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Ulrich Hamme Einsatz hochfester Baustähle

Josef Hauser
Andreas Kern im Mobilkranbau
Udo Schriever

Hochfeste Baustähle ermöglichen durch Leichtbauweise eine Verrin- mechanisch gewalzter und vor allem wasservergüteter
gerung der Investitions- und Betriebskosten von Mobilkranen. Die Kon- Feinkornbaustähle mit bis zu 1100 MPa Mindeststreck-
struktion großer Fahrzeuge wird durch Einsatz von Stählen hoher grenze nachgekommen. Dank fortschrittlicher Stahl-
Streckgrenze erleichtert. Trotz der hohen Festigkeitskennwerte verfü- werks-, Walz- und Wärmebehandlungstechnik verfügen
gen diese Stähle dank fortschrittlicher Stahlwerks-, Walz- und Wärme-
diese modernen hochfesten Baustähle trotz ihrer hohen
behandlungstechnik über eine ausgezeichnete Zähigkeit, günstiges
Festigkeit über eine hervorragende Zähigkeit, ein gün-
Verhalten beim Kaltumformen und sehr gute Schweißeignung. Gleich-
zeitig lassen sich engste Dickentoleranzen einhalten. Eine bruch-
stiges Verhalten beim Kaltumformen und eine gute
mechanische Bauteilbewertung der modernen hochfesten Grobblech- Schweißeignung. Ein wichtiger Aspekt für die Nutzung
stähle auf der Basis neuartiger Sicherheitskonzepte zeigt, daß die dieser Stähle ist darüber hinaus deren hoher Widerstand
Stähle auch bei Annahme kritischer Beanspruchungsbedingungen ein gegen Sprödbruch.
Zähigkeitsniveau aufweisen, welches das sichere Betreiben von ge- In der vorliegenden Arbeit wird ein Überblick über
schweißten Konstruktionen in vollem Umfang gewährleistet. Der Ein- die Herstellung und die Eigenschaften dieser neuen
satz der hochfesten Baustähle ermöglicht die Verwirklichung völlig hochfesten Baustähle gegeben. Dabei stehen wasserver-
neuer technischer Lösungen im Mobilkranbau und hat zur Einführung gütete Stähle im Vordergrund. Weiter wird auf wichtige
neuer moderner Krane geführt. Aspekte der Verarbeitung und des Einsatzes dieser Stäh-
le im Mobilkranbau eingegangen. Hier stehen konstruk-
High-strength structural steels for mobile cranes. High-strength
tive Gesichtspunkte sowie die schweißtechnische Ver-
steels make it possible to reduce the capital and operating costs of
crane and commercial vehicles through lightweight design. In spite of
arbeitung im Vordergrund. Ausgewählte Anwendungs-
their high strength characteristics these steels have excellent tough- beispiele schließen den Beitrag ab.
ness, a favourable performance with cold forming and good weldabil-
ity thanks to progressive steelmaking metallurgy and rolling tech- 2 Moderne Baustähle für den Mobilkranbau
nology. Simultaneously, very narrow thickness tolerances can be
achieved. By modern safety concepts, based on fracture mechanics, Die Entwicklung von hochfesten Grobblechbaustählen
it was shown that modern high-strength steels exhibit sufficient tough- mit Streckgrenzen über 550 MPa hat bei ThyssenKrupp
ness to ensure the safe operation of welded structures under critical Steel bereits vor rd. 30 Jahren begonnen [1], [2] (Bild 1).
service conditions. The use of high-strength steels allows the imple- Die gewünschten Mindeststreckgrenzen ließen sich da-
mentation of new technical solutions in mobile crane engineering and
bei nur durch besondere Walz- bzw. Wärmebehandlungs-
leads to a new generation of cranes.
verfahren wie thermomechanisches Walzen bzw. Wasser-
vergüten in Verbindung mit darauf abgestimmten Stahl-
zusammensetzungen einstellen.
1 Einleitung

Stahl ist wegen seiner Tragfähigkeit, seines günstigen Ver-


arbeitungsverhaltens und seiner hohen Wirtschaftlichkeit
der wichtigste Konstruktionswerkstoff im Nutzfahrzeug-
und Mobilkranbau. Seine überragende Bedeutung ver-
dankt er vor allem der Möglichkeit, seine Eigenschaften
an die jeweiligen technischen Anforderungen anzupas-
sen.
In den hochbeanspruchten Stahlkonstruktionen des
Mobilkranbaus hat das Eigengewicht der Konstruktion
einen wesentlichen Einfluß auf die Nutzlast und damit
auf die Wirtschaftlichkeit der Mobilkrane. Eine Verringe-
rung des Eigengewichts ohne Einbuße der Tragfähigkeit,
d. h. der Festigkeit und der Bauteilsicherheit der Kon-
struktion, steht dabei im Vordergrund. Diesem Wunsch
nach Leichtbauweise und nach gleichzeitiger Steigerung
der Sicherheit hochbeanspruchter Konstruktionen ist die Bild 1. Entwicklung hochfester Baustähle
Thyssen Krupp Steel AG durch Bereitstellung thermo- Fig. 1. Development of high-strength structural steels 295

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2.1 Fortschritte bei der Stahlherstellung


