Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Siedlungswasserwirtschaft
Willi Gujer
Siedlungs-
wasserwirtschaft
3., bearbeitete Auflage
123
Prof. Dr. Willi Gujer
Institut für Umweltingenieurwissenschaften
ETH
8093 Zürich-Hönggerberg, Switzerland
gujer@eawag.ch
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der
Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funk-
sendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung
in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine
Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Gren-
zen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom
9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig.
Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.
Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media
springer.de
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1999, 2002 und 2007
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk
berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne
der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von
jedermann benutzt werden dürften. Text und Abbildungen wurden mit größter Sorgfalt erarbeitet.
Verlag und Autor können jedoch für eventuell verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen
weder eine juristische Verantwortung noch irgendeine Haftung übernehmen.
Satz: Digitale Druckvorlage des Autors
Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig
Einbandgestaltung: medionet AG, Berlin
Gedruckt auf säurefreiem Papier 68/3100/YL – 5 4 3 2 1 0
Vorwort
tur der Ingenieurwissenschaften – diesen Aspekt zu pflegen und durch eigene Bei-
spiele zu erweitern ist die vornehme Aufgabe der Dozierenden.
Ich stelle mir vor, dass dieser Text den Unterricht an Fachhochschulen genau-
so unterstützen kann wie an Technischen Universitäten – diese Ausbildungsgänge
unterscheiden sich im Umfang und der Tiefe der naturwissenschaftlichen Vorbil-
dung und der Intensität und der Ausrichtung der Vertiefung, aber kaum in den
technischen Grundlagen, die dieser Text vermitteln will.
Dieses Lehrbuch wird durch Materialien ergänzt, die übers Internet vermittelt
werden. Das vielfältige Material unterstützt den Unterricht und dient der Prü-
fungsvorbereitung. Solche Materialien sind noch umfassender als ein Lehrbuch
durch persönliche Prioritäten und Möglichkeiten geprägt. Sie werden hier zur Ver-
fügung gestellt, um die Arbeit von Dozierenden und Studierenden zu erleichtern.
Leider ist das umfangreiche Bildmaterial, das ich im Unterricht nutze, häufig mit
Rechten belegt, die es nicht erlauben, diese zur Verfügung zu stellen. Eine gute
Quelle sind Reklamebilder aus Fachzeitschriften – diese überzeichnen und ver-
deutlichen.
Ich wünsche mir, dass dieses Lehrbuch mithilft, die Siedlungswasserwirtschaft
als eine ganzheitliche Ingenieurdisziplin darzustellen und in der Ausbildung eine
breite und solide Basis zu erarbeiten, auf der dieses interessante Arbeitsgebiet sich
weiter entwickeln kann.
Ich danke meinen Mitarbeitern, Assistenten und Assistentinnen sowie den Stu-
dierenden, die mitgeholfen haben, dieses Lehrbuch zu gestalten und Fehler aufzu-
decken.
1 Einleitung..................................................................................................... 1
A Grundlagen
2 Systemanalyse und Massenbilanz .............................................................. 19
3 Charakterisierung von Wasser ................................................................... 33
4 Charakterisierung von Klärschlamm.......................................................... 65
5 Wasserbedarf, Abwasseranfall................................................................... 69
6 Schmutzstoffanfall und Temperatur........................................................... 95
B Wasserversorgung
7 Wasserversorgung.................................................................................... 107
8 Wasserbeschaffung .................................................................................. 115
9 Wasseraufbereitung.................................................................................. 131
10 Wasserspeicherung................................................................................... 153
11 Wasserverteilung, Netz ............................................................................ 161
C Siedlungsentwässerung
12 Siedlungsentwässerung ............................................................................ 199
13 Siedlungshydrologie................................................................................. 205
14 Entwässerungsverfahren .......................................................................... 227
15 Mischwasserbehandlung .......................................................................... 235
16 Technik der Siedlungsentwässerung ........................................................ 245
17 Entwässerungsplanung............................................................................. 287
D Abwasserreinigung
18 Abwasserreinigung................................................................................... 291
19 Mechanische Abwasserreinigung............................................................. 301
20 Biologische Abwasserreinigung............................................................... 317
21 Physikalische Reinigungsverfahren ......................................................... 375
22 Umfeld und Kosten der Abwasserreinigung ............................................ 381
23 Kleinkläranlagen ...................................................................................... 385
E Behandlung von Klärschlamm
24 Entsorgung von Klärschlamm.................................................................. 391
25 Verfahren der Schlammbehandlung......................................................... 399
F Literatur und Sachverzeichnis
Literatur............................................................................................................... 421
Sachverzeichnis................................................................................................... 427
VIII Inhalt
1 Einleitung.................................................................................................... 1
1.1 Umschreibung des Fachgebiets.................................................................... 1
1.2 Siedlungswasserwirtschaft ........................................................................... 1
1.3 Geschichte der Siedlungswasserwirtschaft .................................................. 2
1.4 Wasserkreislauf in Siedlungen..................................................................... 5
1.5 Wasserbeschaffung und Wasserversorgung................................................. 7
1.6 Siedlungsentwässerung .............................................................................. 10
1.7 Abwasserreinigung..................................................................................... 11
1.8 Behandlung und Unterbringung von Klärschlamm.................................... 13
1.9 Gewässerschutz.......................................................................................... 15
1.10 Siedlungswasserwirtschaftliche Planung ................................................... 16
1.11 Wert und Kosten der Siedlungswasserwirtschaft....................................... 16
1.12 Die Produkte der Siedlungswasserwirtschaft ............................................. 17
1.13 Fazit ........................................................................................................... 18
2 Systemanalyse und Massenbilanz ........................................................... 19
2.1 Einleitung................................................................................................... 19
2.2 Systeme und deren Abgrenzung................................................................. 19
2.3 Die Stoffbilanz ........................................................................................... 21
2.4 Ideale Reaktoren ........................................................................................ 23
2.4.1 Der Chargenreaktor ...................................................................... 23
2.4.2 Der ideale Rührkessel................................................................... 24
2.4.3 Der Röhrenreaktor ........................................................................ 25
2.5 Anwendung der Bilanzgleichung............................................................... 26
2.5.1 Speicherung .................................................................................. 27
2.5.2 Speicherung und Transport........................................................... 27
2.5.3 Keine Speicherung: Stationärer Zustand ...................................... 28
2.5.4 Keine Umwandlung: Konservativer Stoff .................................... 29
3 Charakterisierung von Wasser ............................................................... 33
3.1 Vorbemerkungen........................................................................................ 33
3.2 Summenparameter und Einzelstoffe .......................................................... 33
3.3 Filtration, gelöste und partikuläre Stoffe.................................................... 34
3.3.1 Filtration ....................................................................................... 34
3.3.2 Abfiltrierbare Stoffe, TSS............................................................. 34
3.3.3 Glühverlust der abfiltrierbaren Stoffe, VSS ................................. 35
3.3.4 Glührückstand der abfiltrierbaren Stoffe ...................................... 36
3.4 Organische Stoffe....................................................................................... 36
3.4.1 Chemischer Sauerstoffbedarf CSB ............................................... 36
3.4.2 Biochemischer Sauerstoffbedarf in 5 Tagen, BSB5 ...................... 38
3.4.3 Organisch gebundener Kohlenstoff, TOC, DOC, POC ................ 39
3.5 Stickstoff .................................................................................................... 40
3.5.1 Formen von Stickstoff .................................................................. 40
3.5.2 Ammonium und Ammoniak ......................................................... 41
3.5.3 Organisch gebundener Stickstoff, Kjeldahlstickstoff ................... 42
3.5.4 Nitrit und Nitrat ............................................................................ 43
Inhalt IX
Sachverzeichnis.................................................................................................. 427
1 Einleitung
Die Siedlungswasserwirtschaft ist eine technische Disziplin, die sowohl für die
persönliche und die Siedlungs-Hygiene als auch den Komfort und die Sicherheit
des urbanen Menschen von zentraler Bedeutung ist: Sie liefert und entsorgt Was-
ser verschiedenster Art (Trinkwasser, Regenwasser, Sickerwasser, Schmelzwasser,
verunreinigtes Abwasser, etc.), sie entsorgt die dabei anfallenden Schmutzstoffe
und bewirtschaftet die natürlichen Wasserressourcen (Quellen, Grundwasser,
Gewässer) im Umfeld von Siedlungen.
1.2 Siedlungswasserwirtschaft
Die Siedlungswasserwirtschaft ist eine Ingenieurwissenschaft, die sich mit allen
Aspekten des Wassers im Zusammenhang mit Siedlungen befasst:
– der gesicherten Beschaffung, der Aufbereitung und Verteilung von Trink- und
Brauchwasser in genügender Menge, Qualität und bei genügendem Druck,
– der Ableitung und Reinigung des Abwassers sowie der möglichst schadlosen
Rückführung des gereinigten Abwassers in die Natur,
2 1 Einleitung
30 90
20 80
10 70
0 60
1880 1890 1900 1910 1920 1930 1940
Kalenderjahr
Abb. 1.1. Abnahme der Typhus Todesfälle anfangs des 20. Jh. in Massachusetts (USA) als Folge
des zunehmenden Anteils der Bevölkerung mit öffentlicher Wasserversorgung (nach Whipple
and Horwood, 1966)
chen Seuchen aus: Pest, Typhus, Cholera. Diese Seuchen begrenzten in den Städ-
ten immer wieder das Wachstum der Bevölkerung. Mit der Industrialisierung im
19. Jh. nahm die Bevölkerungsdichte und damit die Belastung der Umwelt und des
Grundwassers in den Städten zu. Grosse Typhus und Cholera Epidemien, die v.a.
durch verseuchtes Trinkwasser ausgelöst werden, waren die Konsequenz.
Im gleichen Jh. wurde der Zusammenhang zwischen Hygiene und Sterblich-
keit aufgedeckt. Nach und nach wurde die Schwemmkanalisation eingeführt, in
der Abfälle und Schmutzstoffe mit Wasser abgeschwemmt werden, und durch
unterirdische Anlagen wurde das Abwasser auf schnellstem Wege in den nächsten
Fluss geleitet.
Beispiel 1.1: Schweinefurter Stadtverordnung von 1720
In der Schweinefurter Stadtverordnung aus dem Jahre 1720 steht, dass es nicht erlaubt
ist, den wertvollen Dung nach ausserhalb der Stadtgrenzen zu bringen. Es war sogar
bei zwei Gulden Strafe verboten, den Kuhmist auf den städtischen Weiden aufzulesen.
Wörtlich hiess es: „Unter welcher Bedrohung auch das Auflesen des Kuh-Mists auf de-
nen gemeinen Vieh-Rasen untersagt ist, und sollte niemand unter denen Thoren pas-
siert, sondern solches abgenommen und der Frevel angezeigt werden.“
Der Gewässerschutz hat in England gegen Ende des 19. Jh. eingesetzt. Damals
sammelten sich z.B. auf der Sohle der Themse Sedimente und verfaulten dort, so-
dass der Fluss als Folge der Biogasbildung „gekocht“ habe. Erste Abwasser-
reinigungsanlagen wurden als Sedimentationsanlagen gebaut, um die Akkumula-
tion der Sedimente in den Gewässern zu verringern und sie in technischen
Bauwerken abzutrennen. Schon bald zeigte sich aber, dass neben den Sedimenten
insbesondere die gelösten und kolloidalen organischen Stoffe, die biologisch ab-
baubar sind, in den Gewässern eine massenhafte Entwicklung von Mikroorganis-
men auslösten. Zunehmend wurden biologische Abwasserreinigungsverfahren
entwickelt, die den Abbau dieser organischen Stoffe in die technischen Bauwerke
zurückverlegten und so die Gewässer entlasteten: Bereits gegen Ende des 19. Jh.
wurden erste biologische Kläranlagen in England gebaut.
In der Mitte des 20. Jh. haben wir erkannt, dass die Nährstoffe im Abwasser,
insbesondere der Phosphor, die Seen überdüngen und zu grossen Algenblüten füh-
ren. Mit Hilfe der weitergehenden Abwasserreinigung konnte auch dieses Problem
angegangen werden. Heute verursachen v.a. die Massnahmen zur Reduktion des
Stickstoffgehalts im gereinigten Abwasser grosse Investitionen und bereits wird
nach Möglichkeiten gesucht um das nächste Problem zu lösen: Mikroverunreini-
gungen und Spurenstoffe sollen aus dem Abwasser eliminiert werden.
Evapotransp. 300
Beispiel 1.7. Anteil der Siedlungswasserwirtschaft an der Wasserbilanz (s. Abb. 1.2).
In der Schweiz wohnen auf einer Hektare (=10’000 m2) Siedlungsfläche ca. 50 Einwoh-
ner. Diese brauchen zusammen mit dem Gewerbe ca. 5000 m3 Trinkwasser pro Jahr,
die grösstenteils als Abwasser anfallen. Dazu werden auch etwa 2000 m3ha-1a-1 Re-
genwasser der Kanalisation zugeleitet und ca. 2000 m3ha-1a-1 Sickerwasser abdrainiert
und in die Kanalisation eingeleitet.
Typischerweise fallen im Schweizer Mittelland (je nach Region) pro Jahr ca. 1100 mm
Regen auf die Siedlungsfläche oder 11’000 m3ha-1a-1, wovon ca. 8000 m3ha-1a-1 abflies-
sen. Die Siedlungswasserwirtschaft beeinflusst ca. 5000+2000+2000 = 9000 m3ha-1a-1.
Lokal hat also die Siedlungswasserwirtschaft eine sehr dominante Bedeutung im Was-
serkreislauf.
1.5 Wasserbeschaffung und Wasserversorgung 7
Urbanisierung
Bevölkerung Bauten
Begradigung
Abwasser- Übernutzung der Gewässer
reinigung Grundwasser
Lebensraum
Gewässer
Ressourcen- Anreicherung
Verbrauch Grundwasser Renaturierung
Gewässer
Belastung Landbedarf
Wangen Volketswil
Gfenn
Dübendorf Schwerzenbach
Gla
tt
Greifensee
Fällanden
PICT
1 km
Wangen Volketswil
Gfenn
Dübendorf
Schwerzenbach
Glatt Greifensee
Fällanden
Abb. 1.4. Veränderung einer Region im Glattal im Kanton Zürich zwischen 1850 (oben) und
1990 (unten). Hervorgehoben werden überbaute Flächen, Flussläufe, Feuchtgebiete und Wald-
flächen zwischen dem Greifensee und der Stadt Dübendorf (Original von R. Koblet nach der
Wild-Karte 1850 und der Landeskarte 1990)
Die sichere Beschaffung von Wasser ist eine zentrale Aufgabe eines Wasser-
versorgungsbetriebs. 2003 hatte die Schweiz 7.4 Mio. Einwohner und es wurden
total 1.09 Mrd. m3 = 1 km3 Trinkwasser produziert, davon stammten 44 % aus
Quellen, 39 % aus dem Grundwasser und 17 % aus Seewasser. Zum Schutze der
Quellen und des Grundwassers werden Schutzzonen ausgeschieden, die der lang-
fristigen Sicherung der Qualität des Wassers dienen. Während Oberflächenwasser
1.5 Wasserbeschaffung und Wasserversorgung 9
Regen
Quelle Reservoir
Landwirtschaft
Industrie Deponie
Siedlung
Schlammbehandlung
Aufbereitung
Regenbecken Kläranlage
See
Versickerung Meteorwasser
Grundwasser
Vorflut
(Fluss- und Seewasser) immer aufbereitet werden muss, werden Quell- und
Grundwasser z.T. direkt, z.T. nach einfacher Desinfektion und nur selten nach
zusätzlicher Aufbereitung ins Netz eingespeist.
Im Gegensatz zur Abwasserableitung (Kanalisation) stehen die Wasserversor-
gungsleitungen unter Druck und sind entsprechend immer voll. Ein Ausgleich
zwischen der Produktion und dem Verbrauch von Wasser geschieht über die
Hochbehälter oder Reservoire, die gleichzeitig einen genügenden Wasserdruck
sicherstellen.
Die zuverlässige Erfüllung der Aufgabe einer Wasserversorgung wird heute
mit Speichern, Leistungsreserven und redundanten Systemen erreicht. Viele Was-
serversorgungsbetriebe sind in grosse Verbundnetze eingebunden und können bei
Beschaffungsproblemen auf andere Wasserquellen ausweichen. Verteilleitungen
werden durch Schlaufen so gestaltet, dass einzelne Leitungsstränge ausser Betrieb
genommen werden können, ohne dass dadurch ganze Quartiere vom Wasser abge-
trennt sind.
Die moderne Gesellschaft hat sich an einen Komfort, eine Sicherheit und Zu-
verlässigkeit der Wasserversorgung gewöhnt, die noch Anfangs des 20. Jh. un-
denkbar waren. Für den Verbraucher ist dadurch der direkte Kontakt zum Ur-
sprung des Wassers verloren gegangen, er hat es billig und sicher in seiner
Wohnung zur Verfügung und reagiert ungehalten, wenn er nur einige Stunden
darauf verzichten muss.
Wasser ist heute das billigste Konsumgut (wenige € pro t), es wird über grosse
Strecken transportiert und in riesigen Mengen (ca. 50–100 t pro Person und Jahr)
verbraucht.
Wie überrascht oder sogar frustriert sind wir, wenn vielleicht einmal alle paar Jahre kein
Wasser in unsere Wohnung geliefert wird?
Wieviel zusätzlichen Umtrieb verursacht es uns, wenn wir als Touristen in einem Land
sind, das nicht hygienisch einwandfreies Trinkwasser ins Hotelzimmer liefern kann?
Wie oft sind wird schon an Darmkrankheiten erkrankt, weil wir schlechtes Wasser ge-
trunken haben oder unhygienisches Essen geniessen mussten? Etc.
1.6 Siedlungsentwässerung
Die Siedlungsentwässerung hat die Aufgabe, das Abwasser aus den Siedlungen
abzuleiten und in geeigneter Form und mit geeigneter Qualität einer Vorflut zuzu-
leiten.
Hörler hat 1966 die Aufgabe der Ortsentwässerung wie folgt definiert:
„Aufgabe der Ortsentwässerung ist es, sämtliche Abwässer so vollkommen und
so schnell als möglich zu sammeln und aus dem Bereich menschlicher Siedlungen
zu entfernen, ohne Belästigung der Bewohner, ohne Beeinträchtigung des Ver-
kehrs und ohne Schädigung der ober- und unterirdischen Gewässer.“
Die schnelle und vollkommene Ableitung, insbesondere des Regenabwassers,
hat zu vielen Nachteilen geführt, die wir z.T. wieder korrigieren müssen. Heute
versuchen wir das Regenabwasser möglichst langsam und nur gerade soweit aus
den Siedlungen abzuleiten, dass hygienisch einwandfreie Bedingungen gewähr-
leistet sind und Störungen des Verkehrs oder Schäden aller Art (Überschwem-
mungen, Rückstau in Keller etc.) im Vergleich zu den Kosten der Entwässerung
nicht zu gross werden. Die langsame Entwässerung bei Regenwetter bedingt, dass
1.7 Abwasserreinigung 11
möglichst viel Regenwasser am Ort des Anfalles unter Beachtung des Grundwas-
serschutzes in den Untergrund versickert wird.
Heute erkennen wir, dass die Aufgabe der Siedlungsentwässerung neu defi-
niert werden muss. Ein Ansatz für eine moderne Definition ist:
Aufgabe der Ortsentwässerung ist es, Abwässer soweit aus den Siedlungen abzu-
leiten, dass die Hygiene und die Sicherheit gewährleistet werden können. Dabei
soll das Regenabwasser seiner Herkunft und Qualität entsprechend behandelt und
möglichst naturnah und langsam abgeleitet werden.
Wir kennen zwei Arten der Siedlungsentwässerung:
– Aus historischen Gründen hat sich die Mischkanalisation stark verbreitet: Hier
wird in einem gemeinsamen Kanal das dauernd anfallende und mit Schmutz-
stoffen stark belastete Abwasser aus Haushaltungen, Gewerbe und Industrie
zusammen mit Regenwasser abgeleitet.
– In vielen neueren Siedlungsgebieten (ca. 20% der Schweiz) wurde eine Trenn-
kanalisation eingerichtet: Hier wird in einem tiefliegenden Schmutz-
wasserkanal das stark belastete, dauernd fliessende Abwasser zur Kläranlage
geleitet und in einem höher liegenden, grösseren Meteorwasserkanal das weni-
ger belastete Regenwasser direkt der Vorflut zugeführt.
1.7 Abwasserreinigung
Wasser, das aus Siedlungen abgeleitet werden muss, heisst Abwasser. Es führt
eine Reihe von Stoffen und Organismen mit, die nicht bedenkenlos in die Umwelt
zurückgegeben werden können. Die Abwasserreinigung vermittelt zwischen dem
Bedürfnis des Menschen, das Wasser als Transportmittel für Abfallstoffe einzu-
setzen (Schwemmkanalisation) und den Möglichkeiten der Umwelt, mit diesen
Stoffen umzugehen: In der Abwasserreinigung sollen diejenigen Stoffe zurück-
gehalten werden, welche die Umwelt überlasten würden.
Die zulässige Belastung der Umwelt ist keine feste Grösse, sie ist abhängig
von unseren Vorstellungen, was einer wünschenswerten Umwelt entspricht. Mit
zunehmendem Wohlstand steigen die Anforderungen an die Umwelt, aber auch
die wirtschaftlichen Möglichkeiten, Umweltschutz und damit auch Abwasserrei-
nigung zu betreiben. Die Anforderungen an die Abwasserreinigung sind in den
dichtbesiedelten, reichen Industrieländern seit ca. 1950 stark gestiegen. Das hat
mehrere Gründe:
– Durch die laufende Zunahme der Bevölkerung, der Industrieproduktion, der
Entwässerungsanlagen (Kanalisation), des Wasserkomforts etc. haben die Ab-
wassermenge und die Schmutzstofffracht entsprechend zugenommen.
– Durch vermehrte Sensibilisierung gegenüber Umweltschäden haben unsere
Ansprüche an die Umwelt und deren Schutz zugenommen.
– Heute wird im Umweltschutz häufig gefordert, was technisch machbar ist. Die
Technologien der Abwasserreinigung haben seit 1950 riesige Fortschritte ge-
macht.
An moderne Abwasserreinigungsanlagen werden deshalb heute Ansprüche ge-
stellt, die nur mit aufwändigen und häufig komplizierten Verfahren und mit sorg-
fältigem Betrieb erfüllt werden können. Kläranlagen, die weniger als 25 Jahre alt
12 1 Einleitung
sind, also von unseren Eltern gebaut wurden, genügen diesen Anforderungen häu-
fig bei weitem nicht mehr. Die Abwasserreinigung, wie auch der gesamte Um-
weltschutz, ist einer schnellen Entwicklung unterworfen. Das führt dazu, dass
teilweise Investitionen getätigt werden müssen, die in ihrer ganzen Bedeutung
noch kaum überschaut werden können. Bei einigen Forderungen an die Abwasser-
reinigung kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass sie nur mit negativer
Ökobilanz (Summe aller Be- und Entlastungen der Umwelt für den Bau, im Be-
trieb und beim Abbruch der Anlagen) realisiert werden können.
In der Abwasserreinigung werden Schmutzstoffe aus dem Abwasser entfernt.
Diese Stoffe können zwar z.T. biologisch abgebaut und damit häufig in unschädli-
che Stoffe (Wasser, Kohlendioxid, ev. Nährstoffe) überführt werden, ein Teil der
Schmutz- und Schadstoffe fällt aber in Form von Sedimenten (Klärschlamm) an,
die weiter behandelt und aufbereitet oder entsorgt werden müssen.
Heute ist im deutschen Sprachraum der grösste Teil der Bevölkerung und der
Industrie- und Gewerbebetriebe an meist öffentliche Abwasserreinigungsanlagen
angeschlossen (Abb. 1.6). Ein grosser Teil dieser Anlagen muss aber erneut aus-
gebaut werden, weil er den modernen Anforderungen nicht mehr genügt. Die Ab-
wasserreinigung ist zur Daueraufgabe geworden, die uns in Zukunft durch Erwei-
terungen, Erneuerungen und Verbesserungen laufend beschäftigen wird: Eine
Aufgabe die anspruchsvoller ist als der Bau der ersten Generation von Kläranla-
gen.
Welcher Teil des schweizerischen Abwassers wird in dieser grössten Anlage der
Schweiz gereinigt?
Pro Jahr werden ca. 74 Mio. m3 Abwasser gereinigt, in der Schweiz fallen pro Jahr ca.
2.5 Mrd. m3 Abwasser an. Diese Anlage reinigt also 3 % des Abwassers, das in der
Schweiz anfällt. Das entspricht nicht ganz dem Anteil der Bevölkerung, der an die Anla-
ge angeschlossen ist (400’000 von 7.4 Mio. oder 4%). Die Stadtentwässerung von Zü-
rich hat darauf geachtet, dass möglichst wenig Grundwasser ins Kanalnetz eindringt,
das resultiert heute in einem verringerten Abwasseranfall.
g Zink / t TS g Cadmium / t TS
2000 20
Zink
1500 15
1000 10
500 Cadmium 5
0 0
1980 1982 1984 1986 1988 1990
Kalenderjahr
Abb. 1.7. Entwicklung des Schwermetallgehalts im Klärschlamm der Stadt Zürich. Zink hat
seinen Ursprung dominant in langlebigen Gütern (verzinkte Oberflächen), Cadmium eher in
Industrie und Gewerbeabwässern (Daten der Stadtentwässerung Zürich)
Siedlungswasser-
wirtschaft
Gewässer-
schutz Abb. 1.8. Siedlungswasserwirtschaft und Ge-
wässerschutz überschneiden sich
1.9 Gewässerschutz
Das schweizerische Gewässerschutzgesetz (GSchG) vom 24. Januar 1991 defi-
niert den Zweck des Gewässerschutzes im Art. 1 (Tabelle 1.1). In Art. 2 wird dar-
gestellt, dass das Gesetz (also der Gewässerschutz) für alle ober- und unterirdi-
schen Gewässer gilt: Seen, Flüsse, Grundwasser, Quellen.
Die Siedlungswasserwirtschaft überschneidet sich mit dem Gewässerschutz:
Sowohl die Beschaffung von Trink- und Brauchwasser als auch die Rückführung
des belasteten Abwassers in die Gewässer greift stark in den Haushalt der Gewäs-
ser ein. Der Gewässerschutz wird aber heute so weit definiert, dass er nicht als
Teil der Siedlungswasserwirtschaft dargestellt werden darf, genauso wie diese
nicht Teil des Gewässerschutzes ist (Abb. 1.8). Im Rahmen des Gewässerschutzes
werden heute Anforderungen an Stoffe und Produkte formuliert, Restwassermen-
gen unterhalb von Wasserfassungen (Wasserkraftanlagen) festgelegt, Seen belüf-
tet, Gewässer renaturiert, Schutzzonen ausgeschieden, Tankanlagen gesichert,
Deponien abgedichtet etc. All diese Aufgaben gehen weit über die Siedlungswas-
serwirtschaft hinaus. Ein effizienter und zuverlässiger Gewässerschutz dient der
Siedlungswasserwirtschaft, insbesondere indem er die Ressourcen für die Wasser-
beschaffung schützt und die Vorflut für das (gereinigte) Abwasser verfügbar
macht.
16 1 Einleitung
80 8
60 6
40 4
20 2
0 0
2000 1980 1960 1940 1920 1900 1880 1860
Baujahr
Abb. 1.9. Altersverteilung der Hauptleitungen der Wasserversorgung der Stadt Zürich. Fast 70 %
wurden vor dem 2. Weltkrieg gebaut. Um 1900 hat der Bestand am schnellsten zugenommen.
Neubauten sind heute die Ausnahme. Die Gesamtlänge aller Leitungen beträgt ca. 1100 km für
ca. 350‘000 Einwohner
schlussgebühren etc. erbracht. In Zukunft müssen wir aber mit den vollen Kosten
rechnen, d.h. bis mehr als Fr. 10.- pro m3 Trinkwasser.
Heute wird die Erneuerung der grossen Investitionen in die Siedlungswasser-
wirtschaft z.T. vernachlässigt. Ein grosser Teil der Bauten hat seine wirtschaftli-
che Lebenserwartung erreicht und sollte erneuert werden. Abbildung 1.9 zeigt am
Beispiel der Hauptwasserleitungen einer Grossstadt, dass viele Elemente der Was-
serversorgung 100 und mehr Jahre alt geworden sind. Wir können uns nicht mehr
auf deren Zuverlässigkeit verlassen. Trotzdem setzt weltweit die Planung der sys-
tematischen Erneuerung solcher Anlagen erst ein. Wir leben vom Kapital, das uns
unsere Eltern hinterlassen haben.
1.13 Fazit
Die Siedlungswasserwirtschaft ist ein Wirtschaftszweig, ohne den die Gesellschaft
in ihrer heutigen Form nicht möglich wäre. Ihre wirtschaftliche Bedeutung ist
gross. Sie übernimmt die Verantwortung für das Lebensmittel Trinkwasser, das sie
in genügender Menge und v.a. in hygienisch einwandfreier Qualität langfristig
gesichert zu Verfügung stellt. Die Siedlungswasserwirtschaft leitet Abwässer aller
Art aus den Siedlungen ab und bereitet diese in den Reinigungsanlagen so weit
auf, dass sie weitgehend schadlos in die Umwelt zurückgeführt werden können. In
der Form von Klärschlamm entsorgt sie die anfallenden Schad- und Wertstoffe.
Das Potential für interessante Arbeit im Bereich der Siedlungswasserwirtschaft ist
gross. Wir sind auf eine nachhaltige Sicherstellung der Wasserversorgung, der
Siedlungsentwässerung und der Abwasserreinigung angewiesen. Die Aufgabe des
Unterhaltens, Erneuerns, Betreibens und Verbesserns erscheint für junge Leute
häufig nur wenig attraktiv. Diese Aufgabe ist aber um das Vielfache anspruchsvol-
ler und komplexer als der Neubau. Nur hochqualifizierte Fachleute, die in ihrer
Ausbildung Zugang zu den verschiedensten Disziplinen gefunden haben, sind der
Zukunft gewachsen.
2 Systemanalyse und Massenbilanz
2.1 Einleitung
Die Systemanalyse ist ein Werkzeug oder eine Arbeitsmethode, die in der Sied-
lungswasserwirtschaft ausserordentlich gute Dienste leistet und breite Anwendung
gefunden hat. Hier werden nur die einfachsten Prinzipien der Systemanalyse vor-
gestellt. Eine detaillierte Einführung in dieses Thema kann insbesondere auch ma-
thematisch recht anspruchsvoll werden.
Das wichtigste Element der Systemanalyse ist die Stoffbilanz; viele Probleme
können ohne die entsprechende Bilanzgleichung nicht systematisch angegangen
werden. Bilanzgleichungen verfolgen uns im Leben, jede Buchhaltung, jedes
Bankkonto beruht auf Bilanzgleichungen. Intuitiv bilanzieren wir, wenn wir Vor-
räte beurteilen (Wie lange reicht das Heizöl noch? Gibt es noch warmes Wasser
für meine Dusche?), Trinkwasser wird auf Grund von Bilanzen abgerechnet (Was
ins Haus hinein fliesst, wird auch verbraucht!) etc. Die Bilanzgleichung hilft uns,
unsere Systeme zu beschreiben.
Um die Bilanzgleichung auf ein System anzuwenden, müssen wir dieses vor-
erst definieren und abgrenzen.
Belebungsbecken Nachklärbecken
Belüftung
Zufluss
Abfluss
Rücklaufschlamm Überschuss-
schlamm
Abb. 2.1. Beispiel einer Systemdefinition: Das Belebtschlammverfahren zur biologischen Reini-
gung von Abwasser besteht aus zwei Teilen (Teilsysteme), dem Belebungsbecken und dem
Nachklärbecken. Je nach Fragestellung definieren wir unterschiedliche Systeme; hier sind drei
Möglichkeiten mit Hilfe von gestrichelten Linien angedeutet
zunehmender Erfahrung gelingt es, Systeme immer einfacher und daher für unsere
Aufgaben wirksamer zu definieren.
Ein System ist ein gedachtes Konzept und nicht ein physikalisch existierender
Teil der Welt. Die Systemdefinition (Abgrenzung von der Umwelt) geschieht
nicht nur räumlich sondern auch phänomenologisch, indem wir bestimmte Phä-
nomene in unsere Analyse aufnehmen oder von vornherein als wenig bedeutsam
ausschliessen: Die Systemdefinition beruht auf unseren Modellvorstellungen.
Zufluss
Qzu, Czu System
Volumen V
mittlere Stoffkonzentration C
mittlere Produktionsgeschwindigkeit r Abfluss
Qab, Cab
Abb. 2.2. Definition eines einfachen Systems. Die Annahmen sind, dass das System ein variables
Volumen V hat, dass Transport über die Systemgrenzen nur innerhalb von Zufluss- oder Ab-
flussleitungen möglich ist und dass Stoffe über das ganze System gleichmässig mit der Konzent-
ration C verteilt sind
Für das einfache System in Abb. 2.2 ergibt sich die Masse eines Stoffs innerhalb
des Systems zu:
M=VC (2.2)
M = Masse eines Stoffs innerhalb des Systems in Abb. 2.2 >M@
V = Volumen des Systems in Abb. 2.2 >L3@
C = Mittlere Stoffkonzentration im System in Abb. 2.2 >M L-3@
Die Akkumulation des Stoffs oder den Speicherprozess können wir als Verän-
derung der Stoffmasse M mit der Zeit t verfolgen. Mit Gl. (2.2) ergibt sich:
dM d(V C) dC dV
Speicherung = V C (2.3)
dt dt dt dt
Der Transport von Stoffen ins System hinein oder aus dem System heraus er-
gibt sich zu:
Zufluss = Qzu Czu
(2.4)
Abfluss = Qab Cab
Q = Volumenstrom (Durchfluss) des Wassers >L3 T-1@.
Die Reaktion oder die Umwandlung des Stoffs im System berechnet sich aus:
Reaktion = r V (2.5)
-3 -1
r = Reaktionsgeschwindigkeit >M L T @.
r > 0 wenn der Stoff produziert wird
r < 0 wenn der Stoff verbraucht wird.
Die Reaktionsgeschwindigkeit r gibt an, wieviel des Stoffs pro Volumen und
pro Zeit im System produziert werden. Zum Beispiel kann in einer biologischen
Abwasserreinigungsanlage Sauerstoff, O2, verbraucht werden. rO2 ist negativ, weil
es sich um einen Verbrauch handelt. Die Reaktionsgeschwindigkeit wird z.B. an-
gegeben als:
rO2 = – 500 g O2 m-3 d-1.
Mit den Gln. (2.2–2.5) können wir nun Gl. (2.1) schreiben als:
dC dV
V C Q zu C zu Q ab C ab r V (2.6)
dt dt
Gleichung (2.6) ist eine stark vereinfachte Form einer allgemeinen Massenbi-
lanzgleichung. Sie ist nur für das sehr einfache System in Abb. 2.2 gültig. Das
genügt hier, um einfache Fragestellungen zu bearbeiten.
Wie gross ist die mittlere Transportgeschwindigkeit (der mittlere Zufluss, die Fracht) von
Phosphor in diese Kläranlage hinein?
Die Phosphorfracht im Zulauf beträgt: Qzu Czu = 1500 m3 d-1 7 gP m-3 = 10’500 gP d-1.
Je nach den gewählten Einheiten könnten wir diese Transportgeschwindigkeit auch
angeben als 438 gP h-1 oder 0.12 gP s-1. Alle drei Transportgeschwindigkeiten drücken
das Gleiche aus.
WICHTIG: Diese drei Angaben entsprechen nicht einem Mittelwert über einen Tag, eine
Stunde oder eine Sekunde sondern sie entsprechen alle dem gleichen, mit dem Durch-
fluss gewichteten Mittelwert.
Wieviel Phosphor gelangt im Mittel während eines Jahres in diese Anlage?
MP = Qzu Czu 't = 1500 m3 d-1 7 gP m-3 365 d = 3.83 t Phosphor.
Die Antwort auf diese Frage beinhaltet die Dimension der Zeit nicht mehr. Entsprechend
handelt es sich hier nicht um eine Transportgeschwindigkeit.
Zufluss
Q Czu
Abfluss
Q Cab
C
Zufluss
Czu
Abb. 2.4. Schematische Darstellung des
Reaktor Abfluss
idealen Rührkessels. Unten sind die loka-
C Cab len Stoffkonzentrationen angedeutet. Im
Rührkessel finden wir die gleiche Kon-
Ort zentration wie im Ablauf
Weil der Chargenreaktor weder Zu- noch Abfluss hat, sprechen wir auch von
einem geschlossenen System. Ein solches kann mit der Umgebung keine Stoffe,
wohl aber Energie austauschen. Die Erde ist relativ zum Weltall angenähert ein
geschlossenes System.
Der ideale Rührkessel ist in Abb. 2.4 dargestellt. Der Rührkessel entspricht ange-
nähert einem See in der Herbstphase mit vollständiger Durchmischung, wenn kei-
ne thermische Schichtung beobachtet wird.
Wenden wir Gl. (2.6) auf einen Rührkessel an, so resultiert mit konstantem
Volumen V und daher gleichem Zu- und Abfluss Q:
dC
V Q (Czu Cab ) r V (2.8)
dt
Zudem können wir davon ausgehen, dass die Stoffkonzentrationen wegen der
guten Durchmischung im Reaktor und im Ablauf identisch sind, C = Cab.
Zufluss Abfluss
Q Czu Q Cab
Czu
Cab
Hauptfliessrichtung
Abb. 2.5. Der Röhrenreaktor. Die Konzentration C eines Stoffs, der abgebaut wird, nimmt ent-
lang der Fliessrichtung ab
2.5.1 Speicherung
Speicherung ist in allen Bereichen der Siedlungswasserwirtschaft von Bedeutung.
Deutlich wird der Prozess der Speicherung in der Wasserversorgung: Ein Trink-
wasserspeicher (ein Reservoir) speichert Wasser in Perioden mit geringem
Verbrauch, um anschliessend bei erhöhtem Verbrauch Wasser ins Verteilnetz ein-
zuspeisen. Wasser wird gespeichert, weil sich der Zufluss vom Abfluss unter-
scheidet. Aus Gl. (2.6) wird deutlich, dass ohne Reaktion und ohne Transport auch
der Speicherterm der Bilanzgleichung gleich null wird. Speicherung ist also im-
mer eine Folge von entweder Transport oder Reaktion.
(Die Annahme, dass die Konzentration und des Wassers und das Volumen der Leitun-
gen konstant bleiben, stimmt nur angenähert. Durch Druckschwankungen ergeben sich
geringe Variationen in der Dichte des Wassers und der Expansion der Leitungen, das
führt zu Druckstössen, die in Abschn. 11.7 besprochen werden).
Regenwasser
QR CR
Systemabgrenzung
Abb. 2.6. Systemdefinition für einen Vereinigungsschacht: Regenwasser wird dem Abwasser
einer Gemeinde zugeleitet. Die Wassermengen werden mit Q, die Schmutzstoffkonzentrationen
mit C bezeichnet
Wir sprechen hier von einer Mischrechnung, effektiv haben wir die Bilanzgleichung an-
gewendet und die Annahmen gemacht, dass der Schmutzstoff nicht reagiert und nicht
im Schacht gespeichert (zurückgehalten) wird.
System 1
System 2
Qzu Qab
Nitrifikation
QÜS
QR
Abb. 2.7. Fliessschema einer einfachen Belebungsanlage mit Nitrifikation. (s.a. Abb. 2.1)
Die Siedlungswasserwirtschaft ist eine Disziplin, die sich sehr umfassend mit der
Qualität von Wasser befasst. Damit dies möglich wird, müssen wir das Wasser
chemisch, physikalisch und hygienisch charakterisieren. Das bedingt ein Ver-
ständnis für die Bedeutung und die Probleme der verschiedenen Analysemetho-
den.
3.1 Vorbemerkungen
Hier werden einzelne Analysen und Methoden zur Charakterisierung von Wasser,
Abwasser und Klärschlamm diskutiert. Die Angaben beschränken sich auf das
Minimum, das erforderlich ist, um die Grundlagen der Siedlungswasserwirtschaft
zu verstehen. Fachleute, die sich vertieft mit der Siedlungswasserwirtschaft befas-
sen, müssen sich auch im Detail mit den Analysemethoden vertraut machen. Nur
so sind sie vor Fehlinterpretationen gefeit. Zu jeder Analyse, sei diese physika-
lisch, chemisch oder mikrobiologisch, gehört eine reproduzierbare Beschreibung
des standardisierten Vorgehens und der möglichen Fehlerquellen bei den Resulta-
ten, s. dazu die weiterführende Literatur Seite 422.
Trennverfahren: Membranfiltration
3.3.1 Filtration
Als gelöste Stoffe werden Stoffe bezeichnet, die durch ein Membranfilter mit defi-
nierten Porengrössen passieren können. Häufig wird eine Porengrösse von 0.45
Pm für diese Abtrennung verwendet. Als ungelöste, partikuläre oder suspendierte
Stoffe werden diejenigen Stoffe bezeichnet, die bei der Filtration auf dem Memb-
ranfilter zurückbleiben. Abbildung 3.1 zeigt eine Apparatur, mit der die ungelös-
ten von den gelösten Stoffen abgetrennt werden können.
Wasserprobe
Filtermembran mit
Vakuum suspendierten Stoffen
Filtrat mit
gelösten Stoffen
Abb. 3.1. Links: Apparatur zum Trennen von gelösten und ungelösten Stoffen. Die ungelösten
Stoffe bleiben auf der Filtermembran zurück, die gelösten Stoffe werden mit Hilfe von Vakuum
zusammen mit dem Wasser durch die Filtermembran gesogen. Rechts: Rasterelektronen-
mikroskopische Aufnahme (REM) einer Filtermembran mit 0.2 Pm Poren (Fa. Millipore)
nischen Verbindungen (d.h. der effektiv gemessene Wert beträgt häufig > 95%
eines theoretisch berechneten Werts).
Der CSB ist heute eine häufig gebrauchte Grösse um die Konzentration der or-
ganischen Stoffe im Abwasser, unabhängig von deren Zusammensetzung und bio-
logischen Abbaubarkeit, zu bestimmen. Der CSB ist besonders geeignet weil er
auf Kläranlagen einfach bestimmt werden kann und die organischen Stoffe fast
vollständig erfasst. Er steht in Beziehung zum Sauerstoffbedarf, der insbesondere
in der biologischen Abwasserreinigung eine bedeutende Rolle spielt.
Zur Bestimmung des CSB wird der Probe Silber (Ag+) als Katalysator und
Quecksilber (Hg2+) zugegeben, um Verfälschungen durch Chlorid (Cl-) zu ver-
mindern. Die ausreagierten Proben sind daher reich an Schwermetallen und müs-
sen entsprechend entsorgt werden. Heute gibt es Lieferanten, die fertig abgefüllte
Analysegläser ausliefern und diese nach Gebrauch zur Aufarbeitung und Entsor-
gung zurücknehmen.
Leider wird in der CSB Analyse auch Nitrit NO2- zu Nitrat NO3- aufoxidiert.
Das verfälscht bei (seltenen) hohen Nitritkonzentrationen das Resultat. Eine Ei-
genheit der CSB Analyse ist, dass die Analyse einen absoluten Fehler hat, sodass
insbesondere tiefe Konzentrationen relativ ungenau werden. Im Abwasser sind
Konzentrationen unter 20 g m-3 mit einem grossen relativen Fehler behaftet, sofern
die Analysemethode nicht angepasst wird.
Kaliumpermanganatverbrauch, KMnO4
Historisch wurde an Stelle des Dichromats Kaliumpermanganat KMnO4 als Oxi-
dationsmittel eingesetzt. Die entsprechende Analyse ist sehr einfach und schnell
durchzuführen. Entsprechend wird sie z.B. auf kleinen Kläranlagen immer noch
zur Überwachung genutzt.
Kaliumpermanganat oxidiert die organischen Stoffe nur teilweise. Das Resultat
kann daher nur relativ zu anderen Kaliumpermanganatverbrauchswerten interpre-
tiert werden.
38 3 Charakterisierung von Wasser
Die Bestimmung des BSB5 ist ein Bioassay (eine Analyse, die auf biologischen Prozes-
sen beruht) und damit ist das Resultat einer grösseren Streuung unterworfen. Zwischen
verschiedenen Laboratorien sind Unterschiede von > 20% für gleiche Proben keine
Seltenheit.
3.5 Stickstoff
Stickstoff spielt in seinen verschiedenen organischen, aber v.a. anorganischen
Formen, eine wichtige Rolle in der Abwasserreinigung und in der Beurteilung von
Trinkwasser.
Tabelle 3.1. Die verschiedenen Formen von Stickstoff, die in der Siedlungswasserwirtschaft von
Bedeutung sind. Die Darstellung ist stark vereinfacht
Oxidationszahl pH-Wert hoch pH-Wert tief
Reduziert: O2 Bedarf
+
-3 NH3 (Ammoniak) NH4 (Ammonium)
0 N2 (elementarer Stickstoff)
-
+3 NO2 (Nitrit)
-
+5 NO3 (Nitrat)
Oxidiert: „O2 Angebot“
-3 Organisch gebundener Stickstoff
Elementarer Stickstoff spielt nur eine untergeordnete Rolle, er wird mit den nor-
malen Analysemethoden nicht erfasst. N2 ist im Wasser nur sehr schlecht löslich,
schlechter als Sauerstoff (Abschn. 3.9, Seite 50).
Stickstoffgas N2 kann als Folge der Denitrifikation (s. Abschn. 20.4.9, Seite
349) z.B. in Nachklärbecken als Gasblasen aus dem Wasser ausgeschieden wer-
den. Die aufsteigenden Gasblasen können die Sedimentation stören.
3.7.1 pH-Wert
Der pH-Wert des Wassers ist eine zentrale physikalisch-chemische Grösse des
Wassers. Er beeinflusst das Gleichgewicht von Säuren und Basen, Fällungsreakti-
onen, elektrische Ladungen an Partikeln, etc.
Der pH-Wert gibt an, wie gross die Aktivität (|Konzentration in Mol l-1) der Pro-
tonen H+ im Wasser ist (pH = - log(H+)). Er bestimmt die Gleichgewichte zwi-
schen Säuren und Basen, beeinflusst die Geschwindigkeit der Auflösung oder
Ausfällung von vielen Mineralien etc. Im natürlichen Wasser wird der pH-Wert
meist durch das Kohlensäure-Bikarbonat-Karbonat System gepuffert.
46 3 Charakterisierung von Wasser
Der pH-Wert kann heute zuverlässig und einfach mit Elektroden gemessen
werden. Häufig entstehen aber Messfehler durch nicht fachgerecht geeichte oder
unterhaltene Elektroden.
Der pH-Wert ist für den Ablauf der Wasseraufbereitung, der Abwasserreini-
gung und von Korrosionsprozessen von grosser Bedeutung. Typische pH-Werte
gibt Tabelle 3.2.
3.7.2 pH-Puffer
Ein Wasser ist gegen pH-Änderungen gepuffert, wenn es grössere Mengen von
Säuren oder Basen aufnehmen kann, ohne dass sich der pH-Wert des Wassers
stark ändert.
Im Bereiche der Siedlungswasserwirtschaft spielt v.a. das Kohlensäure-
Bikarbonat-Karbonat-Gleichgewicht eine Rolle als pH-Puffer. Dieses Gleichge-
wicht wird durch die folgenden zwei Gleichungen charakterisiert:
CO2 + H2O l HCO3- + H+ (3.3)
3.8 Wasserhärte
Die Wasserhärte drückt aus, wieviel Kalzium Ca2+ und Magnesium Mg2+ im Was-
ser enthalten sind. Diese beiden Ionen bilden bei der Erwärmung des Wassers
48 3 Charakterisierung von Wasser
unlösliche Salze, die sich z.B. auf Pfannen und der Wäsche als eine weisse Kruste
niederschlagen. Die Wäsche wird hart und brüchig.
Durch Verwitterungsprozesse löst das Niederschlagswasser Mineralien, die an-
schliessend das Verhalten des Wassers in den unterschiedlichsten Situationen prä-
gen. Von besonderer Bedeutung sind die Härtebildner, die zweiwertigen Metallio-
nen, insbesondere Calcium (Ca2+) und Magnesium (Mg2+). Die Karbonatsalze
dieser Metalle sind schlecht löslich, sie bilden weisse Niederschläge, wenn im
Wasser der pH-Wert zunimmt resp. das Wasser erhitzt wird. Härtebildner werden
v.a. in kalkreichen Regionen in erhöhten Konzentrationen ins Wasser aufgenom-
men.
Zusammen mit den Härtebildnern wird auch Karbonat (CO32-) oder je nach pH-
Wert Bikarbonat (HCO3-) im Wasser gelöst (s. Säurebindungsvermögen SBV,
Abschn. 3.7.3). Es gelten die folgenden Begriffe:
Gesamthärte umfasst die Summe der zweiwertigen Metallionen, v.a. Calcium
und Magnesium. Sie wird in unterschiedlichsten Einheiten an-
gegeben.
Alkalinität, SBV gibt an, wieviel starke Säure erforderlich ist, um den pH-Wert
des Wassers auf 4.3 zu reduzieren. Sie wird in unterschied-
lichsten Einheiten angegeben.
Ca2+ bezeichnet die Konzentration des Kalziumions. Sie wird z.B. in
mg/l resp. g m-3 angegeben.
Mg2+ bezeichnet die Konzentration des Magnesiumions. Sie wird z.B.
in mg/l resp. g m-3 angegeben.
Einheiten für Gesamthärte und Alkalinität sind:
meq/l Milliäquivalent pro l. Es werden die Anzahl Ladungen gezählt. 1
Mol Ca2+ ergibt 2 Äquivalente Ladungen. 1 Mol HCO3- ergibt
ein Äquivalent Ladung.
mmol/l Millimol pro l. Es werden die molaren Konzentrationen von
>Ca2+@ und >Mg2+@ angegeben.
3.8 Wasserhärte 49
Tabelle 3.4. Löslichkeit von Sauerstoff im Wasser. Die Angaben beziehen sich auf Normaldruck
(760 mm Hg oder 1031 hPa). Diese Sättigungswerte beziehen sich auf Wasser im Gleichgewicht
mit der Atmosphäre. Sie können ungefähr proportional mit dem Luftdruck an die lokalen Ver-
hältnisse angepasst werden
Temperatur gelöster Sauerstoff
-3
in °C in g m
0 14.7
5 12.8
10 11.3
15 10.0
20 9.0
25 8.2
30 7.4
Fokussieroptik 90°
Streulicht 90q
Trübung
Re ferenzstrahl
Lichtquelle
Infrarot
Detektor
Referenzstrahl
Abb. 3.2. Prinzip der Streulichtmessung zur Bestimmung der Trübung. Licht wird von Partikeln
gestreut, die Intensität des Streulichts ist ein Mass für die Trübung der Probe
3.10.1 Leitfähigkeit
Die elektrische Leitfähigkeit des Wassers ist ein einfacher Summenparameter, der
mit der Konzentration der Ionen im Wasser zunimmt.
Mit der Leitfähigkeit wird gemessen, wieviel Strom durch eine standardisierte
Elektrode fliesst, die in die Probe eingetaucht wird. Je grösser der Strom, desto
grösser die Leitfähigkeit, desto grösser ist die Salzkonzentration. Die Leitfähigkeit
wird angegeben in PS/cm (1 Siemens ist der Kehrwert eines Ohms). Typische
Werte liegen im Bereich von 100–1000 PS/cm. Da die Leitfähigkeit sehr einfach
zu messen ist, wird sie häufig als einfaches Signal verwendet, um Veränderungen
in der Wasserzusammensetzung, insbesondere im Salzgehalt, festzustellen.
3.10.2 Trübung
Den Gehalt des Wassers an feinen Partikeln nehmen wir als Trübung wahr. Diese
können wir in der Form von Streulicht messen. Trübung hat Bedeutung für die
Überwachung der Qualität von Trinkwasser und zur kontinuierlichen Charakteri-
sierung von Abwasser.
Trifft Licht auf einen Partikel im Wasser, der einen vom Wasser unterschiedlichen
Brechungsindex hat, so wird das Licht gestreut und diffus in alle Richtungen ge-
52 3 Charakterisierung von Wasser
0
1 10 20 31 10 20 26
März 1993 April 1993
Abb. 3.3. Verlauf der Trübung in den Wasserwerken von Milwaukee im Frühjahr 1993. Das
Wasser der Südanlage war stark mit Cryptosporidien kontaminiert. Schätzungsweise 400'000
Einwohner erkrankten an Durchfall, über 100 sind gestorben (Mac Kenzie W.R, et al. 1994).
Beide Werke bewegten sich im Rahmen der damals gültigen Grenzwerte, diese sind in der Zwi-
schenzeit verschärft worden.
lenkt; wir nehmen das als Trübung wahr (Abb. 3.2). Trübung im Trinkwasser be-
deutet häufig, dass Keime im Wasser vorhanden sind, die die Hygiene gefährden
können. Mit Hilfe von Streulicht (s.a. Abb. 3.2) können wir schnell, einfach und
kontinuierlich die Trübung quantifizieren. Dabei wird die Messung mit einer stan-
dardisierten, künstlich hergestellten Trübung (Formazin) verglichen; das Resultat
sind sogen. Formazin Turbidity Units (FTU). In den USA gilt für Trinkwasser ein
Grenzwert von nur 0.3 FTU, diese können wir von blossem Auge in geringen
Wassertiefen kaum wahrnehmen.
Die Trübung eines Wassers korreliert stark mit dessen Gehalt an suspendierten
Stoffen (TSS) und häufig auch mikrobiologischen Keimen (s.a. Beispiel 3.22).
3.10.3 Temperatur
Die Temperatur ist eine wichtige Zustandsgrösse, sie sollte immer angegeben
werden, wenn Zustände charakterisiert werden.
Die Temperatur bestimmt das spezifische Gewicht des Wassers, die Löslichkeit
von Gasen und Mineralien im Wasser und beeinflusst das Gleichgewicht zwischen
Säuren und Basen sowie die Geschwindigkeit von chemischen und biologischen
3.10 Physikalische Analysen 53
Prozessen. Zu allen Messungen von Leistungen von Anlagen sollte daher immer
auch die Temperatur angegeben werden.
3.10.4 Dichte
Die Dichte des Wassers erreicht bei 4°C ein Maximum.
Die Dichte des Wassers ist abhängig von der Temperatur und hat ein Maximum
bei 4°C. Diese Eigenschaft des Wassers führt zu einer Reihe von Phänomenen: die
Temperaturschichtung von Seen, das Einschichten von Abwasser in bestimmten
Tiefen bei Einleitungen in Seen etc. Mit zunehmendem Salzgehalt nimmt auch die
Dichte des Wassers zu. Charakteristische Werte sind in Tabelle 3.5 zusammenge-
stellt.
3.10.6 Oberflächenspannung
Die Oberflächenspannung ist eine thermodynamische Grösse, die angibt, wieviel
Energie mindestens erforderlich ist um die Oberfläche einer Flüssigkeit zu ver-
grössern; sie wird meistens in dyn/cm angegeben. Wasser hat eine grosse Oberflä-
chenspannung, die durch Detergenzien (oberflächenaktive Stoffe), die sich an den
Oberflächen anlagern, vermindert wird. Geringe Oberflächenspannung heisst, dass
das Wasser hydrophobe, wasserabstossende Feststoffe besser benetzen kann. Cha-
rakteristische Werte für sauberes Wasser sind in Tabelle 3.5 zusammengestellt.
fläche des Wassers zu vergrössern: Ein Seifenschaum ist nichts anderes als Wasser
mit einer sehr grossen Oberfläche!
Abb. 3.4. Petrischale mit Nährboden und Kolonien von Mikroorganismen. Oben: Coliforme
Keime auf Endo Agar. Unten: Gesamtkeimzahl, Kolonien teilweise markiert beim Auszählen.
Photo: Wasserversorgung Zürich
Überwachung von Trinkwasser schon bald umfassend auf solchen Methoden ba-
sieren wird.
fig vertreten, der bei Westeuropäern starken Durchfall auslöst, gegen den aber die
lokale Bevölkerung resistent ist. Die ausgelöste Krankheit heisst in Nordamerika
„Montezuma’s Rache“.
E.coli ist also ein mehr oder weniger ungefährliches Bakterium, das in grosser
Zahl in den Fäkalien ausgeschieden wird. Es wird in Wasser immer dort auftreten,
wo auch Krankheitskeime, allerdings in viel geringerer Konzentration, auftreten.
Sind also E.coli vorhanden, so muss auch mit Krankheitskeimen gerechnet wer-
den. Diese Überlegung hat schon früh dazu geführt, dass selektive mikrobiologi-
sche Analysemethoden für die Bestimmung der Anzahl von E.coli in unterschied-
lichen Wässern entwickelt wurden. Zudem haben Mediziner und Mikrobiologen
über lange Zeit hauptsächlich diesen Organismus untersucht, sodass E.coli heute
einer der best untersuchten Mikroorganismen ist.
Fazit: E.coli wird stellvertretend für andere Bakterien, insbesondere krank-
heitserregende Keime untersucht. Ist E.coli vorhanden, ist das Wasser gefährdet
und kürzlich mit Fäkalien im Kontakt gestanden. Ist das Wasser frei von E.coli,
kann mit einiger Sicherheit ein hygienisches Problem ausgeschlossen werden.
