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Willi Gujer

Siedlungswasserwirtschaft
Willi Gujer

Siedlungs-
wasserwirtschaft
3., bearbeitete Auflage

Mit 217 Abbildungen und 84 Tabellen

123
Prof. Dr. Willi Gujer
Institut für Umweltingenieurwissenschaften
ETH
8093 Zürich-Hönggerberg, Switzerland
gujer@eawag.ch

ISBN-10 3-540-34329-6 Springer Berlin Heidelberg New York


ISBN-13 978-3-540-34329-5 Springer Berlin Heidelberg New York
ISBN-10 3-540-43404-6 2. Aufl. Springer Berlin Heidelberg New York

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Vorwort

Ohne die umfassenden Leistungen der Siedlungswasserwirtschaft wäre die urbane


Entwicklung unserer Gesellschaft nicht denkbar. Unsere Hygiene hängt in gros-
sem Masse vom Erfolg und der Zuverlässigkeit dieses Wirtschaftszweigs ab.
Überraschend ist, dass sich kaum ein Lehrbuch mit der ganzen Breite dieser für
die Gesellschaft so wichtigen technischen Disziplin befasst. Wasseraufbereitung,
Wasserversorgung, Siedlungsentwässerung und Abwasserreinigung und Teile des
Gewässerschutzes werden häufig als getrennte Arbeitsgebiete gelehrt und sind in
der Praxis auch in getrennten fachlichen Berufsorganisationen organisiert.
Trotzdem ist die Siedlungswasserwirtschaft eine Disziplin, die zunehmend
breiter und multidisziplinärer wird und zudem ihre Probleme mehr und mehr
ganzheitlich angeht. Dieser Text ist ein Versuch, dieses Arbeitsgebiet von Um-
welt- und Bauingenieuren breit zu erfassen. Dass darunter die Tiefe z.T. leiden
muss, und dass einige Themen wie z.B. die Selbstreinigung in natürlichen Gewäs-
sern, die betriebswirtschaftlich-administrativen und planerischen Belange der
Siedlungswasserwirtschaft, die Aspekte der Entwicklungsländer oder z.B. neue
und alternative Sanitärkonzepte zu kurz kommen, hängt mit dem beschränkten
Aufwand zusammen, den junge Ingenieure und Ingenieurinnen in ihrer Ausbil-
dung den Grundlagen der Siedlungswasserwirtschaft widmen können. Solche
Themen müssen der Vertiefung vorbehalten bleiben.
Dieses Lehrbuch ist aus den Materialien entstanden, die ich über Jahre ge-
sammelt und mit zunehmendem Erfolg in einer Vorlesung mit dem Titel Grund-
züge der Siedlungswasserwirtschaft vermittle. Diese Vorlesung beansprucht wäh-
rend eines Semesters ca. 60 Lektionen inkl. Übungen und richtet sich an die
angehenden Umwelt- und Bauingenieurinnen an der ETH Zürich: Sie vermittelt
die Grundlagen, auf der die Vertiefung aufbauen kann. Entsprechend werden hier
einfache Konzepte, Methoden und Modelle vorgestellt, die heute kaum mehr di-
rekt in die Anwendung umgesetzt werden können, ohne deren Verständnis aber
eine vertiefte Ausbildung, die in ihrer Breite immer nur beschränkt sein kann,
kaum denkbar ist.
Die Vorlesung folgt nicht dem unveränderten Ablauf dieses Textes. Insbeson-
dere sind die Studierenden kaum motiviert, die Grundlagen ohne Bezug zur rea-
len, für sie erlebbaren Welt, zu erarbeiten. Meine bevorzugte Sequenz ist: Kapitel
1, 2 (mit vielen Beispielen), 5, 7, Teile von 3, 10, 11, 8, 9, 12 – 17, 18, Teile von
3, 19 – 23, 24, 4, 25.
Viele Beispiele in diesem Lehrbuch orientieren sich an der Praxis der Sied-
lungswasserwirtschaft in der Schweiz. Die Gemeinsamkeiten und die Gegensätze
zu anderen Ländern und Regionen zu erkennen und zu verstehen ist Teil der Kul-
VI Vorwort

tur der Ingenieurwissenschaften – diesen Aspekt zu pflegen und durch eigene Bei-
spiele zu erweitern ist die vornehme Aufgabe der Dozierenden.
Ich stelle mir vor, dass dieser Text den Unterricht an Fachhochschulen genau-
so unterstützen kann wie an Technischen Universitäten – diese Ausbildungsgänge
unterscheiden sich im Umfang und der Tiefe der naturwissenschaftlichen Vorbil-
dung und der Intensität und der Ausrichtung der Vertiefung, aber kaum in den
technischen Grundlagen, die dieser Text vermitteln will.
Dieses Lehrbuch wird durch Materialien ergänzt, die übers Internet vermittelt
werden. Das vielfältige Material unterstützt den Unterricht und dient der Prü-
fungsvorbereitung. Solche Materialien sind noch umfassender als ein Lehrbuch
durch persönliche Prioritäten und Möglichkeiten geprägt. Sie werden hier zur Ver-
fügung gestellt, um die Arbeit von Dozierenden und Studierenden zu erleichtern.
Leider ist das umfangreiche Bildmaterial, das ich im Unterricht nutze, häufig mit
Rechten belegt, die es nicht erlauben, diese zur Verfügung zu stellen. Eine gute
Quelle sind Reklamebilder aus Fachzeitschriften – diese überzeichnen und ver-
deutlichen.
Ich wünsche mir, dass dieses Lehrbuch mithilft, die Siedlungswasserwirtschaft
als eine ganzheitliche Ingenieurdisziplin darzustellen und in der Ausbildung eine
breite und solide Basis zu erarbeiten, auf der dieses interessante Arbeitsgebiet sich
weiter entwickeln kann.
Ich danke meinen Mitarbeitern, Assistenten und Assistentinnen sowie den Stu-
dierenden, die mitgeholfen haben, dieses Lehrbuch zu gestalten und Fehler aufzu-
decken.

Zürich im Herbst 1998, Lyngby im Sommer 2006 Willi Gujer

Vorwort zur 3. Auflage


Die Tatsache, dass 6 Jahre nach der Erstauflage bereits die 3. Auflage dieses
Buchs erforderlich wurde, zeigt, dass ein solches Lehrbuch einem Bedürfnis ent-
spricht. Auch diese Auflage wurde überarbeitet, an neue Entwicklungen ange-
passt. Zudem berücksichtigt sie vermehrt nicht nur die Bedingungen in der
Schweiz sondern auch diejenigen im ganzen deutschen Sprachraum.
Bei der Überarbeitung habe ich weitgehend erfolgreich versucht dem Drang zu
wiederstehen, den Umfang zu vergrössern und das Material zu vertiefen. Trotz-
dem habe ich neuere Entwicklungen wie etwa die Membrantechnologie aufge-
nommen.
Als Einführung in die Grundlagen der Siedlungswasserwirtschaft wird dieser
Text den Bedürfnissen offenbar gerecht. Auch für die 3. Auflage habe ich die
Hauptkapitel der 1. Auflage unverändert übernommen.
Auch die 3. Auflage wird durch die Homepage unterstützt:
http://www.ethz.ch/
Dort werden die aktuellen Vorlesungsunterlagen verfügbar gemacht.

Lyngby im Sommer 2006 Willi Gujer


Inhalt

1 Einleitung..................................................................................................... 1
A Grundlagen
2 Systemanalyse und Massenbilanz .............................................................. 19
3 Charakterisierung von Wasser ................................................................... 33
4 Charakterisierung von Klärschlamm.......................................................... 65
5 Wasserbedarf, Abwasseranfall................................................................... 69
6 Schmutzstoffanfall und Temperatur........................................................... 95
B Wasserversorgung
7 Wasserversorgung.................................................................................... 107
8 Wasserbeschaffung .................................................................................. 115
9 Wasseraufbereitung.................................................................................. 131
10 Wasserspeicherung................................................................................... 153
11 Wasserverteilung, Netz ............................................................................ 161
C Siedlungsentwässerung
12 Siedlungsentwässerung ............................................................................ 199
13 Siedlungshydrologie................................................................................. 205
14 Entwässerungsverfahren .......................................................................... 227
15 Mischwasserbehandlung .......................................................................... 235
16 Technik der Siedlungsentwässerung ........................................................ 245
17 Entwässerungsplanung............................................................................. 287
D Abwasserreinigung
18 Abwasserreinigung................................................................................... 291
19 Mechanische Abwasserreinigung............................................................. 301
20 Biologische Abwasserreinigung............................................................... 317
21 Physikalische Reinigungsverfahren ......................................................... 375
22 Umfeld und Kosten der Abwasserreinigung ............................................ 381
23 Kleinkläranlagen ...................................................................................... 385
E Behandlung von Klärschlamm
24 Entsorgung von Klärschlamm.................................................................. 391
25 Verfahren der Schlammbehandlung......................................................... 399
F Literatur und Sachverzeichnis
Literatur............................................................................................................... 421
Sachverzeichnis................................................................................................... 427
VIII Inhalt

1 Einleitung.................................................................................................... 1
1.1 Umschreibung des Fachgebiets.................................................................... 1
1.2 Siedlungswasserwirtschaft ........................................................................... 1
1.3 Geschichte der Siedlungswasserwirtschaft .................................................. 2
1.4 Wasserkreislauf in Siedlungen..................................................................... 5
1.5 Wasserbeschaffung und Wasserversorgung................................................. 7
1.6 Siedlungsentwässerung .............................................................................. 10
1.7 Abwasserreinigung..................................................................................... 11
1.8 Behandlung und Unterbringung von Klärschlamm.................................... 13
1.9 Gewässerschutz.......................................................................................... 15
1.10 Siedlungswasserwirtschaftliche Planung ................................................... 16
1.11 Wert und Kosten der Siedlungswasserwirtschaft....................................... 16
1.12 Die Produkte der Siedlungswasserwirtschaft ............................................. 17
1.13 Fazit ........................................................................................................... 18
2 Systemanalyse und Massenbilanz ........................................................... 19
2.1 Einleitung................................................................................................... 19
2.2 Systeme und deren Abgrenzung................................................................. 19
2.3 Die Stoffbilanz ........................................................................................... 21
2.4 Ideale Reaktoren ........................................................................................ 23
2.4.1 Der Chargenreaktor ...................................................................... 23
2.4.2 Der ideale Rührkessel................................................................... 24
2.4.3 Der Röhrenreaktor ........................................................................ 25
2.5 Anwendung der Bilanzgleichung............................................................... 26
2.5.1 Speicherung .................................................................................. 27
2.5.2 Speicherung und Transport........................................................... 27
2.5.3 Keine Speicherung: Stationärer Zustand ...................................... 28
2.5.4 Keine Umwandlung: Konservativer Stoff .................................... 29
3 Charakterisierung von Wasser ............................................................... 33
3.1 Vorbemerkungen........................................................................................ 33
3.2 Summenparameter und Einzelstoffe .......................................................... 33
3.3 Filtration, gelöste und partikuläre Stoffe.................................................... 34
3.3.1 Filtration ....................................................................................... 34
3.3.2 Abfiltrierbare Stoffe, TSS............................................................. 34
3.3.3 Glühverlust der abfiltrierbaren Stoffe, VSS ................................. 35
3.3.4 Glührückstand der abfiltrierbaren Stoffe ...................................... 36
3.4 Organische Stoffe....................................................................................... 36
3.4.1 Chemischer Sauerstoffbedarf CSB ............................................... 36
3.4.2 Biochemischer Sauerstoffbedarf in 5 Tagen, BSB5 ...................... 38
3.4.3 Organisch gebundener Kohlenstoff, TOC, DOC, POC ................ 39
3.5 Stickstoff .................................................................................................... 40
3.5.1 Formen von Stickstoff .................................................................. 40
3.5.2 Ammonium und Ammoniak ......................................................... 41
3.5.3 Organisch gebundener Stickstoff, Kjeldahlstickstoff ................... 42
3.5.4 Nitrit und Nitrat ............................................................................ 43
Inhalt IX

3.5.5 Totaler Stickstoff, TN, gelöster Stickstoff, GN ............................ 43


3.5.6 Elementarer Stickstoff, N2 ............................................................ 43
3.6 Phosphor, TP, GP, PO4-P........................................................................... 44
3.7 pH-Wert und pH-Puffersystem .................................................................. 45
3.7.1 pH-Wert........................................................................................ 45
3.7.2 pH-Puffer...................................................................................... 46
3.7.3 Alkalinität, Säurebindungsvermögen, SBV.................................. 47
3.8 Wasserhärte................................................................................................ 47
3.9 Gelöster Sauerstoff..................................................................................... 50
3.10 Physikalische Analysen.............................................................................. 51
3.10.1 Leitfähigkeit ................................................................................. 51
3.10.2 Trübung ........................................................................................ 51
3.10.3 Temperatur ................................................................................... 52
3.10.4 Dichte ........................................................................................... 53
3.10.5 Viskosität, Zähigkeit..................................................................... 53
3.10.6 Oberflächenspannung ................................................................... 53
3.10.7 Geruch und Geschmack................................................................ 54
3.11 Mikrobiologische und hygienische Parameter ........................................... 54
3.11.1 Escherichia coli ............................................................................ 55
3.11.2 Beurteilung von Wasser................................................................ 56
3.12 Grenzwerte und typische Analysen............................................................ 58
3.12.1 Flusswasser, Seewasser, Grundwasser ......................................... 58
3.12.2 Niederschlag und Regenwasser .................................................... 59
3.12.3 Trinkwasserzusammensetzung ..................................................... 60
3.12.4 Städtisches und kommunales Abwasser ....................................... 60
3.12.5 Abwasser bei Regenereignissen, Mischwasser............................. 62
3.13 Probenahme................................................................................................ 62
4 Charakterisierung von Klärschlamm..................................................... 65
4.1 Trockensubstanz TS und Trockenrückstand TR ........................................ 65
4.2 Glühverlust und Glührückstand ................................................................. 66
4.3 Zusammensetzung von Klärschlamm ........................................................ 67
5 Wasserbedarf, Abwasseranfall ............................................................... 69
5.1 Wasserbedarf und Abwasseranfall............................................................. 69
5.2 Trinkwasserbedarf...................................................................................... 71
5.2.1 Nomenklatur ................................................................................. 71
5.2.2 Wasserverbrauch .......................................................................... 72
5.2.3 Jahresgang des Wasserverbrauchs................................................ 75
5.2.4 Tagesgang des Wasserverbrauchs ................................................ 76
5.2.5 Prognosen des Wasserbedarfs....................................................... 78
5.2.6 Planungswerte für einzelne Versorgungsgebiete .......................... 81
5.3 Löschwasser............................................................................................... 82
5.4 Abwasseranfall........................................................................................... 83
5.4.1 Herkunft des Abwassers ............................................................... 83
5.4.2 Nomenklatur ................................................................................. 84
5.4.3 Betriebserfahrungen...................................................................... 87
X Inhalt

5.4.4 Dimensionierungswerte ................................................................ 90


5.5 Zukünftige Entwicklung und Planung........................................................ 92
5.6 Zusammenfassung: Typische Wassermengen............................................ 93
6 Schmutzstoffanfall und Temperatur ...................................................... 95
6.1 Herkunft der Schmutzstoffe ....................................................................... 95
6.2 Anforderungen an die Belastungsangaben................................................. 96
6.3 Einwohnergleichwerte (EG)....................................................................... 96
6.4 Jahresgang der Belastung........................................................................... 99
6.5 Tagesgang der Belastung ......................................................................... 100
6.6 Wochengang der Belastung...................................................................... 103
6.7 Abwassertemperatur................................................................................. 104
6.7.1 Jahresgang der Temperatur......................................................... 104
6.7.2 Tagesgang der Temperatur ......................................................... 105
7 Wasserversorgung.................................................................................. 107
7.1 Ziele der Wasserversorgung..................................................................... 107
7.2 Mittel der Wasserversorgung ................................................................... 108
7.2.1 Wasserbeschaffung..................................................................... 110
7.2.2 Schutzzonen................................................................................ 111
7.2.3 Wasseraufbereitung .................................................................... 111
7.2.4 Pumpwerke ................................................................................. 111
7.2.5 Wasserspeicherung ..................................................................... 111
7.2.6 Wasserverteilung ........................................................................ 111
7.2.7 Hausinstallationen ...................................................................... 112
7.2.8 Überwachung.............................................................................. 112
7.2.9 Administration, Finanzplanung .................................................. 113
7.2.10 Planung....................................................................................... 113
8 Wasserbeschaffung ................................................................................ 115
8.1 Wasserarten und -vorkommen ................................................................. 115
8.2 Fassung von Quellwasser......................................................................... 117
8.3 Fassung von Grundwasser ....................................................................... 119
8.4 Berechnungen zum vollkommenen Filterbrunnen ................................... 121
8.5 Fassung von Seewasser............................................................................ 125
8.6 Grundwasseranreicherung........................................................................ 126
8.7 Schutz von Wasserfassungen (Schutzzonen) ........................................... 127
9 Wasseraufbereitung ............................................................................... 131
9.1 Desinfektion............................................................................................. 132
9.2 Langsamsandfilter.................................................................................... 135
9.3 Schnellfilter.............................................................................................. 136
9.4 Aktivkohleadsorption............................................................................... 139
9.5 Koagulation und Flockung....................................................................... 140
9.6 Sedimentation .......................................................................................... 141
9.7 Mikrosiebe ............................................................................................... 141
9.8 Vorfiltration ............................................................................................. 142
Inhalt XI

9.9 Abtrennung von partikulären Stoffen....................................................... 143


9.10 Entfernung von Eisen und Mangan.......................................................... 144
9.11 Entsäuerung.............................................................................................. 144
9.12 Enthärtung................................................................................................ 145
9.13 Mehrstufige Aufbereitung: Fallbeispiel Seewasser.................................. 146
9.14 Aufbereitung von Flusswasser ................................................................. 149
9.15 Membrantechnologie ............................................................................... 149
10 Wasserspeicherung ................................................................................ 153
10.1 Aufgabe der Wasserspeicher (Reservoire) ............................................... 153
10.2 Art der Wasserspeicher ............................................................................ 153
10.2.1 Hochbehälter............................................................................... 153
10.2.2 Tiefbehälter................................................................................. 154
10.3 Standort und Höhenlage........................................................................... 154
10.4 Speichervolumen...................................................................................... 154
10.4.1 Löschreserve............................................................................... 156
10.5 Bilanzierung eines Trinkwasserspeichers ................................................ 156
10.6 Hygienische Anforderungen .................................................................... 157
10.7 Gestaltung eines Trinkwasserspeichers.................................................... 157
10.8 Spezialfälle............................................................................................... 158
10.8.1 Wasserturm................................................................................. 158
10.8.2 Löschwasserbehälter................................................................... 159
10.8.3 Druckwindkessel ........................................................................ 159
11 Wasserverteilung, Netz.......................................................................... 161
11.1 Stationäre Rohrhydraulik ......................................................................... 161
11.1.1 Grundlagen der Rohrhydraulik ................................................... 162
11.1.2 Äquivalente Rohrleitungen......................................................... 168
11.1.3 Typische Fliessgeschwindigkeiten ............................................. 170
11.2 Pumpen .................................................................................................... 170
11.2.1 Dimensionierung von Kreiselpumpen ........................................ 170
11.2.2 Bedarf an Förderhöhe ................................................................. 171
11.2.3 Charakterisierung der Pumpenleistung....................................... 173
11.2.4 Betriebspunkt einer Kreiselpumpenanlage ................................. 176
11.2.5 Serie- und Parallelbetrieb von Pumpen ...................................... 176
11.2.6 Anordnung von Pumpen............................................................. 177
11.3 Wasserverteilung: Netzberechnungen...................................................... 178
11.3.1 Elemente eines Verteilnetzes...................................................... 178
11.3.2 Einfache Netzberechnungen ....................................................... 180
11.3.3 Elektronische Netzberechnung ................................................... 183
11.4 Gestaltung von Verteilnetzen................................................................... 184
11.4.1 Druckhaltung .............................................................................. 186
11.4.2 Druckzonen................................................................................. 186
11.5 Hydraulische Lastfälle – Ziele der Bemessung........................................ 188
11.6 Sonderbauwerke....................................................................................... 189
11.6.1 Druckreduzierventile .................................................................. 189
11.6.2 Druckbrecherschacht .................................................................. 189
XII Inhalt

11.6.3 Zonenpumpwerke ....................................................................... 189


11.7 Instationäre Vorgänge: Der Druckstoss ................................................... 190
11.7.1 Druckstoss nach Joukowsky....................................................... 190
11.7.2 Massnahmen gegen Druckstösse ................................................ 193
11.7.3 Der hydraulische Widder............................................................ 195
11.8 Mess-, Steuer-, Regel- und Fernwirktechnik ........................................... 196
11.9 Planung der Wasserversorgung................................................................ 196
11.9.1 Planungshorizont ........................................................................ 197
11.10 Kosten der Wasserversorgung.................................................................. 197
12 Siedlungsentwässerung.......................................................................... 199
12.1 Aufgaben der Siedlungsentwässerung ..................................................... 199
12.2 Prozesse der Siedlungsentwässerung ....................................................... 200
12.3 Wie sollen Siedlungen entwässert werden? ............................................. 201
12.4 Elemente der Siedlungsentwässerung ...................................................... 203
13 Siedlungshydrologie ............................................................................... 205
13.1 Einführung in die Siedlungshydrologie.................................................... 205
13.2 Charakterisierung von Regen................................................................... 208
13.3 Intensität von Starkregen ......................................................................... 210
13.4 Abflussbeiwert von Siedlungsgebieten .................................................... 217
13.5 Maximaler Regenabfluss.......................................................................... 219
13.5.1 Jährlichkeit des Regenereignisses............................................... 220
13.5.2 Reduzierte Fläche ....................................................................... 221
13.5.3 Massgebende Regenintensität..................................................... 221
13.5.4 Fliesszeitverfahren...................................................................... 222
14 Entwässerungsverfahren ....................................................................... 227
14.1 Historische Entwicklung .......................................................................... 227
14.2 Grundlagen............................................................................................... 227
14.3 Mischsystem ............................................................................................ 228
14.4 Trennsystem............................................................................................. 229
14.5 Qualifiziertes Trennsystem ...................................................................... 231
14.6 Reale Systeme .......................................................................................... 232
14.7 Alternative Systeme ................................................................................. 232
14.8 Flankierende Massnahmen....................................................................... 232
15 Mischwasserbehandlung ....................................................................... 235
15.1 Problemstellung ....................................................................................... 235
15.2 Konzept der Mischwasserbehandlung...................................................... 236
15.3 Auswirkungen der Mischwasserbehandlung............................................ 240
15.3.1 Fallbeispiel Regenüberlaufbecken.............................................. 241
15.3.2 Fallbeispiel Vorklärung .............................................................. 242
15.3.3 Fallbeispiel Ammonium ............................................................. 243
16 Technik der Siedlungsentwässerung .................................................... 245
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung ................................... 245
Inhalt XIII

16.1.1 Liegenschafts- und Strassenentwässerung.................................. 245


16.1.2 Retention und Drosselung .......................................................... 248
16.1.3 Kanalisationen ............................................................................ 248
16.1.4 Kontrollschächte......................................................................... 253
16.1.5 Kanalvereinigungen.................................................................... 254
16.1.6 Profilwechsel .............................................................................. 254
16.1.7 Absturzbauwerke........................................................................ 255
16.1.8 Düker .......................................................................................... 256
16.1.9 Entlastungsbauwerke .................................................................. 256
16.1.10 Drosselstrecken........................................................................... 259
16.1.11 Regenbecken............................................................................... 259
16.1.12 Siebe und Rechen ....................................................................... 267
16.1.13 Abwasserpumpwerke.................................................................. 267
16.1.14 Drosselorgane ............................................................................. 268
16.1.15 Einleitbauwerke.......................................................................... 268
16.1.16 Versickerungsanlagen................................................................. 269
16.1.17 Sanierungsleitungen ................................................................... 273
16.2 Hydraulische Berechnungen .................................................................... 274
16.2.1 Grundsätze / Lastfälle................................................................. 274
16.2.2 Freispiegelleitungen ................................................................... 275
16.2.3 Steilleitungen.............................................................................. 280
16.2.4 Gefällswechsel............................................................................ 281
16.3 Modelle der Siedlungsentwässerung........................................................ 282
16.4 Entwurf von Kanalnetzen......................................................................... 285
16.5 Abflusssteuerung im Entwässerungsnetz ................................................. 285
16.6 Messtechnik ............................................................................................. 286
16.7 Betrieb der Siedlungsentwässerung ......................................................... 286
17 Entwässerungsplanung.......................................................................... 287
17.1 Generelles Kanalisationsprojekt (GKP) ................................................... 287
17.2 Genereller Entwässerungsplan (GEP)...................................................... 288
17.3 Rollenteilung zwischen Politik und Ingenieur ......................................... 289
18 Abwasserreinigung................................................................................. 291
18.1 Aufgaben der Abwasserreinigung............................................................ 291
18.2 Einleitbedingungen von Kläranlagen ....................................................... 292
18.3 Fliessschema einer Kläranlage................................................................. 296
19 Mechanische Abwasserreinigung.......................................................... 301
19.1 Mechanische Vorreinigung ...................................................................... 301
19.1.1 Rechen ........................................................................................ 301
19.1.2 Sand- und Fettfang ..................................................................... 302
19.2 Dimensionierungsmodell für die Sedimentation...................................... 305
19.3 Vorklärung ............................................................................................... 308
19.3.1 Aufgabe und Leistung der Vorklärung ....................................... 308
19.3.2 Gestaltung und Dimensionierung des Vorklärbeckens............... 310
19.3.3 Emscherbrunnen ......................................................................... 312
XIV Inhalt

19.4 Chemische Abwasserreinigung................................................................ 313


20 Biologische Abwasserreinigung ............................................................ 317
20.1 Ziel der biologischen Abwasserreinigung................................................ 317
20.2 Mikrobiologische Prozesse ...................................................................... 318
20.2.1 Wachstum................................................................................... 318
20.2.2 Zerfall ......................................................................................... 320
20.2.3 Hydrolyse ................................................................................... 320
20.2.4 Abbau organischer Stoffe, heterotrophe Organismen................. 321
20.2.5 Nitrifikation ................................................................................ 321
20.2.6 Denitrifikation ............................................................................ 321
20.2.7 Nährstoffbedarf der Mikroorganismen ....................................... 321
20.3 Unterschiedliche biologische Verfahren .................................................. 322
20.4 Belebtschlammverfahren ......................................................................... 323
20.4.1 Fliessschema des Belebtschlammverfahrens .............................. 323
20.4.2 Charakterisierung von Belebtschlamm....................................... 325
20.4.3 Dimensionierung des Belebtschlammverfahrens........................ 328
20.4.4 Dynamische Simulation von Belebungsanlagen......................... 333
20.4.5 Gestaltung des Belebungsbeckens, Sauerstoffverbrauch............ 333
20.4.6 Gestaltung des Nachklärbeckens ................................................ 336
20.4.7 Elimination von organischen Stoffen ......................................... 338
20.4.8 Nitrifikation ................................................................................ 342
20.4.9 Denitrifikation ............................................................................ 349
20.4.10 Chemische Phosphorelimination ................................................ 354
20.4.11 Biologische Phosphorelimination............................................... 359
20.4.12 Biologische Nährstoffelimination: Zusammenfassung............... 362
20.5 Tropfkörperverfahren............................................................................... 363
20.5.1 Bemessung von Tropfkörpern .................................................... 364
20.5.2 Phosphorelimination in Tropfkörperverfahren ........................... 368
20.5.3 Nachklärung ............................................................................... 368
20.6 Tauchkörperverfahren.............................................................................. 369
20.7 Neuere biologische Verfahren.................................................................. 371
20.7.1 Biofiltration ................................................................................ 371
20.7.2 Membran Bioreaktoren (MBR) .................................................. 372
21 Physikalische Reinigungsverfahren...................................................... 375
21.1 Filtration................................................................................................... 375
21.1.1 Raumfiltration............................................................................. 375
21.1.2 Flächenfiltration ......................................................................... 378
21.2 Flotation mit gelöster Luft ....................................................................... 378
22 Umfeld und Kosten der Abwasserreinigung........................................ 381
22.1 Projektbearbeitung ................................................................................... 381
22.2 Kosten der Abwasserreinigung ................................................................ 383
23 Kleinkläranlagen und alternative Konzepte........................................ 385
23.1 Anaerobe Reinigungsverfahren................................................................ 385
Inhalt XV

23.2 Verfahren mit Bodenpassage ................................................................... 386


23.3 Abwasserteiche ........................................................................................ 387
23.4 Pflanzenanlagen ....................................................................................... 387
23.5 Varianten der konventionellen Verfahren ................................................ 388
23.6 Speicher, Trockenklosetts, etc.................................................................. 388
23.7 Wahl des Verfahrens................................................................................ 388
23.8 Entsorgung des anfallenden Schlamms.................................................... 389
23.9 Dezentrale Entsorgungskonzepte ............................................................. 389
24 Entsorgung von Klärschlamm .............................................................. 391
24.1 Ziel und Aufgabe der Schlammbehandlung............................................. 391
24.2 Nutzung und Endlagerung ....................................................................... 394
24.3 Verfahrensablauf und Stoffströme ........................................................... 395
24.4 Klärschlammkonzepte.............................................................................. 396
24.5 Zukunft der Klärschlammentsorgung....................................................... 397
25 Verfahren der Schlammbehandlung .................................................... 399
25.1 Eindickung ............................................................................................... 399
25.2 Hygienisierung......................................................................................... 401
25.2.1 Aerob thermophile Hygienisierung ............................................ 402
25.2.2 Thermische Hygienisierung / Pasteurisierung ............................ 404
25.3 Biologische Schlammstabilisierung ......................................................... 405
25.3.1 Anaerob mesophile Schlammstabilisierung / Faulung ............... 405
25.3.2 Langzeitbelüftung....................................................................... 410
25.3.3 Aerobe mesophile Schlammstabilisierung.................................. 411
25.4 Stapelung ................................................................................................. 412
25.5 Entwässerung ........................................................................................... 413
25.5.1 Konditionierung.......................................................................... 413
25.5.2 Dekanter ..................................................................................... 413
25.5.3 Filterpressen ............................................................................... 413
25.5.4 Bandfilterpressen........................................................................ 415
25.5.5 Trockenbeete .............................................................................. 415
25.6 Trocknung ................................................................................................ 417
25.7 Verbrennung ............................................................................................ 418
Literatur............................................................................................................. 421

Sachverzeichnis.................................................................................................. 427
1 Einleitung

Die Siedlungswasserwirtschaft ist eine technische Disziplin, die sowohl für die
persönliche und die Siedlungs-Hygiene als auch den Komfort und die Sicherheit
des urbanen Menschen von zentraler Bedeutung ist: Sie liefert und entsorgt Was-
ser verschiedenster Art (Trinkwasser, Regenwasser, Sickerwasser, Schmelzwasser,
verunreinigtes Abwasser, etc.), sie entsorgt die dabei anfallenden Schmutzstoffe
und bewirtschaftet die natürlichen Wasserressourcen (Quellen, Grundwasser,
Gewässer) im Umfeld von Siedlungen.

1.1 Umschreibung des Fachgebiets


Die Siedlungswasserwirtschaft befasst sich mit dem Umsatz von Wasser im Um-
feld von Siedlungen. Dabei interessiert nicht nur das Wasser an sich, sondern ge-
nauso die darin enthaltenen Stoffe und Organismen und die Prozesse, die auf diese
Stoffe einwirken.
Als Wirtschaftszweig stellt die Siedlungswasserwirtschaft strukturelle, organi-
satorische und technische Infrastrukturen bereit. Diese sind erforderlich, um das
Wasser in den Siedlungen zu bewirtschaften und zu entsorgen; das heisst für den
Menschen zu nutzen ohne langfristig die Grundlagen dieser Nutzung zu gefähr-
den.
Als technische Disziplin wurde die Siedlungswasserwirtschaft historisch als
eine Reihe von Einzeldisziplinen dargestellt: Wasserversorgung, Siedlungsent-
wässerung, Abwassertechnik etc. Heute wird versucht, die Siedlungswasserwirt-
schaft als integrierende Disziplin darzustellen, die die Wasserressourcen, die Nut-
zung des Wassers in Siedlungen und den erforderlichen Abtransport des
Abwassers mit seinen z.T. problematischen Inhaltsstoffen als Ganzes darstellt und
insbesondere die Vernetzung zwischen den Teildisziplinen und Teilsystemen be-
rücksichtigt.

1.2 Siedlungswasserwirtschaft
Die Siedlungswasserwirtschaft ist eine Ingenieurwissenschaft, die sich mit allen
Aspekten des Wassers im Zusammenhang mit Siedlungen befasst:
– der gesicherten Beschaffung, der Aufbereitung und Verteilung von Trink- und
Brauchwasser in genügender Menge, Qualität und bei genügendem Druck,
– der Ableitung und Reinigung des Abwassers sowie der möglichst schadlosen
Rückführung des gereinigten Abwassers in die Natur,
2 1 Einleitung

– der Sammlung, Versickerung und Ableitung von Regen-, Schneeschmelz-,


Drainage- und anderen wenig belasteten Wässern,
– dem Bau, Betrieb und Unterhalt der erforderlichen Anlagen, der Organisation
der Betriebsstrukturen, der Sicherstellung der ökonomischen Grundlagen etc.,
– der Planung der Wasserversorgung und Wasserbeschaffung, der Entwässerung
und des regionalen Gewässerschutzes,
– der langfristigen Sicherung der Wasserressourcen sowie der finanziellen Si-
cherstellung der Wasserversorgung und der Siedlungsentwässerung und der
nachhaltigen Entwicklung des Wasserhaushalts von Siedlungen.
Insgesamt ergibt sich das Bild, dass die Siedlungswasserwirtschaft sowohl dem
Menschen dient, indem sie im Bereich der Siedlungshygiene (Wasserversorgung
und Abwasserableitung) und dem Hochwasserschutz (Ableitung von Regenwas-
ser) seit vielen Jahrzehnten Entscheidendes geleistet hat, als auch die Natur
schützt, indem sie im Bereich des Gewässerschutzes grosse Investitionen auslöst.
Ohne Siedlungswasserwirtschaft wären Siedlungen und insbesondere Städte (also
unsere Art der Zivilisation) in ihrer heutigen Form auch nicht angenähert denkbar
und viele Gewässer wären in katastrophalem Zustand.
Die Siedlungswasserwirtschaft und der Siedlungswasserbau tragen zu einem Inte-
ressenausgleich bei und schützen dabei
1. den Menschen vor der Natur (Hochwasser, Hygiene, Trockenheit) und
2. die Natur vor dem Menschen (Gewässerschutz)

1.3 Geschichte der Siedlungswasserwirtschaft


Ein Verständnis für die Geschichte der Siedlungswasserwirtschaft hilft zu verste-
hen, wieso sich die heute genutzte Technologie als eine unter vielen möglichen
durchgesetzt hat.
Die Geschichte der Siedlungswasserwirtschaft ist eng verbunden mit der Entwick-
lung der grossen Siedlungen und der Städte. Erste Wasserversorgungen und insbe-
sondere Stadtentwässerungsanlagen sind in Indien bereits vor mehr als 6500 Jah-
ren nach erstaunlich modernem Konzept gebaut worden: Bäder, eigentliche
Küchen, Tonröhren, Hauskläranlagen, Sammelleitungen. Erste Spülaborte wurden
in Kreta vor ca. 3000 Jahren gebaut. Die Ägypter kannten Druckrohrleitungen aus
Blei. Sie verwerteten Fäkalien gezielt als Dünger.
Die griechische und die römische Kultur hatten einen hohen sanitären Standard
erreicht, z.B. war das Kolosseum in Rom mit seinen 80’000 Sitzplätzen mit meh-
reren Abortanlagen zu jeweils 25 Sitzplätzen ausgerüstet. Die Cloaca maxima, der
Hauptsammelkanal für die Ableitung von Regenwasser und verschmutztem Ab-
wasser, Fäkalien, Kehricht etc. im alten Rom ist ein grosses Bauwerk mit bis zu 4
Metern Höhe (das bis vor wenigen Jahren immer noch genutzt wurde).
Im Mittelalter ging das alte Wissen z.T. verloren. Die Strassen in mittelalter-
lichen Städten waren oft verschlammt von faulenden Fäkalien und Kehricht.
Stadtmist war ein begehrter Dünger, der Häufig nur innerhalb der Stadtmauern
genutzt werden durfte. Eine regelmässige Säuberung der Städte wurde kaum be-
trieben. Es herrschten unhygienische Verhältnisse und entsprechend häufig bra-
1.3 Geschichte der Siedlungswasserwirtschaft 3

Typhus Todesfälle Bevölkerungsanteil mit


pro 100’000 Einwohner pro Jahr öffentlicher Wasserversorgung
40 100

30 90

20 80

10 70

0 60
1880 1890 1900 1910 1920 1930 1940
Kalenderjahr
Abb. 1.1. Abnahme der Typhus Todesfälle anfangs des 20. Jh. in Massachusetts (USA) als Folge
des zunehmenden Anteils der Bevölkerung mit öffentlicher Wasserversorgung (nach Whipple
and Horwood, 1966)

chen Seuchen aus: Pest, Typhus, Cholera. Diese Seuchen begrenzten in den Städ-
ten immer wieder das Wachstum der Bevölkerung. Mit der Industrialisierung im
19. Jh. nahm die Bevölkerungsdichte und damit die Belastung der Umwelt und des
Grundwassers in den Städten zu. Grosse Typhus und Cholera Epidemien, die v.a.
durch verseuchtes Trinkwasser ausgelöst werden, waren die Konsequenz.
Im gleichen Jh. wurde der Zusammenhang zwischen Hygiene und Sterblich-
keit aufgedeckt. Nach und nach wurde die Schwemmkanalisation eingeführt, in
der Abfälle und Schmutzstoffe mit Wasser abgeschwemmt werden, und durch
unterirdische Anlagen wurde das Abwasser auf schnellstem Wege in den nächsten
Fluss geleitet.
Beispiel 1.1: Schweinefurter Stadtverordnung von 1720
In der Schweinefurter Stadtverordnung aus dem Jahre 1720 steht, dass es nicht erlaubt
ist, den wertvollen Dung nach ausserhalb der Stadtgrenzen zu bringen. Es war sogar
bei zwei Gulden Strafe verboten, den Kuhmist auf den städtischen Weiden aufzulesen.
Wörtlich hiess es: „Unter welcher Bedrohung auch das Auflesen des Kuh-Mists auf de-
nen gemeinen Vieh-Rasen untersagt ist, und sollte niemand unter denen Thoren pas-
siert, sondern solches abgenommen und der Frevel angezeigt werden.“

Mit der Einführung der Schwemmkanalisation und insbesondere des Wasser-


klosetts im 19. Jh. wurden die hygienischen und ästhetischen Probleme von den
Städten in die Gewässer verschoben. Mit der Aufdeckung des Zusammenhanges
zwischen der fäkalen Verunreinigung von Trinkwasser und der Häufigkeit von
stark verbreiteten Krankheiten bekam die Aufbereitung von Trinkwasser eine im-
mer grössere Bedeutung. Eine zuverlässige Trinkwasseraufbereitung konnte aber
nur in öffentlichen, grossen Wasserversorgungsbetrieben gewährleistet werden
(Abb. 1.1). Diese Entwicklung trug massgebend dazu bei, dass jetzt die Städte
schnell wachsen konnten und so das Potential für die industrielle Entwicklung
geschaffen wurde.
4 1 Einleitung

Der Gewässerschutz hat in England gegen Ende des 19. Jh. eingesetzt. Damals
sammelten sich z.B. auf der Sohle der Themse Sedimente und verfaulten dort, so-
dass der Fluss als Folge der Biogasbildung „gekocht“ habe. Erste Abwasser-
reinigungsanlagen wurden als Sedimentationsanlagen gebaut, um die Akkumula-
tion der Sedimente in den Gewässern zu verringern und sie in technischen
Bauwerken abzutrennen. Schon bald zeigte sich aber, dass neben den Sedimenten
insbesondere die gelösten und kolloidalen organischen Stoffe, die biologisch ab-
baubar sind, in den Gewässern eine massenhafte Entwicklung von Mikroorganis-
men auslösten. Zunehmend wurden biologische Abwasserreinigungsverfahren
entwickelt, die den Abbau dieser organischen Stoffe in die technischen Bauwerke
zurückverlegten und so die Gewässer entlasteten: Bereits gegen Ende des 19. Jh.
wurden erste biologische Kläranlagen in England gebaut.
In der Mitte des 20. Jh. haben wir erkannt, dass die Nährstoffe im Abwasser,
insbesondere der Phosphor, die Seen überdüngen und zu grossen Algenblüten füh-
ren. Mit Hilfe der weitergehenden Abwasserreinigung konnte auch dieses Problem
angegangen werden. Heute verursachen v.a. die Massnahmen zur Reduktion des
Stickstoffgehalts im gereinigten Abwasser grosse Investitionen und bereits wird
nach Möglichkeiten gesucht um das nächste Problem zu lösen: Mikroverunreini-
gungen und Spurenstoffe sollen aus dem Abwasser eliminiert werden.

Beispiel 1.2. Typhus Risiko


Wie gross war 1885 das Risiko in den USA an Typhus zu sterben?
Nach Abb. 1.1 starben in Massachusetts 1885 jedes Jahr pro 100’000 Menschen 40
Menschen an Typhus. Übertragen auf heute, mit einer mittleren Lebenserwartung von
75 Jahren, ergibt das ein Sterberisiko von 75 a ˜ 40 a-1 / 100’000 = 3%. Typhus ist nur
eine von vielen Krankheiten, die mit dem Wasser übertragen werden.
Das Risiko im Strassenverkehr zu sterben beträgt heute in den Industrieländern ca.
0.5 %. Das Risiko an verseuchtem Trinkwasser zu sterben ist heute verschwindend
gering.

Beispiel 1.3. Cholera in Hamburg, ein Originaltext


Bekanntmachung.
Vor dem Genuß ungekochter Speisen, namentlich ungekochten Elb- und Leitungswas-
sers sowie ungekochter Milch, wird dringend gewarnt.
Hamburg, den 1. September 1892. Die Cholera-Commission des Senats.
Die Choleraepidemie hat 1892 in Hamburg über 10’000 Tote gefordert!

Beispiel 1.4. Cholera in Lateinamerika. Neue Zürcher Zeitung, 3. März 1993


Die Choleraepidemie erreicht Rio
… Die Epidemie hat sozialen Charakter. … Rund 60% der neun Millionen Einwohner
steht kein sauberes Trinkwasser und stehen keine sanitären Einrichtungen zur Verfü-
gung. Cholera wird durch verseuchtes Wasser übertragen. … Die neue Choleraepide-
mie in Lateinamerika ging im Januar 1991 von der Küste Perus aus …
1.4 Wasserkreislauf in Siedlungen 5

Beispiel 1.5. Cholera ist als Reisekrankheit heute unbedeutend


Die Choleraerreger werden über Trinkwasser und verunreinigte Lebensmittel, vor allem
über Gemüse, Fisch und Meeresfrüchte übertragen. Vor allem unterernährte, körperlich
geschwächte und bereits erkrankte Menschen, die in Regionen mit mangelnder medizi-
nischer Betreuung leben, sind heute von der Cholera betroffen. Das Infektionsrisiko von
Reisenden ist hingegen sehr gering, in Deutschland wurden in den Jahren 2001 – 2003
insgesamt 3 zugereiste Fälle bekannt.

1.4 Wasserkreislauf in Siedlungen


Der Gesamtniederschlag über der Schweiz beträgt ca. 1500 mm pro Jahr, davon
fliessen ca. 1000 mm ab. Nur gerade 30 mm werden als Trink- und Brauchwasser
genutzt, zusätzlich müssen ca. 40 mm als Drainage und Regenwasser aus den
Siedlungen abgeleitet werden. Am gesamten Wasserkreislauf der Schweiz ist also
die Siedlungswasserwirtschaft nur mit wenigen Prozenten beteiligt. Lokal können
diese Zahlen aber ganz unterschiedlich sein (s. Abb. 1.2 und Beispiel 1.7). In Sied-
lungen beherrscht die Siedlungswasserwirtschaft den Wasserumsatz dominant.
Heute können die Siedlungen ihren Wasserbedarf nicht mehr mit lokalen Quellen
decken, sie müssen Wasser aus der Umgebung importieren (Abb. 1.2).
Die Urbanisierung oder die zunehmende Besiedlungsdichte hat einen entschei-
denden Einfluss auf die verschiedensten Prozesse im Wasserkreislauf (Abb. 1.3).
Insbesondere die zunehmende Versiegelung der Landschaft und die Anpassungen
der oberflächlichen Entwässerungssysteme (die Drainage der Feuchtgebiete und
die Begradigung und Beschleunigung der Fliessgewässer) verändern den Wasser-
haushalt von Siedlungen stark. Die Entwicklung, die im Verlaufe der letzten 100
Jahre stattgefunden hat, hat die Landschaft in einem Ausmass und mit einer Ge-
schwindigkeit verändert, wie das wohl kaum je zuvor und möglicherweise auch in
Zukunft nie wieder möglich sein wird (Abb. 1.4).
Typische Elemente des Wasserkreislaufs in Siedlungen sind in Abb. 1.5 darge-
stellt. See-, Grund- und Quellwasser dienen der Wasserversorgung. Das Wasser
wird aus Reservoiren (Speichern) unter Druck in die Siedlungen geliefert, dort mit
Schmutzstoffen belastet und in die Kanalisation zurückgeleitet. Die Kanalisation
nimmt bei Regen auch das Regenwasser auf. Bei starken Regen reicht die Trans-
portkapazität der Kanalisation aber nicht mehr aus, über Entlastungen muss ca. 5
mal pro Jahr Wasser direkt, ungereinigt in die Vorflut entlastet werden (nicht ein-
gezeichnet). Die Kapazität der Kläranlagen genügt auch bei schwächeren Regen
nicht, um all das anfallende Wasser zu reinigen. Vor den Kläranlagen muss bei
Regen daher noch einmal Mischwasser entlastet werden (bis 50 Mal pro Jahr).
Dieses Wasser wird meistens einer einfachen Reinigung unterzogen (Regenbe-
cken). Erst nach der Kläranlage wird das dauernd anfallende Abwasser in die Vor-
flut eingeleitet.

Beispiel 1.6: Bedeutung des Worts Vorflut


Als Vorflut oder Vorfluter bezeichnet man das Gewässer, in das Abwasser eingeleitet
wird, das anschliessend mit natürlichem Gefälle abfliessen kann und daher ohne weite-
re Förderung auskommt.
6 1 Einleitung

Landwirtschaft Wasserflüsse in mm a-1

1100 Niederschlag Evapotransp. 400

500 Bach 200

Boden Drainage 200


300

Grundwasser Grundwasser 300

1100 mm a-1 Total 1100 mm a-1

Siedlung (50 E / ha) Wasserflüsse in mm a-1

Evapotransp. 300

1100 Niederschlag Bach 200


Meteorwasser 200

400 Abwasser 500 Abwasser


TW
500 Drainage 200
200

300 Import Grundwasser

1400 mm a-1 Total 1400 mm a-1


Abwasser 900 mm a-1
Abb. 1.2. Wasserbilanz einer landwirtschaftlich genutzten Fläche und einer Siedlungsfläche.
Geschätzte Richtwerte im schweizerischen Mittelland. Alle Zahlenangaben sind in mm a-1, bezo-
gen auf die ganze Fläche. In der Siedlung wird Grundwasser als Trinkwasser gefördert, das dann
als Abwasser wieder abgeleitet werden muss. S.a. Beispiel 1.7

Beispiel 1.7. Anteil der Siedlungswasserwirtschaft an der Wasserbilanz (s. Abb. 1.2).
In der Schweiz wohnen auf einer Hektare (=10’000 m2) Siedlungsfläche ca. 50 Einwoh-
ner. Diese brauchen zusammen mit dem Gewerbe ca. 5000 m3 Trinkwasser pro Jahr,
die grösstenteils als Abwasser anfallen. Dazu werden auch etwa 2000 m3ha-1a-1 Re-
genwasser der Kanalisation zugeleitet und ca. 2000 m3ha-1a-1 Sickerwasser abdrainiert
und in die Kanalisation eingeleitet.
Typischerweise fallen im Schweizer Mittelland (je nach Region) pro Jahr ca. 1100 mm
Regen auf die Siedlungsfläche oder 11’000 m3ha-1a-1, wovon ca. 8000 m3ha-1a-1 abflies-
sen. Die Siedlungswasserwirtschaft beeinflusst ca. 5000+2000+2000 = 9000 m3ha-1a-1.
Lokal hat also die Siedlungswasserwirtschaft eine sehr dominante Bedeutung im Was-
serkreislauf.
1.5 Wasserbeschaffung und Wasserversorgung 7

Urbanisierung

Bevölkerung Bauten

Abwasser Trinkwasser Versiegelung

Belastung Nutzung von Verringerung Hochwasser


der Gewässer Grundwasser Versickerung

Begradigung
Abwasser- Übernutzung der Gewässer
reinigung Grundwasser
Lebensraum
Gewässer
Ressourcen- Anreicherung
Verbrauch Grundwasser Renaturierung
Gewässer
Belastung Landbedarf

Abb. 1.3. Folgen der Urbanisierung für den Wasserkreislauf

1.5 Wasserbeschaffung und Wasserversorgung


In den Industrieländern werden die meisten Haushaltungen, Industrie und Gewer-
bebetriebe durch eine zentrale öffentliche Wasserversorgung mit Trinkwasser ver-
sorgt. Die entsprechenden Versorgungsbetriebe sind häufig im Eigentum der Öf-
fentlichkeit (Gemeinden, Zweckverbände) oder gehören einer Genossenschaft
oder Korporation. Heute werden zunehmend Wasserversorgungsbetriebe mit pri-
vatwirtschaftlichen Prinzipien betrieben. Dabei kommen unterschiedlichste Orga-
nisationsformen zur Anwendung.
Zielsetzung der Wasserversorgung ist, allen Abnehmern möglichst jederzeit
genügend, hygienisch einwandfreies Trinkwasser bei genügendem Druck zu lie-
fern. Meist kommt noch die Aufgabe dazu, Löschwasser für die Feuerwehr bereit-
zustellen. Der Gebrauch von Wasser setzt nicht immer Trinkwasserqualität vor-
aus. Weil die Produktion von Wasser meist billiger ist als die Verteilung, ist aber
es nur in Einzelfällen sinnvoll, doppelte Verteilnetze zu betreiben.
Die Wasserversorgung soll zuverlässig sein, d.h. Ereignisse, bei denen die
Versorgung versagt, dürfen nur äusserst selten (im Volksmund nie) vorkommen:
– Mengenmässige Engpässe verleiten zur Verwendung von nicht einwandfreiem
Wasser und verursachen Druckminderungen mit der Gefahr, dass unhygieni-
sches Wasser ins Netz zurückgesaugt wird.
– Hygienische Probleme mit Trinkwasser können ausserordentlich gravierende
Folgen haben. Das Trinkwasser wird in viele Haushaltungen verteilt und dort
bedenkenlos als „Nahrungsmittel“ verwendet.
8 1 Einleitung

Wangen Volketswil

Gfenn

Dübendorf Schwerzenbach
Gla
tt
Greifensee

Fällanden
PICT
1 km

Wangen Volketswil

Gfenn

Dübendorf

Schwerzenbach

Glatt Greifensee

Fällanden

Abb. 1.4. Veränderung einer Region im Glattal im Kanton Zürich zwischen 1850 (oben) und
1990 (unten). Hervorgehoben werden überbaute Flächen, Flussläufe, Feuchtgebiete und Wald-
flächen zwischen dem Greifensee und der Stadt Dübendorf (Original von R. Koblet nach der
Wild-Karte 1850 und der Landeskarte 1990)

Die sichere Beschaffung von Wasser ist eine zentrale Aufgabe eines Wasser-
versorgungsbetriebs. 2003 hatte die Schweiz 7.4 Mio. Einwohner und es wurden
total 1.09 Mrd. m3 = 1 km3 Trinkwasser produziert, davon stammten 44 % aus
Quellen, 39 % aus dem Grundwasser und 17 % aus Seewasser. Zum Schutze der
Quellen und des Grundwassers werden Schutzzonen ausgeschieden, die der lang-
fristigen Sicherung der Qualität des Wassers dienen. Während Oberflächenwasser
1.5 Wasserbeschaffung und Wasserversorgung 9

Regen

Quelle Reservoir
Landwirtschaft

Industrie Deponie

Siedlung
Schlammbehandlung
Aufbereitung
Regenbecken Kläranlage
See

Versickerung Meteorwasser

Grundwasser
Vorflut

Abb. 1.5. Schematische Darstellung der Wasser- und Schlammflüsse in Siedlungen

(Fluss- und Seewasser) immer aufbereitet werden muss, werden Quell- und
Grundwasser z.T. direkt, z.T. nach einfacher Desinfektion und nur selten nach
zusätzlicher Aufbereitung ins Netz eingespeist.
Im Gegensatz zur Abwasserableitung (Kanalisation) stehen die Wasserversor-
gungsleitungen unter Druck und sind entsprechend immer voll. Ein Ausgleich
zwischen der Produktion und dem Verbrauch von Wasser geschieht über die
Hochbehälter oder Reservoire, die gleichzeitig einen genügenden Wasserdruck
sicherstellen.
Die zuverlässige Erfüllung der Aufgabe einer Wasserversorgung wird heute
mit Speichern, Leistungsreserven und redundanten Systemen erreicht. Viele Was-
serversorgungsbetriebe sind in grosse Verbundnetze eingebunden und können bei
Beschaffungsproblemen auf andere Wasserquellen ausweichen. Verteilleitungen
werden durch Schlaufen so gestaltet, dass einzelne Leitungsstränge ausser Betrieb
genommen werden können, ohne dass dadurch ganze Quartiere vom Wasser abge-
trennt sind.
Die moderne Gesellschaft hat sich an einen Komfort, eine Sicherheit und Zu-
verlässigkeit der Wasserversorgung gewöhnt, die noch Anfangs des 20. Jh. un-
denkbar waren. Für den Verbraucher ist dadurch der direkte Kontakt zum Ur-
sprung des Wassers verloren gegangen, er hat es billig und sicher in seiner
Wohnung zur Verfügung und reagiert ungehalten, wenn er nur einige Stunden
darauf verzichten muss.
Wasser ist heute das billigste Konsumgut (wenige € pro t), es wird über grosse
Strecken transportiert und in riesigen Mengen (ca. 50–100 t pro Person und Jahr)
verbraucht.

Beispiel 1.8. Eigene Erfahrungen im Umgang mit Trinkwasser


Bedenken wir unsere eigenen Erfahrungen:
10 1 Einleitung

Wie überrascht oder sogar frustriert sind wir, wenn vielleicht einmal alle paar Jahre kein
Wasser in unsere Wohnung geliefert wird?
Wieviel zusätzlichen Umtrieb verursacht es uns, wenn wir als Touristen in einem Land
sind, das nicht hygienisch einwandfreies Trinkwasser ins Hotelzimmer liefern kann?
Wie oft sind wird schon an Darmkrankheiten erkrankt, weil wir schlechtes Wasser ge-
trunken haben oder unhygienisches Essen geniessen mussten? Etc.

Beispiel 1.9: Heiratsprobleme wegen Wasser


ISTANBUL – Heiratswillige Männer im türkischen Dorf Kahveci haben grosse Probleme,
ausserhalb ihres Ortes eine Frau zu finden. Schuld ist die fehlende Wasserversorgung.
In Kahveci müssen die Frauen jeden Tag drei Kilometer bis zum nächsten Brunnen
laufen. Um ihren Töchtern diese Mühsal zu ersparen, lehnen es die Väter in der Umge-
bung ab, junge Frauen nach Kahveci zu verheiraten. Die Dorfbewohner fordern von den
Behörden nun eine schnelle Lösung ihres Wasserproblems. 20 Minuten, 18.11.2005

Beispiel 1.10. Transportleistung der Siedlungswasserwirtschaft


Die Siedlungswasserwirtschaft erbringt eine grosse Transportleistung. Die statistischen
Angaben für die Schweiz für 1993 sind:
Trinkwasserproduktion 1.2 ˜ 109 m3 a-1
Abwasserableitung 2.5 ˜ 109 m3 a-1
Mittlere Transportdistanz ca. 5 km (Schätzung)
Transportleistung: 18 ˜ 109 t km a-1
Güterverkehr: Schiene 8 ˜ 109 t km a-1
Strasse 10 ˜ 109 t km a-1
Personenverkehr: Schiene 1 ˜ 109 t km a-1 (0.1 t / Person)
Strasse 8 ˜ 109 t km a-1
Die Siedlungswasserwirtschaft ist also einer der grossen Transportbetriebe unserer
Wirtschaft.

1.6 Siedlungsentwässerung
Die Siedlungsentwässerung hat die Aufgabe, das Abwasser aus den Siedlungen
abzuleiten und in geeigneter Form und mit geeigneter Qualität einer Vorflut zuzu-
leiten.
Hörler hat 1966 die Aufgabe der Ortsentwässerung wie folgt definiert:
„Aufgabe der Ortsentwässerung ist es, sämtliche Abwässer so vollkommen und
so schnell als möglich zu sammeln und aus dem Bereich menschlicher Siedlungen
zu entfernen, ohne Belästigung der Bewohner, ohne Beeinträchtigung des Ver-
kehrs und ohne Schädigung der ober- und unterirdischen Gewässer.“
Die schnelle und vollkommene Ableitung, insbesondere des Regenabwassers,
hat zu vielen Nachteilen geführt, die wir z.T. wieder korrigieren müssen. Heute
versuchen wir das Regenabwasser möglichst langsam und nur gerade soweit aus
den Siedlungen abzuleiten, dass hygienisch einwandfreie Bedingungen gewähr-
leistet sind und Störungen des Verkehrs oder Schäden aller Art (Überschwem-
mungen, Rückstau in Keller etc.) im Vergleich zu den Kosten der Entwässerung
nicht zu gross werden. Die langsame Entwässerung bei Regenwetter bedingt, dass
1.7 Abwasserreinigung 11

möglichst viel Regenwasser am Ort des Anfalles unter Beachtung des Grundwas-
serschutzes in den Untergrund versickert wird.
Heute erkennen wir, dass die Aufgabe der Siedlungsentwässerung neu defi-
niert werden muss. Ein Ansatz für eine moderne Definition ist:
Aufgabe der Ortsentwässerung ist es, Abwässer soweit aus den Siedlungen abzu-
leiten, dass die Hygiene und die Sicherheit gewährleistet werden können. Dabei
soll das Regenabwasser seiner Herkunft und Qualität entsprechend behandelt und
möglichst naturnah und langsam abgeleitet werden.
Wir kennen zwei Arten der Siedlungsentwässerung:
– Aus historischen Gründen hat sich die Mischkanalisation stark verbreitet: Hier
wird in einem gemeinsamen Kanal das dauernd anfallende und mit Schmutz-
stoffen stark belastete Abwasser aus Haushaltungen, Gewerbe und Industrie
zusammen mit Regenwasser abgeleitet.
– In vielen neueren Siedlungsgebieten (ca. 20% der Schweiz) wurde eine Trenn-
kanalisation eingerichtet: Hier wird in einem tiefliegenden Schmutz-
wasserkanal das stark belastete, dauernd fliessende Abwasser zur Kläranlage
geleitet und in einem höher liegenden, grösseren Meteorwasserkanal das weni-
ger belastete Regenwasser direkt der Vorflut zugeführt.

1.7 Abwasserreinigung
Wasser, das aus Siedlungen abgeleitet werden muss, heisst Abwasser. Es führt
eine Reihe von Stoffen und Organismen mit, die nicht bedenkenlos in die Umwelt
zurückgegeben werden können. Die Abwasserreinigung vermittelt zwischen dem
Bedürfnis des Menschen, das Wasser als Transportmittel für Abfallstoffe einzu-
setzen (Schwemmkanalisation) und den Möglichkeiten der Umwelt, mit diesen
Stoffen umzugehen: In der Abwasserreinigung sollen diejenigen Stoffe zurück-
gehalten werden, welche die Umwelt überlasten würden.
Die zulässige Belastung der Umwelt ist keine feste Grösse, sie ist abhängig
von unseren Vorstellungen, was einer wünschenswerten Umwelt entspricht. Mit
zunehmendem Wohlstand steigen die Anforderungen an die Umwelt, aber auch
die wirtschaftlichen Möglichkeiten, Umweltschutz und damit auch Abwasserrei-
nigung zu betreiben. Die Anforderungen an die Abwasserreinigung sind in den
dichtbesiedelten, reichen Industrieländern seit ca. 1950 stark gestiegen. Das hat
mehrere Gründe:
– Durch die laufende Zunahme der Bevölkerung, der Industrieproduktion, der
Entwässerungsanlagen (Kanalisation), des Wasserkomforts etc. haben die Ab-
wassermenge und die Schmutzstofffracht entsprechend zugenommen.
– Durch vermehrte Sensibilisierung gegenüber Umweltschäden haben unsere
Ansprüche an die Umwelt und deren Schutz zugenommen.
– Heute wird im Umweltschutz häufig gefordert, was technisch machbar ist. Die
Technologien der Abwasserreinigung haben seit 1950 riesige Fortschritte ge-
macht.
An moderne Abwasserreinigungsanlagen werden deshalb heute Ansprüche ge-
stellt, die nur mit aufwändigen und häufig komplizierten Verfahren und mit sorg-
fältigem Betrieb erfüllt werden können. Kläranlagen, die weniger als 25 Jahre alt
12 1 Einleitung

Anschlussgrad der Bevölkerung in %


100
80 Kanalisation Abwasser-
reinigungsanlage
60
40 Erneuerungsbedürftige
Kläranlagen
20
0
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000
Kalenderjahr

Abb. 1.6. Anteil der schweizerischen Wohnbevölkerung, die an eine Abwasserreinigungsanlage


angeschlossen ist. Für 1990 gilt: 94% der Bevölkerung können an eine bestehende ARA ange-
schlossen werden, 90 % sind angeschlossen, für 29 % der Einwohner genügt die Reinigungsleis-
tung der ARA den gültigen Vorschriften nicht mehr (Nach statistischen Angaben des BUWAL,
1994 / 2005)

sind, also von unseren Eltern gebaut wurden, genügen diesen Anforderungen häu-
fig bei weitem nicht mehr. Die Abwasserreinigung, wie auch der gesamte Um-
weltschutz, ist einer schnellen Entwicklung unterworfen. Das führt dazu, dass
teilweise Investitionen getätigt werden müssen, die in ihrer ganzen Bedeutung
noch kaum überschaut werden können. Bei einigen Forderungen an die Abwasser-
reinigung kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass sie nur mit negativer
Ökobilanz (Summe aller Be- und Entlastungen der Umwelt für den Bau, im Be-
trieb und beim Abbruch der Anlagen) realisiert werden können.
In der Abwasserreinigung werden Schmutzstoffe aus dem Abwasser entfernt.
Diese Stoffe können zwar z.T. biologisch abgebaut und damit häufig in unschädli-
che Stoffe (Wasser, Kohlendioxid, ev. Nährstoffe) überführt werden, ein Teil der
Schmutz- und Schadstoffe fällt aber in Form von Sedimenten (Klärschlamm) an,
die weiter behandelt und aufbereitet oder entsorgt werden müssen.
Heute ist im deutschen Sprachraum der grösste Teil der Bevölkerung und der
Industrie- und Gewerbebetriebe an meist öffentliche Abwasserreinigungsanlagen
angeschlossen (Abb. 1.6). Ein grosser Teil dieser Anlagen muss aber erneut aus-
gebaut werden, weil er den modernen Anforderungen nicht mehr genügt. Die Ab-
wasserreinigung ist zur Daueraufgabe geworden, die uns in Zukunft durch Erwei-
terungen, Erneuerungen und Verbesserungen laufend beschäftigen wird: Eine
Aufgabe die anspruchsvoller ist als der Bau der ersten Generation von Kläranla-
gen.

Beispiel 1.11. Leistung einer grossen Kläranlage


An die Kläranlage Werdhölzli der Stadt Zürich sind ca. 400’000 Einwohner angeschlos-
sen. Sie reinigt pro Tag ca. 200’000 m3 Abwasser.
1.8 Behandlung und Unterbringung von Klärschlamm 13

Welcher Teil des schweizerischen Abwassers wird in dieser grössten Anlage der
Schweiz gereinigt?
Pro Jahr werden ca. 74 Mio. m3 Abwasser gereinigt, in der Schweiz fallen pro Jahr ca.
2.5 Mrd. m3 Abwasser an. Diese Anlage reinigt also 3 % des Abwassers, das in der
Schweiz anfällt. Das entspricht nicht ganz dem Anteil der Bevölkerung, der an die Anla-
ge angeschlossen ist (400’000 von 7.4 Mio. oder 4%). Die Stadtentwässerung von Zü-
rich hat darauf geachtet, dass möglichst wenig Grundwasser ins Kanalnetz eindringt,
das resultiert heute in einem verringerten Abwasseranfall.

Beispiel 1.12. Leistung einer durchschnittlichen Kläranlage


Wieviel Abwasser reinigt die durchschnittliche Kläranlage der Schweiz?
Bei ca. 1000 öffentlichen Kläranlagen ergeben sich ca. 2.5 Mio. m3 pro Jahr oder ca.
7000 m3 d-1, das entspricht dem Abwasser von ca. 7500 Einwohnern inklusive der zu-
gehörigen Industrie und Gewerbebetriebe sowie des abzuleitenden Regenwassers.

1.8 Behandlung und Unterbringung von Klärschlamm


In der Abwasserreinigung fallen die zurückgehaltenen Schmutzstoffe z.T. in Form
von Klärschlamm an. Dieser Schlamm muss in geeigneter Form in die Umwelt
zurückgelangen. Klärschlamm, so wie er anfällt, ist ein äusserst unangenehmes
Produkt: Es ist voluminös (ca. 2–3 l pro Einwohner und Tag) und ist schnellen
biologischen Zersetzungsprozessen ausgesetzt, die zu grosser, unangenehmer Ge-
ruchsentwicklung führen.
Ziel der Behandlung von Klärschlamm ist:
– Den Klärschlamm in eine Form überzuführen, die ohne Geruchsbelästigung
gelagert und in die Umwelt zurückgegeben werden kann.
– Den Klärschlamm zu hygienisieren, sodass keine Krankheitskeime in die Um-
welt zurückgelangen.
– Das Volumen des Klärschlamms durch Abtrennung von Wasser zu vermin-
dern: Eindicken, entwässern, trocknen, verbrennen.
In der Schweiz wurde historisch ca. die Hälfte des Klärschlamms landwirt-
schaftlich als Dünger genutzt. Klärschlamm enthält z.T. die Nährstoffe, die aus
der Landwirtschaft in Form von Nahrungsmitteln in die Siedlungen gelangt sind.
Das Rückführen dieser Nährstoffe ist ökologisch sinnvoll und hilft die natürlichen
Kreisläufe zu schliessen.
Im Klärschlamm werden aber auch die Schadstoffe aufkonzentriert, die aus
dem Abwasser entfernt werden müssen, so z.B. die Schwermetalle. Diese Schad-
stoffe gelangen zusammen mit den Nutzstoffen zurück in die Umwelt. Heute ver-
suchen wir bereits an der Quelle dafür zu sorgen, dass diese Stoffe gar nicht erst
ins Abwasser gelangen. Seit 1980 sind bedeutende Fortschritte mit solchen Mass-
nahmen an der Quelle (Industrie und Gewerbe, Produktespezifikationen) gemacht
worden. Abbildung 1.7 stellt als Beispiel die Verminderung des Schwermetallge-
halts im Klärschlamm der Stadt Zürich dar.
Bedenken über den Schadstoffgehalt des Klärschlamms und Ängste im Zu-
sammenhang mit der Verbreitung von BSE (Mad cow disease) haben dazu ge-
führt, dass die grossen Schweizerischen Verteiler von Lebensmitteln die Nutzung
14 1 Einleitung

g Zink / t TS g Cadmium / t TS
2000 20

Zink
1500 15

1000 10

500 Cadmium 5

0 0
1980 1982 1984 1986 1988 1990
Kalenderjahr
Abb. 1.7. Entwicklung des Schwermetallgehalts im Klärschlamm der Stadt Zürich. Zink hat
seinen Ursprung dominant in langlebigen Gütern (verzinkte Oberflächen), Cadmium eher in
Industrie und Gewerbeabwässern (Daten der Stadtentwässerung Zürich)

von Klärschlamm in der Landwirtschaft nicht mehr tolerieren. Ab 2006 wird es in


der Schweiz verboten sein Klärschlamm landwirtschaftlich zu verwerten. Damit
wird in Zukunft der grösste Teil des Klärschlamms entsorgt (lies verbrannt) statt
genutzt werden müssen.

Beispiel 1.13. Klärschlammanfall


Auf einer Kläranlage für ca. 20’000 Einwohner fallen pro Tag ca. 50 m3 Klärschlamm an.
Diese enthalten ca. 96% Wasser und 4 % Trockensubstanz, also ca. 2 t Schmutzstoffe
(getrocknet).
In einem Eindicker kann dieser Schlamm auf 8 % Trockensubstanz eingedickt werden.
Wieviel Schlammvolumen bleibt zurück?
2 t Trockensubstanz = 8 % also 100 % = 25 t oder ca. 25 m3. Die Volumenverringerung
beträgt also 50 %.
In einer maschinellen Entwässerung wird der Klärschlamm bis zu einer Konzentration
von 25% Trockensubstanz entwässert. Das Restvolumen beträgt noch 2 t / 25% = 8 t
oder ca. 8 m3. Getrockneter Klärschlamm enthält nur noch 5% Wasser. Das Restvolu-
men ist daher 2 t / 0.95 = 2.1 t oder ca. 2.5 m3.
In einer Schlammverbrennung können ca. 50% der Trockenstoffe verbrannt werden. Es
bleiben also noch ca. 1 t oder 2% der anfänglichen Menge. Dieses Restvolumen muss
deponiert werden. Damit sind aber auch die Nährstoffe für eine Nutzung in der Land-
wirtschaft verloren gegangen.
1.9 Gewässerschutz 15

Siedlungswasser-
wirtschaft

Gewässer-
schutz Abb. 1.8. Siedlungswasserwirtschaft und Ge-
wässerschutz überschneiden sich

Tabelle 1.1. Ziel des Gewässerschutzes: Zweckartikel des Schweiz. Gewässerschutzgesetzes


vom 24. Jan. 1991
Dieses Gesetz bezweckt, die Gewässer vor nachteiligen Einwirkungen zu schützen. Es dient ins-
besondere:
a. der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen;
b. der Sicherstellung und haushälterischen Nutzung des Trink- und Brauchwassers;
c. der Erhaltung natürlicher Lebensräume für die einheimische Tier- und Pflanzenwelt;
d. der Erhaltung von Fischgewässern;
e. der Erhaltung der Gewässer als Landschaftselemente;
f. der landwirtschaftlichen Bewässerung;
g. der Benützung zur Erholung;
h. der Sicherung der natürlichen Funktion des Wasserkreislaufs.

1.9 Gewässerschutz
Das schweizerische Gewässerschutzgesetz (GSchG) vom 24. Januar 1991 defi-
niert den Zweck des Gewässerschutzes im Art. 1 (Tabelle 1.1). In Art. 2 wird dar-
gestellt, dass das Gesetz (also der Gewässerschutz) für alle ober- und unterirdi-
schen Gewässer gilt: Seen, Flüsse, Grundwasser, Quellen.
Die Siedlungswasserwirtschaft überschneidet sich mit dem Gewässerschutz:
Sowohl die Beschaffung von Trink- und Brauchwasser als auch die Rückführung
des belasteten Abwassers in die Gewässer greift stark in den Haushalt der Gewäs-
ser ein. Der Gewässerschutz wird aber heute so weit definiert, dass er nicht als
Teil der Siedlungswasserwirtschaft dargestellt werden darf, genauso wie diese
nicht Teil des Gewässerschutzes ist (Abb. 1.8). Im Rahmen des Gewässerschutzes
werden heute Anforderungen an Stoffe und Produkte formuliert, Restwassermen-
gen unterhalb von Wasserfassungen (Wasserkraftanlagen) festgelegt, Seen belüf-
tet, Gewässer renaturiert, Schutzzonen ausgeschieden, Tankanlagen gesichert,
Deponien abgedichtet etc. All diese Aufgaben gehen weit über die Siedlungswas-
serwirtschaft hinaus. Ein effizienter und zuverlässiger Gewässerschutz dient der
Siedlungswasserwirtschaft, insbesondere indem er die Ressourcen für die Wasser-
beschaffung schützt und die Vorflut für das (gereinigte) Abwasser verfügbar
macht.
16 1 Einleitung

1.10 Siedlungswasserwirtschaftliche Planung


Die Infrastrukturen, die im Rahmen der Siedlungswasserwirtschaft aufgebaut
werden, haben eine lange Lebenserwartung und müssen z.T. auch in ferner Zu-
kunft ihrer Aufgabe noch gerecht werden. Zudem besteht das Ver- und Entsor-
gungssystem für Wasser in Siedlungen aus einer Vielzahl von Elementen, die zu
unterschiedlichen Zeitpunkten gebaut werden und trotzdem aufeinander abge-
stimmt sein müssen. Die Wasserressourcen müssen nachhaltig geschützt werden.
Aus diesen Gründen kommt der generellen Planung in der Siedlungswasserwirt-
schaft eine grosse Bedeutung zu.
Jede Gemeinde muss für ihr Gebiet ein Generelles Wasserversorgungs-Projekt
GWP unterhalten, das aufzeigt, wie sich die Wasserversorgung in Zukunft entwi-
ckeln soll:
– Entwicklung des Wasserbedarfs und der Beschaffung dieses Wassers,
– Sicherstellung der Wasserbeschaffung und Schutz der Wasserressourcen,
– Ausscheidung der Grundwasserschutzzonen,
– Verteilung des Wassers,
– Erschliessung von neuen Siedlungsgebieten etc.
Für die Entwässerung von Siedlungen wurden früher Generelle Kanalisations-
projekte GKP erstellt, die aufzeigen, wie sich die Entwässerung in Zukunft entwi-
ckeln soll:
– Entwicklung des Abwasseranfalles,
– Ableitung, Entlastung und Behandlung von Regenwasser,
– Ableitung von Abwasser in Kanalisationen, Aufgabe und Standort von Son-
derbauwerken,
– Reinigung von Abwasser und Rückgabe in die Vorflut,
– Erschliessung von neuen Siedlungsgebieten.
Heute ist es üblich, die Kanalisation nicht mehr gesondert zu betrachten, son-
dern im Rahmen einer umfassenderen Generellen Entwässerungsplanung (GEP)
auch das Umfeld und insbesondere die Gewässer mit in die Planung einzubezie-
hen. Diese kommunale Planung wird im regionalen Entwässerungsplan (REP) für
ganze Einzugsgebiete koordiniert.
Die Zukunft muss zeigen, ob die Planung dieser beiden Bereiche weiterhin ge-
trennt betrieben werden kann, oder ob es nicht besser wäre, einen umfassenden
siedlungswasserwirtschaftlichen Rahmenplan zu erarbeiten.

1.11 Wert und Kosten der Siedlungswasserwirtschaft


Lehman (1994) berichtet über eine Studie, in der der Wert von gemeindeeigenen
Investitionsanlagen berechnet wurde (Tabelle 1.2). Der Wert aller öffentlichen
Anlagen für die Siedlungswasserwirtschaft beträgt in der untersuchten Schweize-
rischen Gemeinde Fr. 30’000.- pro Einwohner. Allein der Finanzdienst und die
Amortisation dieses Betrages ergeben pro Jahr ca. Fr. 1200.- pro Einwohner. Zu-
sammen mit den Betriebskosten ergibt sich ein Betrag von ca. Fr. 1500.- pro Ein-
wohner und Jahr. Heute wird nur ein Bruchteil dieses Betrages über Gebühren
erhoben, ein Teil wurde beim Bau mit Steuergeldern, Subventionen, über An-
1.12 Die Produkte der Siedlungswasserwirtschaft 17

% Anteil älter als Neubau in km / a


100 10

80 8

60 6

40 4

20 2

0 0
2000 1980 1960 1940 1920 1900 1880 1860
Baujahr
Abb. 1.9. Altersverteilung der Hauptleitungen der Wasserversorgung der Stadt Zürich. Fast 70 %
wurden vor dem 2. Weltkrieg gebaut. Um 1900 hat der Bestand am schnellsten zugenommen.
Neubauten sind heute die Ausnahme. Die Gesamtlänge aller Leitungen beträgt ca. 1100 km für
ca. 350‘000 Einwohner

schlussgebühren etc. erbracht. In Zukunft müssen wir aber mit den vollen Kosten
rechnen, d.h. bis mehr als Fr. 10.- pro m3 Trinkwasser.
Heute wird die Erneuerung der grossen Investitionen in die Siedlungswasser-
wirtschaft z.T. vernachlässigt. Ein grosser Teil der Bauten hat seine wirtschaftli-
che Lebenserwartung erreicht und sollte erneuert werden. Abbildung 1.9 zeigt am
Beispiel der Hauptwasserleitungen einer Grossstadt, dass viele Elemente der Was-
serversorgung 100 und mehr Jahre alt geworden sind. Wir können uns nicht mehr
auf deren Zuverlässigkeit verlassen. Trotzdem setzt weltweit die Planung der sys-
tematischen Erneuerung solcher Anlagen erst ein. Wir leben vom Kapital, das uns
unsere Eltern hinterlassen haben.

Beispiel 1.14. Die Siedlungsentwässerung als Unternehmen


Der Gemeinderat, der für die Entwässerung einer Gemeinde mit 5000 Einwohnern zu-
ständig ist, ist Direktor in einem Werk, das einen Wert von über 75 Mio. Franken und bei
umfassender Buchhaltung einen Aufwand von durchschnittlich 4 Mio. Franken pro Jahr
hat.
In der Schweiz ist dieser Gemeinderat meist als Laie in seine Aufgabe gewählt worden
und versieht diese Aufgabe im Nebenamt, wobei er zusätzlich noch für andere Ressorts
der Gemeinde verantwortlich ist.
Es ist eine der Aufgaben von Ingenieuren und Ingenieurinnen, diese Politikerinnen in
ihrer Arbeit zu unterstützen.

1.12 Die Produkte der Siedlungswasserwirtschaft


Während ins Haus geliefertes Trinkwasser als Produkt der Wasserversorgung ein-
fach erkennbar ist, ist das Produkt der Abwasserentsorgung nicht offensichtlich,
denn Abwasser, auch wenn es gereinigt ist, ist nur in Ausnahmefällen wertvoll.
18 1 Einleitung

Tabelle 1.2. Wert von gemeindeeigenen Anlageinvestitionen in einer Schweizerischen Gemein-


de mit 2500 Einwohnern (Lehmann 1994)
Anlagewert in Mio. Anteil
Investitionsbereich
Franken in %
Allgemeine Hochbauten
(Gemeindehaus, Werkhof, Zivilschutz, etc.) 9 7
Schulraum (inkl. Turnhalle) 15 12
Kultur und Freizeit (Gemeindesaal, Fussballplatz, etc.) 8 6
Alterswohnungen 6 5
Gemeindestrassen 15 12
Wasserversorgung 32 25
Abwasserentsorgung 43 33
Gesamthaft 128 100

Die Wasserversorgung produziert das Lebensmittel Trinkwasser und liefert es an


den Ort an dem es gebraucht wird. Zusätzlich stellt sie Produktionswasser für In-
dustrie und Gewerbe sowie Löschwasser für die Feuerwehr bereit. Wir haben ein
recht klares Bild, was die Produkte der Wasserversorgung sind.
Die Siedlungsentwässerung hat keine eindeutigen Produkte, denn Abwasser ist
in der Regel nicht wertvoll, und wir können z.B. gereinigtes Abwasser nicht als
Produkt bezeichnen, denn wer würde das kaufen wollen.
Wir bezahlen dem verantwortlichen Unternehmen dafür, dass wir das Recht
erhalten, Abwasser über die Kanalisationssysteme abzuleiten. Das Unternehmen
seinerseits übernimmt die Pflicht, dieses Abwasser zu transportieren und entspre-
chend den gesetzlichen Anforderungen aufzubereiten und in die Umwelt zurück-
zuführen. Als Produkt entstehen also primär Rechte (rechtliche Güter) und nicht
materielle Güter.

1.13 Fazit
Die Siedlungswasserwirtschaft ist ein Wirtschaftszweig, ohne den die Gesellschaft
in ihrer heutigen Form nicht möglich wäre. Ihre wirtschaftliche Bedeutung ist
gross. Sie übernimmt die Verantwortung für das Lebensmittel Trinkwasser, das sie
in genügender Menge und v.a. in hygienisch einwandfreier Qualität langfristig
gesichert zu Verfügung stellt. Die Siedlungswasserwirtschaft leitet Abwässer aller
Art aus den Siedlungen ab und bereitet diese in den Reinigungsanlagen so weit
auf, dass sie weitgehend schadlos in die Umwelt zurückgeführt werden können. In
der Form von Klärschlamm entsorgt sie die anfallenden Schad- und Wertstoffe.
Das Potential für interessante Arbeit im Bereich der Siedlungswasserwirtschaft ist
gross. Wir sind auf eine nachhaltige Sicherstellung der Wasserversorgung, der
Siedlungsentwässerung und der Abwasserreinigung angewiesen. Die Aufgabe des
Unterhaltens, Erneuerns, Betreibens und Verbesserns erscheint für junge Leute
häufig nur wenig attraktiv. Diese Aufgabe ist aber um das Vielfache anspruchsvol-
ler und komplexer als der Neubau. Nur hochqualifizierte Fachleute, die in ihrer
Ausbildung Zugang zu den verschiedensten Disziplinen gefunden haben, sind der
Zukunft gewachsen.
2 Systemanalyse und Massenbilanz

Systemanalyse ist eine Methode, in der weitestgehend akzeptierte Naturgesetze auf


diejenigen Teile der Welt (Systeme) angewendet werden, die uns speziell interes-
sieren. Mit der Systemanalyse nutzen wir a priori Wissen, wir setzen damit unter-
schiedliche Grössen miteinander in Beziehung und erhalten so Einblick ins Funk-
tionieren von Teilen der Siedlungswasserwirtschaft. Hier wird nur eine
Einführung in die einfachsten Prinzipien der Systemanalyse vermittelt; im Vor-
dergrund steht das Bilanzieren von Stoffen (Massenbilanzen).

2.1 Einleitung
Die Systemanalyse ist ein Werkzeug oder eine Arbeitsmethode, die in der Sied-
lungswasserwirtschaft ausserordentlich gute Dienste leistet und breite Anwendung
gefunden hat. Hier werden nur die einfachsten Prinzipien der Systemanalyse vor-
gestellt. Eine detaillierte Einführung in dieses Thema kann insbesondere auch ma-
thematisch recht anspruchsvoll werden.
Das wichtigste Element der Systemanalyse ist die Stoffbilanz; viele Probleme
können ohne die entsprechende Bilanzgleichung nicht systematisch angegangen
werden. Bilanzgleichungen verfolgen uns im Leben, jede Buchhaltung, jedes
Bankkonto beruht auf Bilanzgleichungen. Intuitiv bilanzieren wir, wenn wir Vor-
räte beurteilen (Wie lange reicht das Heizöl noch? Gibt es noch warmes Wasser
für meine Dusche?), Trinkwasser wird auf Grund von Bilanzen abgerechnet (Was
ins Haus hinein fliesst, wird auch verbraucht!) etc. Die Bilanzgleichung hilft uns,
unsere Systeme zu beschreiben.
Um die Bilanzgleichung auf ein System anzuwenden, müssen wir dieses vor-
erst definieren und abgrenzen.

2.2 Systeme und deren Abgrenzung


Als System bezeichnen wir einen abgegrenzten Teil der Welt. Die Systemgrenzen
werden so definiert, dass die Analyse des Systems (des Teils der Welt) uns erlaubt,
eine gestellte Frage möglichst einfach zu beantworten.
Ein System ist ein abgegrenzter Teil der Welt, der durch seine Grenzen definiert
ist. Wir analysieren vereinfachend nur diesen abgegrenzten Teilbereich der Welt
(Systemanalyse), um möglichst einfach und direkt Fragestellungen bearbeiten zu
können. Wir schliessen die Umwelt so umfassend wie möglich von unserer Be-
trachtung aus und können damit unser Problem überschaubar eingrenzen. Es gibt
keine festen Regeln, wie ein System von der Umwelt abgegrenzt werden soll. Mit
20 2 Systemanalyse und Massenbilanz

Belebungsbecken Nachklärbecken
Belüftung
Zufluss

Abfluss

Rücklaufschlamm Überschuss-
schlamm

Abb. 2.1. Beispiel einer Systemdefinition: Das Belebtschlammverfahren zur biologischen Reini-
gung von Abwasser besteht aus zwei Teilen (Teilsysteme), dem Belebungsbecken und dem
Nachklärbecken. Je nach Fragestellung definieren wir unterschiedliche Systeme; hier sind drei
Möglichkeiten mit Hilfe von gestrichelten Linien angedeutet

zunehmender Erfahrung gelingt es, Systeme immer einfacher und daher für unsere
Aufgaben wirksamer zu definieren.
Ein System ist ein gedachtes Konzept und nicht ein physikalisch existierender
Teil der Welt. Die Systemdefinition (Abgrenzung von der Umwelt) geschieht
nicht nur räumlich sondern auch phänomenologisch, indem wir bestimmte Phä-
nomene in unsere Analyse aufnehmen oder von vornherein als wenig bedeutsam
ausschliessen: Die Systemdefinition beruht auf unseren Modellvorstellungen.

