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Willi Gujer

Siedlungswasserwirtschaft
Springer-V erlag
Berlin Beideiberg GmbH
Willi Gujer

Siedlungs-
wasserwirtschaft

Mit 200 Abbildungen

'Springer
Prof. Dr. Willi Gujer
ETHZürich
Institut für Hydromechanik und Wasserwirtschaft
ETH-Hönggerberg
CH- 8093 Zürich

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Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme


Gujer, Willi:
Siedlungswasserwirtschaft I Willi Gujer.
ISBN 978-3-662-12992-0 ISBN 978-3-662-12991-3 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-12991-3
Buch.1999
CD-ROM.1999

ISBN 978-3-662-12992-0
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gesetzes.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1999


Ursprünglich erschienen bei Springer-Verlag Berlin Beideiberg New York 1999
Softcover reprint of the harclcover 1st edition 1999

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Vorwort

Ohne die umfassenden Leistungen der Siedlungswasserwirtschaft wäre die urba-


ne Entwicklung unserer Gesellschaft nicht denkbar. Unsere Hygiene hängt in
grossem Masse vom Erfolg und der Zuverlässigkeit dieses Wirtschaftszweiges
ab. Überraschend ist, dass sich kaum ein Lehrbuch mit der ganzen Breite dieser
für die Gesellschaft so wichtigen technischen Disziplin befasst. Wasseraufberei-
tung, Wasserversorgung, Siedlungsentwässerung und Abwasserreinigung und
Teile des Gewässerschutzes werden häufig als getrennte Arbeitsgebiete gelehrt
und sind in der Praxis auch in getrennten fachlichen Berufsorganisationen orga-
nisiert.
Trotzdem ist die Siedlungswasserwirtschaft eine Disziplin, die zunehmend
breiter und multidisziplinärer wird und zudem ihre Probleme mehr und mehr
ganzheitlich angeht. Dieser Text ist ein Versuch, dieses Arbeitsgebiet von Um-
welt- und Bauingenieuren breit zu erfassen. Dass darunter die Tiefe z.T. leiden
muss, und dass einige Themen wie z.B. die Selbstreinigung in natürlichen Ge-
wässern, die betriebswirtschaftlich-administrativen und planensehen Belange der
Siedlungswasserwirtschaft, die Aspekte der Entwicklungsländer oder z.B. neue
und alternative Sanitärkonzepte zu kurz kommen, hängt mit dem beschränkten
Aufwand zusammen, den junge Ingenieure und Ingenieurinnen in ihrer Ausbil-
dung den Grundlagen der Siedlungswasserwirtschaft widmen können. Solche
Themen müssen der Vertiefung vorbehalten bleiben.
Dieses Lehrbuch ist aus den Materialien entstanden, die ich über Jahre ge-
sammelt und mit zunehmendem Erfolg in einer Vorlesung mit dem Titel Grund-
züge der Siedlungswassenvirtschaft vermittle. Diese Vorlesung beansprucht
während eines Semesters ca. 60 Lektionen inkl. Übungen und richtet sich an alle
angehenden Umwelt-, Kultur- und Bauingenieurinnen an der ETH Zürich: Sie
vermittelt die Grundlagen, auf der die Vertiefung aufbauen kann. Entsprechend
werden hier einfache Konzepte, Methoden und Modelle vorgestellt, die heute
kaum mehr direkt in die Anwendung umgesetzt werden können, ohne deren Ver-
ständnis aber eine vertiefte Ausbildung, die in ihrer Breite immer nur beschränkt
sein kann, kaum denkbar ist.
Die Vorlesung folgt nicht dem unveränderten Ablauf dieses Textes. Insbe-
sondere sind die Studierenden kaum motiviert, die Grundlagen ohne Bezug zur
realen, für sie erlebbaren Welt, zu erarbeiten. Meine bevorzugte Sequenz ist:
Kapitel 1, 2 (mit vielen Beispielen), 5, 7, Teile von 3, 10, 11, 8, 9, 12- 17, 18,
Teile von 3, 19- 23, 24, 4, 25.
Viele Beispiele in diesem Lehrbuch orientieren sich an der Praxis der Sied-
lungswasserwirtschaft in der Schweiz. Die Gemeinsamkeiten und die Gegensätze
zu anderen Ländern und Regionen zu erkennen und zu verstehen ist Teil der
VI Vorwort

Kultur der Ingenieurwissenschaften - diesen Aspekt zu pflegen und durch eigene


Beispiele zu erweitern ist die vornehme Aufgabe der Dozierenden.
Ich stelle mir vor, dass dieser Text den Unterricht an Fachhochschulen ge-
nauso unterstützen kann wie an Technischen Universitäten- diese Ausbildungs-
gänge unterscheiden sich im Umfang und der Tiefe der naturwissenschaftlichen
Vorbildung und der Intensität und der Ausrichtung der Vertiefung, aber kaum in
den technischen Grundlagen, die dieser Text vermitteln will.
Dieses Lehrbuch enthält als Beilage eine CD, die vielfältiges Material für die
Unterstützung des Unterrichts und für Prüfungsvorbereitungen enthält. Solche
Materialien sind noch umfassender als ein Lehrbuch durch persönliche Prioritä-
ten und Möglichkeiten geprägt. Sie werden hier zur Verfügung gestellt, um die
Arbeit von Dozierenden und Studierenden zu erleichtern. Leider ist das umfang-
reiche Bildmaterial, das ich im Unterricht nutze, häufig mit Rechten belegt, die
es nicht erlauben, diese Bilder auf die CD zu bringen. Eine gute Quelle sind
Reklamebilder aus Fachzeitschriften - diese überzeichnen und verdeutlichen.
Ich wünsche mir, dass dieses Lehrbuch mithilft, die Siedlungswasserwirt-
schaft als eine ganzheitliche Ingenieurdisziplin darzustellen und in der Ausbil-
dung eine breite und solide Basis zu erarbeiten, auf der dieses interessante Ar-
beitsgebiet sich weiter entwickeln kann.

Ich danke meinen Mitarbeitern, Assistenten und Assistentinnen sowie den


Studierenden, die mitgeholfen haben, dieses Lehrbuch zu gestalten und Fehler
aufzudecken.

Zürich im Herbst 1998 Willi Gujer


Inhalt

1 Einleitung ................................................................................................ 1
A GRUNDLAGEN
2 Systemanalyse und Massenbihmz ........................................................... 19
3 Charak:terisierung von Wasser ................................................................ 33
4 Charak:terisierung von Klärschlamm ...................................................... 63
5 Wasserbedarf, Abwasseranfall ................................................................ 67
6 Schmutzstoffanfall und Temperatur ....................................................... 91
B WASSERVERSORGUNG
7 Wasserversorgung ................................................................................ 103
8 Wasserbeschaffung ............................................................................... 111
9 Wasseraufbereitung .............................................................................. 127
10 Wasserspeicherung ............................................................................... 145
11 Wasserverteilung, Netz ........................................................................ 153
C SIEDLUNGSENTWÄSSERUNG
12 Siedlungsentwässerung ........................................................................ 191
13 Siedlungshydrologie ............................................................................. 197
14 Entwässerungsverfahren ....................................................................... 219
15 Mischwasserbehandlung ...................................................................... 227
16 Technik der Siedlungsentwässerung ..................................................... 237
17 Entwässerungsplanung ......................................................................... 277
D ABWASSERREINIGUNG
18 Abwasserreinigung ............................................................................... 281
19 Mechanische Abwasserreinigung ......................................................... 289
20 Biologische Abwasserreinigung ............................................................ 305
21 Physikalische Reinigungsverfahren ...................................................... 357
22 Umfeld der Abwasserreinigung ............................................................ 363
23 Kleinkläranlagen .................................................................................. 367
E BEHANDLUNG VON KLÄRSCHLAMM
24 Entsorgung von Klärschlamm .............................................................. 373
25 Verfahren der Schlammbehandlung ..................................................... 381
F LITERATUR UND SACHVERZEICHNIS
26 Literatur ............................................................................................... 401
27 Sachverzeichnis ................................................................................... 407
VIII Inhalt

1 Einleitung ............................................................................................... 1
1.1 Umschreibung des Fachgebiets ................................................................. 1
1.2 Siedlungswasserwirtschaft........................................................................ 1
1.3 Geschichte der Siedlungswasserwirtschaft ................................................ 2
1.4 Wasserkreislauf in Siedlungen ................................................................. 4
1.5 Wasserbeschaffung und Wasserversorgung .............................................. 6
1.6 Siedlungsentwässerung ............................................................................ 9
1. 7 Abwasserreinigung................................................................................. 10
1.8 Behandlung und Unterbringung von Klärschlamm ................................. 12
1.9 Gewässerschutz ...................................................................................... 13
1.10 Siedlungswasserwirtschaftliche Planung ................................................ 14
1.11 Wert und Kosten der Siedlungswasserwirtschaft..................................... 15
1.12 Fazit. ............................... :...................................................................... 16

2 Systemanalyse und Massenbilanz ........................................................ 19


2.1 Einleitung .............................................................................................. 19
2.2 Systeme und deren Abgrenzung ............................................................. 19
2.3 Die Stoffbilanz ....................................................................................... 21
2.4 Ideale Reaktoren .................................................................................... 23
2.4.1 Der Chargenreak:tor ................................................................... 23
2.4.2 Der ideale Rührkessel ............................................................... 24
2.4.3 Der Röhrenreaktor .................................................................... 25
2.5 Anwendung der Bilanzgleichung ........................................................... 26
2.5.1 Speicherung .............................................................................. 26
2.5.2 Speicherung und Transport ........................................................ 27
2.5.3 Keine Speicherung: Stationärer Zustand .................................... 28
2.5.4 Die Umwandlung kann vernachlässigt werden .......................... 28

3 Charakterisierung von Wasser ............................................................ 33


3.1 Vorbemerkungen .................................................................................... 33
3.2 Summenparameter und Einzelstoffe ....................................................... 33
3.3 Filtration, gelöste und partikuläre Stoffe................................................. 34
3.3.1 Filtration ................................................................................... 34
3.3.2 Abfiltrierbare Stoffe, TSS ......................................................... 35
3.3.3 Glühverlust der abfiltrierbaren Stoffe, VSS ............................... 35
3.3.4 Glührückstand der abfiltrierbaren Stoffe ................................... 36
3.4 Organische Stoffe ................................................................................... 36
3.4.1 Chemischer Sauerstoffbedarf CSB ............................................ 36
3.4.2 Biochemischer Sauerstoffbedarf in 5 Tagen, BSB, .................... 37
3.4.3 Organisch gebundener Kohlenstoff, TOC, DOC, POC .............. 39
3.5 Stickstoff................................................................................................ 40
3.5.1 Formen von Stickstoff ............................................................... 40
3.5.2 Ammonium und Ammoniak: ...................................................... 41
3.5.3 Organisch gebundener Stickstoff, Kjeldahl-Stickstoff.. ............. 42
3.5.4 Nitrit und Nitrat ........................................................................ 42
Inhalt IX

3.5.5 Totaler Stickstoff, TN, gelöster Stickstoff, GN ......................... .43


3.5.6 Elementarer Stickstoff, N2 ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 43
3.6 Phosphor, TP, GP, P04-P ....................................................................... 43
3.7 pH-Wert und pH-Puffersystem ............................................................... 44
3.7.1 pH-Wert .................................................................................... 45
3.7.2 pH-Puffer .................................................................................. 45
3.7.3 Alkalinität, Säurebindungsvermögen, SBV .............................. .46
3.8 Wasserhärte ........................................................................................... 47
3.9 Gelöster Sauerstoff ................................................................................. 49
3.10 Physikalische Analysen .......................................................................... 50
3.10.1 Leitfähigkeit ........................ ,.................................................... 50
3.10.2 Temperatur ............................................................................... 50
3.1 0.3 Dichte ....................................................................................... 50
3.10.4 Viskosität, Zähigkeit ................................................................. 51
3.10.5 Oberflächenspannung ................................................................ 51
3.10.6 Geruch und Geschmack ............................................................ 51
3.11 Mikrobiologische und hygienische Parameter ......................................... 52
3.11.1 Escherichia coli ........................................................................ 52
3.11.2 Beurteilung von Wasser ............................................................ 54
3.12 Grenzwerte und typische Analysen ......................................................... 56
3.12.1 Flusswasser, Seewasser, Grundwasser ....................................... 56
3.12.2 Niederschlag und Regenwasser ................................................. 51
3.12.3 Trinkwasserzusammensetzung .................................................. 58
3.12.4 Städtisches und kommunales Abwasser ..................................... 59
3.12.5 Abwasser bei Regenereignissen, Mischwasser ........................... 60
3.13 Probenahme ........................................................................................... 60

4 Charakterisierung von Klärschlamm .................................................. 63


4.1 Trockensubstanz TS und Trockenrückstand TR...................................... 63
4.2 Glühverlust und Glührückstand .............................................................. 64
4.3 Zusammensetzung von Klärschlamm ..................................................... 65

5 Wasserbedarf, Abwasseranfall ............................................................ 67


5.1 Wasserbedarf und Abwasseranfall .......................................................... 67
5.2 Trinkwasserbedarf.................................................................................. 69
5.2.1 Nomenklatur ............................................................................. 69
5.2.2 Wasserverbrauch ....................................................................... 69
5.2.3 Jahresgang des Wasserverbrauchs ............................................. 72
5.2.4 Tagesgang des Wasserverbrauches ............................................ 73
5.2.5 Prognosen des Wasserbedarfs .................................................... 75
5.2.6 Planungswerte für einzelne Versorgungsgebiete ........................ 78
5.3 Löschwasser ........................................................................................... 79
5.4 Abwasseranfall. ...................................................................................... 79
5.4.1 Herkunft des Abwassers ............................................................ 80
5.4.2 Nomenklatur ............................................................................. 81
X Inhalt

5.4.3 Betriebserfahrungen .................................................................. 83


5.4.4 Dimensionierungswerte ............................................................. 86
5.5 Zukünftige Entwicklung und Planung .................................................... 89
5.6 Zusammenfassung: Typische Wassermengen ......................................... 89

6 Schmutzstoffanfall und Temperatur .................................................... 91


6.1 Herkunft der Schmutzstoffe .................................................................... 91
6.2 Anforderungen an die Belastungsangaben .............................................. 92
6.3 Einwohnergleichwerte (EG) ................................................................... 92
6.4 Jahresgang der Belastung ....................................................................... 95
6.5 Tagesgang der Belastung ....................................................................... 96
6.6 Wochengang der Belastung .................................................................... 99
6.7 Abwassertemperatur ............................................................................. 100
6.7.1 Jahresgang der Temperatur ..................................................... 100
6.7.2 Tagesgang der Temperatur. ..................................................... l01

7 Wasserversorgung .............................................................................. 103


7.1 Ziele der Wasserversorgung ................................................................. 103
7.2 Mittel der Wasserversorgung ................................................................ 104
7.2.1 Wasserbeschaffung ................................................................. 106
7.2.2 Schutzzonen ............................................................................ 107
7.2.3 Wasseraufbereitung ................................................................. 107
7.2.4 Pumpwerke ............................................................................. 107
7.2.5 Wasserspeicherung .................................................................. 107
7.2.6 Wasserverteilung .................................................................... 107
7.2.7 Hausinstallationen ................................................................... 108
7.2.8 Überwachung .......................................................................... 108
7.2.9 Administration, Finanzplanung ............................................... 109

8 Wasserbeschaffung............................................................................. 111
8.1 Wasserarten und -Vorkommen ............................................................. 111
8.2 Fassung von Quellwasser ..................................................................... 113
8.3 Fassung von Grundwasser .................................................................... 114
8.4 Berechnungen zum vollkommenen Filterbrunnen ................................. 117
8.5 Fassung von Seewasser ........................................................................ 120
8.6 Grundwasseranreicherung .................................................................... 121
8.7 Schutz von Wasserfassungen (Schutzzonen) ......................................... 123

9 W asserautbereitung ........................................................................... 127


9.1 Desinfektion ......................................................................................... 128
9.2 Langsamsandfiltration .......................................................................... 131
9.3 Schnellfiltration ................................................................................... 132
9.4 Aktivkohleadsorption ........................................................................... 135
9.5 Koagulation und Flockung ................................................................... 136
9.6 Sedimentation ...................................................................................... 136
Inhalt XI

9.7 Mikrosiebe ........................................................................................... 138


9.8 Vorfiltration ......................................................................................... 138
9.9 Abtrennung von partikulären Stoffen ................................................... 139
9.10 Entfernung von Eisen und Mangan ...................................................... 139
9.11 Entsäuerung ......................................................................................... 140
9.12 Enthärtung ........................................................................................... 140
9.13 Mehrstufige Aufbereitungsverfahren .................................................... 142

10 Wasserspeicherung............................................................................. 145
10.1 Aufgabe der Wasserspeicher (Reservoire) ............................................. 145
10.2 Art der Wasserspeicher ........................................................................ 145
10.2.1 Hochbehälter ........................................................................... 145
10.2.2 Tiefbehälter ............................................................................ 146
10.3 Standort und Höhenlage ....................................................................... 146
10.4 Speichervolumen .................................................................................. 146
10.4.1 Löschreserve ........................................................................... 148
10.5 Bilanzierung eines Trinkwasserspeichers ............................................. 148
10.6 Hygienische Anforderungen ................................................................. 149
10.7 Gestaltung eines Trinkwasserspeichers ................................................. 149
10.8 Spezialfälle .......................................................................................... 150
10.8.1 Wasserturm ............................................................................. 150
10.8.2 Löschwasserbehälter ............................................................... 150
10.8.3 Druckwindkessel ..................................................................... 151

11 Wasserverteilung, Netz ...................................................................... 153


11.1 Stationäre Rohrhydraulik ..................................................................... 153
11.1.1 Grundlagen der Rohrhydraulik ................................................ 154
11.1.2 Äquivalente Rohrleitungen ...................................................... 159
11.1.3 Typische Fliessgeschwindigkeiten ........................................... 161
11.2 Pumpen ................................................................................................ 162
11.2.1 Dimensionierung von Kreiselpumpen ...................................... 162
11.2.2 Bedarf an Förderhöhe .............................................................. 162
11.2.3 Charakterisierung der Pumpenleistung .................................... 164
11.2.4 Der Betriebspunkt einer Kreiselpumpenanlage ........................ 167
11.2.5 Serie- und Parallelbetrieb von Pumpen .................................... 168
11.2.6 Anordnung von Pumpen .......................................................... 169
11.3 Wasserverteilung: Netzberechnungen ................................................... 169
11.3.1 Elemente eines Verteilnetzes .................................................. 169
11.3.2 Einfache Netzberechnungen .................................................... 171
11.3.3 Digitalisierte Netzberechnung ................................................. 174
11.4 Gestaltung von Verteilnetzen ............................................................... 175
11.4.1 Druckhaltung .......................................................................... 177
11.4.2 Druckzonen ............................................................................. 177
11.5 Hydraulische Lastfälle - Ziele der Bemessung ...................................... 179
11.6 Sonderbauwerke ................................................................................... 180
XII Inhalt

11.6.1 Druckreduzierventile ............................................................... 180


11.6.2 Druckbrecherschacht.. ............................................................. 180
11.6.3 Zonenpumpwerke ................................................................... 180
11.7 Instationäre Vorgänge: Der Druckstoss ................................................ 180
11.7.1 Druckstoss nach Joukowsky .................................................... 181
11.7.2 Massnahmen gegen Druckslösse ............................................. 184
11.7.3 Der hydraulische Widder ........................................................ 186
11.8 Mess-, Steuer-, Regel- und Fernwirktechnik ......................................... 187
11.9 Planung der Wasserversorgung ............................................................ 187
11.9 .1 Planungshorizont... .................................................................. 187
11.10 Kosten der Wasserversorgung .............................................................. 187

12 Siedlungsentwässerung...........................................................•........... 191
12.1 Aufgaben der Siedlungsentwässerung................................................... 191
12.2 Prozesse der Siedlungsentwässerung .................................................... 192
12.3 Wie sollen Siedlungen entwässert werden? ........................................... 193
12.4 Elemente der Siedlungsentwässerung ................................................... 194

13 Siedlungshydrologie ..................•........................................................ 197


13.1 Einführung in die Siedlungshydrologie ................................................ 197
13.2 Charakterisierung von Regen ............................................................... 200
13.3 Intensität von Starkregen ..................................................................... 203
13.4 Abflussbeiwert von Siedlungsgebieten .................................................. 209
13.5 Maximaler Regenabfluss ...................................................................... 211
13.5.1 Jährlichkeil des Regenereignisses ............................................ 211
13.5.2 Reduzierte Fläche ................................................................... 212
13.5.3 Massgebende Regenintensität.. ................................................ 213
13.5.4 Fliesszeitverfahren .................................................................. 214

14 Entwässerungsverfahren .................................................................... 219


14.1 Historische Entwicklung ...................................................................... 219
14.2 Grundlagen .......................................................................................... 219
14.3 Mischsystem ........................................................................................ 220
14.4 Trennsystem ......................................................................................... 221
14.5 Qualifiziertes Trennsystem ................................................................... 223
14.6 Reale Systeme ...................................................................................... 224
14.7 Alternative Systeme ............................................................................. 224
14.8 Flankierende Massnahmen ................................................................... 224

15 Mischwasserbehandlung .................................................................... 227


15.1 Problemstellung ................................................................................... 227
15.2 Konzept der Mischwasserbehandlung ................................................... 228
15.3 Auswirkungen der Mischwasserbehandlung ......................................... 232
15.3.1 Fallbeispiel Regenüberlaufbecken ........................................... 232
15.3.2 Fallbeispiel Vorklärung ........................................................... 234
Inhalt XIII

15.3.3 Fallbeispiel Ammonium .......................................................... 235

16 Technik der Siedlungsentwässerung.................................................. 237


16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung................................. 237
16.1.1 Liegenschafts- und Strassenentwässerung ............................... 237
16.1.2 Retention und Drosselung ....................................................... 238
16.1.3 Kanalisationen ........................................................................ 239
16.1.4 Kontrollschächte ..................................................................... 243
16.1.5 Kanalvereinigungen ................................................................ 244
16.1.6 Profilwechsel .......................................................................... 245
16.1. 7 Absturzbauwerke .................................................................... 245
16.1.8 Düker ...................................................................................... 246
16.1.9 Entlastungsbau werke ............................................................... 247
16.1.1 0 Drosselstrecken ....................................................................... 249
16.1.11 Regenbecken ........................................................................... 249
16.1.12 Siebe und Rechen .................................................................... 257
16.1.13 Abwasserpumpwerke .............................................................. 257
16.1.14 Drosselorgane ......................................................................... 258
16.1.15 Einleitbauwerke ...................................................................... 258
16.1.16 Versickerungsanlagen ............................................................. 258
16.1.17 Sanierungsleitungen ................................................................ 263
16.2 Hydraulische Berechnungen ................................................................. 263
16.2.1 Grundsätze I Lastfälle ............................................................. 264
16.2.2 Freispiegelleitungen ................................................................ 264
16.2.3 Steilleitungen .......................................................................... 270
16.2.4 Gefällswechsel ........................................................................ 270
16.3 Modelle der Siedlungsentwässerung ..................................................... 272
16.4 Entwurfvon Kanalnetzen ..................................................................... 274
16.5 Abflusssteuerung im Entwässerungsnetz .............................................. 274
16.6 Messtechnik ......................................................................................... 275
16.7 Betrieb der Siedlungsentwässerung ...................................................... 275

17 Entwässerungsplanung ....................................................................... 277


17.1 Generelles Kanalisationsprojekt (GKP) ................................................ 277
17.2 Genereller Entwässerungsplan (GEP) ................................................... 278
17.3 Rollenteilung zwischen Politik und Ingenieur ...................................... 279

18 Abwasserreinigung ............................................................................. 281


18.1 Aufgaben der Abwasserreinigung ......................................................... 281
18.2 Einleitbedingungen von Kläranlagen ................................................... 282
18.3 Fliessschema einer Kläranlage ............................................................. 285

19 Mechanische Abwasserreinigung....................................................... 289


19.1 Mechanische Vorreinigung .................................................................. 289
19.1.1 Rechen .................................................................................... 289
XIV Inhalt

19.1.2 Sand- und Fettfang .................................................................. 290


19.2 Dimensionierungsmodell für die Sedimentation ................................... 293
19.3 Vorklärung .......................................................................................... 296
19.3.1 Aufgabe und Leistungder Vorklärung .................................... 296
19.3 .2 Gestaltung und Dimensionierung des Vorklärbeckens ............. 298
19.3.3 Emscherbrunnen ..................................................................... 300
19.4 Chemische Abwassereinigung .............................................................. 301

20 Biologische Abwasserreinigung ......................................................... 305


20.1 Ziel der biologischen Abwasserreinigung ............................................. 305
20.2 Mikrobiologische Prozesse ................................................................... 306
20.2.1 Wachstum ............................................................................... 306
20.2.2 Zerfall ..................................................................................... 308
20.2.3 Hydrolyse ............................................................................... 308
20.2.4 Abbau organischer Stoffe, heterotrophe Organismen ............... 308
20.2.5 Nitrifikation ............................................................................ 309
20.2.6 Denitrifikation ........................................................................ 309
20.2. 7 Nährstoffbedarf der Mikroorganismen ..................................... 309
20.3 Unterschiedliche biologische Verfahren ............................................... 310
20.4 Belebtschlammverfahren ...................................................................... 310
20.4.1 Fliessschema des Belebtschlammverfahrens ............................ 311
20.4.2 Charakterisierung von Belebtschlamm .................................... 313
20.4.3 Dimensionierung des Belebtschlammverfahrens ..................... 315
20.4.4 Dynamische Simulation von Belebungsanlagen ...................... 320
20.4.5 Gestaltung des Belebungsbeckens, Sauerstoffverbrauch .......... 320
20.4.6 Gestaltung des Nachklärbeckens ............................................. 323
20.4.7 Elimination von organischen Stoffen ....................................... 325
20.4.8 Nitrifikation ............................................................................ 329
20.4.9 Denitrifikation ........................................................................ 335
20.4.1 0 Chemische Phosphorelimination ............................................. 341
20.4.11 Biologische Phosphorelimination ............................................ 345
20.4.12 Biologische Nährstoffelimination: Zusammenfassung ............. 349
20.5 Tropfkörperverfahren ........................................................................... 350
20.5 .1 Phosphorelimination in Tropfkörperverfahren ......................... 354
20.6 Tauchkörperverfahren .......................................................................... 354

21 Physikalische Reinigungsverfahren ................................................... 357


21.1 Filtration .............................................................................................. 357
21.1.1 Raumfiltration ......................................................................... 357
21.1.2 Flächenfiltration ...................................................................... 360
21.2 Flotation mit gelöster Luft .................................................................... 360

22 Umfeld der Abwasserreinigung ......................................................... 363


22.1 Projektbearbeitung ............................................................................... 363
22.2 Kosten der Abwasserreinigung ............................................................. 365
Inhalt XV

23 Kleinkläranlagen ................................................................................ 367


23.1 Anaerobe Reinigungsverfahren ............................................................ 367
23.2 Verfahren mit Bodenpassage ................................................................ 368
23.3 Abwasserteiche .................................................................................... 369
23.4 Pflanzenanlagen ................................................................................... 369
23.5 Varianten der konventionellen Verfahren ............................................. 370
23.6 Speicher, Trockenklosetts, etc .............................................................. 370
23.7 Wahl des Verfahrens ............................................................................ 370
23.8 Entsorgung des anfallenden Schlammes ............................................... 371

24 Entsorgung von Klärschlamm............................................................ 373


24.1 Ziel und Aufgabe der Schlammbehandlung .......................................... 373
24.2 Nutzung und Endlagerung ................................................................... 376
24.3 Verfahrensablauf und Stoffströme ........................................................ 377
24.4 Klärschlammkonzepte .......................................................................... 378

25 Verfahren der Schlammbehandlung.................................................. 381


25.1 Eindickung .......................................................................................... 381
25.2 Hygienisierung ..................................................................................... 382
25.2.1 Aerob thermophile Hygienisierung .......................................... 383
25.2.2 Thermische Hygienisierung I Pasteurisierung .......................... 386
25.3 Biologische Schlammstabilisierung ...................................................... 387
25.3.1 Anaerob mesophile Schlammstabilisierung I Faulung ............. 387
25.3.2 Langzeitbelüftung ................................................................... 392
25.3.3 Aerobe mesophile Schlammstabilisierung ............................... 392
25.4 Stapelung ............................................................................................. 393
25.5 Entwässerung ....................................................................................... 394
25.5.1 Konditionierung ...................................................................... 394
25.5.2 Dekanter ................................................................................. 394
25.5.3 Filterpressen ............................................................................ 395
25.5.4 Bandfilterpressen .................................................................... 395
25.5.5 Trockenbeete .......................................................................... 397
25.6 Trocknung ........................................................................................... 398
25.7 Verbrennung ........................................................................................ 399

26 Literatur ............................................................................................. 401


26.1 Technisch-wissenschaftliche Zeitschriften ............................................ 401
26.2 Technische Regelwerke ........................................................................ 401
26.3 Einführung ........................................................................................... 402
26.4 Grundlagen .......................................................................................... 402
26.5 Wasserversorgung ................................................................................ 403
26.6 Siedlungsentwässerung ........................................................................ 403
26.7 Abwasserreinigung, Behandlung von Klärschlamm ............................ .404

27 Sachverzeichnis .................................................................................. 407


1 Einleitung

Die Siedlungswasserwirtschaft ist eine technische Disziplin, die sowohl für die
Siedlungshygiene und die persönliche Hygiene als auch den Komfort und die
Sicherheit des urbanen Menschen von zentraler Bedeutung ist: Sie liefert und
entsorgt Wasser verschiedenster Art (Trinkwasser, Regenwasser, Sickerwasser,
Schmelzwasser, verunreinigtes Abwasser, etc.), sie entsorgt die dabei anfallen-
den Schmutzstoffe und bewirtschaftet die natürlichen Wasserressourcen (Quel-
len, Grundwasser, Gewässer) im Umfeld von Siedlungen.

1.1 Umschreibung des Fachgebiets


Die Siedlungswasserwirtschaft befasst sich mit dem Umsatz von Wasser im Um-
feld von Siedlungen. Dabei interessiert nicht nur das Wasser an sich, sondern
genauso die darin enthaltenen Stoffe und Organismen und die Prozesse, die auf
diese Stoffe einwirken.
Als Wirtschaftszweig stellt die Siedlungswasserwirtschaft strukturelle, orga-
nisatorische und technische Infrastrukturen bereit. Diese sind erforderlich, um
das Wasser in den Siedlungen zu bewirtschaften und zu entsorgen, das heisst für
den Menschen zu nutzen ohne langfristig die Grundlagen dieser Nutzung zu
gefährden.
Als technische Disziplin wurde die Siedlungswasserwirtschaft historisch als
eine Reihe von Einzeldisziplinen dargestellt: Wasserversorgung, Siedlungsent-
wässerung, Abwassertechnik etc. Heute wird versucht, die Siedlungswasserwirt-
schaft als integrierende Disziplin darzustellen, die die Wasserressourcen, die
Nutzung des Wassers in Siedlungen und den erforderlichen Abtransport des Ab-
wassers mit seinen z.T. problematischen Inhaltsstoffen als Ganzes darstellt und
insbesondere die Vernetzung zwischen den Teildisziplinen berücksichtigt.

1.2 Siedlungswasserwirtschaft
Die Siedlungswasserwirtschaft ist eine Ingenieurwissenschaft, die sich mit allen
Aspekten des Wassers im Zusammenhang mit Siedlungen befasst:
- der gesicherten Beschaffung, der Aufbereitung und Verteilung von Trink-
und Brauchwasser in genügender Menge, Qualität und bei genügendem
Druck,
- der Ableitung und Reinigung des Abwassers sowie der möglichst schadlosen
Rückführung des gereinigten Abwassers in die Natur,
- der Sammlung, Versickerung und Ableitung von Regen-, Schneeschmelz-,
Drainage- und anderen wenig belasteten Wässern,
2 1 Einleitung

- dem Bau, Betrieb und Unterhalt der erforderlichen Anlagen, der Organisation
der Betriebsstrukturen, der Sicherstellung der ökonomischen Grundlagen etc.,
- der Planung der Wasserversorgung und W asserbeschaffung, der Entwässe-
rung und des regionalen Gewässerschutzes,
- der langfristigen Sicherung der Wasserressourcen sowie der finanziellen Si-
cherstellung der Wasserversorgung und der Siedlungsentwässerung und der
nachhaltigen Entwicklung des Wasserhaushalts von Siedlungen.
Insgesamt ergibt sich das Bild, dass die Siedlungswasserwirtschaft sowohl
dem Menschen dient, indem sie im Bereich der Siedlungshygiene (Wasserver-
sorgung und Abwasserableitung) und dem Hochwasserschutz (Ableitung von
Regenwasser) seit vielen Jahrzehnten Entscheidendes geleistet hat, als auch die
Natur schützt, indem sie im Bereich des Gewässerschutzes grosse Investitionen
auslöst. Ohne Siedlungswasserwirtschaft wären Siedlungen und insbesondere
Städte (also unsere Art der Zivilisation) in ihrer heutigen Form auch nicht ange-
nähert denkbar und viele Gewässer wären in katastrophalem Zustand.
Die Siedlungswasserwirtschaft und der Siedlungswasserbau schützen:
I. Den Menschen vor der Natur (Hochwasser, Hygiene, Trockenheit) und
2. die Natur vor dem Menschen (Gewässerschutz)

1.3 Geschichte der Siedlungswasserwirtschaft


Ein Verständnis für die Geschichte der Siedlungswasserwirtschaft hilft zu verste-
hen, wieso sich die heute genutzte Technologie als eine unter vielen möglichen
durchgesetzt hat.
Die Geschichte der Siedlungswasserwirtschaft ist eng verbunden mit der Ent-
wicklung der grossen Siedlungen und der Städte. Erste Wasserversorgungen und
insbesondere Stadtentwässerungsanlagen sind in Indien bereits vor mehr als 6500
Jahren nach erstaunlich modernem Konzept gebaut worden: Bäder, eigentliche
Küchen, Tonröhren, Hauskläranlagen, Sammelleitungen. Erste Spülaborte wur-
den in Kreta vor ca. 3000 Jahren gebaut. Die Ägypter kannten Druckrohrleitun-
gen aus Blei. Sie verwerteten Fäkalien gezielt als Dünger.
Die griechische und die römische Kultur hatten einen hohen sanitären Stan-
dard erreicht, z.B. war das Kolosseum mit seinen 80'000 Sitzplätzen mit mehre-
ren Abortanlagen zu jeweils 25 Sitzplätzen ausgerüstet. Die Cloaca maxima, der
Hauptsammelkanal für die Ableitung von Regenwasser und verschmutztem Ab-
wasser, Fäkalien, Kehricht etc. im alten Rom ist ein grosses Bauwerk mit bis zu
4 Metern Höhe (das bis vor wenigen Jahren immer noch betrieben wurde).
Im Mittelalter ging das alte Wissen verloren. Die Strassen in mittelalterlichen
Städten waren verschlammt von faulenden Fäkalien und Kehricht. Eine regel-
mässige Säuberung der Städte wurde kaum betrieben. Es herrschten unvorstell-
bar unhygienische Verhältnisse und entsprechend häufig brachen Seuchen aus:
Pest, Typhus, Cholera. Diese Seuchen begrenzten in den Städten immer wieder
das Wachstum der Bevölkerung.
Im 19. Jh. wurde der Zusammenhang zwischen Hygiene und Sterblichkeit
aufgedeckt. Nach und nach wurde die Schwemmkanalisation eingeführt, in der
Abfälle und Schmutzstoffe mit Wasser abgeschwemmt werden, und durch un-
1.3 Geschichte der Siedlungswasserwirtschaft 3

Typhus Todesfälle Bevölkerungsanteil mit


pro 100'000 Einwohner pro Jahr öffentlicher Wasserversorgung
40 100

30 90

20 80

10 70

0 60
1880 1890 1900 1910 1920 1930 1940
Kalenderjahr
Abb. 1.1. Abnahme der Typhus Todesfalle anfangs des 20. Jh. in Massachusetts (USA) als
Folge des zunehmenden Anteils der Bevölkerung mit öffentlicher Wasserversorgung (nach
Whippie and Horwood, 1966)

terirdische Anlagen wurde das Abwasser auf schnellstem Wege in den nächsten
Fluss geleitet.
Durch die Einführung der Schwemmkanalisation und insbesondere des Was-
serklosetts im 19. Jh. wurden die hygienischen und ästhetischen Probleme von
den Städten in die Gewässer verschoben. Diese Entwicklung trug massgebend
dazu bei, dass jetzt die Städte rasch wachsen konnten und so das Potential für die
industrielle Entwicklung geschaffen wurde.
Der Gewässerschutz hat in England gegen Ende des 19. Jh. eingesetzt. Da-
mals sammelten sich z.B. auf der Sohle der Themse Sedimente und verfaulten
dort, sodass der Fluss als Folge der Biogasbildung "gekocht" habe. Erste Abwas-
serreinigungsanlagen wurden als Sedimentationsanlagen gebaut, um die Akku-
mulation der Sedimente in den Gewässern zu verringern und sie in technischen
Bauwerken abzutrennen.
Schon bald zeigte sich aber, dass neben den Sedimenten insbesondere die
gelösten und kolloidalen organischen Stoffe, die biologisch abbaubar sind, in den
Gewässern eine massenhafte Entwicklung von Mikroorganismen auslösten. Zu-
nehmend wurden biologische Abwasserreinigungsverfahren entwickelt, die den
Abbau dieser organischen Stoffe in die technischen Bauwerke zurückverlegten
und so die Gewässer entlasteten: Bereits gegen Ende des 19. Jh. wurden erste
biologische Kläranlagen in England gebaut.
In der Mitte des 20. Jh. haben wir erkannt, dass die Nährstoffe im Abwasser,
insbesondere der Phosphor, die Seen überdüngen und zu grossen Algenblüten
führen. Mit Hilfe der weitergehenden Abwasserreinigung konnte auch dieses
Problem angegangen werden. Heute verursachen v .a. die Massnahmen zur Re-
duktion des Stickstoffgehalts im gereinigten Abwasser die grössten Investitionen.
Mit der Aufdeckung des Zusammenhanges zwischen der fäkalen Verunreini-
gung von Trinkwasser und der Häufigkeit von stark verbreiteten Krankheiten
bekam die Aufbereitung von Trinkwasser eine immer grössere Bedeutung. Eine
zuverlässige Trinkwasseraufbereitung kann aber nur in öffentlichen, grösseren
Wasserversorgungsbetrieben gewährleistet werden (Abb. 1.1 ).
4 1 Einleitung

Beispie11.1. Typhus Risiko


Wie gross war 1885 das Risiko in den USA an Typhus zu sterben?
Nach Abb. 1.1 starben in Massachusetts 1885 jedes Jahr pro 100'000 Menschen 40
Menschen an Typhus. Übertragen auf heute, mit einer mittleren Lebenserwartung von 75
Jahren, ergibt das ein Sterberisiko von 75 a · 40 a·1 /1 00'000 = 3%. Typhus ist nur eine
von vielen Krankheiten, die mit dem Wasser übertragen werden.
Das Risiko im Strassenverkehr zu sterben beträgt heute in den Industrieländern ca.
0. 7 %. Das Risiko an verseuchtem Trinkwasser zu sterben ist heute verschwindend
gering.

Beispiel 1.2. Cholera in Hamburg, ein Originaltext


Bekanntmachung.
Vor dem Genuß ungekochter Speisen, namentlich ungekochten Elb- und Leitungswas-
sers sowie ungekochter Milch, wird dringend gewarnt.
Hamburg, den 1. September 1892. Die Cholera-Commission des Senats.
Die Choleraepidemie hat 1892 in Harnburg über 10'000 Tote gefordert!

Belsple11.3. Cholera in Lateinamerika. Neue Zürcher Zeitung, 3. März 1993


Die Choleraepidemie erreicht Rio
... Die Epidemie hat sozialen Charakter.... Rund 60% der neun Millionen Einwohner
steht kein sauberes Trinkwasser und stehen keine sanitären Einrichtungen zur Verfü-
gung. Cholera wird durch verseuchtes Wasser übertragen.... Die neue Choleraepidemie
in Lateinamerika ging im Januar 1991 von der Küste Perus aus ...

1.4 Wasserkreislauf in Siedlungen


Der Gesamtniederschlag über der Schweiz beträgt ca. 1500 mm pro Jahr, wovon
ca. 1000 mm abfliessen. Davon werden ca. 30 mm als Trink- und Brauchwasser
genutzt, zusätzlich müssen ca. 40 mm als Drainage und Regenwasser aus den
Siedlungen abgeleitet werden. Am gesamten Wasserkreislauf der Schweiz ist
also die Siedlungswasserwirtschaft mit nur wenigen Prozenten beteiligt. Lokal
können diese Zahlen aber ganz unterschiedlich sein (s. Abb. 1.2 und
Beispiel1.4). In Siedlungen beherrscht die Siedlungswasserwirtschaft den Was-
serumsatz dominant. Heute können die Siedlungen ihren Wasserbedarf nicht
mehr mit lokalen Quellen decken, sie müssen Wasser aus der Umgebung impor-
tieren (Abb. 1.2).
Die Urbanisierung oder die zunehmende Besiedlungsdichte hat einen ent-
scheidenden Einfluss auf die verschiedensten Prozesse im Wasserkreislauf
(Abb. 1.3). Insbesondere die zunehmende VersiegeJung der Landschaft und die
Anpassungen der oberflächlichen Entwässerungssysteme (die Drainage der
Feuchtgebiete und die Begradigung und Beschleunigung der Fliessgewässer)
verändern den Wasserhaushalt von Siedlungen stark. Die Entwicklung, die im
Verlaufe der letzten 100 Jahre stattgefunden hat, hat die Landschaft in einem
Ausmass und mit einer Geschwindigkeit verändert, wie das wohl kaum je zuvor
und möglicherweise auch in Zukunft nie wieder möglich sein wird (Abb. 1.4).
1.4 Wasserkreislauf in Siedlungen 5

Landwirtschaft Wasserflüsse in mm a·1

1100 400

200

200

300

1100 mm a·1 Total 1100mma·1

Siedlung (50 EI ha) Wasserflüsse in mm a·1

300

1100 200

200 }
soo Abwasser
200

300

1400 mm a·1
Total 1400 mm a·1
Abwasser 900mma·1
Abb. 1.2. Wasserbilanz einer landwirtschaftlich genutzten Fläche und einer Siedlungsfläche.
Geschätzte Richtwerte im schweizerischen Mittelland. Alle Zahlenangaben sind in mm a· 1,
bezogen auf die ganze Fläche. In der Siedlung wird Grundwasser als Trinkwasser gefördert, das
dann als Abwasser wieder abgeleitet werden muss. S.a. Beispiel 1.4

Beispiel1.4. Anteil der Siedlungswasserwirtschaft an der Wasserbilanz (s.a. Abb. 1.2).


ln der Schweiz wohnen auf einer Hektare (=10'000 m2) Siedlungsfläche ca. 50 Einwoh-
ner. Diese brauchen zusammen mit dem Gewerbe ca. 5000 m3 Trinkwasser pro Jahr, die
grösstenteils als Abwasser anfallen. Dazu werden auch etwa 2000 m3 ha·1a· Regenwas-
ser der Kanalisation zugeleitet und ca. 2000 m3 ha·1a·1 Sickerwasser abdrainiert und in die
Kanalisation eingeleitet.
Typischerweise fallen im Schweizer Mittelland Oe nach Region) pro Jahr ca. 1100 mm
Regen auf die Siedlungsfläche oder 11 '000 m3ha·1a·1, wovon ca. 8000 m3ha·1a·1 abflie-
ssen. Die Siedlungswasserwirtschaft beeinflusst ca. 5000 + 2000 + 2000 = 9000
m3 ha·1a·1 •
Lokal hat also die Siedlungswasserwirtschaft eine sehr dominante Bedeutung im Was-
serkreislauf.
6 1 Einleitung

Abb.1.3. Folgen der Urbanisierung für den Wasserkreislauf

Typische Elemente des Wasserkreislaufes in Siedlungen sind in Abb. 1.5


dargestellt. See-, Grund- und Quellwasser dienen der Wasserversorgung. Das
Wasser wird aus Reservoiren (Speichern) unter Druck in die Siedlungen gelie-
fert, dort mit Schmutzstoffen belastet und in die Kanalisation zurückgeleitet Die
Kanalisation nimmt bei Regen auch das Regenwasser auf. Bei starken Regen
reicht die Transportkapazität der Kanalisation aber nicht mehr aus, über Entla-
stungen muss ca. 5 mal pro Jahr Wasser direkt, ungereinigt in die Vorflut entla-
stet werden (nicht eingezeichnet). Die Kapazität der Kläranlagen genügt auch
bei schwächeren Regen nicht, um alldas anfallende Wasser zu reinigen. Vor den
Kläranlagen muss bei Regen daher nocheinmal Mischwasser entlastet werden
(z.B. 50 Mal pro Jahr). Dieses Wasser wird meistens einer einfachen Reinigung
unterzogen (Regenbecken). Erst nach der Kläranlage wird das dauernd anfallen-
de Abwasser in die Vorflut eingeleitet.

1.5 Wasserbeschaffung und Wasserversorgung


In den Industrieländern werden die meisten Haushaltungen, Industrie und Ge-
werbebetriebe durch eine zentrale öffentliche Wasserversorgung mit Trinkwasser
versorgt. Die entsprechenden Versorgungsbetriebe sind häufig Eigentum der
Öffentlichkeit (Gemeinden, Zweckverbände) oder gehören einer Genossenschaft
oder Korporation. Heute werden zunehmend Wasserversorgungsbetriebe privati-
siert. Dabei kommen unterschiedlichste Organisationsformen zur Anwendung.
Zielsetzung der Wasserversorgung ist es, allen Abnehmern möglichst jeder-
zeit genügend, hygienisch einwandfreies Trinkwasser bei genügendem Druck zu
liefern. Meist kommt noch die Aufgabe dazu, Löschwasser für die Feuerwehr
bereitzustellen. Obwohl der Gebrauch von Wasser nicht immer Trinkwasserqua-
1.5 Wasserbeschaffung und Wasserversorgung 7

Abb. 1.4. Veränderung einer Region im Glattal im Kanton Zürich zwischen 1850 (oben) und
1990 (unten). Hervorgehoben werden überbaute Flächen, Flussläufe, Feuchtgebiete und Wald-
flächen zwischen dem Greifensee und der Stadt Dübendorf (Original von R. Koblet nach der
Wild-Karte 1850 und der Landeskarte 1990)

lität voraussetzt, ist es nur in Einzelfällen sinnvoll, doppelte Verteilnetze zu


betreiben.
Die Wasserversorgung soll zuverlässig sein, d.h. Ereignisse, bei denen die
Versorgung versagt, dürfen nur äusserst selten (im Volksmund nie) vorkommen:
Mengenmässige Engpässe verleiten zur Verwendung von nicht einwandfrei-
em Wasser und verursachen Druckminderungen mit der Gefahr, dass unhy-
gienisches Wasser ins Netz zurückgesaugt wird.
8 1 Einleitung

Quele

Grundwasser
--------------~v~o~~~~-------------~
Abb. 1.5. Schematische Darstellung der Wasser- und Schlammflüsse in Siedlungen

Hygienische Probleme mit Trinkwasser können aussecordentlich gravierende


Folgen haben. Das Trinkwasser wird in viele Haushaltungen verteilt und dort
bedenkenlos als "Nahrungsmittel" verwendet.
Die sichere Beschaffung von Wasser ist eine zentrale Aufgabe eines Wasser-
versorgungsbetriebes. 1993 wurden in der Schweiz total 1.07 Mrd. m3 1 km3 =
Trinkwasser produziert, davon stammten 41 % aus Quellen, 38 % aus dem
Grundwasser und 21 % aus Seewasser. Zum Schutze der Quellen und des
Grundwassers werden Schutzzonen ausgeschieden, die der langfristigen Siche-
rung der Qualität des Wassers dienen. Während Oberflächenwasser (Seewasser)
immer aufbereitet werden muss, werden Quell- und Grundwasser z.T. direkt,
z.T. nach Desinfektion, z.T. nach zusätzlicher Aufbereitung ins Netz eingespie-
sen.
Im Gegensatz zur Abwasserableitung (Kanalisation) stehen die Wasserver-
sorgungsleitungen unter Druck und sind entsprechend immer voll. Ein Ausgleich
zwischen der Produktion und dem Verbrauch von Wasser geschieht über die
Hochbehälter oder Reservoire, die gleichzeitig einen genügenden Wasserdruck
sicherstellen.
Die zuverlässige Erfüllung der Aufgabe einer Wasserversorgung wird heute
mit Leistungsreserven und redundanten Systemen erreicht. Viele Wasserversor-
gungsbetriebe sind in grosse Verbundnetze eingebunden und können bei Be-
schaffungsproblemen auf andere Wasserquellen ausweichen. Verteilleitungen
werden durch Schlaufen so gestaltet, dass einzelne Leitungsstränge ausser Be-
trieb genommen werden können, ohne dass dadurch ganze Quartiere vom Was-
ser abgetrennt sind.
Die moderne Gesellschaft hat sich an einen Komfort, eine Sicherheit und Zu-
verlässigkeit der Wasserversorgung gewöhnt, die noch Anfangs des 20. Jh. un-
denkbar waren. Für den Verbraucher ist dadurch der direkte Kontakt zum Ur-
sprung des Wassers verloren gegangen, er hat es billig und sicher in seiner Woh-
1.6 Siedlungsentwässerung 9

nung zur Verfügung und reagiert ungehalten, wenn er nur einige Stunden darauf
verzichten muss.
Wasser ist heute das billigste Konsumgut (wenige Franken pro t), es wird
über grosse Strecken transportiert und in riesigen Mengen (ca. 50 - 100 t pro
Person und Jahr) verbraucht.

Beispiel 1.5. Eigene Erfahrungen


Bedenken wir unsere eigenen Erfahrungen:
Wie überrascht oder sogar frustriert sind wir, wenn vielleicht einmal alle paar Jahre kein
Wasser in unsere Wohnung geliefert wird?
Wieviel zusätzlichen Umtrieb verursacht es uns, wenn wir als Touristen in einem Land
sind, das nicht hygienisch einwandfreies Trinkwasser ins Hotelzimmer liefern kann?
Wie oft sind wird schon an Darmkrankheiten erkrankt, weil wir schlechtes Wasser ge-
trunken haben oder unhygienisches Essen geniessen mussten? Etc.

Belspiel 1.6. Transportleistung der Siedlungswasserwirtschaft


Die Siedlungswasserwirtschaft erbringt eine grosse Transportleistung. Die statistischen
Angaben für die Schweiz für 1993 sind:
Trinkwasserproduktion 1.2 ·109 m3 a·1
Abwasserableitung 2.5 · 109 m3 a·1
Mittlere Transportdistanz ca. 5 km (Schätzung)
Transportleistung: 18. 109 t km a·1
Güterverkehr: Schiene 8 · 10 9 t km a·1
Strasse 10 · 109 t km a·1
Personenverkehr: Schiene 1 · 109 t km a·1 (0.1 t I Person)
Strasse 8·109 tkma·1
Die Siedlungswasserwirtschaft ist also einer der grossen Transportbetriebe unserer Wirt-
schaft.

1.6 Siedlungsentwässerung
Die Siedlungsentwässerung hat die Aufgabe, das Abwasser aus den Siedlungen
abzuleiten und in geeigneter Form und mit geeigneter Qualität einer Vorflut
zuzuleiten.
Hörler hat 1966 die Aufgabe der Ortsentwässerung wie folgt definiert:
"Aufgabe der Ortsentwässerung ist es, sämtliche Abwässer so vollkommen
und so schnell als möglich zu sammeln und aus dem Bereich menschlicher Sied-
lungen zu entfernen, ohne Belästigung der Bewohner, ohne Beeinträchtigung des
Verkehrs und ohne Schädigung der ober- und unterirdischen Gewässer."
Die rasche und vollkommene Ableitung, insbesondere des Regenabwassers,
hat zu vielen Nachteilen geführt, die z.T. wieder korrigiert werden müssen.
Heute versuchen wir das Regenabwasser möglichst langsam und nur gerade in
dem Umfang aus den Siedlungen abzuleiten, dass hygienisch einwandfreie Be-
dingungen gewährleistet sind und Störungen des Verkehrs oder Schäden aller Art
(Überschwemmungen, Rückstau in Keller etc.) im Vergleich zu den Kosten der
Entwässerung nicht zu gross werden. Die langsame Entwässerung bei Regen-
10 1 Einleitung

wetter bedingt, dass möglichst viel Regenwasser am Ort des Anfalles unter Be-
achtung des Grundwasserschutzes ins Grundwasser versickert wird.
Heute erkennen wir, dass die Aufgabe der Siedlungsentwässerung neu defi-
niert werden muss. Ein Ansatz für eine moderne Definition dieser Aufgabe ist:
Aufgabe der Ortsentwässerung ist es, Abwässer soweit aus den Siedlungen ab-
zuleiten, dass die Hygiene und die Sicherheit gewährleistet werden können. Da-
bei ist darauf zu achten, dass insbesondere Regenabwässer möglichst langsam
abgeleitet und ihrer Herkunft und Qualität entsprechend einer Behandlung re-
spektive Vorflut zugeführt werden.
Wir kennen zwei Arten der Siedlungsentwässerung:
- Aus historischen Gründen hat sich die Mischkanalisation stark verbreitet:
Hier wird in einem gemeinsamen Kanal das dauernd anfallende und mit
Schmutzstoffen stark belastete Abwasser aus Haushaltungen, Gewerbe und
Industrie zusammen mit Regenwasser abgeleitet.
- In vielen neueren Siedlungsgebieten (ca. 20% der Schweiz) wurde eine
Trennkanalisation eingerichtet: Hier wird in einem tiefliegenden Schmutz-
wasserkanal das stark belastete, dauernd fliessende Abwasser zur Kläranlage
geleitet und in einem höher liegenden, grösseren Meteorwasserkanal das we-
niger belastete Regenwasser direkt der Vorflut zugeführt.

1.7 Abwasserreinigung
Wasser, das aus Siedlungen abgeleitet werden muss, heisst Abwasser. Es führt
eine Reihe von Stoffen und Organismen mit, die nicht bedenkenlos in die Um-
welt zurückgegeben werden können. Die Abwasserreinigung vermittelt zwischen
dem Bedürfnis des Menschen, das Wasser als Transportmittel für Abfallstoffe
einzusetzen (Schwemmkanalisation) und den Möglichkeiten der Umwelt, mit
diesen Stoffen umzugehen: In der Abwasserreinigung sollen diejenigen Stoffe
zurückgehalten werden, welche die Umwelt überlasten würden.
Die zulässige Belastung der Umwelt ist keine feste Grösse, sie ist abhängig
von unseren Vorstellungen, was einer wünschenswerten Umwelt entspricht. Mit
zunehmendem W obistand steigen die Anforderungen an die Umwelt, aber auch
die wirtschaftlichen Möglichkeiten, Umweltschutz und damit auch Abwasserrei-
nigung zu betreiben. Die Anforderungen an die Abwasserreinigung sind in den
dichtbesiedelten, reichen Industrieländern seit ca. 1950 stark gestiegen. Das hat
mehrere Gründe:
- Durch die laufende Zunahme der Bevölkerung, der Industrieproduktion, der
Entwässerungsanlagen (Kanalisation), des Wasserkomforts etc. hat die Ab-
wassermenge und die Schmutzstofffracht entsprechend zugenommen.
- Durch vermehrte Sensibilisierung gegenüber Umweltschäden haben unsere
Ansprüche an die Umwelt und deren Schutz zugenommen.
- Heute wird im Umweltschutz häufig gefordert, was machbar ist. Die Tech-
nologie der Abwasserreinigung hat seit 1950 riesige Fortschritte gemacht.
An moderne Abwasserreinigungsanlagen werden deshalb heute Ansprüche
gestellt, die nur mit aufwendigen und häufig komplizierten Verfahren und mit
sorgfältigstem Betrieb erfüllt werden können. Kläranlagen, die weniger als 20
Jahre alt sind, also von unseren Eltern gebaut wurden, genügen diesen Anforde-
1.7 Abwasserreinigung 11