Diese letzte Annahme gilt nur für Organismen, die in der Umwelt vergleichbare
Überlebenschancen haben. Für Viren, Sporen und Protozooen ist diese Annahme
nicht gerechtfertigt.
Tabelle 3.6. Toleranz- und Grenzwerte für die hygienische – mikrobiologische Qualität von
Trinkwasser in der Schweiz
a
Grenzwerte werden von einzelnen Kantonen unterschiedlich angewandt, typisch sind:
Erreger von Typhus Salmonella Arten
Shigella Arten in 5 l nicht nachweisbar
Erreger von Cholera Vibrio cholerae
b
Toleranzwerte für Trinkwasser sind im Schweiz. Lebensmittelbuch zwingend vorgeschrieben:
an der Quelle 100 / ml
Aerobe mesophile Keime
nach Behandlung 20 / ml
Aerobe mesophile Keime 300 / ml
im Verteilnetz Escherichia coli nicht nachweisbar in 100 ml
Enterokokken nicht nachweisbar in 100 ml
a
Grenzwerte sind Höchstkonzentrationen, bei deren Überschreitung das Trinkwasser für die
menschliche Ernährung als ungeeignet gilt.
b
Toleranzwerte sind Höchstkonzentrationen, bei deren Überschreitung das Trinkwasser von
der Vollzugsbehörde beanstandet wird. Bei wiederholtem Überschreiten der Toleranzwerte
müssen Massnahmen zur Reduktion ergriffen werden. Eine Überschreitung bedeutet eine
Verminderung des Werts des Wassers.
sichtbar; Kochsalz (NaCl), Stickstoff (NH4+, NO3-), Phosphor und die Schwerme-
talle nehmen deutlich zu.
Überraschend ist der Vergleich der Stoffkonzentrationen z.B. der Schwerme-
talle im Niederschlag (Tabelle 3.8) und im unbelasteten Flusswasser (Tabelle 3.7).
Tabelle 3.8. Zusammensetzung des Niederschlags (gesamt) und des Regenwassers (feucht) in
zwei schweizerischen Messstationen in der Messperiode 1978/79 (Zobrist, 1998). Die Konzent-
rationen beziehen sich auf das Volumen des Niederschlags
Station Dübendorf Jungfraujoch
Höhe über Meer 400 m 3570 m
Stoff Einheit feucht gesamt gesamt
Natrium g Na m-3 0.08 0.16 0.24
Kalium g K m-3 0.05 0.10 0.20
Calcium g Ca m-3 0.38 0.91 0.69
Magnesium g Mg m-3 0.05 0.16 0.06
Ammonium-N g N m-3 0.43 0.47 0.19
starke Säuren mmol H+ m-3 57 41 -
Nitrit-N g N m-3 0.004 0.006 -
Nitrat g N m-3 0.40 0.48 0.14
Sulfat-S g S m-3 0.97 1.08 0.38
Chlorid g Cl m-3 0.74 0.86 0.42
Phosphat-P g P m-3 0.001 0.002 -
Blei mg Pb m-3 21 39 -
Kupfer mg Cu m-3 5 9 -
Zink mg Zn m-3 46 54 -
Cadmium mg Cd m-3 - 0.46 -
Ptot g P m-3 0.014 0.021 -
DOC g C m-3 1.2 1.4 -
pH-Wert - 4.26 4.46 5.4
Niederschlag mm 1225 1225 1105
3.12.3 Trinkwasserzusammensetzung
Tabelle 3.9 gibt eine Zusammenfassung von Richtwerten für Qualitätsziele und
Grenzwerte für Trinkwasser. Das Qualitätsziel charakterisiert ein gutes Trinkwas-
ser (Kolonne 1). Die Grenzwerte sollten nicht während längerer Zeit überschritten
werden, sie charakterisieren ein ungeeignetes Trinkwasser.
Tabelle 3.9. Beurteilungswerte für Trinkwasser, unterschiedliche Quellen, z.T. nach dem
Schweizerischen Lebensmittelbuch, Stand 2004. Es muss beachtet werden, dass das SLMB zu
allen Parametern zusätzliche Erläuterungen gibt
Kolonne 1a Kolonne 2b
Parameter Einheit
Qualitätsziel Grenzwert
Temperatur °C 8 – 15 25
pH-Wert 6.8 – 8.2 9.2
Calcium mg Ca2+/l 40 – 125 200
Magnesium mg Mg2+/l 5 – 30 50 – 125
je nach SO42-
Ammonium mg NH4+/l < 0.05 0.1 – 0.5
Nitrit mg NO2-/l < 0.01 0.1
Nitrat mg NO3-/l < 25 40
Phosphat mg P/l < 0.05
Sauerstoff % Sättigung 30 – 100
Gesamthärte mmol/l > 1 bei Enthärtung
Alkalinität, SBV mmol/l 2–4
DOC mg C/l < 1.0
Trübung unbehandelt FTU 90° < 0.5
nach Filtration < 0.2
Leitfähigkeit PS/cm 200 – 800
a
Kolonne 1: Bereich eines gegebenen Parameters als Qualitätsziel für Trinkwasser. Ent-
spricht in der Regel einem wenig beeinflussten Grund- oder Quellwasser.
b
Kolonne 2: Wert eines Parameters, der nicht überschritten werden sollte. Werden diese
Konzentrationen erreicht, sollen geeignete Massnahmen eingeleitet werden.
Tabelle 3.10. Zusammensetzung des Abwassers der Stadt Zürich. Werte aus Untersuchungen der
Eawag von 1977 und 1989 (P = Mittelwert, V = Standardabweichung), s.a. Text
1977 1989
Parameter Zulauf Ablauf Vorklärung Zulauf Ablauf Vorklärung Einheit
P P V P P V
BSB5 90 g O m-3
TOC 97 62 17 120 61 17 g C m-3
DOC 35 31 10 28 7 g C m-3
CSB 310 207 56 216 61 g O m-3
TSS 203 101 29 79 26 g m-3
TP 6.4 6.1 1.6 3.8 0.8 g P m-3
GP 4.2 4.1 1.0 g P m-3
TKN 21.5 19.4 3.9 23.1 4.6 g N m-3
NH4+-N 12.4 11.5 1.8 17.0 15.1 3.7 g N m-3
NO2--N 0.3 0.2 g N m-3
NO3--N 2.1 0.9 g N m-3
SBV 4.7 0.2 5.5 5.1 0.8 Mol m-3
pH-Wert 7.6 0.2 -
62 3 Charakterisierung von Wasser
Tabelle 3.10 zeigt deutlich, dass die Abwasserzusammensetzung sich im Laufe der
Zeit verändert, z.B. hat in Zürich im Verlaufe von 12 Jahren die Konzentration
von Ptot im vorgeklärten Abwasser um ca. 40% abgenommen, während die Kon-
zentration von TKN um ca. 20% zugenommen hat. Der Grund für die Zunahme
der TKN-Konzentration ist nicht eine Veränderung der Schmutzstofffracht son-
dern, dass im Laufe der Jahre die Fremdwassermenge (Sauberwasser, das mit dem
belasteten Abwasser abfliesst) reduziert wurde. Die Phosphorfracht hat sich effek-
tiv um mehr als 50% verringert.
3.13 Probenahme
Die Probenahme ist integraler Bestandteil der Charakterisierung von Wasser. Sie
muss sorgfältig an die Fragestellung angepasst werden.
Wasser wird nicht als Ganzes chemisch oder bakteriologisch untersucht, sondern
es wird stellvertretend ein kleiner Anteil des Wassers als Probe gezogen, ins Labor
gebracht und dort zeitverschoben analysiert. Die Probenahme ist ein wichtiger
Teil einer genauen und zuverlässigen Charakterisierung eines Wassers. Sie muss
der Fragestellung angepasst sein: Der Analytiker muss sich darauf verlassen kön-
nen, dass die Probe die gleichen Eigenschaften hat wie das zu untersuchende Was-
ser. Da in Probenahmeflaschen sowohl biologische als auch chemische Reaktio-
nen ablaufen, können wir nicht grundsätzlich von dieser Annahme ausgehen.
Je nach Fragestellung müssen Proben unterschiedlich gezogen und konserviert
werden. Als Konservierung kommen in Frage:
– Kühlen, um biologische Prozesse zu verlangsamen.
– Tiefgefrieren bei langer Aufbewahrung der Proben, wobei sich dadurch eine
Reihe von Veränderungen ergeben, z.B. verändert sich die Konzentration der
3.13 Probenahme 63
Die innere Oberfläche des Schlauchs beträgt ca. 750 cm2. Darauf werden sich nach
kurzer Zeit Mikroorganismen ansiedeln, die das vorbeifliessende Abwasser verändern.
Enthält das Abwasser z.B. 150 g BSB5 m-3, so ergibt sich eine Flächenbelastung dieser
Mikroorganismen von QBSB5/F = 0.002 m3 150 g BSB5 m-3 / 0.075 m2 = 4
g BSB5m-2d-1. Das ist eine Belastung, wie sie in Tropfkörpern zur Reinigung von Ab-
wasser vorkommt (Abschn. 20.5, Seite 363).
Was im Kühlschrank aufgefangen wird, hat keine Ähnlichkeit mehr mit dem Abwasser,
das im Ablauf der Vorklärung vorhanden war.
Nur professionell gestaltete Probenahmegeräte, mit grossem Durchfluss, kleinen Ober-
flächen und peinliche Sauberkeit, gewährleisten eine zuverlässige Probenahme.
Beispiel 4.5. Typische Werte für den Anteil Glühverlust an der Trockensubstanz
Typischer Klärschlamm enthält:
Frischschlamm ohne Phosphorfällung: GV/TS = 70%
mit Phosphorfällung: GV/TS = 60%
Faulschlamm ohne Phosphorfällung: GV/TS = 55%
mit Phosphorfällung: GV/TS = 45%
Im Zuge der Faulung gehen organische Stoffe (=GV) in Form von Biogas verloren, das
vermindert den Anteil des Glühverlusts an der Trockensubstanz.
Tabelle 4.1. Grenzwerte für den Schadstoffgehalt von Klärschlamm in der Schweiz (Chemika-
lien Risikoreduktions-Verordnung, ChemRRV vom 18. Mai 2005, Abschnitt 5)
Schadstoff Grenzwert in g Metall / t Trockenstoff
Blei (Pb) 500
Cadmium (Cd) 5
Chrom (Cr) 500
Kobalt (Co) 60
Kupfer (Cu) 600
Molybdän (Mo) 20
Nickel (Ni) 80
Quecksilber (Hg) 5
Zink (Zn) 2000
Der Bedarf von Wasser in Siedlungen (v.a. der Trinkwasserverbrauch) und die
Menge des Abwassers, welche aus den Siedlungen abgeleitet werden muss, stehen
miteinander in Beziehung. Regen, Drainage und der Verlust von Wasser führen
aber zu Unterschieden in den beiden Wassermengen. Beide Grössen sind wichtige
Unterlagen für die Planung, die Projektierung und den Betrieb der Anlagen in der
Siedlungswasserwirtschaft. Von Bedeutung sind Tagesmittelwerte, Extremwerte,
saisonale Variationen, Wochengang, Tagesgang und Momentanwerte.
Regen
Fremdwasser
Trinkwasser Drainage
Verluste
Abwasser
Gärten Gebrauch
zur ARA
Industrie mit
Eigenförderung
Entlastung
bei Regen
Versickerung
Grundwasser
Abb. 5.1. Die verschiedenen Quellen des Abwassers in Siedlungen: Das Trinkwasser wird um
die Verluste vermindert, Industrien betreiben gelegentlich eigene Wasserbeschaffungsanlagen,
Grundwasser gelangt direkt in die Kanalisation und Regen wird teilweise abgeleitet. Zunehmend
wird auch Regenwasser gespeichert und als Brauchwasser genutzt. Vor den Kläranlagen muss
während Regen Abwasser entlastet werden
5.2 Trinkwasserbedarf
Der Bedarf an Trinkwasser ist starken Schwankungen unterworfen. Während heis-
sen, trockenen Monaten kann der Wasserbedarf ein Mehrfaches des mittleren Be-
darfs ausmachen. In Orten ohne touristische Bedeutung sind Ferienzeiten im Win-
ter Perioden mit minimalem Bedarf.
5.2.1 Nomenklatur
Die vielen unterschiedlichen Angaben zum Wasserbedarf bedingen eine Definition
der Symbole.
Je nach Fragestellung müssen ganz unterschiedliche Wassermengen bestimmt
werden. Nachfolgend sind wichtige Wassermengen definiert:
Qh = Momentanwert des Wasserverbrauchs. Der Index h steht für Stunde.
Dieser Wasserverbrauch kann als Zustand direkt gemessen werden.
Qd = Mittelwert des Wasserverbrauchs über einen Tag. Der Index d steht
für Tag. Dieser Wert kann nur als Summe über 24 h bestimmt werden.
Qd,max = Der maximale tägliche Wasserverbrauch Qd als Extremwert einer län-
geren Periode, z.B. der maximale Verbrauch, dem eine Anlage gerecht
werden muss.
Qd,m = Mittlerer Wasserverbrauch Qd während einer längeren Periode.
Qd,min = Minimaler Wasserverbrauch Qd während einer längeren Periode.
Qh,max = Maximaler momentaner Wasserverbrauch im Tagesgang, Tagesspitze.
Qh,max,max = Tagesspitze am Tag mit maximalem Verbrauch Qd,max.
Qh,max,m = Tagesspitze an einem Tag mit mittlerem Verbrauch Qd,m.
Der Wasserbedarf Q wird in m3 d-1 für ein ganzes Versorgungsgebiet angege-
ben. Zusätzlich werden spezifische Verbrauchszahlen angegeben, z.B. der mittlere
tägliche Wasserverbrauch pro Einwohner als qd,m in m3 E-1 d-1.
Für die Charakterisierung von Tages- und Jahresganglinien werden dimensi-
onslose Extremwertfaktoren fh und fd definiert, die die Extremwerte des Wasser-
bedarfes auf den Mittelwert einer relevanten Periode beziehen. Beispiele sind:
72 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall
Tabelle 5.1. Wasserabgabe der Wasserversorgungen in der Schweiz. Statistische Erhebungen des
Schweiz. Vereins des Gas- und Wasserfaches (SVGW)
Wasserabgabe 1985 1990 1993 1999 2004
Haushalte inkl. Kleingewerbe 54.0 % 54.9 % 58.0 % 60.7 % 61.3 %
Gewerbe und Industrie 20 % 21.3 % 19.0 % 16.9 % 17.4 %
Öffentliche Zwecke und Brunnen 7.2 % 8.8 % 6.9 % 6.6 % 6.6 %
Selbstverbrauch 2.0 % 2.1 % 2.7 % 1.9 % 2.7 %
Verluste 16.8 % 12.9 % 13.4 % 14.0 % 12.0 %
Total 100 % 100 % 100 % 100 % 100 %
6 3 -1
Total in 10 m Jahr 1144 1162 1066 1057 1029
Einwohner in Mio. 6.534 6.796 6.989 7.164 7.412
fh,max = Qh,max,m / Qd,m, ein Faktor der angibt, wie gross der tägliche maximale
Wasserverbrauch relativ zum Tagesmittelwert ist.
fd,min = Qd,min / Qd,m, ein Faktor, der die Beziehung zwischen minimalem Ta-
gesverbrauch und dem Jahresmittel des Wasserverbrauchs angibt.
In den Beispielen 5.3 und 5.5 sind solche Faktoren aus gemessenen Ganglinien
berechnet worden.
5.2.2 Wasserverbrauch
Der Tages-, Wochen- und Jahresgang des Verbrauchs von Trinkwasser beruht auf
unseren Aktivitäten. Der Verbrauch im Haushalt wird überlagert vom Verbrauch
im Kleingewerbe sowie in Gewerbe- und Industriebetrieben. Steigende Wasser-
preise führen zunehmend zu Veränderungen im Wasserverbrauch: Wassersparen-
de Installationen, Substitution von Trinkwasser mit Brauchwasser, etc.
Tabelle 5.1 gibt einen Überblick über die Wasserabgabe der Wasserversorgungen
in der Schweiz. Der grösste Teil des Wassers wird in Haushalte und ans Kleinge-
werbe (Restaurants, Bäckerei, Verkauf, …) geliefert. Insgesamt hat die Wasserab-
gabe seit 1985 trotz einer Zunahme der Bevölkerung nicht mehr zugenommen.
5.2 Trinkwasserbedarf 73
Die Entwicklung des totalen Wasserverbrauchs pro Einwohner (inkl. Industrie und
Gewerbe) ist für die Verhältnisse in der Schweiz in Abb. 5.2 dargestellt. Sowohl
der Jahresmittelwert (qd,m) als auch der maximale Tagesverbrauch qd,max haben seit
ca. 1985 eine abnehmende Tendenz. Die ansteigenden Wasserpreise, ein zuneh-
mend besseres Verständnis für die Belange der Umwelt und verbesserte techni-
sche Installationen und Haushaltgeräte unterstützen diesen Trend.
Tabelle 5.2 gibt einen Überblick über die Verwendung von Trinkwasser in den
Haushaltungen. Der mittlere Verbrauch pro Person hat seit ca. 1980 laufend abge-
nommen.
Tabelle 5.2. Aufteilung des mittleren Wasserverbrauchs im privaten Haushalt nach Verbrauchs-
arten, Mittelwerte aus Messungen in Wohnhäusern (BUWAL 1986, SVGW 2001, Statistisches
Bundesamt 2003). l P-1 d-1 = Liter pro Person pro Tag
Land Schweiz 1984 Schweiz 2001 Deutschland 2001
Aktivität l P-1 d-1 % l P-1 d-1 % l P-1 d-1 %
Toilettenspülung 59 33 48 30 41 32
Baden / Duschen 58 32 32 20 38 30
Wäsche 18 10 30 19 18 14
Bad 11 6 20 12 8 6
Küche 16 9 28 17 11 9
Putzen, Garten 18 10 4 2 11 9
Total 180 100 162 100 127 100
Nach Tabelle 5.3 ergeben sich Substitutionsmöglichkeiten für ca. 50 % des Trinkwas-
sers, das in Haushaltungen verbraucht wird. Das bedingt allerdings aufwändige Installa-
tionen am Ort des Verbrauchs und eine saubere Trennung der beiden Verteilsysteme.
Der Abwasseranfall wird dadurch nicht verringert.
Wie sollen die Gebühren für die Ableitung und Reinigung des substituierten Wassers
erhoben werden? Woher kommt das Wasser wenn Regenwasser fehlt? Wer übernimmt
die Kosten der Bereitstellung von Wasserlieferungen in Notsituationen?
Tabelle 5.3: Möglichkeiten zur Substitution von Trinkwasser im Haushalt. Zahlen Schweiz
2001, s.a. Tabelle 5.2
Tabelle 5.4. Beispiele für die Wasserabgabe (Einspeisung ins Netz) für verschiedene Städte und
Dörfer in der Schweiz. Die Auswahl gibt Ortschaften mit unterschiedlichen Aktivitäten, aber z.T.
vergleichbarer Grösse (Quelle: SVGW Statistik 2004)
-1 -1
Angeschl. Wasserabgabe in l E d
Ort Bemerkungen
Einwohner Max. Min. Mittel
Genf 438’000 601 266 407 Int. Organisationen, Tourismus
Zürich 365’000 397 268 342 Dienstleistung
Zug 45’000 414 225 316 Dienstleistung
Seeland 40’000 265 161 171 Ländlicher Verbund, geringe Verluste
Sitten 28’000 1038 308 571 Geringe Niederschläge
Aarau 18’000 599 327 467 Industrie ca. 50%
Huttwil 4000 598 151 281 Industrie ca. 25%
Flims (2003) 2700 1340 566 939 Keine Wassermessung, Winterkurort
Dachsen 1700 428 143 223 Ländlich
Der Wasserbedarf von Städten und Dörfern hängt stark von den lokalen Gegeben-
heiten ab. Tabelle 5.4 gibt Beispiele für den Wasserverbrauch pro Einwohner für
verschiedene Versorgungsgebiete. Ohne eine detaillierte Analyse des Versor-
gungsgebiets können die beobachteten Unterschiede nicht erklärt werden. Die
Analyse der historischen Entwicklung des Wasserverbrauchs, das Verständnis für
die Struktur der Siedlung und die Vorgaben der Planung der Siedlungsentwick-
lung sind die Basis für die Prognose der weiteren Entwicklung des Bedarfs. Die
Messung des Verbrauchs als Grundlage für die Erhebung der Gebühren hat eine
deutliche Reduktion des Bezugs zur Folge.
5.2 Trinkwasserbedarf 75
150
1. Mai Auffahrt
100
März April Mai 1991
Abb. 5.3. Oben: Tägliche Wasserabgabe der Wasserversorgung der Stadt Zürich im Jahre 1991.
Deutlich sichtbar ist der Einfluss der Witterung (z.B. Bewässerung im Sommer) und der Wo-
chengang. Die Dauerkurve zeigt den verminderten Wasserverbrauch während den Wochenenden.
3 -1
Jahresmittelwert 192’000 m d . Unten: Feiertage wie Ostern, Auffahrt, Pfingsten und 1. Mai
sind deutlich im Wasserverbrauch zu identifizieren. (Daten: Wasserversorgung Zürich, Ge-
schäfts- und Untersuchungsbericht 1991)
Verhältnis fh = Qh / Qd
2.5
2 ländlich
1.5
1
0.5
0
0 6 12 18 24
2.5
2 städtisch
1.5
1
0.5
0
0 6 12 18 24
Uhrzeit
Abb. 5.4. Typischer Tagesgang des Wasserverbrauchs. Qh = Momentanwert, Qd = Tagessumme,
fh = relativer Momentanwert (SVGW, W6, 1975). Siehe auch Tabelle 5.5
fh fV
Die korrigierten Werte ergeben sich aus fh,corr
1 fV
Deutschland Schweiz
Dorf Kleinstadt Stadt Dorf Kleinstadt Stadt
Verlust 20% 15% 10% 20% 15% 10%
fh,min 0.17 0.24 0.42 0.25 0.34 0.51
fh,max 3.18 2.32 1.45 1.91 1.63 1.45
Diese Werte sind in der Grössenordnung der Angaben in Tabelle 5.6.
Tabelle 5.6: Extremwertfaktoren für die Abschätzung des minimalen und des maximalen Was-
serverbrauchs im Tagesgang und pro Tag (Gl.(5.1)). Diese Werte schliessen nur geringe Verluste
ein.
Charakter des Tagesgang Jahresgang
Versorgungsgebietes fh,min fh,max fd,min fd,max
Landgemeinde 0.0 – 0.1 2.0 – 3.0 0.5 – 0.7 1.7 – 2.0
Kleinstadt 0.1 – 0.3 1.6 – 2.0 0.5 – 0.7 1.6 – 1.8
Grossstadt mit Industrie 0.3 – 0.5 1.4 – 1.7 0.6 – 0.7 1.3 – 1.6
nur sehr selten mit einem Brand zusammentrifft, würde hier z.B. der maximale Bedarf
an einem mittleren Tag mit dem Bedarf der Feuerwehr kombiniert:
QDim,FW = Qh,max,m + QFW = (qd,m,k · 1 · fh,max + qV) · E + Qh,FW = 1100 + 1700 = 2800 m3 d1
Der Wasserbedarf, der für die Dimensionierung der verschiedenen Elemente einer
Wasserversorgung verwendet wird, wird häufig mit grossen Reserven gewählt.
Der mögliche Schaden beim Versagen der Versorgung kann sehr gross sein, ins-
besondere wenn z.B. durch ungenügenden Druck verschmutztes Wasser in die
Leitungen zurückgesaugt wird und daraus hygienische Probleme entstehen. Ein
grosser prognostizierter Wasserbedarf verursacht aber grosse Bereitstellungs-
kosten, die die Verbraucher je länger je mehr nicht mehr zu übernehmen gewillt
sind. Zu gross geplante Anlagen verursachen zudem Problem mit stagnierendem
Wasser und werden in Zukunft sicher Grund für Diskussionen in öffentlichen und
politischen Gremien sein.
Es ist sinnvoll, eine Wasserversorgung so zu planen, dass sie laufend den Be-
dürfnissen angepasst werden kann. Leider ist das bei den z.T. sehr langen Lebens-
erwartungen von Verteilleitungen und Speichern nur sehr schwer zu erreichen.
Wir müssen in Zukunft mehr Aufwand treiben um die Entwicklung des Bedarfs zu
verfolgen und rechtzeitig Erweiterungen zu planen und zu realisieren. Dabei müs-
sen wir beachten, dass die Realisierung von zusätzlichen Wasseraufbe-
reitungsanlagen, Grundwasserbrunnen etc. oft mehrere Jahre benötigt.
Die Wasserversorgung muss eine grosse Verfügbarkeit ihrer Leistung gewähr-
leisten: Sie soll ihrer Aufgabe ‚immer’ gerecht werden, d.h. der Dimensio-
nierungsbedarf stellt ein extremes Ereignis dar, das im Verlauf der nächsten Jahre
5.2 Trinkwasserbedarf 81
sicher weniger als 1 Mal im Jahr auftritt. Diese Situation soll aber nicht dazu füh-
ren, dass Trinkwasser in beliebiger Menge jederzeit zur Verfügung steht. Eine
verantwortungsvolle Wasserversorgung wird versuchen, ihre Bezüger aufzuklären
und dafür zu sorgen, dass diese mit dem Trinkwasser haushälterisch umgehen.
Das ist eines der expliziten Ziele des schweizerischen Gewässerschutzes (Art. 1
Abs. b, Tabelle 1.1, Seite 15) und hat den Vorteil, dass bestehende Installationen
länger genügen und günstiger erweitert werden können.
Die Planungswerte in Tabelle 5.7 berücksichtigen das. Solche Werte sollen aber
Reserven beinhalten die unsere Unsicherheit über die Entwicklung abdecken.
5.3 Löschwasser
Häufig muss die Wasserversorgung auch das Löschwasser für die Feuerwehr zur
Verfügung stellen. Der entsprechende Bedarf wird in Abschn. 10.4.1, Seite 156
diskutiert.
5.4 Abwasseranfall 83
5.4 Abwasseranfall
Der Abwasseranfall setzt sich zusammen aus dem verschmutzten Abwasser aus
Haushaltungen, Gewerbe und Industrie, unbelastetem Fremdwasser und Regen-
wasser. Das Regenwasser stellt während intensiven Regen bei weitem den gröss-
ten Anteil. Hier wird nur das Abwasser besprochen, das bei Trockenwetter anfällt.
Es ist einem regelmässigen Tages-, Wochen- und Jahresgang unterworfen.
Q/QT,h,max
QARA
2
Reserve für
Regenwasser QRW QT,h,max
1 QT
Schmutzwasser, QS
Fremdwasser, QF
0
0 4 8 12 16 20 24
Uhrzeit
Abb. 5.7. Tagesgang der Wassermengen im Zulauf einer Abwasserreinigungsanlage. Aufgezeigt
sind das stetig fliessende Fremdwasser, das zusätzlich fliessende verschmutzte Abwasser und die
Reservekapazität der Kläranlage für Regenwasser sowie die Dimensionierungswassermenge der
Abwasserreinigungsanlage
5.4.2 Nomenklatur
Abwasser setzt sich aus verschiedenen Fraktionen zusammen, die alle sowohl ei-
nem Jahresgang als auch einem Tagesgang unterworfen sind. Entsprechend müs-
sen viele unterschiedliche Grössen definiert werden.
In Abb. 5.7 ist der Tagesgang von einigen Fraktionen des Abwassers dargestellt
und die einzelnen Abwassermengen sind unten definiert. Hier wird für das Trink-
wasser und das Abwasser eine analoge Nomenklatur gewählt. Die Nomenklatur
für das Abwasser ist nicht diejenige der Praxis. In der Praxis werden je nach Land
historisch unterschiedlich definierte Grössen verwendet; diese werden teilweise im
Rahmen von Beispielen erläutert.
5.4 Abwasseranfall 85
fS,h,max fS,d,max
3
1.5
Qh,max während 2 Stunden
1
ländlich Mittelstädte Grossstädte
< 5000 E 5000 – 20'000 – > 100'000 E
20'000 E 100'000 E
Abb. 5.8: Extremwertfaktoren für kommunales Abwasser: Verhältnis des maximalen Schmutz-
wasseranfalls während 1 oder 2 Stunden (85% Wert) zum Jahresmittelwerts des Schmutzwasser-
anfalls während 24 Stunden (je ohne Fremdwasser). Abgeleitet aus ATV-DVWK A 198 (2003)
Leider wird in den praktischen Angaben häufig keine klare Unterscheidung zwischen
Schmutzwasser und Trockenwetteranfall gemacht. Je grösser aber der Fremdwasser-
anteil am Abwasser ist, desto geringer sind die Variationen des Abwasseranfalls (s.a.
Beispiel 5.12).
Es gilt fT,h,max oder fT,h,min = 24 / x.
Tabelle 5.8: Stundenansatz x zur Charakterisierung des Tagesganges der Abwassermenge (Qx,
z.B. Q14 = Q24 · 24/14)). S.a. Beispiel 5.11
Einzugsgebiet Maximalwert im Tagesgang Minimalwert im Tagesgang
x in h x in h
Ländlich 12 48
Dorf 14 45
Kleinstadt 16 40
Grossstadt 18 – 20 36
5.4.3 Betriebserfahrungen
In den westlichen Industriestaaten bestehen heute für den grössten Teil des Ab-
wassers Abwasserreinigungsanlagen deren Zufluss regelmässig gemessen wird.
Dies erlaubt, die Betriebserfahrungen auszuwerten.
Die Wassermenge kann mehr als 50% der Investitionskosten einer Kläranlage
bestimmen. Eine sorgfältige Erhebung auf der Basis von genau geeichten Mes-
sungen ist deshalb vor einem geplanten Ausbau immer zu empfehlen. Dies schützt
vor Überraschungen mit überdurchschnittlich grossem Fremdwasseranfall, wie
dies in vielen ländlichen, kleinen Verhältnissen oft vorkommt (und z.B. bei der
Einweihung von Kläranlagen schon viele enttäuschte Gesichter verursacht hat,
weil ein ganzer Bach unberücksichtigt geblieben ist).
VORSICHT: Die Messung von Abwassermengen ist nicht trivial. Die meisten
Messstationen sind nur ungenügend geeicht, sodass systematische Fehler in den
Messreihen vorhanden sind. Abweichungen von über 20% vom Effektivwert sind
keine Seltenheit, insbesondere weil für den Betrieb einer Kläranlage nur eine rela-
tive Genauigkeit erforderlich ist. Bevor eine solche Messreihe aus dem Betrieb
ausgewertet wird, sollten die Messgeräte neu geeicht werden und die alten Zahlen
sind allenfalls an die neue Eichung anzupassen. Dem Ausbau von Kläranlagen
liegen absolute Zahlen zu Grunde. Ist der angenommene Durchfluss grösser als
der effektive, so wird der Ausbau unwirtschaftlich, umgekehrt genügt die neue
Anlage den gesteckten Zielen nicht. Messabweichungen beim Durchfluss gehen
direkt in die Berechnung von Schmutzstofffrachten mit Hilfe von gemessenen
Konzentrationen ein. Frachten sind wiederum die Grundlage zur Berechnung von
Beckengrössen und Schlammanfall.
88 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall
100000
50000
0
Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
Abb. 5.9. Jahresgang des Zuflusses (unten) und des Niederschlags (oben) auf einer grösseren
Kläranlage in der Schweiz (Dietikon 1994, Betriebsüberwachung). Eingezeichnet ist auch eine
Summenkurve des Abwasseranfalls
% der Werte
100
60
40 Mittelwert:
Qd,m = 35’700 m3 d-1
20
0
0 50'000 100'000 150'000
Abwassermenge Qd in m3 d-1
Abb. 5.10. Summenhäufigkeit der Tagessumme des Abwasseranfalls in einer grösseren Kläran-
lage in der Schweiz (Dietikon 1994). Gleiche Daten wie Abb. 5.9
% der Werte
100
60
rd,50% = 0.1mm d-1
40
Mittelwert:
20
rd,m = 3.3 mm d-1
0
0 20 40 60 80 100
5.4.4 Dimensionierungswerte
Bei der Berechnung des Abwasseranfalls muss zwischen verschiedenen Situatio-
nen, Aufgaben und Zielsetzungen unterschieden werden, z.B.:
– Dimensionierungsaufgaben: Kläranlagen, Kanalisation, Sonderbauwerke etc.
Alle diese Bauwerke werden für eine Abwassermenge dimensioniert, die die
speziellen Randbedingungen und die Aufgabe des Bauwerks berücksichtigen.
Grundsätzlich interessieren hier die Extreme der berücksichtigten Betriebszu-
stände.
– Betriebskostenrechnung: Hier interessieren eher die langfristigen Mittelwerte
als die nur selten auftretenden Betriebszustände.
– Für die Berechnung von Jahresfrachten (z.B. Belastung eines Sees mit Phos-
phor) können je nach Situation die Extremereignisse oder langandauernde
mittlere Betriebszustände massgebend sein.
Für die Bemessung von Bauwerken für die Entwässerung der Siedlungen spielt
der anfallende Regen eine zentrale Rolle. Der entsprechende Abwasseranfall wird
in Abschn. 13.5, Seite 219 diskutiert.
Eine grosse Bedeutung hat die Dimensionierungswassermenge der Kläranla-
gen, sie muss unterschiedliche Aspekte berücksichtigen: Bei Trockenwetter muss
Fremdwasser und Schmutzwasser sicher erfasst werden. Während Regen muss ein
zusätzlicher Anteil Regenwasser direkt gereinigt werden und nach einem Regen
müssen Mischwasserspeicher in genügend kurzer Zeit entleert werden können.
Für einfache Fälle wird in der Schweiz die maximale Belastung einer Kläran-
lage mit der folgenden Beziehung berechnet:
QARA = 2 Qd,80% fh,max (5.2)
3 -1
QARA = Dimensionierungswassermenge der Kläranlage >L T @
Qd,80% = Erwartete Abwassermenge, die an 80% der Tage unterschritten
wird >L3 T-1@. Ca. maximaler Trockenwetteranfall.
fh,max = Extremwertfaktor, der aus dem Tagesmittelwert den maximalen
Momentanwert berechnet >-@
In Deutschland wird nicht die ganze Abwassermenge, sondern nur das anfal-
lende verschmutzte Abwasser QS verdoppelt. Die Wassermengen basieren auf
85% Werten:
QARA = 2 QS,d,85% fS,h,max + QF (5.3)
Gln.(5.2) und (5.3) haben sich im Laufe der Zeit als sinnvoll erwiesen, eine
sehr detaillierte Begründung kann aber dafür nicht abgegeben werden.
Das DWA Arbeitsblatt A 198 (2003) geht für die Bemessung von biologischen
Abwasserreinigungsanlagen von einer differenzierten Analyse von langjährigen
Messreihen des Zuflusses aus und berücksichtigt zusätzlich die Entleerung der
Mischwasserspeicher im Einzugsgebiet. Daraus resultieren meist etwas grössere
Werte als mit Gl. (5.3) berechnet werden.
Sind keine Messungen verfügbar, so können für einfache Verhältnisse erste
Abschätzungen auf den folgenden Angaben basieren: Der Spitzenzufluss aus dem
häuslichen und kleingewerblichen Bereich beträgt ca. 0.004 l s-1 E-1 (l pro Sekun-
5.4 Abwasseranfall 91
de und Einwohner). Zusätzlich fallen mindestens 0.5 l s-1 ha-1red (Reduzierte Flä-
che entspricht der undurchlässigen Fläche, Abschn. 13.5.2, Seite 221) aus dem
gewerblichen und industriellen Bauzonen an. Für den Fremdwasserzufluss kann
z.B. mit 0.15 l s-1 ha-1red gerechnet werden.
Der Politiker versteht, dass für den Schlachthof ein Anteil von 3300 EG, also etwas we-
niger als für die Gemeinde, bereitgestellt werden muss. Für viele Vorentscheide genügt
diese Information.
Die Ingenieurin lernt aus diesen Zahlen, dass sie für ihre Arbeit zu ungenau sind und sie
daher genauer untersucht werden müssen. Schlachthofabwasser hat z.B. in Bezug auf
Stickstoff, Phosphor und Schwebestoffe eine andere Zusammensetzung als häusliches
Abwasser und ist häufig viel konzentrierter (d.h. es fällt weniger Abwasser an). Das sind
Informationen, die beim Gestalten der Anlage von Bedeutung sind, aber nicht aus tabel-
lierten EG resultieren. Sicher kann der Stickstoff und der Phosphorgehalt des vermisch-
ten Abwassers nicht genügend genau geschätzt werden.
Das Konzept der EG stammt aus einer Zeit, in der der BSB5 das Mass aller Verschmut-
zungen im Abwasser war und der Erfolg der Abwasserreinigung an der Verminderung
des BSB5 gemessen wurde.
In schweizerischen Richtlinien, die heute veraltet sind, wurde nur für BSB5 ein
Einwohnergleichwert definiert. Es werden für rohes Abwasser 75 g BSB5 E-1 d-1
und für vorgeklärtes Abwasser 50 g BSB5 E-1 d-1 verwendet. Insbesondere der
Wert für rohes Abwasser ist zu gross und beinhaltete Dimensionierungsreserven.
Das war früher gerechtfertigt als in den Anfängen der Abwasserreinigungstechnik
die zukünftige Entwicklung noch nicht absehbar war. Zudem hatten damals die
Kläranlagen noch sehr kurze hydraulische Aufenthaltszeiten, sodass sie sofort auf
hohe Belastungen reagierten. Heute werden meist grosse biologische Anlagen ge-
baut, die nicht mit so grossen Reserven dimensioniert werden müssen, da die Be-
lastungen über ein Schlammalter (s. Beispiel 20.8) gemittelt werden können.
8000
6000
4000
2000
0
Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
Datum
Abb. 6.1. Jahresgang der BSB5 Fracht in einer grösseren Abwasserreinigungsanlage im Schwei-
zer Mittelland. Ca. 90 Einzelwerte, Dietikon 1993, Eigenüberwachung
% der Werte
100
80
Mittelwert: 3750 kg BSB5 d-1
60
85% Wert: 5080 kg BSB5 d-1
40 50% Wert: 3440 kg BSB5 d-1
15% Wert: 2380 kg BSB5 d-1
20
0
0 2000 4000 6000 8000 10000
Tagesfracht kg BSB5 d-1
Abb. 6.2. Summenhäufigkeit der BSB5-Fracht im Ablauf der Vorklärung einer grösseren Ab-
wasserreinigungsanlage (Ca. 100’000 EG). Gleiche Daten wie in Abb. 6.1. Beachtenswert ist der
Unterschied zwischen dem Mittelwert und dem 50% Wert, der auf die Schiefe der Verteilung
hindeutet
1 1
0 0
0 6 12 18 24 0 6 12 18 24
Uhrzeit Uhrzeit
Abb. 6.3. Tagesganglinie der Ammoniumfracht im Abwasser in einer kleinen Gemeinde mit
2000 Einwohnern (links) und in der Stadt Zürich mit 350’000 Einwohnern (rechts). Die Gangli-
nie bezieht sich auf die gemessene Tagesfracht
Fh,max
3.37 Fd0.08
Fd
1
Fh,min
0.17 Fd0.11
Fd
0.1
10 100 1000 10000
Mittlere (24 h) Ammonium Fracht in kg N d-1
Abb. 6.4. Verhältnis der extremen (2 h) zur mittleren Ammoniumfracht in Funktion der mittleren
Fracht. Grundlagen sind Tagesganglinien von 7 verschiedenen, zusammenhängenden Einzugs-
gebieten in der Schweiz und in den USA
1.5
0.5
Typischer Verlauf
0
10 12 14 16 18 20 22 24 2 4 6 8 10 12 14
Uhrzeit
Abb. 6.5. Tagesganglinie der organischen Stoffe (TOC, Total Organic Carbon) im Zulauf zur
Kläranlage Werdhölzli der Stadt Zürich. Ein typischer Tagesgang mit einer überlagerten Gangli-
nie als Folge eines Abendgewitters
eignis im Betrieb nicht geplant werden kann und die in den meisten Kläranlagen
zu einer Zeit eintrifft, in der die Anlage ohne Betriebspersonal auskommen muss.
Tabelle 6.2. Wochenganglinie im Ablauf der Vorklärung der Kläranlage Werdhölzli, Zürich.
Langanhaltendes Trockenwetter im Winter (Januar/Februar), Einzelwerte
Zufluss Frachten in t d-1:
Wochentag
m3 d-1 CSB TOC DOC TKN NH4-N Ptot
Montag 127’672 35.7 9.45 4.21 3.80 2.26 0.59
Dienstag 123’197 34.5 9.49 3.82 3.22 2.23 0.54
Mittwoch 120’372 32.5 10.35 4.21 3.48 2.13 0.54
Donnerstag 121’769 30.4 8.89 3.90 3.32 2.62 0.55
Freitag 126’916 31.7 9.07 4.28 3.29 2.31 0.60
Samstag 102’164 19.4 6.03 2.86 2.49 1.78 0.39
Sonntag 90’769 12.7 3.63 1.63 2.16 1.57 0.30
Mittel 116’123 28.1 8.13 3.55 3.11 2.13 0.50
(z.B. Montag), an denen die Abwasserfrachten deutlich höher sind als an anderen
Werktagen. Gelegentlich kommt es gegen Wochenende als Folge von intensiven
Reinigungsarbeiten in Industrie- und Gewerbebetrieben zu erhöhten Belastungen.
6.7 Abwassertemperatur
Die Temperatur des Abwassers hat insbesondere für die biologischen Prozesse
eine entscheidende Bedeutung. Für die Dimensionierung einer modernen Abwas-
serreinigungsanlage müssen die Temperaturen festgelegt werden, bei denen die
vorgeschriebenen Leistungen erbracht werden müssen.
Rohwassertemperatur in °C
25.0
20.0
15.0
10.0
5.0
0.0
Winter Frühling Sommer Herbst
Abwassertemperatur in °C
16
22.4. 23.4. 24.4. 25.4.74
14
12
10 Abb. 6.7. Drei Tagesganglinien der
0 24 48 72 96 Temperatur im Ablauf der Vorklärung
Stunden einer Grossstadt
peratur verzögert, da sowohl die Temperatur des Trinkwassers als auch des
Fremdwassers (Grundwasser) einer Hysterese unterworfen sind: Sowohl die sai-
sonale Abkühlung als auch die Aufwärmung ist gegenüber der Lufttemperatur
verzögert.
Heute wird zunehmend Fremdwasser aus der Kanalisation abgetrennt und das
häusliche Abwasser ist wärmer als Grundwasser, weil hier auch Warmwasser bei-
gemischt ist. Daraus ergibt sich ein Trend zu immer wärmerem Abwasser. So
wurden vor 20 Jahren viele Kläranlagen im Schweiz. Mittelland für 10°C ausge-
baut. Heute sinkt die Abwassertemperatur nur noch selten unter 12°C, daraus re-
sultiert eine Leistungsreserve von bis zu 20%.
Die Versorgung mit dem Lebensmittel Trinkwasser spielt in der Entwicklung unse-
rer Gesellschaft eine zentrale Rolle: Möglichkeiten zu Hygiene, Komfort und Ar-
beitserleichterung sind Grundlagen der urbanen Gesellschaft. Obwohl die Was-
serversorgung eine lange und erfolgreiche Tradition hat, müssen wir ihre weitere
Entwicklung sorgfältig pflegen.
Industrie
Aufbereitung
See Siedlung
Gewässerschutz Grundwasser
Barrieren
Schutzzone
Abb. 7.1. Schematische Darstellung der Anlagen einer Wasserversorgung und Identifikation der
Barrieren gegen das Eindringen von pathogenen Keimen
im Boden genügend Zeit zur Verfügung gestellt wird, sodass natürliche Selbst-
reinigungsprozesse das Wasser schützen können.
– Die Aufbereitung von Trinkwasser wird dort erforderlich, wo die Wasser-
ressource nicht genügend von Umwelteinflüssen geschützt werden kann. Sie
hat zur Aufgabe, die erforderliche hygienische, chemische und physikalische
Qualität des Wassers herzustellen. Die Trinkwasseraufbereitung stellt die Bar-
riere zwischen Rohwasser (Umwelt) und Trinkwasser dar.
– Bauwerke wie Wasserspeicher, Aufbereitungsanlagen, Pumpwerke etc. werden
so gestaltet, dass keine hygienischen Probleme entstehen sollten.
– Die letzte Barriere ist ein positiver Druckunterschied (oder Energiegradient)
zwischen dem einwandfreien Wasser und der möglicherweise kontaminierten
Umwelt. Die Tatsache, dass zwischen Trinkwasser und Umwelt ein Druckun-
terschied herrscht, bestätigt uns einerseits, dass die physikalische Barriere (die
Wände der Verteilleitungen) dicht ist. Andererseits stellt dieser Druckunter-
schied sicher, dass keine (unbeabsichtigten) Kontaminationen des Wassers
möglich sind.
Die Aufgabe, ein weit verzweigtes Netz von Wasserversorgungsleitungen dau-
ernd und sicher von der Umwelt abzutrennen, ist mit der modernen Wasserversor-
gung mit Druckleitungen technisch überzeugend und vermutlich optimal gelöst
worden. Ob wir auch in Zukunft diesen hohen Standard aufrechterhalten können,
muss sich zeigen. Kritisches Element in diesem System sind die Hausinstallatio-
nen (Beispiel 7.4).
Die Römer haben offene Aquädukte erstellt, die sie z.T. militärisch schützen mussten:
Soldaten als Barriere.
Im Mittelalter wurde Wasser weitgehend aus Brunnen geschöpft. Die Barriere bestand
darin, dass „Brunnenvergifter“ mit dem Tode bestraft wurden.
In den USA wird in Landstrichen mit geringer Bevölkerungsdichte das Grundwasser
einzeln, für jedes Haus gefördert. Die Barriere besteht in lokalen Schutzabständen zwi-
schen Abwasserversickerung und Trinkwasserförderung (also kleinen lokalen Schutz-
zonen), die sicherstellen, dass keine Kontamination des Trinkwassers erfolgt. Dieses
System ist offensichtlich nur bei geringer Bevölkerungsdichte möglich.
In den südlichen Ländern Europas wird Trinkwasser häufig aus gekauften, hygienisch
einwandfreien Flaschen getrunken. Die Wasserversorgung gewährleistet hier nicht,
dass das angelieferte Wasser hygienisch einwandfrei ist. Das Wasser kann aber zum
Kochen, für die persönliche Hygiene etc. Verwendung finden. Die Barriere ist hier Teil
der Kultur und besteht im Bewusstsein der Bevölkerung, dass Leitungswasser kein
Trinkwasser ist.
7.2.1 Wasserbeschaffung
Trinkwasser wird in Westeuropa v.a. aus Quell-, Grund- und Seewasser zu Trink-
wasser aufbereitet. Flusswasser wird meist über künstliche Grundwasseranreiche-
rung aufbereitet.
Eine zuverlässige Wasserbeschaffung bedingt ein Verständnis einerseits für
die Eigenheiten und den Schutz der Wasserressource (Hydrologie, Hydrogeologie
bei Grundwasser und Quellen, Limnologie bei Seen und Fliessgewässern) und
andererseits für die technische Gestaltung der Wasserfassung.
7.2 Mittel der Wasserversorgung 111
Die meisten Wasserversorgungen beruhen nicht nur auf einer einzigen Wasser-
ressource, sondern es stehen mehrere Wasserquellen zur Verfügung (z.B. Quell-
und Grundwasser). Zudem sind viele Wasserversorgungen in Verbundnetzen zu-
sammengeschlossen, sodass nach Ausfallen einer Bezugsquelle schnell Ersatz ge-
schaffen werden kann.
7.2.2 Schutzzonen
Um die Beschaffung von Trinkwasser dauerhaft zu gewährleisten, werden in der
Umgebung von Wasserfassungen Schutzzonen ausgeschieden, in denen je nach
Situation gewisse Aktivitäten (Bauen, Landwirtschaft, Industrie, Verkehr...) ver-
boten oder eingeschränkt sind (Hydrogeologie). Zudem müssen die Rechte an der
Ressource (Quelle, Grundwasser) und der Schutzzone gesichert werden (Grund-
buch).
7.2.3 Wasseraufbereitung
Häufig hat das Rohwasser nach der Fassung keine einwandfreie Trinkwasser-
qualität und muss vorerst aufbereitet werden. Die Aufbereitung reicht von einer
einfachen Desinfektion zur Erreichung einer genügenden hygienischen Qualität
bis zur anspruchsvollen, mehrstufigen Trinkwasseraufbereitung, die auch die
chemischen und physikalischen Eigenschaften des Wassers verändert (Verfahrens-
technik).
7.2.4 Pumpwerke
Es gibt in der Wasserversorgung unterschiedlichste Arten von Pumpwerken, z.B.
zur Förderung von Wasser in Grundwasserbrunnen, in Aufbereitungsanlagen etc.
Von besonderer Bedeutung sind die Pumpwerke, die den Betriebsdruck im Ver-
teilnetz herstellen und aufrechthalten – sie sind häufig die grössten Verbraucher
von Energie (Maschinenbau). Pumpwerke liefern die potentielle Energie ins Was-
ser, die nachher in Form von Wasserdruck zur Verfügung steht und die Energie-
barriere gewährleistet.
7.2.5 Wasserspeicherung
Aus verschiedensten Gründen ergeben sich Unterschiede zwischen dem momen-
tanen Wasserangebot (Input) und dem Wasserbedarf (Output). Da die Verteilnetze
immer voll sind, muss zum Ausgleich dieser Unterschiede ein Element mit variab-
lem Volumen zur Verfügung stehen: Trinkwasserspeicher, Reservoire (Bauingeni-
eure).
Trinkwasserspeicher stellen einwandfreies Trinkwasser mit potentieller Ener-
gie zur Verfügung, sodass das Wasser ohne zusätzliches Pumpen ins Verteilnetz
geliefert werden kann.
7.2.6 Wasserverteilung
Die Verteilung von Wasser im Versorgungsgebiet mit Hilfe von Druckleitungen
ist das anfälligste Element der Wasserversorgung: Das weit verzweigte, komplexe
112 7 Wasserversorgung
Vermaschte Netze
Lineare oder verästelte Netze sind anfällig auf Störungen: Jeder Unterbruch einer
wichtigen Leitung führt dazu, dass die Versorgung eines ganzen Quartiers unter-
brochen wird. Mit Hilfe von vermaschten Netzen (Ringleitungen) kann gewähr-
leistet werden, dass Unterbrüche in der Versorgung auf kleine Gebiete begrenzt
werden können. Vermaschte Netze weisen eine hohe Versorgungssicherheit auf.
7.2.7 Hausinstallationen
Die Hausinstallationen stellen das „offene“ Ende der Wasserverteilung und einen
neuralgischen Punkt der Wasserversorgung dar. Ohne spezielle Vorkehrungen
kann der Rückfluss von Wasser über Hausinstallationen in die Versorgungsleitun-
gen kaum vermieden werden (Beispiel 7.4). Die Wasserwerke verlangen daher die
Installation von Armaturen, die den Rückfluss aus Hausinstallationen ins Netz
verhindern (Sanitärinstallateure).
7.2.8 Überwachung
Wasserressourcen und Wasserversorgungen müssen überwacht werden. Dabei
kommen biologische, mikrobiologische, chemische und physikalische Analyseme-
thoden zur Anwendung. Insbesondere die chemische Analytik von Spurenstoffen
ist anspruchsvoll und bedingt entsprechende Fachkompetenz (Analytiker, Chemi-
ker, Mikrobiologen, Biologen, Limnologen).
7.2 Mittel der Wasserversorgung 113
7.2.10 Planung
Die Anlagen einer Wasserversorgung haben eine grosse Lebenserwartung (bis 80
und mehr Jahre), ihre einzelnen Elemente (Beschaffung, Aufbereitung, Speiche-
rung, Förderung, Verteilung, etc.) werden aber verteilt über viele Jahrzehnte als
Einzelbauwerke erstellt. Damit ein funktionierendes und effizientes Ganzes ent-
steht, müssen diese Anlagen langfristig geplant und aufeinander abgestimmt wer-
den. Das entsprechende Werkzeug sind generelle Wasserversorgungspläne, die
auch die Siedlungsplanung mit berücksichtigen (Siedlungswasserwirtschafter).
8 Wasserbeschaffung
Die Wasserbeschaffung befasst sich mit der Herkunft und den Eigenschaften des
Rohwassers, den Vorkehrungen für den Schutz der Quantität und der Qualität der
Ressourcen sowie den technischen Installationen für die Fassung des Wassers.
Im deutschen Sprachraum wird Trinkwasser v.a. aus Grund- und Quellwasser ge-
wonnen (Tabelle 8.1). Je grösser die Siedlung, desto weniger kann Quell- und
Grundwasser den Bedarf decken – die Besiedlungsdichte wird zu gross
(Tabelle 8.2, s.a. Abschn. 1.4, Seite 5). Der kleine Anteil an Seewasser, der in
kleinen Schweizer Gemeinden gebraucht wird, wird mit wenigen Ausnahmen
durch Gruppenwasserversorgungen geliefert – Seewasserwerke können nur von
grösseren Wasserversorgungen effizient und professionell betrieben werden.
Tabelle 8.2. Wassergewinnung in der Schweiz im Jahre 1993 in Abhängigkeit der Grösse der
Wasserversorgung (E = angeschlossene Einwohner) nach statistischen Erhebungen des SVGW
Grösse der
> 50’000 E 10’000 – 50’000 E < 10’000 E Ganze Schweiz
Wasserversorgung
Einwohner 1’650’000 1’600’000 3’750’000 7’000’000
6 3
Seewasser in 10 m 177 56% 36 14% 11 2% 224 21%
6 3
Grundwasser in 10 m 80 26% 130 50% 194 39% 404 38%
6 3
Quellwasser in 10 m 57 18% 92 36% 289 59% 438 41%
6 3
Total in 10 m 314 30% 258 24% 494 46% 1066 100%
Seewasser, Trinkwassertalsperren
Seewasser wird in vielen Städten zu Trinkwasser aufbereitet. Da Seen meist ver-
schiedenartig genutzt werden (Erholung, Schifffahrt, Abwassereinleitung etc.),
kommt dem Schutz des Sees grosse Bedeutung zu. Talsperrenwasser ist dem See-
wasser gleichgestellt, die Rohwasserqualität ist aber häufig besser, weil im Ein-
zugsgebiet des künstlichen Sees gezielte Schutzmassnahmen ergriffen werden
können.
Seen gleichen die Wasserqualität über lange Zeit aus und erlauben Trübstoffen
zu sedimentieren. Das steht im Gegensatz zu Fliessgewässern und vereinfacht die
Aufbereitung. Seen sind einem typischen Jahreszyklus unterworfen: Temperatur-
schichtung des Wassers im Sommer und ev. Winter, Zirkulation im Herbst und
Frühling. Dieser Zyklus muss bei der Festlegung der Entnahmestelle und deren
Tiefe berücksichtigt werden.
Meerwasser
Meerwasser kann heute mit unterschiedlichen, energieintensiven Technologien
entsalzt werden. In ausgesprochenen Mangelgebieten nimmt die Bedeutung von
entsalztem Wasser laufend zu und ist z.B. im Persischen Golf zu einer wichtigen
Ressource geworden.
Grundwasser
Je nach dem geologischen Aufbau des Grundwasserleiters unterscheidet man zwi-
schen Lockergesteins-, Kluft- und Karstgrundwasser.
– Lockergesteinsgrundwasser kann bei geeignetem Schutz häufig ohne Aufbe-
reitung als Trinkwasser verwendet werden. Lockergesteine haben eine hohe
8.2 Fassung von Quellwasser 117
50
100
2
0
Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
Abb. 8.1. Jahresgang der Ergiebigkeit (unten) und der Trübung (oben) einer Karstquelle im
Schweizerischen Jura (Boller, Eawag, 1998)
Quellwasser
Quellwasser ist Grundwasser, das mit freiem Gefälle zu Tage tritt. Mit entspre-
chendem Schutz und bei geeigneter Fassung hat Quellwasser die gleichen Eigen-
schaften wie Grundwasser und kann häufig ohne Aufbereitung als Trinkwasser
genutzt werden.
Brunnenstube verschlossen
Drainageschicht
Lehmabdeckung
Wasserführende
Drainage Betonkies Beton
Schicht
Abb. 8.2. Beispiel einer Quellfassung, erstellt in einem offenen Graben. Längsschnitt
– Eine gute Quelle ergibt sich, wenn das Wasser eine lange Aufenthaltszeit im
Filterkörper hat. Das führt zu einer geringen Variabilität der Ergiebigkeit
(Qmax : Qmin < 3 : 1), der Temperatur und der chemischen Zusammensetzung
des Wassers.
– Von Bedeutung ist der geringste Ertrag z.B. nach langen und heissen Trocken-
perioden.
– Die Höhenlage macht eine Quelle ev. für die Notstandsversorgung besonders
geeignet.
– Nur eine langjährige (z.B. monatliche) Beobachtung der Schüttung einer Quel-
le, zusammen mit einer chemischen sowie bakteriologischen Überwachung des
Wassers kann als Grundlage für eine zuverlässige Planung dienen.
Ein Beispiel einer Quellfassung ist in Abb. 8.2 dargestellt. In der Brunnenstube
tritt das Quellwasser ein erstes Mal zu Tage, es kann und soll dort in Bezug auf
Schüttung und Qualität überwacht werden.
GWSp.