Beispiel 2.1. Abgrenzung von Systemen im Belebtschlammverfahren


In Abb. 2.1 ist das Fliessschema eines Belebtschlammverfahrens zur biologischen Rei-
nigung von Abwasser dargestellt. Das Verfahren besteht aus zwei Reaktoren, dem Be-
lebungsbecken und dem Nachklärbecken und verschiedenen Transportleitungen (Zu-
fluss, Abfluss, Überschussschlamm und Rücklaufschlamm). Im Belebungsbecken
laufen dominant die biologischen Prozesse ab, im Nachklärbecken werden Mikroorga-
nismen vom nun gereinigten Abwasser durch Sedimentation abgetrennt und über den
Rücklaufschlamm ins Belebungsbecken zurückgeführt. Aus den Schmutzstoffen wird
Schlamm produziert, der laufend als Überschussschlamm abgezogen wird.
Je nach Fragestellung bieten sich in diesem Verfahren drei unterschiedlich abgegrenzte
Systeme an:
Interessiert uns die Leistung des Verfahrens, so werden wir vermutlich das ganze Ver-
fahren mit beiden Bauwerken in unser System einschliessen.
Interessieren uns v.a. die biologischen Umsetzungen, so konzentrieren wir uns auf die
Analyse des Belebungsbeckens.
Wollen wir eine Aussage machen über die Menge der Mikroorganismen, die über den
Rücklaufschlamm ins Belebungsbecken zurückgeleitet werden, so müssen wir unsere
Analyse vorerst aufs Nachklärbecken konzentrieren.
2.3 Die Stoffbilanz 21

Zufluss
Qzu, Czu System
Volumen V
mittlere Stoffkonzentration C
mittlere Produktionsgeschwindigkeit r Abfluss
Qab, Cab
Abb. 2.2. Definition eines einfachen Systems. Die Annahmen sind, dass das System ein variables
Volumen V hat, dass Transport über die Systemgrenzen nur innerhalb von Zufluss- oder Ab-
flussleitungen möglich ist und dass Stoffe über das ganze System gleichmässig mit der Konzent-
ration C verteilt sind

2.3 Die Stoffbilanz


Die Bilanzgleichung wird für ein definiertes System angeschrieben. Sie fasst Spei-
cher-, Transport- und Umwandlungsprozesse zusammen und erlaubt, Prognosen
zu machen, wie sich der Zustand eines Systems entwickeln wird.
Die Masse eines Stoffs, die sich in einem System befindet (gespeichert ist), verän-
dert sich als Folge von Zufluss (die Masse nimmt zu), Abfluss (die Masse nimmt
ab), einer möglichen Produktion im System selbst (einer Quelle, die Masse nimmt
zu) oder einem möglichen Verbrauch (einer Senke, die Masse nimmt ab). Für alle
Systeme gilt für jeden Stoff die folgende Gleichung:
Speicherung = Zufluss – Abfluss + Produktion – Verbrauch
Oder (2.1)
Speicherung = Transport + Reaktion
Speicherung = Veränderung der Stoffmenge im System.
Die Speicherung ist positiv, wenn die Stoffmenge zunimmt,
sie ist negativ, wenn diese abnimmt.
Transport = Zufluss und Abfluss sind Transportprozesse
Reaktion = Produktion und Verbrauch sind Stoffumwandlungen
(Reaktionen), ein Verbrauch ist eine negative Produktion
Mathematisch können wir Gl. (2.1) in unterschiedlicher Form anschreiben; da-
bei ist es wichtig, dass wir für das Quantifizieren der drei Prozesse Speicherung,
Transport und Reaktion die gleichen Dimensionen und Einheiten verwenden. Hier
werden nur die einfachsten Möglichkeiten und Modellansätze vorgestellt. Ein sehr
einfaches System ist in Abb. 2.2 dargestellt.
Beispiel 2.2: Dimensionen und Einheiten
Als Dimensionen bezeichnen wir Länge, Masse und Zeit je mit den Symbolen L, M, T in
eckigen Klammern. Als Einheiten nutzen wir die Bezugsgrössen oder Masseinheiten
Meter, Sekunden, Tag, Gramm, … sowie die kombinierten Einheiten Newton, Joule, …
In der Systemanalyse verbinden wir unterschiedlichste Grössen miteinander. Es ist
deshalb immer sinnvoll, die resultierenden Gleichungen in Bezug auf die Homogenität
der Dimensionen und Einheiten zu überprüfen.
22 2 Systemanalyse und Massenbilanz

Für das einfache System in Abb. 2.2 ergibt sich die Masse eines Stoffs innerhalb
des Systems zu:
M=V˜C (2.2)
M = Masse eines Stoffs innerhalb des Systems in Abb. 2.2 >M@
V = Volumen des Systems in Abb. 2.2 >L3@
C = Mittlere Stoffkonzentration im System in Abb. 2.2 >M L-3@
Die Akkumulation des Stoffs oder den Speicherprozess können wir als Verän-
derung der Stoffmasse M mit der Zeit t verfolgen. Mit Gl. (2.2) ergibt sich:
dM d(V ˜ C) dC dV
Speicherung = V˜  C˜ (2.3)
dt dt dt dt
Der Transport von Stoffen ins System hinein oder aus dem System heraus er-
gibt sich zu:
Zufluss = Qzu ˜ Czu
(2.4)
Abfluss = Qab ˜ Cab
Q = Volumenstrom (Durchfluss) des Wassers >L3 T-1@.
Die Reaktion oder die Umwandlung des Stoffs im System berechnet sich aus:
Reaktion = r ˜ V (2.5)
-3 -1
r = Reaktionsgeschwindigkeit >M L T @.
r > 0 wenn der Stoff produziert wird
r < 0 wenn der Stoff verbraucht wird.
Die Reaktionsgeschwindigkeit r gibt an, wieviel des Stoffs pro Volumen und
pro Zeit im System produziert werden. Zum Beispiel kann in einer biologischen
Abwasserreinigungsanlage Sauerstoff, O2, verbraucht werden. rO2 ist negativ, weil
es sich um einen Verbrauch handelt. Die Reaktionsgeschwindigkeit wird z.B. an-
gegeben als:
rO2 = – 500 g O2 m-3 d-1.
Mit den Gln. (2.2–2.5) können wir nun Gl. (2.1) schreiben als:
dC dV
V˜ C˜ Q zu ˜ C zu  Q ab ˜ C ab  r ˜ V (2.6)
dt dt
Gleichung (2.6) ist eine stark vereinfachte Form einer allgemeinen Massenbi-
lanzgleichung. Sie ist nur für das sehr einfache System in Abb. 2.2 gültig. Das
genügt hier, um einfache Fragestellungen zu bearbeiten.

Beispiel 2.3. Transportgeschwindigkeit.


Im Zulauf zu einer Kläranlage für 5000 Einwohner werden pro Tag 1500 m3 Abwasser
gemessen. Das Abwasser enthält im Durchfluss gewichteten Mittel Czu = 7 g m-3 Phos-
phor.
2.4 Ideale Reaktoren 23

Abb. 2.3. Schematische Darstellung eines Chargenreaktors

Wie gross ist die mittlere Transportgeschwindigkeit (der mittlere Zufluss, die Fracht) von
Phosphor in diese Kläranlage hinein?
Die Phosphorfracht im Zulauf beträgt: Qzu ˜ Czu = 1500 m3 d-1 ˜ 7 gP m-3 = 10’500 gP d-1.
Je nach den gewählten Einheiten könnten wir diese Transportgeschwindigkeit auch
angeben als 438 gP h-1 oder 0.12 gP s-1. Alle drei Transportgeschwindigkeiten drücken
das Gleiche aus.
WICHTIG: Diese drei Angaben entsprechen nicht einem Mittelwert über einen Tag, eine
Stunde oder eine Sekunde sondern sie entsprechen alle dem gleichen, mit dem Durch-
fluss gewichteten Mittelwert.
Wieviel Phosphor gelangt im Mittel während eines Jahres in diese Anlage?
MP = Qzu ˜ Czu ˜ 't = 1500 m3 d-1 ˜ 7 gP m-3 ˜ 365 d = 3.83 t Phosphor.
Die Antwort auf diese Frage beinhaltet die Dimension der Zeit nicht mehr. Entsprechend
handelt es sich hier nicht um eine Transportgeschwindigkeit.

2.4 Ideale Reaktoren


Damit wir Systeme mathematisch einfach beschreiben können, führen wir ideale
Reaktoren ein. Ideale Reaktoren sind Systeme, für die wir die darin ablaufenden
Transport- und Durchmischungsprozesse mathematisch exakt beschreiben kön-
nen. Reale, gebaute Reaktoren weichen in ihrem Verhalten mehr oder weniger
stark von idealen Reaktoren ab, häufig können wir sie aber mit genügender Ge-
nauigkeit durch ideale Reaktoren abbilden. Hier werden drei ideale Systeme ein-
geführt: Der Chargenreaktor, der ideal durchmischte Reaktor und der Röhrenre-
aktor.

2.4.1 Der Chargenreaktor


Der Chargenreaktor (Engl. batch reactor) ist in Abb. 2.3 schematisch dargestellt.
Er hat keinen Zufluss und keinen Abfluss, er ist so intensiv durchmischt, dass im
Reaktor keine Gradienten von Konzentrationen oder Temperaturen etc. auftreten
können. Typische Beispiele für einen Chargenreaktor sind Reagenzgläser im La-
bor oder das Kochen in einer Pfanne.
Wenn wir Gl. (2.6) auf einen Chargenreaktor anwenden, so verbleibt ohne Zu-
und Abfluss, d.h. bei konstantem Volumen:
dC dC
V˜ r˜V oder r (2.7)
dt dt
24 2 Systemanalyse und Massenbilanz

Zufluss

Q Czu

Abfluss

Q Cab

C
Zufluss
Czu
Abb. 2.4. Schematische Darstellung des
Reaktor Abfluss
idealen Rührkessels. Unten sind die loka-
C Cab len Stoffkonzentrationen angedeutet. Im
Rührkessel finden wir die gleiche Kon-
Ort zentration wie im Ablauf

Weil der Chargenreaktor weder Zu- noch Abfluss hat, sprechen wir auch von
einem geschlossenen System. Ein solches kann mit der Umgebung keine Stoffe,
wohl aber Energie austauschen. Die Erde ist relativ zum Weltall angenähert ein
geschlossenes System.

Beispiel 2.4. Desinfektion von Wasser an der Sonne.


Stellt man Wasser in Plastikgefässen an die Sonne, so wird das Wasser von der UV-
Strahlung der Sonne durchdrungen; diese kann Mikroorganismen abtöten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mikroorganismus während 1 min durch die UV-
Strahlung im Sonnenlicht abgetötet wird, beträgt z.B. in einer 1 l Flasche 5%.
Wie lange muss das Wasser an der Sonne stehen, damit die Konzentration der Mikro-
organismen um den Faktor 106 reduziert wird?
Das Plastikgefäss können wir als Chargenreaktor betrachten. Für die angegebene Abtö-
tungsgeschwindigkeit gilt: r = - k ˜ X, mit k = 0.05 min-1. Dabei steht X für die Konzentra-
tion der Mikroorganismen.
Integrieren wir Gl. (2.7), ausgehend von X = X0 bei t = 0, so resultiert:
X/X0 = e-k˜t = e-0.05˜t.
Um den gewünschten Abbau von X/X0 = 10-6 zu erhalten, sind t = 276 min oder ca. 5 h
erforderlich. Insbesondere in grosser Höhe (Südamerika, Anden) ist die UV-Strahlung
sehr intensiv, hier stellt diese einfache Art der Wasseraufbereitung eine geeignete Mög-
lichkeit zur Desinfektion dar, wenn das Rohwasser nicht allzu stark belastet ist. Die Me-
thode ist unter dem Namen SODIS bekannt geworden.

2.4.2 Der ideale Rührkessel


Der ideale Rührkessel (Engl. CSTR, continuous flow stirred tank reactor) hat ana-
log zum Chargenreaktor ein intensiv durchmischtes Volumen, in dem keine Gra-
dienten von Konzentrationen etc. auftreten. Er ist durchflossen, sein Volumen
bleibt konstant, d.h. die Zufluss- und die Ablaufwassermenge sind gleich gross.
2.4 Ideale Reaktoren 25

Der ideale Rührkessel ist in Abb. 2.4 dargestellt. Der Rührkessel entspricht ange-
nähert einem See in der Herbstphase mit vollständiger Durchmischung, wenn kei-
ne thermische Schichtung beobachtet wird.
Wenden wir Gl. (2.6) auf einen Rührkessel an, so resultiert mit konstantem
Volumen V und daher gleichem Zu- und Abfluss Q:
dC
V˜ Q ˜ (Czu  Cab )  r ˜ V (2.8)
dt
Zudem können wir davon ausgehen, dass die Stoffkonzentrationen wegen der
guten Durchmischung im Reaktor und im Ablauf identisch sind, C = Cab.

Beispiel 2.5. Desinfektion von Wasser in einem durchflossenen Wassertank.


Eine kleine Gemeinde hat von der einfachen Aufbereitung des Trinkwassers durch
Sonnenlicht gehört (s. Beispiel 2.4). Sie beschliesst, die erforderlichen 100 m3d-1 Trink-
wasser in einem offenen, durchflossenen Wassertank mit einem Volumen von 100 m3
zu produzieren. Das Wasser im Tank wird durch die Strömung gut durchmischt.
Ist das Wasser nach dieser Aufbereitung geniessbar?
Wir modellieren den Wassertank als idealen Rührkessel.
Mit r = - k ˜ X (s. Beispiel 2.4) und der Annahme, dass die Wasserqualität im Becken mit
derjenigen im Ablauf identisch ist (X=Xab) und konstant bleibt (dX/dt = 0), ergibt sich aus
Gl. (2.8):
X ab 1
0 Q ˜ (X zu  X ab )  k ˜ X ab ˜ V und nach Umformung
X zu 1 k ˜ V / Q
Für k = 0.05 min-1 und V/Q = 1 d = 1440 min wird Xab/Xzu = 0.014.
(In einem so grossen Becken wäre der k - Wert viel geringer und damit die Leistung
noch geringer).
In der Anordnung, die die Gemeinde vorsieht, bleibt das Wasser zwar im Mittel während
24 h im Tank, aber es verbleiben noch ca. 1.4% der Mikroorganismen im Wasser zu-
rück. (Bei nur 12 h Sonneneinstrahlung sind es noch viel mehr!) Das Wasser kann also
nicht als Trinkwasser bezeichnet werden, der Wirkungsgrad der Anlage ist viel zu ge-
ring.
Der Vergleich dieses Beispiels mit den Resultaten aus Beispiel 2.4 zeigt wie wichtig die
Fliessbedingungen in einem Reaktor sind. Das erforderliche Volumen, um Xab/Xzu=10-6
zu erreichen, wäre V > 50’000 m3. Rührkessel sind für die Desinfektion offensichtlich
nicht geeignet.

2.4.3 Der Röhrenreaktor


Der Röhrenreaktor (Pfropfenstromreaktor, Engl. plug flow reactor) unterscheidet
sich grundsätzlich von den zwei anderen idealen Reaktoren. Als interner Trans-
portprozess wird in Strömungsrichtung nur die Advektion (Transport mit dem
fliessenden Wasser) betrachtet, es findet keine Längsdurchmischung statt
(Abb. 2.5). Damit können in einem Röhrenreaktor entlang der Hauptachse des
Reaktors Gradienten von Stoffkonzentrationen auftreten. Man kann sich den Röh-
renreaktor als eine Kette von Chargenreaktoren vorstellen, die sich hintereinander
mit der Fliessgeschwindigkeit des Wassers bewegen. Ein Förderband oder ein Ski-
26 2 Systemanalyse und Massenbilanz

Zufluss Abfluss

Q Czu Q Cab

Czu
Cab
Hauptfliessrichtung

Abb. 2.5. Der Röhrenreaktor. Die Konzentration C eines Stoffs, der abgebaut wird, nimmt ent-
lang der Fliessrichtung ab

lift sind Beispiele für Röhrenreaktoren. Fliessgewässer und Kanalisationen ent-


sprechen angenähert einem Röhrenreaktor.
Auf den Röhrenreaktor können wir Gl. (2.6) nicht anwenden, weil die Annah-
me, dass die Konzentration C des Stoffs über den ganzen Reaktor die gleiche ist,
nicht anwendbar ist. Der Röhrenreaktor entspricht nicht der einfachen Systemde-
finition in Abb. 2.2.

Beispiel 2.6. Desinfektion in einer Wasserleitung.


Eine Transportleitung für Trinkwasser, z.B. von einem entfernt gelegenen, erhöhten
Speicher zum Versorgungsgebiet, entspricht angenähert einem idealen Röhrenrektor.
Das Verhältnis Länge L der Leitung zu Fliessgeschwindigkeit v gibt an, wie lange das
Wasser im Mittel in der Leitung verbleibt.
In Analogie zu Beispiel 2.4: Wie gross muss die Geschwindigkeitskonstante k für die
Desinfektion sein, damit das Wasser in der Transportleitung genügend desinfiziert wird
(Xab/Xzu < 10-6)?
Annahmen: L = 2 km, v = 2 m s-1.
Stellen wir uns vor, dass Wasserpakete wie eine Kette von Chargenreaktoren durch die
Transportleitung fliessen, so ergibt sich in Analogie zu Beispiel 2.4:
Xab/Xzu = e-k˜t = e-k˜L/v < 10-6. Es gilt die Bedingung k > - ln(10-6)/(L/v) = 0.83 min-1.
Wir müssen also beim Speicher dem Wasser genügend Desinfektionsmittel (z.B. Chlor,
Cl2) zugeben, damit pro Minute mehr als 83% der Mikroorganismen abgetötet werden.
Das Trinkwasser erreicht dann das Versorgungsgebiet in hygienisch einwandfreiem
Zustand. Da eine Druckwasserleitung wegen der Längsdurchmischung des Wassers
nicht genau einem Röhrenreaktor entspricht, muss die Dosierung des Desinfektionsmit-
tels noch leicht erhöht werden.

2.5 Anwendung der Bilanzgleichung


Die Anwendung der Bilanzgleichung wird an Hand von Beispielen eingeführt.
Vereinfachte Formen von Gl. (2.6) beschreiben unterschiedliche Spezialfälle.
2.5 Anwendung der Bilanzgleichung 27

2.5.1 Speicherung
Speicherung ist in allen Bereichen der Siedlungswasserwirtschaft von Bedeutung.
Deutlich wird der Prozess der Speicherung in der Wasserversorgung: Ein Trink-
wasserspeicher (ein Reservoir) speichert Wasser in Perioden mit geringem
Verbrauch, um anschliessend bei erhöhtem Verbrauch Wasser ins Verteilnetz ein-
zuspeisen. Wasser wird gespeichert, weil sich der Zufluss vom Abfluss unter-
scheidet. Aus Gl. (2.6) wird deutlich, dass ohne Reaktion und ohne Transport auch
der Speicherterm der Bilanzgleichung gleich null wird. Speicherung ist also im-
mer eine Folge von entweder Transport oder Reaktion.

Beispiel 2.7. Akkumulation (Speicherung) von Stoffen in einem See


In einem See nimmt die Stickstoffkonzentration SN laufend zu. Es werden z.B. im Ver-
laufe eines Jahres zusätzlich 'M = 2000 kg gelöster Stickstoff gespeichert. Der See hat
ein Volumen von V = 5˜106 m3.
Wieviel grösser ist die mittlere Konzentration SN des gelösten Stickstoffs im Verlaufe
des Jahres geworden?
Die totale Stoffmenge im See ist M = SN ˜ V, und daraus ergibt sich die Zunahme der
mittleren Konzentration zu:
'SN = 'M / V = 2˜106g / 5˜106 m3 = 0.4 gN m-3.

2.5.2 Speicherung und Transport


Transport von Wasser und Stoffen ist als Phänomen einfach zu verstehen. In der
Wirklichkeit, wenn wir die Transportprozesse quantifizieren müssen, entsteht aber
eine Reihe von Problemen. So werden z.B. in der Siedlungsentwässerung aufwän-
dige Modell- und Programmpakete eingesetzt, um den Transport und die Speiche-
rung von Wasser in den Kanalsystemen zu simulieren.
Wenden wir Gl. (2.6) auf Wasser an, so bleibt die Konzentration des Wassers
konstant (C = Dichte des Wassers = 1000 kg m-3) und es wird kein Wasser produ-
ziert (r = 0). Es resultiert:
dV
Q zu  Qab (2.9)
dt

Beispiel 2.8. Speicherung von Wasser in den Wasserversorgungsnetzen


Die Wasserversorgung betreibt Druckleitungen, die immer voll sind, d.h. das Volumen
des Systems Wasserleitungen ist konstant.
Wie reagiert die Einspeisung von Wasser aus einem Reservoir in die Leitungen auf eine
plötzliche Zunahme des Wasserbedarfes?
Weil das Volumen VL der Leitungen konstant ist, gilt dVL/dt = 0. Aus Gl. (2.9) folgt
Qzu = Qab.
Mit dem Verbrauch nimmt Qab zu, also muss unmittelbar auch Qzu zunehmen. Das er-
forderliche Wasser, das diese Zunahme der Einspeisung abdeckt, wird aus den Was-
serspeichern mit variablem Volumen (Reservoiren) zur Verfügung gestellt.
Die Wasserversorgung konzentriert das Bauelement mit variablem Volumen auf die
Wasserspeicher.
28 2 Systemanalyse und Massenbilanz

(Die Annahme, dass die Konzentration und des Wassers und das Volumen der Leitun-
gen konstant bleiben, stimmt nur angenähert. Durch Druckschwankungen ergeben sich
geringe Variationen in der Dichte des Wassers und der Expansion der Leitungen, das
führt zu Druckstössen, die in Abschn. 11.7 besprochen werden).

Beispiel 2.9. Speicherung von Wasser in der Kanalisation.


Wie reagiert der Ausfluss einer Kanalisation auf den plötzlichen zusätzlichen Zufluss zur
Kanalisation als Folge eines Regenereignisses?
Die Kanalisationen sind Freispiegelkanäle, d.h. die Wassertiefe in den Kanälen nimmt
mit zunehmendem Abfluss zu. Die Kanalisationen haben ein variables Wasservolumen,
d.h. wiederum dass sie Wasser vorübergehend speichern können.
Weil das Wasservolumen in den Kanälen mit zunehmendem Zufluss zunimmt, wird
Wasser im Netz vorübergehend gespeichert, dV/dt > 0.
Weil die Speichergeschwindigkeit vorerst positiv ist, muss nach Gl. (2.9) der Abfluss Qab
vorerst kleiner sein als der erhöhte Zufluss Qzu. Die Kanäle werden gefüllt.
Nach dem Nachlassen des Regens nimmt der Zufluss Qzu ab. Das Wasservolumen in
den Kanälen nimmt wieder ab, die Speicherung ist negativ, der Abfluss Qab muss grös-
ser sein als der Zufluss Qzu.
Die Tatsache, dass die Kanalisationen vorübergehend Wasser speichern können, führt
zu einer Verlangsamung des Abflusses.

Beispiel 2.10. Konstantes Volumen im Rührkessel


Bei der Herleitung von Gl. (2.8) haben wir intuitiv angenommen, dass das Volumen des
idealen Rührkessels konstant bleibt. Diese Annahme ist eine Konsequenz von Gl. (2.9).
Ist Qzu = Qab so resultiert dV/dt = 0 oder V = konstant.
Häufig wenden wir Bilanzgleichungen intuitiv an.

Beispiel 2.11. Speicherung von Wasser in einem Reservoir


Die Bilanzierung des Wassers um ein Reservoir beruht auf Gl. (2.9). Solange Qzu > Qab,
nimmt das gespeicherte Volumen zu.

2.5.3 Keine Speicherung: Stationärer Zustand


Als stationären Zustand bezeichnen wir einen Systemzustand, der unabhängig von
der Zeit ist. Insbesondere bleiben alle Zu- und Abflüsse konstant und eine Spei-
cherung ist nicht vorhanden: das Volumen und alle Konzentrationen im System
(die sogen. Zustandsgrössen) bleiben konstant. Gleichung (2.6) wird zu:
0 Q ˜ Czu  Q ˜ Cab  r ˜ V  (2.10)
Weil das Volumen des Systems konstant bleibt, muss auch der Zufluss Qzu
gleich dem Abfluss Qab sein. Gleichung (2.10) kann auf alle anderen Formen der
Bilanzgleichung angewendet werden; für den Chargenreaktor resultiert z.B. im
stationären Zustand aus Gl. (2.7) die Aussage r = 0.
2.5 Anwendung der Bilanzgleichung 29

2.5.4 Keine Umwandlung: Konservativer Stoff


In vielen Situationen wissen wir, dass für einzelne Stoffe die Umwandlungspro-
zesse vernachlässigbar langsam sind, d.h., dass der Produktionsterm in Gl. (2.6)
gleich null wird:
dC dV
V˜  C˜ Q zu ˜ C zu  Q ab ˜ C ab (2.11)
dt dt
Im stationären Zustand gilt zudem dC/dt = 0 und dV/dt = 0. Es verbleibt
Czu = Cab. Für die Vernachlässigung des Produktionsterms gibt es verschiedene
Gründe:
– Wir wissen, dass der Stoff in unserem System keiner Reaktion unterworfen ist.
Das ist z.B. für Kochsalz (NaCl) häufig der Fall. Ob ein Stoff an einer Reakti-
on teilnimmt oder nicht ist aber nicht nur eine Eigenschaft des Stoffs sondern
auch des Systems: In einem System ohne Mikroorganismen (Bakterien) ge-
schieht mit Ammonium (NH4+) nur wenig; sind aber geeignete Bakterien und
Sauerstoff (O2) vorhanden, so wird Ammonium schnell zu Nitrat (NO3-) oxi-
diert.
– Die Aufenthaltszeit des Wasser im System kann so klein sein, dass für eine
bedeutende Reaktion keine Zeit zur Verfügung steht, s. dazu Beispiel 2.12.
– Der Stoff ist einem Erhaltungssatz unterworfen. Er kann zwar an Reaktionen
teilnehmen, die Summe von Produktion und Verbrauch ist aber immer gleich
null. Erhaltungssätze gelten v.a. für Elemente. In einem System kann z.B. kein
zusätzlicher Phosphor (P) produziert werden (s. a. Beispiel 2.15).
– Der Stoff ist wohl einer Reaktion unterworfen, im Vergleich zur Stoffmenge,
die durch das System fliesst oder darin vorhanden ist, ist die Reaktion aber
vernachlässigbar. Das gilt insbesondere für Wasser, das z.B. in geringen Men-
gen durch Mikroorganismen gebildet wird.

Beispiel 2.12. Mischrechnung in der Kanalisation


In Abb. 2.6 ist ein Vereinigungsschacht dargestellt, in dem Regenwasser und Abwasser
aus einer Siedlung zusammenfliessen.
Wie gross sind die Menge QR und die Konzentration eines Schmutzstoffs im Regen-
wasser CR?
Die folgenden Grössen wurden gemessen:
QS = 0.15 m3 s-1, CS = 150 g m-3 im Abwasser aus der Siedlung
QM = 0.60 m3 s-1, CM = 40 g m-3 im Mischwasser nach der Vereinigung
Es ist offensichtlich, dass gilt QR = QM - QS = 0.45 m3s-1. Wir wenden hier implizit
Gl. (2.6) oder genauer Gl. (2.9) an. Im Schacht wird kein Wasser zurückgehalten (Spei-
cherung = 0) und kein Wasser produziert (Produktion = 0), damit verbleibt: Zu-
fluss = Abfluss oder QS + QR = QM.
Für den Schmutzstoff können wir annehmen, dass das Wasser nur so kurz im Schacht
verbleibt, dass keine Reinigung (Reaktion) möglich ist, es gilt daher analog zum Was-
ser:
QM ˜ CM  Q S ˜ C S
QS ˜ CS + QR ˜ CR = QM ˜ CM. Daraus ergibt sich: CR 3.3 g m-3
QR
30 2 Systemanalyse und Massenbilanz

Regenwasser
QR CR
Systemabgrenzung

Zufluss von der Mischwasser


Siedlung QS, CS QM, CM

Abb. 2.6. Systemdefinition für einen Vereinigungsschacht: Regenwasser wird dem Abwasser
einer Gemeinde zugeleitet. Die Wassermengen werden mit Q, die Schmutzstoffkonzentrationen
mit C bezeichnet

Wir sprechen hier von einer Mischrechnung, effektiv haben wir die Bilanzgleichung an-
gewendet und die Annahmen gemacht, dass der Schmutzstoff nicht reagiert und nicht
im Schacht gespeichert (zurückgehalten) wird.

Beispiel 2.13. Ein mikrobiologischer Prozess


Mikroorganismen (Bakterien) können z.B. ein Kohlehydrat (Zucker, C6H12O6) mit Hilfe
von Sauerstoff zu Kohlendioxid und Wasser oxidieren, entsprechend:
C6H12O6 + 6 O2 o 6 CO2 + 6 H2O
Da in einem Abwasser z.B. nur wenige Gramm Zucker pro m3 Wasser enthalten sind,
kann die Produktion von Wasser im Vergleich zum vorhandenen Wasser vernachlässigt
werden.

Beispiel 2.14. Säure-Base-Reaktionen


Säure-Base-Reaktionen laufen im Wasser sehr schnell ab. Die einfache Mischrechnung
in Beispiel 2.12 genügt hier nicht um den pH-Wert des vermischten Wassers zu berech-
nen: Also auch in diesem einfachen System müssen wir schnelle Reaktionen berück-
sichtigen.

Beispiel 2.15. Anwendung eines Erhaltungssatzes.


In einer Belebungsanlage, deren Fliessschema in Abb. 2.1 und Abb. 2.7 dargestellt ist,
wird Stickstoff in die Biomasse (Mikroorganismen) eingebaut und zusätzlich nitrifiziert,
d.h. von Ammonium (NH4+) zu Nitrat (NO3-) oxidiert, nach:
NH4+ + 2 O2 o NO3- + H2O + 2 H+.
Die Anlage wird im stationären Zustand betrieben (keine Speicherung, es gilt Gl. (2.10)),
und es werden die Grössen in Tabelle 2.1 gemessen.
Wie gross ist die Wassermenge Qab im Ablauf?
Für den stationären Zustand ergibt sich für das System 1 in Abb. 2.7:
Qzu = Qab + QÜS und damit Qab = 975 m3 d-1.
Wieviel Wasser fliesst vom Belebungsbecken zum Nachklärbecken?
Für den stationären Zustand ergibt sich für das System 2 in Abb. 2.7:
Qzu + QR = Abfluss aus dem Belebungsbecken = 2000 m3 d-1.
2.5 Anwendung der Bilanzgleichung 31

System 1

System 2

Qzu Qab
Nitrifikation

QÜS
QR

Abb. 2.7. Fliessschema einer einfachen Belebungsanlage mit Nitrifikation. (s.a. Abb. 2.1)

Tabelle 2.1: Verfügbare Messwerte


Ammonium Nitrat Organischer N in
Durchfluss Q
Messstelle (NH4+) (NO3-) der Biomasse
in m3 d-1
in g N m-3 in g N m-3 in g N m-3
Zufluss Qzu = 1000 SNH,zu = 20 SNO,zu = 0 XN,zu = 0
Abfluss ? SNH,ab = 2 ? XN,ab = 0
Überschussschlamm QÜS = 25 SNH,ÜS = 2 ? XN,ÜS = 250
Rücklaufschlamm QR = 1000 SNH,R = 2 ? ?

Wie gross ist die Nitratkonzentration im Ablauf des Nachklärbeckens, SNO,ab?


Für Stickstoff gilt ein Erhaltungssatz. Obwohl Ammonium zu Nitrat oxidiert wird, bleibt
die Menge des Stickstoffs unverändert. Für das System 1 ergibt sich mit r = 0 und
Gl. (2.10) die folgende Bilanz:
Qzu˜SNH,zu = Qab˜(SNH,ab + SNO,ab) + QÜS˜(SNH,ÜS + SNO,ÜS + XN,ÜS)
Wenn wir einen Erhaltungssatz für Stickstoff anwenden, müssen wir alle Formen von
Stickstoff, die in den verschiedenen Leitungen vorkommen, erfassen. Hier also die
Summe der drei Konzentrationen von Ammonium, Nitrat und den organisch gebunde-
nen Stickstoff, SNH + SNO + XN (die alle in g N m-3 angegeben werden).
Im Nachklärbecken laufen keine Reaktionen ab, es werden nur Mikroorganismen abge-
trennt. Es gilt daher die Annahme, das die gelösten Stoffe Ammonium und Nitrat im
Ablauf und im Überschussschlamm die gleiche Konzentration haben: SNH,ab = SNH,ÜS
und SNO.ab = SNO,ÜS. Damit verbleibt als einzige Unbekannte SNO,ab. Unter Vernachlässi-
gung der Konzentrationen, die mit 0 gemessen wurden, verbleibt:
Q zu ˜ SNH,zu  (Qab  QÜS ) ˜ SNH,ab  QÜS ˜ X N,ÜS
SNO.ab 11.75 g NO-3  N m-3
Q ab  QÜS
Wie gross ist die Konzentration des organisch gebundenen Stickstoffs in der Biomasse
im Belebungsbecken XN,BB?
Das Finden des Lösungsweges wird dem Leser überlassen. Es muss ein neues System
3 definiert werden. (Zur Kontrolle: XN,BB = 128 g N m-3).
Dieses Beispiel zeigt, dass wir auch ohne detaillierte Analyse der Reaktoren mit Hilfe
der Systemanalyse sehr wertvolle und weitgehende Aussagen machen können.
3 Charakterisierung von Wasser

Die Siedlungswasserwirtschaft ist eine Disziplin, die sich sehr umfassend mit der
Qualität von Wasser befasst. Damit dies möglich wird, müssen wir das Wasser
chemisch, physikalisch und hygienisch charakterisieren. Das bedingt ein Ver-
ständnis für die Bedeutung und die Probleme der verschiedenen Analysemetho-
den.

3.1 Vorbemerkungen
Hier werden einzelne Analysen und Methoden zur Charakterisierung von Wasser,
Abwasser und Klärschlamm diskutiert. Die Angaben beschränken sich auf das
Minimum, das erforderlich ist, um die Grundlagen der Siedlungswasserwirtschaft
zu verstehen. Fachleute, die sich vertieft mit der Siedlungswasserwirtschaft befas-
sen, müssen sich auch im Detail mit den Analysemethoden vertraut machen. Nur
so sind sie vor Fehlinterpretationen gefeit. Zu jeder Analyse, sei diese physika-
lisch, chemisch oder mikrobiologisch, gehört eine reproduzierbare Beschreibung
des standardisierten Vorgehens und der möglichen Fehlerquellen bei den Resulta-
ten, s. dazu die weiterführende Literatur Seite 422.

3.2 Summenparameter und Einzelstoffe


Summenparameter fassen eine Gruppe von unterschiedlichen Stoffen zusammen,
die eine gemeinsame Eigenschaft haben, z.B. dass sie mit einem Membranfilter mit
einer definierten Porengrösse (z.B. 0.45 Pm) aus dem Wasser abgetrennt werden
können, oder dass sie durch Cr2O72- (Dichromat) in stark saurer Lösung oxidiert
werden können (CSB), etc. Einzelstoffanalysen sind chemische Analysen, die ge-
zielt einzelne, chemisch definierte Stoffe erfassen.
Insbesondere im Abwasser finden wir ein Gemisch von vielen Einzelstoffen. Es ist
häufig nicht möglich (und auch nicht sinnvoll) diese alle einzeln zu erfassen. Mit
Hilfe von sogen. Summenparametern wird eine Gruppe von Stoffen gemeinsam
analysiert. Das Analyseverfahren stellt dann eine spezielle Eigenschaft der Stoff-
gruppe in den Vordergrund. Um die Resultate dieser Analyse zu interpretieren
müssen wir die spezielle Eigenschaft, die analysiert wird, verstehen; diese leitet
sich aus dem Analyseverfahren ab.
In chemischen und mikrobiologischen Prozessen spielen genau definierte Ein-
zelstoffe häufig eine wichtige Rolle. Um diese zu quantifizieren müssen wir ent-
sprechend selektive Analysemethoden wählen.
34 3 Charakterisierung von Wasser

Beispiel 3.1. Summenparameter, Einzelstoffe und Mengenlehre

Menge der Abwasserinhaltstoffe


Summenparameter quantifizie-
ren eine Teilmenge aller Stoffe,
Summenparameter: die in einem Wasser vorhanden
Eine Teilmenge Einzelstoff: sind. Einzelstoffanalysen be-
Ein Element ziehen sich auf ein Element aus
der gesamten Menge der vor-
Teilmenge der handenen Stoffe. Die Filtration
partikulären Teilmenge der teilt die Stoffe in zwei Teilmen-
Stoffe gelösten Stoffe gen: Gelöste und partikuläre
Stoffe.

Trennverfahren: Membranfiltration

3.3 Filtration, gelöste und partikuläre Stoffe


Die Filtration durch Membranfilter ist ein einfaches Trennverfahren, das partiku-
läre von gelösten Stoffen trennt. Da partikuläre Stoffe z.B. durch Sedimentation
aus dem Wasser abgetrennt werden können, kommt der Aufteilung in diese beiden
Gruppen grosse Bedeutung zu.

3.3.1 Filtration
Als gelöste Stoffe werden Stoffe bezeichnet, die durch ein Membranfilter mit defi-
nierten Porengrössen passieren können. Häufig wird eine Porengrösse von 0.45
Pm für diese Abtrennung verwendet. Als ungelöste, partikuläre oder suspendierte
Stoffe werden diejenigen Stoffe bezeichnet, die bei der Filtration auf dem Memb-
ranfilter zurückbleiben. Abbildung 3.1 zeigt eine Apparatur, mit der die ungelös-
ten von den gelösten Stoffen abgetrennt werden können.

3.3.2 Abfiltrierbare Stoffe, TSS


Als abfiltrierbare oder suspendierte Stoffe wird das Trockengewicht der Summe
aller Stoffe bezeichnet, die auf einem Membranfilter mit definierter Porengrösse
zurückgehalten werden.
Die suspendierten Stoffe umfassen die im Wasser vorhandenen Schwimm-,
Schwebe- und absetzbaren Stoffe. Schwebestoffe sind Stoffe, die in Form von
meist kleinen Flocken oder Partikeln (0.001–1 mm), häufig mit einer spezifischen
Dichte um 1 g cm-3, im Wasser über lange Zeit (Minuten – Stunden – Tage) in
Suspension oder in Schwebe bleiben. Ungelöste Stoffe sind teilweise als einzelne
Partikel mit unterschiedlicher Zusammensetzung von blossem Auge sichtbar. Sie
verursachen eine Trübung des Wassers und können z.B. in Gewässern aussedi-
mentieren und zu einer Verschlammung des Sediments führen.
Zur Bestimmung der ungelösten Stoffe wird eine Probe des Wassers durch ei-
ne dünne Filtermembran mit definierten Porenöffnungen filtriert und der Filter-
rückstand bei 105qC während 2 h getrocknet und anschliessend gekühlt und ge-
3.3 Filtration, gelöste und partikuläre Stoffe 35

Wasserprobe

Filtermembran mit
Vakuum suspendierten Stoffen

Filtrat mit
gelösten Stoffen

Abb. 3.1. Links: Apparatur zum Trennen von gelösten und ungelösten Stoffen. Die ungelösten
Stoffe bleiben auf der Filtermembran zurück, die gelösten Stoffe werden mit Hilfe von Vakuum
zusammen mit dem Wasser durch die Filtermembran gesogen. Rechts: Rasterelektronen-
mikroskopische Aufnahme (REM) einer Filtermembran mit 0.2 Pm Poren (Fa. Millipore)

wogen. Zur Anwendung gelangen Filtermembranen aus Glasfasern oder organi-


schen Verbindungen mit definierten Porengrössen (Abb. 3.1). Häufig kommen
organische Filtermembranen mit 0.45 Pm Porengrösse zum Einsatz, die auch ein-
zelne Bakterien, nicht aber Viren zurückhalten.
Je nach Analysemethode, Sprachregion oder Vorliebe des Autors werden die
Resultate dieser Analyse unterschiedlich bezeichnet. Beispiele sind:
– TSS: Total suspendierte Stoffe, wird auch auf Engl. als Abkürzung für „Total
Suspended Solids“ verwendet. Dieses Kürzel wird in diesem Text verwendet.
– GUS: Gesamte ungelöste Stoffe (wird in der Schweiz häufig verwendet)
– AFS: Abfiltrierbare Stoffe (wird in Deutschland häufig verwendet)

3.3.3 Glühverlust der abfiltrierbaren Stoffe, VSS


Glühverlust ist ein Summenparameter, der angenähert die Masse aller organi-
schen Stoffe erfasst.
Der organische Anteil der abfiltrierbaren Stoffe hat eine besondere Bedeutung: Er
wird häufig stellvertretend für Biomasse (Mikroorganismen) bestimmt. Organi-
sche Substanzen sind auch Substrate (Nährstoffe) für viele Mikroorganismen, sie
können daher einen Sauerstoffverbrauch auslösen.
Wird der Filterrückstand aus der Bestimmung der ungelösten Stoffe (TSS) bei
650qC geglüht, so verflüchtigen sich v.a. die organischen Stoffe. Es resultiert ein
Gewichtsverlust, der Glühverlust der abfiltrierbaren Stoffe genannt wird. Mit dem
Glühverlust soll die Masse aller organischen Stoffe bestimmt werden, während die
TSS auch die mineralischen Stoffe einschliessen.
Analog zu den ungelösten Stoffen werden auch für den Glühverlust unter-
schiedlichste Bezeichnungen angewendet.
– VSS: Flüchtige suspendierte Stoffe, oder Engl. Volatile Suspended Solids. In
diesem Text wird das Kürzel VSS verwendet.
– Glühverlust
36 3 Charakterisierung von Wasser

Beispiel 3.2. Bestimmung der TSS und der VSS


Ein 0.45 Pm Membranfilter aus organischem Material wird gewaschen, getrocknet und
gewogen (M0). Anschliessend werden V = 50 ml = 0.05 l Abwasser durch diesen Filter
filtriert, indem mit einer Vakuumpumpe das Filtrat durch den Filter gesogen wird
(Abb. 3.1). Der Filter wird nun bei 105qC während 2 h getrocknet, gekühlt und wieder
gewogen (M1). Anschliessend wird der Filter bei 650qC in einer Aluminiumschale mit der
Masse M2 während ca. 1 h ausgeglüht und gekühlt. Die Masse der Aluminiumschale mit
der ausgeglühten Asche beträgt nun M3.
M0 = 72.3 mg M1 = 84.1 mg M2 = 1254.6 mg M3 = 1259.3 mg
Wie gross sind die TSS und die VSS in diesem Abwasser?
TSS: Diese verursachen die Zunahme des Trockengewichts des Membranfilters
TSS = (M1 - M0) / V = (84.1-72.3)/0.05 = 236 mg/l = 236 gTSS m-3
VSS: Diese gehen verloren beim Ausglühen des getrockneten Filters. Das Material des
Filters selbst ist rein organisch und geht zu 100% verloren.
VSS = [(M1-M0) - (M3-M2)] / V = 7.1 / 0.05 = 142 mg/l = 142 gVSS m-3.
Diese Zahlen geben auch einen Eindruck von der Genauigkeit der Messungen. Masse
kann auf ca. 0.1 mg genau gemessen werden, Volumen auf 1% genau, d.h. dass VSS
als (7.1 r 0.2 mg) / (0.05 r 0.0005 l) berechnet werden kann oder im Bereich von ca.
137 - 147 mg/l. Hier würde man das Resultat mit 142 g m-3 angeben.

3.3.4 Glührückstand der abfiltrierbaren Stoffe


Als Glührückstand bezeichnet man die Summe aller abfiltrierbaren Stoffe, die
beim Glühen nicht verloren gehen.
Mit dem Glührückstand soll die Summe der mineralischen Stoffe erfasst werden.
Hier wird kein besonderes Kürzel für den Glührückstand eingeführt. Es gilt:
– Glührückstand der abfiltrierbaren Stoffe = TSS – VSS

3.4 Organische Stoffe


Organische Stoffe haben sowohl im Trinkwasser als auch im Abwasser und den
Gewässern eine grosse Bedeutung. Sie verursachen Geruch und Geschmack, sind
Nährstoffe und lösen das Wachstum von Mikroorganismen aus, sie können toxisch
sein, etc. Die Analysen, die zur Anwendung kommen, sind vielfältig. Sie erfassen
unterschiedliche, gemeinsame Eigenschaften von unterschiedlichen organischen
Stoffen.

3.4.1 Chemischer Sauerstoffbedarf CSB


Der chemische Sauerstoffbedarf ist ein Summenparameter, der ausdrückt, wieviel
Sauerstoff zur vollständigen Oxidation von organischen Stoffen zu CO2 und Was-
ser erforderlich ist.
Die Analysemethode zur Bestimmung des chemischen Sauerstoffbedarfes (CSB,
Engl. Chemical Oxygen Demand, COD) beruht auf der Oxidation der organischen
Stoffe durch das starke Oxidationsmittel Kalium-Dichromat (K2Cr2O7) in kochen-
der, stark saurer Lösung (H2SO4). Die Analyse des CSB erfasst die meisten orga-
3.4 Organische Stoffe 37

nischen Verbindungen (d.h. der effektiv gemessene Wert beträgt häufig > 95%
eines theoretisch berechneten Werts).
Der CSB ist heute eine häufig gebrauchte Grösse um die Konzentration der or-
ganischen Stoffe im Abwasser, unabhängig von deren Zusammensetzung und bio-
logischen Abbaubarkeit, zu bestimmen. Der CSB ist besonders geeignet weil er
auf Kläranlagen einfach bestimmt werden kann und die organischen Stoffe fast
vollständig erfasst. Er steht in Beziehung zum Sauerstoffbedarf, der insbesondere
in der biologischen Abwasserreinigung eine bedeutende Rolle spielt.
Zur Bestimmung des CSB wird der Probe Silber (Ag+) als Katalysator und
Quecksilber (Hg2+) zugegeben, um Verfälschungen durch Chlorid (Cl-) zu ver-
mindern. Die ausreagierten Proben sind daher reich an Schwermetallen und müs-
sen entsprechend entsorgt werden. Heute gibt es Lieferanten, die fertig abgefüllte
Analysegläser ausliefern und diese nach Gebrauch zur Aufarbeitung und Entsor-
gung zurücknehmen.
Leider wird in der CSB Analyse auch Nitrit NO2- zu Nitrat NO3- aufoxidiert.
Das verfälscht bei (seltenen) hohen Nitritkonzentrationen das Resultat. Eine Ei-
genheit der CSB Analyse ist, dass die Analyse einen absoluten Fehler hat, sodass
insbesondere tiefe Konzentrationen relativ ungenau werden. Im Abwasser sind
Konzentrationen unter 20 g m-3 mit einem grossen relativen Fehler behaftet, sofern
die Analysemethode nicht angepasst wird.

Beispiel 3.3. Theoretische Berechnung des CSB


Wie gross ist der CSB einer Lösung von 200 mg Zucker (C6H12O6) in 1 l Wasser?
Die Endprodukte des Zuckers in der CSB Reaktion sind CO2 und H2O. Der CSB gibt
uns an, wieviel Sauerstoff erforderlich ist, um diese Endprodukte zu erhalten:
Atomgewichte: C = 12 H=1 O = 16
C6H12O6 + 6 O2 o 6 CO2 + 6 H2O
Das Molekulargewicht des Zuckers beträgt 6 ˜ 12 + 12 ˜ 1 + 6 ˜ 16 = 180 g. Der Sauer-
stoffbedarf (6 O2) für die Oxidation von 1 Mol Zucker beträgt 6 ˜ 2 ˜ 16 = 192 g O2.
Daraus ergibt sich der CSB der Zuckerlösung zu:
CSB = 200 g Zucker m-3 ˜ 192 g CSB Mol-1 Zucker / 180 g Zucker Mol-1 Zucker = 213 g
CSB m-3. Das ist angenähert das Resultat, das auch mit der Dichromat-Methode analy-
tisch erhalten werden könnte.

Kaliumpermanganatverbrauch, KMnO4
Historisch wurde an Stelle des Dichromats Kaliumpermanganat KMnO4 als Oxi-
dationsmittel eingesetzt. Die entsprechende Analyse ist sehr einfach und schnell
durchzuführen. Entsprechend wird sie z.B. auf kleinen Kläranlagen immer noch
zur Überwachung genutzt.
Kaliumpermanganat oxidiert die organischen Stoffe nur teilweise. Das Resultat
kann daher nur relativ zu anderen Kaliumpermanganatverbrauchswerten interpre-
tiert werden.
38 3 Charakterisierung von Wasser

3.4.2 Biochemischer Sauerstoffbedarf in 5 Tagen, BSB5


Der biochemische Sauerstoffbedarf ist eine ältere Analyse, in der mit Hilfe von
Mikroorganismen die organischen Stoffe aerob (mit Sauerstoff) abgebaut werden.
Der dabei entstehende Sauerstoffverbrauch wird als Mass für die Konzentration
der biologisch abbaubaren organischen Stoffe interpretiert.
Der biochemische Sauerstoffbedarf in 5 Tagen, der BSB5, will ausdrücken, wie-
viel Sauerstoff für den biologischen Abbau von organischen Verbindungen erfor-
derlich ist. Zu seiner Bestimmung wird die Abwasserprobe mit sauerstoffreichem,
sauberem Wasser verdünnt und, sofern erforderlich, mit wenig kommunalem Ab-
wasser mit Bakterien angeimpft. Anschliessend wird die verdünnte Probe unter
Ausschluss von Luft bei 20qC im Dunkeln für 5 d bebrütet. Der Sauerstoff-
verbrauch (Abnahme des gelösten Sauerstoffs), im Vergleich zu einer angeimpften
Probe des Verdünnungswassers ohne Abwasser, wird dann in den Sauerstoff-
verbrauch des Abwassers umgerechnet und als BSB5 angegeben (s. Beispiel 3.4).
Der BSB5 ist geeignet, um erste Informationen über die biologische Abbaubar-
keit von organischen Abwasserinhaltsstoffen zu vermitteln, er ist historisch eine
der wichtigsten Analysen zur Charakterisierung von Abwasser. Viele Dimensio-
nierungsrichtwerte beruhen auf dieser Analyse. Häufig wird auch der Erfolg der
biologischen Reinigung mit Hilfe des BSB5 beurteilt.
Bei der Bestimmung des BSB5 vermehren sich Mikroorganismen, die einen
Teil der organischen Stoffe zum Aufbau ihrer Biomasse nutzen. Zudem können
nicht alle organischen Stoffe biologisch abgebaut werden. Der BSB5 ist daher
kleiner als der CSB. Ein typisches Verhältnis für gut abbaubare Stoffe (z.B. Zu-
cker) beträgt ca. 1.5 g CSB / g BSB5. Für Industrieabwasser, mit vielen nur
schwerabbaubaren organischen Verbindungen, liegt dieses Verhältnis höher.

Beispiel 3.4. Bestimmung des BSB5


Es soll der BSB5 eines vorgeklärten (sedimentierten), kommunalen Abwassers be-
stimmt werden. Da die Probe bereits Bakterien enthält, muss diese nicht angeimpft
werden. Die Konzentration wird auf Grund der Erfahrung auf ca. 200 g BSB5 m-3 ge-
schätzt.
Um eine Sauerstoffzehrung von z.B. 5 g O2 m-3 zu erhalten, muss die Probe um den
Faktor 50 verdünnt werden. Es werden also 20 ml Probe in einem 1 l Zylinder mit sau-
erstoffreichem, belüftetem Verdünnungswasser (Rezeptur nach Vorschrift) verdünnt und
in zwei Flaschen von je ca. 300 ml Volumen abgefüllt und verschlossen. In der einen
Flasche wird nach 15 min der gelöste Sauerstoff zu S0 = 8.9 g O2 m-3 bestimmt (stan-
dardisierte, einfache Bestimmung) und die andere Flasche wird 5 d im dunklen Brut-
schrank (bei Licht könnten Algen O2 produzieren) bei 20qC bebrütet. Anschliessend wird
auch in dieser Probe der verbleibende gelöste Sauerstoff zu S5 = 4.3 g O2 m-3 bestimmt.
Wie gross ist der BSB5 der Probe?
BSB5 = (S0 - S5) ˜ Verdünnungsfaktor = (8.9 - 4.3) ˜ 50 = 230 g BSB5 m-3.
Meist werden mehrere Verdünnungen gleichzeitig bestimmt, sodass mehrere Resultate
zur Mittelwertbildung verwendet werden können.
Die genaue Bestimmung des BSB5 bedingt, dass auch der Sauerstoffverbrauch des
Verdünnungswassers bestimmt wird.
3.4 Organische Stoffe 39

Die Bestimmung des BSB5 ist ein Bioassay (eine Analyse, die auf biologischen Prozes-
sen beruht) und damit ist das Resultat einer grösseren Streuung unterworfen. Zwischen
verschiedenen Laboratorien sind Unterschiede von > 20% für gleiche Proben keine
Seltenheit.

Beispiel 3.5. Laborarbeit für BSB5


In Skandinavien wird an Stelle des BSB5 häufig der BSB7 bestimmt. Das hat den Vorteil,
dass eine Probe, die am Dienstag genommen wurde, nicht am Sonntag (nach 5 Tagen)
im Labor bearbeitet werden muss.

Beispiel 3.6. Nitrifikation bei der Bestimmung des BSB5


Ein biologisch gereinigtes Abwasser enthält neben den organischen Stoffen noch ca. 10
g m-3 Ammonium Stickstoff, NH4+-N. Das Abwasser ist mit nitrifizierenden Bakterien
angeimpft, weil diese auch in der biologischen Reinigung vorkommen.
Wie gross ist der BSB5 dieses Abwassers?
Die folgende Gleichung charakterisiert die Nitrifikation:
NH4+ + 2 O2 o NO3- + 2 H2O + 2 H+ (Atomgewichte N = 14, O = 16)
Pro 14 g NH4+-N, der oxidiert wird, werden 2˜2˜16 g O2 für die Nitrifikation verbraucht
(=4.57 gO2/gN). Durch die Nitrifikation kann der BSB5 dieses Abwassers also bis zu 10 ˜
4.57 = 46 g BSB5 m-3 grösser werden als ohne Nitrifikation. Da der BSB5 der organi-
schen Stoffe nach der biologischen Reinigung meist < 20 g BSB5 m-3 ist, wird das Re-
sultat ohne Hemmung der Nitrifikation unbrauchbar!
Heute wird den Proben zur Bestimmung des BSB5 häufig Allylthioharnstoff zugesetzt,
um die Nitrifikation zu hemmen.

3.4.3 Organisch gebundener Kohlenstoff, TOC, DOC, POC


Organisch gebundener Kohlenstoff ist wie der CSB ein Summenparameter, der
alle organischen Verbindungen erfasst. Gemessen wird der Kohlenstoffanteil die-
ser Verbindungen, unabhängig von dessen Oxidationszustand.

Totaler organisch gebundener Kohlenstoff, TOC


Der organisch gebundene Kohlenstoff ist der charakteristische Anteil aller orga-
nischen Stoffe. Die Summe dieses Kohlenstoffs ist daher ein Mass für die Summe
aller organischen Verbindungen.
Für die Bestimmung des TOC (von Engl. Total Organic Carbon) bestehen unter-
schiedliche Verfahren, die jeweils in einem Apparat automatisiert werden, z.B.
wird vorerst der mineralische Kohlenstoff (CO2, HCO3-, CO32-) bei geringem pH
aus der Probe in die Atmosphäre ausgetrieben. Anschliessend wird das Abwasser
verdampft, und die organischen Stoffe im Wasser werden bei hoher Temperatur
mit Sauerstoff oxidiert. Das dabei entstehende CO2 kann einfach mit Infrarotab-
sorption gemessen werden. Für die Bestimmung des TOC sind nur sehr kleine
Probenvolumen erforderlich, dafür kommen aber teure Apparate zum Einsatz. Nur
gut ausgerüstete Laboratorien können den TOC bestimmen. Im Vergleich zum
CSB können mit der TOC Analyse auch geringe Konzentrationen zuverlässig er-
fasst werden.
40 3 Charakterisierung von Wasser

Die analytische Bestimmung des TOC kommt dem theoretisch erwarteten


Wert sehr nahe (s. Beispiel 3.7).

Gelöster organisch gebundener Kohlenstoff, DOC


Der gelöste organische Kohlenstoff ist als Summenparameter ein Mass für die
Konzentration aller gelösten organischen Verbindungen.
Der gelöste organisch gebundene Kohlenstoff, DOC (von Engl. Dissolved Organic
Carbon) wird analog zum TOC bestimmt, allerdings wird das Abwasser vorerst
über ein Membranfilter mit 0.45 Pm Porenweite filtriert.
Es gilt TOC t DOC.

Partikulärer organisch gebundener Kohlenstoff, POC


Der partikuläre organische Kohlenstoff ist ein Mass für die Summe aller ab-
filtrierbaren organischen Verbindungen.
Der partikuläre organische Kohlenstoff POC (von Engl. Particulate Organic Car-
bon) wird aus der Differenz zwischen totalem und gelöstem organischem Kohlen-
stoff berechnet.
Es gilt: POC = TOC - DOC

Beispiel 3.7. Theoretische Berechnung des TOC


Wie gross ist der DOC der Zuckerlösung aus Beispiel 3.3?
Der gesamte Zucker ist löslich, also wird der organisch gebundene Kohlenstoff im Zu-
cker vollumfänglich mit dem DOC erfasst. Es resultiert: TOC = DOC.
DOC = 200 g Zucker m-3 ˜ 6 ˜ 12 g C Mol-1 Zucker / 180 g Zucker Mol-1 Zucker = 80 g
DOC m-3. Das ist angenähert das Resultat, das auch mit der DOC Methode analytisch
erhalten werden könnte.

3.5 Stickstoff
Stickstoff spielt in seinen verschiedenen organischen, aber v.a. anorganischen
Formen, eine wichtige Rolle in der Abwasserreinigung und in der Beurteilung von
Trinkwasser.

3.5.1 Formen von Stickstoff


Stickstoff kommt sowohl im Trinkwasser als auch im Abwasser in sehr unter-
schiedlichen Formen vor (Tabelle 3.1). Er dient z.B. den Algen als Nährstoff und
kann daher Algenblüten unterstützen. In reduzierter Form (Ammonium NH4+,
Ammoniak NH3) löst er im Wasser einen Sauerstoffverbrauch aus (Nitrifikation,
Abschn. 20.4.8, Seite 342). Bei hohem pH-Wert entsteht viel Ammoniak, das für
Fische toxisch ist. Nitrit NO2- ist giftig für Fische und Nitrat NO3- ist im Trink-
wasser unerwünscht. Organisch gebundener Stickstoff, der dominant in reduzierter
Form vorliegt, wird beim Abbau der organischen Stoffe v.a. als Ammonium frei-
gesetzt. Stickstoff kann durch Denitrifikation (Abschnitt 20.2.6, Seite 321) in ele-
mentaren Stickstoff N2 überführt und in die Atmosphäre ausgegast werden.
3.5 Stickstoff 41

Tabelle 3.1. Die verschiedenen Formen von Stickstoff, die in der Siedlungswasserwirtschaft von
Bedeutung sind. Die Darstellung ist stark vereinfacht
Oxidationszahl pH-Wert hoch pH-Wert tief
Reduziert: O2 Bedarf
+
-3 NH3 (Ammoniak) NH4 (Ammonium)
0 N2 (elementarer Stickstoff)
-
+3 NO2 (Nitrit)
-
+5 NO3 (Nitrat)
Oxidiert: „O2 Angebot“
-3 Organisch gebundener Stickstoff

3.5.2 Ammonium und Ammoniak


Ammonium und Ammoniak sind Einzelstoffe. Analytisch erfasst wird nur die
Summe der beiden Konzentrationen.
Zwischen Ammonium NH4+ und Ammoniak NH3 besteht in Funktion des pH-
Werts ein Gleichgewicht entsprechend:
NH4+ l NH3 + H+
Für dieses Gleichgewicht können wir die Gleichgewichtskonstante anschreiben
in der Form:
[NH 3 ] ˜ [H  ]
KS
[NH 4 ]
(3.1)
2706
Es gilt: pK S  log(K S )  0.139
T  273.15
KS = Gleichgewichtskonstante für die Dissoziation von Ammonium
>NH3@, >H+@, >NH4+@ = Molare Konzentration der drei Stoffe in Mol l-1
T = Temperatur in °C
Mit Gl. (3.1) können wir in Funktion des pH-Werts, der Temperatur und der
Summe der Konzentrationen von Ammonium und Ammoniak berechnen, wieviel
vom fischgiftigen Ammoniak NH3 im Wasser ist:
> NH 3 @ 1
(3.2)
> NH 3 @  > NH 4 @ 1  10pKS  pH
Liegt der pH-Wert über |9.3, so überwiegt die Ammoniakkonzentration die
Ammoniumkonzentration.
Im Laufe der chemischen Analyse von Ammonium wird sowohl die Tempera-
tur als auch der pH-Wert der Probe verändert. Die chemische Analyse erfasst da-
her die Summe der beiden Stoffe NH3 plus NH4+, das Resultat wird meist als
NH4+-N angegeben. Die Angabe der NH3-Konzentration bezieht sich nur auf das
fischgiftige Ammoniak. Diese Konzentration muss mit den an der Probenah-
mestelle gemessenen Werten für die Temperatur und den pH-Wert mit Hilfe von
Gl. (3.2) berechnet werden.
42 3 Charakterisierung von Wasser

Beispiel 3.8. Berechnung der Ammoniakkonzentration in einem Fliessgewässer


Unterhalb einer Kläranlage wird an einem heissen, sonnigen Sommernachmittag um 15
Uhr eine Stichprobe des Flusswassers erhoben. Gleichzeitig wird im Fluss die Tempe-
ratur und der pH-Wert gemessen.
Temperatur: = 22°C pH-Wert = 8.7
(NH4+ + NH3) -N = 0.5 g N m-3 (Schweiz. Grenzwert bei 15°C < 0.2 gN m-3)
Wie gross ist die Ammoniakkonzentration im Fluss?
Nach Gl. (3.1) wird pKS = 2706 / (22+273.15) +0.139 = 9.31
Nach Gl. (3.2) wird (NH3 - N) / (NH4+ + NH3) - N = 1 / (1 + 109.31 - 8.7) = 0.20
Damit wird die Ammoniakkonzentration zu:
0.20 ˜ (NH4+ + NH3) -N = 0.20 ˜ 0.5 g N m-3 = 0.10 g NH3 -N m-3
Dieser Wert liegt über dem Grenzwert von 0.08 g N m-3. Es muss mit einer Beeinträch-
tigung der Fische gerechnet werden.

3.5.3 Organisch gebundener Stickstoff, Kjeldahlstickstoff


Der Stickstoff, der in den organischen Stoffen gebunden ist, wird als Summen-
parameter gemeinsam mit Ammonium analysiert. Das Resultat wird z.B. als Kjel-
dahlstickstoff angegeben.
Organisch gebundener Stickstoff kommt als wichtiger Bestandteil in einer Viel-
zahl von organischen Verbindungen vor, von besonderer Bedeutung sind dabei
Eiweisse oder Protein. Ca. 4–7 % der trockenen Biomasse bestehen aus Stickstoff.
Der grösste Teil dieses Stickstoffs wird beim biologischen Abbau der organischen
Verbindungen als Ammonium freigesetzt.
Der organisch gebundene Stickstoff wird analysiert, indem die organischen
Stoffe chemisch oxidiert und der Stickstoff als Ammonium freigesetzt wird. An-
schliessend wird Ammonium gemessen und das Resultat als Kjeldahlstickstoff
angegeben:
– TKN: Totaler Kjeldahlstickstoff heisst die Summe von Ammonium und dem
Stickstoff, der in allen organischen Stoffen enthalten ist (sofern er mit der
Kjeldahl Analytik überhaupt erfasst wird).
– GKN: Gelöster Kjeldahlstickstoff heisst die Summe von Ammonium und dem
Stickstoff, der nach Filtration in den gelösten organischen Stoffen enthalten ist.
Es gilt: TKN t GKN t NH4+-N

Beispiel 3.9. Berechnung des TKN


Ein Abwasser enthält 150 g TSS m-3 und 24 g NH4+-N m-3. Die TSS enthalten 4% orga-
nisch gebundenen Stickstoff. Die gelösten organischen Stoffe sind vernachlässigbar.
Wie gross ist der TKN und der GKN dieses Abwassers?
Der organisch gebundene Stickstoff hat die Konzentration 0.04 ˜ 150 = 6 g N m-3. Dieser
ist vollumfänglich partikulär.
TKN = org. Npartikulär + org. Ngelöst + NH4+-N = 6 + 0 + 24 = 30 g TKN m-3
GKN = org. Ngelöst + NH4+-N = 0 + 24 = 24 g GKN m-3
3.5 Stickstoff 43

3.5.4 Nitrit und Nitrat


Nitrit und Nitrat sind Einzelstoffe, die auch als solche analysiert werden. Nitrit ist
ein Zwischenprodukt in mikrobiologischen Prozessen. Es kommt nur in Ausnah-
mefällen in hohen Konzentrationen vor. Nitrat ist die am meisten oxidierte Form
von Stickstoff. In Gegenwart von Sauerstoff akkumuliert der Stickstoff in dieser
Form.
Nitrit NO2- entsteht als Zwischenprodukt im Zuge der Nitrifikation und ist ein
starkes Fischgift, das insbesondere die Sauerstofftransportkapazität des Bluts ver-
mindert. Nitrit kann bis zu sehr geringen Konzentrationen zuverlässig mit einer
Farbreaktion analysiert werden. Das Resultat wird meist angegeben als NO2--N.
Nitrat NO3- ist die am stärksten oxidierte Form von Stickstoff. Es ist im Was-
ser unerwünscht, insbesondere weil es im Trinkwasser nur beschränkt zugelassen
ist (Tabelle 3.9, Seite 61). Die Analyse von Nitrat ist problematisch und häufig mit
grösseren Fehlern behaftet.
In manchen Analysen wird Nitrat chemisch zu Nitrit reduziert und die Summe
von Nitrat plus Nitrit analysiert. Bei bekannter Nitritkonzentration kann dann Nit-
rat berechnet werden.

Beispiel 3.10: Umrechnung von NO3- in NO3- - N


Im Trinkwasser wird Nitrat häufig als mg NO3- / l und im Abwasser als g NO3- - N m-3
angegeben. Für Trinkwasser gilt in der Schweiz ein Grenzwert von 40 mg NO3- / l.
Welcher Angabe in g NO3--N m-3 entspricht das?
Atomgewichte: N = 14 O = 16 Molekulargewicht: NO3- = 62
Der Trinkwassergrenzwert hat den Wert:
40 g NO3- m-3 · 14 g N Mol-1 / 62 g NO3- Mol-1 = 9.0 g NO3- - N m-3.
In der Abwasserreinigung spielt die Umwandlung von Ammonium in Nitrat (Nitrifikation)
eine wichtige Rolle. Aus einem Gramm Ammonium Stickstoff (NH4+-N) wird dabei ein
Gramm Nitrat Stickstoff (NO3--N). Werden die Konzentrationen auf Ammonium und Nit-
rat bezogen, so ist eine Umrechnung erforderlich: Aus 1 g NH4+ werden 3.44 g NO3-.
Das begründet, wieso in der Abwasserreinigung Konzentrationen der unterschiedlichen
Formen des Stickstoffs alle auf den Stickstoffgehalt bezogen werden.

3.5.5 Totaler Stickstoff, TN, gelöster Stickstoff, GN


Moderne Analysemethoden und Analyseautomaten können allen Stickstoff im
Wasser entweder zu Nitrat oxidieren oder zu Ammonium reduzieren und an-
schliessend die Summe aller Stickstoffformen messen. Diese Analyseverfahren
sind noch wenig zuverlässig. Wird die Probe nicht filtriert, so wird das Resultat
als TN (totaler Stickstoff) bezeichnet, nach Filtration resultiert GN (gelöster Stick-
stoff).

3.5.6 Elementarer Stickstoff, N2


Stickstoff, wie er als Gas in der Form von N2 in der Atmosphäre vorkommt, ist im
Wasser sehr schlecht löslich und weitgehend inert.
44 3 Charakterisierung von Wasser

Elementarer Stickstoff spielt nur eine untergeordnete Rolle, er wird mit den nor-
malen Analysemethoden nicht erfasst. N2 ist im Wasser nur sehr schlecht löslich,
schlechter als Sauerstoff (Abschn. 3.9, Seite 50).
Stickstoffgas N2 kann als Folge der Denitrifikation (s. Abschn. 20.4.9, Seite
349) z.B. in Nachklärbecken als Gasblasen aus dem Wasser ausgeschieden wer-
den. Die aufsteigenden Gasblasen können die Sedimentation stören.

3.6 Phosphor, TP, GP, PO4-P


Phosphor ist wie Stickstoff ein Nährstoff. In den meisten Binnengewässern limi-
tiert Phosphor die Produktion von Algen.
Phosphor liegt im Wasser in Form von gelöstem ortho-Phosphat (Salze der Phos-
phorsäure: H3PO4, H2PO4-, HPO42-, PO43-) und als organisch gebundener Phos-
phor, z.B. als Anteil in den Nukleinsäuren (DNA, RNA), vor. Ca. 1% der trocke-
nen Biomasse besteht aus Phosphor. Früher wurde den Waschmitteln poly-
Phosphat (eine polymerisierte Form des Phosphats) zugegeben, das dann je nach
Umgebung in Stunden bis Tagen zu Phosphat zerfällt.
Analytisch wird ortho-Phosphat bestimmt. Je nach Fragestellung werden die
organischen Stoffe vorerst aufgeschlossen (mineralisiert). Die Resultate heissen:
– PO4-P: Phosphatphosphor oder ortho-Phosphat, wenn nur die verschiedenen
Phosphate analysiert werden. PO4-P bezieht sich auf Einzelstoffe
– TP: Totaler Phosphor Ptot, wenn alle organischen Stoffe vorerst mineralisiert
und der dabei freiwerdende Phosphor zusammen mit dem Phosphat analysiert
wird. TP ist ein Summenparameter.
– GP: Gelöster Phosphor Pgel, wenn die Probe vor dem Mineralisieren der orga-
nischen Stoffe filtriert wird. GP ist ein Summenparameter.
Es gilt: TP t GP t PO4-P.

Beispiel 3.11. Limitierender Nährstoff


In einem See werden zu Beginn der Sommerzeit die folgenden Konzentrationen ge-
messen: Stickstoff: 2 g N m-3, Phosphor: 0.2 g P m-3
Die Algenmasse, die sich in diesem See bildet, enthält 5% Stickstoff und 1% Phosphor.
Welcher Stoff limitiert das Wachstum der Algen, und wieviel Algenmasse muss im Ma-
ximum im See erwartet werden?
Aus Stickstoff ergeben sich 2 g N m-3 / 0.05 g N g-1Algen = 40 g Algen m-3, welche 40 ˜
1% = 0.4 g P m-3 enthalten würden.
Aus Phosphor ergeben sich 0.2 g P m-3 / 0.01 g P g-1Algen = 20 g Algen m-3, welche nur
1 g N m-3 enthalten.
Die Phosphorkonzentration limitiert das Wachstum der Algen: P ist limitierender Nähr-
stoff.

Beispiel 3.12. Zusammensetzung von ungereinigtem Abwasser


Ein schweizerisches, kommunales, vorgeklärtes Abwasser hat ungefähr die folgende
Zusammensetzung:
3.7 pH-Wert und pH-Puffersystem 45

TSS = 120 g TSS m-3 VSS = 80 g VSS m-3


BSB5 = 150 g O2 m-3 CSB = 280 g O2 m-3
TOC = 85 g TOC m-3 DOC = 45 g C m-3
TKN = 30 g N m-3 GKN = 25 g N m-3
NH4+-N = 20 g N m-3
NO3-N = 1 g N m-3
TP = 6 g P m-3 GP = 4 g P m-3

Beispiel 3.13. Zusammensetzung von gereinigtem Abwasser


Ein typisches, biologisch gereinigtes, kommunales Abwasser hat ungefähr die folgende
Zusammensetzung:
TSS = 15 g TSS m-3 VSS = 10 g VSS m-3
BSB5 = 15 g BSB5 m-3 CSB = 50 g CSB m-3
TOC = 17 g TOC m-3 DOC = 10 g DOC m-3
TKN = 2–25 g N m-3 je nach Nitrifikation
NH4+-N = 1–23 g N m-3 je nach Nitrifikation
NO3--N = 1–22 g N m-3 je nach Nitrifikation und Denitrifikation
TP = 0.5–5.0 g P m-3 je nach Phosphor-Elimination

Tabelle 3.2. Typische pH-Werte in unterschiedlichen Wässern


Herkunft des Wassers pH-Wert (Bereich) Bemerkungen
Trinkwasser 7–8 Toleranzwert < 9.2
Flusswasser, Seewasser 7.5 – 9 9 im Sommer bei Sonne
Rohes Abwasser 7.2 – 8.3 Extreme bei Industrieabwasser
Gereinigtes Abwasser 6.7 – 7.5 Je nach Verfahren
Regenwasser <5 Saurer Regen
Destilliertes Wasser ca. 5.3 CO2 aus Luft

3.7 pH-Wert und pH-Puffersystem


Ein Verständnis für den pH-Wert und das pH-Puffersystem ist in der Siedlungs-
wasserwirtschaft von grosser Bedeutung. Insbesondere sollten Fachleute die Aus-
wirkungen des Karbonatsystems auf den pH-Wert eines Wassers verstehen. Das
Thema wird z.B. von Sigg und Stumm (1994) vertieft.

3.7.1 pH-Wert
Der pH-Wert des Wassers ist eine zentrale physikalisch-chemische Grösse des
Wassers. Er beeinflusst das Gleichgewicht von Säuren und Basen, Fällungsreakti-
onen, elektrische Ladungen an Partikeln, etc.
Der pH-Wert gibt an, wie gross die Aktivität (|Konzentration in Mol l-1) der Pro-
tonen H+ im Wasser ist (pH = - log(H+)). Er bestimmt die Gleichgewichte zwi-
schen Säuren und Basen, beeinflusst die Geschwindigkeit der Auflösung oder
Ausfällung von vielen Mineralien etc. Im natürlichen Wasser wird der pH-Wert
meist durch das Kohlensäure-Bikarbonat-Karbonat System gepuffert.
46 3 Charakterisierung von Wasser

Der pH-Wert kann heute zuverlässig und einfach mit Elektroden gemessen
werden. Häufig entstehen aber Messfehler durch nicht fachgerecht geeichte oder
unterhaltene Elektroden.
Der pH-Wert ist für den Ablauf der Wasseraufbereitung, der Abwasserreini-
gung und von Korrosionsprozessen von grosser Bedeutung. Typische pH-Werte
gibt Tabelle 3.2.

3.7.2 pH-Puffer
Ein Wasser ist gegen pH-Änderungen gepuffert, wenn es grössere Mengen von
Säuren oder Basen aufnehmen kann, ohne dass sich der pH-Wert des Wassers
stark ändert.
Im Bereiche der Siedlungswasserwirtschaft spielt v.a. das Kohlensäure-
Bikarbonat-Karbonat-Gleichgewicht eine Rolle als pH-Puffer. Dieses Gleichge-
wicht wird durch die folgenden zwei Gleichungen charakterisiert:
CO2 + H2O l HCO3- + H+ (3.3)

HCO3- l CO32- + H+ (3.4)


CO2 = Kohlendioxid (H2CO3 = H2O + CO2 = Kohlensäure)
HCO3- = Bikarbonat
CO32- = Karbonat
Bikarbonat und Karbonat gelangen durch Verwitterungsprozesse ins Wasser
und korrelieren stark mit der Wasserhärte (Abschn. 3.8). Im Bereich des pH-
Werts, der uns interessiert (6.3–9.5), ist Bikarbonat die dominante Form. Für
Gl. (3.3) können wir die Gleichgewichtskonstante anschreiben als:
>HCO3 @>H  @
KS | 5 ˜ 10 7 Mol/lbei20 qC (3.5)
>CO 2 @
KS = Dissoziationskonstante der Kohlensäure
>xy@ = Stoffkonzentration in Mol/l
Für genaue Betrachtungen gilt Gl. (3.5) nur, wenn an Stelle der Konzentration
die etwas geringere Aktivität der Ionen angewendet wird. Im kommunalen Ab-
wasser kann diese Anpassung in erster Näherung vernachlässigt werden.

Beispiel 3.14. Berechnung der CO2 Konzentration in einem Abwasser


Ein gereinigtes Abwasser hat bei 20°C einen pH-Wert von 6.9 und enthält 5.3 mmol / l
Bikarbonat HCO3-.
Wie gross ist die CO2 Konzentration in diesem Wasser?
Nach Gl. (3.5) gilt: >CO2@ = >HCO3-@˜>H+@ / KS = 5.3˜10-3 ˜ 10-6.9 / 5˜10-7 = 1.3 mmol/l.
Diese Konzentration ist eher hoch. Sie ist entstanden durch den Abbau von organischen
Stoffen und die Neutralisierung von Säure als Folge der Nitrifikation.
3.8 Wasserhärte 47

3.7.3 Alkalinität, Säurebindungsvermögen, SBV


Das Säurebindungsvermögen, SBV, hat insbesondere im Zusammenhang mit den
biologischen Stickstoffumsetzungen im Abwasser (Nitrifikation, Denitrifikation)
eine grosse Bedeutung. Es ist ein Mass für die Pufferkapazität des Wassers.
Das Säurebindungsvermögen SBV oder die Alkalinität eines Wassers ist ein Mass
für die Menge Säure, die ein Wasser neutralisieren kann, bevor sein pH auf den
Wert von 4.3 absinkt (bei diesem pH-Wert ist die Pufferkapazität des Bikarbonats
verbraucht). Das SBV eines Wassers wird bestimmt, indem das Wasser mit einer
starken Säure (HCl) solange titriert wird, bis dessen pH-Wert auf 4.3 absinkt.
Im Trinkwasser und meistens auch im Abwasser ist das Karbonat-Bikarbonat-
Kohlensäure-Gleichgewicht bei weitem das dominante pH-Puffersystem. Das
SBV kann dann berechnet werden aus:
SBV = >HCO3-@ + 2˜>CO32-@ + >OH-@ - >H+@ (3.6)
Im typischen pH Bereich, der hier interessiert, gilt angenähert:
SBV | >HCO3-@
Das SBV wird häufig mit der Einheit meq/l angegeben (Milliäquivalent pro l,
1 Äquivalent entspricht einem Mol Ladungen). Damit gilt, dass ein SBV von
1 meq/l | 1 mmol HCO3-/l = 1 Mol HCO3- m-3 entspricht. Typische Werte liegen
im Bereich von 2–8 meq/l.

Beispiel 3.15. Verminderung der Alkalinität durch Nitrifikation


Ein weiches Abwasser (z.B. aus einer kristallinen Region) hat ein SBV von 2 meq l-1
und enthält 21 g m-3 NH4+-N. Das Ammonium wird entsprechend der folgenden Reakti-
onsgleichung biologisch nitrifiziert:
NH4+ + 2 O2 o NO3- + H2O + 2 H+
Die freiwerdenden Protonen H+ reagieren mit dem Bikarbonat, HCO3-, das im Wasser
um pH 7 den grössten Teil der Alkalinität oder des SBV ausmacht:
2 HCO3- + 2 H+ o 2 CO2 + 2 H2O
Insgesamt resultiert die Reaktion:
NH4+ + 2 O2 + 2 HCO3- o NO3- + 2 CO2 + 3 H2O
Wie weit kann diese Reaktion ablaufen, bevor die pH Pufferkapazität des Abwassers
(d.h. das SBV) verbraucht ist und damit der pH-Wert des Abwassers stark absinkt?
Pro Mol NH4+ werden 2 Mol HCO3- verbraucht. 2 meq l-1 SBV heisst, dass im Maximum
2 Mol HCO3- m-3 im Wasser sind. Also kann nur 1 Mol NH4+ m-3 nitrifiziert werden bis der
gesamte pH Puffer des Abwassers verbraucht ist und der pH-Wert schnell absinkt,
wenn weitere Säure (H+) frei wird. das Atomgewicht von Stickstoff N beträgt 14 g Mol-1.
1 Mol NH4+-N m-3 entspricht 14 g N m-3. Es bleiben also 7 g NH4+-N m-3 übrig.

3.8 Wasserhärte
Die Wasserhärte drückt aus, wieviel Kalzium Ca2+ und Magnesium Mg2+ im Was-
ser enthalten sind. Diese beiden Ionen bilden bei der Erwärmung des Wassers
48 3 Charakterisierung von Wasser

unlösliche Salze, die sich z.B. auf Pfannen und der Wäsche als eine weisse Kruste
niederschlagen. Die Wäsche wird hart und brüchig.
Durch Verwitterungsprozesse löst das Niederschlagswasser Mineralien, die an-
schliessend das Verhalten des Wassers in den unterschiedlichsten Situationen prä-
gen. Von besonderer Bedeutung sind die Härtebildner, die zweiwertigen Metallio-
nen, insbesondere Calcium (Ca2+) und Magnesium (Mg2+). Die Karbonatsalze
dieser Metalle sind schlecht löslich, sie bilden weisse Niederschläge, wenn im
Wasser der pH-Wert zunimmt resp. das Wasser erhitzt wird. Härtebildner werden
v.a. in kalkreichen Regionen in erhöhten Konzentrationen ins Wasser aufgenom-
men.

Beispiel 3.16. pH-Wert in kochendem Wasser


Wenn Wasser kocht, wird durch die Dampfblasen CO2 in die Atmosphäre ausgetragen.
Es wird dem Wasser also Kohlensäure entzogen. Der pH-Wert des Wassers steigt, weil
das Gleichgewicht zwischen Bikarbonat und Karbonat verschoben wird. Ein erhöhter
pH-Wert führt zur Ausfällung von Kalk (CaCO3), den wir als weissen Niederschlag in
Kochtöpfen wieder erkennen.

Tabelle 3.3. Bezeichnung der Härte eines Trinkwassers


Bezeichnung in °f in meq/l in mmol/l
Weich < 15 °f < 3 meq/l < 1.5 mmol/l
Mittelhart 15 – 25 °f 3 – 5 meq/l 1.5 – 2.5 mmol/l
Hart > 25 °f > 5 meq/l > 2.5 mmol/l

Zusammen mit den Härtebildnern wird auch Karbonat (CO32-) oder je nach pH-
Wert Bikarbonat (HCO3-) im Wasser gelöst (s. Säurebindungsvermögen SBV,
Abschn. 3.7.3). Es gelten die folgenden Begriffe:
Gesamthärte umfasst die Summe der zweiwertigen Metallionen, v.a. Calcium
und Magnesium. Sie wird in unterschiedlichsten Einheiten an-
gegeben.
Alkalinität, SBV gibt an, wieviel starke Säure erforderlich ist, um den pH-Wert
des Wassers auf 4.3 zu reduzieren. Sie wird in unterschied-
lichsten Einheiten angegeben.
Ca2+ bezeichnet die Konzentration des Kalziumions. Sie wird z.B. in
mg/l resp. g m-3 angegeben.
Mg2+ bezeichnet die Konzentration des Magnesiumions. Sie wird z.B.
in mg/l resp. g m-3 angegeben.
Einheiten für Gesamthärte und Alkalinität sind:
meq/l Milliäquivalent pro l. Es werden die Anzahl Ladungen gezählt. 1
Mol Ca2+ ergibt 2 Äquivalente Ladungen. 1 Mol HCO3- ergibt
ein Äquivalent Ladung.
mmol/l Millimol pro l. Es werden die molaren Konzentrationen von
>Ca2+@ und >Mg2+@ angegeben.
3.8 Wasserhärte 49

°f Französische Härtegrade. 1 Französischer Härtegrad wird im


Wasser erzeugt, wenn 10 mg/l CaCO3 im Wasser gelöst werden.
°d Deutsche Härtegrade. 1 Grad Deutscher Härte wird erzeugt,
wenn im Wasser 10 mg/l CaO gelöst werden, entsprechend
CaO + H2O o Ca2+ + 2 OH-.
Für die Bezeichnung der Gesamthärte werden die Begriffe in Tabelle 3.3 ver-
wendet. Diese Werte geben gleichzeitig typische Bereiche an. In kristallinen Ge-
bieten ist die Wasserhärte gering (weich), in kalkreichen Gebieten ist sie hoch
(hart). Seewasser ist häufig weich bis mittelhart. In Beispiel 3.17 ist aufgezeigt,
wie französische Härtegrade (°f) in Äquivalente umgerechnet werden können.

