabe vor
der Entwässerung der Konditionierung. In beiden Fällen bewirkt die Zugabe von Lösch-
kalk in Abhängigkeit von den Schlammeigenschaften und der zugeführten Kalkmenge
eine Erhöhung des pH-Wertes. Die Nasszugabe in Form von Kalkmilch ist der Trocken-
zugabe wegen der besseren Mischbarkeit und Entseuchungswirkung vorzuziehen. Für eine
Entseuchung muss der Anfangs-pH-Wert des Kalk-Klärschlammgemisches bei 12,5 ± 0,3
liegen. Das erfordert Kalkmengen von 7 bis 15 kg/m3. Das Gemisch sollte vor der Abgabe
zur Verwertung mindestens drei Monate gelagert werden. Während dieser Zeit darf kein
neuer Klärschlamm zugeführt werden.
Die Kalkhydratbehandlung ist wegen des geringen verfahrenstechnischen Aufwan-
des und der einfachen Bauweise und Betriebsführung für kleine bis mittlere Kläranlagen
geeignet. Voraussetzung für die landwirtschaftliche Verwertung des mit Kalkhydrat ent-
seuchten Schlammes sind kalkbedürftige Böden in der aufnehmenden Landwirtschaft.
Bei der Entseuchung von Schlamm mittels Kalk gilt es zu bedenken, dass nach heuti-
gem Kenntnisstand Wurmeier lediglich inaktiviert, nicht aber abgetötet werden. Das heißt,
bei eintretenden pH-Verschiebungen gilt derart behandelter Schlamm nicht mehr als seu-
chenhygienisch unbedenklich.
d) Andere Entseuchungsverfahren
Für einige Entseuchungsverfahren sind nach Auffassung der ATV/VKS-Arbeitsgruppe
3.2.2 die Nachweise zur Verfahrenskontrolle auf seuchenhygienische Unbedenklichkeit
des Schlammes noch zu führen. Dazu gehört z. B. die Entseuchung durch Langzeitlage-
rung von Klärschlamm oder durch Bestrahlung.
4.2.4 Schlammwasserabtrennung
gestellt und die wichtigsten davon anschließend erläutert. Die Kennwerte werden wie folgt
unterteilt:
• Trockenrückstand,
• Glühverlust,
• Überschussschlammanteil,
• Partikelgrößenverteilung,
• Wasseranteile im Klärschlamm.
Der Trockenrückstand (TR) wird nach DIN 38414 (1985b) durch Trocknen der Schlamm-
probe bei 105 °C bis zur Gewichtskonstanz ermittelt. Beim Trockenrückstand handelt es
sich um den Trockenmassenanteil des Schlammes, d. h. die Masse an gelösten und un-
gelösten, nicht wasserdampfflüchtigen Feststoffen bezogen auf die Suspensionsmasse. Die
Einheit des Trockenrückstandes ist (kg/kg) bzw. (Gew. %). Der Trockenrückstand ist „die“
Bezugs- und Basisgröße im Bereich der Klärschlammentwässerung.
Viele Kennwerte werden auf den Trockenrückstand bezogen bzw. spezifiziert, und das
Entwässerungsergebnis bei der Fest-Flüssigtrennung wird im Wesentlichen durch den im
Austrag des Entwässerungsaggregates erreichten Trockenrückstand des Schlammkuchens
gekennzeichnet.
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 189
Der Glühverlust (GV) wird ebenfalls nach DIN 38414 (1985b) durch Veraschen der
Schlammprobe bei 550 °C bis zur Gewichtskonstanz ermittelt, wodurch organische Klär-
schlammanteile zersetzt werden und nur anorganische Klärschlammanteile zurückblei-
ben. Der Glühverlust (%) eines Schlammes steht somit für den prozentualen organischen
Anteil der Feststoffe und ist daher als Basisgröße anzusehen. Er beeinflusst maßgeblich
weitere Kennwerte. In diesem Zusammenhang sind die Dichte der Schlammpartikeln, die
Kompressibilität des Schlammkuchens, die Wasserbindung und der Bedarf an Konditio-
nierungsmitteln zu nennen. I. d. R weist ein Schlamm mit einem hohen Glühverlust eine
geringe Dichte auf, bildet kompressible Filterkuchen aus, bindet viel Wasser und hat einen
relativ hohen Bedarf an Konditionierungsmitteln, d. h. der Schlamm ist oftmals schlecht
entwässerbar.
In DIN 38414 S2 (1985b) wird darauf hingewiesen, dass die Proben bis zur Gewichts-
konstanz zu trocknen bzw. zu glühen sind. Erfahrungswerte zeigen, dass dies bei Klär-
schlammproben oftmals erst nach mindestens 24 h Trocknen bzw. mindestens sechs Stun-
den Glühen erreicht werden kann.
Das Mischungsverhältnis eines Roh- resp. Faulschlammes d. h. der Überschuss-
schlammanteil eines Schlammes, ist ebenfalls Basisgröße für die Schlammentwässerung,
da Primär- und Überschussschlämme grundsätzlich verschiedene Entwässerungseigen-
schaften aufweisen. Primärschlämme enthalten viele Strukturstoffe und sind dadurch
leichter entwässerbar. Denkert (1995) gibt für Primärschlämme an, dass Entwässerungs-
ergebnisse von 32–40 % TR bei einem relativ geringen Konditionierungsmitteleinsatz von
3–6 g/kg (bez. auf den Wirksubstanzgehalt) erreichbar sind. Überschussschlämme sind
durch einen hohen Bakterienanteil geprägt, d. h. die fehlenden Strukturstoffe sowie die
Kompressibilität der Bakterien führen dazu, dass diese Schlämme schlechter entwässerbar
sind. Der erreichbare Feststoffgehalt liegt bei 18–25 % TR mit einer erforderlichen Poly-
mermenge von 8–15 g/kg (WS) (Denkert 1995). Nellenschulte (1996) formuliert basie-
rend auf dem Glühverlust und dem Überschussschlammanteil ein vereinfachtes Entwäs-
serungsmodell und bewertet hierin den Überschussschlammanteil als einen elementaren
zustandsbeschreibenden Entwässerungskennwert.
Die Partikelgrößenverteilung wird von vielen Autoren als ein maßgeblicher, das Ent-
wässerungsergebnis beeinflussender Kennwert angesehen. Der Partikelfeinanteil wird oft-
mals zur Charakterisierung herangezogen, da feine Partikeln ein großes Verhältnis von
Oberfläche zu Volumen und somit kolloidale Eigenschaften aufweisen. Infolgedessen wird
das Sedimentationsverhalten solcher kolloidalen Partikeln be- bzw. verhindert, da die
durch Grenzflächeneffekte verursachten elektrostatischen Abstoßungskräfte dominieren.
Die Schwierigkeit beim Ableiten von Entwässerungskennwerten aus der Partikelgrößen-
verteilung besteht darin, dass die absoluten Messergebnisse sowohl von der verwendeten
Messmethode als auch von dem verwendeten Messgerät abhängig sind; d. h. die gemesse-
nen Verteilungskurven ähnlich sind, nicht jedoch die Partikelgrößen.
Die verschiedenen Wasseranteile im Klärschlamm unterscheiden sich nach Art und
Stärke der Bindungskräfte zu den Feststoffen. Anschaulich kann die Bindungskraft als
Zugkraft zwischen den Feststoffteilchen und den angelagerten Wassermolekülen verstan-
den werden.
190 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
0.10
Y = 0.0656 + 0.00205296X
freies Wasser
A
EMS = 8.93501e-008
R2 = 0.970
0.08
Trocknungsrate [g/h]
0.06
0.04
0.02
0.00
0.0 1.0 2.0 3.0 4.0 5.0
ist. Punkt A kennzeichnet das Ende des freien Wassers. Von besonderem Interesse für
die Entwässerung ist die exakte Bestimmung des freien Wasseranteils, d. h. Punkt A der
Trocknungskurve. Dafür ist es sinnvoll, den Trocknungsverlauf über einer arithmetisch
skalierten Abszisse aufzutragen (Abb. 4.31). Solange freies Wasser in der Klärschlamm-
probe vorhanden ist, verläuft die Trocknungsrate linear. An Punkt A vermindert sich
die Trocknungsrate aufgrund der stärkeren Bindungskräfte des kapillar gehaltenen Zwi-
schenraumwassers an den Schlammpartikeln und die rechnerisch angelegte Tangente be-
schreibt nicht mehr den Kurvenverlauf. Aus dem Feuchtegehalt der Probe am Punkt A
lässt sich auf den Feststoffgehalt des Schlammes TR( A) schließen. TR( A) ist der aus dieser
Messung abgeleitete Kennwert und repräsentiert indirekt den freien Wasseranteil. Je grö-
ßer der freie Wasseranteil ist, desto höher ist TR( A) und desto geringer ist das Massen-
verhältnis m( A).
mit:
40
Y = 1.777 + 0.9437X
Entwässerungsprozess [%] 30
25
± 1,5 %
20 Zentrifugen
Kammerfilterpressen
15
15 20 25 30 35 40
Kennwert TR(A) [%]
Abb. 4.32 Korrelation zwischen dem Kennwert TR( A) und dem Trockenrückstand nach großtech-
nischem Entwässerungsprozess TRentw (%). (Kopp 2002)
In Abb. 4.32 ist für kommunale Klärschlämme der Kennwert TR( A), d. h. der TR nach
Abtrennen des freien Wasseranteils, den großtechnisch in Hochleistungsdekantern und
Kammerfilterpressen erreichten Entwässerungsergebnissen gegenübergestellt. Es ist zu
erkennen, dass sich die Werte nahezu direkt entsprechen. D. h. über den Kennwert TR( A)
kann das maximal erreichbare großtechnische Entwässerungsergebnis mit einer Genauig-
keit von ± 1,5 % TR prognostiziert werden.
In Tab. 4.19 sind die Ergebnisse umfangreicher großtechnischer Untersuchungen zu-
sammengefasst. Es werden die Mittelwerte, die Standardabweichung sowie der Größen-
bereich (Minimal- und Maximalwerte) der untersuchten Schlämme für die Parameter
Feststoffgehalt, Glühverlust, Polymerbedarf und die Wasseranteile angegeben. Es wurden
Tab. 4.19 Mittlere Verteilung der Wasseranteile für Faulschlämme (FS) und für simultan aerob sta-
bilisierte Überschussschlämme (ÜS)
Probe TR GV Polymer TRentw TR( A) m( A) Wfrei* Wzw* Wgeb*
(%) (%) (g/kg) (%) (%) (g/g) (%) (%) (%)
FS ( n = 58)
Mittel 2,8 55 7,7 26,3 27,7 2,6 91,7 7,5 0,8
Stand.abw. 0,8 5,0 2,8 4,4 4,1 0,5 1,7 1,6 1,3
Min 0,9 41 4,5 19,6 20,0 4,0 87,6 4,5 0,1
Max 5,9 68 13,3 37,5 37,7 1,7 94,9 11,6 1,3
ÜS ( n = 15)
Mittel 2,6 66 5,9 21,4 22,8 3,4 89,4 9,6 1,1
Stand.abw. 0,5 5,3 2,6 3,6 3,3 0,7 2,3 2,2 0,4
Min 1,5 61 2,0 15,3 16,4 5,1 84,2 7,4 0,5
Max 5,5 78 10,0 26,7 27,0 2,7 91,7 13,9 2,0
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 193
zum einen 58 Kläranlagen beprobt, bei denen mit Dekantern Faulschlämme entwässert
wurden. Zum anderen wurden 15 Anlagen mit simultaner aerober Schlammstabilisierung
untersucht. Die Faulschlämme wiesen bezogen auf den Kennwert TR( A) ein mittleres Ent-
wässerungsergebnis von 27,7 % TR, einen freien Wasseranteil im Mittel von 91,7 % und
einen mittleren Polymerbedarf von 7,7 g/kg auf. Im Gegensatz dazu erreichten die aerob
stabilisierten Überschussschlämme nur ein Entwässerungsergebnis von 22,8 % TR( A) bei
einem Polymerbedarf von 5,9 g/kg. Sowohl die Mittelwerte als auch der angegebene Werte-
bereich decken sich mit den großtechnisch erreichten Entwässerungsergebnissen (TRentw),
d. h. die Äquivalenz zwischen TR( A) und TRentw ist sehr hoch. Die Varianz der Minimal-
zu den Maximalwerten ist jedoch aufgrund der unterschiedlichen Entwässerbarkeit der
untersuchten Faul- und Überschussschlämme verschiedener Kläranlagen sehr groß.
40
30
im Zentrat [mV]
optimale
Zetaptential
20
Dosiermenge
10
-10
-20
Unterflockung Übergang Überflockung
12.0
Laborentwässerung [%]
Trockenrückstand nach
11.5
11.0
10.5
10.0
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20
Polymerdosis [g/kg]
Abb. 4.33 Abhängigkeit des Zetapotenzials und des Laborentwässerungsergebnisses von der Poly-
merdosiermenge. (Kopp 2001)
300
Endfeststoffgehalte konventioneller Entwässerungsaggregate
Endfeststoffgehalte von Hochleistungszentrifugen
Laborschleuderaustrag [g/l]
200
100
0
0 10 20 30 40 50
TRentw [%]
Abb. 4.34 Zusammenhang zwischen dem Laborschleuderaustrag und groß-technisch erreichten
Entwässerungsergebnissen. (Denkert 1995)
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 195
zu Beginn des Übergangsbereiches voreilig und nicht tragbar ist. Eine Übertragbarkeit des
optimalen Polymerbedarfes als Anhaltswert für die Praxis ist jedoch gegeben.
Der in Abb. 4.33 dargestellte Zusammenhang lässt sich auch mit der Messgröße des
Strömungspotenzials darstellen. Die Eignung der Messgrößen des Strömungs- bzw. Ze-
tapotenzials zur Ermittlung des Konditionierungsmittelbedarfes ist gleichwertig. Zum
Beispiel kann über das Strömungspotenzial eine Steuerung der Polymermitteldosierung
bei Bandfilterpressen und Dekantern online realisiert werden (Fa. Milton Roy), wobei
das Strömungspotenzial im Schlammwasser gemessen und die Polymerdosierung so ein-
geregelt wird, dass das Strömungspotenzial Werte im Bereich des Nullpunktes annimmt.
Dentel und Abu-Orf (1997, 1999) beschreiben in ihren Arbeiten grundlegend die Mög-
lichkeiten zur Steuerung der Polymerkonditionierung über das Strömungspotenzial. Wei-
terhin zeigen die Autoren die Zusammenhänge zwischen dem Feststoffaustrag und dem
Abscheidegrad in Abhängigkeit der Polymerdosiermenge und des Strömungspotenzials
auf. So konnte unter anderem gezeigt werden, dass sich die Trübung des Schlammwas-
sers bei optimaler Polymerkonditionierung vermindert, da bessere Abscheidgrade erreicht
werden. Hingegen kommt es bei einer Überflockung zum Anstieg der Trübung, d. h. es
werden weniger Partikeln abgeschieden. Prinzipiell kann daher über die Trübungsmes-
sung im Schlammwasser der Polymerbedarf nur abgeschätzt werden. Der Vorteil der Trü-
bungsmessung liegt in der einfachen Messtechnik. Der entscheidende Nachteil ist jedoch,
dass der Abscheidegrad nicht ausschließlich von der Polymerdosierung, sondern vor allem
auch von der Betriebsweise des Entwässerungsaggregates abhängig ist. Es ist daher besser,
Messgrößen wie das Zeta- und Strömungspotenzial zu erfassen, die eine direkte Aussage
über die elektrostatischen Abstoßungskräfte erlauben.
Es gibt eine ganze Reihe an weiteren verschiedenen Messparametern zur Bestimmung
des Polymer- bzw. Konditionierungsmittelbedarfes. So kann mit der Messung des spezi-
fischen Filtrationswiderstandes bzw. annäherungsweise des CST-Wertes in Abhängigkeit
der Polymerdosierung eine Abschätzung des Konditionierungsmittelbedarfes durch-
geführt werden. Im Bereich des totalen Ladungsausgleiches nehmen beide Messgrößen
minimale Werte an (Dentel und Abu-Orf 1999). Andere Mess- und Steuergeräte für Kam-
merfilterpressen beobachten mit sogenannten Flocsonden (Fa. Passavant, Fa. Uhde) foto-
optisch die Flockenbildung und steuern über empirische Stellgrößen die Dosis und die
Einmischenergie des Polymers.
• der Laborentwässerungstest,
• der Grenzkorndurchmesser,
• die Dichte und
• der Abscheidegrad.
196 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Luggen (1976) und Hemme (1994) untersuchten den Zusammenhang zwischen der
Dichte und dem Glühverlust eines Schlammes. Beide Autoren fanden einen direkten Ein-
fluss des organischen Anteils auf die Schlammdichte. Die Dichteangaben der Autoren lie-
gen zwischen 1,02−1,10 × 103 kg/m3 für Klärschlamm. Die Dichte der organischen Anteile
ist mit 1,00 × 103 kg/m3 und die Dichte der anorganischen Anteile mit 2,8510 × 103 kg/m3
(ähnlich der von CaCO3) angesetzt. Andere Autoren (ATV 1992) geben für den anorga-
nischen Anteil Dichten von 2,00−2,5010 × 103 kg/m3 an. Diese Abhängigkeit führte dazu,
dass die Dichte der Schlammpartikeln oftmals durch den Glühverlust substituiert wird.
Der Abscheidegrad gibt den Prozentsatz derjenigen Feststoffe an, die im Zulauf enthal-
ten sind und die mit dem Dickstoffaustrag entfernt werden. Der Abscheidegrad ist somit
ein Kennwert, der die Güte der Fest-Flüssigtrennung beschreibt. Der Feststoffgehalt in der
Flüssigphase wird durch Filtrieren mit Schwarzband-Papierfiltern bzw. besser mit Mem-
branfiltern (< 0,45 µm) bestimmt. Bei der Filtration werden Abscheidegrade nahe 100 %
erreicht. Dekanterzentrifugen erreichen Abscheidegrade zwischen 98–99 %.
schiedlichen Drücken ermittelt und durch die Steigung der Geraden ausgedrückt, die sich
ergibt, wenn der Logarithmus des spezifischen Filtrationswiderstandes gegen den Loga-
rithmus des bei der Messung verwendeten Filtrationsdruckes aufgetragen wird.
Als Standarddruckdifferenz zur Bestimmung der Kompressibilität werden die Filtra-
tionsdruckdifferenzen von 0,5, 7 und 10 bar vorgeschlagen (ATV 1992). Nach Leschber
und Haake (1975) sowie Niemitz (1968) liegt die Kompressibilität für konventionell be-
handelte kommunale Klärschlämme zwischen 0,6 und 0,9. Bei sehr hohen Kompressibili-
täten nimmt der spezifische Filtrationswiderstand bei hohen Filtrationsdrücken so stark
zu, dass der Einsatz von Filterpressen nicht wirtschaftlich ist. So kann anhand der Kom-
pressibilität eine Aussage über die Eignung des Filtrationsverfahrens getroffen werden. Die
Kompressibilität eines Schlammes ist abhängig von der Schlammart und dem Glühverlust.
Überschussschlämme mit hohen Bakterienanteilen und einem hohen organischen Anteil
sind aufgrund ihrer Kompressibilität schlecht entwässerbar. Eine Abhilfe für schlecht ent-
wässerbare und kompressible Schlämme ist die Konditionierung mit Kalk und anderen
inkompressiblen Zuschlagstoffen (z. B. Kohle, Asche).
Alternativ zur Messung des spezifischen Filtrationswiderstandes bietet sich die Mes-
sung der kapillaren Fließzeit (Capillary Suction Time = CST) an. Das Messverfahren wurde
in England von Baskerville und Gale (1968) entwickelt und ist aufgrund seiner einfachen
Handhabung weit verbreitet. Gemessen wird die Geschwindigkeit der Wasserabgabe der
Schlämme. Das Prinzip dieser Messmethode besteht darin, dass der Filtrationseffekt nicht
durch Über- oder Unterdruck, sondern durch die kapillare Saugkraft eines standardisier-
ten Filterkartons bewirkt wird. Da das Messergebnis vom Feststoffgehalt der Schlamm-
probe beeinflusst wird, wird die kapillare Fließzeit auf den TR in Prozent bezogen und
als spezifischer CST/TR in (s/%) angegeben. Bahrs (ATV 1992) gibt als Richtwerte für die
Geschwindigkeit der Wasserabgabe (CST/TR) und den spezifischen Filtrationswiderstand
( r) Folgendes an:
• gut entwässerbar
CST/TR ≤ 30 s/% TR r ≤ 1012,5 m/kg
• mittelmäßig entwässerbar
CST/TR ≈ 30 – 150 s/% TR r ≈ 1012,5 – 1014,5 m/kg
• schlecht entwässerbar
CST/TR ≥ 150 s/% TR r ≥ 1014,5 m/kg
CST-Test als auch der spez. Filtrationswiderstand können dennoch als Hilfsgrößen für
die grobe Abschätzung des Polymerbedarfes und die Scherstabilität von konditionierten
Schlämmen genutzt werden (Dentel und Abu-Orf 1995).
d) Zusammenfassende Bewertung
Zur Beurteilung von Klärschlammentwässerungseigenschaften werden folgende Kenn-
werte als besonders wichtig eingestuft:
4.2.4.2 Eindickung
Bei der statischen Eindickung erfolgt die Sedimentation der Feststoffe aus der Schlamm-
Wasser-Suspension und die weitere Konsolidierung unter dem Einfluss der Schwerkraft.
Werden Schlämme in einen Eindicker gefördert, wird sich im oberen Bereich des Ein-
dickers eine Wasserzone bilden, in der ein freies Absetzen von Feststoffpartikeln oder
Schlammflocken erfolgen kann. Schlammeindicker werden im Durchlaufbetrieb oder
im Chargenbetrieb gefahren. Der Schlamm durchläuft bei dieser Betriebsweise von oben
nach unten Zonen mit zunehmendem Kompressionsdruck.
200 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Damit ist beim Durchlaufbetrieb der Feststoffgehalt in der unteren Zone, aus der der
Schlamm im Allgemeinen abgezogen wird, immer höher als der mittlere Feststoffgehalt
über die gesamte Schlammschichthöhe eines gleich hochbelasteten Eindickers im Char-
genbetrieb. Abbildung 4.35 verdeutlicht die Trennvorgänge in einem Eindicker.
Schlammeindicker entsprechen hinsichtlich der Abtrennung der festen Schlammstoffe
in der oberen Schicht üblichen Absetzbecken. Sie werden meist als Rundbecken gebaut.
Die Schlammeinströmenergie kann sowohl durch Pralltafeln, Tauchzylinder oder spezielle
Einlaufsysteme vermindert werden. Das Schlammwasser wird entweder am Beckenum-
fang durch Überlaufwehre oder gesonderte Entnahmevorrichtungen abgezogen. Kleine
Eindicker werden auch mit Stufenablässen ausgerüstet, die in verschiedenen Höhen an-
gebracht sind. In manchen Fällen sind auch schwenkbare oder absenkbare Entnahmerohre
vorgesehen, um im Chargenbetrieb das überstehende Schlammwasser abziehen zu können
(Abb. 4.36).
Da bei der Schlammeindickung häufig Schwimmschlamm auftreibt, erfolgt bei rotie-
renden Räumerbrücken in den meisten Fällen die Installation einer Schwimmschlamm-
räumeinrichtung oder bei Eindickern ohne Schlammräumern ein Schwimmschlammab-
zug im oberen Bereich des Eindickers. Die Beckensohle ist bei kleinen Eindickern ohne
Schlammräumung trichterförmig mit einer Neigung steiler als 1,5:1 ausgebildet. Schlamm-
eindicker mit maschinellen Schlammräumeinrichtungen erhalten Sohlneigungen wie run-
de Absetzbecken und zentrische Entnahmetrichter. Der eingedickte Schlamm wird mit
Räumschilden in diese Entnahmestellen geschoben. Für stärker eingedickte Schlämme
werden Schlammkrählwerke mit Zentralantrieb bevorzugt. Bei sperrigen Schlämmen und
bei zur Gasbildung neigenden Schlämmen empfiehlt es sich, an der Räumbrücke bzw.
an den Krählarmen senkrechte Rührstäbe anzuordnen, um sicherzustellen, dass aus den
unteren Kompressionszonen abgetrenntes Schlammwasser nach oben entweichen kann.
Abbildung 4.37 zeigt einen Rundeindicker mit Krählwerk.
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 201
Die maximal zulässige Aufenthaltszeit des Schlammes in der Eindickzone wird maß-
geblich durch die Zeitspanne bestimmt, die biologische Vorgänge im Eindicker benötigen,
um negative Einflüsse auf den Eindickvorgang hervorzurufen.
Bei relativ frischen Rohschlämmen (frisches Abwasser, kontinuierliche Schlammräu-
mung im Vorklärbecken) können für die zulässige Konsolidierungszeit bis zu drei Tage
angesetzt werden. Rohschlämme von angefaultem Abwasser oder schlecht geräumten bzw.
zu groß bemessenen Vorklärbecken sollen weniger als ein Tag in der Konsolidierungszone
verweilen. Diesbezüglich sind Durchlaufeindicker gegenüber Standeindickern vorteilhaf-
ter, da sich durch Heben und Senken des Schlammspiegels die Aufenthaltszeit variieren
lässt.
Da zurzeit noch keine wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse vorliegen, mit de-
ren Hilfe eine sichere Abschätzung des Absetzverhaltens des im Einzelfall vorliegenden
Schlammes möglich ist, ist für die Bemessung von allgemeinen Erfahrungswerten auszu-
gehen, wie sie in Tab. 4.20 dargestellt sind.
Die oft in relativ weiten Grenzen schwankenden erreichbaren Feststoffgehalte zeigen,
dass diese Zahlen noch von etlichen weiteren inner- und außerbetrieblichen Einflüssen
abhängig sind. Dem planenden Ingenieur bleiben deshalb genauere Überlegungen und
Abschätzungen nach den jeweiligen Gegebenheiten nicht erspart. Im Zweifelsfall sollten
immer die niedrigeren Werte herangezogen werden (Seyfried 1986) oder die Bemessung
auf Grundlage von halbtechnischen Absetzversuchen vorgenommen werden.
a) Bemessung
Die Aufenthaltszeit der Feststoffe in der Schlammschicht wird von der Schlammschicht-
höhe, dem Eindickervolumen und der Flächenbelastung BA (kg TS/(m3 · d)) bestimmt. Da-
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 203
bei sind die Schlammschichthöhe als maßgebliche Einflussgröße auf den effektiven Kom-
pressionsdruck und die Flächenbelastung die bestimmenden Bemessungsgrößen. Sofern
keine Versuchsergebnisse vorliegen, sind die in Tab. 4.21 angegebenen Flächenbelastungen
anzusetzen. Die Höhe der Eindickzone ergibt sich, wie bereits aufgeführt, in Abhängigkeit
von der zulässigen Aufenthaltszeit.
b) Flotation
Die Flotation von Schlämmen ist ein Verfahren, bei dem die Schlammstoffe durch anhaf-
tende feine Gasblasen zum Aufschwimmen gebracht werden. Das Zwischenraumwasser
fließt nach unten ab, sodass teilweise ein höherer Eindickeffekt als bei der statischen Ein-
dickung erreicht wird. Der Flotationsvorgang verläuft wesentlich schneller als die statische
Schwerkrafteindickung. Für die Eindickung von Schlammfeststoffen hat sich die Entspan-
nungsflotation als besonders geeignet erwiesen. Bei diesem Verfahren wird Gas, zumeist
atmosphärische Luft, im Wasser oder im Feststoff-Wasser-Gemisch unter Überdruck ein-
gebracht, wobei sich infolge der Entspannung im Becken gleichmäßig verteilte, kleinste
Gasbläschen bilden, die eine besonders wirkungsvolle Phasentrennung ermöglichen.
Bei Flotationsanlagen unterscheidet man im Wesentlichen das Vollstromverfahren, bei
dem die gesamte, zur Phasentrennung vorgesehene Flüssigkeit in der Druckstufe mit Gas
gesättigt wird und das Rücklaufverfahren, bei dem ein Teil des entschlammten Abwas-
sers aus der Flotation unter Druck angereichert und dann mit dem Einlauf vermischt in
das Flotationsbecken zurückgeführt wird. Zur Ausrüstung einer Flotationsanlage gehört,
neben dem eigentlichen Flotationsbecken mit zugehörigen Wasser- und Schlammabzugs-
einrichtungen, ein Druckwasserbehälter mit vorgeschalteter Druckpumpe, ein Druckkes-
sel einschließlich Kompressor sowie die erforderlichen Regelungs- und Entspannungsven-
tile und die elektrischen Schaltanlagen. Abbildung 4.38 zeigt das Verfahrensschema einer
Flotationsanlage nach dem Rücklaufverfahren.
Die Räumung der flotierten Schlammstoffe von der Wasseroberfläche erfolgt durch
Bandräumer oder heute vorzugsweise durch Räumerbrücken mit höhenmäßig einstell-
baren Räumschilden. Sind die abgeschobenen Schlammstoffe nicht mehr fließfähig, so
müssen sie durch Transportschnecken oder ähnliche Einrichtungen gefördert werden. In
allen Fällen sind Flotationsbecken mit zusätzlichen Bodenräumern auszurüsten, da in al-
ler Regel in der Schlammsuspension auch immer schwere, trotz der Anwesenheit feinster
Luftblasen, sedimentierende Bestandteile vorhanden sind.
204 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
1 Zulaufpumpe 8 Ablauf
2 Flockungsbecken I 9 Druckerhöhungspumpe (Rücklauf)
3 Flockungsbecken II 10 Injektor (Luftbeimischung)
4 Blasen-Feststoff-Kontaktzone 11 Druckkessel
5 Flotationszone 12 Kompressor
6 Flotatschlammräumer 13 Chemikalienbehälter und -dosierung
7 Flotatschlammabzugsrinne
Maßnahmen zur Verbesserung der Absetzeigenschaften haben zum Ziel, diese Störmecha-
nismen zu unterbinden bzw. die Schlammpartikel durch Koagulations- und Konglomera-
tionseffekte positiv zu verändern. Mögliche Maßnahmen sind:
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 205
• Krählwerke,
• Kühlung,
• Vakuumentgasung,
• Zugabe von inerten Trägermaterialien und
• Zugabe von Flockungshilfsmitteln.
Die Erfolge, die mit den einzelnen Maßnahmen erzielt wurden, sind sehr unterschiedlich.
Eine wesentliche Rolle spielen in diesem Zusammenhang, neben der Schlammzusammen-
setzung, die jeweiligen speziellen Betriebsverhältnisse. Daher ist eine Verallgemeinerung
der wenigen Ergebnisse, die zu dieser Thematik vorliegen, nicht möglich.
Krählwerke Das Absetzen oder besser gesagt das Eindicken von Klärschlamm in Sedi-
mentationsbecken ist abhängig vom Feststoffgehalt. Die Absetzbedingungen wechseln mit
zunehmendem Feststoffgehalt, wobei grundsätzlich zwei Phasen zu unterscheiden sind.
In der ersten Phase erfolgt ein weitgehend unbehindertes Absetzen. Dieser Phase folgt die
Phase des behinderten Absetzens, in der durch die Auflast des sich verdichtenden Schlam-
mes im unteren Bereich des Absetzbeckens infolge steigenden Kompressionsdruckes eine
weitere Verdichtung bewirkt wird. Das in der Kompressionszone ausgepresste Wasser
kann aufgrund der darüber lagernden Schlammschichten oftmals nicht nach oben gelan-
gen. Wasserlinsen in diesem Bereich sind die Folge.
Langsamdrehende Krählwerke haben die Aufgabe, feine Kanäle in der Schlammschicht
zu erzeugen. Das ausgedrückte Schlammwasser kann durch diese Kanäle nach oben drin-
gen, sodass die Bildung von Wasserlinsen weitgehend unterbunden wird. Diese Technik
hat sich in der Vergangenheit bereits bewährt. Deshalb sind Durchlaufeindicker neuerer
Zeit i. d. R. mit Krählwerk ausgerüstet (Abb. 4.37).
Kühlung Die Kühlung hat sich in der Praxis bisher nicht durchsetzen können, obwohl
recht positive Versuchsergebnisse vorliegen. In Bezug auf eine Veränderung des Lösungs-
potenzials einiger Gase ist eine Temperaturabsenkung um nur wenige Grad Celsius sehr
effektiv (Abb. 4.39). Für Kohlendioxid erhöht sich das Lösungspotenzial pro Grad Cel-
sius Temperaturabsenkung um rd. 7,2 L/m3. Das Lösungspotenzial für Methangas (CH4)
bleibt dagegen nahezu konstant, was diese Methode zur Verhinderung des Nachgaseffek-
tes zunächst als fragwürdig erscheinen lässt. Neben dem physikalischen Effekt wirkt die
Abkühlung jedoch auch auf die biologischen Mechanismen, was von ausschlaggebender
Bedeutung ist.
Wie bereits angesprochen zeigen anaerob behandelte Klärschlämme nach Verlassen des
Faulbehälters eine Restaktivität, die sich in Form von geringfügiger Gasbildung äußert. Be-
kanntermaßen geht die biologische Aktivität der Methan bildenden Biozönose bei sinken-
den Temperaturen, insbesondere wenn die 30 °C Marke unterschritten wird, stark zurück.
Folglich muss auch die Gasproduktion abnehmen.
206 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
wasserschlammes anfällt. Durch Zerkleinerung und Mahlvorgänge lässt sich der Partikel-
feinstanteil erhöhen. Die optimale Korngröße richtet sich letztendlich nach der Größe
der vorhandenen Schlammpartikel. Werden dem Schlamm Aschepartikel in übermäßiger
Menge zugesetzt, die eine kleinere Korngröße als die kleinsten Schlammpartikel haben, so
bestimmt schließlich der feinste Ascheanteil den Filterwiderstand und es tritt u. U. keine
Verbesserung der Filtrationseigenschaften des Schlammes ein.
Eine derartige Konditionierung erfolgt meist bereits im Zulauf der Eindicker, sodass
auch das Eindickverhalten positiv beeinflusst wird.
4.2.4.3 Entwässerung
a) Natürliche Entwässerung von Klärschlämmen
Im Vergleich zu anderen Verfahren der Klärschlammentwässerung erfordert die natür-
liche Entwässerung in Bau und Betrieb nur einen geringen Aufwand und hatte bis in die
1980iger-Jahre hinein vor allem für kleinere, vielfach auch noch für mittlere Klärwerke eine
große praktische Bedeutung. Bei der natürlichen Entwässerung wird der Klärschlamm auf
Trockenbeeten oder in Schlammteichen abgelagert und durch Schwerkraft und Verduns-
tung auf 25 % bis 35 % TR entwässert.
Durch die Schlammkonsolidierung ergibt sich ein selbstdichtender Effekt des Schlam-
mes nach unten, sodass der Hauptanteil des Wassers nach oben aufsteigt und dort austritt.
Die in Schlammbeeten übliche Sohldrainage spielt daher im Hinblick auf das Entwässe-
rungsergebnis nur zu Beginn eine wichtige, später aber eine untergeordnete Rolle. Diese
Drainschicht ist i. d. R. aus mehreren Lagen Material aufgebaut, dessen Korngröße nach
unten, in Richtung eingelassener Drainagerohre, zunimmt. Die oberste Lage besteht aus
einer sogenannten Verschleißsandschicht und wird bei der Schlammräumung sukzessive
mit abgehoben.
Eine weitaus höhere Bedeutung bei der natürlichen Entwässerung hat der kontinuier-
liche Abzug des überstehenden Schlammwassers. Hierfür müssen Ablaufkonstruktionen
gewählt werden, deren Ablaufschwelle mit dem Schlammpegel variabel ist. Im einfachsten
Fall können dies Überfallschwellen sein, die je nach Konsolidierung erhöht oder verringert
werden können (Abb. 4.40).
Verbreitet ist ebenfalls eine Konstruktion senkrecht stehender Drainagemönche. Diese
Mönche bestehen aus einem doppelwandigen, geschlitzten Rohr, dessen Zwischenraum
mit einer Schüttung aus Schlacke oder Kies gefüllt ist. Das Innenrohr führt das gefilterte
Schlammwasser direkt in Sammeldrainleitungen in der Beetsohle ab. Der Nachteil die-
ser Konstruktion besteht darin, dass die Mönche zur Räumung des Beetes entfernt wer-
den müssen. Oftmals werden in die so ausgerüsteten Schlammbecken 0,2 bis 0,3 m dicke
Schlammschichten in Intervallen eingebracht, bis eine Gesamtmächtigkeit von 0,8 bis
1,0 m erreicht ist. Nach anschließender Räumung erfolgen dann erneut mehrere Beschi-
ckungszyklen (ATV 1996).
Abb. 4.40 Abzug des Schlammwassers über Öffnungen in seitlich begrenzenden Betondielen.
(ATV 1996)
baulichen Aspekte und Besonderheiten soll an dieser Stelle jedoch nicht näher eingegan-
gen werden. Die Beschickungsvorrichtungen bestehen zumeist aus einfachen Druckrohr-
leitungen. Als Pflanzenmaterial kann sowohl Schilf als auch Gras zum Einsatz kommen,
wobei die Bepflanzung mit Schilf am weitesten verbreitet ist.
Klärschlammvererdung mit Gras In der Regel wird bei der Vererdung mit Gras das Wei-
delgras (Lolium perenne) eingesetzt. Bei diesem Verfahren wird jedoch kein Pflanzen-
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 211
substrat verwendet. Nach Einfüllen des Nassschlammes in das Beet trocknet der Schlamm
zunächst durch die Ableitung von Sickerwasser über die Drainage und Verdunstung von
Wasser oberflächig ab. Danach wird das Gras direkt auf die zu behandelnde Schlamm-
schicht aufgebracht. Das schnell wachsende Gras durchwurzelt den gesamten Schlamm-
körper. Anschließend erfolgt die erneute Beschickung mit Flüssigschlamm, wobei das
Gras vollständig von zulaufendem Schlamm überdeckt wird. Das Gras stirbt ab und
wird Bestandteil des Bodens und trägt somit ebenfalls zur Strukturverbesserung bei. Der
Beschickungszyklus liegt bei dieser Verfahrensvariante je nach Witterungsbedingungen
zwischen sechs und neun Monaten.
Entsorgung des vererdeten Materials Nach einem Zeitraum von ca. sechs bis neun Jahren
werden die Beete geräumt. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft ist eine stoffliche Verwertung
des vererdeten Bodenmaterials in der Landwirtschaft oder Landschaftsbau anzustreben.
Dazu ist als weiterer Behandlungsschritt jedoch eine Siebung und Kompostierung des
Endproduktes erforderlich. Hinsichtlich der Beseitigung des Endproduktes scheidet die
thermische Behandlung i. d. R. aufgrund des relativ hohen mineralischen Anteils und des
daraus resultierenden geringen Heizwertes faktisch aus.
Abgesehen von der Tatsache, dass sich der Begriff „Klärschlammvererdung“ auch in
der Praxis durchgesetzt hat, muss unabhängig von der Art des Entsorgungsweges jedoch
bedacht werden, dass das vererdete Material per Definition weiterhin Klärschlamm bleibt
und somit den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen unterliegt (ATV-DVWK
2001). Somit ist und bleibt die „Klärschlammvererdung“ ein Entwässerungsverfahren.
Der Abwurf des Filterkuchens muss personell überwacht werden. Beim Eingriff des Per-
sonals wird die Filterpresse automatisch über eine Lichtschranke gestoppt. Zur Reinigung
der Filtertücher werden automatisch arbeitende Abspritzeinrichtungen eingesetzt. Die
Filtertücher werden mit einem Spritzdruck von 70 bis 100 bar gereinigt. Bei inkrustier-
ten Filtertüchern infolge der Schlammkonditionierung mit Kalk und Eisensalzen ist eine
regelmäßige Behandlung mit 3 bis 5 %iger Salzsäure notwendig. Heute werden Kammer-
filterpressen oftmals auch mit Polymerkonditionierung verwendet. Während diese Art der
Konditionierung früher auf Kammerfilterpressen oftmals zu erheblichen Schwierigkeiten,
wie z. B. Anbacken der Schlammplatten oder unzureichende Endfeststoffgehalte, führte,
hat die Entwicklung angepasster polymerer Flockungsmittel soweit Fortschritte gemacht,
dass nach Durchführung sondierender Pilotversuche in aller Regel auch diese Art der
Konditionierung auf Kammerfilterpressen sicher eingesetzt werden kann.
Die wesentlichen Vorteile einer Kammerfilterpresse sind die hohen erreichbaren Fest-
stoffgehalte im Schlammkuchen und die hohe Trennschärfe zwischen der Fest- und Flüs-
sigphase, d. h. das Schlammwasser ist weitgehend feststofffrei. Des Weiteren ist das Ent-
wässerungsaggregat sehr robust, sodass Abschreibungszeiträume von 25 Jahren und länger
möglich sind. Wesentliche Nachteile von Kammerfilterpressen sind die im Vergleich zu
anderen Entwässerungsaggregaten hohen Investitionskosten, die diskontinuierliche Be-
triebsweise, die geringen Möglichkeiten betrieblicher Optimierung und die starke Ge-
ruchsbelästigung durch Ammoniak infolge Konditionierung mit Kalkmilch (Junge et al.
1995).
Abb. 4.43 Schema einer Bandfilterpresse (Firma Klein). (Junge et al. 1995)
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 215
Zentrifugen Zentrifugen arbeiten nach dem Prinzip eines maschinell erzeugten Schwere-
feldes. Die Phasentrennung erfolgt über den Dichteunterschied zwischen den Feststoffen
und dem Zentratwasser.
Ein Dekanter ist ein kontinuierlich arbeitendes Entwässerungsaggregat. Eine in der Ho-
rizontalen liegende und um die Längsachse rotierende Trommel erzeugt ein künstliches
Schwerefeld, welches zur Fest-Flüssig-Trennung des polymerkonditionierten Schlammes
führt. Eine innenliegende Austragsschnecke transportiert die auf den Trommelwandun-
gen abgesetzten Feststoffe in Richtung Konus (verjüngtes Ende der Trommel). Die Schne-
cke muss sich dazu um die Differenzdrehzahl schneller drehen als die Trommel. Die Ablei-
tung des Zentrates erfolgt über Wehrscheiben bzw. Ablaufkanäle, die i. d. R. unterhalb des
216 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Abb. 4.44 Prinzipskizze eines Gegenstromdekanters (Westfalia Separator). (Junge et al. 1995)
Konus liegen. Je nach Bewegungsrichtung des Zentratstromes und des Feststoffes werden
Gegen- und Gleichstromzentrifugen unterschieden. Abbildung 4.44 zeigt eine Prinzip-
skizze eines Gegenstromdekanters (Junge et al. 1995).
Auffälligstes Merkmal eines Gegenstromdekanters ist, dass der Einlauf des polymer-
geflockten Schlammes in der Mitte der Trommel erfolgt. Die groben Feststoffteilchen set-
zen sich sofort im Einlaufbereich ab und werden in den Konusbereich transportiert. Der
Feinanteil wird mit dem Flüssigkeitsanteil mitgenommen und setzt sich im zylindrischen
Teil der Trommel ab. Bei Gleichstromdekantern wird der Schlamm an der dem Konus
entgegengesetzten Seite eingetragen. Der Feststoff und der Flüssigkeitsanteil werden in
Richtung Konus transportiert. Das Zentrat fließt über innenliegende Rohre ab. Es ent-
stehen dadurch weniger Turbulenzen und Störungen der Absetzvorgänge als bei Gegen-
stromzentrifugen.
Infolge von Verstopfungen der Ablaufrohre kann es jedoch zu einem erhöhten War-
tungsaufwand kommen. Die erreichbaren Entwässerungsergebnisse von Gleich- und
Gegenstromdekantern sind in der Praxis identisch. Auf das Entwässerungsergebnis kann
über die Veränderung von Trommel- und Differenzdrehzahl, die Höhe der Wehrscheiben,
den Schlammvolumenstrom durch den Dekanter und die verwendete Menge an Polymer
Einfluss genommen werden (Abb. 4.45, Junge et al. 1995).
Die maschinentechnische Weiterentwicklung führte zu den sogenannten Hochleis-
tungszentrifugen. Mit diesen werden durch höhere Trommeldrehzahlen und einer Ver-
besserung der Differenzdrehzahlregelung verlängerte Aufenthaltszeiten im Zentrifugalfeld
und damit bessere Entwässerungsergebnisse erreicht. Die Vorteile von Dekantern sind die
kontinuierliche Arbeitsweise in relativ kleinen, leistungsstarken Einheiten, die Entwässer-
barkeit relativ dünner Schlämme und die Möglichkeit, schwankende Schlammqualitäten
durch betriebliche Optimierung sicher zu beherrschen. Nachteilig sind der hohe spezi-
fische Energieverbrauch und die Lärmbelastung (Junge et al. 1995).
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 217
Abb. 4.45 Möglichkeiten zur Veränderung von Betriebsparametern bei Dekantern. (Junge et al.
1995)
Kläranlagen in der Größenordnung von 20.000 EW bis 100.000 EW auf eine Ablaufkon-
zentration von 2 mg/L und für Anlagen über 100.000 EW auf 1 mg/L zu eliminieren.
Diese Verschärfung der Ablaufanforderungen zog in den 90er-Jahren eine Welle von
Erweiterungen der Reaktionsvolumina in der biologischen Reinigungsstufe von Kläranla-
gen nach sich. Im Betrieb vieler erweiterter Anlagen zeigte sich, dass der Abstand zwischen
der Leistungsfähigkeit von Kläranlagen und den einzuhaltenden Grenzwerten durch die
Verschärfung kleiner geworden ist. Fortgeschriebene Wasserrechtsbescheide aber auch
eine Zunahme der Belastung im Kläranlagenzulauf erfordern daher auch heute noch Klär-
anlagenerweiterungen und -optimierungen.
Die angespannte finanzielle Situation der Städte und Gemeinden und der dadurch be-
dingte eingeschränkte finanzielle Spielraum für Investitionen führen bei Kläranlagenbe-
treibern aber auch bei Planern zu verstärkten Überlegungen bezüglich Kosteneinsparun-
gen bei notwendigen Erweiterungsmaßnahmen.
Immer mehr ist dabei in den letzten Jahren die Rückbelastung kommunaler Kläranla-
gen durch Prozesswasser aus der Schlammbehandlung ins Interesse der Betreiber gerückt.
Dieses Prozesswasser fällt als Überstandswasser aus Eindickern, Trübwasser aus dem
Faulraum, Zentrat aus den Entwässerungsaggregaten, Kondensat aus der Trocknung und
Waschwasser aus der Verbrennung in verschiedenen Mengen und Konzentrationen an.
Während der Einfluss der Schlammwasserrückführung auf die Kohlenstoffelimination
der Kläranlage eher als gering einzustufen ist und die Grenzwerte für den Parameter Ge-
samtphosphor mit Hilfe von Fällungsverfahren und der biologischen Phosphorreduzie-
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 219
rung im Allgemeinen eingehalten werden können, benötigt die Reduzierung der Stick-
stofffrachten im Hauptstrom der Kläranlage einen nicht unbedeutenden Anteil des Be-
lebungsbeckenvolumens.
Die in den Hauptstrom der Kläranlage zurückgeführte Stickstofffracht stellt eine Rück-
belastung von ca. 20 % bezogen auf die Stickstoffzulauffracht dar. Insbesondere bei kleine-
ren und mittelgroßen Kläranlagen mit ausgeprägter Tagesganglinie kann diese Rückbelas-
tung zu einer Überlastung der Kläranlage führen.
Da die Teilströme des Prozesswassers mengenmäßig klein, aber hoch konzentriert an-
fallen, lässt sich durch ein sinnvolles Prozesswassermanagement bzw. durch eine effektive
Prozesswasserbehandlung die zum biologischen Reaktor zurückgeführte Fracht aktiv be-
einflussen, um so die Leistungsfähigkeit des Reaktors optimal auszunutzen. Voraussetzung
hierfür ist, dass entsprechende Maßnahmen bereits im Planungsstadium bei der Bemes-
sung der entsprechenden Anlagenteile berücksichtigt werden.
a) Prozesswassermanagement im Hauptstromverfahren
Prozesswässer aus der Schlammbehandlung werden heute überwiegend im Hauptstrom
der Kläranlage mitbehandelt, weil
220 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Bei bestehenden Anlagen kann jedoch bei gegebenen Zulaufmengen und vorgegebenen
Ablaufkonzentrationen eine Mitbehandlung von Prozesswässern im Hauptstrom der Klär-
anlage nur in dem Maß stattfinden, wie es die Gesamtkapazität der bestehenden Anlage
zulässt. Bei Neuanlagen sind folglich Kapazitäten zur Prozesswassermitbehandlung in die
Bemessung der Belebungsanlage einzubeziehen.
Die Auswirkungen der Rückführung von Schlammwasser sind getrennt für die Nitri-
fikation und die Denitrifikation zu betrachten.
Durch die Rückführung von Schlammwasser wird die Stickstofffracht im Zulauf der
Belebung erhöht und ist entsprechend bei der Bemessung des Volumens zu berücksich-
tigen. Ist keine Zwischenspeicherung vorgesehen, muss ein Stoßfaktor für die Schlamm-
wasserzugabe berücksichtigt werden. Bei einer Zwischenspeicherung und gleichmäßiger
Zugabe über den Tag verteilt ist hingegen kein zusätzlicher Stoßfaktor erforderlich.
Berücksichtigt werden muss außerdem der zusätzliche Sauerstoffbedarf für die Oxida-
tion des Ammoniums aus dem Schlammwasser.
Besteht keine Schlammwasserspeicherung und gelangt das Schlammwasser somit stoß-
weise in die Belebungsanlage, ist aufgrund der Wachstumskinetik der Nitrifikanten eine
erhöhte Ammonium-Ablaufkonzentration möglich. Dieses Problem tritt hauptsächlich
bei kleinen und mittleren Anlagen auf, da die Entwässerung des auf der Anlage anfallen-
den Schlammes üblicherweise nur an den Werktagen während der Tagesschicht durch-
geführt wird.
Im Gegensatz zur Nitrifikation ist bei der Denitrifikation durch eine Vergleichmäßi-
gung der Schlammwasserbeaufschlagung nicht unbedingt eine Verbesserung der Nitrat-
Ablaufkonzentration gewährleistet, da in aller Regel die BSB5 und NH4-N Spitzenbelas-
tung in etwa gleichzeitig auf unsere Kläranlagen zukommen.
Im Prozessablauf der Belebungsanlage wird die NH4-N-Zulauf-konzentration zeitver-
setzt als Nitrat in die Denitrifikationszone zurückgefördert. Wird das Prozesswasser der
Belebtschlammanlage in den belastungsschwachen Nacht- und frühen Morgenstunden
zugegeben, besitzt der Nitrifikationsteil die maximalen Reserven, um zusätzliches Am-
monium zu nitrifizieren. Der Zeitpunkt der Zudosierung ist dabei so festzulegen, dass das
nitrifizierte Prozesswasser über die Nitratrückführung gemeinsam mit der erhöhten BSB5-
Zulauffracht in die Denitrifikationszone der Anlage gelangt, damit dort dann genügend
leicht abbaubares Substrat für die Denitrifikation zur Verfügung steht.
Durch ein entsprechendes Management muss verhindert werden, dass die Denitri-
fikation aufgrund fehlender leicht abbaubarer Kohlenstoffverbindungen zum Erliegen
kommt. Sind diese leicht abbaubaren Substrate nicht in genügender Menge im Kläran-
lagenzulauf vorhanden, können zur Lösung dieses Problems externe Kohlenstoffquellen
eingesetzt werden.
222 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
b) Prozesswassermanagement im Nebenstromverfahren
Ein Prozesswassermanagement im Hauptstromverfahren stößt dort an seine Grenzen, wo
sämtliche Kapazitäten der Kläranlage ausgeschöpft sind. In diesem Fall kann die Behand-
lung der Prozesswässer im Teilstromverfahren die Möglichkeit bieten, eine erforderliche
Erweiterung der Belebungsanlage zu vermeiden.
Bei der Planung von Neuanlagen sprechen folgende Punkte für eine getrennte Aufbe-
reitung der Prozesswässer:
• Ein bereits aus dem Hauptstrom separierter, aufkonzentrierter Abwasserstrom kann be-
darfsorientiert und gezielt behandelt werden;
• Der Hauptstrom der Kläranlage wird nicht mit untypischen Inhaltsstoffen und Belas-
tungen zusätzlich beansprucht;
• Teilstromverfahren weisen i. d. R. einen geringeren Platzbedarf auf, als es bei der Mit-
behandlung im Hauptstromverfahren der Fall wäre.
• Eine energetische Optimierung ist durch Teilstrombehandlung möglich.
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 223
1 1
tTS,aerob,erf. = SF ⋅1, 6 ⋅ ⋅ FT = 1, 25 ⋅1, 6 ⋅ ⋅1,103(15 − 20 ) = 2, 6 d
µ max 0,47
wenn entweder der für Belebtschlammsysteme erforderliche Platz nicht zur Verfügung
steht oder mit der Bildung von schwer sedimentierbaren Schlämmen zu rechnen ist. Der-
zeit kommen Fließbett- und Wirbelbettreaktoren sowie Festbettreaktoren zum Einsatz.
Neben Anlagen zur Nitrifikation/Denitrifikation sind auch Techniken zur Nitritation/
Denitritation wissenschaftlich untersucht, jedoch großtechnisch nicht umgesetzt worden.
In den letzten Jahren wurde auch vermehrt die Deammonifikation, wie bei Hippen (2001)
beschrieben auf Kläranlagen technisch realisiert. Infolge der gewachsenen Bedeutung die-
ses Verfahrens wird es gesondert in Kap. 10 dieses Buches behandelt.
Fällung Ammonium verbindet sich zusammen mit Magnesium und Phosphat zu dem
schwer löslichen Salz Magnesium-Ammonium-Phosphat (MAP). Die Reaktionsgleichung
für die Entstehung von MAP lautet:
H 3 PO 4 + MgO + NH 4 + → MgNH 4 PO 4 + H 2 O + H +
Bei der Prozesswasserbehandlung kristallisiert das MAP nach Zugabe der erforderlichen
Menge an Phosphat und Magnesiumsalz in schwach alkalischem Milieu aus (pHoptimal = 9,2)
und kann aus dem Wasser entfernt werden.
Bei dieser Reaktion fallen bei der Elimination von 1 kg Ammoniumstickstoff stöchio-
metrisch ca. 17 kg Fällschlamm an. Durch die Mitfällung anderer Verunreinigungen sowie
durch das pflanzen-physiologisch ungünstige N/P-Verhältnis ist eine direkte landwirt-
schaftliche Verwertung dieser Produkte nahezu ausgeschlossen, jedoch können sie als
Rohstoffe zur Düngemittelherstellung verwendet werden.
Positiv wirkt sich bei diesem Verfahren jedoch aus, dass es sich auch bei schwankender
Ammoniumkonzentration kontinuierlich betreiben lässt. Die Zudosierung von Phosphat
und Magnesium kann durch entsprechende Messungen im Zulauf einfach geregelt werden.
Eine Erweiterung des MAP-Fällungsprozesses ist der CAFR-Prozess (Mihopulos 1996).
Ein Teil des Magnesium-Ammonium-Phosphats für den MAP-Prozess wird durch Er-
wärmung wiederaufbereitet, wobei Magnesiumhydrogenphosphat und Ammoniak entste-
hen. Das Magnesiumhydrogenphosphat ist wiederum für die MAP-Fällung verwendbar.
Das Ammoniak kann durch Luftstrippung oder Dampfstrippung behandelt werden. Bei
durchgeführten Versuchen (Mihopulos 1996) ergaben sich jedoch Probleme bei der Nach-
behandlung des Ammoniaks, da ein großer Teil in gelöster Form zum Kristallisationsreak-
tor zurückgeführt wurde.
Eine Wiederverwendung des Magnesiumhydrogenphosphates ist durch zunehmende
Verunreinigungen im Schlamm begrenzt. Daher muss ein Teil des Schlamms abgelassen
und Magnesium sowie Phosphor hinzugefügt werden.
In den letzten Jahren ist dieses Verfahren vor allem vor dem Hintergrund eines ge-
wünschten Phosphorrecyclings vermehrt ins fachliche Interesse gerückt. Gleichermaßen
ist es dabei beabsichtigt, Phosphor und Stickstoff aus dem Teilstrom abzureinigen, aber
auch möglichst ein Produkt zu erzeugen, welches nicht mehr nur entsorgt, sondern ge-
winnbringend recycelt, d. h. erneut verwendet werden kann. Hierzu wurden unterschied-
liche Verfahren entwickelt und erprobt, die teilweise bereits großtechnisch realisiert sind.
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 225
Abb. 4.48 Schematischer Aufbau einer Ammoniak Strippanlage. (Geipel und Hoffmann 1996)
Strippung Bei der Ammoniakstrippung wird das Ammoniak mithilfe eines Trägergases
aus dem Abwasser entfernt und kann in einer verwertbaren Form zurückgewonnen wer-
den. Vorteile dieser Technik liegen in dem geringen Platzbedarf und in den vergleichs-
weise geringen Investitions- und Betriebskosten.
Das Strippen von Ammoniak wird im Wesentlichen in drei Verfahrensschritten durch-
geführt (Abb. 4.48):
• In der Vorbehandlung wird der pH-Wert des Prozesswassers durch Zugabe von Lauge
angehoben.
• Bei der Ammoniakstrippung wird das im Prozesswasser vorhandene Ammoniak aus-
getrieben und in die Gas- bzw. Dampfphase überführt.
• In der Nachbehandlung werden die in der Ammoniakstrippung entstandenen Brüden
aufkonzentriert und somit das Ammoniak in wieder verwertbarer Form zurückgewon-
nen. Alternativ können die Brüden verbrannt werden.
Das Strippen von Ammoniak ist ein rein physikalischer Vorgang. Voraussetzung hierfür
ist, dass das Ammonium in seiner undissoziierten Form als gelöstes Ammoniak vorliegt.
Die Dissoziation des Ammoniums im Trübwasser ist von der Temperatur und dem pH-
Wert abhängig. Bei neutralen pH-Werten liegt Ammoniumstickstoff nahezu vollständig in
dissoziierter Form vor.
Bei einer pH-Wert Erhöhung verschiebt sich das Dissoziationsgleichgewicht vom Am-
monium (NH4+) zum Ammoniak (NH3):
226 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
NH 3 + H 2 O ↔ NH 4 + + OH 2
Die pH-Wert Erhöhung erfolgt im Allgemeinen durch Zugabe von Kalkmilch oder Na-
tronlauge. Weniger bekannt auf Kläranlagen ist die CO2-Strippung mit anschließender
Laugendosierung.
Beim Einsatz von Natronlauge stehen geringere apparative Anforderungen und ein war-
tungsfreundlicherer Betrieb hohen Betriebsmittelkosten gegenüber. Da der Fällschlamm-
anfall bei der Zugabe von Natronlauge vernachlässigbar ist, wird in einigen Anlagen auf
eine separate Fällschlammabtrennung verzichtet.
Durch eine vorgeschaltete Dekarbonisierung lässt sich der Chemikalienverbrauch sen-
ken. Da bei der Faulung CO2 entsteht, besitzen Prozesswässer eine hohe Pufferkapazität.
Wird das CO2 durch eine vorgeschaltete Strippung entfernt, ist für die anschließende pH-
Wert Anhebung deutlich weniger Lauge erforderlich.
Kalkmilch ist kostengünstiger als Natronlauge und oftmals bereits auf der Kläranlage
vorhanden. Jedoch erfordert die Alkalisierung mit Kalkmilch den Einsatz von Mischreak-
toren mit ausreichender Verweilzeit und in jedem Fall ein anschließendes Sedimentations-
becken. Hierbei erfolgt gleichzeitig eine Fällung von Carbonat und Phosphor sowie durch
die Entfernung unlöslicher organischer Bestandteile eine Reduzierung des CSB.
Zur Strippung des Ammoniaks werden in einer Kolonne Wasser und Gasphase im
Gegenstrom geführt. Das Trübwasser wird am Kolonnenkopf eingeleitet und durchrieselt
die Kolonne gleichmäßig über ein geeignetes Verteilsystem. Im Sumpf der Kolonne wird es
als Reinwasser gesammelt. Das Trägergas wird am Sumpf in die Kolonne eingeblasen. Bei
der Luftstrippung besteht die Gasphase aus Luft, bei der Dampfstrippung besteht die Gas-
phase aus Wasserdampf. In der Kolonne erfolgt ein intensiver Gasaustausch. Dabei wird
das Ammoniak in die Gas- bzw. Dampfphase aufgenommen.
Bei der Planung einer entsprechenden Anlage sollte eine möglichst große Phasengrenz-
fläche bei geringem Druckverlust und hoher Unempfindlichkeit gegenüber Verschmut-
zung gefordert werden. Die Dimensionierung der Kolonne ist abhängig von den spezi-
fischen Eigenschaften des Trübwassers, der Wahl der Füllkörper und der konstruktiven
Gestaltung der Kolonneneinbauten (Maier et al. 1998).
Eine Strippung mit Dampf bietet sich an, wenn bei hohen Abwassertemperaturen auf
der Anlage Dampf und Kühlwasser kostengünstig zur Verfügung stehen. Aufgrund der
hohen Temperaturen muss eine aufwendige Verfahrenstechnik eingesetzt werden, die un-
vermeidlich zu hohen Investitionen führt.
Bei niedrigen Abwassertemperaturen und niedrigen Ammoniakkonzentrationen bietet
sich eine Strippung mit Luft an. Der wichtigste Parameter zur Bemessung einer Anlage
zum Strippen mit Luft ist das Verhältnis von eingesetzter Strippluftmenge zur Prozess-
wassermenge. Dabei wird die Anlage im Allgemeinen auf ein QL/QW-Verhältnis von 1.000
bis 2.000 bemessen.
Der wichtigste Unterschied zwischen der Strippung mit Dampf und mit Luft besteht in
der Nachbehandlung der ammoniakreichen Gasphase. Bei der Luftstrippung wird die Gas-
phase meistens mit einer Säure unter Entstehung von Ammoniumsalz gewaschen oder die
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 227
ammoniakhaltige Luft wird ohne Rückstände verbrannt. Zum Ansäuern der Waschlösung
wird u. a. Schwefelsäure eingesetzt. Hierbei entsteht als Endprodukt Ammoniumsulfat.
Nach der Dampfstrippung wird der ammoniakreiche Dampf in einem Brüdenkonden-
sator abgekühlt und anschließend in einer Rektifizierkolonne konzentriert.
c) Zusammenfassende Bewertung
Bei der Behandlung des auf Kläranlagen anfallenden Schlammes fallen Prozessabwässer
an, die, soweit sie nicht mithilfe eines gezielten Prozesswassermanagements oder über
eine wirksame Prozesswasserbehandlung in den Hauptstrom der Kläranlage eingeleitet
werden, eine Verschlechterung der Ablaufqualität verursachen können. Eine Verschlech-
terung der Ablaufqualität wird vor allem durch die im Prozesswasser vorhandene hohe
Stickstofffracht verursacht. Die Rückbelastung mit organischen Kohlenstoffverbindungen
und Phosphaten ist von nachrangiger Bedeutung für die Reinigungsleistung der Haupt-
anlage. Bei einem ungünstigen N/BSB5-Verhältnis im Hauptstrom kann bei einer Mitbe-
handlung des Prozesswassers im Hauptstrom und einer N-Rückbelastung in Höhe von
25 % eine Vergrößerung des Belebungsbeckenvolumens um 50 % notwendig werden. Diese
Zahl verdeutlicht die Notwendigkeit einer detaillierten Untersuchung zur Optimierung
der Prozesswasserbehandlung.
Prozesswässer werden heute im Allgemeinen immer noch in den Hauptstrom der Klär-
anlage zurückgegeben und dort behandelt. Vermehrt gelangen aber auch heute Teilstrom-
behandlungsverfahren zur Anwendung. Die Entscheidung zugunsten der Behandlung im
Hauptstrom oder im Nebenstrom ist abhängig von anlagen- und ortsspezifischen Rand-
bedingungen. Die Aufstellung einer Bewertungsmatrix stellt ein Instrument zur Entschei-
dungsfindung bezüglich eines bestimmten Verfahrens dar. Letztendlich sollte jedoch die
Betrachtung der Jahreskosten der infrage kommenden Varianten einen maßgeblichen Ein-
fluss auf die Entscheidungsfindung haben.
Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt ist dabei die Berücksichtigung des Einspar-
potenzials bei der Abwasserabgabe. Vor dem Hintergrund der Möglichkeit, die Investi-
tionskosten einer gezielten Teilstrombehandlung mit der Abwasserabgabe zu verrechnen
und später Einsparungen bei den Betriebskosten zu ermöglichen, könnte sich eine Teil-
strombehandlung auch bei Anlagen rechnen, die derzeit den behördlichen Reinigungs-
anforderungen genügen.
Während bei der Behandlung und Entsorgung fester Abfälle oftmals die Vermeidungs-
und Wiederverwertungskonzepte schon erfolgreich eingesetzt werden, ist dies bei der
Klärschlammentsorgung noch nicht zu beobachten. Einzig durch die landwirtschaftliche
Verwertung ist derzeit ein nennenswertes Recycling der Wertstoffe möglich. Aufgrund der
Schadstoffe im Klärschlamm ist aber nicht damit zu rechnen, dass zukünftig ein höherer
Anteil der Schlämme landwirtschaftlich genutzt werden kann. Zwar ist durch das Grei-
fen der Indirekteinleiterverordnung mit weiterhin abnehmenden Schadstoffbelastungen
des Schlammes zu rechnen, jedoch dürften in Zukunft die Schadstoffgrenzwerte aufgrund
neuerer Erkenntnisse und Analysenverfahren weiter heruntergesetzt werden. Außerdem
sind ganze Schadstoffklassen derzeit noch überhaupt nicht in den Verordnungen erfasst
(z. B. endokrin wirkende Substanzen).
Bei steigendem Klärschlammaufkommen sowie einer prognostizierten Zunahme der
Klärschlammverbrennung ist in Zukunft insgesamt von einer Abnahme der in den Stoff-
kreislauf zurückgeführten Wertstoffe des Klärschlamms auszugehen. Dies ist umso kriti-
scher anzusehen, als es sich z. B. bei Phosphor um einen auf unserem Planeten beschränkt
verfügbaren Stoff handelt (Müller und Dichtl 1998).
Phosphor Phosphor ist der bedeutendste der betrachteten Wertstoffe, insofern die glo-
balen Phosphorressourcen endlich sind und bereits heute abzusehen ist, dass in Zukunft
größere Anstrengungen unternommen werden müssen, um mittels entsprechender Kreis-
laufführung die Versorgung der Landwirtschaft mit Phosphatdünger sicherzustellen.
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 229
Stickstoff Die großtechnische Herstellung von Ammoniak verbraucht bei dem Steam-re-
forming-Verfahren 9,6 kWh Strom/kg NH3-N sowie nach der Stöchiometrie des Prozesses
rund 570 g CH4/kg NH3-N. Andererseits werden bei der Nitrifikation des Stickstoffs in
einer Kläranlage rechnerisch 3,07 kWh Strom/kg NH3-N verbraucht. Damit ergibt sich je
kg Stickstoff-Dünger, der direkt aus einem Abwasserteilstrom genutzt werden kann, allein
für die Energiebilanz insgesamt ein Einsparpotenzial von 12,7 kWh/kg NH3-N. Das Wert-
stoffpotenzial von Stickstoff lässt sich anhand des Marktpreises des Düngers Ammonsul-
fatsalpeter in Höhe von ca. 0,85 €/kg N (Preis ca. Marktpreis, Basis 2012) berechnen.
Kalium Kalium stellt ein global häufig vorkommendes Element dar, insofern mag seine
Bedeutung im Hinblick auf den Ressourcenschutz nicht ganz so hoch wie im Falle des
Phosphors sein. Darüber hinaus akkumuliert das gut lösliche Kalium lediglich durch den
Aufbau von Biomasse im Klärschlamm. Der Großteil bleibt also gelöst und müsste dann
ggf. durch die Nutzung der flüssigen Phase verwertet werden. Dennoch stellt Kalium als
Dünger ein Wertstoffpotenzial von 0,4 €/kg K dar (Preis ca. Marktpreis, Basis 2012) und
wird somit in die Wertstoffbilanz einbezogen.
Tab. 4.25 Kennzahlen für die aerobe und anaerobe Behandlung organischer Stoffe
CSB-Abbaugrad anaerobe Behandlung 80 %
Verhältnis CSB/BSB5 2,3
Spezifische Methanbildung 0,15 kg CH4/kg CSBabgebaut
Spezifischer O2-Bedarf aerober Abbau 1,2 kg O2/kg BSB5
Spezifischer O2-Ertrag 1,5 kg O2/kWh
Strom Bezug konventionell 0,065 €/kWha
Strom Einspeisung regenerativ 0,087 €/kWha
Wirkungsgrad der Gasmotoren 32 %a
a
Für konkrete Wirtschaftlichkeitsberechnungen sollten Werte entsprechend den örtlichen Randbe-
dingungen verwendet werden!
Somit ergibt sich ein Gesamtpotenzial von rund 0,7 kWh/kg CSBabgebaut. Bezogen auf die
eingesetzte Primärenergie läge das Potenzial sogar bei 2 kWh/kg CSB. Für die aerobe wie
anaerobe Behandlung der organischen Fracht wurden die folgenden Annahmen getroffen
Tab. 4.25.
c) Komponentenrecycling
Aus der Erkenntnis, dass bei der landwirtschaftlichen Klärschlammverwertung die nütz-
lichen Stoffe verwertet werden, aber wissentlich in Kauf genommen wird, dass Schad-
stoffe flächig auf die Böden gebracht werden, demgegenüber aber bei der Verbrennung
Schadstoffe sicher zu handhaben sind, nützliche Stoffe jedoch vernichtet werden, liegt eine
ökologisch sinnvolle Lösung sicherlich darin, die Wertstoffe gezielt zu recyceln und die
Schadstofffraktionen zu verwerfen. Im Hinblick auf die wesentlichen Wertstoffe werden
die heute zur Verfügung stehenden Verfahren nachfolgend aufgezeigt.
Kohlenstoff Die biologische Stabilisierung von Klärschlämmen ist seit Jahrzehnten in der
Bundesrepublik Deutschland anerkannte Regel der Technik. Während für kleinen Klär-
anlagen die aerobe Stabilisierung deutlich vorteilhafter ist, hat sich für mittlere und große
Kläranlagen die anaerobe Variante des Verfahrens, die Schlammfaulung, nahezu flächen-
deckend durchgesetzt. Es ist bekannt, dass bei dieser Technik ca. 50 % der organischen
Schlamminhaltsstoffe in Biogas und Wasser überführt werden, sodass dieser Verfahrens-
schritt zu einer Schlammmassenreduktion – normale Rohschlammzusammensetzung
vorausgesetzt – von ca. 1/3 führt. Die Reduktion der Schlammtrockenmasse ist jedoch
bei diesem Verfahrensschritt nur ein Prozessziel, das i. d. R. gleichwertig mit anderen
Prozesszielen (Erzeugung eines stabilen Endproduktes, das die Umwelt geringstmöglich
beeinflusst, Biogasgewinnung, Verbesserung der Entwässerbarkeit) verfolgt wird. Zuneh-
mend werden jedoch in den letzten Jahren Anstrengungen unternommen, im Bereich der
Schlammbehandlung gezielt zu einer Verminderung der Schlammmengen zu gelangen.
Hier sind vor allem Ansätze in folgenden Bereichen zu sehen:
Rücklaufschlamm
Überschußschlamm
Primärschlamm- (ÜS)
behandlung(PS)
Desintegration
Eindickung
Biogas
Schlamm- Entwässerung
stabilisierung
Entsorgung/Unterbringung
Schlammwasser = Rückbelastung
Abb. 4.49 Einbindung einer technischen Einrichtung zur Desintegration von Überschussschlamm
in die Verfahrenstechnik der Schlammbehandlung. (Kopp et al. 1997)
Für alle Ansätze gilt gleichermaßen das Ziel, die letztendlich zu entsorgenden Schlamm-
trockenmassen zu minimieren, um sowohl ökologische als auch ökonomische Nachteile
durch diese Erfordernisse zu vermeiden oder zu minimieren.
Beispielhaft ist in Abb. 4.49 die Einbindung einer Einrichtung zur Klärschlammdes-
integration dargestellt.
Die in Abb. 4.49 dargestellte Verfahrenstechnik ist sowohl für Rührwerkskugelmüh-
len, Scherspalthomogenisatoren, Ultraschall, thermische Hydrolyse oder anderes denkbar.
Gleichermaßen ist es Ziel der Schlammbeeinflussung, das Zellmaterial des Überschuss-
schlammes einem weitergehenden biologischen Abbau zugänglich zu machen respektive
die Feststoffe gänzlich zu verflüssigen. Auch wenn in den letzten Jahren auf diesem Gebiet
vielfältige Forschungsaktivitäten gerade in der Bundesrepublik Deutschland stattgefun-
den haben, sind bisher nur sehr wenige Anlagen großtechnisch mit Teilstufen zur Klär-
schlammdesintegration ausgerüstet worden. Die gewonnenen Erfahrungen lassen sich wie
folgt knapp zusammenfassen:
• Der Desintegrationserfolg ist oftmals, aber nicht immer, proportional zur eingesetzten
Energie.
• Geschlossene Massen- und Energiebilanzierung für den Teilschritt der Desintegration
sind bisher noch nicht endgültig erarbeitet. Ein aktuell abgeschlossenes BMBF-For-
schungsvorhaben gibt hierzu weitere Informationen (Winter 2003).
• Bei vertretbaren Aufschlussgraden bzw. dem damit verbundenen Energieeinsatz kann
ein Gasmehrertrag von 10 bis 20 % je nach Randbedingungen erwartet werden. Glei-
ches gilt für die Minderung der Schlammfeststoffmasse in Bezug auf deren organischen
Anteil.
234 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
• Selbst bei optimaler Desintegration ist eine gänzliche Vermeidung von zu entsorgen-
dem Klärschlamm unmöglich, da zumindest die anorganischen Bestandteile bleiben
müssen. In aller Regel wird es nicht gelingen, die organischen Inhaltsstoffe des Schlam-
mes so weit zu minimieren, dass die Qualitätskriterien der TA Siedlungsabfall zur Lage-
rung der Reststoffe auf Deponien eingehalten werden können.
• Verfahrenstechnisch muss in jedem Fall berücksichtigt werden, dass durch einen wei-
testgehenden Abbau der organischen Schlamminhaltsstoffe nicht nur die CSB-Rückbe-
lastung aus der Schlammbehandlung für die Kläranlage steigt, sondern dass vor allem
auch die inerten Anteile des CSB in der Rückbelastung ebenso wie Stickstoff und Phos-
phor zunehmen, was auch bei der kostenmäßigen Bewertung Berücksichtigung finden
muss.
Eine Übersicht über die verschiedenen Verfahren wird in Tab. 4.26 gegeben.
In der kommunalen Abwasserreinigung werden in erster Linie die biologischen Verfah-
ren angewandt, vornehmlich die Nitrifikation/Denitrifikation. Diese Verfahren wie auch
die Knickpunktchlorung wandeln Ammoniumstickstoff in molekularen Stickstoff um.
Dies hat den Nachteil, dass große Mengen von für den Pflanzenwuchs wichtigen Stick-
stoffverbindungen verloren gehen, weil sie als N2 in die Luft entweichen. Menschen und
Tiere scheiden weltweit pro Jahr mehr als 100 Mio. Mg an gebundenem Stickstoff aus.
90 Mio. Mg Ammonium werden jährlich durch Bodenbakterien auf natürlichem Weg aus
Luftstickstoff synthetisiert. Weitere 75 Mio. Mg werden pro Jahr an Stickstoffdünger pro-
duziert, der großteils im Haber-Bosch-Verfahren katalytisch aus Luftstickstoff und Wasser
unter Einsatz von Kohle gewonnen wird (Schulze-Rettmer und Yawari 1988).
Es sind verschiedene Verfahren zur Rückgewinnung von Ammonium als konzentrierte
Ammoniaklösung (Ammoniak-Starkwasser) oder als Ammoniumsalz entwickelt worden.
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 235
Tab. 4.26 Vergleich der Stickstoff-Rückgewinnungsverfahren. (Nach Marr und Koncar 1990)
Verfahren Produkt Anreicherung pH-Wert- Bemerkungen
Anhebung
Luftstrippen Ammonium- bis zur Sättigung ja Bei hohen Abwas-
salzlösung serkonzentrationen
sind hohe Luftmen-
gen umzusetzen.
Dampfstrippen Ammoniaklösung 10-fache Abwasser- ja Saure Wäsche
eintritts-konzent- möglich, wodurch
ration Ammoniumsalz
gewonnen wird.
Flüssigmembran- Ammoniumsalz- bis zur Sättigung ja (nein) Durch Einsatz
Permeation lösung flüssiger Ionen-
austauscher kann
die pH-Anhebung
entfallen.
Adsorption Ammoniaklösung keine ja im Entwicklungs-
Erfahrungswerte stadium
Umkehrosmose Ammoniumsalz- begrenzt durch nein keine selektive
lösung osmotischen Abtrennung von
Druck und Mem- Ammonium
branfestigkeit, möglich
Ammoniumsalz,
15 Gew.-%
Elektrodialyse Ammoniumsalz- Verhältnis Anrei- nein keine selektive
lösung cherung: Abtren- Abtrennung von
nung = 100 Ammonium
möglich
Ionenaustausch Ammoniumsalz- bis zur Sättigung nein Produktlösung ent-
lösung hält auch Regenera-
tionsionen (Na+).
MAP-Fällung Magnesium- Entsprechend Fällungs-pH Bei Anwesenheit
ammonium- der Verfügbarkeit giftiger Begleitstoffe
phosphat (fest) von Metallionen, ist das Produkt
Ammonium unbrauchbar.
Reaktiv- Ammonium- bis zur Sättigung nein im Entwicklungs-
extraktion salzlösung stadium
In den meisten Fällen ist dazu eine Anhebung des pH-Wertes auf pH 11,5 bis 12 not-
wendig, um eine weitgehende Umwandlung des Ammoniums in Ammoniak zu erreichen.
Zu diesen Verfahren gehören die Strippverfahren sowie die Flüssigmembran-Permeation.
Ohne pH-Wert-Anhebung lassen sich der Ionenaustausch, die Umkehrosmose und die
Elektrodialyse betreiben.
Aus ökologischen Gründen sind jene Verfahren zu bevorzugen, die Ammonium di-
rekt abtrennen und in eine verwertbare Form überführen. Diese Prozesse befinden sich
236 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
einerseits erst in einem Stadium der Entwicklung oder sind andererseits für industrielle
Einsätze derzeit noch zu teuer. Bei der Umkehrosmose und der Elektrodialyse können
außerdem die gewünschten Produktkonzentrationen meist nicht erreicht werden, weshalb
sie sehr oft nur in Kombination mit Austreibeverfahren eingesetzt werden. Die Aufkon-
zentrierung des Strippereinsatzstromes bewirkt aber eine bedeutende Chemikalien- und
Energieeinsparung, sodass solche Prozesse insgesamt kostengünstig arbeiten können. Die
geringe Selektivität muss als weiterer Nachteil bei Umkehrosmose und Elektrodialyse ge-
nannt werden. Das letztgenannte Verfahren trennt alle Ladungsträger ab, welche die Mem-
bran passieren können und reichert sie in der Produktlösung an. Bei der Umkehrosmose
werden die meisten Wasserinhaltstoffe von der Membran zurückgehalten und so im Kon-
zentrat angereichert. Durch die Kombination mit dem Dampfstrippprozess wird dieser
Nachteil bei beiden Prozessen weitgehend aufgehoben.
Der Ionenaustauscherprozess mit Clinoptilolit zeigt hingegen eine relativ gute Selekti-
vität bezüglich des Ammoniaks. Durch die hohen Anteile an Regenerationskomponenten
in der Produktlösung wird die Verwendbarkeit des Ammoniumsalzes jedoch sehr einge-
schränkt (Marr und Koncar 1990).
Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zeigen, dass die Dampfstrippung vor der Flüssig-
membran-Permeation und der Luftstrippung das günstigste Verfahren darstellt (Rauten-
bauch und Machhammer 1988). Künftig muss die Effizienz der angegebenen Verfahren
ohne pH-Wert-Anhebung verbessert und nach gänzlich neuen Methoden gesucht werden.
d) Kombinierte Verfahren
Zur Handhabung der Gesamtproblematik liegt es nahe, dass aus den oben genannten Ver-
fahren zur Rückgewinnung einzelner Komponenten Kombinationen entwickelt werden
können, die gleichermaßen die Nutzung aller Wertstoffe aus der Klärschlammmatrix er-
lauben. Ein neuer Ansatz hierzu ist beispielsweise im Seaborne-Verfahren zu sehen (Dichtl
und Dockhorn 2002).
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 239
Tab. 4.29 Frachten und Konzentrationen des Gesamtabwassers sowie von Gelb- und Schwarzwas-
ser von 350.000 EW
Parameter Fracht (Mg/a) Konzentration (mg/L) Teilstrom
CSB 15.695 689 Gesamtabwasser
Stickstoff 1.409 61,9
Phosphor 190 8,3
TS 5.694 250
Ka 630 27,7
Abwasseranfall (m3/a) 22.776.000
CSB 1.883 10.762 Gelbwasser
Stickstoff 1.226 7.005
Phosphor 95 543
TS 0 0
Ka
340 1.944
Gelbwasseranfall (m3/a) 175.000
CSB 7.377 18.407 Schwarzwasser
Stickstoff 141 352
Phosphor 76 190
TS 2.847 7.104
Ka 76 189
Schwarzwasseranfall (m /a)3
400.750
a
berechnet nach Angaben von Otterpohl, 2000 mit 4,9 g K/(EW · d)
Gleichwohl verursacht eben diese organische Belastung bei der konventionellen Abwasser-
reinigung einen erheblichen Anteil der Kosten.
Tab. 4.32 Wertstoffpotenzial CSB 1,9 Mrd. kWh elektrisch, 167.500.000 €/a
des kommunalen Abwassers entsprechend
auf ganz Deutschland hoch-
N 344.200 Mg N, entsprechend 243.000.000 €/a
gerechnet. (Dockhorn und
Dichtl 2003) P 53.900 Mg P, entsprechend 42.100.000 €/a
K 147.600 Mg K, entsprechend 43.800.000 €/a
Summe 496.400.000 €/a
satz von rund 1,2 Mrd. kWh an Strom erforderlich ist. Darüber hinaus wären für die Nitri-
fikation der entsprechenden Stickstofffrachten nochmals rund 1 Mrd. kWh erforderlich.
Zusammen mit den rund 1,2 Mrd. kWh (elektrisch), die sich aus der organischen Fracht
mittels anaerober Behandlung gewinnen ließen, ergibt sich ein gesamtes Einsparpotenzial
von 3,4 Mrd. kWh an elektrischer Energie. Umgerechnet in Primärenergie errechnet sich
gar ein Einsparpotenzial von gut 10 Mrd. kWh. Dies entspricht etwa 0,25 % des gesamten
Energieverbrauchs der Bundesrepublik, der im Jahr 2000 bei 14.180 Petajoule lag (Statis-
tisches Bundesamt 2002).
Der Düngemittelabsatz in Deutschland betrug im Wirtschaftsjahr 2000/2001 (An-
gaben jeweils in Bezug auf die reinen Nährstoffe) 1.848.000 Mg N, 351.000 Mg P sowie
544.000 Mg K (Landhandelsverband Bayern 2002). Somit ließe sich bei vollständiger
Rückführung der in den häuslichen Abwässern vorhandenen Nährstoffe in den landwirt-
schaftlichen Nutzkreislauf der Düngerbedarf an Stickstoff zu 18,6 %, der an Phosphor zu
15,4 % sowie derjenige an Kalium zu 27 % decken.
Im Folgenden sind die Wertstoffpotenziale der einzelnen Teilströme für das betrachtete
Fallbeispiel von 350.000 EW aufgeführt (Tab. 4.33).
Selbstverständlich lassen sich mit vertretbarem Aufwand nicht sämtliche Inhaltsstoffe
aller aufgeführten Abwasserteilströme gewinnbringend nutzen. So wird sich eine separa-
te anaerobe Behandlung von Gelbwasser zur Biogasgewinnung vermutlich ebenso wenig
sinnvoll realisieren lassen wie eine anaerobe Behandlung des Grauwassers. Eine Nutzung
des im Grauwasser enthaltenen Nährstoffpotenzials wird auch nur dann möglich sein,
wenn z. B. eine landwirtschaftliche Nutzung des vorbehandelten Abwassers erfolgt.
4.2.6.4 Zusammenfassende Bewertung
Unter dem Gesichtspunkt des Ressourcenschutzes ist es in Zukunft dringend geboten,
die im Klärschlamm enthaltenen Nährstoffe einer weiteren Verwertung und Nutzung zu-
244 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Im Gegensatz zu den rechtlichen Vorgaben, die im Bereich der kommunalen und indust-
riellen Abwasserreinigung die Verantwortlichen zur Durchführung technischer Maßnah-
men zwingen, gibt es für den Bereich der Klärschlammstabilisierung keine klaren gesetz-
lichen Vorgaben.
Die Betreiber von Kläranlagen folgen im Bereich der Klärschlammbehandlung also
der Not, den Klärschlamm ganzjährig sicher entsorgen zu müssen. Hierbei sind neben
der Frage der sicheren Entsorgungsmöglichkeit vor allem auch Fragen zur Redundanz der
Entsorgungsmöglichkeiten sowie zu den wirtschaftlichen Konsequenzen oftmals das Mo-
tiv zur Wahl einer bestimmten Behandlungstechnik.
Als Alternative zur anaeroben Schlammfaulung im Bereich der Klärschlammstabilisie-
rung stehen neben den beschriebenen kombinierten Verfahrenstechniken die simultane
aerobe Schlammstabilisierung (gemeinsam mit der Abwasserreinigung durchgeführt), die
getrennte aerobe Schlammstabilisierung im mesophilen sowie im thermophilen Tempera-
turbereich sowie die Entsorgung von Rohschlämmen zur Verfügung. Langläufig hat sich
bei der Auswahl des geeigneten Stabilisierungsverfahrens die Auffassung durchgesetzt,
dass für Großanlagen die anaerobe Schlammfaulung prinzipiell und für kleine bis sehr
kleine Kläranlagen die aerobe Schlammstabilisierung als kostengünstigste Variante anzu-
sehen ist.
Ende der 1990er-Jahre wurde anhand einer statistischen Auswertung für die Bundes-
republik Deutschland festgestellt, wie hoch in der Praxis der Anteil der unterschiedlichen
Stabilisierungsverfahren zum Zwecke der Schlammbehandlung ist. Als Datengrundla-
ge wurden die Nachbarschaftslisten der ATV-Landesgruppen ausgewählt, da sie die in
Deutschland vorhandenen Kläranlagen nahezu vollständig erfassen. Die Landesgruppen
Baden-Württemberg, Nord-Ost, Hessen-Rheinland-Pfalz, Sachsen-Thüringen, Nord und
Nordrhein-Westfalen enthalten neben der Anschlussgröße und den Verfahren zur Abwas-
serreinigung auch Informationen zur Schlammbehandlung und -stabilisierung. Bei der
Landesgruppe Bayern sind keine Informationen zur Schlammbehandlung enthalten, so-
dass die Daten bayerischer Kläranlagen bei der Auswertung nicht berücksichtigt wurden.
Insgesamt wurden mit dieser Methode die Daten von 5.502 Kläranlagen erfasst.
Bei der Betrachtung der Anteile der Schlammstabilisierungsarten muss darauf hinge-
wiesen werden, dass durch Mehrfachnennungen (z. B. simultane aerobe Stabilisierung und
Faulung) die Summen der Anteile i. d. R. oberhalb von 100 % liegen. Die 100-Prozentmar-
ke entspricht in Abb. 4.50 der in dem jeweiligen Balken dargestellten Anzahl der Kläranla-
gen, die innerhalb der Größenklasse erfasst wurde.
Der Anteil der getrennten aeroben Stabilisierung liegt in der Größenklasse 5.000 bis
10.000 EW bei etwa acht Prozent. Oberhalb und unterhalb dieser Größenklasse treten je-
weils geringere Anteile auf. Ab 20.000 EW sinkt der Anteil der Anlagen mit getrennter
aerober Stabilisierung mit steigenden Ausbaugrößen immer weiter ab. Insgesamt ist diese
Stabilisierungsart von untergeordneter Bedeutung.
246 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
- getrennt aerob - gemeinsam aerob - ohne Stabilisierung - beheizte Faulung - unbeheizte Faulung
Schlammstabilisierungsarten [%]
100
80
EW in der Größenklasse
60
4,86*106
5,37*106
4,85*106
4,35*106
13,86*106
12,16*106
7,26*106
33,77*106
16,69*106
11,46*106
40
20
0
<5 5-10 10-15 15-20 20-30 30-50 50-100 100-500 500-1000 >1000
Den unbeheizten Faulbehältern wurden auch die Emscherbrunnen zur kalten Aus-
faulung von Primärschlamm zugerechnet. Sowohl kleine als auch große Anlagen wurden
mit unbeheizten Faulbehältern ausgestattet. Eine ausgeprägte Abhängigkeit über die Aus-
baugröße ist nicht erkennbar. Der maximale Anteil liegt in der Größenklasse 10.000 bis
15.000 EW bei etwa 11,5 % der Anlagen. Der minimale Anteil ergibt sich zu 5,5 % in der
EW-Größenklasse 20.000 bis 30.000.
Beheizte Faulbehälter weisen mit steigender Ausbaugröße einen immer größeren Anteil
an den Schlammstabilisierungsarten auf. Ab der Größenklasse 10.000 bis 15.000 EW ist
die beheizte Faulung die am häufigsten vertretene Stabilisierungsart. Die Anteile steigen
von 25 % (10.000 bis 15.000 EW) bis auf 79 % (500.000 bis 1 Mio. EW). Bei den Groß-
anlagen (> 1 Mio. EW) sinkt der Anteil der Anlagen mit beheizter Schlammfaulung auf
33 % ab. Ursache dafür ist die geringe Anzahl der Kläranlagen in dieser Klasse, wobei ein
Großteil der Anlagenbetreiber innerhalb dieser Größenklasse keine Angaben zur Art der
Schlammstabilisierung gemacht haben.
Insgesamt verfügt ein beträchtlicher Teil der Anlagen über keine Verfahrenstechnik der
Schlammstabilisierung. Mit mehr als 60 % der Anlagen wird diese Beobachtung besonders
bei sehr kleinen und bei sehr großen Kläranlagen deutlich. Ausgehend von kleinen An-
lagen sinkt der Anteil von 44 % (5.000 bis 10.000 EW) auf 32 % (15.000 bis 20.000 EW). Ab
der Größenklasse 20.000 bis 30.000 EW sinkt der Anteil der Kläranlagen ohne Schlamm-
stabilisierung mit steigenden Ausbaugrößen von 39 % auf etwa zehn Prozent (500.000 bis
1 Mio. EW). Grundsätzlich kann aus dem geschilderten Zusammenhang geschlossen wer-
den, dass die Bedeutung der Schlammstabilisierung bei größeren Kläranlagen zunimmt.
4.2 Behandlung kommunaler Schlämme 247
Abb. 4.51 Verfahren der Schlammstabilisierung – Verteilung bezogen auf die Anzahl der Abwas-
serreinigungsanlagen (Datenbasis 2843 Anlagen 2003, DWA 2005)
In dieses Bild passen die Daten der Großanlagen (> 1 Mio.) nicht hinein, was auf die ge-
ringe Anlagenanzahl innerhalb der Größenklasse bzw. die direkte Schlammverbrennung
ohne vorhergehende Stabilisierung zurückgeführt werden kann.
In Abb. 4.51 und 4.52 sind die Ergebnisse der neuesten Datenumfrage (DWA 2005) dar-
gestellt. Die Tendenz der Datenauswertung von 1998 wird voll bestätigt.
Bezogen auf die angeschlossenen Einwohner dominiert die Schlammfaulung mit 76 %
eindeutig. Für kleine und kleinste Anlagen behält die simultan aerobe Stabilisierung wei-
terhin ihre Bedeutung. Die Verbrennung von Rohschlamm auf Großanlagen schlägt mit
weniger als 10 % der angeschlossenen EW zu Buche. Alle anderen Verfahren sind praktisch
ohne wesentliche Bedeutung.
Aufgrund der in den letzten Jahren geführten Diskussion bezüglich des Energieein-
satzes auf Kläranlagen und deren energetische Optimierung werden heute immer kleinere
Kläranlagen mit Schlammfaulungen ausgerüstet. Dieser Trend wird durch die bundes-
deutschen Bemühungen hin zu den erneuerbaren Energien deutlich unterstützt.
Die DWA hat, diesem Trend Folge tragend, im Jahr 2011 einen Fachausschuss imple-
mentiert, der sich mit Schlammfaulungstechnologien für kleine Kläranlagen befasst. Ein
Bericht ist in Kürze zu erwarten.
248 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Karl-Georg Schmelz
4.3.1 Einleitung
Erfahrungsberichte für Planer und Betreiber von Kläranlagen sowie für den Gesetzgeber
und Genehmigungsbehörden. In diesem Kapitel sollen ein Überblick über die Bandbreite
potenzieller Co-Substrate gegeben und einige Beispiele zur großtechnischen Co-Fermen-
tation im In- und Ausland vorgestellt werden. Ergänzende Anmerkungen zu den The-
matiken ‚Rechtliche Randbedingungen‘ und ‚Vertragswesen‘ sowie eine Zusammenfassung
runden das Kapitel ab.
In der Landwirtschaft wird die Co-Fermentation von Gülle (Basis-Substrat) und land-
wirtschaftlichen Abfällen in Form von privaten Biogasanlagen schon seit den 50er-Jahren
praktiziert. In jüngerer Vergangenheit wurden vermehrt Großanlagen errichtet, in denen
neben Gülle und Agrarabfällen verstärkt nachwachsende Rohstoffe bzw. Energiepflanzen
in Form von Frischsubstrat oder Silagen verwertet werden. In den letzten Jahren werden
häufig auch organische Abfälle aus Industrie und Gewerbe verarbeitet. Die Co-Fermenta-
tion in landwirtschaftlichen Biogasanlagen ist nicht Bestandteil dieses Abschnitts, sondern
wird ausführlich in Kap. 8.1 und 8.2 behandelt.
4.3.2 Co-Substrate
4.3.2.1 Allgemeines
Das Mengenpotenzial aller gewerblichen, industriellen und kommunalen organischen Ab-
fälle genau zu ermitteln, ist äußerst schwierig, da vollständige und aktuelle Zahlen kaum
verfügbar sind. Das größte Potenzial an Substraten für die Co-Fermentation bieten jedoch
die Industriezweige der Nahrungsmittel-, Genussmittel- und Getränkeindustrie mit einer
Vielzahl an Abfällen, Produktionsrückständen, Fehlchargen sowie verfallenen und verdor-
benen Produkten.
Die Abwässer- und Abfallströme aus der Nahrungs- und Genussmittelindustrie bieten
vielfach ideale Voraussetzungen für eine Verwertung in Vergärungsanlagen oder Faulbe-
hältern. Einige dieser Eigenschaften sind:
Die anaerobe Behandlung von Industrieabwässern mit hohen organischen Frachten hat
sich in den letzten Jahren weiter verbreitet (vgl. Kap. 5). Teilweise werden hochbelastete
Abwasser-Teilströme aus der Nahrungs- und Genussmittelindustrie auch heute schon auf
kommunalen Kläranlagen als Co-Substrate in der Schlammfaulung eingesetzt.
Vor allem für die Verwertung von überlagerten Nahrungsmitteln und Speiseresten hat
sich nach Inkrafttreten des Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz (TierNebG)
vom 25. Januar 2004 ein großer Markt für die anaerobe biologische Behandlung in Ver-
gärungsanlagen ergeben. Ein großer Teil dieser Abfälle wird in Biogasanlagen verarbeitet,
kleinere Mengen werden auch auf Kläranlagen als Co-Substrate in der Faulung eingesetzt.
Wenn diese Abfälle hygienisiert auf der Kläranlage angeliefert werden, können sie in der
Regel sehr einfach, ohne weitere Aufbereitung, in den Faulbehälter eingebracht werden.
Teilweise ist der Proteingehalt der Speiseabfälle jedoch relativ hoch, sodass es zu einer zu-
sätzlichen Stickstoff-Rückbelastung aus der Co-Vergärung kommen kann. Zudem sind die
Speiseabfälle meist sehr geruchsintensiv und sollten daher nur in geschlossenen Systemen
behandelt werden.
Eine mengenmäßig bedeutende und wirtschaftlich besonders interessante Fraktion
stellen Fettabscheiderinhalte und andere fetthaltige Schlämme dar. Die Mitbehandlung in
den Faulbehältern einer Kläranlage erfordert einen geringen Zusatzaufwand und ist unter
Berücksichtigung bestimmter Randbedingungen (Speicherung, Förderung, Beheizung)
problemlos durchzuführen. Als Ergebnis kann die Gasproduktion deutlich gesteigert wer-
den, denn aus Fetten entsteht bei der Vergärung eine sehr große spezifische Gasmenge mit
einem hohen Methangehalt.
Neben den bereits genannten organischen Abfällen aus Gewerbe und Industrie stellt
kommunaler Bioabfall ein flächendeckend verfügbares Co-Substrat dar. Zwar ist die Kom-
postierung kommunaler Bioabfälle die Regel, Probleme und Nachteile des Verfahrens
gegenüber der Vergärung führen jedoch vermehrt zu einer anaeroben Behandlung (z. T.
auch Co-Fermentation) kommunaler Bioabfälle. Bei der Vergärung kommunaler Bioab-
fälle aus der getrennten Sammlung können Trocken- und Nassverfahren unterschieden
werden. Unterscheidungskriterium ist der Feststoffgehalt. Bei Feststoffgehalten unter 15 %
spricht man allgemein von Nassvergärung, bei Feststoffgehalten über 30 % von Trocken-
vergärung. Zwischen 15 und 30 % existiert ein „Graubereich“ (Scherer 1995).
Die Nassvergärung unterscheidet sich von der klassischen Klärschlammfaulung nur
durch die relativ aufwendige Aufbereitung der Bioabfälle und den höheren Feststoffgehalt
in den Fermentern. Gerade für Bioabfälle aus innerstädtischen Bereichen, die aufgrund
des vorherrschenden Küchenabfallanteils sehr feucht sind und zudem große Störstoffan-
teile aufweisen, bietet sich die Co-Vergärung auf der Kläranlage an. Die Bioabfälle werden
4.3 Beispiele zur Co-Vergärung auf Kläranlagen 251
• vergärbar,
• zerkleinerbar (falls erforderlich),
• in den Rohschlamm einmischbar,
• pumpbar und
• weitgehend stör- und schadstofffrei
Tab. 4.35 Organische Industrieabfälle (erweitert auf der Basis von Braun 1992)
Produkt Feste/Halbfeste Feststoffhaltige Abwässer
Abfälle Abwässer/Schlämme
Zucker Rübenschnitzel Melasse Schwemm- und
Carbonatationsschlamm Waschwasser Brüden-
kondensat, Fallwasser,
Ionenaustauscher
Stärke Pülpe; Keimlinge, Fruchtwasser, Gluten Schwemm- und
verdünnte Rohware, Waschwasser,
Schalen Quellwasser
Pflanzliches Öl Hülsen, Schalen, Phospholipide, Fett- Brüdenkondensat
Pressrückstände säuren, Glycerin
Alkohol, Hefe Pülpe Melasse- und Waschwässer,
Vinasseschlempe Lutterwässer,
Reinigungswässer
Milch, Käse und sons- Käsebruchverluste, Molke, Separator- Waschwässer,
tige Milchprodukte verdorbene und abge- Schlamm, Fettschlamm, Reinigungs-
laufene Ware Salzbäder Lauge und -Säure,
Brüdenkondensat
Kartoffelerzeugnisse, Schalen, Siebreste, Waschwässer, Schäl-
z. B. Pommes Frites Kartoffelreste, verdor- wässer, Blanchierwäs-
und Chips bene und abgelaufene ser, Brüdenkondensate
Ware der Friteusen
Konserven Schalen, Hülsen, Lake, Fruchtwässer, Waschwässer, Schäl-
Kraut, Stiele, verdor- Blanchierwässer, wässer, Blanchierwäs-
bene Rohware Aufgussverluste ser, Kühlwässer
Fruchtsaft Trester, Siebreste, Schönungstrub, Wasch- und
Pappe/Karton, Papier/ Reinigungsrückstände Schwemmwasser,
Etiketten Brüdenkondensat
Bier/Malz Treber, Malz(staub), Waschrückstände, Spülwässer, Glatt-
Gelägerhefe, Gers- Quell- und Weich- wässer, Trub,
tenreste, Spelzen, wasser, Treberpresssaft, Bierschwund,
Filterrückstände, Heiß- und Kühltrub Reinigungswasser
Pappe/Karton, Papier/
Etiketten
Fleisch Karkassen, Rechengut, Fettschlamm als Flotat Waschwässer
Magen-, Darm- und oder Fettabscheiderin-
Panseninhalt, Schlam- halte, Blut
mabfälle, Dung, Stroh
Tierfutter Siebreste Fettschlamm Waschwässer,
Brüdenkondensat
Wein Stiele, Kämme, Trester, Weinverluste, Wasch- Reinigungswässer,
Einschleimungstrub, laugen, Restgeläger Kühlwässer
Hefetrub, Kieselgur,
Weinstein
4.3 Beispiele zur Co-Vergärung auf Kläranlagen 253
der Bakterien an die Co-Substrate erfolgen. Bei ausreichend langen Adaptionsphasen ist
jedoch nahezu jeder organische Abfall zur Co-Fermentation geeignet. Trotzdem sollten
Vergärungsanlagen nicht als „universelle Mülltonnen“ missbraucht werden, sondern die
Tab. 4.36 Substratspezifische Eigenschaften von Co-Substraten, modifiziert auf der Basis von (Behmel und Meyer-Pittroff 1996; KTBL 2000; FNR 2005;
254
DWA 2009)
Abfallerzeuger EAK-Nr. TS oTS Nges NH4-N P2O5 K2O C/N Gasausbeutea
(%) (% TS) (% TS) (% Nges) (% TS) (% TS) (–) (m3 CH4/kg oTS)
Brennerei
Apfelschlempe 020702 2–3,7 94–95 – – – – 6 0,33
Birnenschlempe 020702 1,7–2,0 81–87 – – – – – –
Getreideschlempe 020702 4–8 87–95 3–8 – – – 10–11 0,4–0,6
Himbeerschlempe 020702 4,5–5,1 85–90 – – – – – –
Kartoffelschlempe 020702 12–15 90 5–13 – 0,9 6,4 6–19 0,37–0,55
Weizenschlempe 020702 3–5 96–98 6–9,9 – 3,6–6 – – –
Melasseschlempe 020702 10,5 71,2 – – – – – 0,35–0,4
Mirabellenschlempe 020702 4,9–6,5 76–93 – – – – – –
Zuckerfabrikation
Melasse 070599 80 95 1,5 – 0,3 – 14–27 0,3–0,4
Hefefabrikation
Vinasse 020499 63 53 3,8 – 0,3 8,8 9 –
Fruchtsaftherstellung, Brennerei, Pektinfabrikation
Obsttrester 020702 25–50 90–95 1,1 – 0,5 1,2 50 0,3–0,4
Apfeltrester 020702 25–45 85–90 1,1 – 0,3 0,9 30 0,25–0,4
Weinbereitung
Rebentrester 020702 40–50 80–95 1,5–3 – 0,8–1,7 3,4–5,4 20–27 0,4–0,5
Biertreber 020799 20–25 87–90 3,5–4,5 – 1,5 1,2 10 0,35–0,45
Hopfentreber (getrocknet) 97–97,5 90 3–3,2 – – – 12 0,5–0,55
Filtrationskieselgur (Bier) 020701 30 6,3 0,7 – 0,1 0,01 5 0,3–0,35
Molkerei
4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Kakaofabrikation
Kakaobohnenschalen 020304 95 91 2,5 – 1 2,8 20–22 –
Schlachthof
Mageninhalt (Schwein) 020299 12–15 80–87 2,5–2,7 – 1,05 0,7 17–21 0,2–0,3
Panseninhalt (unbehandelt) 020299 11–19 80–88 1,3–2,2 30 1,2–1,6 0,5–0,6 17–21 0,2–0,4
Panseninhalt (abgepresst) 020299 20–45 90 1,5 – 1 0,5–0,6 11–20 0,2–0,4
Flotatschlamm 020204 5–24 83–98 3–8 30 0,9–2,8 0,1–0,2 – 0,6–0,8
Tierkörperverwertung
Blutmehl 020203 90 80 12 0,6 1 0,6 4 0,45–0,52
Tierkörpermehl 020102 8–25 90 2–7,5 0,3–0,5 2,5–5 – 11–18 0,5–0,8
Schlachthof, Gaststättengewerbe, Margarinefabrikation, Ölmühlen
Fett (aus Fettabscheidern) 020204 2–70 69–99 0,1–3,6 15–20 0,6 0,1 – 0,6–1,0
Ölmühlen
255
4.3.3 Großtechnische Erfahrungen
4.3.3.1 Einleitung
Trotz genehmigungsrechtlicher Unsicherheiten (siehe unten) konnte sich das Verfahren
der Co-Vergärung auf kommunalen Kläranlagen etablieren. Einige Beispiele aus Deutsch-
land und dem angrenzenden Ausland werden im folgenden Text näher beschrieben. Diese
Anlagen nehmen planmäßig und in größerem Umfang Co-Substrate auf. Darüber hinaus
gibt es eine Reihe von Kläranlagen, die sporadisch verschiedene Substrate zur Co-Vergä-
rung annehmen. Meist handelt es sich dabei um kleine Mengen organischer Industrie- und
Gewerbeabfälle.
Wichtig sind für die Kläranlagenbetreiber auch Informationen über mögliche Proble-
me und Lösungsansätze bei der Co-Vergärung. Daher werden auch die entsprechenden
Erfahrungen, die aus großtechnischen Anwendungen stammen, aufgeführt. Besonders
interessant stellt sich aus Betreibersicht die Betriebsstörung durch ein verunreinigtes Co-
Substrat auf der Kläranlage Meldorf im Jahr 2011 dar (s. u.).
Abschließend wird auf die rechtlichen Randbedingungen der Co-Vergärung eingegan-
gen. Im Spannungsfeld zwischen Wasser- und Abfallrecht gibt es inzwischen in Nordrhein-
Westfalen, Hessen und Bayern Merkblätter bzw. Arbeitshilfen zur rechtlichen Einordnung
der Co-Vergärung auf Kläranlagen. Auch die DWA (Deutsche Vereinigung für Wasser,
Abwasser und Abfall) hat im Jahr 2009 ein Merkblatt zur Co-Vergärung veröffentlicht. Die
wesentlichen Inhalte dieser Merkblätter bzw. Arbeitshilfen werden kurz dargestellt.
4.3.3.2 Baden-Baden
Zur Behandlung der getrennt eingesammelten, kommunalen Bioabfälle der Stadt Baden-
Baden wird seit 1993 eine hydromechanische Aufbereitungsanlage nach dem BTA®-Ver-
fahren auf der bestehenden Kläranlage betrieben. Abbildung 4.53 zeigt den Verfahrens-
ablauf der Anlage.
Der angelieferte Bioabfall wird zunächst in einen Flachbunker abgekippt. Anschließend
werden die Bioabfälle per Radlader in eine Schraubenmühle befördert, in der Plastik- und
Papiersäcke aufgerissen werden und eine Grobzerkleinerung und Homogenisierung der
Bioabfälle erfolgt. Über ein Förderband gelangen die Bioabfälle in den Stofflöser bzw. Pul-
per ( V = 20 m3), der etwa zur Hälfte mit Prozesswasser gefüllt ist.
Je Charge werden etwa 5 bis 6 Mg Bioabfall in den Pulper gegeben. Durch intensive
Durchmischung wird die vergärbare Organik gelöst und zerfasert. Bei diesem Auflösevor-
gang bildet sich eine pumpfähige Suspension mit 8–10 % Feststoffgehalt. Nach dem Ende
dieses Vorgangs wird die Suspension über ein Sieb mit 8 mm Lochweite abgepumpt und in
einem Pufferbehälter zwischengespeichert.
Zur Entfernung der mit den Bioabfällen eingetragenen Störstoffe wird nach dem voll-
ständigen Abpumpen der Suspension wieder Prozesswasser in den Auflösebehälter ge-
geben. Die Störstoffabscheidung findet über eine Sink-/Schwimmtrennung statt, d. h.
leichte Störstoffe (Textilien, Kunststofffolien etc.) schwimmen auf und werden mit einem
von oben eintauchenden Rechen entfernt. Die Entnahme von Schwerstoffen (Steine, Glas-
4.3 Beispiele zur Co-Vergärung auf Kläranlagen 259
Bioabfall
Schrauben-
mühle
Prozeßwasser- Auflöse- Störstoffe
behälter Entsorgung
puffer
Suspensions-
Kammerfilter- puffer
preßwasser/
Kläranlagen-
ablauf Schnecken- Feststoff
Kompostierung/
presse energetische
Flüssigphase Nutzung (geplant)
Puffer-
Strom Wärme behälter
Qualitätskompost/
Blockheizkraft- Biogas Brennstoff
Faulbehälter
werk (BHKW)
Abb. 4.53 Bioabfallbehandlung auf der Kläranlage Baden-Baden. (Schäfer 2012, verändert)
scherben, Metallteile etc.), die vom Sieb zurückgehalten werden, findet über eine Schwer-
stoffschleuse statt. Die entfernten Störstoffe werden in einen Container gefördert und ent-
sorgt.
Die zwischengespeicherte Suspension aus dem Puffer wird einer Schneckenpresse zu-
geführt, in der die Fest-/Flüssig-Trennung stattfindet. Die Flüssigphase (Zentrat) ist or-
ganisch hochbelastet (CSB = 20.000 bis 30.000 mg/L) und wird nach Zwischenspeiche-
rung gemeinsam mit dem Rohschlamm der Kläranlage kontinuierlich den Faulbehältern
zugeführt. Die Festphase mit einem Feststoffgehalt von 35–40 % wird kompostiert bzw.
künftig nach Konfektionierung (Trocknung/Brikettierung) einer energetischen Nutzung
zugeführt.
Von den 7.000 Mg/a angelieferten Bioabfällen werden etwa 10 % als Störstoffe abge-
schieden und entsorgt, ca. 45 % gelangen über die Flüssigphase in die Faulbehälter der
Kläranlage und ca. 45 % gehen als Kompostrohstoff in die Kompostierung bzw. künftig
in die energetische Nutzung. Durch Zugabe des Zentrats aus der Bioabfallaufbereitung
in den Faulbehälter ergab sich eine erhöhte Abbaurate des Klärschlamms. Bisher ist kein
vermehrter Klärschlammanfall zu beobachten. Der erhöhte Gasanfall wird im vorhande-
nen BHKW verwertet. Je Mg angelieferten Bioabfalls ergibt sich eine elektrische Energie-
erzeugung von ca. 100 kWh, von denen etwa 65 % zur Bioabfallaufbereitung benötigt wer-
den. Der Energieüberschuss wird an die Kläranlage abgegeben bzw. ins Netz eingespeist.
Die Gesamtinvestitionen für die Installation der Anlage beliefen sich auf rund 2,6 Mio. €
(Schäfer 2012).
Schraubenmühle
Vorlagebehälter
ä Schwerstoffe
(6-mal pro Jahr)
Mazerator
Pumpe
12 mal
täglich Strainpress
< 4 mm Grobstoffe
Ausgleichs--
behälter
Strainpress
< 4 mm Grobstoffe
Maschinelle
Eindickung
Faulbehälter
älter
2 x 1.215 m³
Weitere Schlamm--
Faulgas--
behandlung
verwertung
und -entsorgung
gion inneres Ötztal werden gesammelt und in einer der Abwasserreinigungsanlage (ARA)
Sölden angegliederten, vollautomatischen Anlage verarbeitet (Tiroler 1996; IB Sprenger
1996). Nach Aussage des Betriebspersonals ist dies bis heute so geblieben (Fender 2012).
Bis auf den oben zitierten Artikel aus der Tiroler Wirtschaft und der Broschüre des In-
genieurbüros Sprenger sind keine weiteren Veröffentlichungen zu der Co-Vergärung Söl-
den bekannt. Allerdings ist bekannt, dass die Kläranlage in den Jahren 2003 bis 2006 um-
gebaut wurde. Am Verfahrensschema der Co-Vergärung hat sich jedoch nichts Wesent-
liches geändert. Abbildung 4.54 zeigt das Schema der Bioabfallmitbehandlung in Sölden.
Die Bioabfälle werden von den anliefernden Fahrzeugen in einen ebenerdigen Auf-
gabetrichter abgekippt. Unter dem Aufgabetrichter befindet sich eine Schraubenmühle,
die eine Grobzerkleinerung der Bioabfälle bewirkt. Die vorzerkleinerten Bioabfälle fallen
dann in den Vorlagebehälter. Von dort werden die Bioabfälle in den Ausgleichsbehälter ge-
fördert, wo eine Vermischung mit dem eingedickten Rohschlamm der Kläranlage stattfin-
det. Der Inhalt des Ausgleichsbehälters wird von einer Pumpe mit Schneidwerk über einen
Mazerator ständig umgewälzt. Die Bioabfälle werden dadurch fein zerkleinert und intensiv
mit dem Rohschlamm gemischt. Die Beschickung der Faulbehälter erfolgt aus dem Aus-
4.3 Beispiele zur Co-Vergärung auf Kläranlagen 261
gleichsbehälter über eine Strainpress (Schlammsiebung), in der eine Absiebung des Roh-
schlamm-Bioabfall-Gemisches auf 4 mm Größe stattfindet. Schwere Störstoffe (Knochen,
Steine etc.) sammeln sich am Boden des Behälters und werden von Zeit zu Zeit (6-mal
jährlich) von Hand geräumt. Aufschwimmende Störstoffe gibt es kaum, da die Einwohner
und Gastronomiebetriebe ihre Abfälle sehr sortenrein trennen.
Von den ca. 1.200 Mg Bioabfall, die 2011 auf der Kläranlage angenommen wurden,
mussten nur etwa 13 % als Störstoffe beseitigt werden (96 Mg aus der Strainpress und
60 Mg aus dem Rohschlammbunker). Die 2 Faulbehälter mit insgesamt 2.430 m3 Inhalt
werden mesophil betrieben. Die Aufenthaltszeiten in der Faulung betragen 40 bis 90 Tage,
je nach Saison (Skigebiet).
Der Gasanfall ist durch die Bioabfallzugabe stark gestiegen. Inzwischen wird das Gas
zum Betrieb einer Klärschlammtrocknung und eines BHKWs genutzt. Das ausgefaulte
Klärschlamm/Bioabfall-Gemisch wird maschinell entwässert, thermisch getrocknet und
anschließend in der Verbrennung entsorgt.
Die Bioabfälle der Gemeinde Sölden können auf diese Weise sehr kostengünstig ent-
sorgt werden. Sowohl der Kläranlagenbetrieb als auch die Gemeinde Sölden ist mit der
gefundenen Lösung zur Bioabfallverwertung nach wie vor sehr zufrieden.