Bohrloch oder
Unterwasserpumpe
Kiesstütz- und Filterschicht
Kiesstützschichten Stahlfilterrohr
Gewachsener
Boden
Brunnenschacht
Gewachsener Boden
GWSp.
Horizontaler Fassungsstrang
Filterarm mit
Filterkörnung
Gewachsener Boden
Grundwasserträger Stützschicht mit
Filterkörnung
Brunnen
Abb. 8.6. Beispiel eines Filterbrunnens mit erhöhter Entnahmeleistung durch Vergrösserung
der Grenzfläche zum ungestörten Untergrund
erforderlichen Daten erhoben. Die Erhebung dieser Unterlagen, sowie die Projek-
tierung und der Bau von Grundwasserbrunnen ist eine Aufgabe für Spezialisten.
Grundwasserbrunnen werden gelegentlich entlang von Flüssen zur Entnahme
von Uferfiltrat angeordnet. Da die Filterstrecke bei solchen Brunnen nur kurz ist,
hat das geförderte Wasser noch nicht Trinkwasserqualität, es kann aber z.B. zur
Anreicherung eines Grundwassers genutzt werden. Anlagen zur Förderung von
Uferfiltrat bergen die Gefahr, dass die Flussufer kolmatieren und damit die mögli-
che Förderleistung abnimmt. In Tabelle 8.3 sind Informationen zur Wasserqualität
im Fluss (Limmat) und im Uferfiltrat der Wasserversorgung der Stadt Zürich zu-
sammengestellt. Deutlich sichtbar ist der Filtereffekt (Abnahme der Keime und
der Biomasse), der Temperaturausgleich sowie die Selbstreinigung (Abnahme des
O2 und des NH4+-N sowie Zunahme des CO2 durch biologische Aktivität).
Tabelle 8.3. Qualität des Flusswassers und des Uferfiltrats in der Uferfiltrationsanlage der Stadt
Zürich, Jahresmittelwerte (Jahresbericht der Wasserversorgung 1993)
Parameter Fluss Limmat Uferfiltrat Einheiten
Keimzahl < 29’000 < 640 pro ml
E.coli < 2’000 <4 pro 100 ml
Temperatur 3.5 – 23.4 9.7 – 16.5 °C
-3
O2 10.1 5.2 gm
-3
CO2 2.3 6.5 gm
+ -3
NH4 -N < 0.055 < 0.016 gm
-3
Biomasse <7 < 0.02 gm
h QB
Brunnen Netto-Niederschlag N
Ruhespiegel
GWSp
Fliessrichtung
h des Wassers
k H
r konzentrisch
hB
0
r r
0
Abb. 8.7. Definition eines vollkommenen Filterbrunnens in einem ungespannten, homogenen
und isotropen Grundwasserträger. N = Niederschlag, der zur Grundwasserneubildung beiträgt,
H = Mächtigkeit des ungestörten Grundwassers, hB = Wasserstand im Filterbrunnen, rB = Radius
des Filterbrunnens, k = Durchlässigkeit des Grundwasserträgers nach Darcy, QB = geförderte
Wassermenge, r und h bezeichnen die Koordinaten des freien Wasserspiegels
QB
QB S R2 N oder R (8.3)
SN
Werden die beiden Wassermengen QN und QGW in Gl. (8.2) substituiert, ent-
steht eine Differentialgleichung, die ausgehend vom Brunnen mit den Randbedin-
gungen h = hB und r = rB bis zur Reichweite mit den Randbedingungen r = R und
h = H integriert werden kann zu:
R2
S k H 2 h 2B S N
QB 2
R (8.4)
ln
rB
Dupuit hat eine Gleichung abgeleitet, die analog zu Gl. (8.4) ist, aber den Nie-
derschlag N nicht berücksichtigt (N = 0).
Die grösste Fördermenge aus einem Filterbrunnen ergibt sich nach Gl. (8.4) für
hB = 0. Das resultiert in sehr grossen Fliessgeschwindigkeiten des Wassers in den
Brunnen hinein, es entsteht die Gefahr, dass Sand aus dem anstehenden Boden
ausgewaschen wird und ev. den Filterbrunnen verstopft. Sichardt hat 1928, basie-
rend auf Erfahrung und Versuchen vorgeschlagen, dass die Fliessgeschwindigkeit
nach Darcy an der Oberfläche des Filterbrunnens beschränkt wird auf:
k
vB d (8.5)
15 s0.5 m 0.5
Damit soll die geförderte Wassermenge beschränkt werden auf:
k 1
Q B d 2 S rB h B mit k in m s 1 (8.6)
15 SF
Der dimensionslose Sicherheitsfaktor SF wird grösser gewählt, je unsicherer
der Wert für die Durchlässigkeit k ist, typisch sind Werte über 2.
Das Gesetz von Darcy, Gl. (8.1), geht von einer hydrostatischen Druckvertei-
lung und parallelen Stromlinien im Grundwasser aus. Wenn die Absenkung des
Grundwassers im Brunnen zu gross wird, werden diese Annahmen ungültig. Eine
grosse lokale Absenkung des Grundwassers kann zudem Setzungen des Bodens
zur Folge haben. Es ist daher üblich, die Absenkung des Wasserspiegels im Brun-
nen zu begrenzen:
h B t 0.75 H (8.7)
Soll ein Filterbrunnen dimensioniert werden, so müssen für eine bestimmte
Wassermenge QB der Radius des Filterbrunnens rB und der Wasserstand im Brun-
nen hB festgelegt werden, zudem interessiert die Reichweite R des Brunnens. Das
Vorgehen ist wie folgt:
– Mit Gl. (8.3) wird die Reichweite R berechnet.
124 8 Wasserbeschaffung
Abb. 8.8. Zusammenhang zwischen der Förderleistung QB aus einem Filterbrunnen und dem
erforderlichen Brunnenradius rB nach Gl. (8.4) von Dupuit und Gl. (8.6) von Sichardt. Zulässige
Brunnen liegen oberhalb beider Linien. Siehe Beispiel 8.2 für Details. H = 20 m, hB nach Anga-
-1 -1
be, k = 0.001 m s , N = 0.5 m a , SF = 2
Rohwasserpumpwerk
Ansaugkorb mit Schwallentlastung
Fischgitter
30 - 60 m tief
10 m über Grund
Bodenschlamm
Seekreide
Fester Seegrund
Anreicherungsbecken
Filtersand
Sickerfähige
Stütz- und
Schicht
Verteilschicht
Grundwasser
Abb. 8.10. Darstellung eines Grundwasseranreicherungsbeckens. Der Aufbau des Filters ist ver-
gleichbar mit einem Langsamsandfilter (Abb. 9.6)
Wird Wasser aus einem natürlichen See mit weitgehend konstantem Wasserspie-
gel genutzt, so kommen Unterwasser-Saugleitungen zur Anwendung (Abb. 8.9).
In künstlichen Talsperren kann der Wasserspiegel stark variieren, das Wasser wird
dann z.B. aus Fassungstürmen entnommen, wie sie ähnlich auch in Stauseen für
die Energiegewinnung zur Anwendung kommen. Die Veränderung des Wasser-
spiegels bedingt eine Wasserentnahme in unterschiedlicher Tiefe.
8.6 Grundwasseranreicherung
Reicht das Angebot von Grundwasser nicht aus um den Bedarf zu decken, so kann
Grundwasser künstlich angereichert werden. Dabei wird die ausgleichende Funk-
tion und die Reinigungswirkung des Grundwasserträgers ausgenutzt:
– Der Grundwasserträger kann mit seinem grossen nutzbaren Porenvolumen das
Angebot dem Bedarf angleichen und das Wasser durch das Auflösen von Mi-
neralien in ein chemisches Gleichgewicht bringen, sodass das Wasser im Ver-
teilnetz nicht übermässig korrosiv wirkt. Der Bodenkörper wirkt zudem aus-
gleichend auf die Temperatur.
8.7 Schutz von Wasserfassungen (Schutzzonen) 127
ev.
Areal S Zuström-
bereich Zu
Übriger
Bereich
üB
Zuström-
S3 bereich Zu Abb. 8.11. Schematische Dar-
S1 S2
stellung der Gewässerschutz-
bereiche und der Grundwasser-
schutzzonen und -areale
Stromlinie
d3 t d2 d2 t 100 m
S1
S2
Abb. 8.12: Prinzipskizze zur Bemes-
S3 sung der Schutzzone S3. Die Schutz-
zonen werden parzellenscharf defi-
niert
Die Wasserfassungen wurden stillgelegt. In einer Gemeinde muss das Wasser abge-
kocht werden.
Im feuchten und gewitterreichen Sommer 1993 am 23. Juni stand im Tagesanzeiger:
Stinkendes Wasser
Getrübte Idylle in der Waldlichtung: Jauche in der Quellfassung nach Gewitterregen?
Aufbereitung
Variable Qualität,
Jahresgang, chemisch
Regen physikalisch
hygienisch
Abb. 9.1. Die Aufgabe der Trinkwasseraufbereitung ist, ein Rohwasser mit variabler Qualität
chemisch, physikalisch und hygienisch soweit aufzubereiten, dass es beim Verbraucher Trink-
wasserqualität hat
Bei der Gewinnung von Wasser für zentrale Wasserversorgungsanlagen ist an-
zustreben, dass das Wasser von Natur aus den Anforderungen an Trinkwasser ge-
nügt. Bei grosser Besiedelungsdichte muss auch Wasser genutzt werden, das ohne
Aufbereitung nicht als Trinkwasser dienen kann. Die erforderliche Aufbereitung
des Wassers muss auf die Rohwasserqualität ausgerichtet sein und kann nicht ge-
nerell festgelegt werden. Häufig wird es erforderlich sein, im Rahmen von Pilot-
versuchen eine geeignete Kombination von Verfahren und deren Auslegung zu
erarbeiten – eine Aufgabe die Spezialisten (Limnologen, Hydrogeologen, Hygie-
niker, Chemiker, Verfahrensingenieure, Bauingenieure) in Zusammenarbeit lösen.
132 9 Wasseraufbereitung
Tabelle 9.1. Trinkwasseraufbereitung nach Art der Wasserherkunft. Situation in der Schweiz
3
1995, totale Produktion von Trinkwasser 1067.5 Mio. m (BUWAL 1998)
Wassermenge in % der totalen Produktion
Aufbereitung Anlagen
Quellwasser Grundwasser Seewasser Total
a)
mehrstufig 5% 4% 9% 16 % 29 %
b)
einstufig 20 % 17 % 16 % 0% 33 %
keine 75 % 21 % 17 % 0% 38 %
Total 100 % 42 % 42 % 16 % 100 %
a)
Mehrstufige Aufbereitung umfasst Prozesse wie Chlorierung, Ozonierung, Versickerung,
Filtration, Adsorption, Desinfektion, Neutralisation
b)
Einstufige Aufbereitung heisst Desinfektion und kann gelegentlich eine Entsäuerung oder
Belüftung miteinschliessen.
9.1 Desinfektion
Die Desinfektion ist das häufigste Aufbereitungsverfahren in der Wasser-
versorgung. Sie gewährleistet die Hygiene des Trinkwassers.
Ziel der Desinfektion in der Trinkwasseraufbereitung ist die Vermeidung von
Krankheiten, die über das Trinkwasser übertragen werden. Dazu müssen Krank-
heitserreger (Mikroorganismen: Protozooen, Bakterien, Viren) abgetötet werden.
Das ist möglich durch Hitzeeinwirkung (Abkochen), ultraviolette (UV) oder J-
Strahlung, bakterizide Metalle (Silber, Kupfer), starke Säuren und Basen, oberflä-
chenaktive Stoffe und chemische Oxidationsmittel sowie Sterilfiltration. In der
Wasserwerkspraxis ist der Einsatz von chemischen Oxidationsmitteln wie Cl2
(Chlor), O3 (Ozon), ClO2 (Chlordioxid) weit verbreitet. In kleinen Werken wird
UV eingesetzt. Silber wird gelegentlich zur Konservierung von Wasser genutzt.
Abkochen wird in Notfällen empfohlen.
UV-Strahlung eignet sich für die Anwendung in kleinen Anlagen. Eine dünne
Wasserschicht (1cm) wird während wenigen Sekunden mit UV-Strahlung von 265
nm Wellenlänge und hoher Intensität bestrahlt (Abb. 9.2). Ein Vorteil ist, dass sich
keine Nebenprodukte bilden. Nachteilig ist, dass sich keine nachhaltige Wirkung
ergibt (Netzschutz).
Ozon ist ein giftiges und instabiles Gas. Es wird am Ort des Einsatzes mit
grossem Energieaufwand erzeugt (Abb. 9.3). Ozon hat den Vorteil, dass sich nur
geringe Mengen von unerwünschten Nebenprodukten bilden. Es hat den Nachteil,
dass es schnell zerfällt und daher keinen Schutz des Verteilnetzes ergibt. Ozonisie-
rungsanlagen sind aufwändig, entsprechend wird Ozon v.a. in grösseren Aufberei-
tungsanlagen eingesetzt (Abb. 9.4).
9.1 Desinfektion 133
UV Brenner
O3
3 O2 l 2 O2 + 2 {O} l 2 O3
Hochspannungs-Wechselfeld
(7 - 12 kV, 300 - 600 Hz)
Abb. 9.3. Schematische Darstellung einer Ozonerzeuger-Anlage: Mehrere solche Rohre werden
parallel betrieben
Zulauf
von der
Vorbehandlung
Ablauf
zur Nach-
behandlung
Verdampfungsanlage
Dosierung
Chlorbehälter
Cl2
Treibwasser
Injektor
Wasserleitung
Abb. 9.5. Darstellung einer einfachen Dosierung von Chlorgas direkt in die Transportleitung
einer Wasserversorgung
Rohwasser
Filtration Schmutzdecke
Drainageboden
Abb. 9.6. Aufbau eines Langsamsandfilters
sowohl Cl2 als auch O3 und ClO2 ein, wobei in Zwischenstufen z.B. die Neben-
produkte der Chlorung wieder auf Aktivkohle adsorbiert werden.
9.2 Langsamsandfilter
Die Langsamfiltration ist ein umfassendes Reinigungsverfahren, das sowohl parti-
kuläre Stoffe und mikrobielle Keime als auch biologisch abbaubare Stoffe zurück-
hält.
Bereits im 19. Jh. wurden Langsamsandfilter zur Aufbereitung von Trinkwasser
betrieben; sie sind die ersten Filterverfahren, die verwendet wurden. Ihr Reini-
gungsprinzip ist der Bodenpassage nachempfunden (Abb. 9.6):
– Langsamsandfilter werden mit Quarzsand mit einer Körnung im Bereich von
0.2–2 mm (typisch sind 0.5–1 mm) und mit einer Schichtstärke von 0.7–1.2 m
aufgebaut. Um zu verhindern, dass das Filtermaterial gegen unten ausge-
schwemmt wird, wird der Unterbau gegen oben mit abnehmender Korngrösse
in mehreren Stützschichten aufgebaut.
– Langsamsandfilter besitzen eine Siebwirkung an der Oberfläche und eine ad-
sorptive Wirkung für Kolloide und Keime über die ganze Filterschicht. Von
besonderer Bedeutung für die Reinigungswirkung ist die sogen. Schmutzdecke,
eine wenige Zentimeter dicke Schicht, die biologisch aktiv ist und in der so-
wohl Ammonium zu Nitrat oxidiert wird (Nitrifikation), als auch organische
136 9 Wasseraufbereitung
9.3 Schnellfilter
Die Schnellfiltration hat die Aufgabe, Partikel aus dem Wasser abzutrennen.
Der grosse Flächenbedarf der Langsamsandfilter hat dazu geführt, dass die Filter
mit immer höheren hydraulischen Belastungen betrieben wurden. In der Folge
verstopften diese Filter nach immer kürzerer Laufzeit, und sie mussten mit einer
9.3 Schnellfilter 137
Rückspülen Filtrieren
Schwemmwasser
Spülwasser
Rohwasser
Zulauf
< 2m
Spülluft
Filtratwasser
Luftpolster
Ablauf
Abb. 9.7. Längsschnitt durch einen Schnellfilter. Rechts in der Phase des Filtrierens, links wäh-
rend der Rückspülung. Das Filterbett ist aus zwei Schichten aufgebaut, oben liegt ein spezifisch
leichtes, grobkörniges, unten ein spezifisch schweres, feinkörniges Material. Während der Rück-
spülung werden die beiden Schichten von Filtermaterial durchmischt.
Rückspülung ausgerüstet werden. Diese erlaubt, die Schmutzstoffe aus dem Fil-
terbett auszuwaschen und dieses zu regenerieren. Anfänglich wurden die Filter mit
einer einzigen Schicht Flusssand 0.2–2 mm ausgerüstet und mit nur 1 m h-1 be-
schickt, der Druckverlust stieg sehr schnell an, weil die Filterwirkung v.a. an der
Oberfläche zum tragen kam, man spricht von einem Flächenfilter. Seit den 60er
Jahren werden die Filterbetten von oben nach unten mit abnehmender Korngrösse
gebaut, die Filterwirkung kann so besser über die Tiefe des Filterbetts verteilt
werden, man spricht von einem Raumfilter. Die Zunahme des Druckverlusts wird
verringert und entsprechend die Laufzeit bis zur nächsten Spülung stark gesteigert.
Moderne Schnellfilter werden mit Filtergeschwindigkeiten im Bereich von 6–
15 m h-1 betrieben. Die konstruktiven Details beruhen meist auf dem verfahrens-
technischen „know how“ des Lieferanten. Moderne Filtrationsanlagen werden
entsprechend in Zusammenarbeit zwischen beratenden Ingenieuren und Ausrüs-
tern entworfen. Das Wasser filtriert von oben nach unten (Abb. 9.7); die Feststof-
fe, die im Filter zurückbleiben, führen zu einer laufenden Zunahme des Energie-
verlusts. Zum Schluss eines Zyklus muss der Filter von unten nach oben
rückgespült werden, dazu wird das Filterbett mit Rückspülwasser in Schwebe ge-
bracht, mit Luft aufgelockert und die Feststoffe ausgespült. Da das spezifische
Gewicht der grossen Filterkörner kleiner ist als das der kleinen unten liegenden
Quarzkörner, schichtet sich das Filterbett automatisch wieder mit von oben nach
unten abnehmender Filterkorngrösse. Der nächste Zyklus beginnt.
Für den Aufbau von modernen Mehrschichtfiltern, mit von oben nach unten
abnehmender Korngrösse des Filtermaterials, kommen heute Materialien mit un-
terschiedlicher Dichte zur Anwendung: Quarzsand mit 2.65 g cm-3, Anthrazit oder
Blähtongranulat mit 1.7 g cm-3 oder Bims mit 1.4 g cm-3. Abbildung 9.8 zeigt die
Entwicklung des Aufbaus der Filterschichten in einer modernen Wasseraufberei-
tungsanlage. Die grobkörnigen Filtermaterialien haben den Vorteil, dass sie mehr
Feststoffe speichern können, bevor der Energieverlust stark ansteigt (Abb. 9.9).
138 9 Wasseraufbereitung
Bims
2 - 5 mm
Bims Antrazit
0.8 - 2.5 mm 1.5 - 3 mm
Quarzsand
0.4 - 1 mm
H = 1m Quarzsand Quarzsand Abb. 9.8. Entwicklung des
0.4 - 1 mm 0.4 - 1 mm
Filterbetts in den Schnell-
filtern der Wasserversor-
gung der Stadt Zürich.
Heute kommen v.a. Zwei-
Einkornfilter Zweischichtfilter Dreischichtfilter schichtfilter zur Anwen-
1940 - 1975 1965 - 1975 1970 - 1975 dung. Filtergeschwindig-
vF = 5 m h-1 vF = 10 m h-1 vF = 10 m h-1 keit vF und Korngrösse
max. Filterkorn
Energieverlust klein
2-3m Filterkorn
gross
§ U UW ·
vS 3.3 g ¨ S ¸ dS
© UW ¹
g = 9.81 ms-2, US, UW = Dichte des Partikels und des Wassers,
dS = Partikeldurchmesser.
Damit ergeben sich die folgenden Sedimentationsgeschwindigkeiten für die Materialien
im Dreischichtfilter in Abb. 9.8:
Quarzsand: US = 2.65 g cm-3, dS = 0.8 mm vS = 0.21 m s-1
Anthrazit: US = 1.70 g cm-3, dS = 2.0 mm vS = 0.21 m s-1
-3
Bims: US = 1.40 g cm , dS = 3.5 mm vS = 0.21 m s-1
Während der Rückspülung sedimentieren diese Filterkörner gegen das aufströmende
Rückspülwasser, es kann sich also bei geeigneter Wahl der Kornabstufung eine Tren-
nung der Schichten ergeben. Filterbetten müssen vom Lieferanten des Filtermaterials
als Ganzes getestet und verantwortet werden.
9.4 Aktivkohleadsorption
Die Adsorption trennt gelöste, organische Verbindungen aus dem Wasser ab, in-
dem diese an der Oberfläche der Aktivkohle adsorbiert werden.
Aktivkohle oder aktivierte Kohle wird hergestellt, indem z.B. Anthrazit oder
Holzkohle bei hoher Temperatur (> 650°C) in Gegenwart von Wasserdampf akti-
viert wird, d.h. dass in den graphitischen Strukturen der Kohle mikroskopische
Poren entstehen, weil ein grosser Teil der Kohle oxidiert und als CO2 verflüchtigt
wird (Abb. 9.10). Diese mikroskopischen Poren stellen eine grosse innere Ober-
fläche zur Verfügung (1000–2000 m2 g-1 Aktivkohle), an die organische Stoffe
adsorbieren können. Adsorbieren heisst, dass sich die Stoffe auf der Oberfläche
anlagern und dann zusammen mit der Aktivkohle aus dem Wasser entfernt werden
können.
Aktivkohle kommt heute meist in Apparaten ähnlich den Schnellfiltern zur
Anwendung, die Korngrössen der Aktivkohle sind gleich wie beim Filtermaterial
(1–3 mm). Da Aktivkohle teuer ist und beim Rückspülen durch Abrieb immer ein
Teil verloren geht, muss das Wasser vor der Aktivkohlefiltration vorbehandelt
werden und weitgehend frei von Feststoffen sein.
Die innere Oberfläche der Aktivkohle hat nur eine begrenzte Aufnahme-
kapazität für organische Stoffe (die zudem stark von den spezifischen Eigenschaf-
ten dieser Stoffe abhängt). Ist die Oberfläche belegt und damit die Adsorptionska-
pazität erschöpft, so muss die Aktivkohle regeneriert werden (in speziellen
Aktivierungsöfen, die je nach Lieferant nur im Ausland zur Verfügung stehen).
Die Konzentration von organischen Verbindungen auf der Aktivkohle führt
dazu, dass sich Mikroorganismen auf den Kohlekörnern ansiedeln und diese Stof-
fe z.T. abbauen. Das Adsorptionsverfahren wird dadurch zum biologischen Reini-
gungsverfahren, das im Notfall grössere Mengen von organischen Verbindungen
zurückhalten kann.
140 9 Wasseraufbereitung
C
C Innere
Oberfläche
C
C
10 Å
C
C
C
C
Chemikalien Zugabe
Schlammabzug
Abb. 9.11. Schematische Darstellung einer Flockung und eines einfachen Sedimentationsbe-
ckens. Die gleiche Anordnung wird auch für die chemische Reinigung von Abwasser eingesetzt
(s.a. Abb. 19.9)
während einigen Minuten z.B. durch Paddel erzeugt wird, entscheiden massge-
bend über den Erfolg der Flockung (Abb. 9.11).
9.6 Sedimentation
Die Sedimentation ist ein Vorbehandlungsverfahren, das einen grossen Teil der
partikulären Stoffe abtrennen soll.
Die Sedimentation, oder die Abtrennung von suspendierten Stoffen durch die
Schwerkraft, ist ein Verfahrensschritt, der in Nordamerika in der Trinkwasserauf-
bereitung häufig eingesetzt wird: Die Verwendung von Flockungsmitteln in hoher
Konzentration führt zur Bildung einer hohen Konzentration von suspendierten
Stoffen, die einen Raumfilter in kurzer Zeit verstopfen würden. Das geflockte
Wasser wird deshalb in einer Sedimentation vorbehandelt und erst anschliessend,
nun ausgehend von einer geringeren Feststoffkonzentration, filtriert. In Abb. 9.11
ist schematisch ein Sedimentationsbecken dargestellt. Die Aufenthaltszeit im Be-
cken beträgt typisch mehrere Stunden.
Mit Sedimentation allein kann kein Trinkwasser produziert werden. Die
verbleibende Restkonzentration der suspendierten Stoffe ist zu hoch und würde
insbesondere keine zuverlässige Desinfektion gewährleisten, weil die Chemikalien
nur langsam ins Innere der verbleibenden Flocken dringen können und auf diesem
Weg ihre Wirkung durch Reaktion verlieren.
Verfahrenstechnisch wird oft in lieferantenspezifischen Anlagen die Flockung
und die Sedimentation in einem Bauwerk integriert und mit verfahrenstechnischen
Details ergänzt (Abb. 9.12 mit Lamellenabscheider zur Beschleunigung der Sedi-
mentation und Zugabe von Mikrosand zur Beschwerung der Flocken.).
9.7 Mikrosiebe
Mikrosiebe (Abb. 9.13) sind Apparate, in denen ein Stahl- oder Textilgeflecht mit
kleinsten Durchlässen im Bereich von 0.016–0.05 mm auf drehende Trommeln
aufgespannt ist. Das Wasser fliesst durch das Mikrosieb, dabei bleiben Partikel auf
142 9 Wasseraufbereitung
Schlamm
Hydrozyklon
Mit Sand belastete Flocken zum Zyklon
Organisches
Ploymer Mikrosand Rezirkulation
Abfluss
Flockungs- Lamellenabscheider
mittel
Zufluss
Koagulation Flockung
Abb. 9.12. Beispiel einer integrierten Flockungs- und Sedimentationsanlage (nach Actiflow™,
Veolia)
Rückspülung,
Reinwasser
Rotation
Mikrosieb
Rohwasser
Filtrat
Abb. 9.13. Beispiel eines Mikrosiebes
dem Sieb zurück. Eine kontinuierliche Rückspülung der sich drehenden Trommel
sorgt dafür, dass das Sieb nicht verstopft.
9.8 Vorfiltration
Die Vorfiltration ist wie die Sedimentation ein Vorbehandlungsverfahren, das die
partikulären Stoffe in einem stark trüben Rohwasser reduzieren soll.
Soll Flusswasser mit stark variablem Gehalt von suspendierten Stoffen mit Filtra-
tion oder Langsamfiltration und ev. Grundwasseranreicherung aufbereitet werden,
so muss dieses Wasser in einer Vorfiltration behandelt werden, weil die hohen
Konzentrationen der suspendierten Stoffe die eigentliche Filtration schnell
verstopfen. Die Vorfilter haben eine grosse Speicherkapazität für zurückgehaltene
Feststoffe. Ein Beispiel eines solchen Vorfilters ist der horizontal durchströmte
9.9 Abtrennung von partikulären Stoffen 143
Zufluss Abfluss
Abb. 9.14. Prinzipskizze eines horizontal durchströmten Kiesfilters, wie er z.B. in Entwick-
lungsländern zur Vorreinigung von Flusswasser vor Langsamsandfiltern immer häufiger zur
Anwendung kommt
1000
Rechen
Sedimentation
10 Flockung Siebe
Filtration
keine
0.1 Aufbereitung
Abb. 9.15. Wirkungsbereich der verschiedenen Prozesse und Verfahren zur Abtrennung von
Partikeln aus Rohwasser
Kiesfilter, wie er in Abb. 9.14 dargestellt ist. Solche Filter unterstützen insbeson-
dere die Sedimentation von Partikeln auf den Kieskörnern: Es ergeben sich kurze
Sedimentationswege für die Partikel.
9.11 Entsäuerung
Enthält ein Wasser in Bezug auf das Gleichgewicht zwischen Kalk CaCO3 und
Kohlensäure (Kohlendioxid, CO2) einen Überschuss an Säure (d.h. im Kontakt mit
CaCO3 würde das Wasser noch Kalk auflösen können), so hat das Wasser die
Tendenz, in Verteilleitungen aggressiv oder korrosiv zu sein. Besteht hingegen ein
Überschuss an Ca2+ und CO32-, so besteht die Tendenz, dass aus dem Wasser Kalk
als weisser Niederschlag ausfällt und die Leitungen verkrustet. In der Wasser-
werkspraxis wird darauf geachtet, dass Kalk und Kohlensäure angenähert im
Gleichgewicht sind. Ein Überschuss von Kohlensäure kann durch mehrere Verfah-
ren vermindert werden (DIN 2000):
– Kohlendioxid kann durch Belüftung aus dem Wasser in die Atmosphäre ausge-
trieben werden. Dadurch wird zusätzlich Sauerstoff ins Wasser eingetragen
und es werden z.T. andere unerwünschte, schlechtlösliche Gase ausgetrieben.
– Filterung des Wassers über gekörntes Kalziumkarbonat, Kalk, CaCO3, be-
wirkt, dass Kalk im Wasser aufgelöst wird, bis sich ein Gleichgewicht ein-
stellt. Das Wasser wird aufgehärtet.
– Filterung über dolomitisches Filtermaterial oder andere alkalisch reagierende
Filtermaterialien (vorwiegend Gemische aus CaCO3 und MgO).
– Entsäuerung mit Zugabe von Hydroxiden (Ca(OH)2 und NaOH) sowie Soda
(NaCO3). Hydroxide heben den pH-Wert des Wassers, das führt zur Umlage-
rung entsprechend:
CO2 + OH- o HCO3- und HCO3- + OH- o CO32- + H2O.
9.12 Enthärtung 145
Ionentauscherharz mit
fixierten negativen Ladungen
Ca2+ Na+
Na+
Austauschprozess Na+ Na +
Ca2+ Ca2+
Na+
Na+
Ca2+ Na
+
Regenerations-
Na+ Na+ prozess
Na+
Na +
Na+ Na+
Ca2+ Na+ Na+
Na+
Na + Na+
Abb. 9.16: Darstellung eines Ionentauscherharzes: Auf einem organischen Makromolekül sind
+ 2+
negative Ladungen fixiert, die anfänglich durch Na neutralisiert werden. Weil Ca eine grösse-
re Affinität zu den negativen Ladungen hat, kann es gegen Natrium Ionen ausgetauscht werden
9.12 Enthärtung
Hartes Wasser wird gelegentlich vor der Nutzung als Trinkwasser enthärtet, d.h.,
dass die Konzentration der härtebildenden Ionen (insbesondere Kalzium Ca2+ und
z.T. Magnesium Mg2+) reduziert wird. Vor allem in den USA wurden eine Reihe
von Verfahren für diese Aufgabe entwickelt, von Bedeutung sind Fällung und Io-
nenaustausch:
– Die Fällung von Calcium Ionen kann erreicht werden, indem das Wasser
durch Zugabe von Chemikalien in Bezug auf CaCO3 übersättigt wird. Der
Kalk (CaCO3) wird dann in Form von weissen Flocken ausfallen und kann z.B.
durch Sedimentation und nachfolgende Filtration eliminiert werden. Die zuge-
gebenen Chemikalien sind abhängig von der Wasserzusammensetzung, in Fra-
ge kommen alkalisch wirkende Stoffe: Soda (NaCO3), gebrannter Kalk (CaO)
ev. in seiner gelöschten Form (Ca(OH)2), Natronlauge (NaOH) etc. Durch
chemische Enthärtung werden dem Wasser meist Salze entzogen, das heisst,
dass das enthärtete Wasser weniger Mineralien enthält. Über die chemische
Enthärtung gibt es eine umfangreiche amerikanische Literatur.
– Der Ionenaustausch bedeutet, dass z.B. Na+ Ionen, die auf einem Ionen-
tauscherharz fixiert sind, gegen die Ca2+ Ionen im Wasser ausgetauscht wer-
den: 2 Na+ l Ca2+ (Abb. 9.16). Dadurch werden dem Wasser keine Salze ent-
zogen, sondern nur das eine Salz mit dem anderen ersetzt. Ionentauscherharze
werden in kleinen Kügelchen (0.5–1.5 mm) geliefert und in Kolonnen gepackt,
über die das feststofffreie Wasser geleitet wird. Nach einer gewissen Zeit hat
das Harz die anfänglich vorhandenen Na+ Ionen abgegeben und eine entspre-
chende Menge Ca2+ aufgenommen. Die Austauschkapazität ist erschöpft, und
das Harz muss regeneriert werden. Dazu wird eine konzentrierte Lösung von
Na+Cl- (Kochsalz) über das Harz geleitet, die hohe Konzentration des Na+
führt zur Umkehr des Ionenaustausch-Prozesses. Es fällt ein Abwasser an, das
die Reste der konzentrierten NaCl Lösung enthält, die mit dem zurückgelösten
Ca2+ verschmutzt ist.
146 9 Wasseraufbereitung
Früher hatte die Enthärtung von Trinkwasser eine grosse Bedeutung, weil die
Waschmittel noch nicht mit der natürlichen Härte des Wassers umgehen konnten.
Moderne Textilwaschmittel werden so konfektioniert, dass sie auch in hartem
Wasser ihre Wirksamkeit entfalten können (z.T. enthalten sie selber Ionentauscher
in der Form von Zeolithen). Von Bedeutung ist die Enthärtung des Wassers dort,
wo viel heisses Wasser gebraucht wird (die Löslichkeit von CaCO3 nimmt mit
zunehmender Temperatur ab) oder wo Wasser z.B. zur Kühlung verdampft wird.
In der Kühlung wird nur reines Wasser verdampft, sodass sich die Salze im zu-
rückbleibenden Wasser aufkonzentrieren und dieses mit Kalk übersättigt wird.
Zusätzlich wird durch die Belüftung im Kühlturm CO2 in die Atmosphäre ausge-
trieben, sodass der pH-Wert ansteigt.
Wasserenthärtung ist heute primär ein Verfahren, das in der Brauchwasser-
aufbereitung von Industriebetrieben, Klimaanlagen und Atomkraftwerken (Kühl-
türme) genutzt wird.
Stosschlorung Seewasser
Ozonierung
Rohwasserfassung
(Zwischenoxidation)
Ozonierung
Aktivkohlefilter
(Voroxidation)
Flockung Langsamsandfilter
Schnellfilter Netzschutz
Kalkzugabe Wasserspeicher
Trinkwasser
Abb. 9.17. Verfahrensschema der Wasseraufbereitung in den Seewasserwerken der Stadt Zürich
stant gute Rohwasserqualität liefert, ist vor der Filtration keine Vorbehandlung
erforderlich.
– Durch die Zugabe von geringen Mengen von Kalkmilch (Ca(OH)2) wird das
Wasser in Bezug auf die Löslichkeit von CaCO3 ins Gleichgewicht gebracht,
sodass es später in den Verteilleitungen nicht korrosiv wirkt.
– In einer zweiten Ozonierung werden gelöste organische Stoffe oxidiert. In der
Folge sind diese Stoffe besser biologisch abbaubar, sodass Bakterien diese aus
dem Wasser eliminieren können.
– Im nachfolgenden Aktivkohlefilter werden organische Stoffe auf die Aktiv-
kohle adsorbiert und zum grössten Teil von Bakterien, die sich auf der Aktiv-
kohle angesiedelt haben, abgebaut. Die Adsorption stellt gleichzeitig ein
Schutz dar, der in Notsituationen organische Verbindungen im Wasser zurück-
halten kann, auch wenn diese nicht biologisch abbaubar sind (s. dazu
Beispiel 9.9).
– Die nachfolgenden Langsamsandfilter werden eingesetzt, weil sie beim Aus-
bau der Wasserwerke bereits bestanden haben. Ihr Ablauf hat Trinkwasser-
qualität und ist hygienisch einwandfrei. Heute würde man keine neuen Lang-
samsandfilter mehr bauen.
– Als sogen. Netzschutz kann dem Wasser noch Chlordioxid als Desinfek-
tionsmittel zugegeben werden. Ohne Langsamsandfilter ist das erforderlich,
damit die hygienische Qualität des Trinkwassers auch im Verteilnetz aufrecht
erhalten bleibt. Geringe Restkonzentrationen von organischen Stoffen dienen
Bakterien als Nährstoffe und können dazu führen, dass das Wasser im Netz
von neuem verkeimt wird. Diese Bakterien siedeln sich in einer dünnen
Schicht, einem Biofilm, auf den Wänden der Verteilleitungen an und ernähren
sich aus dem vorbeifliessenden Trinkwasser. In den Langsamsandfiltern wer-
den aber diese Nährstoffe soweit abgebaut, dass die Wasserwerke in Zürich
auf diesen Netzschutz meistens verzichten können – ein ausgezeichnetes
Trinkwasser ist entstanden.
Schnell- Entsäuerung
filter Entkeimung
Verbraucher
9.15 Membrantechnologie
Als Membran bezeichnen wir in der Wassertechnologie eine dünne Schicht von
Material, die geeignet ist Gruppen von Stoffen und Partikeln zurückzuhalten,
wenn über die Membran eine treibende Kraft (Druck, elektrisches Feld, Konzent-
ration, …) angesetzt wird. Membranen werden zunehmend eingesetzt; sie können
Mikroorganismen, Viren, partikuläres Material (Trübung), natürliches organi-
sches Material, das den Geruch und Geschmack des Wassers beeinträchtigt oder
mit Desinfektionsmitteln reagiert und Ionen zurückhalten. Die Fortschritte sowohl
in der Produktion von Membranen als auch in deren verfahrenstechnischen Ein-
satz sind rasant.
Hier werden Membranprozesse vorgestellt, die auf dem Einsatz eines Druck-
gradienten über die Membran beruhen. Mit abnehmender Porengrösse sind das:
150 9 Wasseraufbereitung
Zufluss Hohlfasermembranen
Spiralförmig Zufluss
Filtrat
gewickelte
Membran
Filtrat Konzentrat
Filtrat
2.5 m
2.1 m
1.7 m
Abb. 9.19: Beispiele von Membranmodulen: Links spiralförmig gewickelte Membran; rechts
oben: Hohlfasermembrane, von innen nach aussen durchströmt (Trinkwasser), unten von aussen
nach innen durchströmt (Abwasserreinigung)
Abb. 9.20: Grössenvergleich der Poren von unterschiedlichen Membranen und Stoffen, die in
der Wasseraufbereitung aus dem Rohwasser abgetrennt werden sollen
10 Wasserspeicherung
Jede grössere Wasserversorgung muss an einer Stelle in ihrem System über einen
Speicher mit Trinkwasser verfügen, um Unterschiede zwischen Angebot und Nach-
frage auszugleichen. Ausnahmsweise kann direkt das Grundwasser im Boden (d.h.
das Porenvolumen) als Speicher genutzt werden. Häufiger sind Speicherbauwer-
ke, in denen das Trinkwasser bereits mit der erforderlichen potentiellen Energie
bereitgestellt wird.
Die Wasserspeicher sind in Phasen grossen Wasserbedarfs die Energieliefe-
ranten oder Batterien der Wasserversorgung.
10.2.1 Hochbehälter
Im Hochbehälter ist der Speicherraum in einem über dem Versorgungsgebiet ge-
legenen Volumen vorgesehen. Er ist so angeordnet, dass im Versorgungsgebiet,
bei ausreichend dimensioniertem Leitungsnetz, optimale Druckverhältnisse ge-
währleistet werden. Hochbehälter sind in der Regel ins Gelände eingebettet. Feh-
154 10 Wasserspeicherung
10.2.2 Tiefbehälter
Tiefbehälter dienen als Saugbehälter von Pumpwerken. Der Versorgungsdruck im
Verteilnetz wird durch Pumpen erzeugt. Für Pumpendefekte und Stromausfall sind
bei dieser Anordnung besondere Vorkehrungen zu treffen (Notstromaggregate,
redundante Pumpen etc.).
Tabelle 10.1. Berechnung des erforderlichen Speichervolumens. Alle Angaben beziehen sich auf
den Wasserumsatz Qd während des ganzen Tages. Die Angaben sind in Prozent des Tages-
verbrauchs pro Stunde. Der Verbrauch entspricht der Ganglinie in ländlichen Verhältnissen,
Wasser wird nur in den 10 Nachtstunden gefördert. S.a. Abb. 10.1, unten und Tabelle 5.5, Seite
77
Uhrzeit 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Verbrauch % 1.2 0.4 0.4 0.4 0.6 1.6 3.7 5.6 6.0 5.8 6.8 8.1 4.2 5.8 5.8 6.0 6.3 8.7 6.7 5.8 4.1 2.5 1.9 1.6
Einspeisung % 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10
Fehlbetrag % 3.7 5.6 6.0 5.8 6.8 8.1 4.2 5.8 5.8 6.0 6.3 8.7 6.7 5.8
Überschuss % 8.8 9.6 9.6 9.6 9.4 8.4 5.9 7.5 8.1 8.4
Speicher % 38 48 58 67 77 85 82 76 70 64 57 49 45 39 34 28 21 13 6 0 6 13 22 30
10.4 Speichervolumen
Das Speichervolumen umfasst die Brauch-, Not- und nötigenfalls die Löschreser-
ve. Die Brauchreserve richtet sich nach dem erforderlichen Ausgleich zwischen
Wassergewinnung (Zulauf und Förderung) und dem Verbrauch. Die Notreserve
dient der Überbrückung allfälliger Unterbrüche in der Wassergewinnung oder
übermässiger Verbrauchsmengen bei Rohrbrüchen und dergleichen. Sie soll ins-
besondere das Leerlaufen des ganzen Leitungsnetzes verhindern.
Das erforderliche Speichervolumen und ein allenfalls notwendiger etappen-
weiser Ausbau der Behälteranlage werden im generellen Wasserversorgungspro-
jekt nachgewiesen. Bei hinreichend genauen Grundlagen wird das Volumen der
Brauchreserve durch Aufsummieren der stündlichen Zulauf-, Förder- und Ent-
nahmemengen während eines ganzen Tages ermittelt (Abb. 10.1 und
10.4 Speichervolumen 155
fh(t) 2.5
2
fh,max = 1.5
Konstante
1.5 Förderung
1 Fehlbetrag 15.7% Qd
Überschuss
0.5
0
0 6 12 18 24
Uhrzeit t
fh(t) 2.5
Förderung nur Verbrauch
2 in der Nacht
1.5
Überschuss
1
0
0 6 12 18 24
Uhrzeit t
Abb. 10.1. Abschätzung des erforderlichen Speicherinhalts auf der Basis von Tagesganglinien
des Bedarfes und der Wasserförderung (s.a. Tabelle 5.5, Seite 77). Oben: Tagesganglinie in städ-
tischen Verhältnissen und konstante Förderung über den Tag. Unten: Tagesganglinie in ländli-
chen Verhältnissen und Förderung nur in der Nacht, bei Niedertarif für die Elektrizität (Gangli-
nien nach SVGW, W6, 1975)
Tabelle 10.1). Die Praxis zeigt, dass ein Behälter in der Regel dann wirtschaftlich
bemessen ist, wenn die Kriterien in Tabelle 10.2 erfüllt sind. Daraus ergibt sich
ein spezifisches Speichervolumen von 0.20 bis 0.60 m3/Einwohner, je nach Struk-
tur der Kommune und Art der Produktion des Wassers.
10.4.1 Löschreserve
Die Grösse der gegebenenfalls notwendigen Löschreserve wird mit den zuständi-
gen Organen der Feuerwehr und der Gebäudeversicherung festgelegt (Minimum
100 m3). In grossen Versorgungsanlagen mit mehreren unabhängigen Wasserbe-
zugsorten kann auf die Ausscheidung von Löschreserven meist verzichtet werden.
In mehrzonigen Anlagen genügt eine ausreichende Löschreserve im höchst gele-
genen Reservoir. Der Wasserbedarf der Feuerwehr wird je nach Bauzone und
Brandgefährdung mit 0.01–0.06 m3s-1 angegeben, d.h. dass 100 m3 für eine Lösch-
dauer von 0.5–2.5 h ausreichen.
Von besonderer Bedeutung sind Sprinkleranlagen, wie sie z.B. in Lagerhäu-
sern installiert werden. Sie haben einen grossen Wasserbedarf. Richtlinien des
SVGW (W5, 1979) geben Zahlen im Bereich von 6–1000 m3 Gesamtbedarf und
0.003–0.2 m3s-1 Durchfluss, je nach Gefährdungsklasse und Grösse des Objektes.
% des Tagesbedarfs
100
Erforderliches Speichervolumen: VSp = 'Vmax + 'Vmin
80
'Vmin
60 Kumulative
Förderung
40
'Vmax Kumulativer Bedarf
20
0
0 4 8 12 16 20 24
Uhrzeit in hrs
Abb. 10.2: Kumulative Darstellung des Wasserverbrauchs und der Förderung von Wasser im
Tagesgang. Daten analog zu Abb. 10.1, unten, ländliche Verhältnisse mit Förderung nur in der
Nacht
Tagen mit mittlerem und geringem Verbrauch, gegenüber Tagen mit maximalem
Verbrauch.
Staubfilter
Kammer 2
Gebrauchsspeicher
Gebrauchsspeicher
Kammer 1
mit Löschreserve
Löschreserve
Abb. 10.3. Einfache Darstellung eines Trinkwasserspeichers: Die Kammern (und Armaturen)
sind so gestaltet, dass das durchfliessende Wasser laufend erneuert wird und eine Löschreserve
gesichert bleibt
dass das Wasser laufend erneuert wird. Das wird hier durch den zweikammerigen
Gebrauchsspeicher und den gerichteten Durchfluss (Rückschlagklappen) erreicht.
Die mögliche Wiederverkeimung des Wassers kann dadurch minimal gehalten
werden. Die Löschreserve wird durch Öffnen der Löschklappe im Brandfall frei-
gegeben, im Tagesgang steht dieses Volumen nicht zur Verfügung, das Wasser
wird aber laufend erneuert.
10.8 Spezialfälle
Nicht immer sind Geländeerhebungen verfügbar; in solchen Situationen kommen
Wassertürme und Windkessel zur Anwendung.
10.8.1 Wasserturm
Wenn keine geeignete topographische Formation für den Bau eines Erdbehälters
in der Nähe des Versorgungsgebiets zur Verfügung steht, kann ein Wasserspeicher
in Form eines Wasserturmes erstellt werden.
Wie bei Erdbehältern muss der Fassungsraum 30–40 m über dem Versorgungsge-
biet liegen. Mit grossen Leitungsdurchmessern können die Druckverluste im Ver-
sorgungsnetz klein gehalten und die Turmhöhe ev. verringert werden. Abbil-
dung 10.4 zeigt schematisch einen Wasserturm mit nur einer Wasserkammer.
Kleine Behälter (< 200 m3) werden meist nur einkammerig ausgeführt. Eine gros-
se Wassertiefe (5–7 m) führt zu schlanken Wassertürmen aber entsprechenden
Druckschwankungen.
Wassertürme haben den Vorteil, dass sie nahe an den Verbrauchern errichtet
werden können. Dadurch ergeben sich geringe Energieverluste und entsprechend
günstige Druckverhältnisse.
10.8 Spezialfälle 159
Brauch-
reserve
Löschreserve
Treppe
Aufzug
…..
Ablauf Zulauf
Abb. 10.4. Prinzipzeichnung
Überlauf eines Wasserturms
Druckluft Kompressor
Wasserspeicher
10.8.2 Löschwasserbehälter
Wenn die Wasserversorgung Löschwasser nicht in ausreichender Menge liefern
kann, ist ev. die Erstellung eines von der Trinkwasserversorgung unabhängigen
Löschwasserbehälters erforderlich. Die Anforderungen an solche Behälter sind
viel weniger streng als die Anforderungen an ein Trinkwasserreservoir. Früher
waren solche Becken üblich, in älteren Siedlungen trifft man sie noch heute, z.B.
als Feuerwehrweiher.
10.8.3 Druckwindkessel
Druckkessel oder Windkessel (Abb. 10.5) sind keine eigentlichen Wasserspeicher.
Ihr Volumen ist meist nur so bemessen, dass die Schalthäufigkeit der Pumpen be-
schränkt und damit deren Lebenserwartung verbessert werden kann. Der Wind-
kessel nutzt die Kompressibilität der Luft: Ein Luftpolster speichert die erforderli-
che potentielle Energie um den Betriebsdruck des Wassers innerhalb bestimmter
160 10 Wasserspeicherung
Grenzen zu halten. Wenn das Wasser über 24 h im Tag gefördert werden soll, sind
Windkessel wirtschaftliche Einrichtungen.
Wenn kein Speichervolumen zur Verfügung steht, muss dauernd ins Netz ge-
fördert werden. Das geschieht heute mit Pumpen, die über Leistungselektronik
und Frequenzumformer mit variabler Drehzahl und daher angepasster Förderleis-
tung arbeiten. Windkessel können hier den erforderlichen kurzfristigen Ausgleich
schaffen.
Druckwindkessel kommen auch zur Anwendung um Druckstösse als Folge
von instationären Betriebszuständen zu mildern (s.a. Abschnitt 11.7.2, Seite 193).
Hier müssen sie kinetische Energie in potentielle Energie umwandeln und umge-
kehrt.
11 Wasserverteilung, Netz
z
Energielinie
v12 'zE
2g v 22
2g
p1 Drucklinie p2
Ug Ug
z2
Q
z1
L v v
'z E O (11.3)
D 2g
O = Rohrreibungskoeffizient [-]
L = Länge der Leitung [L]
D = Durchmesser der kreisförmigen Leitung [L]
11.1 Stationäre Rohrhydraulik 163
1 § 2.52 k ·
2 log10 ¨ ¸ (11.4)
O1/ 2 © N Re O
1/ 2
3.71 D ¹
0.05
0.05 0.02
0.04 0.01
0.03 0.005
0.02 0.001
0.0005
0.0001
0.01
104 105 106 107
Reynoldszahl NRe
Abb. 11.2. Ausschnitt aus dem Moody Diagramm, Darstellung der Gl. (11.4) von Colebrook
Für Wasser mit 10°C, mit der kinematischen Zähigkeit Q = 1.31·10-6 m2 s-1, findet
man für Fliessgeschwindigkeiten v = 1–3 m s-1 und Durchmesser D = 100–000
mm Reynolds-Zahlen in der Grössenordnung von NRe = 105–3·106. Für Betriebs-
rauigkeiten k = 0.2–5 mm liegen die relativen Rauigkeiten k/D für dieselben
Durchmesser bei 0.0002–0.05. Aus dem Moody-Diagramm (Abb. 11.2), ist er-
kennbar, dass sich die Strömung im hydraulisch rauen Bereich mit relativ hoher
Turbulenz befindet. Typische Rohrreibungskoeffizienten O liegen zwischen 0.02
11.1 Stationäre Rohrhydraulik 165
und 0.05. In diesem Bereich ist O kaum mehr von der Reynoldszahl abhängig
(hydraulisch rau) und es gilt vereinfachend die explizite Gleichung:
O = 0.25 / (log10 (3.71 D / k))2 (11.5)
Um Gl. (11.3) auf Rohre anzuwenden, kann die Fliessgeschwindigkeit v durch
den Durchfluss Q ersetzt werden. Damit gilt für kreisrunde Rohre, mit v = Q / F
oder v = 4·Q/(S·D2):
L v v 8O LQ Q O LQ Q
'z E O 0.0826 s 2 m 1 (11.6)
D 2g g S 2 D5 D5
Aus Gl. (11.6) wird offensichtlich, wie stark sich der Rohrdurchmesser D bei
gleich bleibendem Durchfluss Q auf den Energieverlust auswirkt: Er wächst mit
abnehmendem Durchmesser mit der 5. Potenz des Durchmessers an.
Aufgelöst nach dem Durchfluss Q, resultiert dessen Abhängigkeit vom
Durchmesser bei gleich bleibendem Energieverlust:
1/ 2 1/ 2
5/ 2
§ g S 2 'z E · 1/ 2 1 5/ 2 § 'z E ·
Q D ¨ ¸ 3.479 m s D ¨ ¸ (11.7)
© 8O L ¹ © OL ¹
Eine Vergrösserung des Durchmessers um 25% hat also eine Verringerung des Ener-
gieverlusts um den Faktor 3 zur Folge.
Im hydraulisch rauen Bereich des Moody-Diagramms ist auch der Ansatz von
Manning-Strickler angenähert gültig:
v k St R 2 / 3 J1/E 2 (11.8)
kSt = Rauigkeitsbeiwert nach Strickler [m1/3 s-1@
R = hydraulischer Radius (benetzte Fläche / benetzter Umfang) [m]
JE = Gefälle der Energielinie [-]
Nach quadrieren wird mit JE = 'zE / L, R = D / 4 und v = 4Q / (SD2) für kreis-
förmige Druckleitungen:
16 44 / 3 L Q Q LQ Q
'z E 10.294 (11.9)
S2 kSt2 D16 / 3 k St 2 D16 / 3
Gleichung(11.12) ist spezifisch für eine Leitung und daher sehr nahe an der
praktischen Anwendung.
11.1 Stationäre Rohrhydraulik 167
'zE
1 2
Q Q 'zE,tot ='zE,1+'zE,2
'zE
'zE,tot 'zE,1
'zE,2
'zE,1 'zE,2
L
Q
Abb. 11.3. Serieschaltung von 2 Leitungssträngen. 'zE,1 und 'zE,2 stellen den Energieverlust
der beiden Teilleitungen 1 und 2 dar. 'zE,tot entspricht der Summe der beiden Energieverluste
und damit gleichzeitig dem Energieverlust einer äquivalenten Leitung
'z E 'z E
Q tot Q1 Q 2 aus Gl. (11.12): 'z E J Q2
J1 J2
Q2tot
'z E J aeq Q2tot (11.14)
1/ 2 2
J 1/ 2
1 J 2
1
J aeq
1/ 2 2
¦ J i
Q1
Qtot = Q1 + Q2
Qtot = Q1 + Q2
Q2
'zE
'zE,2
'zE,1 'zE
Abb. 11.4. Parallelschaltung von zwei Leitungssträngen. Q1 und Q2 stellen den Durchfluss
durch die beiden Teilleitungen 1 und 2 dar. Qtot entspricht dem Durchfluss durch eine äquivalen-
te Leitung, die die beiden zusammenfasst und den gleichen Energieverlust erzeugt
2 4
A 1 3 6 B
5
Abb. 11.5. Netz, das vereinfacht werden kann
11.2 Pumpen
Pumpen sind Aggregate, die dem Wasser mechanische Energie zuführen. Sie sind
meist die grössten Energieverbraucher einer Wasserversorgung.
In der Wasserversorgung haben Pumpwerke die Aufgabe, dem Wasser Energie
zuzuführen, damit:
– die in Abschn. 7.2, Seite 108, diskutierte Druck- oder Energiebarriere zwi-
schen Trinkwasser und Umwelt aufrechterhalten werden kann;
– genügend Energie für den Transport des Wassers durch die Verteilnetze zur
Verfügung steht;
– das Wasser mit einem genügenden Druck an die Verbraucher geliefert werden
kann.
Energielinie p2
p z2
z1 1 Ug
z Ug
HA 'zE,d
v S2 p2
2g 'zE,s
v D2
p1 2g
z1
v1 | 0 v2 | 0
QA
Saugseite Druckseite
Abb. 11.6. Schematische Anordnung einer Pumpe. Definition der Energie-, Druck und geodäti-
schen Höhen
– Andererseits muss eine Pumpe gewählt werden, die den Anforderungen mög-
lichst gerecht wird und im genutzten Betriebsbereich einen guten Wirkungs-
grad erbringt.
Zuerst befassen wir uns also mit dem System, dem Energie zugeführt werden
muss und anschliessend mit den Aggregaten, die dem Wasser diese Energie zufüh-
ren können.
HA
Hdyn J A Q 2A
Systemkennlinie
dynamischer Anteil
p 2 p1
hydrostatischer Anteil Hhydro
Ug
QA
HP 60
in m 50
40
30
Förderleistung
20 bei n = 1800 min-1
10
0
0 0.01 0.02 0.03 0.04 QP in m3 s-1
NPSH 6
in m
4
2 Net Positive Suction Head
0
0 0.01 0.02 0.03 0.04 QP in m3 s-1
KP 0.8
-
0.7
0.6
0.5 Wirkungsgrad
0.4
0.3
0 0.01 0.02 0.03 0.04 QP in m3 s-1
PP 14
kW
12
10
Leistungsbedarf
8 der Pumpe
Abb. 11.8. Beispiel eines
6
Kennlinienblatts einer
4 Kreiselpumpe (n = Motor-
0 0.01 0.02 0.03 0.04 QP in m3 s-1 drehzahl)
Wenn die erforderliche Förderleistung der Pumpe stark variiert, und wenn nur
geringe bis gar keine Speichervolumen auf der Druckseite der Pumpe verfügbar
sind, so wird eine Regelung der Pumpenleistung sinnvoll. Immer häufiger werden
Kreiselpumpen mit drehzahlregulierten Motoren ausgerüstet. Die moderne Leis-
tungselektronik stellt uns dazu effiziente Installationen zur Steuerung der Fre-
quenz von Wechselstrom zur Verfügung. Die folgenden Modellgesetze erlauben
die Charakteristiken der Pumpen auf andere Drehzahlen n [T-1] umzurechnen:
Q1 n1 H1 n12 NPSH1 n12 P1 n13
(11.19)
Q2 n2 H2 n 22 NPSH 2 n 22 P2 n 32
11.2 Pumpen 175
Förderhöhe HP in m
60
50 1
40
30
2
20
1800
1400 1600
10 1000 1200
Drehzahl n in min-1
0
0 0.01 0.02 0.03 0.04
Förderleistung QP in m3 s-1
Abb. 11.9. Beispiel eines Muscheldiagramms einer Kreiselpumpe. Die beiden Betriebspunkte (1)
und (2) ergeben sich auf Grund der Ähnlichkeit des Betriebs von Kreiselpumpen (Gl.(11.19),
Beispiel 11.10)
HA, HP
Pumpenkennlinie
Betriebspunkt: QA = QP, HA = HP
Systemkennlinie
QA, QP
Abb. 11.10. Verbindung der System- und der Pumpenkennlinie und Bestimmung des Betriebs-
punkts einer Anlage
n1 / n2 = 1.5
H1/H2 = (1.5)2 H2 = 50 / 2.25 = 22.2 m
Q1 / Q2 = 1.5 Q2 = 0.013 / 1.5 = 0.0087 m3 s-1
Der Punkt n2 = 1200 min-1, H2 = 22.2 m und Q2 = 0.0087 m3 s-1 liegt auf der entspre-
chenden Linie im Muscheldiagramm (Abb. 11.9).