Beispiel 3.17. Umrechnung von französischen Härtegraden in meq/l


Atomgewichte: Ca = 40 C = 12, O = 16
1 °f entspricht der Härte, die durch 10 mg/l CaCO3 im Wasser verursacht werden. Das
Molekulargewicht von CaCO3 beträgt 40+12+3˜16 = 100 g Mol-1. 10 mg/l CaCO3 ent-
sprechen 10 mg/l / 100’000 mg/Mol = 0.1 mmol/l. Da Ca2+ zwei Ladungen trägt, ist die
entsprechende Wasserhärte 0.1 ˜ 2 = 0.2 meq/l. Der Umrechnungsfaktor beträgt:
0.2 meq/l pro °f oder 1/0.2 = 5 °f pro meq/l

Beispiel 3.18. Umrechnung von Wasserhärte


Ein Trinkwasser enthält 75 g m-3 Ca2+ und 10 g m-3 Mg2+.
Wie gross ist die Gesamthärte dieses Wassers in meq/l?
Die relevanten Atommassen sind: Ca 40 g/Mol, Mg 24.3 g/Mol
Die molaren Konzentrationen sind: >Ca2+@ = 75 / 40 = 1.88 mmol/l
>Mg2+@ = 10 / 24.3 = 0.41 mmol/l.
In molaren Einheiten entspricht die Gesamthärte:
>GH@ = >Ca2+@ + >Mg2+@ = 1.88 + 0.41 = 2.29 mmol/l
Da beide Ionen 2 positive Ladungen tragen, entspricht die Gesamthärte >GH@ in meq/l:
>GH@ = 2˜>Ca2+@ + 2˜>Mg2+@ = 2 ˜ (1.88 + 0.41) = 4.58 meq/l
In °f ergibt sich eine Härte von 5 °f / (meq/l) ˜ 4.58 meq/l = 22.9 °f
Dieses Wasser würde als mittelhart bezeichnet (Tabelle 3.3).

Beispiel 3.19: Umrechnung in Deutsche Härtegrade


Welche Härte in Deutschen Härtegraden hat das Trinkwasser aus Beispiel 3.18?
Atommassen: Ca = 40 O = 16
1°d entspricht der Wasserhärte von 10 g CaO m-3 = 10·40/(40+16) = 7.14 g Ca2+m-3
1°f entspricht der Wasserhärte von 10 g CaCO3 m-3 = 10·40/100 = 4 g Ca2+m-3
Damit können wir umrechnen: 22.9°f · 4 g Ca °f-1 / 7.14 g Ca °d-1 = 12.8 °d.

Beispiel 3.20. Einfluss der Photosynthese auf die Wasserhärte


Als Folge der Photosynthese wird dem Seewasser CO2 entzogen und als organisch
gebundener Kohlenstoff in der Algenbiomasse festgelegt:
CO2 + H2O o Algenbiomasse + O2
CO2 muss daher aus Bikarbonat nachgeliefert werden, z.B. aus der folgenden Reaktion:
50 3 Charakterisierung von Wasser

2 HCO3- o CO2 + H2O + CO32-


Das führt zu einer Zunahme des pH-Werts und der Karbonatkonzentration. Calcium und
Karbonat verbinden sich zum schlechtlöslichen Kalk entsprechend:
Ca2+ + CO32- o CaCO3 (Kalk)
Der Kalk fällt aus und sinkt als weisses Sediment auf den Seegrund.
Durch die Photosynthese und den ansteigenden pH-Wert (dem Wasser wird Kohlensäu-
re entzogen) wird also das Seewasser enthärtet. Aus den Härtebildnern entsteht See-
kreide.

3.9 Gelöster Sauerstoff


Sauerstoff ist das wichtigste Oxidationsmittel im Wasser und seine Konzentration
bestimmt weitgehend, welche Art von Leben im Wasser vorkommt. Sauerstoff ist
im Wasser nur schlecht löslich. Bei 10°C enthält Wasser, das mit Luft in intensi-
vem Kontakt ist, ca. 10 g O2 m-3.
In der Luft beträgt der Anteil von Sauerstoff ca. 21% (Volumen) und hat eine
Konzentration von ca. 300 g O2 m-3 Luft. Steht Wasser in intensivem Kontakt mit
der Luft, so kann sich Sauerstoff im Wasser lösen, allerdings sind nur ca. 10 g O2
m-3 wasserlöslich: Sauerstoff ist ein sehr schlecht lösliches Gas. Die Löslichkeit
von Sauerstoff in Wasser ist stark abhängig von der Temperatur des Wassers und
vom Luftdruck. Beispiele sind in Tabelle 3.4 zusammengestellt.
Die Konzentration von gelöstem Sauerstoff im Wasser kann heute mit Elekt-
roden zuverlässig und kontinuierlich gemessen werden.

Tabelle 3.4. Löslichkeit von Sauerstoff im Wasser. Die Angaben beziehen sich auf Normaldruck
(760 mm Hg oder 1031 hPa). Diese Sättigungswerte beziehen sich auf Wasser im Gleichgewicht
mit der Atmosphäre. Sie können ungefähr proportional mit dem Luftdruck an die lokalen Ver-
hältnisse angepasst werden
Temperatur gelöster Sauerstoff
-3
in °C in g m
0 14.7
5 12.8
10 11.3
15 10.0
20 9.0
25 8.2
30 7.4

Beispiel 3.21. Sauerstoffverbrauch von Mensch und Fisch


Ein Mensch verbraucht pro Tag ca. 2300 kcal. (| 10’000 kJ). Um diese Energie aus den
Nahrungsmitteln zu gewinnen, muss er ca. 500 g O2 d-1 aufnehmen. Wenn er aus der
Luft z.B. 5% des Sauerstoffs aufnimmt, so muss er 10’000 g O2 einatmen, diese sind in
33 m3 oder in ca. 50 kg Luft enthalten.
Ein Fisch, der pro Tag z.B. 14 kcal verbraucht, muss pro Tag „nur“ ca. 3 g O2 aufneh-
men. Wenn er aus dem Wasser, dass er durch seine Kiemen strömen lässt, 10% des
3.10 Physikalische Analysen 51

Detektor 90° Streulicht

Fokussieroptik 90°
Streulicht 90q
Trübung 
Re ferenzstrahl
Lichtquelle
Infrarot
Detektor
Referenzstrahl

Wasserprobe mit Partikeln

Abb. 3.2. Prinzip der Streulichtmessung zur Bestimmung der Trübung. Licht wird von Partikeln
gestreut, die Intensität des Streulichts ist ein Mass für die Trübung der Probe

Sauerstoffs aufnimmt, so muss er 30 g O2 zu den Kiemen führen, diese sind in 3 m3


oder 3000 kg Wasser enthalten.
Der kleine Fisch muss 3000 kg Wasser „atmen“, der grosse Mensch ca. 50 kg Luft! (Al-
les nur geschätzte Grössenordnungen!)
Diese Berechnungen zeigen deutlich, wieso der Sauerstoffgehalt des Wassers eine so
grosse Bedeutung hat. Verringert sich der gelöste Sauerstoff z.B. als Folge von biologi-
schen Abbauprozessen auf weniger als 50% der Sättigung, so müssen die Fische ein
Mehrfaches an Wasser durch ihre Kiemen pumpen.

3.10 Physikalische Analysen

3.10.1 Leitfähigkeit
Die elektrische Leitfähigkeit des Wassers ist ein einfacher Summenparameter, der
mit der Konzentration der Ionen im Wasser zunimmt.
Mit der Leitfähigkeit wird gemessen, wieviel Strom durch eine standardisierte
Elektrode fliesst, die in die Probe eingetaucht wird. Je grösser der Strom, desto
grösser die Leitfähigkeit, desto grösser ist die Salzkonzentration. Die Leitfähigkeit
wird angegeben in PS/cm (1 Siemens ist der Kehrwert eines Ohms). Typische
Werte liegen im Bereich von 100–1000 PS/cm. Da die Leitfähigkeit sehr einfach
zu messen ist, wird sie häufig als einfaches Signal verwendet, um Veränderungen
in der Wasserzusammensetzung, insbesondere im Salzgehalt, festzustellen.

3.10.2 Trübung
Den Gehalt des Wassers an feinen Partikeln nehmen wir als Trübung wahr. Diese
können wir in der Form von Streulicht messen. Trübung hat Bedeutung für die
Überwachung der Qualität von Trinkwasser und zur kontinuierlichen Charakteri-
sierung von Abwasser.
Trifft Licht auf einen Partikel im Wasser, der einen vom Wasser unterschiedlichen
Brechungsindex hat, so wird das Licht gestreut und diffus in alle Richtungen ge-
52 3 Charakterisierung von Wasser

Maximale Trübung (FTU)


2

1.5 Südanlage, belastet Südanlage abgestellt

0.5 Nordanlage, unbelastet

0
1 10 20 31 10 20 26
März 1993 April 1993
Abb. 3.3. Verlauf der Trübung in den Wasserwerken von Milwaukee im Frühjahr 1993. Das
Wasser der Südanlage war stark mit Cryptosporidien kontaminiert. Schätzungsweise 400'000
Einwohner erkrankten an Durchfall, über 100 sind gestorben (Mac Kenzie W.R, et al. 1994).
Beide Werke bewegten sich im Rahmen der damals gültigen Grenzwerte, diese sind in der Zwi-
schenzeit verschärft worden.

lenkt; wir nehmen das als Trübung wahr (Abb. 3.2). Trübung im Trinkwasser be-
deutet häufig, dass Keime im Wasser vorhanden sind, die die Hygiene gefährden
können. Mit Hilfe von Streulicht (s.a. Abb. 3.2) können wir schnell, einfach und
kontinuierlich die Trübung quantifizieren. Dabei wird die Messung mit einer stan-
dardisierten, künstlich hergestellten Trübung (Formazin) verglichen; das Resultat
sind sogen. Formazin Turbidity Units (FTU). In den USA gilt für Trinkwasser ein
Grenzwert von nur 0.3 FTU, diese können wir von blossem Auge in geringen
Wassertiefen kaum wahrnehmen.
Die Trübung eines Wassers korreliert stark mit dessen Gehalt an suspendierten
Stoffen (TSS) und häufig auch mikrobiologischen Keimen (s.a. Beispiel 3.22).

Beispiel 3.22: Trübung korreliert mit Wasserqualität


Im Frühjahr 1993 erkrankten in Milwaukee (USA) ca. 400'000 Einwohner an einer Infek-
tion mit Cryptosporidien (Protozooen, s.a. Abschn. 3.11, Seite 54) die über das Trink-
wasser verteilt wurden. Nur eine der beiden Aufbereitungsanlagen war betroffen. Die
Trübung zeigte hier Probleme an und erlaubte die Anlage auszuschalten, allerdings zu
spät um die Epidemie zu vermeiden (Abb. 3.3). Die Trübung wurde alle 4 Stunden ge-
messen, angeben sind nur die Tageshöchstwerte. Seit dieser Katastrophe sind in den
USA die Grenzwerte für Trübung verschärft worden, zudem wird heute die Trübung
meist on line (d.h. kontinuierlich) verfolgt.

3.10.3 Temperatur
Die Temperatur ist eine wichtige Zustandsgrösse, sie sollte immer angegeben
werden, wenn Zustände charakterisiert werden.
Die Temperatur bestimmt das spezifische Gewicht des Wassers, die Löslichkeit
von Gasen und Mineralien im Wasser und beeinflusst das Gleichgewicht zwischen
Säuren und Basen sowie die Geschwindigkeit von chemischen und biologischen
3.10 Physikalische Analysen 53

Prozessen. Zu allen Messungen von Leistungen von Anlagen sollte daher immer
auch die Temperatur angegeben werden.

3.10.4 Dichte
Die Dichte des Wassers erreicht bei 4°C ein Maximum.
Die Dichte des Wassers ist abhängig von der Temperatur und hat ein Maximum
bei 4°C. Diese Eigenschaft des Wassers führt zu einer Reihe von Phänomenen: die
Temperaturschichtung von Seen, das Einschichten von Abwasser in bestimmten
Tiefen bei Einleitungen in Seen etc. Mit zunehmendem Salzgehalt nimmt auch die
Dichte des Wassers zu. Charakteristische Werte sind in Tabelle 3.5 zusammenge-
stellt.

Tabelle 3.5. Physikalische Eigenschaften von unbelastetem Wasser


Temperatur Dichte U Kinematische Zähigkeit Q Oberflächenspannung
-3 2 -1 -1
°C kg m m s dyn cm
-6
0 999.87 1.79 ˜ 10 75.6
-6
3.98 1000 1.57 ˜ 10 75.1
-6
5 999.99 1.52 ˜ 10 74.9
-6
10 999.73 1.31 ˜ 10 74.2
-6
15 999.13 1.14 ˜ 10 73.5
-6
20 998.23 1.00 ˜ 10 72.8
-6
25 997.07 0.89 ˜ 10 72.0
-6
30 995.67 0.80 ˜ 10 71.2

3.10.5 Viskosität, Zähigkeit


Die Viskosität oder die Zähigkeit des Wassers beeinflusst den Fliesswiderstand
und die Art der Strömung von Wasser. Die Viskosität des Wassers wird durch
Feststoffe erhöht. Schlämme haben eine viel höhere Viskosität als reines Wasser,
das verändert die Fliesseigenschaften und die Energieverluste. Charakteristische
Werte sind in Tabelle 3.5 zusammengestellt. Es besteht die Beziehung:
Abs. Viskosität = Kinemat. Viskosität ˜ Dichte oder K = Q ˜ U

3.10.6 Oberflächenspannung
Die Oberflächenspannung ist eine thermodynamische Grösse, die angibt, wieviel
Energie mindestens erforderlich ist um die Oberfläche einer Flüssigkeit zu ver-
grössern; sie wird meistens in dyn/cm angegeben. Wasser hat eine grosse Oberflä-
chenspannung, die durch Detergenzien (oberflächenaktive Stoffe), die sich an den
Oberflächen anlagern, vermindert wird. Geringe Oberflächenspannung heisst, dass
das Wasser hydrophobe, wasserabstossende Feststoffe besser benetzen kann. Cha-
rakteristische Werte für sauberes Wasser sind in Tabelle 3.5 zusammengestellt.

Beispiel 3.23. Seife und Oberflächenspannung


Seife (ein Detergenz) hat die Tendenz, die Oberflächenspannung des Wassers zu re-
duzieren. Es ist in Gegenwart von Seife also weniger Energie erforderlich, um die Ober-
54 3 Charakterisierung von Wasser

fläche des Wassers zu vergrössern: Ein Seifenschaum ist nichts anderes als Wasser
mit einer sehr grossen Oberfläche!

3.10.7 Geruch und Geschmack


Geruch und Geschmack sind zwei Grössen, die nicht absolut definiert werden
können. Es wird z.B. mit einer Reihe von Versuchspersonen in einem standardi-
sierten Test die Geruchsschwelle eines Gases (Verdünnung mit unbelasteter Luft)
festgestellt und daraus eine Geruchsintensität abgeleitet.

3.11 Mikrobiologische und hygienische Parameter


Die Gewährleistung der hygienischen Qualität des Trinkwassers ist die grösste
Leistung der Siedlungswasserwirtschaft. Diese zu überwachen bedingt, dass Ana-
lysemethoden angewendet werden, die nachweisen, dass mit grosser Wahrschein-
lichkeit keine Krankheitskeime im Trinkwasser vorhanden sind.
Verschiedenartige Krankheitserreger können über das Wasser auf Mensch und
Tier übertragen werden. Um Epidemien vorzubeugen müssen insbesondere das
Trinkwasser, aber auch öffentlich zugängliche Badegewässer überwacht werden.
Mikrobiologische Nachweisverfahren sollen meistens aufzeigen, welche An-
zahl von vermehrungsfähigen Keimen in einem bestimmten Probenvolumen vor-
handen sind. Dazu wird eine Wasserprobe, die ev. vorher mit sterilem Wasser
verdünnt werden muss, durch eine Membran filtriert. Die Keime bleiben auf der
Membran zurück. Die Membran wird in einer Petrischale auf einen Nährboden
gelegt und im Brutschrank bei konstanter Temperatur bebrütet. Die Keime können
sich nun vermehren und zu sichtbaren Kolonien anwachsen. Diese Kolonien wer-
den ausgezählt, um daraus die ursprüngliche Dichte von vermehrungsfähigen
Keimen zu berechnen (s.a. Abb. 3.4).
Die mikrobiologischen Analyseverfahren können unterschiedliche Arten von
Keimen unterscheiden, indem der Nährboden, die Bebrütungstemperatur etc. den
spezifischen Anforderungen angepasst werden.
Viele Krankheitskeime werden in der stark sauren Umgebung des Magens ge-
schädigt. Wir müssen daher eine grössere Anzahl von solchen Keimen mit dem
Trinkwasser zu uns nehmen, bevor wir mit grosser Wahrscheinlichkeit erkranken.
Daher können wir die Grenzwerte für Krankheitskeime so festlegen, dass sie z.B.
in 5 l Trinkwasser nicht festgestellt werden können. In der Form von Cryptospori-
dien und Giardia (Protozooen, die zu Durchfall führen) sind aber in den letzten
Jahren neue Organismen gefunden worden, von denen wir wissen, dass ein einzel-
ner Organismus bereits eine Erkrankung auslösen kann. Hier ergibt sich das Prob-
lem, dass dieser Organismus in sehr geringer Konzentration nachgewiesen werden
muss: Wie sucht man eine einzelne Zelle in mehreren Kubikmetern Wasser? Sol-
che Untersuchungen sind sehr aufwändig und vorläufig noch nicht Routine in der
Wasserwerkspraxis.
Die moderne Mikrobiologie stellt heute zunehmend neue und leistungsfähige
gentechnische Methoden zur Verfügung, die sehr spezifisch unterschiedlichste
Organismen identifizieren und quantifizieren können. Es ist anzunehmen, dass die
3.11 Mikrobiologische und hygienische Parameter 55

Abb. 3.4. Petrischale mit Nährboden und Kolonien von Mikroorganismen. Oben: Coliforme
Keime auf Endo Agar. Unten: Gesamtkeimzahl, Kolonien teilweise markiert beim Auszählen.
Photo: Wasserversorgung Zürich

Überwachung von Trinkwasser schon bald umfassend auf solchen Methoden ba-
sieren wird.

3.11.1 Escherichia coli


Escherichia coli ist ein Bakterium, das im menschlichen Darm in hoher Konzent-
ration vorkommt. Es hat eine grosse Bedeutung für die Beurteilung der hygieni-
schen Qualität von Trinkwasser.
Die Menschen scheiden viele Krankheitskeime in den Fäkalien aus, während Urin
nicht mit Krankheitskeimen infiziert ist. Wenn durch ungenügende Barrieren sol-
che Krankheitskeime über das Trinkwasser in den Menschen zurückgelangen be-
steht die Gefahr einer Infektion.
Escherichia coli (E.coli) ist ein Bakterium, das schon früh in hoher Zahl in den
Fäkalien des Menschen gefunden wurde. Alle Menschen sind Träger von E.coli,
sie unterstützen unsere Verdauung. Einige wenige Stämme lösen bei nicht adap-
tierten Menschen Durchfall aus. So ist etwa in Mexiko ein Stamm von E.coli häu-
56 3 Charakterisierung von Wasser

fig vertreten, der bei Westeuropäern starken Durchfall auslöst, gegen den aber die
lokale Bevölkerung resistent ist. Die ausgelöste Krankheit heisst in Nordamerika
„Montezuma’s Rache“.
E.coli ist also ein mehr oder weniger ungefährliches Bakterium, das in grosser
Zahl in den Fäkalien ausgeschieden wird. Es wird in Wasser immer dort auftreten,
wo auch Krankheitskeime, allerdings in viel geringerer Konzentration, auftreten.
Sind also E.coli vorhanden, so muss auch mit Krankheitskeimen gerechnet wer-
den. Diese Überlegung hat schon früh dazu geführt, dass selektive mikrobiologi-
sche Analysemethoden für die Bestimmung der Anzahl von E.coli in unterschied-
lichen Wässern entwickelt wurden. Zudem haben Mediziner und Mikrobiologen
über lange Zeit hauptsächlich diesen Organismus untersucht, sodass E.coli heute
einer der best untersuchten Mikroorganismen ist.
Fazit: E.coli wird stellvertretend für andere Bakterien, insbesondere krank-
heitserregende Keime untersucht. Ist E.coli vorhanden, ist das Wasser gefährdet
und kürzlich mit Fäkalien im Kontakt gestanden. Ist das Wasser frei von E.coli,
kann mit einiger Sicherheit ein hygienisches Problem ausgeschlossen werden.
Diese letzte Annahme gilt nur für Organismen, die in der Umwelt vergleichbare
Überlebenschancen haben. Für Viren, Sporen und Protozooen ist diese Annahme
nicht gerechtfertigt.

3.11.2 Beurteilung von Wasser


Wasser ist Transportvehikel für viele pathogene Keime (Krankheitserreger, Mik-
roorganismen, Bakterien, Viren), die Krankheiten auslösen können. Je nach
Krankheit genügen schon wenige ansteckende Keime, die wir z.B. über das
Trinkwasser aufnehmen, um krank zu werden. Ein infiziertes Trinkwassernetz
kann potentiell wegen seiner regionalen Bedeutung sehr schnell eine Epidemie in
einer ganzen Stadt auslösen.
Trinkwasser enthält immer eine grössere Zahl von Bakterien, die aber meist
nicht pathogen sind. Der Nachweis von unterschiedlichen, ansteckenden Keimen
in geringster Konzentration ist ausserordentlich aufwändig, langsam und kostspie-
lig und z.T. nicht möglich (s.a. Beispiel 3.24).
Viele pathogene Keime werden z.B. durch Krankheitsträger in den Fäkalien
ausgeschieden und gelangen dann in die Gewässer und damit wieder in den Was-
serkreislauf. Zusammen mit diesen ansteckenden Keimen werden auch Darmbak-
terien in grosser Zahl ausgeschieden, die direkt keine Gefahr für den Konsumen-
ten darstellen, die aber ein Indiz dafür sind, dass möglicherweise auch
ansteckende Keime (in sehr viel kleinerer Zahl) vorhanden sein können. Das pro-
minenteste Darmbakterium ist Escherichia coli, mit dem Mikrobiologen, Hygieni-
ker und Mediziner seit Jahrzehnten gearbeitet haben. Der Nachweis dieses Bakte-
riums (oder doch mindestens einer Gruppe von Bakterien, die auch E.coli umfasst)
in relativ geringer Zahl ist einfach, billig und schnell. Historisch hat sich daraus
entwickelt, dass wir stellvertretend als Indikatoren für die in sehr geringer Anzahl
vorkommenden pathogenen Keime die in viel höherer Zahl vorkommenden
Darmbakterien, mit allerdings gleichem Ursprung, verfolgen.
In Tabelle 3.6 sind die Grenzwerte für die hygienische Beurteilung von Trink-
wasser in der Schweiz zusammengestellt. Für viele Laien (und Studierende) ist es
3.11 Mikrobiologische und hygienische Parameter 57

überraschend zu erfahren, dass in jedem ml Trinkwasser bis zu 300 Bakterien (ae-


robe mesophile Keime) zugelassen werden, d.h. mit jedem Glas einwandfreiem
Trinkwasser nehmen wir z.B. 10’000 vermehrungsfähige Bakterien zu uns. Das
entspricht aber gemessen als TSS der ausserordentlich geringen Konzentration
von ca. 0.01 g m-3 und ist weder als Trübung sichtbar noch in dieser Form mess-
bar. Solche Bakterien können sich zudem unter den Bedingungen im Darm kaum
vermehren und stellen daher kaum eine Gefahr für die Konsumenten dar.

Tabelle 3.6. Toleranz- und Grenzwerte für die hygienische – mikrobiologische Qualität von
Trinkwasser in der Schweiz
a
Grenzwerte werden von einzelnen Kantonen unterschiedlich angewandt, typisch sind:
Erreger von Typhus Salmonella Arten
Shigella Arten in 5 l nicht nachweisbar
Erreger von Cholera Vibrio cholerae
b
Toleranzwerte für Trinkwasser sind im Schweiz. Lebensmittelbuch zwingend vorgeschrieben:
an der Quelle 100 / ml
Aerobe mesophile Keime
nach Behandlung 20 / ml
Aerobe mesophile Keime 300 / ml
im Verteilnetz Escherichia coli nicht nachweisbar in 100 ml
Enterokokken nicht nachweisbar in 100 ml
a
Grenzwerte sind Höchstkonzentrationen, bei deren Überschreitung das Trinkwasser für die
menschliche Ernährung als ungeeignet gilt.
b
Toleranzwerte sind Höchstkonzentrationen, bei deren Überschreitung das Trinkwasser von
der Vollzugsbehörde beanstandet wird. Bei wiederholtem Überschreiten der Toleranzwerte
müssen Massnahmen zur Reduktion ergriffen werden. Eine Überschreitung bedeutet eine
Verminderung des Werts des Wassers.

Beispiel 3.24. Umgang mit Krankheitskeimen im Trinkwasser


Im Trinkwasser soll es nicht möglich sein, die Erreger von Typhus (Salmonella) in 5 l
Wasser nachzuweisen.
Was heisst der Begriff nicht nachweisbar?
Ein positiver Nachweis von E.coli oder pathogenen Keimen im Trinkwasser wird sofort
Aktivitäten auslösen, z.B.:
1. Die Desinfektion des Trinkwassers wird eingeführt oder intensiviert.
2. Die Häufigkeit der Untersuchungen des Trinkwassers wird stark erhöht.
3. Die Ursache (Quelle) der Verunreinigung wird gesucht und saniert.
4. Die Bevölkerung wird gewarnt und es wird vom Genuss von ungekochtem Trink-
wassers abgeraten.
5. Ev. wird temporär in Tankwagen zugeführtes Wasser zur Verfügung gestellt.

Beispiel 3.25. Cryptosporidien


Cryptosporidien sind höhere Organismen (Protozooen), die z.B. von erkrankten Men-
schen, aber auch (insbesondere jungen) Rindern aus dem Darm ausgeschieden wer-
den. Sie verursachen bei Menschen Durchfall und können bei immungeschwächten
Personen (Kleinkinder, HIV Patienten, alte Leute) zum Tode führen. Besonders kritisch
ist, dass bereits eine aufgenommene Oocyste zur Erkrankung führen kann.
58 3 Charakterisierung von Wasser

Welcher Grenzwert muss angesetzt werden, damit das Risiko an Cryptosporidien zu


erkranken nicht grösser als 10-4 a-1 ist? D.h. weniger als 1 pro 10'000 Personen erkrankt
pro Jahr an Cryptosporidien, die sie über Trinkwasser aufnimmt. In der Schweiz wären
das immerhin 700 Krankheitsfälle pro Jahr mit vermutlich mehreren Todesfällen.
Annahmen: Von Cryptosporidien erkranken wir mit einer Wahrscheinlichkeit von 1%,
wenn wir eine einzelne Zyste zu uns nehmen. Wir trinken pro Tag 1 Liter Wasser.
Daraus ergibt sich, dass in 0.01 · 1 l P-1 d-1 · 365 d a-1 · 10'000 P = 36.5 m3 Trinkwasser
nur gerade ein Keim vorhanden sein dürfte.
Es ist offensichtlich, dass für Cryptosporidien vernünftige Grenzwerte nicht mit Hilfe von
Analysen überwacht werden können. Das praktische Vorgehen ist wie folgt:
In Forschungsprojekten wird mit erhöhten Konzentrationen von Keimen untersucht, wel-
che Massnahmen das Erkrankungsrisiko genügend reduzieren. Daraus werden
Schutzmassnahmen für die Wasserressourcen (Schutzzonen) und die minimal erforder-
liche Leistung von Aufbereitungsverfahren abgeleitet. Für verschiedene Aufbereitungs-
verfahren wird abgeschätzt, welche Reduktion sie erbringen. Eine Risikobeurteilung, die
mögliche Quellen der Keime einschliesst, erlaubt dann von Fall zu Fall geeignete Mass-
nahmen und Aufbereitungsverfahren zu erarbeiten.
Es ist in Wasserwerken nicht möglich, das Rohwasser mit echten Keimen zu verseu-
chen und so Konzentrationen zu erreichen, die gemessen werden könnten.

Beispiel 3.26. Hygiene in Badegewässern, Originaltexte


Rathauskorrespondenz vom 18.7.2005: Badeverbot in der Neuen Donau bleibt aufrecht
Wien, (OTS) Aus hygienischen Gründen bleibt das Badeverbot in der Neuen Donau
weiterhin aufrecht. Die Roten Fahnen entlang der Neuen Donau signalisieren das Ba-
deverbot
Rathauskorrespondenz vom 31.8.2005: Badeverbot in der Neuen Donau aufgehoben
Wien (RK) Mit Wirkung von Mittwoch wurde das Badeverbot für die Neue Donau, das
nach dem Hochwasser erlassen wurde, aufgehoben. Die Untersuchungen des Instituts
für Umweltmedizin ergaben, dass die hygienische Badewasserqualität wieder gegeben
ist.

3.12 Grenzwerte und typische Analysen


Die folgenden Abschnitte und Tabellen charakterisieren typische Wässer. Sie sol-
len eine Grössenordnung der unterschiedlichen Analysewerte vermitteln.

3.12.1 Flusswasser, Seewasser, Grundwasser


Fluss-, See- und Grundwasser sind in ihrer Zusammensetzung sehr ähnlich. See-
wasser verliert im Sommer bei hohen pH-Werten als Folge der Photosynthese
Kalk, CaCO3. Es ist daher etwas weicher als das zufliessende Flusswasser. Zu-
sammen mit dem Verlust von Kalziumhärte geht auch Karbonat verloren. Das
vermindert die Alkalinität.
In Tabelle 3.7 sind Analysewerte von charakteristischen Beispielen von Flusswas-
ser zusammengestellt. Diese Konzentrationen geben einen Einblick in die Grös-
senordnung und die Unterschiede der Stoffkonzentrationen in verschiedenen geo-
logischen Regionen. Die Belastung mit gereinigtem Abwasser ist in den Analysen
3.12 Grenzwerte und typische Analysen 59

sichtbar; Kochsalz (NaCl), Stickstoff (NH4+, NO3-), Phosphor und die Schwerme-
talle nehmen deutlich zu.
Überraschend ist der Vergleich der Stoffkonzentrationen z.B. der Schwerme-
talle im Niederschlag (Tabelle 3.8) und im unbelasteten Flusswasser (Tabelle 3.7).

Beispiel 3.27. Bikarbonat und Säurebindungsvermögen


In Tabelle 3.7 wird die Bikarbonatkonzentration in g HCO3- m-3 angegeben.
Wie gross ist das Säurebindungsvermögen dieser Wässer im meq l -1?
Das Molekulargewicht von Bikarbonat beträgt: 1 + 12 + 3˜16 = 61 g Mol-1. Damit erge-
ben sich die folgenden Werte für das SBV (s.a. Tabelle 3.3):
Kristallin: 12 / 61 = 0.2 Mol m-3 = 0.2 meq l-1. Sehr weich.
Schwach belastet: 137 / 61 = 2.2 meq l-1. Weich
-1
Stark belastet: 241 / 61 = 4.0 meq l Mittelhart

Tabelle 3.7. Mittlere Konzentrationen wichtiger Wasserinhaltsstoffe in Fliessgewässern (Zobrist,


1998)
Kristallines Ge- Vorwiegend
Geologie im Einzugsgebiet
stein Sedimentgestein
Belastung des Flusses mit Abwasser schwach schwach stark
Inhaltsstoff Einheit
Calcium g Ca m-3 6 48 72
Magnesium g Mg m-3 0.5 4.4 15.1
Natrium g Na m-3 0.5 1.9 21
Kalium g K m-3 0.8 0.7 4.1
Bikarbonat g HCO3- m-3 12 137 241
Sulfat g SO4= m-3 7 29 25
Chlorid g Cl- m-3 0.4 2.2 32
Kieselsäure g H4SiO4 m-3 4.5 2.3 7.5
Ammonium g N m-3 0.003 0.025 0.30
Nitrat g N m-3 0.3 0.58 4.6
Ptot g P m-3 0.01 0.03 0.8
DOC g C m-3 0.5 1.2 3.8
Blei mg Pb m-3 <1 0.7 4.0
Kupfer mg Cu m-3 <1 1.1 8.5
Zink mg Zn m-3 2 6 27
Cadmium mg Cd m-3 <0.1 <0.1 0.3

3.12.2 Niederschlag und Regenwasser


Als Niederschlag bezeichnen wir alle Stoffe, die sowohl trocken als auch nass aus
der Atmosphäre auf eine Oberfläche ausfallen. Regenwasser ist nur ein Teil des
Niederschlags. In Tabelle 3.8 sind typische Stoffkonzentrationen im Niederschlag
in schweizerischen Messstationen zusammengestellt. Dübendorf liegt im stark
besiedelten Mittelland; das Jungfraujoch im hochalpinen Raum ist wenig beein-
flusst von lokalen Siedlungen.
60 3 Charakterisierung von Wasser

Tabelle 3.8. Zusammensetzung des Niederschlags (gesamt) und des Regenwassers (feucht) in
zwei schweizerischen Messstationen in der Messperiode 1978/79 (Zobrist, 1998). Die Konzent-
rationen beziehen sich auf das Volumen des Niederschlags
Station Dübendorf Jungfraujoch
Höhe über Meer 400 m 3570 m
Stoff Einheit feucht gesamt gesamt
Natrium g Na m-3 0.08 0.16 0.24
Kalium g K m-3 0.05 0.10 0.20
Calcium g Ca m-3 0.38 0.91 0.69
Magnesium g Mg m-3 0.05 0.16 0.06
Ammonium-N g N m-3 0.43 0.47 0.19
starke Säuren mmol H+ m-3 57 41 -
Nitrit-N g N m-3 0.004 0.006 -
Nitrat g N m-3 0.40 0.48 0.14
Sulfat-S g S m-3 0.97 1.08 0.38
Chlorid g Cl m-3 0.74 0.86 0.42
Phosphat-P g P m-3 0.001 0.002 -
Blei mg Pb m-3 21 39 -
Kupfer mg Cu m-3 5 9 -
Zink mg Zn m-3 46 54 -
Cadmium mg Cd m-3 - 0.46 -
Ptot g P m-3 0.014 0.021 -
DOC g C m-3 1.2 1.4 -
pH-Wert - 4.26 4.46 5.4
Niederschlag mm 1225 1225 1105

3.12.3 Trinkwasserzusammensetzung
Tabelle 3.9 gibt eine Zusammenfassung von Richtwerten für Qualitätsziele und
Grenzwerte für Trinkwasser. Das Qualitätsziel charakterisiert ein gutes Trinkwas-
ser (Kolonne 1). Die Grenzwerte sollten nicht während längerer Zeit überschritten
werden, sie charakterisieren ein ungeeignetes Trinkwasser.

3.12.4 Städtisches und kommunales Abwasser


In Tabelle 3.10 wird die Zusammensetzung des Abwassers der Stadt Zürich cha-
rakterisiert. Da sich zuverlässige Proben nur im Ablauf der Vorklärung nehmen
lassen, sind die Analysewerte v.a. für diese Probenahmestelle angeführt. Zwischen
1977 und 1989 wurden grössere Mengen Fremdwasser (unbelastetes Abwasser)
vom Zulauf zur Kläranlage abgetrennt. Insgesamt haben deshalb die Konzentrati-
onen im Zulauf zugenommen. Deutlich ist der Rückgang der Phos-
phorkonzentration als Folge des Phosphatverbots in den schweizerischen Textil-
waschmitteln nach 1986. Die Vorklärung in der Kläranlage Werdhölzli ist
zwischen 1977 und 1989 vergrössert worden, deshalb sind die partikulären Stoffe
TSS die 1989 im Ablauf der Vorklärung gemessen wurden, geringer. Wegen der
Abtrennung von Fremdwasser hat die Konzentration des gelösten Ammonium
NH4+ zugenommen.
3.12 Grenzwerte und typische Analysen 61

Tabelle 3.9. Beurteilungswerte für Trinkwasser, unterschiedliche Quellen, z.T. nach dem
Schweizerischen Lebensmittelbuch, Stand 2004. Es muss beachtet werden, dass das SLMB zu
allen Parametern zusätzliche Erläuterungen gibt
Kolonne 1a Kolonne 2b
Parameter Einheit
Qualitätsziel Grenzwert
Temperatur °C 8 – 15 25
pH-Wert 6.8 – 8.2 9.2
Calcium mg Ca2+/l 40 – 125 200
Magnesium mg Mg2+/l 5 – 30 50 – 125
je nach SO42-
Ammonium mg NH4+/l < 0.05 0.1 – 0.5
Nitrit mg NO2-/l < 0.01 0.1
Nitrat mg NO3-/l < 25 40
Phosphat mg P/l < 0.05
Sauerstoff % Sättigung 30 – 100
Gesamthärte mmol/l > 1 bei Enthärtung
Alkalinität, SBV mmol/l 2–4
DOC mg C/l < 1.0
Trübung unbehandelt FTU 90° < 0.5
nach Filtration < 0.2
Leitfähigkeit PS/cm 200 – 800
a
Kolonne 1: Bereich eines gegebenen Parameters als Qualitätsziel für Trinkwasser. Ent-
spricht in der Regel einem wenig beeinflussten Grund- oder Quellwasser.
b
Kolonne 2: Wert eines Parameters, der nicht überschritten werden sollte. Werden diese
Konzentrationen erreicht, sollen geeignete Massnahmen eingeleitet werden.

Tabelle 3.10. Zusammensetzung des Abwassers der Stadt Zürich. Werte aus Untersuchungen der
Eawag von 1977 und 1989 (P = Mittelwert, V = Standardabweichung), s.a. Text
1977 1989
Parameter Zulauf Ablauf Vorklärung Zulauf Ablauf Vorklärung Einheit
P P V P P V
BSB5 90 g O m-3
TOC 97 62 17 120 61 17 g C m-3
DOC 35 31 10 28 7 g C m-3
CSB 310 207 56 216 61 g O m-3
TSS 203 101 29 79 26 g m-3
TP 6.4 6.1 1.6 3.8 0.8 g P m-3
GP 4.2 4.1 1.0 g P m-3
TKN 21.5 19.4 3.9 23.1 4.6 g N m-3
NH4+-N 12.4 11.5 1.8 17.0 15.1 3.7 g N m-3
NO2--N 0.3 0.2 g N m-3
NO3--N 2.1 0.9 g N m-3
SBV 4.7 0.2 5.5 5.1 0.8 Mol m-3
pH-Wert 7.6 0.2 -
62 3 Charakterisierung von Wasser

Tabelle 3.10 zeigt deutlich, dass die Abwasserzusammensetzung sich im Laufe der
Zeit verändert, z.B. hat in Zürich im Verlaufe von 12 Jahren die Konzentration
von Ptot im vorgeklärten Abwasser um ca. 40% abgenommen, während die Kon-
zentration von TKN um ca. 20% zugenommen hat. Der Grund für die Zunahme
der TKN-Konzentration ist nicht eine Veränderung der Schmutzstofffracht son-
dern, dass im Laufe der Jahre die Fremdwassermenge (Sauberwasser, das mit dem
belasteten Abwasser abfliesst) reduziert wurde. Die Phosphorfracht hat sich effek-
tiv um mehr als 50% verringert.

3.12.5 Abwasser bei Regenereignissen, Mischwasser


Während Regenereignissen variieren die Stoffkonzentrationen im abgeleiteten
Abwasser sehr stark, sowohl während einem einzelnen Regenereignis als auch von
Regen zu Regen. Tabelle 3.11 gibt einen Überblick über Konzentrationen aus ver-
schiedenen Untersuchungen im Europa. Es ist hier sinnvoller, Angaben über
Frachten z.B. in kg Stoff pro ha und Jahr zu machen, die Resultate streuen weni-
ger. Seit der Einführung des unverbleiten Benzins hat der Bleigehalt kontinuier-
lich abgenommen.

Tabelle 3.11. Stoffkonzentrationen im Abwasser, das während Regenereignissen in der Kanali-


sation abgeleitet wird (Ellis 1985)
Mittlere Stoffkonzentration in g m-3, E.coli, Anzahl / 100 ml
Art der Kanalisation
TSS VSS BSB5 CSB NH4+-N Pb E.coli
Trennsystem 21–582 26–149 7–22 33–265 0.2–4.6 0.03–3.1 102–104
Mischwasserentlastung 237–635 - 43–95 120–560 2.9–4.8 0.15–2.9 104–106
Hauptstrasse 28–1178 18–86 12–32 128–171 0.02–2.1 0.15–2.9 101–103
Dachablauf 12–216 40–88 3–32 58–81 0.4–3.8 <0.03 102

3.13 Probenahme
Die Probenahme ist integraler Bestandteil der Charakterisierung von Wasser. Sie
muss sorgfältig an die Fragestellung angepasst werden.
Wasser wird nicht als Ganzes chemisch oder bakteriologisch untersucht, sondern
es wird stellvertretend ein kleiner Anteil des Wassers als Probe gezogen, ins Labor
gebracht und dort zeitverschoben analysiert. Die Probenahme ist ein wichtiger
Teil einer genauen und zuverlässigen Charakterisierung eines Wassers. Sie muss
der Fragestellung angepasst sein: Der Analytiker muss sich darauf verlassen kön-
nen, dass die Probe die gleichen Eigenschaften hat wie das zu untersuchende Was-
ser. Da in Probenahmeflaschen sowohl biologische als auch chemische Reaktio-
nen ablaufen, können wir nicht grundsätzlich von dieser Annahme ausgehen.
Je nach Fragestellung müssen Proben unterschiedlich gezogen und konserviert
werden. Als Konservierung kommen in Frage:
– Kühlen, um biologische Prozesse zu verlangsamen.
– Tiefgefrieren bei langer Aufbewahrung der Proben, wobei sich dadurch eine
Reihe von Veränderungen ergeben, z.B. verändert sich die Konzentration der
3.13 Probenahme 63

suspendierten Stoffe, weil beim gefrieren z.T. mineralische Stoffe ausgefällt


werden.
– Vorlage von Giftstoffen, die die biologischen Prozesse stoppen.
– Vorlage von verschiedenen Chemikalien in Abhängigkeit der Analysen, die
gemacht werden sollen.
– Schnelles Filtrieren, um Mikroorganismen aus dem Wasser abzutrennen und
dadurch die gelösten Stoffe in ihrer ursprünglichen Form zu bewahren.
Zusätzlich zur Konservierung der Probe spielt das Material der Probenah-
meflaschen eine Rolle. Speziell für die Analyse von Spurenstoffen in geringsten
Konzentrationen muss die Absorption oder die Rücklösung von Verunreinigungen
aus der Flasche vermieden werden. Die Konservierung der Proben sollte immer
mit dem verantwortlichen Analytiker abgesprochen werden.
Wir unterscheiden zwischen Stichproben sowie zeit- und mengenproportiona-
len Sammelproben über eine gewisse Zeit:
– Stichproben charakterisieren einen bestimmten Zeitpunkt. Häufig wird eine
einzige Probe geschöpft, gelegentlich werden mehrere Proben (z.B. 2–6) in
kurzen Intervallen (z.B. alle 2 min) genommen und miteinander vermischt.
Solche Proben werden zusätzlich mit Zeit, Ort, Temperatur, pH-Wert, ev. Wet-
ter etc. charakterisiert.
– Zeitproportionale Sammelproben charakterisieren den mittleren Zustand eines
Systems (z.B. die mittlere Biomassenkonzentration in einem Reaktor). Dazu
werden in regelmässigen zeitlichen Abständen einzelne kleine Proben gezogen
und z.B. über 24 h als konservierte Sammelprobe zusammengegossen. Die
Häufigkeit der Probenahme richtet sich nach der zeitlichen Variation der Kon-
zentration.
– Mengenproportionale Sammelproben charakterisieren einen Durchfluss und
gewichten das Wasser proportional zum Durchfluss. Solche Proben werden
analysiert um Frachten zu berechnen. Meist wird dem Probenahmegerät nach
dem Durchfliessen einer bestimmten Wassermenge vom Durchflussmessgerät
ein Impuls zur Entnahme einer weiteren Probe gegeben.
Probenahmen sollen sorgfältig geplant und regelmässig auf ihre Eignung über-
prüft werden. Sie stehen am Anfang jeder Untersuchung und werden oft vernach-
lässigt.

Beispiel 3.28. Unprofessionelle Probenahmegeräte


Ein Probenahmegerät soll verteilt über 24 h eine Abwasserprobe aus dem Ablauf der
Vorklärung einer Kläranlage sammeln. Das erforderliche Volumen der Probe beträgt 2 l.
Ein Ingenieur baut dazu die folgende Anlage auf:
Eine kleine Pumpe fördert gesteuert über eine Zeitschaltuhr alle 10 min ca. 15 ml Ab-
wasser in eine Flasche, die bei 4°C im Kühlschrank steht. Der Probenahmeschlauch ist
3 m lang und hat einen inneren Durchmesser von 8 mm.
Ist diese Anlage geeignet?
Das Volumen des Probenahmeschlauchs beträgt ca. 180 ml. Also wird das Abwasser
bei vollem Schlauch während ca. 2 h bei hoher Temperatur, vermutlich an der prallen
Sonne verbringen, bevor es bei 4°C gelagert wird.
64 3 Charakterisierung von Wasser

Die innere Oberfläche des Schlauchs beträgt ca. 750 cm2. Darauf werden sich nach
kurzer Zeit Mikroorganismen ansiedeln, die das vorbeifliessende Abwasser verändern.
Enthält das Abwasser z.B. 150 g BSB5 m-3, so ergibt sich eine Flächenbelastung dieser
Mikroorganismen von Q˜BSB5/F = 0.002 m3 ˜ 150 g BSB5 m-3 / 0.075 m2 = 4
g BSB5m-2d-1. Das ist eine Belastung, wie sie in Tropfkörpern zur Reinigung von Ab-
wasser vorkommt (Abschn. 20.5, Seite 363).
Was im Kühlschrank aufgefangen wird, hat keine Ähnlichkeit mehr mit dem Abwasser,
das im Ablauf der Vorklärung vorhanden war.
Nur professionell gestaltete Probenahmegeräte, mit grossem Durchfluss, kleinen Ober-
flächen und peinliche Sauberkeit, gewährleisten eine zuverlässige Probenahme.

Beispiel 3.29. Zeit- und mengenproportionale Probenahme


Wie gross ist für die nachfolgenden Angaben die erwartete Konzentration des CSB in
einer zeitproportionalen und in einer mengenproportionalen Sammelprobe?
Zeit t Durchfluss Q(t) Konzentration C(t)
0 – 6 Uhr 70 m3 h-1 90 g CSB m-3
6 – 12 Uhr 200 m3 h-1 220 g CSB m-3
12 – 18 Uhr 280 m3 h-1 260 g CSB m-3
18 – 24 Uhr 120 m3 h-1 150 g CSB m-3
Zeitproportionale Probe:
Mittlere Konzentration = (90 + 220 + 260 + 150) / 4 = 180 g CSB m-3
Mengenproportionale Probe:
Mittlere Konzentration = 6 (Q(t)˜C(t)) / 6 Q(t) =
= (70˜90+200˜220+280˜260+120˜150)/(70+200+280+120)
= 211 g CSB m-3
Unterschiedliche Resultate der beiden Arten der Probenahme ergeben sich v.a. dann,
wenn Q(t) und C(t) stark korrelieren. Das ist im Abwasser häufig der Fall.
Die Fracht FCSB des CSB im Abwasser kann hier nur mit der mengenproportionalen
Probe zuverlässig berechnet werden:
FCSB = 6 Q(t) ˜ C(t) = Qtot ˜ CMittel,mengenproportional
= 211 g CSB m-3 ˜ 670 m3 d-1 = 141 kg CSB d-1.
In der Wirklichkeit müssten pro Tag mehr als 4 Proben gezogen werden um mengen-
proportionale Resultate zu erhalten.
4 Charakterisierung von Klärschlamm

Klärschlamm unterscheidet sich vom Abwasser insbesondere dadurch, dass die


Konzentration der Feststoffe um einen Faktor 100 und mehr höher ist. Die Tren-
nung der Feststoffe vom Wasser wird dadurch sehr aufwändig. Häufig tritt an
Stelle der Analyse der suspendierten Stoffe TSS die Analyse aller Inhaltsstoffe,
inkl. der gelösten Stoffe. Es werden die totalen Feststoffe bestimmt, indem das
Wasser aus der Probe abgedampft wird.

4.1 Trockensubstanz TS und Trockenrückstand TR


Die gelösten Stoffe können von einem Schlamm mit einer hohen Feststoffkonzent-
ration häufig nur mit aufwändigen und zeitraubenden Verfahren abgetrennt wer-
den. Eine Filtration mit einer Apparatur, wie sie in Abb. 3.1 dargestellt ist, ist
kaum möglich. Gelegentlich kommen Faltenfilter zur Anwendung oder der
Schlamm wird vorerst durch Zentrifugieren eingedickt. Das überstehende Wasser
wird dann filtriert und der Rückstand zusammen mit dem Sediment mit destillier-
tem Wasser gewaschen und anschliessend getrocknet. Das Resultat entspricht
nicht mehr den partikulären oder suspendierten Stoffen (TSS oder GUS) sondern
es schliesst z.T. gelöste Stoffe in der Trockensubstanz mit ein (s. dazu
Beispiel 4.1).
Das Resultat wird als Trockensubstanz TS in kg m-3 angegeben wenn die ge-
lösten Stoffe abgetrennt wurden oder als Trockenrückstand in %TR (Gewichtsan-
teil) wenn die gelösten Stoffe miterfasst werden. Es gilt 1% TR | 10 kg TS t-1 oder
ca. 1% TR | 10 kg TS m-3.

Beispiel 4.1. Einfluss der gelösten Stoffe auf die Trockensubstanz


Ein Abwasser enthält z.B. 400 g m-3 gelöste Stoffe (Salze und organische Verunreini-
gungen) und 250 g TSS m-3 suspendierte Stoffe. Daraus wird offensichtlich, dass die
TSS nicht durch Abdampfen des Wassers von der Abwasserprobe bestimmt werden
können. Das Resultat wäre 650 statt 250 g m-3. Die Filtration ist obligatorisch.
Ein Klärschlamm (Faulschlamm) enthält z.B. 4000 g m-3 Salze und gelöste Stoffe und
die TS hat eine Konzentration von 40’000 g TS m-3. Der Einfluss der gelösten Stoffe auf
das Resultat beträgt nur noch max. 10%. Durch Zentrifugieren und Waschen mit destil-
liertem Wasser kann dieser Fehler noch deutlich verringert werden. TR wäre 4.4%, TS
wäre 40 kg m-3.
66 4 Charakterisierung von Klärschlamm

Beispiel 4.2. Rechnen mit Trockensubstanz


Auf einer Kläranlage für ca. 10’000 Einwohner fallen Q = 25 m3 d-1 Klärschlamm mit
4.5% TR an. Wie gross ist die Masse der Trockensubstanz MTS in kg TS d-1, die täglich
auf dieser Kläranlage anfällt?
TR = 4.5% heisst, dass 1 t Klärschlamm (# 1 m3) 45 kg Trockensubstanz (= 4.5%) ent-
hält oder die Konzentration beträgt XTS | 45 kg TS m-3 (wobei die gelösten Stoffe ver-
nachlässigt werden). Also:
MTS = Q ˜ XTS = 25 m3 d-1 ˜ 45 kg TS m-3 = 1125 kg TS d-1.
Wie gross ist die Schlammmenge, wenn der Klärschlamm auf eine Konzentration von
18%TS (XTS = 180 kg TS m-3) entwässert wird?
Qentwässert = MTS / XTS = 1125 kg TS d-1/ 180 kg TS m-3 = 6.25 m3 Schlamm.
Durch die Entwässerung müssen also 25 - 6.25 = 18.75 m3 d-1 Wasser (Filtrat) abge-
trennt werden.

Beispiel 4.3. Typische TS und TR Werte für Klärschlamm


Typische TS Konzentrationen von unterschiedlichen Klärschlämmen sind:
Frischschlamm:
TR = 3 – 5% TS = 30 – 50 kg TS t-1 970 – 950 kg Wasser / t Schlamm
Faulschlamm (eingedickt)
TR = 5 – 8% TS = 50 – 80 kg TS t-1
Entwässerter Schlamm
TR = 18 – 25% TS = 180 – 250 kg TS t-1
Getrockneter Schlamm
TR = 75 – 95% TS = 750 – 950 kg TS t-1 250 – 50 kg Wasser / t Schlamm
Belebtschlamm hat eine Konzentration von 3000 – 5000 g TSS m-3 und besteht aus
über 99% Wasser. Das Resultat wir meistens als TSS angegeben. In der Analyse wird
das Wasser mit seinen Salzen durch Filtrieren oder Zentrifugieren abgetrennt.

4.2 Glühverlust und Glührückstand


Analog zur Bestimmung der VSS im Abwasser wird auch von Klärschlamm der
Glühverlust (GV) bestimmt und damit versucht, den organischen Anteil der Tro-
ckensubstanz zu quantifizieren (in der deutschen Fachliteratur häufig oTS ge-
nannt). Gelegentlich wird als Resultat der Anteil des Glühverlusts an der Trocken-
substanz (GV/TS) angegeben; je grösser dieser Wert ist, desto mehr organische
Stoffe enthalten die Trockenstoffe.
Als Glührückstand wird die Asche bezeichnet, die nach dem Trocknen
(105°C) und dem Glühen (650°C) von Klärschlamm noch zurückbleibt. Der Glüh-
rückstand (GR) wird als Summe aller mineralischen Anteile des Schlamms inter-
pretiert. Der Anteil des GR an der TS nimmt zu, wenn für die Phosphoreliminati-
on dem Abwasser Salze zugegeben werden und die Fällungsprodukte als Anteil
des Klärschlamms abgeführt werden.
Es gilt TS = GV + GR, wobei allerdings die Einheiten beachtet werden müs-
sen. In der Praxis haben TS [mit kg m-3] und GV [mit % Anteil an TS] oft unter-
schiedliche Einheiten.
4.3 Zusammensetzung von Klärschlamm 67

Beispiel 4.4. Bestimmung von TR, GR und GV


Zur Bestimmung des TR, GR und des GV eines Frischschlamms aus einem Vorklärbe-
cken werden z.B. die folgenden Messungen gemacht:
M1 = Masse der Porzellanschale kalt, trocken, sauber: 80.245 g
M2 = Masse nach Einfüllen von ca. 50 ml der Schlammprobe: 130.759 g
M3 = Masse nach Trocknen bei 105qC, erkaltet: 82.576 g
M4 = Masse nach Glühen bei 650qC, erkaltet: 81.192 g.
Daraus ergeben sich:
TR = (M3 - M1) / (M2 - M1) = 2.331 / 50.514 = 4.6%
GV = (M3 - M4) / (M2 - M1) = 1.384 / 50.514 = 2.7%
GR = (M4 - M1) / (M2 - M1) = 0.947 / 50.514 = 1.9%
Der Anteil GV an TS ist: GV/TS = (M3 - M4) / (M3 - M1) = 1.384 / 2.331 = 59.4%
Der Anteil GR an TS ist: GR/TS = (M4 - M1) / (M3 - M1) = 0.947 / 2.331 = 40.6%
Total = 100%

Beispiel 4.5. Typische Werte für den Anteil Glühverlust an der Trockensubstanz
Typischer Klärschlamm enthält:
Frischschlamm ohne Phosphorfällung: GV/TS = 70%
mit Phosphorfällung: GV/TS = 60%
Faulschlamm ohne Phosphorfällung: GV/TS = 55%
mit Phosphorfällung: GV/TS = 45%
Im Zuge der Faulung gehen organische Stoffe (=GV) in Form von Biogas verloren, das
vermindert den Anteil des Glühverlusts an der Trockensubstanz.

4.3 Zusammensetzung von Klärschlamm


Im Klärschlamm werden die Schadstoffe akkumuliert, die aus dem Abwasser ab-
getrennt werden. Die Zusammensetzung des Klärschlamms widerspiegelt daher
die Belastung des Abwassers.
Da im Klärschlamm auch Nährstoffe (insbesondere Stickstoff und Phosphor) ent-
halten sind, wird dieser Schlamm in der Landwirtschaft genutzt. Heute überwiegt
aber zunehmend die Furcht vor den im Schlamm enthaltenen Schadstoffen. So
darf seit 2006 in der Schweiz Klärschlamm in der Landwirtschaft nicht mehr als
Dünger ausgebracht sondern muss über eine Verbrennung entsorgt werden. Da der
Klärschlamm aber geeignet ist, die Qualität des ungereinigten Abwassers integral
zu überwachen, wird seine Qualität überwacht, dabei kommen die Grenzwerte in
Tabelle 4.1 zur Anwendung. Werden diese überschritten, muss die Ursache ge-
sucht und der Missstand saniert werden.
Tabelle 4.2 enthält eine Zusammenstellung der Inhaltsstoffe von Klärschläm-
men in der Schweiz, die regelmässig bestimmt werden. Auffallend ist die Abnah-
me des Phosphorgehalts zwischen 1984 und 1989 als Folge des Phosphatverbots
in den Textilwaschmitteln (1986) und die deutliche Reduktion der Schwermetall-
gehalte als Folge einer besseren Überwachung der Quellen dieser Stoffe, wobei
insbesondere das Blei mit der Einführung des bleifreien Benzins stark abgenom-
men hat. Kupfer hat eine wichtige Quelle in Dachrinnen, Fassaden und Dächern
und bleibt entsprechend stabil.
68 4 Charakterisierung von Klärschlamm

Tabelle 4.1. Grenzwerte für den Schadstoffgehalt von Klärschlamm in der Schweiz (Chemika-
lien Risikoreduktions-Verordnung, ChemRRV vom 18. Mai 2005, Abschnitt 5)
Schadstoff Grenzwert in g Metall / t Trockenstoff
Blei (Pb) 500
Cadmium (Cd) 5
Chrom (Cr) 500
Kobalt (Co) 60
Kupfer (Cu) 600
Molybdän (Mo) 20
Nickel (Ni) 80
Quecksilber (Hg) 5
Zink (Zn) 2000

Tabelle 4.2. Typische Zusammensetzung (gewichtete Mittelwerte) von schweizerischen Klär-


schlämmen (Candinas et al. 1991, 1999, adaptiert). 1984 fielen insgesamt 176'000 t TS an, 1989
213'000 t TS und 1999 209'000 t TS (s.a. Abb. 1.7, Seite 14)
Inhaltsstoff Einheit 1984 1989 1999
Trockenrückstand TR % 5.7 5.9 5.9
Glühverlust (GV) kg GV t-1 TS 435 460 456
Gesamtstickstoff (N) kg N t-1 TS 40 45 44
davon organisch gebunden 27 30
Ammonium N (NH4+-N) 13 15
Phosphor (P) kg P t-1 TS 32 23 25
Anlagen mit Flockungsfiltration 40 27 29
Anlagen mit P-Fällung 38 25 25
Anlagen ohne P-Fällung 20 16 20
Kalium (K) kg K t-1 TS ca. 2 ca. 2 2.5
Calcium (Ca) kg Ca t-1 TS 73 64 58
Magnesium (Mg) kg Mg t-1 TS 5.7 5.1 5.3
Blei (Pb) g Pb t-1 TS 409 232 94.5
Cadmium (Cd) g Cd t-1 TS 5.7 4.0 1.7
Chrom (Cr) g Cr t-1 TS 207 129 74
Kobalt (Co) g Co t-1 TS 10.4 10.2 9.8
Kupfer (Cu) g Cu t-1 TS 447 388 341
Molybdän (Mo) g Mo t-1 TS 11.3 7.0 5.8
Nickel (Ni) g Ni t-1 TS 77.7 42.6 41.9
Quecksilber (Hg) g Hg t-1 TS 3.6 2.6 1.7
Zink (Zn) g Zn t-1 TS 1859 1378 929
5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Der Bedarf von Wasser in Siedlungen (v.a. der Trinkwasserverbrauch) und die
Menge des Abwassers, welche aus den Siedlungen abgeleitet werden muss, stehen
miteinander in Beziehung. Regen, Drainage und der Verlust von Wasser führen
aber zu Unterschieden in den beiden Wassermengen. Beide Grössen sind wichtige
Unterlagen für die Planung, die Projektierung und den Betrieb der Anlagen in der
Siedlungswasserwirtschaft. Von Bedeutung sind Tagesmittelwerte, Extremwerte,
saisonale Variationen, Wochengang, Tagesgang und Momentanwerte.

5.1 Wasserbedarf und Abwasseranfall


Nicht alles Wasser, das durch die Wasserversorgung verteilt wird, fällt als Abwas-
ser wieder an (Abb. 5.1): Verluste aus Wasserleitungen, Bewässerung, Versicke-
rung nach laufenden Brunnen, Verdunstung von Kühlwasser, Messfehler etc. er-
geben Unterschiede zwischen dem verteilten und dem abgeleiteten Wasser.
Abwasser umfasst zusätzlich zum Trinkwasser noch anderes Wasser: Von der In-
dustrie selber gefördertes Wasser, eingedolte Bäche, Sicker- und Drainagewasser,
Regen- und Schmelzwasser etc. Es ist deshalb nicht möglich, auf einfache Art
vom Wasserverbrauch auf den Abwasseranfall zu schliessen. In der Praxis besteht
deshalb auch häufig keine direkte Beziehung zwischen der Berechnung dieser bei-
den Wassermengen.
Heute werden in den Industrieländern kaum noch neue Wasserversorgungen
oder Kanalisationssysteme und Kläranlagen geplant, meist müssen bestehende
Anlagen erweitert oder erneuert werden, d.h. es gibt Erfahrungen und Messungen
von Wassermengen (häufig allerdings nur mit unzuverlässigen Messsystemen).
Eine Auswertung dieser Messungen in Zusammenhang mit den Planungsvorgaben
erlaubt, bessere Grundlagen zu erarbeiten, als dies mit Richtwerten möglich ist.
Ein wichtiger Unterschied zwischen der Wasserversorgung und der Abwasser-
reinigung ist, dass in der Wasserversorgung Engpässe im Wasserangebot als viel
gravierender beurteilt werden als in der Abwasserreinigung. Mehrmals pro Jahr
reicht, als Folge von Regenereignissen, die hydraulische Kapazität der Abwasser-
reinigungsanlage sowieso nicht aus, sodass Mischabwasser (Regenwasser ver-
mischt mit verschmutztem Abwasser, Abb. 5.1, 14.1 und 15.1) direkt in die Vor-
flut eingeleitet werden muss. Die unterschiedlichen Anforderungen an die Ver-
oder Entsorgungssicherheit führen zu unterschiedlichen geforderten Leistungsre-
serven, die zudem häufig nur ungenau identifiziert werden.
70 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Regen

Fremdwasser
Trinkwasser Drainage
Verluste
Abwasser
Gärten Gebrauch
zur ARA
Industrie mit
Eigenförderung
Entlastung
bei Regen
Versickerung
Grundwasser

Abb. 5.1. Die verschiedenen Quellen des Abwassers in Siedlungen: Das Trinkwasser wird um
die Verluste vermindert, Industrien betreiben gelegentlich eigene Wasserbeschaffungsanlagen,
Grundwasser gelangt direkt in die Kanalisation und Regen wird teilweise abgeleitet. Zunehmend
wird auch Regenwasser gespeichert und als Brauchwasser genutzt. Vor den Kläranlagen muss
während Regen Abwasser entlastet werden

Beispiel 5.1: Durchflussmessungen in Freispiegelkanälen sind unzuverlässig


Leider gibt es heute kein wirklich zuverlässiges System, mit dem der Durchfluss in Ka-
nalisationen kontinuierlich und mit geringer Messabweichung gemessen werden kann.
Vorhandene Messsysteme müssen in situ sorgfältig geeicht werden, was sehr aufwän-
dig ist.
Viele Systeme basieren u.a. auf einer Messung der Wasserspiegellage. Sedimente,
Wellen und ungenaue Referenzpunkte führen zu Streuungen und systematischen Ab-
weichungen. Bei der Messung von Fliessgeschwindigkeiten müssen in Abhängigkeit
vom Fliessquerschnitt Korrekturen gemacht werden, weil sich über den Querschnitt
Fliessprofile ausbilden.
Konkret muss mit grösseren Streuungen und systematischen Abweichungen bis 20%
gerechnet werden.
Durchflussmessungen in Druckleitungen sind deutlich genauer und häufig zuverlässig.

Je nach Aufgabenstellung beziehen sich die Überlegungen zum Wasserumsatz in


der Siedlungswasserwirtschaft auf eine andere Zeitperiode:
– Die Verteilleitungen in der Wasserversorgung müssen dem momentanen
Verbrauch von Trinkwasser jederzeit gerecht werden: Es interessiert uns der
Wasserfluss während einer kurzen Zeitperiode mit grösstem Bedarf.
– Für die Auslegung der Pumpen in einem Grundwasserpumpwerk für die Be-
schaffung von Trinkwasser interessiert der Bedarf als Summe über einen heis-
sen Sommertag mit maximalem Bedarf. Die Wasserspeicher bewirken hier ei-
nen Ausgleich über den Tag.
– Für die Beurteilung eines Grundwasserträgers als Wasserressource betrachten
wir die über längere Zeit gemittelte Förderung. Das nutzbare Wasservolumen
beträgt hier ein Vielfaches des Tagesbedarfes.
5.2 Trinkwasserbedarf 71

– Abwasserreinigungsanlagen werden meist für Trockenwettertage mit erhöhter


Belastung ausgelegt. Für die hydraulische Auslegung interessiert z.B. der Ab-
wasseranfall, der an 85% der Tage (das entspricht ca. den Trockenwettertagen
oder 6 von 7 Wochentagen) unterschritten wird.
– Kanalisationen müssen auch bei extrem intensiven Regen (Gewitter) das anfal-
lende Wasser ableiten können. Hier interessiert uns ev. der maximale Abwas-
seranfall, der in 5 Jahren während z.B. 15 min überschritten wird. Etc.
Die Dimensionierungswassermenge muss auf das betrachtete Problem abge-
stimmt werden. Eine allgemeine Angabe ist nicht möglich. Hier werden vorläufig
nur die Eigenheiten des Wasserverbrauchs und des Abwasseranfalles bei Tro-
ckenwetter diskutiert, während der Regenwasseranfall in Abschn. 13.5, Seite 219
berechnet wird.

5.2 Trinkwasserbedarf
Der Bedarf an Trinkwasser ist starken Schwankungen unterworfen. Während heis-
sen, trockenen Monaten kann der Wasserbedarf ein Mehrfaches des mittleren Be-
darfs ausmachen. In Orten ohne touristische Bedeutung sind Ferienzeiten im Win-
ter Perioden mit minimalem Bedarf.

5.2.1 Nomenklatur
Die vielen unterschiedlichen Angaben zum Wasserbedarf bedingen eine Definition
der Symbole.
Je nach Fragestellung müssen ganz unterschiedliche Wassermengen bestimmt
werden. Nachfolgend sind wichtige Wassermengen definiert:
Qh = Momentanwert des Wasserverbrauchs. Der Index h steht für Stunde.
Dieser Wasserverbrauch kann als Zustand direkt gemessen werden.
Qd = Mittelwert des Wasserverbrauchs über einen Tag. Der Index d steht
für Tag. Dieser Wert kann nur als Summe über 24 h bestimmt werden.
Qd,max = Der maximale tägliche Wasserverbrauch Qd als Extremwert einer län-
geren Periode, z.B. der maximale Verbrauch, dem eine Anlage gerecht
werden muss.
Qd,m = Mittlerer Wasserverbrauch Qd während einer längeren Periode.
Qd,min = Minimaler Wasserverbrauch Qd während einer längeren Periode.
Qh,max = Maximaler momentaner Wasserverbrauch im Tagesgang, Tagesspitze.
Qh,max,max = Tagesspitze am Tag mit maximalem Verbrauch Qd,max.
Qh,max,m = Tagesspitze an einem Tag mit mittlerem Verbrauch Qd,m.
Der Wasserbedarf Q wird in m3 d-1 für ein ganzes Versorgungsgebiet angege-
ben. Zusätzlich werden spezifische Verbrauchszahlen angegeben, z.B. der mittlere
tägliche Wasserverbrauch pro Einwohner als qd,m in m3 E-1 d-1.
Für die Charakterisierung von Tages- und Jahresganglinien werden dimensi-
onslose Extremwertfaktoren fh und fd definiert, die die Extremwerte des Wasser-
bedarfes auf den Mittelwert einer relevanten Periode beziehen. Beispiele sind:
72 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Spezifischer Wasserverbrauch in Liter E-1 d-1


1000
Tendenz fallend
800 Maximaler Tag, qd,max
600
400
Mittlerer Tag, qd,m
200
0
1950 1960 1970 1980 1990 2000
Abb. 5.2. Entwicklung des Wasserverbrauchs pro Einwohner in der Schweiz. Angegeben werden
mit Einwohnern gewichtete Mittelwerte der rapportierenden Wasserversorgungen (totale Was-
serabgabe). Vom mittleren Tag kann auf den Jahresverbrauch geschlossen werden. Der maxima-
le Tag entspricht dem gewichteten Mittelwert aller Maximalwerte der einzelnen Betriebe. Diese
Extreme treten nicht im ganzen Land am selben Tag auf (Quelle SVGW). Der Wasserverbrauch
umfasst Leitungsverluste, Eigenverbrauch, Industriebedarf, etc.

Tabelle 5.1. Wasserabgabe der Wasserversorgungen in der Schweiz. Statistische Erhebungen des
Schweiz. Vereins des Gas- und Wasserfaches (SVGW)
Wasserabgabe 1985 1990 1993 1999 2004
Haushalte inkl. Kleingewerbe 54.0 % 54.9 % 58.0 % 60.7 % 61.3 %
Gewerbe und Industrie 20 % 21.3 % 19.0 % 16.9 % 17.4 %
Öffentliche Zwecke und Brunnen 7.2 % 8.8 % 6.9 % 6.6 % 6.6 %
Selbstverbrauch 2.0 % 2.1 % 2.7 % 1.9 % 2.7 %
Verluste 16.8 % 12.9 % 13.4 % 14.0 % 12.0 %
Total 100 % 100 % 100 % 100 % 100 %
6 3 -1
Total in 10 m Jahr 1144 1162 1066 1057 1029
Einwohner in Mio. 6.534 6.796 6.989 7.164 7.412

fh,max = Qh,max,m / Qd,m, ein Faktor der angibt, wie gross der tägliche maximale
Wasserverbrauch relativ zum Tagesmittelwert ist.
fd,min = Qd,min / Qd,m, ein Faktor, der die Beziehung zwischen minimalem Ta-
gesverbrauch und dem Jahresmittel des Wasserverbrauchs angibt.
In den Beispielen 5.3 und 5.5 sind solche Faktoren aus gemessenen Ganglinien
berechnet worden.

5.2.2 Wasserverbrauch
Der Tages-, Wochen- und Jahresgang des Verbrauchs von Trinkwasser beruht auf
unseren Aktivitäten. Der Verbrauch im Haushalt wird überlagert vom Verbrauch
im Kleingewerbe sowie in Gewerbe- und Industriebetrieben. Steigende Wasser-
preise führen zunehmend zu Veränderungen im Wasserverbrauch: Wassersparen-
de Installationen, Substitution von Trinkwasser mit Brauchwasser, etc.
Tabelle 5.1 gibt einen Überblick über die Wasserabgabe der Wasserversorgungen
in der Schweiz. Der grösste Teil des Wassers wird in Haushalte und ans Kleinge-
werbe (Restaurants, Bäckerei, Verkauf, …) geliefert. Insgesamt hat die Wasserab-
gabe seit 1985 trotz einer Zunahme der Bevölkerung nicht mehr zugenommen.
5.2 Trinkwasserbedarf 73

Die Entwicklung des totalen Wasserverbrauchs pro Einwohner (inkl. Industrie und
Gewerbe) ist für die Verhältnisse in der Schweiz in Abb. 5.2 dargestellt. Sowohl
der Jahresmittelwert (qd,m) als auch der maximale Tagesverbrauch qd,max haben seit
ca. 1985 eine abnehmende Tendenz. Die ansteigenden Wasserpreise, ein zuneh-
mend besseres Verständnis für die Belange der Umwelt und verbesserte techni-
sche Installationen und Haushaltgeräte unterstützen diesen Trend.
Tabelle 5.2 gibt einen Überblick über die Verwendung von Trinkwasser in den
Haushaltungen. Der mittlere Verbrauch pro Person hat seit ca. 1980 laufend abge-
nommen.

Tabelle 5.2. Aufteilung des mittleren Wasserverbrauchs im privaten Haushalt nach Verbrauchs-
arten, Mittelwerte aus Messungen in Wohnhäusern (BUWAL 1986, SVGW 2001, Statistisches
Bundesamt 2003). l P-1 d-1 = Liter pro Person pro Tag
Land Schweiz 1984 Schweiz 2001 Deutschland 2001
Aktivität l P-1 d-1 % l P-1 d-1 % l P-1 d-1 %
Toilettenspülung 59 33 48 30 41 32
Baden / Duschen 58 32 32 20 38 30
Wäsche 18 10 30 19 18 14
Bad 11 6 20 12 8 6
Küche 16 9 28 17 11 9
Putzen, Garten 18 10 4 2 11 9
Total 180 100 162 100 127 100

Beispiel 5.2. Wasserverbrauch von Haushaltgeräten


Nach dem Merkblatt W 410 des DVGW hat sich der Wasserverbrauch von Haushaltge-
räten für einen Normalspülgang wie folgt verändert:
Wasserverbrauch in Wasserverbrauch in
Herstellungsjahr
einer Waschmaschine einem Geschirrspüler
des Geräts
l/Zyklus l/Zyklus
1980 125 – 175 45 – 55
1985 100 – 125 30 – 40
1990 70 – 125 20 – 30
1992 ca. 50 20 – 22
2005 < 40 10 – 15
Für das Geschirrspülen von Hand wird ein Verbrauch von 30–40 l / Vorgang angege-
ben. Offensichtlich gehen unsere Haushaltgeräte heute bereits sorgfältiger mit dem
Wasser um als wir selbst mit Handarbeit. Das spart sowohl Wasser als auch Energie
(Heisswasser) und zunehmend auch Chemikalien, die einen grossen Teil der Umwelt-
belastung ausmachen.

Beispiel 5.3. Substitution von Trinkwasser


Welcher Teil des Trinkwasserverbrauchs im Haushalt könnte ohne Komfortverlust durch
filtriertes Regenwasser substituiert werden?
Regenwassernutzung bedingt eine Filtration, eine Speicherung und eine Desinfektion
vor Ort. Das Produkt ist ein Brauchwasser, das sehr weich, aber hygienisch nicht be-
denkenlos ist und daher nicht für alle Zwecke eingesetzt werden kann.
74 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Nach Tabelle 5.3 ergeben sich Substitutionsmöglichkeiten für ca. 50 % des Trinkwas-
sers, das in Haushaltungen verbraucht wird. Das bedingt allerdings aufwändige Installa-
tionen am Ort des Verbrauchs und eine saubere Trennung der beiden Verteilsysteme.
Der Abwasseranfall wird dadurch nicht verringert.
Wie sollen die Gebühren für die Ableitung und Reinigung des substituierten Wassers
erhoben werden? Woher kommt das Wasser wenn Regenwasser fehlt? Wer übernimmt
die Kosten der Bereitstellung von Wasserlieferungen in Notsituationen?

Tabelle 5.3: Möglichkeiten zur Substitution von Trinkwasser im Haushalt. Zahlen Schweiz
2001, s.a. Tabelle 5.2

Aktivität Trinkwasser Regenwasser


l P-1 d-1 l P-1 d-1
Toilettenspülung - 48
Baden / Duschen 32 -
Wäsche waschen - 30
Bad 20 -
Küche 28 -
Putzen, Garten - 4
Total 80 82

Tabelle 5.4. Beispiele für die Wasserabgabe (Einspeisung ins Netz) für verschiedene Städte und
Dörfer in der Schweiz. Die Auswahl gibt Ortschaften mit unterschiedlichen Aktivitäten, aber z.T.
vergleichbarer Grösse (Quelle: SVGW Statistik 2004)
-1 -1
Angeschl. Wasserabgabe in l E d
Ort Bemerkungen
Einwohner Max. Min. Mittel
Genf 438’000 601 266 407 Int. Organisationen, Tourismus
Zürich 365’000 397 268 342 Dienstleistung
Zug 45’000 414 225 316 Dienstleistung
Seeland 40’000 265 161 171 Ländlicher Verbund, geringe Verluste
Sitten 28’000 1038 308 571 Geringe Niederschläge
Aarau 18’000 599 327 467 Industrie ca. 50%
Huttwil 4000 598 151 281 Industrie ca. 25%
Flims (2003) 2700 1340 566 939 Keine Wassermessung, Winterkurort
Dachsen 1700 428 143 223 Ländlich

Der Wasserbedarf von Städten und Dörfern hängt stark von den lokalen Gegeben-
heiten ab. Tabelle 5.4 gibt Beispiele für den Wasserverbrauch pro Einwohner für
verschiedene Versorgungsgebiete. Ohne eine detaillierte Analyse des Versor-
gungsgebiets können die beobachteten Unterschiede nicht erklärt werden. Die
Analyse der historischen Entwicklung des Wasserverbrauchs, das Verständnis für
die Struktur der Siedlung und die Vorgaben der Planung der Siedlungsentwick-
lung sind die Basis für die Prognose der weiteren Entwicklung des Bedarfs. Die
Messung des Verbrauchs als Grundlage für die Erhebung der Gebühren hat eine
deutliche Reduktion des Bezugs zur Folge.
5.2 Trinkwasserbedarf 75

Wasserabgabe in 1000 m3 d-1


280
260
240 Summenkurve Ganglinie
220
200
180
160
140
120
100
Jan-JanJan-FebMrz-MrzApr-AprMai-MaiMai- Jun
Jun- Jul
Jul-91Aug
Aug-Sep
Sep-OktOkt-Nov
Nov-Dez
Dez-
91 91 91 91 91 91 91 91 91 Monat 91 199191 91

Wasserabgabe in 1000 m3 d-1


250
Ostern Pfingsten
200

150
1. Mai Auffahrt
100
März April Mai 1991
Abb. 5.3. Oben: Tägliche Wasserabgabe der Wasserversorgung der Stadt Zürich im Jahre 1991.
Deutlich sichtbar ist der Einfluss der Witterung (z.B. Bewässerung im Sommer) und der Wo-
chengang. Die Dauerkurve zeigt den verminderten Wasserverbrauch während den Wochenenden.
3 -1
Jahresmittelwert 192’000 m d . Unten: Feiertage wie Ostern, Auffahrt, Pfingsten und 1. Mai
sind deutlich im Wasserverbrauch zu identifizieren. (Daten: Wasserversorgung Zürich, Ge-
schäfts- und Untersuchungsbericht 1991)

5.2.3 Jahresgang des Wasserverbrauchs


Neben dem mittleren Wasserverbrauch sind auch der Jahresgang und der Wo-
chengang der Wasserauslieferungen von Bedeutung. Die Auswertung von Be-
triebserfahrungen ist die Grundlage für die Charakterisierung dieser Ganglinien.
In Abb. 5.3 ist der Jahresgang der Wasserauslieferungen der Wasserversorgung
der Stadt Zürich im Jahr 1991 dargestellt. Deutlich sichtbar sind der Wochengang
und die saisonale Variation mit den höchsten Auslieferungen in den warmen
Sommermonaten. Die geringste Wasserabgabe wird über Weihnachten (Ferienzeit
im Winter) beobachtet. Die Summenhäufigkeitsverteilung erlaubt, zusammen mit
dem mittleren Verbrauch, die Faktoren fd für die Charakterisierung der Extrem-
werte zu berechnen (Beispiel 5.4). Die Summenkurve zeigt auch, dass an ca. 100 d
im Jahr (Samstage und Sonntage) der Wasserverbrauch gering ist.
76 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Verhältnis fh = Qh / Qd
2.5
2 ländlich
1.5
1
0.5
0
0 6 12 18 24
2.5
2 städtisch
1.5
1
0.5
0
0 6 12 18 24
Uhrzeit
Abb. 5.4. Typischer Tagesgang des Wasserverbrauchs. Qh = Momentanwert, Qd = Tagessumme,
fh = relativer Momentanwert (SVGW, W6, 1975). Siehe auch Tabelle 5.5

Beispiel 5.4. Berechnung der täglichen Extremwertfaktoren fd,max und fd,min


Wie gross sind die Faktoren zur Berechnung der Extremwerte der täglichen Wasserab-
gabe für die Angaben in Abb. 5.3?
Der Jahresmittelwert Qd,m beträgt nach Abb. 5.3: 192’000 m3 d-1.
Die maximale Tagesabgabe beträgt (Summenkurve): 268’000 m3 d-1.
Die minimale Tagesabgabe beträgt: 138’000 m3 d-1.
Daraus ergeben sich die Faktoren fd,max = 268’000 / 192’000 = 1.40 und
fd,min = 138’000 / 192’000 = 0.72
Diese Werte variieren von Jahr zu Jahr und müssen vor der Anwendung statistisch
ausgewertet werden.

Beispiel 5.5. Interpretation der Jahresganglinie des Wasserverbrauchs


Auf welches Datum fällt Ostern 1991?
Nach Abb. 5.3 fiel der Ostersonntag auf Ende März. Sowohl Karfreitag als auch Oster-
montag sind in Zürich Feiertage, entsprechend gering ist der Wasserverbrauch während
diesen 4 Tagen. Auch der 1. Mai (Mittwoch), Auffahrt (9. Mai, Donnerstag) und 10 d
später das verlängerte Pfingstwochenende, sind deutlich zu identifizieren.

5.2.4 Tagesgang des Wasserverbrauchs


Der Tagesgang des Wasserverbrauchs ist die Grundlage für die Dimensionierung
von Wasserspeichern und die Berechnung von Momentanwerten des Wasser-
verbrauchs.
In Abb. 5.4 sind typische Tagesganglinien des Wasserverbrauchs für unterschied-
lich grosse Versorgungsgebiete dargestellt. Je kleiner die versorgte Siedlung, des-
5.2 Trinkwasserbedarf 77

to extremer variieren die Momentanwerte des Wasserverbrauchs. An Tagen mit


extremem Wasserverbrauch wird der maximale Verbrauch ev. durch die Bewässe-
rung von Gärten dominiert; der Tagesgang kann sich dadurch stark verändern.
Viele Probleme der Wasserversorgung werden basierend auf Tagesganglinien
bearbeitet. Tabelle 5.5 gibt einige Beispiele von Tagesganglinien in Zahlen.

Tabelle 5.5. Tagesganglinie des Wasserverbrauchs in ländlichen, kleinstädtischen und städti-


schen Verhältnissen in der Schweiz (SVGW W6 1975, Grombach et al. 1985). Angaben in Pro-
zent des Tagesbedarfs (ohne Dauerverluste)
Uhrzeit Deutschland Schweiz
Uhrzeit Dorf Kleinstadt Stadt Dorf Kleinstadt Stadt
00 – 01 0.8 2.0 2.0 1.2 1.2 3.2
01 – 02 0.8 1.0 1.0 0.4 1.0 2.8
02 – 03 0.0 0.5 0.5 0.4 1.0 2.5
03 – 04 0.0 0.5 0.5 0.4 1.0 2.0
04 – 05 0.0 0.5 0.5 0.6 1.8 1.9
05 – 06 13.3 2.0 2.0 1.6 2.5 1.9
06 – 07 12.0 3.0 3.0 3.7 4.5 2.4
07 – 08 4.8 3.0 3.0 5.8 4.8 2.7
08 – 09 1.6 4.0 4.0 6.0 4.6 4.0
09 – 10 4.3 4.0 4.0 5.8 4.5 5.3
10 – 11 1.6 6.0 6.0 6.6 6.8 6.0
11 – 12 7.0 8.0 8.0 8.1 7.0 6.2
12 – 13 15.1 10.5 10.5 4.2 5.8 6.1
13 – 14 5.5 9.0 9.0 5.8 5.5 5.7
14 – 15 0.3 8.0 8.0 5.8 5.2 5.5
15 – 16 1.4 4.0 4.0 6.0 5.2 5.8
16 – 17 1.6 3.0 3.0 6.3 6.4 5.8
17 – 18 1.6 3.0 3.0 8.7 7.2 5.8
18 – 19 4.6 7.0 7.0 6.7 6.8 5.0
19 – 20 6.3 7.5 7.5 5.8 5.8 4.7
20 – 21 11.1 4.5 4.5 4.1 4.4 4.2
21 – 22 6.3 4.0 4.0 2.5 3.5 3.6
22 – 23 0.0 3.0 3.0 1.9 2.0 3.6
23 – 24 0.0 2.0 2.0 1.6 1.5 3.3
Total 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0%

Beispiel 5.6. Tagesganglinien und Extremwertfaktoren.