Anschlussgrad in
% der Bevölkerung
100
80
60
40
~~~~~~:~~sbe~~
2~
0 ~
0 ~--_.----~--~----~----~
1965 1970 1975 1980 1985 1990
Abb. 1.6. Anteil der schweizerischen Wohnbevölkerung, die an eine Abwasserreinigungsanlage
angeschlossen ist. Für 1991 gilt: 95% können an eine bestehende ARA angeschlossen werden,
91 % sind angeschlossen, für 27% der Einwohner genügt die Reinigungsleistung der ARA
nicht mehr den gültigen Vorschriften (Nach statistischen Angaben des BUWAL, 1994)

rungen häufig bei weitem nicht mehr. Die Abwasserreinigung, wie auch der
gesamte Umweltschutz, ist einer raschen Entwicklung unterworfen. Das führt
dazu, dass teilweise Investitionen getätigt werden, die in ihrer gesamten Bedeu-
tung noch wenig überschaut werden können. Bei einigen modernen Forderungen
an die Abwasserreinigung kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass sie nur
mit negativer Ökobilanz (Summe aller Be- und Entlastungen der Umwelt) reali-
siert werden können.
In der Abwasserreinigung werden Schmutzstoffe aus dem Abwasser entfernt.
Diese Stoffe können zwar z.T. biologisch abgebaut und damit häufig in un-
schädliche Stoffe (Wasser, Kohlendioxid, ev. Nährstoffe) überführt werden, ein
Teil der Schmutz- und Schadstoffe fällt in Form von Sedimenten (Klärschlamm)
an, die weiter behandelt und aufbereitet werden müssen.
Heute ist in der Schweiz der grösste Teil der Bevölkerung und der Industrie-
und Gewerbebetriebe an ca. 1000 öffentliche Abwasserreinigungsanlagen ange-
schlossen (Abb. 1.6). Ein grosser Teil dieser Anlagen muss aber erneut ausge-
baut werden, weil er den Anforderungen nicht mehr genügt. Die Abwasserreini-
gung ist eine Daueraufgabe, die uns in Zukunft durch Erweiterungen, Erneue-
rungen und Verbesserungen laufend beschäftigen wird: Eine Aufgabe die an-
spruchsvoller ist als der Bau der ersten Generation von Kläranlagen.

Beispiel1.7. Leistung einer grossen Kläranlage


An die Kläranlage Werdhölzli der Stadt Zürich sind ca. 300'000 Einwohner angeschlos-
sen. Sie reinigt pro Tag ca. 200'000 m3 Abwasser.
Welcher Teil des schweizerischen Abwassers wird in dieser grössten Anlage der
Schweiz gereinigt?
Pro Jahr werden ca. 72 Mio. m3 Abwasser gereinigt, in der Schweiz fallen pro Jahr ca.
2.5 Mrd. m3 Abwasser an. Diese Anlage reinigt also ca. 3 % des Abwassers, das in der
Schweiz anfällt. Das entspricht auch ungefähr dem Anteil der Bevölkerung, der an die
Anlage angeschlossen ist (ca. 300'000 von 7.0 Mio.)
12 1 Einleitung

Beispiel 1.8. Leistung einer durchschnittlichen Kläranlage


Wieviel Abwasser reinigt die durchschnittliche Kläranlage der Schweiz?
Bei 1000 Kläranlagen ergeben sich ca. 2.5 Mio. m3 pro Jahr oder ca. 7000 m3 d.\ das
entspricht dem Abwasser von ca. 6500 Einwohnern inklusive der zugehörigen Industrie
und Gewerbebetriebe sowie des abzuleitenden Regenwassers.

1.8 Behandlung und Unterbringung von Klärschlamm


In der Abwasserreinigung fallen die zurückgehaltenen Schmutzstoffe z.T. in
Form von Klärschlamm an. Dieser Schlamm muss in geeigneter Form in die
Umwelt zurückgelangen. Klärschlamm, so wie er anfällt, ist ein äusserst unan-
genehmes Produkt: Es ist voluminös (ca. 2- 3 1 pro Einwohner und Tag) und ist
raschen biologischen Zersetzungsprozessen ausgesetzt, die zu grosser und unan-
genehmer Geruchsentwicklung führen.
Ziel der Behandlung von Klärschlamm ist es:
- Den Klärschlamm in eine Form überzuführen, die ohne Geruchsbelästigung
gelagert und in die Umwelt zurückgegeben werden kann.
- Den Klärschlamm zu hygienisieren, sodass keine Krankheitskeime in die
Umwelt zurückgelangen.
- Das Volumen des Klärschlammes durch Abtrennung von Wasser zu vermin-
dern: Eindicken, entwässern, trocknen, verbrennen.
In der Schweiz wird heute ca. die Hälfte des Klärschlammes landwirtschaft-
lich als Dünger genutzt. Klärschlamm enthält z.T. die Nährstoffe, die aus der
Landwirtschaft in Form von Nahrungsmitteln in die Siedlungen gelangt sind.
Das Rückführen dieser Nährstoffe ist ökologisch sinnvoll und hilft die natürli-
chen Kreisläufe zu schliessen.
Im Klärschlamm werden aber auch die Schadstoffe aufkonzentriert, die aus
dem Abwasser entfernt werden müssen: Z.B. die Schwermetalle. Diese Schad-
stoffe gelangen zusammen mit den Nutzstoffen zurück in die Umwelt. Heute
versuchen wir bereits an der Quelle dafür zu sorgen, dass diese Stoffe gar nicht
erst ins Abwasser gelangen. Seit 1980 sind bedeutende Fortschritte mit solchen
Massnahmen an der Quelle (Industrie und Gewerbe, Produktespezifikationen)
gemacht worden. Abb. 1.7 stellt als Beispiel die Verminderung des Schwerme-
tallgehalts im Klärschlamm der Stadt Zürich dar.

Beispiel1.9. Klärschlammanfall
Auf einer Kläranlage für ca. 20'000 Einwohner fallen pro Tag ca. 50 m3 Klärschlamm an.
Diese enthalten ca. 96% Wasser und 4 % Trockensubstanz, also ca. 2 t Schmutzstoffe
(getrocknet).
ln einem Eindicker kann dieser Schlamm auf 8 % Trockensubstanz eingedickt werden.
Wieviel Schlammvolumen bleibt zurück?
2 t Trockensubstanz= 8% also 100% = 25 t oder ca. 25 m3 • Die Volumenverringerung
beträgt also 50 %.
ln einer Entwässerung wird der Klärschlamm bis zu einer Konzentration von 25% Trok-
kensubstanz entwässert. Das Restvolumen beträgt noch 2 t/25% = 8 t oder ca. 8 m3 •
Getrockneter Klärschlamm enthält nur noch 5% Wasser. Das Restvolumen ist daher 2
t I 0.95 = 2.1 t oder ca. 2.5 m3 •
1.9 Gewässerschutz 13

g Zinkit TS g Cadmium I t TS
2000 20

1500 15

1000 10

500 5

0 0
1980 1982 1984 1986 1988 1990
Jahr
Abb. 1.7. Entwicklung des Schwermetallgehalts im Klärschlamm der Stadt Zürich. Zink hat
seinen Ursprung dominant in langlebigen Gütern (verzinkte Oberflächen), Cadmium eher in
Industrie und Gewerbeabwässern (Daten des Stadtentwässerung Zürich)

ln einer Schlammverbrennung können ca. 50% der Trockenstoffe verbrannt werden. Es


bleiben also noch ca. 1 t oder 2% der anfänglichen Menge. Dieses Restvolumen muss
deponiert werden. Damit sind aber auch die Nährstoffe für eine Nutzung in der Landwirt-
schaft verloren gegangen.

Tabelle 1.1. Ziel des Gewässerschutzes: Zweckartikel des Schweiz. Gewässerschutzgesetzes vom
24. Jan. 1991

Dieses Gesetz bezweckt, die Gewässer vor nachteiligen Einwirkungen zu schützen. Es dient
insbesondere:
a. der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen;
b. der Sicherstellung und haushälterischen Nutzung des Trink- und Brauchwassers;
c. der Erhaltung natürlicher Lebensräume für die einheimische Tier- und Pflanzenwelt
d. der Erhaltung von Fischgewässem;
e. der Erhaltung der Gewässer als Landschaftselemente;
f der landwirtschaftlichen Bewässerung;
g. der Benützung zur Erholung;
h. der Sicherung der natürlichen Funktion des Wasserkreislaufs.

1.9 Gewässerschutz
Das schweizerische Gewässerschutzgesetz (GSchG) vom 24. Januar 1991 defi-
niert den Zweck des Gewässerschutzes im Art. 1 (Tabelle 1.1). In Art. 2 wird
dargestellt, dass das Gesetz (also der Gewässerschutz) für alle ober- und unterir-
dischen Gewässer gilt: Seen, Flüsse, Grundwasser, Quellen.
Die Siedlungswasserwirtschaft überschneidet sich mit dem Gewässerschutz:
Sowohl die Beschaffung von Trink- und Brauchwasser als auch die Rückführung
des belasteten Abwassers in die Gewässer greift stark in den Haushalt der Ge-
wässer ein. Der Gewässerschutz wird aber heute so weit definiert, dass er nicht
als Teil der Siedlungswasserwirtschaft dargestellt werden darf, genauso wie die-
se nicht Teil des Gewässerschutzes ist (Abb. 1.8). Im Rahmen des Gewässer-
schutzes werden heute Anforderungen an Stoffe und Produkte formuliert, Rest-
14 1 Einleitung

Abb. 1.8. Siedlungswasserwirtschaft und


Gewässerschutz überschneiden sich

wassermengen unterhalb von Wasserfassungen (Wasserkraftanlagen) festgelegt,


Seen belüftet, Gewässer renaturiert, Schutzzonen ausgeschieden, Tankanlagen
gesichert, Deponien abgedichtet etc. All diese Aufgaben gehen weit über die
Siedlungswasserwirtschaft hinaus. Ein effizienter und zuverlässiger Gewässer-
schutz dient der Siedlungswasserwirtschaft, insbesondere indem er die Ressour-
cen für die Wasserbeschaffung schützt und Vorfluter für das (gereinigte) Abwas-
ser verfügbar macht.

1.10 Siedlungswasserwirtschaftliche Planung


Die Infrastrukturen, die im Rahmen der Siedlungswasserwirtschaft aufgebaut
werden, haben eine lange Lebenserwartung und müssen z.T. auch in ferner Zu-
kunft ihrer Aufgabe noch gerecht werden. Zudem besteht das Ver- und Entsor-
gungssystem für Wasser in Siedlungen aus einer Vielzahl von Elementen, die zu
unterschiedlichen Zeitpunkten gebaut werden und trotzdem aufeinander abge-
stimmt sein müssen. Die Wasserressourcen müssen nachhaltig geschützt werden.
Aus diesen Gründen kommt der generellen Planung in der Siedlungswasserwirt-
schaft eine grosse Bedeutung zu.
Jede Gemeinde muss für ihr Gebiet ein Generelles Wasserversorgungs-
Projekt GWP unterhalten, das aufzeigt, wie sich die Wasserversorgung in Zu-
kunft entwickeln soll:
- Entwicklung des Wasserbedarfs und der Beschaffung dieses Wassers,
- Sicherstellung der Wasserbeschaffung und Schutz der Wasserressourcen,
- Ausscheidung der Grundwasserschutzzonen,
- Verteilung des Wassers,
- Erschliessung von neuen Siedlungsgebieten etc.
Für die Entwässerung von Siedlungen wurden früher Generelle Kanalisati-
onsprojekte GKP erstellt, die aufzeigen, wie sich die Entwässerung in Zukunft
entwickeln soll:
- Entwicklung des Abwasseranfalles,
Ableitung, Entlastung und Behandlung von Regenwasser,
- Ableitung von Abwasser in Kanalisationen, Aufgabe und Standort von Son-
derbauwerken,
- Reinigung von Abwasser und Rückgabe in die Vorflut,
- Erschliessung von neuen Siedlungsgebieten.
1.11 Wert und Kosten der Siedlungswasserwirtschaft 15

Heute ist es üblich, die Kanalisation nicht mehr gesondert zu betrachten, son-
dern im Rahmen einer umfassenderen Generellen Entwässerungsplanung (GEP)
auch das Umfeld und insbesondere die Gewässer mit in die Planung einzubezie-
hen.
Die Zukunft muss zeigen, ob die Planung dieser beiden Bereiche weiterhin
getrennt betrieben werden kann, oder ob es nicht besser wäre, einen umfassenden
siedlungswasserwirtschaftliehen Rahmenplan zu erarbeiten.

1.11 Wert und Kosten der Siedlungswasserwirtschaft


Lebman berichtet 1994 über eine Studie, in der der Wert von gemeindeeigenen
'Investitionsanlagen berechnet wurde (Tabelle 1.2). Der Wert aller Anlagen für
die Siedlungswasserwirtschaft beträgt in der untersuchten Gemeinde Fr. 30'000.-
pro Einwohner. Allein der Finanzdienst und die Amortisation dieses Betrages
ergeben pro Jahr ca. Fr. 1200.- pro Einwohner. Zusammen mit den Betriebsko-
sten ergibt sich ein Betrag von ca. Fr. 1500.- pro Einwohner und Jahr. Heute
wird nur ein Bruchteil dieses Betrages über Gebühren erhoben, ein Teil wurde
beim Bau mit Steuergeldern, Subventionen, über Anschlussgebühren etc. er-
bracht. In Zukunft müssen wir aber mit den vollen Kosten rechnen, bis über Fr.
10.- pro m 3 Trinkwasser.
Heute wird die Erneuerung der grossen Investitionen in die Siedlungswas-
serwirtschaft sträflich vernachlässigt. Ein grosser Teil der Bauten hat seine wirt-
schaftliche Lebenserwartung erreicht und sollte erneuert werden. Abb. 1.9 zeigt
am Beispiel der Hauptwasserleitungen einer Grossstadt, dass viele Elemente der
Wasserversorgung 100 und mehr Jahre alt geworden sind. Wir können uns nicht
mehr auf deren Zuverlässigkeit verlassen. Trotzdem gibt es weltweit kaum Pläne
für eine systematische Erneuerung solcher Anlagen. Wir leben vom Kapital, das
uns unsere Eltern hinterlassen haben.

Tabelle 1.2. Wert von gemeindeeigenen Anlageinvestitionen in einer Gemeinde mit 2500 Ein-
wohnern (Lehmann 1994)
Anlagewert in Mio. Anteil
Investitionsbereich in%
Franken
Allgemeine Hochbauten
(Gemeindehaus, Werkhof, Zivilschutz, etc.) 9 7
Schulraum (inkl. Turnhalle) 15 12
Kultur und Freizeit (Gemeindesaal, Fussballplatz, etc.) 8 6
Alterswohnungen 6 5
Gemeindestrassen 15 12
Wasserversorgung 32 25
Abwasserentsorgung 43 33
Gesamthaft 128 100
16 1 Einleitung

-
o/o Anteil älter als Neubau in km I a

"'
100 10

80 8
"'-
60
" 6

40
" 4

20 2

0
2000
I
1980 1960 1940 1920 1900
' 1880 1860
0

Baujahr
Abb.1.9. Altersverteilung der Hauptleitungen der Wasserversorgung der Stadt Zürich. Fast
70% wurden vor dem 2. Weltkrieg gebaut. Um die Jahrhundertwende hat der Bestand am
schnellsten zugenommen. Neubauten sind heute die Ausnahme. Die Gesamtlänge der Haupt-
leitungen beträgt ca. 1100 km für ca. 350'000 Einwohner

Belsple11.10. Die Siedlungsentwässerung als Unternehmen


Der Gemeinderat, der für die Entwässerung einer Gemeinde mit 5000 Einwohnern zu-
ständig ist, ist Direktor in einem Werk, das einen Wert von über 75 Mio. Franken und bei
umfassender Buchhaltung einen Aufwand von durchschnittlich 4 Mio. Franken pro Jahr
hat.
Der Gemeinderat ist meist als Laie in seine Aufgabe gewählt worden und versieht seine
Aufgabe im Nebenamt, wobei er zusätzlich noch für andere Ressorts der Gemeinde
verantwortlich ist.
Es ist eine der Aufgaben von Ingenieuren und lngenieurinnen, diese Politikerinnen in ihrer
Arbeit zu unterstützen.

1.12 Fazit
Die Siedlungswasserwirtschaft ist ein Wirtschaftszweig, ohne den die Gesell-
schaft in ihrer heutigen Form nicht möglich wäre. Ihre wirtschaftliche Bedeu-
tung ist gross. Sie übernimmt die Verantwortung für das Lebensmittel Trinkwas-
ser, das sie in genügender Menge und v.a. in hygienisch einwandfreier Qualität
langfristig gesichert zu Verfügung stellt. Die Siedlungswasserwirtschaft leitet
Abwässer aller Art aus den Siedlungen ab und bereitet diese in den Reinigungs-
anlagen so weit auf, das sie weitgehend schadlos in die Umwelt zurückgeleitet
werden können. In der Form von Klärschlamm entsorgt sie die anfallenden
Schad- und Wertstoffe.
Das Potential für interessante Arbeit im Bereich der Siedlungswasserwirtschaft
ist gross. Wir sind auf eine nachhaltige Sicherstellung der Wasserversorgung, der
Siedlungsentwässerung und der Abwasserreinigung angewiesen. Die Aufgabe
des Unterhaltens, Erneuerns, Betreibens und Verbessems erscheint für junge
Leute häufig nur wenig attraktiv. Diese Aufgabe ist aber um das Vielfache an-
1.12 Fazit 17

spruchsvoller und komplexer als der Neubau. Nur hochqualifizierte Fachleute,


die in ihrer Ausbildung Zugang zu den verschiedensten Disziplinen gefunden
haben, sind der Zukunft gewachsen.
2 Systemanalyse und Massenbilanz

Systemanalyse ist eine Methode, in der weitestgehend akzeptierte Naturgesetze


auf diejenigen Teile der Welt (Systeme) angewendet werden, die uns speziell
interessieren. Mit der Systemanalyse können wir unterschiedliche Grössen mit-
einander in Beziehung setzen und damit Einblick ins Funktionieren von Teilen
der Siedlungswasserwirtschaft bekommen. Hier wird nur eine Einführung in die
einfachsten Prinzipien der Systemanalyse vermittelt; im Vordergrund steht das
Bilanzieren von Stoffen (Massenbilanzen).

2.1 Einleitung
Die Systemanalyse ist ein Werkzeug oder eine Arbeitsmethode, die in der Sied-
lungswasserwirtschaft ausserordentlich gute Dienste leistet und breite Anwen-
dung gefunden hat. Hier werden nur die einfachsten Prinzipien der Systemanaly-
se eingeführt. Eine detaillierte Einführung dieses Thema ist z.T. sehr anspruchs-
voll.
Das wichtigste Element der Systemanalyse ist die Stoffbilanz; viele Probleme
können ohne die entsprechende Bilanzgleichung nicht systematisch angegangen
werden. Bilanzgleichungen verfolgen uns im Leben, jede Buchhaltung, jedes
Bankkonto beruht auf Bilanzgleichungen. Intuitiv bilanzieren wir, wenn wir
Vorräte beurteilen (Wie lange reicht das Heizöl noch? Gibt es noch warmes
Wasser für meine Dusche?), Trinkwasser wird auf Grund von Bilanzen abge-
rechnet (Was ins Haus hinein fliesst, wird auch verbraucht!) etc. Die Bilanzglei-
chung hilft uns, unsere Systeme zu beschreiben.
Um die Bilanzgleichung auf ein System anzuwenden, müssen wir dieses vor-
erst definieren und abgrenzen.

2.2 Systeme und deren Abgrenzung


Als System bezeichnen wir einen abgegrenzten Teil der Welt. Die Systemgrenzen
werden so definiert, dass die Analyse des Systems (des Teiles der Welt) uns er-
laubt, eine gestellte Frage möglichst einfach zu beantworten.
Ein System ist ein abgegrenzter Teil der Welt, der durch seine Grenzen definiert
ist. Wir analysieren vereinfachend nur diesen abgegrenzten Teilbereich der Welt
(Systemanalyse), um möglichst einfach und direkt Fragestellungen bearbeiten zu
können. Wir schliessen die Umwelt so umfassend wie möglich von unserer Be-
trachtung aus und können damit unser Problem überschaubar eingrenzen. Es gibt
keine festen Regeln, wie ein System von der Umwelt abgegrenzt werden soll.
20 2 Systemanalyse und Massenbilanz

Belebungsbecken Nachklärbecken
Belüffung
Zufluss

Abb. 2.1. Beispiel einer Systemdefinition: Das Belebtschlammverfahren zur biologischen Rei-
nigung von Abwasser besteht aus zwei Teilen (Teilsysteme), dem Belebungsbecken und dem
Nachklärbecken. Je nach Fragestellung definieren wir unterschiedliche Systeme; hier sind drei
Möglichkeiten mit Hilfe von gestrichelten Linien angedeutet

Mit zunehmender Erfahrung gelingt es, Systeme immer einfacher und daher für
unsere Aufgaben wirksamer zu definieren.
Ein System ist ein gedachtes Konzept und nicht ein physikalisch existieren-
der Teil der Welt. Die Systemdefinition (Abgrenzung von der Umwelt) geschieht
nicht nur räumlich sondern auch phänomenologisch, indem wir bestimmte Phä-
nomene in unsere Analyse aufnehmen oder von vomherein als wenig bedeutsam
ausschliessen: Die Systemdefinition beruht auf unseren Modellvorstellungen.

Beispiel 2.1. Abgrenzung von Systemen im Belebtschlammverfahren


ln Abb. 2.1 ist das Fliessschema eines Belebtschlammverfahrens zur biologischen Reini-
gung von Abwasser dargestellt. Das Verfahren besteht aus zwei Reaktoren, dem Bele-
bungsbecken und dem Nachklärbecken und verschiedenen Transportleitungen (Zufluss,
Abfluss, Überschussschlamm und Rücklaufschlamm). Im Belebungsbecken laufen domi-
nant die biologischen Prozesse ab, im Nachklärbecken werden Mikroorganismen vom
nun gereinigten Abwasser durch Sedimentation abgetrennt und über den Rücklauf-
schlamm ins Belebungsbecken zurückgeführt. Aus den Schmutzstoffen wird Schlamm
produziert, der laufend als Überschussschlamm abgezogen wird.
Je nach Fragestellung bieten sich in diesem Verfahren drei unterschiedlich abgegrenzte
Systeme an:
Interessiert uns die Leistung des Verfahrens, so werden wir vermutlich das ganze Verfah-
ren mit beiden Bauwerken in unser System einschliessen.
Interessieren uns v.a. die biologischen Umsetzungen, so konzentrieren wir uns auf die
Analyse des Belebungsbeckens.
Wollen wir eine Aussage machen über die Menge der Mikroorganismen, die über den
Rücklaufschlamm ins Belebungsbecken zurückgeleitet werden, so müssen wir unsere
Analyse vorerst aufs Nachklärbecken konzentrieren.
2.3 Die Stoffbilanz 21

Zufluss
Qzu• Czu System
Volumen V
mittlere Stoffkonzentration C
mittlere Prod.geschwindigkeit r Abfluss
--~r---------~
Qab• cab
Abb. 2.2. Definition eines einfachen Systems. Die Annahmen sind, dass das System ein varia-
bles Volumen V hat, dass Transport über die Systemgrenzen nur innerhalb von Zufluss- oder
Abflussleitungen möglich ist und dass Stoffe über das ganze System gleichmässig mit der Kon-
zentration C verteilt sind

2.3 Die Stoffbilanz


Die Bilanzgleichung wird für ein definiertes System angeschrieben. Sie fasst
Speicher-, Transport- und Umwandlungsprozesse zusammen und erlaubt, Pro-
gnosen zu machen, wie sich der Zustand eines Systems entwickeln wird.
Die Masse eines Stoffes, die sich in einem System befindet (gespeichert ist),
verändert sich als Folge von Zufluss (die Masse nimmt zu), Abfluss (die Masse
nimmt ab), einer möglichen Produktion im System selbst (einer Quelle, die Mas-
se nimmt zu) oder einem möglichen Verbrauch (einer Senke, die Masse nimmt
ab). Für alle Systeme gilt für jeden Stoff die folgende Gleichung:
Speicherung = Zufluss- Abfluss+ Produktion- Verbrauch (2.1)
oder
Speicherung = Transport + Reaktion
Speicherung = Veränderung der Stoffmenge im System.
Die Speicherung ist positiv, wenn die Stoffmenge zunimmt,
sie ist negativ, wenn diese abnimmt.
Transport = Zufluss und Abfluss sind Transportprozesse
Reaktion = Produktion und Verbrauch sind Stoffumwandlungen, ein
Verbrauch ist eine negative Produktion
Mathematisch können wir GI. (2.1) in unterschiedlicher Form anschreiben;
dabei ist es wichtig, dass wir für das Quantifizieren der drei Prozesse Speiche-
rung, Transport und Reaktion die gleichen Dimensionen und Einheiten verwen-
den. Hier werden nur die einfachsten Möglichkeiten und Modellansätze vorge-
stellt. Ein sehr einfaches System ist in Abb. 2.2 dargestellt.
Für das einfache System in Abb. 2.2 ergibt sich die Masse eines Stoffes in-
nerhalb des Systems zu:
M =V· C (2.2)
M = Masse eines Stoffes innerhalb des Systems in Abb. 2.2 [M]
V = Volumen des Systems in Abb. 2.2 [L3]
C = Mittlere Stoffkonzentration im System in Abb. 2.2 [M L-3]
22 2 Systemanalyse und Massenbilanz

Die Akkumulation des Stoffes oder den Speicherprozess können wir als Ver-
änderung der Stoffmasse M mit der Zeit t verfolgen. Mit GI. (2.2) ergibt sich:
. dM d(V ·C) dC dV
Spetcherung = - = V ·-+C·- (2.3)
dt dt dt dt
Der Transport von Stoffen ins System hinein oder aus dem System heraus er-
gibt sich zu:
Zufluss = Q.. · C"" (2.4)
Abfluss = Q.., · Cab
Q = Volumenstrom (Durchfluss) des Wassers [L3 T 1].
Die Reaktion oder die Umwandlung des Stoffes im System berechnet sich
aus:
Reaktion = r · V (2.5)
r =Reaktionsgeschwindigkeit [M L"3 T 1].
r > 0 wenn der Stoff produziert wird
r < 0 wenn der Stoff verbraucht wird.
Die Reaktionsgeschwindigkeit r gibt an, wieviel des Stoffes pro Volumen
und pro Zeit im System produziert werden. Zum Beispiel kann in einer biologi-
schen Abwasserreinigungsanlage Sauerstoff, 0 2, verbraucht werden. r02 ist nega-
tiv, weil es sich um einen Verbrauch handelt. Die Reaktionsgeschwindigkeit
wird z.B. angegeben als:
r 02 =- 500 g 0 2 m·3 d-1•
Mit den Gin. (2.2- (2.5) können wir nun GI. (2.1) schreiben als:
dC · dV (2.6)
V·-+C·-=Q ·C -Q 8 b ·Cab +r·V
dt dt zu zu

Gleichung (2.6) ist eine stark vereinfachte Form einer allgemeinen Massen-
bilanzgleichung. Sie ist nur für das sehr einfache System in Abb. 2.2 gültig. Das
genügt hier, um einfache Fragestellungen zu bearbeiten.

Beispiel 2.2. Transportgeschwindigkeit


Im Zulauf zu einer Kläranlage für 5000 Einwohner werden pro Tag 1500 m3 Abwasser
gemessen. Das Abwasser enthält im Mittel c," = 7 g m-a Phosphor.
Wie gross ist die mittlere Transportgeschwindigkeit {der mittlere Zufluss, die Fracht) von
Phosphor in diese Kläranlage hinein?
Die Phosphorfracht im Zulauf beträgt: 0," · C," = 1500 m3 d-1 • 7 gP m-a = 10'500 gP d-1 • Je
nach den gewählten Einheiten könnten wir diese Transportgeschwindigkeit auch angeben
als 438 gP h-1 oder 0.12 gP s·1• Alle drei Transportgeschwindigkeiten drücken das Gleiche
aus.
WICHTIG: Die drei Angaben zur Phosphorfracht beziehen sich alle auf die mittlere Fracht
und sind nicht Mittelwerte über einen Tag, eine Stunde oder eine Sekunde.
Wieviel Phosphor gelangt im Mittel während eines Jahres in diese Anlage?
2.4 Ideale Reaktoren 23

c~

Abb. 2.3. Schematische Darstellung eines Chargenreaktors

3 ·1 ·3
Mp = Ozu · Czu · .it = 1500 m d · 7 gP m · 365 d = 3.83 t Phosphor.
Die Antwort auf diese Frage beinhaltet die Dimension der Zeit nicht mehr. Entsprechend
handelt es sich hier nicht um eine Transportgeschwindigkeit

2.4 Ideale Reaktoren


Damit wir Systeme mathematisch einfach beschreiben können, führen wir ideale
Reaktoren ein. Ideale Reaktoren sind Systeme, für die wir die darin ablaufenden
Transport- und Durchmischungsprozesse mathematisch exakt beschreiben kön-
nen. Reale, gebaute Reaktoren weichen in ihrem Verhalten mehr oder weniger
stark von idealen Reaktoren ab, häufig können wir sie aber mit genügender Ge-
nauigkeit durch ideale Reaktoren abbilden. Hier werden drei ideale Systeme
eingeführt: Der Chargenreaktor, der ideal durchmischte Reaktor und der Röh-
renreaktor.

2.4.1 Der Chargenreaktor


Der Chargenreaktor (engl. batch reactor) ist in Abb. 2.3 schematisch dargestellt.
Er hat keinen Zufluss und keinen Abfluss, er ist so intensiv durchrnischt, dass im
Reaktor keine Gradienten von Konzentrationen oder Temperaturen etc. auftreten
können. Typische Beispiele für einen Chargenreaktor sind Reagenzgläser im
Labor oder das Kochen in einer Pfanne.
Wenn wir GI. (2.6) auf einen Chargenreaktor anwenden, so verbleibt ohne
Zu- und Abfluss, d.h. bei konstantem Volumen:
dC dC
V--=r·V oder - = r (2.7)
dt dt
Weil der Chargenreaktor weder Zu- noch Abfluss hat, sprechen wir auch von
einem geschlossenen System. Ein solches kann mit der Umgebung keine Stoffe,
wohl aber Energie austauschen. Die Erde ist relativ zum Weltall angenähert ein
geschlossenes System.

Beispiel 2.3. Desinfektion von Wasser an der Sonne.


Stellt man Wasser in Plastikgefässen an die Sonne, so wird das Wasser von der UV-
Strahlung der Sonne durchdrungen; diese kann Mikroorganismen abtöten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mikroorganismus während 1 min durch die UV-
Strahlung im Sonnenlicht abgetötet wird, beträgt z.B. in einer 1 I Flasche 5%.
24 2 Systemanalyse und Massenbilanz

Zufluss

a c:u

Abfluss

C Zufluss
c Abb. 2.4. Schematische Darstellung des idealen
Abfluss
cab Rührkessels. Unten sind die lokalen Stoffkon-
zentrationen angedeutet. Im Rührkessel finden
Ort wir die gleiche Konzentration wie im Ablauf

Wie lange muss das Wasser an der Sonne stehen, damit die Konzentration der Mikroor-
ganismen um den Faktor 106 reduziert wird?
Das Plastikgefäss können wir als Chargenreaktor betrachten. Für die angegebene Abtö-
tungsgeschwindigkeit gilt : r= - k · X, mit k = 0.05 min·1 • Dabei steht X für die Konzentra-
tion der Mikroorganismen.
Integrieren wir GI. (2.7), ausgehend von X= X0 bei t = 0, so resultiert:
y IY ·k·l -Q.OS·I
IVI'O =e =e .
Um den gewünschten Abbau von X/X0 = 10-s zu erhalten, sind t = 276 min oder ca. 5 h
erforderlich. Insbesondere in grosser Höhe (Südamerika, Anden) ist die UV·Strahlung
sehr intensiv, hier stellt diese einfache Art der Wasseraufbereitung eine geeignete Mög-
lichkeit zur Desinfektion dar, wenn das Rohwasser nicht allzu stark belastet ist.

2.4.2 Der ideale Rührkessel


Der ideale Rührkessel (engl. CSTR, continuous flow stirred tank reactor) hat
analog zum Chargenreaktor ein intensiv durchmischtes Volumen, in dem keine
Gradienten von Konzentrationen etc. auftreten. Er ist durchflossen, sein Volu-
men bleibt konstant, d.h. die Zufluss- und die Ablaufwassermenge sind gleich
gross. Der ideale Rührkessel ist in Abb. 2.4 dargestellt. Der Rührkessel ent-
spricht angenähert einem See in der Phase der vollständigen Durchmischung im
Herbst, wenn keine thermische Schichtung beobachtet wird.
Wenden wir GI. (2.6) auf einen Rührkessel an, s o resultiert mit konstantem
Volumen V und daher gleichem Zu- und Abfluss Q:
I
dC
V·-= Q·(C -C ab )+r· V (2.8)
dt zu

Zudem können wir davon ausgehen, dass die Stoffkonzentrationen wegen der
guten Durchmischung im Reaktor und im Ablauf identisch sind, C =Cab.
2.4 Ideale Reaktoren 25

Hauptfliessrichtung

Abb. 2.5. Der Röhrenreaktor. Die Konzentration C eines Stoffes, der abgebaut wird, nimmt
entlang der Fliessrichtung ab

Beispiel 2.4. Desinfektion von Wasser in einem durchflossenen Wassertank.


Eine kleine Gemeinde hat von der einfachen Aufbereitung des Trinkwassers durch Son-
nenlicht gehört (s. Beispiel 2.3). Sie beschliesst, die erforderlichen 100 m3 d-1 Trinkwasser
in einem offenen, durchflossenen Wassertank mit einem Volumen von 100m3 zu produ-
zieren. Das Wasser im Tank wird durch die Strömung gut durchmischt
Ist das Wasser nach dieser Aufbereitung geniessbar?
Wir modellieren den Wassertank als idealen RührkesseL
Mit r = - k · X (s. Beispiel 2.3) und der Annahme, dass die Wasserqualität im Becken mit
derjenigen im Ablauf identisch ist (X=X.b) und konstant bleibt (dX/dt = 0), ergibt sich aus
GI. (2.8):
X
0 =Q ·(X zu- X.b)- k · X.b ·V und nach Umformung __.!!!_ =- - - -
Xzu l+k-V/Q
Für k = 0.05 min-1 und V/Q = 1 d = 1440 min wird X.JX,u = 0.014.
(ln einem sogrossen Becken wäre der k- Wert viel geringer und damit die Leistung noch
geringer).
ln der Anordnung, die die Gemeinde vorsieht, bleibt das Wasser zwar im Mittel während
24 h im Tank, aber es verbleiben noch ca. 1.4% der Mikroorganismen im Wasser zurück.
(Bei nur 12 h Sonneneinstrahlung sind es noch viel mehr!) Das Wasser kann also nicht
als Trinkwasser bezeichnet werden, der Wirkungsgrad der Anlage ist viel zu gering.
Der Vergleich dieses Beispiels mit den Resultaten aus Beispiel 2.3 zeigt wie wichtig die
Fliessbedingungen in einem Reaktor sind. Das erforderliche Volumen, um X.b I X,u = 10-6
zu erreichen, wäre V > 50'000 m3 . Rührkessel sind für die Desinfektion offensichtlich
nicht geeignet

2.4.3 Der Röhrenreaktor


Der Röhrenreaktor (engl. plugflow reactor) unterscheidet sich grundsätzlich von
den zwei anderen idealen Reaktoren. Als interner Transportprozess wird in
Strömungsrichtung nur die Advektion (Transport mit dem fliessenden Wasser)
betrachtet, es findet keine Längsdurchmischung statt (Abb. 2.5). Damit können
in einem Röhrenreaktor entlang der Hauptachse des Reaktors Gradienten von
Stoffkonzentrationen auftreten. Man kann sich den Röhrenreaktor als eine Kette
von Chargenreaktoren vorstellen, die sich hintereinander mit der Fliess-
26 2 Systemanalyse und Massenbilanz

geschwindigkeit des Wassers bewegen. Ein Förderband oder ein Skilift sind
Beispiele für Röhrenreaktoren. Fliessgewässer und Kanalisationen entsprechen
angenähert einem Röhrenreaktor.
Auf den Röhrenreaktor können wir GI. (2.6) nicht anwenden, weil die An-
nahme, dass die Konzentration C des Stoffes über den ganzen Reaktor die glei-
che ist, nicht anwendbar ist. Der Röhrenreaktor entspricht nicht der einfachen
Systemdefinition in Abb. 2.2.

Beispiel 2.5. Desinfektion in einer Wasserleitung.


Eine Transportleitung für Trinkwasser, z.B. von einem entfernt gelegenen, erhöhten Spei-
cher zum Versorgungsgebiet, entspricht angenähert einem idealen Röhrenrektor. Das
Verhältnis Länge L der Leitung zu Fliessgeschwindigkeit v gibt an, wie lange das Wasser
in der Leitung im Mittel verbleibt.
ln Analogie zu Beispiel 2.3: Wie gross muss die Geschwindigkeitskonstante k für die
Desinfektion sein, damit das Wasser in der Transportleitung genügend desinfiziert wird
<x.A. < 10-6)?
Annahmen: L = 2 km, v = 2 m s·'.
Stellen wir uns vor, dass Wasserpakete wie eine Kette von Chargenreaktoren durch die
Transportleitung fliessen, so ergibt sich in Analogie zu Beispiel 2.3:
X.JX,. = e...., = e-~<·I..IV < 10-~~. Es gilt die Bedingung k > -ln(10o~~ )/(Uv) = 0.83 min·'.
Wir müssen also beim Speicher dem Wasser genügend Desinfektionsmittel (z.B. Chlor,
Cl2) zugeben, damit pro Minute mehr als 83% der Mikroorganismen abgetötet werden.
Das Trinkwasser erreicht dann das Versorgungsgebiet in hygienisch einwandfreiem Zu-
stand. Da eine Druckwasserleitung wegen der Längsdurchmischung des Wassers nicht
genau einem Röhrenreaktor entspricht, muss die Dosierung des Desinfektionsmittels
noch leicht erhöht werden.

2.5 Anwendung der Bilanzgleichung


Die Anwendung der Bilanzgleichung wird an Hand von Beispielen eingeführt.
Vereinfachte Formen von Gl. (2.6) beschreiben unterschiedliche Spezialfälle.

2.5.1 Speicherung
Speicherung ist in allen Bereichen der Siedlungswasserwirtschaft von Bedeu-
tung. Deutlich wird der Prozess der Speicherung in der Wasserversorgung: Ein
Trinkwasserspeicher (ein Reservoir) speichert Wasser in Perioden mit geringem
Verbrauch, um ansebliessend bei erhöhtem Verbrauch Wasser ins Verteilnetz
einzuspeisen. Wasser wird gespeichert, weil sich der Zufluss vom Abfluss unter-
scheidet. Aus GI. (2.6) wird deutlich, dass ohne Reaktion und ohne Transport
auch der Speicherterm der Bilanzgleichung gleich null wird. Speicherung ist also
immer eine Folge von entweder Transport oder Reaktion.

Beispiel 2.6. Akkumulation (Speicherung) von Stoffen in einem See


ln einem See nimmt die Stickstoffkonzentration SN laufend zu. Es werden z.B. im Ver-
laufe eines Jahres zusätzlich aM = 2000 kg gelöster Stickstoff gespeichert. Der See hat
ein Volumen von V= 5·106 m3 •
2.5 Anwendung der Bilanzgleichung 27

Wieviel grösser ist die mittlere Konzentration SN des gelösten Stickstoffes im Verlaufe
des Jahres geworden?
Die totale Stoffmenge im See ist M =SN · V, und daraus ergibt sich die Zunahme der
mittleren Konzentration zu:
6 6 3 ·3
ßSN=ßM/V=2·10g/5·10 m =0.4gNm.

2.5.2 Speicherung und Transport


Transport von Wasser und Stoffen ist als Phänomen einfach zu verstehen. In der
Wirklichkeit, wenn wir die Transportprozesse quantifizieren müssen, entsteht
aber eine Reihe von Problemen. So werden z.B. in der Siedlungsentwässerung
aufwendige Modell- und Programmpakete eingesetzt, um den Transport und die
Speicherung von Wasser in den Kanalsystemen zu simulieren.
Wenden wir GI. (2.6) auf Wasser an, so bleibt die Konzentration des Wassers
konstant (C =Dichte des Wassers= 1000 kg m· 3) und es wird kein Wasser pro-
duziert (r = 0). Es resultiert:

(2.9)

Beispiel 2.7. Speicherung von Wasser in den Wasserversorgungsnetzen


Die Wasserversorgung betreibt Druckleitungen, die immer voll sind, d.h. das Volumen
des Systems Wasserleitungen ist konstant.
Wie reagiert die Einspeisung von Wasser aus einem Reservoir in die Leitungen auf eine
plötzliche Zunahme des Wasserbedarfes?
Die Anwendung von GI. (2.9) ergibt:
Weil das Volumen der Leitungen konstant ist, gilt dV/dt = 0, es resultiert Qzu = a.b.
Mit dem Verbrauch nimmt a.b zu, also muss unmittelbar auch Qzu zunehmen. Das erfor-
derliche Wasser, das diese Zunahme der Einspeisung abdeckt, wird aus den Wasser-
speichern mit variablem Volumen (Reservoiren) zur Verfügung gestellt.
Die Wasserversorgung konzentriert das Bauelement mit variablem Volumen auf die
Wasserspeicher.
(Die Annahme, dass die Konzentration des Wassers konstant bleibt stimmt nur angenä-
hert. Durch Druckschwankungungen ergeben sich geringe Unterschiede in der Dichte
des Wassers, das führt zu Druckstössen, die in Kapite111.7 besprochen werden).

Beispiel 2.8. Speicherung von Wasser in der Kanalisation.


Wie reagiert der Ausfluss einer Kanalisation auf den plötzlichen zusätzlichen Zufluss zur
Kanalisation als Folge eines Regenereignisses?
Die Kanalisationen sind Freispiegelkanäle, d.h. die Wassertiefe in den Kanälen nimmt mit
zunehmendem Abfluss zu. Die Kanalisationen haben ein variables Wasservolumen, d.h.
wiederum dass sie Wasser vorübergehend speichern können.
Die Anwendung von GI. (2.9) ergibt:
Weil das Wasservolumen in den Kanälen mit zunehmendem Zufluss zunimmt, wird Was-
ser im Netz vorübergehend gespeichert, dV/dt > 0.
Weil die Speichergeschwindigkeit vorerst positiv ist, muss nach GI. (2.9) der Abfluss a.b
vorerst kleiner sein als der erhöhte Zufluss Qzu· Die Kanäle werden gefüllt.
28 2 Systemanalyse und Massenbilanz

Nach dem Nachlassen des Regens nimmt der Zufluss a•• ab. Das Wasservolumen in
den Kanälen nimmt wieder ab, die Speicherung ist negativ, der Abfluss Qab muss grösser
sein als der Zufluss a••.
Die Tatsache, dass die Kanalisationen vorübergehend Wasser speichern können, führt
zu einer Verlangsamung des Abflusses.

Beispiel 2.9. Konstantes Volumen im Rührkessel


Bei der Herleitung von GI. (2.8) haben wir intuitiv angenommen, dass das Volumen des
idealen Rührkessels konstant bleibt. Diese Annahme ist eine Konsequenz von GI. (2.9).
Ist Qzu = Qab so resultiert dV/dt = 0 oder V= konstant.
Häufig wenden wir Bilanzgleichungen intuitiv an.

Beispiel2.10. Speicherung von Wasser in einem Reservoir


Die Bilanzierung des Wassers um ein Reservoir beruht auf GI. (2.9). Solange O.u > Qab,
nimmt das gespeicherte Volumen zu.

2.5.3 Keine Speicherung: Stationärer Zustand


Als stationären Zustand bezeichnen wir einen Systemzustand, der unabhängig
von der Zeit ist. Insbesondere bleiben alle Zu- und Abflüsse konstant und eine
Speicherung ist nicht vorhanden: das Volumen und alle Konzentrationen im
System (die sogen. Zustandsgrössen) bleiben konstant. Gleichuhng (2.6) wird zu:
O=Q·Czu -Q·Cab +r· V (2.10)
Weil das Volumen des Systems konstant bleibt, muss auch der Zufluss Q..
gleich dem Abfluss Q., sein. Gleichung (2.1 0) kann auf alle anderen Formen der
Bilanzgleichung angewendet werden; für den Chargenreaktor resultiert z.B. im
stationären Zustand aus Gl. (2.7) die Aussage r = 0.

2.5.4 Die Umwandlung kann vernachlässigt werden.


In vielen Situationen wissen wir, dass für einzelne Stoffe die Umwandlungspro-
zesse vernachlässigbar langsam sind, d.h., dass der Produktionsterm in Gl. (2.6)
gleich null wird:

dC dV (2.11)
V·-+C·-=Q
dt dt ·C -Q aba
zuzu ·Cb

Im stationären Zustand gilt zudem dC/dt = 0 und dV/dt = 0. Es verbleibt


Czu = Cab. Für die Vernachlässigung des Produktionstermes gibt es verschiedene
Gründe:
- Wir wissen, dass der Stoff in unserem System keiner Reaktion unterworfen
ist. Das ist z.B. für Kochsalz (NaCl) häufig der Fall. Ob ein Stoff an einer
Reaktion teilnimmt oder nicht ist aber nicht nur eine Eigenschaft des Stoffes
sondern auch des Systems: In einem System ohne Mikroorganismen (Bakte-
rien) geschieht mit Ammonium (NH/) nur wenig; sind aber geeignete Bakte-
rien und Sauerstoff (02) vorhanden, so wird Ammonium rasch zu Nitrat
(N03") oxidiert.
2.5 Anwendung der Bilanzgleichung 29

Zufluss von der


Siedlung 05 , C5

Abb. 2.6. Systemdefinition für einen Vereinigungsschacht: Regenwasser wird dem Abwasser
einer Gemeinde zugeleitet. Die Wassermengen werden mit Q, die Schmutzstoffkonzentrationen
mit C bezeichnet

Das System kann so klein sein, dass für eine bedeutende Reaktion keine Zeit
zur Verfügung steht, s. dazu Beispiel 2.11.
Der Stoff ist einem Erhaltungssatz unterworfen. Er kann zwar an Reaktionen
teilnehmen, die Summe von Produktion und Verbrauch ist aber immer gleich
null. Erhaltungssätze gelten v.a. für Elemente. In einem System kann z.B.
kein zusätzlicher Phosphor (P) produziert werden (s. a. Beispiel 2.14 ).
Der Stoff ist wohl einer Reaktion unterworfen, im Vergleich zur Stoffmenge,
die durch das System fliesst oder darin vorhanden ist, ist die Reaktion aber
vernachlässigbar. Das gilt insbesondere für Wasser, das z.B. in geringen
Mengen durch Mikroorganismen gebildet wird.

Beispiel 2.11. Mischrechnung in der Kanalisation


ln Abb. 2.6 ist ein Vereinigungsschacht dargestellt, in dem Regenwasser und Abwasser
aus einer Siedlung zusammenfliessen.
Wie gross ist die Menge QR und die Konzentration eines Schmutzstoffes im Regenwas-
ser eR?
Die folgenden Grössen wurden gemessen:
Os = 0.15 m3 s·\ Cs = 150 g m·3 im Abwasser aus der Siedlung
OM = 0.60 m3 s·1 , CM = 40 g m·3 im Mischwasser nach der Vereinigung
Es ist offensichtlich, dass gilt OR = OM- Os = 0.45 m3 s·1 • Wir wenden hier implizit GI. (2.6)
oder genauer GI. (2.9) an. Im Schacht wird kein Wasser zurückgehalten (Speiche-
rung= O) und kein Wasser produziert (Produktion = 0), damit verbleibt: Zufluss =Abfluss
oder Os + OR = OM.
Für den Schmutzstoff können wir annehmen, dass das Wasser nur so kurz im Schacht
verbleibt, dass keine Reinigung (Reaktion) möglich ist, es gilt daher analog zum Wasser:

. h· C
0 s · C s + 0 R • C R = 0 M • C M" DaraUS erg1"bt SIC QM . CM - Qs . Cs
. R = -="----"'---=--"- 3.3gm· 3
QR
Wir sprechen hier von einer Mischrechnung, effektiv haben wir die Bilanzgleichung an-
gewendet und die Annahmen gemacht, dass der Schmutzstoff nicht reagiert und nicht im
Schacht gespeichert (zurückgehalten) wird.
30 2 Systemanalyse und Massenbilanz

r- -------------------------------- ------ ---~t~~e_'!l_! _

------l
'
i System2

Qzu --1-:-+~
Nitrifikation 1-t--~
:
'
''
'
i' '----------------'----~_... Oüs
i QR
·-----------------------------------------------------
'
Abb. 2.7. Fliessschema einer einfachen Belebungsanlage mit Nitrifikation. (s.a. Abb. 2.1)

Beispiel 2.12. Ein mikrobiologischer Prozess


Mikroorganismen (Bakterien) können z.B. ein Kohlehydrat (Zucker, C6 H1p 6) mit Hilfe von
Sauerstoff zu Kohlendioxid und Wasser oxidieren, entsprechend:
C6 H120 6 + 6 0 2 -7 6 C02 + 6 Hp
Da in einem Abwasser z.B. nur wenige Gramm Zucker pro m3 Wasser enthalten sind,
kann die Produktion von Wasser im Vergleich zum vorhandenen Wasser vernachlässigt
werden.

Beispiel2.13. Säure- Base- Reaktionen


Säure - Base Reaktionen laufen im Wasser sehr schnell ab. Die einfache Mischrechnung
in Beispiel 2.11 genügt hier nicht um den pH-Wert des vermischten Wassers zu bere-
chen: Also auch in diesem einfachen System müssen wir schnelle Reaktionen berück-
sichtigen.

Beispiel2.14. Anwendung eines Erhaltungssatzes.


ln einer Belebungsanlage, deren Fliessschema in Abb. 2.1 und Abb. 2.7 dargestellt ist,
wird Stickstoff in die Biomasse (Mikroorganismen) eingebaut und zusätzlich nitrifiziert,
d.h. von Ammonium (NH 4+) zu Nitrat (N03") oxidiert, nach: NH 4+ + 2 0 2 -7 N03•
+ HP + 2 H+. Die Anlage wird im stationären Zustand betrieben (keine Speicherung, es
gilt GI. (2.10)), und es werden die Grössen in der nachfolgenden Tabelle gemessen.
Messstelle Durchfluss Q Ammonium Nitrat Organischer N
in m3 d.1 (NH/) (N03 ") in der Biomasse
in g N m-3 in g N m·3 in g N m·3
Zufluss Qzu = 1000 SNH,zu = 20 SNO,zu = 0 XN,zu = 0
Abfluss ? SNH,ab = 2 ? XN,ab = 0
Überschussschlamm Oüs = 25 SNH.üs = 2 ? XN,ÜS = 250
Rücklaufschlamm QR = 1000 SNHR = 2 ? ?
Wie gross ist die Wassermenge Qab im Ablauf?
Für den stationären Zustand ergibt sich für das System 1 in Abb. 2.7:
Qzu = Qab + QÜS und damit Qab =975m3 d'1 .
Wieviel Wasser fliesst vom Belebungsbecken zum Nachklärbecken?
Für den stationären Zustand ergibt sich für das System 2 in Abb. 2. 7:
3 ·1
0," + QR = Abfluss aus dem Belebungsbecken = 2000 m d .
2.5 Anwendung der Bilanzgleichung 31

Wiegrossist die Nitratkonzentration im Ablauf des Nachkltirbeckens, SNO_ab?


Für Stickstoff gilt ein Erhaltungssatz. Obwohl Ammonium zu Nitrat oxidiert wird, bleibt die
Menge des Stickstoffes unverändert. Für das System 1 ergibt sich mit r = 0 und GI. (2.1 0)
die folgende Bilanz:
a•.-sNH.zu = Qab·(SNH.ab + SNO.ab> + Oos·(SNH.OS + SNo.os + ~.os>
Wenn wir einen Erhaltungssatz für Stickstoff anwenden, müssen wir alle Formen von
Stickstoff, die in den verschiedenen Leitungen vorkommen, erfassen. Hier also die Sum-
me der drei Konzentrationen von Ammonium, Nitrat und den organisch gebundenen
Stickstoff, SNH + SNO +~(die alle in g N m-a angegeben werden).
Im Nachklärbecken laufen keine Reaktionen ab, es werden nur Mikroorganismen abge-
trennt. Es gilt daher die Annahme, das die gelösten Stoffe Ammonium und Nitrat im Ab-
lauf und im Überschussschlamm die gleiche Konzentrationen haben: SNH.ab = SNH.Os und
SNo.ab = SNo.os· Damit verbleibt als einzige Unbekannte SNO,ab' Unter Vernachlässigung der
Konzentrationen, die mit 0 gemessen wurden, verbleibt:
Qzu ·SNH,zu -(Qab +Qos)·SNH,ab -Qos ·XN.Os • -3
11.75 g N03 -N m
Q.b +Qos
Wie gross ist die Konzentration des organisch gebundenen Stickstoffes in der Biomasse
im Belebungsbecken XN. 88 ?
Das Finden des Lösungsweges wird dem Leser überlassen. Es muss ein neues System
3 definiert werden. (Zur Kontrolle: XN,BB = 128 g N m-a).
Dieses Beispiel zeigt, dass wir auch ohne detaillierte Analyse der Reaktoren mit Hilfe der
Systemanalyse sehr wertvolle Aussagen machen können.
3 Charakterisierung von Wasser

Die Siedlungswasserwirtschaft ist eine Disziplin, die sich sehr umfassend mit der
Qualität von Wasser befasst. Damit dies möglich wird, müssen wir das Wasser
chemisch, physikalisch und hygienisch charakterisieren. Das bedingt ein Ver-
ständnis für die Bedeutung und die Probleme der verschiedenen Analysemetho-
den.

3.1 Vorbemerkungen
Hier werden einzelne Analysen und Methoden zur Charakterisierung von Was-
ser, Abwasser und Klärschlamm diskutiert. Die Angaben beschränken sich auf
das Minimum, das erforderlich ist, um die Grundlagen der Siedlungswasserwirt-
schaft zu verstehen. Fachleute, die sich vertieft mit der Siedlungswasserwirt-
schaft befassen, müssen sich auch im Detail mit den Analysemethoden vertraut
machen. Nur so sind sie vor Fehlinterpretationen gefeit. Zu jeder Analyse, sei
diese physikalisch, chemisch oder mikrobiologisch, gehört eine reproduzierbare
Beschreibung des standardisierten Vorgehens und der möglichen Fehlerquellen
bei den Resultaten, s. dazu die weiterführende Literatur in Kapitel 26.4, Seite
402.

3.2 Summenparameter und Einzelstoffe


Summenparameter fassen eine Gruppe von unterschiedlichen Stoffen zusammen,
die eine gemeinsame Eigenschaft haben, z.B. dass sie mit einem Membranfilter
mit einer definierten Porengrösse (z.B. 0.45 J.lm) aus dem Wasser abgetrennt
werden können, oder dass sie durch Cr2 0/- (Dichromat) oxidiert werden können
(CSB), etc. Einzelstoffanalysen sind chemische Analysen, die gezielt einzelne,
chemisch definierte Stoffe eifassen.
Insbesondere im Abwasser finden wir ein Gemisch von vielen Einzelstoffen. Es
ist häufig nicht möglich (und auch nicht sinnvoll) diese alle einzeln zu erfassen.
Mit Hilfe von sogenannten Summenparametern wird eine Gruppe von Stoffen
gemeinsam analysiert. Das Analyseverfahren stellt dann eine spezielle Eigen-
schaft der Stoffgruppe in den Vordergrund. Um die Resultate dieser Analyse zu
interpretieren müssen wir die spezielle Eigenschaft, die analysiert wird, verste-
hen.
In chemischen und mikrobiologischen Prozessen spielen genau definierte
Einzelstoffe häufig eine wichtige Rolle. Um diese zu quantifizieren müssen wir
entsprechend selektive Analysemethoden wählen.
34 3 Charakterisierung von Wasser

Abwasserprobe

Fittermembran mit
Vakuum suspendierten Stoffen

Filtrat m~
gelösten Stoffen

Abb. 3.1. Apparatur zum Trennen von gelösten und ungelösten Stoffen. Die ungelösten Stoffe
bleiben auf der Filtermembran zurück, die gelösten Stoffe werden mit Hilfe von Vakuum zu-
sammen mit dem Wasser durch die Filtermembran gesogen

Belsple13.1. Summenparameter, Einzelstoffe und Mengenlehre

Summenparameter quantifizie-
ren eine Teilmenge aller Stoffe,
die in einem Wasser vorhanden
Einzelsloff: sind. Einzelstoffanalysen bezie-
~ Ein Element hen sich auf ein Element aus
der gesamten Menge der vor-
handenen Stoffe. Die Filtration
teilt die Stoffe in zwei Teilmen-
gen: Gelöste und partikuläre
Stoffe.

Trennverfahren: Membranfihration

3.3 Filtration, gelöste und partikuläre Stoffe


Die Filtration durch Membranfilter ist ein einfaches Trennverfahren, das parti-
kuläre von gelösten Stoffen trennt. Da partikuläre Stoffe z.B. durch Sedimentati-
on aus dem Wasser abgetrennt werden können, kommt der Aufteilung in diese
beiden Gruppengrosse Bedeutung zu.

3.3.1 Filtration
Als gelöste Stoffe werden Stoffe bezeichnet, die durch ein Membranfilter mit
definierten Porengrössen passieren können. In der Schweiz wird meist eine Po-
rengrösse von 0.45 J.lm für diese Abtrennung verwendet. Als ungelöste, partiku-
läre oder suspendierte Stoffe werden diejenigen Stoffe bezeichnet, die bei der
Filtration auf dem Membranfilter zurückbleiben. Abb. 3.1 zeigt eine Apparatur,
mit der die ungelösten von den gelösten Stoffen abgetrennt werden können.
3.3 Filtration, gelöste und partikuläre Stoffe 35

3.3.2 Abfiltrierbare Stoffe, TSS


Als abfiltrierbare oder suspendierte Stoffe wird das Trockengewicht der Summe
aller Stoffe bezeichnet, die auf einem Membranfilter mit definierter Porengrösse
zurückgehalten werden.
Die suspendierten Stoffe umfassen die im Wasser vorhandenen Schwimm-,
Schwebe- und absetzbaren Stoffe. Schwebestoffe sind Stoffe, die in Form von
meist kleinen Flocken oder Partikeln (0.001 - 1 mm), häufig mit einer spezifi-
schen Dichte um 1 g cm·3 , im Wasser über lange Zeit (Minuten- Stunden- Tage)
in Suspension oder in Schwebe bleiben. Ungelöste Stoffe sind teilweise als ein-
zelne Partikel mit unterschiedlicher Zusammensetzung von blassem Auge sicht-
bar. Sie verursachen eine Trübung des Wassers und können z.B. in Gewässern
aussedimentieren und zu einer Verschlarnmung des Sediments führen.
Zur Bestimmung der ungelösten Stoffe wird eine Probe des Abwassers durch
eine dünne Filtermembran mit definierten Porenöffnungen filtriert und der Filter-
rückstand bei 105°C während 2 h getrocknet und ansebliessend gewogen. Zur
Anwendung gelangen Filtermembranen aus Glasfasern oder organischen Verbin-
dungen mit definierten Porengrössen. In der Schweiz kommen meist organische
Filtermembranen mit 0.45 J..lm Porengrösse zum Einsatz.
Je nach Analysemethode, Sprachregion oder Vorliebe des Autors werden die
Resultate dieser Analyse unterschiedlich bezeichnet. Beispiele sind:
- TSS: Total suspendierte Stoffe, wird auch auf englisch als Abkürzung für
"Total Suspended Solids" verwendet. Dieses Kürzel wird in diesem Text ver-
wendet.
- GUS: Gesamte ungelöste Stoffe
- Abfiltrierbare Stoffe

3.3.3 Glühverlust der abfiltrierbaren Stoffe, VSS


Glühverlust ist ein Summenparameter, der angenähert die Masse aller organi-
schen Stoffe erfasst.
Der organische Anteil der abfiltrierbaren Stoffe hat eine besondere Bedeutung:
Er wird häufig stellvertretend für Biomasse (Mikroorganismen) bestimmt. Orga-
nische Substanzen sind auch Substrate (Nährstoffe) für viele Mikroorganismen,
sie können daher einen Sauerstoffverbrauch auslösen.
Wird der Filterrückstand aus der Bestimmung der ungelösten Stoffe (TSS)
bei 650°C geglüht, so verflüchtigen sich v.a. die organischen Stoffe. Es resultiert
ein Gewichtsverlust, der Glühverlust der abfiltrierbaren Stoffe genannt wird. Mit
dem Glühverlust soll die Masse aller organischen Stoffe bestimmt werden, wäh-
rend die TSS auch die mineralischen Stoffe einschliessen.
Analog zu den ungelösten Stoffen werden auch für den Glühverlust unter-
schiedlichste Bezeichnungen angewendet.
- VSS: Flüchtige suspendierte Stoffe, vom engl. Volatile Suspended Solids. In
diesem Text wird das Kürzel VSS verwendet.
- Glühverlust
36 3 Charakterisierung von Wasser

Beispiel 3.2. Bestimmung der TSS und der VSS


Ein 0.45 Jlm Membranfilter aus organischem Material wird gewaschen, getrocknet und
gewogen (M 0). Anschliessend werden V= 50 ml = 0.05 I Abwasser durch diesen Filter
filtriert, indem mit einer Vakuumpumpe das Filtrat durch den Filter gesogen wird
(Abb. 3.1). Der Filter wird nun bei 105°C während 2 h getrocknet, gekühlt und wieder
gewogen (M1 ). Anschliessend wird der Filter bei 650°C in einer Aluminiumschale mit der
Masse M 2 während ca. 1 h ausgeglüht und gekühlt. Die Masse der Aluminiumschale mit
der ausgeglühten Asche beträgt nun M3 •
M0 = 72.3 mg M1 = 84.1 mg M2 = 1254.6 mg M3 = 1259.3 mg
Wie gross sind die TSS und die VSS in diesem Abwasser?
TSS: Diese verursachen die Zunahme des Trockengewichts des Membranfilters
TSS = (M 1 - M0) I V = (84.1-72.3)10.05 = 240 mg/1 = 240 g,.55 m·3
VSS: Diese gehen verloren beim Ausglühen des getrockneten Filters. Das Material des
Filters selbst ist rein organisch und geht zu 100% verloren.
VSS = [(M 1-M 0) - (M 3 -M 2 )]1 V= 7.110.05 = 140 mg/1 = 140 9vss m·3 .
Diese Zahlen geben auch einen Eindruck von der Genauigkeit der Messungen. Masse
kann auf ca. 0.1 mg genau gemessen werden, Volumen auf 1% genau, d.h. dass VSS als
(7.1 ± 0.2 mg) I (0.05 ± 0.0005 I) berechnet werden kann oder im Bereich von ca. 137 -
148 mg/1. Hier würde man das Resultat mit 140 g m·3 angeben.

3.3.4 Glührückstand der abfiltrierbaren Stoffe


Als Glührückstand bezeichnet man die Summe aller abfiltrierbaren Stoffe, die
beim Glühen nicht verlorengehen.
Mit dem Glührückstand soll die Summe der mineralischen Stoffe erfasst werden.
Hier wird kein besonderes Kürzel für den Glührückstand eingeführt. Es gilt:
- Glührückstand der abfiltrierbaren Stoffe =TSS - VSS
3.4 Organische Stoffe
Organische Stoffe haben sowohl im Trinkwasser als auch im Abwasser und den
Gewässern eine grosse Bedeutung. Sie verursachen Geruch und Geschmack, sind
Nährstoffe, können toxisch sein, etc. Die Analysen, die zur Anwendung kommen,
sind vielfältig. Sie erfassen unterschiedliche Eigenschaften der Summe aller
organischen Stoffe.

3.4.1 Chemischer Sauerstoffbedarf CSB


Der chemische Sauerstoffbedarf ist ein Summenparameter, der ausdrückt, wie-
viel Sauerstoff zur vollständigen Oxidation von organischen Stoffen zu C02 und
Wasser erforderlich ist.
Die Analysemethode zur Bestimmung des chemischen Sauerstoffbedarfes (CSB,
engl. Chemical Oxygen Demand, COD) beruht auf der Oxidation der organi-
schen Stoffe durch das starke Oxidationsmittel Kalium-Diebromat (~CrzÜ7 ) in
kochender, stark saurer Lösung (H2S04). Die Analyse des CSB erfasst die mei-
sten organischen Verbindungen (d.h. der effektiv gemessene Wert beträgt häufig
> 95% eines theoretisch berechneten Wertes).
3.4 Organische Stoffe 37

Der CSB ist heute eine häufig gebrauchte Grösse um die Konzentration der
organischen Stoffe im Abwasser, unabhängig von deren Zusammensetzung und
biologischen Abbaubarkeit, zu bestimmen. Der CSB ist besonders geeignet weil
er auf Kläranlagen einfach bestimmt werden kann und die organischen Stoffe
fast vollständig erfasst. Er steht in Beziehung zum Sauerstoftbedarf, der insbe-
sondere in der biologischen Abwasserreinigung eine bedeutende Rolle spielt.
Zur Bestimmung des CSB wird der Probe Silber (Ag+) als Katalysator und
Quecksilber (Hg2+) zugegeben, um Verfälschungen durch Chlorid (Cn zu ver-
mindern. Die ausreagierten Proben sind daher reich an Schwermetallen und müs-
sen entsprechend entsorgt werden. Heute gibt es Lieferanten, die fertig abge-
füllte Analysegläser ausliefern und diese nach Gebrauch zur Aufarbeitung und
Entsorgung zurücknehmen.
Leider wird in der CSB Analyse auch Nitrit N02• zu Nitrat N03• aufoxidiert.
Das verfälscht bei (seltenen) hohen Nitritkonzentrationen das Resultat. Eine
Eigenheit der CSB Analyse ist, dass die Analyse einen absoluten Fehler hat,
sodass insbesondere tiefe Konzentrationen relativ ungenau werden. Im Abwasser
sind Konzentrationen unter 20 g m·3 mit einem grossen relativen Fehler behaftet,
sofern die Analysemethode nicht angepasst wird.

Beispiel 3.3. Theoretische Berechnung des CSB


Wie gross ist der CSB einer Lßsung von 200 mg Zucker (C6 H 120,) in 1 I Wasser?
Die Endprodukte des Zuckers in der CSB Reaktion sind C02 und H20. Der CSB gibt uns
an, wieviel Sauerstoff erforderlich ist, um diese Endprodukte zu erhalten:
Atomgewichte: C =12 H =1 0 =16
C6H120 6 + 6 0 2 -+ 6 C02 + 6 H20
Das Molekulargewicht des Zuckers beträgt 6 · 12 + 12 · 1 + 6 · 16 = 180 g. Der Sauer-
stoffbedarf (6 0 2) für die Oxidation von 1 Mol Zucker beträgt 6 · 2 · 16 = 192 g 0 2 •
Daraus ergibt sich der CSB der Zuckerlösung zu:
CSB = 200 g Zucker m-a · 192 g CSB Mor1 Zucker /180 g Zucker Mor1 Zucker = 213 g
CSB m-a. Das ist angenähert das Resultat, das auch mit der Dichromat-Methode analy-
tisch erhalten werden könnte.

Kaliumpermanganatverbrauch, KMn04
Historisch wurde an Stelle des Diebromats Kaliumpermanganat KMn04 als Oxi-
dationsmittel eingesetzt. Die entsprechende Analyse ist sehr einfach und rasch
durchzuführen. Entsprechend wird sie z.B. auf kleinen Kläranlagen immer noch
zur Überwachung genutzt.
Kaliumpermanganat oxidiert die organischen Stoffe nur teilweise. Das Re-
sultat kann daher nur relativ zu anderen Kaliumpermanganatverbrauchswerten
interpretiert werden.

3.4.2 Biochemischer Sauerstoffbedarf in 5 Tagen, BSB5


Der biochemische Sauerstoffbedarf ist eine ältere Analyse, in der mit Hilfe von
Mikroorganismen die organischen Stoffe aerob (mit Sauerstoff) abgebaut wer-
den. Der dabei entstehende Sauerstoffverbrauch wird als Mass für die Konzen-
tration der biologisch abbaubaren organischen Stoffe interpretiert.
38 3 Charakterisierung von Wasser

Der biochemische Sauerstoffbedarf in 5 Tagen, der BSB 5 , will ausdrücken, wie-


viel Sauerstoff für den biologischen Abbau von organischen Verbindungen er-
forderlich ist. Zu seiner Bestimmung wird die Abwasserprobe mit sauerstoffrei-
chem, sauberem Wasser verdünnt und, sofern erforderlich, mit wenig kommu-
nalem Abwasser mit Bakterien angeimpft. Ansebliessend wird die verdünnte
Probe unter Ausschluss von Luft bei 20°C im Dunkeln für 5 d bebrütet. Der Sau-
erstoffverbrauch (Abnahme des gelösten Sauerstoffes), im Vergleich zu einer
angeimpften Probe des Verdünnungswassers ohne Abwasser, wird dann in den
Sauerstoffverbrauch des Abwassers umgerechnet und als BSB 5 angegeben (s.
Beispiel 3.4).
Der BSB5 ist geeignet, um erste Informationen über die biologische Abbau-
barkeil von organischen Abwasserinhaltsstoffen zu vermitteln, er ist historisch
eine der wichtigsten Analysen zur Charakterisierung von Abwasser. Viele Di-
mensionierungsrichtwerte beruhen auf dieser Analyse. Häufig wird auch der
Erfolg der biologischen Reinigung mit Hilfe des BSB 5 beurteilt.
Bei der Bestimmung des BSB 5 vermehren sich Mikroorganismen, die einen
Teil der organischen Stoffe zum Aufbau ihrer Biomasse nutzen. Zudem können
nicht alle organischen Stoffe biologisch abgebaut werden. Der BSB 5 ist daher
kleiner als der CSB. Ein typisches Verhältnis für gut abbaubare Stoffe (z.B.
Zucker) beträgt z.B. ca. 1.5 g CSB I g BSB 5 • Für Industrieabwasser, mit vielen
nur schwerabbaubaren organischen Verbindungen, liegt dieses Verhältnis höher.

Beispiel 3.4. Bestimmung des BSB 5


Es soll der BSB 5 eines vorgeklärten (sedimentierten), kommunalen Abwassers bestimmt
werden. Da die Probe bereits Bakterien enthält, muss diese nicht angeimpft werden. Die
Konzentration wird auf Grund der Erfahrung auf ca. 200 g BSB 5 m-a geschätzt.
Um eine Sauerstoffzehrung von z.B 5 g 0 2 m-3 zu erhalten, muss die Probe um den Fak-
tor 50 verdünnt werden. Es werden also 20 ml Probe in einem 1 I Zylinder mit sauerstoff-
reichem, belüftetem Verdünnungswasser (Rezeptur nach Vorschrift) verdünnt und in zwei
Flaschen von je ca. 300 ml Volumen abgefüllt und verschlossen. ln der einen Flasche
wird nach 15 min der gelöste Sauerstoff zu S0 = 8.9 g 0 2 m·3 bestimmt (standardisierte,
einfache Bestimmung) und die andere Flasche wird 5 d im dunklen Brutschrank (bei Licht
könnten Algen 0 2 produzieren) bei 20°C bebrütet. Anschliessend wird auch in dieser
Probe der verbleibende gelöste Sauerstoff zu S5 =4.3 g 0 2 m-3 bestimmt.
Wiegrossist der BSB5 der Probe?
BSB 5 = (S0 - S5) • Verdünnungstaktor = (8.9- 4.3) · 50= 230 g BSB5 m-3 •
Meist werden mehrere Verdünnungen gleichzeitig bestimmt, sodass mehrere Resultate
zur Mittelwertbildung verwendet werden können.
Die genaue Bestimmung des BSB5 bedingt, dass auch der Sauerstoffverbrauch des Ver-
dünnungswassers bestimmt wird.
Die Bestimmung des BSB 5 ist ein Bioassay (eine Analyse, die auf biologischen Prozes-
sen beruht) und damit ist das Resultat einer grösseren Streuung unterworfen. Zwischen
verschiedenen Laboratorien sind Unterschiede von > 20% für gleiche Proben keine Sel-
tenheit.
3.4 Organische Stoffe 39

Beispiel 3.5. Nitrifikation bei der Bestimmung des BSB5


Ein biologisch gereinigtes Abwasser enthält neben den organischen Stoffen noch ca. 10 g
m·3 Ammonium Stickstoff, NH 4·-N. Das Abwasser ist mit nitrifizierenden Bakterien
angeimpft, weil diese auch in der biologischen Reinigung vorkommen.
Wiegrossist der 8585 dieses Abwassers?
Die folgende Gleichung charakterisiert die Nitrifikation:
NH/ + 2 0 2 --7 N03• + 2 H20 + 2 H• (Atomgewichte N = 14, 0 = 16)
Pro 14 g NH 4•-N, der oxidiert wird, werden 2·2·16 g 0 2 für die Nitrifikation verbraucht
(=4.57 gO/gN). Durch die Nitrifikation kann der BSB5 dieses Abwassers also bis zu 10 ·
4.57 = 46 g BSB5 m·3 grösser werden als ohne Nitrifikation. Da der BSB5 der organischen
Stoffe nach der biologischen Reinigung meist < 20 g BSB 5 m·3 ist, wird das Resultat ohne
Hemmung der Nitrifikation unbrauchbar!
Heute wird den Proben zur Bestimmung des BSB5 häufig Allylthioharnstoff zugesetzt, um
die Nitrifikation zu hemmen.

3.4.3 Organisch gebundener Kohlenstoff, TOC, DOC, POC


Organisch gebundener Kohlenstoff ist wie der CSB ein Summenparameter, der
alle organischen Verbindungen eifasst. Gemessen wird der Kohlenstoffanteil
dieser Verbindungen, unabhängig von dessen Oxidationszustand.

Totaler organisch gebundener Kohlenstoff, TOC


Der organisch gebundene Kohlenstoff ist der charakteristische Anteil aller orga-
nischen Stoffe. Die Summe dieses Kohlenstoffes ist daher ein Mass für die Sum-
me aller organischen Verbindungen.
Für die Bestimmung des TOC (vom englischen Total Organic Carbon) bestehen
unterschiedliche Verfahren, die jeweils in einem Apparat automatisiert werden,
z.B. wird vorerst der mineralische Kohlenstoff (C02 , HC0 3·, C032"} bei geringem
pH aus der Probe in die Atmosphäre ausgetrieben. Ansebliessend wird das Ab-
wasser verdampft, und die organischen Stoffe im Wasser werden bei hoher Tem-
peratur mit Sauerstoff oxidiert. Das dabei entstehende C02 kann einfach mit
Infrarotabsorption gemessen werden. Für die Bestimmung des TOC sind nur sehr
kleine Probenvolumen erforderlich, dafür kommen aber teure Apparate zum
Einsatz. Nur gut ausgerüstete Laboratorien können den TOC bestimmen. Im
Vergleich zum CSB können mit der TOC Analyse auch geringe Konzentrationen
zuverlässig erfasst werden.
Die analytische Bestimmung des TOC kommt dem theoretisch erwarteten
Wert sehr nahe (s. Beispiel 3.6).

Gelöster organisch gebundener Kohlenstoff, DOC


Der gelöste organische Kohlenstoff ist als Summenparameter ein Mass für die
Konzentration aller gelösten organischen Verbindungen.
Der gelöste organisch gebundene Kohlenstoff, DOC (vom englischen Dissolved
Organic Carbon) wird analog zum TOC bestimmt, allerdings wird das Abwasser
vorerst über ein Membranfilter mit 0.45 jlß1 Porenweite filtriert.
Es gilt TOC ~ DOC.
40 3 Charakterisierung von Wasser

Partikulärer organisch gebundener Kohlensto", POC


Der partikuläre oganische Kohlenstoff ist ein Mass für die Summe aller abfil-
trierbaren organischen Verbindungen.
Der partikuläre organische Kohlenstoff POC (von Engl. Particulate Organic Car-
bon) wird aus der Differenz zwischen totalem und gelöstem organischem Koh-
lenstoff berechnet.
=
Es gilt: POC TOC - DOC

Belspiel 3.6. Theoretische Berechnung des TOC


Wiegrossist der DOC der Zuckerlösung aus Beispie/3.3?
Der gesamte Zucker ist löslich, also wird der organisch gebundene Kohlenstoff im Zucker
vollumfänglich mit dem DOC erfasst. Es resultiert: TOC = DOC.
c
DOC = 200 g Zucker m-3 · 6 · 12 g Mof1 Zucker I 180 g Zucker Mof1 Zucker= 80 g
DOC m-3. Das ist angenähert das Resultat, das auch mit der DOC Methode analytisch
erhalten werden könnte.

TabeHe 3.1. Die verschiedenen Formen von Stickstoff, die in der Siedlungswasserwirtschaft von
Bedeutung sind. Die Darstellung ist stark vereinfacht
Oxidationszahl pH-Wert hoch pH-Wert tief
Reduziert: 0 2 Bedarf
-3 NH3 (Ammoniak) NH/ (Ammonium)
0 N2 (elementarer Stickstoff)
+3 N02- (Nitrit)
+5 N03- (Nitrat)
Oxidiert: "02 Angebot"
-3 Organisch gebundener Stickstoff

3.5 Stickstoff
Stickstoff spielt in seinen verschiedenen organischen, aber v.a. anorganischen
Formen, eine wichtige Rolle in der Abwasserreinigung und in der Beurteilung
von Trinkwasser.

3.5.1 Formen von Stickstoff


Stickstoff kommt sowohl im Trinkwasser als auch im Abwasser in sehr unter-
schiedlichen Formen vor (Tabelle 3.1). Er dient z.B. den Algen als Nährstoff und
kann daher Algenblüten unterstützen. In reduzierter Form (Ammonium NH4+,
Ammoniak NH3) löst er im Wasser einen Sauerstoffverbrauch aus (Nitrifikation,
Abschn. 20.4.8, Seite 329). Bei hohem pH-Wert entsteht viel Ammoniak, das für
Fische toxisch ist. Als Nitrit N02- ist er giftig für Fische und als Nitrat N03- ist er
unerwünscht im Trinkwasser. Organisch gebundener Stickstoff, der dominant in
reduzierter Form vorliegt, wird beim Abbau der organischen Stoffe v.a. als Am-
monium freigesetzt. Stickstoff kann durch Denitrifikation in elementaren Stick-
stoff N2 überführt und in die Atmosphäre ausgegast werden.
3.5 Stickstoff 41

3.5.2 Ammonium und Ammoniak


Ammonium und Ammoniak sind Einzelstoffe. Analytisch erfasst wird nur die
Summe der beiden Konzentrationen.
Zwischen Ammonium NH/ und Ammoniak NH3 besteht in Funktion des pH-
Werts ein Gleichgwicht entsprechend:
NH4+ ~ NH3 +W
Für dieses Gleichgewicht können wir die Gleichgwichtskonstante anschrei-
ben in der Form:

(3.1)
2706
pKs = -log(Ks) = +0.139
T+273.15
Ks = Gleichgewichtskonstante für die Dissoziation von Ammonium
[NH3], [W], [NJ-4+] =Molare Konzentration der drei Stoffe in Mol 1'1
T = Temperatur in oc
Mit GI. (3.1) können wir in Funktion des pH-Wertes, der Temperatur und der
Summe der Konzentrationen von Ammonium und Ammoniak berechnen, wie-
viel vom fischgiftigen Ammoniak ~ im Wasser ist:

(3.2)

Liegt der pH-Wert über 9.3, so überwiegt die Ammoniakkonzentration die


Ammoniumkonzentration.
Im Laufe der chemischen Analyse von Ammonium werden sowohl die Tem-
peratur als auch der pH-Wert der Probe verändert. Die chemische Analyse er-
fasst daher die Summe der beiden Stoffe NH3 und NH/, das Resultat wird meist
als NH4+-N angegeben. Die Angabe der NH3-Konzentration bezieht sich nur auf
das fischgiftige Ammoniak. Diese Konzentration muss mit den an der Prohe-
nahmestelle gemessenen Werten für die Temperatur und den pH-Wert mit Hilfe
von GI. (3.2) berechnet werden.

Beispiel 3.7. Berechnung der Ammoniakkonzentration in einem Fliessgewässer


Unterhalb einer Kläranlage wird an einem heissen, sonnigen Sommernachmittag um 15
Uhr eine Stichprobe des Flusswassers erhoben. Gleichzeitig wird im Fluss die Tempera-
tur und der pH-Wert gemessen.
Temperatur: =22 oc pH-Wert = 8. 7
(NH 4+ + NH3) -N =0.5 g N m·3 das liegt über dem schweiz. Grenzwert (1999)
Wie gross ist die Ammoniakkonzentration im Fluss?
Nach GI. (3.1) wird pK5 =2706 I (22+273.15) +0.139 =9.31
Nach GI. (3.2) wird (NH 3 - N) I (NH 4+ + NH3 ) - N = 1 I (1 + 10931 • 8"7 ) = 0.20
Damit wird die Ammoniakkonzentration zu:
42 3 Charakterisierung von Wasser

0.20 · (NH/ + NH3) -N = 0.20 · 0.5 g N m.a = 0.1 0 g NH3 -N m.a


Dieser Wert liegt über dem Grenzwert von 0.08 g N m.a. Es muss mit einer negativen
Beeinflussung der Fische gerechnet werden.

3.5.3 Organisch gebundener Stickstoff, Kjeldahi-Stickstoff


Der Stickstoff, der in organischen Stoffen gebunden ist, wird als Summenpara-
meter gemeinsam mit Ammonium analysiert. Das Resultat wird z.B. als Kjeldahl-
stickstoff angegeben.
Organisch gebundener Stickstoff kommt als wichtiger Bestandteil in einer Viel-
zahl von organischen Verbindungen vor, von besonderer Bedeutung sind dabei
Eiweisse oder Proteine. Ca. 4 - 7 % der trockenen Biomasse bestehen aus Stick-
stoff. Der grösste Teil dieses Stickstoffes wird beim biologischen Abbau der
organischen Verbindungen als Ammonium freigesetzt.
Der organisch gebundene Stickstoff wird analysiert, indem die organischen
Stoffe chemisch oxidiert und der Stickstoff als Ammonium freigesetzt wird.
Ansebliessend wird Ammonium gemessen und das Resultat als Kjeldahl-
Stickstoff angegeben:
- TKN: Totaler Kjeldahl-Stickstoff heisst die Summe von Ammonium und
dem Stickstoff, der in allen organischen Stoffen enthalten ist (sofern er mit
der Kjeldahl Analytik überhaupt erfasst wird).
- GKN: Gelöster Kjeldahl-Stickstoff heisst die Summe von Ammonium und
dem Stickstoff, der nach der Filtration in den gelösten organischen Stoffen
enthalten ist.
Es gilt: TKN ~ GKN ~ NH4•-N

Belspiel 3.8. Berechnung des TKN


Ein Abwasser enthält 150 g TSS m.a und 24 g NH/-N m.a. Die TSS enthalten 4% orga-
nisch gebundenen Stickstoff. Die gelösten organischen Stoffe sind vernachlässigbar.
Wie gross ist der TKN und der GKN dieses Abwassers?
Der organisch gebundene Stickstoff hat die Konzentration 0.04 · 150 = 6 g N m.a. Dieser
ist vollumfänglich partikulär.
TKN =org. Npatllkut4r + org. N081681 + NH/-N =6 + 0 + 24 =30 g TKN m.a
GKN =org. Nael6s! + NH/-N =0 + 24 =24 g GKN m.a
3.5.4 Nitrit und Nitrat
Nitrit und Nitrat sind Einzelstoffe, die auch als solche analysiert werden. Nitrit
ist ein Zwischenprodukt in mikrobiologischen Prozessen. Es kommt nur in Aus-
nahmefällen in hohen Konzentrationen vor. Nitrat ist die am meisten oxidierte
Form von Stickstoff. In Gegenwart von Sauerstoff akkumuliert der Stickstoff in
dieser Form.
Nitrit N02• entsteht als Zwischenprodukt im Zuge der Nitrifikation und ist ein
starkes Fischgift, das insbesondere die Sauerstofftransportkapazität des Blutes
vermindert. Nitrit kann bis zu sehr geringen Konzentrationen zuverlässig mit
3.6 Phosphor, TP, GP, P04-P 43

einer Farbreaktion analysiert werden. Das Resultat wird meist angegeben als
N02·-N.
Nitrat N03- ist die am höchsten oxidierte Form von Stickstoff. Es ist im Was-
ser unerwünscht, insbesondere weil es im Trinkwasser nur beschränkt zugelassen
ist (Tabelle 3.9, Seite 59). Die Analyse von Nitrat ist problematisch und häufig
mit grösseren Fehlern behaftet.
In manchen Analysen wird Nitrat chemisch zu Nitrit reduziert und die Sum-
me von Nitrat und Nitrit analysiert. Bei bekannter Nitritkonzentration kann dann
Nitrat berechnet werden.

3.5.5 Totaler Stickstoff, TN, gelöster Stickstoff, GN


Heute gibt es Analysemethoden oder Analyseautomaten, die allen Stickstoff im
Wasser entweder zu Nitrat oxidieren oder zu Ammonium reduzieren und an-
schliessend die Summe aller Stickstoffformen messen. Diese Analyseverfahren
sind noch wenig zuverlässig. Wird die Probe nicht filtriert, so wird das Resultat
als TN (totaler Stickstoff) bezeichnet, nach Filtration resultiert GN (gelöster
Stickstoff).

3.5.6 Elementarer Stickstoff, N2


Stickstoff, wie er als Gas in der Form von N 2 in der Atmosphäre vorkommt, ist im
Wasser sehr schlecht löslich und weitgehend inert.
Elementarer Stickstoff spielt nur eine untergeordnete Rolle, er wird mit den
normalen Analysemethoden nicht erfasst. N2 ist im Wasser nur sehr wenig lös-
lich, noch weniger als Sauerstoff (Kapitel 3.9, Seite 49).
Stickstoffgas N2 kann als Folge der Denitrifikation (s. Abschn. 20.4.9, Seite
335) z.B. in Nachklärbecken als Gasblasen aus dem Wasser ausgeschieden wer-
den. Die aufsteigenden Gasblasen können die Sedimentation stören.

3.6 Phosphor, TP, GP, P04-P


Phosphor ist wie Stickstoff ein Nährstoff. In den meisten Binnengewässern limi-
tiert Phosphor die Produktion von Algen.
Phosphor liegt im Wasser in Form von gelöstem ortho-Phosphat (Salze der
Phosphorsäure: H3P04 , ~P04·, HPOt, P043") und als organischer Phosphor, z.B.
als Anteil in den Nukleinsäuren (DNA, RNA), vor. Ca. 1% der trockenen Bio-
masse besteht aus Phosphor. Früher wurden den Waschmitteln Poly-Phosphat
(eine polymerisierte Form des Phosphats) zugegeben, das dann je nach Umge-
bung in Stunden bis Tagen zu Phosphat zerfällt.
Analytisch wird ortho-Phosphat bestimmt. Je nach Fragestellung werden die
organischen Stoffe vorerst aufgeschlossen. Die Resultate heissen:
- P04-P: Phosphatphosphor oder ortho-Phosphat, wenn nur die verschiedenen
Phosphate analysiert werden.
- TP: Totaler Phosphor P10,, wenn alle organischen Stoffe vorerst mineralisiert
und der dabei freiwerdende Phosphor zusammen mit dem Phosphat analysiert
wird.
44 3 Charakterisierung von Wasser

GP: Gelöster Phosphor P1el, wenn die Probe vor dem Mineralisieren der orga-
nischen Stoffe filtriert wird.
Es gilt: TP ~ GP ~ P04-P.

Beispiel 3.9. Limitierender Nährstoff


ln einem See werden zu Beginn der Sommerzeit die folgenden Konzentrationen gemes-
sen: Stickstoff: 2 g N m-a. Phosphor: 0.2 g Pm-a
Die Algenmasse, die sich in diesem See bildet, enthält 5% Stickstoff und 1% Phosphor.
Welcher Stoff limitiert das Wachstum der Algen, und wieviel Algenmasse muss im Maxi-
mum im See erwartet werden?
Aus Stickstoff ergeben sich 2 g N m-a I 0.05 g N g·1Aigen = 40 g Algen m·3 , welche 40 .
1% = 0.4 g P m-a enthalten würden.
Aus Phosphor ergeben sich 0.2 g Pm-a/ 0.01 g Pg"1Aigen = 20 g Algen m-a. welche nur 1
g N m·3 enthalten.
Die Phosphorkonzentration limitiert das Wachstum der Algen: P ist limitierender Nähr-
stoff.

Beispiel3.10. Zusammensetzung von ungereinigtem Abwasser


Ein schweizerisches, kommunales, vorgeklärtes Abwasser hat ungefähr die folgende
Zusammensetzung:
TSS 120 g TSS m-a vss 80 g VSS m-a
BSB5 150 g 0 2 m-a CSB 280g 0 2 m-a
TOC 85 g TOC m-a DOC 45 g C m-a
TKN 30g N m-a GKN = 25 g N m-a
NH 4+-N 20 g N m-a
N03-N 1 g N m-a
TP 7gPm"3 GP =

Beispiel 3.11. Zusammensetzung von gereinigtem Abwasser


Ein typisches, biologisch gereinigtes, kommunales Abwasser hat ungefähr die folgende
Zusammensetzung:
TSS 15 g TSS m-a VSS 10 g VSS m-a
BSB5 = 15 g BSB5 m-a CSB = 50 g CSB m-a
TOC = 17 g TOC m-a DOC 10 g DOC m-a
TKN = 2- 25 g N m-a je nach Nitrifikation
NH4 +-N = 1-23gNm-a je nach Nitrifikation
N03--N 1 - 22 g N m-a je nach Nitrifikation und Denitrifikation
TP = 0.5-5.0gPm-a je nach Phosphor-Elimination

3. 7 pH-Wert und pH-Puffersystem


Ein Verständnis für pH-Werte und pH-Puffersysteme ist in der Siedlungswasser-
wirtschaft von grösster Bedeutung. Insbesondere sollten Fachleute die Auswir-
kungen des Karbonatsystemes auf den pB-Werte eines Wassers verstehen. Das
Thema wird z.B. von Sigg und Stumm (1994) vertieft.
3.7 pH-Wert und pH-Puffersystem 45

3.7.1 pH-Wert
Der pH-Wert des Wassers ist eine zentrale physikalisch-chemische Grösse des
Wassers. Er beeinflusst das Gleichgewicht von Säuren und Basen, Fällungsreak-
tionen, elektrische Ladungen an Partikeln, etc.
Der pR-Wert gibt an, wie gross die Aktivität (:::Konzentration) der Protonen H+
im Wasser ist (pH =- log(H+)). Er bestimmt die Gleichgewichte zwischen Säu-
ren und Basen, beeinflusst die Geschwindigkeit der Auflösung oder Ausfallung
von vielen Mineralien etc. Im natürlichen Wasser wird der pR-Wert meist durch
das Kohlensäure-Bikarbonat-Karbonat System gepuffert.
Der pR-Wert kann heute zuverlässig und einfach mit Elektroden gemessen
werden. Häufig entstehen aber Messfehler durch nicht fachgerecht geeichte oder
unterhaltene Elektroden.
Der pR-Wert ist für den Ablauf der Wasseraufbereitung, der Abwasserreini-
gung und von Korrosionsprozessen von grosser Bedeutung. Typische pH-Werte
sind in Tabelle 3.2 gegeben.

Tabelle 3.2. Typische pH-Werte in unterschiedlichen Wässern


Herkunft des Wassers pH-Wert (Bereich) Bemerkungen
Trinkwasser 7-8 Toleranzwert < 9.2
Flusswasser, Seewasser 7.5-9 9 im Sommer bei Sonne
Rohes Abwasser 7.2-8.3 Extreme bei Industrieabwasser
Gereinigtes Abwasser 6.7-7.5 Je nach Verfahren
Regenwasser <5 Saurer Regen
Destilliertes Wasser ca. 5.3 C02 aus Luft

3. 7.2 pH-Puffer
Ein Wasser ist gegen pH-Änderungen gepuffert, wenn es grössere Mengen von
Säuren oder Basen aufnehmen kann, ohne dass sich der pH-Wert des Wassers
stark ändert.
Im Bereiche der Siedlungswasserwirtschaft spielt v.a. das Kohlensäure- Bikar-
bonat - Karbonat - Gleichgewicht eine Rolle als pH-Puffer. Dieses Gleichge-
wicht wird durch die folgenden zwei Gleichungen charakterisiert:
(3.3)

HCo 3• H C032• +Ir (3.4)


C02 = Kohlendioxid (H2C03 = H20 + C02 =Kohlensäure)
HC03- = Bikarbonat
C032- = Karbonat
Bikarbonat und Karbonat gelangen durch Verwitterungsprozesse ins Wasser
und korrelieren stark mit der Wasserhärte (Kapitel 3.8). Im Bereich des pH-
Werts, der uns interessiert (6.3- 9.5), ist Bikarbonat die dominante Form. Für
GI. (3.3) können wir die Gleichgewichtskonstante anschreiben als:
46 3 Charakterisierung von Wasser

(3.5)

Ks =Dissoziationskonstante der Kohlensäure


[xy] =Stoffkonzentration in Mol/1
Fürgenaue Betrachtungen gilt GI. (3.5) nur, wenn an Stelle der Konzentrati-
on die etwas geringere Aktivität der Ionen angewendet werden. Im kommunalen
Abwasser kann diese Anpassung in erster Näherung vernachlässigt werden.

Beispiel 3.12. Berechnung der C02 Konzentration in einem Abwasser


Ein gereinigtes Abwasser hat bei 20 oc einen pH-Wert von 6.9 und enthält 5.3 mmol/1
Bikarbonat HC03••
Wie gross ist die C02 Konzentration in diesem Wasser?
=[HC03}[H+] I K5 =5.3·10-3 · 10-a.e /5·10.7 =1.3 mmol/1.
Nach GI. (3.5) gilt: [C02]
Diese Konzentration ist eher hoch. Sie ist entstanden durch den Abbau von organischen
Stoffen und der Neutralisierung von Säure als Folge der Nitrifikation.

3.7.3 Alkallnltät, Säurebindungsvermögen, SBV


Das Säurebindungsvermögen, SBV, hat insbesondere im Zusammenhang mit den
biologischen Stickstoffumsetzungen im Abwasser (Nitrifkation, Denitrifikation)
eine grosse Bedeutung. Es ist ein Mass für die Pufferkapazität des Wassers.
Das Säurebindungsvermögen SBV oder die Alkalinität eines Wassers ist ein
' Mass für die Menge Säure, die ein Wasser neutralisieren kann, bevor sein pH auf
den Wert von 4.3 absinkt (bei diesem pH-Wert ist die Pufferkapazität des Bikar-
bonats verbraucht). Das SBV eines Wassers wird bestimmt, indem das Wasser
,mit einer starken Säure (HCl) solange titriert wird, bis dessen pH-Wert auf 4.3
absinkt.
Im Trinkwasser und meistens auch im Abwasser ist das Karbonat - Bikarbo-
nat - Kohlensäure Gleichgewicht bei weitem das dominante pH-Puffersystem.
Das SBV kann dann berechnet werden aus:
SBV =[HCOJ + 2·[C032.] + [OH]- [W] (3.6)
Im typischen pH Bereich, der hier interessiert, gilt angenähert:

SBV "" [HC03.]


Das SBV wird häufig mit der Einheit meq/1 angegeben (Milliäquivalent pro I,
1 Äquivalent entspricht einem Mol Ladungen). Damit gilt, dass ein SBV von
1 meq/1 = 1 mmol HC03"/l = 1 Mol HC03• m·3 entspricht. Typische Werte liegen
im Bereich von 2 - 8 meq/1.

Beispiel3.13. Verminderung der Alkalinität durch Nitrifikation


Ein weiches Abwasser (z.B. aus einer kristallinan Region) hat ein SBV von 2 meq J" 1 und
enthält 21 g m·3 NH4·-N. Das Ammonium wird entsprechend der folgenden Reaktions-
gleichung biologisch nitrifiziert:
3.8 Wasserhärte 47

NH/ + 2 0 2 ~ N03• + H20 + 2 H+


Die freiwerdenden Protonen H+ reagieren mit dem Bikarbonat, HC03·, das im Wasser um
pH 7 den grössten Teil der Alkalinität oder des SBV ausmacht:
2 HC03• + 2 H+ ~ 2 C02 + 2 H20
Insgesamt resultiert die Reaktion:
NH/ + 2 0 2 + 2 HC03• ~ N03• + 2 C02 + 3 H20
Wie weit kann diese Reaktion ablauten, bevor die pH Pufferkapazität des Abwassers
(d.h. das SBV) verbraucht ist und damit der pH-Wert des Abwassers stark absinkt?
Pro Mol NH/ werden 2 Mol HC03• verbraucht. 2 meq f 1 SBV heisst, dass im Maximum 2
Mol HC03 • m.a im Wasser sind. Also kann nur 1 Mol NH/ m.a nitrifiziert werden bis der
gesamte pH Puffer des Abwassers verbraucht ist und der pH-Wert rasch absinkt, wenn
weitere Säure (H) frei wird.
Das Atomgewicht von Stickstoff N beträgt 14 g Mof1•
1 Mol NH/-N m.a entspricht 14 g N m.a. Es bleiben also 7 gNH/-N m·3 übrig.

3.8 Wasserhärte
Die Wasserhärte drückt aus, wieviel Kalzium Ca 2 +und Magnesium Ml+ im Was-
ser enthalten sind. Diese beiden Ionen bilden bei der Erwärmung des Wassers
unlösliche Salze, die sich z.B. auf Pfannen und der Wäsche als eine weisse Kru-
ste niederschlagen. Die Wäsche wird hart.
Durch Verwitterungsprozesse löst das Niederschlagswasser Mineralien, die an-
schliessend das Verhalten des Wassers in den unterschiedlichsten Situationen
prägen. Von besonderer Bedeutung sind die Härtebildner, die zweiwertigen Me-
tallionen, insbesondere Calcium (Ca2+) und Magnesium (Mg2+). Die Karbonatsal-
ze dieser Metalle sind schlecht löslich, sie bilden weisse Niederschläge, wenn im
Wasser der pH-Wert zunimmt resp. das Wasser erhitzt wird. Härtebildner wer-
den v.a. in kalkreichen Regionen in erhöhten Konzentrationen ins Wasser aufge-
nommen.

Beispiel 3.14. pH-Wert in kochendem Wasser


Wenn Wasser kocht, wird durch die Dampfblasen C02 in die Atmosphäre ausgetragen.
Es wird dem Wasser also Kohlensäure entzogen. Der pH-Wert des Wassers steigt, weil
die Gleichgewichte mit Bikarbonat und Karbonat verschoben werden. Ein erhöhter pH-
Wert führt zur Ausfällung von Kalk (CaC03 ), den wir als weissen Niederschlag in Pfannen
kennen.

Zusammen mit den Härtebildnern wird auch Karbonat (CO/') oder je nach
pH-Wert Bikarbonat (HC03'} im Wasser gelöst (s. Säurebindungsvermögen,
Kapitel 3.7.3). Es gelten die folgenden Begriffe:
Gesamthärte umfasst die Summe der zweiwertigen Metallionen, v.a. Calci-
um und Magnesium. Sie wird in unterschiedlichsten Einheiten
angegeben.
Alkalinität, SBV gibt an, wieviel starke Säure erforderlich ist, um den pH-Wert
des Wassers auf 4.3 zu reduzieren. Sie wird in unterschied-
lichsten Einheiten angegeben.
48 3 Charakterisierung von Wasser

Ca2• bezeichnet die Konzentration des Calciurnions. Sie wird z.B. in


mg/1 resp. g m-3 angegeben.
Mg2• bezeichnet die Konzentration des Magnesiurnions. Sie wird
z.B. in mg/1 resp. g m·3 angegeben.
Einheiten für Gesamthärte und Alkalinität sind:
meq/1 Milliäquivalent pro 1. Es werden die Anzahl Ladungen gezählt.
I Mol Ca2• ergibt 2 Äquivalente Ladungen. I Mol HC03- ergibt
ein Äquivalent Ladung.
mmol/1 Millimol pro 1. Es werden die molaren Konzentrationen von
[Ca2•] und [Mg2•] angegeben.
Französische Härtegrade. I Französisches Härtegrad wird im
Wasser erzeugt, wenn 10 mg/1 CaC03 im Wasser gelöst wer-
den.
Deutsche Härtegrade. I deutsches Härtegrad wird erzeugt,
wenn im Wasser I 0 mg/1 CaO gelöst werden, entsprechend
CaO + H20 ~ Ca2• + 2 OB".
Für die Bezeichnung der Gesamthärte werden die Begriffe in Tabelle 3.3
verwendet. Diese Werte geben gleichzeitig typische Bereiche an. In kristallinen
Gebieten ist die Wasserhärte gering (weich), in kalkreichen Gebieten ist sie hoch
(hart). Seewasser ist häufig weich bis rnittelhart. In Beispiel 3.I5 ist aufgezeigt,
wie französische Härtegrade ( 0 f) in Äquivalente umgerechnet werden können.

TabeHe 3.3. Bezeichnung der Härte eines Trinkwassers


Bezeichnung in °f in meq/1 in mmol/1
Weich < 15 Of < 3 meq/1 < L5 mmoV1
Mittelhart 15 - 30 °{ 3-6 meq/1 L5- 3 mmol/1
Hart >30 °f >6 meq/1 > 3 mmol/1

Beispiel3.15. Umrechnung von französischen Härtegraden in meq/1


Atomgewichte: Ca = 40 C = 12, 0 = 16
1 of entspricht der Härte, die durch 10 mg/1 CaC03 im Wasser verursacht werden. Das
Molekulargewicht von CaC03 beträgt 40+12+3-16 = 100 g Mor 1 • 10 mg/1 CaC03 entspre-
chen 10 mg/1 I 100'000 mg/Mol = 0.1 mmol/1. Da Ca2• zwei Ladungen trägt, ist die ent-
sprechende Wasserhärte 0.1 . 2 = 0.2 meq/1. Der Umrechnungsfaktor beträgt:
0.2 meq/1 pro of oder 110.2 = 5 of pro meq/1

Beispiel3.16. Umrechnung von Wasserhärte


Ein Trinkwasser enthält 75 g m·3 Ca2• und 10 g m·3 Mg2•. Wiegrossist die Gesamthärte
dieses Wassers in meq/1?
Die relevanten Atommassen sind: Ca 40 g/Mol, Mg 24.3 g/Mol
Die molaren Konzentrationen sind: [Ca2 •] =75 I 40 = 1.88 mmol/1
[Mg2•] = 10 I 24.3 =0.41 mmol/1.
ln molaren Einheiten entspricht die Gesamthärte:
[GHJ = [Ca2 •J + [Mg 2•J = 1.88 + 0.41 = 2.29 mmol/1
3.9 Gelöster Sauerstoff 49

Da beide Ionen 2 positive Ladungen tragen, entspricht die Gesamthärte [GH] in meq/1:
[GH] =2·[Ca2+] + 2·[Mg2+] =2 · (1.88 + 0.41) =4.58 meq/1
ln •f ergibt sich eine Härte von 5 •f I (meq/1) · 4.58 meq/1 = 22.9 •f
Dieses Wasser würde als mittelhart bezeichnet (Tabelle 3.3).

Beispiel 3.17. Einfluss der Photosynthese auf die Wasserhärte


Als Folge der Photosynthese wird dem Seewasser C02 entzogen und als organisch ge-
bundener Kohlenstoff in der Algenbiomasse festgelegt:
C02 + H20 -+ Algenbiomasse + 0 2
C02 muss daher aus Bikarbonat nachgeliefert werden, z.B. aus der folgenden Reaktion:
2 HC03• -+ C02 + H20 + cot
Das führt zu einer Zunahme des pH-Werts und der Karbonatkonzentration. Calcium und
Karbonat verbinden sich zum schlechtlöslichen Kalk entsprechend:
2+ 2·
Ca + C03 -+ CaC03 (Kalk)
Der Kalk fällt aus und sinkt als weisses Sediment auf den Seegrund.
Durch die Photosynthese und den ansteigenden pH-Wert (dem Wasser wird Kohlensäure
entzogen) wird also das Seewasser enthärtet. Aus den Härtebildnern entsteht Seekreide.

TabeHe 3.4. Löslichkeit von Sauerstoff im Wasser. Die Angaben beziehen sich auf Normaldruck
(760 mm Hg oder 1031 hPa). Diese Sättigungswerte beziehen sich auf Wasser im Gleichgewicht
mit der Atmosphäre. Sie können ungefähr proportional mit dem Luftdruck an die lokalen Verhält-
nisse angepasst werden
Temperatur gelöster Sauerstoff
·3
in •c ingm
0 14.7
5 12.8
10 11.3
15 10.0
20 9.0
25 8.2
30 7.4

3.9 Gelöster Sauerstoff


Sauerstoff ist das wichtigste Oxidationsmittel im Wasser und seine Konzentration
bestimmt weitgehend, welche Art von Leben im Wasser vorkommt. Sauerstoff ist
im Wasser nur schlecht löslich. Bei 10 °C enthält Wasser, das mit Luft in intensi-
vem Kontakt ist, ca. 10 g 0 2 m·3•
In der Luft beträgt der Anteil von Sauerstoff ca. 21% (Volumen) und hat eine
Konzentration von ca. 300 g 0 2 m·3 Luft. Steht Wasser in intensivem Kontakt mit
der Luft, so kann sich Sauerstoff im Wasser lösen, allerdings sind nur ca. 10 g 0 2
m·3 wasserlöslich: Sauerstoff ist ein sehr schlecht lösliches Gas. Die Löslichkeit
von Sauerstoff in Wasser ist stark abhängig von der Temperatur des Wassers und
vom Luftdruck. Beispiele sind in Tabelle 3.4 zusammengestellt.
50 3 Charakterisierung von Wasser

Die Konzentration von gelöstem Sauerstoff im Wasser kann heute mit Elek-
troden zuverlässig und kontinuierlich gemessen werden.

Beispiel 3.18. Sauerstoffverbrauch von Mensch und Fisch


Ein Mensch verbraucht pro Tag ca. 2300 kcal. (= 10'000 kJ). Um diese Energie aus den
Nahrungsmitteln zu gewinnen, muss er ca. 500 g 0 2 d- 1 aufnehmen. Wenn er aus der Luft
z.B. 5% des Sauerstoffes aufnimmt, so muss er 10'000 g 0 2 einatmen, diese sind in 33
m3 oder in ca. 50 kg Luft enthalten.
Ein Fisch, der pro Tag z.B. 14 kcal verbraucht, muss pro Tag .nur" ca. 3 g 0 2 aufneh-
men. Wenn er aus dem Wasser, dass er durch seine Kiemen strömen lässt, 10% des
Sauerstoffes aufnimmt, so muss er 30 g 0 2 zu den Kiemen führen, diese sind in 3 m3
oder 3000 kg Wasser enthalten.
Der kleine Fisch muss 3000 kg Wasser .atmen", der grosse Mensch ca. 50 kg Luft! (Alles
nur geschätzte Grössenordnungen!)
Diese Berechnungen zeigen deutlich, wieso der Sauerstoffgehalt des Wassers eine so
grosse Bedeutung hat Verringert sich der gelöste Sauerstoff z.B. als Folge von biologi-
schen Abbauprozessen auf weniger als 50% der Sättigung, so müssen die Fische ein
mehrfaches an Wasser durch ihre Kiemen pumpen.

3.10 Physikalische Analysen


3.1 0.1 Leitfähigkeit
Die elektrische Leitfähigkeit des Wasser ist ein einfacher Summenparameter, der
mit der Konzentration der Ionen im Wasser zunimmt.
Mit der Leitfähigkeit wird gemessen, wieviel Strom durch eine standardisierte
Elektrode tliesst, die in die Probe eingeführt wird. Je grösser der Strom, desto
grösser die Leitfähigkeit, desto grösser ist die Salzkonzentration. Die Leitfähig-
keit wird angegeben in J.!S/cm (1 Siemens ist der Kehrwert eines Ohms). Typi-
sche Werte liegen im Bereich von 100 - 1000 J.!S/cm. Da die Leitfähigkeit sehr
einfach zu messen ist, wird sie häufig als einfaches Signal verwendet, um Ver-
änderungen in der Wasserzusammensetzung, insbesondere im Salzgehalt, festzu-
stellen.

3.1 0.2 Temperatur


Die Temperatur ist eine wichtige Zustandsgrösse, sie sollte immer angegeben
werden, wenn Zustände charakterisiert werden.
Die Temperatur bestimmt das spezifische Gewicht des Wassers, die Löslichkeit
von Gasen und Mineralien im Wasser und beeinflusst die Geschwindigkeit von
chemischen und biologischen Prozessen. Zu allen Messungen von Leistungen
von Anlagen sollte daher immer auch die Temperatur angegeben werden.

3.1 0.3 Dichte


Die Dichte des Wassers erreicht bei 4 oc ein Maximum.
Die Dichte des Wassers ist abhängig von der Temperatur und hat ein Maximum
bei 4 ac. Diese Eigenschaften des Wassers führen zu einer Reihe von Phänome-
3.10 Physikalische Analysen 51

nen: die Temperaturschichtung von Seen, das Einschichten von Abwasser in


bestimmten Tiefen bei Einleitungen in Seen etc. Mit zunehmendem Salzgehalt
nimmt auch die Dichte des Wassers zu. Charakteristische Werte sind in
Tabelle 3.5 zusammengestellt.

Tabelle 3.5. Physikalische Eigenschaften von unbelastetem Wasser (Fair et al. 1968)
Temperatur Dichte Kinematische Zähigkeit Oberflächenspannung
oc kgm· 3 2 ·I
m s dyn cm· 1
0 999.87 1.79. 10 75.6
4 1000 1.57. 10-6
5 999.98 1.52. 10-6 74.9
10 999.73 1.31 . 10-6 74.2
15 999.12 1.15. 10-6 73.5
20 998.23 1.01 . 10-6 72.8
25 997.07 0.90. 10-6 72.0
30 995.68 0.80. 10-6 71.8

3.10.4 Viskosität, Zähigkeit


Die Viskosität oder die Ziihigkeit des Wassers beeinflusst den Fliesswiderstand
und die Art der Strömung von Wasser. Die Viskosität des Wasser wird durch
Feststoffe erhöht. Schlämme haben eine viel höhere Viskosität als reines Wasser,
das verändert die Fliesseigenschaften und die Energieverluste! Charakteristische
Werte sind in Tabelle 3.5 zusammengestellt.

3.1 0.5 Oberflächenspannung


Die Oberflächenspannung ist eine thermodynamische Grösse, die angibt, wieviel
Energie mindestens erforderlich ist um die Oberfläche einer Flüssigkeit zu ver-
grössem; sie wird meistens in dynlern angegeben. Wasser hat eine grosse Ober-
flächenspannung, die durch Detergentien (oberflächenak:tive Stoffe), die sich an
den Oberflächen anlagern, meist vermindert wird. Geringe Oberflächenspannung
heisst, dass das Wasser hydrophobe, wasserabstossende Feststoffe besser benet-
zen kann. Charakteristische Werte für sauberes Wasser sind in Tabelle 3.5 zu-
sammengestellt.

Beispiel 3.19. Seife und Oberflächenspannung


Seife (ein Detergenz) hat die Tendenz, die Oberflächenspannung des Wassers zu redu-
zieren. Es ist in Gegenwart von Seife also weniger Energie erforderlich, um die Oberflä-
che des Wassers zu vergrössern: Ein Seifenschaum ist nichts anderes als Wasser mit
einer sehr grossen Oberfläche!

3.1 0.6 Geruch und Geschmack


Geruch und Geschmack sind zwei Grössen, die nicht absolut definiert werden
können. Es wird z.B. mit einer Reihe von Versuchspersonen in einem standardi-
sierten Test die Geruchsschwelle eines Gases (Verdünnung mit unbelasteter
Luft) festgestellt und daraus eine Geruchsintensität abgeleitet.
52 3 Charakterisierung von Wasser

3.11 Mikrobiologische und hygienische Parameter


Die Gewährleistung der hygienischen Qualität des Trinkwassers ist die grösste
Leistung der Siedlungswasserwirtschaft. Diese zu überwachen bedingt, dass
Analysemethoden angewendet werden, die nachweisen, dass mit grosser Wahr-
scheinlichkeit keine Krankheitskeime im Trinkwasser vorhanden sind.
Verschiedenartige Krankheitserreger können über das Wasser auf Mensch und
Tier übertragen werden. Um Epidemien vorzubeugen müssen insbesondere das
Trinkwasser, aber auch öffentlich zugängliche Badegewässer überwacht werden.
Mikrobiologische Nachweisverfahren sollen meistens aufzeigen, welche An-
zahl von vermehrungsfähigen Keimen in einem bestimmten Probenvolumen
vorhanden sind. Dazu wird eine Wasserprobe, die ev. vorher mit sterilem Wasser
verdünnt werden muss, durch eine Membran filtriert. Die Keime bleiben auf der
Membran zurück. Die Membran wird in einer Petrischale auf einen Nährboden
gelegt und im Brutschrank bei konstanter Temperatur bebrütet. Die Keime kön-
nen sich nun vermehren und zu sichtbaren Kolonien anwachsen. Diese Kolonien
werden ausgezählt, um daraus die ursprüngliche Dichte von vermehrungsfähigen
Keimen zu berechnen (s.a. Abb. 3.2).
Die mikrobiologischen Analyseverfahren können unterschiedliche Arten von
Keimen unterscheiden, indem der Nährboden, die Bebrütungstemperatur etc. den
spezifischen Anforderungen angepasst werden.
Viele Krankheitskeime werden in der stark sauren Umgebung des Magens
geschädigt. Wir müssen daher eine grössere Anzahl von solchen Keimen mit
dem Trinkwasser zu uns nehmen, bevor wir mit grosser Wahrscheinlichkeit er-
kranken. Daher können wir die Grenzwerte für Krankeitskeime so festlegen, dass
sie z.B. in 5 I Trinkwasser nicht festgestellt werden können. In der Form von
Cryptosporidien und Giardia (protozoenähnliche Mikroorganismus, der zu
Durchfall führen) sind aber in den letzten Jahren neue Organismen gefunden
worden, von denen wir wissen, dass ein einzelner Organismus bereits eine Er-
krankung auslösen kann. Hier ergibt sich das Problem, dass dieser Organismus in
sehr geringer Konzentration nachgewiesen werden muss: Wie sucht man eine
einzelne Zelle in mehreren Kubikmetern Wasser? Solche Untersuchungen sind
sehr aufwendig und vorläufig noch nicht Routine in der Wasserwerkspraxis.
Die moderne Mikrobiologie stellt mit Hilfe von gentechnischen Methoden
heute zunehmend neue und leistungsfähige Methoden zur Verfügung, die sehr
spezifisch unterschiedlichste Organismen identifizieren und quantifizieren kön-
nen. Es ist anzunehmen, dass die Überwachung von Trinkwasser schon bald
umfassend auf solchen Methoden basieren wird.

3.11.1 Escherichia coli


Escherichia coli ist ein Bakterium, das im menschlichen Darm in hoher Konzen-
tration vorkommt. Es hat historisch eine grosse Bedeutung für die Beurteilung
der hygienischen Qualität von Trinkwasser.
Die Menschen scheiden viele Krankheitskeime in den Fäkalien aus, während
Urin nicht mit Krankheitskeimen infiziert ist. Wenn durch ungenügende Barrie-
ren solche Krankheitskeime über das Trinkwasser in den Menschen zurückge-
langen besteht die Gefahr einer Infektion.
3.11 Mikrobiologische und hygienische Parameter 53

Abb. 3.2. Petrischale mit Nährboden und Kolonien von Mikroorganismen. Oben Coliforme
Keime auf Endo Agar, alte Methode; unten Gesamtkeimzahl, Kolonien teilweise markiert beim
Auszählen. Photo: Wasserversorgung Zürich

Escherichia coli (E.coli) ist ein Bakterium, das schon früh in hoher Zahl in
den Fäkalien des Menschen gefunden wurde. Alle Menschen sind Träger von
E.coli, sie unterstützen unsere Verdauung. Einige wenige Stämme lösen bei nicht
adaptierten Menschen Durchfall aus. So ist etwa in Mexico ein Stamm von
E.coli häufig vertreten, der bei Westeuropäern starken Durchfall auslöst, gegen
den aber die lokale Bevölkerung resistent ist. Die ausgelöste Krankheit heisst in
Nordamerika "Montezuma's Rache".
E. coli ist also ein mehr oder weniger ungefährliches Bakterium, das in gro-
sser Zahl in den Fäkalien ausgeschieden wird. Es wird in Wasser immer dort
auftreten, wo auch Krankheitskeime, allerdings in viel geringerer Konzentration,
auftreten. Sind also E. coli vorhanden, so muss auch mit Krankheitskeimen ge-
rechnet werden. Diese Überlegung hat schon früh dazu geführt, dass selektive
mikrobiologische Analysemethoden für die Bestimmung der Anzahl von E. coli
in unterschiedlichen Wässern entwickelt wurden. Zudem haben Mediziner und
Mikrobiologen über lange Zeit hauptsächlich diesen Organismus untersucht,
sodass E. coli heute einer der bestuntersuchten Mikroorganismen ist.
54 3 Charakterisierung von Wasser

Fazit: E. coli wird stellvertretend für andere Bakterien, insbesondere krank-


heitserregende Keime untersucht. Ist E. coli vorhanden, ist das Wasser gefährdet
und kürzlich mit Fäkalien im Kontakt gestanden. Ist das Wasser frei von E. Coli,
kann mit grosser Sicherheit ein hygienisches Problem ausgeschlossen werden.
Diese letzte Annahme gilt nur für Organismen, die in der Umwelt vergleichbare
Überlebenschancen haben. Für Viren, Sporen und Protozoen ist diese Annahme
nicht gerechtfertigt.

TabeHe 3.6. Grenzwerte fiir die hygienische - mikrobiologische Qualität von Trinkwasser in der
Schweiz (Verordnung über die hygienisch- mikrobiologischen Anforderungen an Lebensmittel,
Gebrauchs- und Verbrauchsgegenstände vom 1. Juli 1987)
Grenzwertea
Erreger von Typhus Salmonella Arten
Shigella Arten in 5 I nicht nachweisbar
Erreger von Cholera Vibrio cholerae
Toleranzwerte für unbehandeltes Trinkwasser
an der Quelle Aerobe mesophile Keime 100/ml
im Verteilnetz Aerobe mesophile Keime 300/ml
Escherichia coli nicht nachweisbar in 100 m1
Enterokokken nicht nachweisbar in 100 m1
Grenzwerte sind Höchstkonzentrationen, bei deren Überschreitung das Trinkwasser für die
menschliche Ernährung als ungeeignet gilt.
Toleranzwerte sind Höchstkonzentrationen, bei deren Überschreitung das Trinkwasser von der
Vollzugsbehörde beanstandet wird. Bei wiederholtem Überschreiten der Toleranzwerte müs-
sen Massnahmen zur Reduktion ergriffen werden.
Für behandeltes Trinkwasser gelten strengere Grenzwerte.

3.11.2 Beurteilung von Wasser


Wasser ist Transportvehikel für viele pathogene Keime (Krankheitserreger, Mi-
kroorganismen, Bakterien, Viren), die Krankheiten auslösen können. Je nach
Krankheit genügen schon wenige ansteckende Keime, die wir z.B. über das
Trinkwasser aufnehmen, um krank zu werden. Ein infiziertes Trinkwassernetz
kann potentiell wegen seiner regionalen Bedeutung sehr rasch eine Epidemie in
einer ganzen Stadt auslösen.
Trinkwasser enthält immer eine grössere Zahl von Bakterien, die aber meist
nicht pathogen sind. Der Nachweis von unterschiedlichen, ansteckenden Keimen
in geringster Konzentration ist ausserordentlich aufwendig, langsam und kost-
spielig und z.T. nicht möglich (s.a. Beispiel 3.20).
Viele pathogene Keime werden z.B. durch Krankheitsträger in den Fäkalien
ausgeschieden und gelangen dann in die Gewässer und damit wieder in den Was-
serkreislauf. Zusammen mit diesen ansteckenden Keimen werden auch Darm-
bakterien in grosser Zahl ausgeschieden, die direkt keine Gefahr für den Konsu-
menten darstellen, die aber ein Indiz dafür sind, dass möglicherweise auch an-
steckende Keime (in sehr viel kleinerer Zahl) vorhanden sein können. Das pro-
minenteste Darmbakterium ist Escherichia coli, mit dem Mikrobiologen, Hygie-
niker und Mediziner seit Jahrzehnten gearbeitet haben. Der Nachweis dieses
3.11 Mikrobiologische und hygienische Parameter 55

Bakteriums (oder doch mindestens einer Gruppe von Bakterien, die auch E. coli
umfasst) in relativ geringer Zahl ist einfach, billig und schnell.
Historisch hat sich daher entwickelt, dass wir stellvertretend als Indikatoren
für die in sehr geringer Anzahl vorkommenden pathogenen Keime die in viel
höherer Zahl vorkommenden Darmbakterien, mit allerdings gleichem Ursprung,
verfolgen.
In Tabelle 3.6 sind die Grenzwerte für die hygienische Beurteilung von
Trinkwasser in der Schweiz zusammengestellt. Für viele Laien (und Studieren-
de) ist es überraschend zu erfahren, dass in jedem ml Trinkwasser bis zu 300
Bakterien (aerobe mesophile Keime) zugelassen werden, d.h. mit jedem Glas
einwandfreiem Trinkwasser nehmen wir z.B. 10'000 vermehrungsfähige Bakte-
rien zu uns. Das entspricht aber gemessen als TSS der ausserordentlich geringen
Konzentration von ca. 0.01 g m·3 und ist weder als Trübung sichtbar noch in
dieser Form messbar. Solche Bakterien können sich zudem unter den Bedingun-
gen im Darm kaum vermehren.

Beispiel 3.20. Ansteckungsrisiken und mikrobiologische Qualitätsstandards.


Im Trinkwasser soll es nicht möglich sein, die Erreger von Typhus (Salmonella) in 5 I
Wasser nachzuweisen.
Was heisst der Begriff nicht nachweisbar?
Ein positiver Nachweis von pathogenen Keimen im Trinkwasser wird sofort mehrere
Aktivitäten auslösen, z.B.:
1. Die Desinfektion des Trinkwassers wird eingeführt oder intensiviert.
2. Die Häufigkeit der Untersuchungen des Trinkwassers wird stark erhöht.
3. Die Ursache (Quelle) der Verunreinigung wird gesucht und saniert.
4. Ev. wird die Bevölkerung gewarnt und vom Genuss ungekochten Trinkwassers
abgeraten.
Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand der täglich 1 I Trinkwasser zu sich
nimmt, an einem Tag mindestens 5 Krankheitskeime aufnimmt? Da die Keime den gerin-
gen pH-Wert im Magen nur schlecht ertragen, sind mehrere Keime erforderlich um eine
Erkrankung auszulösen.
Die folgenden Berechnungen sind stark vereinfacht und geben nur einen Eindruck von
den Risiken.
Wenn wir annehmen, dass in weniger als 5% der Proben in 5 I Trinkwasser pathogene
Keime nachgewiesen werden können1 so deutet das an, dass die Konzentration der Kei-
me kleiner ist als v =0.01 Keime r (oder in 100 I Wasser weniger als ein vermeh-
rungsfähiger Krankheitskeim).
Nehmen wir an, dass diese Keime zufällig im Wasser verteilt sind, so können wir die
Anzahl der Keime, die wir mit dem Trinkwasser aufnehmen mit Hilfe eines Poisson-
Prozesses statistisch beschreiben. Die Wahrscheinlichkeit, dass in 1 I mindestens 5
Keime enthalten sind, beträgt:
4 vi ·exp(-v) 13
W(v,n>4)=1-I, . mitdemResultatW(0.01,n>4)=8·10.
i=O I!
Das Risiko zu erkranken beträgt also weniger als 8 · 1o·13 d.1• Bei einer Lebenserwartung
von 100 Jahren (36'500 d) würde von 33 · 10.6 Menschen nur gerade einer in seinem
Leben durch die Aufnahme von als gut beurteiltarn Trinkwasser erkranken. Das effektive
Risiko, durch Trinkwasserkonsum zu erkranken, ist grösser, weil Störfälle und Unfälle in
dieser Betrachtung nicht enthalten sind.
56 3 Charakterisierung von Wasser

Beispiel 3.21. Cryptosporidien


Cryptosporidien sind höhere Organismen (Protozoen), die z.B. von Rindern aus dem
Darm ausgeschieden werden. Sie verursachen bei Menschen Durchfall und können bei
geschwächten Personen zum Tode führen. Besonders kritisch ist, dass bereits ein auf-
genommener Keim zur Erkrankung führen kann.
Welcher Grenzwert muss angesetzt werden, damit das Risiko an Cryptosporidien zu
erkranken gleich gross ist, wie das Risiko an Typhus zu erkranken?
Annahme: Von Cryptosporidien erkranken wir mit einer Wahrscheinlichkeit von 10%,
wenn wir einen einzelnen Keim zu uns nehmen.
Annahme: Bei Typhus besteht ein Erkrankungsrisiko von 8 · 1o·13 d.1 , wenn wir pro Tag 1
I Trinkwasser konsumieren.
Daraus ergibt sich, dass in 0.1 · 1 I I 8 · 10.13 = 125 · 106 m3 Trinkwasser nur gerade ein
Keim vorhanden sein dürfte (das entspricht ca. 10% des Trinkwassers, das pro Jahr in
der Schweiz produziert wird).
Es ist offensichtlich, dass für Cryptosporidien keine vernünftige Grenzwerte festgelegt
werden können. Man behilft sich hier mit den folgenden Überlegungen:
ln Forschungsprojekten wird mit erhöhten Konzentrationen von Keimen untersucht,
welche Massnahmen das Erkrankungsrisiko genügend reduzieren. Daraus werden
Schutzmassnahmen für die Wasserressourcen (Schutzzonen) und minimale Aufberei-
tungsverfahren abgeleitet. Eine Risikobeurteilung, die mögliche Quellen der Keime ein-
schliesst, erlaubt dann von Fall zu Fall geeignete Massnahmen zu ergreifen.

Belspiel 3.22. Fäkale Keime in Badegewässern


Badewasser in natürlichen Gewässern wird als ungeeignet (Badeverbot) betrachtet, wenn
je ml mehr als 10- 100 E.coli Keime gemessen werden Oe nach Quelle der Information).

Beispiel 3.23. Hygiene an Badestränden


Mitte August 1997 musste nach starken Gewittern das Baden an den Mittelmeerstränden
von St.Tropez verboten werden. Mischwassereinleitungen (Sanitärabwasser vermischt
mit Regenwasser) hatten lokal zu hohen Konzentrationen von fäkalen Keimen geführt.
Die Gesundheit der Badenden war gefährdet.

3.12 Grenzwerte und typische Analysen


Die folgenden Kapitel und Tabellen charakterisieren typische Wässer. Sie sollen
eine Grössenordnung der unterschiedlichen Analysewerte vermitteln.

3.12.1 Flusswasser, Seewasser, Grundwasser


Fluss-, See- und Grundwasser sind in ihrer Zusammensetzung sehr ähnlich. See-
wasser verliert im Sommer bei hohen pB-Werten als Folge der Photosynthese
Kalk, CaC03• Es ist daher etwas weicher als das zujliessende Flusswasser. Zu-
sammen mit dem Verlust von Kalziumhärte geht auch Karbonat verloren. Das
vermindert die Alkalinität.
In Tabelle 3.7 sind Analysewerte von charakteristischen Beispielen von Fluss-
wasser zusammengestellt. Diese Konzentrationen geben einen Einblick in die
Grössenordnung und die Unterschiede der Stoffkonzentrationen in den verschie-
3.12 Grenzwerte und typische Analysen 57

denen geologischen Regionen. Die Belastung mit gereinigtem Abwasser ist in


den Analysen sichtbar. Kochsalz (NaCl), Stickstoff (NH4·, NOJ, Phosphor und
die Schwermetalle nehmen deutlich zu.
Überraschend ist der Vergleich der Stoffkonzentrationen z.B. der Schwer-
metalle im Niederschlag (Tabelle 3.8) und im unbelasteten Flusswasser
(Tabelle 3.7).

Tabelle 3.7. Mittlere Konzentrationen wichtiger Wasserinhaltsstoffe in Fliessgewässern (Zobrist,


1998)
Kristallines Vorwiegend
Geologie im Einzugsgebiet
Gestein Sedimentgestein
Belastung des Flusses mit Abwasser schwach schwach stark
Inhaltsstoff Einheit
Calcium gCam· 6 48 72
Magnesium gMgm· 3 0.5 4.4 15.1
Natrium gNam'3 0.5 1.9 21
Kalium gKm· 3 0.8 0.7 4.1
Bikarbonat g HC03• m·3 12 137 241
Sulfat g so4~ m'3 7 29 25
Chlorid gCJ" m·3 0.4 2.2 32
·3
Kieselsäure g H4Si04 m 4.5 2.3 7.5
Ammonium gNm 0.003 0.025 0.30
.J
Nitrat gNm 0.3 0.58 4.6
ptot gPm·3 0.01 0.03 0.8
DOC gCm·3 0.5 1.2 3.8
Blei mgPbm· <l 0.7 4.0
Kupfer mgCum·3 <I l.l 8.5
Zink mgZnm·3 2 6 27
Cadmium mgCdm· 3 <0.1 <0.1 0.3

Beispiel 3.24. Bikarbonat und Säurebindungsvermögen


ln Tabelle 3.7 wird die Bikarbonatkonzentration in g HC03. m·3 angegeben.
Wie gross ist das Säurebindungsvermögen dieser Wässer im meq r'?
Das Molekulargewicht von Bikarbonat beträgt: 1 + 12 + 3-16 = 61 g Mor1 • Damit ergeben
sich die folgenden Werte für das SBV (Tabelle 3.3):
Kristallin: 12 I 61 =0.2 Mol m·3 =0.2 meq r 1• Sehr weich.
Schwach belastet: 137 I 61 =2.2 meq r 1• Weich
Stark belastet: 241 I 61 =4.0 meq r 1 Mittelhart

3.12.2 Niederschlag und Regenwasser


Als Niederschlag bezeichnen wir alle Stoffe, die sowohl trocken als auch nass
aus der Atmosphäre auf eine Oberfläche ausfallen. Regenwasser ist nur ein Teil
des Niederschlages. In Tabelle 3.8 sind typische Stoffkonzentrationen im Nieder-
schlag in schweizerischen Messstationen zusammengestellt. Dübendorf liegt im
58 3 Charakterisierung von Wasser

stark besiedelten Mittelland, das Jungfraujoch im hochalpinen Raum, wenig


beeinflusst von lokalen Siedlungen.

Tabelle 3.8. Zusammensetzung des Niederschlages (gesamt) und des Regenwassers (feucht) in
zwei schweizerischen Messstationen in der Messperiode 1978n9 (Zobrist, 1998). Die Konzentra-
tionen beziehen sich auf das Volumen des Niederschlages
Station Dübendorf Jungfraujoch
Höhe über Meer 400m 3570m
Stoff Einheit feucht gesamt gesamt
Natrium gNam- 0.08 0.16 0.24
Kalium gKm-3 0.05 0.10 0.20
Calcium g Cam-3 0.38 0.91 0.69
Magnesium gMgm-3 0.05 0.16 0.06
Ammonium-N gNm-3 0.43 0.47 0.19
starke Säuren mmolH+m·3 57 41
Nitrit-N gNm- 0.004 0.006
Nitrat gNm-3 0.40 0.48 0.14
Sulfat-S gSm-3 0.97 1.08 0.38
Chlorid gClm-3 0.74 0.86 0.42
Phosphat-P gPm-3 0.001 0.002
Blei mgPbm- 21 39
Kupfer mgCum-3 5 9
Zink mgZnm·3 46 54
·3
Cadmium mgCdm 0.46
P,., gPm- 0.014 0.021
DOC gCm-3 1.2 1.4
pH-Wert 4.26 4.46 5.4
Niederschlag mm 1225 1225 1105

3.12.3 Trinkwasserzusammensetzung
Tabelle 3.9 gibt eine Zusammenfassung von Richtwerten für Qualitätsziele und
Grenzwerte für Trinkwasser. Das Qualitätsziel charakterisiert ein gutes Trink-
wasser (Kolonne 1). Die Grenzwerte sollten nicht während längerer Zeit über-
schritten werden, sie charakterisieren ein ungeeignetes Trinkwasser.

Beispiel 3.25. Zulässige Nitratkonzentration im Trinkwasser


Nach Tabelle 3.9 beträgt der Grenzwert für Nitrat im Trinkwasser 40 g N03• m·3 •
ln der Abwasserreinigung wird die Nitratkonzentrationen in g N m·3 angegeben und nicht
in g N03• m·3 •
Atomgewichte N = 14, 0 =16
Das Molgewicht von Nitrat beträgt 14 + 3. 16 = 62 g N03 • Mor 1 •
Umgerechnet ergibt sich der Grenzwert zu:
. ·3 ·1 - -1 ·3
40 g N03 m · 14 g N Mol I 62 g N03 Mol = 9 g N m .
Dieser Wert liegt im Bereich eines gereinigten Abwassers, das mit Nitrifikation und Deni-
trifikation behandelt wurde (Beispiel 3.11 ).
3.12 Grenzwerte und typische Analysen 59

TabeHe 3.9. Beurteilungswerte für Trinkwasser nach dem Schweizerischen Lebensrnittelbuch,


Stand 1988. Es muss beachtet werden, dass das LMB zu allen Parametern zusätzliche Erläuterun-
gen gibt
Parameter Einheit Kolonne 1• Kolonne 2
Temperatur oc 8-15 25
pH-Wert 7-8 9.2
Calcium mg Ca2•11 40-125
Magnesium mgMi•n 5-30 50
Ammonium mg NH4+/l <0.05 0.5
Nitrit mgN02./l <0.01 0.1
Nitrat mg N03./l <25 40
Phosphat mgP/1 <0.05
Sauerstoff mg/1 >6
Gesamthärte meq/1 3-5
Alkalinität mmolll 2-4
DOC mgC/1 < 1.0
Kolonne 1: Bereich eines gegebenen Parameters als Qualitätsziel für Trinkwasser. Ent-
spricht in der Regel einem wenig beeinflussten Grund- oder Quellwasser.
Kolonne 2: Wert eines Parameters, der nicht überschritten werden sollte. Werden diese
Konzentrationen erreicht, sollen geeignete Massnahmen eingeleitet werden.

TabeHe 3.10. Zusammensetzung des Abwassers der Stadt Zürich. Werte aus Untersuchungen der
EAW AG von 1977 und 1989 (Jl = Mittelwert, cr = Streuung)
1977 1989
Parameter Zulauf Ablauf Zulauf Ablauf Einheit
der Vorklärung der Vorklärung
ll ll (J ll ll (J

BSB 5 90 gOm
TOC 97 62 17 120 61 17 gcm·3
DOC 35 31 10 28 7 gcm·3
-3
CSB 310 207 56 216 61 gOm
-3
TSS 203 101 29 79 26 gm
TP 6.4 6.1 1.6 3.8 0.8 gPm-3
GP 4.2 4.1 1.0 gPm- 3
-3
TKN 21.5 19.4 3.9 23.1 4.6 gNm
-3
NH4•-N 12.4 11.5 1.8 17.0 15.1 3.7 gNm
-3
N02--N 0.3 0.2 gNm
N03--N 2.1 0.9 gNm-3
SBV 4.7 0.2 5.5 5.1 0.8 Molm- 3
pH-Wert 7.6 0.2

3.12.4 Städtisches und kommunales Abwasser


In Tabelle 3.10 wird die Zusammensetzung des Abwassers der Stadt Zürich cha-
rakterisiert. Da sich zuverlässige Proben nur im Ablauf der Vorklärung nehmen
lassen, sind die Analysewerte v.a. für diese Probenahmestelle angeführt. Zwi-
schen 1977 und 1989 wurden grössere Mengen Fremdwasser (unbelastetes Ab-
wasser) vom Zulauf zur Kläranlage abgetrennt. Insgesamt haben deshalb die
60 3 Charakterisierung von Wasser

Konzentrationen im Zulauf zugenommen. Deutlich ist der Rückgang der Phos-


phorkonzentration als Folge des Phosphatverbots in den schweizerischen Textil-
waschmitteln nach 1986. Die Vorklärung in der Kläranlage Werdhölzli ist zwi-
schen 1977 und 1989 vergrössert worden, deshalb sind die partikulären Stoffe
TSS die 1989 im Ablauf der Vorklärung gemessen wurden, geringer. Zugenom-
men hat die Konzentration des gelösten Ammonium NH/.
Tabelle 3.10 zeigt deutlich, dass die Abwasserzusammensetzung sich im
Laufe der Zeit verändert, z.B. hat in Zürich im Verlaufe von 12 Jahren die Kon-
zentration von P10, im vorgeklärten Abwasser um ca. 40% abgenommen, während
die Konzentration von TKN um ca. 20% zugenommen hat. Der Grund für die
Zunahme der TKN-Konzentration ist nicht eine Veränderung der Schmutzstoff-
fracht sondern, dass im Laufe der Jahre die Fremdwassermenge (Sauberwasser,
das mit dem belasteten Abwasser abfliesst) reduziert wurde. Die Phosphorfracht
hat sich effektiv um mehr als 50% verringert.

3.12.5 Abwasser bei Regenereignissen, Mischwasser


Während Regenereignissen variieren die Stoffkonzentrationen im abgeleiteten
Abwasser sehr stark, sowohl während einem einzelnen Regenereignis als auch
von Regen zu Regen. Tabelle 3.11 gibt einen Überblick über Konzentrationen
aus verschiedenen Untersuchungen im In- und Ausland. Es ist hier sinnvoller,
Angaben über Frachten z.B. in kg Stoff pro ha und Jahr zu machen, die Resultate
streuen weniger.

TabeHe 3.11. Stoffkonzentrationen im Mischabwasser, das während Regenereignissen in der


Kanalisation abgeleitet wird (Ellis 1985)
Mittlere Stoffkonzentration in g m·, E.Coli, Anzahl/100 ml
Art der Kanalisation TSS vss BSB~ CSB NH4 +-N Pb E.Coli
Trennsystem 21-582 26-149 7-22 33-265 0.2-4.6 0.03-3.1 102-104
Mischwasser-
entlastung
237-635 - 43-95 120-560 2.9-4.8 0.15-2.9 104 -106

Hauptstrasse 28-1178 18-86 12-32 128-171 0.02-2.1 0.15-2.9 101-10 3


Dachablauf 12-216 40-88 3-32 58-81 0.4-3.8 <0.03 102

3.13 Probenahme
Die Probenahme ist interaler Bestandteil der Charkterisierung von Wasser. Sie
muss sorgfältig an die Fragestellung angepasst werden.
Wasser wird nicht als Ganzes chemisch oder bakteriologisch untersucht, sondern
es wird stellvertretend ein kleiner Anteil des Wassers als Probe gezogen, ins
Labor gebracht und dort zeitverschoben analysiert. Die Probenahme ist ein
wichtiger Teil einer genauen und zuverlässigen Charakterisierung eines Wassers.
Sie muss der Fragestellung angepasst sein: Der Analytiker muss sich darauf ver-
lassen können, dass die Probe die gleichen Eigenschaften hat wie das zu untersu-
chende Wasser. Da in Probenahmeflaschen sowohl biologische als auch chemi-
sche Reaktionen ablaufen, können wir nicht grundsätzlich von dieser Annahme
ausgehen.
3.13 Probenahme 61

Je nach Fragestellung müssen Proben unterschiedlich gezogen und konser-


viert werden. Als Konservierung kommen in Frage:
- Kühlen, um biologische Prozesse zu verlangsamen.
- Tiefgefrieren bei langer Aufbewahrung der Proben, wobei sich dadurch eine
Reihe von Veränderungen ergeben, z.B. verändert sich die Konzentration der
suspendierten Stoffe, weil z.T. mineralische Stoffe ausgefällt werden.
- Vorlage von Giftstoffen, die die biologischen Prozesse stoppen.
- Vorlage von verschiedenen Chemikalien in Abhängigkeit der Analysen, die
gemacht werden sollen.
- Rasches Filtrieren, um Mikroorganismen aus dem Wasser abzutrennen und
dadurch die gelösten Stoffe in ihrer ursprünglichen Form zu bewahren.
Zusätzlich zur Konservierung der Probe spielt das Material der Probenahme-
flaschen eine Rolle, speziell für die Analyse von Spurenstoffen in geringsten
Konzentrationen muss die Absorption oder die Rücklösung von Verunreinigun-
gen aus der Flasche vermieden werden. Die Konservierung der Proben sollte
immer mit dem verantwortlichen Analytiker abgesprochen werden.
Wir unterscheiden zwischen Stichproben sowie zeit- und mengenproportio-
nalen Sammelproben über eine gewisse Zeit:
- Stichproben charakterisieren einen bestimmten Zeitpunkt. Häufig wird eine
einzige Probe geschöpft, gelegentlich werden mehrere Proben (z.B. 2 - 6) in
kurzen Intervallen (z.B. alle 2 min) genommen und miteinander vermischt.
Solche Proben werden zusätzlich mit Zeit, Ort, Temperatur, pH-Wert, ev.
Wetter etc. charakterisiert.
- Zeitproportionale Sammelproben charakterisieren den mittleren Zustand
eines Systems (z.B. die mittlere Biomassenkonzentration in einem Reaktor).
Dazu werden in regelmässigen zeitlichen Abständen einzelne kleine Proben
gezogen und z.B. über 24 halskonservierte Sammelprobe zusammengegos-
sen. Die Häufigkeit der Probenahme richtet sich nach der zeitlichen Variation
der Konzentration.
- Mengenproportionale Sammelproben charakterisieren einen Durchfluss und
gewichten das Wasser proportional zum Durchfluss. Solche Proben werden
analysiert um Frachten zu berechnen. Meist wird dem Probenahmegerät nach
dem Durchfliessen einer bestimmten Wassermenge vom Durchflussmessgerät
ein Impuls zur Entnahme einer weiteren Probe gegeben.
Probenahmen sollen sorgfältig geplant und regelmässig auf ihre Eignung
überprüft werden. Sie stehen am Anfang jeder Untersuchung und werden oft
vernachlässigt.

Beispiel 3.26. Zeit- und mengenproportionale Probenahme


Zeit t Durchfluss Q(t) Konzentration C(t)
0- 6 Uhr 70m h. 90g CSB m
-3
6- 12 Uhr 200m3 h-1 220g CSB m
-3
12-18Uhr 280m3 h- 1 260g CSB m
-3
18-24 Uhr 120m3 h- 1 150g CSB m
62 3 Charakterisierung von Wasser

Wie gross ist für die obenstehenden Angaben die erwartete Konzentration des CSB in
einer zeitproportionalen und in einer mengenproportionalen Sammelprobe?

Zeitproportionale Probe:
Mittlere Konzentration= (90 + 220 + 260 + 150) I 4 = 180 g CSB m-a
Mengenproportionale Probe:
Mittlere Konzentration = 1: Q(t) · C(t) I 1: Q(t) =
= (70·90+200·220+280·260+ 120·150)/(70+200+280+120)
= 211 g CSB m-a
Unterschiedliche Resultate der beiden Arten der Probenahme ergeben sich v.a. dann,
wenn Q(t) und C(t) stark korrelieren. Das ist im Abwasser häufig der Fall.
Die Fracht Fcss des CSB im Abwasser kann hier nur mit der mengenproportionalen Probe
zuverlässig berechnet werden:
FCSB =1: Q(t) · C(t) =~ot • CMittel,mengenproportional
= 211 g CSB m-a ·670m3 d·t = 141 kg CSB d-1 •
ln der Wirklichkeit müssten pro Tag mehr als 4 Proben gezogen werden um mengenpro-
porionale Resultate zu erhalten.

Beispiel 3.27. Unprofessionelle Probenahmegeräte


Ein Probenahmegerät soll verteilt über 24 h eine Abwasserprobe aus dem Ablauf der
Vorklärung einer Kläranlage sammeln. Das erforderliche Volumen der Probe beträgt 2 I.
Ein Ingenieur baut dazu die folgende Anlage auf:
Eine kleine Pumpe fördert gesteuert über eine Zeitschaltuhr alle 10 min ca. 15 ml Abwas-
ser in eine Flasche, die bei 4 oc
im Kühlschrank steht. Der Probenahmeschlauch ist 3 m
lang und hat einen inneren Durchmesser von 8 mm.
Ist diese Anlage geeignet?
Das Volumen des Probenahmeschlauchs beträgt ca. 180 ml. Also wird das Abwasser bei
vollem Schlauch während ca. 2 h bei hoher Temperatur, vermutlich an der prallen Sonne
verbringen, bevor es bei 4 oc
gelagert wird.
Die innere Oberfläche des Schlauchs beträgt ca. 750 cm2 • Darauf werden sich nach
kurzer Zeit Mikroorganismen ansiedeln, die das vorbeifliessende Abwasser verändern.
Enthält das Abwasser z.B. 150 g BSB5 m·3 , so ergibt sich eine Flächenbelastung dieser
Mikroorganismen von Q-BSBJF = 0.002 m3 · 150 g BSB5 m-a I 0.075 m2 = 4 g BS85 m.2 d.1 •
Das ist eine Belastung, wie sie in Tropfkörpern zur Reinigung von Abwasser vorkommt
(Kapitel 0, Seite 350).
Was im Kühlschrank aufgefangen wird, hat keine Ähnlichkeit mehr mit dem Abwasser,
das im Ablauf der Vorklärung vorhanden war.
Nur professionell gestaltete Probenahmegeräte, mit grossem Durchfluss, kleinen Ober-
flächen und peinliche Sauberkeit gewährleisten eine zuverlässige Probenahme.
4 Charakterisierung von Klärschlamm

Klärschlamm unterscheidet sich vom Abwasser insbesondere dadurch, dass die


Konzentration der Feststoffe um einen Faktor 100 und mehr höher ist. Die Tren-
nung der Feststoffe vom Wasser wird dadurch sehr aufwendig. Häufig tritt an
Stelle der Analyse der suspendierten Stoffe TSS die Analyse aller lnhaltsstoffe,
inkl. der gelösten Stoffe. Feststoffe werden bestimmt, indem das Wasser aus der
Probe abgedampft wird.

4.1 Trockensubstanz TS und Trockenrückstand TR


Die gelösten Stoffe können von Schlamm mit hohen Feststoffkonzentrationen
häufig nur mit aufwendigen und zeitraubenden Verfahren abgetrennt werden.
Eine Filtration mit einer Apparatur, wie sie in Abb. 3.1 dargestellt ist, ist kaum
möglich. Gelegentlich kommen Faltenfilter zur Anwendung oder der Schlamm
wird vorerst durch Zentrifugieren eingedickt. Das überstehende Wasser kann
dann filtriert und der Rückstand zusammen mit dem Sediment mit destilliertem
Wasser gewaschen und ansebliessend getrocknet werden. Das Resultat entspricht
nicht mehr den partikulären oder suspendierten Stoffen (TSS oder GUS) sondern
es schliesst z.T. gelöste Stoffe in der Trockensubstanz mit ein (s. dazu
Beispiel4.1).
Das Resultat wird als Trockensubstanz TS in kg m·3 angegeben wenn die ge-
lösten Stoffe abgetrennt wurden oder als Trockenrückstand in %TR (Gewichts-
anteil) wenn die gelösten Stoffe miterfasst werden. Es gilt 1% TR = 10 kg f 1
oder ca. TS = 10 kg TS m·3•

Beispiel4.1. Einfluss der gelösten Stoffe auf die Trockensubstanz


Ein Abwasser enthält z.B. 400 g m-:~ gelöste Stoffe (Salze und organische Verunreinigun-
gen) und 250 g TSS m·3 suspendierte Stoffe. Daraus wird offensichtlich, dass die TSS
nicht durch Abdampfen des Wassers von der Abwasserprobe bestimmt werden können.
Das Resultat wäre 650 statt 250 g m-:~. Die Filtration ist obligatorisch.
Ein Klärschlamm (Faulschlamm) enthält z.B. 4000 g m-:~ Salze und gelöste Stoffe und die
TS hat eine Konzentration von 40'000 g TS m·3 • Der Einfluss der gelösten Stoffe auf das
Resultat beträgt nur noch max. 10%. Durch Zentrifugieren und Waschen mit destilliertem
Wasser kann dieser Fehler noch deutlich verringert werden. TR wäre 4.4%, TS wäre
40 kg m·3 •
64 4 Charakterisierung von Klärschlamm

Beispiel 4.2. Rechnen mit Trockensubstanz


Auf einer Kläranlage für ca. 10'000 Einwohner fallen Q = 25 m3 d-1 Klärschlamm mit 4.5%
TR an. Wie gross ist die Masse der Trockensubstanz Mrs in kg TS d-1, die täglich auf
dieser Kläranlage anfällt?
TR = 4.5% heisst, dass 1 t Klärschlamm <=
1 mi 45 ~ Trockensubstanz (= 4.5%) ent-
hält oder die Konzentration beträgt Xrs = 45kg TS m (wobei die gelösten Stoffe ver-
nachlässigt werden). Also:
Mrs = Q · 45 kg TS m-3 =25m3 d-1 • 45 kg TS m-3 = 1125 kg TS d-1 •
Wie gross ist die Schlammmenge, wenn der Klil.rschlamm auf eine Konzentration von
18% TS entwässert wird?
·1 -3 3
Qen1Whaart = Mrs I Xrs = 1125 kg TS d 1180 kg TS m = 6.25 m Schlamm.
Durch die Entwässerung müssen also 25- 6.25 = 18.75 m3 d"1 Wasser (Filtrat) abge-
trennt werden.

Beispiel 4.3. Typische TS und TR Werte für Klärschlamm


Typische TS Konzentrationen von unterschiedlichen Klärschlämmen sind:
Frischschlamm:
TR = 3 -5% TS = 30 - 50 kg TS f 1 970 - 950 kg Wasser I t Schlamm
Faulschlamm (eingedickt)
TR = 5 - 8% TS = 50 - 80 kg TS f 1
Entwässerter Schlamm
TR = 18-25% TS = 180-250 kgTSf1
Getrockneter Schlamm
TR = 75 - 90% TS = 750 - 900 kg TS f 1 250 - 100 kg Wasser I t Schlamm
Belebtschlamm hat eine Konzentration von 3000 - 5000 g TSS m-3 und besteht aus über
99% Wasser. Das Resultat wir meistens als TSS angegeben. ln der Analyse wird das
Wasser mit seinen Salzen durch Filtrieren oder Zentrifugieren abgetrennt.

4.2 Glühverlust und Glührückstand


Analog zur Bestimmung der VSS im Abwasser wird auch von Klärschlamm der
Glühverlust (GV) bestimmt und damit versucht, den organischen Anteil der
Trockensubstanz zu quantifizieren. Gelegentlich wird als Resultat der Anteil des
Glühverlusts an der Trockensubstanz (GVffS) angegeben; je grösser dieser Wert
ist, desto mehr organische Stoffe enthalten die Trockenstoffe.
Als Glührückstand wird die Asche bezeichnet, die nach dem Trocknen
(105 °C} und dem Glühen (650 oq von Klärschlamm noch zurückbleibt. Der
Glührückstand (GR) wird als Summe aller mineralischen Anteile des Schlammes
interpretiert. Der Anteil des GR an der TS nimmt zu, wenn z.B. für die Phos-
phatelimination der Abwasserreinigung Salze zugegeben werden und die Fäl-
lungsprodukte als Anteil des Klärschlammes abgeführt werden.

Beispiel 4.4. Bestimmung von TR, GR und GV


Zur Bestimmung des TR, GR und des GV eines Frischschlammes aus einem Vorklär-
backen werden z.B. die folgenden Messungen gemacht:
4.3 Zusammensetzung von Klärschlamm 65

M1 = Masse der Porzellanschale kalt, trocken, sauber: 80.245 g


M2 = Masse nach Einfüllen von ca. 50 ml der Schlammprobe: 130.759 g
M3 = Masse nach Trocknen bei 105°C, erkaltet: 82.576 g
M4 = Masse nach Glühen bei 650°C, erkaltet: 81.192 g.
Daraus ergeben sich:
TR = (M3 - M1) I (M 2 - M1) = 2.331 I 50.514 4.6%
GV = (M 3 - M4) I (M 2 - M1) = 1.384 I 50.514 2.7%
GR = (M4 - M1) I (M 2 - M1 ) = 0.947 I 50.514 1.9%
Der Anteil GV an TS ist: GV/TS = (M 3 - M4 ) I (M 3 - M1 ) = 1.384 I 2.331 = 59.4%
Der Anteil GR an TS ist: GRITS = (M 4 - M1 ) I (M 3 - M1 ) = 0.947 I 2.331 = 40.6%
Total = 100%

Beispiel 4.5. Typische Werte für den Anteil Glühverlust an der Trockensubstanz
Typischer Klärschlamm enthält:
Frischschlamm ohne Phosphorfällung: GV/TS=70%
mit Phosphorfällung: GV/TS = 60%
Faulschlamm ohne Phosphorfällung: GV/TS =55%
mit Phosphorfällung: GV/TS=45%
Im Zuge der Faulung gehen organische Stoffe (=GV) in Form von Biogas verloren, das
vermindert den Anteil des Glühverlusts an der Trockensubstanz.

TabeHe 4.1. Grenzwerte ftir den Schadstoffgehalt von Klärschlamm und Kompost (Schweiz.
Stoffverordnung, Anhang 4.5, Änderung 16.9.1992)
Schadstoff Grenzwert in g Metall/ t Trockenstoff
Kompost Klärschlamm
Blei (Pb) 120 500
Cadmium (Cd) 1 5
Chrom (Cr) 100 500
Cobalt (Co) 60
Kupfer (Cu) 100 600
Molybdän (Mo) 20
Nickel (Ni) 30 80
Quecksilber (Hg) 5
Zink (Zn) 400 2000

4.3 Zusammensetzung von Klärschlamm


Die Zusammensetzung von Klärschlamm wird heute regelmässig überwacht,
dabei müssen in der Schweiz die Grenzwerte, die in Tabelle 4.1 für Klär-
schlamm dargestellt sind, eingehalten werden. Klärschlamm dient als Dünger
und untersteht den entsprechenden Bestimmungen. Er muss hygienisiert sein.
Pro Hektare dürfen im Verlaufe von 3 Jahren maximal 5 t TS ausgebracht wer-
den. Kompost kann bis zu 25 t TS während 3 Jahre ausgebracht werden, daher