A) Einzelpumpe
B) Seriebetrieb
C) Parallelbetrieb
H
2 Pumpen in Serie
Systemkennlinie
1 Pumpe
B C 2 Pumpen parallel
A
Q
namischen Verluste quadratisch mit dem Durchfluss durch das System zuneh-
men (Betriebspunkte A und C).
– Mit zunehmender geodätischer Förderhöhe wird Seriebetrieb günstiger als Pa-
rallelbetrieb.
– Liegt der Betriebspunkt A höher als die maximale Förderhöhe einer einzelnen
Pumpe, so kann diese kein Wasser fördern. Auch Parallelbetrieb wird nicht zu
einer Förderung führen. Hingegen können zwei (oder mehrere) Pumpen in Se-
rie ev. eine ausreichende Förderhöhe erzeugen.
Heute werden Pumpen gebaut, in denen mehrere (2–8) Einzelpumpen in Serie
auf einer Welle mit nur einem Antrieb angeordnet sind. Solche Pumpen sind ge-
eignet, bei kleinem Pumpendurchmesser eine geringe Wassermenge auf einen ho-
hen Druck anzuheben. Sie kommen z.B. in engen Bohrlöchern zur Förderung von
tiefliegendem Grundwasser zum Einsatz.
In Anlagen ohne Wasserspeicher (s.a. Abb. 11.17) werden die Pumpen häufig
mit Notstromaggregaten ergänzt, um auch bei Ausfall der Stromversorgung einen
minimalen Betriebsdruck aufrechterhalten zu können.
Werden die Pumpen über der Drucklinie des Wassers aufgestellt, so müssen
spezielle Vorkehren für das Füllen der Pumpe vor dem Anlaufen getroffen werden
(Ventile und Auffüllstutzen, Vakuumpumpen etc.) und die NPSH (Abschn.
11.2.3) muss gewährleistet sein.
Um Druckstösse zu vermeiden, sollen Pumpen nur gegen geschlossene Ab-
sperrorgane an- und auslaufen. Die Steuerung und die Armaturen müssen entspre-
chend gestaltet werden (S.a. Abschn. 11.7, Seite 190).
– Reservoir (Behälter): Ein Speicher entspricht einem Knoten mit fester Ener-
giehöhe. In einer stationären Betrachtung ist das Volumen des Reservoirs nicht
von Bedeutung. Der Zustand des Reservoirs wird durch die geodätische Höhe
des Wasserspiegels HR definiert.
– Wasserbezug: Ein Wasserbezug ist ein Verlust von Wasser aus dem Netz. Hier
wird ein Bezug immer einem Knoten zugeschrieben. In der Wirklichkeit kann
der Bezug von Wasser entlang einer Leitung verteilt sein. Ein Bezug ist defi-
niert durch die Wassermenge QB und den Knoten, aus dem diese bezogen
wird. Manchmal ist die Bezugsmenge QB abhängig von der Druckhöhe im Be-
zugsknoten. Es muss ein Beziehung QB(HB) erarbeitet werden.
– Wassereinspeisung: Eine Wassereinspeisung ist ein Zufluss von Wasser von
ausserhalb des Netzes zu einem Knoten. Sie ist definiert durch die Wasser-
menge QE und den Knoten, in den diese eingespiesen wird. Eine Wasserein-
speisung unterscheidet sich von einem Wasserbezug nur durch die Richtung
(Vorzeichen) des Wasserflusses und kann auch von der Energiehöhe des Kno-
tens abhängen.
– Grundwasserspiegel: Ein Grundwasserspiegel fixiert die Energiehöhe des
Wassers, aus dem gepumpt werden soll, ist also analog zu einem Speicher. Ein
Grundwasserspiegel ist durch seine Energiehöhe HGW definiert. Gelegentlich
muss die Absenkung des Grundwasserspiegels mit zunehmender Entnahme-
menge berücksichtigt werden, HGW = f(QGW).
– Pumpe: Eine Pumpe fördert Wasser von einem Zulauf- zu einem Ablaufkno-
tenpunkt. Der Zustand der Pumpe ist bekannt, wenn die Förderleistung QP be-
kannt ist. Hydraulisch wird die Pumpe charakterisiert durch die Q - H Bezie-
hung, die angibt, wie gross QP in Funktion der Differenz HAb - HZu ist
(Abb. 11.8).
– Eine Havarie ist z.B. ein Bruch einer Leitung mit einem freien Ausfluss an die
Oberfläche, das entspricht dem Endpunkt eines Leitungsstranges, dessen
Druckhöhe bekannt ist (Extremsituation). Hydraulisch kann z.B. die Druckhö-
he HH auf der Höhe der Strasse fixiert werden.
– Weitere mögliche Elemente sind: Druckreduzierventile, Überläufe, Regel-
kreise etc. Sie werden hier nicht im Detail beschrieben.
In Tabelle 11.4 sind die wichtigsten hydraulischen Eigenschaften und die Zu-
standsgrössen von Elementen einer Wasserversorgung zusammengefasst. Jedes
Element ist charakterisiert durch eine Zustandsgrösse und eine hydraulische Be-
dingung (Gleichung). Damit ist ein Netz, das in solche Elemente aufgelöst wird,
mathematisch bestimmt: Es gibt gleich viele unbekannte Zustandsgrössen wie
Gleichungen. Die Berechnung eines Netzes resultiert aber häufig in hunderten bis
tausenden von meist nicht linearen Gleichungen, die simultan gelöst werden müs-
sen. Dafür kommen kommerziell vertriebene Computerprogramme zum Einsatz.
180 11 Wasserverteilung, Netz
2) 3) 9) Einspeisung
5) Leitung 6) Leitung QE = 0.02 m3s-1
L = 1000 m L = 500 m
D = 0.2 m D = 0.2 m 7) Pumpe
4) Grundwasser
HGW = 460 müM
sche Lösung des Gleichungssystems nicht mehr möglich, weil ein Teil der Infor-
mation (Pumpenkennlinie) nur graphisch verfügbar ist, und zwei Leitungen mit
quadratischen Gleichungen hydraulisch charakterisiert sind.
Bei Berechnung von Hand muss der Lösungsweg dem Problem angepasst werden.
Hier wird das folgende iterative Vorgehen gewählt (Zahlenangaben sind in
Tabelle 11.7 zusammengestellt):
– Vorerst wird eine Förderleistung für die Pumpe geschätzt (QP = Q7 = 0.02
m3s-1). Anschliessend können alle zugehörigen Durchflusswassermengen be-
rechnet werden.
– Nun können die Förderhöhe der Pumpe HP = H7 bestimmt und die Energiever-
luste der Leitungen berechnet werden ('H).
– Ausgehend vom Grundwasser H7 ergeben sich die Druckhöhen in den einzel-
nen Knoten aus den berechneten 'H unter Berücksichtigung der Vorzeichen-
regel.
182 11 Wasserverteilung, Netz
– Der Vergleich der berechneten (509 müM) und der effektiven (500 müM) La-
ge des Wasserspiegels im Reservoir (509 müM) ergibt, dass die effektive För-
derhöhe der Pumpe geringer sein muss als im Beispiel vorläufig angenommen.
D.h., dass die Förderleistung grösser ist: Für den 2. Iterationsschritt gehen wir
z.B. von einer Fördermenge Q7 = 0.025 m3s-1 aus.
– Mit dem 2. Iterationsschritt ist das Ziel beinahe erreicht, der 3. Rechenschritt
zeigt, dass wir die Rechengenauigkeit erreicht haben.
In diesem einfachen Rechenbeispiel sind in 3 Iterationsschritten alle Zustands-
grössen des Systems innerhalb der Rechengenauigkeit bestimmt worden. Dies ist
möglich, weil nur eine Grösse variiert werden musste (hier wurde die Förderleis-
tung der Pumpe gewählt). In grösseren, insbesondere in stark vermaschten Syste-
men müssen mehrere Grössen vorerst frei gewählt werden. Es sind dann bedeu-
tend mehr Iterationsschritte erforderlich, und die Wahl der Korrekturen bestimmt,
wie schnell die Rechnung konvergiert.
In der Fachliteratur wird das Verfahren von Hardy Cross empfohlen, um Kor-
rekturen zwischen Iterationsschritten in vermaschten Systemen systematisch zu
wählen. Da Handrechnungen heute keine grosse Bedeutung mehr haben, und das
Verfahren von Hardy Cross in der elektronischen Netzberechnung nicht zur An-
wendung kommt, wird hier auf dessen Einführung verzichtet.
Eine einfache Möglichkeit zur iterativen Lösung der Gleichungen beruht auf
der folgenden Überlegung: Basierend auf den momentanen Energiehöhen wird
berechnet, ob einem Knoten zuviel oder zuwenig Wasser zufliesst. Wenn zuviel
Wasser zufliesst, wird die Energiehöhe des Knotens erhöht, sonst vermindert. Das
Programmieren dieser Iterationsstrategie ist ausserordentlich einfach. Die Iteratio-
nen führen bei nicht allzu grossen Netzen schnell zum Ziel (Beispiel 11.11).
11.3 Wasserverteilung: Netzberechnungen 183
J2 = 1500 s2 m-5
J1 = 1000 s2 m-5
C HC = 310 müM
Abb. 11.13. Ausschnitt aus einem
Wasserverteilnetz, dessen Zustand be-
rechnet werden soll. Angegeben sind
J3 = 400 s2 m-5
vorläufige Annahmen über die Ener-
giehöhen in den Knoten A – D und die
D HD = 300 müM J Werte der Leitungen (Beispiel 11.11)
Reservoir
Reservoir
Speicher Speicher
bestehend
Projekt
Abb. 11.16. Bestehende
(links) und projektierte An-
lage (rechts) (Beispiel 11.14)
Die maximal transportierte Wassermenge beträgt: Q = vD2S/4 = 0.1 m3s-1. Das ent-
spricht dem maximalen Bedarf von ca. 10’000 Einwohnern. Hauptleitungen mit Durch-
messern über 250 mm werden also nur in grossen Gemeinden gebaut.
1
J tot 2
343 s2m5
§ 1 1 ·
¨¨ ¸¸
J
© alt J neu ¹
Der Energieverlust nach der Realisierung der Erweiterung wird zu:
'zE,neu = Jtot Q2 = 3.43 mWs
Der Wasserbezug teilt sich wie folgt auf die beiden Reservoire auf:
'z E, neu
Q alt 0.041 m3 s 1 und Qneu = 0.059 m3s-1.
J alt
Durch die doppelte Einspeisung wird also nicht nur die Versorgungssicherheit verbes-
sert sondern auch die Variation der Druckhöhe im Versorgungsgebiet vermindert und
der minimale Druck erhöht.
11.4.1 Druckhaltung
Im hügeligen Gelände ist für Trinkwasserverteilsysteme eine Druckhöhe von 40–
100 m, gemessen ab Strassenhöhe, geeignet. Angestrebt werden 50–80 m. Häuser
bis zu 8 Stockwerken können so ohne eigene Druckerhöhungspumpwerke versorgt
werden und die Feuerwehr kann vorerst ohne Motorpumpen arbeiten. Die Druck-
haltung über Hochbehälter bedingt allerdings, dass Geländeerhebungen von 50–
100 m in der Nähe des Versorgungsgebiets liegen. Eine grössere Druckhöhe be-
dingt nicht nur die Verstärkung der Leitungen, Installationen und Armaturen, son-
dern bei Pumpbetrieb auch einen grossen Energieeinsatz sowie Druckreduzierven-
tile beim Verbraucher.
Im Flachland sind Druckzonen mit nur 10–40 m Druckhöhe verbreitet; dieser
Druck kann durch geregelten, dauernden Pumpbetrieb ohne Speicher zuverlässig
aufrechterhalten werden. Um Perioden mit Ausfall der Elektrizität zu überbrü-
cken, sollte allerdings ein Notstromaggregat zur Verfügung stehen, mit dem ein
minimaler Betriebsdruck gewährleistet werden kann. Häuser mit mehr als zwei
Stockwerken müssen mit eigener Druckerhöhung ausgestattet werden.
In Abb. 11.17 sind schematisch einige Möglichkeiten für die Druckhaltung
dargestellt. Zusätzlich kommen Wassertürme und Druckkessel zur Druckhaltung
zur Anwendung (Abschn. 10.8).
11.4.2 Druckzonen
Bei grossen Höhenunterschieden im Versorgungsgebiet werden unterschiedliche
Druckzonen ausgeschieden, die von verschiedenen Hochbehältern versorgt wer-
den und einen zweckmässigen Versorgungsdruck einhalten (Abb. 11.18). Der Hö-
11.4 Gestaltung von Verteilnetzen 187
Energielinie
10 - 40 m
Grundwasser
Reservoir
Energielinie je nach
Betriebszustand
Grundwasser
Reservoir
Energielinie
> 40 m
< 100 m
Grundwasser
Abb. 11.17. Beispiele von Anordnungen zur Druck- oder Energiehaltung in Verteilnetzen. Oben:
Im flachen Gelände, ohne Speicher mit dauernd laufenden Pumpen und ev. Notstrom. Mitte: Mit
Förderung des Wassers durch das Netz. Hier ergeben sich je nach Betriebsbedingungen unter-
schiedliche Energielinien. Unten: Mit Förderung des Wassers über den Speicher
henunterschied zwischen der oberen und der unteren Zonengrenze beträgt ca. 60
m. Jede Druckzone wird als autonome Wasserversorgung mit entsprechender
Speicherung und Wasserzuführung betrachtet.
Wird in einer Zone der Wasserdruck grösser als 100 mWs, so nehmen die Ha-
varien und Leckverluste überproportional zu. Zudem müssen die Leitungen ent-
sprechend dem Innendruck verstärkt werden.
188 11 Wasserverteilung, Netz
H
müM Quelle
640
600
Hangzone
560
Talzone
500
470
Grundwasser
Abb. 11.18. Aufteilung der Druckzonen mit einem Beispiel der Höhenlage
Von der
Hochzone
in die Tiefzone
Abb. 11.19. Schematische Darstellung eines Druckbrecherschachtes. Ein Ventil wird über den
Wasserstand mechanisch geregelt
11.6 Sonderbauwerke
Um den Betrieb einer Wasserversorgung zu optimieren sind eine Reihe von spe-
ziellen Bauwerken und Apparaten erforderlich. Sie erlauben unterschiedliche
Druckzonen zu verbinden und wo nötig zusätzliche Energie ins System einzutra-
gen.
11.6.1 Druckreduzierventile
In Gebieten mit unterschiedlicher Höhenlage kann eine tiefer liegende Zone über
ein Druckreduzierventil aus der höher liegenden Zone mit Wasser gespeist wer-
den. Druckreduzierventile sind das Gegenstück zu Pumpen, sie wandeln die Ener-
gie um, die frei wird, wenn Wasser von einer Zone mit hohem Druck in eine sol-
che mit niedrigerem Druck geleitet wird. Die Energie geht als Wärme verloren.
Heute kommen auch Turbinen zum Einsatz, die die potentielle Energie in
Form von Elektrizität zurückgewinnen.
11.6.2 Druckbrecherschacht
Um Wasser von einer höheren Druckzone zuverlässig in eine Zone mit niedrige-
rem Druck zu leiten, bewähren sich auch Druckbrecherschächte (Abb. 11.19).
Diese können ohne Fremdenergie und Fernsteuerung auskommen. Grosse Schäch-
te vermeiden Druckstösse, weil die Armaturen nur langsam reagieren.
11.6.3 Zonenpumpwerke
Zonenpumpwerke sind das Gegenstück zu Druckreduzierventilen und Druck-
brecherschächten. Sie fördern das Wasser aus einer untenliegenden Zone in eine
höher liegende Zone (s. z.B. Abb. 11.18, Förderung in die Hangzone).
190 11 Wasserverteilung, Netz
u
L
u
L
P
Zunehmende Zeit
u
L
Abb. 11.20. Veränderung der Fliessgeschwindigkeit u und der Druckes P in einer starren, gera-
den Druckleitung nach dem plötzlichen Ausfall einer Pumpe. Die Randbedingungen der Druck-
leitung sind durch einen vollständigen Abschluss bei der Pumpe und einen unendlich grossen
freien Wasserspiegel auf der Seite des Reservoirs definiert
u 02
E kin,0 L F U (11.22)
2
Ekin,0 = Kinetische Energie des Wassers vor dem Stopp der Pumpe >M L2 T-2@
L = Länge der Druckleitung >L@
F = Querschnittsfläche der Druckleitung >L2@
U = Dichte des Wassers, 1000 kg m-3 >M L-3@
u0 = Anfängliche Fliessgeschwindigkeit >L T-1@
Die Verformung des Wassers im starren Rohr als Folge einer Veränderung des
hydrostatischen Druckes kann mit dem Elastizitätsmodul des Wassers berechnet
werden:
192 11 Wasserverteilung, Netz
dL L
(11.23)
dP EW
P = Hydrostatischer Druck >M L-1 T-2@
EW = Elastizitätsmodul des Wassers, 2109 N m-2 >M L-1 T-2@
Die potentielle Energie der Verformung ergibt sich aus dem Integral über die
Verformungsarbeit (Änderung des hydrostatischen Drucks mal die entstehende
Volumenänderung) als:
F L 'P 2
E pot (11.24)
EW 2
Epot = Potentielle Verformungsenergie >M L2 T-2@
'P = Änderung des hydrostatischen Druckes >M L-1 T-2@
Nach vollständiger, verlustloser Umwandlung der kinetischen Energie in po-
tentielle Energie gilt:
Ekin,0 = Epot
oder mit Gln.(11.22) und (11.24):
'P 2
U u 02 (11.25)
EW
EW
a (11.26)
U
a = Schallgeschwindigkeit im Wasser in starren Druckleitungen,
| 1400 m s-1 >L T-1@
Die Änderung des hydrostatischen Druckes 'P kann als Änderung der Druck-
höhe 'H angegeben werden:
'P
'H (11.27)
Ug
Nach Substitution von Gln.(11.26) und (11.27) in Gl. (11.25) resultiert die
Gleichung von Joukowsky (1898):
u0 a
'H r (11.28)
g
Wegen der möglichen Querausdehnung nimmt in einem elastischen Rohr, je
nach Material und Bauart die Schallgeschwindigkeit ab. Tabelle 11.8 gibt einen
Überblick über die Grössenordnung der relevanten Schallgeschwindigkeiten und
11.7 Instationäre Vorgänge: Der Druckstoss 193
des Druckstosses nach Joukowsky. Wird der Druckstoss 'H zum hydrostatischen
Druck H0 vor dem plötzlichen Ausfall der Pumpe addiert, so ergibt sich daraus die
Druckhöhe Hmax =H0+'H, für die die Druckleitung auf Innendruck bemessen wer-
den muss. Ist die Differenz Hmin=H0-'H geringer als der Aussendruck, so muss
die Leitung auch auf Aussendruck dimensioniert werden, sonst besteht das Risiko,
dass die Leitung unter dem Aussendruck (z.B. Luftdruck plus hydrostatischer
Druck des Grundwassers) kollabiert. Fällt der absolute Druck im Innern der Lei-
tung unter den Dampfdruck des Wassers, so entsteht ein Vakuum.
Beispiel 11.16. Änderung des Volumens von Wasser als Folge des Joukowsky Stos-
ses.
Wie gross ist die maximale Änderung 'L der Länge einer Wassersäule mit L=1000 m in
einem starren Rohr, das mit einer Fliessgeschwindigkeit von u0 = 1.5 m s-1 fliesst und zu
einem plötzlichen Stopp gebracht wird?
Integration von Gl. (11.23) über 'P und Substitution von Gln.(11.27) und (11.28) ergibt:
L
'L u0 a U oder mit obigen Angaben 'L=10001.514001000/2109=1.05m.
EW
D.h. der Inhalt von 1.05 m der Druckleitung würde ins Reservoir fliessen, bevor die „In-
formation“, dass die Pumpe ausgefallen ist, bis zum Reservoir geleitet wird.
Möglichkeit, die kinetische Energie des Wassers nur langsam abzubauen, sodass
sich die Reflexionen der Druckstösse gegenseitig kompensieren können.
Möglichkeiten, den Druckstoss abzubauen, gehen von ganz unterschiedlichen
Überlegungen aus. In der Folge werden einige Beispiele kurz eingeführt:
– Die Fliessgeschwindigkeit wird möglichst langsam geändert, z.B. indem Ar-
maturen nur langsam und kontrolliert geschlossen werden. Üblich sind
Schliesszeiten, die ein Mehrfaches der Laufzeit der Schallwellen in der Lei-
tung betragen, z.B. 20 s pro km Leitung. Pumpen sollen gegen geschlossene
Schieber angefahren werden, die dann bei laufenden Pumpen langsam geöffnet
werden.
– Pumpen können mit einem Schwungrad ausgerüstet werden, sodass die Pumpe
nur langsam zum Stillstand kommt. Da Schwungräder im Vergleich zur kineti-
schen Energie des Wassers nur eine geringe Energie speichern können, ist die-
se Anwendung auf schnelllaufende Pumpen und kurze Leitungen beschränkt.
– In einem Druckwindkessel kann mit Druckluft potentielle Energie gespeichert
werden; bei einem Druckabfall wird aus dem Druckkessel Wasser ins System
eingepresst, respektive bei Überdruck wird Wasser aufgenommen. Hier wird
die Randbedingung, dass das Wasser an einem Ende der Leitung zum Stehen
kommt, verändert.
– Mit Hilfe eines Wasserschlosses wird die Möglichkeit gegeben, analog zum
Druckwindkessel, kinetische Energie in potentielle Energie umzuwandeln und
umgekehrt.
Typisch für diese Methoden ist, dass die kinetische Energie des Wassers über
mehrere Laufzeiten der Schallwellen sukzessiv abgebaut wird. Gewählte Reakti-
onszeiten liegen bei tR = 10–20L/a.
Beispiel 11.19. Reduktion eines Druckstosses durch langsames Schliessen von Arma-
turen.
Eine Gemeinde wird über eine Polyäthylenleitung mit einem Durchmesser von 250 mm
und einer Länge von 2.5 km mit einer maximalen Wassermenge von 0.1 m3 s-1 während
11.7 Instationäre Vorgänge: Der Druckstoss 195
Steigwasserleitung
Überlauf
Ausfluss Treibhöhe
Treibwasser Hydraulischer
Treibwasserleitung
Widder
Auslauf
Abb. 11.21. Der hydraulische Widder. Links der Apparat, rechts eine Anlage, die den Widder
nutzt
der Nacht aus der benachbarten Stadt mit Wasser versorgt. Wenn das Reservoir gefüllt
ist, wird die Leitung durch ein automatisches Ventil verschlossen. Die Verschlusszeit
des Ventils beträgt 2 min.
Die maximale Fliessgeschwindigkeit in der Leitung beträgt vmax = Q/A = 2.04 ms-1.
Die Geschwindigkeit, mit der sich die Druckwelle ausbreitet, beträgt a = 300 ms-1
(Tabelle 11.8).
Wie gross ist der maximal zu erwartende Druckstoss?
Die Laufzeit der Druckwelle durch das Polyäthylenrohr, hin und zurück, entspricht der
Periode der Druckschwankungen und beträgt W = 2L/a = 5000 m / 300 m s-1 = 17 s.
Während dieser Laufzeit verändert sich die Fliessgeschwindigkeit bei linearer, gleich-
mässiger Verringerung der Fliessgeschwindigkeit während des Schliessens des Ventils
um 'v = vmax 17 s / 120 s = 0.29 m s-1. Der Maximal zu erwartende Druckstoss wird
damit hmax = 'va/g = 0.29 300 / 9.81 = 8.9 m. Diese zusätzliche Druckkraft sollte vom
Leitungsmaterial aufgenommen werden können. Umgekehrt sollte die Druckhöhe in der
Leitung deutlich grösser als 10 m sein, damit in der Leitung kein Vakuum entsteht, und
die Leitung vom Aussendruck nicht gefährdet wird.
11.9.1 Planungshorizont
Einerseits sind Wasserversorgungen sehr langlebige Anlagen – eine Lebens-
erwartung von 80 Jahren für die Leitungen und Behälter ist üblich. Andererseits
ist heute kaum absehbar, welche Forderungen in 50 Jahren an die Wasser-
versorgung gestellt werden. Wird heute für eine ferne, zukünftige Situation ge-
baut, so müssen meist grosse Reservekapazitäten eingeplant werden, die den Be-
trieb der Anlagen unwirtschaftlich machen. Die traditionell eher konservative,
vorsichtige Planung in der Wasserversorgung wird in Zukunft einer Planung wei-
chen, die zu möglichst grosser Flexibilität bei geringerem Kapitalbedarf führen
soll. Methodisch muss dieses Vorgehen erst entwickelt werden. Neue Möglichkei-
ten ergeben sich, wenn der Versorgugsbetrieb vermehrt mit den Konsumenten
zusammenarbeitet.
Tabelle 11.9. Statistische Angaben zur Wasserversorgung in der Schweiz für das Jahr 1993.
Hochrechnung des SVGW, Nov. 1994
Einwohner 6’988’900
6 3
Wassergewinnung Total 10 m 1066 100%
6 3
Quellwasser 10 m 439 41%
6 3
Grundwasser 10 m 404 38%
6 3
Seewasser 10 m 224 21%
6 3
Wasserabgabe Total 10 m 1066 100%
6 3
Haushalte und Kleingewerbe 10 m 618 58%
6 3
Gewerbe und Industrie 10 m 202 19%
6 3
öffentliche Zwecke und Brunnen 10 m 74 7%
6 3
Selbstverbrauch 10 m 29 3%
6 3
Verluste 10 m 142 13%
6
Finanzen Ausgaben total 10 Fr. 1848 100%
6
Betriebskosten 10 Fr. 1206 65%
6
Investitionen 10 Fr. 642 35%
6
Subventionen 10 Fr. 111 17%
Personal Vollbeschäftigte - 2400
Teilbeschäftigte - 3600
Spezifische Zahlen Mittlerer Verbrauch pro Einwohner l E-1d-1 418
Maximaler Verbrauch pro Einwohner l E-1d-1 657
Mittlerer Verbrauch der Haushalte l E-1d-1 242
Mittlere Betriebskosten Fr. m-3 1.13
Investitionen pro Einwohner pro Jahr Fr. E-1a-1 92
Tabelle 11.10. Versuch einer Vollkostenrechnung für die Wasserversorgung in der Schweiz.
Basierend auf der Annahme, dass pro Einwohner der Anlagewert der Wasserversorgung ca.
13’000 Fr. beträgt. Die Berechnungen sind ohne Hausanschlüsse und hausinterne Installationen
Wiederbeschaffungswert 91 109 Fr. Fr. 13’000 E-1
Kapitaldienst 2% Realzins 1.8 109 Fr. Fr. 260 E-1 a-1
Amortisation (60 a) 1.5 109 Fr. Fr. 220 E-1 a-1
2400 Vollbeschäftigte 240 106 Fr. a-1 Fr. 35 E-1 a-1
Personal
3600 Teilbeschäftigte 180 106 Fr. a-1 Fr. 26 E-1 a-1
Betriebsmittel, Reparaturen Schätzung Fr. 10 E-1 a-1
Elektrizität < 1 kWh m-3 0.7 109 kWh a-1 Fr. 10 E-1 a-1
Totaler Aufwand Fr. 4.110-9 a-1 Fr. 596 E-1 a-1
Verkauftes Wasser 900 106 m3 a-1 4.60 Fr m-3
12 Siedlungsentwässerung
Regen
Versickerung
Grundwasser
Siedlung
Mischwasserkanal
ARA
Entlastung
RÜB
Bade-
Meteorwasserkanal
anstalt
Vorflut
Die Modelle der Siedlungsentwässerung basieren oft auf den Modellen der techni-
schen Hydrologie. Typisch für die Siedlungsentwässerung ist aber, dass uns kleine
Einzugsgebiete (ha bis km2) und schnelle Prozesse mit Zeitkonstanten im Minu-
tenbereich interessieren. Die technische Hydrologie interessiert sich eher für
grössere, naturnähere Einzugsgebiete mit Zeitkonstanten im Bereich von Stunden
und Tagen.
Verwehungen
Verdunstung
Benetzung Muldenfüllung
Niederschlags-
intensität
Oberflächenabfluss
Versickerung
Regendauer
Abb. 13.1. Qualitative Darstellung der Abflussbildung während eines Regens mit konstanter
Intensität
sie für die Dimensionierung von Kanälen beachtet werden. Es kann aber keine
Ganglinien (zeitlich variable Abflüsse) simulieren und ist für die Beschreibung
von wenig ergiebigem Regen nicht geeignet, weil es zeitabhängige Prozesse wie
z.B. das Auffüllen von Mulden nicht beschreibt.
Dieses einfache Modell zur Abschätzung des Abflusses von Regenwasser aus
einem beregneten Gebiet hat die folgende Form:
QR r F\ (13.1)
QR = Abfluss von Regenwasser aus dem Einzugsgebiet mit
der Fläche F [L3 T-1]
r = Regenintensität [L T-1] oder häufiger [L3 L-2 T-1]
F = Fläche des Einzugsgebiets [L2]
\ = Abflussbeiwert (Definition s. Text) [-]
Nach diesem Modell wird die Regenintensität r über längere Zeit und über das
ganze Einzugsgebiet gemittelt. Der Niederschlag auf das Einzugsgebiet wird als
proportional zur Regenintensität und zur Fläche des Einzugsgebiets angenommen
und entspricht dem Produkt r F. Der Abflussbeiwert \ ist eine Konstante, die
angibt, dass nur ein Teil des Niederschlages zum Abfluss gelangt.
Es werden zwei Abflussbeiwerte unterschieden:
\S = Der Spitzen- oder Scheitelabflussbeiwert, der angibt, wie gross der ma-
ximale Abfluss QR im Vergleich zum maximalen Niederschlag r F ist
(s.a. Abb. 13.2).
\m = Der mittlere Abflussbeiwert, der angibt, welcher Anteil des Nieder-
schlags zum Abfluss gelangt (Abb. 13.3).
In erster Näherung können für die Entwässerung von Siedlungen die beiden
Abflussbeiwerte für intensive Regen gleich gesetzt werden. Dieser Abflussbeiwert
\ ergibt sich auch aus einer Abschätzung des Abflussbeiwerts aus dem Anteil der
undurchlässigen Flächen an der Fläche des gesamten Einzugsgebiets F.
13.1 Einführung in die Siedlungshydrologie 207
rmax F
Niederschlag
QR,max
QR,max
Abfluss Spitzenabflussbeiwert < S
rmax F
0
0 Regen- und Abflussdauer
Abb. 13.2. Definition des Spitzenabflussbeiwerts \S
Gleichung(13.1) ist die Basis für viele einfache Überlegungen in der Sied-
lungsentwässerung und dient in geeigneter Form für die Dimensionierung von
vielen Kanalisationen. Um dieses einfache Modell anzuwenden, müssen wir einer-
seits die vorkommenden Regen und andererseits die entwässerten Flächen charak-
terisieren.
Waage Data-
logger
Data-
logger
tere 3 mm verloren, sodass insgesamt noch 10 mm zum Abfluss kommen. Der mittlere
Abflussbeiwert ist \m = 10 / 20 = 0.50, also beträchtlich.
Die Abflussbeiwerte nehmen mit zunehmender Ergiebigkeit der Regen zu, asymptotisch
wird hier der Wert von \m = 0.65 erreicht, dieser Wert entspricht dem Spitzenabfluss-
beiwert \S.
Die vorliegende Berechnung ist stark vereinfacht, weil die Verdunstung und Versicke-
rung kaum als fester Anteil am Niederschlag beschrieben werden kann.
100
50 Jahre
10 Jahre
10 2.33 Jahre
0.1
0.1 1 10 100 1000 10000
Messintervall in h
entsprechend gross muss die zeitliche Auflösung der Information über den Regen
(die Regenintensität) sein. Ein Regenrückhaltebecken muss hingegen so ausgelegt
werden, dass das Regenwasser über längere Zeit gespeichert und erst verzögert,
langsam abgeleitet werden kann – die Anforderungen an die Regeninformation ist
dabei grundsätzlich anders, von Interesse ist die Summe der Niederschläge (Re-
genhöhe) über eine längere Zeit.
Heute werden die folgenden unterschiedlichen Darstellungen von Regenin-
formationen für Dimensionierungsaufgaben in der Siedlungsentwässerung ge-
nutzt:
– Die Auswertung von durchschnittlichen Regenintensitäten während Regenab-
schnitten von 5–60 min Dauer, die mit unterschiedlicher Häufigkeit überschrit-
ten werden. Diese Art der Darstellung wird in Abschn. 13.5.4 diskutiert, sie hat
für die Siedlungsentwässerung eine besondere Bedeutung.
– Die Charakterisierung der Starkniederschläge (für die Schweiz: WSL 1975–
1992). Es werden mittlere Intensitäten bestimmt, die während unterschied-
licher Messperioden mit bestimmten Häufigkeiten überschritten werden. Diese
Information eignet sich zur Dimensionierung von Retentionsmassnahmen
(Versickerung, Regenrückhaltebecken, Regenwassernutzung). Ein Beispiel ist
in Abb. 13.5 dargestellt.
– Heute kommt auch in der Siedlungsentwässerung immer häufiger die mathe-
matische Simulation von ganzen Einzugsgebieten zur Anwendung. Dabei wird
das hydrologische und hydraulische Verhalten des Einzugsgebiets abgebildet
und es werden Prognosen gemacht, wie sich das Entwässerungssystem unter
verschiedenen Belastungszuständen verhält. Basis für die Regencharakterisie-
rung sind hier häufig Ganglinien in 1–5 Minutenschritten von historisch gefal-
lenen Regen. Verkäufer von Simulationsprogrammen sind meist in der Lage,
für ihr Programm Informationen über effektiv gefallene Regen für verschiede-
ne Messstationen auf Datenträgern verfügbar zu machen.
- Im Punktediagramm wird jeder Regen einer längeren Periode nur mit seiner
Dauer und der insgesamt gefallenen Regenhöhe dargestellt (s. z.B. Abb. 13.6
210 13 Siedlungshydrologie
Niederschlagshöhe in mm
25
20
15
10 Abb. 13.6. Lineares Punktedia-
5 gramm aller Regen mit einer Dauer
< 300 min, die in Fehraltorf
0
(Schweiz) 1991 gefallen sind. Mit-
0 60 120 180 240 300 telwert von 5 Messstationen (Da-
Dauer des Niederschlags in Minuten ten Eawag)
Niederschlagshöhe in mm Mittlere Regenintensität
in l s-1 ha-1
100 50 20
100
10
5
10 2
1 Abb. 13.7. Logarithmisches Punk-
tediagramm aller Regen mit einer
1 Dauer < 1000 min, die in Fehral-
torf (Schweiz) 1991 gefallen sind.
10 100 1000
Mittelwert von 5 Messstationen
Dauer des Niederschlags in Minuten (Daten Eawag)
und Abb. 13.7). Diese Darstellung eignet sich für statistische Überlegungen
und erlaubt z.B. die Gegenüberstellung von Retention (diese entspricht einer
gewissen Regenmenge N in mm) und Ableitung von Regenwasser (diese ent-
spricht einer mittleren Intensität). Die Darstellung wird je nach Fragestellung
linear oder logarithmisch gewählt.
Neben Dauer und Intensität eines Regens sind für die Siedlungsentwässerung
z.T. auch die Windrichtung oder der Zug eines Gewitters von Bedeutung. Abbil-
dung 13.8 zeigt deutlich, dass während Starkregen in Zürich Westwind vor-
herrscht. Entwässert nun ein Kanalnetz von Westen nach Osten, so kann das eine
Vergrösserung des Abflussmaximums zur Folge haben, die mit der Annahme, dass
das Gebiet gleichmässig beregnet wird, nicht erfasst wird. Heute ist es nicht üb-
lich, in der Siedlungsentwässerung solche Effekte zu berücksichtigen, gelegentlich
könnten diese aber Ursache von unerwarteten Überschwemmungen sein.
Hier wird nur die Auswertung von maximalen Regenintensitäten, die mit einer
bestimmten Häufigkeit während einer bestimmten Dauer überschritten werden,
diskutiert. Diese Art der Auswertung hat für die Dimensionierung von Kanalisati-
onen in Handrechnungen die grösste Bedeutung.
17%
Nord-
wind
24%
Südwind
Regenintensität, eine Regendauer (meist nur ein Abschnitt eines längeren Ereig-
nisses) und die Häufigkeit, mit der die Intensität überschritten wird, miteinander
in Beziehung setzen.
Einerseits interessieren wir uns in der Siedlungsentwässerung für Extremer-
eignisse; dafür müssen wir die Leistungsfähigkeit der Kanalisationen auslegen.
Andererseits interessiert uns aber auch das Verhalten der Anlagen im Jahresge-
schehen; dazu sind Informationen erforderlich, die sich auf häufige Ereignisse
beziehen. Hier werden nur Extremereignisse charakterisiert, die wir für die Di-
mensionierung von Kanälen nutzen werden.
Dieser Text beruht als Beispiel v.a. auf den Auswertungen von Regenereignis-
sen, die Hörler und Rhein 1961 und 1962 für die ganze Schweiz gemacht haben
und die noch heutel eine wichtige Dimensionierungsgrundlage für die Kanalisa-
tionen in der Schweiz sind. Die umfangreiche Originalpublikation (1992) begrün-
det die Darstellung der Resultate und erklärt die statistischen Methoden.
Für die Dimensionierung von Kanalisationen müssen kurze (Minuten), intensive
Regen beachtet werden. Regeninformationen werden deshalb speziell im Hinblick
auf die Probleme der Siedlungsentwässerung ausgewertet. Die Angaben werden in
Form von mittleren Regenintensitäten während Teilabschnitten von Regen ge-
macht:
'N
r (13.2)
'T
r = Mittlere Regenintensität während der Dauer 'T [L T-1]
'N = Während der Dauer 'T akkumulierter Niederschlag [L]
'T = Dauer des betrachteten Regenabschnitts [T]
Die Regenintensität r hat die Dimension einer Geschwindigkeit. (Diese Ge-
schwindigkeit entspricht der Zunahme des Wasserspiegels mit der Zeit, wenn auf
212 13 Siedlungshydrologie
300
Blockregen mit
200 10 min Abschnitt-
Dauer
100
0
0 5 10 15 20 25
Regendauer in min
Abb. 13.9. Bestimmung der maximalen durchschnittlichen Regenintensität während eines Re-
genabschnitts von 10 min Dauer
100
0
0 10 20 30 40 50 60
Dauer des Regenabschnittes T in Minuten
einer Ebene kein Niederschlagswasser verloren geht). In der Literatur wird heute r
gelegentlich mit der Einheit Pm s-1 angegeben. Häufiger wird die Einheit l s-1 ha-1
gewählt. Diese zweite Einheit hat den Vorteil, dass sie die Grössen, in denen Sied-
lungen charakterisiert werden (Hektaren) mit den Grössen in denen Abflüsse ge-
messen werden l s-1 (oder m3 s-1) direkt miteinander in Beziehung setzen. 10
l s-1 ha-1 entsprechen 1 Pm s-1.
Hörler und Rhein haben 1962 eine Methode für die Auswertung und Darstel-
lung von Regenmessungen vorgestellt, die konsequent auf die Bedürfnisse der
Siedlungsentwässerung ausgerichtet ist. Sie haben mittlere Intensitäten für Regen-
abschnitte bestimmt, unabhängig davon, ob es einen Vor- oder einen Nachregen
gibt. In Abb. 13.9 und in Beispiel 13.2 wird eine mögliche Art der Bestimmung
solcher Intensitäten dargestellt.
Mit Hilfe von statistischen Auswertungen ergeben sich nun für einzelne Mess-
stationen Resultate, wie sie in Abb. 13.10 für die Messstation in Bern dargestellt
13.3 Intensität von Starkregen 213
sind: Die mittlere Regenintensität r in l s-1 ha-1 wird für Regenabschnitte von 5–60
min. Dauer und verschiedene Jährlichkeiten z dargestellt. z = 10 a heisst z.B., dass
die entsprechende Intensität während der angegebenen Regendauer innerhalb von
10 Jahren im Mittel gerade 1 Mal erreicht oder überschritten wird (Wiederkehrin-
tervall).
Beispiel 13.2: Bestimmung der mittleren Regenintensität eines Regenabschnitts
Berechne die maximale Regenintensität für einen Regenabschnitt von 10 min Dauer
aus der folgenden Messreihe eines Regens von 20 min Dauer.
Messreihe:
Zeit seit Regenbeginn Intensität Mittel über vergangene 10 min
in min. in l s-1 ha-1 (gleitendes Mittel)
-2 – 0 0
0– 2 60
2– 4 10
4– 6 30
6– 8 120 220 / 5 = 44 l s-1 ha-1
8 – 10 150 370 / 5 = 74 l s-1 ha-1
10 – 12 240 550 / 5 = 110 l s-1 ha-1
12 – 14 110 650 / 5 = 130 l s-1 ha-1
14 – 16 40 660 / 5 = 132 l s-1 ha-1
16 – 18 10 550 / 5 = 110 l s-1 ha-1
18 – 20 10 410 / 5 = 82 l s-1 ha-1
20 – 22 0 170 / 5 = 34 l s-1 ha-1
Der maximale Mittelwert für die Regenintensität während einem Regenabschnitt von 10
min Dauer beträgt 132 l s-1 ha-1. Die ersten 6 und die letzten 4 min des Regens tragen
zu diesem Mittelwert nicht bei.
jeder Gewitterfront, die über die Schweiz fährt, diese Meldung über irgend eine Stadt
der Schweiz geschrieben werden.
Empirisch haben Hörler und Rhein (1962) die Information in Abb. 13.10 mit Hilfe
der folgenden Gleichung dargestellt:
K(z)
r T > 5 min (13.3)
TB
r = Regenintensität [L T-1] hier in l s-1 ha-1
K = Eine Ortskonstante mit der Dimension [L] hier l min ha-1 s-1
z = Dauer des durchschnittlichen Wiederkehrintervalles [T] hier in a.
T = Dauer des Regenabschnitts [T] hier in min.
B = Eine Ortskonstante [T] hier in min
In Worten: r gibt die mittlere Regenintensität an, die während T min alle z Jah-
re in Bern im Mittel einmal erreicht oder überschritten wird.
Tabelle 13.1. Beispiel von Ortskonstanten für die Berechnung der mittleren Regenintensität in
Funktion des Wiederkehrintervalles und der Regenabschnittdauer nach Gl. (13.3) (ausgewählte
Regenmessstationen nach Hörler und Rhein 1962). Für die Definition der Ortskonstanten K(z),
B, G und C siehe Text. H = Mittlerer Jahresniederschlag
Wiederkehrintervall z B G C H
z -1 -1
1 2 5 10 min l s ha - mm a-1
in Jahren
Ortskonstante K(z) in l min ha-1 s-1
Bern 4000 4984 6484 7796 12 148 0.95 1028
Davos 1950 2438 3159 3762 10 78 0.93 999
Locarno 7068 8446 10418 12044 23 186 0.69 1822
Sion 1050 1360 1780 2160 6 50 1.06 588
Zürich 3036 3664 4569 5313 8 132 0.75 1044
In Tabelle 13.1 sind für einige Messstationen in der Schweiz und typische Wie-
derkehrintervalle, wie sie in der Siedlungsentwässerung zur Anwendung gelangen,
die Ortskonstanten K(z) und B zusammengestellt: Bern und Zürich liegen nördlich
der Alpen, Davos in einem alpinen Hochtal, Sion in einem grossen Tal, das von
West nach Ost verläuft, Locarno liegt südlich der Alpen, wo sich bei Föhn (Süd-
wind) Staulagen mit langen intensiven Niederschlägen ergeben. Die Ortskonstan-
ten und damit die Regenintensitäten unterscheiden sich um einen Faktor 7 zwi-
schen dem Tessin und dem eher trockenen Wallis und das, obwohl Locarno und
Sion beide im Alpenraum und nur 110 km Luftlinie auseinander liegen.
0.2 = 0.8 während einem Kalenderjahr nicht beobachtet. Die Wahrscheinlichkeit, dass
fünf Jahre in Serie ein solcher Regen nicht beobachtet wird, beträgt 0.85 = 0.33.
Die Wahrscheinlichkeit, dass während einer Periode von 5 Kalenderjahren genau 1
solcher Regen auftritt beträgt: W = 5 · 0.84 · 0.2 = 0.41.
Also treten mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 - 0.33 - 0.41 = 0.26 in einer solchen Peri-
ode mindestens 2 oder mehr solche Regen auf.
Hörler und Rhein (1962) schlagen, basierend auf statistischen Auswertungen, die
folgenden empirischen Gleichungen vor, um die Regenintensität für beliebige
Häufigkeit und Dauer zu berechnen (zu interpolieren):
rz (T) G IT h z (13.4)
rz(T) = Mittlere Regenintensität während eines Regenabschnitts mit der Dauer
T, die im Durchschnitt alle z Jahre einmal erreicht oder überschritten
wird [l s-1 ha-1]
G = Grundzahl [l s-1 ha-1] = Mittlere Regenintensität während eines Regen-
abschnitts mit der Dauer von 15 min, die im Durchschnitt ein mal pro
Jahr erreicht oder überschritten wird (eine Ortskonstante)
IT = Zeitbeiwert, der nur von der massgebenden Dauer des Regenabschnitts
T [in Minuten] und einer Ortskonstanten B abhängig ist.
hz = Häufigkeitsfaktor, der von der Regendauer T unabhängig ist und die
Information auf verschiedene Jährlichkeiten z umrechnet [-].
Für die Grundzahl G wird die Dauer des Regenabschnitts auf 15 min festge-
legt, weil diese Regendauer in der Siedlungsentwässerung eine typische Grössen-
ordnung darstellt.
216 13 Siedlungshydrologie
Der Zeitbeiwert IT gibt an, wie die Regenintensität von der Regendauer ab-
hängt, wenn die Häufigkeit unverändert bleibt. Aus Gl. (13.3) ergibt sich die em-
pirische Gleichung für dessen Berechnung:
15 B
IT mit B, T in Minuten (13.5)
T+B
Es gilt r1(T) = K(z=1) / (T+B) = G IT mit IT > 1 für T < 15 min.
hz gibt an, um welchen Faktor sich die massgebende Regenintensität vergrös-
sert, wenn die Intensität eines Regens mit geringerer Häufigkeit (nur einmal alle z
Jahre) berechnet werden soll. Empirisch ergibt sich:
hz 1 C log10 (z) wobei C eine Ortskonstante ist (13.6)
Die Ortskonstanten B, C und G sind in Tabelle 13.1 für einige Messstationen
zusammengestellt. Für die praktische Anwendung wählen wir jeweils einen be-
stimmten Ort und eine Jährlichkeit z und fassen G, IT und hz zusammen zu:
K(z)
r(T, z) mit K(z) = G (15 B) h(z) (13.7)
TB
Aus Tabelle 13.1 werden die klimatischen Unterschiede in der Schweiz deut-
lich:
– In Locarno fallen die intensivsten Regen (grösster Wert von G) und der grösste
Jahresniederschlag H. Hier ergeben sich bei Südwind typische Staulagen, die
im Schweizer Mittelland als Föhn bekannt sind. Der hohe Wert von B deutet
an, dass diese intensiven Regen auch sehr lange anhalten. Der geringe Wert
von C zeigt, dass die Extremereignisse nicht sehr unterschiedlich sind (oder
dass Starkregen sehr häufig sind). Das Einzelereignis ist sehr ergiebig. Pro Jahr
ergibt im Mittel ein Ereignis mindestens eine Regenhöhe von K(z=1) =
7068 l min ha-1 s-1 = 43 mm (s. Beispiel 13.7).
– In Sion fallen die schwächsten Regen, mit der geringsten Jahressumme. Das
Wallis ist ein grosses und breites Tal, das quer zu den Südwinden liegt. Warm-
fronten treffen hier selten auf Kaltfronten. Das Einzelereignis ist wenig ergie-
big: K(z=1) = 6.5 mm.
– Das ganze Schweizer Mittelland wird recht einheitlich beregnet (Bern, Zürich).
Tabelle 13.2: Angaben zur Berechnung der Regenintensität nach Reinhold (1940), s.a.
Beispiel 13.9
Ort r15(1), l s-1 ha-1 Ort r15(1), l s-1 ha-1 Ort r15(1), l s-1 ha-1
Berlin ..94 München 117 Innsbruck 88
Dresden 102 Stuttgart 133 Prag 100
Hamburg 87 Wien 122 Warschau 84
Ji Di (Tabelle 13.3)
Strassen, Asphalt 0.19 0.80
Ziegeldächer 0.22 0.90
Parkplätze, Zufahrten 0.08 0.80
Total: Jversiegelt 0.49
Der Abflussbeiwert ergibt sich zu: \ = 0.19 · 0.80 + 0.22 · 0.90 + 0.08 · 0.80 = 0.41
Durch Versickerung des Dachwassers und Gestaltung der Parkplätze mit Rasengitter-
steinen könnte dieser Wert auf ca. die Hälfte verringert werden.
Die Werte sind typisch für ein Quartier, das dicht mit alten Reiheneinfamilienhäusern
überbaut ist (Tabelle 13.4).
Tabelle 13.5. Jährlichkeiten z (Jahre) von Regenintensitäten, die der Dimensionierung von Ka-
nalisationen zu Grunde gelegt werden
Jährlichkeit z des massgebenden Ereignis-
Art des Einzugsgebiets ses in Jahren
Schweiz Deutschland
Kernzonen und Industriegebiete, die im Misch-
system entwässert sind, wenn in den Kellern 10 – 20 5 – 10
wertvolle Güter lagern
Städte allgemein 10 5
Dörfer mit lockerer Überbauung 5 2–3
Strassenentwässerung innerorts 10
(nach SNV 640 350) ausserorts 5 – 10
Entwässerung von Unterführungen > 10 > 10
13.5.4 Fliesszeitverfahren
Das Fliesszeitverfahren ist eine einfache und überschaubare Methode für die Di-
mensionierung von Kanalisationen ohne Rückstau. Es berücksichtigt, dass entlang
der Kanalisation die reduzierte Fläche und die Fliesszeit laufend zunehmen. Da-
durch wird die Dauer der berücksichtigten Regenabschnitte immer länger und die
massgebende Regenintensität geringer.
Es gibt unterschiedliche Berechnungsverfahren für die hydraulische Dimensionie-
rung von Kanalisationssträngen in Kanalnetzen. Ist in den Kanälen bei Normalbe-
13.5 Maximaler Regenabfluss 223
trieb kein Rückstau zu erwarten, eignet sich die Listenrechnung nach Imhoff
(1999) (auch das Fliesszeitverfahren, die Fliesszeitmethode). Dieses Verfahren ist
einfach, durchschaubar und meist genau genug, um neue Kanalisationen (End-
stränge) zu dimensionieren. Es ist wenig geeignet, um bestehende Kanalnetze
nachzurechnen und Engpässe zu identifizieren. Kanalisationen mit Rückstau kön-
nen nach dieser Methode nicht dimensioniert werden.
Die Grundlage des Fliesszeitverfahrens bildet die Annahme, dass in einer be-
stimmten Kanalhaltung die grösste Regenwassermenge QR dann erreicht wird,
wenn alle Teileinzugsgebiete zum Abfluss beitragen. Die Dauer des massgeben-
den Regenabschnitts T = t0 entspricht daher der Summe aus Anlaufzeit tan und
maximaler Fliesszeit in der Kanalisation tF nach Gl. (13.13). Ausnahmen zu dieser
Annahme sind in Abschn. 13.5.3 erwähnt. Die Fliesszeit kann aus der Länge der
Kanalisation L und der Fliessgeschwindigkeit v bei maximalem Abfluss aus
tF = L / v berechnet werden. Aus Gl. (13.3) ergibt sich die massgebende Regenin-
tensität rz(T). Mit Gl. (13.10) kann nun der grösste Regenabfluss QR berechnet
werden, der für die Dimensionierung der Kanalisation berücksichtigt werden soll.
In Mischsystemen muss noch der Trockenwetteranfall dazu addiert werden.
Damit diese umfangreichen Berechnungen überschaubar bleiben, werden die
Grundlagen und Resultate in Listen (oder Tabellen) eingetragen. Die Literatur ist
voll von geeigneten Darstellungen solcher Listen, und jedes Ingenieurbüro hat
seine eigenen Präferenzen. Hier wird ein sehr einfaches Beispiel einer solchen
Liste in Tabelle 13.6 dargestellt. Diese Tabelle ist für die praktische Anwendung
zu einfach, sie genügt aber, um das Prinzip zu erklären. In den folgenden Ab-
schnitten wird die Berechnung der massgebenden Regenwassermengen für die
Stellen (Haltungen) 1–7 in Abb. 13.11 beschrieben.
Vorarbeiten:
Nur mit einer sorgfältigen Vorbereitung der Berechnungen kann der Überblick
gewahrt bleiben. In der Praxis hat Tabelle 13.6 bis zu 30 Zeilen und oft 100 und
mehr Kolonnen.
– Abgrenzen des Einzugsgebietes, für das die Kanalisation dimensioniert werden
soll: Hier die Darstellung in Abb. 13.11 mit 5 Teileinzugsgebieten und einer
Entlastung unterhalb von Punkt 4.
– Abgrenzen der Bauzonen, Festlegen der Bebauungsdichten, der typischen Ab-
flussbeiwerte und des typischen Abwasseranfalles. Hier wird kein Trockenwet-
teranfall berücksichtigt, in einem Mischwasserkanal müsste dieser noch hinzu
addiert werden. Die 5 Teileinzugsgebiete sind hier einfach mit Hilfe des Ab-
flussbeiwerts in Zeile 8 von Tabelle 13.6 charakterisiert. (Ev. müssten hier
noch Bevölkerungsdichten, Industrieabwasser etc. mitgeführt werden.)
– Generelle Festlegung des Kanalisationssystems in den Strassenzügen, Aus-
scheidung der Gebiete mit Entwässerung im Misch- oder Trennsystem und un-
terhalb von Entlastungsbauwerken. Hier wird nur der Meteorwasseranfall be-
trachtet. Die Hauptsammelkanäle sind in Abb. 13.11 eingetragen.
– Abgrenzen der Teileinzugsgebiete der Berechnungspunkte, bestimmen der
Flächenanteile der einzelnen Bauzonen an den Teileinzugsgebieten. Die Flä-
chen der 5 Teileinzugsgebiete sind in Zeile 7 von Tabelle 13.6 eingetragen.
224 13 Siedlungshydrologie
1 2 4 5 6
Entlastung
Regen von Bern
Jährlichkeit z = 5 a
Ortkonstante K(5a) = 6484 l min ha-1 s-1 7
B = 12 min
Abb. 13.11. Ein einfaches Einzugsgebiet, für das die maximal abzuleitende Regenwassermenge
berechnet werden soll. Die geometrischen Angaben zu den einzelnen Teileinzugsgebieten sind
direkt in Tabelle 13.6 eingetragen
Tabelle 13.6. Eine sehr einfache Tabelle für die Berechnung des massgebenden Regenwasseran-
falles in einem Kanalsystem nach dem Fliesszeitverfahren. Die Zahlenangaben beziehen sich auf
Abb. 13.11, kursive Zahlen sind berechnet. Der Berechnungsgang ist im Text erläutert
1 Bezeichnung der Kanalhaltung Nr 1 2 3 4 5 6 7
2 Länge der Kanalhaltung m 120 120 60 - - 120 180
3 Fliessgeschwindigkeit bei Vollfüllung m/s 1 1 1 1 1
4 Fliesszeit in der Haltung min 2 2 1 2 3
5 Anlauf- plus Fliesszeit in der Kanalisation, t0 min 7 9 6 9 - 7 10
6 Massgebende Regenintensität rz(t0) l/s ha 341 309 360 309 30 341 295
7 Fläche des Teileinzugsgebiets der Haltung ha 2 2 1 2 3
8 Abflussbeiwert für Teileinzugsgebiet - 0.4 0.6 0.4 0.6 0.7
9 Reduzierte Fläche für Teileinzugsgebiet hared 0.8 1.2 0.4 1.2 2.1
10 Reduzierte Fläche, ganzes Einzugsgebiet hared 0.8 2.0 0.4 2.4 2.4 1.2 3.3
11 Regenwassermenge QR m3/s 0.273 0.618 0.144 0.742 - 0.409 0.974
12 Konstanter Zufluss m3/s - - - - 0.072 0.072 0.072
13 Totaler Abfluss m3/s 0.273 0.618 0.144 0.742 0.072 0.481 1.046
massgebenden Zeit für Haltung 6 wieder neu. Für Haltung 7 muss gleich wie
für Haltung 2 das oben liegende Teileinzugsgebiet 6 berücksichtigt werden.