Wie gross sind die Extremwertfaktoren fh,min und fh,max für die Ganglinien in Tabelle 5.5?
fh,min = minimaler Tabellenwert ˜ 24 / 100
fh,max = maximaler Tabellenwert ˜ 24 / 100
Deutschland Schweiz
Dorf Kleinstadt Stadt Dorf Kleinstadt Stadt
fh,min 0.0 0.12 0.36 0.10 0.24 0.46
fh,max 3.62 2.52 1.49 2.09 1.73 1.49
Wie verändern sich diese Werte, wenn ein Dauerverlust aus dem Netz, mit zunehmen-
der Grösse des Netzes von fV = 20, 15 oder 10% berücksichtigt wird?
78 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

fh  fV
Die korrigierten Werte ergeben sich aus fh,corr
1  fV
Deutschland Schweiz
Dorf Kleinstadt Stadt Dorf Kleinstadt Stadt
Verlust 20% 15% 10% 20% 15% 10%
fh,min 0.17 0.24 0.42 0.25 0.34 0.51
fh,max 3.18 2.32 1.45 1.91 1.63 1.45
Diese Werte sind in der Grössenordnung der Angaben in Tabelle 5.6.

5.2.5 Prognosen des Wasserbedarfs


Für die Prognose des Wasserbedarfs ist die Bestimmung des Mittelwerts des
Verbrauchs Qd,m, der Verluste QV und der Extremwertfaktoren fd und fh erforder-
lich.
Der massgebende, momentane Wasserfluss Qh kann je nach Fragestellung berech-
net werden aus:
Qh Qd,m ˜ f d ˜ f h  Q V (5.1)
Qh = Wasserfluss (-bedarf), der berechnet werden soll >L3 T-1@
Qd,m = Mittlerer Wasserverbrauch, z.B. Jahresmittelwert >L3 T-1@
QV = Dauerverluste, die nicht in Qd,m enthalten sind
fd = dimensionsloser Faktor, der die mittlere Wassermenge auf den Tages-
anfall korrigiert, der von Interesse ist (Tagesfaktor).
fh = dimensionsloser Faktor, der allenfalls den aktuellen Tagesmittelwert
auf den momentanen Wasserfluss im Tagesgang korrigiert (Momen-
tanwertfaktor).
Die Faktoren fd und fh werden je nach Fragestellung erhoben. Bei der Anwen-
dung von Gl. (5.1) gehen wir meist davon aus, dass die relative Tagesganglinie
(Momentanwert / Tagesmittelwert) unabhängig vom Tagesverbrauch ist. Da die
Extreme des Wasserverbrauchs durch zusätzliche Aktivitäten, wie z.B. Bewässe-
rung, abendliches Duschen etc., zu Stande kommen, ist diese Annahme nur ange-
nähert richtig.
In Abb. 5.5 sind Beispiele von Spitzenfaktoren dargestellt, wie sie in Deutsch-
land für die Bemessung von Anlagen verwendet werden. Deutlich ist die Abnah-
me der Spitzenwerte mit zunehmender Grösse des Versorgungsgebiets zu sehen.
Tabelle 5.6 gibt Richtwerte für Extremwertfaktoren.
Der Tagesgang der Wasserauslieferung wird zusätzlich zum Verbrauch auch
durch konstante Dauerverluste (insbesondere als Folge von undichten Leitungen)
geprägt. Grosse Dauerverluste dämpfen den Tages- und den Jahresgang und füh-
ren zu geringeren Variationen der fh und fd Werte, dafür zu grösseren Qd,m Werten
(s.a. Beispiel 5.6). Bei der Bestimmung von fh und fd aus Betriebszahlen muss da-
her auch festgestellt werden, wie mit den Verlusten umgegangen wurde. Die Wer-
te in Beispiel 5.4 schliessen die Verluste von ca. 10% mit ein, der effektive Kon-
sum unterliegt grösseren relativen Variationen.
5.2 Trinkwasserbedarf 79

Spitzenfaktoren fd,max, fh,max


6
5 fd,max ˜ fh,max
4
3
fd,max
2
1
0
1000 10000 100000 1000000
Belieferte Einwohner
Abb. 5.5. Spitzenfaktoren für die Bereitstellung von Trinkwasser in Abhängigkeit von der An-
zahl Einwohner im Versorgungsgebiet. Ab 20’000 Einwohner ist der Industriebedarf enthalten.
(gezeichnet nach DVGW, Merkblatt W410, Januar 1995). Die obere Kurve stellt das Produkt
fd,max ˜ fh,max dar

Tabelle 5.6: Extremwertfaktoren für die Abschätzung des minimalen und des maximalen Was-
serverbrauchs im Tagesgang und pro Tag (Gl.(5.1)). Diese Werte schliessen nur geringe Verluste
ein.
Charakter des Tagesgang Jahresgang
Versorgungsgebietes fh,min fh,max fd,min fd,max
Landgemeinde 0.0 – 0.1 2.0 – 3.0 0.5 – 0.7 1.7 – 2.0
Kleinstadt 0.1 – 0.3 1.6 – 2.0 0.5 – 0.7 1.6 – 1.8
Grossstadt mit Industrie 0.3 – 0.5 1.4 – 1.7 0.6 – 0.7 1.3 – 1.6

Beispiel 5.7. Extremer Wasserverbrauch in einer Landgemeinde


Eine Landgemeinde mit E = 2000 Einwohnern liefert im Jahresmittel qd,m = 0.25 m3 E-1
d-1 Trinkwasser aus. Darin eingeschlossen sind 20% (!) Verluste im Netz.
Wieviel Wasser muss sie im Maximum, im Mittel und im Minimum pro Tag bereitstellen?
Der Konsum macht im Mittel qd,m,K = 0.20 m3 E-1 d-1 aus, Die Verluste bleiben konstant
und machen qV = 0.05 m3 E-1 d-1 aus.
Qd,max = (qd,m,K ˜ fd,max + qV) · E = (0.20 · 1.9 + 0.05) · 2000 = 860 m3d-1
Qd,mittel = (qd,m,K ˜ 1.0 + qV) · E = (0.20 · 1.0 + 0.05) · 2000 = 500 m3d-1
Qd,min = (qd,m,K ˜ fd,min + qV) · E = (0.20 · 0.6 + 0.05) · 2000 = 340 m3d-1
Wie gross sind der maximale und der minimale Durchfluss in der Hauptleitung?
Qh,max,max = (qd,m,K · fd,max · fh,max + qV) · E = (0.20·1.9·2.5 + 0.05)·2000 =2000 m3d-1
Qh,mittel = (qd,m,K · 1.0 · 1.0 + qV) · E = (0.20·1.0·1.0 + 0.05)·2000 = 500 m3d-1
Qh,min,min = (qd,m,K · fd,min · fh,min + qV) · E = (0.20·0.6·0.1 + 0.05)·2000 = 124 m3d-1
Die Extremwerte der erforderlichen Wasserbeschaffung und der Transportkapazität
unterscheiden sich stark. Allenfalls müsste noch ein Wasserbedarf der Feuerwehr be-
rücksichtigt werden, z.B. 4 Strahlrohre, 2 h: Qd,FW = 150 m3 d-1 und Qh,FW = 0.02 m3 s-1
oder 1700 m3 d-1. In kleinen Gemeinden dominiert der Wasserbedarf der Feuerwehr in
der Abschätzung der erforderlichen Transportkapazität. Da der extreme Wasserbedarf
80 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

nur sehr selten mit einem Brand zusammentrifft, würde hier z.B. der maximale Bedarf
an einem mittleren Tag mit dem Bedarf der Feuerwehr kombiniert:
QDim,FW = Qh,max,m + QFW = (qd,m,k · 1 · fh,max + qV) · E + Qh,FW = 1100 + 1700 = 2800 m3 d1

Beispiel 5.8. Jahresgang des Wasserverbrauchs.


Nach Tabelle 5.2 werden ca. 5% des Trinkwassers, das in die Haushaltungen verkauft
wird, für die Bewässerung von Gärten eingesetzt. Wie gross ist die Produktions- und
Transportkapazität für Trinkwasser, die für die Gärten bereitgehalten werden muss?
Wasser für die Bewässerung wird zusätzlich zum normalen Verbrauch eingesetzt, zu
einem Zeitpunkt, an dem der Wasserbedarf schon extrem hoch ist, z.B. durch häufiges
Duschen bei heissem Wetter etc.
Annahmen: Gärten werden während ca. 30 Tagen im Jahr intensiv bewässert.
Die Bewässerung findet abends während ca. 4 h statt.
Aus diesen Annahmen ergibt sich ein Wert für:
fd = 365 d a-1 / 30 d a-1 = 12 und fh = 24 h d-1 / 4 h-1 = 6.
Bezogen auf den mittleren Wasserverbrauch Qd,m muss für die Bewässerung von Gär-
ten in einer Wohngemeinde eine zusätzliche Transportkapazität von
Qh,Bewässerung = 0.05 ˜ Qd,m ˜ fd ˜ fh = 3.6 ˜ Qd,m
bereitgestellt werden. Die zusätzliche Wassermenge, die an einem Bewässerungstag
verkauft wird, beträgt
Qd,Bewässerung = 0.05 ˜ Qd,m ˜ fd = 0.6 ˜ Qd,m.
Zu diesen Wassermengen muss noch der zusätzliche Bedarf an heissen Tagen in den
Haushaltungen addiert werden. Offensichtlich muss je nach lokaler Situation die Be-
wässerung von Gärten unter extremen Bedingungen verboten werden. Mit Regenwas-
serspeichern kann das Problem für den „Gärtner“ verringert werden.

Der Wasserbedarf, der für die Dimensionierung der verschiedenen Elemente einer
Wasserversorgung verwendet wird, wird häufig mit grossen Reserven gewählt.
Der mögliche Schaden beim Versagen der Versorgung kann sehr gross sein, ins-
besondere wenn z.B. durch ungenügenden Druck verschmutztes Wasser in die
Leitungen zurückgesaugt wird und daraus hygienische Probleme entstehen. Ein
grosser prognostizierter Wasserbedarf verursacht aber grosse Bereitstellungs-
kosten, die die Verbraucher je länger je mehr nicht mehr zu übernehmen gewillt
sind. Zu gross geplante Anlagen verursachen zudem Problem mit stagnierendem
Wasser und werden in Zukunft sicher Grund für Diskussionen in öffentlichen und
politischen Gremien sein.
Es ist sinnvoll, eine Wasserversorgung so zu planen, dass sie laufend den Be-
dürfnissen angepasst werden kann. Leider ist das bei den z.T. sehr langen Lebens-
erwartungen von Verteilleitungen und Speichern nur sehr schwer zu erreichen.
Wir müssen in Zukunft mehr Aufwand treiben um die Entwicklung des Bedarfs zu
verfolgen und rechtzeitig Erweiterungen zu planen und zu realisieren. Dabei müs-
sen wir beachten, dass die Realisierung von zusätzlichen Wasseraufbe-
reitungsanlagen, Grundwasserbrunnen etc. oft mehrere Jahre benötigt.
Die Wasserversorgung muss eine grosse Verfügbarkeit ihrer Leistung gewähr-
leisten: Sie soll ihrer Aufgabe ‚immer’ gerecht werden, d.h. der Dimensio-
nierungsbedarf stellt ein extremes Ereignis dar, das im Verlauf der nächsten Jahre
5.2 Trinkwasserbedarf 81

sicher weniger als 1 Mal im Jahr auftritt. Diese Situation soll aber nicht dazu füh-
ren, dass Trinkwasser in beliebiger Menge jederzeit zur Verfügung steht. Eine
verantwortungsvolle Wasserversorgung wird versuchen, ihre Bezüger aufzuklären
und dafür zu sorgen, dass diese mit dem Trinkwasser haushälterisch umgehen.
Das ist eines der expliziten Ziele des schweizerischen Gewässerschutzes (Art. 1
Abs. b, Tabelle 1.1, Seite 15) und hat den Vorteil, dass bestehende Installationen
länger genügen und günstiger erweitert werden können.

Tabelle 5.7. Parameter zur Berechnung des spezifischen Wasserverbrauchs in unterschiedlichen


Planungszonen. Annahme Wasserverbrauch im Haushalt qm = 0.2 m3 E-1 d-1 (ein Planungswert).
Mittlerer Ver- Momentan-
Tageswertfaktor
brauch wertfaktor
Charakteristika der zu versorgenden Zone
qd,m
fd,max fd,min fh,max fh,min
m3 ha-1 d-1
Wohngebiet mit mehrgeschossigen Häu-
sern, inkl. Kleingewerbe (Vollbebauung 25 2.0 0.6 1.9 0.5
mit 80–100 E ha-1)
Wohngebiet mit Ein- und Mehrfamilien-
häusern mit Gärten (Vollbebauung mit 12 2.5 0.5 2.4 0.4
30–50 E ha-1)
City-Gebiet 100 1.6 0.8 1.8 0.4
Industrie und Grossgewerbe 50 1.6 0.8 2.0 0.5
Spitäler, Hotels, Hochschulen,… 100 2.0 0.6 1.9 0.6
Grünzonen (Park- und Sportanlagen,
4 10 0.0 3.3 0.0
Friedhof, Familiengärten)

5.2.6 Planungswerte für einzelne Versorgungsgebiete


Für die Planung von Verteilanlagen muss für einzelne Versorgungsgebiete eine
Prognose für den zukünftigen Wasserbedarf erstellt werden. Diese Prognose ori-
entiert sich mit Vorteil an den geplanten Bauzonen und einem entsprechenden
spezifischen Bedarf.
Hauptleitungen für den Transport von Trinkwasser haben eine Lebenserwartung
von 70–100 Jahren. Als Grundlage für die Festlegung von Dimensionierungs-
wassermengen dienen daher z.B. Abschätzungen des Wasserverbrauchs für ein
fast vollständig überbautes Versorgungsgebiet. In Tabelle 5.7 sind Planungswerte
für unterschiedliche Zonen zusammengestellt. Diese Werte beziehen sich auf voll-
ständig überbaute Versorgungsgebiete; Beispiel 5.9 zeigt, wie diese angewendet
werden können.
Die Unsicherheiten bei der Bestimmung des Wasserbedarfs einzelner Versor-
gungsgebiete sind viel grösser als für die Versorgung von ganzen Siedlungen. Die
Zunahme der Überbauungsdichte, der Einfluss eines einzelnen Industriebetriebs,
die Änderung der Art der Nutzung etc. können über die Dauer der Lebenserwar-
tung der Hauptleitungen die Situation stark verändern (Beispiel 5.10). Der
Verbrauch von Trinkwasser hat in den letzten 30 Jahren dauernd abgenommen
(Wasserpreise, Regenwassernutzung, ökologisches Bewusstsein der Bevölkerung).
82 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Die Planungswerte in Tabelle 5.7 berücksichtigen das. Solche Werte sollen aber
Reserven beinhalten die unsere Unsicherheit über die Entwicklung abdecken.

Beispiel 5.9. Planungswert für den Wasserverbrauch in einem Versorgungsgebiet


Ein Versorgungsgebiet umfasst 60 ha Wohngebiet mit mehrgeschossigen Häusern (100
E ha-1 bei Vollausbau), 6 ha Grünzone und 20 ha Industriegebiet. Wie gross ist der ma-
ximale stündliche Wasserbedarf in Zukunft, wenn die Bauzonen zu 80% ausgebaut
sind?
Basierend auf Tabelle 5.7 ergibt sich:
Fläche Überbauung qd,m fd,max fh,max Qd,mittel Qh,max,max
ha Anteil m3 ha-1d-1 - - m3 d-1 m3 d-1
Wohngebiet 60 0.8 25 2.0 1.9 1200 4560
Industrie 20 0.8 50 1.6 2.0 800 2560
Grünzone 6 - 4 10 3.3 24 792
Total 86 0.8 - 1.9* 2.0* 2024 7912
* Qd,max,total / Qd,mittel,total und Qh,max,total / Qd,max.total
Solche Werte können z.B. für die Planung der Transportleitungen zur Anwendung
kommen. Für die Planung von Produktionsanlagen sind sie ungeeignet, weil die Unsi-
cherheiten, die in einem kleineren Versorgungsgebiet vorhanden sind, nicht auf ein
grosses System übertragen werden sollen. Die Analyse des historischen Verbrauchs
und detailliertere Überlegungen zur weiteren Entwicklung sind hier eher angebracht.
Produktionsanlagen können dem Bedarf durch Vergrösserung wirtschaftlich angepasst
werden, während die Vergrösserung der Transportkapazität grosse Kosten verursacht.
Daher würde man hier vermutlich von einer vollständigen Überbauung ausgehen.

Beispiel 5.10. Langfristige Veränderung des Wasserverbrauchs


In der Regel müssen heute die Gebühren der Wasserversorgung die Kosten vollum-
fänglich decken, während früher die Systeme oft mit Steuergeldern aufgebaut wurden.
Als Folge ergeben sich steigende Wasserpreise. Wir gehen heute davon aus, dass in
Zukunft der Wasserverbrauch noch weiter abnehmen wird. Wie gross ist der Wasser-
verbrauch in 80 Jahren (nach Ablauf der wirtschaftlichen Lebenserwartung einer heute
neu gebauten Transportleitung) im Vergleich zu heute?
Annahmen: Pro Jahr wird zusätzlich 1% Wasser eingespart.
Das Versorgungsgebiet ist schon heute voll ausgebaut.
Der verbleibende Wasserverbrauch beträgt Q(80a) / Q(heute) = 0.9980 = 0.45.
Das ist ein durchaus realistisches Szenario (s.a. Beispiel 5.3), das zeigt, dass langfristi-
ge Prognosen immer mit grossen Unsicherheiten behaftet sind.

5.3 Löschwasser
Häufig muss die Wasserversorgung auch das Löschwasser für die Feuerwehr zur
Verfügung stellen. Der entsprechende Bedarf wird in Abschn. 10.4.1, Seite 156
diskutiert.
5.4 Abwasseranfall 83

Niederschlagswasser Haushalt und Niederschlagswasser Schmutzwasser


15% Kleingewerbe 29% aus Haushalt,
25% Gewerbe und
Industrie
50%

Fremdwasser Industrielle Fremdwasser


40% Abwässer 20% 21%

Schweiz 1986 Deutschland 2001


total 2.4 Mia m3 a-1 total 10.5 Mia. m3 a-1
Abb. 5.6. Links: Herkunft des Abwassers im Zulauf zu den Kläranlagen in der Schweiz, 1986
(Statistisches Jahrbuch der Schweiz 1989). Rechts: Gleiche Angaben für Deutschland 2001 (Sta-
tistisches Bundesamt 2003)

5.4 Abwasseranfall
Der Abwasseranfall setzt sich zusammen aus dem verschmutzten Abwasser aus
Haushaltungen, Gewerbe und Industrie, unbelastetem Fremdwasser und Regen-
wasser. Das Regenwasser stellt während intensiven Regen bei weitem den gröss-
ten Anteil. Hier wird nur das Abwasser besprochen, das bei Trockenwetter anfällt.
Es ist einem regelmässigen Tages-, Wochen- und Jahresgang unterworfen.

5.4.1 Herkunft des Abwassers


Abwasser heisst das Wasser, das aus den Siedlungen abgeleitet werden muss. Das
ausgelieferte Trinkwasser wird zu einem wichtigen Anteil des Abwassers, trotzdem
erlaubt nur eine detaillierte Betrachtung, den Anfall des Abwassers zu berechnen.
Abwasser setzt sich aus dem verbrauchten und verschmutzten Trinkwasser aus
Haushaltungen, Industrie und Gewerbe, aus Brauchwasser, das durch den
Verbraucher selber produziert wird, aus Fremdwasser (Definition nachfolgend)
und aus abzuleitendem Niederschlags- oder Regenwasser zusammen (Abb. 5.6).
Das Regenwasser fällt nur während einem Bruchteil der Zeit an. Es hat für die
Dimensionierung der entsprechenden Kanalisationen aber eine grosse quantitative
Bedeutung. Die Berechnung des Anfalls wird später (Abschn. 13.5, Seite 219)
ausführlich diskutiert.
Als Fremdwasser bezeichnen wir Abwasser, das stetig fliesst, aber mit
Schmutzstoffen nicht belastet ist: Bachwasser, Drainagewasser, laufende Brunnen,
Kühlwasser, überlaufende Quellwasserspeicher, … Fremdwasser stellt eine uner-
wünschte Belastung der Abwasserreinigungsanlagen dar. Heute versuchen wir,
das Fremdwasser nicht über die Kanalisation abzuleiten, sondern lokal in den Un-
tergrund zu versickern oder direkt einer Vorflut zuzuleiten. 1986 waren in der
Schweiz noch ca. 40% des abgeleiteten Abwassers Fremdwasser (Abb. 5.6). Heute
sind die Verhältnisse in Deutschland auch auf die Schweiz übertragbar, weil zu-
84 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Q/QT,h,max

QARA
2
Reserve für
Regenwasser QRW QT,h,max
1 QT

Schmutzwasser, QS

Fremdwasser, QF
0
0 4 8 12 16 20 24
Uhrzeit
Abb. 5.7. Tagesgang der Wassermengen im Zulauf einer Abwasserreinigungsanlage. Aufgezeigt
sind das stetig fliessende Fremdwasser, das zusätzlich fliessende verschmutzte Abwasser und die
Reservekapazität der Kläranlage für Regenwasser sowie die Dimensionierungswassermenge der
Abwasserreinigungsanlage

nehmend Fremdwasser abgetrennt wurde und immer mehr Niederschlagswasser


bis auf die Kläranlage geleitet wird. Zudem nimmt quantitativ das Schmutzwasser
ab.
Wird in einer Kanalisation Fremdwasser, verschmutztes Abwasser aus Haus-
halt, Gewerbe und Industrie und Regenwasser gemeinsam abgeleitet, so sprechen
wir von Mischwasser (s.a. Abschn. 14.3, Seite 228). Für Kläranlagen entspricht
die Mischwassermenge, die während Regenereignissen im Maximum gereinigt
werden soll, der Dimensionierungswassermenge QARA. Fällt mehr Mischwasser
an, so wird dieses über Regenüberlaufbecken und Regenentlastungen der Vorflut
zugeleitet.
In der Schweiz werden ca. 1 ˜ 109 m3 Trinkwasser pro Jahr ausgeliefert; dieses
macht ca. 40% des Abwassers aus. Nach den Angaben in Abb. 5.6 müssen also ca.
2.5 ˜ 109 m3 Abwasser pro Jahr aus den Siedlungen abgeleitet werden. Bei 7 Mio.
Einwohnern entspricht das durchschnittlich 0.8–1.0 m3 Abwasser pro Einwohner
pro Tag. Verteilt über die ganze Schweiz entspricht diese Wassermenge einer
Wassertiefe von 60 mm a-1 und einem Volumen von 2–2.5 km3a-1.

5.4.2 Nomenklatur
Abwasser setzt sich aus verschiedenen Fraktionen zusammen, die alle sowohl ei-
nem Jahresgang als auch einem Tagesgang unterworfen sind. Entsprechend müs-
sen viele unterschiedliche Grössen definiert werden.
In Abb. 5.7 ist der Tagesgang von einigen Fraktionen des Abwassers dargestellt
und die einzelnen Abwassermengen sind unten definiert. Hier wird für das Trink-
wasser und das Abwasser eine analoge Nomenklatur gewählt. Die Nomenklatur
für das Abwasser ist nicht diejenige der Praxis. In der Praxis werden je nach Land
historisch unterschiedlich definierte Grössen verwendet; diese werden teilweise im
Rahmen von Beispielen erläutert.
5.4 Abwasseranfall 85

Q?,h = Momentanwert des Abwasseranfalles. Der Index h steht für Stunde. ?


bezeichnet die Fraktion des Abwassers. Dieser Abwasseranfall ist ein
Zustand, oder Momentanwert, und kann z.T. direkt gemessen werden.
Q?,d = Mittelwert des Abwasseranfalls über einen Tag. Der Index d steht für
Tag. ? bezeichnet die Fraktion des Abwassers. Der Wert kann nur als
Summe über 24 h gemessen werden.
QS = Der Schmutzwasseranfall aus Haushaltungen, Gewerbe und Industrie.
Es gilt QS = QH + QI
QH = Verschmutztes Abwasser aus Haushaltungen und Kleingewerbe
QI = Verschmutztes Abwasser aus Industrie und Gewerbe
QF = Fremdwasser
QT = Abwasser bei Trockenwetter. Es gilt QT=QF+QS
QR = Niederschlags- oder Regenwasser
QM = Mischwasser. Es gilt QM=QT+QR
QARA= Dimensionierungswassermenge der Abwasserreinigungsanlage. Ma-
ximale Wassermenge, die durch die Anlage geleitet werden kann.
Analog zur Situation beim Trinkwasser werden auch hier Extremwertfaktoren
definiert, die erlauben, von Jahresmittelwerten (Durchschnittswerten) auf Dimen-
sionierungstage und Tagesganglinien umzurechnen. In der Abwasserreinigung
werden nicht Minimal- und Maximalwerte verwendet, sondern es werden Häufig-
keiten angegeben, mit denen die entsprechenden Werte über- oder unterschritten
werden, z.B. gibt ein 85% Wert an, dass 85 % der entsprechenden Einzelwerte
geringer sind als der angegebene Wert. Es bedeuten:
fS,h,max = QS,h,max / QS,d,m, ein Faktor der angibt, wie gross der tägliche maximale
Schmutzwasseranfall relativ zum Jahresmittelwert dieses Anfalls ist.
fS,d,15%= QS,d,15% / QS,d,m, ein Faktor, der die Beziehung zwischen minimalem
täglichem Schmutzwasseranfall (15% Wert, ca. 1 Tag pro Woche) und
dem Jahresmittelwert des Schmutzwasseranfalls angibt.
Das Arbeitsblatt ATV-DVWK A198 (2003) macht Angaben zur Abschätzung
der Extremwertfaktoren für den Schmutzwasseranfall. Als Grundlage für die Di-
mensionierung von Kanalisationen und Kläranlagen bei Trockenwetter dient die
folgende Beziehung:
QT,h,max,max QS,d,m ˜ fS,h,max ˜ fS,d,max  Q F,m (5.1)
Das Produkt fS,h,max·fS,d,max ist in Abb. 5.8 dargestellt. QF,m entspricht dem mitt-
leren Fremdwasseranfall.

Beispiel 5.11. Tagesgang des Abwassers in der Praxis: Stundenansatz


In der Praxis wird der Tagesgang häufig charakterisiert, indem der tägliche Abwasser-
anfall statt auf 24 h rechnerisch z.B. auf 14 h verteilt wird. Es resultiert:
Q14 = QT,d,85% ˜ 24 / x . Q14 entspricht dann dem Wert QT,h,max,85%
Der gewählte Stundenansatz x (hier 14 h) ist abhängig von der Grösse des Einzugsge-
biets einer Abwasserreinigungsanlage. Typische Werte für den maximalen und den
minimalen Abwasseranfall im Tagesgang sind in Tabelle 5.8 zusammengestellt.
86 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

fS,h,max ˜ fS,d,max
3

Qh,max während 1 Stunde


2.5
Q S,h,max,max
fS,h,max ˜ fS,d,max
Q S,d,m
2

1.5
Qh,max während 2 Stunden

1
ländlich Mittelstädte Grossstädte
< 5000 E 5000 – 20'000 – > 100'000 E
20'000 E 100'000 E
Abb. 5.8: Extremwertfaktoren für kommunales Abwasser: Verhältnis des maximalen Schmutz-
wasseranfalls während 1 oder 2 Stunden (85% Wert) zum Jahresmittelwerts des Schmutzwasser-
anfalls während 24 Stunden (je ohne Fremdwasser). Abgeleitet aus ATV-DVWK A 198 (2003)

Leider wird in den praktischen Angaben häufig keine klare Unterscheidung zwischen
Schmutzwasser und Trockenwetteranfall gemacht. Je grösser aber der Fremdwasser-
anteil am Abwasser ist, desto geringer sind die Variationen des Abwasseranfalls (s.a.
Beispiel 5.12).
Es gilt fT,h,max oder fT,h,min = 24 / x.

Beispiel 5.12. Tagesgang und Fremdwasser


Wie gross ist die erwartete Variation der Abwassermenge im typischen Tagesgang in
einer Stadt mit E = 20’000 Einwohnern wenn der Fremdwasseranteil IF = 20% und der
mittlere Wasserverbrauch pro Einwohner qd,m = 0.30 m3 E-1 d-1 beträgt?
Die Variation des Wasserverbrauchs kann Tabelle 5.6 entnommen werden.
Wasserbedarf: Qd,m = qd,m ˜ E = 20’000 E ˜ 0.30 m-3 E-1 d-1 = 6000 m3d-1
Tagesgang des Wasserverbrauchs nach Tabelle 5.6: fh,max = 1.8, fh,min = 0.2 (Kleinstadt)
Qh,max,m = 1.8 ˜ 6000 = 10’800 m3 d-1
Qh,min,m = 0.2 ˜ 6000 = 1200 m3 d-1
Es gilt ungefähr: QT,d,m = Qd,m + QF mit QF = IF ˜ QT,d,m
QF = Qd,m ˜ IF / (1 - IF) = 6000 ˜ 0.2 / 0.8 = 1500 m3 d-1
Damit variiert der Abwasseranfall zwischen (Momentanwerte QTW,h):
minimal: QT,h,min = 1500 + 1200 = 2700 m3 d-1
mittel: QT,d,m = 1500 + 6000 = 7500 m3 d-1
maximal: QT,h,max = 1500 + 10’800 = 12’300 m3 d-1
Damit werden für das Abwasser die Extremwertfaktoren fT,h,min = 2700 / 7500 = 0.36 und
fT,h,max = 12’300 / 7500 = 1.64.
Das Fremdwasser hat also zur Folge, dass die relative Variation des Abwasseranfalls
bei Trockenwetter im Vergleich zum Wasserverbrauch gedämpft wird.
5.4 Abwasseranfall 87

Beispiel 5.13. Extremwertfaktoren und Stundenansatz


Welcher Stundenansatz x (Beispiel 5.11) entspricht dem Tagesgang des Trockenwet-
teranfalls QT in Beispiel 5.12?
Es gilt fT = 24 / x:
xmin = 24 / fT,h,min = 24 / 0.36 = 67 h
xmax = 24 / fT,h,max = 24 / 1.64 = 15 h
Diese beiden Werte liegen angenähert im Bereich, der auch in Tabelle 5.8 genannt wird.
Die Erfahrungswerte beinhalten also bereits einen Anteil Fremdwasser, das zeigt insbe-
sondere der Unterschied bei xT,min.

Tabelle 5.8: Stundenansatz x zur Charakterisierung des Tagesganges der Abwassermenge (Qx,
z.B. Q14 = Q24 · 24/14)). S.a. Beispiel 5.11
Einzugsgebiet Maximalwert im Tagesgang Minimalwert im Tagesgang
x in h x in h
Ländlich 12 48
Dorf 14 45
Kleinstadt 16 40
Grossstadt 18 – 20 36

5.4.3 Betriebserfahrungen
In den westlichen Industriestaaten bestehen heute für den grössten Teil des Ab-
wassers Abwasserreinigungsanlagen deren Zufluss regelmässig gemessen wird.
Dies erlaubt, die Betriebserfahrungen auszuwerten.
Die Wassermenge kann mehr als 50% der Investitionskosten einer Kläranlage
bestimmen. Eine sorgfältige Erhebung auf der Basis von genau geeichten Mes-
sungen ist deshalb vor einem geplanten Ausbau immer zu empfehlen. Dies schützt
vor Überraschungen mit überdurchschnittlich grossem Fremdwasseranfall, wie
dies in vielen ländlichen, kleinen Verhältnissen oft vorkommt (und z.B. bei der
Einweihung von Kläranlagen schon viele enttäuschte Gesichter verursacht hat,
weil ein ganzer Bach unberücksichtigt geblieben ist).
VORSICHT: Die Messung von Abwassermengen ist nicht trivial. Die meisten
Messstationen sind nur ungenügend geeicht, sodass systematische Fehler in den
Messreihen vorhanden sind. Abweichungen von über 20% vom Effektivwert sind
keine Seltenheit, insbesondere weil für den Betrieb einer Kläranlage nur eine rela-
tive Genauigkeit erforderlich ist. Bevor eine solche Messreihe aus dem Betrieb
ausgewertet wird, sollten die Messgeräte neu geeicht werden und die alten Zahlen
sind allenfalls an die neue Eichung anzupassen. Dem Ausbau von Kläranlagen
liegen absolute Zahlen zu Grunde. Ist der angenommene Durchfluss grösser als
der effektive, so wird der Ausbau unwirtschaftlich, umgekehrt genügt die neue
Anlage den gesteckten Zielen nicht. Messabweichungen beim Durchfluss gehen
direkt in die Berechnung von Schmutzstofffrachten mit Hilfe von gemessenen
Konzentrationen ein. Frachten sind wiederum die Grundlage zur Berechnung von
Beckengrössen und Schlammanfall.
88 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

Abwasseranfall Qd in m3 d-1 Niederschlag in mm d-1


0
20
40
60
150000 80
100

100000

50000

0
Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

Abb. 5.9. Jahresgang des Zuflusses (unten) und des Niederschlags (oben) auf einer grösseren
Kläranlage in der Schweiz (Dietikon 1994, Betriebsüberwachung). Eingezeichnet ist auch eine
Summenkurve des Abwasseranfalls

In Abb. 5.9 ist der Jahresgang der in einer grösseren Abwasserreinigungs-


anlage täglich gemessenen Abwassermenge (Mischwasser) dargestellt. Der Ein-
fluss des Niederschlags ist insbesondere im nassen Monat Mai deutlich sichtbar.
Offenbar verbleibt ein erhöhter Basisabfluss (Fremdwasser) über längere Zeit be-
stehen. Für solche Beobachtungen sollte die Ursache gesucht und behoben wer-
den. Ev. dringt hier übermässig viel Drainagewasser in die Kanalisation ein oder
es wird ein kleiner Bach über die Kanalisation abgeleitet. Beides vermindert und
verteuert die Leistung der Abwasserreinigungsanlage.
In Abb. 5.10 und 5.11 sind die Summenhäufigkeiten des Abwasserzuflusses
und des Niederschlags (Tagessumme) aufgetragen. Da kleine Niederschläge (< 2–
5 mm) kaum zu einem zusätzlichen Abfluss führen, wird unter den Klimabedin-
gungen der Schweiz häufig angenommen, dass z.B. der 80% Wert des Abwasser-
zuflusses (Qd,80%) mit dem maximalen Abwasseranfall bei Trockenwetter überein-
stimmt. Auf dieser Wassermenge basiert dann die Dimensionierungswassermenge
der Kläranlage.

Beispiel 5.14. Abschätzung der Fremdwassermenge


Fremdwasser ist unbelastetes Abwasser, das in der Kanalisation stetig fliesst. Die
Fremdwassermenge in einer bestimmten Kanalisation kann z.B. in der Nacht vom
Sonntag auf den Montag, mindestens ein, besser 3 d nach dem letzten Niederschlag als
minimaler Abfluss abgeschätzt werden. Zu dieser Zeit ist der Trinkwasserverbrauch
minimal.
Eine genauere Berechnung bedingt z.B., dass die Trinkwasserauslieferung gleichzeitig
gemessen wird. Dabei sind allerdings die Verluste durch undichte Wasserleitungen zu
berücksichtigen.
5.4 Abwasseranfall 89

% der Werte
100

80 Qd,80% = 45’000 m3 d-1

60

40 Mittelwert:
Qd,m = 35’700 m3 d-1
20

0
0 50'000 100'000 150'000

Abwassermenge Qd in m3 d-1
Abb. 5.10. Summenhäufigkeit der Tagessumme des Abwasseranfalls in einer grösseren Kläran-
lage in der Schweiz (Dietikon 1994). Gleiche Daten wie Abb. 5.9
% der Werte
100

80 rd,80% = 5.6 mm d-1 rdmax = 85 mm d-1

60
rd,50% = 0.1mm d-1
40

Mittelwert:
20
rd,m = 3.3 mm d-1
0
0 20 40 60 80 100

Niederschlag, Tagessumme in mm d-1


Abb. 5.11. Summenhäufigkeit der Tagessumme des Niederschlags auf einer Kläranlage in der
Schweiz (Dietikon 1994). Gleiche Daten wie Abb. 5.9

Beispiel 5.15. Fremdwasser und Umweltbelastung


Auf einer Abwasserreinigungsanlage fallen am Montag, zwischen 3 und 5 Uhr morgens
bei Trockenwetter 0.05 m3 s-1 fast klares Abwasser an. Als Wochenmittel beträgt der
Abwasseranfall bei Trockenwetter 0.15 m3 s-1 (ca. 25’000 Einwohner). Diese Werte deu-
ten an, dass auf dieser Anlage im Mittel ca. 33% Fremdwasser anfallen.
Wie stark könnte die Belastung der Vorflut mit Phosphor verringert werden, wenn im
Mittel ein Grenzwert von 0.8 g P m-3 eingehalten wird und das Fremdwasser um 50%
reduziert wird?
Die Menge des gereinigten Abwassers und damit die Phosphorbelastung würden um
ca. 17% reduziert, d.h. dass ca. 0.025 m3 s-1 ˜ 86400 s d-1 ˜ 365 d a-1 ˜ 0.8 g P m-3
= 630 kg P a-1 zusätzlich zurückgehalten werden könnten.
Diese Menge Phosphor reicht aus, um einen See mit einer Oberfläche von ca. 1 km2 zu
eutrophieren.
90 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

5.4.4 Dimensionierungswerte
Bei der Berechnung des Abwasseranfalls muss zwischen verschiedenen Situatio-
nen, Aufgaben und Zielsetzungen unterschieden werden, z.B.:
– Dimensionierungsaufgaben: Kläranlagen, Kanalisation, Sonderbauwerke etc.
Alle diese Bauwerke werden für eine Abwassermenge dimensioniert, die die
speziellen Randbedingungen und die Aufgabe des Bauwerks berücksichtigen.
Grundsätzlich interessieren hier die Extreme der berücksichtigten Betriebszu-
stände.
– Betriebskostenrechnung: Hier interessieren eher die langfristigen Mittelwerte
als die nur selten auftretenden Betriebszustände.
– Für die Berechnung von Jahresfrachten (z.B. Belastung eines Sees mit Phos-
phor) können je nach Situation die Extremereignisse oder langandauernde
mittlere Betriebszustände massgebend sein.
Für die Bemessung von Bauwerken für die Entwässerung der Siedlungen spielt
der anfallende Regen eine zentrale Rolle. Der entsprechende Abwasseranfall wird
in Abschn. 13.5, Seite 219 diskutiert.
Eine grosse Bedeutung hat die Dimensionierungswassermenge der Kläranla-
gen, sie muss unterschiedliche Aspekte berücksichtigen: Bei Trockenwetter muss
Fremdwasser und Schmutzwasser sicher erfasst werden. Während Regen muss ein
zusätzlicher Anteil Regenwasser direkt gereinigt werden und nach einem Regen
müssen Mischwasserspeicher in genügend kurzer Zeit entleert werden können.
Für einfache Fälle wird in der Schweiz die maximale Belastung einer Kläran-
lage mit der folgenden Beziehung berechnet:
QARA = 2 ˜ Qd,80% ˜ fh,max (5.2)
3 -1
QARA = Dimensionierungswassermenge der Kläranlage >L T @
Qd,80% = Erwartete Abwassermenge, die an 80% der Tage unterschritten
wird >L3 T-1@. Ca. maximaler Trockenwetteranfall.
fh,max = Extremwertfaktor, der aus dem Tagesmittelwert den maximalen
Momentanwert berechnet >-@
In Deutschland wird nicht die ganze Abwassermenge, sondern nur das anfal-
lende verschmutzte Abwasser QS verdoppelt. Die Wassermengen basieren auf
85% Werten:
QARA = 2 ˜ QS,d,85% ˜ fS,h,max + QF (5.3)
Gln.(5.2) und (5.3) haben sich im Laufe der Zeit als sinnvoll erwiesen, eine
sehr detaillierte Begründung kann aber dafür nicht abgegeben werden.
Das DWA Arbeitsblatt A 198 (2003) geht für die Bemessung von biologischen
Abwasserreinigungsanlagen von einer differenzierten Analyse von langjährigen
Messreihen des Zuflusses aus und berücksichtigt zusätzlich die Entleerung der
Mischwasserspeicher im Einzugsgebiet. Daraus resultieren meist etwas grössere
Werte als mit Gl. (5.3) berechnet werden.
Sind keine Messungen verfügbar, so können für einfache Verhältnisse erste
Abschätzungen auf den folgenden Angaben basieren: Der Spitzenzufluss aus dem
häuslichen und kleingewerblichen Bereich beträgt ca. 0.004 l s-1 E-1 (l pro Sekun-
5.4 Abwasseranfall 91

de und Einwohner). Zusätzlich fallen mindestens 0.5 l s-1 ha-1red (Reduzierte Flä-
che entspricht der undurchlässigen Fläche, Abschn. 13.5.2, Seite 221) aus dem
gewerblichen und industriellen Bauzonen an. Für den Fremdwasserzufluss kann
z.B. mit 0.15 l s-1 ha-1red gerechnet werden.

Beispiel 5.16. Trinkwasserbedarf und Abwasseranfall aus Industriebetrieben.


Stimmt der obenstehende Richtwert für den Abwasseranfall aus Industriebetrieben (0.5 l
s-1 ha-1red) mit den Planungswerten für die Wasserversorgung in Tabelle 5.7 überein?
QIndustrie > 0.5 l s-1 hared-1. Das entspricht einem minimalen Anfall von verschmutzten
Abwasser von 43 m3 hared-1 d-1 oder bei einem Anteil von 70% undurchlässiger Fläche
einem Anfall von mindestens 30 m3 ha-1 d-1 resp. 0.35 l s-1 ha-1 bezogen auf die effektive
Fläche. Ein Wert, der als Tagesspitze pro Jahr einige Male überschritten wird. Er wird
für sehr wasserintensive Betriebe nicht ausreichen.
Nach Tabelle 5.7 soll im Mittel mit qd,m = 50 m3 ha-1 d-1 und fd,max = 1.6 sowie fh,max = 2.0
gerechnet werden. Es resultiert qh,max,max = 1.9 l s-1 ha-1. Dieser Wert sollte auch bei An-
siedelung von wasserintensiven Industriebetrieben nur sehr selten (< 1mal pro Jahr)
während mehr als einigen Minuten überschritten werden.
Die Unterschiede zwischen den Angaben für die Abwassertechnik und den Grundlagen
für die Dimensionierung der Verteilleitungen in der Wasserversorgung sind beträchtlich.
Sie beziehen sich aber auch auf ganz unterschiedliche Dimensionierungsereignisse.

Beispiel 5.17. Dimensionierungswassermenge einer Kläranlage in Deutschland


Wie gross ist die Dimensionierungswassermenge QARA einer Kläranlage, in der das
Mischabwasser aus den folgenden „Einheiten“ gereinigt werden soll?
Einwohner: 10’000 Einwohner
Siedlungsfläche: 60 hared
Industrie: 10 hared
QH,h,max = 10’000 E ˜ 0.004 l s-1 E-1 = 40 l s-1 aus Haushalt und Kleingewerbe
-1 -1
QI,h,max = 10 hared ˜ 0.5 l s ha red = 5 l s-1 aus Industrie und Gewerbe
QF = (60 + 10) hared ˜ 0.15 l s-1 ha-1red = 11 l s-1 Fremdwasser
QS,h,max = QH,h,max + QI,h,max = 45 l s-1 Schmutzwasserspitze
QT,h,max = QS,h,max + QF = 56 l s-1 Trockenwetterspitze
QARA = 2 ˜ QS,h,max + QF =101 l s-1
= Wassermenge, die bei Regen maximal durch die Abwasserreinigungsanlage
geleitet wird, Dimensionierungswassermenge
Pro Einwohner ergeben sich als Tagesspitze bei Trockenwetter:
56 / 10’000 = 0.0056 l s-1 E-1
In der Schweiz werden meist höhere Pauschalwerte für den Abwasseranfall angenom-
men, eigentliche Regeln sind aber nicht erarbeitet worden. Nach alten Richtlinien (1967)
sollen 0.007–0.011 l s-1 E-1 als Basis für die Dimensionierung von Kläranlagen dienen.
Während Regen werden in der Schweiz typisch QARA = 2 ˜ QT,h,max durch die Kläranlagen
geleitet. Insgesamt resultiert das im Vergleich zu Deutschland in angenähert den dop-
pelten Dimensionierungswassermengen.

Beispiel 5.18. Dimensionierungswassermenge einer Kläranlage in der Schweiz


Wie gross ist die Dimensionierungswassermenge für die Gemeinde in Beispiel 5.17 mit
Annahmen, die für die Schweiz typisch sind?
92 5 Wasserbedarf, Abwasseranfall

QH,h,max + QFW = 0.008 l s-1 E-1 ˜ 10’000 E = 80 ls-1


QI,h,max = Ist für typische Industriegebiete in QH enthalten
QT,h,max = QH,h,max + QF + QI,h,max = 80 l s-1
QARA = 2 ˜ QT,h,max = 160 l s-1
Die Anlage würde also in der Schweiz für 160 l s-1 ausgebaut, in Deutschland für nur
100 l s-1. Gründe für diesen Unterschied sind: In der Schweiz ein grösserer Wasser-
verbrauch, mehr Fremdwasser und eher geringere Speichervolumen für Mischwasser
bei insgesamt grösserem Jahresniederschlag. Heute sind die Wasserpreise in der
Schweiz noch deutlich tiefer als in Deutschland.
Solche pauschalen Berechnungen werden nur gemacht wenn keine Messungen zur
Verfügung stehen. Das ist bei einer Anlage dieser Grösse kaum mehr zu verantworten.

5.5 Zukünftige Entwicklung und Planung


Anlagen für die Ver- und Entsorgung des Wassers aus unseren Siedlungen haben
eine lange Lebenserwartung (20 - 100 Jahre), entsprechend wichtig ist es, dass die
Grundlagen für die Abschätzung der zukünftigen Entwicklung sorgfältig erhoben
werden und auf langfristigen Plänen basieren.
Für den Ausbau von Kläranlagen verstreichen heute zwischen der grundsätzli-
chen Feststellung, dass ausgebaut werden muss, und der Inbetriebnahme der Er-
weiterung je nach Grösse der Anlage 5 bis 10 Jahre. Moderne Kläranlagen werden
ca. alle 15 bis 25 Jahre einmal erneuert oder ausgebaut, das heisst, dass nur weni-
ge Jahre nach der Einweihung und der Sammlung von neuen Erfahrungen bereits
wieder der nächste Ausbau in Angriff genommen werden muss. Trotzdem muss
der Zeithorizont für die Dimensionierungsbelastung mit ca. 25 Jahren gewählt
werden.
Es gibt keine Richtwerte, nach welchen die Planungszeiträume festgelegt wer-
den. Von Bedeutung sind die folgenden Kriterien:
– Lebenserwartung, Investitionskosten, Kapitalkosten, Unterhalt
– Möglichkeiten der Erweiterung ohne Betriebsunterbrüche
– Unsicherheiten bei der Abschätzung der zukünftigen Entwicklung
– Wirkung und Betrieb der Anlagen bei geringer Auslastung
– Dauer der Realisierung einer möglichen Erweiterung
– Probleme bei ungenügender Leistung, Abwasserabgaben.
Für die Sicherstellung der Wasserbeschaffung (Quellen, Grundwasser) und den
Bau von Trinkwasserleitungen und Kanalisationen ergeben sich lange Planungspe-
rioden (z.T. bis 50 Jahre). Für Trinkwasseraufbereitungs- und Abwasserreini-
gungsanlagen sind sie deutlich kürzer (z.B. 25 Jahre).
In der Wasserversorgung ist es üblich, dass die momentan mögliche Leistung
der Anlagen genügt, um den Bedarf auch in den nächsten 10–15 Jahren zu decken,
nur so kann trotz langen Planungsphasen und bei politischen Auseinandersetzun-
gen die Versorgung dauernd gewährleistet werden.
5.6 Zusammenfassung: Typische Wassermengen 93

5.6 Zusammenfassung: Typische Wassermengen


Tabelle 5.9 gibt einen Überblick über die Grössenordnungen von typischen Was-
sermengen für unterschiedliche Siedlungen. Es wird deutlich, dass die Wasserver-
sorgung mit extremeren, d.h. selteneren Ereignissen rechnet als die Abwassertech-
nik. Regenwasser (Mischabwasser) verursacht aber bei weitem den grössten
momentanen Wasserfluss in Siedlungen.

Tabelle 5.9. Typische Trinkwasser- und Abwassermengen in unterschiedlichen Versorgungsge-


bieten
Einwohner 1000 10000 100000
Wasserversorgung:
3 -1
Spitzentag: Qd,max 600 6000 60000 m d
3 -1
Spitzenstunde: Qh,max,max 0.02 0.15 1.2 m s
Durchmesser der Hauptleitung < 200 400 1000 mm
3
Volumen des Wasserspeichers > 450 3000 20000 m
Feuerwehr:
3 -1
Wasserbedarf der Feuerwehr 0.03 0.1 0.1 m s
3
Löschreserve 100 500 - m
Siedlungsentwässerung:
3 -1
mittlerer Tagesanfall bei Trockenwetter 400 4000 40000 m d
3 -1
typischer täglicher Spitzenanfall 0.01 0.08 0.60 m s
3 -1
Max. Durchfluss durch die ARA 0.02 0.16 1.20 m s
3 -1
Max. Mischwasser im Einzugsgebiet 1.5 10 60 m s
2 2
Durchmesser des Hauptsammlers 1.0 m 2.0 m 20 m m, m
6 Schmutzstoffanfall und Temperatur

Schmutzstoffe im Abwasser bestimmen die Grösse der erforderlichen Bauwerke


(Reaktoren) zur biologischen Reinigung des Abwassers und den Anfall von Klär-
schlamm. Sie verursachen einen grossen Teil der Investitionskosten beim Bau ei-
ner Abwasserreinigungsanlage. Als Grundlage für die Dimensionierung von neu-
en Anlageteilen müssen zuverlässige, statistisch charakterisierte Absolutwerte der
Schmutzstofffrachten verfügbar sein, die sowohl den Jahresgang als auch den
Wochen- und Tagesgang beschreiben. Für die Überwachung des Betriebs genü-
gen häufig Relativwerte, die erlauben, den Erfolg des Betriebs zu verfolgen.

6.1 Herkunft der Schmutzstoffe


Spezifische Schmutzstofffrachten (z.B. g BSB5 pro Einwohner pro Tag) verändern
sich im Laufe der Zeit. Unsere Ernährung, die Haushaltchemikalien, die Produk-
tionsverfahren in Industrie und Gewerbe usw. bestimmen die Zusammensetzung
des abgeleiteten Abwassers. Die Frachten sind im Vergleich zur Lebenserwartung
der Abwasserreinigungsanlagen schnellen Veränderungen unterworfen.
Im häuslichen Abwasser dominieren die Reststoffe unserer Ernährung (Fäkalien,
Urin, Küchenabfälle) und bestimmen zusammen mit den Wasch- und Reini-
gungsmitteln dessen Zusammensetzung. Sowohl unsere Ernährung als auch die
Chemie der Wasch- und Reinigungsmittel sind laufend Veränderungen unterwor-
fen. Heute ernähren wir uns zunehmend von Fertigprodukten und in Restaurant-
und Kantinebetrieben, zudem nimmt die Nahrungsaufnahme ab und unsere Diät
verschiebt sich in seiner Zusammensetzung. Zudem verbringen wir immer weni-
ger Zeit zu hause. All das hat Auswirkungen auf das Abwasser.
Industrie- und Gewerbebetriebe produzieren mit neuen Verfahren und stellen
neue Produkte her. Die Zusammensetzung des Abwassers verändert sich entspre-
chend. Durch die Deindustrialisierung unserer Städte wandern grosse Industriebe-
triebe ab, das Abwasser wird entsprechend entlastet.
Es ist heute nicht möglich, Prognosen für die Zusammensetzung des Abwas-
sers in der fernen Zukunft zu machen, umso wichtiger ist es, den heutigen Zustand
und dessen Veränderungen in der Vergangenheit zuverlässig zu charakterisieren.
Basierend auf den beobachteten Entwicklungen, den wichtigen erwarteten Verän-
derungen unserer Aktivitäten und einer detaillierten Analyse des Abwasseranfalls
aus Industrie und Gewerbe können wir eine Prognose über die Veränderung der
Zusammensetzung des Abwassers in der näheren Zukunft machen. Wichtig ist,
dass insbesondere die im Einzugsgebiet angesiedelten Industriebetriebe mit in die
Überlegungen eingebunden werden.
96 6 Schmutzstoffanfall und Temperatur

6.2 Anforderungen an die Belastungsangaben


Für den Ausbau von Abwasserreinigungsanlagen sind umfangreiche Angaben zu
deren Belastung mit Schmutzstoffen erforderlich. Diese beziehen sich primär auf
die mittleren Tagesfrachten und werden ergänzt durch statistische Grössen (Mit-
telwert, Standardabweichung, 85%, 50% und 15% Werte) sowie Saisonale-, Wo-
chen- und Tagesganglinien.
Die umfangreichste Datensammlung stammt aus der Eigenüberwachung des
Betriebspersonals von bestehenden Anlagen. Das Ziel dieser Eigenüberwachung
ist abhängig von den lokalen gesetzlichen Vorschriften, sie dient primär dem
Betreiber zur Überwachung seines Reinigungserfolgs. Dazu genügen häufig rela-
tive Zahlen, die z.B. ausdrücken, dass eine gewählte neue Betriebsstrategie die
Leistung verbessert hat. Absolute Werte sind von eher untergeordneter Bedeutung.
Für den Ausbau von Anlagen müssen absolute Werte, möglichst frei von sys-
tematischen Messabweichungen, verfügbar sein. Werden z.B. durch systematische
Fehler in der Durchflussmessung sowohl die Abwassermengen als auch die
Schmutzstofffrachten zu klein bestimmt, so resultiert ein zu kleiner Ausbau der
Anlage.
Hinter jeder Messung steht eine Frage, und die Art der Probenahme, die Pro-
benkonservierung, die Messmethode und die Häufigkeit der Messung werden auf
diese Frage abgestimmt. Die dabei erhaltenen Resultate können nur mit Vorbehalt
auf neue Fragestellungen übertragen werden. Häufig ist es erforderlich, gezielte
Messkampagnen durchzuführen, um die Informationen zu beschaffen, die für den
Ausbau einer Anlage erforderlich sind. Es überrascht immer wieder, dass solche
Messkampagnen teuer sind und oft lange dauern: Saisonale Unterschiede können
nicht in einer kurzen Periode von 2–4 Wochen festgestellt werden.
Zu jeder Messkampagne gehört eine sorgfältige Eichung aller Messgeräte.
Viele Messkampagnen sind wertlos oder sogar schädlich, weil diesem Punkt keine
Bedeutung beigemessen wurde. Heute haben Ingenieure und Ingenieurinnen, die
für solche Messkampagnen verantwortlich sind, zunehmend Erfahrungen mit La-
borexperimenten. Sie verstehen damit auch, dass eine Messung nur ein Abbild der
Realität und nicht die Realität selbst ist.

Beispiel 6.1: Auswertung von Messwerten


Das Arbeitsblatt DWA A198 (2003) gibt im Anhang C ein ausführliches Beispiel für die
Auswertung von Messwerten im Hinblick auf die Auslegung einer Abwasserreinigungs-
anlage. Es werden dort die täglich gemessenen Wassermengen von 3 Jahren ausge-
wertet, der Trockenwetteranfall des Abwassers im Jahresgang dargestellt, die Dimensi-
onierungswassermenge der Kläranlage diskutiert, Temperaturganglinien ausgewertet
und Schmutzstofffrachten im Jahres-, Wochen- und Tagesgang ausgewertet. Es resul-
tieren Angaben für Sommer und Winter, für Wassermengen und Stoffe, jeweils be-
stimmt in einer Form, die für die Auslegung der Anlage geeignet ist.

6.3 Einwohnergleichwerte (EG)


Der Einwohnergleichwert (EG) gibt an, wieviel Schmutzstoffe und Abwasser ein
„typischer Einwohner“ zur Kläranlage ableitet; dabei schliesst ein EG bereits die
6.3 Einwohnergleichwerte (EG) 97

Schmutzstoffe des lokalen Kleingewerbes mit ein (Infrastruktur wie Restaurants,


Läden, Verwaltung von lokaler Bedeutung). Einwohnergleichwerte werden ver-
wendet:
– Um abzuschätzen, wieviel Schmutzstoffe auf eine Kläranlage gelangen, wenn
Messungen fehlen oder noch nicht gemacht werden können, weil z.B. die Ka-
nalisation erst ausgebaut wird. Mit EG werden auch Schmutzstoffe als Folge
einer zukünftig erwarteten Zunahme der Einwohner quantifiziert.
– Um den Schmutzstoffanfall aus Industrie und Gewerbe mit demjenigen aus
den Haushaltungen zu vergleichen. Für viele Industrie- und Gewerbebranchen
können z.B. als Funktion einer Produktionseinheit die entsprechenden EG aus
der Literatur entnommen werden.
– Um Planungsgrundlagen auf ihre Plausibilität zu überprüfen. Ursachen für
grosse Abweichungen zwischen den angenommenen, gemessenen Frachten
und den aus EG berechneten Frachten sollten gefunden werden, häufig deuten
sie auf Messfehler hin.
Heute muss Abwasser im Hinblick auf die gestiegenen Anforderungen an die
Reinigung sehr viel differenzierter charakterisiert werden als zu der Zeit als EG
eingeführt wurden, entsprechend genügen EG allein kaum für die Arbeit der Inge-
nieurin. Politische Behörden und Bürger können sich aber deutlich mehr vorstel-
len unter einer Anlage, die das Abwasser von 10’000 Einwohnern und Gleichwer-
ten (EG) reinigt, als unter der Aussage, dass die Anlage bei maximaler Belastung
1000 kg CSB d-1 abbauen muss.
In Tabelle 6.1 sind Einwohnergleichwerte zusammengestellt wie sie heute bei
fehlenden Messungen für die Dimensionierung der biologischen Abwasser-
reinigungsanlagen im deutschen Sprachraum verwendet werden. Noch 1991 ist
der EG für Phosphor mit 2.3 g P d-1 angegeben worden. Mit der zunehmenden
Substituierung des Phosphats in Textilwaschmitteln konnte dieser Wert ab 2000
auf 1.8 g P d-1 reduziert werden, ein Wert der in der Schweiz seit 1986 (Phosphat-
verbot) zur Anwendung kommt.

Tabelle 6.1. Typische Einwohnergleichwerte (EG) im kommunalen Abwasser ohne Berück-


sichtigung von verfahrensinternen Rückläufen, z.B. aus der Schlammbehandlung (A 131, 2000).
-1 -1
Alle Angaben sind in Gramm pro Einwohner und Tag (g E d ). Es handelt sich um Dimensio-
nierungswerte, die an ca. 85% der Tage unterschritten werden
Vorgeklärtes Abwasser
Parameter Rohabwasser
TH = VVKB / QTW in der Vorklärung2)
0.5 – 1.0 h 1.5 – 2.0 h
BSB5 60 45 40
CSB 120 90 80
TSS 70 35 25
TKN1) 11 10 10
Ptot1) 1.8 1.6 1.6
1)
TKN = Totaler Kjeldahlstickstoff, Ptot = totaler Phosphor
2)
Mittlere hydraulische Aufenthaltszeit in der Vorklärung (bei Trockenwetter)
98 6 Schmutzstoffanfall und Temperatur

Beispiel 6.2. Schmutzstoffkonzentrationen und Einwohnergleichwerte


Einem Projekt für eine Kläranlage wird ein Abwasseranfall bei Trockenwetter von maxi-
mal 0.3 m3 EG-1 d-1 zu Grunde gelegt. Dieser Abwasseranfall wird an 85% der Tage
unterschritten. Das Vorklärbecken wird mit einer mittleren hydraulischen Aufenthaltszeit
von TH = 1 h projektiert.
Wie gross sind im rohen und im vorgeklärten Abwasser die Konzentrationen der Stoffe,
für die in Tabelle 6.1 Einwohnergleichwerte angegeben sind?
Rohabwasser Vorgeklärtes Abwasser
Parameter EG Konzentration EG Konzentration
-1 -1 -3 -1 -1 -3
gE d gm gE d gm
BSB5 60 200 45 150
CSB 120 400 90 300
TSS 70 233 35 117
TKN 11 37 10 33
Ptot 1.8 6 1.6 5.3
Das sind typische Konzentrationen für viele schweizerische kommunale Abwässer. In
Deutschland ist der Abwasseranfall deutlich geringer, entsprechend sind die Konzentra-
tionen höher. Heute wird versucht, Fremdwasser aus dem Abwasser abzutrennen; dar-
aus resultiert auch in der Schweiz ein geringerer Abwasseranfall und eine Zunahme der
Konzentrationen.

Beispiel 6.3. Einwohnergleichwerte eines Industriebetriebs


In einer Gemeinde wohnen 5000 Personen. Als wichtiger Industriebetrieb besteht im
Einzugsgebiet der geplanten Kläranlage einzig ein grosser Schlachthof mit überregiona-
ler Bedeutung. Für eine Vorabschätzung der Belastung der zukünftigen Kläranlage sol-
len Einwohnergleichwerte benutzt werden.
Im Schlachthof werden pro Tag 40 Rinder und 200 Schweine verarbeitet, der Schlacht-
hof ist modern konzipiert, unter Berücksichtigung der Umweltbelastung. Nach Imhoff
(1999) und anderen Fachbüchern ist mit den folgenden EG zu rechnen (Basis 1
EG = 60 g BSB5E-1 d-1):
Schlachthof: 1 Rind = 2.5 Schweine = 20 – 200 EG.
1 t Lebendgewicht = 130 – 400 EG
Zufällig haben die Angaben in Tabelle 6.1 und die Angaben nach Imhoff (1999) die glei-
che Basis (1 EG = 60 g BSB5 E-1 d-1), sonst müssten wir noch umrechnen.
Anfallende Fracht:
5000 Einwohner ˜ 60 g BSB5 E-1 d-1 = 300 kg BSB5 d-1
-1 -1 -1
40 Rinder d ˜ (20 – 200 EG) ˜ 60 g BSB5 EG d = 48 – 480 kg BSB5 d-1
200 Schweine d-1 ˜ (8 – 80 EG) ˜ 60 g BSB5 EG-1d-1 = 96 – 960 kg BSB5 d-1
Total: 444 – 1740 kg BSB5 d-1
Unter Berücksichtigung der modernen Ausrüstung des Schlachthofes könnte z.B. vor-
läufig mit 500 kg BSB5 d-1 gerechnet werden. Man würde von einer Belastung von 8300
E und EG sprechen (500’000 g BSB5 d-1 / 60 g BSB5 E-1 d-1 = 8300 EG).
Dieses Beispiel zeigt deutlich die Unsicherheiten, wenn Kläranlagen für Industriebetrie-
be basierend auf Erfahrungswerten aus Fachbüchern dimensioniert werden. Wenn die
Betriebe bereits existieren, muss unbedingt eine Messkampagne durchgeführt werden,
um die entsprechenden Frachten genauer zu erheben. Das gilt insbesondere, wenn ein
Betrieb wie hier eine grosse Bedeutung für eine Abwasserreinigungsanlage hat.
6.4 Jahresgang der Belastung 99

Der Politiker versteht, dass für den Schlachthof ein Anteil von 3300 EG, also etwas we-
niger als für die Gemeinde, bereitgestellt werden muss. Für viele Vorentscheide genügt
diese Information.
Die Ingenieurin lernt aus diesen Zahlen, dass sie für ihre Arbeit zu ungenau sind und sie
daher genauer untersucht werden müssen. Schlachthofabwasser hat z.B. in Bezug auf
Stickstoff, Phosphor und Schwebestoffe eine andere Zusammensetzung als häusliches
Abwasser und ist häufig viel konzentrierter (d.h. es fällt weniger Abwasser an). Das sind
Informationen, die beim Gestalten der Anlage von Bedeutung sind, aber nicht aus tabel-
lierten EG resultieren. Sicher kann der Stickstoff und der Phosphorgehalt des vermisch-
ten Abwassers nicht genügend genau geschätzt werden.
Das Konzept der EG stammt aus einer Zeit, in der der BSB5 das Mass aller Verschmut-
zungen im Abwasser war und der Erfolg der Abwasserreinigung an der Verminderung
des BSB5 gemessen wurde.

In schweizerischen Richtlinien, die heute veraltet sind, wurde nur für BSB5 ein
Einwohnergleichwert definiert. Es werden für rohes Abwasser 75 g BSB5 E-1 d-1
und für vorgeklärtes Abwasser 50 g BSB5 E-1 d-1 verwendet. Insbesondere der
Wert für rohes Abwasser ist zu gross und beinhaltete Dimensionierungsreserven.
Das war früher gerechtfertigt als in den Anfängen der Abwasserreinigungstechnik
die zukünftige Entwicklung noch nicht absehbar war. Zudem hatten damals die
Kläranlagen noch sehr kurze hydraulische Aufenthaltszeiten, sodass sie sofort auf
hohe Belastungen reagierten. Heute werden meist grosse biologische Anlagen ge-
baut, die nicht mit so grossen Reserven dimensioniert werden müssen, da die Be-
lastungen über ein Schlammalter (s. Beispiel 20.8) gemittelt werden können.

6.4 Jahresgang der Belastung


Insbesondere die Fracht der organischen Stoffe ist im Abwasser häufig einem
Jahresgang unterworfen. Abbauprozesse in der Kanalisation und saisonal unter-
schiedliche Aktivitäten sind die Ursachen.
In Abb. 6.1 ist der Jahresgang der BSB5-Fracht im Ablauf der Vorklärung einer
Abwasserreinigungsanlage für ca. 100’000 EG dargestellt. Die etwa 90 Einzelwer-
te stammen aus der Eigenüberwachung der Kläranlage. Überraschend ist die gros-
se Streuung der Einzelwerte. Die höchsten Einzelwerte fallen mit einer Ausnahme
mit einer erhöhten Abwassermenge (Regen) zusammen. Der höchste Wert kann
ein Analysefehler sein, ev. wurde er auch durch Fehlmanipulationen im Anlagen-
betrieb verursacht. Ein geringer Jahresgang der Frachten ist sichtbar: Im Sommer
werden bei erhöhten Temperaturen häufig mehr Stoffe bereits in der Kanalisation
abgebaut als im Winter. Im Herbst, während der Ernte nimmt die Fracht zu.
In Abb. 6.2 ist die Summenhäufigkeit der BSB5-Frachten aus Abb. 6.1 darge-
stellt. Deutlich zu sehen ist die Schiefe der Verteilung. Diese Art der Darstellung
erlaubt es, die Grundlagen für die Dimensionierung, z.B. einer Erweiterung, zu
erarbeiten.
100 6 Schmutzstoffanfall und Temperatur

Tagesfracht kg BSB5 d-1


10000

8000

6000

4000

2000

0
Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
Datum

Abb. 6.1. Jahresgang der BSB5 Fracht in einer grösseren Abwasserreinigungsanlage im Schwei-
zer Mittelland. Ca. 90 Einzelwerte, Dietikon 1993, Eigenüberwachung

% der Werte
100
80
Mittelwert: 3750 kg BSB5 d-1
60
85% Wert: 5080 kg BSB5 d-1
40 50% Wert: 3440 kg BSB5 d-1
15% Wert: 2380 kg BSB5 d-1
20
0
0 2000 4000 6000 8000 10000
Tagesfracht kg BSB5 d-1

Abb. 6.2. Summenhäufigkeit der BSB5-Fracht im Ablauf der Vorklärung einer grösseren Ab-
wasserreinigungsanlage (Ca. 100’000 EG). Gleiche Daten wie in Abb. 6.1. Beachtenswert ist der
Unterschied zwischen dem Mittelwert und dem 50% Wert, der auf die Schiefe der Verteilung
hindeutet

6.5 Tagesgang der Belastung


Der Wasserbedarf und der Abwasseranfall sind typischen Ganglinien unterworfen,
die sich täglich, wöchentlich und saisonal wiederholen. In der Wasserversorgung
muss die Verteilung des Wassers täglich dem variablen Bedarf folgen können; die
Produktion des Wassers hingegen kann durch die Speicher ausgeglichen werden.
In der Abwasserableitung und Abwasserreinigung muss die verfügbare Kapazität
dem Anfall dauernd gerecht werden. Die Speicherung von Abwasser führt zu Ge-
ruch und hygienischen Problemen. Insbesondere die Abwasserreinigung muss mit
grossen täglichen Belastungsunterschieden fertig werden.
In Abb. 20.13, Seite 348, sind experimentelle Resultate dargestellt, die den
Gang der Ammoniumkonzentration (NH4+) im Zu- und im Ablauf einer biologi-
schen Reinigungsanlage (Nitrifizierende Belebtschlammanlage) aufzeigen. Die
6.5 Tagesgang der Belastung 101

Verhältnis der momentanen Verhältnis der momentanen


zur mittleren NH4+ Fracht zur mittleren NH4+ Fracht
3 3
2000 Einw. 350’000 Einwohner
13.6 kg N d-1 2900 kg N d-1
2 2

1 1

0 0
0 6 12 18 24 0 6 12 18 24
Uhrzeit Uhrzeit

Abb. 6.3. Tagesganglinie der Ammoniumfracht im Abwasser in einer kleinen Gemeinde mit
2000 Einwohnern (links) und in der Stadt Zürich mit 350’000 Einwohnern (rechts). Die Gangli-
nie bezieht sich auf die gemessene Tagesfracht

Überlastung der Anlage nach der erhöhten Belastung in den Morgenstunden


kommt deutlich zum Ausdruck. In Falle des Ammoniums ist diese Überlastung
besonders unerwünscht, weil in den Nachmittagsstunden die Auswirkungen des
Ammoniums im Gewässer am ungünstigsten sind (Als Folge der Photosynthese ist
der pH-Wert in Fliessgewässern in den Nachmittagsstunden am höchsten, sodass
Ammonium vermehrt zum fischgiftigen Ammoniak dissoziiert). Offensichtlich
müssen wir uns bei der Dimensionierung von Abwasserreinigungsanlagen mit den
täglichen Belastungsvariationen beschäftigen.
In Abb. 6.3 sind die Tagesganglinien für die Fracht von Ammonium in einer
kleinen Gemeinde (2000 E) und für das Einzugsgebiet der Kläranlage einer Gross-
stadt aufgetragen. Ammonium hat seine Hauptquelle im Harnstoff, den wir im
Urin ausscheiden. Deutlich sichtbar ist unser Verhalten am Morgen, nach dem
Mittagessen etc. in der kleinen Gemeinde, mit einer kurzen Fliesszeit des Abwas-
sers in der Kanalisation. Im grossen Einzugsgebiet werden die Extreme gedämpft,
weil einerseits die Bevölkerung weniger homogen ist und andererseits die Trans-
portzeit im Kanal zu einem Ausgleich führt: In Los Angeles (USA) beträgt die
Fliesszeit in der Kanalisation z.T. über 24 h, hier ist kaum mehr mit einem Tages-
gang zu rechnen.
In Abb. 6.4 sind die Extremwerte der Ammoniumfracht im Tagesgang im Ver-
hältnis zum Tagesmittelwert dargestellt. Da von jedem Einwohner ca. 7–10 g
NH4+-N pro Tag anfallen, ist die horizontale Achse auch ein Mass für die Grösse
des Einzugsgebiets (von ca. 1000–1’000’000 Einwohnern): Die Dämpfung der
Extremwerte mit zunehmender Grösse des Einzugsgebiets wird deutlich. Je klei-
ner das Einzugsgebiet, desto grösser wird die Belastungsvariation der Kläranlage.
Das ist besonders ungünstig, weil kleine Kläranlagen auf einen wenig aufwändi-
102 6 Schmutzstoffanfall und Temperatur

Verhältnis der extremen zur


mittleren NH4+ Fracht
10
90% Grenze

Fh,max
3.37 ˜ Fd0.08
Fd
1
Fh,min
0.17 ˜ Fd0.11
Fd

0.1
10 100 1000 10000
Mittlere (24 h) Ammonium Fracht in kg N d-1

Abb. 6.4. Verhältnis der extremen (2 h) zur mittleren Ammoniumfracht in Funktion der mittleren
Fracht. Grundlagen sind Tagesganglinien von 7 verschiedenen, zusammenhängenden Einzugs-
gebieten in der Schweiz und in den USA

TOC Fracht, relativ zur mittleren Tagesfracht


2.5
normale zusätzliche
2 Trockenwetterfracht Regenwetterfracht

1.5

0.5
Typischer Verlauf
0
10 12 14 16 18 20 22 24 2 4 6 8 10 12 14
Uhrzeit

Abb. 6.5. Tagesganglinie der organischen Stoffe (TOC, Total Organic Carbon) im Zulauf zur
Kläranlage Werdhölzli der Stadt Zürich. Ein typischer Tagesgang mit einer überlagerten Gangli-
nie als Folge eines Abendgewitters

gen Betrieb angewiesen sind, Belastungsvariationen aber einen zusätzlichen Be-


triebsaufwand erfordern.
Neben den Ganglinien, die sich täglich wiederholen, müssen die meisten Klär-
anlagen auch mit zeitlich nicht voraussehbaren, stochastischen Ereignissen fertig
werden. Abbildung 6.5 zeigt den Tagesgang der Fracht von organischen Stoffen
im Ablauf der Vorklärung der Kläranlage Werdhölzli an einem Tag mit einem
Abendgewitter. Durch das Gewitter werden Strassen gespült, Sedimente in der
Kanalisation aufgewirbelt, Einlaufschächte ausgespült etc. Die Fracht der organi-
schen Stoffe, die auf der Kläranlage ankommt, übersteigt die Belastung während
den normalen Spitzenstunden. Im Beispiel von Abb. 6.5 wird die Belastung der
Anlage in den Nachtstunden am grössten. Das ist eine Situation, die als Einzeler-
6.6 Wochengang der Belastung 103

eignis im Betrieb nicht geplant werden kann und die in den meisten Kläranlagen
zu einer Zeit eintrifft, in der die Anlage ohne Betriebspersonal auskommen muss.

Beispiel 6.4. Tagesgang der Ammoniumfracht


Mit der Annahme, dass die Ammoniumganglinie der kleinen Gemeinde in Abb. 6.3
(links) dem Tagesgang des Ammoniumanfalls im Zulauf zur Kanalisation entspricht,
können wir die Ganglinie im Zulauf zu einer Kläranlage einer grösseren Stadt berech-
nen. Dazu brauchen wir Informationen zur Verteilung der Aufenthaltszeit des Abwassers
in der Kanalisation.
Welche Belastungsganglinie der Kläranlage ergibt sich, wenn das Abwasser die folgen-
de Verteilung der Fliesszeit hat:
Fliesszeit W1 = 0 – 1 h Anteil f1 = 20 %
W2 = 1 – 2 h f2 = 30 %
W3 = 2 – 3 h f3 = 30 %
W4 = 3 – 4 h f4 = 20 %
Z.B. ergibt sich zwischen 9 und 10 Uhr der folgende Wert:
Jzu = Ganglinie des Zulaufes zur Kanalisation
JARA = Ganglinie des Zulaufes zur Kläranlage
JARA,9-10Uhr = f1˜Jzu,9–10 + f2˜Jzu,8–9 + f3˜Jzu,7–8 + f4˜Jzu,6–7Uhr (eine Faltung)
Mit den oben angegebenen fi Werten, der Zulaufganglinie Jzu nach Abb. 6.3 (links) ergibt
sich der maximale Wert von JARA um 10 Uhr zu 2.1. Dieser Wert liegt nahe beim maxi-
malen Wert der Ganglinie im Zulauf zur Kläranlage der Stadt Zürich.
Es wird deutlich, dass die Belastungsspitze mit zunehmender Fliesszeit über eine im-
mer längere Zeitdauer verteilt wird. Extremwerte werden dadurch gedämpft.

Tabelle 6.2. Wochenganglinie im Ablauf der Vorklärung der Kläranlage Werdhölzli, Zürich.
Langanhaltendes Trockenwetter im Winter (Januar/Februar), Einzelwerte
Zufluss Frachten in t d-1:
Wochentag
m3 d-1 CSB TOC DOC TKN NH4-N Ptot
Montag 127’672 35.7 9.45 4.21 3.80 2.26 0.59
Dienstag 123’197 34.5 9.49 3.82 3.22 2.23 0.54
Mittwoch 120’372 32.5 10.35 4.21 3.48 2.13 0.54
Donnerstag 121’769 30.4 8.89 3.90 3.32 2.62 0.55
Freitag 126’916 31.7 9.07 4.28 3.29 2.31 0.60
Samstag 102’164 19.4 6.03 2.86 2.49 1.78 0.39
Sonntag 90’769 12.7 3.63 1.63 2.16 1.57 0.30
Mittel 116’123 28.1 8.13 3.55 3.11 2.13 0.50

6.6 Wochengang der Belastung


Zusätzlich zum Tagesgang variiert die Belastung einer Kläranlage auch im Wo-
chengang. Tabelle 6.2 zeigt den Wochengang während einer Messkampagne in
der Kläranlage Werdhölzli der Stadt Zürich: Bei den organischen Stoffen (CSB,
TOC) unterscheiden sich die Tagesfrachten um bis zu einen Faktor 3, während
Ammonium entsprechend seiner Quelle (Urin) nur sehr wenig variiert. In ländli-
chen Gebieten (und früher auch in den Städten) gibt es z.T. typische Waschtage
104 6 Schmutzstoffanfall und Temperatur

(z.B. Montag), an denen die Abwasserfrachten deutlich höher sind als an anderen
Werktagen. Gelegentlich kommt es gegen Wochenende als Folge von intensiven
Reinigungsarbeiten in Industrie- und Gewerbebetrieben zu erhöhten Belastungen.

Beispiel 6.5. Einwohnergleichwerte in der Stadt Zürich


Wie gross ist der Abwasseranfall pro Einwohnergleichwert, wieviele Einwohnergleich-
werte sind an die Kläranlage Werdhölzli angeschlossen?
Die Frachten sind in Tabelle 6.2 gegeben.
Die EG in Tabelle 6.1 sind Belastungen, die an 85% der Tage nicht überschritten wer-
den, das entspricht ungefähr einer Überschreitung pro Woche. Wir können also ange-
nähert von der zweithöchsten Tagesfracht in einer Woche ausgehen (effektiv müssten
solche Überlegungen auf längeren Messperioden beruhen). Die Kläranlage Werdhölzli
hat sehr grosse Vorklärbecken, entsprechend gilt TH > 1.5 h.
Fracht (85% Wert) EG Einwohner
34.5 ˜ 106 g CSB d-1 80 g CSB E-1 d-1 430’000
3.48 ˜ 106 g TKN d-1 10 g N E-1 d-1 350’000
0.59 ˜ 106 g Ptot d-1 1.6 g P E-1 d-1 370’000
Der Stickstoff im kommunalen Abwasser stammt zu einem dominanten Teil von den
Menschen selber, er wird insbesondere im Urin als Harnstoff ausgeschieden. In einer
Stadt wie Zürich wandern aber viele Arbeitnehmer zu, sodass aus dieser Berechnung
nicht auf die Anzahl der angeschlossenen Einwohner geschlossen werden kann. Im
kommunalen Abwasser stammt ein grosser Teil des Phosphors aus dem Urin, sodass
für Phosphor und Stickstoff vergleichbare Resultate erwartet werden können.
Die höhere Anzahl der Einwohner, die basierend auf den organischen Stoffen (CSB)
berechnet werden, sind durch die industriellen und gewerblichen Aktivitäten verursacht.
Da die organische Belastung das Volumen der Bauwerke auf Kläranlagen dominiert,
würde man hier von 430’000 EG sprechen. Damit beträgt der Abwasseranfall ca.
127’000 m3 d-1 / 430’000 EG = 0.3 m3 EG-1 d-1. Das ist ein eher geringer Wert, der nur
nach langen Trockenwetterperioden in dieser Kläranlage beobachtet wird.
VORSICHT: Solche Berechnungen sind nur sinnvoll, wenn die gemessenen Schmutz-
stofffrachten nicht durch Rückläufe innerhalb der Kläranlagen verfälscht werden! Die
vorliegende Messperiode ist für solche Analysen zu kurz.

6.7 Abwassertemperatur
Die Temperatur des Abwassers hat insbesondere für die biologischen Prozesse
eine entscheidende Bedeutung. Für die Dimensionierung einer modernen Abwas-
serreinigungsanlage müssen die Temperaturen festgelegt werden, bei denen die
vorgeschriebenen Leistungen erbracht werden müssen.

6.7.1 Jahresgang der Temperatur


Die Temperatur ist ein wichtiger Parameter für biologische Prozesse: Pro 10°C
Zunahme können sich diese um den Faktor 2–3 beschleunigen. In Abb. 6.6 ist ein
typischer Jahresgang der Abwassertemperatur in einer Kläranlage dargestellt. Die-
se Variationen müssen in die Dimensionierung der Anlage einfliessen. Der Jah-
resgang der Wassertemperaturen ist im Vergleich zur Jahreszeit und der Lufttem-
6.7 Abwassertemperatur 105

Rohwassertemperatur in °C
25.0

20.0

15.0

10.0

5.0

0.0
Winter Frühling Sommer Herbst

Abb. 6.6. Jahresganglinie der Temperatur im Rohabwasser einer grösseren Kläranlage im


Schweizerischen Mittelland (Tagesmittelwerte)

Abwassertemperatur in °C
16
22.4. 23.4. 24.4. 25.4.74
14
12
10 Abb. 6.7. Drei Tagesganglinien der
0 24 48 72 96 Temperatur im Ablauf der Vorklärung
Stunden einer Grossstadt

peratur verzögert, da sowohl die Temperatur des Trinkwassers als auch des
Fremdwassers (Grundwasser) einer Hysterese unterworfen sind: Sowohl die sai-
sonale Abkühlung als auch die Aufwärmung ist gegenüber der Lufttemperatur
verzögert.
Heute wird zunehmend Fremdwasser aus der Kanalisation abgetrennt und das
häusliche Abwasser ist wärmer als Grundwasser, weil hier auch Warmwasser bei-
gemischt ist. Daraus ergibt sich ein Trend zu immer wärmerem Abwasser. So
wurden vor 20 Jahren viele Kläranlagen im Schweiz. Mittelland für 10°C ausge-
baut. Heute sinkt die Abwassertemperatur nur noch selten unter 12°C, daraus re-
sultiert eine Leistungsreserve von bis zu 20%.

6.7.2 Tagesgang der Temperatur


Der Tagesgang der Temperatur wird durch den unterschiedlichen Anteil von
Warmwasser am Abwasser verursacht. Während das kühle Fremdwasser in der
Nacht dominiert, fällt bei Tag vermehrt warmes Abwasser an.
Die Temperatur des Abwassers variiert im Tagesgang (Abb. 6.7) als Folge des
unterschiedlichen Anteils von Warmwasser im Abwasser (Beispiel 6.6). Da biolo-
gische Prozesse sehr stark durch die Umgebungstemperatur beeinflusst werden, ist
die Kenntnis der Extremwerte der Temperatur von Bedeutung. Die grosse hydrau-
lische Aufenthaltszeit in den biologischen Reaktoren von vielen Kläranlagen führt
zu einem Temperaturausgleich. Häufig können wir bei grossen Belebungsbecken
106 6 Schmutzstoffanfall und Temperatur

mit Tagesmittelwerten rechnen. Die Temperaturschwankungen in Abb. 6.7 wur-


den im Zulauf zu einem Belebungsbecken gemessen, entsprechend gross sind die
Variationen.

Beispiel 6.6. Tagesgang der Abwassertemperatur.