Voraussetzung für die Bereitstellung von Stahlerzeugnis-
sen, die den vielfältigen Anforderungen des Marktes in
vollem Umfang gerecht werden, waren Fortschritte in
Metallurgie, Walz- und Wärmebehandlungstechnik. In
den Stahlwerken der Thyssen Krupp Steel AG wird nach
dem TBM-Verfahren gearbeitet. Der flüssige Stahl wird
dabei gerührt, indem man Gas durch den Konverter-
boden einbläst. Man erreicht so eine bessere Durchmi-
schung von Metall und Schlacke. Das Thyssen-Blas-
Metallurgie (TBM)-Verfahren ermöglicht damit niedri-
gere Gehalte an Phosphor und Schwefel sowie einen
besseren Reinheitsgrad. Ebenso wichtig ist die Pfannen-
metallurgie [3]. Sie entlastet den Konverterprozeß und Bild 2. Herstellung wasservergüteter bzw. gehärteter Grob-
erlaubt eine sehr präzise Einstellung der angestrebten bleche
chemischen Zusammensetzung. Dabei ist die Injektion Fig. 2. Production of quenched or quenched and tempered
reaktiver Feststoffe nach dem TN-Verfahren besonders heavy plates
erwähnenswert. Sie ermöglicht ein Absenken des Schwe-
felgehaltes auf extrem niedrige Werte und eine besonders
intensive Desoxidation des Stahles. Das ist günstig im stungsfähigen Anlagen durchgeführt und beginnt mit
Hinblick auf den Reinheitsgrad und führt dazu, daß die einem durchgreifenden Erwärmen auf Temperaturen
wenigen noch im Stahl verbleibenden Oxide und Sulfide oberhalb Ac3 . Nach der Erwärmung erfolgt ein schnelles
in vorteilhafter globularer Form vorliegen. So kann mit Abkühlen der Bleche mit Druckwasser, wodurch eine
den hochfesten Baustählen eine hohe Sicherheit gegen Gefügeumwandlung in der Martensit- oder Bainitstufe
Sprödbruch und eine hervorragende Isotropie der Zähig- erreicht wird. Neben der chemischen Zusammensetzung
keits- und Verformungseigenschaften erreicht werden. ist die an das Härten anschließende Anlaßbehandlung
Zukünftig wird bei der Herstellung von Flachprodukten die wichtigste Steuergröße für die mechanischen Eigen-
das endabmessungsnahe Gießen an Bedeutung gewin- schaften. In Zukunft ist es denkbar, den Vorgang durch
nen. Vorteile dieser neuen Technologie sind vor allem Härten direkt aus der Walzhitze zu vereinfachen. Man
eine verbesserte Innenbeschaffenheit, ein feineres Pri- bezeichnet diese Vorgehensweise als Direkthärten. Bei
märgefüge und eine geringere Seigerung des erstarrten diesem Prozeß ergibt sich eine Verbesserung der Härt-
Stranges, was sich positiv auf das gewalzte Endprodukt barkeit, die sich ebenfalls zur weiteren Absenkung der
auswirkt [4]. Legierungsgehalte im Sinne einer Verbesserung der
Weitere entscheidende Steuergröße für das Eigen- Schweißbarkeit nutzen läßt. ThyssenKrupp nutzt bei
schaftsprofil der Stähle ist der Walz- und Wärmebehand- der Herstellung wasservergüteter Stähle die besonderen
lungsprozeß. So ist z. B. durch Einsatz des thermo- Vorteile der Bandblechfertigung im Vergleich zur Ferti-
mechanischen Walzens, die Darstellung von perlitarmen gung über die Quartostraße bei Blechdicken bis zu
Stählen (PAS) mit bis zu 700 MPa Mindeststreckgrenze 12 mm und Breiten bis zu 2 000 mm. Durch die Vorzüge
und sehr hoher Zähigkeit möglich. Beim TM-Walzen einer modernen Warmbandstraße können bei der Band-
sind chemische Zusammensetzung, vor allem die Mi- blechfertigung verbesserte Dickentoleranzen eingehalten
krolegierung, und der Umform-Zeit-Temperatur-Verlauf werden, die im allgemeinen bei Quartogrobblechen nur
genau aufeinander abgestimmt. Hierdurch läßt sich ein mit hohem Zusatzaufwand erreicht werden können.
äußerst feines Ferritgefüge mit günstigen Auswirkungen Hierdurch eröffnen sich für den Mobilkranbau neue
auf Streckgrenze und Zähigkeit einstellen. Der Gesamt- Möglichkeiten zur Optimierung der Konstruktion und
gehalt an Legierungselementen kann auf diese Weise sehr zur weiteren Reduzierung von Eigengewicht und Ver-
niedrig gehalten werden [5], [6]. Hochfeste thermo- arbeitungskosten.
mechanisch gewalzte Stähle weisen eine hervorragende
Oberfläche und gute Verarbeitungseigenschaften auf. 2.2 Analysenkonzepte und mechanische
Neben der Herstellung dieses Stahles über die Warm- Eigenschaften
bandstraße ist ThyssenKrupp Steel auch in der Lage, bis Bei den im Mobilkranbau bewährten Stählen handelt es
2 500 mm breite Quartogrobbleche in der Güte PAS 700 sich um niedriglegierte Stähle mit einem C-Gehalt von
bis 15 mm Dicke über TM-Walzen zu fertigen. unter 0,20 %. Sie enthalten darüber hinaus je nach gefor-
Für die höchsten Anforderungen an Festigkeit und derter Mindeststreckgrenze und Blechdicke Zusätze von
Zähigkeit im Mobilkranbau haben sich die wasserver- Cr, Mo, Ni und V sowie ggf. eine Mikrolegierung. Wel-
güteten Stahlsorten vom Typ N-A-XTRA und XABO oder chen Beitrag die einzelnen Legierungselemente in was-
einfach S690QL und S960QL/S1100QL seit langem be- servergüteten Stählen zur Erhöhung der Streckgrenze
währt [7], [8]. Mit XABO 1100 ist dabei ein vorläufiger liefern, zeigt exemplarisch Bild 3. Die wichtigsten Legie-
Höhepunkt der Entwicklung hinsichtlich der erreich- rungselemente, das Kohlenstoffäquivalent CET und die
baren Mindeststreckgrenze bei hochfesten Baustählen charakteristischen mechanischen Eigenschaften von ge-
gegeben [9], [10]. Bild 2 gibt einen Überblick über den bräuchlichen hochfesten Baustählen aus dem Mobilkran-
Fertigungsweg wasservergüteter Stähle vom Erschmelzen bau weist beispielhaft Bild 4 aus. Als Kenngrößen sind
296 bis zum fertigen Blech. Das Vergüten wird dabei auf lei- die Streckgrenze R e , die Zugfestigkeit R m , die Bruchdeh-