4.3.3.4 Kläranlage Meldorf
Während sich die meisten Kläranlagen auf die Co-Fermentation von 1 bis 3 Substraten
beschränken, werden auf der Kläranlage Meldorf (25.000 EW, Qzu = 1.497 m3/d) mehr als
7 Co-Substrate vergoren, darunter auch Laken und Prozesswässer aus der Herstellung von
Rot- und Weißkraut sowie Gewürzgurken, die schon seit über 20 Jahren co-fermentiert
werden. Von 2006 bis 2011 wurde auch ein Abwasserstrom aus der Biodiesel-Herstellung
angenommen. Die Co-Fermentation der Organikabfälle und Abwässer ist laut Aussage des
Klärwerkspersonals mit der zuständigen Kreisverwaltung abgesprochen.
Sämtliche Produktionsrückstände und Abwässer werden direkt von der nahe gelegenen
Konservenfabrik auf die Kläranlage gepumpt. Der Großteil der Abwässer (im Jahr 2011:
15.339 m3/a) fällt in der Kampagnezeit (August bis November) an und übersteigt bei Spit-
zenwerten von Qmax = 225 m3/d den mittleren täglichen Schlammanfall (28 m3/d) um das
262 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
Abb. 4.55 Rohschlammmenge und Co-Substrate im Zulauf zur Faulung sowie Faulgasmenge der
Kläranlage Meldorf im Zeitraum 2005 bis 2011
Abb. 4.56 Vergleich von Rohschlamm-, Co-Substrat- und Faulgasmengen auf der Kläranlage Mel-
dorf im Jahr 2011
Abbildung 4.56 zeigt die Co-Substratmengen für die einzelnen Monate des Jahres 2011
(Herzberg 2012a). Besonders auffällig ist die starke Jahresschwankung der Mengen an Ab-
wässern aus der Konservenfabrik, die überwiegend durch Sauerkrautlake während der
Kampagne (August bis Dezember) verursacht wird.
Nach Angaben des Betreibers hat es 2011 nach 27 Jahren Co-Fermentation das erste Mal
Betriebsprobleme gegeben. Der starke Einbruch des Faulgasanfalls im Juni und Juli 2011
ist genau auf diese Störung zurückzuführen, der durch die Zugabe der Biodieselabwässer
ausgelöst wurde. In den Biodieselabwässern befanden sich große Mengen an Schwefel-
säure, die den Faulprozess fast zum Erliegen brachten. Das Faulgas war so stark mit H2S
versetzt, dass es nicht einmal mehr über die Fackel verbrannt werden konnte und zu sehr
starken Geruchsbelästigungen in der Umgebung der Kläranlage führte. Zwei alte BHKWs,
die in den nächsten Jahren ersetzt werden sollten, waren danach nicht mehr nutzbar. Die
Annahme der Biodieselabwässer wurde sofort gestoppt und seit dem nicht mehr wieder
aufgenommen (Herzberg 2012b).
Technische Anlagen Für die Zuführung der Co-Substrate ist eine Annahmestation zur
Aufnahme mindestens einer Lkw-Ladung Substrat mit einem Dosiersystem zur Zufüh-
rung in den Faulbehälter sinnvoll. Je nach erwarteter Steigerung des Gasanfalls kann eine
Ertüchtigung der Gasverarbeitung und der Blockheizkraftwerke erforderlich sein. Die
angeführten Co-Substrate sind deutlich komplexer in der Handhabung als die ansonsten
auf Kläranlagen behandelten Schlämme. Daher können weitere technische Maßnahmen in
den Transportrohren und Schlammbehandlungsanlagen von Nöten sein. Weiterhin sind
Maßnahmen hinsichtlich des Arbeitsschutzes zu treffen.
Auf der Kläranlage Kohlfurth wurde für den Dauerbetrieb eine multifunktionale
Annahmestation errichtet, die verschiedene Aufbereitungstechnologien (u. a. Hygieni-
sierung) zur Verfügung stellt und Erfahrungswerte für die anderen Kläranlagen liefern
soll. Für den Transport von Fetten, die in den Fettfängen der Kläranlagen des Wupper-
verbandes anfallen, wurde ein Prototyp für einen beheizbaren mit Containerfahrzeugen
transportierbaren Tank angeschafft.
Zudem wurde das bestehende Blockheizkraftwerk, das aus drei Einzelmodulen besteht,
um ein weiteres Modul in Containerbauweise erweitert und die Wärmeversorgung der
Anlage optimiert. Die Nutzung der Überschusswärme erfolgt in weiten Teilen mittels einer
Prozesswasser-Behandlungsanlage.
Ausblick Wirtschaftliche Vorteile im Bereich der Co-Vergärung lassen sich in den meis-
ten Fällen nur bis zu der erzeugten elektrischen Energiemenge erzielen, die auch auf der
Anlage verbraucht wird. Somit zeigt sich, dass im Bereich des in der Vergangenheit oft
diskutierten Lastmanagements die weitaus größeren Potenziale in einer bedarfsgerechten,
über den Einsatz von Co Substraten gesteuerten Eigenerzeugung bestehen. Dabei ist nicht
von der Hand zu weisen, dass an vielen Standorten die Erzeugung von mehr elektrischer
Energie mit einer deutlichen Ausweitung des Überhangs an thermischer Energie einher-
4.3 Beispiele zur Co-Vergärung auf Kläranlagen 265
Abb. 4.57 Stromverbrauch, -bezug, -eigenerzeugung und -einspeisung auf der Kläranlage Kohlfurt
im Zeitraum 2003 bis 2011
geht. Eine Nutzung dieses Wärmeangebotes wäre ökologisch sinnvoll, wenn die ökonomi-
schen Voraussetzungen eine Nutzung ermöglichen. Hier könnten ORC (Organic Rankine
Cycle) Anlagen oder die weitere Nutzung der Wärme zu einer Behandlung des Prozess-
wassers Alternativen sein.
Der Wupperverband wird weiter auf die dezentrale und unabhängige Erzeugung von
Energie setzten, um sich von den volatilen Energiepreisen für fossile Energieträger und
elektrische Energie unabhängig zu machen. Auch vor dem Hintergrund der Diskussionen
um den Klimawandel ist es das Bestreben des Wupperverbandes, die bestehenden Poten-
ziale zur Co-Vergärung voll auszuschöpfen.
4.3.3.6 Weitere Beispiele
Tabelle 4.37 enthält einen kleinen (und sicherlich unvollständigen) Überblick über weitere
Kläranlagen in Deutschland und einigen angrenzenden Ländern, die eine Co-Vergärung
betreiben bzw. in der Vergangenheit betrieben haben.
Es wird deutlich, dass überwiegend organische Abfälle aus Industrie und Gewerbe so-
wie Speiseabfälle mitbehandelt werden. Speiseabfälle werden i. d. R. in hygienisiertem Zu-
stand auf der Kläranlage zur Co-Vergärung angenommen. Die Co-Vergärung von Brenne-
reischlempen wird in den Wein- und Obstanbaugebieten Deutschlands seit über 20 Jahren
praktiziert (Weller 1979). Nach einer sehr einfachen Aufbereitung (Speicherung, Absie-
bung, Neutralisierung) werden die Schlempen mit dem Rohschlamm gemischt und in den
Faulbehälter gepumpt.
Die zweite große Gruppe der Co-Substrate stellen die Fette dar. Fetthaltige Abwässer,
Abfälle und Flotate fallen in sehr vielen Bereichen der Lebensmittelindustrie an. Auf den
Tab. 4.37 Co-Fermentation auf kommunalen Kläranlagen in Deutschland. (ISAH 2000, ergänzt)
Kläranlage Co-Substrat im Faulbehälter
Aachen-Soers Fett, Fruchtkonzentrate aus der Süßwarenindustrie, Sickerwasser
Achern Schlempe, Fett
Bad-Bramstedt Lake aus der Fischkonservenindustrie
Bad Schwalbach Molke (Großversuch)
Bielefeld Fett (gelegentlich)
Biberach Schlempe, Fett, Rückstände aus der Pharmaindustrie
Bottrop Fettschlamm
Bühl-Vimbuch Schlempe, Tierblut
Cloppenburg Fett, Flotate aus der Lebensmittelindustrie
Düsseldorf-Süd Fett, Waschmittel, Glyzerin, Körperpflegemittel
Ettenheim Schlempe, Fett
Gengenbach Schlempe, Fett
Gießen Schlempe, Fett, Rechengut
Grindsted (DK) Biotonneninhalte, Abfälle der Lebensmittelindustrie
Hamburg-Sevetal Fett
Hausach Fett
Hildesheim Fett, sonstiges (gelegentlich)
Ingelheim aufbereitete Fette und Vaseline aus der Industrie
Innsbruck (A) Speiseabfälle
Ischgl (A) Küchen- und Speiseabfälle
Kamen Flotatschlamm (Schlachthof)
Kappelrodeck Schlempe, Fett
Kehl-Auenheim Schlempe, Fett, Lebensmittelreste
Krefeld Sickerwasser, Fett
Lahr Reststoffe aus der chemischen Industrie
Mönchengladbach Fruchtsaft (gelegentlich)
Monheim Rechengut
Nienburg Rückstände aus der Gelatineproduktion
Oberkirch Schlempe, Fett
Offenburg-Griesheim Schlempe, Fett
Oldenburg Fett
Oppenau Schlempe, Fett
Osnabrück Fett, Bierhefe (gelegentlich)
Radeberg Fett, Biotonneninhalte, Speiseabfälle, Brauereiabfälle,
Lebensmittelabfälle
Renchen Schlempe, Fett
Rheda-Wiedenbrück Flotatschlamm, Magen- und Darminhalte v. Schlachthof
Samnaun (CH) Küchen- und Speiseabfälle
Sasbach Schlempe, Fett
Selb Rasenschnitt
Strass (A) Speisereste, Biotonneninhalte, Fettabscheiderinhalte
Wetzlar Fettabscheiderinhalte aus dem Verbandsgebiet
4.3 Beispiele zur Co-Vergärung auf Kläranlagen 267
Kläranlagen ist zur Mitbehandlung der Fette üblicherweise ein sehr geringer Aufwand er-
forderlich. Um feste Störstoffe (Knochen, Lumpen, Kunststoffteile etc.) zurückzuhalten,
ist eine Siebung notwendig. In der Regel wird das Fett in einem Speicher zwischengela-
gert, der an einen Biofilter angeschlossen ist, um Geruchsbelästigungen zu vermeiden.
In Abhängigkeit von der Konsistenz der Fette sind die Vorlagebehälter beheizt. Aus dem
Speicherbehälter wird das Fett entweder direkt in den Faulbehälter gepumpt oder im Heiz-
kreislauf in den Faulschlamm eingemischt.
4.3.3.8 Rechtliche Randbedingungen
Wie die o. g. Beispiele zeigen, stellt die Co-Fermentation aus technischer Sicht eine sinn-
volle Nutzung des energetischen Potenzials biogener organischer Abfälle dar. Als prob-
lematisch gestaltet sich in vielen Fällen jedoch die Genehmigung des Verfahrens, da die
Co-Fermentation weder im Abwasserrecht, noch im Abfallrecht explizit behandelt wird,
sie sich genehmigungsrechtlich also auf der Grenze zwischen verschiedenen Rechtsgebie-
ten befindet. Für die Praxis bedeutet dies oftmals eine ungeklärte Zuständigkeitsfrage zwi-
schen Wasserbehörde und Abfallwirtschaftsbehörde, sodass im Einzelfall eine oder beide
Behörden für die Erteilung von entsprechenden Genehmigungen und Erlaubnissen zu-
ständig sein können. Als Grundsatz lässt sich dabei festhalten, dass alle Stoffe die als Be-
standteil des Abwassers die Kläranlage über die Kanalisation erreichen als Abwasser gelten
und somit dem Wasserrecht unterliegen, unabhängig davon, wie diese Stoffe zu Abwasser
wurden. Andererseits ist ein Stoff, der aus dem Abwasser entfernt wird und die Kläranlage
verlässt, als Abfall zu bezeichnen und fällt somit unter das Abfallrecht (Nisipeanu 1998).
Die folgende Aufzählung enthält einige der wichtigsten zu beachtenden Gesetze und Ver-
ordnungen, die bei der Einrichtung einer Co-Vergärung grundsätzlich zu beachten sind
(DWA 2009, Auswahl):
Tab. 4.38 Ursachen für Betriebsprobleme infolge Co-Fermentation und mögliche Gegenmaßnahmen
Problem Mögliche Ursachen Gegenmaßnahmen/
Anmerkungen
Schäumen Vorrangig bei leicht abbau- Verringerung der
baren Substraten mit großem Beschickungsmengen,
Gasbildungspotenzial (v. a. Verbesserung der Prozessüber-
fetthaltige Substrate) wachung (eigentliche Ursache:
Überlastung)
Verschlechterung der Hoher Anteil an kohlehydrat- Verringerung des entsprechen-
Gasqualität reichen Substraten (geringes den Substratanteils
CH4-Bildungspotenzial)
⇒ steigender CO2-Anteil im
Faulgas
Überwiegende ggf. Entkopplung von Hydro-
Hydrolyseprozesse lyse und Methanisierung
⇒ steigender CO2-Anteil im
Faulgas
Verwertung schwefelhaltiger Verringerung des entsprechen-
Substrate den Substratanteils
⇒ steigender H2S-Anteil im
Faulgas
Überlastungen oder Verringerung der
Hemmungen Beschickungsmengen,
Verbesserung der Prozessüber-
wachung (eigentliche Ursache:
Überlastung)
Verschlechterung des Überlastungen oder Verringerung der
Abbaugrades Hemmungen Beschickungsmengen,
Verbesserung der Prozessüber-
wachung (eigentliche Ursache:
Überlastung)
Häufiger Substratwechsel ohne Verwertung weniger Substrate
(ausreichende) Adaption und vorherige Adaption
Zu hohe Beschickungs- Kontinuierliche Beschickung
mengen (ohne Adaption), (ggf. Misch- und Ausgleichs-
Schwankungen in den bzw. Vorlagebehälter vorsehen)
Beschickungsmengen
Schwimmdecken Vorrangig bei fetthaltigen Faulraummischer mit umkehr-
sowie faserigen, unzerkleiner- barer Drehrichtung (generelle
ten Substraten Empfehlung), keine Gasein-
pressung zur Umwälzung
(Flotationseffekt für Fette),
Überprüfung der Viskosität
fetthaltiger Substrate bei Faul-
raumtemperatur (siehe unten)
4.3 Beispiele zur Co-Vergärung auf Kläranlagen 269
Das Fehlen einer eindeutigen Rechtsgrundlage führte in der Vergangenheit zu einer Ver-
unsicherung sowohl bei Behörden als auch bei den Kläranlagenbetreibern. Diese Unsi-
cherheit führte dazu, dass die Verbreitung der Co-Vergärung auf Kläranlagen zu Beginn
der 2000er-Jahre nur sehr langsam voranging (Austermann-Haun et al. 2001; ISAH 2000).
Durch die Bestrebungen vieler Kläranlagenbetreiber zur energetischen Optimierung ihrer
Anlagen bestand jedoch der Wunsch, die Faulgas- und damit in erster Linie die Strom-
produktion auf der Kläranlage durch eine Co-Vergärung zu erhöhen. Um zumindest eine
gewisse Rechtssicherheit zu schaffen, entstanden in den letzten Jahren verschiedene Merk-
blätter und Arbeitshilfen, die im Folgenden behandelt werden.
Merkblatt des Landes Nordrhein-Westfalen (MURL 2001) Als erstes wurde im Bundes-
land Nordrhein-Westfalen unter Leitung des damaligen Landesumweltamtes (LUA) und
des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft (MURL) eine Arbeits-
gruppe gegründet, der neben Behördenvertretern auch Mitglieder von Abwasserverbän-
den und Kläranlagenbetreibern angehören. Ende 2001 veröffentlichte die Arbeitsgruppe
das von ihr erarbeitete „Merkblatt zur Co-Fermentation von biogenen Abfällen in Faul-
behältern von Kläranlagen“ (ISBN 3-9807642-3-0).
In dem Merkblatt wird ausführlich auf die „rechtlichen Voraussetzungen einer Mit-
behandlung von biogenen Abfällen in öffentlichen Abwasserbehandlungsanlagen“ einge-
gangen. Im Folgenden werden die wichtigsten Aussagen in stark verkürzter Form wieder-
gegeben. Eine detaillierte Beschreibung findet sich bei Mertsch und Pawlowski (2001).
Die Mitbehandlung von Abfällen in Kläranlagen erfordert eine Änderung der Ein-
leitungserlaubnis, die entsprechend den mitzubehandelnden Abfällen zu ergänzen ist. In
jedem Fall müssen die Überwachungswerte der wasserrechtlichen Erlaubnis sicher ein-
gehalten werden, und die Anforderungen des Anhangs 1 der AbwV müssen erfüllt sein.
Das Einbringen von Bioabfällen (auch geringer Mengen) in die Faulbehälter stellt eine
wesentliche Änderung der Abwasserbehandlungsanlage dar. Für diese wesentliche Än-
derung ist eine Genehmigung erforderlich. Die Genehmigung wird solange im Wasser-
recht erteilt, wie eine untergeordnete Mitbehandlung der Bioabfälle stattfindet, d. h. der
Hauptzweck der Faulbehälter muss nach wie vor die Behandlung des Klärschlamms sein.
Überwiegt die Behandlung der biogenen Abfälle, handelt es sich um eine Abfallbehand-
lungsanlage, die entsprechend den Grundsätzen des BImSchG zu genehmigen ist. Vor-
behandlungsanlagen zur Aufbereitung der Bioabfälle sind, je nach Menge und Qualität
der eingesetzten Stoffe nach dem BImSchG in Verbindung mit der 4. BImSchV oder dem
Baurecht zu genehmigen.
Damit bei der Co-Vergärung von organischen Abfällen in Faulbehältern keine rele-
vanten Mengen von Schadstoffen in die Kläranlage eingebracht werden, die dort nicht ab-
gebaut werden können und ggf. eine abschließende Klärschlammentsorgung erschweren
bzw. verhindern, enthält das o. g. Merkblatt Schadstoffgrenzwerte für die Bioabfälle. Be-
grenzt werden die 7 Schwermetalle, die auch in der Klärschlammverordnung (AbfKlärV)
4.3 Beispiele zur Co-Vergärung auf Kläranlagen 271
geregelt sind und der organische Schadstoffsummenparameter AOX. Die Grenzwerte für
die biogenen Abfälle liegen um 70–90 % unter den Werten der Klärschlammverordnung.
Im Rahmen des Merkblatts wurde eine zweigeteilte Positivliste erstellt. Für Abfälle aus
Teil 1 der Liste ist keine weitere ökobilanzielle Betrachtung erforderlich, während für Ab-
fälle aus Teil 2 der Liste eine vereinfachte Ökobilanz erforderlich ist. Für alle übrigen Ab-
fälle – auch kommunale Bioabfälle – muss über eine komplette Ökobilanz aufgestellt und
nachgewiesen werden, dass die Mitbehandlung in Faulbehältern mindestens genauso um-
weltverträglich ist, wie die möglichen alternativen Entsorgungsverfahren (Kompostierung,
Mitbehandlung in landwirtschaftlicher bzw. industrieller Vergärungsanlage, Aufbereitung
zu Futtermittel oder ggf. zu technischen Fetten).
Merkblatt der DWA (DWA 2009) Im Juni 2009 veröffentlichte die DWA das Merkblatt
DWA-M 380 „Co-Vergärung in kommunalen Klärschlammfaulbehältern, Abfallvergä-
rungsanlagen und landwirtschaftlichen Biogasanlagen“. Das DWA-Merkblatt ist etwas
breiter angelegt als das Merkblatt aus Nordrhein-Westfalen, da es nicht nur Kläranlagen,
sondern auch andere Vergärungsanlagen behandelt.
Außer einer ausführlichen Beschreibung der rechtlichen Rahmenbedingungen werden
mögliche Substrate und anlagenspezifische technische Anforderungen beschrieben. Auch
für die Verwertung der Gärrückstände und die Behandlung der Abwässer werden Wege
aufgezeigt. Abgerundet wird das Merkblatt durch eine Reihe von Merkpunkten für Pla-
nung und Betrieb von Co-Vergärungsanlagen.
Merkblatt des Landes Bayern (LfU Bayern 2011) Im Juli 2011 veröffentlichte auch das
Land Bayern ein Merkblatt mit dem Titel „Co-Vergärung auf kommunalen Kläranlagen“.
Darin werden zunächst die Abläufe und Sachverhalte bei der Co-Vergärung kurz beschrie-
ben. Danach wird auf die grundsätzlichen rechtlichen Zusammenhänge und die wesent-
lichen Genehmigungsaspekte eingegangen. Hinweise für die fachliche Prüfung unter
Berücksichtigung der verschiedenen Rechtsbereiche und Hinweise zu den erforderlichen
Antragsunterlagen schließen sich an. Im Gegensatz zu den Merkblättern aus Nordrhein-
Westfalen und Hessen enthält das bayrische Merkblatt keine Positivliste von Abfällen, son-
dern eine Reihe von Anforderungen, die vom Co-Substrat erfüllt werden müssen.
In dem Merkblatt wird u. a. auch ausgeführt, dass Fettabscheiderinhalte aus dem Ein-
zugsgebiet der Kläranlage nicht als Abfall, sondern als Abwasser einzustufen sind. Die An-
nahme dieser Substrate ist daher nicht genehmigungspflichtig und die Mitbehandlung im
Faulbehälter kann eigenverantwortlich der Betreiber der Kläranlage entscheiden.
4.3.3.9 Vertragliche Regelungen
Verträge zur Co-Fermentation organischer Abfälle in Faulbehältern von Kläranlagen müs-
sen grundsätzlich den Vorschriften des öffentlichen Rechts entsprechen. Außerdem erfor-
dert die Kette der an der Abfallverwertung beteiligten Unternehmen und Körperschaften
eindeutige Definitionen in Bezug auf Haftungsregeln und Verantwortlichkeit.
Während viele Abfälle im Rahmen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes öffent-
lich-rechtlichen Vorschriften unterliegen, ist ein Entsorgungsvertrag ein Werksvertrag
und fällt somit unter das Privatrecht. Von daher sind bei der Abfallverwertung sowohl
Zivilrecht als auch öffentliches Recht zu beachten (TBW 1997).
Grundsätzlich obliegt dem Abfall- bzw. Co-Substrat-Erzeuger die Entsorgungspflicht,
die Kläranlagen(betreiber) stellen eine geeignete Verwertungsanlage zur Verfügung. Wenn
Stoffe co-fermentiert werden, von denen der Abfallerzeuger weiß, dass sie Schadstoffe in
unzulässigem Maße enthalten, so liegt die Haftungspflicht bei ihm. Im Gegensatz hierzu
muss der Abfallerzeuger/-entsorger nicht für Schäden aufkommen, die durch Stoffe ver-
ursacht wurden, deren Schädlichkeit erst im Nachhinein festgestellt wurde (TBW 1997).
Weitere Informationen zu vertraglichen Regelungen sowie zu Entsorgungsnachweisen,
Dokumentation und Überwachung finden sich z. B. in dem o. g. Merkblatt zur Co-Fer-
mentation des Landes Nordrhein-Westfalen.
4.3.4 Zusammenfassung
• Viele gewerbliche und industrielle organische Abfälle eignen sich aufgrund hoher
Wassergehalte und hoher organischer Frachten besser für eine anaerobe als für eine
aerobe oder thermische Behandlung. Dies trifft insbesondere auf die organischen Pro-
duktionsrückstände und Abwässer aus der Lebensmittelindustrie zu. Sie zeichnen sich
durch geringe Schadstoffbelastungen, hohe organische Frachten, günstige TS-Gehalte
sowie durch einen regelmäßigen Anfall und relativ konstante Zusammensetzungen aus.
• Eine gezielte, getrennte Erfassung und Co-Fermentation der o. g. Stoffströme führt
neben der Nutzung des energetischen Potenzials der Abfälle (Biogasgewinn statt Ener-
gieverbrauch in der Belebung) zu einer Entlastung der Kläranlage bzgl. Kohlenstoff-
fracht und Spitzenbelastungen. Für die Industriebetriebe kann sich ggf. eine Aufhebung
der Starkverschmutzerzuschläge ergeben oder können sich betriebsinterne Vorbehand-
lungsmaßnahmen erübrigen.
• Kläranlagen mit anaerober Schlammstabilisierung sind flächendeckend vorhanden
und bieten sowohl die technische Infrastruktur als auch erfahrenes Personal für die Co-
Fermentation organischer Abfälle. Da die Faulbehälter häufig unterlastet sind, stehen
hier freie Kapazitäten für die energetische Verwertung flüssiger bis pastöser organischer
Abfälle zur Verfügung.
• Zweistufige Faulanlagen sind aus betriebstechnischer Sicht am besten für die Co-Fer-
mentation geeignet, da hier eine räumliche Trennung von Versäuerungs- und Methani-
sierungsstufe vorliegt. Der einstufige, mesophile Faulbehälter erfüllt jedoch ebenso alle
Voraussetzung für die Vergärung organischer Abfälle.
• Die Primäraufgabe der Kläranlagen, die Reinigung und Behandlung der anfallenden
Abwässer und Schlämme, darf durch die Co-Fermentation nicht gefährdet werden. Be-
stehende Genehmigungen sind dabei zu berücksichtigen und für die Co-Fermentation
ggf. zu ergänzen bzw. zu ändern.
• Faulbehälter dürfen nicht als „Mülleimer“ missbraucht werden, da die biochemischen
Vorgänge des anaeroben Stoffumsatzes sehr komplex und störanfällig sind. Die Pro-
zessstabilität der Klärschlammfaulung hat in jedem Fall Vorrang vor der Steigerung der
Faulgasproduktion durch Co-Fermentation.
• Der großtechnischen Co-Fermentation sollten labor- und halbtechnische Versuche
vorausgehen. Planung und Begleitung der Co-Fermentation sollten von sachkundigen
Planungsbüros und Instituten übernommen werden. Im Vorfeld sind insbesondere die
zusätzliche hydraulische und organische Belastung für die Faulung zu ermitteln, als
auch die zusätzliche Biogasproduktion sowie der Faulschlammmehranfall und die ge-
steigerte Rückbelastung der Kläranlage durch die Abwässer der Schlammbehandlung.
• Eine Adaptionsphase, in der die Faulbehälterbiozönose schrittweise an die gewünschte
Co-Substratfracht herangeführt wird, ist prozesstechnisch von großer Bedeutung und
sollte mit großer Aufmerksamkeit begleitet werden. Während der Testphase sollten so-
274 4 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Klärschlamm
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Anaerobe Abwasserbehandlung zur
Kohlenstoffelimination 5
Linda Hinken, Ute Austermann-Haun, Hartmut Meyer
und Ingo Urban
Inhaltsverzeichnis
Linda Hinken
Molkereien 2,4%
Lebensmittel 8,5%
Kartoffelverarbeitung
6,2%
Stärkeindustrie 1,9%
Hefeindustrie 2,4%
Verschiedenes 3,8%
Früchte- und
Gemüseverarbeitung Zellstoff 1,4%
2,8%
Fruchtsaft 4,7%
Zuckerindustrie 9,5%
Erfrischungsgetränke
0,9%
Chemie/Pharma 3,3%
Brennereien 3,8% Brauereien 12,8%
ren Temperaturen und der niedrigen CSB-Konzentrationen nicht bzw. nur in Pilotanlagen
verbreitet. In tropischen und subtropischen Ländern stellen sie jedoch – u. a. aufgrund der
dort herrschenden höheren Abwassertemperaturen – eine zunehmend bedeutende Alter-
native zu aeroben Systemen dar.
Im Bereich der industriellen Abwasserbehandlung wurden in Deutschland bisher mehr
als 258 großtechnische Anaerobanlagen gebaut (Stand: 03/2012). Eine Besonderheit der
industriellen Anaerobtechnik gegenüber den anderen anaeroben Anwendungsfeldern be-
steht darin, dass eine Vielzahl von verschiedenen Reaktortypen existiert.
Der Einsatz anaerober Verfahren im industriellen Bereich beschränkte sich zunächst auf
Brauereien, Brennereien und weitere Anlagen in der Lebensmittelindustrie (1960–80er). Seit
den 1980er-Jahren erfolgte ein vermehrter Einsatz auch in der Papier- und Zellstoffindustrie.
Zudem werden etwa seit 1990 auch Abwässer aus der chemischen Industrie sowie anorgani-
sche sulfathaltige Abwässer anaerob vorbehandelt. Obwohl die Anaerobtechnik grundsätz-
lich bei allen Industrieabwässern mit organischen Inhaltsstoffen eingesetzt werden kann,
ist die Anwendung in Deutschland noch immer vor allem in den Bereichen der Getränke-
und Lebensmittelindustrie sowie der Zellstoff- und Papierherstellung weit verbreitet. Abbil-
dung 5.1. zeigt den jeweiligen Anteil der Branche an den 2012 in Deutschland betriebenen
Anaerobreaktoren zur Industrieabwasserbehandlung. Durch die neueren Entwicklungen,
vor allem in der Reaktortechnologie, ist es in zunehmendem Maße möglich, die Anaerob-
technik in weiteren Industriebranchen mit organischen Abwässern (z. B. in der pharmazeu-
tischen- und chemischen Industrie sowie in der Lederindustrie) wirtschaftlich einzusetzen.
286 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
Sonstige
14%
Lebensmittel-
Papier- und industrie
Faserstoffe 36%
11%
Brennereien
10%
Getränkeindustrie
29%
Abb. 5.2 Branchenanteil der industriellen Anaerobanlagen (weltweit) (Gesamtanzahl: 2.266 Reak-
toren). (van Lier 2008)
Anaerobe Verfahrenstechnik
Ausschwemm-
Reaktor
Membran
Anaerobe Festbett/
gestützter UASB EGSB Fließbett
Belebung Teilfestbett
Reaktor
Abb. 5.3 Gliederung anaerober Verfahren. (DWA-IG-5.1 2009, erweitert nach: ATV-Fachausschuss
7.5 1990)
5.2.2 Ausschwemmreaktor
Der Ausschwemmreaktor (Continuously Stirred Tank Reactor, CSTR) ist ein Reaktortyp,
in dem kein gezielter Rückhalt von Biomasse und damit keine gezielte Aufkonzentrierung
von Mikroorganismen im System erfolgt. Die hydraulische Aufenthaltszeit ist also iden-
tisch mit der Aufenthaltszeit der Organismen, d. h. dem Schlammalter ( tR = tTS).
Tab. 5.1 Anzahl in Betrieb befindlicher Anlagen, aufgegliedert nach Methanreaktortypen und den verschiedenen Branchen in Deutschland, Stand: März
2012. (DWA-IG-5.1, 2009 erweitert)
Branche Anzahl EGSB UASB Festbett Ausschwemmreaktor anaer. Belebung Fließbett unbekannt
Brauereien 27 12 11 4 0 0 0 0
Brennereien 8 2 0 5 1 0 0 0
Chemie/Pharma 7 6 0 0 0 1 0 0
Erfrischungsgetränke 2 0 1 1 0 0 0 0
Fruchtsaft 10 8 2 0 0 0 0 0
Früchte- und Gemüseverarbeitung 6 1 2 1 0 2 0 0
Hefeindustrie 5 4 0 0 0 1 0 0
Kartoffelverarbeitung 13 6 6 0 0 1 0 0
Lebensmittel 18 7 7 1 0 2 0 1
5.2 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Abwässern
Molkereien 5 1 2 2 0 0 0 0
Papier und Pappe 75 46 22 2 0 5 0 0
Stärkeindustrie 4 1 0 1 0 2 0 0
Verschiedenes 8 3 0 1 3 1 0 0
Zellstoff 3 2 0 0 0 1 0 0
Zuckerindustrie 20 0 1 0 0 18 1 0
Summe 211 99 54 18 4 34 1 1
291
292 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
Abb. 5.6 Verteilung der weltweit neu gebauten Anaerobanlagen im Zeitraum 1981–2007 und
2002–2007. (Van Lier 2008)
5.2.3.1 Prozessbeschreibung
Wie das aerobe Belebungsverfahren besteht auch das anaerobe Belebungsverfahren aus
einem voll durchmischten Reaktor mit nachgeschalteter Absetzeinrichtung, in der die Bio-
masse weitgehend vom Abwasser abgetrennt und eingedickt wird, um dann anschließend
in den Reaktor zurückgeführt zu werden. Je besser die Biomasse eingedickt werden kann,
desto größer kann die Biomassenkonzentration gewählt werden und entsprechend kleiner
wird das erforderliche Reaktorvolumen.
Da anaerobe Organismen vergleichsweise langsam wachsen, kommt dem Rückhalt von
Biomasse eine besondere Bedeutung zu. Nachteilig bei anaeroben Systemen ist, dass an-
aerobe Biomasse schlechte Absetzeigenschaften aufweist und dass sich die beim Abbau
entstehende Gasbildung negativ auf das Absetzverhalten der Biomasse auswirkt. Daher ist
der Absetzeinrichtung häufig ein Entgasungsschritt vorgeschaltet. Abbildung 5.7 zeigt das
Grundschema eines anaeroben Belebungsverfahrens.
5.2.3.3 Großtechnische Auslegungsdaten
Die Auswertung von Auslegungsdaten von 20 großtechnischen und in Betrieb befindli-
chen Anlagen mit dem Anaeroben Belebungsverfahren (davon 14 in der Zuckerindustrie)
ergaben die in Tab. 5.2 zusammengestellten Belastungen (DWA-IG-5.1 2009). Die mittlere
Raumbelastung liegt bei 3,2 kg CSB/(m⋅d), die Schlammbelastung in diesen Anlagen liegt
im Mittel bei 0,3–0,6 kg CSB/(kg oTR⋅d).
Tab. 5.3 enthält die Auslegungsdaten ( A) bzw. Betriebsdaten ( B) einiger großtechni-
scher, anaerober Belebungsverfahren. Mit einem anaeroben Belebungsverfahren können
auch Abwässer mit hohem CSB behandelt werden (> 40 g/L möglich). Auch die Feststoff-
konzentration im Zulauf kann vergleichsweise hoch liegen, ohne dass Betriebsprobleme zu
erwarten sind (max. 2.000 mg/L).
Es zeigt sich, dass durch die Schlammabscheidung und -rückführung der TR-Gehalt im
Reaktor auf bis 25 kg/m3 aufkonzentriert werden kann, bei stark kalkhaltigen Abwässern
ist auch eine Aufkonzentrierung bis 35 kg/m3 möglich. Die oTR-Konzentration liegt dann
jedoch lediglich im Bereich von 5–11 kg/m3.
Maßgeblich für das Erreichen eines hohen Biomassengehaltes im Reaktor ist neben
der ausreichenden Dimensionierung des Abscheiders vor allem das Absetzvermögen des
Schlammes. Ein Problem dabei ist, dass nach Untersuchungen von Saake (1988) die aktive
anaerobe Biomasse schlechtere Absetzeigenschaften aufweist als die organische Trocken-
5.2 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Abwässern 295
masse (oTR) und daher der Abscheider bevorzugt den nicht aktiven Anteil des oTR an-
reichert. Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung ist, dass sich die Absetzeigenschaften
mit verringerter Schlammbelastung verbessern. Daher empfiehlt Saake (1986) die CSB-
Schlammbelastung BoTR < 0,4 kg/(kg⋅d) zu wählen. Dies gilt nicht für Zuckerfabriksab-
wasser, das aufgrund seines hohen Kalkgehaltes ein sehr gutes Schlammabsetzverhalten
ermöglicht.
Die Dimensionierung des Abscheiders erfolgt über die Feststoffflächenbelastung und
die hydraulische Flächenbeschickung qA. Nach Untersuchungen von Saake (1988) ist bis zu
einer Netto-Flächenbeschickung von qA = 0,25 m3/(m2⋅h) ein 90 %iger Rückhalt von oTS
möglich, bei steigender Beschickung sinkt der Wirkungsgrad dagegen sehr schnell. Da-
her empfiehlt er eine Netto-Flächenbeschickung von qA < 0,15 m3/(m2·h). Kroiss (1999)
nennt Flächenbeschickungen von qA = 0,1–1,0 m3/(m2·h). Nach Seyfried und Auster-
mann-Haun (1989) kam es in einer Weizenstärkefabrik bereits bei Flächenbeschickungen
296 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
5.2.4 UASB-Reaktoren (Schlammbettreaktoren)
5.2.4.1 Prozessbeschreibung
Der UASB-Reaktor (Upflow Anaerobic Sludge Blanket) wurde ursprünglich in den
1970er-Jahren in den Niederlanden zur Behandlung hoch organisch belasteter Abwässer
entwickelt (Lettinga et al. 1980). Das Prinzip des Reaktors beruht auf der Fähigkeit be-
stimmter anaerober Mikroorganismen, sich zu schweren festen Flocken oder vorzugsweise
5.2 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Abwässern 297
zu sog. Pellets zusammenzuballen, die aufgrund ihrer Größe (Durchmesser von mehreren
Millimetern) und ihrer festen, kompakten Form, sehr gute Absetzeigenschaften besitzen
und sich daher im Reaktor anreichern, während die nicht zur Pelletbildung geeigneten
Organismen aus dem System ausgeschwemmt werden. Durch diesen Selektionsprozess
können im sog. Schlammbett oTR-Gehalte von bis zu 90 kg/m3 erreicht werden, wobei
bei Reaktorhöhen von 4,5–7 m das Schlammbett meist eine Höhe von 1–3 m aufweist. Die
grundsätzlichen Mechanismen sowie die Einflussfaktoren auf die Pelletbildung werden in
Kap. 2 beschrieben.
Die Abwasserzuführung erfolgt von unten in das Schlammbett. Durch ein engmaschi-
ges Verteilersystem und die Gasentwicklung beim anaeroben Abbau wird die Biomasse
ausreichend umgewälzt und mit Substrat versorgt. Um das für die Selektion erforderli-
che Ausschwemmen von nicht pelletfähiger Biomasse zu gewährleisten, muss ein mög-
lichst konstantes hydraulisches Regime gefahren werden, welches teilweise durch eine
mengengeregelte anteilige Rückführung von gereinigtem Abwasser in den Reaktor erfolgt.
Im oberen Teil des Reaktors befindet sich der Dreiphasenabscheider, der zum einen die
298 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
Gaskasten
Gasabscheider
Zufluss
Schlammbett
Abführung des beim Prozess entstehenden Biogases ermöglicht und zum anderen durch
seine Konstruktion zu einer weitgehenden Beruhigung der Wasserphase führen soll, um
den ungewollt in den Abscheider aufgetriebenen Pellets ein Zurücksinken in den unteren
Reaktorteil zu ermöglichen. Das Schema eines UASB-Reaktors ist in Abb. 5.8 dargestellt.
5.2.4.2 Großtechnische Auslegungsdaten
Bei der Dimensionierung eines UASB-Reaktors sind folgende drei Bereiche auszulegen:
das erforderliche Reaktorvolumen, das Einlaufsystem (einschließlich des Rezirkulations-
systems) sowie der Dreiphasenabscheider.
300 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
Beispiele großtechnischer UASB-Anlagen Tabelle 5.5 gibt einen Überblick über einige in der
Literatur angegebenen Details von UASB-Anlagen. Hierbei handelt es sich ausschließlich
um Betriebsergebnisse von industriellen Großanlagen. Typische Zulaufkonzentrationen
liegen bei 2–5 g/L; maximal sind jedoch weit höhere Konzentrationen im Rohabwasser
möglich, da die Konzentration am Eintrittspunkt im Reaktor durch die Rezirkulation ein-
gestellt wird. Der CSB im Reaktorzulauf sollte nach Lettinga und Hulshoff Pol (1991) nicht
über 10.000 mg/L liegen. Durch Rezirkulation ist es möglich, die Zulaufkonzentrationen
zu verdünnen, sodass grundsätzlich Abwässer mit einem CSB von bis zu 40.000 mg/L mit
diesem Reaktortyp behandelt werden können (DWA-IG-5.1 2012). Lettinga sprach in die-
sem Zusammenhang einmal den Satz „dilution is the solution“. Die Feststoffkonzentration
im Zulauf sollte 300–500 mg TS/L nach Möglichkeit nicht überschreiten.
Es zeigt sich, dass bei nahezu allen Parametern eine große Bandbreite vorliegt. Hier-
aus ergibt sich, dass auch heute noch vor dem Bau einer industriellen Anaerobanlage die
Bemessungsansätze durch entsprechende halbtechnische Pilotversuche überprüft werden
sollten.
oTR-Konzentration liegt somit zwischen 20 und 35 kg/m3 und beträgt im Mittel ca. 25 kg/
m3 (vgl. Tab. 5.5).
Vor allem die Güte der Konstruktion des Dreiphasenabscheiders entscheidet darüber,
mit welcher Schlammbetthöhe ein Reaktor betriebsstabil funktioniert. Wenn der Ab-
scheider eine hohe Rückführung von aufgetriebenen Pellets ermöglicht, ist nur ein kleiner
Übergangsbereich erforderlich und eine große Schlammhöhe kann erreicht werden. Mit
zunehmender Schlammbetthöhe steigt jedoch auch die Gasflächenbeschickung (stündli-
che Biogasproduktion pro m2 Reaktorgrundfläche), sodass die Gasabscheidung im Ab-
scheider oder der mit einer hohen Gasaufstromgeschwindigkeit einhergehende Schlamm-
auftrieb zum begrenzenden Faktor werden kann.
Durch eine Verbesserung des Abscheiders, welcher die wichtigste Grundlage der
UASB-Hochleistungsreaktoren (EGSB-Reaktoren) darstellt, können dort deutlich höhere
Schlammspiegelhöhen und damit auch deutlich höhere, auf das gesamte Reaktorwasser-
volumen bezogene, oTR-Konzentrationen erreicht werden.
Tab. 5.4 aufgelisteten Anlagen als auch andere Quellen z. B. Zoutberg und Eker (1998) oder
Defour et al. (1994) bestätigen dies. Dabei gilt grundsätzlich, dass eine höhere Aufstromge-
schwindigkeit eine bessere Durchmischung und damit auch einen besseren Stoffaustausch
ermöglicht, diese aber nur so weit erhöht werden kann, wie der Abscheider einen sicheren
Rückhalt der Biomasse gewährleistet.
Um einen konstanten Selektionsdruck aufrechtzuerhalten und den Pelletabtrieb zu mi-
nimieren, sollte ein UASB-Reaktor mit einer möglichst konstanten Aufstromgeschwindig-
keit betrieben werden. Aus diesem Grund und um u. a. eine insgesamt höhere Aufstrom-
geschwindigkeit zu erreichen, wird bei einigen Anlagen der Abwasserablauf anteilig rezir-
kuliert. Die Reaktorbeschickungspumpe läuft dann konstant, während sich die Anteile von
Abwasser und rezirkuliertem Ablauf je nach Abwasseranfall ändern.
5.2.5 EGSB-Reaktoren
Abb. 5.10 Schemata des IC®-Reaktors (links) und des Biobed®-Reaktors (rechts). (aus Rosenwinkel
et al. 2011)
Reaktor liegen in der schlankeren Bauform, einer größeren Reaktorhöhe (bis etwa 24 m),
einer teilweise sehr weitgehenden Abwasserrezirkulation und vor allem in einer Verbesse-
rung der Zulaufverteilung und des Abscheidesystems.
Durch diese Verbesserungen kann der EGSB-Reaktor auf CSB-Raumbelastungen von
etwa 15–25 kg CSB/(m3⋅d) ausgelegt werden. Die gegenüber dem UASB-Reaktor erhöh-
te Belastbarkeit resultiert zum einen daraus, dass auf das Gesamtvolumen bezogen mehr
Biomasse im System ist. Zum anderen führen die erhöhte Aufstromgeschwindigkeit so-
wie die deutlich höhere Gasflächenbeschickung zu einer sehr guten Durchmischung des
Schlammbetts und somit zu einer erhöhten Aktivität der Mikroorganismen. EGSB-Reak-
toren werden in der Regel mit einem CSB im Zulauf von bis zu 40 g/L gefahren, wobei es
i.d. R. keine Limitierung gibt, da wie beim UASB-Reaktor die Konzentration am Eintritts-
punkt im Reaktor durch die Rezirkulation eingestellt wird. Die Feststoffkonzentration im
Zulauf sollte maximal bei 300–500 mg TS/L liegen (DWA-IG-5.1 2012).
Die als erstes entwickelten und daher bereits in einer Vielzahl von Großanlagen erfolg-
reich eingesetzten Reaktortypen sind der von der Fa. Biothane entwickelte Biobed®-EGSB-
Reaktor (kurz Biobed®-Reaktor) und der von der Fa. Paques entwickelte BIOPAQ®-IC-
Reaktor (kurz IC®-Reaktor). Der Aufbau dieser beiden Reaktortypen ist in Abb. 5.10 sche-
matisch dargestellt und wird in den folgenden Abschnitten im Detail erläutert.
5.2 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Abwässern 307
• Eine weitere Entwicklung eines EGSB-Reaktors stellt der von der Fa. Aquatyx Wasser-
technik GmbH entwickelte R2S-Reaktor dar. Der Reaktor wird von der Fa. Hager +
Elsässer GmbH als ANAFIT-R2S sowie von der Fa. Voith vertrieben. Die Reaktoren
werden mit Höhen von 16–30 m und Durchmessern von 2,25–12,0 m angeboten. Laut
Herstellerangaben sind auch bei Schlammbelastungen von 1,0 kg CSB/(kg oTS⋅d) hohe
Abbauleistungen möglich. Die Besonderheit dieses Reaktortyps ist der Zulaufbereich,
der so konstruiert ist, dass Ausfällungen (z. B. bei hohen Calciumkonzentrationen)
ohne Betriebsunterbrechung aus dem Reaktor ausgeschleust werden können. Da der
schwere Schlamm mit den höchsten Kalkanteilen die größte Sinkgeschwindigkeit be-
sitzt, sammelt er sich in der Spitze des Konusbodens im Reaktor. Bei Bedarf kann das
Ventil in der Schwerschlammentnahmeleitung geöffnet und gezielt Schwerschlamm
mit niedrigem Anteil an Organik abgezogen werden (SH + E, 2012). Der Einsatz dieses
Zulaufkonus ist insbesondere für Abwässer mit hohem Calciumanteil (z. B. aus der Alt-
papierverarbeitung) sinnvoll. Untersuchungen haben hier in der Großtechnik gezeigt,
dass die oTS-Konzentration im abgezogenen Schlamm sehr niedrig ist und damit si-
chergestellt werden kann, dass der organische Anteil an Feststoffen und damit die aktive
Biomasse im Reaktor erhalten bleibt. Der Reaktor wurde großtechnisch bisher u. a. in
der chemischen Industrie, in der Papierindustrie und in der Fruchtsaftindustrie einge-
setzt; die Auslegungsraumbelastungen liegen i. d. R. zwischen 15 und 25 kg CSB/(m3⋅d)
(Fischer 2011).
• Die Fa. EnviroChemie bietet u. a. ein- und mehrstufige Schlaufenreaktoren an, die in
Abhängigkeit von der Industriebranche bzw. der vorliegenden Abwasserqualität bei
Raumbelastungen von 8–20 kg CSB/(m3⋅d) (Biomar® ALB – Schlaufenreaktor) bzw.
10–35 kg CSB/(m3⋅d) (Biomar® AHP – mehrstufiger Hochleistungsschlaufenreaktor)
betrieben werden können. Der ALB-Reaktor ist laut Herstellerangaben insbesondere
für Abwässer mit hohen Feststoffgehalten und sehr hohem CSB geeignet (z. B. Mol-
ke/Molkepermeat, Molkereien und Milch verarbeitende Industrie, ölhaltige Abwässer,
Chemieindustrie). Der AHP-Reaktor kann dagegen für unterschiedliche Abwässer u. a.
auch aus der Bioethanol- und Biodieselherstellung eingesetzt werden. Darüber hinaus
bietet die Fa. EnviroChemie mit dem Biomar® ASBx-Verfahren ein Hochleistungsver-
fahren an, das auf dem Prinzip des Biobed®-Reaktors mit einem integrierten Abscheider
basiert; mit diesem System sind Raumbelastungen zwischen 10–25 kg CSB/(m3⋅d) mög-
lich (EnviroChemie 2012).
• Die Fa. Zeppelin Umwelttechnik entwickelte den Zeppelin ITC-Reaktor, der zwei über-
einander angeordnete Abscheider besitzt. In Deutschland ist ein solcher Reaktor im
Bereich der Nahrungsmittelindustrie in Betrieb, der auf eine vergleichsweise geringe
Raumbelastung von 12,9 kg CSB/(m3⋅d) ausgelegt wurde.
308 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
• Die Fa. Kurita Water hat in Japan 10 Großanlagen vom Typ SuperBIOSAVER® gebaut,
die nur einen Dreiphasenabscheider aufweisen und mit CSB-Raumbelastungen von
20–25 kg CSB/(m3⋅d) betrieben werden (Yasuo und Motoyuki 2001).
• Weitere EGSB-Reaktoren, die über jeweils zwei übereinander liegende Dreiphasenab-
scheider verfügen, sind der ACS-Hochleistungs-Reaktor und der ANUBIX™-Reaktor
(GWE).
• Die Fa. Voith bietet neben dem R2S-Reaktor auch den E2E-Reaktor (Effluent to Ener-
gie) an. Dieser wird vom Hersteller als Wirbelbettreaktor bezeichnet, aber ohne den
Einsatz von Aufwuchskörpern betrieben. Die Besonderheit des E2E-Reaktors ist das
modulare Drei-Phasen-Trennsystem, mit dem eine Anpassung an unterschiedliche Re-
aktorabmessungen möglich ist. Die Reaktoren sind vergleichsweise niedrig (Wasser-
höhen: 10–13 m) und werden bei Aufstromgeschwindigkeiten von im Mittel 6 m/h mit
Raumbelastungen zwischen 20–25 kg CSB/(m3d) betrieben (Voith 2011). Die oTR-
Konzentration im Reaktor liegt bei 70–80 kg/m3 (Mulder 2011).
Biobed®-Reaktor Die Bezeichnung Biobed® wurde zunächst von der Fa. Gist-Brocades
als Handelsmarke für den von ihr entwickelten Fließbettreaktor verwendet, der im Jahr
1984 erstmalig großtechnisch in Betrieb genommen wurde. Im Jahr 1989 wurde bei einer
Hefefabrik in Deutschland erstmalig eine etwas modifizierte Reaktorkonstruktion groß-
technisch in Betrieb genommen, die statt mit Trägermaterialien mit Pelletschlamm gefüllt
wurde und den Namen UFB Biobed® erhielt (Upflow Fluidized Bed). Die Entwicklungs-
geschichte ist bei Frankin et al. (1992) dargestellt. Mit Beginn der 1990er-Jahre entwickelte
die Fa. Biothane (die mittlerweile zu Krüger WABAG bzw. Veolia Water gehört) in Zusam-
menarbeit mit dem Hydraulischen Institut der Universität Delft einen neuen Abscheider,
der 1992 erstmalig großtechnisch eingesetzt wurde. Der mit diesem Abscheider ausgestat-
tete Reaktortyp wurde Biobed®-EGSB-Reaktor bzw. Biobed®-Reaktor genannt. Biobed®-
Reaktoren werden mit einer Wasserhöhe von ca. 12–17 m gebaut, sodass sie etwa um den
Faktor 2–3 höher sind als UASB-Reaktoren. Die Einspeisung erfolgt ebenso wie bei den
UASB-Reaktoren über eine Vielzahl von Zuflussöffnungen direkt über dem Reaktorboden.
Die Besonderheit des Biobed®-Reaktors liegt in der Konstruktion des Dreiphasen-Ab-
scheiders. Er ist so konstruiert, dass durch einen schräg angeordneten Parallelplattenab-
scheider das aufsteigende Biogas einerseits von der Abscheideröffnung weggeführt wird
und zum anderen das Biogas eine Kreisströmung um die Parallelplatten herum induziert,
die eine verbesserte Ablösung der ggf. an den Pellets anhaftenden Gasblasen und durch die
nach unten gerichtete Strömung auch eine aktive Rückführung der ggf. in die Abscheider-
öffnung gelangten Schlammpellets ermöglicht (Versprille et al. 1994). Die gegenüber dem
Parallelplattenabscheider angeordnete Aufweitung kann als Energieumwandlungskam-
mer verstanden werden, um die Turbulenzen zu verringern und somit die Absetzfähigkeit
der Schlammpellets zu verbessern. Gelangen dennoch Pellets in die Ablauftrichterzone,
bedingt die Aufweitung des Trichters eine zunehmende Verringerung der Aufstromge-
schwindigkeit und ermöglicht so den Pellets ein Zurücksinken in die Reaktionszone.
5.2 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Abwässern 309
Das gebildete Biogas wird an dem Dreiphasen-Abscheider vorbei geführt und oberhalb
der Wasseroberfläche im Kopfteil des unter Druck stehenden Reaktors gespeichert, wobei
dieser aus dem Kopfteil bestehende Gasspeicher meist eine Höhe von 1–2 m aufweist. Auf-
grund dieser Konstruktion können somit ein Kompressor zur Erhöhung des Gasdrucks
sowie ein separater Gasspeicher entfallen. Die ersten Reaktoren wurden mit Überdrücken
von ca. 200 mbar betrieben, heute liegt der Betriebsdruck meist bei 50–100 mbar.
Zum Biobed®-Reaktor gehört immer ein vorgeschaltetes Konditionierungsbecken,
das zum einen als Pumpenvorlage für die Reaktorbeschickungspumpe und weiterhin als
Mischbecken zur Vermischung des ankommenden Abwassers mit dem Rezirkulations-
strom und ggf. zuzugebender Nährsalze, Spurenelemente sowie Neutralisationsmittel
dient.
Um eine hohe und möglichst konstante Aufstromgeschwindigkeit im Reaktor zu er-
reichen und um ggf. hemmende Abwasserkonzentrationen zu verdünnen, wird bei den
Biobed®-Reaktoren meist der Reaktorablauf anteilig rezirkuliert, wobei die Rezirkulations-
rate in Abhängigkeit von der Abwasserkonzentration und -menge das 0,1- bis 30-fache der
Abwassermenge ausmachen kann. Da die Reaktorbeschickungspumpe auch bei schwan-
kendem Abwasseranfall immer konstant läuft, ändern sich die Anteile von Abwasser und
rezirkuliertem Ablauf entsprechend dem jeweiligen Abwasseranfall.
Das im oberen Abscheiderbereich über die Wehre geflossene, behandelte Wasser ge-
langt zunächst in einen schmalen, seitlich am Abscheider angeordneten Wasserkasten,
von dem aus es je nach Rezirkulationsverhältnis teilweise zum Ablauf und teilweise in
das Konditionierungsbecken zurückgeführt wird. Da der Ablauf aus dem Wasserkasten
meist höher als der Wasserstand im Konditionierungsbecken angeordnet ist, muss ein un-
kontrolliertes „Abstürzen“ des Wassers aus dem Ablaufkasten vermieden werden, weil an-
sonsten lokale Unterdrücke entstehen, die ein ungewolltes Abführen des Biogases in die
Konditionierung, die häufig nicht als Drucksystem ausgelegt ist, bedingen. Somit ist durch
eine entsprechende Mess-Steuer-Regel-Technik, z. B. in Verbindung mit einer Motorklap-
pe, ständig ein Mindestwasserstand im Wasserkasten zu gewährleisten.
Bei hohen Wasserstandsdifferenzen zwischen dem Biobed®-Reaktor und der Konditio-
nierung sowie bei hohen Rezirkulationsraten ist teilweise eine hohe Pumpenleistung der
Beschickungspumpe erforderlich.
Da auch die Rezirkulationswassermenge durch den Abscheider geführt wird, können
dort lokal sehr hohe Geschwindigkeiten entstehen, sodass hier unbedingt die Auslegungs-
daten bzw. Vorgaben des Herstellers berücksichtigt werden müssen, um ein Abtreiben von
Pellets zu verhindern.
Betriebsergebnisse und Auslegungsdaten großtechnischer Biobed®-Reaktoren sind in
Tab. 5.8 zusammengefasst. Die wichtigsten Bemessungsparameter für EGSB-Reaktoren
sind in Kap. 5.2.5.2 zusammengestellt.
Tab. 5.8 Betriebsergebnisse (B) bzw. Auslegungsdaten (A) von großtechnischen Biobed®-Reaktoren
Anlage BR [kg/(m³·d)] tR [h] oTR Wasser- BoTR [kg/(kg·d)] vH2O [m/h] vH2O, Abschei- VGas [m/h] CSBzu [g/L] CSBab [g/L]
volumen [g/L] der
[m/h]
Brauerei ( B)a 19,4 2,6 29,8 0,65 6,7 3,7 2,1 0,32
b
Chemie ( B) 17,5 55,0 50,5 0,35 9,4 15,1 5,5 40,0 0,65
Weizenstärke ( B)c 15,6 6,4 28,9 0,54 2,9 4,2 1,08
d
Hefe ( B) 13,9 3,5 6,0 4,1 2,0 0,20
5
rig belasteten Raum im oberen Reaktorteil. Das im unteren Abscheider abgetrennte Gas
erzeugt einen Gaslift und – durch den Rücklauf (Downer) des mitgerissenen Abwassers
– eine interne Zirkulation, die dem System den Namen gibt. IC®-Reaktoren werden i. d. R.
mit einer Wasserhöhe von 19,5 m bzw. 24 m (in seltenen Fällen mit max. 26 m) als Stahl-
bzw. Edelstahlbehälter mit kreisförmiger Grundfläche errichtet. Die Durchmesser betra-
gen ca. 2,3–10,5 m. Das Verhältnis Höhe zu Durchmesser liegt zwischen ca. 2,5 und ca. 8,
sodass es sich um sehr schlanke, hohe Reaktoren handelt. Die wichtigsten Teile des Reak-
tors sind das Einlaufverteilersystem, das interne Rezirkulationssystem, die untere hoch-
belastete Reaktorzone sowie die im oberen Reaktorteil angeordnete Nachreinigungszone.
Neben der internen Rezirkulation werden die IC®-Reaktoren häufig noch zusätzlich mit
einer externen Rezirkulation ausgestattet, sodass ihnen ein Konditionierungsbecken vor-
geschaltet ist, das als Pumpenvorlage für die Reaktorbeschickungspumpe und als Mischbe-
cken zur Vermischung des ankommenden Abwassers mit externer Rezirkulation und ggf.
zuzugebenden Nährsalzen, Spurenelementen sowie Neutralisationsmitteln dient. Auch bei
IC®-Reaktoren wird eine weitgehend konstante Fördermenge der Reaktorbeschickungs-
pumpe angestrebt, sodass sich bei schwankendem Abwasseranfall die Anteile von Abwas-
ser und extern rezirkuliertem Ablauf entsprechend ändern.
Der Zulauf zum Reaktor wird zunächst in ein Einlaufverteilersystem am Reaktorbo-
den gegeben, in dem sich der Reaktorzulauf mit dem intern rezirkulierten Wasser- und
Schlammstrom vermischt, bevor dann beides in das darüber liegende Schlammbett ge-
langt. Das Einlaufverteilersystem besteht im Prinzip aus einem auf dem Reaktorboden
stehenden Kegel. Während die interne Rezirkulation von oben in die Kegelspitze geführt
wird, induzieren die tangential angeordneten Reaktorzuläufe eine Kreisströmung inner-
halb des Kegels. Indem zwischen den Blechen des Kegelmantels ein entsprechender Ab-
stand sowie eine Überlappung der Kegelbleche gewählt wird, ist so eine Abwasserführung
aus dem Kegelinneren in das Schlammbett gegeben, welche eine sehr gleichmäßige Vertei-
lung über die Reaktorgrundfläche und eine anteilige tangentiale Strömung im Schlamm-
bett garantiert.
Die über dem Einlaufverteiler angeordnete Hochlastzone besteht aus einem expandier-
ten Schlammbett, in dem der Hauptteil der organischen Abwasserinhaltsstoffe in Biogas
umgesetzt wird. Diese Hochlastzone, die sich bis zur Unterkante des 1. Abscheiders er-
streckt, umfasst ca. 55–65 % der Reaktorwasserhöhe und kann komplett mit Pellets gefüllt
sein. Die maximal mögliche Höhe des Schlammbettes ist in etwa die Unterkante des 1.
Abscheiders. Aufgrund der hohen Aufstromgeschwindigkeit und Gasflächenbeschickung
entsteht in dieser Zone ein sehr intensiver Kontakt zwischen Abwasser und Schlammpel-
lets, sodass hier hohe Schlammaktivitäten erreicht werden können.
Das interne Rezirkulationssystem besteht aus dem unteren Abscheider, in dem das in
der Hochlastzone gebildete Biogas vom Abwasser abgetrennt wird und durch ein Steigrohr
(Riser) in den auf dem Reaktordeckel angeordneten Gas-Flüssigkeits-Separator geführt
wird. Durch das aufsteigende Biogas wird ein Gaslift erzeugt, der auch anteilig Abwasser
und Pelletschlamm in den Gas-Flüssigkeits-Separator führt. Dort wird das Biogas vom
Schlamm-Abwassergemisch getrennt und verlässt den Reaktor, während das Schlamm-
Abwasser-Gemisch durch den sogenannten Downer wieder zum Reaktorboden zurückge-
312 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
führt wird. Die interne Rezirkulationsmenge richtet sich nach der gebildeten Biogasmen-
ge. Messungen ergaben, dass bei den üblichen Auslegungswerten ca. 1,8–2,0 m3 Wasser
pro m3 aufsteigenden Biogases mitgeführt werden, wobei der untere Wert für CSB-Raum-
belastungen unter 20 kg CSB/(m3⋅d) gilt. Eine grafische Darstellung der Ergebnisse ist Vegt
und Yspeert (1994) zu entnehmen.
Das bereits größtenteils gereinigte Abwasser durchfließt den ersten Gasabscheider und
gelangt so in die Nachreinigungszone, wo die restlichen abbaubaren organischen Abwas-
serinhaltsstoffe umgesetzt werden. Da in diesem Bereich die interne Rezirkulation nicht
mehr wirkt und auch nur ca. 10–20 % des gesamten Biogases anfällt, ist die Aufstromge-
schwindigkeit entsprechend gering. So wird in dem oberen Abscheider neben der Rest-
gasentnahme vor allem ein guter Rückhalt von aufgeschwommenen Pellets ermöglicht.
In dieser Zone ist die Schlammkonzentration i. Allg. vergleichsweise niedrig, sodass dort
ausreichend Platz zur Verfügung steht, um die bei Frachtspitzen auftretende, zusätzliche
Expansion des Schlammbetts aufzunehmen. Auf diese Weise werden die bei Frachtspitzen
möglichen Schlammverluste vermieden.
Die speziellen Vorteile des IC®-Reaktors liegen, neben der auf das Gesamtvolumen
bezogenen sehr hohen Biomassenkonzentration, vor allem in der durch die interne Re-
zirkulation bedingten hohen Aufstromgeschwindigkeit von bis 20 m/h und der dadurch
erhöhten Durchmischung und Aktivität der Biomasse. Dabei ist die interne Rezirkulation
ein sich selbst regulierendes System: Steigende Abwasserbelastungen bedingen eine stei-
gende Gasproduktion und damit eine erhöhte Rezirkulation, die zu einer besseren Durch-
mischung und zu einer besseren Verdünnung der hohen Zuflusskonzentrationen führt.
Zudem können CSB-Frachtspitzen besser aufgenommen werden, da zum einen durch die
hohe Rückführung von Hydrogenkarbonat aufgrund der hohen Gesamtrezirkulationsrate
sehr viel Pufferkapazität im Reaktorzulauf zur Verfügung steht, die eine Versäuerung des
Schlammbettes verhindert. Zum anderen wird durch die weitgehende Abführung des Bio-
gases im 1. Abscheider und der geringen Aufstromgeschwindigkeit im oberen Abscheider
i. d. R. ein sehr guter Rückhalt von Pelletschlamm gewährleistet.
IC®-Reaktoren sind außerdem weniger anfällig bezüglich Ausfällungen von z. B. CaCO3
oder MAP (Magnesium-Ammonium-Phosphat), da bei der internen Rezirkulation nur
sehr wenig CO2 ausgestrippt wird und dadurch der pH-Wert nicht soweit ansteigt, dass
es zu Ausfällungen kommt. Da das Abwasser für die interne Rezirkulation bei ca. 8 m
Wassersäule in das Steigrohr geführt wird, ist sehr viel CO2 im Abwasser gelöst. Im Gas-
Flüssigkeits-Separator kommt es zwar in geringem Maße zu einer CO2-Ausgasung, die
jedoch i. d. R. zu keiner wesentlichen Ausfällung führt. Zusätzlich kann, falls erforderlich,
der abgeschlossene Luftraum oberhalb der Überlaufwehre mit CO2-Gas vorgespannt wer-
den, indem das Reaktorablauffallrohr an diesen Luftraum angeschlossen wird und so das
beim Abstürzen des Abwassers aus ca. 20 m Höhe zwangsläufig ausgasende CO2-Gas eine
Anreicherung dieses Luftraumes mit CO2 bewirkt. So können z. B. bei mit Papierfabriks-
abwasser betriebenen IC®-Reaktoren die pH-Werte im Kopfbereich auf 6,2–6,5 begrenzt
werden, wodurch CaCO3-Ausfällungen größtenteils verringert werden können.
Die Tab. 5.9 enthält eine Zusammenstellung einiger Betriebsergebnisse bzw. Aus-
legungsdaten von großtechnischen IC®-Reaktoren. Habets und Driessen (2007) haben
Tab. 5.9 Betriebsergebnisse ( B) bzw. Auslegungsdaten ( A) großtechnischer IC®-Reaktoren
Anlage BR [kg/ tR [h] oTR Wasser- BoTR [kg/ vH2O, oben Interner vH2O, unten vGas [m/h] CSBzu [g/L] CSBab [g/L]
(m³·d)] volumen [g/L] (kg·d)] [m/h] Recycle [%] [m/h]
Insulin ( B)a 30,3 6,3 32,4 0,94 3,8 420 19,6 9,8 7,9 2,00
Milchpulver ( B)b 15,2 2,7 8,0 60 12,6 2,8 1,7 0,84
c
Kartoffel ( B) 33,4 5,2 30,2 1,10 3,8 420 19,9 9,9 7,2 1,25
Brauerei ( B)3 26,0 2,2 27,0 0,96 8,9 140 21,1 7,5 2,4 0,48
Kartoffel ( B) 21,0 6,9 37,8 0,56 2,9 350 13,1 6,3 6,0 1,00
Brennerei ( A) 28,5 12,6 34,3 0,83 6,3 870 19,8 8,4 15,0 2,80
5.2 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Abwässern
Stärke ( A) 26,4 22,7 47,6 0,55 4,2 1510 19,9 9,7 25,0 3,70
Auslegungs-wert <8 < 20 < 12
a
Habets et al. 1997
b
Driessen und Yspeert 1999
c
Pereboom und Vereijken 1994; Vegt und Yspeert 1994
313
314 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
5.2.5.2 Großtechnische Auslegungsdaten
CSB-Raumbelastung In Deutschland sind etwa 35 Biobed®-Reaktoren der Fa. Biothane
(Veolia) in Betrieb (Stand: Januar 2012). Die Referenzlisten zeigen, dass diese Anlagen im
Mittel auf 14,5 kg CSB/(m3⋅d) ausgelegt sind (Minium: ca. 4 kg CSB/(m3⋅d); Maximum:
28 kg CSB/(m3⋅d)). Unterschiede entstehen z. B. in Abhängigkeit von der Abwasserzusam-
mensetzung; zudem sind die Belastungen der Anlagen, die in den letzten 10 Jahren gebaut
wurden, im Mittel etwas höher als die Auslegungswerte der älteren Reaktoren.
Derzeit (Januar 2012) werden ca. 50 IC®-Reaktoren der Fa. Paques in Deutschland be-
trieben. Die mittlere Auslegungs-Raumbelastung liegt hier bei 21 kg CSB/(m3⋅d) (Minium:
ca. 4 kg CSB/(m3⋅d); Maximum: 28 kg CSB/(m3⋅d)). Eine Abhängigkeit von den jeweiligen
Branchen lässt sich auch hier beobachten – Auslegungswerte > 20 kg CSB/(m3⋅d) werden
z. B. für Brauereien und Brennereien verwendet.
Typische Auslegungsraumbelastungen aller EGSB-Reaktoren in Deutschland sind in
Tab. 5.10 für unterschiedliche Branchen zusammengefasst.
Einlaufsystem Bei Biobed®-Reaktoren erfolgt die Einspeisung ebenso wie bei den UASB-
Reaktoren über diverse Zuflussöffnungen direkt über dem Reaktorboden. Die Öffnungen
sind dabei nach unten angeordnet, um eine bessere Durchmischung des Schlammbettes
zu erreichen. Aus dem gleichen Grund sind, im Vergleich zu UASB-Reaktoren, auch eine
höhere Anzahl von Öffnungen vorhanden – üblicherweise eine Öffnung pro 0,7–1,3 m2
Reaktorgrundfläche.
Die Konstruktion des Einlaufsystems des IC®-Reaktors wurde bereits im vorangegange-
nen Abschnitt beschrieben. Die bei Schlammbettreaktoren übliche Kenngröße, der auf die
Reaktorgrundfläche bezogenen Öffnungsanzahl, existiert hier nicht.
316 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
Tab. 5.11 Vor- und Nachteile der EGSB-Reaktoren gegenüber den UASB-Reaktoren
Vorteil Nachteil
Durch die verbesserte Abscheiderkonstruktion Aufgrund der größeren Rezirkulationsraten
können deutlich höhere Schlammbetthöhen und muss mit erhöhten Pumpkosten gerechnet
damit auf das Gesamtvolumen bezogen erhöhte werden
Biomassengehalte erreicht werden
Hohe Aufstromgeschwindigkeiten ermögli- Die Effizienz bzgl. des Abbaus von abfiltrier-
chen einen sehr guten Stoffaustausch zwischen baren Stoffen ist geringer, es wird fast nur der
Abwasser und Biomasse und damit eine erhöhte filtrierte CSB abgebaut
Biomassenaktivität
Aufgrund der hohen Biomassengehalte und der Aufgrund der großen Höhe sind die in
hohen Biomassenaktivität können CSB-Raumbe- einigen Ländern sehr günstigen Ortbetonbau-
lastungen von maximal 15–30 kg/(m3⋅d) erreicht weisen nicht mehr möglich
werden. Dadurch ergibt sich ein sehr kompaktes
und preisgünstiges System
Aufgrund der hohen Rezirkulationsrate können
grundsätzlich abbaubare, in ihrer Ursprungskon-
zentration aber toxische Stoffe (z. B. Formalde-
hyd), abgebaut werden
Die hohe Rezirkulationsrate ermöglicht auch die
Behandlung von hoch konzentrierten Abwässern
(CSB ≤ 40 g/L)
Die Rezirkulation anaerob behandelten Abwas-
sers bewirkt durch die Rückführung von Hydro-
genkarbonat eine Erhöhung der Alkalinität
Aufgrund des geringen Volumens und der gro-
ßen Höhe ist der Flächenbedarf gering
Die kleine Grundfläche ermöglicht eine kosten-
günstige komplette Abdichtung, sodass es keine
Abluftemissionen gibt und ein Drucksystem
mit integriertem Gasspeicher möglich ist (siehe
Biobed®-Reaktor)
Aufgrund der hohen zulässigen Aufstromge-
schwindigkeit können auch Abwässer mit niedri-
gen Konzentrationen mit vergleichsweise hohen
Raumbelastungen abgebaut werden
Abscheider
Die Auslegung des Abscheiders richtet sich nach der auf die Abscheidergrundfläche be-
zogene Aufstromgeschwindigkeit und sollte 10 m/h nicht überschreiten.
zahl von Vorteilen verfügt, u. a. auch Kostenvorteile. Da inzwischen viele Erfahrungen aus
großtechnischen Anlagen vorliegen, wird dieser Reaktortyp zunehmend dem UASB-Reak-
tor vorgezogen. Dies bestätigt auch die Tendenz, dass bei Neubauten in Deutschland der-
zeit der EGSB-Reaktor am häufigsten eingesetzt wird; so sind von den 79 Anaerobanlagen,
die in den letzten 10 Jahren (2002–2012) neu gebauten worden sind, 63 EGSB-Reaktoren.
5.2.6 Festbettreaktoren
5.2.6.1 Prozessbeschreibung
Bei anaeroben Festbettreaktoren ist ein großer Anteil des Reaktorvolumens mit ortsfesten
Trägermaterialien befüllt, die als Aufwuchsfläche dienen und so den Biomassengehalt im
Reaktor erhöhen.
Festbettreaktoren können entweder im Abstrom (downflow) oder im Aufstrom (upf-
low) betrieben werden. Heute überwiegt der Aufstrombetrieb, weil sich so eine insgesamt
höhere Biomassenkonzentration im Reaktor einstellt, die vor allem daraus resultiert, dass
bei den im Aufstrom betriebenen Reaktoren neben der auf dem Trägermaterial fixierten
Biomasse ein mindestens gleich großer Teil in Form von suspendierter Biomasse (über-
wiegend in den Hohlräumen des Trägermaterials aber auch unterhalb des Trägermate-
rials) vorliegt. Nachteilig ist dagegen, dass im Aufstrom betriebene Reaktoren eher ver-
stopfungsgefährdet sind. Aufgrund des Rückhalteeffekts werden Festbettreaktoren in der
englischsprachigen Literatur häufig auch als „anaerobe Filter“ bezeichnet.
Das Trägermaterialvolumen kann zwischen < 25 und 100 % des Wasservolumens um-
fassen. Die meisten Festbettreaktoren sind zu etwa 70 % mit Trägermaterial gefüllt. Ent-
sprechend dem Füllgrad wird zwischen Festbettreaktoren und Teilfestbettreaktoren
unterschieden, wobei keine allgemeingültige Definition existiert. Teilfestbettreaktoren
werden häufig auch als Hybridreaktoren bezeichnet, deren unterer Reaktionsraum ent-
weder mit überwiegend suspendierter Biomasse oder, wie ein UASB-Reaktor, mit pellet-
förmiger Biomasse betrieben wird.
Um der Verstopfungsgefahr entgegen zu wirken, bzw. um hohe Abwasserkonzentratio-
nen zu verdünnen, wird bei Festbettreaktoren gelegentlich ein Teil des anaerob gereinigten
Abwassers rezirkuliert. Häufig wird dann von einem Festbettumlaufreaktor gesprochen.
Aufgrund der Erkenntnis, dass bei den üblicherweise im Aufstrom betriebenen Fest-
bettreaktoren trotz der Trägermaterialien die meiste Biomasse in suspendierter Form vor-
liegt, werden den Reaktoren teilweise Absetzbecken nachgeschaltet, um in Anlehnung an
das anaerobe Belebungsverfahren, die Konzentration der suspendierten Biomasse im Re-
aktor weiter zu erhöhen. Für diese Verfahrenskombination existiert kein spezieller Name,
sodass hier auch von einem Hybridreaktor gesprochen werden kann.
Festbettreaktoren werden mit Gesamthöhen von ca. 3–13 m gebaut, wobei jedoch die
Trägermaterialhöhe meist auf ca. 7,0 m begrenzt wird, da einerseits aufgrund der starken
Ortsabhängigkeit der Abbauvorgänge (Pfropfenstrom) in höheren Festbettbereichen kein
5.2 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Abwässern 319
Biogas
Abzugsrohre
Abfluss
Festbett
Zuflussverteiler
Zufluss
maßgeblicher Abbau mehr stattfindet und zum anderen die Festigkeit der Materialen häu-
fig keine größeren Höhen erlaubt.
Während früher eine Vielzahl von natürlichen Materialien eingesetzt wurde, werden
heute nahezu ausschließlich Kunststoffträgermaterialien oder modifizierte Materialien
verwendet, die sowohl hohe spezifische Oberflächen, hohe Porositäten mit möglichst
offenen Poren sowie eine hohe Festigkeit bei geringem spezifischen Gewicht aufweisen.
Wichtig ist weiterhin, dass sie eine möglichst gleichmäßige Durchströmung des Reaktors
ermöglichen. Bei Austermann-Haun (1997) ist eine gute Zusammenstellung der Anforde-
rungen an die Materialien sowie der Eigenschaften verschiedener, auf dem Markt angebo-
tener, Materialien zu finden.
Lose geschüttete Trägermaterialien haben gegenüber den geordnet gepackten in Block-
bauweise den Vorteil, dass sie kostengünstiger errichtet werden können und i. Allg. eine
größere Biomassenmenge (in suspendierter Form) im Reaktor zurückhalten können.
Nachteilig ist jedoch die höhere Verstopfungsneigung.
Bei Festbettreaktoren ist neben einer möglichst flächigen Einlaufverteilung auch auf
eine möglichst flächige Abzugseinrichtung zu achten, um eine weitgehende und gleich-
mäßige Durchströmung aller Bereiche zu gewährleisten. Abbildung 5.11 zeigt die schema-
tische Darstellung eines Festbettreaktors.
320 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
Festbettreaktoren können bei sehr hohen Zulaufkonzentrationen (bis 100 CSB g/L) be-
trieben werden. Grundsätzlich können abwärts durchströmte Festbettreaktoren mit hö-
heren Feststoffgehalten betrieben werden als aufwärts durchströmte, ohne diese zu ver-
stopfen. Die Aufenthaltszeit ist jedoch für eine vollständige Hydrolyse zu gering (Kennedy
und Droste 1985). Für den Abstrombetrieb werden zulässige Feststoffkonzentrationen von
< 1.000 bis 5.000 mg TS/L angegeben; es besteht jedoch die Gefahr der Verstopfung und
Kanalbildung (DWA-IG-5.1 2012).
5.2.6.2 Großtechnische Auslegungsdaten
CSB-Raumbelastung Da bei Festbettreaktoren im Gegensatz zu den anderen Reaktor-
typen eine Abschätzung der organischen Biomasse im System nur mit vergleichsweise
hohem Aufwand möglich ist, wird die CSB-Raumbelastung bei diesem Reaktortyp auch in
Zukunft die wichtigste Auslegungsgröße bleiben.
Es gibt nur wenige in Betrieb befindliche Festbett-Methanreaktoren in Deutschland.
Diese sind laut den Referenzlisten für Raumbelastungen von 2,2 bis 7,5 kg CSB/(m3⋅d),
im Mittel 5,3 kg CSB/(m3⋅d) ausgelegt. Bei dieser Auswertung sind 13 Anlagen mit einem
Volumen > 100 m3 berücksichtigt. Für kleinere Anlagen sind auch höhere Raumbelastun-
gen bekannt, wobei oft spezielle, sehr teure Trägermaterialien verwendet werden. Young
(1991) hat zudem Daten von 16 Festbettreaktoren in den USA und Kanada sowie von 8
Anlagen in Europa (nicht Deutschland) ausgewertet; die Raumbelastungen lagen im Mittel
bei 6,4 bzw. 10,5 kg CSB/(m3⋅d).
Haun 1997
Defour et al. 4,5 11,3 18,0 47 8,4
1994
Saake 1988 14,0 5,2
Henze 1983 5–15
Jördening 1999 SIRAN ca. 60
321
322 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
des Festbettes zwar teilweise die TR-Konzentrationen Werte von 35 kg/m3 überschreiten,
dass aber aufgrund des geringen Bewuchses in der oberen Trägerhälfte, als Mittelwert über
die Festbetthöhe lediglich TR-Konzentrationen zwischen ca. 5 und 20 kg/m3 erreicht wer-
den. Wie die Beispiele 1, 5 und 6 zeigen, kann im Allgemeinen davon ausgegangen werden,
dass bei im Aufstrom betriebenen Festbettreaktoren ein Teil der Biomasse in nicht träger-
fixierter Biomasse vorliegt und dieser Anteil den trägerfixierten Anteil übersteigt. Eine
Besonderheit bei Festbettreaktoren ist auch der im Vergleich zu den anderen Reaktortypen
niedrigere oTR-Anteil, der teilweise unter 50 % liegt. Bezogen auf das gesamte Reaktor-
wasservolumen ergeben sich damit vergleichsweise niedrige oTR-Konzentrationen von ca.
5–15 kg/m3.
Einlaufsystem und Abscheider Bei Festbettreaktoren ist neben einer möglichst flächigen
Einlaufverteilung auch auf eine möglichst flächige Abzugseinrichtung zu achten, um eine
weitgehende Durchströmung aller Bereiche zu gewährleisten und ein Verstopfen des Trä-
gers zu verhindern. Häufig wird eine Öffnung pro 3–4 m2 Reaktorgrundfläche gewählt.
Teilweise besteht auch die Möglichkeit, durch Gaseinpressung beginnenden Verstopfun-
gen entgegenzuwirken.
In Festbettreaktoren ist kein Abscheider installiert, da die Biomasse auf, unter und zwi-
schen dem Trägermaterial ausreichend zurückgehalten wird. Das Gas sammelt sich über
dem Wasserspiegel im Reaktordeckel.
sant bleiben. Dies gilt insbesondere bei Abwässern mit hohen Konzentrationen, mit schwer
abbaubaren Abwasserinhaltsstoffen oder Abwässern, bei denen sich Pelletschlammreakto-
ren nicht bewährt haben.
Wesentliche Vorteile von Festbettreaktoren sind ihre Robustheit gegenüber hydrauli-
schen und organischen Stoßbelastungen sowie gegenüber Veränderungen in der Abwas-
serbeschaffenheit. Weitere Vor- und Nachteile der Festbettreaktoren gegenüber den ande-
ren Typen von Anaerobreaktoren sind in Tab. 5.13 aufgelistet.
5.2.7 Fließbettreaktoren
1,1–1,5 kg CSB/(kg oTR⋅d), sodass die Reaktoren nach Frankin et al. (1992) ständig einer
Überlastsituation ausgesetzt waren.
Das größte Problem des mit Sand betriebenen Fließbettreaktors bestand jedoch darin,
eine konstante Menge an Biomasse im System zu halten. Dies liegt daran, dass aufgrund
des hohen spezifischen Gewichtes von Sand eine hohe Aufstromgeschwindigkeit zur Flui-
disierung erforderlich ist, sodass im Anströmbereich extreme Scherkräfte auftreten, die
einen signifikanten Bewuchs des Sandes im unteren Reaktorbereich verhindern und so
zusätzlich einen starken Materialverschleiß an den Behälterwänden verursachen. Dagegen
führt der im oberen Reaktorbereich stattfindende Aufwuchs von Biomasse zu einer star-
ken Verringerung der Partikeldichte (Träger einschließlich Bewuchs) mit der Folge, dass
sich die Sinkgeschwindigkeit reduziert und es daher zu einem teilweise weitreichenden
Ausschwemmen der Partikel kommt. Ausgehend von diesen negativen Erfahrungen wur-
de Anfang der 1990er-Jahre ein konstruktiv identischer Reaktor als parallele Pilotanlage
errichtet, der jedoch statt mit Trägermaterial mit Pellets betrieben wurde. Die guten Ergeb-
nisse dieser Anlage führten zur Entwicklung des Biobed®-Reaktors (siehe Kap. 5.2.5) und
nachfolgend zu einer entsprechenden Umstellung in der Großanlage (Frankin et al. 1992).
Ebenfalls Anfang der 1980er-Jahre wurde von der amerikanischen Fa. Dorr-Oliver der
Fließbettreaktor ANITRON entwickelt, der auch Feinsand (0,3–0,6 mm) als Träger ver-
wendete. Um das Auswaschen der stark bewachsenen Partikel zu verhindern, wurden die
übermäßig bewachsenen Partikel im oberen Bereich des Reaktors abgezogen und in einem
Sand-Biomassen-Abtrennsystem (Zentrifugalpumpe mit gummiertem Laufrad sowie
nachgeschaltetem Bogensieb) die überschüssige Biomasse abgetrennt, bevor der Träger
dann im unteren Bereich des Reaktors wieder zugegeben wurde.
Es wurden mehrere Großanlagen in Amerika und in Indien gebaut. In der Literatur
ist lediglich die Anlage eines Soja verarbeitenden Betriebes beschrieben, die aus vier Re-
aktoren mit je 6,1 m Durchmesser und 12,5 m Höhe besteht und mit einer maximalen
Raumbelastung von 14 kg CSB/(m3 ⋅ d) betrieben wurde (Becker 1984). Weitere Angaben
zur Reinigungsleistung bzw. zur Biomassenkonzentration liegen nicht vor – es gibt keine
Hinweise über einen erfolgreichen Dauerbetrieb. ANITRON-Anlagen werden heute nicht
mehr gebaut.
Die weltweit meisten großtechnischen Anwendungen des Fließbettverfahrens exis-
tieren von dem ANAFLUX®-Verfahren, das von der französischen Fa. Degrémont (heu-
te Ondeo Industrial Solutions) entwickelt und von diversen Lizenznehmern vertrieben
wird. Der Aufbau dieser Reaktoren ist in Kap. 5.2.7.3 beschrieben. Darüber hinaus hat die
Braunschweigische Maschinenbauanstalt (BMA) den BMA-Fließbettreaktor entwickelt;
die Lizenz für diesen Reaktor ist mittlerweile verkauft worden. Vom BMA-Fließbettreak-
tor gibt es in Deutschland in der Zuckerindustrie noch eine großtechnische Anwendung,
ein weiterer Reaktor wurde in Lizenz in Italien in einer Zuckerfabrik gebaut. Der Aufbau
wird in Kap. 5.2.7.4 beschrieben.
Beide Reaktortypen verwenden als Träger ein Bimssteingranulat von 0,3 mm Durch-
messer. Dieses Material hat gegenüber Sand und Schaumglas den Vorteil, dass es eine sehr
326 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
große spezifische Oberfläche hat und durch innenliegende, durchlässige Poren, trotz der
in den Reaktoren herrschenden Scherkräfte, ausreichend Biomasse im Träger gehalten
wird. Darüber hinaus ist die Dichte vergleichsweise gering, sodass zur Fluidisierung ge-
ringere Aufstromgeschwindigkeiten erforderlich sind als bei Sand. Der Korndurchmesser
von ca. 0,3 mm kann als optimale Größe verstanden werden. Größere Durchmesser führen
zu einem deutlich erhöhten Energiebedarf bzgl. der Fluidisierung. Bei geringeren Durch-
messern wird die Handhabung des Materials schwieriger (Rückhalt im System, Verstop-
fungen) (Jördening 1996).
Bei Fließbettreaktoren liegen typische CSB-Zulaufkonzentration bei maximal 25 g/L.
Erfahrungswerten zufolge liegt die zulässige Feststoffkonzentration im Zulauf bei
< 2.000 mg/L (DWA-IG-5.1 2012).
5.2.7.3 ANAFLUX®-Reaktor
Reaktorkonstruktion
Der von der französischen Fa. Degrémont (heute Fa. Ondeo) entwickelte ANAFLUX®-
Reaktor ist der weltweit am häufigsten gebaute Fließbettreaktor, von dem nach Holst et al.
(1997) mehr als 25 großtechnische Anwendungen existieren. Während die Reaktorhöhe
meist bei ca. 17 m liegt (bisher max. 23 m), variiert der Durchmesser zwischen 3,2 und
6,0 m. Der Wasserspiegel liegt ca. 0,5–1,0 m unter der Deckelhöhe.
Als Trägermaterial wird ein natürliches Bimssteingranulat eingesetzt, das als Biolite
R280 bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um ein poröses Aluminiumsilikat mit einem
mittleren Durchmesser von ca. 0,28 mm, einer Dichte von ca. 2,0 kg/L (ohne Berücksich-
tigung der im Material enthaltenden Poren) und einer spezifischen Oberfläche von ca.
4.000 m2/m3.
Das Abwasser wird dem Reaktor über ein feinmaschiges Rohrverteilersystem am Reak-
torboden zugegeben, wobei die nach unten gerichteten Öffnungen das Abwasser zunächst
in ein direkt unter den Verteilerrohren angeordnetes Kiesbett leiten, das eine bessere Flä-
chenverteilung des Abwassers ermöglicht.
Über dem Zulaufverteiler befindet sich das expandierte Fließbett mit dem oben be-
schriebenen bewachsenen Trägermaterial. Durch eine anteilige Rezirkulation des Reaktor-
5.2 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Abwässern 327
Großtechnische Beispiele und Reaktorauslegung In der Literatur sind nur wenige Betriebs-
daten von großtechnischen ANAFLUX®-Reaktoren zu finden. Da keine Angaben zu in
großtechnischen Anlagen gemessenen Biomassengehalten vorliegen, können auch keine
CSB-Schlammbelastungen angegeben werden. Wird berücksichtigt, dass einerseits das
expandierte Trägervolumen i. d. R. lediglich 50–60 % des gesamten Wasservolumens ein-
nimmt und dass weiterhin ein Teil dieses Raumes von inerten Materialien belegt wird,
so wird deutlich, dass die auf das gesamte Wasservolumen bezogene oTR-Konzentration
i. d. R. niedriger ist als bei EGSB-Reaktoren.
Die Aufstromgeschwindigkeiten werden durch eine entsprechende Rezirkulation so
eingestellt, dass sie einerseits 8 m/h nicht überschreiten, um den Biomassenverlust zu be-
grenzen, zum anderen aber 6 m/h nicht unterschreiten, damit die Träger ausreichend in
Schwebe gehalten werden. Die auf die Reaktorquerschnittfläche bezogene Gasflächenbe-
schickung liegt i. d. R. zwischen 2,5 und 5,0 m/h.
Bei den Aufenthaltszeiten werden teilweise Werte von wenigen Stunden erreicht, so be-
trug die rechnerische Aufenthaltszeit der ANAFLUX®-Reaktoren bei der Brauerei El Agui-
la ca. 3,4 h (Olivia et al. 1990) bzw. bei der Papierfabrik in Allard ca. 3,2 h (Grohe 1991).
5.2 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Abwässern 329
Rezirkulation
Biolite
Rück-
führung
Zufluss
5.2.7.4 BMA-Fließbettreaktor
Nach umfangreichen Pilotversuchen wurde 1995 in der Zuckerfabrik in Clauen (Nord-
zucker AG) der erste großtechnische BMA-Fließbettreaktor in Betrieb genommen. Der
von der Universität Braunschweig (Institut für Technologie der Kohlenhydrate) und der
Fa. Braunschweigische Maschinenbauanstalt (BMA) entwickelte Reaktor wurde auf eine
maximale CSB-Raumbelastung von 50 kg CSB/(m3·d) ausgelegt (bezogen auf das gesamte
Wasservolumen ergibt sich eine maximale CSB-Raumbelastung von ca. 35 kg CSB/(m3·d))
und gehört damit zu den am höchsten belasteten anaeroben Reaktoren weltweit.
Die bisher gebauten großtechnischen Reaktoren werden alle bei der Behandlung von
Schwemm- und Waschwässern in Zuckerfabriken eingesetzt; sie weisen eine Bauhöhe von
insgesamt 30,2 m auf. Der Durchmesser beträgt im zylindrischen Teil 5,92 m und weitet
sich im Kopfteil des Reaktors auf einen Durchmesser von 9,6 m auf. Abbildung 5.13 zeigt
den schematischen Aufbau sowie die großtechnische Anwendung des Reaktors in der Zu-
ckerfabrik in Clauen.
330 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
Abfluss
Rezirkulation
Innerer
Doppel-
kegel
abgezogenes
Zufluss Granulat
Als Trägermaterial wird ein natürliches poröses Bimssteingranulat aus der Eifel ver-
wendet, das bei einer Bandbreite von 0,14–0,56 mm einen mittleren Korndurchmesser
von 0,28 mm aufweist. Die Dichte der trockenen Schüttung liegt bei 350 kg/m3, die der
feuchten Schüttung bei ca. 1.170 kg/m3. Die spezifische Oberfläche des Materials beträgt
ca. 2,6 · 106 m2/m3. Die Ausschwemmgeschwindigkeit liegt bei 65 m/h.
Nach Jördening (1996) besteht der Reaktor aus folgenden Komponenten: Der Reak-
torboden ist konisch – mit einem Winkel von 50° gegen die Horizontale – geformt, um
Ablagerungen zu vermeiden. Aus dem gleichen Grund ist der Anstrombereich im Inne-
ren mit einem höhenverstellbaren Doppelkegel ausgerüstet, sodass in diesem Bereich die
Wasseraufstromgeschwindigkeit mindestens doppelt so hoch ist wie im darüber liegenden
zylindrischen Teil des Reaktors. Weiterhin dient die so erreichte hohe Aufstromgeschwin-
digkeit dem Ziel, die Träger zu selektieren, die in hohem Maße mit Kalkablagerungen be-
laden sind (und dadurch gegenüber dem überwiegenden Teil der anderen Träger deutlich
höhere Sinkgeschwindigkeiten aufweisen) und sie so während des Betriebs durch eine in
der Bodenspitze befindliche Abzugsschleuse aus dem System zu entfernen. Der Zufluss
des mit Rezirkulationswasser vermischten Abwassers erfolgt über eine Ringleitung mit 12
um den Reaktorquerschnitt gleichmäßig verteilten Einlaufrohren direkt in den Anström-
bereich zwischen Reaktorboden und Doppelkegel.
5.2 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Abwässern 331
Über dem Doppelkegel schließt sich die zylindrische Fließbettzone an, die bei etwa
einem Drittel der zylindrischen Höhe eine Öffnung für die Zugabe von neuem Trägerma-
terial enthält. Weiterhin ist auf etwa halber Höhe der Fließbettzone eine zusätzliche Ring-
leitung angeordnet, durch die bei Bedarf ein Teil des Abwassers zugegeben werden kann,
um zu starke Substratgradienten im unteren Reaktorbereich zu vermeiden (in Abb. 5.13
nicht dargestellt). Das gereinigte Wasser und das gebildete Biogas werden im Reaktorkopf
zunächst durch ein konisches Ringblech zentral nach oben geleitet, woraufhin sich das
Biogas in dem ca. 1,5 m hohen Gasraum unter dem Behälterdeckel ansammelt und über
den Deckel abgeführt wird. Während das Rezirkulationswasser über einen mittigen Trich-
ter abgezogen wird, ändert das gereinigte Abwasser seine Richtung, um zunächst unter
einem Zylinderblech (Tauchwand) hindurchzufließen und anschließend wieder aufzustei-
gen, um in die außen liegende Ablaufrinne zu gelangen. Bedingt durch die Aufweitung des
Reaktorkopfes verringert sich dabei die Fließgeschwindigkeit des Abwassers, sodass ggf.
mitgerissene Träger zwischen der Behälterwand und dem konischen Ringblech wieder in
die Reaktionszone zurücksinken können. Die umlaufende Ablaufrinne ist begehbar und
gegen den Reaktor mit einem Geländer versehen. Aus der Ablaufrinne fließt das gereinigte
Abwasser in einen Ablaufkasten, der mit einer Tauchwand versehen ist, um den Austritt
von Gas zu verhindern. Durch die entstehende Umlenkung des Wassers können auch die
letzten mitgerissenen Träger sedimentieren und in den Reaktor zurückgeführt werden.
Während die Fließbettzone bei einem Durchmesser von 5,92 m und einer Höhe von
ca. 18,1 m ein Volumen von 500 m3 aufweist, beträgt das gesamte Wasservolumen des Re-
aktors 708 m3 (Schwarz 2000).
5.2.8 Anaerobe Membranreaktoren
5.2.8.1 Prozessbeschreibung
Durch den Einsatz anaerober Membranreaktoren soll die Biomassenkonzentration im Re-
aktor gesteigert, der Rückhalt partikulärer Stoffe und Bakterien verbessert, die Zahl der Vi-
ren im Ablauf durch Anhaftungsprozesse verringert und ein optimaler biologischer Stoff-
umsatz durch das hohe Schlammalter und die Adaption des Schlammes an das Substrat
ermöglicht werden.
Grundsätzlich können bei den anaeroben Membranverfahren zwei Möglichkeiten der
Aufstellung unterschieden werden, die nasse bzw. getauchte oder trockene bzw. separate
Anordnung des Moduls. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Anordnung des getauch-
ten Membranmoduls in einem separaten Reaktor. Insgesamt wurden und werden diverse
Verfahrenstechniken entwickelt, von denen einige im Folgenden kurz vorgestellt werden.
Mit dem Ziel, sehr niedrige CSB-Abflusskonzentrationen zu erreichen und vor allem
den Biomassengehalt im Reaktor zu erhöhen, entwickelte die Fa. Dorr-Oliver zu Beginn
der 1980er-Jahre das sog. MARS©-Verfahren (Membrane Anaerobic Reactor System), das
aus einem volldurchmischten Reaktor und einer nachgeschalteten Membranfiltrationsein-
heit (Ultrafiltration) besteht. Während das Permeat der Membranfiltration den gereinigten
Ablauf der anaeroben Stufe darstellt, wird das Konzentrat in den Reaktor zurückgeführt
332 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
Tab. 5.15 Charakteristika der untersuchten anaeroben Membranbioreaktoren. (Jeison und van Lier
2008)
Reaktor Temperatur Konfiguration Membran Substrat
R1 thermophil Getaucht Polymer org. Säuren
R2 thermophil Getaucht Polymer Glukose, org. Säuren
R3 mesophil Getaucht Polymer org. Säuren
R4 mesophil trocken aufgestellte Polymer org. Säuren bei 8–24 g
Membranmodule Na+/L
R5 thermophil trocken aufgestellte Keramik org. Säuren
Membranmodule
R6 thermophil trocken aufgestellte Keramik Ethanol, Stärke,
Membranmodule Gelatine
und bewirkt somit die erwünschte Biomassenerhöhung. Mit einem Biomassengehalt von
ca. 15–30 g/L sollte die Behandlung von Frachten 8 kg CSB/d bei Konzentrationen von
über 20.000 mg CSB/L ermöglicht werden. Es wurden einige Versuchsanlagen realisiert,
bis die Fa. Dorr-Oliver Mitte der 80er-Jahre die Ultrafiltrationstechnik nicht weiter ver-
folgte.
Auf einer ähnlichen Idee basiert das in Südafrika entwickelte ADUF©-Verfahren (An-
aerobic Digestion with Ultrafiltration), bei dem der Reaktor jedoch aus einem Clarigester
(Reaktor mit interner Schlammabscheidung) statt eines volldurchmischten Reaktors be-
steht. Der CSB im Zulauf betrug 15 kg CSB/m3, während des großtechnischen Betriebes
wurde eine CSB-Reduktion von durchschnittlich 97 % erreicht. Die Filtratflüsse bewegten
sich im Bereich von 8 bis 37 L/(m2⋅h) bei einem Druck von 0,450 bar. Die Raumbelastung
betrug im Mittel 3 kg CSB/(m3⋅d).
Um die Funktionsfähigkeit der Ultrafiltration im Crossflow-Betrieb zu gewährleisten,
ist bei beiden Verfahren ein entsprechend hoher transmembraner Druck und vor allem
eine hohe Überströmgeschwindigkeit erforderlich. Dies führt dazu, dass die Membranen
neben der Abwassermenge mit einer bis zu 10-fachen Kreislaufmenge beschickt werden
müssen.
Jeison und van Lier (2008) führten im Labormaßstab umfassende Versuche zu anaero-
ben Membranverfahren unter unterschiedlichen Bedingungen (Temperatur, Anordnung
der Membran, Membranmaterial, verschiedene Substrate) durch (Tab. 5.15). Sie stellten
fest, dass beim thermophilen Betrieb (55 °C, getauchte Polymermembran) der Flux inner-
halb von 60 Tagen Betrieb von anfangs 20 L/(m2·h) auf 6–7 L/(m2·h) abfiel. Hingegen im
mesophilen Bereich (30 °C, getauchte Polymembran) stieg der Flux von anfänglich 15 L/
(m2·h) auf 20 L/(m2·h) an. Ursache war, dass im thermophilen Betrieb kleinere Partikel-
größen (< 1 µm) als im mesophilen Betrieb nachzuweisen waren, die eine höhere Neigung
haben, sich an der Membranoberfläche anzulagern.
Jeison und van Lier (2008) haben festgestellt, dass die Biomassenaktivität in anaero-
ben Membranreaktoren im Vergleich zu UASB-Reaktoren wesentlich höher ist, welches in
einer besseren Reinigungsleistung resultiert. Ursache ist, dass spezifische Mikroorganis-
5.2 Verfahrenstechniken zur Behandlung von Abwässern 333
men durch die Membran im System gehalten werden, welche bei Aufstromreaktoren, wie
UASB- und EGSB-Reaktoren, ausgewaschen werden.
Auch in Südafrika wird an anaeroben Membrananlagen geforscht. Van Zyl et al. (2008)
haben im Labormaßstab einen getauchten anaeroben Membranbioreaktor (Reaktorvolu-
men: 23 L Wasserphase, 37 L Gasphase) über 320 Tage bei 37 °C betrieben. Als Subst-
rat diente Abwasser aus der petrochemischen Industrie (CSB bis 18 g/L, hoher Anteil an
kurzkettigen Fettsäuren, Methanol und Ethanol, keine Nährstoffe), welches bislang in der
zweitgrößten aeroben Belebungsanlage der Welt (Secunda, Südafrika) behandelt wird. Als
Membranen wurden drei DIN A4-große Kubota®-Flachmembranen (3 × 0,117 m2, Poren-
größe 0,45 µm) eingesetzt. Der pH-Wert wurde mit NaOH auf pH 7,1 eingestellt und es
wurden Nährstoffe zudosiert. Es konnten Raumbelastungen bis BR = 25 kg CSB/(m3·d) mit
TR-Gehalten bis 30 g/L gefahren werden. Der CSB im Ablauf lag bei < 500 mg CSB/L. Der
Schlammindex lag allerdings bei 3.000 mL/g, was bedeutet, dass sich der Schlamm nicht
sedimentieren lässt.
Borchmann (2012) konnte in seinen Versuchen mit Abwasser aus der Bioethanolher-
stellung zeigen, dass die Membrantechnik im anaeroben Milieu ein zu anderen anaeroben
Hochlastverfahren konkurrenzfähiges Konzept sein kann. In der Anlage, die aus einem
volldurchmischten Anaerobreaktor (CSTR) mit einem Volumen von 180 L und einem
Membranfiltrationsbehälter mit einem Volumen von 280 L bestand, konnten bei Belastun-
gen von bis zu 0,7 kg CSB/(kg oTR⋅d) und 10,4 kg CSB/(m3⋅d) hohe Abbaugrade erreicht
werden. Bei Feststoffgehalten bis zu 35 g/L wurde durch den Einsatz der keramischen
Membranen ein Durchsatz von 8 L/(m2⋅h) erreicht.
Haupteinsatzgebiet von anaeroben Membrananlagen sehen Jeison und van Lier (2008)
dort wo etablierte Technologien an ihre Grenzen stoßen, z. B. bei extremen Bedingungen
wie hohe Temperaturen, hohe Salzgehalte etc., die dazu führen, dass sich die granuläre
Form der Biomasse auflöst. Die Autoren sehen das Haupteinsatzgebiet bei extrem hoch
belasteten Abwässern mit einem CSB von 70–100 g/L (Beispiel Brennereischlempen, He-
fefabriksabwasser).
zentrationen von 1–85 g/L; es konnten CSB-Abbauraten > 90 % erreicht werden. Für die
Stärkeindustrie wurden in den Jahren 1983 und 1989 zwei großtechnische Anlagen mit
einem Volumen von 2.000 m3 bzw. 900 m3 errichtet; bei Raumbelastungen von 2–4 kg
CSB/(m3⋅d) wurden CSB-Abbauraten von 78 % bzw. 86 % erreicht. Eine weitere großtech-
nische Umsetzung wurde für die Maisindustrie mit einer Raumbelastung von 2,9 kg CSB/
(m3⋅d) (Abbau: 97 % mit 8 g CSB/L im Zulauf) zitiert.
Eine großtechnische Umsetzung wird von Christian et al. (2011) für die Lebensmittel-
industrie beschrieben. Ein vorhandener volldurchmischter Reaktor ( V = 8.300 m3) wurde
um vier anaerobe Membranreaktoren ergänzt ( Vges = ca. 412 m3). Die Auslegung erfolgte
auf einen Zufluss von 475 m3/d, im Betrieb wurden im Mittel 300 m³/d erreicht. Die Flux-
rate lag zwischen 0,06–0,1 m3/(m2⋅d). Mit diesem System konnte für mittlere CSB-Zulauf-
konzentrationen von 33.500 mg/L Ablaufwerte von 210 mg/L erreicht werden.
Viele internationale Anlagenbauer bieten Membransysteme an (z. B. BIOPAQ®-MBR
von Paques, AnMBR von Biothane/Veolia bzw. das Memthane-Verfahren von Aquantis/
Veolia, AnMBR von ADI, KUBOTA Anaerobic MBR von KUBOTA). Die Fa. Kubota
baute 15 großtechnische Anlagen (14 in Japan, 1 in Nordamerika) vorwiegend für Bren-
nereien. Aufgrund der hohen Membrankosten und der vergleichsweise niedrigen Raum-
belastungen, die derzeit in den Großanlagen erreicht werden, werden anaerobe Memb-
ranreaktoren derzeit nur in Einzelfällen eingesetzt, sinnvollerweise dort wo UASB- und
EGSB-Reaktoren an ihre Einsatzgrenzen stoßen.
5.2.9 Hybridreaktoren
Ausgehend von der Art der Biomassenanreicherung als Unterscheidungskriterium für die
verschiedenen Reaktorsysteme werden Reaktoren, die mehrere Arten der Biomassenanrei-
cherung miteinander kombinieren als Hybridreaktoren bezeichnet. Grundsätzliches Ziel
der Hybridreaktoren ist dabei, die speziellen Vorteile der jeweiligen Typen miteinander zu
verbinden. Großtechnisch werden bisher vor allem folgende Formen von Hybridreaktoren
eingesetzt:
• Die einfachste Form eines Hybridreaktors ist ein anaerobes Belebungsverfahren, das
wie ein UASB-Reaktor im Aufstrom betrieben wird. Dieser z. B. von der Fa. Biotim
Waterleua als BIOTIM®UAC (Upflow Anaerobic Contact) bezeichnete Reaktortyp,
ist ein anaerobes Belebungsverfahren (Kontaktprozess), das ohne interne Rührwerke
ausgestattet ist und stattdessen über ein feines Zulaufverteilungssystem am Boden ver-
fügt, das einen gezielten Aufstrom erzeugt, der zur Ausbildung von schweren und gut
absetzbaren Flocken führt und so eine erhöhte Biomassenkonzentration im Reaktor
ermöglicht. Zwei großtechnische Beispiele dieses Typs werden von Defour et al. (1994)
vorgestellt.
• Darüber hinaus erfolgt häufig eine Kombination von anaeroben Belebungsverfahren
im Aufstrom mit schwimmendem Teilfestbett. Dieses von der Fa. Biotim Waterleua als
BIOTIM®UACF (Upflow Anaerobic Contact Filter) bezeichnete Verfahren entspricht
5.3 Anaerobe Kommunalabwasserbehandlung 335
dem UAC-Reaktor mit dem Unterschied, dass zusätzlich noch schwimmende Festbett-
materialien zugegeben werden. Dieses schwimmende Material dient einerseits als Filter
zum besseren Rückhalt der suspendierten Biomasse und ermöglicht zusätzlich einen
Bewuchs mit Mikroorganismen. Defour et al. (1994) stellten ein großtechnisches Bei-
spiel vor und sehen den besonderen Vorteil dieses Verfahrens bei Abwässern, die die
Bildung von schlecht absetzbaren Flocken bedingen.
Ebenso kombiniert auch der ADI-Hybrid-Reaktor die Vorteile des UASB-Reaktors mit
denen eines anaeroben Filters.
• Festbettreaktoren können zudem mit zusätzlicher Abscheideeinrichtung (Parallelplat-
tenabscheider oder Nachklärbecken) ausgestattet werden. Ausgehend von der Erkennt-
nis, dass bei im Aufstrom betriebenen Festbettreaktoren die meiste Biomasse in sus-
pendierter Form vorliegt, wird durch die nachgeschaltete Abscheideeinrichtung diese
Biomasse gezielt im Reaktor aufkonzentriert. Großtechnische Beispiele dieses Typs sind
z. B. bei Böhnke et al. (1993) aufgeführt.
• Eine weitere Kombinationsmöglichkeit ist ein Festbettreaktor mit Pelletschlamm, der
z. B. von Austermann-Haun und Seyfried (1992) für ein großtechnisches Beispiel be-
schrieben wird. Der Festbettreaktor wurde mit Pelletschlamm in Betrieb genommen;
auch nach längerem Betrieb lag ein großer Teil der Biomasse in Form von Pellets vor.
• Darüber hinaus können UASB-Reaktoren mit zusätzlichem Festbett über dem Gasab-
scheider ausgerüstet werden. Diese Reaktoren werden in der englischsprachigen Litera-
tur häufig als AH-Reactor (Anaerobic Hybrid) bezeichnet, wobei jedoch die Bezeich-
nung grundsätzlich als Oberbegriff verstanden und von daher der Reaktortyp weiter
spezifiziert werden sollte. Diese Reaktoren sind vor allem bei Abwässern interessant,
die die Bildung von gut absetzbaren Pellets oder eines Biofilms nur schwer ermöglichen.
Hier kann durch die Filterwirkung des Festbetts ein verbesserter Rückhalt von Biomas-
se erzielt werden. Untersuchungen von Elmitwalli (2000) belegen u. a. die Vorteile die-
ses Reaktortyps bei der Behandlung von kommunalen Abwässern. Ein anderer Vorteil
kann darin liegen, dass sich in dem nachgeschalteten Festbett aufgrund der erfolgten
Vorreinigung eine spezialisierte Biomasse mit einem hohen Schlammalter ausbildet,
die einen verbesserten Abbau schwer abbaubarer komplexer Abwässer ermöglicht. In
diesem Fall stellt der Hybridreaktor einen Übergangsbereich zu einem 2-stufigen an-
aeroben Methanreaktorsystem dar.
5.3 Anaerobe Kommunalabwasserbehandlung
Ingo Urban
5.3.1 Einleitung
5.3.2.1 Aufenthaltszeit
Die Aufenthaltszeit und die Raumbelastung sind die maßgeblichen Bemessungsparame-
ter einer Anaerobanlage. Bei einer hohen Abwasserkonzentration ist die Raumbelastung
maßgeblich, während bei niedrigen Konzentrationen, wie es bei kommunalem Abwasser
in der Regel der Fall ist, die Aufenthaltszeit häufig der maßgebliche Bemessungsparameter
ist (Bischofsberger et al. 2005). Dabei stehen die hydraulische Aufenthaltszeit ( tR) und das
Reaktorvolumen in einem direkten Zusammenhang:
tR = V/Q [h]
mit: tR = hydraulische Aufenthaltszeit [d]
V = Reaktorvolumen [m3]
Q = Abwasserstrom [m3/h]
Dies bedeutet, dass sich das erforderliche Reaktorvolumen entsprechend der geforder-
ten Aufenthaltszeit des Abwassers im Reaktor ergibt. In Tab. 5.16 sind die von Lettinga
und Hulshoff Pol (1991) vorgeschlagenen Mindestaufenthaltszeiten in Abhängigkeit der
Abwassertemperatur dargestellt.
5.3.2.2 Aufstromgeschwindigkeit
Die Aufstromgeschwindigkeit im UASB-Reaktor ergibt sich aus der stündlich zugeführten
Abwassermenge und der Grundfläche des Reaktors:
v = Q/A [m/h]
mit: v = Aufstromgeschwindigkeit [m/h]
Q = Abwasserstrom [m3/h]
A = Reaktorgrundfläche [m2]
Über die aufwärtsgerichtete Strömung wird ein Großteil der zur Durchmischung not-
wendigen Energie in das System eingetragen. Neben der Aufenthaltszeit des Abwassers
im Reaktor wird die Aufstromgeschwindigkeit vor allem durch die Reaktorgeometrie be-
einflusst. Schlanke, hohe Reaktoren haben aufgrund ihrer geringen Grundfläche eine ver-
gleichsweise höhere Aufstromgeschwindigkeit und sind eher für den Einsatz von Granulas
geeignet. Bei dem Einsatz in der kommunalen Abwasserbehandlung sollte die Aufstrom-
geschwindigkeit im Reaktor 0,5 m/h im Mittel nicht überschreiten. Kurzfristige Spitzen
über wenige Stunden, z. B. durch Regenereignisse, bis hin zu 1,5 m/h werden von Sperling
et al. (2005) als tolerierbar angesehen.
338 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
Tab. 5.17 Gegensätzlichkeiten zur Durchmischung von Anaerobreaktoren nach Saake (1986)
Voll durchmischter Reaktor Schwach bzw. diskontinuierlich durch-
(starke Durchmischung) mischter Reaktor (schwache, schonende
Durchmischung)
Stofftransport ist optimal (Einmischung des Reduzierung der Scherbelastungen auf die
Abwassers, Abtransport des Faulgases) Bakterien
Homogene Situation im Reaktor (Temperatur, Geringer Energieaufwand
Trockenmassekonzentration, Substratvertei-
lung, pH-Wert)
Keine störenden Schwimm- und Sinkschichten Reduzierung der Trockenmassekonzentration
im Reaktor im Reaktorabfluss
5.3.2.3 Durchmischung
Die Durchmischung des Reaktors ist notwendig, um die Biomasse in Kontakt mit dem
Abwasser zu bringen. Nur dann kann der anaerobe Abbau erfolgen. Andererseits darf die
Durchmischung nicht zu groß sein, da in einem voll durchmischten Reaktor permanent
Biomasse aus dem Reaktor ausgetragen werden würde. Ohne eine externe Biomassenrück-
führung wäre so ein Reaktor ein klassischer Ausschwemmreaktor. Hieraus ergeben sich
zwei gegensätzliche Anforderungen, deren Argumente in Tab. 5.17 aufgeführt sind.
Auch die Gasproduktion im Reaktor kann maßgeblich zur Durchmischung von Re-
aktoren beitragen. Der Beitrag der Gasproduktion zur Mischungsenergie kann ähnlich
wie der Energieaufwand für die Gaseinpressung abgeschätzt werden. 1 Nm3 Biogas, das in
1 m Wassertiefe ausgast, liefert eine Netto-Mischungsenergie von ca. 2,8 Wh. Kennt man
also etwa die spezifische Biogasproduktion je m2 Reaktorfläche und die Eintragstiefe, kann
man die Mischungsenergie abschätzen, die bei vielen Reaktorsystemen ausreicht, um eine
ausreichende Durchmischung der flüssigen Phase zu erreichen. Für eine vollständige Re-
aktordurchmischung mittels Gaseinpressung gibt Beckereit (1987) eine durchschnittliche
Leistung von 5 W/m3 an. Dieser führt zu einer für eine vollständige Durchmischung not-
wendigen Biogasproduktion von 1,8 m3/(m3 h), ein Wert, der aufgrund des geringen CSB-
Gehaltes von kommunalem Abwasser nicht erreichbar ist. Da eine vollständige Durch-
mischung des UASB-Reaktors jedoch auch nicht gewünscht ist, wird davon ausgegangen,
dass der notwendige Kontakt von Substrat und Biomasse allein durch den Abwasserzufluss
gewährleistet wird.