In einer Gemeinde fallen IFW = 25% Fremdwasser mit der konstanten Temperatur von
TFW = 10°C an. Das Trinkwasser hat die gleiche Temperatur von TTW = 10°C. Das Ab-
wasser aus den Haushaltungen enthält IWW = 30% Warmwasser, das im Mittel mit
TWW = 35°C in die Kanalisation gelangt.
Welche Tagesganglinie der Temperatur ergibt sich, wenn keine anderen Abwasser-
lieferanten berücksichtigt werden müssen?
Eine Mischrechnung ergibt die folgende Mischtemperatur Th (Index h für Momentan-
wert, fh = Faktor für den Tagesgang des Trinkwasserverbrauchs, Beispiel 5.6,
Tabelle 5.5, Bedingungen für Deutschland)
Th = (IFW ˜ TFW + (1 - IFW) ˜ fh ˜ ((1 - IWW) ˜ TTW + IWW ˜ TWW))/(IFW + fh ˜ (1 - IFW))
Tagesgang: fh nach Tabelle 5.5 Dorf Kleinstadt Stadt
fh,min 0.00 0.12 0.36
fh,mittel 1.00 1.00 1.00
fh,max 3.62 2.52 1.49
Minimaltemperatur 10.0°C 12.0°C 13.9°C
Tagesmittelwert 15.6°C 15.6°C 15.6°C
Maximaltemperatur 16.9°C 16.6°C 16.1°C
Effektiv würden die Extremwerte noch etwas ausgeglichen, weil in der Kanalisation dem
Abwasser sowohl Wärme entzogen als auch zugeführt werden kann.
Deutlich sichtbar ist der Effekt der Grösse der Gemeinde auf die Temperaturvariation im
Tagesgang. Der Umfang der Variation entspricht den Messungen in Abb. 6.7.

Beispiel 6.7. Einfluss der Temperatur auf die Mikroorganismen


Wie stark variiert die Aktivität (die maximale Leistungsfähigkeit) von Bakterien als Folge
der Temperaturvariationen in einer Belebungsanlage im Tagesgang?
Nach Abb. 20.11 kann die maximale Wachstumsgeschwindigkeit von nitrifizierenden
Bakterien mit der folgenden Gleichung berechnet werden:
Pmax = 0.29 d-1 ˜ exp(0.11˜(T-10°C))
Die minimale und die maximale Temperatur in einem Belebungsbecken ist z.B. nach
Abb. 6.7: Tmin = 11.9°C, Tmax = 14.4°C. Daraus ergibt sich die Wachstums-
geschwindigkeit zu Pmin = 0.36 d-1 und Pmax = 0.47 d-1.
Bei der hohen Temperatur von 14.4°C leisten die Bakterien 0.47 / 0.36 = 1.31 mal mehr
als bei der tiefen Temperatur von 11.9°C. Das ist günstig, weil erhöhte Belastungen mit
erhöhten Temperaturen zusammenfallen. Im Jahresgang sind die Unterschiede noch
grösser, Winterbedingungen sind kritisch.
7 Wasserversorgung

Die Versorgung mit dem Lebensmittel Trinkwasser spielt in der Entwicklung unse-
rer Gesellschaft eine zentrale Rolle: Möglichkeiten zu Hygiene, Komfort und Ar-
beitserleichterung sind Grundlagen der urbanen Gesellschaft. Obwohl die Was-
serversorgung eine lange und erfolgreiche Tradition hat, müssen wir ihre weitere
Entwicklung sorgfältig pflegen.

7.1 Ziele der Wasserversorgung


Ziel der Wasserversorgung ist, den angeschlossenen Verbrauchern wirtschaftlich
genügend Wasser mit einwandfreier hygienischer, chemischer und physikalischer
Qualität und mit einem genügenden Druck langfristig gesichert zur Verfügung zu
stellen. Eventuell muss die Wasserversorgung der Feuerwehr zusätzlich eine ge-
nügende Reserve von Wasser zu Löschzwecken bereitstellen und bei Bedarf anlie-
fern können.
Genügend Wasser heisst nicht beliebig viel Wasser, sondern es ist durch ge-
eignete, nicht nur bauliche und technische Massnahmen, sondern auch Tarifgestal-
tung und Information dafür zu sorgen, dass sich die Entwicklung des Bedarfs von
Wasser mit dem Angebot von Wasser befriedigen lässt. Zudem soll die Wasser-
versorgung sorgfältig mit den eingesetzten Ressourcen umgehen: Personal,
Grundwasser, Quellen, Baumaterialien, Energie, Betriebsmittel, Finanzen etc.
Ein Problem der Wasserversorgung ist, dass sie den momentanen Wasserver-
brauch nicht über eine verringerte Einspeisung von Wasser ins Netz beschränken
kann: Bei übermässigem Verbrauch fällt der Druck im Netz ab; das kann dazu
führen, dass in den Verteilleitungen Unterdruck entsteht, mit der Gefahr, dass hy-
gienisch nicht einwandfreies Wasser von aussen ins Netz zurückgesaugt wird. Im
täglichen Betrieb muss daher die Wasserversorgung immer versuchen, den Bedarf
abzudecken – längerfristig kann sie aber den Verbrauch durch Information, Bera-
tung und Tarife beeinflussen. Notfalls sind auch kurzfristige Verbote von einzel-
nen Wassernutzungen (Garten, Swimmingpools etc.) möglich.

Beispiel 7.1. Extremer Wasserbedarf


Der Ausbau vieler Wasserversorgungen in der Schweiz beruft sich auf den einmaligen,
extremen Wasserverbrauch an wenigen Tagen im Juni 1976. Damals hat eine lange
und heisse Trockenperiode den Verbrauch stark gefördert (Abb. 5.2).
Ist es sinnvoll, Anlagen zur Verfügung zu stellen, die einmal alle 20 Jahre voll bean-
sprucht werden? Was sind die Grenzkosten des zusätzlichen Wasserbedarfes an die-
sen Tagen? Wären die Verbraucher bereit diese Grenzkosten zu bezahlen, wenn sie
108 7 Wasserversorgung

explizit verrechnet würden? Gibt es Möglichkeiten den maximalen Bedarf zu beschrän-


ken?

Beispiel 7.2. Auftrag an die Wasserversorgung


Eine Grossstadt hat den politischen Auftrag an den Direktor der Wasserversorgung wie
folgt formuliert: Die Wasserversorgung soll jederzeit genügend Trinkwasser von guter
Qualität und mit genügendem Druck liefern.
Ist diese Formulierung sinnvoll?
Jederzeit: Was soll in Krisensituationen, bei extremer Trockenheit, bei stark verunreinig-
ter Wasserquelle etc. geschehen?
Wieviel Wasser ist genügend? Im Normalfall, bei langer Trockenheit (z.B. für die Be-
wässerung von Gärten?), im Notfall für die ersten 48 h, 2 Wochen, …? Darf ein Bewäs-
serungsverbot ausgesprochen werden? Werden die Politiker die Wasserversorgung
unterstützen, wenn es gilt, unpopuläre Einschränkungen durchzusetzen?
Gute Qualität heisst Trinkwasser- oder Lebensmittelqualität. Nur in Ausnahmefällen,
wenn die Bevölkerung informiert ist, genügt für kurze Zeit „trinkbares Wasser“, das wohl
hygienisch einwandfrei ist, aber nicht über längere Zeit genossen werden soll. In Anbet-
racht der Gefahren, die hygienisch belastetes Wasser für die Bevölkerung darstellt, ist
diese Forderung in Grossstädten sicher gerechtfertigt. In ländlichen Verhältnissen
kommt es immer wieder vor, dass in extremen Ausnahmesituationen die Bevölkerung
über beschränkte Dauer aufgefordert wird, das Wasser abzukochen.
Der oben formulierte Auftrag muss relativiert und interpretiert werden – das ist auch
eine politische Aufgabe.

7.2 Mittel der Wasserversorgung


Hier wird vorerst ein Überblick über die Mittel der Wasserversorgung gegeben,
die anschliessend umfassender diskutiert werden.
In Industrienationen hat die Wasserversorgung das primäre Ziel, den angeschlos-
senen Verbrauchern genügend Wasser mit einwandfreier hygienischer, chemischer
und physikalischer Qualität zur Verfügung zu stellen. Während die chemische und
die physikalische (z.B. Temperatur, Farbe, Trübung) Qualität des Wassers weitge-
hend durch die Wasserressource (Quelle, Grundwasser, See) und die Art der Auf-
bereitung bestimmt werden, bedingt die Sicherung der hygienischen Qualität zu-
sätzlich, dass zwischen dem Wasser und der Umwelt eine dauernde und dichte
Barriere errichtet wird: Schon geringe Mengen von pathogenen Keimen können
mit dem Wasser als Transportmittel Krankheiten und Seuchen verbreiten.
In den Industrienationen mit modernen, zentralen, öffentlichen Wasserver-
sorgungen wird das Konzept der Barrieren zwischen dem einwandfreien Trink-
wasser und der möglicherweise kontaminierten Umwelt nahezu perfektioniert
(Abb. 7.1). Dadurch wird eine hohe Sicherheit erreicht, dass pathogene Keime
nicht ins Trinkwasser eindringen und es hygienisch beeinträchtigen können. Das
Konzept der Barrieren beinhaltet die folgenden Elemente:
– Die Wasserressource (Quellen, Grundwasser, Seen) wird durch Schutzzonen
weitestgehend vor Kontamination geschützt, sodass das beschaffte Wasser von
bestmöglicher Qualität ist. Die Barriere wird hier errichtet, indem dem Wasser
7.2 Mittel der Wasserversorgung 109

Schutzzone Geschlossene Bauten


Energielinie
Quell- Speicher
Fassung

Industrie

Aufbereitung

See Siedlung

Gewässerschutz Grundwasser
Barrieren
Schutzzone

Abb. 7.1. Schematische Darstellung der Anlagen einer Wasserversorgung und Identifikation der
Barrieren gegen das Eindringen von pathogenen Keimen

im Boden genügend Zeit zur Verfügung gestellt wird, sodass natürliche Selbst-
reinigungsprozesse das Wasser schützen können.
– Die Aufbereitung von Trinkwasser wird dort erforderlich, wo die Wasser-
ressource nicht genügend von Umwelteinflüssen geschützt werden kann. Sie
hat zur Aufgabe, die erforderliche hygienische, chemische und physikalische
Qualität des Wassers herzustellen. Die Trinkwasseraufbereitung stellt die Bar-
riere zwischen Rohwasser (Umwelt) und Trinkwasser dar.
– Bauwerke wie Wasserspeicher, Aufbereitungsanlagen, Pumpwerke etc. werden
so gestaltet, dass keine hygienischen Probleme entstehen sollten.
– Die letzte Barriere ist ein positiver Druckunterschied (oder Energiegradient)
zwischen dem einwandfreien Wasser und der möglicherweise kontaminierten
Umwelt. Die Tatsache, dass zwischen Trinkwasser und Umwelt ein Druckun-
terschied herrscht, bestätigt uns einerseits, dass die physikalische Barriere (die
Wände der Verteilleitungen) dicht ist. Andererseits stellt dieser Druckunter-
schied sicher, dass keine (unbeabsichtigten) Kontaminationen des Wassers
möglich sind.
Die Aufgabe, ein weit verzweigtes Netz von Wasserversorgungsleitungen dau-
ernd und sicher von der Umwelt abzutrennen, ist mit der modernen Wasserversor-
gung mit Druckleitungen technisch überzeugend und vermutlich optimal gelöst
worden. Ob wir auch in Zukunft diesen hohen Standard aufrechterhalten können,
muss sich zeigen. Kritisches Element in diesem System sind die Hausinstallatio-
nen (Beispiel 7.4).

Beispiel 7.3. Alternative Barrieren in der Wasserversorgung


Im Laufe der Geschichte sind unterschiedliche Systeme entwickelt worden, die dem Ziel
unserer Wasserversorgung mindestens teilweise gerecht werden:
110 7 Wasserversorgung

Die Römer haben offene Aquädukte erstellt, die sie z.T. militärisch schützen mussten:
Soldaten als Barriere.
Im Mittelalter wurde Wasser weitgehend aus Brunnen geschöpft. Die Barriere bestand
darin, dass „Brunnenvergifter“ mit dem Tode bestraft wurden.
In den USA wird in Landstrichen mit geringer Bevölkerungsdichte das Grundwasser
einzeln, für jedes Haus gefördert. Die Barriere besteht in lokalen Schutzabständen zwi-
schen Abwasserversickerung und Trinkwasserförderung (also kleinen lokalen Schutz-
zonen), die sicherstellen, dass keine Kontamination des Trinkwassers erfolgt. Dieses
System ist offensichtlich nur bei geringer Bevölkerungsdichte möglich.
In den südlichen Ländern Europas wird Trinkwasser häufig aus gekauften, hygienisch
einwandfreien Flaschen getrunken. Die Wasserversorgung gewährleistet hier nicht,
dass das angelieferte Wasser hygienisch einwandfrei ist. Das Wasser kann aber zum
Kochen, für die persönliche Hygiene etc. Verwendung finden. Die Barriere ist hier Teil
der Kultur und besteht im Bewusstsein der Bevölkerung, dass Leitungswasser kein
Trinkwasser ist.

Beispiel 7.4. Hausinstallationen, eine Anekdote


Die Dame im obersten Stock eines Dreifamilienhauses genoss öfter zwischen 22 und
24 Uhr ein Vollbad. Um die Geräuschentwicklung zu vermindern, legte sie zum Füllen
die Duschebrause in die Wanne. Doch die Badegeräusche übertrugen sich in der alter-
tümlichen Installation auf die beiden darunterliegenden Wohnungen und verärgerten die
übrigen Bewohner.
Um der Frau eine Lektion zu erteilen, stellten diese eines Nachts, als sie wiederum ihr
Bad füllte, kurzerhand den Haupthahn ab. Die Frau badete mit dem vorhandenen Was-
ser. Um die Mitbewohner nicht zu stören, liess sie die Wanne nicht auslaufen.
Dass mit dem Wasser etwas nicht in Ordnung war, merkten die Mitbewohner erst, als
sie in ihrem Morgenkaffee einen merkwürdig seifigen Geschmack feststellten. Die Un-
tersuchung ergab, dass sie nach ihrer nächtlichen Aktion vergessen hatten, den Haupt-
hahn wieder zu öffnen. Für ihre Morgentoilette und den Kaffee hatten sie trotzdem ge-
nügend Wasser, denn dieses floss durch die im Bad liegende Duschebrause in das
Hausnetz zurück. Anonymus

Eine moderne Wasserversorgung setzt sich aus den nachfolgend aufgeführten


technischen Elementen zusammen, wobei diese immer wieder in Beziehung zur
Barriere zwischen der Umwelt und dem Trinkwasser stehen. Es sind unterschied-
liche Ingenieurdisziplinen, die sich mit den Konzepten und der Realisierung der
verschiedenen Elemente befassen. Damit der Dialog zwischen diesen Disziplinen
fruchtbar wird, müssen alle einen Überblick über das Ganze und ein Verständnis
für die Bedeutung und Funktion der Einzelteile erarbeiten.

7.2.1 Wasserbeschaffung
Trinkwasser wird in Westeuropa v.a. aus Quell-, Grund- und Seewasser zu Trink-
wasser aufbereitet. Flusswasser wird meist über künstliche Grundwasseranreiche-
rung aufbereitet.
Eine zuverlässige Wasserbeschaffung bedingt ein Verständnis einerseits für
die Eigenheiten und den Schutz der Wasserressource (Hydrologie, Hydrogeologie
bei Grundwasser und Quellen, Limnologie bei Seen und Fliessgewässern) und
andererseits für die technische Gestaltung der Wasserfassung.
7.2 Mittel der Wasserversorgung 111

Die meisten Wasserversorgungen beruhen nicht nur auf einer einzigen Wasser-
ressource, sondern es stehen mehrere Wasserquellen zur Verfügung (z.B. Quell-
und Grundwasser). Zudem sind viele Wasserversorgungen in Verbundnetzen zu-
sammengeschlossen, sodass nach Ausfallen einer Bezugsquelle schnell Ersatz ge-
schaffen werden kann.

7.2.2 Schutzzonen
Um die Beschaffung von Trinkwasser dauerhaft zu gewährleisten, werden in der
Umgebung von Wasserfassungen Schutzzonen ausgeschieden, in denen je nach
Situation gewisse Aktivitäten (Bauen, Landwirtschaft, Industrie, Verkehr...) ver-
boten oder eingeschränkt sind (Hydrogeologie). Zudem müssen die Rechte an der
Ressource (Quelle, Grundwasser) und der Schutzzone gesichert werden (Grund-
buch).

7.2.3 Wasseraufbereitung
Häufig hat das Rohwasser nach der Fassung keine einwandfreie Trinkwasser-
qualität und muss vorerst aufbereitet werden. Die Aufbereitung reicht von einer
einfachen Desinfektion zur Erreichung einer genügenden hygienischen Qualität
bis zur anspruchsvollen, mehrstufigen Trinkwasseraufbereitung, die auch die
chemischen und physikalischen Eigenschaften des Wassers verändert (Verfahrens-
technik).

7.2.4 Pumpwerke
Es gibt in der Wasserversorgung unterschiedlichste Arten von Pumpwerken, z.B.
zur Förderung von Wasser in Grundwasserbrunnen, in Aufbereitungsanlagen etc.
Von besonderer Bedeutung sind die Pumpwerke, die den Betriebsdruck im Ver-
teilnetz herstellen und aufrechthalten – sie sind häufig die grössten Verbraucher
von Energie (Maschinenbau). Pumpwerke liefern die potentielle Energie ins Was-
ser, die nachher in Form von Wasserdruck zur Verfügung steht und die Energie-
barriere gewährleistet.

7.2.5 Wasserspeicherung
Aus verschiedensten Gründen ergeben sich Unterschiede zwischen dem momen-
tanen Wasserangebot (Input) und dem Wasserbedarf (Output). Da die Verteilnetze
immer voll sind, muss zum Ausgleich dieser Unterschiede ein Element mit variab-
lem Volumen zur Verfügung stehen: Trinkwasserspeicher, Reservoire (Bauingeni-
eure).
Trinkwasserspeicher stellen einwandfreies Trinkwasser mit potentieller Ener-
gie zur Verfügung, sodass das Wasser ohne zusätzliches Pumpen ins Verteilnetz
geliefert werden kann.

7.2.6 Wasserverteilung
Die Verteilung von Wasser im Versorgungsgebiet mit Hilfe von Druckleitungen
ist das anfälligste Element der Wasserversorgung: Das weit verzweigte, komplexe
112 7 Wasserversorgung

Netzwerk von Leitungen muss so gestaltet werden, dass es hohen Ansprüchen in


Bezug auf Sicherheit und Verfügbarkeit genügt (Bauingenieure).

Druck- und Energieverluste


Druck oder potentielle Energie hält die wichtigste Barriere zwischen Trinkwasser
und Umwelt aufrecht. Der Verlust dieser Energie, z.B. im Zusammenhang mit
dem Transport von Trinkwasser oder als Folge von Havarien, ist daher von gröss-
ter Bedeutung: Die Abschätzung von Energieverlusten unter verschiedensten Be-
triebszuständen der Verteilnetze ist eine der wichtigen Aufgaben der Ingenieurin
(Hydraulik).

Vermaschte Netze
Lineare oder verästelte Netze sind anfällig auf Störungen: Jeder Unterbruch einer
wichtigen Leitung führt dazu, dass die Versorgung eines ganzen Quartiers unter-
brochen wird. Mit Hilfe von vermaschten Netzen (Ringleitungen) kann gewähr-
leistet werden, dass Unterbrüche in der Versorgung auf kleine Gebiete begrenzt
werden können. Vermaschte Netze weisen eine hohe Versorgungssicherheit auf.

Beispiel 7.5. Hydraulisch unbestimmte Systeme


Nicht vermaschte Systeme sind analog zu einem statisch bestimmten System in der
Baustatik: Das Versagen eines Leitungsstrangs oder Tragwerkteils führt notgedrungen
zum Versagen mindestens eines Teils des Systems.
Vermaschte Systeme sind analog einem statisch unbestimmten System: Der Ausfall
eines Leitungsstrangs (oder Tragwerkteils) muss nicht notgedrungen zum Versagen des
Systems führen.
Die Iterationsmethode von Hardy Cross wurde entsprechend sowohl in der Statik als
auch in der Wasserversorgung zur Berechnung von statisch unbestimmten oder hydrau-
lisch vermaschten Systemen verwendet.

7.2.7 Hausinstallationen
Die Hausinstallationen stellen das „offene“ Ende der Wasserverteilung und einen
neuralgischen Punkt der Wasserversorgung dar. Ohne spezielle Vorkehrungen
kann der Rückfluss von Wasser über Hausinstallationen in die Versorgungsleitun-
gen kaum vermieden werden (Beispiel 7.4). Die Wasserwerke verlangen daher die
Installation von Armaturen, die den Rückfluss aus Hausinstallationen ins Netz
verhindern (Sanitärinstallateure).

7.2.8 Überwachung
Wasserressourcen und Wasserversorgungen müssen überwacht werden. Dabei
kommen biologische, mikrobiologische, chemische und physikalische Analyseme-
thoden zur Anwendung. Insbesondere die chemische Analytik von Spurenstoffen
ist anspruchsvoll und bedingt entsprechende Fachkompetenz (Analytiker, Chemi-
ker, Mikrobiologen, Biologen, Limnologen).
7.2 Mittel der Wasserversorgung 113

7.2.9 Administration, Finanzplanung


Entsprechend der langen Lebenserwartung vieler Anlagen in den Wasserversorg-
ungen sind diese sehr kapitalintensiv. Die Kosten werden grösstenteils über den
gemessenen Verbrauch verrechnet. Ohne geeignete Finanzplanung ist die Ent-
wicklung einer Wasserversorgung gefährdet (Management, Betriebswirtschaft).

7.2.10 Planung
Die Anlagen einer Wasserversorgung haben eine grosse Lebenserwartung (bis 80
und mehr Jahre), ihre einzelnen Elemente (Beschaffung, Aufbereitung, Speiche-
rung, Förderung, Verteilung, etc.) werden aber verteilt über viele Jahrzehnte als
Einzelbauwerke erstellt. Damit ein funktionierendes und effizientes Ganzes ent-
steht, müssen diese Anlagen langfristig geplant und aufeinander abgestimmt wer-
den. Das entsprechende Werkzeug sind generelle Wasserversorgungspläne, die
auch die Siedlungsplanung mit berücksichtigen (Siedlungswasserwirtschafter).
8 Wasserbeschaffung

Die Wasserbeschaffung befasst sich mit der Herkunft und den Eigenschaften des
Rohwassers, den Vorkehrungen für den Schutz der Quantität und der Qualität der
Ressourcen sowie den technischen Installationen für die Fassung des Wassers.
Im deutschen Sprachraum wird Trinkwasser v.a. aus Grund- und Quellwasser ge-
wonnen (Tabelle 8.1). Je grösser die Siedlung, desto weniger kann Quell- und
Grundwasser den Bedarf decken – die Besiedlungsdichte wird zu gross
(Tabelle 8.2, s.a. Abschn. 1.4, Seite 5). Der kleine Anteil an Seewasser, der in
kleinen Schweizer Gemeinden gebraucht wird, wird mit wenigen Ausnahmen
durch Gruppenwasserversorgungen geliefert – Seewasserwerke können nur von
grösseren Wasserversorgungen effizient und professionell betrieben werden.

8.1 Wasserarten und -vorkommen


Niederschlagswasser
Gelegentlich wird für die Versorgung von Einzelhäusern Niederschlagswasser von
Dachflächen gesammelt und in Zisternen gespeichert. Hier handelt es sich nicht
um Trinkwasser im rechtlichen Sinne. Insbesondere können die hygienischen An-
forderungen kaum eingehalten werden. Niederschlagswasser ist sehr weich (s.a.
Tabelle 3.8), es eignet sich daher für viele Anwendungen im Haushalt. Neubauten
werden heute zunehmend mit Anlagen ausgerüstet, die erlauben, das Nieder-
schlagswasser lokal zu nutzen.

Bach- und Flusswasser


Bach- und Flusswasser variiert stark in seiner Qualität (z.B. Trübung bei Hoch-
wasser), es wird nur in Ausnahmefällen direkt zu Trinkwasser aufbereitet. Dazu
sind aufwändige Verfahren erforderlich, die mit den stark schwankenden Eigen-
schaften des Flusswassers umgehen können. Immer häufiger wird Flusswasser
indirekt, d.h. nach einer Vorbehandlung und über die künstliche Anreicherung von
Grundwasser, genutzt. Hier wird das Wasser z.T. im Untergrund gespeichert, so-
dass bei schlechter Qualität des Flusswassers vorübergehend auf die Anreicherung
des Grundwassers verzichtet werden kann.
Bach- und Flusswasser wird z.T. durch Industriebetriebe zu Brauchwasser auf-
bereitet, an das geringere Anforderungen gestellt werden.
116 8 Wasserbeschaffung

Tabelle 8.1. Herkunft des Trinkwassers im deutschen Sprachraum


Land Deutschland1) Österreich1) Schweiz2)
Jahr 1998 1997 2001
Total Förderung 5.6·109 0.6·109 1.0·109 m3 a-1
Quellwasser 9% 49% 43%
Grundwasser 65% 50% 40%
Oberflächenwasser 26% 1% 17%
1)
Internationaler Vergleich der Siedlungswasserwirtschaft, Österreichischer Städtebund
2)
Bundesamt für Umweltschutz, Schweiz und SVGW

Tabelle 8.2. Wassergewinnung in der Schweiz im Jahre 1993 in Abhängigkeit der Grösse der
Wasserversorgung (E = angeschlossene Einwohner) nach statistischen Erhebungen des SVGW
Grösse der
> 50’000 E 10’000 – 50’000 E < 10’000 E Ganze Schweiz
Wasserversorgung
Einwohner 1’650’000 1’600’000 3’750’000 7’000’000
6 3
Seewasser in 10 m 177 56% 36 14% 11 2% 224 21%
6 3
Grundwasser in 10 m 80 26% 130 50% 194 39% 404 38%
6 3
Quellwasser in 10 m 57 18% 92 36% 289 59% 438 41%
6 3
Total in 10 m 314 30% 258 24% 494 46% 1066 100%

Seewasser, Trinkwassertalsperren
Seewasser wird in vielen Städten zu Trinkwasser aufbereitet. Da Seen meist ver-
schiedenartig genutzt werden (Erholung, Schifffahrt, Abwassereinleitung etc.),
kommt dem Schutz des Sees grosse Bedeutung zu. Talsperrenwasser ist dem See-
wasser gleichgestellt, die Rohwasserqualität ist aber häufig besser, weil im Ein-
zugsgebiet des künstlichen Sees gezielte Schutzmassnahmen ergriffen werden
können.
Seen gleichen die Wasserqualität über lange Zeit aus und erlauben Trübstoffen
zu sedimentieren. Das steht im Gegensatz zu Fliessgewässern und vereinfacht die
Aufbereitung. Seen sind einem typischen Jahreszyklus unterworfen: Temperatur-
schichtung des Wassers im Sommer und ev. Winter, Zirkulation im Herbst und
Frühling. Dieser Zyklus muss bei der Festlegung der Entnahmestelle und deren
Tiefe berücksichtigt werden.

Meerwasser
Meerwasser kann heute mit unterschiedlichen, energieintensiven Technologien
entsalzt werden. In ausgesprochenen Mangelgebieten nimmt die Bedeutung von
entsalztem Wasser laufend zu und ist z.B. im Persischen Golf zu einer wichtigen
Ressource geworden.

Grundwasser
Je nach dem geologischen Aufbau des Grundwasserleiters unterscheidet man zwi-
schen Lockergesteins-, Kluft- und Karstgrundwasser.
– Lockergesteinsgrundwasser kann bei geeignetem Schutz häufig ohne Aufbe-
reitung als Trinkwasser verwendet werden. Lockergesteine haben eine hohe
8.2 Fassung von Quellwasser 117

Ergiebigkeit, Schüttung in m3s-1 Trübung (NTU)


0

50

100
2

0
Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

Abb. 8.1. Jahresgang der Ergiebigkeit (unten) und der Trübung (oben) einer Karstquelle im
Schweizerischen Jura (Boller, Eawag, 1998)

nutzbare Porosität von 10–20%. Die Fliessgeschwindigkeit des Grundwassers


ist meist gering, und die Aufenthaltszeit im Untergrund ist gross. Das Grund-
wasser hat häufig ein gleichmässiges, mittleres Energiegefälle.
– Kluftgrundwasser fliesst in den Klüften und Spalten von Festgesteinen mit
meist nur geringer Porosität von 1–2%. Die Fliessgeschwindigkeit ist höher als
im Lockergestein und das Energiegefälle meist unregelmässig.
– Karstgrundwasser zirkuliert in den Lösungshohlgängen von Kalk- und Dolo-
mitformationen. Häufig steht solches Grundwasser in fast direktem Kontakt
zur Oberfläche und Karstquellen reagieren schnell auf Regenereignisse und
Schneeschmelze, was auf eine kurze Aufenthaltszeit des Wassers im Unter-
grund hinweist. Bei schnell zunehmender Wasserführung ist Karstwasser häu-
fig trübe (Abb. 8.1). Karstwasser muss meist mit aufwändigen Verfahren auf-
bereitet werden, um dauernd Trinkwasserqualität zu gewährleisten.

Quellwasser
Quellwasser ist Grundwasser, das mit freiem Gefälle zu Tage tritt. Mit entspre-
chendem Schutz und bei geeigneter Fassung hat Quellwasser die gleichen Eigen-
schaften wie Grundwasser und kann häufig ohne Aufbereitung als Trinkwasser
genutzt werden.

8.2 Fassung von Quellwasser


Quellwasser ist für die Wasserversorgung von grosser Bedeutung. Es hat bei ge-
eigneter Lage der Quelle den Vorteil, dass es ohne Pumpen einem Speicher zuge-
führt werden kann. Der Wert der Quellen für die Wasserversorgung setzt sich aus
einer Reihe von Einzelaspekten zusammen:
– Die Qualität des Quellwassers, ist insbesondere dann gut, wenn ein gut filtrie-
render Untergrund mit genügender Mächtigkeit und guter, bepflanzter Überde-
ckung besteht.
118 8 Wasserbeschaffung

Brunnenstube verschlossen

Drainageschicht
Lehmabdeckung

Wasserführende
Drainage Betonkies Beton
Schicht

Abb. 8.2. Beispiel einer Quellfassung, erstellt in einem offenen Graben. Längsschnitt

– Eine gute Quelle ergibt sich, wenn das Wasser eine lange Aufenthaltszeit im
Filterkörper hat. Das führt zu einer geringen Variabilität der Ergiebigkeit
(Qmax : Qmin < 3 : 1), der Temperatur und der chemischen Zusammensetzung
des Wassers.
– Von Bedeutung ist der geringste Ertrag z.B. nach langen und heissen Trocken-
perioden.
– Die Höhenlage macht eine Quelle ev. für die Notstandsversorgung besonders
geeignet.
– Nur eine langjährige (z.B. monatliche) Beobachtung der Schüttung einer Quel-
le, zusammen mit einer chemischen sowie bakteriologischen Überwachung des
Wassers kann als Grundlage für eine zuverlässige Planung dienen.
Ein Beispiel einer Quellfassung ist in Abb. 8.2 dargestellt. In der Brunnenstube
tritt das Quellwasser ein erstes Mal zu Tage, es kann und soll dort in Bezug auf
Schüttung und Qualität überwacht werden.

Beispiel 8.1. Einzugsgebiet einer Quelle


Ein Weiler mit 100 Einwohnern (ca. 1 ha Siedlungsfläche) wird durch eine Quelle mit
Wasser versorgt. Die minimale Schüttung der Quelle nach langer Trockenheit ist 40
m3d-1. Im Jahresmittel beträgt die Schüttung 100 m3 d-1. Wie gross ist das Einzugsgebiet
dieser Quelle?
Aus einer einfachen Bilanz, mit ungefähren Anteilen an der Wasserbilanz ergibt sich:
Jahresniederschlag (z.B.) 1000 mm a-1
Oberflächenabfluss (z.B. 20 %) 200 mm a-1
Evapotranspiration (z.B. 40 %) 400 mm a-1
Es verbleiben für die Infiltration ins Grundwasser 400 mm a-1 = 0.4 m3 m-2 a-1
Die Jahresschüttung der Quelle beträgt 100 m3 d-1 ˜ 365 d a-1 = 40’000 m3 a-1
Damit soviel Grundwasser gebildet werden kann, muss ein Einzugsgebiet von
40’000 m3 a-1 / 0.4 m3 m-2 a-1 = 100’000 m2 oder 10 ha zur Verfügung stehen. Die Grös-
se des Einzugsgebiets umfasst also das Vielfache des Siedlungsgebiets.
8.3 Fassung von Grundwasser 119

GWSp.

Bohrloch oder
Unterwasserpumpe
Kiesstütz- und Filterschicht

Schlammsack Abb. 8.3. Beispiel eines Verti-


kalfilterbrunnens

Kiesstützschichten Stahlfilterrohr

Gewachsener
Boden

Abb. 8.4. Detail eines Filter-


brunnens mit mehrfacher Kies-
stützschicht und innerem Stahl-
filterrohr

8.3 Fassung von Grundwasser


Historisch wurde Grundwasser in Sodbrunnen genutzt. Heute hat sich das
Grundwasser zur wichtigsten Quelle von Trinkwasser entwickelt.
Grundwasser in Lockergesteinen hat häufig eine gute Qualität und kann ohne oder
nach einer einfachen Aufbereitung als Trinkwasser genutzt werden. Bei genügen-
der Leistung der Förderanlagen und geeigneter Gestaltung der Fassung ist es auch
möglich, kurzfristige Belastungsspitzen mit Grundwasser zu decken, d.h. den
Grundwasserträger als Speicher zu nutzen.
Grundwasser wird meist in Vertikalfilterbrunnen gewonnen, wie er in Abb. 8.3
dargestellt ist. Bauliche und konstruktive Details, wie z.B. der Aufbau von Filter-
stützschichten (Abb. 8.4) und die Inbetriebnahme und der Unterhalt eines neu ge-
bauten Filterbrunnens, entscheiden über dessen Lebensdauer und Leistungs-
fähigkeit: Beim Bau ergibt sich die Gefahr, dass die Schichtstrukturen des
gewachsenen Bodens gestört werden, im Betrieb wird ev. Sand mitgerissen, der
sich dann in falsch ausgelegten Filterstützschichten festsetzt und den Brunnen ver-
stopft.
120 8 Wasserbeschaffung

Brunnenschacht

Gewachsener Boden
GWSp.

Horizontaler Fassungsstrang

Abb. 8.5. Prinzipskizze eines Horizontalfilterbrunnens

Filterarm mit
Filterkörnung
Gewachsener Boden
Grundwasserträger Stützschicht mit
Filterkörnung

Brunnen

Abb. 8.6. Beispiel eines Filterbrunnens mit erhöhter Entnahmeleistung durch Vergrösserung
der Grenzfläche zum ungestörten Untergrund

Um die Leistung von Brunnen zu erhöhen, werden Horizontalfilterbrunnen ge-


baut (Abb. 8.5) oder durch andere Methoden die mögliche Entnahmeleistung er-
höht, ohne dass der Brunnen versandet (Abb. 8.6). Gelegentlich werden ganze
Gruppen von Brunnen, z.B. in einer Linie zusammengefasst und so die Entnahme-
leistung gesteigert.
Die Entnahme von Grundwasser verursacht eine Störung im natürlichen Fluss
des Grundwassers. Bevor ein neuer Brunnen abgeteuft wird, werden deshalb um-
fangreiche hydrogeologische und grundwasserhydraulische Untersuchungen ge-
macht. Um die Grundlagen zur Auslegung des Brunnens zu erarbeiten und zur
Berechnung der zu erwartenden Leistung sowie der Beeinflussung des Grundwas-
serspiegels, werden vorgängig in Pumpversuchen aus temporären Brunnen die
8.4 Berechnungen zum vollkommenen Filterbrunnen 121

erforderlichen Daten erhoben. Die Erhebung dieser Unterlagen, sowie die Projek-
tierung und der Bau von Grundwasserbrunnen ist eine Aufgabe für Spezialisten.
Grundwasserbrunnen werden gelegentlich entlang von Flüssen zur Entnahme
von Uferfiltrat angeordnet. Da die Filterstrecke bei solchen Brunnen nur kurz ist,
hat das geförderte Wasser noch nicht Trinkwasserqualität, es kann aber z.B. zur
Anreicherung eines Grundwassers genutzt werden. Anlagen zur Förderung von
Uferfiltrat bergen die Gefahr, dass die Flussufer kolmatieren und damit die mögli-
che Förderleistung abnimmt. In Tabelle 8.3 sind Informationen zur Wasserqualität
im Fluss (Limmat) und im Uferfiltrat der Wasserversorgung der Stadt Zürich zu-
sammengestellt. Deutlich sichtbar ist der Filtereffekt (Abnahme der Keime und
der Biomasse), der Temperaturausgleich sowie die Selbstreinigung (Abnahme des
O2 und des NH4+-N sowie Zunahme des CO2 durch biologische Aktivität).

Tabelle 8.3. Qualität des Flusswassers und des Uferfiltrats in der Uferfiltrationsanlage der Stadt
Zürich, Jahresmittelwerte (Jahresbericht der Wasserversorgung 1993)
Parameter Fluss Limmat Uferfiltrat Einheiten
Keimzahl < 29’000 < 640 pro ml
E.coli < 2’000 <4 pro 100 ml
Temperatur 3.5 – 23.4 9.7 – 16.5 °C
-3
O2 10.1 5.2 gm
-3
CO2 2.3 6.5 gm
+ -3
NH4 -N < 0.055 < 0.016 gm
-3
Biomasse <7 < 0.02 gm

8.4 Berechnungen zum vollkommenen Filterbrunnen


Berechnungen zu realen Grundwasserströmungen im Umfeld von Filterbrunnen
sind anspruchsvoll. Hier wird nur ein idealisiertes Beispiel beschrieben, das auf-
zeigen soll, welche Grössen bei der Dimensionierung eines Filterbrunnens von
Bedeutung sind. In der Praxis soll für diese Aufgabe eine Spezialistin zugezogen
werden.
In Abb. 8.7 ist ein vollkommener Filterbrunnen dargestellt: Vollkommen heisst
der Brunnen, weil er bis auf die undurchlässige Schicht reicht. Der Grundwasser-
träger ist ungespannt, d.h. der freie Wasserspiegel steht mit der Atmosphäre im
Kontakt. Der Grundwasserträger ist homogen und isotrop, er weist also in allen
drei Dimensionen die gleiche Leitfähigkeit auf.
Fragestellungen:
– Welche Wassermenge QB kann aus dem Brunnen in Abb. 8.7 gefördert wer-
den?
– Welche Reichweite hat der Brunnen? Unter Reichweite verstehen wir den Be-
reich, in dem der Grundwasserspiegel durch den Brunnen beeinflusst wird.
– Wie beeinflussen die Abmessungen des Brunnens die zulässige Fördermenge
QB?
122 8 Wasserbeschaffung

h QB
Brunnen Netto-Niederschlag N

Ruhespiegel
GWSp

Fliessrichtung
h des Wassers
k H
r konzentrisch
hB
0

r r
0
Abb. 8.7. Definition eines vollkommenen Filterbrunnens in einem ungespannten, homogenen
und isotropen Grundwasserträger. N = Niederschlag, der zur Grundwasserneubildung beiträgt,
H = Mächtigkeit des ungestörten Grundwassers, hB = Wasserstand im Filterbrunnen, rB = Radius
des Filterbrunnens, k = Durchlässigkeit des Grundwasserträgers nach Darcy, QB = geförderte
Wassermenge, r und h bezeichnen die Koordinaten des freien Wasserspiegels

Darcy hat die Fliessgeschwindigkeit in Funktion der Durchlässigkeit des


Grundwasserträgers und des Energiegefälles der Grundwasserströmung beschrie-
ben:
dh
v k ˜ J mit J (8.1)
dr
v = Scheinbare Fliessgeschwindigkeit des Wassers (bezogen auf den ganzen
Querschnitt) >L T-1@ = Filtergeschwindigkeit
k = Durchlässigkeitsbeiwert des Grundwasserträgers >L T-1@
J = Energiegefälle der Grundwasserströmung >-@
Die Kontinuitätsgleichung für Wasser verlangt, dass einem Kontrollvolumen
im stationären Zustand gleichviel Wasser zufliesst wie daraus abfliesst. Definieren
wir als Kontrollvolumen einen konzentrischen Zylinder um den Brunnen mit dem
Radius r, so können wir für den stationären Zustand schreiben:
QB Q N  Q GW (8.2)
dh
Wobei Q N S ˜ r 2 ˜ N und Q GW 2˜S˜r ˜h˜v 2˜S˜r ˜h˜k˜
dr
QB = Wassermenge, die aus dem Brunnen gefördert wird >L3 T-1@
QN = Niederschlag, der ins Kontrollvolumen versickert >L3 T-1@
QGW = Grundwassermenge, die dem Kontrollvolumen zufliesst >L3 T-1@
N = Mittlerer Niederschlag, der ins Grundwasser versickert >L T-1@
Definieren wir die Reichweite R des Brunnens als den Radius, bei dem
dh/dr = 0 wird, so reduziert sich wegen QGW = 0 die Kontinuitätsgleichung zu
QN = QB und es wird:
8.4 Berechnungen zum vollkommenen Filterbrunnen 123

QB
QB S ˜ R2 ˜ N oder R (8.3)
S˜N
Werden die beiden Wassermengen QN und QGW in Gl. (8.2) substituiert, ent-
steht eine Differentialgleichung, die ausgehend vom Brunnen mit den Randbedin-
gungen h = hB und r = rB bis zur Reichweite mit den Randbedingungen r = R und
h = H integriert werden kann zu:
R2
S ˜ k ˜ H 2  h 2B  S ˜ N ˜
QB 2
R (8.4)
ln
rB
Dupuit hat eine Gleichung abgeleitet, die analog zu Gl. (8.4) ist, aber den Nie-
derschlag N nicht berücksichtigt (N = 0).
Die grösste Fördermenge aus einem Filterbrunnen ergibt sich nach Gl. (8.4) für
hB = 0. Das resultiert in sehr grossen Fliessgeschwindigkeiten des Wassers in den
Brunnen hinein, es entsteht die Gefahr, dass Sand aus dem anstehenden Boden
ausgewaschen wird und ev. den Filterbrunnen verstopft. Sichardt hat 1928, basie-
rend auf Erfahrung und Versuchen vorgeschlagen, dass die Fliessgeschwindigkeit
nach Darcy an der Oberfläche des Filterbrunnens beschränkt wird auf:

k
vB d (8.5)
15 s0.5 m 0.5
Damit soll die geförderte Wassermenge beschränkt werden auf:

k 1
Q B d 2 ˜ S ˜ rB ˜ h B ˜ ˜ mit k in m s 1 (8.6)
15 SF
Der dimensionslose Sicherheitsfaktor SF wird grösser gewählt, je unsicherer
der Wert für die Durchlässigkeit k ist, typisch sind Werte über 2.
Das Gesetz von Darcy, Gl. (8.1), geht von einer hydrostatischen Druckvertei-
lung und parallelen Stromlinien im Grundwasser aus. Wenn die Absenkung des
Grundwassers im Brunnen zu gross wird, werden diese Annahmen ungültig. Eine
grosse lokale Absenkung des Grundwassers kann zudem Setzungen des Bodens
zur Folge haben. Es ist daher üblich, die Absenkung des Wasserspiegels im Brun-
nen zu begrenzen:
h B t 0.75 ˜ H (8.7)
Soll ein Filterbrunnen dimensioniert werden, so müssen für eine bestimmte
Wassermenge QB der Radius des Filterbrunnens rB und der Wasserstand im Brun-
nen hB festgelegt werden, zudem interessiert die Reichweite R des Brunnens. Das
Vorgehen ist wie folgt:
– Mit Gl. (8.3) wird die Reichweite R berechnet.
124 8 Wasserbeschaffung

Erforderlicher Radius rB des Brunnens in m


2
nach Sichhardt
1.5
1 hB = 10 m
0.5 hB = 15 m
nach Dupuit
0
0 0.05 0.1 0.15 0.2
Förderleistung QB des Brunnens in m3s-1

Abb. 8.8. Zusammenhang zwischen der Förderleistung QB aus einem Filterbrunnen und dem
erforderlichen Brunnenradius rB nach Gl. (8.4) von Dupuit und Gl. (8.6) von Sichardt. Zulässige
Brunnen liegen oberhalb beider Linien. Siehe Beispiel 8.2 für Details. H = 20 m, hB nach Anga-
-1 -1
be, k = 0.001 m s , N = 0.5 m a , SF = 2

– Unter Berücksichtigung von Gl. (8.7) wird der minimale Wasserstand hB im


Brunnen gewählt.
– Aus der nach rB aufgelösten Gl. (8.4) ergibt sich nun der minimal erforderliche
Radius rB des Brunnens.
– Mit Gl. (8.6) muss nun noch überprüft werden, ob die Infiltrations-
geschwindigkeit in den Brunnen dem Kriterium von Sichardt genügt. Der Si-
cherheitsfaktor wird üblicherweise zu SF = 2 gewählt.
Überschreitet QB die maximal zulässige Fördermenge aus dem Brunnen nach
Gl. (8.6), so wird der Brunnenradius rB vergrössert, bis er dem Kriterium von Si-
chardt nach Gl. (8.6) genügt. Wird der erforderliche Brunnendurchmesser zu
gross, so können z.B. Reihen von Filterbrunnen oder ein Horizontalfilterbrunnen
die Situation verbessern.

Beispiel 8.2. Dimensionierung eines Filterbrunnens


Eine Gemeinde mit 10’000 Einwohnern will QB = 0.1 m3s-1 Trinkwasser aus einem ste-
henden Grundwasserträger mit H = 20 m Mächtigkeit fördern. Die Durchlässigkeit des
Grundwasserträgers beträgt k = 0.001 m s-1. Es soll ein Sicherheitsfaktor von SF = 2
gewählt werden. Vom Niederschlag versickern N = 0.5 m pro Jahr. Wie gross wird der
Brunnen? (Als Alternative werden zwei Brunnen mit je halber Leistung berechnet)
Die Angaben in Tabelle 8.4 beschreiben das Problem.
Aus den Berechnungen folgt, dass mit einem einzigen Brunnen der erforderliche
Durchmesser von 7 m zu gross wird, es müssten Massnahmen ergriffen werden, die die
Fläche, über die das Wasser einsickern kann, vergrössern. Werden zwei Brunnen, z.B.
im Abstand von 500 m gebaut, so wäre ein Brunnendurchmesser von je 1.0 m bereits
ausreichend (aber immer noch sehr gross). Dieses überraschende Ergebnis hängt mit
den Eigenschaften von Gl. (8.4) zusammen. In Abb. 8.8 ist der Zusammenhang zwi-
schen Brunnenradius und Fördermenge dargestellt.
Werden die zwei kleineren Brunnen mit weniger als 500 m Abstand angeordnet, so be-
einflussen sie sich gegenseitig und die Berechnung wird anspruchsvoller (Superpositi-
on).
8.5 Fassung von Seewasser 125

Rohwasserpumpwerk
Ansaugkorb mit Schwallentlastung
Fischgitter
30 - 60 m tief
10 m über Grund

Bodenschlamm
Seekreide

Fester Seegrund

Abb. 8.9. Schematische Darstellung einer Seewasserfassung mit Unterwasser-Saugleitung. Die


Schwallentlastung berücksichtigt dynamische Vorgänge, wie das Ausschalten der Pumpen

Tabelle 8.4: Characterisierung der Brunnen in Beispiel 8.2


Parameter 1 Brunnen 2 Brunnen im Abstand von 500 m*
3 -1
QB m s 0.1 2 mal je 0.05
k m s-1 0.001 0.001
H m 20 20
N m a-1 0.5 0.5
SF - 2 2
R m 1400 total 1400 Gl.(8.3)
hB m 15 15 Gl.(8.7)
rB,min m 3.5 0.01 Gl.(8.4)
rB,Sichardt m 1.0 0.5 Gl.(8.6)
rB m t 3.5 t 0.5

8.5 Fassung von Seewasser


Seewasser wird häufig in Seen gefasst, die genügend tief sind, dass sich im Som-
mer eine Temperaturschichtung einstellen kann: Schwereres, kaltes Wasser unter
der Sprungschicht, leichteres, warmes Wasser über der Sprungschicht. Seewasser
hat dadurch den Vorteil, dass es über das ganze Jahr im Hypolimnion (unter der
Temperatursprungschicht) bei konstant geringer Temperatur und in grosser Menge
entnommen werden kann. Ist der See nicht stark eutroph (gedüngt), so ist das
Wasser in einer Tiefe von 30–60 m meist arm an Schwebstoffen und reich an Sau-
erstoff, es hat eine zeitlich gleichmässige Zusammensetzung und ist als Folge der
natürlichen Vorgänge im See eher weich (Tabelle 8.5).
126 8 Wasserbeschaffung

Zulauf mit Belüftungskaskade

Anreicherungsbecken
Filtersand
Sickerfähige
Stütz- und
Schicht
Verteilschicht

Grundwasser

Abb. 8.10. Darstellung eines Grundwasseranreicherungsbeckens. Der Aufbau des Filters ist ver-
gleichbar mit einem Langsamsandfilter (Abb. 9.6)

Tabelle 8.5. Zusammensetzung des Rohwassers einer Wasserfassung im Zürichsee (Wasserver-


sorgung der Stadt Zürich, Untersuchungsbericht 1995)
Temperatur °C 5.1 – 7.0
pH - 7.7 – 8.1
Bikarbonat HCO3- mol m-3 2.5 – 2.7
Gesamthärte Ca2+, Mg2+,… mol m-3 1.4 – 1.5
Sauerstoff O2 g m-3 5.7 – 10.6
Ammonium NH4+ g m-3 <0.005 – 0.007
Nitrat NO3- g m-3 0.74 – 0.90
Sulfat SO4= g m-3 14.6 – 16.5
Chlorid Cl- g m-3 3.0 – 3.6

Wird Wasser aus einem natürlichen See mit weitgehend konstantem Wasserspie-
gel genutzt, so kommen Unterwasser-Saugleitungen zur Anwendung (Abb. 8.9).
In künstlichen Talsperren kann der Wasserspiegel stark variieren, das Wasser wird
dann z.B. aus Fassungstürmen entnommen, wie sie ähnlich auch in Stauseen für
die Energiegewinnung zur Anwendung kommen. Die Veränderung des Wasser-
spiegels bedingt eine Wasserentnahme in unterschiedlicher Tiefe.

8.6 Grundwasseranreicherung
Reicht das Angebot von Grundwasser nicht aus um den Bedarf zu decken, so kann
Grundwasser künstlich angereichert werden. Dabei wird die ausgleichende Funk-
tion und die Reinigungswirkung des Grundwasserträgers ausgenutzt:
– Der Grundwasserträger kann mit seinem grossen nutzbaren Porenvolumen das
Angebot dem Bedarf angleichen und das Wasser durch das Auflösen von Mi-
neralien in ein chemisches Gleichgewicht bringen, sodass das Wasser im Ver-
teilnetz nicht übermässig korrosiv wirkt. Der Bodenkörper wirkt zudem aus-
gleichend auf die Temperatur.
8.7 Schutz von Wasserfassungen (Schutzzonen) 127

– Im Bodenkörper laufen Selbstreinigungsprozesse ab, die denjenigen im natür-


lichen Grundwasser entsprechen. Dabei muss allerdings darauf geachtet wer-
den, dass im Grundwasserleiter durch die hohe lokale Belastung nicht Trüb-
stoffe akkumulieren und diesen schon nach kurzer Zeit kolmatieren. Das
bedingt z.B., dass Flusswasser weitgehend aufbereitet und bei übermässiger
Belastung mit Trübstoffen nicht infiltriert wird.
Die technische Gestaltung der Grundwasseranreicherung hängt stark von den
lokalen Verhältnissen ab. Ein schematisches Beispiel zeigt Abb. 8.10. Im Filter-
sand werden Feststoffe zurückgehalten und es laufen biologische Reinigungs-
prozesse ab, sodass die Filterfläche gelegentlich (im Abstand von Jahren) erneuert
werden muss, indem z.B. eine obere Schicht abgetragen wird oder indem ein aus-
tauschbares Vlies die Filterschicht schützt.
Sickerbrunnen bringen das Wasser direkt unter die undurchlässigen Boden-
schichten, ohne dass die Brunnen bis ins Grundwasser abgeteuft sind. Durch alter-
nierenden Betrieb von mehreren solchen Brunnen gelingt es, den Gasaustausch
und damit den Sauerstoffnachschub in den Boden sicherzustellen. Das Bodenma-
terial oberhalb des Grundwassers kann nur mit aufwändigen Methoden rückge-
spült werden – deshalb soll nur Rohwasser ohne suspendierte Stoffe und ohne Ei-
sen und Mangan versickert werden.
Schluckbrunnen sind bis ins Grundwasser abgeteuft und bringen das Wasser
direkt ins Grundwasser ein, sodass der Gasaustausch im Boden nicht mehr ge-
währleistet ist. Die Belastung des Wassers mit Stoffen, die im Boden durch Mik-
roorganismen oxidiert werden, muss gering sein, weil das Grundwasser sonst sau-
erstoffarm wird.

8.7 Schutz von Wasserfassungen (Schutzzonen)


Für den Schutz des Grundwassers werden Schutzzonen ausgeschieden, in denen
Einschränkungen für die Nutzung gelten (Bauten, Ausbringen von landwirtschaft-
lichen Stoffen, Abbau von Kies, etc.). Die Vorschriften unterscheiden sich von
Land zu Land, die Schutzkonzepte sind aber vergleichbar.
In der Schweiz bezeichnen die Kantone in ihrem Gebiet die besonders gefähr-
deten Gewässerschutzbereiche (Au und Ao sowie Zu und Zo) und scheiden zum
Schutze von bestehenden und geplanten Grundwasser-Fassungen und -Anreicher-
ungen Grundwasser-Schutzzonen und -Areale (S1, S2 und S3 sowie S) aus. Quell-
fassungen sind den Grundwasserfassungen gleichgestellt. Vereinfacht ergibt sich
die folgende Situation (Abb. 8.11):
– Au: Der Gewässerschutzbereich Au umfasst die nutzbaren unterirdischen Ge-
wässer sowie die zu ihrem Schutz notwendigen Randgebiete.
– Zu: Der Zuströmbereich Zu umfasst das Gebiet, aus dem bei niedrigem Wasser-
stand etwa 90% des Grundwassers, das bei einer Grundwasserfassung höchs-
tens entnommen werden darf, stammt. Er wird dann ausgeschieden, wenn eine
Gefährdung einer Fassung besteht oder angenommen wird.
– Ao, Zo: Die Gewässerschutzbereiche Ao und Zo beziehen sich analog auf die
oberirdischen Gewässer und werden hier nicht diskutiert.
– üB: Übriger Bereich üB gehört weder zu Au, Ao, Zu noch Zo.
128 8 Wasserbeschaffung

Gewässerschutzbereich Au Übriger Bereich üB

ev.
Areal S Zuström-
bereich Zu
Übriger
Bereich
üB
Zuström-
S3 bereich Zu Abb. 8.11. Schematische Dar-
S1 S2
stellung der Gewässerschutz-
bereiche und der Grundwasser-
schutzzonen und -areale

– S1: Der Fassungsbereich S1 soll verhindern, dass Grundwasserfassungen oder


-anreicherungsanlagen sowie deren unmittelbare Umgebung beschädigt oder
verschmutzt werden. Ihre Ausdehnung reicht 10 bis 20 m über die bauliche
Ausdehnung der Anlagen hinaus.
– S2: Die engere Schutzzone S2 soll verhindern, dass Keime und Viren in die
Anlage geraten und dass das Grundwasser durch unterirdische Arbeiten verun-
reinigt oder gestaut wird. Für das Festlegen ihrer Grösse gilt als Basis eine
Aufenthaltszeit des Wassers von t10 Tagen (in Deutschland analog t50 Ta-
gen). Diese Zeit soll gewährleisten, dass mikrobielle Verunreinigungen durch
eine genügende Filterstrecke zurückgehalten werden. Daraus ergeben sich Zu-
flussstrecken von häufig > 100 m. Bei Quellen resultieren häufig sehr grosse
Schutzzonen – wenn hier die 10 d nicht eingehalten werden können, ist eine
Entkeimung vorzusehen. Die minimale Ausdehnung in der Richtung des zu-
strömenden Wassers beträgt 100 m.
– Die Zone S1 ist in der Regel eingezäunt sollte im Eigentum des Fassungsei-
gentümers sein. Die Zone S2 muss teilweise entschädigt oder erworben wer-
den.
– S3: Die weitere Schutzzone S3 soll gewährleisten, dass bei unmittelbar drohen-
den Gefahren (Unfällen) ausreichend Zeit und Raum für erforderliche Mass-
nahmen zur Verfügung stehen. Der Abstand der Grenzen von S2 zu S3 soll
mindestens dem Abstand von S1 zu S2 entsprechen. Die Fläche der Zone S3
wird damit mindestens 3-mal grösser als die Zone S2 (s.a. Abb. 8.12).
– S: Grundwasserschutzareale S werden für geplante Fassungen so ausgeschie-
den, dass deren Standort und Schutzzonen zweckmässig festgelegt werden
können. Zu Arealen werden in der Regel noch keine Zuströmbereiche Au und
Zu ausgeschieden.
Für diese Bereiche und Zonen sind unterschiedliche Nutzungseinschränkungen
vorgesehen, die im Detail noch festzulegen sind. Vorläufige Angaben sind in
Tabelle 8.6 zusammengestellt. Zu jeder genutzten oder geplanten Grund- oder
Quellwasserfassung (auch Grundwasseranreicherung) müssen Schutzzonen errich-
tet werden; diese sind im Grundbuch zu sichern, wobei die Nutzungsbeschränkun-
gen entschädigt werden müssen.
8.7 Schutz von Wasserfassungen (Schutzzonen) 129

Stromlinie

d3 t d2 d2 t 100 m
S1
S2
Abb. 8.12: Prinzipskizze zur Bemes-
S3 sung der Schutzzone S3. Die Schutz-
zonen werden parzellenscharf defi-
niert

Die vorstehenden Angaben beziehen sich auf Grundwasser im Lockergestein.


Für Karst- und Kluftgesteinsgrundwasser sind die Verhältnisse um vieles an-
spruchsvoller. Alle Gewässerschutzbereiche und Grundwasserschutzzonen und
-areale werden in den sogen. Gewässerschutzkarten durch die Kantone festgehal-
ten.

Tabelle 8.6. Nutzungseinschränkungen in den verschiedenen Grundwasserschutzzonen und Ge-


wässerschutzbereichen (Auszug aus der Wegleitung Grundwasserschutz von 2004, angepasst)
Grundwasserschutzzonen Gewässerschutzbereiche
S1 S2 S3 Areal Au Zu üB
Landwirtschaft:       
Naturwiesen und Weiden r      
Austragen von Mist und Jauche  r     
Pflanzenschutzmittel  r     
a)
Lagern von Mist und Jauche   r   r r 
Bauten:       
a)
Wohnhäuser        
a)
Gewerbe, Industrie   r     
a)
Schmutzwasserleitungen   r     
Kläranlage     r r 
a)
Versickerung von Dachwasser        
von Schmutzwasser       
a)
Verkehr   r   r  
Deponien       
a)
Fliessgewässerrenaturierung   r   r r 
Zugelassen rMit Vorbehalt zugelassen  nicht zugelassen
a)
Ausnahmen sind möglich

Beispiel 8.3. Jauche im Trinkwasser


Im regnerischen Frühling 2001 stand am 30. März 2001 in ‚20 minuten’:
Verschmutztes Trinkwasser
FREIBURG – Der Regen der letzten Tage hat im Kanton Freiburg an mehreren Orten
das Trinkwasser durch Fäkalbakterien verschmutzt. Betroffen waren laut dem Freibur-
ger Kantonschemiker Hans-Sepp Walker etwa ein Dutzend Gemeinden des Seebezirks.
130 8 Wasserbeschaffung

Die Wasserfassungen wurden stillgelegt. In einer Gemeinde muss das Wasser abge-
kocht werden.
Im feuchten und gewitterreichen Sommer 1993 am 23. Juni stand im Tagesanzeiger:
Stinkendes Wasser
Getrübte Idylle in der Waldlichtung: Jauche in der Quellfassung nach Gewitterregen?

Beispiel 8.4. Umfang einer Grundwasserschutzzone


3 -1
Die Quelle aus Beispiel 8.1 schüttet im Maximum 200 m d gutes Trinkwasser. Die
wasserführende Schicht hat eine Mächtigkeit von 2 m und der Grundwasserträger hat
eine nutzbare Porosität von 20%.
Wie gross wird die engere Schutzzone S2?
In der Schutzzone S2 soll das Wasser für mindestens 10 d verbleiben. Also muss das
3 -1 3
nutzbare Porenvolumen 200 m d ˜ 10 d = 2000 m umfassen. Bei einer Porosität von
3 3
20% ergibt sich ein erforderliches Bodenvolumen von 2000 m / 0.2 = 10’000 m oder
2
mit einer Mächtigkeit von 2 m eine Fläche der Schutzzone von mindestens 5000 m
(das entspricht der Hälfte der Siedlungsfläche). Die weitere Schutzzone S3 hat eine
2
zusätzliche Fläche von ca. 15’000 m .
Liegt ein Teil der Schutzzonen im Baugebiet, so erlauben es die Landpreise häufig
nicht, die Einschränkungen der Nutzung zu entschädigen. Die Ausscheidung von
Schutzzonen wird dann gelegentlich zurückgestellt (?).
Muss ein Grundwasserbrunnen geschützt werden, ist die Mächtigkeit des Grundwasser-
trägers oft grösser; mit 20 m Mächtigkeit würde hier die Schutzzone 10-mal kleiner. Zu-
dem muss nicht für die Extremsituation ausgeschieden werden (maximale Schüttung
der Quelle über 10 d) sondern nur für die effektive Förderung von Grundwasser, welche
viel kleiner ist, eher entsprechend der minimalen Schüttung der Quelle.

Beispiel 8.5. Umfang des Zuströmbereichs Zu


Ein gute Quelle mit einer geringen Variation der Schüttung hat ein grosses Einzugsge-
biet, in dem das Wasser häufig über Jahre filtriert wird.
Die Quelle in Beispiel 8.1 hat im Jahresmittel eine Schüttung von 100 m3 d-1. Nehmen
wir an, dass die Grundwasserneubildung 400 mm a-1 beträgt, so hat das Einzugsgebiet
dieser Quelle eine minimale Fläche von:
EZG = 100 m3 d-1 ˜ 365 d a-1 / 0.4 m3 m-2 a-1 | 100'000 m2
Da das Einzugsgebiet an den Rändern häufig nicht klar abgegrenzt ist, ergeben sich
Durchmischungsprozesse, die zu einer Vergrösserung des Zuströmbereichs Zu führen.
Unter Berücksichtigung der Regel, dass mindestens 90% des Wassers aus dem Zu-
strömbereich stammen, müsste dieser hier mit einer Fläche von ca. F(Zu) = 150'000 m2
oder 15 ha ausgeschieden werden.
Im Vergleich zur Siedlungsfläche (10'000 m2, 1 ha) ist das Einzugsgebiet sehr gross,
insbesondere weil von der Quelle nur die minimale Schüttung genutzt werden kann,
qualitativ aber das ganze anfallende Wasser geschützt werden muss. Besteht eine Ge-
fährdung des Quellwassers, muss die Landwirtschaft im ganzen Zuströmbereich Zu
Einschränkungen in Kauf nehmen (Ausbringen von Pestiziden und ev. Jauche, Nutzung
von Kunstdünger, etc.).
Bei Grundwasserbrunnen ist die Situation eher günstiger, weil nur das Wasser gefördert
wird, das auch effektiv genutzt wird. Dieses Beispiel zeigt, dass ein grosser Teil einer
dichtbesiedelten Region zum Zuströmbereich Zu resp. Zo gehört und damit nur mit Ein-
schränkungen landwirtschaftlich genutzt werden kann.
9 Wasseraufbereitung

Genügt die Qualität des Rohwassers den Anforderungen an ein einwandfreies


Trinkwasser nicht, so muss es aufbereitet werden. Die Aufbereitung kann je nach
Situation die chemischen, physikalischen oder hygienischen Eigenschaften des
Wassers betreffen. Aufbereitungen ohne Desinfektion (Hygiene) sind nicht sinn-
voll.
In Abb. 9.1 ist die Aufgabe der Trinkwasseraufbereitung charakterisiert. Ein
Rohwasser, dessen Qualität sehr variabel sein kann, muss soweit aufbereitet wer-
den, dass es beim Verbraucher noch Trinkwasserqualität hat. Es soll zudem in den
Verteilleitungen nicht korrosiv sein und keine organischen Nährstoffe enthalten,
die Mikroorganismen ein Wachstum (Vermehrung) erlauben und so im Netz zu
einer Wiederverkeimung führen.

Rohwasser Barriere Trinkwasser

Aufbereitung
Variable Qualität,
Jahresgang, chemisch
Regen physikalisch
hygienisch

Anforderungen entsprechend der


Lebensmittelgesetzgebung beim
Endverbraucher erfüllen,
Wiederverkeimung, Korrosion vermeiden

Abb. 9.1. Die Aufgabe der Trinkwasseraufbereitung ist, ein Rohwasser mit variabler Qualität
chemisch, physikalisch und hygienisch soweit aufzubereiten, dass es beim Verbraucher Trink-
wasserqualität hat

Bei der Gewinnung von Wasser für zentrale Wasserversorgungsanlagen ist an-
zustreben, dass das Wasser von Natur aus den Anforderungen an Trinkwasser ge-
nügt. Bei grosser Besiedelungsdichte muss auch Wasser genutzt werden, das ohne
Aufbereitung nicht als Trinkwasser dienen kann. Die erforderliche Aufbereitung
des Wassers muss auf die Rohwasserqualität ausgerichtet sein und kann nicht ge-
nerell festgelegt werden. Häufig wird es erforderlich sein, im Rahmen von Pilot-
versuchen eine geeignete Kombination von Verfahren und deren Auslegung zu
erarbeiten – eine Aufgabe die Spezialisten (Limnologen, Hydrogeologen, Hygie-
niker, Chemiker, Verfahrensingenieure, Bauingenieure) in Zusammenarbeit lösen.
132 9 Wasseraufbereitung

Tabelle 9.1 ist eine Zusammenstellung der angewendeten Aufbereitung des


Trinkwassers in Abhängigkeit der Herkunft des Wassers. Quell- und Grundwasser
wird in kleinen Wasserversorgungen (75% der Anlagen) meist direkt ins Netz ein-
gespiesen, während wenige grosse Wasserwerke (5% der Anlagen) ihr Trinkwas-
ser durch aufwändige Aufbereitungsverfahren herstellen.

Tabelle 9.1. Trinkwasseraufbereitung nach Art der Wasserherkunft. Situation in der Schweiz
3
1995, totale Produktion von Trinkwasser 1067.5 Mio. m (BUWAL 1998)
Wassermenge in % der totalen Produktion
Aufbereitung Anlagen
Quellwasser Grundwasser Seewasser Total
a)
mehrstufig 5% 4% 9% 16 % 29 %
b)
einstufig 20 % 17 % 16 % 0% 33 %
keine 75 % 21 % 17 % 0% 38 %
Total 100 % 42 % 42 % 16 % 100 %
a)
Mehrstufige Aufbereitung umfasst Prozesse wie Chlorierung, Ozonierung, Versickerung,
Filtration, Adsorption, Desinfektion, Neutralisation
b)
Einstufige Aufbereitung heisst Desinfektion und kann gelegentlich eine Entsäuerung oder
Belüftung miteinschliessen.

9.1 Desinfektion
Die Desinfektion ist das häufigste Aufbereitungsverfahren in der Wasser-
versorgung. Sie gewährleistet die Hygiene des Trinkwassers.
Ziel der Desinfektion in der Trinkwasseraufbereitung ist die Vermeidung von
Krankheiten, die über das Trinkwasser übertragen werden. Dazu müssen Krank-
heitserreger (Mikroorganismen: Protozooen, Bakterien, Viren) abgetötet werden.
Das ist möglich durch Hitzeeinwirkung (Abkochen), ultraviolette (UV) oder J-
Strahlung, bakterizide Metalle (Silber, Kupfer), starke Säuren und Basen, oberflä-
chenaktive Stoffe und chemische Oxidationsmittel sowie Sterilfiltration. In der
Wasserwerkspraxis ist der Einsatz von chemischen Oxidationsmitteln wie Cl2
(Chlor), O3 (Ozon), ClO2 (Chlordioxid) weit verbreitet. In kleinen Werken wird
UV eingesetzt. Silber wird gelegentlich zur Konservierung von Wasser genutzt.
Abkochen wird in Notfällen empfohlen.
UV-Strahlung eignet sich für die Anwendung in kleinen Anlagen. Eine dünne
Wasserschicht (1cm) wird während wenigen Sekunden mit UV-Strahlung von 265
nm Wellenlänge und hoher Intensität bestrahlt (Abb. 9.2). Ein Vorteil ist, dass sich
keine Nebenprodukte bilden. Nachteilig ist, dass sich keine nachhaltige Wirkung
ergibt (Netzschutz).
Ozon ist ein giftiges und instabiles Gas. Es wird am Ort des Einsatzes mit
grossem Energieaufwand erzeugt (Abb. 9.3). Ozon hat den Vorteil, dass sich nur
geringe Mengen von unerwünschten Nebenprodukten bilden. Es hat den Nachteil,
dass es schnell zerfällt und daher keinen Schutz des Verteilnetzes ergibt. Ozonisie-
rungsanlagen sind aufwändig, entsprechend wird Ozon v.a. in grösseren Aufberei-
tungsanlagen eingesetzt (Abb. 9.4).
9.1 Desinfektion 133

UV Brenner

Abb. 9.2. Beispiel einer Desinfektionsanlage


mit UV Strahlung

O2 Trockenluft oder Sauerstoff

O3
3 O2 l 2 O2 + 2 {O} l 2 O3

Hochspannungs-Wechselfeld
(7 - 12 kV, 300 - 600 Hz)

Abb. 9.3. Schematische Darstellung einer Ozonerzeuger-Anlage: Mehrere solche Rohre werden
parallel betrieben

Ozonerzeuger Abluft zur


Restozon-
Vernichtung

Zulauf
von der
Vorbehandlung

Ablauf
zur Nach-
behandlung

Abb. 9.4. Darstellung eines Ozonierungsreaktors: Eine längsdurchströmte Kaskade, Ozoneintrag


am Anfang, zusätzliche Reaktionszeit gegen Ende des Reaktors, zuverlässige Restozonvernich-
tung
134 9 Wasseraufbereitung

Verdampfungsanlage

Dosierung

Chlorbehälter

Cl2
Treibwasser
Injektor

Wasserleitung

Abb. 9.5. Darstellung einer einfachen Dosierung von Chlorgas direkt in die Transportleitung
einer Wasserversorgung

Chlor ist das Desinfektionsmittel, das weltweit am häufigsten eingesetzt wird.


Es hat den Nachteil, dass es mit organischen Stoffen im Wasser reagiert und dabei
möglicherweise krebserzeugende Substanzen bildet. Chlorgas kann gelagert wer-
den, sein Einsatz ist einfach und billig und hat den Vorteil, dass Chlor über länge-
re Zeit im Wasser wirksam bleibt und dadurch auch das Verteilnetz schützt
(Abb. 9.5). Dem Einsatz von Chlorgas entspricht auch der Einsatz von Bleichlau-
ge (Javelwasser), einer Lösung von NaClO. Chlorgas Cl2 reagiert mit Wasser zu
Cl- + HClO + H+ und z.T. weiter zu H+ + ClO-. Das wirksame Agens ist HClO,
das auch in Bleichlauge (NaClO) enthalten ist oder durch Chlorkalk gebildet wird.
Chlorkalk wird gelegentlich zur Hygienisierung von Nottoiletten verwendet.
Chlordioxid ClO2 muss am Ort des Einsatzes hergestellt werden, es hat den
Vorteil, dass sich nur wenig unerwünschte Nebenprodukte bilden. Es wird oft als
letztes Desinfektionsmittel vor der Einspeisung ins Netz eingesetzt und gewähr-
leistet so einen Netzschutz.
Sterilfiltration wird v.a. in extremen touristischen Situationen angewendet: Fil-
terkörper mit feinstem Filtermaterial halten alle Feststoffe und damit insbesondere
auch Krankheitskeime in einem einzigen Aufbereitungsschritt zurück. Solche
Kleinstfilter können nur geringe Mengen von hygienisch einwandfreiem Trink-
wasser produzieren. Heute kommen in der Wasseraufbereitung auch grosstech-
nisch zunehmend Membranen zur Anwendung, die mit ihren kleinen Poren geeig-
net sind Mikroorganismen zurückzuhalten und dadurch ein hygienisches Wasser
zu produzieren.
Die Gestaltung von Desinfektionsanlagen ist von vielen Faktoren abhängig:
Sie reicht von der einfachen Zudosierung von Chlor oder Bleichlauge zu unver-
schmutztem Quellwasser (Abb. 9.5) bis zu aufwändigen mehrstufigen Belüftungs-
anlagen um z.B. das gasförmige Ozon im Wasser zu lösen (Abb. 9.4) oder chemi-
schen Prozessen, in denen das ClO2 vor Ort produziert und ins Wasser dosiert
wird. Die Desinfektion bedingt meist nur kurze Reaktionszeiten (Sekunden bis
Minuten), um seine volle Wirkung zu erlangen. Je grösser das Wasserwerk, desto
aufwändiger wird die Desinfektion – die Wasserversorgung der Stadt Zürich setzt
9.2 Langsamsandfilter 135

Rohwasser
Filtration Schmutzdecke

Sandfilter mit Körnung


um 0.6 mm, H > 0.5 m
Sandfilteraufbau
mit zunehmender
Korngrösse

Drainageboden
Abb. 9.6. Aufbau eines Langsamsandfilters

sowohl Cl2 als auch O3 und ClO2 ein, wobei in Zwischenstufen z.B. die Neben-
produkte der Chlorung wieder auf Aktivkohle adsorbiert werden.

Beispiel 9.1. Desinfektion mit Chlorgas


Eine kleine Gemeinde mit 2000 Einwohnern muss für ihr Trinkwasser eine Sicherheits-
chlorung durchführen. Das Ziel ist, im ganzen Verteilnetz eine Restchlorkonzentration
von 0.1 g m-3 Cl2 einzuhalten. Die Chlorzehrung des Wassers wird in Laborversuchen
mit < 0.4 g m-3 Cl2 bestimmt.
Wieviel Chlor braucht die Gemeinde, die pro Tag im Maximum 1000 m3 Trinkwasser
verteilt?
Dosierung = 0.5 g m-3 Cl2 · 1000 m3 d-1 = 500 g d-1 Cl2.
Diese Menge kann in flüssiger Form in Stahlflaschen für viele Tage gelagert werden.
Die Chlorzehrung gibt an, wieviel Cl2 mit Wasserinhaltstoffen reagiert, bevor ein Über-
schuss für die Desinfektionsreaktionen zur Verfügung steht.

9.2 Langsamsandfilter
Die Langsamfiltration ist ein umfassendes Reinigungsverfahren, das sowohl parti-
kuläre Stoffe und mikrobielle Keime als auch biologisch abbaubare Stoffe zurück-
hält.
Bereits im 19. Jh. wurden Langsamsandfilter zur Aufbereitung von Trinkwasser
betrieben; sie sind die ersten Filterverfahren, die verwendet wurden. Ihr Reini-
gungsprinzip ist der Bodenpassage nachempfunden (Abb. 9.6):
– Langsamsandfilter werden mit Quarzsand mit einer Körnung im Bereich von
0.2–2 mm (typisch sind 0.5–1 mm) und mit einer Schichtstärke von 0.7–1.2 m
aufgebaut. Um zu verhindern, dass das Filtermaterial gegen unten ausge-
schwemmt wird, wird der Unterbau gegen oben mit abnehmender Korngrösse
in mehreren Stützschichten aufgebaut.
– Langsamsandfilter besitzen eine Siebwirkung an der Oberfläche und eine ad-
sorptive Wirkung für Kolloide und Keime über die ganze Filterschicht. Von
besonderer Bedeutung für die Reinigungswirkung ist die sogen. Schmutzdecke,
eine wenige Zentimeter dicke Schicht, die biologisch aktiv ist und in der so-
wohl Ammonium zu Nitrat oxidiert wird (Nitrifikation), als auch organische
136 9 Wasseraufbereitung

Stoffe mineralisiert (abgebaut) werden. Voraussetzung für eine gute Reini-


gungswirkung ist eine genügende Versorgung mit Sauerstoff und eine geringe
Belastung mit suspendierten Stoffen (Zulauf < 10, besser < 3 g TSS m-3).
– Langsamsandfilter können ein hygienisch einwandfreies und feststofffreies
Wasser liefern. Eine Reduktion der totalen Keimzahlen um 3–4 Zehner-
potenzen und der Fäkalkeime um 2–3 Zehnerpotenzen sind typisch.
Langsamsandfilter werden mit einer hydraulischen Belastung von 0.06–0.3 m
h-1 (m3 Rohwasser pro m2 Filterfläche pro Stunde) und einem Überstau von ca. 1
m betrieben. Wird der Energie- oder Druckverlust mit zunehmender Verstopfung
zu gross, wird die oberste Schmutzdecke (2–5 cm) abgeschält und der Sand gerei-
nigt (z.B. alle 3–24 Monate je nach Belastung und Vorreinigung des Rohwassers).
Anschliessend muss der Filter wieder reifen, d.h. es muss sich eine neue, biolo-
gisch aktive Schmutzdecke bilden, was einige Zeit erfordert, während der das pro-
duzierte Wasser nicht einwandfrei ist. Langsamsandfilter werden deshalb immer
in mehreren Einheiten gebaut – in grossen Anlagen bis zu 5000 m2 gross, gedeckt
oder offen.
Langsamsandfilter haben eine grosse Grundfläche und werden deshalb in Städ-
ten kaum mehr neu gebaut. In ländlichen Regionen, insbesondere in Entwick-
lungsländern sind sie ideale Aufbereitungsverfahren, sofern die Vorbehandlung
auf die Rohwasserqualität abgestimmt ist: Die Langsamsandfilter kommen mit
einfachen Baumaterialien aus, kennen keine beweglichen Teile, können im Gefäl-
le ohne Fremdenergie betrieben werden, brauchen keine Chemikalien und liefern
bei sorgfältigem Betrieb ein hygienisch einwandfreies Wasser. Betrieb und Unter-
halt bedingen intensive Handarbeit mit einfachsten Werkzeugen.
Langsamsandfilter haben als Vorbehandlungsstufe von Grundwasser-Anrei-
cherungsanlagen neuerdings wieder einige Bedeutung erlangt: Hier sind grosse
Infiltrationsflächen erforderlich, was sich optimal mit der alten Technik verbinden
lässt (S.a. Abb. 8.10).

Beispiel 9.2. Dimensionen eines Langsamsandfilters


Wie gross wird ein Langsamsandfilter für eine Stadt mit 100'000 Einwohnern, die pro
Tag 50'000 m3 Wasser aufbereiten muss?
Bei einer Filtergeschwindigkeit von 0.2 m h-1 oder 5 m d-1 müssen dauernd 10'000 m2
Filterfläche zur Verfügung stehen.
Damit immer ca. 25% der Filterfläche für den Unterhalt und das Reifen der Schmutzde-
cke ausser Betrieb genommen werden können, sind insgesamt ca. 10'000 / (100% -
25%) > 13'000 m2 Filterfläche erforderlich, die mit Vorteil in mindestens 4 Einheiten
aufgeteilt werden. Heute wäre häufig bereits die Bereitstellung der entsprechenden
Grundstücke kaum möglich.

9.3 Schnellfilter
Die Schnellfiltration hat die Aufgabe, Partikel aus dem Wasser abzutrennen.
Der grosse Flächenbedarf der Langsamsandfilter hat dazu geführt, dass die Filter
mit immer höheren hydraulischen Belastungen betrieben wurden. In der Folge
verstopften diese Filter nach immer kürzerer Laufzeit, und sie mussten mit einer
9.3 Schnellfilter 137

Rückspülen Filtrieren
Schwemmwasser

Spülwasser
Rohwasser
Zulauf
< 2m

Spülluft

Filtratwasser
Luftpolster
Ablauf
Abb. 9.7. Längsschnitt durch einen Schnellfilter. Rechts in der Phase des Filtrierens, links wäh-
rend der Rückspülung. Das Filterbett ist aus zwei Schichten aufgebaut, oben liegt ein spezifisch
leichtes, grobkörniges, unten ein spezifisch schweres, feinkörniges Material. Während der Rück-
spülung werden die beiden Schichten von Filtermaterial durchmischt.

Rückspülung ausgerüstet werden. Diese erlaubt, die Schmutzstoffe aus dem Fil-
terbett auszuwaschen und dieses zu regenerieren. Anfänglich wurden die Filter mit
einer einzigen Schicht Flusssand 0.2–2 mm ausgerüstet und mit nur 1 m h-1 be-
schickt, der Druckverlust stieg sehr schnell an, weil die Filterwirkung v.a. an der
Oberfläche zum tragen kam, man spricht von einem Flächenfilter. Seit den 60er
Jahren werden die Filterbetten von oben nach unten mit abnehmender Korngrösse
gebaut, die Filterwirkung kann so besser über die Tiefe des Filterbetts verteilt
werden, man spricht von einem Raumfilter. Die Zunahme des Druckverlusts wird
verringert und entsprechend die Laufzeit bis zur nächsten Spülung stark gesteigert.
Moderne Schnellfilter werden mit Filtergeschwindigkeiten im Bereich von 6–
15 m h-1 betrieben. Die konstruktiven Details beruhen meist auf dem verfahrens-
technischen „know how“ des Lieferanten. Moderne Filtrationsanlagen werden
entsprechend in Zusammenarbeit zwischen beratenden Ingenieuren und Ausrüs-
tern entworfen. Das Wasser filtriert von oben nach unten (Abb. 9.7); die Feststof-
fe, die im Filter zurückbleiben, führen zu einer laufenden Zunahme des Energie-
verlusts. Zum Schluss eines Zyklus muss der Filter von unten nach oben
rückgespült werden, dazu wird das Filterbett mit Rückspülwasser in Schwebe ge-
bracht, mit Luft aufgelockert und die Feststoffe ausgespült. Da das spezifische
Gewicht der grossen Filterkörner kleiner ist als das der kleinen unten liegenden
Quarzkörner, schichtet sich das Filterbett automatisch wieder mit von oben nach
unten abnehmender Filterkorngrösse. Der nächste Zyklus beginnt.
Für den Aufbau von modernen Mehrschichtfiltern, mit von oben nach unten
abnehmender Korngrösse des Filtermaterials, kommen heute Materialien mit un-
terschiedlicher Dichte zur Anwendung: Quarzsand mit 2.65 g cm-3, Anthrazit oder
Blähtongranulat mit 1.7 g cm-3 oder Bims mit 1.4 g cm-3. Abbildung 9.8 zeigt die
Entwicklung des Aufbaus der Filterschichten in einer modernen Wasseraufberei-
tungsanlage. Die grobkörnigen Filtermaterialien haben den Vorteil, dass sie mehr
Feststoffe speichern können, bevor der Energieverlust stark ansteigt (Abb. 9.9).
138 9 Wasseraufbereitung

Bims
2 - 5 mm

Bims Antrazit
0.8 - 2.5 mm 1.5 - 3 mm
Quarzsand
0.4 - 1 mm
H = 1m Quarzsand Quarzsand Abb. 9.8. Entwicklung des
0.4 - 1 mm 0.4 - 1 mm
Filterbetts in den Schnell-
filtern der Wasserversor-
gung der Stadt Zürich.
Heute kommen v.a. Zwei-
Einkornfilter Zweischichtfilter Dreischichtfilter schichtfilter zur Anwen-
1940 - 1975 1965 - 1975 1970 - 1975 dung. Filtergeschwindig-
vF = 5 m h-1 vF = 10 m h-1 vF = 10 m h-1 keit vF und Korngrösse

Energieverlust 'H in mWS

max. Filterkorn
Energieverlust klein
2-3m Filterkorn
gross

Abb. 9.9. Zeitliche Ent-


wicklung des Energiever-
lusts des durchströmenden
Wassers in einem Filter-
Filterlaufzeit t in Std. bett

Das verlängert die Filterlaufzeit und verringert den Bedarf an Rückspülwasser.


Die untenliegenden feinkörnigen Schichten gewährleisten eine gute Reinigung des
Wassers.