– Mit der massgebenden Zeit, den Angaben zu den Regen in Abb. 13.11 und
Gl. (13.3) kann nun die massgebende Regenintensität berechnet werden. Hier
wird eine Jährlichkeit von z = 5 a berücksichtigt.
– Aus der Fläche (Zeile 7) und dem zugehörigen Abflussbeiwert (Zeile 8) kann
die reduzierte Fläche der Teileinzugsgebiete mit Gl. (13.11) berechnet werden.
Für die Haltungen 4 und 5 ergibt sich keine reduzierte Fläche.
– Nun wird die reduzierte Fläche, die an eine spezifische Haltung angeschlossen
ist, aufsummiert (Zeile 10). Wiederum entkoppelt die Entlastung den oberen
Teil des Einzugsgebiets vom unteren Teil, d.h. die Aufsummierung beginnt ab
Haltung 6 von neuem.
– Die Regenwassermenge QR (Zeile 11) ergibt sich nun aus dem Produkt der
Regenintensität (Zeile 6) und der angeschlossenen reduzierten Fläche (Zeile
10). Die massgebende Regenwassermenge in Haltung 4 (0.742 m3s-1) ent-
spricht nicht der Summe der Regenwassermengen der Haltungen 2 und 3
(0.618 + 0.144 = 0.762 m3s-1), weil Haltung 3 für sehr kurze intensive Regen
dimensioniert werden muss, während Haltung 2 bereits längere Fliesszeiten
berücksichtigt.
– In Haltung 5 (unterhalb der Entlastung) wird dem untenliegenden Kanal eine
konstante Wassermenge übergeben (hier 0.072 m3s-1, Zeile 12), die zusätzlich
zu den Regenwassermengen in den untenliegenden Kanälen abgeführt werden
muss. Diese Wassermenge kann z.B. von einem wenig intensiven Vorregen
stammen.
– In Zeile 13 ergibt sich nun der Abfluss aus der Summe der konstanten Zuflüsse
und des zunehmenden Regenabflusses.
– Mit den Resultaten in Zeile 13 (ev. ergänzt durch den erwarteten Trocken-
wetterabfluss) kann nun der Kanal hydraulisch dimensioniert werden (Durch-
226 13 Siedlungshydrologie
Zusammenfassung
Die in Abschn. 13.1, Seite 205, eingeführten vier Teilprozesse der Abflussbildung
erkennen wir im Fliesszeitverfahren wie folgt:
– Der Niederschlag wird mit einer konstanten, durchschnittlichen Regeninten-
sität abgebildet und berücksichtigt weder zeitliche noch räumliche Unterschie-
de. Es werden Regenabschnitte betrachtet.
– Die Abflussbildung wird mit dem Abflussbeiwert \ erfasst.
– Die Abflusskonzentration wird durch die Anlaufzeit tan beschrieben.
– Der Abwassertransport wird durch die hydraulische Berechnung der Kanalisa-
tion erfasst und geht mit der Fliesszeit in der Kanalisation tF in die Berechnung
ein.
Insgesamt ist der Rechengang durchschaubar und in sich logisch. In den USA
ist diese Art der Berechnung als „Rational Method“ bekannt.
14 Entwässerungsverfahren
14.2 Grundlagen
In Europa hat sich die Schwemmkanalisation als Transportsystem vorerst für Fä-
kalien, dann aber auch für andere unerwünschte Stoffe in Siedlungen soweit
durchgesetzt, dass wir uns fast kein anderes Entsorgungskonzept mehr vorstellen
können. In Japan wird noch heute ein grosser Teil der Fäkalien in Behältern als
sogen. „night soil“ gesammelt und zentral, z.B. in Kompostierungsanlagen ent-
sorgt. Ein ähnliches „Kübelsystem“ kannte auch die Stadt Zürich, wo die
Schwemmkanalisation erst nach 1923 konsequent eingeführt wurde. In den dünn-
besiedelten Regionen der USA und vielen ärmeren Ländern wird häufig die ganze
Abwasserbehandlung und -versickerung direkt auf dem Grundstück angeordnet,
sodass sich der Bau von öffentlichen Kanalnetzen erübrigt. Möglich, dass wir
auch in Europa die aufwändige und komfortable Lösung der zentralen Schwemm-
kanalisation nicht für immer aufrechterhalten können. Vereinzelt werden bereits
Alternativen entwickelt; ein neues, ressourcenschonendes, wirtschaftliches und
vergleichbar komfortables Verfahren ist aber noch nicht erkennbar.
228 14 Entwässerungsverfahren
Abwasser können wir sowohl in Druckleitungen (bei voller Füllung) als auch
in Freispiegelleitungen (bei Teilfüllung) abführen. Der Abfluss mit freiem Spiegel
hat eine Reihe von Vorteilen:
– Das Abwasser wird mit Sauerstoff versorgt, es bleibt „frisch“ und Geruchs-
probleme werden verringert.
– Als Folge von variabler Wassermenge verändern sich die Fliessgeschwindig-
keiten weniger, das verringert die Sedimentation.
– Das Abwasser kann ohne Pumpen aus den Liegenschaften in den Kanal einge-
leitet werden.
– Die Kanäle sind auch im Betrieb für den Unterhalt zugänglich. (Während
Wasserversorgungsleitungen abgestellt werden können, ist das bei Abwasser-
leitungen nur bedingt möglich.)
Wenn genügend Gefälle verfügbar ist, werden Druckleitungen für Abwasser
nur selten ausgeführt. Gelegentlich werden Sonderformen von Entwässerungs-
systemen mit geringen Leitungsdurchmessern eingesetzt. Dabei wird das Abwas-
ser meist vorbehandelt und anschliessend mit Druckluft oder Vakuum durch die
Leitungen gefördert.
Aus Siedlungen müssen Abwässer mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften
abgeleitet werden:
– Unbelastetes Fremdwasser, das gleichmässig über den ganzen Tag anfällt.
Dieses Wasser sollte möglichst nicht in die Schmutzwasserkanalisation gelan-
gen und die Kläranlagen belasten.
– Belastetes Abwasser aus Haushaltungen, Industrie und Gewerbe, das entspre-
chend den menschlichen Aktivitäten einem starken, aber regelmässigen und
voraussehbaren Tagesgang unterworfen ist. Dieses Abwasser muss einer Klär-
anlage zugeführt werden. Es ist hygienisch bedenklich und mit hohen Kon-
zentrationen von Schmutzstoffen belastet.
– Regenwasser, das je nach den Verhältnissen im Einzugsgebiet und in der Ka-
nalisation (Sedimente, Ablagerungen) mehr oder weniger mit Schmutzstoffen
belastet ist. Dieses Wasser muss in der Regel nur einer einfachen Reinigung
zugeführt werden, bevor es in die Gewässer eingeleitet werden darf. Bei Regen
ist der Abwasseranfall, der abgeleitet werden muss, bis 100 Mal grösser als bei
Trockenwetter.
– Schneeschmelzwasser, das über lange Zeit mit geringen Temperaturen anfällt
und Schmutzstoffe und Tausalze von den Strassen mitführt.
Um den verschiedenen Qualitäten von Abwasser und den lokalen Anforderun-
gen und geschichtlichen Gegebenheiten gerecht zu werden, wurden verschiedene
Entwässerungsverfahren entwickelt. Hier werden nur das Mischsystem und das
Trennsystem diskutiert.
14.3 Mischsystem
Das Mischsystem ist das historisch gewachsene Entwässerungsverfahren, das v.a.
in den älteren Siedlungen zur Anwendung kommt. Es kennt nur ein Kanalsystem,
in dem alle Abwässer abgeleitet werden.
14.4 Trennsystem 229
Mischwasserkanal
Häusliche Abwässer
Industrie- und Gewerbe-Abwasser
Strassenentwässerung
Regen- und Grundwasser
historisch: Brunnen- und Bachwasser
Entlastung
Regenüberlaufbecken
Versickerung
Abwasserreinigungsanlage
Abb. 14.1. Schematische
Darstellung der Elemente
Vorflut eines Mischsystems
14.4 Trennsystem
Im Trennsystem werden Schmutzwasser und Regenwasser in getrennten Kanälen
abgeleitet (Abb. 14.2). Die Schmutzwasserleitungen mit geringem Durchmesser
liegen im Strassenquerschnitt tiefer als die Regenwasserleitungen, um auch Keller
entwässern zu können. Da historisch bedingt die tiefliegenden Schmutzwasser-
leitungen auch Drainagewasser aufnehmen und z.T. Garagenzufahrten entwässern
müssen, wird für deren Bemessung ein Zuschlag zum maximalen Trockenwetter-
abfluss von typischerweise 100% gemacht.
Die Regenwasserableitungen mit grossem Durchmesser liegen in der Regel
höher als die Schmutzwasserkanäle und nehmen Dachwasser, Strassenwasser,
Sickerwasser und ev. Bachwasser auf und leiten dieses meist direkt, oder seltener
über Rückhaltebecken oder Regenklärbecken, in die Vorflut.
In Tabelle 14.1 ist zusammengestellt, welche Art Abwasser in den Entwässe-
rungsverfahren an die verschiedenen Abwasserleitungen angeschlossen werden
soll und muss.
230 14 Entwässerungsverfahren
Schmutzwasserkanal Regenwasserkanal
Häusliche Abwässer
Industrie- und Gewerbe-Abwasser
Strassenentwässerung
Regen- und Grundwasser
Brunnen- und früher Bachwasser
Versickerung
Abwasserreinigungs- Regenwasserrückhalt
anlage Regenwasserreinigung Abb. 14.2. Schemati-
sche Darstellung der
Elemente eines Trenn-
Vorflut systems
Tabelle 14.1. Grundsätze für die Entwässerung von Grundstücken (gilt nicht für Grundwasser-
schutzzonen und -Areale). Aus VSA, GEP Richtlinie 1989
Trennsystem Mischsystem
Art des Abwassers Schmutz- Regen- Versi- Misch- Rein- Versi-
wasserkanal ckerung wasserkanal ckerung
Schmutzabwasser:
Haushaltungen, Gewerbe, Industrie
Regenwasser:
– Dächer a c
– Zufahrten, Wege, Parkplätze a d
– Umschlagplätze, Arbeitsflächenb) e e
e
e
e
e
Reinabwasser (Fremdwasser):
– Brunnen- und Sickerwasser a
– Grund- und Quellwasser
– Kühlabwasser a
Legende:
Nicht gestattet
Nur gestattet, wenn die Versickerung auf Grund der hydrogeologischen Verhältnisse,
der Verschmutzung des Abwassers, der Havarierisiken etc. nicht möglich ist.
Anzustrebende Lösung
Anschluss ist obligatorisch
a)
Nur für kleine Wassermengen, mit besonderer Bewilligung gestattet.
b)
Bei wassergefährdenden Flüssigkeiten nach der entsprechenden Verordnung
c)
Wenn möglich oberflächliches Versickernlassen, sonst Versickerungsanlage
d)
Oberflächliches Versickernlassen
e)
Entwässerungskonzept nach Norm für die Liegenschaftsentwässerung
QR r (t an t F , z) ¦ J D F
i i i (14.1)
Die Anlaufzeit tan können wir vergrössern, indem wir Dächer begrünen (Abb. 16.4) und
lokale Retentionsanlagen einrichten (Einstau von Flachdächern und Parkplätzen), da-
durch wird die massgebende Regenintensität r verringert.
Die massgebende Jährlichkeit z können wir verringern, indem wir gezielt die Überflu-
tung von offenen Feldern und Parkplätzen zulassen.
Die Flächenanteile Ji können wir verringern, indem z.B. Dächer an Versickerungsanla-
gen angeschlossen werden.
Den Abflussbeiwert von Teilflächen Di können wir durch geeignete, durchlässige Gestal-
tung von Oberflächen verringern (durchlässige Kiesbeläge, Rasengittersteine etc.).
15 Mischwasserbehandlung
Mischwasser soll so in die Gewässer eingeleitet werden, dass diese nicht nachtei-
lig beeinflusst werden. Dazu sind Konzepte erarbeitet worden, die mit den anfal-
lenden Regenwassermengen, je nach deren Häufigkeit, unterschiedlich verfahren.
Hochwasserentlastungen und Regenüberlaufbecken sind die hauptsächlichen
Bauwerke.
15.1 Problemstellung
Während Regenereignissen sind die Abwasserreinigungsanlagen häufig hydrau-
lisch überlastet, es muss gering behandeltes oder unbehandeltes Mischwasser aus
der Kanalisation in die Gewässer entlastet werden. Das kann zu Problemen führen.
Wir unterscheiden zwischen der Beeinflussung der Qualität (stoffliche und hygie-
nische Belastung der Gewässer) und der Quantität (Erhöhung der Häufigkeit von
Spitzenabflüssen). In Tabelle 15.1 sind einige Zusammenhänge aufgezeigt.
Tabelle 15.1: Ursachen und Lösungsansätze für Gewässerschutzprobleme als Folge von Regen-
ereignissen
Beeinträchtigung Art der Belastung Mögliche Technologien
Qualitative Beeinträchtigungen
Baden, Pathogene Keime Feinsiebung, Desinfektion, Spei-
Sport mit Wasserkontakt Schwimmstoffe, Trübung, cherung / Sedimentation
Ammoniak (NH3), Sedimente,
Speicherung / Sedimentation
Leben im Gewässer toxische Stoffe, Sauerstoffbe-
Feinsiebung
darf
Eutrophierung von Eintrag von Nährstoffen, insbe- Speicherung / Retention
stehenden Gewässern sondere Phosphor Ableitung über ARA
Grobstoffe, Schwimmstoffe, Siebe, Wirbelabscheider, Spei-
Ästhetik
Sedimente cherung / Sedimentation
Quantitative Beeinträchtigung
Störung des Lebensraumes Häufiger Geschiebetrieb als Rückhalt und verzögerte Ablei-
im Fliessgewässer Folge von erhöhtem Abfluss tung, andere Einleitstelle
Entlastungen
HWE KÜ
Siedlung 1 ARA
2
5 RÜB 1
6
4 3
Vorflut
Abb. 15.1. Das Konzept zur Ableitung des Regenwassers bei unterschiedlich intensiven Regen.
Details sind im Text erklärt. HWE = Hochwasserentlastung, KÜ = Kanalüberlauf, RÜB = Re-
genüberlaufbecken, ARA = Abwasserreinigungsanlage
30 95% Hochwasserentlastung
15
Dauerkurve
der Regen- Im Regenüberlaufbecken
intensität teilweise geklärt
10
Regenhöhe
in %
5
60% 2 QTW = Kanalüberlauf
In Abb. 15.2 ist die Summenhäufigkeit der Regenintensität für das Schweizeri-
sche Mittelland aufgetragen. Horizontale Linien bezeichnen, ab welcher Intensität
und wie lange pro Jahr die verschiedenen Betriebszustände, die in Abb. 15.1 dar-
gestellt sind, erwartet werden müssen. Während 8500 h a-1 (=97% der Zeit) reicht
die hydraulische Kapazität (2 QTW) der Kläranlage aus. Die Regenüberlaufbecken
werden ca. 250 h pro Jahr beschickt (< 3%) und überlaufen nur während ca. 50 h
pro Jahr (<1%). Nur während wenigen Stunden pro Jahr muss Mischwasser über
Hochwasserentlastungen unbehandelt entlastet werden (|0.1% der Zeit). Die letzte
Grenze, die Schluckfähigkeit der Einlaufschächte und der Dachrinnen, wird nur
noch während Minuten alle 10 Jahre überschritten und ist kaum mehr von Belang.
30 10 5 Jährlicher Überlauf in
20 % des Regenabflusses
30
Bereich der
Regenüberlaufbecken
Überlaufhäufigkeit / Jahr
20
1
10
2 10
20 Bereich der Hoch-
30
wasserentlastungen
0
0 10 20 30 40 50
Maximal abgeleitete Regenintensität beim
Anspringen des Überlaufes in l s-1 ha-1
Damit verbleiben im Durchschnitt 3.2 - 0.9 = 2.3 l s-1 hared-1 für das Regenwasser.
Da die Abflussbeiwerte und damit die reduzierte Fläche für extrem starke Regen ge-
schätzt werden, wird bei geringen Regenintensitäten der effektive Regenwasserabfluss
stark überschätzt (s. Beispiel 13.1). Die Kläranlage wäre daher je nach Regendauer und
Temperatur erst bei Regenintensitäten überlastet, die > 3 l s-1 ha-1 sind.
In Abb. 15.3 sind einige Kenngrössen für das Zusammenspiel von Entlastung und
Speicherung in der Jahresbilanz des Mischwassers im Schweizerischen Mittelland
zusammengestellt. Diese Abbildung kann wie folgt gelesen werden:
– Eine Hochwasserentlastung, die bei einer kritischen Regenintensität von
rkrit = 40 l s-1 ha-1 anspringt und der kein Speichervolumen im Kanalnetz zuge-
ordnet ist, springt ca. 20-mal pro Jahr an (Punkt (1)). Dabei gelangen zwischen
5 und 6% des abfliessenden Regenwassers in die Vorflut. Da insgesamt ca.
830 mm Niederschlag pro Jahr zum Abfluss gelangen, sind das 0.06 8300 =
500 m3hared-1a-1, während ca. (1-0.06) 8300 = 7800 m3hared-1a-1 in Richtung
Kläranlage weitergeleitet werden.
- Ein Regenbecken mit einem spezifischen Inhalt von 20 m3 hared-1, das bei einer
Regenintensität von 4 l s-1 ha-1 (nach Füllung) entlastet, überläuft zwischen 20
und 30-mal pro Jahr (Punkt (2)). Dabei werden ca. 25% (2100 m3ha-1reda-1) des
Regenwassers der Vorflut zugeleitet, während in der Jahresbilanz ca. 75% des
Abflusses (6200 m3ha-1reda-1) zur Kläranlage weiterfliesst und dort behandelt
wird.
Im linearen Punktediagramm der Einzelregen (Abb. 13.6) können Anlauf-
verluste, Retention und Speicherung sowie die Ableitung von Abwasser zur Klär-
15.2 Konzept der Mischwasserbehandlung 239
Gesamtniederschlagshöhe in mm
20
Einzelereignis mit Hochwasserentlastung (HWE)
15 HWE Entlastung, Beckenüberlauf (BÜ)
Einzelereignis ohne HWE, mit Beckenüberlauf (BÜ)
10 BÜ
Regenüberlaufbecken
Abb. 15.4. Schematische Darstellung der Anlaufverluste, der Retention und der Ableitung zur
Abwasserreinigungsanlage im linearen Punktediagramm der Einzelregen (s. Abb. 13.6). Einge-
zeichnet sind zwei Einzelregen, je mit und ohne Verlust von Mischwasser über die Hochwasser-
entlastung (HWE) resp. den Beckenüberlauf (BÜ)
anlage dargestellt werden (Abb. 15.4). Zusammen mit den Regenereignissen nach
Abb. 13.6 kann dieses Bild den Überblick über die Häufigkeit der unterschiedli-
chen Ereignisse vermitteln.
Einzugsgebiet
4500 690
240
930
30
150
350
Abwasserreinigungsanlage
Vorflut
Abb. 15.5. Jahresbilanz der suspendierten Stoffe (TSS) für ein Regenüberlaufbecken und die
nachfolgende Kläranlage. Das Becken hat ein spezifisches Volumen von 30 m3 hared-1. Die An-
gaben sind in kg TSS ha-1red a-1. Die Angaben basieren auf einer Messkampagne (BUWAL
1984). Als Regenwetter (260 h a-1) wird die Zeit berücksichtigt, während der Mischwasser ins
Regenüberlaufbecken entlastet werden muss
a-1. Ob dieser kleine Wirkungsgrad von nur 27% den Aufwand für den Bau und
den Betrieb des Regenbeckens rechtfertigt, ist häufig fraglich. Die ästhetische Si-
tuation (Grobstoffe, Papier, Plastikteile) und die Hygiene (Anzahl Einleitungen
pro Jahr) an der Einleitstelle wird aber deutlich verbessert.
Im Fall des Regenbeckens in Abb. 15.5 liegt die Einleitstelle des Regenüber-
laufes an einem kleinen Gewässer im Einzugsgebiet eines Sees, während die Ein-
leitung der Abwasserreinigungsanlage an einem grösseren Fluss (dem Abfluss des
Sees) liegt. Entsprechend müssen die beiden Restbelastungen unterschiedlich be-
wertet werden. Nur auf die Einleitstelle der Entlastung bezogen ist der Wirkungs-
grad des Beckens mit 240/270 = 89% beträchtlich.
Massnahmen zur Behandlung von Mischwasser sollten immer aus den lokalen
Problemen heraus begründet werden und nicht grundsätzlich, nach einheitlichem
Konzept, landesweit zur Anwendung kommen. Dabei sind die häufigsten Proble-
me die ästhetische Beeinträchtigung des Umfeldes der Einleitstelle durch Sedi-
mente, Fest- und Grobstoffe sowie die Hygiene in Badegewässern. Nur in Aus-
nahmefällen können Regenüberlaufbecken ökologisch begründet werden.
Abb. 15.6. Konzentration (oben) und Frachten (unten) von gelöstem (DOC) und partikulären
(TSS) Stoffen im Zu- und Ablauf eines grossen Vorklärbeckens (VKB) während eines Regen-
ereignisses. Die schraffierten Flächen stehen für die Konzentrationen und Frachten, die nach der
Vorklärung ohne biologische Reinigung der Vorflut zugeführt wurden (s. Text)
0
0 20 40 60 80 100
Regenintensität in l s-1 ha-1
Auch dieses Problem kann nur mit einem detaillierten Verständnis und der Be-
rücksichtigung der ortsspezifischen Gegebenheiten einer sinnvollen Lösung zuge-
führt werden.
16 Technik der Siedlungsentwässerung
Die Technik der Siedlungsentwässerung ist über viele Jahrzehnte entwickelt wor-
den, sodass heute ein grosses Spektrum von technischen Elementen zur Verfügung
steht, deren Zusammenspiel nur aus einem Verständnis für die Aufgabe und die
Auswirkungen des ganzen Systems optimiert werden kann. Bis ca. 1990 war das
Ziel der Entwässerung, das Abwasser möglichst schnell aus den Siedlungen abzu-
leiten – das führte zu gravierenden Nachteilen in den Gewässern (schnelles An-
steigen von Hochwasser, grosse Mischwassermengen, die entlastet werden müs-
sen). Als typische Symptombekämpfung wurden daher die Regenüberlaufbecken
entwickelt, deren Realisierung immer noch im Gange ist. Der moderne Trend,
Massnahmen an der Quelle zu fördern, hat in der Siedlungsentwässerung zur
vermehrten Anwendung der Versickerung von Regenwasser geführt. Damit kön-
nen sowohl die Gewässer entlastet als auch die Grundwasserneubildung gefördert
werden.
Zur Gestaltung der technischen Elemente der Siedlungsentwässerung gibt es viele
nationale und internationale Richtlinien und Normen (EN, DIN, ÖNORM, SIA,
DWA, VSA, …). Hier werden nur die wichtigsten Aspekte der einzelnen Elemen-
te diskutiert, das zum Verständnis der Ganzen beitragen.
Liegenschaftsentwässerung
Wir unterscheiden zwischen der Gebäude- und der Grundstücksentwässerung.
Während die Gebäudeentwässerung zum grössten Teil von Sanitärinstallateuren
realisiert wird, baut der Baumeister die Grundstücksentwässerung. Die Installatio-
nen für die Entwässerung von Liegenschaften sind weitgehend genormt, und die
Anwendung dieser Normen geschieht häufig unter der Kontrolle der Architekten.
Sofern die Normen eingehalten werden, sind kaum die Details für die Siedlungs-
246 16 Technik der Siedlungsentwässerung
entwässerung von Bedeutung, sondern viel eher die Prinzipien der Entwässerung.
Für Liegenschaften z.B.:
– Wird Dachwasser korrekt versickert?
– Werden bei Trennsystem die Abwässer richtig aufgetrennt (Tabelle 14.1, Seite
230)?
– Werden Parkplätze durchlässig gestaltet oder können sie als Retentionsvolu-
men für Regenwasser dauerhaft genutzt werden? Etc.
Die korrekte Entwässerung von Gewerbe- oder Industriebauten ist anspruchs-
voll. Die Vorbehandlung der Abwässer und der vorgesehene Anschluss der unter-
schiedlichen Abwasserleitungen an die öffentliche Kanalisation muss während der
Bauphase durch die Baupolizei geprüft werden, sonst ist häufig mit Fehlanschlüs-
sen zu rechnen. Wenn zusätzlich noch Versickerungs- und Retentionsanlagen auf
der Liegenschaft betrieben werden, steigen die Anforderungen weiter.
Die Erfahrung zeigt, dass die Liegenschaftsentwässerung, für die meist die Ei-
gentümer der Liegenschaft verantwortlich sind, nur schlecht unterhalten wird. Mit
Hilfe des modernen Kanalfernsehens kann die Grundstücksentwässerung heute
visuell untersucht werden: Ein grosser Teil dieser einfachen Erschliessungsleitun-
gen erweist sich dabei als schadhaft und undicht.
Rückstausicherung
Wird eine Kanalisation überlastet, so entsteht Rückstau, die Drucklinie steigt und
es können Überflutungen resultieren: Wasser dringt in Keller ein. In vielen Ge-
meinden wird die Rückstauebene mit der Stassenoberfläche gleichgesetzt. Sofern
die Kanalisation nach anerkannten Regeln dimensioniert worden ist, haftet der
Eigentümer einer Liegenschaft selber für entstehende, z.T. beträchtliche Schäden
and Waschmaschinen, Heizungen, Lagergütern, etc.
Mit Hilfe von Rückstausicherungen können solche Schäden vermieden werden. Ja
nach Situation wird das Abwasser nach aussen gepumpt oder es werden automati-
sche Verschlüsse eingebaut (Abb. 16.1).
Strassenentwässerung
Auch die Entwässerung der Strassen ist weitgehend genormt. Das abgeleitete Ab-
wasser wird je nach lokaler Situation und Bedeutung der Strasse versickert, nach
einem Abscheider (für Öl und Feststoffe) einer Vorflut zugeleitet oder z.B. inner-
halb von Siedlungen in die Kanalisation eingeleitet (s. Tabelle 14.1, Seite 230).
Neben den Wassermengen (die mit Abflussbeiwerten erfasst werden) sind für die
Siedlungsentwässerung die Schlammsammler bei den Einlaufschächten von Be-
deutung (Abb. 16.2). In diesen sammeln sich Sedimente, die bei intensiven Regen
in die Kanalisation ausgespült werden und dadurch hohe Belastungen hervorrufen.
Diese Belastung des Mischwassers mit Schmutzstoffen hängt weitgehend vom
Verkehrsaufkommen der Strasse und den Massnahmen zu deren Reinigung ab
(Trockenreinigung, Nassreinigung). Zudem kann sich im Herbst Laub in den Ein-
laufschächten ansammeln, zersetzen und bei nachfolgenden Regen in die Kanali-
sation verfrachtet werden. Von Bedeutung kann die Entwässerung von Tunnels
werden, insbesondere, wenn darin auch die hochbelasteten Abwässer während der
Nassreinigung abgeleitet werden.
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 247
Entlüftung
Dachentwässerung
gesicherte Installationen
Rückstauebene Strasse
Abb. 16.1: Rückstausicherung einer Liegenschaft: Alle Installationen mit Abfluss liegen über
der Rückstauebene, die Kellerentwässerung wird bei Rückstau automatisch mit einem Schwim-
mer verschlossen
Siphon als
Geruchsverschluss
Zur Kanalisation
Sedimente
Abb. 16.2. Schematische Darstellung
eines Strasseneinlaufschachts
Heute wird der Nutzen der Schlammsammler in Frage gestellt. Historisch, so-
lange keine Kanalisationen vorhanden waren oder die Strassenbeläge wenig befes-
tigt waren, waren sie als erste „Kläranlagen“ gerechtfertigt. Trotzdem wird noch
heute häufig die Erstellung dieser teuren Bauwerke gefordert.
Die Einlaufschächte stellen das erste Hindernis für abfliessendes Regenwasser
dar. Bei extrem grosser Regenintensität reicht das Schluckvermögen der Einläufe
nicht mehr aus und es wird Wasser in die Strassen zurückgestaut. In Ländern mit
extremen Regenereignissen wir häufig die Strasse im Querschnitt stark überhöht
und so Stauraum für Regenwasser geschaffen (Abb. 16.3).
248 16 Technik der Siedlungsentwässerung
Abb. 16.3: Querschnitt einer Strasse mit starker Überhöhung, die ein grosses Speichervolumen
und auch bei Starkregen eine befahrbare Spur zur Verfügung stellt
16.1.3 Kanalisationen
Die Kanäle sind die umfangreichsten Bauwerke der Siedlungsentwässerung. Sie
werden v.a. als Freispiegelleitungen mit genormten Profilen, meist kreisförmig
gestaltet. An ihre Höhenlage werden hohe Anforderungen gestellt, weil die Ent-
wässerung auch unter Extrembedingungen mit natürlichem Gefälle möglich sein
soll.
Abwasserleitungen werden meistens als Freispiegelkanäle gestaltet. Druckleitun-
gen haben einen schwerwiegenden Nachteil: Bei geringer Wasserführung wird die
Fliessgeschwindigkeit und damit die Schleppkraft so gering, dass Sedimente nicht
zu verhindern sind. Zudem fehlt in Druckleitungen der Nachschub von Sauerstoff,
das Abwasser fault, das führt am Ende der Druckleitung zu Geruchsemissionen.
Druckleitungen können kaum im freien Gefälle beschickt werden, Hausanschlüsse
müssten gepumpt werden.
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 249
3r
3r/2
r/2
Abb. 16.5. Genormte Profile für Kanalrohre: Links das seltenere Eiprofil, rechts im Vergleich
das häufige Kreisprofil
Die Durchmesser der Kanalrohre sind heute für Kreis- und Eiprofile (s.
Abb. 16.5) genormt. Es sollen nur Normgrössen zur Anwendung gelangen, weil
sonst der Unterhalt und der teilweise Ersatz extrem verteuert werden. Nach deu-
tschen Richtlinien sollen die nachstehenden Kreisquerschnitte D = 2r nicht unter-
schritten werden:
– Schmutzwasserkanal D t 0.20 m, vorzugsweise t 0.25 m
– Regen- und Mischwasserkanal D t 0.25 m, vorzugsweise t 0.30 m
Für Leitungen bis zu einem Durchmesser D = 0.5 m kommen normalerweise
Kreisrohre zum Einsatz, darüber hinaus je nach besonderen Gegebenheiten auch
genormte Eiprofile oder andere Sonderprofile. Eiprofile haben den Vorteil, dass
bei Trockenwetter die Abflusstiefe bei Teilfüllung grösser und damit die Fliessge-
schwindigkeit höher ist (Beispiel 16.12). Sie bedingen aber eine grössere Bautiefe.
sich die Kosten bei gleicher Sohlentiefe nur wenig unterscheiden. Wir können daraus
auch ablesen, dass die Anforderungen an die hydraulische Dimensionierung von Kana-
lisationen nicht allzu gross sind (allerdings müssen die minimal erforderlichen Fliessge-
schwindigkeiten eingehalten werden). Das gilt insbesondere auch, wenn wir die Unsi-
cherheiten bei der Berechnung der anfallenden Wassermengen berücksichtigen.
In der folgenden Tabelle ist dargestellt, wie mit zunehmendem Durchmesser die Leis-
tung Qvoll und die Kosten zunehmen. Die Annahmen sind: kStrickler = 85 m1/3s-1, JS = 1%,
Normalabfluss. Auffallend ist, dass der minimale Sprung in der Leistungsfähigkeit 40%
beträgt, während die Kosten nur um 11% zunehmen.
Durchmesser im m Qvoll in m3 s-1 Kosten in Fr m-1 (ungefähr)
0.3 0.10 500
0.4 0.22 600
0.5 0.40 700
0.6 0.66 800
0.7 1.00 900
0.8 1.40 1000
1.0 2.50 1250
Proportional zu D2.67 D0.75
Materialwahl
An das Material, die Muffen, die Dichtungen und die Dichtigkeit von Kanalrohren
werden hohe Anforderungen gestellt, die in den einschlägigen Normen ausformu-
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 251
Mitte
Fahrbahn Gehsteig
Entwässerung
Entwässerung
0m
Tel
EW TV
1m
Gas
Reserve Tel
EW
Trink- Fern-
2m
wasser heizung
- 2.70 m
3m
Ab-
wasser
4m
Abb. 16.6. Richtlinie des Tiefbauamts der Stadt Zürich für die Anordnung der Werkleitungen im
Strassenquerschnitt
liert sind. Eine hohe Lebenserwartung von Kanalisationen ist langfristig billiger
als ein dauernder und aufwändiger Unterhalt und eine bald erforderliche Erneue-
rung.
Die Materialien, aus denen Kanalisationsrohre hergestellt werden, sollen ge-
genüber den erwarteten Abwasserinhaltstoffen chemisch beständig und durch den
Transport von Sand nur einem geringen Abrieb unterworfen sein. Temperatur-
schwankungen dürfen sie nicht gefährden. Heute kommen die folgenden Materia-
lien zum Einsatz:
– Normal- und Spezialbeton
– Steinzeug
– Faserzement (früher Asbestzement, Eternit)
– Kunststoffrohrleitungen: Hart PVC (Hartpolyvinylchlorid), Hart PE (Hartpoly-
äthylen), GUP (glasfaserverstärkte, ungesättigte Polyesterharze)
Diese Materialien unterscheiden sich nach Preis, chemischer Beständigkeit,
Alterung, Abnutzung, Dichtigkeit, Temperaturbeständigkeit etc. Es muss beachtet
werden, dass nicht allein das Rohrmaterial von Bedeutung ist, sondern genauso
die Ausbildung der Stossfugen und die Materialien zu deren Abdichtung sowie die
Bettung der Rohre.
Da der Preis des Rohrmaterials häufig nur einen Bruchteil der Kosten des ein-
gebauten Rohrs ausmacht, aber das Rohrmaterial, zusammen mit der Art der Bet-
tung des Rohrs, weitgehend die Lebenserwartung des Kanals bestimmt, muss die
Lebenserwartung der Kanalisation in die Überlegungen miteinbezogen werden.
Insbesondere in Städten, wo eine spätere Erneuerung der Kanalisation oft um ein
Vielfaches aufwändiger ist, als der Neubau, lohnt es sich, die besten, alterungsbe-
ständigsten Materialien einzusetzen.
252 16 Technik der Siedlungsentwässerung
Grundwasser:
Hydrostatischer Druck
und Auftrieb
Rohr:
Eigengewicht Abb. 16.7. Einwirkungen
und Füllung auf Kanalisationen
Hydraulische Berechnungen
Angaben zur hydraulischen Berechnungen von Kanalisationen sind in Abschn.
16.2 zusammengestellt.
Dichtigkeit
Je nach Gewässerschutzbereich oder Grundwasserschutzzone werden unterschied-
liche Anforderungen an die Dichtigkeit der erdverlegten Kanalisation gestellt.
Diese gelten jeweils für alle Leitungen, Schächte und Anschlüsse des Kanalnetzes
und müssen bei der Bauabnahme überprüft werden. Der zulässige Wasserverlust
bei einem Überdruck von 5 mWs liegt je nach Zone, bezogen auf die benetzte Ka-
nalwandfläche, im Bereich von 0.05–0.15 l m-2 h-1.
In Abb. 16.8 ist schematisch dargestellt, wie die Dichtigkeit einer Kanalisation
geprüft werden kann. Allgemein gilt, dass wir bis heute der Dichtigkeit zuwenig
Bedeutung beigemessen haben und damit teilweise unsere Grundwässer gefähr-
den.
Wenn Kanalisationen durch Grundwasserschutzzonen geleitet werden müssen,
werden sie doppelwandig gestaltet, sodass eine Undichtigkeit jederzeit entdeckt
und die Dichtigkeit laufend überprüft werden kann. Die zugehörigen Kontroll-
schächte sind aufwändige Bauwerke.
Entlüftung
Absenkung
Prüf-
druck
Entleerung
Abb. 16.8. Dichtigkeitsprüfung eines Leitungsabschnitts mit mehreren Schächten (nach SIA V
190, 1993)
Ausbesserungen mit Hilfe von Robotern oder die Auskleidung von Teilstrecken
mit Hilfe von Mörtel oder Kunststoff-Relining ermöglichen. Um allfällige Schä-
den rechtzeitig zu erkennen, werden Kanalisationen heute in regelmässigen Ab-
ständen mit ferngesteuerten Videokameras (Kanalfernsehen) inspiziert.
16.1.4 Kontrollschächte
Kontrollschächte dienen dem Zugang, der Überwachung, dem Unterhalt (Reini-
gung) und der Lüftung des Kanalnetzes. Sie werden angeordnet:
– an allen Anfangs- und Endpunkten,
– in geraden Kanalsträngen alle 40–80 ev. 100 m. In begehbaren Kanälen (D >
0.6 m) werden die Kontrollschächte meist in kürzeren Intervallen angeordnet
als in Kanälen, die nur mit Robotern inspiziert werden können,
– bei allen Richtungs- und Gefällsänderungen,
– bei Kaliber- und Materialwechsel,
– bei Kanalvereinigungen,
– bei Sonderbauwerken.
In Abb. 16.9 ist ein typischer Kontrollschacht für kleinere Kanalisationen (D <
0.6m) dargestellt.
254 16 Technik der Siedlungsentwässerung
Rohrbettung Styropor
Bankett
Bankett
Es gilt das Prinzip, dass die Kanalisation von einem Kontrollschacht zum
nächsten geradlinig verläuft und dadurch visuell (mit Lampe oder früher mit Spie-
geln und Sonnenlicht) kontrolliert werden kann.
16.1.5 Kanalvereinigungen
In einem Vereinigungsschacht (Abb. 16.10) werden Kanäle mit vergleichbarer
Bedeutung aber häufig mit unterschiedlichen Fliessgeschwindigkeiten zusammen-
geführt. Die hydraulische Berechnung geschieht unter Berücksichtigung des Im-
pulssatzes (Stützkraft) und soll gewährleisten, dass sich durch die seitliche Zufüh-
rung kein Rückstau in die Zulaufkanäle ergibt. Dazu sind dann je nach den lokalen
Verhältnissen unterschiedliche Sohlabstürze erforderlich, um zusätzliche kineti-
sche Energie zu gewinnen.
16.1.6 Profilwechsel
Durch seitliche Zuflüsse vergrössert sich der erforderliche Kanalquerschnitt fort-
laufend. Wenn genug Gefälle zur Verfügung steht, werden die Rohre mit Vorteil
scheitelbündig verlegt. Bei geringem Gefälle werden die Rohre jedoch zweckmäs-
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 255
a) b)
Abb. 16.11.
a) scheitelbündiger und
b) sohlenbündiger Profil-
wechsel in einer Kanalisa-
tion
Entlüftung
Wasserspiegel bei
Hochwasser
Umlenkung
nach oben
Wasserspiegel
bei Trockenwetter
Umleitung
Abb. 16.12. Beispiel eines Absturzschachts für Rohrdurchmesser von D = 0.3–0.6 m und Fall-
höhen bis ca. 5 m
siger sohlenbündig verlegt, um ein grösseres Sohlengefälle und damit bei Tro-
ckenwetter eine grössere Fliessgeschwindigkeit zu erzielen (Abb. 16.11).
Bei Profilwechseln von grossem zu kleinem Durchmesser, als Folge der Zu-
nahme der Fliessgeschwindigkeit nach einem Gefällswechsel von flach zu steil,
gelten spezielle Überlegungen (s. dazu Abschn. 16.2.4).
16.1.7 Absturzbauwerke
Oft muss in der Kanalisationstechnik ein hochliegender Kanalisationsstrang über
kurze Distanz mit einem tiefer liegenden verbunden werden. Wenn eine teilgefüll-
te Steilleitung (Abschn. 16.2.3) als direkte Verbindung nicht möglich ist, wird ein
Absturzbauwerk erforderlich, in dem die Energie gezielt umgewandelt werden
kann.
Absturzschacht
Der Absturzschacht (Abb. 16.12) kommt bis zu Fallhöhen von max. 10 m zur
Anwendung. Für seine hydraulische Berechnung ist von Bedeutung, ob die Ener-
gielinie im Zufluss über dem Terrain liegt: Hier muss ein allenfalls nach oben um-
gelenkter Abwasserstrahl so gelenkt werden, dass der Schachtdeckel nicht abge-
hoben werden kann.
256 16 Technik der Siedlungsentwässerung
Wirbelfallschacht
Im Wirbelfallschacht wird das Abwasser zentrifugal, in einem grossen Wirbel,
entlang der Wand eines Fallschachts nach unten geleitet. Das hat gegenüber dem
Absturzschacht den Vorteil, dass ein grosser Teil der Energie durch Reibung an
der Schachtwand verloren geht, sodass im Schachtfuss nur noch wenig kinetische
Energie umgewandelt werden muss, und dass auch bei grossen Höhendifferenzen
keine übermässigen Geräusche entstehen.
Eine Einlaufspirale in den Schacht gewährleistet, dass bei unterschiedlicher
hydraulischer Belastung ein stabiler Luftkern im Wirbel erhalten bleibt. Die Be-
messung der Einlaufspirale ist abhängig von den Strömungsbedingungen im Zu-
lauf (strömend oder schiessend). Es wird daher darauf geachtet, dass diese Bedin-
gungen über grosse Bereiche der Zuflusswassermenge stabil sind.
Die Details der Bemessung und Gestaltung eines Wirbelfallschachts können
der Fachliteratur entnommen werden (z.B. DWA A157).
16.1.8 Düker
Freispiegelleitungen können Hindernisse wie Flüsse, tiefliegende Bahngeleise und
Strassen etc. nur mit grossem Verlust an Höhe überwinden. Düker überwinden
solche Hindernisse, indem sie als Druckleitungen gestaltet werden und die Hin-
dernisse unterfahren.
Um die Sedimentation von Feststoffen in den Druckleitungen zu vermeiden,
werden meistens zwei, besser drei Leitungen parallel angeordnet und mit Hilfe
eines Einlaufbauwerks mit zunehmender Wasserführung in Serie beschickt. Da-
durch gelingt es, minimale Fliessgeschwindigkeiten aufrecht zu erhalten und Se-
dimentation zu vermeiden. In Abb. 16.13 ist das Beispiel eines Dükers unter ei-
nem Fluss dargestellt.
16.1.9 Entlastungsbauwerke
Kanalentlastungen haben die Aufgabe, eine grosse Zulaufwassermenge auf eine
geringere Ablaufwassermenge zu reduzieren. Dabei wird das abgetrennte Abwas-
ser entweder einem Regenbecken oder direkt der Vorflut zugeleitet. Typische Ent-
lastungsbauwerke sind in Abb. 16.14 und 16.15 dargestellt. Die Entlastung mit
hochgezogener Überlaufschwelle springt an, nachdem Wasser von unten in den
Kanal zurückstaut; sie entlastet seitlich. Beim Sprungwehr wird das entlastete
Abwasser auf der oberen Seite eines Wurfstrahles abgeschält.
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 257
Längsschnitt
Fluss
Zufluss
Einlaufbauwerk Auslaufbauwerk
Düker, Druckleitungen Entleerungs-
schacht
Grundriss Notentlastung
Querschnitt Fluss
Fluss
Abb. 16.13. Beispiel eines Dükers mit dreifacher Leitungsführung zur Unterquerung eines Flus-
ses
Schnitt
Wasserspiegel bei
Entlastung
Überlauf Zulauf
zur Vorflut
Ablauf Wasserspiegel
zur ARA bei Trockenwetter
Bodenblech
Grundriss
Überlauf
Zulauf
zur Vorflut
Abb. 16.15. Regenüberlauf
mit Bodenöffnung (Sprung-
wehr, Leaping Weir). Solche
Wehre kommen im stark
Ablauf schiessenden Bereich zur
zur ARA Anwendung
Für seitliche Entlastungen (Abb. 16.14) muss die Höhenlage und die Länge des
Wehrs festgelegt werden. Die Höhenlage hängt ab vom verfügbaren Gefälle, von
der Lage der Drucklinie, die zu Überschwemmungen führt, und vom Speicher-
raum, der durch eine hohe Lage des Überfalls in der Kanalisation gewonnen wer-
den kann und soll. Der Ablauf der Entlastung in Richtung zur Kläranlage wird
vorteilhaft als Drosselstrecke ausgebildet. Die Länge des Überfalls wird mit Hilfe
von Näherungsformeln berechnet, die je nach lokalen Verhältnissen den vollstän-
digen (kein Rückstau) oder den unvollständigen (mit Rückstau) Überfall über ei-
nen senkrecht angeströmten Rechtecküberfall beschreiben.
Im stark schiessenden Strömungsbereich kommen Sprungwehre (Abb. 16.15)
zum Einsatz. Die Gestaltung der Bodenöffnung orientiert sich hier an der Wurfpa-
rabel des Wasserstrahls. Beträgt das Gefälle im Zulaufkanal weniger als 10%,
empfiehlt SIA 190, dass der Ablaufkanal zur ARA als Drosselstrecke ausgebildet
wird.
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 259
Regenüberlauf Regenbecken
Sammelbegriff
16.1.10 Drosselstrecken
Drosselstrecken sind Kanalrohre, die teilweise unter Druck betrieben werden und
die Aufgabe haben den Durchfluss nach oben zu begrenzen. Sie kommen zur An-
wendung, um den Ablauf von Entlastungs- und Rückhaltebauwerken zu kontrol-
lieren. Ihre Bemessung folgt den Regeln für Leitungen unter Druck, wobei aller-
dings die Einlaufverluste ausgewiesen werden sollen. Es ist wenig sinnvoll, für
Drosselstrecken Leistungsreserven (Sicherheitszuschläge) vorzuhalten, wie das für
Kanalrohre vorgesehen ist.
Ist im Betrieb ein Übergang von Teilfüllung zu Vollfüllung vorgesehen, so
können Pulsationen entstehen (Zuschlagen der Leitung), die z.B. mit Entlüftungen
entschärft werden können. Drosselstrecken müssen die minimalen Kanaldurch-
messer von D t 0.25 m bei Mischwasserleitungen einhalten.
16.1.11 Regenbecken
Der Begriff Regenbecken ist ein Sammelbegriff für verschiedene Sonderbau-
werke, denen allen gemeinsam ist, dass sie bei Regenwetter Speichervolumen für
Regen- oder Mischwasser zur Verfügung stellen. Dadurch wird der Abfluss des
gespeicherten Wassers verzögert. In einigen Beckentypen wird zusätzlich eine
Reinigung, insbesondere durch Sedimentation erzielt.
In Abb. 16.16 ist die Systematik der Bezeichnung der verschiedenen Regenbe-
ckentypen zusammen mit der wichtigsten Aufgabe der einzelnen Typen zusam-
mengestellt.
Regenrückhaltebecken
Regenrückhaltebecken werden angeordnet, wenn z.B. in einem neuen Quartier
mehr Regenwasser anfällt als abgeleitet werden kann (oder soll). Sie werden so
260 16 Technik der Siedlungsentwässerung
200 40
Volumen
150 z = 10 a 30
100 5 20
2
50 10
1
0 0
0 50 100 150
Regenintensität, die abgeleitet wird, rAb in l s-1 ha-1
ausgelegt, dass sie nur selten überlaufen (z.B. alle 5 Jahre) und haben entspre-
chend grosse Volumen. Gelegentlich werden diese Volumen mit Biotopen kombi-
niert und entsprechend in die Landschaft eingepasst, oder es werden grosse Park-
flächen temporär eingestaut. Beispiel 16.4 zeigt eine Methode, nach der einfachere
Becken dimensioniert werden können. Grössere Becken müssen anhand von de-
taillierten Untersuchungen und häufig mit Langzeitsimulationen, die auch Serien
von Regen beachten, dimensioniert werden.
Für die Situation im Raume Zürich kann Abb. 16.17 Anhaltspunkte für das er-
forderliche Volumen von Regenrückhaltebecken geben. Die Volumen sind analog
zu Beispiel 16.4 mit der folgenden Bilanz berechnet worden: VRet = FredT(r(T)-
rab). Das maximal erforderliche Volumen ergibt sich für dVRet/dT = 0, basierend
auf den Regenanalysen von Hörler und Rhein (Abschn. 13.3, Gl. (13.3)) zu:
§ K(z) T ·
VRe t Fred ¨ rab T ¸
© TB ¹
(16.1)
KB Qab
T B und rab
rab Fred
VRet = Erforderliches Retentionsvolumen (m3)
Fred = Angeschlossene reduzierte Fläche (m2)
Qab = Abgeleitete Wassermenge (m3 s-1)
T = Dauer des massgebenden Regenabschnitts (s)
K(z) = Ortskonstante für die Jährlichkeit z (m) [Muss aus den Angaben
von Hörler und Rhein umgerechnet werden auf die Einheit m]
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 261
B = Ortskonstante (s) [Muss aus den Angaben von Hörler und Rhein
umgerechnet werden auf die Einheit s]
Regenrückhaltebecken werden ca. 10-mal grösser als Regenüberlaufbecken.
Regenüberlaufbecken
Regenüberlaufbecken (oder häufig einfach Regenbecken) werden bei Entlas-
tungen von Mischwasserkanälen angeordnet. Sie sollen die Häufigkeit und den
Umfang der Belastung der Vorflut verringern und werden je nach Vorflut z.B.
nach Abb. 15.3 dimensioniert. Typische Volumen sind im Bereich von 15–30 m3
hared-1. Wir unterscheiden zwischen Fangbecken und Durchlauf- oder Klärbecken
(Abb. 16.16):
– Beide Becken sind vor dem Regen leer und haben eine Speicherfunktion ent-
sprechend ihrem Volumen.
– Das Fangbecken (Abb. 16.18) speichert den ersten Teil des Regenabflusses,
der häufig besonders stark mit Schmutzstoffen belastet ist (Abb. 16.21), die
z.B. aus Sedimenten auf der Oberfläche und in der Kanalisation sowie aus
Strasseneinlaufschächten abgeschwemmt werden. Am Schluss des Regens
verbleibt der erste Teil des Regenabflusses im Becken und wird zur Kläranlage
gefördert.
– Beim Durchlaufbecken (Abb. 16.18) fliesst das Wasser durch das Becken. Da-
bei sedimentieren spezifisch schwere Feststoffe auf den Boden aus und das
teilweise geklärte Wasser fliesst zur Vorflut. Am Schluss des Regens verbleibt
das letzte Wasser im Speicher und wird dann zusammen mit den Sedimenten
zur Kläranlage gepumpt.
– Das Verbundbecken (Abb. 16.19) vereinigt die Funktionen Fangen und Klären.
Zuerst wird ein Fangteil gefüllt. Zusätzlich überlaufendes Wasser wird dann
durch den Klärteil geleitet.
Regenüberlaufbecken können unterschiedlich in die Kanalisation eingeordnet
werden:
– Im Hauptschluss erfolgt der Abfluss zur ARA nach dem Becken, d.h. dass al-
les Abwasser, das zur Kläranlage weitergeleitet wird (auch bei Trockenwetter),
vorerst durch das Becken fliesst. Diese Anordnung führt zu einem grossen Ge-
fällsverlust; sie wird gewählt, wenn trotzdem kein Pumpwerk erforderlich ist
(Abb. 16.19). Das durchfliessende Abwasser kann nach der Entleerung genutzt
werden, um die Sedimente aus dem Becken zu schwemmen.
– Im Nebenschluss erfolgt der Abfluss zur ARA vor dem Becken, d.h. dass das
Abwasser bei Trockenwetter nicht durch das Becken fliesst. Das hat nur einen
geringen Gefällsverlust zur Folge. In der Regel bedingt die Entleerung des Be-
ckens ein Pumpwerk (Abb. 16.18), zudem sind Vorrichtungen zur Spülung des
Beckens nach der Entleerung erforderlich.
– Als Fangkanal oder Speicherkanal (Kanalstauraum) werden Kanalhaltungen
bezeichnet, die mit grossen Durchmessern gebaut werden, um während Regen
ein Speichervolumen (Retention) zur Verfügung zu stellen. Je nach Anordnung
der Entlastung (Abb. 16.20) entsprechen solche Kanäle in ihrer Funktion eher
Fangbecken oder Durchlaufbecken (Klärbecken).
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 263
Mischwasser-
zufluss Fangbecken
Beckenüberlauf
über höchstem WSp.
im Zulauf
Vorflut
Zur Kläranlage
Kanalüberlauf
niedrig Beckenüberlauf
Vorflut
Abb. 16.18. Vergleich eines Fangbeckens und eines Durchlaufbeckens. Beide Becken sind hier
im Nebenschluss dargestellt, d.h. bei Trockenwetter fliesst das Abwasser nicht durch die Becken,
sondern wird ohne Gefällsverlust zur Kläranlage geleitet
Zufluss Beckenüberlauf
Klärbecken
Gefällsverlust
Fangbecken
Zur Kläranlage
Abb. 16.19. Längsschnitt durch ein Verbundbecken im Hauptschluss. Unten der Fangteil, oben
der Durchlauf- oder Klärteil des Beckens. Hauptschluss: Das Abwasser fliesst bei Trockenwetter
durch das Becken, daraus resultiert ein Gefällsverlust
Der Schmutzstoss
Mit zunehmender Wasserführung, als Folge eines Regenereignis, werden Sedi-
mente auf Dächern und Strassen, in Einlaufschächten und Kanalisationen aufge-
wirbelt und im Mischwasser abtransportiert. Das führt zu stark erhöhten Schmutz-
stoffkonzentrationen im Mischwasser (Abb. 16.21). In Abb. 16.22 ist die
264 16 Technik der Siedlungsentwässerung
Entlastung
Kanalstauraum
Fangkanal Drossel
Trockenwetterabfluss
Entlastung
Kanalstauraum
Speicherkanal Drossel
Trockenwetterabfluss
Abb. 16.20. Beispiele von Kanalstauraum: Oben der Fangkanal, unten der oft weniger wirksame
reine Speicherkanal
300 Fracht 60
200 40
100 20
Q
0 0
0 20 40 60 80 100 120
Dauer des Regenereignis in Minuten
Abb. 16.21. Ganglinie der Wassermenge, der CSB Konzentration im Mischwasser und der
Schmutzstofffracht während eines Regenereignisses in einer Mischkanalisation. Als Folge der
Ausspülung der Kanalisation tritt hier zu Beginn des Abflussereignisses ein Schmutzstoss auf
80 Effektiver Verlauf
60 Schmutz- Zusätzlicher
stoss CSB Anfall
40 Anfall bei
konstanter
20 Frachtanfall bei
Konzentration
Trockenwetter
0
0 100 200 300 400 500 600 700
Kumulative Wasserfracht in m3
Abb. 16.22. Kumulative Darstellung des Regenereignis in Abb. 16.21. Horizontal: das aufsum-
mierte Volumen des abgeflossenen Mischwassers. Vertikal: die aufsummierte CSB Fracht im
Mischwasser
Fangbecken: Das Becken ist gefüllt mit den ersten 200 m3 des Abflusses. Diese enthal-
ten ca. 50 kg CSB oder 250 gCSB m-3.
Durchlaufbecken: Das Becken enthält die letzten 200 m3 des Abflusses. Diese enthalten
93 - 78 = 15 kg CSB oder 75 gCSB m-3. Dazu kommen die Sedimente, die nicht quantifi-
ziert werden können. Es müsste sich ein Wirkungsgrad für die Sedimentation von ca.
50% des CSB ergeben, damit die Wirkung des Fangbeckens übertroffen wird. Das ist
unwahrscheinlich.
266 16 Technik der Siedlungsentwässerung
Regenklärbecken
Regenklärbecken (Abb. 16.16) werden eingesetzt, um das Regenwasser im Mete-
orwasserkanal eines Trennsystems zu klären. Sie kommen zum Einsatz, wenn die
Vorflut dieses Schutzes bedarf und im Einzugsgebiet Schmutzstoffe mit hoher
Konzentration ins Meteorwasser gelangen können (Industriegebiete, Arbeitsflä-
chen, Autobahn) oder wenn mit Havarien (Unfällen) gerechnet werden muss (Ha-
variebecken).
In der Schweiz werden solche Becken an wichtigeren Strassen als sogen. Öl-
abscheider gebaut, wenn das Abwasser direkt in die Vorflut eingeleitet werden
soll. Das Nutzen / Kosten Verhältnis von solchen Becken ist umstritten.
Havariebecken werden zur Verminderung von Risiken zunehmend realisiert.
Sie werden in Entwässerungssystemen von Industrie- und Gewerbebauten ange-
ordnet, insbesondere, wenn wassergefährdende Stoffe umgeschlagen werden oder
wenn ein erhöhtes Brandrisiko besteht und Löschflüssigkeiten zurückgehalten
werden sollen.
Schmutzwasserspeicher
Mischwasser ist häufig durch Regenwasser stark verdünnt. Hingegen behält das
Schmutzwasser z.B. aus einem Industriebetrieb oder aus einem Schmutzwasser-
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 267
16.1.13 Abwasserpumpwerke
Pumpwerke werden in der Kanalisationstechnik nur zurückhaltend eingesetzt. Sie
erlauben bei ungünstigem Gefälle die erforderliche Bautiefe der Kanalisationen zu
vermindern und dadurch Baukosten einzusparen. Sie müssen einen verstopfungs-
freien und zuverlässigen Betrieb gewährleisten und bei Stromausfall entlasten
können oder mit Notstrom ausgerüstet sein. Der verstopfungsfreie Betrieb bedingt,
dass die Pumpen einen freien Kugeldurchgang von mindestens 100 mm haben.