müssen hier strengere Grenzwerte zur Anwendung kommen.
Klärschlamm, dessen Schwermetallgehalte die Grenzwerte übersteigen, dür-
fen nicht in die Landwirtschaft ausgebracht werden. Wenn die Grenzwerte über-
schritten werden, muss die Ursache gesucht und der Missstand saniert werden.
66 4 Charakterisierung von Klärschlamm

Tabelle 4.2 enthält eine Zusammenstellung der Inhaltsstoffe von Klärschläm-


men in der Schweiz, die regelmässig bestimmt werden. Auffallend ist die Ab-
nahme des Phosphorgehalts zwischen 1984 und 1989 als Folge des Phosphat-
verbots in den Textilwaschmitteln (1986) und die deutliche Reduktion der
Schwermetallgehalte als Folge einer besseren Überwachung der Quellen dieser
Stoffe.

TabeHe 4.2. Typische Zusammensetzung von schweizerischen Klärschlämmen (Candinas et al.


1991, adaptiert). 1984 fielen insgesamt 176'000 t TS an, 1989 waren es 213'000 t TS

Inhaltsstoff Einheit 1984 1989


Trockenrückstand TR % 5.7 5.9
Glühverlust (GY) kgGVt TS 435 460
Gesamtstickstoff (N) kgNt 1 TS 40 45
davon organisch gebunden 27 30
Ammonium N (NH4•-N) 13 15
Phosphor (P) kgPt 1 TS 32 23
Anlagen mit Flockungsfiltration 40 27
Anlagen mit P-Fällung 38 25
Anlagen ohne P-Fällung 20 16
Kalium (K) kgKt 1 TS ca.2 ca.2
Calcium (Ca) kg Ca t 1 TS 73 64
Magnesium (Mg) kgMgt 1 TS 5.7 5.1
Blei (Pb) gPbt TS 409 232
Cadmium (Cd) gCd t 1 TS 5.7 4.0
Chrom(Cr) gCrt1 TS 207 129
Cobalt (Co) g Ko t" 1 TS 10.4 10.2
Kupfer(Cu) g Cu t 1 TS 447 388
Molybdän (Mo) gMot 1 TS 11.3 7.0
Nickel (Ni) g Ni t 1 TS 77.7 42.6
Quecksilber (Hg) g Hg t 1 TS 3.6 2.6
Zink (Zn) g Zn t 1 TS 1859 1378
5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Der Bedarf von Wasser in Siedlungen (v.a. der Trinkwasserverbrauch) und die
Menge von Abwasser, welche aus den Siedlungen abgeleitet werden muss, stehen
miteinander in Beziehung. Regen, Drainage und der Verlust von Wasser führen
aber zu Unterschieden in den beiden Wassermengen. Beide Grössen sind wichti-
ge Unterlagen für die Planung, die Projektierung und den Betrieb der Anlagen
in der Siedlungswasserwirtschaft. Von Bedeutung sind Tagesmittelwerte, Ex-
tremwerte, saisonale Variationen, Wochengang, Tagesgang und Momentanwer-
te.

5.1 Wasserbedarf und Abwasseranfall


Nicht alles Wasser, das durch die Wasserversorgung verteilt wird, fällt als Ab-
wasser wieder an (Abb. 5.1): Verluste aus Wasserleitungen, Bewässerung, Ver-
sickerung nach laufenden Brunnen, Verdunstung von Kühlwasser, Messfehler
etc. ergeben Unterschiede zwischen dem verteilten und dem abgeleiteten Was-
ser. Abwasser umfasst zusätzlich zum Trinkwasser noch anderes Wasser: Von
der Industrie selber gefördertes Wasser, eingedolte Bäche, Sicker- und Draina-
gewasser, Regenwasser etc. Es ist deshalb nicht möglich, auf einfache Art vom
Wasserverbrauch auf den Abwasseranfall zu schliessen. In der Praxis besteht
deshalb auch häufig keine direkte Beziehung zwischen der Berechnung dieser
beiden Wassermengen.
Heute werden z.B. in der Schweiz kaum noch neue W asserversorgungen oder
Kanalisationssysteme und Kläranlagen geplant, meist müssen bestehende Anla-
gen erweitert oder erneuert werden, d.h. es gibt Messungen von Wassermengen
(häufig allerdings nur mit unzuverlässigen Messsystemen). Eine Auswertung
dieser Messungen in Zusammenhang mit den Kenntnissen der Planungsvorgaben
erlaubt, bessere Angaben und Grundlagen zu erarbeiten, als dies mit pauschalen
Richtwerten möglich ist.
Ein wichtiger Unterschied zwischen der Wasserversorgung und der Abwas-
serreinigung ist, dass in der Wasserversorgung Engpässe im Wasserangebot als
viel gravierender beurteilt werden als in der Abwasserreinigung. Mehrmals pro
Jahr reicht, als Folge von Regenereignissen, die hydraulische Kapazität der Ab-
wasserreinigungsanlage sowieso nicht aus, sodass Mischabwasser (Regenwasser
vermischt mit verschmutztem Abwasser, Abb. 5.1, Abb. 14.1 und Abb. 15.1)
direkt in die Vorflut eingeleitet werden muss. Die unterschiedlichen Anforde-
rungen an die Ver- oder Entsorgungssicherheit führen zu unterschiedlichen, ge-
forderten Leistungsreserven, die zudem häufig nur ungenau identifiziert werden.
68 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Trinkwasser ---~1"""'

Verluste ...,..+-t
Abwasser
Gärten zur ARA

Entlastung
beiRegen

Grundwasser
Abb. 5.1. Die verschiedenen Quellen des Abwassers in Siedlungen: Das Trinkwasser wird um
die Verluste vermindert, Industrien betreiben gelegentlich eigene Wasserbeschaffungsanlagen,
Grundwasser gelangt direkt in die Kanalisation und Regen wird teilweise abgeleitet. Zuneh-
mend wird auch Regenwasser gespeichert und als Brauchwasser genutzt. Vor den Kläranlagen
muss während Regen Abwasser entlastet werden

Je nach Aufgabenstellung beziehen sich die Überlegungen zum Wasserum-


satz in der Siedlungswasserwirtschaft auf eine andere Zeitperiode:
Die Verteilleitungen in der Wasserversorgung müssen dem momentanen
Verbrauch von Trinkwasser jederzeit gerecht werden: Es interessiert uns der
Wasserfluss während einer kurzen Zeitperiode mit grösstem Bedarf.
Für die Auslegung der Pumpen in einem Grundwasserpumpwerk für die Be-
schaffung von Trinkwasser interessiert der Bedarf als Summe über einen hei-
ssen Sommertag mit maximalem Bedarf Die Wasserspeicher bewirken hier
einen Ausgleich über den Tag.
Für die Beurteilung eines Grundwasserträgers als Wasserressource betrachten
wir die über längere Zeit gemittelte Förderung. Das nutzbare Wasservolumen
beträgt hier ein Vielfaches des Tagesbedarfes.
Abwasserreinigungsanlagen werden meist für Trockenwettertage mit erhöhter
Belastung ausgelegt. Für die hydraulische Auslegung interessiert z.B. der
Abwasseranfall, der an 80% der Tage (das entspricht ca. den Trockenwetter-
tagen) unterschritten wird.
Kanalisationen müssen auch bei extrem intensiven Regen (Gewitter) das
anfallende Wasser ableiten können. Hier interessiert uns ev. der maximale
Abwasseranfall, der in 5 Jahren während z.B. 15 min überschritten wird. Etc.
Die Dimensionierungswassermenge muss auf das betrachtete Problem abge-
stimmt werden. Eine allgemeine Angabe ist nicht möglich. Hier werden vorläu-
fig nur die Eigenheiten des Wasserverbrauchs und des Abwasseranfalles bei
Trockenwetter diskutiert, während der Regenwasseranfall in Kapitel 13.5, Seite
211 berechnet wird.
5.2 Trinkwasserbedarf 69

5.2 Trinkwasserbedarf
Der Bedarf an Trinkwasser ist starken Schwankungen unterworfen. Während
heisser, trockener Monate kann der Wasserbedarf ein Mehrfaches des mittleren
Bedarfes ausmachen. In Orten ohne touristische Bedeutung sind Ferienzeiten im
Winter Perioden mit minimalem Bedarf.

5.2.1 Nomenklatur
Die vielen unterschiedlichen Angaben zum Wasserbedarf bedingen eine Definiti-
on der Symbole.
Je nach Fragestellung müssen ganz unterschiedliche Wassermengen bestimmt
werden. Nachfolgend sind einige wichtige Wassermengen definiert:
Qh = Momentanwert des Wasserverbrauches. Der Index h steht für Stunde.
Dieser Wasserverbrauch kann als Zustand direkt gemessen werden.
=Mittelwert des Wasserverbrauchs über einen Tag. Der Index d steht
für Tag. Dieser Wert kann nur als Summe über 24 h gemessen werden.
~..... = Der maximale tägliche Wasserverbrauch ~ als Extremwert einer län-
geren Periode, z.B. der maximale Verbrauch, dem eine Anlage gerecht
werden muss.
=Der mittlere Wasserverbrauch ~während einer längeren Periode.
= Der minimale Wasserverbrauch ~ während einer längeren Periode.
= Der maximale momentane Wasserverbrauch im Tagesgang, die Ta-
gesspitze.
Qh.max.max =Die momentane Tagesspitze am Tag mit maximalem Verbrauch~......
Qh.max.m =Die Tagesspitze an einem Tag mit mittlerem Verbrauch ~.m·
Der Wasserbedarf Q wird in m3 d. 1 für eine ganzes Versorgungsgebiet ange-
geben. Zusätzlich werden spezifische Verbrauchszahlen angegeben, z.B. der
mittlere tägliche Wasserverbrauch pro Einwohner als qd.m in m 3 E"1 d· 1•
Für die Charakterisierung von Tages- und Jahresganglinien werden dimensi-
onslose Extremwertfaktoren fh und fd definiert, die die Extremwerte des Wasser-
bedarfes auf den Mittelwert einer relevanten Periode beziehen. Beispiele sind:
fh.max = Qh.max.m I ~.m' ein Faktor der angibt, wie gross der tägliche maximale
Wasserverbrauch relativ zum Tagesmittelwert ist.
fd.min = ~.m;n I ~.m' ein Faktor, der die Beziehung zwischen minimalem Ta-
gesverbrauch und dem Jahresmittel des Wasserverbrauchs angibt.
In den Beispiel 5.3 und Beispiel 5.5 solche Faktoren aus gemessenen Gangli-
nien berechnet worden.

5.2.2 Wasserverbrauch
Der Tages-, Wochen- und Jahresgang des Verbrauchs von Trinkwasser beruht
auf unseren Aktivitäten. Der Verbrauch im Haushalt wird überlagert vom Ver-
brauch im Kleingewerbe sowie in Gewerbe- und Industriebetrieben. Steigende
70 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Spezifischer Wasserverbrauch
m3E·1d·1
1.0
0.8
0.6
0.4
0.2
0.0
1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000
Abb. 5.2. Entwicklung des Wasserverbrauchs pro Einwohner in der Schweiz. Angegeben wer-
den mit Einwohnern gewichtete Mittelwerte der rapportierenden Wasserversorgungen (totale
Wasserabgabe). Vom mittleren Tag kann auf den Jahresverbrauch geschlossen werden. Der
maximale Tag entspricht dem gewichteten Mittelwert aller Maximalwerte der einzelnen Betrie-
be. Diese Extreme treten nicht im ganzen Land am selben Tag auf (Quelle SVGW)

TabeHe 5.1. Wasserabgabe der Wasserversogongen in der Schweiz. Statistische Erhebungen des
Schweiz. Verein des Gas- und Wasserfaches (SVGW)
Wasserabgabe 1985 1990 1993
Haushalte inkl. Kleingewerbe 54.0% 54.9% 58.0%
Gewerbe und Industrie 20% 21.3% 19.0%
Öffentliche Zwecke und Brunnen 7.2% 8.8% 6.9%
Selbstverbrauch 2.0% 2.1% 2.7%
Verluste 16.8% 12.9% 13.4%
Total 100% 100% 100%
Total in 106 m3 Jahr. 1 1144 1162 1066
Einwohner in Mio. 6.534 6.796 6.989

Wasserpreise führen zunehmend zu Veränderungen im Wasserverbrauch: Was-


sersparende Installationen, Substitution von Trinkwasser mit Brauchwasser, etc.
Tabelle 5.1 gibt einen Überblick über die Wasserabgabe der Wasserversorgun-
gen in der Schweiz. Der grösste Teil des Wassers wird in Haushalte und ans
Kleingewerbe (Restaurants, Bäckerei, Coiffeur, ... ) geliefert. Insgesamt hat die
Wasserabgabe seit 1985 trotz einer Zunahme der Bevölkerung nicht mehr zuge-
nommen. Die Entwicklung des totalen Wasserverbrauchs pro Einwohner (inkl.
Industrie und Gewerbe) ist für die Verhältnisse in der Schweiz in Abb. 5.2 dar-
gestellt. Sowohl der Jahresmittelwert ('l.J.,.) als auch der maximale Tagesver-
brauch qd..,.. haben seit ca. 1985 eine abnehmende Tendenz. Die ansteigenden
Wasserpreise, ein zunehmend besseres Verständnis für die Belange der Umwelt
und verbesserte technische Installationen und Haushaltgeräte unterstützen diesen
Trend.
5.2 Trinkwasserbedarf 71

Beispiel 5.1. Wasserverbrauch von Haushaltgeräten


Nach dem Merkblatt W 410 des DVGW hat sich der Wasserverbrauch von Haushaltge-
räten für einen Normalspülgang wie folgt verändert:
Wasserverbrauch in Wasserverbrauch in
Herstellungsjahr
einer Waschmaschine einem Geschirrspüler
des Gerätes
I/Zyklus I/Zyklus
1980 125- 175 45-55
1985 100- 125 30-40
1990 70- 125 20-30
1993 ca.50 20-22
Für das Geschirrspülen von Hand wird ein Verbrauch von 30 - 40 1/ Vorgang angegeben.
Offensichtlich gehen unsere Haushaltgeräte heute bereits sorgfältiger mit dem Wasser
um als wir selbst mit Handarbeit. Das spart sowohl Wasser als auch Energie (Heisswas-
ser) aber kaum Chemikalien, die einen grossen Teil der Umweltbelastung ausmachen.

Tabelle 5.2 gibt einen Überblick über die Verwendung von Trinkwasser in
den Haushaltungen. Der Verbrauch von 180 1/Einwohner und Tag ist typisch für
schweizerische Verhältnisse, er liegt hoch im europäischen Vergleich.

Tabelle 5.2. Aufteilung des mittleren Wasserverbrauchs im Haushalt nach Verbrauchsarten,


Mittelwerte aus Messungen in schweizerischen Wohnhäusern (Stand 1984, BUWAL 1986).
Autowaschen ist heute nur noch auf speziell dafür bezeichneten Plätzen erlaubt

1pro Einwohner
Aktivität %
pro Tag
Toilettenspülung 59 33
Baden I Duschen 58 32
Wäsche 18 10
Körperpflege 11 6
Geschirrspülen 11 6
Garten 9 5
Trinken I Kochen 5 3
Putzen 5 3
Autowaschen 4 2
Total 180 100

Beispiel 5.2. Substitution von Trinkwasser


Welcher Teil des Trinkwasserverbrauchs im Haushalt könnte ohne Komfortverlust durch
filtriertes Regenwasser substituiert werden?
Regenwassernutzung bedingt eine Filtration, eine Stapelung und eine Desinfektion vor
Ort. Das Produkt ist ein Brauchwasser, das sehr weich, aber hygienisch nicht beden-
kenlos ist und daher nicht für alle Zwecke eingesetzt werden kann.
Nach Tabelle 5.2 ergeben sich die folgenden Substitutionsmöglichkeiten:
Trinkwasser Regenwasser
Aktivität
1e·1 d.1 1e·1 d.1
Toilettenspülung 59
Baden I Duschen 58
Wäsche 18
72 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Körperpflege 11
Geschirrspülen 11
Garten 9
Trinken I Kochen 5
Putzen 5
Autowaschen 4
Total 90 90
Ca. 50 % des Trinkwassers, das in Haushaltungen verbraucht wird, könnte durch
Brauchwasser substituiert werden. Das bedingt allerdings aufwendige Installationen am
Ort des Verbrauchs und eine saubere Trennung der beiden Verteilsysteme. Der Abwas-
seranfall hat sich dadurch nicht verringert.

TabeHe 5.3. Beispiele von Wasserverbrauchsangaben für verschiedene Städte und Dörfer in der
Schweiz. Die Auswahl gibt Ortschaften mit unterschiedlichen Aktivitäten, aber z.T. gleicher Grö-
sse, mit Angabe des Anteils der Industrie am abgegebenen Wasser (Quelle: SVGW Statistik 1993)
Ort Angeschl. Wasserabgabe in 1 E. d Bemerkungen
Einwohner Max. Min. Mittel
Genf 391~000 791 300 459 UNO, Tourismus
Zürich 360'000 497 287 387 Dienstleistung
Thun 40'000 453 259 341
Schaffhausen 36'000 690 321 470 Industrie > 25%
Sion 26'000 1040 214 568 Bewässerung, wenig Regen
Aarau 19'000 710 403 511 Industrie > 25%
Volketswil 13'000 522 254 354 Industrie > 30%
Huttwil 3900 555 190 286 Industrie > 25%
Baizers FL 3900 1163 336 894 Dominante Industrie
Abtwil 3700 277 157 197 Ländlich

Der Wasserbedarf von Städten und Dörfern hängt stark mit den lokalen Ge-
gebenheiten zusammen. Tabelle 5.3 gibt einen Überblick über den Wasserver-
brauch pro Einwohner für verschiedene Versorgungsgebiete. Ohne eine detail-
lierte Analyse des Versorgungsgebiets können die beobachteten Unterschiede
nicht erklärt werden. Die Analyse der historischen Entwicklung des Wasserver-
brauchs, zusammen mit einem Verständnis für die Struktur der Siedlung, sind die
Basis für die Prognose der weiteren Entwicklung des Bedarfes.

5.2.3 Jahresgang des Wasserverbrauchs


Neben dem mittleren Wasserverbrauch ist auch der Jahresgang und der Wo-
chengang der Wasserauslieferungen von Bedeutung. Die Auswertung von Be-
triebserfahrungen ist die Grundlage für die Charakterisierung dieser Ganglinien.
In Abb. 5.3 ist der Jahresgang der Wasserauslieferungen der Wasserversorgung
der Stadt Zürich im Jahr 1991 dargestellt. Deutlich sichtbar ist der Wochengang
und die saisonale Variation mit den höchsten Auslieferungen in den warmen
Sommermonaten. Die geringste Wasserabgabe wird über Weihnachten (Ferien-
zeit im Winter) beobachtet. Die Summenhäufigkeitsverteilung erlaubt, zusam-
men mit dem mittleren Verbrauch, die Faktoren fd für die Charakterisierung der
5.2 Trinkwasserbedarf 73

Wasserabgabe in 1000 m3 d·1


280
260
240
220
200
180
160
140
120
100
Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
Monat 1991

Abb. 5.3. Tägliche Wasserabgabe der Wasserversorgung der Stadt Zürich im Jahre 1991. Deut-
lich sichtbar ist der Einfluss der Witterung (z.B. Bewässerung im Sommer) und der Wochen-
gang. Feiertage wie Ostern, Auffahrt, Pfingsten und 1. Mai sind deutlich im Wasserverbrauch
zu identifizieren. Die Dauerkurve zeigt den verminderten Wasserverbrauch während den Wo-
chenenden (Wasserversorgung Zürich, Geschäfts- und Untersuchungsbericht 1991). Jahresmit·
telwert 192'000 m3d. 1

Extremwerte zu berechnen (Beispiel 5.3). Die Summenkurve zeigt auch, dass an


ca. I 00 d im Jahr (Samstage und Sonntage) der Wasserverbrauch gering ist.

Beispiel 5.3. Berechnung der täglichen Extremwertfaktoren fd.max und fd.min


Wie gross sind die Faktoren zur Berechnung der Extremwerte der täglichen Wasserab-
gabe für die Angaben in Abb. 5.3?
Der Jahresmittelwert Qd m beträgt nach Abb. 5.3: 192'000 m3 d.1 .
Die maximale Tagesabgabe beträgt (Summenkurve): 268'000 m3 d·1 .
Die minimale Tagesabgabe beträgt: 138'000 m3 d·1 •
Daraus ergeben sich die Faktoren fd.max =268'000 I 192'000 =1.40 und
fd.min = 138'000 I 192'000 =0. 72

Beispiel 5.4. Interpretation der Jahresganglinie des Wasserverbrauches


Auf welches Datum fällt Ostern 1991?
Nach Abb. 5.3 fiel der Ostersonntag auf Ende März. Sowohl Karfreitag als auch Oster-
montag sind in Zürich Feiertage, entsprechend gering ist der Wasserverbrauch während
diesen 4 Tagen. Auch der 1. Mai (Mittwoch), Auffahrt (9. Mai, Donnerstag) und 10 d
später das Pfingstwochenende, sind deutlich zu identifizieren.

5.2.4 Tagesgang des Wasserverbrauches


Der Tagesgang des Wasserverbrauchs ist die Grundlage für die Dimensionie-
rung von Wasserspeichern und die Berechnung von Momentanwerten des Was-
serverbrauchs.
74 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Verhältnis fh = Qh I Qd
2.5

1.5

0.5

0
0 6 12 18 24
2.5

2
städtisch
1.5

0.5

0
0 6 12 18 24
Uhrzeit
Abb. 5.4. Typischer Tagesgang des Wasserverbrauchs. Q. = Momentanwert, Q, = Tagessumme,
c. =relativer Momentanwert (SVGW, W6, 1975). Siehe auch Tabelle 5.4

In Abb. 5.4 sind typische Tagesganglinien des Wasserverbrauchs für unter-


schiedlich grosse Versorgungsgebiete dargestellt. Je kleiner die versorgte Sied-
lung, desto extremer variieren die Momentanwerte des Wasserverbrauchs. An
Tagen mit extremem Wasserverbrauch ist der maximale Verbrauch ev. durch
Bewässerung dominiert; der Tagesgang kann sich dadurch stark verändern. Für
die Bewässerung von landwirtschaftlichen Flächen ist Trinkwasser nicht erfor-
derlich, zudem sollte diese Bewässerung in die Nachtstunden verlegt werden um
die Verdunstungsverluste möglichst klein zu halten.
Da viele Probleme der Wasserversorgung basierend auf Tagesganglinien be-
arbeitet werden, sind in Tabelle 5.4 einige Beispiele von Tagesganglinien in
Zahlen angegeben.

Beispiel 5.5. Tagesganglinien und Extremwertfaktoren.


Wie gross sind die Extremwertfaktoren fh,min und th.max für die Ganglinien in Tabelle 5.4?
fh.rrin =minimaler Tabellenwert · 24 I 100
fh,max =maximaler Tabellenwert · 24 I 100
Dorf Kleinstadt Stadt
0. 10 0.24 0.46
2.09 1.73 1.49
Diese Werte sind in der Grössenordnung der Angaben in Tabelle 5.5.
5.2 Trinkwasserbedarf 75

Tabelle 5.4. Tagesganglinie des Wasserverbrauchs in ländlichen, kleinstädtischen und städtischen


Verhältnissen in der Schweiz (SVGW W6 1975, Grombach et al. 1985). Angaben in Prozent des
Tagesbedarfes
Uhrzeit Dorf Kleinstadt Stadt
00-01 1.2 1.2 3.2
01-02 0.4 1.0 2.8
02-03 0.4 1.0 2.5
03-04 0.4 1.0 2.0
04-05 0.6 1.8 1.9
05-06 1.6 2.5 1.9
06-07 3.7 4.5 2.4
07-08 5.8 4.8 2.7
08-09 6.0 4.6 4.0
09- 10 5.8 4.5 5.3
10- 11 6.6 6.8 6.0
11- 12 8.1 7.0 6.2
12- 13 4.2 5.8 6.1
13- 14 5.8 5.5 5.7
14- 15 5.8 5.2 5.5
15- 16 6.0 5.2 5.8
16- 17 6.3 6.4 5.8
17- 18 8.7 7.2 5.8
18- 19 6.7 6.8 5.0
19-20 5.8 5.8 4.7
20- 21 4.1 4.4 4.2
21- 22 2.5 3.5 3.6
22-23 1.9 2.0 3.6
23-24 1.6 1.5 3.3
Total 100.0% 100.0% 100.0%

5.2.5 Prognosen des Wasserbedarfs


Für die Prognose des Wasserverbrauchs ist die Bestimmung des Mittelwerts des
Verbrauchs Qd.m und der Extremwertfaktorenfd undh, erforderlich.
Der massgebende Wasserfluss Q kann je nach Fragestellung berechnet werden
aus:
Q = Qd.m · fd · fh (5.1)
Q = Wasserfluss (-bedarf), der berechnet werden soll [e T 1]
Qd.m = Mittlerer Wasserbedarf, z.B. Jahresmittelwert [e T 1]
fd = dimensionsloser Faktor, der die mittlere Wassermenge auf den
Tagesanfall korrigiert, der von Interesse ist (Tagesfaktor).
fh = dimensionsloser Faktor, der allenfalls den aktuellen Tagesmittelwert
auf den momentanen Wasserfluss im Tagesgang korrigiert (Momen-
tan wertfaktor).
Die Faktoren fd und fh werden je nach Fragestellung erhoben. Bei der Anwen-
dung von GI. (5.1) gehen wir meist davon aus, dass die relative Tagesganglinie
(Momentanwert I Tagesmittel wert) unabhängig vom Tagesverbrauch ist. Da die
Extreme des Wasserverbrauchs durch zusätzliche Aktivitäten, wie z.B. Bewässe-
76 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Spitzenfaktoren fd,max• fh,max


6
5
4
3
2

0
1000 10000 100000 1000000
Belieferte Einwohner
Abb. 5.5. Spitzenfaktoren für die Bereitstellung von Trinkwasser in Abhängigkeit von der
Anzahl Einwohner im Versorgungsgebiet Ab 20'000 Einwohner ist der Industriebedarf ent-
halten. (gezeichnet nach DVGW, Merkblatt W410, Januar 1995). Die obere Kurve stellt das
Produkt fd.max · fh.max dar

rung, abendliches Duschen etc., zu Stande kommen, ist diese Annahme nur an-
genähert richtig.
In Abb. 5.5 sind Beispiele von Spitzenfaktoren dargestellt, wie sie in
Deutschland für die Bemessung von Anlagen verwendet werden. Deutlich ist die
Abnahme der Spitzenwerte mit zunehmender Grösse des Versorgungsgebietes zu
sehen. Tabelle 5.5 gibt Richtwerte für Extremwertfaktoren.

Tabelle 5.5: Extremwertfaktoren für die Abschätzung des minimalen und des maximalen Was-
serverbrauchs im Tgesgang und pro Tag (Gl.(5.1)).
Charakter des Tagesgang Jahresgang
. Versorgungsgebietes fbmin fhDIIII fclmin fd!QM
Landgemeinde 0.0-0.1 2.0-3.0 0.5-0.7 1.7- 2.0
Kleinstadt 0.1 -0.3 1.6-2.0 0.5-0.7 1.6- 1.8
Grossstadt mit Industrie 0.3- 0.5 1.4-1.7 0.6-0.7 1.3- 1.6

Beispiel 5.6. Extremer Wasserverbrauch in einer Landgemeinde


Eine Landgemeinde mit E =2000 Einwohnern liefert im Jahresmittel qm =0.25 m3 E"1 d.1
Trinkwasser aus.
Wieviel Wasser muss sie im Maximum, im Mittel und im Minimum pro Tag bereitstellen?
Od.max =qm • E · fd,max =0.25 · 2000 · 1.9 = 950 m3d.1
Odmmel =qm · E · 1.0 =0.25 · 2000 · 1.0 = 500 m3 d.1
ad:mln =qm · E · fd,mln =0.25 · 2000 · 0.5 = 250 m3d.1
Wie gross ist der maximale und der minimale Durchfluss in der Hauptleitung?
ah,max,max =ad,max. fh,max = 950. 2.7 =2600 m3d"1
ah,mlttel = ad,mlttel • 1.0 = 500 . 1.0 500 m3d"1
ah,mln,rnln = ad,mln. fh,mln = 250. 0.05 10 m3d"1
5.2 Trinkwasserbedarf 77

Die Extremwerte der erforderlichen Wasserbeschaffung und der Transportkapazität un-


terscheiden sich stark.

Beispiel 5.7. Jahresgang des Wasserverbrauches.


Nach Tabelle 5.2 wird 5% des Trinkwassers, das in Haushaltungen verkauft wird, für die
Bewässerung von Gärten eingesetzt. Wie gross ist die Produktions- und Transportkapa-
zität für Trinkwasser, die für die Gärten bereitgehalten werden muss?
Wasser für die Bewässerung wird zusätzlich zum normalen Verbrauch gebraucht, zu
einem Zeitpunkt, an dem der Wasserbedarf schon extrem hoch ist, z.B. durch häufiges
Duschen bei heissem Wetter etc.
Annahmen: Gärten werden während ca. 30 Tagen im Jahr intensiv bewässert.
Die Bewässerung findet abends während ca. 4 hstatt.
Aus diesen Annahmen ergibt sich ein Wert für:
·1 -1 ·1 ·1
fd=365da /30da =12 und fh=24hd /4h =6.
Bezogen auf den mittleren Wasserverbrauch ad.m muss für die Bewässerung von Gärten
in einer Wohngemeinde eine zusätzliche Transportkapazität von
Qh,Bewässerung = 0.05 . Qd,m. fd. fh =3.6 . Qd,m
bereitgestellt werden. Die zusätzliche Wassermenge, die an einem Bewässerungstag
verkauft wird, beträgt
Qd,Bewässerung = 0.05. Qd,m. fd = 0.6. Qd,m"
Zu diesen Wassermengen muss noch der zusätzliche Bedarf an heissen Tagen in den
Haushaltungen addiert werden. Offensichtlich muss je nach lokaler Situation die Bewäs-
serung von Gärten unter extremen Bedingungen verboten werden. Mit Regenwasser-
speichern kann das Problem für den .Gärtner'' verringert werden.

Der Wasserbedarf, der für die Dimensionierung der verschiedenen Elemente


einer Wasserversorgung verwendet wird, wird häufig mit grossen Reserven ge-
wählt. Der mögliche Schaden beim Versagen der Versorgung kann sehr gross
sein, insbesondere wenn z.B. durch ungenügenden Druck verschmutztes Wasser
in die Leitungen zurückgesogen wird und daraus hygienische Probleme entste-
hen. Ein grosser prognostizierter Wasserbedarf verursacht aber grosse Bereit-
stellungskosten, die die Verbraucher je länger je mehr nicht mehr gewillt sind zu
übernehmen. Zu gross geplante Anlagen werden in Zukunft noch häufig Grund
für Diskussionen in öffentlichen und politischen Gremien sein.
Es ist sinnvoll, eine Wasserversorgung so zu planen, dass sie laufend den Be-
dürfnissen angepasst werden kann. Leider ist das bei den z.T. sehr langen Le-
benserwartungen von Verteilleitungen und Speichern nur sehr schwer zu errei-
chen. Wir werden in Zukunft mehr Aufwand treiben müssen, um die Entwick-
lung des Bedarfs zu verfolgen und rechtzeitig Erweiterungen zu planen und zu
realisieren. Dabei müssen wir beachten, dass die Realisierung von zusätzlichen
Wasseraufbereitungsanlagen, Grundwasserbrunnen etc. oft mehrere Jahre benö-
tigt.
Die Wasserversorgung muss eine grosse Verfügbarkeit ihrer Leistung ge-
währleisten: Sie soll ihrer Aufgabe immer gerecht werden, d.h. der Dimensionie-
rungsbedarf stellt ein extremes Ereignis dar, das im Verlaufe der nächsten Jahre
sicher weniger als 1 Mal im Jahr auftritt. Diese Situation soll aber nicht dazu
führen, dass Trinkwasser in beliebiger Menge jederzeit zur Verfügung steht.
78 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Eine verantwortungsvolle Wasserversorgung wird versuchen, ihre Bezüger auf-


zuklären und dafür zu sorgen, dass mit dem Trinkwasser haushälterisch umge-
gangen wird. Das ist eines der expliziten Ziele des schweizerischen Gewässer-
schutzes (Art. 1 Abs. b, s. Tabelle 1.1, Seite 13) und hat zusätzlich den Vorteil,
dass bestehende Installationen länger genügen.

5.2.6 Planungswerte.für einzelne Versorgungsgebiete


Für die Planung von Verteilanlagen muss für einzelne Versorgungsgebiete eine
Prognose für den zukünftigen Wasserbedarf erstellt werden. Diese Prognose
orientiert sich mit Vorteil an den geplanten Bauzonen und einem entsprechenden
spezifischen Bedarf.
Hauptleitungen für den Transport von Trinkwasser haben eine Lebenserwartung
von 70- 100 Jahren. Als Grundlage für die Festlegung von Dimensionierungs-
wassermengen dienen daher z.B. Abschätzungen des Wasserverbrauchs für ein
fast vollständig überbautes Versorgungsgebiet In Tabelle 5.6 sind Planungs-
werte für unterschiedliche Zonen zusammengestellt. Diese Werte beruhen auf
Messungen in der Stadt Zürich und beziehen sich auf vollständig überbaute Ver-
sorgungsgebiete. Beispiel5.8 zeigt, wie diese Werte angewendet werden kön-
nen.
Die Unsicherheiten bei der Bestimmung des Wasserbedarf von einzelnen
Versorgungsgebieten sind viel grösser als für die Versorgung von ganzen Sied-
lungen. Die Zunahme der Überbauungsdichte, der Einfluss eines einzelnen Indu-
striebetriebes, die Änderung der Art der Nutzung etc. können über die Dauer der
Lebenserwartung der Hauptleitungen die Situation stark verändern
(Beispiel 5.9). In Zukunft wird der Verbrauch von Trinkwasser voraussichtlich
stark abnehmen <Wasserpreise, Regenwassernutzung, ökologisches Bewusstsein
der Bevölkerung). Die Planungswerte in Tabelle 5.6 führen daher zu eher über-
höhten Dimensionierungswerten

TabeHe 5.6. Parameter zur Berechnung des spezifischen Wasserverbrauchs in unterschiedlichen


Planungszonen. Die angeführten Werte sind Planungswerte für die Wasserversorgung der Stadt
Zürich
Charakteristika der zu versorgenden Mittlerer Tageswertfaktor Momentan-
Zone Verbrauch wertfaktor
fd,max fd,min fb,DIIIll fb,min
!dfha·1 d-1
Wohngebiet mit mehrgeschossigen
Häusern, inkl. Kleingewerbe (Voll- 40 2.0 0.6 1.9 0.5
bebauungmit 80- 100 E ha- 1)
Wohngebiet mit Ein- und Mehrfami-
Iienhäusern mit Gärten (Vollbebau- 20 2.5 0.5 2.4 0.4
ung mit 30 - 50 E ha-1)
City-Gebiet 200 1.6 0.8 1.8 0.4
Industrie und Grossgewerbe 120 1.6 0.8 1.4 0.6
Spitäler, Hotels, Hochschulen, ... 250 2.0 0.6 1.9 0.6
Grünzonen (Park- und Sportanlagen,
6 3.0 0.4 2.4 0.2
Friedhof, Familiengärten)
5.3 Löschwasser 79

Beispiel5.8. Planungswert für den Wasserverbrauch in einem Versorgungsgebiet


Ein Versorgungsgebiet umfasst 60 ha Wohngebiet mit mehrgeschossigen Häusern, 6 ha
Grünzone und 20 ha Industriegebiet. Wie gross ist der maximale stündliche Wasserbe-
darf in Zukunft, wenn die Bauzonen zu 80% ausgebaut sind?
Basierend auf Tabelle 5.6 ergibt sich:
Fläche Überbauung Qd,m fd,max
ha Anteil m3 ha.1d.1 -

Wohngebiet 60 0.8 40 2.0 1.9 1920 7296


Industrie 20 0.8 120 1.6 1.4 1920 4300
Grünzone 6 6 3.0 2.4 36 259
Total 86 0.8 1.8* 1.7* 3876 11'855

* Od,max,totat I Od.mittet.totat und Oh.rnax,totat I Od.max.totat


Diese Werte können z.B. für die Planung der Transportleitungen zur Anwendung kom-
men. Für die Planung von Produktionsanlagen sind sie ungeeignet, weil die Unsicherhei-
ten, die in einem kleineren Versorgungsgebiet vorhanden sind, nicht auf ein grosses
System übertragen werden sollen. Die Analyse des historischen Verbrauchs und detail-
liertere Überlegungen zur weiteren Entwicklung sind hier eher angebracht.
Produktionsanlagen können dem Bedarf durch Vergrösserung wirtschaftlich angepasst
werden, während die Vergrösserung der Transportkapazität grosse Kosten verursacht.

Beispiel5.9. Langfristige Veränderung des Wasserverbrauches


Als Folge der dauernd steigenden Wasserpreise gehen wir heute davon aus, dass in
Zukunft der Wasserverbrauch laufend abnehmen wird. Wie gross ist der Wasserver-
brauch in 100 Jahren (nach Ablauf der wirtschaftlichen Lebenserwartung einer heute neu
gebauten Transportleitung) im Vergleich zu heute?
Annahmen: Pro Jahr wird zusätzlich 1% Wasser eingespart.
Das Versorgungsgebiet ist schon heute voll ausgebaut.
Der verbleibende Wasserverbrauch beträgt 0(100) I Q(heute) =0.99100 =0.37.
Das ist eine durchaus realistische Vision (Beispiel 5.2). Sie zeigt, dass langfristige Prog-
nosen immer mit grossen Unsicherheiten behaftet sind.

5.3 Löschwasser
Häufig muss die Wasserversorgung auch das Löschwasser für die Feuerwehr zur
Veifügung stellen. Der entsprechende Bedarf wird in Abschn. 10.4.1, Seite 148
diskutiert.

5.4 Abwasseranfall
'
Der Abwasseranfall setzt sich zusammen aus dem verschmutzten Abwasser aus
Haushaltungen, Gewerbe und Industrie, unbelaste~em Fremdwasser und Regen-
wasser. Das Regenwasser stellt während intensiver Regen bei weitem den
grössten Anteil. Hier wird nur das Abwasser besprochen, das bei Trockenwetter
anfällt. Es ist einem regelmässigen Tages-, Wochen- und Jahresgang unterwor-
fen.
80 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Haushalt und Kleingewerbe


25%

Industrielle
Abwässer
20%
Fremdwasser
40%

Regenwasser
15%
Abb. 5.6. Herkunft des Abwassers im Zulauf zu den Kläranlagen in der Schweiz. Statistisches
Jahrbuch der Schweiz 1989, Angaben für das Jahr 1986. Neuere statistische Angaben sind nicht
verfügbar. Tendenziell hat seit 1986 der Fremdwasseranteil abgegenommen und das Regenwas-
ser zugenommen, weil heute weniger entlastet wird

5.4.1 Herkunft des Abwassers


Abwasser heisst das Wasser, das aus den Siedlungen abgeleitet werden muss.
Das ausgelieferte Trinkwasser wird zu einem wichtigen Anteil des Abwassers,
trotzdem erlaubt nur eine detaillierte Betrachtung, den Anfall des Abwassers zu
berechnen.
Abwasser setzt sich aus dem verschmutzten Trinkwasser aus Haushaltungen,
Industrie und Gewerbe, Brauchwasser, das durch den Verbraucher selber produ-
ziert wird, Fremdwasser (Definition nachfolgend) und abzuleitendem Regenwas-
ser zusammen (Abb. 5.6). Das Regenwasser fällt nur während einem Bruchteil
der Zeit an. Es hat für die Dimensionierung der entsprechenden Kanalisationen
eine grosse quantitative Bedeutung. Die Berechnung des Anfalles wird später
(Kapitel 13.5, Seite 211) ausführlich diskutiert.
Als Fremdwasser bezeichnen wir Abwasser, das stetig fliesst, aber mit
Schmutzstoffen nicht belastet ist: Bachwasser, Drainagewasser, laufende Brun-
nen, Kühlwasser, überlaufende Quellwasserspeicher, .... Fremdwasser stellt eine
unerwünschte Belastung der Abwasserreinigungsanlagen dar. Heute soll versucht
werden, das Fremdwasser nicht über die Kanalisation abzuleiten sondern lokal in
den Untergrund zu versickern. Ca. 40% des abgeleiteten Abwassers sind Fremd-
wasser (Abb. 5.6).
Wird in einer Kanalisation Fremdwasser, verschmutztes Abwasser aus Haus-
halt, Gewerbe und Industrie und Regenwasser gemeinsam abgeleitet, so sprechen
wir von Mischwasser (S.a. Kapitel 14.3, Seite 220). Für Kläranlagen entspricht
die Mischwassermenge, die während Regenereignissen im Maximum gereinigt
werden soll, der Dimensionierungswassermenge QARA. Fällt mehr Mischwasser
an, so wird dieses über Regenbecken und Regenentlastungen der Vorflut zuge-
leitet.
5.4 Abwasseranfall 81

Q in L3 T·1

QARA
2.00
Reserve für
Regenwasser ORw Q
~ TW,h,max
1.00

Fremdwasser, QFW
0.00
0 4 8 12 16 20 24
Uhrzeit
Abb. 5.7. Tagesgang der Wassermengen im Zulauf einer Abwasserreinigungsanlage. Aufge-
zeigt sind das stetig fliessende Fremdwasser, das zusätzlich fliessende verschmutzte Abwasser
und die Reservekapazität der Kläranlage für Regenwasser sowie die Dimensionierungswasser-
menge der Abwasserreinigungsanlage

In der Schweiz werden ca. 1 · 109 m 3 Trinkwasser pro Jahr ausgeliefert; die-
ses macht ca. 45% des Abwassers aus. Nach den Angaben in Abb. 5.6 müssen
also ca. 2- 2.5 · 109 m 3 Abwasser pro Jahr aus den Siedlungen abgeleitet werden.
Bei 7 Mio. Einwohnern entspricht das durchschnittlich 0.8 - 1.0 m 3 Abwasser pro
Einwohner pro Tag. Verteilt über die ganze Schweiz entspricht diese Wasser-
menge einer Wassertiefe von 60 mm a· 1 und einem Volumen von 2-2.5 km3a· 1•

5.4.2 Nomenklatur
Abwasser setzt sich aus verschiedenen Fraktionen zusammen, die alle sowohl
einem Jahresgang als auch einem Tagesgang unterworfen sind. Entsprechend
müssen viele unterschiedliche Grössen definiert werden.
In Abb. 5.7 ist der Tagesgang von einigen Fraktionen des Abwassers dargestellt
und die einzelnen Abwassermengen sind unten definiert. Hier wird für das
Trinkwasser und das Abwasser eine analoge Nomenklatur gewählt. Die Nomen-
klatur für das Abwasser ist nicht diejenige der Praxis. In der Praxis werden je
nach Land historisch unterschiedlich definierte Grössen verwendet; diese werden
teilweise im Rahmen von Beispielen erläutert.
Q71.h = Momentanwert des Abwasseranfalles. Der Index h steht für Stunde.
?? bezeichnet die Fraktion des Abwassers. Dieser Abwasseranfall ist
ein Zustand, oder Momentanwert, und kann z.T. direkt gemessen
werden.
Q17,d = Mittelwert des Abwasseranfalles über einen Tag. Der Index d steht
für Tag. ?? bezeichnet die Fraktion des Abwassers. Der Wert kann
nur als Summe über 24 h gemessen werden.
82 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

<4w = Der Schmutzwasseranfall aus Haushaltungen, Gewerbe und Industrie.


Es gilt <4w =~ + Q 1
Q" = Anfall von verschmutztem Abwasser aus den Haushaltungen
Q = Anfall von verschmutztem Abwasser aus Industrie und Gewerbe
~ = Anfall von Fremdwasser
QTW = Anfall von Abwasser bei Trockenwetter. Es gilt QTW=QFW+<4w
<4w = Anfall von Regenwasser
<btw= Anfall von Mischwasser. Es gilt <btw=QTW+<4w
QARA= Dimensionierungswassermenge der Abwasserreinigungsanlage. Ma-
ximale Wassermenge, die durch die Anlage geleitet werden kann.
Analog zur Situation beim Trinkwasser werden auch hier Extremwertfaktoren
definiert, die erlauben, von Jahresmittelwerten (Durchschnittswerten) auf Di-
mensionierungstage und Tagesganglinien umzurechen. In der Abwasserreinigung
werden nicht Minimal- und Maximalwerte verwendet, sondern es werden Häu-
figkeiten angegeben, mit denen die entsprechenden Werte über- oder unter-
schritten werden, z.B. gibt ein 80% Wert an, dass 80% der Wassermengen ge-
ringer sind als der angegebene Wert. Es bedeuten:
f5w...._= <4w.....,..l <4w,c~.m• ein Faktor der angibt, wie gross der tägliche maxi-
male Schmutzwasseranfall relativ zum Tagesmittelwert ist.
fsw,d,20'l;= <4w.d.20% I <4w.d.m' ein Faktor, der die Beziehung zwischen minimalem
täglichem Schmutzwasseranfall (20% Wert) und dem Jahresmittel-
wert des Schmutzwasseranfalles angibt.

Beispiel5.10. Tagesgang des Abwassers in der Praxis: Stundenansatz


ln der Praxis wird der Tagesgang häufig charakterisiert, indem der tägliche Abwasser-
anfall statt auf 24 h rechnerisch z.B. auf 14 h verteilt wird. Es resultiert
0 14 =QlW,d,BO% • 24/ X= QlW,d,BO% · 24/14.

Der gewählte Stundenansatz x (hier 14 h) ist abhängig von der Grösse des Einzugsge-
biets einer Abwasserreinigungsanlage. Typische Werte für den maximalen und den mi-
nimalen Abwasseranfall im Tagesgang sind:
Einzugsgebiet Maximalwert im Tagesgang Minimalwert im Tagesgang
x in h x in h
Ländlich 12 48
Dorf 14 45
Kleinstadt 16 40
Grossstadt 18-20 36
Leider wird in den praktischen Angaben häufig keine klare Unterscheidung zwischen
Schmutzwasser und Trockenwetteranfall gemacht. Je grösser aber der Fremdwasseran-
teil am Abwasser ist, desto geringer sind die Variationen des Abwasseranfalles
(Beispiel5.11).

Beispiel5.11. Tagesgang und Fremdwasser


Wie gross ist die zu erwartende Variation der Abwassermenge im Tagesgang in einer
Stadt mit E =20'000 Einwohnern wenn der FremdwasseranteilfPFW =40% beträgt und der
e
mittlere Wasserverbrauch pro Einwohner qdm =0.35 m3 1 d 1 beträgt?
5.4 Abwasseranfall 83

Die Variation des Wasserverbrauchs kann Tabelle 5.5 entnommen werden.


·3 ·1 ·1 3 ·1
Wasserbedarf: Od,m = qd,m · E =20'000 E · 0.35 m E d =7000 m d
Tagesgang des Wasserverbrauchs nach Tabelle 5.5: fh.max = 1.8, fh,min = 0.2 (Kleinstadt)
ah,max,m =1.8' 7000 =12'600 m: d·.:
ah,min,m =0.2' 7000 = 1400 m d
Es gilt ungefähr: OTW,d,m =ad,m + QFW mit QFW =~FW . aTW,d,m
3 ·1
QFW = ad,m ' ~FW I (1 - ~FW) = 7000 ' 40% I 60% = 4670 m d
Damit variiert der Abwasseranfall zwischen (Momentanwerte Orw,h):
minimal: QTW,h,min =4670 + 1400 ~ 607~ ~1 d 3 ·1

mittel: QTW,d,m =4670 + 7000 = 11 670 m d 3 _1


maximal: Orw,h,max =4670 + 12'600 = 17'270 m d
Damit werden für das Abwasser die Extremwertfaktoren frw hmin = 6070 I 11 '670 = 0.52
und fTW hmax = 17'270 I 11 '670 = 1.48. ''
Das Fremdwasser hat also zur Folge, dass die relativen Variationen des Abwasseranfal-
les bei Trockenwetter im Vergleich zum Wasserverbrauch stark gedämpft werden.

Beispiel5.12. Extremwertfaktoren und Stundenansatz


Welcher Stundenansatz x (Beispiel5.10) entspricht dem Tagesgang des Trockenwet-
teranfalles Orw in Beispiel 5.11?
Es gilt frw = 24 I x:
xmin = 24 I fTW,h,min = 24 I 0.52 = 46 h
xmax = 24 I fTW,h,max = 24 I 1.48 = 16 h
Diese beiden Werte liegen angenähert im Bereich, der auch in Beispiel5.10 genannt ist.

5.4.3 Betriebserfahrungen
In den westlichen Industriestaaten bestehen heute für den grössten Teil des Ab-
wassers Abwasserreinigungsanlagen und deren Zufluss wird gemessen. Dies
erlaubt, die Betriebseifahrungen auszuwerten.
Die Wassermenge kann mehr als 50% der Investitionskosten einer Kläranlage
bestimmen. Eine sorgfältige Erhebung auf der Basis von gerrau geeichten Mes-
sungen ist deshalb vor einem geplanten Ausbau immer zu empfehlen. Dies
schützt z.B. vor Überraschungen mit überdurchschnittlich grossem Fremdwas-
seranfall, wie dies in vielen ländlichen, kleinen Verhältnissen oft vorkommt (und
z.B. bei der Einweihung von Kläranlagen schon viele enttäuschte Gesichter ver-
ursacht hat, weil ein ganzer Bach unberücksichtigt geblieben ist).
VORSICHT: Die Messung von Abwassermengen ist nicht trivial. Die meisten
Messstationen sind nur ungenügend geeicht, sodass systematische Fehler in den
Messreihen vorhanden sind. Abweichungen von über 20% vom Effektivwert sind
keine Seltenheit. Bevor eine solche Messreihe ausgewertet wird, sollten die
Messgeräte neu geeicht werden und die alten Zahlen sind allenfalls an die neue
Eichung anzupassen. Dem Ausbau von Kläranlagen liegen absolute Zahlen zu
Grunde. Ist der angenommene Durchfluss grösser als der effektive, so wird der
Ausbau unwirtschaftlich, umgekehrt genügt die neue Anlage den gesteckten
Zielen nicht.
84 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Abwasseranfall ad in l'1'i! d·1 Niederschlag in mm c1-1


nnnY~~~nn~~nw~mnnr~~~on~~r-~.,~~~o
20
40
60
150000 80
100

100000

50000

Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

Abb. 5.8. Jahresgang des Zuflusses (unten) und des Niederschlages (oben) auf einer grösseren
Kläranlage in der Schweiz (Dietikon 1994, Betriebsüberwachung). Eingezeichnet ist auch eine
Summenkurve des Abwasseranfalles

In Abb. 5.8 ist der Jahresgang der täglich in einer grösseren Abwasser-
reinigungsanlage gemessenen Abwassermenge (Mischwasser) dargestellt. Der
Einfluss des Niederschlages ist insbesondere im nassen Monat Mai deutlich
sichtbar. Offenbar verbleibt ein erhöhter Basisabfluss (Fremdwasser) über länge-
re Zeit bestehen. Für solche Beobachtungen sollte die Ursache gesucht und be-
hoben werden. Ev. dringt hier überrnässig viel Drainagewasser in die Kanalisati-
on ein oder es wird ein kleiner Bach über die Kanalisation abgeleitet. Beides
vermindert die Leistung derAbwasserreinigungsanlage.
In Abb. 5.9 und Abb. 5.10 sind die Summenhäufigkeiten des Abwasserzu-
flusses und des Niederschlages (Tagessumme) aufgetragen. Da kleine Nieder-
schläge (< 2 mm) kaum zu einem zusätzlichen Abfluss führen, wird häufig an-
genommen, dass z.B. der 80% Wert des Abwasserzuflusses <0-s.B()'I,) mit dem ma-
ximalen Abwasseranfall bei Trockenwetter übereinstimmt. Auf dieser Wasser-
menge basiert häufig die Dimensionierungswassermenge der Kläranlage.

Beispiel5.13. Abschätzung der Fremdwassermenge


Fremdwasser ist unbelastetes Abwasser, das in der Kanalisation stetig fliesst. Die
Fremdwassermenge in einer bestimmten Kanalisation kann z.B. in der Nacht vom Sonn-
tag auf den Montag, mindestens ein, besser 3 d nach dem letzten Niederschlag als mini-
maler Abfluss abgeschätzt werden. Zu dieser Zeit ist der Trinkwasserverbrauch minimal.
Eine genauere Berechnung bedingt z.B., dass die Trinkwasserauslieferung gleichzeitig
gemessen wird. Dabei sind allerdings die Verluste durch undichte Wasserleitungen zu
berücksichtigen.
5.4 Abwasseranfall 85

% derWerte
100

80 Qd.SO% =45'000 m3 d·l


60

40 Mittelwert:
Qd.m =35'700 m3 d·1
20

0
0 50'000 100'000 150'000

Abwassermenge Qd in rn3 d·1


Abb. 5.9. Summenhäufigkeit der Tagessumme des Abwasseranfalles in einer grösseren Kläran-
lage in der Schweiz (Dietikon 1994). Gleiche Daten wie Abb. 5.8
% derWerte
100

80 rd,SO% = 5.6 mm d·1 rdmax =85 mm d· 1

60
rd,SO% =0.1mm d·l
40

M~telwert:
20
rd,m =3.3 mm d·l
0
0 20 40 60 80 100
Niederschlag, Tagessumme in mm d·l
Abb. 5.10. Summenhäufigkeit der Tagessumme des Niederschlages auf einer Kläranlage in der
Schweiz (Dietikon 1994). Gleiche Daten wie Abb. 5.8

Beispiel 5.14. Fremdwasser und Umweltbelastung


Auf einer Abwasserreini~ungsanlage fallen am Montag Morgen, zwischen 3 und 5 Uhr bei
Trockenwetter 0.1 m3 s· fast klares Abwasser an. Als Wochenmittel beträgt der Abwas-
seranfall bei Trockenwetter 0.2 m3 s·1 (ca. 25'000 Einwohner). ·
Diese Werte deuten an, dass auf dieser Anlage im Mittel ca. 50% Fremdwasser anfallen.
Wie stark könnte die Belastung der Vorflut mit Phosphor verringert werden, wenn im
Mittel ein Grenzwert von 0.8 g P m-3 eingehalten wird und das Fremdwasser um 50%
reduziert wird?
Die Menge des gereinigten Abwassers und damit die Phosphorbelastung würden um ca.
25% reduziert, d.h. dass pro Jahr ca. 0.05 m3 s·1 · 86400 s d. 1 · 365 d a·1 · 0.8 g P m·3
=1260 kg P a·1 zusätzlich zurückgehalten werden könnten.
Diese Menge Phosphor reicht aus, um einen See mit einer Oberfläche von ca. 1 km 2 zu
eutrophieren.
86 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

5.4.4 Dlmenslonierungswerte
Bei der Berechnung des Abwasseranfalles muss zwischen verschiedenen Situa-
tionen, Aufgaben und Zielsetzungen unterschieden werden, z.B.:
- Dimensionierungsaufgaben: Kläranlagen, Kanalisation, Sonderbauwerke etc.
Alle diese Bauwerke werden für eine Abwassermenge dimensioniert, die die
speziellen Randbedingungen und die Aufgabe des Bauwerkes berücksichti-
gen. Grundsätzlich interessieren hier die Extreme der berücksichtigten Be-
triebszustände.
- Betriebskostenrechnung: Hier interessieren eher die langfristigen Mittelwerte
als die nur selten auftretenden Betriebszustände.
- Für die Berechnung von Jahresfrachten (z.B. Belastung eines Sees mit Phos-
phor) können je nach Situation die Extremereignisse oder langandauernde
mittlere Betriebszustände massgebend sein.
Für die Bemessung von Bauwerken für die Entwässerung der Siedlungen
spielt der anfallende Regen eine zentrale Rolle. Der entsprechende Abwasseran-
fall wird in Kapitel 13.5, Seite 211 diskutiert.
Ein grosse Bedeutung hat die Dimensionierungswassermenge der Kläranla-
gen. Für deren Festlegung wird in der Schweiz häufig die folgende Beziehung
gewählt:
(5.2)
Dimensionierungswassermenge der Kläranlage [L3 T 1]
Erwartete Abwassermenge, die an 80% der Tage unterschritten
wird [L3 T 1]. Ca. maximaler TrockenwetteranfalL
Extremwertfaktor, der aus dem Tagesmittelwert den maximalen
Momentanwert berechnet[-]
In Deutschland wird nicht die ganze Abwassermenge, sondern nur das anfal-
lende verschmutzte Abwasser Osw verdoppelt. Die Wassermengen basieren z.B.
auf85% Werten:
~ =2 • Osw,d.SS% • fSW,h,max + <4w (5.3)
Gln.(5.2) und (5.3) haben sich im Laufe der Zeit als sinnvoll erwiesen, eine
sehr detaillierte Begründung kann aber dafür nicht abgegeben werden.
Die ATV (Arbeitsblatt A 131, 1991) geht für die Bemessung von biologi-
schen Abwasserreinigungsanlagen von den folgenden Überlegungen aus: der
maximale Trockenwetterzufluss QTW,h,max ergibt sich aus dem Schmutz-
wasserzufluss der Wohngebiete, einschliesslich des kleingewerblichen Anteils
Q", dem gewerblichen und industriellen Schmutzwasserzufluss Q1 und dem
Fremdwasserzufluss <4w. Er berechnet sich zu:
QTW,h,max =Qsw,h,max +QFW =QH,h,max +QI,h,max +QFW

Q _ Qd,m _ qd,m ·E
H,h,max - X - X (5.4)
5.4 Abwasseranfall 87

="" 24 365
Ql,h,max ...(... a. · b . · Ql,d,m,i
i I 1

QTW,h,max = Tagesspitze des Abwasserzuflusses bei Trockenwetter in m 3 h- 1


Qsw,h,max = Tagesspitze des Schmutzwasserzuflusses bei Trockenwetter in
m3 h-1
QH,h,max = Tagesspitze des Schmutzwasserzuflusses aus Haushalt und
Kleingewerbe in m h-
3 1

Q,h,max = Tagesspitze des Schmutzwasserzuflusses aus Industrie und


Gewerbe in m3 h- 1
Q:w = Jahresmittelwert des Fremdwasserzuflusses aus Misch- und
Trenngebieten in m3 h- 1•
X = Stundenansatz, entsprechend der angeschlossenen Einwohner,
14 h in kleinen Anlagen, 18 h in Grossstädten, s.a.
Beispiel 5.1 0.
qd,m = Wasserverbrauch pro Einwohner in m3 E' 1 d- 1
E = Angeschlossene Einwohner
QI,d,m,i = Tagesmittel des gewerblichen oder industriellen Wasserver-
brauchs des Betriebes i in m3 d- 1
a; = Arbeitsstunden pro Tag, bei einer Schicht 8 h
bi = Produktionstage pro Jahr
Wenn diese Ermittlung nicht möglich ist, kann mit einem Spitzenzufluss aus
dem häuslichen und kleingewerblichen Bereich von 0.004 I s·• E·• (l pro Sekunde
und Einwohner) und mindestens 0.5 I s·• ha·•red (Reduzierte Fläche: die undurch-
lässige Fläche, Abschn. 13.5.2, Seite 212) aus dem gewerblichen und industriel-
len Bereich gerechnet werden. Für den Fremdwasserzufluss darf mit 0.15 I s·•
ha·•red gerechnet werden.

Beispiel5.15. Extremwertfaktoren des Industrieabwassers


Der Abwasseranfall eines Industriebetriebes wird nach GI. (5.4) wie folgt berechnet:
24 365
QI,h,max =--;-·b ·QI,d,m =fl,h,max · fl,d,max · Ql,d,m
Die beiden Extremwertfaktoren ergeben sich bei einschichtiger Produktion an 220 Tagen
pro Jahr zu:
f1.h,rnax = 24 I 8 = 3 und f 1.d,rnax =365 I 220 = 1.66.
f 1h max liegt deutlich höher als der Planungswert der Wasserversorgung der Stadt Zürich
(Tabelle 5.6).

Beispiel 5.16. Trinkwasserbedarf und Abwasseranfall aus Industriebetrieben.


Stimmt der Abwasseranfall aus Industriebetrieben, der nach ATV A131 (GI.(5.4)) berück-
sichtigt wird, überein mit dem in Zukunft geplanten Trinkwasserbedarf, der dem generel-
len Wasserversorgungsplan der Stadt Zürich zu Grunde liegt (Tabelle 5.6)?
Nach A 131:
q~ustne > 0.5 I s·1 ha,./. Das entspricht einem Anfall von verschmutzten Abwasser von 43
m ha,ed·1 d· 1• Ein Wert, der als Tagesspitze pro Jahr einige Male überschritten wird. Mit
88 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

der Annahme, dass die ganze Fläche des Industriegebiets überbaut ist, entspricht dieser
Wert dem erwarteten Wert von Q1,h,max,m·
Nach Tabelle 5.6:
Der spezifische Trinkwasserverbrauch, der für Industrieflächen in Zürich erwartet wird
beträgt qd,m = 120 m3 ha·1 d.1 mit fd,max = 1.6 und fh,max = 1.4. Im Allgemeinen wird ange-
nommen, dass die Bauzonen nur zu 80% überbaut werden. Daraus ergibt sich
3 ·1 ·1
qh,max,m = 120. 1.4. 0.8 =134m d ha .
Die Unterschiede zwischen den Angaben, die nach A131 in der Abwassertechnik zur
Anwendung kommen und den Grundlagen für die Dimensionierung der Verteilleitungen in
der Wasserversorgung sind beträchtlich. Hier unterscheiden sie sich um einen Faktor 3.

Beispiel5.17. Dimensionierungswassermenge einer Kläranlage in Deutschland


Wie gross ist die Dimensionierungswassermenge QARA einer Kläranlage, in der das
Mischabwasser aus den folgenden "Einheiten" gereinigt werden soll?
Einwohner: 10'000 Einwohner
Siedlungsfläche: 60 hared
Industrie: 10 h~
OH,h,max = 10'000 E · 0.0041 s·1 E"1 = 40 I s·1
·1 ·1 ·1
0 1,h,maxl = 10 h~ · 0.5 I s ha red = 5Is
QFW = (60 + 10) h~ · 0.151 s·1 ha·1red = 111 s·1
Osw,h,max -- QH,h,max + Ql,h,max = 451 s·11 (= Schmutzwasserspitze)
QTW,h,max = Oswhmax + QFW = 561 s· (= Trockenwetterspitze)
QARA = 2 ' Q~W,h,max + QFW =101 I s·1
= Wassermenge, die bei Regen maximal durch die Abwasserreini-
gungsanlage geleitet wird, Dimensionierungswassermenge
Pro Einwohner ergeben sich als Ta~esspitze bei Trockenwetter:
56/10'000 = 0.0056 1s· e·1
ln der Schweiz werden meist höhere Pauschalwerte für den Abwasseranfall angenom-
men als dies das Arbeitsblatt A 131 (1991) vorgibt, eigentliche Regeln sind aber nicht
erarbeitet worden. Nach alten Richtlinien (1967) sollen 0.007 - 0.011 I s·1 E"1 als Basis für
die Dimensionierung von Kläranlagen dienen. Während Regen werden in der Schweiz
typisch QARA = 2 . aTW,h,max durch die Kläranlagen geleitet. Insgesamt resultiert das im
Vergleich zu Deutschland in angenähert den doppelten Dimensionierungswassermengen.

Beispiel5.18. Dimensionierungswassermenge einer Kläranlage in der Schweiz


Wie gross ist die Dimensionierungswassermenge für die Gemeinde in Beispiel 5.17 mit
Annahmen, die für die Schweiz typisch sind?
aH,h,max + QFW = 0.0081 s·1 E"1 • 10000 E 80 ls"1
0 1,h,max = Keine Pauschalwerte, analog Beispiel 5.17 = 5I s·1
aTW,h,max = aH,h,max + QFW + al,h,max = 85 I s·l
QARA = 2. aTW,h,max = 170 I s"1
Die Anlage würde also in der Schweiz für 170 I s·1 ausgebaut, in Deutschland für nur 100
I s·1• Gründe für diesen Unterschied sind: ln der Schweiz ein grösserer Wasserverbrauch,
mehr Fremdwasser und mehr Regenwasserbehandlung. Heute sind die Wasserpreise in
der Schweiz noch deutlich tiefer als in Deutschland.
Solche Berechnungen werden nur gemacht wenn keine Messungen zur Verfügung ste-
hen. Das ist aber bei einer Anlage dieser Grösse kaum mehr zu verantworten.
5.5 Zukünftige Entwicklung und Planung 89

5.5 Zukünftige Entwicklung und Planung


Anlagen für die Ver- und Entsorgung des Wassers aus unseren Siedlungen haben
eine lange Lebenserwartung (20- 100 Jahre), entsprechend wichtig ist es, dass
die Grundlagen für die Abschätzung der zukünftigen Entwicklung sorgfältig
erhoben werden und auf langfristigen Plänen basieren.
Für den Ausbau von Kläranlagen verstreichen heute zwischen der grundsätz-
lichen Feststellung, dass ausgebaut werden muss, und der Inbetriebnahme der
Erweiterung je nach Grösse der Anlage ca. 8 bis 12 Jahre. Modeme Kläranlagen
werden ca. alle 15 bis 25 Jahre einmal erneuert oder ausgebaut, das heisst, dass
nur kurz nach der Einweihung und der Sammlung von neuen Erfahrungen bereits
wieder der nächste Ausbau in Angriff genommen werden muss. Trotzdem muss
der Zeithorizont für die Dimensionierungsbelastung mit ca. 25 Jahren gewählt
werden.
Es gibt keine Richtwerte, nach welchen die Planungszeiträume festgelegt
werden. Von Bedeutung sind die folgenden Kriterien:
- Lebenserwartung, Investitionskosten, Kapitalkosten, Unterhalt
- Möglichkeiten der Erweiterung ohne Betriebsunterbrüche
- Unsicherheiten bei der Abschätzung der zukünftigen Entwicklung
- Wirkung und Betrieb der Anlagen bei geringer Auslastung
- Dauer der Realisierung einer möglichen Erweiterung
- Probleme bei ungenügender Leistung, Abwasserabgaben.
Für die Sicherstellung der Wasserbeschaffung (Quellen, Grundwasser) und
den Bau von Trinkwasserleitungen und Kanalisationen ergeben sich lange Pla-
nungsperioden (z.T. bis 50 Jahre). Für Trinkwasseraufbereitungs- und Abwasser-
reingungsanlagen sind sie deutlich kürzer (z.B. 25 Jahre).
In der Wasserversorgung ist es üblich, dass die momentan mögliche Leistung
der Anlagen genügt, um den Bedarf auch in den nächsten 10- 15 Jahren zu de-
cken, nur so kanntrotzlangen Planungsphasen und bei politischen Auseinander-
setzungen die Versorgung dauernd gewährleistet werden.

5.6 Zusammenfassung: Typische Wassermengen


Tabelle 5.7 gibt einen Überblick über die Grössenordnungen von typischen Was-
sermengen für unterschiedliche Siedlungen. Es wird deutlich, dass die Wasser-
versorgung mit extremeren Ereignissen rechnet als die Abwassertechnik. Re-
genwasser (Mischabwasser) verursacht aber bei weitem den grössten momenta-
nen Wasserfluss in Siedlungen.
90 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

TabeHe 5.7. Typische Trinkwasser- und Abwassermengen in unterschiedlichen Versorgungsge-


bieten
Einwohner 1000 10'000 100'000
Wasserversorgung:
Spitzentag: 700 6000 60'000 m3 d-1
~ 3 -1
Spitzenstunde: Qb.max 0.02 0.15 1.2 m s
Durchmesser der Hauptleitung 0.25 0.40 LOO m
3
Volumen des Wasserspeichers 450 3000 20'000 m
Feuerwehr:
3 -1
Wasserbedarf der Feuerwehr 0.03 0.1 0.1 m s
3
Löschreserve 100 500 m
Siedlungsentwässerung:
mittlerer Tagesanfall bei Trockenwetter 450 4000 40'000 m3 d-1
3 -1
typischer täglicher Spitzenanfall 0.01 0.08 0.60 m s
3 -1
Max. Durchfluss durch die ARA 0.02 0.16 1.2 m s
3 -1
Max. Mischwasser im Einzugsgebiet 1.5 10 60 m s
2
Durchmesser des Hauptsammlers LOm 2.0m 20m2 m,m
6 Schmutzstoffanfall und Temperatur

Schmutzstoffe im Abwasser bestimmen die Grösse der erforderlichen Bauwerke


(Reaktoren) zur Reinigung des Abwassers und den Anfall von Klärschlamm. Sie
verursachen einen grossen Teil der Investitionskosten beim Bau einer Abwasser-
reinigungsanlage. Als Grundlage für die Dimensionierung von neuen Anlagetei-
len müssen zuverlässige statistisch charakterisierte Absolutwerte der Sehrnutz-
stofffrachten verfügbar sein, die sowohl den Jahresgang als auch den Wochen-
und Tagesgang beschreiben. Für die Überwachung des Betriebes genügen häufig
Relativwerte, die erlauben, den Erfolg des Betriebs zu verfolgen.

6.1 Herkunft der Schmutzstoffe


Spezifische Schmutzstofffrachten verändern sich im Laufe der Zeit. Unsere Er-
nährung, die Haushaltchemikalien, die Produktionsverfahren in Industrie und
Gewerbe bestimmen die Zusammensetzung des abgeleiteten Abwassers. Die
Frachten sind im Vergleich zur Lebenserwartung der Abwasserreinigungsanla-
gen raschen Veränderungen unterworfen.
Im häuslichen Abwasser dominieren die Reststoffe unserer Ernährung (Fäkalien,
Urin, KüchenabfaJ.le) und bestimmen zusammen mit den Wasch- und Reini-
gungsmitteln dessen Zusammensetzung. Sowohl unsere Ernährung als auch die
Chemie der Wasch- und Reinigungsmittel sind laufend Veränderungen unterwor-
fen. Heute ernähren wir uns zunehmend von Fertigprodukten und in Restaurant-
und Kantinebetrieben, zudem nimmt die Nahrungsaufnahme ab und unsere Diät
verschiebt sich in seiner Zusammensetzung. Das hat Auswirkungen auf das Ab-
wasser.
Industrie- und Gewerbebetriebe produzieren mit neuen Verfahren und stellen
neue Produkte her. Die Zusammensetzung des Abwassers verändert sich entspre-
chend.
Es ist heute nicht möglich, Prognosen für die Zusammensetzung des Abwas-
sers in der fernen Zukunft zu machen, umso wichtiger ist es, den heutigen Zu-
stand und dessen Veränderungen in der Vergangenheit zuverlässig zu charakteri-
sieren. Basierend auf den beobachteten Entwicklungen, den wichtigen erwarteten
Veränderungen unserer Aktivitäten und einer detaillierten Analyse des Abwas-
seranfalles aus Industrie und Gewerbe können wir eine Prognose über die Verän-
derung der Zusammensetzung des Abwassers in der näheren Zukunft machen.
Wichtig ist, dass insbesondere die im Einzugsbgebiet angesiedelten Industriebe-
triebe mit in die Überlegungen eingebunden werden.
92 6 Schmutzstoffanfall und Temperatur

6.2 Anforderungen an die Belastungsangaben


Für den Ausbau von Abwasserreinigungsanlagen sind umfangreiche Angaben zu
deren Belastung mit Schmutzstoffen erforderlich. Diese beziehen sich primär auf
die mittleren Tagesfrachten und werden ergänzt durch statistische Grössen (Mit-
telwert, Streuung, 80%, 50% und 20% Werte) sowie Saisonale-, Wochen- und
Tagesganglinien.
Die umfangreichste Datensammlung stammt aus der Eigenüberwachung des
Betriebspersonals von bestehenden Anlagen. Das Ziel dieser Eigenüberwachung
ist abhängig von den lokalen gesetzlichen Vorschriften. In der Schweiz dient sie
primär dem Belreiber zur Überwachung seines Reinigungserfolges. Dazu genü-
gen häufig relative Zahlen, die z.B. ausdrücken, dass eine gewählte neue Be-
triebsstrategie die Leistung verbessert hat. Absolute Werte sind von eher unter-
geordneter Bedeutung.
Für den Ausbau von Anlagen müssen absolute Werte, möglichst frei von sy-
stematischen Fehlern, verfügbar sein. Werden z.B. durch systematische Fehler in
der Durchflussmessung sowohl die Abwassermengen als auch die Schmutzstoff-
frachten zu klein bestimmt, so resultiert ein zu kleiner Ausbau der Anlage.
Hinter jeder Messung steht eine Fragestellung, und die Art der Probenahme,
die Probenkonservierung, die Messmethode und die Häufigkeit der Messung
werden auf diese Fragestellung abgestimmt. Die dabei erhaltenen Resultate kön-
nen nur mit Vorbehalt auf neue Fragestellungen übertragen werden. Häufig ist es
erforderlich, gezielte Messkampagnen durchzuführen, um die Informationen zu
beschaffen, die für den Ausbau einer Anlage erforderlich sind. Es überrascht
immer wieder, dass solche Messkampagnen teuer sind und oft lange dauern.
Saisonale Unterschiede können einfach nicht in einer kurzen Periode von 2 - 4
Wochen festgestellt werden.
Zu jeder Messkampagne gehört eine sorgfaltige Eichung aller Messungen.
Viele Messkampagnen sind wertlos oder sogar schädlich, weil diesem Punkt
keine Bedeutung beigemessen wurde. Leider haben viele Ingenieure und lnge-
nieurinnen, die für solche Messkampagnen verantwortlich sind, keine Erfahrun-
gen mit Laborexperimenten. Sie verstehen deshalb kaum, dass eine Messung nur
ein Abbild der Realität und nicht die Realität selbst ist.

6.3 Einwohnergleichwerte (EG)


Der Einwohnergleichwert (EG) gibt an, wieviel Schmutzstoffe und Abwasser ein
"typischer Einwohner" zur Kläranlage ableitet; dabei schliesst ein EG bereits die
Schmutzstoffe des lokalen Kleingewerbes mit ein (Infrastruktur wie Restaurants,
Läden, Verwaltung von lokaler Bedeutung). Einwohnergleichwerte werden ver-
wendet:
- Um abzuschätzen, wieviel Schmutzstoffe auf eine Kläranlage gelangen, wenn
Messungen fehlen oder noch nicht gemacht werden können, weil z.B. die
Kanalisation erst ausgebaut wird. Mit EG werden auch Schmutzstoffe als
Folge einer zukünftig erwarteten Zunahme der Einwohner quantifiziert.
- Um den Schmutzstoffanfall aus Industrie und Gewerbe mit demjenigen aus
den Haushaltungen zu vergleichen. Für viele Industrie- und Gewerbe-
6.3 Einwohnergleichwerte (EG) 93

Branchen können z.B. als Funktion einer Produktionseinheit die entsprechen-


den EG aus der Literatur entnommen werden.
Um Planungsgrundlagen auf ihre Plausibilität zu überprüfen. Grosse Abwei-
chungen zwischen den angenommenen, gemessenen Frachten und den aus
EG berechneten Frachten deuten auf Messfehler hin.
Heute muss Abwasser im Hinblick auf die gestiegenen Anforderungen an die
Reinigung sehr viel differenzierter charakterisiert werden als zu der Zeit als EG
eingeführt wurden. Es ist für die Arbeit der Iogenieurin wenig sinnvoll, heute
noch EG zu verwenden. Politiker können sich allerdings mehr vorstellen unter
einer Anlage, die das Abwasser von 10'000 Einwohnern und Gleichwerten (E
plus EG) reinigt, als unter der Aussage, dass die Anlage bei maximaler Bela-
stung 1000 kg CSB d"1 abbauen kann (Studierende am Anfang wohl auch).
In Tabelle 6.1 sind Einwohnergleichwerte zusammengestellt wie sie heute
bei fehlenden Messungen für die Dimensionierung der biologischen Abwasser-
reinigungsanlagen in Deutschland verwendet werden. Diese Werte sind auch für
die Schweiz typisch. Allerdings hat das Phosphatverbot, das in der Schweiz für
Textilwaschmittel seit 1986 gilt, hier zu einem geringeren Phosphatanfall pro
Einwohner geführt als in Deutschland. Da dieses Verbot aber bei einem mögli-
chen Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union ev. aufgegeben werden muss,
ist es sinnvoll, der Dimensionierung von zukünftigen Anlagen den Wert aus
Deutschland zu Grunde zu legen. In der Schweiz rechnen wir heute mit weniger
als 2 gP/Ed.

TabeHe 6.1. Typische Einwohnergleichwerte im kommunalen Abwasser ohne Berücksichtigung


von verfahrensinternen Rückläufen, z.B. aus der Schlammbehandlung (A 131, 1991). Alle Anga-
ben sind in Gramm pro Einwohner und Tag (g E- 1 d"\ Es handelt sich um Dimensionierungs-
werte, die an ca. 85% der Tage unterschritten werden
Vorgeklärtes Abwasser
Parameter Rohabwasser 2)
eH= VVKB I QIW in der Vorklärung
0.5- 1.0 h 1.0- 1.5 h > 1.5 h
BSB 5 60 50 45 40
CSB 120 100 90 80
TSS 70 40 35 30
TKN1) 11 10 10 10

•LrKN = Totaler Kjeldahl-Stickstoff, P101 = totaler Phosphor


2>Mittlere hydraulische Aufenthaltszeit in der Vorklärung (bei Trockenwetter)

Beispiel 6.1. Schmutzstoffkonzentrationen und Einwohnergleichwerte


Einem Projekt für eine Kläranlage wird ein Abwasseranfall bei Trockenwetter von maxi-
mal 0.35 m3 EG-1 d-1 zu Grunde gelegt. Dieser Abwasseranfall wird an 85% der Tage
unterschritten. Das Vorklärbecken wird mit einer mittleren hydraulischen Aufenthaltszeit
von eH = 1 h projektiert. Wie gross sind im rohen und im vorgeklärten Abwasser die Kon-
zentrationen der Stoffe, für die in Tabelle 6.1 Einwohnergleichwerte angegeben sind?
94 6 Schmutzstoffanfall und Temperatur

Rohabwasser Vorgeklärtes Abwasser


EG Konzentration EG Konzentration
gE. 1d. 1 ·3 gE. 1d. 1 ·3
gm gm
BSB5 60 171 45 129
CSB 120 343 90 257
TSS 70 200 35 100
TKN 11 31 10 29
p 2.5 7.1 2.3 6.6
Das sind typische Konzentrationen für viele schweizerische kommunale Abwässer (Aus-
nahme: P101 < 5 g P m·\ ln Deutschland ist der Abwasseranfall deutlich geringer, ent-
sprechend sind die Konzentrationen höher. Heute wird versucht, Fremdwasser aus dem
Abwasser abzutrennen. Dadurch ergibt sich auch in der Schweiz ein geringerer Anfall
von Abwasser und eine Zunahme der Konzentrationen.

Beispiel 6.2. Einwohnergleichwerte eines Industriebetriebes


ln einer Gemeinde wohnen 5000 Personen. Als wichtiger Industriebetrieb besteht im
Einzugsgebiet der geplanten Kläranlage einzig ein grosser Schlachthof mit überregionaler
Bedeutung. Für eine Vorabschätzung der Belastung der zukünftigen Kläranlage sollen
Einwohnergleichwerte benutzt werden.
Im Schlachthof werden pro Tag 40 Rinder und 200 Schweine verarbeitet, der Schlachthof
ist modern konzipiert, unter Berücksichtigung der Umweltbelastung. Nach lmhoff (1990)
und anderen Fachbüchern ist mit den folgenden EG zu rechnen (Basis 1 EG = 60 g
BSB5 E. 1 d.1 ):
Schlachthof: 1 Rind = 2.5 Schweine = 20-200 EG.
1 t Lebendgewicht =130-400 EG
Zufällig haben die Angaben in Tabelle 6.1 und die Angaben nach lmhoff (1990) die glei-
che Basis (1 EG = 60 g 8585 E.1 d.\ sonst müssten wir noch umrechnen.
Anfallende Fracht:
5000 Einwohner . 60 g BSB5 E.1 d.1 = 300 kg BSB5 d.1
40 Rinder d.1 • (20 + 200 EG) · 60 g BSB 5 EG.1d. 1 = 48 + 480 kg BSB5 d.1
200 Schweine d. 1 • (8 + 80 EG) ·· 60 g BSB5 EG. 1d. 1 = 96 + 960 kg BSBS d.1
Total: 444 + 1740 kg BSB5 d.1
Unter Berücksichtigun~ der modernen Ausrüstung des Schlachthofes könnte z.B. vorläu-
fig mit 500 kg BSB5 d gerechnet werden. Man würde von einer Belastung von 8300 E
und EG sprechen (500'000 g BSB 5 d /60 g BSB5 E d =8300 EG).
·1 ·I ·1

Dieses Beispiel zeigt deutlich die Unsicherheiten, wenn Kläranlagen für Industriebetriebe
basierend auf Erfahrungswerten aus Fachbüchern dimensioniert werden. Wenn die Be-
triebe bereits existieren, so muss unbedingt eine Messkampagne durchgeführt werden,
um die entsprechenden Frachten genauer zu erheben. Das gilt insbesondere, wenn ein
Betrieb eine grosse Bedeutung für eine Abwasserreinigungsanlage hat.
Der Politiker versteht, dass für den Schlachthof ein Anteil von 3300 EG, also etwas weni-
ger als für die Gemeinde, bereit gestellt werden muss. Für viele Vorentscheidungen ge-
nügt diese Information.
Die lngenieurin lernt aus diesen Zahlen, dass sie für ihre Arbeit zu ungenau sind und sie
daher genauer untersucht werden müssen. Schlachthofabwasser hat z.B. in Bezug auf
Stickstoff, Phosphor und Schwebestoffe eine andere Zusammensetzung als häusliches
Abwasser und ist häufig viel konzentrierter (d.h. es fällt weniger Abwasser an). Das sind
Informationen, die beim Gestalten der Anlage von Bedeutung sind, aber nicht aus den
6.4 Jahresgang der Belastung 95

Tagesfracht kg BSB 5 d·1


10000

8000 •

. ... . . ·- .. .........
6000
·~ ..
4000 -:.. • ':. •

. rl'..·-




• •

• • • ··rl' •••• ••
2000 • • • •
• •
Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
Datum
Abb. 6.1. Jahresgang der BSB5 Fracht in einer grösseren Abwasserreinigungsanlage im Schwei-
zer Mittelland. Ca. 90 Einzelwerte, Dietikon 1993, Eigenüberwachung

tabellierten EG resultieren. Sicher kann der Stickstoff und der Phosphorgehalt des ver-
mischten Abwassers nicht genügend genau geschätzt werden.
Das Konzept der EG stammt aus einer Zeit, in der der BSB5 das Mass aller Versehrnut-
zungen im Abwasser war und der Erfolg der Abwasserreinigung an der Verminderung
des BSB5 gemessen wurde.

In schweizerischen Richtlinien, die heute veraltet sind, wurde nur für BSBi
ein Einwohnergleichwert definiert. Es werden für rohes Abwasser 75 g BSB 5 E.
d-1 und für vorgeklärtes Abwasser 50 g BSB 5 E"1 d"1 verwendet. Insbesondere der
Wert für rohes Abwasser ist zu gross und beinhaltet Dimensionierungsreserven.
Das war früher gerechtfertigt als in den Anfängen der Abwasserreinigungs-
technik die zukünftige Entwicklung noch nicht absehbar war. Zudem hatten da-
mals die Kläranlagen noch sehr kurze hydraulische Aufenthaltszeiten, sodass sie
sofort auf hohe Belastungen reagierten. Heute werden meist grosse biologische
Anlagen gebaut, die nicht mit so grossen Reserven dimensioniert werden müs-
sen, da die Belastungen über ein Schlammalter (s. Beispiel 20.8) gemittelt wer-
den können.

6.4 Jahresgang der Belastung


Insbesondere die Fracht der organischen Stoffe ist im Abwasser häufig einem
Jahresgang unterworfen. Abbauprozesse in der Kanalisation und saisonal unter-
schiedliche Aktivitäten sind die Ursachen.
In Abb. 6.1 ist der Jahresgang der BSB5-Fracht im Ablauf der Vorklärung einer
Abwasserreinigungsanlage für ca. 100'000 EG dargestellt. Die etwa 90 Einzel-
werte stammen aus der Eigenüberwachung der Kläranlage. Überraschend ist die
grosse Streuung der Einzelwerte. Die höchsten Einzelwerte fallen mit einer Aus-
nahme mit einer erhöhten Abwassermenge (Regen) zusammen. Der höchste
Wert kann ein Analysefehler sein, ev. wurde er auch durch Fehlmanipulationen
im Anlagenbetrieb verursacht. Ein geringer Jahresgang der Frachten ist sichtbar:
Im Sommer werden bei erhöhten Temperaturen häufig mehr Stoffe bereits in der
96 6 Schmutzstoffanfall und Temperatur

% derWerte
100 r--------=====---,
80
Mittelwert: 3750 kg BSB5 d·1
60
80% Wert: 4690 kg BSB5 d·1
40 50% Wert: 3440 kg BSB5 d·1
20% Wert: 2600 kg BSB5 d·1
20
0.___.....__ _.......__ ___._ __.__ __,
0 2000 4000 6000 8000 10000
Tagesfracht kg BSB5 <t1

Abb. 6.2. Summenhäufigkeit der BSB~-Fracht im Ablauf der Vorklärung einer grösseren Ab-
wasserreinigungsanlage (Ca. 100'000 EG). Gleiche Daten wie in Abb. 6.1. Beachtenswert ist
der Unterschied zwischen dem Mittelwert und dem 50% Wert, der auf die Schiefe der Vertei-
lung hindeutet

Kanalisation abgebaut als im Winter. Im Herbst, während der Ernte nimmt die
Fracht zu.
In Abb. 6.2 ist die Summenhäufigkeit der BSB,-Frachten aus Abb. 6.1 darge-
stellt. Deutlich zu sehen ist die Schiefe der Verteilung. Diese Art der Darstellung
erlaubt es, die Grundlagen für die Dimensionierung, z.B. einer Erweiterung, zu
erarbeiten.

6.5 Tagesgang der Belastung


Der Wasserbedarf und der Abwasseranfall sind typischen Ganglinien unterwor-
fen, die sich täglich, wöchentlich und saisonal wiederholen. In der Wasserver-
sorgung muss die Verteilung des Wassers täglich dem variablen Bedarf folgen
können; die Produktion des Wassers hingegen kann durch die Speicher ausgegli-
chen werden. In der Abwasserableitung und Abwasserreinigung muss die ver-
fügbare Kapazität dem Anfall dauernd gerecht werden. Die Speicherung von
Abwasser führt zu Geruch und hygienischen Problemen. Insbesondere die Ab-
wasserreinigung muss mit grossentäglichen Belastungsunterschieden fertig wer-
den.
In Abb. 20.12, Seite 334, sind experimentelle Resultate dargestellt, die den
Gang der Ammonium-Konzentration (NH4+) im Zu- und im Ablauf einer biologi-
schen Reinigungsanlage (Nitrifizierende Belebtschlammanlage) aufzeigen. Die
Überlastung der Anlage nach der erhöhten Belastung in den Morgenstunden
kommt deutlich zum Ausdruck. In Falle des Ammoniums ist diese Überlastung
besonders unerwünscht, weil in den Nachmittagsstunden die Auswirkungen des
Ammoniums im Gewässer am ungünstigsten sind (Als Folge der Photosynthese
ist der pH-Wert in Fliessgewässern in den Nachmittagsstunden am höchsten,
sodass Ammonium vermehrt zum fischgiftigen Ammoniak dissoziiert). Offen-
sichtlich müssen wir uns bei der Dimensionierung von Abwasserreinigungsanla-
gen mit den täglichen Belastungsvariationen beschäftigen.
In Abb. 6.3 sind die Tagesganglinien für die Fracht von Ammonium in einer
kleinen Gemeinde (2000 E) und für das Einzugsgebiet der Kläranlage einer
6.5 Tagesgang der Belastung 97

Verhältnis der momentanen Verhältnis der momentanen


zur mittleren NH/ Fracht zur mittleren NH/ Fracht
3 3
2000Einw. 350'000 Einwohner
13.6 kg N d·1 2900 kg N d-1
2 2

0 0
0 6 12 18 24 0 6 12 18 24
Uhrzeit Uhrzeit
Abb. 6.3. Tagesganglinie der Ammoniumfracht im Abwasser in einer kleinen Gemeinde mit
2000 Einwohnern (links) und in der Stadt Zürich mit 350'000 Einwohnern (rechts). Die Gangli-
nie bezieht sich auf die gemessene Tagesfracht

Grossstadt aufgetragen. Ammonium hat seine Hauptquelle im Harnstoff, den wir


im Urin ausscheiden. Deutlich sichtbar ist das bekannte Verhalten der Bevölke-
rung am Morgen, nach dem Mittagessen etc. in der kleinen Gemeinde, mit einer
kurzen Fliesszeit des Abwassers in der Kanalisation. Im grossen Einzugsgebiet
werden die Extreme gedämpft, weil einerseits die Bevölkerung weniger homo-
gen ist und andererseits die Transportzeit im Kanal zu einem Ausgleich führt: In
Los Angeles (USA) beträgt die Fliesszeit in der Kanalisation z.T. über 24 h, hier
ist kaum mehr mit einem Tagesgang zu rechnen.

Beispiel 6.3. Tagesgang der Ammoniumfracht


Mit der Annahme, dass die Ammoniumganglinie der kleinen Gemeinde in Abb. 6.3 (links)
dem Tagesgang des Ammoniumanfalls im Zulauf zur Kanalisation entspricht, können wir
die Ganglinie im Zulauf zu einer Kläranlage einer grösseren Stadt berechnen. Dazu brau-
chen wir Informationen zur Verteilung der Aufenthaltszeit des Abwassers in der Kanali-
sation.
Welche Belastungsganglinie der Kläranlage ergibt sich, wenn das Abwasser die folgende
Verteilung der Fliesszeit hat:
Fliesszeit t 1 =0- 1 h Anteil f1 = 20 %
t2 = 1 - 2 h f2 = 30 %
t3 =2- 3 h f3 =30%
t4 =3 - 4 h f4 =20 %
Z.B. ergibt sich zwischen 9 und 10 Uhr der folgende Wert:
Yzu =Ganglinie des Zulaufes zur Kanalisation
YARA = Ganglinie des Zulaufes zur Kläranlage
YARA.9-10Uhr =f(Yzu,9·10 + f2.Yzu.B-9 + f3.Yzu.7-a + f4.Yzu,6-7Uhr (Ein Faltungsintegral)
98 6 Schmutzstoffanfall und Temperatur

Verhältnis der extremen zur


mittleren NH/ Fracht
10

....... 1\,max =3.37 · F;<'·08


Fd

1\,min =0.17·~· 11
Fd

0.1
10 100 1000 10000

Mittlere (24 h) Ammonium Fracht in kg N <t1


Abb. 6.4. Verhältnis der extremen (2 h) zur mittleren Ammoniumfracht in Funktion der mittle-
ren Fracht. Grundlagen sind Tagesganglinien von 7 verschiedenen, zusammenhängenden Ein-
zugsgebieten in der Schweiz und in den USA

Mit den oben angegebenen f; Werten, der Zulaufganglinie 'Yzu nach Abb. 6.3 (links) ergibt
sich der maximale Wert von 'YARA um 10 Uhr zu 2.1. Dieser Wert liegt nahe beim maxi-
malen Wert der Ganglinie im Zulauf zur Kläranlage der Stadt Zürich.
Es wird deutlich, dass die Belastungsspitze mit zunehmender Riesszeit über eine immer
längere Zeitdauer verteilt wird. Extremwerte werden dadurch gedämpft.

In Abb. 6.4 sind die Extremwerte der Ammoniumfracht im Tagesgang im


Verhältnis zum Tagesmittelwert dargestellt. Da von jedem Einwohner ca. 7- 10
g NH4+-N pro Tag anfallen, ist die horizontale Achse auch ein Mass für die Grö-
sse des Einzugsgebiets (von ca. 1000- 1'000'000 Einwohnern): Die Dämpfung
der Extremwerte mit zunehmender Grösse des Einzugsgebiets wird deutlich. Je
kleiner das Einzugsgebiet, desto grösser wird die Belastungsvariation der Klär-
anlage. Das ist besonders ungünstig, weil kleine Kläranlagen auf einen wenig
aufwendigen Betrieb angewiesen sind und Belastungsvariationen einen zusätzli-
chen Betriebsaufwand erfordern.
Neben den Ganglinien, die sich täglich wiederholen, müssen die meisten
Kläranlagen auch mit zeitlich nicht voraussehbaren Ereignissen fertig werden.
Abb. 6.5 zeigt den Tagesgang der Fracht von organischen Stoffen im Ablauf der
Vorklärung der Kläranlage Werdhölzli an einem Tag mit einem Abendgewitter.
Durch das Gewitter werden Strassen gespült, Sedimente in der Kanalisation auf-
gewirbelt, Einlaufschächte ausgespült etc. Die Fracht der organischen Stoffe, die
auf der Kläranlage ankommt, übersteigt die Belastung während den normalen
Spitzenstunden. Im Beispiel von Abb. 6.5 ist die Belastung der Anlage in den
Nachtstunden am grössten. Das ist eine Situation, die als Einzelereignis im Be-
trieb nicht geplant werden kann und die in den meisten Kläranlagen zu einer Zeit
eintrifft, in der die Anlage ohne Betriebspersonal auskommen muss.
6.6 Wochengang der Belastung 99

TOC Fracht, relativ zur mil1leren Tagesfracht


2.5
normale zusätzliche
2 Trockenwetterfracht Regenwetterfracht

1.5

0.5

0
10 12 14 16 18 20 22 24 2 4 6 8 10 12 14
Uhrzeit
Abb. 6.5. Tagesganglinie der organischen Stoffe (TOC, Total Organic Carbon) im Zulauf zur
Kläranlage Werdhölzli der Stadt Zürich. Ein typischer Tagesgang mit einer überlagerten Gang-
linie als Folge eines Abendgewitters

6.6 Wochengang der Belastung


Zusätzlich zum Tagesgang variiert die Belastung einer Kläranlage auch im Wo-
chengang. Tabelle 6.2 zeigt den Wochengang während einer Messkampagne in
der Kläranlage Werdhölzli der Stadt Zürich: Bei den organischen Stoffen (CSB,
TOC) unterscheiden sich die Tagesfrachten um bis zu einen Faktor 3, während
Ammonium entsprechend seiner Quelle (Urin) nur sehr wenig variiert. In ländli-
chen Gebieten (und früher auch in den Städten) gibt es z.T. typische Waschtage
(z.B. Montag), an denen die Abwasserfrachten deutlich höher sind als an anderen
Werktagen. Gelegentlich kommt es gegen Wochenende als Folge von intensiven
Reinigungsarbeiten in Industrie- und Gewerbebetrieben zu erhöhten Belastun-
gen.

TabeHe 6.2. Wochenganglinie im Ablauf der Vorklärung der Kläranlage Werdhölzli, Zürich.
Langanhaltendes Trockenwetter im Winter (Januar/Februar), Einzelwerte
Wochentag Zufluss Frachten in t d . :
m3 d·• CSB TOC DOC TKN NH4 -N Ptot
Montag 127'672 35.7 9.45 4.21 3.80 2.26 0.59
Dienstag 123'197 34.5 9.49 3.82 3.22 2.23 0.54
Mittwoch 120' 372 32.5 10.35 4.21 3.48 2.13 0.54
Donnerstag 121'769 30.4 8.89 3.90 3.32 2.62 0.55
Freitag 126'916 31.7 9.07 4.28 3.29 2.31 0.60
Samstag 102'164 19.4 6.03 2.86 2.49 1.78 0.39
Sonntag 90' 769 12.7 3.63 1.63 2.16 1.57 0.30
Mittel 116'123 28.1 8.13 3.55 3.11 2.13 0.50
100 6 Schmutzstoffanfall und Temperatur

Beispiel 6.4. Einwohnergleichwerte in der Stadt Zürich


Wie gross ist der Abwasseranfall pro Einwohnergleichwert, wieviele Einwohner-
gleichwefte sind an die Kläranlage Werdhölz/i angeschlossen?
Die Frachten sind in Tabelle 6.2 gegeben.
Die EG in Tabelle 6.1 sind Belastungen, die an 85% der Tage nicht überschritten werden,
das entspricht ungefähr einer Überschreitung pro Woche. Wir können also angenähert
von der zweithöchsten Tagesfracht in einer Woche ausgehen (effektiv müssten solche
Überlegungen auf längeren Messperioden beruhen). Die Kläranlage Werdhölzli hat sehr
grosse Vorklärbecken, entsprechend gilt eH > 1.5 h.
Fracht (85% Wert) EG Einwohner
34.5 · 106 g CSB d- 1 80 g CSB E- 1 d- 1 430'000
3.48 · 106 g TKN d-1 10 gN E' 1 d-1 350'000
6 ·1
0.59 · 10 g Ptot d 2.3 g P E-1 d- 1 260'000
Der Stickstoff im kommunalen Abwasser stammt zu einem dominanten Teil von den
Menschen selber, er wird insbesondere im Urin als Harnstoff ausgeschieden. ln einer
Stadt wie Zürich wandern aber viele Arbeitnehmer zu, sodass aus dieser Berechnung
nicht auf die Anzahl der angeschlossenen Einwohner geschlossen werden kann.
Die höhere Anzahl der Einwohner, die basierend auf den organischen Stoffen (CSB)
berechnet werden, sind durch die industriellen und gewerblichen Aktivitäten verursacht.
Phosphor fällt in der Schweiz mit deutlich geringerer Fracht an als in Deutschland, die 2.3
g P E- 1 d.1 aus Tabelle 6.1 sind deutlich zu hoch.
Da die organische Belastung das Volumen der Bauwerke auf Kläranlagen dominiert,
würde man hier von 430'000 EG sprechen. Damit beträgt der Abwasseranfall ca. 127'000
m3 d-1 I 430'000 EG = 0.3 m3 EG.1 d-1 • Das ist ein eher geringer Wert, der nur nach langen
Trockenwetterperioden in dieser Kläranlage beobachtet wird.
VORSICHT: Solche Berechnungen sind nur sinnvoll, wenn die gemessenen Sehrnutz-
stofffrachten nicht durch Rückläufe innerhalb der Kläranlagen verfälscht werden! Die
vorliegende Messperiode ist für solche Analysen zu kurz.

6.7 Abwassertemperatur
Die Temperatur des Abwassers hat insbesondere für die biologischen Prozesse
eine entscheidende Bedeutung. Für die Dimensionierung einer modernen Abwas-
serreinigungsanlage müssen die Temperaturen festgelegt werden, bei denen die
vorgeschriebenen Leistungen erbracht werden müssen.

6.7.1 Jahresgang der Temperatur


Die Temperatur ist ein wichtiger Parameter für biologische Prozesse: Pro 10 °C
Zunahme können sich diese um den Faktor 2 - 3 beschleunigen. In Abb. 6.6 ist
ein typischer Jahresgang der Abwassertemperatur in einer Kläranlage dargestellt.
Diese Variationen müssen in die Dimensionierung der Anlage einfliessen. Der
Jahresgang der Wassertemperaturen ist im Vergleich zur Jahreszeit und der
Lufttemperatur verzögert, da sowohl die Temperatur des Trinkwassers als auch
des Fremdwassers (Grundwasser) einer Hysterese unterworfen ist: Sowohl die
saisonale Abkühlung als auch die Aufwärmung ist gegenüber der Lufttemperatur
verzögert.
6.7 Abwassertemperatur 101

Rohwassertemperatur in •c
25.0

20.0

15.0

10.0

5.0

0.0
Winter Frühling Sommer Herbst
Abb. 6.6. Jahresganglinie der Temperatur im Rohabwasser einer grösseren Kläranlage im
Schweizerischen Mittelland (Tagesmittelwerte)

Abwassertemperatur in •c

!~ 1 1® I
0 24 48 72
Stunden
96

Abb. 6.7. Drei Tagesganglinien der Temperatur im Belebungsbecken einer Grossstadt (22.4 -
25.4.75)

6.7.2 Tagesgang der Temperatur


Der Tagesgang der Temperatur wird durch den unterschiedlichen Anteil von
Warmwasser am Abwasser verursacht. Während das kühle Fremdwasser in der
Nacht dominiert, fällt bei Tag vermehrt warmes Abwasser an.
Die Temperatur des Abwassers variiert im Tagesgang (Abb. 6. 7) als Folge des
unterschiedlichen Anteils von Warmwasser im Abwasser (Beispiel 6.5). Da bio-
logische Prozesse sehr stark durch die Umgebungstemperatur beeinflusst werden,
ist die Kenntniss der Extremwerte der Temperatur von Bedeutung. Die grosse
hydraulische Aufenthaltszeit in den biologischen Reaktoren von vielen Kläranla-
gen führt zu einem Temperaturausgleich. Häufig können wir bei grossen Bele-
bungsbecken mit Tagesmittelwerten rechnen. Die Temperaturschwankungen in
Abb. 6.7 wurden in einem Belebungsbecken mit nur 3 h hydraulischer Aufent-
haltszeit gemessen, entsprechend gross sind die Variationen.
102 6 Schmutzstoffanfall und Temperatur

Belspiel 6.5. Tagesgang der Abwassertemperatur.


ln einer Gemeinde fallen (j!FW =40% Fremdwasser mit der konstanten Temperatur von
T FW = 10 •c an. Das Trinkwasser hat die gleiche Temperatur von TTW = 10 •c. Das Ab-
wasser aus den Haushaltungen enthält IPww = 30% Warmwasser, das im Mittel mit
T ww =35 •c in die Kanalisation gelangt.
Welche Tagesganglinie der Temperatur ergibt sich, wenn keine anderen Abwasser-
lieferanten berücksichtigt werden müssen?
Eine Mischrechnung ergibt die folgende Mischtemperatur Th (Index h für Momentanwert,
fh = Faktor für den Tagesgang des Trinkwasserverbrauches, Beispiel 5.5, Tabelle 5.4):
Th =((j!FW. T FW + (1 - (j!FW) . fh. ((1-(jlww) . TTW + lPww. Tww))l((j!FW + fh. (1 - (j!FW))
Tagesgang: fh nach Tabelle 5.4 Dorf Kleinstadt Stadt
fh,min 0.10 0.24 0.46
fh,millel 1.00 1.00 1.00
fhmax 2.09 1.73 1.44
Minimaltemperatur 11.0 ·c 12.0 ·c 13.1 ·c
Tagesmittelwert 14.5 ·c 14.5 ·c 14.5 ·c
Maximaltemperatur 15.7 ·c 15.4 ·c 15.1 ·c
Effektiv würden die Extremwerte noch etwas ausgeglichen, weil in der Kanalisation dem
Abwasser sowohl Wärme entzogen als auch zugeführt werden kann.
Deutlich sichtbar ist der Effekt der Grösse der Gemeinde auf die Temperaturvariation im
Tagesgang.

Beispiel6.6. Einfluss der Temperatur auf die Mikroorganismen


Wie stark variiert die Aktivität (die maximale Leistungsfähigkeit) von Bakterien als Folge
der Temperaturvariationen in einer Belebungsanlage im Tagesgang?
Nach Abb. 20.10 kann die maximale Wachstumsgeschwindigkeit von nitrifizierenden
Bakterien mit der folgenden Gleichung berechnet werden:
llmax =0.29 d.1 · exp(0.11·(T-10 ·cn
Die minimale und die maximale Temperatur in einem typischen Belebungsbecken ist z.B.
nach Abb. 6.7: Tmln = 11.9 •c, Tmax =14.4 •c. Daraus ergibt sich die Wachstums-
geschwindigkeit zu llm~n =0.36 d.1 und llmax =0.47 d. 1 •
Bei der hohen Temperatur von 14.4 •c leisten die Bakterien 0.47/0.36 = 1.31 mal mehr
als bei der tiefen Temperatur von 11.9 •c. Das ist günstig, weil erhöhte Belastungen mit
erhöhten Temperaturen zusammenfallen. Im Jahresgang sind die Unterschiede noch
grösser, Winterbedingungen sind kritisch.
7 Wasserversorgung

Die Versorgung mit dem Lebensmittel Trinkwasser spielt in unserer Entwicklung


eine zentrale Rolle: Möglichkeiten zu Hygiene, Komfort und Arbeitserleichte-
rung sind Grundlagen der urbanen Gesellschaft. Obwohl die Wasserversorgung
eine lange und eifolgreiche Tradition hat, müssen wir ihr Sorge tragen und ihre
weitere Entwicklung entsprechend pflegen.

7.1 Ziele der Wasserversorgung


Ziel der Wasserversorgung ist, den angeschlossenen Verbrauchern wirtschaftlich
genügend Wasser mit einwandfreier hygienischer, chemischer und physikali-
scher Qualität und mit einem genügenden Druck langfristig gesichert zur Verfü-
gung zu stellen. Zusätzlich soll die Wasserversorgung eine genügende Reserve
von Wasser zu Löschzwecken bereitstellen und bei Bedarf anliefern können.
Genügend Wasser heisst nicht beliebig viel Wasser, sondern es ist durch ge-
eignete, nicht nur bauliche und technische Massnahmen, sondern auch Tarifge-
staltung und Information dafür zu sorgen, dass sich die Entwicklung des Bedarfs
von Wasser mit dem Angebot von Wasser befriedigen lässt. Zudem soll die
Wasserversorgung sorgfältig mit den eingesetzten Ressourcen umgehen: Grund-
wasser, Quellen, Baumaterialien, Energie, Betriebsmittel, Finanzen etc.
Ein Problem der Wasserversorgung ist, dass sie den gesamten Wasserver-
brauch nicht über eine geringere Einspeisung von Wasser ins Netz beschränken
kann: Bei übermässigem Verbrauch fällt der Druck im Netz ab. Das kann dazu
führen, dass in den Verteilleitungen Unterdruck entsteht, mit der Gefahr, dass
hygienisch nicht einwandfreies Wasser von aussenins Netz zurückgesogen wird.
Im täglichen Betrieb muss daher die Wasserversorgung immer versuchen, den
Bedarf abzudecken - längerfristig kann sie aber den Verbrauch durch Informati-
on, Beratung und Tarife beeinflussen. Notfalls sind auch kurzfristige Verbote
von einzelnen Wassernutzungen (Garten, Swimmingpools etc.) möglich.

Beispiel7.1. Extremer Wasserbedarf


Der Ausbau vieler Wasserversorgungen in der Schweiz beruft sich auf den einmaligen,
extremen Wasserverbrauch an wenigen Tagen im Juni 1976. Damals hat eine lange und
heisse Trockenperiode den Verbrauch stark gefördert (Abb. 5.2).
Ist es sinnvoll, Anlagen zur Verfügung zu stellen, die einmal alle 20 Jahre voll bean-
sprucht werden? Was sind die Grenzkosten des zusätzlichen Wasserbedarfes an diesen
Tagen? Wären die Verbraucher bereit diese Grenzkosten zu bezahlen, wenn sie explizit
verrechnet würden? Gibt es nicht Möglichkeiten den maximalen Bedarf zu beschränken?
104 7 Wasserversorgung

Beispiel 7.2. Auftrag an die Wasserversorgung


Eine Grassstadt hat den politischen Auftrag an den Direktor der Wasserversorgung wie
folgt formuliert: Die Wasserversorgung soll jederzeit genügend Trinkwasser von guter
Qualität und mit genügendem Druck liefern.
Ist diese Formulierung sinnvoll?
Jederzeit Was soll in Krisensituationen, bei extremer Trockenheit, bei stark verunreinig-
ter Wasserquelle etc. geschehen?
Wieviel Wasser ist genügend? Im Normalfall, bei langer Trockenheit (z.B. für die Bewäs-
serung von Gärten?), im Notfall für die ersten 48 h, 2 Wochen, ... ? Darf ein Bewässe-
rungsverbot ausgesprochen werden? Werden die Politiker die Wasserversorgung unter-
stützen, wenn es gilt, unpopuläre Einschränkungen durchzusetzen?
Gute Qualität heisst Trinkwasser- oder Lebensmittelqualität Nur in Ausnahmefällen,
wenn die Bevölkerung informiert ist, genügt für kurze Zeit .trinkbares Wasser", das wohl
hygienisch einwandfrei ist, aber nicht über längere Zeit genossen werden soll. ln Anbe-
tracht der Gefahren, die hygienisch belastetes Wasser für die Bevölkerung darstellt, ist
diese Forderung in Grassstädten sicher gerechtfertigt. ln ländlichen Verhältnissen kommt
es immer wieder vor, dass in extremen Ausnahmesituationen die Bevölkerung über be-
schränkte Dauer aufgefordert wird, das Wasser abzukochen.
Der oben formulierte Auftrag muss relativiert und interpretiert werden- das ist z.T. auch
eine politische Aufgabe.

7.2 Mittel der Wasserversorgung


Hier wird vorerst ein Überblick über die Mittel der Wasserversorgung gegeben,
die anschliessend umfassender diskutiert werden.
In Industrienationen hat die Wasserversorgung das primäre Ziel, den angeschlos-
senen Verbrauchern genügend Wasser mit einwandfreier hygienischer, chemi-
scher und physikalischer Qualität zur Verfügung zu stellen. Während die chemi-
sche und die physikalische (z.B. Temperatur, Farbe, Trübung) Qualität des Was-
sers weitgehend durch die Wasserressource (Quelle, Grundwasser, See) und die
Art der Aufbereitung bestimmt werden, bedingt die Sicherung der hygienischen
Qualität zusätzlich, dass zwischen dem Wasser und der Umwelt eine dauernde
und dichte Barriere errichtet wird: Schon geringe Mengen von pathogenen Kei-
men können mit dem Wasser als Transportmittel Krankheiten und Seuchen ver-
breiten.
In den Industrienationen mit modernen, zentralen, öffentlichen Wasserver-
sorgungen wird das Konzept der Barrieren zwischen dem einwandfreien Trink-
wasser und der möglicherweise kontaminierten Umwelt nahezu perfektioniert
(Abb. 7.1). Dadurch wird eine hohe Sicherheit erreicht, damit pathogene Keime
nicht ins Trinkwasser eindringen und das Trinkwasser hygienisch beeinträchti-
gen können. Das Konzept der Barrieren beinhaltet die folgenden Elemente:
- Die Wasserressource (Quellen, Grundwasser, Seen) wird durch Schutzzonen
weitestgehend vor Kontamination geschützt, sodass das beschaffte Wasser
von bestmöglicher Qualität ist. Die Barriere wird hier errichtet, indem dem
Wasser im Boden genügend Zeit zur Verfügung gestellt wird, sodass natürli-
che Selbstreinigungsprozesse das Wasser schützen können.
7.2 Mittel der Wasserversorgung 105

Geschlossene Bauten

Quell-
Fassung

Aufbereitung

See

Gewässerschutz
Barrieren

Abb. 7.1. Schematische Darstellung der Anlagen einer Wasserversorgung und Identifikation
der Barrieren gegen das Eindringen von pathogenen Keimen

- Die Aufbereitung von Trinkwasser wird dort erforderlich, wo die Wasser-


ressource nicht genügend von Umwelteinflüssen geschützt werden kann. Sie
hat zur Aufgabe, die erforderliche hygienische, chemische und physikalische
Qualität des Wassers herzustellen. Die Trinkwasseraufbereitung stellt die
Barriere zwischen Rohwasser (Umwelt) und Trinkwasser dar.
Bauwerke wie Wasserspeicher, Aufbereitungsanlagen, Pumpwerke etc. wer-
den so gestaltet, dass keine hygienischen Probleme entstehen sollten.
Die letzte Barriere ist ein positiver Druckunterschied (oder Energiegradient)
zwischen dem einwandfreien Wasser und der möglicherweise kontaminierten
Umwelt. Die Tatsache, dass zwischen Trinkwasser und Umwelt ein Druk-
kunterschied herrscht, bestätigt uns einerseits, dass die physikalische Barriere
(die Wände der Verteilleitungen) dicht ist, und andererseits stellt dieser
Druckunterschied sicher, dass keine (unbeabsichtigten) Kontaminationen des
Wassers möglich sind.
Die Aufgabe, ein weitverzweigtes Netz von Wasserversorgungsleitungen
dauernd und sicher von der Umwelt abzutrennen, ist mit der modernen Wasser-
versorgung mit Druckleitungen technisch überzeugend und vermutlich optimal
gelöst worden. Ob wir auch in Zukunft diesen hohen Standard aufrechterhalten
können, muss sich zeigen. Kritisches Element in diesem Systm sind die Hausin-
stallationen (Beispiel 7.4).

Beispiel 7.3. Alternative Barrieren in der Wasserversorgung


Im Laufe der Geschichte sind unterschiedliche Systeme entwickelt worden, die dem Ziel
unserer Wasserversorgung mindestens teilweise gerecht werden:
106 7 Wasserversorgung

Die Römer haben offene Aquädukte erstellt, die sie z.T. militärisch schützen mussten:
Soldaten als Barriere.
Im Mittelalter wurde Wasser weitgehend aus Brunnen geschöpft. Die Barriere bestand
darin, dass .Brunnenvergifter" mit dem Tode bestraft wurden.
ln den USA wird in Landstrichen mit geringer Bevölkerungsdichte das Grundwasser ein-
zeln, für jedes Haus gefördert. Die Barriere besteht in lokalen Schutzabständen zwischen
Abwasserversickerung und Trinkwasserförderung (also kleinen lokalen Schutzzonen), die
sicherstellen, dass keine Kontamination des Trinkwassers erfolgt. Dieses System ist
offensichtlich nur bei geringer Bevölkerungsdichte möglich.
ln den südlichen Ländern Europas wird Trinkwasser häufig aus gekauften, hygienisch
einwandfreien Flaschen getrunken. Die Wasserversorgung gewährleistet hier nicht, dass
das angelieferte Wasser hygienisch einwandfrei ist. Das Wasser kann aber zum Kochen,
für die persönliche Hygiene etc. Verwendung finden. Die Barriere ist hier Teil der Kultur
und besteht im Bewusstsein der Bevölkerung, dass Leitungswasser kein Trinkwasser ist.

Beisplel7.4. Hausinstallationen, eine Anekdote


Die Dame im obersten Stock eines Dreifamilienhauses genoss öfter zwischen 22 und 24
Uhr ein Vollbad. Um die Geräuschentwicklung zu vermindern, legte sie zum Füllen die
Duschebrause in die Wanne. Doch die Badegeräusche übertrugen sich in der altertümli-
chen Installation auf die beiden darunterliegenden Wohnungen und verärgerten die übri-
gen Bewohner.
Um der Frau eine Lektion zu erteilen, stellten diese eines Nachts, als sie wiederum ihr
Bad füllte, kurzerhand den Haupthahn ab. Die Frau badete mit dem vorhandenen Was-
ser. Um die Mitbewohner nicht zu stören, liess sie die Wanne nicht auslaufen.
Dass mit dem Wasser etwas nicht in Ordnung war, merkten die Mitbewohner erst, als sie
in ihrem Morgenkaffee einen merkwürdig seifigen Geschmack feststellten. Die Unter-
suchung ergab, dass sie nach ihrer nächtlichen Aktion vergessen hatten, den Haupthahn
wieder zu öffnen. Für ihre Morgentoilette und den Kaffee hatten sie trotzdem genügend
Wasser, denn dieses floss durch die im Bad liegende Duschebrause in das Hausnetz
zurück. Anonymus

Eine moderne Wasserversorgung setzt sich aus den nachfolgend aufgeführten


technischen Elementen zusammen, wobei diese immer wieder in Beziehung zur
Barriere zwischen der Umwelt und dem Trinkwasser stehen. Es sind unterschied-
liche Ingenieurdisziplinen, die sich mit den Konzepten und der Realisierung der
verschiedenen Elemente befassen. Damit der Dialog zwischen diesen Disziplinen
fruchtbar wird, müssen alle einen Überblick über das Ganze und ein Verständnis
für die Bedeutung und Funktion der Einzelteile erarbeiten.

7.2.1 Wasserbeschaffung
In der Schweiz werden v .a. Quell-, Grund- und Seewasser zu Trinkwasser aufbe-
reitet. Flusswasser wird meist nur über künstliche Grundwasseranreicherung
gewonnen.
Eine zuverlässige Wasserbeschaffung bedingt ein Verständnis einerseits für
die Eigenheiten und den Schutz der Wasserressource (Hydrologie, Hydrogeolo-
gie bei Grundwasser und Quellen, Limnologie bei Seen und Fliessgewässern)
und andererseits für die technische Gestaltung der Wasserfassung.
7.2 Mittel der Wasserversorgung 107

Die meisten Wasserversorgungen beruhen nicht nur auf einer einzigen Was-
serressource, sondern es stehen mehrere Wasserquellen zur Verfügung (z.B.
Quell- und Grundwasser). Zudem sind viele Wasserversorgungen in Verbund-
netzen zusammengeschlossen, sodass nach Ausfallen einer Bezugsquelle rasch
Ersatz geschaffen werden kann.

7.2.2 Schutzzonen
Um die Beschaffung von Trinkwasser dauerhaft zu gewährleisten, werden in der
Umgebung von Wasserfassungen Schutzzonen ausgeschieden, in denen je nach
Situation gewisse Aktivitäten (Bauen, Landwirtschaft, Industrie, Verkehr... )
verboten oder eingeschränkt sind (Hydrogeologie). Zudem müssen die Rechte an
der Ressource (Quelle, Grundwasser) und der Schutzzone gesichert werden
(Grundbuch).

7.2.3 Wasseraufbereitung
Häufig hat das Rohwasser nach der Fassung keine einwandfreie Trinkwasser-
qualität und muss vorerst aufbereitet werden. Die Aufbereitung reicht von einer
einfachen Desinfektion zur Erreichung einer genügenden hygienischen Qualität
bis zur anspruchsvollen, mehrstufigen Trinkwasseraufbereitung, die auch die
chemischen und physikalischen Eigenschaften des Wassers verändert (Verfah-
renstechnik).

7.2.4 Pumpwerke
Es gibt in der Wasserversorgung unterschiedlichste Arten von Pumpwerken, z.B.
zur Förderung von Wasser in Grundwasserbrunnen, in Aufbereitungsanlagen etc.
Von besonderer Bedeutung sind die Pumpwerke, die den Betriebsdruck im Ver-
teilnetz herstellen und aufrecht erhalten - sie sind häufig die grössten Verbrau-
cher von Energie (Maschinenbau). Pumpwerke liefern potentielle Energie ins
Wasser, Energie die nachher in Form von Wasserdruck zur Verfügung steht und
die Energiebarriere gewährleistet.

7.2.5 Wasserspeicherung
Aus verschiedensten Gründen ergeben sich Unterschiede zwischen dem mo-
mentanen Wasserangebot (Input) und dem Wasserbedarf (Output). Da die Ver-
teilnetze immer voll sind, muss zum Ausgleich dieser Unterschiede ein Element
mit variablem Volumen zur Verfügung stehen: Trinkwasserspeicher, Reservoire
(Bauingenieure).
Reservoire stellen einwandfreies Trinkwasser mit potentieller Energie zur
Verfügung, sodass das Wasser ohne zusätzliches Pumpen ins Verteilnetz gelie-
fert werden kann.

7.2.6 Wasserverteilung
Die Verteilung von Wasser im Versorgungsgebiet mit Hilfe von Druckleitungen
ist das anfälligste Element der Wasserversorgung: Das weitverzweigte, komple-
108 7 Wasserversorgung

xe Netzwerk von Leitungen muss so gestaltet werden, dass es hohen Ansprüchen


in Bezug auf Sicherheit und Verfügbarkeit genügt (Bauingenieure).

Druck- und Energieverluste


Druck oder potentielle Energie hält die wichtigste Barriere zwischen Trinkwas-
ser und Umwelt aufrecht. Der Verlust dieser Energie, z.B. im Zusammenhang
mit dem Transport von Trinkwasser oder als Folge von Havarien, ist daher von
grösster Bedeutung: Die Abschätzung von Energieverlusten unter verschieden-
sten Betriebszuständen der Verteilnetze ist eine der wichtigen Aufgaben der
Iogenieurin (Hydraulik).

Vermaschte Netze
Lineare oder verästelte Netze sind anfällig auf Störungen: Jeder Unterbruch einer
wichtigen Leitung führt dazu, dass die Versorgung eines ganzen Quartiers unter-
brochen wird. Mit Hilfe von vermaschten Netzen (Ringleitungen) kann gewähr-
leistet werden, dass Unterbrüche in der Versorgung auf kleine Gebiete begrenzt
werden können. Vermaschte Netze weisen also eine hohe Versorgungssicherheit
auf.

Beisple17.5. Hydraulisch unbestimmte Systeme


Nicht vermaschte Systeme sind analog einem statisch bestimmten System: Das Versa-
gen eines Leitungsstranges oder Tragwerkteiles führt notgedrungen zum Versagen min-
destens eines Teils des Systems.
Vermaschte Systeme sind analog einem statisch unbestimmten System: Der Ausfall
eines Leitungsstranges (oder Tragwerkteiles) muss nicht notgedrungen zum Versagen
des Systems führen.
Die Iterationsmethoden nach Hardy Cross wurden entsprechend sowohl in der Statik als
auch in der Wasserversorgung zur Berechnung von statisch unbestimmten oder hydrau-
lisch vermaschten Systemen verwendet.

7.2.7 Hausinstallationen
Die Hausinstallationen stellen das "offene" Ende der Wasserverteilung und einen
neuralgischen Punkt der Wasserversorgung dar. Die meisten Epidemien, die in
perfektionierten Wasserversorgungen durch Trinkwasser in unserem Klima heute
noch verursacht werden, können auf den Rückfluss von Wasser über Hausinstal-
lationen in die Versorgungsleitungen zurückgeführt werden (Beispiel 7.4). Die
Wasserwerke stellen daher z.T. detaillierte Anforderungen an die Hausinstalla-
tionen: Z.B. dürfen Häuser nur über Vorrichtungen, die einen Rückfluss verhin-
dern, ans öffentliche Netz angeschlossen werden (Sanitärinstallateure).

7.2.8 Überwachung
Wasserversorgungen müssen überwacht werden. Dabei kommen mikrobiologi-
sche, chemische und physikalische Analysemethoden zur Anwendung. Insbeson-
dere die chemische Analytik von Spurenstoffen ist anspruchsvoll und bedingt
entsprechende Fachkompetenz (Chemiker, Mikrobiologen, Limnologen).
7.2 Mittel der Wasserversorgung 109

7.2.9 Administration, Finanzplanung


Entsprechend der langen Lebenserwartung vieler Anlagen in den Wasserver-
sorgungen sind diese sehr kapitalintensiv. Die Kosten werden grösstenteils über
den Verbrauch verrechnet. Ohne geeignete Finanzplanung kann die Entwicklung
einer Wasserversorgung gefährdet sein (Management, Betriebswirtschaft).
8 Wasserbeschaffung

Die Wasserbeschaffung befasst sich mit der Herkunft und den Eigenschaften des
Rohwassers, den Vorkehrungen für den Schutz der Quantität und der Qualität
der Ressourcen sowie den technischen Installationen für die Fassung des Was-
sers.
In der Schweiz wird Trinkwasser v.a. aus Grund- und Quellwasser gewonnen
(Tabelle 8.1). Je grösser die Siedlung, desto weniger kann Quell- und Grund-
wasser den Bedarf decken- die Besiedelungsdichte wird zu gross (s.a. Kapitel
1.4, Seite 4). Der kleine Anteil an Seewasser, der in den kleinen Gemeinden
gebraucht wird, wird mit wenigen Ausnahmen durch Gruppenwasserversorgun-
gen geliefert - Seewasserwerke können nur von grösseren Wasserversorgungen
effizient und professionell betrieben werden.

TabeHe 8.1. Wassergewinnung in der Schweiz im Jahre 1993 in Abhängigkeit der Grösse der
Wasserversorgung (E =angeschlossene Einwohner) nach statistischen Erhebungen des SVGW
Grösse der
>50'000E 10'000- 50'000 E < 10'000 E Ganze Schweiz
Wasserversorgung
Einwohner 1'650'000 1'600'000 3'750'000 7'000'000
Seewasser in 10m 177 56% 36 14% 11 2% 224 21%
Grundwasser in 106 m3 80 26% 130 50% 194 39% 404 38%
Quellwasser in 106 m3 57 18% 92 36% 289 59% 438 41%
Total in 10m 314 30% 258 24% 494 46% 1066 100%

8.1 Wasserarten und -Vorkommen


Niederschlagswasser
Gelegentlich wird für die Versorgung von Einzelhäusern Niederschlagswasser
von Dachflächen gesammelt und in Zisternen gespeichert. Hier handelt es sich
nicht um Trinkwasser im rechtlichen Sinne. Insbesondere können die hygieni-
schen Anforderungen kaum eingehalten werden. Niederschlagswasser ist sehr
weich (s.a. Tabelle 3.8). Es eignet sich daher für viele Anwendungen im Haus-
halt. Entsprechend werden heute in Neubauten zunehmend Anlagen gebaut, mit
denen Niederschlagswasser lokal genutzt werden kann.

Bach- und Flusswasser


Bach- und Flusswasser variiert stark in seiner Qualität (z.B. Trübung bei Hoch-
wasser), es wird nur in Ausnahmefällen direkt zu Trinkwasser aufbereitet. Dazu
sind aufwendige Verfahren erforderlich, die mit den stark schwankenden Eigen-
112 8 Wasserbeschaffung

schaften des Ausswassers umgehen können. Immer häufiger wird Ausswasser


indirekt, d.h. nach einer Vorbehandlung und über die künstliche Anreicherung
des Grundwassers, genutzt. Hier kann das Wasser z.T. im Untergrund gespei-
chert werden, sodass bei schlechter Qualität des Ausswassers auf eine weitere
Anreicherung des Grundwassers vorübergehend verzichtet werden kann.
Bach- und Ausswasser wird z.T. durch Industriebetriebe zu Brauchwasser
aufbereitet, an das geringere Anforderungen gestellt werden.

Seewasser, Trinkwassertalsperren
Seewasser wird in vielen Städten zu Trinkwasser aufbereitet. Da Seen meist
verschiedenartig genutzt werden (Erholung, Schifffahrt, Abwassereinleitung
etc.), kommt dem Schutz des Sees grosse Bedeutung zu. Talsperrenwasser kann
dem Seewasser gleichgestellt werden. Die Rohwasserqualität ist häufig besser,
weil im Einzugsgebiet des künstlichen Sees gezielte Schutzmassnahmen ergrif-
fen werden können.
Seen haben im Gegensatz zu Aiessgewässem die Eigenschaft, dass sie die
Qualität über längere Zeit ausgleichen und dadurch die Aufbereitung vereinfa-
chen. Seen sind einem typischen Jahreszyklus unterworfen: Schichtung des Was-
sers im Sommer und ev. Winter, Zirkulation im Herbst und Frühling. Dieser
Zyklus muss bei der Festlegung der Entnahmestelle und deren Tiefe berücksich-
tigt werden.

Meerwasser
Meerwasser kann heute mit energieintensiven Technologien entsalzt werden.
Eine Rolle spielt entsalztes Wasser nur in ausgesprochenen Mangelgebieten und
in Gegenden mit grossem Energieangebot (Persischer Golf).

Grundwasser
Je nach dem geologischen Aufbau des Grundwasserleiters unterscheidet man
zwischen Lockergesteins-, Kluft- und Karstgrundwasser.
- Lockergesteinsgrundwasser kann in der Schweiz dank intensivem Schutz
häufig ohne Aufbereitung als Trinkwasser verwendet werden. Lockergesteine
haben eine hohe nutzbare Porosität von 10-20%. Die Aiessgeschwindigkeit
des Grundwassers ist meist gering, und die Aufenthaltszeit im Untergrund ist
gross. Das Grundwasser hat häufig ein gleichmässiges, mittleres Energiege-
fälle.
- Kluftgrundwasser tliesst in den Klüften und Spalten von Festgesteinen mit
meist nur geringer Porosität von 1 - 2%. Die Aiessgeschwindigkeit ist häufig
höher als im Lockergestein und das Energiegefälle meist unregelmässig.
- Karstgrundwasser zirkuliert in den Lösungshohlgängen von Kalk- und Dolo-
mitformationen. Häufig steht solches Grundwasser in fast direktem Kontakt
zur Oberfläche und Karstquellen reagieren rasch auf Regenereignisse und
Schneeschmelze, was auf eine kurze Aufenthaltszeit des Wassers im Unter-
grund hinweist. Bei rasch zunehmender Wasserführung ist Karstwasser häu-
fig trübe (Abb. 8.1). Karstgrundwasser muss meist mit aufwendigen Verfah-
ren aufbereitet werden, um dauernd Trinkwasserqualität zu gewährleisten.
8.2 Fassung von Quellwasser 113

Ergiebigkeit, Schüttung in l s·1 Trübung (NTU)


r-,-~--~4=~~k==F~~~~~~· 0

50

100
2000

1000

0
Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

Abb. 8.1. Jahresgang der Quellenergiebigkeit in I s·' (unten) und der Trübung in NTU (oben)
einer Karstquelle im Schweizerischen Jura (Boiler 1998)

Quellwasser
Quellwasser ist Grundwasser, das mit freiem Gefälle zu Tage tritt. Bei geeigne-
ter Fassung hat Quellwasser die gleichen Eigenschaften wie Grundwasser und
kann häufig ohne Aufbereitung als Trinkwasser genutzt werden.

8.2 Fassung von Quellwasser


Quellwasser ist für die Wasserversorgung von grosser Bedeutung. Es hat bei
geeigneter Lage der Quelle den Vorteil, dass es ohne Pumpen einem Speicher
zugeführt werden kann. Der Wert der Quellen für die Wasserversorgung setzt
sich aus einer Reihe von Einzelaspekten zusammen:
- Die Qualität des Quellwassers, ist insbesondere dann gut, wenn ein gut filtrie-
render Untergrund mit genügender Mächtigkeit und guter, bepflanzter Über-
deckung besteht.
- Eine gute Quelle ergibt sich, wenn das Wasser eine lange Aufenthaltszeit im
Filterkörper hat. Das führt zu einer geringen Variabilität der Ergiebigkeit
(Qmax : Qmin < 3 : 1), der Temperatur und der chemischen Zusammensetzung
des Wassers.
- Von Bedeutung ist der geringste Ertrag z.B. nach langen und heissen Trok-
kenperioden.
- Die Höhenlage macht eine Quelle ev. für die Notstandsversorgung besonders
geeignet.
- Nur eine langjährige (z.B. monatliche) Beobachtung der Schüttung einer
Quelle, zusammen mit einer chemischen sowie bakteriologischen Überwa-
chung des Wassers kann als Grundlage für eine zuverlässige Planung dienen.
Je nach Art der Quelle können den entsprechenden Richtlinien (z.B. SVGW,
1989) Hinweise zur Gestaltung von Quellfassungen entnommen werden. Ein
Beispiel ist in Abb. 8.2 dargestellt. In der Brunnenstube tritt das Quellwasser ein
114 8 Wasserbeschaffung

Brunnenstube

Abb. 8.2. Beispiel einer Quellfassung, erstellt in einem offenen Graben. Längsschnitt

erstes Mal zu Tage, es kann und soll dort in Bezug auf Schüttung und Qualität
überwacht werden.

Beispiel 8.1. Einzugsgebiet einer Quelle


Ein Weiler mit 100 Einwohnern (ca. 1 ha Siedlungsfläche) wird durch eine Quelle mit
Wasser versorgt. Die minimale Schüttung der Quelle nach langer Trockenheit ist 40
m3 d.1 • Im Jahresmittel beträgt die Schüttung100m3 d·1 • Wiegrossist das Einzugsgebiet
dieser Quelle?
Aus einer einfachen Bilanz, mit ungefähren Anteilen an der Wasserbilanz ergibt sich:
Jahresniederschlag (z.B.) 1000 mm a· 1
Oberflächenabfluss (z.B. 20 %) 200 mm a· 1
Evapotranspiration (z.B. 40 %) 400 mm a· 1
Es verbleiben für die Infiltration ins Grundwasser 400 mm a·1 =0.4 m3 m·2 a· 1
Die Jahresschüttung der Quelle beträgt100m3 d.1 · 365 d a· 1 =40'000 m3 a·1
Damit soviel Grundwasser gebildet werden kann, muss ein Einzugsgebiet von
40'000 m3 a·1 1 0.4 m3 m·2 a·1 = 100'000 m2 oder 10 ha zur Verfügung stehen. Die Grösse
des Einzugsgebiets umfasst also das Vielfache des Siedlungsgebietes.

8.3 Fassung von Grundwasser


Historisch wurde Grundwasser in Sodbrunnen genutzt. Heute hat sich das
Grundwasser zur wichtigsten Quelle von Trinkwasser entwickelt.
Grundwasser in Lockergesteinen hat häufig eine gute Qualität und kann ohne
oder nach einer einfachen Aufbereitung als Trinkwasser genutzt werden. Bei
genügender Leistung der Förderanlagen ist es auch möglich, kurzfristige Bela-
stungsspitzen mit Grundwasser zu decken, d.h. den Grundwasserträger als Spei-
cher zu nutzen.
Grundwasser wird meist in Vertikalfilterbrunnen gewonnen, wie er in
Abb. 8.3 dargestellt ist. Bauliche und konstruktive Details, wie z.B. der Aufbau
von Filterstützschichten (Abb. 8.4) und die Inbetriebnahme und der Unterhalt
eines neu gebauten Filterbrunnens, entscheiden über dessen Lebensdauer und
8.3 Fassung von Grundwasser 115

--~
~

-,
··-- -- -

. ~
.....
,.

-----------
v-
GWS p.

Bohr1och- oder ---


Unterwasserpumpe
/ Kiesstütz- und FiHerschic ht

-i f- Schlammsack Abb. 8.3. Beispiel eines Verti-


kalfilterbrunnens

KiesstUtzschichten

Abb. 8.4. Detail eines Filterbrunnens mit mehrfacher Kiesstützschicht und innerem Stahlfilter-
rohr

Leistungsfähigkeit: Beim Bau ergibt sich die Gefahr, dass die Schichtstrukturen
des gewachsenen Bodens gestört werden, im Betrieb wird ev. Sand mitgerissen,
der sich dann in falsch ausgelegten Filterstützschichten festsetzt und den Brun-
nen verstopft.
Um die Leistung von Brunnen zu erhöhen, werden Horizontalfilterbrunnen
gebaut (Abb. 8.5) oder durch andere Methoden die mögliche Entnahmeleistung
erhöht, ohne dass der Brunnen versandet (Abb. 8.6). Gelegentlich werden ganze
Gruppen von Brunnen, z.B. in einer Linie, zusammengefasst und so die Entnah-
meleistung gesteigert.
Die Entnahme von Grundwasser verursacht eine Störung im natürlichen Auss
des Grundwassers. Bevor ein neuer Brunnen abgeteuft wird, werden deshalb
umfangreiche hydrogeologische und grundwasserhydraulische Untersuchungen
gemacht Um die Grundlagen zur Auslegung des Brunnens zu erarbeiten und zur
Berechnung der zu erwartenden Leistung sowie der Beeinflussung des Grund-
wasserspiegels, werden vorgängig in Pumpversuchen aus temporären Brunnen
die erforderlichen Daten erhoben. Die Erhebung dieser Unterlagen, sowie die
116 8 Wasserbeschaffung

Brunnenschacht

Abb. 8.5. Prinzipskizze eines Horizontalfilterbrunnens

Gewachsener Boden
Grundwasserträger Stützschicht mit
Filterkörnung

Abb. 8.6. Beispiel eines


Filterbrunnens mit erhöhter
Entnahmeleistung durch
Vergrösserung der Grenz-
fläche zum ungestörten
Untergrund

Projektierung und der Bau von Grundwasserbrunnen ist eine Aufgabe für Spe-
zialisten.
Grundwasserbrunnen werden gelegentlich entlang von Flüssen zur Entnahme
von Uferfiltrat angeordnet. Da die Filtrationsstrecke bei solchen Brunnen nur
kurz ist, hat das geförderte Wasser noch nicht Trinkwasserqualität, es kann aber
z.B. zur Anreicherung eines Grundwassers genutzt werden. Anlagen zur Förde-
rung von Uferfiltrat bergen die Gefahr, dass die Flussufer kolmatieren und damit
die mögliche Förderleistung abnimmt. In Tabelle 8.2 sind Informationen zur
Wasserqualität im Fluss (Limmat) und im Uferfiltrat der Wasserversorgung der
Stadt Zürich zusammengestellt. Deutlich sichtbar ist der Filtrationseffekt (Ab-
nahme der Keime und der Biomasse), der Temperaturausgleich sowie die Selbst-
reinigung (Abnahme des 0 2 und des NH/-N sowie Zunahme des C02 durch bio-
logische Aktivität).
8.4 Berechnungen zum vollkommenen Filterbrunnen 117

TabeHe 8.2. Qualität des Flusswassers und des Uferfiltrats in der Uferfiltrationsanlage der Stadt
Zürich, Jahresmittelwerte (Jahresbericht der Wasserversorgung 1993)
"Stoff' Fluss Limmat Uferfiltrat Einheiten
Keimzahl <29'000 <640 proml
E. coli <2'000 <4 pro 100 rnl
Temperatur 3.5-23.4 9.7- 16.5 oc
·3
02 10.1 5.2 gm
co2 2.3 6.5 gm
·3
·3
NH/-N <0.055 <0.016 gm
.J
Biomasse <7 <0.02 gm

8.4 Berechnungen zum vollkommenen Filterbrunnen


Berechnungen zu realen Grundwasserströmungen im Umfeld von Filterbrunnen
sind anspruchsvoll. Hier wird nur ein idealisiertes Beispiel beschrieben, das
aufzeigen soll, welche Grössen bei der Dimensionierung eines Filterbrunnens
von Bedeutung sind. In der Praxis soll für diese Aufgabe eine SpeziaUstin zuge-
zogen werden.
In Abb. 8.7 ist ein vollkommener Filterbrunnen dargestellt: Vollkommen heisst
der Brunnen, weil er bis auf die undurchlässige Schicht reicht. Der Grundwas-
serträger ist ungespannt, d.h. der freie Wasserspiegel steht mit der Atmosphäre
im Kontakt. Der Grundwasserträger ist homogen und isotrop, er weist also in
allen drei Dimensionen die gleiche Leitfähigkeit auf.
Fragestellungen:
Welche Wassermenge Q8 kann aus dem Brunnen in Abb. 8.7 gefördert wer-
den?
- Welche Reichweite hat der Brunnen? Unter Reichweite verstehen wir den
Bereich, in dem der Grundwasserspiegel durch den Brunnen beeinflusst wird.
- Wie beeinflussen die Abmessungen des Brunnens die zulässige Fördermenge
QB?
Darcy hat die Fliessgeschwindigkeit in Funktion der Durchlässigkeit des
Grundwasserträgers und des Energiegefälles der Grundwasserströmung beschrie-
ben:

V= -k ·J mit 1= dh (8.1)
dr

v = Scheinbare Fliessgeschwindigkeit des Wassers (bezogen auf


=
den ganzen Querschnitt) [L T 1] Filtergeschwindigkeit
k = Durchlässigkeitsbeiwert des Grundwasserträgers [L T 1]
J = Energiegefälle der Grundwasserströmung [-]
Die Kontinuitätsgleichung für Wasser verlangt, dass einem Kontrollvolumen
im stationären Zustand gleichviel Wasser zufliesst wie daraus abfliesst. Definie-
ren wir als Kontrollvolumen einen konzentrischen Zylinder um den Brunnen mit
dem Radius r, so können wir schreiben:
118 8 Wasserbeschaffung

h
Brunnen j 0e
Niederschlag N
HHH
___ 3~~~~i~9~~ ------- GWSp

h - - - Fliessrichtung
H des Wassers
- - - konzent risch

0
Abb. 8.7. Definition eines vollkommenen Filterbrunnens in einem ungespannten, homogenen
und isotropen Grundwasserträger. N =Niederschlag, H =Mächtigkeit des ungestörten Grund-
wassers, hR =Wasserstand im Filterbrunnen, rR =Radius des Filterbrunnens,
k =Durchlässigkeit des Grundwasserträgers nach Darcy, QR =geförderte Wasserrnenge, rund h
bezeichnen die Koordinaten des freien Wasserspiegels

(8.2)

Wobei QN = Tr · r 2· N und Qow = 2·tr·r· h ·v = 2·tr·r ·h· k ·dh


-
dr
Q8 = Wasserrnenge, die aus dem Brunnen gefördert wird [L3 T 1]
QN = Wassermenge, die als Niederschlag in das Kontrollvolumen ver
sickert [L3 T 1]
QGw = Grundwasserrnenge, die dem Kontrollvolumen zufliesst [L3 T 1]
N = Mittlerer Niederschlag, der ins Grundwasser versickert [L T 1]
Definieren wir die Reichweite R des Brunnens als den Radius, bei dem
=
dhldr =0 wird, so reduziert sich wegen Oow 0 die Kontinuitätsgleichung zu
=
QN Q8und es wird:

oder R=~ n·N


QB (8.3)

Werden die beiden Wassermengen QN und Oow in GI. (8.2) substituiert, so


entsteht eine Differentialgleichung, die ausgehend vom Brunnen mit den Rand-
= =
bedingungen h h8 und r r8 bis zur Reichweite mit den Randbedingungen
r = R und h = H integriert werden kann zu:

R2
1t·k · (H 2-h 82) +1t·N·-
QB-- R 2 (8.4)
In-
rB

Dupuit hat eine Gleichung abgeleitet, die analog zu GI. (8.4) ist, aber den
Niederschlag N nicht berücksichtigt (N 0). =
8.4 Berechnungen zum vollkommenen Filterbrunnen 119

Die grösste Fördermenge aus einem Filterbrunnen ergibt sich nach GI. (8.4)
für h8 =0. Das resultiert in sehr grossen Fliessgeschwindigkeiten des Wassers in
den Brunnen hinein, es entsteht die Gefahr, dass Sand aus dem anstehenden Bo-
den ausgewaschen wird und ev. den Filterbrunnen verstopft. Sichardt hat 1928,
basierend auf Erfahrung und Versuchen vorgeschlagen, dass die Fliessgeschwin-
digkeit nach Darcy an der Oberfläche des Filterbrunnens beschränkt wird auf:

VB
< .Jk
-15SO.Sm-().S (8.5)

Damit soll die geförderte Wassermenge beschränkt werden auf:

Q ~
.Jk 1
2 ·~r·r · h · - · - .
mtt
k.
m ms
-1
(8.6)
B B B 15 SF

Der dimensionslose Sicherheitsfaktor SF wird um so grösser gewählt, je unsi-


cherer der Wert für die Durchlässigkeit k ist, typisch sind Werte über 2.
Das Gesetz von Darcy, GI. (8.1), geht von einer hydrostatischen Druckver-
teilung und parallelen Stromlinien im Grundwasser aus. Wenn die Absenkung
des Grundwassers im Brunnen zu gross wird, werden diese Annahmen ungültig.
Eine grosse lokale Absenkung des Grundwassers kann zudem Setzungen des
Bodens zur Folge haben. Es ist daher üblich, die Absenkung des Wasserspiegels
im Brunnen zu begrenzen:
h8 ~0.75-H (8.7)
Soll ein Filterbrunnen dimensioniert werden, so müssen für eine bestimmte
Wassermenge Q8 der Radius des Filterbrunnens r8 und der Wasserstand im
Brunnen h8 festgelegt werden, zudem interessiert die Reichweite R des Brun-
nens. Das Vorgehen ist wie folgt:
- Mit GI. (8.3) wird die Reichweite R berechnet.
- Unter Berücksichtigung von GI. (8.7) wird der minimale Wasserstand h8 im
Brunnen gewählt.
- Aus der nach r8 aufgelösten GI. (8.4) ergibt sich nun der minimal erforderli-
che Radius r8 des Brunnens.
- Mit GI. (8.6) muss nun noch überprüft werden, ob die Infiltrations-
geschwindigkeit in den Brunnen dem Kriterium von Sichardt genügt. Der Si-
cherheitsfaktor wird üblicherweise zu SF =2 gewählt.
Überschreitet Q8 die maximal zulässige Fördermenge aus dem Brunnen nach
GI. (8.6), so wird der Brunnenradius r8 vergrössert, bis er dem Kriterium von
Sichardt nach GI. (8.6) genügt. Wird der erforderliche Brunnendurchmesser zu
gross, so können z.B. Reihen von Filterbrunnen oder ein Horizontalfilterbrunnen
die Situation verbessern.

Beispiel 8.2. Dimensionierung eines Filterbrunnens


Eine Gemeinde mit 10'000 Einwohnern will Q8 = 0.1 m3s·1 Trinkwasser aus einem ste-
henden Grundwasserträger mit H =20 m Mächtigkeit fördern. Die Durchlässigkeit des
Grundwasserträgers beträgt k = 0.001 m s·1 • Es soll ein Sicherheitsfaktor von SF = 2
120 8 Wasserbeschaffung

Erforderlicher Radius r8 des Brunnens


inm
2~-----,------;----,...--~
___ nach Sichhardt
,.......,.~'--

1.5 +------f-,L----:~:::;..._ __

--- h8 =10m
0.5 -t-~::-"'"':7"'-"--+----r----- - h8 =15m

0 - t " ' - -......---r'---.......,.----.,


0 0.05 0.1 0.15 02
Förderleistung Q8 des Brunnens in m3s·1
Abb. 8.8. Zusammenhang zwischen der Förderleistung QR aus einem Filterbrunnen und dem
erforderlichen Brunnenradius rR nach GI. (8.4) von Dupuit und GI. (8.6) von Sichardt. Zulässi-
ge Brunnen liegen oberhalb beider Linien. Siehe Beispiel 8.2 für Details. H =20 m, hR nach
Angabe, k= 0.001 m s·1, N= 0.5 ma·1, SF= 2

gewählt werden. Vom Niederschlag versickern N = 0.5 m pro Jahr. Wie gross wird der
Brunnen? (Als Alternative werden zwei Brunnen mit je halber Leistung berechnet)
Die folgenden Angaben beschreiben das Problem:
Paramter 1 Brunnen 2 Brunnen im Abstand von 500 m
Os m s 0.1 2 malje0.05
·1
k ms 0.001 0.001
H m 20 20
-1
N ma 0.5 0.5
SF 2 2
R m 1400 total1400 Gl.(8.3)
hs m 15 15 G1.(8.7)
rB.nin m 3.5 0.01 G1.(8.4)
rB,Sichardl m 1.0 0.5 Gl.(8.6)
rs m ~3.5 ~0.5

Aus den Berechnungen folgt, dass mit einem einzigen Brunnen der erforderliche Durch-
messer von 7 m zu gross wird, es müssten Massnahmen ergriffen werden, die die Flä-
che, über die das Wasser einsickern kann, vergrössern. Werden zwei Brunnen, z.B. im
Abstand von 500 m gebaut, so wäre ein Brunnendurchmesser von je 1.0 m bereits aus-
reichend (aber immer noch sehr gross). Dieses überraschende Ergebnis hängt mit den
Eigenschaften von GI. (8.4) zusammen. ln Abb. 8.8 ist der Zusammenhang zwischen
Brunnenradius und Fördermenge dargestellt.
Werden die zwei kleineren Brunnen mit weniger als 500 m Abstand angeordnet, so be-
einflussen sie sich gegenseitig und die Berechnung wird anspruchsvoller (Superposition).

8.5 Fassung von Seewasser


Seewasser wird v.a. in Seen gefasst, die so tief sind, dass sich im Sommer eine
Temperaturschichtung einstellt: Schwereres, kaltes Wasser unter der Sprung-
schicht, leichteres, warmes Wasser über der Sprungschicht Seewasser hat dabei
den Vorteil, dass es über das ganze Jahr im Hypolimoion (unter der Temperatur-
sprungschicht) bei konstant geringer Temperatur und in grosser Menge entnom-
8.6 Grundwasseranreicherung 121

Rohwasserpumpwerk
Ansaugkorb mtt Schwallentlastung
Fischgitter
30-60mtief
10m über Grund

Abb. 8.9. Schematische Darstellung einer Seewasserfassung mit Unterwasser-Saugleitung. Die


Schwallentlastung berücksichtigt dynamische Vorgänge, wie das Anhalten der Pumpen

men werden kann. Ist der See nicht zu stark eutrophiert (überdüngt), so ist das
Wasser in einer Tiefe von 30 - 60 m meist arm an Schwebstoffen und reich an
Sauerstoff, es hat eine zeitlich gleichmässige Zusammensetzung und ist als Folge
der natürlichen Vorgänge im See eher weich (Tabelle 8.3).
In der Schweiz wird Wasser aus natürlichen Seen mit weitgehend konstanten
Wasserspiegeln genutzt. Dazu wurden Unterwasser-Saugleitungen gebaut. Ein
Beispiel ist in Abb. 8.9 dargestellt. In künstlichen Talsperren kann der Wasser-
spiegel stark variieren, das Wasser wird dann z.B. aus Fassungstürmen entnom-
men, wie sie ähnlich auch in Stauseen für die Energiegewinnung zur Anwendung
kommen. Die Veränderung des Wasserspiegels bedingt eine Wasserentnahme in
unterschiedlicher Tiefe.

TabeHe 8.3. Zusammensetzung des Rohwassers einer Wasserfassung im Zürichsee (Wasserver-


sorgung der Stadt Zürich, Untersuchungsbericht 1995)
Temperatur oc 5.1 -7 .0
pH 7.7-8.1
-3
Hydrogenkarbonat HC0 3- molm 2.5- 2.7
Gesamthärte Ca2•, Mg 2•, ... molm-3 1.4- 1.5
-3
Sauerstoff 02 gm 5.7- 10.6
·l
Ammonium NH4• gm <0.005 - 0.007
-3
Nitrat N03 gm 0.74-0.90
Sulfat so4• gm
·3
14.6- 16.5
Chlorid er gm
-3
3.0- 3.6

8.6 Grundwasseranreicherung
Reicht das Angebot von Grundwasser nicht aus um den Bedarf zu decken, so
kann Grundwasser künstlich angereichert werden. Dabei wird die ausgleichende
Funktion und die Reinigungswirkung des Grundwasserträgers ausgenutzt:
122 8 Wasserbeschaffung

Zulauf mit Belüftungskaskade

Anreicherungsbecken

Abb. 8.10. Darstellung eines Grundwasseranreicherungsbeckens. Der Aufbau des Filter ist
vergleichbar mit einem Langsamsandfilter (Abb. 9.6)

- Der Grundwasserträger kann mit seinem grossen nutzbaren Porenvolumen


das Angebot dem Bedarf angleichen und das Wasser durch das Auflösen von
Mineralien in ein chemisches Gleichgewicht bringen, sodass das Wasser im
Verteilnetz nicht übermässig korrosiv wirkt. Der Bodenkörper wirkt zudem
ausgleichend auf die Temperatur.
Im Bodenkörper laufen Selbstreinigungsprozesse ab, die denjenigen im na-
türlichen Grundwasser entsprechen. Dabei muss allerdings darauf geachtet
werden, dass im Grundwasserleiter durch die hohe lokale Belastung nicht
Trübstoffe akkumulieren und diesen schon nach kurzer Zeit kolmatieren. Das
bedingt z.B., dass Flusswasser weitgehend aufbereitet und bei übermässiger
Belastung mit Trübstoffen nicht infiltriert wird.
Die technische Gestaltung der Grundwasseranreicherung hängt stark von den
lokalen Verhältnissen ab. Ein schematisches Beispiel zeigt Abb. 8.10. Im Filter-
sand werden Feststoffe zurückgehalten und es laufen biologische Reinigungs-
prozesse ab, sodass die Filterfläche gelegentlich (im Abstand von Jahren) erneu-
ert werden muss, indem z.B. eine obere Schicht abgetragen wird oder indem ein
austauschbares Vlies die Filterschicht schützt.
Sickerbrunnen bringen das Wasser unter die undurchlässigen Bodenschich-
ten, ohne dass die Brunnen bis ins Grundwasser abgeteuft sind. Durch alternie-
renden Betrieb von mehreren solchen Brunnen gelingt es, den Gasaustausch und
damit den Sauerstoffnachschub in den Boden sicherzustellen. Das Bodenmaterial
oberhalb des Grundwassers kann nur mit aufwendigen Methoden rückgespült
werden - deshalb soll nur Rohwasser ohne suspendierte Stoffe und ohne Eisen
und Mangan versickert werden.
Schluckbrunnen sind bis ins Grundwasser abgeteuft und bringen das Wasser
direkt ins Grundwasser ein, sodass der Gasaustausch im Boden nicht mehr ge-
währleistet ist. Die Belastung des Wassers mit Stoffen, die im Boden durch Mi-
kroorganismen oxidiert werden, muss gering sein, weil das Grundwasser sonst
sauerstoffarm wird.
8.7 Schutz von Wasserfassungen (Schutzzonen) 123

Abb. 8.11. Schematische Dar-


stellung der Gewässerschutz-