Beispiel 9.3. Dimension einer Schnellfilteranlage


Wie gross werden die Schnellfilter, die für die Vorbehandlung der 50'000 m3 d-1 Wasser
in Beispiel 9.2 erforderlich sind?
Die maximale Filtergeschwindigkeit wird zu 10 m h-1 angenommen. Im Maximum gehen
5 % des Wassers verloren für Rückspülung und erneute Inbetriebnahme des Filters.
Im Maximum müssen 50'000 · 1.05 = 52'500 m3d-1 Wasser filtriert werden. Dies erfor-
dert 52'500 m3d-1 / (24 h d-1·10 m h-1) = 220 m2 Filterfläche. Da immer ein Filter zum
Rückspülen in Reserve gehalten werden muss, könnten z.B. 6 Zellen mit je 40–45 m2
gebaut werden.
9.4 Aktivkohleadsorption 139

Beispiel 9.4. Sedimentationsgeschwindigkeiten von Filtermaterialien


Nach Stokes kann die Sedimentationsgeschwindigkeit vS von kugelförmigen Partikeln
im laminaren Strömungsfeld mit der folgenden Gleichung abgeschätzt werden:

§ U  UW ·
vS 3.3 ˜ g ˜ ¨ S ¸ ˜ dS
© UW ¹
g = 9.81 ms-2, US, UW = Dichte des Partikels und des Wassers,
dS = Partikeldurchmesser.
Damit ergeben sich die folgenden Sedimentationsgeschwindigkeiten für die Materialien
im Dreischichtfilter in Abb. 9.8:
Quarzsand: US = 2.65 g cm-3, dS = 0.8 mm vS = 0.21 m s-1
Anthrazit: US = 1.70 g cm-3, dS = 2.0 mm vS = 0.21 m s-1
-3
Bims: US = 1.40 g cm , dS = 3.5 mm vS = 0.21 m s-1
Während der Rückspülung sedimentieren diese Filterkörner gegen das aufströmende
Rückspülwasser, es kann sich also bei geeigneter Wahl der Kornabstufung eine Tren-
nung der Schichten ergeben. Filterbetten müssen vom Lieferanten des Filtermaterials
als Ganzes getestet und verantwortet werden.

9.4 Aktivkohleadsorption
Die Adsorption trennt gelöste, organische Verbindungen aus dem Wasser ab, in-
dem diese an der Oberfläche der Aktivkohle adsorbiert werden.
Aktivkohle oder aktivierte Kohle wird hergestellt, indem z.B. Anthrazit oder
Holzkohle bei hoher Temperatur (> 650°C) in Gegenwart von Wasserdampf akti-
viert wird, d.h. dass in den graphitischen Strukturen der Kohle mikroskopische
Poren entstehen, weil ein grosser Teil der Kohle oxidiert und als CO2 verflüchtigt
wird (Abb. 9.10). Diese mikroskopischen Poren stellen eine grosse innere Ober-
fläche zur Verfügung (1000–2000 m2 g-1 Aktivkohle), an die organische Stoffe
adsorbieren können. Adsorbieren heisst, dass sich die Stoffe auf der Oberfläche
anlagern und dann zusammen mit der Aktivkohle aus dem Wasser entfernt werden
können.
Aktivkohle kommt heute meist in Apparaten ähnlich den Schnellfiltern zur
Anwendung, die Korngrössen der Aktivkohle sind gleich wie beim Filtermaterial
(1–3 mm). Da Aktivkohle teuer ist und beim Rückspülen durch Abrieb immer ein
Teil verloren geht, muss das Wasser vor der Aktivkohlefiltration vorbehandelt
werden und weitgehend frei von Feststoffen sein.
Die innere Oberfläche der Aktivkohle hat nur eine begrenzte Aufnahme-
kapazität für organische Stoffe (die zudem stark von den spezifischen Eigenschaf-
ten dieser Stoffe abhängt). Ist die Oberfläche belegt und damit die Adsorptionska-
pazität erschöpft, so muss die Aktivkohle regeneriert werden (in speziellen
Aktivierungsöfen, die je nach Lieferant nur im Ausland zur Verfügung stehen).
Die Konzentration von organischen Verbindungen auf der Aktivkohle führt
dazu, dass sich Mikroorganismen auf den Kohlekörnern ansiedeln und diese Stof-
fe z.T. abbauen. Das Adsorptionsverfahren wird dadurch zum biologischen Reini-
gungsverfahren, das im Notfall grössere Mengen von organischen Verbindungen
zurückhalten kann.
140 9 Wasseraufbereitung

Gitter- und Schichtstruktur Kristalline Struktur der aktivierten


des Kohlenstoffs im Graphit Kohle mit grosser innerer Oberfläche

C
C Innere
Oberfläche

C
C
10 Å

C
C

C
C

Abb. 9.10. Molekulare und kristalline Struktur der Aktivkohle

Beispiel 9.5. Aktivkohle im täglichen Leben


Aktivkohle kommt in Zigarettenfiltern, Gasmaskenfiltern und als Medizinalkohle zur An-
wendung. Immer hat sie die gleiche Aufgabe, sie soll unerwünschte organische Stoffe
aus Gasen oder Flüssigkeiten adsorbieren.

Beispiel 9.6. Aktivkohle im Wasserwerk


Die Wasserversorgung der Stadt Zürich betreibt ihre Aktivkohlefilter seit über 15 Jahren
ohne Regenerierung der Aktivkohle. Entsprechend der guten Rohwasserqualität genügt
der biologische Abbau der organischen Stoffe, um eine ausreichende Adsorptionskapa-
zität der Kohle aufrecht zu erhalten.

9.5 Koagulation und Flockung


Die Flockung ist ein Prozess, der die Abtrennung von feinsten Partikeln aus dem
Wasser unterstützt.
Viele der fein suspendierten und kolloidalen Stoffe können nicht durch Sedimen-
tation aus den Rohwasser abgetrennt werden: Die meist elektrisch negativ gelade-
nen Partikel haben geringste Sedimentationsgeschwindigkeit und stossen sich ge-
genseitig ab, sie bilden dadurch eine stabile Suspension oder ein Kolloid. Mit
Hilfe von Chemikalien können die Abstossungskräfte überwunden werden, die
kleinen Partikel können sich zu grösseren Aggregaten und Flocken zusammenbal-
len, die nun einfacher aus dem Wasser abgetrennt werden können.
Als Koagulationsmittel wird vor allem Aluminiumsulfat verwendet. Durch die
zusätzliche Zugabe von geringen Mengen von Flockungshilfsmitteln (z.B. organi-
sche Polymere) kann der Flockungsvorgang noch unterstützt und beschleunigt
werden. Die genaue Rezeptur für eine gute Flockung muss im Labor oder in Ver-
suchen erarbeitet werden.
Die Art der Zugabe der Chemikalien (kurzes intensives Mischen) und die Tur-
bulenz, die in den anschliessenden Reaktoren zur Unterstützung der Flockung
9.6 Sedimentation 141

Chemikalien Zugabe

Mischung Flockung Sedimentation

Schlammabzug

Abb. 9.11. Schematische Darstellung einer Flockung und eines einfachen Sedimentationsbe-
ckens. Die gleiche Anordnung wird auch für die chemische Reinigung von Abwasser eingesetzt
(s.a. Abb. 19.9)

während einigen Minuten z.B. durch Paddel erzeugt wird, entscheiden massge-
bend über den Erfolg der Flockung (Abb. 9.11).

9.6 Sedimentation
Die Sedimentation ist ein Vorbehandlungsverfahren, das einen grossen Teil der
partikulären Stoffe abtrennen soll.
Die Sedimentation, oder die Abtrennung von suspendierten Stoffen durch die
Schwerkraft, ist ein Verfahrensschritt, der in Nordamerika in der Trinkwasserauf-
bereitung häufig eingesetzt wird: Die Verwendung von Flockungsmitteln in hoher
Konzentration führt zur Bildung einer hohen Konzentration von suspendierten
Stoffen, die einen Raumfilter in kurzer Zeit verstopfen würden. Das geflockte
Wasser wird deshalb in einer Sedimentation vorbehandelt und erst anschliessend,
nun ausgehend von einer geringeren Feststoffkonzentration, filtriert. In Abb. 9.11
ist schematisch ein Sedimentationsbecken dargestellt. Die Aufenthaltszeit im Be-
cken beträgt typisch mehrere Stunden.
Mit Sedimentation allein kann kein Trinkwasser produziert werden. Die
verbleibende Restkonzentration der suspendierten Stoffe ist zu hoch und würde
insbesondere keine zuverlässige Desinfektion gewährleisten, weil die Chemikalien
nur langsam ins Innere der verbleibenden Flocken dringen können und auf diesem
Weg ihre Wirkung durch Reaktion verlieren.
Verfahrenstechnisch wird oft in lieferantenspezifischen Anlagen die Flockung
und die Sedimentation in einem Bauwerk integriert und mit verfahrenstechnischen
Details ergänzt (Abb. 9.12 mit Lamellenabscheider zur Beschleunigung der Sedi-
mentation und Zugabe von Mikrosand zur Beschwerung der Flocken.).

9.7 Mikrosiebe
Mikrosiebe (Abb. 9.13) sind Apparate, in denen ein Stahl- oder Textilgeflecht mit
kleinsten Durchlässen im Bereich von 0.016–0.05 mm auf drehende Trommeln
aufgespannt ist. Das Wasser fliesst durch das Mikrosieb, dabei bleiben Partikel auf
142 9 Wasseraufbereitung

Schlamm
Hydrozyklon
Mit Sand belastete Flocken zum Zyklon

Organisches
Ploymer Mikrosand Rezirkulation

Abfluss

Flockungs- Lamellenabscheider
mittel

Zufluss
Koagulation Flockung

Abb. 9.12. Beispiel einer integrierten Flockungs- und Sedimentationsanlage (nach Actiflow™,
Veolia)

Rückspülung,
Reinwasser
Rotation
Mikrosieb

Rohwasser

Filtrat
Abb. 9.13. Beispiel eines Mikrosiebes

dem Sieb zurück. Eine kontinuierliche Rückspülung der sich drehenden Trommel
sorgt dafür, dass das Sieb nicht verstopft.

9.8 Vorfiltration
Die Vorfiltration ist wie die Sedimentation ein Vorbehandlungsverfahren, das die
partikulären Stoffe in einem stark trüben Rohwasser reduzieren soll.
Soll Flusswasser mit stark variablem Gehalt von suspendierten Stoffen mit Filtra-
tion oder Langsamfiltration und ev. Grundwasseranreicherung aufbereitet werden,
so muss dieses Wasser in einer Vorfiltration behandelt werden, weil die hohen
Konzentrationen der suspendierten Stoffe die eigentliche Filtration schnell
verstopfen. Die Vorfilter haben eine grosse Speicherkapazität für zurückgehaltene
Feststoffe. Ein Beispiel eines solchen Vorfilters ist der horizontal durchströmte
9.9 Abtrennung von partikulären Stoffen 143

Kiesmaterial mit abnehmender Körnung

Zufluss Abfluss

Entleerung für Reinigung

Abb. 9.14. Prinzipskizze eines horizontal durchströmten Kiesfilters, wie er z.B. in Entwick-
lungsländern zur Vorreinigung von Flusswasser vor Langsamsandfiltern immer häufiger zur
Anwendung kommt

Partikelkonzentration in gTSS m-3

1000
Rechen

Sedimentation

10 Flockung Siebe

Filtration
keine
0.1 Aufbereitung

10-5 10-3 10-1 10


Partikelgrösse in mm
Viren Bakterien Algen

Abb. 9.15. Wirkungsbereich der verschiedenen Prozesse und Verfahren zur Abtrennung von
Partikeln aus Rohwasser

Kiesfilter, wie er in Abb. 9.14 dargestellt ist. Solche Filter unterstützen insbeson-
dere die Sedimentation von Partikeln auf den Kieskörnern: Es ergeben sich kurze
Sedimentationswege für die Partikel.

9.9 Abtrennung von partikulären Stoffen


Für die Abtrennung von Schwebestoffen aus dem Rohwasser stehen uns viele Ver-
fahren zur Verfügung.
Abb. 9.15 gibt einen Überblick über den Einsatzbereich von unterschiedlichen
Verfahren zur Abtrennung von partikulären Stoffen. Häufig werden mehrere Ver-
fahren in Serie betrieben, sodass jede Stufe optimal auf ihre Aufgabe ausgelegt
werden kann.
144 9 Wasseraufbereitung

9.10 Entfernung von Eisen und Mangan


Im sauerstoffarmen oder sauerstofffreien Grundwasser kann Eisen- und Mangan-
Oxid, das sich im Grundwasserleiter befindet, durch biologische Prozesse zu
zweiwertigem Fe2+ und Mn2+ reduziert werden. Diese reduzierten Schwermetalle
haben im Wasser eine hohe Löslichkeit und können entsprechend mit dem Wasser
transportiert werden. Kommt das Wasser wieder mit Sauerstoff in Kontakt, wie
das z.B. in der Aufbereitung von Grundwasser der Fall ist, so wird zweiwertiges
Eisen Fe2+ zu dreiwertigem, schwerlöslichem Eisen Fe3+ aufoxidiert. Es bildet sich
ein rostbrauner Niederschlag, der im Trinkwasser störend ist (und z.B. auf der
Wäsche Rostflecken verursacht). Zweiwertiges Mangan Mn2+ wird bei den pH-
Werten im Trinkwasser nur langsam oxidiert.
Die Enteisenung des Wassers ist möglich indem das Eisen in Gegenwart von
Sauerstoff zum schwerlöslichen dreiwertigen Eisen aufoxidiert wird und die sich
bildenden Niederschläge anschliessend durch Zugabe von Flockungsmitteln ent-
stabilisiert und geflockt werden. Die Flocken können in einem Schnellsandfilter,
der mit Vorteil als mehrschichtiger Raumfilter gestaltet ist, abgetrennt werden.
Die Entmanganung des Wassers ist ähnlich der Entfernung von Eisen, aber
schwieriger: Da die Oxidation zu unlöslichem Mangan nur langsam abläuft, wer-
den z.B. Filtermedien mit katalytischen Oberflächen (MnO2) eingesetzt, die die
Oxidation im Filterbett beschleunigen und dann erlauben, die sich bildenden Nie-
derschläge im Filter zurückzuhalten.

9.11 Entsäuerung
Enthält ein Wasser in Bezug auf das Gleichgewicht zwischen Kalk CaCO3 und
Kohlensäure (Kohlendioxid, CO2) einen Überschuss an Säure (d.h. im Kontakt mit
CaCO3 würde das Wasser noch Kalk auflösen können), so hat das Wasser die
Tendenz, in Verteilleitungen aggressiv oder korrosiv zu sein. Besteht hingegen ein
Überschuss an Ca2+ und CO32-, so besteht die Tendenz, dass aus dem Wasser Kalk
als weisser Niederschlag ausfällt und die Leitungen verkrustet. In der Wasser-
werkspraxis wird darauf geachtet, dass Kalk und Kohlensäure angenähert im
Gleichgewicht sind. Ein Überschuss von Kohlensäure kann durch mehrere Verfah-
ren vermindert werden (DIN 2000):
– Kohlendioxid kann durch Belüftung aus dem Wasser in die Atmosphäre ausge-
trieben werden. Dadurch wird zusätzlich Sauerstoff ins Wasser eingetragen
und es werden z.T. andere unerwünschte, schlechtlösliche Gase ausgetrieben.
– Filterung des Wassers über gekörntes Kalziumkarbonat, Kalk, CaCO3, be-
wirkt, dass Kalk im Wasser aufgelöst wird, bis sich ein Gleichgewicht ein-
stellt. Das Wasser wird aufgehärtet.
– Filterung über dolomitisches Filtermaterial oder andere alkalisch reagierende
Filtermaterialien (vorwiegend Gemische aus CaCO3 und MgO).
– Entsäuerung mit Zugabe von Hydroxiden (Ca(OH)2 und NaOH) sowie Soda
(NaCO3). Hydroxide heben den pH-Wert des Wassers, das führt zur Umlage-
rung entsprechend:
CO2 + OH- o HCO3- und HCO3- + OH- o CO32- + H2O.
9.12 Enthärtung 145

Ionentauscherharz mit
fixierten negativen Ladungen
Ca2+ Na+ 
 Na+
Austauschprozess  Na+ Na +
  Ca2+ Ca2+
Na+ 
Na+  
Ca2+ Na 
+
Regenerations-
Na+ Na+    prozess
 Na+
Na +
Na+  Na+
 Ca2+ Na+  Na+
 Na+
Na + Na+

Abb. 9.16: Darstellung eines Ionentauscherharzes: Auf einem organischen Makromolekül sind
+ 2+
negative Ladungen fixiert, die anfänglich durch Na neutralisiert werden. Weil Ca eine grösse-
re Affinität zu den negativen Ladungen hat, kann es gegen Natrium Ionen ausgetauscht werden

9.12 Enthärtung
Hartes Wasser wird gelegentlich vor der Nutzung als Trinkwasser enthärtet, d.h.,
dass die Konzentration der härtebildenden Ionen (insbesondere Kalzium Ca2+ und
z.T. Magnesium Mg2+) reduziert wird. Vor allem in den USA wurden eine Reihe
von Verfahren für diese Aufgabe entwickelt, von Bedeutung sind Fällung und Io-
nenaustausch:
– Die Fällung von Calcium Ionen kann erreicht werden, indem das Wasser
durch Zugabe von Chemikalien in Bezug auf CaCO3 übersättigt wird. Der
Kalk (CaCO3) wird dann in Form von weissen Flocken ausfallen und kann z.B.
durch Sedimentation und nachfolgende Filtration eliminiert werden. Die zuge-
gebenen Chemikalien sind abhängig von der Wasserzusammensetzung, in Fra-
ge kommen alkalisch wirkende Stoffe: Soda (NaCO3), gebrannter Kalk (CaO)
ev. in seiner gelöschten Form (Ca(OH)2), Natronlauge (NaOH) etc. Durch
chemische Enthärtung werden dem Wasser meist Salze entzogen, das heisst,
dass das enthärtete Wasser weniger Mineralien enthält. Über die chemische
Enthärtung gibt es eine umfangreiche amerikanische Literatur.
– Der Ionenaustausch bedeutet, dass z.B. Na+ Ionen, die auf einem Ionen-
tauscherharz fixiert sind, gegen die Ca2+ Ionen im Wasser ausgetauscht wer-
den: 2 Na+ l Ca2+ (Abb. 9.16). Dadurch werden dem Wasser keine Salze ent-
zogen, sondern nur das eine Salz mit dem anderen ersetzt. Ionentauscherharze
werden in kleinen Kügelchen (0.5–1.5 mm) geliefert und in Kolonnen gepackt,
über die das feststofffreie Wasser geleitet wird. Nach einer gewissen Zeit hat
das Harz die anfänglich vorhandenen Na+ Ionen abgegeben und eine entspre-
chende Menge Ca2+ aufgenommen. Die Austauschkapazität ist erschöpft, und
das Harz muss regeneriert werden. Dazu wird eine konzentrierte Lösung von
Na+Cl- (Kochsalz) über das Harz geleitet, die hohe Konzentration des Na+
führt zur Umkehr des Ionenaustausch-Prozesses. Es fällt ein Abwasser an, das
die Reste der konzentrierten NaCl Lösung enthält, die mit dem zurückgelösten
Ca2+ verschmutzt ist.
146 9 Wasseraufbereitung

Früher hatte die Enthärtung von Trinkwasser eine grosse Bedeutung, weil die
Waschmittel noch nicht mit der natürlichen Härte des Wassers umgehen konnten.
Moderne Textilwaschmittel werden so konfektioniert, dass sie auch in hartem
Wasser ihre Wirksamkeit entfalten können (z.T. enthalten sie selber Ionentauscher
in der Form von Zeolithen). Von Bedeutung ist die Enthärtung des Wassers dort,
wo viel heisses Wasser gebraucht wird (die Löslichkeit von CaCO3 nimmt mit
zunehmender Temperatur ab) oder wo Wasser z.B. zur Kühlung verdampft wird.
In der Kühlung wird nur reines Wasser verdampft, sodass sich die Salze im zu-
rückbleibenden Wasser aufkonzentrieren und dieses mit Kalk übersättigt wird.
Zusätzlich wird durch die Belüftung im Kühlturm CO2 in die Atmosphäre ausge-
trieben, sodass der pH-Wert ansteigt.
Wasserenthärtung ist heute primär ein Verfahren, das in der Brauchwasser-
aufbereitung von Industriebetrieben, Klimaanlagen und Atomkraftwerken (Kühl-
türme) genutzt wird.

Beispiel 9.7. Wasserenthärtung mit Kalkzugabe


In den USA wird häufig Rohwasser nach dem folgenden Verfahren enthärtet:
Kalk (CaCO3) wird im Steinbruch abgebaut und bei hoher Temperatur zu gebranntem
Kalk (CaO) gebrannt:
CaCO3 o CaO + CO2
Dabei entweicht CO2 durch den Kamin in die Atmosphäre. Anschliessend wird der ge-
brannte Kalk mit Wasser zu gelöschtem Kalk (Ca(OH)2) gelöscht, entsprechend
CaO + H2O o Ca(OH)2 (dabei wird viel Wärme freigesetzt)
Wird nun der gelöschte Kalk in Form einer Kalkmilch (im Wasser gelöstes Ca(OH)2)
dem Wasser zugegeben, so steigt der pH-Wert, aus Bikarbonat (HCO3-) wird Karbonat
(CO3=), und das Löslichkeitsprodukt von Kalk (CaCO3) wird überschritten, sodass Kalk
ausfällt, der mit Sedimentation aus dem Wasser abgetrennt werden kann:
Ca(OH)2 + 2 HCO3- o Ca2+ + 2 CO3= + 2 H2O und
2 Ca2+ + 2 CO3= o 2 CaCO3 p(ausgefällt)
Insgesamt können also pro Mol abgebautem Kalk ein Mol Ca2+ und 2 Mol HCO3- aus
dem Wasser gefällt werden. Zusätzlich wird die Atmosphäre mit einem Mol CO2 be-
lastet, das beim Brennen des Kalkes entsteht.

Beispiel 9.8. Ionentauscher im Geschirrspüler


Moderne Geschirrspüler enthalten eine Ionentauscherkolonne, in der das letzte Spül-
wasser enthärtet wird: Na+ wird gegen Ca2+ ausgetauscht. Dadurch wird vermieden,
dass sich beim Trocknen Kalkflecken auf dem Geschirr bilden. Gelegentlich muss der
Ionentauscher mit Kochsalz NaCl regeneriert werden.
S.a. Beispiel 3.16, Seite 48

9.13 Mehrstufige Aufbereitung: Fallbeispiel Seewasser


Oberflächenwasser wird meistens in mehrstufigen Aufbereitungsverfahren zu
Trinkwasser aufbereitet. Die Wahl der Verfahrenskombination ist abhängig von
der Qualität des Rohwassers und der Grösse der Anlage.
9.13 Mehrstufige Aufbereitung: Fallbeispiel Seewasser 147

Stosschlorung Seewasser

Ozonierung
Rohwasserfassung
(Zwischenoxidation)

Ozonierung
Aktivkohlefilter
(Voroxidation)

Flockung Langsamsandfilter

Schnellfilter Netzschutz

Kalkzugabe Wasserspeicher

Trinkwasser

Abb. 9.17. Verfahrensschema der Wasseraufbereitung in den Seewasserwerken der Stadt Zürich

Mehrstufige Aufbereitungsverfahren kommen v.a. dort zum Einsatz, wo Oberflä-


chenwasser zu Trinkwasser aufbereitet werden soll. Im Rahmen dieser Übersicht
wird keine umfassende Besprechung der möglichen Verfahrensstufen oder
-kombinationen gemacht. Es wird hier nur anhand eines sehr umfassenden Bei-
spiels das Zusammenwirken von mehreren Stufen besprochen.
In den zwei Seewasserwerken der Stadt Zürich kommt das umfassende Ver-
fahren in Abb. 9.17 zur Anwendung:
– Das Seewasser wird in grosser Entfernung vom Ufer in einer Tiefe von 30 m
unter dem Seewasserspiegel gefasst. Hier hat das Seewasser über das ganze
Jahr eine konstant gute Qualität und eine geringe Temperatur (Tabelle 8.5).
– Seit 1974 wird im Zürichsee die Wandermuschel Dreissena ploymorpha
(Dreikantmuschel) beobachtet, die vermutlich durch mobile Boote aus anderen
Gewässern eingeschleppt wurde. Die Larven dieser Muschel schweben im
Seewasser und können sich in der Wasserentnahmeleitung festsetzen und sich
aus dem vorbeiströmenden Wasser ernähren. Es entstehen Krusten von Mu-
scheln. Damit diese Muscheln schon als Larven abgetötet werden, wird die
Rohwasserfassung einmal pro Monat während 8 h mit einer hohen Konzentra-
tion von Cl2 (10 g Cl2 m-3) desinfiziert (Stosschlorung).
– Nun wird dem Wasser Ozon zugeführt. Das Ozon reagiert (oxidiert) mit einem
Teil der organischen Wasserinhaltsstoffe. Das erleichtert die nachfolgende
Flockung. Gleichzeitig wird dem Wasser Sauerstoff zugeführt und es können
ev. flüchtige Stoffe aus dem Wasser ausgetrieben werden.
– Mit Hilfe von geringen Mengen von Aluminiumsulfat wird das Wasser nun
geflockt. Man spricht hier von einer Mikroflockung und setzt nur geringste
Mengen von Chemikalien ein (< 2 g m-3).
– In den Schnellfiltern werden der grösste Teil der partikulären Stoffe und insbe-
sondere die gebildeten Flocken zurückgehalten. Da der Zürichsee eine kon-
148 9 Wasseraufbereitung

stant gute Rohwasserqualität liefert, ist vor der Filtration keine Vorbehandlung
erforderlich.
– Durch die Zugabe von geringen Mengen von Kalkmilch (Ca(OH)2) wird das
Wasser in Bezug auf die Löslichkeit von CaCO3 ins Gleichgewicht gebracht,
sodass es später in den Verteilleitungen nicht korrosiv wirkt.
– In einer zweiten Ozonierung werden gelöste organische Stoffe oxidiert. In der
Folge sind diese Stoffe besser biologisch abbaubar, sodass Bakterien diese aus
dem Wasser eliminieren können.
– Im nachfolgenden Aktivkohlefilter werden organische Stoffe auf die Aktiv-
kohle adsorbiert und zum grössten Teil von Bakterien, die sich auf der Aktiv-
kohle angesiedelt haben, abgebaut. Die Adsorption stellt gleichzeitig ein
Schutz dar, der in Notsituationen organische Verbindungen im Wasser zurück-
halten kann, auch wenn diese nicht biologisch abbaubar sind (s. dazu
Beispiel 9.9).
– Die nachfolgenden Langsamsandfilter werden eingesetzt, weil sie beim Aus-
bau der Wasserwerke bereits bestanden haben. Ihr Ablauf hat Trinkwasser-
qualität und ist hygienisch einwandfrei. Heute würde man keine neuen Lang-
samsandfilter mehr bauen.
– Als sogen. Netzschutz kann dem Wasser noch Chlordioxid als Desinfek-
tionsmittel zugegeben werden. Ohne Langsamsandfilter ist das erforderlich,
damit die hygienische Qualität des Trinkwassers auch im Verteilnetz aufrecht
erhalten bleibt. Geringe Restkonzentrationen von organischen Stoffen dienen
Bakterien als Nährstoffe und können dazu führen, dass das Wasser im Netz
von neuem verkeimt wird. Diese Bakterien siedeln sich in einer dünnen
Schicht, einem Biofilm, auf den Wänden der Verteilleitungen an und ernähren
sich aus dem vorbeifliessenden Trinkwasser. In den Langsamsandfiltern wer-
den aber diese Nährstoffe soweit abgebaut, dass die Wasserwerke in Zürich
auf diesen Netzschutz meistens verzichten können – ein ausgezeichnetes
Trinkwasser ist entstanden.

Beispiel 9.9. Phenol im Zürcher Trinkwasser


1967 sind durch eine Fehlmanipulation in einer chemischen Reinigungsanstalt grosse
Mengen von Phenol in den Zürichsee eingeleitet worden. Die eingeleitete Flüssigkeit
hat sich in der Tiefe der Wasserentnahmestelle der Wasserversorgung der Stadt Zürich
eingeschichtet und in dieser Tiefe schnell über den ganzen See verbreitet. Dadurch sind
Phenole in die Wasseraufbereitungsanlage gelangt.
Phenol reagiert mit Chlor Cl2 zu Chlorphenol, das intensiv riecht und das Trinkwasser
ungeniessbar macht. In einigen Quartieren der Stadt stand während mehreren Tagen
kein Trinkwasser zur Verfügung. (Für Phenole und Chlorphenole gelten strenge Grenz-
werte im Trinkwasser).
Die Tatsache, dass das Wasserwerk diesem Unfall kaum gewachsen war, hatte Konse-
quenzen: Ein neuer Direktor hat den Bau der umfangreichen Aufbereitungsverfahren
eingeleitet, die in Abb. 9.17 dargestellt sind. Die Unterstützung durch die Politiker war
ihm über lange Zeit sicher.
9.14 Aufbereitung von Flusswasser 149

Rohwasser: Wässerungsstelle: Brunnen und Pumpwerk


Rhein Wald

Schnell- Entsäuerung
filter Entkeimung

Verbraucher

Physikalische biologische chemische Aufbereitung

Abb. 9.18: Beispiel einer Flusswasseraufbereitungsanlage,

9.14 Aufbereitung von Flusswasser


Als Folge von Niederschlägen ist Flusswasser starken Qualitätsschwankungen
unterworfen. Es ist daher von Vorteil, wenn der direkte Bezug von Flusswasser bei
Hochwasser unterbrochen werden kann. Grundwasseranreicherung speichert
Wasser im Untergrund und erlaubt die Wasserentnahme zu unterbrechen..
Abbildung 9.18 zeigt schematisch das Aufbereitungsverfahren der Stadt Basel.
Rheinwasser wird vorerst filtriert und dann über periodisch beschickte Wässe-
rungsstellen in den Untergrund versickert. Biologische und physikalische Prozesse
bereiten das Wasser so auf, dass nach der Förderung das angereicherte Grundwas-
ser zur Sicherheit nur noch desinfiziert werden muss. Der grosse Speicher im Un-
tergrund erlaubt die Wässerung über längere Zeit einzustellen, es muss also nur
Wasser mit guter Ausgangsqualität genutzt werden. Eine solche Anlage hat einen
grossen Flächenbedarf, nutzt die natürlichen Selbstreinigungsprozesse und kommt
mit deutlich weniger anspruchsvoller Technik aus als ein Seewasserwerk wie es in
Abb. 9.17 dargestellt ist.

9.15 Membrantechnologie
Als Membran bezeichnen wir in der Wassertechnologie eine dünne Schicht von
Material, die geeignet ist Gruppen von Stoffen und Partikeln zurückzuhalten,
wenn über die Membran eine treibende Kraft (Druck, elektrisches Feld, Konzent-
ration, …) angesetzt wird. Membranen werden zunehmend eingesetzt; sie können
Mikroorganismen, Viren, partikuläres Material (Trübung), natürliches organi-
sches Material, das den Geruch und Geschmack des Wassers beeinträchtigt oder
mit Desinfektionsmitteln reagiert und Ionen zurückhalten. Die Fortschritte sowohl
in der Produktion von Membranen als auch in deren verfahrenstechnischen Ein-
satz sind rasant.
Hier werden Membranprozesse vorgestellt, die auf dem Einsatz eines Druck-
gradienten über die Membran beruhen. Mit abnehmender Porengrösse sind das:
150 9 Wasseraufbereitung

Mikrofiltration (MF), Ultrafiltration (UF), Nanofiltration (NF) und Umkehrosmo-


se (RO von engl. reverse osmosis).
Membrane werden in unterschiedlicher Geometrie angeordnet, als Platten gesta-
pelt, spiralförmig gewickelt (mit eingelagerten Stützschichten) oder als Bündel
von Hohlfasern (Abb. 9.19). Ihre Porengrösse liegt je nach Verfahren im Bereich
der Stoffe, die aus dem Wasser abgetrennt werden müssen (Abb. 9.20). Da das
Produktwasser mit einer Druckdifferenz durch die Membran gepresst wird, wer-
den alle Stoffe, die grösser sind als die Poren, zurückgehalten und müssen dann
als Konzentrat entsorgt werden.
Die Mikro- und Ultrafiltration hält Bakterien und z.T. auch Viren zurück, das
entlastet eine nachfolgende Desinfektion. Nanofiltration und Umkehrosmose pro-
duzieren ein hygienisch einwandfreies Wasser (mindestens solange die Membran
intakt ist).
Membrane haben die Tendenz zu verstopfen (man spricht von „fouling“) und
müssen entsprechend rückgespült und regelmässig chemisch behandelt werden.
Da NF und RO die chemische Zusammensetzung des Wassers verändern, können
hier auch Stoffe ausgefällt werden. Um der Verstopfung vorzubeugen, wird das
Wasser vorbehandelt, z.B. durch Sandfiltration oder Siebung, ev. kommt auch
Mikrofiltration zum Einsatz.
Membrananlagen können in kleinen Bauwerken untergebracht werden und be-
anspruchen entsprechend nur wenig Bodenfläche. Die spezifischen Kosten solcher
Anlagen nehmen mit abnehmender Grösse nicht sehr schnell zu. Weil sie zudem
recht einfach automatisiert werden können eignen sie sich auch für kleine Anwen-
dungen und kommen heute z.T. als fertig montierte Anlagen in Notfällen zur An-
wendung. Experten erwarten, dass die Membranverfahren in naher Zukunft zu
einem wichtigen Wasseraufbereitungsverfahren werden.
9.15 Membrantechnologie 151

Zufluss Hohlfasermembranen

Spiralförmig Zufluss
Filtrat
gewickelte
Membran

Filtrat Konzentrat

Filtrat

2.5 m

2.1 m

1.7 m

Abb. 9.19: Beispiele von Membranmodulen: Links spiralförmig gewickelte Membran; rechts
oben: Hohlfasermembrane, von innen nach aussen durchströmt (Trinkwasser), unten von aussen
nach innen durchströmt (Abwasserreinigung)

Stoffe Salze Kolloide Crypto Giardia Haar


Atome Pestizide Algen
Zucker Viren Bakterien

Trennverfahren Umkehrosmose Ultrafilter Sandfilter


Nanofilter Mikrofilter Siebe

Nanometer 0.1 1 10 100 1000


Mikrometer 0.1 1 10 100 1000
Millimeter 0.001 0.01 0.1 1
Dalton 1 200 20'000 500'000

Abb. 9.20: Grössenvergleich der Poren von unterschiedlichen Membranen und Stoffen, die in
der Wasseraufbereitung aus dem Rohwasser abgetrennt werden sollen
10 Wasserspeicherung

Jede grössere Wasserversorgung muss an einer Stelle in ihrem System über einen
Speicher mit Trinkwasser verfügen, um Unterschiede zwischen Angebot und Nach-
frage auszugleichen. Ausnahmsweise kann direkt das Grundwasser im Boden (d.h.
das Porenvolumen) als Speicher genutzt werden. Häufiger sind Speicherbauwer-
ke, in denen das Trinkwasser bereits mit der erforderlichen potentiellen Energie
bereitgestellt wird.
Die Wasserspeicher sind in Phasen grossen Wasserbedarfs die Energieliefe-
ranten oder Batterien der Wasserversorgung.

10.1 Aufgabe der Wasserspeicher (Reservoire)


Die Produktionsanlagen von Trinkwasser sind träge, sie können nicht sofort auf
Bedarfsspitzen reagieren. Im Gegensatz dazu steigt der Verbrauch von Trinkwas-
ser, z.B. während Unterbrüchen von speziellen Veranstaltungen im Fernsehen
(wichtige Fussballspiele), als Folge von gehäuften Toilettenspülungen innert Mi-
nuten sprunghaft an.
Wasserspeicher dienen in erster Linie dazu, Trinkwasser über eine gewisse
Zeit hygienisch einwandfrei und mit genügend potentieller Energie zu speichern.
Je nach Anlage und Bedürfnissen wird damit ein Ausgleich zwischen Speisung
und Verbrauch angestrebt, oder es werden die Kosten des Pumpbetriebs mit güns-
tiger Nachtenergie minimiert, sowie eine Reserve für ausserordentliche Fälle be-
reitgestellt. Häufig wird ein Teil des Speicherraumes für Löschwasser reserviert
und durch Öffnen eines speziellen Abschlussorgans im Brandfall freigegeben.

10.2 Art der Wasserspeicher


Hier werden nur gebaute Behälter, die v.a. dem Tagesausgleich dienen, bespro-
chen. Zusätzlich betreibt die Wasserversorgung, je nach Art der Wasserbeschaf-
fung, auch Rohwasserspeicher für den saisonalen Ausgleich des Wasserangebots
(z.B. Stauseen).

10.2.1 Hochbehälter
Im Hochbehälter ist der Speicherraum in einem über dem Versorgungsgebiet ge-
legenen Volumen vorgesehen. Er ist so angeordnet, dass im Versorgungsgebiet,
bei ausreichend dimensioniertem Leitungsnetz, optimale Druckverhältnisse ge-
währleistet werden. Hochbehälter sind in der Regel ins Gelände eingebettet. Feh-
154 10 Wasserspeicherung

len geeignete Erhebungen in angemessener Entfernung vom Versorgungsgebiet,


werden Wassertürme erstellt.

10.2.2 Tiefbehälter
Tiefbehälter dienen als Saugbehälter von Pumpwerken. Der Versorgungsdruck im
Verteilnetz wird durch Pumpen erzeugt. Für Pumpendefekte und Stromausfall sind
bei dieser Anordnung besondere Vorkehrungen zu treffen (Notstromaggregate,
redundante Pumpen etc.).

10.3 Standort und Höhenlage


Der minimale Betriebswasserspiegel soll in der Regel 40 bis 80 m über der Ter-
rainoberfläche im Versorgungsgebiet liegen. Bei Höhendifferenzen von über
100 m ist die Unterteilung in mehrere Druckzonen (Abb. 11.18) mit entsprechen-
den Reservoiren, Druckbrecherschächten oder Druckreduzierventilen und Zonen-
pumpwerken vorzusehen (Abschn. 11.6).
Das Reservoir soll möglichst nahe am Verbrauchsschwerpunkt liegen.
Zweckmässig ist bei Bedarf die spätere Ergänzung durch ein Gegenreservoir (s.
Abb. 11.15 und Beispiel 11.14).

Tabelle 10.1. Berechnung des erforderlichen Speichervolumens. Alle Angaben beziehen sich auf
den Wasserumsatz Qd während des ganzen Tages. Die Angaben sind in Prozent des Tages-
verbrauchs pro Stunde. Der Verbrauch entspricht der Ganglinie in ländlichen Verhältnissen,
Wasser wird nur in den 10 Nachtstunden gefördert. S.a. Abb. 10.1, unten und Tabelle 5.5, Seite
77
Uhrzeit 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Verbrauch % 1.2 0.4 0.4 0.4 0.6 1.6 3.7 5.6 6.0 5.8 6.8 8.1 4.2 5.8 5.8 6.0 6.3 8.7 6.7 5.8 4.1 2.5 1.9 1.6
Einspeisung % 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10
Fehlbetrag % 3.7 5.6 6.0 5.8 6.8 8.1 4.2 5.8 5.8 6.0 6.3 8.7 6.7 5.8
Überschuss % 8.8 9.6 9.6 9.6 9.4 8.4 5.9 7.5 8.1 8.4
Speicher % 38 48 58 67 77 85 82 76 70 64 57 49 45 39 34 28 21 13 6 0 6 13 22 30

10.4 Speichervolumen
Das Speichervolumen umfasst die Brauch-, Not- und nötigenfalls die Löschreser-
ve. Die Brauchreserve richtet sich nach dem erforderlichen Ausgleich zwischen
Wassergewinnung (Zulauf und Förderung) und dem Verbrauch. Die Notreserve
dient der Überbrückung allfälliger Unterbrüche in der Wassergewinnung oder
übermässiger Verbrauchsmengen bei Rohrbrüchen und dergleichen. Sie soll ins-
besondere das Leerlaufen des ganzen Leitungsnetzes verhindern.
Das erforderliche Speichervolumen und ein allenfalls notwendiger etappen-
weiser Ausbau der Behälteranlage werden im generellen Wasserversorgungspro-
jekt nachgewiesen. Bei hinreichend genauen Grundlagen wird das Volumen der
Brauchreserve durch Aufsummieren der stündlichen Zulauf-, Förder- und Ent-
nahmemengen während eines ganzen Tages ermittelt (Abb. 10.1 und
10.4 Speichervolumen 155

fh(t) 2.5

2
fh,max = 1.5
Konstante
1.5 Förderung

1 Fehlbetrag 15.7% Qd
Überschuss
0.5

0
0 6 12 18 24
Uhrzeit t
fh(t) 2.5
Förderung nur Verbrauch
2 in der Nacht

1.5
Überschuss
1

0.5 Fehlbetrag: 85% Qd

0
0 6 12 18 24
Uhrzeit t
Abb. 10.1. Abschätzung des erforderlichen Speicherinhalts auf der Basis von Tagesganglinien
des Bedarfes und der Wasserförderung (s.a. Tabelle 5.5, Seite 77). Oben: Tagesganglinie in städ-
tischen Verhältnissen und konstante Förderung über den Tag. Unten: Tagesganglinie in ländli-
chen Verhältnissen und Förderung nur in der Nacht, bei Niedertarif für die Elektrizität (Gangli-
nien nach SVGW, W6, 1975)

Tabelle 10.1). Die Praxis zeigt, dass ein Behälter in der Regel dann wirtschaftlich
bemessen ist, wenn die Kriterien in Tabelle 10.2 erfüllt sind. Daraus ergibt sich
ein spezifisches Speichervolumen von 0.20 bis 0.60 m3/Einwohner, je nach Struk-
tur der Kommune und Art der Produktion des Wassers.

Tabelle 10.2. Typische Speichervolumen von wirtschaftlich bemessenen Wasserbehältern in


kommunalen Wasserversorgungen (nach SVGW, W6, 1975)
Brauchreserve 0.5 mal mittlerer Tagesverbrauch
Not- und Löschreserve, Bodensatz 0.5 mal mittlerer Tagesverbrauch
Gesamtvolumen 1.0 mal mittlerer Tagesverbrauch
Das erforderliche spezifische Speichervolumen wird vermindert in:
– grossen, städtischen Versorgungsgebieten mit gutem Konsumausgleich.
– Versorgungsanlagen mit mehrfacher, unabhängiger Einspeisung.
Das spezifische Speichervolumen sollte vergrössert werden in:
– kleinen Versorgungsgebieten mit ausgeprägten Verbrauchsspitzen.
– Versorgungsanlagen mit einseitiger Wasserbeschaffung
156 10 Wasserspeicherung

10.4.1 Löschreserve
Die Grösse der gegebenenfalls notwendigen Löschreserve wird mit den zuständi-
gen Organen der Feuerwehr und der Gebäudeversicherung festgelegt (Minimum
100 m3). In grossen Versorgungsanlagen mit mehreren unabhängigen Wasserbe-
zugsorten kann auf die Ausscheidung von Löschreserven meist verzichtet werden.
In mehrzonigen Anlagen genügt eine ausreichende Löschreserve im höchst gele-
genen Reservoir. Der Wasserbedarf der Feuerwehr wird je nach Bauzone und
Brandgefährdung mit 0.01–0.06 m3s-1 angegeben, d.h. dass 100 m3 für eine Lösch-
dauer von 0.5–2.5 h ausreichen.
Von besonderer Bedeutung sind Sprinkleranlagen, wie sie z.B. in Lagerhäu-
sern installiert werden. Sie haben einen grossen Wasserbedarf. Richtlinien des
SVGW (W5, 1979) geben Zahlen im Bereich von 6–1000 m3 Gesamtbedarf und
0.003–0.2 m3s-1 Durchfluss, je nach Gefährdungsklasse und Grösse des Objektes.

10.5 Bilanzierung eines Trinkwasserspeichers


Die Bemessung der Brauchreserve eines Trinkwasserspeichers beruht auf einer
einfachen Massen- oder Volumenbilanz für das Wasser:
dV(t)
Qzu (t)  Qab (t) (10.1)
dt
V(t) = Momentanes Volumen des gespeicherten Wassers [L-3]
Qzu(t) = Zufliessendes Wasser [L3 T-1] zur Zeit t (Einspeisung)
Qab(t) = Abfliessendes Wasser [L3 T-1] zur Zeit t (Verbrauch)
Mit Hilfe von Gl. (10.1) und Informationen über den Tagesgang des momenta-
nen Wasserbedarfes Qab(t) (s.a. Abb. 10.1 und Tabelle 10.1) sowie der Wasserför-
derung Qzu(t) (häufig unter Berücksichtigung der Niedertarifzeiten für Pumpener-
gie), kann das erforderliche Speichervolumen bestimmt werden. Als Anfangs-
bedingung für die Lösung von Gl. (10.1) kann vorerst V = 0 gewählt werden. Das
erforderliche Volumen für den Tagesausgleich ergibt sich dann aus der berechne-
ten Ganglinie von V(t) zu (s.a. Abb. 10.2):
Verforderlich = Vmax - Vmin (10.2)
In vielen Versorgungssystemen stehen mehrere Speicher zur Verfügung und
der Zulauf zu einem Speicher wird über die Hauptleitungen des Versorgungs-
netzes geleitet. Da das Volumen der Versorgungsleitungen konstant ist, gilt
Gl. (10.1) auch für ganze Systeme.
Im effektiven Betrieb kann bei neuen, spezifisch grossen Speichern die Nieder-
tarifzeit für die Pumpenergie optimal ausgenützt werden. Wird später das Spei-
chervolumen knapp, so kann bei hohem Bedarf mit einer Verlängerung der Pump-
zeit ein genügender Tagesausgleich erzielt werden. Nach Abb. 10.1 und 10.2 sind
in ländlichen Verhältnissen bei einer Förderung von Wasser nur während 10
Nachtstunden ca. 85% des Tagesbedarfes für den Tagesausgleich erforderlich, bei
gleichmässiger Wasserförderung über 24 h pro Tag wären dafür nur 27% nötig.
Daraus ergeben sich auch Möglichkeiten für die Optimierung des Betriebs, z.B. an
10.6 Hygienische Anforderungen 157

% des Tagesbedarfs
100
Erforderliches Speichervolumen: VSp = 'Vmax + 'Vmin
80
'Vmin
60 Kumulative
Förderung
40
'Vmax Kumulativer Bedarf
20

0
0 4 8 12 16 20 24
Uhrzeit in hrs

Abb. 10.2: Kumulative Darstellung des Wasserverbrauchs und der Förderung von Wasser im
Tagesgang. Daten analog zu Abb. 10.1, unten, ländliche Verhältnisse mit Förderung nur in der
Nacht

Tagen mit mittlerem und geringem Verbrauch, gegenüber Tagen mit maximalem
Verbrauch.

Beispiel 10.1. Anwendung der Wasserbilanz auf das Speichervolumen


Welcher Bezug ergibt sich zwischen Tabelle 10.1 und Gl. (10.1)?
Tabelle 10.1 bezieht sich mit 100% auf den maximalen täglichen Wasserverbrauch
Qd,max, Gl. (10.1) arbeitet mit absoluten Zahlen. Uhrzeit = t, Verbrauch = Qab(t), Einspei-
sung = Qzu(t), Fehlbetrag = Qab(t) - Qzu(t) sofern Qab > Qzu, Überschuss = Qzu(t) - Qab(t)
sofern Qzu > Qab, Speicher = V(t), wobei die Anfangsbedingung V(t=0) so gewählt wur-
de, dass Vmin = 0.

10.6 Hygienische Anforderungen


Das gespeicherte Wasser muss vor Verunreinigungen geschützt werden; insbeson-
dere ist die Luft, die täglich in die Wasserkammern einströmen muss, zu filtrieren
(Barriere). Zudem ist das Wasser vor Erwärmung, Abkühlung und Lichteinfall
(Algenwachstum) zu schützen (Überdeckung und Beschattung der Speicher). In
grösseren Reservoiren sind Vorkehrungen für eine ausreichende Zirkulation und
Erneuerung des Wassers zu treffen. Mit einer regelmässigen Gesamtentleerung
des Behälters kann nicht gerechnet werden.
Die Keimvermehrung kann durch glatte Ausbildung der Behälterinnenflächen
sowie durch genügende Zirkulation und Erneuerung des Wassers unter Kontrolle
gehalten werden. Für die Entleerung und die Reinigung sind die notwendigen In-
stallationen vorzusehen.

10.7 Gestaltung eines Trinkwasserspeichers


In Abb. 10.3 ist ein Ausführungsbeispiel eines Trinkwasserreservoirs (ca. 1000 m3
Inhalt, ca. 2500 Einwohner) dargestellt. Bei der Gestaltung wird darauf geachtet,
158 10 Wasserspeicherung

Grundriss Schnitt durch Kammer 1

Staubfilter

Kammer 2
Gebrauchsspeicher

Gebrauchsspeicher

Kammer 1
mit Löschreserve
Löschreserve

Löschklappe, die nur im


Brandfall geöffnet wird

Abb. 10.3. Einfache Darstellung eines Trinkwasserspeichers: Die Kammern (und Armaturen)
sind so gestaltet, dass das durchfliessende Wasser laufend erneuert wird und eine Löschreserve
gesichert bleibt

dass das Wasser laufend erneuert wird. Das wird hier durch den zweikammerigen
Gebrauchsspeicher und den gerichteten Durchfluss (Rückschlagklappen) erreicht.
Die mögliche Wiederverkeimung des Wassers kann dadurch minimal gehalten
werden. Die Löschreserve wird durch Öffnen der Löschklappe im Brandfall frei-
gegeben, im Tagesgang steht dieses Volumen nicht zur Verfügung, das Wasser
wird aber laufend erneuert.

10.8 Spezialfälle
Nicht immer sind Geländeerhebungen verfügbar; in solchen Situationen kommen
Wassertürme und Windkessel zur Anwendung.

10.8.1 Wasserturm
Wenn keine geeignete topographische Formation für den Bau eines Erdbehälters
in der Nähe des Versorgungsgebiets zur Verfügung steht, kann ein Wasserspeicher
in Form eines Wasserturmes erstellt werden.
Wie bei Erdbehältern muss der Fassungsraum 30–40 m über dem Versorgungsge-
biet liegen. Mit grossen Leitungsdurchmessern können die Druckverluste im Ver-
sorgungsnetz klein gehalten und die Turmhöhe ev. verringert werden. Abbil-
dung 10.4 zeigt schematisch einen Wasserturm mit nur einer Wasserkammer.
Kleine Behälter (< 200 m3) werden meist nur einkammerig ausgeführt. Eine gros-
se Wassertiefe (5–7 m) führt zu schlanken Wassertürmen aber entsprechenden
Druckschwankungen.
Wassertürme haben den Vorteil, dass sie nahe an den Verbrauchern errichtet
werden können. Dadurch ergeben sich geringe Energieverluste und entsprechend
günstige Druckverhältnisse.
10.8 Spezialfälle 159

Brauch-
reserve

Löschreserve

Treppe
Aufzug
…..

Ablauf Zulauf
Abb. 10.4. Prinzipzeichnung
Überlauf eines Wasserturms

Druckluft Kompressor

Wasserspeicher

Abb. 10.5. Druckwindkessel

10.8.2 Löschwasserbehälter
Wenn die Wasserversorgung Löschwasser nicht in ausreichender Menge liefern
kann, ist ev. die Erstellung eines von der Trinkwasserversorgung unabhängigen
Löschwasserbehälters erforderlich. Die Anforderungen an solche Behälter sind
viel weniger streng als die Anforderungen an ein Trinkwasserreservoir. Früher
waren solche Becken üblich, in älteren Siedlungen trifft man sie noch heute, z.B.
als Feuerwehrweiher.

10.8.3 Druckwindkessel
Druckkessel oder Windkessel (Abb. 10.5) sind keine eigentlichen Wasserspeicher.
Ihr Volumen ist meist nur so bemessen, dass die Schalthäufigkeit der Pumpen be-
schränkt und damit deren Lebenserwartung verbessert werden kann. Der Wind-
kessel nutzt die Kompressibilität der Luft: Ein Luftpolster speichert die erforderli-
che potentielle Energie um den Betriebsdruck des Wassers innerhalb bestimmter
160 10 Wasserspeicherung

Grenzen zu halten. Wenn das Wasser über 24 h im Tag gefördert werden soll, sind
Windkessel wirtschaftliche Einrichtungen.
Wenn kein Speichervolumen zur Verfügung steht, muss dauernd ins Netz ge-
fördert werden. Das geschieht heute mit Pumpen, die über Leistungselektronik
und Frequenzumformer mit variabler Drehzahl und daher angepasster Förderleis-
tung arbeiten. Windkessel können hier den erforderlichen kurzfristigen Ausgleich
schaffen.
Druckwindkessel kommen auch zur Anwendung um Druckstösse als Folge
von instationären Betriebszuständen zu mildern (s.a. Abschnitt 11.7.2, Seite 193).
Hier müssen sie kinetische Energie in potentielle Energie umwandeln und umge-
kehrt.
11 Wasserverteilung, Netz

Die Investitionen in Infrastrukturen zur Verteilung des Trinkwassers machen ein


Mehrfaches der Aufwendungen für Wasserbeschaffung, Aufbereitung und Speiche-
rung aus. Das Verteilnetz ist zudem das verletzlichste Glied in der Wasserversor-
gung. Genügende Transportkapazität bereitzustellen (geringe Energieverluste)
und ein guter Zustand der Leitungen (Leitungsbrüche, Wasserverluste, Hygiene)
sind die Betriebsziele.
Aufgabe des Verteilnetzes einer Wasserversorgung ist der Transport des
Trinkwassers zum Endverbraucher. Nie werden ganze Netze neu gebaut; beste-
hende Netze wurden über Jahrzehnte entwickelt, verfeinert und erneuert. Hier
werden v.a. die Elemente eines solchen Netzes beschrieben und die technischen
Grundlagen (Hydraulik) zur Berechnung dieser Elemente besprochen.

11.1 Stationäre Rohrhydraulik


Zur Berechnung des Energie- oder Druckverlusts in Verteilnetzen genügen statio-
näre Betrachtungen. Die erforderlichen Durchmesser von Leitungen werden so
gewählt, dass am Ort des Verbrauchs genügend Druck im Leitungsnetz herrscht;
das wird erreicht, indem der Energieverlust klein gehalten wird.
Heute steht eine Reihe von Programmen zur Verfügung, die mit geringem Auf-
wand erlauben, genaue und zuverlässige hydraulische Berechnungen von Rohren,
Rohrsträngen und ganzen Verteilnetzen zu machen. In der Praxis wird die Ingeni-
eurin meistens auf solche Programme zurückgreifen. Hier werden deshalb nur die
Grundprinzipien der Rohrhydraulik repetiert.
Es ist anschaulich, den Wasserdruck als Druckhöhe in Metern Wassersäule
(mWs) anzugeben. Diese Angaben sind insbesondere einfach mit geodätischen
Höhen zu vergleichen und auch im Pumpenbau üblich. 10 mWs entsprechen 1 bar
oder ca. 105 Pa (1 Pascal = 1 N m-2 = 1 kg m-1 s-2). Es gilt die Gleichung:
P
H (11.1)
U˜g
H = Druckhöhe des Wassers in mWs (Meter Wassersäule) [L]
P = Hydrostatischer Druck in Pa [ML-1T-2]
U = Dichte des Wassers (1000 kg m-3) [M L-3]
g = Erdbeschleunigung (9.81 m s-2) [L T-2]
162 11 Wasserverteilung, Netz

z
Energielinie

v12 'zE
2˜g v 22
2˜g
p1 Drucklinie p2
U˜g U˜g
z2
Q
z1

Abb. 11.1. Definitionen zu


1 2 Ort
Gl. (11.2) von Bernoulli

11.1.1 Grundlagen der Rohrhydraulik


Es werden die Grundlagen für die Berechnung von Energieverlusten in Drucklei-
tungen eingeführt.
Die Variation des Volumenstroms Q in Wasserversorgungsnetzen erfolgt in der
Regel langsam. Schnelle Änderungen erzeugen Druckstösse, sie können zwar auf-
treten, werden jedoch meist mit spezifischen Gegenmassnahmen lokal gedämpft
(Abschn. 11.7). Daher genügt es, die Transportkapazität der Wasserverteilnetze
für stationäre Verhältnisse zu bemessen. Es kann auf die Gleichung von Bernoulli
zurückgegriffen werden (s.a. Abb. 11.1):
p1 v2 p2 v2
z1   1 z2   2  'z E (11.2)
U˜g 2˜g U˜g 2˜g
z = geodätische Höhe [L]
p = hydrostatischer Druck [ML-1T-2]
U = Dichte des Wassers [1000 kg m-3]
g = Erdbeschleunigung [9.81 m s-2]
v = Fliessgeschwindigkeit des Wassers [LT-1]
'zE = Energieverlust durch Strömung, ausgedrückt als Druckhöhe [L]
Meist wird in der Wasserversorgung das Geschwindigkeitsglied v2/2g vernach-
lässigt, da es bei den üblichen Strömungsgeschwindigkeiten von 1–2 m s-1 im Ver-
sorgungsnetz von untergeordneter Bedeutung ist. Für v = 2 m s-1 beträgt v2/2g nur
gerade 0.20 mWs, während p/Ug meist > 40 mWs beträgt und im Betrieb deutlich
variiert.
Die Ermittlung des Energieverlusts 'zE als Folge der Rohrreibung in Druck-
rohrleitungen kann mit der Gleichung von Darcy-Weisbach erfolgen:

L v˜ v
'z E O˜ ˜ (11.3)
D 2˜g
O = Rohrreibungskoeffizient [-]
L = Länge der Leitung [L]
D = Durchmesser der kreisförmigen Leitung [L]
11.1 Stationäre Rohrhydraulik 163

In den Verteilnetzen der Wasserversorgung kann in einzelnen Strängen die


Fliessrichtung des Wassers je nach Belastung ändern. In der Schreibweise von
Gl. (11.3) muss daher eine klare Vorzeichenregel für die Fliessgeschwindigkeit v
definiert sein. Hier wird für jede Leitung ein Anfang und ein Ende definiert, die
Fliessgeschwindigkeit ist positiv, wenn das Wasser vom Anfang zum Ende fliesst.
Mit dieser Regel ist mit Gl. (11.3) auch geregelt, mit welchem Vorzeichen die
Energieverluste 'zE übernommen werden müssen.

Beispiel 11.1. Anwendung der Energiegleichung (Bernoulli) auf eine Leitung


Die folgenden Grössen werden am Anfang und am Ende einer 1000 m langen Leitung
gemessen oder berechnet:
Anfang Ende
z 450 500 müM
p/U˜g 70 30 m
v 1 2.2 m s-1
v2/2g 0.05 0.25 m
Wie gross ist 'zE?
Nach Gl. (11.2) wird: 'zE = 450 + 70 + 0.05 - (500 + 30 + 0.25) m = -10.2 m
In welche Richtung fliesst das Wasser?
Da 'zE < 0 ist, fliesst das Wasser vom Ende zum Anfang der Leitung.
Das Energiegefälle ist gleich JE = 'zE / L = -10.2 / 1000 = -1.02 %. Werden die Ge-
schwindigkeitshöhen v2 / 2g vernachlässigt, ergibt sich JE = -1.00 %. Diese Differenz
liegt innerhalb der möglichen Rechengenauigkeit.

Der dimensionslose RohrreibungskoeffizientO in Gl. (11.3) kann mit Hilfe der


impliziten, empirischen Gleichung von Colebrook berechnet werden:

1 § 2.52 k ·
2 ˜ log10 ¨  ¸ (11.4)
O1/ 2 © N Re ˜ O
1/ 2
3.71 ˜ D ¹

NRe = Reynoldszahl, definiert als NRe = v˜D/Q [-]


D = Durchmesser des Kreisrohres [L]
k = Äquivalente Sandrauigkeit der Rohrinnenwand [L],
in Verteilnetzen Betriebsrauigkeit des Netzes.
Q = kinematische Zähigkeit des Wassers [L2 T-1@,
bei 10°C gilt Q = 1.31·10-6 m2 s-1 (s.a. Tabelle 3.5, Seite 53)
Leider ist Gl. (11.4) eine implizite Gleichung für O, was ihre Handhabung er-
schwert. In der Literatur ist eine Reihe von Vereinfachungen verfügbar, die je
nach Randbedingungen ihre Anwendung erleichtern. Graphisch ist die Gleichung
von Colebrook im Moody-Diagramm (Abb. 11.2) dargestellt, das mit genügender
Genauigkeit gelesen werden kann.
Das Moody-Diagramm gilt für Sandrauigkeit und wurde für gerade, horizonta-
le Rohre ohne Rohrbogen, Kupplungsfugen, Schweissnähte, Inkrustationen etc.
experimentell bestimmt. Bei einfachen, überschaubaren Verhältnissen ist es mög-
lich, die Verluste einzeln zu erfassen und mit Gl. (11.3) die Summe aller Strö-
164 11 Wasserverteilung, Netz

Rohrreibungskoeffizient O Relative Rauigkeit k / D


0.10

0.05

0.05 0.02
0.04 0.01
0.03 0.005

0.02 0.001
0.0005

0.0001
0.01
104 105 106 107
Reynoldszahl NRe

Abb. 11.2. Ausschnitt aus dem Moody Diagramm, Darstellung der Gl. (11.4) von Colebrook

mungsverluste zu berechnen (s. dazu die Fachliteratur in technischer Hydraulik).


In Wasserverteilsystemen sind die einzelnen Energieverluste kaum bekannt; es
wird daher meist mit einer sogen. Betriebsrauigkeit k gerechnet, die auf Erfahrun-
gen basiert (Tabelle 11.1) und erlaubt alle Energieverluste in einem Erwartungs-
wert zusammenzufassen. Vereinfachend werden dazu Abb. 11.2 und Gl. (11.4)
verwendet, welche den ganzen Übergangsbereich zwischen glattem und rauem,
turbulentem Strömungsverhalten abdecken.

Tabelle 11.1. Wandrauigkeiten kW, Betriebsrauigkeiten k und Rauigkeitsbeiwerte kSt nach


Strickler für Rohre und Verteilsysteme. Für die Dimensionierung werden Werte von kSt > 100
1/3 -1
m s nicht verwendet
kW kSt Bestehende k kSt
Neue Rohre
mm m1/3 s-1 Verteilsysteme mm m1/3 s-1
Stahl 0.1 >100 Fernleitung 0.2 100
Guss 0.1 >100 Hauptleitung 1 85
Faserzement 0.03 >100 Versorgungsnetz 2 75
Zementanstrich 0.5 90 Altes Gussnetz 5 70

Für Wasser mit 10°C, mit der kinematischen Zähigkeit Q = 1.31·10-6 m2 s-1, findet
man für Fliessgeschwindigkeiten v = 1–3 m s-1 und Durchmesser D = 100–000
mm Reynolds-Zahlen in der Grössenordnung von NRe = 105–3·106. Für Betriebs-
rauigkeiten k = 0.2–5 mm liegen die relativen Rauigkeiten k/D für dieselben
Durchmesser bei 0.0002–0.05. Aus dem Moody-Diagramm (Abb. 11.2), ist er-
kennbar, dass sich die Strömung im hydraulisch rauen Bereich mit relativ hoher
Turbulenz befindet. Typische Rohrreibungskoeffizienten O liegen zwischen 0.02
11.1 Stationäre Rohrhydraulik 165

und 0.05. In diesem Bereich ist O kaum mehr von der Reynoldszahl abhängig
(hydraulisch rau) und es gilt vereinfachend die explizite Gleichung:
O = 0.25 / (log10 (3.71 D / k))2 (11.5)
Um Gl. (11.3) auf Rohre anzuwenden, kann die Fliessgeschwindigkeit v durch
den Durchfluss Q ersetzt werden. Damit gilt für kreisrunde Rohre, mit v = Q / F
oder v = 4·Q/(S·D2):
L v˜ v 8˜O ˜ L˜Q˜ Q O ˜L˜Q˜ Q
'z E O˜ ˜ 0.0826 s 2 m 1 ˜ (11.6)
D 2˜g g ˜ S 2 ˜ D5 D5
Aus Gl. (11.6) wird offensichtlich, wie stark sich der Rohrdurchmesser D bei
gleich bleibendem Durchfluss Q auf den Energieverlust auswirkt: Er wächst mit
abnehmendem Durchmesser mit der 5. Potenz des Durchmessers an.
Aufgelöst nach dem Durchfluss Q, resultiert dessen Abhängigkeit vom
Durchmesser bei gleich bleibendem Energieverlust:
1/ 2 1/ 2
5/ 2
§ g ˜ S 2 ˜ 'z E · 1/ 2 1 5/ 2 § 'z E ·
Q D ¨ ¸ 3.479 m s ˜ D ˜¨ ¸  (11.7)
© 8˜O ˜ L ¹ © O˜L ¹

Beispiel 11.2. Berechnung des Energieverlusts nach Colebrook / Moody


Wie gross ist der Energieverlust in der unten beschriebenen Fernleitung:
Durchfluss Q = 0.05 m3 s-1
Durchmesser D = 0.2 m
Länge L = 1000 m
Temperatur T = 10°C o kinematische Viskosität Q = 1.3·10-6 m2 s-1
1. Graphische Lösung mit Hilfe des Moody Diagramms (Abb. 11.2)
2
Rohrquerschnitt A = D ·S/4 = 0.0314 m2
Fliessgeschwindigkeit v = Q/A = 1.59 m s-1
Reynoldszahl NRe = v·D/Q = 245'000
Betriebsrauigkeit nach Tabelle 11.1 für Fernleitungen: k = 0.0002 m, k/D = 0.001
Reibungskoeffizient O aus Abb. 11.2: O = 0.021
Energieverlust nach Gl. (11.3): 'zE = O˜L˜v2/(D˜2˜g) = 13.5 m
2. Algebraische Lösung mit Hilfe von Gl. (11.5):
O' = 0.25 / (log(3.71 Dk))2 = 0.02
Energieverlust nach Gl. (11.3): 'zE = O'˜L˜v2/(D˜2˜g) = 12.7 m

Beispiel 11.3. Effekt des Durchmessers auf den Energieverlust


Wie gross wird der Energieverlust der Leitung aus Beispiel 11.2 wenn der Durchmesser
D von D1 = 0.2 m auf D2 = 0.25 m erhöht wird?
Nach Gl. (11.6) wird:
'zE(D1) / 'zE(D2) = D25 / D15 oder
'zE(D=0.25m) = 'zE(D=0.2m) ˜ 0.25 / 0.255 = 13.7 m ˜ 0.33 = 4.5 m.
166 11 Wasserverteilung, Netz

Eine Vergrösserung des Durchmessers um 25% hat also eine Verringerung des Ener-
gieverlusts um den Faktor 3 zur Folge.

Beispiel 11.4. Auswirkung des Wassersparens


Eine Gemeinde beschliesst, durch konsequentes Wassersparen ihren maximalen Was-
serverbrauch auf die Hälfte zu reduzieren. Sie will damit Baukosten beim Erstellen von
neuen Wasserleitungen sparen.
Welcher Durchmesser der Fernleitung in Beispiel 11.2 ist bei gleich bleibendem Ener-
gieverlust und Halbierung der Transportleistung erforderlich?
Mit der vereinfachenden Annahme, dass O unverändert bleibt, ergibt sich für ein kon-
stantes 'zE mit Gl. (11.6): Q12 / D15 = Q22 / D25 oder D2 = D1 ˜ (Q2 / Q1)2/5 = 0.152 m.
Die Reduktion des Wasserverbrauchs um 50% resultiert in einer Reduktion des erfor-
derlichen Durchmessers der Leitung um 25%. Die Baukosten werden sich aber um we-
niger als 25% reduzieren. Diese werden z.B. durch die minimal zulässige Grabenbreite
stark beeinflusst.

Im hydraulisch rauen Bereich des Moody-Diagramms ist auch der Ansatz von
Manning-Strickler angenähert gültig:
v k St ˜ R 2 / 3 ˜ J1/E 2 (11.8)
kSt = Rauigkeitsbeiwert nach Strickler [m1/3 s-1@
R = hydraulischer Radius (benetzte Fläche / benetzter Umfang) [m]
JE = Gefälle der Energielinie [-]
Nach quadrieren wird mit JE = 'zE / L, R = D / 4 und v = 4˜Q / (S˜D2) für kreis-
förmige Druckleitungen:
16 ˜ 44 / 3 ˜ L ˜ Q ˜ Q L˜Q˜ Q
'z E 10.294 ˜ (11.9)
S2 ˜ kSt2 ˜ D16 / 3 k St 2 ˜ D16 / 3

Wird mitE = 10.294/ (kSt2˜D16/3) die Rohrkonstante bezeichnet, so findet man


die zum Gebrauch bequeme Form:
'z E E˜ L˜Q˜ Q (11.10)
E = Rohrkonstante [T2 L-6]
Tabelle 11.2 gibt typische Werte für Rohrkonstanten. Für viele Berechnungen
mit Leitungen ist es eine Vereinfachung, wenn in Gl. (11.10) das Produkt E˜L zur
Leitungskonstanten J zusammengefasst wird:
J E ˜ L in >T2 L-5@ (11.11)

Damit wird der Energieverlust zu


(11.12)
'z E J ˜Q˜ Q

Gleichung(11.12) ist spezifisch für eine Leitung und daher sehr nahe an der
praktischen Anwendung.
11.1 Stationäre Rohrhydraulik 167

Tabelle 11.2: Typische Rohrkonstanten E basierend auf Tabelle 11.1)


Durchmesser Reibungsbeiwert Rohrkonstante
Art der Leitung
D in mm kSt in m1/3 s-1 E in s2 m-6
500 0.0415
Fernleitung 300 100 0.632
200 5.50
300 0.876
Hauptleitung 250 85 2.32
200 7.61
200 9.78
Versorgungsnetz 150 75 45.4
100 394
150 52.1
Alte Gussleitung 100 70 453
75 2100

Beispiel 11.5. Vergleich des Energieverlusts nach Darcy-Weisbach und Manning-


Strickler
Berechne die Rohrkonstante E nach Darcy-Weisbach respektive nach Manning-
Strickler.
Nach Darcy-Weisbach:

Nach Gl. (11.6) ist: 'zE = O˜v2˜L/(2g˜D) = 8˜O˜L˜Q2/(g˜S ˜D5)
= 0.0826 s2m-1˜O˜L˜Q2/D5.

Es wird E = 'zE / (L˜Q2) = 8˜O/(g·S ˜D5) = 0.0826 s2m-1·O/D5.
Nach Strickler:

Nach Gl. (11.9) gilt: 'zE = 16˜44/3˜L˜Q2/(S ˜kSt2˜D16/3) = 10.294˜L˜Q2/(kSt2˜D16/3)
4/3  2 16/3
Es wird E = 16˜4 /(S ˜kSt ˜D ) = 10.294/(kSt2˜D16/3)
Vergleich:
Es entspricht E = 0.0826s2m-1˜O/D5 = 10.294/(kSt2˜D16/3)

und kSt = 11.2 m1/2 s-1 / (O ˜D1/6).
Im vollständig rauen Bereich ist O konstant, also nimmt kSt mit zunehmendem Durch-
messer D zu.
Wie gross wird der Wert von kSt für die Leitung in Beispiel 11.2?
Für O = 0.02, D = 0.2m wird kSt = 103 m1/3 s-1.
Werte über kSt = 100 m1/3 s-1 werden für Berechnungen nicht empfohlen.

Beispiel 11.6. Berechnung des Energieverlusts nach Manning-Strickler.


Wie gross wird der Energieverlust der Fernleitung aus Beispiel 11.2 nach Strickler?
Nach Tabelle 11.1 wird für Fernleitungen mit einer Betriebsrauigkeit von k = 0.2 mm
kSt = 100 m1/3 s-1 und damit nach Gl. (11.9):
'zE = 10.294·L˜Q2/(kSt2˜D16/3) = 13.75 m
Dieser Wert liegt nahe beim Wert, der mit Hilfe des Moody Diagramms berechnet wurde
(Beispiel 11.2).
168 11 Wasserverteilung, Netz

'zE
1 2
Q Q 'zE,tot ='zE,1+'zE,2
'zE
'zE,tot 'zE,1
'zE,2
'zE,1 'zE,2

L
Q

Abb. 11.3. Serieschaltung von 2 Leitungssträngen. 'zE,1 und 'zE,2 stellen den Energieverlust
der beiden Teilleitungen 1 und 2 dar. 'zE,tot entspricht der Summe der beiden Energieverluste
und damit gleichzeitig dem Energieverlust einer äquivalenten Leitung

11.1.2 Äquivalente Rohrleitungen


Leitungsnetze enthalten in der Regel viele einzelne Leitungen. Um die Berechnung
der Energieverluste so einfach wie möglich zu gestalten, werden mehrere Lei-
tungsstränge zu äquivalenten Leitungen zusammengefasst. Diese haben in Bezug
auf den Durchfluss und die Energieverluste die gleichen Eigenschaften wie die
Teilstränge zusammen, sie sind aber einfacher zu berechnen.
Werden zwei Leitungsstränge mit gleichem Durchfluss Q hintereinander angeord-
net (Abb. 11.3), addiert sich der Energieverlust der beiden Stränge. Eine äquiva-
lente Leitung hat eine Leitungskonstante Jaeq, die der Summe der einzelnen Lei-
tungskonstanten entspricht:
'z E,tot 'z E,1  'z E,2 J1 ˜ Q2  J 2 ˜ Q2 ¦J i ˜ Q2 J aeq ˜ Q 2 (11.13)
Werden zwei Leitungen parallel angeordnet, so ergibt sich für beide Leitungen
der gleiche Energieverlust 'zE (Abb. 11.4). Der Durchfluss entspricht der Summe
des Durchflusses durch die beiden Teilstränge:

'z E 'z E
Q tot Q1  Q 2  aus Gl. (11.12): 'z E J ˜ Q2
J1 J2

Q2tot
'z E J aeq ˜ Q2tot (11.14)
1/ 2 2
J 1/ 2
1 J 2
1
J aeq
1/ 2 2
¦ J i

Basierend auf der äquivalenten Leitungskonstanten Jaeq kann das Verhalten


von mehreren Leitungssträngen mathematisch mit Hilfe einer einzigen Gleichung
11.1 Stationäre Rohrhydraulik 169

Q1
Qtot = Q1 + Q2

Qtot = Q1 + Q2
Q2
'zE
'zE,2

'zE,1 'zE

Abb. 11.4. Parallelschaltung von zwei Leitungssträngen. Q1 und Q2 stellen den Durchfluss
durch die beiden Teilleitungen 1 und 2 dar. Qtot entspricht dem Durchfluss durch eine äquivalen-
te Leitung, die die beiden zusammenfasst und den gleichen Energieverlust erzeugt

2 4

A 1 3 6 B

5
Abb. 11.5. Netz, das vereinfacht werden kann

abgebildet werden. Durch geschicktes Kombinieren von Leitungen können äqui-


valente Leitungen für anspruchsvolle Netze gefunden werden. Das vereinfacht die
anschliessende Handrechnung (Beispiel 11.7). Die Vereinfachung ist nur möglich,
wenn weder Bezug noch Einspeisung von Wasser berücksichtigt werden muss.

Beispiel 11.7. Vereinfachung eines Leitungsnetzes.


Wie kann das Leitungsnetz in Abb. 11.5 mit Hilfe einer einzigen äquivalenten Leitung
abgebildet werden?
Der Wasserzulauf erfolgt über Leitung A, das Wasser verzweigt sich im Punkt 1, sam-
melt sich im Punkt 6 und fliesst über Leitung B ab. Die einzelnen Stränge sollen durch
einen äquivalenten Strang von Punkt 1 bis 6 ersetzt werden.
Die Leitungskonstanten J12 und J24 werden addiert, genauso wie J13 und J34. Diese bei-
den Stränge werden nun parallel zusammengelegt zu J14 nach Gl. (11.14). Der Energie-
verlust von Punkt 4 nach 6 wird addiert, es resultiert J146. Die zusammengesetzten Ver-
luste J156 werden nun parallel zu den Verlusten J146 geschaltet, es resultiert die
äquivalente Systemkonstante J16.
Der Energieverlust des Teilsystems als Funktion des totalen Durchflusses
(Q = QA = QB) kann nun mit Hilfe der einfachen Gleichung 'zE,16 = J16 ˜ Q2 berechnet
werden. Wir sprechen von einer zum Teilsystem äquivalenten Leitung.
Wichtig: Die Abbildung eines Teilsystems in Form einer äquivalenten Leitung ist nur
möglich, wenn im Teilsystem kein Wasser bezogen oder eingespeist wird (d.h. hier
QA = QB). Würde hier z.B. in Punkt 3 Wasser bezogen, so müsste eine eigentliche
Netzberechnung gemacht werden, wie sie weiter unten dargestellt wird.
170 11 Wasserverteilung, Netz

Tabelle 11.3. Typische Fliessgeschwindigkeiten in Wasserleitungen bei maximalem Durchfluss


Saugleitungen von Pumpen 0.5 – 1.0 m s-1
Zubringerleitungen über grosse Distanzen 2.0 – 3.0 m s-1
Hauptleitungen 1.0 – 2.5 m s-1
Versorgungsleitungen 1.0 – 2.0 m s-1
Anschlussleitungen (Hausanschlüsse) 0.5 – 1.0 m s-1
Heberleitungen (Hydrostatischer Druck < Luftdruck) 0.5 – 1.0 m s-1

11.1.3 Typische Fliessgeschwindigkeiten


Die Fliessgeschwindigkeit in einer Leitung bestimmt den Energieverlust: Je grös-
ser der Durchmesser, desto geringer wird die Fliessgeschwindigkeit und der
Energieverlust. Mit zunehmendem Durchmesser steigen aber die Baukosten. Die
Wahl einer geeigneten Fliessgeschwindigkeit ist also ein Optimierungsproblem.
Typische Fliessgeschwindigkeiten sind abhängig von der Funktion (Tabelle 11.3)
und dem Durchfluss Q der Leitung. Auf der Saugseite von Pumpen werden gerin-
gere Fliessgeschwindigkeiten gewählt, um allfällige Druckabfälle möglichst ge-
ring zu halten und Kavitationserscheinungen zu vermeiden. Je grösser die Was-
sermenge, desto grösser werden die gewählten Fliessgeschwindigkeiten, weil die
relative Rauigkeit der Leitungen (k/D in Abb. 11.2) und damit die Energieverluste
abnehmen. Tabelle 11.3 gibt einen Überblick über übliche Werte von Fliessge-
schwindigkeiten, die der Dimensionierung von Versorgungsnetzen zu Grunde ge-
legt werden. Höhere Geschwindigkeiten verursachen erhöhten Energieverlust, sie
sind möglich, wenn genügend Energie zur Verfügung steht und diese nicht zu-
rückgewonnen werden kann.

11.2 Pumpen
Pumpen sind Aggregate, die dem Wasser mechanische Energie zuführen. Sie sind
meist die grössten Energieverbraucher einer Wasserversorgung.
In der Wasserversorgung haben Pumpwerke die Aufgabe, dem Wasser Energie
zuzuführen, damit:
– die in Abschn. 7.2, Seite 108, diskutierte Druck- oder Energiebarriere zwi-
schen Trinkwasser und Umwelt aufrechterhalten werden kann;
– genügend Energie für den Transport des Wassers durch die Verteilnetze zur
Verfügung steht;
– das Wasser mit einem genügenden Druck an die Verbraucher geliefert werden
kann.

11.2.1 Dimensionierung von Kreiselpumpen


In der Wasserversorgung kommen fast ausschliesslich Kreiselpumpen zur An-
wendung. Für deren Dimensionierung oder Auswahl müssen zwei Aspekte gegen-
seitig betrachtet werden:
– Einerseits müssen die erforderliche Fördermenge und der zugehörige Energie-
eintrag für unterschiedliche Betriebszustände bestimmt werden.
11.2 Pumpen 171

Energielinie p2
p z2 
z1  1 U˜g
z U˜g
HA 'zE,d
v S2 p2
2˜g 'zE,s
v D2
p1 2˜g
z1
v1 | 0 v2 | 0
QA

Saugseite Druckseite

Abb. 11.6. Schematische Anordnung einer Pumpe. Definition der Energie-, Druck und geodäti-
schen Höhen

– Andererseits muss eine Pumpe gewählt werden, die den Anforderungen mög-
lichst gerecht wird und im genutzten Betriebsbereich einen guten Wirkungs-
grad erbringt.
Zuerst befassen wir uns also mit dem System, dem Energie zugeführt werden
muss und anschliessend mit den Aggregaten, die dem Wasser diese Energie zufüh-
ren können.

11.2.2 Bedarf an Förderhöhe


Damit eine Pumpe in einem gegebenen Anwendungsfall richtig gewählt werden
kann, muss der Energiebedarf (Bedarf an Förderhöhe) der Anlage HA bei der Be-
rechnungsfördermenge QA bestimmt werden (s. Abb. 11.6). Dazu dient Gl. (11.2)
von Bernoulli mit den entsprechenden Verlusten der Saug- und Druckleitung. Zu-
sätzlich muss die Pumpe genügend Energie ins System eintragen, damit die vor-
gegebene Differenz der potentiellen Energie zwischen dem Wasseraustritt auf der
Druckseite (Index 2) und dem Wassereintritt auf der Saugseite (Index 1) über-
wunden werden kann. Im allgemeinen Fall saugt die Pumpe aus einem Speicher
an, dessen Wasserspiegel unter dem Druck p1 steht und die geodätische Höhe z1
hat, und fördert in ein zweites Reservoir mit dem Druck p2 und der Höhe z2. Der
Förderhöhenbedarf ergibt sich dann zu:
p 2  p1 v 2  v12
HA  z 2  z1  2  'z E ,s  'z E ,d (11.15)
U˜g 2˜g
HA = Bedarf an Förderhöhe >L@
'zE,s 'zE,d = Energieverluste in der Saug und der Druckleitung >L@
In Gl. (11.15) können meist mehrere Vereinfachungen gemacht werden:
172 11 Wasserverteilung, Netz

HA

Hdyn J A ˜ Q 2A
Systemkennlinie
dynamischer Anteil

p 2  p1
hydrostatischer Anteil Hhydro
U˜g

geodätischer Anteil Hgeo z 2  z1

QA

Abb. 11.7. Schematische Darstellung einer Systemkennlinie nach Gl. (11.16)

– Die Geschwindigkeitshöhen (v22-v12)/2g (in den Reservoiren) sind im Ver-


gleich zur Förderhöhe vernachlässigbar.
– Wenn der Zufluss und der Abfluss je in einen gegen die Luft offenen Behälter
münden, wird p2 - p1 = 0.
– Die Summe der Verlusthöhen 'zE,d und 'zE,s kann mit Hilfe einer Systemkon-
stanten JA charakterisiert werden, entsprechend:
'zE = 'zE,d + 'zE,s = JA˜QA2 (Gl.(11.12)).
Damit kann häufig geschrieben werden:
p 2  p1
HA z 2  z1   J A ˜ Q 2A H geo  H hyd  H dyn (11.16)
U˜g
HA = Erforderliche manometrische Förderhöhe der Pumpe [L]
QA = Erforderliche Fördermenge der Pumpe >L3 T-1@
Hgeo = Förderhöhe zur Überwindung der geodätischen Höhendifferenz
Hhyd = Förderhöhe zur Überwindung der hydrostatischen Druckdifferenz
Hdyn = Förderhöhe zur Überwindung der dynamischen Energieverluste
Gleichung(11.16) wird auch als Systemkennlinie bezeichnet. Sie charakterisiert
den Förderhöhenbedarf eines Systems in Abhängigkeit der Fördermenge
(Abb. 11.7).
Für die Berechnung des Förderhöhenbedarfs sollten in der Regel keine Sicher-
heitszuschläge gemacht werden, weil dies zu einer Überdimensionierung der
Pumpe führt, mit erhöhten Investitionskosten, unnötig hohem Energiebedarf und
ev. vorzeitigem Verschleiss. Bei der Wahl der Pumpe sollte zudem deren be-
schränkte Lebenserwartung berücksichtigt und die Betriebssituation in einer nahen
Zukunft zu Grunde gelegt werden.
11.2 Pumpen 173

11.2.3 Charakterisierung der Pumpenleistung


Die Leistung einer Pumpe wird charakterisiert durch den Förderstrom QP [L3 T-1]
und die zugehörige Förderhöhe HP [L]. Diese beiden Grössen müssen mit dem
Bedarf an Förderhöhe HA und dem Bedarf an Fördermenge QA der Anlage in Ein-
klang gebracht werden.
Im Pumpenbau ist es üblich, die auf das Wasser übertragene nutzbare, mecha-
nische Energie als Förderhöhe (in mWs = Meter Wassersäule) anzugeben. Diese
kann durch Messen der statischen Drücke im Saug- und Druckstutzen (ps, pd), so-
wie der geodätischen Höhendifferenz der Messstellen (zs, zd) und der berechneten
Geschwindigkeiten im Saug- und Druckstutzen bestimmt werden:
p d  ps v 2  v s2
HP  zd  zs  d (11.17)
U˜g 2˜g
Die Förderhöhe HP ist eine Energieeinheit; sie entspricht der Gesamtenergie-
differenz nach Bernoulli zwischen dem Saug- und dem Druckstutzen der Pumpe.
Der Pumpenlieferant stellt für seine Pumpen Informationen z.B. in Form eines
Kennlinienblatts zur Verfügung (Abb. 11.8). Es enthält:
– Die Q - H Beziehung der Pumpe: Eine Darstellung der Förderhöhe HP in Funk-
tion der Fördermenge QP.
– Eine Darstellung der NPSH (Net Positive Suction Head) in Funktion der För-
derleistung: Die NPSH gibt an, welcher minimale absolute Druck im Saugstut-
zen der Pumpe verfügbar sein muss, um die Pumpenleistung nicht übermässig
durch Kavitation zu gefährden. Die Berechnung der verfügbaren NPSH be-
rücksichtigt den hydrostatischen Druck, den lokalen Luftdruck (Höhenlage),
den Dampfdruck des Wassers (Temperatur) und die Energieverluste der Saug-
leitung.
– Angaben zum Wirkungsgrad der Pumpe KP: Dieser gibt an, welcher Anteil der
mechanischen Energie, die auf die Pumpenwelle übertragen wird, durch die
Pumpe auf das Wasser übertragen werden kann.
– Die erforderliche Leistung P an der Welle der Pumpe: Die Leistungsaufnahme
des Antriebsmotors ist grösser. Ein typischer Wirkungsgrad eines Elektro-
motors KM liegt im Bereich von 75–0%.
Der Leistungsbedarf einer Pumpengruppe (an den Klemmen des Motors) kann
mit der folgenden Gleichung berechnet werden:
Q P ˜U W ˜ g ˜ H P
Pelektrisch (11.18)
KP ˜ KMotor
Kreiselpumpen werden häufig so aufgestellt, dass das zu pumpende Wasser
der Pumpe frei zufliessen kann. Dadurch werden Probleme mit dem Ansaugen von
Wasser vermieden und Kavitationserscheinungen vermindert.
174 11 Wasserverteilung, Netz

HP 60
in m 50
40
30
Förderleistung
20 bei n = 1800 min-1
10
0
0 0.01 0.02 0.03 0.04 QP in m3 s-1

NPSH 6
in m
4
2 Net Positive Suction Head
0
0 0.01 0.02 0.03 0.04 QP in m3 s-1
KP 0.8
-
0.7
0.6
0.5 Wirkungsgrad
0.4
0.3
0 0.01 0.02 0.03 0.04 QP in m3 s-1

PP 14
kW
12
10
Leistungsbedarf
8 der Pumpe
Abb. 11.8. Beispiel eines
6
Kennlinienblatts einer
4 Kreiselpumpe (n = Motor-
0 0.01 0.02 0.03 0.04 QP in m3 s-1 drehzahl)

Wenn die erforderliche Förderleistung der Pumpe stark variiert, und wenn nur
geringe bis gar keine Speichervolumen auf der Druckseite der Pumpe verfügbar
sind, so wird eine Regelung der Pumpenleistung sinnvoll. Immer häufiger werden
Kreiselpumpen mit drehzahlregulierten Motoren ausgerüstet. Die moderne Leis-
tungselektronik stellt uns dazu effiziente Installationen zur Steuerung der Fre-
quenz von Wechselstrom zur Verfügung. Die folgenden Modellgesetze erlauben
die Charakteristiken der Pumpen auf andere Drehzahlen n [T-1] umzurechnen:
Q1 n1 H1 n12 NPSH1 n12 P1 n13
(11.19)
Q2 n2 H2 n 22 NPSH 2 n 22 P2 n 32
11.2 Pumpen 175

Förderhöhe HP in m
60
50 1

40
30
2
20
1800
1400 1600
10 1000 1200
Drehzahl n in min-1
0
0 0.01 0.02 0.03 0.04
Förderleistung QP in m3 s-1
Abb. 11.9. Beispiel eines Muscheldiagramms einer Kreiselpumpe. Die beiden Betriebspunkte (1)
und (2) ergeben sich auf Grund der Ähnlichkeit des Betriebs von Kreiselpumpen (Gl.(11.19),
Beispiel 11.10)

Das sogen. Muscheldiagramm einer Kreiselpumpe stellt die Q - H Beziehun-


gen der Pumpe für verschiedene Drehzahlen n dar. Abbildung 11.9 ist ein Beispiel
eines Muscheldiagramms.