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Bild 3. Einfluß der Legierungsgehalte auf die Streckgrenzen- Bild 5. Verformungsvermögen hochfester Stähle beim Kaltum-
zunahme in wasservergüteten Stählen formen
Fig. 3. Influence of alloying content on yield strength increase Fig. 5. Forming capability of high-strength structural steels
in quenched and tempered steels during cold forming

ßen. Wichtige Aspekte beim Schwei-


ßen sind die Kaltrißsicherheit und
die Tragfähigkeit der Schweißver-
bindungen. Zu beiden Aspekten hat
die Thyssen Krupp Steel AG syste-
matische Grundlagenuntersuchun-
gen durchgeführt, die dazu beige-
tragen haben, daß sich auch höch-
ste Anforderungen an die Tragfähig-
keit von Schweißkonstruktionen aus
hochfesten Baustählen erfüllen las-
sen [11], [12]. Die hochfesten Stähle
weisen durch ihr niedriges Koh-
Bild 4. Legierungsaufbau und typische mechanische Eigenschaften hochfester Bau- lenstoffäquivalent bei Verwendung
stähle hochwertiger Schweißzusatzwerk-
Fig. 4. Alloying concept and typical mechanical properties of high-strength structural stoffe mit dem beim Schutzgasschwei-
steels ßen üblichen niedrigen Wasserstoff-
gehalt eine hohe Kaltrißsicherheit
auf. Die in EN 1011 dargestellten
nung A 5 sowie Zähigkeitskennwerte des Kerbschlag- Überlegungen zur Vermeidung von Kaltrissen (CET-Kon-
biegeversuchs enthalten. Hieraus wird deutlich, daß die zept) zeigen, daß bei hochfesten Stählen ein Vorwärmen
wasservergüteten Stähle eine hervorragende Kombina- zur Begünstigung der Wasserstoffeffusion und Verzöge-
tion von Festigkeit und Zähigkeit aufweisen. rung der Abkühlung im Nahtbereich erst bei dickeren
Blechen notwendig ist.
2.3 Umformverhalten und Schweißeignung Die Schweißbedingungen beeinflussen bei den hoch-
Im Mobilkranbau werden in großem Umfang kaltumge- festen Baustählen natürlich auch die mechanischen
formte und abgekantete Bleche verwendet. Gegenüber Eigenschaften der Schweißverbindung. Wichtig hierbei
allgemeinen Baustählen mit niedrigerer Streckgrenze ist die geeignete Festlegung der Abkühlzeit t 8/5 , in der die
benötigt man zum Kaltumformen wasservergüteter Bau- zahlreichen schweißtechnischen Einflußgrößen zu einer
stähle entsprechend größere Kräfte. Aussagefähig für die zentralen Kenngröße zusammengefaßt sind. Sie ist pro-
Umformbarkeit sind die Ergebnisse des technologischen portional dem Wärmeeinbringen. Bei modernen Bau-
Biegeversuchs. Je niedriger das Verhältnis von Dorn- stählen sollte die Abkühlzeit t 8/5 zwischen 10 und 25 s
durchmesser zu Blechdicke für anrißfreies Biegen, desto liegen, um optimale Eigenschaften in der Schweißverbin-
höher ist das Umformvermögen. Bild 5 dokumentiert für dung sicherzustellen. Wie am Beispiel des S690QL (N-A-
die hochfesten wasservergüteten Baustähle des Mobil- XTRA 70) in Bild 6 gezeigt, ergeben sich nämlich bei
kranbaus die Mindestbiegeradien für anrißfreies Biegen. kürzeren Abkühlzeiten, d. h. niedrigerem Wärmeeinbrin-
Mit den modernen Stahlkonzepten können danach heute gen, aufgrund des Legierungsgehaltes unzulässig hohe
im Vergleich zu früher auch bei größeren Blechdicken Maximalhärten in der Wärmeeinflußzone. Andererseits
sehr niedrige Mindestbiegeradien eingehalten werden. ergibt sich bei zu hohem Wärmeeinbringen eine abneh-
Die hochfesten Baustähle sind mit den gängigen mende Zähigkeit in der Wärmeeinflußzone von Schweiß-
Schweißverfahren sehr gut schweißbar. Im Mobilkran- verbindungen, was an den hohen T27 -Übergangstempe-
bau schweißt man bevorzugt nach dem Schutzgasschwei- raturen deutlich wird. 297

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Bild 6. Zähigkeit und Höchsthärte in der WEZ von


Schweißverbindungen S690QL
Fig. 6. Toughness and maximum hardness of multi-layer welds
of S690QL