bereiche A, B und C, sowie
der Grundwasserschutzzonen
SI, S2, S3, Grundwasser-
schutz-Areal und des Zu-
strombereiches

8.7 Schutz von Wasserfassungen (Schutzzonen)


In der Schweiz haben die Kantone die Aufgabe, ihr Gebiet in Gewässerschutzbe-
reiche (Bereiche A, B und C) sowie Grundwasserschutzzonen (SI , S2, S3) und
Grundwasserschutzareale (S), einzuteilen. Diese Zonen sind in der Verordnung
über den Schutz der Gewässer vor wassergefährdenden Flüssigkeiten (VWF
28.9.1981) definiert. Heute wird zudem ein Zustrombereich diskutiert, der den
grössten Teil eines Einzugsgebiets einer Quelle oder eines Grundwasserbrunnens
umfasst und in dem z.B. Einschränkungen der landwirtschaftlichen Nutzung zur
Anwendung kommen. Vereinfachend ergibt sich heute die folgende Situation
(Abb. 8.11):
- Bereich A: Gebiete mit Grundwasservorkommen, die sich für die W asserge-
winnung eignen.
- Bereich B: Gebiete mit Grundwasservorkommen, die sich für die Wasserge-
winnung weniger gut eignen.
Bereich C: Alle Gebiete, die nicht zu den Zonen S, A oder B gehören.
Zone S: Die Zone S umfasst Grundwasserschutzzonen um Grund- und Quell-
wasserfassungen mit dem Fassungsbereich SI (häufig eingezäunt), der enge-
ren Schutzzone S2 (Bauverbot) und der weiteren Schutzzone S3 (Pufferzone,
z.B. keine Entnahme von Bodenmaterial, keine Industriebauten) sowie die
Grundwasserschutz-Areale, die im Hinblick auf allfällige künftige Nutzungen
ausgeschieden werden.
Für die Grösse des Fassungsbereichs SI gelten die folgenden Richtwerte:
- Grundwasserfassung, Vertikalbrunnen: 10- 20m ab Brunnen
- Grundwasserfassung, Horizontalbrunnen: 5 - 20 m ab Strangende
- Quellfassung: 10 - 20 m auf Zuflussseite, $ 10m vom Zufluss abgewandt.
Für die Festlegung der Grösse der engeren Schutzzone S2 gilt als Basis eine
Aufenthaltszeit des Wassers von 2:10 Tagen (in Deutschland analog ;;::50 Tagen).
Diese Zeit soll gewährleisten, dass mikrobielle Verunreinigungen durch eine
genügende Filterstrecke zurückgehalten werden. Daraus ergeben sich Zufluss-
strecken von häufig > 100 m. Bei Quellen resultieren häufig sehr grosse Schutz-
124 8 Wasserbeschaffung

zonen-wenn die 10 d nicht eingehalten werden können, so ist eine Entkeimung


vorzusehen.
Für die weitere Schutzzone S3 gibt es keine speziellen Richtlinien, häufig
werden sie doppelt so gross wie die engere Schutzzone S2 gewählt. In Deutsch-
land wird eine Zone IDA bis ca. 2 km oberhalb der Fassung und eine Zone ITIB,
die das Einzugsgebiet der Fassung umfasst (Zustrombereich), ausgeschieden.
Für diese Zonen existieren verschiedene Nutzungseinschränkungen, die in
der Wegleitung zur Ausscheidung von Gewässerschutzbereichen, Grundwasser-
schutzzonen und Grundwasserschutzarealen (Okt. 1977) dargestellt und in
Tabelle 8.4 auszugsweise enthalten sind.
Zu jeder genutzten Grund- oder Quellwasserfassung (auch Grundwasseran-
reicherung) müssen Schutzzonen errichtet werden; diese sind im Grundbuch zu
sichern, wobei die Nutzungsbeschränkungen entschädigt werden müssen.

TabeHe 8.4. Nutzungseinschränkungen in den verschiedenen Grundwasserschutzzonen und


Gewässerschutzbereichen (exemplarischer Auszug aus der Schweizerischen Wegleitung zur Aus-
scheidung von Gewässerschutzbereichen, Grundwasserschutzzonen und Grundwasserschutzarea-
Jen)
Gewässer-
Grundwasserschutzzonen
schutzbereiche
SI S2 S3 Areal A B,C
Landwirtschaft:
Gründüngung + + + + + +
Austragen von Mist und Jauche ± + + + +
Unhygienisierter Klärschlamm + + + +
Pflanzenschutzmittel + + + +
Lagern von Mist und Jauche + +
Bauten:
a)
Wohnhäuser + + +
Gewerbe, Industrie + +
Schmutzwasserleitungen + + +
Kläranlage
a) a) a)
+ +
Versickerung von Dachwasser + +
von Schmutzwasser
Verkehr + + +
Deponien +
+Zugelassen ±Mit Vorbehalt zugelassen - nicht zugelassen
a> Ausnahmen sind möglich

Beispiel 8.3. Jauche im Trinkwasser


Im feuchten und gewitterreichen Sommer 1993 stand am 23. Juni im Tagesanzeiger eine
Meldung über ein Ereignis, das häufiger ist, als wir annehmen:
Stinkendes Wasser
GetrUbte Idylle in der Waldlichtung: Jauche in der Quellfassung nach Gewitterregen?
8.7 Schutz von Wasserfassungen (Schutzzonen) 125

Beispiel 8.4. Umfang einer Grundwasserschutzzone


Die Quelle aus Beispiel 8.1 schattet im Maximum 200 m3 d.1 gutes Trinkwasser. Die
wasserführende Schicht hat eine Mächtigkeit von 2 m und der Grundwasserträger hat
eine nutzbare Porosität von 20%.
Wie gross wird die engere Schutzzone 52?
ln der Schutzzone S2 soll das Wasser für mindestens 10 d verbleiben. Also muss das
nutzbare Porenvolumen 200 m3 d.1 · 10 d = 2000 m3 umfassen. Bei einer Porosität von
20% ergibt sich ein erforderliches Bodenvolumen von 2000 m3 I 0.2 = 10'000 m3 oder mit
einer Mächtigkeit von 2 m eine Fläche der Schutzzone von mindestens 5000 m2 (das
entspricht der Hälfte der Siedlungsfläche). Die weitere Schutzzone S3 hat eine Fläche
von über 10'000 m2 •
Liegt ein Teil der Schutzzonen im Baugebiet, so erlauben es die Landpreise in der
Schweiz häufig nicht, die Einschränkungen der Nutzung zu entschädigen. Die Ausschei-
dung von Schutzzonen wird dann gelegentlich zurückgestellt.
Muss ein Grundwasserbrunnen geschützt werden, ist die Mächtigkeit des Grundwasser-
trägers oft grösser; mit20m Mächtigkeit würde hier die Schutzzone 10 mal kleiner. Zu-
dem muss nicht für die Extremsituation ausgeschieden werden (maximale Schüttung der
Quelle über 10 d) sondern nur für die effektive Förderung von Grundwasser, welche viel
kleiner ist, eher entsprechend der minimalen Schüttung der Quelle.
9 Wasseraufbereitung

Genügt die Qualität des Rohwassers den Anforderungen an Trinkwasser nicht, so


muss es aufbereitet werden. Die Aufbereitung kann je nach Situation die chemi-
schen, physikalischen oder hygienischen Eigenschaften des Wassers betreffen.
Aufbereitungen ohne Desinfektion (Hygiene) sind aber kaum sinnvoll.
In Abb. 9.1 ist die Aufgabe der Trinkwasseraufbereitung charakterisiert. Ein
Rohwasser, dessen Qualität sehr variabel sein kann, muss soweit aufbereitet
werden, dass es beim Verbraucher noch Trinkwasserqualität hat. Es soll zudem
in den Verteilleitungen nicht korrosiv sein und keine organischen Nährstoffe
enthalten, die Mikrorganismen ein Wachsturn (Vermehrung) erlauben und so im
Netz zu einer Wiederverkeimung führen.

Rohwasser Barriere
Trinkwasser

variabel Aufbereitung
Jahresgang chemisch
Regen physikalisch
hygienisch

Anforderungen
gernäss Lebensmittelverordnung
Wiederverkeimung
Korrosion

Abb. 9.1. Die Aufgabe der Trinkwasseraufbereitung: Ein Rohwasser mit variabler Qualität muss
chemisch, physikalisch und hygienisch soweit aufbereitet werden, dass es beim Verbraucher noch
Trinkwasserqualität hat

Bei der Gewinnung von Wasser für zentrale Wasserversorgungsanlagen ist


anzustreben, dass das Wasser von Natur aus den Anforderungen an Trinkwasser
genügt. Der zunehmende Wasserbedarf führt aber dazu, dass immer mehr Was-
ser genutzt werden muss, das ohne Aufbereitung nicht als Trinkwasser dienen
kann. Die erforderliche Aufbereitung des Wassers muss individuell auf die
Rohwasserqualität ausgerichtet sein und kann nicht generell festgelegt werden.
Häufig wird es erforderlich sein, im Rahmen von Pilotversuchen eine geeignete
Kombination von Verfahren und deren Auslegung zu erarbeiten- eine Aufgabe
die Spezialisten (Limnologen, Hydrogeologen, Hygieniker, Chemiker, Verfah-
rensingenieure, Bauingenieure) in Zusammenarbeit lösen.
128 9 Wasseraufbereitung

Tabelle 9.1 ist eine Zusammenstellung der angewendeten Aufbereitung des


Trinkwassers in Abhängigkeit der Herkunft des Wassers. Quell- und Grundwas-
ser wird in kleinen Wasserversorgungen (75% der Anlagen) meist direkt ins Netz
eingespiesen, während wenige grosse Wasserwerke (5% der Anlagen) ihr Trink-
wasser durch aufwendige Aufbereitungsverfahren herstellen.

Tabelle 9.1. Trinkwasseraufbereitung nach Art der Wasserherkunft. Situation in der Schweiz
1995, totale Produktion von Trinkwasser 1067.5 mio m3 (BUWAL 1998)
Aufbereitung Anlagen Wassermenge in% der totalen Produktion
Quellwasser Grundwasser Seewasser Total
mehrstufig"' 5% 4% 9% 16% 29%
einstufigbl 20% 17% 16% 0% 33%
keine 75% 21% 17% 0% 38%
Total 100% 42% 42% 16% 100%
al Mehrstufige Aufbereitung umfasst Prozesse wie Chlorierung, Ozonierung,
Versickerung, Filtration, Desinfektion, Neutralisation
bl Einstufige Aufbereitung heisst Desinfektion und kann gelegentlich eine Entsäuerung
oder Belüftung miteinschliessen.

9.1 Desinfektion
Die Desinfektion ist das häufigste Aufbereitungsverfahren in der Wasser-
versorgung. Sie gewährleistet die Hygiene des Trinkwassers.
Ziel der Desinfektion in der Trinkwasseraufbereitung ist die Vermeidung von
Krankheiten, die über das Trinkwasser übertragen werden. Dazu müssen Krank-
heitserreger (Mikroorganismen, Protozoen, Bakterien, Viren) abgetötet werden.
Das ist möglich durch Hitzeeinwirkung (Abkochen), ultraviolette (UV) oder
Gamma-Strahlung, bakterizide Metalle (Silber, Kupfer), starke Säuren und Ba-
sen, oberflächenaktive Stoffe und chemische OxidationsmitteL In der Wasser-
werkspraxis ist der Einsatz von chemischen Oxidationsmitteln wie Cl2 (Chlor),
0 3 (Ozon), Cl02 (Chlordioxid) am weitesten verbreitet. In kleinen Werken wird
ev. UV eingesetzt. Silber wird gelegentlich zur Konservierung von Wasser ge-
nutzt. Abkochen wird in Notfällen empfohlen.
UV-Strahlung eignet sich für die Anwendung in kleinen Anlagen. Eine dünne
Wasserschicht (lern) wird während wenigen Sekunden mit UV-Strahlung von
265 nm Wellenlänge und hoher Intensität bestrahlt (Abb. 9.2). Ein Vorteil ist,
dass sich keine Nebenprodukte bilden. Nachteilig ist, dass sich keine nachhaltige
Wirkung ergibt (Netzschutz).
Ozon ist ein giftiges und sehr instabiles Gas. Es wird am Ort des Einsatzes
mit grossem Energieaufwand erzeugt (Abb. 9.3). Ozon hat den Vorteil, dass sich
nur geringe Mengen von unerwünschten Nebenprodukten bilden. Es hat den
Nachteil, dass es schnell zerfällt und daher keinen Schutz des Verteilnetzes er-
gibt. Ozonisierunganlagen sind aufwendig, entsprechend wird Ozon v.a. in grös-
seren Aufbereitungsanlagen eingesetzt (Abb. 9.4).
9.1 Desinfektion 129

-
Abb. 9.2. Beispiel einer Desinfektionsanlage
mit UV Strahlung

Hochspannungs-Wechselfeld
(7 · 12 kV, 300 ·600Hz)

Abb. 9.3. Schematische Darstellung einer Ownerzeuger-Anlage: Mehrere solche Rohre werden
parallel betrieben

Ozonerzeuger Abluft zur


Restozon·
Vernichtung

Zulauf

Ablauf
zur Nach·
behandlung

Abb. 9.4. Darstellung eines Ozonierungsreaktors: Eine längsdurchströmte Kaskade, Owneintrag


am Anfang, zusätzliche Reaktionszeit gegen Ende des Raktors, zuverlässige Restozonvernichtung
130 9 Wasseraufbereitung

Verdampfungsanlage

ChierbehäHer

Abb. 9.5. Darstellung einer einfachen Dosierung von Chlorgas direkt in die Transportleitung einer
Wasserversorgung

Chlor ist das Desinfektionsmittel, das weltweit am häufigsten eingesetzt


wird. Es hat den Nachteil, dass es mit organischen Stoffen im Wasser reagiert
und dabei möglicherweise krebserzeugende Substanzen bildet. Chlorgas kann
gelagert werden, sein Einsatz ist einfach und billig und hat den Vorteil, dass
Chlor über längere Zeit im Wasser wirksam bleibt und dadurch auch das Verteil-
netz geschützt werden kann (Abb. 9.5). Dem Einsatz von Chlorgas entspricht
auch der Einsatz von Bleichlauge (Javelwasser), einer Lösung von NaCIO.
Chlorgas Cl 2 reagiert mit Wasser zu er+ HClO +Ir und z.T. weiter zu
Ir + Clo·. Das wirksame Agens ist HCIO, das auch in Bleichlauge (NaCIO)
enthalten ist oder durch Chlorkalk gebildet wird. Chlorkalk wird gelegentlich zur
Hygienisierung von Nottoiletten verwendet. ·
Chlordioxid Cl02 muss am Ort des Einsatzes hergestellt werden, es hat den
Vorteil, dass sich nur wenig unerwünschte Nebenprodukte bilden. Es wird oft als
letztes Desinfektionsmittel vor der Einspeisung ins Netz eingesetzt und gewähr-
leistet so einen Netzschutz.

Beispiel 9.1. Desinfektion mit Chlorgas


Eine kleine Gemeinde mit 2000 Einwohnern muss für ihr Trinkwasser eine Sicherheits-
chlorung durchführen. Das Ziel ist, im ganzen Verteilnetz eine Restchlorkonzentration
von 0.1 g m·3 Cl 2 einzuhalten. Die Chlorzehrung des Wassers wird in Laborversuchen mit
< 0.4 g m·3 Cl 2 bestimmt.
Wieviel Chlor braucht die Gemeinde, die pro Tag im Maximum 1000 m3 Trinkwasser
verteilt?
Dosierung= 0.5 g m-3 Cl2 • 1000 m3 d. 1 = 500 g d. 1 Cl 2 •
Diese Menge kann in flüssiger Form in Stahlflaschen für viele Tage gelagert werden.
Die Chlorzehrung gibt an, wieviel Cl 2 mit Wasserinhaltstoffen reagiert, bevor ein Über-
schuss für die Desinfektionsreaktionen zur Verfügung steht.

Die Gestaltung von Desinfektionsanlagen ist von vielen Faktoren abhängig:


Sie reicht von der einfachen Zudosierung von Chlor oder Bleichlauge zu unver-
schmutztem Quellwasser (Abb. 9.5) bis zu aufwendigen mehrstufigen Belüf-
tungsanlagen um z.B. das gasförmige Ozon im Wasser zu lösen (Abb. 9.4) oder
9.2 Langsamsandfiltration 131

Rohwasser
Filtration Schmutzdecke

Sandfilter mit Körnung


um0.6 mm, H>0.5 m
SandMeraulbau
mij zunehmender
Korngrösse

Drainageboden

Abb. 9.6. Aufbau eines Langsamsandfilters

chemischen Prozessen, in denen das Cl02 vor Ort produziert und ins Wasser
dosiert wird. Die Desinfektion bedingt meist nur kurze Reaktionszeiten (Sekun-
den bis Minuten), um seine volle Wirkung zu erlangen. Je grösser das Wasser-
werk, desto aufwendiger wird die Desinfektion- die Wasserversorgung der Stadt
Zürich setzt sowohl Cl 2 als auch 0 3 und Cl02 ein, wobei in Zwischenstufen z.B.
die Nebenprodukte der Chlorung wieder auf Aktivkohle adsorbiert werden.

9.2 Langsamsandfiltration
Die Langsamfiltration ist ein umfassendes Reinigungsverfahren, das sowohl par-
tikuläre Stoffe und mikrobielle Keime als auch biologisch abbaubare Stoffe zu-
rückhält.
Bereits im 19. Jh. wurden Langsamsandfilter zur Aufbereitung von Trinkwasser
betrieben; sie sind die ersten Filterverfahren, die verwendet wurden. Ihr Reini-
gungsprinzip ist der Bodenpassage nachempfunden (Abb. 9.6):
Langsamsandfilter werden mit Quarzsand mit einer Körnung im Bereich von
0.2- 2 mm (typisch sind 0.5 - 1 mm) und mit einer Schichtstärke von 0.7-
1.2 m aufgebaut. Um zu verhindern, dass das Filtermaterial in den Unterbau
ausgeschwemmt wird, wird der Unterbau mit gegen oben abnehmender
Korngrösse in mehreren Stützschichten aufgebaut.
- Langsamsandfilter besitzen eine Siebwirkung an der Oberfläche und eine
adsorptive Wirkung für Kolloide und Keime über die ganze Filterschicht
Von besonderer Bedeutung für die Reinigungswirkung ist die sogenannte
Schmutzdecke, eine wenige Zentimeter dicke Schicht, die biologisch aktiv ist
und in der sowohl Ammonium zu Nitrat oxidiert wird (Nitrifikation), als auch
organische Stoffe mineralisiert werden. Voraussetzung für eine gute Reini-
gungswirkung ist eine genügende Versorgung mit Sauerstoff und eine geringe
Belastung mit suspendierten Stoffen (Zulauf< 10, besser< 3 g TSS m· 3).
Langsamsandfilter können ein hygienisch einwandfreies und feststofffreies
Wasser liefern. Eine Reduktion der totalen Keimzahlen um 3 - 4 Zehnerpo-
tenzen und der Fäkalkeime um 2 - 3 Zehnerpotenzen sind typisch.
Langsamsandfilter werden mit einer hydraulischen Belastung von 0.06 - 0.3
mh· 1 (m3 Rohwasser pro m2 Filterfläche pro Stunde) und einem Überstau von ca.
1 in betrieben. Wird der Energie- oder Druckverlust mit zunehmender Verstop-
132 9 Wasseraufbereitung

fung zu gross, wird die Schmutzdecke (5 - 20 cm) abgeschält und der Sand ge-
reinigt (z.B. alle 3- 24 Monate je nach Belastung und Vorreinigung des Rohwas-
sers). Ansebliessend muss der Filter wieder reifen, d.h. es muss sich eine neue,
biologisch aktive Schmutzdecke bilden, was einige Zeit erfordert, während der
das produzierte Wasser nicht einwandfrei ist. Langsamsandfilter werden deshalb
immer in mehreren Einheiten gebaut- in grossen Anlagen bis zu 5000 m2 gross,
gedeckt oder offen.
Langsamsandfilter haben eine grosse Grundfläche und werden deshalb in
Städten kaum mehr neu gebaut. In ländlichen Regionen, insbesondere in Ent-
wicklungsländern sind sie ideale Aufbereitungsverfahren, sofern die Vorbe-
handlung auf die Rohwasserqualität abgestimmt ist: Die Langsamsandfilter
kommen mit einfachen Baumaterialien aus, kennen keine beweglichen Teile,
können im Gefälle ohne Fremdenergie betrieben werden, brauchen keine Che-
mikalien und liefern bei sorgfältigem Betrieb ein hygienisch einwandfreies Was-
ser. Betrieb und Unterhalt bedingen intensive Handarbeit mit einfachsten Werk-
zeugen.
Langsamsandfilter haben als Vorbehandlungsstufe von Grundwasser-
Anreicherungsanlagen neuerdings wieder einige Bedeutung erlangt: Hier sind
grosse Infiltrationsflächen erforderlich, was sich optimal mit der alten Technik
verbinden lässt (S.a. Abb. 8.10).

Beispiel 9.2. Dimensionen eines Langsamsandfilters


Wie gross wird ein Langsamsandfilter für eine Stadt mit 100'000 Einwohnern, die pro Tag
50'000 m3 Wasser aufbereiten muss?
Bei einer Filtergeschwindigkeit von 0.2 m h.1 oder 5 m d.1 müssen dauernd 10'000 m2
Filterfläche zur Verfügung stehen.
Damit immer ca. 25% der Filterfläche für den Unterhalt und das Reifen der Schmutzdek-
ke ausser Betrieb genommen werden können, sind insgesamt ca. 10'000 I (100%-
25%) = 13'000 m2 Filterfläche erforderlich, die mit Vorteil in mindestens 4 Einheiten
aufgeteilt werden. Bei Landpreisen von über Fr. 1'000 m·2 ••••

9.3 Schnellfiltration
Die Schnellfiltration hat die Aufgabe, Partikel aus dem Wasser abzutrennen.
Der grosse Flächenbedarf der Langsamsandfilter hat dazu geführt, dass die Filter
mit immer höheren hydraulischen Belastungen betrieben wurden. In der Folge
verstopften diese Filter nach immer kürzerer Laufzeit, und sie mussten mit einer
Rückspülung ausgerüstet werden. Diese erlaubt, die Schmutzstoffe aus dem Fil-
terbett auszuwaschen und dieses zu regenerieren. Anfänglich wurden die Filter
mit einer einzigen Schicht Flusssand 0.2 - 2 mm ausgerüstet und mit nur 1 m h.1
beschickt, der Druckverlust stieg sehr rasch an, weil die Filterwirkung v.a. an der
Oberfläche zum tragen kam, man spricht von einem Flächenfilter. Seit den 60er
Jahren werden die Filterbetten mit von oben nach unten abnehmender Korngrös-
se gebaut, die Filterwirkung kann so besser über die Tiefe des Filterbetts verteilt
werden, man spricht von einem Raumfilter. Die Zunahme des Druckverlusts
wurde verringert und entsprechend die Laufzeit bis zur nächsten Spülung stark
gesteigert.
9.3 Schnellfiltration 133

Rückspülen Rltrieren
Schwemmwasser
--~-.~r-------~
. '~------------,_ ______
Rohwasser
Zulauf

Spülluft

Luftpolster

Abb. 9.7. Längsschnitt durch einen Schnellfilter. Rechts in der Phase des Filtrierens, links
während der Rückspülung. Das Filterbett ist aus zwei Schichten aufgebaut, oben liegt ein spezi-
fisch leichtes, grobkörniges, unten ein spezifisch schweres, feinkörniges Material. Während der
Rückspülung werden die beiden Schichten von Filtermaterial durchmischt

Moderne Schnellfilter werden mit Filtergeschwindigkeiten im Bereich von


6- 15m h. 1 betrieben. Die konstruktiven Details beruhen meist auf dem verfah-
renstechnischen "know how" des Lieferanten. Moderne Filtrationsanlagen wer-
den entsprechend in Zusammenarbeit zwischen beratenden Ingenieuren und Aus-
rüstern entworfen. Das Wasser filtriert von oben nach unten (Abb. 9.7); die Fest-
stoffe, die im Filter zurückbleiben, führen zu einer laufenden Zunahme des
Druckverlustes. Zum Schluss eines Zyklus muss der Filter von unten nach oben
rückgespült werden, dazu wird das Filterbett mit Rückspülwasser in Schwebe
gebracht, mit Luft aufgelockert und die Feststoffe ausgespült. Da das spezifische
Gewicht der grossen Filterkörner kleiner ist als das der kleinen unten liegenden
Quarzkörner, schichtet sich das Filterbett automatisch wieder mit von oben nach
unten abnehmender Filterkorngrösse. Der nächste Zyklus beginnt.

Beispiel 9.3. Dimension einer Schnellfilteranlage


Wie gross werden die Schnellfilter, die für die Vorbehandlung der 50'000 m3 d 1 Wasser in
Beispiel 9.2 erforderlich sind?
Die maximale Filtergeschwindigkeit wird zu 10m h.1 angenommen. Im Maximum gehen
5 %des Wassers verloren für Rückspülung und erneute Inbetriebnahme des Filters.
Im Maximum müssen 50'000. 1.05 = 52'500 m3d-1 Wasser filtriert werden. Dies erfordert
52'500 m3 d-1 I (24 h d· 1·10 m h-1 ) =220m2 Filterfläche. Da immer ein Filter zum Rück-
spülen in Reserve gehalten werden muss, könnten z.B. 6 Zellen mit je 40 - 45 m2 gebaut
werden.

Für den Aufbau von modernen Mehrschichtfiltern, mit von oben nach unten
abnehmender Korngrösse des Filtermaterials, kommen heute Materialien mit
unterschiedlicher Dichte zur Anwendung: Quarzsand mit 2.65 g cm· 3, Anthrazit
oder Blähtongranulat mit 1.7 g cm·3 oder Bims mit 1.4 g cm·3• Abb. 9.8 zeigt die
Entwicklung des Aufbaus der Filterschichten in einer modernen Wasserauf-
bereitungsanlage. Die grobkörnigen Filtermaterialien haben den Vorteil, dass sie
134 9 Wasseraufbereitung

Abb. 9.8. Entwicklung des


Filterbetts in den Schnell-
filtern der Wasserversor-
EinkomM er Zweischichtfiner DreischichtMer gung der Stadt Zürich.
1940-1975 1965-1975 1970- 1975 Heute konunen v .a. Zwei-
vF =Sm h-' VF=10mh·1 VF=10mh-l
schichtfilter zur Anwendung

Energievertust ßH in mWS

-------------------·-·······--------J·········-·····7·········
Filter1<orn
2 ·3m klein
Fmen<orn
gross

Abb. 9.9. Zeitliche Ent-


wicklung des Energiever-
lusts des durchströmenden
Filtertaufzeit t inStd. Wassers in einem Filterbett

mehr Feststoffe speichern können, bevor der Energieverlust allzustark ansteigt


(Abb. 9.9). Das verlängert die Filterlaufzeit und reduziert den Bedarf an Rück-
spülwasser. Die untenliegenden feinkörnigen Schichten gewährleisten die gute
Reinigung des Wassers.

Beispiel 9.4. Sedimentationsgeschwindigkeiten von Filtermaterialien


Nach Stokes kann die Sedimentationsgeschwindigkeit v5 von kugelförmigen Partikeln im
laminaren Strömungsfeld mit der folgenden Gleichung abgeschätzt werden:

vs = 3.3 · g-( Ps ;:w }d 5

g = 9.81 m s· 2, p5 , Pw =Dichte des Partikels und des Wassers, d5 = Partikeldurchmesser.


9.4 Aktivkohleadsorption 135

Gitter- und Schichtstruktur Kristallins Struktur der


des Kohlenstoffes im aktivierten Kohle
Graphit mit grosser innerer

T~ ~\~~
Oberfläche
~

~
1i k ~~~
10A

Abb. 9.10. Molekulare und kristalline Struktur der Aktivkohle

Damit ergeben sich die folgenden Sedimentationsgeschwindigkeiten für die Materialien


im Dreischichtfilter in Abb. 9.8:
Quarzsand: p5 = 2.65 g cm·3 , d5 = 0.8 mm v 5 = 0.21 m s·1
4 4
Anthrazit: p5 = 1.70 g cm , d5 = 2.0 mm v 5 = 0.21 m s
Bims: p5 = 1.40 g cm·3 , d5 = 3.5 mm v5 = 0.21 m s·1
Während der Rückspülung sedimentieren diese Filterkörner gegen das aufströmende
Rückspülwasser, es kann sich also bei geeigneter Wahl der Kornabstufung eine Tren-
nung der Schichten ergeben. Filterbetten müssen vom Lieferanten des Filtermaterials als
Ganzes getestet und verantwortet werden.

9.4 Aktivkohleadsorption
Die Adsorption trennt gelöste, organische Verbindungen aus dem Wasser ab,
indem diese an der Oberfläche der Aktivkohle adsorbiert werden.
Aktivkohle oder aktivierte Kohle wird hergestellt, indem z.B. Anthrazit oder
Holzkohle bei hoher Temperatur (> 650 oq in Gegenwart von Wasserdampf
aktiviert wird, d.h. dass in den graphitischen Strukturen der Kohle mikroskopi-
sche Poren entstehen, weil ein grosser Teil der Kohle oxidiert und als C02 ver-
flüchtigt wird (Abb. 9.1 0). Diese mikroskopischen Poren stellen eine grosse in-
nere Oberfläche dar (1000- 2000 m2 g·1 Aktivkohle), an die organische Stoffe
adsorbieren können. Adsorbieren heisst, dass sich die Stoffe auf der Oberfläche
angelagern und dann zusammen mit der Aktivkohle aus dem Wasser entfernt
werden können.
Aktivkohle kommt heute meist in Apparaten ähnlich den Schnellfiltern zur
Anwendung, die Korngrössen der Aktivkohle sind gleich wie beim Filtermaterial
(I - 3 mm). Da Aktivkohle teuer ist und beim Rückspülen durch Abrieb immer
ein Teil verloren geht, muss das Wasser vor der Aktivkohlefiltration vorbehan-
delt werden und weitgehend frei von Feststoffen sein.
136 9 Wasseraufbereitung

Die innere Oberfläche der Aktivkohle hat nur eine begrenzte Aufnahme-
kapazität von organischen Stoffen (die zudem stark von den spezifischen Eigen-
schaften des Stoffes abhängen). Ist die Oberfläche belegt und damit die Adsorp-
tionskapazität erschöpft, so muss die Aktivkohle regeneriert werden (in speziel-
len Aktivierungsöfen, die je nach Lieferant nur im Ausland zur Verfügung ste-
hen).
Die Konzentration von organischen Verbindungen auf der Aktivkohle führt
dazu, dass sich Mikroorganismen auf den Kohlekörnern ansiedeln und diese
Stoffe z.T. abbauen. Das Adsorptionsverfahren wird dadurch zum biologischen
Reinigungsverfahren, das im Notfall grössere Mengen von organischen Verbin-
dungen zurückhalten kann.

Belspiel 9.5. Aktivkohle im täglichen Leben


Aktivkohle kommt in Zigarettenfiltern, Gasmaskenfiltern und als Medizinalkohle zur An-
wendung. Immer hat sie die gleiche Aufgabe, sie soll unerwünschte organische Stoffe
aus Gasen oder Flüssigkeiten adsorbieren.

Beispiel 9.6. Aktivkohle im Wasserwerk


Die Wasserversorgung der Stadt Zürich betreibt ihre Aktivkohlefilter seit ca. 15 Jahren
ohne Regenerierung der Aktivkohle. Der biologische Abbau der organischen Stoffe ge-
nügt, um eine ausreichende Adsorptionskapazität der Kohle aufrecht zu erhalten.

9.5 Koagulation und Flockung


Die Flockung ist ein Prozess, der die Abtrennung von feinsten Partikeln aus dem
Wasser unterstützt.
Viele der feinsuspendierten und kolloidalen Stoffe können nicht durch Sedi-
mentation aus den Rohwasser abgetrennt werden: Die meist elektrisch negativ
geladenen Partikel stossen sich gegenseitig ab und bilden dadurch eine stabile
Suspension oder ein Kolloid. Mit Hilfe von Chemikalien können diese Absto-
ssungskräfte überwunden werden, die kleinen Partikel können sich zu grösseren
Aggregaten und Flocken zusammenballen, die nun einfacher aus dem Wasser
abgetrennt werden können.
Als Koagulationsmittel wird vor allem Aluminiumsulfat verwendet. Durch
die zusätzliche Zugabe von geringen Mengen von Flockungshilfsmitteln (z.B.
organische Polymere) kann der Flockungsvorgang noch unterstützt und be-
schleunigt werden. Die genaue Rezeptur für eine gute Flockung muss im Labor
oder in Versuchen erarbeitet werden.
Die Art der Zugabe der Chemikalien (kurzes intensives Mischen) und die
Turbulenz, die in den ansebliessenden Reaktoren zur Unterstützung der Flockung
während einigen Minuten z.B. durch Paddel erzeugt wird, entscheiden massge-
bend über den Erfolg der Flockung (Abb. 9.11 ).

9.6 Sedimentation
Die Sedimentation ist ein Vorbehandlungsveifahren, das einen grossen Teil der
partikulären Stoffe abtrennen soll.
9.6 Sedimentation 137

IChemikalien Zugabe I

Mischung Flockung Sedimentation

Schlammabzug

Abb. 9.11. Schematische Darstellung einer Flockung und eines einfachen Sedimentationsbek-
kens. Die gleiche Anordnung wird auch für die chemische Reinigung von Abwasser eingesetzt
(Abb. 19.9)
Rod<ungsmitteldosierung

Klarwasser
.t.,;;p:::;-- Ablauf

Schlammbett

Schlammabzug
Abb. 9.12. Beispiel einer integrierten Flockungs- und Sedimentationsanlage

Die Sedimentation, oder die Abtrennung von suspendierten Stoffen durch


Schwerkraft, ist ein Verfahrensschritt, der in Nordamerika in der Trinkwasser-
aufbereitung häufig eingesetzt wird: Die Verwendung von Flockungsmitteln in
hoher Konzentration führt zur Bildung einer hohen Konzentration von suspen-
dierten Stoffen, die einen Raumfilter in kurzer Zeit verstopfen würden. Das ge-
flockte Wasser wird deshalb in einer Sedimentation vorbehandelt und erst an-
schliessend, nun ausgehend von einer geringeren Feststoffkonzentration, filtriert.
In Abb. 9.11 ist schematisch ein Sedimentationsbecken dargestellt. Die Aufent-
haltszeit im Becken beträgt typisch mehrere Stunden.
Mit Sedimentation allein kann kein Trinkwasser produziert werden, die ver-
bleibende Restkonzentration der suspendierten Stoffe ist zu hoch und würde
insbesondere keine zuverlässige Desinfektion gewährleisten, weil die Chemika-
lien nur langsam ins Innere der Flocken dringen können und auf diesem Weg
ihre Wirkung durch Reaktion verlieren.
Verfahrenstechnisch wird oft in lieferantenspezifischen Anlagen die Flok-
kung und die Sedimentation in einem Apparat integriert (Abb. 9.12).
138 9 Wasseraufbereitung

rr===== Rückspülung,
Reinwasser

Abb. 9.13. Beispiel eines Mikrosiebes

Kiesmaterial mü abnehmender Körnung

Zufluss Abfluss

Entleerung für Reinigung

Abb. 9.14. Prinzipskizze eines horizontal durchströmten Kiesfilters, wie er z.B. in Entwick-
lungsländern zur Vorreinigung von Flusswasser vor Langsamsandfiltern immer häufiger zur
Anwendung kommt

9.7 Mikrosiebe
Mikrosiebe sind Apparate, in denen ein Stahl- oder Textilgeflecht mit kleinsten
Durchlässen im Bereich von 0.016-0.05 mm auf drehende Trommeln aufge-
spannt ist. Das Wasser fliesst durch das Mikrosieb, dabei bleiben Partikel auf
dem Sieb zurück. Eine kontinuierliche Rückspülung der sich drehenden Trom-
mel sorgt dafür, dass das Sieb nicht verstopft (Abb. 9.13).

9.8 Vorfiltration
Die Vorfiltration ist wie die Sedimentation ein Vorbehandlungsveifahren, das die
partikulären Stoffe in einem stark trüben Rohwasser reduzieren soll.
Soll Flusswasser mit stark variablem Gehalt von suspendierten Stoffen mit Fil-
tration oder Langsamfiltration und ev. Grundwasseranreicherung aufbereitet
werden, so muss dieses Wasser in einer Vorfiltration vorbehandelt werden, weil
die hohen Konzentrationen der suspendierten Stoffe die eigentliche Filtration
rasch verstopfen. Die Vorfilter haben eine grosse Speicherkapazität für zurück-
gehaltene Feststoffe. Ein Beispiel eines solchen Vorfilters ist der horizontal
9.9 Abtrennung von partikulären Stoffen 139

Partikelkonzentration in 9JSs m,"l

1000

10

0.1
10-6 10•1 10
Partikelgrösse in mm
~
Viren Bak1erien Algen

Abb. 9.15. Wirkungsbereich der verschiedenen Prozesse und Verfahren zur Abtrennung von
Partikeln aus Rohwasser

durchströmte Kiesfilter, wie er in Abb. 9.14 dargestellt ist. Solche Filter unter-
stützen insbesondere die Sedimentation von Partikeln auf den Kieskömem: Es
ergeben sich kurze Sedimentationswege für die Partikel.

9.9 Abtrennung von partikulären Stoffen


Für die Abtrennung von Schwebestoffen aus dem Rohwasser stehen uns eine
Vielzahl von Verfahren zur Verfügung.
Abb. 9.15 gibt einen Überblick über den Wirkungsbereich von unterschiedlichen
Verfahren zur Abtrennung von partikulären Stoffen. Häufig werden mehrere
Verfahren in Serie betrieben, sodass jede Stufe optimal auf ihre Aufgabe ausge-
legt werden kann.

9.10 Entfernung von Eisen und Mangan


Im sauerstoffarmen oder sauerstofffreien Grundwasser kann Eisen- und Mangan-
Oxid, dass sich im Grundwasserleiter befindet, durch biologische Prozesse zu
zweiwertigem Fe2• und Mn 2• reduziert werden. Diese reduzierten Schwermetalle
haben im Wasser eine hohe Löslichkeit und können entsprechend mit dem Was-
ser transportiert werden. Kommt das Wasser wieder mit Sauerstoff in Kontakt,
wie das z.B. in der Aufbereitung von Grundwasser der Fall ist, so wird zweiwer-
tiges Eisen Fe 2• zu dreiwertigem, schwerlöslichem Eisen Fe3• aufoxidiert. Es
bildet sich ein rostbrauner Niederschlag, der im Trinkwasser störend ist (und z.B.
auf der Wäsche Rostflecken verursacht). Zweiwertiges Mangan Mn 2• wird bei
den pH-Werten im Trinkwassers nur langsam oxidiert.
Die Enteisenung des Wassers ist möglich indem das Eisen in Gegenwart von
Sauerstoff zum schwerlöslichen dreiwertigen Eisen aufoxidiert wird und die sich
bildenden Niederschläge ansebliessend durch Zugabe von Flockungsmitteln
entstabilisiert und geflockt werden. Die Flocken können in einem Schnellsand-
140 9 Wasseraufbereitung

filter, der mit Vorteil als mehrschichtiger Raumfilter gestaltet ist, abgetrennt
werden.
Die Entmanganung des Wassers ist ähnlich der Entfernung von Eisen, aber
schwieriger: Da die Oxidation zu unlöslichem Mangan nur langsam abläuft,
werden z.B. Filtermedien mit katalytischen Oberflächen (Mn02) eingesetzt, die
die Oxidation im Filterbett beschleunigen und dann erlauben, die sich bildenden
Niederschläge im Filter zurückzuhalten.

9.11 Entsäuerung
Enthält ein Wasser in Bezug auf das Gleichgewicht zwischen Kalk CaC03 und
Kohlensäure C02 einen Überschuss an Säure (d.h. im Kontakt mit CaC03 würde
das Wasser noch Kalk auflösen können), so hat das Wasser die Tendenz, in
Verteilleitungen aggressiv oder korrosiv zu sein. Besteht hingegen ein Über-
schuss an Ca2• und CO/-, so besteht die Tendenz, dass aus dem Wasser Kalk als
weisser Niederschlag ausfällt und die Leitungen verkrustet. In der Wasserwerk-
spraxis wird darauf geachtet, dass Kalk und Kohlensäure angenähert im Gleich-
gewicht sind. Ein Überschuss von Kohlensäure kann durch mehrere Verfahren
vermindert werden (DIN 2000):
- Kohlendioxid C02 kann durch Belüftung aus dem Wasser in die Atmosphäre
ausgetrieben werden. Dadurch wird zusätzlich Sauerstoff ins Wasser einge-
tragen und es werden z.T. andere unerwünschte Gase ausgetrieben.
- Filterung des Wassers über gekörntes Calciumkarbonat, Kalk, CaC03, be-
wirkt, dass Kalk im Wasser aufgelöst wird, bis sich ein Gleichgewicht ein-
stellt. Das Wasser wird aufgehärtet
- Filterung über dolornitisches Filtermaterial oder andere alkalisch reagierende
Filtermaterialien (vorwiegend Gemische aus CaC03 und MgO).
- Entsäuerung mit Zugabe von Hydroxiden (Ca(OH)2 und NaOH) sowie Soda
(NaC03). Hydroxide heben den pH-Wert des Wassers, das führt zur Umlage-
rung entsprechend:
C02 + OH ~ HC03- und HC03- + OH ~ C032- + Hp.

9.12 Enthärtung
Hartes Wasser wird gelegentlich vor der Nutzung als Trinkwasser enthärtet, d.h.,
dass die Konzentration der härtebildenden Ionen (insbesondere Kalzium Ca2• und
z.T. Magnesium Mg2) reduziert wird. Vor allem in den USA wurden eine Reihe
von Verfahren für diese Aufgabe entwickelt, von Bedeutung sind die Fällung
und der Ionenaustausch:
- Die Fällung von Calcium Ionen kann erreicht werden, indem das Wasser
durch Zugabe von Chemikalien in Bezug auf CaC03 übersättigt wird. Der
Kalk (CaC03) wird dann in Form von weissen Flocken ausfallen und kann
z.B. durch Sedimentation und nachfolgende Filtration eliminiert werden. Die
zugegebenen Chemikalien sind abhängig von der Wasserzusammensetzung,
in Frage kommen alkalisch wirkende Stoffe: Soda (NaC03), gebrannter Kalk
(CaO) ev. in seiner gelöschten Form (Ca(OH) 2), Natronlauge (NaOH) etc.
9.12 Enthärtung 141

Ionenlauscherharz
mit negativen,
fixierten Ladungen

Abb. 9.16. Darstellung eines Ionentauscherharzes: Auf einem organischen Makromolekül sind
negative Ladungen fixiert, die anfanglieh durch Na+ neutralisiert werden. Weil Ca2+ eine stärke-
re Affinität zu diesen negativen Ladungen hat, kann es gegen Natrium Ionen ausgetauscht
werden

Durch chemische Enthärtung werden dem Wasser meist Salze entzogen, das
heisst, dass das enthärtete Wasser weniger Mineralien enthält. Über die che-
mische Enthärtung gibt es umfangreiche amerikanische Literatur.
Der Ionenaustausch bedeutet, dass z.B. Na• Ionen, die auf einem Ionen-
tauscherharz fixiert sind, gegen die Ca2• Ionen im Wasser ausgetauscht wer-
den: 2 Na• H Ca2• (Abb. 9.16). Dadurch werden dem Wasser keine Salze
entzogen, sondern nur das eine Salz mit dem anderen ersetzt. Ionentauscher-
harze werden in kleinen Kügelchen (0.5 - 1.5 mm) geliefert und in Kolonnen
gepackt, über die das feststofffreie Wasser geleitet wird. Nach einer gewissen
Zeit hat das Harz die anfänglich vorhandenen Na• Ionen abgegeben und eine
entsprechende Menge Ca2• aufgenommen. Die Austauschkapazität ist er-
schöpft, und das Harz muss regeneriert werden. Dazu wird eine konzentrierte
Lösung von Na•cr (Kochsalz) über das Harz geleitet, die hohe Konzentration
des Na• führt zur Umkehr des Ionenaustausch-Prozesses. Es fällt ein Abwas-
ser an, das die Reste der konzentrierten NaCI Lösung enthält, die mit dem zu-
rückgelösten Ca2• verschmutzt ist.
Früher hatte die Enthärtung von Trinkwasser eine grosse Bedeutung, weil die
Waschmittel noch nicht mit der natürlichen Härte des Wassers umgehen konn-
ten. Modeme Textilwaschmittel werden so konfektioniert, dass sie auch in har-
tem Wasser ihre Wirksamkeit entfalten können (z.T. enthalten sie selber Ionen-
tauseber in der Form von Zeolithen). Von Bedeutung ist die Enthärtung des
Wasser dort, wo viel heisses Wasser gebraucht wird (die Löslichkeit von CaC03
nimmt mit zunehmender Temperatur ab) oder wo Wasser z.B. zur Kühlung ver-
dampft wird. In der Kühlung wird nur reines Wasser verdampft, sodass sich die
Salze im zurückbleibenden Wasser aufkonzentrieren und dieses übersättigt wird.
Zusätzlich wird durch die Belüftung im Kühlturm C02 in die Atmosphäre aus-
getrieben, sodass der pH-Wert ansteigt.
Wasserenthärtung ist heute primär ein Verfahren, das in der Brauchwasser-
aufbereitung von Industriebetrieben, Klimaanlagen und Atomkraftwerken (Kühl-
türme) genutzt wird.
142 9 Wasseraufbereitung

Beispiel9.7. Wasserenthärtung mit Kalkzugabe


ln den USA wird häufig Rohwasser nach dem folgenden Verfahren enthärtet:
Kalk (CaC03) wird im Steinbruch abgebaut und bei hoher Temperatur zu gebranntem
Kalk (CaO) gebrannt:
CaC03 ~ CaO + C02
Dabei entweicht C02 durch den Kamin in die Atmosphäre. Anschliessend wird der ge-
brannte Kalk mit Wasser zu gelöschtem Kalk (Ca(OH)2) gelöscht, entsprechend
CaO + H20 ~ Ca(OH) 2 (dabei wird viel Wärme freigesetzt)
Wird nun der gelöschte Kalk in Form einer Kalkmilch (im Wasser gelöstes Ca(OH) 2 ) dem
Wasser zugegeben, so steigt der pH-Wert, aus Bikarbonat (HC03 ) wird Karbonat (C03 "),
und das Löslichkeitsprodukt von Kalk (CaC03 ) wird überschritten, sodass Kalk ausfällt,
der mit Sedimentation aus dem Wasser abgetrennt werden kann:
2+ -
Ca(OH) 2 + 2 HC03 ~Ca + 2 C03- + 2 H20 und
2 Ca2• + 2 C03= ~ 2 CaC03 J,(ausgefällt)
Insgesamt können also pro Mol abgebautem Kalk ein Mol Ca2 • und 2 Mol HC03 • aus dem
Wasser gefällt werden. Zusätzlich wird die Atmosphäre mit einem Mol C02 belastet, das
beim Brennen des Kalkes entsteht.

Beispiel 9.8. Ionenaustauscher im Geschirrspüler


Moderne Geschirrspüler enthalten eine lonenaustauscherkolonne, in der das letzte Spül-
wasser enthärtet wird: Na· wird gegen Ca2 • ausgetauscht. Dadurch wird vermieden, dass
sich beim Trocknen Kalkflecken auf dem Geschirr bilden. Gelegentlich muss der Ionan-
tauscher mit Kochsalz NaCI regeneriert werden.

9.13 lViehrstufige Aufbereitungsverfahren


Oberflächenwasser wird' meistens in mehrstufigen Aujbereitungsveifahren zu
Trinkwasser aufbereitet. Die Wahl der Veifahrenskombination ist abhängig von
der Qualität des Rohwassers und der Grösse der Anlage.
Mehrstufige Aufbereitungsverfahren kommen v.a. dort zum Einsatz, wo Ober-
flächenwasser zu Trinkwasser aufbereitet werden soll. Im Rahmen dieser Über-
sicht wird keine umfassende Besprechung der möglichen Verfahrensstufen oder
-kombinationen gemacht. Es wird hier nur anband eines sehr umfassenden Bei-
spiels das Zusammenwirken von mehreren Stufen besprochen.
In den zwei Seewasserwerken der Stadt Zürich kommt das umfassende Ver-
fahren in Abb. 9.17 zur Anwendung:
- Das Seewasser wird in grosser Entfernung vom Ufer in einer Tiefe von 30 m
unter dem Seewasserspiegel gefasst. Hier hat das Seewasser über das ganze
Jahr eine konstant gute Qualität und eine geringe Temperatur.
- Seit 1974 wird im Zürichsee die Wandermuschel Dreissena ploymorpha
(Dreikantmuschel) beobachtet, die vermutlich durch mobile Boote aus ande-
ren Gewässern eingeschleppt wurde. Die Larven dieser Muschel schweben
im Seewasser und können sich in der Wasserentnahmeleitung festsetzen und
sich aus dem vorbeiströmenden Wasser ernähren. Es entstehen Krusten von
Muscheln. Damit diese Muscheln schon als Larven abgetötet werden, wird
9.13 Mehrstufige Aufbereitungsverfahren 143

Trinkwasser

Abb. 9.17. Verfahrensschema der Wasseraufbereitung in den Seewasserwerken der Stadt Zürich

die Rohwasserfassung 1 mal pro Monat während 8 h mit einer hohen Kon-
zentration von Cl2 desinfiziert (Stosschlorung).
- Nun wird dem Wasser Ozon zugeführt. Das Ozon reagiert (oxidiert) mit ei-
nem Teil der organischen Wasserinhaltsstoffe. Das erleichtert die nachfol-
gende Flockung. Gleichzeitig wird dem Wasser Sauerstoff zugeführt und es
können ev. flüchtige Stoffe aus dem Wasser ausgetrieben werden.
- Mit Hilfe von geringen Mengen von Aluminiumsulfat wird das Wasser nun
geflockt. Man spricht hier von einer Mikroflockung und setzt nur geringste
Mengen von Chemikalien ein (< 2 g m'3).
- In den Schnellfiltern werden der grösste Teil der partikulären Stoffe und ins-
besondere die gebildeten Flocken zurückgehalten. Da der Zürichsee eine
konstant gute Rohwasserqualität liefert, ist vor der Filtration keine Vorbe-
handlung erforderlich.
- Durch die Zugabe von geringen Mengen von Kalkmilch (Ca(OH) 2) wird das
Wasser in Bezug auf die Löslichkeit von CaC03 ins Gleichgewicht gebracht,
sodass es später in den Verteilleitungen nicht korrosiv wirkt.
- In einer zweiten Ozonierung werden gelöste organische Stoffe oxidiert. In der
Folge sind diese Stoffe besser biologisch abbaubar, sodass Bakterien diese
aus dem Wasser eliminieren können.
- Im nachfolgenden Aktivkohlefilter werden organische Stoffe auf die Aktiv-
kohle adsorbiert und zum grössten Teil von Bakterien, die sich auf der Ak-
tivkohle angesiedelt haben, abgebaut. Die Adsorption stellt gleichzeitig ein
Schutz dar, der in Notsituationen organische Verbindungen im Wasser zu-
rückhalten kann, auch wenn diese nicht biologisch abbaubar sind (s. dazu
Beispiel 9.9).
- Die nachfolgenden Langsamsandfilter werden eingesetzt, weil sie beim Aus-
bau der Wasserwerke bereits bestanden haben. Ihr Ablauf hat Trinkwasser-
qualität und ist hygienisch einwandfrei. Heute würde man keine neuen Lang-
sarnsandfilter mehr bauen.
144 9 Wasseraufbereitung

Als sogenannter Netzschutz kann dem Wasser noch Chlordioxid als Desin-
fektionsmittel zugegeben werden. Ohne Langsamsandfilter ist das erforder-
lich, damit die hygienische Qualität des Trinkwassers auch im Verteilnetz
aufrecht erhalten bleibt. Geringe Restkonzentrationen von organischen Stof-
fen dienen Bakterien als Nährstoffe und können dazu führen, dass das Wasser
im Netz von neuem verkeimt wird. Diese Bakterien siedeln sich in einer dün-
nen Schicht, einem Biofilm, auf den Wänden der Verteilleitungen an und er-
nähren sich aus dem vorbeifliessenden Trinkwasser. In den Langsamsandfil-
tern werden aber diese Nährstoffe soweit abgebaut, dass die Wasserwerke in
Zürich auf diesen Netzschutz meistens verzichten können - ein ausgezeich-
netes Trinkwasser ist entstanden.

Beispiel 9.9. Phenol im Zürcher Trinkwasser


1967 sind durch eine Fehlmanipulation in einer chemischen Reinigungsanstalt grosse
Mengen von Phenol in den Zürichsee eingeleitet worden. Die eingeleitete Flüssigkeit hat
sich in der Tiefe der Wasserentnahmestalle der Wasserversorgung der Stadt Zürich
eingeschichtet und in dieser Tiefe schnell über den ganzen See verbreitet. Dadurch sind
Phenole in die Wasseraufbereitungsanlage gelangt.
Phenol reagiert mit Chlor Cl2 zu Chlorphenol, das intensiv riecht und das Trinkwasser
ungeniessbar macht. ln einigen Quartieren der Stadt stand während mehreren Tagen
kein Trinkwasser zur Verfügung. (Für Phenole und Chlorphenole gelten strenge Grenz-
werte im Trinkwasser).
Die Tatsache, dass das Wasserwerk diesem Unfall kaum gewachsen war, hatte Konse-
quenzen: Ein neuer Direktor hat den Bau der umfangreichen Aufbereitungsverfahren
eingeleitet, die in Abb. 9.17 dargestellt sind. Die Unterstützung durch die Politiker war
ihm über lange Zeit sicher.
10 Wasserspeicherung

Jede grössere Wasserversorgung muss an einer Stelle in ihrem System über einen
Speicher mit Trinkwasser verfügen, um Angebot und Nachfrage auszugleichen.
Ausnahmsweise kann direkt das Grundwasser im Boden (d.h. das Porenvolumen)
als Speicher genutzt werden. Häufiger sind Speicherbauwerke, in denen das
Trinkwasser bereits mit der erforderlichen potentiellen Energie bereit gestellt
wird.
Die Wasserspeicher sind in Phasen grossen Wasserbedarfs die Energieliefe-
ranten oder Batterien der Wasserversorgung.

10.1 Aufgabe der Wasserspeicher (Reservoire)


Die Produktionsanlagen von Trinkwasser sind träge, sie können nicht sofort auf
Bedarfsspitzen reagieren. Im Gegensatz dazu steigt der Verbrauch von Trink-
wasser, z.B. während Unterbrüchen von speziellen Veranstaltungen im Fernse-
hen (wichtige Fussballspiele), als Folge von gehäuften Toilettenspülungen innert
Minuten sprunghaft an.
Wasserspeicher dienen in erster Linie dazu, Trinkwasser über eine gewisse
Zeit hygienisch einwandfrei und mit genügender potentieller Energie zu spei-
chern. Je nach Anlage und Bedürfnissen wird damit ein Ausgleich zwischen
Speisung und Verbrauch angestrebt, oder es werden die Kosten des Pumpbetrie-
bes mit günstiger Nachtenergie minimiert, sowie eine Reserve für ausserordent-
liche Fälle bereitgestellt. Häufig wird ein Teil des Speicherraumes für Lösch-
wasser reserviert und durch Öffnen eines speziellen Abschlussorganes im Brand-
fall freigegeben.

10.2 Art der Wasserspeicher


Hier werden nur gebaute Behälter, die v.a. dem Tagesausgleich dienen, bespro-
chen. Zusätzlich betreibt die Wasserversorgung, je nach Art der Wasserbeschaf-
fung, auch Rohwasserspeicher für den saisonalen Ausgleich des Wasserangebots
(z.B. Stauseen).

10.2.1 Hochbehälter
Im Hochbehälter ist der Speicherraum in einem über dem Versorgungsgebiet
gelegenen Volumen vorgesehen. Er ist so angeordnet, dass im Versorgungs-
gebiet, bei ausreichend dimensioniertem Leitungsnetz, optimale Druckverhält-
nisse gewährleistet werden. Hochbehälter sind in der Regel ins Terrain einge-
146 10 Wasserspeicherung

bettet. Fehlen geeignete Geländeerhebungen in angemessener Entfernung vom


Versorgungsgebiet, werden Wassertürme erstellt.

10.2.2 Tiefbehälter
Tiefbehälter dienen als Saugbehälter von Pumpwerken. Der Versorgungsdruck
im Verteilnetz wird durch Pumpen erzeugt. Für Pumpendefekte und Stromausfall
sind bei dieser Anordnung besondere Vorkehrungen zu treffen (Notstromaggre-
gate, redundante Pumpen etc.).

10.3 Standort und Höhenlage


Der minimale Betriebswasserspiegel soll in der Regel 40 bis 80 m über der Ter-
rainoberfläche im Versorgungsgebiet liegen. Bei Höhendifferenzen von über
100 m ist die Unterteilung in mehrere Druckzonen (Abb. 11.18) mit entspre-
chenden Reservoiren, Druckbrecherschächten oder Druckreduzierventilen und
Zonenpumpwerken vorzusehen (Kapitel 11.6).
Das Reservoir soll möglichst nahe am Verbrauchsschwerpunkt liegen.
Zweckmässig ist bei Bedarf die spätere Ergänzung durch ein Gegenreservoir (s.
Abb. 11.15 und Beispiel11.13).

TabeHe 10.1. Berechnung des erforderlichen Speichervolumens. Alle Angaben beziehen sich auf
den Wasserumsatz Qd während des ganzen Tages. Die Angaben sind in%. Der Verbrauch ent-
spricht der Ganglinie in ländlichen Verhältnissen, Wasser wird nur in den 10 Nachtstunden ge-
fördert. S.a. Abb. 10.1, unten
Uhrzeit 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Verbrauch % 1.2 0.4 0.4 0.4 0.6 1.6 3.7 5.6 6.0 5.8 6.8 8.1 4.2 5.8 5.8 6.0 6.3 8.7 6.7 5.8 4.1 2.5 1.9 1.6
Einspeisung % 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10
Fehlbetrag % 3.7 5.6 6.0 5.8 6.8 8.1 4.2 5.8 5.8 6.0 6.3 8.7 6.7 5.8
Überschuss % 8.8 9.6 9.6 9.6 9.4 8.4 5.9 7.5 8.1 8.4
Speicher % 38 48 58 67 77 85 82 76 70 64 57 49 45 39 34 28 21 13 6 0 6 13 22 30

10.4 Speichervolumen
Das Speichervolumen umfasst die Brauch-, Not- und nötigenfalls die Löschre-
serve. Die Brauchreserve richtet sich nach dem erforderlichen Ausgleich zwi-
schen Wassergewinnung (Zulauf und Förderung) und dem Verbrauch. Die Not-
reserve dient der Überbrückung allfälliger Unterbrüche in der Wassergewinnung
oder übermässiger Verbrauchsmengen bei Rohrbrüchen und dergleichen. Sie soll
insbesondere das Leerlaufen des ganzen Leitungsnetzes verhindern.
Das erforderliche Speichervolumen und ein allenfalls notwendiger etappen-
weiser Ausbau der Behälteranlage wird im generellen Wasserversorgungsprojekt
nachgewiesen. Bei hinreichend genauen Grundlagen wird das Volumen der
Brauchreserve durch Aufsummierung der stündlichen Zulauf-, Förder-und Ent-
nahmemengen während eines ganzen Tages ermittelt (Abb. 10.1 und
Tabelle 10.1). Die Praxis zeigt, dass ein Behälter in der Regel dann wirtschaft-
lich bemessen ist, wenn die Kriterien in Tabelle 10.2 erfüllt sind. Daraus ergibt
10.4 Speichervolumen 147

2
flvNx = 1.5
1.5

0.5

0
0 6 12 18 24
Uhrzeit

f h 1)
( 2.5

1.5

0.5 Fehlbetrag: 85% Qd

0
0 6 12 18 24
Uhrzeit
Abb. 10.1. Abschätzung des erforderlichen Speicherinhalts auf der Basis von Tagesganglinien
des Bedarfes und der Wasserförderung. Oben: Tagesganglinie in städtischen Verhältnissen und
konstante Förderung über den Tag. Unten: Tagesganglinie in ländlichen Verhältnissen und
Förderung nur in der Nacht, bei Niedertarif für die Elektrizität (Ganglinien nach SVGW, W6,
1975)

sich ein spezifisches Speichervolumen von 0.20 bis 0.60 m 3/Einwohner, je nach
Struktur der Kommune und Art der Produktion des Wassers.

TabeHe 10.2. Typische Speichervolumen von wirtschaftlich bemessenen Wasserbehältern in


kommunalen Wasserversorgungen (nach SVGW, W6, 1975)
Brauchreserve 0.5 mal mittlerer Tagesverbrauch
Not- und Löschreserve, Bodensatz 0.5 mal mittlerer Tagesverbrauch
Gesamtvolumen 1.0 mal mittlerer Tagesverbrauch
Das erforderliche spezifische Speichervolumen wird vermindert in:
- grossenstädtischen Versorgungsgebieten mit gutem Konsumausgleich.
- Versorgungsanlagen mit mehrfacher unabhängiger Einspeisung.
Das spezifische Speichervolumen sollte vergrössert werden in:
-kleinen Versorgungsgebieten mit ausgeprägten Verbrauchsspitzen.
- Versorgungsanlagen mit einseitiger Wasserbeschaffung
148 10 Wasserspeicherung

10.4.1 Löschreserve
Die Grösse der gegebenenfalls notwendigen Löschreserve wird mit den zustän-
digen Organen der Feuerwehr und den Gebäudeversicherungsanstalten festgelegt
(Minimum 100m3). In grossen Versorgungsanlagen mit mehreren unabhängigen
Wasserbezugsorten kann auf die Ausscheidung von Löschreserven meist ver-
zichtet werden. In mehrzonigen Anlagen genügt eine ausreichende Löschreserve
im höchst gelegenen Reservoir. Der Wasserbedarf der Feuerwehr wird je nach
Bauzone und Brandgefährdungsklasse mit 0.01 - 0.06 m3s-' angegeben, d.h. dass
100m3 für eine Löschdauer von 0.5-2.5 h ausreichen.
Von besonderer Bedeutung sind Sprinkleranlagen, wie sie z.B. in Lagerhäu-
sern installiert werden. Sie haben einen grossen Wasserbedarf. Richtlinien des
SVGW (WS, 1979) geben Zahlen im Bereich von 6- 1000 m3 Gesamtbedarf und
0.003 - 0.2 m3s-' Durchfluss, je nach Gefährdungsklasse und Grösse des Objek-
tes.

10.5 Bilanzierung eines Trinkwasserspeichers


Die Bemessung der Brauchreserve eines Trinkwasserspeichers beruht auf einer
einfachen Massen- oder Volumenbilanz für das Wasser:
dV(t)
~=Q,.(t)-Q.b(t) (10.1)

V(t) = Momentanes Volumen des §espeicherten Wassers [C3]


Qz.(t) = Zutliessendes Wasser [L3 T ] zur Zeit t (Einspeisung)
<lat,(t) = Abfliessendes Wasser [L3 T 1] zur Zeit t (Verbrauch)
Mit Hilfe von GI. (10.1) und Information über den Tagesgang des momenta-
nen Wasserbedarfes Q.,(t) (s.a. Abb. 10.1 und Tabelle 10.1) sowie den Tages-
gang der Wasserförderung Q.(t) (häufig unter Berücksichtigung der Niedertarif-
zeiten für Pumpenergie), kann das erforderliche Speichervolumen bestimmt wer-
den. Als Anfangsbedingung für die Lösung von GI. (10.1) kann vorerst V= 0
gewählt werden. Das erforderliche Volumen für den Tagesausgleich ergibt sich
dann aus der berechneten Ganglinie von V(t) zu:
Verron~erucb =V"""' - V
min (10.2)
In vielen Versorgungssystemen stehen mehrere Speicher zur Verfügung und
der Zulauf zu einem Speicher wird über die Hauptleitungen des Versorgungs-
netzes geleitet. Da das Volumen der Versorgungsleitungen konstant ist, gilt
GI. (10.1) auch für ganze Systeme.
Im effektiven Betrieb kann dann bei neuen, spezifisch grossen Speichern die
Niedertarifzeit für die Pumpenergie optimal ausgenützt werden. Wird später das
Speichervolumen knapp, so kann bei hohem Bedarf mit einer Verlängerung der
Pumpzeit ein genügender Tagesausgleich erzielt werden. Nach Abb. 10.1 sind in
ländlichen Verhältnissen bei einer Förderung von Wasser nur während 10 Nacht-
stunden ca. 85% des Tagesbedarfes für den Tagesausgleich erforderlich, bei
gleichmässiger Wasserförderung über 24 h pro Tag wären dafür nur 27% erfor-
derlich. Daraus ergeben sich auch Möglichkeiten für die Optimierung des Be-
10.6 Hygienische Anforderungen 149

Grundriss Schnitt durch Kammer 1

Staubfilter

Kammer 1
mit Löschreserve

::::::::::;;::~1./"..Fiiii =~
Abb. 10.2. Einfache Darstellung eines Trinkwasserspeichers: Die Kammern (und Armaturen)
sind so gestaltet, dass das durchfliessende Wasser laufend erneuert wird und eine Löschreserve
gesichert bleibt

triebes, z.B. an Tagen mit mittlerem und geringem Verbrauch, gegenüber Tagen
mit maximalem Verbrauch.

Beispiel10.1. Anwendung der Wasserbilanz auf das Speichervolumen


Welcher Bezug ergibt sich zwischen Tabelle 10.1 und GI. (10.1)?
Tabelle 10.1 bezieht sich mit 100% auf den maximalen täglichen Wasserverbrauch Od.max•
GI. (10.1) arbeitet mit absoluten Zahlen. Uhrzeit= t, Verbrauch= Qab(t), Einspei-
sung = O,.(t), Fehlbetrag = a.b(t) - O,.(t) sofern Qab > 0,..
Überschuss = O,.(t) - a.b(t)
sofern o,. > Qab• Speicher= V(t), wobei die Anfangsbedingung V(t=O) so gewählt wurde,
dass V. = 0.

10.6 Hygienische Anforderungen


Das gespeicherte Wasser muss vor Verunreinigungen geschützt werden; insbe-
sondere ist die Luft, die täglich in die Wasserkammern einströmen muss, zu
filtrieren (Barriere). Zudem ist das Wasser vor Erwärmung, Abkühlung und
Lichteinfall (Aigenwachstum) zu schützen (Überdeckung und Beschattung der
Speicher). In grösseren Reservoiren sind Vorkehrungen für eine ausreichende
Zirkulation und Erneuerung des Wassers zu treffen. Mit einer regelmässigen
Gesamtentleerung des Behälters kann nicht gerechnet werden.
Die Keimvermehrung kann durch glatte Ausbildung der Behälterinnenflächen
sowie durch genügende Zirkulation und Erneuerung des Wassers unter Kontrolle
gehalten werden. Für die Behälterreinigung sind die notwendigen Druckwasser-
installationen vorzusehen.

10.7 Gestaltung eines Trinkwasserspeichers


In Abb. 10.2 ist ein AusführungsBeispiel eines Trinkwasserreservoirs (ca. 1000
m3 Inhalt, ca. 2500 Einwohner) dargestellt. Bei der Gestaltung wird darauf ge-
150 10 Wasserspeicherung

Ablauf Zulauf
Abb.10.3. Prinzipzeichnung
Überlauf eines Wasserturmes

achtet, dass das Wasser laufend erneuert wird. Das wird hier durch den zwei-
kammengen Gebrauchsspeicher und den gerichteten Durchfluss (Rückschlag-
klappen) erreicht. Die mögliche Wiederverkeimung des Wassers kann dadurch
minimal gehalten werden. Die Löschreserve wird durch Öffnen der Löschklappe
im Brandfall freigegeben, im Tagesgang steht dieses Volumen nicht zur Verfü-
gung, das Wasser wird aber laufend erneuert.

10.8 Spezialfälle

10.8.1 Wasserturm
Wenn keine geeignete topographische Formation für den Bau eines Erdbehälters
in der Nähe des Versorgungsgebiets zur Verfügung steht, kann ein Wasserspei-
cher in Form eines Wasserturmes erstellt werden.
Wie bei Erdbehältern muss der Fassungsraum 30- 40 m über dem Versorgungs-
gebiet liegen. Mit grossen Leitungsdurchmessern können die Druckverluste im
Versorgungsnetz klein gehalten und die Turmhöhe ev. verringert werden.
Abb. 10.3 zeigt schematisch einen Wasserturm mit nur einer Wasserkammer.
Kleine Behälter (< 200 m3) werden meist nur einkammerig ausgeführt. Eine
grosse Wassertiefe (5-7 m) führt zu schlanken Wassertürmen aber entsprechen-
den Druckschwankungen.
Wassertürme haben den Vorteil, dass sie nahe an den Verbrauchern errichtet
werden können. Dadurch ergeben sich geringe Energieverluste und entsprechend
günstige Druckverhältnisse.

10.8.2 Löschwasserbehälter
Wenn die Wasserversorgung Löschwasser nicht in ausreichender Menge liefern
kann, ist ev. die Erstellung eines von der Trinkwasserversorgung unabhängigen
10.8 Spezialfälle 151

Druckluft

Wasserspeicher

t Abb. 10.4. Druckwindkessel

Löschwasserbehälters erforderlich. Die Anforderungen an solche Behälter sind


viel weniger streng als die Anforderungen an ein Trinkwasserreservoir. Früher
waren solche Becken üblich, in älteren Siedlungen trifft man sie noch heute, z.B.
als Feuerwehrweiher.

10.8.3 Druckwindkessel
Druckkessel oder Windkessel sind keine eigentlichen Wasserspeicher. Ihr Volu-
men ist meist nur so bemessen, dass die Schalthäufigkeit der Pumpen beschränkt
und damit deren Lebenserwartung verbessert werden kann. Der Windkessel nutzt
die Kompressibilität der Luft: Ein Luftpolster speichert die erforderliche potenti-
elle Energie um den Betriebsdruck des Wassers innerhalb bestimmter Grenzen
zu halten (Abb. 10.4). Wenn das Wasser verteilt über 24 h im Tag gefördert
werden soll, so sind Windkessel wirtschaftliche Einrichtungen. Sie können auch
genutzt werden um Druckstösse auszugleichen (Kapitel 11.7, Seite 180).
11 Wasserverteilung, Netz

Die Investitionen in Infrastrukturen zur Verteilung des Trinkwassers machen ein


Mehrfaches der Aufwendungen für Wasserbeschaffung, Aufbereitung und Spei-
cherung aus. Das Verteilnetz ist zudem das verletzlichste Glied in der Wasser-
versorgung. Genügende Transportkapazität (geringe Energieverluste) und ein
guter Zustand der Leitungen (Leitungsbrüche, Wasserverluste, Hygiene) sind die
Betriebsziele.
Aufgabe des Verteilnetzes einer Wasserversorgung ist der Transport
des Trinkwassers zum Endverbraucher. Nie werden ganze Netze neu ge-
baut; bestehende Netze wurden über Jahrzehnte entwickelt, verfeinert und
erneuert. Hier werden v.a. die Elemente eines solchen Netzes beschrieben
und die technischen Grundlagen (Hydraulik) zur Berechnung dieser Ele-
mente besprochen.

11.1 Stationäre Rohrhydraulik


Zur Berechnung des Energie- oder Druckverlusts in Verteilnetzen genügen sta-
tionäre Betrachtungen. Die erforderlichen Durchmesser von Leitungen werden
so gewählt, dass am Ort des Verbrauchs genügend Druck im Leitungsnetz
herrscht; das wird erreicht, indem der Energieverlust klein gehalten wird.
Heute steht eine Reihe von Programmen zur Verfügung, die mit geringem Auf-
wand erlauben, genaue und zuverlässige hydraulische Berechnungen von Roh-
ren, Rohrsträngen und ganzen Verteilnetzen zu machen. In der Praxis wird die
Iogenieurin meistens auf solche Programme zurückgreifen. Hier werden deshalb
nur die Grundprinzipien der Rohrhydraulik repetiert.
Es ist anschaulich, den Wasserdruck als Druckhöhe in Metern Wassersäule
(mWs) anzugeben. Diese Angaben sind insbesondere einfach mit geodätischen
Höhen zu vergleichen und auch im Pumpenbau üblich. 10 mWs entsprechen 1
bar oderca. 105 Pa (1 Pascal= 1 N m·2 = 1 kg m·• s·2). Es gilt die Gleichung:
p
H=- (11.1)
p·g

H = Druckhöhe des Wassers in mWs (Meter Wassersäule) [L]


p = Hydrostatischer Druck in Pa [ML. 1T 2]
p = Dichte des Wassers (1000 kg m· 3) [M L"3]
g = Erdbeschleunigung (9.81 m s· 2) [L T 2]
154 11 Wasserverteilung, Netz

z
Energielinie
------- -- ~

vl12g

Abb. 11.1. Definitionen zur Gleichung


L.---------------+- Ort (11.2) von Bemoulli

11.1.1 Grundlagen der Rohrhydraulik


Es werden die Grundlagen für die Berechnung von Energieverlusten in Druck-
leitungen eingeführt.
Die Variation des Volumenstroms Q in Wasserversorgungsnetzen erfolgt in der
Regel langsam. Druckslösse können zwar auftreten, werden jedoch meist mittels
spezifischer Gegenmassnahmen lokal gedämpft (Kapitel 11.7). Daher genügt es,
die Transportkapazität der Wasserverteilnetze für stationäre Verhältnisse zu
bemessen. Es kann auf die Gleichung von Bemoulli zurückgegriffen werden (s.a.
Abb. 11.1):
2 2
P1 V1 P2 V2
Z1 +--+--= Z2 +--+--+L\zE (11.2)
p·g 2-g p·g 2·g
z = geodätische Höhe [L]
p = hydrostatischer Druck [ML- 1T 2]
p = Dichte des Wassers [1000 kg m-3]
g = Erdbeschleunigung [9.81 m s-2]
v = Fliessgeschwindigkeit des Wassers [LT 1]
ßzE = Energieverlust durch Strömung, ausgedrückt als Druckhöhe [L]
Meist wird in der Wasserversorgung das Geschwindigkeitsglied v2/2g ver-
nachlässigt, da es bei den üblichen Strömungsgeschwindigkeiten von 1-2 m s·1
im Versorgungsnetz von untergeordneter Bedeutung ist. Für v =2m s·1 beträgt
v2/2g nur gerade 0.20 mWs, während p/pg meist > 40 mWs beträgt und im Be-
trieb deutlich variiert.
Die Ermittlung des Energieverlusts ßzE als Folge der Rohrreibung in Druck-
rohrleitungen kann mit der Gleichung von Darcy-Weisbach erfolgen:

azE =A.-~- v-1~ (11.3)


D 2·g
A. = Rohrreibungskoeffizient [-]
L = Länge der Leitung [L]
D = Durchmesser der kreisförmigen Leitung [L]
11.1 Stationäre Rohrhydraulik 155

In den Verteilnetzen der Wasserversorgung kann in einzelnen Strängen die


Fliessrichtung des Wassers je nach Belastung ändern. In der Schreibweise von
GI. (11.3) muss daher eine klare Vorzeichenregel für die Fliessgeschwindigkeit v
definiert sein. Hier wird für jede Leitung ein Anfang und ein Ende definiert, die
Fliessgeschwindigkeit ist positiv, wenn das Wasser vom Anfang zum Ende
fliesst. Mit dieser Regel ist mit GI. (11.3) auch geregelt, mit welchem Vorzei-
chen die Energieverluste ..121, übernommen werden müssen.

Beispiel 11.1. Anwendung der Energiegleichung (Bernoulli) auf eine Leitung


Die folgenden Grössen werden am Anfang und am Ende einer 1000 m langen Leitung
gemessen oder berechnet:
Anfang Ende
z 450 500 mOM
pl•g 70 30 m:
·1
1 2.2 ms
0.05 0.25 m
Wiegrossist !JZE?
Nach GI. (11.2) wird: azE = 450 + 70 + 0.05 - (500 + 30 + 0.25) m = -10.2 m
/n welche Richtung fliesst das Wasser?
Da azE < 0 ist, fliesst das Wasser vom Ende zum Anfang der Leitung.
Das Energiegefälle ist gleich JE =azE I L =-10.2 I 1000 =-1.02 %. Werden die Ge-
schwindigkeits höhen l I 2g vernachlässigt, ergibt sich JE = -1.00 %. Diese Differenz liegt
innerhalb der möglichen Rechengenauigkeit

Der dimensionslose Rohrreibungskoeffizient A. in GI. (11.3) kann mit Hilfe


der impliziten, empirischen Gleichung von Colebrook berechnet werden:

_1_ =_2 ·log ( 252 +--k-) (11.4)


'X/2 10 N Re. A.l/2 3.71· D

NRe = Reynoldszahl, definiert als NRe =v-D/v [-]


D = Durchmesser des Kreisrohres [L]
k = Äquivalente Sandrauhigkeit der Rohrinnenwand [L],
in Verteilnetzen Betriebsrauhigkeit des Netzes.
V = kinematische Zähigkeit des Wassers [L2 1 1],
bei 10 °C gilt v = 1.31·10-6 m 2 s- 1 •
Leider ist GI. (11.4) eine implizite Gleichung für A., was ihre Handhabung er-
schwert. In der Literatur sind eine Reihe von Vereinfachungen verfügbar, die je
nach Randbedingungen ihre Anwendung erleichtern. Graphisch ist die Gleichung
von Colebrook im Moody-Diagrarnm (Abb. 11.2) dargestellt, das mit genügen-
der Genauigkeit gelesen werden kann.
Das Moody-Diagramm gilt für Sandrauhigkeit und wurde für gerade, hori-
zontale Rohre ohne Rohrbogen, Kupplungsfugen, Schweissnähte, Inkrustationen
etc. experimentell bestimmt. Bei einfachen, überschaubaren Verhältnissen ist es
möglich, die Verluste einzeln zu erfassen und mit GI. (11.3) die Summe aller
Strömungsverluste zu berechnen (s. dazu die Fachliteratur in technischer Hy-
156 11 Wasserverteilung, Netz

Rohrreibungskoeffizient A. Relative
Rauhigkeit
0.10
k/D
0.05

0.05 0.02
1-.

t:-
0.04 0.01
~
0.03 0.005
~~ 0.002
r--
0.02 0.001
i" 1'--
~ 0.0005
0.0002
0.0001
0.01
104 lOS
Reynoldszahl NRe
Abb. 11.2. Ausschnitt aus dem Moody Diagramm, Darstellung der Gl. ( 11.4) von Co1ebrook

draulik). In Wasserverteilsystemen sind die einzelnen Energieverluste kaum


bekannt; es wird daher meist mit einer sogenannten Betriebsrauhigkeit k gerech-
net, die auf Erfahrungen basiert (Tabelle 11.1) und erlaubt alle Energieverluste
in einem Erwartungswert zusammenzufassen. Vereinfachend werden dazu
Abb. 11.2 und Gl. (11.4) verwendet, welche den ganzen Übergangsbereich zwi-
schen glattem und rauhem, turbulentem Strömungsverhalten abdecken.

Tabelle 11.1. Wandrauhigkeiten kw. Betriebsrauhigkeiten k und Rauhigkeitsbeiwerte ks 1 nach


Strickler für Rohre und Verteilsysteme. Für die Dimensionierung werden Werte von ks 1 > 100
m113 s" 1 nicht verwendet
NeueRohre kw ksl/3 -t Bestehende k ksl/3 ·I
mm m s Verteilsysteme mm m s
Stahl 0.1 >100 Fernleitung 0.2 100
Guss 0.1 >100 Hauptleitung 1 85
Faserzement 0.03 >100 Versorgungsnetz 2 75
Zementanstrich 0.5 90 Altes Gussnetz 5 70

Für Wasser mit 10 °C, mit der kinematischen Zähigkeit v 1.31·10-6 m 2 s·\ =
findet man für Aiessgeschwindigkeiten v = 1 - 3 m s·1 und Durchmesser
=
D 100- 1000 mm Reynolds-Zahlen in der Grössenordnung von NRe 105 - 106 • =
=
Für Betriebsrauhigkeiten k 0.1- 10 mm liegen die relativen Rauhigkeiten kiD
für dieselben Durchmesser bei 0.0001 - 0.05. Aus dem Moody-Diagramm
(Abb. 11.2), ist erkennbar, dass sich die Strömung im hydraulisch rauben Be-
reich mit relativ hoher Turbulenz befindet. Die Rohrreibungskoeffizienten A.
liegen zwischen 0.02 und 0.05. In diesem Bereich ist A. nicht mehr von der
Reynoldszahl abhängig (hydraulisch raub) und es gilt vereinfachend die explizite
Gleichung:
11.1 Stationäre Rohrhydraulik 157

A. = 0.25 I (log10 (3.71 D I k)) 2 (11.5)


Um GI. (11.3) auf Rohre anzuwenden, kann die Fliessgeschwindigkeit v
durch den Durchfluss Q ersetzt werden. Damit gilt für kreisrunde Rohre, mit
v = Q I F oder v = 4·QI(7t·D2):

ßzE ='A.·~· v·jvj = S·'A.·L·Q·jQj =0.0826s2m- 1 · 'A.·L·Q·jQj


(11.6)
D 2·g g·1t2 ·Ds Ds
Aus GI. (11.6) wird offensichtlich, wie stark sich der Rohrdurchmesser D bei
gleichbleibendem Durchfluss Q auf den Energieverlust auswirkt: Er wächst mit
abnehmendem Durchmesser mit der 5. Potenz des Durchmessers an.
Aufgelöst nach dem Durchfluss Q, resultiert dessen Abhängigkeit vom
Durchmesser bei gleichbleibendem Energieverlust

(11.7)

Beispiel11.2. Berechnung des Energieverlusts nach Colebrook I Moody


Wie gross ist der Energieverlust in der unten beschriebenen Fernleitung:
Durchfluss Q = 0.05 m3 s·1
Durchmesser D = 0.2 m
Länge L = 1000 m
Temperatur T = 10 ac ~kinematische Viskosität V= 1.3·10'6 m2 s' 1
1. Graphische Lösung mit Hilfe des Moody Diagrammes (Abb. 11.2)
2 2
Rohrquerschnitt A = D ·rr/4 = 0.0314 m
Fliessgeschwindigkeit v =Q/A = 1.59 m s·1
Reynoldszahl NA• = V·Div = 245'000
Betriebsrauhigkeit nach Tabelle 11.1 für Fernleitungen: k =0.0002 m, k!D = 0.001
Reibungskoeffizient A. aus Abb. 11.2: A. = 0.021
Energieverlust nach GI. (11.3): ßZe = A.·L-li(D·2·g) = 13.5 m
2. Algebraische Lösung mit Hilfe von GI. (11.5):
A.' = 0.251 (log(3. 71 D/k)) 2 = 0.02
Energieverlust nach GI. (11.3): ßZe = A.'·L·v21(D·2·g) = 12.7 m

Beispiel11.3. Effekt des Durchmessers auf den Energieverlust


Wie gross wird der Energieverlust der Leitung aus Beispiel11.2 wenn der Durchmesser
D von 0 1 = 0.2 m auf 0 2 = 0.25 m erhöht wird?
Nach GI. (11.6) wird:
5 5
ßZe(D 1) I ßZe(D2) = D2 I D1 oder
ßZe(D=0.25m) = ßZe(D=0.2m) · 0.25 I 0.25 5 = 13.7 m · 0.33 = 4.5 m.
Eine Vergrösserung des Durchmessers um 25% hat also eine Verringerung des Energie-
verlusts um den Faktor 3 zur Folge.
158 11 Wasserverteilung, Netz

Beispiel 11.4. Auswirkung des Wassersparans


Eine Gemeinde beschliesst, durch konsequentes Wassersparen ihren maximalen Was-
serverbrauch auf die Hälfte zu reduzieren. Sie will damit Baukosten beim Erstellen von
neuen Wasserleitungen sparen.
Welcher Durchmesser der Fernleitung in Beispiel 11.2 ist bei gleichbleibendem Energie-
verlust und Halbierung der Transportleistung erforderlich?
• Mit der vereinfachenden Annahme, dass i.. unverändert bleibt, ergibt sich für ein kon-
• 2 5 2 5 2/5
stantes~EmltGI.(11.6):Q,ID 1 =02 /D2 oderD2 =D 1 ·(02 /01) =0.152m.
Die Reduktion des Wasserverbrauchs um 50% resultiert in einer Reduktion des erforder-
lichen Durchmesser der Leitung um 25%. Die Baukosten werden sich aber um weniger
als 25% reduzieren, weil diese z.B. durch die minimal zulässige Grabenbreite bestimmt
werden.

Im rauben Bereich des Moody-Diagramms ist auch der Ansatz von Manning-
Strickler angenähert gültig:

' V -_ k St. R2t3 • Jt12


E (11.8)
kst = Rauhigkeitsbeiwert nach Strickler [m113 s"1]
~ = hydraulischer Radius (benetzte Fläche I benetzter Umfang) [m]
JE = Gefälle der Energielinie [-]
Nach quadrieren wird mit JE= äzl! I L, R = D14 und v = 4·Q I (1t·D2) für
kreisförmige Druckleitungen:

- 16·4413 ·L·Q·IOI_ L·Q·IOI


äzE- 2 2 16/3 - 10294 · 2 16/3 (11.9)
1t . kst . D kst . D
Wird mit~= 10.2941 (k5,2 ·D1613) die Rohrkonstante bezeichnet, so findet man
die zum Gebrauch bequeme Form:
äzE =~·L·Q·IOI (11.10)
ß = Rohrkonstante [r L"6]
Für viele Berechnungen mit Leitungen ist es eine Vereinfachung, wenn in
GI. (11.10) das Produkt ß·L zur Leitungskonstanten y zusammmengefasst wird:
y = ~ ·L in [TL"'] (11.11)

Damit wird der Energieverlust zu


(11.12)

Gl.(ll.12) ist spezifisch für eine Leitung und daher sehr nahe an der prakti-
schen Anwendung.

Beispiel 11.5. Vergleich des Energieverlusts nach Darcy-Weisbach und Manning-


Strickler
Berechne die Rohrkonstante ß nach Darcy-Weisbach respektive nach Manning-Strickler.
11.1 Stationäre Rohrhydraulik 159

Nach Darcy-Weisbach:
Nach GI. (11.6) ist: AzE =A·V2 ·U(2~·D~ =8·/..·l·Q2/(g·7t2 ·D5)
= 0.0826 s m· ·A·L·Q2/D5 •
Es wird ß = AzE I (l·02) =8·J.../(g·i·D5) =0.0826 s2m·1·J.../D5•
Nach Strick/er:
. 413 2 2 2 16/3 2 2 16/3
Nach GI. (11.9) g1lt: AzE = 16·4 ·L·Q /(1t ·k51 ·D ) = 10.294-l·Q /(k51 ·D )
Es wird ß= 16·4413/(i·k5 /·D 1613) = 10.294/(k512 ·D1613)
Vergleich:
Es entspncht
.
ß =0.0826s2 m·1 ·J.../D5 = 10.294/(k512 ·D16/3)
und k51 =11.2 m112 s·1 ' ('J... 112 ·D116).
Im vollständig rauhen Bereich ist /.. konstant, also nimmt k51 mit zunehmendem Durch-
messer D zu.
Wie gross wird der Wert von k 51 für die Leitung in Beispie/11.2?
=0.02, D =0.2m wird k51 = 103 m113 s·1 •
Für J...
Werte über k51 = 100 m113 s·1 werden fürberechnungennicht empfohlen.

Beispiel 11.6. Berechnung des Energieverlusts nach Manning-Strickler.


Wie gross wird der Energieverlust der Fernleitung aus Beispie/11.2 nach Strick/er?
Nach Tabelle 11.1 wird für Fernleitungen mit einer Betriebsrauhigkeit von k =0.2 mm
k51 = 100 m113 s·1 und damit nach GI. (11.9):
AzE = 10.294·l·Q2/(k512 ·D16/3) =13.75 m
Dieser Wert liegt nahe beim Wert, der mit Hilfe des Moody Diagrammes berechnet wurde
(Beispiel 11.2).

11.1.2 Äquivalente Rohrleitungen


Leitungsnetze enthalten in der Regel viele einzelne Leitungen. Um die Berech-
nung der Energieverluste so einfach wie möglich zu gestalten, werden mehrere
Leitungsstränge zu äquivalenten Leitungen zusammengefasst. Diese haben in
Bezug auf den Durchfluss und die Energieverluste die gleichen Eigenschaften
wie die Teilstränge zusammen, sie sind aber einfacher zu berechnen.
Um die Energieverluste in Leitungsnetzen zu berechnen, können die Leitungs-
konstanten y von einzelnen Leitungsabschnitten zusammengefasst werden:
Werden zwei Leitungsstränge mit gleichem Durchfluss Q hintereinander an-
geordnet (Abb. 11.3), so addiert sich der Energieverlust der beiden Stränge. Eine
äquivalente Leitung hat eine Leitungskonstante y""l, die der Summe der einzelnen
Leitungskonstanten entspricht:

(11.13)

Werden zwei Leitungen parallel angeordnet, so ergibt sich für beide Leitun-
gen der gleiche Energieverlust .llzE (Abb. 11.4). Der Durchfluss entspricht der
Summe des Durchflusses durch die beiden Teilstränge:
160 11 Wasserverteilung, Netz

Aze

Q+' -a
Aze
Aze,tot~- Aze,2
Azet
~~

Abb. 11.3. Serieschaltung von 2 Leitungssträngen. &F., und &F.. 2 stellen den Energieverlust der
beiden Teilleitungen 1 und 2 dar. &F.'"' entspricht der Summe der beiden Energieverluste und
damit gleichzeitig dem Energieverlust einer äquivalenten Leitung

Qtot = Ql + 02--+-
-------..._
ßZe

L
Abb. 11.4. Parallelschaltung von zwei Leitungssträngen. Q, und Q2 stellen den Durchfluss
durch die beiden Teilleitungen 1 und 2 dar. Q,.. entspricht dem Durchfluss durch eine äquiva-
lente Leitung, die die beiden zusammenfasst und den gleichen Energieverlust erzeugt

(11.14)

I
y =-----=-
aeq ( _
I.yi
112 )2

Basierend auf der äquivalenten Leitungskonstanten y""'l kann das Verhalten


von mehreren Leitungssträngen mathematisch mit Hilfe einer einzigen Glei-
chung abgebildet werden. Durch geschicktes Kombinieren von Leitungen kön-
11.1 Stationäre Rohrhydraulik 161

5 Abb.ll.S. Verzweigtes Netz

nen äquivalente Leitungen für anspruchsvolle Netze gefunden werden. Das ver-
einfacht die ansebliessende Handrechnung (Beispiel11.7).

Beispiel11.7. Vereinfachung eines Leitungsnetzes.


Wie kann das Leitungsnetz in Abb. 11.5 mit Hilfe einer einzigen äquivalenten Leitung
abgebildet werden?
Der Wasserzulauf erfolgt über Leitung A, das Wasser verzweigt sich im Punkt 1, sam-
melt sich im Punkt 6 und fliesst über Leitung B ab. Die einzelnen Stränge sollen durch
einen äquivalenten Strang von Punkt 1 bis 6 ersetzt werden.
Die Leitungskonstanten y12 und y24 werden addiert, genauso wie y13 und y34• Diese beiden
Stränge werden nun parallel zusammengelegt zu y14 nach GI. (11.14). Der Energieverlust
von Punkt 4 nach 6 wird addiert, es resultiert y146• Die zusammengesetzten Verluste y156
werden nun parallel zu den Verlusten y146 geschaltet, es resultiert die äquivalente Sy-
stemkonstante 'Y16 •
Der Energieverlust des Teilsystems als Funktion des totalen Durchflusses (0 = OA = Os)
kann nun mit Hilfe der einfachen Gleichung l\Ze, 16 = y16 • 0 2 berechnet werden. Wir spre-
chen von einer zum Teilsystem äquivalenten Leitung.
Wichtig: Die Abbildung eines Teilsystemes in Form einer äquivalenten Leitung ist nur
möglich, wenn im Teilsystem kein Wasser bezogen oder eingespeist wird (d.h. hier
OA =Os)- Würde hier z.B. in Punkt 3 Wasser bezogen, so müsste eine eigentliche Netz-
berechnung gemacht werden, wie sie weiter unten dargestellt wird.

Tabelle 11.2. Typische Fliessgeschwindigkeiten in Wasserleitungen bei maximalem Durchfluss

Saugleitungen von Pumpen 0.5- 1.0 m s·


Zubringerleitungen über grosse Distanzen 2.0-3.0 m s·1
Hauptleitungen 1.0- 2.5 m s-1
Versorgungsleitungen 1.0- 2.0 m s·1
Anschlussleitungen (Hausanschlüsse) 0.5 - 1.0 m s-1
Heberleitungen (Hydrostatischer Druck < Luftdruck) 0.5 - 1.0 m s-1

11.1.3 Typische Fliessgeschwindigkeiten


Die Fliessgeschwindigkeit in einer Leitung bestimmt den Energieverlust: Je grö-
sser der Durchmesser, desto geringer wird die Fliessgeschwindigkeit und der
Energieverlust. Mit zunehmendem Durchmesser steigen aber die Baukosten. Die
Wahl einer geeigneten Fliessgeschwindigkeit ist also ein Optimierungsproblem.
Typische Fliessgeschwindigkeiten sind abhängig von der Funktion (Tabelle 11.2)
und der Durchflussmenge Q der Leitung. Auf der Saugseite von Pumpen werden
geringere Fliessgeschwindigkeiten gewählt, um allfällige Druckabfälle möglichst
162 11 Wasserverteilung, Netz

gering zu halten und Kavitationserscheinungen zu vermeiden. Je grösser die


Wassermenge, desto grösser werden die gewählten Aiessgeschwindigkeiten,
weil die relative Rauhigkeit der Leitungen (k/D in Abb. 11.2) und damit die
Energieverluste abnehmen. Tabelle 11.2 gibt einen Überblick über übliche
Werte von Aiessgeschwindigkeiten, die der Dimensionierung von Versorgungs-
netzen zu Grunde gelegt werden. Höhere Geschwindigkeiten verursachen er-
höhten Druckverlust, sie sind möglich, wenn genügend Energie zur Verfügung
steht und diese nicht zurückgewonnen werden kann.

11.2 Pumpen
Pumpen sind Aggregate, die dem Wasser mechanische Energie zuführen. Sie sind
meist die grössten Energieverbraucher einer Wasserversorgung.
In der Wasserversorgung haben Pumpwerke die Aufgabe, dem Wasser Energie
zuzuführen, damit:
- die in Kapitel 7.2, Seite 104, diskutierte Druck- oder Energiebarriere zwi-
schen Trinkwasser und Umwelt aufrechterhalten werden kann;
- genügend Energie für den Transport des Wassers durch die Verteilnetze zur
Verfügung steht;
- das Wasser mit einem genügenden Druck an die Verbraucher geliefert wer-
den kann.

11.2.1 Dimensionierung von Kreiselpumpen


In der Wasserversorgung kommen fast ausschliesslich Kreiselpumpen zur An-
wendung. Für deren Dimensionierung oder Auswahl müssen zwei Aspekte ge-
genseitig betrachtet werden:
- Einerseits muss die erforderliche Fördermenge und der zugehörige Energie-
eintrag für unterschiedliche Betriebszustände bestimmt werden.
- Andererseits muss eine Pumpe gewählt werden, die den Anforderungen
möglichst gerecht wird und im genutzten Betriebsbereich einen guten Wir-
kungsgrad erbringt.
Zuerst befassen wir uns also mit dem System, dem Energie zugeführt werden
muss und ansebliessend mit den Aggregaten, die dem Wasser diese Energie zu-
führen können.

11.2.2 Bedarf an Förderhöhe


Damit eine Pumpe in einem gegebenen Anwendungsfall richtig gewählt werden
kann, muss der Energiebedarf (Bedarf an Förderhöhe) der Anlage HA bei der
Berechnungsfördermenge QA bestimmt werden (s. Abb. 11.6). Dazu dient
Gl. (11.2) von Bemoulli mit den entsprechenden Verlusten. Zusätzlich muss die
Differenz der potentiellen Energie zwischen dem Wasseraustritt auf der Druck-
seite (Index 2) und dem Wassereintritt auf der Saugseite (Index 1) durch die
Pumpe aufgebracht werden. Im allgemeinen Fall saugt die Pumpe aus einem
Speicher an, dessen Wasserspiegel unter dem Druck p1 steht und die geodätische
11.2 Pumpen 163

-...--------------- --
t.zE,d ---
-
----------- ---·· .... ............. .

Saugleitung Druckleitung
Abb. 11.6. Schematische Anordnung einer Pumpe. Definition der Energie- und der geodäti-
schen Höhen

Höhe z 1 hat, und fördert in ein zweites Reservoir mit dem Druck p2 und der Höhe
Zr Der Förderhöhenbedarf ergibt sich dann zu:

P P v2 v2
H A =~+z 2
2 -z I + 2-. g +ßz E ,s+Llz E.d (11.15)
1
p. g

HA = Bedarf an Förderhöhe [L]


LlzE.s LlzE,d= Energieverluste in der Saug und der Druckleitung [L]
In GI. (11.15) können meist mehrere Vereinfachungen gemacht werden:
- Die Geschwindigkeitshöhen (v/-v 12)/2g (in den Reservoiren) sind im Ver-
gleich zur Förderhöhe vemachlässigbar.
- Wenn der Zufluss und der Abfluss je in einen gegen die Luft offenen Behäl-
ter münden, wird P2 - P1 = 0.
- Die Summe der Verlusthöhen Llze,d und Llze,, kann mit Hilfe einer Systemkon-
stanten yA charakterisiert werden, entsprechend:
LlZE = LlZE.d + LlZe,, =yA-QA2 (Gl.(ll.l2)).
Damit kann häufig geschrieben werden:

HA= Z2 -zt + P 2 -Pt +YA ·Q~ = Hgeo +Hhyd +Hdyn (11.16)


p·g

HA = Erforderliche manometrische Förderhöhe der Pumpe [L]


QA = Erforderliche Fördermenge der Pumpe [L3 T 1]
Hge., = Förderhöhe zur Überwindung der geodätischen Höhendifferenz
~yd = Förderhöhe zur Überwindung der hydrostatischen Druckdifferenz
~yn = Förderhöhe zur Überwindung der dynamischen Energieverluste
164 11 Wasserverteilung, Netz

Hdyn ='(A ·Q!,


dynamischer Anteil

hydrostatischer Anteil

geodätischer Anteil

~--------------------~~aA
Abb. 11.7. Schematische Darstellung einer Systemkennlinie nach Gl. (11.16)

Gl.(11.16) wird auch als Systemkennlinie bezeichnet. Sie charakterisiert den


Förderhöhenbedarf eines Systems in Abhängigkeit der Fördeernenge (Abb. 11.7).
Für die Berechnung des Förderhöhenbedarfs sollten in der Regel keine Si-
cherheitszuschläge gemacht werden, weil dies zu einer Überdimensionierung der
Pumpe führt, mit erhöhten Investitionskosten, unnötig hohem Energiebedarf und
ev. vorzeitigem Verschleiss. Bei der Wahl der Pumpe sollte zudem deren be-
schränkte Lebenserwartung berücksichtigt werden und die Betriebssituation in
einer nahen Zukunft zu Grunde gelegt werden.

11.2.3 Charakterlsierung der Pumpenleistung


Die Leistung einer Pumpe wird charakterisiert durch den Förderstrom Q, [e T 1]
und die Förderhöhe HP [L]. Diese beiden Grössen müssen mit dem Bedarf an
Förderhöhe HA und dem Bedarf an Fördeernenge ~ der Anlage in Einklang ge-
bracht werden.
Im Pumpenbau ist es üblich, die auf das Wasser übertragene nutzbare, me-
chanische Energie als Förderhöhe (in mWs = Meter Wassersäule) anzugeben.
Diese kann durch Messen der statischen Drücke im Saug- und Druckstutzen (p,,
pd), sowie der geodätischen Höhendifferenz der Messstellen (z,, zd) und der be-
rechneten Geschwindigkeiten im Saug- und Druckstutzen bestimmt werden:
P P v2 v2
Hp=~+zd-z.+ d- • (11.17)
p·g 2·g
Die Förderhöhe HP ist eine Energieeinheit; sie entspricht der Gesamtenergie-
differenz nach Bernoulli zwischen dem Saug- und dem Druckstutzen der Pumpe.
Der Pumpenlieferant stellt für seine Pumpen Informationen z.B. in Form eines
Kennlinienblatts zur Verfügung (Abb. 11.8). Es enthält:
- Die Q -H Beziehung der Pumpe: Eine Darstellung der Abhängigkeit der
Förderhöhe HP in Funktion der Fördeernenge QP.
11.2 Pumpen 165

Hp 60
inm 50
40
30
Förderleistung
20 bei n =1800 min·1
10
0
0 0.01 0.02 0.03 0.04 Op in rn3s·1

NPSH 6
inm
4
2 Net Positive Suction Head
0
0 0.01 0.02 0.03 0.04 Op in rn3 s·1

T]p 0.8
0.7
0.6
0.5 Wirkungsgrad
0.4
0.3
0 0.01 0.02 0.03 0.04 0p in rn3s·1
Pp 14
kW 12
10
Leistungsbedarf
8 derPumpe
6 Abb.ll.S. Beispiel eines
Kennlinienblatts einer
4 Kreiselpumpe (n=Motor-
0 0.01 0.02 0.03 0.04 Op in m3s·1 drehzahl)

- Eine Darstellung der NPSH (Net Positive Suction Head) in Funktion der För-
derleistung. Die NPSH gibt an, welcher minimale absolute Druck im Saug-
stutzen der Pumpe verfügbar sein muss, um die Pumpenleistung nicht über-
mässig durch Kavitation zu gefahrden. Die NPSH berücksichtigt den lokalen
Luftdruck (Höhenlage) und den Dampfdruck des Wassers (Temperatur).
- Angaben zum Wirkungsgrad der Pumpe T)p: Dieser gibt an, welcher Anteil
der mechanischen Energie, die auf die Pumpenwelle übertragen wird, durch
die Pumpe auf das Wasser übertragen werden kann.
- Die erforderliche LeistungPan der Welle der Pumpe: Die Leistungsaufnah-
me des Antriebsmotors ist grösser. Ein typischer Wirkungsgrad eines Elektro-
motors TIM liegt im Bereich von 75- 90%.
166 11 Wasserverteilung, Netz

Förderhöhe Hp in m
ro ~--------------------------,
50 ~----""''L.._

40
30

20
1200 1400 1600 1800
10 1000 Drehzahl n in min·1
0 ~--_.~~--_.----~~--~

0 0.01 0.02 0.03 0.04


Förderteistung Op in 1ft! s·1
Abb. 11.9. Beispiel eines Muscheldiagramms einer Kreiselpumpe. Die beiden Betriebspunkte 0
und 8 ergeben sich auf Grund der Ähnlichkeit des Betriebes von Kreiselpumpen (Gl.(11.19),
Beispiel 11.1 0)

Der Leistungsbedarf einer Pumpengruppe (an den Klemmen des Motors)


kann mit der folgenden Gleichung berechnet werden:
p _Qp·Pw·g·Hp
elektrisch - 11 • 11 (11.18)
"IP "!Motor

Kreiselpumpen werden häufig so aufgestellt, dass das zu pumpende Wasser


der Pumpe frei zufliessen kann. Dadurch werden Probleme mit dem Ansaugen
von Wasser vermieden und Kavitationserscheinungen vermindert.
Wenn die erforderliche Förderleistung der Pumpe stark variiert, und wenn
nur geringe bis gar keine Speichervolumen auf der Druckseite der Pumpe ver-
fügbar sind, so wird eine Regelung der Pumpenleistung sinnvoll. Immer häufiger
werden Kreiselpumpen mit drehzahlregulierten Motoren ausgerüstet. Die moder-
ne Leistungselektronik stellt uns dazu effiziente Installationen zur Steuerung der
Frequenz von Wechselstrom zur Verfügung. Die folgenden Modellgesetze erlau-
ben die Charakteristiken der Pumpen auf andere Drehzahlen n [T1] umzurech-
nen:

NPSHI nr (11.19)
NPSH 2 = n~
Das sogenannte Muscheldiagramm einer Kreiselpumpe stellt die Q - H Be-
ziehungen der Pumpe für verschiedene Drehzahlen n dar. Abb. 11.9 ist ein Bei-
spiel eines Muscheldiagrammes.

Beisple111.8. Graue Energie im Trinkwasser.


Wiegrossist der Energiebedarf, um 1 m3 Wasser 100m anzuheben?
Annahmen: T)p = 0. 75 11M = 0.85
Die spezifische Arbeit, die ins Wasser eingetragen werden muss, ist:
A =Pw·g·Hp =1000·9.81-100 =981'000 Ws m-a =0.273 kWh m-a
11.2 Pumpen 167

QA,QP

Abb. 11.10. Verbindung der System- und der Pumpenkennlinie und Bestimmung des Be-
triebspunkts einer Anlage

Unter Berücksichtigung der Wirkungsgrade ergibt sich:


Aelektrisch = AI(TJp·TJM) = 0.2731(0. 75·0.85) = 0.428 kWh m"3
Trinkwasser enthält also einige "graue" Energie.

Beispiel 11.9. Leistungsbedarf einer Pumpanlage.


Wie gross ist der Leistungsbedarf des Motors, der eine Kreiselpumpe treibt, die 0. 1 m3 s· 1
Wasser um 100 mWs anhebt?
Annahme: Tlp = 0. 75 TJM = 0.85
Nach GI. (11.18): Pelektrisch = 0. 1-1000·9.81·1001(0.75·0.85) = 154 kW
Diese Pumpleistung entspricht bei einer Betriebsdauer von z.B. 8 h pro Tag einem Dorf
von ca. 7'000 Einwohnern.

Beispiel11.10. Anwendung der Ähnlichkeitsgesetze bei Kreiselpumpen


Die Kreiselpumpe, deren Muscheldiagramm in Abb. 11.9 dargestellt ist, hat einen Be-
triebspunkt bei:
n1 = 1800 min"1 Op 1 = 0.013 m3 s·1 und Hp 1 =50 m
Wie verändert sich dieser Punkt, wenn die Drehzahl der Pumpe auf n2 =1200 min" 1
redu-
ziert wird (GI.(11.19))?
n1 I n2 = 1.5
H/H2 = (1.5) 2 H2 =50 I 2.25 = 22.2 m
0 1 I 0 2 = 1.5 0 2 = 0.013 I 1.5 = 0.0087 m3 s·1
Der Punkt n2 1200 min·\ H2 = 22.2 m und 0 2 = 0.0087 m3 s·1 liegt auf der entsprechen-
den Linie im Muscheldiagramm (Abb. 11.9).

11.2.4 Der Betriebspunkt einer Kreiselpumpenanlage


Die Verbindung zwischen der Systemkennlinie (Gl.(ll.16), Abb. 11.7) und der
Pumpenkennline (Abb. 11.8) erlaubt den sogenannten Betriebspunkt der Anlage
festzustellen. Eine graphische Lösung dieses Problems ist in Abb. 11.10 darge-
stellt. Die Förderleistung der Kreiselpumpe wird sich beim Betriebspunkt ein-
168 11 Wasserverteilung, Netz

A) ----<~---- Einzelpumpe
~ Seriebetrieb

--r-o--<
_.,__,__
8)

c) Parallelbetrieb

H
2 Pumpen in Serie

1 Pumpe
2 Pumpen parallel
~------~~-------~~a
Abb. 11.11. Oben: Schematische Darstellung der unterschiedlichen Betriebsmöglichkeiten von
Pumpen. Unten: Pumpenkennlinien für Einzel-, Serie- und Parallelbetrieb. Die Schnittpunkte
mit der Systemkennlinie stehen für: A) Betriebspunkt mit einer Pumpe, B) Betriebspunkt für
Seriebetrieb, C) Betriebspunkt für Parallelbetrieb

stellen: Hier ist der Energieeintrag ins System (Pumpe, HP) identisch mit dem
Energiebedarf des Systems (HA).
Die Systemkennlinie ist abhängig von der Lage der Wasserspiegel in Wasser-
speichern und dem Bezug von Wasser in einem Netz. Der Betriebspunkt einer
Pumpe ist entsprechend nicht konstant, sondern er passt sich den Gegebenheiten
an.

11.2.5 Serie- und Parallelbetrieb von Pumpen


Je nach Anforderungen an eine Pumpanlage werden mehrere Pumpen in Serie
oder parallel angeordnet (Abb. 11.11 ). Die Leistungscharakteristik einer solchen
Pumpenanlage setzt sich aus den Pumpencharakteristiken der einzelnen Aggre-
gate zusammen.
Bei Pumpen in Serie wird die Förderhöhe bei gleichbleibender Förderleistung
addiert, bei Parallelbetrieb wird die Förderleistung bei gleichbleibender Förder-
höhe addiert. In Abb. 11.11 sind die Pumpencharakteristiken für die unter-
schiedlichen Aufstellungsmöglichkeiten von zwei identischen Pumpen darge-
stellt. Die drei Betriebspunkte A,B,C zeigen:
- Mit zwei Pumpen im Parallelbetrieb ist die geförderte Wassermenge kleiner
als die doppelte geförderte Wassermenge einer einzelnen Pumpe, weil die
dynamischen Verluste quadratisch mit dem Durchfluss durch das System zu-
nehmen (Betriebspunkte A und C).
- Mit zunehmender geodätischer Förderhöhe wird Seriebetrieb günstiger als
Parallelbetrieb.
11.3 Wasserverteilung: Netzberechnungen 169

Liegt der Betriebspunkt A höher als die maximale Förderhöhe einer einzel-
nen Pumpe, so kann diese kein Wasser fördern. Auch Parallelbetrieb wird
nicht zu einer Förderung führen. Hingegen können zwei (oder mehrere)
Pumpen in Serie ev. eine ausreichende Förderhöhe erzeugen.
Heute werden Pumpen gebaut, in denen mehrere (2-8) Einzelpumpen in Serie
auf einer Weile mit nur einem Antrieb angeordnet sind. Solche Pumpen sind
geeignet, bei kleinem Pumpendurchmesser eine geringe Wassermenge auf einen
hohen Druck anzuheben. Sie kommen z.B. in engen Bohrlöchern zur Förderung
von tiefliegendem Grundwasser zum Einsatz.

11.2.6 Anordnung von Pumpen


In Wasserversorgungsbetrieben wird darauf geachtet, dass zwei bis mehrere
Pumpen parallel angeordnet werden, um auch bei Ausfall und Revision von ein-
zelnen Aggregaten eine zuverlässige Förderung aufrecht erhalten zu können.
Steuerungen zur Drehzahlregulierung müssen hier nicht für jede einzelne Pumpe
vorhanden sein.
In Anlagen ohne Wasserspeicher (s.a. Abb. 11.17) werden die Pumpen häufig
mit Notstromaggregaten ergänzt, um auch bei Ausfall der Stromversorgung ei-
nen minimalen Betriebsdruck aufrechterhalten zu können.
Werden die Pumpen über der Drucklinie des Wassers aufgestellt, so müssen
spezielle Vorkehren für das Füllen der Pumpe vor dem Anlaufen getroffen wer-
den (Ventile und Auffüllstutzen, Vakuumpumpen etc.).
Um Druckstösse zu vermeiden, sollen Pumpen nur gegen geschlossene Ab-
sperrorgane an- und auslaufen. Die Steuerung und die Armaturen müssen ent-
sprechend gestaltet werden (S.a. Kapitel 11.7, Seite 180).

11.3 Wasserverteilung: Netzberechnungen


Der hydraulische Betriebszustand eines Wasserversorgungsnetzes ist charakteri-
siert, wenn für alle Elemente des Netzes die Energiehöhen und die Durchflüsse
bekannt sind. Die Berechnung eines solchen Zustandes erfordert das simultane
wsen von vielen nichtlinearen Gleichungen.
In einem Wasserversorgungsnetz wirken die verschiedensten Elemente zusam-
men: Pumpen, Leitungen, Speicher, Verbraucher, Einspeisungen, Regelorgane,
Havarien... Die Berechnung eines Betriebszustandes (Wassermengen und
Druckhöhen in allen Strängen und Knoten) ist eine äusserst aufwendige Aufgabe.
Nur einfachste Netze können von Hand berechnet werden. Die Ingenieurin, die
für die Anwendung von anspruchsvollen Berechnungsprogrammen und -model-
len die Verantwortung übernimmt, muss aber die grundlegenden Überlegungen,
die zu diesen Modellen geführt haben, verstehen.

11.3.1 Elemente eines Verteilnetzes


Ein Verteilnetz kann in eine Reihe von Elementen mit unterschiedlichem hy-
draulischem Verhalten aufgeteilt werden. Ziel der Netzberechnung ist, für unter-
schiedliche Lastfälle den Zustand aller Elemente zu berechnen. Hier werden nur
einfachste Formen von typischen Elementen eingeführt (s.a. Abb. 11.12):
170 11 Wasserverteilung, Netz

- Knotenpunkte: In Knotenpunkten werden verschiedene Elemente verknüpft.


Der Zustand eines Knotens ist definiert, wenn die Energiehöhe HK im Kno-
tenpunkt bekannt ist. Hydraulisch gilt die Bedingung, dass gleichviel Wasser
in einen Knoten hineinfliesst (z.B. aus Enden von Strängen) wie aus dem
Knoten abfliesst (z.B. in Anfänge von Leitungen hinein): I: Q = 0 unter Be-
rücksichtigung der Vorzeichenregeln:

LQMons + Osezua = LQEnde + QF.inspeisung (11.20)


Leitungsstränge: Ein Leitungsstrang verbindet den Anfangs- und den End-
knoten der Leitung. Der Zustand des Stranges ist definiert, wenn die durch-
fliessende Wassermenge Q. und die Fliessrichtung (Vorzeichen: Positiv bei
Fliessrichtung vom Anfangsknoten zum Endknoten) bekannt sind. Hydrau-
lisch ist ein Leitungsstrang charakterisiert durch die Leitungskonstante yL, die
ev. als äquivalente Leitungskonstante y"" für ein Teilnetz berechnet wurde
(Beispiel 11.7). Hydraulisch gilt die Bedingung:
(11.21)
HAßfang - HERde= y·Q.·IQ.I
- Reservoir (Behälter): Ein Speicher entspricht einem Knoten mit fester Ener-
giehöhe. In einer stationären Betrachtung ist das Volumen des Reservoirs
nicht von Bedeutung. Der Zustand des Reservoirs wird durch die geodätische
Höhe des Wasserspiegels HR definiert.
- Wasserbezug: Ein Wasserbezug ist ein Verlust von Wasser aus dem Netz.
Hier wird ein Bezug immer einem Knoten zugeschrieben. In der Wirklichkeit
kann der Bezug von Wasser entlang einer Leitung verteilt sein. Ein Bezug ist
definiert durch die Wassermenge Q8 und den Knoten, aus dem diese bezogen
wird. Manchmal ist die Bezugsmenge Q8 abhängig von der Druckhöhe im
Bezugsknoten. Es muss ein Beziehung Q8 (H8 ) erarbeitet werden.
Wassereinspeisung: Eine Wassereinspeisung ist ein Zufluss von Wasser von
ausserhalb des Netzes zu einem Knoten. Sie ist definiert durch die Wasser-
menge (4 und den Knoten, in den diese eingespiesen wird. Eine WassereiD-
speisung unterscheidet sich von einem Wasserbezug nur durch die Richtung
(Vorzeichen) des Wasserflusses.
- Grundwasserspiegel: Ein Grundwasserspiegel fixiert die Energiehöhe des
Wassers, aus dem gepumpt werden soll, ist also analog zu einem Speicher.
Ein Grundwasserspiegel ist durch seine Energiehöhe How definiert. Gelegent-
lich muss die Absenkung des Grundwasserspiegel mit zunehmender Entnah-
memenge berücksichtigt werden, How f(Qow). =
- Pumpe: Eine Pumpe fördert Wasser von einem Zulauf- zu einem Ablauf-
knotenpunkt. Der Zustand der Pumpe ist bekannt, wenn die Förderleistung Q.
bekannt ist. Hydraulisch wird die Pumpe charakterisiert durch die Q - H Be-
ziehung, die angibt, wie gross QP in Funktion der Differenz HAb - llz" ist
(Abb. 11.8).
- Eine Havarie ist z.B. ein Bruch einer Leitung mit einem freien Ausfluss an
die Oberfläche, das entspricht dem Endpunkt eines Leitungsstranges, dessen
Druckhöhe bekannt ist (Extremsituation). Hydraulisch kann z.B. die Druck-
höhe HH auf der Höhe der Strasse fixiert werden.
11.3 Wasserverteilung: Netzberechnungen 171

Weitere mögliche Elemente sind: Druckreduzierventile, Überläufe, Regel-


kreise etc. Sie werden hier nicht im Detail beschrieben.

TabeHe 11.3. Hydraulische Eigenschaften von typischen Elementen eines Wasserversor-


gungsnetzes: H =Energie- oder Druckhöhe, Q = Durchfluss

Element im Netz Charakterisierung des Elements


Hydraulisch Zustandsgrösse
Knoten (Vereinigung) l:Qzußuss= l:QAbOuss HK
Leitungsstrang HAnfang - Heade= 'YL · QL·I QL I QL
Grundwasserspiegel lfow =fest How
Reservoir HR =fest HR
Bezug Q8 =fest QB
Einspeisung Q2 =fest QE
Pumpe QP = f(HEnde- HAn....,) Qp

In Tabelle 11.3 sind die wichtigsten hydraulischen Eigenschaften und die Zu-
standsgrössen von Elementen einer Wasserversorgung zusammengefasst. Jedes
Element ist charakterisiert durch eine Zustandsgrösse und eine hydraulische
Bedingung (Gleichung). Damit ist ein Netz, das in solche Elemente aufgelöst
wird, mathematisch bestimmt: Es gibt gleichviele unbekannte Zustandsgrössen
wie Gleichungen. Die Berechnung eines Netzes resultiert aber häufig in hunder-
len bis tausenden von meist nicht linearen Gleichungen, die simultan gelöst wer-
den müssen. Dafür kommen kommerziell vertriebene Computerprogramme zum
Einsatz.

11.3.2 Einfache Netzberechnungen


Nur einfache Verteilnetze werden von Hand berechnet. Dazu werden vorerst die
Gleichungen aufgestellt, die das System hydraulisch charakterisieren. Anschlie-
ssend wird iterativ die Lösung für dieses Gleichungssystem gesucht.
Tabellenkalkulationsprogramme stellen meist eine Option zur Lösung von
grossen Gleichungssystemen zur Verfügung. Kleine Netze können mit solchen
Programmen berechnet werden. Dabei ist es erforderlich, die Q-H Beziehung
von Pumpen in eine mathematische Gleichung einzupassen.
Das Vorgehen zur Berechnung des stationären Zustands eines Versorgungsnetzes
wird anband eines einfachen Beispiels demonstriert: Für das System in
Abb. 11.12 soll der stationäre Zustand gesucht werden. Die Eigenschaften der
einzelnen Elemente sind in Tabelle 11.4 zusammengestellt. Insgesamt ist das
einfache System durch 9 Zustandsgrössen charakterisiert (4 Höhen von Knoten
und Endpunkten und 5 Wassermengen in Leitungen, Pumpen, Bezügen und Ein-
speisungen). Zur Berechnung der 9 Zustandsgrössen stehen 9 hydraulische Be-
dingungen (Gleichungen) zur Verfügung, die z.T. trivial, z.T. linear, z.T. qua-
dratisch sind und z.T. nur graphisch (Pumpenkennlinie) verfügbar sind. Die Lö-
sung dieses Gleichungssystemes erfolgt iterativ, nach der Festlegung der abso-
luten Grössen der hydraulischen Parameter in Tabelle 11.5. Bereits für dieses
sehr einfache Netz ist eine analytische Lösung des Gleichungssystems nicht
172 11 Wasserverteilung, Netz

1) Reservoir Höhe HR = 500 mOM

5) Lenung 6) Lenung
L= 1000 m L=500m
D=0.2m 0=0.2 m 7) Pumpe
-=- 4) Grundwasser
HGw=460müM
Abb. 11.12. Beispiel zur Netzberechnung: Ein einfaches Wasserversorgungsnetz

mehr möglich, weil ein Teil der Information (Pumpenkennlinie) nur graphisch
verfügbar ist, und zwei Leitungen mit quadratischen Gleichungen hydraulisch
charakterisiert sind.

TabeHe 11.4. Hydraulische Charakterisierung der Elemente des Versorgungsnetzes in Abb. 11.12
Element Zustands- Hydraulische Eigenschaft
Nr Art Anfang Ende Grösse des Elementes
Knoten und Entpunkte
1 Reservoir Hl HI=HR
2 Bezugsknoten H> ~+Q,=Q.
3 Einspeiseknoten H, Q,+Q.=Q,
4 Grundwasser H. H.= How
Leitungen
5 Leitung 5 2 ~ Hl - H2 = 'Ys . ~ . IQsl
6 Leitung 6 3 2 Q. H,- H2 = "(6 • Q 6 • IQ61
Pumpe
7 Pumpe 7 4 3 Q, Q, = f(H 3 - H4)
Bezug und Einspeisung
8 Bezug 2 Q. Q.=Q.
9 Einspeisung 3 Q. Q.=QE

Bei Berechnung von Hand muss der Lösungsweg dem Problem angepasst
werden. Hier wird das folgende iterative Vorgehen gewählt (Zahlenangaben sind
in Tabelle 11.6 zusammengestellt):
- Vorerst wird eine Förderleistung für die Pumpe geschätzt (Qp =Q7 =0.02
m3s-\ Ansebliessend können alle zugehörigen Durchflusswassermengen be-
rechnet werden.
- Nun können die Förderhöhe der Pumpe HP =H, bestimmt und die Energie-
verluste der Leitungen berechnet werden (ßH).
11.3 Wasserverteilung: Netzberechnungen 173

TabeHe 11.5. Festlegung der hydraulischen Parameter für das Rechenbeispiel


Element Angaben zu den hydraulischen Eigenschaften des Elementes
1 Höhenlage des Reservoirs bei voller Füllung: HR =500 müM
2
3
4 Höhenlage des Grundwasser bei Niedrigwasser: Haw = 460 müM
5 = = =
Länge der Leitung 1000 m, D 0.2 m, ß 7.3 s· m : y~ 7300 s m·
6 = = =
Länge der Leitung 500 m, D 0.2 m, ß 7.3 s·2m-6: y~ 3650 s2m·'
7 Pumpencharakteristik entsprechend Abb. 11.8
8 Wasserbezug: Q8 = 0.08 m s·
9 Wassereinspeisung: QE =0.02 m3s"1

TabeHe 11.6. Iterative Lösung des Rechenbeispieles


Iteration I 1. Schritt I 2. Schritt I 3. Schritt
Leitungen, Pumpen ' Bezüge, Einspeisungen· Q in m3 s·', AH in m
Q AH Q AH Q AH
7 Q-H 0.021) 43 2) 0.025 37 0.024 39
9 festes Q 0.02 0.02 0.02
6 J-3650 0.04 63) 0.045 7 0.044 7
8 festes Q 0.08 0.08 0.08
5 J-7300 0.04 123) 0.035 9 0.036 9
Energiehöhen m den Knoten, H m müM
H H H H
4 460 460 460 460
3 503 497 499
2 497 490 492
500 509 499 501
"Erste Annahme, Schätzung auf Grund des Wasserverbrauches.
2> Aus Abb. 11.8: Pumphöhe bei QP = 0.02 m 3 s· 1•
3>Aus GI. (11.12): AH =y·Q·IQI.

- Ausgehend vom Grundwasser ~ ergeben sich die Druckhöhen in den einzel-


nen Knoten aus den berechneten .6.H unter Berücksichtigung der Vorzeichen-
regel.
- Aus dem Vergleich der berechneten Lage des Wasserspiegels im Reservoir
(509 müM) und der effektiven Lage (500 müM) ergibt sich, dass die effektive
Förderhöhe der Pumpe geringer sein muss als im Beispiel vorläufig ange-
nommen, d.h. dass die Förderleistung grösser ist: Für den 2. Iterationsschritt
=
gehen wir z.B. von einer Fördermenge Q7 0.025 m3s· 1 aus.
- Mit dem 2. Iterationsschritt ist das Ziel beinahe erreicht, der 3. Rechenschritt
zeigt, dass wir die Rechengenauigkeit erreicht haben.
In diesem einfachen RechenBeispiel sind in 3 Iterationsschritten alle Zu-
standsgrössen des Systemes innerhalb der Rechengenauigkeit bestimmt worden.
Dies ist möglich, weil nur eine Grösse variiert werden musste (hier wurde die
Förderleistung der Pumpe gewählt). In grösseren, insbesondere in stark ver-
maschten Systemen müssen mehrere Grössen vorerst frei gewählt werden. Es
174 11 Wasserverteilung, Netz

Abb. 11.13. Ausschnitt aus einem


Wasserverteilnetz, dessen Zustand
berechnet werden soll. Angegeben
sind vorläufige Annahmen über die
Energiehöhen in den Knoten A - D
und die y Werte der Leitungen
D H0 =300müM (Beispiel 11.11)

sind dann bedeutend mehr Iterationsschritte erforderlich, und die Wahl der Kor-
rekturen bestimmt, wie schnell die Rechnung konvergiert.
In der Fachliteratur wird das Verfahren von Hardy Cross empfohlen, um Kor-
rekturen zwischen Iterationsschritten in vermaschten Systemen systematisch zu
wählen. Da Handrechnungen heute keine grosse Bedeutung mehr haben, und das
Verfahren von Hardy Cross in der digitalisierten Netzberechnung nicht zur An-
wendung kommt, wird hier auf dessen Einführung verzichtet.
Eine einfache Möglichkeit zur iterativen Lösung der Gleichungen beruht auf
der folgenden Überlegung: Basierend auf den momentanen Energiehöhen wird
berechnet, ob einem Knoten zuviel oder zuwenig Wasser zufliesst. Wenn zuviel
Wasser zufliesst, wird die Energiehöhe des Knotens erhöht, sonst vermindert.
Das Programmieren dieser Iterationsstrategie ist aussecordentlich einfach. Die
Iterationen führen bei nicht allzu grossen Netzen rasch zum Ziel
(Beispiel 11.11).

Beispiel11.11. Ausgleich der Energiehöhe in der Berechnung eines Netzes


ln welche Richtung muss die Druckhöhe He im Knoten C von Abb. 11.13 für den näch-
sten Iterationsschritt korrigiert werden?
Mit GI. (11.21) (HA - He = y1 • 0 12 ) ergibt sich:
0 1 = 0.10m3 s.\02 = 0.12ms.\03 = 0.16m3 s·1
Nach GI. (11.20) ergibt die Bilanz für den Knoten C: 0 1 + 0 2 - 0 3 =0.06 m3 s· 1•
Dem Knoten fliesst zuviel Wasser zu, für den nächsten Schritt muss die Energiehöhe He
=
angehoben werden. Mit He 315 müM ergeben sich:
3 ·1 ·1 3 ·1
0 1 = 0.07 m s , 02 = 0.10 m s , 03 = 0.19 m s
.
=-0.02 m3 s·1 .
und dam1t 0 1 + 0 2 - 0 3
Mit einer Energiehöhe von He =313 müM ist die Rechengenauigkeit erreicht.
ln einem Rechenprogramm wird die Berechnung von Knoten zu Knoten springen, bis alle
Verbesserungen im Rahmen der erwünschten Rechengenauigkeit sind.

11.3.3 Digitalisierte Netzberechnung


Heute werden Programme eingesetzt, die den Zustand von Netzen mit mehreren
tausend Elementen berechnen können. Ergänzt mit Datenbank, CAD und GIS
Funktionalität ergeben diese Programme effiziente Hilfsmittel für die Netzbe-
rechnung und Gestaltung.
11.4 Gestaltung von Verteilnetzen 175

Für grössere Netze ist die Handrechnung ungeeignet. Es werden kommerziell


vertriebene Programme eingesetzt, die weitgehend optimierte mathematische
Iterationsroutinen zur Lösung der vielen nichtlinearen Gleichungen verwenden
und auch bei grossen Netzen (mit ev. mehreren tausend Leitungen) rasch zu
einer Lösung konvergieren. Solche Programme sind ausserordentlich leistungs-
fähig, sie erlauben Pumpencharakteristiken, dynamische Änderungen von Spei-
chervolumen, Regelkreise etc. zu berücksichtigen. Häufig sind sie mit CAD
Systemen verbunden und unterstützen die Analyse eines Netzes mit graphischen
Darstellungen, Plänen, Iso-Drucklinien etc. Mit der Anwendung solcher Pro-
grammen rückt die Vorbereitung und Präsentation der Arbeit ins Zentrum:
- Bereinigung der Plangrundlagen
- Ermittlung der Knotenentnahmen, der massgebenden Betriebsrauhigkeiten,
der wichtigen Havariefälle und Lastannahmen, Pumpencharakteristiken etc.
- Übersichtliche Darstellung der Resultate.

11.4 Gestaltung von Verteilnetzen


Verteilnetze von Wasserversorgungen wachsen über Jahrzehnte. Sie werden
laufend erneuert und sowohl den technischen Entwicklungen als auch den Be-
dürfnissen und der Entwicklung der versorgten Siedlung angepasst.
Verteilnetze werden für lange Zeiträume geplant, es ist daher üblich, den einzel-
nen Leitungssträngen eine klar definierte, langfristig überschaubare Aufgabe zu
geben und sie entsprechend ihrer Hauptfunktion hierarchisch zu gliedern:
- Transportleitungen führen vom Ort der Wassergewinnung oder Aufbereitung
durch meist wenig überbautes Gelände mit wenig Krümmern und Armaturen
und entsprechend geringen Energieverlusten zu den Wasserspeichern.
- Verteilleitungen verteilen das Trinkwasser im Versorgungsgebiet, sie führen
von den Speichern oder Einspeisungen zum Endverbraucher. Das ganze
Verteilsystem ist gegliedert in Hauptleitungen, Nebenleitungen und Hausan-
schlussleitungen.
- Hauptleitungen stellen das Skelett des Verteilnetzes dar. Sie weisen in der
Regel Durchmesser > 250 mm auf und verteilen das Wasser über das Sied-
lungsgebiet Hauszuleitungen werden nicht an Hauptleitungen angeschlossen.
- Nebenleitungen sind die Zuleitungen zu den Verbrauchern. Hauszuleitungen
werden an diese Leitungen angeschlossen.
- Hausanschlussleitungen bringen das Wasser in die Gebäude.
Historisch sind die meisten Wasserversorgungsnetze als Verästelungsnetz
gewachsen (Abb. 11.14). Diese haben den Nachteil, dass beim Bruch einer
Hauptleitung die Versorgung grassflächig ausfällt. Sie führenzugrossen Druck-
verlusten und Druckschlägen, sowie in den Endsträngen zu schlechter Durchflu-
tung. Sie sind billig im Bau und einfach in der hydraulischen Berechnung.
Um die Versorgungssicherheit zu erhöhen, werden heute häufig Ringnetze
gebaut, in kleinen Systemen werden nur die Nebenleitungen vermascht, in grö-
sseren, wenn immer möglich, auch die Hauptleitungen. Durch mehrfache Ein-
speisung wird die Versorgungssicherheit zusätzlich verbessert (Abb. 11.15).
176 11 Wasserverteilung, Netz

I Reservoir I

Abb. 11.14. Beispiel eines


- _._ Verästelungsnetzes

I Reservoir I
'

- ---· ---· ---· Abb. 11.15. Beispiel eines


---· ---· ---· ---· I Reservoir I verrnaschten Ringsystemes mit
Gegenbehälter

bestehend Abb. 11.16. Bestehende (links)


Projekt
und projektierte Anlage
(rechts) (Beispiel 11.13)

Beispiel11.12. Bedeutung einer Hauptleitung


Wieviele Einwohner sind an einer Hauptleitung angeschlossen, die einen Durchmesser
von 250 mm hat und in der die maximale Fliessgeschwindigkeit auf 2 ms· 1 beschränkt
sein soll?
Die maximal transportierte Wassermenge beträgt: Q =v-D2 ·ro'4 =0.1 m3s·1 • Das ent-
spricht dem maximalen Bedarf von ca. 10'000 Einwohnern. Hauptleitungen mit Durch-
messern über 250 mm werden also nur in grossen Gemeinden gebaut.

Beispiel11.13. Doppelte Einspeisung in ein Netz


Eine Gemeinde unterhält eine Wasserversorgung, die von nur einem Reservoir gespie-
sen wird. Die Zunahme des Wasserverbrauchs hat zu grossen Energieverlusten in der
Transportleitung vom Behälter zum Versorgungsgebiet geführt. Nun will die Gemeinde
einen zweiten Gegenbehälter und eine zweite Einspeisung bauen (Abb. 11.16).
Wie stark vermindert sich der Energieverlust in den Transportleitungen, wenn der Was-
serverbrauch stabil bleibt?
Annahmen: Maximaler Wasserverbrauch Q :::: 0.1 m3s· 1
Leitungskonstante der bestehenden Leitung: 'Yan = 2000 s m
2 -5

Leitungskonstante der projektierten Leitung 'Yneu = 1000 s2 m·5


Der Energieverlust in der bestehenden Leitung beträgt: lllE an ='Yan - 0 2 =20 mWs
11.4 Gestaltung von Verteilnetzen 177

Die zwei Einspeisungen können als zwei parallele Leitungen betrachtet werden. Eine
äquivalente Leitung hat nach GI. (11.14) den folgenden Widerstandsbeiwert

=( fi +
1
ri)2 343s-'m-5

vr.:
Ytot

Vrneu
Der Energieverlust nach der Realisierung der Erweiterung wird zu:
2
Q = 3.43 mWs
ßZE.neu = "'ftot ·
Der Wasserbezug teilt sich wie folgt auf die beiden Reservoire auf:

ßzE,neu
Q alt= - 3 -1 Q 3 ·t
- - =0.041 m s und neu= 0.059 m s .
y alt
Durch die doppelte Einspeisung wird also nicht nur die Versorgungssicherheit verbessert
sondern auch die Variation der Druckhöhe im Versorgungsgebiet vermindert und der
minimale Druck erhöht.

11.4.1 Druckhaltung
Im hügeligen Gelände gilt für Trinkwasserverteilsysteme eine Druckhöhe von
40 - 100 m gemessen ab Strassenhöhe als geeignet, angestrebt werden 50 - 80 m.
Häuser bis zu 8 Stockwerken können dann ohne eigene Druckerhöhungs-
pumpwerke versorgt werden, und die Feuerwehr kann vorerst ohne Motor-
pumpen arbeiten. Die Druckhaltung über Hochbehälter bedingt allerdings, dass
Geländeerhebungen von 50- 100m in der Nähe des Versorgungsgebiets liegen.
Eine grössere Druckhöhe bedingt nicht nur die Verstärkung der Leitungen, In-
stallationen und Armaturen, sondern bei Pumpbetrieb auch einen grossen Ener-
gieeinsatz sowie Druckreduzierventile beim Verbraucher.
Im Flachland sind Druckzonen mit nur 10- 40 m Druckhöhe verbreitet; die-
ser Druck kann z.B. durch geregelten, dauernden Pumpbetrieb ohne Speicher
zuverlässig aufrecht erhalten werden. Um Perioden mit Ausfall der Elektrizität
zu überbrücken, sollte allerdings ein Notstromaggregat zur Verfügung stehen,
mit dem ein minimaler Betriebsdruck aufrechterhalten werden kann. Häuser mit
mehr als zwei Stockwerken müssen mit eigener Druckerhöhung ausgestattet
werden.
In Abb. 11.17 sind schematisch einige Möglichkeiten für die Druckhaltung
dargestellt. Zusätzlich kommen Wassertürme und Druckkessel zur Druckhaltung
zur Anwendung (Kapitel 10.8).

Beispiel11.14. Optimierung der Pumpenleistung


Wird die Druckhaltung in einem Verteilnetz nach Abb. 11.17, oben, gewählt, so steigt bei
geringem Wasserverbrauch, in Abhängigkeit der Pumpencharakteristik (Abb. 11.9) der
Druck im Netz. Um Energie zu sparen, ist es hier sinnvoll, mit drehzahlregulierten Pum-
pen den Druck im Netz trotz variabler Pumpenleistung konstant zu halten. Das reduziert
die erforderliche elektrische Leistung bei verbessertem Komfort für die Verbraucher.

11.4.2 Druckzonen
Bei grossen Höhenunterschieden im Versorgungsgebiet werden unterschiedliche
Druckzonen ausgeschieden, die von verschiedenen Hochbehältern versorgt wer-
178 ll Wasserverteilung, Netz

Grundwasser

Energielinie je
nach Betriebszus~-

Grundwasser

Reservoir

> 40m
<100m

Grundwasser

Abb. 11.17. Beispiele von Anordnungen zur Druck- oder Energiehaltung in Verteilnetzen.
Oben: Im flachen Gelände, ohne Speicher mit dauernd laufenden Pumpen und ev. Notstrom.
Mitte: Mit Förderung des Wassers durch das Netz. Hier ergeben sich je nach Betriebsbedingun-
gen unterschiedliche Energielinien. Unten: Mit Förderung des Wassers über den Speicher

den und einen zweckmässigen Versorgungsdruck einhalten (Abb. 11.18). Der


Höhenunterschied zwischen der oberen und der unteren Zonengrenze beträgt ca.
60 m. Jede Druckzone wird als autonome Wasserversorgung mit entsprechender
Speicherung und Wasserzuführung betrachtet.
Wird in einer Zone der Wasserdruck grösser als 100 mWs, so nehmen die
Havarien und Leckverluste überproportional zu.
11.5 Hydraulische Lastfalle - Ziele der Bemessung 179

H
müM
640 -----------------
600

560

500

470 ----------------===--+---
Grundwasser

Abb. 11.18. Aufteilung der Druckzonen mit einem Beispiel der Höhenlage

11.5 Hydraulische Lastfälle - Ziele der Bemessung


Die hydraulische Bemessung eines Netzes hat vielen Kriterien Rechnung zu
tragen. Massgeblich sind v.a. die Druckverhältnisse bei verschiedenen Lastf~il­
len:
- Höchstverbrauch (Q............)
- Ruhedruck (ohne Bezug)
- Nachtförderung z.B. in den Speicher bei Pumpbetrieb über das Netz.
- Brandfrule an besonders ausgewählten und kritischen Stellen
- Ausfall von einzelnen Strängen durch Havarie oder Revision
- Minimalverbrauch zur Bestimmung des Alters des verteilten Wassers.
Für Versorgungsnetze mit einem Betriebsdruck im Bereich von 40 - 100 m
über der Strasse werden z.B. in der Schweiz die folgenden Dimensionierungs-
kriterien angewendet:
- Zulässige Druckschwankungen im Netz sind 5- 15 mWs, wobei ein Be-
triebsdruck in den Endsträngen von> 30 mWs bei städtischen Verhältnissen
und> 40 mWs bei ländlichen Verhältnissen gefordert wird (Feuerwehr).
- Die maximal anzuliefernde Wassermenge beträgt in der Spitzenstunde (fb.max):
6- 8% des maximalen Tagesbedarfes in städtischen Verhältnissen
8- 10% des Tagesbedarfes in halbstädtischen Verhältnissen
10- 12% des Tagesbedarfes in ländlichen Verhältnissen
Dazu kommen Sonderabnehmer.
- Die Versorgungsleitungen werden für die Bedürfnisse der Feuerwehr (Brand-
belastung) zusätzlich zum Wasserbedarf während einer Spitzenstunde an ei-
nem Tag mit mittlerem Bedarf ausgelegt. An der höchst gelegenen Zapfstelle
(z.B. die höchstgelegene versorgte Wohnung) soll der minimale Druck dabei
nicht < 5 mWs werden.
- An der höchstgelegenen Zapfstelle soll bei Havarie (Ausfall) eines kritischen
Stranges oder eines Pumpwerkes bei maximalem Wasserbedarf der minimale
Druck nicht unter 5 mWs abfallen.
180 ll Wasserverteilung, Netz

Schwimmer Geregeltes Ventil

in d ie Tefzone
i

Abb. 11.19. Schematische Darstellung eines Druckbrecherschachtes. Ein Ventil wird über den
Wasserstand geregelt

11.6 Sonderbauwerke

11.6.1 Druckreduzierventile
In Gebieten mit unterschiedlicher Höhenlage kann eine tieferliegende Zone über
ein Druckreduzierventil aus der höherliegenden Zone mit Wasser gespiesen wer-
den. Druckreduzierventile sind das Gegenstück zu Pumpen, sie wandeln die
Energie um, die frei wird, wenn Wasser von einer Zone mit hohem Druck in eine
solche mit niedrigerem Druck geleitet wird. Die Energie geht verloren.
Heute kommen auch Turbinen zum Einsatz, die die potentielle Energie in
Form von Elektrizität zurückgewinnen.

11.6.2 Druckbrecherschacht
Um Wasser von einer höheren Druckzone zuverlässig in eine Zone mit niedrige-
rem Druck zu leiten, bewähren sich auch Druckbrecherschächte (Abb. 11 .19).
Diese können ohne Fremdenergie und Fernsteuerung auskommen. Grosse
Schächte vermeiden Druckstösse, weil die Armaturen nur langsam reagieren.

11.6.3 Zonenpumpwerke
Zonenpumpwerke sind das Gegenstück zu Druckreduzierventilen und Druck-
brecherschächten. Sie fördern das Wasser aus einer untenliegenden Zone in eine
höherliegende Zone (s. z.B. Abb. 11.18, Förderung in die Hangzone).

11.7 Instationäre Vorgänge: Der Druckstoss


Im Betrieb von Verteilnetzen entsteht immer wieder die Situation, dass sich der
Durchfluss in einzelnen Leitungen schnell ändert. Die Trägheit des Wassers führt
dabei zu Druckstössen, die bei der Gestaltung der Anlagen angemessen berück-
sichtigt werden müssen.
Ändert sich der Durchfluss in einer Druckleitung, so ändert sich auch die kineti-
sche Energie des bewegten Wassers. Die Änderung des Durchflusses geht dabei
von einem Punkt aus (Bezug, Pumpe, Regelorgan, ... ), während die kinetische
Energie ein Grösse ist, die als Integral über das ganze System definiert ist. Die
11.7 Instationäre Vorgänge: Der Druckstoss 181

"Information", dass sich ein Durchfluss geändert hat, breitet sich in starren Roh-
ren mit Schallgeschwindigkeit im Netz aus. Es dauert eine endliche Zeit, bis ein
Netz einen neuen stationären Zustand findet. Während dieser Zeit entstehen als
Folge der Trägheit des Wassers Druckschwankungen, sogenannte Druckstösse.
Diese werden unter Umständen so gross, dass Rohrleitungen, Armaturen und
Pumpen zerstört werden können.
Das Thema Druckstass kann hier nur grundsätzlich eingeführt werden. Es
wird dadurch ein Problem bewusst gemacht, das in Zusammenarbeit mit Spezia-
listen bearbeitet werden soll.

11.7.1 Druckstoss nach Joukowsky


Der Druckstass nach Joukowsky ( 1898) stellt eine Extremsituation dar, die ent-
steht, wenn die Strömungsgeschwindigkeit in einer Druckleitung schlagartig
verändert wird.
In Abb. 11.20 ist dargestellt, wie sich die Fliessgeschwindigkeit und die Druck-
höhe in einer starren Leitung nach dem plötzlichen Ausfall einer Pumpe verän-
dern. Ausgehend von der Pumpe wird der Wasserfluss gestoppt. Als Folge der
Trägheit bleibt ein Teil des Wassers in der Leitung vorerst noch in Bewegung,
sodass ein Unterdruck entsteht. Die Front zwischen stehendem und bewegtem
Wasser breitet sich mit Schallgeschwindigkeit aus. Das stehende Wasser dehnt
sich als Folge der Druckverminderung aus und speichert dabei, analog zu einer
Feder, potentielle Energie. Erreicht die Front des Druckabfalles das Reservoir, so
ist die ganze ursprünglich kinetische Energie in Form von potentieller Energie
durch eine Volumenvergrösserung des Wassers gespeichert. Das Wasser wird
nun sein Volumen wieder verringern. Das bedingt eine Bewegung der Wasser-
säule, die potentielle Energie wird in kinetische Energie zurückverwandelt, das
Wasser fliesst zurück. Nachdem die Front der Energieumwandlung die Pumpe
erreicht hat, bewegt sich das Wasser nun in umgekehrter Richtung. Das Spiel
beginnt mit umgekehrtem Vorzeichen von vorn. Das System enthält zwei Rand-
punkte, an denen die Energieumwandlung reflektiert wird: Die gestoppte Pum-
pe- hier gilt die Randbedingung, dass sich das Wasser nicht bewegen kann,
u =0, und das Reservoir mit der Randbedingung, dass die Druckhöhe H konstant
bleibt.
Die kinetische Energie des Wassers in der Druckleitung vor dem Stopp der
Pumpe beträgt:
u2
Ekin,o =L·F·p·-f (11.22)

Ekin,o= Kinetische Energie des Wassers vor dem Stopp der Pumpe
[M L 2 T 2]
L = Länge der Druckleitung [L]
F = Querschnittsfläche der Druckleitung [L2]
p = Dichte des Wassers, 1000 kg m- 3 [M L- 3]
Uo = Anfängliche Fliessgeschwindigkeit [L T 1]
182 ll Wasserverteilung, Netz

Pumpe Leitung

uf
--
r~---~E+~-----------· L
Pb-:----~ L
-
"l +=c>L ~
p t-umummmum:.=r- . L Q)
"'0
cQ)
E
~
Q)
c
::J

uf N

1--
r---.F.--------------'..~ L
p 1----------~b
; ;~---- ., L

Abb. 11.20. Veränderung der Fliessgeschwindigkeit u und der DruckesPin einer starren, gera-
den Druckleitung nach dem plötzlichen Ausfall einer Pumpe. Die Randbedingungen der
Druckleitung sind durch einen vollständigen Abschluss bei der Pumpe und einen unendlich
grossenfreien Wasserspiegel auf der Seite des Reservoirs definiert

Die Verformung des Wassers im starren Rohr als Folge einer Veränderung
des hydrostatischen Druckes kann mit dem Elastizitätsmodul des Wassers be-
rechnet werden:
dL L
--=-- (11.23)
dP Ew
P = Hydrostatischer Druck [M L" 1 T 2]
Ew = Elastizitätsmodul des Wassers, 2-109 N m·2 [M L- 1 T 2]
Die potentielle Energie der Verformung ergibt sich aus dem Integral über die
Verformungsarbeit (Änderung des hydrostatischen Drucks mal die entstehende
Volumenänderung) als:
11.7 Instationäre Vorgänge: Der Druckstass 183

F·L L\P 2
E =-·- (11.24)
pot Ew 2

Epot = ~otentielle Verformungsenergie [M L2 T 2]


L\P = Anderung des hydrostatischen Druckes [M L" 1 T 2]
Nach vollständiger, verlustloser Umwandlung der kinetischen Energie in po-
tentielle Energie gilt:

I;m.o =Epo,
oder mit Gln.(ll.22) und (11.24):

2 L\P2
p·uo = - - (11.25)
Ew
Die Schallgeschwindigkeit a im Wasser kann für eine starre Druckleitung aus
GI. (11.26) berechnet werden:

(11.26)

a = Schallgeschwindigkeit im Wasser in starren Druckleitungen,


= 1400 m s· 1 [L T 1]
Die Änderung des hydrostatischen Druckes L\P kann als Änderung der
Druckhöhe MI angegeben werden:

MI=L\P (11.27)
p·g
Nach Substitution von Gln.(ll.26) und (11.27) in GI. (11.25) resultiert die
Gleichung von Joukowsky (1898):

.llH=± Uo·a (11.28)


g
Wegen der möglichen Querausdehnung nimmt in einem elastischen Rohr, je
nach Material und Bauart die Schallgeschwindigkeit ab. Tabelle 11.7 gibt einen
Überblick über die Grössenordnung der relevanten Schallgeschwindigkeiten und
des Druckstosses nach Joukowsky. Wird der Druckstass MI zum hydrostatischen
Druck }\ vor dem plötzlichen Ausfall der Pumpe addiert, so ergibt sich daraus
die Druckhöhe H.,.. =1\+.llH, für die die Druckleitung auf Innendruck bemessen
werden muss. Ist die Differenz H...=I\-MI geringer als der Aussendruck, so
muss die Leitung auch auf Aussendruck dimensioniert werden, sonst besteht das
Risiko, dass die Leitung unter dem Aussendruck (z.B. Luftdruck plus hydrostati-
scher Druck des Grundwassers) kollabiert. Fällt der absolute Druck im Ionern
der Leitung unter den Dampfdruck des Wassers, so entsteht ein Vakuum.
184 11 Wasserverteilung, Netz

Belspiel11.15. Änderung des Volumens von Wasser als Folge des Joukowsky Stosses.
Wiegrossist die maximale Änderung L1L der Länge einer Wassersäule mit L=1000 m in
einem starren Rohr, das mit einer Fliessgeschwindigkeit von u0 =1.5 m s·' fliesst und zu
einem pl6tzlichen Stopp gebracht wird?
Integration von GI. (11.23) über äP und Substitution von Gln.(11.27) und (11.28) ergibt:

AL=_!:_· u 0 · a · p oder mit obigen Angaben äl=1000·1.5·1400-1000/2-109=1.05m.


Ew
D.h. der Inhalt von 1.05 m der Druckleitung würde ins Reservoir fliessen, bevor die "In-
formation", dass die Pumpe ausgefallen ist, bis zum Reservoir geleitet wird.

Beispiel11.16. Der Druckstoss im Alltag


Wenn wir einen Wasserhahn sehr schnell schliessen, oder wenn z.B. ein Elektroventil
einer Haushaltmaschine schliesst, so können wir gelegentlich einen Schlag hören - wir
hören wie der Druckstoss am Hahn reflektiert wird. Manchmal wird dieser Schlag mehr-
mals innerhalb der Leitungen reflektiert. Sehr deutlich wird dieses Phänomen, wenn am
Hahn ein Vakuum entsteht und anschliessend die Wassersäule mit hoher Geschwindig-
keit gegen den Hahn prallt.

Tabelle 11.7. Schallgeschwindigkeit in unterschiedlichen Rohren (Richtwerte, die effektiven


Werte sind abhängig von der Rohrbettung und den angewendeten Kraftschlüssen in den Rohrver-
bindungen) und resultierende Druckhöhe bei plötzlicher Änderung der Fliessgeschwindigkeit
(Joukowsky Stoss)
Rohrmaterial Schallgeschwindigkeit Änderung der Fliessgeschwindigkeit
• -1 ·I ·I
am ms äu0 = 0.5 m s äu0 = 3.0 m s
Starres Rohr 1400 äH=70m äH=430m
Guss Rohr 1200 äH = 60 m äH =360m
Stahl Rohr 1000 äH =50 m äH =300m
Stahlbeton Rohr 800 äH=40m äH=240m
Polyäthylen Rohr 300 =
äH 15 m äH =90 m

11. 7.2 Massnahmen gegen Druckstösse


Der Druckstoss nach Joukowsky beschreibt den ungünstigsten Fall, entsprechend
konservativ wäre es, Leitungen und deren Lagerung auf diesen Fall auszulegen.
Die unterschiedlichen Methoden zu Reduktion des Druckstosses beruhen auf der
Möglichkeit, die kinetische Energie des Wassers nur langsam abzubauen, sodass
sich die Reflexionen der Druckstösse gegenseitig kompensieren können.
Möglichkeiten, den Druckstoss abzubauen, gehen von ganz unterschiedlichen
Überlegungen aus. In der Folge werden einige Beispiele kurz eingeführt:
- Die Fliessgeschwindigkeit wird möglichst langsam geändert, z.B. indem
Armaturen nur langsam und kontrolliert geschlossen werden. Üblich sind
Schliesszeiten, die ein mehrfaches der Laufzeit der Schallwellen in der Lei-
tung betragen, z.B. 20 s pro km Leitung. Pumpen sollen gegen geschlossene
Schieber angefahren werden, die dann bei laufenden Pumpen langsam geöff-
net werden.
- Pumpen können mit einem Schwungrad ausgerüstet werden, sodass die Pum-
pe nur langsam zum Stillstand kommt. Da Schwungräder im Vergleich zur
11.7 Instationäre Vorgänge: Der Druckstoss 185

kinetischen Energie des Wassers nur eine geringe Energie speichern können,
ist diese Anwendung auf schnelllaufende Pumpen und kurze Leitungen be-
schränkt.
- In einem Druckwindkessel kann mit Druckluft potentielle Energie gespei-
chert werden; bei einem Druckabfall wird aus dem Druckkessel Wasser ins
System eingepresst, respektive bei Überdruck wird Wasser aufgenommen.
Hier wird die Randbedingung, dass das Wasser an einem Ende der Leitung
zum Stehen kommt, verändert.
Mit Hilfe eines Wasserschlosses wird die Möglichkeit gegeben, analog zum
Druckwindkessel, kinetische Energie in potentielle Energie umzuwandeln
und umgekehrt.
Typisch für diese Methoden ist, dass die kinetische Energie des Wassers über
mehrere Laufzeiten der Schallwellen sukzessiv abgebaut wird. Gewählte Reakti-
onszeiten liegen bei~= 10-20·Ua.

Beispiel11.17. Dimensionierung ein Druckwindkessels


Wie gross wird das erforderliche Nutzvolumen eines Druckwindkessels, der eine Leitung
der Länge L, mit einer Querschnittsfläche F und einer Fliessgeschwindigkeit u0 vor
Druckstössen schützten soll?
Aus dem Druckkessel soll während n Perioden der Druckschwingung Wasser in eine
Leitung eingespiesen werden. Da die eingespiesene Wassermenge während dieser Zeit
langsam gegen null abnimmt, beträgt das Volumen des eingespiesenen Wassers:
Vnutz= n · 't · U0 • F 12
mit 't = Periode des Schwingung
=Laufzeit von Druckwellen hin und zurück= 2·Ua
Daraus ergibt sich das Verhältnis Vnutz I VLeitung= n · U0 I a.
Mit typischen Werten, n = 10, u0 =2m s·1 ergibt sich:
mit a = 1000 m s·1 Vnutz I VLeHung = 2% für Stahlleitungen und