5.3.2.4 Reaktorbeschickung
Die Reaktorbeschickung erfolgt vom Reaktorboden, um das Schlammbett in seiner vollen
Höhe ausnutzen zu können und somit die maximale Leistung erreichen zu können. Bei der
Anordnung des Zulaufes ist darauf zu achten, dass Kurzschlussströmungen nach Möglich-
keit vermieden werden. UASB-Reaktoren werden üblicherweise kontinuierlich mit Ab-
wasser beschickt. Falls das zu behandelnde Abwasser in stark schwankender Menge anfällt,
muss evtl. ein Misch- und Ausgleichsbecken dem UASB-Reaktor vorgeschaltet werden,
um den Zulauf zu vereinheitlichen.
5.3 Anaerobe Kommunalabwasserbehandlung 339
Tab. 5.18 Verteilung der Einlassöffnungen in Abhängigkeit von der Biomassenstruktur und Raum-
belastung nach Lettinga (1995)
Raumbelastung Fläche pro Einlass
Biomassenstruktur [kg CSB/(m d)]
3
[m2]
Flockenschlamm < 1,0 0,5–1,0
(> 40 g TR/L) 1,0–2,0 1,0–2,0
> 2,0 2,0–3,0
Flockenschlamm < 1,0–2,0 1,0–2,0
(20–40 g TR/L) > 3,0 2,0–5,0
< 2,0 0,5–1,0
Granulas/Pellets 2,0–4,0 0,5–2,0
> 4,0 > 2,0
Bildet die Biomasse keine Granulas, sondern Flocken aus, so werden die Reaktoren
mit einer geringeren Aufstromgeschwindigkeit betrieben. Somit kann die Biomasse trotz
geringerer Sinkgeschwindigkeit zurückgehalten werden. Die Aufstromgeschwindigkeit
und die Ausführung der 3-Phasen-Trennung sind bei dem Einsatz von Flockenschlamm
aufgrund des drohenden Schlammabtriebs ausschlaggebende Parameter für die Elimina-
tionsleistung der Anlage. Cavalcanti et al. (2002) zeigte, dass durch einen dem Ablauf vor-
geschalteten Lammellenabscheider bei tR < 4 h der Schlammabtrieb aus dem Reaktor um
über 50 % reduziert werden konnte.
Neben der Aufstromgeschwindigkeit ist die Verteilung des Abwassers im Schlammbett
ein wichtiger Parameter für den optimalen Kontakt zwischen Biomasse und Substrat. Die
Anzahl der Einlassöffnungen sollte in Abhängigkeit von der Struktur der Biomasse ge-
wählt werden, Lettinga (1995) gibt dafür die in Tab. 5.18 gezeigten Richtwerte.
Die Reaktorhöhe eines UASB-Reaktors richtet sich nach dem Verhältnis der flächen-
bezogenen Gasbildung und der Leistung der Gasfassung. Übliche Reaktorhöhen im
Industriebereich sind 4,5–7,0 m (Meyer 2004). Von Sperling (2005) gibt für Reaktoren
mit Flockenschlamm eine ideale Reaktorhöhe von 4,0–5,0 m an. Dabei entfallen auf den
3-Phasen-Separator 1,5–2,0 m und auf den Bereich des Schlammbetts 2,5–3,5 m. Weitere
Richtwerte zur Reaktordimensionierung befinden sich in Tab. 5.19.
CSBAblauf;part = CSBZulauf;part ⋅ 3
0, 5 ⋅ v Aufstrom [mg/L]
3
CSBAblauf,part
v Aufstrom =2⋅
CSBZulauf,part [m/h]
342 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
35
BoTR = ⋅ 1, 05 (T − 30 ) − 0, 6 [kg CSB/ (kg oTR ⋅ d)]
∆CSB
Bd,Zulauf,CSB
M oTR =
BoTR
[ kg oTR ]
• Es darf zu keiner Versalzung bzw. Überdüngung des Bodens kommen. Aus diesem
Grund muss vor der Bewässerung überprüft werden, wie viel Bewässerungswasser pro
Wachstumszyklus durch vorgereinigtes Abwasser ersetzt werden darf.
5.3 Anaerobe Kommunalabwasserbehandlung 345
• Bei dem Einsatz kommunalen Abwassers ist darauf zu achten, dass dieses mit Krank-
heitserregern belastet ist. Die geltenden Grenzwerte sind vor allem bei der Bewässerung
von Feldfrüchten zur Nahrungsmittelproduktion zu beachten.
Platzer et al. (2004) zeigt in Untersuchungen mit Abwasser aus einer Pflanzenkläranla-
ge in Nicaragua, dass sowohl eine Überdüngung des Bodens verhindert wurde als auch
die produzierten Nahrungsmittel den örtlichen Hygienestandards genügten. Der Ertrag
an Feldfrüchten war in der Versuchsreihe mit Abwasser nahezu genauso hoch wie in der
Vergleichsmessung. Dieses soll nur ein Beispiel für den bereits vielfältigen Einsatz von Ab-
wasser in der Landwirtschaft sein. Aufgrund des weltweiten Wassermangels bemühen sich
Hilfsorganisationen wie die WHO (World Health Organisation) und die FAO (Food and
agriculture organisation of the united nations) um Aufklärung im Bereich der landwirt-
schaftlichen Abwasserwiederverwendung.
Neben der Substitution von unverschmutztem Wasser, welches somit als Trink- oder
Brauchwasser genutzt werden kann, ist auch der hohe Gehalt an essenziellen Nährstoffen
im kommunalen Abwasser von einer sehr großen Bedeutung.
Aufgrund der geringen örtlichen Niederschlagsmengen ist es jedoch nicht in allen Re-
gionen der Erde möglich, die erforderliche Wassermenge durch Abwasser zu ersetzten. Bei
der Bewässerung muss sehr genau auf die maximale Jahreswassermenge geachtet werden,
da alle Pflanzen einen unterschiedlichen Bedarf an Wasser und Nährstoffen haben und
eine Überdüngung bzw. Versalzung des Bodens auf jeden Fall vermieden werden muss.
Eine ausschließliche Bewässerung mit Abwasser führt bei allen Pflanzen und Nutzungs-
arten langfristig zu einer Überdüngung des Bodens mit Stickstoff. Hieraus resultierend ist
ein Anstieg des Nitratgehaltes im Grundwasser wahrscheinlich. Bei einer intensiven land-
wirtschaftlichen Nutzung des Bodens kann jedoch der Bedarf der meisten Pflanzen an P
und K alleine über das Abwasser nicht gedeckt werden. In diesem Fall müssen zusätzlich
entsprechende Mengen über Mineraldünger verwendet werden. In 4.2 wird auf die mög-
lichen Verfahrenskombinationen eingegangen, um die geforderten Nährstoffkonzentratio-
nen, aber auch Keimbelastungen einzuhalten. Eine detaillierte Anleitung zur Bemessung
der Wassergabe pro Monat bzw. Vegetationsphase der einzelnen Pflanzen findet sich z. B.
in Brettschneider et al. (1993).
angepasst werden. Im Falle einer Wiederverwendung als Trinkwasser muss ein entspre-
chender Aufwand betrieben werden, um die Trinkwasserqualität zu erreichen. Soll das
Wasser hingegen zur Bewässerung eingesetzt werden, so empfiehlt es sich, gezielt störende
Parameter zu entfernen und gewünschte Abwasserinhaltstoffe, wie vor allem die Nährstof-
fe im Ablauf zu erhalten. Somit stellen sich als Reinigungsziel die Reduzierung der CSB-
Fracht und eine weitestgehende Keimreduktion. Falls die Nährstoffkonzentration im Ab-
lauf immer noch höher als die maximale Aufnahme durch die zu bewässernden Pflanzen
ist, ist zu untersuchen, ob eine Verdünnung des Ablaufes mit unbelastetem Wasser (z. B.
aus einer Vorflut) wirtschaftlicher ist. In Tab. 5.21 sind die erreichbaren Ablaufqualitäten
und Betriebsmerkmale unterschiedlicher Verfahrenskombinationen dargestellt. Hierbei
kann grob zwischen aeroben (Belüftungs-) Verfahren sowie Verfahren ohne Belüftung
unterschieden werden. Bei Anlagen mit geringeren Anschlussgrößen bzw. geringeren ein-
wohnerspezifischen Frachten können die Kosten steigen. Für zusätzliche Desinfektions-
anlagen müssen 1,75–3,50 € Baukosten und 0,18–0,53 €/a Betriebskosten pro Einwohner
veranschlagt werden.
Allen Anlagenkombinationen in Tab. 5.21 ist gemein, dass die Keimreduktion, bezogen
auf die Fäkal coliformen Keime gering ist. Bis auf die beiden zuletzt genannten Verfahren,
die Nachbehandlung mit Teichen, bzw. Oberflächenpassage, beträgt die Ablaufkonzentra-
tion 106 – 107 FC/100mL. Die beste Keimreduktion wird durch Teichanlagen erreicht. Eine
ausführliche Beschreibung verschiedener Verfahren zur Nachbehandlung findet sich in v.
Sperling und Chernicharo (2005).
Zum Nachweis von Wurmeiern gibt es bis jetzt keine Indikatormechanismen. Wurm-
eier müssen im Labor direkt aus der Wasserprobe ausgezählt werden. Sie sind ein wichtiger
Parameter, wenn eine Wiederverwendung des Wassers zur Bewässerung geplant ist, da
Arbeiter direkt mit den Eiern in Kontakt geraten und sich infizieren können. Wurmeier
werden hauptsächlich durch Sedimentationsverfahren abgeschieden. Eine Abtötung der
Eier kann mit speziellen Desinfektionsverfahren wie z. B. Ozonisierung oder Chlorung,
aber auch Filtrationsverfahren erreicht werden.
Tab. 5.21 Typische Ablaufqualitäten und einwohnerspezifische Werte von UASB-Anlagen mit Nachbehandlung nach Chernicaro (2006), modifiziert
Einwohner- Betriebs- [€/(E.a)] 0,90–1,30 2,20–4,40 2,20–4,40 1,75–2,65 1,30–1,95 1,60–2,65 1,75–2,65
spezifischer Kosten
Bedarf Bau-Kosten [€/E] 10,50–17,50 26,25–39,40 21,90–35,00 21,90–30,65 17,50–26,25 13,15–26,25 17,50–30,65
ÜSS (ent- [L/(E.a)] 10–35 15–60 15–55 15–55 10–50 10–35 10–35
wässert)
Fläche [m2/E] 0,03–0,10 0,08–0,2 0,05–0,15 0,1–0,2 0,05–0,15 1,5–2,5 1,5–3,0
Anaerobe Kommunalabwasserbehandlung
Ablauf- Pges [mg/L] >4 >4 >4 >4 >4 <4 >4
qualität Nges [mg/L] > 20 > 20 > 20 > 20 > 20 15–20 > 15
AFS [mg/L] 60–100 20–40 20–40 20–40 30–60 50–80 20–60
CSB [mg/L] 180–270 60-150 60–50 70–180 100–200 100–180 90–180
System Nur UASB UASB mit UASB mit UASB mit UASB mit UASB mit UASB mit
Belebungs- aeroben Tropfkörper anaeroben Teichen Oberflä-
verfahren Festbett Festbett chenpassage
a
Kostenkalkulatioen basieren auf Werte für Brasilien, Bezugsjahr 2002 (1 Real = 0,35 €)
347
348 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
Abb. 5.17 Methanverluste über den Reaktorablauf bei 600 mg/L CSB im Rohabwasser
Abbaus ist dabei als unkritisch anzusehen, da dieses CO2 bereits im Vorfeld, bei dem
Wachstum der im Abwasser enthaltenen organischen Stoffe, aus der Atmosphäre aufge-
nommen wurde, kann es als klimaneutral angesehen werden.
Die nicht über die Gasfassung erfassten Methanmengen, die aus dem Reaktor ausga-
sen, müssen hingegen kritisch betrachtet werden. Neben der gesundheitlichen sowie der
Explosionsgefahr ist vor allem das hohe Treibhauspotenzial (GWP) des CH4 von beson-
derer Bedeutung. Die European Comission (2001) gibt das GWP von Methan mit 21 an.
Somit werden bei Methanemissionen in die Atmosphäre nicht vernachlässigbare Mengen
an Treibhausgasen emittiert. Das Potenzial an Treibhausgasemissionen wird aus Abb. 5.18
ersichtlich.
Wird das gebildete Methan gesammelt und zumindest abgefackelt, so kann ab einer
60-prozentigen Erfassung des Methans das anaerobe Verfahren bereits klimapolitisch mit
dem aeroben Verfahren konkurrieren. In halb- und großtechnischen Versuchen wurden
im Mittel 62–67 % des anfallenden CH4 erfasst. Abhängig von der Energiequelle, welche
mit dem gebildeten Biogas substituiert wird, ist die anaerobe Abwasserreinigung klima-
technisch günstiger beziehungsweise den klassischen aeroben Verfahren vergleichbar.
Bei den in Abb. 5.18 aufgeführten Treibhausgasemissionen wurden Emissionen an N2O
nicht mit berücksichtigt. Auch wenn das GWP von N2O mit 320 wesentlich höher ausfällt,
ist eine Beeinträchtigung des Klimas durch N2O infolge einer anaeroben Abwasserreini-
gung nicht zu erwarten. Bei Untersuchungen des Biogases aus halbtechnischen Versuchen
mit Gaschromatographen wurde N2O nicht nachgewiesen.
Eine Erfassung des Biogases von mehr als 65–80 % ist bis jetzt bei kommunalem Abwas-
ser technisch nicht realisiert. Hierzu muss z. B. das im Ablauf in Lösung befindliche Me-
5.3 Anaerobe Kommunalabwasserbehandlung 349
Abb. 5.18 Treibhausgasemissionen bei der anaeroben und aeroben Behandlung kommunalen
Abwassers (T = 20 °C)
than gestrippt werden. Eine Alternative wurde jedoch in Hinken (2005) beleuchtet. Hier
wurde umfassend Literatur zur Nutzung von Methan als Kohlenstoffquelle in einer De-
nitrifikationsstufe ausgewertet. Eine großtechnische Realisierung dieses Verfahrens fand
jedoch bis jetzt aufgrund der geforderten Randbedingungen noch nicht statt.
Unterdruck erzeugt und somit durch die entstehende Ausgasung der Methangehalt im Ab-
lauf reduziert. In Abb. 5.19 ist dieses Verfahren mit einem UASB-Reaktor verknüpft. Der
Wirkungsgrad des Verfahrens ist linear abhängig von dem im Entgasungstank erreichten
Unterdruck. Dies bedeutet, dass bei einem Druck von 0,5 bar im Entgasungstank ca. 50 %
des gelösten Methans erfasst werden können.
Die zweite Variante zur Verringerung der Löslichkeit der Gase ist die Anhebung der
Wassertemperatur. Wird z. B. die Wassertemperatur von 15 °C auf 35 °C angehoben, so
sinkt die maximale Löslichkeit des CH4 um 30 %. Aufgrund der großen Abwassermengen
ist eine Aufheizung des Abwassers um 20 °C mit dem gebildeten Biogas alleine nicht mög-
lich. Untersuchungen von El-Mashad et al. (2004) hingegen zeigen, dass über Solarkol-
lektoren die Abwassertemperatur z. B. in Ägypten um 10–20 °C angehoben werden kann.
Somit können ohne zusätzlichen Energieeinsatz 30 % des im Ablauf gelösten Methans zu-
rückgewonnen werden. Dieses Verfahren ist vor allem in (sub)tropischen Klimaten mit
einer über das ganze Jahr gleichmäßigen Sonnenbestrahlung sinnvoll.
Tab. 5.22 Technische Daten physikalischer Strippverfahren aus Bretschneider et al. (1993)
Verfahren Erforderlicher Druck Energiebedarf
[bar] [kWh/(1.000 m3)]
Verdüsung 0,5–1,5 0,025–0,075
Rieseler 0,5 0,025
Gegenstrom-Rieseler 0,4–1,0 0,025–0,055
Kaskaden 0,6 0,03
Wellbahnen Belüftung 0,5–1,0 0,026–0,05
Inka-Belüftung 0,1 0,02–0,045
Vogelbusch-Dispergator 0,02 0,02–0,06
gieverbrauch der Strippung entgegen gerechnet werden. Bei einer 50 %igen Ausstrippung
und energetischen Verwertung des Methans kann ein zusätzlicher Energieertrag von
40–70 kWh/(1.000 m3) erreicht werden. Dieser Wert übersteigt den Energiebedarf für die
Strippung um ein Vielfaches, sodass die Strippung des gelösten Methans ein energetisch
sinnvolles Verfahren darstellen kann.
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gung von Brennereischlempen unter Einsatz eines Festbettreaktors. Reprints Verfahrenstechnik
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Yasuo T, Motoyuki Y (2001) Control of granular sludge size in high rate EGSB reactors for brewery
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Young J (1991) Factors affecting the design and performance of upflow anaerobic filters. Water Sci
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Zähringer K, Eeckhaut M (1994) Anaerobe Abwasserreinigung mit UASB-Reaktoren – Erfahrungen
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bic sludge blanket reactor in the chemical industry. Water Sci Technol 35:183–188
356 5 Anaerobe Abwasserbehandlung zur Kohlenstoffelimination
Inhaltsverzeichnis
6.1 Fruchtsaftindustrie (Roland Lange)������������������������������������������������������������������������������������������� 361
6.1.1 Allgemeines ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 361
6.1.1.1 Bedeutung der Fruchtsaftindustrie ������������������������������������������������������������� 361
6.1.1.2 Abwasseranfall und -zusammensetzung ����������������������������������������������������� 363
6.1.1.3 Behandlungsverfahren ����������������������������������������������������������������������������������� 364
6.1.2 Beispiel riha WeserGold, Rinteln, D ��������������������������������������������������������������������������� 364
6.1.3 Beispiel Eckes-Granini, Werk Bröl, D ������������������������������������������������������������������������� 368
6.1.4 Beispiel ARA Branzoll, Italien ������������������������������������������������������������������������������������� 371
6.2 Erfrischungsgetränke-Industrie (Ute Austermann-Haun)����������������������������������������������������� 375
6.2.1 Allgemeines ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 375
6.2.2 Abwasseranfall und -Beschaffenheit ��������������������������������������������������������������������������� 375
6.2.3 Anaerobtechnik zur Behandlung von Abwasser der
Erfrischungsgetränke-Industrie ����������������������������������������������������������������������������������� 377
6.2.4 Beispiel Coca-Cola Knetzgau ��������������������������������������������������������������������������������������� 380
6.3 Brauereien (Roland Lange, Karl-Heinz Rosenwinkel) ����������������������������������������������������������� 381
6.3.1 Allgemeines ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 381
6.3.1.1 Bedeutung der Brauereien ����������������������������������������������������������������������������� 381
6.3.1.2 Abwasseranfall und -zusammensetzung ����������������������������������������������������� 382
6.3.1.3 Behandlungsverfahren ����������������������������������������������������������������������������������� 383
6.3.2 Beispiel Hasseröder Brauerei Wernigerode GmbH ��������������������������������������������������� 384
6.3.3 Beispiel Karlsberg Brauerei ������������������������������������������������������������������������������������������� 386
6.3.4 Beispiel Ramseier AG, CH-Hochdorf ������������������������������������������������������������������������� 388
6.3.5 Beispiel Leiber GmbH, D-Bramsche ��������������������������������������������������������������������������� 392
6.4 Schlacht- sowie Fleisch- und Fischverarbeitungsbetriebe ����������������������������������������������������� 396
6.4.1 Schlacht- und Fleischverarbeitungsbetriebe (Ulrike Abeling, Peter Hartwig)������� 396
6.4.1.1 Produktion ������������������������������������������������������������������������������������������������������� 396
6.4.1.2 Abwasseranfall ����������������������������������������������������������������������������������������������� 397
6.4.1.3 Abwasserbehandlung ������������������������������������������������������������������������������������� 398
6.4.1.4 Beispiel: Flotatschlammbehandlung ����������������������������������������������������������� 399
6.9 Ethanolherstellung (Ludz Wilkening, Axel Borchmann, Reinhard Finke) ������������������������� 481
6.9.1 Einführung ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 481
6.9.1.1 Agraralkohol oder Fermentationsalkohol ��������������������������������������������������� 481
6.9.1.2 Bioethanol ������������������������������������������������������������������������������������������������������� 482
6.9.2 Produktionsverfahren ��������������������������������������������������������������������������������������������������� 485
6.9.3 Abwasseranfall und -inhaltsstoffe ������������������������������������������������������������������������������� 487
6.9.4 Abwasserbehandlung ����������������������������������������������������������������������������������������������������� 488
6.10 Hefeindustrie (Karl-Heinz Rosenwinkel, Linda Hinken,
Axel Borchmann, Niklas Trautmann)��������������������������������������������������������������������������������������� 496
6.10.1 Einleitung ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 496
6.10.2 Abwasserqualität ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 496
6.10.3 Verfahren zur Abwasserbehandlung ��������������������������������������������������������������������������� 497
6.10.4 Beispiele anaerober Abwasserbehandlungsanlagen ��������������������������������������������������� 499
6.10.4.1 Anaerobes Belebungsverfahren ����������������������������������������������������������������� 499
6.10.4.2 Eindampfung und Anaerobe Behandlung
(Fa. UNIFERM GmbH & Co. KG, Monheim) ����������������������������������������� 499
6.10.4.3 Eindampfung und Anaerobe-Aerobe Behandlung
(Pakmaya Izmit Factory, Türkei) ��������������������������������������������������������������� 501
6.10.4.4 Anaerobe-Aerobe Behandlung (Chile) ����������������������������������������������������� 503
6.11 Süßwarenindustrie (Michael Saake, Dieter Kraushaar) ��������������������������������������������������������� 505
6.11.1 Allgemeines ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 505
6.11.1.1 Bedeutung der Industrie ����������������������������������������������������������������������������� 505
6.11.1.2 Produktionsabwasser ����������������������������������������������������������������������������������� 508
6.11.1.3 Innerbetriebliche Maßnahmen ������������������������������������������������������������������� 510
6.11.1.4 Zusammensetzung und spezifische Größen bestimmter
Produktionsabwässer der Süßwarenindustrie ����������������������������������������� 511
6.11.2 Großtechnisches Beispiel 1 ������������������������������������������������������������������������������������������� 513
6.11.3 Großtechnisches Beispiel 2 ������������������������������������������������������������������������������������������� 513
6.11.4 Großtechnisches Beispiel 3 ������������������������������������������������������������������������������������������� 514
6.11.4.1 Vorbemerkungen ����������������������������������������������������������������������������������������� 514
6.11.4.2 Anlagentechnik/Verfahrenstechnik ����������������������������������������������������������� 514
6.11.4.3 Betriebsergebnisse seit 1997 ����������������������������������������������������������������������� 515
6.11.5 Zusammenfassung ��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 519
6.12 Molkereien (Martin Lebek, Alvaro Carozzi, Robert Ristow)������������������������������������������������� 521
6.12.1 Abwasseranfall und Abwasserbeschaffenheit ������������������������������������������������������������� 521
6.12.2 Abwasserbehandlung ����������������������������������������������������������������������������������������������������� 522
6.12.3 Anwendungsbeispiel eines UASB-Reaktors ��������������������������������������������������������������� 526
Literatur ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 531
Karl-Heinz Rosenwinkel
Leibniz Universität Hannover,
Institut für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik, Hannover, Deutschland
E-Mail: rosenwinkel@isah.uni-hannover.de
Ulrike Abeling
Emschergenossenschaft/Lippeverband, Essen, Deutschland
E-Mail: Ulrike.Abeling@t-online.de
Peter Hartwig
aqua consult Ingenieur GmbH, Hannover, Deutschland
E-Mail: hartwig@aqua-consult.de
Matthias Barjenbruch
Technische Universität Berlin, FG Siedlungswasserwirtschaft, Berlin, Deutschland
E-Mail: matthias.barjenbruch@tu-berlin.de
Manja Steinke
TUTTAHS & MEYER Ingenieurgesellschaft für Wasser-,
Abwasser- und Energiewirtschaft mbH, Bochum, Deutschland
E-Mail: m.steinke@tum-bochum.de
Michael Saake
aqua consult Ingenieur GmbH, Hannover, Deutschland
E-Mail: saake@aqua-consult.de
Friedrich Althoff
Hermann Kröner GmbH, Ibbenbüren, Deutschland
E-Mail: althoff@kroener-staerke.de
Martin Lebek
REMONDIS Aqua GmbH & Co. KG, Hannover, Deutschland
E-Mail: martin.lebek@remondis.de
Matthias Krüger
Pöyry Deutschland GmbH, Essen, Deutschland
E-Mail matthias.krueger@poyry.com
Hans-Joachim Jördening
Technische Universität Braunschweig,
Institut für Technische Chemie, Abt. Technologie der Kohlenhydrate, Braunschweig, Deutschland
E-Mail: A.Joerdening@tu-bs.de
Helmut Kroiss
Technische Universität Wien,
Institut für Wassergüte, Ressourcenmanagement und Abfallwirtschaft, Wien, Österreich
E-Mail: hkroiss@iwag.tuwien.ac.at
Karl Svardal
Technische Universität Wien,
Institut für Wassergüte, Ressourcenmanagement und Abfallwirtschaft, Wien, Österreich
E-Mail: svardal@iwag.tuwien.ac.at
6.1 Fruchtsaftindustrie 361
Ludz Wilkening
Kraul & Wilkening u. Stelling GmbH, Hannover, Deutschland
E-Mail: wilkening@kwst.com
Axel Borchmann
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Bonn, Deutschland
E-Mail: Axel.Borchmann@bmub.bund.de
Reinhard Finke
Kraul & Wilkening u. Stelling GmbH, Hannover, Deutschland
E-Mail: finke@kwst.com
Linda Hinken
Leibniz Universität Hannover,
Institut für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik, Hannover, Deutschland
E-Mail: hinken@isah.uni-hannover.de
Niklas Trautmann
Leibniz Universität Hannover,
Institut für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik, Hannover, Deutschland
E-Mail: trautmann@isah.uni-hannover.de
Dieter Kraushaar
Katjes Fassin GmbH & Co. KG, Emmerich am Rhein, Deutschland
E-Mail: dieterkraushaar@katjes.de
Alvaro Carozzi
Dr.-Ing. Steinle Ingenieurgesellschaft für Abwassertechnik mbH, Weyarn, Deutschland
E-Mail: carozzi@dr-steinle.de
Robert Ristow
REMONDIS Aqua GmbH & Co. KG, Hannover, Deutschland
E-Mail: robert.ristow@remondis.de
6.1 Fruchtsaftindustrie
Roland Lange
6.1.1 Allgemeines
In der Europäischen Union als einem der Hauptmärkte mit nahezu 29 % des weltwei-
ten Handelsvolumens von Fruchtsäften und Nektaren (Nordamerika 35 %, Asien/Pazifik
17 %) werden etwa 10,8 Mrd. L Fruchtsäfte und Fruchtnektare produziert mit einem Wert
von etwa 26,2 Mrd. € (AIJN Market Report 2012).
Innerhalb der EU liegt Deutschland mit einem Marktanteil des Verbrauchs von 25 % an
der Spitze. Es folgen Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien mit zusammen 46 %.
Einen Überblick über die wesentlichen Kennzahlen der Fruchtsaftindustrie in Deutsch-
land zeigt Tab. 6.1.
Die Entwicklung des jährlichen Pro-Kopf-Verbrauchs in Deutschland ist Abb. 6.1 zu
entnehmen (VdF 2012).
Die Branchenstruktur des Verbandes zeigt, dass ca. 80 % des Gesamt-Branchenumsat-
zes von ca. 7 % der Gesamt-Firmenzahl erbracht wird.
Eine Anwendung der anaeroben Abwasserreinigung ist gegebenenfalls für die mittleren
und großen Betriebe sinnvoll. Für die große Zahl der Kleinbetriebe sind bei Bedarf die üb-
Das Produktionsspektrum ist entscheidend für die Zusammensetzung und Menge des Ab-
wassers. Bei allen verarbeitenden Betrieben handelt es sich um Kampagnenbetriebe, deren
Abwasseranfall und Abwasserzusammensetzung saisonalen Schwankungen unterworfen
ist. Diese saisonbedingten Frachtschwankungen müssen bei der Auslegung der Abwasser-
behandlung beachtet werden. Die Anaerobtechnik ist durch ihre ausgeprägte Elastizität
bei unterschiedlichen Belastungen sehr gut geeignet, um dieser Problematik Rechnung zu
tragen.
Die Abwässer der Fruchtsaftindustrie enthalten vorwiegend organische Verunreinigun-
gen aus folgenden Betriebsbereichen:
• Zucker- und fruchthaltige Produktreste und -verluste aus den Bereichen Presserei, Ab-
füllung und Tanklager,
• Trub- und Kieselgurreste aus den Bereichen Schönung und Filtration,
• leim- und faserhaltige Stoffe aus den Bereichen Etikettierung und Verpackung,
• Reinigungslaugen und -säuren mit organischen Verunreinigungen aus der Rohrlei-
tungs- und Behälterreinigung sowie der Flaschenreinigung.
Einen erheblichen Anteil der Abwasserbelastung machen Produktverluste aus. Bei der Be-
wertung der Abwasserlasten von Fruchtnektaren und Fruchtsaftgetränken ist der Verlust
an zugesetztem Zucker zu beachten. Innerbetrieblich ist auch aus Abwassersicht die Ver-
meidung von Produktverlusten oberste Zielsetzung.
Neben den hohen organischen Belastungen zeichnen sich die Abwässer durch starke
pH-Schwankungen, niedrige Abwassertemperaturen (20–30 °C) und für eine biologische
Behandlung häufig zu geringe Stickstoff- und Phosphorkonzentration aus. Tab. 6.2 gibt
Konzentrationsbereiche und spezifische Abwassermengen für verschieden strukturierte
Betriebe an.
Bezüglich der Abwassertemperatur ist darauf hinzuweisen, dass diese entscheidend
vom Produktionsspektrum des Betriebes abhängig ist. Der Betrieb einer Presserei erhöht
die Temperatur deutlich, während bei ausschließlich ausmischenden und abfüllenden Be-
trieben Temperaturen auch unter 20 °C auftreten können. Die Abwassertemperatur ist ein
wesentlicher Faktor für den Energiebedarf und somit für die Bewertung der Wirtschaft-
364 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
6.1.1.3 Behandlungsverfahren
In Betrieben der Fruchtsaftindustrie sind anaerobe Verfahren sowohl mit dem Ziel einer
Indirekteinleitung als auch in Kombination mit aeroben Verfahren zur Direkteinleitung
realisiert worden.
Im Folgenden sind Beispiele für mögliche unterschiedliche Konzepte dargestellt. Aus
diesen Beispielen wird deutlich, dass die Anwendung der Anaerobtechnologie in der
Fruchtsaftindustrie auch bei vergleichsweise geringem CSB und bei geringen Zulauftem-
peraturen möglich ist. Auch für die Erweiterung bestehender Anlagen, die in der Regel als
Aerobstufen geplant und betrieben werden, ist die Anaerobtechnik u. U. eine wirtschaftli-
che Lösung. Dabei kann unter Berücksichtigung anlagenspezifischer Aspekte (z. B. Behäl-
tergeometrie, Korrosionsbeständigkeit) auch die Verwendung vorhandener Baugruppen
sinnvoll sein.
• Siebung/Sandabscheidung,
• Flotationsanlage zur Feststoffabscheidung,
• Mischung, Ausgleich und Vorversäuerung,
• anaerobe Behandlung (3 EGSB-Reaktoren),
• aerobe Behandlung (Belebung und Nachklärung),
• Gasverwertung nach Speicherung, Trocknung und Entschweflung in BHKW (300 kWel.)
und Heizkessel.
Der Ablauf der Vorbehandlungsanlagen wird über eine Druckrohrleitung der kommuna-
len Kläranlage der Stadt Rinteln zugeführt.
In die neue Abwasservorbehandlungsanlage wurden zwei bereits vorhandene Biobed-
Reaktoren, ausgelegt für eine CSB-Fracht von jeweils 7.500 kg CSB/d, integriert. Die Re-
aktoren wurden an den neuen Standort umgesetzt und vor Inbetriebnahme grundsaniert.
Ein zusätzlicher Reaktor (Aquatyx R2S) von gleicher Auslegungsgröße erweitert die neue
Anaerobstufe. Ebenfalls umgesetzt, saniert und weiter genutzt wurden die Flotationsanla-
ge und Baugruppen der Gasverwertung.
366 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
• Siebung,
• Mischung, Ausgleich,
• Vorversäuerung,
• anaerobe Behandlung (Biobed-Reaktor),
• aerobe Behandlung (Belebung und Nachklärung).
6.1 Fruchtsaftindustrie 369
Aufgrund der sehr geringen Zulauffracht am Wochenende treten montags erhöhte Am-
moniumkonzentrationen im Ablauf des Anaerobreaktors auf. Erklärt wird dies mit einer
Hydrolyse und Stoffumsetzung von Feststoffen und Zellsubstanz im Reaktor, bei der Stick-
stoff freigesetzt wird. Um diese Ammoniumspitzen sicher abbauen zu können, wurde eine
Nitratmessung in der Biologie zur Steuerung der Belüftung und des Bypasses um die An-
aerobstufe nachgerüstet.
Das erzeugte Biogas wird im Biogaskessel zur Erwärmung des Abwassers genutzt. Ein
installierter Gaswaschtrockner verbessert den Betrieb der Gasverwertung deutlich.
Der Datenvergleich des Anlagenbetriebs vor und nach Installation der Anaerobstufe
zeigt, dass der Einsatz elektrischer Energie im Vergleichszeitraum um ca. 60 % und der
Schlammanfall um ca. 80 % reduziert werden konnten. Eine Aufstellung der Chemikalien-
verbräuche ergibt eine Einsparung von ca. 70 %.
Hinzuweisen ist auch auf eine Verbesserung der CSB-Ablaufwerte nach Inbetriebnah-
me der Anaerobstufe. Die Monatsmittelwerte der Jahre 2007 (vor Anlagenumbau) und
2009 sind in Abb. 6.6 dargestellt (Rosenwinkel et al. 2011).
6.1 Fruchtsaftindustrie 371
teres damit verbundenes Ziel war die Reduzierung der Betriebskosten. Das Projekt der
anaeroben Vorbehandlung auf der ARA Branzoll wurde in den Jahren 2011/2012 realisiert
und vor der Kampagne 2012 in Betrieb genommen.
Das Produktionsabwasser der VOG Products wird nach firmeninterner Siebung und
Transport über die Druckrohrleitung einer zweiten Siebung auf dem Gelände der ARA
Branzoll zugeführt. Anschließend erfolgen im Speicherbecken die Mischung, der Men-
genausgleich und die Versäuerung des Abwassers. Das vorhandene Speicherbecken wurde
dazu mit einer Kunststoffauskleidung versehen und abgedeckt. Die Abluft wird aus dem
Becken abgesaugt und in einer Filtereinheit behandelt. Aus dem Speicherbecken erfolgt
die Beschickung des Konditionierungstanks, in dem die Zumischung eines Teilstroms
behandelten Abwassers als Rezirkulation stattfindet. Die beiden EGSB-Hochlastreakto-
ren (R2S-Reaktoren) werden über ein Pumpwerk parallel beschickt. Im Zulauf erfolgt die
Vorwärmung mit dem Ablauf der Reaktoren, eine Nachwärmung erfolgt mittels der im
BHKW erzeugten Wärme. Das anaerob vorbehandelte Abwasser fließt im Freigefälle der
biologischen Stufe zu.
Über einen Bypass kann der Betreiber bei Bedarf einen Teilstrom des kohlenstoffrei-
chen Industrieabwassers an der Anaerobstufe vorbei, der Denitrifikation zuführen. Da-
durch kann die Verfahrensführung zur Stickstoffelimination optimiert werden.
Das Fließschema der Anaerobstufe zeigt Abb. 6.9.
6.1 Fruchtsaftindustrie 373
Das in der Anaerobstufe erzeugte Biogas wird dem Gasspeicher zugeführt. Die Spei-
cherung und die Reinigung des Biogases erfolgt gemeinsam mit dem in den Faulbehältern
erzeugten Klärgas. Das Gas wird in BHKW-Modulen und in einer Kesselanlage verwertet.
Zusätzlich zu den drei schon auf der ARA vorhandenen BHKW-Modulen mit einer elek-
trischen Leistung von je 180 kW wurden zwei neue Module mit je 280 kW elektrischer
Leistung installiert. Der erzeugte Strom wird im Normalfall zur Deckung des Eigenbedar-
fes der ARA genutzt bzw. bei darüber hinausgehender Produktion ins Netz eingespeist.
Aus dem Anlagenbetrieb der ersten Kampagne vorliegende Betriebsdaten zeigen, dass
die angestrebten Abbauraten bezüglich des filtrierten CSB deutlich überschritten werden.
Im Betrieb, allerdings nicht bei Volllast, wurden Wirkungsgrade von ca. 90 % erreicht.
6.2 Erfrischungsgetränke-Industrie
Ute Austermann-Haun
6.2.1 Allgemeines
• Zucker- und fruchthaltige Produktreste und -verluste aus den Bereichen Produktlage-
rung, -vorbereitung und -abfüllung,
• Leim- und faserhaltige Stoffe aus den Bereichen Flaschenreinigung, Etikettierung und
Verpackung,
• Reinigungslaugen und -säuren mit organischen Verunreinigungen aus der Rohrlei-
tungs-, Tank- und Anlagenreinigung sowie der Flaschenreinigung,
• Mineralsäuren und salzhaltige Spülwässer aus der Wasseraufbereitung,
• Bandschmiermittel aus dem Abfüll- und Flaschentransportbereich.
376 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Abb. 6.10 Blockschema für die Herstellung von Erfrischungsgetränken. (DWA-M 766 2012)
Die wesentlichen Belastungen stammen aus der Flaschenwäsche bei der Verwendung von
Mehrwegflaschen und hier insbesondere aus den in den Flaschen enthaltenen Produkt-
resten (DWA-M 766 2012).
Einer Umfrage vom Bundesverband der Deutschen Erfrischungsgetränke-Industrie
(BDE) aus dem Jahr 1997 zufolge (zitiert in DWA-M 766 2012), liegt der spezifische Ab-
wasseranfall bei Betrieben, die ausschließlich Erfrischungsgetränke herstellen, zwischen
1,1 und 3,3 L/L Getränk und im Mittel bei 2,3 L/L Getränk. Bei diesen Angaben handelt es
sich um Jahresmittelwerte von 6 Betrieben.
Die bei den Reinigungs- und Desinfektionsprozessen anfallenden Abwässer haben
einen wesentlichen Einfluss auf die Beschaffenheit des Gesamtabwassers.
Neben den Produktionsabwässern, die nachfolgend genauer beschrieben werden, gibt
es Kühlwässer, die nur eine Temperaturerhöhung erfahren haben, Wässer aus der inner-
betrieblichen Wasseraufbereitung sowie Abwässer aus dem Sanitär- und Sozialbereich.
Konzentrationen wesentlicher abwasserrelevanter Parameter, spezifische Wassermen-
gen und Frachten sind in Tab. 6.6 für reine Erfrischungsgetränkehersteller sowie Misch-
betriebe angegeben. Die überwiegende Zahl der Erfrischungsgetränkehersteller sind in
Deutschland Mischbetriebe, d. h. es werden sowohl Erfrischungsgetränke als auch ver-
schiedene Wässer (Mineral- und Tafelwasser) abgefüllt.
Die Abwassertemperaturen liegen häufig zwischen ca. 20 und 30 °C.
6.2 Erfrischungsgetränke-Industrie 377
Durch die Verwendung von Säuren und Laugen bei den Reinigungsprozessen werden
sowohl saure als auch alkalische pH-Werte gemessen. Viele Betriebe neutralisieren ihre
Abwässer daher vor der Einleitung in das Kanalnetz, um die geforderten Einleitungsbe-
dingungen einzuhalten.
Für die Werkstoffauswahl ist bei Betrieben mit einer Vollentsalzungsanlage zu beach-
ten, dass unter Umständen hohe Chloridgehalte von > 1.000 mg/L auftreten können.
Wie die Zahlenwerte in Tab. 6.7 verdeutlichen, sind nur die Abwässer derjenigen Be-
triebe höher belastet, die ausschließlich Erfrischungsgetränke herstellen und nur für diese
Betriebe wird die Anaerobtechnik interessant sein.
Einer Umfrage von BDE aus dem Jahr 1997 zufolge (zitiert in DWA-M 766 2012), liegt
die spezifische CSB-Fracht im Jahresmittel bei 1,17 g/L Getränk bei Betrieben, die aus-
schließlich Erfrischungsgetränke herstellen.
Dass die Abwasserbelastung in ausländischen Betrieben ganz anders aussehen kann,
zeigt Tab. 6.8.
In der Literatur der Jahre 1981 bis 1997 wurde vorwiegend über die verschiedensten Re-
aktortechniken zur Behandlung von Abwasser der Erfrischungsgetränke-Industrie im
Labormaßstab berichtet. In Tab. 6.9 ist zusammengetragen, welche wissenschaftlichen
Untersuchungen sich mit welchen Reaktorsystemen befassten.
Bei den Abwässern der Erfrischungsgetränke-Industrie hat sich eine zweistufige anae-
robe Anlage, d. h. eine räumliche Trennung von Versäuerung und Methanisierung als vor-
teilhaft erwiesen. Der Versäuerungsreaktor kann gleichzeitig die Funktion eines Misch-
und Ausgleichsbeckens übernehmen.
In der Erfrischungsgetränke-Industrie werden Anaerobanlagen nicht wie sonst üblich
bei Temperaturen um 36 °C betrieben, sondern bei etwa 28 bis 32 °C, da die Abwässer in
diesem Temperaturbereich anfallen. Dadurch hat die anaerobe Biomasse zwar eine gerin-
gere Aktivität, dieser Mangel kann jedoch durch einen höheren Gehalt an Biomasse aus-
geglichen werden, sodass dies letztendlich keinen Einfluss auf den Abbau hat. Eine Auf-
heizung des Abwassers ist somit nicht ständig erforderlich.
Für Indirekteinleiter mit einer anaeroben Abwasservorbehandlungsanlage empfiehlt
sich zur Vermeidung von Geruchsbelästigungen eine Belüftung vor der Ableitung oder
eine aerobe biologische Nachbehandlung, wobei die Abluft ggf. gefasst und behandelt wer-
den muss (ATV-M 766 1999).
In der Anaerobanlage werden die im Abwasser vorhandenen und in der Versäue-
rung gebildeten organischen Säuren abgebaut, wodurch es zu einer pH-Wert-Anhebung
kommt. Im Abwasser enthaltene Laugen werden durch das beim Abbauprozess entstehen-
de CO2 neutralisiert. Problematischer sind Mineralsäuren, diese sollte nur gleichmäßig
dosiert abgegeben werden. Es ist auf jeden Fall sinnvoll, sowohl Laugen als auch Säuren
378 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Tab. 6.9 Literaturauswertung im Hinblick auf die untersuchten Methanreaktoren zur Behandlung
von Abwasser der Erfrischungsgetränke-Industrie
Autor/Jahr Reaktortyp CSB BR,CSB ηCSB
g/L kg CSB/(m3 · d) %
Hickey und Owens (1981) Fließbett 6 4–18,5 66–89
Stronach et al. (1987) Fließbett 9 4,5 79
Capobianco und Blanc Festbett, aufwärts 5 17 90
(1989) durchströmt
Borja und Banks (1994) Fließbett 4,95 0,66 78
Kalyuzhnyi et al. (1997) UASB 1,1–30,7 16,5 80
Kalyuzhnyi et al. (1997) Hybrid-reaktor 1,1–30,7 13 82
den Trend hin zu den sehr leistungsfähigen EGSB-Reaktoren (Expended Granular Sludge
Bed) in schlanker hoher Bauweise. Bei den 70 Anlagen wurden als Methanreaktoren ge-
wählt: 1 Fließbettreaktor sowie 5 Festbettreaktoren, 27 UASB-Reaktoren und 33 EGSB-
Reaktoren sowie 4 Anlagen ohne Angabe des Reaktortyps. Allein 24 der großtechnischen
Anlagen wurden für Werke von Coca-Cola errichtet, davon 13 in Brasilien, weitere in
Angola, Argentinien, China, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Island, Marokko und
Deutschland.
Die Auslegungs-Raumbelastungen liegen bei den UASB-Reaktoren in der Größen-
ordnung von 6,57 bis 8,8 kg CSB/(m3 · d) und bei den EGSB-Reaktoren zwischen 24 und
26,7 kg CSB/(m3 · d).
In Deutschland sind 3 Anaerobanlagen für Werke von Coca-Cola errichtet worden,
wovon noch zwei in Betrieb sind, weil zwischenzeitlich ein Werk geschlossen wurde. Die
in den Anaerobanlagen der Cola-Getränke-Hersteller behandelten Abwässer sind bei
der Mischung aller Teilströme gering konzentriert mit einem CSB zwischen 2.200 und
3.200 mg/L (siehe Kap. 6.2.2). Es wird jedoch auch von Anlagen berichtet, die nur die hoch
belasteten Teilströme behandeln. Im Fall einer großtechnischen Anlage von Herding wird
der CSB mit 60.000 mg/l angegeben (Herding 2003).
Die Betriebskläranlage wurde in zwei Schritten errichtet: 1995 Bau der anaeroben Vorbe-
handlung, 1997 aerobe Reinigungsstufe zur Vollreinigung und Direkteinleitung (Weinzierl
und Müller-Blanke 1998). Einen Überblick über die Gesamtanlage zeigt das Verfahrens-
schema in Abb. 6.11.
Die Anaerobanlage besteht aus folgenden wesentlichen Reaktoren (Weinzierl 2003):
Die Auslegungs-Tagesabwassermenge betrug 1.300 m3/d. Der CSB im Zulauf zur Anae-
robstufe schwankte 1997 zwischen 2.200 und 3.200 mg/L (Weinzierl und Müller-Blanke
1998) und beträgt im Mittel 2.500 mg/L (Weinzierl 2003). Das CSB:BSB5-Verhältnis liegt
im Mittel bei 2:1. Dem Abwasser werden Harnstoff und von Zeit zu Zeit Spurenelemente
zudosiert. Bei CSB-Raumbelastungen von 7 bis 9 kg CSB/(m3 · d) liegt der CSB im Ablauf
der Anaerobanlage im Mittel bei 500 mg/L. Die Tatsache, dass von Zeit zu Zeit Pellets „ge-
erntet“ werden können belegt das gute Funktionieren der Anaerobanlage.
Die Einleiterlaubnis dieses Direkteinleiters beinhaltetet folgende Grenzwerte: CSB
90 mg/L, BSB5 20 mg/L, NH4–N 10 mg/L, Nges 18 mg/L (NH4–N + NO3–N + NO2–N)
sowie Pges 2 mg/L.
6.3 Brauereien 381
Abb. 6.11 Aufbau der Anaerobstufe der anaeroben-aeroben Betriebskläranlage in Knetzgau. (Nach
Weinzierl und Müller-Blanke 1998)
6.3 Brauereien
6.3.1 Allgemeines
Tab. 6.10 Die deutsche Brauwirtschaft in Zahlen. (Quelle: Deutscher Brauer-Bund, Berlin, April
2012)
Einheit 2007 2008 2009 2010 2011
Betriebene Braustätten Anzahl 1.306 1.328 1.331 1.332 1.341
Bierausstoß 1.000 hl 100.628 99.910 98.078 95.683 95.545
Bierausfuhr 1.000 hl 15.716 15.210 14.045 14.754 15.360
Anteil am Ausstoß % 15,0 15,2 14,3 15,8 16,1
Biereinfuhr 1.000 hl 6.972 6.445 6.531 7.486 7.471a
Anteil am % 7,6 7,1 7,2 8,5 8,5a
Inlandsverbrauch
Pro-Kopf-Verbrauch Liter 111,8 111,1 109,6 107,4 107,2
Beschäftigte (Betriebe Anzahl 30.737 29.637 28.412 27.572 27.048
mit mehr als 20
Beschäftigen)
Umsatz (Betriebe Mio. € 8.190 8.155 7.855 7.690 7.850
mit mehr als 20
Beschäftigte)
a
Vorläufiger Wert
Tab. 6.11 Spezifische Mengen und Frachten bei der Bierherstellung. (Merkblatt DWA M-732 2010)
Kennwert üblicher Wertebereicha Tendenz (min.)
spezifischer Abwasseranfall: 0,25 bis 0,6 (m /hl VB)
3
0,2 (m3/hl VB)
spezifische BSB5-Fracht: 0,3 bis 0,6 (kg/hl VB) 0,25 (kg/hl VB)
CSB/BSB5-Verhältnis: 1,5 bis 1,8 (−) 1,7 bis 2 (−)
a
Rosenwinkel und Schrewe 2000
Die Vielfalt der in den Brauereien erzeugten Produkte hat deutlich zugenommen. Ins-
besondere bei Biermischgetränken zeigt sich eine dynamische Entwicklung. Im Hinblick
auf die Abwassersituation ist beim derzeitigen Produktionsanteil noch keine deutliche
Auswirkung erkennbar. Bei weiterer Steigung des Anteils an Biermischgetränken ist in-
folge der erhöhten Reinigungshäufigkeiten von Anlagenteilen eine entsprechende Belas-
tungszunahme zu erwarten. Auch die Zunahme des Anteils fremdabgefüllter Produkte
wird infolge des erhöhten Reinigungsaufwandes bei Produktwechseln voraussichtlich die
Abwasserbelastung erhöhen. Die konkreten Auswirkungen sind jedoch von der Häufigkeit
der Produktwechsel und spezifischen Bedingungen in der Brauerei abhängig.
6.3.1.3 Behandlungsverfahren
Zur anaeroben Brauereiabwasserbehandlung werden im Wesentlichen Schlammbettreak-
toren eingesetzt. Es sind sowohl Anlagen nach dem UASB-Verfahren als auch heute vor-
wiegend Hochlastverfahren als EGSB-Verfahren unterschiedlicher Anbieter in Betrieb.
Die gewählten CSB-Raumbelastungen sind maßgeblich abhängig vom Reaktortyp und
von der Betriebstemperatur des Reaktors. Bei Betriebstemperaturen von ca. 35 °C liegen
die üblichen Auslegungswerte für UASB-Reaktoren bei ca. 8 bis 10 kg CSB/(m3 · d) und für
Hochlastverfahren bei ca. 20 bis 25 kg CSB/(m3 · d). Die erreichbaren Abbaugrade in der
Anaerobstufe betragen aufgrund der guten Abbaubarkeit des Abwassers ca. 80 bis 85 %,
bezogen auf den filtrierten CSB. Auch bei geringeren Abwassertemperaturen als 35 °C ist
ein wirtschaftlicher Einsatz des Anaerobverfahrens ggf. sinnvoll. Der dann reduzierten
Raumabbauleistung (bzw. Schlammaktivität) kann durch Erhöhung der verfügbaren Bio-
masse begegnet werden (Vergrößerung des Reaktorvolumens).
Vorteil des Hochlast-Schlammbettverfahrens (EGSB) gegenüber dem UASB-Verfahren
ist die höhere Raum-Zeit-Ausbeute und der damit verbundene geringere Investitions- und
Platzbedarf.
Aufgrund der geringen Toleranz von Schlammbettreaktoren gegenüber Feststoffen
ist auf die Installation einer guten Vorabscheidung zu achten, um Ablagerungen und Be-
triebsprobleme zu vermeiden.
Neben der Feststoffabscheidung sind ein ausreichend dimensioniertes Misch- und Aus-
gleichsbecken und eine Vorversäuerung notwendige Verfahrensschritte zur Gewährleis-
tung eines stabilen Anlagenbetriebes. Die Aufenthaltszeit in der Vorversäuerung sollte va-
riabel sein. Ein Vorversäuerungsgrad von ca. 30 bis 40 % hat sich in vielen Fällen bewährt
(DWA M 732 2010).
384 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Von der Flotation erfolgt der Ablauf zur abschließenden Qualitätsmessung und zur
Übergabe in das städtische Kanalisationsnetz. Die wesentlichen Bemessungswerte und
vorliegende Betriebswerte sind in Tab. 6.13 zusammengestellt.
Als Besonderheit der Anlage ist die aerobe Nachbehandlung im nitrifizierenden und
denitrifizierenden CIRCOX-Reaktor zu nennen.
Sowohl der Anaerob- als auch der Aerobreaktor passen aufgrund der Bauhöhen von 18
bzw. 16 m baulich zu der in der Brauerei üblichen Gär- und Lagertankhöhe.
Das aufbereitete Biogas wird in einem BHKW verwertet. Die Wärme wird im Betrieb
genutzt, der Strom wird nach EEG in das EVU-Netz eingespeist.
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Abb. 6.13 Fließschema der Kläranlage der Karlsberg Brauerei. (Franzmann 2007)
Aufgrund des begrenzten Platzangebotes auf dem Brauereigelände waren eine kompak-
te Bauweise und der Verzicht auf eine weitergehende Schlammbehandlung – bei gleich-
zeitiger Minimierung der anfallenden Schlammmengen – zwingend. Die anaerobe Vor-
reinigungsstufe leistet einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung dieser Vorgaben.
Das Verfahrensschema ist in Abb. 6.13 dargestellt.
388 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Über eine TOC-Messung im Zulauf der Misch- und Ausgleichstanks erfolgt bei zu ho-
hen Werten die Entscheidung des Abschlags in die Havariebehälter, um die Anaerobstufe
vor einer Schädigung der Biologie zu schützen.
Die Bauweise der Tanks wurde in unbeschichtetem Edelstahl ausgeführt. Die Anaerob-
stufe ist dreistraßig ausgeführt. Ein Teilstrom des Ablaufes der IC-Reaktoren wird in die
Vorversäuerung rezirkuliert. Damit besteht die Möglichkeit, die Anaerobstufe unabhängig
von der anfallenden Abwassermenge mit maximaler Hydraulik zu betreiben und die Ein-
lagerung von Feststoffen im Anaerobreaktor zu minimieren.
Das erzeugte Biogas hat einen Methangehalt von ca. 85 bis 90 %., pro Tag werden bis
zu 4.000 m3 Biogas produziert. Bei Auslastung beträgt die stündliche Biogasproduktion
ca. 100 m3 pro Linie. Das Biogas wird mittels einer Microgasturbine mit nachgeschalte-
ter Prozessdampferzeugung verwertet, der erzeugte Strom und die Wärme werden in der
Brauerei genutzt.
Zur Versorgung der Anlage am Wochenende wird in den Ausgleichsbecken Abwasser
eingespeichert. Die Regelungskonzeption wurde über eine fuzzybasierte Prozessführung
in die Anlagensteuerung integriert (Esterl et al. 2005).
Die aerobe Nachbehandlung des Abwassers mit abschließender Filtration verfolgt
neben der weitgehenden Kohlenstoffelimination auch die Phosphor-, Stickstoff- und Sus-
pensaelimination.
Zur Verbesserung der biologischen P-Elimination und der Rücklaufschlamm-Denitrifi-
kation ist die Zugabe von unbehandeltem Abwasser mittels einer Bypass-Leitung möglich.
Die wesentlichen Bemessungs- und Betriebswerte sind in Tab. 6.14 zusammengestellt.
Die Abluft aus allen Behältern wird abgesaugt und zunächst in die abgedeckte Nachbe-
lüftungsstufe eingeblasen. Die weitere Reinigung der Abluft aus der Nachbelüftung erfolgt
über einen nachgeschalteten Natronlauge-Wäscher und einen Biofilter. Eine Ansicht der
Vorbehandlungsanlage zeigt Abb. 6.15. Die wesentlichen Bemessungswerte und vorliegen-
de Betriebswerte sind in Tab. 6.15 zusammengestellt.
Ausschlaggebend für den Bau einer Anaerobanlage war die Kapazitätsbegrenzung der
kommunalen Kläranlage.
Als Besonderheit der Anlage ist auf die Gasaufbereitung und -verwertung hinzuweisen:
das entstehende Biogas wird entschwefelt und anschließend in einem Gasspeicher ver-
gleichmäßigt. Die Entschwefelung erfolgt mittels schwefeloxidierender Bakterien (Thio-
bazillen), die den enthaltenen Schwefelwasserstoff in elementaren Schwefel umwandeln.
Das aufbereitete Biogas wird in einem BHKW verwertet (116 kW thermisch, 60 kW elek-
trisch). Der erzeugte Strom wird zur Abdeckung von Spitzenlasten verwendet und zum
geringen Teil als regenerative Energie in das öffentliche Netz eingespeist. Die erzeugte
Wärme wird zur Aufheizung des Abwassers verwendet.
390 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Bei der Leiber GmbH werden Hefen aus Brauereien aufgearbeitet und als veredelte Pro-
dukte im Bereich der Spezialprodukte für die Tier- und Humanernährung vermarktet. Das
dabei entstehende Produktionsabwasser wurde in einer eigenen Vorbehandlungsanlage
ursprünglich aerob vorbehandelt und in das städtische Kanalnetz eingeleitet.
Im Jahre 2005 wurde entschieden, produktionsseitig in der Hefeextraktion eine Wasch-
linie für Hefen zu installieren. Damit war eine deutliche Erhöhung des Abwasseranfalls
verbunden und es wurde eine anaerobe Technologie für die Anlagenerweiterung genutzt.
Die wesentlichen Projektziele im Hinblick auf die Anpassung der Abwasserbehandlung
waren:
• Erhöhung der hydraulischen Kapazität von 10 m3/h auf ca. 30 m3/h bei einem CSB von
8–20 kg/m3,
• Reduzierung des Energiebedarfs und des Chemikalienverbrauches,
• Reduzierung des Schlammanfalls,
• sichere Einhaltung des Überwachungswertes von 1.000 mg CSB/l, entsprechend einer
CSB-Abbaurate > 93 %, um die Zahlung von Starkverschmutzerzuschlägen zu vermei-
den.
Die um die Anaerobstufe erweiterte Verfahrenstechnik ist in Abb. 6.16 dargestellt. Die
Vorversäuerung erfolgt in einem neu installierten Edelstahltank. In der nachgeschalteten
Flotation werden enthaltene Feststoffe und der in der Vorversäuerung anfallende biologi-
sche Schlamm abgeschieden. Die Entsorgung des Schlammes erfolgt gemeinsam mit dem
Überschussschlamm der Aerobstufe landwirtschaftlich. Als Anaerobreaktoren werden
zwei parallel beschickte EGSB-Hochlastreaktoren eingesetzt (Material Edelstahl mit einer
Kunststoff-Innenbeschichtung auf Höhe des Wasserspiegels). Das schlanke Hochlastsys-
tem (siehe Abb. 6.17) wurde auch aufgrund der beengten Platzverhältnisse gewählt. Die
Abluft der Anlagenteile Vorversäuerung, Flotation und Aerobreaktor wird abgesaugt und
in einem Biofilter behandelt.
Eine aerobe Nachbehandlung erfolgt im aus der ersten Baustufe vorhandenen HCR-
Reaktor (Highrate Compact Reactor, aerober Hochlastreaktor, Vogelpohl 2004) mit neu
installierter Chemikaliendosierung zur P-Fällung und einem Siebband zur Schlamm-Was-
ser-Trennung. Mit dieser anaerob-aeroben Anlagentechnik werden die erwarteten Ablauf-
werte sicher erreicht. Ausgewählte Bemessungs- und Betriebsdaten sind in Tab. 6.16 auf-
geführt.
Die Konzeption der Biogasverwertung ist in Abb. 6.18 dargestellt.
6.3 Brauereien 393
Die notwendige Reinigung des Biogases besteht aus einer biologischen Entschwefelung
und Gaswaschtrocknung. Anschließend wird das Biogas in zwei BHKWs verstromt (je
190 kW elektrisch) und der Strom nach EEG in das Netz eingespeist.
Die von den Gasmotoren erzeugte Wärme wird vorrangig im Prozess der Hefeextrak-
tion eingesetzt. Hier werden etwa alle vier Stunden 30 Mg Hefe von 10 °C auf 40 °C er-
wärmt. Dazu sind ca. 1,2 MW Wärme notwendig. Da die Motoren kontinuierlich 350 kW
Wärme produzieren wurde ein Wärmespeicher (Schichtenspeicher) installiert, um den
geringen kontinuierlichen Wärmestrom in einen diskontinuierlichen hohen Wärmestrom
zu konvertieren. Bei einer Temperaturdifferenz von 85°C auf 40 °C können rund 3 MWh
gespeichert werden. Im Fall einer Störung der Gasmotoren kann der Speicher auch mit
Dampf beheizt werden.
6.3 Brauereien 395
Abb. 6.18 Verfahrensschema Gasverwertung, Energie und Wärme der Leiber GmbH
396 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
6.4.1.1 Produktion
In rationalisierten modernen Schlachtbetrieben werden die Tiere der jeweiligen Tierart
(Rinder und Kälber, Schweine) auf getrennten Schlachtanlagen geschlachtet. Vielfach
sind Schlachtbetriebe auf die Schlachtung von Rindern oder Schweinen spezialisiert. Die
Rinder- und Schweinehälften werden unmittelbar im Anschluss an den Schlachtprozess
zunächst gekühlt. Die Zerlegung in größere oder kleinere Teilstücke erfolgt entweder in
Räumlichkeiten, die sich am selben Ort wie die Schlachtstätte befinden oder in speziali-
sierten Zerlegebetrieben an einem anderen Ort.
Geflügelschlachtbetriebe sind i. d. R. für die Schlachtung nur einer Tierart ausgestattet.
Die Technologie ist zwar für alle Tierarten ähnlich, der Unterschied liegt in der Berück-
sichtigung von Größe und Eigenart der Tiere. Eine Trennung zwischen Schlacht- und Zer-
legebetrieben gibt es bei Geflügel heute kaum noch. Nach einer kurzen Kühl- und Reife-
phase werden die Tiere im gleichen Gebäude zerlegt, und entsprechend den Vorgaben des
Handels verpackt. Über 80 % des Fleisches verlässt als zerlegte Ware den Schlachtbetrieb.
Tabelle 6.17 zeigt die Schlachtmengen und die Zahl der Betriebe im Jahr 2012.
Zusätzlich gibt es ca. 400 Fleischverarbeitungsbetriebe mit 50 und mehr Beschäftigten,
die einen Teil des Fleisches zu Wurstprodukten verarbeiten. In den letzten Jahren hat sich
neben der Konzentration der Schlachtbetriebe vor allem die Produktpalette massiv ver-
ändert. Die Weiterverarbeitung des Fleisches, z. T. in direkt angeschlossenen Fleischver-
arbeitungsbetrieben, zu Convenience-Produkten (z. B. mariniert, paniert oder auch schon
vorgegart) nimmt einen immer größeren Raum ein. Dies führt schlussendlich auch zu
einer veränderten Abwasserzusammensetzung und vor allem zu einer größeren Bandbrei-
te der Werte.
Tab. 6.17 Schlachtungen in Deutschland 2012. (Statistisches Bundesamt 2013a, b, Werte gerundet)
Anzahl in Mio. Schlachtmenge Anzahl der Betriebe
in Mg ≥ 50 Mitarbeiter
Rinder + Kälber 3,6 1.150.000 113
Schweine 58,4 5.500.000
Hähnchen 600 860.000 39
Puten 38 460.000
Sonstiges Geflügel 53 100.000
6.4 Schlacht- sowie Fleisch- und Fischverarbeitungsbetriebe 397
6.4.1.2 Abwasseranfall
Um die Abwasserbelastung möglichst gering zu halten, müssen die im Schlachtprozess
anfallenden Nebenprodukte (Streu und Mist, Magen- und Darminhalte, Federn, Borsten,
Fette, Knochen-, Haut- und Fleischreste, Blut) möglichst weitgehend zurückgehalten wer-
den. Blut hat einen CSB von 270.000 mg/L und einen Stickstoffgehalt von 14.000 mg/L
(Bretscher 1995) und trägt damit erheblich zur Abwasserbelastung bei. Da es aber ein
Wertstoff ist und gezielt aufgefangen und einer Blutaufbereitungsanlage zugeführt wird,
gelangt es normalerweise bis auf unvermeidbare Restmengen nicht ins Abwasser. Abwas-
ser entsteht im Wesentlichen im Verarbeitungsprozess und bei der Reinigung der Anlagen.
Hier kommen neben den Restprodukten vor allem noch Desinfektions- und Reinigungs-
mittel dazu. Dies führt zum einen zur Emulsion der Fette (und damit häufig zur Unwirk-
samkeit der Fettabscheider), zum anderen kann es durch chlorhaltige Desinfektionsmittel
zur AOX-Bildung im Abwasser kommen.
Tabelle 6.18 zeigt den Abwasseranfall und die Inhaltstoffe (Werte aus dem Entwurf des
DWA M 767). Wie erwähnt, sind diese Zahlen als grobe Anhaltswerte zu verstehen, da die
tatsächliche Abwasserzusammensetzung sehr stark von der Produktpalette des Betriebes
abhängt. Dies gilt insbesondere für die fleischverarbeitenden Betriebe, deren Abwasser-
belastung zwar meist unter der von Schlachtbetrieben liegt, dafür aber höhere Chlorid-,
Sulfat- und Nitritbelastungen und u. U. auch Fettkonzentrationen aufweist. Reine Zerlege-
betriebe haben hingegen eine geringe Abwasserbelastung.
6.4.1.3 Abwasserbehandlung
Abwasser aus Schlacht- und Fleischverarbeitungsbetrieben ist biologisch gut abbaubar, das
CSB/N-Verhältnis liegt in einem Bereich, der eine Nitrifikation/Denitrifikation erlaubt.
Allerdings neigt es, wie alle Abwässer mit organischen Inhaltstoffen, zur Produktion von
organischen Säuren und zur Blähschlammbildung.
Bei der Vorbehandlung des Abwassers aus Schlacht- und Fleischverarbeitungsbetrie-
ben muss aufgrund der starken Faulfähigkeit sowie der sehr hohen mikrobiellen Aktivi-
tät sichergestellt werden, dass das Abwasser möglichst sofort nach der Entstehung von
Feststoffen und lipophilen Stoffen befreit und einer weiteren Behandlung zugeführt wird.
Aufgrund der heutigen erhöhten Anforderungen an Reinigung und Hygiene in den Pro-
duktionsbetrieben liegen die Fette im Abwasser sehr oft und zu einem großen Teil in emul-
gierter, also in nicht abscheidbarer Form vor. Auch die hohen Temperaturen des Abwas-
sers tragen dazu bei (lokal können z. B. beim Ablassen des Brühkessels Temperaturen von
60 °C vorkommen). In diesen Fällen ist die Wirksamkeit eines statischen Fettabscheiders
stark eingeschränkt und entspricht nicht mehr dem Stand der Technik.
Die Vergleichmäßigung der Abwassermenge und -fracht in einem Misch- und Aus-
gleichsbecken (MAB) sollte erst im Anschluss an die Vorbehandlung stattfinden. Dies hat
den Vorteil, dass keine Faulung (Geruchsbildung) stattfindet und das CSB/N-Verhältnis
sich nicht zum Nachteil der biologischen Stickstoffelimination verschlechtert.
Die meisten Betriebe sind Indirekteinleiter, einige verfügen über eine eigene biologi-
sche Behandlung zur Direkteinleitung. Folgende Verfahren zur Abwasserreinigung wer-
den üblicherweise eingesetzt:
Der Einsatz von Anaerobverfahren zur Vorbehandlung des Abwassers war in Deutschland
bis zur Einführung der Nährstoffelimination verbreitet. Mit Anaerobreaktoren werden im
Wesentlichen die Kohlenstoffverbindungen nicht jedoch die Stickstoffverbindungen re-
duziert. Dies führt zu einem ungünstigen C/N-Verhältnis im so behandelten Abwasser
und somit zu unzureichender Denitrifikation. Aufgrund dieser Stickstoffproblematik sind
derzeit in Deutschland keine Anaerobverfahren für die Vorbehandlung von Abwässern
aus Schlacht- und fleischverarbeitenden Betrieben im Einsatz. Durch die Entwicklung der
Technologie zur Deammonifikation auch für den Betrieb im Vollstrom für Industrieab-
wasser in den letzten Jahren ist nun die Möglichkeit gegeben, die energieeffizienten und
platzsparenden Anaerobverfahren auch bei weitergehenden Anforderungen an die Stick-
stoffelimination einzusetzen.
6.4 Schlacht- sowie Fleisch- und Fischverarbeitungsbetriebe 399
Der Flotatschlamm hat eine Feststoffkonzentration von 5,5–6,0 % TS und wird direkt
dem mesophil betriebenen Faulbehälter zugeführt. Dieser sehr energiereiche Schlamm
führt zu einer raschen Gasbildung, etwa entsprechend dem Abbauverhalten von Primär-
schlamm.
Die Bemessung des Faulbehälters erfolgt mit einer Aufenthaltszeit von > 18 Tagen und
einer Raumbelastung mit organischer Feststofffracht von < 3,5 kg oTS/(m3 d). Der spezi-
fische Gasanfall liegt bei Bemessungsbelastung bei rund 3,0 mN3 Gas pro m3 Faulbehälter-
volumen pro Tag und zeigt die durch die Co-Fermentation erreichbare hohe spezifische
Gasausbeute. Die im Betrieb ermittelte substratspezifische Ausbeute liegt im Mittel bei
950 mN3 Biogas pro Mg zugeführtem organischen Feststoff.
Anhand einer CSB-Bilanz (Abb. 6.20) kann der Energiefluss der Anlage verfolgt werden.
Es ist erkennbar, dass ca. 63 % der im Schlachthofabwasser enthaltenen Energie letztlich
in Biogas überführt werden (Annahme: Abbau der kommunalen Schlämme im Faulbehäl-
ter mit 50 % der organischen Substanz).
Um den Betrieb des Faulbehälters zu optimieren, ist die Installation eines Flotat-
schlammspeichers vorgesehen.
Das mechanisch über Sieb und Flotation behandelte Abwasser wird nachfolgend einer
biologischen Reinigungsstufe zugeführt, die als Belebungsverfahren mit Kaskadentechnik
und vorgeschalteter Denitrifikation realisiert ist.
Das Abwasser wird auf eine Qualität von rund < 200 mg CSB/L, < 10 mg NH4–N/L
und < 10 mg NO3–N/L gereinigt, wobei abhängig vom Wirkungsgrad der Flotation
Schwankungen auftreten können.
Das biologisch vorbehandelte Abwasser des Fleischwerks wird anschließend mit dem
mechanisch vorbehandelten Abwasserstrom der Kommune vermischt und gemeinsam der
weitergehenden biologischen Reinigung unterzogen.
Der hohe Wirkungsgrad der Flotation führt in Verbindung mit der Co-Fermentation
zu einem im Hinblick auf die Energieeffizienz optimierten System. Der weitgehende Ab-
bau der organischen Stoffe im Faulbehälter führt zu einer entsprechenden Rücklösung von
Stickstoff, der mit dem Schlammwasser aus der Entwässerung in die Anlage zurückgeführt
6.4 Schlacht- sowie Fleisch- und Fischverarbeitungsbetriebe 401
wird (Mittelwerte 2012: 450 m3/d mit 1.900 kg NH4–N/L). Zu Anfang des Anlagenbetrie-
bes wurde diese rückgelöste Fracht zur Einhaltung der Nitratablaufwerte zunächst weitge-
hend über eine Essigsäuredosierung eliminiert, inzwischen wird diese aber durch die bio-
logische Verfahren zur Teilstrombehandlung mittels Nitritation/Denitritation (PANDA-
Verfahren, Abb. 6.21) und Deammonifikation biologisch abgebaut (Hartwig et al. 2009).
Durch den Betrieb dieser Anlage konnten die Prozessbedingungen der Nitritation als
erster Teilschritt der Deammonifikation erprobt werden. Weiterhin ist mit einer Nitritati-
on/Denitritation innerhalb weniger Wochen volle Leistungsfähigkeit erreichbar, während
eine Deammonifikation in Abhängigkeit der Abwasserqualität mehrere Monate bis zu Jah-
ren Anfahrzeit erfordert.
Nach den positiven Ergebnissen der Nitritation (Wirkungsgrade bezüglich Ammonium
> 80 %) erfolgt die schrittweise Verfahrensumstellung zur Deammonifikation, wobei zur
Durchführung eines Verfahrensvergleichs parallel eine zweistufige Technik (PANDA+,
Abb. 6.22) und eine einstufige Technik (SBR-Reaktor mit suspendierter Biomasse) ein-
gesetzt werden.
402
6
Durch die Zuleitung des Abwassers des Fleischwerkes auf das Gelände der kommu-
nalen Kläranlage ist ein eng verzahnter Betrieb verschiedener voneinander abhängigen
Komponenten möglich. Der Betrieb der Vorbehandlungsanlage des Fleischwerks erfolgt
gegen Kostenerstattung durch das Personal der kommunalen Kläranlage.
Durch diesen gemeinsamen Betrieb der Vorbehandlungsanlage und der kommunalen
Anlage ist eine optimierte Abstimmung der einzelnen Komponenten aufeinander möglich.
Zulauf
Pumpen- Pumpen-
schacht Siebtrommel Fettfang MAB Flotation
schacht
Zirkulation
Ablauf
Umlauf
NK Nachbelüfter Anaerob-
Pumpen-
Reaktor
schacht
Rücklauf
FeCl2
Fackel
Gasspeicher
BHKW
6.4.2.2 Beispiel
Die Firma Rügen Fisch produziert vorwiegend aus Frisch- oder Frostfisch Fischkonser-
ven. Teilweise werden in Garbädern gesäuerte Fische weiterverarbeitet. Den weitaus größ-
ten Anteil hat der Hering, darüber hinaus werden beispielsweise Lachs, Thunfisch, Mak-
rele, Sardine, Seemuschel und Sprotte verarbeitet. Die Filets werden gedämpft, gebraten
oder geräuchert und anschließend in Saucen, Cremes und Aufgüssen mit z. B. Tomaten,
Senf, Curry und Gemüse konserviert. Es werden auch Konserven nur mit Pflanzenöl und
natürlichen Aufgüssen hergestellt. Die Fischverarbeitung findet werktags von Montag bis
Freitag statt.
Die Abwässer der Fabrik werden in einem Pumpensumpf gesammelt und anschließend
mit einer Siebtrommel (2 mm) und einem Fettabscheider behandelt (Abb. 6.23). Die me-
chanisch behandelten Abwässer werden in ein Misch- und Ausgleichsbecken mit einem
Volumen von 300 m3 gepumpt. Die Abwässer im MAB können in den Wintermonaten
bedarfsweise mit Dampf erwärmt werden. Die Druckentspannungsflotation ist als Rund-
becken ausgeführt (Durchmesser 2,4 m). In den Zulauf der Flotation wird Eisen-III-Chlo-
rid-Lösung in geringen Mengen (ca. 0,35 mol Fe/m3) dosiert. Die CSB-Reduktion beträgt
64 %, für den gelösten CSB sind es 65 %. Gesamt-Stickstoff wird von ca. 503 auf 209 mg/L
reduziert. Die Phosphorkonzentrationen im Zulauf liegen bei 143 mg/L und werden auf
80 mg/L reduziert. Das Siebgut, das abgeschiedene Fett und das Flotat werden extern be-
handelt.
406 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Die biologische Abwasserbehandlung erfolgt anaerob mit einem ITC-Reaktor der Fa.
Zeppelin Umwelttechnik (Abb. 6.24), dieser Reaktortyp wird den EGSB-Reaktoren (Ex-
panded Granular Sludge Bed) zugeordnet. Der ITC-Reaktor besitzt eine Gesamthöhe von
ca. 21,5 m und hat ein Nutzvolumen bis zum Überlauf von ca. 500 m3. Ein Zweiphasen-
abscheider liegt in ca. 8,5 m Höhe und ein Dreiphasenabscheider in ca. 16 m Höhe.
Die Durchmischung im Reaktor erfolgt durch das Einbringen des Abwassers, welches
von unten nach oben fließt. Die Animpfung erfolgte mit dem Schlamm eines Anaerob-
reaktors einer Cellulose-Fabrik. Der Ablauf des Anaerobreaktors wird anschließend in
eine Nachbelüftung (250 m3) geleitet. Aus der Nachklärung (50 m3) wird der abgesetzte
Schlamm in die Nachbelüftung zurückgeführt und das behandelte Abwasser zur kommu-
nalen Kläranlage geleitet.
6.4 Schlacht- sowie Fleisch- und Fischverarbeitungsbetriebe 407
Die Kläranlage wurde vormals ohne Flotation geplant. Während des Betriebes zeigten
sich starke Fettablagerungen im ITC-Reaktor, sodass die Flotation nachgerüstet wurde.
Generell sind hohe Anteile lipophiler Stoffe problematisch, weil eine Umhüllung der Bio-
masse zur Verringerung der Abbau- und Austauschprozesse über die Oberfläche führen
kann. Ferner kann eine Fetthülle zur Verringerung des spezifischen Pellet-Gewichtes füh-
ren und die Entgasung behindern, sodass Schlammabtrieb auftreten kann.
Die Fischverarbeitung findet nur werktags statt, die Abwassermengen liegen dann zwi-
schen ca. 220 und 240 m3/d. Mit dem Misch- und Ausgleichsbecken ( V = 300 m3) ist keine
vollständige hydraulische Vergleichmäßigung über die gesamte Woche möglich, sodass
der Anaerobreaktor von Montag bis Freitag mit ca. 7–7,5 m3/h und am Wochenende mit
ca. 4,5 m3/h beschickt wird.
Im Zulauf des Misch- und Ausgleichsbeckens liegt der pH-Wert zwischen 4–5, dieser
wird mit Natronlauge auf ca. 7 angehoben. Der pH-Wert im Anaerobreaktor liegt im Be-
reich zwischen 6,6 und 6,8. Die Chloridkonzentrationen im Zulauf des Reaktors schwan-
ken zwischen ca. 3.800 und 4.500 mg/l. Die Reaktortemperatur beträgt von 34–36 °C. In
die Umlaufleitung des Reaktors wird Eisen-II-Chlorid-Lösung zur Bindung des Schwe-
felwasserstoffs dosiert. Die spezifische Dosiermenge beträgt ca. 0,68 L Fällmittel pro m3
abgeleitetem Abwasser.
Die Feststoffgehalte des Schlammes variieren über die Reaktorhöhe. Im unteren Ab-
schnitt reichern sich die Pellets an, sodass hier in 1,5 m über Reaktorsohle die höchsten
TR-Gehalte mit 103 g/kg (29 g oTR/kg) bestimmt wurden. Von 4 bis 12 m Höhe entspre-
chen die TR-Gehalte 18–25 g/kg. Der Glühverlust beträgt 22–28 %. Der organische Anteil
liegt damit weit unter üblichen Werten von 70–90 % (Meyer 2004).
Der CSB im Zulauf des Reaktors reicht von ca. 3.340–8.460 mg/L (Tab. 6.19). Die hy-
draulische Aufenthaltszeit beträgt 3–4,6 d. Die rechnerische Aufstromgeschwindigkeit qa
variiert von 0,16–0,27 m3/(m2 · h) und die Raumbelastung liegt im Bereich 1,3–3,0 kg CSB/
(m3 · d). Die Aufstromgeschwindigkeit und die Raumbelastung sind damit deutlich gerin-
ger als Literaturwerte mit ca. 0,3–1,0 m3/(m2 · h) für UASB-Reaktoren und 8–25 kg CSB/
(m3 · d) für UASB- und EGSB-Reaktoren (Meyer 2004).
Der Gasanfall beläuft sich werktags auf ca. 400–500 m3/d (maximal 655 m3/d). An den
Wochenenden ist der Gasanfall aufgrund der geringeren Belastung niedriger. Der mittlere
spezifische Gasanfall ergibt sich zu 0,40 m3/kg CSB0. Das Gas besitzt Methangehalte von
68–71 %.
408 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Tab. 6.21 Bedeutung der europäischen und der deutschen Stärkeindustrie. (FSI 2013)
Europäische Union Deutschland
1998 2001 2008 2010/ 1998 2001 2008 2010/
2011 2011
Umsatz Mrd. € 5,2 6,5 7,5 7,7 1,0 1,1 1,72 1,8
Produktion Mio. Mg/a 7,7 9 9,4 10 1,5 1,5 1,53 1,58
Rohmaterial Mio. Mg/a 19,1 21,2 21,6 22 4,5 4,4 4,43 4,7
Firmen – 28 27 25 24 8 8 8 8
Werke – 75 67 78 69 16 15 14 14
Beschäftigte MA ca. 19.000 17.000 15.500 14.400 2.400 2.200 2.300 2.291
6.5 Stärke-Herstellung
6.5.1 Allgemeines
Tab. 6.22 Rohstoffverarbeitung und Stärkeproduktion in der Europäischen Union und Deutsch-
land. (FSI 2013)
Europäische Union Deutschland
1998 2001 2008 2010/ 1998 2001 2008 2010/
2011 2011
Rohstoff- Mio. Mg/a 19,1 21,2 21,6 22,0 4,5 4,4 4,43 4,7
Verarbeitung
Kartoffeln Mio. Mg/a 8,8 8,7 7,6 7,0 3,0 2,9 2,7 3,0
Mais Mio. Mg/a 5,9 6,6 7,1 7,5 0,7 0,6 0,6 0,6
Weizen Mio. Mg/a 4,4 5,9 6,9 7,5 0,8 0,9 1,1 1,1
Stärke- Mio. Mg/a 7,7 9,0 9,4 9,9 1,5 1,6 1,53 1,58
Produktion
aus Mio. Mg/a 1,7 1,8 1,5 1,4 0,6 0,6 0,6 0,7
Kartoffeln
aus Mais Mio. Mg/a 3,8 4,1 4,4 4,8 0,5 0,5 0,4 0,4
aus Weizen Mio. Mg/a 2,2 3,1 3,5 3,8 0,4 0,5 0,5 0,5
Nachfolgend wird nur über die Abwässer- und -behandlungsanlagen aus dem Bereich
der europäischen Kartoffel-, Mais- und Weizenstärkeherstellung berichtet, da die anderen
Rohstoffe in Europa nicht oder nur in vernachlässigbaren Mengen verarbeitet werden.
Die Entwicklung der Stärkeherstellung aus Kartoffeln, Mais und Weizen seit 1992
in Europa und Deutschland ist in Abb. 6.25 dargestellt (De Baere 1999; FSI 2002, 2013;
Rausch 2002)
a. Kartoffelstärke-Herstellung
Mio. Mg/a
10
0
EU 1998 EU 2001 EU 2008 EU 2010/11 D 1998 D 2001 D 2008 D 2010/11
Kartoffelstärke Maisstärke Weizenstärke
Abb. 6.25 Stärkeproduktion in der Europäischen Union und Deutschland seit 1998
Tab. 6.23 Verbrauch von Stärkeprodukten nach Branchen in der Europäischen Union und Deutsch-
land. (FSI 2013)
Europäische Union Deutschland
1998 2001 2008 2010/11 1998 2001 2008 2010/11
Gesamtproduktion Mio. Mg/a 7,3 8,3 8,8 9 1,5 1,6 1,82 1,87
Non-Food % 47 45 40 38 40 39 44 44
Papier/Wellpappe % 27 27 25 28 29 30 34 34
Chem. und techn. % 20 18 15 10 11 9 10 10
Industrie
Food % 53 55 60 62 60 61 56 56
Süßwaren % 24 26 31 32 20 20 18 18
Übrige Lebensmittel- % 29 29 29 30 40 41 38 38
Industrie
b. Maisstärke-Herstellung
Der Mais wird zunächst gereinigt und danach eingeweicht mit dem Ziel, den Keim und
die Stärke einfacher abtrennen zu können. Der Quellprozess dauert ca. 1,5 Tage bei einer
6.5 Stärke-Herstellung 413
Temperatur von ca. 50 °C unter Zusatz von Natriumbisulfit. Die löslichen Bestandteile des
Maiskornes reichern sich während des Quellprozesses im Wasser an. Nach dem Quell-
prozess wird das überschüssige „leichte Quellwasser“ abgezogen und in Fallstrom-Ver-
dampfern eingedampft. Das hierbei anfallende Brüdenkondensat, welches als Abwasser
abgeführt wird, ist charakterisiert durch einen höheren Schwefelgehalt und wasserdampf-
flüchtige organische Säuren; es fällt in einer Menge von 0,4 bis 0,7 m3/Mg Reinmais an.
Der zu sogenanntem „schweren Quellwasser“ eingedickte Rest wird entweder als „Protein-
Konzentrat“ den Maisschalen für das Maisglutenfutter zugesetzt oder als Substrat für die
Herstellung von Antibiotika verwendet (s. Abb. 6.27, aus ATV 2000).
Der gequollene, nasse Mais wird grob gemahlen, und in der Keimwäsche die restliche
Stärke und Gluten-Anteile herausgewaschen. Die Keime werden abgetrennt, entwässert,
getrocknet und zum Mais-Keimöl aufbereitet.
Nach der Keimwäsche werden aus dem von Keimen befreiten Brei die Fasern abge-
trennt. Es verbleibt eine Suspension aus Stärke und Gluten (Klebereiweiß). Unter Zusatz
von Frischwasser (1,4–1,7 m3/Reinmais) werden die Gluten-Anteile separiert und die Stär-
ke herausgewaschen. Die wässrige Stärke-Suspension kann aber auch direkt, zum Beispiel
zu Stärke-Hydrolysaten und Stärke-Modifizierungsprodukten, verwertet werden.
Das ausschließlich in der letzten Stufe der Stärke-Gluten-Separation eingesetzte Frisch-
wasser wird nach dieser Nutzung in die vorgeschalteten Stufen (Faserseparation, Mais-
vermahlung, Mais-Quellung) eingesetzt und durchläuft daher den Prozess der Stärkege-
winnung im Gegenstrom. Von dem 1,4–1,7 m3/Mg Reinmais eingesetzten Frischwasser
fallen als Abwasser/Brüdenkondensat lediglich 0,4–0,7 m3/Mg Reinmais an. Das restliche
Wasser verlässt die Produktion über die Produkte Maisstärke, Maisgluten und Maisgluten-
futter oder als Brüden in den Trocknungsprozessen.
Die Nebenprodukte, Schalenanteile und Gluten, letztere früher auch als Kleber bezeich-
net, werden entwässert, getrocknet und als Handelsprodukte Maisgluten und Maisgluten-
futter verkauft (ATV 1999, zitiert in ATV 2000).
Die Maisstärkefabrikation ist kein Kampagnenbetrieb, allerdings sind Zeiten zu unter-
scheiden, in denen erntefrischer Nassmais oder aber Trockenmais verarbeitet wird; die
Abwasserbelastung der beiden Betriebsphasen ist nicht identisch. Gegenüber der Kartoffel
und dem Weizen hat Mais die höchste Ausbeute mit bis zu 99,5 % Gesamtausbeute, was die
vergleichsweise geringe Abwasserbelastung erklärt. Die Ausbeute setzt sich wie folgt zu-
sammen: 65 % Stärke, 25 % Futtermittel (Quellwasser, Fasern, entölte Keime, Maisbruch),
6 % Gluten und 3 % Öl (ATV 1999, zitiert in ATV 2000).
c. Weizenstärke-Herstellung
Das Weizenmehl wird zum Zwecke der Stärke-Gluten-Trennung einem Nassprozess unter-
worfen. Die hierbei angewendeten Techniken haben zum Ziel, das Eiweiß zu hydratisieren
und damit die Stärke-Gluten-Trennung zu ermöglichen (siehe Abb. 6.28).
Der kontinuierlich geführte Nassprozess ist prinzipiell wie bei der Maisstärkegewin-
nung gekennzeichnet durch den sparsamen Gebrauch von Frischwasser und durch Mehr-
414 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
fachnutzung von Wässern im Gegenstromprinzip. Gelöste und ungelöste Anteile des Roh-
stoffs werden durch Kreislaufführung im Gegenstrom im Prozesswasser angereichert und
dem Prozess im Bereich Mehlaufbereitung und Glutenseparation wieder zugeführt. Die
Mehl-Wasser-Suspension, die den agglomerierten Gluten enthält, wird mit weiterem im
Raffinationsprozess anfallenden und rezirkulierten Prozesswasser auf ca. 20 % TS ver-
dünnt und zwecks Separierung der Mehlinhaltstoffe i. d. R. Dekantierzentrifugen zuge-
führt. Im Zentrifugalfeld erfolgt die Auftrennung in folgende Produktströme:
6.5 Stärke-Herstellung 415
Nach der Glutenseparation mittels Siebung aus den o. a. Prozessläufen wird der Feucht-
gluten mit ca. 30 % Trockensubstanzgehalt in z. B. Ringtrocken-Anlagen unter Erhaltung
seiner Dehnungseigenschaften zu Vitalgluten getrocknet oder einer Modifizierung zuge-
führt.
Durch nachfolgende Raffinationsschritte wird sowohl die A-Stärke als auch die B-Stär-
ke gereinigt und konzentriert. Die A- und B-Stärke-Mischung kann entweder einer Modi-
fizierung oder Hydrolyse (Verzuckerung) zugeführt werden oder auch mittels spezieller
Trocknungsverfahren getrocknet werden.
Durch Rückführung und Nutzung des Prozesswassers sowie Anwendung weiterfüh-
render Maßnahmen des produktionsintegrierten Umweltschutzes wird eine Ausbeute von
98–99 % erzielt.
Bei der Verarbeitung von Weizen-B-Stärke zu Quellstärke wird üblicherweise die C-
Stärke nahezu vollständig zugesetzt oder nur in Teilmengen als Futter verwertet. Die C-
Stärke sowie die flüssige, wässerige Phase nach dem Verfahrensschritt der Konzentration
und ggf. auch Teilmengen des Prozesswassers werden gemäß Abb. 6.28 einzeln oder ver-
416 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
a. Kartoffelstärke-Abwässer
zusammen.
Die spezifischen Stoffströme, Konzentrationen und Frachten der Einzelströme sind in
Tab. 6.24 dargestellt.
Je nach betriebsindividueller Prozessführung können aber stark unterschiedliche Teil-
ströme anfallen; aussagefähige und unter repräsentativen Produktionsbedingungen durch-
geführte Dauerprobenahmen zur Aktualisierung/Dokumentation der tatsächlichen Ab-
wasser-Kennzahlen sind nach wie vor zwingende Voraussetzung für die Tätigkeit planen-
der und beratender Ingenieure.
b. Maisstärke-Abwasser
• Quellstation,
• Keimwäsche,
• Stärkemilchentwässerung,
• Gluteneindickung,
• Kleberentwässerung,
• Schalenentwässerung.
Tab. 6.24 Spezifische Stoffströme, Konzentrationen und Frachten aus der Kartoffelstärke-Produktion. (Bischofsberger et al. 2005)
Parameter Einheit Schwemm- und Waschwasser Prozesswasser Brüdenkondensat
Quelle Abeling (1991) FSI (1999) ATV (2002) Abeling (1991) FSI (1999); ATV (2002)
ATV (2002)
Abwasseranfall m3/Mg Kartoffeln – 0,3–0,6 0,3–0,6 – 0,6–1,0 0,5–1,2
pH-Wert – 6–7 5 bis 8,5 – 6–7 5–7 –
CSB mg/L 2.000–4.000 1.500–5.500 2000 4.000–8.000 3.000–25.000 300–2.000
KN mg/L 200–300 200–300 120 300–600 1.000–1.500 –
Pges mg/L 20–40 20–100 60 20–40 100–200 –
CSB-Fracht kg/Mg Kartoffeln – 1,0–1,6 0,5–1,5 – 2–25 0,3–1,0
417
418 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Tab. 6.26 Kennwerte für Brüdenkondensat aus dem Quellwassereindampfer. (ATV 2002)
Parameter Einheit Wertebereich
Spezifischer Abwasseranfall m /Mg3 a
0,4–0,7
pH-Wert – 2,3–4,5
CSB mg/L 1.500–2.500
BSB mg/L 1.000–1.700
Nges mg/L 4–8
a
Reinmais (= gereinigter Mais)
Tab. 6.27 Spezielle Abwassermengen und Schmutzfrachten für Abwässer aus der Maisstärkefabri-
kation. (Seyfried und Rosenwinkel 1982)
Abwasserart spez. Abwasser- BSB5 sed. spez. BSB5- CSB sed. spez. CSB-
mengen (m3/Mg) (mg/L) Fracht (kg/Mg) (mg/L) Fracht (kg/Mg)
Eindampfer (Brüden) 0,35–0,45 1.697 0,59–0,76 2.915 1,02–1,31
Prozesswasser 0,45–0,95 11.543 5,19–10,96 17.608 7,92–16,73
Stofftrennung erreicht werden, sodass sich heute in etwa die in Tab. 6.25 und 6.26 darge-
stellten Abwasserzusammensetzungen im Maisstärke-Abwasser ergeben (aus ATV 2000,
2002).
Spezielle Untersuchungen zu Abwassermengen und Schmutzfrachten in einer Maisstär-
kefabrik wurden bereits von Seyfried und Rosenwinkel (1982) durchgeführt. In Tab. 6.27
sind die seinerzeit ermittelten Werte gegenübergestellt.
c. Weizenstärke-Abwasser
Tab. 6.28 Abwassercharakteristik bei der Weizenstärke-Produktion. (Seyfried et al. 1984; Witt
1991; Althoff 1995; Althoff 2003–2012)
Parameter Einheit Durchschnitts- Durchschnitts- Durchschnitts- Durchschnitts-
werte werte werte werte
1982/1983 1999 2002/2003 2012
Temperatur °C 28 30 32–36 35–37
pH-Wert mg/L 4,0 4,0 4,2 4,3
CSB mg/L 30.500 25.000–30.000 33.400 27.000
BSB5 mg/L 17.000 20.000–27.000 – –
TOC mg/L 10.600 – – –
Nges mg/L 975 < 1.000 700 750
Pges mg/L 155 < 200 188 –
Kges mg/L – < 450 – –
2−
SO4 mg/L 290 – – –
CI− mg/L 405 – – –
wdfl. org. Säuren mg/L 490 – 1.100–2.300 –
Laktat mg/L 1.260 – –
TS mg/L 8.900 18.000–25.000 26.300 –
oTS % 97,3 – > 95 –
6.5.2.1 Vorbemerkungen
Für die biologische Vorbehandlung hochkonzentrierter Abwässer aus Stärkefabriken hat
sich in den letzten Jahren das anaerobe Verfahren als sehr leistungsfähiges, zuverlässiges
und betriebsstabiles Verfahren erwiesen, sofern die allgemein als nachgewiesen geltenden
Bemessungsgrößen und Verfahrensparameter beachtet und eingehalten wurden.
Über die Grundlagen des anaeroben Prozessablaufs und über das Abbau- und Reini-
gungsverhalten von Abwässern aus der Stärkeindustrie gibt es umfangreiche Literatur (A
1993; ATV 2000, 2002 sowie die weiter aufgeführten Quellen im Literaturverzeichnis).
Aussagefähige Vorversuche werden heute üblicherweise noch immer mit halbtechni-
schen Pilotanlagen (V = 2–10 m3) vor Ort, mit dem tatsächlich betriebsspezifisch anfal-
lenden Abwasser „online“ und mengenproportional durchgeführt; nur dann können sie
übertragbare Bemessungswerte für geplante Großanlagen liefern.
Im In- und Ausland wurden für die Behandlung von Abwasser aus Stärkefabriken eine
Vielzahl von technischen Anaerobanlagen gebaut und betrieben.
In den Niederlanden, Finnland, Australien und Israel kam dabei häufig das UASB-Sys-
tem, meist in Kombination mit vorgeschalteten volldurchmischten Versäuerungsreaktoren
und nachgeschalteten aerob-biologischen End-Reinigungsstufen zur Anwendung.
Eine großtechnische Anlage wurde im eigentlichen UASB-Reaktor mit CSB-Raumbe-
lastungen zwischen 15 und 20 kg/(m3 · d) bei Zulaufkonzentrationen von 10–12 g CSB/L
420 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Abb. 6.29 Fließschema der UASB-Anlage in DeKrim zur Behandlung von Kartoffelstärke-Abwas-
ser. (A 1993)
erfolgreich betrieben. Dabei wurden im Dauerbetrieb Abbaugrade des löslichen CSB (inkl.
Vorversäuerungsstufe) von 80–90 % erreicht.
Das Anament-Verfahren, ein anaerobes Belebtschlammverfahren mit Lamellenklärern
zur Rückhaltung der Biomasse, kann als Schwachlastverfahren angesehen werden. Die der
Planung zugrunde gelegte CSB-Raumbelastung von 3–5 kg/(m3 · d) liegt deutlich unter
denen der UASB-Großanlagen und wird hauptsächlich unter dem Aspekt dauerhafter und
hoher Betriebssicherheiten gewählt.
In der Bundesrepublik Deutschland sind nach (Austermann-Haun 2002) derzeit 3
großtechnische Anaerob-Anlagen in der Stärkeindustrie zur Abwasservorbehandlung rea-
lisiert bzw. in Betrieb (Ibbenbüren, Hundhausen, Sünching).
Zu der besonderen Bedeutung der MAP-Ausfällungen, die bei einigen Anaeroban-
lagen beobachtet wurden und zu erheblichen Betriebsproblemen geführt haben, sind in
Kap. 6.5.2.4 weitere Ausführungen gemacht (s. auch Austermann-Haun 2002).
Während des Betriebes der UASB-Anlage trat eine Reihe von Problemen auf, die letzt-
lich aber weitgehend beseitigt werden konnten, z. B.:
Zur Verbesserung der Reinigungsleistung wurde dem Methan-Reaktor später ein zusätz-
licher Vorversäuerungsreaktor (2.475 m3) mit integriertem Absetzbecken (325 m3) vor-
geschaltet. Die Rückhaltung der Eiweißstoffe und die damit verbundenen längeren Fest-
stoff-Durchflusszeiten hatten eine Intensivierung der Eiweißhydrolyse zur Folge (A 1993).
500 mg/L betragen, da andernfalls die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird. Die Anaflux-
Reaktoren werden immer in Kombination mit einer getrennten Versäuerungsstufe gebaut,
die in einem pH-Bereich von 5,5–6,8 betrieben werden. Diese Betriebsweise erübrigt eine
pH-Wert-Regulierung in den Wirbelbettreaktoren, da sich der pH-Wert dort selbstständig
im neutralen Bereich stabilisiert.
Gute Erfahrungen wurden mit einem automatischen Prozess-Kontroll-System zur
Reaktorsteuerung gemacht. Hier wird der pH-Wert, die Biogasmengen und der Wasser-
stoffgehalt im Biogas gemessen. Hieraus errechnet ein Computer, ob die Zuflussmenge
heruntergefahren, konstant belassen oder gesteigert werden kann und steuert dementspre-
chend die Zulaufpumpen. Nach Inbetriebnahme des 3. Reaktors konnten auch in diesem
System mit einer CSB-Raumbelastung (Bemessung) von 35 kg/(m3 · d) innerhalb von 10
Tagen CSB-Eliminationsleistung von 75 % nach 22 Tagen erreicht werden (Holst et al.
1997). Der Tab. 6.29 können Volumina und Belastungsdaten entnommen werden.
6.5 Stärke-Herstellung 423
Um eine H2S-Hemmung sowie Korrosion zu vermeiden, wird das Gas aus der Ver-
säuerung nicht, wie ursprünglich vorgesehen, zusammen mit dem Gas der Methanstufe
genutzt, sondern separat über Biofilter entsorgt.
Weitergehende Beschreibungen und Details zu den Abwasser-Behandlungsanlagen in
der Kartoffel- und Maisstärkeindustrie sind auch im ATV-DVWK-M 776 (2002) zu fin-
den.
Tab. 6.30 Kenn- und Betriebswerte für Biogasanlage der Weizenstärkefabrik Hermann Kröner
GmbH. (ATV 2002)
Einheit Versäuerungs- Methan- Zwischen-
reaktor reaktor klärung
Volumen m3 400 2.270 360
Davon Festbett m 3
900
Fläche m2 90
Betriebstemperatur °C 30 36
Verweilzeit tR d 1 10
Raumbelastung BR,CSB kg/(m3 · d) 18 2,5–5,0
Oberflächenbeschickung: qa m3/(m2 · h) 0,15
Die anaerobe Stufe beinhaltete bis zur Erweiterung der Gesamtanlage in 2008 die Ver-
fahrensstufen Vorversäuerung, Methanisierung und Zwischenklärung. Die Verfahrensstu-
fen der Anaerobanlage hatten die in Tab. 6.30 aufgezeigten Kenndaten und Betriebswerte.
Die bis Ende 2008 genutzte Kapazität der Biogasanlage lag, bezogen auf die CSB-Fracht
im verwendeten Prozesswasser und auf die Raumbelastung der Methan-Stufe, bei ca. 45 %.
Die CSB-Raumbelastung kann gemäß Anlagenauslegung auf etwa 7 kg/(m3 · d) angehoben
werden. Versuche mit einer Pilotanlage in den Jahren 1982–1984 zeigten, dass CSB-Raum-
belastungen von 7–10 kg/(m3 · d) möglich sind.
Die Vorversäuerung des Prozesswassers erfolgt in einem vertikal durchströmten ge-
schlossenen Reaktor. Die Abluft aus dem Behälter wird zwecks Elimination von Geruchs-
stoffen in einem Kompostfilter (Biofilter) behandelt.
Die Methanisierung des vorversäuerten Abwassers erfolgte bis 2008 in dem Teil-Fest-
bett-Methan-Reaktor. Das 900 m3-Festbett vom Typ BioNet hatte eine spezifische Ober-
fläche von 150 m2/m3. Die Umwälzung im Methan-Reaktor wurde über ein Fallrohr mit
außenliegender Pumpe und Rohrleitung sichergestellt, in die die vorversäuerte Fraktion
beigemischt wird, wobei sich ein neutraler pH-Wert einstellt. Das Gemisch wurde dann in
den Methan-Reaktor am Boden über gelochte Rohre flächenmäßig eingespeist. Der Füll-
stand im Methan-Reaktor blieb während des Betriebes konstant. Das im Methan-Reak-
tor gebildete Gasgemisch wurde innerbetrieblich zur Erzeugung von Prozessdampf und
Warmwasser genutzt.
Der Ablauf aus dem Methan-Reaktor in das nachgeschaltete Zwischenklärbecken er-
folgte über eine Kaskade mit Vakuumentgasung (70 mbar). Die Entgasung verbessert das
Sedimentationsverhalten des Anaerob-Schlamms im Zwischenklärbecken. Der anaerobe
Schlamm wurde in den Methan-Reaktor zurückgeführt.
Die Anaerob-Anlage wurde ab 2008 auf der Grundlage einer neuen immissionschutz-
rechtlichen Genehmigung wesentlich erweitert. Auf der Basis 20-jähriger Betriebserfah-
rung und der Notwendigkeit der Vergrößerung der Anlagenkapazität für künftige Pro-
duktionskapazitäten der Stärkeproduktion wurden die Verfahrensstufen Vorversäuerung
und Methanisierung durch Neubau gleichgroßer Reaktoren (Prozessabwasservorspeicher
und Methanreaktor 2) erweitert (verdoppelt). Die gesamte notwendige Maschinentechnik,
6.5 Stärke-Herstellung 425
das gasführende System, die Abluftfiltration (Biofilter) wurde nach dem Stand der Technik
neu ausgerüstet, und mit einer Anlage zur Aufbereitung des Biogases für die Stromerzeu-
gung in einem BHKW ausgestattet. Dazu zählen eine Gasentschwefelungs- und Trock-
nungsanlage sowie ein 500 m3 großer Gasspeicher.
Grundlegende Änderung an der Anaerobstufe war der Verzicht auf das Teilfestbett im
Methanreaktor.
Im o. g. Teilfestbett-Reaktor hatten sich über jeweils etwa 10 Jahre in einigen Bereichen
des Teilfestbettes Verstopfungen durch TS/oTS ergeben, die mittelbar auch dazu führten,
dass sich in Teilbereichen größere Gasblasen im Festbett bilden konnten, die einen so star-
ken Auftrieb erzeugen können, dass ein unkontrollierbares Aufschwimmen des fixierten
Festbett-Materials beobachtet wurde und dieses auch zu Schäden an den innenliegenden
Reaktor-Einbauten führte.
Die vorbeschriebene anlagentechnische Erweiterung wurde in 2009/2010 erfolgreich in
Betrieb genommen.
Tab. 6.32 zeigt Ergebnisse über die Leistung der Biogasanlage für die Jahre 1988–2011.
Bezüglich der aktuellen Zusammensetzung des Produktionsabwassers wird auf Tab. 6.28
verwiesen.
600
Gasungsvolumen [ml Gas/L]
500
Kurve 1
400
Kurve 2 Kurve 1
300
200
100
0
0 5 10 15 20
Versuchsdauer [h]
Abb. 6.32 Gasungsversuche mit und ohne Schlammrückführung aus einer Separator-Anlage (nach
Schubert 2010)
ten Vergleichsproben (Kurve 2 und Kurve 3) dargestellt. Die Kurve 1 stellt den Grund-
zustand der Gasung im Reaktor bei einer oTS-Konzentration von 0,8 g/l und Standard-
Substratzugabe über die Zeit dar.
Bei den Kurven 2 und 3 wurde die oTS-Konzentration in den Vergleichsproben zur
Gasbildung auf 2,2 bzw. 5,3 g oTS/L durch Biomasse erhöht, die durch einen Zentrifuga-
tionsvorgang im Tellerseparator aus dem Zulauf Zwischenklärbecken gewonnen und den
Vergleichsproben zudosiert wurde.
Der steile Anstieg der Kurven 2 und 3 in den ersten 5–8 h gegenüber der Gasbildung
der Kurve 1 im Vergleichszeitraum zeigt eindeutig, dass die durch Zentrifugation abge-
schiedene anaerob aktive Biomasse aus dem Ablauf Methanstufe sehr schnell und propor-
tional wieder zur Gasbildung beiträgt.
Im Umkehrschluss bedeutet dieses, dass die durch eine Zentrifugation abgeschiedenene
und aufkonzentrierte, anaerob aktive Biomassensymbiose durch die starke mechanische
Beanspruchung in einem Zentrifugalfeld nicht geschädigt wird und nach Rückführung
in einen Reaktor umgehend und wieder mit hoher Aktivität am anaeroben Stoffumsatz
beteiligt ist.
Die Ergebnisse dieser Versuchsreihen führten zu der Entscheidung, die anaerob ak-
tive Biomasse hinter den Methanreaktoren zukünftig nicht mehr durch das anaerobe
Zwischenklärbecken, sondern ab April 2011 durch eine Separator-Anlage abzutrennen
(s. auch Tab. 6.32). Seit Inbetriebnahme dieser maschinellen Schlammabscheidung hinter
den Anaerobreaktoren (04/2011) hat sich
MAP – Problematik
Immer wieder wurde in den Berichten zum Betriebszustand bzw. zur Reinigungsleistung
der anaerob-aeroben Vorbehandlung des Weizenstärke-Produktionsabwassers darauf hin-
gewiesen, dass es nach der Anaerobanlage zu deutlichen Betriebsproblemen durch MAP-
Ausfällungen (Magnesium–Ammonium–Phosphat–Komplex) kam.
Diese Ausfällungen führen (wie auch in vielen kommunalen Faulanlagen) zu Störungen
in MSR (Mess-, Steuerungs-, Regelungs-)-Geräten und Inkrustationen in Rohrleitungen
und Armaturen.
Mit MAP-Ausfällungen ist insbesondere immer dann zu rechnen, wenn es zu deut-
lichen pH-Wert-Verschiebungen, z. B. in aeroben Verfahrensstufen hinter Anaerob-An-
lagen kommt; CO2-Gleichgewichtsverschiebungen durch CO2-Strippung verändern das
Löslichkeitsverhalten des Magnesium-Ammonium-Phosphat-Komplexes im Abwasser
und führen zu dauerhaften und nur schwer vermeidbaren Inkrustationen sowie Ausfäl-
lungen und damit deutlich erhöhten Wartungs- und Betriebskosten.
Um den beobachteten MAP-Ausfällungen zukünftig wirksam entgegenwirken zu kön-
nen, wurden im Jahre 2011 verschiedene Techniken zur Minimierung der MAP-Ausfäl-
lungen im halbtechnischen Maßstab durchgeführt.
Neben Laborversuchen zur
wurden auch Versuche zur Belüftung des Ablaufes aus dem anaeroben Zwischenklärbe-
cken bzw. mit der Klarphase aus dem seinerzeit bereits zur anaeroben Schlammabschei-
dung großtechnisch eingesetzten Separators durchgeführt.
Es stellte sich eindeutig heraus, dass die Belüftung des Abwassers aus der Anaerobstufe
die wirtschaftlichste Methode zur Minimierung der MAP-Ausfällungen darstellt (CO2-S-
trippung).
Aus Tab. 6.31 wird deutlich, dass eine rd. 80 %tige Reduzierung (Ausfällung) des Ma-
gnesiums erreicht wird, wenn eine rd. einstündige Belüftung – verbunden mit einer auto-
matischen pH-Wert-Anhebung durch CO2-Ausstrippung von 7,4 auf etwa 8,8 – sicher-
gestellt werden kann.
Aus den Vorversuchen wurden die Bemessungswerte für die ab 2013 geplanten An-
lagenerweiterungen zur weitergebenden N- und P-Elimination hergeleitet. Vorgesehen ist
– speziell zum Schutz der Anlagen der aeroben Nachbehandlung – eine rd. einstündige
Belüftung und nachfolgende MAP-Schlammabscheidung. Mittel- und langfristiges Ziel
428 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Tab. 6.31 Konzentrationen einzelner Parameter vor und nach Belüftung der sedimentierten Probe.
(Analysen aus der Klarphase)
Parameter Einheiten VB NB 30 NB 60
pH-Wert – 7,4 8,58 8,81
CSB mg/L 1.460 1.340 1.180
NH4–N mg/L 425 420 410
Pges mg/L 95 93 87,5
Mg mg/L 20 8 4
Ca mg/L < 10 < 10 < 10
VB vor Belüftung der sedimentierten Probe, NB 30/60 nach Belüftung (30/60 min) der sedimen-
tierten Probe
der MAP-Fällung ist neben dem Schutz der nachfolgenden Anlagen und Armaturen, die
gezielte MAP-Ausschleusung aus dem Abwasser-Reinigungsprozess und die Rückführung
der entwässerten MAP-Schlämme in den Düngemittelmarkt. Dieser Ansatz scheint insbe-
sondere auch deshalb kostenminimierend, da u. a. durch Römer (2013) dargestellt wurde,
dass MAP-Schlämme eine sehr hohe Düngewirkung auf Kultur- und Agrarpflanzen haben.
Spez. Gasbildung m3/kg 0,43 0,6 0,57 0,41 0,52 0,52 0,55 0,6 0,56 0,56 0,37 0,49 0,52
CSBelim
CSB Ablauf mg/L 2.489 1.640 1.827 1.266 1.538 2.631 3.300 3.710 4.287 4.954 5.345 3.584 3.200
CSB-Wirkungsgrad % 93,3 95,8 94,4 95,5 93,1 90,3 88,8 88,9 80,5 77,5 75,4 86,6 87,1
CSB im Ablauf ZKB mg/L 3.188 3.344 2.113 2.838 2.424
(Zwischenklärbecken)
CSB im Ablauf mg/L 1.040
Separator
430 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Die bisherigen Praxiserfahrungen über mehr als 24 Monate mit einem Separator zur
anaeroben Biomassenabscheidung und Biomassenrückführung haben bestätigt, dass die
anaerob aktive Biomasse durch die Scherbelastungen im Zentrifugalfeld keine Schädigung
erfährt und diese mechanische Schlamm- bzw. anaerobe Biomassenabtrennung wesentlich
besser und effizienter arbeitet, als dieses mit statischen Verfahren (z. B. Zwischenklärbe-
cken) möglich ist.
Der Anaerob-Stufe nachgeschaltet ist eine aerobe Stufe, bestehend aus einem Hoch-
last-Kunststoff-Tropfkörper mit Zwischenklärbecken, über deren Dimensionen und Rei-
nigungsleistung ausführlich im ATV 2000 und ATV 2002 berichtet wurde.
Auf der Grundlage der beschriebenen Voruntersuchungen zur MAP-Problematik und
den im Praxisbetrieb beobachteten MAP-Ausfällungen im Kunststoff-Tropfkörper in den
vergangenen 20 Betriebsjahren sowie den ersten, positiven Betriebserfahrungen mit dem
Separator bzgl. der CSB-Ablauf-Konzentrationen wird der Hochlast-Tropfkörper-Stufe
künftig keine praktische Bedeutung mehr zuzumessen sein.
Das Hauptaugenmerk wird in Zukunft darin bestehen, die Reinigungsleistung der An-
lage in der weiteren Reduzierung der restlichen CSB- und N-Konzentrationen und damit
einhergehender Frachtminderung zu verbessern.
Die vorbehandelten Abwässer werden (nach Einleitung in ein kommunales SW-Netz)
auf einer kommunalen Kläranlage gemeinsam mit häuslichem Abwasser nachbehandelt.
6.6 Kartoffelveredelungsindustrie
ungelöste Stoffe
• anorganisch: Sand, Steine, Erde, Fremdkörper (z. B. Holz)
• organisch: Kartoffelschalen, Kartoffelteile (Abrieb, Schneidabfälle), native Stärke
gelöste Stoffe
Zellinhaltsstoffe (Zucker, Protein, Rohfett, Vitamine, organische Säuren, verkleisterte Stär-
ke sowie Zusatzstoffe u. a. Sulfit, Phosphat).
Vergärung
- Anmaischpuffer vergorene
(75m³) Reststoffe
Reststoffverwertung
- thermophiler
Vergärungsreaktor
(1.000m³)
Abb. 6.33 Verfahrensschema einer anaerob-aeroben Betriebskläranlage zur Reinigung von Abwas-
ser aus der Kartoffelchipsproduktion mit Reststoffvergärungsanlage
(Vergärung) sehr zugänglich. Wie im Beispiel (Abb. 6.33) einer in 2006 in Betrieb genom-
menen Abwasser- und Reststoffverwertungsanlage deutlich wird, ist die Kombination aus
Abwasseraufbereitung und Reststoffverwertung insbesondere aus energetischer und damit
wirtschaftlicher Sicht sinnvoll.
Die Zusammensetzung von Produktionsabwässern unterscheidet sich nicht nur sehr
stark von Betrieb zu Betrieb, sondern unterliegt auch in einem Betrieb einem jahreszeit-
lichen Wandel (s. o.) und hängt stark vom Stand der innerbetrieblichen Maßnahmen sowie
der Qualität der Kartoffeln ab.
In Tab. 6.33 sind die spezifischen Abwassermengen und Konzentrationen der Abwas-
serinhaltstoffe bei den verschiedenen Verfahrensschritten der Kartoffelverarbeitung ange-
geben. Es zeigt sich, dass verglichen mit kommunalen Abwässern hohe Konzentrationen
vorliegen. Das CSB/BSB-Verhältnis beträgt zumeist 1,6–2 und bestätigt damit die gute bio-
logische Abbaubarkeit der organischen Abwasserinhaltstoffe.
Für einen biologischen Abbau enthält das Abwasser in der Regel ausreichend Nährsal-
ze und Spurenelemente, sodass meist auf eine Dosierung dieser Stoffe verzichtet werden
kann. Bei der anaeroben Abwasserbehandlung hat sich aber im Betrieb gezeigt, dass die
Dosierung von Spurenelementen einen erkennbaren Vorteil bei der Biogasausbeute erzie-
len kann. Hier sollte in jedem Fall im Einzelfall eine Überprüfung stattfinden.
Bei Betrieben mit einem hohen Anteil an Bratprodukten und Kartoffelchips ist teil-
weise mit hohen Gehalten an lipophilen Stoffen im Abwasser zu rechnen. Werden bei der
6.6 Kartoffelveredelungsindustrie 433
Tab. 6.33 Abwasseranfall und -belastung bei den Verfahrensschritten der Kartoffelverarbeitung.