Bild 8. Bewertung des Bruchverhaltens von geschweißten Kon-


struktionen aus hochfesten Stählen bei konstanter Tragfähig-
keit und einer Einsatztemperatur von – 40 °C
Fig. 8. Assessment of fracture behaviour of welded structures at
a service temperature of – 40 °C and constant load bearing
capacity

sprechende Sicherheitsanalysen durchgeführt. Beispiel-


haft dafür zeigt Bild 8 den Vergleich von Zähigkeitsan-
forderungen und Zähigkeitsniveau von Stählen bis zu
1100 MPa Mindeststreckgrenze im Grundwerkstoff und
in der WEZ nach Eurocode 3. Es wird deutlich, daß
Bild 7. Arbeitsfeld beim Schweißen von S690QL die Anforderungen an die Zähigkeit mit zunehmender
Fig. 7. Working field for welding of S690QL Festigkeit ansteigen. Für die betrachteten Stähle wird
jedoch in allen Streckgrenzenstufen gefunden, daß die
Zähigkeitsreserve immer über den Anforderungen liegt.
Aus der Kombination der mit dem CET-Konzept Die Bruchzähigkeit der Stähle liegt also in jedem Fall
als optimal ermittelten Abkühlzeiten zur Kaltrißsicher- über der bruchmechanischen Bauteilzähigkeit. Vorteil-
heit ergeben sich die in Bild 7 für den Stahl S690QL haft für die Zähigkeitsreserve ist dabei, daß beim Kon-
(N-A-XTRA 70) beispielhaft gezeigten „Arbeitsdiagram- struieren mit zunehmender Streckgrenze des Werkstoffs
me“. Aus ihnen lassen sich in der Praxis für die gege- auf geringere Blechdicken übergegangen werden kann.
bene Werkstückdicke anforderungsgerechte Schweißbe- Alle hochfesten Stähle weisen ein Zähigkeitsniveau auf,
dingungen für alle hochfesten Stähle ablesen. das für ein sicheres Betreiben von geschweißten Stahl-
konstruktionen auch bei tiefsten Einsatztemperaturen
2.4 Sprödbruchverhalten mehr als ausreichend ist.
Bei der Konzeption von geschweißten Konstruktionen
ist die Kenntnis des Bruch- und Verformungsverhaltens 2.5 Stabilitätsverhalten/Schwingfestigkeit
wichtige Voraussetzung für eine sichere Konstruktion. Bei statischer Beanspruchung läßt sich die Streckgrenze
Um die Bauteilsicherheit geschweißter Stahlkonstruk- hochfester Baustähle voll nutzen, wenn im Bauteil aus-
tionen insbesondere gegen plötzliches Versagen durch schließlich Zugspannung vorliegt. Bei Druckbeanspru-
Sprödbruch nachzuweisen, werden zunehmend quanti- chung sind dagegen für die Dimensionierung die Stabi-
tative Sicherheitsanalysen auf der Basis bruchmechani- litätskriterien hinsichtlich Knicken und Beulen zu beach-
scher Kennwerte angewendet [13] bis [15]. Hier wird von ten. Im Vergleich zu normalfesten Stählen zeigt sich
rißbehafteten Bauteilen ausgegangen, und der Sicher- dabei, daß hochfeste Baustähle üblicherweise bei niedri-
heitsnachweis wird vornehmlich durch Vergleich der gen Schlankheitsgraden höher belastet werden.
aus der Beanspruchungssituation resultierenden Zähig- Stahlkonstruktionen, wie z. B. Mobilkrane, unterlie-
keit des Bauteils mit der gemessenen bruchmechani- gen neben einer statischen Beanspruchung auch einer
schen Zähigkeit des Werkstoffs in der Schweißverbin- dynamischen Belastung. Dabei ist es wichtig festzuhal-
dung durchgeführt. ten, daß sich der Widerstand hochfester Stähle gegenüber
Um beurteilen zu können, ob mit den modernen schwingender Beanspruchung im Vergleich zu normal-
hochfesten Stählen auch ein sicheres Betreiben von ge- festen Stählen nicht in dem gleichen Maße erhöht wie die
298 schweißten Konstruktionen möglich ist, wurden ent- Streckgrenze. Diesen lange bekannten Sachverhalt ver-

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deutlicht Bild 9a, in dem die Wöh-


lerkurven des normalfesten S355
und der hochfesten Stähle S690QL
und S960QL einander gegenüberge-
stellt sind [16], [17]. Trotz mehr als
doppelt so hoher Streckgrenze wei-
sen die Stähle S690QL und S960QL
nur im Zeitfestigkeitsbereich Un-
terschiede von etwa 50 % aus. Die
Dauerschwingfestigkeit der hochfe-
sten Stähle ist nur bis zu 33 % höher
als bei S355. Darüber hinaus zeigt
sich, daß Schweißverbindungen
hochfester Baustähle gegenüber nor-
malfestenStählen unter ungünstigen
Bedingungen hinsichtlich Schwing-
spielzahl, Spannungsverhältnis (d. h.
Verhältnis Unter- zu Oberspannung) a)
und Kerbfall nur noch wenig über-
legen sind (Bild 9b). Eine vorteil-
hafte Anwendung hochfester Stäh-
le in geschweißten Konstruktionen
bietet sich dennoch immer dann an,
wenn die zulässige Schwingfestigkeit
des hochfesten Stahles die aus der
Streckgrenze abgeleitete zulässige
statische Festigkeit des niedrigfesten
Stahles überschreitet. Dies ist der
Fall bei hoher Mittelspannung, ge-
ringer Lastspielzahl, günstiger Form
des Lastkollektivs und möglichst ge-
ringer Kerbwirkung [17].
Um der Einschränkung der Vor-
züge hochfester Stähle bei schwin- b)
gender Beanspruchung zu begegnen,
erscheint es vorteilhaft, Schweißnäh- Bild 9. Schwingfestigkeit hochfester Stähle; a) Grundwerkstoff (mit Walzhaut),
te möglichst in wenig belastete Be- b) Schweißverbindung (Stumpfnaht)
reiche der Konstruktion zu legen. Fig. 9. Fatigue strength of high-strength structural steels; a) base material,
Darüber hinaus gibt es seit langem b) welded joint (butt weld)
Bestrebungen, die Schwingfestigkeit
von Schweißverbindungen durch
geeignete Nachbehandlungsverfah-
ren der Schweißnähte zu verbes-
sern. Zur Anwendung kommen da-
bei Schleifen, Kugelstrahlen und das
WIG-Aufschmelzen der Nahtüber-
gänge. Der Verbesserungseffekt be-
ruht im Fall des Schleifens und
WIG-Aufschmelzens auf einer Ver-
ringerung der Kerbwirkung der Ein-
brandkerbe im Übergang Schweiß-
gut/Grundwerkstoff; beim Kugel-
strahlen werden dagegen günstige
Druckeigenspannungen in Oberflä-
chennähe aufgebaut. Durch die ge-
nannten Maßnahmen können die
Schwingfestigkeiten sowohl im Zeit-
als auch im Dauerfestigkeitsbereich
wirkungsvoll erhöht werden. Dabei Bild 10. Verbesserung der Schwingfestigkeit von Schweißverbindungen aus S960QL
kann sogar die Schwingfestigkeit des durch Nahtnachbehandlung
Grundwerkstoffs erreicht werden Fig. 10. Improvement of fatigue strength of welded joints of S960QL by postweld
(Bild 10). treatment 299