mit a =300m s"1 Vnutz I VLenung = 10% für Kunststoffleitungen.

Beispiel11.18. Reduktion eines Druckstosses durch langsames Schliessen von Armatu-


ren.
Eine Gemeinde wird über eine Polyäthylenleitung mit einem Durchmesser von 250 mm
und einer Länge von 2.5 km mit einer maximalen Wassermenge von 0.1 m3 s·1 während
der Nacht aus der benachbarten Stadt mit Wasser versorgt. Wenn das Reservoir gefüllt
ist, wird die Leitung durch ein automatisches Ventil verschlossen. Die Verschlusszeit des
Ventils beträgt 2 min.
Die maximale Fliessgeschwindigkeit in der Leitung beträgt vmax = Q/A = 2.04 ms·1 •
Die Geschwindigkeit, mit der sich die Druckwelle ausbreitet, beträgt a =300 ms·1
(Tabelle 11.7).
Wie gross ist der maximal zu erwartende Druckstoss?
Die Laufzeit der Druckwelle durch das Polyäthylenrohr, hin und zurück, entspricht der
Periode der Druckschwankungen und beträgt 't = 2·Ua = 5000 m 1300 m s·1 = 17 s. Wäh-
rend dieser Laufzeit verändert sich die Fliessgeschwindigkeit bei linearer, gleichmässiger
Verringerung der Fliessgeschwindigkeit während des Schliessens des Ventils um
A.v=vrnex 17 sl120 S=0.29 m s·1• Der Maximal zu erwartende Druckstoss wird damit
hmax = A.v·a/g = 0.34 · 300 /9.81 = 8.9 m. Diese zusätzliche Druckkraft sollte vom Lei-
186 11 Wasserverteilung, Netz

Abb. 11.21. Der hydraulische Widder. Links der Apparat, rechts eine Anlage, die den Wider
nutzt

tungsmaterial aufgenommen werden können. Umgekehrt sollte die Druckhöhe in der


Leitung grösser als10m sein, damit in der Leitung kein Vakuum entsteht, und die Leitung
vom Aussendruck nicht gefährdet wird.

11.7.3 Der hydraulische Widder


Der hydraulische Wider ist ein Apparat, der den Druckstoss nutzt, um mit über-
raschend hohem Wirkungsgrad Wasser zu fördern (zu pumpen). Er hat wenig
bewegliche Teile und wird ausschliesslich durch Wasser angetrieben. Obwohl
dieser Apparat heute kaum mehr genutzt wird, veranschaulicht er aber die Wir-
kung eines Druckstosses.
In Abb. 11.21 ist sowohl der Apparat als auch eine ganze Förderanlage dar-
gestellt. Der Widder arbeitet rhythmisch.
Das Treibwasser beginnt durch den Widder zum Ausfluss zu fliessen.
Durch das zunehmend schneller fliessende Wasser schlägt das Ventil im
Auslauf zu.
Das Treibwasser muss nach oben in den Druckkessel ausweichen.
Der Druck des Treibwassers nimmt ab, das Ventil zum Druckkessel schliesst.
Das Treibwasser steht.
Das Auslaufventil öffnet sich.
Der Zyklus beginnt von vorne.
Über die Steigwasserleitung wird kontinuierlich Wasser unter erhöhtem
Druck abgegeben.
Nur ein kleiner Teil des Treibwassers kann in den Druckkessel ausweichen,
trotzdem erreichen hydraulische Widder einen ansprechenden Wirkungsgrad von
bis über 50%. Dieser ist definiert als:

11 _ Q Förder · H Förder
'!Widder -
QTreib · H Treib
Dabei sind bei geeigneter Gestaltung grosse Förderhöhen möglich.
11.8 Mess-, Steuer-, Regel- und Fernwirktechnik 187

11.8 Mess-, Steuer-, Regel- und Fernwirktechnik


In der Wasserversorgung sind eine grosse Anzahl von Anlagen im Versorgungs-
gebiet verteilt, deren Betriebszustand mit Vorteil zentral überwacht, gesteuert
und z.T. geregelt wird. Dazu sind eine Reihe von Sensoren, Messgeräten und
Übertragungsleitungen erforderlich, die die Signale in die Steuerzentrale leiten.
Von dort werden wiederum Signale ausgesandt, die Stellglieder (z.B. Pumpen,
Schieber) beeinflussen.
Die Zuverlässigkeit der Wasserversorgung hängt in hohem Masse von der
Zuverlässigkeit dieses weitgehend elektronischen Systems ab. Dessen Planung
und Realisierung ist eine Aufgabe für Spezialisten und soll entsprechend von
solchen bearbeitet werden.

11.9 Planung der Wasserversorgung


Wasserversorgungsanlagen bestehen aus einer Vielzahl von Teilsystemen, die
eine lange Lebenserwartung haben. Immer wieder müssen Entscheide über den
Ausbau und die Erneuerung von Teilabschnitten gefällt werden. Damit diese
Einzelentscheide insgesamt ein sinnvolles Ganzes ergeben, muss das System
langfristig geplant und einem ganzheitlichen Konzept unterworfen werden.
Viele Anlagen der Wasserversorgung sind ortsgebunden, die entsprechenden
Standorte müssen bezeichnet und reserviert werden: Wassergewinnung, -Spei-
cherung, -aufbereitung, -förderung, sowie Anreicherung des Grundwassers,
Schutzzonen und Schutzareale sowie Transportsysteme.
Zur Erschliessung von Baugebieten gehört auch der Bau der entsprechenden
Anlagen der Wasserversorgung. Die Ortsplanung muss also mit der Planung der
Wasserversorgung koordiniert werden.

11.9.1 Planungshorizont
Einerseits sind Wasserversorgungen sehr langlebige Anlagen- eine Lebens-
erwartung von 75 Jahren für die Leitungen und Behälter ist üblich. Andererseits
ist heute kaum absehbar, welche Forderungen in 50 Jahren an die Wasser-
versorgung gestellt werden. Wird heute für zukünftige eine Situation gebaut, so
müssen meist grosse Reservekapazitäten eingeplant werden, die den Betrieb der
Anlagen unwirtschaftlich machen. Die traditionell eher konservative, vorsichtige
Planung in der Wasserversorgung wird in Zukunft einer Planung weichen, die zu
möglichst grosser Flexibilität bei geringerem Kapitalbedarf führen soll. Metho-
disch muss dieses Vorgehen erst entwickelt werden.

11.1 0 Kosten der Wasserversorgung


Es gibt nur Schätzungen, was die Wasserversorgung bei einer Vollkosten-
rechnung kostet. Heute fliessen immer noch versteckte, grössere Beträge aus
direkten Steuern in die Werke, insbesondere ist die Abschreibung der Anlagen
noch nicht mit privatwirtschaftliehen Abschreibungen zu vergleichen. So resul-
tieren meist verrechnete Preise, die geringer sind als die effektiven Kosten.
188 11 Wasserverteilung, Netz

Tabelle 11.8 ist eine Zusammenstellung von statistischen Informationen zur


Wasserversorgung in der Schweiz. Die Investitionen machten 1994 (ein Jahr mit
Rezession) ca. Fr. 100.- pro Einwohner aus. Bei einer mittleren Lebenserwartung
von z.B. 60 Jahren würde das heissen, dass pro Einwohner Anlagen für Fr.
6000.- unterhalten werden. In einer Gemeinde mit 2500 Einwohnern hat Leb-
mann (GWA 1994) den Anlagewert der Wasserversorgung mit Fr. 13'000 pro
Einwohner berechnet.
In Tabelle 11.9 sind Angaben zu einer Vollkostenrechnung für die Situation
in der Schweiz zusammengestellt. Der Wiederbeschaffungswert aller Anlagen
ergibt sich zu 91 Mrd. Fr., die jährlichen Kosten zu 4.1 Mrd. Fr. (> 1% des BSP)
und die Kosten des verkauften Trinkwassers zu 4.60 Fr. m·3 • Heute wird meist
ein Preis von weniger als 2.00 Fr. m-3 in Rechnung gestellt (dazu kommen ev.
Anschlussgebühren für Neubauten und Grundpreise). Preissteigerungen sind
unumgänglich, wenn wir nicht Steuergelder in die Wasserversorgung leiten oder
den Unterhalt und die Erneuerung der Anlagen vernachlässigen wollen.
Die Berechnungen in Tabelle 11.9 beruhen auf den Ermittlungen von Leb-
mann. Auch wenn statt 13'000 Fr. E-1 der Wert der Wasserversorgung z.B. bei
10'000 Fr. E"1 angesetzt wird, stellt diese immer noch ein riesiges Volksvermö-
gen dar, das wir auch in Zukunft bewirtschaften, unterhalten und erneuern müs-
sen.

Tabelle 11.8. Statistische Angaben zur Wasserversorgung in der Schweiz fiir das Jahr 1993.
Hochrechnung des SVGW, Nov. 1994
Einwohner 6'988'900
Wassergewinnung Total 10m 1066 100%
Quellwasser 106 m3 439 41%
Grundwasser 106 m3 404 38%
Seewasser 106 m3 224 21%
Wasserabgabe Total 10m 1066 100%
Haushalte und Kleingewerbe 106 m3 618 58%
Gewerbe und Industrie 106 m3 202 19%
öffentliche Zwecke und Brunnen 106 m3 74 7%
Selbstverbrauch 106 m3 29 3%
Verluste 106 m3 142 13%
Finanzen Ausgaben total 10 Fr. 1848 100%
Betriebskosten 106 Fr. 1206 65%
Investitionen 106 Fr. 642 35%
Subventionen 106 Fr. 111 17%
Personal Vollbeschäftigte 2400
Teilbeschäftigte 3600
Spezifische Zahlen Mittlerer Verbrauch pro Einwohner lE- d- 418
Maximaler Verbrauch pro Einwohner 1E-1d- 1 657
Mittlerer Verbrauch der Haushalte 1E-1d- 1 242
Mittlere Betriebskosten Fr. m-3 1.13
Investitionen pro Einwohner pro Jahr Fr.E-1a- 1 92
11.10 Kosten der Wasserversorgung 189

TabeHe 11.9. Versuch einer Vollkostenabschätzung für die Wasserversorgung in der Schweiz.
Basierend auf der Annahme, dass pro Einwohner der Anlagewert der Wasserversorgung ca.
13'000 Fr. beträgt. Diese Berechnungen sind ohne Hausanschlüsse und hausinterne Installationen
Kaptaldienst Wiederbeschafffungswert 91 · 10 Fr. Fr. 13'000 E.
2% Realzins 1.8 · 109 Fr. Fr. 260 E.1 a· 1
Amortisation (60 a) 1.5 ·109 Fr. Fr. 220 E.1 a· 1
Personal 2400 Vollbeschäftigte 240 · 10 Fr. a Fr. 35E a
3600 Teilbeschäftigte 180 · 106 Fr. a· 1 Fr. 26E.1 a· 1
Betriebsmittel, Reparaturen Schätzung Fr. IOE. a
·3
Elektrizität <lkWhm 0.7 · 109 kWh a· 1 Fr. 10E.1 a· 1
Totaler Aufwand Fr.4.HO a Fr. 596E. a·
·I
Verkauftes Wasser 900 ·106 m3 a 4.60 Frm·3
12 Siedlungsentwässerung

Die Siedlungsentwässerung leitet Abwasser aller Art aus den Siedlungsgebieten


einer Abwasserreinigungsanlage oder einer Vorflut (Grundwasser, Fliessgewäs-
ser, See) zu. Die maximale momentane Menge liefert das Regenwasser, mit
Schmutzstoffen belastet ist v.a. das häusliche, gewerbliche und industrielle Ab-
wasser, und hygienisch bedenklich sind insbesondere die sanitären Abwässer.
Abwasserreinigungsanlagen können nur mit dem Trockenwetteranfall und sehr
schwachen Regen umgehen, für die stärkeren Regen stehen zusätzlich die Re-
genüberlaujbecken zur Verfügung. Die Versickerung von Regenwasser gewinnt
an Bedeutung.

12.1 Aufgaben der Siedlungsentwässerung


Die Siedlungsentwässerung führt Wasser ab, das in Siedlungen aus verschie-
densten Gründen unerwünscht ist. Die Möglichkeiten der Siedlungsentwässe-
rung, diese Aufgabe zu erfüllen, hängen von den Eigenschaften dieses Abwassers
ab: Von dessen Menge, der Variation des Anfalles, den Inhaltsstoffen und den
hygienischen Eigenschaften des Wassers. Wir unterscheiden:
- Abwasser: Das durch häuslichen, industriellen, gewerblichen, landwirt-
schaftlichen oder sonstigen Gebrauch veränderte Wasser, ferner das in der
Kanalisation stetig abfliessende Wasser sowie das von bebauten oder befe-
stigten Flächen abtliessende Niederschlagswasser (alles Wasser, das aus den
Siedlungen abgeleitet werden soll).
- Verschmutztes Abwasser: Abwasser, das ein Gewässer, in das es gelangt,
verunreinigen(= nachteilig beeinflussen) kann.
- Unverschmutztes Abwasser: Abwasser, das ein Gewässer, in das es gelangt,
nicht nachteilig beeinflusst.
- Fremdwasser: Unverschmutztes Abwasser, das stetig anfällt. Es kann direkt
einer Vorflut zugeleitet werden, z.B. eingedolte Bäche, Drainagen, Überläufe
von Wasserreservoiren und Brunnenstuben, Kühlwasser etc. Die Fremdwas-
sermenge reagiert nur langsam auf Regenereignisse (über Tage).
- Meteorwasser: Als Meteorwasser wird das Wasser bezeichnet, das vom
Himmel fällt. Es umfasst Regenwasser und Schneeschmelzwasser.
Abwasser wird aus verschiedenen Gründen aus Siedlungen abgeleitet:
- Seit der Einführung der Schwemmkanalisation wird Wasser zum Transport
von Stoffen aller Art eingesetzt; das verschmutzte Abwasser muss zum
Schutze der Siedlungshygiene kontrolliert abgeführt und, nach moderner
192 12 Siedlungsentwässerung

Auffassung, vor der Rückgabe in die Vorflut einer umfassenden Abwasser-


reinigung zugeführt werden.
- Für die Ableitung von Fremdwasser wurde historisch häufig die praktische
und naheliegende aber heute grundsätzlich unerwünschte Lösung gewählt,
dieses in der tiefliegenden Kanalisation abzuleiten. In Zukunft soll Fremd-
wasser vermehrt an der Quelle versickert oder direkt in ein Oberflächenge-
wässer eingeleitet werden.
- Um Überschwemmungen zu vermeiden, muss Regenwasser, das auf un-
durchlässige Siedlungsflächen fällt, abgeleitet werden. Da die Regenwasser-
mengen über kurze Zeiträume mehr als hundert Mal grösser sind als die bei
Trockenwetter fliessenden Abwassermengen, verlangt diese Aufgabe meist
die grösste Transportkapazität (Kanaldurchmesser). Regenwasser nimmt auf
der Oberfläche Schmutzstoffe auf und kann nicht vorbehaltlos als unver-
schmutzt bezeichnet werden. Je nach Situation ist eine Behandlung des Re-
genwassers erforderlich, bevor es in die Vorflut eingeleitet werden kann.
Der Wasserkreislauf wird durch Siedlungen stark beschleunigt, und häufig
wird Abwasser einem raschen Abfluss zugeleitet. Das hat viele nachteilige Fol-
gen: Die Grundwasserneubildung wird verringert. Dadurch geht eine wichtige
Ressource der Wasserversorgung teilweise verloren. Die Abflüsse während Re-
genwetter werden beschleunigt. Das führt zu grösseren Spitzenwassermengen in
den kleineren Gewässern und bedingt den Ausbau (und historisch häufig die
Begradigung) der kleinen Fliessgewässer im urbanen Raum. Der Wasserrückhalt
der Region wird kleiner. Dadurch wird die Niedrigwasserführung verringert.
Einzelne Gewässer trocknen periodisch aus.
Die Siedlungsentwässerung hat die Aufgabe, verschmutztes und unverschmutztes
Abwasser aus den Siedlungen abzuleiten und dadurch die Siedlungshygiene und
den Hochwasserschutz zu gewährleisten. Sie soll dieses Abwasser kostengünstig
in die Umwelt zurückführen, sodass die natürlichen hydrologischen Bedingungen
wenig verändert und die Gewässer nicht übermässig belastet werden.

12.2 Prozesse der Siedlungsentwässerung


Wird die Siedlungsentwässerung nicht primär als technische, sondern vorläufig
als konzeptionelle Aufgabe beschrieben, so können die folgenden fünf grund-
sätzlichen Prozesse unterschieden werden:
- Abwasserproduktion: Abwasser fällt aus unterschiedlichsten Quellen an; ein
Verständnis für die quantitativen und qualitativen Eigenschaften dieses Was-
sers sowie deren zeitlichen Abhängigkeiten ist für die Bearbeitung von Pro-
blemen in der Siedlungsentwässerung unumgänglich. Die Abwasserprodukti-
on beschreibt den Input ins System, das hier besprochen werden soll.
- Transport: Abwasser muss transportiert werden. Dazu stehen hauptsächlich
die Kanäle zur Verfügung. Genügt die verfügbare potentielle Energie des
Abwassers für den Transport nicht, so werden Pumpwerke eingesetzt.
Sammeln: Unterschiedlichste Abwässer aus Siedlungen werden grösseren,
zentralen Bauwerken zugeführt. Ein systematisch geplantes Transportnetz
12.3 Wie sollen Siedlungen entwässert werden? 193

dient dem Einsammeln dieser Abwässer. Ein verästeltes Kanalsystem wird zu


immer grösser werdenden Kanalsträngen zusammengefasst.
Trennen: Je nach Betriebszustand (z.B. Trockenwetter oder Regenwetter)
wird das Abwasser unterschiedlichen Reinigungs-, Retentions- oder Einlei-
tungsbauwerken zugeführt. In den Transportanlagen muss das Abwasser des-
halb nach dem Sammeln entsprechend den vorhandenen Vorkehrungen wie-
der aufgetrennt werden. Dazu werden Entlastungsbauwerke, Überlaufbecken
etc. eingesetzt.
- Retention: Durch Retention (Rückhalt) kann der Fluss des Abwassers tempo-
rär verlangsamt, dadurch die momentan erforderliche Transportkapazität ver-
ringert und die Reinigungskapazität besser ausgenutzt werden. Als Retenti-
onsmassnahme kommen eigentliche Speicherbecken (Rückhaltebecken, Re-
genüberlaufbecken) genauso zur Anwendung wie Retentionsvolumen am Ort
des Abwasseranfalles (z.B. eingestaute Flachdächer oder Parkplätze,
Schmutzwasserspeicher in Industriebetrieben). Zudem hat das während Trok-
kenwetter fast leere Transportsystem eine Retentionswirkung bei Regen. Re-
tention ist nur ein nützlicher Prozess, wenn instationäre Verhältnisse herr-
schen, wenn also vorübergehend der Abwasseranfall die Kapazität der unter-
liegenden Bauwerke oder Systeme übersteigt.
- Reinigung: Abwasser ist häufig verschmutzt und muss vor seiner Rückfüh-
rung in die Umwelt unterschiedlich (je nach Situation und Einleitungsstelle)
gereinigt werden. Dazu dienen Kläranlagen und einfachere Bauwerke wie
Sedimentationsanlagen (Regenüberlaufbecken) und grobe Rechen. In Versik-
kerungsanlagen werden Schmutzstoffe gezielt in einer Filterschicht zurück-
gehalten. Der Prozess der Reinigung stellt den eigentlichen Filter für die
Schmutzstoffe zwischen dem technischen System und der Umwelt dar.
- Rückgabe an die Umwelt: Die Rückgabe in die Umwelt erfolgt in ein Gewäs-
ser (Vorflut). Dabei können Einleitungen in Oberflächengewässer (Seen,
Fliessgewässer) meist direkt überwacht werden, während Einleitungen ins
Grundwasser (Versickerung) nur schwer zu überwachen sind. In der Sied-
lungsentwässerung wird versucht, das Schicksal von Schmutzstoffen und
Abwasser gezielt zu beeinflussen, d.h. dass die Rückgabe in die Umwelt nur
kontrolliert ablaufen soll. Verluste von Abwasser durch Defekte (undichte
Leitungen) und Havarien müssen vermieden werden. Die Rückgabe an die
Umwelt entspricht dem Output aus dem betrachteten System. Es ist wichtig,
dass diese Nahtstelle zwischen dem technischen und dem natürlichen System
den spezifischen Anforderungen der Einleitstelle gerecht wird.
Das Zusammenspiel dieser fünf Prozesse soll mit Hilfe von technischen und
organisatorischen Massnahmen so gestaltet werden, dass der Einfluss des Sy-
stems Siedlung auf die hydrologische Situation der Umwelt möglichst naturnah
wird.

12.3 Wie sollen Siedlungen entwässert werden?


Die Siedlungsentwässerung soll so gestaltet werden, dass die Ansprüche des
Menschen in Bezug auf Sicherheit und Komfort gegenüber unseren Zielen im
Natur-, Gewässer- und Umweltschutz ausgeglichen werden.
194 12 Siedlungsentwässerung

In der natürlichen Entwässerung kommt Niederschlagswasser nur langsam in


Bewegung, es wird vorerst auf Pflanzen und in Mulden gesammelt und fliesst
ansebliessend durch Speicher, die sich z.T. nur sehr langsam entleeren: Feucht-
gebiete, Boden, Grundwasser. Diese langsamen Prozesse gehen in der techni-
schen Entwässerung weitgehend verloren: Versiegelte Strassen und Dächer, effi-
ziente Kanalisationen, geringe Retentionsvolumen führen zu einer schnellen
Entwässerung mit vielen negativen Folgen.
Nach einer modernen Vorstellung sollen in der Siedlungsentwässerung nur
diejenigen Abwässer abgeleitet werden, die im Einzugsgebiet selber nicht
schadlos versickert werden können. Dabei sollen die lokalen Retentionsmöglich-
keiten genutzt werden, um die Abflussspitzen zu verringern. Die Siedlungsent-
wässerung soll so zu einem Ausgleich zwischen den Sicherheits- und Korn-
fortansprüchen der Zivilisation (schnelles Ableiten) und den dadurch verursach-
ten Beeinträchtigungen der Natur beitragen. Die beiden gegensätzlichen Ziele
(Sicherheit und Komfort versus Gewässerschutz) sind dabei sorgfältig abzuwä-
gen.
Eine ausgewogene Lösung kann nur gefunden werden, wenn das ganze Sy-
stem (Niederschlag und Abwasseranfall, Versickerung, Ableitung aus Siedlun-
gen, Kläranlage, Oberflächengewässer und Grundwasser) bei der Untersuchung
des Entwässerungskonzepts betrachtet wird. Dadurch entwickelt sich der wich-
tigste Plan der Siedlungsentwässerung vom traditionellen Generellen Kanalisati-
onsprojekt (GKP) zum umfassenden Generellen Entwässerungsplan (GEP). Statt
der bisherigen, oft einseitigen, technischen Betrachtung der Kanalisation wird
eine ganzheitliche Betrachtung des Wasserkreislaufes im Bereiche der Siedlun-
gen angestrebt. Diese umfasst nicht nur den Bau von Entwässerungsanlagen,
sondern genauso den Betrieb, den Unterhalt, die Erneuerung und die laufenden
Anpassungen an neue Erkenntnisse und Erfahrungen sowie Massnahmen an der
Quelle.

12.4 Elemente der Siedlungsentwässerung


Abb. 12.1 gibt einen Überblick über die Elemente einer Siedlungsentwässerung.
Unverschmutztes Regenwasser wird je nach Situation am Anfallsort versickert,
in separaten Meteorwasserkanälen zur nächsten Vorflut abgeleitet oder einem
Mischwasserkanal zugeführt. Verschmutztes Abwasser wird über den Misch-
wasserkanal einer Kläranlage zugeführt, deren hydraulische Kapazität aber wäh-
rend Regenereignissen häufig nicht ausreicht, um das ganze anfallende Abwasser
zu reinigen. Die Kanalisation muss über Regenüberlaufbecken entlastet werden.
Die Einleitstellen für Abwasser werden so gewählt, das eine allfällige Nutzung
der Gewässer (hier dargestellt durch den Badeplatz) möglichst wenig beein-
trächtigt wird.
12.4 Elemente der Siedlungsentwässerung 195

Regen~--
~\'__ Versickerung

0 Grundwasser

Abb. 12.1. Generelle Darstellung einer Siedlungsentwässerung


13 Siedlungshydrologie

Die Modelle der Siedlungsentwässerung basieren oft auf den Modellen der tech-
nischen Hydrologie. Typisch für die Siedlungsentwässerung ist aber, dass uns
kleine Einzugsgebiete (ha bis km2 ) und schnelle Prozesse mit Zeitkonstanten im
Minutenbereich interessieren. Die technische Hydrologie interessiert sich eher
für grössere, naturnähere Einzugsgebiete mit Zeitkonstanten im Bereich von
Stunden und Tagen.

13.1 Einführung in die Siedlungshydrologie


Die Siedlungshydrologie befasst sich mit den Prozessen, denen das Wasser in-
nerhalb und im Umfeld von Siedlungen unterworfen ist. Im Rahmen der Sied-
lungsentwässerung ist die Bildung von Abflüssen als Folge von Niederschlag
von besonderer Bedeutung, weil dieser Abfluss während intensivem Regen alle
anderen Wasserströme um ein Vielfaches übertrifft und damit die Dimensionie-
rung von vielen Bauwerken bestimmt.
Mathematische Modelle, die die Bildung von Regenabflüssen beschreiben,
unterscheiden meist die folgenden vier Teilprozesse, die nacheinander ablaufen:
- Niederschlag: Das Meteorwasser fällt vom Himmel auf das betrachtete Ein-
zugsgebiet. Das charakterisieren wir mit der zeitlichen und ev. räumlichen
Verteilung der Regenintensität
- Abflussbildung: Eine anfänglich trockene Oberfläche muss benetzt werden,
Mulden müssen gefüllt werden, ein Wasserfilm muss aufgebaut werden- erst
dann kann der Abfluss in Bewegung kommen. Im Laufe dieses Prozesses
geht Niederschlagswasser durch Verdunstung, Verwehung und Versickerung
verloren (Abb. 13.1). Da nur ein Teil des Niederschlages zum Abfluss ge-
langt, wird das beobachtete Resultat der Abflussbildung als abflusswirksamer
Niederschlag bezeichnet.
- Abflusskonzentration: Ist der Abfluss einmal in Bewegung, so muss er den
Öffnungen des Kanalnetzes (Dachrinnen, Schächte) zugeführt werden. Das
beansprucht Zeit und verzögert entsprechend den Abfluss des Niederschlages.
- Abwassertransport: Wichtigste Aufgabe des Entwässerungssystems ist das
Ableiten und Speichern von Abwasser in den einzelnen Elementen des Sy-
stems (Kanalisation, Regenbecken, Kläranlage etc.).
Hier kann nicht in die detaillierte Beschreibung und Modeliierung dieser Pro-
zesse eingeführt werden. Es wird lediglich ein einfaches Modell für die Be-
schreibung des Abflusses eingeführt, das nicht auf die Details der einzelnen Pro-
zesse eingeht. Das Model ist geeignet für die Beschreibung von Extremereignis-
198 13 Siedlungshydrologie

l
Niederschlags-
lntensHät
ung

Oberflächen-
abfluss

1 Verslckerung

.,__ _ _ _ Regendauer ------!~

Abb. 13.1. Qualitative Darstellung der Abflussbildung während eines Regens mit konstanter
Intensität

sen, wie sie für die Dimensionierung von Kanälen beachtet werden. Es kann aber
keine Ganglinien (zeitlich variable Abflüsse) simulieren und ist für die Beschrei-
bung von wenig ergiebigem Regen nicht geeignet, weil es zeitabhängige Prozes-
se wie z.B. das Auffüllen von Mulden nicht beschreibt.
Dieses einfache Modell zur Abschätzung des Abflusses von Regenwasser aus
einem beregneten Gebiet hat die folgende Form:
(13.1)
OR = Abfluss von Re~enwasser aus dem Einzugsgebiet mit
der Fläche F [L T 1]
r = Regenintensität [L T 1] oder häufiger [L3 L-2 T 1]
F = Fläche des Einzugsgebiets [L2]
'I' = Abflussbeiwert (Definition s. Text) [-]
Nach diesem Modell wird die Regenintensität r über längere Zeit und über
das ganze Einzugsgebiet gemittelt. Der Niederschlag auf das Einzugsgebiet wird
als proportional zur Regenintensität und zur Fläche des Einzugsgebiets ange-
nommen und entspricht dem Produkt r · F. Der Abflussbeiwert 'JI ist eine Kon-
stante, die angibt, dass nur ein Teil des Niederschlages zum Abfluss gelangt.
Es werden zwei Abflussbeiwerte unterschieden:
'Jis =
Der Spitzenabflussbeiwert, der angibt, wie gross der maximale
Abfluss~ im Vergleich zum maximalen Niederschlag r ·Fist
(Abb. 13.2).
'l'm =
Der mittlere Abflussbei wert, der angibt, welcher Anteil des
Niederschlags zum Abfluss gelangt (Abb. 13.3).
In erster Näherung können für die Entwässerung von Siedlungen die beiden
Abflussbeiwerte für intensive Regen gleich gesetzt werden. Dieser Abflussbei-
wert 'JI ergibt sich auch aus einer Abschätzung des Abflussbeiwerts aus dem
Anteil der undurchlässigen Flächen an der Fläche des gesamten Einzugsgebiets
F.
13.1 Einführung in die Siedlungshydrologie 199

Regen- und Abflussintens~ät

QA.max

Spitzenab flu s beiwen 'l's = QR .m»


rmu . F
0
0 Regen- und Abflussdauer

Abb. 13.2. Definition des Spitzenabflussbeiwerts 'l's


Regen· und AbllussintensMt

Volumen des Niederschlages VA:


ein Integral

Volumen des Abftusses VA:


ein Integral

. f1 .
Mittlerer Ab ussbetwen 'I' m =VA
-
VR
0
0 Regen· und Abflussdauer

Abb. 13.3. Definition des mittleren Abflussbeiwerts 'l'm

Gl.(13.1) ist die Basis für viele einfache Überlegungen in der Siedlungs-
entwässerung und dient in geeigneter Form für die Dimensionierung von vielen
Kanalisationen. Um dieses einfache Modell anzuwenden, müssen wir einerseits
die vorkommenden Regen und andererseits die entwässerten Flächen charakteri-
sieren.

Beispiel 13.1. Mittlerer Abflussbeiwert


Wie gross ist der mittlere Abflussbeiwert lJim einer Fläche, von der durch Verdunstung
und Versickerung im Mittel 35% des Niederschlages verloren gehen und 1 mm Nieder-
schlag für die Oberflächen benetzen und 2 mm Niederschlag in Mulden zurückbleiben?
Fall 1: Regen mit einer Niederschlagshöhe von 5 mm
Von den 5 mm Niederschlag verbleiben nach Verdunstung und Versickerung noch
5 mm · (1 - 0.35) = 3.25 mm. Für die Benatzung und die Füllung der Mulden gehen wei-
tere 3 mm verloren, sodass insgesamt nur gerade 0.25 mm zum Abfluss gelangen. Der
mittlere Abflussbeiwert ist 'l'm =0.25/ 5 =0.05, also sehr gering.
Fall 2: Regen mit einer Niederschlagshöhe von 20 mm
Von den 20 mm Niederschlag verbleiben nach Verdunstung und Versickerung noch
20 mm · (1 - 0.35) = 13 mm. Für die Benatzung und die Füllung der Mulden gehen weitere
3 mm verloren, sodass insgesamt noch 10 mm zum Abfluss kommen. Der mittlere Ab-
flussbeiwert ist 'l'm = 10/20 =0.50, also beträchtlich.
200 13 Siedlungshydrologie

Niederschlagswaage elektronische Messwippe

Abb. 13.4. Schematische Darstellung von neueren Regenmessgräten

Die Abflussbeiwerte nehmen mit zunehmender Ergiebigkeit der Regen zu, asymptotisch
wird hier der Wert von 'Vm = 0.65 erreicht, dieser Wert entspricht dem Spitzenabflussbei-
wert 'l's·
Die vorliegende Berechnung ist stark vereinfacht, weil die Verdunstung und Versickerung
kaum als fester Anteil am Niederschlag beschrieben werden kann.

13.2 Charakterisierung von Regen


Da die Siedlungsentwässerung innnerhalb von Minuten auf einen Regen rea-
giert, müssen wir für die Messung der Regen eine zeitliche Auflösung im Be-
reich von 1-2 Minschritten zur Veifügung haben.
Die Regenintensität wird mit Pluviographen bestimmt. Dabei wird der Nieder-
schlag, der auf eine bestimmte Fläche fällt, in einem Trichter konzentriert und
zeitlich bestimmt. Während früher Messsysteme mit mechanischen Einrichtun-
gen (Schwimmer, rotierende Messstreifen, Siphons zur Entleerung des Messge-
fässes etc.) eingesetzt wurden, kommen heute eher Vorrichtungen mit elektroni-
schen Messverfahren und Datenspeicherung zur Anwendung. Modeme Messsy-
steme beruhen auf Waagen (der akkumulierte Niederschlag wird in festen Ab-
ständen, z.B. jede Minute, gewogen) oder Wippen (es wird die Zeit gemessen,
bis eine feste Niederschlagsmenge, z.B. 0.1 mm, gefallen ist). Abb. 13.4 zeigt
zwei neuere Messsysteme.
Regenereignisse müssen im Hinblick auf die Berechnungsmethode charakte-
risiert werden, für die die entsprechende Information verwendet werden soll. Die
Methode wiederum hängt von der Fragestellung ab. Der maximale Regenwetter-
abfluss in einer Kanalisation kann sich schon nach wenigen Minuten einstellen,
entsprechend gross muss die zeitliche Auflösung der Information über den Regen
(die Regenintensität) sein. Ein Regenrückhaltebecken muss hingegen so ausge-
legt werden, dass das Regenwasser über längere Zeit gespeichert und erst verzö-
gert, langsam abgeleitet werden kann - die Anforderungen an die Regeninforma-
13.2 Charakterisierung von Regen 201

Mittlere RegenintensHät
in nvnh·1
1000

100

10

0.1
0.1 10 100 1000 10000
Messintervall in h
Abb. 13.5. Niederschlags-Intensitäts-Diagramm für Zürich. Basierend auf den Regenmessungen
1901- 1975. Angegeben ist die Jählichkeit der Überschreitung (Neu nach WSL, Band 7, 1991)

tion ist dabei grundsätzlich anders, von Interesse ist die Summe der Niederschlä-
ge (Regenhöhe) über eine längere Zeit.
Heute werden z.B. die folgenden unterschiedlichen Darstellungen von Re-
geninformationen für Dimensionierungsaufgaben in der Siedlungsentwässerung
genutzt:
- Die Auswertung von durchschnittlichen Regenintensitäten während Regenab-
schnitten von 5- 60 min Dauer, die mit unterschiedlicher Häufigkeit über-
schritten werden. Die entsprechenden Auswertungen wurden in der Schweiz
1961 von Hör/er und Rhein für mehrere Regenmessstationen publiziert und
dienen noch heute für die Dimensionierung von vielen Kanalisationen. Diese
Art der Darstellung wird in Abschn. 13.5.4 diskutiert, sie hat für die Sied-
lungsentwässerung eine besondere Bedeutung.
Die Charakterisierung der Starkniederschläge (für die Schweiz: WSL 1975-
1992). Es werden mittlere Intensitäten bestimmt, die während unterschiedli-
cher Messperioden mit bestimmten Häufigkeilen überschritten werden. Diese
Information eignet sich zur Dimensionierung von Retentionsmassnahmen
(Versickerung, Regenrückhaltebecken, Regenwassernutzung). Ein Bei-
spiel ist in Abb. 13.5 dargestellt.
- Heute kommt auch in der Siedlungsentwässerung immer häufiger die mathe-
matische Simulation von ganzen Einzugsgebieten zur Anwendung. Dabei
wird das hydrologische und hydraulische Verhalten des Einzugsgebiets abge-
bildet und es werden Prognosen gemacht, wie sich das Entwässerungssystem
unter verschiedenen Belastungszuständen verhält. Basis für die Regencha-
rakterisierung sind hier häufig Ganglinien in 1 - 5 Minutenschritten von hi-
storisch gefallenen Regen. Verkäufer von Simulationsprogrammen sind meist
in der Lage, für ihr Programm Informationen über effektiv gefallene Regen
für verschiedene Messstationen auf Datenträgern verfügbar zu machen.
- Im Punktediagramm wird jeder Regen einer längeren Periode nur mit seiner
Dauer und der insgesamt gefallenen Regenhöhe dargestellt (s. z.B. Abb. 13.6
und Abb. 13.7). Diese Darstellung eignet sich für statistische Überlegungen
202 13 Siedlungshydrologie

Niederschlagshöhe in mm
25
20
15
10
5 Abb. 13.6. Lineares Punktedia-
gramm aller Regen mit einer
0
Dauer< 300 min, die in Fehral-
0 60 120 180 240 300 torf (Schweiz) 1991 gefallen
sind. Mittelwert von 5 Messsta-
Dauer des Niederschlags in Minuten tionen (Daten EAWAG)

Niederschlagshöhe Mittlere Regenintensität


inmm ini s· 1 ha·1
100 50 20
100
10
5
v v_ v le

II
ll
10
~· 2

~- ....
1
.-.....z
l4 ~~- .. P'
10 100 1000
Dauer des Niederschlags
in Minuten
Abb. 13.7. Logarithmisches Punktediagramm aller Regen mit einer Dauer< 1000 min, die in
Fehraltorf (Schweiz) 1991 gefallen sind. Mittelwert von 5 Messstationen (Daten EAWAG)

und erlaubt z.B. die Gegenüberstellung von Retention (diese entspricht einer
gewissen RegenmengeN in mm) und Ableitung von Regenwasser (diese ent-
spricht einer mittleren Intensität). Die Darstellung wird je nach Fragestellung
linear oder logarithmisch gewählt.

Neben Dauer und Intensität eines Regens sind für die Siedlungsentwässerung
z.T. auch die Windrichtung oder der Zug eines Gewitters von Bedeutung.
Abb. 13.8 zeigt deutlich, dass während Starkregen in Zürich Westwind vor-
herrscht. Entwässert nun ein Kanalnetz von Westen nach Osten, so kann das eine
Vergrösserung des Abflussmaximums zur Folge haben, die mit der Annahme,
dass das Gebiet gleichmässig beregnet wird, nicht erfasst wird. Heute ist es nicht
üblich, in der Siedlungsentwässerung solche Effekte zu berücksichtigen, gele-
gentlich könnten diese aber Ursache von unerwarteten Überschwemmungen sein.
Hier wird nur die Auswertung von maximalen Regenintensitäten, die mit ei-
ner bestimmten Häufigkeit während einer bestimmten Dauer überschritten wer-
13.3 Intensität von Starkregen 203

17%
Nord-

36%
Westwind

Abb. 13.8. Häufigkeiten der vier Hauptwindrichtungen während Starkniederschlägen in Zürich


(SMA) für Starkregen mit einer Dauer von 10 min. Ausgewertet wurden die jährlichen Höchst-
werte der Periode 1934- 1980 (Neu nach WSL, Band 7, 1991)

den, diskutiert. Diese Art der Auswertung hat für die Dimensionierung von Ka-
nalisationen in Handrechnungen die grösste Bedeutung.

13.3 Intensität von Starkregen


Je nach lokaler Tradition werden die Regeninformationen, die der Dimensionie-
rung von Anlagen in der Siedlungsentwässerung zu Grunde liegen, etwas anders
ausgewertet. Gemeinsam ist all diesen Auswertungen, dass sie eine Regeninten-
sität, eine Regendauer (meist nur ein Abschnitt eines längeren Ereignisses) und
die Häufigkeit, mit der die Intensität überschritten wird, miteinander in Bezie-
hung setzen.
Einerseits interessieren wir uns in der Siedlungsentwässerung für Extre-
mereignisse; dafür müssen wir die Leistungsfähigkeit der Kanalisationen ausle-
gen. Andererseits interessiert uns aber auch das Verhalten der Anlagen im Jah-
resgeschehen; dazu sind Informationen erforderlich, die sich auf häufige Ereig-
nisse beziehen. Hier werden nur Extremereignisse charakterisiert.
Dieser Text beruht als Beispiel auf den Auswertungen von Regenereignissen,
die HörZer und Rhein /961 und 1962 für die ganze Schweiz gemacht haben und
die noch heute zu einem grossen Teil eine wichtige Dimensionierungsgrundlage
für die Kanalisationen in der Schweiz sind. Die umfangreiche Originalpublikati-
on (1992) begründet die Darstellung der Resultate und erklärt die statistischen
Methoden.
Für die Dimensionierung von Kanalisationen müssen kurze (Minuten), intensive
Regen beachtet werden. Regeninformationen werden deshalb speziell im Hin-
blick auf die Probleme der Siedlungsentwässerung ausgewertet. Die Angaben
werden in Form von mittleren Regenintensitäten während Teilabschnitten von
Regen gemacht:
204 13 Siedlungshydrologie

RegenintensHät in l s·1 ha·1 Gemessene


400 .---------=------- Regenganglinie
300

200

100

0
0 5 10 15 20 25
Regendauer in min
Abb. 13.9. Bestimmung der maximalen durchschnittlichen Regenintensität während eines Re-
genabschnitts von 10 min Dauer

.dN
r=- (13.2)
L\T
r = Mittlere Regenintensität während der Dauer L\T [L T 1]
.dN = Während der Dauer L\T akkumulierter Niederschlag [L]
L\T = Dauer des betrachteten Regenabschnitts [T]
Die Regenintensität r hat die Dimension einer Geschwindigkeit. (Diese Ge-
schwindigkeit entspricht der Zunahme des Wasserspiegels mit der Zeit, wenn auf
einer Ebene kein Niederschlagswasser verloren geht). In der Literatur wird heute
r gelegentlich mit der Einheit Jlm s·1 angegeben. Häufiger wird die Einheit
I s·1 ha· 1 gewählt. Diese zweite Einheit hat den Vorteil, dass sie die Grössen, in
denen Siedlungen charakterisiert werden (Hektaren) mit den Grössen in denen
Abflüsse gemessen werden I s·1 (oder m3 s·1) direkt miteinander in Beziehung
setzen. 10 I s· 1 ha·1 entsprechen 1 Jlm s·1•
Hörler und Rhein haben 1962 eine Methode für die Auswertung und Dar-
stellung von Regenmessungen vorgestellt, die konsequent auf die Bedürfnisse
der Siedlungsentwässerung ausgerichtet ist. Sie haben mittlere Intensitäten für
Regenabschnitte bestimmt, unabhängig davon, ob es einen Vor- oder einen
Nachregen gibt. In Abb. 13.9 und in Beispiel 13.2 wird eine mögliche Art der
Bestimmung solcher Intensitäten dargestellt.
Mit Hilfe von statistischen Auswertungen ergeben sich nun für einzelne
Messstationen· Resultate, wie sie in Abb. 13.10 für die Messstation in Bern dar-
gestellt sind: Die mittlere Regenintensität r in I s·1 ha·1 wird für Regenabschnitte
von 5- 60 min. Dauer und verschiedene Jährlichkeilen z dargestellt. z 10 a =
heisst z.B., dass die entsprechende Intensität während der angegebenen Regen-
dauer innerhalb von 10 Jahren im Mittel gerade 1 Mal erreicht oder überschritten
wird (Wiederkehrintervall).
13.3 Intensität von Starkregen 205

RegenintensHät
in!. s·1 ha·1
500

400

300 Sa
2a
200 1a

100

0 10 20 30 40 50 60
Dauer des Regenabschnittes T in Minuten
Abb. 13.10. Intensitäts-Dauer-Frequenz-Kurve (IDF) für Regenabschnitte in Bern (G =
1481 s·• ha.., B = 12 min, C =0.95, neu nach Hörler und Rhein, 1962)

Beispie113.2. Bestimmung der mittleren Regenintensität eines Regenabschnittes


Berechne die maximale Regenintensität für einen Regenabschnitt von 10 min Dauer aus
der folgenden Messreihe eines Regens von 20 min Dauer.
Messreihe:
Zeit seit Regenbeginn Intensität Mittel über vergangene 10 min
in min. in I s·' ha·1 (gleitendes Mittel)
-2- 0 0
0- 2 60
2- 4 10
4- 6 30
6- 8 120 220/5= 44 I s·' ha·'
8- 10 150 370/5= 74 I s·' ha·'
10- 12 240 550/5=110 I s·' ha·'
12- 14 110 650/5=130 I s·' ha·'
14- 16 40 660/5= 132 I s·' ha·'
16- 18 10 550 I 5 = 110 I s·' ha·'
18-20 10 410/5= 82 I s·' ha·'
20-22 0 170/5= 34 I s·' ha·'
Der maximale Mittelwert für die Regenintensität während einem Regenabschnitt von 10
min Dauer beträgt 132 I s·1 ha·'. Die ersten 6 und die letzten 4 min des Regens tragen zu
diesem Mittelwert nicht bei.

Beispiel13.3. Interpretation einer Intensitäts-Dauer-Frequenz-Kurve


Wie gross ist die durchschnittliche Regenintensität, die in Bern im Mittel innerhalb von 5
Jahren während 20 min mindestens zu erwarten ist?
Aus Abb. 13.10 ergibt sich für eine Regendauer von 20 min und z = 5 eine Intensität von
ca. 205 I s- 1 ha- 1.
206 13 Siedlungshydrologie

Belspiel13.4. Extremereignisse
Im August 1993 stand im Tagesanzeiger die Schlagzeile:
In 10 min 10 mm Regen über Bem gefallen.
Wie oft könnte der Tagesanzeiger diese Meldung machen?
10 mm /10 min = 10 mm ·10-3m mm·1 • 103 1m-3 ·104 m2 ha·1 /600 sec
= 1671 s·1ha·1
Nach Abb. 13.10 ergibt sich für eine Regendauer von 10 min und eine Intensität von
1671 s·1 ha·1 eine Jährlichkeit von z < 1 a. Im Durchschnitt könnte also der Tagesanzei-
ger jährlich über einen noch stärkeren Regen berichten, also war die Schlagzeile in die-
ser Form wohl kaum gerechtfertigt.
Nehmen wir noch an, dass es in der Schweiz z.B. 50 Regenmessstationen gibt, die die
entsprechenden Informationen sammeln (die Regen messen), so könnte wohl nach jeder
Gewitterfront, die über die Schweiz fährt, diese Meldung über irgend eine Stadt der
Schweiz geschrieben werden.

Empirisch haben Hörler und Rhein (1962) die Information in Abb. 13.10 mit
Hilfe der folgenden Gleichung dargestellt:
K(z)
r=-- T > 5 min (13.3)
T+B
r = Regenintensität [L T 1] hier in I s·1 ha-1
K = Eine Ortskonstante mit der Dimension [L] hier Imin ha- 1 s·1
z = Dauer des durchschnittlichen Wiederkehrintervalles [T] hier in a.
T = Dauer des Regenabschnitts [T] hier in min.
B = Eine Ortskonstante [T] hier in min
In Worten: r gibt die mittlere Regenintensität an, die während T min alle z
Jahre in Bem im Mittel einmal erreicht oder überschritten wird.

TabeHe 13.1. Beispiel von Ortskonstanten für die Berechnung der mittleren Regenintensität in
Funktion des Wiederkehrintervalles und der Regenabschnittdauer nach GI. (13.3) (ausgewählte
Regenmessstationen nach Hörler und Rhein 1962). Für die Defmition der Ortskonstanten K(z}, B,
G und C siehe Text. H = Mittlerer Jahresniederschlag
Wiederkehrintervall z B G c H
·I
z inJahren 1 2 5 10 min !s"lha·l mma
Ortskonstante K(z) in Imin ha· s-
Bern 4000 4984 6484 7796 12 148 0.95 1028
Davos 1950 2438 3159 3762 10 78 0.93 999
Locarno 7068 8446 10418 12044 23 186 0.69 1822
Sion 1050 1360 1780 2160 6 50 1.06 588
Zürich 3036 3664 4569 5313 8 132 0.75 1044

In Tabelle 13.1 sind für einige Messstationen in der Schweiz und typische
Wiederkehrintervalle, wie sie in der Siedlungsentwässerung zur Anwendung
gelangen, die Ortskonstanten K(z) und B zusammengestellt: Bem und Zürich
liegen nördlich der Alpen, Davos in einem alpinen Hochtal, Sion in einem gro-
ssen Tal, das von West nach Ost verläuft, Locamo liegt südlich der Alpen, wo
13.3 Intensität von Starkregen 207

sich bei Föhn Staulagen mit langen intensiven Niederschlägen ergeben. Die
Ortskonstanten und damit die Regenintensitäten unterscheiden sich um einen
Faktor 7 zwischen dem Tessin und dem eher trockenen Wallis und das, obwohl
Locarno und Sion beide im Alpenraum und nur 110 km Luftlinie auseinander
liegen.

Belsplel13.5. Interpretation der Jährlichkeit I des Wiederkehrintervalles


Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Regen mit einer Jllhrlichkeit von z =5 a in
5 aufeinander folgenden Kalenderjahren nicht beobachtet wird?
Mit einer Wahrscheinlichkeit von 11z = 0.2 a·1 kann ein solcher Regen innerhalb eines
Kalenderjahres beobachtet werden. Also wird er mit der Wahrscheinlichkeit von 1 -
0.2 = 0.8 während einem Kalenderjahr nicht beobachtet. Die Wahrscheinlichkeit, dass
fünf Jahre in Serie ein solcher Regen nicht beobachtet wird, beträgt 0.85 = 0.33.
Die Wahrscheinlichkeit, dass während einer Periode von 5 Kalenderjahren genau 1 sol-
cher Regen auftritt beträgt: W = 5 .0.84 • 0.2 = 0.41.
Also treten mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 -0.33- 0.41 = 0.26 in einer solchen Peri-
ode mindestens 2 oder mehr solche Regen auf.

Beispiel13.6. Berechnung der Regenintensität


Wie gross ist die mittlere Regenintensität, die in Bern alle 5 Jahre während 20 min zu
erwarten ist (s.a. Beispiel13.3)?
Nach Tabelle 13.1 ist K(z = 5a) für Bern = 6484 I min ha·1 s·1 und B = 12 min.
Nach GI. (13.3) wird: r(z=Sa, T=20min) = 64841 (20 + 12) = 2031 s·1 ha·1•

Beispiel13.7. Interpretation der Ortskonstanten K(z)


Die Ortskonstante hat eine wenig anschauliche Einheit: 1min ha·1 s·1•
Umgewandelt in anschauliche Grössen erpibt sich die Einheit zu:
1 Imin ha·1 s·1 = 1 . 10-a m3 • 60s I (104 m · 1 s) = 6.1 · 10-s m = 6.1 · 10-a mm
Die Ortkonstante für Bern, mit einer Jährlichkeit von z = 1a beträgt nach Tabelle 13.1:
K(z = 1a) = 4000 Imin ha·1 s·1 = 24 mm.
Die Niederschlagshöhe HR während eines Regenabschnitts beträgt nach GI. (13.3) und
Abb. 13.9: HR = r · T = K · TI (T + B).
Für lange Regen (T » B) resultiert HR = K.
Für Bern ergibt sich, dass 1 mal pro Jahr ein Regen, der für die Siedlungsentwässerung
relevant ist, eine Niederschlagshöhe HR <:: K = 24 mm hat. Dabei muss beachtet werden,
dass für diese Aussage nur Regenabschnitte unter 60 min Dauer ausgewertet wurden.

Hörler und Rhein (1962) schlagen, basierend auf statistischen Auswertungen,


die folgenden empirischen Gleichungen vor, um die Regenintensität für beliebi-
ge Häufigkeit und Dauer zu berechnen (zu interpolieren):
(13.4)
rz(T) = Mittlere Regenintensität während eines Regenabschnitts mit
der Dauer T, die im Durchschnitt alle z Jahre einmal erreicht
oder überschritten wird [I s- 1 ha- 1]
G = Grundzahl [I s- 1 ha- 1] =Mittlere Regenintensität während eines
208 13 Siedlungshydrologie

Regenabschnitts mit der Dauer von 15 min, die im Durchschnitt ein-


mal pro Jahr erreicht oder überschritten wird. (eine Ortskonstante)
c1>r = Zeitbeiwert, der nur von der massgebenden Dauer des Regenab-
schnittsT [in Minuten] und einer Ortskonstanten B abhängig ist.
hz = Häufigkeitsfaktor, der von derRegendauerT unabhängig ist und
die Information aufverschiedene Jährlichkeiten zumrechnet [-].
Für die Grundzahl G wird die Dauer des Regenabschnitts auf 15 min festge-
legt, weil diese Regendauer in der Siedlungsentwässerung eine typische Grö-
ssenordnung darstellt.
Der Zeitbeiwert ~ gibt an, wie die Regenintensität von der Regendauer ab-
hängt, wenn die Häufigkeit unverändert bleibt. Aus Gl. (13.3) ergibt sich die
empirische Gleichung für dessen Berechnung:
t~. 15+B . B , T.m M.muten
't'T =- - rmt (13.5)
T+B
Es gilt r 1(T) = K(z=l) I (T+B) = G ·~mit~> 1 für T < 15 min.
h. gibt an, um welchen Faktor sich die massgebende Regenintensität vergrö-
ssert, wenn die Intensität eines Regens mit geringerer Häufigkeit (nur einmal alle
z Jahre) berechnet werden soll. Empirisch ergibt sich:
hz =1+C ·log10 (z) wobei C eine Ortskonstante ist (13.6)
Die Ortskonstanten B, C und G sind in Tabelle 13.1 für einige Messstationen
zusammengestellt.

Beispiel13.8. Berechnung einer Regenintensität


Wie gross ist die mittlere Regenintensität, die in Bern alle 5 Jahre während 20 min zu
erwarten ist oder überschritten wird (s.a. Beispie/13.3 und Beispie/13.6)?
Nach Tabelle 13.1 gilt für Bern: B = 12 min., C = 0.95, G = 148 I s-1 ha-1•
Für z = 5 Jahre ergibt sich h, = 1+ 0.95 log 10(5) = 1.66
Für T =20 min ergibt sich cjl(T) = (15 + 12) I (20 + 12) = 0.84
und daraus
. -1 -1
r5(T=20mln) = 148.0.84 · 1.66 = 2081 s ha .
Dieser Wert ist etwas grösser, als die früher berechneten Werte, weil die Ortskonstanten
K(z) in Tabelle 13.1 direkt aus den Daten bestimmt wurden und die Werte von G, 8 und C
Resultate einer statistischen Ausgleichsrechnung sind.

Aus Tabelle 13.1 werden die klimatischen Unterschiede in der Schweiz deut-
lich:
- In Locarno fallen die intensivsten Regen (grösster Wert von G) und der
grösste Jahresniederschlag H. Hier ergeben sich bei Südwind typische Stau-
lagen, die im Schweizer Mittelland als Föhn bekannt sind. Der hohe Wert
von B deutet an, dass diese intensiven Regen auch sehr lange anhalten. Der
geringe Wert von C zeigt, dass die Extremereignisse nicht sehr unterschied-
lich sind (oder dass Starkregen sehr häufig sind). Das Einzelereignis ist sehr
13.4 Abflussbeiwert von Siedlungsgebieten 209

ergiebig. Pro Jahr ergibt ein Ereignis mindestens K(z=l) = 70681 min ha· 1 s·1
= 43 mm (s. Beispiel13.7).
- In Sion fallen die schwächsten Regen, mit der geringsten Jahressumme. Das
Wallis ist ein grosses und breites Tal, das quer zu den Südwinden liegt.
Warmfronten treffen hier selten auf Kaltfronten. Das Einzelereignis ist wenig
ergiebig: K(z=l) = 6.5 mm.
- Das ganze Schweizer Mittelland wird recht einheitlich beregnet (Bem, Zü-
rich).

13.4 Abflussbeiwert von Siedlungsgebieten


Der Abflussbeiwert lfl charakterisiert ein Siedlungsgebiet. Je nach Aufgabe müs-
sen wir zwischen aktuellen, heute beobachteten Werten und zukünftigen, zonen-
spezifischen Planungswerten bei Vollüberbauung des Gebietes unterscheiden.
Für die Berechnung des Regenwasseranfalles aus Siedlungsgebieten werden
meist zonenspezifische Abflussbeiwerte 'I' bestimmt, die dann den Berechnungen
zu Grunde gelegt werden. Von besonderer Bedeutung sind:
- Die Art der Bauzone: Wohn-, Industrie-, Kemzone, Ausnützungsziffer etc.
Die Art der Parkmöglichkeiten: Unterirdisch, oberirdisch, Garagen etc.
- Die Art der Dächer: Steildächer, Flachdächer.
- Versickerungsmöglichkeiten und die Realisierung der Versickerung.
Die Abflussbeiwerte von grösseren Einzugsgebieten können als gewichtetes
Mittel der Abflussbeiwerte von definierten Teilflächen berechnet werden:
'I'= I. Yi · a.i (13.7)
i

'I' = Abflussbeiwert eines strukturierten Siedlungsgebiets [-]


'Yi = Anteil der Teilflächen an der gesamten Gebietsfläche [-]
<X; = Abflussbeiwert der einzelnen Teilflächen i nach Tabelle 13.2 [-]

Tabelle 13.2. Abflussbeiwerte a von unterschiedlich befestigten und unbefestigten Teilflächen in


Siedlungsgebieten (AGW 1982)
Befestigte Teilflächen (X Unbefestigte Teilflächen (X

Eternit, Blech, Glas 0.95 Gärten, Wiesen 0


Ziegel 0.90 Parkanlagen 0
Asphalt, Beton 0.80 Wald 0
Pflästerung 0.50 Steilwiesen:
Kiesklebedach 0.25 - Boden normal durchlässig 0
Schotterdecke 0.25 - gehemmt durchlässig 0.3-0.5
Rasengittersteine 0.15 Rehberge 0.3-0.5
a)
Flächen mit Versickerung 0
a) Die Versickerung muss langfristig gewährleistet sein, damit diese im Rahmen der
Dimensionierung einer Kanalisation berücksichtigt werden kann.
210 13 Siedlungshydrologie

Für überschlägige Berechnungen kann näherungsweise mit einem mittleren


=
Abflussbeiwert der versiegelten Flächen von a 0.85 gerechnet werden, wobei
der Anteil der versiegelten Flächen um die Flächen verringert werden soll, von
denen versickert wird:
'I' =0.85 · ( Y versiegelt - Yversickerung) (13.8)

In Tabelle 13.3 sind typische Abflussbeiwerte für unterschiedliche Siedlungs-


flächen zusammengestellt. Die Werte wurden in detaillierten Erhebungen in
vollüberbauten Gebieten bestimmt und z.T. mit Abflussmessungen verifiziert.

Tabelle 13.3. Typische Abflussbeiwerte 'I' für unterschiedliche Siedlungsflächen. Tiefe Werte
gelten für Quartiere mit Versickerung, mittlere bei Flachdächern, hohe Werte bei Steildächern
Art der Überbauung und Dichte Versickerung Flachdächer Steildächer
Einfamilienhäuser, freistehend, locker 0.15 0.20 0.30
Einfamilienhäuser, freistehend, dicht
Doppelhäuser, Reihenhäuser, Mehrfamili- 0.20 0.25 0.40
enhäuser
Wohn- und Gewerbezone 0.35 0.45 0.70
Dorfkem, ländlich 0.50
Stadtkern, Altstadt, Citygebiet 0.75
Industrie, neu 0.60
Industrie, alt 0.75

Beispiel13.9. Berechnung des Abflussbeiwertes


Wie gross wird der Abflussbeiwert 'I' für ein Wohngebiet mit den folgenden Teilflächen-
antei/en r;
a 1 (Tabelle 13.2)
Strassen, Asphalt 0.19 0.80
Ziegeldächer 0.22 0.90
Parkplätze, Zufahrten 0.08 0.80
Total: 'Yvarsleaon 0.49
Der Abflussbeiwert ergibt sich zu: 'I' = 0.19 · 0.80 + 0.22 · 0.90 + 0.08 · 0.80 = 0.41
Durch Versickerung des Dachwassers und Gestaltung der Parkplätze mit Rassengitter-
steinen könnte dieser Wert auf ca. die Hälfte verringert werden.
Die Werte sind typisch für ein Quartier, das dicht mit alten Reiheneinfamilienhäusern
überbaut ist (Tabelle 13.3).

Beispiel13.10. Abschätzung des Abflussbeiwertes


Welcher Abflussbeiwert ergibt sich mit Hilfe der Nliherung in GI. (13.8) für das Gebiet,
das im Beispiel13.9 beschrieben ist?
'I' =0.85 • 'YvorsiegeH =0.85 • 0.49 =0.42
Eine grössere Abweichung ergibt sich, wenn der Anteil von Flachdächern (Kiesklebedä-
chern) gross ist.
13.5 Maximaler Regenabfluss 211

13.5 Maximaler Regenabfluss


Den erwarteten maximalen Abfluss bei Regenwetter können wir nur statistisch
vorhersagen: Wie häufig wird eine bestimmte Abflussmenge erreicht oder über-
schritten? Dabei müssen wir unterscheiden, ob wir eine aktuelle Situation analy-
sieren oder die zukünftige, nach vollständiger Überbauung der Einzugsgebiete
erwartete Belastung der Anlagen der Siedlungsentwässerung. Für diese Aufga-
ben kommen häufig sehr einfache Modelle zur Anwendung.
Je nach Entwässerungsverfahren (Kapitel 14) wird das Regenwasser allein
(Trennsystem) oder zusammen mit dem stetig fliessenden Abwasser (Trocken-
wetteranfall) als Mischwasser abgeleitet (Mischsystem). Das Regenwasser bildet
den dominanten Teil der Dimensionierungswassermenge. Oberhalb von Entla-
stungsbauwerken (s. Abb. 12.1) kann die Regenwassermenge mit GI. (13.1),
abgeschätzt werden:
QR =r·lJI·F (13.9)
~ = Regenabfluss an einer bestimmten Stelle im Kanalnetz [I s"1]
r = Regenintensität [I s· 1 ha- 1]
'I' = Abflussbeiwert [-]
F = Fläche des Einzugsgebietes, das zum Regenabfluss beiträgt [ha].
In der Folge werden die Grundlagen zur Anwendung von GI. (13.9) disku-
tiert.

13.5.1 Jährlichkelt des Regenereignisses


Es ist nicht wirtschaftlich, Kanalisationen zu bauen, die nie überlastet werden.
Wir müssen uns für eine Wahrscheinlichkeit der Überlastung entscheiden. Diese
steht in Beziehung zur Häufigkeit des betrachteten Regenereignisses.
Real interessiert uns die Häufigkeit eines Schadens (Überschwemmung etc.) und
nicht die Häufigkeit eines Regenereignisses. Die meisten einfachen Dimensio-
nierungsverfahren basieren aber auf der Annahme, dass diese beiden Häufigkei-
ten identisch sind.

Tabelle 13.4. Jährlichkeiten z (Jahre) von Regenereignissen, die der Dimensionierung von Kanali-
sationen zu Grunde gelegt werden
Jährlichkeit z des massgebenden Ereig-
nisses in Jahren
Schweiz Deutschland
Kernzonen und Industriegebiete, die im Misch-
system entwässert sind, wenn in den Kellern 10-20 5-10
wertvolle Güter lagern
Städte allgemein 10 5
Dörfer mit lockerer Überbauung 5 2-3
Strassenentwässerung innerorts 10
(nach SNV 640 350) ausserorts 5-10
212 13 Siedlungshydrologie

In der Schweiz basiert die Dimensionierung von Kanalnetzen typischerweise


auf weniger häufigen Regenereignissen (grösseren Jährlichkeiten) als z.B. in
Deutschland (Tabelle 13.4). Das wird nur teilweise durch das grössere Sicher-
heitsbedürfnis der Schweizer bestimmt: Je steiler die Kanalisationen sind, desto
geringer werden die im System enthaltenen Reserven. Da die Energieverluste
quadratisch mit der Fliessgeschwindigkeit zunehmen, steigen diese in schnell-
messenden, steilen Kanälen schneller an als in langsamfliessenden, flachen
Strecken (s. dazu Beispiel16.13, Seite 272).
Die Wahl der Jährlichkeil z, die der Dimensionierung zu Grunde gelegt wer-
den soll, ist das Resultat einer Nutzen I Kosten-Abschätzung. Dabei muss aller-
dings beachtet werden, dass die Schäden häufig Private treffen und örtlich ge-
häuft auftreten (Engpässe im Kanalnetz ergeben sich immer an den gleichen
Stellen), während der Nutzen (billigere Kanäle) bei der Allgemeinheit anfallt.
Wie Schäden bewertet werden, muss politisch ausgehandelt werden, d.h., dass
die effektive Wahl der Jährlichkeil der Überlastung der Kanalisationen sich an
den Werten in Tabelle 13.4 orientiert, aber damit nicht absolut festgelegt ist.
Effektiv gebaute Kanalisationen führen meistens mit sehr viel geringerer
Häufigkeit zu Überschwemmungen, als das die Jährlichkeilen in Tabelle 13.4
andeuten. Die Gründe dafür sind, dass Kanalisationen für einen zukünftigen
Zustand bei Vollüberbauung der Siedlungsflächen gebaut werden, und dass Ka-
nalisationen ohne Überstau dimensioniert werden, in der Realität aber erst über-
laufen, wenn die Drucklinie das Terrain erreicht.

13.5.2 Reduzierte Fläche


Die reduzierte Fläche ist eine fiktive Hilfsgrösse, die erlaubt, unterschiedlich
strukturierte Teileinzugsgebiete zu einer gemeinsamen Grösse zusammenzufas-
sen.
In einen bestimmten Strang in der Kanalisation (eine Kanalhaltung) können
Teile des Einzugsgebiets entwässern, die unterschiedliche Abflussbeiwerte 'I'
haben. Damit die Beiträge dieser Teileinzugsgebiete an den Regenwasserabfluss
<4 aufaddiert werden können, ist es üblich, das Produkt F; · 'I'; als reduzierte
Fläche Fred zu bezeichnen:
Fred=F·'If (13.10)
Die reduzierte Fläche wird mit der Einheit hared angegeben und entspricht un-
gefähr dem versiegelten Anteil des Einzugsgebietes.
Die Flächen der Teileinzugsgebiete können nun entlang eines Kanals, ge-
wichtet mit dem Abflussbeiwert 'lf, über die reduzierten Flächen aufaddiert wer-
den, auch wenn die Abflussbeiwerte unterschiedlich sind. Die totale, reduzierte
Fläche entspricht ungefahr der undurchlässigen, versiegelten Fläche einer Sied-
lung.
Damit kann Gl. (13.9) für eine bestimmte Kanalhaltung geschrieben werden
als:
QR =r·l::Fred.i =r·l::l1·'1'i (13.11)
i i
13.5 Maximaler Regenabfluss 213

13.5.3 Massgebende Regenintensität


Während kurzen Regenabschnitten sind die Regenintensitäten besonders gross,
jedoch konzentriert sich der Abfluss eines kurzen Regens in einem grossen Ein-
zugsgebiet nicht gleichzeitig zum Gebietsausfluss. Es gilt die Regendauer, die
Regenintensität und die zugehörige abflusswirksame Fläche miteinander in Be-
ziehung zu setzen, sodass der maximale Regenwasserabfluss berechnet werden
kann.
Für extreme Regenereignisse gilt: Je kürzer der betrachtete Regenabschnitt ist,
desto grösser wird seine mittlere Intensität. Als Folge von kurzen Regen tragen
aber nicht alle Teile eines Einzugsgebiets zum Abfluss an einer bestimmten
Stelle gleichzeitig bei: Der Abfluss aus den Anteilen des Einzugsgebietes, von
denen die Fliesszeit länger ist als die Dauer des Regens, wurde allenfalls wäh-
rend eines weniger intensiven Vorregens gebildet. Welche Kombination von
Regendauer und Einzugsgebietsfläche an einem bestimmten Punkt im Kanalnetz
gerade den grössten Abfluss von Regenwasser ergibt, ist nicht von vornherein
ersichtlich.
In der Regel resultiert der grösste Regenwetterabfluss, wenn das ganze Ein-
zugsgebiet für die Abschätzung der massgebenden Regenintensität berücksich-
tigt wird. Die massgebende Regendauer setzt sich aus zwei Teilen zusammen
(s.a. Kapitel 13.1):
- Die Zeit, die erforderlich ist für die Abflussbildung und die Abflusskonzen-
tration, die sogenannte Anlaufzeit t••. Diese liegt im Bereich von 3- 15 rnin.
In der Schweiz wird bei gutem Gefälle im Einzugsgebiet häufig t.. = 5 rnin
gewählt. Bei offener Überbauung und geringem Gefälle der Hausanschlüsse
liegt der effektive Wert höher (das resultiert in kleineren massgebenden Re-
genintensitäten und Kanaldimensionen).
- Die Fliesszeit, die erforderlich ist, bis das Wasser aus den Endsträngen der
Kanalisation bis zum betrachteten Gebietsausfluss geflossen ist, der Fliesszeit
in der Kanalisation tr Diese Zeit kann berechnet werden, wenn die Geome-
trie der obenliegenden Kanäle bekannt ist. Sie wird z.B. auf Grund der
Fliessgeschwindigkeiten bei Vollfüllung der Kanalrohre abgeschätzt.
Die massgebende Dauer des Regenabschnitts to. die der hydraulischen Di-
mensionierung einer Kanalhaltung zu Grunde gelegt werden soll, kann nun be-
rechnet werden als:
(13.12)
Mit Hilfe der ortsspezifischen Angaben (Tabelle 13.1) und der berechneten
DauerT= to. sowie einer gewählten Jährlichkeil z (Tabelle 13.4) ergibt sich nun
die massgebende Regenintensität nach GI. (13.4).
Ausnahmsweise, wenn die Teileinzugsgebiete (reduzierte Flächen) einer Ka-
nalhaltung nicht gleichmässig entlang der obenliegenden Kanäle verteilt sind,
oder wenn grosse Geflillsbrüche zu sehr unterschiedlichen Fliessgeschwindig-
keiten in der Kanalisation führen, resultiert aus einem Teil des Einzugsgebiets
die grössere Regenwassermenge, als wenn das ganze Einzugsgebiet berücksich-
tigt wird. Diese Situation ist auf Grund der normalerweise verfügbaren Planun-
terlagen ersichtlich und kann entsprechend behandelt werden.
214 13 Siedlungshydrologie

Beisplel13.11. Maximaler Regenwasseranfall


Wie gross ist der maximale Abfluss von Regenwasser Ow der in Zürich einmal in 5 Jah-
ren in der Entwiisserung eines Grundstückes von 100m Breite und 300 m Länge (F =3
ha) erwartet werden muss? Der Abflussbeiwert beträgt 'I' = 0.5.
Annahmen: =
Anlaufzeit t•• 5 min
Länge der Kanalisation L = 250 m
Fliessgeschwindigkeit in der Kanalisation v = 1 m s·1
Fliesszeit in der Kanalisation tF = L I v = 4 min
Die massgebende Dauer des Regens wird: to = t•• + tF = 5 + 4 = 9 min.
Aus Tabelle 13.1: Für Zürich gilt K(z=5a) = 4569 I min ha-1 s·1 , B = 8 min.
Nach GI. (13.3) wird r = 4569/ (9 + 8) = 2691 s-1 ha-1 •
Der maximale Regenabfluss wird nun nach GI. (13.9):
-1 -1 ·1
0 6 = r · 'I' · F = 269 I s ha · 0.5 · 3 ha = 404 I s .

13.5.4 Fliesszeitverfahren
Das Fliesszeitveifahren ist eine einfache und überschaubare Methode für die
Dimensionierung von Kanalisationen ohne Rückstau. Es berücksichtigt, dass
entlang der Kanalisation die reduzierte Fläche und die Fliesszeit laufend zuneh-
men. Dadurch wird die Dauer der berücksichtigten Regenabschnitte immer län-
ger und die massgebende Regenintensität geringer.
Es gibt unterschiedliche Berechnungsverfahren für die hydraulische Dimensio-
nierung von Kanalisationssträngen in Kanalnetzen. Ist in den Kanälen bei Nor-
malbetrieb kein Rückstau zu erwarten, eignet sich die Listenrechnung nach Im-
hoff (das Fliesszeitveifahren, die Fliesszeitmethode). Dieses Verfahren ist ein-
fach, durchschaubar und meist genau genug, um neue Kanalisationen (Endsträn-
ge) zu dimensionieren. Es ist wenig geeignet, um bestehende Kanalnetze nach-
zurechnen und Engpässe zu identifizieren. Kanalisationen mit Rückstau können
nach dieser Methode nicht dimensioniert werden.
Die Grundlage des Fliesszeitverfahrens bildet die Annahme, dass in einer be-
stimmten Kanalhaltung die grösste Regenwassermenge (b. dann erreicht wird,
wenn alle Teileinzugsgebiete zum Abfluss beitragen. Die Dauer des massgeben-
den Regenabschnitts T = 1o entspricht daher der Summe aus Anlaufzeit t.. und
maximaler Fliesszeit in der Kanalisation~ nach GI. (13.12). Ausnahmen zu die-
ser Annahme sind in Abschn. 13.5.3 erwähnt. Die Fliesszeit kann aus der Länge
der Kanalisation L und der Fliessgeschwindigkeit v bei maximalem Abfluss aus
~=LI v berechnet werden. Aus GI. (13.3) ergibt sich die massgebende Regen-
intensität r.(T). Mit GI. (13.9) kann nun der grösste Regenabfluss (b. berechnet
werden, der für die Dimensionierung der Kanalisation berücksichtig werden soll.
In Mischsystemen muss noch der Trockenwetteranfall dazu addiert werden.
Damit diese umfangreichen Berechnungen überschaubar bleiben, werden die
Grundlagen und Resultate in Listen (oder Tabellen) eingetragen. Die Literatur ist
voll von geeigneten Darstellungen solcher Listen, und jedes Ingenieurbüro hat
seine eigenen Präferenzen. Hier wird ein sehr einfaches Beispiel einer solchen
Liste in Tabelle 13.5 dargestellt. Diese Tabelle ist für die praktische Anwendung
zu einfach, sie genügt aber, um das Prinzip zu erklären. In den folgenden Ab-
schnitten wird die Berechnung der massgebenden Regenwassermengen für die
Stellen (Haltungen) 1 - 7 in Abb. 13.11 beschrieben.
13.5 Maximaler Regenabfluss 215

Anlaufzen tan = 5 Min

1
o e.Lo~e-, •
Entlastung
Regen von Bem
Jährlichken z = 5 a
Ortkonstante K(5a) = 6484l min ha·1 s·1
B=12min
Abb. 13.11. Ein einfaches Einzugsgebiet, für das die maximal abzuleitende Regenwassermenge
berechnet werden soll. Die geometrischen Angaben zu den einzelnen Teileinzugsgebieten sind
direkt in Tabelle 13.5 eingetragen

TabeHe 13.5. Eine sehr einfache Tabelle für die Berechnung des massgebenden Regenwasseran-
falles in einem Kanalsystem nach dem Fliesszeitverfahren. Die Zahlenangaben beziehen sich auf
Abb. 13.11, kursive Zahlen sind berechnet. Der Berechnungsgang ist im Text erläutert

1 Bezeichnung der Kanalhaltung Nr 1 2 3 4 5 6 7


2 Länge der Kanalhaltung m 120 120 60 - - 120 180
3 Fliessgeschwindigkeit bei Vollfüllung mls I 1 1 1 1
4 Fliesszeit in der Haltung min 2 2 1 2 3
5 Anlaufzeit plus Fliesszeit in der Kanalisation, 1o min 7 9 6 9 . 7 10
6 Massgebende Regenintensität r,(lo) 1/s ha 341 309 360 309 30 341 295
7 Fläche des Teileinzugsgebiets der Haltung ha 2 2 1 2 3
8 Abflussbeiwert für Teileinzugsgebiet - 0.4 0.6 0.4 0.6 0.7
9 Reduzierte Fläche für Teileinzugsgebiet ha..., 0.8 1.2 0.4 1.2 2.1
10 Reduzierte Fläche des ganzen Einzugsgebietes ha,.. 0.8 2.0 0.4 2.4 . 1.2 3.3
II Regenwassermenge Q. m'ls 0.273 0.618 0.144 0.742. 0.409 0.974
12 Konstanter Zufluss m'ls - - - . 0.072 0.072 0.072
13 Totaler Abfluss m'ls 0.273 0.618 0.144 0.742 0.072 0.481 1.046

Vorarbeiten:
Nur mit einer sorgfaltigen Vorbereitung der Berechnungen kann der Überblick
gewahrt bleiben. In der Praxis hat Tabelle 13.5 bis zu 30 Zeilen und oft 100 und
mehr Kolonnen.
Abgrenzung des Einzugsgebietes, für das die Kanalisation dimensioniert
werden soll: Hier die Darstellung in Abb. 13.11 mit 5 Teileinzugsgebieten
und einer Entlastung unterhalb von Punkt 4.
Abgrenzung der Bauzonen, Festlegen der Bebauungsdichten, der typischen
Abflussbeiwerte und des typischen Abwasseranfalles. Hier wird kein Trok-
kenwetteranfall berücksichtigt, in einem Mischwasserkanal müsste dieser
216 13 Siedlungshydrologie

noch hinzuaddiert werden. Die 5 Teileinzugsgebiete sind hier einfach mit


Hilfe des Abflussbeiwerts in Zeile 8 von Tabelle 13.5 charakterisiert. (Ev.
müssten hier noch Bevölkerungsdichten, Industrieabwasser etc. mitgeführt
werden.)
- Generelle Festlegung des Kanalisationssystems in den Strassenzügen, Aus-
scheidung der Gebiete mit Entwässerung im Misch- oder Trennsystem und
unterhalb von Entlastungsbauwerken. Hier wird nur der Meteorwasseranfall
betrachtet. Die Hauptsammelkanäle sind in Abb. 13.11 eingetragen.
- Abgrenzen der Teileinzugsgebiete der Berechnungspunkte, bestimmen der
Flächenanteile der einzelnen Bauzonen an den Teileinzugsgebieten. Die Flä-
chen der 5 Teileinzugsgebiete sind in Zeile 7 von Tabelle 13.5 eingetragen.
- Erste Annahme der Kanalgeometrie und des Kanalgefälles (ca. Kanalgefäl-
=
le Strassengefälle) und abschätzen der Fliessgeschwindigkeiten bei Vollfül-
lung der Kanäle. Hier wurde generell die Fliessgeschwindigkeit in den Ka-
nälen auf 1 rnls geschätzt (Zeile 3 in Tabelle 13.5).

Gang der Berechnung:


Alle Angaben beziehen sich auf Tabelle 13.5 und Abb. 13.11. Die hier ange-
führten Berechnungen beruhen auf sehr grossen Teileinzugsgebieten. In der Pra-
xis werden die Teileinzugsgebiete kleiner, es soll von Schacht zu Schacht ge-
rechnet werden.
- Mit Hilfe der Länge und der Fliessgeschwindigkeit in der Kanalisation kann
die Fliesszeit in der betrachteten Haltung berechnet werden (Zeile 4). Die
Haltungen 4 und 5 haben keine Fliesszeit, weil sich die Berechnung nur auf
die Situation vor und nach dem Entlastungsbauwerk beziehen. Die Fliesszeit
ist vorerst eine Schätzung, die nach abgeschlossener Berechnung und Dirnen-
sionierung der Haltungen mit den definitiv gewählten hydraulischen Bedin-
gungen überprüft werden muss.
- Nun kann die massgebende Regendauer, unter Berücksichtigung einer An-
laufzeit von t.. =5 min, berechnet werden. Für die Haltung 2 muss die
Fliesszeit aus Haltung 1 hinzuaddiert werden. Für die Haltung 3 wird von
oben neu begonnen. Für die Haltung 4 ist die grössere der beiden Zeiten aus
Haltung 2 und 3 massgebend, nur so kann das ganze Einzugsgebiet zum Ab-
fluss beitragen. Die Entlastung entkoppelt den oberen und den unteren Teil
des Einzugsgebietes. Hier wird alles Wasser entlastet, das mit einer Regen-
intensität von mehr als rkri, =30 I s·1 ha·1 anfällt. Das ist weit geringer als die
massgebenden Intensitäten für die obenliegenden Kanäle. Damit beginnt die
Berechnung der massgebenden Zeit für Haltung 6 wieder neu. Für Haltung 7
muss gleich wie für Haltung 2 das obenliegende Teileinzugsgebiet 6 berück-
sichtigt werden.
- Mit der massgebenden Zeit, den Angaben zu den Regen in Abb. 13.11 und
GI. (13.3) kann nun die massgebende Regenintensität berechnet werden. Hier
wird eine Jährlichkeit von z =5 a berücksichtigt.
- Aus der Fläche (Zeile 7) und dem zugehörigen Abflussbeiwert (Zeile 8) kann
die reduzierte Fläche der Teileinzugsgebiete mit GI. (13.10) berechnet wer-
den. Für die Haltungen 4 und 5 ergibt sich keine reduzierte Fläche.
13.5 Maximaler Regenabfluss 217

- Nun wird die reduzierte Fläche, die an eine spezifische Haltung angeschlos-
sen ist, aufsummiert (Zeile 10). Wiederum entkoppelt die Entlastung den
oberen Teil des Einzugsgebiets vom unteren Teil, d.h. die Aufsummierung
beginnt ab Haltung 6 von Neuem.
- Die Regenwassermenge QR (Zeile 11) ergibt sich nun aus dem Produkt der
Regenintensität (Zeile 6) und der angeschlossenen reduzierten Fläche (Zeile
10). Die massgebende Regenwassermenge in Haltung 4 (0.742 m3s.1) ent-
spricht nicht der Summe der Regenwassermengen der Haltungen 2 und 3
(0.618 + 0.144 =0.762 m3s·\ weil Haltung 3 für sehr kurze intensive Regen
dimensioniert werden muss, während Haltung 2 bereits längere Fliesszeiten
berücksichtigt.
- In Haltung 5 (unterhalb der Entlastung) wird dem untenliegenden Kanal eine
konstante Wassermenge übergeben (hier 0.072 m3s·t, Zeile 12), die zusätzlich
zu den Regenwassermengen in den untenliegenden Kanälen abgeführt wer-
den muss. Diese Wassermenge kann z.B. von einem wenig intensiven Vorre-
gen stammen.
- In Zeile 13 ergibt sich nun der Abfluss aus der Summe der konstanten Zu-
flüsse und des zunehmenden Regenabflusses.
- Mit den Resultaten in Zeile 13 (ev. ergänzt durch den erwarteten Trocken-
wetterabfluss) kann nun der Kanal hydraulisch dimensioniert werden
(Durchmesser, Gefälle). Damit ist die Basis gelegt, um die Fliessgeschwin-
digkeit zu berechnen. Es gilt nun, die effektiven Fliesszeiten zu berechnen
und die Annahmen in Zeile 4 zu überprüfen und ev. iterativ zu verbessern.
Das Resultat dieser Berechnungen ist ein Kanalnetz, das grundsätzlich das
anfallende Abwasser ableiten kann. Details, wie die genaue Höhenlage, Gefälle
etc. müssen aber noch einmal überprüft werden. Ferner muss noch überprüft
werden, ob die Grundannahmen dieser Listenrechnung für alle Berechnungs-
punkte gültig sind, oder ob Teileinzugsgebiete zu grösseren Regenwassermengen
führen können.

Zusammenfassung
Die in Kapitel 13.1 eingeführten vier Teilprozesse der Abflussbildung erkennen
wir in der Fliesszeitmethode wie folgt:
- Der Niederschlag wird mit einer konstanten, durchschnittlichen Regen-
intensität abgebildet und berücksichtigt weder zeitliche noch räumliche Un-
terschiede. Es werden Regenabschnitte betrachtet.
- Die Abflussbildung wird mit dem Abflussbeiwert 'I' erfasst.
- Die Abflusskonzentration wird durch die Anlaufzeit t... beschrieben.
- Der Abwassertransport wird durch die hydraulische Berechnung der Kanali-
sation erfasst und geht mit der Fliesszeit in der Kanalisation ~ in die Berech-
nung ein.
Insgesamt ist der Rechengang durchschaubar und in sich logisch. In den USA
ist diese Art der Berechnung als "Rational Method" bekannt.
14 Entwässerungsverfahren

Siedlungen werden auf unterschiedliche Arten entwässert: Im Mischsystem wird


das Regenwasser zusammen mit dem stetig fliessenden Abwasser (Trockenwet-
teranfall) abgeleitet. Im Trennsystem bestehen zwei Kanalnetze: Das eine leitet
Regenwasser der Vorflut zu (Grundwasser, Fliessgewässer, See), das andere
leitet verschmutztes Abwasser der Abwasserreinigungsanlage zu. Heute werden
zudem vermehrt dezentrale Versickerungsanlagen realisiert, in denen unver-
schmutztes Abwasser am Ort des Anfalles in den Untergrund geleitet wird.

14.1 Historische Entwicklung


Bestehende Entwässerungssysteme in Siedlungen sind das Resultat von vielen
Einzelentscheiden, die im Verlaufe von Jahrhunderten gefällt wurden und nur
selten von allem Anfang an auf der Basis eines Gesamtkonzepts erarbeitet wer-
den konnten, z.B. wurden Bäche eingedolt und kanalisiert, um Verkehrsflächen
zu gewinnen, um die Spülkraft zu erhöhen und um hygienische Probleme zu
lösen. Aus eingedolten Bächen haben sich Sammelkanäle entwickelt, die heute
neben Abwasser auch unerwünschtes Bachwasser ableiten.
Die historisch gewachsenen Entwässerungssysteme verstehen wir nur, wenn
wir auch die natürlichen Entwässerungssysteme, so wie sie in alten Karten dar-
gestellt sind, verstehen.

14.2 Grundlagen
In Europa hat sich die Schwemmkanalisation als Transportsystem vorerst für
Fäkalien, dann aber auch für andere unerwünschte Stoffe in Siedlungen soweit
durchgesetzt, dass wir uns fast kein anderes Entsorgungskonzept mehr vorstellen
können. In Japan wird noch heute ein grosser Teil der Fäkalien in Behältern als
sogenannter "night soil" gesammelt und zentral, z.B. in Kompostierungsanlagen
entsorgt. Ein ähnliches "Kübelsystem" kannte auch die Stadt Zürich, wo die
Schwemmkanalisation erst nach 1923 konsequent eingeführt wurde. In den
dünnbesiedelten Regionen der USA und vielen ärmeren Ländern wird häufig die
ganze Abwasserbehandlung und -versickerung direkt auf dem Grundstück ange-
ordnet, sodass sich der Bau von öffentlichen Kanalnetzen erübrigt. Möglich, dass
wir auch in Europa die aufwendige und komfortable Lösung der zentralen
Schwemmkanalisation nicht für immer aufrechterhalten können. Vereinzelt wer-
den bereits Alternativen entwickelt; ein neues, ressourcenschonendes, wirt-
schaftliches und vergleichbar komfortables Verfahren ist aber noch nicht er-
kennbar.
220 14 Entwässerungsverfahren

Abwasser können wir sowohl in Druckleitungen (bei voller Füllung) als auch
in Freispiegelleitungen (bei Teilfüllung) abführen. Der Abfluss mit freiem Spie-
gel hat eine Reihe von Vorteilen:
- Das Abwasser wird mit Sauerstoff versorgt, es bleibt "frisch" und Geruch-
sprobleme werden verringert.
- Als Folge von variabler Wassermenge verändern sich die Fliessgeschwindig-
keiten weniger, das verringert die Sedimentation.
- Das Abwasser kann ohne Pumpen aus den Liegenschaften in den Kanal ein-
geleitet werden.
- Die Kanäle sind auch im Betrieb für den Unterhalt zugänglich. (Während
Wasserversorgungsleitungen abgestellt werden können, ist das bei Abwas-
serleitungen nur bedingt möglich.)
Wenn genügend Gefälle verfügbar ist, werden Druckleitungen für Abwasser
nur selten ausgeführt. Gelegentlich werden Sonderformen von Entwässerungs-
systemen mit geringen Leitungsdurchmessern eingesetzt. Dabei wird das Abwas-
ser meist vorbehandelt und ansebliessend mit Druckluft oder Vakuum durch die
Leitungen gefördert.
Aus Siedlungen müssen Abwässer mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften
abgeleitet werden:
- Unbelastetes Fremdwasser, das gleichmässig über den ganzen Tag anfällt.
Dieses Wasser sollte möglichst nicht in die Schmutzwasser-Kanalisation ge-
langen und die Kläranlagen belasten.
- Belastetes Abwasser aus Haushaltungen, Industrie und Gewerbe, das entspre-
chend den menschlichen Aktivitäten einem starken, aber regelmässigen und
voraussehbaren Tagesgang unterworfen ist. Dieses Abwasser muss einer
Kläranlage zugeführt werden. Es ist hygienisch bedenklich und mit hohen
Konzentrationen von Schmutzstoffen belastet.
- Regenwasser, das je nach den Verhältnissen im Einzugsgebiet und in der
Kanalisation (Sedimente, Ablagerungen) mehr oder weniger mit Schmutz-
stoffen belastet ist. Dieses Wasser muss in der Regel nur einer einfachen
Reinigung zugeführt werden, bevor es in die Gewässer eingeleitet werden
darf. Bei Regen ist der Abwasseranfall, der abgeleitet werden muss, bis 100
Mal grösser als bei Trockenwetter.
- Schneeschmelzwasser, das über lange Zeit mit geringen Temperaturen anfällt
und Schutzstoffe und Tausalze von den Strassen mitführt.
Um den verschiedenen Qualitäten von Abwasser und den lokalen Anforde-
rungen und geschichtlichen Gegebenheiten gerecht zu werden, wurden verschie-
dene Entwässerungsverfahren entwickelt. Hier werden nur das Mischsystem und
das Trennsystem diskutiert.

14.3 Mischsystem
Das Mischsystem ist das historisch gewachsene Entwässerungsverfahren, das
v.a. in den älteren Siedlungen zur Anwendung kommt. Es kennt nur ein Kanalsy-
stem, in dem alle Abwässer abgeleitet werden.
14.4 Trennsystem 221

Industrie- und Gewerbe-Abwasser

Strassenentwässerung
Regen- und Grundwasser
historisch: Brunnen- und Bachwasser

Abb.14.1. Schematische
Darstellung der Elemente
Vorflut eines Mischsystemes

Im Mischsystem werden Schmutz- und Regenwasser in einem gemeinsamen


Kanalsystem als Mischwasser abgeleitet (Abb. 14.1 ), bei Trockenwetter ist der
Kanalquerschnitt nur wenig ausgenützt. Erst bei starken Niederschlägen ist das
Profil gefüllt. An geeigneten Stellen, in der Nähe eines Vorfluters, werden daher
Mischwasserüberläufe erstellt, die ab einer kritischen Regenintensität rkri, einen
Teil des Mischwassers ungereinigt (oder nur wenig, in Regenüberlaufbecken
gereinigt) entlasten. Nach moderner Auffassung soll Regenwasser und Brunnen-
wasser möglichst an der Quelle versickert werden (Tabelle 14.1 ), während
Bachwasser nicht in Kanlisationen eingeleitet werden darf.
Eine allfällige Reinabwasserleitung kann unbelastetes Abwasser direkt einer
Vorflut oder besser einer Versickerung zuführen. Sie wird unter günstigen Um-
ständen als Erweiterung erstellt, um den Mischwasserkanal von Fremdwasser
und Reinabwasser zu entlasten.

14.4 Trennsystem
Im Trennsystem werden Schmutzwasser und Regenwasser in getrennten Kanälen
abgeleitet (Abb. 14.2). Die Schmutzwasserleitungen mit geringem Durchmesser
liegen im Strassenquerschnitt tiefer als die Regenwasserleitungen, um auch Kel-
ler entwässern zu können. Da historisch bedingt die tiefliegenden Schmutz-
wasserleitungen auch Drainagewasser aufnehmen und z.T. Garagenzufahrten
entwässern müssen, wird für deren Bemessung ein Zuschlag zum maximalen
Trockenwetterabfluss von typischerweise 100% gemacht.
Die Regenwasserableitungen mit grossem Durchmesser liegen in der Regel
höher als die Schmutzwasserkanäle und nehmen Dachwasser, Strassenwasser,
Sickerwasser und ev. Bachwasser auf und leiten dieses meist direkt, oder seltener
über Rückhaltebecken oder Regenklärbecken, in die Vorflut.
In Tabelle 14.1 ist zusammengestellt, welche Art Abwasser in den Entwässe-
rungsverfahren an die verschiedenen Abwasserleitungen angeschlossen werden
soll und muss.
222 14 Entwässerungsverfahren

Regenwasserkanal

Häusliche Abwässer
Industrie- und Gewerbe-Abwasser

Strassenentwässerung
Regen- und Grundwasser
Brunnen- und früher Bachwasser

-......;~ Versickerung

Regenwasserrückhalt
Regenwasserreinigung
Abb. 14.2. Schematische
Darstellung der Elemente
Vorflut eines Trennsystemes

Tabelle 14.1. Grundsätze ftir die Entwässerung von Grundstücken (gilt nicht ftir Grundwasser-
schutzzonen und -Areale). Aus VSA, GEP Richtlinie 1989

Trennsystem Mischsystem
Schmutz- Regen- Versi- Misch- Rein- Versi
wasserkanal ckerung wasserkanal ckerung
Schmutzabwasser:
Haushaltungen, Gewerbe, Industrie ++ - - ++ - -
Regenwasser:
-Dächer - -1- + -1- - a) +c)
-Zufahrten, Wege, Parkplätze - -1- + -1-
_a) +d)
b) e) e) e) e) e) e)
- Umschlagplätze und Arbeitsflächen
Reinabwasser ( Fremdwasser):
_a)
- Brunnen- und Sickerwasser - -1- + -1- +
- Grund- und Quellwasser - -1- + - a) -1- +
- Kühlabwasser - -1- + - -1- +
Legende:
Nicht gestattet
-1- Nur gestattet, wenn die Versickerung auf Grund der hydrogeologischen Verhältnisse,
der Versehrnutzung des Abwassers, der Havarierisiken etc. nicht möglich ist.
+ Anzustrebende Lösung
++ Anschluss ist obligatorisch
a> Nur für kleine Wassermengen, mit besonderer Bewilligung gestattet.
b) Bei wassergefährdenden Flüssigkeiten nach der entsprechenden Verordnung
c) Wenn möglich oberflächliches Versickernlassen, sonst Versickerungsanlage
d) Oberflächliches Versickernlassen
e)
Entwässerungskonzept nach Norm für die Liegenschaftsentwässerung

Beispiel 14.1. Vergleich Mischsystem I Trennsystem


Was sind wichtige Vor- und Nachteile eines Trenn- (TS) respektive eines Mischsystems
(MS)?
14.5 Qualifiziertes Trennsystem 223

Kosten: Neue TS sind häufig teurer als neue MS, da zwei Kanalnetze erstellt werden
müssen. Heute werden aber bestehende Netze erweitert, bei Kapazitätsengpässen in
untenliegenden Kanälen können ev. Erweiterungen im TS billiger werden, da in nahelie-
gende Gewässer eingeleitet werden kann.
Klliranlage: Im MS gelangt mehr Abwasser auf die Kläranlage und die Betriebs-
bedingungen variieren als Folge von Regenereignissen stark. Heute bestehen aber fast
keine reinen MS oder TS, sodass sich auf der Kläranlage in der Realität kein messbarer
Unterschied ergibt.
Unterhalt: Beim MS müssen zusätzlich zum Kanalsystem Regenbecken betrieben wer-
den. Beim TS müssen zwei Kanalnetze unterhalten werden. Der Anschluss von Liegen-
schaften im TS muss strikte kontrolliert werden. Fehlanschlüsse führen zu hydraulischer
Überlastung der Schmutzwasserkanäle oder einer Verunreinigung der Gewässer durch
die Regenwasserkanäle.
Gewässerbelastung: Es ist kaum möglich die unterschiedliche Bedeutung der Gewässer-
belastung zu interpretieren. Bei schwachen Regen wird im MS alles Abwasser über die
Abwasserreinigungsanlage geleitet, im TS wird häufig Regenwasser unbehandelt einge-
leitet. Dafür muss bei stärkeren Regen im MS mit verschmutztem Abwasser vermischtes
Mischwasser unbehandelt eingeleitet werden.
Folgerung: Beide Systeme können unter vielen unterschiedlichen Randbedingungen als
gleichwertig betrachtet werden. Die Unterschiede sind marginal, die Wahl ergibt sich auf
Grund von wirtschaftlichen und technischen Gesichtspunkten. Nur selten führen die Er-
fordernisse des Gewässerschutzes zwingend zur Wahl des einen oder des anderen
Systems.

Beispiel 14.2. Bedeutung von Fehlanschlüssen


Eine Siedlung wird im Trennsystem entwässert. Die Abwasserreinigungsanlage hat für
viele Schmutzstoffe einen Reinigungseffekt von > 95%. Ca. 2 o/o des Schmutzwassers
werden durch Fehlanschlüsse über den Regenwasserkanal abgeleitet (jedes 50. Haus).
Wie gross ist die Restbelastung der Vorflut?
98 o/o des Schmutzwassers werden bei Trockenwetter über die Kläranlage abgeleitet,
davon werden 95 o/o zurückgehalten. Dazu kommen 2% der Schmutzstoffe, die ungerei-
nigt in die Vorflut gelangen. Also: Restbelastung = 0.98 · (1- 0.95) + 0.02 · (1 - 0.0) = 7 %.
Ein Mischsystem hätte eine Restbelastung von 5 o/o.
Welcher Anteil dieser Restbelastung wird durch die Fehlanschlüsse verursacht?
Anteil aus Fehlanschlüssen =Fehlanschlüsse I Restbelastung =2 o/o /7 o/o =30 %.

14.5 Qualifiziertes Trennsystem


Muss z.B. in einem bestehenden Mischsystem die Transportkapazität von Ab-
wasser erhöht werden, so kann der bestehende Mischabwasserkanal durch einen
Regenwasserkanal ergänzt werden. Regenwasser kann nun je nach seiner erwar-
teten Belastung mit Schmutzstoffen entweder in Richtung Kläranlage (z.B. Re-
genwasser von stark verschmutzten Arbeitsflächen und stark befahrenen Stra-
ssen) oder in Richtung Vorflut (Dachwasser, Reinwasser) geleitet werden. Da
nun fallweise entschieden werden muss, in welches System das Regenwasser
eingeleitet wird, spricht man von einem qualifizierten Trennsystem.
Ohne eine gute baupolizeiliche Überwachung muss bei solchen Systemen mit
Fehlanschlüssen gerechnet werden.
224 14 Entwässerungsverfahren

14.6 Reale Systeme


Kaum je konnte ein ganzes Kanalsystem "auf der grünen Wiese" neu gebaut und
"aus einem Guss" konzipiert werden. Die meisten bestehenden Systeme enthal-
ten Teile, die im Mischsystem und Teile, die im Trennsystem entwässert werden.
Es besteht die Tendenz, dass in älteren Quartieren das Mischsystem vorherrscht,
während in neuen wo immer möglich und (wirtschaftlich) sinnvoll ein Trennsy-
stem realisiert wird.
In der Schweiz werden heute ca. 75% der Siedlungsgebiete im Mischsystem
entwässert, im Rest herrscht das Trennsystem vor.

14.7 Alternative Systeme


In Spezialfällen werden Siedlungen durch Vakuumsysteme (Transport des Ab-
wassers durch Vakuum) oder Drucksysteme (Transport des Abwassers durch
Druckleitungen, die sich oft selber entleeren, ev. unterstützt durch Druckluft)
entwässert. Solche Systeme kommen v.a. für kleine Siedlungsgebiete zur An-
wendung. Dabei wird darauf geachtet, dass ein striktes Trennsystem eingerichtet
wird, und das Regenwasser örtlich versickert oder eingeleitet werden kann.
In einigen Entwässerungssystemen wird das Abwasser am Entstehungsort
vorbehandelt (Sedimentation, Abwasserfaulraum, Kapitel 23.1, Seite 367) und
dann über grössere Distanzen (bis 1000 m für Einzelliegenschaften) über dünne
Schläuche (65- 80 mm) in eine öffentliche Kanalisation abgepumpt. Solche
Schläuche werden, wenn immer möglich, direkt ab Rolle, mit Hilfe von speziel-
len Pflügen, ohne offene Gräben, in den Boden eingebracht.

14.8 Flankierende Massnahmen


Heute werden in Ergänzung zur konventionellen Entwässerung viele zusätzliche
Möglichkeiten diskutiert. Diese müssen meist im Bereich der Liegenschaften, d.h.
an der Quelle, realisiert werden.
Ein Grossteil der Siedlungsflächen in Nordeuropa wird im Mischsystem entwäs-
sert, sodass fast alle Entwässerungssysteme bei Regen Mischwasser ableiten.
Weil Mischwasser nicht ungereinigt einer Nutzung zugeführt werden kann, muss
eine Verringerung des abzuleitenden Abwassersam Ort der Entstehung gesche-
hen, wo die verschiedenen Abwässer noch nicht vermischt sind:
- Durch Verminderung des Wasserverbrauchs (z.B. durch eine entsprechende
Tarifgestaltung und durch Aufklärung) in Haushaltungen und Betrieben, so-
wie durch Umstellung auf wassersparende Installationen und Herstellungs-
verfahren.
- Durch Verringerung des Fremdwasseranfalles, z.B. indem Reinwasser ver-
sickert (laufende Brunnen) oder anderweitig genutzt wird (Brauchwasserspei-
cher), oder indem undichte Kanäle (Infiltration von Grundwasser) saniert
werden.
- Durch Verringerung des Regenwasseranfalles durch vermehrte Versickerung
von Dachwasser, durchlässige Gestaltung von früher versiegelten Rächen
14.8 flankierendeMassnahmen 225

(z.B. Gittersteine auf Parkflächen), Nutzung von Dachwasser als Brauchwas-


ser, dezentrale Retention (eingestaute Flachdächer und Parkflächen) etc.
Leider sind viele dieser Massnahmen heute noch teurer als eine effizient ge-
staltete Entwässerung, und sie schränken uns in unseren Komfortansprüchen ein.
In Zukunft werden wir aber vermehrt in diese Richtung denken und arbeiten
müssen.

Beispiel14.3. Ursachenbekämpfung in der Regenwasserableitung


Mit welchen Massnahmen können die Parameter des Fliesszeitverfahrens so verlindert
werden, dass die resultierende Menge des maximal abzuleitenden Regenabwassers
möglichst gering wird?
Gl.(14.1) enthält die massgebenden Parameter des Fliesszeitverfahrens:

(14.1)

Die Anlaufzeit t.. können wir vergrössern, indem wir Dächer begrünen (Abb. 16.2) und
lokale Retentionsanlagen einrichten (Einstau von Flachdächern und Parkplätzen), da-
durch wird die massgebende Regenintensität r verringert.
Die massgebende Jährlichkeil z können wir verringern, indem wir gezielt Überschwem-
mungen von offenen Feldern und Parkplätzen zulassen.
Die Flächenanteile 1; können wir verringern, indem z.B. Dächer an Versickerungsanlagen
angeschlossen werden.
Den Abflussbeiwert von Teilflächen a1 können wir durch geeignete, durchlässige Gestal-
tung von Oberflächen verringern (durchlässige Kiesbeläge, Rasengittersteine etc.).
15 Mischwasserbehandlung

Mischwasser soll so in die Gewässer eingeleitet werden, dass diese nicht nach-
teilig beeinflusst werden. Dazu sind Konzepte erarbeitet worden, die mit den
anfallenden Regenwassermengen, je nach deren Häufigkeit, unterschiedlich
verfahren. Hochwasserentlastungen und Regenüberlaufbecken sind die haupt-
sächlichen Bauwerke.

15.1 Problemstellung
Während Regenereignissen sind die Abwasserreinigungsanlagen häufig hydrau-
lisch überlastet, es muss wenig behandeltes oder unbehandeltes Mischwasser aus
der Kanalisation in die Gewässer entlastet werden. Das kann zu Problemen füh-
ren. Wir unterscheiden zwischen der Beeinflussung der Qualität (stoffliche und
hygienische Belastung der Gewässer) und der Quantität (Erhöhung der Häufig-
keit von Spitzenabflüssen). In Tabelle 15.1 sind einige Zusammenhänge aufge-
zeigt.

Tabelle 15.1: Ursachen und Lösungsansätze flir Gewässerschutzprobleme als Folge von Regen-
ereignissen
Beeinträchtigung Art der Belastung Mögliche Technologien
Qualitative Beeinträchtigungen
Baden, Pathogene Keime Feinsiebung, Desinfektion,
Sport mit Wasserkontakt Schwimmstoffe, Trübung, Speicherung I Sedimentation
Leben im Gewässer Ammoniak (NH3), Sedimente, Speicherung I Sedimentation
toxische Stoffe, Sauerstoffbe- Feinsiebung
darf
Eutrophierung von stehen- Eintrag von Nährstoffen, insbe- Speicherung I Retention
den Gewässern sondere Phosphor Ableitung über ARA
Ästhetik Grobstoffe, Schwimmstoffe, Siebe, Wirbelabscheider, Spei-
Sedimente cherung I Sedimentation
Quantitative Beeinträchtigung
Störung des Lebensraumes Häufiger Geschiebetrieb als Rückhalt und verzögerte Ablei-
im Fliessgewässer Folge von erhöhtem Abfluss tung, andere Einleitstelle

Um ein Gewässerschutzproblem einer sinnvollen Lösung zuzuführen, muss


vorerst das Problem genau definiert werden. Da Messungen und Beobachtungen
während Regenereignissen mit geringen Häufigkeiten kaum verfügbar sind, ist
diese Problemidentifikation ohne Modellüberlegungen kaum möglich. Heute
kann das Entwässerungsverhalten von ganzen Einzugsgebieten im langjährigen
228 15 Mischwasserbehandlung

Abb. 15.1. Das Konzept zur Ableitung des Regenwassers bei unterschiedlich intensiven Regen.
= =
Details sind im Text erklärt. HWE Hochwasserentlastung, KÜ Kanalüberlauf, RÜB Re- =
genüberlaufbecken,.ARA = Abwasserreinigungsanlage

Verlauf, mit umfangreichen Modellen, simuliert und die Resultate statistisch


ausgewertet werden. Dieses Vorgehen hilft, unterschiedliche Lösungsmöglich-
keiten gegeneinander abzuwägen. Hier kann nicht in die Grundlagen und den
Gebrauch von solchen Modellen eingeführt werden.

15.2 Konzept der Mischwasserbehandlung


Seit Mitte der 60er Jahre ist in Mitteleuropa ein Konzept zum Umgang mit
Mischwasser erarbeitet worden, das heute in vielen Siedlungen einheitlich zur
Anwendung kommt: Der doppelte Trockenwetteranfall des Abwassers wird über
die Abwasserreinigungsanlage geleitet. Zusätzliches Mischwasser wird entlastet
und in Regenüberlaufbecken z.T. zurückgehalten oder geklärt. Nur sehr selten
wird über Hochwasserentlastungen unbehandeltes Mischwasser direkt in die
Vorflut entlastet.
In Abb. 15.1 ist das Konzept der Regenwasserbehandlung in einem einfachen
Mischsystem dargestellt. Die Kläranlage reinigt den Mischwasseranfall bis zur
doppelten Abwassermenge, die während der Tagesspitze an einem Trockenwet-
tertag anfallt (QARA =2 QTW, 0). Diese Wassermenge entspricht vielen schwachen
Regen (s. Beispiel 15.1). Mittlere Regen füllen die anfänglich leeren Regen-
überlaufhecken (RÜB) 8, sie sind aber zu kurz, um die Becken zum Überlaufen
zu bringen. Das Wasser, das in den Becken gespeichert wurde, wird nach dem
Abklingen des Regens z.B. mit einer Pumpe der Kläranlage zur Reinigung zu-
geleitet 0. Stärkere und längere Regen bringen soviel Wasser, dass die Regen-
becken überlaufen und Mischwasser entlastet werden muss 0. Nun kann nicht
mehr alles Mischwasser auf die Kläranlage geleitet werden, ein Teil der
Schmutzstoffe des entlasteten Mischwassers bleibt aber im Regenüberlaufbecken
zurück. Bei extrem intensiven Regen (r > rkri) wird Mischwasser an den Regen-
überlaufhecken vorbeigeleitet e oder in Hochwasserentlastungen 0 direkt in die
Vorflut entlastet. Durch Hochwasserentlastungen kann die erforderliche Trans-
portkapazität der Kanäle, die im Extremfall nur während wenigen Minuten alle
10 Jahre effektiv beansprucht wird, in den nachfolgenden Kanälen verringert
werden.
In Abb. 15.2 ist die Summenhäufigkeit der Regenintensität für das Schweize-
rische Mittelland aufgetragen. Horizontale Linien bezeichnen, ab welcher Inten-
15.2 Konzept der Mischwasserbehandlung 229

RegenintensHät in i s·1 ha-1

30

15
...

1~------- 95% i ungareinigt


entlastet

Hochwasserentlastung

lmRegenübe~au~ecken
teilweise geklärt
15

Regenhö:le
in %
10
t---1~--- 60% 2 0-rw = Kanalüberlauf

___/ ~chmutzwasser
~ahresmiltel

0 200 400 600 800 1000 8760


Stunden pro Jahr

Abb. 15.2. Summenhäufigkeitsverteilung der Regenintensität im Schweizerischen Mittelland


und typischer Abwasseranfall bei Trockenwetter. Die horizontale Unterteilung schneidet die
abfliessende Wassermenge in die Bereiche, die einer Kläranlage zugeführt werden, die über ein
Regenüberlaufbecken geleitet werden oder die über Hochwasserentlastungen in die Vorflut
eingeleitet werden

sität und wie lange pro Jahr die verschiedenen Betriebszustände, die in Abb. 15.1
dargestellt sind, erwartet werden müssen. Während 8500 h a·' (=97% der Zeit)
reicht die hydraulische Kapazität (2 QTW) der Kläranlage aus. Die Regenüber-
laufbecken sind ca. 250 h pro Jahr im Betrieb (< 3%) und überlaufen nur wäh-
rend ca. 50 h im Jahr (<1% ). Nur während wenigen Stunden pro Jahr muss
Mischwasser über Hochwasserentlastungen unbehandelt entlastet werden (=0.1%
der Zeit). Die letzte Grenze, die Schluckfähigkeit der Einlaufschächte und der
Dachrinnen, wird nur noch während Minuten alle 10 Jahre überschritten und ist
kaum mehr von Belang.

Beispiel15.1. Regenintensität, die durch die Abwasserreinigungsanlage geleitet wird


Wie gross ist die mittlere Regenintensität, bei der eine Kläranlage typischerweise hydrau-
lisch überlastet wird, wenn sie den doppelten Trockenwetteranfall hydraulisch verarbeiten
kann?
Annahmen: Einwohnerdichte 200 Einwohner ha,ed·1
Abwasseranfall 0.4 m3 E-1 d-1 im Mittel inkl. Fremdwasser
0.008 I s·1 E.1 Tagesspitze bei Trockenwetter
Die hydraulische Kapazität der Kläranlage entspricht dem doppelten maximalen Trocken-
wetteranfall:
QARA =200 E ha,ed·1 · 0.008 I ·1 ·1
s E · 2 = 3.2 I s ha,ed
·1 ·1

3 ·1 ·1 ·1 ·1
Der mittlere Abwasseranfall beträgt 200 · 0.4 = 80 m d ha,ed entsprechend 0.9 ls ha,ed .
Damit verbleiben im Durchschnitt 3.2 - 0.9 = 2.3 I s·1 ha,ed· 1 für das Regenwasser.
Da die Abflussbeiwerte und damit die reduzierte Fläche für extrem starke Regen ge-
schätzt werden, wird bei geringen Regenintensitäten der effektive Regenwasserabfluss
230 15 Mischwasserbehandlung

Speichervolumen bis zum Anspringen


des Überlaufes in m3 ha·1red
30 '10 5 Jährlicher Überlauf in
20 % des Regenabflusses
30

/ ÜberlaufhäufigkeR I Jahr

10

Bereich der Hoch-


wasserentlastungen
0
0 10 20 30 40 50
Maximal abgeleRete Regenintensität beim
Anspringen des Überlaufes in l s·t ha·1
Abb. 15.3. Jahresbilanz der Entlastungsmengen im Schweizerischen Mittelland. Die Speiche-
rung wird der Kapazität der Ableitung gegenübergestellt. In Regenüberlaufbecken dominiert
die Speicherung, in Hochwasserentlastungen die Ableitung (Munz, EAWAG)

stark überschätzt (s. Beispiel13.1). Die Kläranlage wäre daher je nach Regendauer und
Temperatur erst bei Regenintensitäten überlastet, die> 31 s·1 ha·1 sind.

In Abb. 15.3 sind einige Kenngrössen für das Zusammenspiel von Entlastung
und Speicherung in der Jahresbilanz des Mischwassers im Schweizerischen Mit-
telland zusammengestellt. Diese Abbildung kann wie folgt gelesen werden:
Eine Hochwasserentlastung, die bei einer kritischen Regenintensität von
=40 1 s·1 ha· 1 anspringt und der kein Speichervolumen im Kanalnetz zuge-
r~u~,
ordnet ist, springt ca. 20 mal pro Jahr an (Punkt 0). Dabei gelangen zwischen
5 und 6% des abtliessenden Regenwassers in die Vorflut. Da insgesamt ca.
830 mm Niederschlag pro Jahr zum Abfluss gelangen, sind das 0.06 ·
8300 =500 m 3ha..,/a·t, während ca. (1-0.06) · 8300 =7800 m 3ha,e/a· 1 in
Richtung Kläranlage weitergeleitet werden.
Ein Regenbecken mit einem spezifischen Inhalt von 20 m 3 ha..,/, das bei einer
Regenintensität von 4 1s· 1 ha·1 (nach Füllung) entlastet, überläuft zwischen 20
und 30 mal pro Jahr (Punkt 8). Dabei werden ca. 25% (2100 m 3ha·1n:da.1} des
Regenwassers der Vorflut zugeleitet, während in der Jahresbilanz ca. 75%
des Abflusses (6200 m3 ha· 1 ra~a. 1 ) zur Kläranlage weiterfliesst und dort behan-
delt wird.

Beispiel15.2. Wirkung einer Hochwasserentlastung


Unterhalb eines Einzugsgebiets in Zürich, mit einer Fläche von F = 10 ha und einem
Abflussbeiwert 'I' = 0.5 soll eine Hochwasserentlastung angeordnet werden, die bei einer
kritischen Intensität von rkm = 30 I s·1 ha·1 entlastet. Die Anlaufzeit beträgt t". = 5 min und
die Fliesszeit beträgt tF = 5 min. Es wird eine Jährlichkeil von z = 10 a berücksichtigt.
Wie gross ist die erforderliche Transportkapazität QRo für Regenwasser oberhalb der
Entlastung?
15.2 Konzept der Mischwasserbehandlung 231

Gesamtniederschlagshöhe in mm
20

15

L2.::_:=J--:======
Einzelereignis ohne HWE, mit Beckenübertauf (BÜ)
10
Regenuber1aulbecken
5 Ableitung zur ARA

0 t:===::L===:::::i====j Kanalisation füllen


Mulden, Wasserfilm

0 2 3
Dauer des Regens (h)
Abb. 15.4. Schematische Darstellung der Anlaufverluste, der Retention und der Ableitung zur
Abwasserreinigungsanlage im linearen Punktediagramm der Einzelregen (s. Abb. 13.6). Einge-
zeichnet sind zwei Einzelregen, je mit und ohne Verlust von Mischwasser über die Hochwasser-
entlastung

rzünch(10 min, 10 a) =53131 (10 + 8) =2951 s·1 ha·1 • (Tabelle 13.1)


3 ·1
QRo = F · 'I' · rZürich = 10 · 0.5 · 295 I 1000 = 1.48 m s
Wie gross ist die erforderliche Transportkapazität QRu für Regenwasser unterhalb der
Entlastung?
3 ·1
ORu = F · 'I' · rkrit = 10 · 0.5 · 30 I 1000 = 0.15 m s
Durch die Hochwasserentlastung kann die Transportkapazität der Kanalisation für Re-
genwasser ca. um den Faktor 10 reduziert werden, z.B. kann an Stelle einer Kanalisation
mit 0 1 m im Zulauf, bei gleichem Gefälle im Ablauf ein Rohr mit 0 0.4 - 0.5 m eingesetzt
werden.
Da Hochwasserentlastungen Wassermengen nicht genau abtrennen können, wird bei
maximalem Zufluss (QRo maxl nach der Entlastung meist etwas mehr als die hier berech-
nete Menge QRu weitergeleitet. Die Details sind abhängig von der Gestaltung der Ent-
lastung.
Nach Abb. 15.3 wird diese Entlastung< 30 Mal pro Jahr anspringen und es gehen ca. 8%
des Regenwassers über diese Entlastung verloren.

Im linearen Punktediagramm der Einzelregen (Abb. 13.6) können Anlauf-


verluste, Retention und Speicherung sowie die Ableitung von Abwasser zur
Kläranlage dargestellt werden (Abb. 15.4). Zusammen mit den Regenereignissen
nach Abb. 13.6 kann dieses Bild den Überblick über die Häufigkeit der unter-
schiedlichen Ereignisse vermitteln.

Beispiel15.3. Interpretation des linearen Punktediagrammes


Dieses Beispiel zeigt, wie Abb. 15.4 interpretiert oder angewendet werden kann:
Ein Regen dauert 2 h und hat insgesamt eine Niederschlagshöhe von H101 = 10 mm (=
100m3 ha·\
Insgesamt ergeben sich die folgenden Speichervolumina:
232 15 Mischwasserbehandlung

3 ·1
1. Muldenverluste: 1 mm = 10m3 ha_,red
2. Kanalvolumen bei Entlastung: 2.5 mm = 25 m ha red
3. Volumen von Regenüberlaufbecken: 2 mm = 20 m3 ha·1red
Der Ablauf von Regenwasser in Richtung Kläranlage beträgt 2.31 s·1 ha·1red (s.
Beispiel 15.1) oder während der Regendauer:
·1 ·1 -4 ·1
2.31 s ha red· 7200 sec· 10 mm ha I = 1.7 mm.
Die entlastete Regenwassermenge beträgt:
Hentiastet =H,ot-Hspeicher-HAI>IIuss =10- (1 + 2.5 + 2)- 1.7 =2.8 mm oder28m
3 ·1
h~ .
Vom Regenwasser, das insgesamt auf undurchlässige Flächen gefallen ist, verbleiben
also 10% in Mulden, 45% werden im Kanalsystem (Kanäle und Becken) zurückgehalten
und verspätet abgeleitet, 28% werden in die Vorflut entlastet und 17% werden während
des Regens zur Kläranlage abgeleitet. (Diese Berechnung berücksichtigt nicht, dass
variable Regenintensität die Situation ev. leicht verändern könnte, dass zusätzlich Was-
ser verdunsten und versickern kann, und dass der Abflussprozess länger als der Regen
dauert.)

15.3 Auswirkungen der Mischwasserbehandlung


In der Schweiz kommt heute ein einheitliches Konzept zur Behandlung von Re-
genwasser zur Anwendung, das auf die ,,Empfehlungen für die Bemessung und
Gestaltung von Hochwasserentlastungen und Regenüberlaujbecken" des Eidg.
Amts für Umweltschutz (heute BUWAL) vom Juli 1977 zurückgeht. In diesen
Empfehlungen wird ein Überlaufkennwert U eingeführt, der die örtlichen Gege-
benheiten an der Einleitstelle von Entlastungen berücksichtigt: Mit zunehmen-
dem Wert U nimmt auch der Schutz des Vorfluters zu. Dabei sprechen z.B. ge-
ringe Wasserführung des Vorfluters, Einleitungen an Quaipromenaden und in
Naturschutzgebieten oder oberhalb von Badeplätzen für erhöhte Anforderungen.
Im Einzugsgebiet von Seen, in denen auch weitergehende Phosphorelimination
bei Trockenwetter gefordert wird, wurden z.T. die Anforderungen generell er-
höht.
Technisch führt ein zunehmender U Wert zu einer grösseren kritischen Re-
genintensität rlai,, bei der Hochwasserentlastungen anspringen oder zu einem
grösseren spezifischen Speichervolumen der Regenüberlaufbecken.
Es ist heute kaum möglich, den direkten Nutzen von Mischwasser-Rückhalte-
massnahmen für die Gewässer zu quantifizieren: Einerseits ist es schwierig zu
berechnen, welchen Anteil der Schmutzstoffe die Regenbecken zurückhalten,
andererseits wissen wir kaum, was die zurückgehaltenen Schmutzstoffe für die
Umwelt bedeuten. Da zurückgehaltenes (gespeichertes) Mischwasser ja vorerst
noch einer Behandlung zugeführt werden muss und ansebliessend nur teilweise
gereinigt wieder in die Umwelt zurückgeleitet wird, kann nur eine Betrachtung
des gesamten Systemes (Einzugsgebiet, Entlastung, Rückhalt, Reinigung, Ein-
leitstellen von Entlastung und Kläranlage etc.) weiterhelfen.

15.3.1 Fallbeispiel Regenüberlaufbecken


In Abb. 15.5 ist die experimentell bestimmte Jahresbilanz für den Rückhalt von
partikulären Stoffen (TSS) für ein Regenüberlaufbecken dargestellt. Dieses Be-
cken hat ein grosses spezifisches Volumen von 30 m3ha·1..., (typisch sind < 20
m3ha·1...,). Die Jahreskosten solcher Becken betragen ca. Fr. 50.- m·3Becken a·1• In
15.3 Auswirkungen der Mischwasserbehandlung 233

--r~r-f:·::~-:~:::=~---­
l.r,~- ~M
I
!
~
L.................................................................~.?.Q........l
............................................ ·······:
350

[_ _ _=:::::=-----"
Abb. 15.5. Jahresbilanz der suspendierten Stoffe (TSS) für ein Regenüberlaufbecken und die
nachfolgende Kläranlage. Das Becken hat ein spezifisches Volumen von 30 m3 hared- 1. Die
Vorflut

Angaben sind in kg TSS ha- 1red a- 1• Die Angaben basieren auf einer Messkampagne (BUWAL
1984). Als Regenwetter (260 h a· 1) wird die Zeit berücksichtigt, während der Mischwasser ins
Regenüberlaufbecken entlastet werden muss

diesem Becken werden 30 m3Mischwasser m·3Becken a· 1 und 8 kgTss m· 3Becken a· 1 zurückge-


halten. Die spezifischen Kosten betragen demnach Fr. 1.60 m- 3Mischwasser und Fr. 6 .-
kg-\55. Die Rückhaltung ist teurer als die ansebliessende Behandlung in einer
mechanisch biologischen Kläranlage (Fr. 0.30 m· 3Abwasser oder Fr. 1.- kg-\55 ) und
bewegt sich im Bereich der weitergehenden Abwasserreinigung (z.B. Fr. 3.50
kg-\55 in Filtrationsanlagen). Bei weitergehender Abwasserreinigung betrachten
wir heute eine detaillierte Abklärung der örtlichen Bedürfnisse als unumgäng-
lich, bei Massnahmen zur Behandlung von Mischwasser setzen wir dagegen
häufig den Bedarf voraus. Hier ist in Zukunft wohl eine detailliertere Betrach-
tung angebracht.
Betrachten wir die Jahresbilanz des Regenüberlaufbeckens in Abb. 15.5, so
fällt auf, dass im Vergleich zur Abwasserreinigungsanlage das Regenbecken nur
sehr wenig leistet (Elimination von 4150 resp. 240 kgTss ha·\ed a· 1). Zudem kön-
nen diese Stoffe ansebliessend in der Abwasserreinigungsanlage nicht vollum-
fänglich zurückgehalten werden. Ohne Regenbecken würde die Vorflut mit
730 kgTss ha· 1red a· 1 belastet, mit Regenbecken verbleiben noch 530 kgTss ha- 1red a· 1 •
Ob dieser kleine Wirkungsgrad von nur 27% den Aufwand für den Bau und den
Betrieb des Regenbeckens rechtfertigt, ist häufig fraglich. Die ästhetische Situa-
tion an der Einleitstelle (Grobstoffe, Papier, Plastikteile) wird aber deutlich ver-
bessert.
Im Fall des Regenbeckens in Abb. 15.5 liegt die Einleitstelle des Regen-
überlaufes an einem kleinen Gewässer im Einzugsgebiet eines Sees, während die
Einleitung der Abwasserreinigungsanlage an einem grösseren Fluss (dem Ab-
234 15 Mischwasserbehandlung

gDOCm.a gTSS m.a


50 500
40 400
30 300
20 200
10 100
0 0
17 18 19 20 Uhr 17 18 19 20 Uhr
g oocs-1 kgTSSs·1
200 3.0
160 2.5
120 2.0
1.5
80 1.0
40 0.5
0 0
17 18 19 20 Uhr 17 18 19 20 Uhr
Abb. 15.6. Konzentration (oben) und Frachten (unten) von gelösten (DOC) und partikulären
(TSS) Stoffen im Zu- und Ablauf eines grossen Vorklärbeckens (VKB) während eines Regen-
ereignisses. Die schraffierten Flächen stehen für die Konzentrationen und Frachten, die nach
der Vorklärung ohne biologische Reinigung der Vorflut zugeführt wurden (s. Text)

fluss des Sees) liegt. Entsprechend müssen die beiden Restbelastungen unter-
schiedlich beurteilt werden.
Massnahmen zur Behandlung von Mischwasser sollten immer aus den loka-
len Problemen heraus begründet werden und nicht grundsätzlich, nach einheitli-
chem Konzept, landesweit zur Anwendung kommen. Dabei ist das häufigste
Problem die ästhetische Beeinträchtigung des Umfeldes der Einleitstelle durch
Sedimente, Fest- und Grobstoffe. Nur in Ausnahmefällen können Regenüber-
laufhecken ökologisch begründet werden.

15.3.2 Fallbeispiel Vorklärung


Die Vorklärung ist das erste Sedimentationsbecken auf Abwasserreinigungsanla-
gen (Abb. 18.1, Kapitel 19.3). Früher war es üblich, der Kläranlage während
Regen den 3- 5-fachen Trockenwetteranfall zuzuführen und dann nach der Vor-
klärung, vor der teuren biologischen Reinigung, auf den 1.5-fachen Trocken-
wetteranfall zu entlasten. Die Überlegung war, dass so das Mischwasser minde-
stens einer Sedimentation (Entschlammung) zugeführt wird. Die Vorklärbecken
wurden entsprechend grasszügig dimensioniert.
In Abb. 15.6 sind die gemessenen Ganglinien der Konzentrationen von gelö-
sten und partikulären Stoffen im Zu- und Ablauf eines Vorklärbeckens während
einem Regenereignis dargestellt. Die Konzentration der gelösten Stoffe (DOC)
im Zulauf nimmt während des Regens von 18 - 20 Uhr ab, weil das Regenwasser
das Mischwasser verdünnt. Die Konzentration der suspendierten Stoffe (TSS)
nimmt zu, weil die erhöhte Fliessgeschwindigkeit in der Kanalisation die Sedi-
mente ausspült. Nach der Vorklärung muss Wasser entlastet werden, da die bio-
logische Anlage eine hydraulische Kapazität hat, die geringer ist, als diejenige
15.3 Auswirkungen der Mischwasserbehandlung 235

Ammoniumkonzentration im Gewässer in g N m.a


3
2.5
2 \.
"
'
1.5
~
0.5 '"-
0
0 20 40 60 80 100
RegenintensHät in 1. s·1 ha·,
Abb.15.7. Ammoniumkonzentration in kleinen Fliessgewässem: Resultat einer einfachen
Verdünnungsrechnung. Annahmen: Regenintensität, Ammoniumanfall und Wasserführung im
Gewässer sind konstant. Die Abwasserreinigungsanlage reinigt das Mischwasser bis zu 3 I s·1
ha· 1 Regenintensität Die Resultate sind exemplarisch und können nicht auf spezielle Fälle
übertragen werden

der Vorklärung. Das entlastete Wasser entspricht aber dem Abwasser, das vor
dem Regen ins Vorklärbecken eingeleitet wurde. Entsprechend hoch ist seine
Konzentration an gelösten Stoffen. Die entlastete Fracht an gelösten Stoffen ist
nun grösser als die Fracht, die der Anlage zufliesst. Mit anderen Worten, der
Wirkungsgrad für gelöste Stoffe ist negativ, die Umwelt wird als Folge der ge-
wählten Massnahme stärker mit DOC belastet als ohne Massnahmen. Das ge-
wählte Vorgehen hat für partikuläre, sedimentierbare Stoffe den erwünschten
Effekt. Es bleibt die vorläufig unbeantwortete Frage, ob die partikulären Stoffe
oder die gelösten Stoffe in der Umwelt die grössere Bedeutung haben.
Dieses Fallbeispiel zeigt, dass die einseitige Ausrichtung der Massnahmen
auf sedimentierbare Stoffe Nachteile für die Umwelt haben kann. Ohne ein de-
tailliertes Verständnis der Dynamik des ganzen Systems, können keine opti-
mierten Gewässerschutzstrategien erarbeitet werden.

15.3.3 Fallbelspiel Ammonium


Eine Situation, die immer wieder zu ökologischen Problemen führt, ist die fol-
gende: In ein kleines Fischgewässer wird Mischwasser entlastet, das mit Ammo-
nium NH/ belastet ist. Die Kanalisation führt das Regenwasser sehr rasch ab, die
Verdünnungswassermenge im Gewässer nimmt nur langsam zu (entsprechend
den längeren Konzentrationszeiten in den natürlichen Gewässern). Durch die
Entlastung von Mischwasser können sich im Gewässer Ammonium-
konzentrationen ergeben, die je nach pH und Temperatur fischtoxisch sind und
sogar Fischsterben verursachen können.
Durch einfache Verdünnungsrechnungen kann dieses Problem mindestens er-
kannt und erklärt, aber nicht gelöst werden. Das Problem stellt sich insbesondere
bei Regen mit mittlerer Intensität und entsprechend grosser Häufigkeit
(Abb. 15.7):
- Ammonium fällt mit konstanter Fracht an (insbesonde als Teil des Urins) und
wird mit Regenwasser zunehmend verdünnt.
236 15 Mischwasserbehandlung

Bei geringer Intensität wird der grösste Teil des Mischwassers und damit
auch der grösste Teil der Ammoniumfracht in Richtung Kläranlage weiter-
geleitet; das wenige, entlastete Wasser wird durch das Flusswasser genügend
verdünnt.
Bei mittlerer Intensität wird ein grosser Teil der Ammoniumfracht in das
Gewässer entlastet und nur ungenügend verdünnt.
Bei grosser Intensität wird das Mischwasser durch Regenwasser so verdünnt,
dass die resultierende Konzentration (trotz grösserer Fracht) bereits im
Mischwasser nicht mehr bedenklich ist.
Auch dieses Problem kann nur mit einem detaillierten Verständnis und der
Berücksichtigung der ortsspezifischen Gegebenheiten einer sinnvollen Lösung
zugeführt werden.
16 Technik der Siedlungsentwässerung

16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung


In der Siedlungsentwässerung kommen unterschiedlichste Bauwerke zum Einsatz,
deren Aufgabe meistens im Zusammenhang mit Regenereignissen steht. Hier
wird v.a. die Funktion dieser Bauten diskutiert, und es werden einfachste Anga-
ben zur Dimensionierung gemacht.

16.1.1 Liegenschafts- und Strassenentwässerung


Wir unterscheiden zwischen der Gebäude- und der Grundstücksentwässerung.
Während die Gebäudeentwässerung zum grössten Teil von Sanitärinstallateuren
realisiert wird, baut der Baumeister die Grundstücksentwässerung. Die Installa-
tionen für die Entwässerung von Liegenschaften sind weitgehend genormt, und
die Anwendung dieser Normen geschieht häufig unter der Kontrolle der Archi-
tekten. Sofern die Normen eingehalten werden, sind kaum die Details für die
Siedlungsentwässerung von Bedeutung, sondern viel eher die Prinzipien der
Entwässerung. Für Liegenschaften z.B.:
- Wird Dachwasser korrekt versickert?
- Werden bei Trennsystem die Abwässer richtig aufgetrennt (Tabelle 14.1)?
- Werden Parkplätze durchlässig gestaltet oder können sie als Retentionsvolu-
men für Regenwasser dauerhaft genutzt werden? Etc.
Die korrekte Entwässerung von Gewerbe- oder Industriebauten ist anspruchs-
voll. Die Vorbehandlung der Abwässer und der vorgesehene Anschluss der un-
terschiedlichen Abwasserleitungen an die öffentliche Kanalisation muss während
der Bauphase durch die Baupolizei geprüft werden, sonst ist häufig mit Fehlan-
schlüssen zu rechnen. Wenn zusätzlich noch Versickerungs- und Retentionsanla-
gen auf der Liegenschaft betrieben werden, steigen die Anforderungen weiter.
Auch die Entwässerung der Strassen ist weitgehend genormt. Das abgeleitete
Abwasser wird je nach lokaler Situation und Bedeutung der Strasse versickert,
nach einem Abscheider einer Vorflut zugeleitet oder z.B. innerhalb von Siedlun-
gen in die Kanalisation eingeleitet (s. Tabelle 14.1). Neben den Wassermengen
(die mit Abflussbeiwerten erfasst werden) sind für die Siedlungsentwässerung
die Schlammsammler bei den Einlaufschächten von Bedeutung (Abb. 16.1 ). In
diesen sammeln sich Sedimente, die bei intensiven Regen in die Kanalisation
ausgespült werden und dadurch hohe Belastungen hervorrufen. Diese Belastung
des Mischwassers mit Schmutzstoffen hängt weitgehend vom Verkehrsaufkom-
men der Strasse und den Massnahmen zu deren Reinigung ab (Trockenreinigung,
238 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Siphon als
Geruchsverschluss

Abb. 16.1. Schematische Darstellung


eines Strasseneinlaufschachtes

Abb. 16.2. Beispiel eines bepflanzten


Daches

Nassreinigung). Zudem kann sich im Herbst Laub in den Einlaufschächten an-


sammeln, zersetzen und bei nachfolgenden Regen in die Kanalisation verfrachtet
werden. Von Bedeutung kann die Entwässerung von Tunnels werden, insbeson-
dere, wenn darin auch die hochbelasteten Abwasser während der Nassreinigung
abgeleitet werden.
Heute wird der Nutzen der Schlammsammler in Frage gestellt. Historisch,
solange keine Kanalisationen vorhanden waren oder die Strassenbeläge wenig
befestigt waren, waren sie als erste "Kläranlagen" gerechtfertigt. Trotzdem wird
noch heute häufig die Erstellung dieser teuren Bauwerke gefordert.

16.1.2 Retention und Drosselung


Im Bereiche der Liegenschaftsentwässerung wird heute versucht, das abzulei-
tende Regenwasser nur langsam, verzögert zum Abfluss zu bringen. Dazu kom-
men verschiedenste Massnahmen zur Anwendung:
- die wasserspeichernde Bepflanzung von ganzen Dächern (Abb. 16.2),
- der Einstau von Flachdächern und Parkplätzen,
die Gestaltung von Nassbiotopen mit Aufstau,
- die Stapelung von Brauchwasser in Zisternen.
Retention und Drosselung des Regenwasserabflusses im Bereiche der Liegen-
schaften hat zur Folge, dass die maximale Wassermenge in der Kanalisation und
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 239

3r/2

Abb. 16.3. Genormte Profile für Kanalrohre: Links das seltenere Eiprofil, rechts im Vergleich
das häufige Kreisprofil

im nachfolgenden Fliessgewässer vermindert, und die Dauer des Abtliessens


verlängert wird. Dadurch wird mehr Mischwasser einer Reinigung zugeführt.

16.1.3 Kanalisationen
Die Kanäle sind die umfangreichsten Bauwerke der Siedlungsentwässerung. Sie
werden v.a. als Freispiegelleitungen mit genormten Profilen, meist kreisförmig
gestaltet. An ihre Höhenlage werden grosse Anforderungen gestellt, weil die
Entwässerung auch unter Extrembedingungen mit natürlichem Gefälle möglich
sein soll.
Abwasserleitungen werden meistens als Freispiegelkanäle gestaltet. Drucklei-
tungen haben den schwerwiegenden Nachteil, dass bei geringer Wasserführung
die Fliessgeschwindigkeit und damit die Schleppkraft so gering wird, dass Sedi-
mente nicht zu verhindem sind. Zudem fehlt in Druckleitungen der Nachschub
von Sauerstoff, das Abwasser fault und es entstehen am Ende der Drukleitung
Geruchsemissionen. Druckleitungen können kaum im freien Gefälle beschickt
werden, Hausanschlüsse müssten gepumpt werden.
Die Durchmesser der Kanalrohre sind heute für Kreis- und Eiprofile (s.
Abb. 16.3) genormt. Es sollen nur Normgrössen zur Anwendung gelangen, weil
sonst der Unterhalt und der teilweise Ersatz extrem verteuert werden. Nach deut-
schen Richtlinien sollen die nachstehenden Kreisquerschnitte D =2r nicht unter-
schritten werden:
- Schmutzwasserkanal D ~ 0.20 m, vorzugsweise ~ 0.25 m
- Regen- und Mischwasserkanal D ~ 0.25 m, vorzugsweise ~ 0.30 m
Für Leitungen bis zu einem Durchmesser D =0.5 m kommen normalerweise
Kreisrohre zum Einsatz, darüber hinaus je nach besonderen Gegebenheiten auch
genormte Eiprofile oder Sonderprofile. Eiprofile haben den Vorteil, dass bei
Trockenwetter die Abflusstiefe bei Teilfüllung grösser und damit die Fliessge-
schwindigkeit höher ist (Beispiel 16.11 ). Sie bedingen aber eine grössere Bautie-
fe.

Beispiel16.1. Dimensionierungswassermenge der kleinsten Kanalrohre


Wie gross ist die maximale Transportkapazität in einem Kanalrohr, das sowohl die mini-
male Fliessgeschwindigkeit als auch den minimalen Rohrdurchmesser einhält?
240 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Minimale Fliessgeschwindigkeit: Siehe Tabelle 16.3, Seite 267.


Trennsystem, Schmutzwasserkanal:
·1 2 3 ·1
Dmln = 0.2 m, vmin = 0.6 m s und daraus Qmln = v · 1t · D /4 = 0.02 m s
Für den Schmutzwasserkanal entspricht das ca. dem doppelten maximalen Trockenwet-
teranfall von 1000 Einwohnern. Viele Endstränge sind also überdimensioniert.
Mischsystem:
·1 3 ·1
Dmln = 0.25 m, vmln = 0.6 m s Qmin = 0.03 m s .
Bei einer massgebenden Regenintensität von z.B. 250 I s·1 ha·1 entspricht diese
Wasserführung einem Einzugsgebiet von ca. 0.1 h~ oder der Siedlungsfläche von < 50
Einwohnern.
(ln der Praxis kommen die minimal erforderlichen Fliessgeschwindigkeiten vmin bei Teil-
füllung zur Anwendung, d.h. die effektive maximale Leistung ist grösser).

Beisple116.2. Abstufung der genormten Kanalrohre


Die Durchmesser von Kanalrohren, die normalerweise zum Einsatz kommen, nehmen
stufenweise zu. Die Abstufungen in der Leistungsfähigkeit sind z.T. sehr gross, während
sich die Kosten bei gleicher Sohlentiefe nur wenig unterscheiden. Wir können daraus
auch ablesen, dass die Anforderungen an die hydraulische Dimensionierung von Kanali-
sationen nicht allzu gross sind. Das gilt insbesondere auch, wenn wir die Unsicherheiten
bei der Berechnung der anfallenden Wassermengen berücksichtigen.
ln der folgenden Tabelle ist dargestellt, wie mit zunehmendem Durchmesser die Leistung
0"011 und die Kosten zunehmen. Die Annahmen sind: k81ricklor = 85 m113s·1, J 5 = 1%, Nor-
malabfluss. Auffallend ist, dass der minimale Sprung in der Leistungsfähigkeit 40% be-
trägt, während die Kosten nur um 11% zunehmen.
Durchmesser im m O"oll in m s Kosten in Fr m (ungefähr)
0.3 0.10 500
0.4 0.22 600
0.5 0.40 700
0.6 0.66 800
0.7 1.00 900
0.8 1.40 1000
1.0 2.50 1250
Proportional zu D' D.

Kanalisationen werden je nach Aufgabe für unterschiedliche Wassermengen


dimensioniert:
Schmutzwasserkanäle im konsequenten Trennsystem werden häufig für den
doppelten maximalen Trockenwetteranfall bei Tagesspitze dimensioniert,
weil es nicht gelingt, Regenwasser vollumfanglieh aus dem Schmutzwasser-
kanal fernzuhalten und weil Drainagewasser auf Regenereignisse reagiert.
(Hausdrainagen wurden früher häufig an die tiefliegenden Schmutzwasserka-
näle angeschlossen)
- Meteorwasserkanäle oder Regenwasserkanäle im Trennsystem müssen genü-
gend Transportkapazität haben, um auch bei Regenereignissen zu genügen,
die nur einmal alle 2- 10 Jahre auftreten.
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 241

Mitte
- Fahrbahn~ Gehsteig-
r-l-~
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2m
wasser I
·2.70m
3m
Ab·
wasser
4m

Abb. 16.4. Richtlinie des Tiefbauamts der Stadt Zürich für die Anordnung der Werkleitungen
im Strassenquerschnitt

Mischwasserkanalisationen müssen sowohl das Abwasser bei Trockenwetter


mit genügender Schleppkraft ableiten, als auch bei extremen Regenereignis-
sen genügend Kapazität zur Verfügung stellen. Je nach lokalen Gegebenhei-
ten werden Mischwasserkanäle entlastet, sodass die erforderliche Transport-
kapazität reduziert werden kann.

Anordnung von Kanälen im Strassenquerschnitt


Für die Anordnung von Werkleitungen im Strassenquerschnitt bestehen Richtli-
nien, wie sie in Abb. 16.4 dargestellt sind. Für die Abwasserleitungen ist die
tiefste Lage vorgesehen. Das erlaubt die Liegenschaften im freien Gefälle zu
entwässern, verursacht hohe Baukosten und schränkt z.T. die freie Wahl der
Höhenlage ein.

Materialwahl
An das Material, die Muffen, die Dichtungen und die Dichtigkeit von Kanalroh-
ren werden hohe Anforderungen gestellt, die in den einschlägigen Normen aus-
formuliert sind. Eine hohe Lebenserwartung von Kanalisationen ist langfristig
billiger als ein dauernder und aufwendiger Unterhalt und eine bald erforderliche
Erneuerung.
Die Materialien, aus denen Kanalisationsrohre hergestellt werden, sollen ge-
genüber den erwarteten Abwasserinhaltstoffen chemisch beständig und durch
den Transport von Sand nur einem geringen Abrieb unterworfen sein. Tempera-
turschwankungen dürfen sie nicht gefährden. Heute kommen die folgenden Ma-
terialien zum Einsatz:
Normal- und Spezialbeton
- Steinzeug
- Faserzement (früher Asbestzement, Eternit)
- Kunststoffrohrleitungen: Hart PVC (Hartpolyvinylchlorid), Hart PE (Hartpo-
lyäthylen), GUP(glasfaserverstärkte, ungesättigte Polyesterharze)
242 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Auflasten Ver1<ehrslasten, Achslasten

Grundwasser:
Hydrostatischer Druck
und Auftrieb
Rohr: - --\-"""*".-
Eigengewicht Abb. 16.5. Einwirkungen
und Füllung auf Kanalisationen

Diese Materialien unterscheiden sich nach Preis, chemischer Beständigkeit,


Alterung, Abnutzung, Dichtigkeit, Temperaturbeständigkeit etc. Es muss beach-
tet werden, dass nicht allein das Rohrmaterial von Bedeutung ist, sondern genau-
so die Ausbildung der Stossfugen und die Materialien zu deren Abdichtung.
Da der Preis des Rohrmaterials häufig nur einen Bruchteil der Kosten des
eingebauten Rohres ausmacht, aber das Rohrmaterial, zusammen mit der Art der
Bettung des Rohres, weitgehend die Lebenserwartung des Kanals bestimmt,
muss die Lebenserwartung der Kanalisation in die Überlegungen miteinbezogen
werden. Insbesondere in Städten, wo eine spätere Erneuerung der Kanalisation
oft um ein Vielfaches aufwendiger ist, als der Neubau, lohnt es sich oft, die be-
sten, alterungsbeständigsten Materialien einzusetzen.

Hydraulische Berechnungen
Angaben zur hydraulischen Berechnungen von Kanalisationen sind in Kapitel
16.2 zusammengestellt.

Statische Berechnung von Kanalisationen


Auf Kanalisationen wirken unterschiedlichste, statische und dynamische Kräfte
ein (Abb. 16.5). Diese angemessen bei der Wahl des Kanalisationsmaterials, der
Art der Gräben und der Bettung der Rohre zu berücksichtigen, ist Aufgabe der
statischen Berechnung. Die erforderlichen Berechnungen für erdverlegte Kanali-
sationen sind genormt (z.B. SIA V 190, 1993) und mit Hilfe von Beispielen do-
kumentiert (SIA D 0100, 1993). Es wird hier auf diese Dokumente verwiesen,
sie sind selbsterklärend.

Dichtigkeit
Je nach Gewässerschutzbereich oder Grundwasserschutzzone werden unter-
schiedliche Anforderungen an die Dichtigkeit der erdverlegten Kanalisationen
gestellt (SIA V 190, 1993). Diese gelten jeweils für alle Leitungen, Schächte und
Anschlüsse des Kanalnetzes und müssen bei der Bauabnahme überprüft werden.
Der zulässige Wasserverlust bei einem Überdruck von 5 mWs liegt je nach Zo-
ne, bezogen auf die benetzte Kanalwandfläche, im Bereich von 0.05-
0.151 m·2 h- 1 •
In Abb. 16.6 ist schematisch dargestellt, wie die Dichtigkeit einer Kanalisa-
tion geprüft werden kann. Allgemein gilt, dass wir bis heute der Dichtigkeit zu-
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 243

Entlüftung

L...... j' '.:, ,;. I ~ ..:. ~

fI :; Absenkung

- -
Prüf-
druck
I

]! ,, "., T
Entleerung

Abb. 16.6. Dichtigkeitsprüfung eines Leitungsabschnitts mit mehreren Schächten (nach SIA V
190, 1993)

wenig Bedeutung beigemessen haben und damit teilweise unsere Grundwässer


gefährden.
Wenn Kanalisationen durch Grundwasserschutzzonen geleitet werden müs-
sen, werden sie doppelwandig gestaltet, sodass eine Undichtigkeit jederzeit ent-
deckt und die Dichtigkeit laufend überprüft werden kann. Die zugehörigen Kon-
trollschächte sind aufwendige Bauwerke.

Sanierung von Kanalisationen


Kanalrohre haben eine grosse Lebenserwartung, mit zunehmendem Alter müssen
aber immer häufiger lokale Schadstellen oder ganze Kanalstrecken saniert wer-
den. Dazu werden laufend neue Verfahren entwickelt, die je nach Schadenbild
lokale Ausbesserungen mit Hilfe von Robotern oder die Auskleidung von Teil-
strecken mit Hilfe von Mörtel oder Kunststoff-Relining ermöglichen. Um allfäl-
lige Schäden rechtzeitig zu erkennen, werden Kanalisationen heute in regelmä-
ssigen Abständen mit ferngesteuerten Videokameras (Kanalfemsehen) inspiziert.

Beispiel16.3. Sanierung von Kanalisationen


Im Jahresbericht 1991 der Stadtentwässerung Zürich wird die Gesamtlänge der öffentli-
chen Kanäle mit 831.7 km ausgewiesen. Für 11 .3 km dieser Kanäle wurde 1991 die Sa-
nierung abgeschlossen. Insgesamt wurden 1991 für Kanalsanierungen 29.3 Mio. Fr aus-
gegeben.
Diese Daten deuten auf eine Erneuerungsrate von 831 km I 11 km a·1 = 75 Jahre hin.
Die mittleren Kosten der Sanierung betragen Fr. 2600.- m"\anal·
Bei solchen Überlegungen sollten mehrere Jahre betrachtet werden.

16.1.4 Kontrollschächte
Kontrollschächte dienen dem Zugang, der Überwachung, dem Unterhalt (Reini-
gung) und der Lüftung des Kanalnetzes. Sie werden angeordnet:
- an allen Anfangs- und Endpunkten,
244 16 Technik der Siedlungsentwässerung

~Abschluss und Einstieg


mit Fertigelementen

Abb. 16.7. Ein typischer


Fundament Kontrollschacht

Abb. 16.8. Schematische


Details analog zu Darstellung eines Vereini-
Kontrolschacht gungsschachtes

- in geraden Kanalsträngen alle 40 - 80 ev. 100 m. In begehbaren Kanälen (D >


0.6 m) werden die Kontrollschächte meist in kürzeren Intervallen angeordnet
als in Kanälen, die nur mit Robotern inspiziert werden können,
- bei allen Richtungs-und Gefällsänderungen,
- bei Kaliber- und Materialwechsel,
- bei Kanalvereinigungen,
- bei Sonderbauwerken.
Es gilt das Prinzip, dass die Kanalisation von einem Kontrollschacht zum