Der minimale Durchmesser der Druckleitung wird damit 100 mm besser 150 mm.
Bei Kreiselpumpen soll ein ausreichend dimensionierter Pumpensumpf eine genü-
gend kleine Schaltfrequenz ergeben. Die Förderwassermenge soll auf die ver-
schiedenen Situationen bei Trockenwetter und Regenwetter abgestimmt sein und
sie soll gewährleisten, dass die Kläranlage bei Trockenwetter nicht schwallweise
beschickt wird. Pumpwerke werden meistens mit mindestens zwei Pumpen ausge-
rüstet.
In Druckleitungen nach Pumpwerken darf die Aufenthaltszeit des Abwassers
nicht zu gross werden, sonst beginnt das Abwasser anzufaulen; es kann sich
Schwefelwasserstoff bilden, dadurch entstehen Geruchsprobleme. Dies muss ins-
besondere beachtet werden, wenn grosse Förderstrecken überwunden werden sol-
len oder bei kleinen Pumpen in der Nacht lange Schaltzeiten resultieren.
In der Abwassertechnik hat sich die Schneckenpumpe (Archimedes Spirale),
wie sie in Abb. 16.23 dargestellt ist, besonders bewährt. Sie fördert das Wasser so
wie es anfällt (nicht schwallweise), hat einen grossen Durchgang für Feststoffe
268 16 Technik der Siedlungsentwässerung
Einlaufbecken Auslaufkanal
Abb. 16.23. Beispiel einer
Schneckenpumpe (Archime-
des Schraube) zur Förderung
von Mischwasser
Wirbel- Längsschnitt
drossel
Überstau
Grundriss
und einen ansprechenden mechanischen Wirkungsrad. Leider ist der Bau dieser
Pumpwerke eher aufwändig.
Für Details zu Pumpwerken wird auf die entsprechenden Angaben im Zusam-
menhang mit der Wasserversorgung (Abschn. 11.2, Seite 170) verwiesen.
16.1.14 Drosselorgane
Nach Regenüberlaufbecken, Retentionsbecken und Kanalentlastungen muss häu-
fig die Abwassermenge, die zur Kläranlage weiterfliesst, gedrosselt werden. Dazu
kommen unterschiedlichste Einrichtungen zur Anwendung, häufig werden Wir-
beldrosseln realisiert (Abb. 16.24). Diese haben die Eigenschaft, dass sie unab-
hängig vom Überstau eine gleichmässige Wassermenge weiterleiten, dass sie ei-
nen grossen Durchgang haben (also wenig verstopfungsanfällig sind) und
selbstregelnd, auf Grund von hydromechanischen Phänomenen funktionieren.
16.1.15 Einleitbauwerke
Die Einleitung von Abwasser in eine Vorflut erfordert den Bau eines Einleitbau-
werks mit einer Uferbefestigung, die gewährleistet, dass das Gewässerbett stabil
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 269
Retentionsvolumen Humus
Wenig
durchlässige
Filtersand Deckschichten
Durchlässige
Bodenschichten
Abb. 16.25. Künstliches Ver-
Grundwasser sickerungsbecken, humusierte
Mulde
bleibt und die Einleitung nicht unterspült wird. Einleitungen in Gewässer sollen
durch ihre Gestaltung gegen unbefugtes Betreten der Kanalisation gesichert sein
und die Ziele des naturnahen Wasserbaus berücksichtigen.
16.1.16 Versickerungsanlagen
Heute wird in der Siedlungsentwässerung die Versickerung von unverschmutztem
Abwasser gefordert. Damit soll erreicht werden, dass die Abflussspitzen in der
Vorflut verringert werden, den Abwasserreinigungsanlagen ein grösserer Anteil
des Mischwassers zugeleitet und die Grundwasserneubildung unterstützt wird.
Versickerungsverfahren
Um die Ableitung von Regenwasser und damit die Belastung der Gewässer mit
grossen Wassermengen und entlastetem Mischwasser zu verringern sowie die
Neubildung von Grundwasser zu unterstützen, werden immer häufiger Versicke-
rungsanlagen gefordert und realisiert. Dabei wird angestrebt, dass das Wasser über
unverletzte Humus- oder Deckschichten versickert wird, in denen eine weitgehen-
de Selbstreinigung und ein Rückhalt von Schadstoffen stattfinden. Eine Versicke-
rung unterhalb der belebten Bodenschicht, in einer eigentlichen Versickerungsan-
lage wird nur in zweiter Priorität zugelassen. Versickerungsanlagen werden häufig
zentral, d.h. für ein ganzes Quartier oder eine neue Überbauung, erstellt.
Für den Bau von Versickerungsanlagen bieten sich, in Abhängigkeit der jewei-
ligen geologischen und hydrologischen Verhältnisse, der Beschaffenheit des zu
versickernden Wassers und des Grundwasserschutzes, verschiedene Möglich-
keiten an:
– Diffuse, flächenförmige Versickerung über der belebten Bodenschicht (Hu-
mus). Entwässerung über die Strassenschulter, fehlende Dachrinnen (Traufe),
durchlässig gestaltete, humusierte Parkplätze etc.
– Versickerung in künstlich angelegten Versickerungsbecken (humusierte Mul-
den), z.B. in Kombination mit Biotopen, humusierte Versickerungsgräben über
sickerfähigem Untergrund (Abb. 16.25).
– Versickerung innerhalb der Deckschichten, z.B. in einen überdeckten Kieskör-
per (Abb. 16.26).
– Versickerungsschacht in die durchlässige, sickerfähige Schicht über dem
Grundwasserspiegel (analog Abb. 16.26, aber tiefer liegend).
270 16 Technik der Siedlungsentwässerung
1 Niederschlag, Luftverschmutzung
Abfluss, Oberflächenverschmutzung,
2
Trockendeposition, Oberflächenmaterial
Versickerungsanlage,
4
Retention, Leistung
Vorreinigung,
3
Schlammsammler
Boden,
6 Leitfähigkeit,
Stoffrückhalt
6 Grundwasser, Lage, Nutzung, Qualität
Abb. 16.26. Elemente einer Versickerungsanlage mit Kieskörper und Versickerung in die Deck-
schicht
g
de tun
Zunehmende Belastung des Abwassers m en sleis s
h g n
ne un r e
Zu inig erfah
e
R sV
Bahn
Ve de
Hauptstrasse Ve rs
rsi i ck
c ke eru
run ng
Quartierstrasse gü sve
Inf be rbo
iltr rb t
ati ele
Parkplatz o ni bte
nd Hu
Ein ie mu
Dachwasser le De ssc
du itun cks hi c
rch g i ch ht
l ä n i ch
laufende S c ss d ie t
hic ige
Brunnen ht
üB Zu Au S,S3,S2,S1
Gewässerschutzbereiche üB, Zu, Au und Grundwasserschutzzonen S
Zunehmende Anforderungen an den Schutz des Grundwassers
– Der Boden, in den infiltriert werden soll. Von Bedeutung sind seine hydrauli-
sche Leitfähigkeit und der mögliche Schadstoffrückhalt.
– Die Lage und die erwünschte Nutzung des Grundwassers. Der Abstand zwi-
schen max. Grundwasserspiegel und minimaler Lage des Versickerungs-
körpers soll mindestens 1 m betragen.
Abb. 16.27 zeigt in Abhängigkeit der Lage des Objekts (Gewässerschutz-
bereiche, Grundwasserschutzzonen, s.a. Abschn. 8.7, Seite 127) und der Art des
Abwassers (Belastung mit Schadstoffen), welche Art der Versickerung in Frage
kommt. Diese Darstellung gibt allenfalls ein Konzept. Die Details werden von der
zuständigen Behörde verbindlich geregelt. Von Bedeutung ist, dass zunehmende
Anforderungen an den Schutz des Grundwassers und die Belastung des Abwassers
eine entsprechend zunehmende Anforderung an die Leistung des Verfahrens stellt.
Zusätzlich zur sorgfältigen Gestaltung der Versickerungsanlagen wir heute zu-
nehmend versucht, durch Massnahmen an der Quelle (keine Verwendung von
blankem Kupfer als Dach- oder Fassadenverkleidung, Einsatz von biologisch ab-
baubaren Pestiziden zum Schutz von Anstrich und Verputz, Verbot von verblei-
tem Benzin, Luftreinhaltung, ...) die Belastung des anfallenden Regenwassers zu
vermindern.
Tabelle 16.1. Beispiele von Sickerleistungen gewachsener Böden, abgeleitet aus Angaben des
AGW des Kt. Zürich, 1996
-1 -2
Bodenart spezifische Sickerleistung in l min m
Grobkies > 100
Feinkies, sandig >10
Sand, kiesig 5 – 10
Sand 0.5 – 5
Moräne, lehmiger Kies 0.5 – 2
Moräne, kiesiger Lehm <1
Silt, Ton < 0.01
Humus, unverdichtet 2–3
Kiesmaterial hat eine Porosität von ca. 20%. 90 m3 Filterkies könnten also genügend
Retentionsvolumen zur Verfügung stellen. Je nach Gestaltung der Anlage muss also
kein zusätzliches Retentionsvolumen gebaut werden. Eventuell könnte sogar die Infiltra-
tionsfläche FS verkleinert werden, da der Filterkies bei einer Einbautiefe von 1 m zu-
sammen mit den Zulaufschächten ein zu grosses Retentionsvolumen anbietet.
16.1.17 Sanierungsleitungen
Nicht immer müssen Kanalisationen den höchsten technischen Anforderungen
genügen. In ländlichen Verhältnissen können technisch einfach gestaltete Anlagen
wirtschaftlich sein. Ein gelegentliches Versagen dieser Anlagen hat nicht die glei-
che Bedeutung wie in einer dicht bewohnten Siedlung.
Sanierungsleitungen sind Kanalisationen, die für die abwassertechnische Sanie-
rung von kleinen Weilern, Höfen, abgelegenen Häusergruppen etc. zur Anwen-
dung kommen. Sie führen häufig durch land- oder alpwirtschaftlich genutztes Ge-
biet, in dem keine zusätzlichen Anschlüsse an die Kanalisation erfolgen. Die
kleinen Abwassermengen (es wird im Trennsystem entwässert) erfordern nur klei-
274 16 Technik der Siedlungsentwässerung
ne Kanaldurchmesser (Dmin = 0.15 m), die meist geringer sind als die minimalen
Durchmesser von normalen Kanälen (D t 0.2 m). Ein allfälliges Versagen solcher
Leitungen führt nicht zu einer hygienischen Katastrophe.
Um Kosten zu sparen, werden Sanierungsleitungen sehr einfach realisiert, es
werden z.B. Verbindungen von Schächten zugelassen, die nicht geradlinig sind,
die Kontrollschächte werden in grösseren Abständen gebaut und sehr einfach ges-
taltet. Es wird auf ein minimales Gefälle von JS > 1% geachtet. Bei Gefällen über
3% werden die Rohre nur noch einfach gebettet, weil Setzungen kaum mehr zu
Problemen führen.
Im steilen Gelände soll die Rohrweite für ein maximales Gefälle von JS d 5%
berechnet werden und damit die Bildung eines Wasser- / Luftgemisches in steile-
ren Leitungen berücksichtigen.
Die Schweizerische Norm SN 592 000 (Liegenschaftsentwässerung) enthält
Hinweise zur Gestaltung von Sanierungsleitungen.
Das Sanitärabwasser von abgelegenen Einzelliegenschaften kann auch über
Druckschläuche entwässert werden. Dabei fördert z.B. eine Pumpe, die mit einer
Schneidevorrichtung ausgerüstet ist, in einen PE-Schlauch mit Durchmesser 50–
65 mm. Der Schlauch wird direkt ab Rolle, ohne offene Gräben, nur mit einem
Pflug in den Boden eingelegt und über Distanzen bis zu 1000 m an die nächste
Kanalisation geführt.
In Entwicklungsländern gibt es die Bestrebung, die Ableitung von Sanitärab-
wasser möglichst kostengünstig zu gestalten: Simplified Sewerage. So kann z.B.
zwischen den Häuserzeilen (im Hinterhof) das Abwasser von bis zu 1000 Perso-
nen bei einem Gefälle von < 1% in einer PVC Leitung mit einem Durchmesser
von 100 mm abgeleitet werden. Schächte sind kaum erforderlich. Allfällige Ver-
stopfungen werden mit langen Schläuchen und Druckwasserdüsen entfernt.
wünschten Wassermengen ohne Probleme (z.B. Rückstau in Keller und auf Stras-
sen etc.) abgeleitet werden können.
Für einzelne Sonderbauwerke (Pumpwerke, Düker, Drosselstrecken etc.) müs-
sen zusätzlich andere Belastungszustände betrachtet werden (z.B. Trockenwetter).
In Misch- und Schmutzabwasserkanälen sollen Ablagerungen vermieden werden.
Es wird daher, zusätzlich zur maximalen hydraulischen Belastung, der Lastfall
„täglicher maximaler Abwasseranfall bei Trockenwetter“ (bei Inbetriebnahme und
bei Vollausbau) für die Gewährleistung einer minimalen Fliess- oder Spülge-
schwindigkeit resp. Schleppkraft beachtet (Tabelle 16.3).
Der Bemessungsabfluss soll in der Regel mit freiem Wasserspiegel erfolgen,
nur in Dükern, Drosselstrecken, Pumpleitungen oder Stauraumkanälen wird Ab-
fluss unter Druck vorgesehen.
16.2.2 Freispiegelleitungen
Die Dimensionierung von Rohrleitungen erfolgt in der Kanalisationstechnik in der
Regel unter der Annahme, dass Normalabfluss herrscht (Prismatisches Gerinne,
Energielinie parallel zur Sohle des Gerinns oder Energiegefälle JE = Sohlgefälle
JS). Je nach hydraulischen Bedingungen erfolgt der Abfluss schiessend oder strö-
mend, bei Gefällen über 0.5% herrscht Schiessen vor.
Bei gleichem Energiegefälle JE haben Freispiegelleitungen eine grössere
Transportkapazität als volllaufende Kanäle (s. z.B. das Teilfüllungsdiagramm für
Kreisrohre in Abb. 16.29 über ca. 85% Teilfüllung). Das kann dazu führen, dass
der Abfluss bei hydraulischer Überlastung instabil wird und das Kanalrohr zu-
schlägt: Um Pulsationen und das Zuschlagen von Leitungen zu vermeiden, soll bei
freiem Abfluss der maximale Füllungsgrad 85% des Innendurchmessers bei Kreis-
rohren und 85% der Querschnittsfläche bei anderen Profilen nicht überschreiten
(SIA 190). Für Kreisrohre heisst das, dass die maximal abzuleitende Wassermenge
nicht grösser sein soll als die Wassermenge bei Vollfüllung der Leitung ist
(Qteil / Qvoll < 1).
Hydraulische Berechnungen von Rohrleitungen werden mit unterschiedlichen
Zielen unternommen:
– Für die Dimensionierung von Abwasserkanälen: Bei bekannter Wassermenge
Q und bekanntem Sohlgefälle JS soll das Profil der Leitung bestimmt werden.
Für diese Aufgabe ist es üblich, Leistungsreserven (Sicherheiten) von 10–25%
(SIA 190, 1997) zu berücksichtigen, die je nach Dimensionierungsverfahren
explizit ausgewiesen oder implizit in die hydraulischen Widerstandsbeiwerte
eingebaut werden.
– Es soll bei bekannter Gerinnegeometrie und Abflusstiefe die aktuelle Durch-
flussrate berechnet werden: Diese Aufgabe bedingt, dass ohne implizite Si-
cherheiten möglichst genau gerechnet wird. Die üblichen „Betriebsrauigkei-
ten“, die für die Dimensionierung verwendet werden, sind hier nur mit
Vorsicht anwendbar, sie sind eher zu gross.
– Es soll die Wasserspiegellage bei einem bestimmten Betriebszustand berech-
net werden: Diese Aufgabe muss je nach Fragestellung mit oder ohne Reser-
ven bearbeitet werden.
276 16 Technik der Siedlungsentwässerung
Qvoll in m3 s-1
D = 2.0 1.8 1.6 1.4 1.2 m
10 1.0 m
0.9 m
0.8 m
5 ms-1
0.7 m
0.6 m
4 ms-1
0.5 m
1
0.4 m
0.3 m
0.2 m
0.1
3 ms-1
2 ms-1
1 ms-1
0.5 ms-1
0.01
0.0001 0.001 0.01 0.1
Energiegefälle JE
Abb. 16.28. Bemessungsdiagramm für Kreisprofile. Die Berechnungen basieren auf Gl. (11.4)
von Prandtl - Colebrook, mit einer Wandrauigkeit von kb = 1 mm. Die Durchflussgeschwin-
digkeit entspricht der mittleren Fliessgeschwindigkeit bei voller Füllung des Kreisprofils (die
Pfeile beziehen sich auf Beispiel 16.11)
Teilfüllungsgrad hTeil / D
0.8 Durchfluss Q
0.6
0.4
Fliessgeschwindigkeit v
0.2
0
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2
Qteil / Qvoll vTeil / vvoll
Abb. 16.29. Teilfüllungsdiagramme für Kreisrohre, theoretisch berechnet (die Pfeile beziehen
sich auf Beispiel 16.11)
278 16 Technik der Siedlungsentwässerung
Wie gross sind die Abflusstiefe und die Fliessgeschwindigkeit in einem Kreisprofil?
Der hydraulische Radius des Kreisprofils beträgt R = D/4 = 0.15 m
Nach Gl. (16.2) wird vvoll = 85 0.152/3 0.0031/2 = 1.31 m s-1
Nach Gl. (16.3) wird Qvoll = 0.312 85 0.68/3 0.0031/2 = 0.372 m3 s-1
Der Teilfüllungsgrad wird QTeil / Qvoll = 0.01 / 0.372 = 0.027
Aus Abb. 16.29 ergibt sich für QTeil / Qvoll = 0.027: HTeil / Hvoll = 0.10 und vTeil / vvoll = 0.40.
Und daraus:
HTeil = 0.010 0.6 = 0.06 m, vTeil = 0.40 1.31 = 0.52 m s-1
Diese Fliessgeschwindigkeit ist geringer als die minimal anzustrebende Fliessgeschwin-
digkeit von 0.8 m s-1 (Tabelle 16.3). Es muss bei Trockenwetter mit Ablagerungen ge-
rechnet werden.
Welche Situation ergibt sich in einem Eiprofil mit gleichem Durchmesser?
Nach Abb. 16.5 hat die Trockenwetterrinne eines Eiprofils nur den halben Durchmesser
des nominellen Durchmessers. Damit können wir für die Trockenwetterrinne die Teilfül-
lungsdiagramme für Kreisprofile nutzen (die Praxis kennt Teilfüllungsdiagramme auch
für Eiprofile, z.B. DWA A110).
Für die Trockenwetterrinne gilt der Durchmesser von 0.3 m. Der zugehörige hydrauli-
sche Radius wird R = 0.3 m / 4 = 0.075 m (Dieser Wert gilt nur für die Trockenwetterrin-
ne).
Nach Gl. (16.2) wird vvoll = 85 0.0752/3 0.0031/2 = 0.83 m s-1
Nach Gl. (16.3) wird Qvoll = 0.312 85 0.38/3 0.0031/2 = 0.059 m3 s-1
Der Teilfüllungsgrad wird QTeil / Qvoll = 0.01 / 0.059 = 0.17
Aus Abb. 16.29 ergibt sich für QTeil / Qvoll = 0.17: HTeil / Hvoll = 0.27 und vTeil / vvoll = 0.73.
Und daraus:
HTeil = 0.27 0.3 = 0.08 m, vTeil = 0.73 0.83 = 0.61 m s-1
Die Fliessgeschwindigkeit ist im Eiprofil günstiger. Die Fliessgeschwindigkeit erreicht
den Wert von 0.6 ms-1, der nach Tabelle 16.3 für D = 0.3 m anzustreben ist. Zudem ist
die Teilabflusstiefe etwas grösser, sodass weniger Sedimente gebildet werden.
Eine interessante Darstellung ergibt sich, wenn bei Teilfüllung die Fliessge-
schwindigkeit in Funktion der Abflussmenge dargestellt wird (Abb. 16.30). Deut-
lich zeigt sich der Vorteil des Freispiegelgerinns: Bei geringer Wasserführung ist
die Fliessgeschwindigkeit das Mehrfache der Fliessgeschwindigkeit im vollen
Kreisprofil (Druckleitung). Das ist insbesondere in Kanalisationen von Bedeutung,
wenn es gilt, die Ablagerung von Sedimenten zu vermeiden.
Für die hydraulische Berechnung von Kanalisationen, Sonderbauwerken etc.,
ist es wichtig zu wissen, ob ein Abfluss strömend oder schiessend erfolgt: Je nach
Situation pflanzen sich Störungen (Wellen, Rückstau) nach oben oder nur nach
unten fort, oder wir müssen Wassersprünge erwarten oder Bauwerke nach anderen
Kriterien auswählen und dimensionieren etc. Querschnittsform und Dimension,
Rauigkeit, Gefälle und Wassermenge entscheiden bei Normalabfluss, ob der Ab-
fluss strömend oder schiessend ist. Die entsprechenden Modelle werden mit den
Grundlagen der Hydraulik vermittelt. Mit Hilfe von Abb. 16.31 kann für eine be-
stimmte Abflusssituation bestimmt werden, ob Schiessen oder Strömen vorliegt:
Ist die Abflusstiefe geringer als die kritische Tiefe, so schiesst der Abfluss.
280 16 Technik der Siedlungsentwässerung
vteil / vvoll
1.2
1
0.8
0.6
0.4
Abb. 16.30. Fliessgeschwindigkeit bei
0.2
Teilfüllung in Funktion der abfliessen-
0 den Wassermenge. Ausgezogene Linie:
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 Kreisprofil mit Teilfüllung. Gestrichelte
Qteil / Qvoll Linie: Druckleitung
2.0 m
1 1.0 m
0.5 m
0.3 m
0.1
16.2.3 Steilleitungen
Unter Steilleitungen verstehen wir teilgefüllte Leitungen mit Kreisquerschnitt, in
denen das Wasser wegen der hohen Fliessgeschwindigkeit und den Turbulenzen
an der Wasser-Luftgrenzfläche Luft aufnimmt. Es bildet sich ein Wasser-Luft-
Gemisch. Die Luft wird in Form von Luftblasen eingetragen, die sich wegen ihres
Auftriebes vor allem nahe der freien Wasseroberfläche ansammeln. Das Luft-
Wasser-Gemisch beansprucht in der Steilleitung im Vergleich zum Wasser allein
mehr Querschnittsfläche, entsprechend müssen die Leitungsdurchmesser vergrös-
sert werden.
16.2 Hydraulische Berechnungen 281
Beschleunigung
Luftaufnahme Energieumwandlung
Gleichgewicht
Luft - Wasser
turbulente
Grenzschicht
Ein Lufteintrag muss erst bei grossem Gefälle erwartet werden. Je nach
Durchmesser der Leitung im Bereiche von JS > 12% für D = 0.2 m, JS > 10% für
D = 0.5 m und JS > 7% bei D = 2 m.
In Abb. 16.32 ist ein schematischer Längsschnitt einer Steilleitung dargestellt.
Nach einem anfänglichen Gefällswechsel ist eine Vergrösserung der steilen Kana-
lisation erforderlich, um eine genügende Fliessstrecke für die Beschleunigung des
Wassers zu gewährleisten. Nachdem die turbulente Grenzschicht bis zum freien
Wasserspiegel aufgebaut worden ist, beginnt eine Luftaufnahme, die später ein
Gleichgewicht erreicht; der erforderliche Fliessquerschnitt ist grösser geworden.
Im Auslauf der Steilstrecke wird mit Vorteil ein einfaches Bauwerk zur Umwand-
lung der Energie angeordnet, in dem auch die aufgenommene Luft wieder ausge-
schieden wird.
SIA 190 und DWA A110 geben Anhaltspunkte für die Dimensionierung von
Steilleitungen. Die Dokumentation SIA D 0100 gibt zusätzlich Anhaltspunkte zu
Berechnungen von Teilfüllungen von steilen Leitungen.
16.2.4 Gefällswechsel
In hügeligen Regionen und im Alpengebiet sind Gefällswechsel zwischen Kanal-
strecken mit schwachem Gefälle und steilen Strecken recht häufig. Damit hier
kein Rückstau entsteht, muss diese Situation sorgfältig, auf der Grundlage von
hydraulischen Berechnungen gestaltet werden.
In Abb. 16.33 sind verschiedene Ausbildungen des Überganges einer
Flachstrecke in eine Steilstrecke dargestellt:
– Im Beispiel a) wird der Steilkanal unmittelbar im Übergang, basierend auf ei-
ner Berechnung des Normalabflusses, auf den kleineren Durchmesser redu-
ziert. Da in der Steilstrecke die Geschwindigkeitshöhe ein Vielfaches derjeni-
gen in der Flachstrecke beträgt, fehlt im Übergang die erforderliche Energie
für die Beschleunigung des Wassers – diese Situation wird zu Rückstau füh-
ren.
– Im Beispiel b) wird die erforderliche Energie durch einen zusätzlichen Absturz
zur Verfügung gestellt. Wird auch der Einlaufverlust berücksichtigt, so muss
282 16 Technik der Siedlungsentwässerung
a) E.L. b) c)
E.L.
Einlauf- E.L.
verlust
Abb. 16.33. Verschiedene Ausbildungen des Übergangs einer Flachstrecke in eine Steilstrecke.
Die Energielinien E.L. sind schematisch für Normalabfluss gezeichnet (nach Hörler 1967)
nicht mit Rückstau gerechnet werden. Allerdings wird die abgehende Leitung
anfänglich voll laufen. Das kann im Bereich vom Übergang zur Teilfüllung zu
Problemen mit der Belüftung führen.
– Im Beispiel c) wird vorläufig der grosse Durchmesser der Flachstrecke beibe-
halten. Das Wasser muss nicht im Bauwerk, sondern erst in der nachfolgenden
Kanalisation beschleunigt werden – ein Rückstau ergibt sich nicht. Nach einer
angemessenen Beschleunigungsstrecke kann der Durchmesser der neuen Situa-
tion angepasst werden.
In der Praxis wird der Einlauf in eine Steilstrecke mit Hilfe von abgestuften
Rohrdurchmessern nach Berechnung der Absenkkurve gestaltet (Abb. 16.34).
Heute werden Programme für die Berechnung der entsprechenden Absenkkurven
mit Berücksichtigung einer eventuellen Luftaufnahme angeboten.
Die Gefällswechsel von Steilstrecken zu Flachstrecken sind weniger kritisch,
aber auch sie sollen auf Grund von sorgfältigen hydraulischen Berechnungen ges-
taltet werden. Ist der Abfluss in der Flachstrecke strömend, so ergibt sich ein Was-
sersprung, dessen Position berechnet werden soll.
Beispiel 16.14. Vergleich von steilen und flachen Kanälen bei Überlastung
In Deutschland werden Kanalisationen typisch für Regen mit einer Jährlichkeit von
z = 2 a, in der Schweiz häufig für z = 5 a dimensioniert. Einer der Unterschiede zwi-
schen den beiden Ländern ist das durchschnittliche Gefälle der Kanalisationen, in
Norddeutschland eher flach, in der Schweiz eher steil.
In welcher Situation (z = 2 a, flach oder z = 5 a, steil) sind die Reserven in der Trans-
portkapazität der Kanalisationen grösser?
Fallbeispiel: Gegeben ist ein Einzugsgebiet mit einer Fläche F = 4 ha, einem mittleren
Abflussbeiwert \ = 0.33, einer massgebenden Regendauer t0 von 10 min, mit der Re-
genintensität, die typisch ist für Bern. Beurteilt werden soll ein Sammelkanal mit einer
Länge L = 300 m, der das Regenwasser aus diesem Einzugsgebiet ableiten kann.
QR = \ F r(t0,z) r(t0,z) für Bern (Tabelle 13.1)
284 16 Technik der Siedlungsentwässerung
Listenrechnung
von Hand
Detaillierte
Anzahl der Varianten
Grösse des Netzes
Einfache hydro-
Simulation dynamische
Fliesszeit- z.B. basierend Simulation
Methode auf basierend auf
kinematischer Gleichungs-
Welle system von
St. Venant
Programmierte
gross
gross
Listen
Abb. 16.35. Typische Modelle, die für die Dimensionierung und die Analyse von Problemen in
der Siedlungsentwässerung angewendet werden (GEP Richtlinie des VSA, 1989)
ableiten, denn 2.1 m sind eine typische Überdeckung für eine Kanalisation. Trotz gerin-
gerer Häufigkeit des Dimensionierungsregens hat der flache Kanal eine grössere Leis-
tungsreserve.
zugreifen. Der Betrieb von Regenüberlaufbecken wird häufig durch lokale Regel-
kreise unterstützt. Es ist absehbar, dass in grossen Einzugsgebieten in Zukunft
vermehrt Entwässerungsanlagen regional, von zentralen Warten aus, gesteuert
werden. Die bessere Ausnützung der bestehenden Speichervolumen ist hier oft
billiger als der Bau von neuem, schlecht und selten genutztem Retentionsvolumen.
Siehe auch Schilling 1990.
16.6 Messtechnik
Heute werden in der Siedlungsentwässerung noch überraschend wenig Messgeräte
eingesetzt: Teure Bauwerke wie Regenüberlaufbecken werden im Betrieb noch
kaum überwacht, entsprechend fehlen uns immer wieder gute Grundlagen, um
eine zuverlässige Erfolgskontrolle durchzuführen. Die Schwierigkeit bei der Mes-
sung von Grössen, die für die Siedlungsentwässerung von Bedeutung sind, liegt in
ihrer grossen Variabilität, sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht.
Zudem müssen diese Grössen im rohen Mischwasser gemessen werden, das Grob-
stoffe aller Art enthält. Die Messgeräte müssen meist dezentral aufgestellt werden,
automatisch betrieben werden können und Messwerte mit grosser zeitlicher Auf-
lösung liefern. Es ist empfehlenswert, vor der Aufstellung von Messinstrumenten
erfahrene Praktiker zu konsultieren.
Niederschlagsmessung, Wasserstandsmessung (Füllstände, Niveaumessung)
und gelegentlich Durchflussmessung kommen zur Anwendung. Die Messung von
Stoffkonzentrationen ist nur im Rahmen von Forschungsprojekten, mit grossem
personellem Aufwand möglich. Eine zuverlässige Durchflussmessung ist bis heute
noch kaum verfügbar.
erarbeitet. Dieser wurde in der Schweiz 1989 mit den entsprechenden Richtlinien
des VSA eingeführt. Das traditionelle GKP ist nur noch ein Teilplan des GEP.
noch kaum ein Verständnis dafür entwickelt, welchen Wert ein fundierter und
breit angelegter GEP darstellt.
Die Kosten für das Erarbeiten einer ersten Version eines GEP betragen je nach
Grösse der Kommune 50–250.- Fr. pro Einwohner. Für eine Gemeinde mit 5000
Einwohnern sind das Fr. 0.5–1 Mio., wobei die Erhebung der Grundlagedaten den
grössten Teil ausmacht. Anschliessend soll der Plan dauernd aktuell gehalten wer-
den. Heute schrecken die Kommunen noch vor diesen „unproduktiven“ Kosten
zurück, in Zukunft wird der GEP aber zum zentralen strategischen und operatio-
nellen Managementwerkzeug. In der Praxis besteht heute das Bedürfnis, den GEP
nicht nur für einzelne Kommunen zu erarbeiten, sondern insbesondere den Ge-
wässerschutz in ganzen Einzugsgebieten zu koordinieren: Es entsteht der regiona-
le Entwässerungsplan REP (VSA 2000).
Moderne Siedlungsentwässerung kann nur betrieben werden, wenn ein leis-
tungsfähiges Informationssystem die Grundlagedaten der Entwässerungsplanung
mit Daten über den Zustand, den Betrieb, Kosten, administrative Abläufe etc. ver-
bindet und in geeigneter Form als Information zur Verfügung stellt und verwaltet.
Die Erarbeitung von solchen Informationssystemen ist heute in vollem Gange und
stellt eine grosse Herausforderung der Siedlungswasserwirtschaft dar. Daten sind
die strategische Ressource für die Zukunft dieses Arbeitsgebiets.
Die Abwasserreinigung ist heute eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die ein ver-
tieftes Verständnis von Grundlagen aus den unterschiedlichsten Disziplinen be-
darf: Chemie, Mikrobiologie, Verfahrenstechnik, Biotechnologie, Steuer- und Re-
gelungstechnik, etc. Hier wird nur ein Überblick über die wichtigsten Verfahren
vermittelt.
ringerung um bis zu 95%). Seit 1980 kann der Grenzwert auf Grund zuneh-
mender Erfahrungen weiter verschärft werden.
– Nitrit (NO2-) ist eine mineralische Form von Stickstoff, die schon in geringen
Konzentrationen fischgiftig ist. Der vorgesehene Grenzwert kann mit biologi-
schen Reinigungsverfahren bei guter Gestaltung und sorgfältigem Betrieb ein-
gehalten werden.
– Nitrat (NO3-) ist die dritte Form von mineralischem Stickstoff, die für unsere
Gewässer von Bedeutung ist. Es wird begrenzt im Hinblick auf den Schutz un-
serer Oberflächengewässer als Quelle für die Wasserversorgung (sowohl direkt
als auch indirekt über die natürliche Infiltration ins Grundwasser). Zum Schut-
ze der Nordsee wird heute Nitrat im Ablauf von grösseren Kläranlagen insbe-
sondere in Nordeuropa limitiert. Seit ca. 1980 kann die biologische Abwasser-
reinigung so gestaltet werden, dass zuverlässig eine mindestens teilweise
Reduktion des Nitrats erreicht wird. In der Schweiz wird nur für grosse Klär-
anlagen eine Elimination von Stickstoff, d.h. eine Reduktion der Nitratfracht,
gefordert. Anlagen oberhalb der grossen Seen tragen kaum zur Belastung der
Nordsee bei. Zur Reduktion der Stickstoffbelastung der Gewässer soll auch die
Landwirtschaft beitragen.
– Phosphat (PO43-) und seit 1976 totaler Phosphor werden begrenzt, um die
Überdüngung (Eutrophierung) unserer Seen möglichst gering zu halten. Tradi-
tionell sind v.a. chemische Verfahren (Fällung) für die Elimination von Phos-
phor eingesetzt worden. Die Verringerung des Grenzwerts nach 1986 von 1.0
auf 0.8 g Ptot m-3 widerspiegelt die Massnahmen an der Quelle (Verbot von Po-
lyphosphaten in Textilwaschmitteln, 1986). Der Grenzwert von 0.2 g Ptot m-3
bedingt den Einsatz von weitergehenden Reinigungsverfahren (Flockungs-
filtration). Heute können auch rein biologische Verfahren grössere Mengen
Phosphor aus dem Abwasser entfernen, die strengen Grenzwerte können diese
aber nur in Kombination mit chemischer Fällung einhalten.
sogen. qualifizierten Stichprobe eingehalten werden müssen. Für die Probenahme wer-
den entweder 5 Stichproben innerhalb von 2 h im Abstand von je mindestens 2 min
gezogen und gemischt oder es wird eine 2 h Mischprobe erhoben.
Im Vergleich zu 24 h Sammelproben, wie sie in der Schweiz erhoben werden, können
Stichproben auch extreme Werte erfassen. Daher müssen die Grenzwerte in Deutsch-
land eher höher angesetzt werden.
Ablauf
ev. zur
Rechengut Sand Filtration
Rücklaufschlamm
Primär-
Fett
Abtransport schlamm
Rücklauf Sekundärschlamm
Eindicker Überschussschlamm
Gasometer
Biogas
Zur Nutzung
Frischschlamm (Landwirtschaft)
oder Entwässerung,
Hygienisierung bei Trocknung,
landwirtschaftlicher Verbrennung,
Nutzung Faulraum 35°C Schlammstapel Deponie
Schlammbehandlung
19.1.1 Rechen
Rechen werden in verschiedensten Bauformen hergestellt, gelegentlich werden sie
mit abnehmendem Stababstand hintereinander gebaut. Typisch sind Stababstände
von 30–60 mm für Grobrechen, die anschliessend von Feinrechen mit 6–30 mm
Stababstand gefolgt werden. Heute ist ein Trend zu immer feineren Rechen zu
beobachten, dadurch nimmt einerseits die Menge des zurückgehaltenen Rechen-
guts zu (unerwünscht), andererseits wird die ganze Anlage und insbesondere auch
die Schlammbehandlung und damit der zum Schluss ev. in die Landwirtschaft
302 19 Mechanische Abwasserreinigung
Reinigungsmaschine
Rechengut
Rechen
Tabelle 19.1. Anfall von Sieb- oder Rechengut auf kommunalen Kläranlagen in Funktion des
Stababstands (s.a. Schüssler 1995). Der organische Anteil wird mit 85% der Feststoffe angege-
ben. Durch Pressen kann das Volumen stark reduziert werden. Je nach Siedlung und Gewerbe-
einleitungen ist ein Schwankungsbereich von -50% bis +100% möglich
3 -1 -1
Durchlassweite Spezifischer Anfall in m E a
Art der Abtrennung
mm ungepresst (8% TS) gepresst (25% TS)
Grobrechen 50 0.003 0.001
Feinrechen 15 0.012 0.004
Sieb 3 0.022 0.007
Zufluss Ablauf
Grundriss
Staublech
v = 30 cm s-1
Schnitt
Sand
Sand
Abb. 19.2. Typische Bauformen von Sandfängen: Links der Längssandfang, rechts der Rund-
sandfang
aufschwimmendes
Fett
fängen kann auch seitlich eine hydraulisch beruhigte Zone angeordnet werden, in
der spezifisch leichte Stoffe nach oben flotieren können.
Die typische hydraulische Aufenthaltszeit TW eines Längssandfangs ist | 1
min, im belüfteten Sandfang 3–5 min bei Regen und dazwischen im Rundsand-
fang.
In Tabelle 19.2 sind typische Werte für den anfallenden Sand zusammenge-
stellt. Der Sand wird möglichst frei von organischen Stoffen abgetrennt und einer
Deponie zugeführt. Da die aufschwimmenden Stoffe, Fette und Öle aus dem Fett-
fang meist mit dem Klärschlamm in die Schlammbehandlung gelangen und dort
nur einen kleinen Teil des anfallenden Klärschlamms ausmachen, wird der Anfall
dieser Stoffe kaum getrennt ausgewiesen. Fette resultieren in einem grossen An-
fall von Methan (CH4, Biogas), sie werden deshalb in den Faulturm gebracht, wo
sie zu einem grossen Teil abgebaut werden. Aus hygienischen Gründen wird Fett
heute auch zunehmend einer Verbrennung zugeführt.
Tabelle 19.2. Anfall von Sand in Sandfängen. Diese Angaben streuen stark, weil die Art des
Einzugsgebietes, der Strassenunterhalt und die Verhältnisse bei Regen eine zentrale Rolle spielen
3
0.005 m Sand pro Einwohner und Jahr
Richtwerte
50% Wasser, 25% org. Stoffe, 25% Sand
3 6 3
Bereich 20 – 60 – 200 m Sand / 10 m Abwasser
-1
Tabelle 19.3. Sinkgeschwindigkeit vS in m h von Feststoffen in Wasser bei 10°C
Dichte Durchmesser dS in mm
Stoff US
6 -3 1.0 0.5 0.2 0.1 0.05 0.01 0.005
10 gm
-1
Quarzsand 2.65 500 250 80 24 6 0.3 0.06 m h
-1
Anthrazit 1.50 150 75 26 7.6 1.5 0.08 0.015 m h
Schwebestoffe
a) -1
im häuslichen 1.2 120 60 18 3 0.8 0.03 0.008 m h
Abwasser
a)
Grobe Annahme, es muss ein weites Spektrum von Dichten erwartet werden.
Oberfläche ASed = L B
Tiefe H
Zufluss Q v
vS
Breite B
Länge L
Abb. 19.4. Absetzvorgang und Definition der geometrischen Grössen in einem Rechteckgerinne
mit laminarer und gleichmässiger Fliessgeschwindigkeit v
H
tS
vS
Alle Partikel, die den Boden erreichen, bevor das Wasser das Sedimentations-
becken wieder verlässt, gelten als zurückgehalten. Die Durchflusszeit Th (hydrau-
lische Aufenthaltszeit, V / Q) durch das Becken beträgt:
L
Th
v
Es werden also alle Partikel abgeschieden für die gilt:
H L L B H V
t S Th oder
vS v Q Q
Umgeformt und mit der Oberfläche des Sedimentationsbeckens ASed = L B
ergibt sich für Partikel, die sicher die Bodenfläche erreichen:
Q Q
vS ! { vO (19.2)
LB ASed
vO hat die Dimension einer Geschwindigkeit, sie heisst Oberflächenbelastung
und ist in Gl. (19.2) definiert. Theoretisch werden alle Partikel, deren Sedimenta-
tionsgeschwindigkeit grösser als die Oberflächenbelastung vO ist, abgeschieden.
Alle Partikel mit vS < vO werden nur teilweise abgeschieden (der Anteil der abge-
schiedenen Partikel ist vS / vO). Auffallend ist, dass die Tiefe des Beckens H oder
die hydraulische Aufenthaltszeit Th keine Rolle spielen. Es kann gezeigt werden,
dass Gl. (19.2) unabhängig von der Form des Sedimentationsbeckens (rund, recht-
eckig etc.) gilt, sofern die Strömung laminar ist und alle Wasserteilchen die gleich
lange Aufenthaltszeit Th im Becken haben. Damit wird die hydraulische Oberflä-
chenbelastung vO zur wichtigsten Dimensionierungsgrösse von Sedimentationsbe-
cken. Abweichungen von der theoretischen Voraussage ergeben sich, weil die
Strömungsbedingungen nie ideal sind.
19.2 Dimensionierungsmodell für die Sedimentation 307
19.3 Vorklärung
Die Vorklärung geht historisch auf die ersten Abwasserreinigungsverfahren zu-
rück, die ausschliesslich mechanische und physikalische Reinigungsprozesse zur
Anwendung brachten. Aus der Beobachtung heraus, dass die Sedimentation von
Grobstoffen aus dem Abwasser zu einer massiven Verschlammung der Fliessge-
wässer führte, wurde die Sedimentation in ein technisches Bauwerk verlegt, in
dem die Sedimente als Klärschlamm abgetrennt werden können.
Elimination in %
100
80 TSS
60
40
BSB5
20
0
0 1 2 3 4 5
Hydraulische Aufenthaltszeit Th im Vorklärbecken in h
Ablauf
Zufluss
Schlamm
zur Schlamm- Schlammtrichter
behandlung
Grundriss
Zufluss Ablauf
Düker
Räumerbrücke:
Schlammräumung
Schnitt
Ablauf
Zufluss Schlammabzug
Düker
Abb. 19.7. Grundriss und Querschnitt durch ein rundes Vorklärbecken. Die Räumerbrücke ist im
Schnitt nicht eingezeichnet, sie transportiert die Sedimente zur Mitte des Bauwerks
Prallwand) die kinetische Energie des Zuflusses verwirbelt. Beim Ablauf verhin-
dert eine Tauchwand, dass Schwimmstoffe, die sich am Wasserspiegel ansam-
meln, direkt in den Ablauf gelangen; Vorklärbecken sind entsprechend mit Vor-
kehrungen ausgerüstet, die solche Schwimmstoffe einsammeln und z.B. der
Schlammbehandlung zuführen. Das Sediment wird hier mit einem Kettenräumer
(zwei Ketten, an denen Querbretter befestigt sind) zusammengetragen, in einem
Schlammtrichter eingedickt und wird anschliessend z.B. einmal pro Tag in die
Schlammbehandlung gefördert. Die Sohle des Vorklärbeckens ist leicht geneigt
(1–2%), damit das Becken bei Reinigung leer laufen kann.
In Abb. 19.7 ist ein rundes Vorklärbecken dargestellt. Das Wasser fliesst vom
Zentrum zur Peripherie. Das Sediment wird durch eine Räumerbrücke ins Zent-
rum gefördert.
In Tabelle 19.5 sind einige Richtwerte für die Dimensionierung von Vorklär-
becken zusammengestellt. Von Bedeutung sind die hydraulische Oberflächenbe-
lastung bei Trocken- und bei Regenwetter sowie die minimale Tiefe der Becken.
Diese wird meist HVKB t 2 m gewählt. In einzelnen Anlagen geht die mittlere
Aufenthaltszeit bei Regen auf 15–20 min zurück (TH = HVKB / vO). Es stellt sich
die Frage, ob eine solche Sedimentation nicht durch feine Rechen oder Siebe er-
setzt werden könnte?
Die mittlere Abwassermenge bei Trockenwetter beträgt ca. 2'000 m3 d-1. Als maximaler
Anfall bei Trockenwetter (Stundenspitzenwert) QTW sollen ca. 150 m3 h-1 angenommen
werden.
Nach Tabelle 19.5 ergeben sich für mittlere Bedingungen:
Th = 2 h vO = 1.2 m h-1
Und daraus: VVKB = QTW Th = 300 m3 (Volumen)
AVKB = QTW / vO = 125 m2 (Oberfläche)
HVKB = Th vO = 2.4 m (Mittlere Tiefe)
Sofern die Anlage nur einstrassig gebaut wird, was bei dieser Grösse wahrscheinlich ist
(insbesondere wenn auf der Kläranlage ein Regenbecken für Notfälle verfügbar ist),
würde das Becken ca. 5 m breit und 25 m lang. Vorklärbecken werden heute nur noch
selten als runde Becken gebaut. Hier ergäbe sich ein Durchmesser von ca. 13 m plus
Ablaufrinne.
19.3.3 Emscherbrunnen
Der Emscherbrunnen ist ein einfaches kombiniertes Bauwerk, das Sedimentation
und Schlammstabilisierung (s. später) miteinander verbindet. Er hat v.a. histori-
sche Bedeutung und kam in kleinen Anlagen häufig zur Anwendung. Ein Schema
eines Emscherbrunnens ist in Abb. 19.8 dargestellt. Heute werden Emscherbrun-
nen kaum mehr gebaut, hingegen kommen Fertigbauteile in ähnlicher Funktion für
Kleinstanlagen noch zur Anwendung.
19.4 Chemische Abwasserreinigung 313
Querschnitt Grundriss
Vorklärung
Schlamm-
abfuhr
Schlammstabilisierung Grundwasser
kalt, ev. mit Gasproduktion 10°C
Abb. 19.8. Querschnitt und Grundriss eines rechteckigen Emscherbrunnens: Der Sedimentati-
onsraum ist zweigeteilt, das Wasser fliesst senkrecht zum Schnitt, der Schlammraum reicht tief
in den Boden und erreicht Grundwassertemperatur. Die Verbindungsschlitze zwischen Sedimen-
tation und Schlammraum sind so gestaltet, dass Gasblasen (Biogas) aus dem Schlammraum die
Sedimentation nicht stören können
Tabelle 19.6. Abwassercharakteristik auf einer schwedischen Kläranlage. Die Zahlen sind Mit-
telwerte über ein Betriebsjahr. Der Zufluss schliesst Rückläufe aus der Schlammbehandlung mit
ein. BSB7 statt BSB5 weil eine Woche 7 Tage hat und somit nicht über Wochenende analysiert
werden muss
Ablauf
Parameter Einheit Zulauf
Vorklärung Vorfällung
TSS g m-3 210 62 40
BSB7 total g m-3 O2 140 68 39
gelöst g m-3 O2 28 24 17
P total total g m-3 P 7.7 6.3 2.9
gelöst g m-3 P 4.8 4.8 1.5
Kjeldahl-N total g m-3 N 33 29 28
gelöst g m-3 N 25 25 25
Die Metallsalze verbinden sich auch mit dem Phosphat (PO43-) im Wasser und
bilden schwerlösliche Salze, z.B. Eisenphosphat FePO4. Diese können zusammen
mit den Hydroxiden abgetrennt werden, sodass in der Vorfällung auch Phosphor
aus dem Wasser abgeschieden werden kann. Die Dosierung von Metallsalzen
muss aber genügen, alles Phosphat zu fällen und einen Überschuss von Hydroxi-
den zu bilden, die die Flockung unterstützen (s. Beispiel 19.9).
In Abb. 19.9 ist ein einfaches Fliessschema einer chemischen Abwasser-
reinigungsanlage dargestellt. Die Chemikalien werden bei hoher Turbulenz
19.4 Chemische Abwasserreinigung 315
Chemikalien Zugabe
Schlammabzug
20.2.1 Wachstum
Das Wachstum von Mikroorganismen beschreibt den Prozess der Vermehrung der
Zellen und der Masse der Organismen. Da die Bakterien für ihre Vermehrung
Substrate (Nährstoffe) aufnehmen müssen, die sie in der Abwasserreinigung dem
Abwasser entziehen, ist das Wachstum der eigentliche Reinigungsprozess. Je
schneller sich die Biomasse vermehrt, desto mehr Schmutzstoffe werden dem
Abwasser entzogen und desto schneller verläuft die Reinigung. Durch das Wachs-
tum wird z.B. ein Teil der gelösten organischen Verbindungen zu mineralischen
Stoffen (CO2, H2O) abgebaut um Energie zu gewinnen; ein Teil wird in die Bio-
masse eingebaut und kann nun in der Form von Feststoffen aus dem Abwasser
abgeschieden werden.
In der Natur ist das Wachstum, das die Schmutzstoffe auslösen, unerwünscht.
Die Produktion der Biomasse und der damit einhergehende Sauerstoffverbrauch
wirken sich nachteilig auf die Umwelt aus. In der Abwasserreinigung sollen daher
diese Prozesse in technischen Bauwerken kontrolliert ablaufen.
Die Bakterien vermehren sich exponentiell (Abb. 20.1). Da wir nicht die An-
zahl der einzelnen Organismen, sondern nur global ihre Masse (oder Konzentrati-
on) verfolgen, wird diese Vermehrung mit der Wachstumsgeschwindigkeit P cha-
rakterisiert: mit Hilfe der Wachstumsgeschwindigkeit können wir in einem
geschlossenen System (einem Chargenreaktor) die Zunahme der Masse oder der
Konzentration dieser Bakterien mit der Zeit beschreiben. Die Bakterien vermehren
sich proportional zu ihrer Anzahl oder Masse, die Proportionalitätskonstante heisst
Wachstumsgeschwindigkeit. Eine Bilanz um einen Chargenreaktor ergibt:
20.2 Mikrobiologische Prozesse 319
Zeit t
0td 1td 2td itd ntd
20 21 22 2i 2n
Abb. 20.1. Exponentielles Wachstum der Bakterien: Die einzelnen Generationen sind um die
Verdoppelungszeit td verschoben. Die Anzahl der Bakterien nimmt in einer geometrischen Reihe
exponentiell zu
dX
PX (20.1)
dt
X = Konzentration der Bakterien >M L-3@
P = Wachstumsgeschwindigkeit der Bakterien >T-1@
t = Zeit >T@
Die Integration von Gl. (20.1) mit den Anfangsbedingungen X = X0 bei t = 0
ergibt eine Beschreibung des exponentiellen Wachstums der Bakterien:
X(t) X 0 exp(P t) (20.2)
Die Wachstumsgeschwindigkeit P ist abhängig von der Art der Bakterien und
den Umweltbedingungen (Temperatur, Nährstoffangebot, Sauerstoff, pH, Giftstof-
fen etc.). Typische Werte, zusammen mit den Verdoppelungszeiten td, sind in
Tabelle 20.1 zusammengestellt.
Nach 24 h ergäben sich 248 = 2.8 · 1014 Bakterien, mit einer Fadenlänge von 280’000
km. Diese Bakterien hätten ein Gewicht von ca. 300 g. Es ist offensichtlich nicht mög-
lich, dass sich Bakterien in einem Versuch ohne Nachschub von Nährstoffen während
24 h ungehindert vermehren können.
In der Abwasserreinigung beschränkt meistens der Nachschub von Schmutzstoffen das
schnelle Wachstum der Bakterien.
20.2.2 Zerfall
Mikroorganismen müssen dauernd Energie umsetzen um am Leben zu bleiben,
z.B. um sich zu bewegen, um ihre innere Struktur intakt zu halten, um Makromo-
leküle (Enzyme, Erbmaterial etc.) zu reparieren, … . Wenn extern nur ungenügend
Nährstoffe angeboten werden, werden für diese Prozesse zellinterne Stoffe verat-
met und daraus die erforderliche Energie gewonnen, man spricht von endogener
Atmung: Durch die Veratmung von Zellmasse nimmt diese ab, es resultiert ein
Zerfall der Biomasse.
In der Abwasserreinigung ergeben sich immer wieder Perioden (z.B. in der
Nacht), in denen nur ungenügend externe Nährstoffe zur Verfügung stehen. In
diesen Perioden dominieren die Zerfallsprozesse, die verfügbare Biomasse nimmt
langsam ab.
20.2.3 Hydrolyse
Viele organische Stoffe im Abwasser liegen in Form von Partikeln, Kolloiden
oder hochmolekularen Verbindungen vor, die von Bakterien nicht direkt aufge-
nommen und abgebaut werden können. Bakterien scheiden deshalb Enzyme (Fer-
mente) aus, die diese Stoffe in ihre einzelnen, wasserlöslichen Bausteine (Zucker,
Aminosäuren, Fettsäuren) zerlegen und sie damit für den Abbau verfügbar ma-
20.2 Mikrobiologische Prozesse 321
chen. Dieser Prozess heisst Hydrolyse, er nimmt Zeit in Anspruch und verzögert
den Abbau der oben beschriebenen Stoffe.
20.2.5 Nitrifikation
Unter Nitrifikation verstehen wir einen mikrobiologischen Prozess, in dem spezia-
lisierte Bakterien Ammonium NH4+ zu Nitrat NO3- oxidieren:
NH4+ + 2 O2 o NO3- + H2O + 2 H+
Dieser Prozess läuft sehr langsam ab, entsprechend gross werden die Bauwer-
ke, die diesen Prozess ermöglichen. Die Nitrifikation verbraucht grosse Mengen
von gelöstem Sauerstoff O2. Die heterotrophen Bakterien, die die organischen
Stoffe abbauen, können nicht nitrifizieren.
20.2.6 Denitrifikation
Unter der Denitrifikation verstehen wir einen mikrobiologischen Prozess, in dem
für die Oxidation von organischen Stoffen an Stelle von Sauerstoff O2 Nitrat NO3-
reduziert wird. Das Produkt der Denitrifikation ist elementarer Stickstoff N2, der
problemlos in die Atmosphäre abgegeben werden kann.
5 CH2O + 4 NO3- + 4 H+ o 2 N2 + 5 CO2 + 7 H2O
Die Denitrifikation ist also ein Prozess, mit dem Stickstoff aus dem Abwasser
entfernt werden kann. Er bedingt, dass organische Stoffe verfügbar sind. Die meis-
ten heterotrophen Bakterien, die organische Stoffe aerob abbauen, können auch
denitrifizieren.
Tabelle 20.2. Nährstoffbedarf von Mikroorganismen: Proportional zur Konzentration der abge-
bauten organischen Stoffe bauen die Mikroorganismen Nährstoffe in ihre Biomasse ein
-1
Stickstoffbedarf iN = 0.04 – 0.05 g N g BSB5
-1
Phosphorbedarf iP = 0.01 – 0.02 g P g BSB5
20.4 Belebtschlammverfahren
Das Belebtschlammverfahren ist ab 1914 in England entwickelt und anschliessend
bald in die grosstechnische Anwendung eingeführt worden. Bereits in den frühen
20er Jahren haben in den USA grosse Anlagen mit diesem Verfahren im Betrieb
gestanden. Es erhielt seinen Namen (Activated Sludge Process), weil im Verfah-
ren ein Schlamm (eine Suspension) gebildet wird, der aktive Mikroorganismen
enthält (Belebtschlamm), die das Abwasser aerob (in Gegenwart von gelöstem
Sauerstoff O2) reinigen können.
Heute stellt das Belebtschlammverfahren in den Industrieländern das wichtigs-
te biologische Abwasserreinigungsverfahren dar. Es wird in den verschiedensten
Varianten eingesetzt. Im Laufe der Zeit ist es gelungen, eine Vielzahl von ver-
schiedenen mikrobiologischen, chemischen und physikalischen Prozessen in das
Verfahren zu integrieren und gleichzeitig zu optimieren:
– Abbau von organischen Stoffen (BSB5, CSB)
– Flockung und teilweiser Abbau von partikulären Stoffen (TSS)
– Oxidation von Ammonium NH4+ zu Nitrat NO3- (Nitrifikation)
– Reduktion von Nitrat NO3-, zu Stickstoff N2 (Denitrifikation)
– Chemische Phosphorelimination (Simultanfällung)
– Biologische Phosphorelimination
– Elimination von spezifischen organischen Verbindungen (Mikroverunreini-
gungen, Medikamente, NTA, …)
Die Vielfalt der Verfahren drückt sich v.a. in der Gestaltung der Reaktoren und
in der Vielfalt der Umweltbedingungen aus, die den Mikroorganismen angeboten
werden. Diese Vielfalt, zusammen mit seiner Leistungsfähigkeit, der Wirtschaft-
lichkeit und der möglichen Betriebsstabilität, sind die Gründe für die häufige An-
wendung des Verfahrens.