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3 Bearbeitung und Fertigung

Sämtliche hochfesten Baustähle werden von der LIEB-


HERR-Werk Ehingen GmbH mit einem Materialzeugnis
3.1B nach DIN 10 204 und einer detaillierten Spezifika-
tion bestellt. Darin werden beispielsweise Dickentoleran-
zen und die Welligkeit über das übliche Maß hinaus
eingeschränkt. Der Zuschnitt erfolgt durch autogenes
Brennschneiden, Plasma- oder Laserschneiden. Beim
Kaltumformen sind vorgegebene Abkantradien unter
Beachtung der Walzrichtung einzuhalten. Nach dem
Zuschnitt erfolgt die Reinigung der Oberfläche (Strahl-
reinheitsgrad Sa 2 1/2). Die Schweißkantenvorbereitung
wird durch autogene Brennschnitte, Schweißkantenro-
boter oder Bandschleifmaschinen angebracht (Bild 11).
Um das Auftreten von wasserstoffinduzierten Kalt-
Bild 12. Segmentverbindung der Drehkranzauflage S960QL,
rissen zu vermeiden, wird der Schweißbereich vorge- t = 40 mm, Doppel-V-Naht, 26 Lagen, G4Si1 (Wurzel- und
wärmt. Das Vorwärmen führt zu einer Verzögerung des Gegenlage), SG 960 (Füll- und Decklagen)
Abkühlens nach dem Schweißen, fördert die Wasser- Fig. 12. Segment connection of the slewing suspension
stoffeffusion und reduziert das Eigenspannungsniveau. S960QL, t = 40 mm, double-V-welding, 26 layers, G4Si1 (root-
Die erforderliche Vorwärmtemperatur ist abhängig vom and counter layer), SG 960 (filling and cover layers)
Kohlenstoffäquivalent, dem Wasserstoffgehalt und der
Blechdicke. Die vorgegebene bzw. errechnete Mindest-
vorwärmtemperatur muß genau eingehalten werden. Sie
wird während des Schweißvorgangs permanent über-
prüft. Bei der LIEBHERR-Werk Ehingen GmbH wird das
Verfahren 135 „MAGM“ (Schutzschweißen mit Misch-
gas) angewendet. Beim Verbinden größerer Blechdicken
wird in Mehrlagentechnik geschweißt (Bilder 12 und 13).
Es wird angestrebt, die mechanischen Eigenschaften der
Schweißverbindungen weitgehend denen des Grundma-
terials anzupassen. Dazu werden entsprechend legierte
Schweißzusatzwerkstoffe verwendet. Beim S960QL wer-
den die Wurzellage mit einem niederfesten, dehnfähigen
G4Si1 und die Füll- und Decklagen mit einem Schweiß-
zusatzwerkstoff SG 960 geschweißt, dessen Streckgrenze
900 N/mm2 beträgt. Durch die Aufmischung mit dem
Grundwerkstoff und das angewandte Abkühlzeitkonzept Bild 13. Gittermast von Raupenkran LR 1550, Schweißverbin-
t 8/5 werden in der Schweißverbindung dieselben Festig- dung (Strichraupen), nahtloses Rohr S890QL, t = 25 mm, mit
keitswerte erreicht wie beim Grundwerkstoff. Dabei ist Anschluß-Gußstück EGS-20 Mn Cr Mo 435
t 8/5 die Zeitspanne, die die Schweißraupe und ihre Wär- Fig. 13. Lattice-boom of the crawler crane LR 1550, welding
meeinflußzone benötigen, um von 800 °C auf 500 °C ab- connection (welding beads), weldless pipe S890QL, t = 25 mm,
zukühlen. Die Abkühlzeit wird im wesentlichen durch with connector cast element EGS-20 Mn Cr Mo 435

die Vorwärmtemperatur, die eingebrachte Streckenergie


und die Schweißnahtgeometrie, aber auch durch die
Gestaltung des Bauteils (Abstrahlfläche), beeinflußt.
Durch die sorgfältige Ausführung der Schweißnaht,
mit Vorwärm- und Abkühlprozeß, kann die Entstehung
wasserstoffinduzierter Kaltrisse, die sich quer zur Naht-
richtung ausbilden, vermieden werden. Die Schweiß-
nähte werden durch die üblichen zerstörungsfreien Prü-
fungen auf Fehler untersucht. In Abhängigkeit von den
Prüfmöglichkeiten und dem festgelegten Prüfumfang
wird die Schweißnahtgüte bezüglich des statisch ansetz-
baren Schweißnahtfaktors definiert. Die Schweißtechnik
mit allen Randbedingungen ist bei der LIEBHERR-Werk
Ehingen GmbH in einer speziellen innerbetrieblichen
Bild 11. S960QL, t = 8 mm, Schweißvorbereitung mit Band- Schweißrichtlinie geregelt. Durch eine Vielzahl von Kon-
schleifmaschine struktions- und Fertigungsrichtlinien wird die Qualität
Fig. 11. S960QL, t = 8 mm, welding preparation with belt der Schweißkonstruktionen aus den hochfesten Bau-
300 grinding machine stählen sichergestellt.