nächsten visuell (mit Lampe oder früher mit Spiegeln und Sonnenlicht) kontrol-
liert werden kann, d.h. , dass die Kanalisation zwischen zwei Schächten geradli-
nig verlaufen soll.
In Abb. 16.7 ist ein typischer Kontrollschacht für kleinere Kanalisationen (D
< 0.6m) dargestellt.

16.1.5 Kanalvereinigungen
In einem Vereinigungsschacht (Abb. 16.8) werden Kanäle mit vergleichbarer
Bedeutung aber häufig mit unterschiedlichen Aiessgeschwindigkeiten zusam-
mengeführt. Die hydraulische Berechnung geschieht unter Berücksichtigung des
Impulssatzes (Stützkraft) und soll gewährleisten, dass sich durch die seitliche
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 245

·~-, r.. Abb. 16.9. a) scheitelbün-

-
diger und b) sohlenbündi-
ger Profilwechsel in einer
Kanalisation

Zuführung kein Rückstau in die Zulaufkanäle ergibt. Dazu sind dann je nach den
lokalen Verhältnissen unterschiedliche Sohlabstürze erforderlich, um zusätzliche
kinetische Energie zu gewinnen.

16.1.6 Profilwechsel
Durch seitliche Zuflüsse vergrössert sich der erforderliche Kanalquerschnitt
fortlaufend. Wenn genug Gefalle zur Verfügung steht, werden die Rohre mit
Vorteil scheitelbündig verlegt. Bei geringem Gefalle werden die Rohre jedoch
zweckmässiger sohlenbündig verlegt, um ein grösseres Sohlengefälle und damit
bei Trockenwetter eine grössere Aiessgeschwindigkeit zu erzielen (Abb. 16.9).
Bei Profilwechseln von grossem zu kleinem Durchmesser, als Folge der Zu-
nahme der Aiessgeschwindigkeit nach einem Gefallswechsel von flach zu steil,
gelten spezielle Überlegungen (s. dazu Abschn. 16.2.4).

16.1.7 Absturzbauwerke
Oft muss in der Kanalisationstechnik ein hochliegender Kanalisationsstrang über
kurze Distanz mit einem tiefer liegenden verbunden werden. Wenn eine teilge-
füllte Steilleitung (Abschn. 16.2.3) als direkte Verbindung nicht möglich ist,
wird ein Absturzbauwerke erforderlich, in dem die Energie gezielt umgewandelt
werden kann.

Absturzschacht
Der Absturzschacht (Abb. 16.1 0) kommt bis zu Fallhöhen von max. 10 m zur
Anwendung. Für seine hydraulische Berechnung ist von Bedeutung, ob die
Energielinie im Zufluss über dem Terrain liegt: Hier muss ein allenfalls nach
oben umgelenkter Abwasserstrahl so gelenkt werden, dass der Schachtdeckel
nicht abgehoben werden kann.
Um Geräusche zu vermindern und den Absturzschacht zugänglich zu ma-
chen, wird eine Prallwand oder Umleitung so angeordnet, dass z.B. bis zur kriti-
schen Regenintensität (rkri,) der Abwasserstrahl umgelenkt wird und nur bei sehr
intensiven Regen diese Prallwand überschiessen kann (Abb. 16.1 0). Für die Be-
rechnung der Strahlgeometrie sind empirische Gleichungen, in Abhängigkeit der
Froude-Zahl im Zulauf verfügbar (SIA Dokumentation 40).
Damit im Unterlauf die hydraulischen Bedingungen möglichst gut definiert
sind, ist nach einem Absturzschacht in der Regel eine Entlüftung der nachfol-
genden Kanalhaltung vorzusehen.
246 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Um Ienkung
nach oben

Abb. 16.10. Beispiel eines Absturzschachts für Rohrdurchmesser von D =0.3 - 0.6 m und
Fallhöhen bis ca. 5 m

Wirbelfallschacht
Im Wirbelfallschacht wird das Abwasser zentrifugal, in einem grossen Wirbel,
entlang der Wand eines Fallschachts nach unten geleitet. Das hat gegenüber dem
Absturzschacht den Vorteil, dass ein grosser Teil der Energie durch Reibung an
der Schachtwand verloren geht, sodass im Schachtfuss nur noch wenig kinetische
Energie umgewandelt werden muss, und dass auch bei grossen Höhendifferenzen
keine übermässigen Geräusche entstehen.
Eine Einlaufspirale in den Schacht gewährleistet, dass bei unterschiedlicher
hydraulischer Belastung ein stabiler Luftkern im Wirbel erhalten bleibt. Die
Bemessung der Einlaufspirale ist abhängig von den Strömungsbedingungen im
Zulauf (strömend oder schiessend). Es wird daher darauf geachtet, dass diese
Bedingungen über grosse Bereiche der Zuflusswassermenge stabil sind.
Die Details der Bemessung und Gestaltung eines Wirbelfallschachts können
der Fachliteratur entnommen werden.

16.1.8 Düker
Freispiegelleitungen können Hindernisse wie Flüsse, tiefliegende Bahn- und
Strassentrasses etc. nur mit grossem Verlust an Höhe überwinden. Düker über-
winden solche Hindernisse, indem sie als Druckleitungen gestaltet werden und
die Hindernisse unterfahren.
Um die Sedimentation von Feststoffen in den Druckleitungen zu vermeiden,
werden meistens zwei, besser drei Leitungen parallel angeordnet und mit Hilfe
eines Einlaufbauwerkes mit zunehmender Wassermenge in Serie beschickt. Da-
durch gelingt es, minimale Fliessgeschwindigkeiten aufrecht zu erhalten und
Sedimentation zu vermeiden. In Abb. 16.11 ist das Beispiel eines Dükers unter
einem Fluss dargestellt.
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 247

Längsschnitt

Einlautbauwer1<
Düker, Druckleitungen Entleerungs-
schacht
Grundriss

Querschnitt

Kanal!: Trockenwetter und leichte Regen


+ Kanal2: Mittlere Regen
+ Kanal3: Star1<e Regen
2 3
Abb. 16.11. Beispiel eines Dükers mit dreifacher Leitungsführung zur Unterquerung eines
Russes

16.1.9 Entlastungsbauwerke
Kanalentlastungen haben die Aufgabe, eine grosse Zulaufwassermenge auf eine
geringere Ablaufwassermenge zu reduzieren. Dabei wird das abgetrennte Ab-
wasser entweder einem Regenbecken oder direkt der Vorflut zugeleitet. Typi-
sche Entlastungsbauwerke sind in Abb. 16.12 und Abb. 16.13 dargestellt. Die
Entlastung mit hochgezogener Überlaufschwelle springt an, nachdem Wasser
von unten in den Kanal zurückstaut; sie entlastet seitlich. Beim Sprungwehr wird
das entlastete Abwasser auf der oberen Seite eines Wurfstrahles abgeschält.
Wir unterscheiden zwischen (s.a. Abb. 15.1):
- Hochwasserentlastungen, die nur selten anspringen (bei Regenintensitäten
die über rkr)iegen). Sie entlasten direkt in die Vorflut,
- Kanalentlastungen, die häufig anspringen und die Mischabwassermenge auf
die Wassermenge reduzieren, die der Kläranlage zugeführt werden kann. Ka-
nalentlastungen werden meistens zusammen mit Regenüberlaufbecken ange-
ordnet, in denen das entlastete Wasser einer einfachen Reinigung unterzogen
wird.
Entlastungen sollen eine gute Trennschärfe haben, d.h., dass unabhängig vom
Zufluss zum Entlastungsbauwerk die abtliessende Wassermenge möglichst ge-
nau der erwarteten Wassermenge entspricht. Rein hydraulische Massnahmen
resultieren in grösseren Variationen der abtliessenden Wassermenge (je nach
Wasserstand in der Entlastung), es werden daher gelegentlich Regelorgane (ge-
regelte Schieber etc.) vorgesehen oder Sonderformen von Entlastungen gebaut,
die die abtliessende Wassermenge genauer einhalten können.
248 16 Technik der Siedlungsentwässerung

:;::"'::.~
':__§:;:c:·~~~---~ ··-·-···-·-··-·-·-·-··-··-·-·-··---...
• • • • • • • • • • Ablaufzur ARA
Abb. 16.12. Beispiel eines Entlastungsbauwerkes mit hochgezogener Überlaufschwelle
(Streichwehr). Solche Überläufe kommen bei strömender oder schwach schiessender Strömung
zur Anwendung

Schnitt

Überlauf

zur Vorflut ..
Ablauf ~~~:i;:;:
zur ARA

Grundriss

- Zulauf
Abb. 16.13. Regenüberlauf
mit Bodenöffnung (Sprung-
wehr, Leaping Weir). Solche
Wehre kommen im stark
Ablauf schiessenden Bereich zur
zur ARA Anwendung

Für die hydraulische Berechnung von Entlastungen stehen uns keine genauen
mathematischen Modelle zur Verfügung, sondern es besteht eine Reihe von
Gleichungen und Berechnungsgängen, die mit empirischen Modellparametern
das Problem annähernd beschreibt. Für die Praxis steht meist nicht die genaue
Berechnung im Vordergrund, sondern die Konstruktion der Entlastung soll ge-
währleisten, dass die Entlastungswirkung den lokalen Anforderungen gerecht
wird, und dass die Entlastung den sich im Laufe der Zeit ändernden W assermen-
gen angepasst werden kann.
Für seitliche Entlastungen (Abb. 16.12) muss die Höhenlage und die Länge
des Wehrs festgelegt werden. Die Höhenlage hängt ab vom verfügbaren Gefälle,
von der Lage der Drucklinie, die zu Überschwemmungen führt, und vom Spei-
cherraum, der durch eine hohe Lage des Überfalls in der Kanalisation gewonnen
werden kann und soll. Der Ablauf der Entlastung in Richtung zur Kläranlage
wird vorteilhaft als Drosselstrecke ausgebildet. Die Länge des Überfalls wird mit
Hilfe von Näherungsformeln berechnet, die je nach lokalen Verhältnissen den
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 249

I Regenüberlauf I Regenbecken
Sammelbegriff
I
I I
Regenrückhaltebecker Regenklärbecken Regenüberlaufbecken Schmutzwasser-
Hydraulische Klären von Speichern und Klären speieher
Abflussdrosselung Regenwasser im von Mischwasser Speichern von
Nur Meteorwasser Trennsystem Schmutzwasser

Fangbecken Verbundhecken Durchlaufbecken


Fangendes Kombination von Klären des
Schmuttstosses Fangen und Klären Überlaufwassers
I I
Überlauf zum Überlauf zum
Vorfluter Vorfluter
vor dem Becken nach dem Becken

Abb. 16.14. Systematik der Regenbecken

vollständigen (kein Rückstau) oder den unvollständigen (mit Rückstau) Überfall


über einen senkrecht angeströmten Rechtecküberfall beschreiben.
Im stark schiessenden Strömungsbereich kommen Sprungwehre (Abb. 16.13)
zum Einsatz. Die Gestaltung der Bodenöffnung orientiert sich hier an der Wurf-
parabel des Wasserstrahls. Beträgt das Gefälle im Zulaufkanal weniger als 10%,
empfiehlt SIA 190, dass der Ablaufkanal zur ARA als Drosselstrecke ausgebildet
wird.

16.1.1 0 Drosselstrecken
Drosselstrecken sind Kanalrohre, die teilweise unter Druck betrieben werden und
die Aufgabe haben den Durchfluss nach oben zu begrenzen. Sie kommen zur
Anwendung, um den Ablauf von Entlastungs- und Rückhaltebauwerken zu kon-
trollieren. Ihre Bemessung folgt den Regeln für Leitungen unter Druck, wobei
allerdings die Einlaufverluste ausgewiesen werden sollen. Es ist wenig sinnvoll,
für Drosselstrecken Leistungsreserven (Sicherheitszuschläge) vorzuhalten, wie
das für Kanalrohre vorgesehen ist.
Ist im Betrieb ein Übergang von Teilfüllung zu Vollfüllung vorgesehen, so
können Pulsationen entstehen (Zuschlagen der Leitung), die z.B. mit Entlüftun-
gen entschärft werden können. Drosselstrecken müssen die minimalen Kanal-
durchmesser von D ~ 0.25 m bei Mischwasserleitungen einhalten.

16.1.11 Regenbecken
Der Begriff Regenbecken ist ein Sammelbegriff für verschiedene Sonderbau-
werke, denen allen gemeinsam ist, dass sie bei Regenwetter Speichervolumen für
Regen- oder Mischwasser zur Verfügung stellen. Dadurch wird der Abfluss des
gespeicherten Wassers verzögert. In einigen Beckentypen wird zusätzlich eine
Reinigung, insbesondere durch Sedimentation erzielt.
250 16 Technik der Siedlungsentwässerung

In Abb. 16.14 ist die Systematik der Bezeichnung der verschiedenen Regen-
beckentypen zusammen mit der wichtigsten Aufgabe der einzelnen Typen zu-
sammengestellt.

Regenrückhaltebecken
Regenrückhaltebecken werden angeordnet, wenn z.B. in einem neuen Quartier
mehr Regenwasser anfällt als abgeleitet werden kann (oder soll). Sie werden so
ausgelegt, dass sie nur selten überlaufen (z.B. alle 5 Jahre) und haben entspre-
chend grosse Volumen. Gelegentlich werden diese Volumen mit Biotopen kom-
biniert und entsprechend in die Landschaft eingepasst, oder es werden grosse
Parkflächen temporär eingestaut Beispiel 16.4 zeigt eine Methode, nach der
einfachere Becken dimensioniert werden können. Grössere Becken müssen an-
band von detaillierten Untersuchungen und häufig mit Langzeitsimulationen, die
auch Serien von Regen beachten, dimensioniert werden.
Für die Situation im Raume Zürich kann Abb. 16.15 Anhaltspunkte für das
erforderliche Volumen von Regenrückhaltebecken geben. Die Volumen sipd
analog zu Beispiel16.4 berechnet worden. Basierend auf den Regenanalysen von
Hörler und Rhein (Kapitel 13.3, Gl. (13.3)) ergibt sich dafür die folgende analy-
tische Gleichung:

v, = E ·(K(z)·T rab ·T)


Ret red T+B
(16.1)
T=-B+ /TI und rab =~ab
v~ red

VRct =
Erforderliches Retentionsvolumen (m3)
Frec~ = Angeschlossene reduzierte Fläche (m2)
Qab = Abgeleitete Wassermenge (m3 s" 1)
T = Dauer des massgebenden Regenabschnitts (s)
K(z) = Ortskonstante für die Jährlichkeit z (m) [Muss aus den Angaben
von Hörler und Rhein umgerechnet werden auf die Einheit m]
B = Ortskonstante (s) [Muss aus den Angaben von Hörler und Rhein
umgerechnet werden auf die Einheits]
Regenrückhaltebecken werden ca. 10 mal grösser als Regenüberlaufbecken.

Beisple116.4. Dimensionierung eines Regenrückhaltebeckens


Ein neues Baugebiet mit einer Fläche F = 10 ha und einem erwarteten mittleren Abfluss-
beiwert 'I' = 0.33 soll an eine bestehende Kanalisation angeschlossen werden. Der be-
s ·1
stehende Kanal kann nur Qab =0.1 m s Regenwasser aufnehmen.
Wie gross muss ein Regenrückhaltebecken dimensioniert werden, wenn es nur einmal
alle 5 Jahre überlaufen darf?
Als Information über die Regenintensität dienen die Angaben für Zürich (Tabelle 13.1 ).
Eine Anlaufzeit muss nicht beachtet werden, da die Angaben zu den Regen nur Regen-
abschnitte sind, d.h. dass Vorregen bereits zu einem beträchtlichen Abfluss führen kön-
nen.
Kzanch(z =5 a) =4569 I min ha_, s_,, B =8 min (Tabelle 13.1)
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 251

Erforde~iches Zeit bis zur


Retentions - Volumen maximalen Füllung
iR in rrt'l ha·1red inMin
300 60
Zeit bis zur maximalen Füllung
250 z =1,2,5, 10 a 50

200 40

150 30

100 20

50 10

0 0
0 50 100 150
Regenintensität, die abgeleitet wird, rAb in f. s-1 ha·1
Abb. 16.15. Spezifisches erforderliches Retentionsvolumen für Regenwasser in Abhängigkeit
der abfliessenden Wassermenge. z = 1- 10a: Erwartete Jährlichkeil der Überflutung des gege-
benen Volumens. Basis: Regen im Raume Zürich. Nur gültig für kleine Anlagen. Diese Dar-
stellung wird auch genutzt, um Versickerungsanlagen zu dimensionieren (berechnet mit
GI. (16.1), s.a. Beispiel16.4)

Die Regenintensität beträgt : r(T,z) = K(z) I(T + B)


Die zumessende Wassermenge beträgt: V," = T · F · 'I' · r(T,z=5a)
Der Abfluss beträgt in erster Näherung: Vab= T · Qab·
Das erforderliche Speichervolumen ergibt sich aus der Differenz Zufluss - Abfluss.
DauerT Intensität Zufluss Abfluss Speicher
min I s·1 ha·1 m3 m3 m3
15 199 591 90 501
25 138 683 150 533
30 120 713 180 533
35 106 735 210 525
60 67 796 360 436
Das maximal erforderliche Retentionsvolumen ergibt sich für einen Regenabschnitt mit
einer Dauer von 25 min zu 533 m3 •
Ein identisches Resultat ergibt sich aus Abb. 16.15:
Die abgeleitete Regenintensität r.b beträgt:
rab= Qab I (F · 'I') = 0.1 m3 s·1 I (1 0 ha·0.3) = 33 I s·1 ha·1•
Mit z = 5 a ergibt sich aus Abb. 16.15 das erforderliche spezifische Retentionsvolumen
zu ca. 160m3 ha·\ed und die Dauer des massgebenden Regenabschnitts zu 25 min. Für
das ganze Becken beträgt das erforderliche Volumen VRet = 160 · F,ed = 160 · 3 =540m3 •
Das berechnete Volumen von 533 m3 kann ohne genauere Rechnung (Langzeitsimulation
mit effektiv gefallenen Regen) als Grundlage für erste Überlegungen dienen. Einem defi-
nitiven Projekt müssten genauere Berechnungen zu Grunde gelegt werden, da die Kosten
dieses Beckens je nach lokalen Verhältnissen, erforderlicher Bauweise (Beton, über-
deckt?) und Landkosten bis gegen 1 Mio. Franken betragen können.
252 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Kanalüberlauf ~Zur Kläranlage


niedrig

Fangbecken

Beckenüber1auf
über höchstem WSp.
im Zulauf

r Zur Kläranlage

Kanalüber1auf
niedrig ---- ~ vBeckenüber1auf
II!"
Mischwas.,s.e:r-~~====:JlL~Du~r~ch:la~uf~-u~nd-~
zufluss - Klärbecken

!
Vorflut
Abb. 16.16. Vergleich eines Fangbeckens und eines Durchlaufbeckens. Beide Becken sind hier
im Nebenschluss dargestellt, d.h. bei Trockenwetter fliesst das Abwasser nicht durch die Bek-
ken, sondern wird ohne Gefällsverlust zur Kläranlage geleitet

Beispiel16.5. Analytische Berechnung des erforderlichen Retentionsvolumens


Basierend auf GI. (16.1) ergibt sich für das Regenrückhaltebecken in Beispiel 16.4 die
folgende Situation:
K(z=5a) = 4569 I min ha·1 s·1 = 0.0274 m
B = 8 min = 480 s
r.b = 0.1 m3 s·1 I 3.3 ha...t = 3 · 10"6 m s"1
T = 1614 s = 27 min
V .537m3

Regenüberlaufbecken
Regenüberlautbecken (oder häufig einfach Regenbecken) werden bei Entlas-
tungen von Mischwasserkanälen angeordnet. Sie sollen die Häufigkeit und den
Umfang der Belastung der Vorflut verringern und werden je nach Vorflut z.B.
nach Abb. 15.3 dimensioniert. Typische Volumen sind im Bereich von 15-
25 m3 ha..,/. Wir unterscheiden zwischen Fangbecken und Durchlauf- oder
Klärbecken (Abb. 16.14):
Beide Becken sind vor dem Regen leer und haben eine Speicherfunktion
entsprechend ihrem Volumen.
Das Fangbecken (Abb. 16.16) speichert den ersten Teil des Regenabflusses,
der häufig besonders stark mit Schmutzstoffen belastet ist (Abb. 16.19), die
z.B. aus Sedimenten auf der Oberfläche und in der Kanalisation sowie aus
Strasseneinlaufschächten abgeschwemmt werden. Am Schluss des Regens
verbleibt der erste Teil des Regenabflusses im Becken und wird zur Kläran-
lage gefördert.
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 253

Beckenüberlauf

Klärbecken

Gefällsverlust
Fangbecken

-~---II;;;;;;;;;_.,_ . . Zur Kläranlage


Abb. 16.17. Längsschnitt durch ein Verbundbecken im Hauptschluss. Unten der Fangteil, oben
der Durchlauf- oder Klärteil des Beckens. Hauptschluss: Das Abwasser fliesst bei Trockenwet-
ter durch das Becken, daraus resultiert ein Gef~illsverlust

Trockenwetterabfluss

Trockenwetterabfluss

Abb. 16.18. Beispiele von Kanalstauraum: Oben der Fangkanal, unten der oft weniger wirksa-
me reine Speicherkanal

- Beim Durchlaufbecken (Abb. 16.16) fliesst das Wasser durch das Becken.
Dabei sedimentieren spezifisch schwere Feststoffe auf den Boden aus und das
teilweise geklärte Wasser fliesst zur Vorflut. Am Schluss des Regens ver-
bleibt das letzte Wasser im Speicher und wird dann zusammen mit den Se-
dimenten zur Kläranlage gepumpt.
- Das Verbundbecken (Abb. 16.17) vereinigt die Funktionen Fangen und Klä-
ren. Zuerst wird ein Fangteil gefüllt. Zusätzlich überlaufendes Wasser wird
dann durch den Klärteil geleitet.
Regenüberlaufbecken können unterschiedlich in die Kanalisation eingeordnet
werden:
- Im Hauptschluss erfolgt der Abfluss zur ARA nach dem Becken, d.h. dass
alles Abwasser, das zur Kläranlage weitergeleitet wird (auch bei Trocken-
wetter), vorerst durch das Becken fliesst. Diese Anordnung führt zu einem
grossen Gefällsverlust; sie wird gewählt, wenn trotzdem kein Pumpwerk er-
forderlich ist (Abb. 16.17). Das durchfliessende Abwasser kann nach der
254 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Konzentration im Mischwasser in g CSB m-3 Fracht im Mischwasser


Mischwasserabfluss in t. s·1 ingCSBs·1

500 100

400 80

300 60

200 40

100 20

0
0 20 40 60 80 100 120
Dauer des Regenereignis in Minuten
Abb. 16.19. Ganglinie der Wassermenge, der CSB Konzentration im Mischwasser und der
Schmutzstofffracht während eines Regenereignisses in einer Mischkanalisation. Als Folge der
Ausspülung der Kanalisation tritt hier zu Beginn des Abflussereignisses ein Schmutzstoss auf

Entleerung genutzt werden, um die Sedimente aus dem Becken zu schwem-


men.
Im Nebenschluss erfolgt der Abfluss zur ARA vor dem Becken, d.h. dass das
Abwasser bei Trockenwetter nicht durch das Becken fliesst. Das hat nur ei-
nen geringen Gefällsverlust zur Folge, in der Regel ist für die Entleerung des
Beckens aber ein Pumpwerk erforderlich (Abb. 16.16). Es sind Vorrichtun-
gen zur Spülung des Beckens nach der Entleerung erforderlich.
Als Fangkanal oder Speicherkanal (Kanalstauraum) werden Kanalhaltungen
bezeichnet, die mit grossen Durchmessern gebaut werden, um während Re-
gen ein Speichervolumen (Retention) zur Verfügung zu stellen. Je nach An-
ordnung der Entlastung (Abb. 16.18) entsprechen solche Kanäle in ihrer
Funktion eher Fangbecken oder Durchlaufbecken (Klärbecken).
Regenüberlaufbecken werden häufig mit Hilfe von empirischen Beziehungen
dimensioniert. Zunehmend wird ihre Funktion auch mit Hilfe von Langzeit-
simulationen, basierend auf Reihen von gemessenen Regen und einer detaillieten
Beschreibung des Einzugsgebietes, analysiert. Typische Volumen entsprechen
ca. 15- 20 m\peicber ha· 1red.

Der Schmutzstoss
Mit zunehmender Wasserführung, als Folge eines Regenereignis, werden Sedi-
mente auf Dächern und Strassen, in Einlaufschächten und Kanalisationen aufge-
wirbelt und im Mischwasser abtransportiert. Das führt zu stark erhöhten
Schmutzstoffkonzentrationen im Mischwasser (Abb. 16.19). In Abb. 16.20 ist
die kumulative Schmutzstofffracht gegen die kumulative Menge des abgeflosse-
nen Mischwassers aufgetragen. Von einem Schmutzstoss sprechen wir, wenn die
gemessene Beziehung über der Diagonalen liegt, die sich auf der Basis einer
konstanten mittleren Schmutzstoffkonzentration ergibt. Je ausgeprägter der
Schmutzstoss ist, desto eher ist der Einsatz eines Fangbeckens im Vergleich zu
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 255

Kumulative CSB Fracht


in kg CSB
100

80

60

40

20
konstanter
Konzentration
0
0 100 200 300 400 500 600 700

Kumulative Wasserfracht in m3
Abb. 16.20. Kumulative Darstellung des Regenereignis in Abb. 16.19. Horizontal ist das auf-
summierte Volumen des abgeflossenen Mischwassers, vertikal die aufsummierte CSB Fracht im
Mischwasser

einem Durchlaufbecken sinnvoll. Im Beispiel von Abb. 16.20 wäre ein Fangbek-
kenvolumen von ca. 200 m 3 geeignet, um den Schmutzstoss aufzufangen.
Ob in einer spezifischen Situation ein Fangbecken oder ein Durchlaufbecken
zur Anwendung kommen soll, ist abhängig vom erwarteten Schmutzstoss:
Eine lange Fliesszeit in der Kanalisation bis zum Becken resultiert in einem
langen und daher wenig ausgeprägten Schmutzstoss. Fangbecken werden nur
realisiert, wenn die Fliesszeit weniger als 15 min beträgt.
Geringe Fliessgeschwindigkeiten bei Trockenwetter und Sedimente in der
Kanalisation, die bei Regen ausgeschwemmt werden, können zu ausgepräg-
ten Schmutzstössen führen, die mit Vorteil gefangen werden.
Zusätzlich soll überlegt werden, wie der gefangene Schmutzstoss zur Klär-
anlage weitergeleitet wird und welchen zusätzlichen Entlastungen er allenfalls
unterworfen ist. Die Wirkung eines Fangbeckens im Hauptschluss, das in einen
Kanal einleitet, der vor der Kläranlage noch einmal entlastet wird, ist häufig sehr
gering: Der Schmutzstoss wird hier nur teilweise der Kläranlage zugeführt.

Beispiel16.6. Die Wirkung eines Fangbeckens


Wieviele Schmutzstoffe werden für das Beispiel des Regenereignisses in Abb. 16.20 in
einem Fangbecken und in einem Durchlaufbecken im Nebenschluss zurückgehalten?
Das Becken hat ein Volumen von 200m3 •
Fangbecken: Das Becken ist gefüllt mit den ersten 200 m3 des Abflusses. Diese enthal-
·3
ten ca. 50 kg CSB oder 250 gcss m .
Durchlaufbecken: Das Becken enthält die letzten 200 m3 des Abflusses. Diese enthalten
93- 78 = 15 kg CSB oder 75 g058 m·3 • Dazu kommen die Sedimente, die nicht quantifi-
ziert werden können. Es müsste sich ein Wirkungsgrad für die Sedimentation von ca.
50% des CSB ergeben, damit die Wirkung des Fangbeckens übertroffen wird. Das ist
unwahrscheinlich.
256 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Beispiel16.7. Dimensionierung eines Fangbeckens


Eine Gemeinde hat als kritische Regenintensität für ihre Hochwasserentlastungen
rkrit = 30 I s·1 ha·1 gewählt. Sie muss nun an einer Stelle im Einzugsgebiet, an der die
Fliesszeit plus die Anlaufzeit t 0 = 10 min beträgt, ein Regenüberlaufbecken erstellen. Wie
gross wird ein Fangbecken, das den Schmutzstoss bis zu rkrit auffangen kann?
Zur Kläranlage kann das Schmutzwasser plus das Regenwasser bis zu einer Regenin-
tensität von r.b = 2.51 s·1 ha·1 weitergeleitet werden.
Bei Regenintensitäten über 30 I s·1 ha·1 kann offenbar Mischwasser ohne grosse Nach-
teile für die Umwelt entlastet werden, sonst hätte rkrit grösser gewählt werden müssen.
Damit der ganze Schmutzstoss bis zur kritischen Intensität aufgefangen werden kann,
muss mindestens das folgende spezifische Volumen zur Verfügung stehen:
Erforderlicher Speicherinhalt =t0 • (rkrit- rab) =600 s · (0.030- 0.0025)
=16.5 m3 h~· 1 •
Dieses spezifische Volumen ist typisch für viele Situationen in der Schweiz.
Offensichtlich eignen sich Fangbecken insbesondere in Situationen, in denen kurze
Fliesszeiten mit deutlichen Schmutzstössen zusammentreffen.
ta
(Weil der Abfluss erst nach der Zeit die volle Intensität erreicht, könnte das hier be-
rechnete Fangvolumen den Schmutzstoss von Regen mit einer Intensität fangen, die
grösser ist als r ).

Regenklärbecken
Regenklärbecken (Abb. 16.14) werden eingesetzt, um das Regenwasser im Me-
teorwasserkanal eines Trennsystems zu klären. Sie kommen zum Einsatz, wenn
die Vorflut dieses Schutzes bedarf und im Einzugsgebiet Schmutzstoffe mit ho-
her Konzentration ins Meteorwasser gelangen können (Industriegebiete, Arbeits-
flächen, Nationalstrassen) oder wenn mit Havarien (Unfällen) gerechnet werden
muss (Havariebecken).
In der Schweiz werden solche Becken nur an wichtigeren Strassen als soge-
nannte Ölabscheider gebaut, wenn das Abwasser direkt in die Vorflut eingeleitet
werden soll. Das Nutzen I Kosten Verhältnis von solchen Becken ist umstritten.
Havariebecken werden zur Verminderung von Risiken zunehmend realisiert.
Sie werden in Entwässerungssystemen von Industrie- und Gewerbebauten ange-
ordnet, insbesondere, wenn wassergefährdende Stoffe umgeschlagen werden
oder wenn ein erhöhtes Brandrisiko besteht und Löschflüssigkeiten zurückge-
halten werden sollen.

Schmutzwasserspeicher
Mischwasser ist häufig durch Regenwasser stark verdünnt. Hingegen behält das
Schmutzwasser z.B. aus einem Industriebetrieb oder aus einem Schmutzwasser-
kanal, der in einen Mischwasserkanal mündet, seine hohe Konzentration bei. In
solchen Situationen ist es sinnvoll, das Schmutzwasser während Regen-
ereignissen zu speichern und erst bei anschliessendem Trockenwetter wieder
über die Kanalisation abzuleiten. Die Steuerung eines solchen Schmutz-
wasserspeichers kann über die Abfluss- oder Niveaumessung im untenliegenden
Kanal oder ev. über einen Regenfühler erfolgen. Schmutzwasserspeicher haben
oft im Vergleich zu Regenüberlaufbecken ein günstiges Nutzen I Kosten Ver-
hältnis, weil das gespeicherte Wasser eine hohe Schmutzstoffkonzentration hat.
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 257

Abb. 16.21. Beispiel einer Schnek-


kenpumpe (Archimedes Schraube)
zur Förderung von Mischwasser

16.1.12 Siebe und Rechen


Um Grob- und Feinstoffe aus entlastetem Mischwasser zurückzuhalten, kommen
gelegentlich Rechen oder Siebe zum Einsatz. Je nach Konstruktion werden diese
Apparate dauernd oder nur einmal nach dem Regenereignis gereinigt und die
zurückgehaltenen Feststoffe werden in Richtung Kläranlage gesandt. Kontinu-
ierlich gereinigte Rechen sind aufwendig und bedingen laufenden Unterhalt. Sie
können aber ästhetische Probleme am Ort der Einleitung weitgehend vermeiden.
Je nach Problemstellung kommen Siebe und Rechen mit Öffnungen von <50 Jlm
(Mikrosiebe) bis ca. 6 mm zur Anwendung.
Statische Rechen oder Siebe, die erst nach einem Regenereignis gereinigt
werden, haben nicht genügend Kapazität, um Feststoffe zurückzuhalten. Sie
werden heute kaum mehr realisiert.
Als Neubauten werden Siebe oder Rechen in der Schweiz meist nur in Er-
gänzung zu Regenüberlaufbecken, meist Fangbecken, erstellt.

16.1.13 Abwasserpumpwerke
Pumpwerke werden in der Kanalisationstechnik nur zurückhaltend eingesetzt.
Sie erlauben bei ungünstigem Gefälle die erforderliche Bautiefe der Kanalisatio-
nen zu vermindern und dadurch Baukosten einzusparen. Sie müssen einen ver-
stopfungsfreien und zuverlässigen Betrieb gewährleisten und bei Stromausfall
entlasten können oder mit Notstrom ausgerüstet sein. Der verstopfungsfreie Be-
trieb bedingt, dass die Pumpen einen freien Kugeldurchgang von mindestens 100
mm haben. Der minimale Durchmesser der Druckleitung wird damit 100 mm
besser 150 mm. Bei Kreiselpumpen soll ein ausreichend dimensionierter Pum-
pensumpf eine genügend kleine Schaltfrequenz ergeben. Die Förderwassermenge
soll auf die verschiedenen Situationen bei Trockenwetter und Regenwetter abge-
stimmt sein und sie soll gewährleisten, dass die Kläranlage bei Trockenwetter
nicht schwallweise beschickt wird. Pumpwerke werden meistens mit mindestens
zwei Pumpen ausgerüstet.
In Druckleitungen nach Pumpwerken darf die Aufenthaltszeit des Abwassers
nicht zu gross werden, sonst beginnt i:las Abwasser anzufaulen; es kann sich
Schwefelwasserstoff bilden, dadurch entstehen Geruchsprobleme. Dies muss
insbesondere beachtet werden, wenn grosse Förderstrecken überwunden werden
sollen oder bei kleinen Pumpen in der Nacht lange Schaltzeiten resultieren.
In der Abwassertechnik hat sich die Schneckenpumpe (Archimedes Spirale),
wie sie in Abb. 16.21 dargestellt ist, besonders bewährt. Sie fördert das Wasser
258 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Wirbel- Längsschnitt
drossel

Grundriss

Abb. 16.22. Schematische Dar-


stellung einer Wirbeldrossel

so wie es anfällt (nicht schwallweise), hat einengrossen Durchgang für Feststof-


fe und einen hohen Wirkungsrad. Leider ist der Bau dieser Pumpwerke eher
aufwendig.
Für Details wird auf die entsprechenden Angaben im Zusammenhang mit der
Wasserversorgung und auf die Fachliteratur verwiesen.

16.1.14 Drosselorgane
Nach Regenüberlaufbecken, Retentionsbecken und Kanalentlastungen muss
häufig die Abwassermenge, die zur Kläranlage weiterfliesst, gedrosselt werden.
Dazu kommen unterschiedlichste Einrichtungen zur Anwendung, häufig werden
Wirbeldrosseln realisiert (Abb. 16.22). Diese haben die Eigenschaft, dass sie
unabhängig vom Überstau eine gleichmässige Wassermenge weiterleiten, dass
sie einen grossen Durchgang haben (also wenig verstopfungsanfällig sind) und
selbstgängig, auf Grund von hydromechanischen Phönomenen funktionieren.

16.1.15 Einleitbauwerke
Die Einleitung von Abwasser in eine Vorflut erfordert den Bau eines Einleit-
bauwerks mit einer Uferbefestigung, die gewährleistet, dass das Gewässerbett
stabil bleibt und die Einleitung nicht unterspült wird. Einleitungen in Gewässer
sollen durch ihre Gestaltung gegen unbefugtes Betreten der Kanalisation gesi-
chert sein und die Ziele des naturnahen Wasserbaus berücksichtigen.

16.1.16 Versickerungsanlagen
Heute wird in der Siedlungsentwässerung die Versickerung von unverschmutztem
Abwasser gefordert. Damit soll erreicht werden, dass die Abflussspitzen in der
Vorflut verringert werden, den Abwasserreinigungsanlagen ein grösserer Anteil
des Mischwassers zugeleitet und die Grundwasserneubildung unterstützt wird.
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 259

Abb. 16.23. Künstliches


Versickerungsbecken, hu-
musierte Mulde

0 Niederschlag, Luftverschmutzung

~ Abfluss, Oberflächenverschmutzung,
Trockendeposition

0 Versickerungsanlage,
Retention,
Leistung

Abb. 16.24. Elemente einer Versickerungsanlage mit Kieskörper und Versickerung in die
Deckschicht

Versickerungsverfahren
Um die Ableitung von Regenwasser und damit die Belastung der Gewässer mit
grossen Wassermengen und entlastetem Mischwasser zu verringern sowie die
Neubildung von Grundwasser zu unterstützen, werden immer häufiger Versicke-
rungsanlagen gefordert und realisiert. Dabei wird angestrebt, dass das Wasser
über unverletzte Humus- oder Deckschichten versickert wird, in denen eine
weitgehende Selbstreinigung und ein Rückhalt von Schadstoffen stattfindet. Eine
Versickerung unterhalb der belebten Bodenschicht, in einer eigentlichen Versik-
kerungsanlage wird nur in zweiter Priorität zugelassen. Versickerungsanlagen
werden häufig zentral, d.h. für ein ganzes Quartier oder eine neue Überbauung,
erstellt.
Für den Bau von Versickerungsanlagen bieten sich, in Abhängigkeit der je-
weiligen geologischen und hydrologischen Verhältnisse, der Beschaffenheit des
zu versickernden Wassers und des Grundwasserschutzes, verschiedene Möglich-
keiten an:
Diffuse, flächenförmige Versickerung über der belebten Bodenschicht (Hu-
mus). Entwässerung über die Strassenschulter, fehlende Dachrinnen (Traufe),
durchlässig gestaltete, humusierte Parkplätze etc.
260 16 Technik der Siedlungsentwässerung

- Versickerung in künstlich angelegten Versickerungsbecken (humusierte Mul-


den), z.B. in Kombination mit Biotopen, humusierte Versickerungsgräben
über sickerfähigem Untergrund (Abb. 16.23).
- Diffuse Versickerung innerhalb der Deckschichten, z.B. in einen überdeckten
Kieskörper (Abb. 16.24).
- Versickerungsschacht in die durchlässige, sickerfähige Schicht über dem
Grundwasserspiegel (analog Abb. 16.24, aber tiefer liegend).
- Um die Versickerungsleistung zu erhöhen können zusätzlich Versickerungs-
stränge oder Rigolen (Drainagerohre, die in Filterkies eingebettet sind) ge-
baut werden. Dabei ergibt sich auch eine Retentionswirkung im Filterkies.
- Versickerungsbrunnen, d.h. ausgefilterte Brunnen (Bohrlöcher, mit Mantel
aus Filterkies) im Schotter über dem Grundwasserspiegel.
- Schluckbrunnen, d.h. ausgefilterter Brunnen im Schotter bis unter den
Grundwasserspiegel (rückspülbar). Diese Lösung ist nur für unbelastetes
Fremdwasser zulässig und wird auch zur Grundwasseranreicherung in der
Wasserversorgung eingesetzt (Kapitel 8.6, Seite 121)
In Abb. 16.24 sind die Elemente einer Versickerungsanlage am Beispiel einer
Anlage mit Kieskörper dargestellt. Von Bedeutung sind:
- Der Niederschlag, dessen Intensität und ev. Schadstoffgehalt
- Der Abfluss, dessen Dynamik (Art der Dächer, flach, steil) und Aufnahme
von Schadstoffen von den Oberflächen
- Die Vorreinigung, die hier als einfacher Schlammsammler dargestellt ist,
aber je nach Situation auch Filtration durch Humusschichten beinhalten kann.
- Die Versickerungsanlage, mit dem verfügbaren Retentionsvolumen (hier
Schacht und Porenvolumen im Filterkies) und der Versickerungsleistung (in
Abhängigkeit von der Filterfläche und der Durchlässigkeit der unterliegenden
Schichten)
- Der Boden, in den infiltriert werden soll. Von Bedeutung ist seine hydrauli-
sche Leitfähigkeit und der mögliche Schadstoffrückhalt
- Die Lage und die erwünschte Nutzung des Grundwassers. Der Abstand zwi-
schen max. Grundwasserspiegel und minimaler Lage des Versickerungs-
körpers soll mindestens 1 m betragen.
In Abb. 16.25 ist in Abhängigkeit der Lage des Objekts (Gewässerschutzzo-
nen, Anforderungen an den Schutz des Grundwassers) und der Art des Abwas-
sers (Belastung mit Schadstoffen) aufgezeigt, welche Art der Versickerung in
Frage kommt. Diese Darstellung gibt allenfalls ein Konzept. Die Details werden
in der Schweiz von Behörde zu Behörde unterschiedlich, aber rechtlich verbind-
lich geregelt. Von Bedeutung ist, dass zunehmende Anforderungen an den
Schutz des Grundwassers, eine entsprechende zunehmende Anforderung an die
Leistung des Verfahrens stellt.

Dimensionierung von Versickerungsanlagen


Die Versickerungsleistung einer Versickerungsanlage ist abhängig vom Boden-
material, in das versickert werden soll. Meist wird ein Hydrogeologe zugezogen,
der mit Hilfe seiner lokalen Kenntnisse und anband eines Versickerungsversuchs
die zu erwartende Leistung abschätzt. Es ist nicht möglich, allgemeingültige
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 261

Zunehmende Belastung des Abwassers

Bahn
Hauptstrasse

Quartierstrasse

Parkplatz

Dachwasser

Brunnen

c B A s
Gewässerschutzbereiche C, B, A und Grundwasserschutzzonen S
Zunehmende Anforderungen an den Schutz des Grundwassers
Abb. 16.25. Schematische Darstellung der Anforderungen an Versickerungsanlagen in Funkti-
on der Belastung des Abwassers und des erwünschten Schutzes des Grundwassers

Angaben zu machen. Zur Illustration sind typische Werte von Sickerleistungen


unterschiedlicher Bodenschichten in Tabelle 16.1 zusammengestellt.

TabeHe 16.1. Beispiele von Sickerleistungen gewachsener Böden, abgeleitet aus Angaben des
AGW des Kt. Zürich, 1996
Bodenart spezifische Sickerleistung in Imin· m
Grobkies > 100
Feinkies, sandig >10
Sand, kiesig 5- 10
Sand 0.5- 5
Moräne, lehmiger Kies 0.5-2
Moräne, kiesiger Lehm <1
Silt, Ton <0.01
Humus, unverdichtet 2-3

Die nutzbare Versickerungsleistung reicht von "" 1 I min- 1 m-2 (entsprechend


166 I s- 1 ha- 1) in einer kiesigen Moräne bis zu 100 I min- 1 m-2 (entsprechend
16'000 I s- 1 ha·t, in einem gut durchlässigen Kies). Da die Versickerungsflächen
meist nur einen Bruchteil z.B. der Dachflächen ausmachen, ist bei geringer Ver-
sickerungsleistung häufig eine Retention des anfallenden Wassers erforderlich.
Dessen Dimensionierung kann in Analogie zur Dimensionierung eines Regen-
rückhaltebeckens gemacht werden (s. Beispiel16.4). In Abb. 16.15 ist für die
Regenverhältnisse von Zürich dargestellt, wie gross das erforderliche Retenti-
onsvolumen sein soll. Von Bedeutung ist insbesondere die Menge des dauernd
abgeleiteten (versickerten) Abwassers. Viele Versickerungsanlagen werden so
262 16 Technik der Siedlungsentwässerung

gestaltet, dass der Notüberlauf im Durchschnitt nur einmal in 5 Jahren ansprin- •


gen muss.

Belsple116.8. Dimensionierung einer Versickerungsanlage


ln einem kleinen Quartier soll eine zentrale Versickerungsanlage für das anfallende
Dachwasser von 1500 m2 Steildächern gebaut werden. Die Siedlung liegt in der Gewäs-
serschutzzone B und der Grundwasserspiegel liegt mehrere m unter dem anstehenden
Boden: Es soll ein Versickerungsstrang in der siekarfähigen Schicht gebaut werden.
Für die vorgesehene Versickerungsanlage stehen F5 =100m2 Versickerungsfläche (kie-
siger Sand) mit einer gemessenen Versickerungsleistung von q5 = 5 I min·1 m·2 zur Verfü-
gung.
Die Anlage soll im Durchschnitt in 5 Jahren nicht mehr als 1 mal überlastet sein: z = 5 a.
Wie gross ist das erforderliche Retentionsvolumen Vret?
Die reduzierte Fläche beträgt nach GI. (13.7) und Tabelle 13.2:
2 2
Fred='lf· F=0.9·1500m =1350m
Die versickerte Regenintensität (spezifische Versickerungsleistung) beträgt:
·1 ·1
qv = q5 · F5 I Fred= 621 s ha,ed .
Nach Abb. 16.15 ergibt sich mit rAb = 62 I s·1 ha·1 und z = 5 a ein erforderliches Rückhal-
tevolumen von iR =125m3 h~- 1 oder für den vorliegenden Fall:
VRet = Fred·iR =17m3 • Das entspricht einer Regenhöhe von 17 m311350 m2 = 13 mm.
Kiesmaterial hat eine Porosität von ca. 20%. 90 m3 Filterkies könnten also genügend
Retentionsvolumen zur Verfügung stellen. Je nach Gestaltung der Anlage muss also kein
zusätzliches Retentionsvolumen gebaut werden. Eventuell könnte sogar die Infiltrations-
fläche F5 verkleinert werden, da der Filterkies bei einer Einbautiefe von 1 m zusammen
mit den Zulaufschächten ein zu grosses Retentionsvolumen anbietet.

Beispiel16.9. Auswirkung der Versickerung


An ein Regenüberlaufbecken mit einem Volumen von VR8 =600 m3 ist ein Siedlungsgebiet
mit einer Fläche von F = 80 ha mit einem Abflussbeiwert von'II = 0.45 und einer Bevölke-
rung von 6000 E angeschlossen. Der mittlere Abwasseranfall bei Trockenwetter beträgt
Qm = 0.03 m3 s·1, bei Regenwetter werden QARA = 0.1 m3 s·1 zur Kläranlage weitergeleitet
(= doppelter maximaler Trockenwetteranfall).
Wie oft überläuft das Regenbecken, welcher Anteil des Regenwassers gelangt dabei in
die Vorflut?
Annahme: Die Gemeinde liegt im Schweizerischen Mittelland. Damit ist Abb. 15.3 gültig.
Die reduzierte Fläche beträgt: Fred = F · 'II = 80 · 0.45 = 36 h~
VRB I Fred = 16.7 m harJ!fl
3 ·1
Der Speicherinhalt beträgt: _1
Der spezifische Abfluss zur Kläranlage beträgt: (QARA·QJIF,ec~ = 1.91 s h~
Nach Abb. 15.3 ergibt das:
> 30 Entlastungen (Überläufe) pro Jahr
= 35% Verlust von Regenwasser, oder 8300 m ha,ed a ·0.35-Fred = 105'000m a
3 ·1 ·1 3 ·1

Nun plant die Gemeinde im Zuge von Erneuerungen einen grossenTeil des Dachwassers
in diesem Gebiet zu versickern, der Abflussbeiwert wird dadurch auf 'II = 0.3 reduziert.
Welche Belastung verbleibt nach Realisierung der Versickerung während Regenwetter
für die Vorflut?
16.2 Hydraulische Berechnungen 263

Die neue reduzierte Fläche beträgt: Fred = F · \II = 80 · 0.30 = 24 h~


VR8 I Fred =25m h~
3 ·1
Der Speicherinhalt beträgt:
Der spezifische Abfluss zur Kläranlage beträgt: (QARA- O.J I Fred= 2.9 I s·1 ha·1
Nach Abb. 15.3 ergibt das:
=25 Entlastungen pro Jahr
3 ·1 ·1 3 ·1
=25% Verlust von Regenwasser, oder 8300 m hared a ·0.30·Fred= 60'000 m a
Die Realisierung dieser Versickerungen fördert also nicht nur die Grundwasserneubil-
dung, sie verringert auch die Belastung der Gewässer in der Jahresbilanz und reduziert
die maximale Regenwassereinleitung in das Gewässer um ca. 113 (Abnahme der Fred).

16.1.17 Sanierungsleitungen
Nicht immer müssen Kanalisationen den höchsten technischen Anforderungen
genügen. In ländlichen Verhältnissen können technisch einfach gestaltete Anla-
gen wirtschaftlich sein. Ein gelegentliches Versagen dieser Anlagen hat nicht die
gleiche Bedeutung wie in einer dicht bewohnten Siedlung.
Sanierungsleitungen sind Kanalisationen, die für die abwassertechnische Sanie-
rung von kleinen Weilern, Höfen, abgelegenen Häusergruppen etc. zur Anwen-
dung kommen. Sie führen häufig durch land- oder alpwirtschaftlich genutztes
Gebiet, in dem keine zusätzlichen Anschlüsse an die Kanalisation erfolgen. Die
kleinen Abwassermengen (es wird im Trennsystem entwässert) erfordern nur
=
kleine Kanaldurchmesser (D... 0.15 m), die meist geringer sind als die mini-
malen Durchmesser von normalen Kanälen (D;;:: 0.2 m). Ein allfälliges Versagen
solcher Leitungen führt nicht zu einer hygienischen Katastrophe.
Um Kosten zu sparen, werden Sanierungsleitungen sehr einfach realisiert, es
werden z.B. Verbindungen von Schächten zugelassen, die nicht geradlinig sind,
die Kontrollschächte werden in grösseren Abständen gebaut und sehr einfach
gestaltet. Es wird auf ein minimales Gefälle von J5 > 1% geachtet. Bei Gefallen
über 3% werden die Rohre nur noch einfach gebettet, weil Setzungen kaum mehr
zu Problemen führen.
Im steilen Gelände soll die Rohrweite für ein maximales Gefalle von J5 :!>: 5%
berechnet werden und damit die Bildung eines Wasser- I Luftgemisches in steile-
ren Leitungen berücksichtigen.
Die Schweizerische Norm SN 592 000 (Liegenschaftentwässerung) enthält
Hinweise zur Gestaltung von Sanierungsleitungen.
Das Sanitärabwasser von abgelegenen Einzelliegenschaften kann auch über
Druckschläuche entwässert werden. Dabei fördert z.B. eine Pumpe, die mit einer
Schneidevorrichtung ausgerüstet ist, in einen PE-Schlauch mit Durchmesser 50 -
65 mm. Der Schlauch wird direkt ab Rolle, ohne offene Gräben, nur mit einem
Pflug in den Boden eingelegt und über Distanzen bis zu 1000 m an die nächste
Kanalisation geführt.

16.2 Hydraulische Berechnungen


Hydraulische Berechnungen in der Kanalisationstechnik beruhen auf den
Grundlagen der Hydraulik, die Teil jeder Grundausbildung der Ingenieurinnen
ist.
264 16 Technik der Siedlungsentwässerung

In diesem Kapitel werden keine detaillierten Angaben zu den erforderlichen hyd-


raulischen Berechnungen in der Kanalisationstechnik und der Siedlungsent-
wässerung gemacht. Es wird dazu auf die Fachliteratur verwiesen. Es wird hier
lediglich auf Probleme hingewiesen, die zum Verständnis der Funktion der ein-
zelnen Bauwerke erforderlich sind.
Es ist heute üblich, dass in Ingenieurbüros Programme zur hydraulischen Be-
rechnung von Kanalisationen zur Anwendung kommen. Damit der projektieren-
de Ingenieur solche Berechnungen überprüfen kann, und damit er nicht unsach-
gemässe Projekte erarbeitet, ist es erforderlich, dass er ein Verständnis für die
hydraulischen Details in der Kanalisationstechnik hat.

16.2.1 Grundsätze I Lastfälle


Hydraulische Berechnungen von Kanalisationen und Sonderbauwerken sind
primär für die maximalen Wassermengen erforderlich; die verfügbare Energie
und die gewählten Abmessungen der Bauwerke sollen gewährleisten, dass die
gewünschten Wassermengen ohne Probleme (z.B. Rückstau in Keller und auf
Strassen etc.) abgeleitet werden können.
Für einzelne Sonderbauwerke (Pumpwerke, Düker, Drosselstrecken etc.)
müssen zusätzlich andere Belastungszustände betrachtet werden (z.B. Trocken-
wetter). In Misch- und Schmutzabwasserkanälen sollen Ablagerungen vermieden
werden. Es wird daher, zusätzlich zur maximalen hydraulischen Belastung, der
Lastfall "täglicher maximaler Abwasseranfall bei Trockenwetter" (bei Inbetrieb-
nahme und bei Vollausbau) für die Gewährleistung einer minimalen Fliess-oder
Spülgeschwindigkeit resp. Schleppkraft beachtet (Tabelle 16.3).
Der Bemessungsabfluss soll in der Regel mit freiem Wasserspiegel erfolgen,
nur in Dükern, Drosselstrecken, Pumpleitungen oder Stauraumkanälen wird Ab-
fluss unter Druck vorgesehen.

16.2.2 Freispiegelleitungen
Die Dimensionierung von Rohrleitungen erfolgt in der Kanalisationstechnik in
der Regel unter der Annahme, dass Normalabfluss herrscht (Prismatisches Ge-
rinne, Energielinie parallel zur Sohle des Gerinnes oder Energiegefälle
JE= Sohlgefälle J5). Je nach hydraulischen Bedingungen erfolgt der Abfluss
schiessend oder strömend, bei Gefallen über 0.5% herrscht Schiessen vor.
Bei gleichem Energiegefälle JE haben Freispiegelleitungen eine grössere
Transportkapazität als volllaufende Kanäle (s. z.B. das Teilfüllungsdiagramm für
Kreisrohre in Abb. 16.27 über ca. 85% Teilfüllung). Das kann dazu führen, dass
der Abfluss bei hydraulischer Überlastung instabil wird und das Kanalrohr zu-
schlägt: Um Pulsationen und das Zuschlagen von Leitungen zu vermeiden, soll
bei freiem Abfluss der maximale Füllungsgrad 85% des Innendurchmessers bei
Kreisrohren und 85% der Querschnittsfläche bei anderen Profilen nicht über-
schreiten (SIA V 190). Für Kreisrohre heisst das, dass die maximal abzuleitende
Wassermenge nicht grösser sein soll als die Wassermenge bei Vollfüllung der
Leitung ist (Q..;1 I Qvon < 1).
Hydraulische Berechnungen von Rohrleitungen werden mit unterschiedlichen
Zielen unternommen:
16.2 Hydraulische Berechnungen 265

Für die Dimensionierung von Abwasserkanälen: Bei bekannter Wassermenge


Q und bekanntem Sohlgefälle J5 soll das Profil der Leitung bestimmt werden.
Für diese Aufgabe ist es üblich, Leistungsreserven (Sicherheiten) von 10-
25% (SIA 190, 1977) zu berücksichtigen, die je nach Dimensionierungs-
verfahren explizit ausgewiesen oder implizit in die hydraulischen Wider-
standsbeiwerte eingebaut werden.
Es soll bei bekannter Gerinnegeometrie und Abflusstiefe die aktuelle Durch-
flussrate berechnet werden: Diese Aufgabe bedingt, dass ohne implizite Si-
cherheiten möglichst genau gerechnet wird. Die üblichen "Betriebsrauhig-
keiten", die für die Dimensionierung verwendet werden, sind hier nur mit
Vorsicht anwendbar, sie sind eher zu gross.
Es soll die Wasserspiegellage bei einem bestimmten Betriebszustand berech-
net werden: Diese Aufgabe muss je nach Fragestellung mit oder ohne Reser-
ven bearbeitet werden.
Früher war es üblich, Freispiegelleitungen mit der einfachen Gleichung von
Manning - Strick/er zu berechnen. Diese Gleichung eignet sich, um rasche Ab-
schätzungen zu machen, die für die Belange der Kanalisationstechnik meist ge-
nau genug sind:
V _
-
k St. R2t3 . 1112
E (16.2)

V = Mittlere Fliessgeschwindigkeit [L T]
ks, = Hydraulischer Widerstandsbeiwert nach Strickler [m 113 s· 1]
R = Hydraulischer Radius (z.B. IA des Kreisrohrdurchmessers) [L]
JE = Gefälle der Energielinie, bei Normalabfluss Sohlgefälle [-]

TabeHe 16.2. Rauhigkeitsbeiwerte kb (Prantl Colebrook) und hydraulische Widerstandsbeiwerte


ks 1 (Strickler) flir Kanalisationen. Die Rauhigkeitsbeiwerte entsprechen ,,Betriebsrauhigkeiten"
und nicht den messbaren Wandrauhigkeiten. Sie sind flir die Bemessung geeignet und beinhalten
Sicherheiten
Rauhigkeits- Hydraulischer
Art der Kanalisation bei wert Widerstandsbeiwert
kbinmm k 1 in m 113 s·1
Druckleitungen ohne Schächte und ohne Anschlüs- 0.5 90
se
Kreisförmige und kreisähnliche Kanäle mit 1.0 85
Schächten und Anschlüssen in den Schächten
Leitungen mit direkten Anschlüssen zwischen den 1.5 80
Schächten
Leitungen aus nicht genormten Rohren 1.5 ~80

Rechteckkanäle ~75

Gegliederte oder asymmetrische Querschnitte ~70

Gunitierte Stollen ~65

In Tabelle 16.2 sind Widerstandsbeiwerte und Rauhigkeitsbeiwerte (Betriebs-


rauhigkeiten, Bemessungswerte) für die hydraulische Berechnung von Kanalisa-
tionen zusammengestellt. Diese Werte können je nach Kanaldurchmesser zu
266 16 Technik der Siedlungsentwässerung

in m3 s·1
D=2.0 1.8 1.6 1.4 1.2 m
Ovoll

10

....... '\. ...... 5ms· 1


)"
8: ~m
......... I""" ~r\ Pd"U 0. 7m
............ )(-" ~ 0. 6m
~ :::: ~ ,.....!-' l,...o-
...............
b---':
......s; & ~ 4ms·1
II(" 0.5 m
0. 4m
......... 1'\. 0.3 m
"..... X 1-'

0.1 ~V
I-""
~ '.... ~ ...............
~
~
I( I--' L> ......... r... 0.2 m
3ms·1 1
2 ms-1
....... ,.;oc
,.......,......
'\. I-" 1 ms·1 1

0.01
,.......,...... V ...,...........
o.sms·1 II
0.0001 0.001 0.01 0.1
Energiegefälle JE
Abb. 16.26. Bemessungsdiagramm für Kreisprofile. Die Berechnungen basieren auf der Glei-
chung (11.4) von Prandtl Colebrook, mit einer Wandrauhigkeit von k" = 1 mm. Die Durchfluss-
geschwindigkeit entspricht der mittleren Fliessgeschwindigkeit bei voller Füllung des Kreispro-
fils (die Pfeile beziehen sich auf Beispiel 16.1 0)

Reservekapazitäten für die Wassermengen (versteckte Sicherheiten) von ca. 10-


25% führen.
Aus GI. (16.2) ergibt sich für Kreisrohre mit Vollfüllung:
(16.3)
Die Angaben zur stationären Rohrhydraulik in Kapitel 11.1, Seite 153, kön-
nen sinngernäss auf Kanäle mit Vollfüllung übertragen werden.
Mit Hilfe der Teilfüllungsdiagramme in Abb. 16.27 kann die effektive Ab-
flusstiefe h.rei. und die Aiessgeschwindigkeit vTeil auf Grund des Verhältnis
QTeil/ Qvou und Vvou =Qvou/ (1t·D2/4) berechnet werden.
Um Ablagerungen in Kanälen zu vermindern, wird in Schmutzabwasser- und
Mischwasserkanälen zusätzlich geprüft, ob eine minimale Aiessgeschwindigkeit
bei Trockenwetterabfluss während der Tagesstunden gewährleistet ist (s.
Tabelle 16.3).
In Abb. 16.26 ist ein Bemessungsdiagramm für Kreisprofile dargestellt. Es
basiert auf Normalabfluss und erlaubt für die Dimensionierungswassermenge
und bestimmte Gefälle den erforderlichen Innendurchmesser der Kanalisation zu
bestimmen. Bei Teilfüllung können die Bedingungen mit Hilfe von Abb. 16.27
auf effektive Betriebssituationen umgerechnet werden (s. Beispiel16.10).
16.2 Hydraulische Berechnungen 267

Temüllungsgrad h,-ei1I D

)'
V
'
I I I
0.8 Durchfluss Q 1 /
i_ /
y J
0.6 __.....
~ V
0.4
/
~
/

-
/ /

0.2
V /
...... 1 Fliessgeschwindigkeit v I
-
/ ,._ ~
f.---
0
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.2

Abb. 16.27. Teilfüllungsdiagramme für Kreisrohre, theoretisch berechnet (die Pfeile beziehen
sich auf Beispiel 16.1 0)

TabeHe 16.3. Minimale Fliessgeschwindigkeiten bei Trockenwetterabfluss während der Ta-


gesstunden (SIA V 190, 1993)
Innendurchmesser des Kanals Minimale Fliessgeschwindigkeit v
<0.4 m 0.6ms·
0.4- 1.0 m 0.8ms· 1
> l.Om l.Om s·1

Beispiel16.10. Dimensionierung einer Kanalisation


Wie gross muss der Innendurchmesser einer kreisförmigen Kanalisation mit einer Be-
triebsrauhigkeit kb von 1 mm gewählt werden, damit sie die folgenden Leistungen er-
bringt?
Maximale Wassermenge bei Regen: Qmax = 0.25 m3 s·1
Täglich erreichte Wassermenge bei Trockenwetter: Qrw = 0.01 m3 s·1
Sohlgefälle J 5 = 0.3 %
Nach Abb. 16.26 ergibt sich für 0" 011 = 0.25 m3 s·1 und J 5 = 0.3% ein erforderlicher
Durchmesser von 0.52 m. Da Kanalrohre in Abstufungen von 0.1 m genormt sind, muss
ein Rohr mit Durchmesser 0.6 m gewählt werden. Bei unverändertem Sohlgefälle hat
di~ses Rohr eine Abfl~sskapazität von Qvon,o.s = 0.34 m3 s·1 und eine Fliessgeschwindig-
keltvonvvon =1.2ms.
Für die effektive maximale Belastung ergibt sich die folgende Situation:
Regenwetter: Qmax I 0"011 = 0.25 I 0.34 = 0.74 und dafür nach Abb. 16.27:
hTeit I D = 0.64 oder Abflusstiefe hmax = 0.64 · 0.6 m =0.38 m
VTeil I Vvoll = 1.1 oder Abflussgeschwindigkeit vmax = 1.1 . 1.2 m s"1 = 1.3 m s"1
Trockenwetter: Orw I Qvon = 0.01 I 0.34 = 0.029 und dafür nach Abb. 16.27:
hreu I D = 0.1 oder Abflusstiefe h = 0.1 · 0.6 m =0.06 m
VTeilI Vvoll = 0.4 oder Abflussgeschwindigkeit VTW = 0.4. 1.2 m s" 1 = 0.48 m s"1
268 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Diese Fliessgeschwindigkeit ist geringer als das zulässige Minimum nach Tabelle 16.3.
Entweder muss das Gefälle erhöht werden, oder es kann ein Eiprofil eingesetzt werden,
das bei Niedrigwasser etwas grössere Fliessgeschwindigkeiten ergibt (Beispiel16.11).

Beispiel16.11. Vergleich eines Kreis- und eines Eiprofils


Eine Kanalisation hat ein Sohlengefälle von 0.3%, sie soll bei Trockenwetter 0.01 m3 s·1
Abwasser ableiten. Aufgrund der geforderten Leistung bei Regenwetter muss ein Kanal-
rohr mit einem Durchmesser von 0.6 m gewählt werden. Es kann mit einem k51nckler von
85 m 113 s· 1 gerechnet werden.
Wie gross ist die Abflusstiefe und die Fliessgeschwindigkeit in einem Kreisprofil?
Der hydraulische Radius des Kreisprofils beträgt R = Dl4 = 0.15 m
• 213 1/2 ·1
Nach GI. (16.2) Wird vvoll = 85.0.15 . 0.003 = 1.31 m s
• 813 1/2 3 ·1
Nach GI. (16.3) Wird Qvon = 0.312 · 85 · 0.6 · 0.003 = 0.372 m s
Der Teilfüllungsgrad wird Or.ul O.an = 0.01 I 0.372 = 0.027
Aus Abb. 16.27 ergibt sich für QTeill Qvoll = 0.027: HTeil I Hvoll = 0.10 und VTeil I Vvoll= 0.40.
Und daraus:
·1
HTeil = 0.010 . 0.6 = 0.06 m, VTeil = 0.40 . 1.31 = 0.52 m s
Diese Fliessgeschwindigkeit ist geringer als die minimal anzustrebende Fliessgeschwin-
digkeit von 0.8 m s· 1 (Tabelle 16.3). Es muss bei Trockenwetter mit Ablagerungen ge-
rechnet werden.
Welche Situation ergibt sich in einem Eiprofil mit gleichem Durchmesser?
Nach Abb. 16.3 hat die Trockenwetterrinne eines Eiprofiles nur den halben Durchmesser
des nominellen Durchmessers. Damit können wir für die Trockenwetterrinne die Teilfül-
lungsdiagramme für Kreisprofile nutzen (die Praxis kennt Teilfüllungsdiagramme auch für
Eiprofile).
Für die Trockenwetterrinne gilt der Durchmesser von 0.3 m. Der zugehörige hydraulische
Radius wird R =0.3 m 14 = 0.075 m (Dieser Wert gilt nur für die Trockenwetterrinne).
Nach GI. (16.2) wird vvon = 85 · 0.075213 • 0.003112 = 0.83 m s·1
Nach GI. (16.3) wird O.on = 0.312 · 85 · 0.3813 • 0.003112 = 0.059 m3 s·1
Der Teilfüllungsgrad wird Or.nl Qvon = 0.01 I 0.059 = 0.17
Aus Abb. 16.27 ergibt sich für QTeill Qvoll = 0.17: HTeil I Hvoll = 0.27 und VTeill Vvoll = 0. 73.
Und daraus:
·1
HTeil = 0.27. 0.3 = 0.08 m, VTeil= 0.73. 0.83 = 0.61 m s
Die Fliessgeschwindigkeit ist im Eiprofil günstiger. Die Fliessgeschwindigkeit erreicht den
Wert von 0.6 ms· 1 , der nach Tabelle 16.3 für D = 0.3 m anzustreben ist. Zudem ist die
Teilabflusstiefe etwas grösser, sodass weniger Sedimente gebildet werden.

Eine interessante Darstellung ergibt sich, wenn bei Teilfüllung die Fliessge-
schwindigkeit in Funktion der Abflussmenge dargestellt wird (Abb. 16.28).
Deutlich zeigt sich der Vorteil des Freispiegelgerinnes: Bei geringer Wasserfüh-
rung ist die Fliessgeschwindigkeit das Mehrfache der Fliessgeschwindigkeit im
vollen Kreisprofil (Druckleitung). Das ist insbesondere in Kanalisationen von
Bedeutung, wenn es gilt, die Ablagerung von Sedimenten zu vermeiden.
Für die hydraulische Berechnung von Kanalisationen, Sonderbauwerken etc.,
ist es wichtig zu wissen, ob ein Abfluss strömend oder schiessend erfolgt: Je nach
Situation pflanzen sich Störungen (Wellen, Rückstau) nach oben oder nur nach
16.2 Hydraulische Berechnungen 269

0.8
0.6 /
./
.........
-- ......
,...-'
_.,../
1/

0.4 II .....
_.."./
0.2 Abb. 16.28. Fliessgeschwindigkeit bei
0 / Teilfüllung in Funktion der abfliessen-
den Wasserrnenge. Ausgezogene Linie:
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 Kreisprofil mit Teilfüllung. Gestrichelte
Oten/ Ovo11 Linie: Druckleitung

Kanaldurchmesser

0.1

0.01 Abb. 16.29. Kritische Tiefe in Krei-


0.01 0.1 10 100 sprofilen in Funktion der Wassermenge
Wassenn.enge in m3 s·1 und des Kanaldurchmessers

unten fort, oder wir müssen Wassersprünge erwarten oder Bauwerke nach ande-
ren Kriterien auswählen und dimensionieren etc. Querschnittsform und Dimen-
sion, Rauhigkeit, Gefälle und Wassermenge entscheiden bei Normalabfluss, ob
der Abfluss strömend oder schiessend ist. Die entsprechenden Modelle werden
mit den Grundlagen der Hydraulik vermittelt. Mit Hilfe von Abb. 16.29 kann für
eine bestimmte Abflusssituation bestimmt werden, ob Schiessen oder Strömen
vorliegt: Ist die Abflusstiefe geringer als die kritische Tiefe, so schiesst der Ab-
fluss.

Beispiel16.12. Kritische Tiefe im Kreisprofil


Ist die Strömung im Kanalrohr aus Beispiel16.10 strömend oder schiessend?
Qmax =0.25 m3 s·1 bei hmax =0.38 m und D =0.6 m.
Nach Abb. 16.29 ergibt sich die kritische Tiefe für diese Situation zu hkm = 0.32 m. Der
Abfluss ist strömend.
Bei Trockenwetter mit Orw =0.01 m3 s·1 bei hrw =0.06 m und D =0.6 m ist der Abfluss
gerade kritisch.
270 16 Technik der Siedlungsentwässerung

_j

Grenzschicht

Ein l a u f - - - - - - Steilstrecke - - -- -• -Auslauf-


Abb. 16.30. Schematischer Längsschnitt einer Steilleitung

16.2.3 Steilleitungen
Unter Steilleitungen verstehen wir teilgefüllte Leitungen mit Kreisquerschnitt, in
denen das Wasser wegen der hohen Fliessgeschwindigkeit und den Turbulenzen
an der Wasser-Luftgrenzfläche Luft aufnimmt. Es bildet sich ein Wasser-Luft-
Gemisch. Die Luft wird in Form von Luftblasen eingetragen, die sich wegen
ihres Auftriebes vor allem nahe des freien Wasserspiegels ansammeln. Das Luft-
Wasser-Gemisch beansprucht in der Steilleitung im Vergleich zum Wasser allein
mehr Querschnittsfläche, entsprechend müssen die Leitungsdurchmesser vergrö-
ssert werden.
Ein Lufteintrag muss erst bei grossem Gefälle erwartet werden. Je nach
Durchmesser der Leitung im Bereiche von J 5 > 12% für D = 0.2 m, J 5 > 10% für
=
D 0.5 m und J5 > 7% bei D =2m.
In Abb. 16.30 ist ein schematischer Längsschnitt einer Steilleitung darge-
stellt. Nach einem anfänglichen Gefällswechsel ist eine Vergrösserung der stei-
len Kanalisation erforderlich, um eine genügende Fliessstrecke für die Beschleu-
nigung des Wassers zu gewährleisten. Nachdem die turbulente Grenzschicht bis
zum freien Wasserspiegel aufgebaut worden ist, beginnt eine Luftaufnahme, die
später ein Gleichgewicht erreicht; der erforderliche Fliessquerschnitt ist grösser
geworden. Im Auslauf der Steilstrecke wird mit Vorteil ein einfaches Bauwerk
zur Umwandlung der Energie angeordnet, in dem auch die aufgenommene Luft
wieder ausgeschieden wird.
Die SIA Empfehlung V 190 (1993) gibt Anhaltspunkte für die Dimensionie-
rung von Steilleitungen. Die Dokumentation SIA D 0100 gibt zusätzlich An-
haltspunkte zu Berechnungen von Teilfüllungen von steilen Leitungen.

16.2.4 Gefällswechsel
In hügeligen Regionen und im Alpengebiet sind Gefällswechsel zwischen Kanal-
strecken mit schwachem Gefälle und steilen Strecken recht häufig. Damit hier
kein Rückstau entsteht, muss diese Situation sorgfältig, auf der Grundlage von
hydraulischen Berechnungen gestaltet werden.
In Abb. 16.31 sind verschiedene Ausbildungen des Überganges einer Flach-
strecke in eine Steilstrecke dargestellt:
16.2 Hydraulische Berechnungen 271

Abb. 16.31. Verschiedene Ausbildungen des Übergangs einer Flachstrecke in eine Steilstrecke.
Die Energielinien E.L. sind schematisch für Normalabfluss gezeichnet (nach Hörler 1967)

Abb. 16.32. Typischer Übergang von einer


Flachstrecke in eine Steilstrecke: Das grosse
Kaliber wird beibehalten, bis das Wasser
genügend beschleunigt hat, um im kleinen
Kanal Platz zu finden

- Im Beispiel a) wird der Steilkanal unmittelbar im Übergang, basierend auf


einer Berechnung des Normalabflusses, auf den kleineren Durchmesser redu-
ziert. Da in der Steilstrecke die Geschwindigkeitshöhe ein Vielfaches derje-
nigen in der Aachstrecke beträgt, fehlt im Übergang die erforderliche Ener-
gie für die Beschleunigung des Wassers - diese Situation wird zu Rückstau
führen.
- Im Beispiel b) wird die erforderliche Energie durch einen zusätzlichen Ab-
sturz zur Verfügung gestellt. Wird auch der Einlaufverlust berücksichtigt, so
muss nicht mit Rückstau gerechnet werden. Allerdings wird die abgehende
Leitung anfanglieh voll laufen. Das kann im Bereich vom Übergang zur Teil-
füllung zu Problemen mit der Belüftung führen.
- Im Beispiel c) wird vorläufig der grosse Durchmesser der Aachstrecke bei-
behalten. Das Wasser muss nicht im Bauwerk, sondern erst in der nachfol-
genden Kanalisation beschleunigt werden - ein Rückstau ergibt sich nicht.
Nach einer angemessenen Beschleunigungsstrecke kann der Durchmesser der
neuen Situation angepasst werden.
In der Praxis wird der Einlauf in eine Steilstrecke mit Hilfe von abgestuften
Rohrdurchmessern nach Berechnung der Absenkkurve gestaltet (Abb. 16.32).
Heute werden Programme für die Berechnung der entsprechenden Absenkkurven
mit Berücksichtigung einer eventuellen Luftaufnahme angeboten.
Die Gefällswechsel von Steilstrecken zu Aachstrecken sind weniger kritisch,
aber auch sie sollen auf Grund von sorgfältigen hydraulischen Berechnungen
gestaltet werden. Ist der Abfluss in der Aachstrecke strömend, so ergibt sich ein
Wassersprung, dessen Position berechnet werden soll.
272 16 Technik der Siedlungsentwässerung

16.3 Modelle der Siedlungsentwässerung


In der Siedlungsentwässerung sind insbesondere als Folge von extremen Regen-
ereignissen keine maximal zu erwartenden Belastungen der Bauwerke bekannt.
Immer müssen wir mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eine Überlastung
und damit möglicherweise einen Schaden in Kauf nehmen. Auch häufige Ereig-
nisse (Entlastung von Mischwasser, Überlaufen von Regenüberlaufbecken) kön-
nen wir nur mit Häufigkeiten charakterisieren und nicht mit "Sicherheit" quanti-
fizieren und zeitlich voraussagen.
Historisch wurden für die Dimensionierung von Kanälen und Anlagen in der
Siedlungsentwässerung sehr einfache Modelle verwendet (z.B. die Fliesszeit-
methode, Abschn. 13.5.4, Seite 214). Dabei wurde die Häufigkeit des Versagens
eines Bauwerkes mit der Häufigkeit des entsprechenden Dimensionierungsregens
gleichgesetzt. Beispiel 16.13 zeigt aber, dass das Auftreten von Schäden eine
ganz andere Häufigkeit haben kann, als das Auftreten eines Dimensionierungs-
ereignisses. Je länger je mehr wird daher nicht mehr die Häufigkeit der Ursache
(Regen) sondern die prognostizierte Häufigkeit der unerwünschten Situation
(Schaden, Entlastung, ... ) als Kriterium zur Beurteilung und Dimensionierung
einer Massnahme herangezogen.
Die Vorhersage der Häufigkeiten der erwarteten Auswirkungen von Regen-
ereignissen bedingt, dass wir anspruchsvollere Modelle (und zugehörige Pro-
gramme) verwenden, die im Detail die ablaufenden Prozesse in der Siedlungs-
entwässerung beschreiben. Zudem können wir nicht mehr auf der Basis eines
einzelnen Dimensionierungsregens entscheiden, sondern es müssen vorzugsweise
lange Regenserien, die auf einer nahen Niederschlagsmessstation gemessen wur-
den, als Basis dienen.
In den 70er Jahren wurde in den USA das sogenannte Storm Water Manage-
ment Modell (SWMM oder verbal "swimm") entwickelt, das Modelle für den
Oberflächenabfluss und detaillierte nichtstationäre Modelle für den Abfluss in
Kanalisationen enthält. Dieses Modell ist als Programm laufend weiter entwi-
ckelt worden und kann noch heute in einer modernen Version von der USEPA
als Gratisprodukt bezogen werden (Internet). Aufbauend auf diesem öffentlich
zugänglichen Know How (der Source Code ist öffentlich) wurden auch viele
privatwirtschaftliche Produkte hergestellt, die z.T. mehr Bedienungskomfort und
zusätzliche Optionen bieten. Ein Verständnis für die Modelle, die diesen an-
spruchsvollen und umfangreichen Programmpaketen zu Grunde liegen, ist Vor-
bedingung für deren sinnvolle Anwendung. Das bedingt eine Vertiefung in die
Probleme der Siedlungsentwässerung, Siedlungshydrologie und Hydraulik.
Je nach Fragestellung, Komplexität der Verhältnisse und Erfahrungen der In-
genieurin kommen heute sehr unterschiedliche Berechnungsmethoden und Mo-
delle zur Anwendung (Abb. 16.33).

Beispiel16.13. Vergleich von steilen und flachen Kanälen bei Überlastung


ln Deutschland werden Kanalisationen typisch für Regen mit einer Jährlichkeit von
z = 2 a, in der Schweiz häufig für z = 5 a dimensioniert. Einer der Unterschiede zwischen
den beiden Ländern ist das durchschnittliche Gefälle der Kanalisationen, in Nord-
deutschland eher flach, in der Schweiz eher steil.
16.3 Modelle der Siedlungsentwässerung 273

einfach- hydraulische Verhältnisse -+-komplex


keine Rückstauungen grosse
klein . - - Komplexität der Netzstruktur -gross

klein Listenrechnung
von Hand

1
Grösse des Netzes Fliesszeit-
Einfache
Simulation
z.B. basierend
Detaillierte
hydro-
dynamische
Anzahl der Varianten Methode Simulation
auf
basierend auf
kinematischer
St. Venant
Welle
Gleichungen
J
gross
Programmierte
Listen

Abb. 16.33. Typische Modelle, die für die Dimensionierung und die Analyse von Problemen in
der Siedlungsentwässerung angewendet werden (GEP Richtlinie des VSA, 1989)

ln welcher Situation (z = 2 a, flach oder z = 5 a, steil) sind die Reserven in der Transport-
kapazität der Kanalisationen grlJsser?
Fallbeispiel: Gegeben ist ein Einzugsgebiet mit einer Fläche F = 4 ha, einem mittleren
Abflussbeiwert 'I'= 0.33, einer massgebenden Regendauer to von 10 min, mit der Re-
genintensität, die typisch ist für Bern. Beurteilt werden soll ein Sammelkanal mit einer
länge l = 300 m, der das Regenwasser aus diesem Einzugsgebiet ableiten kann.
QR = 'lf · F · r(t0,z) r(t0,z) für Bern (Tabelle 13.1)
' ·1 ·1 3 -1
z= 2a r(10, 2a) = 2271 s ha QR = 0.300 m s
z= 5a r(10', 5a) = 295 I s· ha·
1 1 QR = 0.389 m s·1
3
-1 -1 3 ·1
z = 10 a r(10', 10a) = 3541 s ha QR = 0.467 m s
Fall 1: Das Einzugsgebiet ist flach, der Sammelkanal hat ein Sohlgefälle von J5 = 0.6%,
die Kanalisation wird mit dem massgebenden Regen für z = 2 a dimensioniert.
z = 2 a QR = 0.300 m3 s·1 J5 = 0.6%
-+ D = 0.5 m .iH5 = 1.8 m (.iH 5 = ~nal • J5 )
Wie reagiert dieser Kanal auf einen Regen mit einer Jährlichkeif von z = 10 a?
(JE = Energiegefälle nach Abb. 16.26)
z = 10 a QR = 0.467 m3s·1 D = 0.5 m JE= 1.3% .iHE = 3.9 m
.iH = .iHE - .iH5 = 2.1 m
Damit der Regen mit einer Jährlichkeil von z = 10 a durch diese Kanalisation abgeleitet
werden kann, ist im oberen Schacht ein Überdruck (Überstau) von mindestens
.iH = 2.1 m erforderlich, d.h. der Wasserstand im oberen Schacht muss mindestens
2.1 m über dem Scheitel der Kanalisation stehen.
Fal/2: Das Einzugsgebiet ist .steil", der Sammelkanal hat ein Sohlengefälle von J5 = 3%,
die Kanalisation wird mit dem massgebenden Regen für z = 5 a dimensioniert.
Wie reagiert dieser Kanal auf einen Regen mit einer Jährlichkeif von z = 10 a?
3 -1
z= 5a QR = 0.389 m s D = 0.4 m J5 = 3.0% .iH5 = 9.0 m
3 -1
z = 10 a QR = 0.467 m s D = 0.4 m JE = 4.5% .iHE = 13.5 m
.iH = .iHE - .iH5 = 4.5 m
274 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Damit der Regen mit einer Jährlichkeit von z = 10 a durch diese Kanalisation abgeleitet
werden kann, ist im oberen Schacht ein Überdruck von mindestens äH = 4.5 m erforder-
lich.
Schlussfolgerung: Der steile Kanal wird voraussichtlich Oberschwemmen, denn er ist
kaum 4.5 m Oberdeckt Der flache Kanal kann das Ereignis mit z = 1o a gerade noch
ableiten, denn 2.1 m sind eine typische Überdeckung fOr eine Kanalisation. Trotz geringe-
rer Häufigkeit des Dimensionierungsregens, hat der flache Kanal eine grössere Lei-
stungsreserve.

16.4 Entwurf von Kanalnetzen


Kanalnetze wachsen über lange Zeit und können kaum je als Ganzes neu gestal-
tet werden. Historische Gegebenheiten sind die Basis für die weitere Entwick-
lung. Trotzdem muss im Rahmen des generellen Entwässerungsplans (GEP,
Kapitel 17) darauf geachtet werden, dass sich ein Kanalnetz gezielt und nach
einem überschaubaren Konzept entwickelt.
Die meisten Kanalnetze sind als Verästelungsnetze gestaltet, d.h. Vereini-
gungsschächte haben jeweils nur einen abtliessenden Kanal. Gelegentlich wer-
den in bestehenden Netzen durch Vermaschung einzelne Kanäle mit einem
Überlauf in einen anderen, leistungsfähigeren Kanal entlastet. Diese Entlastungs-
kanäle treten aber häufig erst bei hoher hydraulischer Belastung in Funktion.
Die meisten Kanalisationen folgen den öffentlichen Strassen. Im Strassen-
querschnitt liegen die Schmutzwasser- und Mischwasserleitungen zuunterst
(Sohlentiefen von 3 - 5 m sind typisch), allHillige Meteorwasserleitungen liegen
höher, aber noch unter den Wasser-, Gas-, Elektrisch- und Telefon-Leitungen.
Die Tiefenlage der Schmutzwasserleitung soll in der Regel ausreichen, um das
erste Kellergeschoss mit genügend Gelälle zu entwässern (Abb. 16.4). Querver-
bindungen zu den Liegenschaften können so im freien Gefälle angeordnet wer-
den.
Das gewählte Kanalgefälle folgt in erster Näherung dem Strassengefälle. Es
soll ausreichen, um im Schmutzwasser- und Mischwasserkanal bei Trocken-
wetter die minimalen Fliessgeschwindigkeiten zu gewährleisten (Tabelle 16.3).
Die Kanalisationen werden entsprechend ihrer langen Lebenserwartung von
50- 100 Jahren mit einem langen Planungshorizont geplant. Zukünftige, oben-
liegende Baugebiete müssen berücksichtigt werden.

16.5 Abflusssteuerung im Entwässerungsnetz


In der Siedlungsentwässerung werden viele Elemente gebaut, die auf sehr seltene
Ereignisse und zudem eine erst in Zukunft auftretende Belastung ausgelegt sind.
Zudem ist die Regenintensität nicht gleichmässig auf ein ganzes Einzugsgebiet
verteilt. Es bestehen also Transportkapazitäten, die nur selten genutzt werden.
Ziel der Abflusssteuerung ist, so auf den Abfluss in einem Entwässerungssy-
stem einzuwirken, dass die Belastung der Gewässer mit Mischwasser und ent-
sprechenden Schadstoffen während einem Regenereignis möglichst gering ge-
halten wird. Das bedingt, dass im Einzugsgebiet durch Stellorgane (Wehre,
Pumpen, Schieber) in den Abflussprozess eingegriffen werden kann. Basis für
solche Eingriffe sind fernübertragene Messungen von Niederschlag, Wasserstand
16.6 Messtechnik 275

und Abfluss (in grossen Städten auch Wetterradar) und möglicherweise Ab-
flussmodelle.
Die Abflusssteuerung ist besonders vielversprechend in flachen Kanalnetzen.
In steilen Kanälen sind Rückstaustrecken von Wehren kurz und haben ein gerin-
ges Volumen. Hier ist es entsprechend aufwendig, in den Abflussprozess einzu-
greifen. Der Betrieb von Regenüberlaufbecken wird häufig durch lokale Regel-
kreise unterstützt. Es ist absehbar, dass in grossen Einzugsgebieten in Zukunft
vermehrt Entwässerungsanlagen regional, von zentralen Warten aus, gesteuert
werden. Die bessere Ausnützung der bestehenden Speichervolumen ist hier oft
billiger als der Bau von neuem, schlecht und selten genutztem Retentions-
Volumen.
Siehe auch Schilling 1990.

16.6 Messtechnik
Heute werden in der Siedlungsentwässerung noch überraschend wenig Messge-
räte eingesetzt: Teure Bauwerke wie Regenüberlaufbecken werden im Betrieb
noch kaum überwacht, entsprechend fehlen uns immer wieder gute Grundlagen,
um eine zuverlässige Erfolgskontrolle durchzuführen. Die Hauptschwierigkeit
bei der Messung von Grössen, die für die Siedlungsentwässerung von Bedeutung
sind, liegt in ihrer grossen Variabilität, sowohl in quantitativer als auch in quali-
tativer Hinsicht. Zudem müssen diese Grössen im rohen Mischwasser gemessen
werden, das Grobstoffe aller Art enthält. Die Messgeräte müssen meist dezentral
aufgestellt werden, automatisch betrieben werden können und Messwerte mit
grosser zeitlicher Auflösung liefern. Es ist empfehlenswert, vor der Aufstellung
von Messinstrumenten erfahrene Praktiker zu konsultieren.
Niederschlagsmessung, Wasserstandsmessung (Füllstände, Niveaumessung)
und gelegentlich Durchflussmessung kommen zur Anwendung. Die Messung
von Stoffkonzentrationen ist nur im Rahmen von Forschungsprojekten, mit gro-
ssem personellem Aufwand möglich. Eine zuverlässige Durchflussmessung ist
bis heute noch kaum verfügbar.

16.7 Betrieb der Siedlungsentwässerung


Die Installationen der Siedlungsentwässerung müssen laufend überwacht, gerei-
nigt, unterhalten und betrieben werden. Dazu sollen im Rahmen der generellen
Entwässerungsplanung (GEP, Kapitel 17) die entsprechenden Pläne erarbeitet
werden.
Mit Hilfe von Fernsehkameras werden Kanäle regelmässig im Detail beob-
achtet, und es werden je nach Schaden und Gefährdung des Grundwassers zeit-
lich gestaffelte Massnahmen zur Sanierung von schadhaften Kanälen geplant.
Die Kontrolle und der Betrieb von Sonderbauwerken (Regenbecken, Regen-
überfälle, Pumpwerke etc.) wird mit Vorteil dem Personal übertragen, das auch
die Kläranlage betreibt.
17 Entwässerungsplanung

Dem generellen Entwässerungsplan (GEP) kommt in der Siedlungsentwässerung


eine zentrale strategische und Operationelle Rolle zu. Er enthält die Grundlagen
und Konzepte für den Ausbau der Entwässerungsanlagen, deren Unterhalt, Be-
trieb und Finanzierung. Zudem wird beschrieben, wie die anfallenden Daten
verwaltet werden und wer für was zuständig ist. Bis ca. 1990 kannten die Ge-
meinden nur das generelle Kanalisationsprojekt (GKP). Ein moderner GEP geht
weit über dieses GKP hinaus.

17.1 Generelles Kanalisationsprojekt (GKP)


Historisch wurde das Konzept, nachdem eine Siedlung entwässert wurde, v.a. im
Rahmen eines generellen Kanalisationprojekts (GKP) erarbeitet. In diesem GKP
standen ursprünglich die Belange der Kanalisation und des raschen Ableitens
von Abwasser aus den Siedlungen im Vordergrund. Der Anfall und der Transport
von Schmutzstoffen sowie die Belastung der Umwelt im Zusammenhang mit der
Rückführung des Abwassers in die Umwelt, standen eher im Hintergrund. Die
lange Lebenserwartung von Kanalisationen machte es erforderlich, die Ent-
wicklung der Entwässerung und der Siedlungen miteinander zu koordinieren.
Nach Hörler (1966) hatte ein GKP einer Gemeinde zu umfassen:
- Übersichtsplan 1 : 10'000
- Situationsplan 1 :2000
- Längenprofile der Hauptsammelkanäle 1 :20001100 (20-fach überhöht)
- Hydraulische Dimensionierung der Kanäle (Listenrechnung, meist nach dem
Fliesszeitverfahren, s. Abschn. 13.5.4, Seite 214) und eine Detailberechnung
hydraulisch kritischer Punkte.
- Generelle Studien zur Abklärung des Platzbedarfes der Abwasserreinigungs-
anlage (die heute meist gebaut ist).
- Technischer Bericht: Erläuterung der Projektgrundlagen, Ergebnisse von
Vergleichsberechnungen, Begründung der gewählten Lösung.
Das GKP wurde periodisch überarbeitet und mit der Entwicklung der
Ortsplanung in Einklang gebracht. Die meisten Kommunen haben heute ein
GKP, auf dem sie ihre Entscheide in Bezug auf den weiteren Ausbau der Sied-
lungsentwässerung basieren können.
Die Anforderungen an die Siedlungsentwässerung, insbesondere aus der Sicht
des Gewässerschutzes, haben laufend zugenommen. Heute werden die Grundla-
gen der Siedlungsentwässerung im Rahmen des generellen Entwässerungsplans
(GEP) erarbeitet. Dieser wurde in der Schweiz 1989 mit den entsprechenden
278 17 Entwässerungsplanung

Richtlinien des VSA eingeführt. Das traditionelle GKP ist nur noch ein Teilplan
desGEP.

17.2 Genereller Entwässerungsplan {GEP)


Der generelle Entwässerungsplan (GEP) wurde 1989 durch eine Richtlinie des
VSA (Verband Schweizerischer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute) in die
schweizerische Praxis eingeführt. Dies entspricht nicht dem üblichen Vorgehen,
nach dem Richtlinien die Aufgabe haben, die Praxis zu vereinheitlichen und
damit die Innovation der Praxis eher verzögern (diese dafür im Mittel qualitativ
verbessern). Weil die Bearbeitung des 1989 neu vorgeschlagenen GEP mehrere
Jahre in Anspruch nimmt, hat sich bis heute noch keine einheitliche Praxis der
GEP Bearbeitung herausgebildet. Viele Teilaspekte der GEP Bearbeitung sind
für die praktischen Ingenieure eher ungewohnt, der VSA hat sich daher ent-
schlossen, ein Musterbuch zu erarbeiten, das Anregungen in Form von Ausfüh-
rungsbeispielen vermittelt.
Der GEP ist ein interdisziplinäres und integrierendes Instrument: Er wird er-
arbeitet durch Ingenieurinnen, Hydrogeologen, Ökologen, Informatikerinnen etc.
Er dient sowohl der lokalen als auch der kantonalen Verwaltung im Vollzug und
unterstützt die Ingenieurarbeit sowie den Betrieb, den Unterhalt, die Erneuerung,
die Finanzplanung, die Dokumentation etc., also alle Aspekte der Siedlungsent-
wässerung. Zunehmend wird der GEP vom kommunalen Niveau auch auf das
regionale Niveau ausgedehnt.
Der ideale GEP ist ein sehr umfassender Plan:
- Die Grundlage stellt eine umfangreiche Erhebung von Basisdaten dar: Beste-
hende Installationen, Gewässercharakterisierungen, Versickerungskarten, Zu-
standsberichte für Gewässer, Kanalisation, Fremdwasser, Einzugsgebiete,
Gefahrenbereiche, Regencharakteristik, ...
- Als Arbeitsinstrumente werden Datenbanken und mathematische Modelle
evaluiert.
- Teilpläne werden erarbeitet: zur Gestaltung des Leitungsnetzes und der Son-
derbauwerke, zur Reduktion des Fremdwassers, zur Versickerung und Reten-
tion des Regenwassers, zum Entlastungskonzept und zur Behandlung des Re-
gen- und Mischwassers, zum Betrieb der Installationen (Abflusssteuerung),
zum Umgang mit Störfällen, zum Unterhalt, zu Reparaturen und zur Sanie-
rung des Entwässerungsnetzes.
- Es werden Pflichtenhefte für alle Beteiligten geschrieben und Finanzierungs-
pläne erstellt etc.
Schon heute ist absehbar, dass in Zukunft noch weitere Aspekte in den GEP
aufgenommen werden: Wirtschaftliche Aspekte, die Vernetzung mit der Wasser-
versorgung und ev. der Wasserwirtschaft. Der GEP ist der Vorläufer eines um-
fassenden, siedlungswasserwirtschaftliehen Rahmenplans, der alle Aspekte der
Siedlungswasserwirtschaft koordinieren wird. Heute haben die Kommunen noch
kaum ein Verständnis dafür entwickelt, welchen Wert ein fundierter und breit
angelegter GEP darstellt.
Die Kosten für die Erarbeitung einer ersten Version eines GEP sind hoch. In
einer Gemeinde mit 5000 Einwohnern muss mit mehreren 100'000.- Fr. gerech-
17.3 Rollenteilung zwischen Politik und Ingenieur 279

net werden. Ansebliessend soll der Plan dauernd aktuell gehalten werden. Heute
schrecken die Kommunen noch vor diesen "unproduktiven" Kosten zurück, in
Zukunft wird der GEP aber zum zentralen strategischen und operationeilen Ma-
nagmentwerkzeug. In der Praxis besteht heute das Bedürfnis, den GEP nicht nur
für einzelne Kommunen zu erarbeiten, sondern auf ganze Einzugsgebiete auszu-
dehnen: Es entsteht der regionale GEP.
Moderne Siedlungsentwässerung kann nur betrieben werden, wenn ein leis-
tungsfähiges Informationssystem die Grundlagedaten der Entwässerungsplanung
mit Daten über den Zustand, den Betrieb, Kosten, administrative Abläufe etc.
verbindet, in geeigneter Form als Information zur Verfügung stellt und verwaltet.
Die Erarbeitung von solchen Informationssystemen ist heute in vollem Gange
und stellt eine der grossen Herausforderungen der Siedlungswasserwirtschaft dar.
Daten sind die strategische Ressource für die Zukunft dieses Arbeitsgebietes.

17.3 Rollenteilung zwischen Politik und Ingenieur


Der Zielzustand der Siedlungsentwässerung muss politisch festgelegt werden: Es
ist eine politische Aufgabe, auszuhandeln, wieviel Mittel für die Siedlungshygie-
ne oder den Schutz der Umwelt resp. der Siedlungen zur Verfügung stehen. Da-
bei besteht die Schwierigkeit, Schäden an Gütern, an Menschen und an der Um-
welt zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Es ist die Aufgabe der Politi-
kerin, zu entscheiden, ob Mittel der Allgemeinheit gespart werden sollen und
dafür z.B. die Überschwemmung eines bestimmten Kellers häufiger in Kauf
genommen werden kann.
Die möglichen Schäden und Risiken zu bezeichnen und zu quantifizieren ist
die Aufgabe der lngenieurin. Sie soll aufzeigen, welche Massnahmen möglich
sind, was sie kosten und was sie bewirken. Ihre Vorschläge beruhen auf den
Fachkenntnissen, den Berufserfahrungen und auf den gesetzlichen Grundlagen
oder technischen Richtlinien. Die Iogenieurin ist für die Wahl der richtigen Ver-
fahren, Berechnungsmethoden und für die technische Gestaltung der Lösungen
verantwortlich. Sie kann nicht für die Festlegung der Zielzustände zuständig
sein, sondern nur für deren Einhaltung. Sie stellt die Entscheidungsgrundlagen
zur Verfügung und berät die politischen Instanzen, welche im Rahmen der ge-
setzlichen Bestimmungen die Entscheidungsträger sind.
18 Abwasserreinigung

Die Abwasserreinigung ist heute eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die ein ver-
tieftes Verständnis von Grundlagen aus den unterschiedlichsten Disziplinen be-
darf: Chemie, Mikrobiologie, Verfahrenstechnik, Biotechnologie, Steuer- und
Regelungstechnik, etc. Hier wird nur ein Überblick über die einfacheren Verfah-
ren vermittelt.

18.1 Aufgaben der Abwasserreinigung


Die Aufgaben der Abwasserreinigung sind nicht absolut festgelegt, sondern sie
müssen politisch ausgehandelt werden: Wieviel ist die Gesellschaft bereit für den
Schutz der Gewässer auszugeben?
Aufgabe der Abwasserreinigung ist es, zuverlässig und ökonomisch uner-
wünschte Schmutzstoffe aus dem Abwasser zu entfernen und diese soweit aufzu-
bereiten, dass sie definitiv entsorgt oder einer Nutzung zugeführt werden kön-
nen:
- Zuverlässig heisst, dass die Abwasserreinigungsanlagen eine hohe Verfüg-
barkeit von gegen 100% aufweisen müssen, d.h. auch während Wochenenden
und Festtagen, in der Nacht und während Gewittern, bei Unterhaltsarbeiten,
Umbauten und Revisionen muss eine, aus der Sicht der Gewässer genügende
Reinigungsleistung gewährleistet sein: "We never close". Die Verfügbarkeit
einer genügenden Leistung von Abwasserreinigungsanlagen liegt im Allge-
meinen über 99% der Zeit.
- Ökonomisch heisst, dass unter Berücksichtigung der Jahreskosten (Betrieb,
Unterhalt, sowie Amortisation und Verzinsung der Investitionen) eine mög-
lichst günstige Situation resultieren soll. Durch Subventionen wird das häufig
verfälscht: Gemeinden oder Zweckverbände (die Eigentümer der Kläranla-
gen) sind interessiert, mit grossen Subventionen, die meist nur für Investitio-
nen ausgerichtet werden, die Betriebskosten niedrig zu halten. Da die Abwas-
serreinigung als Produkt "Geschützte Umwelt" hat, das sich nicht verkaufen
lässt, stehen häufig nur ungenügende finanzielle Mittel für einen zuverlässi-
gen Betrieb zur Verfügung. In der Schweiz wird in vielen Kommunen über
die Gebühren, die für die Abwasserreinigung erhoben werden, noch an Ge-
meindeversammlungen verhandelt.
- Unerwünschte Schmutzstoffe sind solche, die nach der momentanen Auffas-
sung und je länger je mehr in Abhängigkeit von der Vorflut, in die das gerei-
nigte Abwasser eingeleitet wird, aus dem Abwasser entfernt werden müssen:
Historisch vorerst Stoffe, die die Gewässer verschlammt haben (Sedimente,
282 18 Abwasserreinigung

TSS), dann biologisch abbaubare organische Stoffe (BSB 5), dann Ammonium
(NH4•), Phosphor (P), Nitrat (NOJ etc.
- Die Aufbereitung der eliminierten Schmutzstoffe geschieht im Rahmen der
Schlammbehandlung. Die produzierten Schlämme sollen gefahrlos (Hygiene,
Akkumulation von Schadstoffen, Abschwemmung in die Gewässer und Ver-
sickerung ins Grundwasser) und ohne übermässige Geruchsentwicklung in
die Landwirtschaft ausgebracht werden können oder in geeigneter Form de-
poniert werden (heute meist als Asche eines Verbrennungsprozesses).
Die Aufgabe der Abwasserreinigung ist im Verlauf der Zeit stark ausgedehnt
worden, insbesondere weil mit zunehmendem Wohlstand in den Industrieländern
die Belastung der Gewässer gestiegen ist (v.a. mit dem Ausbau der Schwemm-
kanalisation) und gleichzeitig immer höhere, anspruchsvollere Anforderungen an
den Zustand und die Nutzung der Gewässer gestellt werden. In Zukunft wird es
darum gehen, die Prinzipien der Nachhaltigkeil und der Ressourceneffizienz
auch in der Abwasserreinigung zu berücksichtigen.
Abwasserreinigung ist eine Aufgabe im Bereiche des Gewässerschutzes: Die
Gewässer werden genutzt um Abwasser abzuleiten. Da Abwasser mit Schmutz-
stoffen belastet ist, die in den Gewässern unerwünschte Folgen haben, soll die
Abwasserreinigung dazu beitragen, diese Folgen so weit als möglich (und wirt-
schaftlich tragbar) zu vermindern. Die Zielsetzung der Abwasserreinigung ist nie
eine absolute (z.B. die Abwassereinleitung darf keine Schäden verursachen),
sondern, im Rahmen von politischen Diskussionen um die Ziele des Gewässer-
schutzes, nur eine relative. Was den westlichen Industrieländern als schützens-
wert erscheint, ist häufig in Entwicklungsländern kaum von Belang (was in An-
betracht der akuten lokalen Probleme mehr als verständlich ist).

18.2 Einleitbedingungen von Kläranlagen


Einleitbedingungen charakterisieren die Anforderungen an das gereinigte Ab-
wasser, bevor es in die Vorflut (das Gewässer) eingeleitet werden darf. Einleit-
bedingungen werden häufig mit statistischen Eigenschaften angegeben: In der
Schweiz muss der Grenzwert z.B. in 4 von 5 Proben oder 80% aller Werte, ein-
gehalten werden, etc. Zusätzlich werden über die Art der Probenahme Angaben
gemacht: Sammelprobe, Stichprobe, bei Trockenwetter, etc.
Tabelle 18.1 ist eine Zusammenfassung der Entwicklung der Einleitbedingungen
von Kläranlagen in der Schweiz. Angegeben sind nur die Parameter, die regel-
mässig kontrolliert werden. Die eidgenössische Verordnung über Abwasserein-
leitungen (VO 1976) begrenzt zusätzlich noch ca. 50 weitere chemische und
physikalische Grössen, die aber nur in begründeten Spezialfällen kontrolliert
werden.
- TSS steht für Total Suspendierte Stoffe und begrenzt die Konzentration der
partikulären, von blossem Auge sichtbaren Stoffe, die in den Gewässern aus-
sedimentieren können und dadurch zur Verschlamrnung der Sedimente füh-
ren. Seitungefahr 1976 ist mit der Einführung der Filtration über Sandbetten
für einzelne Anlagen eine Verschärfung des Grenzwerts möglich. Der Wert
von 5 g TSS m-3 kann mit konventionellen Reinigungsverfahren (Abb. 18.1)
18.2 Einleitbedingungen von Kläranlagen 283

nicht zuverlässig eingehalten werden und bedingt weitergehende Verfahren


wie z.B. die Filtration.
- BSB5 steht für den Biochemischen Sauerstoffbedarf während 5 Tagen und ist
ein Mass für die Belastung der Gewässer mit biologisch abbaubaren organi-
schen Stoffen, welche bei übermässiger Einleitung v.a. in Fliessgewässern zu
einer Massenentwicklung von Bakterien führen, die in unansehnlichen, grau-
en Zotten im Wasser fluten ("Abwasserpilz", Sphärotilus natans). Das kann
im Sediment zu sauerstoffarmen oder anaeroben Verhältnissen führen. Die
zunehmende Erfahrung mit der biologischen Reinigung erlaubte diesen
Grenzwert für einzelne Anlagen zu verschärfen - er kann meist mit aus-
schliesslich biologischen Verfahren eingehalten werden.
- DOC steht für "Dissolved Organic Carbon" und ist ein Mass für den Restge-
halt des gereinigten Abwassers an organischen Verbindungen, unabhängig
davon ob diese noch biologisch abbaubar sind oder nicht. Biologisch schwer
abbaubare und nicht abbaubare Verbindungen sind den heute angewendeten
(biologischen) Verfahren nur beschränkt zugänglich. Mit der Begrenzung des
DOC wollen wir die Restbelastung des Abwassers mit solchen Stoffen in
Grenzen halten, was z.T. nur mit Massnahmen an der Quelle (z.B. Produkte-
spezifikationen) möglich ist. Bei den Inhaltsstoffen der Wasch- und Reini-
gungsmittel ist das in den letzten Jahren zunehmend geschehen. Der seit 1976
vorgeschriebene Grenzwert kann heute durch gut betriebene biologische Ver-
fahren in der kommunalen Abwasserreinigung eingehalten werden, Probleme
können sich bei industriellen Abwässern ergeben. (In vielen Ländern wird an
Stelle des DOC der CSB (Chemischer Sauerstoff-Bedarf) zur Beurteilung der
organischen Stoffe im Ablauf von Kläranlagen verwendet.)
- Ammonium (NH4+) ist eine mineralische Form von Stickstoff, die im Gewäs-
ser zu grosser Sauerstoffzehrung führen kann und unter ungünstigen Bedin-
gungen (hoher pH-Wert, hohe Temperatur) zum fischgiftigen Ammoniak
(NH3) dissoziiert. Eine Begrenzung drängt sich v.a. in Forellengewässern auf.
Seit ca. 1975 stehen uns Verfahren (Nitrifikation) und gesicherte Erfahrungen
sowie Dimensionierungsmodelle zur Verfügung, die erlauben, für einzelne
Anlagen niedrige Grenzwerte zu setzen (2 g NH4-N m·3 im Ablauf bedingen
eine Verringerung um über 90%). Seit 1980 kann der Grenzwert auf Grund
zunehmender Erfahrungen weiter verschärft werden.
- Nitrit (N0 2 ) ist eine mineralische Form von Stickstoff, die schon in geringen
Konzentrationen fischgiftig ist. Der vorgesehene Grenzwert kann mit biologi-
schen Reinigungsverfahren bei guter Gestaltung und sorgfältigem Betrieb
eingehalten werden.
- Nitrat (N03) ist die dritte Form von mineralischem Stickstoff, die für unsere
Gewässer von Bedeutung ist. Es wird begrenzt im Hinblick auf den Schutz
unserer Oberflächengewässer als Quelle für die Wasserversorgung (sowohl
direkt als auch indirekt über die natürliche Infiltration ins Grundwasser). Im
Zusammenhang mit dem Schutz der Nordsee wird heute Nitrat intensiv dis-
kutiert und in vielen europäischen Ländern bereits begrenzt. Seit ca. 1980
kann die biologische Abwasserreinigung so gestaltet werden, dass zuverlässig
eine mindestens teilweise Reduktion des Nitrats erreicht wird. In der Schweiz
wird vorläufig nur für grosse Kläranlagen eine Elimination von Stickstoff,
284 18 Abwasserreinigung

d.h. eine Reduktion der Nitratfracht, gefordert. Die Reduktion der Stickstoff-
belastung der Gewässer soll hier v .a. bei der Landwirtschaft ansetzen.
Phosphat (P043) und seit 1976 totaler Phosphor werden begrenzt, um die
Überdüngung (Eutrophierung) unserer Seen möglichst gering zu halten. Tra-
ditionell sind v.a. chemische Verfahren (Fällung) für die Elimination von
Phosphor eingesetzt worden. Die Verringerung des Grenzwerts nach 1980
von 1.0 auf 0.8 g P101 m·3 widerspiegelt die Massnahmen an der Quelle (Ver-
bot von Polyphosphaten in Textilwaschmitteln, 1986). Der Grenzwert von 0.2
g P101 m·3 bedingt den Einsatz von weitergehenden Reinigungsverfahren
(Flockungsfiltration). Heute ist absehbar, dass in Zukunft auch rein biologi-
sche Verfahren grössere Mengen Phosphor aus dem Abwasser werden entfer-
nen können.

TabeHe 18.1. Entwicklung der Einleitbedingungen von Schweizerischen Abwasserreinigungsan-


lagen im Verlaufe der letzten Jahre. Angegeben sind Werte, die typisch für weitergehende Abwas-
serreinigung verlangt werden. Die Minimalanforderungen müssen heute (1998) von praktisch
aßen Anlagen eingehalten werden. Die Werte gelten als eingehalten, wenn in 4 von 5 mengenpro-
portionalen Tagesmischproben, die bei Trockenwetter aus dem Ablauf der Kläranlagen gezogen
werden, die Grenzwerte nicht überschritten worden sind. AUe Angaben sind in g m"3.
Jahr 1966 1976 Seit 1980 Minimal
TSS 20 5 5 20
BSB~ 20 10 5-10 20
DOC 10 10 10
Ammonium (NH4++NH3-N) 2 1-2
Nitrit (N02--N) 0.3 0.3 0.3 0.3
Nitrat (N03--N) 10
Phosphat-P 0.7
P total 0.2-0.8 0.8

Zusammenfassend ergibt sich das Bild, dass für immer mehr verschiedene
Stoffe immer strengere Anforderungen an das gereinigte Abwasser gestellt wer-
den. Verschärfungen der Einleitbedingungen werden hauptsächlich als Folge der
zunehmenden technischen Möglichkeiten der Abwasserreinigung eingeführt. In
der Schweiz ist es üblich, Einleitbedingungen gegenüber den Minimalanforder-
ungen nur dort zu verschärfen, wo das aus der Sicht der Gewässer erforderlich
ist. Internationale Verpflichtungen führen aber auch hier je länger je mehr dazu,
dass was technisch machbar ist, auch gefordert wird. Ob damit über das Ganze
betrachtet der Umwelt immer gedient ist, ist fraglich.

Beispiel18.1. Verdünnung des Abwassers in der Vorflut


Das folgende Beispiel gibt nur Grössenordnungen.
Im schweizerischen Mittelland wohnen ca. 500 Einwohner pro km2 (Die Schweiz hat ca. 7
Mio. E und eine Fläche von 40'000 km2 =) 175 E km-2 , nur 1/3 der Schweiz ist bewohn-
bar), diese liefern pro Jahr 50'000 m3 km-2 Abwasser oder 1.61 s_, km-2 •
Auf einen km2 fallen 1 Mio. m3 Regenwasser, davon gehen 30% durch Evapotranspiration
verloren, weitere 15% fliessendirekt während des Regens oberflächlich ab und 5% wer-
den als Trinkwasser genutzt (50'000 m3 km-2 a·\ Der Basisabfluss (gespiesen durch
18.3 Fliessschema einer Kläranlage 285

Grundwasser) der Fliessgewässer beträgt also ca. 50% des Niederschlages oder
500'000 m3 km·2 a·1 .
Das Verhältnis des Niedrigwassers 0 347 (Wassermenge, die an 95% der Tage über-
schritten wird) zur mittleren Wasserführung, die an ca. 50% der Tage überschritten wird,
beträgt typisch ca. 0 347 I 0 182 = 1 I 3. Daraus ergibt sich die Niedrigwasserführun~ im
"typischen" Fliessgewässer zu ca. 500'000 I 3 = 170'000 m3 km·2 a·1 oder 5.41 s·1 km·.
Die Verdünnung des Abwassers beträgt also bei Niedrigwasser im schweizerischen Mit-
telland, wenn kein Wasser aus den schwachbesiedelten Voralpen als Verdünnungs-
wasser zur Verfügung steht: OAbwasser I (0347 Fluss +0Abwasser) = 1 I 4.4.
Um eine Ammoniumkonzentration von < O.S g N m·3 einzuhalten, muss daher die Einleit-
bedingung auf ca. 2 g NH4·-N m·3 lauten (die Fliessgewässer sind kaum mit Ammonium
vorbelastet!).
Die Nitratkonzentration in vielen Bächen beträgt ca. 2 gN03--N m·3 (Vorbelastung aus der
Landwirtschaft). Der Grenzwert in den Fliessgewässern der Schweiz liegt bei 6 g N03--N
m·3. Die Nitratkonzentration im Abwasser SN03 muss deshalb auf den folgenden Wert
begrenzt werden:
. ·3
SN03 = ((0Abw+0Fiuss)·6- 0Fiuss2) I OAbw = 20 g N03 -Nm .
ln den meisten gereinigten kommunalen Abwässern der Schweiz wird diese Konzentrati-
on auch ohne Stickstoffelimination eingehalten.

18.3 Fliessschema einer Kläranlage


In der Schweiz gibt es ca. 1'000 öffentliche Kläranlagen, auf denen ca. 1'000
Personen arbeiten und das Abwasser von insgesamt ca. 7 Mio. Einwohnern rei-
nigen (dazu kommt noch das Abwasser aus den Industriebetrieben). Ein paar
wenige grosse Anlagen reinigen den Grossteil des Abwassers. Die meisten Klär-
anlagen dienen einem Einzugsgebiet mit weniger als 6'000 Einwohnern. Das
sind Anlagen, die einen vollamtlichen Klärmeister beschäftigen, der gelegentlich
durch einen zusätzlichen Gemeindearbeiter vertreten oder unterstützt wird. Die
durchschnittliche Kläranlage reinigt bei Trockenwetter ca. 3'000 m3 d. 1 oder total
1-2 Mio. m3 a· 1 Abwasser und hat einen Durchfluss von im Mittel etwa 30 1 s·1 •
Die maximale Reinigungskapazität bei Regen beträgt etwa 100 I s· 1• Die Anlage
umfasst eine mechanische, eine biologische und meist auch eine chemische Rei-
nigungsstufe, wie das in der Folge beschrieben ist.
In Abb. 18.1 ist das Fliessschema einer mechanisch- biologischen Abwasser-
reinigungsanlage (ARA) dargestellt, wie sie in der Schweiz mit kleinen Abwei-
chungen mehrere hundert Mal gebaut wurde. In den nachfolgenden Erläuterun-
gen der einzelnen Verfahrensstufen ist jeweils eine typische Aufenthaltszeit für
das Abwasser ew, den Schlamm es oder das Gas eG angegeben:
- Der Zulauf fliesst vorerst durch einen Rechen, indem Stoffe, die grösser als
5 - 20 mm sind, abgetrennt werden. Das Rechengut wird maschinell gesam-
melt, entwässert und meist zusammen mit Kehricht entsorgt (verbrannt).
[9w = 10 sec].
- Im Sandfang werden mineralische Feststoffe (z.B. Sand > 0.1 mm Durch-
messer) abgetrennt, um nachfolgende Verstopfungen in langsamdurchflosse-
nen Leitungen zu vermeiden und Pumpen vor Abrasion zu schützen. Der
Sand wird gewaschen und deponiert. [9w = 2- 10 min]
286 18 Abwasserreinigung

+-- mechanische Reinigung - - - - biologische Reinigung -


VoJ1där-
Rechen
Zulaul

Rechengut

Rücklaut
"'
Abtransport
Sekundärschlamm
Überschussschi amm

Gasometer

Zur Nutzung
Frischschlamm (Landwirtschaft)
ev. Entwässerung.
Trocknung,
Verbrennung,
Faulraum Schlammstapel Deponie
35' C
+-- - - -- - -- Schlammbehandlung - - - - - - - - -

Abb. 18.1. Typisches Fliessschema einer zweistufigen, mechanisch - biologischen Abwasser-


reinigungsanlage. Die Schlammbehandlung ist verfahrenstechnisch heute häufig anspruchsvol-
ler. Die chemische Reinigungsstufe (Phosphatfallung) kann sehr einfach in dieses Fliessschema
eingebracht werden

Im Fettfang werden aufschwimmende Stoffe abgetrennt, die sonst hinter


Staublechen auf der Wasseroberfläche akkumulieren, Betonwände verkleben
und zu Geruchs- und Betriebsproblemen führen würden. Abgetrenntes Fett
wird häufig zusammen mit dem Klärschlamm auf der Anlage weiterbehan-
delt [9w = 2- 10 rnin].
In vielen Kläranlagen sind der Sand- und der Fettfang in einem Bauwerk zu-
sammengefasst.
Im Vorklärbecken sinken langsam sedimentierende Feststoffe im Verlauf von
ca. I Stunde auf den Boden ab und werden dort mechanisch zur weiteren
Eindickung in einen Trichter geräumt. Der sogenannte Primärschlamm (Pri-
mär= aus der ersten Stufe) wird der Schlammbehandlung zugeführt.
[9w = 40- 120 rnin, es = 1 d]
Die bisher beschriebenen Verfahrensstufen stellen zusammen die mechani-
sche Reinigung dar. Sie entsprechen ca. dem Stand der Technik, der bis 1960 in
Europa in den Kläranlagen realisiert wurde. Für die ansebliessende biologische
Reinigung kennen wir verschiedene alternative Verfahren, hier dargestellt ist das
Belebtschlammverfahren (andere Verfahren werden später vorgestellt):
Dem Belüftungsbecken werden mit dem Zulauf die biologisch abbaubaren,
gelösten, kolloidalen und noch nicht sedimentierten Schmutzstoffe zugeführt.
Über den Rücklaufschlamm werden Bakterien rezirkuliert, und durch die Be-
18.3 Riessschema einer Kläranlage 287

Iüftung wird Sauerstoff ins Belüftungsbecken eingetragen. Nun können die


Bakterien unter Verwendung von Sauerstoff die Schmutzstoffe abbauen und
sich dadurch vermehren: Es bilden sich bräunliche Schlammflocken von 0.2 -
1 mm Grösse, Belebtschlamm. [ew =2- 15 h, es= 2- 15 d, ea (Luft) = 20 s)]
Im Nachklärbecken wird durch Sedimentation der Belebtschlamm vom ge-
reinigten Abwasser getrennt (Mikroorganismen sind etwas schwerer, d.h.
dichter als Wasser). Das gereinigte Abwasser wird dekantiert und in die Vor-
flut geleitet (möglicherweise vorher noch filtriert). Das Sediment wird mit
dem Rücklaufschlamm zum Belüftungsbecken zurückgeführt. Ein Teil des
Rücklaufschlammes, der dem Zuwachs der Mikroorganismen durch die vor-
hergehende Schmutzstoffelimination entspricht, wird als Sekundärschlamm
(oder Überschussschlamm) abgetrennt (ca. 2% des Rücklaufschlammes) und
der Schlammbehandlung zugeführt. [ew = 3 - 5 h, es = 1 h pro Durchgang]
- Im Eindicker werden die verschiedenen Schlämme zusammen oder getrennt
eingedickt, um ihr Volumen zu verringern. Dabei wird Wasser vom einge-
dickten Sediment abgetrennt und in die Abwasserreinigung zurückgeleitet
[es= 1-2 d].
- Der eingedickte Frischschlamm (oder Rohschlamm) wird nun einer Hygieni-
sierung zugeführt. Bei Temperaturen von 60 - 70 oc werden Krankheitskei-
me, Wurmeier etc. abgetötet, damit später der Klärschlamm in der Landwirt-
schaft genutzt werden kann. Die erforderliche Wärme liefert meist das Bio-
gas (es =4 - 24 h).
- Im Faulraum werden die abbaubaren organischen Stoffe unter Ausschluss
von Sauerstoff in Biogas (Methan CH4 und Kohlendioxid C02) zersetzt. Der
Faulraum wird durch anfallendes Biogas auf einer Temperatur von ca. 35°C
gehalten um die Zersetzung zu beschleunigen. [es= 15- 30 d]
- Im Schlammstapel (Nachfaulraum) wird der ausgefaulte Schlamm bei ca.
25 oc gelagert und gestapelt und soweit als möglich weiter eingedickt. Klär-
schlamm darf im Winter nicht auf die Felder ausgebracht werden, entspre-
chend ergeben sich lange Stapelzeiten. [es= 30- 150 d]
In vielen Kläranlagen wird der ausgefaulte Klärschlamm flüssig oder nach
Entwässerung, respektive Trocknung in die Landwirtschaft ausgetragen
(nicht im Winter).
- Im Gasometer wird das anfallende Biogas bis zur Nutzung gestapelt. Typi-
sche Nutzungen sind: Prozesswärme für den Faulturm, respektive die thermi-
sche Hygienisierung des rohen Schlammes. Immer häufiger wird elektrische
Energie produziert, wobei die Abwärme der Gasmotoren als Prozesswärme
genutzt wird. [e 0 = 1 d]
Die Kläranlage in Abb. 18.1 müsste noch mit einer Phosphorelimination er-
gänzt werden, damit sie die Minimalanforderungen, die in Tabelle 18.1, Seite
284, angegeben sind, einhalten könnte. Im einfachsten Fall bedingt das, dass im
Zulauf zum Belebungsbecken geringe Mengen von Chemikalien (z.B. Eisensal-
ze) zudosiert werden, mit denen die Phosphate (PO/") ausgefällt (in Feststoffe
umgewandelt) und im Nachklärbecken abgetrennt werden können. Die Phos-
phate werden ansebliessend über den Sekundärschlamm der Schlammbehand-
lung zugeführt.
288 18 Abwasserreinigung

Beisplel18.2. Aufenthaltszeiten in Kläranlagen


Wie lange bleibt das Wasser und der Schlamm in der typischen Schweizerischen Kl~r­
anlage?
Die folgenden Angaben sind typisch für eine moderne Kläranlage:
Abwasser Schlamm
ew es
h d
Mechanische Vorreinigung 0.2 0.01
Vorklärung 1.5 1
Belüftungsbecken 10 10
Nachklärbecken 5 2
Schlammeindicker 2
Faulraum 20
Nachfaulraum I Schlammstapel 100
Total < 24 h > 100d
Das Wasser hat seine grösste Aufenthaltszeit im Belebungsbecken. Das ist insbesonde-
re dann der Fall, wenn Nitrifikation und Denitrifikation (Stickstoffelimination) erforderlich
sind (s. später). Der Klärschlamm verbleibt ca. 10 d in der biologischen Reinigung (Be-
lebtschlamm), 20 d in der Stabilisierung (Faulraum) und bis über 100 d im Schlammsta-
pel, weil im Winter kein Schlamm in die Landwirtschaft ausgetragen werden darf.
19 Mechanische Abwasserreinigung

Die mechanische Abwasserreinigung heisst auch "erste Reinigungsstufe". Sie


entspricht den Reinigungsveifahren, die am Anfang realisiert wurden. Damals
wurden ausschliesslich mechanische Apparate (Rechen) und physikalische Pro-
zesse (Sedimentation, Flotation) zur Reinigung eingesetzt. Damit konnten die
auffälligsten, ästhetischen Gewässerschutzprobleme gelöst werden: Die
Schlammablagerung wurde von den Gewässern in die technischen Bauwerke
verlegt.
Die mechanische Abwasserreinigung umfasst die Vorreinigung (Abtrennung
von Sand, Fett und Grobstoffen) und die Vorklärung (Sedimentation).

19.1 Mechanische Vorreinigung


Die Aufgabe der mechanischen Vorreinigung ist das Entfernen von Sand, Fett
und Grobstoffen, die die nachfolgenden Reinigungsprozesse stören könnten.
Die mechanische Vorreinigung hat zum Ziel, das Wasser für die eigentliche
Reinigung vorzubereiten. Es sollen Grobstoffe aus dem Abwasser entfernt wer-
den, die ansebliessend zu Verstopfungen, Geruch, unansehnlichen Verklebungen
oder zu Problemen in der Schlammbehandlung (z.B. Plastikteile im ausgefaulten
Schlamm, der in die Landwirtschaft ausgetragen wird) etc. führen könnten.
Wir unterscheiden:
- Grobstoffe (von Auge sichtbare, meist organische Stoffe, Papier, Plastik,
Textilien etc.), diese werden meist mit Rechen oder Sieben entfernt.
- Sand, der in Sandfängen auf der Basis seiner hohen Dichte zurückgehalten
wird.
- flotierende, aufschwimmende Stoffe (Fette, Öle), die in sogenannten Fettfän-
gen abgetrennt werden.

19.1.1 Rechen
Rechen werden in verschiedensten Bauformen hergestellt, gelegentlich werden
sie mit abnehmendem Stababstand hintereinander gebaut. Typisch sind Stabab-
stände von 30 - 60 mm für Grobrechen, die ansebliessend von Feinrechen mit 6 -
30 mm Stababstand gefolgt werden. Heute ist ein Trend zu immer feineren Re-
chen zu beobachten, dadurch nimmt einerseits die Menge des zurückgehaltenen
Rechenguts zu (unerwünscht), andererseits wird die ganze Anlage und insbeson-
dere auch die Schlammbehandlung und damit der zum Schluss ev. in die Land-
wirtschaft ausgetragene Schlamm geschützt. Ein Beispiel einer Rechenanlage ist
in Abb. 19.1 dargestellt.
290 19 Mechanische Abwasserreinigung

Reinigungsmaschine

I
Abb. 19.1. Typische, automatisch gerei-
nigte Rechenanlage einer grösseren Klär-
anlage

Das Rechengut wird automatisch geräumt, entwässert, in Mulden gesammelt


und meist in Kehrichtverbrennungsanlagen entsorgt. Richtwerte für die anfallen-
den Mengen des Rechenguts sind in Tabelle 19 .I zusammengestellt.

TabeHe 19.1. Anfall von Sieb- oder Rechengut auf kommunalen Kläranlagen in Funktion des
Stababstandes (s. a. Schüssler 1995). Der organische Anteil wird mit 85% der Feststoffe angege-
ben. Durch Pressen kann das Volumen stark reduziert werden. Je nach Siedlung und Gewerbe-
einleitungen ist ein Schwankungsbereich von -50% bis +100% möglich

Art der Abtrennung Durchlassweite Spezifischer Anfall in m E. a·


mm ungepresst (8% TS) gepresst (25% TS)
Grobrechen 50 0.003 0.001
Feinrechen 15 0.012 0.004
Sieb 3 0.022 0.007

Beispiel19.1. Anfall von Rechengut


Wieviel Rechengut flillt auf der Klliranlage einer Gemeinde mit 5000 Einwohnern jährlich
an? Die Kläranlage ist mit einem Feinrechen mit 10 mm Stababstand ausgerüstet und hat
eine Rechengutpresse, die das Rechengut bis auf einen Wassergehalt von 70% entwäs-
sert.
Nach Tabelle 19.1 beträgt der Anfall bei 10 mm Stababstand ca. 0.015 m3 E., a· 1 mit
einem Wassergehalt von 92%. Pro Einwohner fallen also ca. 1.2 kg Trockensubstanz pro
Jahr an (8% von 0.015 m\ mit 70% Wassergehalt sind das 1.2/ (1- 0.7) =4 kg E., a· 1
oder total 20 t Rechengut pro Jahr, die in die Kehrichtverbrennung gebracht werden müs-
sen. Es muss ein Streubereich von 10-40 t a·1 erwartet werden.
Die Kosten der Entsorgung dieses Rechenguts betragen ca. 600.- Fr./t oder 2.50
Fr. E., a·1 •

19.1.2 Sand· und Fettfang


Ziel der Sandabscheidung ist es, mineralische Stoffe, die hohe Sedimentations-
geschwindigkeiten haben und sich daher schnell ablagern können (was zu Ver-
stopfungen führen kann), möglichst sauber, d.h. ohne organische Stoffe, die sich
unter Geruchsentwicklung zersetzen, aus dem Abwasser abzutrennen. Dadurch
werden nachfolgende, raschlaufende Pumpen vor Abrasion geschützt und Sedi-
mente in stehendem Wasser vermieden. Die Abtrennung von aufschwimmenden
19.1 Mechanische Vorreinigung 291

Zufluss Ablauf

Grundriss
, Staublech

~ v=30cms·1 II~
Schnitt

- = =

Abb. 19.2. Typische Bauformen von Sandfangen: Links der Längssandfang, rechts der Rund-
sandfang

Fetten und Ölen verhindert, dass sich diese Stoffe später auf freien Oberflächen
ansammeln, verkleben und zu Geruchsproblemen führen.
Viele Sandfänge werden so ausgelegt, dass Sandkörner mit einem Durchmes-
ser von ca. 0.1 - 0.2 mm noch abgetrennt werden. Solche Sandkörner haben eine
Sinkgeschwindigkeit von ca. 1 cm sec·1•
Typische Bauformen von Sandfängen sind in Abb. 19.2 und Abb. 19.3 darge-
stellt. Im Längssandfang kann der Sand auf die Sohle des Bauwerkes absinken
und ansebliessend vom Abwasser abgetrennt werden. Die horizontale Fliessge-
schwindigkeit von 0.3 m s·' führt zu einer genügenden Schleppkraft, sodass Pa-
pier und andere organische Grobstoffe in Suspension gehalten werden. Im Rund-
sandfang wird durch die kinetische Energie im Zulauf eine Strömung angeregt,
die zur Abscheidung des Sandes führt und diesen dem Rand des Bauwerkes zu-
führt, wo er in einen Trichter fällt.
Heute werden häufig belüftete Sandfänge gebaut, in denen mit Hilfe von zu-
geführten Luftblasen die Strömung angeregt wird (Abb. 19.3). Gleichzeitig mit
der Abtrennung von Sand wird hier das Abwasser auch aufgefrischt (mit Sauer-
stoff angereichert). Der Eintrag von Sauerstoff im Sandfang hat allerdings zur
Folge, dass bereits in diesem Bauwerk erste gelöste organische Verbindungen
biologisch abgebaut werden; das ist insbesondere dann unerwünscht, wenn an-
schliessend das Abwasser denitrifiziert werden soll (Denitrifikation s. später). In
belüfteten Sandfängen kann auch seitlich eine hydraulisch beruhigte Zone ange-
ordnet werden, in der spezifisch leichte Stoffe nach oben flotieren können.
292 19 Mechanische Abwasserreinigung

Belüftung zur Anregung der Umwälzung

lt-:o:-:-o---}!!!!!!!!!!!!!!!~ Fett
flotierend

Abb. 19.3. Querschnitt durch einen belüfteten


Sandfang mit seitlicher Fettabscheidung in
einer hydraulisch ruhigen Zone. Die Belüf-
Sand
tung regt die Umwälzung an. Der Durchfluss
ist senkrecht zur Zeichnung

Die typische hydraulische Aufenthaltszeit ew eines Längssandfanges ist < 1


rnin, im belüfteten Sandfang 3 - 5 min bei Regen und dazwischen im Rundsand-
fang.
In Tabelle 19.2 sind typische Werte für den anfallenden Sand zusammenge-
stellt. Der Sand wird möglichst frei von organischen Stoffen abgetrennt und ei-
ner Deponie zugeführt. Da die aufschwimmenden Stoffe, Fette und Öle aus dem
Fettfang meist mit dem Klärschlamm in die Schlammbehandlung gelangen und
dort nur einen kleinen Teil des anfallenden Klärschlammes ausmachen, wird der
Anfall dieser Stoffe kaum getrennt ausgewiesen. Fette resultieren in einem gro-
ssen Anfall von Methan (CH4 , Biogas), sie werden deshalb in den Faulturm ge-
bracht, wo sie zu einem grossen Teil abgebaut werden. Aus hygienischen Grün-
den wird Fett heute auch zunehmend einer Verbrennung zugeführt.

TabeHe 19.2. Anfall von Sand in Sandfängen. Diese Angaben streuen stark, weil die Art des
Einzugsgebietes, der Strassenunterhalt und die Verhältnisse bei Regen eine zentrale Rolle spielen

0.005 m3 Sand pro Einwohner und Jahr


Richtwerte
50% Wasser, 25% org. Stoffe, 25% Sand
Bereich 20- 60 - 200m3 Sand I 106 m3 Abwasser

Beispiel 19.2. Sandanfall


Wieviel Sand fällt pro Jahr auf einer Kläranlage für 5000 Einwohner an?
Diese Anlage reinigt ca. 0.8 Mio. m3 Abwasser pro Jahr, daraus ergeben sich nach
Tabelle 19.2 16- 48- 160m3 Sand a· 1 (mit Werten pro 106 m3 Abwasser), oder als Mittel
ca. 5000 . 0.005 = 25 m3 Sand a· 1 (mit Werten pro Einwohner und Jahr).
Bei einem Wassergehalt von 40%, sind das 30- 300 g TSS m·3 Abwasser, die im Sand-
fang abgetrennt werden.
Starke Regen bringen den Hauptanteil dieses Sandes. Der Einsatz von Streusand im
Winter kann diese Zahlen stark verändern. Ausschwemmungen aus Landwirtschaft,
Gärten und Rebbergen können grosse Probleme verursachen.
19.2 Dimensionierungsmodell für die Sedimentation 293

19.2 Dimensionierungsmodell für die Sedimentation


Die Sedimentation ist ein häufig eingesetzter Prozess in der Abwasserreinigung.
An Hand des Längssandfanges kann die Dimensionierung von Sedimentations-
bauwerken anschaulich eingeführt werden. Als wichtigste Dimensionierungsgrö-
sse resultiert die hydraulische Oberflächenbelastung v0 = Q I A 5 = Zuflusswas-
sermenge I horizontale Projektion der Sedimentationsfläche.
Feststoffe, deren Dichte Ps sich von der Dichte des Wassers Pw unterscheidet,
schwimmen oder flotieren nach oben, sofern sie leichter sind als Wasser, oder sie
sedimentieren nach unten, wenn sie schwerer sind als Wasser. Beide Prozesse,
Flotation und Sedimentation, werden in der Wassertechnologie eingesetzt, um
Feststoffe aus dem Wasser abzutrennen und in einem Schlamm aufzukonzentrie-
ren. Hier wird nur die Sedimentation diskutiert, die Flotation kann anlog ver-
standen werden.
Ein sedimentierender Partikel erreicht eine Sedimentationsgeschwindigkeit
v5 , bei der die Schwerkraft und der Reibungswiderstand der vorbeiströmenden
Flüssigkeit gerade im Gleichgewicht sind. Für kugelförmige Partikel, die ihre
Form behalten (nicht durch Flockung vergrössert werden), ist es möglich, theo-
retisch fundierte Angaben zur Sedimentationsgeschwindigkeit zu machen; für
viele Abwasserinhaltstoffe gelten aber die angeführten Voraussetzungen nicht. In
Tabelle 19.3 werden typische Sedimentationsgeschwindigkeiten v5 angeführt, die
Information zur Grössenordnung vermitteln.

TabeHe 19.3. Sinkgeschwindigkeit vs in m h' 1 von Feststoffen in Wasser bei 10 oc


Stoff Dichte Durchmesser d5 in mm
Ps 1.0 0.5 0.2 0.1 0.05 0.01 0.005
.J
106 gm
Quarzsand 2.65 500 250 80 24 6 0.3 0.06 mh·
Anthrazit 1.50 150 75 26 7.6 1.5 0.08 0.015 mh· 1
Schwebestoffe
im häuslichen 1.2") 120 60 18 3 0.8 0.03 0.008 mh· 1
Abwasser
•> Grobe Annahme, es muss ein weites Spektrum von Dichten erwartet werden.

In der Abwasserreinigung werden Absetzverfahren meist in kontinuierlich


durchflossenen Bauwerken betrieben. Mit den stark vereinfachenden Annahmen,
dass die Strömung laminar ist, die Fliessgeschwindigkeit im ganzen Querschnitt
gleich ist und die Sedimentation in einem Rechteckgerinne abläuft, kann das
Verfahren einfach beschrieben werden (Abb. 19.4).
Die Fliessgeschwindigkeit v [L T 1] des Wassers ergibt sich aus dem Durch-
fluss Q [L3 T 1] und der Querschnittsfläche B · H [e] zu:

v=_g_ (19.1)
B·H
Die Zeit t5 , die erforderlich ist, damit ein Partikel mit der Sedimentationsge-
schwindigkeit v5 von der Oberfläche auf den Boden der Rinne absinkt, beträgt:
294 19 Mechanische Abwasserreinigung

Oberfläche AS!!d = L · B

__..
ZuflussQ

Länge L
v =Fliessgeschwindigkeh v5 =Sedimentationsgeschwindigkeit
Abb. 19.4. Absetzvorgang und Definition der geometrischen Grössen in einem Rechteckgerinne
mit laminarer und gleichmässiger Fliessgeschwindigkeit v

H
ts=-
Vs

Alle Partikel, die den Boden erreichen, bevor das Wasser das Sedimentati-
onsbecken wieder verlässt, gelten als zurückgehalten. Die Durchflusszeit eb (hy-
draulische Aufenthaltszeit, V I Q) durch das Becken beträgt:

eh =-LV
Es werden also alle Partikel abgeschieden für die gilt:
H L L·B·H V
ts <8h oder - < - = =-
Vs V Q Q
Umgeformt und mit der Oberfläche des Sedimentationsbeckens Asrx~ =L ·B
ergibt sich für Partikel, die sicher die Bodenfläche erreichen:
Q Q
Vs >--=--=vo (19.2)
L·B Ased
v0 hat die Dimension einer Geschwindigkeit, sie heisst Oberflächenbelastung
und ist in GI. (19.2) definiert. Theoretisch werden alle Partikel, deren Sedimen-
tationsgeschwindigkeit grösser als die Oberflächenbelastung v0 ist, abgeschie-
den. Alle Partikel mit v5 < v0 werden nur teilweise abgeschieden (der Anteil der
abgeschiedenen Partikel ist v5 I v0 ). Auffallend ist, dass die Tiefe des Beckens H
oder die hydraulische Aufenthaltszeit eb keine Rolle spielen. Es kann gezeigt
werden, dass GI. (19.2) unabhängig von der Form des Sedimentationsbeckens
(rund, rechteckig etc.) gilt, sofern die Strömung laminar ist und alle Wasserteil-
eben die gleich lange Aufenthaltszeit eb im Becken haben. Damit wird die hy-
draulische Oberflächenbelastung v0 zur wichtigsten Dimensionierungsgrösse von
Sedimentationsbecken. Abweichungen von der theoretischen Voraussage erge-
ben sich, weil die Strömungsbedingungen nie ideal sind.
19.2 Dimensionierungsmodell für die Sedimentation 295

Beispiel19.3. Dimensionierung eines Längssandfanges (ca. 5000 Einwohner)


ln einem Sandfang sollen alle Sandkörner mit einem Durchmesser von d5 > 0.1 mm ab-
getrennt werden. Bei Regen fliessen maximal 0.1 m3 s· 1 Mischwasser durch die Kläranla-
ge. Im 0.35 m breiten, rechteckigen Zulaufkanal fliesst das Wasser mit ca. 0.8 m s·1 , das
ergibt bei maximaler hydraulischer Belastung eine Wassertiefe von H = Q I(B·v) = 0.36
m.
Welche Dimensionen hat der Sandfang?
Nach Tabelle 19.3 haben Quarzkörner im Winter, bei Wassertemperaturen von 10 oc, mit
einer Korngrösse von d5 = 0.1 mm eine Sinkgeschwindigkeit von v 5 = 24 m h·1 . Nach
GI. (19.2) ergibt sich die zulässige maximale Oberflächenbelastung zu v 0 = Q I Ased ~
v 5 = 24 mh .
·1

Die erforderliche Oberfläche ergibt sich zu:


3 ·1 ·1 ·1 2
A5 ed=Oiv 0 =0.1m s ·3600sh 124mh =15m.
Die Fliessgeschwindigkeit v im Längssandfang soll 0.3 m s·1 betragen, damit Sandpartikel
aussedimentieren können, während organische Grobstoffe in Suspension gehalten wer-
den. Soll die Wassertiefe im Längssandfang ca. derjenigen im Zulaufkanal entsprechen,
so ergibt sich die Breite des Sandfanges zu:
Q = B· H · v und daraus B =0.1 m3 s·11 (0.36 m · 0.3 m s·1) = 1 m.
Damit wird der Längssandfang ca. 15 m lang (A5 ed = L · B). Das Wasser fliesst in
eh = LI v = 15 m I 0.3 ms·1= 50 s durch dieses Bauwerk. Am Ende muss ein Staublech
eingebaut werden, das dafür sorgt, dass die Fliessgeschwindigkeit unabhängig vom
Durchfluss immer ca. v =0.3 ms· 1 beträgt. Für die Berechnung der Form dieses Stau-
blechs wird auf die Fachliteratur verwiesen.
Um die Turbulenzen zu kompensieren, die insbesondere im Zu- und Ablaufbereich ent-
stehen, ist es üblich, Sedimentationsbecken um diese Störzonen zu vergrössern. Hier
heisst das, dass der Sandfang z.B. um 1 - 2 m verlängert wird.

Beispiel19.4. Dimensionierung eines Sedimentationsbeckens (Vorklärbecken für ca.


5000 Einwohner)
ln einem Sedimentationsbecken sollen die Schwebestoffe mit einem Partikeldurchmesser
von d5 > 0.1 mm auch bei Regenwetter abgetrennt werden. Der maximale Mischwasser-
durchfluss beträgt (analog zu Beispiel 19.3) Q = 0.1 m3s·1 •
Wie gross wird das Becken?
Nach Tabelle 19.3 wird die zulässige Oberflächenbelastung v 0 = 3 m h.1 .
Nach GI. (19.2) wird die minimal zulässige Oberfläche A5 ed zu:
A5 ed = Q I v 0 = 0.1 m3 s·1 I (3m h. 1 I 3600 s h"1 ) =120m2 .
Solche Sedimentationsbecken (Vorklärbecken, s. später) haben typisch eine Tiefe von H
~ 2 m. Damit wird das Volumen zu V = A5 ed • H = 240 m3 und die hydraulische Aufent-
haltszeit wird eh =V I Q = 2400 s =40 min (bei Regen).
Wird die Länge zu L =20 m gewählt, so ergibt sich eine Breite von B = 6 m. Die mittlere
horizontale Fliessgeschwindigkeit im Becken wird zu v = Q I (B·H) = 0.1 I (6·2) = 0.01 m
s·1 • Bei dieser geringen Fliessgeschwindigkeit können auch organische Stoffe aussedi-
mentieren.
Das hier dimensionierte Becken, dessen detaillierte Gestaltung später noch diskutiert
wird, würde nicht alle Partikel mit d5 > 0.1 mm abtrennen, weil die Sedimentations-
geschwindigkeiten v 5 dieser Partikel über einen weiten Bereich streuen (s. Fussnote zu
Tabelle 19.3).
296 19 Mechanische Abwasserreinigung

Auch Vorklärbecken werden um das Volumen der Störzone, insbesondere im Zulauf,


vergrössert (s.a. Beispiel 19.3)

19.3 Vorklärung
Die Vorklärung geht historisch auf die ersten Abwasserreinigungsverfahren zu-
rück, die ausschliesslich mechanisch/physikalische Reinigungsprozesse zur An-
wendung brachten. Aus der Beobachtung heraus, dass die Sedimentation von
Grobstoffen aus dem Abwasser zu einer massiven Verschlammung der Fliessge-
wässer führte, wurde die Sedimentation in ein technisches Bauwerk verlegt, in
dem die Sedimente als Klärschlamm abgetrennt werden können.

Beispiel19.5. Anaerobe Sedimente in der Umwelt


Über die Thernse in London wird aus dem 19. Jh. berichtet, dass sie gelegentlich gekocht
hätte. Diese Beobachtung geht auf das Phänomen zurück, dass Biogas in Form von
grossen Blasen aus den sich zersetzenden Sedimenten an die Oberfläche entweicht.
ln den USA wird über langsam fliessende Gewässer berichtet, die Feuer gefangen ha-
ben, weil laufend soviel Biogas aus den Sedimenten ausgetreten ist, dass ein Feuer
genährt werden konnte.

19.3.1 Aufgabe und Leistung der Vorklärung


Die Vorklärung soll sedimentierbare Stoffe aus dem zufliessendem Abwasser
entfernen und dadurch weitere Verfahrensstufen vor Betriebsproblemen schützen
und sie von Schmutzstoffen entlasten. Häufig wird die Vorklärung zusätzlich
dazu benutzt, den anfallenden Überschussschlamm aus der biologischen Reini-
gungsstufe mit einzudicken, indem der Überschussschlamm dem Zulauf der
Vorklärung zugeführt wird.
Die Feststoffe, die in der Vorklärung abgetrennt werden, sind keinem aero-
ben Abbau unterworfen. Dadurch wird der Sauerstoffbedarf der nachfolgenden
biologischen Reinigung vermindert, und weil entsprechend mehr organische
Stoffe in die Schlammbehandlung gelangen, wird die Produktion von Biogas in
der Schlammfaulung proportional erhöht.
Die erforderliche Leistung der Vorklärung ist abhängig von den nachfolgen-
den Reinigungsverfahren: Vor Tropf- und Tauchkörperverfahren (s. später) ist
eine weitgehende Abtrennung der suspendierten Stoffe erwünscht, weil diese die
nachfolgende Reinigung zusätzlich belasten und verstopfen können. Vor Bele-
bungsverfahren (s. später) ist eine solche Abtrennung nicht im gleichen Masse
erforderlich, weil die schweren, partikulären Stoffe die Eindickung des Belebt-
schlammes im Nachklärbecken unterstützen und weil z.B. für die Denitrifikation
diese Stoffe als zusätzliche Quelle von organischen Verbindungen benötigt wer-
den.
Abb. 19.5 erlaubt abzuschätzen, welcher Anteil der suspendierten Stoffe im
unbehandelten städtischen Abwasser in der Vorklärung abgetrennt werden kann.
Tabelle 19.4 gibt Anhaltspunkte über die erreichbare Konzentration des anfal-
lenden Sedimentes, des Schlammes.
19.3 Vorklärung 297

Elimination in %
100

v-- ~
80 1 TSS
fo-

/
60

40
/ 1.---- ~
V
20

0
0 2 3 4 5
Hydraulische Aufenthaltszeit eh
im Vorklärbecken in hrs

Abb. 19.5. Reinigungswirkung von Vorklärbecken, basierend auf Absetzversuchen im Chargen-


versuch (Sedimentationszylinder). Als Richtwerte geeignet für städtisches Rohabwasser, nach
Sierp (zitiert in Imhoff 1993)

TabeHe 19.4. Typische Konzentrationen des anfaUenden Sediments (Schlammes) in Vorklärbe-


cken
Verfahren Feststoffkonzentration in kg TSS m·
Bereich Typischer Wert
Nur Vorklärung (Primärschlamm) 40- 120 60
Vorklärung und Belebtschlamma>
20-60 40
(Primär- und Sekundärschlamm)
Vorklärung und Tropfkörper
40- 100 50
(Primär und Sekundärschlamm)
Zunehmender Anteil von Sekundärschlamm verringert die mögliche Eindickung

Beisplel19.6. Schlammanfall auf einer Kläranlage.


Wieviel Schlamm wird in der Vorklärung einer Anlage für 20'000 Einwohner produziert,
wenn der Überschussschlamm aus der Belebungsanlage (45 g TSS I Einwohner und
Tag) über die Vorklärung abgeleitet wird?
Die Aufenthaltszeit der Vorkläruny beträgt im Mittel bei Trockenwetter 1 Stunde. Der
Abwasseranfall beträgt 8'000 m3 d. und das rohe Abwasser enthält 175 g TSS m.a.
Nach Abb. 19.5 ist eine Eliminationsleistung des Vorklärbeckens von ca. 60% der TSS zu
erwarten. Der Überschussschlamm wird zu 100% abgetrennt werden. (Sofern ein Teil im
Ablauf verloren geht, wird er später aus der folgenden Belebungsanlage erneut zum
Vorklärbecken zurückgeführt.)
Abgetrennter Primärschlamm: Q . TSS · 60% = 840 kg TSS d.1
Abgetrennter Belebtschlamm: Einw.. 45 g/Ed= 900 kg TSS d.1
Total = 1740 kg TSS d.1
Nach Tabelle 19.4 muss mit einer typischen Konzentration des Schlammes von 40 kg
TSS m.a (= 4.0 %) gerechnet werden:
QSchlamm = 1740 kg TSS d.1 I 40 kg TSS m·3 =44m3 d.1 oder ca. 2.2 I E"1 d.1 (ein typischer
Wert).
298 19 Mechanische Abwasserreinigung

abzugzur
Schlammbehandlung
Abb. 19.6. Längsschnitt und Funktionsschema eines rechteckigen, längsdurchströmten Vor-
klärbeckens mit Sammlung des Schlammes durch Kettenräumer. Meist können auch Schwimm-
stoffe von der Oberfläche gesammelt werden. Eine Tauchwand vermindert den Verlust von
aufschwimmenden Stoffen im Ablauf

Beispiel19.7. Änderung der Abwasserzusammensetzung in der Vorklärung


ln der folgenden Tabelle sind typische Konzentrationen von Abwasserinhaltstoffen im
Zulauf und im Ablauf einer Vorklärung zusammengestellt. Der Wirkungsgrad für die parti-
kulären Stoffe ist mit 50% angenommen, derjenige für gelöste Stoffe mit 0%.
Stoff Zulauf Ablauf Einheit
TSS 180 90 gTSSm·
BSB 5 150 115 g 0 2 m·3
·3
CSB 350 260 g02 m
TKN 30 28 g N m· 3

NH/-N 20 20 g N m·3
N02• -N 0 0 g N m·3
N03• -N 1 1 g N m·3
P total 5 4.5 g Pm·3
Alkalinität 6 6 Mol HC03• m·3
Nur die TSS sind vollumfänglich partikulär. BSB5 , CSB, TKN und TP enthalten sowohl
partikuläre als auch gelöste Anteile, entsprechend ist der Wirkungsgrad für den Rückhalt
dieser Stoffe geringer als 50%.

19.3.2 Gestaltung und Dimensionierung des Vorklärbeckens


Heute werden in der kommunalen Abwasserreinigung, insbesondere vor dem
Belebungsverfahren, zunehmend kleinere Vorklärbecken gebaut. Man will eine