Belebungsbecken Nachklärbecken
Sedimentation
Luft
Zulauf
Ablauf
Rücklaufschlamm Überschussschlamm
1000 ml
mit dem Ablauf der Nachklärung verdünnt, bis ein Volumen der Schlammflocken
VSF < 300 ml resultiert.
Typische Werte für den SVI sind in Tabelle 20.3 angegeben. Heute sind Mass-
nahmen bekannt, um der Entwicklung von Blähschlamm bereits in der Phase der
Projektierung der Anlagen vorzubeugen. Von besonderer Bedeutung sind sogen.
Selektoren, kleine abgetrennte hochbelastete erste Teile des Belebungsbeckens.
Für die Bemessung und die Funktion von Selektoren wird auf die Fachliteratur
verwiesen (DWA A131).
20.4 Belebtschlammverfahren 327
Tabelle 20.3. Typische Werte für den Schlammvolumen-Index (SVI). Abweichungen von diesen
Werten sind häufig, bei zu hohen SVI sollen Massnahmen ergriffen werden um bessere Eindick-
eigenschaften des Schlamms zu erreichen
Verfahren oder spezielle Bedingung SVI in ml / gTSS
Belebtschlammverfahren ohne Vorklärung 75 – 100
Belebtschlammverfahren nach Vorklärung 100 – 150
Verfahren mit Simultanfällung (Phosphorelimination) 80 – 130
Bei grossem Anteil gelöster organischer Schmutzstoffe > 150
Blähschlamm 150 – 1000
Die Konzentration des Belebtschlamms wird auf Kläranlagen meist in Form von
Trockensubstanz (TS) oder nach Filtration in total suspendierten Stoffen (TSS)
gemessen, gelegentlich wird zusätzlich der Glühverlust (VSS) bestimmt. In der
Forschung wird heute zunehmend auch mit dem CSB des Belebtschlamms gear-
beitet, weil mehrere mathematische Modelle für das Belebtschlammverfahren auf
dem CSB basieren. In Tabelle 20.4 sind typische Werte für die Belebtschlamm-
konzentration zusammengestellt.
Beim Projektieren einer Belebungsanlage wird die Belebtschlammkonzentrati-
on auf Grund eines iterativen Vorgehens gewählt: Je grösser das Nachklärbecken,
desto grösser wird die mögliche Eindickung und desto grösser wird die zulässige
Belebtschlammkonzentration TSBB. Da alle Dimensionierungsverfahren für das
Belebungsbecken nur die erforderliche Masse von Belebtschlamm berechnen (also
das Produkt VBBTSBB), resultiert aus einer Vergrösserung der Belebtschlamm-
konzentration TSBB eine Verringerung des erforderlichen Beckenvolumens VBB.
Heute wird an Stelle der Schlammbelastung meistens das sogen. Schlammalter als
Basis für die Dimensionierung benutzt. Das Schlammalter Tx gibt an, wie lange im
Mittel eine Schlammflocke im Belebtschlammbecken verbleibt, bevor sie im
Überschussschlamm oder im Ablauf des Nachklärbeckens aus der Anlage verloren
geht. Das Schlammalter kann zur Wachstumsgeschwindigkeit der Mikroorganis-
men (oder auch deren Verdoppelungszeit) in Beziehung gebracht werden und steht
daher den mikrobiologischen Prozessen im Belebungsbecken nahe. In Worten
ergibt sich:
Masse der Feststoffe im Belebungsbecken
Schlammalter
Schlammverluste je Zeiteinheit
Die Schlammverluste setzen sich zusammen aus dem Überschussschlamm und
dem Verlust von Schwebestoffen im Ablauf des Nachklärbeckens. Mathematisch
ergibt sich:
VBB TSBB
TX | (20.5)
Q TSe Q ÜS TSÜS
Tx = Schlammalter in Tagen. Typische Werte liegen im Bereich von
3–15 Tagen.
TSe = Konzentration der Schwebestoffe im Ablauf des Nachklärbeckens,
typisch sind Werte < 20 gTSS m-3.
QÜS = Menge des abgezogenen Überschussschlamms [m3 d-1]
TSÜS = Konzentration des abgezogenen Überschussschlamms. Typisch sind
ca. 2 TSBB = 6–10 kgTSS m-3. Die genaue Konzentration muss mit
Hilfe einer Stoffbilanz um das Nachklärbecken berechnet werden.
In der Berechnung des Schlammalters nach Gl. (20.5) wird nicht berücksich-
tigt, dass der Ablauf des Nachklärbeckens um die Menge des Überschuss-
schlamms verringert wird. Daraus ergibt sich für die Reinigung von kommunalem
Abwasser ein vernachlässigbar kleiner Fehler: Der Überschussschlamm beträgt
hier nur ca. 2–5% des Zufluss.
Mit Gl. (20.5) kann das Schlammalter mit den Erfahrungszahlen aus dem Be-
trieb einer bestehenden Anlage berechnet werden, da alle Grössen gemessen wer-
den können. Um eine Anlage zu dimensionieren, müssen die erwarteten
Schlammverluste (Q·TSe + QÜS·TSÜS) vorerst aus der Schlammproduktion berech-
net werden (im Gleichgewicht wird gleichviel Schlamm produziert wie verloren
geht). Dies geschieht durch Abschätzung der spezifischen Schlammproduktion
ÜSB, die angibt, wieviel Trockensubstanz in Form von Belebtschlamm produziert
wird pro Masse BSB5, die in die Anlage geleitet wird. Die Schlammproduktion
ergibt sich zu:
SP = ÜSB Q BSB5 in kgTSSd-1 (20.6)
Mit diesen Überlegungen wird das Schlammalter zu:
VBB TS BB
TX (20.7)
SP
20.4 Belebtschlammverfahren 331
Richtwerte zur Abschätzung von ÜSB stehen in Tabelle 20.5 und Tabelle 20.6.
Tabelle 20.6 gibt Richtwerte für das erforderliche Schlammalter.
Es besteht eine Beziehung zwischen dem Schlammalter Tx und der Schlamm-
belastung BTS in der Form:
1 Q BSB5
BTS (20.8)
ÜSB TX VBB TSBB
ÜSB = Spezifische Produktion von Belebtschlamm als Folge der Elimination
von BSB5 und der Fällung von Phosphor [kg TS kg-1 BSB5].
Tabelle 20.6. Richtwerte für das erforderliche Schlammalter Tx in Tagen in Abhängigkeit der
Reinigungsleistung und der zu erwartenden mittleren Schlammproduktion ÜSB (ohne Phosphor-
fällung). Gültig für Temperaturen > 10°C. Arbeitsblatt DWA A131 (2000)
Grösse der Anlage: Spez. Produktion
angeschlossene von Schlamm
Reinigungsziel
Einwohnergleichwerte ÜSBb)
< 20’000 > 100’000 kgTSS kg-1BSB5
Ohne Nitrifikation 5 4 0.9 – 1.2
Mit Nitrifikation 10 8 0.8 – 1.1
Mit Nitrifikation und Denitrifikation 12.5 – 20 10 – 16 0.7 – 1.0
Mit Schlammstabilisierunga) 25 - 0.6 – 1.0
a)
Dieses Verfahren wird ausschliesslich ohne Vorklärung betrieben und kommt nur in kleinen
Anlagen zur Anwendung. Es schliesst die Schlammbehandlung in der Anlage mit ein.
b)
Der Bereich gibt die Schlammproduktion mit grosser bis kleiner Vorklärung an. Zusätzlich
müssen bei Phosphorelimination noch die dabei entstehenden Fällungsprodukte berücksich-
tigt werden (ca. 6.8 kg TSS kg-1 P), s.a. Abschn. 20.4.10, Seite 354, und Gl. (20.21), Seite
344.
Luft
O2 O2
O2 O2
O2
Abb. 20.5. Schematische Darstellung von verschiedenen Systemen für den Sauerstoffeintrag in
Belebungsanlagen. Links: Oberflächenbelüftung. Rechts: Feinblasige Tiefenbelüftung
tung für die erforderliche Durchmischung. (Mit der Belüftung tragen wir ca. 10–
20 W m-3 mechanische Energie ein, die in Turbulenz umgewandelt wird.)
Für den aeroben Abbau von organischen Stoffen und die Nitrifikation verbrau-
chen die Mikroorganismen Sauerstoff, der durch die Belüftung nachgeliefert wer-
den muss. Wir unterscheiden zwei Prinzipien des Sauerstoffeintrages (s.
Abb. 20.5):
– Oberflächenbelüftung: Der Belebtschlamm wird durch Walzen, Schaufel- oder
Pumpenräder durch die Luft geworfen, dabei wird Sauerstoff aus der Luft im
Belebtschlamm gelöst.
– Blasenbelüftung: Komprimierte Luft wird in der Tiefe des Belebungsbeckens
feinblasig (1–4 mm Blasendurchmesser) eingetragen. Aus den aufsteigenden
Luftblasen geht Sauerstoff im Belebtschlamm in Lösung.
Für den Eintrag von Sauerstoff ist der grösste Anteil von elektrischer Energie
auf Kläranlagen erforderlich. Für den Abbau von 1 kg BSB5 ist ca. 1 kg Sauerstoff
erforderlich, für dessen Eintrag 0.5–1 kWh Energie benötigt werden. Die detail-
lierte Berechnung des Sauerstoffverbrauchs bei verschiedensten Belastungssituati-
onen und die Dimensionierung der Apparate zum Eintrag des Sauerstoffs ist eine
anspruchvolle Aufgabe, die Fachleuten überlassen werden soll.
In allen Modellen zur Dimensionierung der Belebungsbecken kommt das Pro-
dukt Volumen mal Belebtschlammkonzentration, VBB TSBB, vor, d.h. je kleiner
die mögliche Belebtschlammkonzentration ist, desto grösser wird das erforderli-
che Volumen des Belebungsbeckens. Die zulässige Konzentration des Be-
lebtschlamms TSBB wird bestimmt durch das gewählte Verfahren, die Grösse und
Leistung des Nachklärbeckens und die Zusammensetzung des Abwassers. Richt-
werte sind in Tabelle 20.7 zusammengestellt. Die detaillierte Dimensionierung
von Nachklärbecken und die Begründung einer Wahl der Belebtschlammkon-
zentration muss der vertiefenden Literatur entnommen werden (z.B. DWA A131).
Belebungsbecken werden heute meist ca. 4–5 m tief gebaut. Allerdings besteht
ein Trend zu immer tieferen Becken, um die erforderliche Landfläche zu verrin-
gern. Dadurch ergibt sich die Gefahr, dass der pH-Wert im Becken absinkt, weil
immer weniger Luft durch die Becken geblasen werden muss und dadurch immer
mehr Kohlensäure oder CO2 im Becken akkumuliert (s.a. Beispiel 20.13).
20.4 Belebtschlammverfahren 335
Zulauf
einfache
Zwischenwände
nicht tragend
Luft
Ablauf
Luft
Zulauf
Abb. 20.6. Beispiele von Belebungsbecken
im Grundriss. Oben: Als Kaskade von
Ablauf längsdurchströmten, in Serie geschalteten
Becken. Unten: Als Umlaufbecken gestal-
Umwälzung tet
-3
Tabelle 20.7. Trockensubstanzkonzentration TSBB im Belebungsbecken in kg TSS m . Angege-
ben werden typische Bereiche (nach Arbeitsblatt A 131, 1991) und ein in der Schweiz häufig
gewählter Wert (kursiv) als Annahme für die Dimensionierung
Reinigungsziel mit Vorklärung ohne Vorklärung
Ohne Nitrifikation 2.5 – 3.0 – 3.5 3.5 – 4.0 – 4.5
Mit Nitrifikation (und Denitrifikation) 2.5 – 3.0 – 3.5 3.5 – 4.0 – 4.5
Mit Schlammstabilisierung nicht üblich 4.0 – 4.5 – 5.5
Mit chemischer P Fällung (Simultanfällung) 3.0 – 3.5 – 4.5 3.5 – 4.0 – 5.0
Einlauf-
wirksame Oberfläche
störzone
Klarwasserzone
Trennzone
hmin> 3m
Speicherzone
Eindick- und Räumzone
Rücklaufschlamm
Zulauf
wirksame Oberfläche
Tabelle 20.8. Typische Dimensionierungswerte für Nachklärbecken. Berechnet mit Angaben aus
dem Arbeitsblatt A131. Angegeben werden nur Bereiche der wichtigsten Grössen, diese genügen
nicht für eine detaillierte Dimensionierung. Hydraulische Grössen beziehen sich auf die maxima-
le Belastung bei Regenwetter
Fliessrichtung des Wassers horizontal vertikal
-1 -1
Hydraulische Oberflächenbelastung Q / ANKB < 1.6 m h < 2.0 m h
-1 -1
typische Werte 1.0 – 1.6 m h 1.2 – 2.0 m h
Beckentiefe >3m
typische Werte 3.0 – 4.5 m 5–7m
Hydraulische Aufenthaltszeit > 2.5 h
typische Werte (VNKB / QRegen) 2.5 – 3.5 h 2.5 – 4 h
80 > 13°C
60
0
0.1 0.2 0.4 0.6 0.8 1 2 4 6 8 10
Schlammbelastung BTS in kg BSB5 kg-1 TSS d-1
gestellt sind. Sie haben heute keine Bedeutung mehr. Interessant ist, dass die er-
wartete Leistung bei einer Schlammbelastung BTS < 1 kgBSB5kg-1TSSd-1 weder von
der Temperatur noch von der Belastung abhängig ist. Die Resultate von einzelnen
Experimenten sind aber beträchtlichen Streuungen unterworfen. Eine Dimensio-
nierung von Belebungsanlagen für einen Wirkungsgrad von 90 r 1% ist nicht
möglich – die Reinigungsleistung ist von zu vielen Randbedingungen abhängig!
Im Arbeitsblatt A131 wurde 1981 für Verfahren ohne Nitrifikation eine
Schlammbelastung BTS = 0.3 kg BSB5 kg-1 TSS d-1 angegeben. Heute (DWA
A131, 2000) werden auch solche Verfahren auf Grund eines vorgegebenen
Schlammalters im Bereich von 4–5 Tagen dimensioniert (s.a. Tabelle 20.6). Anla-
gen ohne Nitrifikation werden im deutschen Sprachraum kaum mehr neu gebaut.
Sowohl neue Anlagen als auch Erweiterungen schliessen heute mindestens die
Nitrifikation mit ein.
Also ist die strengere Anforderung das Einhalten einer Ablaufkonzentration von BSB5 <
20 g m-3.
Welche Schlammbelastung war damals maximal zulässig?
Nach Abb. 20.9 ergibt sich bei 10°C und 87% Wirkungsgrad eine Schlammbelastung
BTS < 0.6 kgBSB5 kgTS-1 d-1.
Heute würden solche Anlagen mit einem Schlammalter von 4–5 Tagen dimensioniert,
unabhängig vom erforderlichen Wirkungsgrad. Das ergibt ohne Phosphorelimination
eine zulässige Schlammbelastung von BTS | 0.2–0.25 kgBSB5 kgTS-1 d-1, also weniger als
halb so gross wie früher und daher mit doppeltem Volumen des Belebungsbeckens.
Dies widerspiegelt die Tatsache, dass wir heute grössere Anforderungen an die Zuver-
lässigkeit der Anlagen stellen.
Verantwortlich für die Elimination der organischen Stoffe sind aerobe hete-
rotrophe Bakterien, welche in Gegenwart von Sauerstoff organische Verbindun-
gen mineralisieren oder abbauen. Ein Teil der organischen Verbindungen dient
dem Aufbau der Biomasse und dem Wachstum (ca. 60%), der Rest wird veratmet,
z.B. zu Kohlendioxid (CO2) und Wasser (H2O). Durch das Wachstum dieser Bak-
terien werden somit dem Abwasser organische Schmutzstoffe entzogen, die an-
schliessend teilweise als Feststoffe (Biomasse) anfallen und als Überschuss-
schlamm aus dem Abwasser abgetrennt werden können.
Nachfolgend ist eine Reaktion dargestellt, die heterotrophe Organismen in ei-
ner aeroben Umgebung (mit Sauerstoff) durchführen können. Dabei steht CH2O
für ein Kohlehydrat, z.B. ein Zucker, ein Beispiel eines organischen Stoffs, der als
BSB5 oder CSB im Abwasser erfasst wird:
CH2O + O2 o CO2 + H2O (20.9)
Diese Reaktion schliesst keine gleichzeitige Produktion von Biomasse ein. Ei-
ne typische Zusammensetzung von Biomasse entspricht der folgenden Formel:
C5H7NO2. Werden z.B. 66% des Kohlenstoffs in die Biomasse eingebaut, so ergibt
sich insgesamt die folgende Reaktionsgleichung:
20.4 Belebtschlammverfahren 341
O2 - Verbrauch
1 - YCSB
20.4.8 Nitrifikation
Die Abwasserreinigung, die auf den Abbau der organischen Stoffe ausgelegt ist,
hat sich in vielen Situationen als ungenügend erwiesen: In diesen hochbelasteten
Anlagen werden langsam abbaubare, organische Verbindungen kaum abgebaut
(ein prominentes Beispiel ist NTA, ein Komplexbildner und Zusatzstoff zu vielen
Waschmitteln). Ammonium NH4+, das in den Fliessgewässern einerseits einen
grossen Sauerstoffverbrauch auslöst und andererseits zum fischgiftigen Ammoniak
NH3 dissoziiert, wird in diesen Anlagen nicht abgebaut.
Nitrifizierende Anlagen kennen diese Probleme weniger: Sie bedingen grösse-
re, schwachbelastete Becken; langsam abbaubare organische Verbindungen wer-
den darin vermehrt abgebaut und Ammonium wird zum weniger bedenklichen Nit-
rat aufoxidiert.
0.6
P max 0.29 e 0.11(T 10qC)
0.4
0.2
0
4 6 8 10 12 14 16
Temperatur °C
Die Nitrifikation verläuft nach Gl. (20.11) in zwei Stufen: Vorerst wird durch
Bakterien der Gruppe Nitrosomonas Ammonium NH4+ zu Nitrit NO2- oxidiert und
wieder ins Abwasser ausgeschieden. Anschliessend wird durch Bakterien die wir
hier Nitritoxidierer nennen, das Nitrit aufgenommen und zum Endprodukt Nitrat
(NO3-) oxidiert. Da sich die Nitritoxidierer meist schneller vermehren als Nitro-
somonas, erscheint das Zwischenprodukt Nitrit meist nur in geringen Konzentrati-
onen. Beide Gruppen von nitrifizierenden Bakterien (die Nitrifikanten) sind obli-
gat aerob, d.h., dass sie ohne Sauerstoff nicht nitrifizieren können.
Die Nitrifikanten sind langsamwachsende Bakterien: Als autotrophe Organis-
men müssen sie aus mineralischen Stoffen, insbesondere Kohlendioxid CO2, Bio-
masse aufbauen, was eine grosse Syntheseleistung erfordert. In Abb. 20.11 ist die
Abhängigkeit der maximalen Wachstumsgeschwindigkeit von Nitrosomonas von
der Temperatur dargestellt: Diese nimmt pro 1°C um 11% zu. Ihre Wachstumsge-
schwindigkeit ist im Vergleich zu derjenigen der heterotrophen Bakterien, die or-
ganische Stoffe abbauen, viel geringer (Tabelle 20.1, Seite 320).
Insgesamt sind nach Gl. (20.11) für die Nitrifikation 2 Mol O2 pro Mol NH4+
erforderlich oder 2 · 32 g O2 pro 1 · 14 g N = 4.57 g O2 g-1 N. Zusätzlich werden
Protonen H+ freigesetzt, was zur Folge hat, dass der pH-Wert des gereinigten Ab-
wassers abnimmt.
Durch die Nitrifikation wird Säure (Protonen, H+) freigesetzt (s. Gl. (20.11)) die
mit Bikarbonat HCO3- neutralisiert wird:
H+ + HCO3 o H2CO3 o H2O + CO2 (20.12)
Kohlendioxid CO2 (in der Form von H2CO3 auch als Kohlensäure bekannt)
wird durch die Belüftung z.T. in die Atmosphäre ausgetragen, trotzdem sinkt
durch diese Reaktion der pH-Wert des Abwassers. Ist nicht genügend Bikarbonat
(Alkalinität) verfügbar, so sinkt der pH-Wert soweit ab, dass das Wachstum der
Nitrifikanten gehemmt wird. Pro 1 Mol Ammonium NH4+-N (14 g N) werden 2
Mol Bikarbonat verbraucht oder pro 7 g NH4+-N m-3 sind 1 Mol HCO3- m-3 oder
5 °f Alkalinität erforderlich.
20.4 Belebtschlammverfahren 345
Zusammenfassung
Nitrifikation bedingt, dass die folgenden 4 Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind:
1. Ammonium muss vorhanden sein
2. Gelöster Sauerstoff muss vorhanden sein
3. Genügend Bikarbonat muss vorhanden sein
4. Biomasse, die Nitrifikanten enthält, muss vorhanden sein.
O2
BSB5
NH4+
NO3-
Abb. 20.12. Einfaches Fliessschema einer nitrifizierenden Belebungsanlage. Unten sind für ein
längsdurchströmtes Becken die Konzentrationsprofile für vier Abwasserinhaltstoffe gezeichnet.
Deutlich sichtbar sind die Konzentrationssprünge als Folge der Verdünnung (Rücklaufschlamm)
Für die Dimensionierung ergibt sich der erforderliche Sicherheitsfaktor aus der
Variation der Ammoniumfracht im Tagesgang im Zulauf zur Anlage. Er wird
meist geschätzt aus:
FNH 4,max
SFerforderlich (20.15)
FNH 4,mittel
10 5
Ablauf BB
0 0
0 12 24 12 24 12 24 12
Uhrzeit
Abb. 20.13. Ganglinie der Ammoniumkonzentration im Zulauf und im Ablauf des Belebungs-
beckens einer nitrifizierenden Belebungsanlage. Das Belebungsbecken entspricht einem voll-
durchmischten Reaktor. Deutlich sichtbar sind die Durchbrüche des Ammoniums unmittelbar
nach dem Anstieg der Belastung. (Sicherheitsfaktor im Betrieb der Anlage SFBetrieb | 2.0 nach
Gl. (20.13), SFerforderlich | 2.2 nach Gl. (20.15))
20.4.9 Denitrifikation
Mit der Nitrifikation wird dem Abwasser kein Stickstoff entzogen; das häufig kriti-
sche Ammonium NH4+ wird nur in das weniger bedenkliche Nitrat NO3- überführt.
Zum Schutze der Nordsee, deren Primärproduktion teilweise durch Stickstoff limi-
tiert wird, haben diejenigen Staaten, die in die Nordsee entwässern, beschlossen,
die eingeleitete Nitratfracht zu verringern, die Denitrifikation in Belebungsanla-
gen muss dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.
N2 ist im Wasser nur schlecht löslich. Als Folge der Denitrifikation können daher
Stickstoff-Gasblasen entstehen, die aus dem Abwasser aufsteigen. Dieses Phäno-
men, das in einfachen Versuchen beobachtet werden kann (s. Beispiel 20.28),
kann den Betrieb von biologischen Reinigungsanlagen ev. massiv stören, insbe-
sondere wenn die Denitrifikation im Nachklärbecken einer Belebungsanlage statt-
findet und die aufsteigenden Gasblasen die Abtrennung des Belebtschlamms vom
gereinigten Abwasser im Nachklärbecken verhindern.
Welcher Teil des Sauerstoffs, der in die Nitrifikation investiert wird, kann im Zuge der
Denitrifikation zurückgewonnen werden, wenn die Denitrifikation 80% der Nitrifikation
ausmacht?
Nach Gl. (20.11) braucht die Nitrifikation 4.57 g O2 g-1 N und nach Gl. (20.16) gibt die
Denitrifikation das Äquivalent von 2.86 g O2 g-1 N zurück. Die Einsparung von Sauerstoff
durch die Denitrifikation beträgt deshalb im Vergleich zum Sauerstoffverbrauch in der
Nitrifikation: 80% 2.86 / 4.57 = 50%. Oder die Hälfte des Sauerstoffs, der in die Nitrifi-
kation investiert wird, kann durch die Denitrifikation wieder eingespart werden.
Die Denitrifikation verbraucht nach Gl. (20.16) Säure (Protonen H+), diese wird
z.B. durch die Dissoziation von Kohlensäure freigesetzt, dabei entsteht die Base
Bikarbonat HCO3-, entsprechend:
CO2 + H2O o H2CO3 o H+ + HCO3- (20.17)
Pro Molekül Nitrat wird ein Proton verbraucht, dadurch steigt der pH-Wert des
Abwassers und es wird entsprechend Gl. (20.17) Bikarbonat frei. Durch die De-
nitrifikation kann also die Hälfte der Alkalinität (Bikarbonat), die in der Nitrifika-
tion verloren gegangen ist (s. Gln.(20.11) und (20.12)), wieder zurückgewonnen
werden.
Zusammenfassung
Denitrifikation bedingt, dass die folgenden 4 Bedingungen gleichzeitig erfüllt
sind:
1. Organische, biologisch abbaubare Verbindungen müssen vorhanden sein
2. Gelöster Sauerstoff darf nicht vorhanden sein
3. Nitrat muss vorhanden sein
4. Heterotrophe Biomasse muss vorhanden sein.
Zulauf
Ablauf
Interne Rezirkulation
Überschuss-
Rücklaufschlamm schlamm
Denitrifikation möglich, je grösser die Rezirkulation, desto grösser wird die De-
nitrifikation.
In Abb. 20.15 sind schematisch die Längenprofile von einigen Abwasserin-
haltstoffen dargestellt. Die Denitrifikation ist in dieser Darstellung durch das An-
gebot von Nitrat (NO3-) limitiert, dessen Konzentration gegen null fällt, während
noch organische Stoffe (BSB5) verfügbar sind. Eine Vergrösserung der internen
Rezirkulation würde mehr Nitrat in die Denitrifikation bringen und daher zu einer
Verbesserung der Denitrifikation führen.
Die Dimensionierung der Denitrifikation erfolgt für kommunales Abwasser in
erster Näherung auf der Basis des Verhältnis JD des Nitrat Stickstoffs, der denitri-
fiziert werden muss zum BSB5 im Zulauf. Für die Nitrifikation muss angenähert
das gleiche aerobe Belebungsvolumen (Belüftungsbecken) vorhanden sein wie
ohne Denitrifikation. Dazu ergibt sich ein Anteil des Denitrifikationsreaktors VD
am Belebungsbecken VBB. Richtwerte für die Dimensionierung einer Denitrifika-
tion gibt Tabelle 20.9.
Da die Nitrifikation im Winter, bei einer Temperatur um 10°C, ein sehr gros-
ses Schlammalter und damit auch ein grosses Belebungsbecken bedingt, ist es
heute üblich, im Sommer bei erhöhten Temperaturen und damit grossen Leis-
tungsreserven der Nitrifikation einen Teil des Beckens abzutrennen und mit De-
nitrifikation zu betreiben. Noch einfacher ist eine sogen. intermittierende Denitri-
fikation, hier wird zeitlich hintereinander, im gleichen Becken, eine Phase belüftet
(Nitrifikation) und eine Phase unbelüftet (Denitrifikation) betrieben. Mit zuneh-
mender Temperatur können die unbelüfteten Phasen laufend verlängert werden.
Von simultaner Denitrifikation sprechen wir, wenn im gleichen Becken gleichzei-
tig beide Prozesse ablaufen. Das ist z.B. in Umlaufbecken der Fall (Abb. 20.6),
wenn unmittelbar nach der Belüftung Sauerstoff vorhanden ist, aber nach einiger
Fliessstrecke dieser wieder auf null abfällt und damit die Denitrifikation einsetzen
kann.
20.4 Belebtschlammverfahren 353
Zulauf
O2
BSB5
NH4+
NO3-
Abb. 20.15. Schematische Darstellung eines Verfahrens mit Vordenitrifikation. Dargestellt sind
die Konzentrationsprofile entlang der Fliessrichtung für vier relevante Wasserinhaltsstoffe. Deut-
lich sind die Verdünnungen durch die Rückläufe und die Abstufung der Konzentration des Sau-
erstoffs zu sehen
Tabelle 20.9. Richtwerte für die Bemessung der Denitrifikation bei Trockenwetter und durch-
schnittlichen Verhältnissen. Die Angaben beziehen sich auf JD, die Masse des Nitrat-Stickstoffs,
die in einer vorgeschalteten Denitrifikation bei 10–12qC pro Masse zugeführten BSB5 denitrifi-
ziert werden kann, den Anteil VD des vorgeschalteten Denitrifikationsbeckens am ganzen Bele-
bungsbecken VBB und das erforderliche Schlammalter Tx (kleine Werte für grosse Anlagen >
100’000 EG, grosse Werte für Anlagen < 20’000 EG). Nach Arbeitsblatt DWA A131 (2000)
Erforderliche spezifische Anteil der Denitrifikation am Erforderliches
Denitrifikation Belebungsbecken Schlammalter
-
JD in kg NO3 -N / kg BSB5 VD / VBB TX in Tagen
0.11 0.2 10.0 – 12.5
0.13 0.3 11.4 – 14.3
0.14 0.4 13.3 – 16.7
0.15 0.5 16.0 – 20.0
Schon Mitte der 50er Jahre hat Prof. Thomas (Univ. Zürich), in der Schweiz
erste Versuche gemacht, um mit Hilfe von Eisensalzen die Phosphate im Abwasser
zu fällen und die gefällten Feststoffe aus dem Abwasser abzutrennen. Dabei wurde
das sogen. Simultanfällungsverfahren entwickelt, das heute weltweit das wichtigs-
te Verfahren zur Entfernung von Phosphor darstellt.
Fällung heisst ein chemischer Prozess, in dem ein im Wasser unlösliches Salz
gebildet wird, das dann z.B. durch Sedimentation aus dem Abwasser abgetrennt
werden kann.
Die Fällungsprodukte sind flockige, suspendierte Stoffe und bestehen aus einer
Mischung von FePO4 und Fe(OH)3. Sie können durch Sedimentation zusammen
mit anderen Schlämmen abgetrennt werden. Gemessen werden sie als Teil der
suspendierten Stoffe, TSS.
Mit zunehmender Dosierung des Eisensalzes verringert sich die Restkonzen-
tration der gelösten Phosphate im Abwasser, aber die zusätzliche Schlammproduk-
tion nimmt zu. Durch zweistufige Fällungsverfahren kann bei gleicher oder besse-
rer Leistung insgesamt ein Teil der Fällmittel eingespart werden (s.a. Abschn.
21.1, Seite 375, und Beispiel 20.35).
Die Schlammproduktion kann vereinfacht berechnet werden mit der folgenden
Gleichung, die aus der chemischen Stöchiometrie abgeleitet wurde:
SPP = Q SP,gefällt 1.5 + SFe,dosiert 1.9) (20.21)
SPP = Schlammproduktion als Folge der chemischen Phosphorelimination
[MTSS T-1]
Q = Zufliessende Wassermenge [L-3 T-1]
SP,gefällt = Konzentration des gefällten Phosphors [MP L-3]
SFe,dosiert = Konzentration des zudosierten Eisens [MFe L-3]
1.5, 1.9 = Theoretische Faktoren [MTSS MP-1, MTSS MFe-1]
20.4 Belebtschlammverfahren 357
Schlammabzug
Vorfällung
Zugabe von FeCl3, Al2(SO4)3
Vorklärbecken
Schlammabzug
Zellwachstum
Energie Energie
Abb. 20.17. Ein einfaches biochemisches Modell für die biologische Phosphorelimination. Dar-
gestellt ist ein Phosphor-akkumulierendes Bakterium. Links die anaeroben Prozesse; rechts die
aeroben und anoxischen Prozesse
Zusammenfassung
Biologische Phosphorelimination bedingt, dass die folgenden 4 Bedingungen
gleichzeitig erfüllt sind:
1. In einem anaeroben Reaktorteil müssen gelöste organische, biologisch abbau-
bare Verbindungen (mit Vorteil flüchtige Säuren, Essigsäure) angeboten wer-
den, dabei darf kein Nitrat (NO3-) und kein Sauerstoff (O2) vorhanden sein.
2. Es muss ein nachfolgender aerober oder anoxischer Reaktorteil mit genügen-
der Reaktionszeit angeboten werden.
3. Die Biomasse muss an das Verfahren adaptiert sein (Wochen).
4. Der phosphorreiche Schlamm soll aus einem aeroben Teilstrom als Über-
schussschlamm abgezogen werden.
20.4 Belebtschlammverfahren 361
Denitrifikation Nitrifikation
Zulauf
NO3-
PO4
CSBgel
Abb. 20.18. Fliessschema einer Anlage mit biologischer Phosphorelimination. Das Verfahren
wurde ursprünglich von einer Arbeitsgruppe an der University of Cape Town (UCT) vorgeschla-
gen und heisst in der Literatur UCT Verfahren (oder modifiziertes UCT Verfahren). Unten sind
die Konzentrationsprofile einiger Stoffe aufgetragen, die für das Verfahren von Bedeutung sind
(s. Text)
– Der dritte Reaktor wird auch anoxisch betrieben, hier wird das Nitrat aus der
internen Rezirkulation denitrifiziert. Das führt dazu, dass im Ablauf und im
Rücklauf nur geringe Nitratkonzentrationen auftreten.
– Der vierte Reaktor wird aerob (mit Sauerstoff) betrieben, er dient der Nitrifi-
kation: Ammonium NH4+ wird abgebaut und Nitrat wird produziert. Gleichzei-
tig bauen nun die Phosphor akkumulierenden Organismen die gespeicherten
organischen Stoffe ab und nehmen dabei das Phosphat wieder auf, um es als
Speicherstoff innerhalb der Biomasse festzulegen.
Anlagen mit biologischer Phosphorelimination werden häufig so dimensio-
niert, dass die biologischen Prozesse durch Zugabe von wenig Eisensalz unter-
stützt werden.
sind Sauerstoff O2 und Nitrat NO3-, sie bestimmen hauptsächlich, welche Prozesse
möglich sind.
Die Dimensionierung von Belebungsanlagen basiert heute meistens auf einem
erforderlichen Schlammalter, das die Produktion von Feststoffen mit der Masse
von Belebtschlamm, die sich im System befindet, in Beziehung setzt. Dieser stati-
sche Ansatz wird meistens durch dynamische Modellansätze (Simulation) ergänzt,
wobei es üblich ist, für diese Aufgabe Spezialisten zuzuziehen.
20.5 Tropfkörperverfahren
Die Tropfkörperverfahren sind älter als das Belebungsverfahren bereits im
19. Jh. sind in England die ersten biologischen Filter oder „Trickling Filters“
gebaut worden. In Europa wurden bis ca. 1960 viele Tropfkörper gebaut. Der
Trend, Abwasser von mehreren Kommunen in grossen und leistungsfähigen Ver-
bandskläranlagen zu reinigen, hat dann zunehmend dazu geführt, dass das Bele-
bungsverfahren dem Tropfkörper vorgezogen wurde. Heute kommen Tropfkörper
v.a. noch in kleinen Abwasserreinigungsanlagen zur Anwendung.
Tropfkörper sind biologische Reaktoren mit festsitzender Biomasse. Sie wer-
den mit Hilfe einer spezifischen Schmutzstoffbelastung pro Reaktorvolumen oder
pro Bewuchsfläche dimensioniert. Ihr Leistungsspektrum umfasst den Abbau von
organischen Stoffen, die Nitrifikation und unter besonderen Bedingungen auch die
Denitrifikation.
Im klassischen Tropfkörperverfahren wird das vorgeklärte Abwasser über eine
Schüttung von faustgrossen Steinen verregnet und rinnt als Folge der Schwerkraft
über diese Steinschüttung (Abb. 20.19). Auf den Steinen siedelt sich die aktive
Biomasse in Form eines dünnen Biofilmes an und wird aus dem vorbeirinnenden
364 20 Biologische Abwasserreinigung
Zufluss
Luft Biofilm
Trägermaterial
Steinbrocken
Tropfkörper
Luft
Abwasser
Abb. 20.19. Schematische Darstellung eines Tropfkörpers mit Vergrösserung eines bewachsenen
Steines
Tropfkörper
Pumpe
Vorklärung Nachklärung
Zulauf
Ablauf
Rezirkulation
Schlammrückführung
Schlammabzug
Konzentration
BSB5
Tropfkörper
NH4+
NO3-
Abb. 20.21. Konzentrationsprofile über die Tiefe eines nitrifizierenden Tropfkörpers. Deutlich
wird die örtliche Trennung der Nitrifikation vom Abbau der organischen Stoffe
messer der Brocken von 6 cm hat die Brockenfüllung eine Oberfläche von 80–100 m2
m-3.
Nitrifikation (20.25)
Q TKN zu Q TKN zu
BR ,Nit d 0.1 kg TKN m3TK d 1 BA,Nit d 1 g TKN m 2 d 1
VTK,Nit a VTK,Nit
20.5.3 Nachklärung
In der Nachklärung von Tropfkörpern muss nur der produzierte Schlamm abge-
trennt werden und nicht wie im Belebungsverfahren Belebtschlamm, der ca. 50
Mal rezirkuliert wird. Das Arbeitsblatt DWA A281 schlägt vor, die Nachklärung
für die maximale hydraulische Belastung (meist bei Regenwetter, inkl. interner
Rezikulationen, die über die Nachklärung geleitet werden) auszulegen. Richtwerte
sind eine minimale hydraulische Aufenthaltszeit VNK / Q t 2.5 h und eine hydrau-
lische Oberflächenbelastung von ANK/Q = vO d 0.8 m h-1 ohne Flockung / Fällung
resp. vO d 1.0 m h-1 mit Flockung auszugehen.
An Stelle von Nachklärbecken kommen auch Apparate zum Einsatz wie Mik-
rosiebe oder rotierende Filtertrommeln, die z.B. mit Textilien bespannt sind und
eine entsprechende Abtrennung bei viel kleinerem Bauvolumen erlauben (Abschn.
21.1.2, Seite 378).
Die Produktion von Schlamm (z.B. in kg TSS kg-1 BSB5) entspricht derjenigen
eines gleich leistungsfähigen Belebtschlammverfahrens.
20.6 Tauchkörperverfahren 369
Rotierende Tauchkörper
mit Bewuchsflächen
Vorklärung Nachklärung
Zulauf
Ablauf
Schlammrückführung
Schlammabzug
20.6 Tauchkörperverfahren
Rotierende Tauchkörper sind sehr ähnlich den Tropfkörpern, sie bieten Bewuchs-
flächen in einem rotierenden Apparat an, der abwechslungsweise den Biofilm ins
Abwasser eintaucht und an die Luft bringt.
Die ersten Tauchkörperverfahren bestanden aus einer Reihe von kreisförmigen
Scheiben, auf denen die Biomasse in Form eines Biofilmes festsitzt. Die Scheiben
werden auf einer Achse gedreht, sodass der untere Teil dieser Scheiben in eine
Wanne mit dem zu reinigenden Abwasser eintaucht und mit den Schmutzstoffen
in Kontakt kommt. Im oberen Teil ist der Biofilm der Luft ausgesetzt und kann
Sauerstoff aufnehmen. Diese häufig in Form von Kompakt- oder Fertiganlagen
industriell hergestellten Apparate trugen noch den Namen Scheiben-Tropfkörper
oder Tauchtropfkörper oder kurz TTK. Heute kommen an Stelle der flachen
Scheiben unterschiedliche Trägermaterialien zur Anwendung, sodass man häufi-
ger von Tauchkörperverfahren spricht. In Englisch werden diese Verfahren als
Rotating Biological Contactors oder kurz RBC bezeichnet.
In Abb. 20.22 ist ein typisches Tauchkörperverfahren dargestellt. Der Zulauf
wird über eine Vorklärung und anschliessend in einen mehrstufigen Tauchkörper-
reaktor geleitet. Im nachgeschalteten Nachklärbecken werden die abgeschwemm-
ten Feststoffe durch Sedimentation abgetrennt und zusammen mit dem Primär-
schlamm im Vorklärbecken eingedickt.
Tauchkörper werden mit Durchmessern von über 3 m hergestellt und tragen
bis zu 10’000 m2 Bewuchsfläche pro Walze. Da in einer kommunalen Kläranlage
bis zu > 10 m2 pro Einwohner Bewuchsfläche erforderlich sind, ist das Verfahren
eher für kleinere Anlagen geeignet.
Tauchkörper werden auf der Basis einer Flächenbelastung BA dimensioniert:
Q BSB5
BA (20.26)
A TK
370 20 Biologische Abwasserreinigung
20.7.1 Biofiltration
V.a. die grossen französischen Wassergesellschaften haben Ende des 20. Jh. so-
gen. Biofilterverfahren entwickelt, die heute bereits in grösserer Zahl zuverlässig
Abwasser reinigen. Die Möglichkeiten zur Elimination von TSS, CSB und Stick-
stoff sind dabei dem Belebtschlammverfahren ebenbürtig, wobei die erforderli-
chen Bauwerke deutlich kleiner sind.
Ein Beispiel eines solchen Verfahrens ist in Abb. 20.23 dargestellt. Der Biofilter
wird von unten nach oben durchflossen. Das Filtermaterial besteht aus leichtem
Styropor Material mit 3 – 5 mm Durchmesser und schwimmt gegen den obenlie-
genden Filterboden auf. Auf diesem Filtermaterial siedeln sich Mikroorganismen
an, gleichzeitig wirkt dieses Material als Raumfilter analog einem gewöhnlichen
Schnellfilter (Absch. 9.3 und 21.1.1). Im Betrieb wird Luft ins Filterbett eingebla-
372 20 Biologische Abwasserreinigung
Verteilung Zufluss
Rezirkulation
Ablauf
gereinigtes Abwasser
Rückspülen mit
gereinigtem Abwasser
Betriebsluft
Rückspülluft
Zufluss
Luft
sen, das versorgt die Mikroorganismen mit Sauerstoff und erlaubt z.B. die Nitrifi-
kation. Wird der Ablauf, der nun Nitrat enthält mit dem vorgeklärten Zulauf ver-
mischt, so kann im unteren, nicht belüfteten Teil des Filterbetts eine Denitrifikati-
on stattfinden: Nährstoffe und Nitrat stammen aus dem Zufluss, Sauerstoff wird
nicht nachgeliefert und die Mikroorganismen sitzen auf dem Filtermaterial.
Der „Überschussschlamm“ akkumuliert im Filterbett, damit nimmt der Ener-
gieverlust laufend zu. Der Biofilter muss analog zu einem Schnellfilter regelmäs-
sig gespült werden. Dazu wird das Wasserniveau abgesenkt und das Filterbett mit
Spülluft gereinigt, sodass anschliessend die zurückgehaltenen Feststoffe ausgewa-
schen werden können.
Richtig gestaltet sind solche Biofilter heute dem Belebungsverfahren ebenbür-
tig, die Bauwerke sind kleiner aber die Investitionen eher grösser. Die Verfahren
werden zusammen mit dem Lieferanten der Ausrüstung, basierend auf spezifi-
schem „know how“ dimensioniert und gestaltet.
Ablauf / Permeat
Überschussschlamm
Ablauf / Permeat
Überschussschlamm
Konzentrat
Rezirkulation
Cross Flow Membranmodul: Platten oder Röhren
Abb. 20.25: Verfahrensschema eines Membranbioreaktors mit externen ‚Cross Flow’ Membra-
nen
Druckdifferenz in mWs
1000 Umkehr-
osmose Bereich für MBR Anlagen
Nano-
100
filtration
Ultra-
10 filtration
Mikrofiltration
Desinfektion Sandfiltration
1 Abb. 20.26: Transmembrandruck
0.0001 0.001 0.01 0.1 1 10 100 und Porengrösse von unterschied-
Porengrösse in Pm lichen Membranen
wieder gereinigt werden. Der Luftbedarf für die Reinigung der Membran reicht in
der Regel aus um genügend Sauerstoff für den Abbau der Schmutzstoffe und die
Nitrifikation nachzuliefern.
In Abb. 20.25 ist ein Verfahren mit aussenliegenden, sogen. „Cross Flow“
Membranen dargestellt. Hier wird die dauernde Reinigung der Membranen er-
reicht, indem das Konzentrat mit erhöhter Geschwindigkeit über die Membranen
fliesst und eine Scherströmung erzeugt, die die abgeschiedenen Feststoffe weg-
erodiert.
374 20 Biologische Abwasserreinigung
Es gibt eine ganze Reihe von Abwasserreinigungsverfahren, die v.a. auf physikali-
schen Prozessen beruhen, häufig ergänzt durch chemische Prozesse: man spricht
von physikalisch-chemischer Abwasserreinigung. Viele dieser Verfahren kommen
z.B. in der Industrieabwasserreinigung zur Anwendung. Hier werden nur diejeni-
gen Verfahren vorgestellt, die in der kommunalen Abwasserreinigung eine Rolle
spielen.
21.1 Filtration
Filtration ist ein Verfahren zur Abtrennung von suspendierten Stoffen aus einem
Abwasser. In der Raumfiltration wird das Abwasser durch ein grobkörniges Sand-
bett geleitet, dabei werden die suspendierten Stoffe verteilt über den Raum dieses
Sandbetts durch verschiedene Mechanismen (Siebung, Anlagerung, Sedimentation
etc.) zurückgehalten. In der Flächenfiltration werden die Feststoffe hauptsächlich
an der Oberfläche des Filters zurückgehalten. Als Filtermaterialien dienen hier
dünne, feinkörnige Sandschichten, Textilien und Ähnliches. Typisch für die Filtra-
tion ist, dass durch die Akkumulation von Feststoffen im Filtermaterial der Ener-
gieverlust des durchfliessenden Abwassers zunimmt, und dass die Feststoffe, je
nach Bauart des Filters, diskontinuierlich oder kontinuierlich aus dem Filtermate-
rial rückgespült werden müssen.
In der Abwasserreinigung kommt die Filtration häufig als letzte Verfahrens-
stufe zur Anwendung. Es sollen die suspendierten Stoffe (TSS), die noch im Ab-
lauf z.B. eines Nachklärbeckens enthalten sind, auf geringste Restkonzentrationen
(< 5 g TSS m-3) reduziert werden. Eine weitere, häufige Anwendung ist die Elimi-
nation der Restkonzentration von Phosphor nach z.B. einer Simultanfällung.
Durch Zugabe von Fällungschemikalien können die restlichen gelösten Phosphate
in partikuläre Stoffe überführt und zusammen mit den partikulären Phosphaten im
Ablauf des Nachklärbeckens im Filter zurückgehalten werden. Mit dieser zweistu-
figen Fällung (Beispiel 20.35) können sehr geringe Restkonzentrationen von tota-
lem Phosphor erreicht werden (Ptot < 0.2 g P m-3, Tabelle 20.10).
21.1.1 Raumfiltration
Die Verfahren zur Filtration von Abwasser haben sich aus den Verfahren der
Trinkwasseraufbereitung heraus entwickelt und sind zu diesen konstruktiv sehr
ähnlich (s. Abschn. 9.3, Seite 136). In der Abwasserreinigung müssen grössere
Konzentrationen von Schwebestoffen zurückgehalten werden. Es resultieren dar-
aus kürzere Laufzeiten und oft werden gröbere Filtermedien, höhere Filter-
376 21 Physikalische Reinigungsverfahren
Filtration Rückspülung
Rohwasser Schlamm-
wasser
Filtrat Luft
Spülwasser
Schlamm- Filtrat-
wasser Ablauf
Sandbett,
abwärtsströmend
Rohwasserzulauf
Spülluft
aufwärtsströmend
schichten und grössere zulässige Druckhöhen gewählt. In Abb. 21.1 und 21.2 sind
typische Verfahren zur Filtration von Abwasser dargestellt. In Tabelle 21.1 sind
Dimensionierungswerte für Raumfilter in der Abwasserreinigung zusammen-
gestellt.
Raumfilter sind teure Bauwerke, die zuverlässig eine gute Leistung erbringen
können: Im Ablauf von gut betriebenen Filtern befinden sich < 3 g TSS m-3 und
somit weitgehend nur noch gelöste Restverunreinigungen. Für die Rückspülung
kommt bereits filtriertes Abwasser zum Einsatz. Zudem wird mit Hilfe von Luft
die Turbulenz im Filterbett erhöht und dadurch der Filtersand besser gewaschen.
Der Anteil des Rückspülwassers beträgt 2–5% des zufliessenden Wassers, er wird
in die Abwasserreinigung zurückgeleitet.
21.1 Filtration 377
Zulauf
Filtrat
Abb. 21.3. Beispiel eines Flächenfilters: Eine rotierende Filtertrommel. Die Reinigung der Fil-
tertücher (z.B. Nadelfilz) wird eingeschaltet, wenn der Strömungswiderstand (Niveaudifferenz)
über das Tuch zu hoch wird
21.1.2 Flächenfiltration
In kleinen Anlagen wird gelegentlich an Stelle der Raumfiltration die einfachere
und weniger leistungsfähige Flächenfiltration eingesetzt. Ein Beispiel eines sol-
chen Flächenfilters ist in Abb. 21.3 dargestellt: Auf einer rotierenden Filtertrom-
mel ist ein Textilfiltergewebe aufgezogen, in dem sich Partikel verfangen. Eine
Rückspülvorrichtung reinigt das Gewebe, sodass der Fliesswiderstand nicht zu
gross wird. Gelegentlich werden an Stelle der Filtergewebe Mikrosiebe eingesetzt.
Das sind Apparate, ähnlich den Tuchfiltern, die allerdings mit Metallgeweben mit
Porenöffnungen im Bereich von 16–60 Pm ausgerüstet sind (s.a. Abschn. 9.7, Sei-
te 141).
Schlammräumung
Schlammschaum
Flotat
Feststoffe
Zulauf Schlamm
Entspannungsventil Ablauf
Luft
Druckwasser
Abb. 21.4. Flotationsverfahren mit gelöster Luft. In einem Teilstrom des gereinigten Abwassers
wird unter Druck Luft angereichert, in der Flotationszelle wird dieses Wasser entspannt, von der
Oberfläche wird das konzentrierte Flotat weggetragen
die Schwebestoffe oder Schlammflocken anlagern und diese nach oben tragen.
Von der Oberfläche kann ein konzentrierter Schlammschaum abgetrennt werden.
– Der Anteil des Abwassers, in dem Luft gelöst wird und der Druck, unter dem
diese gelöst wird (Je nach Bedarf von gelöster Luft, 10–300%, 3–8 bar)). Etc.
Pro 100 kPa (1 bar) können ca. 0.02 Nm3Luft m-3Wasser (N für Normal) im Was-
ser gelöst werden. Die Löslichkeit nimmt proportional mit dem Druck zu, im Lö-
sungsreaktor kann aber nur ca. 50–80% des Gleichgewichtes, d.h. der theoretisch
möglichen Menge, erreicht werden.
Neben der Druckflotation kommt in der Industrie auch die Vakuumflotation
zum Einsatz. Hier wird das Wasser übersättigt, indem es unter Vakuum gesetzt
wird. Einige Verfahren benutzen auch die Elektrolyse: An Elektroden entstehen
Wasserstoff- H2 und Sauerstoffblasen O2 aus der Elektrolyse von Wasser H2O.
Heute werden Kläranlagen kaum mehr vollständig neu gebaut, sondern es beste-
hen bereits ältere Anlagen und Bauwerke, deren Durchsatz erhöht werden oder
deren Leistung ergänzt werden muss. Im Vergleich zu früher kann daher von den
Erfahrungen mit den bestehenden Anlagen profitiert und das zu behandelnde Ab-
wasser viel besser charakterisiert werden.
22.1 Projektbearbeitung
Die folgenden Aufgaben müssen vor Beginn der eigentlichen Projektierung einer
Anlagenerweiterung oder -erneuerung bearbeitet werden. Dabei soll insbesondere
das Umfeld der Kläranlage abgesteckt werden (Abb. 22.1): Abwasseranfall, gerei-
nigtes Abwasser, Vorflut und Klärschlamm. Diese vier Bereiche können und sol-
len parallel bearbeitet werden. Sie bedingen, dass sowohl die politischen Behörden
(Strategische Planung der Siedlungsentwicklung) als auch die Aufsichtsbehörden
(Gewässerschutz) Stellung beziehen.
1. Es müssen die Wassermengen und Stofffrachten festgelegt werden, für die das
neue Verfahren ausgelegt werden soll:
– Abwassermenge bei Trockenwetter und Regenwetter sowie deren Tages-
gang, je mit statistischer Verteilung.
– Schmutzstofffrachten (CSB total und gelöst, BSB5, TSS, TKN total und
gelöst, NH4+-N, NO2- und NO3--N, P total und gelöst, Säurebindungsver-
mögen etc.) und Tagesganglinien je mit statistischer Verteilung.
– Ev. sind saisonale und Wochenganglinien zu erarbeiten.
– Eine Temperaturganglinie im Jahresverlauf, Extremwerte.
Häufig bedingt das Erarbeiten dieser Grundlagen die Auswertung von beste-
henden Messungen und meist umfangreiche zusätzliche Untersuchungen. Da-
bei ist darauf zu achten, dass historische Messungen, die für den Betrieb der
Anlage gemacht wurden, sich nur beschränkt als Basis für den Ausbau einer
Anlage eignen, die Millionen kosten wird. Bei Messwerten, die auf Kläranla-
gen routinemässig erhoben werden, müssen wir grundsätzlich annehmen, dass
diese durch systematischen Messabweichungen (Fehler) verfälscht sind.
2. Die Betriebserfahrungen mit der bestehenden Anlage sollen systematisch aus-
gewertet werden. Daraus ergeben sich wichtige Hinweise für die Gestaltung
des neuen Verfahrens.
3. Es sollen die Einleitbedingungen für das gereinigte Abwasser in die Vorflut
festgelegt werden. Dazu sind je nach Vorflut ev. umfangreiche Untersuch-
ungen erforderlich. Sinnvoll sind Unterscheidungen nach Trocken- und Regen-
382 22 Umfeld und Kosten der Abwasserreinigung
Emmissionen
Lärm
Geruch, ... Vorflut
Zulauf
ARA Ablauf Zustand,
Bestandesaufnahme: Wasserführung
Einleit- Niedrigwasser
Unterschiedliche Bauten, Apparate
Bedingungen
Belastungssituationen, Leistung, ...
Planung,
etc.
Klärschlamm
Unterbringung
Stapelung
Anforderungen
...
Abb. 22.1. Das Umfeld einer Abwasserreinigungsanlage
Die heute übliche Ausschreibung von Wettbewerben kann nur erfolgreich sein,
wenn der Erarbeitung der Grundlagen in hohes Gewicht zukommt und diese von
Fachkräften durchgeführt wird.
Tabelle 22.1. Spezifische Kosten von Investitionen und Betrieb von Kläranlagen. Grobe Richt-
werte, die ein Bild der Grössenordnung vermitteln, aber nie als Entscheidungsunterlagen dienen
können. Die Entsorgung des Klärschlamms kann grosse zusätzliche Kosten verursachen (z.B.
kann Entwässerung, Trocknung und Verbrennung die Betriebskosten um Fr. 30 E-1 a-1 erhöhen
und die Investitionen nehmen entsprechend zu). Quelle BUWAL 2003
1000 100’000
Angeschlossene Einwohner Einw.
gering mittel hoch gering mittel hoch
Investitionen bei Neubau (ohne Land) 1000 2600 4400 400 700 1000 Fr E-1
Betriebskosten pro Einwohner 70 125 170 15 25 35 Fr a-1
Werterhaltung 40 80 140 15 30 40 Fr a-1
Jahreskosten pro Einwohnera) 110 205 310 30 55 75 Fr a-1
Angestellte 0.5 1 3 5 8 -
a)
Betrieb und Erneuerung in 33 a, keine Verzinsung
23 Kleinkläranlagen und alternative Konzepte
Zulauf Ablauf
Untergrundverrieselung
Faulraum Entlüftung
Versickerung
Bodenfilteranlage
Entlüftung Entlüftung
Sammelschacht
Grundriss
zur Vorflut
Zulauf
Teich 1 Teich 3 Ablauf
Teich 2 zur Vorflut
Vorreinigung
Abb. 23.3. Schematische Darstellung von Abwasserteichen: Eine einfache Vorreinigung gefolgt
von einer Kette von drei flachen Teichen. Teiche werden häufig ins Gelände eingepasst
Nitrifikation und ev. teilweisen Denitrifikation reichen kann. Das gereinigte Ab-
wasser wird je nach Situation in den Untergrund versickert oder in Drainagerohren
wieder gesammelt und einem Bach zugeleitet. Typischerweise wird eine Filter-
schicht mit Sand mit einer Körnung von 0.5–3 mm und einer Schichthöhe von
0.5–1.0 m eingebaut (Abb. 23.2).
Bei geeigneter Gestaltung der Anlagen kann mit einer Lebenserwartung des
Bodenkörpers vor dem Verstopfen von bis zu 30 Jahren gerechnet werden. Wich-
tig ist eine schwallweise Beschickung, die die Erneuerung der Bodenluft unter-
stützt. Der Flächenbedarf von solchen Anlagen ist gross, je nach Bodenmaterial 5–
15 m2 pro Einwohner.
23.3 Abwasserteiche
Teiche können Sauerstoff durch ihre Oberfläche aufnehmen oder im Sommer kann
Sauerstoff durch Photosynthese freigesetzt werden. Dieser Sauerstoff kann für
eine einfache aerobe Abwasserreinigung genutzt werden.