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4 Anwendung in Mobilkranen

Hochfeste wasservergütete Baustähle werden, ausgehend


von Stählen mit Mindeststreckgrenzen ab 690 N/mm2,
seit über 30 Jahren bei der Konstruktion mobiler Krane
eingesetzt. In diesen 25 Jahren konnten sowohl die Stäh-
le, wie zuvor beschrieben, die Konstruktionstechniken
und somit auch die Endprodukte rasant weiterentwickelt
und zum Nutzen der Kunden verbessert werden. In
modernen Mobilkranen werden nahezu alle tragenden
Blechkonstruktionen aus S960QL gefertigt. Die grund-
legenden Anforderungen an All-Terrain-Krane können
vereinfacht wie folgt zusammengefaßt werden:
– hohe Tragfähigkeit und großer Arbeitsbereich
– große Mobilität, niedriges Konstruktionseigen-
gewicht Bild 14. Spannung-Dehnung-Diagramm S960QL im Vergleich
– optimiertes Preis-/Leistungsverhältnis. zum S355. Anforderungen S960QL: R eH, min: 960 N/mm2;
Da AT-Krane am öffentlichen Straßenverkehr teilneh- R m: 980–1150 N/mm2; A 5, min: 10 %; Av, min: 27 J/– 40 °C
men, unterliegen sie den länderspezifischen Straßenver- (quer)
kehrs- bzw. Straßenverkehrszulassungsordnungen und Fig. 14. Stress-strain-diagram S960QL in comparison to S355
sind somit bezüglich der Achslasten (im allgemeinen
12 t) und des zulässigen Gesamtgewichts eng limitiert.
Trotz dieser Gewichts- und Dimensionsbeschränkungen 4.1 Fahrzeugrahmen
werden immer höhere Leistungsfähigkeiten für den In Bild 15 ist die tragende Stahlkonstruktion eines Fahr-
AT-Kran als mobiles Hubarbeitsgerät gefordert. Diesen, zeugrahmens schematisch dargestellt. Die Stahlkonstruk-
im Grunde widersprüchlichen Forderungen, kann nur tion des Fahrzeugrahmens übernimmt zwei wesentliche
durch den Einsatz hochfester Baustähle mit Streck- Funktionen: Zum einen dient sie als Chassis für das
grenzen bis zu 1100 N/mm2 Rechnung getragen werden. Fahrzeug und muß dabei den Beanspruchungen sämt-
Der mit dem Kran innerhalb des zulässigen Gewichts licher Einwirkungen aus dem dynamischen Fahrbetrieb
mittransportierte teleskopierbare Ausleger muß einen standhalten. In erster Linie wird der Fahrzeugrahmen
immer größeren Arbeitsbereich (Hubhöhe und Ausla- jedoch als Unterkonstruktion für den Kran beansprucht.
dung) abdecken und somit bei maximal gleichem oder Die Kräfte werden über den Drehkranz in die torsions-
sogar reduziertem Konstruktionseigengewicht immer steife Kastenkonstruktion eingeleitet und dann über die
länger werden. Die Standardlänge des Teleskopauslegers Abstützungen (Schiebeholme und Abstützzylinder) in
eines 5- bis 6achsigen Mobilkrans beträgt ca. 60 m. den tragfähigen Untergrund abgeleitet. In Bild 15 sind
Die Erfüllung der zuvor geschilderten Rahmenbe- die tragenden Schweißverbindungen schematisch durch
dingungen muß unter höchstem Kostendruck realisiert Pfeile markiert. Aufgrund der Kerbwirkung kommt die-
werden und zwingt den Konstrukteur zur Erarbeitung sen Bereichen – vor allem unter dem Aspekt der Dauer-
und Anwendung optimierter Konstruktionen unter Be- festigkeit – sowohl bei der Konstruktion, der Fertigung
rücksichtigung moderner Fertigungstechniken. Neben und in regelmäßig wiederkehrenden Prüfungen beson-
der sicheren Auslegung für die hohen statischen und dere Bedeutung zu. Bild 16 zeigt die aufwendige Schweiß-
dynamischen Beanspruchungen spielen die Gebrauchs- konstruktion eines Fahrzeugrahmens. Aufgrund des er-
tauglichkeit und die dauerfeste Dimensionierung der tra- forderlichen Leichtbaus werden selbst bei stärksten
genden Stahlkonstruktionen bei der Anwendung hoch- Mobilkranen kaum Bleche mit Dicken größer 8 mm ver-
fester Baustähle im Mobilkranbau eine besondere Rolle. wendet. Die Kastenkonstruktion muß mit aufwendigen
Das im Bild 14 dargestellte Spannungs-Dehnungs-Dia- FE-Rechnungen auf ihr Gesamttragverhalten unter ver-
gramm des S960QL im Vergleich zum S355J2G3 zeigt die schiedensten Beanspruchungen untersucht und dement-
wesentlichen bemessungsrelevanten, charakteristischen sprechend ausgesteift werden.
mechanischen Eigenschaften. Neben der hohen Streck-
grenze sind für den Einsatz im Kranbau insbesondere die 4.2 Drehbühne
hohe Bruchdehnung von über 10 % und die hohe Kerb- Die Drehbühne wird über den Drehkranz mit dem Fahr-
schlagarbeit (> 27 Joule) auch bei niedrigen Temperatu- zeugrahmen verbunden. Über diese Drehverbindung er-
ren (– 40 °C bis – 50 °C) von großer Bedeutung, da die reicht der Kran einen 360°-Arbeitsradius mit konstant
AT-Krane auch in sehr kalten Regionen wie Sibirien, hohen Traglasten. Die tragende Stahlkonstruktion einer
Kanada, Alaska eingesetzt werden. Drehbühne ist schematisch im Bild 17 mit Markierung
Die wesentlichen tragenden Schweißkonstruktionen der wesentlichen Schweißbereiche durch Pfeile gezeigt.
eines Mobilkrans werden wie folgt gegliedert: Die Drehbühne fungiert als komplexe hochbelastete
– Fahrzeugrahmen Lasteinleitungsstruktur für den Wippzylinder und den
– Drehbühne Teleskopausleger. Am hinteren Ende wird beim Arbeiten
– Teleskopausleger. des Krans das Gegengewicht verbolzt, und in diesem
Anhand dieser Hauptbaugruppen wird der Einsatz von Bereich ist das Hubwerk angeordnet. Insbesondere Quer-
hochfesten Baustählen im Mobilkranbau erläutert. beanspruchungen aus der Massenträgheit von Hublast 301