Grobentschlammung beibehalten um Betriebsprobleme mit Sedimenten und
Textilien zu vermindern, aber man möchte z.B. im Hinblick auf die Sedimenta-
tionseigenschaften des Belebtschlammes nicht alle gutsedimentierbaren Stoffe
bereits vor der biologischen Reinigung zurückhalten. Da je länger je mehr die
Denitrifikation des Abwassers von Bedeutung wird, wird auch versucht, mög-
lichst viele organische Stoffe in die biologische Reinigung zu leiten um das De-
nitrifikationspotential zu erhöhen.
In Abb. 19.6 ist der Längsschnitt durch ein rechteckiges, längsdurchflossenes
Vorklärbecken dargestellt. Im Zulaufbereich wird durch Einbauten (hier eine
Prall wand) die kinetische Energie des Zuflusses verwirbelt Beim Ablauf verhin-
dert eine Tauchwand, dass Schwimmstoffe, die sich am Wasserspiegel ansam-
19.3 Vorklärung 299

Grundriss

Schnitt

Abb. 19.7. Grundriss und Querschnitt durch ein rundes Vorklärbecken. Die Räumerbrücke ist
im Schnitt nicht eingezeichnet, sie transportiert die Sedimente zur Mitte des Bauwerks

mein, direkt in den Ablauf gelangen; Vorklärbecken sind entsprechend mit Vor-
kehrungen ausgerüstet, die solche Schwimmstoffe einsammeln und z.B. der
Schlammbehandlung zuführen. Das Sediment wird hier mit einem Kettenräumer
(zwei Ketten, an denen Querbretter befestigt sind) zusammengetragen, in einem
Schlammtrichter eingedickt und wird ansebliessend z.B. einmal pro Tag in die
Schlammbehandlung gefördert. Die Sohle des Vorklärbeckens ist leicht geneigt
(1 - 2% ), damit das Becken bei Reinigung leerlaufen kann.
In Abb. 19.7 ist ein rundes Vorklärbecken dargestellt. Das Wasser fliesst vom
Zentrum zur Peripherie. Das Sediment wird durch eine Räumerbrücke ins Zen-
trum gefördert.

TabeHe 19.5. Dimensionierungsrichtwerte ftir horizontal durchflossene Vorklärbecken und im


Vergleich Nachklärbecken. Im Zufluss zum Vorklärbecken sind verfahrensinterne Rückläufe zu
berücksichtigen. Beim Nachklärbecken im Belebtschlammverfahren bleibt der Rücklaufschlamm
unberücksichtigt
Art der Reinigung Vorklärbecken Nachklärbecken
eh Vo eb Vo
h mh·1 h mh· 1
Nur Sedimentation 1.7 - 2.5 1.5 - 0.8
Chemische Fällung 0.5-0.8 4.0- 2.5
Tropfkörperverfahren 1.7 - 2.5 1.5- 0.8 2.0- 3.0 1.5- 1.0
Belebtschlammverfahren 0.5 - 1.0 4.0- 2.5 2.0-6.0 1.5 - 0.5
eh= Volumen I Trockenwetterzufluss (Tagesmaximum) =Hydraulische Aufenthaltszeit
v0 = Trockenwetterzufluss (Tagesmaximum) I Oberfläche des Beckens= hydraulische Flä-
chenbelastung.
Die mittlere Tiefe des Beckens wird zu H = eh·v0 =Volumen I Oberfläche
300 19 Mechanische Abwasserreinigung

In Tabelle 19.5 sind einige Richtwerte für die Dimensionierung von Vorklär-
hecken zusammengestellt. Von Bedeutung sind die hydraulische Oberflächen-
belastung bei Trocken- und bei Regenwetter sowie die minimale Tiefe der Be-
cken. Diese wird meist HyKB ~ 2 m gewählt. In einzelnen Anlagen geht die mitt-
lere Aufenthaltszeit bei Regen auf 15- 20 min zurück (9H =HyKB I v0). Es stellt
sich die Frage, ob eine solche Sedimentation nicht durch feine Rechen oder Sie-
be ersetzt werden könnte?

Beisple119.8. Dimensionen eines Vorklärbeckens


Eine Kläranlage für 5000 Einwohner ist mit einem Tropfkörper ausgerüstet. Wie gross soll
das Vorklärbecken gebaut werden?
Die mittlere Abwassermenge bei Trockenwetter beträgt ca. 2'000 m3 d·1• Als maximaler
Anfall bei Trockenwetter (Stundenspitzenwert) QTW sollen ca. 150 m3 h., angenommen
werden.
Nach Tabelle 19.5 ergeben sich für mittlere Bedingungen:
·1
eh= 2 h V0 = 1.2 m h
Und daraus: VVKB = QTW . eh =300m3 (Volumen)
ÄvKs = OTW I V0 = 125m2 (Oberfläche)
HVKB =eh. Vo = 2.4 m (Mittlere Tiefe)
Sofern die Anlage nur einstrassig gebaut wird, was bei dieser Grösse wahrscheinlich ist
(insbesondere wenn auf der Kläranlage ein Regenbecken für Notfälle verfügbar ist), wür-
de das Beckj:!n ca. 5 m breit und 25 m lang. Vorklärbecken werden heute nur noch selten
als runde Becken gebaut. Hier ergäbe sich ein Durchmesser von ca. 13m plus Ablaufrin-
ne.

Betrieb von Vorklärbecken


In kleineren Kläranlagen wird der anfallende Klärschlamm direkt im Vorklär-
hecken eingedickt (Schlammtrichter) und z.B. 1 bis 2 mal pro Tag zur
Schlammbehandlung abgepumpt. Vielfach wird die Konzentration des abge-
pumpten S'chlimunes nur visuell überprüft. In grösseren Kläranlagen kann der
anfallende Klärschlamm ev. kontinuierlich zu einem Eindicker gepumpt werden.
Das Bauvolumen der Vorklärung wird durch die Anforderungen der Sedimenta-
tion bestimmt, der Anfall von Klärschlamm ist gering, volumenmässig nur "" 1%
des Abwasseranfalles (s. Beispiel 19.6).

19.3.3 Emscherbrunnen
Der Emscherbrunnen ist ein einfaches kombiniertes Bauwerk, das Sedimentation
und Schlammstabilisierung (s. später) miteinander verbindet. Er hat v.a. histo-
risch Bedeutung und kam in kleinen Anlagen häufig zur Anwendung. Ein Sche-
ma eines Emscherbrunnens ist in Abb. 19.8 dargestellt. Heute werden Emscher-
brunnen kaum mehr gebaut, hingegen kommen Fertigbauteile in ähnlicher Funk-
tion für Kleiostanlagen noch zur Anwendung.
19.4 Chemische Abwassereinigung 301

Querschnitt Grundriss

Vorklärung

Schlammstabilisierung
ka l~ ev. mit Gasproduktion

Abb. 19.8. Querschnitt und Grundriss eines rechteckigen Emscherbrunnens: Der Sedimentati-
onsraum ist zweigeteilt, das Wasser fliesst senkrecht zum Schnitt, der Schlammraum reicht tief
in den Boden und erreicht Grundwassertemperatur. Die Verbindungsschlitze zwischen Sedi-
mentation und Schlammraum sind so gestaltet, dass Gasblasen (Biogas) aus dem Schlammraum
die Sedimentation nicht stören können

19.4 Chemische Abwassereinigung


In der chemischen Abwasserreinigung werden Chemikalien eingesetzt, die die
Flockenbildung von Feststoffen unterstützen. Grössere Flocken können dann
besser durch Sedimentation aus dem Abwasser abgetrennt werden (s.a. Kapitel
9.5, Seite 136).
In der chemischen Abwasserreinigung unterscheiden wir zwischen Fällung
und Flockung:
In der Fällung werden dem Abwasser Chemikalien zugesetzt, die gelöste
Salze in unlösliche Feststoffe überführen, die ansebliessend z.B. durch Sedi-
mentation aus dem Abwasser abgetrennt werden können. Wichtigstes Bei-
spiel in der Abwasserreinigung ist die Phosphatfallung, sie wird hier als inte-
grierter Teil der biologischen Reinigung besprochen (s. Abschn. 20.4.10,
Seite 341).
- In der Flockung werden dem Abwasser Chemikalien zugesetzt, die mit unter-
schiedlichen Mechanismen die Abstossungskräfte zwischen den einzelnen
Partikeln verringern und dadurch die Flockenbildung, das Zusammenballen,
erleichtern.
In den meisten Verfahren zur chemischen Abwasserreinigung laufen beide
Prozesse, Fällung und Flockung, gemeinsam ab; aus z.T. gelösten, kolloidalen
und partikulären Stoffen bilden sich grössere Agglomerate, Flocken, die an-
schliessend durch Sedimentation abgetrennt werden. Die Flockenbildung wird
häufig durch eine geringe Turbulenz (Durchmischung) unterstützt. Als Fällungs-
und Flockungschemikalien kommen in Frage:
- Eisen-III-Chlorid (FeCl 3) oder häufiger Eisen-III-Chlorid-Sulfat (FeClS04):
Dieses Salz wird als konzentrierte Lösung mit einem Gehalt an Fe 3• von z.B.
302 19 Mechanische Abwasserreinigung

12% (Gewicht) angeliefert. Dreiwertiges Eisen (Fe3•) bildet im Wasser un-


lösliches Eisenhydroxid, Fe(OH)3 und Eisenphosphat (FeP04).
- Aluminiumsulfat, Al2(S04) 3·HP: Dieses Salz wird pulverförmig angeliefert
und muss zuerst als wässerige Lösung aufbereitet werden. Dreiwertiges Alu-
minium (Al 3+) reagiert im Wasser analog zum dreiwertigen Eisen. Alumini-
um-Salze werden auch in polymerisierter Form eingesetzt (Poly-Aluminium-
Chlorid, PAC). Beim Einsatz von Aluminium sollte beachtet werden, dass
die landwirtschaftliche Nutzung des dabei anfallenden Schlammes nicht un-
problematisch ist.
Polyelektrolyten: Hochmolekulare organische Stoffe, die allein oder zusam-
men mit Metallsalzen eingesetzt werden und die Flockung unterstützen.
Es gibt eine Reihe von anderen Chemikalien, die zur Vorfällung oder zur
chemischen Abwasserreinigung eingesetzt werden. Für Details ist die Fachlite-
ratur zu konsultieren.
In der chemischen Abwasserreinigung werden dem Abwasser Metallsalze in
einer Menge zugesetzt, dass die Löslichkeit der Metall-Hydroxide wesentlich
überschritten wird. Diese fallen dann in Form von Feststoffen/Flocken unter
Einschluss von dispergierten, suspendierten Teilchen aus. Es bilden sich grösse-
re, wasserreiche Aggregate von suspendierten Stoffen und Metallhydroxiden, die
nun durch Sedimentation abgetrennt werden können. Bei optimiertem Betrieb
der Fällung kann mit dieser Reinigungsstufe ein grosser Teil der kolloidalen und
partikulären Schmutzstoffe abgetrennt werden. Die gelösten organischen Stoffe
verbleiben im Abwasser (s. Tabelle 19.6).

TabeHe 19.6. Abwassercharakteristik auf einer schwedischen Kläranlage. Die Zahlen sind Mit-
telwerte über ein Betriebsjahr. Der Zufluss schliesst Rückläufe aus der Schlammbehandlung mit
ein
Parameter Einheit Zulauf Ablauf
Vorklärung Vorflillung
-3
TSS gm 210 62 40
BSB 7 total gm-3 02 140 68 39
-3
gelöst gm 0 2 28 24 17
P total total gm-3 P 7.7 6.3 2.9
gelöst gm-3 P 4.8 4.8 1.5
Kjeldahl-N total gm-3 N 33 29 28
gelöst gm-3 N 25 25 25

Die Metallsalze verbinden sich auch mit dem Phosphat (P043") im Wasser und
bilden schwerlösliche Salze, z.B. Eisenphosphat FeP04 • Diese können zusammen
mit den Hydroxiden abgetrennt werden, sodass in der Vorfällung auch Phosphor
aus dem Wasser abgeschieden werden kann. Die Dosierung von Metallsalzen
muss aber genügen, um alles Phosphat zu fällen und einen Überschuss von Hy-
droxiden zu bilden, um die Flockung zu unterstützen (s. Beispiel 19.9).
In Abb. 19.9 ist ein einfaches Fliessschema einer chemischen Abwasser-
reinigungsanlage dargestellt. Die Chemikalien werden bei hoher Turbulenz
schnell ins Abwasser eingemischt, ansebliessend wird durch geringe Turbulenz
die Flockenbildung unterstützt und zum Schluss werden in einem Sedimentati-
19.4 Chemische Abwassereinigung 303

IChemikalien Zugabe I

Mischung Flockung Sedimentation

Schlammabzug
Abb. 19.9. Schematische Darstellung einer chemischen Abwasserreinigungsanlage: Einmischen
der Chemikalien mit hoher Turbulenz, Flockungsbecken mit geringerer Turbulenz und Sedi-
mentation mit ruhiger Strömung

onsbecken die Feststoffe abgetrennt. Diese verschiedenen Funktionen können


auch in speziell entworfenen Apparaten vereinigt werden (s. z.B. Abb. 9.12).
Von Vorfällung sprechen wir, wenn das Ziel der chemischen Reinigung v.a.
die Fällung des Phosphats ist und diese Stufe vor der biologischen Reinigung
angeordnet ist. Vorfällung oder chemische Abwasserreinigung wird eingesetzt:
- um die nachfolgenden Verfahrensstufen zu entlasten
- um Phosphor aus dem Abwasser zu entfernen
als eigenständige Abwasserreinigung, wenn die Anforderungen an das gerei-
nigte Abwasser, z.B. an einer leistungsfähigen Vorflut, nicht sehr hoch sind.
Der Anfall von Schlamm wird durch die Zugabe von Chemikalien vergrö-
ssert. Im Ablauf verringert sich das Verhältnis von organisch gebundenem Koh-
lenstoff zu Stickstoff (dieser liegt vorwiegend gelöst vor und kann nicht gefällt
werden)- damit werden die Voraussetzungen für die Denitrifikation verschlech-
tert (s. später).
Als Beispiel werden in Tabelle 19.6 der Zulauf und der Ablauf einer konven-
tionellen Vorklärung und einer Vorfällung in einer schwedischen Kläranlage
verglichen. Deutlich ist die Elimination des Phosphors und der partikulären Stof-
fe zu sehen - weniger verändert werden die gelösten Stoffe.
In den Flockungsbecken wird mit Hilfe von Paddeln eine Turbulenz erzeugt,
die das Wachstum der Flocken begünstigt. Die Intensität der Turbulenz muss der
Scherfestigkeit der Flocken angepasst werden. Sie wird über den Energieeintrag
gesteuert. Typische Werte liegen im Bereich von 10- 30 Watt m·3FJoctungsbeden" Häu-
fig werden keine speziellen Reaktoren für die Flockung gebaut, sondern beste-
hende Bauwerke genutzt:
- In belüfteten Sandfängen herrschen Bedingungen, die die Flockung unterstüt-
zen.
In den Einlaufbauwerken zu Sedimentationsbecken steht eine geringe Zeit
zur Bildung der Flocken zur Verfügung.
304 19 Mechanische Abwasserreinigung

Beispiel19.9. Chemikalienverbrauch in der Vorfällung


Wieviel Eisensalz muss dem nachfolgend charakferisierten Abwasser in der Vorfällung
zugeführt werden, wenn 50% des Eisens der Fällung von FeP04 und 50% der Bildung
von Fe(OH)3 dient?
Wieviel Schlamm wird produziert, wenn insgesamt 80% der suspendierten Stoffe abge-
schieden werden?
TP = totaler Phosphor = 7 g P m.a
TSS = 200 g TSS m.a
Atomgewichte: Fe 56, P 31, H 1, 0 16
1. Annahme: Aller Phosphor wird als FeP04 ausgefällt
Eisenbedarf: 7 g P m.a · 56 g Fe /31 g P = 12.6 g Fe m·3
Formelgewicht von FeP04 =56+ 31 + 4·16 = 151 g Mof1
Feststoffe die gebildet werden: 7 g Pm.a·151 g FeP04 /31 g P = 34 g TSS m.a.
2. Annahme: Der Eisenbedarf für die Fällung muss für eine effiziente Flockung verdoppelt
werden (s.o.):
Totaler Eisenbedarf: 2 · 12.5 g Fe m.a = 25 g Fe3+ m.a
= 210 g m.a einer Lösung mit 12% Gew. Fe 111.
Formelgewicht von Fe(OHJ 3 = 56+3·(16+1) = 107 g Mof1 • .a
Es entstehen 12.5 g Fe m · 107 g Fe(OH) 3 /56 g Fe = 24 g Fe(OH) 3 m .
Da auch die Eisensalze Feststoffe sind, beträgt die totale Feststoffkonzentration TSS
nun: 200 + 34 + 24 = 258 g TSS m·3 •
Davon werden 80% oder 206 g m.a abgetrennt, es verbleiben 52 g TSS m.a.
Der Schlammanfall beträgt bei einer Schlammkonzentration von 4% TS (40 kg TSS m.a)
ca. 0.006 m3 m.aAbwassar oder ca. 2 I E.1 d.1 (ohne Schlamm aus der biologischen Reini-
gung).
Da im Ablauf noch ca. 20% der TSS enthalten sind, enthält dieser noch ca. 7 g m.a ·
0.2 = 1.4 g Phosphor m.a. Von den 200 g TSS m.a, die unprünglich im Abwasser enthal-
ten waren, finden wir im Ablauf noch 0.2 · 200 = 40 g m . Damit eine reine Vorklärung
eine Abtrennung von 80% der TSS erbringt, müsste die hydraulische Aufenthaltszeit nach
Abb. 19.5 zu eh= 3- 4 h gewählt werden. Nach Vorfällung genügt ein Bruchteil davon (=
1 h), weil die kleinen Partikel zu grösseren, schneller sedimentierenden Flocken aggre-
giert worden sind.
20 Biologische Abwasserreinigung

Die biologische Abwasserreinigung umfasst den leistungsfähigsten Teil einer


modernen Abwasserreinigungsanlage. Wir unterscheiden zwei Hauptgruppen
von Verfahren, das Belebtschlammverfahren mit Mikroorganismen, die im zu
reinigenden Wasser suspendiert sind (schweben) und die Tropfkörperverfahren,
mit Mikroorganismen, die auf Bewuchsflächen fixiert sind, an denen das zu rei-
nigende Abwasser vorbeifliesst. Heute können wir sehr viele unterschiedliche
Prozesse (Vorgänge) in die biologische Reinigung hineinprojektieren, sodass
viele unterschiedliche Reinigungsprobleme mit solchen Verfahren gelöst werden
können.
Dieses Kapitel folgt ungefähr der geschichtlichen Entwicklung der einzelnen
Verfahren- damit soll insbesondere aufgezeigt werden, wie immer anspruchs-
vollere Probleme zu immer anspruchvolleren Verfahren geführt haben. Heute
haben wir eine Komplexität der Verfahren erreicht, die eine weitere ausschliess-
liche Anwendung von ,,End of Pipe" Lösungen nicht mehr sinnvoll erscheinen
lässt. In Zukunft werden vermehrt auch Massnahmen an der Quelle zum Tragen
kommen.

20.1 Ziel der biologischen Abwasserreinigung


Ziel der Abwasserreinigung ist es, Abwasserinhaltstoffe, die in der Natur (Vor-
flut) unerwünschte Eigenschaften und Folgen haben, aus dem Abwasser abzu-
trennen oder in Stoffe überzuführen, die in der Natur keinen oder einen geringe-
ren Schaden anrichten. In der biologischen Abwasserreinigung können solche
Stoffe z.B.:
- In Form von Gasen (Stickstoff N2 , Kohlendioxid C02) schadlos in die Atmo-
sphäre abgegeben werden oder wie beim Biogas (Methan, CH4 ) weiter be-
handelt und sogar genutzt werden.
- In Form von oxidierten, gelösten, häufig mineralischen Stoffen im gereinig-
ten Abwasser verbleiben (Nitrat N03·, Wasser Hp, Bikarbonat HC03").
- Als Feststoffe (Biomasse, adsorbierte Stoffe, geflockte und z.T. chemisch
gefällte Stoffe) in aufkonzentrierter Form als Schlamm aus dem Abwasser
abgetrennt werden.
In der biologischen Abwasserreinigung wird insbesondere das Wachstum
derjenigen Mikroorganismen gefördert, die entsprechend dem formulierten Ziel,
schädliche in weniger schädliche oder harmlose Stoffe überführen. Nie wird es
mit biologischen Methoden gelingen, Schadstoffe vollumfänglich aus dem Ab-
306 20 Biologische Abwasserreinigung

wasser zu entfernen; immer verbleibt eine Restbelastung, die von der Prozess-
führung und dem gewählten Verfahren abhängig ist.

20.2 Mikrobiologische Prozesse


In der biologischen Abwasserreinigung werden Mikroorganismen gezüchtet, d.h.
es wird dafür gesorgt, dass sich in der Reinigungsanlage Mikroorganismen,
hauptsächlich Bakterien, ansiedeln und vermehren können. Im Folgenden wer-
den die wichtigsten mikrobiologischen Prozesse kurz beschrieben: Wachstum,
Zerfall, Hydrolyse, Nitrifikation, Denitrifikation.
Unter Mikroorganismen verstehen wir hier einzellige Organismen, v.a. Bakteri-
en, mit unterschiedlichsten Eigenschaften. Einzelne Bakterien haben eine Grösse
von ca. 1 J.1m (10.1 mm) und sind z.T. unter dem Mikroskop gerade noch einzeln
zu erkennen. Wir verfolgen in der Abwasserreinigung die Entwicklung dieser
Organismen indem wir ihre Masse (die Biomasse) verfolgen, und nicht ihre An-
zahl.

20.2.1 Wachstum
Das Wachstum von Mikroorganismen beschreibt den Prozess der Vermehrung
der Zellen und der Masse der Organismen. Da die Bakterien für ihre Vermeh-
rung Substrate (Nährstoffe) aufnehmen müssen, die sie in der Abwasserreinigung
dem Abwasser entziehen, ist das Wachstum der eigentliche Reinigungsprozess.
Je rascher sich die Biomasse vermehrt, desto mehr Schmutzstoffe werden dem
Abwasser entzogen und desto rascher verläuft die Reinigung. Durch das Wachs-
tum wird z.B. ein Teil der gelösten organischen Verbindungen zu mineralischen
Stoffen (C02 , ~0) abgebaut um Energie zu gewinnen; ein Teil wird in die Bio-
masse eingebaut und kann nun in der Form von Feststoffen aus dem Abwasser
abgeschieden werden.
In der Natur ist das Wachstum, das die Schmutzstoffe auslösen, unerwünscht.
Die Produktion der Biomasse und der damit einhergehende Sauerstoffverbrauch
wirken sich nachteilig auf die Umwelt aus. In der Abwasserreinigung sollen
daher diese Prozesse in technischen Bauwerken zurückbehalten werden.
Die Bakterien vermehren sich exponentiell (Abb. 20.1). Da wir nicht die An-
zahl der einzelnen Organismen, sondern nur global ihre Masse (oder Konzentra-
tion) verfolgen, wird diese Vermehrung mit der Wachstumsgeschwindigkeit ~
charakterisiert: mit Hilfe der Wachstumsgeschwindigkeit können wir in einem
geschlossenen System (einem Chargenreaktor) die Zunahme der Masse oder der
Konzentration dieser Bakterien mit der Zeit beschreiben. Die Bakterien vermeh-
ren sich proportional zu ihrer Anzahl oder Masse, die Proportionalitätskonstante
heisst Wachstumsgeschwindigkeit Eine Bilanz um einen Chargenreaktor ergibt:
dX
dt=~·X (20.1)

X = Konzentration der Bakterien [M L"3]


~ = Wachstumsgeschwindigkeit der Bakterien [11]
t = Zeit [T]
20.2 Mikrobiologische Prozesse 307

2' 2"
Abb. 20.1. Exponentielles Wachstum der Bakterien: Die einzelnen Generationen sind um die
Verdoppelungszeit t. verschoben. Die Anzahl der Bakterien nimmt in einer geometrischen
Reihe zu

Die Integration von GI. (20.1) mit den Anfangsbedingungen X = ~ bei t = 0


ergibt eine Beschreibung des exponentiellen Wachstums der Bakterien:
X(t) = X 0 · exp(Jl. · t) (20.2)
Die Wachsturnsgeschwindigkeit Jl. ist abhängig von der Art der Bakterien und
den Umweltbedingungen (Temperatur, Nährstoffangebot, Sauerstoff, pH, Gift-
stoffen etc.). Typische Werte, zusammen mit den Verdoppelungszeiten td, sind in
Tabelle 20.1 zusammengestellt.

Tabelle 20.1. Typische Wachstumsgeschwindigkeiten fl und Verdoppelungszeiten t.J von Bakteri-


en (Richtwerte, nicht ftir die Dimensionierung geeignet)

Art Vorkommen Temperatur fl td


Escherichia Coli Darmbakterien 37 oc 30 d 0.5 h
typische Bakterien, die in der biologischen Reini- 20 oc 6 d·l 3h
gung organische Stoffe abbauen 10 oc 3 d" 1 6h
20 oc 1 d·l 17 h
Nitrosomonas Nitrifikation 10 oc 0.3 d' 1 55 h
Acetat spaltende Bakterien Faulturm 33 oc 0.1 d·l 170 h

Beispiel 20.1. Grenzen des exponentiellen Wachstums


Unter dem Mikroskop beobachten wir ein Bakterium einer Art, das sich kettenförmig als
Faden vermehrt. Jedes einzelne Bakterium ist 1 flm (10'6 m) lang (und damit im Mikro-
skop bei grosser Vergrösserung gerade noch sichtbar). Nach 30 min. beobachten wir
zwei Bakterien, nach weiteren 30 min. ist der Faden bereits 4 Bakterien oder 4 flm lang.
Nun lassen wir die Probe über einige Stunden unter dem Mikroskop stehen und kommen
nach 4 h zurück um die Probe erneut zu beobachten (5 h nach Ansetzen der Probe). Was
erwarten wir?
308 20 Biologische Abwasserreinigung

ln 5 h können sich die Bakterien 10 mal verdoppeln, es wären also 210 = 1024 Bakterien
vorhanden und der Faden wäre bereits 1 Millimeter lang, und wir könnten ihn von blo-
ssem Auge sehen.
Wie lang wäre der Faden nach einem Tag, also 24 h nach Beginn des Experimentes,
sofern sich die Bakterien unbeschränkt weiter vermehren könnten?
t
Nach 24 hergäben sich 8 = 2.8 · 1014 Bakterien, mit einer Fadenlänge von 280'000 km.
Diese Bakterien hätten ein Gewicht von ca. 300 g. Es ist offensichtlich nicht möglich,
dass sich Bakterien in einem Versuch ohne Nachschub von Nährstoffen während 24 h
ungehindert vermehren können.
ln der Abwasserreinigung beschränkt meistens der Nachschub von Schmutzstoffen das
rasche Wachstum der Bakterien.

Beispiel 20.2. Exponentielles Wachstum


Wie gross ist die Verdoppelungszeit t., der Fadenbakterien im Beispiel 20.1?
Aus der Beobachtung der Verdoppelung innert 30 min ergibt sich t., = 30 min.
Wie gross ist die Wachstumsgeschwindigkeit J.1 dieser Fadenorganismen (G1.(20.2))?
Aus X = X(t=O) · exp(Jl · t) ergibt sich nach einer Verdoppelung:
X(td)/X(t=O) =2 =exp(Jl · td) oder ln(2~ =J.1 • td
J.1 =ln(2) I t., =0.69/ 30 min =0.023 min· = 1.4 h.1
20.2.2 Zerfall
Mikroorganismen müssen dauernd Energie umsetzen um am Leben zu bleiben,
z.B. um sich zu bewegen, um ihre innere Struktur intakt zu halten, um Makro-
moleküle (Enzyme, Erbmaterial etc.) zu reparieren, ... Wenn extern nur ungenü-
gend Nährstoffe angeboten werden, werden für diese Prozesse zellinterne Stoffe
veratmet und daraus die erforderliche Energie gewonnen, man spricht von endo-
gener Atmung: Durch die Veratmung von Zellmasse nimmt diese ab, es resultiert
ein Zerfall der Biomasse.
In der Abwasserreinigung ergeben sich immer wieder Perioden (z.B. in der
Nacht), in denen nur ungenügend externe Nährstoffe zur Verfügung stehen. In
diesen Perioden dominieren die Zerfallsprozesse, die verfügbare Biomasse
nimmt langsam ab.

20.2.3 Hydrolyse
Viele organische Stoffe im Abwasser liegen in Form von Partikeln, Kolloiden
oder hochmolekularen Verbindungen vor, die von Bakterien nicht direkt aufge-
nommen und abgebaut werden können. Bakterien scheiden deshalb Enzyme
(Fermente) aus, die diese Stoffe in ihre einzelnen, wasserlöslichen Bausteine
(Zucker, Aminosäuren, Fettsäuren) zerlegen und sie damit für den Abbau ver-
fügbar machen. Dieser Prozess heisst Hydrolyse, er nimmt Zeit in Anspruch und
verzögert den Abbau der oben beschriebenen Stoffe.

20.2.4 Abbau organischer Stoffe, heterotrophe Organismen


Im aeroben Abbau der organischen Stoffen mineralisieren heterotrophe Mikro-
organismen einen Teil der organischen Stoffe (hier dargestellt anband eines
Kohlehydrats CII:zO) ZU Kohlendioxid co2 und Wasser II:zO:
20.2 Mikrobiologische Prozesse 309

c~o + 0 2 ~ C02 + ~o
Der Rest der organischen Stoffe wird in die Mikroorganismen eingebaut, die
sich dabei vermehren: Der Abbau von organischen Stoffen ist also ein Wachs-
tumsprozess. Es gibt eine grosse Zahl von unterschiedlichen heterotrophen Bak-
terien, die organische Stoffe abbauen können. Sie vermehren sich schnell, ent-
sprechend werden die zugehörigen Bauwerke eher klein.

20.2.5 Nitrifikation
Unter Nitrifikation verstehen wir einen mikrobiologischen Prozess, in dem spe-
zialisierte Bakterien Ammonium NH4• zu Nitrat N03• oxidieren:
NH4• + 2 0 2 ~ N03• + ~0 + 21-f
Dieser Prozess läuft nur sehr langsam ab, entsprechend gross werden die
Bauwerke, die diesen Prozess ermöglichen. Die Nitrifikation verbraucht grosse
Mengen von gelöstem Sauerstoff 0 2 • Die Bakterien, die die organischen Stoffe
abbauen, können nicht nitrifizieren.

20.2.6 Denitrifikation
Unter der Denitrifikation verstehen wir einen mikrobiologischen Prozess, in dem
für die Oxidation von organischen Stoffen an Stelle von Sauerstoff 0 2 Nitrat
N03• reduziert wird. Das Produkt der Denitrifikation ist elementarer Stickstoff
N2 , der problemlos in die Atmosphäre abgegeben werden kann.
5 c~o + 4 No3• + 41-f ~ 2 N2 + 5 C02 + 1 ~o
Die Denitrifikation ist also ein Prozess, mit dem Stickstoff aus dem Abwasser
entfernt werden kann. Er bedingt, dass organische Stoffe verfügbar sind. Die
meisten heterotrophen Bakterien, die organische Stoffe aerob abbauen, können
auch denitrifizieren.

20.2.7 Nährstoffbedarf der Mikroorganismen


Mikroorganismen müssen Biomasse (ihre eigene Masse) aufbauen, die aus unter-
schiedlichen organischen Stoffen besteht (Kohlenhydrate, Proteine, Nukleinsäu-
ren etc.). Diese Stoffe enthalten z.T. organisch gebundenen Stickstoff N, und
Phosphor P. Diese Nährstoffe werden dem Abwasser entzogen. Erfahrungswerte
für kommunales Abwasser sind in Tabelle 20.2 zusammengestellt.

TabeHe 20.2. Nährstoftbedarf von Mikroorganismen: Proportional zur Konzentration der abge-
bauten organischen Stoffe bauen die Mikroorganismen Nährstoffe in ihre Biomasse ein
Stickstoffbedarf iN= 0.04- 0.05 g Ng· BSB 5
Phosphorbedarf ir = 0.01 - 0.02 g P g·1 BSB5

Beispiel 20.3. Nährstoffbedarf der Mikroorganismen


Ein Abwasser enthält:
Organische Stoffe: 180 g 8885 m·3
310 20 Biologische Abwasserreinigung

Kjeldahi-Stickstoff : 30gTKN m-s


Totaler Phosphor: 6gTPm-s
Wieviel Nährstoffe (Stickstoff und Phosphor) enthält der Ablauf, wenn das Abwasser
biologisch gereinigt wird?
Siehe Tabelle 20.2:
Stickstoff: TKNAblauf = TKNzulauf - iN · BSB5 .zu~au~ = 30 - 0.045·180 =21.9 g N m-s
Phosphor: TPAblauf = TPZulauf - ip · BSBs,Zulauf = 6 - 0.015·180 = 3.3 g P m-s
Die Differenz zum Zulauf muss als Teil der produzierten Mikroorganismen im Über-
schussschlamm aus der biologischen Reinigung abgeführt werden.

20.3 Unterschiedliche biologische Verfahren


In der biologischen Abwasserreinigung unterscheiden wir zwei Gruppen von
Verfahren:
- Verfahren mit suspendierter Biomasse: Iri diesen Verfahren wird die Bio-
masse durch Turbulenz im Wasser in Schwebe gehalten. Die Biomasse wird
in Form von Schlammflocken von ca. 0.1- 1.0 mm Grösse mit dem Wasser
transportiert. Diese Verfahren sind den Seen nachempfunden: Die Algen
werden im See in Schwebe gehalten, wenn sich ein Wasserpaket z.B. als Fol-
ge einer Welle bewegt, so werden die suspendierten Algen (die Biomasse)
mitbewegt Die Leistung von Verfahren mit suspendierter Biomasse wird be-
stimmt durch die Masse der Organismen die im biologischen Reaktor in Sus-
pension gehalten wird. Als Dimensionierungsparameter wird daher häufig die
Abbauleistung pro vorhandene Biomasse angegeben.
- Verfahren mitfestsitzender Biomasse: In diesen Verfahren sitzt die Biomasse
als dünner Film (ein Biofilm) auf einer Aufwuchsfläche fest. Das Abwasser
rinnt über diesen Biofilm hinweg, es bewegt sich relativ zur Biomasse, die
auf der Unterlage festsitzt. Diese Verfahren sind den Fliessgewässem, insbe-
sondere den kleinen Bächen, nachempfunden: Im Bach sitzt der grösste Teil
der aktiven Mikroorganismen als sogenannter Benthos auf dem Sediment,
den Steinen oder z.T. auf den Blättern von höheren Pflanzen fest. Im Zuge
der Selbstreinigung fliesst das Wasser über diese Biomasse hinweg und
tauscht dabei "Schmutzstoffe" mit diesen Biofilmen aus. Ein altes Sprichwort
sagt: Fliesst das Wasser über sieben Stein', so ist das Wasser wieder rein.
Die Leistung von Biofilmverfahren wird bestimmt durch das Angebot von
Bewuchsflächen. Häufig wird deshalb die Abbauleistung pro Fläche Biofilm
als Dimensionierungswert gebraucht.
Zur ersten Gruppe gehören z.B. das Belebtschlammverfahren (Kapitel 20.4)
oder der Faulturm (Abschn. 25.3.1, Seite 387), zur 2. Gruppe gehören der Tropf-
körper (Kapitel 0, Seite 350), der Tauchkörper (Kapitel 20.6, Seite 354) und
viele neuere Entwicklungen.

20.4 Belebtschlammverfahren
Das Belebtschlammverfahren ist ab 1914 in England entwickelt und anseblie-
ssend rasch in die grosstechnische Anwendung eingeführt worden. Bereits in den
20.4 Belebtschlammverfahren 311

Belebungsbecken Nachklärbecken
Sedimentation
Luft

Rücklaufschlamm

Abb. 20.2. Fliessschema eines einfachen Belebtschlammverfahren: Ein aerobes, volldurch-


mischtes Belebungsbecken (hier ein Belüftungsbecken) ist gefolgt von einem Nachklärbecken
zur Abtrennung der Biomasse (Belebtschlamm) aus dem gereinigten Abwasser. Der Rücklauf-
schlamm bringt die Biomasse zurück ins Belebungsbecken, mit dem Überschussschlamm wird
der Zuwachs des Belebtschlammes laufend aus dem System abgezogen. Die Belüftung führt
dem Prozess gelösten Sauerstoff zu

frühen 20er Jahren haben in den USA grosse Anlagen mit diesem Verfahren im
Betrieb gestanden. Es erhielt seinen Namen (Activated Sludge Process), weil im
Verfahren ein Schlamm (eine Suspension) gebildet wird, der aktive Mikroorga-
nismen enthält (Belebtschlamm), die das Abwasser aerob (in Gegenwart von
gelöstem Sauerstoff 0 2) reinigen können.
Heute stellt das Belebtschlammverfahren in den Industrieländern das wich-
tigste biologische Abwasserreinigungsverfahren dar. Es wird in den verschieden-
sten Varianten eingesetzt. Im Laufe der Zeit ist es gelungen, eine Vielzahl von
verschiedenen mikrobiologischen, chemischen und physikalischen Prozessen in
das Verfahren zu integrieren und gleichzeitig zu optimieren:
- Abbau von organischen Stoffen (BSB 5 , CSB)
- Flockung und teilweiser Abbau von partikulären Stoffen (TSS)
Oxidation von Ammonium NH/ zu Nitrat N03• (Nitrifikation)
- Reduktion von Nitrat N03·, zu Stickstoff N2 (Denitrifikation)
- Chemische Phosphorelimination (Simultanfällung)
- Biologische Phosphorelimination
- Elimination von spezifischen organischen Verbindungen (NTA, ... )
Die Vielfalt der Verfahren drückt sich v.a. in der Gestaltung der Reaktoren
und in der Vielfalt der Umweltbedingungen aus, die den Mikroorganismen ange-
boten werden. Diese Vielfalt, zusammen mit seiner Leistungsfähigkeit, der Wirt-
schaftlichkeit und der möglichen Betriebsstabilität, sind die Gründe für die häu-
fige Anwendung des Verfahrens.

20.4.1 Fliessschema des Belebtschlammverfahrens


Ein typisches Fliessschema eines einfachen Belebtschlammverfahrens ist in
Abb. 20.2 dargestellt:
- Die Schmutzstoffe werden durch den Zulauf in das Belüftungsbecken (Bele-
bungsbecken) geführt und über den Rücklaufschlamm werden Mikroorga-
nismen zugeführt (Belebtschlamm), die für die Reinigung verantwortlich
sind. Durch eine Belüftung wird Luft in das Belebungsbecken eingetragen
312 20 Biologische Abwasserreinigung

und daraus Sauerstoff im Abwasser gelöst. Die Belüftung hat zusätzlich die
Aufgabe, das Abwasser und den belebten Schlamm zu durchmischen und die
Mikroorganismen in Schwebe zu halten. Durch das Zusammentreffen von
Schmutzstoffen (=Nährstoffe), Mikroorganismen und Sauerstoff können sich
die Mikroorganismen vermehren und dadurch das Abwasser reinigen.
Durch hydraulische Verdrängung gelangt das Belebtschlamm - Abwasser
Gemisch (engl. Mixed Liquor) ins nachfolgende Nachklärbecken, wo der
Schlamm als Folge der Gravitation nach unten aussedimentiert und einge-
dickt wird. Das überstehende, gereinigte Abwasser wird dekantiert; es enthält
noch die nicht eliminierbaren gelösten Stoffe sowie eine geringe Restkon-
zentration von suspendierten Stoffen.
Das Sediment aus dem Nachklärbecken wird als Rücklaufschlamm ins Bele-
bungsbecken zurückgeführt, sodass dort die gewünschte Schlamm-
konzentration eingehalten werden kann. In der kommunalen Reinigung wird
der Belebtschlamm ca. 20 - 50 mal im Kreise geführt, sodass die Konzentra-
tion der Bakterien im Belebtschlammbecken gegenüber Verfahren ohne
Rücklauf um diesen Faktor erhöht ist; damit wird auch die Abbauleistung des
Reaktors um den gleichen Faktor erhöht.
In jedem Kreislauf des Belebtschlammes durch das Belüftungsbecken wird
durch das Wachstum der Organismen der Schlamm etwas vermehrt. Dieser
Zuwachs wird in Form von Überschussschlamm vom Sediment des Nachklär-
beckens abgetrennt und der Schlammbehandlung zugeführt.
Das Belebtschlammverfahren beruht also auf dem Zusammenspiel von zwei
getrennten Reaktoren, dem Belebungsbecken und dem Nachklärbecken, die bei-
de erforderlich sind und aufeinander abgestimmt werden müssen. Neben der
eigentlichen Reinigung des Abwassers im Belebungsbecken muss die Biomasse
im Nachklärbecken effizient abgetrennt und aufkonzentriert (eingedickt) werden
können.

Beispiel 20.4. Rücklaufschlamm I Überschussschlamm


ln einer Belebungsanlage für 50'000 Ewerden Q = 20'000 m3 d.1 Abwasser gereinigt und
es werden ÜS0 = 150 grss m-3Abwa•••• in Form von Überschussschlamm produziert. Im
Belebungsbecken kann eine Belebtschlammkonzentration von TS88 = 3000 9rss m-3 un-
terhalten werden. Es werden R =25'000 m3d_, Rücklaufschlamm (inkl. Überschuss-
schlamm) gepumpt und der Überschussschlamm wird vom Rücklaufschlamm abgetrennt.
Im Ablauf des Nachklärbeckens gehen TS. = 15 gr55 m-3Abwasser in Form von Biomasse
(Belebtschlamm) verloren.
Wieviel Überschussschlamm muss abgepumpt werden?
Wie oft zirkuliert der Belebtschlamm durch das Belebungsbecken?
1. Fracht des Überschussschlammes:
Als Überschussschlamm muss die Schlammproduktion minus die Verluste im Ablauf des
Nachklärbeckens abgezogen werden:
- 4
Q · US0 - Q · TS8 = 2700 kgrss d
2. Konzentration des Rücklauf- und des Überschussschlammes TSR:
Der Zufluss von Belebtschlamm zum Nachklärbecken entspricht dem Zufluss zum Bele-
bungsbecken also Q + R und es werden dem Nachklärbecken gleichviel TSS zugeleitet,
wie daraus abgeleitet werden:
20.4 Belebtschlammverfahren 313

Abb. 20.3. Aufnahme einer Belebtschlammflocke im Phasenkontrastmikroskop (Kappeler


1989)

(Q + R) · TS88 =Q · TS8 + R · TSR


Daraus TSR = ((20'000+25'000)·3000- 20'000·15)125'000 = 5400 9-rss m·3
3. Die Überschussschlammmenge beträgt:
0 05 = Fracht I Konzentration = 2700 ktJ.rss d. 1 I 5.4 ktJ.r55 m·3 = 500 m3 d. 1 (oder ca. 2.5%
des gereinigten Abwassers)
4. Rezirkulation des Schlammes:
- ~
Im Belebungsbecken werden Q · US0 = 3000 ktJ.r5 l\ d Schlamm produziert und es flie-
ssendem Becken (R- 0 05 ) · TSR = 132'000 kgrss d. Feststoffe zu. Im Durchschnitt muss
daher der Belebtschlamm 132'000 I 3000 = 44 mal durchs Belebungsbecken geleitet
werden, bevor er die Anlage im Überschussschlamm verlässt.

20.4.2 Charakterisierung von Belebtschlamm


Abb. 20.3 zeigt eine mikroskopische Aufnahme einer Belebtschlammflocke in
einer Vergrösserung, in der einzelne Bakterien gerade nicht mehr unterschieden
werden können. Die zentrale Flocke ist ein Konglomerat von verschiedensten
Bakterien und Partikeln aus dem Abwasser, die sich an diese Flocken anlagern.
Einzelne Bakterienarten wachsen fadenförmig und halten so die Flocken zu-
sammen (analog zum Stahlbeton oder glasfaserverstärkten Baustoffen beim Bau-
en). Die Flocke in Abb. 20.3 ist von fadenförrnig wachsenden Bakterien durch-
wuchert. So werden die Flocken voluminös und sedimentieren nur noch langsam,
es entsteht ein Blähschlamm, der den Betrieb des Nachklärbeckens massiv stört.
Der Schlamm Volumen-Index (SV!) ist ein Mass für die Eindickeigenschaften des
Belebtschlammes:
Zur Bestimmung des Schlammvolumen-Indexes (SV/, eng/. Sludge Volume In-
dex) wird Belebtschlamm mit der bekannten Konzentration X85 in einem 1 I
Messzylinder (VMz) während 30 min. sedimentiert und anschliessend das Volu-
men VsF der Schlammtlocken abgelesen. Der SVI gibt an, welches Volumen (in
ml) 1 gTrockensubstanz beansprucht:
314 20 Biologische Abwasserreinigung

SVI =VsF I (VMZ • X85 ) in ml/gTs (20.3)


Um Wandeffekte gering zu halten wird gelegentlich der sogen. Verdünnungs-
schlammvolumenindex bestimmt; hier wird der Belebtschlamm anfänglich so-
weit mit dem Ablauf der Nachklärung verdünnt, bis ein Volumen der Schlamm-
flocken VsF < 300 ml resultiert.
Typische Werte für den SVI sind in Tabelle 20.3 angegeben. Heute sind eine
Reihe von Massnahmen bekannt, um der Entwicklung von Blähschlamm bereits
in der Phase der Projektierung der Anlagen vorzubeugen. Von besonderer Be-
deutung sind sogen. Selektoren, kleine abgetrennte hochbelastete erste Teile des
Belebungsbeckens. Für die Bemessung und die Funktion von Selektoren wird auf
die Fachliteratur verwiesen.

Tabelle 20.3. Typische Werte ftir den Schlammvolumen-Index (SVI). Abweichungen von diesen
Werten sind häufig, bei zu hohen SVI sollten Massnahmen ergriffen werden um bessere Eindick-
eigenschaften des Schlammes zu erreichen

Verfahren oder spezielle Bedingung SVI in ml/ gTss


Belebtschlammverfahren ohne Vorklärung 75- 100
Belebtschlammverfahren nach Vorklärung 100- 150
Verfahren mit Simultanfällung (Phosphorelimination) 80- 130
Bei grossem Anteil gelöster organischer Schmutzstoffe > 150
Blähschlamm > 150- 1000

Beispiel 20.5. Schlammvolumenindex


Ein Belebtschlamm hat eine Konzentration von 3350 g,.5 m-a. ln einem 1 I Messzylinder
dickt eine Probe dieses Schlammes in 30 min. auf 355 ml Schlammbett ein. Wie gross ist
der SVI?
SVI =355 ml I (1 I . 3.35 9,-s r1) =106 ml/gTS'
Ein normaler Belebtschlamm.
Um den Verdünnungsschlammvolumenindex zu bestimmen müsste dieser Versuch mit
einer geringeren Anfangskonzentration wiederholt werden (z.B. X85 = 2500 gTs m·\

Die Konzentration des Belebtschlammes wird auf Kläranlagen meistens in


Form von Trockensubstanz (TS) oder nach Filtration in total suspendierten Stof-
fen (TSS) gemessen, gelegentlich wird zusätzlich der Glühverlust (VSS) be-
stimmt. In der Forschung wird heute zunehmend auch mit dem CSB des Belebt-
schlammes gearbeitet, weil mehrere mathematische Modelle für das Belebt-
schlammverfahren auf dem CSB basieren. In Tabelle 20.4 sind typische Werte
für die Belebtschlammkonzentration zusammengestellt.
Beim Projektieren einer Belebungsanlage wird die Belebtschlammkonzentra-
tion auf Grund eines iterativen Vorgehens gewählt: Je grösser das Nachklärbe-
cken, desto grösser wird die mögliche Eindickung und desto grösser wird die
zulässige Belebtschlammkonzentration TS 88 • Da alle Dimensionierungsverfahren
für das Belebungsbecken nur die erforderliche Masse von Belebtschlamm be-
rechnen (also das Produkt vuu·TSBB), resultiert aus einer Vergrösserung der Be-
lebtschlammkonzentration TS 88 eine Verringerung des erforderlichen Becken-
volumens V88 •
20.4 Belebtschlammverfahren 315

TabeHe 20.4. Typische Werte für die Belebtschlammkonzentrationen in verschiedenen Verfah-


rensvarianten (Kommunale Abwasserreinigung)

Verfahren Typische Konzentration in:


-3 -3
gTSSm gvss m
Ohne Vorklärung 4500 2800 4000
Nach Vorklärung 3000 2000 3000
Nach Vorklärung mit Simultanfällung 3500 2000 3000

Beispiel 20.6. Schlammvolumenindex und Belebtschlammkonzentration


ln einer Belebungsanlage entwickelt sich ein Blähschlamm mit einem SVI von
500 ml g\ss- Die Anlage wird mit einem Verhältnis von Zulauf Q zu Rücklautschlamm R
von 1 : 1betrieben.
Wie gross ist die Belebtschlammkonzentration im Belebungsbecken TS88 , die maximal
eingehalten werden kann?
Der SVI gibt an, dass eingedickter Belebtschlamm (z.B. im Rücklautschlamm) maximal
die Konzentration von TSR < 1/ SVI = 2 kg TSS m-3 haben kann. Eine einfache Bilanz für
den Belebtschlamm ums Nachklärbecken ergibt:

(Q+ R)·TS 88 = Q-TSAblauf + R · TSR und mit TSAblaut,.,o resultiert: TS 88 = R· TSR


(Q+R)
Es resultiert, dass in erster Näherung die Konzentration im Belebungsbecken TS88 < 1 kg
TSS m-3 wird. Das ist ein Wert, der nur eine geringe Reinigungsleistung ergibt (S.a.
Tabelle 20.4).

20.4.3 Dimensionierung des Belebtschlammverfahrens


Die Dimensionierung und Gestaltung des Belebtschlammverfahrens bedingt die
Bearbeitung einer Reihe von Fragen, die hier nur oberflächlich gestreift wird:
Volumen und allfällige Unterteilung des Belebungsbeckens. Das ist abhängig
vom Reinigungsziel und der möglichen Belebtschlamrnkonzentration, welche
durch das Nachklärbecken und die Eindickeigenschaften des Belebtschlam-
mes (SVI) gegeben wird.
Verbrauch von Sauerstoff und die Dimensionierung einer entsprechenden
Belüftungseinrichtung.
- Produktion von Schlamm, der als Überschussschlamm abgezogen und der
Schlammbehandlung zugeführt werden muss.
- Grösse und Gestaltung des Nachklärbeckens. Diese bestimmen wieweit der
Belebtschlamm eingedickt und während Regen gespeichert werden kann.
- Zusätzlich müssen allenfalls chemische Prozesse, z.B. die Fällung von Phos-
phor, mitberücksichtigt werden.
Historisch sind Belebungsanlagen mit einer Schlammbelastung dimensioniert
worden, die angibt, wieviel Schmutzstoffe (speziell BSB 5) pro Menge Belebt-
schlamm (gemessen als Trockensubstanz) pro Zeit abgebaut werden müssen:

B _ Q·BSB5
TS- (20.4)
VBB ·TSBB
316 20 Biologische Abwasserreinigung

Die verwendete Nomenklatur beruht auf der in Deutschland verwendeten


(und stark genormten), die im ganzen deutschen Sprachraum in der Praxis über-
nommen wurde:
BTs = Schlammbelastung bezogen auf Trockensubstanz (TSS)
[kg BSB5 kg- 1 TSS d" 1]
Q =
Zufluss zur Belebungsanlage [m3 d" 1]
=
BSB5 Konzentration an BSB5 im Zulauf zur Belebungsanlage
[kg BSB5 m·3]
V88 =
Volumen des Belebungsbeckens [m3]
TS88 =
Konzentration des Belebtschlammes im Belebungsbecken,
gemessen als Trockensubstanz TSS.
Für die Belastung der Anlage (Q · BSB 5) wird ein Tagesmittelwert an einem
"Dimensionierungstag" eingesetzt. Nach dem Arbeitsblatt A131 (1991) der Ab-
wassertechnischen Vereinigung in Deutschland (ATV) dient z.B. bei Anlagen
zur Elimination der organischen Stoffe (BSB 5) ohne Nitrifikation die Tages-
fracht, die an 85% der Werktage (Montag bis Freitag) unterschritten wird, als
Dimensionierungswert.
In Tabelle 20.5 sind die Dimensionierungswerte angeben, die in einem frühe-
ren Arbeitsblatt Al31 (1981) für verschiedene Belebungsverfahren empfohlen
wurden. Diese Werte kommen heute kaum mehr in dieser Form zur Anwendung,
aber um ein Verfahren rasch zu beurteilen, haben sie noch heute ihre Gültigkeit.
Jeder erfahrene Ingenieur, der Kläranlagen projektiert, kennt diese Werte. Das
Verfahren mit Schlammstabilisierung liefert einen Überschussschlamm, der nach
Eindickung ohne grössere Geruchsbelästigung in die Landwirtschaft ausgebracht
werden konnte (heute muss solcher Schlamm noch zusätzlich hygienisiert wer-
den). Die Verfahren mit Nitrifikation schliessen neben dem Abbau von organi-
schen Stoffen auch die Oxidiation von Ammonium (NH/) zu Nitrat (N03") mit
ein.

Tabelle 20.5. Zusammenstellung der wichtigsten Bemessungsgrössen flir verschiedene Belebt-


schlammverfahren nach dem alten Arbeitsblatt A 131 (1981). Diese Werte werden heute nicht
mehr flir die Dimensionierung gebraucht, als Richtwerte können sie aber immer noch Verwen-
dung finden
Verfahren
Kenngrösse Schlamm- mit Nitrifi- ohne Nitri-
a)
Stabilisierung kation fikation
Feststoffgehalt TS88 in kgTSs m· 4-5 2.5-3.3 2.5-3.3
-1 -1
Schlammbelastung BTS in kg8585 kg Tss d 0.05 0.15 0.30
Minimale hydraulische Aufenthaltszeit im Bele-
1.5 1-0
bungsbecken bei Regen (bei 2·Q1W) in h
•• -1
Spezifische Schlammproduktion US 8 in kgTss kg 8585 1.0 0.9 1.0
Maximaler Sauerstoffverbrauch inkg02 kg- 18585bl 2.5 2.5 1.5- 2.0<)
a)
Diese Anlagen nitrifizieren. Sie werden ohne Vorklärbecken betrieben
bJ Mit diesem Sauerstoffeintrag, bezogen auf die mittlere Tagesfracht des BSB5 ,
kann auch der Tagesspitzenbedarf abgedeckt werden
c> Diese Anlagen können im Sommer auch nitrifizieren, dieser Sauerstoffverbrauch
berücksichtigt aber nur den Abbau des BSB 5
20.4 Belebtschlammverfahren 317

Beispiel20.7. Einfache Dimensionierung einer Belebungsanlage


Eine Belebungsanlage soll das vorgeklärte Abwasser von ca. 10'000 Einwohnern reini-
gen:
0 = 4000 m3 d.1 (wird an 85% der Werktage unterschritten), BSB5 = 0.120 kg BSB5 m-a
Das Nachklärbecken wird so dimensioniert, dass eine Schlammkonzentration von
TS88 = 3.0 kg TSS m-a erreicht werden kann.
Die Anlage soll zuverlässig die organischen Stoffe (BSB5) abbauen, eine Nitrifikation ist
nicht erforderlich. Die Schlammbelastung wird mit Brs = 0.3 kg BSB5 kg·1 TS d.1 gewählt
(Tabelle 20.5).
Wie gross wird das Belebungsbecken?
Nach GI. (20.4) ergibt sich: V88 = 0 · BSB5 1 (8rs · TS88) =533m3
Die mittlere hydraulische Aufenthaltszeit beträgt: eh= VBB I 0 = 3.2 h.
Bei Regen wird der doppelte Trockenwetteranfall (Tagesspitze, z.B. 0 14) über die Anlage
geleitet. Die tägliche maximale Wassermenge ergibt sich zu:
3 ·1
OTW,max = 014 = 0mi11al·24h 114h =286m h
Die minimale hydraulische Aufenthaltszeit beträgt eh,min = VBB I (2 ·Orw,max> = 0.93 h
Diese Aufenthaltszeit ist geringer als der minimal vor~egebene Wert von 1 h. Das Volu-
men des Belebungsbeckens sollte also auf 2 ·286 m3 h. ·1 h = 572 m3 vergrössert werden.

Heute wird an Stelle der Schlammbelastung meistens das sogenannte


Schlammalter als Basis für die Dimensionierung benutzt. Das Schlammalter 9,
gibt an, wie lange im Mittel eine Schlammflocke im Belebtschlammbecken ver-
bleibt, bevor sie im Überschussschlamm oder im Ablauf des Nachklärbeckens
aus der Anlage verloren geht. Das Schlammalter kann zur Wachstums-
geschwindigkeit der Mikroorganismen (oder auch deren Verdoppelungszeit) in
Beziehung gebracht werden und steht daher den mikrobiologischen Prozessen im
Belebungsbecken nahe. In Worten ergibt sich:
Masse der Feststoffe im Belebungsbecken
Sc hl ammal1er =------------~-­
Schlammverluste je Zeiteinheit

Die Schlammverluste setzen sich zusammen aus dem Überschussschlamm


und dem Verlust von Schwebestoffen im Ablauf des Nachklärbeckens. Mathe-
matisch ergibt sich:

-
9 x- VBB ·TSBB
(20.5)
Q·TSe +Qos ·TSos
9x = Schlammalter in Tagen. Typische Werte liegen im Bereich von
3- 15 Tagen.
TSe = Konzentration der Schwebestoffe im Ablauf des Nachklärbeckens,
typisch sind Werte< 20 gTss m· 3•
Qos = Menge des abgezogenen Überschussschlammes [m3 d' 1]
TSos = Konzentration des abgezogenen Überschussschlammes
Typisch sind ca. 2 · TS 88 =6- 10 kgTss m·3 . Diegenaue
Konzentration muss mit Hilfe einer Stoffbilanz um das
Nachklärbecken berechnet werden.
318 20 Biologische Abwasserreinigung

TabeHe 20.6. Richtwerte für das erforderliche Schlammalter 9x in Tagen in Abhängigkeit der
Reinigungsleistung und der zu erwartenden mittleren Schlammproduktion ÜSB (ohne Phosphor-
fliUung). Gültig für Temperaturen> 10 °C. Arbeitsblatt A131 der Abwassertechnischen Vereini-
gung, Februar 1991
Grösse der Anlage: Spez. Produktion von
Reinigungsziel angeschlossene Schlamm
.. b)
Einwohner USB
-I
<20'000 > 100'000 kg!SS kg BSB5
Ohne Nitrifikation 5 4 0.9- 1.2
Mit Nitrifikation bei Temperatur > 10 oc 10 8 0.8- 1.1
Mit Denitrifikation 12- 18 10- 16 0.7- 1.0
Mit Schlammstabilisierung•> 25 0.6- 1.0
a)
Dieses Verfahren wird ausschliesslich ohne Vorklärung betrieben und kommt nur in kleinen
Anlagen zur Anwendung. Es schliesst die Schlammbehandlung in der Anlage mit ein.
bl Der Bereich gibt die Schlammproduktion mit grosser bis kleiner Vorklärung an. Zusätzlich
müssen bei Phosphorelimination noch die dabei entstehenden Flillungsprodukte berück-
sichtigt werden (ca. 6.8 kgTSS kg- 1 P), s.a. Abschn. 20.4.10, Seite 341, GI. (20.14).

In der Berechnung des Schlammalters nach GI. (20.5) wird nicht berücksich-
tigt, dass der Ablauf des Nachklärbeckens um die Menge des Überschuss-
schlammes verringert wird. Daraus ergibt sich für die Reinigung von kommuna-
lem Abwasser ein vernachlässigbar kleiner Fehler.

Beispiel 20.8. Definition des Schlammalters


ln einem Belebtschlammbecken befindet sich eine Belebtschlammmenge von
V88 · TS88 = 10'000 kg TSS. Pro Tag werden im Überschussschlamm und im Ablauf der
Anlage 1000 kg TSS abgezogen.
Offensichtlich wird bei diesem Betrieb der Belebtschlamm im Durchschnitt alle 10 d er-
neuert oder das durchschnittliche Schlammalter beträgt 10 d (s.a. GI. (20.5)).

Mit GI. (20.5) kann das Schlammalter mit den Erfahrungszahlen aus dem
Betrieb einer bestehenden Anlage berechnet werden, da alle Grössen einfach
gemessen werden können. Um eine Anlage zu dimensionieren, müssen die er-
warteten Schlammverluste (Q·TS. + Q05 ·TS 05 ) vorerst aus der Schlamm-
produktion berechnet werden (im Gleichgewicht wird gleichviel Schlamm pro-
duziert wie verlorengeht). Dies geschieht durch Abschätzung der spezifischen
Schlammproduktion ÜS 8 , die angibt, wieviel Trockensubstanz in Form von Be-
lebtschlamm produziert wird pro Masse BSB 5, die in die Anlage geleitet wird.
Die Schlammproduktion ergibt sich zu:
SP =ÜS 8 • Q · BSB5 in kgTssd. 1 (20.6)
Mit diesen Überlegungen wird das Schlammalter zu:

e - VaB -TsBa (20.7)


X- SP

Richtwerte zur Abschätzung von ÜS 8 stehen in Tabelle 20.5 und


Tabelle 20.6. Tabelle 20.6 gibt Richtwerte für das erforderliche Schlammalter.
20.4 Belebtschlammverfahren 319

Es ergibt sich eine Beziehung zwischen dem Schlammalter 9. und der


Schlammbelastung BTs in der Form:
1 Q·BSB5
BTs =.."_,---- (20.8)
USs . 9x Yss . TSss

ÜS 8 = Spezifische Produktion von Belebtschlamm als Folge der Elimination


von BSB5 und der Fällung von Phosphor [kg TS kg- 1 BSB5].

Beispiel 20.9. Schlammproduktion


Wieviel Belebtschlamm wird in einer Belebungsanlage für 20'000 Einwohner produziert?
Die Anlage wird mit einem Schlammalter von 9x = 10 d (Nitrifikation) nach einer Vorklä-
rung mit ca. 1 h mittlerer hydraulischer Aufenthaltszeit und mit Simultanfällung für die
Phosphorelimination betrieben.
Q = 7500 m3 d-1 mit 120 g BSB5 m-3 und 4.8 g P m·3 die gefällt werden müssen.
Nach Tabelle 20.6 beträgt die Schlammproduktion bei einem Schlammalter von 10 Tagen
und mittlerem Vorklärbecken ca. 0.9 kg TSS kg-1 BSB5 • Dazu kommen nach Fussnote in
Tabelle 20.6 noch ca. 6.8 kg TSS pro kg P das gefällt werden soll.
Damit ergibt sich die folgende Schlammproduktion:
Elimination der organischen Stoffe:
Q · 120 g BSB5 m · 0.9 kg TSS kg· 1 BSB5 810 kg TSS d-1
Fällung des Phosphors:
Q · 4.8 g P m-3 · 6.8 kg TSS kg· 1 P = 245 kg TSS d-1
Totale Schlammproduktion:
·1
SP1018, = 1055 kg TSS d
Sofern von dieser Schlammproduktion im Ablauf 15 g TSS m-3 (= TS.) verloren gehen,
·1 ••
müssen noch SP10181 - Q · TS. = 943 kg TSS d als Uberschussschlamm abgezogen wer-
den. Bei einer typischen Konzentration TS05 =7 kg TSS m·3 ergibt sich:
3 -1
0 05 = 94217 = 135 m d oder < 2% von Q.
Die Simultanfällung vergrössert die Produktion von Belebtschlamm um 245/810 = 30%.
Im Ablauf des Nachklärbeckens gehen ca. 10% der Schlammproduktion verloren.

Beispiel 20.10. Spezifische Schlammproduktion ÜS8


Wie gross wird die spezifische Schlammproduktion ÜS8 für die Anlage in Beispiel20.9?
Nach GI. (20.6) wird:
- =SP I (Q · BSB =1055 kgTss I 900 kg
US8 5) 8585 =1.17 k9Tss kg8585 ~

Dieser Wert ergibt sich auch aus:


-
US8 =0.9 k9Tss kg·1 8585-1+ 6.8 k9Tss kgp·1 · 4.8 gP m-3 1120 g8585 m·3
=1.17 k9Tss kgBSBS
ÜS8 ist die Summe der Beiträge aus der Elimination des BSB5 und der Fällung des Phos-
phors.

Beispiel 20.11. Schlammbelastung BTs


Wiegrossist die Schlammbelastung Brs der Belebungsanlage in Beispiel20.9?
Nach GI. (20.8) wird:
=1 I (US 8 • 9,) =1 I (1.17 k9Tss kg 858 · 10 d) =0.085 kg 8585 kgTss d .
•• ·1 -1 ·1
~s
320 20 Biologische Abwasserreinigung

Ohne Phosphorfällung ergäbe sich:


·1 ·1 ·1
B,-s = 1 I (0.9 k9rss kgss85 • 10 d) = 0.111 kgss85 k9rss d
Dieser Wert ist kleiner als der früher empfohlene Richtwert von 0.15 kgss85 k9rss. 1 d-1 (s.
Tabelle 20.5).
Durch die Simultanfällung verändert sich die Bedeutung der Belebtschlammkonzentration
TS 88: Neben dem "konventionellen" Belebtschlamm enthalten die Feststoffe nun auch die
Fällungsprodukte. Dadurch verändert sich auch die Bedeutung der Schlammbelastung
B,-s: Bei gleichem Verhältnis von Schmutzstoffen zu Mikroorganismen nimmt die
Schlammbelastung bei Simultanfällung ab.

Beispiel20.12. Schlammalterex und Schlammbelastung B,-s


Wie gross sind die Schlammalter ex der Verfahren, die früher für unterschiedliche Reini-
gungsziele empfohlen wurden (s. Tabelle 20.5)?
Nach GI. (20.8), wird ex = 1 I (ÜS8 · B,-s>·
Verfahren Brs USB ex
mit Schlammstabilisierung 0.05 1.0 20d
mit Nitrifikation 0.15 0.9 7.4d
ohne Nitrifikation 0.30 1.0 3.3d
Diese Werte des Schlammalters ex sind geringer als die Werte, die heute empfohlen
werden (Tabelle 20.6), das entspricht den zunehmenden Anforderungen an die Zuverläs-
sigkeit der Abwasserreinigung.

20.4.4 Dynamische Simulation von Belebungsanlagen


Die statische Dimensionierung (Abschn. 20.4.3) kann Belastungsvariationen
nicht explizit berücksichtigen. Die Erfahrungszahlen, die dieser Art der Dimen-
sionierung zu Grunde liegen, basieren auf einer "typischen" Variation der Bela-
stung (Tagesgang, Wochengang, Temperatur etc.).
Die dynamische Simulation von biologischen Reinigungsverfahren basiert
auf der numerischen Integration von Stoffbilanzen und erlaubt eine zeitabhängi-
ge Prognose des Verhaltens von Anlagen. Heute kommen kommerzielle Simula-
tionsprogramme zur Anwendung, die z.T. sehr detaillierte Einsichten in das Ver-
halten von Belebungsanlagen vermitteln. Die Anwendung solcher Programme
bedingt ein gutes Verständnis der Modelle, die der Simulation zu Grunde liegen.
Im Rahmen von anspruchsvolleren Projekten ist es heute üblich, dass zusätzlich
zu einer vorgängigen statischen Dimensionierung das Konzept der Anlage durch
Simulation bereits in der Phase der Anlagenprojektierung optimiert wird. Häufig
wird die Simulation durch Spezialistinnen im Auftrag und in Zusammenarbeit
mit dem projektierenden Ingenieur durchgeführt.
Nur vertiefte Auseinandersetzung mit der Technik der Simulation kann in
dieses wertvolle Werkzeug einführen. Es sollte heute aber unbedingt zur Unter-
stützung der Arbeit des projektierenden Ingenieurs eingesetzt werden.

20.4.5 Gestaltung des Belebungsbeckens, Sauerstoffverbrauch


Im Belebungsbecken muss der Belebtschlamm mit dem Abwasser vermischt und
in Suspension gehalten werden. Zusätzlich müssen die Umweltbedingungen
angeboten werden, die für das gewählte Verfahren erforderlich sind: Aerob (mit
20.4 Belebtschlammverfahren 321

Luft

0 0 0 0 0
0 0 0

0
c:,o/~ ~~
0 00
00 ~ 0
0 0 2 0
0 0 0

=
Abb. 20.4. Schematische Darstellung von verschiedenen Systemen für den Sauerstoffeintrag in
Belebungsanlagen. Links: Oberflächenbelüftung. Rechts: Feinblasige Tiefenbelüftung

Sauerstoff 0 2, für den aeroben Abbau von organischen Stoffen und die Nitrifika-
tion), anoxisch (ohne Sauerstoff, aber mit Nitrat N03·, für die Denitrifikation)
oder anaerob (ohne Sauerstoff und ohne Nitrat) im Zusammenhang mit der bio-
logischen Phosphorelimination.
Damit die Biomasse (der Belebtschlamm) in den Belebungsbecken in Sus-
pension gehalten werden kann (und nicht aussedimentiert), muss in diesen Bek-
ken eine genügende Turbulenz oder Strömungsgeschwindigkeit aufrechterhalten
werden. Mit einer Sohlenströmung von > 0.15 (besser 0.3) m s·1 können Sedi-
mente zuverlässig vermieden werden. Unter Sohlenströmung verstehen wir die
Strömungsgeschwindigkeiten unmittelbar über der Beckensohle.
In aeroben Beckenteilen (Belüftungsbecken) wird durch den Eintrag von
Sauerstoff (Belüftung) meist genügend Turbulenz erzeugt, um die Biomasse in
Suspension zu halten. Gelegentlich werden Belüftung und Strömung durch un-
terschiedliche Apparate gewährleistet. In anoxischen und anaeroben Becken
muss die erforderliche Strömung durch spezielle, meist langsamlaufende Pro-
peller erzeugt werden. Bei guter Wahl des Apparates genügen 2 - 5 W m·3 spezi-
fische Leistung für die erforderliche Durchmischung. (Mit der Belüftung tragen
wir ca. 10 - 20 W m· 3 kinetischer Energie ein, die in Turbulenz umgewandelt
wird.)
Für den aeroben Abbau von organischen Stoffen und die Nitrifikation ver-
brauchen die Mikroorganismen Sauerstoff, der durch die Belüftung nachgeliefert
werden muss. Wir unterscheiden zwei Prinzipien des Sauerstoffeintrages (s.
Abb. 20.4):
- Oberflächenbelüftung: Der Belebtschlamm wird durch Walzen, Schaufel-
oder Pumpenräder durch die Luft geworfen, dabei wird Sauerstoff aus der
Luft im Belebtschlamm gelöst.
- Blasenbelüftung: Komprimierte Luft wird in der Tiefe des Belebungsbeckens
feinblasig (1 - 4 mm Blasendurchmesser) eingetragen. Aus den aufsteigenden
Luftblasen geht Sauerstoff im Belebtschlamm in Lösung.
Für den Eintrag von Sauerstoff ist der grösste Anteil von elektrischer Energie
auf Kläranlagen erforderlich. Für den Abbau von 1 kg BSB 5 ist ca. 1 kg Sauer-
stoff erforderlich, für dessen Eintrag 0.5 - 1 kWh Energie benötigt werden. Die
detaillierte Berechnung des Sauerstoffverbrauchs bei verschiedensten Bela-
322 20 Biologische Abwasserreinigung

stungssituationen und die Dimensionierung der Apparate zum Eintrag des Sauer-
stoffs muss der weiterführenden Literatur entnommen werden.

Beispiel 20.13. Sauerstoffgehalt der Luft


1 m3 Normal-Luft enthält ca. 300 g Sauerstoff 0 2 • Davon werden ca. 3- 5 % im Wasser
gelöst, wenn die Luftblasen 1 m aufsteigen. Ein typisches Belebungsbecken ist ca. 4 - 5
m tief, d.h. dass bis zu 20% des Sauerstoffes aus der Luft in Lösung gehen oder ca. 60
-3
g 0 2 m Luft.
Die aufsteigende Luft nimmt aber auch das entstehende Kohlendioxid C02 aus dem
Wasser auf und führt es in die Atmosphäre ab.

TabeHe 20.7. Trockensubstanzkonzentration TSss im Belebungsbecken in kg TSS m-3. Angege-


ben werden typische Bereiche (nach Arbeitsblatt A 131, 1991) und ein in der Schweiz häufig
gewählter Wert (kursiv) als Annahme flir die Dimensionierung
Reinigungsziel mit Vorklärung ohne Vorklärung
Ohne Nitrifikation 2.5 - 3.0- 3.5 3.5 - 4.0- 4.5
Mit Nitrifikation (und Denitrifikation) 2.5 - 3.0- 3.5 3.5 - 4.0- 4.5
Mit Schlammstabilisierung nicht üblich 4.0- 4.5- 5.5
Mit chemischer P Fällung (Simultanfallung) 3.0- 3.5- 4.5 3.5 - 4.0- 5.0

In allen Modellen zur Dimensionierung der Belebungsbecken kommt das


Produkt Volumen mal Belebtschlammkonzentration, VBB · TSBB' vor, d.h. je klei-
ner die mögliche Belebtschlammkonzentration ist, desto grösser wird das erfor-
derliche Volumen des Belebungsbeckens. Die zulässige Konzentration des Be-
lebtschlammes TSBB wird bestimmt durch das gewählte Verfahren, die Grösse
und Leistung des Nachklärbeckens und die Zusammensetzung des Abwassers.
Richtwerte sind in Tabelle 20.7 zusammengestellt. Die detaillierte Dimensionie-
rung von Nachklärbecken und die Begründung einer Wahl der Belebtschlamm-
konzentration muss der vertiefenden Literatur entnommen werden.
Belebungsbecken werden heute meist ca. 4 - 5 m tief gebaut. Allerdings be-
steht ein Trend zu immer tieferen Becken, um die erforderliche Landfläche zu
verringern. Dadurch ergibt sich die Gefahr, dass der pH-Wert im Becken absinkt,
weil immer weniger Luft durch die Becken geblasen werden muss und dadurch
immer mehr Kohlensäure oder C02 im Becken akkumuliert (s.a. Beispiel 20.13).
Belebungsbecken werden heute meist längsdurchströmt oder als Umlauf-
becken gestaltet (s. Abb. 20.5).

Beispiel20.14. Dimensionierung des Belebungsbeckens


Wie gross wird das Belebungsbecken der Anlage, die in Beispiel20.9 beschrieben wird?
Nach Tabelle 20.7 beträgt eine typische Belebtschlammkonzentration für ein Verfahren
nach Vorklärung und mit Phosphorfällung TS 88 =3.5 kg TSS m·3 • Nach GI. (20.7) ergibt
sich bei einem Schlammalter e. = 10 d und einer Schlammproduktion von SP101"!! = 1055
kg TSS d"1 (s. Beispiel 20.9) das folgende Volumen: VBB =e•. SP I TSBB =3000 m .
Die mittlere hydraulische Aufenthaltszeit im Belebungsbecken beträgt:
eh =V I Q = 9.6 h.
20.4 Belebtschlammverfahren 323

Zulauf

einfache
Zwischenwände

Zulauf
Abb. 20.5. Beispiele von Belebungsbecken
im Grundriss. Oben: Ais Kaskade von
Ablauf längsdurchströmten, in Serie geschalteten
Becken. Unten: Als Umlaufbecken gestal-
Umwälzung tet

20.4.6 Gestaltung des Nachklärbeckens


Nachklärbecken werden heute rechteckig (längsdurchströmt oder querdurch-
strömt) oder rund gestaltet. Sie unterscheiden sich wenig von den grundsätzli-
chen Bauformen der Vorklärbecken (s. Abschn. 19.3.2, Seite 298), allerdings
sind sie meist tiefer (über 3m).
Im Unterschied zum Vorklärbecken, in dem der Sedimentationsprozess vor-
herrscht, haben Nachklärbecken in Belebungsanlagen zwei deutlich unter-
schiedliche Aufgaben:
Der Belebtschlamm muss vom gereinigten Abwasser abgetrennt werden (Se-
dimentation) und
der abgetrennte Belebtschlamm muss auf die Konzentration des Rücklauf-
schlammes eingedickt werden.
Die Förderung von eingedicktem Schlamm aus dem Nachklärbecken (=
Rücklaufschlamm) ist kontinuierlich und entspricht als Volumenstrom ungefähr
dem Abwasserdurchsatz. Er ist damit ca. 100 mal grösser als im Vorklärbecken,
wo nur der eingedickte Schlamm, meist diskontinuierlich, abgezogen wird.
Heute werden im Nachklärbecken fünf verschiedene Zonen unterschieden, für
die je Dimensionierungsvorschläge vorhanden sind (Abb. 20.6):
- Die Einlaufstörzone, in der die kinetische Energie des Zulaufes in Turbulenz
umgewandelt wird.
324 20 Biologische Abwasserreinigung

IEinlauf- 1+--- wirksame Oberfläche


störzone
---~·1

Speicherzone
Eindick- und Räumzone

Abb. 20.6. Verschiedene Zonen im Nachklärbecken, nach Arbeitsblatt A 131 (1991)

- Eine Klarwasserzone, die über der Trennzone liegt und aus der das gereinigte
Abwasser abgeleitet wird.
- Die Trennzone, in der das Abwasser von den Feststoffen getrennt wird und
Turbulenzen abgebaut werden.
- Eine Speicherzone, in der Belebtschlamm bei hoher hydraulischer Belastung
der Anlage (z.B. Regen) gespeichert und ansebliessend wieder rezirkuliert
wird.
- EineEindick-und Räumzone, in der der Schlamm auf die Rücklaufschlamm-
konzentration eindickt und als Rücklaufschlamm ausgetragen wird.
Diese fünf Zonen können im realen Betrieb kaum scharf unterschieden wer-
den, sie zeigen aber die einzelnen Aufgaben des Nachklärbeckens auf. Besonde-
re Aufmerksamkeit muss der Räumung des Schlammes zukommen: Wenn Be-
lebtschlamm unter Ausschluss von Sauerstoff im Nachklärbecken lange liegen
bleibt, so kann durch Denitrifikation N2-Gas freigesetzt werden, das zu einer
Flotation (Aufschwimmen) des Schlammes führt. Es ist heute erforderlich, eine
oberflächliche Räumung von Schwimmschlamm vorzusehen. Der eingedickte
Belebtschlamm wird entweder durch Kettenräumer mit kontinuierlicher Räum-
wirkung oder durch fahrende Saugräumer periodisch zum Rücklaufschlamm
geführt (Abb. 20. 7).
Nach dem Arbeitsblatt A 131 (1991) werden Nachklärbecken für die maxi-
male hydraulische Belastung bei Regenwetter bemessen. Dabei werden die Ein-
dickeigenschaften des Belebtschlammes (Schlammvolumenindex SVI), die Kon-
zentration des Belebtschlammes im Belebungsbecken (TS88 ), das Rücklaufver-
hältnis RV =QRllddautschJamm I Oz.~aurzurAnlas• und hydraulische Störungen im Einlaufbe-
reich berücksichtigt. Die Oberfläche von horizontal durchströmten Nachklärbek-
ken wird deutlich grösser als bei vertikal (von unten nach oben) durchströmten
Becken. Richtwerte für die ungefähre Dimensionierung von Nachklärbecken sind
in Tabelle 20.8 zusammengestellt. Das Rücklaufverhältnis RV bei Trockenwetter
wird meist zu ca. 1 gewählt.
In der Schweiz wird bei Regen deutlich mehr Mischwasser über die Kläran-
lagen geleitet als in Deutschland und für die Überwachung werden v.a. bei Trok-
kenwetter Proben genommen. Daher werden in der Schweiz für die Dimensio-
nierung von Nachklärbecken eher die oberen Grenzwerte gewählt.
20.4 Belebtschlammverfahren 325

Rücklaufschlamm

Abb. 20.7. Ein Saugräumer als


Beispiel eines Schlammräumsy-
stemes in einem querdurch-
strömten, rechteckigen Nach-
klärhecken

TabeHe 20.8. Typische Dimensionierungswerte ftir Nachklärbecken. Berechnet mit Angaben aus
dem Arbeitsblatt A 131 (1991). Angegeben werden nur Bereiche der wichtigsten Grössen, diese
genügen nicht ftir eine detaillierte Dimensionierung. Hydraulische Grössen beziehen sich auf die
maximale Belastung bei Regenwetter
Fliessrichtung des Wassers horizontal vertikal
Hydraulische Oberflächenbelastung Q I ANKB < l.6mh· <2.0mh·
typische Werte l.O- 1.6 m h. 1 1.2- 2.0 m h. 1
Beckentiefe >3m
typische Werte 3.0-4.5 m 5-7 m
Hydraulische Aufenthaltszeit > 2 .5 h
typische Werte (VNKB I QRe ..,) 2.5- 3.5 h 2.5- 4 h

Beispiel 20.15. Dimensionierung eines Nachklärbeckens


Wie gross wird das Nachklärbecken der Anlage, die in Beispiel 20. 9 beschrieben wird?
Die maximale Abwassermenge ORw bei Regen beträgt:
Annahmen: Tagesspitze I Tagesmittelwert = 1 .5
Regenwetter I Trockenwetter = 2.0
ORw = OTW · 1.5 · 2.0 = 7500 m3 d.1 • 1.5 · 2.0 = 22'500 m3 d.1 = 938 m3 h' 1
Nach Tabelle 20.8 soll die Oberflächenbelastung v0 < 1.6 m h. 1 , die Tiefe > 3 m und die
hydraulische Aufenthaltszeit > 2.5 h sein.
Daraus ergibt sich ein minimales Volumen von VNK~ = 2 .5 h-937 m3 h.1 = 2340 m3 . Eine
Oberfläche von ~Ke = ORw I v 0 > 937 m3 h. 1 I 1.6 mh· =585m2 • Als mittlere Tiefe resul-
tiert hNKB = VNKB I ~Ke = 4.00 m.
Das Volumen des Nachklärbeckens VNKB hat im Vergleich zum erforderlichen Belebungs-
becken V88 die gleiche Grössenordnung Oe nach Aufgabe: ohne Nitrifikation V88 > 1500
m3 , mit Nitrifikation ca. 2800 m3 , mit Denitrifikation und Phosphorelimination bis > 4000
m\
20.4.7 Elimination von organischen Stoffen
Historisch war die erste Aufgabe der biologischen Abwasserreinigung die Re-
duktion der raschabbaubaren organischen Stoffe, die v.a. in den Fliessgewässem
zur massenhaften Entwicklung von flutenden Zotten des sogen. Abwasserpilzes
(ein fadenförmig wachsendes Bakterium, Sphaerotilus natans) geführt haben. In
326 20 Biologische Abwasserreinigung

Wirkungsgrad für die Elimination von BSB5 in %


100 _,... _
-•
_,..

80 ... I >13·c ~
V
.... .... ....... ....
60
....... ......
u ... c
40 t-- 0 < n·c I <11·c ~

20 • > 13•c

0
0.1 0.2 0.4 0.6 0.8 1 2 4 6 8 10
Schlammbelastung Brs in kg BSB5 kg·1 TSS d·1
Abb. 20.8. Zusammenhang zwischen Wirkungsgrad, Abwassertemperatur und Schlammbela-
stung in Belebungsanlagen. Experimentelle Angaben aus Pilotversuchen von Wuhrmann 1964
mit Abwasser der Stadt Zürich. Jeder Datenpunkt ist der Mittelwert für eine längere Betriebspe-
riode. Historisch hatte diese Darstellung v .a. in der Schweiz eine grosse Bedeutung, heute wird
nicht mehr auf dieser Basis dimensioniert

den technischen Anlagen kann dieser Selbstreinigungsprozess z.B. in hochbela-


steten Belebungsanlagen erreicht werden. In der Schweiz sind viele der heute
bestehenden Belebungsanlagen in der Periode 1950-1975 vorerst für den Ab-
bau von BSB5 gebaut und entsprechend ausgelegt worden.
Ist das Ziel der biologischen Reinigung nur der Abbau von organischen Stoffen
(meist gemessen als BSB5), so beruht die Reinigungsleistung zur Hauptsache auf
dem Wachstum von schnellwachsenden heterotrophen Mikroorganismen. Die
entsprechenden Verfahren kommen mit einer grossen Belastung und entsprech-
end kleinen Belebungsbecken aus.
In der Schweiz sind solche Verfahren v.a. in den Jahren 1965 bis 1975 reali-
siert worden, wobei die zulässige Schlammbelastung basierend auf einer Arbeit
von Wuhrmann (Schweiz. Z. Hydrol. 1964, 26:2, S.251) festgelegt wurde. Die
Resultate dieser Arbeit sind in Abb. 20.8 dargestellt, sie werden heute aber kaum
mehr für die Dimensionierung beachtet. Interessant an diesen Resultaten ist, dass
sie deutlich machen, dass die erwartete Leistung bei einer Schlammbelastung BTs
< 1 kg8585 kg"\55d- 1 weder von der Temperatur noch von der Belastung abhängig
ist, dass aber die Resultate von einzelnen Experimenten beträchtlichen Streuun-
gen unterworfen sind. Eine Dimensionierung von Belebungsanlagen für einen
Wirkungsgrad von 90 ± 1% ist nicht möglich - die Reinigungsleistung ist von
zuvielen Randbedingungen abhängig!

Beispiel20.16. Historische Dimensionierung von Belebungsanlagen in der Schweiz


Bis 1976 mussten Belebungsanlagen in der Schweiz für eine BSB5-Reduktion von minde-
stens 85% unter Winterbedingungen dimensioniert werden. Gleichzeitig durfte der BSB5
20.4 Belebtschlammverfahren 327

im Ablauf nicht grösser als 20 g m.s sein. Als Basis für diese Dimensionierung diente
Abb. 20.8.
Wie gross ist der erforderliche Wirkungsgrad bei einer BSB5 Konzentration im Zulauf von
150 gBSB5 m.s?
Tlasa = (BSBzu- BSBab) I BSBzu = (150- 20) 1150 = 87%.
Also ist die strengere Anforderung das Einhalten einer Ablaufkonzentration von BSB5 <
20 g m-s.
Welche Schlammbelastung war damals maximal zulässig?
Nach Abb. 20.8 ergibt sich bei 10 oc und 87% Wirkungsgrad eine Schlammbelastung B,-8
·1 ·1
< 0.6 kg 8885 kQ,-8 d .
Heute würden solche Anlagen mit einem Schlammalter von 4 - 5 Tagen dimensioniert,
unabhängig vom erforderlichen Wirkungsgrad. Das ergibt ohne Phosphorelimination eine
zulässige Schlammbelastung von Brs "' 0.2 - 0.25 kg8885 kg,.5 •1 d·1 , also weniger als halb
so gross wie früher und daher mit doppeltem Volumen des Belebungsbeckens. Dies
wiederspiegelt die Tatsache, dass wir heute grössere Anforderungen an die Zuverlässig-
keit der Anlagen stellen.

Im Arbeitsblatt A 131 wurde 1981 für Verfahren ohne Nitrifikation eine


Schlammbelastung Brs =0.3 kg BSB5 kg·' TSS d·' angegeben. Heute (A 131,
1991) werden auch solche Verfahren auf Grund eines vorgegebenen Schlamm-
alters im Bereich von 4 -5 Tagen dimensioniert (s.a. Tabelle 20.6). Anlagen
ohne Nitrifikation werden heute im deutschen Sprachraum kaum noch neu ge-
baut. Sowohl neue Anlagen als auch Erweiterungen schliessen die Nitrifikation
mit ein.

Beispiel20.17. Dimensionierung für die Elimination von BSB5


Wie gross wird das Belebungsbecken V88 einer Anlage für 10'000 Einwohner, die nach
kleiner Vorklärung das Abwasser ohne Nitrifikation und ohne Phosphorelimination biolo-
gisch reinigen kann?
Q =4000 m3d"1 BSB5=120 g BSB5 m·3
Nach Tabelle 20.6 wird e. = 5 d und ÜS8 = 1.0 kg TSS kg· 1 BSB5•
Nach GI. (20.6) wird:
SP = 1.0 kg TSS kg· 1 BSB5 · 4000 m3 d.1 • 0.12 kg BSB5 m.s = 480 kg TSS d.1
Nach Tabelle 20.7 wird TS88 typisch zu 3.0 kg TSS m.s gewählt.
Mit GI. (20.7) wird: V88 = e. · SP ITS88 = 5 · 48013 =800m3
Die mittlere hydraulische Aufenthaltszeit im Belüftungsbecken wird damit:
eh = v88 1 a = 0.2 d =4.8 h.
Die Schlammbelastung B,-8 ergibt sich zu:
S,.5 = 0 · BSB5 1 (V88 • TS88) = 0.2 kg BSB5 kg.1TSS d·1 •
Diese Anlage würde im Sommer sicher, im Winter ev. teilweise nitrifizieren.

Verantwortlich für die Elimination der organischen Stoffe sind aerobe he-
terotrophe Bakterien, welche in Gegenwart von Sauerstoff organische Verbin-
dungen mineralisieren oder abbauen. Ein Teil der organischen Verbindungen
dient dem Aufbau der Biomasse und dem Wachstum (ca. 60%), der Rest wird
veratmet, z.B. zu Kohlendioxid (C02) und Wasser (~0). Durch das Wachstum
328 20 Biologische Abwasserreinigung

dieser Bakterien werden somit dem Abwasser organische Schmutzstoffe entzo-


gen, die ansebliessend teilweise als Feststoffe (Biomasse) anfallen und als Über-
schussschlamm aus dem Abwasser abgetrennt werden können.
Das folgende Beispiel ist eine Reaktion, die heterotrophe Organismen in ei-
ner aeroben Umgebung katalysieren können. Dabei steht C~O für ein Kohlehy-
drat, z.B. ein Zucker, ein Beispiel eines organischen Stoffes, der als BSB 5 oder
CSB im Abwasser erfasst wird:
(20.9)
Diese Reaktion schliesst die gleichzeitige Produktion von Biomasse nicht mit
ein. Eine typische Zusammensetzung von Biomasse entspricht z.B. der folgen-
den Formel: C5H,NOr Werden z.B. 66% des Kohlenstoffes in die Biomasse ein-
gebaut, so ergibt sich insgesamt die folgende Reaktionsgleichung:
(20.10)
Für den Abbau von 15 · (12+2·1 + 16) =450 g organische Stoffe werden also
5 · 16 · 2 = 160 g Sauerstoffveratmet und es entstehen 2 · (5·12+7·1+1-14+2·16)
= =
226 g Biomasse. (Atomgewichte C 12, H 1, N 14,0 16)= = =
Der Ausnützungskoeffizient Y (vom engl. Yield) gibt an, wieviel Biomasse
produziert wird pro Masse Schmutzstoffe die abgebaut wird: er ist also eine Pro-
portionalitätskonstante. Die Produktion der Biomasse interessiert uns einerseits,
weil die Biomasse als Klärschlamm anfällt und weiter behandelt werden muss,
andererseits weil die gebildete Biomasse für die Reinigung verantwortlich ist.
Aus GI. (20.10) ergibt sich der Ausnützungskoeffizient zu:
Y = 226 g Biomassepnxluziert I 450 g Organische Stoffeabseb..,
= 0.5 gBiomasse g·IOrsanischeStoffc

Beispiel20.18. Der Ausnützungskoeffizient


Wie gross ist der Ausnutzungskoeffizient Y058 fur das Wachstum der heterotrophen Or-
ganismen in GI. (20.10), wenn sowohl Biomasse als auch organische Stoffe als CSB
gemessen werden?
Der CSB von 450 g CH 20 ist: 15 CH 20 + 15 0 2 ~ 15 C02 + 15 H20
und daraus: CSB = 15 · 32 g 0 2 =480 g CSBorg.stona·
Der CSB von 226 9csH7N02 ist: 2 C5H7N02 + 10 0 2 ~ 10 C02 + 2 NH3 + 4 H20
und daraus: CSB = 10 · 32 g 0 2 = 320 g CSBBiomaasa·
Der Ausnützungskoeffizient Y beträgt:
·1
YCSB = 320 I 480 = 0.67 9csB.Biomasse 9 CSB.Substrat·

Das ist ein typischer Wert für viele heterotrophe Organismen.

Für den CSB gilt ein Erhaltungssatz, CSB kann nicht einfach verschwinden.
Den abgebauten CSB finden wir entweder im produzierten Schlamm wieder oder
wir müssen die entsprechende Menge Sauerstoff 0 2 in das Belebungsbecken
nachliefern, damit der CSB veratmet werden kann (Abb. 20.9). Wir können also,
wenn wir den Ausnützungskoeffizienten für CSB kennen, daraus einerseits die
Menge des anfallenden Schlammes und andererseits den erforderlichen Sauer-
stoffeintrag berechnen.
20.4 Belebtschlammverfahren 329

abgebauter
CSB Abb. 20.9. Aufteilung des abgebau-
1.00 ten CSB in den veratmeten Anteil
CSB in Biomasse (1- Yr<H = O, Verbrauch) und den
inkorporiert Ycse Anteil, der in die Biomasse inkorpo-
riert wird (YcsB)

Beispiel 20.19. CSB Erhaltung


Wenn wir den Ausnützungskoeffizienten für den CSB kennen, können wir auch den Sau-
erstoffverbrauch für den Aufbau der Biomasse (resp. den Abbau der organischen Stoffe)
berechnen:
Wieviel Biomasse wird gebildet und wieviel Sauerstoff wird verbraucht, wenn die organi-
schen Stoffe in einem Abwasser abgebaut werden?
Annahmen: Das Abwasser enthält 250 g CSB m·3 , davon sind 90% abbaubar. Der Aus-
nützungskoeffizient beträgt Ycse =0.66 gcse g·1cse (typisch für kommunales Abwasser).
S.a. Abb. 20.9.
CSB im Ablauf: Nur 90% des CSB sind abbaubar
CSBAbiaut =0.1 · 250 gc58m·3 = 25 gcse m·3
Biomassenproduktion: 250 gcse m·3 • 0.90 · 0.66 gcse g· 1cse = 148.5 gcse m·3
Sauerstoffverbrauch:
Da CSB weder produziert noch verbraucht werden kann, muss die Summe der Bio-
masse, des Ablaufs und des Sauerstoffverbrauchs der Zulaufkonzentration entsprechen:
Sauerstoffverbrauch = 250- 25- 148.5 =76.5 g02 m-a_
Der Sauerstoffverbrauch könnte analog zur Biomasse~produktion berechnet werden aus:
CSBabgebaut · (1-Yc 58 ) =250 · 0.9 · (1-0.66) =76.5 g02 m .
Effektiv würde der Sauerstoffverbrauch noch etwas grösser, weil neben den Wachstums-
prozessen noch Zerfallsprozesse (endogene Atmung) ablaufen. Typisch wären z.B. etwa
100 g 0 2 m·3 • Dadurch würden nach dem Zerfall noch 250- 25- 100 = 125 9cse m·3 Bio-
masse übrig bleiben.

20.4.8 Nitrifikation
Die Abwasserreinigung, die auf den Abbau der organischen Stoffe ausgelegt ist,
hat sich in vielen Situationen als ungenügend erwiesen: In diesen hochbelasteten
Anlagen werden langsam abbaubare, organische Verbindungen kaum abgebaut
(ein prominentes Beispiel ist NTA, ein Komplexbildner und Zusatzstoff zu vielen
Waschmitteln). Ammonium NH4 +, das in den Fliessgewässem einerseits einen
grossen Sauerstoffverbrauch auslöst und andererseits zum fischgiftigen Ammoni-
ak NH3 dissoziiert, wird in diesen Anlagen nicht abgebaut.
Nitrifizierende Anlagen kennen diese Probleme weniger: Sie bedingen grö-
ssere, schwachbelastete Becken; langsam abbaubare organische Verbindungen
werden darin vermehrt abgebaut und Ammonium wird zum weniger bedenklichen
Nitrat aufoxidiert.
330 20 Biologische Abwasserreinigung

4 6 8 10 12 14 16
Temperatur •c

Abb. 20.10. Zusammenhang zwischen der maximalen Wachstumsgeschwindigkeit von Nitro-


somonas ll...., und der Temperatur des Abwassers. Diese Werte sind gültig, wenn genügend
gelöster Sauerstoff zur Verfügung steht, der pH-Wert zwischen 7 und 8 liegt und keine Giftstof-
fe die Nitrifikanten hemmen. Experimentelle Werte mit Fehlerbereich

Prozesse der Nitrifikation


Unter Nitrifikation verstehen wir die Oxidation von Ammonium NH4• zu Nitrit
N02. und weiter zu Nitrat N03• unter Verbrauch von Sauerstoff 0 2 durch autotro-
phe Bakterien (autotrophe Bakterien benötigen keine organischen Stoffe, sie
bauen ihre Biomasse aus Kohlendioxid C02 auf). Die Nitrifikation ist heute ein
Prozess der immer häufiger in der biologischen Abwasserreinigung genutzt wird,
er verringert die Konzentration des Ammoniums.
Die folgenden Reaktionen beschreiben die Nitrifikation:

NH/ + 1.5 0 2 ~ N02• + ~0 + 2 W (Nitrosomonas)


(Nitrobakter) (20.11)
~ N0 3. + ~0 + 2 H• (Nitrifikanten)

Die Nitrifikation verläuft nach GI. (20.11) in zwei Stufen: Vorerst wird durch
Bakterien der Gruppe Nitrosomonas Ammonium NH4• zu Nitrit N02• oxidiert und
wieder ins Abwasser ausgeschieden. Ansebliessend wird durch Bakterien der
Gruppe Nitrobakter Nitrit aufgenommen und zum Endprodukt Nitrat (N03") oxi-
diert. Da sich Nitrobakter meist rascher vermehren als Nitrosomonas, erscheint
das Zwischenprodukt Nitrit meist nur in geringen Konzentrationen. Beide Grup-
pen von nitrifizierenden Bakterien (die Nitrifikanten) sind obligat aerob, d.h.,
dass sie ohne Sauerstoff nicht nitrifizieren können.
Die Nitrifikanten sind langsamwachsende Bakterien: Als autotrophe Orga-
nismen müssen sie aus mineralischen Stoffen, insbesondere Kohlendioxid C02 ,
Biomasse aufbauen, was eine grosse Syntheseleistung erfordert. In Abb. 20.10 ist
die Abhängigkeit der maximalen Wachstumsgeschwindigkeit von Nitrosomonas
von der Temperatur dargestellt: Diese nimmt pro 1 °C um 11% zu. Ihre Wachs-
tumsgeschwindigkeit ist im Vergleich zu derjenigen der heterotrophen Bakteri-
en, die die organischen Stoffe abbauen, viel geringer (Tabelle 20.1).
Insgesamt sind nach GI. (20.11) für die Nitrifikation 2 Mol 0 2 pro Mol NH4•
erforderlich oder 2 · 32 g 0 2 pro 1 · 14 g N=4.57 g 0 2 g·' N. Zusätzlich werden
20.4 Belebtschlammverfahren 331

Protonen H+ freigesetzt, was zur Folge hat, dass der pH-Wert des gereinigten
Abwassers abnimmt.

Beispiel 20.20. Mikrobiologische Erkenntnisse


ln frühen mikrobiologischen Arbeiten wurden Bakterien der Nitrobalder-Arten als wichtig-
ste Gruppe identifiziert, die Nitrit zu Nitrat oxidiert. Ingenieure, die insbesondere in der
Abwasserreinigung kaum den Aufwand auf sich nehmen, einzelne Arten von Mikroor-
ganismen zu identifizieren, haben diese Erkenntnisse übernommen und über Jahrzehnte
unbesonnen die Nitritoxidation den Nitrobakter-Arten zugeordnet. Jüngere mikrobiologi-
sche Untersuchungen insbesondere mit gentechnischen Methoden haben nun deutlich
gezeigt, dass Nitrobaider in Belebungsanlagen kaum vorkommt. Vorsichtshalber sollten
wir an Stelle des in der Literatur üblichen Begriffes Nitrobakter besser Nitritoxidierer
gebrauchen, auch wenn das in der Realität nur wenig an unseren Überlegungen ändert.

Beispiel 20.21. Einreitbedingungen


Typisches kommunales Abwasser enthält nach biologischer Reinigung:
Ohne Nitrifikation: Mit Nitrifikation:
20 g m· NH4+ - N
0.2 g m·3 N02.- N
1 gm-3N03 --N
ln der Schweiz werden häufig die folgenden Grenzwerte für nitrifizierende biologische
Anlagen vorgeschrieben:
< 1-2 g m·3 NHt - N
< 0.1 - 0.3 g m·3 N02. - N
Diese Werte gelten im Winter, bei Abwassertemperaturen über 10°C, bei Trockenwetter
in 80 % der Tagessammelproben.
Für Nitrat wird noch selten ein Grenzwert angegeben. Im Hinblick auf den Schutz der
Nordsee hat sich aber die Schweiz verpflichtet, die Nitratfracht im Rhein um 50% zu
reduzieren. Für grosse Anlagen heisst das, dass in Zukunft auch für Nitrat Grenzwerte
festgelegt werden.

Beispiel 20.22. Sauerstoffbedarf der Nitrifikation


Wieviel Sauerstoff ist erforderlich um den Ammoniumgehalt eines typischen kommunalen
Abwassers zu nitrifizieren?
Annahmen: Das Abwasser enthält 20 g NH 4+-N m·3
Nach GI. (20.11) sind pro 1 g NH4+_N 4.57 g 0 2 für die Nitrifikation erforderlich.
~ -3 -3
Also: Sauerstoffverbrauch = 4.57 g02 g NH4 +·N · 20 gNH4+-N m = 91.4 g02 m
Dieser Sauerstoffverbrauch kann im Vergleich zum Verbrauch für den Abbau der organi-
schen Stoffe sehr beträchtlich sein (s. Beispiel 20.19).

Durch die Nitrifikation wird Säure (Protonen, H+) freigesetzt (s. GI. (20.11 ))
die mit Bikarbonat HC0 3- reagiert entsprechend:
(20.12)
Kohlendioxid C02 (in der Form von H2C03 auch als Kohlensäure bekannt)
wird durch die Belüftung z.T. in die Atmosphäre ausgetragen, trotzdem sinkt
332 20 Biologische Abwasserreinigung

Abb. 20.11. Einfaches Fliessschema einer nitrifizierenden Belebungsanlage. Unten sind für ein
längsdurchströmtes Becken die Konzentrationsprofile für vier Abwasserinhaltsstoffe gezeich-
net. Deutlich sichbar sind die Konzentrationssprünge als Folge der Verdünnung (Rücklauf-
schlamm)

durch diese Reaktion der pH-Wert des Abwassers. Ist nicht genügend Bikarbonat
(Alkalinität) verfügbar, so sinkt der pH-Wert soweit ab, dass das Wachstum der
Nitrifikanten gehemmt wird. Pro 1 Mol Ammonium NH4•-N (14 g N) werden 2
Mol Bikarbonat verbraucht oder pro 7 g NH4·-N m· 3 sind 1 Mol HC0 3• m· 3 oder
5 °f Alkalinität erforderlich.

Zusammenfassung
Nitrifikation bedingt, dass die folgenden 4 Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind:
1. Ammonium muss vorhanden sein
2. Gelöster Sauerstoff muss vorhanden sein
3. Genügend Bikarbonat muss vorhanden sein
4. Biomasse, die Nitrifikanten enthält, muss vorhanden sein.

Verfahrenstechnik der Nitrifikation


Im Vergleich zu heterotrophen Organismen wachsen Nitrifikanten sehr viel lang-
samer. Das bedingt, dass die Belebungsbecken von nitrifizierenden Anlagen
stark vergössert werden. Die schematischen Konzentrationsprofile von BSB 5 und
Ammonium NH4+ in Abb. 20.11 zeigen deutlich, dass für den Abbau von organi-
schen Stoffen ein sehr viel kleineres Becken ausreichen würde, während Ammo-
nium schon bei geringer Zunahme der Belastung in den Ablauf gelangen wird.
Belebungsanlagen mit Nitrifikation werden heute auf der Basis des Schlamm-
alters dimensioniert. Typische Werte für das Schlammalter liegen im Bereich
von 7.5-10 Tagen. Eine differenzierte Dimensionierung in Abhängigkeit der
20.4 Belebtschlammverfahren 333

Belastungsvariation und der erforderlichen Rest-Ammoniumkonzentration ist mit


pauschalen Dimensionierungswerten nicht möglich. Es ist heute üblich, die stati-
sche Dimensionierung mit Hilfe der dynamischen Simulation zu überprüfen.
In der Schweiz muss häufig die Dimensionierungstemperatur für eine nitrifi-
zierende Belebungsanlage tiefer angesetzt werden als dies z.B. den Erfahrungen
zu Grunde liegt, die das Arbeitsblatt A 131 (1991) berücksichtigt (Tabelle 20.6),
das bedingt eine Erhöhung des erforderlichen Schlammalters. Ein oft angewen-
detes Vorgehen zur Abschätzung des erforderlichen Dimensionierungswerts für
das Schlammalter ist das Folgende:
Es wird ein Sicherheitsfaktor SF für die Nitrifikation definiert als:
SF= ~max ·9x (20.13)
SF = Sicherheitsfaktor [-]
11max = Maximale Wachstumsgeschwindigkeit der Nitrifikanten
bei der gewählten Dimensionierungstemperatur [T 1]
9x = Erforderliches Schlammalter [T]
Der Sicherheitsfaktor SF setzt zwei Aspekte einer Belebungsanlage mitein-
ander in Beziehung: Die Wachstumsgeschwindigkeit ll.,.,. charakterisiert auf
einfache Weise die maximale Leistungsfähigkeit der Nitrifikanten. Das Schlam-
malter 9x wird durch die Grösse der Bauten (insbesondere des Belebungsbek-
kens) und den Schmutzstoffanfall (Schlammproduktion) bestimmt (Gln.(20.6)
und (20.7)). Für die Dimensionierung muss ein SF gewählt werden (s.u.), die
gewählten kritischen Betriebsbedingungen (z.B. die Dimensionierungstempera-
tur, Abb. 20.10 und GI. (20.14)) erlauben nun, ~.... zu berechnen und mit
GI. (20.13) ergibt sich das erforderliche Schlammalter 9x. Der effektive SF kann
auch für Betriebsbedingungen einer Anlage berechnet werden: Das Schlammal-
ter 9x kann mit GI. (20.5) berechnet werden,~.... kann nach GI. (20.14), in Funk-
tion der Betriebstemperatur T, abgeschätzt werden aus (Abb. 20.10):
~max (T) = 0.29 d-1 · exp(O.ll· (T -lOOC)) (20.14)

Ergibt sich für den Betrieb ein SF8 etrieb < 1.0, so muss damit gerechnet werden,
dass keine Nitrifikation stattfinden kann.

Beispiel 20.23. Sicherheitsfaktor im Betrieb


Eine Belebungsanlage wird im Winter bei 9 •c und einem Schlammalter von 3.5 d betrie-
ben. Wie gross ist der Sicherheitsfaktor SF dieser Anlage? Wird die Anlage nitrifizieren?
Aus GI. (20.14) ergibt sich llma.(T = 9 •C) zu 0.26 d·1•
Mit GI. (20. 13) ergibt sich der Sicherheitsfaktor SF im Betrieb zu:
SF =llmax · 9x =0.26 d- 1 - 3.5 d =0.9
Mit diesem SF würde die Anlage sicher nicht mehr nitrifizieren können.

Für die Dimensionierung ergibt sich der erforderliche Sicherheitsfaktor aus


der Variation der Ammoniumfracht im Tagesgang im Zulauf zur Anlage. Er wird
meist geschätzt aus:
334 20 Biologische Abwasserreinigung

Ablauf Vorklärbecken Ablauf Belebungsbecken


g NH4'·N m-3 gNH 4•-Nm-3

20 10

10 5

0 0
0 12 24 12 24 12 24 12
Uhrzeit
Abb. 20.12. Ganglinie der Ammoniumkonzentration im Zulauf und im Ablauf des Belebungs-
beckens einer nitrifizierenden Belebungsanlage. Das Belebungsbecken entspricht einem voll-
durchmischten Reaktor. Deutlich sichbar sind die Durchbrüche des Ammoniums unmittelbar
=
nach dem Anstieg der Belastung. (Sicherheitsfaktor im Betrieb der Anlage SFR.m.., 2.0 nach
GI. (20.13), SFcrfordcrlim = 2.2 nach GI. (20.15))

FNH4max
SFerforderlich = ' (20.15)
FNH4,mittel

FNH4 ,max = Maximale Ammoniumfracht, die nitrifiziert werden soll, z.B.


Spitzenfracht, die an weniger als 20% der Tage währen 2 h
überschritten wird [kg N d" 1].
FNH4 ,mittei .= Mittlere tägliche Fracht, die z.B. an 50% der Tage nitrifiziert
werden soll [kg N d- 1].
Der· erforderliche Sicherheitsfaktor kann z.B. durch Messungen von Tages-
ganglinien erhoben werden oder (nur in Ausnahmeflillen) aus Erfahrungswerten
in Abhängigkeit der Anlagengrösse, hier ausgedrückt als mittlere Ammonium-
Fracht, bestimmt werden (Abb. 6.4, Seite 98). In Abb. 20.12 sind Resultate aus
Versuchen ~t einer Anlage dargestellt, die im Betrieb einen SF hat, der etwas
geringer als der erforderliche SF nach Gl. (20.15) ist. Deutlich sichtbar sind die
täglichen Durchbrüche von Ammonium unmittelbar nach dem Anstieg der Bela-
stung. Bei geeigneter Wahl des Sicherheitsfaktors können solche Durchbrüche
vermieden werden.

Beispiel 20.24. Schlammalter und Nitrifikation


Wie gross wird das erforderliche Schlammalter für die Nitrifikation von kommunalem
Abwasser mit 100 kg NH/-N d 1 bei einer Dimensionierungstemperatur von 8°C?
+ ·1
100 kg NH 4 -Nd entsprechen ca. 12'000 EG.
Mit Anwendung von Abb. 6.4, Seite 98,. ergibt sich nach GI. (20.15) der erforderliche
Sicherheitsfaktor zu:
SF =3.37 · (100)-o.oa · 1.25 =2.9.
Der Faktor 1.25 berücksichtigt, dass nicht der 50% Wert sondern der 80% Wert der ex-
tremen Tageswerte berücksichtigt werden soll.
Aus GI. (20.14) ergibt sich für eine Temperatur von 8°C:
11max(8°C) = 0.29 d.1 • exp(0.11·WC - 1ooc)) = 0.23 d-1
20.4 Belebtschlammverfahren 335

Aus GI. (20.13) ergibt sich nun:


ex,elforde~ich = SF I J.lm.x = 2.91 0.23 = 12.6 d.
Dieser Wert ist um einiges grösser als der Richtwert von 10 Tagen aus Tabelle 20.6, weil
eine tiefere Temperatur berücksichtigt wurde. Bei 10°C ergäbe sich ein erforderliches
Schlammalter von 10 Tagen.

Beispiel 20.25. Dimensionierung mit Nitrifikation


Wie gross wird das Belebungsbecken V88 einer Anlage für 10000 Einwohner, die nach
kleiner Vorklärung bei Temperaturen über 10°C das Abwasser ohne Phosphorelimination
nitrifizieren kann?
Q = 4000 m3d·1 s
B B5 = 120 g BSB5 m-3
Es ergibt sich analog zum Beispiel 20. 17:
e. = 10 d
ÜS8 = 0.9 kg TSS kg·1 BSB5
SP = 4000 · 0.12 · 0.9 = 432 kg TSS d'1
TS88 = 3.0 kg TSS m-3.
V88 = 10 · 43213= 1440 m3
eh = v 88 1 a = o.36 d = a. 7 h.
Die Schlammbelastung Brs ergibt sich zu:
Brs = 0 · BSB5 1 (V88 · TS88) = 0.11 kg BSB5 kg' 1TSS d'1 •

Die Nitrifikation verursacht einen erheblichen Sauerstoftbedarf (ca. 4.3- 4.5


kg 0 2 I kg NH4+-N}, der zudem im Tagesgang entsprechend der Belastung stark
variiert. Die Belüftungsaggregate müssen auf den maximalen Bedarf im Tages-
gang bei hoher Sommertemperatur ausgelegt werden. Hier wird nicht im Detail
darauf eingegangen, das Arbeitsblatt A 131 (1991) macht entsprechende Anga-
ben.
Es ist heute üblich, Belebungsbecken von nitrifizierenden Anlagen längs-
durchströmt zu gestalten und die Belüftung entlang des Beckens dem Sauerstoff-
bedarf anzupassen.

20.4.9 Denitrifikation
Mit der Nitrifikation wird dem Abwasser kein Stickstoff entzogen; das häufig
kritische Ammonium NH4 + wird nur in das weniger bedenkliche Nitrat N01•
überführt. Zum Schutze der Nordsee, deren Primärproduktion teilweise durch
Stickstoff limitiert wird, haben diejenigen Staaten, die in die Nordsee entwäs-
sern, beschlossen, die eingeleitete Nitratfracht um 50% zu verringern (Basis
1990, 3. lnt. Konferenz zum Schutze der Nordsee). In der Schweiz tragen die
Abwasserreinigungsanlagen ca. 35% oder 42'000 t a·1 Stickstoff zur Belastung
der Gewässer bei. Es ist geplant, dass alle grösseren Abwasserreinigungsanla-
gen einen Teil ihrer Stickstoffbelastung mit Hilfe der mikrobiellen Denitrifikati-
on reduzieren sollen, zusätzlich soll durch betriebliche Massnahmen die Denitri-
fikation in allen Anlagen möglichst gefördert werden.
336 20 Biologische Abwasserreinigung

Prozesse der Denitrifikation


Unter Denitrifikation versteht man die mikrobiologische Reduktion von Nitrat
N03- zu elementarem Stickstoff Nr Viele heterotrophe Bakterien können in Ab-
wesenheit von Sauerstoff 0 2 Nitrat an Stelle des Sauerstoffes zur Oxidation von
organischen Stoffen nutzen, dabei wird Nitrat zu elementarem Stickstoff redu-
ziert. Unter der Annahme, dass organische Stoffe die Zusammensetzung eines
Kohlenhydrates Clip (z.B. Zucker) haben, ergibt sich die folgende Reaktion:
5 CllzO + 4 N03- + 4 Ir ~ 2 N2 + 5 C02 + 7Hz0 (20.16)
im Vergleich zur aeroben mikrobiellen Atmung nach GL (20.9):

In der Denitrifikation sind 4- 14 g N03--N äquivalent zu 5 - 32 g 0 2 oder 1 g


N03--N entspricht also 2.86 g Or Aus den obenstehenden Gleichungen kann der
Verbrauch von organischen Stoffen für die Denitrifikation nicht berechnet wer-
den, da zusätzlich noch organische Stoffe für den Aufbau der Biomasse benötigt
werden (s. Beispiel 20.26).

Beispiel 20.26. Denitrifikation


Ein Abwasser enthält die folgenden Stoffe:
Organische Verbindungen, CH 20: 100 g m·3
Nitrat, No;: 20 g m-3 N
Wieviel Nitrat enthält der Ablauf einer denitrifizierenden Anlage mindestens, wenn 60%
der organischen Stoffe für den Aufbau der Biomasse benötigt werden (s. GI. (20.16))?
Das Formelgewicht von CH 2 0 beträgt: 12 + 2-1 + 16 = 30 g Mor'.
100 g m-3 CH 20 entsprechen: 100 I 30 =3.33 Mol m·3
40% davon werden abgebaut: 3.33-0.4 =1.33 Mol m-3
Pro 4 Mol N03 - werden 5 Mol CH 20 abgebaut: 1.33 · 4/5 = 1.06 No; Mol m·3
Die maximale Denitrifikation entspricht also: 1.06 Mol m-3 · 14 g Mof 1N
=15 g N03--N m·3 •
Die Ablaufkonzentration würde also mindestens 20- 15 = 5 g N03--N m-3 betragen. (Min-
destens, weil ev. ein Teil der organischen Stoffe noch zum Abbau von ev. vorhandenem
0 2 verbraucht wird.)
Wieviel Sauerstoff wären für den Abbau der organischen Stoffe erforderlich?
Pro Mol CH20 das abgebaut wird, wird ein Mol 0 2 benötigt (GL(20.9)):
-3 ·I
Sauerstoffbedarf = 1.33 Mol CH2~ m · 1 Mol 0~ Mol CH20 _, _
=1.33 Mol 0 2 m =43 g 0 2 m (Oder 2.86 g 0 2 g N03 -N).
Da N2 im Wasser nur schlecht löslich ist, können als Folge der Denitrifikation
Stickstoff-Gasblasen entstehen, die aus dem Abwasser aufsteigen. Dieses Phä-
nomen, das in einfachen Versuchen beobachtet werden kann (s. Beispiel20.27),
kann den Betrieb von biologischen Reinigungsanlagen ev. massiv stören, insbe-
sondere wenn die Denitrifikation im Nachklärbecken einer Belebungsanlage
stattfindet und die aufsteigenden Gasblasen die Abtrennung des Belebtschlam-
mes vom gereinigten Abwasser im Nachklärbecken verhindern.
20.4 Belebtschlammverfahren 337

Beispiel 20.27. Denitrifikation im Nachklärbecken


Wird Belebtschlamm aus einer Belebungsanlage, die nitrifiziert (d.h. der Belebtschlamm
enthält im Wasser auch Nitrat) über längere Zeit in einem Standzylinder stehengelassen,
so wird der Schlamm als Folge der Schwerkraft vorerst eindicken, d.h. sich absetzten.
Nach längerer Zeit (30 - 90 min) beginnen sich aber kleine Gasblasen (ca. 0.2 mm
Durchmesser) zu bilden, die am Belebtschlamm haften und diesen an die Oberfläche
flotieren lassen.
Die Gasblasen enthalten N2 , das Produkt der Denitrifikation. Da 1 I Gas nur etwa 1.2 g N2
enthält, kann durch die Denitrifikation von z.B. 10 g m-3 N03--N bereits ein Auftrieb ent-
stehen, der mehrere kg Biomasse an die Oberfläche tragen kann.

Die Denitrifikation wird heute gezielt eingesetzt, um die Nitratfracht im ge-


reinigten Abwasser zu verringern. Es müssen dann in Abwesenheit von Sauer-
stoff die heterotrophen Bakterien mit dem Nitrat und den organischen, abbauba-
ren Stoffen zusammengeführt werden. Das Nitrat wird erst im Zuge der aeroben
Nitrifikation in der Anlage selbst gebildet. Es müssen daher aufwendige Verfah-
rensführungen entworfen werden, um sicherzustellen, dass während der aeroben
Nitrifikation nicht die für die anoxische (kein Sauerstoff aber Nitrat vorhanden)
Denitrifikation erforderlichen organischen Stoffe abgebaut werden. Die mögli-
che Denitrifikation ist abhängig von der Abwasserzusammensetzung
(Beispiel 20.26) und der Verfahrensführung (s.u.).

Beispiel 20.28. Nitrifikation I Denitrifikation


ln der Nitrifikation wird für die Produktion von Nitrat N03 . aus Ammonium NH/ Sauerstoff
verbraucht. ln der Denitrifikation kann ein Teil dieses Sauerstoffes wieder zurückgewon-
nen werden.
Welcher Teil des Sauerstoffes, der in die Nitrifikation investiert wird, kann im Zuge der
Denitrifikation zurückgewonnen werden, wenn die Denitrifikation 80% der Nitrifikation
ausmacht?
Nach GI. (20.11) braucht die Nitrifikation 4.57 g 0 2 g·1 N und nach GI. (20.16) gibt die
Denitrifikation das Äquivalent von 2.86 g 0 2 g·1 N zurück. Die Einsparung von Sauerstoff
durch die Denitrifikation beträgt deshalb im Vergleich zum Sauerstoffverbrauch in der
Nitrifikation: 80% · 2.86 I 4.57 =50%. Oder die Hälfte des Sauerstoffes, der in die Nitrifi-
kation investiert wird, kann durch die Denitrifikation wieder eingespart werden.

Die Denitrifikation verbraucht nach GI. (20.16) Säure (Protonen lt), diese
wird z.B. durch die Dissoziation von Kohlensäure freigesetzt, dabei entsteht die
Base Bikarbonat HC03·, entsprechend:
(20.17)
Pro Molekül Nitrat wird ein Proton verbraucht, dadurch steigt der pH-Wert
des Abwassers und es wird entsprechend GI. (20.17) Bikarbonat frei. Durch die
Denitrifikation kann also die Hälfte der Alkalinität (Bikarbonat), die in der Nitri-
fikation verloren gegangen ist (s. Gln.(20.11) und ((20.12)), wieder zurückge-
wonnen werden.
338 20 Biologische Abwasserreinigung

vorgeschaltete Nitrifikation Nachklärbecken


Denitrifikation

Abb. 20.13. Fliesschema einer Belebungsanlage mit vorgeschaltetem Denitrifikationsreaktor.


Eine interne Rezirkulation führt Nitrat NO, aus der Nitrifikationszone zurück ins Denitrifikati-
onsbecken ohne die Nachklärung zu belasten

Zusammenfassung
Denitrifikation bedingt, dass die folgenden 4 Bedingungen gleichzeitig eifüllt
sind:
1. Organische, biologisch abbaubare Verbindungen müssen vorhanden sein
2. Gelöster Sauerstoff darf nicht vorhanden sein
3. Nitrat muss vorhanden sein
4. Heterotrophe Biomasse muss vorhanden sein.

Verfahrenstechnik der Denitrifikation


Soll neben der Nitrifikation (Stickstoffoxidation) noch die Denitrifikation (Stick-
stoffelimination) in einem Belebungsverfahren erreicht werden, so muss zusätz-
lich zur aeroben Nitrifikationszone noch eine weitere, anoxische (kein Sauerstof-
feintrag) Reaktionszone ins Belebungsbecken integriert werden. In dieser Zone
werden die heterotrophen Bakterien an Stelle von Sauerstoff 0 2 Nitrat N0 3•
veratmen und dieses zu elementarem Stickstoff, N2, reduzieren, der gefahrlos in
die Atmosphäre abgegeben werden kann. Diese Denitrifikation geschieht beson-
ders dann sehr rasch, wenn grosse Mengen von gelösten, leichtabbaubaren, orga-
nischen Verbindungen verfügbar sind.
Es gibt heute viele verschiedene Fliessschematas, die zur Denitrifikation von
kommunalem Abwasser geeignet sind, das einfachste davon ist in Abb. 20.13
dargestellt. In der vorgeschalteten Denitrifikationszone, die nicht belüftet wird,
werden aus dem Zulauf die organischen Stoffe, mit dem Rücklaufschlamm die
Biomasse und mit der internen Rezirkulation das in der aeroben Nitrifikation
produzierte Nitrat zusammengeführt. Da die Nitrat-Konzentration im Ablauf der
Anlage immer ca. der Nitratkonzentration in der Rezirkulation entspricht, ist nur
eine teilweise Denitrifikation möglich, je grösser die Rezirkulation, desto grösser
wird die Denitrifikation.
In Abb. 20.14 sind schematisch die Längenprofile von einigen Abwasserin-
haltstoffen dargestellt. Die Denitrifikation ist in dieser Darstellung durch das
Angebot von Nitrat (N0 3') limitiert, dessen Konzentration gegen null fällt, wäh-
rend noch organische Stoffe (BSB 5) verfügbar sind. Eine Vergrösserung der in-
ternen Rezirkulation würde eine Verbesserung der Denitrifikation bringen.
20.4 Belebtschlammverfahren 339

Zulauf

Abb. 20.14. Schematische Darstellung eines Verfahrens mit Vordenitrifikation. Dargestellt sind
die Konzentrationsprofile entlang der Fliessrichtung ltir vier relevante Wasserinhaltsstoffe.
Deutlich sind die Verdünnungen durch die Rückläufe und die Abstufung der Konzentration des
Sauerstoffes zu sehen

Die Dimensionierung der Denitrifikation erfolgt für kommunales Abwasser


in erster Näherung auf der Basis des Verhältnis Yo des Nitrat Stickstoffes, der
denitrifiziert werden muss zum BSB 5 im Zulauf. Für die Nitrifikation muss an-
genähert das gleiche aerobe Belebungsvolumen (Belüftungsbecken) vorhanden
sein wie ohne Denitrifikation. Dazu ergibt sich ein Anteil des Denitrifikationsre-
ak:tors V0 am Belebungsbecken V66 • Richtwerte für die Dimensionierung einer
Denitrifikation gibt Tabelle 20.9.

Tabelle 20.9. Richtwerte für die Bemessung der Denitrifikation bei Trockenwetter und durch-
schnittlichen Verhältnissen. Die Angaben beziehen sich auf 'YD· die Masse des Nitrat-Stickstoffes,
die in einer vorgeschalteten Denitrifikation bei 10°C pro Masse zugeführten BSB5 denitrifiziert
werden kann, den Anteil Vo des vorgeschalteten Denitriftkationsbeckens am ganzen Belebungs-
becken Vss und das erforderliche Schlammalter e. (kleine Werte für grosse Anlagen > 100'000
EG, grosse Werte für Anlagen< 20'000 EG). Nach Arbeitsblatt A 131 (1991).

Erforderliche spezifische Anteil der Denitrifikation am Erforderliches


Denitrifikation 'Yo in Belebungsbecken Schlammalter ex
kg N03--N I kg BSB 5 VD I VBB in Tagen
0.07 0.2 10- 12
0.10 0.3 11- 13
0.12 0.4 13- 15
0.14 0.5 16- 18
340 20 Biologische Abwasserreinigung

Belspiel 20.29. Dimensionierung einer Denitrifikation


Wie gross wird das Belebungsbecken V88 und der Anteil des Denitrifkationsbeckens V0
einer Anlage für 10'000 Einwohner, die nach kleiner Vorklärung bei Temperaturen über
10°C das Abwasser ohne Phosphorelimination nitrifizieren und denitrifizieren kann?
Zielvorstellung ist, dass die Anlage 66% des zufliessenden Stickstoffes eliminiert.
Q = 4000 m3d-1 BSB5 = 120 g BSB5 m-3 TKN = 25 g N m-3
Aus der Schlammbehandlung werden noch 2.5 g N m·3Abwasaer in die Anlage zurückgeführt,
sodass sich im vorgeklärten Abwasser insgesamt 27.5 g TKN m-3 befinden.
1. Wieviel Nitrat muss denitrifiziert werden?
Im Zulauf befinden sich 25.0g N m-3
Im Ablauf befinden sich 34% der zufliessenden TKN 8.5 g N m-3
ln den Belebtschlamm werden inkorporiert: 0.045 g N g-1 BSB5 5.4gNm-3
(s. dazu Tabelle 20.2)
Aus der Schlammbehandlung fliessen zurück 2.5 g N m-3
Denitrifiziert werden müssen: ~-N = 25.0-8.5- 5.4 + 2.5 = 13.6 g N m·3
Insgesamt müssen nitrifiziert werden: ~~~-N = 25.0 - 5.4 + 2.5 = 22.1 g N m-3
(Annahme: 100% Nitrifikation. d.h. alles Ammonium wird nitrifiziert.):
2. Wie gross ist der Anteil der Denitrifikation und das erforderliche Schlammalter?
Die erforderliche Denitrifikation 'Yo =~NI BSB5 = 13.61120
= 0.11 kg NO;-N kg- 1 BSB5 •
Daraus ergibt sich nach Tabelle 20.9 ein erforderliches Schlammalter von e. = 14 d und
ein Anteil des Denitrifikationsbeckens V 0 I V88 = 0.35.
3. Wie gross ist die Schlammproduktion?
Nach Tabelle 20.6 muss mit einer spezifischen Schlammproduktion von ca. ÜS8 = 0.8 kg
TS kg- 1 BSB5 gerechnet werden. Daraus ergibt sich nach GI. (20.6)die Schlammprodukti-
on zu:
SP = 0 · BSB5 • ÜS8 = 384 kg TSS d-1
4. Wie gross wird das Belebungsbeckenvolumen?
Die zulässige Belebtschlammkonzentration beträgt TS88 = 3.0 kg TSS m-3 (Tabelle 20.7).
GI. (20.7) ergibt: V 88 = e. · SP I TS88 = 14 · 38413 = 1800 m3 •
Das Volumen der Denitrifikation wird: 35% von V 88 = 630m3 = V 0
Das Volumen der Nitrifikation wird: 65% von V 88 = 1170 m3 = V88 - V 0
Diese Werte müssen mit dem erforderlichen Volumen einer Nitrifikation verglichen wer-
den: V88 = 1440 m3 (s. Beispiel20.25).
Die mittlere hydraulische Aufenthaltszeit eh beträgt nun 10.8 h, die Schlammbelastung
Brs wird 0.09 kg BSB5 kg- 1 TSS d- 1 •
5. Wie gross ist das erforderliche Rücklaufverhältnis?
Vom insgesamt nitrifizierten Nitrat von 22.1 g N m·3 müssen 13.6 g N m-3 denitrifiziert,
d.h. in die Denitrifikation zurückgeführt werden. Da die Ablaufkonzentration noch 8.5 g N
m-3 beträgt, muss das Abwasser mindestens 13.618.5 = 1.6 mal rezirkuliert werden. Die
gewählten Rezirkulationsraten könnten z.B. sein: Rücklaufschlamm =Interne Rezirkulati-
on =Zufluss (oder das Wasser wird 2 mal rezirkuliert, d.h. es fliesst im Durchschnitt 3
mal durchs Becken).

Da die Nitrifikation im Winter, bei einer Temperatur um 10 oc, ein sehr gro-
sses Schlammalter und damit auch ein grosses Belebungsbecken bedingt, ist es
heute üblich, im Sommer bei erhöhten Temperaturen und damit grossen Lei-
20.4 Belebtschlammverfahren 341

stungsreserven der Nitrifikation einen Teil des Beckens abzutrennen und mit
Denitrifikation zu betreiben. Noch einfacher ist eine sogenannte alternierende
Denitrifikation, hier wird zeitlich hintereinander, im gleichen Becken, eine Pha-
se belüftet (Nitrifikation) und eine Phase unbelüftet (Denitrifikation) betrieben.
Mit zunehmender Temperatur können die unbelüfteten Phasen laufend verlängert
werden. Von simultaner Denitrifikation sprechen wir, wenn im gleichen Becken
gleichzeitig beide Prozesse ablaufen. Das ist z.B. in Umlaufbecken der Fall
(Abb. 20.5), wenn unmittelbar nach der Belüftung Sauerstoff vorhanden ist, aber
nach einiger Fliessstrecke dieser wieder auf null abfällt und damit die Denitrifi-
kation einsetzen kann.

20.4.1 0 Chemische Phosphorelimination


Ab ca. 1950 kamen zunehmend statt Handarbeit und Seife Waschautomaten und
künstlich hergestellte Detergentien zum Einsatz. Diese Textil-Waschmittel ent-
hielten Poly-Phosphat um die Wasserhärte (insbesondere Ca 2 +) zu binden. Die
Belastung der Gewässer mit dem Nährstoff Phosphat PO/- nahm in der Folge
exponentiell zu. In vielen Binnenseen, die meistens phosphorlimitiert sind, hat
diese Belastung zu einer Überdüngung (Eutrophierung) geführt, mit all ihren
unerwünschten Nebenwirkungen.
Schon Mitte der 50er Jahre hat Thomas in der Schweiz erste Versuche ge-
macht, um Hilfe von Eisensalzen die Phosphate im Abwasser zu fällen und die
gefällten Feststoffe aus dem Abwasser abzutrennen. Dabei wurde das sogenannte
Simultanfällungsverfahren entwickelt, das heute weltweit das wichtigste Verfah-
ren zur Entfernung von Phosphor darstellt.
Fällung heisst ein chemischer Prozess, in dem ein im Wasser unlösliches Salz
gebildet wird, das dann z.B. durch Sedimentation aus dem Abwasser abgetrennt
werden kann.

Prozesse der chemischen Phosphorelimination


Die chemische Phosphorelimination beruht auf der Fällung von Phosphaten
durch Eisen-, Aluminium- oder Kalzium-Salze. Hier wird nur die Fällung mit
Eisensalzen diskutiert. Die Fällung mit Aluminium-Salzen ist analog zur An-
wendung von dreiwertigem Eisen Fe3\ die Anwendung von Kalzium Ca2+ ist in
Europa eher selten.
Häufig angewendet wird zweiwertiges Eisen Fe2\ das in Form von Eisensul-
fat (FeS04 ) als festes Salz auf die Kläranlage geliefert wird und in einer Löse-
station vorerst als gesättigte, wässrige Lösung aufbereitet werden muss. Nach
Zugabe ins Abwasser wird zweiwertiges Eisen Fe 2+ in Gegenwart von Sauerstoff
rasch zu dreiwertigem Eisen Fe3+ aufoxidiert, entsprechend:
(20.18)
Das eigentliche Fällungsmittel ist das dreiwertige Eisen Fe3\ das mit Phos-
phat P043- das unlösliche FeP04 bildet.
342 20 Biologische Abwasserreinigung

Beispiel 20.30. Sauerstoffbedarf der Oxidation von zweiwertigem Eisen


Wieviel Sauerstoff wird fOr die Oxidation von 13 g Fe2• m.a zu Fes. verbraucht? (13 g Fe
m.aAbWauar ist eine typische Dosierung fOr die Fällung des Phosphors im kommunalen
Abwasser)
Atomgewichte: Fe 55.8, 0 16
Nach GI. (20.18) werden pro 4 Mol Fe(= 4 · 55.8 g = 223.2 g Fe) 1 Mol 0 2 (= 32 g 0 2)
verbraucht. Daraus ergibt sich der Sauerstoffverbrauch zu:
13 g Fe m.a · 32 g 0 2 I (4 · 55.8 g Fe) = 1.9 g 0 2 m.a
Das ist im Vergleich zum Sauerstoffbedarf fOr den Abbau der organischen Stoffe und die
Nitrifikation verschwindend wenig (ca. 1%).

In kleineren Anlagen wird gelegentlich direkt dreiwertiges Eisen Fe3• in Form


einer Eisenchlorid Lösung FeCl3 oder ev. FeClS04 (eine braune, korrosive, saure
Flüssigkeit mit ca. 123 g Fe I kg Lösung und einer Dichte von 1.52 kg r') auf die
Anlage geliefert und dem Abwasser zugeführt.
Dreiwertiges Eisen Fe3• verbindet sich mit Phosphat P043• zu Eisenphosphat
FeP04 • Diese Reaktion steht in Konkurrenz zur Bildung von Eisenhydroxid
Fe(OH)3 , entsprechend:
Fe3• + P043• ~ FeP04
Fe3• + 3 OH" ~ Fe(OH)3
In Wirklichkeit bildet sich ein amorphes Gemisch von
Fe(P04 ),(0H)3•3, (20.19)
Weil sich diese beiden Reaktionen konkurrenzieren, muss das molare Ver-
hältnis zwischen dosiertem Eisen und zu fällendem Phosphat > 1 Mol Fe3• pro
Mol P043• sein; man spricht von überstöchiometrischer Fällmitteldosierung:

ß = Mol Fe~~ien > 1


(20.20)
Mol Po!- gefallt

ß = Stöchiometrisches Verhältnis für die Dosierung von Fällmittel


[MolFeMor 1p]. ß entspricht dem Kehrwert von x in GI. (20.19)
VORSICHT: In der Literatur wird der ß-Wert nicht immer auf das zu fällende
Phosphat bezogen, sondern gelegentlich auf den totalen Phosphorgehalt des Ab-
wassers. Die Werte sind entsprechend geringer und gelegentlich < 1. In erster
Näherung können die gelösten Phosphorverbindungen gefällt werden, zuneh-
mend wird daher der gelöste Phosphor als Bezugsgrösse für die Fällmitteldosie-
rung gebraucht.
In Tabelle 20.10 sind typische ß-Werte für verschiedene Verfahren zusam-
mengestellt.
Die Fällungsprodukte sind flockige, suspendierte Stoffe und bestehen aus ei-
ner Mischung von FeP04 und Fe(OH)3 • Sie können durch Sedimentation zusam-
men mit anderen Schlämmen abgetrennt werden. Gemessen werden sie als Teil
der suspendierten Stoffe, TSS.
20.4 Belebtschlammverfahren 343

Mit zunehmender Dosierung des Eisensalzes verringert sich die Restkonzen-


tration der gelösten Phosphate im Abwasser, aber die zusätzliche Schlammpro-
duktion nimmt zu. Durch zweistufige Fällungsverfahren kann bei gleicher oder
besserer Leistung insgesamt ein Teil der Fällungsmittel eingespart werden (s.a.
Kapitel 21.1, Seite 357, und Beispiel20.34).

Tabelle 20.10. Typische Fällmitteldosierung (ß Werte) und Restkonzentration von gelöstem


Phosphor in verschiedenen Verfahren
Verfahren ß-Wert RestP eJost
Vorfällung (auch ehern. Abwasserreinigung, Seite 301) 2.0-3.0 0.5
Simultanfällung allein 2.0 0.5
Simultanfällung vor Flockungsfiltration 1.0 1.5
Zulauf zur Flockungsfiltration nach Simultanfällung 2.0-2.5 0.1

Beispiel 20.31. Fällmitteldosierung


Wie gross wird das Verhiiltnis der Massen zwischen Eisendosierung und Phosphorkon-
=
zentration wenn der ß-Wert 1 ist?
Atomgewichte: Fe 56 g Mof1 P 31 g Mof1
ß =1 =1 Mol Fe I 1 Mol P =56 g Fe I 31 g P =1.8 g FeIg P
ln der Praxis wird die Dosierung von Eisen als Masse angegeben (z.B. gFe m-3Abwasser>·
Soll ein Abwasser mit 5 g m·3 gelöstem Phosphor mit einem ß-Wert von 2.0 mit Eisen
gefällt werden, so beträgt die erforderliche Dosierung:
-3 M I -3
5 gp m 2.0 0 Mol 1.8 gFa gp = 18 gFe m
·1 ·1
0 0
0

Beispiel 20.32. Schlammproduktion in der Phosphatfällung


Ein kommunales Abwasser enthält 6 g P1ot m·3 , davon werden 1.2 g P m-3 zum Aufbau der
Biomasse in den Belebtschlamm eingebaut, der Rest soll durch Eisensulfat (FeS04 )
gefällt werden. Es wird mit einem stöchiometrischen Verhältnis ß von 1.5 Mol Fe2+ zu 1
Mol P98111n gerechnet. Wieviel Eisensulfat muss zudosiert werden? Wieviel Feststoffe
bilden sich als Folge der Phosphorelimination?
Atomgewichte: Fe 55.8, P 31 , H 1, 0 16, S 32.
Der Bedarf an Eisen beträgt:
(6.0-1.2)gp m-3 . 1.5 MoiFe Mor\ . 55.8 gFe Mor\e I 31 gP Mof1P = 13 gFe m·3
Das entspricht: 13 · (55.8+32+4-16) I 55.8 =35 gFes04 m.a
Als Fällungsprodukte und damit als zusätzlicher Schlamm entstehen:
Fe(P04 ) 0 _67 (0H)1.00 (eine Mischung von FeP04 und Fe(OH) 3 im molaren Verhältnis von 2:
1, weil pro 1 Mol P 1.5 Mol Fe dosiert werden:
Formelgewicht [Fe(P0!\) 0 _67 (0H) 1 .00] = 55.8+(31 +4-16)-0.67+(1 ~+ 1)·1.00
= 136.5 g TSS Mol Fe oder 136.5 I 0.67 = 203.7 g TSS Mol p·
Damit entsteht die folgende Menge Fällungsprodukte:
-3 -1 ·1 -3
4.8 g P m · (203. 7 9-rss Mol p) I 31 gPMol P = 31.5 grss m oder
-3 -1
13 g Fe m 136.5 9-rssMol Fe I 55.8 gFeMol Fe
0
·1
=31.5 gTSS m-3
Es fallen also 31.5 9-rss I 4.8gP = 6.6 9-rss g·1P an. Dieser Wert entspricht dem Erfah-
rungswert, der in der Fussnote von Tabelle 20.6 angegeben ist.
344 20 Biologische Abwasserreinigung

Die Schlammproduktion kann vereinfacht berechnet werden mit der folgen-


den Gleichung, die aus der chemischen Stöchiometrie abgeleitet wurde:
SPPz Q • (SP.selllllt ·1.5 + SFe,dosiell ·1.9} (20.21}
SPp = Schlammproduktion als Folge der chemischen Phosphor-
elimination [MTss T 1]
Q =Zufliessende Wassermenge [L'3 T 1]
sP.geOOit =Konzentration des gefällten Phosphors [Mp L-3 ]
SFe,dosien =Konzentration des zudosierten Eisens [MFe L-3]
1.5, 1.9 =Theoretische Faktoren [MTss Mp-1, MTss MF; 1]

Beispiel 20.33. Schlammproduktion in der Phosphorelimination


Welche Schlammproduktion ergibt sich im Beispiel20.32 mit Hilfe von GI. (20.21)?
Mit sP,gel61n = 4.8 gp m-3 , SFe,doeiert = 13 gFe m-3 ergibt sich die S~hlammproduktion pro Vo-
lumen Abwasser zu SPp I Q = 1.5 · 4.8 + 1.9 · 13 = 31.9 9rss m

Beispiel 20.34. Zweistufige Fällung


Wieviel Fällmittel muss eingesetzt werden, um in einem Abwasser 5 gP m-3 mit Fl+ zu
fällen?
Dimensionierung nach Tabelle 20.1 o, Atomgewichte: P 31, Fe 56
Einstufige Fällung
Einstufige Simultanfällung, nach Tabelle 20.10: p = 2 MoiF• Molp-1
Fe Bedarf: 5 · 2 · 56/31 = 18.1 gF• m·3
Die Restkonzentration des gelösten Phosphors beträgt noch ca. 0.5 gP m·3
Zweistufige Ftillung (Tabelle 20. 10)
Simultanfällung vor Flockungsfiltration: p = 1 MoiF• Molp-1
Fe Bedarf 1.Stufe: 5 · 1 · 56/31 = 9.0 gFa m·3
Es verbleiben 1.5 gP m-3, die mit ß = 2.5 MoiF• Molp-1 gefällt werden (Tabelle 20.10)
Fe Bedarf 2.Stufe: 1.5 · 2.5 · 56/31 =6.8 gF• m·3
Insgesamt werden also 9.0 + 6.8 = 15.8 gF• m-3 gebraucht und die Restkonzentration des
gelösten Phosphors ist auf 0.1 gP m-3 reduziert worden.
Die zweistufige Fällung vemindert also den Fällmittelbedarf und entsprechend die
Schlammproduktion und es resultiert in eine geringere Restkonzentration des gelösten
Phosphors.

Verfahren der chemischen Phosphorelimination


Zur Fällung von Phosphor kommen verschiedene Verfahren zur Anwendung
(Abb. 20.15):
- Die Vorfällung beruht auf der Zugabe der Fällungsmittel zum Zufluss der
Vorklärung und unterstützt dort gleichzeitig die Elimination von suspendier-
ten Stoffen. Der Fällmittelbedarf ist hoch, weil verschiedene andere Prozesse
(z.B. Flockung) in Konkurrenz zur Fällung stehen.
- In der Simultanfällung werden die Fällungsmittel der biologischen Reinigung
zugegeben und die Fällungsprodukte werden in den biologischen Schlamm
eingeschlossen.
20.4 Belebtschlanunverfahren 345

Simultanfällung

Abzug des
Schlammes

Vorfällung

Abb. 20.15. Verfahren zur Phosphorelimination in der konununalen Abwasserreinigung. Oben


das häufig angewendete Simultanfällungsverfahren. Unten das seltenere Vorfällungsverfahren

- In der Nachfällung (nicht dargestellt) wird das biologisch vorgereinigte Ab-


wasser in speziellen Bauwerken gefällt. Früher wurden dazu Flockungs-
becken und Sedimentationsbecken eingesetzt, heute wird eher eine Flok-
kungsfiltration eingesetzt, in der die Fällungsprodukte durch Filtration abge-
trennt werden. Die Nachfällung wird häufig als zweite Fällungsstufe in einem
zweistufigen Verfahren angewendet, insbesondere nach Simultanfallung.
Heute kommt die Simultanfällung am häufigsten zur Anwendung. Sie er-
bringt bei genügender Dosierung der Metallsalze (ß-Wert, Tabelle 20.10) eine
zuverlässige Leistung und ist äusserst einfach in der Installation und im Betrieb:
Ein Lagertank, allenfalls eine Lösestation beim Einsatz von FeS04 , und eine
Dosierpumpe mit einer Leitung zu einer geeigneten, turbulenten Einleitstelle
genügen. Die zusätzliche Schlammproduktion ist geringer als in der Vorfällung.
Heute wird der Chemikalieneinsatz häufig entsprechend dem Phosphoranfall
nach einem Tages- oder Wochenprogramm gesteuert.

20.4.11 Biologische Phosphorelimination


Die chemische Phosphorelimination hat den Nachteil, dass einerseits extern
zugekaufte Chemikalien erforderlich sind und andererseits zusätzlicher Über-
schussschlamm anfällt, der in der Entsorgung grosse Kosten verursachen kann.
Im Gegensatz dazu nutzt die biologische Phosphorelimination die Abwasserin-
haltstoffe, die zusätzliche Schlammproduktion wird vermindert.

Prozesse der biologischen Phosphorelimination


Es gibt eine Reihe von heterotrophen Bakterien, die Polyphosphate als Speicher-
stoff einlagern können (polymerisiertes Phosphat P04 ist ein Speicherstoff für
biochemisch nutzbare Energie). Der Phosphorgehalt dieser Bakterien kann dann,
346 20 Biologische Abwasserreinigung

Anaerobe Prozesse Anoxische und aerobe Prozesse

gelöstes Ortho- Ortho-


Substrat Phosphat Phosphat

Abb. 20.16. Ein einfaches biochemisches Modell für die biologische Phosphorelimination.
Dargestellt ist ein Phosphor-akkumulierendes Bakterium. Links die anaeroben Prozesse; rechts
die aeroben und anoxischen Prozesse

je nach Umweltbedingungen bis zu 15% betragen (normal sind ca. 1- 2%). Ge-
lingt es, diese Bakterien in der biologischen Reinigungsanlage zu züchten und
sie aus dem Abwasser abzutrennen, wenn sie grosse Mengen von Phosphor ge-
speichert haben, so ist damit gleichzeitig eine biologische Phosphorelimination
erreicht worden.
Die Anforderungen dieser Bakterien sind komplex, eine einfache Modell-
vorstellung ist die folgende (Abb. 20.16):
In einer anaeroben Umgebung (kein Sauerstoff) können die Phosphor-
akkumulierenden Organismen unter Verbrauch von Polyphosphat organische
Stoffe aufnehmen und als organische Speicherstoffe (Polysubstrat) innerhalb
der Zellen einlagern. Dabei wird Polyphosphat im Inneren der Zellen abge-
baut und als Phosphat ins Abwasser abgegeben. Diese Reaktion liefert die er-
forderliche Energie.
- In einem nachfolgenden aeroben (mit Sauerstoff) oder anoxischen (mit Ni-
trat, ohne Sauerstoff) Reaktor werden die organischen Speicherstoffe abge-
baut (veratmet), die daraus gewonnene Energie dient dazu, die Biomasse zu
vermehren und wieder mehr Polyphosphate aufzubauen. Durch den Aufbau
der Polyphosphate wird dem Abwasser nun Phosphat entzogen und in den
Zellen eingelagert.
- Die nun phosphorreichen Organismen können teilweise als Überschuss-
schlamm dem Abwasser entzogen werden (Phosphorelimination), grössten-
teils werden sie zurück in die anaerobe Umwelt gebracht (Rücklaufschlamm),
wo der Zyklus erneut beginnt.
Die Phosphor-akkumulierenden Organismen haben gegenüber den hetero-
trophen Organismen den Vorteil, dass sie unter anaeroben Umweltbedingungen
organische Stoffe speichern können, die ihnen ansebliessend im aeroben Reaktor
für ihr Wachsturn zur Verfügung stehen. Wir müssen daher dafür sorgen, dass
20.4 Belebtschlammverfahren 347

dieser Vorteil zum Tragen kommt. Nur so ist gewährleistet, dass diese Organis-
men sich in einem Verfahren auch effektiv ansiedeln.
Die Prozesse der biologischen Phosphorelimination werden heute noch inten-
siv erforscht, für viele Fragestellungen der Ingenieure sind sie aber genügend
bekannt. Die ersten Anlagen mit biologischer Phosphorelimination (1970- 1980)
wurden, basierend auf empirischen Grundlagen, betrieben. Die mikrobiologi-
schen Prozesse waren damals noch kaum bekannt.

Zusammenfassung
Biologische Phosphorelimination bedingt, dass die folgenden 4 Bedingungen
gleichzeitig erfüllt sind:
1. In einem anaeroben Reaktorteil müssen gelöste organische, biologisch ab-
haubare Verbindungen (mit Vorteil flüchtige Säuren, Essigsäure) angeboten
werden, dabei darf kein Nitrat (N03") und kein Sauerstoff (0 2) vorhanden
sein.
2. Es muss ein nachfolgender aerober oder anoxischer Reaktorteil mit genügen-
der Reaktionszeit angeboten werden.
3. Die Biomasse muss an das Verfahren adaptiert sein (Wochen).
4. Der phosphorreiche Schlamm soll aus einem aeroben Teilstrom als Über-
schussschlamm abgezogen werden.

Verfahrenstechnik der biologischen Phosphorelimination


Die biologische Phosphorelimination ist ein Verfahren, das heute noch intensiv
erforscht wird, trotzdem werden international schon mehrere hundert Anlagen
mit diesen Prozessen betrieben. Es gibt eine grosse Zahl von unterschiedlichen
Verfahrensschematas, die alle sowohl organische Stoffe als auch die Nährstoffe
Stickstoff und Phosphor mit Hilfe von mikrobiologischen Prozessen eliminieren
können. In Abb. 20.17 wird ein typisches Verfahren vorgestellt:
- Der erste Reaktor wird anaerob betrieben (kein Sauerstoff 0 2 kein Nitrat
N03"), dazu wird aus dem 2. Reaktor Belebtschlamm ohne Nitrat rezirkuliert.
Phosphat P04 3• wird durch die Phosphor-akkumulierenden Bakterien ins Ab-
wasser abgegeben und gelöste organische Stoffe werden als Reservestoffe in
die Biomasse eingelagert.
- Der zweite Reaktor wird anoxisch (kein Sauerstoff, aber Nitrat vorhanden)
betrieben und dient der Denitrifikation: Die Restkonzentration der organi-
schen Stoffe aus dem ersten Reaktor wird mit dem Nitrat und der Biomasse
aus dem Rücklaufschlamm zusammengeführt. Durch die Denitrifikation wird
nitratfreier Belebtschlamm produziert, der in den ersten Reaktor zurück ge-
führt werden kann. So gelingt es, den ersten Reaktor mit Biomasse aber ohne
Nitrat zu versorgen.
- Der dritte Reaktor wird auch anoxisch betrieben, hier wird das Nitrat aus der
internen Rezirkulation denitrifiziert. Das führt dazu, dass im Ablauf und im
Rücklauf nur geringe Nitratkonzentrationen auftreten.
- Der vierte Reaktor wird aerob (mit Sauerstoff) betrieben, er dient der Nitrifi-
kation: Ammonium NH4• wird abgebaut und Nitrat wird produziert. Gleich-
zeitig bauen nun die Phosphor-akkumulierenden Organismen die gespei-
348 20 Biologische Abwasserreinigung

Zulauf

anaerob anoxisch anoxisch aerob

Abb. 20.17. Fliessschema einer Anlage mit biologischer Phosphorelimination. Das Verfahren
wurde ursprünglich von einer Arbeitsgruppe an der University of Cape Town (UCT) vorge-
schlagen und heisst in der Literatur UCT Verfahren (oder modifiziertes UCT Verfahren). Unten
sind die Konzentrationsprofile einiger Stoffe aufgetragen, die für das Verfahren von Bedeutung
sind (s. Text)

cherten organischen Stoffe ab und nehmen dabei das Phosphat wieder auf,
um es als Speicherstoff innerhalb der Biomasse festzulegen.
Anlagen mit biologischer Phosphorelimination können ev. so dimensioniert
werden, die sie im Winter mit chemischer und im Sommer mit biologischer
Phosphorelimination betrieben werden können. Da mit der biologischen Phos-
phor-elimination weniger Schlamm produziert wird (es fällt kein chemischer
Schlamm an), kann das Schlammalter im Sommer erhöht werden. Das erlaubt,
einen Teil des Beckens für die zusätzliche anaerobe Reaktionsstufe abzutrennen.
Da neue Anlagen mit Leistungsreserven ausgestattet werden, kann dann in den
ersten Jahren meist ganzjährig mit biologischer Phosphor-Elimination gefahren
werden.

Beispiel 20.35. Biologische Phosphorelimination


Eine Belebtschlammanlage mit biologischer Phosphorelimination wird mit einem
Schlammalter von 15 Tagen betrieben, das Belebungsbecken hat insgesamt eine hy-
draulische Aufenthaltszeit von ca. 15 h. Nach einem Gewitter fällt für 5 h der Strom aus.
Was bedeutet das im ungünstigsten Fall für die Belastung der Vorflut? Eine Notstroman-
lage für die Belüftung ist nicht verfügbar.
Der Stromausfall verursacht, dass das normalerweise aerobe Belüftungsbecken vor dem
Nachklärbecken innerhalb von Minuten anoxisch (kein Sauerstoff aber Nitrat) wird, es
wird eine Denitrifikation einsetzen. Nach ca. 1 hist kein Nitrat mehr vorhanden, es wird in
der ganzen Anlage eine Phosphatfreisatzung einsetzen. Da das Schlammalter 15 d be-
20.4 Belebtschlammverfahren 349

trägt, wird angenähert der Phosphoranfall von 15 Tagen freigesetzt. Phosphor wird nun
während Stunden mit sehr hoher Konzentration ins Gewässer geleitet, pro Stunde unge-
fähr soviel wie normalerweise während einemTag entfernt wird, da das gelöste Phosphat
mit dem Wasser verdrängt wird und nicht mit dem Schlamm ins Sediment des Nachklär-
beckens gelangt. Nach dem Wiedereinsetzen der Belüftung muss mit Stunden bis Tagen
gerechnet werden, bis das alte Gleichgewicht wieder eingestellt ist. Im ungünstigsten Fall
wird also die Vorflut mit zusätzlichen 5- 15 Zulauf-Tagesfrachten des Phosphors bela-
stet. Wenn die Anlage insgesamt z.B. zusammen mit einer Flockungsfiltration 95% des
zufliessenden Phosphors entfernt, so nimmt die restliche Jahresfracht durch dieses Er-
eignis um ca. 30- 80% zu (5- 15 cl/365 d = 1.4- 4%, Restfracht = 100%- 95% =5%,
(1.4 - 4%)/5% = 30 - 80%).
Ev. könnte hier die Belastung der Vorflut während diesem Ereignis verringert werden,
wenn das Wasser nach der Vorklärung entlastet würde, statt es durch die nicht funktio-
nierende Anlage zu leiten.

20.4.12 Biologische Nährstoffelimination: Zusammenfassung


Belebungsanlagen sind im ganzen Bereich der Biotechnologie mit von den an-
spruchsvollsten Verfahren. Es gibt kaum andere biologische Verfahren, in denen
gleichzeitig 3 unterschiedliche Gruppen von Bakterien zusammenwirken müssen,
um die charakteristische Leistung des Verfahrens zu erbringen, und das im Som-