(Rosenwinkel und Austermann-Haun 1996; ATV-M 753 2005)
Verfahrensschritt spez. Q Abs. Stoffe CSB BSB5 N P
m3/Mg g/L g/L g/L mg/L mg/L
Waschen 0,3–0,5 0–1,5
Mech. Schälen 0,8–1,5 2,9–13 0,9
Dampfschälen 0,2–0,3
Schneiden < 0,1
Blanchieren 0,05–0,15 12–18
Dampfkochen 0,15–0,25 6–8
Nasskloßteigher- 2–3 4,5–8 7–12 3,5–6 300–400 30–50
stellung
Trockenkartoffel- 5–7 6–8 3–4 150–300 15–30
püree 3–6 2–4 100–140
Bratprodukte 3,9 3,6–7,5 2–5 120–600 25–250
Kartoffelchips 2–6 1–3,5 90–500 6–50
Reinigung die Friteusen „abgekocht“ kann dieser Abwasserstrom bis zu 15 % Fett enthal-
ten. Problematisch sind in diesem Zusammenhang auch die hohen Temperaturspitzen
zu bewerten, die zu einem Rücklösen bereits im Fettabscheider abgetrennter lipophiler
Stoffe führen kann. Eine getrennte Erfassung und Behandlung der Reinigungsabwässer
aus Friteusen macht insbesondere dort Sinn, wo mit anaeroben Hochlastreaktoren eine
Abwasservorreinigung durchgeführt wird. Diese können zum Teil sehr sensibel auf hohe
Fettfrachten im Zulauf reagieren. Im Falle der Kombination der Abwasserreinigung mit
einer energetischen Verwertung auch der festen Reststoffe können die Fette aus den Rei-
nigungsabwässern nach Vorbehandlung (Fettabscheider) in der Vergärung verwertet wer-
den, die Restabwässer in der Abwasserbehandlung.
6.6.2 Abwasserbehandlung
Unabhängig von der nachfolgenden Reinigungsstufe müssen die Abwässer der Kartoffel-
veredelungsindustrie zunächst immer einer mechanischen Reinigung unterzogen werden.
Während die Schwemm- und Waschwasserkreisläufe i. d. R. mit den Bauteilen Sandfang,
Rechen und Absetzbecken ausgerüstet sind, erfolgt beim Produktionsabwasser zunächst
eine Feststoffabscheidung mittels Siebanlagen (z. B. Bogensieben, Trommelsieben), La-
mellen/Schrägklärern oder Separatoren.
Werden im Betrieb Braterzeugnisse und Kartoffelchips hergestellt, ist eine wirkungs-
volle Fettabscheidung erforderlich. Da Fettabscheider aufgrund der gelegentlichen Tem-
peraturstöße und der niedrigen Stockpunkte der verwendeten Fette teilweise bereits zu-
rückgehaltene Fette wieder freigeben, kommen stattdessen auch Flotationsanlagen zur
Anwendung, die außerdem eine deutliche Reduzierung der organischen Verschmutzung
bewirken. Zum Teil kommen in der Produktion Fette/Öle zum Einsatz deren Stockpunkte
434 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Bei dem von Austermann-Haun 1994, sowie Rosenwinkel 1997 beschriebenen Festbettre-
aktor verzichtete man nach innerbetrieblicher Sand- und Feststoffabscheidung auf weitere
Vorbehandlungsmaßnahmen und erzielte mit dem Festbettreaktor gute Ergebnisse. Aller-
dings wurde dieser weit unterhalb der Auslegungsbelastung betrieben.
Da Anaerobreaktoren CSB-Wirkungsgrade von 70–90 % erreichen, aber nur in einem
sehr geringen Umfang Stickstoff aus dem System entnehmen, ist in Hinsicht auf ein – für
die Denitrifikation erforderliches – ausreichendes CSB/N-Verhältnis ggf. der Wirkungs-
grad zu begrenzen, bzw. nur ein Teilstrom des Abwassers anaerob zu behandeln (Aus-
termann-Haun 1992). Betriebserfahrungen mit verschiedenen Abwässern aus der Kartof-
felveredelung zeigen, dass der einzustellende Bypass um den Anaerobreaktor herum bei
etwa 10–25 % liegt. Abhängig von den Zulaufbedingungen können auch Bypassraten bis
zu 40 % nötig sein. Außerdem ist hervorzuheben, dass immer eine aerobe Stufe nachge-
schaltet werden muss, um die Direkteinleitergrenzwerte nach Anhang 8 der Abwasserver-
ordnung einzuhalten.
BHKW 3
Module
Kondensat- Kondensat-
Entschwefelung
abscheider abscheider
Heizkesselanlage
Gasfackel
Kondensat
Biogas
Misch- und
Ausgleichsbecken
(Versäuerung)
Biobed-
Reaktor
Abwasser
Pumpenvorlage Parallelplatten-
Kommunale
abscheider
KA
Überlauf Schlamm
Trübwasser
Pelletschlamm
Pelletschlamm-
speicher Voreindicker
Trübwasser
Verwertung
Zentrifuge
Landwirtschaft
Zentrat
geringen Eigenbedarfs überwiegend ins Netz eingespeist werden kann und dabei eine gute
Einnahmequelle darstellt. Wichtig ist jedoch auch bei diesem Reaktortyp eine wirkungs-
volle vorgeschaltete Fettabscheidung, die in diesem Betrieb gelegentlich ein Problem dar-
stellte.
6.7 Pektinfabriken
Ute Austermann-Haun
6.7.1 Allgemeines
Die Zahl der Pektinfabriken ist mit europaweit etwa einer Anlage je Land sehr gering. In
Deutschland gibt es vier Pektinfabriken und zwar in Großenbrode (Schleswig-Holstein),
in Malchin (Mecklenburg-Vorpommern), in Werder bei Potsdam (Brandenburg) und in
Neuenbürg (Württemberg).
Pektin, ein Geliermittel, wird durch Extraktion aus Pflanzen gewonnen. Basismaterial
sind üblicherweise Zitrusschnitzel, Apfeltrester und in geringen Mengen Zuckerrüben.
Das Handelspektin (Trockenpektin) wird als Lebensmittelzusatzstoff verwendet und
kommt aufgrund seiner Eigenschaften wie Geliervermögen, stabilisierende und viskosi-
tätserhöhende Wirkung sowie Stabilität und relative Hitzebeständigkeit in saurem Milieu
in einer Vielzahl von Produkten zum Einsatz; hier sind als Beispiele zu nennen: Speiseeis,
Tomatenketchup, Barbecuesaucen, Gelierzucker, Konfitüren, Tortenguss, Götterspeise,
Fruchtzubereitungen für Joghurt und Dickmilch, Fruchtsoßen, Süßwaren, Fruchtgetränk-
Konzentrate, Fruchtsaft sowie flüssige pharmazeutische Präparate. Hinsichtlich der Eigen-
schaften gibt es zwischen Pektinen, die aus Zitrus- oder Apfeltrestern hergestellt werden,
keine grundsätzlichen Unterschiede. Die Qualität der Handelspektine wird im Wesent-
lichen durch den Herstellungsprozess bestimmt.
Die Herstellung von handelsüblichem Rein-Pektin gliedert sich in folgende Haupt-Pro-
zessstufen (s. Abb. 6.35):
Die als Rohstoff verwendeten getrockneten Zitronenschalen werden mit heißem Wasser
unter Zusatz von Mineralsäure (Salpetersäure) extrahiert. Das im so gewonnenen Extrakt
vorhandene Pektin wird mit Alkohol ausgefällt, mehrmals gewaschen, entwässert und ge-
trocknet. Der verwendete Alkohol wird mittels einer Rektifikationsanlage zurückgewon-
6.7 Pektinfabriken 439
Abb. 6.35 Fließschema der Herstellung nieder- und hochveresterten Pektins. (Nach Weiß 1997)
nen und dem Prozess erneut zugeführt. (Weiß 1997) In Abb. 6.35 sind die Schemata der
Herstellungsprozesse unterschiedlich veresterter Pektine dargestellt (LM-Pektin = nieder-
verestertes Pektin; HM-Pektin = hochverestertes Pektin; es handelt sich um Pektine mit
unterschiedlichen Eigenschaften), wie sie parallel in einem Betrieb zur Anwendung kom-
men.
Abhängig von dem Ausgangsprodukt, der Firmengröße und dem Produktionsverfah-
ren sind der spezifische Abwasseranfall und die Abwasserbelastung sehr unterschiedlich.
Veröffentlichungen über Menge und Belastung von Abwasser, welches aus der Verwen-
dung von Apfeltrester resultiert, liegen nicht vor.
Daten über den spezifischen Abwasseranfall gibt es nur von einer mexikanischen Pektin-
fabrik, die Zitronenschalen als Rohstoff verwendet, die als Nebenprodukt bei der Gewin-
440 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
nung ätherischer Öle anfallen. Der Abwasseranfall wird mit 550 m3/Mg Pektin angegeben
(Pèrez-Zamora 2002). Dieser Zahlenwert ist nicht auf deutsche Verhältnisse übertragbar.
Der im Betrieb anfallende Abwasserstrom einer Pektinfabrik mit getrockneten Zitrus-
schnitzel als Rohstoff setzt sich wie folgt zusammen:
Der BSB5 wird heute nicht mehr ermittelt. Erfahrungen zeigen, dass das CSB:BSB5-Ver-
hältnis 2:1 beträgt.
Aufgrund der hohen organischen Belastung von Abwasser der Pektinindustrie, welche
getrocknete Zitrusschnitzel als Ausgangsmaterial einsetzen, bieten sich i. d. R. eine De-
nitrifikation und eine anaerobe Vorbehandlung an. Der Anaerobstufe müssen zur Sicher-
stellung eines stabilen Anlagenbetriebes folgende Verfahrensschritte vorgeschaltet werden:
Die Abwässer der in Malchin neu errichteten Pektinfabrik werden in der Aerobstufe der
kommunalen Kläranlage von Stavenhagen mitbehandelt. Ansonsten verfügen die in der
Literatur beschriebenen Pektinfabriken über eine anaerobe Vorbehandlung mit einem an-
aeroben Belebungsverfahren als Methanstufe. Die CSB-Raumbelastungen der Methanre-
aktoren liegen übereinstimmend bei etwa 3 kg CSB/(m3 · d).
Abb. 6.36 Abhängigkeit zwischen NOx–N-Elimination und pH-Wert im Reaktor bei unterschied-
lichen Betriebstemperaturen. (Bode 1985)
1982 Zweistufige Neutralisationsanlage mit einem Gesamtvolumen von 25 m3 und einer anaero-
ben Abwasservorbehandlung (anaerobe Belebungsanlage), ausgelegt für eine Tageswasser-
menge von 792 m3/d bei 24-stündigem Betrieb, bestehend aus Methanreaktor (V = 3.500
m3), Vakuumentgasung und Absetzbecken (V = 480 m3; A = 175 m2).
1986 Denitrifikationsstufe vor der Anaerobstufe wegen instabilen Betriebs der Anaerobstufe
durch Wechsel zwischen Denitrifikation und Ammonifikation. Denitrifikation bestehend
aus zwei in Reihe geschalteter Denitrifikationsbecken (V = 120 und 80 m3) mit einem
Absetzbecken (V = 165 m3, A = 64 m2), welches mit einem Boden- und einem Ober-
flächenräumer ausgestattet ist, da ein Teil des Denitrifikationsschlammes sedimentiert
und ein anderer Teil flotiert. Aerobstufe nach der Anaerobstufe bestehend aus 4 in Reihe
geschalteter Belebungsbecken mit einem Volumen von je 1.100 m3 und einer Nachklä-
rung (V = 290 m3, A = 95 m2). Das erste Becken wird als vorgeschaltetes Denitrifikations-
becken betrieben.
1992 Probebetrieb eines kontinuierlich gespülten Sandfilters (A = 5 m2) im Ablauf der
Nachklärung.
1998 Inbetriebnahme eines zweiten kontinuierlich gespülten Sandfilters, einer erweiterten
Denitrifikation (840 m3) sowie einer Simultanfällung. Ferner ging ein 500 m3 Misch- und
Ausgleichsbecken in Betrieb mit dem Ziel, hierdurch erhebliche Mengen an Neutralisa-
tionsmitteln einzusparen.
2001 Erweiterung der Denitrifikationsstufe vor der Anaerobanlage; neuer Tank mit V = 900 m3.
2003 Erweiterung der Nachklärung um einen Lamellenklärer mit 100 m2 Lamellenfläche, der
parallel zur Nachklärung betrieben wird. Des Weiteren wurde zur Schlammentwässerung
die Kammerfilterpresse durch einen Dekanter ersetzt.
• Zunächst war beabsichtigt, den pH-Wert zweistufig mit Kalkmilch und Natronlauge
anzuheben; in der Praxis erwies sich dies jedoch wegen Kalkausfällungen als zu proble-
matisch, sodass nach wenigen Monaten Betriebszeit auf die Verwendung von Natron-
lauge und Soda zurückgegriffen wurde. Heute wird ausschließlich Natronlauge eige-
setzt.
• Die Elimination des Phosphors erfolgt durch biologische P-Elimination und durch Si-
multanfällung.
• Der Ablauf der Betriebskläranlage ist klar aber dunkelbraun gefärbt. Untersuchungen
zur Ursache für diese Färbung und deren Elimination ergaben (Kennwerte des unter-
suchten Kläranlagenablaufes CSB 488 mg/L; BSB5 3,4 mg/L; Huminstoffe 876 mg/L;
Proteine 446 mg/L, Gesamtzucker 93 mg/L), dass das Abwasser keinen biologisch ab-
baubaren CSB mehr enthält, was aus dem Verhältnis von CSB/BSB5 von 144:1 hervor-
geht. Der Anteil an Huminstoffen am CSB ist sehr hoch, was die Ursache für die starke
Färbung ist. Die ebenfalls sehr hohen Werte an Proteinen und Gesamtzuckern zeigen,
dass die hier gemessenen Proteine und Zucker ebenfalls als refraktäre Substanzen vor-
liegen (Kunst und Gerhardy 1997). Verfahren zur Elimination der Huminstoffe und des
damit verbundenen Rest-CSB sind derzeit nicht wirtschaftlich einsetzbar.
• Der auf ca. 30 % TS entwässerte Klärschlamm wird landwirtschaftlich verwertet.
meneigenen Kraftwerk zur Energiegewinnung eingesetzt. Das Abwasser wird entgast und
zur Schlammabtrennung und -rückführung in ein Absetzbecken (85 m2 Oberfläche) bzw.
einen Lamellenseparator (450 m2) gepumpt. Zur Vermeidung einer Geruchsbelästigung
sind das Absetzbecken und der Lamellenseparator geschlossen.
Aerobstufe: Dieser Abwasserbehandlungsschritt dient im Wesentlichen der Stickstoff-
elimination. Die Belebungsanlage besteht aus 3 Behältern, wovon die ersten beiden parallel
geschaltet sind. Die Belüftung in den Nitrifikationszonen erfolgt als Druckbelüftung über
Gummimembranbelüfter. Die ersten beiden Behälter haben zusammen ein Nitrifikations-
volumen von 1.100 m3 und ein Denitrifikationsvolumen von 4.100 m3. Die Behälter haben
je eine Zone zur Denitrifikation und 4 Zonen zur Nitrifikation. In diesen parallel betriebe-
nen Behältern wird das noch hochbelastete Abwasser der Anaerobstufe gepumpt. Zuerst
in die Denitrifikationsstufe, wo es mit dem Rezirkulationsstrom des nachgeschalteten 3.
Belebungsbeckens gemischt wird. In diese Zone kann zusätzlich zur Einstellung des CSB-
Nitrat-Verhältnisses eine Kohlenstoffquelle dosiert werden. Die Temperatur beträgt in die-
sem Bereich 34–42 °C bei einem pH-Wert von 7,5–8,0.
Anschließend wird das niedrig belastete Abwasser in das dritte, formähnliche Bele-
bungsbecken gepumpt. Dieses hat einen Denitrifikationsbereich von 230 m3 und weitere
500 m3 für eine anschließende Nitrifikation. Die Temperatur in diesem Becken beträgt
34–42 °C bei einem pH-Wert von 7,7–8,3. Um den Phosphatrückhalt zu verbessern, wer-
den Eisen(III)-chlorid und weitere Chemikalien in der letzten Zone des Beckens zugege-
ben. Anschließend ist ein Nachklärbecken (Oberfläche 240 m2) installiert. Der Rücklauf-
schlamm wird in den Zulauf der ersten beiden Belebungsbecken gepumpt.
Filtration (Polishing-Stufe) Vier parallel betriebene Sandfilter dienen der weiteren Fest-
stoffentfernung des Ablaufs der Nachklärbecken.
Ablauf Der Ablauf des Klärwerks hat Direkteinleiterqualität und wird über ein Rohrlei-
tungssystem in die 5 km entfernte Bucht von Koege gepumpt (s. Tab. 6.38).
6.8 Zuckerindustrie
6.8.1 Übersicht
Hans-Joachim Jördening
Der Rohstoff
Die Zusammensetzung des Rübenwurzelkörpers kann, abhängig von Rübensorte, Witte-
rungsbedingungen, Bodeneigenschaften und Düngung große Unterschiede aufweisen. So
lag der durchschnittliche Zuckergehalt deutscher Zuckerrüben 2008 bei 18,2 % und 2009
bei 17,3 % (Tab. 6.39; WVZ 2011).
Daraus ergeben sich unterschiedliche Effizienzen in der Verarbeitung, die sich natur-
gemäß auch im Anfall an Abfall sowie zur Abwasserreinigung zeigen.
6.8 Zuckerindustrie 449
Rüben
Wasser Anlieferung
Transport
Wäsche Abwasser
Extraktion Pressen
Safteindickung Kondensat
6.8.2 Produktionsverfahren
Hans-Joachim Jördening
Die Produktion von Zucker aus Zuckerrüben erfolgt in Deutschland in der Zeit von Sep-
tember bis Dezember. Ausführlichere Beschreibungen der Zuckerfabrikation können bei
Van der Poel et al. (1998) und Schiweck et al. (2007) nachgelesen werden; an dieser Stelle
soll die Fabrikation nur dem besseren Verständnis der mit dem produktionsintegrierten
Umweltschutz, insbesondere der Wasser- und Abwasserwirtschaft, zusammenhängenden
Aspekte der Zuckerfabrikation dienen. Ein stark vereinfachtes Schema der Zuckerfabrika-
tion ist in Abb. 6.38 wiedergegeben.
Die Anlieferung von Rüben erfolgt mit Treckern, LKW und/oder per Eisenbahn. Um
Energie- und Transportkosten ebenso wie Lärmbelästigungen und Verkehrsbehinderun-
gen zu reduzieren, geht der Trend derzeit zu immer größeren Transporteinheiten und weg
von der Treckeranfuhr. Verbunden damit ist auch die verstärkte Vorreinigung der Rüben
auf dem Feld, sodass auch die logistischen Probleme der Erdebehandlung und Wiederaus-
bringung an Bedeutung verlieren.
Die Rüben werden über Kippanlagen nass oder trocken oder durch selbstkippende Last-
wagen abgeladen. Über mechanische Förderelemente oder mit Wasser in sog. Schwemm-
rinnen werden die Rüben in die Fabrik oder auf das Rübenlager transportiert.
Nach der Separation von Erde, Steinen und Rübenkraut in einer Waschanlage werden
die Rüben in den Betrieb transportiert.
450 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
stimmten Grenzwert nicht überschreiten. Aus diesem Grunde kann der Zucker nur durch
mehrstufige Prozesse weitgehend gewonnen werden. Dazu wird der Ablauf nach der Zent-
rifugation der ersten Kristallisation weiteren Verdampfungskristallisatoren zugeführt. Der
Ablauf der letzten Kristallisationsstufe nach der Zentrifugation stellt die Melasse dar.
Der verminderte Druck wird durch barometrische Kondensation der anfallenden Brü-
den im Fallwasserkreislauf erreicht (siehe unter Fallwasser).
Neben dem Zucker als Hauptprodukt fallen als Nebenprodukte Melasse, Trocken-
schnitzel und Carbokalk an. Die Melasse wird als Gärsubstrat für die Hefe-, Ethanol- und
Zitronensäure-Produktion eingesetzt. Gleichzeitig wird sie zur Produktion melassierter
Trockenschnitzel eingesetzt, die im Futtermittelbereich abgesetzt werden.
Carbokalk wird als Düngemittel und zur Boden-Melioration eingesetzt.
Hans-Joachim Jördening
Für die Verarbeitung von einer Tonne Rüben sind insgesamt bis zu siebzehn Kubikmeter
Wasser erforderlich. In Tab. 6.40 sind die einzelnen Teilströme genannt. Dennoch wird
durch Mehrfachnutzung des mit der Rübe mitgebrachten Wassers für die Zuckerproduk-
tion heute kaum noch Frischwasser benötigt.
Beim Transport der Rüben über Schwemmrinnen zum Rübenlager oder zur Rüben-
wäsche nimmt das Schwemmwasser von den Rüben abgespülte Erdreste und Steine auf.
Letztere sinken in sog. Steinabscheidern aufgrund ihres höheren spezifischen Gewichtes
zu Boden und werden ausgetragen, während die Rüben durch einen dosierten, aufsteigen-
den Strom von geklärtem Schwemmwasser in der Schwebe gehalten und an dem Steinab-
scheider vorbeigeführt werden.
Weiterhin sind im Schwemmwasser je nach Zustand der Rüben herausgelöste Rüben-
inhaltsstoffen (Zucker, Salze) und mehr oder minder große Rübenbruchstücke und Kraut-
anteile vorhanden. Letztere werden durch Siebanlagen oder mit Hilfe eines aufsteigenden
Wasserstroms je nach Größe der Fremdanteile separiert (Van der Poel 1998; Hoffmann-
452 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Wallbeck und Pellegrini 1978; Schneider 1968). Die größeren Bruchstücke und die Rüben-
schwänze werden zur Verarbeitung in die Extraktionsanlage geführt, während die kleine-
ren z. T. auch gemeinsam mit den Krautresten abgepresst, getrocknet und als Viehfutter
verwendet werden.
Das Schwemmwasser wird i. d. R. Regel vor der Rübenwäsche durch Rollenroste abge-
trennt. Das Waschwasser wird für die Rübenwäsche benötigt, die als Knüppelwäsche, Dü-
senwäsche oder auch als Kombination dieser beiden Typen ausgebildet ist. Sie wird mit ge-
klärtem Schwemmwasser betrieben; nur im letzten Abschnitt wird Kondensat (z. B. zur Dü-
senwäsche) hinzugegeben, das einerseits zur Substitution von abgezogenem Schwemmwas-
ser erforderlich ist und andererseits eine weitergehende Reinigung der Rüben ermöglicht.
Das Schwemm- und Waschwasser wird in allen Zuckerfabriken der Bundesrepublik
Deutschland in den Betrieb zurückgenommen und mehrfach verwendet. Hierzu wird in
den meisten Fabriken der im Schwemmwasser enthaltene Sandanteil in Klassierern abge-
trennt und separat gelagert (Brukner 1954; Brukner 1968).
Die im Schwemmwasser enthaltene Erde muss ebenfalls vor der Wiederverwendung
abgeschieden werden. Dies erfolgte früher allgemein in sog. Schlammteichen, d. h. großen
Erdbecken, in denen sich die mitgeführte Erde absetzt, während das geklärte Wasser in
die Fabrik zurückgepumpt wird. Auch heute arbeiten noch einige Fabriken nach diesem
Verfahren. Nach der Kampagne wird die Erde ausgefahren, oder sie verbleibt an Ort und
Stelle und trägt, da es sich um hochwertige Ackererde handelt, zur Qualitätsverbesserung
des Bodens bei. Nach beendeter Auffüllung müssen dann neue Becken angelegt werden
(sog. wandernde Schlammteiche).
Seit einigen Jahrzehnten sind die meisten Zuckerfabriken dazu übergegangen, die im
Schwemm- und Waschwasser enthaltene Erde in Absetzbecken sedimentieren zu lassen
und den eingedickten Erdschlamm in einer wässrigen Suspension von 10–30 % TS mit Hil-
fe spezieller Pumpen auch über weitere Strecken zu geeigneten Flächen, dem sog. Aufland-
egelände, zu transportieren (Brukner 1968). Dieses Verfahren hat u. a. den Vorteil, dass
das Schwemm- und Waschwasser nur relativ kurze Zeit – i. d. R. 2 bis 3 h – im Absetzer
verbleibt und so weniger leicht in Gärung gerät, wie dies bei längerem Aufenthalt in den
Schlammteichen der Fall sein kann, sofern nicht besondere Maßnahmen getroffen werden.
In allen deutschen Fabriken wird zur Frischhaltung des Wassers und zur besseren Se-
dimentation der erdigen Feststoffe das Schwemm- und Waschwasser durch Zugabe von
Kalkmilch (möglichst Abfallkalk) auf einen pH-Wert von etwa 9–11 eingestellt, wodurch
die Stoffwechseltätigkeit der Erdbakterien weitgehend unterbunden ist. Dabei kann ein
niedrigerer pH durchaus zu einem höheren Bedarf an Kalkmilch führen. Der Grund dafür
ist in einer höheren Aktivität der Mikroorganismen bei niedrigem pH zu finden, die zu
einer vermehrten Produktion von organischen Säuren führt. Dies kann dann nur durch
vermehrte Kalkmilchdosierung kompensiert werden. Ein weiterer Effekt der Kalkung ist,
dass weniger Mikroorganismen mit dem den Rüben noch anhaftenden Wasser in die Ex-
traktionsanlage eingeschleppt werden. Die Kalkung des Wassers unterstützt auch die Sedi-
mentationseigenschaften. Bei besonders stark verschmutzten Rüben, bei denen der hohe
6.8 Zuckerindustrie 453
3000
Energiebedarf (MJ/ t Rüben)
2500
2000
1500
1000
500
0
1960 1970 1980 1990 2000 2010
Jahr
Abb. 6.39 Spezifischer Energiebedarf zur Zuckerfabrikation (inkl. Schnitzeltrocknung und Ver-
brauch außerhalb der Kampagne)
Hans-Joachim Jördening
Die Reduzierung der Emissionen beginnt mit der Optimierung des Rohstoffs. Im Zusam-
menhang mit der Zuckerfabrikation kann dies zunächst bedeuten, einen möglichst hohen
Zuckergehalt in den Pflanzen zu erzielen. Dieses ist im Interesse sowohl der Rübenanbauer
als auch der Industrie, so dass dieses Ziel weitgehend erreicht sein dürfte. Daraus ergeben
sich eine Verringerung der Transportfracht sowie ein niedrigerer spezifischer Reststoff-
Anfall. Des Weiteren hat auch die Optimierung der Düngung durch intensive Düngebera-
tung der Fabriken und Eingangs-Qualitätsuntersuchungen jeder Transporteinheit zu einer
Verminderung der Emissionen beigetragen.
Bezüglich des Energiebedarfs zur Zuckerfabrikation haben die Bestrebungen zur Ein-
sparung des Primärenergie-Einsatzes nicht erst mit der Selbstverpflichtungserklärung der
Zuckerindustrie eingesetzt. Ursache dafür ist der große Einfluss der Energiekosten auf die
Wirtschaftlichkeit der Zuckerfabrikation. Im Verhältnis zum gesamten produzierenden
Gewerbe machten die Kosten für Energie in der deutschen Zuckerindustrie 1988 den etwa
dreifachen Anteil, bezogen auf die Nettowertschöpfung aus. Wie aus Abb. 6.39 zu erken-
nen ist, wurde der Energiebedarf von 1960 bis 2010 um ca. 62 % reduziert (WVZ 2013).
Maßnahmen wie die Nutzung auch niederwärtiger Wärmeenergie, verbesserte mecha-
nische Abpressung und Einbindung der thermischen Trocknung in das Wärmeschema
sind Maßnahmen, die in den letzten Jahren zur weiteren Optimierung des Energieein-
satzes geführt haben.
456 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
1,0 20
Rübenverarbeitung
0,8 Abwasseranfall/Rübe
Wassergehalt der Rübe 15
Rübenverarbeitung (⋅106 t⋅a-1)
Abwasseranfall/Rübe (m3⋅t-1)
0,6
10
0,4
5
0,2
Verfahren, die in dieser Richtung Fortschritte bringen sollen, sind die schon angesproche-
nen weitgehend trockenen Verfahren zur Rübenentladung und Lagerung. Ausführliche
Untersuchungen zu den Vorteilen der trockenen Verfahren fehlen jedoch bis heute.
Hans-Joachim Jördening
• Abwasserverregnung,
• Teichverfahren (unbelüftet und/oder belüftet),
• anaerobe Verfahren,
• aerobe Belebtschlamm-Verfahren.
10
8
COD · BSB5-1
0
0 1000 2000 3000 4000
BSB5 (g·m-3)
Abb. 6.43 Veränderung des CSB/BSB5-Verhältnisses mit dem biologischen Abbau des BSB5
6.8.5.2 Abwasserverregnung
Für die Abwasserverregnung sind im Allgemeinen ausgedehnte Geländeflächen erforder-
lich; zur Vermeidung von Geruchsemissionen ist es vorteilhaft, das Abwasser ohne längere
Lagerung sofort zu verregnen. Die Abwasserverregnung gilt nur dann als landbauliche
Bodenbehandlung, wenn sie abgestimmt auf die durch Klima, Boden, Pflanzen gegebenen
Rahmenbedingungen erfolgt. Nach der Düngemittelverordnung, in der auch die Produk-
tionsabwässer der Zuckerindustrie aufgelistet sind, dürfen diese „Sekundärrohstoffe“ nur
dann eingesetzt werden, wenn ihre Zugabe einen pflanzenbaulichen, produktions- oder
anwendungstechnischen Nutzen erbringt. Von Bedeutung für die Zuckerindustrie ist in
diesem Zusammenhang auch, dass Produktionsabwässer mit einem Verhältnis von Koh-
lenstoff zu Stickstoff von mehr als 30:1 vor der Anwendung zunächst anaerob zu behan-
deln sind. In den hochbelasteten Abwässern der Zuckerindustrie wird dieser Wert übli-
cherweise überschritten.
Durch eine enge Kooperation mit der Landwirtschaftskammer zur Planung und Be-
messung der Abwasserverregnung wird die sachgerechte Ausbringung gewährleistet. Sie
erfolgt heute praktisch ausschließlich über Verregnungsmaschinen; damit ist eine gleich-
mäßige Wasserverteilung und genaue Dosierung gewährleistet (Kollatsch 1990). Da Zu-
ckerfabriks-Abwässer keine gefährlichen Stoffe enthalten, sind prinzipiell alle Abwässer
zur Verregnung geeignet. Werden in der Zuckerfabrikation Ionenaustauscher-Verfahren
eingesetzt, kann die zu verregnende Menge durch die Salztoleranz der Pflanzen begrenzt
sein (Paulsen et al. 1995).
Nach Kollatsch (1990) können auf Acker- oder Grünland bis zu 120 mm Gesamt-Re-
genhöhe pro Jahr aufgebracht werden, sofern der Grundwasserspiegel mehr als 0.7 m unter
6.8 Zuckerindustrie 461
der Oberfläche liegt. Zur Vermeidung von Durchbrüchen ins Grundwasser und einer opti-
malen Ausnutzung des Wassers soll die Einzelgabe nicht mehr als 30 mm betragen und der
Abstand zwischen zwei Gaben mind. 2 Wochen betragen.
Nach Ergebnissen aus verschiedenen Langzeituntersuchungen, die zusammengefasst
in (Paulsen et al. 1995) dargestellt sind, sind negative Effekte auf die Umgebung und die
Grundwasserqualität nicht feststellbar.
Derzeit wird die Abwasserverregnung noch in einer deutschen Zuckerfabrik prakti-
ziert. Die Fabrik besitzt jedoch eine vollständige Kläranlage (anaerob/aerob), um vor der
Verregnung den größten Teil der organischen Fracht zu eliminieren. Damit liegen die Kos-
ten für diese – eigentlich wünschenswerte, da umwelt- und ressourcenschonende – Va-
riante der Abwassernutzung im Vergleich zu anderen Verfahren relativ hoch.
6.8.5.3 Teichverfahren
Unbelüftete Teiche
In früheren Zeiten wurden in den meisten Zuckerfabriken die anfallenden Abwässer in
Erdbecken geleitet und dort der natürlichen Selbstreinigung überlassen. Dieser Abbau er-
streckt sich bei unbelüfteten Stapelteichen über mehrere Monate, meist bis in den Sommer
des auf die Kampagne folgenden Jahres (Limprich 1960). Der Abbau erfolgt zuerst anae-
rob, d. h. durch anaerobe bzw. fakultative Mikroorganismen. Die Kohlenhydrate, welche
die überwiegende Belastung des Zuckerfabriks-Abwassers darstellen, werden dabei zuerst
in niedere Fettsäuren, hauptsächlich in Essig-, Propion- und Buttersäure, umgewandelt
(Reinefeld et al. 1975, 1979), von denen die letztere geruchsintensiv ist. Eine Geruchs-
bekämpfung kann durch Zugabe von H2O2 oder Sauerstoff erfolgen. Späterhin bilden sich
Schwefelwasserstoff, Mercaptane und Amine, wobei Trimethylamin vorherrscht. Im Ver-
lauf des Abbaus wird der Schwefelwasserstoff durch sog. phototrophe Bakterien, z. B. Pur-
purbakterien (Thiorhodaceae), aufgenommen, die auf das Sonnenlicht als Energiequelle
angewiesen sind. Diese vermögen nicht wie die grünen Pflanzen Wasser als Wasserstoffdo-
nator zu verwenden, sondern benötigen stärker reduzierte Wasserstoffquellen wie Schwe-
felwasserstoff, wobei sie elementaren Schwefel vorübergehend intrazellulär ablagern. Ihre
Umsetzungen laufen also ab, ohne dass Sauerstoff frei wird. Die Massenentwicklung von
Purpurbakterien in Stapelteichen verleiht dem Wasser eine orange- bis purpurrote Fär-
bung, während der Schwefelwasserstoff-Geruch verschwindet (Holm und Vennes 1970).
An diese Phase schließen sich aerobe Abbauprozesse ohne Geruchsentwicklung an, die
aber häufig mit einer Massenentwicklung von Algen verbunden sein können.
Um die anaerobe geruchsintensive Abbauphase möglichst frühzeitig abzuschließen,
sollten Abwasser-Stapelteiche möglichst flach gehalten werden. Ihre Tiefe sollte etwa 1,0
bis 1,2 m betragen (Schneider 1963). Es ist zweckmäßig, den sich absetzenden bakteriellen
Bodenschlamm in den Becken zu belassen, da die darin vorhandene Mikroflora den Ab-
bau des Wassers begünstigt. Nur bei extrem niedrigem Wasserstand und sehr weitgehen-
dem Abbau stört die von diesem Schlamm herrührende zusätzliche Belastung. Um den
weitgehenden Abbau zu gewährleisten, soll die Ausgangsbelastung 9.000 mg/L CSB nicht
462 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
übersteigen, jedoch sind auch damit nur Ablaufwerte von unter 300 mg/L CSB und unter
30 mg/L BSB5 zu erzielen, sodass dieses Verfahren zur Endreinigung des Abwassers allein
keinesfalls ausreichend sein dürfte (Kollatsch 1990). Zudem fehlen bis heute gesicherte Er-
kenntnisse zur Gewährleistung der geforderten Stickstoffeliminierung (Nähle 1998).
Bei der geringen Wassertiefe der Stapelteiche ist deren Flächenbedarf beträchtlich. Ins-
besondere im Frühjahr bei noch nicht vollständigem Abbau und höheren Temperaturen
können auch Geruchsbelästigungen auftreten. In keiner Fabrik in Deutschland werden
heute noch unbelüftete Teiche als eigenständiger Schritt zur Abwasserreinigung eingesetzt.
Häufig sind sie jedoch als Schönungsteiche zwischen Abwasserreinigung und Einleitung
in den Vorfluter eingesetzt.
Belüftete Teiche
Einen geringeren Platzbedarf und auch eine geringere Geruchsentwicklung weisen die be-
lüfteten Oxidationsteiche auf, bei denen Luftsauerstoff durch entsprechende Aggregate in
das Wasser eingetragen wird. Diese Becken können tiefer sein, z. B. 2,0 bis 2,5 m; es werden
aber auch Becken mit bis zu 4,5 m Wassertiefe betrieben.
In den sog. aeroben Teichen setzt sich kein belebter Schlamm ab, für die Belüftung ist
aber ein Energieaufwand von ca. 20 W/m3 gestapeltes Abwasser erforderlich. In den fakul-
tativ aeroben Teichen dagegen, in denen meist nur 3 bis 4 W/m3 installiert sind, setzt sich
zwar belebter Schlamm ab; doch ist das freie Wasser mit Sauerstoff versorgt, sodass sich
geruchsverursachende anaerobe Prozesse nur wenig auswirken können. Der Sauerstoff-
bedarf bei diesem Verfahren beträgt 1,3 bis 1,5 kg pro kg BSB5-Abbau.
Bei den belüfteten Stapelteichen erfolgt die Zufuhr von Luftsauerstoff durch verschie-
denartige Belüfter. Verbreitet ist das Versprühen des Wassers durch schwimmende Krei-
sel- oder Walzenbelüfter (Metz 1977). In die Tiefe der Becken wird Luftsauerstoff über
Pumpen und Injektoren und mit Hilfe von Kompressoren in Belüfterketten eingebracht
(Greulich 1975). Bei diesen drei letzten Verfahren wird das Wasser durch die komprimier-
te Luft (Maschinenabwärme) etwas angewärmt, was sich in der kalten Jahreszeit positiv auf
den Abbau auswirkt.
Der Abbau organisch hochbelasteter Abwässer in belüfteten Stapelteichen ist in aller
Regel bis zur Beendigung der Rübenverarbeitung noch nicht abgeschlossen. Die Fortset-
zung der Belüftung auch nach der Kampagne (üblicherweise erst im Frühjahr) erfordert
Fremdstrom, der ein Vielfaches des in der Kampagne in der Fabrik erzeugten Eigenstroms
kostet. Daher sind die Energiekosten für die Aufbereitung von hochbelastetem Abwasser
in belüfteten Stapelteichen relativ hoch.
Bei der Anlage von Stapelteichen muss der Untergrund möglichst undurchlässig sein,
damit das belastete Wasser vom Grundwasser ferngehalten wird. Bei schweren Böden,
insbesondere bei lehm- oder tonhaltigen Bodenschichten, ist die natürliche Abdichtung
i. d. R. ausreichend. Auch der sich am Boden des Stapelteichs absetzende feine, minerali-
sierte Schlamm wirkt im Laufe der Zeit abdichtend, sodass ein bereits über mehrere Jahre
verwendeter Stapelteich i. d. R. ausreichend dicht ist (Chang et al. 1974). Bei einer vor der
6.8 Zuckerindustrie 463
50
25
0
Teichanlagen Anaerobanlagen Aerobanlagen
BSB5,t = BSB5, 0 ⋅ e − k ⋅t
Damit kann für einen beliebigen Zeitpunkt t der BSB5 berechnet werden, ausgehend von
der Anfangsbelastung BSB5,0 und der Geschwindigkeitskonstanten k. Die Geschwindig-
keitskonstante ist temperaturabhängig und wird auch durch weitere Parameter (wie z. B.
Sauerstoffgehalt, Hydraulik des Systems) beeinflusst. Von Nähle und Pellegrini (1989)
wird ein Bereich von 0.02–0.10 d−1 angegeben. Bei Annahme eines k-Wertes von 0,06 er-
gibt sich damit für den Abbau einer Ausgangsbelastung von 6.000 mg/L BSB5 bis auf 25 mg
BSB5 eine notwendige Verweildauer von gut 90 Tagen.
Nach Beispielen von Nähle (1998) ist auch eine weitgehende Stickstoffeliminierung (bis
unter 30 mg · L−1 Nges) auf diesem Wege möglich.
Allgemein ist die ausschließliche Nutzung von Teichverfahren zur Abwasserreinigung
wie auch aus Abb. 6.44 hervorgeht, heute nur noch von untergeordneter Bedeutung. Ein
Vorteil dieser Verfahren liegt in der absoluten Sicherheit, Grenzwertüberschreitungen ver-
meiden zu können: Wasser wird nur dann an den Vorfluter abgegeben, wenn die Grenz-
werte eingehalten werden.
464 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Schlammtrans-
portwasser Biogas zur
Fabrik
Hydrolyse Methanreaktor
Sedimentation
Auflandeteich Entgasung
Kondensat,
Fallwasser
Sedimentation Vorfluter
Denitrifi- Nitrifikation
kation
Luft
Hydrolysestufe
Zum Abbau hochmolekularer fester und gelöster Abwasser-Inhaltsstoffe (Proteine, Poly-
saccharide und Fette) sowie der sich anschließenden Umsetzung der monomeren Bau-
steine (z. B. Aminosäuren, Saccharide) zu Fettsäuren sind in Abhängigkeit von der Subs-
trat-Zusammensetzung Verweilzeiten zwischen einigen Stunden und mehreren Tagen er-
forderlich. Erst nach diesem Schritt kann eine Methanisierung erfolgen. Die gleichzeitige
6.8 Zuckerindustrie 465
Anaerobie
Methanreaktoren sind optimal geeignet für den Abbau der organischen Inhaltsstoffe des
hochbelasteten Abwassers aus der Zuckerfabrikation: einerseits enthält das Abwasser hohe
Konzentrationen leicht abbaubarer Substanzen und andererseits ist es fast frei von stören-
den Begleitsubstanzen (wie z. B. Ammonium oder Sulfat). Deshalb ist heute ungefähr die
Hälfte der deutschen Zuckerfabriken mit Anaerobanlagen ausgerüstet worden.
Der Vorteil gegenüber der aeroben Klärung des Abwassers ergibt sich aus dem hohen
Energiebedarf für die Belüftung (ca. 1–2 kWh/kg BSB5) im Vergleich zum Gewinn von
466 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Energie durch die Anaerobie (ca. 3,5 kWh/kg CSB). Die für Kampagnebetriebe ungünstige
Eigenschaft von Methanbakterien, nur sehr langsam zu wachsen, wird durch eine hohe
Überlebensfähigkeit im Ruhezustand ausgeglichen. So werden die Aktivitätseinbußen
außerhalb der Kampagne (9 Monate) in sehr kurzer Zeit (1–2 Wochen) während der In-
betriebnahmephase kompensiert.
Notwendig ist jedoch ein effizientes System zur Entkopplung der Bakterien- von der
hydraulischen Verweilzeit.
Für Zuckerfabriksabwässer kann üblicherweise ein Abbaugrad von 90 % des CSB sowie
95 % des BSB5 erzielt werden. Bezogen auf die CSB-Konzentrationen des hochbelasteten
Abwassers führt dies zu Ablaufkonzentrationen von 0,2 bis 1 g/L CSB. Für die Einhaltung
der nach dem 18. Anhang zur Abwasserverordnung gegebenen Mindestanforderungen ist
somit ein weiterer Reinigungsschritt erforderlich.
Die Systeme, die zur anaeroben Abwasserreinigung in der Zuckerindustrie verwendet
werden, können dem Kontaktschlamm-Verfahren, dem Upflow-Anaerobic-Sludge-Blan-
ket (UASB-)Verfahren oder dem Fließbettverfahren zugeordnet werden.
Das Kontaktschlamm-System besteht aus einem voll durchmischten Reaktor mit einer
nachgeschalteten Abscheidevorrichtung (Sedimentationsbecken, Lamellenklärer) zur Ab-
trennung und Rückführung der Bakterien.
Das UASB-System besteht aus einem Reaktor, in dessen unterem Teil ein (Bakterien-)
Schlammbett mit sehr hohen Bakterienkonzentrationen vorliegt und dessen oberer Teil
zur Separation von Bakterien und Wasser dient.
In neueren Untersuchungen wird auch die Leistungserhöhung durch Immobilisierung
der Bakterien untersucht. Mit diesem Verfahren, bei dem Bakterien auf feinkörnigem,
fluidisierten Trägermaterial (Sand, Schaumglasgranulat, Bimsstein) adsorbieren, können
hohe Biomassekonzentrationen erreicht und auf Trennvorrichtungen des Bakterien/Was-
sergemisches verzichtet werden. In Tab. 6.43 sind die Verfahren im Vergleich dargestellt.
Störungen des Betriebs ergeben sich insbesondere durch Änderungen der Zusammen-
setzung der organischen Inhaltsstoffe des Abwassers sowie durch den hohen Calciumge-
halt.
Bei sog. Zuckereinbrüchen in das Abwasser, verursacht z. B. durch Reinigungsvorgänge
in der Fabrik, führt die sehr schnelle Umsetzung der Saccharose zu Fettsäuren zu einer
pH-Erniedrigung im Hydrolyseteich. Bei pH-Werten unter 5 sind überwiegend nur noch
Milchsäurebakterien aktiv. Innerhalb von ein bis zwei Tagen kann deshalb ein drastischer
6.8 Zuckerindustrie 467
Stickstoffeliminierung
Die biologische Stickstoffeliminierung wird, ausgehend von Ammoniak, in zwei Prozessen
mit sehr unterschiedlichen Anforderungen durchgeführt. Zunächst wird der Ammoniak-
Stickstoff zu Nitrat oxidiert. Hierzu sind zwei Bakterienarten erforderlich, die die Oxida-
tion zum Nitrit (Nitrosomonas) und Nitrat (Nitrobacter) katalysieren. Beide Bakterien-
arten sind autolithotroph, d. h. sie nutzen anorganische Wasserstoffdonatoren (NH3 und
HNO2) als Energielieferanten und Kohlendioxid als Kohlenstoffquelle für das Wachstum.
Um eine optimale Aktivität der Bakterien zu gewährleisten, soll ein Sauerstoffgehalt von
468 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
mit Ammonium als Stickstoffquelle. Mit der daraus resultierend erforderlichen Erhöhung
des Biomasseabzugs wird das Schlammalter verkürzt. Damit werden die nur langsam
wachsenden Nitrifikanten aus dem System entfernt (Böhnke und Pinnekamp 1986). Eine
Umkehrung dieses Prozesses ist nur mit größerem Aufwand und größeren Schwankungen
der Ammoniumkonzentration im Ablauf zu realisieren. Üblicherweise wird dazu auch die
Zugabe eines aktiven Nitrifikationsschlammes (z. B. aus einer kommunalen Kläranlage)
erforderlich.
Wie die Erfahrungen mit den in den letzten Jahren verstärkt eingesetzten Systemen
zur Stickstoffeliminierung zeigen, können im Regelfall die geforderten Grenzwerte einge-
halten werden. Es ist jedoch auch festzustellen, dass in allen Anlagen spontane Störungen
auftreten können, die oft scheinbar ohne Ursache zu gravierenden Problemen führen. Dies
betrifft insbesondere die Akkumulation von Nitrit, die auch zum vollständigen Einbruch
der gesamten Stickstoffeliminierung führen kann (Alkaya und Demirer 2011; Böhnke und
Pinnekamp 1986).
6.8.6 Beispiele
Hans-Joachim Jördening
Wie schon erwähnt, sind für die Abwasserreinigung heute überwiegend zweistufige Sys-
teme zur anaerob-aeroben Abwasserreinigung im Einsatz. Im Folgenden sollen deshalb
einige Beispiele für verschiedene Varianten dargestellt werden:
470 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
speist werden kann. Gleichzeitig wird jedoch durch die hohe Pufferkapazität des Abwas-
sers eine pH-bedingte Inhibierung der Methanisierungsaktivität vermieden.
Im oberen Teil des Reaktors ist eine 3-Phasen-Trennvorrichtung installiert, die die
Rückhaltung des Trägermaterials, die Abführung des Biogases und die Ableitung des ge-
reinigten Wassers in die 2. biologische Stufe gewährleistet.
Stark verkalktes Trägermaterial weist eine sehr hohe Dichte auf (> 1700 kg · m−3) und
kann somit auch durch den Bereich mit hoher Strömungsgeschwindigkeit absinken. Die-
472 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
ses Material wird während des Betriebs durch eine Schleuse am Reaktorboden abgezogen
und zusammen mit der Rübenerde entsorgt. Ersetzt wird es durch neues Trägermaterial,
das in einer Maische mit Reaktorwasser vermischt und auch während des Betriebs mit
einer Verdrängerpumpe in den Reaktor (etwa auf halber Höhe des zylindrischen Teils)
eingebracht werden kann.
Der Ablauf des Fließbettreaktors wird gemeinsam mit den gering belasteten Abwässern
sowie dem im Bypass geführten hochbelasteten Abwasser der Denitrifikation zugeführt
(Abb. 6.47). Die zweite biologische Stufe, die Stickstoff-Eliminierung, besteht aus zwei
konzentrischen Becken, deren innerer Ring, mit einem Rührer versehen, als Denitrifika-
tion ausgelegt ist und deren äußerer Ring mit einem Belüftungssystem versehen, die mik-
robielle Oxidation von Ammoniak zu Nitrat gewährleistet.
Der Ablauf der Stickstoffeliminierung gelangt nach kurzer Verweilzeit in einem Entga-
sungsbecken in das Nachklärbecken. Entsprechend der Auslegung wird bei max. Sedimen-
tationsgeschwindigkeiten von 0,4 m · h−1 die Biomasse vom Klarwasser getrennt und in
die Belebung zurückgeführt. Das Klarwasser kann direkt dem Vorfluter zugeführt werden
oder (z. B. um eine Überschreitung der genehmigten maximalen Einleitmenge zu vermei-
den) alternativ vollständig oder teilweise in Schönungsteiche gepumpt werden.
Die Auslegungsdaten für die Anlage sind in Tab. 6.45 zusammengestellt.
6.8 Zuckerindustrie 473
Tab. 6.45 Größe und Auslegung der Abwasserreinigungsanlage der Zuckerfabrik Clauen
Anaerobe Stufe
CSB-Fracht 25 Mg · d−1
Abwasseranfallmax 65 m3 · h
CSB-Raumbelastung 35 kg · m−3 · d−1
Aktivvolumen 500 m3
Durchmesser 5,92 M
Gesamthöhe 29,6 M
Aerobe Stufe
Zulauf 265 m3 · h−1
CSB-Konzentration 840 g · m−3
CSB-Fracht 5.320 kg · m−3
Gesamt-Nanorg.-Konzentration 130 g · m−3
Gesamt-Nanorg.-Fracht 800 kg · d−1
Volumen Nitrifikation 2.950 m3
Volumen Denitrifikation 1.580 m3
Volumen Entgasung 150 m3
Gesamthöhe 9 M
Nachkärbecken
Durchsatz 265 m3 · h−1
Beckendurchmesser 27 M
Wie in der Zuckerindustrie allgemein üblich, ist die Anlage mit erheblichen Reserven
ausgelegt. Die Ursache dafür ist in den erheblichen, witterungsbedingten Schwankungen
zu sehen, die sich sowohl auf die CSB-Fracht (dreckige Rüben → intensivere Wäsche →
mehr Verletzungen → mehr CSB) als auch auf die Stickstofffracht auswirken können.
Beispiel 2 Als erste Zuckerfabrik in Deutschland wurde in der Zuckerfabrik Jülich eine
zweistufige anaerob-aerobe Behandlungsanlage für das gesamte Abwasser konzipiert, ge-
baut und in Betrieb gesetzt (Balkwitz und Fischer 1991). Für beide Stufen wurden Ver-
fahren der Fa. Phillip-Müller ausgewählt. Die Einleitungsgrenzwerte sind in Tab. 4.46 dar-
gestellt.
Die Anlage wurde 1988 erstellt und in Betrieb genommen und 1996 erweitert (Lorenz
1998). Die Reinigungsschritte der Gesamtanlage sind heute wie folgt ausgeführt (vgl.
Tab. 6.47): Das von der Auflandung abgezogene Wasser wird zunächst in einen Vorlage-
becken geführt. Von dort aus wird es dem Hydrolysereaktor zugeführt, der mit 3.000 m3
verhältnismäßig großzügig ausgelegt ist und mit Verweilzeiten von ca. 30 h eine vollständi-
ge Versäuerung des Abwassers gewährleistet. Vom Hydrolysereaktor aus wird das Wasser
474 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Tab. 6.47 Größe und Auslegung der Abwasserreinigungsanlage der Zuckerfabrik Jülich
Hydrolysereaktor
Aktivvolumen 3.000 m3
Abwasseranfall 150 m3 · h−1
Anaerobe Stufe
CSB-Fracht 30 Mg · d−1
Abwasseranfallmax 120 m3 · h−1
CSB-Raumbelastung 10 kg · m−3 · d−1
Aktivvolumen 3.000 m−3
Durchmesser 16 m
Gesamthöhe 16 m
Nachklärer
Beckendurchmesser 28 m
Aerobe Stufe
Zulauf 350 m3 · h−1
CSB-Konzentration 950 g · m−3
CSB-Fracht 8.000 kg · d−1
Gesamt-Nanorg.-Konzentration 140 g · m−3
Gesamt-Nanorg.-Fracht 1200 kg · d−1
Volumen 1. Nitrifikation 2700 m3
Volumen 1. Denitrifikation 900 m3
Volumen 2. Nitrifikation 2.000 m3
Volumen 2. Denitrifikation 1.600 m3
Entgasung 150 m3
2 Nachkärbecken (baugleich)
Durchsatz Je 175 m3 · h−1
Beckendurchmesser 27 m
6.8 Zuckerindustrie 475
dem Methanreaktor (System Philipp Müller) zugeführt, der über Gasumwälzung durch-
mischt wird und mit einer spezifischen Belastung von 12 kg · m−3 · d−1 (bezogen auf das
Reaktorvolumen ohne Nachklärvolumen) betrieben werden kann. Die Abtrennung des
gereinigten Wassers von der Biomasse erfolgt in einem Sedimentationsbecken, von dem
aus das Wasser der 2. biologischen Stufe, die Biomasse wieder dem Methanreaktor zuge-
führt wird.
Auch in diesem Beispiel ist die Stickstoffeliminierung nach dem Prinzip der vorge-
schalteten Denitrifikation ausgestaltet. Als Sonderfall in der deutschen Zuckerindustrie
ist jedoch aufgrund von Kapazitätserhöhungen hier eine 2. Strecke mit einem weiteren Ni-
trifikations/Denitrifikationsreaktor und nachfolgendem Sedimentationsbecken installiert
worden. Daraus ergibt sich eine hohe Flexibilität des Betriebs, da entweder hohe Frachten
(parallele Schaltung) oder ein hoher Stickstoffeliminierungsgrad (serielle Schaltung) mög-
lich sind.
6.8.7.1 Einleitung
Bei der Produktion von Zucker aus Zuckerrüben werden die ausgelaugten und gepressten
Zuckerrübenschnitzeln meist getrocknet und als Futtermittel vermarktet. Die Hauptbe-
standteile sind Kohlenhydrate, gefolgt von Rohproteinen (8–10 %) und Rohfaser (~ 20 %)
(Amon et al. 2006). Das CSBpartikulär/oTS-Verhältnis um ca. 1,1 ist typisch für überwiegend
kohlenhydrathaltige Substrate. Das organische Material liegt vorwiegend gebunden in den
Feststoffen vor. Neben den Pressschnitzeln fallen bei der Zuckerproduktion noch Rüben-
bruchstücke und Krautreste an, die entweder entsorgt oder verwertet werden können. Stei-
gende Energiepreise und jährliche Preisschwankungen auf dem Futtermittelmarkt haben
in der Zuckerindustrie die Suche nach Alternativen für die Behandlung und Entsorgung
der Zuckerrübenpressschnitzel forciert, die meist in getrockneter Form als Futtermittel
vermarktet werden.
Auf Basis einer CSB bzw. Energiebilanz kann man zeigen, dass mit dem Biogas aus
den täglich anfallenden Pressschnitzeln der Energiebedarf der Zuckerfabrik während der
Zuckerkampagne (ca. 100 Tage pro Jahr) gedeckt werden kann. Voraussetzung ist die Ent-
wicklung eines robusten anaeroben, biologischen Verfahrens zur Gewinnung von Biogas
aus Zuckerrübenpressschnitzeln und eine entsprechende Verringerung des Energiebedar-
fes für die häufig eingesetzte Trocknung der entwässerten Rübenschnitzel sowie allenfalls
der Entsorgungskosten für die organischen Reststoffe aus der Zuckerfabrik. Der Ersatz von
fossilen Brennstoffen durch biogene Energie führt auch zu einer Kostenreduktion bezüg-
lich der CO2-Zertifikate. Unter diesen Umständen kann die Investition in die Biogasanlage
wirtschaftlich vorteilhaft sein.
476 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
hängt allerdings von mehreren Faktoren ab, insbesondere von den Ertragskoeffizienten
der Bakterien und vom gewählten Schlammalter. Bei geringem Schlammalter kann bei
kohlenhydratreichen Substraten der Nährstoffbedarf bis um den Faktor 3 höher liegen.
Das gilt insbesondere für die Versäuerungsbakterien (CSB:N:P = 350:5:1).
Der Bedarf an Nährstoffen und Spurenelementen und damit die erforderliche Dosie-
rung lassen sich daher oft erst während des großtechnischen Betriebes der Biogasanlagen
endgültig optimieren. Bei den Labor- und Pilotversuchen hat sich schon gezeigt, dass eine
regelmäßige ausreichende Versorgung der anaeroben Mikroorganismen mit Spurenele-
menten notwendig ist um einen stabilen Betrieb bei hohen CSB-Raum-Umsatzraten zu
erreichen. Die Entwicklung der Biogasanlage und die Umsetzung in die Praxis sind in der
Literatur beschrieben (Brooks et al. 2008b).
Tab. 6.49 Zusammensetzung des Zentrats aus der Entwässerung von Gärrestproben
Zentrat
Zuckerrübenpressschnitzel
Unkonditioniert Mit Polyelektrolyt
CSB mg/L 5.000 3.500
CSBmf mg/L 1.000 800
TKN mg/L 600 500
NH4–N mg/L 200 200
Tab. 6.50 Kosten/Nutzen-Abschätzung für die Biogasanlage für Zuckerrübenschnitzel in der Aus-
baugröße der Großanlage in Kaposvár (Brooks et al. 2008a), für 100 Tage Kampagnebetrieb pro Jahr
Kapitalkosten
Investitionskosten Biogasanlage 6 Mio. €
Kapitaldienst 420.000 €/a
Betriebskosten
Strom Biogasanlage (inkl. Gasverwertung) 70.000 €/a
Hilfsmittel (Spurenelemente, Phosphor) 55.000 €/a
Wartung/Personal 180.000 €/a
Gesamt 305.000 €/a
Gewinn aus Biogasproduktion − 1.320.000 €/a
Gewinn Verkauf CO2-Zertifikate − 237.600 €/a
Jahreskosten (inkl. Kapitaldienst) − 832.600 €/a
Statische Amortisationszeit 4,8 Jahre
bis 50 % des gesamten CSB. Sie liegt damit im Bereich der normalen Schwankungsbreite
des CSB im Abwasser aus dem Produktionsprozess, verursacht aber einen zusätzlichen
Sauerstoffbedarf bzw. kann für die Denitrifikation verwendet werden.
Die Stickstofffracht im Gärrest entspricht etwa dem Stickstoffgehalt der Rübenschnit-
zel. Beim anaeroben Abbau des Rübenmaterials wird ein großer Teil des organisch gebun-
denen Stickstoffs in Ammoniumstickstoff umgewandelt. Auch bei vollständiger Denitri-
fikation des Stickstoffs bei der aeroben Reinigung des Zentrates entsteht ein zusätzlicher
Sauerstoffbedarf (1,7 g O2/g N-DN).
Der Ammoniumgehalt kann bei Lagerung des Gärrestes durch Hydrolyse der Biomasse
bis auf etwa 1000 mg NH4–N/L ansteigen. Bei der alleinigen aeroben Reinigung des Zen-
trates (Trübwassers) muss dann die hemmende Wirkung von Ammoniak berücksichtigt
werden (Anthonisen et al. 1976).
Die Phosphorfracht hängt stark an der Güte der P-Dosierung für den Faulprozess. Für
die Abwasserreinigung hat die P-Fracht im Gärrest geringe Bedeutung, weil das Phospho-
rangebot meist geringer ist als der P-Bedarf für die aerobe Reinigung.
Wenn eine direkte Rückführung des Gärrestes in die Landwirtschaft angestrebt wird,
und er damit gezielt als Dünger verwendet werden soll, kann die Ausbringung nur wäh-
rend bestimmter Zeiten im Jahr vorgenommen werden, was in unserem Klima eine Spei-
cherung des Gärrestes über die gesamte Kampagne erfordert. In diesem Falle ist es i. d. R.
wirtschaftlich, den Gärrest zu entwässern, wobei Trübwasser anfällt, das wie oben gezeigt
gemeinsam mit dem Abwasser der Zuckerfabrik gereinigt werden kann. Die Untersuchun-
gen haben gezeigt, dass der Gärrest unabhängig vom Konditionierungsverfahren schlech-
ter entwässerbar ist als kommunaler Faulschlamm.
Aus Gründen der Klimawirksamkeit der Biogasanlage ist auch das Potenzial für nach-
trägliche Methanproduktion des Gärrestes bei der Lagerung von Bedeutung, weil Methan
etwa die 20-fache Klimawirksamkeit gegenüber CO2 hat. Die Restaktivität für Methanbil-
dung im Gärrest hängt stark vom gewählten Schlammalter in der Biogasanlage ab. Je nä-
her der Reziprok-Wert des Schlammalters bei der maximalen Wachstumsrate der aktiven
Biomasse im Reaktor liegt, desto größer ist das Restpotenzial an Methanbildung, das stark
vom Abbau der aktiven Biomasse gesteuert wird. Bei einer Nachfaulung des Gärrestes mit
20 d Verweilzeit und einer Temperatur von 37 °C wurden noch ca. 10 % des CSB in Methan
umgewandelt, das bei offener Lagerung in die Atmosphäre entweicht und einen Teil der
Einsparung an fossilem CO2 für den Klimaschutz wieder zunichtemacht. Darüber hinaus
kann die Einleitung des Gärrestes auch den anaeroben Abbau des organischen Materials
in den Erdschlammkassetten beschleunigen und damit zu zusätzlichen Methanemissionen
beitragen.
die Wartungskosten und die mittlere Lebensdauer der Anlage. Für die Amortisationsrech-
nung wurde davon ausgegangen, dass die Anlage nur während der Kampagne in Betrieb
ist und das erzeugte Biogas Erdgas als Energieträger für die Zuckerproduktion ersetzt, so
wie das in Kaposvár der Fall war.
Das mit der Investition verbundene Risiko wurde anhand der statischen Amortisations-
zeit beurteilt. Dabei darf nicht vergessen werden, dass bei dieser Methode Gewinne nach
Rückzahlungsfrist unberücksichtigt bleiben. Die Wirtschaftlichkeit des Projektes wur-
de anhand der Jahreskosten (Annuitätenmethode) geprüft, wobei negative Jahreskosten
einen Gewinn darstellen. Es wurde hier angenommen, dass die Anlage nur während der
Kampagne von 100 Tagen nutzbringend betrieben wird. Für die Behandlung und Verwer-
tung der Gärreste wurden keine Kosten veranschlagt, weil sie extrem stark von den lokalen
Verhältnissen abhängen und die Wirtschaftlichkeit signifikant beeinflussen (Paravicini
und Svardal 2010).
Es wurde hier auch angenommen, dass die Zuckerfabrik über die in der Zuckerindus-
trie übliche Kraft-Wärmekoppelung verfügt und das Erdgas durch das Biogas substituiert
wird, wie das in Kaposvár der Fall war.
Wenn es gelingt die Biogasanlage auch außerhalb der Kampagne entweder mit silierten
Rübenschnitzeln oder anderen Substraten aus der Landwirtschaft zu betreiben und die
Energie (Wärme und Strom) zu verkaufen, kann die Amortisationszeit erheblich verkürzt
werden. Eine kostspielige Entsorgung der Gärreste verlängert die Amortisationszeit oder
es kann die Wirtschaftlichkeit gänzlich verloren gehen.
Die folgende Tab. 4 berücksichtigt also nicht alle Kostenfaktoren, die je nach lokaler
Besonderheit deutlich unterschiedlich sein können. Die Wirtschaftlichkeitsberechnungen
müssen also bei jedem Einzelfall entsprechend ergänzt bzw. angepasst werden. Die Praxist-
auglichkeit der technischen Umsetzung der Biogaserzeugung aus den Pressschnitzeln von
Rübenzuckerfabriken konnte in Kaposvár nachgewiesen werden.
In jedem Falle haben die Entwicklungen der Marktpreise für Rübenschnitzel als Futter-
mittel (häufig nach Trocknung) und für Energie (Strom, Erdgas, etc.) einen großen Ein-
6.9 Ethanolherstellung 481
fluss auf die Wirtschaftlichkeit einer solchen Biogasanlage. Die Entsorgung der Rüben-
pressschnitzel kann auch mit Kosten verbunden sein, wenn sie nicht vermarktet werden
können. Kann der Gärrest als Dünger in der Landwirtschaft verkauft werden, kann die
Wirtschaftlichkeit dann verbessert werden, wenn die zusätzlichen Investitions- und Be-
triebskosten für die Gärrestbehandlung und -entsorgung nicht höher sind als der Erlös.
6.9 Ethanolherstellung
6.9.1 Einführung
Ethanol kann synthetisch durch indirekte katalytische Hydrierung aus Ethylen oder auf
biologischem Weg durch Fermentation aus nachwachsenden, zellulose-, zucker- oder stär-
kehaltigen Rohstoffen gewonnen werden. Das aus nachwachsenden Rohstoffen hergestell-
te Ethanol wird auch als Agraralkohol oder Fermentationsalkohol bezeichnet und findet
in der Spirituosen-, Kosmetik- und Pharmaindustrie Verwendung. Es werden darüber
hinaus große Mengen in verschiedenen Bereichen der chemischen Industrie verbraucht.
Ein seit vielen Jahren weiterer wichtiger Verwendungsbereich ist außerdem der Haushalts-
sektor, in dem Ethanol als Reinigungs- oder Frostschutzmittel oder als Brennspiritus für
Kaminöfen eingesetzt wird.
Seit 2004 wird auch in Deutschland auf Basis der europäischen Direktiven für erneuer-
bare Energien und Kraftstoffe die Verwendung von sog. Bioethanol steuerlich gefördert
bzw. über das Beimischungsquotengesetz rechtlich bindend vorgeschrieben. Als Bioetha-
nol wird Agraralkohol bezeichnet, der als Kraftstoffkomponente oder -ersatz Verwendung
findet.
Ende des Betriebsjahres 2012/2013 verlieren und eine Abfindung erhalten. Aufgrund der
Größenstruktur dieser Betriebe ist nicht damit zu rechnen, dass viele Brennereien nach
diesem Stichtag die Produktion fortführen.
Daneben gibt es industrielle Betriebe, die früher im Rahmen von Brennrechten und
heute außerhalb des Branntweinmonopols Agraralkohol herstellen. Bei diesen Brennerei-
en handelt es sich teilweise auch um Getreidebrennereien, vorwiegend aber um Hefe- und
Melassebrennereien, die Melasse zur Hefe- und Alkoholherstellung oder nur zur Alko-
holherstellung einsetzen. Die zur Hefeproduktion eingesetzte Melasse kann nach der Se-
paration der Hefe als alkoholhaltige Würze zu Alkohol weiterverarbeitet werden. Dieses
als Hefelüftungsbrennen bezeichnete Verfahren wird heute allerdings von keiner der in
Deutschland verbliebenen Hefefabriken eingesetzt, da die Alkoholherstellung für diese
Betriebe unwirtschaftlich geworden ist.
Die einzige Melassebrennerei, die früher über ein Melassebrennrecht verfügt hat und
heute noch Zuckerrübenmelasse zu Agraralkohol verarbeitet, ist die Firma Kraul & Wilke-
ning u. Stelling GmbH, Hannover. Ende 2009 hat die Firma Eco Strom Plus GmbH, Prem-
nitz eine Melassebrennerei mit einer Kapazität von ca. 70.000 m3 Bioethanol per anno
in Betrieb genommen. Diese Anlage ist allerdings seit Anfang 2012 nicht mehr Betrieb
und befindet sich zurzeit in Insolvenz. Die in Tab. 6.51 beschriebenen fünf Hersteller von
Ethanol aus Zuckerrüben verarbeiten ebenfalls zum Teil als Co-Ferment Melasse aus den
konzerneigenen Zuckerfabriken.
6.9.1.2 Bioethanol
Die Möglichkeit, Ethanol als Ersatz oder Ergänzung zum Ottokraftstoff einzusetzen, ist
seit vielen Jahren bekannt. Bereits in den zwanziger und vierziger Jahren wurde Agraralko-
hol im Kraftstoffsektor verwendet. Seit Ende der siebziger Jahre wurde aufgrund der Ver-
knappung des Rohöls und der damit verbundenen Preisschübe an den relevanten Märkten
weltweit verstärkt Bioethanol als alternativer Kraftstoff produziert. In Deutschland und
Europa ist die Bioethanolindustrie seit Anfang des Jahrtausends sehr stark gewachsen.
Während in Europa 2004 weniger als 500.000 m3 Bioethanol hergestellt wurden, waren es
im Jahr 2011 bereits über 4,2 Mio. m3. Mit einer Anlagenkapazität von rund 1,2 Mio. m3
Bioethanol pro Jahr ist Deutschland seit 2010 zum zweitgrößten Produzenten nach Frank-
reich geworden (BdBe 2012).
Während weltweit vorrangig Zuckerrohr und Mais als nachwachsender Rohstoff
Verwendung finden, basiert die Bioethanolgewinnung in Europa vorrangig auf Feld-
früchten, Weizen und Zuckerrüben. Auch andere Getreidearten wie Roggen, Tritika-
le und Gerste werden in geringerem Umfang eingesetzt. In Deutschland entfällt im
Jahresmittel rund 1/3 auf Zuckerrüben und 2/3 auf Getreide. Im Jahr 2011 sank der
Anteil der Zuckerrüben auf ca. 29 % als Folge der zu Jahresbeginn relativ hohen Welt-
marktnotierungen für Zucker. Da sich die Relation Zuckerpreis versus Getreidepreis
im Jahr 2012 wieder verschoben hat, wird für das Jahr 2012 wieder mit einem höhe-
ren Anteil von Ethanol aus Zuckerrüben gerechnet. Ein weiterer wichtiger nachwach-
sender Rohstoff für die Bioethanolherstellung könnte Cellulose werden. Bislang ist die
6.9
Technologie der Alkoholherstellung aus Cellulose und Hemicellulose noch nicht im in-
dustriellen Maßstab etabliert. In Deutschland ist im Jahr 2012 eine Pilotanlage in Strau-
bing in Betrieb genommen worden, die mit einer Kapazität von rund 1.200 m3 Produkt pro
Jahr Stroh zu Bioethanol verarbeitet (BdBe 2012).
Die Gesamtproduktion stagniert in Deutschland seit einigen Jahren und lag im Jahr
2011 mit rund 730.000 m3 ca. 4,4 % unter dem Vorjahr. Damit liegt die Kapazitätsaus-
lastung im Durchschnitt lediglich bei rund 60 %. Allerdings ist die Auslastung sehr unter-
schiedlich verteilt. So sind zwei der sieben Großanlagen in Deutschland z. Z. aufgrund
wirtschaftlicher Probleme nicht produktiv. Damit reduziert sich die Gesamtkapazität auf
rund 1 Mio. m3 und die durchschnittliche Auslastung der produktiven Anlagen liegt so
bei rund 73 %. Neben den sieben Großanlagen, die bis auf eine, alle in den neuen Bundes-
ländern angesiedelt sind, gibt es noch einige kleinere Hersteller mit einer Gesamtkapazi-
tät von rund 5.000 m3 pro Jahr (Tab. 6.51). Aufgrund der noch gültigen Gesetzeslage in
Deutschland, die eine Festlegung des Herstellers auf die Herstellung von Bioethanol oder
Trinkalkohol fordert, produzieren diese Anlagen z. Z. kein Bioethanol, sondern Ethanol
für industrielle Verwendungen und für Spirituosen. Eine Sonderstellung nimmt die An-
lage der Firma Clariant in Straubing ein, die in geringer Menge Bioethanol aus Stroh im
Pilotbetrieb herstellt.
Der volumetrische Bioethanolanteil am gesamten Absatz an Ottokraftsoff lag im Jahr
2011 bei ca. 6 %. Dies entspricht einer Absatzmenge von rund 1,58 Mio. m3 Bioethanol und
bedeutet eine Steigerung von etwas über 6 % gegenüber dem Vorjahr. Damit hat sich das
Wachstum zwar fortgesetzt, jedoch deutlich verlangsamt. Im ersten Halbjahr 2012 ist der
Bioethanolabsatz um 9,7 % auf rund 626.000 m3 gestiegen, sodass auch für dieses Jahr mit
einer weiteren Steigerung gerechnet werden kann (BfB 2012; BDBe 2012).
Bioethanol wird in Deutschland über drei Wege ausschließlich für die Verwendung in
Ottomotoren vermarket. Der wichtigste und größte Einsatzbereich ist die Direktbeimi-
schung zum Ottokraftstoff zu sog. E5 (Ethanolanteil 5 %) oder E10 (Ethanolanteil 10 %).
Hierauf entfielen im Jahr 2011 ca. 1,3 Mio. m3 bzw. 85 %, wobei sich der Absatz des mit
erheblichen Anlaufschwierigkeiten belasteten Produkts E10 positiv entwickelt. So liegt der
Marktanteil von E10 in den ersten 3 Quartalen im Jahr 2012 bei fast 14 %. Neben der Di-
rektbeimischung wird Bioethanol als Vorprodukt zur Herstellung des Oktanzahlverbessers
ETBE (Ethyltertiärbuthylether) eingesetzt und als E85 in Mischung mit 15–20 % Otto-
kraftstoff über freie Tankstellen vertrieben. Auf die ETBE Herstellung entfielen in 2011
rund 200.000 m3 d. h. 13 % und auf E85 mit 25.000 m3 unter 2 % (BfB 2012; BDBe 2012).
Der Energie- und Flächenbedarf für die Produktion des Grundstoffs differiert ebenso
stark wie der Rohstoffeinsatz für die Produktion eines Kubikmeters Ethanol und ist we-
sentlicher Faktor für die Wirtschaftlichkeit und ökologische Vorteilhaftigkeit des Einsatzes
von Bioethanol als Treibstoff. Zuckerhaltige Rohstoffe weisen eine höhere Flächeneffizienz
als stärkehaltige Stoffe, wie Getreide, auf. Die Gewinnung von Bioethanol aus Hemi- und
Lignozellulose befindet sich noch in der Erprobungsphase. Verlässliche Angaben zu Auf-
wand und Nutzen sind nur vereinzelt zu finden. Als alternative Einsatzstoffe für die Bio-
ethanolproduktion lassen sich Abfallprodukte aus der industriellen Lebensmittelindustrie
6.9 Ethanolherstellung 485
anführen. Im Hinblick auf die ökologische Gesamtbilanz ist zum Beispiel die Verwertung
von Reststoffen aus der Lebensmittelindustrie und Lebensmittelabfällen ein vielverspre-
chender Ansatz (Zah et al. 2007).
Aus Gründen der Nahrungsmittelkonkurrenz in gemäßigten Klimazonen gerät die
Produktion von Biotreibstoffen zunehmend in die Kritik. Bei der Diskussion um die Flä-
chenkonkurrenz wird allerdings häufig die Verhältnismäßigkeit außer Acht gelassen. So
ist zu berücksichtigen, dass im Jahr 2010 lediglich 2,1 % der Ackerfläche in Deutschland
für Bioethanol verwendet wurden und durch Rückgang der Flächenstilllegung und Er-
tragssteigerungen die verfügbare Ackerfläche deutlich zunimmt. Die Verwendung von Ab-
fallstoffen kann eine sinnvolle Alternative sein. Aber auch hier sind Substitutionseffekte
zu berücksichtigen, da schon heute diese Rest- und Abfallstoffe nicht vernichtet, sondern
zum Beispiel im Futtermittelbereich, in Biogasanlagen oder zu industriellen Zwecken
stofflich verwertet werden. In Entwicklungs- und Schwellenländern mit günstigen Pro-
duktionsbedingungen kommen durch das Streben nach Wohlstand neben den genannten
Konkurrenzsituationen umweltschädigende Faktoren, wie Brandrodung und Wanderfeld-
bau, sowie die Veränderung des sozialen Gefüges hinzu. Dies muss ebenfalls berücksich-
tigt werden, trotz der Tatsache, dass die Transportkosten eines Produkts für die Nutzung in
Industrienationen oft nur einen geringen Einfluss auf die Effizienzbetrachtung haben (Zah
et al. 2007). In Europa wird der Nachhaltigkeit bei der Herstellung und Distribution von
Biokraftstoffen durch die Auflagen im Rahmen der europäischen und nationalen Gesetze
Rechnung getragen.
6.9.2 Produktionsverfahren
fahren bei erhöhtem Druck (3–3,5 bar) und Temperaturen von 80–115 °C oder nach dem
drucklosen Kochverfahren erfolgen. Seit einigen Jahren wird in einigen Anlagen auch das
von Genencor entwickelte Niedertemperaturverfahren mit speziellen Enzymen und Auf-
schlusstemperaturen von 55 °C eingesetzt. Der Abbau der Stärke zu Zucker erfolgt durch
Zugabe von Enzymen wie Alpha-Amylase, Beta-Amlylase, oder Alpha-Glukosidase.
Die Fermentation der Maische kann nach Batch-Verfahren oder kontinuierlich erfol-
gen. Zuckerhaltige Rohstoffe wie Zuckerrüben und Zuckerrohr können in kontinuierli-
chen Prozessen (z. B. BIOSTIL) verarbeitet werden, während Getreidemaischen vorrangig
in Batch-Prozessen oder semi-kontinuierlichen Prozessen (z. B. Vogelbusch-Kaskaden)
verarbeitet werden. Neben dem Sauerstoffpartialdruck sind der Zuckergehalt, die Tempe-
ratur, der pH-Wert, der Stickstoff-und der Vitamingehalt wesentliche Einflussgrößen für
den Gärprozess. Der Zuckergehalt wird zwischen 10 und 18 % eingestellt und die Tempe-
ratur durch Kühlung auf 30–38 °C gehalten. Der pH-Wert sollte zwischen 4 und 6 liegen.
Bei der alkoholischen Gärung entstehen, je nach Rohstoff und Gärführung, unterschied-
liche Mengen an Gärungsnebenprodukten wie Aldehyde, Methanol, höhere Alkohole,
Polyole, Fettsäuren, Amine und Esther.
Im Anschluss an die Gärung wird die Maische mit einem Alkoholgehalt zwischen 8
und 14 % durch einen ersten Destillationsvorgang, das „Brennen“, in ihren abdestillierba-
ren Anteil (Rohbrand, bestehend aus Wasser, Alkohol und bestimmten Nebenprodukten
aus der alkoholischen Gärung) und den Destillationsrückstand (Schlempe) getrennt. Die
Destillation erfolgt üblicherweise in kontinuierlich arbeitenden, Zwei- oder Mehr-Kolon-
nenanlagen. Der daraus entstehende Rohbranntwein oder Rohalkohol ist ein azeotropes
Ethanol-Wassergemisch mit Verunreinigungen.
Der Rohalkohol kann in einem zweiten Prozessschritt, der als Rektifikation bezeichnet
wird, durch intensiven Wärme- und Stoffaustausch zwischen Dampfphase und Flüssigkeit
zu Neutralalkohol oder Feinbrand oder auch Surfin weiterverarbeitet werden. Das Pro-
dukt ist weitgehend frei von Verunreinigungen und geruchlich neutral. Um ein wirklich
sauberes und neutrales Produkt zu erhalten, wird der Alkohol in einer sog. Hydroselek-
tionskolonne mit sauberem Wasser vermischt und anschließend mehrfach, kontinuierlich
auf bis zu 70 Böden destilliert.
Für bestimmte Anwendungen im industriellen Bereich oder z. B. bei Aerosolen muss
der Alkohol durch Entfernung des restlichen Wassers auf 99,9 % konzentriert werden. Da
Ethanol und Wasser bei 97 Vol.-% ein Azeotrop bilden, ist eine Trennung durch Destillation
nicht möglich. Die Entwässerung oder Absolutierung des Ethanols erfolgt daher entweder
mittels eines Schleppmittels wie Cyclohexan oder Ethylenglykol in einer Dreistoffdestilla-
tion oder über ein Molekularsieb mit Zeolithen, die unter Druck selektiv Wassermoleküle
adsorbieren können. Ein drittes Verfahren ist die dampfförmige Wasserabtrennnung über
eine Membran (Pervaporationsverfahren). Bei der Herstellung von Bioethanol wird auf
den Prozessschritt der Rektifikation verzichtet, da das Produkt außer der Wasserfreiheit
keine große Reinheit hinsichtlich der Nebenbestandteile aufweisen muss. Bei der Destil-
lation und Rektifikation werden die abgetrennten Nebenbestandteile konzentriert und als
Lösemittelgemische (genannt Vor- und Nachlauf) thermisch oder stofflich verwertet. Das
6.9 Ethanolherstellung 487
Tab. 6.52 Anfall und Charakteristik verschiedener Alkoholschlempen. (Nach ATV-DVWK 1999,
ergänzt nach ATV-Arbeitsgruppe 7.1.12)
Parameter Einheit Kartoffelschlempe Weizenschlempe Weinschlempe
Menge m /hL A
3
0,50–1,00 0,79–0,97 0,81–0,88
pH-Wert – – – 2,5–2,9
TS g/L 62 58 0–1,5
oTS g/L 50 55 0–0,13
CSB g/L 72 71 10–39
BSB5 g/L 44 32 6–25
KN g/L 2,5 2,8 0,24–0,45
NH4 g/L 0,20 0,13 –
P g/L – 0,19 0,044–0,092
Essigsäure g/L 2,2 1,1 –
Flüchtige Stoffe g/L 2,3 1,5 –
Milchsäure g/L 6,5 12,5 –
Kupfer mg/L – – 0,11–8,1
Laugenverbrauch mval/L – – 95–187
bei den drei Stufen entstehende Sumpfprodukt, das im Wesentlichen aus dem Wasseranteil
in der Maische und dem Rohalkohol besteht, wird als Lutterwasser bezeichnet und dem
Abwasser zugeführt.
Die Gesamtjahreserzeugung an Alkohol im Jahr 2011 belief sich in Deutschland auf knapp
über 1 Mio. m3 (Bioethanol und andere Verwendungen wie Trink- und Industriealkohol)
(BfB 2012). Bei dieser Produktion fällt hoch belastetes Abwasser an. Im Falle der Alkohol-
produktion sind dies hauptsächlich feststoffhaltige Schlempen, Lutterwasser aus der Rek-
tifikation und Reinigungs-, sowie Kühlwasser (ATV-DVWK 1999). Während die letzten
drei Abwasserarten nur eine geringe organische Belastung aufweisen, enthält die Schlem-
pe, als mengenmäßig größter Anteil, die Reststoffe aus der Produktion in hohen Konzen-
trationen (Tab. 6.52):
• Der Lutterwasseranfall beträgt z. B. 14–135 L pro Hektoliter Alkohol. Der CSB des
Lutterwassers liegt, abhängig von der Zusammensetzung der Rohalkohole, zwischen
10–100 mg/L bei Kornbrennereien und 100–550 mg/L bei Melassebrennereien.
• Der Schlempeanfall dagegen hängt vom Rohstoff ab und beträgt bei Kornbrennereien
ca. 0,8–1,0 m3 pro Hektoliter Alkohol (hL A), bei Kartoffeln 0,5–1,0 m3/hL A, bei Wein-
brennereien 0,8–0,9 m3/hL A und bei Melassebrennereien im Batchbetrieb ca. 0,9 m3/
hL A. Die Beschaffenheit der verschiedenen Schlempen ist in Tab. 6.53 dargestellt. Bei
488 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Tab. 6.53 Beschaffenheit von Schlempen. (ATV-DVWK 1999 bzw. Meyer in Bischofsberger et al.
2005)
Parameter Kartoffel- Weizen- Wein- Obstschlempe Melasseschlempe
schlempe schlempe schlempe
pH (−) – – 2,5–2,9 2,9–4,0 3,6–6
TS (g/L) 62 58 0–1,5 1,7–35 40–140
oTS (g/L) 50 55 0–0,13 1,5–28 30–100
CSB (g/L) 72 71 10–39 24–95 15–176
BSB5 (g/L) 44 32 6–25 20–55 7–95
TKN (g/L) 2,5 2,8 0,24–0,45 0,5–1,1 0,6–8,9
P (g/L) – 0,19 0,04–0,09 0,05–0,1 0,03–0,68
Milchsäure (g/L) 6,5 12,5 – – –
Weiterhin können auch Abwasserströme wie Waschwasser und Dämpf- oder Fruchtwas-
ser anfallen:
• Waschwasser fällt nur an, wenn Kartoffeln oder Wurzeln verwendet werden. Die spezi-
fische Menge liegt zwischen 0,2 und 0,5 m3/Mg Kartoffeln, die BSB-Konzentration zwi-
schen 300 und 1.700 mg/L. Heute wird die Wäsche i. d. R. beim Zulieferer durchgeführt.
• Das Dämpfen von Kartoffeln zwecks enzymatischer Verzuckerung wird heute überwie-
gend nicht mehr durchgeführt. Das bei der Dämpfung anfallende Kondensat-Frucht-
wassergemisch wird ansonsten i. d. R. der Maische zugesetzt.
6.9.4 Abwasserbehandlung
Wie aus den zuvor beschriebenen Abwasserteilströmen zu erkennen ist, wird die Abwas-
serfracht maßgeblich von der Schlempe bestimmt. Da Schlempen sehr hohe Konzentra-
tionen enthalten, sollten für sie zunächst alternative Wege als die Zugabe in den Abwas-
serstrom geprüft werden, so können sie häufig verfüttert werden. Als Alternative bietet
sich auch die Vergärung in landwirtschaftlichen Biogasanlagen bzw. eine Mitbehandlung
im kommunalen Faulbehälter (Co-Vergärung) an. Bei größeren Brennereien hat sich die
6.9 Ethanolherstellung 489
Tab. 6.54 Übersicht der Verwertung der Abwasserströme bei deutschen Bioethanolherstellern
Betreiber Rohstoff Nebenprodukt Prozesse
CropEnergies AG Getreide DDGS Vinasse Eindampfung und ggf. Trocknung der
Zuckerrüben Schlempen zu DDGS bzw. Vinasse; teil-
weise Rückführung ansonsten anaerober
Abbau der Brüdenkondensate aus Ein-
dampfung/Trocknung. Eingesetzte Ver-
fahren: Vogelbusch und Krüger-Wabag
VERBIO Ethanol Getreide Schlempe Bio- Anfänglich wurde die Schlempe als Dün-
Schwedt GmbH & gas (Methan) gemittel ausgebracht. Heute: Anaerober
CO. KG Abbau als Coferment mit Stroh in einer
Biogasanlage zu Methan das in das Erd-
gasnetz eingeleitet wird. Weiterentwick-
lung der Technologie im Rahmen eines
von der EU mit 22 Mio. € geförderten
Forschungsprojektes
fuel 21 GmbH & Zuckerrüben Vinasse Mehrstufige Eindampfung der Schlempe.
Co. KG Kondensate und Abwässer werden in
angeschlossener Abwasseranlage der
Zuckerfabrik abgebaut
N.Prior energy Getreide Trockengluten Keine komplette Behandlung installiert.
GmbH Kleiepellets, Planung für anaerobe Anlage und wei-
Futterhefe tere Technologien wie Membrantechnik
nur teilweise umgesetzt. Membrananlage
vorhanden aber nicht funktionsfähig.
Gluten-, Kleie-, Hefeabtrennung und
100 % Recycling der Schlempe geplant.
Alternativ: Eindampfung des Abwassers
und Verwertung der Brüdenkondensate
in Biogasanlage
VERBIO Ethanol Getreide Schlempe Keine Nebenproduktaufarbeitung.
Zörbig GmbH & Schlempe wird als Düngemittel ausge-
Co. KG bracht. Biogasanlage in Planung
ECO-Strom Plus Zuckerrüben Vinasse Mehrstufige Eindampfung der Schlempe
Chemie
Anklam Bioethanol Zuckerrüben Vinasse Mehrstufige Eindampfung der Schlempe.
GmbH Kondensate und Abwässer werden in
angeschlossener Abwasseranlage der
Zuckerfabrik abgebaut. Planungen
zur Verwertung von Vinasse in einer
Biogasanlage
Kraul & Wilkening Zuckerrüben Vinasse Mehrstufige Eindampfung der Schlempe.
u. Stelling GmbH Kondensate und Abwässer werden in
anaerob/aerob Anlage (IC-Reaktor) auf
Indirekteinleiter Qualität abgebaut
6.9 Ethanolherstellung 491
den CSB von ca. 5.000 mg/L im Zulauf auf ca. 700–1.000 mg/L im Ablauf der Anaerob-
stufe.
Um optimale Bedingungen in der Anaerobstufe einzustellen, werden dem Abwasser
zuvor in einem Konditionierungsbehälter (mit einem Volumen von 35 m3) Nährsalze wie
Phosphor und Schwefel, Spurenelemente (u. a. K, Zn, Mn), Eisen, Kalzium und Neut-
ralisationsmittel (Natronlauge) zugeführt, wobei der pH-Wert im Zulauf auf einen Wert
zwischen 6,8 und 7,2 eingestellt wird.
Anschließend gelangt das anaerob vorbehandelte Abwasser in die Aerobstufe, die als
klassische Belebungsanlage aufgrund der vorangegangenen Stickstoffelimination mit einer
BSB5-Schlammbelastung von ca. 0,2 kg BSB/(kg TS · d) vergleichsweise hoch belastet wer-
den kann, da sie ausschließlich für die Kohlenstoffelimination auszulegen war.
Die Einleiterlaubnis schreibt eine CSB-Maximalkonzentration von 250 mg/L vor. Im
Mittel wird eine CSB-Ablaufqualität von ca. 100 mg/L erreicht, 150 mg/L werden nicht
überschritten. Stickstoff und Phosphor sind nur in sehr geringer Höhe nachzuweisen, da
ihre Konzentrationen im Zulauf zur Aerobstufe nur so hoch eingestellt werden, wie es den
dortigen biologischen Erfordernissen entspricht.
Beispiel 2: Einsatz eines IC-Reaktors in der Brennerei (KWST) (Meyer 2005, aktua-
lisiert) Die überwiegend auf Melassebasis betriebene Brennerei reinigt das anfallende
6.9 Ethanolherstellung 493
Gas- Fackel
Speicher
IC-
Speicher Reaktor Belebungs-
275 m3 Kondi- becken Nach-
126 m3
tionierung klärung
32 m3 140 m3
.
kommunale
Kläranlage
Pellet-
Speicher
V = 30 m3
4.500
CSBfil im Ablauf Anaerobreaktor [mg/L]
4.000
3.500
3.000
2.500
2.000
1.500
1.000
500
0
0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 1,40
Schlammbelastung auf 35 °C normiert [kg CSB/(kg oTS*d)]
ren Reaktorteil ist zusätzlich zu dem o. g. Wert, die sich aus der internen Rezirkulation er-
gebene Aufstromgeschwindigkeit zu addieren. Wählt man den vom Hersteller genannten
spezifischen Wert von 1,8 m3 Wasser pro m3 aufsteigendem Biogas und geht vereinfachend
davon aus, dass 90 % des Biogases im unteren Reaktorteil generiert werden, ergibt sich bei
einer mittleren gemessen Gasmenge von 780 m3/d eine zusätzliche Aufstromgeschwindig-
keit von im Mittel 8,2 m/h. In der Summe erhält man so im unteren Reaktorteil eine mitt-
lere Aufstromgeschwindigkeit von ca. 13,5 m/h. Die auf den unteren Reaktorteil bezogene
rechnerische Gasflächenbelastung beträgt bei der gemessenen mittleren Gasmenge von
780 m3/d und unter der Annahme, dass 90 % des Biogases im unteren Reaktorteil generiert
werden, ca. 4,6 m/h. Bei der nach Herstellerangaben maximal möglichen Gasmenge von
65 m3/h läge sie bei ca. 9,2 m/h.
Während die CSB-Zulaufkonzentrationen zwischen ca. 10.000 und 24.000 mg/L
schwankten, stellte sich die CSB-Ablaufkonzentration nach anfänglichen Schwankungen,
vergleichsweise stabil in einem Konzentrationsbereich von ca. 1.000 mg/L ein. Abbil-
dung 6.49 zeigt die CSB-Ablaufkonzentration in Abhängigkeit von der CSB-Schlammbe-
lastung. Dabei ist zu erkennen, dass sich die Ablaufkonzentrationen mit steigender Belas-
tung erhöhen und eine zunehmend größere Streuung aufweisen. Weiterhin zeigt sich aber
auch, dass in der Anlage CSB-Schlammbelastungen von mehr als 1,0 kg CSB/(kg oTR·d)
gefahren wurden und dabei vergleichsweise gute Ergebnisse erzielt wurden.
496 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
6.10 Hefeindustrie
6.10.1 Einleitung
In Hefefabriken wird Backhefe, Hefe für die pharmazeutische Industrie sowie Hefeextrakt
hergestellt. Als Substrat für die Hefeproduktion wird überwiegend Melasse eingesetzt. Die
nach der Separation der Hefe verbleibende alkoholhaltige Würze wird in einigen Betrieben
zur Alkoholherstellung genutzt.
Nach dem Deutschen Verband der Hefeindustrie e. V. gibt es in Deutschland (Stand
2012) fünf Produktionsstätten für Backhefe, von denen eine über ein Brennrecht verfügt.
Nach dem Merkblatt M778 gibt es weiterhin eine Produktionsstätte mit einem Brennrecht
für Alkohol, ohne Verbindung zu einer Hefefabrik und mindestens 8 Brennereien, die
ohne Brennrecht Alkohol aus Melasse herstellen oder herstellen können (ATV-DVWK-M
778 2003).
Auch bei der Hefeherstellung ist die alkoholische Gärung der maßgebende Prozess.
Hinsichtlich Produktionsverfahren und Abwasseranfall wird daher auf Kap. 6.9 verwie-
sen. Eine Beschreibung der Produktionsverfahren befindet sich auch im Merkblatt ATV-
DVWK-M 778 (2003).
6.10.2 Abwasserqualität
Bei der Produktion von Hefe fallen Abwässer mit hohem CSB sowie hohen Stickstoff- und
Sulfatkonzentrationen an. Die Abwässer werden daher häufig als schwer abbaubar ein-
geschätzt (Anteil Refraktären CSB: 10–20 %). Die Konzentrationen im Gesamtabwasser-
strom werden stark durch den Rohstoffeinsatz in der Hefeherstellung beeinflusst. So kann
die Substitution von z. B. Rübenmelasse durch reinere Rohstoffe (z. B. Rübendicksaft) zu
einer erheblichen Reduzierung der CSB, N- und Sulfat-Konzentrationen führen. Eine Zu-
sammenstellung von Konzentrationsbereichen verschiedener Abwasserinhaltsstoffe im
Gesamtabwasserstrom (Melasseschlamm, enthefte Würze, Waschwasser und Filtrat) einer
Hefefabrik sowie der Konzentrationsbereich der entheften Würze wird in Tab. 6.57 zusam-
mengefasst. Dabei ist zu beachten, dass größere Anteile (bis ca. 20 %) des Gesamt-Stick-
stoffs in organischer Form vorliegen, die nur schwer oder gar nicht mit anaeroben und
aeroben Abwasserbehandlungsverfahren hydrolysierbar sind.
Die Konzentrationen einiger Metalle und Ionen eines Abwassers sind im Vergleich zum
CSB in Tab. 6.58 aufgeführt.
6.10 Hefeindustrie 497
Tab. 6.58 Auswahl von Metallen und Ionen im Gesamtabwasserstrom einer Hefefabrik
Parameter CSB K Cl Na Mg Fe Mn Co
Konzentration (mg/L) 27.200 4.700 2.800 1.000 90 9 1,6 0,06
Grundsätzlich ist sowohl eine aerobe als auch anaerobe Behandlung der Abwässer aus der
Hefeindustrie möglich. Tabelle 6.59 zeigt verschiedene Einzelverfahren zur Behandlung,
die je nach Anforderungen in einem Gesamtprozess zu kombinieren sind.
Bei größeren Hefefabriken hat sich die anaerobe/aerobe Abwasserreinigung bewährt.
Darunter gibt es auch Anaerobanlagen, in denen ausschließlich Schlempe behandelt wird.
Der hohe Salzgehalt sowie die hohen Sulfit- und Ammoniumkonzentrationen können je-
doch zu Hemmungen in der Anaerobstufe führen. Daher wird die Melasseschlempe häufig
zunächst eingedampft und nur das Brüdenkondensat anaerob behandelt. Hochbelastete
498 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Tab. 6.60 Erreichbare Frachten im Kläranlagenablauf in Abhängigkeit von der eingesetzten Ver-
fahrenstechnik. (ATV-DVWK-M 778 2003)
CSB BSB5 Nanorg Gesamt-P
kg/Mg kg/Mg kg/Mg kg/Mg
Melasse Melasse Melasse Melasse
Aerobe Reinigung 39 0,6 2,2 0,4
Eindampfung und anaerobe 20 10 2 0,5
Behandlung
Melassedickmaischer mit Eindamp- 3,0 0,5 –a –b
fung und anaerob-aerober Behandlung
a
Aufgrund der unterschiedlichen Technik bei der Eindampfung (in einem Fall werden erhebliche
Mengen Ammoniumsulfat für die Fällung von Kaliumsulfat eingesetzt) und unterschiedlicher Rei-
nigungsziele (Direkteinleitung und Indirekteinleitung) sind die verfahrenstechnisch angestrebten
Stickstoff-Konzentrationen und damit die Grenzwerte der Stickstoff-Fracht im Kläranlagenablauf
unterschiedlich und nicht vergleichbar
b
Nach der Eindampfung ist Phosphor in so geringem Maß im Abwasser vorhanden, dass im Falle
einer aeroben Nachreinigung Phosphormangel auftreten kann
Teilströme können auf einen Trockenrückstand von ca. 70–75 % eingedampft werden. Auf
diese Weise können zum einen Stoffe, die durch eine biologische Behandlung nicht elimi-
niert werde können, abgetrennt werden, zum anderen können vorhandene Inhaltsstoffe
isoliert und einer Verwertung zugeführt werden. Eindampfanlagen werden zur höheren
Energieausnutzung mehrstufig und unter Vakuum betrieben. In der vorletzten Verdamp-
ferstufe fällt durch die Aufkonzentrierung kristallines Kaliumsulfat aus, welches i. d. R.
mittels Zentrifugen oder Dekantern abgetrennt werden muss und als Düngemittel verwer-
tet werden kann. Das salzfreie Konzentrat (Vinasse) kann beispielsweise als Futterzusatz
für Wiederkäuer verwendet werden. Problematisch sind die relativ hohen Investitionen
für die Eindampfer und die anfallenden hohen Betriebskosten aufgrund des hohen Ener-
gieverbrauchs (ATV-DVWK-M 778 2003).
Im Merkblatt ATV-DVWK-M 778 (2003) wird auch die aerobe Behandlung von Hefe-
abwasser angesprochen. Hier ist in Deutschland lediglich eine kleine Hefefabrik bekannt,
die das Abwasser mit Hilfe von Tropfkörpern, einem Denitrifikationsbecken und belüf-
teten Teichen behandelt. Nachteile sind hier aber in jedem Fall die aufgrund des hohen
CSB großen erforderlichen Mengen an Sauerstoff und Energie sowie die hohen Mengen an
Schlamm, die produziert werden.
Werden Abwässer aus der Hefeherstellung nach dem Stand der Technik anaerob behan-
delt, bleiben die hohen Stickstoffkonzentrationen erhalten, deren Elimination zu hohen
Nachbehandlungskosten führt (Sauerstoff, C-Quelle). Um diese hohen Kosten zu redu-
zieren, können Verfahren eingesetzt werden, die eine belüftungsarme N-Elimination bei
geringem bzw. ohne C-Verbrauch ermöglichen. Mögliche Verfahren werden in Kap. 10
(Abwasserteilstrombehandlung und Nährstoffrückgewinnung) vorgestellt.
Die Tab. 6.60 gibt einen Überblick über die mittels verschiedener Verfahrenskonzepte
erreichbaren Frachten im Ablauf der Kläranlage.
6.10 Hefeindustrie 499
Die Direkteinleitung von Abwasser aus der Hefeindustrie ist nicht nach der Abwas-
serverordnung geregelt. Die jeweiligen Einleitungsbedingungen werden in Abhängigkeit
von den örtlichen Verhältnissen (Größe und Gewässergüte des Gewässers), der jeweils
eingesetzten Verfahrenstechnik und den eingesetzten Rohstoffen unter Berücksichtigung
der Verhältnismäßigkeit im wasserrechtlichen Bescheid festgelegt (ATV-DVWK-M 778
2003).
In Deutschland ansässige Betriebe zur Hefeherstellung sind größtenteils Indirektein-
leiter. Für die Einleitung von Abwasser aus der Hefeproduktion in die öffentliche Kana-
lisation sind vom ATV-DVWK-M 115-2 (2005) abweichende Bedingungen festzulegen,
besonders im Hinblick auf Phosphat, Sulfat und Ammonium-Stickstoff.
Tabelle 6.61 gibt einen Überblick über großtechnische Anaerobanlagen zur Behandlung
von Hefeabwasser. Gegenwärtig werden in der Hefeindustrie nahezu ausschließlich UASB-
Reaktoren und als deren Weiterentwicklung EGSB-Reaktoren eingesetzt. In Deutschland
existiert neben den EGSB-Reaktoren noch eine anaerobe Belebung, die mit einer Raum-
belastung von 6,4 kg CSB/(m3 · d) betrieben wird; ein zweiter anaerober Belebungsreaktor
( BR = 3,6 kg CSB/(m3 · d)) ist mittlerweile außer Betrieb genommen worden. Die Abwas-
serreinigung ist für 1–2 % des Carbon Footprint („CO2-Fußabdruck“) der Hefeproduktion
verantwortlich (COFALEC 2012).
Gasfackel oder
Gasbehälter
Übergabe in
die kommunale
Kläranlage
A = 160m²
Zulauf von V = 950 m³ V = 950 m³
tR = 32 h tR = 32 h V = 2.500 m³ V = 285 m³
Fa. Pleser V=
V= tR = 80h 35 m³
Q = 23m³ 35 m³
Rücklaufschlamm aus
Schlamm-
dem Eindickbecken
Schlämme aus dem Vor- entnahme
Q= 6,5 m³/h
und Nachklärbecken der
kommunalen Kläranlage
Abb. 6.50 Verfahrensfließbild der Abwasserbehandlung der Hefefabrik Pleser (1980) auf der Klär-
anlage Darmstadt-Eberstadt. (Bischofsberger et al. 2005)
des SO42− wird im Versäuerungsbecken zu H2S umgesetzt, dieses wird zu mehr als 50 %
durch das produzierte Biogas ausgestrippt. Im Methanreaktor werden so nur noch geringe
Mengen an Sulfat umgesetzt. Dieser anaeroben Behandlung ist eine aerobe Stufe (Bele-
bungsbecken) nachgeschaltet. Die Volumina der Anaerobstufe und der Aerobstufe sind in
Tab. 6.63 bzw. Tab. 6.64 zusammengefasst.
Ciftci und Öztürk 1995 berichten über die neunjährige Betriebserfahrung mit der Ab-
wasserbehandlungsanlage der Pakmaya Izmit Factory. Die Betriebswerte und die Leis-
tungsfähigkeit der Anlage sind in Tab. 6.65 zusammengefasst. Es können ein CSB-Abbau-
grad von etwa 75 % und Gaserträge von 20.000 m3/d erreicht werden. Auf diese Weise
können 35 % des Gesamtenergiebedarfs der Anlage gewonnen werden. In der Aerobstufe,
in der neben dem Ablauf aus der Anaerobstufe auch schwach belastete Ströme behandelt
werden, werden etwa 60–75 % des CSB abgebaut. Im Ablauf befinden sich aufgrund der
hohen Konzentration an inertem CSB etwa 800–1.000 mg/L.
Tab. 6.65 Betrieb und Leistungsfähigkeit der Abwasserbehandlungsanlage, Pakmaya Izmit Factory.
(Ciftci und Öztürk 1995)
Parameter Anaerob Aerob
Q (m3/d) 2.000 4.000
CSBin (mg/L) 17.000–20.000 3.000
Raumbelastung 8–13 0,75
(kg CSB/(m3 · d))
Schlammbelastung 0,20–0,30 0,5–0,8
(kg CSB/(kg oTS · d))
Schlammalter (d) > 100 10–20
Biogasertrag (m /kg CSBeli)
3
0,65 –
Biogasproduktionsrate (m3/d) 20.000–22.000 –
CH4-Anteil im Gas 70 –
CSB-Abbau (%) 70–80 60–75
6.10 Hefeindustrie 503
9HUGDPSIHU
Seit einigen Jahren ist der Anaerobstufe eine Eindampfung vorgeschaltet (Abb. 6.51).
Auf diese Weise soll der Anteil an inertem CSB reduziert werden, um so die Indirekteinlei-
ter-Bedingungen einhalten zu können. Der CSB im Rohabwasser liegt bei ~ 45.000 mg/L,
im Zulauf zur Anaerobstufe bei 10.000–15.000 mg/L, im Ablauf der Anaerobstufe bei
3.000 mg/L und im Ablauf der Aerobstufe bei 800 mg/L. Die KN-Konzentration liegt bei
etwa 700 mg/L im Zulauf zur Abwasserbehandlungsanlage und bei etwa 60 mg/L im Ab-
lauf. Sulfat wird derzeit nicht bestimmt.
Gaswäscher Fackel
Anaerob-
Konditio- reaktor
Ausgleichs-
Rohab- nierung (1250m³)
becken
wasser
(1750 m³)
SBR A SBR B
(4000 m³) (4000 m³)
Eindicker Dekanter
Schlamm
Ablauf
Abb. 6.52 Anlagenschema der Abwasseranlage der Hefefabrik in Chile. (nach Biothane 2007b)
Mit dem EGSB-Reaktor in Chile konnten nur etwas geringere CSB-Abbauraten erreicht
werden (bis 50–70 %) als mit dem UASB-Reaktor in Italien (60–80 %), dafür lässt sich aber
die Raumbelastung nahezu verdoppeln (~ 10 kg/(m3 · d) in Italien; bis zu 20 kg/(m3 · d) in
Chile) (Biothane 2007b).
6.11 Süßwarenindustrie 505
6.11 Süßwarenindustrie
6.11.1 Allgemeines
a. Definition Süßwaren
Süßwaren sind nach BDSI (1996), Andersen (1993) und BDSI (2011) eine Gruppenbe-
zeichnung für Lebensmittel, die Saccharose und/oder andere Zuckerarten bzw. Austausch-
stoffe als für Geschmack und Charakter maßgebliche Bestandteile enthalten. Ferner wer-
den zu den Süßwaren Erzeugnisse gezählt, die wenig oder keinen Zucker enthalten, jedoch
von der Süßwarenindustrie hergestellt werden.
Weiterhin gehören zur Süßwarenindustrie:
• Schokoladenwaren,
• Kakaohaltige Lebensmittelzubereitungen,
• Zuckerwaren,
• Feine Backwaren,
• Knabberartikel,
• Speiseeis.
• Bonbons,
• Gummibonbons,
• Marzipan,
• Komprimate und Pastillen,
• Dragees,
• Lakritzwaren,
• Schaumzuckerwaren,
• Kandierte Früchte,
• Gelee-Erzeugnisse und Fruchtpasten,
• Krokant,
• Fondant und Glasurmassen,
• Kaugummi,
• Brause- und Getränkepulver,
• Nougat, Trüffel und Eiskonfekt,
• Zuckerfreie Zuckerwaren.
506 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
• Konfitüre, Marmelade,
• Konditoreierzeugnisse,
• Frischbackwaren,
• Limonaden,
• Zucker (Saccharose),
• Glucosesirup,
• Speisefette,
• Schokolade, Kakao,
• Fruchtmark, Fruchtsaft, Fruchtkonzentrate,
• Lakritz in handelsüblicher Form,
• Milch/Sahne, Milch- und Sahneerzeugnisse und Trockenerzeugnisse aus diesen Pro-
dukten,
• Mehl, Stärke und Stärkemehl,
• entsprechend zugelassene Farbstoffe,
• Aromen unterschiedlichster Herstellungsart,
• Samenfrüchte.
Die Süßwaren sind die umsatzstärkste Warengruppe unter den Genussmitteln, stärker als
Kaffee, Tee und Spirituosen. Die Marktanteile verschiedener Branchen des Ernährungs-
gewerbes in Deutschland sind in Abb. 6.53 (Statistisches Bundesamt 2012) dargestellt; da-
nach beträgt der Anteil der Süßwarenindustrie etwa 10 %.
Abb. 6.54 Produktion von Süßwaren gesamt. (Stand: 2011, Statistisches Bundesamt 2012)
Abb. 6.55 Pro-Kopf-Verbrauch von Süßwaren 2010 (kg). (Stand: 2011, BDSI 2011)
508 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Abb. 6.56 Pro-Kopf-Verbrauch von Süßwaren 2010 (€). (Stand: 2011, BDSI 2011)
6.11.1.2 Produktionsabwasser
Das in der Süßwarenindustrie anfallende Produktionsabwasser entsteht, mehr oder weniger
ausschließlich, sowohl bei den erforderlichen Reinigungsvorgängen in Lager-, Misch- oder
Vorratsbehältern sowie bei der täglichen Reinigung von Behältnissen und/oder Maschinen
(Produktionsanlagen) als auch der Fußbodenreinigung (u. a. ATV-Handbuch 2000).
6.11 Süßwarenindustrie 509
Abb. 6.57 Ausfuhr von Süßwaren gesamt 2010 (1.000 Mg). (Stand: 2011, BDSI 2011)
Die wesentlichen Inhaltsstoffe des Abwassers resultieren aus den erzeugten Produk-
ten und sind hauptsächlich Zuckerverbindungen, Glucosesirup, Speisefette, Frucht- und
Obstmarkreste, Schokolade, Stärke und Reste von Milcherzeugnissen.
In den ersten Spül- und Reinigungsabwässern aus CIP (Cleaning in Place)-Anlagen
oder der manuellen Reinigung können stoßartig auch höhere Konzentrationen an Band-
schmiermitteln, Reinigungs- und Desinfektionsmitteln sowie Laugen- und Säurereste mit
der Folge von kurzzeitig hohen/niedrigen pH-Wert-Spitzen sein.
Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass das Produktionsabwasser aus der Süß-
warenherstellung biologisch leicht abbaubar ist, auch wenn speziell zu betrieblichen Rei-
nigungszeiten Abwässer aus diesen Produktionsanlagen abfließen, deren Konzentrationen
an oxidierbaren Verbindungen (BSB5/CSB) ein Vielfaches der Konzentrationen anneh-
men, die häusliches Abwasser aufweist.
Inhaltsstoffe, Konzentrationen, Abwassermengen und Frachten im Produktionsabwas-
ser unterliegen innerhalb der einzelnen Betriebe sehr starken Schwankungen und sind
messtechnisch nur mit relativ großem Aufwand (längere Dauerprobenahme-Phasen,
mengenproportionale Probenahmen) nachvollziehbar darzustellen und bestimmten Pro-
duktionssituationen eindeutig zuzuordnen. Wochen-Bilanzierungen bei repräsentativen
Produktionssituationen sollten als Basis für die weiteren Entscheidungen zur Planung von
Abwasservorbehandlungsanlagen aber grundsätzlich erarbeitet werden.
510 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Aus diesem Grund ist besonders darauf zu achten, dass Produktverluste (z. B. aus Abfüll-
und Gießmaschinen) nicht ins Abwasser gelangen, sondern getrennt aufgenommen und
separat verwertet werden (bzw. als Viehfutter-Beimischungen).
Ein Teil der Abwasserfrachten, die z. B. aus Stärkepuder entstehen, können dadurch
vermieden werden, dass eine zentrale Stärke-Absauganlage installiert wird. Mit Hilfe die-
ser Anlage sollten die Produkt- oder Stärkereste aufgesaugt werden, bevor mit einer Nass-
reinigung der Maschinen oder Fußböden begonnen wird.
In einem Beitrag von Saake (2000) wird über die Effizienz ähnlicher innerbetriebli-
cher Maßnahmen (IBM) berichtet. Durch die separate Fassung der ersten hochbelasteten
Spülwässer aus Behältern und Maschinen eines Süßwarenbetriebes konnte die spezifische
CSB-Fracht um rd. 60 % und die spez. Abwassermenge um rd. 58 % reduziert werden (s.
Tab. 6.67 sowie Kraushaar und Saake 1997 und Rosenwinkel und Saake 1998).
Die zurückgehaltenen, hochkonzentrierten ersten Reinigungschargen können nach
positivem Durchlauf von entsprechenden Zulassungs- bzw. Genehmigungsverfahren,
z. B. der Viehfutterindustrie, zur Weiterverwertung zugeführt werden (TIHO 1993; LUFA
1993).
6.11 Süßwarenindustrie 511
Tab. 6.67 Effizienz von innerbetrieblichen Maßnahmen zur Abwasser- und Frachtreduzierung in
einem Süßwarenbetrieb. (Kraushaar und Saake 1997)
Parameter Kürzel Einheit Ist-Messung Ist-Messung Reduzierung
Va Nb durch IBM (%)
Abwassermengen
spez. Abwassermenge q (m3/Mg) 3,62 1,52 58
max. Tagesmenge Qd, max (m3/d) 178 161 10
mittl. Tagesmenge Qd, mittel (m3/d) 167 123 26
CSB-Fracht
spez. CSB-Fracht bCSB (kg/Mg) 40,91 16,2 60
max. Wochenfracht Bwo, CSB,max (kg/Wo) 14.000 7.888 44
max. Tagesfracht Bd, CSB, max (kg/d) 4.591 2.234 51
CSB-Konzentration Ce, CSB (mg/L) 5.285 10.674
BSB5-Fracht bBSB5 (kg/Mg) 18,85 9,41 50
spez. BSB5-Fracht Bd, BSB5, max (kg/d) 2.386 1.266 47
max. Tagesfracht
BSB5-Konzentration Ce, BSB5 (mg/L) 11.653 n.b.
a
vor der Durchführung von innerbetrieblichen Maßnahmen
b
nach der Durchführung von innerbetrieblichen Maßnahmen
Parameter Einheit Zuckerwaren ohne Zuckerwaren Schokolade mit Fruchtgummi-und Hart- und Weichkara-
Mg = Mg oder mit nur gerin- mit Fettgehalten Formung und Lakritz-Herstel- mellenherstellung (vor
Fertigw. gen Fettgehalten Füllung lung (nach Fett-/ Abschelder Anlage)
Starkeabscheider)
spez. Frischwasser-Verbrauch m3/Mg 2,5–3,0 3,4–9,0
3
spez. Abwasser -Anfall m /Mg 3–6 3–6 1–1,5 1,0–2,0 2,2–4,5
pH-Wert – 3,5–7,0 3,0–11,0
pH Wert (im Mittel) – 6,5–9,0 6,0–8,0
Temperatur ℃ 7–35 25–60
Konzentrationen
CSB mg/L 3.000–5.000 5.000–8.000 2.500–3.500 4.000–30.000 5.000–20.000
BSB5 mg/L 2.000–3.500 3.500–5.500 1.500–2.300 2.000–15.000 2.000–7.000
Lipoph. Stoffe mg/L 0–700 > 700 100–500
Lipoph. Stoffe (nach mg/L 70–180
6
Fettabscheider)
Nges mg/L 120–300 10–50
Pges mg/L 0,6–1,2 0,1–2,0
Absetzb. Stoffe mg/L 5–70 0,3–1,6
Absetzb. Stoffe (vor mg/L 8–32
Fettabscheider)
(nach Fettabscheider) mg/L 3–8
spez. Frachten
CSB kg/Mg 9–17 15–32 2–3 15–25 40–50
BSB5 kg/Mg 6–11 10–21 1,5–2,5 8–15 16–25
Lipoph. Stoffe kg/Mg 0–4 >2
EGW EGW60/Mg 100–180 160–350 25–42 100–200 250–400
Anwendung in der Lebensmittelindustrie
In Belgien wird seit 1993 in einem Betrieb der Fruchtgummiherstellung eine Anaerobanla-
ge (hinter einer Fettabscheideranlage ähnlich DIN 4040) betrieben. Die wesentlichen Pro-
duktions-, Abwasser- und Anlagendaten (Indirekteinleiter) sind nachfolgend aufgeführt.