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Bild 15. Tragende Stahlkonstruktion eines Fahrzeugrahmens (Schweißbereiche mit Pfeilen markiert)
Fig. 15. Load-bearing steel construction of a carrier frame (welding areas marked by arrows)

Bild 16. Fahrzeugrahmen in der Fertigung


Fig. 16. Carrier frame in fabrication

und Teleskopausleger beeinflussen die Dimensionierung


der Drehbühne. Die große Elastizität der hochfesten
Stähle bei starker Spannungsausnutzung zwingt zur
rechnerischen Berücksichtigung und Überlagerung der
elastischen Verformungen auch von Fahrzeugrahmen
und Drehbühne. Geometrisch und werkstofftechnisch Bild 17. Tragende Stahlkonstruktion einer Drehbühne mit mar-
nichtlineare FE-Berechnungen werden erforderlich. kierten Schweißbereichen
Durch leichte aber dennoch steife Konstruktionen müs- Fig. 17. Load-bearing steel construction of a slewing platform
302 sen die Verformungen im Gebrauchszustand eng be- with marked welding areas

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nen Jahren die höchsten Anforderungen gestellt. Dem-


entsprechend wurden in diesem Bereich auch die größ-
ten Fortschritte erzielt. Die Stahlkonstruktion des Tele-
skopauslegers, bestehend aus Anlenkstück, Rollenkopf
und den einzelnen ineinander gesteckten Schüblingen
mit Krägen, ist im Bild 19 dargestellt. Im Inneren dieser
teleskopierbaren Stahlkonstruktion befindet sich die
Ausschubmechanik, mit deren Hilfe der Ausleger hy-
draulisch angetrieben und elektronisch gesteuert auf
variabel vorwählbare Längen teleskopiert werden kann.
Jedem Ausfahrzustand ist abhängig vom Gesamtrüstzu-
stand des Krans eine maximale, durch die Lastmoment-
begrenzung (LMB) abgesicherte Traglast, zugeordnet.
Die Technologie moderner Teleskopausleger wird nicht
Bild 18. Stahlkonstruktion der Drehbühne vor Beginn der nur durch den Einsatz hochfester Baustähle mit Mindest-
Endmontage streckgrenzen bis zu 1100 N/mm2 charakterisiert. Ohne
Fig. 18. Steel construction of a slewing platform before com- den Einsatz dieser Stähle wäre die technologische Ge-
pletion samtlösung jedoch nicht möglich. Die moderne Konzep-
tion von Teleskopauslegern basiert auf den Technologie-
schwerpunkten
grenzt werden. Die „nackte“ Stahlkonstruktion einer – 1-Zylinder-Taktsystem (TELEMATIK)
Drehbühne vor Beginn der Endmontage ist im Bild 18 – automatisierter Teleskopierbetrieb (elektronisch ge-
dargestellt. steuert über LICCON-Anlage)
– ovales Auslegerquerschnittsprofil aus S960QL und
4.3 Ausleger S1100QL.
Aufgrund der geometrischen Randbedingungen (be- Diese technologisch aufeinander abgestimmten Schwer-
grenzte Breite, Höhe und Fahrzeuglänge) auf der einen punkte ermöglichen erst im Zusammenhang die moder-
Seite und der Forderung nach großer Maximallänge des nen, zukunftsorientierten Auslegerkonstruktionen. Diese
austeleskopierten Masts bei niedrigem Eigengewicht und Auslegertechnologie wurde 1997 mit dem 2. Preis beim
hoher Verformungsstabilität auf der anderen Seite, wur- Innovationspreis ’97 der Deutschen Stahlindustrie ausge-
den an die Konstruktion des Auslegers in den vergange- zeichnet.

Bild 19. Schweißkonstruktion eines Teleskopauslegers


Fig. 19. Welding construction of a telescopic boom 303

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Mit der Entwicklung des neuen ovalen Ausleger-