Beispiel 11.8. Graue Energie im Trinkwasser.


Wie gross ist der Energiebedarf, um 1 m3 Wasser 100 m anzuheben?
Annahmen:KP = 0.75 KM = 0.85
Die spezifische Arbeit, die ins Wasser eingetragen werden muss, ist:
A = UW·g·HP = 1000˜9.81˜100 = 981'000 Ws m-3 = 0.273 kWh m-3
Unter Berücksichtigung der Wirkungsgrade ergibt sich:
Aelektrisch = A/(KP·K0) = 0.273/(0.75·0.85) = 0.428 kWh m-3
Trinkwasser enthält also einige „graue“ Energie.

Beispiel 11.9. Leistungsbedarf einer Pumpanlage.


Wie gross ist der Leistungsbedarf des Motors, der eine Kreiselpumpe treibt, die 0.1 m3
s-1 Wasser um 100 mWs anhebt?
Annahme: KP = 0.75 KM = 0.85
Nach Gl. (11.18): Pelektrisch = 0.1˜1000˜9.81˜100/(0.75˜0.85) = 154 kW
Diese Pumpleistung entspricht bei einer Betriebsdauer von z.B. 8 h pro Tag einem Dorf
von ca. 7'000 Einwohnern.

Beispiel 11.10. Anwendung der Ähnlichkeitsgesetze bei Kreiselpumpen


Die Kreiselpumpe, deren Muscheldiagramm in Abb. 11.9 dargestellt ist, hat einen Be-
triebspunkt bei:
n1 = 1800 min-1 QP,1 = 0.013 m3 s-1 und HP,1 = 50 m
Wie verändert sich dieser Punkt, wenn die Drehzahl der Pumpe auf n2 = 1200 min-1
reduziert wird (Gl.(11.19))?
176 11 Wasserverteilung, Netz

HA, HP

Pumpenkennlinie

Betriebspunkt: QA = QP, HA = HP

Systemkennlinie

QA, QP
Abb. 11.10. Verbindung der System- und der Pumpenkennlinie und Bestimmung des Betriebs-
punkts einer Anlage

n1 / n2 = 1.5
H1/H2 = (1.5)2 H2 = 50 / 2.25 = 22.2 m
Q1 / Q2 = 1.5 Q2 = 0.013 / 1.5 = 0.0087 m3 s-1
Der Punkt n2 = 1200 min-1, H2 = 22.2 m und Q2 = 0.0087 m3 s-1 liegt auf der entspre-
chenden Linie im Muscheldiagramm (Abb. 11.9).

11.2.4 Betriebspunkt einer Kreiselpumpenanlage


Die Verbindung zwischen der Systemkennlinie (Gl.(11.16), Abb. 11.7) und der
Pumpenkennlinie (Abb. 11.8) erlaubt den sogen. Betriebspunkt der Anlage festzu-
stellen. Eine graphische Lösung dieses Problems ist in Abb. 11.10 dargestellt. Die
Förderleistung der Kreiselpumpe wird sich beim Betriebspunkt einstellen: Hier ist
der Energieeintrag ins System (Pumpe, HP) identisch mit dem Energiebedarf des
Systems (HA).
Die Systemkennlinie ist abhängig von der Lage der Wasserspiegel in Wasser-
speichern und dem Bezug von Wasser in einem Netz. Der Betriebspunkt einer
Pumpe ist entsprechend nicht konstant, sondern er passt sich den Gegebenheiten
an.

11.2.5 Serie- und Parallelbetrieb von Pumpen


Je nach Anforderungen an eine Pumpanlage werden mehrere Pumpen in Serie
oder parallel angeordnet (Abb. 11.11). Die Leistungscharakteristik einer solchen
Pumpenanlage setzt sich aus den Pumpencharakteristiken der einzelnen Aggregate
zusammen.
Bei Pumpen in Serie wird die Förderhöhe bei gleich bleibender Förderleistung
addiert, bei Parallelbetrieb wird die Förderleistung bei gleich bleibender Förder-
höhe addiert. In Abb. 11.11 sind die Pumpencharakteristiken für die unterschiedli-
chen Aufstellungsmöglichkeiten von zwei identischen Pumpen dargestellt. Die
drei Betriebspunkte A, B und C zeigen für das vorliegende System:
– Mit zwei Pumpen im Parallelbetrieb ist die geförderte Wassermenge kleiner
als die doppelte geförderte Wassermenge einer einzelnen Pumpe, weil die dy-
11.2 Pumpen 177

A) Einzelpumpe

B) Seriebetrieb

C) Parallelbetrieb

H
2 Pumpen in Serie

Systemkennlinie

1 Pumpe
B C 2 Pumpen parallel
A
Q

Abb. 11.11. Oben: Schematische Darstellung der unterschiedlichen Betriebsmöglichkeiten von


Pumpen. Unten: Pumpenkennlinien für Einzel-, Serie- und Parallelbetrieb. Die Schnittpunkte mit
der Systemkennlinie stehen für: A) Betriebspunkt mit einer Pumpe, B) Betriebspunkt für Serie-
betrieb, C) Betriebspunkt für Parallelbetrieb

namischen Verluste quadratisch mit dem Durchfluss durch das System zuneh-
men (Betriebspunkte A und C).
– Mit zunehmender geodätischer Förderhöhe wird Seriebetrieb günstiger als Pa-
rallelbetrieb.
– Liegt der Betriebspunkt A höher als die maximale Förderhöhe einer einzelnen
Pumpe, so kann diese kein Wasser fördern. Auch Parallelbetrieb wird nicht zu
einer Förderung führen. Hingegen können zwei (oder mehrere) Pumpen in Se-
rie ev. eine ausreichende Förderhöhe erzeugen.
Heute werden Pumpen gebaut, in denen mehrere (2–8) Einzelpumpen in Serie
auf einer Welle mit nur einem Antrieb angeordnet sind. Solche Pumpen sind ge-
eignet, bei kleinem Pumpendurchmesser eine geringe Wassermenge auf einen ho-
hen Druck anzuheben. Sie kommen z.B. in engen Bohrlöchern zur Förderung von
tiefliegendem Grundwasser zum Einsatz.

11.2.6 Anordnung von Pumpen


In Wasserversorgungsbetrieben wird darauf geachtet, dass zwei bis mehrere Pum-
pen parallel angeordnet werden. Damit kann auch bei Ausfall und Revision von
einzelnen Aggregaten eine zuverlässige Förderung aufrechterhalten werden. Steu-
erungen zur Drehzahlregulierung müssen hier nicht für jede einzelne Pumpe vor-
handen sein.
178 11 Wasserverteilung, Netz

In Anlagen ohne Wasserspeicher (s.a. Abb. 11.17) werden die Pumpen häufig
mit Notstromaggregaten ergänzt, um auch bei Ausfall der Stromversorgung einen
minimalen Betriebsdruck aufrechterhalten zu können.
Werden die Pumpen über der Drucklinie des Wassers aufgestellt, so müssen
spezielle Vorkehren für das Füllen der Pumpe vor dem Anlaufen getroffen werden
(Ventile und Auffüllstutzen, Vakuumpumpen etc.) und die NPSH (Abschn.
11.2.3) muss gewährleistet sein.
Um Druckstösse zu vermeiden, sollen Pumpen nur gegen geschlossene Ab-
sperrorgane an- und auslaufen. Die Steuerung und die Armaturen müssen entspre-
chend gestaltet werden (S.a. Abschn. 11.7, Seite 190).

11.3 Wasserverteilung: Netzberechnungen


Der hydraulische Betriebszustand eines Wasserversorgungsnetzes ist charakteri-
siert, wenn für alle Elemente des Netzes die Energiehöhen und die Durchflüsse
bekannt sind. Die Berechnung eines solchen Zustandes erfordert das simultane
Lösen von vielen, meist nichtlinearen Gleichungen.
In einem Wasserversorgungsnetz wirken die verschiedensten Elemente zusam-
men: Pumpen, Leitungen, Speicher, Verbraucher, Einspeisungen, Regelorgane,
Havarien... Die Berechnung eines Betriebszustandes (Wassermengen und Druck-
höhen in allen Strängen und Knoten) ist eine äusserst aufwändige Aufgabe. Nur
einfachste Netze können von Hand berechnet werden. Die Ingenieurin, die für die
Anwendung von anspruchsvollen Berechnungs-Programmen und -Modellen die
Verantwortung übernimmt, muss aber die grundlegenden Überlegungen, die zu
diesen Modellen geführt haben, verstehen.

11.3.1 Elemente eines Verteilnetzes


Ein Verteilnetz kann in eine Reihe von Elementen mit unterschiedlichem hydrau-
lischem Verhalten aufgeteilt werden. Ziel der Netzberechnung ist, für unterschied-
liche Lastfälle den Zustand aller Elemente zu berechnen. Hier werden nur ein-
fachste Formen von typischen Elementen eingeführt (s.a. Abb. 11.12):
– Knotenpunkte: In Knotenpunkten werden verschiedene Elemente verknüpft.
Der Zustand eines Knotens ist definiert, wenn die Energiehöhe HK im Knoten-
punkt bekannt ist. Hydraulisch gilt die Bedingung, dass gleichviel Wasser in
einen Knoten hinein fliesst (z.B. aus Enden von Strängen) wie aus dem Knoten
abfliesst (z.B. in Anfänge von Leitungen hinein): 6 Qi = 0 unter Berücksichti-
gung der Vorzeichenregeln:

¦Q Anfang  Q Bezug ¦Q Ende  Q Einspeisung (11.20)


– Leitungsstränge: Ein Leitungsstrang verbindet den Anfangs- und den Endkno-
ten der Leitung. Der Zustand des Stranges ist definiert, wenn die durchflies-
sende Wassermenge QL und die Fliessrichtung (Vorzeichen: Positiv bei Fliess-
richtung vom Anfangsknoten zum Endknoten) bekannt sind. Hydraulisch ist
ein Leitungsstrang charakterisiert durch die Leitungskonstante JL, die ev. als
11.3 Wasserverteilung: Netzberechnungen 179

äquivalente Leitungskonstante Jtot für ein Teilnetz berechnet wurde


(Beispiel 11.7). Hydraulisch gilt die Bedingung:
H -H = J˜Q ˜|Q | (11.21)
Anfang Ende L L

– Reservoir (Behälter): Ein Speicher entspricht einem Knoten mit fester Ener-
giehöhe. In einer stationären Betrachtung ist das Volumen des Reservoirs nicht
von Bedeutung. Der Zustand des Reservoirs wird durch die geodätische Höhe
des Wasserspiegels HR definiert.
– Wasserbezug: Ein Wasserbezug ist ein Verlust von Wasser aus dem Netz. Hier
wird ein Bezug immer einem Knoten zugeschrieben. In der Wirklichkeit kann
der Bezug von Wasser entlang einer Leitung verteilt sein. Ein Bezug ist defi-
niert durch die Wassermenge QB und den Knoten, aus dem diese bezogen
wird. Manchmal ist die Bezugsmenge QB abhängig von der Druckhöhe im Be-
zugsknoten. Es muss ein Beziehung QB(HB) erarbeitet werden.
– Wassereinspeisung: Eine Wassereinspeisung ist ein Zufluss von Wasser von
ausserhalb des Netzes zu einem Knoten. Sie ist definiert durch die Wasser-
menge QE und den Knoten, in den diese eingespiesen wird. Eine Wasserein-
speisung unterscheidet sich von einem Wasserbezug nur durch die Richtung
(Vorzeichen) des Wasserflusses und kann auch von der Energiehöhe des Kno-
tens abhängen.
– Grundwasserspiegel: Ein Grundwasserspiegel fixiert die Energiehöhe des
Wassers, aus dem gepumpt werden soll, ist also analog zu einem Speicher. Ein
Grundwasserspiegel ist durch seine Energiehöhe HGW definiert. Gelegentlich
muss die Absenkung des Grundwasserspiegels mit zunehmender Entnahme-
menge berücksichtigt werden, HGW = f(QGW).
– Pumpe: Eine Pumpe fördert Wasser von einem Zulauf- zu einem Ablaufkno-
tenpunkt. Der Zustand der Pumpe ist bekannt, wenn die Förderleistung QP be-
kannt ist. Hydraulisch wird die Pumpe charakterisiert durch die Q - H Bezie-
hung, die angibt, wie gross QP in Funktion der Differenz HAb - HZu ist
(Abb. 11.8).
– Eine Havarie ist z.B. ein Bruch einer Leitung mit einem freien Ausfluss an die
Oberfläche, das entspricht dem Endpunkt eines Leitungsstranges, dessen
Druckhöhe bekannt ist (Extremsituation). Hydraulisch kann z.B. die Druckhö-
he HH auf der Höhe der Strasse fixiert werden.
– Weitere mögliche Elemente sind: Druckreduzierventile, Überläufe, Regel-
kreise etc. Sie werden hier nicht im Detail beschrieben.
In Tabelle 11.4 sind die wichtigsten hydraulischen Eigenschaften und die Zu-
standsgrössen von Elementen einer Wasserversorgung zusammengefasst. Jedes
Element ist charakterisiert durch eine Zustandsgrösse und eine hydraulische Be-
dingung (Gleichung). Damit ist ein Netz, das in solche Elemente aufgelöst wird,
mathematisch bestimmt: Es gibt gleich viele unbekannte Zustandsgrössen wie
Gleichungen. Die Berechnung eines Netzes resultiert aber häufig in hunderten bis
tausenden von meist nicht linearen Gleichungen, die simultan gelöst werden müs-
sen. Dafür kommen kommerziell vertriebene Computerprogramme zum Einsatz.
180 11 Wasserverteilung, Netz

1) Reservoir Höhe HR = 500 müM

8) Bezug QB = 0.08 m3s-1

2) 3) 9) Einspeisung
5) Leitung 6) Leitung QE = 0.02 m3s-1
L = 1000 m L = 500 m
D = 0.2 m D = 0.2 m 7) Pumpe
4) Grundwasser
HGW = 460 müM

Abb. 11.12. Beispiel zur Netzberechnung: Ein einfaches Wasserversorgungsnetz

Tabelle 11.4. Hydraulische Eigenschaften von typischen Elementen eines Wasserversor-


gungsnetzes: H = Energie- oder Druckhöhe, Q = Durchfluss
Charakterisierung des Elements
Element im Netz
Hydraulisch Zustandsgrösse
Knoten (Vereinigung) 6QZufluss = 6QAbfluss HK
Leitungsstrang HAnfang - HEnde = JL ˜ QL˜~QL~ QL
Grundwasserspiegel HGW = fest HGW
Reservoir HR = fest HR
Bezug QB = fest QB
Einspeisung QE = fest QE
Pumpe QP = f(HEnde – HAnfang) QP

11.3.2 Einfache Netzberechnungen


Nur einfache Verteilnetze werden von Hand berechnet. Dazu werden vorerst die
Gleichungen aufgestellt, die das System hydraulisch charakterisieren. Anschlies-
send wird iterativ die Lösung für dieses Gleichungssystem gesucht.
Tabellenkalkulationsprogramme stellen meist eine Option zur Lösung von
grossen Gleichungssystemen zur Verfügung. Kleine Netze können mit solchen
Programmen berechnet werden. Dabei ist es erforderlich, die Q - H Beziehung
von Pumpen in eine mathematische Gleichung einzupassen.
Das Vorgehen zur Berechnung des stationären Zustands eines Versorgungsnetzes
wird anhand eines einfachen Beispiels demonstriert: Für das System in Abb. 11.12
soll der stationäre Zustand gesucht werden. Die Eigenschaften der einzelnen Ele-
mente sind in Tabelle 11.5 zusammengestellt. Insgesamt ist das einfache System
durch 9 Zustandsgrössen charakterisiert (4 Höhen von Knoten und Endpunkten
und 5 Wassermengen in Leitungen, Pumpen, Bezügen und Einspeisungen). Zur
Berechnung der 9 Zustandsgrössen stehen 9 hydraulische Bedingungen (Glei-
chungen) zur Verfügung, die z.T. trivial, z.T. linear, z.T. quadratisch und z.T. nur
graphisch (Pumpenkennlinie) verfügbar sind. Die Lösung dieses Gleichungssys-
tems erfolgt iterativ, nach der Festlegung der absoluten Grössen der hydraulischen
Parameter in Tabelle 11.6. Bereits für dieses sehr einfache Netz ist eine analyti-
11.3 Wasserverteilung: Netzberechnungen 181

sche Lösung des Gleichungssystems nicht mehr möglich, weil ein Teil der Infor-
mation (Pumpenkennlinie) nur graphisch verfügbar ist, und zwei Leitungen mit
quadratischen Gleichungen hydraulisch charakterisiert sind.

Tabelle 11.5. Hydraulische Charakterisierung der Elemente des Versorgungsnetzes in


Abb. 11.12
Element Zustands- Hydraulische Eigenschaft
Nr Art Anfang Ende Grösse des Elementes
Knoten und Endpunkte
1 Reservoir H1 H1 = H R
2 Bezugsknoten H2 Q5 +Q6 = Q8
3 Einspeiseknoten H3 Q7 +Q9 = Q6
4 Grundwasser H4 H4 = HGW
Leitungen
5 Leitung 5 1 2 Q5 H1 – H2 = J5 ˜ Q5 ˜ |Q5|
6 Leitung 6 3 2 Q6 H3 – H2 = J6 ˜ Q6 ˜ |Q6|
Pumpe
7 Pumpe 7 4 3 Q7 Q7 = f(H3 – H4)
Bezug und Einspeisung
8 Bezug 2 - Q8 Q8 = Q B
9 Einspeisung - 3 Q9 Q9 = Q E

Tabelle 11.6. Festlegung der hydraulischen Parameter für das Rechenbeispiel


Element Angaben zu den hydraulischen Eigenschaften des Elementes
1 Höhenlage des Reservoirs bei voller Füllung: HR = 500 müM
2 -
3 -
4 Höhenlage des Grundwasser bei Niedrigwasser: HGW = 460 müM
2 -6 2 -5
5 Länge der Leitung 1000 m, D = 0.2 m, E = 7.3 s m : J5 = 7300 s m
6 2 -6 2 -5
Länge der Leitung 500 m, D = 0.2 m, E = 7.3 s m : J6 = 3650 s m
7 Pumpencharakteristik entsprechend Abb. 11.8
3 -1
8 Wasserbezug: QB = 0.08 m s
3 -1
9 Wassereinspeisung: QE = 0.02 m s

Bei Berechnung von Hand muss der Lösungsweg dem Problem angepasst werden.
Hier wird das folgende iterative Vorgehen gewählt (Zahlenangaben sind in
Tabelle 11.7 zusammengestellt):
– Vorerst wird eine Förderleistung für die Pumpe geschätzt (QP = Q7 = 0.02
m3s-1). Anschliessend können alle zugehörigen Durchflusswassermengen be-
rechnet werden.
– Nun können die Förderhöhe der Pumpe HP = H7 bestimmt und die Energiever-
luste der Leitungen berechnet werden ('H).
– Ausgehend vom Grundwasser H7 ergeben sich die Druckhöhen in den einzel-
nen Knoten aus den berechneten 'H unter Berücksichtigung der Vorzeichen-
regel.
182 11 Wasserverteilung, Netz

Tabelle 11.7. Iterative Lösung des Rechenbeispieles


Iteration 1. Schritt 2. Schritt 3. Schritt
3 -1
Leitungen, Pumpen, Bezüge, Einspeisungen: Q in m s , 'H in m
Q 'H Q 'H Q 'H
1) 2)
7 Q-H 0.02 43 0.025 37 0.024 39
9 festes Q 0.02 0.02 0.02
3)
6 J = 3650 0.04 6 0.045 7 0.044 7
8 festes Q 0.08 0.08 0.08
3)
5 J = 7300 0.04 12 0.035 9 0.036 9
Energiehöhen in den Knoten, H in müM
H H H H
4 460 460 460 460
3 503 497 499
2 497 490 492
1 500 509 499 501
1)
Erste Annahme, Schätzung auf Grund des Wasserverbrauchs.
2) 3 -1
Aus Abb. 11.8: Pumphöhe bei QP = 0.02 m s .
3)
Aus Gl. (11.12): 'H = J˜Q˜_Q_.

– Der Vergleich der berechneten (509 müM) und der effektiven (500 müM) La-
ge des Wasserspiegels im Reservoir (509 müM) ergibt, dass die effektive För-
derhöhe der Pumpe geringer sein muss als im Beispiel vorläufig angenommen.
D.h., dass die Förderleistung grösser ist: Für den 2. Iterationsschritt gehen wir
z.B. von einer Fördermenge Q7 = 0.025 m3s-1 aus.
– Mit dem 2. Iterationsschritt ist das Ziel beinahe erreicht, der 3. Rechenschritt
zeigt, dass wir die Rechengenauigkeit erreicht haben.
In diesem einfachen Rechenbeispiel sind in 3 Iterationsschritten alle Zustands-
grössen des Systems innerhalb der Rechengenauigkeit bestimmt worden. Dies ist
möglich, weil nur eine Grösse variiert werden musste (hier wurde die Förderleis-
tung der Pumpe gewählt). In grösseren, insbesondere in stark vermaschten Syste-
men müssen mehrere Grössen vorerst frei gewählt werden. Es sind dann bedeu-
tend mehr Iterationsschritte erforderlich, und die Wahl der Korrekturen bestimmt,
wie schnell die Rechnung konvergiert.
In der Fachliteratur wird das Verfahren von Hardy Cross empfohlen, um Kor-
rekturen zwischen Iterationsschritten in vermaschten Systemen systematisch zu
wählen. Da Handrechnungen heute keine grosse Bedeutung mehr haben, und das
Verfahren von Hardy Cross in der elektronischen Netzberechnung nicht zur An-
wendung kommt, wird hier auf dessen Einführung verzichtet.
Eine einfache Möglichkeit zur iterativen Lösung der Gleichungen beruht auf
der folgenden Überlegung: Basierend auf den momentanen Energiehöhen wird
berechnet, ob einem Knoten zuviel oder zuwenig Wasser zufliesst. Wenn zuviel
Wasser zufliesst, wird die Energiehöhe des Knotens erhöht, sonst vermindert. Das
Programmieren dieser Iterationsstrategie ist ausserordentlich einfach. Die Iteratio-
nen führen bei nicht allzu grossen Netzen schnell zum Ziel (Beispiel 11.11).
11.3 Wasserverteilung: Netzberechnungen 183

HA = 320 müM B HB = 330 müM


A

J2 = 1500 s2 m-5
J1 = 1000 s2 m-5
C HC = 310 müM
Abb. 11.13. Ausschnitt aus einem
Wasserverteilnetz, dessen Zustand be-
rechnet werden soll. Angegeben sind
J3 = 400 s2 m-5
vorläufige Annahmen über die Ener-
giehöhen in den Knoten A – D und die
D HD = 300 müM J Werte der Leitungen (Beispiel 11.11)

Beispiel 11.11. Ausgleich der Energiehöhe in der Berechnung eines Netzes


In welche Richtung muss die Druckhöhe HC im Knoten C von Abb. 11.13 für den nächs-
ten Iterationsschritt korrigiert werden?
Mit Gl. (11.21) (HA - HC = J1 ˜ Q12) ergibt sich:
Q1 = 0.10 m3 s-1, Q2 = 0.12 m s-1, Q3 = 0.16 m3 s-1
Nach Gl. (11.20) ergibt die Bilanz für den Knoten C: Q1 + Q2  Q3 = 0.06 m3 s-1.
Dem Knoten fliesst zuviel Wasser zu, für den nächsten Schritt muss die Energiehöhe
HC angehoben werden. Mit HC = 315 müM ergeben sich:
Q1 = 0.07 m3 s-1, Q2 = 0.10 m s-1, Q3 = 0.19 m3 s-1
und damit Q1 + Q2  Q3 = 0.02 m3 s-1.
Mit einer Energiehöhe von HC = 313 müM ist die Rechengenauigkeit erreicht.
In einem Rechenprogramm wird die Berechnung von Knoten zu Knoten springen, bis
alle Verbesserungen im Rahmen der erwünschten Rechengenauigkeit sind.

11.3.3 Elektronische Netzberechnung


Heute werden Programme eingesetzt, die den Zustand von Netzen mit mehreren
tausend Elementen berechnen können. Ergänzt mit Datenbank, CAD und GIS
Funktionalität ergeben diese Programme effiziente Hilfsmittel für die Netzberech-
nung und Gestaltung.
Für grössere Netze ist die Handrechnung ungeeignet. Es werden kommerziell ver-
triebene Programme eingesetzt, die weitgehend optimierte, mathematische Iterati-
onsroutinen zur Lösung der vielen nichtlinearen Gleichungen verwenden und auch
bei grossen Netzen (mit ev. mehreren tausend Leitungen) schnell zu einer Lösung
konvergieren. Solche Programme sind ausserordentlich leistungsfähig, sie erlau-
ben Pumpencharakteristiken, dynamische Änderungen von Speichervolumen, Re-
gelkreise etc. zu berücksichtigen. Häufig sind sie mit CAD Systemen verbunden
und unterstützen die Analyse eines Netzes mit graphischen Darstellungen, Plänen,
Iso-Drucklinien etc. Mit der Anwendung solcher Programme rückt das Vorberei-
ten und Präsentieren der Arbeit ins Zentrum:
– Bereinigen der Plangrundlagen
– Ermitteln der Knotenentnahmen, der massgebenden Betriebsrauigkeiten, der
wichtigen Havariefälle und Lastannahmen, Pumpencharakteristiken etc.
184 11 Wasserverteilung, Netz

– Übersichtliches Darstellen der Resultate.

Beispiel 11.12: EPANET ist ein frei verfügbares Netzberechnungsprogramm


Die US EPA stellt auf dem Internet das gut ausgerüstete Programm EPANET inkl.
Quellcode zur Verfügung. Es gibt dazu als Ergänzung kommerzielle Benutzeroberflä-
chen, die das Arbeiten mit EPANET erleichtern. Für nicht sehr grosse Netze genügt
aber das verfügbare Programm.

11.4 Gestaltung von Verteilnetzen


Verteilnetze von Wasserversorgungen wachsen über Jahrzehnte. Sie werden lau-
fend erneuert und sowohl den technischen Entwicklungen als auch den Bedürfnis-
sen und der Entwicklung der versorgten Siedlung angepasst.
Verteilnetze werden für lange Zeiträume geplant, es ist daher üblich, den einzel-
nen Leitungssträngen eine klar definierte, langfristig überschaubare Aufgabe zu
geben und sie entsprechend ihrer Hauptfunktion hierarchisch zu gliedern:
– Transportleitungen führen vom Ort der Wassergewinnung oder Aufbereitung
durch meist wenig überbautes Gelände mit wenig Krümmern und Armaturen
und entsprechend geringen Energieverlusten zu den Wasserspeichern.
– Verteilleitungen verteilen das Trinkwasser im Versorgungsgebiet, sie führen
von den Speichern oder Einspeisungen zum Endverbraucher. Das ganze Ver-
teilsystem ist gegliedert in Hauptleitungen, Nebenleitungen und Hausan-
schlussleitungen.
– Hauptleitungen stellen das Skelett des Verteilnetzes dar. Sie weisen in der Re-
gel Durchmesser t 250 mm auf und verteilen das Wasser über das Siedlungs-
gebiet. Hauszuleitungen werden nicht an Hauptleitungen angeschlossen.
– Nebenleitungen sind die Zuleitungen zu den Verbrauchern. Hauszuleitungen
werden an diese Leitungen angeschlossen.
– Hausanschlussleitungen bringen das Wasser in die Gebäude.
Historisch sind die meisten Wasserversorgungsnetze als Verästelungsnetz ge-
wachsen (Abb. 11.14). Diese haben den Nachteil, dass beim Bruch einer Hauptlei-
tung die Versorgung grossflächig ausfällt. Sie führen zu grossen Druckverlusten
und Druckschlägen, sowie in den Endsträngen zu schlechter Durchflutung. Sie
sind billig im Bau und einfach in der hydraulischen Berechnung.
Um die Versorgungssicherheit zu erhöhen, werden heute häufig Ringnetze ge-
baut, in kleinen Systemen werden nur die Nebenleitungen vermascht, in grösseren,
wenn immer möglich, auch die Hauptleitungen. Durch mehrfache Einspeisung
wird die Versorgungssicherheit zusätzlich verbessert (Abb. 11.15).

Beispiel 11.13. Bedeutung einer Hauptleitung


Wieviel Einwohner sind an einer Hauptleitung angeschlossen, die einen Durchmesser
von 250 mm hat und in der die maximale Fliessgeschwindigkeit auf 2 ms-1 beschränkt
sein soll?
11.4 Gestaltung von Verteilnetzen 185

Reservoir

Abb. 11.14. Beispiel eines


Verästelungsnetzes

Reservoir

Abb. 11.15. Beispiel eines


vermaschten Ringsystems
Reservoir
mit Gegenbehälter

Speicher Speicher

bestehend
Projekt
Abb. 11.16. Bestehende
(links) und projektierte An-
lage (rechts) (Beispiel 11.14)

Die maximal transportierte Wassermenge beträgt: Q = v˜D2˜S/4 = 0.1 m3s-1. Das ent-
spricht dem maximalen Bedarf von ca. 10’000 Einwohnern. Hauptleitungen mit Durch-
messern über 250 mm werden also nur in grossen Gemeinden gebaut.

Beispiel 11.14. Doppelte Einspeisung in ein Netz


Eine Gemeinde unterhält eine Wasserversorgung, die von nur einem Speicher gespeist
wird. Die Zunahme des Wasserverbrauchs hat zu grossen Energieverlusten in der
Transportleitung vom Behälter zum Versorgungsgebiet geführt. Nun will die Gemeinde
einen zweiten Gegenbehälter und eine zweite Einspeisung bauen (Abb. 11.16).
Wie stark vermindert sich der Energieverlust in den Transportleitungen, wenn der Was-
serverbrauch stabil bleibt?
Annahmen: Maximaler Wasserverbrauch Q = 0.1 m3s-1
Leitungskonstante der bestehenden Leitung: Jalt = 2000 s2m-5
Leitungskonstante der projektierten Leitung Jneu = 1000 s2m-5
Der Energieverlust in der bestehenden Leitung beträgt: 'zE,alt = Jalt ˜ Q2 = 20 mWs
Die zwei Einspeisungen können als zwei parallele Leitungen betrachtet werden. Eine
äquivalente Leitung hat nach Gl. (11.14) den folgenden Widerstandsbeiwert:
186 11 Wasserverteilung, Netz

1
J tot 2
343 s2m5
§ 1 1 ·
¨¨  ¸¸
J
© alt J neu ¹
Der Energieverlust nach der Realisierung der Erweiterung wird zu:
'zE,neu = Jtot ˜ Q2 = 3.43 mWs
Der Wasserbezug teilt sich wie folgt auf die beiden Reservoire auf:
'z E, neu
Q alt 0.041 m3 s 1 und Qneu = 0.059 m3s-1.
J alt
Durch die doppelte Einspeisung wird also nicht nur die Versorgungssicherheit verbes-
sert sondern auch die Variation der Druckhöhe im Versorgungsgebiet vermindert und
der minimale Druck erhöht.

11.4.1 Druckhaltung
Im hügeligen Gelände ist für Trinkwasserverteilsysteme eine Druckhöhe von 40–
100 m, gemessen ab Strassenhöhe, geeignet. Angestrebt werden 50–80 m. Häuser
bis zu 8 Stockwerken können so ohne eigene Druckerhöhungspumpwerke versorgt
werden und die Feuerwehr kann vorerst ohne Motorpumpen arbeiten. Die Druck-
haltung über Hochbehälter bedingt allerdings, dass Geländeerhebungen von 50–
100 m in der Nähe des Versorgungsgebiets liegen. Eine grössere Druckhöhe be-
dingt nicht nur die Verstärkung der Leitungen, Installationen und Armaturen, son-
dern bei Pumpbetrieb auch einen grossen Energieeinsatz sowie Druckreduzierven-
tile beim Verbraucher.
Im Flachland sind Druckzonen mit nur 10–40 m Druckhöhe verbreitet; dieser
Druck kann durch geregelten, dauernden Pumpbetrieb ohne Speicher zuverlässig
aufrechterhalten werden. Um Perioden mit Ausfall der Elektrizität zu überbrü-
cken, sollte allerdings ein Notstromaggregat zur Verfügung stehen, mit dem ein
minimaler Betriebsdruck gewährleistet werden kann. Häuser mit mehr als zwei
Stockwerken müssen mit eigener Druckerhöhung ausgestattet werden.
In Abb. 11.17 sind schematisch einige Möglichkeiten für die Druckhaltung
dargestellt. Zusätzlich kommen Wassertürme und Druckkessel zur Druckhaltung
zur Anwendung (Abschn. 10.8).

Beispiel 11.15. Optimierung der Pumpenleistung


Wird die Druckhaltung in einem Verteilnetz nach Abb. 11.17, oben, gewählt, so steigt
bei geringem Wasserverbrauch, in Abhängigkeit der Pumpencharakteristik (Abb. 11.9)
der Druck im Netz. Um Energie zu sparen, ist es hier sinnvoll, mit drehzahlregulierten
Pumpen den Druck im Netz trotz variabler Pumpenleistung konstant zu halten. Das re-
duziert die erforderliche elektrische Leistung bei verbessertem Komfort für die Verbrau-
cher.

11.4.2 Druckzonen
Bei grossen Höhenunterschieden im Versorgungsgebiet werden unterschiedliche
Druckzonen ausgeschieden, die von verschiedenen Hochbehältern versorgt wer-
den und einen zweckmässigen Versorgungsdruck einhalten (Abb. 11.18). Der Hö-
11.4 Gestaltung von Verteilnetzen 187

Energielinie

10 - 40 m

Grundwasser

Reservoir

Energielinie je nach
Betriebszustand

Grundwasser

Reservoir

Energielinie

> 40 m
< 100 m

Grundwasser

Abb. 11.17. Beispiele von Anordnungen zur Druck- oder Energiehaltung in Verteilnetzen. Oben:
Im flachen Gelände, ohne Speicher mit dauernd laufenden Pumpen und ev. Notstrom. Mitte: Mit
Förderung des Wassers durch das Netz. Hier ergeben sich je nach Betriebsbedingungen unter-
schiedliche Energielinien. Unten: Mit Förderung des Wassers über den Speicher

henunterschied zwischen der oberen und der unteren Zonengrenze beträgt ca. 60
m. Jede Druckzone wird als autonome Wasserversorgung mit entsprechender
Speicherung und Wasserzuführung betrachtet.
Wird in einer Zone der Wasserdruck grösser als 100 mWs, so nehmen die Ha-
varien und Leckverluste überproportional zu. Zudem müssen die Leitungen ent-
sprechend dem Innendruck verstärkt werden.
188 11 Wasserverteilung, Netz

H
müM Quelle
640
600

Hangzone
560

Talzone
500

470
Grundwasser

Abb. 11.18. Aufteilung der Druckzonen mit einem Beispiel der Höhenlage

11.5 Hydraulische Lastfälle – Ziele der Bemessung


Die hydraulische Bemessung eines Netzes hat vielen Kriterien Rechnung zu tra-
gen. Massgeblich sind v.a. die Druckverhältnisse bei verschiedenen Lastfällen:
– Höchstverbrauch (Qh,max,max)
– Ruhedruck (ohne Bezug)
– Nachtförderung z.B. in den Speicher bei Pumpbetrieb über das Netz.
– Brandfälle an besonders ausgewählten und kritischen Stellen
– Ausfall von einzelnen Strängen durch Havarie oder Revision
– Minimalverbrauch zur Bestimmung des Alters des verteilten Wassers.
Für Versorgungsnetze mit einem Betriebsdruck im Bereich von 40–100 m über
der Strasse werden z.B. die folgenden Dimensionierungskriterien angewendet:
– Zulässige Druckschwankungen im Netz sind 5–15 mWs, wobei ein Betriebs-
druck in den Endsträngen von > 30 mWs bei städtischen Verhältnissen und >
40 mWs bei ländlichen Verhältnissen gefordert wird (Feuerwehr).
– Die maximal anzuliefernde Wassermenge beträgt in der Spitzenstunde (fh,max):
6–8 % des maximalen Tagesbedarfes in städtischen Verhältnissen,
8–10 % des Tagesbedarfes in halbstädtischen Verhältnissen,
10–12 % des Tagesbedarfes in ländlichen Verhältnissen,
dazu kommen Sonderabnehmer.
– Die Versorgungsleitungen werden für die Bedürfnisse der Feuerwehr (Brand-
belastung) zusätzlich zum Wasserbedarf während einer Spitzenstunde an ei-
nem Tag mit mittlerem Bedarf ausgelegt. An der höchst gelegenen Zapfstelle
(z.B. die höchstgelegene versorgte Wohnung) soll der minimale Druck dabei
nicht < 5 mWs werden.
– An der höchstgelegenen Zapfstelle soll bei Havarie (Ausfall) eines kritischen
Stranges oder eines Pumpwerks bei maximalem Wasserbedarf der minimale
Druck nicht unter 5 mWs abfallen.
11.6 Sonderbauwerke 189

Schwimmer Gesteuertes Ventil

Von der
Hochzone

in die Tiefzone

Abb. 11.19. Schematische Darstellung eines Druckbrecherschachtes. Ein Ventil wird über den
Wasserstand mechanisch geregelt

11.6 Sonderbauwerke
Um den Betrieb einer Wasserversorgung zu optimieren sind eine Reihe von spe-
ziellen Bauwerken und Apparaten erforderlich. Sie erlauben unterschiedliche
Druckzonen zu verbinden und wo nötig zusätzliche Energie ins System einzutra-
gen.

11.6.1 Druckreduzierventile
In Gebieten mit unterschiedlicher Höhenlage kann eine tiefer liegende Zone über
ein Druckreduzierventil aus der höher liegenden Zone mit Wasser gespeist wer-
den. Druckreduzierventile sind das Gegenstück zu Pumpen, sie wandeln die Ener-
gie um, die frei wird, wenn Wasser von einer Zone mit hohem Druck in eine sol-
che mit niedrigerem Druck geleitet wird. Die Energie geht als Wärme verloren.
Heute kommen auch Turbinen zum Einsatz, die die potentielle Energie in
Form von Elektrizität zurückgewinnen.

11.6.2 Druckbrecherschacht
Um Wasser von einer höheren Druckzone zuverlässig in eine Zone mit niedrige-
rem Druck zu leiten, bewähren sich auch Druckbrecherschächte (Abb. 11.19).
Diese können ohne Fremdenergie und Fernsteuerung auskommen. Grosse Schäch-
te vermeiden Druckstösse, weil die Armaturen nur langsam reagieren.

11.6.3 Zonenpumpwerke
Zonenpumpwerke sind das Gegenstück zu Druckreduzierventilen und Druck-
brecherschächten. Sie fördern das Wasser aus einer untenliegenden Zone in eine
höher liegende Zone (s. z.B. Abb. 11.18, Förderung in die Hangzone).
190 11 Wasserverteilung, Netz

11.7 Instationäre Vorgänge: Der Druckstoss


Im Betrieb von Verteilnetzen entsteht immer wieder die Situation, dass sich der
Durchfluss in einzelnen Leitungen schnell ändert. Die Trägheit des Wassers führt
dabei zu Druckstössen, die bei der Gestaltung der Anlagen angemessen berück-
sichtigt werden müssen.
Ändert sich der Durchfluss in einer Druckleitung, so ändert sich auch die kineti-
sche Energie des bewegten Wassers. Die Änderung des Durchflusses geht dabei
von einem Punkt aus (Bezug, Pumpe, Regelorgan, ...), während die kinetische
Energie ein Grösse ist, die als Integral über das ganze System definiert ist. Die
„Information“, dass sich ein Durchfluss geändert hat, breitet sich in starren Rohren
mit Schallgeschwindigkeit im Netz aus. Es dauert eine endliche Zeit, bis ein Netz
einen neuen stationären Zustand findet. Während dieser Zeit entstehen als Folge
der Trägheit des Wassers Druckschwankungen, sogen. Druckstösse. Diese werden
unter Umständen so gross, dass Rohrleitungen, Armaturen und Pumpen zerstört
werden können.
Das Thema Druckstoss kann hier nur grundsätzlich eingeführt werden. Es wird
dadurch ein Problem bewusst gemacht, das in Zusammenarbeit mit Spezialisten
bearbeitet werden soll.

11.7.1 Druckstoss nach Joukowsky


Der Druckstoss nach Joukowsky (1898) stellt eine Extremsituation dar, die ent-
steht, wenn die Strömungsgeschwindigkeit in einer Druckleitung schlagartig ver-
ändert wird.
In Abb. 11.20 ist dargestellt, wie sich die Fliessgeschwindigkeit und die Druckhö-
he in einer starren Leitung nach dem plötzlichen Ausfall einer Pumpe verändern.
Ausgehend von der Pumpe wird der Wasserfluss gestoppt. Als Folge der Trägheit
bleibt ein Teil des Wassers in der Leitung vorerst noch in Bewegung, sodass ein
Unterdruck entsteht. Die Front zwischen stehendem und bewegtem Wasser breitet
sich mit Schallgeschwindigkeit aus. Das stehende Wasser dehnt sich als Folge der
Druckverminderung aus und speichert dabei, analog zu einer Feder, potentielle
Energie. Erreicht die Front des Druckabfalls das Reservoir, so ist die ganze ur-
sprünglich kinetische Energie in Form von potentieller Energie durch eine Volu-
menvergrösserung des Wassers gespeichert. Das Wasser wird nun sein Volumen
wieder verringern. Das bedingt eine Bewegung der Wassersäule, die potentielle
Energie wird in kinetische Energie zurückverwandelt, das Wasser fliesst zurück.
Nachdem die Front der Energieumwandlung die Pumpe erreicht hat, bewegt sich
das Wasser nun in umgekehrter Richtung. Das Spiel beginnt mit umgekehrtem
Vorzeichen von vorn. Das System enthält zwei Randpunkte, an denen die Ener-
gieumwandlung reflektiert wird: Die gestoppte Pumpe – hier gilt die Randbedin-
gung, dass sich das Wasser nicht bewegen kann, u = 0, und das Reservoir mit der
Randbedingung, dass die Druckhöhe H konstant bleibt.
Die kinetische Energie des Wassers in der Druckleitung vor dem Stopp der
Pumpe beträgt:
11.7 Instationäre Vorgänge: Der Druckstoss 191

Pumpe Leitung Reservoir

u
L

u
L

P
Zunehmende Zeit

u
L

Abb. 11.20. Veränderung der Fliessgeschwindigkeit u und der Druckes P in einer starren, gera-
den Druckleitung nach dem plötzlichen Ausfall einer Pumpe. Die Randbedingungen der Druck-
leitung sind durch einen vollständigen Abschluss bei der Pumpe und einen unendlich grossen
freien Wasserspiegel auf der Seite des Reservoirs definiert

u 02
E kin,0 L ˜ F ˜U ˜ (11.22)
2
Ekin,0 = Kinetische Energie des Wassers vor dem Stopp der Pumpe >M L2 T-2@
L = Länge der Druckleitung >L@
F = Querschnittsfläche der Druckleitung >L2@
U = Dichte des Wassers, 1000 kg m-3 >M L-3@
u0 = Anfängliche Fliessgeschwindigkeit >L T-1@
Die Verformung des Wassers im starren Rohr als Folge einer Veränderung des
hydrostatischen Druckes kann mit dem Elastizitätsmodul des Wassers berechnet
werden:
192 11 Wasserverteilung, Netz

dL L
(11.23)
dP EW
P = Hydrostatischer Druck >M L-1 T-2@
EW = Elastizitätsmodul des Wassers, 2˜109 N m-2 >M L-1 T-2@
Die potentielle Energie der Verformung ergibt sich aus dem Integral über die
Verformungsarbeit (Änderung des hydrostatischen Drucks mal die entstehende
Volumenänderung) als:
F ˜ L 'P 2
E pot ˜ (11.24)
EW 2
Epot = Potentielle Verformungsenergie >M L2 T-2@
'P = Änderung des hydrostatischen Druckes >M L-1 T-2@
Nach vollständiger, verlustloser Umwandlung der kinetischen Energie in po-
tentielle Energie gilt:
Ekin,0 = Epot
oder mit Gln.(11.22) und (11.24):
'P 2
U ˜ u 02 (11.25)
EW

Die Schallgeschwindigkeit a im Wasser kann für eine starre Druckleitung aus


Gl. (11.26) berechnet werden:

EW
a (11.26)
U
a = Schallgeschwindigkeit im Wasser in starren Druckleitungen,
| 1400 m s-1 >L T-1@
Die Änderung des hydrostatischen Druckes 'P kann als Änderung der Druck-
höhe 'H angegeben werden:
'P
'H (11.27)
U˜g
Nach Substitution von Gln.(11.26) und (11.27) in Gl. (11.25) resultiert die
Gleichung von Joukowsky (1898):
u0 ˜ a
'H r (11.28)
g
Wegen der möglichen Querausdehnung nimmt in einem elastischen Rohr, je
nach Material und Bauart die Schallgeschwindigkeit ab. Tabelle 11.8 gibt einen
Überblick über die Grössenordnung der relevanten Schallgeschwindigkeiten und
11.7 Instationäre Vorgänge: Der Druckstoss 193

des Druckstosses nach Joukowsky. Wird der Druckstoss 'H zum hydrostatischen
Druck H0 vor dem plötzlichen Ausfall der Pumpe addiert, so ergibt sich daraus die
Druckhöhe Hmax =H0+'H, für die die Druckleitung auf Innendruck bemessen wer-
den muss. Ist die Differenz Hmin=H0-'H geringer als der Aussendruck, so muss
die Leitung auch auf Aussendruck dimensioniert werden, sonst besteht das Risiko,
dass die Leitung unter dem Aussendruck (z.B. Luftdruck plus hydrostatischer
Druck des Grundwassers) kollabiert. Fällt der absolute Druck im Innern der Lei-
tung unter den Dampfdruck des Wassers, so entsteht ein Vakuum.

Tabelle 11.8. Schallgeschwindigkeit in unterschiedlichen Rohren (Richtwerte, die effektiven


Werte sind abhängig von der Rohrbettung und den angewendeten Kraftschlüssen in den Rohr-
verbindungen) und resultierende Druckhöhe bei plötzlicher Änderung der Fliessgeschwindigkeit
(Joukowsky Stoss)
Schallgeschwindigkeit Änderung der Fliessgeschwindigkeit
Rohrmaterial -1 -1 -1
a in m s 'u0 = 0.5 m s 'u0 = 3.0 m s
Starres Rohr 1400 'H = 70 m 'H = 430 m
Guss Rohr 1200 'H = 60 m 'H = 360 m
Stahl Rohr 1000 'H = 50 m 'H = 300 m
Stahlbeton Rohr 800 'H = 40 m 'H = 240 m
Polyäthylen Rohr 300 'H = 15 m 'H = 90 m

Beispiel 11.16. Änderung des Volumens von Wasser als Folge des Joukowsky Stos-
ses.
Wie gross ist die maximale Änderung 'L der Länge einer Wassersäule mit L=1000 m in
einem starren Rohr, das mit einer Fliessgeschwindigkeit von u0 = 1.5 m s-1 fliesst und zu
einem plötzlichen Stopp gebracht wird?
Integration von Gl. (11.23) über 'P und Substitution von Gln.(11.27) und (11.28) ergibt:
L
'L ˜ u0 ˜ a ˜U oder mit obigen Angaben 'L=1000˜1.5˜1400˜1000/2˜109=1.05m.
EW
D.h. der Inhalt von 1.05 m der Druckleitung würde ins Reservoir fliessen, bevor die „In-
formation“, dass die Pumpe ausgefallen ist, bis zum Reservoir geleitet wird.

Beispiel 11.17. Der Druckstoss im Alltag


Wenn wir einen Wasserhahn sehr schnell schliessen, oder wenn z.B. ein Elektroventil
einer Haushaltmaschine schliesst, so können wir gelegentlich einen Schlag hören – wir
hören wie der Druckstoss am Hahn reflektiert wird. Manchmal wird dieser Schlag
mehrmals innerhalb der Leitungen reflektiert. Sehr deutlich wird dieses Phänomen,
wenn am Hahn ein Vakuum entsteht und anschliessend die Wassersäule mit hoher
Geschwindigkeit gegen den Hahn prallt.

11.7.2 Massnahmen gegen Druckstösse


Der Druckstoss nach Joukowsky beschreibt den ungünstigsten Fall, entsprechend
konservativ wäre es, Leitungen und deren Lagerung auf diesen Fall auszulegen.
Die unterschiedlichen Methoden zu Reduktion des Druckstosses beruhen auf der
194 11 Wasserverteilung, Netz

Möglichkeit, die kinetische Energie des Wassers nur langsam abzubauen, sodass
sich die Reflexionen der Druckstösse gegenseitig kompensieren können.
Möglichkeiten, den Druckstoss abzubauen, gehen von ganz unterschiedlichen
Überlegungen aus. In der Folge werden einige Beispiele kurz eingeführt:
– Die Fliessgeschwindigkeit wird möglichst langsam geändert, z.B. indem Ar-
maturen nur langsam und kontrolliert geschlossen werden. Üblich sind
Schliesszeiten, die ein Mehrfaches der Laufzeit der Schallwellen in der Lei-
tung betragen, z.B. 20 s pro km Leitung. Pumpen sollen gegen geschlossene
Schieber angefahren werden, die dann bei laufenden Pumpen langsam geöffnet
werden.
– Pumpen können mit einem Schwungrad ausgerüstet werden, sodass die Pumpe
nur langsam zum Stillstand kommt. Da Schwungräder im Vergleich zur kineti-
schen Energie des Wassers nur eine geringe Energie speichern können, ist die-
se Anwendung auf schnelllaufende Pumpen und kurze Leitungen beschränkt.
– In einem Druckwindkessel kann mit Druckluft potentielle Energie gespeichert
werden; bei einem Druckabfall wird aus dem Druckkessel Wasser ins System
eingepresst, respektive bei Überdruck wird Wasser aufgenommen. Hier wird
die Randbedingung, dass das Wasser an einem Ende der Leitung zum Stehen
kommt, verändert.
– Mit Hilfe eines Wasserschlosses wird die Möglichkeit gegeben, analog zum
Druckwindkessel, kinetische Energie in potentielle Energie umzuwandeln und
umgekehrt.
Typisch für diese Methoden ist, dass die kinetische Energie des Wassers über
mehrere Laufzeiten der Schallwellen sukzessiv abgebaut wird. Gewählte Reakti-
onszeiten liegen bei tR = 10–20˜L/a.

Beispiel 11.18. Dimensionierung eines Druckwindkessels


Wie gross wird das erforderliche Nutzvolumen eines Druckwindkessels, der eine Lei-
tung der Länge L, mit einer Querschnittsfläche F und einer Fliessgeschwindigkeit u0 vor
Druckstössen schützten soll?
Aus dem Druckkessel soll während n Perioden der Druckschwingung Wasser in eine
Leitung eingespiesen werden. Da die eingespeiste Wassermenge während dieser Zeit
langsam gegen null abnimmt, beträgt das Volumen des eingespeisten Wassers:
Vnutz = n ˜ W ˜ u0 ˜ F / 2
mit W = Periode des Schwingung
= Laufzeit von Druckwellen hin und zurück = 2˜L/a
Daraus ergibt sich das Verhältnis Vnutz / VLeitung = n ˜ u0 / a.
Mit typischen Werten, n = 10, u0 = 2 m s-1 ergibt sich:
mit a = 1000 m s-1 Vnutz / VLeitung = 2% für Stahlleitungen und
mit a = 300 m s-1 Vnutz / VLeitung = 10% für Kunststoffleitungen.

Beispiel 11.19. Reduktion eines Druckstosses durch langsames Schliessen von Arma-
turen.
Eine Gemeinde wird über eine Polyäthylenleitung mit einem Durchmesser von 250 mm
und einer Länge von 2.5 km mit einer maximalen Wassermenge von 0.1 m3 s-1 während
11.7 Instationäre Vorgänge: Der Druckstoss 195

Steigwasserleitung

Steigleitung Zufluss Förderhöhe


Druckluft

Überlauf
Ausfluss Treibhöhe

Treibwasser Hydraulischer
Treibwasserleitung
Widder
Auslauf

Abb. 11.21. Der hydraulische Widder. Links der Apparat, rechts eine Anlage, die den Widder
nutzt

der Nacht aus der benachbarten Stadt mit Wasser versorgt. Wenn das Reservoir gefüllt
ist, wird die Leitung durch ein automatisches Ventil verschlossen. Die Verschlusszeit
des Ventils beträgt 2 min.
Die maximale Fliessgeschwindigkeit in der Leitung beträgt vmax = Q/A = 2.04 ms-1.
Die Geschwindigkeit, mit der sich die Druckwelle ausbreitet, beträgt a = 300 ms-1
(Tabelle 11.8).
Wie gross ist der maximal zu erwartende Druckstoss?
Die Laufzeit der Druckwelle durch das Polyäthylenrohr, hin und zurück, entspricht der
Periode der Druckschwankungen und beträgt W = 2˜L/a = 5000 m / 300 m s-1 = 17 s.
Während dieser Laufzeit verändert sich die Fliessgeschwindigkeit bei linearer, gleich-
mässiger Verringerung der Fliessgeschwindigkeit während des Schliessens des Ventils
um 'v = vmax 17 s / 120 s = 0.29 m s-1. Der Maximal zu erwartende Druckstoss wird
damit hmax = 'v˜a/g = 0.29 ˜ 300 / 9.81 = 8.9 m. Diese zusätzliche Druckkraft sollte vom
Leitungsmaterial aufgenommen werden können. Umgekehrt sollte die Druckhöhe in der
Leitung deutlich grösser als 10 m sein, damit in der Leitung kein Vakuum entsteht, und
die Leitung vom Aussendruck nicht gefährdet wird.

11.7.3 Der hydraulische Widder


Der hydraulische Widder ist ein Apparat, der den Druckstoss nutzt, um mit über-
raschend hohem Wirkungsgrad Wasser zu fördern (zu pumpen). Er hat wenig be-
wegliche Teile und wird ausschliesslich durch Wasser angetrieben. Dieser Apparat
wird heute kaum mehr genutzt; er veranschaulicht aber die Wirkung eines Druck-
stosses.
In Abb. 11.21 ist sowohl der Apparat als auch eine ganze Förderanlage darge-
stellt. Der Widder arbeitet rhythmisch:
– Das Treibwasser beginnt durch den Widder zum Ausfluss zu fliessen.
– Durch das zunehmend schneller fliessende Wasser schlägt das Ventil im Aus-
lauf zu.
– Das Treibwasser muss nach oben in den Druckkessel ausweichen.
– Der Druck des Treibwassers nimmt ab, das Ventil zum Druckkessel schliesst.
Das Treibwasser steht.
– Das Auslaufventil öffnet sich.
196 11 Wasserverteilung, Netz

– Der Zyklus beginnt von vorne.


– Über die Steigwasserleitung wird kontinuierlich Wasser unter erhöhtem Druck
abgegeben.
Nur ein kleiner Teil des Treibwassers kann in den Druckkessel ausweichen,
trotzdem erreichen hydraulische Widder einen ansprechenden Wirkungsgrad von
bis über 50%. Dieser ist definiert als:
Q Förder ˜ H Förder
K Widder
Q Treib ˜ H Treib

Dabei sind bei geeigneter Gestaltung grosse Förderhöhen möglich.

11.8 Mess-, Steuer-, Regel- und Fernwirktechnik


In der Wasserversorgung ist eine grosse Anzahl von Anlagen im Versorgungsge-
biet verteilt. Ihr Betriebszustand wird mit Vorteil zentral überwacht und gesteuert.
Dazu sind eine Reihe von Sensoren, Messgeräten und Übertragungsleitungen er-
forderlich, die die Signale in die Steuerzentrale leiten. Von dort werden wiederum
Signale ausgesandt, die Stellglieder (z.B. Pumpen, Schieber) beeinflussen.
Die Zuverlässigkeit der Wasserversorgung hängt in hohem Masse von der Zu-
verlässigkeit dieses weitgehend elektronischen Systems ab. Dessen Planung und
Realisierung ist eine Aufgabe für Spezialisten und soll entsprechend von solchen
bearbeitet werden.

11.9 Planung der Wasserversorgung


Wasserversorgungsanlagen bestehen aus einer Vielzahl von Teilsystemen, die eine
lange Lebenserwartung haben. Immer wieder müssen Entscheide über den Ausbau
und die Erneuerung von Teilabschnitten gefällt werden. Damit diese Einzelent-
scheide insgesamt ein sinnvolles Ganzes ergeben, muss das System langfristig ge-
plant und einem ganzheitlichen Konzept unterworfen werden.
Viele Anlagen der Wasserversorgung sind ortsgebunden, die entsprechenden
Standorte müssen bezeichnet und reserviert werden: Wassergewinnung, -spei-
cherung, -aufbereitung, -förderung, sowie Anreicherung des Grundwassers,
Schutzzonen und Schutzareale sowie Transportsysteme.
Zur Erschliessung von Baugebieten gehört auch der Bau der entsprechenden
Anlagen der Wasserversorgung. Die Ortsplanung muss also mit der Planung der
Wasserversorgung koordiniert werden. Zur Wasserversorgung gehört ein generel-
ler Wasserversorgungsplan, der aufzeigt, wie der Betrieb in die Zukunft entwickelt
werden soll. Basierend auf diesem Plan kann dann die detaillierte Planung von
einzelnen Teilen in Angriff genommen werden. Nur so ist gewährleistet, dass sich
ein effizientes und sinnvolles Ganzes entwickelt.
11.10 Kosten der Wasserversorgung 197

11.9.1 Planungshorizont
Einerseits sind Wasserversorgungen sehr langlebige Anlagen – eine Lebens-
erwartung von 80 Jahren für die Leitungen und Behälter ist üblich. Andererseits
ist heute kaum absehbar, welche Forderungen in 50 Jahren an die Wasser-
versorgung gestellt werden. Wird heute für eine ferne, zukünftige Situation ge-
baut, so müssen meist grosse Reservekapazitäten eingeplant werden, die den Be-
trieb der Anlagen unwirtschaftlich machen. Die traditionell eher konservative,
vorsichtige Planung in der Wasserversorgung wird in Zukunft einer Planung wei-
chen, die zu möglichst grosser Flexibilität bei geringerem Kapitalbedarf führen
soll. Methodisch muss dieses Vorgehen erst entwickelt werden. Neue Möglichkei-
ten ergeben sich, wenn der Versorgugsbetrieb vermehrt mit den Konsumenten
zusammenarbeitet.

11.10 Kosten der Wasserversorgung


Es gibt nur Schätzungen, was die Wasserversorgung bei einer Vollkostenrechnung
kostet. Heute fliessen immer noch versteckt, grössere Beträge aus direkten Steuern
in die Werke, insbesondere ist die Abschreibung der Anlagen noch nicht mit pri-
vatwirtschaftlichen Abschreibungen zu vergleichen. So resultieren meist Gebüh-
ren, die geringer sind als die effektiven, volkswirtschaftlichen Kosten.
Tabelle 11.9 ist eine Zusammenstellung von statistischen Informationen zur Was-
serversorgung in der Schweiz. Die Investitionen machten 1994 (ein Jahr mit Re-
zession) ca. Fr. 100.- pro Einwohner aus. Bei einer mittleren Lebenserwartung von
z.B. 60 Jahren würde das heissen, dass pro Einwohner Anlagen für Fr. 6000.- un-
terhalten werden. In einer Gemeinde mit 2500 Einwohnern hat Lehmann (GWA
1994) den Anlagewert der Wasserversorgung mit Fr. 13’000 pro Einwohner be-
rechnet.
In Tabelle 11.10 sind Angaben zu einer Vollkostenrechnung für die Situation
in der Schweiz zusammengestellt. Der Wiederbeschaffungswert aller Anlagen
ergibt sich zu 91 Mrd. Fr., die jährlichen Kosten zu 4.1 Mrd. Fr. (> 1% des BSP)
und die Kosten des verkauften Trinkwassers zu 4.60 Fr. m-3. Heute wird meist ein
Preis von weniger als 2.00 Fr. m-3 in Rechnung gestellt (dazu kommen ev. An-
schlussgebühren für Neubauten und Grundpauschalen). Preissteigerungen sind
unumgänglich, wenn wir nicht Steuergelder in die Wasserversorgung leiten oder
den Unterhalt und die Erneuerung der Anlagen vernachlässigen wollen.
Die Berechnungen in Tabelle 11.10 beruhen auf den Ermittlungen von Leh-
mann. Auch wenn statt 13’000 Fr. E-1 der Wert der Wasserversorgung z.B. bei
10’000 Fr. E-1 angesetzt wird, stellt diese immer noch ein riesiges Volksvermögen
dar, das wir auch in Zukunft bewirtschaften, unterhalten und erneuern müssen.
198 11 Wasserverteilung, Netz

Tabelle 11.9. Statistische Angaben zur Wasserversorgung in der Schweiz für das Jahr 1993.
Hochrechnung des SVGW, Nov. 1994
Einwohner 6’988’900
6 3
Wassergewinnung Total 10 m 1066 100%
6 3
Quellwasser 10 m 439 41%
6 3
Grundwasser 10 m 404 38%
6 3
Seewasser 10 m 224 21%
6 3
Wasserabgabe Total 10 m 1066 100%
6 3
Haushalte und Kleingewerbe 10 m 618 58%
6 3
Gewerbe und Industrie 10 m 202 19%
6 3
öffentliche Zwecke und Brunnen 10 m 74 7%
6 3
Selbstverbrauch 10 m 29 3%
6 3
Verluste 10 m 142 13%
6
Finanzen Ausgaben total 10 Fr. 1848 100%
6
Betriebskosten 10 Fr. 1206 65%
6
Investitionen 10 Fr. 642 35%
6
Subventionen 10 Fr. 111 17%
Personal Vollbeschäftigte - 2400
Teilbeschäftigte - 3600
Spezifische Zahlen Mittlerer Verbrauch pro Einwohner l E-1d-1 418
Maximaler Verbrauch pro Einwohner l E-1d-1 657
Mittlerer Verbrauch der Haushalte l E-1d-1 242
Mittlere Betriebskosten Fr. m-3 1.13
Investitionen pro Einwohner pro Jahr Fr. E-1a-1 92

Tabelle 11.10. Versuch einer Vollkostenrechnung für die Wasserversorgung in der Schweiz.
Basierend auf der Annahme, dass pro Einwohner der Anlagewert der Wasserversorgung ca.
13’000 Fr. beträgt. Die Berechnungen sind ohne Hausanschlüsse und hausinterne Installationen
Wiederbeschaffungswert 91 ˜ 109 Fr. Fr. 13’000 E-1
Kapitaldienst 2% Realzins 1.8 ˜ 109 Fr. Fr. 260 E-1 a-1
Amortisation (60 a) 1.5 ˜ 109 Fr. Fr. 220 E-1 a-1
2400 Vollbeschäftigte 240 ˜ 106 Fr. a-1 Fr. 35 E-1 a-1
Personal
3600 Teilbeschäftigte 180 ˜ 106 Fr. a-1 Fr. 26 E-1 a-1
Betriebsmittel, Reparaturen Schätzung Fr. 10 E-1 a-1
Elektrizität < 1 kWh m-3 0.7 ˜ 109 kWh a-1 Fr. 10 E-1 a-1
Totaler Aufwand Fr. 4.1˜10-9 a-1 Fr. 596 E-1 a-1
Verkauftes Wasser 900 ˜ 106 m3 a-1 4.60 Fr m-3
12 Siedlungsentwässerung

Die Siedlungsentwässerung leitet Abwasser aller Art aus den Siedlungsgebieten


einer Abwasserreinigungsanlage oder einer Vorflut (Grundwasser, Fliessgewäs-
ser, See) zu. Die maximale momentane Menge liefert das Regenwasser, mit
Schmutzstoffen belastet ist v.a. das häusliche, gewerbliche und industrielle Ab-
wasser, und hygienisch bedenklich sind insbesondere die sanitären Abwässer.
Abwasserreinigungsanlagen können nur mit dem Trockenwetteranfall und sehr
schwachen Regen umgehen, für die stärkeren Regen stehen zusätzlich die Regen-
überlaufbecken zur Verfügung. Die Versickerung von Regenwasser gewinnt an
Bedeutung.

12.1 Aufgaben der Siedlungsentwässerung


Die Siedlungsentwässerung führt Wasser ab, das in Siedlungen aus verschie-
densten Gründen unerwünscht ist. Die Möglichkeiten der Siedlungsentwässerung,
diese Aufgabe zu erfüllen, hängen von den Eigenschaften dieses Abwassers ab:
Von dessen Menge, der Variation des Anfalls, den Inhaltsstoffen und den hygieni-
schen Eigenschaften des Wassers. Wir unterscheiden:
– Abwasser: Das durch häuslichen, industriellen, gewerblichen, landwirtschaft-
lichen oder sonstigen Gebrauch veränderte Wasser, ferner das in der Kanalisa-
tion stetig abfliessende Wasser sowie das von bebauten oder befestigten Flä-
chen abfliessende Niederschlagswasser (alles Wasser, das aus den Siedlungen
abgeleitet werden soll).
– Verschmutztes Abwasser: Abwasser, das ein Gewässer, in das es gelangt, ver-
unreinigen (= nachteilig beeinflussen) kann.
– Unverschmutztes Abwasser: Abwasser, das ein Gewässer, in das es gelangt,
nicht nachteilig beeinflusst.
– Fremdwasser: Unverschmutztes Abwasser, das stetig anfällt. Es kann direkt
einer Vorflut zugeleitet werden, z.B. eingedolte Bäche, Drainagen, Überläufe
von Trnkwasserspeichern und Brunnenstuben, Kühlwasser etc. Die Fremdwas-
sermenge reagiert nur langsam auf Regenereignisse (über Tage).
– Meteorwasser: Als Meteorwasser wird das Wasser bezeichnet, das vom Him-
mel fällt. Es umfasst Regenwasser und Schneeschmelzwasser.
Abwasser wird aus verschiedenen Gründen aus Siedlungen abgeleitet:
– Seit der Einführung der Schwemmkanalisation wird Wasser zum Transport
von Stoffen aller Art eingesetzt; das verschmutzte Abwasser muss zum Schutze
der Siedlungshygiene kontrolliert abgeführt und, nach moderner Auffassung,
200 12 Siedlungsentwässerung

vor der Rückgabe in die Vorflut einer umfassenden Abwasserreinigung zuge-


führt werden.
– Für die Ableitung von Fremdwasser wurde historisch häufig die praktische
und naheliegende aber heute grundsätzlich unerwünschte Lösung gewählt, die-
ses in der tiefliegenden Kanalisation abzuleiten. In Zukunft soll Fremdwasser
vermehrt an der Quelle versickert oder direkt in ein Oberflächengewässer ein-
geleitet werden.
– Um Überschwemmungen zu vermeiden, muss Regenwasser, das auf undurch-
lässige Siedlungsflächen fällt, abgeleitet werden. Da die Regenwassermengen
über kurze Zeiträume mehr als hundert Mal grösser sind als die bei Trocken-
wetter fliessenden Abwassermengen, verlangt diese Aufgabe meist die grösste
Transportkapazität (Kanaldurchmesser). Regenwasser nimmt auf der Oberflä-
che Schmutzstoffe auf und kann nicht vorbehaltlos als unverschmutzt bezeich-
net werden. Je nach Situation ist eine Behandlung des Regenwassers erforder-
lich, bevor es in die Vorflut eingeleitet werden kann.
Der Wasserkreislauf wird durch Siedlungen stark beschleunigt, und häufig
wird Abwasser einem schnellen Abfluss zugeleitet. Das hat viele nachteilige Fol-
gen: Die Grundwasserneubildung wird verringert. Dadurch geht eine wichtige
Ressource der Wasserversorgung teilweise verloren. Die Abflüsse während Re-
genwetter werden beschleunigt. Das führt zu grösseren Spitzenwassermengen in
den kleineren Gewässern und bedingt den Ausbau (und historisch häufig die Be-
gradigung) der kleinen Fliessgewässer im urbanen Raum. Der Wasserrückhalt der
Region wird kleiner. Dadurch wird die Niedrigwasserführung verringert. Einzelne
Gewässer trocknen periodisch aus.
Die Siedlungsentwässerung hat die Aufgabe, verschmutztes und unverschmutztes
Abwasser aus den Siedlungen abzuleiten und dadurch die Siedlungshygiene und
den Hochwasserschutz zu gewährleisten. Sie soll dieses Abwasser kostengünstig in
die Umwelt zurückführen, sodass die natürlichen, hydrologischen Bedingungen
wenig verändert und die Gewässer nicht übermässig belastet werden.

12.2 Prozesse der Siedlungsentwässerung


Wird die Siedlungsentwässerung nicht primär als technische, sondern vorläufig als
konzeptionelle Aufgabe beschrieben, so können die folgenden fünf grundsätzli-
chen Prozesse unterschieden werden:
– Abwasserproduktion: Abwasser fällt aus unterschiedlichsten Quellen an; ein
Verständnis für die quantitativen und qualitativen Eigenschaften dieses Was-
sers sowie deren zeitlichen Abhängigkeiten ist für die Bearbeitung von Prob-
lemen in der Siedlungsentwässerung unumgänglich. Die Abwasserproduktion
beschreibt den Input ins System, das hier besprochen wird.
– Transport: Abwasser muss transportiert werden. Dazu stehen hauptsächlich
die Kanäle zur Verfügung. Genügt die verfügbare potentielle Energie des Ab-
wassers für den Transport nicht, so werden Pumpwerke eingesetzt.
Sammeln: Unterschiedlichste Abwässer aus Siedlungen werden grösseren,
zentralen Bauwerken zugeführt. Ein systematisch geplantes Transportnetz
12.3 Wie sollen Siedlungen entwässert werden? 201

dient dem Einsammeln dieser Abwässer. Ein verästeltes Kanalsystem wird zu


immer grösser werdenden Kanalsträngen zusammengeführt.
Trennen: Je nach Betriebszustand (z.B. Trockenwetter oder Regenwetter) wird
das Abwasser unterschiedlichen Reinigungs-, Retentions- oder Einleitungs-
bauwerken zugeführt. In den Transportanlagen muss das Abwasser deshalb
nach dem Sammeln entsprechend den vorhandenen Vorkehrungen wieder auf-
getrennt werden. Dazu werden Entlastungsbauwerke, Überlaufbecken etc. ein-
gesetzt.
– Retention: Durch Retention (Rückhalt) kann der Fluss des Abwassers temporär
verlangsamt und dadurch die momentan erforderliche Transportkapazität ver-
ringert sowie die Reinigungskapazität besser ausgenutzt werden. Als Rückhal-
temassnahme kommen eigentliche Speicherbecken (Rückhaltebecken, Regen-
überlaufbecken) genauso zur Anwendung wie Retentionsvolumen am Ort des
Abwasseranfalles (z.B. eingestaute Flachdächer oder Parkplätze, Schmutzwas-
serspeicher in Industriebetrieben). Zudem hat das während Trockenwetter fast
leere Transportsystem eine Retentionswirkung bei Regen. Retention ist nur ein
nützlicher Prozess, wenn instationäre Verhältnisse herrschen, wenn also vorü-
bergehend der Abwasseranfall die Kapazität der unterliegenden Bauwerke
oder Systeme übersteigt.
– Reinigung: Abwasser ist häufig verschmutzt und muss vor seiner Rückführung
in die Umwelt unterschiedlich (je nach Situation und Einleitungsstelle) gerei-
nigt werden. Dazu dienen Kläranlagen und einfachere Bauwerke wie Sedimen-
tationsanlagen (Regenüberlaufbecken) und grobe Rechen. In Versickerungsan-
lagen werden Schmutzstoffe gezielt in einer Filterschicht zurückgehalten. Der
Prozess der Reinigung stellt den eigentlichen Filter für die Schmutzstoffe zwi-
schen dem technischen System und der Umwelt dar.
– Rückgabe an die Umwelt: Die Rückgabe in die Umwelt erfolgt in ein Gewäs-
ser (Vorflut). Dabei können Einleitungen in Oberflächengewässer (Seen,
Fliessgewässer) meist direkt überwacht werden, während Einleitungen ins
Grundwasser (Versickerung) nur schwer zu überwachen sind. In der Sied-
lungsentwässerung wird versucht, das Schicksal von Schmutzstoffen und Ab-
wasser gezielt zu beeinflussen, d.h. dass die Rückgabe in die Umwelt nur kon-
trolliert ablaufen soll. Verluste von Abwasser durch Defekte (undichte
Leitungen) und Havarien müssen vermieden werden. Die Rückgabe an die
Umwelt entspricht dem Output aus dem betrachteten System. Es ist wichtig,
dass diese Nahtstelle zwischen dem technischen und dem natürlichen System
den spezifischen Anforderungen der Einleitstelle gerecht wird.
Das Zusammenspiel dieser fünf Prozesse soll mit Hilfe von technischen und
organisatorischen Massnahmen so gestaltet werden, dass der Einfluss des Systems
Siedlung auf die hydrologische Situation der Umwelt möglichst naturnah wird.

12.3 Wie sollen Siedlungen entwässert werden?


Die Siedlungsentwässerung soll so gestaltet werden, dass die Ansprüche des Men-
schen in Bezug auf Sicherheit und Komfort gegenüber unseren Zielen im Natur-,
Gewässer- und Umweltschutz ausgeglichen werden.
202 12 Siedlungsentwässerung

Regen
Versickerung

Grundwasser

Siedlung

Mischwasserkanal
ARA
Entlastung
RÜB

Bade-
Meteorwasserkanal
anstalt

Vorflut

Abb. 12.1. Generelle Darstellung einer Siedlungsentwässerung

In der natürlichen Entwässerung kommt Niederschlagswasser nur langsam in Be-


wegung, es wird vorerst auf Pflanzen und in Mulden gesammelt und fliesst an-
schliessend durch Speicher, die sich z.T. nur sehr langsam entleeren: Feuchtgebie-
te, Boden, Grundwasser. Diese langsamen Prozesse gehen in der technischen
Entwässerung weitgehend verloren: Versiegelte Strassen und Dächer, effiziente
Kanalisationen, geringe Retentionsvolumen führen zu einer schnellen Entwässe-
rung mit vielen negativen Folgen.
Nach der modernen Vorstellung sollen in der Siedlungsentwässerung nur die-
jenigen Abwässer abgeleitet werden, die im Einzugsgebiet selber nicht schadlos
versickert werden können. Dabei sollen die lokalen Retentionsmöglichkeiten ge-
nutzt werden, um Abflussspitzen zu verringern. Die Siedlungsentwässerung soll
so zu einem Ausgleich zwischen den Sicherheits- und Komfortansprüchen der
Zivilisation (schnelles Ableiten) und den dadurch verursachten Beeinträchtigun-
gen der Natur beitragen. Die beiden gegensätzlichen Ziele (Sicherheit und Kom-
fort versus Gewässerschutz) sind dabei sorgfältig abzuwägen.
Eine ausgewogene Lösung kann nur gefunden werden, wenn das ganze System
(Niederschlag und Abwasseranfall, Versickerung, Ableitung aus Siedlungen,
Kläranlage, Oberflächengewässer und Grundwasser) bei der Untersuchung des
Entwässerungskonzepts betrachtet wird (VSA 1989). Dadurch entwickelt sich der
wichtigste Plan der Siedlungsentwässerung vom traditionellen Generellen Kanali-
sationsprojekt (GKP) zum umfassenden Generellen Entwässerungsplan (GEP,
auch Generalentwässerungsplan). Statt der bisherigen, oft einseitigen, technischen
Betrachtung der Kanalisation wird eine ganzheitliche Betrachtung des Wasser-
kreislaufes im Bereiche der Siedlungen angestrebt. Diese umfasst nicht nur den
Bau von Entwässerungsanlagen, sondern genauso den Betrieb, den Unterhalt, die
12.4 Elemente der Siedlungsentwässerung 203

Erneuerung und die laufenden Anpassungen an neue Erkenntnisse und Erfahrun-


gen sowie Massnahmen an der Quelle.

12.4 Elemente der Siedlungsentwässerung


Abb. 12.1 gibt einen Überblick über die Elemente einer Siedlungsentwässerung.
Unverschmutztes Regenwasser wird je nach Situation am Anfallsort versickert, in
separaten Meteorwasserkanälen zur nächsten Vorflut abgeleitet oder einem
Mischwasserkanal zugeführt. Verschmutztes Abwasser wird über den Misch-
wasserkanal einer Kläranlage zugeführt, deren hydraulische Kapazität aber wäh-
rend Regenereignissen häufig nicht ausreicht, um das ganze anfallende Abwasser
zu reinigen. Die Kanalisation muss über Regenüberlaufbecken entlastet werden.
Die Einleitstellen für Abwasser werden so gewählt, dass eine allfällige Nutzung
der Gewässer (hier dargestellt durch den Badeplatz) möglichst wenig beeinträch-
tigt wird.
13 Siedlungshydrologie

Die Modelle der Siedlungsentwässerung basieren oft auf den Modellen der techni-
schen Hydrologie. Typisch für die Siedlungsentwässerung ist aber, dass uns kleine
Einzugsgebiete (ha bis km2) und schnelle Prozesse mit Zeitkonstanten im Minu-
tenbereich interessieren. Die technische Hydrologie interessiert sich eher für
grössere, naturnähere Einzugsgebiete mit Zeitkonstanten im Bereich von Stunden
und Tagen.

13.1 Einführung in die Siedlungshydrologie


Die Siedlungshydrologie befasst sich mit den Prozessen, denen das Wasser inner-
halb und im Umfeld von Siedlungen unterworfen ist. Im Rahmen der Siedlungs-
entwässerung ist die Bildung von Abflüssen als Folge von Niederschlag von be-
sonderer Bedeutung, weil dieser Abfluss während intensivem Regen alle anderen
Wasserströme um ein Vielfaches übertrifft und damit die Dimensionierung von
vielen Bauwerken bestimmt.
Mathematische Modelle, die die Bildung von Regenabflüssen beschreiben, un-
terscheiden meist die folgenden vier Teilprozesse, die nacheinander ablaufen:
– Niederschlag: Das Meteorwasser fällt vom Himmel auf das betrachtete Ein-
zugsgebiet. Das charakterisieren wir mit der zeitlichen und ev. räumlichen
Verteilung der Regenintensität.
– Abflussbildung: Eine anfänglich trockene Oberfläche muss benetzt werden,
Mulden müssen gefüllt werden, ein Wasserfilm muss aufgebaut werden – erst
dann kann der Abfluss in Bewegung kommen. Im Laufe dieses Prozesses geht
Niederschlagswasser durch Verdunstung, Verwehung und Versickerung verlo-
ren (Abb. 13.1). Da nur ein Teil des Niederschlags zum Abfluss gelangt, wird
das beobachtete Resultat der Abflussbildung als abflusswirksamer Nieder-
schlag bezeichnet.
– Abflusskonzentration: Ist der Abfluss einmal in Bewegung, so muss er den
Öffnungen des Kanalnetzes (Dachrinnen, Schächte) zugeführt werden. Das be-
ansprucht Zeit und verzögert entsprechend den Abfluss des Niederschlags.
– Abwassertransport: Wichtigste Aufgabe des Entwässerungssystems ist das
Ableiten und Speichern von Abwasser in den einzelnen Elementen des Sys-
tems (Kanalisation, Regenbecken, Kläranlage etc.).
Hier kann nicht in die detaillierte Beschreibung und Modellierung dieser Pro-
zesse eingeführt werden. Es wird lediglich ein einfaches Modell für die Beschrei-
bung des Abflusses eingeführt, das nicht auf die Details der einzelnen Prozesse
eingeht. Das Modell ist geeignet für die Beschreibung von Extremereignissen, wie
206 13 Siedlungshydrologie

Verwehungen
Verdunstung

Benetzung Muldenfüllung
Niederschlags-
intensität

Oberflächenabfluss

Versickerung

Regendauer

Abb. 13.1. Qualitative Darstellung der Abflussbildung während eines Regens mit konstanter
Intensität

sie für die Dimensionierung von Kanälen beachtet werden. Es kann aber keine
Ganglinien (zeitlich variable Abflüsse) simulieren und ist für die Beschreibung
von wenig ergiebigem Regen nicht geeignet, weil es zeitabhängige Prozesse wie
z.B. das Auffüllen von Mulden nicht beschreibt.
Dieses einfache Modell zur Abschätzung des Abflusses von Regenwasser aus
einem beregneten Gebiet hat die folgende Form:
QR r ˜ F˜\ (13.1)
QR = Abfluss von Regenwasser aus dem Einzugsgebiet mit
der Fläche F [L3 T-1]
r = Regenintensität [L T-1] oder häufiger [L3 L-2 T-1]
F = Fläche des Einzugsgebiets [L2]
\ = Abflussbeiwert (Definition s. Text) [-]
Nach diesem Modell wird die Regenintensität r über längere Zeit und über das
ganze Einzugsgebiet gemittelt. Der Niederschlag auf das Einzugsgebiet wird als
proportional zur Regenintensität und zur Fläche des Einzugsgebiets angenommen
und entspricht dem Produkt r ˜ F. Der Abflussbeiwert \ ist eine Konstante, die
angibt, dass nur ein Teil des Niederschlages zum Abfluss gelangt.
Es werden zwei Abflussbeiwerte unterschieden:
\S = Der Spitzen- oder Scheitelabflussbeiwert, der angibt, wie gross der ma-
ximale Abfluss QR im Vergleich zum maximalen Niederschlag r ˜ F ist
(s.a. Abb. 13.2).
\m = Der mittlere Abflussbeiwert, der angibt, welcher Anteil des Nieder-
schlags zum Abfluss gelangt (Abb. 13.3).
In erster Näherung können für die Entwässerung von Siedlungen die beiden
Abflussbeiwerte für intensive Regen gleich gesetzt werden. Dieser Abflussbeiwert
\ ergibt sich auch aus einer Abschätzung des Abflussbeiwerts aus dem Anteil der
undurchlässigen Flächen an der Fläche des gesamten Einzugsgebiets F.
13.1 Einführung in die Siedlungshydrologie 207

Regen- und Abflussintensität

rmax ˜ F

Niederschlag

QR,max
QR,max
Abfluss Spitzenabflussbeiwert < S
rmax ˜ F
0
0 Regen- und Abflussdauer
Abb. 13.2. Definition des Spitzenabflussbeiwerts \S

Regen- und Abflussintensität

Volumen des Niederschlages VR:


ein Integral

Volumen des Abflusses VA:


Regen ein Integral
VA
Mittlerer Abflussbeiwert \ m
Abfluss VR
0
0 Regen- und Abflussdauer
Abb. 13.3. Definition des mittleren Abflussbeiwerts \m

Gleichung(13.1) ist die Basis für viele einfache Überlegungen in der Sied-
lungsentwässerung und dient in geeigneter Form für die Dimensionierung von
vielen Kanalisationen. Um dieses einfache Modell anzuwenden, müssen wir einer-
seits die vorkommenden Regen und andererseits die entwässerten Flächen charak-
terisieren.