Die Abflusskonzentrationen aus dieser Anlage (CSBim Mittel ~ 2.000–3.000 mg/L) stellen si-
cher, dass dieser Betrieb keine Starkverschmutzerzuschläge zu zahlen hat und in die städ-
tische Kanalisation einleiten darf.
„Die – nach Draber (2005) – bewusst initiierte, hohe Biogasausbeute, die Verstromung
und die direkte Nutzung der entstehenden Abwärme […] tragen wesentlich zum wirt-
schaftlichen und Ressourcen schonenden Erfolg der Anlage bei.“
6.11.4.1 Vorbemerkungen
In einem Produktionsbetrieb der deutschen Süßwarenindustrie wurde nach innerbetrieb-
licher Bestandsaufnahme und Entflechtung des Sanitärabwassers sowie anderer gering be-
lasteter Teilströme (z. B. Abschlemmwasser aus der Kesselanlage) 1995 die Entscheidung
zum Bau einer anaerob-aeroben Vorbehandlungsanlage für das organisch hochbelastete
Produktionsabwasser getroffen.
Über die Bemessung, die Realisierung und Inbetriebnahme dieser Anlage wurde von
Kraushaar, Saake (1997), Rosenwinkel und Saake (1998) und Saake (2000) bereits berich-
tet.
6.11.4.2 Anlagentechnik/Verfahrenstechnik
Die Abwasser-Vorbehandlungsanlage arbeitet nach dem UASB-Verfahrensprinzip; die we-
sentlichen technischen Daten sind wie folgt:
6.11 Süßwarenindustrie 515
Das grundsätzliche Fließschema ist in Abb. 6.59 dargestellt; das Foto der Anlage (Abb. 6.58)
zeigt die als Kompaktanlage in Industriebauqualität realisierte Betriebskläranlage in einem
Gewerbegebiet (Saake 2005).
Alle Anlagenteile sind abgedeckt und an die Abluftbehandlungsanlage (Biofilteranlage
nach VDI-Richtlinie 3477) angeschlossen. Seit Inbetriebnahme der Anaerobanlage arbei-
tet dieses System grundsätzlich ohne Probleme, sofern die betriebsüblichen Wartungs-,
Reparatur- und Erneuerungsmaßnahmen im üblichen Rahmen durchgeführt werden und
eine kontinuierliche Betriebsdatenüberwachung gewährleistet wird.
Bei einer Flächenbeschickung des Biofilters von < 100 m3/(m2 · h) sind noch keine Pro-
bleme bezüglich Geruchsemissionen im umgebenden Gewerbegebiet bekannt geworden.
Auf die Beachtung und Einhaltung der einschlägigen Explosionsschutz-Richtlinien wird
besonders hingewiesen.
1. Vorbemerkungen
Nachfolgend sind die Betriebsergebnisse seit 1997 zusammengefasst dargestellt. Dabei ist
zu unterscheiden zwischen der Normal-Lastphase (1997 bis 2000), in der die Anlage be-
messungsgemäß betrieben wurde, und Spitzen-Lastphasen.
Durch Produkterweiterungen, Verfahrensumstellungen und Produktionssteigerungen
ergaben sich ab 2001 Spitzen-Lastphasen (2001 und 2002) und (2010 und 2011), in der die
Belastungsgrenzen erreicht und z. T. auch deutlich überschritten wurden.
516 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
2. Normal-Lastphase (1997–2000)
Die Auswertung der Betriebsaufzeichnungen zeigt, dass eine sehr weitgehend betriebssta-
bile Anlagen- und Reinigungsleistung gewährleistet ist, wenn die CSB-Raumbelastungen
≤ 5,0 kg/(m3 · d) und die hydraulischen Belastungen ≤ 200 m3/d eingehalten werden kön-
nen.
Insgesamt ist festzustellen, dass eine auslegungskonforme Reinigungsleistung der An-
lage (62–95 %) mit einer Biogasproduktion von rd. 155.000 m3/a (0,475 m3 Biogas/kg CSB-
Elimination) über mehrere Jahre gegeben ist. Die CSB-Ablaufkonzentration in den kom-
munalen SW (Schmutzwasser)-Kanal betrug im 4-Jahres-Mittel ≤ 1.450 mg/L.
Bedingt durch die (aerobe) Schlammentwicklung und den Schlammaustrieb aus der
dem Methan-Reaktor nachgeschalteten Nachbelüftung ergaben sich oftmals etwas höhere
CSB-Konzentrationen im Abfluss zum kommunalen SW-Kanal (etwa + 10 %) als im Ab-
lauf Methanreaktor.
3. Spitzen-Lastphase (2001–2002)
Tab. 6.69 Bemessungs- und Betriebswerte einer Abwasservorbehandlungsanlage in der Süßwarenindustrie (1997 bis 2011)
Süßwarenindustrie
517
518 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
die dazu führten, dass es zu einem instabilen Anlagenbetrieb mit verminderten CSB-Rei-
nigungsleistungen kam.
Alle charakteristischen Betriebsparameter zeigten Verschlechterungen bzw. Anstiege:
Abb. 6.60 CSB-Konzentration im Zu- und Abfluss der Anlage. (Zeitraum 01/2010-09/2011)
4. Spitzen-Lastphase (2010–2011)
6.11.5 Zusammenfassung
Abb. 6.61 Tägliche Abwassermengen und CSB-Frachten im Zu- und Abfluss der Anlage. (Zeit-
raum 01/2010-09/2011)
6.12 Molkereien
Das Abwasser aus Molkereien und milchverarbeitenden Betrieben unterscheidet sich we-
sentlich von häuslichem Abwasser. So treten deutlich höhere Kohlenstoffkonzentrationen
auf, wogegen die Stickstoffkonzentrationen i. Allg. vernachlässigbar sind. Je nach verwen-
detem Reinigungsmittel können auch hohe Phosphorfrachten auftreten.
Übliche Richtwerte für die Einschätzung des spezifischen Abwasseranfalls und der Ab-
wasserfrachten und -konzentrationen sind in den VDM (Verband der Deutschen Milch-
industrie)-Richtlinien für Wasser und Abwasser in Molkereien (VDM 2003) enthalten so-
wie in diesem Abschnitt dargestellt.
Abwasser aus Molkereien und milchverarbeitenden Betrieben eignet sich aufgrund sei-
ner Zusammensetzung sehr gut für biologische Abwasserbehandlungsverfahren. Neben
einer aeroben biologischen Behandlung des Abwassers besteht die Möglichkeit, anaero-
be biologische Verfahren einzusetzen. Durch den Einsatz von Anaerobtechnik kann ein
Großteil der organischen Fracht des Abwassers entfernt und in energiereiches Biogas um-
gewandelt werden. Darüber hinaus kann die Anaerobtechnik in Molkereien verwendet
werden, um aus überschüssiger Molke Biogas zu gewinnen. Das entstehende Biogas kann
zur Gewinnung von elektrischer und/oder thermischer Energie genutzt werden.
Die Anforderungen an das direkte Einleiten von Abwasser aus der Milchverarbeitung
sind im Anhang 3 der Abwasserverordnung (AbwV 2009) festgelegt. Sie liegen i. d. R. bei
110 mg CSB/L bzw. 25 mg BSB5/L in der qualifizierten Stichprobe, zuzüglich Grenzwerten
für Stickstoff und Phosphor.
Eine Indirekteinleitung erfolgt, wenn das Abwasser ohne oder nach eigener Vorbehand-
lung in eine öffentliche Abwasserbehandlungsanlage (Kanal) eingeleitet wird. Bei der Indi-
rekteinleitung sind die Regelungen des Abwasserbeseitigungspflichtigen über die Beschaf-
fenheit des ihm zu überlassenen Abwasser zu beachten. Diese orientieren sich i. d. R. an
dem DWA-Merkblatt M 115 Teil 1 bis 3 (DWA 2005).
6.12.2 Abwasserbehandlung
Vorrangig müssen bereits vor Ort alle möglichen betrieblichen Maßnahmen zur Vermin-
derung des Abwasseranfalls getroffen werden. Hierzu gehören auch das Sammeln ausge-
laufener oder verschütteter Zutaten, das Sammeln von Molke, das Sammeln milchhaltigen
Abwassers, das beim Anlaufen der Pasteurisatoren anfällt sowie das Rückhalten fester Ab-
fälle aus der Zentrifuge.
Grundsätzlich gelten bei Molkereiabwasser folgende Regeln:
• Siebrechen,
• Fettabscheider bzw. Flotationsanlage,
• Misch- und Ausgleichsbecken (MAB), ggf. zusätzliches Havariebecken,
• anaerobe Vorbehandlung hoch belasteter Teilströme,
• biologische aerobe Reinigungsstufe,
• vermehrte biologische P-Elimination,
• Phosphorfällung,
• Flockungsfiltration.
Bei allen Bauwerken vor der Neutralisationsstufe (i. d. R. das MAB) sollte aufgrund der
Korrosionsgefahr auf eine geeignete Materialwahl geachtet werden. Unbehandelter Beton
in diesen Bauwerken hat sich als ungeeignet erwiesen. Der Beton muss beschichtet oder
durch andere Materialien (Edelstahl) ersetzt werden. Bei den Zulaufpumpen haben sich
Pumpen aus höherwertigem Edelstahl bewährt (Carozzi 2010, 2011; Austermann-Haun
und Carozzi 2011).
Fettabscheider Fettabscheider sind geeignet, frei aufrahmbare Fette aus dem Abwasser
zu entfernen. Insofern ist der Einsatz von Fettabscheidern nur in einzelnen Teilströmen
sinnvoll; z. B. in der Buttereiabteilung oder der Milchannahme. Fettabscheider werden
nach den Normen DIN 4040-100, DIN EN 1825-1 und DIN EN 1825-2 dimensioniert.
Die Größe der Abscheider hängt im Wesentlichen von der Abwassermenge, der Abwasser-
temperatur und dem Wirkungsgrad der verwendeten emulgierenden Reinigungsmittel ab.
Misch- und Ausgleichsbecken MAB Misch- und Ausgleichsbecken stellen zurzeit das gän-
gigste Verfahren zur Neutralisation dar. Bei Misch- und Ausgleichsbecken ist auf eine effi-
ziente Umwälzung und Durchmischung zu achten. Diese kann durch Rührwerke, Pumpen
oder auch eine diskontinuierliche Belüftung erreicht werden. Es ist grundsätzlich zu ent-
scheiden, ob ein Ausgleichsbecken unbelüftet oder belüftet ausgelegt wird.
524 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Havariebecken Wenn bei der Dimensionierung des Misch- und Ausgleichsbeckens der
Havariefall nicht berücksichtigt wurde, ist insbesondere bei Direkteinleitern ein zusätz-
liches Havariebecken erforderlich. Eine automatische Ansteuerung des Havariebeckens
über eine TOC-, SCAN – oder SAK-Sonde zur Einschätzung der CSB und/oder pH-Sonde
ist zu empfehlen.
jedoch eingeschränkt. In üblichem Molkereiabwasser sind die Bildung und der Erhalt gra-
nulierter Biomasse sehr problematisch. Großtechnisch sind Festbett- und UASB-Reakto-
ren (Upflow Anaerobic Sludge Blanket) im Einsatz.
Das besondere Problem stellt das Fett im Abwasser dar. Dieses resultiert zum einen aus
der erforderlichen längeren Abbauzeit und zum anderen aus der Fähigkeit des Fettes, sich
an die Biomasse anzulagern und so die Biomasse zu flotieren. Deswegen ist eine effiziente
Fettelimination vor dem Anaerobreaktor erforderlich. Bei Molkereiabwasser sind CSB-Eli-
minationsleistungen im Anaerobreaktor von 75 bis 80 % möglich.
Es entsteht energiereiches Biogas in einer Menge von 0,35 Nm3 CH4/kg CSBel mit einem
Heizwert von 36 MJ/m3 (10 kWh/m3 CH4). Bei Verbrennung in einem effizienten BHKW
mit einem Wirkungsgrad von ca. 40 % entspricht dies einem Gewinn an elektrischer Ener-
gie von ca. 1,4 kWh/kg CSBel.
Das sog. UASB-Verfahren (Upflow Anaerobic Sludge Blanket) zeichnet sich durch einen
innen liegenden 3-Phasenabscheider aus, wodurch eine kompakte Bauweise entsteht. Die
Biomasse wächst in einem sichtbaren Verbund zu Pellets heran. Diese Pellets sedimentie-
ren leicht und können durch den 3-Phasenabscheider ideal im Reaktor zurückgehalten
werden. Aufgrund der Besonderheiten von Abwasser aus der milchverarbeitenden Indus-
trie werden UASB-Reaktoren mit CSB-Raumbelastungen von 5 kg CSB/(m3 · d) ausgelegt.
Zwingende Voraussetzung für den Betrieb von UASB-Reaktoren ist eine vorangehende
Fettabscheidung durch Flotation.
In SBR-Reaktoren kann die genannte Reihenfolge der Becken durch die Reihenfolge der
zeitlichen Phasen eingestellt werden.
P-Fällung Bei der Direkteinleitung kann auch bei biologischer P-Elimination nicht auf eine
Fällung verzichtet werden. Sowohl Eisen- als auch Aluminiumsalze können in Abhängig-
keit der Abwasserbeschaffenheit zum Einsatz kommen. Mit der Verfahrenskombination,
vermehrte biologische P-Elimination und Simultanfällung, können die Mindestanforde-
rungen von 2 mg/L P wirtschaftlich eingehalten werden.
Ein weiteres Verfahren zur P-Fällung stellt die MAP-Fällung (Magnesium-Ammo-
nium-Phosphat-Fällung) dar, diese wurde in Form des REPHOS® Verfahrens in der im
Beispiel im Kap. 6.12.3 beschriebenen Anlage großtechnisch mit Erfolg umgesetzt. Dabei
wird dem phosphorhaltigen Abwasser in einem ersten Schritt Magnesium-Oxid oder Ma-
gnesium-Chlorid zugegeben. Gleichzeitig findet eine pH-Wert-Anhebung auf Werte von
ca. 8–9 statt Es bilden sich kristalline Fällungsprodukte (MgNH4PO4 · 6H2O), die relativ
leicht abgeschieden und einer industriellen bzw. landwirtschaftlichen Verwertung zuge-
führt werden können.
Auswahl und Auslegung des Anaerobreaktors Im Vergleich mit anderen Systemen, die für
höhere Raumbelastungen geeignet sind und damit zwangsläufig auch kleinere Reaktor-
volumina aufweisen, zeichnet sich der UASB-Reaktor bei geeigneter Auslegung durch eine
hohe Prozessstabilität und eine sichere Biogasausbeute aus.
6.12 Molkereien 527
Stromeinspeisung
BHKW
Wärmenutzung
Anaerob:
P-Elimination nach dem Aerobe Stufe:
REPHOS -Verfahren)
3
• 5 SBR à 2.000 m
3 • CO2 Strippung • Schlammentwässerung
• MAB: 3.000 m • Schlammlagerung
• Kristallisation
• UASB: 1.500 m3
Bei der Erweiterungsplanung wurde sehr viel Wert auf eine hohe Betriebsstabilität ge-
legt, andere Entscheidungskriterien, wie der Platzbedarf waren von eher untergeordne-
ter Bedeutung, weswegen die Entscheidung zum Bau eines UASB Reaktors gefällt wurde.
Dieser wurde für eine mittlere Raumbelastung von etwa 8 kg CSB/(m3 · d) ausgelegt. Zur
Vergleichmäßigung des Zulaufes sowie zur Vorversäuerung wurde dem Anaerobreak-
tor darüber hinaus ein Misch- und Ausgleichsbecken (MAB, V = 3.000 m3) vorgeschaltet
(Abb. 6.63). Im Betrieb wird das MAB mit Füllständen von 1.000–1.500 m3 betrieben, um
eine zu hohe Versäuerung, Nebeneffekte wie Geruch sowie einen CSB-Verlust auf Grund
im Zulauf befindlichem Nitrat so gering wie möglich zu halten. Das verbleibende Volumen
soll als Puffer- und auch Havarievolumen dienen.
Die konzeptionelle Gestaltung der Gesamtanlage beinhaltete eine Verwertung des an-
fallenden Biogases über ein BHKW. In Abhängigkeit der Zulaufparameter wurde ein CSB-
Abbau von 75–80 % kalkuliert, woraus sich unter Berücksichtigung der Abwasserzusam-
mensetzung im Mittel ein Energiegehalt von ca. 1.300 kW ergibt.
528 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Die Auslegung des BHKWs erfolgte mit einer maximalen Brennstoffleistung von
1.777 kW. Das Regelkonzept beinhaltete somit auch eine mögliche Anpassung der Leis-
tung an die Schwankungen der Gasproduktion. Ziel war eine maximale Stromausbeute
sowohl bei Spitzenbelastungen als auch bei Minderproduktion durch geringere Effizienz
des anaeroben Abbaus oder erhöhter Bypassführung zur Stickstoffelimination in der ae-
roben Verfahrensstufe.
Betriebserfahrungen Seit Inbetriebnahme der Anlage ist der Zulauf zur Kläranlage immer
wieder durch eine hohe Schwankungsbreite gekennzeichnet (Tab. 6.72).
Dabei übersteigt die Gesamtbelastung den Auslegungswert von im Mittel 13,5 Mg
CSB/d zum Teil um fast 100 %. Bei ebenfalls auftretenden, im Vergleich zur Auslegung
sehr geringen Zulauffrachten sowie mit der Fracht nicht korrelierender hydraulischer Spit-
zen, sind somit sehr kurzfristig prägnante Frachtwechsel zu bearbeiten.
Dennoch konnten in den ersten drei Betriebsjahren bei Raumbelastungen zwischen
4,5 und 16 kg CSB/(m3 · d) kontinuierlich und stabil Abbauleistungen in einer Größenord-
nung von 70–90 % realisiert werden (Ristow et al. 2008).
Diese hohen Abbauleistungen konnten auch unter phasenweise sehr ungünstigen CSB/
BSB5-Verhältnissen (> 2) erzielt werden.
Phosphorelimination mit dem REPHOS® – Verfahren (Ristow et al. 2009) Mit der installier-
ten Phosphorelimination nach dem REPHOS® Verfahren kann unter Zugabe von Magne-
siumchlorid eine Elimination des Phosphors mit einem Wirkungsgrad > 70 % bezogen auf
den Parameter Pges. erzielt werden. Hierdurch wird nicht nur eine Entlastung der nachfol-
genden aeroben Stufe in Form einer verringerten Schlammproduktion erzielt, sondern der
Phosphor kann auch in einer direkt nutzbaren (als NPK-Dünger) Form recycelt werden.
Das entstehende Produkt kann ohne weitere Behandlung (z. B. Entwässerung) aus dem
Kristallisationsreaktor abgezogen und direkt verwertet werden.
Die direkte Rückgewinnung des Phosphor aus dem gesamten Abwasserstrom stellt
hierbei ein wesentliches Merkmal dieses innovativen Verfahrens dar. Durch die Einspa-
6.12 Molkereien 529
rung an eisenhaltigem Fällmittel in der aeroben Nachreinigung kann zudem die landwirt-
schaftliche Verwertbarkeit des Klärschlammes verbessert werden.
Konzentration TS [g/l]
96000
100,00
kgTS
80000
80,00
64000
60,00
48000
40,00
32000
16000 20,00
0 0,00
07
07
07
07
07
07
07
07
07
07
07
07
07
07
07
07
07
07
1.
1.
2.
3.
3.
4.
5.
5.
6.
7.
7.
8.
9.
0.
0.
1.
2.
2.
.0
.0
.0
.0
.0
.0
.0
.0
.0
.0
.0
.0
.0
.1
.1
.1
.1
.1
01
22
12
05
26
16
07
28
18
09
30
20
10
01
22
12
03
24
Abb. 6.64 TS-Gehalte im UASB-Reaktor
die durch Steuerung des Anlagenbetriebes jedoch zunächst nicht zu einer Leistungsmin-
derung des Gesamtsystems führten. Im vorliegenden Fall konnten durch eine Erhöhung
der Aufströmgeschwindigkeit Calciumablagerungen am Reaktorboden zwar unterbunden
werden, im Gegenzug entwickelten sich aber größere Pellets mit geringeren oTS-Gehalten
im gesamten Reaktorbereich. Daraus ergab sich auch eine größere Sensibilität des Systems
gegenüber Stoßbelastungen, sodass eine weitere Steigerung der Aufstromgeschwindigkeit
keine langfristige Alternative zur Unterbindung von Calciumausfällungen ist.
In Abhängigkeit der Zulaufbelastung und des sich daraus ergebenden Schlammwachs-
tums hat es sich als temporär vorteilhaft herausgestellt, den entstehenden Überschuss-
Literatur 531
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540 6 Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Inhaltsverzeichnis
7.1 Zellstoff- und Papierfabriken (Christian H. Möbius, Ingrid Demel, Andreas Schmid) ����� 543
7.1.1 Allgemeines ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 543
7.1.2 Zellstofffabriken��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 545
7.1.2.1 Produktion, Abwasseranfall, Abwasserbeschaffenheit������������������������������� 545
7.1.2.2 Behandlungsverfahren und Praxisbeispiele������������������������������������������������� 547
7.1.3 Papierfabriken ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 548
7.1.3.1 Produktion, Abwasseranfall, Abwasserbeschaffenheit������������������������������� 548
7.1.3.2 Behandlungsverfahren und Praxisbeispiele������������������������������������������������� 550
7.2 Verarbeitungsbetriebe tierischer Nebenprodukte (Uwe Temper, Alvaro Carozzi)������������� 557
7.2.1 Allgemeines ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 557
7.2.2 Abwasseranfall und -beschaffenheit����������������������������������������������������������������������������� 558
7.2.3 Reinigungsanforderungen��������������������������������������������������������������������������������������������� 560
7.2.4 Abwasserreinigung allgemein ��������������������������������������������������������������������������������������� 560
7.2.5 Anaerobe Abwasserbehandlung ����������������������������������������������������������������������������������� 560
7.2.6 Großtechnische Beispiele����������������������������������������������������������������������������������������������� 562
7.2.6.1 Großtechnisches Beispiel 1����������������������������������������������������������������������������� 563
7.2.6.2 Großtechnisches Beispiel 2����������������������������������������������������������������������������� 565
7.2.6.3 Großtechnisches Beispiel 3����������������������������������������������������������������������������� 567
7.2.6.4 Großtechnisches Beispiel 4����������������������������������������������������������������������������� 569
7.3 Anlagen mit anorganischen Abwässern (Cees Buisman, Jan Weijma)��������������������������������� 571
7.3.1 Allgemeines ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 571
7.3.2 Großtechnisches Beispiel 1: Nyrstar Budel, Niederlande������������������������������������������� 574
7.3.3 Großtechnisches Beispiel 2: Lenzing, Österreich������������������������������������������������������� 576
7.3.4 Großtechnisches Beispiel 3: Königlich-Niederländische Hulshof Gerbereien������� 577
7.3.5 Zusammenfassung����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 579
7.4 Chemische und pharmazeutische Industrie (Huub H.M. Rijnaarts,
Tim Hendrickx, Martin Brockmann) ��������������������������������������������������������������������������������������� 579
7.4.1 Daten und Fakten zur deutschen Chemieindustrie ��������������������������������������������������� 579
7.4.2 Abwasseranfall und -zusammensetzung ��������������������������������������������������������������������� 581
7.1.1 Allgemeines
Die Anlagen zur Erzeugung von Papier, Karton und Pappe werden hier unter „Papierfab-
riken“ zusammengefasst. Das Wort „Papier“ wird gleichzeitig als Oberbegriff und als Be-
zeichnung für einlagige Produkte bis zu einem Flächengewicht (korrekter „flächenbezogene
Masse“) von 225 g/m2 (Papier nach DIN 6730) benutzt. „Karton“ bezeichnet Produkte im
Bereich von etwa 150 bis 600 g/m2, die häufig mehrlagig sind. Der Begriff ist nicht genormt
und wird deshalb auch im rechtlichen Bereich (Umweltrecht) nicht verwendet. „Pappe“
bezeichnet Produkte mit mehr als 225 g/m2 (DIN 6730), meist auch mehrlagig, aber oft
nach anderen Herstellungsverfahren erzeugt als Karton. Die Übergänge zwischen diesen
Produktklassen sind im praktischen Gebrauch fließend, nur die Norm gibt die angegebene
scharfe Definition nach dem Flächengewicht. Wenn hier von Papier gesprochen wird, so
ist dies als Oberbegriff für alle durch Absiebung einer wässerigen Faserstoffsuspension ge-
wonnenen Produkte zu verstehen (siehe Kap. 7.1.3.1), soweit nichts anderes gesagt wird.
Die anaerobe Abwasserbehandlung fand in den letzten 30 Jahren weitere Verbreitung
in der Papier- und Zellstoffindustrie. Die wesentlichsten Gründe dafür sind der geringe
Energiebedarf und die geringe Überschussschlammproduktion dieses Abwasserbehand-
lungsverfahrens im Vergleich zur üblichen aeroben Behandlung.
Am häufigsten wird das Verfahren bei den Herstellern von Verpackungspapieren aus
Altpapier angewendet, insbesondere bei den Wellpappenrohpapieren, die mit geringen
spezifischen Abwassermengen produziert werden können.
Auch die Brüdenkondensate aus der Eindampfung verbrauchter Kochsäure oder Ab-
lauge aus der Zellstofferzeugung (EDA (Eindampfanlage)-Kondensate) eignen sich sehr
gut für die anaerobe Reinigung, die im Bereich der Sulfitzellstofferzeugung auch verbreitet
technisch eingesetzt wird.
Anaerob behandelte Abwässer müssen vor der Einleitung in ein Gewässer immer aerob
nachbehandelt werden, da eine anaerobe Vollreinigung – d. h. Behandlung mit vollstän-
digem BSB-Abbau auf < 25 mg/L – nach bisherigem Kenntnisstand nicht möglich ist. Ein
wesentlicher Vorteil des anaeroben Verfahrens bei der Behandlung von Abwässern der
Papiererzeugung liegt darin, dass leicht abbaubare organische Wasserinhaltsstoffe, die bei
der aeroben Behandlung je nach Verfahrensweise mehr oder weniger zur Blähschlamm-
bildung beitragen können, unter Energiegewinn abgebaut werden.
Mikrobiologie und Verfahrenstechnik der anaeroben Abwasserbehandlung wurden be-
reits dargestellt, auf die einschlägigen Kapitel wird hier verwiesen. Bisher werden in der
Zellstoff- und Papierindustrie vorwiegend mesophile Verfahren der anaeroben Abwasser-
reinigung angewendet, thermophile Verfahren sind gut untersucht und haben sich bereits
bewährt. Sie können vor allem dort Erfolg versprechend angewendet werden, wo höhere
Abwassertemperaturen vorliegen (Pauly und Deschildre 2001; van Lier und Boncz 2002;
Bobek et al. 2005).
544 7 Anwendung für organisch und anorganisch belastete Abwässer…
Die Betriebsbedingungen für Anaerob-Anlagen zur Behandlung der Abwässer von Zell-
stoff- und Papierfabriken richten sich in erster Linie nach der Art des Verfahrens und kön-
nen deshalb hier nicht in allgemeiner Weise genannt werden. Hinsichtlich der Betriebs-
bedingungen gilt grundsätzlich für alle Verfahren:
7.1 Zellstoff- und Papierfabriken 545
• Eine Schockbelastung mit organischer Fracht ist zu vermeiden. Sie führt zu einer über-
mäßigen Produktion organischer Säuren, die nicht schnell genug methanisiert werden
können. Damit sinkt der pH-Wert des Reaktors unter den für die Methanisierung geeig-
neten Bereich. Der Prozess wird beeinträchtig oder kommt ganz zum Erliegen. Ist ein
solcher Fall eingetreten, sollte die Zufuhr organischer Fracht unterbrochen werden und
der pH-Wert durch Alkalidosierung wieder in den Neutralbereich eingeregelt werden.
Danach ist die Zufuhr organischer Fracht nur langsam entsprechend der Entwicklung
der methanogenen Aktivität wieder zu steigern (Blaszczyk et al. 1994).
• Das zugeführte Abwasser darf keine nicht neutralisierten Mineralsäuren enthalten. Ein
durch organische Säuren verursachter schwach saurer pH-Wert wird dagegen durch
Methanisierung im Reaktor neutralisiert, wenn dieser nicht überlastet ist.
• Temperatursprünge sind zu vermeiden. Ein rascher Temperaturanstieg oder -abfall
kann die gleichen Folgen haben wie eine Überlastung mit organischer Fracht.
• Eine Überlastung der Methanisierungsstufe des anaeroben Abbaus, sei es durch zu hohe
Frachtzufuhr oder durch Leistungsabfall, kann im Ablauf des Reaktors am zuverlässigs-
ten durch analytische Kontrolle der wasserdampfflüchtigen organischen Säuren erkannt
werden. Der pH-Wert ist nicht immer ein ausreichend zuverlässiger Indikator.
• Empirisch wird eine für den Normalbetrieb des Reaktors typische Konzentration der
organischen Säuren ermittelt, die durch regelmäßige Kontrollmessungen überwacht
wird. Für die laufende Kontrolle können vereinfachte Methoden angewendet werden.
• Die Zugabe von Eisen(III)salzen hat sich bei verschiedenartigsten Betriebsproblemen
der Anaerob-Anlagen bewährt. Der Wirkmechanismus ist dabei oft nicht klar, vielfach
wird aber die Sulfidbindung (Ausfällung von unlöslichem Fe2S3) hilfreich sein. Auch
die in technischen Eisensalzlösungen enthaltenen Spurenelemente werden als nützlich
angesehen.
• Ein ausreichendes Nährstoffangebot (N und P) und das Vorhandensein von Spuren-
elementen müssen sichergestellt sein.
7.1.2 Zellstofffabriken
Der Eindampfrückstand kann wegen seines hohen Energieinhalts erfolgreich als Ener-
gieträger verbrannt werden. Bei allen genannten Aufschlussverfahren wird eine möglichst
weitgehende Rückgewinnung der Aufschlusschemikalien aus dem Verbrennungsrück-
stand ( recovery) angestrebt.
Die Brüdenkondensate aus der Eindampfung verbrauchter Kochsäure aus der Sulfit-
zellstofferzeugung (EDA-Kondensate), die praktisch frei von ungelösten Feststoffen sind
und zu einem erheblichen Anteil aus Essigsäure bestehen (einem Zwischenprodukt der
anaeroben Umsetzung organischer Stoffe zu Methan), eignen sich sehr gut für die anae-
robe Behandlung. Dies wurde bereits früh erkannt (Sahm 1984). Bei der Umsetzung in
die technische Praxis wurden erste grundsätzliche Erfahrungen gesammelt (von der Emde
und Kroiss 1983). Die Ursache vorher ungeklärter Schwierigkeiten wurde darin gefun-
den, dass der wegen des hohen Gehaltes an Essigsäure für unwesentlich gehaltene zweite
Schritt des Anaerobprozesses, gemeinhin als „Versäuerung“ bezeichnet, für die Umsetzung
hemmend wirkender Inhaltsstoffe der Brüdenkondensate, die dabei hydrolysiert werden,
sehr entscheidend ist (Brune et al. 1982). So ließen sich Unterschiede zwischen Leistung
und Betriebsstabilität verschiedener technischer Anlagen erklären. Die Versäuerung (auch
Vorversäuerung genannt) sollte deshalb korrekter als Hydrolyse bezeichnet werden.
Der Gehalt an Spurenelementen reicht bei den Brüdenkondensaten für die Versorgung
der Biomasse nicht aus, sodass diese zusätzlich zu den Nährstoffen N und P addiert wer-
den müssen (Sahm 1984). Die Addition erfolgt in Form einer empirisch auf der Grundlage
des Spurenelementgehaltes der Biozönose zusammengestellten Mischung.
Die allgemeinen Anforderungen („Mindestanforderungen“) an die Beschaffenheit von
gereinigtem Abwasser aus der Zellstofferzeugung für die Einleitung in Oberflächengewäs-
ser werden in Deutschland in Anhang 19 zur Abwasserverwaltungsvorschrift definiert.
7.1.3 Papierfabriken
Papierfabrik-Abwässern üblicherweise bei 4–12 h. Dies gilt für die EGSB-Reaktoren nur
eingeschränkt, hier sind kürzere HRT zulässig.
Bei allen Verfahren kann die hydraulische Querschnittsflächenbelastung qA durch
Rückführung des Abwassers auf jeden gewünschten Wert angehoben werden, was zur
Umwälzung erforderlich sein kann. Die obere Grenze limitiert aber bei wirtschaftlicher
Reaktorhöhe die Raumbelastung.
Bei Kontaktanlagen wird qA hauptsächlich durch die Funktion der Biomasse-Abschei-
der diktiert. Für die UASB-Anlagen ist qA in einem engen Bereich zu halten, der nach un-
ten durch strömungstechnische Erfordernisse für die Pellet-Bildung ( qA ca. 0,8 m/h) und
nach oben durch die Sinkgeschwindigkeit von Pellets und Mikroorganismen-Flocken ( qA
ca. 1,2 m/h) begrenzt ist. Bei den weiterentwickelten Pelletreaktoren (EGSB) kann durch
mehrstufige Verfahrensweise eine sehr viel höhere Querschnittsflächenbelastung gewählt
werden, z. B. bei dem IC-Reaktor qA bis zu 8 m/h.
Bei Hybridanlagen hat es sich bewährt, qA für den unteren Flockungsraum hoch, für
den oberen Teil mit Biomasseträger dagegen gering zu halten (< 1 m/h), um die Biomasse-
rückhaltung zu sichern. Daher sind zwei getrennte interne Kreisläufe erforderlich.
In anaeroben Filtern ist ebenfalls qA durch die Erfordernis der Biomasserückhaltung
begrenzt. In Fließbett-Reaktoren dagegen ist qA hoch genug zu halten, um die Expansion
des Bettmaterials zu sichern. Dabei kann allerdings nur die fest am Trägermaterial haften-
de Biomasse zurückgehalten werden. Die damit bewirkte Selektion der Mikroorganismen
wirkt sich erfahrungsgemäß positiv auf die Stabilität der Reinigungsleistung aus (sofern
der Biomasseverlust nicht zu hoch ist). Die Belastbarkeit kann dadurch begrenzt werden.
Typische Probleme bei der Behandlung von Papierfabrik-Abwässern sind:
• Die Anreicherung von ungelösten (inerten) Stoffen bedingt eine Verdrängung der Bio-
masse bei Systemen ohne Biomasseträger, vor allem die Behinderung der Pellet-Bildung
beim UASB- und EGSB-Verfahren.
• Höhere Sulfat-Konzentrationen bewirken durch Sulfidbildung im reduzierenden Mili-
eu eine hemmende oder gar toxische Wirkung auf die Methanbildner und damit eine
Verdrängung dieser Organismen (Kardahar et al. 1987; Maillacheruvu et al. 1993). Ein
hoher Anteil der Sulfatreduktion am gesamten Abbauvorgang mindert außerdem er-
heblich die gebildete Methanmenge und beeinträchtigt damit den Energieertrag des
Prozesses. Das UASB-Verfahren ist dafür besonders anfällig, weil die Sulfatreduzierer
nicht zur Pellet-Bildung beitragen. Dabei ist weniger die absolute Sulfat-Konzentration
entscheidend als vielmehr das Verhältnis von eliminierbarem CSB zu reduzierbarem
Schwefel. Liegt das Verhältnis CSBel/Sred unter 100, so muss mit Problemen gerechnet
werden. Ist das Verhältnis kleiner als 15, so ist eine anaerobe Behandlung nicht sinn-
voll durchführbar (Kroiss et al. 1985). Schon ab einer Sulfat-Konzentration von etwa
100 mg/L ist mit einer Hemmung der Methanbildung durch das gebildete Sulfid zu
rechnen, die allerdings mit bestimmten Mitteln vermieden werden kann (Koster et al.
1986; Kardahar et al. 1987; Sarner et al. 1988). Durchmischte Anaerob-Reaktoren er-
wiesen sich als deutlich empfindlicher gegenüber den störenden Einflüssen des aus der
552 7 Anwendung für organisch und anorganisch belastete Abwässer…
Bei den Sortenprogrammen holzhaltiger Papiere und bei Papier aus Altpapier lassen sich
als bevorzugte verfahrenstechnische Variante die Wasserkreisläufe so gestalten, dass höher
konzentrierte Teilströme, insbesondere aus dem Bereich der Halbstoffaufbereitung, un-
mittelbar aus dem Wasserkreislaufsystem abgeleitet werden, die sich dann unter bestimm-
ten Voraussetzungen besonders gut für die anaerobe Behandlung eignen (Möbius 2010).
Die anaerobe Behandlung von Kreislaufwässern der Papierfabriken könnte ein Mittel
zur weiteren Minderung des spezifischen Wasserbedarfs sein. Allerdings ist zu bedenken,
dass wesentliches Ziel der anaeroben Kreislaufwasser-Behandlung die Senkung der CSB-
Konzentration im Kreislaufwasser ist. Hier ergeben sich theoretische Begrenzungen für
die Anwendbarkeit des Verfahrens: Wenn der angestrebte Zielwert der Konzentration ge-
ringer ist als die technisch-wirtschaftliche Konzentrationsschwelle des anaeroben Verfah-
rens, scheidet dieses als Problemlösung aus. Die für eine solche Betrachtung erforderlichen
Berechnungsmodelle wurden veröffentlicht (Huster 1991; Huster et al. 1991).
7.1 Zellstoff- und Papierfabriken 553
Eine Nachbehandlung vor der Wiederverwendung in der Produktion wird für erforder-
lich gehalten. Biologische Verfahren könnten dafür geeignet sein (Buisman und Lettinga
1990). Zu untersuchen bleibt, wie weit die einfache und kostengünstige Belüftung oder
Peroxid-Dosierung zur Nachbehandlung ausreichen kann.
Die Behandlung des Kreislaufwassers von Altpapier verarbeitenden Papierfabriken mit
geschlossenem Wasserkreislauf mit einer anaerob-aeroben biologischen Reinigung wurde
mehrfach realisiert (Diedrich et al. 1997; Bülow et al. 2003).
Ein frühes und sehr gelungenes Beispiel für die technische Anwendung der anaeroben
Papierfabrik-Abwasserreinigung stellte der bei der Papierfabrik Roermond in den Nieder-
landen erbaute UASB-Reaktor dar (Habets et al. 1984). Seit seiner Inbetriebnahme (Ende
1983) bis Ende 2000 wurde der Reaktor (erst 1992 durch einen zweiten UASB-Reaktor
ergänzt) weitgehend störungsfrei bei einer anfänglichen mittleren Raumbelastung von
10 kg CSB/(m3 · d), die später nahezu verdoppelt wurde, betrieben. Ab Januar 2001 nach 17
Betriebsjahren wurde der UASB-Reaktor durch einen IC-Reaktor ersetzt. Dabei wurden
mittlere Abbauwerte von 70 % beim CSB und 80 % beim BSB5 erzielt. Wie aus Tab. 7.4 zu
entnehmen ist, sind seit einiger Zeit viele EGSB-Reaktoren durch Umbau oder Neubau in
Betrieb. Der Schwerpunkt der Anwendung des Anaerob-Verfahrens in der Papierindustrie
liegt bei der Wellpappenrohpapiererzeugung. Weil bei diesem Erzeugungsprozess norma-
lerweise kein Aluminiumsulfat eingesetzt und Sulfat deshalb nur mit dem Altpapier ein-
getragen wird, andererseits die Art der Produktion geringe spezifische Abwassermengen
zulässt (die meisten Beispiele für geschlossene Wasserkreisläufe gibt es in dieser Produk-
tionssparte), liegt das CSB-Sulfat-Verhältnis meist in einem Bereich, der die erfolgreiche
Anwendung des dann besonders wirtschaftlichen UASB-Verfahrens und der EGSB-Ver-
fahren zulässt.
In Nordamerika – vereinzelt auch in Europa – sind Anlagen in Betrieb, die nach dem
Hybridverfahren mit unterschiedlichen Anteilen an Trägermaterial betrieben werden.
Untersuchungen in halbtechnischem Maßstab bestätigten die erwarteten Vorteile dieses
Verfahrenstyps für Papierfabrik-Abwässer.
Typische Ergebnisse des anaeroben Abbaus von Papierfabrik-Abwässern sind Wir-
kungsgrade ηCSB 70 % und ηBSB 80 %. Höhere Wirkungsgrade können unter günstigen
Umständen erreicht werden, was aber nicht immer wirtschaftlich ist. Auch bei geringeren
Wirkungsgraden kann die anaerobe Behandlung ein wirtschaftlich sinnvoller Prozess-
schritt sein. Dabei werden ca. 0,4 Nm3 Biogas pro kg CSBeliminiert bzw. 0,13 Nm3/kg TOCel
produziert. Die typische Zusammensetzung des Biogases ist 70–80 % Methan, 20–30 %
CO2, < 5 % H2S und Spuren anderer Gase. Der typische Energieinhalt des Biogases ist ca.
7,5 kWh/Nm3. Bei der CSB-Elimination werden also ca. 3 kWh/kg CSBel bzw. ca. 1 kWh/
kg TOCel gewonnen.
Der anaerobe Abbau führt nur zu einer geringen Biomasseproduktion von etwa 0,05 kg/
kg CSB-Abbau. Entsprechend gering ist, wie bereits erwähnt, der Nährstoffbedarf, der in
der Praxis empirisch ermittelt werden muss.
Eine Übersicht über die im Jahr 2010 in der deutschen Papierindustrie betriebenen
anaeroben Abwasserreinigungsanlagen gibt Tab. 7.4. Die in der Tabelle enthaltenen Daten
Tab. 7.4 Anaerobe Abwasserreinigungsanlagen in der deutschen Papierindustrie 2011 (kein Anspruch auf Vollständigkeit)
554
Oewa, Leipzig)
Carl Macher GmbH & Co., Hof AP Hülsenpapier/-karton UASB 2000 1.000 12.000
(Betreiber Südwasser)
DVG Delkeskamp Verpackungswerke AP Wellpappenrohpapier UASB 1991/1998 800 8.000
GmbH, Nortrup
Euler Greiz GmbH & Co. KG, Greiz AP, HS, ZS Karton UASB 1997 515 4.000
Hamburger Spremberg GmbH & Co. KG AP Wellpappenrohpapier EGSB 2005 2.000 32.000
(Stadt Spremberg/Betreiber:Envia Aqua)
Hans Kolb Papierfabrik GmbH & Co., AP Wellpappenrohpapier UASB 1997 540 2.500
Kaufbeuren
Julius Schulte Söhne GmbH & Co. KG, AP Hülsenpapier/-karton EGSB 2002 126 3.000
Düsseldorf
Julius Schulte Trebsen, Trebsen AP Wellpappenrohpapier UASB/EGSB 1997/2010 720 7.200
(Betreiber: Oewa, Leipzig)
Klingele Papierwerke GmbH & Co., AP Wellpappenrohpapier EGSB 2002 1.600/875 16.000
Papierfabrik Weener
LEIPA Georg Leinfelder GmbH, Werk AP Wellpappenrohpapier, EGSB 1999/2003 1.400/1400 28.000
Schwedt Grafische
Mondi Raubling GmbH AP Wellpappenrohpapier UASB/EGSB 1987/ 1999 1.000/730 22.000
Moritz J. Weig GmbH & Co. KG, Mayen AP Karton/Gipskarton UASB/EGSB 1997/2002 1.545/500 30.000
Anwendung für organisch und anorganisch belastete Abwässer…
7.1
Rieger GmbH & Co. KG, Trostberg AP Karton UASB 1997 920 9.250
SCA Hygiene Products GmbH AP Tissue EGSB 2008 700 14.000
Mainz-Kostheim
SCA Packaging Containerboard AP Wellpappenrohpapier EGSB 2006 1.950 25.000
Deutschland GmbH, Aschaffenburg
SCA Packaging Containerboard AP Wellpappenrohpapier UASB 1992 2.900 29.000
Deutschland GmbH, Witzenhausen
Schoellershammer, Heinr. Aug. Schoeller AP, ZS, Wellpappenrohpapier/ UASB/EGSB 1990/200 900/815 24.000
Söhne GmbH & Co. KG, Düren Feinpapier
(Betreiber: Oewa)
Smurfit Haupt C.D. Haupt Papier- AP Wellpappenrohpapier/ EGSB 1998/2010 465 12.000
und Pappenfabrik GmbH & Co. KG, Karton
Diemelstadt
Smurfit Kappa Zülpich Papier GmbH, AP Wellpappenrohpapier UASB 1994 1.970 27.000
Zülpich
Smurfit Hoya Karton und Papier GmbH AP Wellpappenrohpapier UASB/ EGSB 1989/1998/2003 2.210/465/605 60.000
Stora Enso Hagen Kabel GmbH, Hagen HS, ZS Magazinpapiere EGSB 2005 990/990 50.000
(Teilstrom)
555
556
Inbetriebnahme Auslegung kg
CSB/d
Stora Enso Sachsen GmbH, Eilenburg AP Zeitungsdruck EGSB 2001 1.280 24.000
Propapier PM2 GmbH (TAZV AP Wellpappenrohpapier EGSB 2010 3.400 77.000
Eisenhüttenstadt)
Tillmann Wellpappe, Zülpich-Sinzenich AP Wellpappenrohpapier EGSB 2005 900 12.700
UPM GmbH Schongau AP Zeitungsdruck EGSB 2006 1.575 58.000
UPM GmbH Schwedt AP Zeitungsdruck EGSB 2004 1.400 16.000
WEPA Papierfabrik P. Krengel GmbH ZS, AP Tissue EGSB 2004 195/195 8.500
& Co. KG, Arnsberg-Müschede
(Ruhrverband)
WEPA Papierfabrik P. Krengel GmbH AP, ZS Tissue EGSB 1998 389 10.000
& Co. KG, Giershagen
Stand 2012: Kein Anspruch auf Vollständigkeit
AP Altpapier, HS Holzstoff, ZS Zellstoff
Anwendung für organisch und anorganisch belastete Abwässer…
7.2 Verarbeitungsbetriebe tierischer Nebenprodukte 557
stammen aus der Literatur, den Referenzlisten der Anlagenlieferanten und eigener Kennt-
nis der Autoren. In den deutschen Papierfabriken werden derzeit UASB- und EGSB-Reak-
toren betrieben. Drei Werke haben diese Reinigungsstufe in einem geschlossenen Kreis-
lauf, die anderen zur Behandlung des Restabwassers mit anschließender aerob-biologi-
scher Stufe bzw. Weiterbehandlung in einer öffentlichen Abwasserreinigungsanlage.
7.2.1 Allgemeines
XQUHLQH6HLWH UHLQH6HLWH
$EZDVVHUGHU$EOXIWEHKDQGOXQJ
5RKPDWHULDO $EOXIWEHKDQGOXQJ
6SHLVHZDVVHU 5HJHQHUDWLRQVDEZDVVHU
5RKPDWHULDODQQDKPH
DXIEHUHLWXQJ
$EZDVVHUEHKDQGOXQJVDQODJH
6FKODFKWUDXP 7URFNQXQJ %UGHQNRQGHQVDW
(QWKlXWXQJ 6WHULOLVDWLRQ
(QWIHWWXQJ
=HUOHJXQJ
5HLQLJXQJVDEZDVVHU
UHLQH6HLWH
+lXWHUDXP /DJHUUlXPH
9HUDUEHLWHWHWLHULVFKH3URWHLQH
7LHUIHWW
)DKU]HXJ
+lXWH
DXHQZlVFKH
/HLFKWIOVVLJNHLWV
DEVFKHLGHU
EHODVWHWHV
1LHGHUVFKODJVZDVVHU
7KHUPLVFKH 5HLQLJXQJVDEZDVVHU XQUHLQH6HLWH
'HVLQIHNWLRQ
6R]LDODEZDVVHU
.DQWLQH:lVFKHUHL KlXVOLFKHV$EZDVVHU
7LHUDU]WUDXP
7UDQVSRUWEHKlOWHU $EVFKOlPPDEZDVVHUDXVLQGLUHNWHU.KOXQJ
LQQHQUHLQLJXQJ
XQEHODVWHWHV 1LHGHUVFKODJVZDVVHU
1LHGHUVFKODJVZDVVHU
$EZDVVHU
3UR]HVVZDVVHU
3URGXNWOLQLH
5FNKDOWXQJYRQWLHULVFKHQ0DWHULDO!PPDOV9RUEHKDQGOXQJ]ZLQJHQGHUIRUGHUOLFK
Abb. 7.1 Stoffströme und Abwasseranfallstellen einer Verarbeitungslinie nach Methode 1 der EG-
Nebenprodukte-Verordnung. (Nach Merkblatt DWA-M 710, 2008, verändert)
Proteine“ und „Tierfett“ (s. Produktlinie in Abb. 7.1). Betreffende Produkte sind entspre-
chend der gesetzlichen Vorgaben entweder thermisch zu entsorgen (Kategorie 1) oder
auch einer stofflichen Verwertung zugänglich (Kategorie 2 und 3).
7.2.3 Reinigungsanforderungen
Die Anforderungen für Sickstoff gesamt gelten bei einer Abwassertemperatur von 12 °C
und größer im Ablauf des biologischen Reaktors der Abwasserbehandlungsanlage.
Ebenso wie bei direkt einleitenden Betrieben sind Auflagen zur Stickstoff-Elimination
heute auch für Indirekteinleiter üblich. Die Einleitgrenzwerte für Ammonium-Stickstoff
oder Stickstoff gesamt liegen oftmals in der gleichen Größenordnung wie bei Direkteinlei-
tern und erfordern somit i. d. R auch einen vergleichbaren reinigungstechnischen Aufwand.
7.2.5 Anaerobe Abwasserbehandlung
Punkten zusammengefasst (s. hierzu auch: Temper et al. 1988a, b; Temper und Metzner
1989; Temper 1996; Temper und Carozzi 2004, 2005). Weitere Untersuchungen siehe De
Zeeuw und Lettinga 1983, Morper 1984, Braun et al. 1986; Lind und Metzner 1993.
Von den modernen Anaerobverfahren mit Schlammrückhalt kommen aufgrund der Spe-
zifität des vorliegenden Abwassertyps insbesondere Festbettsysteme in Betracht. Das Pro-
blem bei Pelletschlamm-Reaktoren (EGSB- und UASB-Reaktoren) besteht in der einge-
schränkten bzw. fehlenden Pelletisierung insbesondere wegen des sehr geringen Calcium-
Gehaltes im VTN-Abwasser, was Nachimpfungen mit granuliertem Schlamm erforderlich
machen kann. Wie die bisherigen Anwendungsfälle zeigen, erfolgt die Auslegung der An-
lagen üblicherweise bei Raumbelastungen im Bereich zwischen etwa 5–10 kg CSB/(m3 · d).
Bei Einsatz spezieller Festbett-Verfahrenstechniken einschließlich der Aufwuchskörper
sind auch Raumbelastungen bis zu etwa 35 kg CSB/(m3 · d) möglich (Breitenbücher 1989;
Oberthür et al. 1990; Aivasidis 1992). Bewährt hat sich ein Reaktorbetrieb im mesophilen
Temperaturbereich.
Zu empfehlen sind der Anaerobstufe vorgeschaltete Einrichtungen zur mechanischen
Abwasserbehandlung wie Fettabscheider, Sieb- und Flotationsanlagen sowie Misch- und
Speicherbecken zum Wochenausgleich. Zwingend erforderlich für alle Verarbeitungsbe-
triebe der Kategorien 1 und 2 sind Abscheide- bzw. Rückhaltevorrichtungen für tierische
Bestandteile mit einer Partikelgröße > 6 mm. Unabhängig von den gesetzlichen Vorgaben
haben sich in der Praxis Siebanlagen mit Spaltweiten zwischen ca. 0,5 bis 2 mm bewährt.
Bei Auflagen einer weitgehenden Stickstoff-Elimination ist bei Wahl biologischer Ver-
fahren im Zulauf zum aeroben Behandlungsteil ein CSB/KN-Verhältnis von ca. 5 sicher-
zustellen, was in Anbetracht der vorliegenden Abwasserbeschaffenheit (s. Tab. 7.5) die An-
wendbarkeit anaerober Verfahren zur Abwasservorbehandlung stark einschränkt und in
jedem Fall eine Bypassführung von Rohabwasser in die Aerob-Stufe erforderlich macht.
Die Alternative hierzu existiert in Form physikalisch-chemischer Verfahren zur selektiven
Stickstoff-Entfernung vorzugsweise durch Ammoniak-Strippung oder Ammonium-Kon-
vertierung (Temper und Carozzi 1997). Nach Auffindung eines weiteren Stoffwechselweges
der biologischen Stickstoff-Entfernung ohne Kohlenstoffbedarf mittels Deammonifikation
(Kombination von Nitritation mit anaerober Ammonium-Oxidation) bietet sich nunmehr,
zumindest prinzipiell, auch die Möglichkeit einer Kopplung anaerober Verfahren mit den
neu entwickelten Systemen der Deammonifikation an. Eine praktische Überprüfung die-
ser Verfahrenskombination mit VTN-Abwasser steht bislang allerdings noch aus.
7.2.6 Großtechnische Beispiele
Die Verbreitung der Anaerobtechnik im VTN-Bereich beschränkt sich bislang auf den
deutschsprachigen Raum. In den Jahren 1986 bis 1995 wurden hier bei elf Betrieben ins-
gesamt vierzehn Anaerobeinheiten erstellt, davon elf Festbettreaktoren, zwei UASB-Sys-
teme und ein Anaerobreaktor nach dem Kontaktverfahren. In einem Betrieb wurden die
zwei vorhandenen Festbettreaktoren zwischenzeitlich durch einen EGSB-Reaktor ersetzt
7.2 Verarbeitungsbetriebe tierischer Nebenprodukte 563
(s. Kap. 7.2.6.3). Insbesondere wegen der Stickstoffproblematik sind lediglich fünf der ur-
sprünglichen Anaerobeinheiten aktuell noch in Betrieb, eine weitere Reduzierung ist zu
erwarten. Ob die Kombination mit Systemen der Deammonifikation eine Trendumkehr
bewirkt, bleibt zunächst offen.
Im Folgenden werden die vier verbliebenen VTN-Betriebskläranlagen mit anaerober
Vorreinigung vorgestellt, davon drei Anlagen mit biologischer Stickstoffentfernung und
eine Anlage mit physikalisch-chemischer Stickstoff-Elimination. Die wichtigsten Verfah-
rensstufen der betrieblichen Abwasserreinigung sowie die verfahrenstechnische Einbin-
dung des Anaerobsystems sind aus den jeweiligen, stark vereinfachten Blockfließschemen
zu entnehmen (NI: Nitrifikation, DN: Denitrifikation). Die Abwasserbelastung liegt in
allen vier Fällen im Rahmen der in Tab. 7.5 angegebenen Werte. Von den betreffenden An-
wendungsfällen liegen keine Fachpublikationen vor, die zu den einzelnen Anlagen ange-
gebenen Daten basieren auf betrieblichen Informationen. Die Auslegungs-, Betriebs- und
Leistungswerte sind gerundet.
7.2.6.1 Großtechnisches Beispiel 1
Betriebskläranlage A&L Tierfrischmehl Produktions-GmbH/D-49356 Diepholz (Block-
fließschema s. Abb. 7.2)
VTN: Zulassung zur Verarbeitung von Material der Kategorie 3 (Verarbeitungslinien
für Geflügelfleisch,
Gefügelblut, Federn)
Anwendung von Verarbeitungsmethode 7
Spezifikation KA: Mechanisch/biologische Kläranlage; Belebungsverfahren mit modi-
fizierter Kaskaden-Denitrifikation und anaerober Vorbehandlung; Direkteinleitung
Auslegungsdaten:
Abwassermenge: 40 m3/h, 960 m3/d
CSB-Fracht: 7.200 kg/d
KN-Fracht: 1.400 kg/d
Einleitanforderungen:
CSB: 150 mg/L
Stickstoff gesamt: 35 mg/L
Anaerobe Verfahrensstufe:
Anaerobsystem: Festbettreaktor
Inbetriebnahme: 1989
Nutzvolumen: 780 m3
Festbettanteil: 80 %
Festbett: Lose Schüttung aus PVC-Rohrabschnitten mit Innenstreben (Länge ca. 7 cm,
Durchm. ca. 3 cm)
Betriebsmodus: Abstromfahrweise mit Umlaufbetrieb
Reaktortemperatur: 40 + /− 2 °C
Hydraul. Auslegung: 30 m3/h, HRT ca. 40 h
Betrieb: 10 m3/h, 240 m3/d
Auslegung Raumbel.: 8 kg CSB/(m3 · d)
Betrieb: 2,5 kg CSB/(m3 · d), max.
564 7 Anwendung für organisch und anorganisch belastete Abwässer…
Siebanlage
Flotation
Pufferbecken
(Wochenausgleich)
Bypass
Anaerob-Anlage
(1 Festbettreaktor)
DN-Becken
NI-Becken
(4 Becken)
Externe DN-Becken
C-Quelle
NI-Becken
Nachklärbecken
Direkteinleitung
7.2.6.2 Großtechnisches Beispiel 2
Betriebskläranlage Steirische Tierkörperverwertungsgesellschaft mbH & Co KG/A-86461
Ehrenhausen (www.sttkv.at)
(Blockfließschema s. Abb. 7.3)
VTN: Zulassung zur Verarbeitung von Material der Kategorie 3 (Verarbeitungslinien
für Fleisch, Geflügelfleisch, Blut, Federn)
Anwendung der Verarbeitungsmethoden 1, 3, 5
Spezifikation KA: Mechanisch/biologische Kläranlage; Belebungsverfahren mit modi-
fizierter Kaskaden-Denitrifikation und anaerober Vorbehandlung; Direkteinleitung
Auslegungsdaten:
Abwassermenge: 25 m3/h, 600 m3/d
CSB-Fracht: 5.000 kg/d
KN-Fracht: 800 kg/d
Einleitanforderungen:
CSB: 150 mg/L
Stickstoff gesamt: 75 % Reduktion
Ammonium-N: 50 mg/L
Anaerobe Verfahrensstufe:
Anaerobsystem: Festbettreaktor
Inbetriebnahme: 1992 (Austausch Festbettmaterial: 1999)
Nutzvolumen: 180 m3
Festbettanteil: 95 %
Festbett: ursprünglich: SIRAN-Sinterglas-Raschigringe,
nach Austausch: NSW-Kunststoffblöcke
(ca. 60 × 60 × 80 cm, röhrenförmiger Aufbau)
Betriebsmodus: Abstromfahrweise mit Umlaufbetrieb
Reaktortemperatur: 32 + /− 1 °C
Hydraul. Auslegung: 12 m3/h, HRT ca. 15 h
Betrieb: 2 m3/h, max.
Auslegung Raumbel.: 22 kg CSB/(m3 · d)
Betrieb: 1,5 kg CSB/(m3 · d), max.
CSB-Abbau: 75 % bei Auslegungsbelastung
(Garantiewert bei erstem Festbettmaterial)
CSB-Abbau: 90–95 % bei Betriebsbelastung
(nach Austausch Festbettmaterial)
Gasverwertung: Warmwassergewinnung, Dampferzeugung
(nach vorheriger Entschwefelung)
Ergänzende Angaben:
Austausch des ursprünglichen Festbettmaterials aufgrund von Funktionsproblemen
durch Materialabrieb (Sinterglas). Wegen Stickstoff-Problematik stark eingeschränkte
Nutzung des Anaerobsystems, Weiterbetrieb insbesondere wegen Vorhaltung von Ab-
baukapazität bei Havariefällen.
566 7 Anwendung für organisch und anorganisch belastete Abwässer…
Flotation
Pufferbecken
(Wochenausgleich)
Bypass
Anaerob-Anlage
(1 Festbettreaktor)
DN-Becken
Belebungsbecken
(2 Becken mit NI-/DN-Anteil)
Flotation
Nachklärbecken
Direkteinleitung
7.2 Verarbeitungsbetriebe tierischer Nebenprodukte 567
7.2.6.3 Großtechnisches Beispiel 3
Betriebskläranlage Sonac Lingen GmbH/D-49811 Lingen (www.sonac.com)
(Blockfließschema s. Abb. 7.4)
VTN: Zulassung zur Verarbeitung von Material der Kategorie 3 (Verarbeitungslinien
für Schweineschlachtnebenprodukte, Schweineblut, Geflügelschlachtnebenprodukte)
Anwendung von Verarbeitungsmethode 7
Spezifikation KA: Mechanisch/biologische Kläranlage mit physikalisch-chemischem
System zur Stickstoff-Elimination (Ammonium-Konvertierung, s. Temper u. Carozzi
1997); Biologische Stufe mit Reihenschaltung Tropfkörper/Belebung und anaerober
Vorbehandlung; Indirekteinleitung
Auslegungsdaten:
Abwassermenge: 30 m3/h, 600 m3/d
CSB-Fracht: 6.500 kg/d
KN-Fracht: 400 kg/d (nach Ammonium-Konvertierung)
Einleitanforderungen:
CSB: 1.000 mg/L
Stickstoff gesamt: 80 mg/L
Anaerobe Verfahrensstufe:
Anaerobsystem: EGSB-Reaktor
(vormals vorhanden: 2 Festbettreaktoren mit SIRAN-Sinterglas-Raschigringen als Auf-
wuchsmaterial, Außerbetriebnahme 1997, s. u.)
Inbetriebnahme: 2009
Nutzvolumen: 330 m3
Reaktortemperatur: 37 + /− 3 °C
Hydraul. Auslegung: 30 m3/h, HRT ca. 11 h
Betrieb: 15–25 m3/h
Auslegung Raumbel.: 14 kg CSB/(m3 · d)
Betrieb: 5–20 kg CSB/(m3 · d)
CSB-Abbau: 80 % bei Auslegungsbelastung (Erwartungswert)
90–95 % im Jahresmittel
Gasverwertung: in BHKW (nach vorheriger Entschwefelung)
Ergänzende Angaben:
Die im EGSB-Reaktor gebildeten Schlammpellets sind vergleichsweise klein, was ins-
besondere bei höheren Belastungen deren Rückhaltung im System beeinträchtigt. Eine
Verbesserung der Pellet-Struktur soll durch die Dosierung von Calcium erreicht wer-
den.
Außerbetriebnahme der ursprünglichen Festbett-Systeme aufgrund von Funktionspro-
blemen durch Materialabrieb (Sinterglas).
568 7 Anwendung für organisch und anorganisch belastete Abwässer…
NH4-Konverter
Pufferbecken
(Wochenausgleich)
Anaerob-Anlage
(1 EGSB-Reaktor)
Tropfkörper
Belebungsbecken
(Dauerbelüftung)
Nachklärbecken
Indirekteinleitung
7.2.6.4 Großtechnisches Beispiel 4
Betriebskläranlage der TMF Extraktionswerk AG/CH-9602 Bazenheid (www.tmf.ch)
(Blockfließschema s. Abb. 7.5)
VTN: Zulassung zur Verarbeitung von Material der Kategorie 1
Anwendung von Verarbeitungsmethode 1
Spezifikation KA: Mechanisch/biologische Kläranlage, Zweistufiges Belebungsverfah-
ren mit vorgeschalteter Denitrifikation und anaerober Vorbehandlung; Indirekteinlei-
tung
Auslegungsdaten:
Abwassermenge: 6 m3/h, 144 m3/d
CSB-Fracht: 1.200 kg/d
KN-Fracht: 180 kg/d
Einleitanforderungen: Geruchsfreiheit, Frachtkontingente für CSB und Stickstoff, keine
Konzentrationsgrenzwerte
Anaerobe Verfahrensstufe:
Anaerobsystem: UASB, 2 Reaktoren in Parallelbetrieb
Inbetriebnahme: 1996
Nutzvolumen: 2 × 60 m3
Reaktortemperatur: 37 + /− 1 °C
Hydraul. Auslegung: 6 m3/h HRT ca. 20 h
Betrieb: 4–6 m3/h
Auslegung Raumbel.: 8 kg CSB/(m3 · d)
Betrieb: 3–8 kg CSB/(m3 · d)
CSB-Abbau: 90–95 % bei Betriebsbelastung
Gasverwertung: Dampferzeugung (nach vorheriger Entschwefelung)
Ergänzende Angaben:
Aufgrund fehlender Pellet-Neubildung regelmäßiger Bezug von granuliertem Schlamm
aus externer UASB-Anlage in Papier-/Kartonagenfabrik (i. d. R zweimal pro Jahr), ge-
ringe Bypassführung (ca. 15 %) um Anaerobsystem für verbesserte Denitrifikation.
570 7 Anwendung für organisch und anorganisch belastete Abwässer…
Flotation
Pufferbecken
(Wochenausgleich)
Bypass
Anaerobanlage
(2 UASB-Reaktoren)
DN-Becken
NI-Becken
Zwischenklärbecken
NI-Becken
Nachklärbecken
Indirekteinleitung
7.3 Anlagen mit anorganischen Abwässern 571
7.3.1 Allgemeines
Dieses biologisch produzierte oder biogene H2S kann unmittelbar zur Fällung von Metal-
len aus Lösungen genutzt werden, Abb. 7.6. Wenn die Entfernung von Sulfat aus der Flüs-
sigkeit im Einzelfall nicht der kostengünstigste Weg zur Produktion von Hydrogensulfid
ist, kann die Reduktion von elementarem Schwefel genutzt werden (Boonstra et al. 2001;
Ruitenberg et al. 2001). Nur zwei Elektronen werden für diesen Schritt benötigt, während
zum Sulfatumsatz acht Elektronen erforderlich sind:
6S 0 + C 2 H 5 OH + 3H 2 O → 6H 2S + 2CO 2
In solchen Fällen werden relativ kleine Bioreaktoren mit einem Schwefelstrom und einem
Reduktionsmittel beschickt. Der gebildete Schwefel wird in einer Gas/Flüssigreaktionsstu-
fe mit dem zu behandelnden Strom in Kontakt gebracht. In diesem Fall besteht also kein
direkter Kontakt zwischen Bakterien und zu behandelndem Strom. THIOTEQ® und Bio-
Sulphide® sind zwei Verfahren, die auf diesem Prinzip basieren. THIOTEQ® wird in dem
Pueblo Viejo Projekt in der Dominikanischen Republik eingesetzt, wo künftig 12.000 t
Kupfer pro Jahr zurückgewonnen werden (vorgesehen ab Ende 2012). In einem Projekt
im Süden der USA wird das BioSulphide®-Verfahren zur Gewinnung von 820 t Kupfer pro
Jahr eingesetzt.
Anstelle der Beschickung des Bioreaktors mit Schwefel können lokale Bedingungen den
Gebrauch anderer oxidierter Schwefelverbindungen wie Abfallschwefelsäure oder SO2 in-
teressant machen.
Tab. 7.6 Biologische Reduktion von gelösten Elementen zu einer reduzierten, festen Form
Element Gelöste Form Feste Form
Selen SeO42−, SeO32− Seo
Tellur TeO42−, TeO32− Te0
Uran UO22+ UO2
Palladium Pd2+
Pd0
Technetium TcO4- TcO(OH)2
Quecksilber Hg +
Hg0
Chromium Cr2O72−, CrO42− Cr(OH)3
Molybden MoO42− MoO2, MoS2
Vanadium V Verbindungen
5+
V4+ Verbindungen
Gold Au3+ Au0
Metallreduktion Einige Metalle können bei bestimmten Wertigkeiten nicht als Metallsul-
fid niedergeschlagen werden. In diesem Fall können anaerobe Bakterien genutzt werden,
um einige von diesen Metallen zu niedrigeren Wertigkeiten zu reduzieren und die Fällung
zu ermöglichen. Dies kann in Form von Sulfiden, aber auch als Metalloxid, -carbonat oder
sogar als elementares Metall erfolgen. In Tab. 7.6 sind einige Beispiele aufgelistet. Meist
sind diese gelösten Metalle in relativ niedrigen Konzentrationen in industriellen Abwäs-
sern vorhanden (< 100 ppm). BIOMETEQ® und ABMet® sind Technologien, die speziell
für diese Situationen entwickelt worden sind. Diese Verfahren sind geeignet, Wasser, wel-
ches mit Metallen im ppm-Konzentrationsbereich kontaminiert ist, zu behandeln. Metalle
wie Kupfer, Nickel, Zink, Cadmium, Thallium und Blei werden als die entsprechenden
Sulfide (aus biologischer Sulfatreduktion) ausgefällt, während Verbindungen wie Selenat
über reduktive Fällung entfernt werden.
Zum Beispiel verläuft die biologische Reduktion von Selenat zu Selen mit Ethanol wie
folgt:
HS− + 1
2 O 2 → S 0 + OH −
SO 24 − + 4H 2 + H + → HS− + 4H 2 O
574 7 Anwendung für organisch und anorganisch belastete Abwässer…
H 2SO 4 + 4H 2 + 1 2 O 2 → S 0 + 5H 2 O.
Es ist wichtig festzuhalten, dass bei Anwendung dieses Prozesses Säuregehalt ohne Zu-
gabe alkalischer Chemikalien entfernt werden kann. Dies ist speziell bei der Behandlung
von Abfallschwefelsäure oder sauren Abwässern von Interesse, die Sulfate und Schwer-
metalle enthalten, wie etwa den sauren Grubenwässern aus dem Metallbergbau. Bei An-
wendung dieses Verfahrens kann Sulfat auf unter 200 mg/L reduziert werden, was weitaus
weniger ist als die 1.500 mg/L, die mit traditioneller Kalkfällung erreichbar sind. Anstelle
(kontaminierten) Gipses wird Elementarschwefel produziert, der nur etwa 20 % des Gips-
schlammvolumens aufweist und die Möglichkeit des Wiedereinsatzes in der Schwefelsäu-
reproduktion bietet.
Nyrstar Budel betreibt seit 1973 eine Zinkverhüttung in Budel-Dorplein in den Niederlan-
den (s. Abb. 7.7). Über 200.000 t werden jährlich produziert. Der konventionelle Prozess
produziert verschiedene Abwasserströme, die Sulfat und Zink enthalten. Bis Mitte 2000
wurden diese Ströme konventionell durch Neutralisation mit Kalk unter Produktion von
Gips behandelt. Steigende gesetzliche Anforderungen untersagten eine weitere Produk-
tion dieser Reststoffe ab Juli 2000, sodass alternative Abwasserbehandlungsverfahren über
mehrere Jahre auf die Möglichkeiten der gipsfreien Reinigung und der Einhaltung schär-
ferer Einleitbedingungen überprüft wurden. Ausgewählt wurde ein anaerober Bioprozess;
diese Hochleistungsbiologie wandelt Zink und Sulfat in ein Zinksulfidprodukt um, das in
der Produktion wiederverwendet wird (Copini et al. 2000).
Bei Nyrstar Budel werden zwei Ströme mit diesem Prozess behandelt:
• Waschturmsäure (Wäscherablauf aus der Säureanlage der Röstung): Diese fällt norma-
lerweise etwa mit 25 m3/h und 10 g/L H2SO4, 0,5 g/L HF, 1 g/L HCl und 0,5 g/L Zn an.
• Magnesiumablauf: Diese Ableitung ist erforderlich, um Akkumulation von Magnesium
im Elektrolyten zu verhindern. Normalerweise werden daher 0.5 m3/h gereinigte Lö-
sung und/oder verbrauchter Elektrolyt zur Regelung des Magnesiumgehaltes aus dem
Kreislauf ausgeschleust. Diese Magnesiumausschleusung enthält 15 g/L Magnesium
und bis zu 300 g/L Sulfat.
Die anaerobe Sulfatreduktionsanlage bei Nyrstar Budel wurde 1999 realisiert und stellt
das Herzstück der Prozesskonfiguration der weitgehenden Sulfatwasserbehandlung dar
(Blockschema Abb. 7.8).
7.3 Anlagen mit anorganischen Abwässern 575
Mg bleed
Calcine (ZnO) 2
4
Crystalactor 5
Bioreaktor
Waschturmsäure 7
3
1
H2 CO2
CaF2-Pellets Ent-
Reformer 6
wässerung
Zinksulfid Schwefel
Luft
Das Sulfid wird dann zu festem Schwefel oxidiert, welches in einem Plattenabscheider ent-
fernt wird. Die Kenndaten der Zuläufe für die Lenzing-Anlage sind in Tab. 7.8 dargestellt.
Die Anlage ist auf 15 t Sulfat pro Tag, 10 t CSB pro Tag und 2 t Zink als Zinksulfid pro Tag
ausgelegt und wurde im Januar 2004 in Betrieb genommen.
Biogas
Luft Schwefel Luft
Faulbehälter
Schlamm
enthalten. Der Zulauf wird dem anaeroben IC-Reaktor zugeführt, in dem CSB in Bio-
gas umgewandelt und Sulfat zu Sulfid reduziert wird. Von dem anaeroben Reaktor wird
das Wasser in einer Flotationsanlage zur Trennung der kolloidalen Stoffe (wie Proteine)
geführt. Zur Minimierung der Schwefel-Produktion in diesem Reaktor wird Biogas für
die Flotation verwendet. Von der Flotationsanlage wird der Schlamm (mit bis zu 10 %
Trockenmasse) in den Faulbehälter geführt, in dem über 50 % der komplexeren festen An-
teile abgebaut werden. Der Ablauf wird wieder dem Zulauf zugeführt. Das Wasser aus
der Flotationsanlage wird in den aeroben Schwefelreaktor eingebracht, in dem das Sul-
fid zu elementarem Schwefel oxidiert wird. Nach dem Entfernen von Schwefel mit einem
Plattenabscheider wird das Wasser zu einem Nitrifizierungsreaktor geführt, wobei ein Teil
des Ammoniums zu Nitrit oxidiert wird. Schließlich wird das Wasser zu einem Anam-
mox-Reaktor geführt, in dem das hergestellte Nitrit zusammen mit dem anderen Teil des
Ammoniums anaerob zu Stickstoffgas umgewandelt wird. Anschließend wird das Wasser
abgeleitet. Tabelle 7.9 zeigt die Details des Zu- und Ablaufs für die Anlage.
Tab. 7.9 Anlage der Königlich-Niederländischen Hulshof Gerbereien: Kenndaten von Zu- und
Ablauf
Parameter Einheit Zulauf Ablauf
Q m3/h 30 30
CSB mg/L 7.750 < 500
Sulfat mg/L 1.100 < 300
Nges mg/L 610 < 50
Cr mg/L 15 <1
pH 8–10 8–9
Temperatur °C 25
7.4 Chemische und pharmazeutische Industrie 579
7.3.5 Zusammenfassung
Tab. 7.10 Umsatz, Beschäftigte und Betriebe nach Größenklassen und in ihrer Gesamtheit in
Deutschland. (VCI Branchenporträt 2011, Stand 2010 bzw. Stand 2009)
Anteil der Chemiebetriebe in Prozent (2010), bzw.
in absoluten Zahlen (2009)
Nach Zahl der Nach Nach Umsatz
Unternehmen Beschäftigten
Kleine Betriebe 49,9 % 5,1 % 3,2 %
(< 49 Beschäftigte)
Mittlere Betriebe 42,7 % 30,9 % 27,1 %
(50 bis 499 Beschäftigte)
Große Betriebe 7,4 % 64,1 % 69,7 %
(500 und mehr Beschäftigte)
Alle Betriebe in Deutschland 2.013 416.000 145,2 Mrd. €
Die Funktion des Mittelstandes weicht dabei in bemerkenswerter Weise von der sonst
im verarbeitenden Gewerbe vorherrschenden Aufgabenteilung ab. Werden in vielen Bran-
chen vom Mittelstand Zulieferfunktionen wahrgenommen, so ist in der chemischen In-
dustrie die Erstellung der Vorprodukte eine Domäne der Großunternehmen. Kleine und
mittlere Unternehmen stellen in erster Linie Endprodukte her. Sie sind wie die Großunter-
nehmen auf den Weltmärkten vertreten.
Tab. 7.11 Produktionswerte der Chemiesparten. (VCI Branchenportät 2011, Stand 2010)
Sparte In Mrd. € Anteil in Prozent
Anorganische Grundchemikalien 11,3 8,5
Petrochemikalien u. Derivate 24,6 18,7
Polymere 26,0 19,7
Fein- und Spezialchemikalien 31,5 23,9
Pharmazeutika 26,9 20,4
Wasch- und Körperpflegemittel 9,8 7,5
Veredelung von Erzeugnissen 1,7 1,3
Chemische Industrie 131,8 100,0
7.4 Chemische und pharmazeutische Industrie 581
che ihre Umwelteffizienz deutlich erhöhen können. In der Produktion hat sie in Deutsch-
land ihre Treibhausgas-Emissionen seit 1990 um 47 % gesenkt, bei gleichzeitigem Anstieg
der Produktion um 42 %. Auch beim Energiebedarf ist in der Branche die Entkopplung
von Produktion und Energieeinsatz mit einer Reduktion von 33 % vorangeschritten.
Mit innovativen Produkten tragen die Unternehmen weiterhin zur Steigerung der Ener-
gieeffizienz sowohl bei den weiterverarbeitenden Industrien als auch beim Konsumenten
bei. Mit neuen chemischen Verfahren, Materialien und Hilfsstoffen lassen sich nicht nur
die bisherigen Energieträger wie Erdöl oder Erdgas effizienter nutzen, sondern auch neue
Technologien wie Wind-, Solar- oder Bioenergie voranbringen.
Tab. 7.12 Organische Verbindungen, die der anaeroben Behandlung zugänglich sind (Auszug)
Acetaldehyd Äthylacrylat Pentraerithrytol
Essigsäurenhybrid Eisensäure Pentanol (Amylalkohol)
Aceton Formaldehyd Phenol
Acrylsäure Ameisensäure Phthalsäure
Adipinsäure Fumarsäure Propanal (Propylaldehyd)
Anilin Glutaminsäure Propanol (Propanalkohol)
1-Amino-2-Propanol Glutarsäure Isopropylalkohol
4-Aminobuttersäure Glycerin propionsaures Salz
Benzoesäure Hexansäure Propylenglycol
Butanol Hydrochinon Protobrenzkatechinsäure
Butylaldehyd Isobutansäure Resorcin (Dioxybenzol)
Butylenglycerin Isopropanol Sec-Butanol
Brenzkatechin Milchsäure Sec-Butylamin
Kresol (Methylphenol) Maleinsäure Sorbinsäure
Krotonaldehyd Methanol Syringaldehyd
Diacetonsäure Methylacetat Syringinsäure
Dimetoxische Methyläthylketon Bernsteinsäure
Benzoesäure Methylformiat Tert. Butanol
Äthanol Nitrobenzol Vanilinsäure
Äthylacetat Vinylacetat
(Essigsäureäthylester)
582 7 Anwendung für organisch und anorganisch belastete Abwässer…
Deutlich wird in der chemischen Industrie der Trend zu immer höheren Raum-/Zeit-
Ausbeuten in den Fermentationsreaktoren. Waren zunächst in den 1980er und den An-
fängen der 1990er-Jahren Schwachlastreaktoren vorherrschend, so sind es heute Hoch-
lastreaktoren mit deutlich geringerem Platzbedarf. Beispielhaft wird das bei den in den
Niederlanden entwickelten und sich heute zu den Marktführern etablierten sog. Pellet-
schlammreaktoren verdeutlicht. Tabelle 7.15 zeigt beispielhaft eine Gegenüberstellung der
Kennwerte von UASB- und EGSB-Reaktoren (gleicher CSB-Abbau vorausgesetzt).
7.4.3 Pharmazeutische Abwässer
Wasser mit
Ausgangsstoffen
biologisches
Inokulum
biologische Reinigungs-
Fermentierung abwässer Waschflüssigkeit
Heissdampf Reinigung,
Desinfektion (Phenol) Abgas
(NOx, SOx)
Gaswäscher
Filtration Mikro-
organismen
Abwässer
wässrige Brühe
Produkt Rückgewinnung:
Lösungsmittel - Extraktion mit Lösungsmitteln Aufbereitung End-
- Fällung produkt
- Ionenaustausch
verbrauchte
Lösungsmittel
Abwässer
Tab. 7.16 Konzentrationsbereiche für die Komposition von Abwasser aus der pharmazeutischen
Industrie mit chemischen oder biologischen Prozessen. (US EPA 1998)
Schadstoff Einheit Chemische Synthese Biologische Synthese
CSB (mg/L) 1000–2 000 ~ 10.000
Feststoff, TS (mg/L) ~ 50 1000–2 000
NH4 (mg N/L) ~ 200 0–100
Cyanid (mg/L) bis zu 5 000 nicht vorhanden
pH (−) 1–10 5–8
586 7 Anwendung für organisch und anorganisch belastete Abwässer…
• Filtrierung,
• Luft-/Heißdampfstrippung,
• (Granulat-)Aktivkohle-Adsorption,
• pH-Einstellung,
• Pufferung,
• biologische Behandlung (meist aerobe Behandlung im Belebtschlamm-Verfahren).
Wegen ihrer Beständigkeit gegen biologischen Abbau und Toxizität für Mikroorganismen,
kann die Anwesenheit von pharmazeutisch wirksamen Verbindungen (PhACs – Pharma-
ceutically Active Compounds) in Abwässern Auswirkungen auf die anaerobe Behandlung
haben. Dies kann in Bezug auf die Stabilität des anaeroben Reaktors, des erreichbaren
CSB-Abbaus und die Einleitung (oder möglicherweise Wiederverwendung) des behan-
delten Abwassers problematisch sein. Eine Übersicht der verfügbaren wissenschaftlichen
Literatur zur anaeroben Umsetzung von Pharmazeutika zeigt, dass diese bisher in klei-
7.4 Chemische und pharmazeutische Industrie 587
Tab. 7.17 Die Behandlung von Abwässern mit pharmazeutisch wirksamen Verbindungen in klei-
nen anaeroben Reaktoren. (in Anlehnung an Chelliapan und Sallis 2011; Sundararaman und Sarava-
nane 2010). UASB Upflow Anaerobic Sludge Bed, UASR Upflow Anaerobic Staged Reactor, AnMBR
anaerober Membran-Bioreaktor, PAK Pulver-Aktivkohle
Reaktor Pharmazeutisch wirksamen V CSBin Raumbelastung CSBAbbau
Verbindung
(L) (kg/m3) (kg CSB/(m3·d)) (%)
UASB Sulfamerazin 2,5 3 3,6–3,8 68–89
(antibakterielles Mittel)
UASR Tylosin und Avilamycin 11 4,9–7,5 1,2–1,9 70–75
(Antibiotika)
Hybrid UASB Bacampicilline, 14 40–60 6–9 72
Sultampicilline (Antibiotika)
AnMBR Cephalosporine 17 0,9–1,9 1,6–11 > 95
(Antibiotikum)
Wirbelbett + PAK Cefalexin (Antibiotikum) 30 0,3–1,5 1,2–3,4 70–83
nerem (Labor-) Maßstab und nicht in großtechnischen Anlagen erfolgte. Die meisten
Forschungsarbeiten sind mit synthetischen Abwässern bei definierter PhAC-Zugabe und
nicht mit komplexen Abwässern aus der Industrie ausgeführt worden. Tabelle 7.17 zeigt
experimentelle anaerobe Reaktoren, die für die Behandlung von Abwässern mit PhACs
eingesetzt wurden. Viele verschiedene Reaktor-Systeme wurden eingesetzt; worunter jeder
seine Vorteile hat. Zum Beispiel schützt eine Trennung der Prozessschritte in einem UASR
(Upflow Anaerobic Staged Reactor) die empfindlichen methanogenen Schritte. Komplet-
ter Schlammrückhalt mit Hilfe einer Membran kann das Wachstum der langsam wachsen-
den Mikroorganismen möglich machen. Diese sind fähig PhACs abzubauen. Die Entfer-
nung von PhACs in anaeroben Reaktoren kann als Folge des biologischen Umsatzes und
als Folge der Adsorption an (Bio-)Feststoffen auftreten. Letztere bietet eine Möglichkeit,
die PhACs zu konzentrieren, was die endgültige Beseitigung durch Verbrennung möglich
macht, dem allgemeinen Beseitigungsweg für feste Abfälle und Organismen. Für Abwässer
aus der Herstellung von biologisch-pharmazeutischen Produkten eignet sich am besten
eine biologische Behandlung, da die biologischen Produktionsprozesse den Bedingungen
der biologischen Reinigung sehr nahe kommen. (z. B. pH-Wert im neutralen Bereich und
geringere Konzentrationen toxischer Verbindungen).
Die Persistenz der PhACs in der Umwelt war vor kurzem sehr präsent und als identi-
fizierte primäre Quellen wurden kommunale Abwasserbehandlungsanlagen und Abwäs-
ser aus Krankenhäusern ausgemacht. Die Pharmazeutika, die an diesen Orten gefunden
werden, gelangen durch menschlichen Gebrauch in den Abwasserkanal. Mehrere Studien
haben gezeigt, dass PhACs noch im Abwasser von anaeroben und aeroben Behandlungen
enthalten sind (de Graaff et al. 2011; Lindqvist et al. 2005). Zur vollständigen Entfernung
von PhACs ist es notwendig, Advanced Oxidation Processes (AOP) an die anaerobe Ab-
wasserbehandlung anzuschließen (Deegan et al. 2011). Zu den AOPs gehören zum Beispiel
Ozonierung und UV-Behandlung. Die Notwendigkeit für AOPs gilt auch für Abwässer
588 7 Anwendung für organisch und anorganisch belastete Abwässer…
aus der pharmazeutischen Industrie. Anaerobe Vorbehandlung ist in diesem Fall ein Vor-
teil, weil so teilweise die PhACs, aber vor allem andere organische Verbindungen aus dem
Abwasser entfernt werden, da sie ansonsten die Belastung der AOPs erhöhen würden. Zu-
sätzlich kann die Energie, welche für AOPs benötigt wird, (zum Teil) aus dem Abwasser
selbst erzeugt werden.
Eine der ersten Anwendungen in der chemischen Industrie war die Anlage der Schell Che-
mie, Moerdijk, NL (Franklin et al. 1994). Auf der Grundlage von lang andauernden labor-
technischen Untersuchungen zur Umsetzung der Abwasserinhaltsstoffe aus der Methylsty-
rol-Propen-Oxyd (MSPO)-Produktion wurde ein UASB-Reaktor mit einem Volumen von
V = 1.400 m3 gebaut. Eine nassoxidative Vorbehandlung ist notwendig, um große Moleküle
und toxische Komponenten zu spalten und damit den CSB von 20–45 g/L möglichst voll-
ständig biologisch verfügbar zu machen. Die Anlage ist seit mehr als 20 Jahren kontinuier-
lich in Betrieb und baut bei einer Fracht von bis zu 28 t/d ca. 90 % des zugeführten CSB ab.
In den 1990ern wurden Systeme mit interner oder externer Rezirkulation entwickelt,
die insbesondere für die Anforderungen der chemisch-pharmazeutischen Industrie große
Vorteile bieten. Die sog. EGSB-Systeme arbeiten mit hohen Aufströmgeschwindigkeiten,
die über die Rezirkulationsmenge eingestellt werden. Damit wird eine Verdünnung kri-
tischer Inhaltsstoffe erreicht, die zwar biologisch abbaubar sind, aber in höheren Kon-
zentrationen hemmende Wirkungen aufweisen. Mit diesem Ansatz wurde das Abwasser
einer Polyoxymethylen (Delrin®) Produktion behandelbar, welches sich aus Ameisen- und
Essigsäure zusammensetzt und für Methanol, Octanol und Formaldehyd höhere Konzen-
trationen im toxischen Bereich erreicht (Zoutberg et al. 1997). In der Anlage von DuPont,
Dordrecht, NL wird das Formaldehyd komplett umgesetzt, weil die Konzentration von
3.000 mg/L im Zulauf durch die Verdünnung auf etwa 500 mg/L reduziert wird. Bei einer
Zulauffracht von 8 Mg CSB/d wird ein 85 %iger Abbau erzielt.
(o- PA). Ein Teil des eingesetzten para-Xylen wird in einer Nebenreaktion zu Benzoesäure
umgesetzt, die einen deutlichen Anteil an der Abwassercharakteristik hat.
Der zweite Verfahrensschritt ist eine Rekristallisierung, bei der alle flüssigen Neben-
und Zwischenprodukte ins Abwasser gelangen, deren typische Beschaffenheit in Tab. 7.18
dargestellt ist. Die Abwassertemperatur beträgt ca. 32–36 °C. Es ist zu berücksichtigen,
dass jeder Produktionsstandort durch eine eigene Charakteristik der Bestandteile gekenn-
zeichnet ist, die zudem in kürzeren oder längeren Perioden schwanken und dabei auch
Belastungsspitzen erreichen, die ein mehrfaches über der Regelbelastung liegen können.
Bei einem mittleren CSB im Abwasser von ca. 3.000 mg/L können auch Spitzenwerte von
8.000 mg/L und darüber hinaus gemessen werden. Auch der Anteil unbekannter Kompo-
nenten im Abwasser variiert zwischen etwa 5 und 35 %. Vor diesem Hintergrund können
an dieser Stelle keine Angaben zur spezifischen Abwasserfracht je Mg Produkt gemacht
werden, hier ist die Erhebung im Einzelfall unbedingt notwendig.
Die Auslegung der anaeroben Abwasservorbehandlungsanlage zeigt einen einfachen
Aufbau. Eine Vorsedimentation entfernt ausgefällte Reste von TA und Katalysatormaterial
und kann als Absetzbecken oder Parallelplattenabscheider ausgeführt werden. Ein Puffer
sollte 10 h Verweilzeit nicht unterschreiten, besser ist 1 d Verweilzeit vorzuhalten. Neben
dem Puffer ist unbedingt ein Havarietank einzuplanen, der mit ebenfalls 1 d Verweilzeit
genügend hydraulische Kapazität für kritische Belastungsspitzen bereithält, die beispiels-
weise aus Abweichungen der Temperatur, des pH-Wertes, des TOC und auch der aktuellen
Abwassermenge resultieren können.
Um Überfrachtungen der Anlage zu vermeiden wird häufig eine online-TOC-Messung
zur Bewirtschaftung des Pufferbehälters eingesetzt. In diesem wird der pH-Wert über die
Zugabe von Natronlauge eingestellt und zudem erfolgt die Zugabe der Nährstoffe und
Spurenelemente, denn dieses chemische Abwasser hat hier ein klares Defizit. Aufgrund
der großen CSB Tagesfrachten wird das Abwasser auf mindestens zwei oder auch mehr
Anaerobreaktoren verteilt. Dabei werden UASB-Reaktoren auf eine Raumbelastung von
8–12 kg CSB/(m3 · d) ausgelegt und Biobed®-Reaktoren nach dem EGSB-Verfahren auf 10–
16 kg CSB/(m3 · d). Die Auslegung erfolgt auf mittlere Tagesfrachten und -mengen, wobei
Belastungsspitzen, wenn sie im Tagesverlauf regelmäßig auftreten, mit berücksichtigt wer-
den. Ein Teil des anaerob behandelten Abwassers wird über eine externe Konditionierung
in den Anaerobreaktor zurückgeführt. Neben dem positiven Verdünnungseffekt können
7.4 Chemische und pharmazeutische Industrie 591
die Parameter im Anaerobreaktor auch durch Anpassungen sehr genau und bedarfsge-
recht eingestellt werden.
Insgesamt werden bei einem Abwasser der PTA-Produktion CSB-Abbaugrade von über
> 90 % im täglichen Betrieb erreicht. Da in der Produktion kaum Schwefel enthalten ist,
enthält das Biogas ebenfalls nur so geringe Mengen an H2S, dass i. d. R. vor der Nutzung
auf eine Entschwefelung verzichtet werden kann. In einem Schlammspeicher wird der vor
Ort erzeugte granuläre Anaerobschlamm eingelagert, um, nach einer möglichen Störung
der biologischen Abbauprozesse, eine schnelle Möglichkeit der Wiederinbetriebnahme zu
haben. Ein effektives Schlammwachstum wird aber erst nach einer langfristigen Adaptions-
zeit des Impfschlammes auf die verschiedenen Abwasserkomponenten zu beobachten sein.
Nach der Anaerobstufe wird sich eine aerobe Stufe anschließen, um die Einleitgrenz-
werte zu erreichen. Die Beschaffenheit des PTA-Produktionsabwassers ist so gestaltet, dass
eine einfache aerobe Komplettreinigung möglich ist, sich aber aus Sicht der damit verbun-
denen Betriebskosten verbietet: Belüftungsenergie, Schlammentsorgung sowie die Dosie-
rung von Nährstoffen und Spurenelementen schlagen sich in sehr erheblichem Umfang
nieder. Dennoch findet sich bei vielen PTA-Produktionsstätten eine aerobe Belebungsan-
lage, die in der Lage ist, nahezu die gesamte Abwasserfracht umzusetzen. Die Möglichkeit,
die PTA-Produktion auch bei Störungen verschiedener Art weiterführen zu können, ist
der eine Grund, der zweite liegt in der sehr langen Adaptionszeit der anaeroben Bakterien
begründet. Das heißt, in diesem Fall wird die Aerobstufe vor allem in der Inbetriebnahme-
phase der Anaerobstufe und bei ggf. auftretenden Hemmungen der Anaerobstufe benötigt.
Obwohl sämtliche Abwasserinhaltsstoffe aus der PTA-Produktion anaerob abbaubar
sind, ist für das komplex zusammengesetzte Abwasser in der Praxis mit einer Adaptions-
zeit von bis zu 18 Monaten zu rechnen (Kleerebezem et al. 1999). Die Adaptionsvorgänge
sind in Batch-Tests sehr gut dokumentiert. So sind 50 %ige Abbauraten für Benzoesäure
nach 1–2 Wochen zu verzeichnen, für o-PA nach 2–8 Wochen, für p-TA nach 7–12 Wo-
chen und für i-PA werden 10–20 Wochen benötigt. Der längste Adaptionszeitraum wird
mit etwa 12 Monaten für den Abbau von Trimellitsäure benötigt.
Es ist allerdings auffällig, dass die Inbetriebnahme an einer Großanlage einen sehr viel
längeren Zeithorizont benötigt. Zwischen den ersten 5 % CSB Abbau bei erstem Abwasser-
kontakt und dem Erreichen von 80 % Eliminationsleistung bei Auslegungsbelastung liegen
ca. 1,5 Jahre (Abb. 7.13a, b).
Die notwendige Adaptionsdauer wird im Wesentlichen durch die jeweiligen Konzen-
trationen von Benzoesäure und Essigsäure im Abwasser beeinflusst. Solange der Abbau
dieser beiden relativ einfach umsetzbaren Stoffe nicht nahezu vollständig erfolgt ist, wer-
den die komplexeren und inhibierenden Abwasserbestandteile nicht angegriffen. Das Vor-
handensein einfach umsetzbaren Substrates hemmt die Umsetzung weiterer Abwasser-
komponenten in der Form, dass noch nicht einmal die Adaptionsvorgänge beginnen.
Darüber hinaus zeigen die komplexeren Komponenten eine hemmende Wirkung, die
konzentrationsabhängig ist. Sie beginnt für p-TA bei 1.400 mg/L, für i-PA bei 825 mg/L
und für TMA bei 700 mg/L. Hier bietet die externe Rezirkulation des Reaktorablaufes zur
Verdünnung der Rohabwasserzulaufkonzentration den Vorteil, dass die Konzentrationen
592 7 Anwendung für organisch und anorganisch belastete Abwässer…
100 25
90 CSBgelöst Abbau
60 15
50
40 10
30
20 5
10
0 0
a 0 50 100 Tag 150 200
100 25
90
60 15
50
40 CSB Abbau 10
30 Raumbelastung
20 5
10
0 0
b 0 100 200 300 Tag 400 500 600
Abb. 7.13 a und b: CSB-Raumbelastung und Abbaugrad von Laboruntersuchungen ( oben) und
einer großtechnischen Anlage ( unten) im Vergleich
unterhalb der Hemmschwelle sicher eingestellt werden können. Aus diesen Sachverhalten
leitet sich die direkte Notwendigkeit einer langfristigen Adaptionszeit ab. In einem ent-
sprechend eingefahrenen System können betriebsstabile CSB-Abbaugrade von 90 % ver-
zeichnet werden.
Leider ist der mühsame Aufbau der adaptierten Biomasse aber auch mit einem schnel-
len Verlust der Umsetzungsfähigkeit verbunden. Anaerober Überschussschlamm, der im
Schlammpuffer für Notfälle zwischengespeichert ist, verliert seine spezielle Aktivität nach
2–3 Monaten ohne Abwasserzugabe. Hier ist also durch entsprechende Maßnahmen einer
regelmäßigen Abwasserzugabe Abhilfe zu schaffen.
Es bleibt festzuhalten, dass PTA-Abwasser anaerob sehr gut zu reinigen ist. Der Bau
einer entsprechenden Anlage erfordert ein sorgfältiges Design, eine lange Adaptionszeit
und eine erfahrene Inbetriebnahme, um den Besonderheiten der Schlammentwicklung
Rechnung zu tragen.
7.4 Chemische und pharmazeutische Industrie 593
Anlagenkonfiguration Auf Basis der Belastungsprognose und der Ergebnisse der Pilo-
tierung resultierten nachstehende Bemessungswerte für die Anlagenauslegung und die
Dimensionierung der Bauteile der anaeroben Abwasservorbehandlungsanlage (Tab. 7.19).
In Abb. 7.14 ist der schematische Aufbau der Abwasserbehandlung am Standort Penz-
berg dargestellt. Die neu errichtete Anaerobstufe ist in die biologische Stufe 1 integriert.
Die bestehende Hochlastbelebung (HLB) wird weiter vorgehalten, um außerordentliche
Belastungsspitzen abzufangen.
594 7 Anwendung für organisch und anorganisch belastete Abwässer…
MAB &
HBA/LMA Neutra
Vorversäuerung Strom
MAB &
BA A BB1 BB2 BB3
Neutra MF1
MF2
MF3
FA Puffer
Biologie Stufe 2 Membranfiltraon
Havarie
Dekanter
Regenwasserbehandlung Klärschlamm
Anaerobe Abwasseranlage, System BIOBED® Aus den Puffertanks wird das Abwasser in den
Konditionierungstank der anaeroben Abwasserbehandlungsanlage gepumpt. Die Anaerob-
anlage besteht aus einem BIOBED®-Reaktor mit vorgeschaltetem Konditionierungstank.
Die Anaerobanlage wurde auf das Tagesmittel von 6.500 kg/d CSB bei einem Abwasser-
zulauf von 120 m3/d bemessen. Das anaerobe EGSB-Hochleistungssystem besitzt ein Reak-
torvolumen von 480 m3. Nach den Ergebnissen der Pilotversuche war eine CSB-Abbauleis-
tung von im Mittel ca. 94 % zu erreichen, was einem Abbau von 6.110 kg/d CSB entspricht.
Das erzeugte Biogas, mit einem mittleren Methangehalt von 72 %, wird nach der Entschwe-
felung in einem BHKW verbrannt und daraus Strom und Wärmeenergie generiert.
In den Konditionierungstanks wird das Abwasser für den biologischen Abbauprozess
im nachfolgenden Anaerobreaktor optimal eingestellt:
• Neutralisation:
Die Neutralisationsmittelzugabe erfolgt zur Einstellung des für den anaeroben Prozess
optimalen pH-Wertes mit Natronlauge oder Salzsäure.
• Nährstoffzugabe:
Für eine optimale Aktivität der Mikroorganismen in der biologischen Stufe können bei
Bedarf die notwendigen Nährstoffe wie Stickstoff, Phosphor, Eisen und Spurenelemente
zudosiert werden.
• Rezirkulation:
Beim BIOBED®-Verfahren wird ein Teilstrom aus dem Ablauf der Reaktoren in die
Konditionierungsbehälter zurückgeführt (Rezirkulation). Damit ist es möglich, den
Neutralisationsmittelverbrauch durch Rückführung von Pufferkapazität auf ein erfor-
derliches Minimum zu reduzieren.
• Temperaturerhöhung und Durchmischung:
Diese erfolgt durch Entnahme eines Teilstromes, der über einen Plattenwärmetauscher
gepumpt und über eine Strahldüse wieder in den Konditionierungstank zurückgeführt
wird. Als Heizmedium wird Heißwasser aus dem BHKW entnommen.
• Online-Analytik:
Durch eine intensive Online-Analytik ist die direkte Prozesskontrolle der Anlage jeder-
zeit gewährleistet. TOC/TNb-Analysatoren messen die Zu- und Ablaufkonzentrationen
an Kohlenstoff und Stickstoff, eine Online-Ionenchromatographie bestimmt den Ge-
halt an organischen Säuren und eine vollautomatisierte redundante pH-Messautomatik
sichert eine hohe Verfügbarkeit der Neutralisationseinrichtungen. In Kombination mit
einer hochautomatisierten Prozessleitsteuerung ist der Anaerobprozess dadurch jeder-
zeit transparent und wichtige Prozessführungsgrößen werden im Bedarfsfall automa-
tisch durch das Leitsystem angepasst.
Blockheizkraftwerk Das BHKW mit 969 kW Feuerungsleistung erzeugt aus dem einge-
speisten Methangas 388 kW elektrische Leistung sowie 473 kW Wärmeleistung für das
Nahwärmenetz. Zusätzlich wird die Kondensationswärme des Abgasstromes zur Behei-
zung des Bioreaktors genutzt. Der elektrische Wirkungsgrad beträgt 40 % und ist außer-
gewöhnlich hoch.
Die Abwärme wird in eine neu errichtete Nahwärmeleitung eingespeist (Vorlauf/
Rücklauf 90/70 C). Diese Leitung führt zu drei Produktionsgebäuden sowie einem Ver-
waltungsgebäude. In den Gebäuden wird die Wärme über Plattenwärmetauscher in das
jeweilige Heizungssystem eingespeist und ersetzt so hochenergetischen Dampf (180 C).
Hierdurch wird der fossile Brennstoff Erdgas eingespart. Der weitere Ausbau des Nahwär-
mesystems ist in Planung.
Ergebnisse des Projektes Die Realisierung dieses Projektes ist ein wichtiger Beitrag zu
den Nachhaltigkeitszielen der Roche Unternehmensgruppe (Reduktion des Energiever-
brauchs, Reduktion von CO2-Emissionen (Carbon Footprint) und Verminderung des
Einsatzes fossiler Brennstoffe). Verschiedene Stufen in diesem Projekt leisten dazu einen
erheblichen Beitrag.
• Durch Einleitung flüssiger Abfälle in das Abwassersystem entfallen pro Jahr ca. 175
Lkw-Transporte.
• Das Projekt führt zu Betriebsmittel-Einsparungen von ca. −80 % für Reinsauerstoff-
und ca. − 60 % für die Altlösungsmittel-Entsorgung.
• Aus dem anfallenden Biogas werden 2.700 MWh Strom/a und 2.800 MWh Wärme/a
erzeugt.
In Summe wird so eine Reduktion der CO2-Emissionen in Höhe von ca. 1.400 Mg pro Jahr
erreicht. Diese sind verbunden mit der Reduktion der Kosten für Fremdenergie, Betriebs-
mittel sowie die Einsparungen bei der Entsorgung von Abfällen. Es ergeben sich Primär-
kosteneinsparungen im mittleren 6-stelligen €-Bereich. Die Abwasserreinigungsanlage im
Werk Penzberg produziert nun in Summe mehr Energie als sie für den Reinigungsprozess
der Abwässer benötigt, sie wurde somit vom Energieverbraucher zum Energieerzeuger.
Beispiel 2 aus der Pharmazeutischen Industrie Chen et al. (2011) beschreiben die
Behandlung von Pharma-Abwasser von einer Produktionsanlage in Nordchina mit einem
UASB-Reaktor ( V = 2.000 m3). Der Reaktor wurde bei einer Raumbelastung von 12–20 kg
CSB/(m3·d) und einer Durchflusszeit von 17–40 h betrieben. Das Abwasser enthielt
6-Aminopenicillansäure (6-APA, Baustein des Antibiotikums Ampicillin) und Amoxi-
cillin (Antibiotikum) in Konzentrationen von 60–300 mg/L. Eine 100-tägige Akklima-
tisierungszeit wurde angewandt, in der das Abwasser schrittweise verändert wurde, von
Glucose basiertem Abwasser zu 100 % pharmazeutischem Abwasser. Nach jedem Schritt
wurde eine Abnahme der CSB-Effizienz beobachtet (15–30 % weniger), gefolgt von gradu-
eller Erholung (10–15 Tage). Diese Beobachtung weist darauf hin, dass die Verbindungen
tatsächlich toxisch waren, zeigt aber auch die Möglichkeit der Adaptation der anaeroben
Mikroorganismen an erhöhte pharmazeutische Konzentrationen. Im Laufe der nächsten
200 Tage betrug die durchschnittliche Entfernung von 6-APA und Amoxicillin 20–25 %.
Es wurde nicht angegeben, ob die Ursache biologischer Abbau oder Adsorption an den
Schlamm war. Der gesamte CSB-Abbau in dieser Studie betrug 19 bis 85 % bei Zulauf der
Konzentrationen von 4.7–20 g CSB/L.
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8
Peter Weiland, Klaus Fricke, Christof Heußner, Axel Hüttner
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Inhaltsverzeichnis
8.1 Landwirtschaftliche Vergärungsanlagen
Peter Weiland
$Q]DKO%LRJDVDQODJHQ
Abb. 8.1 Entwicklung der Zahl der Biogasanlagen zwischen 1990 und 2010
Während des Zweiten Weltkriegs wurden in Deutschland erstmals Verfahren zur Bio-
gaserzeugung aus den organischen Abfallstoffen der Landwirtschaft im Labormaßstab er-
probt und bis zur praktischen Nutzanwendung entwickelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg
setzte eine lebhafte Entwicklung unterschiedlicher Reaktorsysteme ein, die ausschließlich
für die Vergärung von Festmist konzipiert waren, der in einer Vorgrube mit Wasser und
Faulschlamm vermischt wurde.
Bis Ende der 50er-Jahre wurden über 50 Biogasanlagen in Deutschland errichtet, von
denen viele aufgrund mangelhafter Funktion häufig bereits nach kurzer Betriebszeit wie-
der stillgelegt wurden. Wenngleich das Motiv zum Anlagenbau in erster Linie die Energie-
gewinnung war, so spielte wegen der bestehenden Düngemittelknappheit die Nutzung der
Gärrückstände zur Düngung bereits eine wichtige Rolle.
Mit dem Aufkommen von preiswertem Heizöl und Mineraldünger ab Mitte der 50er-
Jahre sank das Interesse an der Biogaserzeugung, und die meisten Anlagen wurden still-
gelegt. Erst mit der Ölkrise im Jahre 1972 stieg erneut das Interesse an dieser Technik und
es wurden neue Verfahren für die in der Zwischenzeit eingeführte Flüssigmisttechnik ent-
wickelt, die durch einstreulose Aufstallung der Tiere auf Spaltenböden oder Gitterrosten
möglich wurde. Nach einer europaweit durchgeführten Erhebung waren 1985 in Deutsch-
land etwa 75 landwirtschaftliche Biogasanlagen in Betrieb (Palz 1985). Zwischen 1985 und
1990 ging der Bau neuer Anlagen stark zurück, sodass bis 1990 der Bestand auf lediglich
100 Biogasanlagen anstieg. Erst mit Einführung einer gesetzlichen Regelung zur Einspei-
severgütung von Strom aus Biogas begann ab 1990 eine stetige Zunahme der Zahl land-
wirtschaftlicher Biogasanlagen, die mit Einführung des „Erneuerbare-Energien-Gesetzes
(EEG)“ im Jahr 2000 und insbesondere nach dessen Novellierung im Jahr 2004 und 2009
erheblich beschleunigt wurde (Abb. 8.1).
8.1 Landwirtschaftliche Vergärungsanlagen 607
Tab. 8.1 Vergütungssätze des EEG für 2011 in Betrieb genommene Biogasanlagen
Anlagenleistung Vergütung (Cent/kWh)
Grundvergütung Bis 150 kW 11,44
Bis 500 kW 9,00
Bis 5 MW 8,09
Bis 20 MW 7,63
NawaRo-Bonus Bis 500 kW + 6,86
Bis 5 MW + 3,92
Güllebonus Bis 150 kW + 3,92
Bis 500 kW + 0,98
Landschaftspflegebonus Bis 500 kW + 1,96
KWK-Bonus Bis 20 MW + 2,94
Luftreinhaltungsbonus Bis 500 kW + 0,98
Technologiebonus Bis 5 MW + 0,98 bis 1,96
Mit dem EEG wird eine für 20 Jahre gesetzlich abgesicherte Vergütung für den einge-
speisten Strom gewährleistet, wodurch die notwendige Planungssicherheit für Investitionen
im Bereich der Biogaserzeugung gegeben ist (EEG 2009). Für die Verarbeitung bestimmter
Substrate sowie bei Anwendung neuartiger Techniken und einer Verwertung der bei der
Stromerzeugung anfallenden Wärme werden zusätzliche Vergütungen gezahlt, die in er-
heblichem Maße die Verfahrensentwicklung und den Substrateinsatz beeinflusst haben.
Bis Ende 2010 stieg die Anzahl landwirtschaftlicher Biogasanlagen auf fast 6.000 an mit
einer installierten elektrischen Leistung von ca. 2.290 MW (Fachverband Biogas 2011). Die
Nettostromproduktion betrug 2010 ca. 15 Mio. MWh, womit etwa 2,6 % des deutschen
Stromverbrauchs abgedeckt wird. Diese schnelle Entwicklung wurde vor allem begünstigt
durch den Bonus, der bei Einsatz nachwachsender Rohstoffe und Wirtschaftsdünger zu-
sätzlich zur Grundvergütung für den eingespeisten Strom gezahlt wird.
Die Höhe der EEG-Vergütung wird bestimmt durch die Größe der installierten elektri-
schen Leistung, das Inbetriebnahmedatum der Biogasanlage und durch das Bonussystem,
mit dem der Gesetzgeber Anreize für den Einsatz bestimmter Gärsubstrate, die Verwen-
dung innovativer Technologien und eine effiziente Wärmenutzung setzt. Die Vergütungs-
sätze für im Jahr 2011 in Betrieb genommene Anlagen zeigt Tab. 8.1.
Der für eine Anlage im Jahr der Inbetriebnahme gültige Vergütungssatz bleibt für die
gesamte 20-jährige Vergütungsdauer konstant. Für jedes spätere Inbetriebnahmejahr re-
duzieren sich die in Tab. 8.1 aufgeführten Vergütungssätze und Boni um jeweils 1 %.
Als nachwachsende Rohstoffe im Sinne des EEG gelten Pflanzen oder Pflanzenbe-
standteile, die in landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Betrieben oder im Rahmen
der Landschaftspflege anfallen und außer Ernte und Konservierung keiner weiteren Auf-
bereitung oder Veränderung unterzogen wurden. Gülle wird dabei den nachwachsenden
Rohstoffen gleichgestellt. Voraussetzung für die Gewährung des Güllebonus ist, dass der
Gülleanteil an den zur Biogaserzeugung eingesetzten Gärsubstraten jederzeit mindestens
30 Masseprozent beträgt. Keinen Anspruch auf den Güllebonus haben Anlagen, die das
608 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
lich geregelter Vergütungsanspruch besteht und das Netz verfügbarer Gastankstellen bisher
noch zu lückenhaft ist. Daher werden 2011 erst zwei reine Biogastankstellen betrieben.
Gemessen an der Zahl landwirtschaftlicher Biogasanlagen ist Deutschland weltweit füh-
rend auf diesem Gebiet. Um das Potenzial an wirtschaftseigenen Reststoffen und nachwach-
senden Rohstoffen zu nutzen, sind je nach Größe 20.000 bis zu 30.000 landwirtschaftliche
Vergärungsanlagen in Deutschland erforderlich (Weiland et al. 2009). Von den anfallenden
150 Mio. Mg Gülle und 32 Mio. Mg Festmist pro Jahr werden gegenwärtig nur etwa 18 % zur
Biogasgewinnung genutzt. Erntereststoffe wie Zuckerrübenblatt und Kartoffelkraut bleiben
überwiegend auf dem Feld, obgleich sie ein Trockenmassepotenzial von ca. 6,2 Mio. Mg/a
aufweisen (Knappe et al. 2007). Im Zuge der Weiterentwicklung des Biogasprozesses kann
auch Stroh für die Biogaserzeugung eingesetzt werden. Von der jährlich anfallenden Menge
in Höhe von 39,5 Mio. Mg werden derzeit ca. 7,7 Mio. Mg/a keiner Nutzung zugeführt.
Da der beschleunigte Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien zu den zentralen Maß-
nahmen der nationalen Klimavorsorge gehört und wirtschaftliche Anreize für die Produk-
tion und Nutzung von Biogas bestehen, zielt eine konsequente Weiterentwicklung dieser
Technik darauf ab, durch Standardisierung von Anlagenelementen die Wirtschaftlichkeit
zu verbessern, um gegenüber fossilen Energieträgern konkurrenzfähig zu werden. Ferner-
hin zeichnet sich ab, dass die Grenzen zwischen der industriellen anaeroben Abwasser- und
Abfallbehandlung und dem Betrieb landwirtschaftlicher Vergärungsanlagen zunehmend
verschwimmen, da landwirtschaftlich geprägte Kofermentationsanlagen vereinzelt direkt
am Standort agrarindustrieller Verarbeitungsbetriebe errichtet werden, um die dort anfal-
lenden Abwässer und Abfälle gemeinsam mit nachwachsenden Rohstoffen und landwirt-
schaftlichen Reststoffen zu verarbeiten. Dies ermöglicht nicht nur eine ressourcenschonen-
de und energiesparende Abwasser- und Abfallbehandlung, sondern trägt auch dazu bei,
durch Schließung von Nährstoffkreisläufen und Einsparung von Betriebsmitteln den An-
bau und die energetische Nutzung nachwachsender Rohstoffe kostengünstig zu gestalten.
Insbesondere große landwirtschaftliche Biogasanlagen werden häufig in Kooperation
mit Energieversorgungsunternehmen sowie durch Kapitalgesellschaften betrieben. Land-
wirtschaftliche Vergärungsanlagen werden daher zunehmend zu einem Bestandteil der
Energiewirtschaft und können zukünftig aufgrund der Möglichkeit einer bedarfsange-
passten Gasproduktion und der kurzzeitigen Speicherfähigkeit des Gases einen wichtigen
Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes leisten.