profils gelang es, die Anforderungen an die Querschnitts-
gestaltung unter den verschiedensten Aspekten abzu-
decken. Die „alte“ und „neue“ Auslegerprofilform sind
vergleichend in Bild 20 dargestellt. Wesentliche Rand-
bedingungen für die neue Profilform sind folgende:
– optimierte Abstimmung auf die statischen und dynami-
schen Beanspruchungen
– Reduktion des Konstruktions-Eigengewichts im Ver-
gleich zu bisherigen Querschnittsprofilen mit vergleich-
barer Tragfähigkeit
– Abstimmung auf das 1-Zylinder-Takt-Teleskopiersy-
stem
– fertigungstechnisch optimierte Konstruktion.
Die ovale Querschnittsform der langen Teleskopausleger Bild 21. FE-Struktur zweier Teleskopauslegerschüsse (Lager-
bis zu einer Maximallänge von 84 m wird den Traglast- bereich)
anforderungen bei gleichzeitiger Vereinfachung von Kon- Fig. 21. FE-structure of two telescopic boom elements (bearing
struktion, Fertigung und Endmontage in vollem Umfang area)
gerecht. Da keine Beulsteifen oder Querschnittsaufdop-
pelungen im Hauptdruckbereich erforderlich sind, kann
die Querschnittsausdehnung aufgrund der Reduzierung tionen wurde drastisch reduziert. Die reduzierte Wärme-
der Abstände zwischen den einzelnen Teleskopschüssen einbringung und der somit geminderte Anfall von
bis zum letzten Schübling weitgehend genutzt werden. schweißtechnisch bedingten Eigenspannungen und Ver-
Biegetragfähigkeit, Gesamtstabilität und lokales Quer- formungen führen zu einer Verbesserung des Fertigungs-
schnittsverhalten werden durch aufwendige FE-Berech- prozesses. Erforderliche Schweißnahtprüfungen und auf-
nungen (Bild 21) eng aufeinander abgestimmt und sind wendige Richtarbeiten wurden entsprechend reduziert.
gleichermaßen bemessungsmaßgebend. Die hohen Trag- Die Anzahl der erforderlichen Kantvorgänge wurde in-
lastanforderungen an den Ausleger in steilen Stellungen dessen gesteigert. Die halbkreisförmige Unterschale wird
(Stabilität) und bei großen Ausladungen (Biegesteifig- durch eine Vielzahl von kaltverformenden Abkantungen
keit) werden durch die Wahl des Baustahls, des Quer- (polygonartig) hergestellt. Insgesamt wurde der Ferti-
schnittsprofils und die Abstimmung der einzelnen Aus- gungsaufwand verringert und die Fertigungsdurchlaufzeit
legerschüsse untereinander, sowohl in der Querschnitts- verkürzt.
form wie auch in der Blechdicke, abgedeckt. Das Ver-
formungsverhalten des Auslegers wird durch die ovale 4.4 Abspannstangen für Gittermastsysteme
Profilform günstig beeinflußt. Trotz Auslastung der Bei großen Gittermastkranen werden die langen Ausle-
hochfesten Baustähle (S960QL in der Oberschale und gersysteme durch hochbelastete Zugstangen abgespannt.
S1100QL in der Unterschale), wird eine hohe Verfor- Diese Zugstangen werden durch hohe wechselnde Zug-
mungsstabilität für die verschiedenen Beanspruchungs- kräfte, Eigengewicht und durch Wind schwingend bean-
konstellationen des Krans erreicht. sprucht. Der Transport und die Montage vor Ort auf der
Die schalenförmigen Auslegerprofile müssen mit Baustelle müssen sicher und einfach durchgeführt wer-
sehr engen Formtoleranzen hergestellt werden. Dieser den können. Um die Tragfähigkeit der Gittermastkrane
Forderung kommen die neuen Querschnittsformen ent- durch hohes Eigengewicht nicht zu reduzieren, müssen
gegen. Das Schweißnahtvolumen der älteren Konstruk- diese Zugelemente möglichst leicht ausgeführt werden.
Für diese, flexibel über Gabel-Finger-Verbindungen kop-
pelbaren Zugstangen, werden bei modernen Gittermast-
kranen hochfeste wasservergütete Baustähle bis zum
S960QL eingesetzt. Bild 22 zeigt den Vergleich der
Schaft-Querschnitte aus verschiedenen Stählen bei glei-
cher Belastung und verdeutlicht die Gewichtsvorteile.
Die zuvor erläuterten Konstruktionsbeispiele mit
hochfesten Baustählen vereinigen sich in neuen moder-
nen Mobilkranen. Beispielhaft dafür seien die neuen
LIEBHERR-Krantypen LTM 1060/2 (Bild 23) und LTM
1300/1 (Bild 24) genannt. Nicht zuletzt aufgrund der
Anwendung hochfester Baustähle in der zuvor beschrie-
benen Form konnten diese Krantypen 1999 sehr erfolg-
reich in den Markt eingeführt werden. Letztendlich zum
Nutzen des Endanwenders beim Heben und bei der
Montage schwerer Lasten können die hochfesten Bau-
Bild 20. Vergleich der Auslegerprofilform „neu“ und „alt“ stähle mit ihren Stärken und Vorteilen im Vergleich zu –
Fig. 20. Comparison of telescopic boom cross sections „new“ häufig gar nicht vorhanden – Alternativ-Werkstoffen ge-
304 and „old“ nutzt werden.

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Fig. 23. LTM 1060/2 – the new 4-axle-crane [13] Eurocode 3, Annex C: CEN, ENV 1995-1-1, December 1995.
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Fig. 24. LTM 1300/1 working at site during the erection of a hall Feinkornbaustähle im Teleskop-Autokranbau. DVS-Bericht
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technische Tagung. Friedrichshafen 1992.
Literatur
Autoren dieses Beitrages:
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der Herstellung wasservergüteter Bleche aus schweißbarem tion, Ing. Josef Hauser, Geschäftsführer Produktion, LIEBHERR-Werk
Baustahl mit einer Streckgrenze von 70 kg/mm2. Stahl und Ehingen GmbH, Dr.-Hans-Liebherr-Straße 1, 89584 Ehingen/Donau,
Eisen 85 (1965), S. 127–136. Dr.-Ing. Andreas Kern, Abteilungsleiter im Qualitätswesen Grobblech-
[2] Uwer, D., Dißelmeyer, H.: Erfahrungen mit der Herstellung, Qualitätsstelle, Dr.-Ing. Udo Schriever, Hauptbereichsleiter Qualitäts-
Verarbeitung und Anwendung des neuen wasservergüteten wesen Grobblech, Thyssen Krupp Steel AG, 47161 Duisburg 305

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