mer und im Winter, bei täglichen Belastungsvariationen, mit einer sehr hohen
Verfügbarkeif der erwarteten hohen Leistung.
In Tabelle 20.11 sind die Umweltbedingungen zusammengestellt, die erforder-
lich sind, damit die einzelnen Prozesse ablaufen können. Von besonderer Be-
deutung sind Sauerstoff 0 2 und Nitrat N03-, sie bestimmen hauptsächlich, welche
Prozesse möglich sind.

Tabelle 20.11. Zusammenstellung der erforderlichen Umweltbedingungen in den verschiedenen


Belebtschlammverfahren. + heisst, dass dieser Stoff vorhanden sein muss, damit der entsprechen-
de Prozess ablaufen kann. Produkt heisst, dass dieser Stoff produziert wird. Hemmt heisst, dass
dieser Stoff den Prozess hemmt oder verunmöglicht
Erforderliche Aerober Nitrifi- Denitrifi- Simultan- Biologische Phos-
Umwelt- Abbau kation kation fällun~ phor Elimination
bedingung von CSB mit Fe+
Phase I Phase II
aerob aerob anoxisch aerob anaerob aerob
02 + + hemmt + hemmt +
CSB + + +
Het. Biomasse + +
Nitrifikanten +
PAOa> + +
NH4+ +
NO~. Produkt + hemmt
P04 + Produkt +
HCO + Produkt + +
Schlammalter <5d 7- 10 d 10- 15 d > 15 d
a> PAO =Phosphorakkumulierende Organismen
350 20 Biologische Abwasserreinigung

Abb. 20.18. Schematische Darstellung eines Tropfkörpers mit Vergrösserung eines bewachse-
nen Steines

Die Dimensionierung von Belebungsanlagen basiert heute meistens auf ei-


nem erforderlichen Schlammalter, das die Produktion von Feststoffen mit der
Masse von Belebtschlamm, die sich im System befindet, in Beziehung setzt.
Dieser statische Ansatz wird meistens durch dynamische Modellansätze (Simu-
lation) ergänzt, wobei es üblich ist, für diese Aufgabe Spezialisten zuzuziehen.

20.5 Tropfkörperverfahren
Die Tropfkörperverfahren sind älter als das Belebungsverfahren - bereits im
I9. Jh. sind in England die ersten biologischen Filter oder "Trickling Filters"
gebaut worden. In Europa wurden bis ca. I960 viele Tropfkörper gebaut. Der
Trend, Abwasser von mehreren Kommunen in grossen und leistungsfähigen Ver-
bandskläranlagen zu reinigen, hat dann zunehmend dazu geführt, dass das Bele-
bungsverfahren dem Tropfkörper vorgezogen wurde. Heute kommen Tropfkörper
v.a. noch in kleinen Abwasserreinigungsanlagen zur Anwendung.
Tropfkörper sind biologische Reaktoren mit festsitzender Biomasse. Sie werden
mit Hilfe einer spezifischen Schmutzstoffbelastung pro Reaktorvolumen oder pro
Bewuchsfläche dimensioniert. Ihr Leistungsspektrum umfasst den Abbau von
organischen Stoffen, die Nitrifikation und unter besonderen Bedingungen auch
die Denitrifikation.
Im Tropfkörperverfahren wird das vorgeklärte Abwasser über eine Schüttung
von ca. faustgrossen Steinen verregnet und rinnt als Folge der Schwerkraft über
diese Steinschüttung (Abb. 20.18). Auf den Steinen siedelt sich die aktive Bio-
masse in Form eines Biofilmes an und wird aus dem vorbeirinnenden Abwasser
mit Schmutz- und Nährstoffen versorgt. In den Zwischenräumen zwischen den
Steinen kann Luft zirkulieren, die das Abwasser mit Sauerstoff versorgt. Die sich
vermehrende Biomasse wird von Zeit zu Zeit durch das vorbeirinnende Wasser
abgeschwemmt und im Nachklärbecken abgetrennt.
20.5 Tropfkörperverfahren 351

Tropfkörper

Pumpe

Rezirkulation

Schlammrückführung

Schlammabzug

Abb. 20.19. Fliessschema eines typischen Reinigungsverfahrens mit Tropfkörper

Im Englischen werden Tropfkörper als Trickling Filter bezeichnet, eine ältere


englische Bezeichnung für schwachbelastete Verfahren ist Biological Filter.
Modeme Tropfkörper werden statt mit Steinen (Brocken) mit Paketen von
Kunststofffolien gefüllt, auf deren Oberfläche sich die Biomasse ansiedeln kann.
Diese können eine grössere bewachsene Oberfläche pro Volumen aufweisen und
stellen sicher eine grössere Porosität für die Luftzirkulation zur Verfügung.
In Abb. 20.19 ist ein typisches Abwasserreinigungsverfahren mit einem
Tropfkörper dargestellt. Um eine Verstopfung des Tropfkörpers zu vermeiden,
ist eine Vorklärung erforderlich, in der auch meist der biologische Schlamm aus
der Nachklärung eingedickt wird. Bei höheren Schmutzstoffkonzentrationen ist
es meistens erforderlich, den Ablauf des Tropfkörpers zu rezirkulieren und da-
durch die Schmutzstoffkonzentration zu verringern und gleichzeitig die
Schwemmkraft des fliessenden Abwassers zu erhöhen.
Tropfkörper eignen sich v.a. für kleine Kläranlagen(< 10'000 Einwohner), in
denen ein einfacher aber stabiler Betrieb gewährleistet werden soll. Aber auch
die Stadt Bem reinigt ihr Abwasser mit Tropfkörpem, insbesondere weil hier das
natürliche Gefalle ausgenutzt werden konnte und der Zulauf zum Tropfkörper
nicht gepumpt werden muss.
Brockengefüllte Tropfkörper werden häufig auf der Basis der Raumbelastung
BR dimensioniert:

B _ Q·BSB5
R- (20.22)
VTK
BR = Raumbelastung des Tropfkörpers [g BSB5 mTK-3 d"1]
Q = Durchfluss durch den Tropfkörper ohne Rezirkulation [m3 d"1]
BSB5 = Konzentration des BSB5 im Zulauf zum Tropfkörper vor der
Verdünnung durch eine allfällige Rezirkulation [g BSB5 m·3]
VTK = Volumen der Tropfkörperschüttung [mTK31
Neuere Tropfkörper werden mit Trägermaterial für die Biomasse ausgerüstet,
das aus Paketen von Kunststofffolien besteht. Diese Folien haben eine spezifi-
sche Oberfläche von a = 100- 140 - 170m2 lllr/- Ist das Abwasser nur durch
352 20 Biologische Abwasserreinigung

eine Vorklärung vorgereinigt worden, so sollte die spezifische Oberfläche der


Folien< 140m2 II1rK.3 gewählt werden, da diese sonst verstopfen können.
Tropfkörper mit Folien werden auf der Basis der Belastung pro Bewuchsflä-
che, d.h. der Flächenbelastung BA' dimensioniert:

B _ Q-BSB5
A- (20.23)
a-VTK

BA = Flächenbelastung der Kunststofffolien [g BSB5 m·2 d" 1]


a = Spezifische Oberfläche der Folien [m2Folien m"3nd
VTK = Volumen des Tropfkörpers, das mit Paketen von Folien
gepackt ist [mnll
In Tabelle 20.12 sind typische Dimensionierungswerte für Tropfkörper zu-
sammengefasst.
Nach biologischen Abwasserreinigungsanlagen, die nicht nitrifizieren, kön-
nen heute Tropfkörper mit Kunststofffolien mit hoher spezifischer Oberfläche
=
(z.B. a 180m2 m·3) ausschliesslich für die Nitrifikation gebaut werden. Da die
Nitrifikation kaum Schlamm produziert, müssen solche Tropfkörper nicht mehr
von Sedimentationsbecken gefolgt werden. Es ergibt sich also eine wirtschaftli-
che Möglichkeit, mit der bestehende Anlagen um die Nitrifikation erweitert wer-
den können. Für Details wird auf die Literatur verwiesen (z.B. Boiler und Gujer
1984, GWA, 64, S.677-688).

Tabelle 20.12. Dimensionierungsrichtwerte für Tropfkörper nach Vorklärung (Arbeitsblatt A 135


1989)

Ziel 1;::e:i~~~;!terials ::u[~:::a:~7•] ~::;e;~e!~•;tung BA


Reinigung ohne Nitrifikation (im 24 h Mittel < 20 g8585
m·3im Ablauf)
Brockenfüllung 400
Kunststofffolien 4
Reinigung mit Nitrifikation
Brockenfüllung 200
Kunststofffolien 2
Für Nachklärbecken werden meist hydraulische Aufenthaltszeiten VNKB/Q > 2.5 h und
hydraulische Oberflächenbelastungen Q/FNKB < 1 mh-1bei Trockenwetter gewählt.
Die Schlammproduktion kann analog zur Schlammproduktion in Belebungsanlagen mit
gleicher Leistung berechnet werden.

Beispiel 20.36. Dimensionierung eines Tropfkörpers


Wie gross wird das Volumen eines Tropfk6rpers, der mit Steinbrocken gefüllt ist und das
vorgeklärte Abwasser einer ländlichen Gemeinde mit 2500 Einwohnern nitrifizieren kann?
Zufluss Q = 800 m3 d-1 mit 130 g BSB5 m·3
Nach Tabelle 20.12 beträgt die zulässige Raumbelastung bei Nitrifikation BR = 200 g
BSB5 m-3 d-1 • Daraus ergibt sich das erforderliche Volumen der Brockenfüllung zu:
3
VTK = Q · BSB5 / BR = 520 m
Bei einer Bauhöhe von 4 Metern ergibt sich eine Querschnittsfläche von 130 m2 (Durch-
messer 13 m). Die hydraulische Beschickung dieser Querschnittsfläche sollte minde-
20.5 Tropfkörperverfahren 353

ffffft Konzentration

Abb. 20.20. Konzentrationsprofile über die Tiefe eines nitrifizierenden Tropfkörpers. Deutlich
wird die örtliche Trennung der Nitrifikation vom Abbau der organischen Stoffe

stens 12m3 m·2 d. 1 betraFen (A 135, 1989). Mit dem vorhandenen Zufluss ergeben sich
800 m3 d.1 I 130m2 = 6 m m·2 d·1 • Es ist daher erforderlich, das Abwasser durch Rezirku-
lation des Ablaufs zweimal überden Tropfkörper zu leiten.
Auffallend ist, dass bei dieser Dimensionierung die Menge des Stickstoffes, die nitrifiziert
werden muss, nicht erscheint, obwohl anzunehmen ist, dass die Nitrifikationsleistung mit
zunehmendem Tropfkörpervolumen zunimmt. Ganz offensichtlich beruht diese Dimensio-
nierung ausschliesslich auf einem Erfahrungswert mit kommunalem Abwasser und darf
nicht auf Abwasser mit deutlich abweichender Zusammensetzung übertragen werden.
Das Arbeitsblatt A 135 beschränkt die Anwendung der Belastungsrichtwerte auf Fälle, in
denen im Zulauf TKN I BSB5 < 0.3 gN I g8585. 1 ist.

Beispiel20.37. Bewuchsfläche von Tropfkörpern


Typische Packungen aus Kunststofffolien für Tropfkörper nach Vorklärung werden mit
einer Bewuchsfläche von a = 100 - 140 m2 m·3 geliefert. Wie gross ist die zulässige
Raumbelastung eines Trop_fkörpers mit Nitrifikation, wenn ein Füllmaterial mit einer Be-
wuchsfläche a =100m2 m·3 gewählt wird?
Nach Tabelle 20.12 beträgt die zulässige Flächenbelastung BA= 2 g BSB 5 m·2 d·1 . Daraus
berechnet sich die zulässige Volumenbelastung zu:
BR =BA· a = 2 g BSB5 m· 2 d.1 · 100m2 m·3 = 200 g BSB5 m·3 d. 1
Die zulässige Raumbelastung bei einer spezifischen Oberfläche von a =100m2 m·3 ent-
spricht derjenigen eines brockengefüllten Tropfkörpers. Bei einem mittleren Durchmesser
der Brocken von 6 cm hat die Brockenfüllung eine Oberfläche von 80- 100m2 m·3 •

In nitrifizierenden Tropfkörpern zeigt sich, dass die leichtabbaubaren organi-


schen Stoffe bevorzugt im oberen Teil des Tropfkörpers abgebaut werden, wäh-
rend die Nitrifikation im unteren Teil des Tropfkörpers dominiert (Abb. 20.20).
Das erklärt, wieso nitrifizierende Tropfkörper nur mit halber Belastung und ent-
sprechend doppeltem Volumen dimensioniert werden.
Tropfkörper können auch als denitrifizierende Reaktoren gestaltet werden:
Wird der Zutritt von Frischluft z.B. durch Einstau des Ablaufes verhindert, so
stellen sich anoxische Zustände ein. Das nitrifizierte Abwasser, z.B. aus einem
nachgeschalteten, nitrifizierenden Tropfkörper, muss dann zum Zulauf des deni-
354 20 Biologische Abwasserreinigung

triftzierenden Tropfkörpers geleitet werden, wo es zusammen mit dem vorge-


klärten Abwasser denitrifiziert werden kann. Analog zur Denitrifikation in Bele-
bungsanlagen kommen auch hier organische Stoffe (im Ablauf Vorklärung),
Nitrat (im Rücklauf aus der Nitrifikation), Biomasse (auf den Bewuchsflächen)
und fehlender Sauerstoff (kein Luftzutritt) zusammen, sodass sich eine Denitrifi-
kation ergibt.

20.5.1 Phosphorelimination in Tropfkörperverfahren


Die chemische Phosphatfällung kann auf einfache Art auch in die Tropfkörper-
verlabren integriert werden:
- Im Vorfällungsverfahren werden die Fällmittel dem Zulauf zur Vorklärung
zudosiert (Abb. 20.15). Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass die Fällungs-
produkte in der Vorklärung abgetrennt werden und dass die induzierten Flok-
kungsprozesse die Reinigungsleistung der Vorreinigung verbessern und da-
durch den Tropfkörper insbesondere von organischen Stoffen (BSB 5) entla-
sten. Dafür erhöht sich der Anfall von Klärschlamm.
- Analog zum Simultanfällungsverfahren können die Fällungsmittel der biolo-
gischen Stufe zugeführt werden. Damit die Fällungsprodukte den Tropfkörper
nicht überlasten, sollten die Fällungsmittel erst dem Ablauf des Tropfkörpers
zudosiert werden. Die Fällungsprodukte werden dann im Nachklärbecken ab-
getrennt.
Der Bedarf der Fällungsmittel und die Schlammproduktion sind gleich wie
im Belebtschlammverfahren (s. dazu Tabelle 20.10 und GI. (20.21).

20.6 Tauchkörperverfahren
Rotierende Tauchkörper sind sehr ähnlich den Tropfkörpem, sie bieten Be-
wuchsflächen in einem rotierenden Apparat an, der abwechslungsweise den Bio-
film ins Abwasser eintaucht und an die Luft bringt.
Die ersten Tauchkörperverfahren bestanden aus einer Reihe von kreisförrnigen
Scheiben, auf denen die Biomasse in Form eines Biofilmes festsitzt. Die Schei-
ben werden auf einer Achse gedreht, sodass der untere Teil dieser Scheiben in
eine Wanne mit dem zu reinigenden Abwasser eintaucht und mit den Schmutz-
stoffen in Kontakt kommt. Im oberen Teil ist der Biofilm der Luft ausgesetzt und
kann Sauerstoff aufnehmen. Diese häufig in Form von Kompakt- oder Fertigan-
lagen industriell hergestellten Apparate trugen noch den Namen Scheiben-
Tropfkörper oder Tauchtropfkörper oder kurz ITK. Heute kommen an Stelle der
flachen Scheiben unterschiedliche Trägermaterialien zur Anwendung, sodass
man häufiger von Tauchkörperverfahren spricht. In Englisch werden diese Ver-
fahren als Rotating Biological Contactors oder kurz RBC bezeichnet.
In Abb. 20.21 ist ein typisches Tauchkörperverfahren dargestellt. Der Zulauf
wird über eine Vorklärung und ansebliessend in einen mehrstufigen Tauchkör-
perreaktor geleitet. Im nachgeschalteten Nachklärbecken werden die abge-
schwemmten Feststoffe durch Sedimentation abgetrennt und zusammen mit dem
Primärschlamm im Vorklärbecken eingedickt.
20.6 Tauchkörperverfahren 355

Rotierende Tauchkörper
mit Bewuchsflächen

Vorklärung

Schlammrückführung

Schlammabzug
Abb. 20.21. Typisches Abwasserreinigungsverfahren mit Tauchkörpern

Tauchkörper werden heute mit Durchmessern von über 3 m hergestellt und


tragen bis zu 10'()()() m2 Bewuchsfläche pro Walze. Da pro Einwohner in einer
kommunalen Kläranlage bis zu> 10m2 Bewuchsfläche erforderlich sind, ist das
Verfahren eher für kleinere Anlagen geeignet.
Tauchkörper werden auf der Basis einer Flächenbelastung BA dimensioniert:

B = Q·BSB 5
(20.24)
A A
TK

= Flächenbelastung der Bewuchsfläche eines Tauchkörpers


[gssssm-2d- 1]
Q = Zuflusswassermenge [m3 d" 1]
BSB5 = BSB5 - Konzentration im Zufluss [g BSB5 m"3]
ATK = Bewuchsfläche des Tauchkörpers [m2]
Die erforderliche Bewuchsfläche wird meist auf mehrere Walzen verteilt, die
in abgetrennten Wannen rotieren. Die zulässige Flächenbelastung ist abhängig
vom Reinigungsziel und der Gestaltung des Reaktors. Beispiele für typische
Dimensionierungswerte für kommunales Abwasser können der Tabelle 20.13
entnommen werden.

TabeHe 20.13. Dirnensionierungsrichtwerte ftir rotierende Tauchkörper nach Vorklärung (Ar-


beitsblatt A 135 1989)
Ziel der Reinigung Flächenbelastung BA [g 8585 m· d. ]
Reinigung ohne Nitrifikation (im 24 h Mittel < 20 g8585 m·3 im Ablauf)
Mindestens 2 Walzen in Serie 8
Mindestens 3 Walzen in Serie 10
Reinigung mit Nitrifikation
Mindestens 3 Walzen in Serie 4
Mindestens 4 Walzen in Serie 5
Die Schlammproduktion kann analog zur Schlammproduktion in Belebungsanlagen mit
gleicher Leistung berechnet werden.
356 20 Biologische Abwasserreinigung

Im Ablauf eines Tauchkörpers befinden sich die Feststoffe, die der Schlamm-
produktion der entsprechenden Abwassermenge entsprechen. Für kommunales
Abwasser ergeben sich z.B. 120 g TSS m·3• Diese suspendierten Stoffe können in
Nachklärbecken mit einer typischen hydraulischen Aufenthaltszeit von 6w =2.5
h bei maximalem Trockenwetteranfall, einer Obereflächenbeschickung von
Q/FNKB < 1 m h·' bei einer Mindestwassertiefe von 2 m abgetrennt werden
(A 135). Einige Lieferanten bieten auch rotierende Filtertrommeln an, die z.B.
mit Nadelfilz bespannt sind und eine entsprechende Abtrennung bei viel kleine-
rem Bauvolumen erlauben (Abschn. 21.1.2, Seite 360).
Tauchkörper können wie Tropfkörper als nitrifizierende Reinigungsstufen
hinter bestehende Anlagen gebaut werden, die nicht nitrifizieren. Für die Denitri-
fikation kommen Tauchkörper nur sehr beschränkt zum Einsatz (z.B. im Ein-
staubetrieb, sodass der Bewuchs nicht mit Luft in Kontakt kommt).
Die chemische Phosphorelimination wird auf gleiche Art in die Tauchkör-
perverfahren integriert wie in die Tropfkörperverfahren (s. dazu Abschn. 20.5.1,
Seite 353).

Beispiel 20.38. Dimensionierung eines Tauchkörpers


Wie gross wird ein TauchklJrper, der das vorgeklllrte Abwasser einer ländlichen Gemein-
de mit 2500 Einwohnern nitrifizieren kann (s.a. Beispie/20.36)?
Zufluss Q = 800 m3 d-1 mit 130 g8585 m-a
Die Belastung der Anlage beträgt: B8585 =Q · BSB5 =104 kg8585 d-1•
Die Zulässige Flächenbelastung BA für nitrifizierende Anlagen beträgt je nach Gestaltung
der Anlage (3 oder 4 Walzen) 4 + 5 g8585 m·2 d-1 (Tabelle 20.13). Daraus ergibt sich die
erforderliche Bewuchsfläche Art< zu:
An<= 8 8585 I BA= 20800 + 26000 m2 •
Der Lieferant von Tauchkörpern bietet Walzen mit 5000, 7500 und 10000 m2 Bewuchsflä-
che an.
Es ergibt sich nun ein Optimierungsproblem, sollen 4 Walzen mit 5000 m2 mit gerade
genügender Leistung oder 3 Walzen mit 10000 m2 aber einigen Leistungsreserven einge-
baut werden? Zu berücksichtigen sind nicht nur die Lieferung der Apparate, sondern auch
die baulichen Aufwendungen.
Pro 200 m2 Bewuchsfläche ist ca. 1 m3 nutzbares Wannenvolumen erforderlich Oe nach
Produkt). Dabei ist nur die Hälfte der Bewuchsflächen ins Abwasser eingetaucht. Das
erforderliche nutzbare Wannenvolumen wäre für diese Anlage also nur VTK = 100- 150
3
m gross.
21 Physikalische Reinigungsverfahren

Es gibt eine ganze Reihe von Abwasserreinigungsveifahren, die v.a. auf physi-
kalischen Prozessen beruhen, häufig ergänzt durch chemische Prozesse: man
spricht von physikalisch-chemischer Abwasserreinigung. Viele dieser Veifahren
kommen z.B. in der Industrieabwasserreinigung zur Anwendung. Hier werden
nur diejenigen Veifahren vorgestellt, die in der kommunalen Abwasserreinigung
eine Rolle spielen.

21.1 Filtration
Filtration ist ein Verfahren zur Abtrennung von suspendierten Stoffen aus einem
Abwasser. In der Raumfiltration wird das Abwasser durch ein grobkörniges
Sandbett geleitet, dabei werden die suspendierten Stoffe verteilt über den Raum
dieses Sandbetts durch verschiedene Mechanismen (Siebung, Anlagerung, Sedi-
mentation etc.) zurückgehalten. In der Flächenfiltration werden die Feststoffe
hauptsächlich an der Oberfläche des Filters zurückgehalten. Als Filtermaterialien
dienen hier dünne, feinkörnige Sandschichten, Textilien und ähnliches. Typisch
für die Filtration ist, dass durch die Akkumulation von Feststoffen im Filtermate-
rial der Druckverlust des durchfliessenden Abwassers zunimmt, und dass die
Feststoffe, je nach Bauart des Filters, diskontinuierlich oder kontinuierlich aus
dem Filtermaterial rückgespült werden müssen.
In der Abwasserreinigung kommt die Filtration häufig als letzte Verfahrens-
stufe zur Anwendung. Es sollen die suspendierten Stoffe (TSS), die noch im
Ablauf z.B. eines Nachklärbeckens enthalten sind, auf geringste Restkonzentra-
tionen (< 5 g TSS m·3 ) reduziert werden. Eine weitere, häufige Anwendung ist
die Elimination der Restkonzentration von Phosphor nach z.B. einer Simultan-
fällung. Durch Zugabe von Fällungschemikalien können die restlichen gelösten
Phosphate in partikuläre Stoffe überführt und zusammen mit den partikulären
Phosphaten im Ablauf des Nachklärbeckens im Filter zurückgehalten werden.
Mit dieser zweistufigen Fällung (Beispiel 20.34) können sehr geringe Restkon-
zentrationen von totalem Phosphor erreicht werden (P,o, < 0.2 g P m· 3,
Tabelle 20.10).

21.1.1 Raumfiltration
Die Verfahren zur Filtration von Abwasser haben sich aus den Verfahren der
Trinkwasseraufbereitung heraus entwickelt und sind zu diesen konstruktiv sehr
ähnlich (s. Kapitel 9.3, Seite 132). In der Abwasserreinigung müssen grössere
Konzentrationen von Schwebestoffen zurückgehalten werden. Es resultieren
daraus kürzere Laufzeiten und oft werden gröbere Filtermedien, höhere Filter-
358 21 Physikalische Reinigungsverfahren

Filtration Rückspülung

Rohwasser

Filtral Luft
Spülwasser

Abb. 21.1. Verfahrensschema einer typischen Raumfilteranlage mit diskontinuierlicher Rück-


spülung. Der Filter wird meist in mehreren Einheiten parallel betrieben, sodass während dem
Rückspülen immer genügend Filterfläche im Betrieb steht. Wie in der Trinkwasseraufbereitung
kommen Mehrschichtfilter zur Anwendung, z.B. grobes Blähtongranulat über feinerem Quarz-
sand. Siehe auch Abb. 9.7, Seite 133

Rohwasser-
zulauf ---1~~!'!!"-l:ll--....;il'

Abb. 21.2. Verfahrensschema eines aufwärtsdurchflossenen Raumfilters mit kontinuierlicher


Spülung des Sandbetts im zentralen Rohr: Das Filterbett wandert von oben (sauber) nach unten
(beladen) und wird dann durch Luft und Wasser in der Mitte nach oben getragen und gewa-
schen

schichten und grössere zulässige Druckhöhen gewählt. In Abb. 21.1 und


Abb. 21.2 sind typische Verfahren zur Filtration von Abwasser dargestellt. In
Tabelle 21.1 sind Dimensionierungswerte für Raumfilter in der Abwasserreini-
gung zusammengestellt.
Raumfilter sind teure Bauwerke, die zuverlässig eine gute Leistung erbringen
können: Im Ablauf von gut betriebenen Filtern befinden sich < 3 g TSS m· 3 und
somit weitgehend nur noch gelöste Restverunreinigungen. Für die Rückspülung
kommt bereits filtriertes Abwasser zum Einsatz. Zudem wird mit Hilfe von Luft
die Turbulenz im Filterbett erhöht und dadurch der Filtersand besser gewaschen.
Der Anteil des Rückspülwassers beträgt ca. 2- 5% des zufliessenden Wassers, er
wird in die Abwasserreinigung zurückgeleitet
2l.l Filtration 359

TabeHe 21.1. Typische Dimensionierungswerte für Raumfilter


Zulässige Druckhöhe 3-6m Wassersäule
Filterschicht (z.B.) Blähschiefer 2-4 mm 1.4 m Schichthöhe
Quarzsand 0.8-1.2 mm0.5 m Schichthöhe
Filtergeschwindigkeit(Qzu I Am,...) Trockenwetter < 12m h- 1
Regenwetter < 24 m h- 1
Filterlaufzeit bis zur Rückspülung ca. 24 h
Waschwasserbedarf < 5% des Filtrates
Feststoffrückhalt•> 2- 4 kg TSS m-2
• Feststoffrückhalt = Masse von suspendierten Stoffen, die im Filterbett zurückgehalten wird,
bevor eine Rückspülung erforderlich wird, bezogen auf die verfügbare Querschnittsfläche des
Filters.

Beispiel 21.1. Raumfiltration für 50'000 Einwohner


Wie gross wird ein Raumfilter für die Filtration des biologisch gereinigten Abwassers von
50'000 Einwohnern?
Q = 25'000 m3 d-1 mit einer Trockenwetterspitze von QTW
Das Abwasser ab Nachklärbecken enthält noch TSSZU
Im Ablauf des Filters befinden sich TSS.b
Die Filterschicht hat eine Höhe von HF
Zulässige Filtergeschwindigkeit bei Trockenwetter VTW
Zulässiger Feststoffrückhalt bis zur Rückspülung crmax
1. Wie gross wird die erforderliche Filterfläche AF?
Es gilt vF = Q I AF oder AF = Orw I Vrw = 1600 I 12 =133m2
Da die Filter auch rückgespült werden müssen und daher nicht immer zur Verfügung
stehen, muss die Filterfläche vergrössert werden. Hier könnten z.B. 6 Filterzellen mit je
26 m2 Filterfläche gebaut werden. Das ergibt 156 m2 Filterfläche, wovon immer 5 ·
26 = 130 m2 verfügbar wären.
2. Wie oft müssen die Filter rückgespült werden?
Der Feststoffrückhalt pro Filterfläche ergibt sich zu: cr = tF · Q · (TSS, 0 -TSS.b) I AF
tF entspricht der Zeit seit der letzten Rückspülung.
.. .d crmax . AF 3000 ·156
Fur cr = cr
max
w1r 1:
max
=
Q·(TSSzu -TSSab) 25'000·(20-3)
=1.1 d
Die Filterlaufzeit beträgt also gerade etwa 24 h. Bei Regen müssten die Filter häufiger
rückgespült werden, das resultiert dann in einer geringeren mittleren Leistung weil die
hydraulische Belastung sehr hoch werden kann.

Beispiel 21.2. TSS im Rückspülwasser


ln einer Flockungsfilteranlage werden 3% des filtrierten Wassers für die Rückspülung
eingesetzt. Im Zulauf zum Filter beträgt die TSS Konzentration TSS," = 20 g m-3 , im Ab-
-3
lauf noch 3 grss m .
Welche TSS Konzentration hat das Rückspülwasser?
Es gilt die Bilanz: OAbwasser · tF · (TSSzu - TSS.b) = QROckspal · tRackspol · TSSROckspOI
tF = Filterlaufzeit, tRackspol = Dauer der Rückspülung
Mit QROckspOI . tRackspOl I QAbwasser . tF = 0.03 = 3% ergibt sich
-3
TSSROckspOI = (TSS,u - TSS.b) I 0.03 = 570 gTSS m
360 21 Physikalische Reinigungsverfahren

Schlamm- _ ."""{o{ol)-., Rotierende Fi~ertrommel


wasser

Zulauf

Fmrat

Abb. 21.3. Beispiel eines Flächenfilters: Eine rotierende FiltertrommeL Die Reinigung der
Filtertücher (z.B. Nadelfilz) wird eingeschaltet, wenn der Strömungswiderstand über das Tuch
zu hoch wird

das ist konzentrierter als das Abwasser im Zulauf zur Abwasserreinigungsanlage.


Wie gross ist die Betadung a des Filters nach 24 h, wenn die mittlere Filtergeschwindig-
keit vF =8 m h- 1 beträgt?
·2
CJ = VF · (TSSzu - TSS8 b) · tF = 8 · (20- 3) · 24 = 3264 g 111-rss
Dieser Wert liegt gerade bei der typischen Beladung, die zulässig ist, bis der Filter rück-
gespült werden muss.

21.1.2 Flächenfiltration
In kleinen Anlagen wird gelegentlich an Stelle der Raumfiltration die einfachere
(und weniger leistungsfähige) Rächenfiltration eingesetzt. Ein Beispiel eines
solchen Rächenfilters ist in Abb. 21.3 dargestellt: Auf einer rotierenden Filter-
trommel ist ein Filtergewebe aus Nadelfilz aufgezogen, in dem sich Partikel
verfangen. Eine Rückspülvorrichtung reinigt das Gewebe, sodass der Riesswi-
derstand nicht zu gross wird. Gelegentlich werden an Stelle der Filtergewebe
Mikrosiebe eingesetzt. Das sind Apparate, ähnlich den Tuchfiltern, die allerdings
mit Metallgeweben mit Porenöffnungen im Bereich von 16- 60 Jlm ausgerüstet
sind (S.a. Kapitel 0, Seite 138).

21.2 Flotation mit gelöster Luft


Flotation mit gelöster Luft (Dissolved Air Flotation, DAF) ist ein Verfahren zur
Abtrennung von suspendierten Stoffen aus Abwasser oder zum Eindicken von
Schlämmen (z.B. Belebtschlamm). Typischerweise wird Luft in einem Teilstrom
des Wassers (meist bereits gereinigtes Abwasser) unter erhöhtem Druck gelöst
(40- 80 kPa, 3- 7 atü). Wird der Druck dieses mit Gas angereicherten Wassers
entspannt, so entstehen kleine Gasblasen (20- 150 Jlm Durchmesser), die sich an
die Schwebestoffe oder Schlammflocken anlagern und diese nach oben tragen.
Von der Oberfläche kann ein konzentrierter Schlamm abgetrennt werden.
21.2 Flotation mit gelöster Luft 361

Schlammräumung

Abb. 21.4. Flotationsverfahren mit gelöster Luft. In einem Teilstrom des gereinigten Abwassers
wird unter Druck Luft angereichert, in der Flotationszelle wird dieses Wasser entspannt, von
der Oberfläche wird das konzentrierte Flotat weggetragen

Beispiel21.3. Mineralwasserflasche
Eine geschlossene Mineralwasserflasche steht unter einem gewissen Überdruck von
Kohlendioxid C02 • Beim Öffnen der Flasche wird dieser Druck reduziert und das Mine-
ralwasser steht jetzt nur noch unter dem atmosphärischen Druck, es ist übersättigt und
aus dem gelösten C02 entstehen kleine Gasblasen bis zum Schluss das Mineralwasser
nicht mehr mit Gas übersättigt ist.
Die Gasblasen in der Mineralwasserflasche sind um ein Vielfaches grösser als im Flota-
tionsverfahren, weil C02 im Wasser um ein Vielfaches (> Faktor 30) löslicher ist als Luft
und daher die entstehenden Blasen rascher wachsen können.

Ein typisches Flotationsverfahren ist in Abb. 21.4 dargestellt. Dimensionie-


rungsparameter für die Flotation sind z.B. :
Die Feststoffoberflächenbelastung der Flotationszelle (meist massgebend für
die Eindickung von Schlämmen, 4 - 10 kgTss m·2 h' 1).
Die hydraulische Oberflächenbelastung der Flotationszelle (meist massge-
bend für die Reinigung von Abwasser, 3 - 8 m h' 1)
Das Verhältnis von gelöster Luft, die durch Entspannung des Druckes zu
Luftblasen wird, zu den Feststoffen, die entfernt werden müssen (typischer
=
Wert im Bereich von 10- 20 cm3 g'\ss 10- 20 · 10-<~ m 3g·\ss für Schlamm-
eindickung, z.T. bis> 200·10·6 m3g'\ss für die Abwasserreinigung).
Der Anteil des Abwassers, in dem Luft gelöst wird und der Druck, unter dem
diese gelöst wird (Je nach Bedarf von gelöster Luft, 10%- 300%, 3- 8 bar)).
Etc.
Pro 100 kPa (1 bar) können ca. 0.02 Nm 3L.n m·3wasseo- (N für Normal) im Wasser
gelöst werden. Die Löslichkeit nimmt proportional mit dem Druck zu, im Lö-
362 21 Physikalische Reinigungsverfahren

sungsreaktor kann aber nur ca. 50 - 80% des Gleichgewichtes, d.h. der theore-
tisch möglichen Menge, erreicht werden.
Neben der Druckflotation kommt in der Industrie auch die Vakuumflotation
zum Einsatz. Hier wird das Wasser übersättigt, indem es unter Vakuum gesetzt
wird. Einige Verfahren benutzen auch die Elektrolyse: An Elektroden entstehen
Wasserstoff-ll:z und Sauerstoffblasen 0 2 aus der Elektrolyse von Wasser H:zO.

Beispiel 21.4. Druckflotation


Ein Abwasser enthält 200 g TSS m-3. Es sollen 15·10-s Nm3Lutt g"\ss angeboten werden.
Aus dem Ablauf der Flotation wird ein Teilstrom unter einem Druck von 700 kPa (6 atü)
zu 75% mit Luft gesättigt.
Wieviel Luft wird pro m3 wasser nach der Entspannung freigesetzt?
Freigesetzte Luft= Gelöste Luft- Restliche Luft nach Entspannung (entsprechend dem
Restluftdruck von 1 at bei 100% Sättigung)
= 0.75·(0.02 Nm3 Luttm-3wassof100.~Pa)·700kPa-1.00·(0.02Nm3 m-3/100kPa)·100kPa
= 0.105- 0.02 = 0.085 Nm Luttm Druckwasser
Wie gross ist der Luftbedarf fiir die Flotation?
3 -3 -6 3 ·1
luftbedarf pro m Abwasser = 200 9rss ~ ~r • 15·10 Nm Lutt9 rss
= 0.003 Nm Luttm Abwasser·
Welcher Teil (QR = Rezirkulation) des gereinigten Abwassers (Q = Durchfluss) muss mit
Luft angereichert werden?
QR I Q = 0.003 Nm3Luttm-3Abwasser I 0.085 Nm3Luttm-30 1\1Ckwa880r = 3.5%
ln Wirklichkeit werden meist > 10% des Wassers rezirkuliert um die Abtrenn- und die
Eindickwirkung zu verbessern.
22 Umfeld der Abwasserreinigung

Heute werden Kläranlagen kaum mehr vollständig neu gebaut, sondern es beste-
hen bereits ältere Anlagen und Bauwerke, deren Durchsatz erhöht werden oder
deren Leistung ergänzt werden muss. Im Vergleich zu früher kann daher von den
Erfahrungen mit den bestehenden Anlagen profitiert und das zu behandelnde
Abwasser viel besser charakterisiert werden.

22.1 Projektbearbeitung
Die folgenden Aufgaben müssen vor Beginn der eigentlichen Projektierung einer
Anlagenerweiterung oder -emeuerung bearbeitet werden. Dabei soll insbesonde-
re das Umfeld der Kläranlage abgesteckt werden (Abb. 22.1): Abwasseranfall,
gereinigtes Abwasser, Vorflut und Klärschlamm. Diese vier Bereiche können
und sollen parallel bearbeitet werden. Sie bedingen, dass sowohl die politischen
Behörden (Planung der Siedlungsentwicklung) als auch die Aufsichtsbehörden
(Gewässerschutz) Stellung beziehen.
1. Es müssen die Wassermengen und Stofffrachten festgelegt werden, für die das
neue Verfahren ausgelegt werden soll:
Abwassermenge bei Trockenwetter und Regenwetter sowie deren Tages-
gang, je mit statistischer Verteilung.
Schmutzstofffrachten (CSB total und gelöst, BSB 5 , TSS, TKN total und
gelöst, NH4+-N, N02• und N03--N, P total und gelöst, Säurebindungsver-
mögen etc.) und Tagesganglinien je mit statistischer Verteilung.
Ev. sind saisonale und Wochenganglinien zu erarbeiten.
Eine Temperaturganglinie im Jahresverlauf, Extremwerte.
Häufig bedingt das Erarbeiten dieser Grundlagen die Auswertung von beste-
henden Messungen und meist umfangreiche zusätzliche Untersuchungen. Da-
bei ist darauf zu achten, dass historische Messungen, die für den Betrieb der
Anlage gemacht wurden, sich nur beschränkt als Basis für den Ausbau einer
Anlage eignen, die Millionen kosten wird. Messwerte, die auf Kläranlagen
routinemässig erhoben werden, sind grundsätzlich mit systematischen Feh-
lern behaftet.
2. Die Betriebserfahrungen mit der bestehenden Anlage sollen systematisch
ausgewertet werden. Daraus ergeben sich wichtig Hinweise für die Gestal-
tung des neuen Verfahrens.
3. Es sollen die EinZeitbedingungen für das gereinigte Abwasser in die Vorflut
festgelegt werden. Dazu sind je nach Vorflut ev. umfangreiche Untersuchun-
gen erforderlich. Sinnvoll sind Unterscheidungen nach Trocken- und Regen-
wetter sowie nach saisonalen Gegebenheiten (z.B. nach Abwassertemperatur
364 22 Umfeld der Abwasserreinigung

t
Ernmissionen
L" I
G::ch, ... Vorflut

ARA Ablauf Zustand,


Zulauf .... 1------3.- Wasserführung
Bestandesaufnahme:
EinleH- 0347
Unterschiedliche Bauten, Apparate
Bedingungen
Belastungs- Leistung, ...

''
sHuationen,
I
Planung,
etc. Klärschlamm

+ Unterbringung
Stapelung
Anforderungen

Abb. 22.1. Das Umfeld einer Abwasserreinigungsanlage

oder Jahreszeit). Jede Einleitbedingung soll in Form von statistischen Anga-


ben formuliert werden, absolute Anforderungen sind nicht dienlich.
4. Es sollen die Möglichkeiten zur Unterbringung, Nutzung oder Deponie des
Klärschlammes aufgezeigt werden. Damit können dann auch die Anforderun-
gen an den Klärschlamm ausformuliert werden: Erforderliche Stapelzeiten,
hygienische Anforderungen, Grad der Trocknung etc.
5. Es soll die Umgebung auf ihre Empfindlichkeit in Bezug auf Emissio-
nen/ Immissionen überprüft werden: Lärm, Geruch, Verkehr, Lufthygiene.
6. Es soll eine Bestandesaufnahme der bestehenden Bauwerke, Maschinen etc.
gemacht werden, damit später entschieden werden kann, was erneuert werden
soll und was ev. abgebrochen werden muss.
7. Es sollen Überlegungen gemacht werden, ob ev. ein Zusammenschluss mit
einer anderen, nahegelegenen Anlage wirtschaftlicher ist als die Erweiterung
der bestehenden Anlage. Ev. können auch nur die Aufwendungen für die
weitergehende Schlammbehandlung zusammengelegt werden.
8. Diese Grundlagen müssen sowohl für den Ist-Zustand als auch für einen ge-
planten zukünftigen Soll-Zustand verfügbar sein. Die Planung muss dabei in
Übereinstimmung mit der Planung der Kommunen und der Wasserversor-
gungs- und Siedlungsentwässerungsanlagen und -systeme entwickelt werden.
Typische Planungshorizonte sind im Bereich von 15- 25 Jahren.
Häufig wird diesem Umfeld der Anlage zu wenig Beachtung geschenkt und
ansebliessend die Arbeit des Ingenieurs mehrfach wiederholt. Ein unstrukturier-
tes Vorgehen deutet auch auf die Unsicherheit der beteiligten Instanzen (Politi-
ker, Verwaltung, Ingenieure) hin und sollte frühzeitig identifiziert werden. Unsi-
cherheit führt häufig zu überhöhten Anforderungen, die sich ökologisch kaum
rechtfertigen lassen.
Nun kann die Iogenieurin in einem generellen Variantenstudium verschiede-
ne Verfahren untersuchen und aufzeigen, mit welchen Möglichkeiten die Ziele
erreicht werden können. Daraus ergeben sich ev. Anpassungen der Zielvorstel-
lung, die mit allen Beteiligten bereinigt werden sollen.
22.2 Kosten der Abwasserreinigung 365

22.2 Kosten der Abwasserreinigung


Die letzten statistischen Erhebungen der Betriebskosten von Abwasserreini-
gungsanlagen in der Schweiz wurden 1981 vom BUWAL erhoben. Seither sind
z.B. im Bereiche der Klärschlammentsorgung grosse Kostensteigerungen einge-
treten. Neuere Kläranlagen, die mit Nitrifikation, Denitrifikation, Aockungsfil-
tration, weitergehender Schlammbehandlung etc. ausgerüstet sind, verursachen
Betriebskosten, die weit über dem Durchschnitt liegen. Die Angaben in
Tabelle 22.1 vermitteln eine Grössenordnung der Kosten, wie sie in der Schweiz
anfallen. Konkrete Werte können aber nur angegeben werden, wenn die Details
der Abwasserreinigung und der Schlammbehandlung bekannt sind.
Heute nehmen die Kosten (Gebühren), die den Abwasserproduzenten ver-
rechnet werden, sehr schnell zu. Viele Anlagen wurden ursprünglich mit Sub-
ventionen und Steuergeldern gebaut, um möglichst schnell einen hohen Standard
der Abwasserreinigung zu erreichen. Heute dürfen z.B. in der Schweiz keine
Steuergelder mehr für die Abwasserreinigung gebraucht werden und Subventio-
nen werden fast keine mehr erteilt. Die nun einsetzende Erneuerung der beste-
henden Anlagen und der Ausbau auf einen modernen Standard verursachen bei
einer betriebswirtschaftliehen Vollkostenrechnung eine ungewohnt hohe Bela-
stung.

TabeHe 22.1. Spezifische Kosten von Investitionen und Betrieb von Kläranlagen. Diese Werte
sind nur als ganz grobe Richtwerte zu verstehen, die ein Bild der Grössenordnung vermitteln, aber
nie als Entscheidungsunterlagen dienen können. Insbesondere die Entsorgung des Klärschlammes
kann in grossen Anlagen grosse zusätzliche Kosten verursachen (z.B. kann Entwässerung,
Trocknung und Verbrennung die Betriebskosten um Fr. 30 E" 1 a· 1 erhöhen und die Investitionen
nehmen entsprechend zu).
Angeschlossene Einwohner 1000 10'000 100'000 E
Investitionen bei Neubau (ohne Land, Zuleitung) 2500 2000 1500 FrE·
Betriebskosten pro Einwohner 100 50 30 Fra·'
-I
Jahreskosten pro Einwohnera> 300 210 150 Fra
Kosten pro m3 Abwasser 3 2 1.5 Frm-3
Angestellte 0.5 I -2 6-8
•> Betrieb, Verzinsung und Amortisation (8% a· 1)
23 Kleinkläranlagen

Kleinkläranlagen sind Abwasserreinigungsanlagen für abgelegene kleine Ab-


wasserquellen (Einzelgebäude, Weiler, Dorffraktionen, .. .). Die Anforderungen
an ihre Leistung ist häufig eher gering, der Betrieb muss sehr einfach und zu-
verlässig sein. In Frage kommen naturnahe Verfahren, die häufig spezifisch gro-
sse Bauwerke oder Flächen beanspruchen.
Der VSA hat 1995 eine umfangreiche technische Richtlinie zum Thema
Kleinkläranlagen publiziert.
In vielen Ländern Europas sind heute über 90% der Einwohner an zentrale, meist
kommunale Abwasserreinigungsanlagen angeschlossen, die das Abwasser von
mindestens einigen hundert Einwohnern reinigen. Viele der heute noch nicht
angeschlossenen Einwohner wohnen abseits und es bieten sich keine wirtschaft-
lichen Möglichkeiten an, deren Abwasser zu zentralen Kläranlagen zu leiten. Es
werden Einzelreinigungsanlagen oder Kleinkläranlagen erforderlich.
Kleinkläranlagen sollen die Möglichkeit bieten, auch für kleine Abwasser-
mengen eine zuverlässige und wirtschaftliche Abwasserreinigung zu gewährlei-
sten. Da hier eine regelmässige Betriebsüberwachung durch geschultes Personal
kaum gegeben ist, müssen die Verfahren so gestaltet werden, dass sie auch mit
kleinstem Wartungsaufwand eine zuverlässige Reinigungsleistung erbringen.
Heute steht eine Vielzahl von verschiedensten Verfahren zur Verfügung, die
je nach Situation zur Anwendung kommen. Die folgenden Beschreibungen sind
Beispiele, ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Wertung.

23.1 Anaerobe Reinigungsverfahren


Historisch von grosser Bedeutung sind die Abwasserfaulräume (Abb. 23.1 ), 3-
kammerige Behälter mit einem anaeroben Sediment. Der Bodenschlamm muss
ca. alle 6- 24 Monate teilweise (die Restschlammmenge dient dem Animpfen)
abgeführt werden. Typische Aufenthaltszeiten des Abwassers in einem Abwas-
serfaulraum betragen ca. 10 d, d.h. dass ca. 3 m3 Volumen pro Einwohner erfor-
derlich sind. In den USA ist dieses Verfahren in Form eines "Septic tanks", eine
2-kammerige, kleinere Variante heute noch sehr verbreitet. Hier beträgt die hy-
draulische Aufenthaltszeit 1 - 2 d.
Nachteile der anaeroben Abwasserreinigung sind der geringe Reinigungsef-
fekt und die Tatsache, dass das gereinigte Abwasser noch viele Abbauprodukte
enthält (Schwefelwasserstoff H2S, organische Säuren), die die Gewässer belasten
und zu unschönen Entwicklungen von flutenden, grauen Zotten von Bakterien in
kleinen Gewässern führen (Beggiatoa, Sphärotilus natans).
368 23 Kleinkläranlagen

Abb. 23.1. Darstellung eines


Abwasserfaulraumes: Die
Zwischenwände vermindern
Kurzschlussströmungen

Untergrundverrieselung

BodenfiHeranlage

Abb. 23.2. Beispiele von Reinigungsanlagen mit Bodenpassage. Oben: Untergrundverrieselung


mit Versickerung des Abwassers. Unten: Bodenfilteranlage mit Sammlung des gereinigten
Abwassers

In Abb. 23.1 ist ein typischer Abwasserfaulraum dargestellt. Abwasserfaul-


räume für Einzelhäuser können als Fertigbauteile im Handel bezogen werden.

23.2 Verfahren mit Bodenpassage


Der Bodenkörper bietet mit seinen grossen Oberflächen vielen Mikroorganismen
die Möglichkeit der Ansiedlung. Wenn nun vorbehandeltes Abwasser (z.B. aus
einem Abwasserfaulraum) durch einen Bodenkörper durchsickert, so bildet sich
eine sogenannte Biokruste aus, die eine hochwirksame Reinigung ergibt, die bis
zur Nitrifikation und ev. teilweisen Denitrifikation reichen kann. Das gereinigte
23.3 Abwasserteiche 369

Abb. 23.3. Schematische Darstellung von Abwasserteichen: Eine einfache Vorreinigung gefolgt
von einer Kette von drei flachen Teichen. Teiche werden häufig ins Gelände eingepasst

Abwasser wird je nach Situation in den Untergrund versickert oder in Drainage-


rohren wieder gesammelt und einem Bach zugeleitet. Typischerweise wird eine
Filterschicht mit Sand mit einer Körnung von 0.5 - 3 mm und einer Schichthöhe
von 0.5 - 1.0 m eingebaut (Abb. 23.2).
Bei geeigneter Gestaltung der Anlagen kann mit einer Lebenserwartung des
Bodenkörpers vor dem Verstopfen von bis zu 30 Jahren gerechnet werden. Der
Flächenbedarf von solchen Anlagen ist gross, je nach Bodenmaterial 5- 15 m2
pro Einwohner. Beispiele von Bodenanlagen sind in Abb. 23.2 dargestellt.

23.3 Abwasserteiche
Teiche können Sauerstoff durch ihre Oberfläche aufnehmen oder im Sommer
kann Sauerstoff durch Photosynthese freigesetzt werden. Dieser Sauerstoff kann
für eine einfache aerobe Abwasserreinigung genutzt werden.
In Abwasserteichen fliesst das Abwasser nach einer einfachen Vorreinigung
(z.B. ein Emscherbrunnen, s. Abschn. 19.3.3, Seite 300) verteilt über mehrere
Tage durch eine Kette von 2 - 4 Teichen, dabei werden die organischen Stoffe
abgebaut und Partikel können aussedimentieren. Abb. 23.3 zeigt schematisch
eine solche Anlage. Die Teiche sind ca. 1 - 1.5 mtief und haben eine totale
Oberfläche von bis zu 10m2 E-1• Damit ergibt sich eine hydraulische Aufent-
haltszeit bei Trockenwetter von ca. 30 d. Gelegentlich wird auch Meteorwasser
über solche Anlagen geleitet.
Abwasserteiche können auch bei höherer Belastung (2 - 3 m 2 E" 1) und mit
Belüftung betrieben werden, diese haben allerdings den Nachteil, dass sie Ener-
gie brauchen. Gelegentlich werden auch beide Arten von Teichen miteinander
kombiniert.

23.4 Pflanzenanlagen
Pflanzenanlagen werden in unterschiedlichen Varianten gebaut. Typisch wird
das Abwasser durch einen Boden geleitet, der mit Sumpfpflanzen besetzt ist. Im
Bodenkörper und auf den Wurzeln können sich Mikroorganismen ansiedeln, die
das langsam vorbeiströmende Abwasser reinigen. Gleichzeitig wirkt das Boden-
material als Filter und hält partikuläre Stoffe zurück, die ansebliessend minerali-
siert werden.
370 23 Kleinkläranlagen

Wirl<ungsgrad der Anlage für die


Elimination von organischen Stoffen
100
%
80

60

40

20
Abb. 23.4. Erforderliche Abwas-
0 ~----------~~----------~ serreinigungstechnik in kleinen
10 100 Anlagen im Vergleich zum
Verdunnung des gereinigten Abwassers Verdünnungsverhältnis des Ab-
(Fiusswasser I Abwasser) wassers in der Vorflut

23.5 Varianten der konventionellen Verfahren


Es sind auch für Einzelhäuser eine Reihe von kleinen Reinigungsverfahren er-
hältlich, die den grossen, konventionellen Verfahren nachempfunden sind:
Tropfkörper, Tauchkörper, Belebungsanlagen. Die Verfahren werden meist mit
sehr geringer Belastung betrieben und häufig als vorfabrizierte Fertiganlagen
geliefert. Für solche Anlagen sollten Wartungsverträge mit dem Lieferanten
abgeschlossen werden, die eine regelmässige Wartung der mechanischen Teile
der Anlagen gewährleisten. Bei guter Überwachung können diese Verfahren eine
weitgehende Reinigung erbringen - oft werden aber auch andere Erfahrungen
gemacht.

23.6 Speicher, Trockenklosetts, etc.


Geschlossene Abwasserstapel, wassersparende Installationen, Trockenklosetts,
Komposttoiletten und viele andere Verfahren werden hier nicht diskutiert, in
speziellen Situationen ist ihre Anwendung aber sicher gerechtfertigt. Einen
breiten Überblick gibt VSA (1995).

23.7 Wahl des Verfahrens


An die Reinigungsleistung von Kleinkläranlagen werden kaum die gleich stren-
gen Anforderungen gestellt wie an die grossen Anlagen. Im Vordergrund steht
das Vermeiden von lokalen Gewässerschutz-, Geruchs- und Hygieneproblemen
sowie der zuverlässige und einfache Betrieb. In der Schweiz lässt die Verord-
nung über Abwassereinleitungen (1976) unter bestimmten Bedingungen (z.B. für
kleine Abwasserquellen) erleichterte Einleitbedingungen zu. Für kleine Abwas-
serquellen kann Abb. 23.4 Hinweise auf das erforderliche Abwasserreinigungs-
verfahren geben. Diese Darstellung berücksichtigt das Verdünnungsverhältnis
23.8 Entsorgung des anfallenden Schlammes 371

des Abwassers mit Bachwasser und den Gehalt des typischen kommunalen Ab-
wassers an organischen Stoffen BSB 5 , suspendierten Stoffen TSS und Ammoni-
um NH4•. Bei anorganischen Reinigungsverfahren muss zusätzlich die Produkti-
on von Schwefelwasserstoff ~S beachtet werden.

23.8 Entsorgung des anfallenden Schlammes


Der Klärschlamm, der auch auf Kleinkläranlagen anfällt, kann ev. direkt in der
Landwirtschaft sinnvoll entsorgt werden. Das bedingt, dass er biologisch stabil
ist und mindestens 120- 180 d gestapelt werden kann (s. dazu Kapitel 25.4, Seite
393). Häufig wird der Schlamm auch in eine nahegelegene zentrale Abwasser-
reinigungsanlage zur weiteren Behandlung gebracht.
24 Entsorgung von Klärschlamm

Der Klärschlamm ist ein Spiegel unserer Aktivitäten. Wir finden darin die
harmlosen und bedenklichen Stoffe wieder, die in der Abwasserreinigung dem
Abwasser entzogen wurden: Biomasse, Nährstoffe, Schwermetalle, naturfremde
organische Verbindungen, etc. Diese Schlämme in einen Zustand zu bringen,
sodass entweder die Inhaltsstoffe in der Landwirtschaft genutzt oder in einer
Deponie endgelagert werden können, ist die Aufgabe der Schlammbehandlung.
Dazu steht uns heute ein breites Spektrum von mechanischen, physikalischen,
biologischen und thermischen Verfahren zur Verfügung.

24.1 Ziel und Aufgabe der Schlammbehandlung


Die Schlammbehandlung soll den Klärschlamm soweit aufbereiten, dass er
landwirtschaftlich genutzt oder in einer Deponie endgelagert werden kann. Da-
bei soll die Qualität des Produkts in jedem Fall für die Umwelt bedenkenlos sein.
Dass diese Qualität erreicht wird, ist auch eine Aufgabe, die wir mit Massnah-
men an der Quelle, d.h. beim Produzenten des Abwassers, angehen müssen.
Die Schmutzstoffe, die wir im Klärschlamm finden, gelangen auch über die
Mischwasserentlastungen, mit den nicht angeschlossenen Abwasserquellen und
als Restverunreinigung im Ablauf der Abwasserreinigungsanlagen in die Umwelt
(Abb. 24.1). Mit der Überwachung der Qualität des Klärschlammes überwachen
wir also auch die Belastung der Umwelt aus vielen anderen Schrnutzstoffquellen.
Die Qualität des Klärschlammes muss deshalb strengen Anforderungen genügen,
unabhängig davon, wie wir den Klärschlamm entsorgen wollen. Das Ziel, einen
Klärschlamm zu produzieren, der bedenkenlos in der Landwirtschaft genutzt
werden könnte, bedingt umfangreiche Massnahmen an der Quelle (d.h. bei den
Abwasserproduzenten): Bedenkliche Stoffe sollen gar nicht erst in die Kanalisa-
tion gelangen.
Seit ca. 1980 wird die Qualität des Klärschlammes intensiv überwacht, wobei
insbesondere die Schwermetalle beachtet werden. Mit gezielten Massnahmen in
Industrie- und Gewerbebetrieben ist es gelungen, den Schwermetallgehalt des
Klärschlammes stark zu reduzieren. Abb. 24.2 zeigt diesen Trend anband der
Resultate einer Grossstadt. Cadmium hatte seine überwiegende Quelle im Ge-
werbe, während Zink als Korrosionsschutz von Dachrinnen, Wasserleitungen etc.
zur Anwendung kommt, weshalb es nur sehr langsam ersetzt werden kann.
374 24 Entsorgung von Klärschlamm

Abwasserreinigungsanlage
Kanalisation
System-

Abb. 24.1. Überblick über die Stoffströme in der Abwasserreinigung: Die zufliessenden Stoffe
gehen entweder in die Vorflut verloren oder sie werden in die Atmosphäre, die Landwirtschaft
oder eine Deponie verfrachtet

. . . . .
g Zink II TS g Cadmium II TS

I
2000 ~------------------------~ 20

1500 . . ~
15

1000 10

500 I -. 5

0 L __ __ ._ _ _ _. __ _~----~--~
0
1980 1982 1984 1986 1988 1990
Jahr

Abb. 24.2. Entwicklung des Schwermetallgehalts im Klärschlamm der Kläranlage Werdhölzli


der Stadt Zürich. Die Grenzwerte, die eine Nutzung noch zulassen, liegen bei 3000 g Zn I t TS
und 30 g Cd I t TS (Jahresmittelwerte aus der Eigenüberwachung)

Zusammenfassung
Es ist nicht das Ziel der Schlammbehandlung, aus einem bedenklichen, mit
Schwermetallen belasteten Klärschlamm ein Produkt herzustellen, das wir be-
denkenlos deponieren können. Dazu kommen nur Massnahmen an der Quelle in
Frage.
Die Verfahren der Schlammbehandlung konzentrieren sich darauf, die Eigen-
schaften des Schlammes zu verändern (Geruch, Volumen, Hygiene etc.) aber
nicht, den Schadstoffgehalt der Schlämme zu reduzieren.
24.1 Ziel und Aufgabe der Schlammbehandlung 375

Im Klärschlamm werden die Stoffe aufkonzentriert, die aus dem Abwasser


eliminiert werden und nicht durch Mikroorganismen mineralisiert werden konn-
ten. Rohschlamm, wie er auf Kläranlagen meist aus der Vorklärung anfällt, ist in
jeder Beziehung ein unangenehmes Produkt, es enthält:
- Hygienisch bedenkliche Keime: Viren, Krankheitserreger, Wurmeier etc.
- Biologisch schnell zersetzbare organische Feststoffe und eine grosse Zahl
von aktiven Mikroorganismen.
- Schwermetalle, die als Element nicht abgebaut werden können und sich im
Schlamm aufkonzentrieren. Diese müssen an der Quelle eingeschränkt wer-
den.
Organische Verbindungen, die als hydrophobe (wasserabstossende), resp.
lipophile (fettlösliche) Verbindungen die Tendenz haben, sich am Schlamm
(an den Feststoffen) anzulagern und aufzukonzentrieren. Sofern diese Stoffe
für die Umwelt bedenklich sind, müssen auch sie an der Quelle erfasst wer-
den.
Insbesondere die grosse biologische Aktivität und die hohe Konzentration
von abbaubaren Stoffen im aufkonzentrierten Schlamm führen dazu, dass im
Schlamm anaerobe Verhältnisse herrschen, die zu intensiver Entwicklung von
flüchtigen, stark stinkenden Säuren führen. Man spricht von instabilem Klär-
schlamm, der einer raschen, stinkenden Zersetzung unterworfen ist.
Je nach der Art der Endunterbringung I Endlagerung des Schlammes sind die
Anforderungen an das Produkt unterschiedlich, der Schadstoffgehalt soll in je-
dem Fall begrenzt werden.
- Ist das Ziel, den Klärschlamm landwirtschaftlich zu nutzen, so muss der
Schlamm hygienisch einwandfrei und stabil sein (d.h. es darf zu keiner Ge-
ruchsentwicklung als Folge einer raschen, mikrobiologischen Zersetzung
kommen), er muss transportfähig und in der Landwirtschaft einfach auszu-
bringen sein. Dazu kommt, dass Klärschlamm nur während der Vegetation-
speriode ausgebracht werden darf, d.h. der anfallende Klärschlamm muss im
Winter über 3 - 4 Monate gestapelt werden können.
- Soll der Klärschlamm in einer Deponie endgelagert werden, so muss er wei-
testgehend frei von organischen Anteilen sein. Heute wird wo immer möglich
nur Asche von verbranntem Klärschlamm in Deponien eingebracht. Früher
wurde entwässerter Klärschlamm, der z.B. mit gebranntem oder gelöschtem
Kalk (CaO, Ca(OH)2) verfestigt wurde, in Deponien gelagert. In solchen De-
ponien werden die organischen Stoffe im Klärschlamm noch über Jahrzehnte
mineralisiert.
- Soll der Klärschlamm in Industrieöfen (Zementwerken) verbrannt und ener-
getisch genutzt werden, so muss der Wassergehalt des Klärschlammes durch
Trocknung reduziert werden und seine Zusammensetzung darf weder das
Produkt (Zement) noch die Abgase negativ beeinflussen. Für die Verwen-
dung in der Zementindustrie sind z.B. der Chlorid- (Cl") und der Quecksilber-
(Hg) Gehalt von Bedeutung. er ist im Zementklinker unerwünscht und Hg
entweicht z.T. in den Rauchgasen, wenn keine besonderen Vorkehrungen
getroffen werden.
376 24 Entsorgung von Klärschlamm

Anteil der Verwertung in%


100
80 Landwirtschaft
60 7o~;;··-o. •...
40 1..----r 42%
20 Verbrennung und
Deponie Abb. 24.3. Verteilung der Entsorgung von
0
Klärschlamm in der Schweiz: Landwirt-
1975 1980 1985 1990 schaftliche Nutzung gegen Verbrennung
Jahr und Deponie (BUWAL 1994)

Stickstoffbilanz für die Schweiz im Jahre 1990

I Mineraldünger 73
Klärschlamm 4.1
~ Kompost 0.84
I Hofdünger 167
I Einsatz total 245

I Gesamtentzug 1n
l
0 100 200 300 400
Stickstoff in 1000 t a·1

Phosphorbilanz für die Schweiz im Jahre 1990

I Mineraldünger 17
,J Klärschlamm 2.4
Kompost0.2
I Hofdünger 26.6
J Einsatz total46.2
I Gesamtentzug 27
I I I I I I

0 10 20 30 40 50 60
Phosphor in 1000 t a·1
Abb. 24.4. Stickstoff und Phosphorbilanz für die Schweizerische Landwirtschaft im Jahre 1990
nach Angaben der Eidg. Forschungsanstalt für Agrochemie. Deutlich wird der verschwindende
Anteil des Klärschlammes am totalen Einsatz und die Tatsache, dass viel mehr Nährstoffe ein-
gesetzt werden als in den Produkten entzogen wird

24.2 Nutzung und Endlagerung


In der Schweiz wird immer weniger Klärschlamm landwirtschaftlich genutzt
(Abb. 24.3). Insbesondere die Vorschrift, dass der Landwirt die im Boden vor-
24.3 Verfahrensablauf und Stoffströme 377

bandenen Nährstoffe und den Nährstoffbedarf der Pflanzen berücksichtigen


muss, hat dazu geführt, dass immer mehr Klärschlamm über Verbrennungs-
anlagen entsorgt werden muss. Dazu kommen die Bedenken von vielen Land-
wirten, dass mit dem Klärschlamm naturfremde Stoffe in den Boden und in ihre
Produkte gelangen könnten.
Der Nährstoffgehalt des Klärschlammes ist im Vergleich zum Einsatz von
Nährstoffen in der Landwirtschaft sehr gering. Abb. 24.4 zeigt die Relation zu
den verschiedenen Quellen von Nährstoffen in der Schweizerischen Landwirt-
schaft. Trotzdem ist die Begrenzung der landwirtschaftlichen Nutzung erforder-
lich, weil als Folge der Importe von Futtermitteln und dem Einsatz von Mineral-
dünger die schweizerische Landwirtschaft grundsätzlich überdüngt ist und nur in
Einzelfällen noch ein Bedarf nach Nährstoffen aus Klärschlamm besteht. Durch
Beratung der Landwirte wird heute versucht, die Überdüngung der Felder zu
reduzieren und damit dieses Problem zu entschärfen.
Ökologisch wäre es sinnvoll, den Kreislauf der Nährstoffe zu schliessen: Die
Landwirtschaft exportiert in ihren Produkten Nährstoffe, die sie ersetzen muss.
Wir scheiden diese Nährstoffe wieder aus und übergeben sie dem Abwasser. Ein
Teil davon wird in der Form von Klärschlamm wieder verfügbar und sollte nicht
durch mineralische Rohstoffe ersetzt werden. Allerdings bedingt das Schliessen
der Kreisläufe, dass der Klärschlamm eine einwandfreie Qualität hat - was heute
noch nicht restlos der Fall ist.

24.3 Verfahrensablauf und Stoffströme


Bis ca. 1975 war die Schlammbehandlung auf den meisten Abwasserreinigungs-
anlagen sehr einfach. Mit den zunehmenden Bedenken, insbesondere Schwer-
metalle in die Landwirtschaft einzubringen, sind die Probleme, den Klärschlamm
zu entsorgen, immer grösser geworden. Heute umfasst die Veifahrenskette der
Schlammbehandlung viele hintereinandergeschaltete Stufen, die im Betrieb an-
spruchsvoll, aufwendig und teuer sind.
Abb. 24.5 gibt einen schematischen Überblick über die Verfahrensstufen für die
Schlammbehandlung in einer grossen Stadt:
- Der Klärschlamm aus der Abwasserreinigungsanlage setzt sich aus den drei
Fraktionen Primär-, Sekundär- und Tertiärschlamm zusammen. (Primär-
schlamm aus der mechanischen, Sekundär- aus der biologischen und Tertiär-
aus der chemischen Reinigung.)
- Im Eindicker wird sein Volumen verringert.
- In der Hygienisierung werden pathogene Keime abgetötet.
- In der Stabilisierung werden die leichtabbaubaren, organischen Stoffe mine-
ralisiert und teilweise in Biogas umgesetzt, dadurch vermindert sich das Ge-
ruchspotential des Schlammes.
- Im Eindicker und Stapelraum wird noch einmal das Volumen vermindert und
der Schlamm bis zu einer möglichen Nutzung oder Weiterverarbeitung gela-
gert.
- In der Entwässerung wird mit Hilfe von Maschinen der Wassergehalt des
Schlammes reduziert.
- In der Trocknung wird der Wassergehalt thermisch weiter reduziert.
378 24 Entsorgung von Klärschlamm

I Abwasserreinigung I Nutzung der Energie

t _t
I Rückbelastung I l Schlarnmanfall: primär, sekundär, tertiär I
r4 ··---......__ A
X ·······--·---······-·-····--······--···-········--,

Eindickung I
I Hyglenisierung Energie I
I I Stabilisierung
_ ...
Biogas t-
Elndickung, Stapelung t--
_L r---······---·-···-·············- ~
Entwässerung _t--
I Trocknung ..i.

1
ILandwirtschaft I
I I Verbrennung
I
Deponie I
I I
...........___,.,............,..,_______............,_J
Atmosphäre ~
Systemgrenze
Abb. 24.5. Überblick über die Verfahrensstufen einer umfassenden Schlammbehandlung. Kaum
je sind alle diese Stufen auf einer Abwasserreinigungsanlage realisiert. Kreise identifizieren den
Eintrag und den Austrag von Stoffen aus dem System

- In der Verbrennung werden die organischen Stoffe weitestgehend minerali-


siert, was übrig bleibt ist mineralische Asche.
Der Klärschlamm kann in der Landwirtschaft genutzt werden. Dazu wird
meist der hygienisierte und stabilisierte, aber noch flüssige Schlamm aus dem
Stapelbecken eingesetzt. Immer mehr wird auch entwässerter und getrockneter
Schlamm auf diesem Weg genutzt. Allfällige Asche wird deponiert. Ein Teil der
Schmutzstoffe wird mineralisiert und gelangt in Form von Kohlendioxid C02
und Wasser ~0 in die Atmosphäre. Aus vielen Behandlungsstufen muss
Schlammwasser, das meist mit viel Ammonium NH4+ belastet ist, in die Abwas-
serreinigungsanlage zurückgeführt werden, wo eine massive zusätzliche Bela-
stung entsteht.
In Tabelle 24.1 sind die Stoffflüsse und die Volumen der anfallenden
Schlammmengen zusammengestellt. Mit dem abnehmenden Volumen nimmt die
Konzentration des Schlammes laufend zu. Die Ansatzpunkte der Schlamm-
behandlung sind v.a. der Wassergehalt und die Verminderung der organischen
Stoffe (VSS oder GV).

24.4 Klärschlammkonzepte
Die Entsorgung des Klärschlammes ist heute aufwendig und teuer. Die Lösung
der dabei anfallenden Probleme wird daher häufig im regionalen Verbund ange-
gangen. Klärschlammkonzepte weisen z.B. in den einzelnen Kantonen der
Schweiz den Weg zu einer rationellen Nutzung und Entsorgung.
24.4 Klärschlammkonzepte 379

Tabelle 24.1. Übersicht über die Stoff- und Volumenströme in der Schlammbehandlung in kom-
munalen Kläranlagen. Die Angaben beziehen sich auf einen Einwohnergleichwert (d.h. pro Ein-
wohner)
Stoffstrom Volumenstrom TSS TSS vss TKN TP
IE"1 d·l gm
·3 gE.1 d. 1 gE.1 d. 1 gE.1 d. 1 gE.1d. 1
Rohabwasser 350 200 70 50 II 2.2
Primärschlamm 35 25 I 0.2
Sekundärschlamm 45 35 2 0.6
Tertiärschlamm 10 0 0 1.2
Frischschlamm 2.5 36'000 90 60 3 2.0
eingedickt 1.8 50'000 90 60 3 2.0
Faulschlamm (stabilisiert) 1.8 33'000 60 30 3 2.0
eingedickt 0.8 75'000 60 30 2.2 1.9
Entwässert 0.24 250'000 60 30 1.6 1:8 .
Getrocknet 0.07 950'000 60 30 1.4 1.8
Verbrannt 0.03 > 106 30 0 0.0 1.8

In der Schweiz haben die Kantone ein Klärschlammkonzept erarbeitet, das


festlegt, welche Kläranlage was mit ihrem Schlamm unternehmen soll:
- Wo ist in der Landwirtschaft ein Nährstoffdefizit vorhanden, sodass die ent-
sprechende Region Klärschlamm zur Nutzung aufnehmen kann?
Welche, v.a. kleine Anlagen den ausgefaulten Klärschlamm direkt flüssig an
die Landwirtschaft abgeben können.
- Wo Klärschlammentwässerungsanlagen realisiert werden sollen.
- Wo Klärschlammtrocknungsanlagen ev. für mehrere Anlagen gemeinsam
gebaut werden sollen.
- Wo und wie Klärschlamm verbrannt und allenfalls die Asche deponiert wer-
den soll (lndustrieöfen oder spezielle Schlammverbrennung).
Heute wird darauf geachtet, dass allen Kläranlagen mindestens zwei unab-
hängige Entsorgungswege für Klärschlamm offen stehen: Meist landwirtschaftli-
che Nutzung und Verbrennung. Die Erfahrungen in der Vergangenheit haben
gezeigt, dass die Abnehmer von Klärschlamm (Landwirtschaft) sehr rasch auf
Berichte über Schadstoffe im Klärschlamm reagieren (eine entsprechende Fern-
seh-Sendung genügt), sodass es immer wieder zu Problemen mit dem Absatz von
Klärschlamm gekommen ist.
Das Verfügbarmachen eines zweiten, meist sehr technischen Entsorgungswe-
ges neben der Nutzung in der Landwirtschaft, ist ausserordentlich teuer und
langwierig: Es müssen grosse Investitionen gemacht werden für Apparate, die
kaum je gebraucht werden. Zudem lehnt die Öffentlichkeit Anlagen zur Entsor-
gung (Deponien, Verbrennungsöfen) an vielen Standorten ab.
25 Verfahren der Schlammbehandlung

Die Verfahrensketten für die Behandlung von Klärschlamm sind in den letzten
Jahren immer anspruchsvoller geworden. Abb. 24.5 gibt einen Überblick über
die verschiedenen Verfahrensstufen die zur Anwendung kommen. Hier werden
diese Stufen detaillierter diskutiert.

25.1 Eindickung
Eindicker sollen dem Schlamm (Primärschlamm, Belebtschlamm oder ausge-
faulter Schlamm, etc.) Schlammwasser soweit als möglich entziehen, um das
Volumen des Schlammes zu verringern. Dabei soll das abgetrennte Schlammwas-
ser möglichst frei von Trübstoffen (TSS) sein.
Der Eindicker ist einem Absetzbecken ähnlich (Abb. 25.1). Ein langsam rotie-
rendes Krälwerk (vertikale, rechenähnliche Stäbe) erzeugt Wirbel im Schlamm,
welche die Flockung unterstützen und Möglichkeiten zur Ableitung des
Schlammwassers nach oben geben. Am Boden wird der eingedickte Schlamm
mit dem Schlammräumschild in den zentralen Sumpf geräumt. Auf der Oberflä-
che wird der Schwimmschlamm beseitigt. Das Schlammwasser wird unterhalb
der Oberfläche seitlich abgezogen.

Die erreichte Konzentration des eingedickten Schlammes ist abhängig von


der Art des einzudickenden Schlammes und der Feststoff - Oberflächenbelastung
BA:
Feststoffstrom
(25.1)
Oberfläche
Ozu = Schlammmenge im Zufluss in m3 d- 1
TSzu = Trockensubstanzgehalt des Zufluss in kgTs m-3
AE = Oberfläche (Projektion) des Eindiekees in m2
BA = Feststoff- Oberflächenbelastung in kgTs m-2 d- 1
Tabelle 25.1 gibt Richtwerte für geeignete Feststoff-Oberflächenbelastungen.
Soll Faulschlamm eingedickt werden, so ist dafür zu sorgen, dass durch Abküh-
len des Schlammes von der Faulraumtemperatur von 35 oc auf ca. 25 oc die
biologischen Prozesse und damit die Gasproduktion gestoppt werden. Aufstei-
gende Gasblasen würden sonst den Eindickvorgang stören.
In kleineren Anlagen werden auch statische Eindicker gebaut, die mit steilem
Boden ausgerüstet sind und kein Krälwerk enthalten.
382 25 Verfahren der Schlammbehandlung

Zulauf

Schlammwasser-
abzug

Krälwerk

Schlammabzug
Abb. 25.1. Schlammeindicker mit Krälwerk. Der Innendurchmesser reicht von 5 - 30 m, typi-
sche Tiefen sind > 3 m

Tabelle 25.1. Typische Peststoff-Oberflächenbelastung BA und erreichte Konzentrationen des


eingedickten Schlammes TSab für Eindicker mit Krälwerk

Typische Belastung BA Erreichte Konzentration


Art des Schlammes
BA in kgTS m"2 d- 1 TS.., in kgTS m·3
Primärschlamm 80. 120 80 ·ISO
Primär- und
50-70 50-100
Sekundärschlamm
Belebtschlamm allein 25.30 20.35

Beispiel 25.1. Dimensionierung eines Eindickars fOr Frischschlamm


Wie gross wird ein Eindicker für den Frischschlamm einer Stadt mit 50'000 Einwohnern?
Als Frischschlamm bezeichnen wir die Summe von Primär- und Sekundärschlamm.
Die Kläranlage ist mit einer Belebungsanlage ausgerüstet, es fallen pro Einwohner ca. 80
, 9-rs d-1 an.
Feststoffanfa/1: 0," · TS,u = 50'000 E · 80 9-rs E"1 d-1 = 4000 k9r5 d.1•
Zulässige Feststoff • Oberflächenbelastung nach Tabelle 25.1: BA = 50 k9r5 m.2d·1 •
Erforderliche Oberfläche: AE =a.u . TS,u I BA =4000 I 50 =80 m 2

Der Eindicker hätte einen Durchmesser von ca. 10 m und eine typische Tiefe von H = 3
m. Damit ergibt sich ein Volumen des Eindickars von Ve = 240 m3 • Wenn der rohe
Schlamm mit 33 k9r5 m·3 anfällt, so ergibt sich eine mittlere Aufenthaltszeit 9e von 2 Ta-
gen (O,u = 4000133 = 121 m3 d" 1, eE =VE I a.u>. Das ist typisch.

25.2 Hygienisierung
Im Klärschlamm werden pathogene Keime (Krankheitserreger), Wurmeier, etc.
aufkonzentriert. Durch die landwirtschaftliche Nutzung des Schlammes entsteht
die Gefahr, dass solche Krankheitserreger in einem Kreislauf Mensch und Vieh
gefährden. Die Hygienisierung hat die Aufgabe, diesen Kreislauf zu unterbre-
chen.
25.2 Hygienisierung 383

In der Schweiz wurde bis 1980 eine Reihe von sogenannten Nachpasteurisie-
rungsanlagen betrieben, die den bereits ausgefaulten Schlamm vor dem Aus-
bringen in die Landwirtschaft hygienisieren sollten (eine naheliegende Anord-
nung der Hygienisierungsanlage). Es hat sich gezeigt, dass diese Anordnung zu
einer Wiederverkeimung des Schlammes führen kann, d.h. dass sich die Krank-
heitskeime im Schlamm wieder vermehren können. In der thermischen Behand-
lung werden gelöste, organische Nährstoffe freigesetzt, die eine reiche Nahrung
für das Aufwachsen (die Vermehrung) solcher Keime darstellen. In der Hygieni-
sierung werden auch erwünschte, konkurrierende Keime abgetötet, die diese
gelösten Stoffe nutzen und abbauen könnten. Alle diese Anlagen mussten ausser
Betrieb genommen werden. Heute werden nur noch Vorpasteurisierungsanlagen
gebaut, die den rohen Schlamm hygienisieren und ansebliessend im Faulturm
stabilisieren. Da im Faulturm grosse Mengen von konkurrierenden, erwünschten
Mikroorganismen gezüchtet werden, die die entstehenden, gelösten organischen
Verbindungen abbauen, wird eine Wiederverkeimung weniger wahrscheinlich.
Die Tatsache, dass der Klärschlamm vor der Stabilisierung hygienisiert werden
muss, hat den Nachteil, dass aller Schlamm, unabhängig von der Art der Weiter-
behandlung, hygienisiert werden muss.

25.2.1 Aerob thermophile Hygienisierung


In der aerob thermophilen Hygienisierung wird die biogene Abwärme aus dem
Abbau von organischen Stoffen genutzt, um den Schlamm zu erwärmen und zu
hygienisieren.
Aerob thermophile Hygienisierung heisst:
- Aerob ist ein Prozess, wenn gelöster Sauerstoff 0 2 vorhanden ist, den die
Mikroorganismen für die Atmung nutzen können. Dabei wird sehr viel mehr
der chemischen Energie aus der Zersetzung der organischen Stoffe frei als in
anaeroben Prozessen (ohne Sauerstoff).
- Thermophil heisst der Temperaturbereich von 45 bis 75 °C, in dem sich
thermophile Bakterien optimal vermehren können. Die aerob thermophile
Hygienisierung wird häufig mit Temperaturen um 60 - 65 °C betrieben.
Die aerob thermophile Hygienisierung hat das Ziel, den anfallenden Klär-
schlamm zu hygienisieren. Dazu muss einerseits die Temperatur genügend hoch
angesetzt werden, andererseits muss der Reaktor so gestaltet werden, dass keine
Kurzschlussströmungen möglich sind, die unerwünschte Keime unversehrt durch
das Verfahren fliessen lassen.
Die Prozesswärme für das Erreichen der Betriebstemperatur wird teilweise
durch Rückkühlen des Ablaufes in Wärmetauschern erreicht, zusätzlich wird
durch die aeroben biologischen Abbauprozesse Wärme freigesetzt (analog zur
Erwärmung einer Kompostmiete). Da der Klärschlamm ein konzentriertes
Nährmedium ist, das viel chemische Energie pro Volumen enthält, genügt die
freigesetzte Wärme, um die Temperatur des behandelten Schlammes anzuheben.
In Abb. 25.2 ist das Fliessschema eines aerob thermophilen Hygienisierungs-
verfahrens dargestellt:
- Das Verfahren wird chargenweise betrieben, d.h. eine bestimmte Menge von
Klärschlamm wird z.B. alle 4 h dem biologischen Reaktor zugeführt, nach-
384 25 Verfahren der Schlammbehandlung

Ablauf
zum
Faulturm

L.. . . . . . . . . . . . Temperatur
Regelung

Abb. 25.2. Typisches Fliessschema eines aerob thermophilen Verfahrens für die Hygienisierung
von Klärschlamm. Der Wärmetauscher wird chargenweise betrieben, indem pro Charge ca. 20%
des Reaktorvolumens in den Wärmetauscher geleitet werden. Die Luftzufuhr wird so geregelt,
dass die Reaktortemperatur von ca. 65 •c eingehalten werden kann

dem ein entsprechender Teil (z.B. 116 des Reaktorvolumens) des behandelten
Schlammes in den Wärmetauscher geleitet wurde. Dadurch gelangen Krank-
heitskeime nicht im Kurzschluss durch die Anlage.
Aus einem Vorlagebehälter wird der zufliessende Frischschlamm mit gerin-
ger Temperatur (z.B. 10-20 oq vorerst in einem Wärmetauscher mit der
letzten Charge von behandeltem Schlamm in Kontakt gebracht, sodass die
Temperaturen ausgeglichen werden können. Der zufliessende Schlamm wird
von 15 auf 40 °C aufgewärmt, der abtliessende Schlamm wird von der Re-
aktortemperatur (z.B. 65 oq auf eine geeignete Temperatur für den Zufluss
in den Faulturm (z.B. 40 oq abgekühlt.
Nach dem Temperaturausgleich wird der abgekühlte Ablauf dem Faulturm
zugeführt, und neuer heisser Reaktorinhalt in den Wärmetauscher geleitet.
Nun kann der aufgewärmte Zufluss in den Reaktor gepumpt werden und an-
schliessend mit kühlem, neuen Zufluss ersetzt werden.
- Im Reaktor wird Sauerstoff eingetragen, wobei gleichzeitig der Reaktorinhalt
intensiv umgewälzt wird. Die verbrauchte Luft bei der Reaktortemperatur
von z.B. 65 °C enthält in Form von Wasserdampf sehr viel Wärme. Damit
diese nicht unnötig verlorengeht, wird die Luft mehrmals im Kreise geführt,
bevor sie als Abluft abgeführt wird; der Sauerstoff in der zugeführten Luft
wird dabei fast vollständig ausgenutzt.
Dem Reaktor wird gerade soviel Luft (Sauerstoff) zugeführt, dass die Be-
triebstemperatur nicht über das für die Hygienisierung erforderliche Mass an-
steigt, da
- Sauerstoffverbrauch und der damit verbundene Abbau von organischen Stof-
fen bedeutet immer auch auch eine Verminderung des begehrten Biogases,
das in der nachfolgenden Faulung entsteht. Dem Reaktor wird deshalb nur
soviel Sauerstoff (Luft) zugeführt, dass die erforderliche Betriebstemperatur
für die Hygienisierung gerade erreicht wird und nicht zusätzlich unnötig or-
ganische Stoffe abgebaut werden.
25.2 Hygienisierung 385

- Nach z.B. 4 h kann der Zyklus wiederholt werden, 1/6 des Reaktorinhalts
wird ausgetauscht. Das gewährleistet eine zuverlässige und genügende Hy-
gienisierung. Die zugeführte Menge von kaltem Schlamm resultiert in einer
Abkühlung von < 5 °C, die erforderliche biogene Aufheizung ist in kurzer
Zeit möglich.
Die Aufenthaltszeit im aerob-thermophilen Reaktor beträgt ca. 24 h, während
dieser Zeit wird nur ein geringer Teil (ca. 20%) der zugeführten organischen
Stoffe abgebaut (s.a. Beispiel 25.2), der Klärschlamm ist daher noch nicht fertig
stabilisiert.
Der Ablauf von aerob thermophilen Hygienisierungsreaktoren wird im All-
gemeinen auf eine Temperatur zurückgekühlt, die nur wenig über derjenigen des
nachfolgenden Faulturmes liegt. Dadurch wird dem Faulturm die erforderliche
Wärme zugeführt, die z.B. durch Abstrahlung verloren geht. In anaeroben Pro-
zessen wird der grösste Teil der chemischen Energie der abgebauten organischen
Stoffe in Form von Biogas abgeführt. Es wird darum durch die biologischen
Prozesse kaum nutzbare Wärme frei.
Reaktoren für die aerob thermophile Hygienisierung werden von Lieferanten
als Apparate verkauft und nicht als Prototyp von den Ingenieuren entworfen, wie
das in der Abwasserreinigung der Fall ist.
In wenigen Fällen wird die aerob-thermophile Behandlung soweit geführt,
dass der produzierte Schlamm stabil ist und direkt in die Landwirtschaft ausge-
tragen werden kann. Das bedingt lange Aufenthaltszeiten (z.B. 10- 20 d), mehr
Sauerstoff und geeignete Möglichkeiten zur Stapelung des Schlammes. Bei die-
ser Lösung werden die Reaktoren einfacher gestaltet, weil weniger Sauerstoff
pro Volumen und Zeit in den Reaktor eingetragen werden muss. Man spricht von
aerob-thermophiler Schlammstabilisierung.

Beispiel 25.2. Aerob thermophile Hygienisierung


Ein Lieferant eines aerob thermophilen Hygienisierungsverfahrens hat festgestellt, dass
in seinem Verfahren insgesamt 4.5 kcal g·1 organische Stoffe, die abgebaut werden, als
nutzbare Prozesswärme anfallen. ln den Wärmetauschern wird der zufliessende Klär-
schlamm, der bei 15 oc oc
anfällt, auf ca. 35 aufgewärmt, wobei der thermophil behan-
o
delte Schlamm von 60 auf 40 oc zurückgekühlt wird.
Welcher Anteil der organischen Stoffe muss im Verfahren veratmet werden, damit die
Prozesstemperatur von 60 oc erreicht wird?
Der frische Schlamm enthält 4.5% TS mit 60% GV enthält, das entspricht:
45 kgTS m·3 · 0.6 kgGV kg\5 =27 kgGV m·3
1 kcal erwärmt 1 kg Schlamm um 1 oc
o
Um die Temperatur des Schlammes von 35 auf 60 oc
anzuheben sind pro m3 Schlamm
25'000 kcal erforderlich. Es müssen also 25'000 kcal m· 3 I 4.5 kcal g· Gv = 5.6 kgGvm·3
abgebaut werden. Das sind 5.6 kgGvm·3 /27 kgGvm·3 = 21% der zufliessenden organi-
schen Stoffe.
Erfahrungsgernäss sind für den Abbau von 1 kg GV ca. 1.5 kg Sauerstoff erforderlich. Es
werden also 5.6 kgGv m · 1.5 kg 0 2 kg GV =8.4 kg 0 2 m verbraucht.
4 4

Entsprechend der Abnahme der organischen Stoffe vermindert sich auch die Gasproduk-
tion einer allfällig nachfolgenden Schlammfaulung.
386 25 Verfahren der Schlammbehandlung

Reaktor 1: Reaktor 2:
wirdgefüllt wird entleert

Zum
Faulturm
4Q•C

Frischschlamm
1o•c
Abb. 25.3. Fliessschema für ein typisches thermisches Hygienisierungsverfahren. Die zwei
Reaktoren erlauben, die Wärme im Wärmetauscher zurückzugewinnen. Typisch sind Aufent-
haltszeiten pro Charge von 30 min bei 70 •c. Die erforderliche Prozesswärme wird von aussen
zugeführt, z.B. in Form von Dampf, der mit Biogas produziert wird.

Beispiel 25.3. Erwärmung durch mechanische Energie


Wieviel könnte die Temperatur des Klärschlammes in Beispiel25.2 angehoben werden,
wenn die elektrische Energie, die für den Eintrag von Sauerstoff benötigt wird, direkt zur
Aufheizung des Schlammes eingesetzt würde?
Annahmen: Für den Eintrag von 1 kg 0 2 wird 1 kWh benötigt.
Mit 1 kWh kann 1 m3 Schlamm um 0.8 •c erwärmt werden.
Für die biogene Erwärmung des Schlammes um 25 •c sind in Beispiel25.2 8.4 kg02 m-3
erforderlich. Der Eintrag dieses Sauerstoffes erfordert 8.4 kWh m-3Schianwn· Mit dieser
Energie könnte der Schlamm um ca. 7 •c erwärmt werden.
Da ein grosser Teil dieser mechanischen Energie im Reaktor dissipiert, findet diese Er-
wärmung auch effektiv statt. Allerdings ist im empirisch bestimmten Wert von 4.5 kcal g·1
organische Stoffe in Beispiel 25.2 diese Erwärmung bereits enthalten.

25.2.2 Thermische Hygienisierung I Pasteurisierung


Klärschlamm kann rein thermisch, in sogenannten Pasteurisierungsanlagen, hy-
gienisiert werden. Der Betrieb von Pasteurisierungsanlagen ist meist chargen-
weise, wobei davon ausgegangen wird, dass 30 min bei einer Temperatur von
70 °C für eine Hygienisierung ausreichen.
In Abb. 25.3 ist ein typisches Verfahrensschema für eine thermische Pasteuri-
sierung dargestellt. Häufig dient die Pasteurisierung auch der Heizung des Faul-
turmes, indem die Rückkühlung nur soweit getrieben wird, dass der Wärme-
bedarf des Faulturmes mit dem warmen Schlamm gedeckt werden kann. Ein
Vorteil der thermischen Pasteurisierung ist die Tatsache, dass keine organische
Stoffe aerob abgebaut werden und daher die Produktion von Biogas nicht ver-
mindert wird. Ein Nachteil ist, dass Dampf thermodynamisch eine hochwertige
Form von Wärme darstellt, die z.B. aus Biogas produziert werden muss, das
daher nicht für die Produktion von Elektrizität genutzt werden kann.
25.3 Biologische Schlammstabilisierung 387

25.3 Biologische Schlammstabilisierung


In der biologischen Schlammstabilisierung werden die organischen Stoffe, die
sich schnell zersetzen können und daher Geruchsprobleme verursachen, in einem
technischen Verfahren unter kontrollierten Bedingungen abgebaut.

25.3.1 Anaerob mesophile Schlammstabilisierung I Faulung


Die Faulung von Klärschlamm ist ein altes, bewährtesundhäufiges Verfahren
zur Stabilisierung von Klärschlamm. Es hat den Vorteil, dass mit dem abgegebe-
nen Biogas ein wertvoller Energieträger verfügbar wird.
Mesophile Schlammfaulung heisst:
- Mesophil bezeichnet den Temperaturbereich zwischen 15 und 45 oc, der für
die mesophilen Mikroorganismen speziell geeignet ist. Die Schlammfaulung
wird mit ca. 35 oc betrieben. Die mikrobiologischen Prozesse laufen bei die-
ser Temperatur um ein Vielfaches schneller ab als bei der Temperatur des an-
fallenden Klärschlammes (10- 20 °C}.
- Mit Faulung werden Prozesse bezeichnet, die unter Ausschluss von Sauer-
stoff (anaerob) ablaufen.
Die mesophile Schlammfaulung ist in der Schweiz das wichtigste Stabilisie-
rungsverfahren; die zugehörigen Reaktoren, die zwei Faultürme, sind auf vielen
Kläranlagen von weitem sichtbare charakteristische Bauten. Die Bauwerke der
Abwasserreinigung liegen meistens im Boden, weil das zu reinigende Abwasser
nicht gepumpt werden soll. Im Gegensatz dazu können die Bauwerke für die
Schlammbehandlung in ihrer Höhenlage nach den Anforderungen des Bauinge-
nieurs optimiert werden, weil die kleinen Schlammmengen ohne Probleme ge-
pumpt werden können. Das führt zu den weitherum sichtbaren Faultürmen auf
den Kläranlagen.
In Abb. 25.4 ist das Verfahrensschema einer typischen Schlammfaulung dar-
gestellt (s.a. Abb. 18.1):
- Der eingedickte Klärschlamm, der in der Abwasserreinigung anfällt, wird in
einem Wärmetauscher oder einer Hygienisierung auf die Temperatur des
Faulreaktors (33 - 37 oq aufgeheizt Dazu dient Prozesswärme, die z.B.
durch Biogas produziert wird oder als Abwärme aus der Biogasnutzung an-
fällt.
- Der warme Schlamm wird in den durchmischten Faulreaktor geleitet. Mo-
derne Faulreaktoren werden in regelmässigen Abständen (z.B. mehrmals täg-
lich) vollständig durchmischt, sodass Feststoffe und Wasser die gleiche Auf-
enthaltszeit haben. Durch anaerobe Abbauprozesse bildet sich Biogas (ca.
67% Methan CH4 und 33% Kohlendioxid C02), das in Form von Gasblasen
dem Faulschlamm entweicht. Typisch verbleibt der Schlamm für ca. 15-20-
30 d im Faulturm.
- Das Biogas wird aufgefangen und im Gasometer bis zur Nutzung gestapelt.
Auf grösseren Kläranlagen (ca. ab 10'000 Einwohner) wird das Biogas in
Gasmotoren zur Produktion von elektrischer Energie genutzt, wobei die Ab-
388 25 Verfahren der Schlammbehandlung

Frischschlanvn Trübwasser Faulwasser


vonder ARA zurück zur ARA zurück zur ARA

Hygienisierung Nachfaulraum
oder Faulraum Eindicker
Wärmetauscher Stapel
Abb. 25.4. Typisches Verfahrensschema einer mesophilen Schlarrunfaulanlage

wärme des Gasmotors die erforderliche Prozesswärme für die Aufheizung des
frischen Schlammes liefert.
- Der ausgefaulte Schlamm wird dann in einen Nachfaulraum verdrängt. Durch
Verringerung der Temperatur werden die biologischen Prozesse gestoppt; da-
durch wird die Turbulenz als Folge von aufsteigenden Gasblasen verringert.
Durch Schwerkraft wird der ausgefaulte Schlamm eingedickt und das über-
stehende Faulwasser in die Kläranlage zurückgeleitet Das aufkonzentrierte
Sediment wird bis zur Nutzung oder weiteren Behandlung im Nachfaulraum
gestapelt.
Die Schlammfaulung hat den Vorteil, dass sie mit geringem Einsatz von
Fremdenergie auskommt und, nachdem sie einmal eingefahren ist, häufig zu-
verlässig und stabil betrieben werden kann.
Die Faulung hat zur Folge, dass der organische Anteil des rohen Schlammes
(dessen Glühverlust, GV oder VSS) um ca. 50% reduziert wird, dabei entsteht
Biogas, und der organisch gebundene Stickstoff aus dem Frischschlamm wird als
Ammonium NH; freigesetzt (C 5 H7N02 steht für organische Stoffe):
(25.2)
Gleichzeitig wird im Nachfaulraum durch die Eindickung die Trockensub-
stanzkonzentration auf 6- 7.5% TS angehoben, was in einer signifikanten Volu-
menreduktion resultiert. Eine typische Zusammensetzung von Faulschlamm, wie
er aus dem Nacheindicker abgezogen wird, ist in Tabelle 4.2, Seite 66, beschrie-
ben. Richtwerte für die Dimensionierung von Faultürmen gibt Tabelle 25.2.
In Abb. 25 .5 ist die Gasentwicklung in Funktion der Faulraumtemperatur
dargestellt. Es wird deutlich, dass der Grad der Stabilisierung (der Abbau der
organischen Stoffe, der proportional zur Gasproduktion ist) mit zunehmender
Temperatur immer besser wird. Es ist heute üblich, die Faulung mit 33 - 37 oc
zu betreiben.
Biogas enthält Schwefelwasserstoff H2S das in den Gasmotoren zu Schwefel-
säure H 2S04 verbrennt und die Gasmotoren beschädigt. Wenn die Abwasser-
25.3 Biologische Schlammstabilisierung 389

Gasproduktion

r-:::q=;:::======tao·c
in m3 kg·1 org. Feststoffe im Zulauf

0.5
0.4
2s•c
~------12o•c

0.3 ~~k---; 1s•c


~-""{"'"-..~1o·c
0.2

0.1

0.0
0 20 40 60 80 100
FaulzeH in Tagen
Abb. 25.5. Gasentwicklung in Abhängigkeit der Faulzeit und der Temperatur im Faulturm. Die
Gasproduktion in m 3r... I kg."._ F""""""• bezieht sich auf die organischen Stoffe, gemessen als
Glühverlust, die dem Faulturm zugeführt werden (lmhoff 1993 adaptiert nach Fair and Moore
1937)

reinigungmit Phosphatfällung mit Eisensalzen betrieben wird, so wird im Faul-


turm etwas Eisen in Form von Fe2• freigesetzt, das sich sofort mit S2• zum
schwerlöslichen Schwefeleisen FeS verbindet. Das Biogas ist dann frei von Hß
und kann ohne Probleme in Gasmotoren genutzt werden.

TabeHe 25.2. Dimensionierungsrichtwerte für die mesophile Faulung von Klärschlamm auf kom-
munalen Anlagen

Mittlere Aufenthaltszeit 9h des Schlammes:


Kleine Anlagen mit geringer Durchmischung >30d
Mittlere Anlagen, regelmässig durchmischt 20 d
Grosse Anlagen, gut überwacht und gemischt 12-16 d
Temperatur im Faulturm 33-37 oc
Abbau von organischen Stoffen 40-55%
3 ·I
Produktion von Biogas pro abgebaute org. Stoffe 0.9 m kg GVab•ebaut
Typische Gaszusammensetzung
Methan (CH4) 63%
Kohlendioxid (C02 ) 35%
Andere (N2, H2, H S) 2%

Beispiel 25.4. Dimensionieren eines Faulturmes


Wie gross wird ein Faulturm, der den Klärschlamm einer Stadt mit 20'000 Einwohnern
behandeln kann?
Annahmen:
Der Frischschlamm enthält 4.0% Trockensubstanz (TS).
Pro Einwohner fallen 100 g TSS pro Tag an.
Der Faulturm soll eine Aufenthaltszeit von eh =20 Tagen gewährleisten.
, -1 d·1 I
QSchtanvn = 20 000 E · 0.1 k9-rss E 40 k9-rss m.a = 50 m3 d-1 (= 2.5 I E-1 d·1)
3 3 -1
VFaulraum = QSchlanvn. eh= 50. 20 = 1000 m oder ca. 0.05 m E
390 25 Verfahren der Schlammbehandlung

Beispiel 25.5. Produktion von Biogas


Wieviel Biogas f~llt aus dem Faulturm einer Stadt mit 20'000 Einwohnern an
(Beispiel25.4)?
Annahmen:
Der Faulturm ist gut durchmischt und gewährleistet eine Aufenthaltszeit von 20 d bei
35 •c. Pro Einwohner fallen 100 g TS pro Tag an, der zu 60% aus organischem Material
(GV, Glühverlust) besteht. Im Faulturm werden 50% der eingebrachten organischen
Stoffe abgebaut.
Abbau von organischen Stoffen (Morg in kgGv d'):
' ·1 ·1 ·1 ·1
Morg = 20 000 E_1 • 0.1 k!Jr5 E d · 0.6 kgGV kg TS • 0.5 kgGVabgebautkg GVzugefQhrt
=600 kgGV d
Anfall von Biogas:
3 ·1
QGas = Morg . ~-9 m B[cjllaskg GY~~
=540mllioga.d =271E d
Heizwert:
Biogas hat einen Heizwert von ca. 6.5 kWh pro m3 (1.163 kWh erwärmen 1m3 Schlamm
um 1 "C). Das Biogas stellt also einen Heizwert von ca. 3500 kWh d.1 dar. Dieser könnte
bei einem Wirkungsgrad von 100% den anfallenden Frischschlamm um 80 •c erwärmen.

Beispiel 25.6. Anfall von Faulschlamm


50% der organischen Stoffe (Giühverlust) im Frischschlamm aus der Kläranlage in
Beispiel 25.4 werden in der Faulung abgebaut. Wieviel Faulschlamm muss t~glich abge-
führt werden, wenn dieser eine Zusammensetzung hat, die den Mittelwerten für 1989 aus
Tabelle 4.2, entspricht?
Zusammensetzung des Faulschlammes (Tabelle 4.2):
5.9% TS =59 kg TSS m.aFaulschlamm·
460 kg GV I t TS
Eine t TS im Faulschlamm enthält also: 460 kg GV und 540 kg Glührückstand (GR, mine-
ralische Stoffe). Da 50% der organischen Stoffe abgebaut wurden, entspricht das im
Frischschlamm: 2 · 460 kg GV + 540 kg GR = 1460 kg TS oder durch die Faulung werden
die Feststoffe um 460 kg GV I 1460 kg TS = 31.5% verringert.
Im Frischschlamm fallen 20'000 E · 0.1 k!Jr55 E"1 d-1 = 2000 k!Jr55 d-1 an.
Im Faulschlamm verbleiben davon 2000 k!Jrss d·1 ·(1 00%-31.5%) = 1370 k!Jrss d-1 •
Bei einer Konzentration des Faulschlammes von 5.9% (=59 kg TSS m·3 ) ergibt sich eine
Faulschlammmenge von 1370 kg TSS d-1 I 59 kg TSS m.a = 23 m3 d-1•
Die Schlammmen:Pe, die von der Anlage abgeführt werden muss, wird also durch die
Faulung von 50 m d-1 auf 23 m3 d-1 verringert.

Belspiel25.7. Dimensionieren eines Schlammstapels


Wie gross muss der Schlammstapel werden, wenn der Faulschlamm aus Beispiel25.6
während 4 Monaten (120 d) gelagert werden soll?
3 ·1 3
VS1apol = 120 d . QFaulschlamm = 120 d . 23 m d = 2800 m
Dieses Stapelvolumen ist ausserordentlich gross und teuer (der Faulturm hat ein Volu-
men von 1000 m3 , Beispiel25.4). Es sollte entweder versucht werden, den Faulschlamm
noch weiter einzudicken oder der Schlamm sollte im Winter getrocknet und trocken ge-
stapelt werden.
25.3 Biologische Schlammstabilisierung 391

Die häufige Lösung, dass ein zweiter Faulturm (der Nachfaulraum, Stapel) das gleiche
Volumen hat wie der Faulraum selbst, genügt im Normalfall nicht für die Stapelung!

Beispiel 25.8. Stickstoff im Faulwasser


Ein Frischschlamm enthält 4.5% TSS mit 60% GV. Der Anteil des organisch gebundenen
Stickstoffes an den organischen Stoffen (GV) beträgt 5%.
Wie gross ist die Ammoniumkonzentration im ausgetauften Schlamm?
Im Faulturm werden ca. 50% der organischen Stoffe abgebaut (Tabelle 25.2), wodurch
ca. 50% des organisch gebundenen Stickstoffes als Ammonium, NH4 •• frei werden
(GI.(25.2)). Die NH4·-N Konzentration beträgt:
SNH4 = 45 kg TSS m·3 · 0.6 kg GV kg· 1 TSS · 0.05 kg N kg· 1 GV · 0.5
+ ·3
= 680 g NH4 -N m
Da der Faulschlamm eingedickt und ev. entwässert wird, muss das Faulwasser und das
Filtrat in die Kläranlage zurückgeleitet werden, was eine grosse Rückbelastung der Anla-
ge mit Ammonium ausmachen kann. Der hier anfallende Stickstoff muss bei der Dimen-
sionierung von nitrifizierenden und denitrifizierenden Kläranlagen berücksichtigt werden.

Beispiel 25.9. Rückbelastung der Abwasserreinigung


Wie gross ist der Anteil der Stickstofffracht einer Kläranlage, der aus der Schlammbe-
handlung in die Kläranlage zurückgeleitet wird?
Annahmen:
1 Einwohner liefert im Zulauf zur Kläranlage 11 g Stickstoff pro Tag (Tabelle 24.1 ), davon
werden ca. 3 g in den Klärschlamm eingebunden (1 g im Primärschlamm, 2 g im Sekun-
därschlamm). Die biologische Anlage wird ohne Rückläufe mit 10 gN E.1 d.1 (=100%)
belastet.
50% des Stickstoffs im Klärschlamm gehen durch den Abbau der organischen Stoffe in
Lösung (s. Beispiel 25.8): Gelöster Stickstoff im Faulschlamm: 1.5 g E. 1 d·1 •
Als Folge der Verringerung des Volumens des Schlammes wird der gelöste Stickstoff in
die Kläranlage zurückgeleitet
Die Volumenverringerung beträgt (Tabelle 24.1):
68% bei Faulung und Eindickung (2.5 ~ 0.8 I E.1 d.\ daraus ergibt sich eine Rückbela-
stung der Anlage von 1.5 · 0.68 = 1.0 gNE.1 d.1 = 10% der Belastung der biolog. Anlage
84% bei Entwässerung: 1.5 · 0.84 = 1.26 gNE.1d.1 = 13% der Belastung
95% bei Trocknung: 1.5 · 0.95 = 1.43 gNE.1 d.1 = 15% der Belastung
Bedeutung der Rückbelastung für die Abwasserreinigung:
Werden diese Rückläufe in kurzer Zeit in die biologische Reinigung zurück geleitet, so
kann insbesondere die Nitrifikation im Tagesverlauf stark überlastet werden, z.B. machen
bei Schlammentwässerung die Filtrate verteilt über 2 h im Vergleich zum Zulauf zur Anla-
ge 13% · 24 h I 2 h = 156% der Ammoniumfracht aus. Wenn diese Belastungsspitze auf
die Ammonium Belastung am Vormittag trifft, kann die Nitrifikation nicht mehr genügen -
die Anlage ist überlastet und Ammonium wird zur Vorflut durchbrechen (s. auch
Abb. 20.12).
Heute ist es üblich, Rückläufe aus der Schlammbehandlung zu stapeln und in der Nacht
in die biologische Reinigung zurückzuleiten.
392 25 Verfahren der Schlammbehandlung

25.3.2 Langzeitbelüftung
Wird ein Belebtschlammverfahren ohne Vorklärung und mit grossem Schlamm-
alter (9x > 20 - 25 d, s. Tabelle 20.6) betrieben, so fällt auf dieser Anlage nur der
Überschussschlamm aus diesem Verfahren an. Es entsteht insbesondere kein
Primärschlamm. Die biologische Aktivität dieses Schlammes (der Sauerstoffver-
brauch) ist sehr gering, weil alle schnellabbaubaren organischen Stoffe bereits
abgebaut wurden. Der Schlamm ist also bereits stabil.
In kleinen Anlagen (< 5'000 E) kommt dieses Verfahren zur Anwendung,
weil es im Betrieb sehr einfach ist (es gibt nur eine Verfahrensstufe) und es eine
gute Reinigungsleistung erbringt. Diese Anlagen werden mit einem hohen
Schlammalter betrieben und haben entsprechend ein grosses Belebungsbecken.
Sie nitrifizieren und können wegen des grossen Volumens häufig auch mit De-
nitrifikation betrieben werden. Die grosse Aufenthaltszeit hat dem Verfahren den
Namen Langzeitbelüftung gegeben.
Der anfallende Klärschlamm kann z.B. in eine grössere Nachbaranlage ge-
bracht werden, wo er weiter aufbereitet wird. Im Sommer kann der Schlamm
lokal eingedickt und direkt an die Landwirtschaft abgegeben werden, allerdings
ohne Hygienisierung.

Beispiel25.10. Langzeitbelüftung
Wie gross wird das Belebungsbecken einer Langzeitbelüftung ohne Vorklärung für eine
Gemeinde mit 1000 Einwohnern? Es soll keine Phosphorelimination betrieben werden.
Mittlerer Zufluss Q =300m3 d'1
BSB5 im Rohabwasser = 220 g m·3
ln Tabelle 20.6 wird im Belebungsverfahren mit Schlammstabilisierung das Schlammalter
ex mit 25 Tagen angegeben. (Das Arbeitsblatt A 131 gilt allerdings nur für Anlagen für
mehr als 5000 Einwohner.) Die spezifische Schlammproduktion ÜS8 beträgt ca. 1.0
kgr5 kg- 18585 • Nach Tabelle 20.7 ist eine typische zulässige Belebtschlammkonzentration
TS88 z.B. 4.5 kgr5 m·3 .
Das erforderliche Volumen des Belebungsbeckens V88 wird damit zu:
Vee = ex. Q. BSBs- ÜSB I TSBB =367m3
Die mittlere Aufenthaltszeit des Abwassers, eh= V8 ef0 = 1.2 d, wird sehr gross, daher
der Name des Verfahrens.
Da der Schlamm in den Becken des Verfahrens nur für kurze Zeit gestapelt werden kann,
ist zusätzlich ein Schlammstapel erforderlich, der z.B. als Eindicker gestaltet wird oder es
könnten z.B. Trockenbeete (s. Abschn. 0) gebaut werden, in denen der Schlamm ent-
wässert wird.

25.3.3 Aerobe mesophile Schlammstabilisierung


An Stelle einer Langzeitbelüftung, in der der Schlamm in verdünnter Form als
Belebtschlamm aerob stabilisiert wird, ist es möglich, den konzentrierten Klär-
schlamm in einem separaten Reaktor aerob mesophil (d.h. mit Sauerstoff im
Temperaturbereich von ca. 15- 30 oq zu stabilisieren. Die mittlere Aufenthalts-
zeit in diesem Reaktor wird analog zum Schlammalter in der Langzeitbelüftung
mit ca. 25 Tagen gewählt. Da in eine aerobe mesophile Schlammstabilisierung
gelegentlich auch Primärschlamm (Schlamm aus der Vorklärung) gelangt, kann
25.4 Stapelung 393

die Sauerstoffzehrung recht gross werden. Der rohe Schlamm (Primär- und Se-
kundärschlamm) wird daher nur mit ca. 2.5 - 3.5% TS (25 - 35 kg TSS m·3) in
den Reaktor eingeführt.
Da in diesem einfachen Verfahren die eingetragene Luft direkt in die Atmo-
sphäre verloren geht, kann die Abwärme der biologischen Prozesse (s. aerob
thermophile Schlamrnhygienisierung, Abschn. 25.2.1) nicht für die Aufwärmung
des Schlammes genutzt werden. Die resultierende geringe Prozesstemperatur
liegt im mesophilen Bereich, 15- 25 °C.

Beispiel 25.11. Aerobe Schlammstabilisierung


ln einer Kläranlage für 1000 Einwohner fallen ca. 100 k9r5 d- 1 als Klärschlamm an. Wie
gross wird eine mesophile aerobe Schlammstabilisierung? Wieviel Sauerstoff wird in
diesem Reaktor verbraucht?
Reaktorvolumen:
Die Zulaufkonzentration des Schlammes wird auf ca. 3.3% TS = 33 k9r55m·3 eingestellt,
-1 -3 3 -1
d.h. es fallen 100 kgTss d I 33 kgTss m =3m d Rohschlamm an.
Die typische Aufenthaltszeit in der aeroben Stabilisierung beträgt ca. 25 d, damit wird das
Volumen des Reaktors zu: V = 25 d . 3 m3 d-1 = 75 m3 .
Zusätzlich zu diesem Reaktionsvolumen müssten wir noch ein Stapelvolumen vorsehen.
Schlammstapelung wird aber erst nach Eindickung des stabilisierten Schlammes, bei
möglichst grosser Konzentration erfolgen.
Sauerstoffbedarf:
Von den 100 kg TSS sind ca. 67% organisch (GV, Glühverlust), davon werden ca. 50%
aerob abgebaut:
Abbau von organischen Stoffen: 50%· 0.67 kgGvkg"\5 • 100 kgTs d-1 = 34 kgGv d-1 •
Für den Abbau von 1 kgGv sind ca. 1.5 kg02 erforderlich:
-1 ·1 -1
Sauerstoffbedarf: 1.5 kg0~kg Gv · 33 kgGv -~ -~50 kg02 d oder bezogen auf das Reaktor-
volumen ca. 50 kg I 75 m = 0.67 kg 0 2 m d .
Der mögliche Eintrag von Sauerstoff in einen konzentrierten Schlamm hinein ist begrenzt,
diese Menge könnte aber eingetragen werden.

25.4 Stapelung
Klärschlamm soll (darf) nur während der Vegetationsperiode in die Land-
wirtschaft ausgebracht werden, d.h. wenn die Nährstoffe durch das Pflanzen-
wachstum genutzt werden können. Das bedingt, dass der anfallende Schlamm im
Winter gelagert werden muss.
Die Gefahr, dass nicht genutzte Nährstoffe aus dem Boden ins Grundwasser
oder bei gefrorenem Boden in die nahen Gewässer ausgeschwemmt werden, ist
gross. Eine Lagerdauer von 3 - 4 Monaten, je nach Höhenlage der Anlage, ist
erforderlich, um die Wintermonate zu überbrücken. Die entsprechenden Stapel-
volumen werden v.a. bei flüssiger Schlammstapelung sehr beträchtlich und über-
steigen die Volumen der Schlammfaulung um ein Mehrfaches (s. dazu
Beispiel25.7 und Beispiel25.13). Konsequente Eindickung und ev. mobile Ent-
wässerungsanlagen können mithelfen, die entsprechenden Stapelvolumen zu
vermindern.
394 25 Verfahren der Schlammbehandlung

VORSICHT: Viele Fischsterben werden verursacht, weil der Faulschlamm


von z.B. einem Monat mit einer mobilen, zugemieteten Entwässerungsanlage in
kurzer Zeit entwässert wird und die anfallenden Schlammwässer über die Klär-
anlage entsorgt werden. Dadurch werden nitrifizierende Anlagen stark mit dem
Ammonium im Schlammwasser überlastet und die Gewässer entsprechend bela-
stet (s. dazu Beispiel 25.9).

25.5 Entwässerung
Ziel der Schlammentwässerung ist die Verminderung des Volumens des anfallen-
den Schlammes durch Verminderung des Wasseranteils. Dieser Prozess wird in
Apparaten durchgeführt und wird durch die Zugabe von Flockungshilfsmitteln
unterstützt.
Durch mechanische Entwässerungsverfahren kann ein Schlamm mit 18-40%
TS und entsprechend 82-60% Wasser erhalten werden. Dabei entsteht ein
Schlammkuchen, der anfänglich meist pastös bis stichfest ist, der aber schon
bald wieder Flüssigkeit abgibt, verklebt und in dieser Form nicht gelagert wer-
den kann.
Schlammentwässerung ist also meist nur ein Zwischenschritt, der zu weiter-
gehenden Massnahmen führt: Trocknung, Verbrennung oder (mechanische) Sta-
bilisierung mit Kalk als Notlösung (Zugabe von gelöschtem Kalk, Ca(OH)2 , der
sich zu CaC03 verfestigt). Ev. kann entwässerter Schlamm direkt mit Miststreu-
ern in die Landwirtschaft ausgebracht werden.

25.5.1 Konditionierung
Die Schlammkonditionierung bereitet den Schlamm mit Hilfe von Chemikalien
auf die Entwässerung vor: Gut konditionierter Schlamm gibt das Wasser leichter
ab.
Im ausgefaulten Klärschlamm ist das Wasser (meist mit >96% Volumenanteil)
mit den Feststoffen so verbunden, dass die Abtrennung kaum möglich ist. Es
werden daher organische Flockungshilfsmittel (meist Polyelektrolyten, langketti-
ge Moleküle) zugegeben, die zur Flockung der Feststoffe beitragen und die Ab-
trennung des Wassers erleichtern. Die Wahl und die Dosierung von Flockungs-
hilfsmitteln basiert meist auf Versuchen und Optimierungen, die anlagenspezi-
fisch sind. Typische Dosierungen von Flockungshilfsmitteln sind im Bereich von
4- 10 g kg-1 TS. Bei einem Preis von 5- 10 Fr kg-1 machen diese Chemikalien
einen grossen Teil der Kosten der Schlammbehandlung aus.

25.5.2 Dekanter
Dekanterzentrifugen sind Maschinen, die die Zentrifugalkraft für die Entwässe-
rung von Klärschlamm nutzen.
Zentrifugen werden heute v.a. in Form von Dekantern zur Entwässerung von
Faulschlamm eingesetzt (Abb. 25.6). Die Feststoffe sedimentieren unter der
Einwirkung der Zentrifugalkraft an der Aussenwand aus und werden mit einer
langsamlaufenden Schnecke ausgetragen. Die Flüssigkeit akkumuliert gegen das
Zentrum des Dekanters und kann über ein Wehr dekantiert werden. Dekanter
25.5 Entwässerung 395

Getriebe Schnecke Trommel Wehr


Antrieb: Schlamm-
Trommel
Schnecke

Feststoffaustrag Zentratablauf

-Trocken- -++---- Flüssigzone - - -.-


zone
Abb. 25.6. Schemaskizze eines Schlammdekanters. Die Schnecke dreht sich relativ zur Trom-
mel und trägt die Feststoffe aus. Die geklärte Flüssigkeit wird über ein geregeltes Wehr ausge-
tragen

sind kontinuierlich betriebene Apparate, mit denen im ausgetragenen Kuchen ein


Feststoffgehalt > 25% TS erreicht werden kann.

25.5.3 Filterpressen
In Filterpressen wird der Schlamm durch Druck über Filtertücher entwässert.
Filterpressen (Abb. 25.7) werden chargenweise betrieben. Der konditionierte
Schlamm wird in die Filterkammern der Presse unter Druck eingepumpt. Über
die grossen, mit Filtertüchern bespannten Filterflächen entweicht das Filtrat.
Gegen Ende eines Filterzyklus wird das Wasser noch weiter ausgepresst, indem
die Filterpresse (z.B. mit hydraulischen Pressen) langsam geschlossen wird. Zum
Schluss wird die Presse geöffnet und der entwässerte Kuchen fällt heraus.
Mit Filterpressen kann bei geeigneter Konditionierung und genügender Fil-
terzeit ein hoher Feststoffgehalt von > 30% TS erreicht werden. Filterpressen
sind grosse Apparate und kommen v.a. in grossenAnlagen zur Anwendung.

25.5.4 Bandfilterpressen
Bandfilterpressen (Abb. 25.8) sind eine kontinuierliche Variante der oben disku-
tierten Filterpressen. Der konditionierte Schlamm wird vorerst in einer dünnen
Schicht auf die Filterfläche aufgebracht und mit Schwerkraft oder Unterdruck
entwässert. Ansebliessend wird der Filterdruck erhöht und in Umlenkrollen wird
der Schlamm "geknetet" um die Entwässerung zu unterstützen. Bandfilterpressen
sind kleine Apparate und können entsprechend auch in kleineren Kläranlagen
zum Einsatz gelangen. Die erreichten Feststoffkonzentrationen sind geringer als
diejenigen von Filterpressen.
396 25 Verfahren der Schlammbehandlung

Presskolben

Austrag des F i ~erkuchens


nach dem Öffnen der Presse

FiHerplatte

Finertuch mtt
Drainage-Membran
als Untertage

Abb. 25.7. Schemaskizze einer Filterpresse: Oben Filterpresse mit einer Serie von Filterplatten.
Unten: Funktionsschema während des Füllens der Filterkammern. Nach dem Füllen wird ge-
presst (Hydraulischer Zylinder) und ansebliessend werden die Filterkammern geöffnet, sodass
die Filterkuchen herausfallen können

Schlamm- und Flockungsmtttei-Zulauf FiHertuch

Abb. 25.8. Schematische


Austrag von Darstellung einer Bandfilter-
FiHerkuchen Pressrollen FiHrat presse
25.5 Entwässerung 397

Faulschlamm flüssig
z.B. 20 cm

für Drainage

Abb. 25.9. Schematische


Darstellung eines Schlamm-
trockenbeetes

25.5.5 Trockenbeete
Trockenbeete nutzen die natürliche Drainage und Trocknung an der Luft. Sie
eignen sich v.a. in kleinen Anlagen.
In Schlammtrockenbeeten wird stabilisierter Schlamm auf einer Filterschicht aus
Sand ausgebracht, die unten drainiert ist. Der Schlamm gibt grosse Teile seines
Wassergehalts in die Drainage ab und trocknet nachher an der Luft aus. Ein Bei-
spiel eines Schlammtrockenbeets ist in Abb. 25.9 dargestellt. Der getrocknete
Schlamm wird zusammen mit einer dünnen Sandschicht ausgetragen und kann
landwirtschaftlich genutzt werden.
Trockenbeete eignen sich auf kleinen und einfachen Kläranlagen, wo sie
meist "von Hand" betrieben werden und dort das Problem der Volumenverringe-
rung des Klärschlammes auf effiziente Art lösen. Mit Trockenbeeten ergibt sich
auch die Möglichkeit der Stapelung von Schlamm vom Winter in die Vegetati-
onsperiode.
Nach Irnhoff (1990) kann in grösseren Anlagen der folgende Flächenbedarf
angenommen werden:
Nur mechanische Reinigung: 13 Einwohner m·2
- Anlage mit Tropfkörper: 6 Einwohner m-2
Belebungsanlage: 4 Einwohner m-2
In kleinen Anlagen sollte noch ein Zuschlag gemacht werden.

Beispiel25.12. Dimensionierung von Trockenbeeten


Wie gross werden die Trockenbeete für eine Kläranlage mit Tropfkörpern, die das Ab-
wasser von 1000 Einwohnern reinigt?
Bei 6 Einwohnern m- 2 sind total 160 m2 erforderlich, diese Fläche steht in ländlichen Ge-
meinden sicher zur Verfügung. Diese Fläche kann z.B. auf 200 m2 erhöht werden, um
den Betrieb zu vereinfachen.
398 25 Verfahren der Schlammbehandlung

heiss beheizt

Gegenhaken
fest

Mantelrohr
beheizt Mischbarren
Trockenschlamm bewegt
Abb. 25.10. Querschnitt durch einen Klärschlammtrockner. Grosse beheizte Oberflächen und
Einbauten, die die dauernde Erneuerung der Oberflächen erwirken, führen zu einer effizienten
Trocknung. Durch drehen der Einbauten wird der Klärschlamm gefördert

Beispiel 25.13. Trockenbeete als Schlammstapel


Wie lange kann der Klärschlamm in Trockenbeeten gestapelt werden?
Annahmen: Von jedem Einwohner fallen pro Tag 0.8 I eingedickter, ausgefaulter
Schlamm an. Die Anlage wird mit Tropfkörpern betrieben, entsprechend steht pro 6 Ein-
wohner 1 m2 Trockenbeet zur Verfügung. Die Trockenbeete können bis zu 0.2 m Tiefe
mit Faulschlamm gefüllt werden.
Das Stapelvolumen beträgt 1 m2 • 0.2 m I 6 E =0.033 m3 E-1
Die minimale Stapelzeit beträgt: 0.033 m3 E-1 I 0.0008 m3 E- 1 d' 1 =41 d
ln dieser Zeit wird ein grosser Teil des Wassers an die Drainage abgegeben, sodass
Klärschlamm nachgefüllt werden kann und damit die Stapelzeit entsprechend verlängert
wird und insgesamt mindestens 90 d beträgt.

25.6 Trocknung
In der thermischen Trocknung wird der Wassergehalt von entwässertem
Schlamm durch Verdampfung weiter vermindert.
Es kommen unterschiedlichste Bauformen von Trocknem zur Anwendung, wo-
bei insbesondere die verfügbare Prozesswärme eine Rolle spielt. Ein Bei-
spiel eines Trockners ist stark vereinfacht in Abb. 25.10 dargestellt. Das Produkt,
der getrocknete Klärschlamm, enthält meist ca. 75-95% TS (d.h. < 25% Was-
ser).
Für die Beheizung kommen Dampf, heisse Abgase oder ev. Trägeröl zur
Anwendung. Bei der Brüdenkompression werden die Abgase (die Brüden) in
.Kompressoren komprimiert, dadurch wird Wasser ausgeschieden und die Ver-
dampfungswärme kann wieder genutzt werden. Diese Art der Beheizung beruht
auf der Nutzung von elektrischer Energie und kommt mit weniger, dafür hoch-
wertiger Fremdenergie aus. Die Beheizung kann sowohl direkt, als Gaseintrag,
als auch indirekt, über Oberflächen erreicht werden. Als Energiequelle kommen
die Abwärme einer nachfolgenden Schlammverbrennung oder allenfalls Biogas
und Fremdenergie in Frage.
25.7 Verbrennung 399

Verbren·
nungsraum
800 · 900' C
Zusatzbrenner

- - Schlammzufuhr
Wirbelschicht getrocknet
(Sandwirbelbett)
Düsenboden

Wirbelluft - - - Anfahrbrenner
---.:::_____r-
Abb. 25.11. Schematische Darstellung eines Wirbelschichtofens. Die Verbrennung der getrock-
neten Schlammpartikel findet in einem aufgewirbelten Sandbett statt. Die Asche wird mit den
Abgasen ausgetragen

Trockner für Klärschlamm sind teure und anspruchsvolle Apparate und


kommen nur in grösseren Kläranlagen (z.B. > 50'000 EG) wirtschaftlich zum
Einsatz. Kleinere Kläranlagen transportieren meist entwässerten Schlamm zur
nächstgelegenen Trocknungsanlage.
Getrockneter Klärschlamm ist hygienisiert und kann mit > 90% TS über län-
gere Zeit gestapelt werden. Als Granulat kann er in der Landwirtschaft genutzt
werden, dazu wird er gelegentlich mit mineralischem Dünger angereichert. Die
Lagerung kann Probleme verursachen: Verpuffung, Staubexplosionen und
Schwelbrände werden häufig beobachtet.

25.7 Verbrennung
Mit der Verbrennung wird der Energieinhalt des Klärschlammes genutzt, eine
Nutzung der Nährstoffe ist nicht mehr möglich.
Heute werden zwei Arten der Verbrennung von Klärschlamm angewendet:
- Klärschlamm kann in Industrieöfen, insbesondere in Zementwerken, als Zu-
satzbrennstoff verbrannt und die Asche ins Produkt eingebunden werden. Mit
solchen Lösungen könnte in der Schweiz der Klärschlamm weitgehend ent-
sorgt werden. Probleme ergeben sich, weil der Klärschlamm die Rauchgase
belastet (z.B. entweicht ein Teil des im Klärschlamm vorhandenen Quecksil-
bers Hg). Das hat zu grossen politischen Widerständen gegen diese Lösung
geführt. Heute wird die Möglichkeit genutzt, zu Lasten des Klärschlammes
eine zusätzliche Rauchgasreinigung in den Zementwerken zu realisieren, so-
dass insgesamt die Umwelt entlastet wird.
- Klärschlamm kann allein, z.B. in Wirbelschichtöfen (Abb. 25.11) verbrannt
werden. Hier wird im Verbrennungsraum der Schlamm durch Luft in einem
Sandbett in Schwebe gehalten. Der zugeführte Klärschlamm muss soviel
Wasser enthalten, dass durch Verdampfen die Wirbelschicht auf der er-
wünschten Temperatur von 800 - 950 °C (geruchsfreie Verbrennung) gehal-
ten werden kann. Die Abwärme kann hier für die Trocknung des Klär-
schlammes genutzt werden (s. Abb. 25.12).
400 25 Verfahren der Schlammbehandlung

Klärschlamm Waschwasser

~ Kamin

Rauchgas
und Asche
Wäscher

Stinkluft
aus ARA
1Q•C
Asche zur Waschwasser
I Deponie zur Vorflut

Abb. 25.12. Fliessschema einer Schlammverbrennungsanlage mit integrierter Schlamm-


trocknung und Verbrennung der Stinkluft aus der Abwasserreinigungsanlage

Schlammverbrennung ist ausserordentlich teuer. Mit 20 Fr. pro Einwohner


und Jahr können diese Kosten fast gleich teuer werden wie der übrige Betrieb
einer grossen Kläranlage. Die Kostenangaben in Tabelle 25.3 basieren auf Be-
rechnungen. Realisierte Projekte führen häufig zu noch höheren Kosten.
Wenn die Verbrennung die einzige Art der Klärschlammentsorgung ist, so ist
es wenig sinnvoll, in einem Faulturm vorerst den Heizwert des Klärschlammes
durch Entzug von Biogas zu reduzieren. In diesem Fall wird meist direkt der
Frischschlamm entwässert, getrocknet und verbrannt.

TabeHe 25.3. Kosten der Klärschlammverbrennung im Wirbelschichtofen bei einer Leistung von
6000 t TS a· 1 , die mit 25%TS angeliefert werden (150'000- 250'000 EG) nach Obrist (1989)
Minimale Kapitalkosten 290 Fr t" TS
Zusatzbrennstoff 50 Fr t.\s
Elektrische Energie t"\
54 Fr 5
Personal t"\
40 Fr 5
Aschedeponierung 50 Fr t"\5
·I
Instandhaltung, Rest 80 Frt IS
Total
das entspricht ca. 20 Fr E.1 a·•
26 Literatur

Die hier zusammengestellte Literatur vertieft einzelne Fachbereiche der Sied-


lungswasserwirtschaft. Zusätzlich sind die im Text zitierten Arbeiten angegeben.
Neben den Fachbüchern sollten angehende Fachleute auch laufend die neuesten
Entwicklungen in den Fachzeitschriften des Arbeitsgebiets verfolgen.

26.1 Technisch-wissenschaftliche Zeitschriften


- Aqua
- Environmental Science and Technology
- Gas- und Wasserfach
- Gas Wasser Abwasser
- Journal of the American Water Works Association
- Journal of the Environmental Engineering Division (American Society of
Civil Engineers)
- Korrespondenz Abwasser
- Water Environment Research
- Water Environment & Technology
- Water Quality International
- Water Research
- W ater Science and Technology

26.2 Technische Regelwerke


Die technischen Regelwerke der Fachverbände zusammen mit den nationalen
Normenvereinigungen (D/N, ÖNV, SNV) geben umfangreiche und z.T. detail-
lierte Anhaltspunkte für die praxisgerechte technische Gestaltung, den Betrieb
und den Unterhalt sowie die administrativen Belange der Siedlungswasserwirt-
schaft.
Details aus denfolgenden Regelwerken werden im Text zitiert:
- ATV Regelwerk Abwasser-Abfall: Vertrieb GFA Gesellschaft zur Förderung
der Abwassertechnik e.V., Theodor-Heuss-Allee 17, D-53773 Hennef, Post-
fach 11 65, 53758 Hennef (Aus diesem Regelwerk werden im Text einige
Arbeitsblätter zitiert: A118, A128, A131, ... )
- DVGW Regelwerk: Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V.,
Technisch-wissenschaftliche Vereinigung, Postfach 14 03 62, D-53058 Bonn,
Vertrieb: Wirtschafts- und Verlagsgesellschaft Gas und Wasser mbH, Post-
fach 14 01 51, 53056 Bonn
402 26 Literatur

- SVGW Regelwerk: SVGW Schweizerischer Verein des Gas- und Wasserfa-


ches, Grütlistr. 44, Postfach 658, CH-8027 Zürich
- VSA Richtlinien: VSA Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutz-
fachleute, Strassburgstr. 10, Postfach, 8026 Zürich

26.3 Einführung
- ATV (1998) Geschichte der Abwasserentsorgung, Serie von Beiträgen in
Korrespondenz Abwasser anlässlich des 50. Jubiläumsjahres der Abwasser-
technischen Vereinigung
- ATV-Handbuch (1996) Betriebstechnik, Kosten und Rechtsgrundlagen der
Abwasserreinigung, 4.Aufl, Ernst&Sohn
- Berliner Wasser-Betriebe (1993) Wasserwerk Friedrichshagen 1893- 1993,
Verlag für Bauwesen
- Illi M (1987) Von der Schissgruob zur modernen Stadtentwässerung, Verlag
NZZ
- Kummert R, Stumm W (1992) Gewässer als Ökosysteme, 3 Aufl.,
vdf I Teubner

Zitiert
- Candinas T, Chassot G, Besson J-M, Lischer P (1991) Nutz- und Schadstoffe im Klär-
schlamm, Schweiz. Landw. Fo., 30 (1/2), 45 -59
- Lebmann M ( 1994) Volkswirtschaftliche Bedeutung der Siedlungswasserwirtschaft, GWA,
6n4, 442
- Whippie and Horwood zitiert in Fair, Geyer and Okun, Waterand Wastewater Engineering,
Voll, John Wiley & Sons, 1966

26.4 Grundlagen
- Deutsche Einheitsverfahren zur Wasser-, Abwasser- und Schlammuntersu-
chung. Band I- V. Verlag Chemie ISBN 3-527-28653-5. Wird laufend er-
neuert.
- Levenspiel 0 (1972) Chemical Reaction Engineering, 2.Edn., Wiley Interna-
tional Edition
- Sigg L, Stumm W (1994) Aquatische Chemie, 3. Aufl, vdf I Teuber
- Standard Methods for the Exarnination of Waterand Wastewater, 19.Edn.
1998. American Public Health Association, 1015 Fifteenth Street, NW, Wa-
shington, DC 20005, USA

Zitiert
- Richtlinien für die Untersuchung von Abwasser und Oberflächenwasser (Allgemeine Hin-
weise und Analysemethoden), Teil 1 und 2, Eidgenössisches Departement des Innern, Aus-
gabe 1983.
- Zobrist J (1998) Persönliche Mitteilung.
26.5 Wasserversorgung 403

26.5 Wasserversorgung
- Damrath H, Cord-Landwehr K (1992) Wasserversorgung, Teubner
- DVGW, Lehr- und Handbuch Wasserversorgung, Oldenbourg
Bd.1: Wassergewinnung und Wasserwirtschaft ( 1996)
Bd.3: Maschinelle und elektrische Anlagen (1995)
Bd.S: Wasserchemie für Ingenieure (1993)
- Gebr. SulzerAG (1990) Kreiselpumpen Handbuch, 3.Aufl, Vulkanverlag
- Grambach P, Haberer K, Merkl G, Trüeb U E (1993) Handbuch der Wasser-
versorgungstechnik, 2.Aufl, Oldenbourg
- Kottmann A (1992) Druckstassermittlung in der Wasserversorgung, Vulkan-
verlag

Zitiert
- Boiler M (1998) Persönliche Mitteilung
- BUWAL(1989)NAQUA
- Joukowsky (1898) Die Originalarbeit stand dem Autor nicht zur Verfügung
- SVGW (1989) Richtlinien für Projektierung, Ausführung und Betrieb von Quellfassungen.

26.6 Siedlungsentwässerung
- ATV-Handbuch (1994) Planung der Kanalisation, 4.Aufl, Ernst&Sohn
- ATV-Handbuch (1996) Bau und Betrieb der Kanalisation, 4.Aufl,
Ernst&Sohn
- Geiger W, Dreiseitl H (1995) Neue Wege für das Regenwasser, Oldenbourg
- HagerAH (1994) Abwasserhydraulik, Springer-Verlag
- Hosang/Bischof W ( 1989) Abwassertechnik, 9.Aufl, Teuber
- Hörler A, Rhein H R (1962) Die Intensitäten der Starkregen in der Schweiz,
Schweiz. Z. Hydrologie, XXIV, S. 291-352.
- Imhoff Kund KR (1993) Taschenbuch der Stadtentwässerung, 28.Aufl, 01-
denbourg
- Schilling W (1990) Operationelle Siedlungsentwässerung, Oldenbourg
- SIA (1980) Kanalisationen, Schweiz. Ingenieur und Architektenverein, Do-
kumentation 38
- SIA (1982) Sonderbauwerke der Kanalisationstechnik I, 2. Aufl., Schweiz.
Ingenieur und Architektenverein, Dokumentation 40
- SIA (1982) Sonderbauwerke der Kanalisationstechnik II, Schweiz. Ingenieur
und Architektenverein, Dokumentation 53
- SIA (1993) Kanalisationen 4, Schweiz. Ingenieur und Architektenverein,
Dokumentation D 0100
- SiekerF (1996) Naturnahe Regenwasserbewirtschaftung in Siedlungsgebie-
ten, expert verlag.
- Vischer D, Hager WH (1992) Hochwasserrückhaltebecken, vdf
- Vischer D, Huber A (1993) Wasserbau, S.Aufl, Springer Lehrbuch
- VSA (1989) Genereller Entwässerungsplan (GEP), Richtlinie und Muster-
buch, Verband Schweiz. Abwasser- und Gewässerschutzfachleute
404 26 Literatur

WSL (1975- 1992) Starkniederschläge des schweizerischen Alpen- und Al-


penrandgebietes, Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft,
Band 1 (1975) bis Band 9 (1992)

Zitiert
- AGW (1982) Der Spitzenabflussbeiwert von Siedlungsgebieten, Dezember 1982. Haudi-
rektion des Kantons Zürich, Amt für Gewässerschutz und Wasserbau.
- AGW (1996) Die Versickerung von Regenwasser auf der Liegenschaft, Direktion der öf-
fentlichen Bauten des Kantons Zürich, Amt für Gewässerschutz und Wasserbau. Viele
schweizerische Behörden stellen ähnliche Unterlagen zur Verfügung.
- ATV (1982) Planung und Bau von Abwasserpumpwerken mit kleinen Zuflüssen, Arbeits-
blattA 134
- ATV (1990) Bau und Bemessung von Anlagen zur dezentralen Versickerung von nicht
schädlich verunreinigtem Niederschlagswasser, Arbeitsblatt A138
- BUWAL (1979) Der Spitzenabflussbeiwert- Eine Untersuchung der Regenwasserverluste
in Siedlungsgebieten.
- BUWAL (1984) Wirkung von Regenbecken, Schriftenreihe Umweltschutz Nr. 29
- Hörler A (1966) Kanalisation, Ingenieur-Handbuch (Schweiz. Verlagshaus AG, Zürich)
- Hörler A (1967) Gefällswechsel in der Kanalisationstechnik bei Kreisprofilen, Schweiz. Z.
Hydro!., 29:2, 387 - 426.
- Hörler A, Rhein H R (1961) Die Intensitäten der Starkregen in der Schweiz, Schweiz. Bau-
zeitung, 79:32, 559-563.
- Kropf A (1955) Die Spezialbauwerke der Kanalisation, Schweiz. Bauzeitung, 73:27, 413-
418.
- SN 592 000 (1990) Planung und Erstellung von Anlagen für die Liegenschaftsentwässe-
rung.
- SN 640 350 (1969), 640 351 (1970), 640 352 (1970), Oberflächenentwässerung von Stra-
ssen - Regenintensität - Anlaufzeit - Abflussmengen.
- Volkart P (1993) Hydraulische Bemessung, SIA Dokumentation D 0100
- VSA (1992) Richtlinie Unterhalt von Kanalisationen

26.7 Abwasserreinigung, Behandlung von Klärschlamm


ATV (1979) Mikroorganismen in der Abwasserreinigung, Verlag F.
HirthammerMünchen
ATV-Handbuch (1996) Klärschlamm, 4.Aufl, Emst&Sohn
ATV-Handbuch (1997) Biologische und weitergehende Abwasserreinigung,
4.Aufl, Emst&Sohn
ATV-Handbuch (1997) Mechanische Abwasserreinigung, 4.Aufl,
Emst&Sohn
Fair, Geyer, Okun (1968) Waterand Wastewater Engineering, Vol2, 2 Edn.,
John Wiley & Sons
Henze M, Harremoes P, Ia CourJansen J, Arvin E (1995) Wastewater Treat-
ment, Springer-Verlag
.Imhoff Kund R K (1993) Taschenbuch der Stadtentwässerung, 28.Aufl, 01-
denbourg
26.7 Abwasserreinigung, Behandlung von Klärschlamm 405

Imhoff R K, Bode H, Evers P (1996) Entwurfsbeispiele für kommunale Klär-


anlagen, Oldenbourg
Metcalf&Eddy (1991) Wastewater Engineering, McGraw-Hill International
Editions
VSA (1995) Richtlinie für den Einsatz, die Auswahl und die Bemessung von
Kleinkläranlagen. Verband Schweizerischer Abwasser- und Gewässerschutz-
fachleute.

Zitiert
- BUW AL (1994) Umweltmaterialien Nr. 22
- Obrist A (1989) Technik der Klärschlammverbrennung, Mitteilungen der EAWAG 28,
26-31
- Wuhrmann K (1964) Hauptwirkungen und Wechselwirkungen einiger Betriebsparameter im
Belebtschlammsystem. Ergebnisse mehrjähriger Grossversuche, Schweiz. Z. Hydrologie
XXVI:2.
27 Sachverzeichnis

A 131, 86, 93, 316- 339 CSB,36,93,99,328,349


Abflussbeiwert, 198, 209- 217, 225 Dekanter, 394
Abflusssteuerung, 274 Denitrifikation, 40, 58, 309, 335- 341,
Abwasseranfall, 67- 88, 193, 220, 229 Desinfektion, 8, 23, 55, 107, 127
Abwasserfaulraum, 367 Dichte,27,50, 133,293
Abwasserreinigungsanlage, 11, 285 Dichtigkeit von Kanälen, 241 - 243
Adsorption, 135, 143 Drainage, 67, 397
Aerob thermophile Hygienisierung, 383 Druckstoss, 180
Aktivkohle, 135 Druckverlust, s. Energieverlust
Alkalinität, 46, 332, 337 Druckwindkessel, 151, 185
Ammoniak, 41 Druckzone, 178
Ammonium, 41, 96, 99, 235, 282, 309- Düker, 246
347,388 Dynamische Simulation, 320
Anreicherung von Grundwasser, 116 Eindicker, 287, 300, 381
Äquivalente Rohrleitung, 159 Einwohnergleichwert, 92
Arehirnedes Schraube, 257 Eisenchlorid, 342
Bakterien, 54, 128, 306, 327, 330, 336, Elementarer Stickstoff, 43
345,383 Emscherbrunnen, 300
Bandfilterpresse, 396 Energieverlust, 153- 161
Belebtschlammflocke, 313 Enthärtung, 140
Belebtschlammverfahren, 20, 286, 305, Entlastung, 14, 215- 217, 230- 232,
310- 349 247-248
Belebungsanlage, 30, 312 - 382 Entsäuerung, 140
Belüftung, 292, 311, 321 Entwässerungsplanung, 15, 277
Betriebspunkt einer Pumpe, 167 - 169 Escherichia coli, 52 - 54
Betriebsrauhigkeit, 155 - 159, 267 Fällmittel, 342, 354
Biochemischer Sauerstoffbedarf, BSB, Fällung, 301 - 304, 341 - 344, 357
37 Fangbecken, 252 - 257
Biofilm, 310, 354 Faulraum, 287, 391
Biogas, 377, 387- 390 Faulschlamm, 63 - 65, 387 - 391
Biologische Abwasserreinigung, 305 Faulturm, 287, 383 - 385
Biologische Phosphorelimination, 345 Faulung, 65, 387 - 391
Bodenpassage, 131, 368 Fehlanschlüsse, 223
BSB,, 37, 93, 298, 309, Feuerwehr, 79, 148, 179
Chemischer Sauerstoffbedarf, CSB 36 Filterpresse, 395
Chlorgas, 26, 128, 144 Filtration,
Chlordioxid, 128, 130, 144 Abwasser, 357
Chlorierung, 128 Labor, 34
Cryptosporidien, 52, 56 Trinkwasser, 132
408 Sachverzeichnis

Flächenbelastung (Tropfkörper), 352 Kaliumpermanganatverbrauch


Flachstrecke, 270 (KMn04 ), 37
Fliessgeschwindigkeit, 154- 161 Kanalisation, 5, 27, 60, 86, 191, 197,
Fliesszeitverfahren, 214 220, 239- 243, 263- 271
Flockung, 136,143,301,344,381,394 Kanalstauraum, 253
Flockungsfiltration, 284, 343, 357 Kjeldahl-Stickstoff (TKN), 42, 93
Flotation, 360 Kläranlage, 6 - 12, 194, 281 - 289
Flusswasser, 56, 111, 122, 138 Klärschlamm, 11 - 13, 33, 63- 66, 286,
Förderhöhe, 162 296, 300, 363, 371, 373- 399
Freispiegelleitungen, 239, 246, 264 Klarwasserzone, 324
Fremdwasser, 59, 79- 88 Kleinkläranlagen, 367
Frischschlamm, 64, 287, 382, 388 Koagulation, 136
Gasproduktion, 385, 388 Kontrollschacht, 244
Gefällswechsel, 245, 270 Kosten,
Genereller Entwässerungsplan, GEP, Abwasserreinigung, 365
278 GEP, 278
Generelles Kanalisationsprojekt, GKP, Schlammverbrennung 400
277 Siedlungswasserwirtschaft, 15
GEP, 15, 194, 277 Wasserversorgung, 187
Geruch, 51 Kreiselpumpe, 165- 167
Gesamt ungelöste Stoffe, GUS, 35, 63 Landwirtschaft, 12, 65, 371-399
Geschmack, 51 Langsamsandfilter, 122, 131, 143
Gewässerschutz, 13 Langzeitbelüftung, 392
Gewässerschutzbereiche, 123 Lebensmittel (Trinkwasser), 16, 54,
Giardia, 52 103
GKP, 14, 194, 277 Liegenschaftsentwässerung, 237
Glühverlust, 35, 64, 314, 388 Löschwasser, 6, 79, 145-150
Grenzwert, 41, 56, 65, 282 Massenbilanz, 19
Grundwasser, 1 - 13, 56, 68, 103- 107, Mechanische Abwasserreinigung, 289
111 - 125, 259 Mehrschichtfilter, 358
Grundwasserbrunnen, 114 Meteorwasser, 191, 197
GUS, 35,63 Mikrosieb, 138
Hauptleitung, 156, 175 Mischsystem, 220, 228
Hydraulische Aufenthaltszeit, 299, 325 Mischung, 342
Hydraulische Berechnungen, 263 Mischwasser, 6, 29, 60, 80, 90, 211,
Hydrolyse, 306 221,227,254
Hygiene, I, 10,103,127,153,282,374 Nachklärbecken, 287, 311, 323, 350
Hygienisierung, 130, 377, 382 - 386 Netzberechnung, 169 - 174
IDF (Intensität-Dauer-Frequenz Niederschlag, 57, 195 - 200, 204, 260
Kurve), 205 Nitrat, 42, 121, 282, 305, 309, 329,
lonenaustausch, 140 335,349
Jahresgang Nitrifikation, 40-46, 306, 309, 311,
Abwasser 84 329- 335, 350
Schmutzstoffe 95 Nitrit, 40- 43, 283, 330
Temperatur 100 Nitritoxidierer, 331
Trinkwasser, 72 Nitrobakter, 330
Trübung 113 Nitrosomonas, 330
Jährlichkeil (von Regen), 206,211,273 Oberflächenbelastung, 293 - 295
Sachverzeichnis 409

Ober.flächenspannung,51 Sauerstoff, 49, 143, 239, 287, 307, 311


Organisch gebundener Kohlenstoff, 39 - 354, 369, 383- 386
Ozon, 128, 143 Sauerstoffverbrauch, 37, 306, 316-
Ozonierung, 128, 143 342,384,392
Parallelbetrieb, 168 Säurebindungsvermögen, s.a.
Pasteurisierung, 386 Alkalinität, 46, 363
pathogene Keime, 54, 104, 377, 382 Schlammalter, 317- 320, 327- 340,
Pflanzenan1agen, 369 348,392
Phosphat, 43, 302, 341, 345 Schlammbelastung, 315- 320, 326
Phosphor,3,43,93,282,302,341- Schlammentwässerung, 394
349,357 Schlammstabilisierung, 300, 316, 387
Phosphore1imination, 301, 341- 349, Schlammvolumenindex, SVI, 313 -
354,356,392 315,324
pH-Wert, 45-46, 140, 322, 330, 337 Schmutzstoss, 254 - 256
Probenahme,60,92,282 Schmutzwasserspeicher, 256
Pumpen, 107, 151, 162- 169, 180 Schneckenpumpe,257
Pumpenkennlinie, 167 Schnellfilter, 133
Pumpwerk, 105, 162, 257 Schutzzone, 107, 123- 125
Quellfassung, 114, 123 Sedimentation, 136- 142, 227, 249,
Quellwasser, 6, 59, 111, 113 285, 293 - 303, 323
Rauhigkeit, 162, 269 Sedimente, 3, 227, 239, 254, 268, 281
Rauhigkeitsbeiwert, 158, 265 Seewasser, 8, 56, 106, 111, 120, 142
Raumbelastung, 351- 353 Seewasserfassung, 121
Raumfiltration, 357 Se1bstreinigung, 116, 259, 310
Rechen,257,285,289 Seriebetrieb, 168
Rechengut,285,290 Shigella, 54
Reduzierte Fläche, 212, 215 SIA,242,243,245,249,264,265,267,
Regenabschnitt, 205, 213 270
Regenbecken, 6, 197, 228- 233, 249 Sicherheitsfaktor, SF,
Regendauer, 200- 216 Grundwasserbrunnen, 119,
Regenintensität, 197- 218 biologische Reinigung, 333 - 335
Regenüberlaufbecken s. Regenbecken Siedlungsentwässerung, 1- 10, 191-
Regenwasser, 1- 10, 57, 68, 79, 89, 280
191 - 277 Siedlungshydrologie, 197 -218, 272
Reinwasser, 223 Siedlungswasserwirtschaft, 1 -400
Reservoir, 26, 145 - 152 Simulation,
Retention, 225, 227, 238, 254, 261 Entwässerung, 272,
Reynoldszahl, 155 - 157 Abwasserreinigung, 320
Rezirku1ation, 338, 347, 351, 362 Simultanfällung, 311,341-345,349,
Röhrenreaktor, 23 357
Rückbelastung, 391 Speicherzone (Nachklärbecken), 324
Rückha1tebecken, 193, 221 Stabilisierung, 288, 377, 387 - 394
Rücklaufschlamm, 286, 311, 323, 338, Steilleitung, 245, 270
340,346 Stickstoff, 40 - 43, 94, 283, 305 - 356,
Rührkessel, 24 376,388,391
Salmonella, 54 Stoffbilanz, 19, 317
Sandanfall, 292 Strassenentwässerung, 237
Sandfang, 285, 291- 295 Suspendierte Stoffe, 282
410 Sachverzeichnis

SVI, 313- 315, 324 UV Strahlung, 128- 129


Systemanalyse, 19 - 31 Verbrennung, 376, 399- 400
Systemkennlinie, 164- 168 Verbundbecken, 253
Tages gang, Vereinigungsschacht, 29, 244
Abwasserabfall, 79 Verschmutztes Abwasser, 191
Ammonium, 96 Versickerung, 1, 193, 197, 224, 258-
Nitrifikation, 333 262,278
Temperatur, 101 Versickerungsschacht, 260
Sauerstoffverbrauch, 320 Vibrio cholerae, 54
Schmutzstoffe, 91 Viren, 54, 128, 375
Wasserverbrauch, 69, 146 Viskosität, 51, 157
Tauchkörper, 310, 354- 356, 370 Vorflut, 6- 15, 67, 191, 219, 227, 281,
Tauchtropfkörper s. Tauchkörper 284,305,363,370
Teilfüllung, 239 - 243, 249, 264- 27 Vorklärbecken, 93, 234, 286, 293- 300
Temperatur, 50 Wachstumsgeschwindigkeit, 306- 308,
Abwasser, 100 317, 330
Ammonium I Ammoniak, 41 Wasserbedarf, 4, 67-79, 103, 148, 179
Dichte, Viskosität, 51 Wasserfassung, 106, 121
gelöster Sauerstoff, 49 Wasserhärte, 45- 49, 341
Hygienisierung, 383 Wasserspeicher, 145 - 152
Mikroorganismen, 307 Wasserturm, 150
Nitrifikation, 330 Wasserverbrauch, 67- 79, 103
Quellwasser, 113 Wasserversorgung, 1 - 16, 67, 87 103 -
Sedimentation, 293 190
Seewasser, 120 Wider (hydraulischer), 186
TKN,42,93 Wirbelfallschacht, 246
Toleranzwert, 45 Wirbe1schicht, 399
Trennsystem, 60,211,216,219-224, Wochengang,67, 72,99, 320
237,240,263 Zähigkeit, 51, 155
Trennzone (Nachklärbecken), 324 Zerfall, 308, 329
Trinkwasser, 1 - 10, Zustrombereich, 123
Aufbereitung, 127- 145
Bedarf, 69 - 79
Beschaffung, 111 - 126
Speicherung, 145- 152
Verteilung, 153- 190
Zusammensetzung, 58,
Trockenbeet, 398
Trockenwetterabfluss, 221, 266
Trocknung, 377, 397, 398- 399
Tropfkörper, 310, 350- 354, 370
Trübung, 35, 111
TSS (GUS), 35, 63, 93, 282, 297, 302,
311,327,340,356,357,362
Überschussschlamm, 287, 310- 349,
392
Untergrundverrieselung, 368
Unverschmutztes Abwasser, 191
Springer
und
Um elt
Als internationaler wissenschaftlicher
Verlag sind wir uns unserer besonderen
Verp, ichtung der Umwelt gegenüber
bewußt und beziehen umweltorientierte
Grundsätze in Unternehmens-
entscheidungen mit ein. Von unseren
Geschäftspartnern (Druckereien,
Papierfabriken, Verpackungsherstellern
usw.) verlangen wir, daß sie sowohl
beim Herstellungsprozess selbst als
auch beim Einsatz der zur Verwendung
kommenden Materialien ökologische
Gesichtspunkte berücksichtigen.
Das für dieses Buch verwendete Papier
ist aus chlorfrei bzw. chlorarm
hergestelltem Zellstoff gefertigt und im
pH-Wert neutral.

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