90
78 %
80
Substrateisatzhäufigkeit
70
60
50
40
30
20
11% 6% 4%
10 1%
0
ge ge PS or
n es
ila ila G k tig
ss ss e- de ns
ai ra id i
M G re et
re So
et G
G
Tierische Exkremente Flüssigmist und Festmist von Rindern und Schweinen stellen nicht
nur mengenmäßig mit einem Jahresanfall von ca. 150 Mio. Mg bzw. 32 Mio. Mg die größte
organische Abfallfraktion dar, sondern werden auch am häufigsten in landwirtschaftlichen
Biogasanlagen entweder als Monosubstrat oder als Basissubstrat für Kofermentationspro-
zesse eingesetzt. Rindergülle eignet sich aufgrund ihres Gehaltes an Methanbakterien sehr
gut für die Vergärung und kann auch zum Animpfen von Biogasanlagen genutzt werden.
Der i. d. R. hohe Trockenmassegehalt erfordert bei Kofermentation jedoch die Verwen-
dung TM-armer Kosubstrate oder die Verdünnung mit Prozesswasser. Schweinegülle ist
aufgrund des geringeren TM-Gehaltes für Kovergärungsverfahren daher besser geeignet
und weist einen höheren Methanertrag auf. Bei Geflügelkot sowie Festmist von Rindern
und Schweinen ist aufgrund des hohen Gehaltes an organischer Trockenmasse (oTM)
der auf die Frischmasse bezogene Methanertrag wesentlich höher. Bei Anwendung der
üblichen Nassvergärungsverfahren ist eine Verdünnung bis zum pumpfähigen Zustand
erforderlich, die bei Kofermentationsverfahren durch Verwendung dünnflüssiger Kosubs-
trate wie z. B. Schlempe, Molke oder Kartoffelfruchtwasser erreicht werden kann. Da die
tierischen Exkremente Mikronährstoffe in ausreichender Konzentration enthalten und
eine gute Pufferwirkung aufweisen, bieten sie günstige Voraussetzungen für die anaerobe
8.1 Landwirtschaftliche Vergärungsanlagen 611
Tab. 8.2 Stoffdaten und Biogasertrag von Flüssig- und Festmist unterschiedlicher Tierarten
Substrat TM (%) oTM (% der TM) Methanertrag (L/kg oTMzu)
Rindergülle 6–11 70–85 200–260
Rindermist 20–25 70–90 200–300
Schweinegülle 2,5–9 60–85 200–360
Schweinemist 20–25 75–90 200–300
Hühnertrockenkot 25–30 70–80 200–430
Behandlung. Die wichtigsten Stoffdaten und den möglichen Methanertrag der unter-
schiedlichen Reststoffe aus der Tierhaltung zeigt Tab. 8.2.
Reststoffe aus der Pflanzenproduktion Neben den Abfällen aus der Tierhaltung fallen
in der Landwirtschaft fernerhin diverse Ernterückstände, wie Rübenblatt und Kartoffel-
kraut und Getreidestroh an. Fernerhin verbleiben häufig Futterreste, wie Grassilage und
Heu, die durch Verderb für die Fütterung nicht mehr geeignet sind. Wie aus Tab. 8.3 zu
ersehen ist, eignen sich die wirtschaftseigenen Reststoffe gut zur Biogaserzeugung, da im
Vergleich zu Gülle und Festmist meist ein höherer Anteil der organischen Substanz bio-
logisch abbaubar ist.
Nachwachsende Rohstoffe Seit der Einführung des NawaRo-Bonus im Zuge der Novel-
lierung des EEG im Jahr 2004 werden in den meisten neu entstandenen Biogasanlagen
nachwachsende Rohstoffe eingesetzt. Etwa 85 % des im Jahr 2010 produzierten Biogases
basiert auf der Nutzung nachwachsender Rohstoffe. Beim Einsatz von nachwachsenden
Rohstoffen wird das Ziel verfolgt, bei möglichst geringen Kosten für Anbau, Ernte und
Konservierung einen möglichst hohen Methanertrag pro Hektar zu erreichen. Dabei sollte
nicht ausschließlich der höchste Ertrag einer Einzelkultur im Vordergrund stehen, sondern
eine integrierte Betrachtung über die gesamte Fruchtfolge unter besonderer Berücksich-
tigung von arbeitswirtschaftlichen Aspekten und Nachhaltigkeitskriterien (Karpenstein-
Machan und Weber 2010). Darüber hinaus muss eine gute Silierbarkeit gegeben sein, um
das Erntegut bis zur Nutzung in der Biogasanlage verlustarm lagern zu können. Die höchste
Ertragsleistung erbringt derzeit Mais, gefolgt von Getreide-Ganzpflanzen und Gräsern. In
der Erprobung und teilweisen Anwendung sind weitere Kulturarten mit hoher Biomasse-
leistung wie Zuckerrüben, Zuckerhirse, Sudangras und Sonnenblumen sowie Mischungen
612 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Tab. 8.4 Wasserbedarf für die Produktion nachwachsender Rohstoffe, berechnet aus dem
Transpirationskoeffizienten
Energiepflanze Ertrag (Mg oTM/ha) Transpirationskoeffizient Wasserverbrauch (m3/ha)
(m3 Wasser/Mg oTM)
Mais 17 350 6.000
Getreide 14 450 6.300
Grünland 11 800 8.800
Zuckerrübe 11 440 4.800
Mais Mais zählt zu den effizienten C4-Pflanzen, die aufgrund der besonders leistungs-
fähigen CO2-Assimilation sowie einer besseren Ausnutzung der Lichtenergie im Vergleich
zu Getreide eine höhere Photosyntheseleistung aufweist (KTBL 2006). Das Ertragsniveau
liegt zwischen 40 und 60 Mg FM/ha, das entspricht bei 35 % TM etwa 14–21 Mg TM/ha.
Zur Ernte wird die gesamte Maispflanze gehäckselt und in Fahrsiloanlagen eingelagert.
Bei der Ernte sollte für eine gute Silierung der TM-Gehalt zwischen 30 und 34 % liegen,
was dem Entwicklungsstand von Beginn bis Mitte der Teigreife entspricht. TM-Gehalte
unter 30 % führen zu einem erhöhten Sickersaftanfall, wohingegen TM-Gehalte von über
36 % aufgrund der bereits stärkeren Lignifizierung der Pflanze die Vergärbarkeit deutlich
8.1 Landwirtschaftliche Vergärungsanlagen 613
verschlechtern. Für eine gute Silier- und Vergärbarkeit sollte mit einer Schnittlänge von
4–8 mm geerntet werden.
Gaserträge Die Gaserträge der nachwachsenden Rohstoffe sind vom Erntetermin, der
Schnittlänge und der Qualität der Silagebereitung abhängig (KTBL 2009). Für die genann-
ten Kulturen sind in Tab. 8.5 Richtwerte für die Gasausbeute aufgeführt.
614 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
In der Praxis können die Gasausbeuten durch die Wahl des Verfahrens und der Betriebs-
weise sowie durch einen Mangel an Mikronährstoffen oder die Akkumulation an Hemm-
stoffen erheblich von den angegebenen Richtwerten abweichen. Insbesondere bei Monover-
gärung nachwachsender Rohstoffe werden in der Praxis häufig deutlich geringere Methaner-
träge erzielt, da ein Mangel an essenziellen Spurenelementen vorliegt. Für den Stoffumsatz ist
eine ausreichende Konzentration an Nickel (Ni), Kobalt (Co), Molybdän (Mo) und Eisen (Fe)
notwendig, wobei der Bedarf von Kultur zu Kultur unterschiedlich ist (Demirel und Scherer
2011). Bei Monovergärung von Energiepflanzen müssen daher zum Ausgleich Spurenele-
mente zugeführt werden, wobei die Bedarfsermittlung schwierig ist, da keine sichere Aussage
über die Bioverfügbarkeit der Spurenelemente getroffen werden kann. Eine Überdosierung
muss vermieden werden, da die Methanbakterien z. B. bereits bei einer Nickelkonzentration
> 1 g/m3 gehemmt werden. Versuche mit Mais und Roggen haben gezeigt, dass durch die
Zugabe einer Spurenelementlösung die Methanproduktivität im Einzelfall um fast 50 % ge-
steigert werden kann und bis zu doppelt so hohe Raumbelastungen möglich sind, bevor eine
Anreicherung flüchtiger Fettsäuren erfolgt (Abdoun und Weiland 2009). Um unter Praxisbe-
dingungen hohe Gaserträge aus Energiepflanzen zu erzielen, ist fernerhin eine effiziente Si-
lierung notwendig, die je nach Erntegut den Einsatz von Silierhilfsmitteln notwendig macht
(Herrmann et al. 2011). Chemische Silierhilfsmittel verhindern unerwünschte Abbauprozes-
se, wohingegen Animpfkulturen das Spektrum der gebildeten Säuren beeinflussen.
Tab. 8.6 Richtwerte für einige rein pflanzliche Nebenprodukte und Prozessrückstände
Prozessrückstand TM (%) oTM (% der TM) Methanertrag (L/kg oTMzu)
Biertreber 20–25 70–80 300–440
Getreideschlempe 6–8 83–88 260–420
Kartoffelfruchtwasser 3–4 60–70 490–510
Kartoffelpülpe 12–13 88–90 360–410
Zuckerrübenschnitzel 22–26 90–95 180–250
Biodiesel-Abfallglycerin – – 170–400
8.1.1.3 Biogaserzeugung
Verfahrenskonzepte
In der Landwirtschaft kommt eine Vielzahl unterschiedlicher Verfahrenskonzepte zum
Einsatz, die sich nach dem Trockenmassegehalt im Fermenter, nach der Art der Beschi-
ckung, der Anzahl der Prozessphasen und Prozessstufen sowie der Prozesstemperatur
unterscheiden (Tab. 8.7).
Dies begründet hinsichtlich der Technik eine grundsätzliche Einteilung landwirtschaft-
licher Biogasanlagen in Nass- und Feststoffvergärungsverfahren (auch als Trockenvergä-
rung bezeichnet), obgleich keine eindeutige Abgrenzung besteht (Abb. 8.3).
Vorwiegend finden Nassvergärungsverfahren Anwendung, bei denen der Trockenmas-
segehalt im Fermenter auf ≤ 13 % TM begrenzt ist, um herkömmliche Pump- und Misch-
aggregate einsetzen zu können.
Dabei kommen fast ausschließlich kontinuierlich oder quasi-kontinuierlich betriebe-
ne Durchfluss-Verfahren bzw. Durchfluss-Speicherverfahren zur Anwendung, die eine
gleichmäßige Gasproduktion und eine hohe Faulraumeffizienz ermöglichen, jedoch infol-
ge von Kurzschlussströmungen keine gesicherte Substratverweilzeit aufweisen (Gemmeke
et al. 2009). Im Unterschied zum Durchflussverfahren, bei dem das ausgefaulte Substrat
616 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Biogas-Verfahren
Nassvergärung Feststoffvergärung
Speicher- Durchfluss-
verfahren Speicherverfahren
Anlagentechniken
Landwirtschaftliche Vergärungsanlagen bestehen grundsätzlich aus den folgenden vier
Baugruppen:
8.1 Landwirtschaftliche Vergärungsanlagen 617
Durchflussverfahren
Gasspeicher
a Durchfluss-Speicherverfahren
Gasspeicher
Gasspeicher
Die konkrete Auswahl der anlagentechnischen Ausrüstung hängt in erster Linie von den
zu verarbeitenden Substraten ab. Den grundsätzlichen Aufbau einer landwirtschaftlichen
Biogasanlage zeigt Abb. 8.5.
Substratlagerung und Aufbereitung Für den Anlagenbetrieb müssen die flüssigen und
festen Substrate bis zu zwei Tage vorgehalten werden. Die pumpfähigen Substrate, i. d. R.
Gülle, werden in einer geschlossenen Vorgrube gelagert und mittels Dosierpumpen ent-
weder unmittelbar dem Fermenter zugeführt oder einer Mischstation, in der eine intensive
Vermischung mit den festen Substraten erfolgt. Über Verdrängerpumpen wird diese Subs-
tratmischung anschließend dem Fermenter zugeführt.
Die festen Substrate, i. d. R. nachwachsende Rohstoffe, werden in einer Dosierstation
gelagert, bei denen es sich entweder um modifizierte Futtermischwagen handelt oder um
Lagerbehälter mit Kratzboden. Meist erfolgt ein direkter Eintrag in den Fermenter mit-
tels Förder- und Eintragsschnecken. Dabei wird das Substrat durch eine Stopfschnecke
dem Fermenter kurz unterhalb des Flüssigkeitsspiegels zugeführt, sodass kein Gas über
den Schneckengang austreten kann. Seltener erfolgt der direkte Eintrag über einen Press-
kolben, der nahe am Fermenterboden angeordnet ist. Durch die bodennahe Einbringung
wird das Risiko der Schwimmschichtbildung vermindert, allerdings besteht bei starker
Verdichtung der Feststoffe die Gefahr, dass sich das Substrat verklumpt und im ungüns-
tigsten Fall die Rührwerke beschädigt.
618 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Luftzufuhr
Fermenter
Gärrückstandslager
Energiepflanzen
Biogas
Gülle
Stromeinspeisung
BHKW
Stallungen
Notkühlung
Wohnhaus
Bei indirektem Eintrag erfolgt die Zugabe entweder in einen Mischtank oder alternativ
direkt in den Strom des flüssigen Substrats. Für den Eintrag in den Flüssigkeitsstrom wur-
den spezielle Dosiereinrichtungen entwickelt, bei denen z. B. mittels Rachentrichterpumpe
die feste und flüssige Phase durch die Schnecken eines Zweiwellenförderers vermischt wer-
den und das Gemisch über die integrierte Drehkolbenpumpe dem Fermenter zugeführt
wird. Durch zahnförmige Gestaltung der beiden Mischschnecken erfolgt gleichzeitig eine
weitere Zerkleinerung der festen Substrate (Postel et al. 2009). Die verschiedenen Ein-
bringsysteme für feste Substrate zeigt Abb. 8.6.
Fermenter Für die Nassvergärung kommen stehende und liegende Fermenter zur
Anwendung, die durch Einsatz verschiedenartiger Rührsysteme vollständig oder nur teil-
weise durchmischt werden (Abb. 8.7).
Stehende Fermenter haben i. d. R. einen runden Querschnitt, wobei die Höhe meist
geringer ist als der Durchmesser. Sie werden aufgrund der geringeren Kosten überwiegend
aus Beton, seltener aus Edelstahl oder emaillierten Stahl gefertigt. Bei Betonbauweise sind
Fermentervolumina von bis zu 5.000 m3 möglich, wohingegen Stahlbehälter mit Volumina
bis 3.500 m3 gebaut werden.
Bei Fermentern aus Beton kommt neben der oberirdischen Bauweise auch die unter-
irdische Bauweise zur Anwendung, die den Vorteil hat, dass kein zusätzlicher Platzbedarf
besteht und die Feststoff-Beschickung einfach durch die Fermenterdecke erfolgen kann.
8.1 Landwirtschaftliche Vergärungsanlagen 619
Feststoff
Feststoff
Biogasreaktor
Biogasreaktor
G G G
L L L
L L L
G
L
Von Nachteil ist, dass bei unterirdischer Bauweise für die Wärmeisolierung teure feuch-
tigkeitsbeständige Dämmstoffe eingesetzt werden müssen und spätere Änderungen am
Fermenter nur erschwert möglich sind. Die oberirdische Bauweise überwiegt und ist bei
620 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Paddelrührwerk Haspelrührwerk
und am Fermenterboden gelagerte langsam drehende Welle (10–50 U/min) mit mehre-
ren Großflügeln bestückt ist. Dieser Rührwerkstyp bewirkt eine gute Durchmischung in
horizontaler und vertikaler Richtung. Von Nachteil ist, dass durch das im Fermenter be-
findliche Bodenlager der Behälter für Reparaturen entleert werden muss (Rostalsky 2009).
Fernerhin kommen langsam laufende Paddelrührwerke (8–15 U/min) zum Einsatz, die
axial oder horizontal eingebaut werden. Diese Rührwerke ermöglichen auch bei hohen
TM-Gehalten des Fermenterinhalts eine effektive Durchmischung und sind infolge der
niedrigen Drehzahl besonders verschleißarm. Abbildung 8.8 zeigt den schematischen Auf-
bau der verschiedenen Rührwerke.
In liegenden Fermentern erfolgt die Durchmischung durch langsam laufende Paddel-
oder Haspelrührwerke quer zur Strömungsrichtung. Der Rührwerkstyp und die geringe
Drehzahl (5–10 U/min) ermöglichen selbst bei hohen Trockenmassegehalten von > 13 %
TM noch eine sichere Durchmischung. Um eine gleichmäßige Temperaturverteilung im
Fermenter zu erreichen sind auf der horizontalen Rührwelle häufig zusätzlich von Wasser
durchströmte Heizschlangen angebracht.
Die Beheizung erfolgt bei stehenden Fermentern entweder über innenliegende Wand-
und Fußbodenheizungen oder durch externe Wärmeübertrager, die das Gärsubstrat vor
dem Eintrag in den Fermenter aufheizen und über eine Substratumwälzung die Tempera-
tur im Fermenter konstant halten. Für die innenliegende Beheizung werden entweder Edel-
stahlheizrohre nahe der Fermenterwand verlegt oder bei Betonfermentern Heizschläuche
aus Kunststoff in die Fermenterwand oder den Boden eingegossen. Dabei haben Boden-
heizungen den Nachteil, dass der Wärmeübergang durch Bildung von Sinkschichten stark
vermindert werden kann. Als externe Wärmeübertrager werden Spiral- oder Doppelrohr-
622 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Luft
Tragluftraum
Gasraum
Gasraum Gasraum
Gasraum
wärmetauscher eingesetzt, die eine einfache Wartung und Reinigung ermöglichen. Durch
die Vorheizung des frischen Substrats werden Temperaturschocks und lokale Temperatur-
schwankungen im Fermenter vermieden, die sich nachteilig auf den Gasertrag auswirken
können.
Zur Speicherung des Gases kommen überwiegend Niedrigdruckspeicher mit einem
Überdruck von 0,5 bis 30 mbar zum Einsatz. Bei stehenden Fermentern werden vorzugs-
weise Folienbedachungen eingesetzt, bei denen das Gas im Kopfraum des Fermenters ge-
speichert wird. Die Folien sind mit dem Fermenter an der Oberkante gasdicht verbunden,
wobei unterschiedliche Konstruktionen Anwendung finden (Abb. 8.9).
Bei Folienhauben ist der Fermenter mit einer Holzkonstruktion und einer Isolierung
abgedeckt, oberhalb der eine dehnbare Folienhaube angebracht ist, die mit einem Seeger-
Verschluss an der Fermenterwand befestigt ist. Dabei wird die Folie über einen mit Luft
oder Wasser gefüllten Schlauch in eine U-förmige Schiene eingepresst. Die Folienhaube
dient als Gasspeicher und Wetterschutz. Im Gegensatz zur freitragenden Folienhaube wird
beim Foliendach die Folie durch eine Mittelstütze getragen. Durch die Mittelstütze sind
derartige Foliendächer auch für sehr große Fermenterdurchmesser geeignet. Das Folien-
dach kann ein- oder zweischalig ausgeführt sein. Die Gasspeicherung erfolgt meist nahezu
drucklos bei < 5 mbar, sodass zur Gasverwertung ein Verdichter notwendig ist. Am häu-
figsten werden Doppelfoliendächer nach dem Tragluftprinzip eingesetzt, bei denen in den
Gasraum zwischen der Gasspeicherfolie und der äußeren Dachhaut mit einem Gebläse
Luft eingetragen wird, um die Dachhaut straff aufzublähen (Schulz und Eder 2007). Der
zum Aufblähen der Dachhaut notwendige Stützdruck beträgt ca. 3 mbar. Da der gleiche
Druck auf der inneren Gasfolie lastet, erfolgt die Speicherung des Biogases stets bei leicht
erhöhtem Vordruck. Je nach Gasproduktion bzw. Gasverbrauch bewegt sich die innere
Folie zwischen Behälteroberfläche und Tragluftdach. Um ein Absinken der Gasspeicher-
folie auf den Fermenterinhalt zu verhindern, befindet sich unterhalb der Gasspeicherfolie
ein Schnurgerüst, das von einer Mittelstütze gehalten wird. Als Dachhaut wird i. d. R. eine
formgeschweißte gewebeverstärkte PVC-Folie eingesetzt, während für die Gasfolie häufig
EPDM-Kautschuk gewählt wird. Beide Folien werden am Behälterrand durch ein umlau-
fendes Stahlprofil mit eingelegtem Druckluftschlauch gasdicht befestigt.
Als externe Speicher kommen Folienkissen bzw. Folienschläuche oder Doppelmemb-
ranspeicher zur Anwendung. Folienkissen und -schläuche müssen zum Schutz vor Witte-
8.1 Landwirtschaftliche Vergärungsanlagen 623
Stützluft
Innere
Membran
Biogas
Biogas
Folienschlauchspeicher Doppelmembranspeicher
Abluft
Biogas
Tor
Substrat
Radlader
Perkolattank
Fermenter
Biogas-
produktion
des An- und Abfahrvorgangs explosive Gasgemische bilden können, sind spezielle Sicher-
heitssysteme erforderlich.
Um eine gleichmäßige Gasproduktion und Gaszusammensetzung zu erreichen, die für
den Betrieb eines BHKW Voraussetzung sind, müssen 3–4 Fermenter zeitversetzt betrie-
ben werden (Abb. 8.12).
Eine Alternative zum Perkolationsverfahren stellt das Aufstauverfahren dar, bei dem
die Prozessflüssigkeit nicht durch das Gärgut perkoliert, sondern das Substrat mit zwi-
schengespeicherter Prozessflüssigkeit periodisch überstaut wird. Mit dieser Technik kön-
8.1 Landwirtschaftliche Vergärungsanlagen 625
Biogas
Fermenter
Substrat
Gärrückstand
Mischer
Feststoff
M
Feststoff- Prozess-
separierung wasser
nen Probleme, die sich aufgrund ungleicher Verteilung des Perkolats oder einer unzu-
reichenden Durchrieselung des Gärguts ergeben, vermieden werden, jedoch besteht die
Gefahr für ein Aufschwimmen des Gärguts. Daher müssen nach der Befüllung der Gär-
grube gegebenenfalls spezielle Einbauten eingebracht werden, um ein Aufschwimmen des
Substrats zu verhindern.
Für die kontinuierliche Feststoffvergärung werden liegende und nur selten stehende
Pfropfenstromfermenter eingesetzt. Die liegenden Fermenter weisen meist einen recht-
eckigen Querschnitt auf und sind entweder mit einem langsam drehenden Axialrührwerk
oder mit mehreren quer zur Strömungsrichtung angeordneten Paddelrührwerken ausge-
rüstet, die ineinandergreifen und eine wechselnde Drehrichtung aufweisen (Abb. 8.13).
Kennzeichnend für stehende Feststofffermenter nach dem Pfropfenstromprinzip sind
die schlanke zylindrische Bauweise und das Fehlen von Rührwerken innerhalb des Gär-
raums. Das Substrat wird kopfseitig zugeführt, durchströmt den Fermenter pfropfenför-
mig und wird am konisch ausgeführten Fermenterboden abgezogen (Abb. 8.14).
Durch die Rückführung von bis zu 80 % ausgefaulten Materials wird eine intensive An-
impfung des frisch zugeführten Substrats erreicht, wodurch hohe Raumbelastungen von
bis zu 10 kg oTM/(m3 · d) möglich sind.
Biogas
Kolben-
pumpe
Substrat Fermenter
Mischer
Gärrückstand
Tägermaterialmit
Biofilm
Luft
Rohbiogas
Nährlösung
wasserwäsche oder Wäsche mit einer organischen Waschlösung, wie z. B. Selexol oder
Genosorb. Zunehmend finden auch chemische Wäschen mit Aminlösungen sowie Mem-
brantrennverfahren Anwendung. Der erreichbare Methananteil im aufbereiteten Gas liegt
zwischen 96 und 99 Vol.-%. Bei sämtlichen Aufbereitungsverfahren ist eine Regenerierung
des Betriebsmittels möglich (Urban et al. 2009). Membrantrennverfahren haben den Vor-
teil, dass sie ohne Betriebsmittel arbeiten und daher der Aufwand für die Betriebsmittelre-
generation entfällt. Von Nachteil ist jedoch der relativ hohe Methangehalt im abgetrennten
Kohlendioxidstoffstrom, sodass hierfür grundsätzlich ein geeigneter Verwertungsweg ge-
funden werden muss (Makaruk et al. 2010).
Die Gasnutzung erfolgt bis auf wenige Ausnahmen in Blockheizkraftwerken mit Ver-
brennungsmotoren, die mit einem Generator gekoppelt sind. Als Motor werden Gas-Ot-
to-Motoren sowie Zündstrahlmotoren eingesetzt. Die nach dem Otto-Prinzip arbeiten-
den Motoren sind speziell für den Gasbetrieb entwickelt und werden mit hohem Luft-
überschuss betrieben, um die Stickoxidemissionen niedrig zu halten. Sie benötigen zum
Betrieb Biogas mit einem Methangehalt von mindestens 45 Vol.-%. Zündstrahlmotoren
arbeiten nach dem Dieselprinzip ohne Zündkerzen und erfordern zur Zündung des Gas-
Luft-Gemisches die Einspritzung von Zündöl, dessen Anteil i. d. R. bei 2–5 % der zu-
geführten Brennstoffleistung liegt. Bei Ausfall der Biogasversorgung ist der Betrieb mit
reinem Zündöl möglich. Um die Stromvergütung nach dem Erneuerbaren-Energiegesetz
(EEG) zu erlangen, dürfen nur regenerative Zündöle, wie z. B. Biodiesel, eingesetzt wer-
den. Zündstrahlmotoren weisen die höchsten elektrischen Wirkungsgrade von bis zu 46 %
auf, jedoch sind die Abgaswerte im Vergleich zu den Gas-Otto-Motoren i. d. R. schlechter.
Probleme gibt es insbesondere bei der Einhaltung der Formaldehyd-Emissionen. Um
den Grenzwert der TA-Luft von 40 mg/m3 einzuhalten, sind Abgasnachbehandlungsmaß-
nahmen erforderlich. Hierzu können Oxidationskatalysatoren oder thermische Nachbe-
handlungsverfahren eingesetzt werden. Um den Oxidationskatalysator vor Schädigung
durch Schwefelwasserstoff zu schützen, ist eine Totalentschwefelung des Biogases unter
Einsatz eines Aktivkohlefilters notwendig (Bauer et al. 2011).
Neben den Verbrennungsmotoren werden vereinzelt auch Mikrogasturbinen einge-
setzt. Aufgrund der kontinuierlichen Verbrennung und niedrigen Brennkammerdrücken
weisen diese deutlich geringere Schadgasemissionen auf, so dass mit den Abgasen eine
CO2-Düngung in Gewächshäusern oder eine direkte Trocknung von Futtermitteln durch-
geführt werden kann. Von Nachteil gegenüber motorischer Verwertung ist der deutlich
geringere elektrische Wirkungsgrad von max. 30 %, weshalb Mikrogasturbinen nur dort
eingesetzt werden, wo ein hoher Wärmebedarf besteht (Krautkremer und Müller 2005).
Während für den erzeugten Strom nach dem EEG eine Abnahmepflicht durch den
Netzbetreiber besteht, stellt die Nutzung der bei der Stromproduktion anfallenden Wärme
häufig die größte Herausforderung dar, da für die Fermenterbeheizung und die Behei-
zung der landwirtschaftlichen Betriebs- und Wohnräume meist nur 30 bis 40 % der an-
fallenden Wärmemenge genutzt werden kann. Neben den betriebsinternen Wärmesenken
(Stallheizung, Trocknungs- und Kühlungsanlagen) müssen daher externe Wärmesenken
(Gewerbebetriebe, Gartenbaubetriebe, Fischzuchtbetriebe u. a.) erschlossen werden. Bis
8.1 Landwirtschaftliche Vergärungsanlagen 629
zu Entfernungen von ca. 2 km sind meist Nahwärmenetze die Lösung der Wahl, darüber
hinaus ist die Nutzung von Mikrobiogasnetzen und Satelliten-BHKWs wirtschaftlich vor-
teilhafter (Erler 2010).
Für große Biogasanlagen mit einer Methanproduktion von über 500 m3 Rohgas pro
Stunde stellt die Gasaufbereitung und Einspeisung in das Erdgasnetz eine mögliche Al-
ternative dar, um eine vollständige Wärmenutzung zu erreichen. Gemäß der Gasnetzzu-
gangsverordnung (GasNZV 2010) wird dem Produzenten von Biomethan ein vorrangiger
Netzanschluss für den Transport des Gases gewährt. Mit der Novellierung der Gasnetzzu-
gangsverordnung wurde festgelegt, dass der Netzbetreiber bis zu 75 % der Netzanschluss-
kosten übernehmen muss, sofern die Entfernung der Biogasanlage zum Netzanschluss-
punkt weniger als 10 km beträgt. Die laufenden Betriebskosten für die Netzeinspeisung
(Druckerhöhung, Brennwertanpassung, Odorierung u. a.) müssen vom Netzbetreiber ge-
tragen werden. Die qualitativen Anforderungen an das einzuspeisende Biomethan werden
durch die DVGW-Regelwerke G 260 (DVGW 2000) und G 262 (DVGW 2010) festgelegt.
Der Einspeiser von Biomethan hat die von diesen Regelwerken geforderte Qualität einzu-
halten, während der Netzbetreiber die Feinanpassung des Brennwertes vornehmen muss.
10
9
einstufig
8
relatives Restmethanpotenzial
mehrstufig
7 diskontinuierlich
[% d. CH4-Ausbeute]
0
0 50 100 150 200 250 300
hydraulische Verweilzeit [d]
Abb. 8.16 Einfluss der Substratverweilzeit auf das Methanpotenzial des Gärrests bei 20°C
der positive Klimaeffekt landwirtschaftlicher Biogasanlagen verloren geht. Nach dem Er-
neuerbaren-Energien-Gesetz von 2009 (EEG 2009) ist für Biogasanlagen, die nach dem
Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungspflichtig sind, eine gasdichte Abdeckung
des Gärrestlagers Voraussetzung für den Bezug des NawaRo-Bonus.
Die Gärreste aus Biogasanlagen, die nachwachsende Rohstoffe in Monovergärung oder
in Kovergärung zusammen mit Gülle verarbeiten, sind bezüglich ihrer Nährstoffgehalte
mit reinen Wirtschaftsdüngern vergleichbar, da der Abbauprozess im Fermenter dem im
Verdauungstrakt der Tiere ähnelt. Die wesentlichen Stoffdaten zeigt Tab. 8.8.
Der anaerobe Abbau führt zu einer Mineralisierung von organisch gebundenem Stick-
stoff und folglich zu einem höheren Ammoniumgehalt, der sich positiv auf die Pflanzen-
verfügbarkeit der Stickstofffraktion auswirkt. Aufgrund des gleichzeitig zunehmenden
pH-Werts steigt allerdings auch das Risiko für Ammoniakemissionen. Daher ist für eine
verlustarme Verwertung des Gärrestes der Einsatz bodennaher Ausbringtechniken er-
forderlich. Sofern für die Biogaserzeugung ausschließlich nachwachsende Rohstoffe und
Wirtschaftsdünger eingesetzt werden, wird keine Hygienisierung der Gärreste gefordert.
Auch sind die Schadstoffgehalte so gering, dass durch die Gärrestverwertung keine Belas-
tungen des Bodens und der Gewässer zu erwarten sind.
Bei Großanlagen im Megawatt-Bereich scheidet aufgrund der notwendigen Lagerka-
pazitäten und Ausbringflächen die direkte Verwertung der Gärrückstände auf umliegende
landwirtschaftliche Flächen aus. Zur Lösung des Problems werden Gärrestaufbereitungs-
verfahren eingesetzt, die durch Abtrennung der Nährstoffe und deren Überführung in
transport- und verkaufsfähige Verwertungsformen zu einer Verminderung der Lage-
rungs- und Ausbringkosten führen (Abb. 8.17).
Gängige Konzepte basieren auf einer Feststoffseparierung mit nachfolgender Trock-
nung oder Kompostierung der Feststoffe. Die Aufbereitung der verbleibenden Flüssigpha-
se erfolgt entweder über Eindampfung oder Membrantrennverfahren, die mit einer Phos-
phatfällung und Ammoniakstrippung gekoppelt sein können (Fuchs und Drosg 2010).
8.1 Landwirtschaftliche Vergärungsanlagen 631
Gärrest
Feststoffseparierung Feststoff
Flüssigkeit
Die Gärrestaufbereitung ist mit einem hohen technischen Aufwand sowie hohen Kos-
ten von über 10 €/m3 verbunden und daher nur sinnvoll, wenn eine Direktausbringung
auf landwirtschaftliche Flächen durch hohen Transportaufwand oder regionale Nährstoff-
überschüsse ausscheidet.
NawaRo/Gülle
100/0
Strommix D
rative Energien enthält, fällt das Nettoergebnis geringer aus als bei Bezug der Stromerzeu-
gung allein aus fossilen Quellen. Die Monovergärung nachwachsender Rohstoffe würde
daher im Vergleich zur Stromerzeugung aus Kohle und Gas über 35 % an CO2-Emissionen
einsparen.
Peter Weiland
8.2.1 Vorbemerkungen
Luftzufuhr
Wasser
Rezirkulations-
9,2 kWel schacht
[900 m³]
41°C
Misch- Gärrestlager
behälter Feststoffeintrag Fermenter [4100 m³ ]
10 kWel
[6 m³] [2500 m³]
[80 m³] 13 kWel 10 kWel
RotaCut
Schweinegülle
[500 m³]
5,5 kWel
Wirtschaftsgebäude Gasanalysator
Wohnhaus
CO 2
CH 4
O 2
HS
2
Getreidetrocknung
Eigenverbrauch
BGA
Kondensat-
T
T
abscheider
Stromnetz
Gasmotor 526 kWel
8.2.2 Einstufige Nassvergärung
Bei dem in Abb. 8.20 dargestellten Beispiel handelt es sich um eine typische einstufige
Anlage, bei der die festen und flüssigen Substrate 24-mal pro Tag in einem 6 m3 An-
mischbehälter verwogen und vermischt werden, bevor sie nach einer Vorzerkleinerung
mit einer Drehkolbenpumpe in den Fermenter gefördert werden. Der aus Beton gefertigte
Fermenter weist ein Arbeitsvolumen von 2.500 m3 auf und wird mit einer Raumbelastung
von 3,1 kg oTM/(m3 · d) betrieben. Hieraus resultiert eine hydraulische Verweilzeit von
80 Tagen. Das Mischsubstrat besteht zu 29 % aus Schweinegülle mit geringem Anteil an
Rindergülle und zu 65 % aus Maissilage mit geringem Anteil an Roggenschrot. Um eine
ausreichende Rühr- und Pumpfähigkeit zu erreichen, wird der Substratmischung zusätz-
lich 6 % Wasser zugemischt. Der Fermenter ist mit insgesamt vier Tauchmotorrührwerken
von je 13 kWel ausgestattet, die in Abstimmung mit den Fütterungsintervallen jeweils nur
kurzzeitig (11 min/h) betrieben werden. Der Fermenter wird über eine Wandheizung tem-
periert und bei 41 °C betrieben.
Die Gasspeicherung erfolgt unter einem Tragluftdach mit 900 m3 Speichervolumen,
womit das produzierte Biogas für ca. 4 h gespeichert werden kann. Durch Einblasen von
Luft in den Kopfraum des Fermenters erfolgt eine biologische Entschwefelung, um den
vom BHKW-Hersteller geforderten Garantiewert von 200 ppm H2S einzuhalten. Das ent-
8.2 Beispiele landwirtschaftlicher Vergärungsanlagen 637
Luftzufuhr
15 kWel 15 kWel
Feststoffeintrag
Fermenter Gärrestlager
[900 m³] [900 m³]
40°C 20°C
Sandfang
[100 m³]
CH
Gasanalysator O
4
HS
Wirtschaftsgebäude 2
Kondensat-
Eigen- abscheider
verbrauch
TT Q
kWh Lieferung
Q
kWh Bezug
Stromnetz
Zündstrahl - BHKW EVU-
Notkühlung 170 kW el Stromzähler
Heizöltank
schwefelte Gas, das ca. 53 Vol.-% Methan enthält, wird in einem Gas-BHKW mit einer
installierten Leistung von 526 kWel zur Strom- und Wärmegewinnung verwertet. Mit der
Anlage werden täglich 9.500 kWh Elektrizität produziert und ins Stromnetz eingespeist.
Für den Eigenbetrieb der Anlage werden 8,5 % des erzeugten Stromes benötigt. Die anfal-
lende Wärme dient neben der Bereitstellung der Prozesswärme zur Wärmeversorgung des
Betriebsgebäudes, Privathauses und zeitweise zur Getreidetrocknung.
Das ausgefaulte Gärgut wird dem Gärrückstandslager sowie einem Rezirkulations-
schacht zugeführt, aus dem je nach Bedarf dem Anmischbehälter Gärrest zugeführt werden
kann. Das Gärrestlager ist abgedeckt, aber nicht gasdicht, sodass während der Lagerung
gebildetes Biogas entweichen kann. Um die Bildung von Schwimm- und Sinkschichten zu
vermeiden, wird das Gärrückstandslager durch zwei Tauchmotorrührwerke durchmischt.
Neben dem in Abb. 8.20 dargestellten einstufigen Vergärungsverfahren mit Folienab-
deckung von Fermenter und Gärrestlager finden auch Verfahren Anwendung, bei denen
Fermenter und Gärrestlager eine feste Betondecke aufweisen und mittels Langwellenrühr-
werken durchmischt werden. Das Fließbild in Abb. 8.21 zeigt eine solche Anlage, die mit
28 % Schweinegülle, 64 % Maissilage und 8 % Roggenschrot betrieben wird. Fermenter und
Gärrückstandslager sind bis auf die Beheizung und Isolierung baugleich ausgeführt und
weisen jeweils ein Volumen von 900 m3 auf. Die nachwachsenden Rohstoffe werden aus
einem Feststoffeintrag mit Wiegezelle mittels einer Förder- und Stopfschnecke dem Fer-
menter 24-mal pro Tag kopfseitig zugeführt. Die aus dem Schweinestall anfallende Gülle
wird in einer 100 m3 Vorgrube zwischengelagert und vor der Zugabe zum Fermenter, die
nur einmal am Tag erfolgt, mit einem Tauchmotorrührwerk homogenisiert.
Der Fermenter wird zu den jeweiligen Fütterungsintervallen für 20 min durchmischt.
Das ausgefaulte Substrat wird über eine zentrale Pumpstation, die auch die Rückführung
von Gärrest in den Fermenter ermöglicht, dem Gärrückstandslager zugeführt.
638 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Luftzufuhr
[1000 m³]
Stall mit
Rindergülle
Wohnhaus
Ch
Kondensat-
4
O 2
abscheider HS
2
Gasanalysator
Holztrocknung
T Q
Q
Eigenverbrauch
BGA
kWh Lieferung
kWh Bezug
Stromnetz
T
T Q
Das Biogas wird durch Eintrag von Luft in das Gärrückstandslager biologisch ent-
schwefelt und in einem externen 300 m3-Foliengasspeicher zwischengespeichert. Das ent-
schwefelte Gas, das ca. 52 Vol.-% Methan enthält, wird in einem Zündstrahl-BHKW mit
170 kWel Nennleistung verwertet. Mit der Anlage werden täglich 3.550 kWh Strom pro-
duziert und ins Stromnetz eingespeist. Für den Eigenbetrieb der Anlage werden 6,2 % des
erzeugten Stromes benötigt. Die anfallende Wärme wird zur Beheizung des Fermenters,
des Betriebsgebäudes und des Wohnhauses genutzt.
Das Gärgut wird in dem gasdicht ausgeführten Gärrückstandslager gespeichert, das,
wie der Fermenter, mit dem externen Gasspeicher verbunden ist. Durch die Art der bau-
lichen Ausführung von Fermenter und Gärrückstandslager werden Methanemissionen
vollständig vermieden.
8.2.3 Zweistufige Nassvergärung
Da in der Landwirtschaft die Anwendung zweistufiger Verfahren dominiert, ist hier die
größte Vielfalt an unterschiedlichen Anlagenkonzepten in der Praxis anzutreffen. Abbil-
dung 8.22 zeigt einen weitverbreiteten Anlagentyp, der aus drei baugleichen Behältern be-
steht, von denen die ersten beiden beheizten und isolierten Behälter zu Biomethanisierung
8.2 Beispiele landwirtschaftlicher Vergärungsanlagen 639
15 kWel
15 kWel
Luftzufuhr
[240 m³]
39°C Fermenter
[2000 m³] Gärrestlager
Feststoffeintrag 39°C
[4950 m³]
Nachgärer
[1000 m³] 20 kWel 20 kWel
Zisterne
[100 m³]
Kondensat-
abscheider
kWh Lieferung
kWh Bezug
Heizkessel . Heizöltank
Not-
fackel
dienen und der dritte unbeheizte Behälter den Gärrest aufnimmt. Das gebildete Biogas
wird in allen drei Behältern unter einem gasdichten Tragluftdach gespeichert.
Das zur Biogaserzeugung eingesetzte Substrat besteht aus 83 % Maissilage, 14 % Gras-
silage und 3 % Rindergülle. Die Fermenter werden bei 41 °C betrieben und im unbeheiz-
ten Gärrestlager herrscht im Jahresdurchschnitt eine Temperatur von über 20 °C. Alle drei
Behälter sind über einen natürlichen Überlauf verbunden. Um im Fermenter eine aus-
reichende Rührfähigkeit zu erreichen, wird aus dem Nachgärer und dem Gärrückstands-
lager Flüssigkeit zurückgeführt. Zur Durchmischung ist der Fermenter mit drei Tauch-
motorrührwerken ausgerüstet, die in Abstimmung mit den Fütterungsintervallen jeweils
20 min/h betrieben werden. Zur Durchmischung des Nachgärers genügen zwei Tauchmo-
torrührwerke mit einer Leistung von je 17 kW.
Die Anlage wird mit einer Raumbelastung von 1,8 kg oTM/(m3 · d) bei einer Verweil-
zeit von 174 Tagen betrieben. Das Biogas enthält nach der biologischen Entschwefelung
ca. 52 Vol.-% Methan und lediglich 22 ppm Schwefelwasserstoff. Mit der Anlage werden
täglich 13.600 kWh Strom erzeugt. Für den Eigenbetrieb der Anlagen werden 5,5 % der
Stromerzeugung benötigt. Neben den Rührwerken stellen die beiden Zündstrahl-BHKW
die größten Stromverbraucher dar. Für die Dosierung der Substrate wird weniger als 1 %
der erzeugten Strommenge benötigt.
Abbildung 8.23 zeigt beispielhaft ein zweistufiges Anlagensystem, bei dem die erste
Stufe doppelt so groß ausgeführt ist wie der Nachgärer. Diese Anlage wird fast ausschließ-
lich mit nachwachsenden Rohstoffen betrieben. Zur Aufrechterhaltung der Rührfähigkeit
kann aus einer Zisterne bedarfsabhängig Wasser zugeführt werden.
640 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Feststoffeintrag
15 kWelLuft 15 kWel
15 kWel
40 °C Gärrestlager
Gärrestlager 40°C [2830 m³]
Stufe 2 Stufe 1
11 kWel [471 m³] Stufe 2 11 kWel
[2680 m³]
Wohnhaus
Gasanalysator CH4
O2
HS2
Eigenverbrauch
BGA Kondensat-
abscheider
TT Q
kWh Lieferung
Q
kWh Bezug
Stromnetz
Gasmotor 526 kWel
Die Biogasanlage wird mit einer Raumbelastung von 2,2 kg oTM/(m3 · d) und einer
hydraulischen Verweilzeit von 146 Tagen betrieben. Um im Fermenter eine ausreichende
Rührfähigkeit und Prozessstabilität zu erreichen, wird im Verhältnis zum Frischsubstrat
etwa die gleiche Menge Gärrest aus dem Nachgärer zurückgeführt. Aufgrund der unter-
schiedlichen Dimensionierung beider Prozessstufen werden etwa 63 % der Organik in der
ersten Stufe und lediglich 14 % in der zweiten Stufe abgebaut. Pro Tag erzeugt die Anlage
ca. 9.300 kWh Strom, wovon 8,9 % für den Betrieb der Anlage benötigt werden.
Neben der allgemein üblichen Ausführung der Zweistufigkeit in Form von zwei baulich
getrennten Gärbehältern kommen vereinzelt Sonderbauformen wie z. B. die sogenannten
Ring-in-Ring-Anlagen zur Anwendung. Bei diesen ausschließlich in Betonbauweise er-
richteten Anlagen dient der Raum des inneren Rings als Fermenter, der erste Ringraum als
Nachgärer und der äußere Ringraum als Gärrestlager. Dies ermöglicht eine platzsparende
Bauweise sowie einen verminderten Aufwand für die Behälterisolierung. Abbildung 8.24
zeigt schematisch eine solche Anlage, die zu über 75 % mit nachwachsenden Rohstoffen
betrieben wird. Als weitere Substrate werden Rinder- und Schweinegülle eingesetzt.
Die festen Substrate werden beiden Fermenterstufen über kopfseitig angebrachte Stopf-
schnecken 24-mal pro Tag zugeführt. Das Gärgut aus Stufe 1 wird nach entsprechender
Verweildauer über eine Kolbenpumpe der Stufe 2 zugeführt, aus der die gleiche Menge
Gärgut in das Gärrestlager gepumpt wird. Zur Durchmischung beider Fermenterstufen
werden Langwellenrührwerke benutzt. Allein für die Durchmischung des Ringraums sind
8.2 Beispiele landwirtschaftlicher Vergärungsanlagen 641
Luft Luft
[1960 m³] [630 m³]
Gärrestlager 2 Gärrestlager 1
[3600 m³] [1400 m³]
15 kWel 15 kWel
15 kWel
Schlammtrocknung
Kondensat CH4
CO2
O2 Gasanalysator
HS
2
Eigenverbrauch
BGA
Gas - BHKW 716 kWel Stromnetz
kWh Lieferung
kWh Bezug
Der Einsatz von Verfahren zur Vergärung von Substraten bei hohen Trockensubstanzge-
halten wurde durch den 2004 eingeführten Technologie-Bonus begünstigt. Entsprechend
der amtlichen Begründung zum EEG 2004 wird der Bonus nur gewährt, wenn die einge-
setzten Stoffe einen Wassergehalt von unter 70 % aufweisen (Bundesumweltministerium
2007). Daher sind die in der Praxis anzutreffenden Anlagen i. d. R. so konzipiert, dass der
Fermenter ausschließlich mit nachwachsenden Rohstoffen beschickt wird, die einen Tro-
ckenmassegehalt von mindestens 30 % aufweisen.
Abbildung 8.25 zeigt eine typische einstufige kontinuierliche Vergärungsanlage, bei
der zur Vergärung ein liegender Fermenter eingesetzt wird, der mit mehreren quer zur
Strömungsrichtung angeordneten Paddelrührwerken ausgerüstet ist. Das Substrat durch-
strömt den Fermenter in Längsrichtung als quasi-kontinuierlicher Pfropfenstrom, wobei
642 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
die Rührwerke lediglich eine lokale Durchmischung durchführen und nicht aktiv zum
axialen Substrattransport beitragen.
Die Substrate werden aus dem Feststoffdosierer über Schneckensysteme dem liegenden
Betonfermenter zugeführt und über die im Eingangsbereich an Wand und Boden ange-
brachten Heizrohre auf 42 °C temperiert. Die Zugabe der Tagesmenge von 38 Mg erfolgt
verteilt über 22 Einzeldosierungen. Neben Maissilage (97 %) wird Rinderfestmist (3 %)
eingesetzt, um eine ausreichende Versorgung mit Spurenelementen sicherzustellen. Nach
einer Verweilzeit von ca. 35 Tagen wird das Gärgut über eine Drehkolbenpumpe mit Nach-
zerkleinerung aus dem Fermenter in zwei gasdichte Gärrestlager abgepumpt. Daraus re-
sultiert eine Raumbelastung von ca. 8,7 kg oTM/(m3 · d). Das Biogas wird unter den Trag-
luftdächern beider Gärrestlager zwischengespeichert bevor das Gas in einem Gas-BHKW
mit einer elektrischen Leistung von 716 kWel verwertet wird. Mit der anfallenden Wärme
erfolgt die Trocknung des Klärschlamms einer benachbarten Kläranlage.
Neben liegenden Fermentern werden auch stehende runde Fermenter eingesetzt, die
über zwei senkrecht stehende Paddelrührwerke mit je 15 kW Leistung durchmischt wer-
den. Die in Abb. 8.26 gezeigte Anlage wird ausschließlich mit nachwachsenden Rohstof-
fen betrieben. Die hydraulische Verweilzeit beträgt ca. 39 Tage, die Raumbelastung 8,2 kg
oTM/(m3 · d). Die Rührwerke werden für ca. 40 min pro Stunde betrieben und sind mit den
Fütterungsintervallen abgestimmt. Das Gärgut wird über zwei hintereinander geschaltete
Drehkolbenpumpen dem Gärrestlager zugeführt, das mithilfe von zwei Langachsrührwer-
ken durchmischt wird. Ein kleiner Teil des Gärrestes wird einem Siebschneckenseparator
zugeführt, um täglich ca. 10 m3 separierte Flüssigkeit in den Fermenter zurückzuführen.
Zur Vermeidung von Prozesshemmungen wird dem Fermenter regelmäßig eine Spuren-
elementmischung zudosiert.
Aus der zugeführten Substratmenge (8.500 Mg/a) werden in den beiden Zündstrahl-
BHKW täglich 11.500 kWh Strom erzeugt.
Luftzufuhr
Fermenter
[860 m³] Feststoffeintrag
Separator
[8 m³]
Bürogebäude Separationgrube
Holztrocknung Eigenverbrauch
BGA
Kondensat-
abscheider
Stromnetz
Heizöltank
Luftzufuhr
Feststoffeintrag
CO2 Gasanalysator
CH4
O2
Wohnhäuser H2S
T
kWh Lieferung
Q
kWh Bezug
Stromnetz
Heizöltank
Gasausgleichssack Biofilter
Seitenansicht
Gasspeicher [500 m³]
[70 m³]
Achswaage
CO2 Perkolattank
CH4
O2
[2*50 m³]
HS Mais-, Grassilage,
7 Fermenter [a ca. 550 m³AV]
2
Rindermist
40°C
Gärrest
Filter
Draufsicht Perkolattank
Perkolatdüsen
Eigenverbrauch
BGA
T
kWh Lieferung
8.2.6 Diskontinuierliche Feststofffermentation
Sauerstoffgehalt 21 Vol.-% erreicht hat. Erst dann werden die Sicherungsbolzen des Tores
freigeschaltet und das ausgefaulte Material kann mit dem Radlader entnommen werden.
Der Gärrest weist einen Trockensubstanzgehalt von ca. 20 % auf, von dem fast 70 % orga-
nischen Ursprungs sind. Dies macht deutlich, dass nach einem einmaligen Durchgang nur
ein unvollständiger Substratabbau stattfindet, was sich auch in einem relativ hohen Rest-
gaspotenzial widerspiegelt.
Die durchschnittliche Substratverweilzeit liegt aufgrund der hohen Rückführrate an
Gärrest bei etwa 70 Tagen. Aufgrund der zeitversetzten Betriebsweise der sieben Fermenter
wird eine nahezu gleichmäßige Gasproduktion mit einem Methangehalt von ca. 53 Vol.-%
erzielt. Das Gas wird in einem Foliensack zwischengespeichert, der auf dem Garagendach
lagert. Bei einem Substrateinsatz von 11.000 Mg/Jahr werden täglich ca. 9.400 kWh Strom
erzeugt. Die anfallende Wärme wird über ein Nahwärmenetz an ein benachbartes Dorf
abgegeben. Um bei Wartung oder Ausfall des BHKW sowie zu Spitzenverbrauchszeiten
ausreichend Wärme bereitzustellen, kann das erzeugte Biogas auch in einem Biogasheiz-
kessel allein zur Wärmeerzeugung genutzt werden.
Im Vergleich zu kontinuierlich betriebenen Anlagen ist ein etwas höherer Arbeitsauf-
wand erforderlich, da allein für den Substratwechsel ca. 10 Arbeitsstunden erforderlich
sind. Der Eigenstrombedarf ist unter Berücksichtigung des Dieseleinsatzes für den Rad-
lader etwas geringer als bei den kontinuierlich betriebenen Verfahren, da während der
Fermentation das Substrat nicht durchmischt wird.
8.3.1 Einleitung
Die gezielte Vergärung organischer Abfälle wird im Bereich der Abwasserreinigung (Klär-
schlamm) und der Landwirtschaft (Gülle) schon seit langem praktiziert. Anaerobtechno-
logien zur Verarbeitung fester Abfallstoffe wie Bio- und Grünabfällen wurden erst mit
Beginn der 90er-Jahre eingesetzt. In der Boomphase der Implementierung des Systems
„Getrenntsammlung und Verwertung von Bioabfällen“, 1988–1995, verfügte die Ver-
gärungstechnologie noch nicht über den erforderlichen Entwicklungsstand. Erst in den
letzten Jahren gewann die Vergärung an Bedeutung. Verantwortlich für die anfängliche
Zurückhaltung waren technische und wirtschaftliche Probleme. Technische Mängel traten
hauptsächlich durch funktionelle Störungen im Gesamtprozess (Mechanik und Biologie)
sowie durch auffallend hohen Verschleiß auf. Hohe Investitions- und Betriebskosten, die
für Anaerobverfahren gegenüber Aerobverfahren aufgewandt werden mussten, hemmten
anfangs deren Etablierung – trotz vielfältiger ökologischer Vorteile, die der Anaerobtech-
nologie attestiert werden.
646 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
8.3.2 Rechtliche Rahmenbedingungen
Der Umgang mit Abfällen und Abwässern unterliegt einer Vielzahl von Gesetzen, Ver-
ordnungen und Richtlinien für die Genehmigung und den Betrieb der Anlagen sowie die
Verwertung und Entsorgung diverser Anlagenoutputströme.
Vergärungsverfahren zur Verwertung von Bioabfällen Die maßgebenden Gesetze und Ver-
ordnungen für die Genehmigung und den Betrieb von Anlagen zur Verwertung von Bio-
abfall sind insbesondere:
• Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG)
− Bioabfallverordnung (BioAbfV)
• Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG)
− Bundes-Bodenschutzverordnung (BBodSchV)
• Wasserhaushaltsgesetz (WHG)
• Abwasserabgabegesetz (AbwAG)
− Abwasserverordnung (AbwV)
• Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG)
− 4. Bundes-Immissionsschutzverordnung (4. BImSchV)
− Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA-Luft)
− Technische Anleitung zum Schutz vor Lärm (TA-Lärm)
• Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG)
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 647
• Düngemittelgesetz (DüMG)
− Düngemittelverordnung (DüMV)
− Düngeverordnung (DüV)
• Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)
• Biomasseverordnung (BiomasseV)
Für den Bau und Betrieb von Anlagen zur Verwertung von Abfällen sind genehmigungs-
rechtlich das BImSchG und das UVPG und deren Verordnung relevant. Die Festlegung
der Genehmigungsbedürftigkeit und des anzuwendenden Genehmigungsverfahrens er-
folgt durch die 4. BImSchV. Weitergehende Anforderungen an den Bau einer Anlage resul-
tieren aus den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften wie der TA-Luft (siehe Kap. 8.3.8.1)
und TA-Lärm. Die Anforderungen betreffen hierbei nicht nur die Abluftemissionen aus
dem Anlagenbetrieb, sondern ebenfalls aus der Nutzung des Biogases beispielsweise in
Blockheizkraftwerken (BHKW). Die Anforderungen an die Ableitung von Abwässern
werden durch § 7a des WHG geregelt. Anforderungen an die Ableitung von Abwässern
aus verschiedenen Herkunftsbereichen werden in der AbwV festgelegt. Anforderungen
für Abwässer aus Bioabfallvergärungsanlagen sind derzeit in der AbwV jedoch nicht ex-
plizit festgelegt. Die Behandlung der Abwässer wird aufgrund der nicht auszuschließen-
den Gefährdung der natürlichen Kreisläufe durch die Art und Konzentration der Abwas-
serinhaltsstoffe i. d. R. durch die zuständigen Genehmigungsbehörden nach dem Stand
der Technik gefordert. Wesentliche Zielsetzung der Bio- und Grünabfallverwertung ist
die Erzeugung eines qualitativ hochwertigen organischen Bodenverbesserungsmittels
und Sekundärrohstoffdüngers. Die Verwertung von Abfällen als Sekundärrohstoffdünger
auf landwirtschaftlich, forstwirtschaftlich und gärtnerisch genutzten Flächen wird nach
KrWG prinzipiell zugelassen und die Durchführung in Rechtsverordnungen wie der Bio-
AbfV und DüMG geregelt. Qualitätsanforderungen werden auch durch den Markt vor-
gegeben, z. B. durch die RAL-Gütesicherung Gärprodukte der Bundesgütegemeinschaft
Kompost (BGK).
1. Deponieverordnung (DepV)
2. 30. Bundes-Immissionsschutzverordnung (30. BImSchV)
3. Verordnung zur Änderung der Abwasserverordnung (AbwV Anhang 23).
Die DepV gilt lediglich für MBA-Verfahren, bei denen Teilströme nach der Behandlung
deponiert werden sollen und legt die Kriterien für die Deponierung mechanisch-bio-
logisch vorbehandelter Abfälle fest (siehe Kap. 8.3.7.2). Die 30. BImSchV beinhaltet im
648 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Wesentlichen Emissionsgrenzwerte für die Ableitung der Abluftströme und definiert An-
forderungen an die Kapselung der Anlage (siehe Kap. 8.3.8.2), während im Anhang 23
der AbwV die Anforderungen an die Ableitung von Abwässern in Gewässer bzw. vor der
Vermischung mit anderen Abwässern zur weitergehenden Behandlung festgelegt werden.
Die Anforderungen des kommunalen Satzungsrechtes sind bei der Einleitung in die Kana-
lisation ebenfalls zu berücksichtigen.
8.3.3.2 Restabfälle
In Deutschland werden derzeit 46 mechanisch-biologische Anlagen (MBA) betrieben, die
Siedlungsabfälle durch mechanische Aufbereitung in verschiedene Stoffströme aufteilen
und diese stoffstromspezifisch behandeln. Insgesamt wurden in Anlagen ca. 5,76 Mio. Mg/a
Siedlungsabfälle behandelt (ASA 2011). Hiervon werden 59 % in klassischen MBA-Anla-
gen mit Integration der Deponie behandelt, entsprechend 3,24 Mio. Mg/a. Von diesen Ab-
fällen gelangen ca. 50 % als sogenannte Feinfraktion (< 60 bis < 40 mm) in die biologischen
Prozessstufen (1,64 Mio. Mg/a). 69 % bzw. 0,96 Mio. Mg/a gelangen in eine Aerobstufe,
31 % bzw. 0,68 Mio. Mg/a in eine Anaerobstufe. Derzeit werden in Deutschland 12 MBA-
Anlagen mit integrierter Vergärungsstufe betrieben (siehe Tab. 8.10).
Von der Feinfraktion, die den biologischen Stufen zugeführt wird, werden häufig nur
50 bis 60 % der Vergärung zugeführt, nach dem Prinzip der Teilstromvergärung.
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 649
Tab. 8.10 Status quo Behandlungsanlagen für die Bio- und Grünabfallverwertung (Stand 2012)
sowie für die mechanisch-biologische Restabfallbehandlung. (Stand 2011)
Bio- und Grünabfallverwertung
Installierte Behandlungskapazität 12,0 Mio. Mg/a
Anzahl Kompostanlagen 990
Verarbeitete Mengen 9,6 Mio. Mg/a
Vergärungsanlagen 63
Verarbeitungskapazität auf Standorten Vergärung und Kompostierung 1,84 Mio. Mg/a
Verarbeitungskapazität Vergärungsstufe (ohne in Bau befindliche Anlagen) 1,36 Mio. Mg/a
Tatsächliche der Vergärung zugeführte Bio- und Grünabfälle 1,15 Mio. Mg/a
Restabfallbehandlung (MBA, MBS, MPS)
Installierte Behandlungskapazität (gesamt) 5,76 Mio. Mg/a
Anzahl Anlagen (gesamt) 46
Vergärungsanlagen 12
Verarbeitungskapazität bezogen auf Gesamtinput MBA Kompostierung und 3,24 Mio. Mg/a
Vergärung
Verarbeitungskapazität Vergärungsstufe 0,68 Mio. Mg/a
MBA mechanisch-biologische Restabfallbehandlung mit Integration der Deponie, MBS mechanisch-
biologische Stabilisierung (Trocknung), MPS mechanisch-physikalische Stabilisierung (Trocknung)
Tab. 8.11 Prognose der Gesamtmenge an zusätzlich vergärbaren Bio- und Grünabfällen
Bioabfälle (Mg/a) Grünabfälle (Mg/a) Gesamt (Mg/a)
Menge zusätzlich vergärbarer Abfälle 2.177.822 3.177.251 5.355.073
aus schon erfassten Abfällen (Bestand)
Menge zusätzlich vergärbarer 2.060.000 - 2.060.000
Bioabfällen durch flächendeckende
Ausweitung der Biotonnen
Gesamtmenge 4.227.822 3.177.251 7.415.073
a. Bioabfälle, die derzeit kompostiert werden, prinzipiell aber auch der Vergärung zuge-
führt werden könnten.
b. Zusätzlich erfassbare Menge an vergärbaren und Grünabfällen durch flächendeckende
Implementierung der Biotonne.
Die Menge zusätzlich vergärbarer Bio- und Grünabfälle beträgt nach BMU (2013)
7,4 Mio. Mg/a (siehe Tab. 8.11). Bei der Abschätzung ist zu berücksichtigen, dass durch
die vorgesehene flächendeckende Einführung des Systems Biotonne wesentliche Anteile
der Organikfraktion bzw. der Feinfraktion abgeschöpft werden. Der zurzeit in MBA-Anla-
650 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Abluft
Abluft-
behandlung
Biogas
Biogasauf-
bereitung
organische
Abfallstoffe Wert- und
Reststoffe
mechanische Konfek-
Anlieferung Vergärung Lagerung
Aufbereitung tionierung
Abwasser
Abwasser-
behandlung
Abluft
Biogas
Prozess/Abwasser
Prozesswasserkreislauf
Abb. 8.29 Schematischer Verfahrensablauf von Vergärungsanlagen zur Behandlung von Bio- und
Grünabfällen sowie Restabfällen
gen behandelte Massenstrom in den biologischen Behandlungsstufen von 1,62 Mio. Mg/a
reduziert sich entsprechend. Bezogen auf Deutschland hieße das, dass vermutlich kaum
zusätzlich vergärbare Mengen potenziell verfügbar wären. Standortbezogen wird es Bedarf
an Vergärungskapazitäten geben an Standorten, die zurzeit nicht über Vergärungsstufen
verfügen, an anderen Standorten kann die flächendeckende Einführung der Biotonnen zu
einer mangelnden Auslastung führen.
8.3.4.1 Anlieferung
Abfallannahme, Zwischenlagerung und erste Stör- und Problemstoffentnahmen sind die
Hauptaufgaben im Anlieferungs- und Lagerungsbereich. Folgende spezifische Funktionen
sind im Anlieferungsbereich zu gewährleisten:
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 651
Die Abtrennung der Stör-, Fremd- und Schadstoffe ist sowohl im Bereich der Anlieferung
als auch in der mechanischen Aufbereitung sicherzustellen. Im Anlieferungsbereich er-
folgt sie manuell und durch Ladegeräte.
Ob und in welchem Umfang diesen Komponenten problematische Auswirkungen zu-
zuschreiben sind, wird auch durch den jeweiligen Aufbereitungs- und Behandlungspro-
zess sowie durch die unterschiedlichen Nutzungsformen der Gärrückstände bestimmt.
Folgende problematische Eigenschaften sind zu berücksichtigen:
• Stoffgehalte, die die biologischen Prozesse oder die erzeugte Produktqualität nachhaltig
beeinträchtigen
• Stückgrößen, die die Aufgabevorrichtung nachfolgender Aggregate und die Transport-
systeme blockieren
• gefährliche Stoffe (leicht entzündbar, explosiv etc.)
• Stoffe, die schwer zu zerkleinern sind und die die Funktionsfähigkeit der Zerkleinerung
beeinträchtigen, z. B. elastische und plastische Stoffeigenschaften sowie extrem harte
Komponenten
• Stoffe, die zu Zopfbildung und Aufwicklung, übermäßigen Verschleiß führen und zu
Sedimentation im Fermenter neigen.
Zur Annahme und Zwischenlagerung der angelieferten Abfälle werden verschiedene Ar-
ten von Bunkersystemen eingesetzt. Folgende Bauarten sind in der Praxis von Bedeutung:
• Flachbunker
• kombinierter Flach-/Tiefbunker
• Direktaufgabebunker
• Tanks/Silos.
Die Entlade- und Bunkerfläche liegt bei Flachbunkern auf gleichem Niveau. Lieferfahr-
zeuge entleeren die Abfälle unmittelbar im Flachbunker. Dieses Bunkerkonzept bietet
die Möglichkeit, spezifische Abfallqualitäten in speziellen Bunkersegmenten oder Boxen
zwischenzulagern, um sie dem Abfallstrom gezielt zu dosieren oder speziellen Aufgabe-
punkten zuführen zu können. Eine gezielte Stoffstromtrennung im Bunkerbereich in ver-
gärbare und nicht vergärbare Abfallkomponenten ist bei diesem Bunkerkonzept möglich.
652 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Die Übergabe des Materials in die Aufbereitung erfolgt mittels Radlader, bei der Restab-
fallbehandlung auch mit mobilem oder stationärem Bagger mit Polypgreifer. Die Aufgabe-
punkte werden als aufgeständerte Aufgabetrichter und/oder als im Bunkerboden eingelas-
sene Abzugsbänder ausgeführt. Die aufgeständerte Konzeption bietet im Hinblick auf den
konstruktiven Aufwand und die Sicherheit gegen unbeabsichtigtes Hinunterstürzen die
Zugänglichkeit bei Reparaturen sowie die Steighöhe deutliche Vorteile.
Die Lieferfahrzeuge entleeren in einen Tiefbunker, überwiegend auf Anlagen zur Rest-
abfallbehandlung eingesetzt, die Abfälle unmittelbar an einer Abkippkante. Die Bunker-
auslegung erfolgt in Abhängigkeit der geforderten Speicherkapazität, der erforderlichen
Abkippstellen, der Flächenverfügbarkeit und des Baugrundes. Die Übergabe des Materials
in die Aufbereitung erfolgt vorwiegend mittels Brückenkrananlagen mit Polypgreifern.
Tiefbunker mit Kratz- oder Schubböden als Entleerung und Dosiervorrichtung, wie ver-
einzelt bei Vergärungsanlagen von Bioabfällen im Einsatz, sind für die Bunkerung von
Restabfällen nicht geeignet. Insbesondere die begrenzte Schütthöhe – zur Verhinderung
von Brückenbildungen und Verkantungen – lassen diese Tiefbunkermodifikation als
nicht wirtschaftlich/praktikabel erscheinen. Die vollständige Entleerung und Reinigung
des Tiefbunkers ist im Gegensatz zu anderen Bunkerkonzepten schwierig. Die Ausbil-
dung des Bunkers sollte daher der Greifergeometrie angepasst und die Bunkersohle gegen
eine Beschädigung durch den Greifer geschützt werden. Die Auskleidung des Tiefbunkers
mit einer speziellen Betonschicht (Opferbeton) zum Schutz vor mechanischen Beschädi-
gungen wird ebenfalls praktiziert. Eine gezielte Stoffstromtrennung im Bunkerbereich in
vergärbare und nicht vergärbare Abfallkomponenten ist bei diesem Bunkerkonzept nicht
möglich.
Kombinierte Flach-/Tiefbunkerkonzepte versuchen, die Vorteile des Flach- und Tiefbun-
kers zu vereinigen. Die anliefernden Fahrzeuge entleeren den Restabfall über eine Kipp-
kante von maximal 3 m Höhe in einen Flachbunker. Die Materialaufgabe in die Aufberei-
tung oder Zwischenlagerungsboxen erfolgt in der für die Flachbunker bereits beschriebe-
nen Weise.
Bei Direktaufgabebunkern entladen die Lieferfahrzeuge direkt, in Abhängigkeit von
der Anlieferfrequenz in einen oder mehrere nebeneinander ebenerdig angeordnete, mit
einem Abzugsband versehene Bunker. Als Fördereinrichtung haben sich Kettengurte und
Plattenbänder bewährt. Dieser Bunkertyp kann in den geschlossenen Annahmebereich
integriert oder separat installiert werden. Im letzteren Fall ist der Direktaufgabebunker
vollständig gekapselt mit Abluftfassung auszuführen.
Vergärungsverfahren eignen sich im Gegensatz zur Kompostierung insbesondere auch
für die Verarbeitung flüssiger und pastöser Abfälle, die überwiegend in der Nahrungsmit-
tel- und Agroindustrie anfallen. Die stofflichen Eigenschaften der Abfälle machen i. d. R.
eine von den festen Abfällen getrennte Lagerung erforderlich. Die flüssigen und pastösen
Abfälle werden von den anliefernden Fahrzeugen zumeist direkt über einen Tankstutzen
in ein Schlammsilo oder einen Tank abgepumpt, um Geruchsemissionen zu vermeiden.
Die Behälter sind kontinuierlich oder periodisch zu durchmischen, um die Bildung von
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 653
Abtrennung von Stör- und Schadstoffen In der mechanischen Aufbereitung erfolgt eine
systematische Störstoffabtrennung, vorwiegend über Siebstufen, Sortierstationen und
Metall-/Nichtmetallscheider. Grobe und sperrige Abfallbestandteile aus dem Restmüll
werden vor der Aufgabe in nachgeschalteten Aufbereitungs- und Behandlungsstufen zer-
kleinert, um die Transportfähigkeit in den Fördersystemen zu gewährleisten. Gebinde
(z. B. verschlossene Müllsäcke) werden durch den Zerkleinerungsvorgang geöffnet.
Die Forderungen nach weitestgehender Schad- und Fremdstofffreiheit bei organischen
Bodenverbesserern und Düngemitteln macht eine intensive Fremdstoffelimination bei
der Bio- und Grünabfallverwertung vor die biologischen Behandlungsstufen empfehlens-
wert. Sie erfolgt bei trockenen Aufbereitungsverfahren durch manuelle Aussortierung vom
Sortierband aus dem gesamten Stoffstrom oder aus dem mit Störstoffen angereicherten
Siebüberlauf. In einigen Anlagen wird die gesamte störstoffangereicherte Grobfraktion
verworfen. Nasse Verfahren nutzen das Schwimm-Sink-Prinzip (s. u.), vereinzelt auch in
Verbindung mit Siebschnitten. Schwerstoffe z. B. Glasscherben, Steine und Metalle wer-
den nach einem Stofflösungs-/Anmaischprozess über Schwerstoffschleusen am Boden der
Aufbereitungsbehälter abgezogen. Aufschwimmende grobe Störstoffe (z. B. Kunststoffe,
Textilien, Holz) werden über sogenannte Leichtstoffrechen abgezogen oder durch spezielle
nasse Siebstufen abgetrennt.
654 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Tab. 8.12 Genutzte Eigenschaften und Aggregate zur mechanischen Aufbereitung von Abfallgemi-
schen vor der Vergärung
Aggregate Genutzte Funktionen Ausführungen
Stoffeigenschaften
Zerkleinerer Aufbau, Härte, Vergrößerung der spezifi- Walzenmühle
Sprödigkeit und schen Oberfläche Schneidmühle
Spaltbarkeit Korngrößenverkleinerung Kugelmühle
Öffnung von Gebinden
Volumenverkleinerung/
-vergrößerung,
Homogenisierung
Siebe Partikelgröße Trennung in Kornklassen wie Trommelsieb
organikangereicherte Fein- Spannwellensieb
fraktion brennstoffangerei- Sternsieb
cherte Grobfraktion
Öffnung von Gebinden
Homogenisierung
Pressen Partikelgröße Trennung in nasse, organik- Extruderpresse
Konsistenz angereicherte Feinfraktion
(Pressat) und trockene,
brennstoffangereicherte
Grobfraktion (Presskuchen)
Windsichter Gleichfälligkeit Trennung in Leicht- und Vertikal-, Zickzack-,
Schwerfraktion Horizontal-Rotations-
windsichter, Zyklon
Hydro-Klassierer Fliehkraft Trennung in Leicht- und Hydrozyklon
Sinkgeschwindigkeit Schwerfraktionen
Perkolatoren Löslichkeit Trennung in lösliche flüssige Perkolator
und nicht lösliche feste
Phasen
Stofflöser Dichte Öffnung von Gebinden Stofflöser/Pulper
Zugfestigkeit Vergrößerung der spezifi-
Löslichkeit schen Oberfläche
Quellfähigkeit Korngrößenver-
kleinerung und
Oberflächenvergrößerung
Schwimm-Sink-Trennung
Anmaischung
Sandscheider Dichte Schwimm-Sink-Trennung Sandscheider mit und
ohne Gegenstrom
Fe-Scheider Magnetisierung Fe-Metallscheidung Überbandmagnet,
Trommelmagnete
Ne-Scheider Leitfähigkeit und Ne-Metallscheidung Wirbelstromseparator
Dichte
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 655
Diesen Aspekten spricht ein deutlich geringerer Gasertrag entgegen. Eine Bewertung bei-
der Verfahrensansätze bedarf einer Einzelfallbetrachtung.
fe in den Behälter eingefüllt, sodass eine Suspension mit ca. 5 bis 12 % Trockensubstanz
entsteht. Die Prozesswasserdosierung hierfür ist variabel einstellbar und für das jeweilige
Inputgemisch anpassbar. Durch einen kontinuierlich mit hoher Drehzahl laufenden Rotor
wird das eingefüllte Abfallgemisch in eine fließfähige Suspension überführt, Scherbean-
spruchung ausgesetzt, intensiv durchmischt und in der wässrigen Phase aufgeschlossen.
Durch die zentrisch unten am Behälter angeflanschte Schwerstoffschleuse werden die
schweren Störstoffe (Steine, Glasscherben, Metalle etc.) abgezogen. Nach einer bestimm-
ten Auflösezeit wird der gesamte Behälterinhalt in eine mechanische Nachbehandlungs-
stufe eingetragen. Sie trennt die aus dem Stofflöser gewonnene Rohsuspension in eine
vergärbare Suspension und in verschiedene Reststofffraktionen. Schwimmstoffe und Sand
werden abgetrennt (siehe Abb. 8.30).
Perkolationsverfahren nehmen eine Sonderform ein. Die Perkolation selbst kann der
nassen Aufbereitung zugeordnet werden, die anschließende Vergärung den kontinuier-
lichen nassen Vergärungsverfahren. Diese Verfahren spielen bisher bei der Vergärung von
Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen nur eine untergeordnete Rolle.
Das Verfahrenskonzept der Perkolation geht auf ein bereits 1978 von Gosch und Klass
beschriebenes zweistufiges, zweiphasiges biologisches Verfahren zum schnelleren Abbau
von organischen Substanzen in Reaktordeponien zurück. In der ersten Stufe wird der
feste Abfall einer anaeroben Hydrolyse unterworfen. Die entstehenden löslichen Abfall-
produkte werden von der zugegebenen wässrigen Phase aufgenommen und anschließend
dem Fermentationsprozess zugeführt. Das Verfahren wurde u. a. von Rijkens (1981) und
658 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Hoffenk et al. (1985) mit organischen Abfällen (Gemüse und Früchte, Schlachtereiabfäl-
le, Mist etc.) weiterentwickelt und optimiert. Es wurde zweimal im industriellen Maßstab
umgesetzt als sogenanntes AN-Verfahren in Ganderkesee, mit dem ca. 3.000 Mg/a Bioab-
fälle behandelt wurden, und in Breda als Prethane-Rudad-Verfahren, zur Behandlung von
Gemüseabfällen. Wellinger und Suter (1986) sowie Widmer et al. (1985) führten in den
80er-Jahren weitere Versuche zum zweistufigen, zweiphasigen Abbau von organischen Ab-
fällen (Festmist, Markt- und Schlachthofabfälle) durch. Dabei konnte die Extraktionsleis-
tung der Perkolationsstufe und dementsprechend der Biogasertrag durch eine Belüftung
des Perkolationsreaktors sowie durch Einbau eines Rührwerks deutlich erhöht werden.
In Laborversuchen und Versuchen im halbtechnischen Maßstab zeigten Wellinger und
Widmer (1998) die grundsätzliche Anwendbarkeit des Perkolationsverfahrens auch für
Restabfälle. Hierzu wurden in Deutschland drei Großanlagen gebaut, von denen noch eine
in Betrieb ist.
Bei einem der ausgeführten Verfahren wird das Material im Perkolator durch ein axial
angeordnetes Rührwerk umgewälzt und durch den Reaktor transportiert. Durch zykli-
sches Eindüsen von Luft vom Reaktorboden wird das Material im mesophilen Tempera-
turbereich aerob hydrolysiert, um vermehrt organische Substanzen in die lösliche Phase
zu überführen. Quasi-kontinuierlich zugegebenes Waschwasser durchströmt das Material
und bewirkt eine Auswaschung der löslichen organischen Substanzen bzw. eine Über-
führung der organischen Substanz aus dem Abfall in die flüssige Phase. Nach Durchlauf
durch den Perkolator (Retentionszeit 2 bis Tage) wird der Feststoff entnommen und mit-
tels Schneckenpresse entwässert. Das Prozesswasser wird zusätzlich über den Siebboden
des Perkolators abgeleitet, zusammen mit dem Presswasser aus der Entwässerung einer
Sandwäsche und Faserscheidung unterzogen und anschließend einem nach dem UASB-
Prinzip arbeitenden Hochleistungsreaktor zugeführt (siehe Abb. 8.31, 8.32, 8.33).
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 659
Abb. 8.32 Schematische Darstellung des Verfahrensablaufes bei der Vergärung von Bio- und Grün-
abfällen – trockene Vergärungsverfahren
Im folgenden Kapitel werden zunächst die jeweiligen Prozess- und Verfahrensarten be-
schrieben und Ausführungsbeispiele gegeben.
660 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Abb. 8.33 Schematische Darstellung des Verfahrensablaufes bei der Vergärung von Bio- und Grün-
abfällen – nasse Vergärungsverfahren
Vergärungsverfahren
mesophil/thermophil
Nassvergärung Trockenvergärung
Abb. 8.34 Typisierung der Vergärung nach deren Technik und Prozess- und Betriebsführung
der Fermenter (biologische Vorerwärmung durch eine Belüftung, Beheizung der Fer-
menter, Erwärmung des Perkolatwassers) und durch die Ausgestaltung des Fermenter-
innenraumes.
Tab. 8.14 Vor- und Nachteile diskontinuierlicher und kontinuierlicher trockener Vergärungsver-
fahren
Diskontinuierliche Vergärungsverfahren Kontinuierliche Vergärungsverfahren
Aufwendige Materialaufbereitungen vor der Aufwendige Materialaufbereitung vor der
Fermentation entfallen Fermentation
Die mechanische Durchmischung während der Mechanische Durchmischung während der
Fermentation entfällt. Im Fermenter befinden Fermentation. Im Fermenter befinden sich bei
sich keine mechanischen Komponenten den meisten Verfahren mechanische Kompo-
nenten. Die Folge sind erhöhte Korrosionen
und Abrasionen sowie Störanfälligkeiten
Kaum Gefahr von Fermenterhavarien durch Gefahr von Fermenterhavarien durch Zusam-
Zusammenbruch der Biologie und den menbruch der Biologie und den damit zusam-
damit zusammenhängenden langwierigen menhängenden langwierigen Anfahrprozessen
Anfahrprozessen
Keine aufwendige Entwässerungsstufe am Ende Aufwendige Entwässerungsstufe am Ende des
des Prozesses erforderlich. Damit entfallen Prozesses ist erforderlich mit der Folge erhöh-
auch wesentliche Abwassermengen ter Abwasserwassermengen
Geringere Gasausbeute Höhere Gasausbeute
Geringerer Eigenenergiebedarf wg. geringerem Höherer Eigenenergiebedarf wg. höherem
Aufwand bei Materialaufbereitung vor der Aufwand bei Materialaufbereitung vor der Fer-
Fermentation, nicht erforderliche Durchmi- mentation, erforderliche Durchmischung im
schung im Fermenter und Entwässerung nach Fermenter und Entwässerung nach Fermenta-
Fermentation vor Kompostierung tion vor Kompostierung
Höherer Fermentervolumenbedarf Geringerer Fermentervolumenbedarf
Höhere Verfügbarkeit wegen geringerer Höhere Störanfälligkeit insbesondere in der
Störanfälligkeit Fermentation und der Entwässerung
hen TS-Gehalt von etwa 30 % eine pfropfenförmige Strömung (plug flow). Die Durchmi-
schung des Materials in Längsrichtung bleibt aus. Der Prozess verläuft nach dem Prinzip
„first in – first out“.
Ein axial angeordnetes Rührwerk durchmischt das Gärsubstrat. Zusätzlich wird hiermit
eine verbesserte Gasfreisetzung bewirkt. Das langsam laufende Rührwerk hat keine För-
derwirkung. Es dient lediglich der radialen Substratumwälzung (siehe Abb. 8.36). So kön-
nen Gasblasen aus dem Substrat gelöst und absinkende Schwerstoffe wieder aufgemischt
werden. Ebenso soll die Bildung von Schwimmschichten unterbunden werden.
Der horizontale Pfropfenstrom gewährleistet eine definierte Verweilzeit von ca. 15–21
Tage. Die anaerobe Behandlung des Substrates erfolgt ausschließlich bei thermophilen
Temperaturen bei ca. 55 °C. Durch die definierte Verweilzeit im Pfropfenstrom kann die
Hygienisierung gemäß der Bioabfallverordnung im Fermenter nachgewiesen werden.
An der Austragsseite des Fermenters wird der Gärrest mittels Kolbenpumpe ausgetra-
gen. Rund ein Drittel der Austragsmenge gelangt über eine interne Impfleitung zurück zur
Eintragsseite des Fermenters (Biomasserückführung und Befeuchtung). Das überschüssi-
ge Material wird mittels Siebschneckenpresse und auf einigen wenigen Anlagen zusätzlich
mit Dekantern entwässert.
664 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Abb. 8.35 Schematische Darstellung des KOMPOGAS-Verfahrens für die Verarbeitung von Bioab-
fällen. (Axpo Kompogas AG)
Die interne Impfung ermöglicht nach Leisner und Oertig (schriftl. Mttlg. 2012) Fer-
menterbeladungen bis 10 kg oTS pro m3 und Tag.
Der Reaktorzulauf wurde ursprüngliche in Doppelrohr-Wärmeübertragern erwärmt,
während die Abstrahlungsverluste über eine Reaktorbeheizung ausgeglichen werden. Die
Beheizung des Reaktorzulaufs wird seit ca. 2009 nur noch auf den MBA Anlagen in Frank-
reich gebaut. Die neue Fermentergeneration heizt den Zulauf mittels Heizlanzen im Ein-
tragsbereich auf. Weitere Lanzen in der Mitte und am Ende des Fermenters gleichen die
Abstrahlungsverluste aus.
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 665
Bei der Vergärung von Abfällen anfallende inerte Stoffe wie Steine, Sand und Glas kön-
nen sich im Reaktor absetzen. Sedimentationen wird durch die Wirkung des Rührwerkes,
durch Separation von Schwerstoffen vor der Fermentation und Nichtunterschreitung von
bestimmten Viskositätsleveln entgegengewirkt.
Erfahrungen liegen für Bio- und Restabfälle vor.
manuelles
Sortieren
Bioabfall Störstoffe
Fe-Scheidung Fe-Metalle
Mühle Sieb
40 mm
Siebüberlauf
Kompostierung
Deponiegas
Biogas
Endschwefelung
Fackel
Fermenter Biogas
Gas-
speicher
Dampf-
Heizung
generator
Beladungs-
pumpe Feststoff
M
Kompostierung
Abwasser
Abb. 8.38 Schematische Darstellung des DRANCO-Anlage in Salzburg, Österreich, für die Verar-
beitung von Bioabfällen
cken gefahrenen Fermentern vergleichsweise gering aus. Bei Anlagen, die als Teilstromver-
fahren betrieben werden, wird in der Praxis vollständig auf eine Entwässerung verzichtet.
Erfahrungen liegen für Bio- und Restabfälle vor.
Zufluss Abfluss
Gaseindüsung
erfolgt ohne mechanische Einbauten durch ein pneumatisches System. Periodisch wird
Biogas im Kreislauf unter einem Druck von bis zu ca. 10 bar über Düsen am Reaktorboden
vertikal eingepresst und auf diese Weise eine effektive Durchmischung angestrebt. Die Be-
triebsweise erfolgt wahlweise mesophil oder thermophil, mit hydraulischen Verweilzeiten
zwischen etwa 14 und 28 Tagen. Ohne den Einsatz mechanischer Fördereinrichtungen
werden die Gärreststoffe mittels Schwerkraft ausgetragen. Die Entwässerung ist i. d. R.
zweistufig und besteht zumeist aus Siebschnecken- und Bandfilterpresse. Bei Bedarf wird
eine Abscheidung feiner Inertstoffe aus dem Prozesswasser durch Hydrozyklone (Sand-
abscheidung) und Zentrifugen durchgeführt.
Erfahrungen liegen für Bio- und Restabfälle vor. Eine schematische Darstellung des
Valorga-Verfahrens für die Verarbeitung von Restmüll zeigen Abb. 8.40 (Vorbehandlung)
und Abb. 8.41 (Biologie und Nachbehandlung).
Abb. 8.40 Schematische Darstellung des Valorga-Verfahrens für die Verarbeitung von Restmüll –
Beispiel Hannover: Vorbehandlung. (Vielhaber 2013)
Nach dem Befüllvorgang wird das Tor der gasdichten Fermentertunnel verschlossen.
Die Gasdichtigkeit des Tores wird durch ein umlaufendes Druckluftdichtungsprofil mit
Drucküberwachung sichergestellt. Innerhalb der ersten 6–24 h erfolgt eine aerobe Vor-
behandlung durch aktive Belüftung (siehe Abb. 8.42) mit dem Ziel, die mesophile Prozess-
temperatur von 38 bis 40 °C durch die aerobe Selbsterhitzung zu erreichen und gleichzeitig
einen hydrolytischen Aufschluss einzuleiten. Die Abluft aus der Belüftung wird der Abluft-
behandlung zugeführt.
Nach der Belüftung wird der Abfall mit konditioniertem Prozesswasser, dem soge-
nannten Perkolat, berieselt. Dieses Perkolat wird zwischen dem Fermentertunnel und dem
Perkolatfermenter im gesteuerten Kreislauf und in Anpassung an die unterschiedlichen
Prozessphasen geführt. Der Perkolatfermenter dient neben der Kreislaufführung auch
der Mischung von qualitativ unterschiedlichen Perkolatströmen aus den einzelnen Tro-
ckenfermentertunneln, die sich jeweils in einer zeitlich versetzten Prozessphase befinden.
Im Perkolatfermenter ist eine konstante Methanbiologie etabliert, die einerseits der An-
impfung von frisch befüllten Fermentertunneln dient und andererseits die zeitweilig ho-
hen Mengen an organischen Säuren aus den Startphasen der einzelnen Trockenfermenter
670 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Abb. 8.41 Schematische Darstellung des Valorga-Verfahrens für die Verarbeitung von Restmüll –
Beispiel Hannover: Biologie und Nachbehandlung. (Vielhaber 2013)
puffert. Durch die hohen Perkolatumlaufmengen wird ein Austausch und Transport von
Stoffwechselprodukten erreicht, ähnlich der Verhältnisse in mechanisch volldurchmisch-
ten Vergärungssystemen. Durch die ständige Kreislaufführung über den beheizten Perko-
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 671
Abb. 8.46 Schematische Darstellung des KOMPOFERM-Verfahrens für die Verarbeitung von Bioabfall – Beispiel Gütersloh
673
674 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Abb. 8.47 Schematische Darstellung des Bekon-Verfahrens für die Verarbeitung von Bioabfällen
tels einer Boden- und Wandheizung. Am Ende der Verweilzeit von 4 Wochen wird der
Fermenterraum vollständig entleert und dann neu befüllt. Das vergorene Substrat wird
einer Nachkompostierung zugeführt.
Grobzerkleinerung
Abfall
Fe-Scheidung
Fe-Metalle
Schwere und
leichte Störstoffe
Sandabscheidung
Sand
Stofflöser/Pulper
Biogas
Biogasreaktor
Entwässerung
M
Feststoff
(Aerobe Nachbehandlung)
Überschusswasser
(Flüssigdünger
Prozesswasser- Abwasserbehandlung)
speicher
Abb. 8.48 Schematische Darstellung des einstufigen BTA-Verfahrens für die Verarbeitung von
Bioabfällen
• Hydrolyse,
• Versäuerung,
• Acetatbildung und
• Methanisierung.
Bei einstufigen Verfahren laufen alle Abbauschritte in einem Behälter ab, weshalb die Be-
dingungen nicht an die spezifischen Milieuanforderungen der verschiedenen am Abbau
beteiligten Mikroorganismen angepasst werden können. Der simultane Ablauf der Abbau-
schritte bedingt daher eine erhöhte Gefahr für Prozessinstabilitäten. Besonders die Vergä-
rung von leicht abbaubaren Abfallstoffen kann zu einer Anreicherung von Versäuerungs-
produkten führen, die eine Hemmung des Prozesses hervorrufen. Ebenso weisen einstu-
fige Prozesse eine höhere Gefährdung einer Ammoniakhemmung auf, da die Möglichkeit
einer Adaption der Mikroorganismen an höhere Konzentrationen weitgehend fehlt. Ein-
stufige Verfahren werden sowohl als Nass- als auch als Trockenverfahren angeboten und
676
8
Abb. 8.49 Schematische Darstellung des einstufigen BTA-Verfahrens für die Verarbeitung von Restabfällen
Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 677
Tab. 8.15 Milieuanforderungen bei der Vergärung biogener Reststoffe. (Weiland 2001)
Einflussgröße Hydrolyse/Versäuerung Methangärung
Temperatur 25–35 °C Mesophil: 32–42 °C
Thermophil: 50–58 °C
pH-Wert 5,2–6,3 6,7–7,5
C:N-Verhältnis 10–45 20–30
Feststoffgehalt < 40 % TS < 30 % TS
Redox-Potenzial + 400–300 mV < − 250 mV
Nährstoffbedarf C:N:P:S 500:15:5:3 600:15:5:3
Spurenelemente Keine spez. Ansprüche Essenziell: Ni, Co, Mo, Se
können mesophil sowie thermophil betrieben werden. Die im Vergleich zum zweistufigen
Verfahren pro Zeiteinheit geringere Abbauleistung kann durch eine längere Aufenthalts-
zeit im Reaktor kompensiert werden. Die Aufenthaltsdauer beträgt je nach Verfahren zwi-
schen 18 und 30 Tagen.
Zweistufige Verfahren trennen den Hydrolyseschritt und die einsetzende Bildung nie-
dermolekularer Säuren von der Methanisierung. Die Trennung der Abbauschritte eröff-
net bei zweistufigen Verfahren die Möglichkeit, die Prozessbedingungen den jeweiligen
Milieubedingungen der Mikroorganismen anzupassen, führt jedoch zu einem erhöhten
apparativen und baulichen Aufwand (siehe Tab. 8.15). Klassische zweistufige Verfahren
sind auf nasse Verfahren begrenzt.
Ist eine Abtrennung der Feststoffe zwischen dem Hydrolyse- und Methanreaktor vor-
gesehen, wird ein weiterer Entwässerungsschritt notwendig. Die Abtrennung der Fest-
stoffe bietet aber die Möglichkeit, kompakte Hochleistungsreaktoren einzusetzen. Hoch-
leistungsreaktoren bieten den Vorteil, aufgrund höherer erzielbarer Raumbelastung durch
Rückhaltung oder Fixierung der Mikroorganismen, kürzere Verweilzeiten und dadurch
geringere Reaktorvolumen zu realisieren. Die Aufenthaltsdauer beträgt zwischen 4 und
20 Tagen.
Die Berücksichtigung der mikrobiologischen Grundlagen wie beispielsweise der se-
quenzielle Abbau organischer Verbindungen unter anaeroben Bedingungen und die spe-
zifischen Milieubedingungen der beteiligten Mikroorganismen führen zu einer Vielzahl
möglicher Verfahrensvarianten.
Als quasi-zweistufige Verfahren werden Verfahrenskombinationen aus vorgeschalte-
ter aerober Prozessstufe vor der anaeroben Prozessstufe bezeichnet. Ein Großteil der ver-
säuernden Bakterien zählt zu den fakultativ anaeroben Organismen, die sowohl in Gegen-
wart als auch in Abwesenheit von Sauerstoff zu wachsen vermögen. Bei quasi-zweistufigen
Verfahren wird gezielt Sauerstoff in der ersten Stufe zugegeben, um hierdurch eine schnel-
lere, effektivere Hydrolyse und Versäuerung zu erreichen.
678 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
LINDE KCA-Verfahren
Prozesswasser
Abfall Leicht/Störstoffe
Biogas
Stofflöser
Trommelsieb
Abfallmaische
M
Maischepuffer und
Hydrolysebecken M Gärreststoffe
Entwässerung
Überschusswasser
Schwerstoffe
Grobzerkleinerung
Abfall
Fe-Scheidung
Fe-Metalle
Schwer- und
Leichtstörstoffe
BTA-Grit-Abscheidung
Stofflöser/
Pulper Sand
Biogas
Suspensions-
speicher
Prozesswasser
Prozesswasser
Hydrolyse-
reaktor
Hydrolyserest
Kompostierung
Biogas
Festbett-
Methanreaktor
Abwasseraufbereitung
Abb. 8.51 Schematische Darstellung des zweistufigen BTA-Verfahrens mit Abtrennung der Fest-
stoffe nach der Hydrolysestufe
1996). Die Vergärung wird in Abhängigkeit vom Substrat sowohl mesophil als auch ther-
mophil betrieben bei hydraulischen Verweilzeiten von ca. 16 Tagen.
Das zweistufige Linde-KCA-Verfahren kommt nur noch in Sonderfällen zum Einsatz
(Baumann, mündl. Mittlg. 2013).
Die psychrophile Gärung ist in den hiesigen Breitengraden von untergeordneter Bedeu-
tung. Langsame Abbauvorgänge und der damit verbundene große Bedarf an Behältervo-
lumen lassen diese Verfahren i. d. R. als nicht wirtschaftlich erscheinen, ausgenommen
vorhandene Behälter können genutzt oder mitbenutzt werden. Die thermophile Prozess-
führung führt gegenüber der mesophilen Prozessführung zu einem intensiveren bzw.
schnelleren Abbau. Vergleichbare Abbauleistungen werden aber in den meisten Fällen
auch bei mesophiler Prozessführung erreicht, vorausgesetzt ist eine entsprechend längere
Verweilzeit.
Bei einer ausreichend langen Verweilzeit kann die thermophile Prozessführung zu
einer Hygienisierung führen. Der erhöhte thermische Energiebedarf thermophiler Prozes-
se stellt i. d. R. gegenüber einer mesophilen Betriebsweise keinen realen Nachteil dar, da
die überschüssige Wärme lediglich unter speziellen, von dem Anlagenstandort abhängigen
Randbedingungen nutzbar ist.
Die mesophile Prozessführung ist demgegenüber durch eine höhere Prozessstabilität
gekennzeichnet, da eine höhere mikrobielle Artenvielfalt vorliegt und die Hemmwirkung
von Ammoniumstickstoff aufgrund des geringeren Anteils von hemmend wirkendem frei-
em Ammoniak geringer ist (Weiland 2001b).
Anaerobprozesse weisen im Gegensatz zu Aerobprozessen eine ausgesprochen gerin-
ge biogen-exotherme Wärmetönung auf, sodass zur Einstellung der Prozesstemperatur
in technischen Vergärungsanlagen eine Substraterwärmung erforderlich ist. Die praxis-
relevanten Prozesstemperaturen liegen im mesophilen (34 bis 38 °C) und thermophilen
Bereich (50–60 °C). Die erforderliche thermische Prozessenergie wird i. d. R. durch die
Nutzung des Biogases in Blockheizkraftwerken (BHKW) zur Verfügung gestellt. Angaben
zur spezifischen Wärmeproduktion in BHKW, zum Wärmebedarf und -nutzung enthält
Kap. 8.3.6.4.
Die Auswahl des Wärmeübertragers ist wesentlich von der Art und den stofflichen
Eigenschaften des Substrats abhängig. In der anaeroben Abfallbehandlung werden be-
vorzugt Doppelrohr- und Spiralwärmeübertrager eingesetzt, in Einzelfällen auch Platten-
wärmeübertrager. Die Wärmeübertragungskoeffizienten verschiedener Wärmeübertrager
sind in Tab. 8.16 dargestellt.
Doppelrohr-Wärmeübertrager weisen aufgrund der niedrigeren Wärmeübertragungs-
koeffizienten gegenüber Spiral-Wärmeübertragern eine wesentlich größere Bauform und
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 681
dadurch einen höheren Flächenbedarf auf. Die einfache Bauweise kann jedoch zu Kosten-
vorteilen führen. Spiral-Wärmeübertrager sollten bei Einsatz zur Erwärmung von Abfall-
suspensionen mit Kanalhöhen von 25–50 mm ausgeführt werden, außerdem sind Distanz-
stifte in den produktseitigen Kanälen zu vermeiden, da es dort zum Aufbau von Pfropfen
durch Faserstoffe kommen kann (Langhans 2000b).
Bio- und Restabfälle neigen zur Bildung von Verkrustungen, hervorgerufen vorwiegend
durch Eiweißdenaturierung, auf Wärmeübertragungsflächen, die Wärmeübertragungsko-
effizienten können hierdurch auf bis zu 50 % des ausgelegten Wertes reduziert werden. Die
Verschmutzungen sind daher bei der Dimensionierung als Fouling-Faktor zu berücksich-
tigen. Die Verbesserung der Reinigungs- bzw. Wartungsfreundlichkeit und die Verlänge-
rung der Standzeit steht bei verschiedenen Sonderanfertigungen von Wärmeübertragern
im Vordergrund konzeptioneller Entwicklungen. So kommen beispielsweise umlaufende
Bürsten für die produktseitige Reinigung konzentrischer Wärmeübertragungsflächen zum
Einsatz. Die Einbaumöglichkeiten bei solchen Systemen sind allerdings eingeschränkt, so-
dass nur eine problemspezifische Analyse über einen sinnvollen Einsatz entscheiden kann
(ATV 2003). Durch Begrenzung der Heiztemperaturen an den Übertragern auf Werte
unterhalb 65 °C wird die Verkrustung stark eingeschränkt.
Die Vorwärmung des Gärgutes wird bei Nass- und Trockenverfahren bevorzugt mit
vorweg plazierten Wärmeübertragern realisiert (siehe Abb. 8.52). Die Vorwärmung des
Gärgutes bei Trockenverfahren erfolgt in einigen Verfahren durch die Injektion von Dampf
in das Material. Der Dampf wird hierbei gleichzeitig als Verdünnung des Gärgutes zur
Einstellung des notwendigen Trockensubstanzgehaltes genutzt. Ein Verzicht auf eine Vor-
wärmung kann durch die Nutzung der Eigenerwärmung aerober Prozesse erreicht werden.
Hierfür wird der Abfall gezielt in einem Speicher belüftet und der Aerobprozess iniziert.
Eine genaue Einstellung der erforderlichen Prozesstemperatur ist hierdurch jedoch nur
beschränkt möglich.
Der Ausgleich von Abstrahlungsverlusten erfolgt zumeist durch innen- und außenlie-
gende Wärmeübertrager (siehe Abb. 8.53). Die Wärmeübertrager sind bei Reaktoren in
Stahlbauweise durch innen oder außen aufgeschweißte Heizschlangen realisiert, während
die Heizrohre bei Reaktoren in Betonbauweise zumeist in der Behälterwand eingegossen
werden. Innenliegende Wärmeübertrager können als Leitrohr mit Doppelmantel ausge-
führt werden, der vom Prinzip einem Doppelrohrwärmetauscher entspricht. Eine weitere
Möglichkeit besteht darin, den Reaktorinhalt über einen außenliegenden Wärmeübertra-
ger gemeinsam mit dem Reaktorzulauf zu erwärmen.
682 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Zulaufwärmeübertrager Dampf-Injektion
TIC TIC
Abfall
Ablauf M Ablauf
T
Dampf
Zulauf
biologische Aufwärmung
Abluft
Abfall
Zuluft
M
M Feststoff
Ablauf
Abb. 8.52 Schematische Darstellung der Möglichkeiten zur Erwärmung des Reaktorzulaufs
außenliegender Wärmeübertrager
(Heizrohre)
TIC
Zulauf Ablauf
Abb. 8.53 Schematische Darstellung der Möglichkeiten zum Ausgleich der Abstrahlungsverluste
In der Praxis werden häufig Mischformen der beschriebenen Systeme verwendet. Die
alleinige Erwärmung des Gärsubstrates im Zulauf macht eine Überhitzung des Inputs er-
forderlich, sodass der Wärmeinhalt die Abstrahlungsverluste des Gärreaktors ausgleicht.
Die Wärmeübertragungsleistung muss in Abhängigkeit der zyklischen Dosiermenge fest-
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 683
8.3.5 Status quo und Entwicklung bei der Vergärung von Bio- und
Grünabfällen
Die im Zuge der Behandlung von Abfällen erforderliche Aufbereitung und Konditionie-
rung des Inputmaterials sowie die Abtrennung der Störstoffe zur Sicherstellung einer ge-
forderten Produktqualität und/oder der Vermeidung von mechanischen Störungen im
Prozessablauf werden in diesem Kapitel nicht betrachtet. Die Bewertung befasst sich aus-
schließlich mit der Vergärungsstufe selbst. Die Betrachtung beschränkt sich auf die Ver-
gärung von Bio- und Grünabfällen. Die Ergebnisse sind im Grundsatz auch für die Vergä-
rung von Restabfällen anwendbar.
Im vorliegenden Kapitel werden auch Entwicklungen der vergangenen Jahre abgebildet.
Ziel hierbei ist es, Tendenzen für die Zukunft abzuleiten.
Tab. 8.17 Status quo Vergärungsanlagen zur Verwertung von Bio- und Grünabfällen Deutschland
Status Anzahl Anlagen Kapazität
In Betrieb befindliche Anlagen (2.2012) 63 1.359.000 Mg/a
In Bau befindliche Anlagen (10.2012) 10 285.000 Mg/a
Stillgelegte Anlagen (10.2012) 5 143.000 Mg/a
Verarbeitung von Bioabfällen eingestellt (10.2012) 2 65.000 Mg/a
• In den vergangenen Jahren sind mindestens 5 Anlagen stillgelegt worden (siehe Kap.
8.3.5.3),
• mindestens zwei Anlagen haben die Mitverarbeitung von Bio- und Grünabfällen ein-
gestellt,
• unklare Angaben zur Art der verarbeiteten Abfallarten, häufig wurden Bioabfälle ange-
geben, nach Rückfrage handelte es sich aber um Abfälle aus der Lebensmittelindustrie,
• in den Auflistungen befanden sich Mehrfachnennungen, verursacht durch unterschied-
liche Benennung von Standorten,
• bei den Kapazitätsangaben wurde häufig die Kapazität der Kompostierungsanlage mit
eingerechnet.
• 2 × mangelnde Funktionsfähigkeit,
• 1 × nicht akzeptable Behandlungskosten,
• 1 × Stilllegung Versuchs- und Demonstrationsanlage,
• 1 × mangelnde Verfügbarkeit geeigneter Abfälle.
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 685
Abb. 8.54 Verarbeitungskapazität der Vergärungsanlagen für Bio- und Grünabfälle in Deutschland
Zwei Anlagen mit einer Kapazität von 65.000 Mg/a verarbeiten keine Bioabfälle mehr. Die
Gründe für die Herausnahme von Bio- und Grünabfällen als Vergärungsrohstoff:
Tab. 8.18 Inbetriebnahmezeitpunkte der Vergärungsanlagen für Bio- und Grünabfälle, differen-
ziert nach Art der Verfahrens- bzw. Betriebsweise – Stand 2.2012
Art der Ver- Anzahl Anlagen
fahrens- bzw. Gesamt vor 1995– 1998– 2001– 2004– 2007– 2010– Gesamt in
Betriebsweise im 1995 1997 2000 2003 2006 2009 2011 Bau 2012–
Betrieb 2013a
Summe 63 1 11 9 1 10 18 13 10
Nass, gesamt 17 1 7 4 0 4 1 0 0
einstufig 8 0 4 2 0 1 1 0 0
zweistufig 9 1 3 2 0 3 0 0 0
Trocken, gesamt 46 0 4 5 1 6 17 13 10
kontinuierlich 23 0 4 5 1 4 5 4 5
diskontinuierlich 23 0 0 0 0 2 12 9 5
Einstufig gesamt 54 10
Zweistufig gesamt 9 0
a
Stand 10.2012
genommen. Unter den derzeit im Bau befindlichen Anlagen befindet sich keine zweistu-
fige Anlage.
Tendenziell ist eine Zunahme thermophiler Prozessführungen zu beobachten. So ist an
mehreren Standorten bei den trockenen diskontinuierlichen Verfahren vorgesehen, auf
thermophile Prozessführung umzustellen. Nach Rücksprachen mit entsprechenden Anla-
genlieferanten ist auch bei den in Bau befindlichen Anlagen mehrheitlich ein thermophiler
Prozess vorgesehen. Neben der Hygienisierung wird erwartet, dass dadurch größere Gas-
mengen erzeugt werden können.
Im Rahmen der Studie im Auftrag des BMU (BMU 2013) sollte geprüft werden, ob die
grundsätzlich unterschiedlichen Arten der verwendeten Verfahrenstechnologien und
Prozessführungen bei der Fermentation selbst Effizienzunterschiede in der Energiebereit-
stellung aufweisen und somit Ansätze zur Optimierung bieten. Zu Prüfen war z. B., ob in
der Praxis nasse sowie zweistufige Verfahrenstechniken die erwartet höheren Gasausbeu-
ten erbringen und somit den höheren maschinentechnischen und betrieblichen Aufwand
rechtfertigen.
Für die Biogasproduktion sind, neben den grundsätzlichen Arten der Prozessführung,
verschiedene Parameter einflussgebend. Insbesondere die spezifische Qualität des Fer-
menter-Inputs ist hierbei maßgeblich, wie regional unterschiedliche Materialqualitäten,
Anteil an Küchenabfällen etc. Eine ausreichend befriedigende Datengrundlage konnte je-
doch auch durch die vorliegende Erhebung nicht bereitgestellt werden.
Die Bestimmung der Biogasmenge wird auf den Anlagen nicht einheitlich vorgenom-
men. Sie erfolgte zum Teil direkt durch Messung des Gasstroms und zum Teil indirekt
durch Rückrechnung der erzeugten Strommenge. Bei letzterer Methode ist mit nicht un-
erheblichen Fehlangaben zu rechnen. Außergewöhnlich geringe Biogasausbeuten, die von
den Befragten eindeutig auf betriebliche Probleme zurückzuführen waren, sind nicht in
die Bewertung eingeflossen.
Tab. 8.19 Spezifische durchschnittliche Biogasmenge und Methangehalte der verschiedenen Pro-
zess- und Verfahrenstechniken bei der Vergärung von Bio- und Grünabfällen – bezogen differenziert
auf Fermenter-Input und Anlageninput
Verfahren Biogasmenge (m3/Mg Biogasmenge (m3/Mg Methangehalt
Fermenterinput) Anlageninput) (%)
Nass Gesamt 111 89 63
1-stufig 106 85 62
Mesophil 100 80 62
Thermophil 130 104 63
2-stufig 115 92 63
Mesophil 115 92 63
Thermophil k. A. k. A. k. A.
Trocken Kontinuierlich 122 98 58
Mesophil 109 87 59
Thermophil 123 99 58
Diskontinuierlich 87 81 56
Mesophil 87 81 56
Thermophil 91 85 56
Bei den nassen und kontinuierlichen trockenen Verfahren werden im Mittel überschlägig
ca. 20 % (12–30 %) des Bioabfalls bei der Aufbereitung vor der Vergärungsstufe abgetrennt
und direkt der Kompostierung zugeführt. Bedingt durch die Schwerstoffscheidung und
Grit-Scheidung weisen nasse Verfahren tendenziell höhere Werte auf. Bei den diskontinu-
ierlichen trockenen Verfahren sind dies im Mittel überschlägig nur ca. 7 % (0–10 %). Zur
Umrechnung auf den Anlagen-Input werden entsprechende Faktoren von 0,8 und 0,93
verwendet. Der Bezug auf den Anlagen-Input bewirkt eine Verringerung der erzeugten
spezifischen Biogas- und Methanmengen. Bei den diskontinuierlichen trockenen Verfah-
ren wird die spezifische Biogasausbeute aufgrund der in geringerem Umfang abgetrennten
Abfallmenge vor der Vergärung nur geringfügig reduziert (siehe Tab. 8.19).
Relevant für eine Bewertung aus energetischer Sicht ist der Methanertrag. Die in der
oben genannten Erhebung ermittelten Methangehalte reichen von 51 bis 66 Vol.-% (BMU
2013). Nasse Verfahren weisen mit rd. 63 Vol.-% höhere Methankonzentrationen im Bio-
gas auf als trockene Verfahren, die bei den kontinuierlichen Verfahren im Mittel Werte
von 58 und bei den diskontinuierlichen von 57 Vol.-% erzielen. Da nasse Verfahren höhe-
re Methangehalte aufweisen als trockene Verfahren, sind die spezifischen Methanerträge
zwischen nassen und trockenen kontinuierlichen Verfahren nahezu gleich.
Die thermophile Betriebsweise führt – bei den praktizierten Retensionszeiten – bei al-
len Verfahrens- und Prozessarten zu deutlich höheren Biogas- und entsprechend höheren
Methanerträgen. Der Mehrertrag von Methan resultiert aus der Erhöhung der spezifischen
Biogasmenge und nicht aus höheren Methangehalten. Diskontinuierliche trockene Ver-
fahren und auch nasse Verfahren werden zum überwiegenden Teil mesophil und kontinu-
ierliche trockene Verfahren zum überwiegenden Teil thermophil betrieben.
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 689
8.3.6.3 Gasverwertung
Gasverwertung – Ist-Situation
Die grundsätzlichen Möglichkeiten der Biogasnutzung zeigt Abb. 8.55. Auf 60 Anlagen
sind BHKW im Einsatz, drei dieser Anlagen speisen zusätzlich Gas in ein Mikrogasnetz
ein und versorgen damit ein BHKW in nahegelegenen Ortschaften mit vorhandenem
Wärmenetz bzw. Wärmeabnehmer (siehe Tab. 8.20). Zwei Anlagen geben ihr aufbereitetes
Gas in ein Erdgasnetz. Auf einer Anlage wird versuchsweise eine Brennstoffzelle mit Gas
versorgt.
59 Anlagenbetreiber nutzen einen Teil der Wärme zur systemimmanenten Fermenter-
und Substratheizung, um die mesophilen bzw. thermophilen Prozesstemperaturen einzu-
stellen. Mindestens 17 Anlagenbetreiber trocknen ihre Gärreste bzw. nutzen die Wärme
zur Prozesslufterwärmung für die Rottesteuerung.
Ein Anlagenbetreiber setzt die Wärme gezielt zur Rottesteuerung ein, um zusätzlich
überschüssiges Prozesswasser zu verdunsten. Später wurde auf dieser Anlage die Entwäs-
serung weniger intensiv gefahren mit der Folge geringerer Prozesswassermengen mit nied-
rigeren TS-Gehalten im zu entsorgenden Prozesswasser. Dieser Lösungsansatz resultierte
aus Entsorgungsproblemen für überschüssiges Prozesswasser in dem Zeitraum, in dem
die Ausbringung untersagt ist. Betriebswirtschaftliche Berechnungen ergaben einen deut-
lichen Vorteil für diese Lösung. Kosteneinsparungen resultierten insbesondere aus dem
geringeren Bedarf an vorzuhaltendem Speichervolumen, geringeren Entsorgungskosten
und geringeren Energiebedarf und Aufwendungen für Reparatur, Wartung und Unterhalt
(RWU) für den Entwässerungsprozess. Für diesen Prozess wurde nahezu die gesamt Rest-
wärme eingesetzt. Detaillierte Berechnungen und Versuche zur gezielten Wasserverduns-
tung wurden von Dorstewitz et al. (2006) durchgeführt.
Die Auskopplung der Nutzwärme erfolgt zumeist als Heizwasser aus der Motor- und
Abgaswärme des BHKWs auf einem Temperaturniveau von 85 bis 95 °C. Nutzwärme auf
690 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Biogas
Methan- Reformierung/
anreicherung Konvertierung
BHKW mit
Heizkessel/
Brennstoffzelle BHKW Absorptions-
Dampfkessel
kälte-Anlage
Einspeisung
Kraftstoff Strom Industriegas Wärme Dampf Kälte
Erdgasnetz
einem höheren Temperaturniveau kann durch die separate Nutzung der mit etwa 420 bis
460 °C anfallenden Abgase der Verbrennungsmotoren realisiert werden. Etwa 35 bis 40 %
der thermischen Nutzwärme wird aus der Abgaswärme gewonnen. Bei der Abgaswärme-
nutzung besteht die Möglichkeit, thermische Energie auf einem höheren Temperatur-
niveau bereitzustellen, die auch für industrielle Prozesse geeignet ist. In Abhitzedampfkes-
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 691
seln kann aus den Abgasen so auch Sattdampf erzeugt werden. Die Abwärme kann eben-
falls für technische Trocknungsanlagen genutzt werden, um beispielsweise Klärschlamm,
Holz oder aber den Gärrest einer Vergärungsanlage aufzubereiten. Eine derartige Abwär-
menutzung wird in einer Anlage zur Trocknung des Gärrestes durch Einsatz eines Band-
trockners (120 °C) praktiziert.
Auf mindestens zehn Standorten werden Betriebsgebäude beheizt. Die Einspeisung der
Wärme in Nahwärmenetze wird auf mindestens vier Standorten praktiziert. Die Trock-
nung externer Produkte wird nur von drei Betreibern praktiziert. In einem Fall liegt die
Kläranlage in unmittelbarer Nachbarschaft des Vergärungsanlagenstandortes, sodass die
Klärschlammtrocknung einfach zu realisieren war.
Empfohlen wird, schon in vorgelagerten Verwaltungsprozessen wie z. B. der Raumpla-
nung, dezentrale Ansätze der Energieproduktion und Energieverwertung zu berücksichti-
gen. Bei der Planung von Neuanlagen muss für einen wirtschaftlichen Anlagenbetrieb die
Effizienz der Energienutzung stärker berücksichtigt werden.