In Abwasserteichen fliesst das Abwasser nach einer einfachen Vorreinigung
(z.B. ein Emscherbrunnen, s. Abschn. 19.3.3, Seite 312) verteilt über mehrere Ta-
ge durch eine Kette von 2–4 Teichen, dabei werden die organischen Stoffe abge-
baut und Partikel können aussedimentieren. Abbildung 23.3 zeigt schematisch
eine solche Anlage. Die Teiche sind ca. 1–1.5 m tief und haben eine totale Ober-
fläche von bis zu 10 m2 E-1. Damit ergibt sich eine hydraulische Aufenthaltszeit
bei Trockenwetter von über 30 d. Gelegentlich wird auch Meteorwasser über sol-
che Anlagen geleitet.
Abwasserteiche können auch bei höherer Belastung (2–3 m2 E-1) und mit Be-
lüftung betrieben werden, diese haben allerdings den Nachteil, dass sie Energie
brauchen. Gelegentlich werden auch beide Arten von Teichen miteinander kombi-
niert.
23.4 Pflanzenanlagen
Pflanzenanlagen werden in unterschiedlichen Varianten gebaut. Typisch wird das
Abwasser durch einen Boden geleitet, der mit Sumpfpflanzen besetzt ist
(Abb. 23.4). Im Bodenkörper und auf den Wurzeln können sich Mikroorganismen
ansiedeln, die das langsam vorbeiströmende Abwasser reinigen. Gleichzeitig wirkt
das Bodenmaterial als Filter und hält partikuläre Stoffe zurück, die anschliessend
mineralisiert werden. Je nach Bodenmaterial können solche Anlagen auch Phos-
phor zurückhalten, bis ihre Sorptionskpazität erschöpft ist.
388 23 Kleinkläranlagen und alternative Konzepte
40 anaerobe Reinigung
chemische Reinigung
20 nur Sedimentation
Abb. 23.5. Erforderliche Abwas-
0 serreinigungstechnik in kleinen
1 10 100 Anlagen im Vergleich zum Ver-
Verdünnung des gereinigten Abwassers dünnungsverhältnis des Abwas-
(Flusswasser / Abwasser) sers in der Vorflut
Meteorwasser
Nutzung von
Biogas im
Bockheizkraftwerk
Dachwasser Nutzung
Vakuum WC oder Versickerung
org. Küchenabfälle
Küche
Biogas- Bad
Zentrale Waschen zur Vorflut
anlage
Vakuum
Anlage
organische Stoffe und Grauwasserreinigung
Nährstoffe zur im Bodenkörper
landwirtschaftlichen Nutzung ohne Fremdenergie
Fäkalschlammentsorgung Vorflut
Gebäude
Dosier- Bodenfilter Kontroll-
schacht schacht Schönungsteich
Einleitung
Abwasser-
faulraum
Versickerung
Bewässerung
den Untergrund versickert werden. Gesamthaft ergibt sich das Bild eines ganzheit-
lich entworfenen Systems.
Urin enthält einen grossen Teil der Nährstoffe im häuslichen Abwasser: Über
75% des Stickstoffs und über 50% des Phosphors. Heute wird eine Reihe von Sa-
nitärsystemen entworfen, die den Urin direkt an der Quelle abtrennt (Trenn- oder
NoMix WC) und einer separaten Behandlung zuführen. Solche Systeme haben,
sofern sie technisch ausgereift sind, viele Vorteile und eignen sich auch für kleine
Einzugsgebiete. Sie bringen eine grosse Reduktion der Belastung der Gewässer
mit Nährstoffen und einer Reihe von Chemikalien, die im Urin enthalten sind
(Hormone, Arzneimittel) und vereinfachen die erforderliche Abwasserreinigung.
Heute werden auf dem Markt ganze Entsorgungskonzepte angeboten, die auch
die teilweise Nutzung des gereinigten Abwassers miteinschliessen, ein Beispiel ist
in Abb. 23.7 dargestellt. Das Brauchwasser hat hier allerdings nur einen engen
Einsatzbereich (Toilette) und die Wirtschaftlichkeit von solchen Systemen ist nur
in Ausnahmefällen gegeben.
24 Entsorgung von Klärschlamm
Der Klärschlamm ist ein Spiegel unserer Aktivitäten. Wir finden darin sowohl die
harmlosen als auch die bedenklichen Stoffe wieder, die in der Abwasserreinigung
dem Abwasser entzogen wurden: Biomasse, Nährstoffe, Schwermetalle, natur-
fremde organische Verbindungen, hygienisch bedenkliche Keime, etc. Die Aufga-
be der Schlammbehandlung ist, diese Schlämme in einen Zustand zu bringen, in
dem entweder die Inhaltsstoffe in der Landwirtschaft genutzt oder die Reststoffe in
einer Deponie endgelagert werden können. Dazu steht uns heute ein breites Spekt-
rum von mechanischen, physikalischen, biologischen und thermischen Verfahren
zur Verfügung.
Produkte
Nahrung
Schlammbehandlung
Entlastung
Kanalisation Abwasserreinigungsanlage
Leck
Grundwasser
Systemgrenze
Vorflut
Abb. 24.1. Überblick über die Stoffströme in der Abwasserreinigung: Die zufliessenden Stoffe
gehen entweder in die Vorflut verloren oder sie werden in die Atmosphäre, die Landwirtschaft,
das Grundwasser oder eine Deponie verfrachtet
g Zink / t TS g Cadmium / t TS
2000 20
Zink
1500 15
1000 10
500 Cadmium 5
0 0
1980 1982 1984 1986 1988 1990
Jahr
Abb. 24.2. Entwicklung des Schwermetallgehalts im Klärschlamm der Kläranlage Werdhölzli
der Stadt Zürich. Die Grenzwerte, die eine Nutzung noch zulassen, liegen bei 2000 g Zn / t TS
und 5 g Cd / t TS (dargestellt sind Jahresmittelwerte aus der Eigenüberwachung)
Folgerung
Es ist nicht das Ziel der Schlammbehandlung, aus einem bedenklichen, mit
Schwermetallen belasteten Klärschlamm ein Produkt herzustellen, das wir beden-
kenlos deponieren können. Dazu kommen nur Massnahmen an der Quelle in Fra-
ge.
Die Verfahren der Schlammbehandlung konzentrieren sich darauf, die Eigen-
schaften des Schlamms zu verändern (Geruch, Volumen, Hygiene etc.) aber nicht,
den Schadstoffgehalt der Schlämme zu reduzieren.
Ziel und Aufgabe der Schlammbehandlung 393
Im Klärschlamm werden die Stoffe aufkonzentriert, die aus dem Abwasser elimi-
niert werden und nicht durch Mikroorganismen mineralisiert werden konnten.
Rohschlamm, wie er auf Kläranlagen meist aus der Vorklärung anfällt, ist in jeder
Beziehung ein unangenehmes Produkt, es enthält:
– Hygienisch bedenkliche Keime: Viren, Krankheitserreger, Wurmeier etc.
– Biologisch schnell zersetzbare organische Feststoffe und eine grosse Zahl von
aktiven Mikroorganismen.
– Schwermetalle, die als Element nicht abgebaut werden können und sich im
Schlamm aufkonzentrieren. Diese müssen an der Quelle eingeschränkt werden.
– Organische Verbindungen, die als hydrophobe (wasserabstossende), resp. li-
pophile (fettlösliche) Verbindungen die Tendenz haben, sich am Schlamm (an
den Feststoffen) anzulagern und aufzukonzentrieren. Sofern diese Stoffe für
die Umwelt bedenklich sind, müssen auch sie an der Quelle erfasst werden.
Insbesondere die grosse biologische Aktivität und die hohe Konzentration von
abbaubaren Stoffen im aufkonzentrierten Schlamm führen dazu, dass im Schlamm
anaerobe Verhältnisse herrschen, die zu intensiver Entwicklung von flüchtigen,
stark stinkenden, organischen Säuren führen. Man spricht von instabilem Klär-
schlamm, der einer schnellen, stinkenden Zersetzung unterworfen ist.
Je nach der Art der Endunterbringung / Endlagerung des Schlamms sind die
Anforderungen an das Produkt unterschiedlich, der Schadstoffgehalt soll in jedem
Fall begrenzt werden.
– Ist das Ziel, den Klärschlamm landwirtschaftlich zu nutzen, muss der Schlamm
hygienisch einwandfrei und stabil (d.h. es darf zu keiner Geruchsentwicklung
als Folge einer schnellen, mikrobiologischen Zersetzung kommen) sowie
transportfähig und in der Landwirtschaft einfach auszubringen sein. Dazu
kommt, dass Klärschlamm nur während der Vegetationsperiode ausgebracht
werden darf, d.h. der anfallende Klärschlamm muss im Winter über 3–4 Mona-
te gestapelt werden können.
– Soll der Klärschlamm in einer Deponie endgelagert werden, so muss er wei-
testgehend frei von organischen Anteilen sein. Heute wird wo immer möglich
nur Asche von verbranntem Klärschlamm in Deponien eingebracht. Früher
wurde entwässerter Klärschlamm, der z.B. mit gebranntem oder gelöschtem
Kalk (CaO, Ca(OH)2) verfestigt wurde, in Deponien gelagert. In solchen De-
ponien werden die organischen Stoffe im Klärschlamm noch über Jahrzehnte
mineralisiert.
– Soll der Klärschlamm in Industrieöfen (Zementwerken) verbrannt und energe-
tisch genutzt werden, muss der Wassergehalt des Klärschlamms durch Trock-
nung reduziert werden und seine Zusammensetzung darf weder das Produkt
(Zement) noch die Abgase negativ beeinflussen. Für die Verwendung in der
Zementindustrie sind z.B. der Chlorid- (Cl-) und der Quecksilber- (Hg) Gehalt
von Bedeutung. Cl- ist im Zementklinker unerwünscht und Hg entweicht z.T.
in den Rauchgasen, wenn keine besonderen Vorkehrungen getroffen werden.
394 24 Entsorgung von Klärschlamm
60
40
20 Verbrennung und Deponie
0
1970 1980 1990 2000 2010 Abb. 24.3. Nutzung und Entsorgung von
Jahr Klärschlamm in der Schweiz
Tabelle 24.1: Jährlicher Umsatz von Düngstoffen in der Schweiz (BUWAL 2003)
Form des Düngstoffs Stickstoff Phosphor
Hofdünger ca. 160'000 t a-1 ca. 25'000 t a-1
Mineraldünger ca. 70'000 t a-1 ca. 8'000 t a-1
Klärschlamm ca. 4'000 t a-1 ca. 2'000 t a-1
Eindickung
Hygienisierung Energie
Stabilisierung Biogas
Eindickung, Stapelung
Entwässerung
Trocknung Landwirschaft
Verbrennung Deponie
Atmosphäre
Systemgrenze
Abb. 24.4. Überblick über die Verfahrensstufen einer umfassenden Schlammbehandlung. Kaum
je sind alle diese Stufen auf einer Abwasserreinigungsanlage realisiert. Kreise identifizieren den
Eintrag und den Austrag von Stoffen aus dem System
– Im Eindicker und Stapelraum wird noch einmal das Volumen vermindert und
der Schlamm bis zu einer möglichen Nutzung oder Weiterverarbeitung gela-
gert.
– In der Entwässerung wird mit Hilfe von Maschinen und Flockungsmittel der
Wassergehalt des Schlamms reduziert.
– In der Trocknung wird der Wassergehalt durch verdampfen weiter reduziert.
– In der Verbrennung werden die organischen Stoffe weitestgehend minerali-
siert, was übrig bleibt ist mineralische Asche.
Kann der Klärschlamm in der Landwirtschaft genutzt werden, wird meist der
hygienisierte und stabilisierte, aber noch flüssige Schlamm aus dem Stapelbecken
eingesetzt. Immer mehr wird auch entwässerter und getrockneter Schlamm auf
diesem Weg genutzt. Allfällige Asche wird deponiert. Ein Teil der Schmutzstoffe
wird mineralisiert und gelangt in Form von Kohlendioxid CO2 und Wasser H2O in
die Atmosphäre. Aus vielen Behandlungsstufen muss Schlammwasser, das meist
mit viel Ammonium NH4+ belastet ist, in die Abwasserreinigungsanlage zurückge-
führt werden, wo eine massive zusätzliche Belastung entsteht.
In Tabelle 24.2 sind die Stoffflüsse und die Volumen der anfallenden
Schlammmengen und Nährstoffe zusammengestellt. Mit dem abnehmenden Vo-
lumen nimmt die Konzentration des Schlamms laufend zu. Die Ansatzpunkte der
Schlammbehandlung sind v.a. der Wassergehalt und die Verminderung der orga-
nischen Stoffe (gemessen als VSS oder GV).
Tabelle 24.2. Übersicht über die Stoff- und Volumenströme in der Schlammbehandlung kom-
munaler Kläranlagen. Die Angaben beziehen sich auf einen Einwohnergleichwert (d.h. pro Ein-
wohner) und eine Anlage mit Phosphorelimination
Volumenstrom TSS TSS VSS TKN TP
Stoffstrom -1 -1 -3 -1 -1 -1 -1 -1 -1 -1 -1
lE d gm gE d gE d gE d gE d
Rohabwasser 350 200 70 50 11 1.8
Gereinigtes Abwasser 350 < 15 <5 <3 2 – 8 < 0.2
Primärschlamm 35 25 1 0.2
Sekundärschlamm 45 35 2 0.6
Tertiärschlamm 10 0 0 0.8
Frischschlamm 2.5 36’000 90 60 3 1.6
eingedickt 1.8 50’000 90 60 3 1.6
Faulschlamm (stabilisiert) 1.8 33’000 60 30 3 1.6
eingedickt 0.8 75’000 60 30 2.2 1.5
Entwässert 0.24 250’000 60 30 1.6 1.4
Getrocknet 0.07 950’000 60 30 1.4 1.4
6
Verbrannt, Asche 0.03 > 10 30 0 0.0 1.4
24.4 Klärschlammkonzepte
Die Entsorgung des Klärschlamms ist heute aufwändig und teuer. Die Lösung der
dabei anfallenden Probleme wird daher häufig im regionalen Verbund angegan-
gen. Klärschlammkonzepte weisen den Weg zu einer rationellen Nutzung und Ent-
sorgung.
Zukunft der Klärschlammentsorgung 397
Heute sind Bemühungen im gang, die Nährstoffe in sauberer Form aus dem
Klärschlamm oder aus dessen Asche zu extrahieren und einer Nutzung zuzufüh-
ren. Als Alternative wird zunehmend versucht Sanitärsysteme zu entwickeln, die
die Nährstoffe insbesondere im Urin an der Quelle erfassen und einer direkten
Aufbereitung zuführen (s.a. Abschn. 23.9, Seite 389).
Insgesamt ist der Umgang mit den Stoffen, die wir dem Abwasser entnehmen,
in Zukunft weit offen. Keinesfalls sollten wir aufhören die Qualität des Klär-
schlammes zu überwachen, denn eine gute Qualität dieses Stoffes gewährleistet
auch, dass all die unvermeidbaren Abwasserverluste aus unserem Entwässerungs-
system die Umwelt nicht nachteilig beeinflussen.
Vorläufig bleibt es erforderlich, dass wir uns hier mit den Grundlagen des gan-
zen Spektrums von Verfahren zur Aufbereitung von Klärschlamm befassen.
25 Verfahren der Schlammbehandlung
Die Verfahrensketten für die Behandlung von Klärschlamm sind in den letzten
Jahren immer anspruchsvoller geworden. Abbildung 24.4 gibt einen Überblick
über die verschiedenen Verfahrensstufen die zur Anwendung kommen. Hier wer-
den diese Stufen detailliert vorgestellt und diskutiert.
25.1 Eindickung
Eindicker sollen dem Schlamm (Primärschlamm, Belebtschlamm oder ausgefaul-
ter Schlamm, etc.) Schlammwasser soweit als möglich entziehen, um das Volumen
des Schlamms zu verringern. Dabei soll das abgetrennte Schlammwasser mög-
lichst frei von Trübstoffen (TSS) sein. Das entlastet alle nachfolgenden Verfah-
rensstufen.
Eindicker sind den Absetzbecken ähnlich (Abb. 25.1). Ein langsam rotierendes
Krälwerk (vertikale, rechenähnliche Stäbe) erzeugt Wirbel im Schlamm, welche
die Flockung unterstützen und Möglichkeiten zur Ableitung des Schlammwassers
nach oben geben. Am Boden wird der eingedickte Schlamm mit dem Schlamm-
räumschild zum zentralen Schlammabzug geräumt. Auf der Oberfläche wird der
Schwimmschlamm beseitigt. Das Schlammwasser wird unterhalb der Oberfläche
seitlich abgezogen.
Die erreichte Konzentration des eingedickten Schlamms ist abhängig von der
Art des einzudickenden Schlamms und der Feststoff-Oberflächenbelastung BA:
Q zu TSzu Feststoffstrom
BA (25.1)
AE Oberfläche
Qzu = Schlammmenge im Zufluss in m3 d-1
TSzu = Trockensubstanzgehalt des Zufluss in kgTS m-3
AE = Oberfläche (Projektion) des Eindickers in m2
BA = Feststoff-Oberflächenbelastung in kgTS m-2 d-1
Tabelle 25.1 gibt Richtwerte für geeignete Feststoff-Oberflächenbelastungen.
Soll Faulschlamm eingedickt werden, so muss der Schlamm von der Faulraum-
temperatur von 35°C auf ca. 25°C abgekühlt werden. Dadurch werden die biologi-
schen Prozesse und damit die Gasproduktion gestoppt. Aufsteigende Gasblasen
stören den Eindickvorgang.
In kleineren Anlagen werden auch statische Eindicker gebaut, die mit steilem
Boden ausgerüstet sind und kein Krälwerk enthalten.
400 25 Verfahren der Schlammbehandlung
Zulauf
Schwimmschlammbeseitigung
Schlammwasserabzug
Krälwerk
Schlammabzug
Abb. 25.1. Schlammeindicker mit Krälwerk. Der Innendurchmesser reicht von 5–30 m, typische
Tiefen sind > 3 m
Die Eindickung betrifft ausschliesslich die partikulären Stoffe, nur diese können
mit Hilfe der Schwerkraft aufkonzentriert werden. Die gelösten Stoffe verbleiben
mit unveränderter Konzentration im Schlammwasser und müssen mit diesem ent-
sorgt werden. Das Schlammwasser kann je nach Herkunft des Schlammes eine
Hygienisierung 401
Alternative Entsorgung
Abb. 25.2: Schematische Darstellung zur Anordnung einer Vor- resp. Nachpasteurisierungsanla-
ge. Heute kommt ausschliesslich die Vorpasteurisierung zur Anwendung
25.2 Hygienisierung
Im Klärschlamm werden pathogene Keime (Krankheitserreger), Viren, Wurmeier,
etc. aufkonzentriert. Durch die landwirtschaftliche Nutzung des Schlamms entsteht
die Gefahr, dass solche Krankheitserreger in einem Kreislauf Mensch und Vieh
gefährden. Die Hygienisierung hat die Aufgabe, diesen Kreislauf zu unterbrechen.
Die Hygienisierung wird heute vor der Schlammstabilisierung angeordnet, man
spricht von Vorpasteurisierung. Bei der Einführung der Hygienisierung (1980)
wurden vorerst Nachpasteurisierungsanlagen gebaut (Abb. 25.2), die später als
nicht zielführend ausser Betrieb genommen werden mussten.
Die Anordnung als Nachpasteurisierung ist nahe liegend – wir erwarten, dass
der Klärschlamm optimal hygienisiert ist, wenn er vom Landwirt übernommen
wird. Zudem müssen wir in dieser Anordnung nur denjenigen Schlamm hygieni-
sieren, der wirklich in die Landwirtschaft gelangt. Aber:
Die Hygienisierung ist ein thermischer Prozess, der als Pasteurisierung bei ca.
70°C abläuft. Im Zuge dieser Erwärmung werden partikuläre organische Stoffe
z.T. aufgelöst und stehen nun als reiche Nahrung für Bakterien zur Verfügung.
Durch die Erwärmung werden alle Bakterien zu einem sehr grossen Teil abgetötet.
Wird nun der hygienisierte Schlamm, mit geringen Restkonzentrationen von Kei-
men zurückgekühlt (z.B. auf ca. 35°C) und bis zur Nutzung gelagert, stellt er ein
ideales Nährmedium dar für viele Krankheitskeime, die wir im Darm ausscheiden:
warm und nährstoffreich. Diese Keime können sich nun genauso schnell vermeh-
ren wie die erwünschten Bakterien, die den Klärschlamm stabilisieren – der Klär-
schlamm wird wieder verkeimt.
Nach einer Vorpasteurisierung gelangt der Klärschlamm in den Faulturm, der
die erwünschten Bakterien in grosser Zahl enthält. Diese bauen die gelösten Stoffe
in kurzer Zeit ab. In Konkurrenz gegen diese „Übermacht“ können sich die patho-
genen Keime in der kurzen Zeit in der reiche Nährstoffe vorhanden sind, nicht
mehr vermehren – der Faulschlamm bleibt hygienisiert. Ein Nachteil verbleibt:
Wir müssen den ganzen Klärschlamm hygienisieren, unabhängig von seiner Nut-
zung.
402 25 Verfahren der Schlammbehandlung
Vorlagebehälter Entlüftung
15°C Umluft
Reaktor
Ablauf zum 40°C
Faulturm Luft-
Zulauf Zufuhr
vorgewärmt
Wärmetauscher 65°C
im Chargenbetrieb
40°C
Temperatur
Ablauf heiss Regelung
65°C
Abb. 25.3. Typisches Fliessschema eines aerob thermophilen Verfahrens für die Hygienisierung
von Klärschlamm. Der Wärmetauscher wird chargenweise betrieben, indem pro Charge ca. 20%
des Reaktorvolumens in den Wärmetauscher geleitet werden. Die Luftzufuhr wird so geregelt,
dass die Reaktortemperatur von ca. 65°C eingehalten werden kann
– Das Verfahren wird chargenweise betrieben, d.h. eine bestimmte Menge von
Klärschlamm wird z.B. alle 4 h dem biologischen Reaktor zugeführt, nachdem
ein entsprechender Teil (z.B. 1/6 des Reaktorvolumens) des behandelten
Schlamms in den Wärmetauscher geleitet wurde. Dadurch gelangen Krank-
heitskeime nicht im Kurzschluss durch die Anlage.
– Aus einem Vorlagebehälter wird der zufliessende Frischschlamm mit geringer
Temperatur (z.B. 10–20°C) vorerst in einem Wärmetauscher mit der letzten
Charge von behandeltem Schlamm in Kontakt gebracht, sodass die Temperatu-
ren ausgeglichen werden können. Der zufliessende Schlamm wird von 15 auf
40°C aufgewärmt, der abfliessende Schlamm wird von der Reaktortemperatur
(z.B. 65°C) auf eine geeignete Temperatur für den Zufluss in den Faulturm
(z.B. 40°C) abgekühlt.
– Nach dem Temperaturausgleich wird der abgekühlte Ablauf dem Faulturm
zugeführt, und neuer heisser Reaktorinhalt in den Wärmetauscher geleitet.
– Nun kann der aufgewärmte Zufluss in den Reaktor gepumpt werden und an-
schliessend mit kühlem, neuem Zufluss ersetzt werden.
– Im Reaktor wird Sauerstoff eingetragen, wobei gleichzeitig der Reaktorinhalt
intensiv umgewälzt wird. Die verbrauchte Luft bei der Reaktortemperatur von
z.B. 65°C enthält in Form von Wasserdampf sehr viel Wärme. Damit diese
nicht unnötig verloren geht, wird die Luft mehrmals im Kreise geführt, bevor
sie als Abluft abgeführt wird; der Sauerstoff in der zugeführten Luft wird dabei
fast vollständig ausgenutzt.
– Dem Reaktor wird gerade soviel Luft (Sauerstoff) zugeführt, dass die Betriebs-
temperatur nicht über das für die Hygienisierung erforderliche Mass ansteigt,
denn Sauerstoffverbrauch und der damit verbundene Abbau von organischen
Stoffen bedeutet eine Verminderung des begehrten Biogases, das in der nach-
folgenden Faulung entsteht.
- Nach z.B. 4 h kann der Zyklus wiederholt werden, 1/6 des Reaktorinhalts wird
ausgetauscht. Das gewährleistet eine zuverlässige und genügende Hygienisie-
rung. Die zugeführte Menge von kaltem Schlamm resultiert in einer Abküh-
lung von < 5°C, die erforderliche biogene Aufheizung ist in kurzer Zeit mög-
lich.
Die Aufenthaltszeit im aerob-thermophilen Reaktor beträgt ca. 24 h, während
dieser Zeit wird nur ein geringer Teil (ca. 20%) der zugeführten organischen Stof-
fe abgebaut (s.a. Beispiel 25.2), der Klärschlamm ist daher noch nicht fertig stabi-
lisiert.
Der Ablauf von aerob thermophilen Hygienisierungsreaktoren wird im Allge-
meinen auf eine Temperatur zurückgekühlt, die nur wenig über derjenigen des
nachfolgenden Faulturmes liegt. Dadurch wird dem Faulturm die erforderliche
Wärme zugeführt, die z.B. durch Abstrahlung verloren geht. In anaeroben Prozes-
sen wird der grösste Teil der chemischen Energie der abgebauten organischen
Stoffe in Form von Biogas abgeführt. Es wird darum durch die biologischen Pro-
zesse kaum nutzbare Wärme frei.
Reaktoren für die aerob thermophile Hygienisierung werden von Lieferanten
als Apparate verkauft und nicht als Prototyp von den Ingenieuren entworfen, wie
das in der Abwasserreinigung der Fall ist.
404 25 Verfahren der Schlammbehandlung
Reaktor 1: Reaktor 2:
wird gefüllt wird entleert
70°C
70°C
Wärmetauscher
im Gegenstrom 70°C
Zum
70°C
Faulturm
40°C Dampf
40°C
Frischschlamm 10°C
Abb. 25.4. Fliessschema für ein typisches thermisches Hygienisierungsverfahren. Die zwei Re-
aktoren erlauben, die Wärme im Wärmetauscher zurückzugewinnen. Typisch sind Aufenthalts-
zeiten pro Charge von 30 min bei 70°C. Die erforderliche Prozesswärme wird von aussen zuge-
führt, z.B. in Form von Dampf, der mit Biogas produziert wird.
In Abb. 25.4 ist ein typisches Verfahrensschema für eine thermische Pasteuri-
sierung dargestellt. Häufig dient die Pasteurisierung auch der Heizung des Faul-
turmes, indem die Rückkühlung nur soweit getrieben wird, dass der Wärmebedarf
des Faulturms mit dem warmen Schlamm gedeckt werden kann. Ein Vorteil der
thermischen Pasteurisierung ist die Tatsache, dass keine organischen Stoffe aerob
abgebaut werden und daher die Produktion von Biogas nicht vermindert wird. Ein
Nachteil ist, dass Dampf thermodynamisch eine hochwertige Form von Wärme
darstellt, die z.B. aus Biogas produziert werden muss und daher nicht für die Pro-
duktion von Elektrizität genutzt werden kann.
Eindicker
Biogas
Schlammabgabe
Entwässerung
Verbrennung
aerob thermophile Entsorgung
Hygienisierung Nachfaulraum
oder Wärmetauscher Faulraum Eindicker Stapel
– Mit Faulung werden Prozesse bezeichnet, die unter Ausschluss von Sauerstoff
(anaerob) ablaufen.
Die mesophile Schlammfaulung ist mengenmässig das wichtigste Stabilisie-
rungsverfahren; die zugehörigen Reaktoren, die zwei Faultürme, sind auf vielen
Kläranlagen von weitem sichtbare charakteristische Bauten. Die Bauwerke der
Abwasserreinigung liegen meistens im Boden, weil das zu reinigende Abwasser
nicht gepumpt werden soll. Im Gegensatz dazu können die Bauwerke für die
Schlammbehandlung in ihrer Höhenlage nach den Anforderungen des Bauingeni-
eurs optimiert werden, da die kleinen Schlammmengen ohne Probleme gepumpt
werden können. Das führt zu den weit herum sichtbaren Faultürmen auf den Klär-
anlagen.
In Abb. 25.5 ist das Verfahrensschema einer typischen Schlammfaulung dar-
gestellt (s.a. Abb. 18.1, Seite 297):
– Der eingedickte Klärschlamm, der in der Abwasserreinigung anfällt, wird in
einem Wärmetauscher oder einer Hygienisierung auf die Temperatur des Faul-
reaktors (33–37°C) aufgeheizt. Dazu dient Prozesswärme, die z.B. durch Bio-
gas produziert wird oder als Abwärme aus der Biogasnutzung anfällt.
– Der warme Schlamm wird in den durchmischten Faulreaktor geleitet. Moder-
ne Faulreaktoren werden in regelmässigen Abständen (z.B. mehrmals täglich)
vollständig durchmischt, sodass Feststoffe und Wasser die gleiche Aufent-
haltszeit haben. Durch anaerobe Abbauprozesse bildet sich Biogas (ca. 67%
Methan CH4 und 33% Kohlendioxid CO2), das in Form von Gasblasen dem
Faulschlamm entweicht. Typisch verbleibt der Schlamm für ca. 15 – 20 – 30 d
im Faulturm.
– Das Biogas wird aufgefangen und im Gasometer bis zur Nutzung gestapelt.
Auf grösseren Kläranlagen (ca. ab 10'000 Einwohner) wird das Biogas in
Gasmotoren zur Produktion von elektrischer Energie genutzt, wobei die Ab-
wärme des Gasmotors die erforderliche Prozesswärme für die Aufheizung des
frischen Schlamms liefert.
Biologische Schlammstabilisierung 407
Gasproduktion
in m3 kg-1 org. Feststoffe im Zulauf
0.5
30°C
25°C
0.4 20°C
0.3 15°C
10°C
0.2
Übliche
0.1 Faulzeit
0.0
0 20 40 60 80 100
Faulzeit in Tagen
Abb. 25.6. Gasentwicklung in Abhängigkeit der Faulzeit und der Temperatur im Faulturm. Die
3
Gasproduktion in m Gas / kgorg. Feststoffe bezieht sich auf die organischen Stoffe, gemessen als
Glühverlust, die dem Faulturm zugeführt werden (Imhoff 1999 adaptiert nach Fair and Moore
1937)
Tabelle 25.2. Dimensionierungsrichtwerte für die mesophile Faulung von Klärschlamm auf
kommunalen Anlagen
Mittlere Aufenthaltszeit Th des Schlamms:
Kleine Anlagen mit geringer Durchmischung > 30 d
Mittlere Anlagen, regelmässig durchmischt 20 d
Grosse Anlagen, gut überwacht und gemischt 12–16 d
Temperatur im Faulturm 33–37°C
Abbau von organischen Stoffen 40–55%
Produktion von Biogas pro abgebaute org. Stoffe 0.9 m3 kg-1 GVabgebaut
Typische Gaszusammensetzung
Methan (CH4) 63%
Kohlendioxid (CO2) 35%
Andere (N2, H2, H2S) 2%
Heizwert:
Biogas hat einen Heizwert von ca. 6.5 kWh pro m3 (1.163 kWh erwärmen 1m3 Schlamm
um 1°C). Das Biogas stellt also einen Heizwert von ca. 3500 kWh d-1 dar. Dieser könnte
bei einem Wirkungsgrad von 100% den anfallenden Frischschlamm um 80°C erwär-
men. Aus dem anfallenden Biogas können ca. 2 Watt Dauerleistung pro Einwohner
elektrische Energie gewonnen werden.
25.3.2 Langzeitbelüftung
Wird ein Belebtschlammverfahren ohne Vorklärung und mit grossem Schlamm-
alter (TX > 20–25 d, s. Tabelle 20.6) betrieben, so fällt auf dieser Anlage nur der
Überschussschlamm aus diesem Verfahren an. Es entsteht insbesondere kein Pri-
märschlamm. Die biologische Aktivität dieses Schlamms (der Sauerstoff-
verbrauch) ist sehr gering, weil alle schnellabbaubaren organischen Stoffe bereits
abgebaut wurden. Der Schlamm ist also bereits stabil.
In kleinen Anlagen (< 5'000 E) kommt dieses Verfahren zur Anwendung, weil
es im Betrieb sehr einfach ist (es gibt nur eine Verfahrensstufe) und es eine gute
Reinigungsleistung erbringt. Diese Anlagen werden mit einem hohen Schlammal-
Biologische Schlammstabilisierung 411
ter betrieben und haben entsprechend ein grosses Belebungsbecken. Sie nitrifizie-
ren und können wegen des grossen Volumens häufig auch mit Denitrifikation be-
trieben werden. Die grosse Aufenthaltszeit hat dem Verfahren den Namen Lang-
zeitbelüftung gegeben.
Der anfallende Klärschlamm kann z.B. in eine grössere Nachbaranlage ge-
bracht werden, wo er weiter aufbereitet wird. Im Sommer kann der Schlamm lokal
eingedickt und direkt an die Landwirtschaft abgegeben werden, allerdings ohne
Hygienisierung.
25.4 Stapelung
Klärschlamm darf nur während der Vegetationsperiode in die Landwirtschaft
ausgebracht werden, d.h. wenn die Nährstoffe durch das Pflanzenwachstum ge-
nutzt werden können. Das bedingt, dass der anfallende Schlamm im Winter gela-
gert werden muss.
Die Gefahr, dass nicht genutzte Nährstoffe aus dem Boden ins Grundwasser
oder bei gefrorenem Boden in die nahen Gewässer ausgeschwemmt werden, ist
gross. Eine Lagerdauer von 3–4 Monaten, je nach Höhenlage der Anlage, ist er-
forderlich, um die Wintermonate zu überbrücken. Die entsprechenden Stapelvo-
lumen werden v.a. bei flüssiger Schlammstapelung sehr beträchtlich und überstei-
gen die Volumen der Schlammfaulung um ein Mehrfaches (s. dazu Beispiel 25.7
und Beispiel 25.13). Konsequente Eindickung und ev. mobile Entwässerungsan-
lagen können mithelfen, die entsprechenden Stapelvolumen zu vermindern.
VORSICHT: Viele Fischsterben werden verursacht, weil in kleinen Anlagen
der Faulschlamm von z.B. einem Monat mit einer mobilen, zugemieteten Entwäs-
serungsanlage in kurzer Zeit entwässert wird und die anfallenden Schlammwässer
über die Kläranlage entsorgt werden. Dadurch werden nitrifizierende Anlagen
stark mit dem Ammonium im Schlammwasser überlastet und die Gewässer ent-
sprechend belastet (s. dazu Beispiel 25.9).
Entwässerung 413
25.5 Entwässerung
Ziel der Schlammentwässerung ist die Verminderung des Volumens des anfallen-
den Schlamms durch Verminderung des Wasseranteils. Dieser Prozess wird in
Apparaten durchgeführt und wird durch die Zugabe von Flockungshilfsmitteln
unterstützt.
Durch mechanische Entwässerungsverfahren kann ein Schlamm mit 18–40 % TS
und entsprechend 82–60 % Wasser erhalten werden. Dabei entsteht ein Schlamm-
kuchen, der anfänglich meist pastös bis stichfest ist, der aber schon bald wieder
Flüssigkeit abgibt, verklebt und in dieser Form nicht gelagert werden kann.
Schlammentwässerung ist also meist nur ein Zwischenschritt, der zu weiterge-
henden Massnahmen führt: Trocknung, Verbrennung oder (mechanische) Stabili-
sierung mit Kalk als Notlösung (Zugabe von gelöschtem Kalk, Ca(OH)2, der sich
zu CaCO3 verfestigt). Ev. kann entwässerter Schlamm direkt mit Miststreuern in
die Landwirtschaft ausgebracht werden.
25.5.1 Konditionierung
Die Schlammkonditionierung bereitet den Schlamm mit Hilfe von Chemikalien auf
die Entwässerung vor: Gut konditionierter Schlamm gibt das Wasser leichter ab.
Im ausgefaulten Klärschlamm ist das Wasser (meist mit >96% Volumenanteil) mit
den Feststoffen so verbunden, dass die Abtrennung nur beschränkt möglich ist. Es
werden daher organische Flockungshilfsmittel (meist Polyelektrolyten, langkettige
Moleküle) zugegeben, die zur Flockung der Feststoffe beitragen und die Abtren-
nung des Wassers erleichtern. Die Wahl und die Dosierung von Flockungshilfs-
mitteln basiert meist auf Versuchen und Optimierungen, die anlagenspezifisch
sind. Typische Dosierungen von Flockungshilfsmitteln sind im Bereich von 4–10
g kg-1 TS. Bei einem Preis von 5–10 Fr kg-1 machen diese Chemikalien einen
grossen Teil der Kosten der Schlammbehandlung aus.
25.5.2 Dekanter
Dekanterzentrifugen sind Maschinen, die die Zentrifugalkraft für die Entwässe-
rung von Klärschlamm nutzen.
Zentrifugen werden heute v.a. in Form von Dekantern zur Entwässerung von
Faulschlamm eingesetzt (Abb. 25.7). Die Feststoffe sedimentieren unter der Ein-
wirkung der Zentrifugalkraft an der Aussenwand aus und werden mit einer lang-
samlaufenden Schnecke ausgetragen. Die Flüssigkeit akkumuliert gegen das Zent-
rum des Dekanters und kann über ein Wehr dekantiert werden. Dekanter sind
kontinuierlich betriebene Apparate, mit denen im ausgetragenen Kuchen ein Fest-
stoffgehalt > 25% TS erreicht werden kann.
25.5.3 Filterpressen
In Filterpressen wird der Schlamm durch Druck über Filtertücher entwässert.
Filterpressen (Abb. 25.8) werden chargenweise betrieben. Der konditionierte
Schlamm wird in die Filterkammern der Presse unter Druck eingepumpt. Über die
414 25 Verfahren der Schlammbehandlung
Feststoffaustrag Zentratablauf
Trocken-
zone Flüssigzone
Abb. 25.7. Schemaskizze eines Schlammdekanters. Die Schnecke dreht sich relativ zur Trommel
und trägt die Feststoffe aus. Die geklärte Flüssigkeit wird über ein geregeltes Wehr ausgetragen
Träger Filterkammern
Presskolben
Hydraulischer
Zylinder:
Druckkraft
Dichtung
Filterplatte
Schlamm
Filtertuch mit
Druckkraft
Drainage-Membran
als Unterlage
Filterkammer
gefüllt mit Schlamm
Filtrat
Abb. 25.8. Schemaskizze einer Filterpresse: Oben Filterpresse mit einer Serie von Filterplatten.
Unten: Funktionsschema während des Füllens der Filterkammern. Nach dem Füllen wird ge-
presst (Hydraulischer Zylinder) und anschliessend werden die Filterkammern geöffnet, sodass
die Filterkuchen herausfallen können
Entwässerung 415
25.5.4 Bandfilterpressen
Bandfilterpressen (Abb. 25.9) sind eine kontinuierliche Variante der oben disku-
tierten Filterpressen. Der konditionierte Schlamm wird vorerst in einer dünnen
Schicht auf die Filterfläche aufgebracht und mit Schwerkraft oder Unterdruck
entwässert. Anschliessend wird der Filterdruck erhöht und in Umlenkrollen wird
der Schlamm „geknetet“ um die Entwässerung zu unterstützen. Bandfilterpressen
sind kleine Apparate und können entsprechend auch in kleineren Kläranlagen zum
Einsatz gelangen. Die erreichten Feststoffkonzentrationen sind geringer als dieje-
nigen von Filterpressen.
25.5.5 Trockenbeete
Trockenbeete nutzen die natürliche Drainage und Trocknung an der Luft. Sie eig-
nen sich v.a. in kleinen Anlagen.
In Schlammtrockenbeeten wird stabilisierter Schlamm auf einer Filterschicht aus
Sand ausgebracht, die unten drainiert ist. Der Schlamm gibt grosse Teile seines
Wassergehalts in die Drainage ab und trocknet nachher an der Luft aus. Ein Bei-
spiel eines Schlammtrockenbeets ist in Abb. 25.10 dargestellt. Der getrocknete
Schlamm wird zusammen mit einer dünnen Sandschicht ausgetragen und kann
landwirtschaftlich genutzt werden.
Trockenbeete eignen sich auf kleinen und einfachen Kläranlagen, wo sie meist
„von Hand“ betrieben werden und dort das Problem der Volumenverringerung des
416 25 Verfahren der Schlammbehandlung
ev. Abdeckung
Faulschlamm flüssig
z.B. 20 cm
Drainage Sandbett 30 cm
für Drainage
Steinplatten
Klärschlamms auf effiziente Art lösen. Mit Trockenbeeten ergibt sich auch die
Möglichkeit der Stapelung von Schlamm vom Winter in die Vegetationsperiode.
Nach Imhoff (1999) kann in grösseren Anlagen der folgende Flächenbedarf
angenommen werden:
– Nur mechanische Reinigung: 13 Einwohner m-2
– Anlage mit Tropfkörper: 6 Einwohner m-2
– Belebungsanlage: 4 Einwohner m-2
In kleinen Anlagen sollte noch ein Zuschlag gemacht werden.
Vorlauf Scheibenelement
heiss beheizt
Rücklauf
kühler Gegenhaken
fest
Abb. 25.11. Querschnitt durch einen Klärschlammtrockner. Grosse beheizte Oberflächen und
Einbauten, die die dauernde Erneuerung der Oberflächen erwirken, führen zu einer effizienten
Trocknung. Durch drehen der Einbauten wird der Klärschlamm gefördert
25.6 Trocknung
In der thermischen Trocknung wird der Wassergehalt von entwässertem Schlamm
durch Verdampfung des Wassers weiter vermindert.
Es kommen unterschiedlichste Bauformen von Trocknern zur Anwendung, wobei
insbesondere die verfügbare Prozesswärme eine Rolle spielt. Ein Beispiel eines
Trockners ist stark vereinfacht in Abb. 25.11 dargestellt. Das Produkt, der ge-
trocknete Klärschlamm, enthält meist ca. 75–95% TS (d.h. < 25% Wasser).
Für die Beheizung kommen Dampf, heisse Abgase oder ev. Trägeröl zur An-
wendung. Bei der Brüdenkompression werden die Abgase (die Brüden) in Kom-
pressoren komprimiert, dadurch wird Wasser ausgeschieden und die Verdamp-
fungswärme kann wieder genutzt werden. Diese Art der Beheizung beruht auf der
Nutzung von elektrischer Energie und kommt mit weniger, dafür hochwertiger
Fremdenergie aus. Die Beheizung kann sowohl direkt, als Gaseintrag in den
Trockner, als auch indirekt, über Oberflächen erreicht werden. Als Energiequelle
kommen die Abwärme einer nachfolgenden Schlammverbrennung oder allenfalls
Biogas und Fremdenergie in Frage.
Trockner für Klärschlamm sind teure und anspruchsvolle Apparate und kom-
men nur in grösseren Kläranlagen (z.B. > 50'000 EG) wirtschaftlich zum Einsatz.
Kleinere Kläranlagen transportieren meist entwässerten Schlamm zur nächstgele-
genen Trocknungsanlage.
Getrockneter Klärschlamm ist hygienisiert und kann mit > 90% TS über länge-
re Zeit gestapelt werden. Als Granulat kann er in der Landwirtschaft genutzt
werden, dazu wird er gelegentlich mit mineralischem Dünger angereichert. Die
Lagerung kann Probleme verursachen: Verpuffung, Staubexplosionen und
Schwelbrände werden häufig beobachtet.
418 25 Verfahren der Schlammbehandlung
Zusatzbrenner
Schlammzufuhr
getrocknet
Wirbelschicht
(Sandwirbelbett) Düsenboden
Wirbelluft Anfahrbrenner
Abb. 25.12. Schematische Darstellung eines Wirbelschichtofens. Die Verbrennung der getrock-
neten Schlammpartikel findet in einem aufgewirbelten Sandbett statt. Die Asche wird mit den
Abgasen ausgetragen
25.7 Verbrennung
Mit der Verbrennung wird der Energieinhalt des Klärschlamms genutzt, eine Nut-
zung der Nährstoffe ist kaum mehr möglich.
Heute werden zwei Arten der Verbrennung von Klärschlamm angewendet:
– Klärschlamm kann in Industrieöfen, insbesondere in Zementwerken, als Zu-
satzbrennstoff verbrannt und die Asche ins Produkt eingebunden werden. Mit
solchen Lösungen könnte in der Schweiz der Klärschlamm weitgehend ent-
sorgt werden. Probleme ergeben sich, weil der Klärschlamm die Rauchgase
belastet (z.B. entweicht ein Teil des im Klärschlamm vorhandenen Quecksil-
bers Hg). Das hat zu grossen politischen Widerständen gegen diese Lösung ge-
führt. Heute wird die Möglichkeit genutzt, zu Lasten des Klärschlamms eine
zusätzliche Rauchgasreinigung in den Zementwerken zu realisieren, sodass
insgesamt die Umwelt entlastet wird.
– Klärschlamm kann allein, z.B. in Wirbelschichtöfen (Abb. 25.12) verbrannt
werden. Hier wird im Verbrennungsraum der Schlamm durch Luft in einem
Sandbett in Schwebe gehalten und die Asche wird mit dem Abgas ausgetragen.
Der zugeführte Klärschlamm muss soviel Wasser enthalten, dass durch Ver-
dampfen die Wirbelschicht auf der erwünschten Temperatur von 800–950°C
(geruchsfreie Verbrennung) gehalten werden kann. Die Abwärme kann hier für
die Trocknung des Klärschlamms genutzt werden (s. Abb. 25.13).
Wenn die Verbrennung die einzige Art der Klärschlammentsorgung ist, so ist
es wenig sinnvoll, in einem Faulturm vorerst den Heizwert des Klärschlamms
durch Entzug von Biogas zu reduzieren. In diesem Fall kann direkt der Frisch-
schlamm entwässert, getrocknet und verbrannt werden. Daraus ergibt sich aller-
dings das Problem, dass nun ein geeigneter Stapelraum für nicht stabilisierten
Schlamm während Revisions- und Unterhaltarbeiten fehlt.
Schlammverbrennung ist ausserordentlich teuer. Mit 20 Fr. pro Einwohner und
Jahr können diese Kosten fast gleich teuer werden wie der übrige Betrieb einer
Verbrennung 419
Kamin
Klärschlamm Waschwasser
Klärschlamm getrocknet entwässert
Wärmetauscher
Ofen
850°C Schlamm-
trocknung Rauchgas
und Asche
Wäscher
Stinkluft
aus ARA
10°C
Asche zur Waschwasser
Deponie zur Vorflut
Tabelle 25.3. Kosten der Klärschlammverbrennung im Wirbelschichtofen bei einer Leistung von
-1
6000 t TS a , die mit 25%TS angeliefert werden (150'000–250'000 EG) nach Obrist (1989)
-1
Minimale Kapitalkosten 290 Fr t TS
-1
Zusatzbrennstoff 50 Fr t TS
-1
Elektrische Energie 54 Fr t TS
-1
Personal 40 Fr t TS
-1
Aschedeponierung 50 Fr t TS
-1
Instandhaltung, Rest 80 Fr t TS
-1
Total 564 Fr t TS
-1 -1
das entspricht ca. 20 Fr E a
Literatur
Technisch-wissenschaftliche Zeitschriften
Beispiele von Zeitschriften, die sich mit Themen aus der Siedlungswasserwirt-
schaft befassen sind:
– Environmental Science and Technology (ISSN: 0013-936X)
– Gas Wasser Abwasser (ISSN: 1018-760X)
– GWF-Wasser/Abwasser (ISSN: 0016-4909)
– Journal of Environmental Engineering (ASCE) (ISSN: 0733-9372)
– Journal of Hydraulic Engineering (ASCE) (ISSN: 0733-9429)
– Journal of Hydroinformatics (ISSN: 14647141)
– Journal of the American Water Works Association (ISSN: 0003-150X)
– Journal of Water Supply: Research & Technology – AQUA (ISSN: 00037214)
– Korrespondenz Abwasser (ISSN: 1616-430X)
– Water 21 (ISSN: 1561-9508)
– Water Environment & Technology (ISSN: 1044-9493)
– Water Environment Research (ISSN: 1061-4303)
– Water Research (ISSN:0043-1354)
– Water Science & Technology (ISSN: 0273-1223)
– Water Science & Technology: Water Supply (ISSN 1606-9749)
Technische Regelwerke
Die technischen Regelwerke der Fachverbände zusammen mit den Normen der
nationalen und internationalen Normenvereinigungen (DIN, ÖNV, SNV, EN) ge-
ben umfangreiche und z.T. detaillierte Anhaltspunkte für die praxisgerechte tech-
nische Gestaltung, den Betrieb und den Unterhalt sowie die administrativen Be-
lange der Siedlungswasserwirtschaft.
Die folgenden Regelwerke wurden bei der Erarbeitung dieses Texts z.T. genutzt:
– DWA, ATV-DVWK Regelwerk: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft,
Abwasser und Abfall e.V.; DWA Bundesgeschäftsstelle, Theodor-Heuss-Allee
17, D-53773 Hennef
422 Literatur
– DVGW Regelwerk: Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V., Tech-
nisch-wissenschaftliche Vereinigung, Postfach 14 03 62, D-53058 Bonn, Ver-
trieb: Wirtschafts- und Verlagsgesellschaft Gas und Wasser mbH, Postfach 14
01 51, 53056 Bonn
– ÖVGW Regeln Wasser: Verband Gas & Wasser, Schubertring 14, A 1010
Wien
– SVGW Regelwerk: Schweizerischer Verein des Gas- und Wasserfaches, Grüt-
listr. 44, Postfach 658, CH-8027 Zürich
– VSA Richtlinien: Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleu-
te, Strassburgstr. 10, Postfach, 8026 Zürich
Einleitung
– ATV (1998) Geschichte der Abwasserentsorgung, Serie von Beiträgen in Kor-
respondenz Abwasser anlässlich des 50. Jubiläumsjahres der Abwassertechni-
schen Vereinigung
– ATV-Handbuch (1996) Betriebstechnik, Kosten und Rechtsgrundlagen der
Abwasserreinigung, 4.Aufl, Ernst&Sohn
– Berliner Wasser-Betriebe (1993) Wasserwerk Friedrichshagen 1893 – 1993,
Verlag für Bauwesen
– Illi M (1987) Von der Schîssgruob zur modernen Stadtentwässerung, Verlag
NZZ
– Kummert R, Stumm W (1992) Gewässer als Ökosysteme, 3 Aufl.,
vdf / Teubner
Zitiert
– Candinas T, Chassot G, Besson J-M, Lischer P (1991) Nutz- und Schadstoffe im Klär-
schlamm, Schweiz. Landw. Fo., 30 (1/2), 45 – 59
– Hörler A. (1966) Kanalisation, Ingenieurhandbuch, 78. Ausg., Band II, Schweiz. Verlags-
haus AG
– Lehmann M (1994) Volkswirtschaftliche Bedeutung der Siedlungswasserwirtschaft, GWA,
6/74, 442
– Whipple and Horwood zitiert in Fair, Geyer and Okun, Water and Wastewater Engineering,
Vol 1, John Wiley & Sons, 1966
Grundlagen
– Deutsche Einheitsverfahren zur Wasser-, Abwasser- und Schlammuntersu-
chung. Band I - V. Verlag Chemie ISBN 3-527-28653-5. Wird laufend erneu-
ert.
– Levenspiel O (1999) Chemical Reaction Engineering, 3.Edn., John Wiley &
Sons.
– Sigg L, Stumm W (1996) Aquatische Chemie, 4. Aufl, vdf / Teuber
– Standard Methods for the Examination of Water and Wastewater, 19.Edn.
1998. American Public Health Association, 1015 Fifteenth Street, NW, Wa-
shington, DC 20005, USA
Wasserversorgung 423
Zitiert
– Richtlinien für die Untersuchung von Abwasser und Oberflächenwasser (Allgemeine Hin-
weise und Analysemethoden), Teil 1 und 2, Eidgenössisches Departement des Innern, Aus-
gabe 1983.
– Ellis B. (1985)
– Zobrist J, Eawag (1998) Persönliche Mitteilung.
Wasserversorgung
– Damrath H, Cord-Landwehr K (1998) Wasserversorgung, 11. Aufl., Teubner
– DVGW, Lehr- und Handbuch Wasserversorgung, Oldenbourg
Bd.1: Wassergewinnung und Wasserwirtschaft (1996)
Bd.3: Maschinelle und elektrische Anlagen (1995)
Bd.5: Wasserchemie für Ingenieure (1993)
– Gebr. Sulzer AG (1990) Kreiselpumpen Handbuch, 3.Aufl, Vulkanverlag
– Grombach P, Haberer K, Merkl G, Trüeb U E (2000) Handbuch der Wasser-
versorgungstechnik, 3.Aufl, Oldenbourg
– Kottmann A (1992) Druckstossermittlung in der Wasserversorgung, Vulkan-
verlag
Zitiert
– BUWAL (1989) NAQUA
– Joukowsky (1898) Die Originalarbeit stand dem Autor nicht zur Verfügung
– SVGW (1989) Richtlinien für Projektierung, Ausführung und Betrieb von Quellfassungen.
Siedlungsentwässerung
– ATV-Handbuch (1994) Planung der Kanalisation, 4.Aufl, Ernst&Sohn
– ATV-Handbuch (1996) Bau und Betrieb der Kanalisation, 4.Aufl, Ernst&Sohn
– Geiger W, Dreiseitl H (2001) Neue Wege für das Regenwasser, 2. Aufl. Ol-
denbourg
– Hager A H (1994) Abwasserhydraulik, Springer-Verlag
– Hosang/Bischof W (1998) Abwassertechnik, 11.Aufl, Teuber
– Hörler A, Rhein H R (1962) Die Intensitäten der Starkregen in der Schweiz,
Schweiz. Z. Hydrologie, XXIV, S. 291-352.
– Imhoff K und K R (1999) Taschenbuch der Stadtentwässerung, 29.Aufl, Ol-
denbourg
– Schilling W (1990) Operationelle Siedlungsentwässerung, Oldenbourg
– SIA (1980) Kanalisationen, Schweiz. Ingenieur und Architektenverein, Doku-
mentation 38
– SIA (1982) Sonderbauwerke der Kanalisationstechnik I, 2. Aufl., Schweiz.
Ingenieur und Architektenverein, Dokumentation 40
– SIA (1982) Sonderbauwerke der Kanalisationstechnik II, Schweiz. Ingenieur
und Architektenverein, Dokumentation 53
424 Literatur
Zitiert
– AGW (1982) Der Spitzenabflussbeiwert von Siedlungsgebieten, Dezember 1982. Baudirek-
tion des Kantons Zürich, Amt für Gewässerschutz und Wasserbau.
– AGW (1996) Die Versickerung von Regenwasser auf der Liegenschaft, Direktion der öffent-
lichen Bauten des Kantons Zürich, Amt für Gewässerschutz und Wasserbau. Viele schweize-
rische Behörden stellen ähnliche Unterlagen zur Verfügung.
– ATV (1982) Planung und Bau von Abwasserpumpwerken mit kleinen Zuflüssen, Arbeits-
blatt A 134
– ATV (1990) Bau und Bemessung von Anlagen zur dezentralen Versickerung von nicht
schädlich verunreinigtem Niederschlagswasser, Arbeitsblatt A138
– BUWAL (1979) Der Spitzenabflussbeiwert - Eine Untersuchung der Regenwasserverluste in
Siedlungsgebieten.
– BUWAL (1984) Wirkung von Regenbecken, Schriftenreihe Umweltschutz Nr. 29
– Hörler A (1966) Kanalisation, Ingenieur-Handbuch (Schweiz. Verlagshaus AG, Zürich)
– Hörler A (1967) Gefällswechsel in der Kanalisationstechnik bei Kreisprofilen, Schweiz. Z.
Hydrol., 29:2, 387 - 426.
– Hörler A, Rhein H R (1961) Die Intensitäten der Starkregen in der Schweiz, Schweiz. Bau-
zeitung, 79:32, 559-563.
– Kropf A (1955) Die Spezialbauwerke der Kanalisation, Schweiz. Bauzeitung, 73:27, 413 -
418.
– Reinhold, F. (1940) Regenspenden in Deutschland (Grundwerte für die Entwässerungstech-
nik) Archiv für Wasserwirtschaft Nr. 56 und Gesundheitsingenieur (Jg. 63)
– SN 592 000 (1990) Planung und Erstellung von Anlagen für die Liegenschaftsentwässerung.
– SN 640 350 (1969), 640 351 (1970), 640 352 (1970), Oberflächenentwässerung von Stras-
sen - Regenintensität - Anlaufzeit - Abflussmengen.
– Volkart P (1993) Hydraulische Bemessung, SIA Dokumentation D 0100
– VSA (1992) Richtlinie Unterhalt von Kanalisationen
Zitiert
– BUWAL (1994) Umweltmaterialien Nr. 22
– BUWAL (2003) Kosten der Abwasserentsorgung, Mitteilungen zum Gewässerschutz, Nr. 42
– BUWAL (2004) Klärschlammentsorgung in der Schweiz, Umwelt Materialien, Nr. 181
– Obrist A (1989) Technik der Klärschlammverbrennung, Mitteilungen der Eawag 28, 26-31
– Wuhrmann K (1964) Hauptwirkungen und Wechselwirkungen einiger Betriebsparameter im
Belebtschlammsystem. Ergebnisse mehrjähriger Grossversuche, Schweiz. Z. Hydrologie
XXVI:2.
Sachverzeichnis
Vakuum
– Entwässerung, 232, 389
– Filtration im Labor, 34
Verbrennung (Klärschlamm), 395, 418
Verbundbecken, 262