Biogasaufbereitung
Abhängig vom Verwertungsverfahren werden unterschiedliche Anforderungen an die
Biogasaufbereitung gestellt. Einfluss nehmen auch genehmigungsrechtliche Anforderun-
gen. Die Biogasreinigung setzt sich je nach Verwertungsverfahren aus einer Kombination
der folgenden Aufbereitungsverfahren zusammen:
• Homogenisierung,
• Entstaubung/Partikelabscheidung,
• Entfeuchtung/Trocknung,
• Entschwefelung,
• selektive Abtrennung von Biogaskomponenten.
Die Biogasproduktion ist bei einer kontinuierlichen Beschickung der Anlagen nahezu kon-
stant. Temporäre Unterbrechungen der Beschickung wirken sich jedoch auf die Biogaspro-
duktion aus und führen zu einer Abnahme der Biogasmenge. Eine Zwischenspeicherung
des Biogases für eine weitgehende Verwertung ist daher zumeist bei diskontinuierlich
beschickten Anlagen und zur Überbrückung von Betriebsunterbrechungen der Biogas-
verwertung aufgrund von Wartungs- und Reparaturarbeiten erforderlich. Die Speicher-
größe kann, bedingt durch die geringe Energiedichte des Biogases, nur auf den Ausgleich
kurzfristiger Schwankungen ausgerichtet werden. Die Überbrückung langfristiger Unter-
brechungen der Biogasverwertung ist zumeist nicht möglich, und zur umweltgerechten
Entsorgung des Biogases ist daher eine Notfackel vorzusehen. Die Speicherung des Bio-
gases kann in Niederdruck- und Druckspeichern erfolgen. Niederdruckspeicher werden
in Systemen mit Drücken von wenigen Millibar eingesetzt und finden daher überwiegend
in Biogasanlagen Verwendung. Das Biogas wird durch den Eigendruck des Systems in den
Speicher gefördert. Der Zwang zur Kostenreduzierung hat in jüngster Zeit dazu geführt,
dass der Gasraum oberhalb der Gärmaterialoberfläche als Speicher zur Überbrückung
692 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
mit eine weitergehende Entschwefelung des Biogases erforderlich wird. Hingegen ist eine
vollständige Entschwefelung für die Verwendung des Biogases in Brennstoffzellen sowie
als Erdgassubstitut oder Kraftstoff unverzichtbar. Für die Schwefelreduktion stehen ver-
schiedene Verfahren zur Verfügung wie
2 Fe(OH)3 + 3 H 2S → Fe 2S3 + 6 H 2 O.
Die Regenerierung der Reinigungsmasse ist in einem gewissen Umfang während des Pro-
zesses durch die Zugabe von Sauerstoff nach der Reaktionsgleichung
Fe 2S3 + 1, 5 O 2 + 3 H 2 O → 2 Fe(OH)3 + 3 S
möglich. Die Regeneration führt zu einer Ablagerung von elementarem Schwefel auf der
Reinigungsmasse, sodass ein periodischer Austausch der Reinigungsmasse zur vollständi-
gen Regeneration unumgänglich ist. Insbesondere die Regeneration führt als exotherme
Reaktion zu einer erheblichen Wärmeentwicklung, die bei der Anlagenplanung zu beach-
ten ist.
Die Zudosierung von Metallsalzen kann bereits eine Reduzierung der Schwefelwasser-
stoffkonzentration im Reaktor bewirken. Hierfür werden vorwiegend Eisenschlämme,
Eisen-(II)-chlorid oder Eisen-(III)-chlorid in den Anlagenzulauf zudosiert. Der im Gär-
prozess gebildete Schwefelwasserstoff wird so bereits im Reaktor zu Eisensulfid reduziert
und verbleibt in der Flüssigkeit:
Fe 2 + + S2 − → FeS
2 Fe3+ + 3 S2 − → 2 FeS + S
(Bever et al. 1995). Bei der mikrobiellen Entschwefelung von Biogas wird der Schwefel-
wasserstoff durch Bakterien zu elementarem Schwefel oder Sulfat umgesetzt. Die Mikro-
organismen sind omnipräsent und müssen daher nicht künstlich zugesetzt werden. Neben
Nährstoffen und Spurenelementen benötigen die Bakterien Sauerstoff zum Abbau des
Schwefelwasserstoffes gemäß den folgenden Abbaureaktionen:
1
H 2S + O2 → S + H 2 O
2
H 2S + 2 O 2 → H 2SO 4
Die Zudosierung des Sauerstoffs erfolgt in landwirtschaftlichen Anlagen durch das Einbla-
sen geringer Mengen Luft direkt oberhalb der Gärmaterialoberfläche in den Reaktorraum.
Der stöchiometrische Luftbedarf liegt zwischen ca. 4–6 % Luft im Biogas. Die erforder-
liche Oberfläche zur Reinigung von ca. 20 m3/d Biogas beträgt ca. 1 m2 (Körberle 1999).
Die Reinigung des Biogases in industriellen und kommunalen Vergärungsanlagen erfolgt
i. d. R. in separaten Füllkörperkolonnen mit Aufwuchsflächen für die Bakterien. Die Tren-
nung der Schwefelwasserstoffentfernung bietet neben der Vermeidung von Beeinträchti-
gungen der Methanbildung den Vorteil, dass der Schwefel nicht im Reaktor verbleibt und
erneut in Schwefelwasserstoff umgesetzt werden kann. Die gebildete Schwefelsäure wird
in den Füllkörperkolonnen mit dem im Kreislauf geführten Waschwasser ausgeschleust.
Für die weitere Biogasaufbereitung zur Aufkonzentration des Methans werden Druck-
wechsel-Adsorptions-, chemische und physikalische Wasch-, Druckwasserwasch- sowie
Membranverfahren angeboten. Die Verfahren unterscheiden sich unter anderem durch
den zu erwartenden Methanschlupf über das Schlechtgas, den erforderlichen Wärmebe-
darf sowie den Systemdruck. Chemische und physikalische Waschverfahren benötigen
für Regenerationsvorgänge Prozesswärme auf einem Temperaturniveau von ca. 160 °C,
während Druckwasserwasch-, Druckwechsel-Adsorptions- und Membranverfahren kei-
nen Prozesswärmebedarf aufweisen. Der Methanschlupf von chemischen Waschverfahren
beträgt weniger als 0,1 Vol.-%, sodass die gesetzlichen Anforderungen ohne weitergehen-
de Maßnahmen eingehalten werden. Bei den weiteren Aufbereitungsverfahren muss hin-
gegen eine weitergehende Behandlung des Schwachgases beispielsweise durch eine oxida-
tive Nachverbrennung vorgenommen werden. Chemische Waschverfahren sind drucklose
Verfahren, während die weiteren Verfahren bei einem Systemdruck im Bereich zwischen
4 und 10 bar arbeiten (siehe Tab. 8.21). Die Auswahl des Aufbereitungsverfahrens wird
somit nicht nur von den Investitionskosten für die Aufbereitungstechnik sondern eben-
falls von den unter Umständen zusätzlich einzuplanenden technischen Einrichtungen be-
stimmt. Bei Einsatz eines chemischen Waschverfahrens ist eine Wärmebereitstellung aus
regenerativer Energie in ausreichender Menge und Temperaturniveau sicherzustellen. Der
Betriebsdruck erfordert einen höheren Energieaufwand für die Verdichter und Kompres-
soren. In Abhängigkeit von dem Druckniveau am Einspeisepunkt, ob in ein Verteilnetz
Tab. 8.21 Übersicht über Biogasaufbereitungsverfahren. (Knappe et al. 2012)
Verfahrensprinzip Trockenreinigung Wäsche Chemische Wäsche Chemische Wäsche Membranverfahren Physikali-
(Adsorption) (physik. (Absorption) (Absorption) (Adsorption) sche Wäsche
Absorption) (Absorption)
Verfahrensvariante PSA mit Kohlenstoff- DWW MEA DEA Polymermembran Genosorb®
molekularsieb
Trenneffekt Bindung des Gases an Lösen von Lösen von Gasen in Lösen von Gasen Unterschiedliche Lösen von Gasen
Feststoff Gasen in einer einer Flüssigkeit in einer Flüssigkeit Durchlässigkeit in einer Flüssigkeit
Flüssigkeit
Bei erhöhtem Druck CO2 physika- Chemische Chemische Unter hohem Druck CO2 physikalisch
adsorbiert CO2 am lisch in Wasser Reaktion Reaktion ist eine Polymer- in Waschlösung
Kohlenstoffmole- gelöst membran für CO2 gelöst
kularsieb besser u. durchgängiger als
schneller als CH4 für CH4
Vorreinigung Ja Nein Ja Ja Ja Nein
erforderlich
Arbeitsdruck 4–7 bar 4–7 bar Drucklos Drucklos 8–10bar 4–7bar
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen
Methanverlust < 3–10 % < 1–2 % < 0,1 % < 0,1 % 5% 2–4 %
Abgasbehandlung Ja Ja Nein Nein Ja Ja
spez. 0,25 kWh/Nm3 < 0,25 kWh/Nm3 < 0,15 kWh/Nm3 < 0,15 kWh/Nm3 0,35 kWh/Nm3 0,25–0,33 kWh/
Stromverbrauch Nm3
Wärmebedarf Nein Nein 160 °C 160 °C Nein 55–80 °C
Regelbarkeit ± 10–15 % 50–100 % 50–100 % 50–100 % k. A. 50–100 %
Referenzen > 20 > 20 3 2 2 2
PSA Pressure swing adsorption auf deutsch Druckwechsel-Adsorption (z. B. Carbotech), DWW Druckwasserwäsche (z. B. Malmberg, RosRoca), MEA
Monoethanolamin (Waschmittel), DEA Diethanolamin (Waschmittel)
695
696 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
(Niederdruck < 100 mbar) oder aber Transportnetz (Hochdrucknetz über 1 bar) einge-
speist wird, oder der Entfernung zum Einspeisepunkt kann ein Vordruck aus der Auf-
bereitungsanlage jedoch von Vorteil sein. Im Hinblick auf die Energieeffizienz sind diese
Rahmenbedingungen ebenfalls in den Planungen in Betracht zu ziehen.
BHKW
Die elektrischen Wirkungsgrade von BHKW steigen mit zunehmenden installierten Leis-
tungen, besonders markant ist dies im Leistungsbereich unterhalb 500 kW. Zunehmende
elektrische Wirkungsgrade gehen einher mit abnehmenden thermischen Wirkungsgra-
den. In Abb. 8.56 sind korrespondierende elektrische und thermische Wirkungsgrade von
Biogas-BHKW aufgeführt, die häufig von Anlagenlieferanten bei den Vergärungsanlagen
für feste Abfallstoffe eingesetzt werden.
Die elektrischen Wirkungsgrade der BHKW lagen vor einigen Jahren im Leistungsbe-
reich 500 kW zwischen etwa 36 und 39 %, der thermische Wirkungsgrad zwischen etwa 44
und 50 %. Die Effizienz der BHKW wurde in den vergangenen Jahren insbesondere beim
elektrischen Wirkungsgrad stetig verbessert (Schnatmann 2011). Hier wurde eine Effi-
zienzsteigerung um ca. 2 %-Punkte bei den BHKW-Modulen erreicht (siehe Abb. 8.57).
Insbesondere bei Aggregaten mit einer elektrischen Leistung von mehr als 500 kW liegt
der elektrische Wirkungsgrad heute i. d. R. über 40 %. Jedoch scheint sich diese Entwick-
lung nicht in dieser Rasanz fortzusetzen. Dies ist auch an dem Umstand zu erkennen, dass
verschiedene BHKW-Lieferanten zu einer Steigerung der Anlageneffizienz an die BHKW-
Module angepasste ORC-Module (Organic Rankine Cycle) für eine weitere Abwärmenut-
zung anbieten.
Zur besseren Vergleichbarkeit der Vergärungsstufen selbst wird in der vorliegenden
Studie die Verwertung in BHKW mit einheitlichen Wirkungsgraden zugrunde gelegt. Die
im Rahmen einer Erhebung angegebenen Wirkungsgradeelektr liegen im Bereich von 32 bis
42 %, bei einem Mittel von 38 %. Als Wirkungsgradelektr werden 38 % und als Wirkungs-
gradtherm 46 % verwendet (siehe Kap. 8.3.6.5).
Die Effizienzsteigerung der BHKW-Module hat jedoch dazu geführt, dass höhere An-
forderungen an die Biogasqualität gestellt werden und insbesondere die Abtrennung von
Schwefelwasserstoff an Bedeutung gewonnen hat. Da die BHKW-Module bei Vergärungs-
anlagen i. d. R. nicht auf einen Wärmebedarf ausgelegt sind, kann ein Austausch alter
BHKW-Module gegen neue effizientere Aggregate die Wirtschaftlichkeit von Altanlagen
unter Umständen verbessern, führt jedoch zu einer aufwendigeren Biogasaufbereitung.
Unter Umständen kann hierdurch eine Erhöhung der Stromproduktion von etwa 5 bis
7 % erreicht werden, sodass ein Ersatz von Alt-BHKW eine wirtschaftlich sinnvolle Maß-
nahme sein kann. Dabei ist jedoch zu beachten, dass thermische Wirkungsgrade moder-
ner Aggregate sich zugunsten des elektrischen Wirkungsgrades reduziert haben, sodass
insbesondere bei einem bestehenden Wärmekonzept hier die Auswirkungen kritisch ge-
prüft werden müssen.
Die Effizienzsteigerung der BHKW-Module ist jedoch begrenzt, sodass verstärkt nach
effizienteren Verwertungswegen gesucht wird. In der jüngsten Zeit wird der Einsatz von
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 697
Abb. 8.56 Elektrische und thermische Wirkungsgrade von zur Verwertung von Biogas angebote-
nen BHKW
44%
42%
elektrischer Wirkungsgrad [-]
40%
38%
36%
34%
Brennstoffzellen zur Verstromung von aus Bio- und Grünabfällen erzeugtem Biogas unter-
sucht. In der Vergärungsanlage Leonberg wird eine MCFC-Brennstoffzelle (Schmelzcar-
bonat-Brennstoffzelle) zur Verstromung des Biogases erprobt (Lutz 2010). Hierbei handelt
es sich um eine Hochtemperatur-Brennstoffzelle, die im Gegensatz zu den Niedertempe-
ratur-Brennstoffzellen wie beispielsweise PEMFC-Brennstoffzellen (Polymerelektrolyt-
Brennstoffzelle) gegenüber den Begleitgasen des Biogases unempfindlicher sind. Obwohl
der Gesamtwirkungsgrad der Brennstoffzelle mit ca. 70 % niedriger als von BHKW-Mo-
dulen ist, ist gerade der mit ca. 47 % erheblich höhere elektrische Wirkungsgrad für einen
Einsatz dieser Technik von Interesse.
8.3.6.5 Netto Energieausbeute
Netto Stromausbeute
Die Daten zur Netto-Stromausschleusung zeigen, dass die Berücksichtigung der Strom-
und Dieselverbräuche zu einer Verbesserung der Werte bei den trockenen insbesondere
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 699
Tab. 8.22 Gegenüberstellung von Stromerzeugung und Strombedarf sowie erzielbare Netto-Strom-
ausbeuten der verschiedenen Prozess- und Verfahrenstechniken bei der Vergärung von Bio- und
Grünabfällen – bezogen auf Anlagen-Input
Strom- Strom- Diesel- Stromausbeute
produktion verbrauch verbrauch Netto
(kWh/Mg) (kWh/ (kWh/ (kWh/Mg)
Mg) Mg)
Nass 1-stufig Mesophil 188 57 9 122
Thermophil 248 57 9 182
2-stufig Mesophil 219 57 9 153
Thermophil k. A. k. A. k. A. k. A.
Trocken Kontinuierlich Mesophil 193 38 9 145
Thermophil 217 38 9 169
Diskontinuierlich Mesophil 173 21 14 137
Thermophil 181 21 14 145
bei den diskontinuierlichen trockenen Verfahren führt. Die höchste Netto-Ausbeute weist
im Mittel die kontinuierliche Trockenfermentation auf. Trotz der geringeren Eigenver-
bräuche erreichen die diskontinuierlichen trockenen Verfahren aufgrund der geringeren
Biogasausbeuten nicht die Netto-Ausbeuten der aufwendigeren kontinuierlichen trocke-
nen Verfahren. Entsprechend den höheren Biogas- und Methanausbeuten weisen thermo-
phil betriebene Anlagen deutlich höhere Netto-Stromausbeuten auf (siehe Tab. 8.22).
Die in der Erhebung ermittelten Werte decken sich nicht mit Angaben u. a. von Raus-
sen et al. (2009). Hier werden Netto-Stromausbeuten im Mittel von 230 (diskontinuierlich
trocken) und 250 kWh (kontinuierlich trocken) angegeben. Bei Analyse der hier verwen-
deten Daten ist zu berücksichtigen, dass sich die Angaben auf den Fermenterinput bezie-
hen. Darüber hinaus wird bei diskontinuierlich trockenen Verfahren mit knapp 100 Nm3/
Mg Fermenterinput von höheren Gasproduktionen ausgegangen.
Netto-Wärmebereitstellung
Die Wärmeproduktion und Netto-Wärmeausbeuten bezogen auf den Anlageninput sind
in Tab. 8.23 aufgeführt. Für die Berechnung der Wärmeerzeugung ist die Verwertung in
BHKW mit einem einheitlichen Wirkungsgrade von 46 % zugrunde gelegt worden. Dieser
Wert korrespondiert mit den ermittelten durchschnittlichen elektrischen Wirkungsgraden
von 38 % (s. o.). Für den systemimmanenten Wärmebedarf wird die Aufrechterhaltung
mesophiler oder thermophiler Prozesstemperaturen betrachtet und entsprechend bei der
Berechnung der Netto-Wärmebereitstellung berücksichtigt.
Die verschiedenen Verfahrens- und Prozessarten weisen sehr unterschiedliche Bedarfe
an Wärme für die Aufrechterhaltung mesophiler oder thermophiler Prozesstemperaturen
auf. Erwartungsgemäß benötigen nasse Verfahren wegen der sehr großen zu temperieren-
den Wassermengen und volumenbedingter Wärmeverluste vergleichsweise hohe Wärme-
mengen. Korrespondierend sind für trockene Verfahren entsprechend geringere Wärme-
700 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Tab. 8.23 Gegenüberstellung von Wärmeerzeugung und Wärmebedarf sowie erzielbare Netto-
Wärmeausbeuten der nassen und trockenen Vergärung von Bio- und Grünabfällen, differenziert
nach mesophiler und thermophiler Betriebsweise – bezogen auf Anlagen-Input
Wärme- Wärme- Wärmeausbeute
produktion verbrauch Netto
(kWh/Mg) (kWh/Mg) (kWh/Mg)
Nass 1-stufig Mesophil 228 75 153
Thermophil 300 97 204
2-stufig Mesophil 265 80 186
Thermophil k. A. k. A. k. A.
Trocken Kontinuierlich Mesophil 234 61 173
Thermophil 262 73 189
Diskontinuierlich Mesophil 209 21 188
Thermophil 219 28 191
mengen aufzuwenden. Bei diskontinuierlichen Verfahren entfällt der Wärmebedarf für die
Aufheizung des Fermenterrohstoffes, da dieser verfahrensbedingt durch die freigesetzte
Wärme des aeroben Abbauprozesses in der Startphase bereitgestellt wird. Auch kontinu-
ierliche trockene Verfahren verwenden vereinzelt die Erwärmung des Gärgutes durch Vor-
schaltung einer kurzen, i. d. R. zwei- bis dreitägigen aeroben Vorbehandlungsstufe (siehe
auch Kap. 8.3.4.3).
Bei Bezug auf den Anlageninput weisen die trockenen diskontinuierlichen Verfahren
mit 188 bis 191 kWh/Mg die höchsten Wärmeausbeuten auf, gefolgt von kontinuierlichen
trockenen Verfahren mit 173 bis 189 kWh/Mg. Die Wärmeausbeute nasser Verfahren be-
trägt hingegen etwa 153 bis 204 kWh/Mg, wobei die maximale Wärmeausbeute in einer
thermophil betriebenen Anlage erreicht wurde.
Die Betriebsweisen mesophil bzw. thermophil wirken sich auf den Wärmebedarf und
damit auf die Netto-Wärmeausbeute aus. Relevant hierbei sind folgende Kennwerte:
Die Abstrahlungsverluste über die Reaktorwandung werden insbesondere durch die Geo-
metrie des Reaktors, den Wandaufbau und der Art der eingesetzten Materialien bestimmt.
Ohne eine genaue Kenntnis der Reaktorgeometrie können die Abstrahlungsverluste als
Wärmedurchgang durch eine ebene Platte gemäß der Formel
Q = k * A * (ϑ Reaktor − ϑ Umgebung )
1 s 1
k= +∑ i +
αi i λi αa
Die Wanddicken s werden durch den Aufbau der Reaktorwand bestimmt, während die
Wärmeleitkoeffizienten eine stoffspezifische Eigenschaft der verwendeten Materialien
sind. Die Wärmeleitkoeffizienten können im Allgemeinen für kleine Temperaturdifferen-
zen wie bei Vergärungsverfahren als konstant angesehen werden. Die Wärmeübergangs-
koeffizienten αi und αa bezeichnen den konvektiven Anteil des Wärmedurchgangs und
werden daher durch den Strömungszustand des fluiden Gärmaterials im Reaktorinneren
und Umgebungsluft beeinflusst.
Eine Reduzierung der Wärmeverluste wird durch eine Minimierung des Wärmedurch-
gangskoeffizienten k erreicht. Verfahrenstechnisch wird dies durch Isolation des Behälters
mit einem Material mit möglichst geringer Wärmeleitfähigkeit wie beispielsweise Dämm-
material (Stein-, Glaswolle etc.) realisiert.
Ein wesentlicher Wärmeverlust erfolgt über das produzierte Biogas. Die aus dem Sys-
tem durch das Biogas ausgetragene Wärmemenge setzt sich zusammen aus dem Wärme-
transportvermögen des trockenen Biogases und der Verdampfungsenthalpie des Wasser-
dampfanteils, der bei der Prozesstemperatur und dem Prozessdruck durch das Biogas im
Sättigungszustand ausgetragen wird:
Die spezifische Wärmekapazität des Biogases lässt sich aus den spezifischen Wärmekapazi-
täten der beiden Hauptkomponenten Kohlendioxid und Methan unter Berücksichtigung
der Temperaturabhängigkeit und der Konzentrationen der einzelnen Komponenten ab-
schätzen (Langhans 2000a).
Exemplarisch am Beispiel der mesophilen und thermophilen Nassvergärung wird der
Zusammenhang zwischen dem Wärmebedarf für die Aufheizung des Fermenterrohstoffes
und dem Wärmebedarf zur Aufheizung der verwendeten Prozesswässer und der rückge-
führten Substrate dargestellt.
Die Temperaturdifferenzen spiegeln die Wärmeverluste u. a. über den Fermenter, den
Rohr- und Transportleitungen, Wärmetauscher und das Biogas wider. Für die Berechnung
werden die Verluste beider Betriebsarten als gleich angesetzt.
702 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Q = m ⋅ c ⋅ ∆T
m = Masse (Wasser /Bioabfall ) [ kg ]
kJ
c = spez. Warmekapazit
(Wasser /Bioabfall )
at
kg ⋅ K
∆T = Temperatur differenz ( Fermenter /Zugabestoff ) [ K ]
Die Substrate sind auf die erforderliche Prozesstemperatur zu erwärmen. Der erforderliche
Prozesswärmebedarf setzt sich aus der thermischen Energie zur Erwärmung der Substrate
auf die Faulraumtemperatur und den Ausgleich von Verlusten zusammen:
Qgesamt = QSubstraterwarmung
+ Q Verluste
Die erforderliche Wärmemenge wird neben dem Anlagendurchsatz vorwiegend von der
Temperaturdifferenz zwischen der Substrateingangstemperatur und der Faulraumtempe-
ratur und der spezifischen Wärmekapazität der Substrate bestimmt.
Mit zunehmendem Wassergehalt des Materials wird die Wärmekapazität durch den Was-
seranteil bestimmt. Der Wärmebedarf für die Aufheizung des Fermenterrohstoffes auf
die jeweiligen Temperaturniveaus fällt erwartungsgemäß für beide Betriebsweisen unter-
schiedlich hoch aus. Maßgeblich ist der Wärmebedarf zur Aufheizung des verwendeten
Prozesswassers und der rückgeführten Substrate. Mit zunehmender Temperaturdifferenz
zwischen gewünschter Fermentersubstrattemperatur und zugeführten Prozesswässern
bzw. rückgeführten Substraten sinkt der Anteil für die Aufheizung des Fermenterrohstof-
fes.
Mit steigenden Temperaturdifferenzen bzw. steigenden Wärmeverlusten steigt der
Anteil des Wärmebedarfs für die Aufheizung der zugeführten Prozesswässer bzw. rück-
geführten Substrate, während der Wärmebedarf zur Aufheizung des Fermenterrohstof-
fes unverändert bleibt. Temperaturdifferenzen von 10 bis 20 °C sind als nicht unüblich zu
betrachten. Der Mehraufwand an Wärme für die thermophile gegenüber der mesophilen
Prozessführung ist somit weniger durch die Betriebsweise gekennzeichnet, sondern durch
das Wärmemanagement bei der Zuführung von Prozesswässern bzw. Rückführung von
Substraten, hier insbesondere die Vermeidung von Wärmeverlusten.
Netto-Gesamtenergiebereitstellung
Die Netto-Energiebereitstellung resultiert aus den Netto-Strom (inkl. Dieselverbrauch)-
und Netto-Wärmerträgen (siehe Tab. 8.24). Die Darstellung dieser Bilanz erfolgt trotz
unterschiedlicher Wertigkeit beider Energiearten, da angenommen wird, dass Entwick-
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 703
Tab. 8.24 Gegenüberstellung von Energieerzeugung, Eigenbedarf, Verluste in BHKW und Netto-
Energieausbeute – bezogen auf Anlagen-Input
Energie- Energie- Verlust Energieaus-
produktion verbrauch BHKW beute Netto
(kWh/Mg) (kWh/Mg) (kWh/Mg) (kWh/Mg)
Nass 1-stufig Mesophil 496 141 79 275
Thermophil 653 163 104 386
2-stufig Mesophil 577 146 92 339
Thermophil k. A. k. A. k. A. k. A.
Trocken Kontinuierlich Mesophil 508 109 81 318
Thermophil 570 121 91 358
Diskontinuierlich Mesophil 455 56 73 326
Thermophil 476 63 76 336
Die Gärreste müssen nach dem Vergärungsprozess für die weiteren Verwertungs- und Be-
handlungsprozesse konfektioniert werden. Die Verwertung des Gärrestes bei der Bioab-
fallbehandlung besteht aus
Eine landbauliche Verwertung des Gärrestes aus der Restabfallbehandlung ist nicht mög-
lich. Die Konfektionierung der Gärreste aus Restabfällen erfolgt mit dem Ziel der Erzeu-
gung
• Entwässerung,
• aerobe Nachbehandlung zur Hygienisierung und Erzeugung eines Fertigkompostes,
• aerobe Stabilisierung zur Erzeugung deponierungsfähiger Abfälle nach AbfAblV,
• aerobe oder/und physikalische Trocknung zur Erzeugung von Sekundärbrennstoffen,
• Feinkonfektionierung.
es, den Aufwand der mechanischen Entwässerung zu reduzieren. In einer Anlage wird die
Wärme gezielt zur Rottesteuerung eingesetzt, um zusätzlich überschüssiges Prozesswasser
zu verdunsten. Später wurde auf dieser Anlage die Entwässerung weniger intensiv gefah-
ren mit der Folge, dass die Prozesswassermenge und der TS-Gehalt im zu entsorgenden
Prozesswasser verringert werden konnte. Durch Verringerung des Pressdrucks vermindert
sich auch der Verschleiß (Abrasionsprozess) an den Entwässerungsaggregaten. Durch die
Nutzung der Wärme resultieren i. d. R. ein:
Energiebedarf Entwässerung
Der Strombedarf der Entwässerungsstufe wird sowohl durch die Entwässerungsaggregate
wie Siebschneckenpressen oder Dekanter als auch den peripheren Anlagenkomponenten
wie Förderpumpen, Förderaggregate (Förderbänder, Förderschnecken), Behälterrührwer-
ke und mess-, regel- und steuerungstechnischer Einrichtungen, die für die Funktion einer
706 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Entwässerungsstufe erforderlich sind, bestimmt. Weiterhin ist von Belang, ob eine Entwäs-
serungsstufe aus einem Prozessschritt, beispielsweise einer Siebschneckenpresse, besteht,
oder zur Abtrennung des feindispersen Anteils in der abgepressten Flüssigphase zusätzlich
ein Dekanter eingesetzt wird.
Die installierte Leistung von Siebschneckenpressen liegt je nach Durchsatzleistung des
Aggregates bei Bio- und Grünabfallvergärungsanlagen zumeist in einer Größenordnung
von 22 bis 37 kW. Die Antriebsleistung der Dekanter wird hingegen von der Aufgaben-
stellung bestimmt und kann erheblich variieren. Die Antriebsleistung von Dekantern ist
i. d. R. deutlich höher als von Siebschneckenpressen. Es liegen Angaben über Dekanter von
zwei Anlagen vor, diese liegen zwischen 60 und 75 kW).
Während bei Nassverfahren die Dekanter i. d. R. für die Entwässerung des gesamten
anfallenden Gärrestes eingesetzt werden, werden Dekanter bei kontinuierlichen Trocken-
verfahren entweder zur Nachbehandlung des gesamten oder aber eines für die Anmai-
schung der Abfälle vor der Vergärung notwendigen Teilstromes des flüssigen Ablaufes der
vorgeschalteten Siebschneckenpressen eingesetzt (s. o.).
Spezifische Daten zum Stromverbrauch einzelner Prozessabschnitte wie der Entwässe-
rung sind nicht verfügbar. Nachfolgend wird in Tab. 8.25 rechnerisch versucht, den Strom-
bedarf der Entwässerung exemplarisch für zwei existierende 30.000 Mg/a Anlagen – kon-
tinuierlich nass und trocken – abzuschätzen.
Der Strombedarf der kontinuierlichen nassen Verfahren liegt bei ca. 6 bis 9 kWh/Mg.
Kontinuierliche trockene Verfahren liegen in gleicher Größenordnung, falls eine Kombi-
nation aus Dekanter und Siebschneckenpresse aus Gründen von Qualitätsanforderungen
an das Ab- bzw. Überschusswasser erforderlich ist. Falls die Entwässerung einstufig aus-
schließlich mit Siebschneckenpressen erfolgt, liegt der Strombedarf bei 4 bis 7 kWh/Mg.
Der spezifische Strombedarf von Vergärungsanlagen mit einer geringeren Durchsatzleis-
tung liegt häufig in derselben Größenordnung, da eine Anpassung der Aggregatgrößen an
die jeweiligen Durchsatzleistungen nur bedingt möglich ist.
Die Entwässerung der Gärreste mit der dazugehörigen Peripherie stellt mit bis knapp
30 % vom Gesamtstromverbrauch einen bedeutenden stromverzehrenden Prozessbereich
dar. Optimierungspotenzial liegt u. a. in der
Überschusswassermengen
Die Entstehung und Nutzung von Prozesswässern zeigt Abb. 8.58. Prozesswasser auf Bio-
und Grünabfallverwertungsanlagen mit integrierter Vergärungsstufe entsteht aus folgen-
den Prozessbereichen:
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 707
Tab. 8.25 Vergleichende Abschätzung des Strombedarfs einer Entwässerungsstufe bei einer nassen
und kontinuierlichen trockenen Vergärungsanlage mit einem Jahresdurchsatz von 30.000 Mg
Trockenverfahren Nassverfahren
Anlagendurchsatz 30.000 Mg/a
Gärrestmengea 34.500 Mg/a 84.100 Mg/a
Entwässerungb
Pozesswasser 23.100 Mg/a 69.600 Mg/a
Feststoff 11.400 Mg/a 14.500 Mg/a
Betriebszeiten
Siebschneckenpressec 3.300 Bh/a –
Dekanterd 2.300 Bh/a 3.400 Bh/a
Strombedarf
Siebschneckenpresse 2–5 kWh/Mg –
Dekanter 2–4 kWh/Mg 4–7 kWh/Mg
Peripheriee 2 kWh/Mg
a
Unter Berücksichtigung von Anmaischwasser zur Einstellung des TS-Gehalts im Reaktorzulauf
b
Verteilung abhängig vom angestrebten TS-Gehalt im Feststoff (Annahme: Trockenverfahren 40 %,
Nassverfahren 35 %)
c
unter Annahme einer durchschnittlichen Durchsatzleistung von 8 Mg/h
d
bei Vollstrombehandlung, Nassverfahren durchschnittliche Durchsatzleistung von ca. 25 m3 /h
e
Nur Zu- und Abführpumpen und Behälterrührwerke
Abb. 8.58 Abwasser- und Prozesswasserströme einer Vergärungsanlage für Bio- und Restabfälle
Die Menge an Ab- bzw. Überschusswasser wird durch vielschichtige Einflussgrößen be-
stimmt:
Abb. 8.59 Überschusswasser bei der Vergärung von Bio- und Grünabfällen differenziert nach Ver-
fahrens- und Prozessarten
Grundlage von Daten der BGK nach Luyten-Naujoks (2009) zu diesen Düngern. Nur 25 %
der Komposte unterliegen nicht dieser Regel. Des Weiteren ist darauf zu achten, ob das
Ausbringungsverbot auf Ackerland für Dünger mit „wesentlichen Gehalten an verfügba-
rem Stickstoff “ – Sperrfristregelung aus der Düngeverordnung (Anonym 1991) für den
Zeitraum 1. November bis zum 31. Januar – Geltung findet. Hier ist auch das Landesrecht
zu beachten. Gärrückstände dürfen nach obigem Autor in dieser Zeit nicht ausgebracht
werden. Komposte hingegen weisen i. d. R keinen wesentlichen Anteil verfügbaren Stick-
710 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
stoffs auf und sind somit von der Sperrfrist nicht betroffen. Angaben zur Qualität sind
auch in Kap. 8.3.7.2 aufgeführt.
Zur Überbrückung der o. g. Sperrfristen sind auf den Vergärungsanlagen Speicherka-
pazitäten vorzuhalten.
• Ammoniak (NH3),
• Ammonium (NH4),
• Lachgas (N2O) und
• Nitrit (NO2).
Relevant sind vor allem inhibierende Wirkungen auf den Anaerobprozess und die Belas-
tung der Abluft mit Lachgas und Ammoniak.
Die Auswirkungen von Stickstoff und insbesondere von Ammonium und Ammoniak
auf den anaeroben Prozess sind vielfältig, da Stickstoff sowohl zur Bildung von neuer Bio-
masse erforderlich ist als auch als Ammoniak zur Stabilisierung des pH-Wertes im Reaktor
beiträgt, in hohen Konzentrationen jedoch zu einer Hemmung des biologischen Prozesses
führen kann. Ammoniak ist ein bedeutender Parameter für die Bildung der Pufferkapazi-
tät in einem Anaerobreaktor und wirkt in Konzentrationen bis zu 1000 mg/L NH4–N sta-
bilisierend auf den pH-Wert (ATV 2002). Das bei der Hydrolyse organischer Stickstoffver-
bindungen freigesetzte Ammoniak bewirkt eine Anhebung des pH-Werts und wirkt somit
der Absenkung des pH-Werts – hervorgerufen durch die Versäuerung – entgegen (ATV
1993). Die Angabe toxischer oder hemmender Substanzen ist daher schwierig, sodass le-
diglich Konzentrationsgrenzbereiche angegeben werden können, oberhalb derer verschie-
dene Stoffe unter Umständen Hemmwirkungen aufweisen können. Die Konzentration
kann hierbei sowohl von der spezifischen Bakterienbelastung als auch von der Adaption
der Bakterien an die Milieubedingungen abhängen.
Der Bereich der hemmenden bzw. toxischen Konzentration von Ammoniak liegt zwi-
schen etwa 30 bis 100 mg/L bei einem pH-Wert ≤ 7 und Temperaturen von ≤ 30 °C, die
von Ammonium hingegen bei etwa 4000 bis 6000 mg/L (Weiland 2001a). Die Abbauhem-
mungen verschiedener Stoffwechselprodukte können bei Milieuveränderungen gegen-
läufige Wirkintensitäten aufzeigen. So sinkt die Hemmwirkung von Schwefelwasserstoff
sowie der flüchtigen Fettsäuren mit steigendem pH-Wert, wohingegen die Hemmwirkung
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 711
Abwasserbehandlung
Anforderungen an die Reinigung von Abwässern aus Vergärungsanlagen zur Verwertung
von Bioabfällen bestehen derzeit weder in der deutschen noch der europäischen Gesetz-
gebung. Bislang orientierten sich die zuständigen Genehmigungsbehörden am Anhang
51 der Rahmen-Abwasser-Verwaltungsvorschrift für die Reinigung von Abwasser aus
der oberirdischen Ablagerung von Abfällen. Nach dem Inkrafttreten des Anhangs 23 für
die Reinigung von Abwasser aus Anlagen zur mechanisch-biologischen Behandlung von
Abfällen ist zu erwarten, dass sich die Genehmigungsbehörden hieran orientieren. Die
Grenzwerte des Anhangs 23 sind in Tab. 8.29 dargestellt.
Die Einhaltung der Grenzwerte für die Ableitung des Überschusswassers ist ohne eine
weitergehende Reinigung bei nahezu allen relevanten Parametern nicht möglich. Die Not-
wendigkeit der Abwasser- bzw Prozesswasseraufbereitung resultiert darüber hinaus aus
712 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Tab. 8.27 Stickstoffgehalte im Prozesswasser bei der Bio- und Grünabfallvergärung sowie MBA mit
und ohne Vergärung, Zusammenstellung Literaturdaten nach Fricke et al. (2009), ergänzt
Quelle Nges (mg/L) NH4–N (mg/L)
Restabfall
Fermenterablauf (ohne Eigene Untersuchungen 1.780–3.330 820–2.920
weitere Vorbehandlung)
Fermenterzulauf aus aerober 1.300–3.050 260–2.750
Hydrolyse
Prozesswasser aus der Nachrotte (anonyme Quelle) 1.100–3.400 930–2.600
(rein aerobe Behandlung)
Prozess-/Abwasser aus der Bönning et al. (2002) 860a/1.308b 768b
mesophilen Vergärung
Prozess-/Abwasser aus der 1.214a/1.569b 1.036b
thermophilen Vergärung
Bioabfall
Prozess-/Abwasser aus der Kautz (1994) – 230–2.000
Vergärung
Prozess-/Abwasser aus der Bidlingmaier (1995) – 610
Vergärung
Prozess-/Abwasser aus der Kübler (1996) – 510–2.600
Vergärung
Prozess-/Abwasser aus Bönning (1999) 400–1.500 1.180
mesophiler Vergärung
Prozess-/Abwasser aus 600–2.300 1.740
thermophiler Vergärung
Prozess-/Abwasser aus Graja (1999) 1.000–1.800 230–980
der Vergärung
a
Filtriert
b
Zentrifugiert
Tab. 8.28 CSB- und BSB5-Konzentrationen im Prozesswasser bei der Bio- und Grünabfallvergä-
rung sowie Restabfallbehandlungsanlagen mit und ohne Vergärung, Zusammenstellung Literatur-
daten nach Fricke et al. (2009), ergänzt
Quelle CSB (mg/L) CSBgelöst (mg/L) BSB5 (mg/L)
Restabfall
Fermenterablauf (ohne Eigene 8840–36.050 5250–24.700a 2.200–6.700
weitere Vorbehandlung) Untersuchungen
Fermenterzulauf aus 4440–178.700 2050–89.450a 32.600–60.500
aerober Hydrolyse
Rückläufe aus der 31.360–45.360 – 9.840–23.450
Nachrotte (in aerober
Hydrolyse vorbehandelter
Restabfall, Bewässerung mit
Prozesswasser)
Prozesswasser aus der (anonyme 3900–14.000 – 1.900–8.200
Nachrotte (rein aerobe Quelle)
Behandlung)
Prozess-/Abwasser aus der Bönning et al. – 3735 –
mesophilen Vergärung (2002)
Prozess-/Abwasser aus der – 3763 –
thermophilen Vergärung
Bioabfall
Prozess-/Abwasser aus der Kautz (1994) 3030–28.600 2200–2500 740–10.050
Vergärung
Prozess-/Abwasser aus der Bidlingmaier 10.900 2.300
Vergärung (1995)
Prozess-/Abwasser aus der Kübler (1996) 7003–28.300 2180–4900 1.650–7.100
Vergärung
Prozess-/Abwasser aus der Loll (1998) 2280–36.200 – 660–13.760
Vergärung
Prozess-/Abwasser aus der Bönning (1999) 2000–5000 900–3500 920
mesophilen Vergärung
Prozess-/Abwasser aus der 5700–10.930 1800–5800 1.700–2.800
thermophilen Vergärung
Prozess-/Abwasser aus der Graja (1999) 9400–14.300 4100–9000 1.800–8.000
Vergärung
a
Zentrifugiert
Tab. 8.29 Mindestanforderungen für einige relevante Parameter nach Anhang 23 an die Einleitung
von Abwasser aus Anlagen zur Behandlung von Siedlungsabfällen. (Anonym 2001c)
Mindestanforderung an das Abwasser
Vor der Vermischung Für die Einleitstelle
CSB mg/L – 200/400a
BSB5 mg/L – 20
Nges mg/L – 70
Pges mg/L – 3
AOX mg/L 0,5 –
Kohlenwasserstoffe mg/L 10
Fischgiftigkeit – 2
Schwermetalle
Quecksilber mg/L 0,05 –
Cadmium mg/L 0,1 –
Chrom mg/L 0,5 –
Chrom VI mg/L 0,1 –
Nickel mg/L 1 –
Blei mg/L 0,5 –
Kupfer mg/L 0,5 –
Zink mg/L 2 –
Arsen mg/L 0,1 –
Cyanidb mg/L 0,2 –
Sulfid mg/L 1 –
a
Grenzwert für die Indirekteinleitung
b
Leicht freisetzbar
Tab. 8.30 Prinzipiell geeignete Verfahrensschritte zur Reinigung von Abwässern aus Vergärungs-
anlagen
Physikalisch Chemisch Biologisch
CSB Feststoffseparierung Nassoxidation Belebungsverfahren
Flockung
Membranverfahren
Adsorption
Verdampfung
BSB5 Feststoffseparierung Nassoxidation Belebungsverfahren
Flockung
Membranverfahren
AOX Membranverfahren Nassoxidation Belebungsverfahren
Adsorption
Stickstoff Feststoffseparierung Fällung/ Nitrifikation/
Membranverfahren Knickpunktchlorung Denitrifikation
Adsorption
Desorption (Strippen)
Eindampfung
Phosphor Feststoff-Separierung Fällung Belebungsverfahren
Membranverfahren
hältnissen sowie eine optimale Struktur und Luftführung gewährleistet sind. Der Was-
sergehalt soll mindestens 40 % betragen und der pH-Wert um 7 liegen. Im Verlauf der
aeroben hygienisierenden Behandlung muss eine Temperatur von mindestens 55 °C über
einen möglichst zusammenhängenden Zeitraum von zwei Wochen, von 60 °C über 6 Tage
oder von 65 °C über drei Tage auf das gesamte Rottematerial einwirken.
Bei Sicherstellung der Hygienisierung können Gärreste grundsätzlich ohne aerobe
Nachbehandlung der Verwertung zugeführt werden.
Im Gegensatz zu Kompostprodukten mit Rottegraden zwischen II und III aus der ae-
roben Behandlung weisen Gärreste mit gleichem Rottegrad starke Geruchsemissionen auf
– insbesondere hervorgerufen durch Ammoniak –, die unmittelbar nach Austritt aus dem
Fermenter noch im erheblichen Umfang im Produkt enthalten sind. Pflanzenverträgliche
Kompostprodukte sind nur mit einer nachgeschalteten Aerobbehandlung zu erzielen.
Für die aerobe Nachbehandlung von Vergärungsrückständen stehen vielfältige Techno-
logien zur Verfügung. Einfluss auf die Wahl des geeigneten Verfahrens nehmen folgende
Aspekte:
Tab. 8.32 Einsatzgebiete der verschiedenen Rottesysteme für die Nachbehandlung von Gärresten
Rottesysteme Nachrotte intensiv Nachrotte extensiv Nachrotte (gesamt)
(1–3 Wochen) (3–6 Wochen) (1–6 Wochen)
Tafelmieten-Verfahren – – ++
Zeilenmieten-Verfahren ++ – ++
Tunnel-/Boxen-Verfahren ++ – ++
Offene Dreiecksmieten-Ver- – ++ –
fahren
Für die heute marktgängigen Verfahren erfolgt die Einteilung nach Baumustern, in der
hauptsächlich die Gestaltung des Rotteraums und die Belüftung Grundlage der Systema-
tisierung sind (Tab. 8.31). Die Eignung der verschiedenen Rotteverfahren für die Nach-
behandlung von Vergärungsrückständen zeigt Tab. 8.32.
Je nach angestrebtem Reife- bzw. Rottegrad ist eine Nachrotte von 2–6 Wochen erfor-
derlich. Die Nachbehandlung sollte in den ersten ca. sieben Tagen mit aktiver Be- und
Entlüftung durchgeführt werden, da, bedingt durch die noch vorherrschenden anaero-
ben Prozessbedingungen, verstärkt Methan und geruchsintensives Ammoniak freigesetzt
werden. Bei einer Durchsatzleistung der Anlagen ab 10.000 Mg/a ist nach TA-Luft die
Hauptrotte geschlossen auszuführen. Für kurze Behandlungszeiten von 1–3 Wochen in
geschlossenen Systemen sind Aerobtechnologien nach Baumuster I und II besonders ge-
eignet. Grundsätzlich kann die Nachrotte, insbesondere die extensive 2. Phase mit offenen
Kompostverfahren, wie z. B. der Mietenkompostierung, (Baumuster IV und V) praktiziert
werden.
Tab. 8.33 Beschreibung fester Gärprodukte und flüssiger Gärrückstände mit mehr als 50 % Bioabfall als Verarbeitungsrohstoff 1 – Daten aus 20012.
(BGK 2013)
Feste Gärpro- Rohdichte TS (%) Salz pH Stickstoff Phosphat Kalium Magnesium Ammonium Nitrat N N löslich
dukte N = 44 (g/L FS) (g/L FS) (% TS) P2O5 % in K2O % in MgO % in N mg/L FS mg/L FS mg/L FS
der TS der TS der TS
Median 787 35,1 5,9 7,9 2,5 1,5 1,1 0,9 378 7,0 642
Mittelwert 756 40,2 7,5 7,8 2,8 1,8 1,1 0,9 811 126 936
10 % Perc. 580 28,2 3,8 7,0 1,4 0,9 0,4 0,7 22 0,7 197
90 % Perc. 889 53,8 14,7 8,5 4,9 2,6 1,6 1,2 2274 643 2275
8
Mittelwert 51,4 6,4 6,5 0 32 0,58 26,7 61,9 17,9 0,14 250
10 % Perc. 40,8 2,3 3,8 0 16,4 0,34 14,9 39,8 11,3 0,07 169
90 % Perc. 62,5 9,8 9,2 0 49,1 0,89 41,8 86,6 26,9 0,23 349
719
720 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
bevorzugen dagegen nach Gottschall et al. (2010) pH-Werte um 5,5 bis 6,5. Bei der Anwen-
dung in diesem Bereich sind Mischungen mit niedrigeren pH-Werten empfehlenswert.
Bei Betrachtung nasser und trockener Verfahren weisen nach Gottschall et al. (2010)
feste Gärreste aus nassen Verfahren deutlich höhere Wassergehalte auf – auch nach einer
Nachbehandlung durch die Kompostierung. In Hinblick auf die Konfektionierung, z. B.
Feinsiebung und Lagerfähigkeit, ist dies als nicht unproblematisch zu beurteilen. Die hö-
heren Werte an organischer Substanz sind vermutlich auf die Ausschleusung von inerten
Komponenten in der Aufbereitung vor der Vergärung (z. B. Pulper und Sandscheider) zu-
rückzuführen. Bei den Salzgehalten und löslichen Nährstoffen weisen Gärreste aus nassen
Verfahren vergleichsweise niedrige Werte auf. Für die Erzeugung von Substraten für den
Gartenbau ist die als Vorteil einzustufen.
Die biologische Stabilisierung wird maßgeblich durch den Abbau der biologisch abbau-
baren organischen Substanz (oTSbio) bewirkt. Die Höhe des Abbaus der OTSbio zum Er-
reichen der geforderten Stabilitätsgrenzwerte aus der DepV liegt zwischen 50 und 65 %.
Anaerobe Behandlungsprozesse können bei der Behandlung von Restabfällen Abbauraten
von ca. 50–55 % erzielen. Die Grenzwerte der DepV können durch eine alleinige Anaerob-
stufe nicht sicher erreicht werden, eine aerobe Nachbehandlung ist zwingend erforderlich.
Praxisversuche zeigen, dass mit einer Nachrottedauer von ca. drei bis sieben Wochen
die Ablagerungskriterien der DeponieV realisiert werden können (Fricke et al. 2007; Kan-
ning 2008; Wallmann et al. 2001). Auf Grundlage der Forderungen aus der 30. BImSchV
muss die Nachrotte grundsätzlich in geschlossenen Systemen durchgeführt werden. Aus-
nahmeregelungen sind nach § 16 der 30. BImSchV möglich. Die ersten ein bis zwei Wo-
chen der Nachrotte müssen auch bei Erteilung einer Ausnahmeregelung nach § 16 der 30.
BImSchV geschlossen ausgeführt werden. Für kurze Behandlungszeiten von 2–3 Wochen
in geschlossenen Systemen sind Aerobtechnologien nach Baumuster I und II besonders
geeignet. Grundsätzlich kann die Nachrotte, insbesondere die extensive 2. Phase (3. bis 6.
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 721
Abb. 8.60 Schema der Aerobstufe der MBA Lübeck. (Heerenklage et al. 2008)
Abb. 8.61 Schematische Darstellung der aeroben Behandlung von Gärresten in der Flüssigphase.
(Kugelstadt 2013)
8.3.8 Abluftemissionen
Annahmebunker und die abluftintensive Phase der Nachrotte der Gärrückstände sind ge-
schlossen auszuführen, die Abluft ist zu fassen und einem Biofilter oder einer gleichwerti-
gen Abgasreinigungseinrichtung zuzuführen.
Die von einer Vergärungsanlage ausgehenden Geruchsemissionen beschränken sich im
Wesentlichen auf die Annahme- und Aufbereitungshalle sowie auf die Nachrotte. Im Be-
reich der eigentlichen Vergärungsanlage können aus offenen Pufferbehältern sowie bei
eventuellen Störfällen Geruchsstoffe austreten. Die Reststoffe aus der Vergärung weisen
unmittelbar nach dem Austritt aus dem Reaktor noch erhebliche Geruchsintensitäten auf,
die jedoch innerhalb weniger Tage stark abklingen. Die Hauptkomponente ist Ammoniak
(NH3). Werte bis zu 400 ppm treten auf. Sie liegen zum Teil über den zulässigen maxi-
malen Arbeitsplatzkonzentrationen. Zudem ist zu beachten, dass Biofilter in der üblichen
Auslegung nicht geeignet sind, eine befriedigende Desodorierung der Abluft vorzuneh-
men. Eine nicht zu vernachlässigende Komponente ist die Nachkompostierung. Die Ge-
ruchsemissionen sind zwar gegenüber der Verarbeitung von frischem Bioabfall wesentlich
geringer, tragen aber zum Emissionsgeschehen erheblich bei.
Die effektive Abscheidung des Ammoniaks aus der Abluft ist durch den Einsatz von
sauren Wäschern möglich. Als Waschsäuren können beispielsweise Schwefel- oder Salpe-
tersäure eingesetzt werden, sodass als Reststoff eine Ammoniumsulfat- oder Ammonium-
nitrat-Lösung entsteht.
In der Regel wird zur Abluftreinigung auf Kompostanlagen mit integrierter Vergärung
ein zweistufiges System eingesetzt, bestehend aus sauren Wäschen und nachgeschaltetem
Biofilter. Es sind Reinigungswirkungsrade für Ammoniak und Geruch von bis zu 99 %
erreichbar.
Tabelle 8.35 zeigt die zu erwartenden Abluftvolumenströme und Geruchskonzentratio-
nen (Roh- und Reingas) einer Vergärungsanlage, differenziert nach den relevanten Pro-
zessbereichen beispielhaft für eine Anlage mit einem Jahresdurchsatz von 10.000 Mg.
724 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Tab. 8.36 Menge und Qualität von Rohgas aus Aerob- und Anaerob-Aerobanlagen
Grenzwert 30. Rohgas Rohgas Anaerob-/
BImSchV Aerobverfahren Aerobverfahren
TOCKonz mg/Nm3 20/40 100–1000 50–400
TOCFracht g/Mg 55 400–2000 100–1000
Abluftmenge Nm3/Mg 6000–10.000 2000–6000
Lachgas g/Mg 100 20–400 100–400
Geruch GE/m3 500 8000–100.000 5000–60.000
PCDD/F Ng TE/Nm 3
0,1 ≪0,1 ≪0,1
8.3.9 Massenbilanzen
TSmin-Input × oTSbio-Output
oTSbio-Abbgr. = 1 − ×100
TSmin-Output × oTSbio-Input
Die Massenreduktion während der biologischen Behandlung wird bestimmt durch die Ab-
nahme des Wassergehalts und der Trockensubstanz. Ausschlaggebend für die Gewichts-
abnahme durch Wasserverluste ist die Differenz zwischen Anfangswassergehalt und ge-
wünschtem Wassergehalt im Endprodukt. Entscheidend für die Verringerung der Masse
an Trockensubstanz sind der Abbaugrad der biologisch abbaubaren organischen Substanz
und deren prozentualer Anteil in der TS. Massenflüsse für einen Vergärungsprozess mit
nachgeschalteter Aerobstufe, berechnet für einen Standardbioabfall, ist in Abb. 8.62 dar-
gestellt.
726 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Tab. 8.38 Massenbilanz verschiedener MBA-Konzeptionen für die Behandlung von Haus- und
Geschäftsmüll
MBA vor Deponie MBA-Trocknung ohne Deponie
–Anaerob-/Aerobstufe
Input 100 % 100
Störstoffe 5% 5%
Metalle 3% 3%
Rotteverlust (H2O, CO2, CH4) 23 % 32 %
Massenstrom zur therm. Behandlung min. 30 % 48 %
und/oder energetischen Verwertung
Schwerstoffscheidung 12 %
Massenstrom zur Deponie 39 %
Die Wertstoffentnahme beschränkt sich im Wesentlichen auf die Fe- und Ne-Schei-
dung. Für Fe- und Ne-Scheider wird ein Wirkungsgrad von 70 % angesetzt. Insgesamt
wird ein Massenverlust durch Metallscheidung in einer Größenordnung von ca. 3 % in
Ansatz gebracht. Der Wirkungsgrad für die Mineralstoffscheidung liegt in der Größenord-
nung von 50–85 %. Für die MBA-Varianten vor der Deponie findet der Abbaugrad für die
OTSbio von 60 % Verwendung. Dies entspricht dem Abbaugrad, wie er für das Erreichen
der Stabilitätsparameter erforderlich ist. Entsprechend den Anforderungen an den hoch-
dichten Einbau, wird ein Endwassergehalt von 30–35 % angesetzt. Der Wassergehalt von
getrocknetem Abfall für die energetische Verwertung liegt um ca. 15 %.
Falls die Kosten für die energetische Verwertung deutlich sinken, kann es sinnvoll wer-
den, ab einem bestimmten Grenzkostenpunkt den Anteil der heizwertreichen Fraktion
bei MBA-Varianten vor der Deponie zu erhöhen oder gar das gesamte Behandlungsziel
zu ändern. Ziel wäre nicht mehr, Restabfälle biologisch zu behandeln, um größere Teil-
mengen zu deponieren. Das Behandlungsziel wäre dann die Erzeugung großer Mengen
heizwertreicher Komponenten; die Funktion der MBA läge dann bei der Trocknung bzw.
Trocknung und Mineralstoffscheidung.
Im vorliegenden Kapitel wird lediglich auf das Problemfeld Sedimentation und Inkrusta-
tion eingegangen, da dieses Phänomen eindeutig auf den Gärrohstoff zurückzuführen ist.
Ein häufig auftretendes rohstoffspezifisches Problem ist neben Sedimentation und Inkrus-
tation auch Abrasion und Korrosion.
Tab. 8.39 Mineralstoffanteil ausgewählter Bioabfälle differenziert nach Korngrößen. (Kranert et al.
2002)
Mineralanteil (Angaben in % TS)
Kies Sand Schluff Gesamt
Herbst < 1–9 8–20 7–13 19–35
Winter 1–13 4–14 4–6 12–30
Frühling 1–6 9–23 11–30 23–59
Sommer 1–3 7–27 3–20 12–40
Mittelwert 3,5 (2–6) 14 (10–21) 11 (7–14) 28,5 (22–36)
Tab. 8.40 Störstoffanteil im Bioabfall und Zusammensetzung der Störstoffe bezogen auf 100 %.
(Fricke et al. 2003)
Störstoffart Mittelwert Schwankungsbereich
Mittlerer Störstoffgehalt im Bioabfall, davon 1,8 % FS 1–12 % FS
Anteil Kunststoffe 57 % 44–88 %
Anteil Glas 9% 5–32 %
Anteil Metall 6% 4–15 %
Anteil Sonstiges 28 % 12–58 %
vornehmlich über Anhaftungen an Pflanzenresten sowie über „Fege- bzw. Kehrgut“ ein-
getragen. Sedimentationsrelevante Komponenten sind zusätzlich diverse Mineralien und
Metalle aus der Störstofffraktion (siehe Tab. 8.40). Die in den Tabellen genannten Massen-
angaben gelten für unbehandelten Rohabfall. Durch Abtrennung der für die Vergärung
nicht geeigneter Abfallkomponenten werden die sedimentationsrelevanten Fraktionen
aufkonzentriert (Bioabfall Faktor 1,1–1,3).
Diese Probleme treten bei nassen und kontinuierlichen trockenen Vergärungsstufen
gleichermaßen auf. Kombiniert ist die Sedimentation in vielen Fällen mit einer Inkrusta-
tion, die zu einer intensiven Verfestigung des Sediments führt. Bei den Inkrustationen in
den Behältern deutet vieles darauf hin, dass es sich hier um das gleiche Phänomen handelt,
wie es bei Flächenfiltern und Drainagerohren von Hausmülldeponien (Ramke und Bru-
ne 1990), auf denen unvorbehandelte Abfälle abgelagert wurden, beobachtet wird. Diese
hochfesten Ablagerungen, vornehmlich aus Calcium und Eisen, die als Carbonate und
in Schwefelverbindungen festgelegt sind, entstehen als Folge von mikrobiellen anaeroben
Umsetzungsprozessen. Die Inkrustationen können nur entstehen, wenn in der flüssigen
Phase gleichzeitig gut abbaubare organische Substanzen (als Nährstoff für die Bakterien)
und Ionen (Ca, Fe, SO4, Hydrogenkarbonat etc.) vorhanden sind – Milieubedingungen,
wie sie auch in Fermentern vorherrschen. Als Ablagerung kommt in den Fermentern und
Rohrleitungen auch noch MAP (Magnesium-Ammonium-Phosphat) in Frage.
Betriebliche Auswirkungen:
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 729
• Sedimentation/Inkrustation
− Ablagerungen von Sedimenten in Behältern bewirken eine Reduktion des Faulvolu-
mens. In konkreten Fällen wurden Verringerungen bis zu 25 % festgestellt.
− Ablagerungen in Verbindung mit Inkrustationen können die mechanischen Einrich-
tungen im Fermenter, wie z. B. Rührwerke und Räumvorrichtungen, durch erhöhte
mechanische Beanspruchungen beeinträchtigen bzw. durch Blockade außer Funk-
tion setzen.
− In liegenden Fermentern mit Propfstromtechnologie können der Materialtransport
beeinträchtigt und somit sogenannte Kurzschlüsse im Materialstrom begünstigt
werden.
− Bei stehenden Fermentern mit konischem Auslauf wurden in der Vergangenheit
Inkrustationen festgestellt, die in einigen Fällen eine vollständige Unterbrechung
(Verstopfung) des Materialstroms bewirkten. Dieses Problem wurde mittlerweile
durch Modifikation im Austragsbereich gelöst.
− Verstopfung von Rohrleitungen, diverse Ausläufe, Schieber, Ventile etc.
− Die Verblockung von Festbetten vermindert bzw. unterbindet die Durchmischung/
Durchströmung im Fermenter. Die Funktion des Festbetts wird eingeschränkt bzw.
außer Kraft gesetzt.
• Verschleißerscheinungen
− Übermäßige Verschleißerscheinungen bis hin zur Zerstörung, verursacht durch
Abrasionen, treten hauptsächlich an Zerkleinerern, Pumpen und mechanischen
Entwässerungseinrichtungen auf.
− Korrosive Erscheinungen werden durch Abrasionen verstärkt.
Trockene Verfahren:
• Effiziente Fe-, Ne- und Schwerstoff-Scheidung vor dem Eintrag in den Fermenter.
• Sicherstellung eines engen Viskositätsfensters im Gärgut. Zur Minimierung von Sedi-
mentationsprozessen steht im Rahmen der Prozesssteuerung nur ein enger nutzbarer
Viskositätsbereich zur Verfügung, der einerseits einem effektiven Förder- und Durch-
mischungsvorgang nicht entgegen steht, aber dennoch ein zu starkes Absinken von
Schwerstoffen verhindert. Dieser Bereich ist spezifisch für die jeweilige Anlage und das
zu verarbeitende Substrat zu ermitteln.
• Zur Verringerung potenzieller Sedimentationszonen ist bereits bei der Wahl der Fer-
mentergeometrie darauf zu achten, mögliche Todzonen zu vermeiden und – insbeson-
dere bei stehenden Fermentern – Winkel so zu wählen, dass ein selbstgängiger Sedi-
mentaustrag begünstigt wird. Insbesondere im Austragsbereich ist auf einen möglichst
unbehinderten Substrataustrag zu achten, um Sedimente aus dem Fermenter abführen
zu können und Verstopfungen zu vermeiden.
• In Abhängigkeit von der Fermentergeometrie sind nach Möglichkeit geeignete Spül-
und Räumvorrichtungen vorzusehen.
• Im Hinblick auf Räumvorrichtungen ist zu berücksichtigen, dass derartige Bauteile
einem erhöhten Verschleiß ausgesetzt sind und insbesondere bei schwankenden Subs-
tratzusammensetzungen wechselnden mechanischen Beanspruchungen ausgesetzt
werden. Räumvorrichtungen wie Schubböden müssen über geeignete, d. h. vor allem
abrasions- und korrosionsresistente Untergründe verfügen, mit ausreichenden Nieder-
haltern ausgestattet und stabil geführt werden. Ein Anlagenlieferant hat mittlerweile
vollständig auf den Einbau von Räumvorrichtungen (Kratzboden) verzichtet.
• Zur Sedimentlösung können Systeme zur Gas- und Flüssigkeitseinpressung vorgesehen
werden, um Sedimentation und Inkrustation entgegenzuwirken.
• Fermenter mit integrierten Rührwerken sind derart auszulegen, dass möglichst sedi-
mentations- und inkrustationsanfällige Flächen geräumt werden.
• Vor dem Hintergrund ggf. notwendiger Fermenteröffnungen und -räumungen wird
empfohlen, Fermenter redundant auszulegen. Hierdurch kann ein Totalausfall der Ver-
gärungsstufe weitestgehend unterbunden werden. Darüber hinaus steht geeignetes In-
okulum für die Wiederinbetriebnahme des in Revision befindlichen Fermenters zur
Verfügung – Voraussetzung für eine Verkürzung der „Hochfahr-Zeit“. Insbesondere bei
kleineren Anlagen stehen diesem Lösungsansatz wirtschaftliche Aspekte entgegen.
• Nach der Revision ist beim Anfahrbetrieb auf eine engmaschige Überwachung der be-
trieblichen Parameter zu achten. Insbesondere pH-Wert und FOS/TAC stellen geeigne-
te Parameter dar, rechtzeitig auf ungünstige Bedingungen reagieren zu können. Durch
häufige und regelmäßige Kontrolle und Regelung der Prozesskenngrößen und der Zu-
sammensetzung des Fermenterinhalts kann die Anfahrzeit deutlich verkürzt werden.
• Die Wartung im Fermenter installierter Systeme ist in der Regel mit der Öffnung und
Entleerung des Fermenters verbunden, daher sind außen liegende Antriebe oder ent-
nehmbare Aggregate von Vorteil.
8.3 Vergärung von Bio- und Grünabfällen sowie Restabfällen 731
Nasse Verfahren:
Detaillierte Kenntnisse zum o. g. Problembereich liegen den Autoren aus dem Betrieb von
Nassfermentern mit und ohne integriertem Festbett vor. Die Kenntnise über Festbettfer-
menter stammen von Restabfallbehandlungsverfahren:
• Viele der o. g. Lösungsansätze gelten in gleicher oder in modifizierter Form auch für
nasse Verfahren und werden an dieser Stelle nicht wiederholt.
• Bei Festbettfermentern ist der Feststoffgehalt im Fermenterzulauf auf kleiner 1 % in der
FS zu begrenzen. Hierdurch können die oben beschriebenen Probleme der Festbettver-
stopfung weitgehend unterbunden werden. Inkrustationen sind hiermit zwar nicht zu
verhindern, ein wesentlicher Teil der Grundmatrix aber wird entzogen. Die Aufwen-
dungen für Schlammräumung und -austrag werden bei diesen geringen Feststoffgehal-
ten reduziert. Auch der Schwimmdeckenbildung wird entgegengewirkt.
• Die alleinige Schwerstoffscheidung im Stofflöser/Pulper wird als nicht ausreichend be-
urteilt, um Sedimentationsproblemen entgegenzuwirken.
• Gute Trennergebnisse können in der Regel mit Dekanterzentrifugen und Kammer-
filterpressen erzielt werden, ebenso haben sich unter gewissen Rahmenbedingungen
Siebbandpressen bewährt. Aufgrund der kontinuierlichen Betriebsweise werden vor-
wiegend Dekanterzentrifugen eingesetzt.
• Für die Abtrennung körniger Inhaltsstoffe sind prinzipiell Sandscheider (Sandwäscher)
geeignet. Sie sind jedoch nicht in der Lage, Feinstsande sowie Faserstoffe effizient abzu-
scheiden, wie dies für Festbettfermenter notwendig ist. Für Nassfermenter ohne Fest-
bett kommt ein Sandscheider häufig nach dem Pulper zum Einsatz.
• Schwingsiebe mit Feinstsiebbezügen sind geeignet, entsprechende faserige Stoffe bis
auf ein Mindestmaß zu eliminieren. Schwierig ist die Leistungsfähigkeit derartiger Ag-
gregate auf die Eliminationsleistung von Feinsanden zu beurteilen. Nicht ausreichende
Trennleistungen erbrachten bei MBA-Anlagen auch druckbeaufschlagte Bogensiebe.
8.3.10.2 Korrosion
Korrosionserscheinungen insbesondere an metallischen Materialien treten hauptsäch-
lich bei Aggregaten der Anlagenperipherie zur Vergärung auf. Der Schwerpunkt ist dem
Nachrottebereich von Gärresten zugeordnet. Als Folge derartiger Korrosionsschädigun-
gen treten erhöhte Instandhaltungs- und Sanierungsaufwendungen, verkürzte Standzeiten
sowie Beeinträchtigungen des Verfahrensprozesses mit den entsprechenden Auswirkun-
732 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
gen auf die Betriebskosten und Verarbeitungsleistungen auf (Fricke et al. 2009). Kompost-
und Vergärungsanlagen bieten ideale Milieubedingungen für Korrosionsprozesse, wie
Tab. 8.41 zu entnehmen ist.
Die Menge zusätzlich vergärbarer Bio- und Grünabfälle beträgt 7,4 Mio. Mg/a. Diese Men-
ge ergibt sich aus der flächendeckenden Implementierung des Systems Biotonne und den
zusätzlich der Vergärung zuführbaren Menge bereits erfasster Bio- und Grünabfälle. Bei
den zusätzlich zu erfassenden Bioabfallmengen ist bei der Abschätzung zusätzlicher Ener-
gieerträge zu berücksichtigen, dass aus küchenabfallreichen Bioabfällen um bis zu 100 %
mehr Gas generiert werden können.
Zusätzliche Mengen vergärbarer Restabfälle in relevanter Größenordnung sind nicht
zu erwarten.
Hinsichtlich der Verfahrenstechnik zur Vergärung der festen Abfallstoffe, wie Bio- und
Grünabfall sowie Restabfall, zeichnet sich gegenwärtig folgende Entwicklung ab:
• Der Einsatz trockener Verfahren wird vermutlich weiterhin dominieren, zulasten nas-
ser Verfahren. Zwangsläufig trifft die gleiche Aussage für zweistufige Verfahren zu, da
diese an nasse Verfahren gekoppelt sind. Welche Bedeutung hierbei kontinuierliche und
diskontinuierliche trockene Verfahren einnehmen werden, ist offen. Auf die Verfah-
rensauswahl nehmen Einfluss
734 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
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740 8 Anlagen zur Erzeugung von Bioenergie
Inhaltsverzeichnis
9.1 Einrichtungen zur Nutzung und Verwertung von Faulgas (Jürgen Oles) ��������������������������� 742
9.1.1 Allgemeines ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 742
9.1.2 Gasanfall und Zusammensetzung ������������������������������������������������������������������������������� 743
9.1.3 Eigenschaften von Biogas ��������������������������������������������������������������������������������������������� 745
9.1.4 Gastransport ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 746
9.1.5 Gasspeicherung ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 747
9.1.5.1 Bemessung von Gasspeichern ����������������������������������������������������������������������� 747
9.1.5.2 Drucklose Gasspeicher ����������������������������������������������������������������������������������� 748
9.1.5.3 Niederdruckgasspeicher ������������������������������������������������������������������������������� 750
9.1.5.4 Doppelmembranspeicher ����������������������������������������������������������������������������� 751
9.1.6 Gasaufbereitung ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 751
9.1.6.1 Schaumbekämpfung ��������������������������������������������������������������������������������������� 752
9.1.6.2 Kondensatentnahme �������������������������������������������������������������������������������������� 752
9.1.6.3 Partikelentfernung ����������������������������������������������������������������������������������������� 754
9.1.6.4 Gastrocknung ������������������������������������������������������������������������������������������������� 755
9.1.6.5 Gasentschwefelung ����������������������������������������������������������������������������������������� 756
9.1.6.6 Siloxan-Entfernung ��������������������������������������������������������������������������������������� 761
9.1.6.7 Sonstige technische Ausrüstungen von Biogasanlagen ����������������������������� 762
9.1.7 Gasverwertung ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 766
9.1.7.1 Allgemeines ����������������������������������������������������������������������������������������������������� 766
9.1.7.2 Wärmebedarf ��������������������������������������������������������������������������������������������������� 767
9.1.7.3 Gasfackelanlagen �������������������������������������������������������������������������������������������� 768
9.1.7.4 Heizkesselanlagen ������������������������������������������������������������������������������������������� 769
9.1.7.5 BHKW-Anlagen ��������������������������������������������������������������������������������������������� 770
9.1.7.6 Brennstoffzellen ��������������������������������������������������������������������������������������������� 774
9.1.7.7 Biogasaufbereitung zu Biomethan ��������������������������������������������������������������� 774
9.1.8 Wirtschaftlichkeit der Gasverwertung ������������������������������������������������������������������������� 776
9.2 Sicherheitsaspekte beim Umgang mit Faulgas (Frank Büßelberg) ��������������������������������������� 778
9.2.1 Gefährdungen/Sicherheitstechnische Kennwerte ����������������������������������������������������� 778
9.2.2 Technische Schutzmaßnahmen ����������������������������������������������������������������������������������� 781
9.2.3 Organisatorische Schutzmaßnahmen ������������������������������������������������������������������������� 784
Jürgen Oles
9.1.1 Allgemeines
Das als Endprodukt des anaeroben Abbaus von organischen Substanzen anfallende ener-
giereiche Gas wird als Biogas oder Faulgas bezeichnet. Anaerobe Abbauverfahren werden
eingesetzt
• zur Stabilisierung der als Endprodukt bei der Abwasserreinigung anfallenden Schlämme
(Schlammfaulung),
• zur Reinigung organisch hoch belasteter Abwässer (Industrieabwässer),
• zur Energiegewinnung aus Wirtschaftsdüngern tierischer Herkunft oder aus Bioabfall,
• zur Energiegewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen.
Der Begriff Biogas wird üblicherweise bei den Erzeugungsanlagen von Bioenergie oder bei
Anlagen zur anaeroben Abwasserbehandlung benutzt. Faulgas ist die Bezeichnung für das
bei der anaeroben Stabilisierung von Klärschlamm aus der Abwasserreinigung entstehen-
de Biogas. Im Folgenden wird als Oberbegriff die Bezeichnung Biogas und Biogasanlage
gewählt.
9.1 Einrichtungen zur Nutzung und Verwertung von Faulgas 743
Tab. 9.1 Zusammenstellung üblicher Anfallmengen von Biogas/Faulgas aus verschiedenen Quellen.
(Zusammengefasst nach DWA 2010)
Herkunft Rohsubstrat Randbedingungen spez. Biogasanfall
Kommunaler Rohschlamm Vorklärung + 0,30–0,45 m3N/kg oTRzu
Belebungsverfahren
Schlammalter tTS = 8 d
Industrieabwasser Abwasser mit organischen, 0,19–0,33 m3 CH4/kg CSBzu
abbaubaren Inhaltsstoffen
Landwirtschaftliche Gülle 0,20–0,40 m3N/kg oTRzu
Vergärungsanlagen
Energetische Biogasanlagen Maissilage, Rüben, Gras 0,20–0,40 m3N/kg oTRzu
Abfallvergärungsanlagen Bioabfall 0,30 m3N/kg oTRzu
Abfalldeponien Hausmüll 0,15–0,25 m3N/kg Müll
Die Menge und Zusammensetzung des produzierten Biogases hängt von verschiedenen
Faktoren ab wie z. B.:
Die spezifische Faulgasmenge wird deshalb als Volumen pro zugeführter oder abgebauter
organischer Trockensubstanz, z. B. m3N/kg oTS oder als Volumen pro Einwohnerwert, z. B.
L/(E · d), beschrieben. Die spezifischen Biogasmengen werden bei der anaeroben Abwas-
serreinigung beschrieben als Volumen pro abgebauter Menge an CSB (m3N/kg CSB) und
bei der Vergärung landwirtschaftlicher Produkte/Reststoffe als Volumen pro zugeführter
(organischer) Trockenmasse. Tabelle 9.1 gibt einen Überblick über übliche spezifische Bio-
gasmengen.
Biogas/Faulgas besteht aus den Hauptkomponenten Methan (CH4) und Kohlendioxid
(CO2) sowie aus geringen Mengen an Stickstoff (N2), Wasserstoff (H) und Schwefelwasser-
stoff (H2S) sowie Spuren anderer Stoffe wie z. B. Ammoniak, flüchtige Kohlenwasserstoffe
oder Siloxane. Neben den prozesstechnischen Randbedingungen bestimmt die Zusam-
744 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
• thermischer,
• chemischer,
• mechanischer oder
• biologischer
Die wichtigste Eigenschaft von Biogas ist der hohe Energiegehalt, bestimmt durch die Kon-
zentration an Methan, der durch die Verbrennung des Gases nutzbar gemacht werden kann.
Tabelle 9.3 zeigt eine Zusammenfassung der wesentlichsten Eigenschaften von Biogas.
Biogase in üblicher Zusammensetzung sind leichter als Luft und entweichen bei der
Entstehung nach oben. Bei höheren CO2-Gehalten, z. B. während der Inbetriebnahme und
Einarbeitungsphase von Faulbehältern, kann das Gas jedoch schwerer als Luft sein und
sich an Tiefpunkten ansammeln. Neben der grundsätzlichen Explosionsgefährdung durch
Biogas sollte dieser Punkt aus sicherheitstechnischen Gründen besonders beachtet werden.
Während der Methangehalt des Biogases die energetische Verwertbarkeit des Gases be-
stimmt, beeinflussen die weiteren Gasbestandteile wie z. B. Schmutzpartikel, Feuchtigkeit,
Schwefelwasserstoff und andere Spurenstoffe die notwendigen Aufbereitungsverfahren,
um die energetische Nutzung sowohl wirtschaftlich, als auch im Rahmen der gesetzlichen
Bestimmungen (Abgasemissionen!) sicherzustellen. Auf die Verfahren zur Gasreinigung
wird in Kap. 9.1.6 näher eingegangen.
746 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
Tab. 9.3 Zusammensetzung und Eigenschaften von Biogas. (Nach DWA 2010 und Beese 2007)
Parameter Wertebereich Mittelwertb
CH4 (Vol.-%) 50–75 % 65 %
CO2 (Vol.-%) 25–50 % 35 %
H2S (Vol.-%) 0–0,7 %
N2 (Vol.-%) 0–0,2 %
H2 (Vol.-%) 0–0,5 %
O2 (Vol.-%) Spurena
Siloxane (Summe org. Si-Verbindungen) (mg/m N)
3
0–300 15
Dichte CH4 (kg/m N)
3
≈ 0,71
Dichte CO2 (kg/m3N) ≈ 1,96
Dichte Biogas (kg/m3N) ≈ 1,16
Heizwert Hu (kWh/m N) 3
6,5
Zünd-/Explosionsgrenze Vol.-% in Luft 5–15 % (Methan)
5–19 % (Luft)
a
bei Messdaten mit höheren O2-Gehalten im Biogas liegt üblicherweise eine fehlerhafte Probenahme
vor
b
bezogen auf Faulgas
9.1.4 Gastransport
Das bei anaerober Umsetzung z. B. im Faulbehälter erzeugte Gas muss durch geeignete
technische Maßnahmen zu den Gasverwertungsanlagen, ggf. über die Zwischenschritte
Gasspeicherung und Gasaufbereitung, geleitet werden. Dies geschieht durch den Trans-
port in Rohrleitungen mit der Einstellung eines Überdrucks im Gassystem, z. B. durch
druckbelastete Gasbehälter oder Druckhaltevorrichtungen. Der Systemdruck muss aus-
reichend bemessen sein, um Druckverluste durch die Fließgeschwindigkeit des Gases oder
durch Einbauten im Leitungssystem zu überwinden und den notwendigen Vordruck am
Gasverwertungsaggregat sicherzustellen. Reicht der Systemdruck nicht aus, müssen zu-
sätzliche Förderaggregate, Gasverdichter, installiert werden. Üblich sind Systemdrücke
im Gasleitungssystem von 30–50 mbar, Gasmotoren benötigen beispielsweise mindestens
20 mbar Fließdruck an der Gasregelstrecke.
Durch die Abkühlung des Biogases während des Transports entstehen erhebliche Men-
gen an Kondensat. Dies erfordert eine sorgfältige Planung und Verlegung der Rohrlei-
tungsstrecken mit ausreichendem Gefälle und geeigneten Tiefpunkten zur Kondensatent-
nahme (siehe Kap. 9.1.6.2). Aufgrund der Gasinhaltsstoffe wie H2S ist insbesondere das
anfallende Kondensat sehr korrosiv. Für alle gasberührten Rohrleitungen und Aggregate
sind daher ausreichend korrosionsbeständige Werkstoffe zu wählen. Bewährt haben sich
hierfür – und werden heute nahezu ausnahmslos verwendet – Edelstahl der Werkstoffqua-
lität 1.4571 (V4A-Stahl) sowie Rohre und Bauteile aus Polyethylen (HDPE). HDPE-Rohre
werden üblicherweise für erdverlegte Rohrleitungsstrecken verwendet. Hierbei gilt im be-
sonderen Maße auf eine sorgfältige Rohrverlegung zu achten, weil HDPE-Rohre eine hohe
Durchbiegung haben und es deshalb bei unfachmännischem Einbau zu Absenkungen mit
9.1 Einrichtungen zur Nutzung und Verwertung von Faulgas 747
der Bildung von Kondensatansammlungen kommen kann. Für den Werkstoff PE ist wei-
terhin die deutlich größere Temperaturausdehnung zu beachten.
9.1.5 Gasspeicherung
• gleichmäßige Beschickung
• stoßweise Beschickung
• Änderung der TR oder oTR-Konzentrationen im Rohsubstrat
• Beschickung mit wechselnden Substraten bzw. Änderung der Substratzusammenset-
zung
Biogasverwertung
Wirtschaftlichkeit
748 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
9.1.5.2 Drucklose Gasspeicher
Drucklose Gasspeicher bestehen aus einer geschlossenen Kunststoff-Membranfolie, die
üblicherweise durch einen äußeren Behälterschutzmantel umschlossen ist. Bei diesen Be-
hältern handelt es sich i. d. R. um zylindrische Behälter aus Profilblechen oder geschraub-
ten Blechen.
Die innenliegende Membranfolie ist im oberen Bereich des Behälterschutzmantels auf-
gehängt und wird mit dem entstehenden Gas gefüllt, wobei sich die Folie entsprechend im
Behälter aufbläht. Die Membranfolie ist für einen Überdruck von maximal 5 mbar aus-
gelegt und wird deshalb als „druckloser“ Speicher bezeichnet. Druckhalteventile zwischen
dem Biogasreaktor und dem Gasspeicher (bei separatem Gasspeicher) sichern den Über-
druck im Biogasreaktorsystem und die notwendige Druckentspannung im Gasspeicher.
Da der drucklose Speicher selbst keinen Systemdruck erzeugt, muss das Gas aus dem
drucklosen Speichersack über Druckerhöhungsgebläse abgesaugt werden und auf den
End-Druck für die Verbraucher verdichtet werden. Spezielle Unterdrucksicherungen im
9.1 Einrichtungen zur Nutzung und Verwertung von Faulgas 749
Abb. 9.1 Beispiele für Behältertypen von Gasspeichern. (Aus DWA 2010)
auch die Anordnung der Gasfackel als Notfackel zu überdenken. Wird die Fackel auf der
Druckseite der Gasdruckerhöhungsgebläse aufgestellt, so steht bei Ausfall der Gebläse
auch kein ausreichender Druck mehr für den Betrieb der Fackel zur Verfügung und die
Sicherheitsfunktion der Fackel wird eingeschränkt.
9.1.5.3 Niederdruckgasspeicher
Niederdruckgasspeicher sind Behälter mit einem Betriebsdruck von > 10 bis ≤ 50 mbar.
Sie werden in zwei Bauarten unterteilt: Niederdruck-Nassgasbehälter und Niederdruck-
Trockengasbehälter.
Beim Nassgasbehälter, auch Glockengasbehälter genannt, wird eine Stahlglocke in
einen oben offenen Beton- oder Stahlbehälter getaucht. Die Wasservorlage im Behälter
dient als hydraulische Drucksicherung und das Gewicht der schwimmenden Gasglocke
erzeugt den Systemdruck. In den Ringspalt zwischen Wassertasse und Gasglocke wird zu-
sätzlich ein Sperr- und Schmiermittel eingebracht. Der Ringspalt der Wassertasse muss
beheizt werden, um bei Frosttemperaturen ein Einfrieren zu verhindern. Aufgrund der er-
heblichen Korrosionsprobleme von Nassgasbehältern bei Bio- oder Faulgas und den damit
verbundenen ständigen Aufwendungen zum Korrosionsschutz findet dieses Gasspeicher-
system heute keine Anwendung mehr.
Als Niederdruckgasspeicher kommen heute nur noch Trockengasbehälter zum Einsatz.
Bei diesem Gasbehältertyp wird eine Gasmembran in einen gasdichten, zylindrischen Be-
hälter gasdicht eingespannt. Eine bewegliche Belastungsvorrichtung auf der Gasmembran
erzeugt je nach Gewichtsbelastung den gewünschten Druck zwischen 20 und 50 mbar.
Die Belastungsvorrichtung, z. B. eine gewichtsbelastete Scheibe wird über Teleskop- oder
Seilzugsysteme im Behälter geführt. Der gasdichte Behälter kann als geschweißter Stahl-
behälter, Stahlbehälter aus geschraubten Stahlplatten (Edelstahlplatten oder emaillierte
Stahlplatten) oder aus gefalzten Stahlprofilen hergestellt werden.
Da mit dem Niederdrucksystem und der entsprechend druckbelastbaren Gasmembran
ein konstanter Druck bei variablem Volumen erzielt wird, kann i. d. R. auf eine Vorrich-
tung zur weiteren Druckerhöhung für Gasverbrauchsaggregate verzichtet werden. Dieses
System stellt unabhängig von elektrischen Aggregaten den Druck im gesamten Gassystem
einschließlich Biogasreaktor und Gas-Notfackelanlage sicher. Zur Sicherung der Überfül-
lung des Gasbehälters oder zur Absicherung eines Über- bzw. Unterdrucks über den für
die Gasmembran zulässigen Bereich (z. B. bei einem mechanischen Defekt der Führungs-
einrichtung) wird der Gasbehälter mit einer mechanischen und hydraulischen Sicherheits-
einrichtung ausgerüstet.
Zu beachten ist, dass bei diesem System Teile der inneren Gasbehälterwände und die
Gasbehältersohle direkt mit dem Gas in Berührung kommen. Da Biogas in Abhängigkeit
von der Zusammensetzung des Rohsubstrates zur Biogaserzeugung z. T. erhebliche Anteile
an korrosiven Bestandteilen (z. B. aus H2S) enthält und sich diese Bestandteile auch in er-
höhtem Maße im Kondensat wiederfinden, müssen die Gasbehälterwände und die Sohle
über einen geeigneten Korrosionsschutz verfügen. Bei Behältern aus Edelstahl oder email-
lierten Stahlplatten wird dies über den Werkstoff selbst sichergestellt. Stahlbehälter aus ge-
schweißtem Normalstahl benötigen einen zusätzlichen, aufwendigen Korrosionsschutzan-
9.1 Einrichtungen zur Nutzung und Verwertung von Faulgas 751
strich. Die Behältersohle muss zusätzlich über einen Schutzanstrich oder eine Auskleidung
mit Edelstahl oder PE-Folie geschützt werden. Die Beständigkeit des Korrosionsschutzes
muss regelmäßig überprüft werden.
Eine Variante des Niederdruckgasspeichers ist für kleinere Behälter der sog. Kissen-
speicher, bei dem die Gasmembran aus einzelnen übereinanderliegenden Kissen besteht,
deren oberstes Kissen eine aufgesetzte Belastungsvorrichtung hat, das untere Kissen jedoch
direkt gasdicht mit der Sohle verbunden ist und somit der äußere Behältermantel entfällt.
9.1.5.4 Doppelmembranspeicher
Eine Kombination aus drucklosem Gasspeicher und dem klassischen Niederdruckspei-
cher sind die sog. Doppelmembranspeicher. Dieses System besteht aus einer Außenhülle,
die durch ein Stützluftgebläse aufgeblasen und stabilisiert wird. Die Stützluft übt gleich-
zeitig Druck auf die Gas führende Innenmembran aus, wodurch das Biogassystem unter
Druck gehalten wird.
Ausgeführt werden diese Gasspeicher z. B. als kugelförmige Speicher, bei denen die
Außenhülle umlaufend und luftdicht mit einem Betonfundament verbunden ist oder als
gewölbter Speicher bei dem die Außenhülle auf einen flachen, zylindrischen Biogasreaktor
montiert ist.
Der übliche Gasdruck in diesem Behältersystem liegt bei 20–30 mbar. Kleinere Gasbe-
hälter bis ca. 300 m3 Speichervolumen können auch mit einer geeigneten, reißfesten Spei-
chermembran ausgerüstet werden, sodass ein Betriebsdruck von bis zu 50 mbar möglich
wird. Da ein statischer Gasdruck von 20–30 mbar bei längeren Fließstrecken und zwischen-
geschalteten Behandlungseinrichtungen i. d. R. nicht ausreicht, um genügend Vordruck
zum Betrieb von Gasnutzungseinrichtungen wie BHKW-Anlagen sicherzustellen, benötigt
man bei diesem Speichersystem häufig auch zusätzliche Gasdruckerhöhungseinrichtun-
gen. Für den Betrieb einer Gasnotfackel ist ein Gasdruck von 20 mbar jedoch ausreichend.
Da die Sicherstellung des Gasdruckes bei den Doppelmembranspeichern von dem Be-
trieb eines Seitenkanalgebläses für die Beaufschlagung der Tragluft-Außenhülle abhängt
und somit von der ständigen Verfügbarkeit des Gebläses, ist an dieser Stelle über geeignete
Redundanzmaßnahmen und z. B. die Einbindung des Verdichters in das Notstromkonzept
einer Anlage nachzudenken. Bei kurzfristigem Ausfall des Stützgebläses wird der System-
druck für ca. 2 h durch ein Rückschlagventil zunächst aufrecht gehalten.
Wie auch bei allen anderen Speichersystemen erfolgt beim Doppelmembranspeicher
der Schutz gegen Überdruck durch eine geeignete hydraulische Drucksicherung. Bei einer
Aufstellung der hydraulischen Drucksicherung im Außenbereich ist diese durch eine Fül-
lung mit Frostschutzmitteln gegen Einfrieren zu sichern.
9.1.6 Gasaufbereitung
Faul- und Biogas enthält aufgrund der Qualität der Rohsubstrate und der gewählten Pro-
zesstechnik für die Biogaserzeugung verschiedene Komponenten, die Sammlung, Trans-
port und Verwertung des Gases beeinflussen können. Die wesentlichen Komponenten sind:
752 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
9.1.6.1 Schaumbekämpfung
Schaumpartikel können beim Austritt der Gasblasen aus der Schlammoberfläche mitgeris-
sen werden und den weiteren Betrieb von Faulgasanlagen erheblich stören. Eine Schaum-
bekämpfung und Entfernung sollte deshalb unmittelbar während oder nach dem Austritt
des Faulgases aus dem Biogasreaktor erfolgen. Dafür werden Sprühsysteme genutzt, die
durch Besprühung des Gases zum Beispiel im Gasdom am Faulbehälterkopf oder in einer
separaten sog. Schaumfalle, die in die Gasanfallleitung integriert ist, mit Betriebswasser
die Schaumpartikel niederschlagen und abführen.
Die Schaumdetektion erfolgt durch messtechnische Ausrüstungen, z. B. kapazitive
Schaumsonden oder Lichtschranken, die an geeigneter Stelle im Faulbehälterkopf oder in
der Gasanfallleitung angeordnet sind. Wird Schaum durch die Messeinrichtung erkannt,
erfolgt die Aktivierung der Sprüheinrichtung über Magnetventile für eine vorgegebene
Dauer bzw. bis zum Ende der Schaumerfassung.
Die Betriebswasserleitungen für die Sprühdüsen sind frostsicher zu verlegen, um die
Schaumbekämpfung auch bei starken Frostereignissen sicherzustellen. Bei der Anordnung
einer Schaumfalle in der Gasanfallleitung ist darauf zu achten, dass der Ablauf des ver-
schmutzen Spülwassers ausreichend dimensioniert ist und über eine dauerhafte hydrau-
lische Absicherung ein unkontrolliertes Entweichen von Biogas ausgeschlossen werden
kann.
Schaumbekämpfungsanlagen mit Sprühdüsen haben auch bei einer ausreichenden An-
zahl und Anordnung von Düsen eine begrenzte Wirkungskapazität. Massive Schaumer-
eignisse, die oft auch zum Überschäumen des Faulbehälters führen, können durch diese
Einrichtungen nicht bekämpft werden. Hierfür sind andere anlagentechnische und ver-
fahrenstechnische Maßnahmen zu ergreifen.
9.1.6.2 Kondensatentnahme
Faul- und Biogas ist aufgrund der prozesstechnischen Bedingungen im Biogasreaktor
i. d. R. wärmer als die Lufttemperatur außerhalb des Reaktors und vollständig wasserge-
sättigt. Die Abkühlung des Faulgases nach dem Austritt aus dem Reaktor führt unmittel-
bar zur Bildung von Kondensat in den Gas führenden Rohrleitungen. Ohne eine gezielte
Abführung und Entnahme des anfallenden Kondensates würde dies die Gasleitungen ganz
oder teilweise verschließen und z. B. zu Druckschwankungen im Gassystem mit Auslö-
9.1 Einrichtungen zur Nutzung und Verwertung von Faulgas
Abb. 9.2 Beispiel eines Fließschemas für eine Gasbehandlung und Gasverwertung auf einer Kläranlage. (OSWALD SCHULZE Umwelttechnik
GmbH)
753
754 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
sung von Überdrucksicherungen, Messfehlern bei der Gasmengenmessung und dem Aus-
fall von Gasverwertungsaggregaten führen.
Deshalb ist die gezielte Anordnung von Kondensat-Entnahmevorrichtungen im Gas-
leitungssystem notwendig (siehe Abb. 9.2). Diese werden an den Tiefpunkten des Gas-
leitungssystems so angeordnet, dass die jeweils zu- und abführenden Gasleitungen mit
einem ausreichenden Gefälle (min. 2,0 %) zu diesen Kondensat-Entnahmevorrichtungen
verlegt werden können. Übliche Tiefpunkte sind Schächte am Biogasreaktorfuß, vor dem
Gasspeicher oder vor Gasfackelanlagen. Je nach Lageplananordnung vom Biogasreaktor
und nachfolgenden Gasbehandlungs- und verwertungsanlagen und den sich daraus erge-
benden Leitungslängen müssen mehrere Kondensat-Entnahmestellen vorgesehen werden.
Zu beachten ist, dass auch bei vorgeschalteter Anordnung einer Kondensatentnahme
aufgrund der längeren Verweilzeit im Gasspeicher i. d. R. eine weitere Abkühlung stattfin-
det und Kondensat im Speicher ausfällt, das dann gezielt abgeführt werden muss. Weiter-
hin führt eine starke Verdichtung des Biogases, z. B. für die Gaseinpressung zur Reaktor-
umwälzung, trotz der
Temperaturerhöhung zu zusätzlichem Kondensatanfall, sodass auf der Druckseite die-
ser Aggregate ebenfalls eine Kondensatentnahme notwendig wird.
Als übliche Kondensat-Entnahmevorrichtungen werden Kondensat- oder Wassertöpfe
eingesetzt. In diesen, aufgrund der korrosiven Eigenschaften des Gases aus Edelstahl oder
PE bestehenden Behältern, sammelt sich das Kondensat aus den Gasleitungen, die im obe-
ren Bereich des Behälters angeordnet sind. Durch Tauchwände im Behälter oder Siphon-
verschlüsse im Ablauf des Behälters erfolgen der automatische Ablauf des Kondensats und
der hydraulische Verschluss gegen Gasaustritt, wobei die hydrostatische Absicherung auf
den Systemdruck im Gassystem angepasst werden muss. Häufig werden auch automatische
Schwimmerventile zur automatischen Kondensatentnahme als Behälterablauf eingesetzt.
Da Restverschmutzungen im Gas zu einer Fehlfunktion dieser Schwimmerventile führen
können, empfiehlt sich immer die zusätzliche Anordnung eines Siphon-Überlaufes.
Eine frostsichere Aufstellung der Kondensatbehälter ist selbstverständlich. Das im Be-
hälter gesammelte oder aus dem Behälter überlaufende Kondensat muss in allen Fällen
endgültig abgeführt werden. Da die Anordnung der Kondensattöpfe an den Tiefpunk-
ten der Leitungssysteme erfolgt, kann ein Ablauf im Freigefälle i. d. R. nicht erfolgen und
es müssen geeignete Einrichtungen zum automatischen oder manuellen Abpumpen des
Kondensates installiert werden. Der Füllstand im Kondensatbehälter kann bei Bedarf auch
messtechnisch durch Füllstandssonden überwacht werden.
Es ist weiterhin sinnvoll, an verschiedenen Stellen des Gasleitungssystems einfache U-
Stücke mit einem kleinen Ablaufstutzen und Kugelhahnverschluss am Scheitelpunkt des
U-Stücks einzusetzen, um Kondensat entfernen zu können.
9.1.6.3 Partikelentfernung
Zum Schutz von Gasverwertungsanlagen wie Heizkesselbrennern und Gasmotoren sollten
zusätzliche Einrichtungen zur Partikelentfernung als Grob- und Feinreinigung eingesetzt
werden.
9.1 Einrichtungen zur Nutzung und Verwertung von Faulgas 755
Eine Grobreinigung erfolgt üblicherweise durch sog. Kiestöpfe, das sind Durchflussbe-
hälter mit einer Füllung aus Kies oder ähnlichen Grobfiltermaterialien im Körnungsbe-
reich 16 bis 32 mm. Die Kiesschüttung liegt auf einem Lochblechboden im Behälter und
wird von unten nach oben vom Gas durchströmt. Bei einer optimalen Durchströmungs-
geschwindigkeit von ca. 0,3 m/s ergibt sich an der Oberfläche der Füllkörper eine Parti-
kelabscheidung und gleichzeitig auch eine Kondensatabscheidung. Ausreichend zugängli-
che Öffnungen zur Entnahme von verunreinigtem Filtermaterial und Spülanschlüsse zur
Reinigung des Filtermaterials sind vorzusehen (DWA 2010–2012). Die Kondensat- und
auch Spülwasserentnahme erfolgt analog wie bei den Kondensattöpfen. Grobfilter werden
sinnvollerweise in der Gasanfallleitung vor dem Gasspeicher angeordnet.
Eine zusätzliche Feinfilterung des Gases ist sinnvoll, wobei diese Filter i. d. R. unmit-
telbar vor Gasverdichtern oder Gasnutzungsaggregaten angeordnet werden. Die Feinfil-
terung erfolgt z. B. durch den Einsatz von keramischen Filterkerzen oder Kunststofffil-
terkerzen im Filterbehälter mit einer Gasdurchflussrichtung durch die Filterkerzen von
außen nach innen. Die Filterkerzen können dabei von innen nach außen mittels Wasser-
spülung gereinigt werden. Die Kondensatentnahme erfolgt analog zu den Grobfiltern und
Kondensattöpfen am Behälterboden. Bei kleineren Biogaserzeugungsanlagen bis zu einem
Gasanfall von ca. 200 m3/h kann auch eine Kombination aus Grob- und Feinfilter in einem
Behälter wirtschaftlich eingesetzt werden.
Kleine Papier- oder Vliesfilter werden als zusätzliche Sicherheitseinrichtung zur Ab-
trennung von Staub in Gasregelstrecken vor den Gasverbrennungsanlagen eingesetzt und
müssen von Kondensat freigehalten werden.
Durch die Partikelfilterung, insbesondere die Feinfilterung entstehen Druckverluste im
Gasleitungssystem, die bei der Dimensionierung des Gassystems zu berücksichtigen sind.
Durch Manometeranzeigen am Gasein- und austritt wird der Durchflusswiderstand des
Filters kontrolliert und mögliche Verstopfungen werden angezeigt.
9.1.6.4 Gastrocknung
Eine Trocknung des Biogases ist möglich, um Feuchtigkeitsanteile, die durch die normale
Kondensatentnahme nicht abgeschieden werden können zu entfernen. Durch die zusätz-
liche, trocknungsbedingte Kondensatentfernung wird die Korrosivität des Biogases durch
schwefelsaure Verbindungen reduziert und verbessert so die weitere Nutzung des Gases.
Weiterhin ermöglicht die Trocknung bereits eine sehr weitgehende Ausschleusung kon-
densierbarer Siloxanverbindungen, die zu weiteren Problemen bei der Gasverbrennung
in Gasmotoren oder Gasturbinen führen würden. Allerdings kann mit den für Biogas üb-
lichen Trocknungsverfahren über eine Gaskühlung auf eine Temperatur von 3 bis 8 °C eine
gesicherte Siloxanentfernung mit Restgaskonzentrationen < 5 mg/m3 nicht erzielt werden.
Für eine weitergehende Siloxanentfernung über Adsorption an Aktivkohle (s. u.) ist die
Trocknung jedoch die notwendige Vorstufe.
Die technisch einfachste Variante der Gastrocknung wird über eine Gaskühlung er-
reicht. Dabei wird das Biogas über einen Wärmetauscher i. d. R. auf Temperaturen < 5 °C
gekühlt. Die Kühlungstemperatur wird über ein Kälteaggregat mit Kältemittel, ähnlich
756 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
wie ein Klimagerät, das im Gegenstrom zum Gasdurchfluss geführt wird erreicht. Durch
die Taupunktunterschreitung bei der Abkühlung des Gases fällt Kondensat an, das über
geeignete Kondensatabscheide-Vorrichtungen wie Schwimmerschalter und Siphonvor-
lagen abgeschieden wird. Erfolgt die Aufstellung des Kühlungswärmetauschers in einem
geschlossenen Raum, ist zu empfehlen, das Kühlaggregat außerhalb dieses Raumes im
freien abzuordnen, da diese Aggregate üblicherweise keine Ex-Zulassung haben, die für
die Aufstellung in einem Raum mit Ex-Zonen Definition notwendig wäre. Nach der Küh-
lungstrocknung wird das Biogas durch einen zweiten Wärmetauscher wieder erwärmt. Die
Wärme für diesen Wärmetauscher wird i. d. R. durch ein Warmwassersystem der Hei-
zungsanlage gedeckt, die mit der thermischen Energie aus der Gasverbrennung gespeist
wird. Bei aufwendigeren Kühlungsanlagen kann der Kühlungswärmetauscher mit einem
Vorkühler, bei dem ankommendes warmes Biogas und abgehendes kaltes Biogas anein-
ander vorbei geführt werden kombiniert werden. Aufgrund der verringerten Feuchtigkeit
des Gases ist nach der Trocknung die Taupunkttemperatur soweit abgesenkt, dass es in den
folgenden Prozessstufen zu keiner Kondensatbildung mehr kommt.
Bei besonderen Anforderungen an das Biogas wie z. B. bei der Einspeisung in ein
übergeordnetes Gasnetz oder bei der Aufbereitung zu Erdgasqualität reicht die oben be-
schriebene Trocknung nicht aus und es muss eine Trocknung z. B. über ein adsorptives
Trocknungsverfahren vorgesehen werden. Dabei wird das feuchte Gas über ein Festbett
mit einem Trocknungsmittel geführt. Die Wassermoleküle im Gas adsorbieren an dem
Trocknungsmittel. Sobald das Trockenmittel in dem Festbettreaktor mit Wasser gesät-
tigt ist, erfolgt die Regeneration des Trockenmittels über ein trockenes, erhitztes Rege-
nerationsgas. Dieses Regenerationsgas wird nach der Beladung mit Wasser über einen
Rückkühlwärmetauscher zur Kondensatabscheidung geführt, danach erneut erhitzt und
wieder in den Regenerationskreislauf gegeben. Eine adsorptive Trocknungsanlage besteht
aus zwei oder mehreren Trocknungsfiltern, die jeweils wechselseitig mit feuchtem Gas/Re-
generationsgas beaufschlagt und beladen bzw. regeneriert werden. Mit diesem Verfahren
können Taupunkte von bis zu − 80 °C und Restwassergehalte von 0,0043 mg/m3 erreicht
werden (Siloxa 2011).
Weitere Trocknungsverfahren sind die Tiefkühlung des Gases für hohe Trocknungsgra-
de und Gaswasch-Trocknungsanlagen.
9.1.6.5 Gasentschwefelung
Biogas und Faulgas können Schwefelwasserstoff (H2S) in einer Konzentration von mehre-
ren Tausend ppm aufweisen, je nach Prozessführung und Konzentration an Sulfaten und
anderen reduzierbaren Schwefelverbindungen im Abwasser bzw. im Rohsubstrat. Erhöhte
H2S Konzentrationen im Biogas führen zu folgenden Problemen:
• Im Gaskondensat bilden sich korrosive Säuren, die die Gas führenden Bauteile angrei-
fen.
• Bei der Verbrennung entstehen säurehaltige Verbindungen, die die Standzeiten des
Schmieröls von Gasmotoren verringern; Schwefelablagerungen verringern ebenfalls die
Standzeit der Zündkerzen.
9.1 Einrichtungen zur Nutzung und Verwertung von Faulgas 757
Chemisch/physikalische Gasentschwefelung
Bei der Reaktion von Schwermetallen mit Schwefelwasserstoff in der flüssigen Phase bil-
den sich schwer lösliche Metallsulfide z. B. nach der Reaktionsgleichung:
Me(OH)2 + H 2S → MeS + 2H 2 O
Eine Regeneration der Reinigungsmasse mit Luft ist in begrenztem Maße nach der folgen-
den Reaktionsgleichung möglich:
Biologische Entschwefelung
Bei der biologischen Entschwefelung wird durch Schwefel oxidierende Bakterien Schwe-
felwasserstoff zu elementarem Schwefel bzw. zu schwefeliger Säure z. B. nach folgendem
Reaktionsprinzip oxidiert:
2H 2S + O 2 → 2S + H 2 O
2H 2S + 3O 2 → 2H 2SO3
Für die Reaktion ist die Zugabe von Sauerstoff notwendig. Dies kann auf einfache Weise
durch direkte Zugabe von Luftsauerstoff in den Biogasreaktor erfolgen. Zur Vermeidung
zündfähiger Gemische ist die Luftzufuhr begrenzt auf etwa 2–3 % des Gasvolumens. Die
9.1 Einrichtungen zur Nutzung und Verwertung von Faulgas 759
Zugabe ist zu überwachen. Damit ergibt sich auch eine Grenze der möglichen H2S Ent-
fernung. Weiterhin ist zu beachten, dass im Reaktor ausreichende Siedlungsflächen für
die Schwefeloxidierer vorhanden sein müssen, wozu üblicherweise die Reaktorwände im
Gasraum des Reaktors dienen.
Bei der biologischen Entschwefelung in einem separaten Rieselbettreaktor oder Bio-
gaswäscher erfolgen ebenfalls unter Luftzugabe die gleichen Prozesse durch Schwefel oxi-
dierende Bakterien. Als Aufwuchsfläche für die Bakterien dienen die im Entschwefelungs-
reaktor vorhandenen Füllkörper, auf denen sich ein entsprechender Biofilm ausbildet. Das
zu reinigende Biogas durchströmt den Filter von unten nach oben, wobei H2S im Biofilm
absorbiert und für die Bakterien verfügbar wird. Eine Spülflüssigkeit, die einerseits die
Mikroorganismen mit Nährstoffen versorgt und andererseits den gebildeten elementaren
Schwefel aus der Kolonne spült, wird im Kreislauf über einen Vorlagebehälter gepumpt.
Als Spülflüssigkeit bzw. Nährstoffflüssigkeit kann z. B. filtrierter Klärschlamm oder Gär-
rest aus dem Biogasreaktor eingesetzt werden. Aus der Kreislaufleitung muss regelmäßig
Flüssigkeit abgezogen werden, um Schwefel aus dem System auszuschleusen. Die erreich-
baren Restgehalte an Schwefelwasserstoff liegen bei ca. 50 bis 200 ppm. Das Verfahren
ist deshalb zur Grobentschwefelung geeignet. Einstraßige Anlagen erreichen einen Gas-
durchsatz von ca. 500 m3/h (Muche 1998).
Bei der Auslegung der Aktivkohlefiltrationsanlage sollte nicht nur der H2S-Gehalt im
Rohgas berücksichtigt werden, sondern auch der Gehalt an potenziellen Störstoffen wie
Kohlenwasserstoffen, Merkaptane etc., die in Konkurrenz zur H2S adsorbiert werden bzw.
mit dem Imprägnierungsmittel reagieren. Da ein Aktivkohlefilter bei Erreichen der physi-
kalischen Beladungskapazität spontan seine Adsorptionsleistung verliert, wird empfohlen,
Aktivkohlefilter immer als Doppelanlage mit zwei in Reihe geschalteten Filtertöpfen aus-
zuführen. Dies erhöht die Durchbruchsicherheit. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, die
Reingasqualität messtechnisch zu überwachen.
Laugenwäsche
Ein mögliches Entschwefelungsverfahren für hohe H2S Konzentrationen ist die Laugen-
wäsche, bei der das Gas in einer Füllkörperwaschkolonne im Gegenstrom zu einer mit
Natronlauge angereicherten Waschflüssigkeit geführt wird. H2S reagiert mit Natronlauge
zu schwer löslichem Natriumsulfid bzw. Natriumsulfat, das dann aus der Waschflüssigkeit
ausgeschleust werden muss.
9.1.6.6 Siloxan-Entfernung
Als Siloxane bezeichnet man synthetische, organische Siliziumverbindungen, die in
kommunales Abwasser über den Gebrauch von z. B. Kosmetika, Körperpflegemittel und
Waschmittel eingetragen werden. Auch in organischen Abfällen sind Siloxane je nach Her-
kunft der Abfälle enthalten. Weiterhin enthalten verschiedene Entschäumungsmittel oder
andere Hilfsstoffe, die bei der Abwasserreinigung oder in Vergärungsanlagen eingesetzt
werden, diese Siliziumverbindungen. Die im Biogas enthaltenen Siloxane bilden bei der
Verbrennung sehr harte, kristalline Ablagerungen, die z. B. in Heizkesseln den Wärme-
übergang verschlechtern können oder aber insbesondere in Gasmotoren zu verstärktem
Verschleiß und zu Schäden an Kolben, Zylindern und Ventilen führen. Für den Betrieb
von Gasottomotoren wird deshalb von den Motorenherstellern ein Siliziumgehalt von
< 2 mg/m3NCH4 (MAN 2010) bzw. bei Motoren mit Oxidationskatalysator sogar < 1 µg/
m3N gefordert (2g Energietechnik 2011).
Aufgrund dieser hohen Anforderungen bei der Gasverwertung müssen entsprechende
Reinigungsverfahren installiert werden. Zur Siloxanentfernung können folgende Verfah-
ren eingesetzt werden:
Gastrocknung
Kondensierbare Siloxanverbindungen können bereits über eine ausreichende Gastrock-
nung (s. o.) als Nebeneffekt über das Kondensat aus dem Gasstrom entfernt werden. Rein-
gaskonzentrationen < 5 mg/m3N lassen sich durch eine Trocknung jedoch i. d. R. nicht
erreichen. Allerdings ist auch hier die Kombination einer vorgeschalteten Trocknung
(Kühlung) mit der nachgeschalteten Aktivkohlefiltration sinnvoll, um die Aktivkohle zu
entlasten und längere Standzeiten zu realisieren.
762 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
Aktivkohleadsorption
Ähnlich wie bei der Entschwefelung über Aktivkohle werden Siloxane an den Aktivkohle-
poren adsorbiert. Üblicherweise werden zur reinen Siloxanentfernung nicht imprägnierte
Standardkohlen eingesetzt, die wiederum thermisch regenerierbar sind. Zu beachten ist,
dass die Siloxanadsorption je nach dem verwendeten Aktivkohletyp mehr oder weniger
in Konkurrenz zur H2S Adsorption steht. Ein Kohletyp, der selektiv nur einen Schadstoff
adsorbiert, ist wirtschaftlich nicht verfügbar, jedoch gibt es imprägnierte Aktivkohlen, die
besonders für die Entschwefelung geeignet sind. Deshalb kann es sinnvoll sein, bei einer
Doppelfilteranlage mit zwei in Reihe geschalteten Filtertöpfen den ersten Filter mit Kohle
zur Entschwefelung zu füllen und den zweiten Filter mit Kohle zur Siloxanentfernung.
Dadurch wird allerdings das Prinzip der Verringerung der Durchbruchsicherheit bezogen
auf den jeweiligen Schadstoff verletzt.
Für die Siloxanentfernung mittels Aktivkohleadsorption gelten die gleichen Hinweise
bezüglich Feuchtigkeitsentfernung wie für die Entschwefelung.
Ölwäsche
Siloxanverbindungen haben eine hohe Löslichkeit in flüssigen Kohlenwasserstoffen. Des-
halb kann eine Siloxanentfernung auch über eine Waschköperkolonne, in der das Gas im
Gegenstrom zu einem ölhaltigen Medium (z. B. Heizöl) geführt wird, erfolgen. Aus der
beladenen Waschflüssigkeit können die Siloxane unter Vakuum und geringer Aufheizung
desorbiert werden (Rossol et al. 2003).
Über-/Unterdrucksicherungen
Um Schäden an Faulbehältern, Biogasreaktoren oder im zugehörigen Gasleitungssystem
zu verhindern, müssen geeignete Drucksicherungen eingebaut werden, die bei Über- bzw.
Unterschreitung des kritischen Drucks automatisch eine Entlastung bringen. Bei Über-
druck sollte zunächst die Überdrucksicherung am Gasbehälter, danach am Faulbehälter
und erst bei noch höherem Druck, die Sicherungen an z. B. Kondensattöpfen, Schaumfalle
oder Gasfiltern anspringen (siehe Abb. 9.3). Bei der Dimensionierung der Drucksicherun-
gen ist aber zu beachten, dass diese nicht zu früh auslösen und dadurch den Regelbetrieb
stören. Bei einem Gassystem mit einem Niederdruckgasspeicher, ausgelegt für einen sta-
tischen Überdruck von 30 mbar im Gasbehälter, kann der Betriebsdruck am Faulbehälter
aufgrund der Druckverluste in der Fließstrecke z. B. bereits 40 mbar betragen. Entspre-
chend sollte die Überdrucksicherung am Faulbehälter erst mit einem ausreichenden Ab-
stand bei mindestens 55 mbar ansprechen.
764 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
Für die Drucksicherung, speziell gegen Unterdruck, muss auch die statische Belastbar-
keit der Behälter und Rohrleitungssysteme berücksichtigt werden. So sind beispielsweise
Betonbehälter i. d. R. für höhere Unterdrücke bemessen als Stahlbehälter. Stahlbehälter
in Segmentplattenbauweise müssen z. B. für Unterdruckbelastungen > 5 mbar abgesichert
werden, um dauerhafte Schäden zu vermeiden. Die richtige Anordnung, Auslegung und
Abstimmung der Drucksicherungseinrichtungen ist Bestandteil der fachtechnischen Pla-
nung von Gassystemen.
Die übliche Drucksicherung in Gassystemen erfolgt über hydraulische Sicherungsein-
richtungen, bei denen eine ausreichend dimensionierte Wassersäule als Sperrflüssigkeit
den Druckverschluss sicherstellt. Bei Überschreitung (oder Unterschreitung) der Druck-
höhe der Wassersäule wird diese verdrängt und entlastet das System. Einfache Drucksiche-
rungen sind z. B. Siphonschleifen in Rohrleitungssystemen.
Aufwendigere hydraulische Über- bzw. Unterdrucksicherungen werden als sog. Wasser-
tassen für Faulbehälter am Faulbehälterkopf eingesetzt. In einem teilweise geschlossenen
Behälter mit Gasein- und Austrittsöffnung wird über eine Tauchkonstruktion eine Was-
servorlage eingestellt, die bei Überschreitung oder Unterschreitung des kritischen Drucks
verdrängt wird. Überlaufvorrichtungen sollen die Überfüllung der Wassertasse vermeiden
und die Einstellung des korrekten Ansprechdrucks sicherstellen. Aufwendige Drucksiche-
rungseinrichtungen sind so konstruiert, dass nach dem Ansprechen eines Über-/Unter-
druckereignisses mit Verdrängung der Sperrflüssigkeit diese selbstständig wieder zurück-
läuft und die Funktion wieder herstellt. Zu Kontrolle dieser Drucksicherungseinrichtung
wird jedoch empfohlen, eine automatische Höhenstandsonde in die Wasservorlage zu in-
stallieren. Wasservorlagen sind zusätzlich regelmäßig manuell zu kontrollieren. Je nach
Anordnung der hydraulischen Drucksicherungseinrichtung ist eine Frostschutzmischung
als Sperrflüssigkeit einzufüllen.
Alternativ zu den hydraulischen Sicherungsvorrichtungen gibt es Über- und Unter-
druckventile, bei denen federbelastete Membranen oder Klappenvorrichtungen die
Drucksicherung ermöglichen. Die Dimensionierung der Entlastungsöffnungen muss in
jedem Fall ausreichend sein, um ohne wesentliche zusätzliche Druckverluste die Druck-
entlastung sicherzustellen.
Flammenrückschlagsicherungen
Flammendurchschlagsicherungenen (gebräuchlich: Flammenrückschlagsicherungen) si-
chern im Havariefall davor, dass zurückschlagende Flammen von z. B. Gasbrennern, Gasfa-
ckeln oder sonstigen Gasverbrennungseinrichtungen in die davor liegenden Rohrleitungen
oder weiteren Einrichtungen gelangen. Üblicherweise sollten Gasleitungen vor jeder Gas-
verbrauchseinrichtung bzw. vor jeder potenziellen Zündvorrichtung mit einer Flammen-
rückschlagsicherung ausgestattet werden.
Flammenrückschlagsicherungen werden gemäß DIN EN 12874 (neu: DIN EN ISO
16852) klassifiziert als
• Deflagrationssicherung,
• Detonationssicherung,
• Dauerbrandsicherung.
9.1 Einrichtungen zur Nutzung und Verwertung von Faulgas 765
Gasmengenmessung
Die Erfassung und Aufzeichnung der Gasvolumenströme einer Biogasanlage ist sowohl
für die Prozesskontrolle als auch für die Bilanzierung zur Bestimmung der Effizienz der
Anlage von Bedeutung. Folgende Punkte beeinträchtigen die Genauigkeit der Gasmen-
genmessung von Biogasen:
Gas ist ein kompressibles Medium, dessen Dichte vom Druck und der Temperatur ab-
hängt. Volumenstrom qv (z. B. in m3/h) und Massenstrom qm (z. B. in kg/h) des Gases sind
über die Beziehung:
qm = qv ⋅ ρ
mit
Bei einer Temperatur des Biogases von 35 °C und einem Überdruck von ca. 30 mbar wird
demnach unter Betriebsbedingungen ein ca. 9 % höherer Volumenstrom gemessen als
unter Normbedingungen.
Als wesentliche Messverfahren für Biogasmengen stehen heute folgende zur Verfügung:
• Wirkdruckverfahren, z. B. Blendenmessung
• Vortex-Messverfahren oder Wirbeldurchflussmessung
• Thermische Massenstrombestimmung
• Volumetrische Messverfahren, z. B. Turbinenradzähler
Die ersten drei genannten Messverfahren arbeiten ohne bewegliche Einbauten in der Gas-
leitung und setzen ein definiertes Strömungsprofil, das z. B. durch entsprechende Ein- und
Auslaufstrecken erzeugt wird, voraus. Volumetrische Messverfahren sind sehr empfindlich
gegen Verschmutzungen und Korrosion und werden deshalb eher selten bei Biogas ein-
gesetzt (DWA 2003).
Die Messungen werden i. d. R. werksseitig vom Hersteller auf die Randbedingungen wie
Gaszusammensetzung, Volumenstrom-Messbereich, Temperatur und Druck eingestellt.
Wesentliche Abweichungen zu den kalibrierten Randbedingungen führen zu entsprechen-
den Messfehlern. Auch die Einbaulage sollte vor der werkseitigen Kalibrierung genau fest-
gelegt werden. Kondensatbildung an den Messsensoren, z. B. bei der Vortex-Messung oder
bei der thermischen Massenstrommessung muss vermieden werden, ansonsten können
große Messwertschwankungen auftreten. Eine Gasmengenmessung sollte deshalb mög-
lichst nach einer definierten Kondensatabscheidung erfolgen und der Messfühler sollte bei
waagerechter Einbaulage möglichst seitlich in der Rohrleitung platziert werden.
9.1.7 Gasverwertung
9.1.7.1 Allgemeines
Die effektive Nutzung der bei der Schlammfaulung, anaeroben Abwasserreinigung oder
Vergärung von organischen Substraten anfallenden Biogasmengen hat entscheidenden
Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit des Gesamtverfahrens. Grundsätzlich kann die Gasver-
wertung mit folgenden Zielsetzungen erfolgen:
Aufgrund der aktuellen Gesetzgebung in Deutschland mit dem Gesetz für den Vorrang
Erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG) und den zugehörigen Ver-
ordnungen und Subventionsregelungen hat die Erzeugung elektrischer Energie aus Biogas
i. d. R. den höchsten Stellenwert. Dabei muss jedoch jeweils anlagenabhängig berücksich-
tigt werden, dass für die Faulungs- und Vergärungsprozesse auch Wärmeenergie zur Op-
timierung der Biogasausbeute bzw. zum Betrieb einer effizienten Biogaserzeugungsanlage
benötigt wird.
9.1.7.2 W ärmebedarf
Anaerobe Vergärungsanlagen werden üblicherweise im mesophilen Temperaturbereich
(33–37 °C) oder thermophilen Temperaturbereich (50–60 °C) betrieben. Da das zur Ver-
fügung stehende organische Rohsubstrat nur in wenigen industriellen Anwendungsfällen
bereits mit der notwendigen Temperatur anfällt und weiterhin auch prozessbedingte Wär-
meverluste zu berücksichtigen sind, muss Wärmeenergie zur Verfügung gestellt werden,
um das Rohsubstrat oder den Inhalt des Anaerobreaktors auf die notwendige Temperatur
aufzuheizen.
Der Wärmebedarf ergibt sich aus der Menge, der Ausgangstemperatur und der spezi-
fischen Wärmekapazität des Rohsubstrates sowie der Wärmeverluste (Abstrahlverluste)
der Biogasanlage. Für das Rohsubstrat wird vereinfachend die spezifische Wärmekapazität
von Wasser angenommen.
Aus diesem Beispiel lässt sich erkennen, dass für eine Schlammfaulungsanlage je nach
Größe ca. 70 bis 75 % des maximalen Wärmebedarfs (Wintertemperaturen) für die Auf-
heizung des Rohschlammes benötigt werden. Stellt man für dieses Beispiel das mögliche
Wärmeangebot gegenüber, ergibt sich folgende Rechnung:
Primärenergieproduktion
9.1.7.3 Gasfackelanlagen
Gasfackelanlagen dienen zur schadlosen Verbrennung von Biogas oder Klärgas, wenn eine
Verwertung mit einem anderen Verfahren nicht zur Verfügung steht (z. B. Betriebsstörun-
9.1 Einrichtungen zur Nutzung und Verwertung von Faulgas 769
gen oder Wartungsarbeiten) oder z. B. bei sehr kleinen Faulungsanlagen nicht sinnvoll ist.
Fackelanlagen sollten nur als Noteinrichtungen konzipiert werden und der energetischen
Verwertung des Biogases sollte absoluter Vorrang gegeben werden. Grundsätzlich sollte
aber jede Biogasanlage mit einer Notfackel ausgerüstet werden.
Die Fackelanlage ist für einen kurzfristigen, maximalen Gasanfall zu dimensionieren.
Je nach Betrieb der Anaerobanlage, z. B. mit Intervallbeschickung kann die Dimensionie-
rungsgröße den 1,3- bis 1,8-fachen Wert des mittleren stündlichen Gasanfalls betragen.
Üblicherweise werden sog. geschlossene Gasfackeln eingesetzt, bei denen der Flam-
menkörper durch eine Blechverkleidung ummantelt ist. Aufgrund der Flammentempera-
turen von mindestens 850 °C ist für das Flammenschutzrohr ein entsprechend geeigneter
Werkstoff zu verwenden. Bei Fackeln mit offenen Flammen ohne Flammenschutzrohr und
unzureichender Flammenführung besteht die Gefahr, dass z. B. durch Windeinfluss die
Flamme zum Fackelfuß zurückschlagen kann und somit Personen gefährdet werden kön-
nen.
Die Standardausrüstung einer Gasfackel umfasst folgende Einzelteile:
9.1.7.4 Heizkesselanlagen
Die Verbrennung von Biogas in einem Heizkessel stellt die einfachste Form der energeti-
schen Nutzung des Biogases dar. Bei der Installation der Heizkesselanlage ist zu berück-
sichtigen, dass ein für das Biogas geeigneter Brenner gewählt wird. Üblich ist der Ein-
satz eines sog. Zweistoffbrenners, der neben Biogas auch Erdgas, Propangas oder Heizöl
zum Betrieb des Heizkessels nutzen kann. Die Möglichkeit, Wärme aus der Verbrennung
einer sekundären Energiequelle zu erzeugen ist z. B. notwendig, wenn die Biogasanlage
in Betrieb zu nehmen ist und für die Aufheizung noch kein Biogas zur Verfügung steht,
770 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
9.1.7.5 BHKW-Anlagen
Als Blockheizkraftwerk-Anlagen werden Anlagen verstanden, die nach dem Prinzip der
Kraft-Wärme-Kopplung sowohl elektrische als auch thermische Energie erzeugen, s.
Abb. 9.4. Für die Nutzung von Biogas als Energiequelle sind dies Anlagen mit Gasmotoren
(Gas-Otto-Motoren oder Gas-Diesel-Motoren) oder Gasturbinen, bei denen der Motor-
oder die Turbine einen Generator antreibt.
Es lassen sich folgende Betriebsweisen von BHKW-Anlagen unterscheiden:
• Stromgeführte Betriebsweise:
Hierbei ist der Strom die Führungsgröße bei der Lastregelung des BHKW und es steht
eine jederzeit ausreichend große Senke zur Aufnahme der erzeugten Wärme zur Verfü-
gung. Bei zeitweilig besonders hohen Stromnetzauslastungen kann ein BHKW in Be-
trieb genommen werden, um den Einkauf von teuren Stromspitzen vom Vorlieferanten
zu vermeiden oder zu verringern. Das Stromlastprofil des EVU bestimmt in diesem
Fall allein den Einsatzzeitpunkt des BHKW, das Wärmenetz muss dann in der Lage
sein, die im BHKW erzeugte Wärme jederzeit aufzunehmen oder die Wärme muss
über eine Notkühlvorrichtung vernichtet werden. Im Allgemeinen wird durch diese
Art der Betriebsführung keine große BHKW-Auslastung erreicht. Die Wirtschaftlich-
keit des BHKW-Einsatzes resultiert allein aus Einsparungen durch die Optimierung des
Bezugsprofils beim Stromeinkauf oder auch durch Ausnutzen von Schwankungen des
Börsenpreises für Strom.
• Wärmegeführte Betriebsweise:
Hier folgt die BHKW-Anlage ausschließlich der Wärmeanforderung durch die an-
geschlossenen Verbraucher. Bei der Beheizung von Faulbehältern ist beispielsweise
9.1 Einrichtungen zur Nutzung und Verwertung von Faulgas 771
verbrannt. Die heißen Verbrennungsgase werden in der Turbine entspannt und treiben
so Verdichter und Generator an. Nachdem die Abgase einen Teil ihrer Wärmeenergie im
Rekuperator abgegeben haben, verlassen sie die Turbine in Richtung Abgaswärmetau-
scher bzw. Kamin. Der Rekuperator nutzt die Wärmeenergie aus den Turbinenabgasen
und wärmt damit die Verdichteraustrittsluft auf, bevor diese in die Brennkammer gelangt.
Dadurch vermindert sich der benötigte Brennstoffeinsatz und es können höhere elektri-
sche Wirkungsgrade erzielt werden (VTA 2011).
Mit dieser Art von Gasturbine können für Biogas elektrische Wirkungsgrade von 26 bis
33 % erreicht werden. Der Generator ist direkt auf der Welle der Turbine ohne Zwischen-
schaltung eines mechanischen Getriebes angeordnet. Die Leistungsregelung erfolgt über
die Drehzahl des Getriebes. Dies bedingt, dass das Mikro-Turbinen-BHKW im Teillast-
bereich nur einen geringen Wirkungsgradverlust aufweist. Im Vergleich zu den markt-
üblichen Gasmotoren-BHKWs sind die elektrischen Wirkungsgrade bezogen auf Volllast
jedoch noch 5 bis 10 % geringer.
Ein Vorteil der Mikro-Gasturbinen ist, dass durch die wartungsfreien Luftlager auf den
Einsatz von Schmierstoffen vollständig verzichtet werden kann. Dies hat auch zur Folge,
dass Mikro-Turbinen einen deutlich höheren Schwefelwasserstoffgehalt im Rohgas von bis
zu 2.000 ppm tolerieren können. Die Vorschaltung einer Aktivkohlefiltration zur Siloxan-
Entfernung aus dem Biogas ist jedoch zu empfehlen.
Weitere Vorteile der Mikro-Gasturbinen-BHKWs sind die kompakte Bauweise, geringe
Abgasemissionen, relativ geringe Schallemissionen und geringe Wartungskosten.
9.1.7.6 Brennstoffzellen
Brennstoffzellen stellen eine innovative Technik zur Erzeugung von elektrischer Ener-
gie, überwiegend mit Wasserstoff als Energieträger und einen hohen elektrischen Wir-
kungsgrad, dar. Über eine entsprechende Aufbereitung kann auch Biogas oder Klärgas
als Basis-Brennstoff für Brennstoffzellen genutzt werden. Zunächst müssen über die be-
kannten Gasreinigungsverfahren wie Kondensatabscheidung, Trocknung und sehr weitge-
hende Entschwefelung mit Aktivkohlefiltration potenzielle Störstoffe abgetrennt werden.
Anschließend muss das Gemisch aus Methan und CO2 in einem Reformer z. B. mittels
Dampfreformierung in Wasserstoff umgewandelt werden, wobei gleichzeitig Kohlenmon-
oxid entsteht. Der CO-Gasanteil muss dann über einen Konverter entfernt werden, sodass
das verbleibende Wasserstoffgas in einer Polymer-Brennstoffzelle zu elektrischer und ther-
mischer Energie umgesetzt werden kann. Durch die notwendige, sehr aufwendige Vorrei-
nigung des Biogases sinkt der Wirkungsgrad der Gesamtanlage deutlich. Die technische
Entwicklung auf dem Gebiet der Brennstoffzellentechnik muss noch abgewartet werden,
bis diese Technik auch für Biogasproduktionsanlagen sinnvoll großtechnisch eingesetzt
werden kann.
Tab. 9.4 Wesentliche Vergütungen für Strom aus Klärgas und Biogas gemäß EEG (2012) und
KWKG (2011)
EEG Vergütung Aufbereitungs-Bonus Degressiona KWK
(§ 26, 27) ( Anl. 1, EEG) (§ 20 EEG) Vergütung
Ct/kWh Ct/kWh %/a Ct/kWh
Leistung bis Klärgas 6,79 1,0–3,0d
1,5 5,11/2,10e
500 kW Biogas 12,3/14,3 b
2,0
(Biomasse)
Biogas 16,0 2,0
(Bioabfall)
Leistung bis Klärgas 5,89 1,0–3,0d 1,5 2,1/1,5f
5 MW Biogas 11.0 b
2,0
(Biomasse)
Biogas 14,0c 2,0
(Bioabfall)
a
ab 2013
b
Erhöhung möglich, abhängig von Einsatzstoffvergütungsklasse nach Biomasseverordnung
c
bis 20 MW
d
abhängig von der aufbereiteten Gasmenge
e
bis 50 kWel/2MWel
f
bis 2 MWel/über 2 MWel
Energie und Wärme sinnvoll, da die erzeugte Wärme unmittelbar im Prozess oder in peri-
pheren Anlagenteilen genutzt werden kann. Steht jedoch kein Abnehmer für die BHKW-
Abwärme zur Verfügung, muss diese mit energetischem Zusatzaufwand in Notkühlanla-
gen vernichtet werden. Es kann deshalb sinnvoll sein, das erzeugte Biogas als Biomethan
in ein Gasnetz einzuspeisen.
Biomethan muss einen Anteil von > 96 % an Methan enthalten. Störstoffe wie Schwefel-
wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Ammoniak, Kohlenwasserstoffe und Siloxane müssen
sehr weitgehend durch die bereits beschriebenen Gasreinigungsverfahren entfernt wer-
den. Der entscheidende Aufbereitungsschritt zur Erhöhung des Brennwertes ist die CO2-
Abscheidung. Hierzu stehen folgende grundsätzliche Verfahren zur Verfügung (Schulte-
Schulze Berndt 2008):
Die Wirtschaftlichkeit der Verwertung von Klärgas oder Biogas hängt heute neben den tat-
sächlich entstehenden Investitions- und unmittelbaren Betriebskosten einer Gasverwer-
tungsanlage ganz entscheidend von möglichen Subventionen oder Zusatzvergütungen ab,
die sich aus den aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen ergeben, s. Tab. 9.4. Wesent-
liche Bedeutung haben dabei die folgenden Gesetze bzw. Verordnungen:
Das EEG unterscheidet dabei deutlich zwischen „Klärgas“, d. h. Gas aus der anaeroben
Vergärung von Klärschlamm auf Kläranlagen und „Biogas“ als Gas aus der anaeroben Ver-
gärung von Biomasse. Weiterhin sind eine Vielzahl von Sonderregelungen zu beachten, die
Einfluss auf die Vergütungshöhe haben. Hierzu zählen für den weitverbreiteten Bereich
von Gasverwertungsanlagen bis 5 MW u. a.:
Unter Berücksichtigung der in der Studie genannten Randbedingungen für Kosten und
Erlöse kommt Kolisch (2011) zu dem Ergebnis, dass die Nutzung des Klärgases zur Eigen-
stromproduktion (Variante 2) die wirtschaftlichste Form der Energieverwertung für mit-
telgroße Kläranlagen darstellt.
Für einen solchen Variantenvergleich sind jedoch die Randbedingungen jeweils exakt
zu ermitteln und einer Sensibilitätsanalyse zu unterziehen. So basiert die Aussage von
Kolisch (2011) u. a. auf der Annahme, dass ca. 63 % des Strombedarfes und 100 % des
Wärmebedarfs der gewählten Kläranlagengröße durch die Verwertung in einer eigenen
BHKW-Anlage gedeckt werden können. Eine Erhöhung der Strombezugskosten würde
den Vorteil dieser Nutzungsvariante noch erhöhen, da für alle anderen Varianten 100 %
des elektrischen Energiebedarfs durch Zukauf gedeckt werden müssen und die Summe
der möglichen Erlöse für die Stromeinspeisung trotz der zahlreichen Subventionen immer
unter den Bezugskosten liegt. Eine deutliche Erhöhung der Vergütung für die Einspeisung
von aufbereitetem Klärgas ins Gasnetz könnte zwar rechnerisch zu einer Kostengleichheit
mit der Eigenstromproduktion führen, jedoch ist zu berücksichtigen, dass eine derartige
Vergütungssteigerung durch die Kopplung zwischen Gaspreisen und Strompreisen nur bei
gleichzeitiger Erhöhung der Strompreise denkbar wäre und somit der scheinbare Vorteil
wieder aufgehoben würde.
Bei den Nutzungsvarianten mit einer Gasaufbereitung zu „Bioerdgas“ sind die aktu-
ellen spezifischen Investitionskosten solcher Aufbereitungsanlagen für geringe Gasmen-
gen zu hoch, um wirtschaftlich mit einer Eigenstromproduktion konkurrieren zu können.
Wendt (2008) nennt hier eine Anlagen-Mindestgröße mit einem Gasanfall von 500 m3N/h
und einer thermischen Leistung von 2,5 MW bei spezifischen Investitionskosten von
400.000 EUR/MWth als Wirtschaftlichkeitsgrenze.
778 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
Frank Büßelberg
9.2.1 Gefährdungen/Sicherheitstechnische Kennwerte
Alle Hauptkomponenten von Faulgas sind sicherheitstechnisch relevant und haben unter-
schiedliche Gefährdungen zur Folge. Dabei unterscheidet sich Faulgas, also das aus der
anaeroben Stabilisierung von Klärschlamm aus der (kommunalen) Abwasserbehandlung
gewonnene Biogas1, nicht von anderen Biogasen, die z. B. bei ungezielten Prozessen in der
Kanalisation entstehen können oder aus landwirtschaftlichen Biogasanlagen. Die nach-
folgenden Gefährdungen und Schutzmaßnahmen sind also, mindestens sinngemäß, über-
tragbar.
Faulgas besteht im Wesentlichen aus Methan (CH4) und Kohlenstoffdioxid (CO2), wei-
tere Komponenten sind, in geringen Mengen, Schwefelwasserstoff (H2S) und Spurengase
wie Stickstoff (N2) und Siloxane. Die Spurengase können bei der Gefährdungsbeurteilung
allerdings vernachlässigt werden.
Neben den Komponenten von Faulgas ist auch das Ausbreitungsverhalten aus sicher-
heitstechnischer Sicht von Bedeutung. Zunächst ist festzuhalten, dass Faulgas sich als rea-
les Gas unter atmosphärischen, turbulenten Bedingungen nicht entmischt, obwohl grund-
sätzlich Methan leichter als Luft und Kohlenstoffdioxid schwerer als Luft ist. In einem
geschlossenen Raum findet man also nicht den Methananteil in Deckennähe und den
Kohlenstoffdioxidanteil am Boden wieder; das Ausbreitungsverhalten kann nur für das
Gasgemisch betrachtet werden.
Faulgas hat eine relative Dichte im Vergleich zu Luft von ca. 0,9 (Luft = 1), die abhängig
von der Zusammensetzung des Faulgases ist. Dieser Dichteunterschied zu Luft lässt keine
gesicherte Aussage über das Ausbreitungsverhalten zu, da weitere Einflüsse wie Tempera-
turunterschiede, Impulshaltigkeit oder Luftströmungen nicht zu vernachlässigenden Ein-
fluss auf die Ausbreitung einer Faulgaswolke haben. Für die Praxis bedeutet dies, dass sich
Faulgas in einem geschlossenen Raum in alle Bereiche ausbreiten kann.
Explosionsgefährdung Der Methananteil führt dazu, dass Faulgas zusammen mit dem
Sauerstoff der Luft gefährliche explosionsfähige Atmosphären bilden kann. Zur Bildung
dieser Atmosphären ist also immer die Anwesenheit von (Luft-)sauerstoff notwendig.2
Dieser Aspekt wird in der betrieblichen Praxis nicht immer ausreichend beachtet, wenn
z. B. das Innere eines Niederdruckgasbehälters (der Gasraum, nicht der Luftraum) als
explosionsgefährdeter Bereich eingestuft oder auf die technische Dichtheit der Faulgas
führenden Anlagenteile zu wenig Wert gelegt wird.
1
Die Definition entspricht den Vorgaben der DWA (2010).
2
Im weiteren Verlauf wird vereinfachend nur von Luft gesprochen. Der hier dargestellte Explosions-
schutz bezieht sich dabei ausschließlich auf atmosphärische Bedingungen; die Explosionsgefahr bei
Anwesenheit von reinem Sauerstoff erfordert eine gesonderte Beurteilung.
9.2 Sicherheitsaspekte beim Umgang mit Faulgas 779
Abb. 9.5 Explosionsgrenzen von trockenem Biogas bei bekanntem Methananteil. (Schröder und
Molnarne 2008)
Faulgas bildet, wie alle brennbaren Gase, nur innerhalb eines bestimmten Konzent-
rationsbereichs ein explosionsfähiges Gemisch mit Luft. Dieser Bereich wird durch die
untere (UEG) und obere Explosionsgrenze (OEG) beschrieben, also die Mindest- und
Höchstkonzentration an brennbarem Gas in Luft, bei denen eine Explosion gerade noch
stattfinden kann. In der Literatur und auch in betrieblichen Explosionsschutzdokumenten
werden dazu meist noch die Konzentrationsgrenzen von Methan mit ca. 4,4 Vol-% (UEG)
und 17 Vol-% (OEG) angegeben. Diese Explosionsgrenzen können bei Anwendung ge-
normter Bestimmungsverfahren aufgrund des definierten Gases (CH4) reproduziert wer-
den. Bei Faulgas handelt es sich jedoch wegen der variierenden Anteile an Methan und
Kohlenstoffdioxid nicht um ein definiertes Gas, das zudem mit Kohlenstoffdioxid ein In-
ertgas enthält. Inertgase können keine explosionsfähige Atmosphäre bilden und werden
daher auch teilweise als Explosionsschutzmaßnahme eingesetzt.
Die Explosionsgrenzen von Faulgas in Luft können nicht in einem Zwei-Stoff-System
(Methan/Luft) sondern nur in einem Drei-Stoff-System (Methan/Kohlenstoffdioxid/Luft)
bestimmt und angegeben werden. Die Angabe von Explosionsgrenzen muss daher in Ab-
hängigkeit des Methan- bzw- Kohlenstoffdioxidanteils im Gas erfolgen; Abb. 9.5 zeigt die-
sen Zusammenhang.
Auf Grundlage des dargestellten Zusammenhangs und mit Blick auf die in der betrieb-
lichen Praxis überwiegend vorkommenden Methangehalte im Biogas werden die Explo-
sionsgrenzen inzwischen mit 6 Vol-% (UEG) bis 22 Vol-% (OEG)3 angegeben. Abb. 9.5
zeigt jedoch, dass diese Grenzen sich nicht auf die gleiche Faulgaszusammensetzung be-
3
Diese Grenzen entsprechen den Angaben der Datenbank GisChem der BG Rohstoffe und Chemi-
sche Industrie (BG RCI), Stand November 2011.
780 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
ziehen. Bei einer UEG von 6 Vol-%, entspricht einem Methananteil am Faulgas von ca. 75
Vol-%, liegt die OEG bei ca. 19 Vol-%.
Die Voraussetzungen für eine Explosion sind aber nicht allein die Anwesenheit eines
brennbaren Stoffes und eines Oxidationsmittels (i. d. R. Luft) im richtigen Mengenverhält-
nis (Abb. 9.6); gleichzeitig muss eine wirksame Zündquelle vorhanden sein.
Neben den Explosionsgrenzen sind daher weitere sicherheitstechnische Kennwerte für
die Beurteilung der Explosionsgefahr sowie die Festlegung von Schutzmaßnahmen, insbe-
sondere die Auswahl geeigneter Betriebsmittel zum Einsatz in explosionsgefährdeten Be-
reichen, erforderlich. Diese sicherheitstechnischen Kennwerte sind die Explosionsgruppe
sowie die Temperaturklasse.
Die Explosionsgruppe richtet sich nach der stoffspezifischen Mindestzündenergie und
wird für Faulgas, analog zu Methan, mit II A angegeben. Auch für die Zündtemperatur,
also die niedrigste Temperatur einer heißen Oberfläche, die zur Zündung eines explo-
sionsfähigen Gemisches des entsprechenden Gases ausreicht, sind in der Literatur für
Faulgas unterschiedliche Angaben zu finden. Alle angegebenen Zündtemperaturen liegen
jedoch oberhalb von 595 °C 4 und damit oberhalb der Grenze für die Einteilung in die
Temperaturklasse T1. Die sicherheitstechnischen Kennwerte von Faulgas im Hinblick auf
die Explosionsgefahr sind in nachfolgender Übersicht zusammengefasst.
4
GisChem gibt eine Zündtemperatur von ca. 700 °C an.
9.2 Sicherheitsaspekte beim Umgang mit Faulgas 781
mehr gültig. Der Arbeitsplatzgrenzwert bezieht sich im Gegensatz zum MAK-Wert auf
eine durchschnittliche Arbeitsplatzkonzentration.
Kohlenstoffdioxid kann beim Einatmen in Abhängigkeit von der Höhe der Konzentra-
tion zu vorübergehenden, unspezifischen Beschwerden (Benommenheit, Kopfschmerzen,
Übelkeit) bis hin zur Erstickung führen. Der Arbeitsplatzgrenzwert beträgt 9.100 mg/m3
oder 5000 ml/m3 (ppm), als Überschreitungsfaktor (ÜF) ist 2 angegeben (BMAS 2006a).
Eine Konzentration von 0,5 Vol-% Kohlenstoffdioxid führt also nach arbeitsmedizinischen
Erkenntnissen auch bei dauerhafter Exposition nicht zu Gesundheitsschäden. Kurzzeitig
(≤ 15 min) darf der AGW überschritten werden, wobei das Produkt aus AGW und ÜF als
Kurzzeitwertkonzentration (0,5 Vol-% × 2 = 1,0 Vol-%) maßgebend ist.
Konzentrationen oberhalb von ca. 3 Vol-% führen zu deutlich spürbaren Körperreak-
tionen, ab einer Konzentration von ca. 5–8 Vol-% kann nach halbstündiger Exposition der
Tod durch Ersticken eintreten.
Der Arbeitsplatzgrenzwert von Schwefelwasserstoff beträgt 7,1 mg/m3 bzw. 5 ml/m3
(ppm), der Überschreitungsfaktor 2. Schwefelwasserstoff riecht nach faulen Eiern und ist
daher schon in sehr niedrigen Konzentrationen wahrnehmbar; die Geruchsschwelle liegt
deutlich unter 1 ppm. Es besteht aufgrund der Giftigkeit Lebensgefahr beim Einatmen;
Konzentrationen ab ca. 1.000 ppm wirken innerhalb weniger Minuten tödlich. Die Warn-
wirkung des charakteristischen Geruchs verliert bei höheren Konzentrationen ihre Be-
deutung, da Konzentrationen ab ca. 250 ppm die Geruchsrezeptoren auch bei kurzzeitiger
Exposition schädigen und nachfolgend nicht mehr wahrgenommen werden können.
Wichtigster Ansatz der technischen Schutzmaßnahmen beim Umgang mit Faulgas ist,
dass Faulgas und Luft immer sicher voneinander getrennt bleiben sollten. Dies bedeutet,
der Eintritt von Luft in das Faulgas führende Rohrleitungssystem sollte genauso vermieden
782 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
werden wie der Austritt von Faulgas in Räume oder die Atmosphäre. In allen Fällen, in
denen der Eintritt von Luft oder der Austritt von Faulgas nicht zu vermeiden ist, z. B. bei
Über-/Unterdrucksicherungen, sind ergänzende Schutzmaßnahmen erforderlich.
Die Rangfolge von Schutzmaßnahmen ist u. a. im Regelwerk zum Explosionsschutz be-
schrieben. Es sind danach immer Maßnahmen zur
zu treffen. Die Maßnahmen bauen aufeinander auf. Dies bedeutet, dass ein Risiko, das
mit Maßnahmen zur Vermeidung der Bildung einer gefährlichen explosionsfähigen At-
mosphäre nicht sicher begrenzt werden kann, weitere Maßnahmen zur Vermeidung der
Entzündung einer gefährlichen explosionsfähigen Atmosphäre und ggf. nachfolgend zur
Beschränkung der Auswirkungen erfordert.
Die Maßnahmen sind allgemein in den Technischen Regeln für Betriebssicherheit be-
schrieben.
An dieser Stelle wird auf eine allgemeine Beschreibung der Schutzmaßnahmen verzichtet;
es soll nur auf deren Umsetzung im Zusammenhang mit Faulgas eingegangen werden.
Auch wenn die Maßnahmen primär aus dem Explosionsschutz abgeleitet sind, bieten sie
gleichermaßen Schutz vor Gesundheitsgefährdungen.
Technische Dichtheit Faulgas führende Systeme müssen geeignet und auf Dauer tech-
nisch dicht bzw. technisch dicht sein. Dabei wird unterschieden, ob Systeme oder Kom-
ponenten durch zu erwartende Einwirkungen während des Betriebes Undichtigkeiten
aufweisen können (technisch dichte Systeme) oder zu erwartende Einwirkungen keinen
Einfluss auf die Dichtigkeit haben (auf Dauer technisch dichte Systeme). Wo das Merk-
mal ‚auf Dauer technisch dicht‘ durch konstruktive Vorgaben nicht erreicht werden kann,
9.2 Sicherheitsaspekte beim Umgang mit Faulgas 783
ist durch wiederkehrende Prüfung (vgl. 9.2.3) ein gleichwertiger Schutz sicherzustellen.
Rohrleitungen müssen den mechanischen, chemischen und thermischen Anforderungen
eines Faulgas führenden Systems genügen; infrage kommen grundsätzlich nicht rosten-
der Stahl oder, insbesondere in erdverlegten Abschnitten, Kunststoff (PE). Absperrorgane
müssen ebenfalls für den Einsatz in Faulgasleitungen geeignet sein; diese Eignung wird
meist mittels DVGW-Zulassung und Herstellererklärung nachgewiesen.
Besonderes Augenmerk gilt betriebsbedingten Austrittsstellen (z. B. Überdrucksi-
cherungen, Probenahmestellen) und Einrichtungen zur Ausschleusung von Kondensat.
Die Erfahrung zeigt, dass es an diesen Betriebspunkten immer wieder zum Austritt von
Faulgas kommt. Bei Überdrucksicherungen ist der Austritt funktionsbedingt und damit
nicht zu vermeiden, hier sind i. d. R. ergänzende Maßnahmen im Sinne einer Ausweisung
von Ex-Zonen getroffen. Mit der Wahl der Anlagentechnik kann aber auch bei Über-/
Unterdrucksicherungen ein unterschiedlicher Grad von Sicherheit erreicht werden. Am
weitesten verbreitet sind hydraulische Über-/Unterdrucksicherungen, oft als Wassertas-
sen bezeichnet. Bei diesen Sicherungen stellt sich über eine Wassersäule der Abblasedruck
ein. Häufige Fehler in der betrieblichen Praxis sind das Überfüllen (gemäß Betriebsanlei-
tungen der Hersteller dürfen die Wassertassen meist nur im drucklosen Zustand befüllt
werden) und die Nichtbeachtung eines durch den Hersteller vorgegebenen Mischungs-
verhältnisses von Wasser und Frostschutzmittel. (Die Dichte des Gemisches entscheidet
mit über den Abblasedruck.) Darüber hinaus erfüllen viele Wassertassen nicht sicher die
Forderung der europäischen Norm über Sicherheitstechnische Baugrundsätze für Klär-
anlagen (DIN 2001), der zufolge „Drucksicherheitseinrichtungen […] sich automatisch
wieder betriebsbereit schalten [müssen]“. Kommt es insbesondere in der Gashaube des
Faulbehälterkopfes zu einem Überdruck, z. B. aufgrund einer Verschlammung der abge-
henden Gasleitung, wird i. d. R. die gesamte Flüssigkeitsvorlage mit dem Gasstrom über
die Überdrucksicherung ausgetragen und das Gassystem ist dauerhaft offen gegenüber der
Atmosphäre. Das DWA Merkblatt DWA M 212 (DWA 2008) fordert daher eine Überwa-
chung der Flüssigkeitsvorlage. Die Forderung nach automatischer Wiederherstellung der
Betriebsbereitschaft erfüllen mechanische Über-/Unterdrucksicherungen, die mit Memb-
ran- oder Tellerventilen ausgestattet sind. Beim Einsatz dieser Bauweise ist auf die Eignung
für wasserdampfgesättigtes Faulgas zu achten.
Im Gegensatz zu hydraulischen Über-/Unterdrucksicherungen, bei denen Sperrflüssig-
keitsvorlagen bei unzulässigem Über-/Unterdruck verdrängt werden, sollen sie bei Kon-
densatabscheidern meist eine technische Dichtheit des Systems gewährleisten; ergänzende
Maßnahmen werden nicht immer getroffen. Einfache Sperrflüssigkeitsvorlagen werden
jedoch aufgrund der Gefahr der Verdunstung nicht ohne weitere Maßnahmen als sicherer
Verschluss des Faulgas führenden Systems betrachtet. Ursachen dafür sind neben der Ver-
dunstung auch das Einsaugen oder Ausblasen von Sperrflüssigkeitsvorlagen bei Druck-
schwankungen in Rohrleitungen. Ein sicherer Kondensataustrag kann durch den Einsatz
von geeigneten Kondensatschleusen erfolgen, wobei die Nutzung von Ventilen, die übli-
cherweise in Druckluftsystemen Verwendung finden, nicht als generell geeignet betrachtet
werden kann. Sperrflüssigkeitsvorlagen sollten grundsätzlich immer durch Messeinrich-
784 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
tungen überwacht werden, sofern nicht auf anderem Weg, z. B. durch ausreichende Höhe
und/oder geschlossene Systeme, das Versagen sicher verhindert wird.
Lüftung Alle Bereiche, in denen Faulgas führende Anlagenteile vorhanden sind, müssen
ausreichend gelüftet sein, damit sich bei Undichtigkeiten oder betriebsbedingten Austrit-
ten, z. B. an Probenahmestellen, keine gefährliche explosionsfähige Atmosphäre bilden
kann. Unterschieden wird zwischen natürlicher und technischer Lüftung. 5 Beide Lüf-
tungsarten müssen gewährleisten, dass austretendes Faulgas abgeführt bzw. verdünnt wird
und sich so keine gefahrdrohende Menge eines Faulgas-/Luft-Gemisches (g.e.A. – gefähr-
liche explosionsfähige Atmosphäre) bilden kann. Bei technisch dichten Faulgassystemen
ist eine natürliche Lüftung grundsätzlich ausreichend.
9.2.3 Organisatorische Schutzmaßnahmen
5
Die Anforderungen an natürliche und technische Lüftung sind in der TRBS 2152 Teil 2 beschrie-
ben. Nicht jede Lüftung mittels Ventilatoren entspricht z. B. den Anforderungen an eine technische
Lüftung im Sinne des Explosionsschutzes.
9.2 Sicherheitsaspekte beim Umgang mit Faulgas 785
dient vor allem der Auswahl geeigneter explosionsgeschützter Betriebsmittel, deren Zünd-
schutz an die jeweilige Ex-Zone angepasst sein muss.
Die Festlegung von Ex-Zonen ist immer nur unter Beachtung der jeweiligen Rahmen-
bedingungen des Einzelfalles möglich; eine pauschale und damit allgemeingültige Zuord-
nung von Ex-Zonen zu Anlagenteilen gibt es nicht. Als Hilfsmittel kann die Beispielsamm-
lung der von den Unfallversicherungsträgern herausgegebenen Explosionsschutzregeln
(DGUV) genutzt werden. Dort sind beispielhaft Schutzkonzepte dargestellt. So verbleibt
etwa bei ausreichender natürlicher Lüftung um die Austrittsöffnung einer Überdruckent-
lastung die Zone 1 in einem Meter Umkreis und Zone 2 in weiteren zwei Metern Umkreis.
Die Festlegung der Ex-Zonen gilt immer für den Normalbetrieb und geht deshalb von
wirksamen Maßnahmen zur Vermeidung von gefährlichen explosionsfähigen Atmosphä-
ren aus, die darüber hinaus vorrangig sind. Es ist also nicht nur aus sicherheitstechnischer
Sicht unsinnig, sondern auch unzulässig, die Anforderungen an z. B. technisch dichte
Faulgassysteme zu ignorieren und dafür großzügig Ex-Zonen auszuweisen.
Alle Prüfungen sind zu dokumentieren. Sie können in die Dokumentation der Prüfung vor
Inbetriebnahme nach § 14 BetrSichV bzw. Überprüfung von Arbeitsplätzen in explosions-
gefährdeten Bereichen gemäß Anhang 4 A.3.8 der BetrSichV einfließen.
Wiederkehrende Prüfungen sollen gewährleisten, dass ein bei der Errichtung erreichtes
Schutzniveau auf Dauer erhalten bleibt. Wenn z. B. die Einteilung explosionsgefährdeter
Bereiche darauf basiert, dass Rohrleitungen technisch dicht sind, muss diese technische
Dichtheit auch über die gesamte Betriebszeit erhalten bleiben. Dazu müssen die Systeme
entweder bauartbedingt ‚dauerhaft technisch dicht‘ sein, z. B. geschweißte Rohrleitungen,
oder regelmäßig wiederkehrend überprüft werden. Die wiederkehrende Prüfung stellt
dabei sicher, dass potenzielle, aufgrund von betriebsbedingten Einwirkungen auftretende
Undichtigkeiten frühzeitig erkannt werden. Folgender Mindestprüfumfang für wieder-
kehrende Prüfungen ergibt sich neben den im Rahmen der Betriebsüberwachung üblichen
Sicht- und Funktionskontrollen durch Betriebspersonal:
Besondere Anforderungen werden darüber hinaus an die Prüfung von Gasbehältern ge-
stellt.6 Fristen für wiederkehrende Prüfungen sind durch den Unternehmer festzulegen, es
hat sich jedoch mit Ausnahme der Dichtheitsprüfung (zweijährig) eine Jahresfrist etabliert.
Auch für wiederkehrende Prüfungen gilt, dass die Forderungen der BetrSichV zu Prü-
fungen des Explosionsschutzes zu beachten sind.7 Eine aussagekräftige Dokumentation
der Prüfungen ist in gleichem Maße gefordert wie bei der Prüfung vor Inbetriebnahme.
6
Nähere Angaben dazu enthält das DWA-Merkblatt DWA M 376 (DWA, 2006).
7
Prüfungen zur Sicherheit der Faulgasanlage sind von Prüfungen der Explosionsschutzmaßnahmen
meist kaum zu trennen; es sollte deshalb immer eine Gesamtprüfung erfolgen.
9.2 Sicherheitsaspekte beim Umgang mit Faulgas 787
8
Messgeräte für den Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen müssen selbstverständlich explosi-
onsgeschützt sein, zusätzlich wird vom Hersteller ein messtechnisches Gutachten über die Funktion
gefordert.
788 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
sonders wichtig ist im Rahmen von Unterweisungen auch die Motivation zu sicherheits-
gerechtem Arbeiten.
Über die Unterweisung aller Beschäftigten, die Gefährdungen durch Faulgas exponiert
sind, hinaus werden auch in der Abwasserwirtschaft zunehmend Sachkundige ausgebildet.
An Faulgasanlagen dürfen grundsätzlich nur sachkundige Personen arbeiten. Diese Sach-
kunde muss im Bereich der öffentlichen Gasversorgung grundsätzlich durch Teilnahme an
entsprechenden Schulungen erlangt und im Rahmen einer Prüfung nachgewiesen werden.
Sachkundige können dann in eigener Verantwortung den betriebssicheren Zustand einer
Anlage beurteilen und notwendige Maßnahmen durchführen; ihre Qualifikation geht
deutlich über das in Unterweisungen vermittelte Wissen hinaus.
Da auch Bau und Betrieb von Faulgasanlagen zunehmend komplexer werden und
grundsätzlich die gleichen Anforderungen wie in der öffentlichen Gasversorgung gelten,
stellt die Ausbildung und Benennung von Sachkundigen einen wichtigen Beitrag zum si-
cheren Betrieb von Faulgasanlagen dar.
Martin Brockmann
9.3.1 Allgemeines
Der weltweite Fortschritt geht einher mit der stetig steigenden Nutzung von Energie;
in 2009 wurden ca. 20.700 kWh/Person und Jahr verbraucht (IEA 2011). Diese Energie
stammt mit etwa 80 % zum überwiegenden Teil aus der Verbrennung fossiler Kohlenstoffe
(Öl, Gas, Kohle). Der Verbrauch dieser endlichen Rohstoffe wirkt sich direkt aus, da CO2
ein Endprodukt der Verbrennung ist.
Die Auswirkungen des steigenden CO2-Anteils in der Atmosphäre werden in den ver-
schiedenen Klimamodellen behandelt. Grundlage der politischen Entscheidung ist die
Maßgabe, die weltweite Temperaturerhöhung von 2 °C nicht zu überschreiten, um unkal-
kulierbare Szenarien möglichst zu verhindern (Randalls 2010). Die Umsetzungen der poli-
tischen Vorgaben bedeuten für Deutschland die Reduzierung der CO2-Emissonen um 20 %
gegenüber den Werten von 1990 (N.N. 2007). Um die CO2-Emissionen zu begrenzen, wur-
den Zertifikate auf der Basis von 20 €/Mg CO2 (Kosten Stand 2005) europaweit eingeführt.
2005 startete der CO2-Zertifikatehandel, ab 2013 wird dieser Handel ein wichtiger Kosten-
faktor des Gewerbes, da die Quantität der Zertifikate jährlich um 1,74 % sinken wird.
Aus dieser Thematik heraus ist innerhalb der Firmen und Konzerne ein deutlicher
Handlungswille entstanden; der Carbon Footprint (CF) wurde zum Schlagwort und auf den
Internetplattformen bekennen sich viele Firmen zur Reduzierung des CF. Energiesparmaß-
nahmen werden in ihrer Auswirkung auf den CF dargestellt. Die Abwasserreinigung wird
als Produktionsstätte für Biogas erkannt, mit dem CO2-neutral fossile Brennstoffe substitu-
iert werden können. Gerade die Anaerobtechnik bietet hier große Vorteile, die inzwischen
9.3 Ziele und Methodiken in der Betrachtung ... 789
auch innerhalb von Branchen gesehen werden, die in der Vergangenheit konsequent auf die
aerobe Abwasserreinigung setzten. Der Carbon Footprint stellt also eine Betrachtungsweise
dar, die für die weitere Anwendung der Anaerobtechnik förderlich sein wird.
Aus den Auswertungen langjähriger Messreihen lassen sich Veränderungen ablesen, die in
ihrer Gesamtheit als „Klimawandel“ bezeichnet werden. Als wesentliche Verursacher der
globalen Erwärmung sind die sog. Treibhausgase identifiziert. Sie reflektieren die infrarote
Strahlung, welche von der Erdoberfläche abgestrahlt wird wie ein Glasdach eines Treib-
hauses. Als Folge erwärmt sich das Treibhaus oder in diesem Fall die Erde. Die Treibhaus-
gase, im Wesentlichen natürlich vorkommendes H2O (als Wasserdampf ca. 4 % Bestandteil
der Atmosphäre) und die vom Menschen beeinflussten Gase CO2, CH4, N2O, Fluor-Koh-
lenwasserstoffe (in Summe < 1 % Bestandteil der Atmosphäre), sind in ihrem Treibhaus-
effekt sehr wirksam. Ohne sie wäre die Erdoberfläche ca. 30 °C kälter.
Seit einigen Jahrzehnten wird anthropogen eine deutliche Zunahme der Treibhausgase
verursacht, insbesondere auch von CO2. Mit 56 % stammt es zum überwiegenden Anteil
aus der Verbrennung fossiler Quellen und hierbei zu je etwa 40 % aus Öl und aus Kohle, zu
20 % aus Gas (BP Statistical Review 2006).
Methan (CH4) und Distickstoffoxid (N2O) sind weiter sehr potente Treibhausgase, die
in ihrer diesbezüglichen Wirkung deutlich über das Potenzial von CO2 hinausgehen. Bis-
lang werden sie hauptsächlich aus der Landwirtschaft freigesetzt, die Herkunft aus der
Abwasserreinigung ist demgegenüber geringer. Je nach betrachteter chemischer Kom-
ponente variiert das Verhältnis zwischen natürlichem und anthropogenem Anteil stark.
Der Mensch ist zum Beispiel für 4 % aller Kohlendioxid CO2-Emissionen verantwortlich.
Im Fall von Lachgas N2O hingegen werden 31 % aller Emissionen durch den Menschen
verursacht (Grießhammer 2009). Technische Ansätze zur Vermeidung ihrer Freisetzung
müssen aber weiterverfolgt werden, damit die verstärkte Umsetzung organischer Kohlen-
stoffe durch anaerobe Verfahren insgesamt in einer positiven Gesamtbilanz des Carbon
Footprint resultiert.
Der Carbon Footprint bezeichnet die Summe aller Treibhausgase, die direkt oder indirekt
von einer Person, einer Organisation, der Durchführung einer Veranstaltung, einem Er-
eignis oder der Herstellung eines Produktes verursacht werden. Das „Memorandum Pro-
duct Carbon Footprint“ (Grießhammer 2009) verwendet folgende Definition, die auch
den weiteren Ausführungen zugrunde liegt:
Der Product Carbon Footprint (CO2-Fußabdruck) bezeichnet die Bilanz der Treibhausgas-
emissionen entlang des gesamten Lebenszyklus eines Produktes in einer definierten Anwen-
dung und bezogen auf eine definierte Nutzeinheit.
790 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
9.3.4 Methodik
Basierend auf der Definition des Carbon Footprint und der Umrechnung anderer Treib-
hausgase auf CO2eq können folgende Angaben zum Umsatz fossiler Brennstoffe gemacht
werden: 1 Mg CO2eq entsteht
Gerade der letzte Vergleich zeigt große regionale Unterschiede auf, die erhebliche Aus-
wirkungen auf die Berechnung haben. Abbildung 9.9 verdeutlicht die Emission von CO2-
Äquivalenten bei der Erzeugung elektrischer Energie im Ländervergleich. Ausschlagge-
bend ist auch hier die Art der verwendeten Primärenergie.
9.3 Ziele und Methodiken in der Betrachtung ... 791
0,9
0,8
0,7
kg CO2eq/kWh
0,6
0,5
0,4
0,3
0,2
0,1
0
Österreich
Iran
Oman
Israel
Grossbritanien
GUS
Nord Amerika
Irland
Arabische Staaten
Mexiko
Latein Amerika
Italien
Süd Korea
Frankreich
Dänenmark
Japan
Südafrika
Indien
EU
Welt
Ozeanien
Indonesien
Malaysia
Libyen
Kanada
Bahrain
USA
Asien
Australien
Polen
Hong Kong
Deutschland
China
Argentinien
Spanien
Tschechien
Norwegen
Nigeria
Russland
Schweden
Venezuela
Schweiz
Saudi Arabien
Thailand
Brasilien
Finnland
Neuseeland
Geringer fossiler Einsatz Mittlerer fossiler Einsatz Hoher fossiler Einsatz Regionale Mittelwerte
Abb. 9.8 CO2-eq-Emissionen der elektrischen Energieerzeugung für verschiedene Länder. (IEA
2009)
Aluminium
Biozid
Polyurethane (PET)
Stahl
Kupfer
Aluminium (100% recycled)
Blei
PVC
HDPE
Glas (Mittelwert)
PET (100% recycled) Metalle
Stahl (100% recycled) Kunststoffe
Salzsäure Chemikalien
Zement Andere
Chlor
Natrium Hydroxyd
Methanol
PVC (100% recycled)
Die Größe des Betrachtungsrahmens ist für den Carbon Footprint von zentraler Bedeu-
tung, dabei wird zwischen direkten und indirekten Emissionen unterschieden:
Der Carbon Footprint wird aus der Summation der zugehörigen Einzelaktivitäten errech-
net (Gl. 9.1).
n
CF = ∑ Ai × FEi
(9.1)
i=l
wobei
Die spezifischen Emissionsfaktoren sind für viele verschiedene Bereiche erhoben worden,
wie z. B. für Materialien, Energiequellen und Herstellungsverfahren. Eine Übersicht zeigt
Abb. 9.9 (ADEME 2009).
Eine Vielzahl von Ländern hat für sich eine eigene Datenbasis dieser Emissionsfakto-
ren erarbeitet. Europaweite Berechnungsgrundlagen sind in der Entwicklung. Es bestehen
geringe Unterschiede zwischen den einzelnen Datenbanken; die Größenordnungen der
einzelnen Faktoren sind aber sehr vergleichbar und die Schlussfolgerungen, welches die
wesentlichen Faktoren sind, benennen identische Parameter. In jedem Fall ist es lohnens-
wert, zunächst eine grobe Abschätzung zu machen, um dann die Summanden mit den
größten Anteilen genauer zu betrachten. Wenn z. B. der Stahlbau den wesentlichen Anteil
beiträgt, wird es interessant zu untersuchen, wo und wie der Stahl hergestellt wurde, um
den spezifischen Emissionsfaktor genau festzustellen.
Für den Betrieb von Abwasserbehandlungsanlagen ist der tagtägliche Verbrauch an
elektrischer Energie die bestimmende Größe. Der Emissionsfaktor ist dabei sehr unter-
schiedlich, je nach den verwendeten Energiequellen in einem Land (siehe Abb. 9.8).
Hohe Anteile an Wasserkraft und Nuklearenergie ergeben mit 0,085 kg CO2eq/kWh für
Frankreich geringe Werte, während mit 0,92 kg CO2eq/kWh für Australien mit einem er-
heblichen Kohleanteil in der Stromerzeugung sehr hohe Faktoren errechnet werden. Für
Deutschland liegt der Faktor bei 0,44 kg CO2eq/kWh (IEA 2009) für die Erzeugung von
Strom und Wärme.
Daraus resultiert, dass baugleiche Anlagen je nach Standort sehr unterschiedliche CO2-
Emissionen bewirken.
9.3 Ziele und Methodiken in der Betrachtung ... 793
Folgende Faktoren werden in der Kalkulation für den Bau und den Betrieb einer Anlage
typischerweise berücksichtigt und stellen die indirekten Emissionen dar:
Die Betriebszeit, die der Berechnung zugrunde liegt, wird als wirtschaftliche Nutzungs-
zeit definiert. Für Anlagen der industriellen Abwasserreinigung wird diese häufig mit 20
Jahren abgeschätzt. Der Rückbau einer Anlage nach Ende der wirtschaftlichen Nutzungs-
dauer ist bei der Betrachtung ausgeschlossen, da hier zu viele Unwägbarkeiten einfließen
müssten, die die geforderte Ergebnisgenauigkeit nicht erreichen können.
Zusätzlich gibt es noch direkte Emissionen aus dem Anlagenbetrieb. Das sind im We-
sentlichen die bei dem biologischen Abbau freigesetzten Treibhausgase (CO2, CH4, NOx).
Die zugehörigen CO2eq sollten in die Berechnung einfließen, wenn sie mengenmäßig be-
kannt sind. Liegen keine belastbaren Daten vor, so sollte genannt werden, welche Gase
nicht berücksichtigt wurden.
Für den internationalen Einsatz hat es sich bewährt, die verwendete Datenbasis zum
Ansatz der Emissionsfaktoren möglichst breit (ADEME, EcoInvent, ICE, EPA, …) auf-
zustellen und in eine gemeinsame Datenbasis zu überführen (Veolia Environment 2009).
Mit dieser Vorgehensweise können effektiv Datenlücken gefüllt werden, falls lokale Daten
nicht oder nur im unzureichenden Umfang vorliegen. Für Deutschland ist eine DIN-ISO
Norm zu diesem Thema in Vorbereitung, welche die hier gültigen Emissionsfaktoren ent-
halten wird.
Im Gegenzug werden natürlich auch Emissionen vermieden, insbesondere die Ener-
gieeinsparungen bei der Verwendung von Biogas. Bei der Berechnung der Einsparungen
sollten die gleichen Faktoren Anwendung finden, die für die Nutzung der Primärener-
gie angesetzt wurden: sei es für die direkte thermische Nutzung oder die Erzeugung von
elektrischer Energie, denn diese Primärenergie wird substituiert. Die Reduzierungen des
Carbon Footprint, die aus Wiedernutzung eingesetzter Energien, z. B. aus Abwärme, resul-
tieren, sollten separat dargestellt werden.
Die Berechnung des Carbon Footprint ist keine exakte Wissenschaft, da die einzelnen
Aktivitäten – vor allem aber die verschiedenen Emissionsfaktoren – eine begrenzte Be-
rechnungstiefe haben oder auf Annahmen beruhen. Die Unsicherheitsfaktoren sind Be-
standteil der jeweils verwendeten Datenbasis und können mitberechnet werden. Ziel ist in
jedem Fall, ein Berechnungsmodell aufzustellen, in dem verschiedene Verfahrenstechni-
ken auf einer gemeinsamen Basis miteinander verglichen werden können.
794 9 Sicherheit und Umweltrelevanz
Diese Fallstudie wurde von der Aquantis GmbH erstellt, um den Carbon Footprint einer
anaerob/aeroben Abwasserbehandlungsanlage, wie sie typischerweise für industrielle An-
wendungen eingesetzt wird, zu ermitteln. Die Abwasseranlage Schoellershammer kom-
biniert die Anaerobstufe mit einer konventionellen Belebungsanlage zur Nachreinigung.
Das erzeugte Biogas wird in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) verwertet.
Schoellershammer produziert 200.000 Mg/a Wellpappen-Rohpapier. Das hierbei an-
fallende Abwasser wird in einer biologischen anaerob/aeroben Abwasseranlage gereinigt.
Diese Anlage wird von der OEWA Wasser und Abwasser GmbH betrieben.
Das eingesetzte Anaerobverfahren nach der BIOBED® EGSB Technik nutzt anaeroben
Pelletschlamm zur Vorbehandlung der hoch konzentrierten Industrieabwässer. Die orga-
nischen Abwasserinhaltsstoffe werden hierbei in Biogas umgewandelt. Der deutliche Vor-
teil ist, dass die Biogasverwertung den Carbon Footprint der Abwasserbehandlungsanlage
neutralisiert und zudem auch noch einen geringen Platzbedarf aufweist.
Die BIOBED®-Anlage ist für eine Abwassermenge von 2.880 m3/d und eine CSB-
Fracht von 14 Mg/d ausgelegt. Der Reaktor hat ein Volumen von 800 m3 und erzeugt etwa
5.000 m3/d Biogas. Dieses wird in zwei BHKW Einheiten mit einer elektrischen Leistung
von jeweils 350 kW verwertet.
Für die Nachreinigung des Abwassers ist eine Belebungsanlage installiert, bestehend
aus einem Belebungsbecken mit einem Volumen von 1.200 m3 und einem Nachklärbe-
cken (Durchmesser 13 m). Der anfallende Überschussschlamm wird jeweils zur Hälfte
verbrannt bzw. deponiert.
Die Bewertungsgrenzen bei der Berechnung des Carbon Footprints der Abwasseran-
lage Schoellershammer umfassen die Errichtung und den Betrieb der Anlage sowie die
Schlammentsorgung und die Biogasnutzung.
Der mit der Errichtung verbundene Carbon Footprint beinhaltet auch die Ressourcen,
die zur Herstellung der Materialien verwendet werden, ebenso wie deren Transport und
Verarbeitung.
Elektrizität, Chemikalien sowie Transport und Entsorgung des Schlamms sind Be-
standteile des betriebsbedingten Carbon Footprints. Dieser umfasst ebenfalls die für die
Instandsetzung erforderlichen Materialien und Ausrüstungen. Der betriebsbedingte Car-
bon Footprint wurde für eine Betriebszeit von 20 Jahren berechnet.
Verbrauchte und erzeugte elektrische Energie wurde mit dem durchschnittlichen Emis-
sionsfaktor für Deutschland von 0,44 kg CO2 Äquivalent pro kWh berechnet. Abbau und
Entsorgung der Anlage sind nicht Bestandteil dieser Berechnung. Zur Berechnung des
Carbon Footprints der Anlage wurde Gl. 9.1 verwendet.
Zunächst wurden die bei der Errichtung und beim Betrieb der Anlage relevanten Ak-
tivitäten erfasst. Bei einer erstmaligen Betrachtung einer Anlagentechnik ist eine mög-
lichst vollständige Erfassung aller Aktivitäten anzustreben. Besonderes Augenmerk ist auf
quantitativ dominante Aktivitäten (z. B. Energie- und Chemikalienverbrauch) und solche
Aktivitäten zu legen, die einen hohen Emissionsfaktor aufweisen (z. B. Methanverluste).
9.3 Ziele und Methodiken in der Betrachtung ... 795
32000
24000
16000
to CO2 eq in 20 Jahren
8000
0
Installation
Emissionen
Transport
Betrieb - Wartung
Betrieb - Energie
Betrieb - Service
Chemikalien
Betrieb - Sonstige
Emissionen
Betrieb - Prozess
Betrieb -
Vermiedene
Verbrauchsmittel
Gesamte
Betrieb -
-8000
Betrieb -
-16000
-24000
-32000
Das Ergebnis zeigt, dass im Vergleich zum betriebsbedingten Carbon Footprint die
CO2-Emissionen, die bei der Errichtung der Abwasseranlage Schoellershammer erzeugt
wurden, vernachlässigbar sind. Der betriebsbedingte Carbon Footprint wird im Wesent-
lichen durch den Strombedarf und die verbrauchten Chemikalien, z. B. Natronlauge für
die Abwasserneutralisation, bewirkt. Die dritte wesentliche Quelle der CO2-Emissionen ist
das gelöste Methan, das aus dem Ablauf der anaeroben Behandlungsstufe freigesetzt und
unter „Betrieb-Prozess“ erfasst wird. Obwohl aufgrund der geringen Löslichkeit von Me-
than unter den vorliegenden Betriebsbedingungen nur etwa 13 mg/l Methan im Abwasser
enthalten sind, ergibt sich aufgrund des CO2-Equivalents von 25 ein entsprechend hoher
Effekt auf den Carbon Footprint.
Die Kohlenstoff-Emissionen summieren sich auf etwa 28.500 Mg CO2 Äquivalent über
die Lebenszeit der Anlage. Aufgrund der Verwertung des Biogases in den BHKWs und
der hier erzeugten elektrischen Energie werden im gleichen Zeitraum Emissionen von ca.
31.000 Mg CO2 Äquivalent vermieden. Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die
um eine Anaerobstufe ergänzte Abwasseranlage der Fa. Schoellershammer CO2-neutral
ist.
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Verfahren der biologischen
Stickstoffelimination unter 10
Berücksichtigung der anaeroben
Ammoniumoxidation
Inhaltsverzeichnis
10.1 Einführung
Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts ist der Ausbau der Kläranlagen weitestgehend ab-
geschlossen. Das Branchenbild der deutschen Wasserwirtschaft zeigt, dass bei einem
Anschlussgrad von 97 % zur Zeit 93 % der Abwässer einer weitergehenden Abwasserbe-
handlung zugeführt werden. Neben der Ertüchtigung von Anlagen, die sich aus erhöhten
Anforderungen an die Reinigungsleistung ergeben, wie weitgehende Nährstoffelimination
bzw. Spurenstoffelimination, ist das Thema „Ertüchtigung von Anlagen“ mit dem Ziel
einer verbesserten Energieeffizienz aus ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten
heraus immer stärker in den Fokus der Abwasserreinigung gerückt. Insbesondere die Ver-
knüpfung von Energieeinsparung und gesteigerter Eigenenergieerzeugung durch gezielte
Verlagerung der aeroben Kohlenstoffumsetzung (Sauerstoffverbrauch) auf eine vermehrt
anaerobe Kohlenstoffumsetzung (Biogasgewinn) bietet ein erhebliches Potenzial (Co-
vergärung, anaerobe Abwasserreinigung). In Tab. 10.1 wurden beispielhaft Mengen und
potenzieller Energiegewinn aus einer anaeroben Behandlung verschiedener industrieller
Abwässer für Deutschland zusammengefasst. Weitere hohe Potenziale entstehen zudem
durch die Fermentation von Biomüll (~ 4 Mio. Mg/a) und Fettabfällen (1,2 Mio. Mg/a).
Beim anaeroben Abbau organischer Substanzen werden je nach Anwendung organi-
sche Feststoffe oder gelöste organische Stoffe entsprechend des Wirkungsgrades in gelöste
anorganische Komponenten überführt. Während der enthaltene Kohlenstoff vor allem in
Form der Gase Kohlenstoff dioxid (CO2) und Methan (CH4) frei wird und somit von der
Wasserphase getrennt und einer weiteren Nutzung zugeführt werden kann, verbleibt ein
Großteil des Stickstoffs in Form von gelöstem Ammonium in der Wasserphase. Für das
bei der Gärrest-/Schlammentwässerung abgetrennte Wasser ist daher ebenso wie für den
Ablauf einer Vielzahl von industriellen anaeroben Abwasserreinigungsstufen eine nach-
geschaltete Stickstoffelimination erforderlich.
Da die organischen Kohlenstoffverbindungen in der anaeroben Behandlungsstufe wei-
testgehend in CH4 bzw. CO2 überführt werden, ergibt sich für die der Anaerobie nachge-
schalteten Stufen die Problematik des für eine konventionelle Stickstoffelimination ungüns-
tigen CSBabbaubar/N-Verhältnisses. Sinkt das Dargebot an verfügbarem Kohlenstoff unter ein
Verhältnis von CSBabbaubar/N = 5 ist eine wirtschaftliche Denitrifikation ohne externe Koh-
lenstoff-Dosierung nicht mehr möglich. Daher sind die Errichtung und der Betrieb einer
Anaerobstufe zur Kohlenstoff-Elimination bei gleichzeitigem Biogasgewinn immer auch
unter Berücksichtigung der nachgeschalteten Stickstoffeliminations verfahren zu bewerten.
Die zu erwartende Ammoniumfracht, die in einer der Anaerobie nachgeschalteten Stick-
stoffelimination eliminiert werden muss, kann ausgehend von der Mischung der zugegebe-
10.1 Einführung 803
Tab. 10.1 Abschätzung des potenziellen Energiegewinns bei der Umsetzung anaerober Behand-
lungskonzepte für ausgewählte Industrieabwässer in Deutschland. (Sander et al. 2010b nach Beier
et al. 2008)
Abwasserherkunft Abwasser anfalla CSB-Frachtb KN-Frachtb Energie gewinn aus
[Mio. m2/a] [mg CSB/a] [mg N/a] Cc [Mio. kWh/a
(Mio. kWhelek./a)]
Schlachthof 26,0 23.925 6.502 71,8 (23,9)
Kartoffelveredelung 32,2 166.210 3.747 498,6 (166,2)
Brauerei 47,5 80.750 3.325 242,3 (80,8)
Molkerei 40,0 83.979 3.599 251,9 (84)
Stärkeproduktion 4,3 53.385 2.981 241,5 (80,5)
Hefe fabriken 0,9d 17.100 765 51,3 (17,1)
a = Basis: statistisches Jahrbuch 2006
b = Abschätzung auf Basis branchenspezifischer Schmitzfrachten nach Rosenwinkel und Rüffer
(1991)
c = Gesamtheizwert, aus Biogasgewinn durch anaerobe Abwassereinigung mit theoretischer Methan-
ausbeute von 0,3m3 CHG/kg CSB, Heizwert 10kWh/m3CHG, nicht berücksichtigt ist eine ggf.
mögliche Nutzung der Abwärme (erzeugbare elektrische Energie, BHKW)
d = aus Rosenwinkel und Rüffer (1991)
Abb. 10.1 BSB5/N–Verhältnisse verschiedener Abwässer der Lebensmittelindustrie vor und nach
einer anaeroben Behandlung und Schwankungsbreite der N-Konzentrationen. (Sander et al. 2010b
nach Beier et al. 2008)
nen Substrate und dem erreichten Umsetzungsgrad theoretisch abgeschätzt werden. In Ab-
hängigkeit der Feststoffkonzentration kann dabei auch auf die Ammoniumkonzentration
zurückgeschlossen werden (Arbeitsbericht der ATV-DVWK AK-1.3, 2000). In Abb. 10.1
wird beispielhaft für verschiedene Abwässer der Lebensmittelindustrie das BSB5/N-Ver-
804 10 Biologische Stickstoffelimination
hältnis vor und nach einer anaeroben Behandlung dargestellt, Tab. 10.2 enthält die Zusam-
mensetzung verschiedener Gärreste von ländlichen Biogasanlagen. Im Hinblick auf eine
optimale Energieausbeute steht damit die Denitrifikation als bisher wesentlicher Schritt
der konventionellen Stickstoffelimination mit ihrem Kohlenstoffbedarf zur Umsetzung des
oxidierten Stickstoffs in direkter Konkurrenz zur Überführung des Kohlenstoffs in Biogas.
Seit einigen Jahren stehen nun neben den etablierten Verfahren zur Nitrifikation und
Denitrifikation weitere Prozesswege zur Stickstoffelimination zur Verfügung, bei denen der
schrittweise Stickstoffumsatz über Nitrit erfolgt. Eines dieser „innovativen Verfahren“ ist
die Deammonifikation, die sich aus den Verfahrensschritten Nitritation (= teilweise Nitri-
fikation zu Nitrit) und anaerobe Ammoniumoxidation (Anammox) zusammensetzt. Vorteil
der Deammonifikation ist der vollständig autotrophe Umsetzungsprozess, d. h. es wird kein
organischer Kohlenstoff für die Stickstoffelimination benötigt, woraus sich entsprechende
Potenziale für die weitergehende Ausnutzung des Kohlenstoffs als Energiequelle ergeben. Im
Fokus dieses Beitrags stehen daher die Beschreibung und ausführliche Erläuterung der De-
ammonifikation, ergänzt um Hinweise zum Betrieb anhand verschiedener Beispielanlagen.
10.2 Biologische Umsetzungsprozesse
10.2.1 Nitrifikation/Denitrifikation
In kommunalen Kläranlagen wird Stickstoff bisher hauptsächlich über die klassische Pro-
zesskombination Nitrifikation/Denitrifikation eliminiert, wobei die Wirtschaftlichkeit
dieser Verfahrenskombination im Wesentlichen durch die Bereitstellung eines ausreichen-
den Beckenvolumens sowie durch den Energieverbrauch für die Sauerstoffversorgung (Ni-
trifikation) und die Umwälzung (Denitrifikation) geprägt ist. Bei der Nitrifikation wird
Ammonium in einem zweistufigen Prozess von autotrophen Bakterien unter aeroben Be-
dingungen über Nitrit zu Nitrat oxidiert. Dieses wird anschließend durch die Denitrifika-
10.2 Biologische Umsetzungsprozesse 805
Nitrifikation
Gesamtreaktion: Nitrifikation
NH 4 + + 2 O 2 → NO3 − + H 2 O + 2 H +
Denitrifikation
(Beispiel Methanol als Kohlenstoffquelle):
5 CH 3 OH + 6 NO3 − → 5 CO 2 + 7 H 2 O + 3 N 2 + 6 OH −
Die bei der Nitrifikation durch Freisetzung von H+-Ionen verbrauchte Säurekapazität kann zur
Hälfte bei der Denitrifikation zurückgewonnen werden. Der theoretische Sauerstoffverbrauch
liegt bei 4,3 g O2/g N. In der Praxis ermittelte spezifische Stromverbräuche liegen zwischen 3,5
bis 5,7 kWh/kg N für die Behandlung im Hauptstrom einer kommunalen Kläranlage.
10.2.2 Nitritation/Denitritation
Für die Nitritation wird der Nitrifikationsprozess nach dem ersten Schritt unterbrochen,
sodass das hierbei gebildete Nitrit dann in einem zweiten Schritt, analog zur Denitrifika-
tion, durch heterotrophe Mikroorganismen unter Verwendung von Kohlenstoff zu mole-
kularem Stickstoff reduziert werden kann.
Nitritation
NH 4 + + 1, 5 O 2 → NO 2 − + H 2 O + 2 H +
Denitritation
(Beispiel Glucose als Kohlenstoffquelle):
C6 H12 O6 + 8 NO 2 − + 6 H 2 O + 8 H + →
6 CO 2 + 16 H 2 O + 4 N 2
806 10 Biologische Stickstoffelimination
Für den stabilen Betrieb der Nitritation ist es dabei entscheidend, die Nitritbildung dauer-
haft von der Nitratbildung zu entkoppeln. Wesentliche Einflussfaktoren sind hierfür Tem-
peratur, Sauerstoffkonzentration, pH-Wert und Ammoniakkonzentration. S. Kapitel 10.3.1
Mit diesem Verfahren lassen sich bei hochstickstoffhaltigen Abwässern bereits erheb-
liche Kosten- und Energiereduzierungen erreichen, da etwa 25 % des Sauerstoffbedarfs
und etwa 40 % des Kohlenstoffbedarfs im Vergleich zur Nitrifikation/Denitrifikation ein-
gespart werden können. Für die großtechnische Umsetzung im Teilstrom ergibt sich ein
Energieverbrauch von ca. 3 kWh/kg N (vgl. Wett und Hell 2008).
10.2.3 Deammonifikation
Nitritation
NH 4 + + 1, 5 O 2 → NO 2 − + H 2 O + 2 H +
Anaerobe Ammoniumoxidation
NH 4 + + 1, 32 NO 2 − → 1, 02 N 2 + 0, 26 NO3 −
+ 2, 2 H 2 O
10.2.3.2 Anaerobe Ammoniumoxidierer
Der Prozess der „anaeroben Ammoniumoxidation“ ist mittlerweile als einer der bedeu-
tendsten natürlichen Stickstoffumsetzungsprozesse anerkannt und wird von mehreren
Bakterienspezies der Gattung Planctomycetales katalysiert. Bisher wurden neun Anam-
mox-Spezies in fünf Genera der Ordnung Brocardiales isoliert, von denen die Spezies
„Candidatus Kuenenia“ (K. stuttgardiensis) und „Candidatus Brocardia“ (B. Anammoxi-
dans) in hochbelasteten Abwasserreinigungsanlagen am häufigsten sind. Anammoxbakte-
rien haben einen autotrophen Stoffwechsel. Sie nutzen den Umsatz von Ammonium und
Nitrit als Energiequelle zur Fixierung von Kohlenstoff aus CO2 in Biomasse. Der hohe An-
teil an roten, eisenhaltigen Enzymen (30 % aller Proteine) in den Anammox-Zellen führt
zu der charakteristischen roten Färbung der Zellen, die bei Anreicherung dieser Spezies im
belebten Schlamm mit dem bloßen Auge sichtbar ist.
Der spezielle Metabolismus der Anammoxbakterien bedingt eine Reihe von Merkma-
len, die für eine verfahrenstechnische Nutzung von Bedeutung sind:
• eine maximale Umsatzrate der Anammoxbakterien, von 1,5 g N/(g oTS · d) angegeben
wird (ermittelt von Strous et al. (1999) in einer Anreicherungskultur).
• ein Schlammwachstum mit einem Ertragskoeffizient von 0,12 g TS/g N nach Strous et al.
(1999), das damit in der Größenordnung der Ammoniumoxidierer (AOB) aber deut-
lich unter dem der heterotrophen Stickstoffumsetzung (Denitrifikation) Liegt.
• eine geringe Wachstumsgeschwindigkeit mit Verdoppelungszeiten zwischen 7 und 20
Tagen.
• Empfindlichkeit der Anammoxbakterien gegenüber Sauerstoff, wobei die tolerierbaren
Konzentrationen je nach Schlammsystem bis zu 1 µM oder 200 µM betragen.
• Hemmung des Anammox-Stoffwechsels durch Nitrit, für welches negative Effekte
bereits ab Konzentrationen von 10 mM und toxische Wirkung ab 20 mM festgestellt
werden können. Die tatsächliche Wirkung hängt vom Schlammsystem und der Exposi-
tionszeit ab.
• hemmende Effekte auch für verschiedene org. Verbindungen (z. B. Methanol – irrever-
sible Hemmung im Bereich von 0.1 mg/L Isaka et al. 2008), hohe Salzkonzentrationen
(> 10 g/L) und Sulfid toxisch ab einer Konzentration von 10 mg S2-S/L (Dapena-Mora
et al. 2007) (siehe auch Tab. 10.3).
808 10 Biologische Stickstoffelimination
Tab. 10.3 Übersicht bekannter Hemmungen der anaeroben Ammoniumoxidation. (Sander et al.
2010)
Substanz Konzentration Hemmung Randbedingungen Quelle
[mg/L] [%]
Chlorid 1.773 kein Effekt k. a. van de Graaf et al. (1996)
7.090 50 Batch, angereichert Dapena-Mora et al. (2007)
Essigsäure 2.340 50 Batch, angereichert Dapena-Mora et al. (2007)
Ethanol 151 10 Batch, angereichert Isaka et al. (2008)
92 30 Batch, angereichert Guven et al. (2005)
Glucose 360 10 Batch, angereichert Guven et al. (2005)
KCl 6.300 50 Batch, Biofilm ISAH, unveröffentlicht
1.000 kein Effekt Batch, Biofilm ISAH, unveröffentlicht
11.700 50 Batch, angereichert Dapena-Mora et al. (2007)
Methanol 16 100 Batch, angereichert Guven et al. (2005)
105 50 Batch, angereichert Isaka et al. (2008)
NaCl 4.900 62 Batch, Biofilm ISAH, unveröffentlicht
1.630 25 Batch, Biofilm ISAH, unveröffentlicht
13.430 50 Batch, angereichert Dapena-Mora et al. (2007)
Nitrat 4.340 kein Effekt kont., angereichert Strous et al. (1999)
2.790 50 Batch, angereichert Dapena-Mora et al. (2007)
Phosphat 1.900 50 Batch, angereichert Dapena-Mora et al. (2007)
Sulfat 1.920 kein Effekt Batch, suspendiert Jetten et al. (1998)
Sulfit 24 50 Batch, angereichert Dapena-Mora et al. (2007)
Für die Anwendung der anaeroben Ammoniumoxidation ist die Prozesstemperatur von
hoher Bedeutung, da biochemische Prozesse mit steigender Temperatur schneller ablaufen
und die Wachstumsgeschwindigkeit von Anammoxbakterien wie zuvor dargestellt gene-
rell niedrig ist. Der optimale Temperaturbereich für die Aktivität von Anammoxbakte-
rien liegt bei 30–37 °C (Egli et. al., 2001; Dost et. al., 2008). Eine weitere Erhöhung der
Temperatur auf bis zu 45 °C hat einen negativen Effekt auf die Stoffwechselaktivität bis
hin zum Absterben der Zellen durch Proteindenaturierung. Ein stabiler Umsatz ist grund-
sätzlich auch bei geringer Temperatur möglich, allerdings muss dann die Fracht sowie das
Schlammalter an die geringe Stoffwechselaktivität der Einzelzellen angepasst werden. In
marinen Ökosystemen wurde auch bei − 2 °C noch Anammoxaktivität nachgewiesen.
10.3 Verfahrenstechnische Umsetzung
Neben der Verkürzung des Abbauwegs durch gezielte Unterdrückung der Nitratation ist
in den letzten Jahren mit der Einbindung des Deammonifikationsprozesses (= Nitritation
+ anaerobe Ammoniumoxidation) in die Abwasserreinigung ein wesentlicher Entwick-
lungsschritt zur Energieeinsparung bei der Stickstoffelimination gelungen. Inzwischen be-
10.3 Verfahrenstechnische Umsetzung 809
10.3.1 Umsetzung Nitritation
Für den stabilen Betrieb einer Nitritation ist es entscheidend, die Randbedingungen so
einzustellen, dass die Aktivität der Nitritoxidierer langfristig verringert bzw. das Wachs-
tum und die Aktivität der Ammoniumoxidierer gefördert wird. Wichtigste Einflussfakto-
ren auf die Aktivität und damit das Wachstum der Nitrifikanten sind dabei Temperatur,
Sauerstoff, Substratkonzentration und pH-Wert, wobei sich die Ammoniumoxidierer im
Vergleich zu den Nitritoxidierern unempfindlicher zeigen gegenüber
• hohen Temperaturen,
• niedrigen Sauerstoffkonzentrationen,
• Wechsel zwischen aeroben und anoxischen Bedingungen,
• erhöhten Konzentrationen an salpetriger Säure (HNO2),
• erhöhten Ammoniakkonzentrationen (NH3).
810 10 Biologische Stickstoffelimination
Durch geschickte Nutzung und Kombination dieser Einflussfaktoren lassen sich geeigne-
te Strategien ableiten, um die Nitratation gezielt zu unterdrücken, die im Folgenden be-
schrieben werden.
Tab. 10.5 Zusammenstellung der rechnerischen Ausschwemmpunkte für AOB und NOB
TKritischa in [°C] Rechnerische Mindest- Rechnerische Mindest-
schlammalter der AOB schlammalter der NOB
(mit 1/μmax) in [d] bei (mit 1/μmax) in [d] bei
30 °C 30 °C
Wett und Rauch 2003 28,8 0,4 0,42
Knowles et al. 1965 27,7 0,49 0,53
Koch et al. 2000 27,6 0,39 0,42
Hunik 1993 15 0,6 1,3
a
Temperatur, ab der die Wachstumsgeschwindigkeit der Ammoniumoxidierer (AOB) über der der
Nitritoxidierer (NOB) liegt
schiedenen Autoren zusammengestellt. Tkrit bezeichnet dabei die Temperatur, ab der rech-
nerisch die Wachstumsgeschwindigkeit der AOB diejenige der NOB übersteigt, also ein
Ausschwemmen der NOB durch Unterschreiten des zugehörigen Mindestschlammalters
möglich ist. Bei Überschreiten des rechnerischen Mindestschlammalters wird die jeweilige
Bakteriengruppe im System gehalten, durch Unterschreiten erfolgt entsprechend ein Aus-
schwemmen der jeweiligen Gruppe. Zum Ausschwemmen der NOB ist in der Praxis also
eine Betriebstemperatur oberhalb von Tkrit sowie ein Schlammalter zu wählen, welches das
benötigte Mindestschlammalter der NOB unterschreitet, jedoch ein Wachstum der AOB
zulässt.
Für die Auslegung der Reaktoren ist zu beachten, dass aufgrund der von den optima-
len Randbedingungen des Batchversuchs stark abweichenden Prozessbedingungen das der
Bemessung zugrunde zu legende Mindestschlammalter mit der „realen“ Umsatzrate zu
berechnen ist (d. h. es muss über dem hier angegebenen kritischen Schlammalter liegen).
Insbesondere die in der Regel limitierte Sauerstoffversorgung ist hierbei zu berücksichti-
gen. Bei Rückgang der Sauerstoffkonzentration von 2 auf 1 mg/L ist mit einer Erhöhung
des erforderlichen Mindestschlammalters für AOB von ca. 25 % zu rechnen. Günstig für
die Auslegung der Reaktorgröße ist, dass der Bereich des einzustellenden Schlammalters
( tTS, krit.AOB < tTS, Auslegung < tTS, krit,NOB) i. d. R. größer ist, als sich aus den angegebenen Wachs-
tumsgeschwindigkeiten rechnerisch ergibt. Ursache hierfür sind die aufgrund der hohen
Nitrit- bzw. Ammoniumkonzentrationen parallel auftretenden Hemmeffekte, die zum
einen die Unterdrückung der NOB unterstützen, zum anderen aber auch die Umsatzrate
der AOB gegenüber der mximalen Umsatzrate absenken (siehe auch Kap. 10.4.1.1). Ergän-
zend wird darauf hingewiesen, dass über die Einstellung der Sauerstoffkonzentration eine
Beeinflussung der Umsatzrate der Nitrifikanten auch im Betrieb möglich ist (Beier et al.
2013, vgl. auch Kap. 10.4.1.2). Typische hydraulische Aufenthaltszeiten/Schlammalter in
großtechnischen Anlagen liegen zwischen 1 d – 2 d für Temperaturen um 26 °C und soll-
ten, um einen entsprechenden Regelungsspielraum zu haben, für O2-Konzentrationen von
1 mg/L ausgelegt werden (Achtung: Belüfterkapazität ist höher anzusetzen!).
812 10 Biologische Stickstoffelimination
Für Belebungsverfahren oder sehr dünne Biofilme ist eine Limitierung des Sauerstoffgehal-
tes als alleinige Regelgröße nicht geeignet. Neben der hohen Abhängigkeit der Prozesssta-
bilität von der Güte der Sauerstoffmessung und -regelung, die großtechnisch nur bedingt
in dem benötigten Maße möglich ist, wurden Adaptionsprozesse festgestellt (Laanbroek
et al. 1994; Gaul 1998), die eine langfristige Unterdrückung der Nitratation allein über
eine Sauerstofflimitierung erschweren. Zusätzlich führen die niedrigen Sauerstoffkonzen-
trationen auch zu einer deutlich verringerten Umsatzgeschwindigkeit der Nitritation, was
10.3 Verfahrenstechnische Umsetzung 813
eine entsprechende Vergrößerung des benötigten Beckenvolumens zur Folge hat. Dass in
der Praxis dieser Unterdrückungsmechanismus trotz der o. g. Hindernisse auch bei sus-
pendierter Biomasse möglich ist, zeigt die in der Schweiz seit vielen Jahren betriebene
Schlammwasserbehandlungsanlage auf der KA Zürich-Werdhölzli (Joss et al. 2009). Dazu
ist jedoch eine Kopplung mit einem oder mehreren Prozessen notwendig, durch die paral-
lel Nitrit abgebaut wird, so dass eine Konkurrenzsituation entsteht. Im Fall der Kläranlage
Zürich-Werdhölzli ist dies der Anammox-Prozess.
1
Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen
814 10 Biologische Stickstoffelimination
rens mit einem anderen Biofilmsystem (Terra-N®) bzw. die Übertragung auf suspendierte
Schlammsysteme zeigte ebenfalls stabile Nitritationsleistungen (z. B. KA Fulda, Sander et al.
2010, KA Landshut, Rosenwinkel et al. 2011). Zur Etablierung der Nitritation erfolgte i. d.
R. eine Umstellung der Belüftung auf eine Taktung von 5–10 min ein, 20–25 min aus und
Sauerstoffkonzentrationen > 1,5 mg O2/L während der belüfteten Phasen.
10.3.2 Umsetzung Deammonifikation
Der Prozess der Deammonifikation ist nach seiner „Entdeckung“ Mitte der 90er Jahre in-
zwischen in verschiedenen Verfahrensvarianten umgesetzt. Besondere Bedeutung hat bei
allen Konzepten die Bereitstellung eines ausreichenden Schlammalters für die langsam
wachsenden Planctomyceten sowie die Bereitstellung der benötigten Substrate (NO2–N
und NH4–N) in der richtigen Konzentration bei gleichzeitig strikt anoxischen Milieu-
bedingungen während der anaeroben Ammoniumoxidation. Um dies zu gewährleisten
haben sich zwei grundsätzlich unterschiedliche Verfahrenskonzepte entwickelt.
Zweistufige Anlagen Hierbei erfolgt die Oxidation des Ammoniums zu Nitrit getrennt
von der anaeroben Ammoniumoxidation. Durch die Zweistufigkeit ist es möglich, beide
Prozesse unter jeweils optimalen Milieubedingungen zu betreiben und hierdurch i. d. R
höhere Umsatzraten der Einzelprozesse zu erzielen. Letztendlich ist es möglich, alle in
Kap. 10.3.1 genannten Konzepte/Verfahren der Nitritation mit einem der nachfolgend
beschriebenen Anammox-Systeme zu koppeln. Wesentlich im zweistufigen Betrieb ist im
Zusammenspiel der beiden Systeme die Bereitstellung der Substrate in dem für den zwei-
ten Prozessschritt (anaerobe Ammoniumoxidation) notwendigen Verhältnis von NO2–N/
NH4–N = 1,3:1, um eine Substratlimitierung der Umsetzung zu vermeiden. Hierfür gilt es
für jeden Anwendungsfall eine angepasste betriebsstabile Regelungsstrategie zu entwickeln.
Neben der einfachen Betriebsführung und klaren Prozesszuordnung ist ein weiterer Vor-
teil der Zweistufigkeit, dass aufgrund der langen anoxischen Aufenthaltszeiten in den meis-
ten Systemen, parallel zur anaeroben Ammoniumoxidation eine endogene Denitrifikation
des hierbei enstehenden Nitrats (NO3−) zu beobachten ist. Gleichzeitig ist jedoch durch
die Denitrifikation keine übermäßige Konkurrenz um das Substrat Nitrit zu befürchten,
da der leicht abbaubare CSB bereits in der vorgeschalteten belüfteten Stufe aerob veratmet
wird und die endogene Denitrifikation im Vergleich zum Anammox-Umsatz deutlich lang-
samer abläuft. Nachteilig erscheinen bei der zweistufigen Verfahrensführung zunächst die
im Vergleich höheren Investitionen durch die Ausführung zweier getrennter Becken. In der
Praxis ergibt sich jedoch durch die Trennung der Prozessschritte eine deutlich erhöhte Sta-
bilität des Prozesses, da die Beschickung beider Stufen individuell angepasst werden kann
und eventuelle Konzentrationsspitzen wirksam abgepuffert werden können. Im Hinblick
auf Aspekte des Klimaschutzes ist die (gewünschte) Nitritakkumulation in der ersten Stufe
(Nitritation) als problematisch zu bewerten, da hohe Nitritkonzentrationen nachweislich
die vermehrte Bildung von N2O fördern (s. auch Kapitel 10.4.3). Um dieser Problematik zu
10.3 Verfahrenstechnische Umsetzung 815
2
DEamMonification, pH-gesteuerte Deammonifikation.
3
Deammonifikation mit intermittierende Belüftung.
816 10 Biologische Stickstoffelimination
weise sind die PWB der KA Fulda (Ausführung der Deammonifikation im Belebungsver-
fahren) sowie die PWB der ARA Zürich-Werdhölzli (Ausführung als SBR).
Während Verfahren zur Nitritation mit suspendierter Biomasse oder Biofilm mit Schlamm-
rückführung oder als Ausschwemmreaktor betrieben werden, liegen Erfahrungen für die
Umsetzung der anaeroben Ammoniumoxidation als nachgeschaltete zweite Stufe bisher
nur sehr begrenzt vor. Für die verschiedenen Schlammsysteme sind erreichte Umsatzraten
nachfolgend zusammengestellt:
Suspendierter Schlamm (SBR) Im Rahmen der Forschungstätigkeit zur anaeroben Ammo-
niumoxidation wurden und werden an den Universitäten überall auf der Welt eine Vielzahl
labortechnische Reaktoren mit suspendierter Biomasse betrieben. Auf Basis dieser Unter-
suchungen, die i. d. R mit künstlicher Nitritdotierung und zum Teil auch künstlichem
Abwasser durchgeführt werden, konnten eine Vielzahl von Erkenntnissen zum biologi-
schen Prozess und zu wesentlichen Prozessgrößen wie ‚Temperatureinfluss‘, „Hemmung“,
Wachstumsraten, Ertragskoeffizient etc. erhoben werden. Zur Einschätzung erreichbarer
Umsatzleistungen im realen Betrieb sind diese Anlagen jedoch aufgrund der stark beein-
flussten/optimierten Randbedingungen nicht geeignet. Eine großtechnische Umsetzung
der Deammonifikation als zweistufige Anlage nach dem Belebungsverfahren gibt es bisher
erst einmal, auf der KA Landshut, Bayern. Die anaerobe Ammoniumoxidation erreichte
nach 6 Monaten einen stabilen Gesamtwirkungsgrad von > 85 % bezogen auf den Gesamt-
stickstoff im Zulauf der Anlage – die Raumumsatzrate betrug hierbei 1,2 kg N/(m3·d). Die
Anlage ist in Kap. 10.5.3 als großtechnisches Beispiel einer zweistufigen Anlage detailliert
beschrieben.
Granulierter Schlamm (Airlift-Reaktor) Durch einen gezielten Betrieb der Reaktoren
wird die Bildung dichter, gut sedimentierbarer Granula unterstützt, in deren Matrix sich
die anaerob ammoniumoxidierenden Bakterien anreichern. Durch die hohe Biomassen-
dichte können analog zu den EGSB-Reaktoren zur anaeroben Kohlenstoffumsetzung ent-
sprechend hohe Raumumsatzleistungen von BR ≈ 10 kg N/(m3·d) erreicht werden. Das Sys-
tem wird von der Fa. Paques unter dem Namen ANAMMOX® umgesetzt. Großtechnische
Anlagen werden u. a. auf der KA Rotterdam zur Schlammwasserbehandlung (in Verbin-
dung mit SHARON®) und in Olburgen zur gemeinsamen Behandlung von kommunalem
Schlammwasser und anaerob vorbehandeltem Abwasser aus der Kartoffelverarbeitung (in
Verbindung mit einem PHOSPAQ®-Reaktor) betrieben (Abma et al. 2007).
Biofilm (Moving-Bed-Reaktor) Um für eine spätere großtechnische Umsetzung einer
zweistufigen Deammonifikation Auslegungsdaten und Hinweise zum Betrieb zu erhalten,
wurden von April 2004 bis April 2006 auf dem Klärwerk Köhlbrandhöft labor- und halb-
technische Versuche zur anaeroben Ammoniumoxidation mittels Moving-Bed-Verfahren
durchgeführt. Im Versuchsanlagenbetrieb konnte als Mittelwert über einen Zeitraum von
zwei Monaten, in denen die Anlage bei stabilem Stoffumsatz hoch belastet wurde, eine
maximale Flächenabbauleistung von 6,2 g N/(m2·d) erreicht werden. Die zugehörige Flä-
chenbelastung betrug 8,0 g N/(m2 · d), der Abbaugrad 77,3 % (siehe Abb. 10.2).
10.3 Verfahrenstechnische Umsetzung 817
10.4.1 Wichtige Prozessgrößen
Abb. 10.3 Nitrifikationhemmung durch Ammoniak und salpetrige Säure in Abhängigkeit des pH-
Wertes (aus Hippen 2001)
10.4.1.2 Sauerstoffkonzentration
Sauerstoff ist im Hinblick auf die Nitrifikation auch als Substrat einzuordnen. Unter sauer-
stofflimitierten Bedingungen setzt vermutlich eine Konkurrenzsituation zwischen den Am-
monium- und Nitritoxidierern ein. So zeigen zahlreiche Untersuchungen, dass die Nitrit-
oxidierer bei abnehmender Sauerstoffkonzentration deutlich stärker in ihrer Wachstums-
geschwindigkeit reduziert werden als die Ammoniumoxidierer (in der Monod-Darstellung
K NH N , O < K NO N , O ). Beispielhaft für ermittelte Sättigungskonstanten sind hier die Werte
− −
4 2 2 2
von Wiesmann (1994) genannt, der für die Ammoniumoxidierer eine Sättigungskonstan-
te von K NH N , O = 0, 3 mg O2 / L und für die Nitritoxidierer von K NO N , O = 1,1 mg O2 / L
− −
4 2 2 2
ermittelte. Neuere Untersuchungen legen nahe, dass die ermittelten Werte stark vom je-
weiligen Schlammsystem abhängen und unter bestimmten Bedingungen auch umgekehrte
Verhältnisse herrschen können (Regmi et al. 2013).
gebildet. Im Gegensatz zur Denitrifikation, bei der durch den Verbrauch von H3O+-Ionen
die Hälfte der bei der Nitritation verbrauchten Säurekapazität zurückgewonnen werden
kann, hat der Prozess der anaeroben Ammoniumoxidation keinen signifikanten Einfluss
auf die Säurekapazität. Die Wahl der biologischen Stickstoffumsetzungsprozesse hat also
entscheidenden Einfluss auf die Säurekapazität und damit auch auf den pH-Wert.
Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Säurekapazität und pH-Wert lassen
sich die Effekte dieser Parameter häufig kaum voneinander trennen. Fest steht jedoch,
dass beide Größen einen signifikanten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und Stabilität
der Nitrifikation und damit auch den Deammonifikationsprozess haben, die nachfolgend
zusammengefasst sind.
Allen biologischen Umsatzprozessen kann ein bakterienspezifisches pH-Optimum zu-
geordnet werden (vgl. Kap. 10.3.1.1). Die bei ungünstigen pH-Werten auftretende Schä-
digung der Bakterienzellen geht nicht auf die H3O+ oder OH–Ionenkonzentration zurück,
sondern vielmehr auf den veränderten Anteil nichtdissoziierter schwacher Säuren und
Basen. Diese dringen im ungeladenen Zustand leichter in die Zellen ein als ihre Dissozia-
tionsprodukte. Bei der Nitritation wird beobachtet, dass diese typischerweise bei pH-Wer-
ten unter 5,7 zum Erliegen kommt. Gleichzeitig ist bei diesen pH-Werten jedoch i. d. R
auch die gesamte Säurekapazität in Form von HCO3− aufgebraucht. In diesem Fall kann
somit auch die Limitierung des autotrophen (und damit auf CO2-Fixierung angewiesenen)
Bakterienwachstums die Ursache für den Abbruch des biologischen Prozesses sein (Wett
und Rauch 2003). Dieses gilt sowohl für Nitrifikanten als auch für Anammoxbakterien.
In der Praxis ergibt sich aus dem oben dargestellten Zusammenhang eine Limitierung
des Wirkungsgrades der Nitritation, wenn das Verhältnis von Säurekapazität zu Ammo-
niumkonzentration < 2 ist. Für kommunales Schlammwasser mit einem Verhältnis von
etwa 1 (s. o.) beträgt der maximal erreichbare Wirkungsgrad ohne eine künstliche Stüt-
zung der Säurekapazität etwa 50–55 %. Dementsprechend stellt sich ohne Eingriff in den
Prozess sowohl bei der einstufigen als auch bei der zweistufigen Deammonifikation nahe-
zu das für die anaerobe Ammoniumoxidation benötigte Verhältnis von Nitrit/Ammonium
von 1,3:1 ein.
Neben den Umsetzungsprozessen hat auch die Belüftung einen Einfluss auf die Säure-
kapazität und den pH-Wert. Eine starke Belüftungsintensität führt zum Strippen von CO2
und damit zur Verringerung der Säurekapazität. Gleichzeitig steigt der pH-Wert durch die
Verschiebung der Kohlensäuregleichgewichte an. Dies ist insbesondere in der Inbetrieb-
nahmephase mit noch geringen Umsatzraten und hohen NH4+ /NH3– Konzentrationen zu
beachten.
wässern liegen bisher allerdings in der überwiegenden Anzahl aus dem Bereich der Be-
handlung kommunaler Schlammwässer vor. Während grundsätzliche Aussagen über er-
zielbare Umsatzleistung und Verfahrenserprobungen auch auf industrielle Anwendungen
übertragbar sind, führen einige spezifische Besonderheiten der Abläufe anaerober Abwas-
serbehandlungsanlagen zu zusätzlichen Anforderungen an den biologischen Prozess und
die Verfahrensführung. Folgende Aspekte sind bei der Übertragung der Erfahrungen und
Konzeptionierung von Deammonifikationsanlagen zur Behandlung industrieller anaerob
vorbehandelter Teilströme zu berücksichtigen:
• Während der Anfall von Wässern aus der Schlammentwässerung kommunaler Anlagen
hauptsächlich von der Menge des behandelten Schlammes abhängig und i. d. R sowohl
in der Menge als auch in der Konzentration an Stickstoff nur geringen Schwankungen
unterworfen ist, können im industriellen Bereich produktionsbedingt (wechselnder
Rohstoffeinsatz, Wochenendbetrieb, abnahmeorientierte Produktion, Kampagnebe-
trieb etc.) erhebliche Schwankungen sowohl in der Abwassermenge als auch im Ver-
schmutzungsgrad auftreten.
• Das Verhältnis von Säurekapazität zu Ammoniumkonzentration kann gegenüber dem
Schlammwasser einer kommunalen Faulung deutlich abweichen.
• Im Ablauf einer Hochlastanaerobie ist ein erheblicher Anteil abbaubaren Kohlenstoffs
enthalten, bis hin zu organischen Säuren im Störungsfall. Da die Ertragskoeffizienten
heterotropher Mikroorganismen gegenüber denen von AOB und NOB deutlich grö-
ßer sind, besteht neben der Konkurrenz um das Nitrit die Gefahr der Verdrängung
der autotrophen Biomasse. Außerdem ist eine hemmende Wirkung organischer Säu-
ren auf die Nitrifikanten oder Anammoxbakterien möglich. Verfahrenstechnisch kann
hier eine der Nitritation vorgelagerte Belüftung oder Denitrifikation Abhilfe schaffen
(Sander et al., 2010b).
• Aufgrund der geringen hydraulischen Aufenthaltszeit und der gegenüber einer kom-
munalen Faulung stark unterschiedlichen Substrate, kann der Gehalt an organischem
Stickstoff im Gegensatz zu Schlammwasser deutlich erhöht sein. Daher muss mit einer
weiteren Mineralisierung des Stickstoffes zu Ammonium in der nachfolgenden Verfah-
rensstufe (z. B. Nitritation) gerechnet werden, mit in der Folge erhöhter Ammonium-
konzentration und –fracht.
• In Abhängigkeit von der Herkunft des Abwassers und dem Betrieb der Anaerobie er-
geben sich z. T. für eine biologische Abwasserreinigung ungünstig hohe Temperaturen
(> 40 °C). Zusätzlich ist bei hohen Stickstoffumsätzen die Selbsterwärmung des Wassers
durch die exotherme Reaktion der Nitritation in einer Wärmebilanz zu berücksichtigen,
um die Temperaturen in dem gewünschten Temperaturbereich von 26–35 °C zu halten.
• Industrielle Abwässer enthalten oftmals branchen- bzw. produktionsspezifische Hemm-
stoffe, welche in der Anaerobstufe gar nicht oder nur unzureichend entfernt werden.
So können z. B. hohe Chlorid-, Sulfit- und Alkalimetallkonzentrationen die Umsatz-
geschwindigkeit des aeroben und anaeroben Ammoniumumsatzes beeinträchtigen, was
zu einer Vergrößerung der notwendigen Beckenvolumina führen kann. Die Überprü-
fung und Untersuchung möglicher hemmender Inhaltsstoffe ist daher von besonderer
Bedeutung (siehe auch Tab. 10.3).
822 10 Biologische Stickstoffelimination
10.4.3 Klimarelevanz
Im Hinblick auf die Klimarelevanz sind bei allen Verfahren zur N-Elimination die Emis-
sionen von relevanten Treibhausgasen zu beachten. Zwar beinhaltet die Deammonifikati-
on mit ihren Teilschritten der Nitritation und anaerobe Ammoniumoxidation durch ihren
autotrophen Charakter eine Bindung von Kohlenstoff anstelle einer CO2-Freisetzung, je-
doch können bei unvollständiger Umsetzung der Ammoniumoxidation N2O und NO ge-
bildet werden. Auch bei der Denitrifikation besteht bei Störung des Prozesses die Gefahr
der Anreicherung von N2O/NO. Die anaerobe Ammoniumoxidation ist nach heutigen
Kenntnis-Stand nicht an der Bildung oder Reduktion von N2O beteiligt. Neben der Gefahr
der gesundheitlichen Beeinträchtigung durch Lachgasanreicherungen in der Raumluft
(MAK Wert nach GKV 2007: 100 ppm, 180 mg/m3) ist im Hinblick auf eine Energieopti-
mierung aus Klimaschutzgründen das sehr hohe Treibhauspotenzial von N2O zu beach-
ten (310 CO2-Äquivalente). Eine breit angelegte Studie aus den 1990er Jahren (finanziert
durch das BMBF (Krauth et al. 1993)) zeigte hierzu, dass ein Bildungspotenzial für N2O
in Belebungsanlagen durchaus vorhanden, aber nicht direkt der Emission gleichzusetzen
ist. Maßgebend für die Emissionsrate ist die Gastransferrate am Entstehungsort bzw. zum
Entstehungszeitpunkt. Erfolgt keine direkte Emission, wird N2O als Zwischenprodukt in
der Denitrifikation weiter umgesetzt.
Auch die tatsächliche Freisetzung von vorher gebildetem N2O in der Anammoxphase
dürfte sich aufgrund der geringen kLa-Werte auf geringe Anteile beschränken. Der Ein-
fluss der Betriebseinstellung und Milieubedingungen auf die Bildung von Zwischenpro-
dukten bei der Deammonifikation ist Teil der aktuellen Forschung (Beier und Schneider
2012; Schneider 2013).
10.5 Beispielanlagen „Deammonifikation“
Anlagenbeschreibung
Die durch die Rückführung des unbehandelten Schlammwassers verursachten Rückbe-
lastungen auf kommunalen Kläranlagen können je nach Beschaffenheit und Menge des
behandelten Schlammes ca. 20 bis 30 % betragen. Zur wirksamen Entlastung des Haupt-
10.5 Beispielanlagen „Deammonifikation“ 823
stromes wurde auf der Kläranlage Rodgau (85.000 EW) eine Teilstrombehandlung als
einstufige Deammonifikation in Betrieb genommen. Die als Sequencing Batch-Reaktor
gestaltete Prozesswasserbehandlungsanlage (PWB) der Kläranlage Rodgau verfügt in
Abhängigkeit des eingestellten Freibords über ein Volumen von etwa 300 m3. Die Unter-
drückung des Umsatzes der NOB erfolgt durch die Wiederholung der Phasen „Befüllen
– Belüften – Rühren“ bzw. „Befüllen – Rühren – Belüften – Rühren“ einerseits durch eine
Intervallbelüftung, andererseits durch die Einstellung geringer Sauerstoffkonzentrationen.
Hierbei erfolgt die Belüftung in einem Zeitfenster von 12–15 min, die Länge der unbelüf-
teten Rührphase wurde zwischen 20 und 75 min variiert. In den belüfteten Phasen wird
in diesem Zeitraum eine maximale Sauerstoffkonzentration von etwa 0,6 mg/L erreicht.
Umsatzleistung
Die nun seit gut zwei Jahren betriebsstabil laufende Anlage zeigt einen kontinuierlich
hohen Wirkungsgrad von über 90 % bezogen auf den Stickstoff im Zulauf zur Anlage.
Durch die Entfrachtung des Hauptstroms ist eine Verbesserung der N-Ablaufwerte der
Gesamtanlage zu beobachten. Tabelle 10.6 zeigt die Bandbreite der Zu- und Ablaufkon-
zentrationen der PWB im Jahr 2012.
Die gemessenen Nitratablaufwerte liegen mit < 60 mg/L deutlich unter den zu erwarten-
den 11 % des Stickstoffumsatzes der anaeroben Ammoniumoxidation. Vermutlich führt eine
parallel zum Anammoxprozess stattfindende Denitrifikation zu einem teilweisen Abbau des
gebildeten Nitrats. Um diesen Prozess zu unterstützen, wird ab April 2012 eine zusätzliche
(der Befüllphase nachgeschaltete) Rührphase mit einer Länge von 10 min betrieben.
Im gegenwärtigen Betrieb kann eine Substratlimitierung der AOB (NH3-Konzentration
< 1 mg/L) ebenso wie eine Substratüberschusshemmung der anaeroben Ammoniumoxi-
dierer ausgeschlossen werden. In den belüfteten Phasen wurden im Zeitraum Januar bis
Mai 2012 maximal 2 mg/L NO2-N gemessen, sodass eine Substratversorgung der anae-
roben Ammoniumoxidierer sichergestellt ist, eine Nitrithemmung aber ausgeschlossen
werden kann. Der geschwindigkeitslimitierende Prozess der Deammonifikation der PWB
Rodgau (vor allem im Winterhalbjahr) ist die Nitritation. Die niedrigen Sauerstoffkon-
zentrationen in Verbindung mit der gewählten Intervalllänge beschränken hier die Nitrit-
bildung und somit die Substratversorgung des nachgelagerten oder parallel stattfindenden
Anammoxumsatzes deutlich. Die Limitierung wird zusätzlich durch einen kontinuierli-
chen Schlammabtrieb, der vermutlich zu einem kontinuierlichen Austrag und somit zu
einer Begrenzung der im Reaktor vorhanden Menge an AOB führt, verstärkt. Ein Austrag
von Anammoxbakterien über den Schlammabtrieb konnte nicht festgestellt werden – die
Abb. 10.4 Biomassenentwicklung während der Inbetriebnahmephase der PWB auf der KA Rodgau
Inbetriebnahme
Die Inbetriebnahme der Anlage im Juli 2011 erfolgte durch das Einbringen von Impf-
schlamm aus der PWB-Anlage Fulda Gläserzell und anschließendem etwa 4-wöchigen
Batchbetrieb. Anschließend erfolgte eine kontinuierliche Steigerung der Zulauffracht ent-
sprechend der Anreicherung der anaeroben Ammoniumoxidierer, wobei als Regelpara-
meter die Ablauf-Ammoniumkonzentration unter 100 mg/L gehalten wurde. Bereits im
Oktober konnte die gesamte Schlammwassermenge über die Anlage gegeben werden. Die
Anreicherung der Biomasse in der Inbetriebnahmephase ist Abb. 10.4 zu entnehmen.
Durch den Betrieb der Intervallbelüftung und die sehr geringen Sauerstoffkonzentra-
tionen der Anlage konnten auch nach einem Jahr Betrieb keine NOB im Schlamm der
PWB Rodgau nachgewiesen werden.
10.5 Beispielanlagen „Deammonifikation“ 825
Anlagenbeschreibung
Auf der kommunalen Kläranlage Himmerfjärden (Schweden) wurde 2007 eine Deammo-
nifikationsanlage im Moving-Bed-Verfahren (Kaldnes®-Aufwuchsträger) erstellt. Die An-
lage ist auf die Behandlung des gesamten anfallenden Schlammwassers, d. h. einen mitt-
leren Abwasserzuflusses von 960 m3/d und eine Stickstofffracht von 670 kg N/d ausgelegt.
Zwei bestehende Vorklärbecken wurden zu zwei Straßen mit je vier Zonen umgebaut und
die Zonen 1, 2 und 3 je zu 32 % mit Aufwuchsträgern (K1H, Kaldnes®) gefüllt. Die so er-
reichte effektive Oberfläche beträgt 224.000 m2. Zone 0 wird nicht belüftet und dient als
Sedimentationsbecken für Feststoffe aus der Schlammentwässerung. Die Zonen 1, 2 und
3 können unabhängig voneinander mit unterschiedlichen Belüftungstrategien betrieben
werden. Das Anlagenschema und die Beckengrößen der Deammonifikationsanlage kön-
nen Abb. 10.5 entnommen werden.
Inbetriebnahme
Die Inbetriebnahme erfolgte mit fabrikneuem Trägermaterial zunächst über die Etab-
lierung eines Nitritations-Biofilms (kontinuierliche Belüftung, hohe Belastung). Durch
Umstellung auf intermittierende Belüftung, Reduzierung der Belastung und anschließend
10.5 Beispielanlagen „Deammonifikation“ 827
schrittweise Erhöhung der Fracht konnte innerhalb von 5 Monaten ein stabiler Anam-
mox-Umsatz in allen Zonen etabliert werden. Durch das Einstellen kurzer hydraulischer
Aufenthaltszeiten und geeigneter Belüftungsintervalle wird das Einwachsen von nitriotxi-
dierenden und denitrifizierenden Bakterien erfolgreich vermieden.
Anlagenbeschreibung
Mit der Inbetriebnahme der Schlammentwässerung auf der Kläranlage Landshut (Aus-
baugröße 260.000 EW) im Jahre 1990 ergab sich durch die dabei anfallenden, hoch stick-
stoffhaltigen Zentratwässer eine nicht unerhebliche Rückbelastung für den biologischen
Teil der Kläranlage. Um diese zusätzliche Stickstofffracht aus dem Abwasser zu entfernen,
wäre nach damaligem Standard eine Nachrüstung der Hauptstrombiologie notwendig
geworden. Um dies zu vermeiden entschied sich die Stadt Landshut bereits damals, das
Zentrat getrennt im Teilstrom zu behandeln. Bis 2009 wurden die anfallenden Abwässer
aus der Schlammentwässerung separat – im Teilstrom – nach dem Terra-N®-Verfahren
behandelt. Ziel der Verfahrensstufe war die weitgehende Nitrifikation (also Oxidation des
Ammoniums zum Nitrat). Die eigentliche Stickstoffelimination (Umwandlung des Nitrat-
Stickstoffs zu elementarem Luftstickstoff) erfolgte weiterhin unter Ausnutzung des im Zu-
lauf der Kläranlage vorhandenen Kohlenstoffs im Hauptstrom der Anlage.
Die Etablierung der Deammonifikation zur Schlammwasserbehandlung musste so-
mit im laufenden Betrieb erfolgen. Aufgrund der bereits vorhandenen Prozesse und Be-
cken wurde eine zweistufige Deammonifikation im Belebungsverfahren gewählt, wie in
Abb. 10.7 schematisch unter Angabe der Zulauffracht, Durchflussmengen sowie der Aus-
legungskonzentrationen dargestellt.
Das Betriebskonzept sieht vor, das Ammonium im Zulauf zunächst in der Nitritations-
stufe mit Intervallbelüftung und innenliegendem Nachklärbecken zu 45 % zu oxidieren.
Der Ablauf gelangt in die unbelüftete Anammox-Stufe, wo mit einem Wirkungsgrad von
80 % Ammonium und Nitrit anteilmäßig abgebaut werden. Auch hier wird der Schlamm
Umsatzleistung
Die anaerobe Ammoniumoxidation erreichte bereits 3 Monate nach Inbetriebnahme einen
stabilen Umsatz von 1,2 kg N/(m3 · d), was einem Gesamtwirkungsgrad von > 85 % bezo-
gen auf den Gesamtstickstoff im Zulauf der Anlage entspricht. Der Ablauf der Nitritations-
stufe liegt in Abhängigkeit der vorhandenen Säurekapazität und der Zulaufkonzentration
zwischen 400 mg/L NO2–N und 630 mg/L NO2–N, der pH-Wert um 6,5, das Temperatur-
niveau bei 31 °C. Die NO2–N-Ablaufkonzentration der Gesamtanlage liegt konstant unter
0,5 mg/L NO2–N (NH4+N um 140 mg/L). Bezogen auf den organischen Trockensubstanz-
gehalt ergibt sich eine Umsatzrate von 0,33 g N/(g oTS · d) limitiert durch die Zulauffracht
aus der Schlammentwässerung. Im Vergleich zur angegebenen maximalen Umsatzrate
der Anammoxbakterien von 1,5 g N/(g oTS · d) zeigt sich, dass dieses System bei einer
weiteren Anreicherung der Anammoxbakterien noch über erhebliche Leistungsreserven
verfügt. Dies bestätigte sich auch bei einer Betriebsstörung mit starkem Schlammabtrieb.
Innerhalb weniger Tage wurde wieder das ursprüngliche Umsatzniveau erreicht, was
auf einen vorhandenen Anammoxüberschuss im System hinweist. Günstig ist in diesem
Zusammenhang die lange Lagerfähigkeit autotropher Bakterien bei geringsten Umsätzen.
Die regelmäßig durchgeführte betriebseigene Schlammuntersuchung zeigt eine deutliche
Erhöhung des Anammox-Anteils im Schlamm seit der Inbetriebnahme.
Der durchschnittliche Energiebedarf für die Nitritation wird durch den Betreiber mit
180 kWh/d angegeben, das entspricht einem spezifischen Energieverbrauch der Nitrita-
tion von 1 kWh/kg Noxidiert (Regiert 2012).
Inbetriebnahme
Um die Deammonifikation auf dem Klärwerk Landshut zu integrieren, musste im ersten
Schritt das bestehende Terra-N®-Verfahren, bei dem der Ammoniumstickstoff vollständig
zu Nitrat oxidiert wird, zu einer gezielten Nitritation überführt werden. In halbtechnischen
Versuchen wurde die Eignung einer gezielten Intervallbelüftung nachgewiesen und opti-
miert. Die daraus gewonnenen Erfahrungen aus der Halbtechnik konnten anschließend
auf die großtechnische Anlage übertragen werden, welche seit Ostern 2009 stabil nitritiert.
Im Juni 2010 erfolgte nach weiteren Vorversuchen in der Halbtechnik die Inbetriebnah-
me der Deammonifikation. Hierzu wurden 100 m3 Impfschlamm (entspricht etwa 10 %)
einer deammonifizierenden Anlage (KA Gütersloh) dem Behälter zugeführt. Das Inbe-
triebnahmekonzept sah für die Anammox-Stufe zunächst einen Batchbetrieb mit schwall-
weiser Beschickung aus der Nitritation vor, wobei ein Bypass des Zulaufes zur Einstellung
der gewünschten Nitritkonzentration verwendet wurde. Ziel war ein TS von 5–6 g/L. In
den laufenden Betrieb des Nitritationsbeckens wurde dabei nicht eingegriffen, sodass die
zum Einhalten der Ablaufwerte erforderliche Ammoniumumsatzleistung zu jeder Zeit si-
chergestellt war. Durch die Anpassung der Zulauffracht und Ergänzung der Nitritbereit-
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