Beispiel 13.1. Mittlerer Abflussbeiwert


Wie gross ist der mittlere Abflussbeiwert \m einer Fläche, von der durch Verdunstung
und Versickerung im Mittel 35% des Niederschlages verloren gehen und 1 mm Nieder-
schlag für die Benetzung der Oberflächen und 2 mm Niederschlag in Mulden zurück-
bleiben?
Fall 1: Regen mit einer Niederschlagshöhe von 5 mm
Von den 5 mm Niederschlag verbleiben nach Verdunstung und Versickerung noch
5 mm ˜ (1 - 0.35) = 3.25 mm. Für die Benetzung und die Füllung der Mulden gehen
weitere 3 mm verloren, sodass insgesamt nur gerade 0.25 mm zum Abfluss gelangen.
Der mittlere Abflussbeiwert ist \m = 0.25 / 5 = 0.05, also sehr gering.
Fall 2: Regen mit einer Niederschlagshöhe von 20 mm
Von den 20 mm Niederschlag verbleiben nach Verdunstung und Versickerung noch
20 mm ˜ (1 - 0.35) = 13 mm. Für die Benetzung und die Füllung der Mulden gehen wei-
208 13 Siedlungshydrologie

Niederschlagswaage elektronische Messwippe

Waage Data-
logger
Data-
logger

Abb. 13.4. Schematische Darstellung von neueren Regenmessgeräten

tere 3 mm verloren, sodass insgesamt noch 10 mm zum Abfluss kommen. Der mittlere
Abflussbeiwert ist \m = 10 / 20 = 0.50, also beträchtlich.
Die Abflussbeiwerte nehmen mit zunehmender Ergiebigkeit der Regen zu, asymptotisch
wird hier der Wert von \m = 0.65 erreicht, dieser Wert entspricht dem Spitzenabfluss-
beiwert \S.
Die vorliegende Berechnung ist stark vereinfacht, weil die Verdunstung und Versicke-
rung kaum als fester Anteil am Niederschlag beschrieben werden kann.

13.2 Charakterisierung von Regen


Da die Siedlungsentwässerung innerhalb von Minuten auf einen Regen reagiert,
müssen wir für die Messung der Regen eine zeitliche Auflösung im Bereich von 1–
2 Minuten pro Schritt zur Verfügung haben.
Die Regenintensität wird mit Pluviographen bestimmt. Dabei wird der Nieder-
schlag, der auf eine bestimmte Fläche fällt, in einem Trichter konzentriert und
zeitlich bestimmt. Während früher Messsysteme mit mechanischen Einrichtungen
(Schwimmer, rotierende Messstreifen, Siphons zur Entleerung des Messgefässes
etc.) eingesetzt wurden, kommen heute eher Vorrichtungen mit elektronischen
Messverfahren und Datenspeicherung zur Anwendung. Moderne Messsysteme
beruhen auf Waagen (der akkumulierte Niederschlag wird in festen Abständen,
z.B. jede Minute, gewogen) oder Wippen (es wird die Zeit gemessen, bis eine fes-
te Niederschlagsmenge, z.B. 0.1 mm, gefallen ist). Abbildung 13.4 zeigt zwei
neuere Messsysteme.
Regenereignisse müssen im Hinblick auf die Berechnungsmethode charakteri-
siert werden, für die die entsprechende Information verwendet werden soll. Die
Methode wiederum hängt von der Fragestellung ab. Der maximale Regenwetter-
abfluss in einer Kanalisation kann sich schon nach wenigen Minuten einstellen,
13.2 Charakterisierung von Regen 209

Mittlere Regenintensität in mm h-1


1000

100
50 Jahre
10 Jahre
10 2.33 Jahre

0.1
0.1 1 10 100 1000 10000
Messintervall in h

Abb. 13.5. Niederschlags-Intensitäts-Diagramm für Zürich. Basierend auf den Regenmessungen


1901–1975. Angegeben ist die Jährlichkeit der Überschreitung (Neu nach WSL, Band 7, 1991)

entsprechend gross muss die zeitliche Auflösung der Information über den Regen
(die Regenintensität) sein. Ein Regenrückhaltebecken muss hingegen so ausgelegt
werden, dass das Regenwasser über längere Zeit gespeichert und erst verzögert,
langsam abgeleitet werden kann – die Anforderungen an die Regeninformation ist
dabei grundsätzlich anders, von Interesse ist die Summe der Niederschläge (Re-
genhöhe) über eine längere Zeit.
Heute werden die folgenden unterschiedlichen Darstellungen von Regenin-
formationen für Dimensionierungsaufgaben in der Siedlungsentwässerung ge-
nutzt:
– Die Auswertung von durchschnittlichen Regenintensitäten während Regenab-
schnitten von 5–60 min Dauer, die mit unterschiedlicher Häufigkeit überschrit-
ten werden. Diese Art der Darstellung wird in Abschn. 13.5.4 diskutiert, sie hat
für die Siedlungsentwässerung eine besondere Bedeutung.
– Die Charakterisierung der Starkniederschläge (für die Schweiz: WSL 1975–
1992). Es werden mittlere Intensitäten bestimmt, die während unterschied-
licher Messperioden mit bestimmten Häufigkeiten überschritten werden. Diese
Information eignet sich zur Dimensionierung von Retentionsmassnahmen
(Versickerung, Regenrückhaltebecken, Regenwassernutzung). Ein Beispiel ist
in Abb. 13.5 dargestellt.
– Heute kommt auch in der Siedlungsentwässerung immer häufiger die mathe-
matische Simulation von ganzen Einzugsgebieten zur Anwendung. Dabei wird
das hydrologische und hydraulische Verhalten des Einzugsgebiets abgebildet
und es werden Prognosen gemacht, wie sich das Entwässerungssystem unter
verschiedenen Belastungszuständen verhält. Basis für die Regencharakterisie-
rung sind hier häufig Ganglinien in 1–5 Minutenschritten von historisch gefal-
lenen Regen. Verkäufer von Simulationsprogrammen sind meist in der Lage,
für ihr Programm Informationen über effektiv gefallene Regen für verschiede-
ne Messstationen auf Datenträgern verfügbar zu machen.
- Im Punktediagramm wird jeder Regen einer längeren Periode nur mit seiner
Dauer und der insgesamt gefallenen Regenhöhe dargestellt (s. z.B. Abb. 13.6
210 13 Siedlungshydrologie

Niederschlagshöhe in mm
25
20
15
10 Abb. 13.6. Lineares Punktedia-
5 gramm aller Regen mit einer Dauer
< 300 min, die in Fehraltorf
0
(Schweiz) 1991 gefallen sind. Mit-
0 60 120 180 240 300 telwert von 5 Messstationen (Da-
Dauer des Niederschlags in Minuten ten Eawag)
Niederschlagshöhe in mm Mittlere Regenintensität
in l s-1 ha-1
100 50 20
100
10
5

10 2
1 Abb. 13.7. Logarithmisches Punk-
tediagramm aller Regen mit einer
1 Dauer < 1000 min, die in Fehral-
torf (Schweiz) 1991 gefallen sind.
10 100 1000
Mittelwert von 5 Messstationen
Dauer des Niederschlags in Minuten (Daten Eawag)

und Abb. 13.7). Diese Darstellung eignet sich für statistische Überlegungen
und erlaubt z.B. die Gegenüberstellung von Retention (diese entspricht einer
gewissen Regenmenge N in mm) und Ableitung von Regenwasser (diese ent-
spricht einer mittleren Intensität). Die Darstellung wird je nach Fragestellung
linear oder logarithmisch gewählt.
Neben Dauer und Intensität eines Regens sind für die Siedlungsentwässerung
z.T. auch die Windrichtung oder der Zug eines Gewitters von Bedeutung. Abbil-
dung 13.8 zeigt deutlich, dass während Starkregen in Zürich Westwind vor-
herrscht. Entwässert nun ein Kanalnetz von Westen nach Osten, so kann das eine
Vergrösserung des Abflussmaximums zur Folge haben, die mit der Annahme, dass
das Gebiet gleichmässig beregnet wird, nicht erfasst wird. Heute ist es nicht üb-
lich, in der Siedlungsentwässerung solche Effekte zu berücksichtigen, gelegentlich
könnten diese aber Ursache von unerwarteten Überschwemmungen sein.
Hier wird nur die Auswertung von maximalen Regenintensitäten, die mit einer
bestimmten Häufigkeit während einer bestimmten Dauer überschritten werden,
diskutiert. Diese Art der Auswertung hat für die Dimensionierung von Kanalisati-
onen in Handrechnungen die grösste Bedeutung.

13.3 Intensität von Starkregen


Je nach lokaler Tradition werden die Regeninformationen, die der Dimensionie-
rung von Anlagen in der Siedlungsentwässerung zu Grunde liegen, etwas anders
ausgewertet und dargestellt. Gemeinsam ist diesen Auswertungen, dass sie eine
13.3 Intensität von Starkregen 211

17%
Nord-
wind

36% 17% verschiedene


6% Ostwind
Westwind Windrichtungen

24%
Südwind

Abb. 13.8. Häufigkeiten der vier Hauptwindrichtungen während Starkniederschlägen in Zürich


(SMA) für Starkregen mit einer Dauer von 10 min. Ausgewertet wurden die jährlichen Höchst-
werte der Periode 1934–1980 (Neu nach WSL, Band 7, 1991)

Regenintensität, eine Regendauer (meist nur ein Abschnitt eines längeren Ereig-
nisses) und die Häufigkeit, mit der die Intensität überschritten wird, miteinander
in Beziehung setzen.
Einerseits interessieren wir uns in der Siedlungsentwässerung für Extremer-
eignisse; dafür müssen wir die Leistungsfähigkeit der Kanalisationen auslegen.
Andererseits interessiert uns aber auch das Verhalten der Anlagen im Jahresge-
schehen; dazu sind Informationen erforderlich, die sich auf häufige Ereignisse
beziehen. Hier werden nur Extremereignisse charakterisiert, die wir für die Di-
mensionierung von Kanälen nutzen werden.
Dieser Text beruht als Beispiel v.a. auf den Auswertungen von Regenereignis-
sen, die Hörler und Rhein 1961 und 1962 für die ganze Schweiz gemacht haben
und die noch heutel eine wichtige Dimensionierungsgrundlage für die Kanalisa-
tionen in der Schweiz sind. Die umfangreiche Originalpublikation (1992) begrün-
det die Darstellung der Resultate und erklärt die statistischen Methoden.
Für die Dimensionierung von Kanalisationen müssen kurze (Minuten), intensive
Regen beachtet werden. Regeninformationen werden deshalb speziell im Hinblick
auf die Probleme der Siedlungsentwässerung ausgewertet. Die Angaben werden in
Form von mittleren Regenintensitäten während Teilabschnitten von Regen ge-
macht:
'N
r (13.2)
'T
r = Mittlere Regenintensität während der Dauer 'T [L T-1]
'N = Während der Dauer 'T akkumulierter Niederschlag [L]
'T = Dauer des betrachteten Regenabschnitts [T]
Die Regenintensität r hat die Dimension einer Geschwindigkeit. (Diese Ge-
schwindigkeit entspricht der Zunahme des Wasserspiegels mit der Zeit, wenn auf
212 13 Siedlungshydrologie

Regenintensität in l s-1 ha-1 Gemessene


400 Regenganglinie

300
Blockregen mit
200 10 min Abschnitt-
Dauer
100

0
0 5 10 15 20 25
Regendauer in min

Abb. 13.9. Bestimmung der maximalen durchschnittlichen Regenintensität während eines Re-
genabschnitts von 10 min Dauer

Regenintensität in l s-1 ha-1


500
Jährlichkeit z
400
10 a
300 5a
2a
200 1a

100

0
0 10 20 30 40 50 60
Dauer des Regenabschnittes T in Minuten

Abb. 13.10. Intensitäts-Dauer-Frequenz-Kurve (IDF) für Regenabschnitte in Bern (G =


-1 -1
148 l s ha , B = 12 min, C = 0.95, neu nach Hörler und Rhein, 1962)

einer Ebene kein Niederschlagswasser verloren geht). In der Literatur wird heute r
gelegentlich mit der Einheit Pm s-1 angegeben. Häufiger wird die Einheit l s-1 ha-1
gewählt. Diese zweite Einheit hat den Vorteil, dass sie die Grössen, in denen Sied-
lungen charakterisiert werden (Hektaren) mit den Grössen in denen Abflüsse ge-
messen werden l s-1 (oder m3 s-1) direkt miteinander in Beziehung setzen. 10
l s-1 ha-1 entsprechen 1 Pm s-1.
Hörler und Rhein haben 1962 eine Methode für die Auswertung und Darstel-
lung von Regenmessungen vorgestellt, die konsequent auf die Bedürfnisse der
Siedlungsentwässerung ausgerichtet ist. Sie haben mittlere Intensitäten für Regen-
abschnitte bestimmt, unabhängig davon, ob es einen Vor- oder einen Nachregen
gibt. In Abb. 13.9 und in Beispiel 13.2 wird eine mögliche Art der Bestimmung
solcher Intensitäten dargestellt.
Mit Hilfe von statistischen Auswertungen ergeben sich nun für einzelne Mess-
stationen Resultate, wie sie in Abb. 13.10 für die Messstation in Bern dargestellt
13.3 Intensität von Starkregen 213

sind: Die mittlere Regenintensität r in l s-1 ha-1 wird für Regenabschnitte von 5–60
min. Dauer und verschiedene Jährlichkeiten z dargestellt. z = 10 a heisst z.B., dass
die entsprechende Intensität während der angegebenen Regendauer innerhalb von
10 Jahren im Mittel gerade 1 Mal erreicht oder überschritten wird (Wiederkehrin-
tervall).
Beispiel 13.2: Bestimmung der mittleren Regenintensität eines Regenabschnitts
Berechne die maximale Regenintensität für einen Regenabschnitt von 10 min Dauer
aus der folgenden Messreihe eines Regens von 20 min Dauer.
Messreihe:
Zeit seit Regenbeginn Intensität Mittel über vergangene 10 min
in min. in l s-1 ha-1 (gleitendes Mittel)
-2 – 0 0
0– 2 60
2– 4 10
4– 6 30
6– 8 120 220 / 5 = 44 l s-1 ha-1
8 – 10 150 370 / 5 = 74 l s-1 ha-1
10 – 12 240 550 / 5 = 110 l s-1 ha-1
12 – 14 110 650 / 5 = 130 l s-1 ha-1
14 – 16 40 660 / 5 = 132 l s-1 ha-1
16 – 18 10 550 / 5 = 110 l s-1 ha-1
18 – 20 10 410 / 5 = 82 l s-1 ha-1
20 – 22 0 170 / 5 = 34 l s-1 ha-1
Der maximale Mittelwert für die Regenintensität während einem Regenabschnitt von 10
min Dauer beträgt 132 l s-1 ha-1. Die ersten 6 und die letzten 4 min des Regens tragen
zu diesem Mittelwert nicht bei.

Beispiel 13.3. Interpretation einer Intensitäts-Dauer-Frequenz-Kurve


Wie gross ist die durchschnittliche Regenintensität, die in Bern im Mittel innerhalb von 5
Jahren während 20 min mindestens zu erwarten ist?
Aus Abb. 13.10 ergibt sich für eine Regendauer von 20 min und z = 5 eine Intensität
von ca. 205 l s-1 ha-1.

Beispiel 13.4. Extremereignisse


Im August 1993 stand im Tagesanzeiger die Schlagzeile:
In 10 min 10 mm Regen über Bern gefallen.
Wie oft könnte der Tagesanzeiger diese Meldung machen?
10 mm / 10 min = 10 mm ˜ 10-3 m mm-1 ˜ 103 l m-3 ˜ 104m2 ha-1 / 600 sec
= 167 l s-1ha-1
Nach Abb. 13.10 ergibt sich für eine Regendauer von 10 min und eine Intensität von
167 l s-1 ha-1 eine Jährlichkeit von z < 1 a. Im Durchschnitt könnte also der Tagesanzei-
ger jährlich über einen noch stärkeren Regen berichten, also war die Schlagzeile in die-
ser Form wohl kaum gerechtfertigt.
Nehmen wir noch an, dass es in der Schweiz z.B. 50 Regenmessstationen gibt, die die
entsprechenden Informationen sammeln (die Regen messen), so könnte wohl nach
214 13 Siedlungshydrologie

jeder Gewitterfront, die über die Schweiz fährt, diese Meldung über irgend eine Stadt
der Schweiz geschrieben werden.

Empirisch haben Hörler und Rhein (1962) die Information in Abb. 13.10 mit Hilfe
der folgenden Gleichung dargestellt:
K(z)
r T > 5 min (13.3)
TB
r = Regenintensität [L T-1] hier in l s-1 ha-1
K = Eine Ortskonstante mit der Dimension [L] hier l min ha-1 s-1
z = Dauer des durchschnittlichen Wiederkehrintervalles [T] hier in a.
T = Dauer des Regenabschnitts [T] hier in min.
B = Eine Ortskonstante [T] hier in min
In Worten: r gibt die mittlere Regenintensität an, die während T min alle z Jah-
re in Bern im Mittel einmal erreicht oder überschritten wird.

Tabelle 13.1. Beispiel von Ortskonstanten für die Berechnung der mittleren Regenintensität in
Funktion des Wiederkehrintervalles und der Regenabschnittdauer nach Gl. (13.3) (ausgewählte
Regenmessstationen nach Hörler und Rhein 1962). Für die Definition der Ortskonstanten K(z),
B, G und C siehe Text. H = Mittlerer Jahresniederschlag
Wiederkehrintervall z B G C H
z -1 -1
1 2 5 10 min l s ha - mm a-1
in Jahren
Ortskonstante K(z) in l min ha-1 s-1
Bern 4000 4984 6484 7796 12 148 0.95 1028
Davos 1950 2438 3159 3762 10 78 0.93 999
Locarno 7068 8446 10418 12044 23 186 0.69 1822
Sion 1050 1360 1780 2160 6 50 1.06 588
Zürich 3036 3664 4569 5313 8 132 0.75 1044

In Tabelle 13.1 sind für einige Messstationen in der Schweiz und typische Wie-
derkehrintervalle, wie sie in der Siedlungsentwässerung zur Anwendung gelangen,
die Ortskonstanten K(z) und B zusammengestellt: Bern und Zürich liegen nördlich
der Alpen, Davos in einem alpinen Hochtal, Sion in einem grossen Tal, das von
West nach Ost verläuft, Locarno liegt südlich der Alpen, wo sich bei Föhn (Süd-
wind) Staulagen mit langen intensiven Niederschlägen ergeben. Die Ortskonstan-
ten und damit die Regenintensitäten unterscheiden sich um einen Faktor 7 zwi-
schen dem Tessin und dem eher trockenen Wallis und das, obwohl Locarno und
Sion beide im Alpenraum und nur 110 km Luftlinie auseinander liegen.

Beispiel 13.5. Interpretation der Jährlichkeit / des Wiederkehrintervalles


Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Regen mit einer Jährlichkeit von z = 5 a
in 5 aufeinander folgenden Kalenderjahren nicht beobachtet wird?
Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/z = 0.2 a-1 kann ein solcher Regen innerhalb eines
Kalenderjahres beobachtet werden. Also wird er mit der Wahrscheinlichkeit von 1 -
13.3 Intensität von Starkregen 215

0.2 = 0.8 während einem Kalenderjahr nicht beobachtet. Die Wahrscheinlichkeit, dass
fünf Jahre in Serie ein solcher Regen nicht beobachtet wird, beträgt 0.85 = 0.33.
Die Wahrscheinlichkeit, dass während einer Periode von 5 Kalenderjahren genau 1
solcher Regen auftritt beträgt: W = 5 · 0.84 · 0.2 = 0.41.
Also treten mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 - 0.33 - 0.41 = 0.26 in einer solchen Peri-
ode mindestens 2 oder mehr solche Regen auf.

Beispiel 13.6. Berechnung der Regenintensität


Wie gross ist die mittlere Regenintensität, die in Bern alle 5 Jahre während 20 min zu
erwarten ist (s.a. Beispiel 13.3)?
Nach Tabelle 13.1 ist K(z = 5a) für Bern = 6484 l min ha-1 s-1 und B = 12 min.
Nach Gl. (13.3) wird: r(z=5a, T=20min) = 6484 / (20 + 12) = 203 l s-1 ha-1.

Beispiel 13.7. Interpretation der Ortskonstanten K(z)


Die Ortskonstante hat eine wenig anschauliche Einheit: l min ha-1 s-1.
Umgewandelt in anschauliche Grössen ergibt sich die Einheit zu:
1 l min ha-1 s-1 = 1 ˜ 10-3 m3 ˜ 60 s / (104 m2 ˜ 1 s) = 6.0 ˜ 10-6 m = 6.0 Pm
Die Ortskonstante für Bern, mit einer Jährlichkeit von z = 1a beträgt nach Tabelle 13.1:
K(z = 1a) = 4000 l min ha-1 s-1 = 24 mm.
Die Niederschlagshöhe HR während eines Regenabschnitts beträgt nach Gl. (13.3) und
Abb. 13.9: HR = r ˜ T = K ˜ T / (T + B).
Für lange Regen (T >> B) resultiert HR = K.
Für Bern ergibt sich, dass 1 mal pro Jahr ein Regen, der für die Siedlungsentwässerung
relevant ist, eine Niederschlagshöhe HR t K = 24 mm hat. Dabei muss beachtet werden,
dass für diese Aussage nur Regenabschnitte unter 60 min Dauer ausgewertet wurden.

Hörler und Rhein (1962) schlagen, basierend auf statistischen Auswertungen, die
folgenden empirischen Gleichungen vor, um die Regenintensität für beliebige
Häufigkeit und Dauer zu berechnen (zu interpolieren):
rz (T) G ˜ IT ˜ h z (13.4)
rz(T) = Mittlere Regenintensität während eines Regenabschnitts mit der Dauer
T, die im Durchschnitt alle z Jahre einmal erreicht oder überschritten
wird [l s-1 ha-1]
G = Grundzahl [l s-1 ha-1] = Mittlere Regenintensität während eines Regen-
abschnitts mit der Dauer von 15 min, die im Durchschnitt ein mal pro
Jahr erreicht oder überschritten wird (eine Ortskonstante)
IT = Zeitbeiwert, der nur von der massgebenden Dauer des Regenabschnitts
T [in Minuten] und einer Ortskonstanten B abhängig ist.
hz = Häufigkeitsfaktor, der von der Regendauer T unabhängig ist und die
Information auf verschiedene Jährlichkeiten z umrechnet [-].
Für die Grundzahl G wird die Dauer des Regenabschnitts auf 15 min festge-
legt, weil diese Regendauer in der Siedlungsentwässerung eine typische Grössen-
ordnung darstellt.
216 13 Siedlungshydrologie

Der Zeitbeiwert IT gibt an, wie die Regenintensität von der Regendauer ab-
hängt, wenn die Häufigkeit unverändert bleibt. Aus Gl. (13.3) ergibt sich die em-
pirische Gleichung für dessen Berechnung:
15  B
IT mit B, T in Minuten (13.5)
T+B
Es gilt r1(T) = K(z=1) / (T+B) = G ˜ IT mit IT > 1 für T < 15 min.
hz gibt an, um welchen Faktor sich die massgebende Regenintensität vergrös-
sert, wenn die Intensität eines Regens mit geringerer Häufigkeit (nur einmal alle z
Jahre) berechnet werden soll. Empirisch ergibt sich:
hz 1  C ˜ log10 (z) wobei C eine Ortskonstante ist (13.6)
Die Ortskonstanten B, C und G sind in Tabelle 13.1 für einige Messstationen
zusammengestellt. Für die praktische Anwendung wählen wir jeweils einen be-
stimmten Ort und eine Jährlichkeit z und fassen G, IT und hz zusammen zu:
K(z)
r(T, z) mit K(z) = G ˜ (15  B) ˜ h(z) (13.7)
TB
Aus Tabelle 13.1 werden die klimatischen Unterschiede in der Schweiz deut-
lich:
– In Locarno fallen die intensivsten Regen (grösster Wert von G) und der grösste
Jahresniederschlag H. Hier ergeben sich bei Südwind typische Staulagen, die
im Schweizer Mittelland als Föhn bekannt sind. Der hohe Wert von B deutet
an, dass diese intensiven Regen auch sehr lange anhalten. Der geringe Wert
von C zeigt, dass die Extremereignisse nicht sehr unterschiedlich sind (oder
dass Starkregen sehr häufig sind). Das Einzelereignis ist sehr ergiebig. Pro Jahr
ergibt im Mittel ein Ereignis mindestens eine Regenhöhe von K(z=1) =
7068 l min ha-1 s-1 = 43 mm (s. Beispiel 13.7).
– In Sion fallen die schwächsten Regen, mit der geringsten Jahressumme. Das
Wallis ist ein grosses und breites Tal, das quer zu den Südwinden liegt. Warm-
fronten treffen hier selten auf Kaltfronten. Das Einzelereignis ist wenig ergie-
big: K(z=1) = 6.5 mm.
– Das ganze Schweizer Mittelland wird recht einheitlich beregnet (Bern, Zürich).

Beispiel 13.8. Berechnung einer Regenintensität


Wie gross ist die mittlere Regenintensität, die in Bern alle 5 Jahre während 20 min zu
erwarten ist oder überschritten wird (s.a. Beispiel 13.3 und Beispiel 13.6)?
Nach Tabelle 13.1 gilt für Bern: B = 12 min., C = 0.95, G = 148 l s-1 ha-1.
Für z = 5 Jahre ergibt sich hz = 1 + 0.95 log10(5) = 1.66
Für T = 20 min ergibt sichI(T) = (15 + 12) / (20 + 12) = 0.84
und daraus
r5(T=20min) = 148 · 0.84 · 1.66 = 208 l s-1 ha-1.
Dieser Wert ist etwas grösser, als die früher berechneten Werte, weil die Ortskonstan-
ten K(z) in Tabelle 13.1 direkt aus den Daten bestimmt wurden und die Werte von G, B
und C Resultate einer statistischen Ausgleichsrechnung sind.
13.4 Abflussbeiwert von Siedlungsgebieten 217

Beispiel 13.9: Regenspendenlinien nach Reinhold (1940)


Reinhold hat 1940 eine sehr einfache Auswertung der Regenspenden für Deutschland
gemacht, die über Jahrzehnte Grundlage für die Dimensionierung von Kanälen nach der
Fliesszeitmethode war. Heute werden als Ersatz die aktuellen und viel differenzierteren
Auswertungen des deutschen Wetterdienstes (DWD, 1997) verwendet, die flächende-
ckend für das ganze Bundesgebiet verfügbar sind.
Reinhold hat für viele Messstationen die folgende Beziehung hergeleitet:
38 § 1 ·
rT(n) ˜  0.369 ¸ ˜ r15(1) 0.5 min < T < 150 min
T  9 ¨© 4 n ¹
T = Regenabschnittdauer in Min, n = Frequenz des Regens (a-1, n = 1/z), r15(1) = mittlere
Intensität, die einmal pro Jahr während 15 Min. überschritten wird (G nach Hörler und
Rhein).
Die Gleichung von Reinhold kommt mit nur einem ortspezifischen Parameter aus (r15(1))
und ist entsprechend wenig spezifisch. Tabelle 13.2 stellt diesen Parameter für einige
Europäische Städte zusammen.
Anwendungsbeispiel: Welche mittlere Regenintensität wird in Dresden während 20 Min.
alle 5 Jahre einmal überschritten?
r15(1) = 102 l s-1 ha-1, n = 0.2 a-1 und daraus r20(5) = 151 l s-1 ha-1.

Tabelle 13.2: Angaben zur Berechnung der Regenintensität nach Reinhold (1940), s.a.
Beispiel 13.9
Ort r15(1), l s-1 ha-1 Ort r15(1), l s-1 ha-1 Ort r15(1), l s-1 ha-1
Berlin ..94 München 117 Innsbruck 88
Dresden 102 Stuttgart 133 Prag 100
Hamburg 87 Wien 122 Warschau 84

13.4 Abflussbeiwert von Siedlungsgebieten


Der Abflussbeiwert \ charakterisiert ein Siedlungsgebiet. Je nach Aufgabe müs-
sen wir zwischen aktuellen, heute beobachteten Werten und zukünftigen, zonen-
spezifischen Planungswerten bei Vollüberbauung des Gebiets unterscheiden.
Für die Berechnung des Regenwasseranfalles aus Siedlungsgebieten werden meist
zonenspezifische Abflussbeiwerte \ bestimmt, die dann den Berechnungen zu
Grunde gelegt werden. Von besonderer Bedeutung sind:
– Die Art der Bauzone: Wohn-, Industrie-, Kernzone, Ausnützungsziffer etc.
– Die Art der Parkplätze: Unterirdisch, oberirdisch, Garagen etc.
– Die Art der Dächer: Steildächer, Flachdächer.
– Das Gefälle des Einzugsgebiets.
– Versickerungsmöglichkeiten und die Realisierung der Versickerung.
Die Abflussbeiwerte von grösseren Einzugsgebieten können als gewichtetes
Mittel der Abflussbeiwerte von definierten Teilflächen berechnet werden:
\ ¦J
i
i ˜ Di (13.8)
218 13 Siedlungshydrologie

\ = Abflussbeiwert eines strukturierten Siedlungsgebiets [-]


Ji = Anteil der Teilflächen an der gesamten Gebietsfläche [-]
Di = Abflussbeiwert der einzelnen Teilflächen i nach Tabelle 13.3 [-]

Tabelle 13.3. Abflussbeiwerte D von unterschiedlich befestigten und unbefestigten Teilflächen


in Siedlungsgebieten (AGW 1982)
Befestigte Teilflächen D Unbefestigte Teilflächen D
Eternit, Blech, Glas 0.95 Gärten, Wiesen 0
Ziegel 0.90 Parkanlagen 0
Asphalt, Beton 0.80 Wald 0
Pflasterung 0.50 Steilwiesen:
Kiesklebedach 0.25 – Boden normal durchlässig 0
Schotterdecke 0.25 – gehemmt durchlässig 0.3 – 0.5
Rasengittersteine 0.15 Rebberge 0.3 – 0.5
a)
Flächen mit Versickerung 0
a)
Die Versickerung muss langfristig gewährleistet sein, damit diese im Rahmen der
Dimensionierung einer Kanalisation berücksichtigt werden kann.

Tabelle 13.4. Typische Abflussbeiwerte \ für unterschiedliche Siedlungsflächen. Tiefe Werte


gelten für Quartiere mit Versickerung, mittlere bei Flachdächern, hohe Werte bei Steildächern
Art der Überbauung und Dichte Versickerung Flachdächer Steildächer
Einfamilienhäuser, freistehend, locker 0.15 0.20 0.30
Einfamilienhäuser, freistehend, dicht und
Doppel-, Reihen-, Mehrfamilienhäuser 0.20 0.25 0.40
Wohn- und Gewerbezone 0.35 0.45 0.70
Dorfkern, ländlich 0.50
Stadtkern, Altstadt, Citygebiet 0.75
Industrie, neu 0.60
Industrie, alt 0.75

Für überschlägige Berechnungen kann näherungsweise mit einem mittleren Ab-


flussbeiwert der versiegelten Flächen von D = 0.85 gerechnet werden, wobei der
Anteil der versiegelten Flächen um die Flächen verringert werden soll, von denen
versickert wird:
\ 0.85 ˜ ( J versiegelt  J Versickerung ) (13.9)
In Tabelle 13.4 sind typische Abflussbeiwerte für unterschiedliche Siedlungs-
flächen zusammengestellt. Die Werte wurden in detaillierten Erhebungen in voll-
überbauten Gebieten bestimmt und z.T. mit Abflussmessungen verifiziert.

Beispiel 13.10. Berechnung des Abflussbeiwerts


Wie gross wird der Abflussbeiwert \ für ein Wohngebiet mit den folgenden Teilflächen-
anteilen Ji:
13.5 Maximaler Regenabfluss 219

Ji Di (Tabelle 13.3)
Strassen, Asphalt 0.19 0.80
Ziegeldächer 0.22 0.90
Parkplätze, Zufahrten 0.08 0.80
Total: Jversiegelt 0.49
Der Abflussbeiwert ergibt sich zu: \ = 0.19 · 0.80 + 0.22 · 0.90 + 0.08 · 0.80 = 0.41
Durch Versickerung des Dachwassers und Gestaltung der Parkplätze mit Rasengitter-
steinen könnte dieser Wert auf ca. die Hälfte verringert werden.
Die Werte sind typisch für ein Quartier, das dicht mit alten Reiheneinfamilienhäusern
überbaut ist (Tabelle 13.4).

Beispiel 13.11. Abschätzung des Abflussbeiwerts


Welcher Abflussbeiwert ergibt sich mit Hilfe der Näherung in Gl. (13.9) für das Gebiet,
das im Beispiel 13.10 beschrieben ist?
\ = 0.85 · Jversiegelt = 0.85 · 0.49 = 0.42
Eine grössere Abweichung ergibt sich, wenn der Anteil von Flachdächern (Kiesklebedä-
chern) gross ist.

13.5 Maximaler Regenabfluss


Den erwarteten maximalen Abfluss bei Regenwetter können wir nur statistisch
vorhersagen: Wie häufig wird eine bestimmte Abflussmenge erreicht oder über-
schritten? Dabei müssen wir unterscheiden, ob wir (i) eine aktuelle Situation oder
(ii) die zukünftige, nach vollständiger Überbauung der Einzugsgebiete erwartete
Belastung der Anlagen der Siedlungsentwässerung analysieren. Insbesondere für
die zweite Aufgabe kommen häufig sehr einfache Modelle zur Anwendung.
Je nach Entwässerungsverfahren (Kapitel 14) wird das Regenwasser allein
(Trennsystem) oder zusammen mit dem stetig fliessenden Abwasser (Trocken-
wetteranfall) als Mischwasser abgeleitet (Mischsystem). Das Regenwasser bildet
den dominanten Teil der Dimensionierungswassermenge. Oberhalb von Entlas-
tungsbauwerken (s. Abb. 12.1) kann die Regenwassermenge mit Gl. (13.1), abge-
schätzt werden:
QR r ˜\ ˜ F (13.10)
-1
QR = Regenabfluss an einer bestimmten Stelle im Kanalnetz [l s ]
r = Regenintensität [l s-1 ha-1]
\ = Abflussbeiwert [-]
F = Fläche des Einzugsgebietes, das zum Regenabfluss beiträgt [ha].
In der Folge werden die Grundlagen zur Anwendung von Gl. (13.10) disku-
tiert.
220 13 Siedlungshydrologie

Tabelle 13.5. Jährlichkeiten z (Jahre) von Regenintensitäten, die der Dimensionierung von Ka-
nalisationen zu Grunde gelegt werden
Jährlichkeit z des massgebenden Ereignis-
Art des Einzugsgebiets ses in Jahren
Schweiz Deutschland
Kernzonen und Industriegebiete, die im Misch-
system entwässert sind, wenn in den Kellern 10 – 20 5 – 10
wertvolle Güter lagern
Städte allgemein 10 5
Dörfer mit lockerer Überbauung 5 2–3
Strassenentwässerung innerorts 10
(nach SNV 640 350) ausserorts 5 – 10
Entwässerung von Unterführungen > 10 > 10

13.5.1 Jährlichkeit des Regenereignisses


Es ist nicht wirtschaftlich, Kanalisationen zu bauen, die nie überlastet werden.
Wir müssen uns für eine Wahrscheinlichkeit der Überlastung entscheiden. Diese
steht in Beziehung zur Häufigkeit des betrachteten Regenereignisses.
Real interessiert uns die Häufigkeit eines Schadens (Überschwemmung etc.) und
nicht die Häufigkeit eines Regenereignisses. Die meisten einfachen Dimensionie-
rungsverfahren basieren aber auf der Annahme, dass diese beiden Häufigkeiten
identisch sind.
In der Schweiz basiert die Dimensionierung von Kanalnetzen typischerweise
auf weniger häufigen Regenereignissen (grösseren Jährlichkeiten) als z.B. in
Deutschland (Tabelle 13.5). Das wird nur teilweise durch das grössere Sicher-
heitsbedürfnis der Schweizer bestimmt: Je steiler die Kanalisationen sind, desto
geringer werden die im System enthaltenen Reserven. Da die Energieverluste
quadratisch mit der Fliessgeschwindigkeit zunehmen, steigen diese in schnellflies-
senden, steilen Kanälen schneller an als in langsamfliessenden, flachen Strecken
(s. dazu Beispiel 16.14, Seite 283).
Die Wahl der Jährlichkeit z, die der Dimensionierung zu Grunde gelegt wer-
den soll, ist das Resultat einer Nutzen / Kosten-Abschätzung. Dabei muss aller-
dings beachtet werden, dass die Schäden häufig Private treffen und örtlich gehäuft
auftreten (Engpässe im Kanalnetz ergeben sich immer an den gleichen Stellen),
während der Nutzen (günstigere Kanäle) bei der Allgemeinheit anfällt. Wir müs-
sen politisch aushandeln, wie wir Schäden bewerten. Die effektive Wahl der Jähr-
lichkeit der Überlastung der Kanalisationen orientiert sich an den Werten in
Tabelle 13.5, sie ist damit aber nicht absolut festgelegt.
Effektiv gebaute Kanalisationen führen meistens mit sehr viel geringerer Häu-
figkeit zu Überschwemmungen, als das die Jährlichkeiten in Tabelle 13.5 andeu-
ten. Kanalisationen werden für einen zukünftigen Zustand bei Vollüberbauung der
Siedlungsflächen gebaut und beinhalten somit eine Leistungsreserve. Zudem wer-
den sie ohne Überstau, mit freiem Abfluss dimensioniert, in der Realität überlau-
fen sie aber erst, wenn die Energielinie das Terrain erreicht.
13.5 Maximaler Regenabfluss 221

13.5.2 Reduzierte Fläche


Die reduzierte Fläche ist eine fiktive Hilfsgrösse, die erlaubt, unterschiedlich
strukturierte Teileinzugsgebiete zu einer gemeinsame, abflusswirksamen Grösse
zusammenzufassen.
In einen bestimmten Strang der Kanalisation können Teile des Einzugsgebiets
entwässern, die unterschiedliche Abflussbeiwerte \ haben. Damit die Beiträge
dieser Teileinzugsgebiete an den Regenwasserabfluss QR aufaddiert werden kön-
nen, ist es üblich, das Produkt Fi · \i als reduzierte Fläche Fred zu bezeichnen:
Fred F˜\ (13.11)
Die reduzierte Fläche wird mit der Einheit hared angegeben und entspricht un-
gefähr dem versiegelten Anteil des Einzugsgebietes.
Die Flächen der Teileinzugsgebiete können nun entlang eines Kanals, gewich-
tet mit dem Abflussbeiwert \ über die reduzierten Flächen aufaddiert werden,
auch wenn die Abflussbeiwerte unterschiedlich sind. Die totale, reduzierte Fläche
entspricht ungefähr der undurchlässigen, versiegelten Fläche einer Siedlung.
Damit kann Gl. (13.10) für eine bestimmte Kanalhaltung geschrieben werden
als:
QR r ˜ ¦ Fred,i r ˜ ¦ Fi ˜ \ i (13.12)
i i

13.5.3 Massgebende Regenintensität


Während kurzen Regenabschnitten sind die Regenintensitäten besonders gross,
jedoch konzentriert sich der Abfluss eines kurzen Regens in einem grossen Ein-
zugsgebiet nicht gleichzeitig zum Gebietsausfluss. Es gilt die Regendauer, die Re-
genintensität und die zugehörige abflusswirksame Fläche miteinander in Bezie-
hung zu setzen, sodass der maximale Regenwasserabfluss berechnet werden kann.
Für extreme Regenereignisse gilt: Je kürzer der betrachtete Regenabschnitt ist,
desto grösser wird seine mittlere Intensität. Als Folge von kurzen Regen tragen
aber nicht alle Teile eines Einzugsgebiets zum Abfluss an einer bestimmten Stelle
gleichzeitig bei: Der Abfluss aus den Anteilen des Einzugsgebietes, von denen die
Fliesszeit länger ist als die Dauer des Regens, wurde allenfalls während eines we-
niger intensiven Vorregens gebildet. Welche Kombination von Regendauer und
Einzugsgebietsfläche an einem bestimmten Punkt im Kanalnetz gerade den gröss-
ten Abfluss von Regenwasser ergibt, ist nicht von vornherein ersichtlich.
In der Regel resultiert der grösste Regenwetterabfluss, wenn das ganze Ein-
zugsgebiet für die Abschätzung der massgebenden Regenintensität berücksichtigt
wird. Die massgebende Regendauer setzt sich aus zwei Teilen zusammen (s.a.
Abschn. 13.1):
– Die Zeit, die erforderlich ist für die Abflussbildung und die Abflusskonzentrati-
on, die sogen. Anlaufzeit tan. Diese liegt im Bereich von 3–15 min. In der
Schweiz wird bei gutem Gefälle im Einzugsgebiet häufig tan = 5 min gewählt.
Bei offener Überbauung und geringem Gefälle der Hausanschlüsse liegt der ef-
222 13 Siedlungshydrologie

fektive Wert höher (das resultiert in kleineren massgebenden Regenintensitä-


ten und Kanaldimensionen).
– Die Fliesszeit, die erforderlich ist, bis das Wasser aus den Endsträngen der
Kanalisation bis zum betrachteten Gebietsausfluss geflossen ist, der Fliesszeit
in der Kanalisation tF. Diese Zeit kann berechnet werden, wenn die Geometrie
der oben liegenden Kanäle bekannt ist. Sie wird z.B. auf Grund der Fliessge-
schwindigkeiten bei Vollfüllung der Kanalrohre abgeschätzt.
Die massgebende Dauer des Regenabschnitts t0, die der hydraulischen Dimen-
sionierung einer Kanalhaltung zu Grunde gelegt werden soll, kann nun berechnet
werden als:
t0 t an  t F (13.13)
Mit Hilfe der ortsspezifischen Angaben (Tabelle 13.1) und der berechneten
Dauer T = t0, sowie einer gewählten Jährlichkeit z (Tabelle 13.5) ergibt sich nun
die massgebende Regenintensität nach Gl. (13.4).
Ausnahmsweise, wenn die Teileinzugsgebiete (reduzierte Flächen) einer Ka-
nalhaltung nicht gleichmässig entlang der oben liegenden Kanäle verteilt sind,
oder wenn grosse Gefällsbrüche zu sehr unterschiedlichen Fliessgeschwindig-
keiten in der Kanalisation führen, resultiert aus einem Teil des Einzugsgebiets die
grössere Regenwassermenge, als wenn das ganze Einzugsgebiet berücksichtigt
wird. Diese Situation ist auf Grund der normalerweise verfügbaren Planunterlagen
ersichtlich und kann entsprechend behandelt werden.

Beispiel 13.12. Maximaler Regenwasseranfall


Wie gross ist der maximale Abfluss von Regenwasser QR, der in Zürich einmal in 5 Jah-
ren in der Entwässerung eines Grundstückes von 100 m Breite und 300 m Länge (F = 3
ha) erwartet werden muss? Der Abflussbeiwert beträgt \ = 0.5.
Annahmen: Anlaufzeit tan = 5 min
Länge der Kanalisation L = 250 m
Fliessgeschwindigkeit in der Kanalisation v = 1 m s-1
Fliesszeit in der Kanalisation tF = L / v | 4 min
Die massgebende Dauer des Regens wird: t0 = tan + tF = 5 + 4 = 9 min.
Aus Tabelle 13.1: Für Zürich gilt K(z=5a) = 4569 l min ha-1 s-1, B = 8 min.
Nach Gl. (13.3) wird r = 4569 / (9 + 8) = 269 l s-1 ha-1.
Der maximale Regenabfluss wird nun nach Gl. (13.10):
QR = r ˜ \ ˜ F = 269 l s-1 ha-1 ˜ 0.5 ˜ 3 ha = 404 l s-1.

13.5.4 Fliesszeitverfahren
Das Fliesszeitverfahren ist eine einfache und überschaubare Methode für die Di-
mensionierung von Kanalisationen ohne Rückstau. Es berücksichtigt, dass entlang
der Kanalisation die reduzierte Fläche und die Fliesszeit laufend zunehmen. Da-
durch wird die Dauer der berücksichtigten Regenabschnitte immer länger und die
massgebende Regenintensität geringer.
Es gibt unterschiedliche Berechnungsverfahren für die hydraulische Dimensionie-
rung von Kanalisationssträngen in Kanalnetzen. Ist in den Kanälen bei Normalbe-
13.5 Maximaler Regenabfluss 223

trieb kein Rückstau zu erwarten, eignet sich die Listenrechnung nach Imhoff
(1999) (auch das Fliesszeitverfahren, die Fliesszeitmethode). Dieses Verfahren ist
einfach, durchschaubar und meist genau genug, um neue Kanalisationen (End-
stränge) zu dimensionieren. Es ist wenig geeignet, um bestehende Kanalnetze
nachzurechnen und Engpässe zu identifizieren. Kanalisationen mit Rückstau kön-
nen nach dieser Methode nicht dimensioniert werden.
Die Grundlage des Fliesszeitverfahrens bildet die Annahme, dass in einer be-
stimmten Kanalhaltung die grösste Regenwassermenge QR dann erreicht wird,
wenn alle Teileinzugsgebiete zum Abfluss beitragen. Die Dauer des massgeben-
den Regenabschnitts T = t0 entspricht daher der Summe aus Anlaufzeit tan und
maximaler Fliesszeit in der Kanalisation tF nach Gl. (13.13). Ausnahmen zu dieser
Annahme sind in Abschn. 13.5.3 erwähnt. Die Fliesszeit kann aus der Länge der
Kanalisation L und der Fliessgeschwindigkeit v bei maximalem Abfluss aus
tF = L / v berechnet werden. Aus Gl. (13.3) ergibt sich die massgebende Regenin-
tensität rz(T). Mit Gl. (13.10) kann nun der grösste Regenabfluss QR berechnet
werden, der für die Dimensionierung der Kanalisation berücksichtigt werden soll.
In Mischsystemen muss noch der Trockenwetteranfall dazu addiert werden.
Damit diese umfangreichen Berechnungen überschaubar bleiben, werden die
Grundlagen und Resultate in Listen (oder Tabellen) eingetragen. Die Literatur ist
voll von geeigneten Darstellungen solcher Listen, und jedes Ingenieurbüro hat
seine eigenen Präferenzen. Hier wird ein sehr einfaches Beispiel einer solchen
Liste in Tabelle 13.6 dargestellt. Diese Tabelle ist für die praktische Anwendung
zu einfach, sie genügt aber, um das Prinzip zu erklären. In den folgenden Ab-
schnitten wird die Berechnung der massgebenden Regenwassermengen für die
Stellen (Haltungen) 1–7 in Abb. 13.11 beschrieben.

Vorarbeiten:
Nur mit einer sorgfältigen Vorbereitung der Berechnungen kann der Überblick
gewahrt bleiben. In der Praxis hat Tabelle 13.6 bis zu 30 Zeilen und oft 100 und
mehr Kolonnen.
– Abgrenzen des Einzugsgebietes, für das die Kanalisation dimensioniert werden
soll: Hier die Darstellung in Abb. 13.11 mit 5 Teileinzugsgebieten und einer
Entlastung unterhalb von Punkt 4.
– Abgrenzen der Bauzonen, Festlegen der Bebauungsdichten, der typischen Ab-
flussbeiwerte und des typischen Abwasseranfalles. Hier wird kein Trockenwet-
teranfall berücksichtigt, in einem Mischwasserkanal müsste dieser noch hinzu
addiert werden. Die 5 Teileinzugsgebiete sind hier einfach mit Hilfe des Ab-
flussbeiwerts in Zeile 8 von Tabelle 13.6 charakterisiert. (Ev. müssten hier
noch Bevölkerungsdichten, Industrieabwasser etc. mitgeführt werden.)
– Generelle Festlegung des Kanalisationssystems in den Strassenzügen, Aus-
scheidung der Gebiete mit Entwässerung im Misch- oder Trennsystem und un-
terhalb von Entlastungsbauwerken. Hier wird nur der Meteorwasseranfall be-
trachtet. Die Hauptsammelkanäle sind in Abb. 13.11 eingetragen.
– Abgrenzen der Teileinzugsgebiete der Berechnungspunkte, bestimmen der
Flächenanteile der einzelnen Bauzonen an den Teileinzugsgebieten. Die Flä-
chen der 5 Teileinzugsgebiete sind in Zeile 7 von Tabelle 13.6 eingetragen.
224 13 Siedlungshydrologie

Berechnungspunkte 1 - 7 Anlaufzeit tan = 5 Min

1 2 4 5 6

Entlastung
Regen von Bern
Jährlichkeit z = 5 a
Ortkonstante K(5a) = 6484 l min ha-1 s-1 7
B = 12 min
Abb. 13.11. Ein einfaches Einzugsgebiet, für das die maximal abzuleitende Regenwassermenge
berechnet werden soll. Die geometrischen Angaben zu den einzelnen Teileinzugsgebieten sind
direkt in Tabelle 13.6 eingetragen

– Erste Annahme der Kanalgeometrie und des Kanalgefälles (ca. Kanalgefäl-


le = Strassengefälle) und abschätzen der Fliessgeschwindigkeiten bei Vollfül-
lung der Kanäle. Hier wurde generell die Fliessgeschwindigkeit in den Kanä-
len auf 1 m/s geschätzt (Zeile 3 in Tabelle 13.6).

Gang der Berechnung:


Alle Angaben beziehen sich auf Tabelle 13.6 und Abb. 13.11. Die hier angeführ-
ten Berechnungen beruhen auf sehr grossen Teileinzugsgebieten. In der Praxis
werden die Teileinzugsgebiete kleiner, es soll von Schacht zu Schacht gerechnet
werden.
– Mit Hilfe der Länge und der Fliessgeschwindigkeit in der Kanalisation kann
die Fliesszeit in der betrachteten Haltung berechnet werden (Zeile 4). Die Hal-
tungen 4 und 5 haben keine Fliesszeit, weil sich die Berechnung nur auf die Si-
tuation vor und nach dem Entlastungsbauwerk beziehen. Die Fliesszeit ist vor-
erst eine Schätzung, die nach abgeschlossener Berechnung und
Dimensionierung der Haltungen mit den definitiv gewählten hydraulischen
Bedingungen überprüft werden muss.
– Nun kann die massgebende Regendauer, unter Berücksichtigung einer Anlauf-
zeit von tan = 5 min, berechnet werden. Für die Haltung 2 muss die Fliesszeit
aus Haltung 1 hinzu addiert werden. Für die Haltung 3 wird von oben neu be-
gonnen. Für die Haltung 4 ist die grössere der beiden Zeiten aus Haltung 2 und
3 massgebend, nur so kann das ganze Einzugsgebiet zum Abfluss beitragen.
Die Entlastung entkoppelt den oberen und den unteren Teil des Einzugsgebie-
tes. Hier wird alles Wasser entlastet, das mit einer Regenintensität von mehr
als rkrit = 30 l s-1 ha-1 anfällt. Das ist weit geringer als die massgebenden Inten-
sitäten für die oben liegenden Kanäle. Damit beginnt die Berechnung der
13.5 Maximaler Regenabfluss 225

Tabelle 13.6. Eine sehr einfache Tabelle für die Berechnung des massgebenden Regenwasseran-
falles in einem Kanalsystem nach dem Fliesszeitverfahren. Die Zahlenangaben beziehen sich auf
Abb. 13.11, kursive Zahlen sind berechnet. Der Berechnungsgang ist im Text erläutert
1 Bezeichnung der Kanalhaltung Nr 1 2 3 4 5 6 7
2 Länge der Kanalhaltung m 120 120 60 - - 120 180
3 Fliessgeschwindigkeit bei Vollfüllung m/s 1 1 1 1 1
4 Fliesszeit in der Haltung min 2 2 1 2 3
5 Anlauf- plus Fliesszeit in der Kanalisation, t0 min 7 9 6 9 - 7 10
6 Massgebende Regenintensität rz(t0) l/s ha 341 309 360 309 30 341 295
7 Fläche des Teileinzugsgebiets der Haltung ha 2 2 1 2 3
8 Abflussbeiwert für Teileinzugsgebiet - 0.4 0.6 0.4 0.6 0.7
9 Reduzierte Fläche für Teileinzugsgebiet hared 0.8 1.2 0.4 1.2 2.1
10 Reduzierte Fläche, ganzes Einzugsgebiet hared 0.8 2.0 0.4 2.4 2.4 1.2 3.3
11 Regenwassermenge QR m3/s 0.273 0.618 0.144 0.742 - 0.409 0.974
12 Konstanter Zufluss m3/s - - - - 0.072 0.072 0.072
13 Totaler Abfluss m3/s 0.273 0.618 0.144 0.742 0.072 0.481 1.046

massgebenden Zeit für Haltung 6 wieder neu. Für Haltung 7 muss gleich wie
für Haltung 2 das oben liegende Teileinzugsgebiet 6 berücksichtigt werden.
– Mit der massgebenden Zeit, den Angaben zu den Regen in Abb. 13.11 und
Gl. (13.3) kann nun die massgebende Regenintensität berechnet werden. Hier
wird eine Jährlichkeit von z = 5 a berücksichtigt.
– Aus der Fläche (Zeile 7) und dem zugehörigen Abflussbeiwert (Zeile 8) kann
die reduzierte Fläche der Teileinzugsgebiete mit Gl. (13.11) berechnet werden.
Für die Haltungen 4 und 5 ergibt sich keine reduzierte Fläche.
– Nun wird die reduzierte Fläche, die an eine spezifische Haltung angeschlossen
ist, aufsummiert (Zeile 10). Wiederum entkoppelt die Entlastung den oberen
Teil des Einzugsgebiets vom unteren Teil, d.h. die Aufsummierung beginnt ab
Haltung 6 von neuem.
– Die Regenwassermenge QR (Zeile 11) ergibt sich nun aus dem Produkt der
Regenintensität (Zeile 6) und der angeschlossenen reduzierten Fläche (Zeile
10). Die massgebende Regenwassermenge in Haltung 4 (0.742 m3s-1) ent-
spricht nicht der Summe der Regenwassermengen der Haltungen 2 und 3
(0.618 + 0.144 = 0.762 m3s-1), weil Haltung 3 für sehr kurze intensive Regen
dimensioniert werden muss, während Haltung 2 bereits längere Fliesszeiten
berücksichtigt.
– In Haltung 5 (unterhalb der Entlastung) wird dem untenliegenden Kanal eine
konstante Wassermenge übergeben (hier 0.072 m3s-1, Zeile 12), die zusätzlich
zu den Regenwassermengen in den untenliegenden Kanälen abgeführt werden
muss. Diese Wassermenge kann z.B. von einem wenig intensiven Vorregen
stammen.
– In Zeile 13 ergibt sich nun der Abfluss aus der Summe der konstanten Zuflüsse
und des zunehmenden Regenabflusses.
– Mit den Resultaten in Zeile 13 (ev. ergänzt durch den erwarteten Trocken-
wetterabfluss) kann nun der Kanal hydraulisch dimensioniert werden (Durch-
226 13 Siedlungshydrologie

messer, Gefälle). Damit ist die Basis gelegt, um die Fliessgeschwindigkeit zu


berechnen. Es gilt nun, die effektiven Fliesszeiten zu berechnen und die An-
nahmen in Zeile 4 zu überprüfen und ev. iterativ zu verbessern.
Das Resultat dieser Berechnungen ist ein Kanalnetz, das grundsätzlich das an-
fallende Abwasser ableiten kann. Details, wie die genaue Höhenlage, Gefälle etc.
müssen aber noch einmal überprüft werden. Zudem müssen wir noch überprüfen,
ob die Grundannahmen dieser Listenrechnung für alle Berechnungspunkte gültig
sind oder ob Teileinzugsgebiete auf Grund ihrer hydrologischen Eigenschaften zu
grösseren Regenwassermengen führen.

Zusammenfassung
Die in Abschn. 13.1, Seite 205, eingeführten vier Teilprozesse der Abflussbildung
erkennen wir im Fliesszeitverfahren wie folgt:
– Der Niederschlag wird mit einer konstanten, durchschnittlichen Regeninten-
sität abgebildet und berücksichtigt weder zeitliche noch räumliche Unterschie-
de. Es werden Regenabschnitte betrachtet.
– Die Abflussbildung wird mit dem Abflussbeiwert \ erfasst.
– Die Abflusskonzentration wird durch die Anlaufzeit tan beschrieben.
– Der Abwassertransport wird durch die hydraulische Berechnung der Kanalisa-
tion erfasst und geht mit der Fliesszeit in der Kanalisation tF in die Berechnung
ein.
Insgesamt ist der Rechengang durchschaubar und in sich logisch. In den USA
ist diese Art der Berechnung als „Rational Method“ bekannt.
14 Entwässerungsverfahren

Siedlungen werden auf unterschiedliche Arten entwässert: Im Mischsystem wird


das Regenwasser zusammen mit dem stetig fliessenden Abwasser (Trockenwetter-
anfall) abgeleitet. Im Trennsystem bestehen zwei Kanalnetze: Das eine leitet Re-
genwasser der Vorflut zu (Grundwasser, Fliessgewässer, See), das andere leitet
verschmutztes Abwasser der Abwasserreinigungsanlage zu. Heute werden zudem
vermehrt dezentrale Versickerungsanlagen realisiert, in denen unverschmutztes
Abwasser am Ort des Anfalles in den Untergrund geleitet wird.

14.1 Historische Entwicklung


Bestehende Entwässerungssysteme in Siedlungen sind das Resultat von vielen
Einzelentscheiden, die im Verlaufe von Jahrhunderten gefällt wurden und nur sel-
ten von allem Anfang an auf der Basis eines Gesamtkonzepts erarbeitet werden
konnten, z.B. wurden Bäche eingedolt und kanalisiert, um Verkehrsflächen zu
gewinnen, um die Spülkraft zu erhöhen und um hygienische Probleme zu lösen.
Aus eingedolten Bächen haben sich Sammelkanäle entwickelt, die heute neben
Abwasser auch unerwünschtes Bachwasser (Fremdwasser) ableiten.
Die historisch gewachsenen Entwässerungssysteme verstehen wir nur, wenn
wir auch die natürlichen Entwässerungssysteme, so wie sie in alten Karten darge-
stellt sind, verstehen.

14.2 Grundlagen
In Europa hat sich die Schwemmkanalisation als Transportsystem vorerst für Fä-
kalien, dann aber auch für andere unerwünschte Stoffe in Siedlungen soweit
durchgesetzt, dass wir uns fast kein anderes Entsorgungskonzept mehr vorstellen
können. In Japan wird noch heute ein grosser Teil der Fäkalien in Behältern als
sogen. „night soil“ gesammelt und zentral, z.B. in Kompostierungsanlagen ent-
sorgt. Ein ähnliches „Kübelsystem“ kannte auch die Stadt Zürich, wo die
Schwemmkanalisation erst nach 1923 konsequent eingeführt wurde. In den dünn-
besiedelten Regionen der USA und vielen ärmeren Ländern wird häufig die ganze
Abwasserbehandlung und -versickerung direkt auf dem Grundstück angeordnet,
sodass sich der Bau von öffentlichen Kanalnetzen erübrigt. Möglich, dass wir
auch in Europa die aufwändige und komfortable Lösung der zentralen Schwemm-
kanalisation nicht für immer aufrechterhalten können. Vereinzelt werden bereits
Alternativen entwickelt; ein neues, ressourcenschonendes, wirtschaftliches und
vergleichbar komfortables Verfahren ist aber noch nicht erkennbar.
228 14 Entwässerungsverfahren

Abwasser können wir sowohl in Druckleitungen (bei voller Füllung) als auch
in Freispiegelleitungen (bei Teilfüllung) abführen. Der Abfluss mit freiem Spiegel
hat eine Reihe von Vorteilen:
– Das Abwasser wird mit Sauerstoff versorgt, es bleibt „frisch“ und Geruchs-
probleme werden verringert.
– Als Folge von variabler Wassermenge verändern sich die Fliessgeschwindig-
keiten weniger, das verringert die Sedimentation.
– Das Abwasser kann ohne Pumpen aus den Liegenschaften in den Kanal einge-
leitet werden.
– Die Kanäle sind auch im Betrieb für den Unterhalt zugänglich. (Während
Wasserversorgungsleitungen abgestellt werden können, ist das bei Abwasser-
leitungen nur bedingt möglich.)
Wenn genügend Gefälle verfügbar ist, werden Druckleitungen für Abwasser
nur selten ausgeführt. Gelegentlich werden Sonderformen von Entwässerungs-
systemen mit geringen Leitungsdurchmessern eingesetzt. Dabei wird das Abwas-
ser meist vorbehandelt und anschliessend mit Druckluft oder Vakuum durch die
Leitungen gefördert.
Aus Siedlungen müssen Abwässer mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften
abgeleitet werden:
– Unbelastetes Fremdwasser, das gleichmässig über den ganzen Tag anfällt.
Dieses Wasser sollte möglichst nicht in die Schmutzwasserkanalisation gelan-
gen und die Kläranlagen belasten.
– Belastetes Abwasser aus Haushaltungen, Industrie und Gewerbe, das entspre-
chend den menschlichen Aktivitäten einem starken, aber regelmässigen und
voraussehbaren Tagesgang unterworfen ist. Dieses Abwasser muss einer Klär-
anlage zugeführt werden. Es ist hygienisch bedenklich und mit hohen Kon-
zentrationen von Schmutzstoffen belastet.
– Regenwasser, das je nach den Verhältnissen im Einzugsgebiet und in der Ka-
nalisation (Sedimente, Ablagerungen) mehr oder weniger mit Schmutzstoffen
belastet ist. Dieses Wasser muss in der Regel nur einer einfachen Reinigung
zugeführt werden, bevor es in die Gewässer eingeleitet werden darf. Bei Regen
ist der Abwasseranfall, der abgeleitet werden muss, bis 100 Mal grösser als bei
Trockenwetter.
– Schneeschmelzwasser, das über lange Zeit mit geringen Temperaturen anfällt
und Schmutzstoffe und Tausalze von den Strassen mitführt.
Um den verschiedenen Qualitäten von Abwasser und den lokalen Anforderun-
gen und geschichtlichen Gegebenheiten gerecht zu werden, wurden verschiedene
Entwässerungsverfahren entwickelt. Hier werden nur das Mischsystem und das
Trennsystem diskutiert.

14.3 Mischsystem
Das Mischsystem ist das historisch gewachsene Entwässerungsverfahren, das v.a.
in den älteren Siedlungen zur Anwendung kommt. Es kennt nur ein Kanalsystem,
in dem alle Abwässer abgeleitet werden.
14.4 Trennsystem 229

Mischwasserkanal

Häusliche Abwässer
Industrie- und Gewerbe-Abwasser

Strassenentwässerung
Regen- und Grundwasser
historisch: Brunnen- und Bachwasser

Entlastung
Regenüberlaufbecken
Versickerung

Abwasserreinigungsanlage
Abb. 14.1. Schematische
Darstellung der Elemente
Vorflut eines Mischsystems

Im Mischsystem werden Schmutz- und Regenwasser in einem gemeinsamen Ka-


nalsystem als Mischwasser abgeleitet (Abb. 14.1), bei Trockenwetter ist der Ka-
nalquerschnitt nur wenig ausgenützt. Erst bei starken Niederschlägen ist das Profil
gefüllt. An geeigneten Stellen, in der Nähe eines Vorfluters, werden daher Misch-
wasserüberläufe erstellt, die ab einer kritischen Regenintensität rkrit einen Teil des
Mischwassers ungereinigt (oder nur wenig, in Regenüberlaufbecken gereinigt)
entlasten. Nach moderner Auffassung soll Regenwasser und Brunnenwasser mög-
lichst an der Quelle versickert werden (Tabelle 14.1), während Bachwasser nicht
in Kanalisationen eingeleitet werden darf.
Eine allfällige Reinabwasserleitung kann unbelastetes Abwasser direkt einer
Vorflut oder besser einer Versickerung zuführen. Sie wird unter günstigen Um-
ständen als Erweiterung erstellt, um den Mischwasserkanal von Fremdwasser und
Reinabwasser zu entlasten.

14.4 Trennsystem
Im Trennsystem werden Schmutzwasser und Regenwasser in getrennten Kanälen
abgeleitet (Abb. 14.2). Die Schmutzwasserleitungen mit geringem Durchmesser
liegen im Strassenquerschnitt tiefer als die Regenwasserleitungen, um auch Keller
entwässern zu können. Da historisch bedingt die tiefliegenden Schmutzwasser-
leitungen auch Drainagewasser aufnehmen und z.T. Garagenzufahrten entwässern
müssen, wird für deren Bemessung ein Zuschlag zum maximalen Trockenwetter-
abfluss von typischerweise 100% gemacht.
Die Regenwasserableitungen mit grossem Durchmesser liegen in der Regel
höher als die Schmutzwasserkanäle und nehmen Dachwasser, Strassenwasser,
Sickerwasser und ev. Bachwasser auf und leiten dieses meist direkt, oder seltener
über Rückhaltebecken oder Regenklärbecken, in die Vorflut.
In Tabelle 14.1 ist zusammengestellt, welche Art Abwasser in den Entwässe-
rungsverfahren an die verschiedenen Abwasserleitungen angeschlossen werden
soll und muss.
230 14 Entwässerungsverfahren

Schmutzwasserkanal Regenwasserkanal

Häusliche Abwässer
Industrie- und Gewerbe-Abwasser

Strassenentwässerung
Regen- und Grundwasser
Brunnen- und früher Bachwasser

Versickerung

Abwasserreinigungs- Regenwasserrückhalt
anlage Regenwasserreinigung Abb. 14.2. Schemati-
sche Darstellung der
Elemente eines Trenn-
Vorflut systems

Tabelle 14.1. Grundsätze für die Entwässerung von Grundstücken (gilt nicht für Grundwasser-
schutzzonen und -Areale). Aus VSA, GEP Richtlinie 1989
Trennsystem Mischsystem
Art des Abwassers Schmutz- Regen- Versi- Misch- Rein- Versi-
wasserkanal ckerung wasserkanal ckerung
Schmutzabwasser:      
Haushaltungen, Gewerbe, Industrie      
Regenwasser:      
– Dächer     a  c 
– Zufahrten, Wege, Parkplätze     a  d 
– Umschlagplätze, Arbeitsflächenb) e  e
 e
 e
 e
 e

Reinabwasser (Fremdwasser):      
– Brunnen- und Sickerwasser    a   
– Grund- und Quellwasser      
– Kühlabwasser    a   
Legende:
 Nicht gestattet
 Nur gestattet, wenn die Versickerung auf Grund der hydrogeologischen Verhältnisse,
der Verschmutzung des Abwassers, der Havarierisiken etc. nicht möglich ist.
 Anzustrebende Lösung
 Anschluss ist obligatorisch
a)
Nur für kleine Wassermengen, mit besonderer Bewilligung gestattet.
b)
Bei wassergefährdenden Flüssigkeiten nach der entsprechenden Verordnung
c)
Wenn möglich oberflächliches Versickernlassen, sonst Versickerungsanlage
d)
Oberflächliches Versickernlassen
e)
Entwässerungskonzept nach Norm für die Liegenschaftsentwässerung

Beispiel 14.1. Vergleich Mischsystem / Trennsystem


Was sind wichtige Vor- und Nachteile eines Trenn- respektive eines Mischsystems?
Kosten: Neue Trennsysteme (TS) sind häufig teurer als neue Miscsysteme (MS), da
zwei Kanalnetze erstellt werden müssen. Heute werden aber bestehende Netze erwei-
14.5 Qualifiziertes Trennsystem 231

tert, bei Kapazitätsengpässen in untenliegenden Kanälen können ev. Erweiterungen im


TS billiger werden, da in nahe liegende Gewässer eingeleitet werden kann.
Kläranlage: Im MS gelangt mehr Abwasser auf die Kläranlage und die Betriebs-
bedingungen variieren als Folge von Regenereignissen stark. Heute bestehen aber fast
keine reinen MS oder TS, sodass sich auf der Kläranlage in der Realität kein messbarer
Unterschied ergibt.
Unterhalt: Beim MS müssen zusätzlich zum Kanalsystem Regenbecken betrieben wer-
den. Beim TS müssen zwei Kanalnetze unterhalten werden. Der Anschluss von Liegen-
schaften im TS muss strikte kontrolliert werden. Fehlanschlüsse führen zu hydraulischer
Überlastung der Schmutzwasserkanäle oder einer Verunreinigung der Gewässer durch
die direkte Einleitung der Regenwasserkanäle.
Gewässerbelastung: Es ist kaum möglich die unterschiedliche Bedeutung der Gewäs-
serbelastung zu interpretieren. Bei schwachen Regen wird im MS alles Abwasser über
die Abwasserreinigungsanlage geleitet, im TS wird häufig Regenwasser unbehandelt
eingeleitet. Dafür muss bei stärkeren Regen im MS mit verschmutztem Abwasser ver-
mischtes Mischwasser unbehandelt eingeleitet werden.
Folgerung: Beide Systeme können unter vielen unterschiedlichen Randbedingungen als
gleichwertig betrachtet werden. Die Unterschiede sind marginal, die Wahl ergibt sich auf
Grund von wirtschaftlichen und technischen Gesichtspunkten. Nur selten führen die
Erfordernisse des Gewässerschutzes zwingend zur Wahl des einen oder des anderen
Systems.

Beispiel 14.2. Bedeutung von Fehlanschlüssen


Eine Siedlung wird im Trennsystem entwässert. Die Abwasserreinigungsanlage hat für
viele Schmutzstoffe einen Reinigungseffekt von > 95%. Ca. 2 % des Schmutzwassers
werden durch Fehlanschlüsse über den Regenwasserkanal abgeleitet (jedes 50. Haus).
Wie gross ist die Restbelastung der Vorflut?
98 % der Schmutzstoffe werden bei Trockenwetter über die Kläranlage abgeleitet, da-
von werden 95 % zurückgehalten. Dazu kommen 2% der Schmutzstoffe, die ungereinigt
in die Vorflut gelangen. Also: Restbelastung = 0.98 ˜ (1- 0.95) + 0.02 ˜ (1 - 0.0) = 7 %.
Ein Mischsystem hätte eine Restbelastung von 5 %.
Welcher Anteil dieser Restbelastung wird durch die Fehlanschlüsse verursacht?
Anteil aus Fehlanschlüssen = Fehlanschlüsse / Restbelastung = 2 % / 7 % = 30 %.

14.5 Qualifiziertes Trennsystem


Muss z.B. in einem bestehenden Mischsystem die Transportkapazität von Abwas-
ser erhöht werden, so kann der bestehende Mischabwasserkanal durch einen Re-
genwasserkanal ergänzt werden. Regenwasser kann nun je nach seiner erwarteten
Belastung mit Schmutzstoffen entweder in Richtung Kläranlage (z.B. Regenwas-
ser von stark verschmutzten Arbeitsflächen und stark befahrenen Strassen) oder in
Richtung Vorflut (Dachwasser, Reinwasser) geleitet werden. Da nun fallweise
entschieden werden muss, in welches System das Regenwasser eingeleitet wird,
spricht man von einem qualifizierten Trennsystem.
Ohne eine gute baupolizeiliche Überwachung muss bei solchen Systemen mit
Fehlanschlüssen gerechnet werden.
232 14 Entwässerungsverfahren

14.6 Reale Systeme


Kaum je konnte ein ganzes Kanalsystem „auf der grünen Wiese“ neu gebaut und
„aus einem Guss“ konzipiert werden. Die meisten bestehenden Systeme enthalten
Teile, die im Mischsystem und Teile, die im Trennsystem entwässert werden. Es
besteht die Tendenz, dass in älteren Quartieren das Mischsystem vorherrscht, wäh-
rend in neuen wo immer möglich und (wirtschaftlich) sinnvoll ein Trennsystem
realisiert wird.
In der Schweiz werden heute ca. 75% der Siedlungsgebiete im Mischsystem
entwässert, im Rest herrscht das Trennsystem vor.

14.7 Alternative Systeme


In Spezialfällen werden Siedlungen durch Vakuumsysteme (Transport des Abwas-
sers durch Vakuum) oder Drucksysteme (Transport des Abwassers durch Druck-
leitungen, die sich oft selber entleeren, ev. unterstützt durch Druckluft) entwässert.
Solche Systeme kommen v.a. für kleine Siedlungsgebiete zur Anwendung. Dabei
wird darauf geachtet, dass ein striktes Trennsystem eingerichtet wird, und das Re-
genwasser örtlich versickert oder eingeleitet werden kann.
In einigen Entwässerungssystemen wird das Abwasser am Entstehungsort vor-
behandelt (Sedimentation, Abwasserfaulraum, Abschn. 23.1, Seite 385) und dann
über grössere Distanzen (bis 1000 m für Einzelliegenschaften) über dünne Schläu-
che (65–80 mm) in eine öffentliche Kanalisation abgepumpt. Solche Schläuche
werden, wenn immer möglich, direkt ab Rolle, mit Hilfe von speziellen Pflügen,
ohne offene Gräben, in den Boden eingebracht.

14.8 Flankierende Massnahmen


Heute werden in Ergänzung zur konventionellen Entwässerung viele zusätzliche
Möglichkeiten diskutiert. Diese müssen meist im Bereich der Liegenschaften, d.h.
an der Quelle, realisiert werden.
Ein Grossteil der Siedlungsflächen in Nordeuropa wird im Mischsystem entwäs-
sert, sodass fast alle Entwässerungssysteme bei Regen Mischwasser ableiten. Weil
Mischwasser nicht ungereinigt einer Nutzung zugeführt werden kann, muss eine
Verringerung des abzuleitenden Abwassers am Ort der Entstehung geschehen, wo
die verschiedenen Abwässer noch nicht vermischt sind:
– Durch Verminderung des Wasserverbrauchs (z.B. durch eine entsprechende
Tarifgestaltung und durch Aufklärung) in Haushaltungen und Betrieben, sowie
durch Umstellung auf wassersparende Installationen und Herstellungsverfah-
ren.
– Durch Verringerung des Fremdwasseranfalles, z.B. indem Reinwasser versi-
ckert (laufende Brunnen) oder anderweitig genutzt wird (Brauchwasserspei-
cher), oder indem undichte Kanäle und Hausanschlüsse (Infiltration von
Grundwasser) saniert werden.
– Durch Verringerung des Regenwasseranfalles durch vermehrte Versickerung
von Dachwasser, durchlässige Gestaltung von früher versiegelten Flächen
14.8 Flankierende Massnahmen 233

(z.B. Gittersteine auf Parkflächen), Nutzung von Dachwasser als Brauchwas-


ser, dezentrale Retention (eingestaute Flachdächer und Parkflächen) etc.
Leider sind viele dieser Massnahmen heute noch teurer als eine effizient ges-
taltete Entwässerung, und sie schränken uns in unseren Komfortansprüchen ein. In
Zukunft werden wir aber vermehrt in diese Richtung denken und arbeiten müssen.

Beispiel 14.3. Ursachenbekämpfung in der Regenwasserableitung


Mit welchen Massnahmen können die Parameter des Fliesszeitverfahrens so verändert
werden, dass die resultierende Menge des maximal abzuleitenden Regenabwassers
möglichst gering wird?
Gleichung(14.1) enthält die massgebenden Parameter des Fliesszeitverfahrens:

QR r (t an  t F , z) ˜ ¦ J ˜ D ˜F
i i i (14.1)

Die Anlaufzeit tan können wir vergrössern, indem wir Dächer begrünen (Abb. 16.4) und
lokale Retentionsanlagen einrichten (Einstau von Flachdächern und Parkplätzen), da-
durch wird die massgebende Regenintensität r verringert.
Die massgebende Jährlichkeit z können wir verringern, indem wir gezielt die Überflu-
tung von offenen Feldern und Parkplätzen zulassen.
Die Flächenanteile Ji können wir verringern, indem z.B. Dächer an Versickerungsanla-
gen angeschlossen werden.
Den Abflussbeiwert von Teilflächen Di können wir durch geeignete, durchlässige Gestal-
tung von Oberflächen verringern (durchlässige Kiesbeläge, Rasengittersteine etc.).
15 Mischwasserbehandlung

Mischwasser soll so in die Gewässer eingeleitet werden, dass diese nicht nachtei-
lig beeinflusst werden. Dazu sind Konzepte erarbeitet worden, die mit den anfal-
lenden Regenwassermengen, je nach deren Häufigkeit, unterschiedlich verfahren.
Hochwasserentlastungen und Regenüberlaufbecken sind die hauptsächlichen
Bauwerke.

15.1 Problemstellung
Während Regenereignissen sind die Abwasserreinigungsanlagen häufig hydrau-
lisch überlastet, es muss gering behandeltes oder unbehandeltes Mischwasser aus
der Kanalisation in die Gewässer entlastet werden. Das kann zu Problemen führen.
Wir unterscheiden zwischen der Beeinflussung der Qualität (stoffliche und hygie-
nische Belastung der Gewässer) und der Quantität (Erhöhung der Häufigkeit von
Spitzenabflüssen). In Tabelle 15.1 sind einige Zusammenhänge aufgezeigt.

Tabelle 15.1: Ursachen und Lösungsansätze für Gewässerschutzprobleme als Folge von Regen-
ereignissen
Beeinträchtigung Art der Belastung Mögliche Technologien
Qualitative Beeinträchtigungen
Baden, Pathogene Keime Feinsiebung, Desinfektion, Spei-
Sport mit Wasserkontakt Schwimmstoffe, Trübung, cherung / Sedimentation
Ammoniak (NH3), Sedimente,
Speicherung / Sedimentation
Leben im Gewässer toxische Stoffe, Sauerstoffbe-
Feinsiebung
darf
Eutrophierung von Eintrag von Nährstoffen, insbe- Speicherung / Retention
stehenden Gewässern sondere Phosphor Ableitung über ARA
Grobstoffe, Schwimmstoffe, Siebe, Wirbelabscheider, Spei-
Ästhetik
Sedimente cherung / Sedimentation
Quantitative Beeinträchtigung
Störung des Lebensraumes Häufiger Geschiebetrieb als Rückhalt und verzögerte Ablei-
im Fliessgewässer Folge von erhöhtem Abfluss tung, andere Einleitstelle

Um ein Gewässerschutzproblem einer sinnvollen Lösung zuzuführen, muss vor-


erst das Problem genau definiert werden. Da Messungen und Beobachtungen wäh-
rend Regenereignissen mit geringen Häufigkeiten kaum verfügbar sind, ist diese
Problemidentifikation ohne Modellüberlegungen kaum möglich. Heute kann das
Entwässerungsverhalten von ganzen Einzugsgebieten im langjährigen Verlauf, mit
236 15 Mischwasserbehandlung

Entlastungen
HWE KÜ
Siedlung 1 ARA
2

5 RÜB 1
6

4 3

Vorflut

Abb. 15.1. Das Konzept zur Ableitung des Regenwassers bei unterschiedlich intensiven Regen.
Details sind im Text erklärt. HWE = Hochwasserentlastung, KÜ = Kanalüberlauf, RÜB = Re-
genüberlaufbecken, ARA = Abwasserreinigungsanlage

umfangreichen Modellen, simuliert und die Resultate statistisch ausgewertet wer-


den. Dieses Vorgehen hilft, unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten gegeneinan-
der abzuwägen. Hier kann nicht in die Grundlagen und den Gebrauch von solchen
Modellen eingeführt werden.

15.2 Konzept der Mischwasserbehandlung


Seit Mitte der 60er Jahre ist in Mitteleuropa ein Konzept zum Umgang mit
Mischwasser erarbeitet worden, das heute in vielen Siedlungen einheitlich zur
Anwendung kommt: Der doppelte Trockenwetteranfall des Abwassers wird über
die Abwasserreinigungsanlage geleitet. Zusätzliches Mischwasser wird entlastet
und in Regenüberlaufbecken z.T. zurückgehalten oder geklärt. Mit geringer Häu-
figkeit wird über Hochwasserentlastungen unbehandeltes Mischwasser direkt in
die Vorflut entlastet.
In Abb. 15.1 ist das Konzept der Regenwasserbehandlung in einem einfachen
Mischsystem dargestellt. Die Kläranlage reinigt den Mischwasseranfall bis zur
doppelten Abwassermenge, die während der Tagesspitze an einem Trockenwetter-
tag anfällt (QARA | 2 QTW, (1)). Diese Wassermenge entspricht vielen schwachen
Regen (s. Beispiel 15.1). Mittlere Regen füllen die anfänglich leeren Regenüber-
laufbecken (RÜB, (2)), sie sind aber zu kurz, um die Becken zum Überlaufen zu
bringen. Das Wasser, das in den Becken gespeichert wurde, wird nach dem Ab-
klingen des Regens z.B. mit einer Pumpe der Kläranlage zur Reinigung zugeleitet,
(6). Stärkere und längere Regen bringen soviel Wasser, dass die Regenbecken
überlaufen und Mischwasser entlastet werden muss (3). Nun kann nicht mehr alles
Mischwasser auf die Kläranlage geleitet werden, ein Teil der Schmutzstoffe des
entlasteten Mischwassers bleibt aber im Regenüberlaufbecken zurück. Bei extrem
intensiven Regen (r > rkrit) wird Mischwasser an den Regenüberlaufbecken vor-
beigeleitet (4) oder in Hochwasserentlastungen (5) direkt in die Vorflut entlastet.
Durch Hochwasserentlastungen kann die erforderliche Transportkapazität der Ka-
näle, die im Extremfall nur während wenigen Minuten alle 10 Jahre effektiv bean-
sprucht wird, in den nachfolgenden Kanälen verringert werden.
15.2 Konzept der Mischwasserbehandlung 237

Regenintensität in l s-1 ha-1 ungereinigt


entlastet

30 95% Hochwasserentlastung

15
Dauerkurve
der Regen- Im Regenüberlaufbecken
intensität teilweise geklärt
10

Regenhöhe
in %
5
60% 2 QTW = Kanalüberlauf

30% QTW Schmutzwasser


0 Jahresmittel

0 200 400 600 800 1000 8760


Stunden pro Jahr

Abb. 15.2. Summenhäufigkeitsverteilung der Regenintensität im Schweizerischen Mittelland


und typischer Abwasseranfall bei Trockenwetter. Die horizontale Unterteilung schneidet die
abfliessende Wassermenge in die Bereiche, die einer Kläranlage zugeführt werden, die über ein
Regenüberlaufbecken geleitet werden oder die über Hochwasserentlastungen in die Vorflut ein-
geleitet werden (Hörler 1966, angepasst)

In Abb. 15.2 ist die Summenhäufigkeit der Regenintensität für das Schweizeri-
sche Mittelland aufgetragen. Horizontale Linien bezeichnen, ab welcher Intensität
und wie lange pro Jahr die verschiedenen Betriebszustände, die in Abb. 15.1 dar-
gestellt sind, erwartet werden müssen. Während 8500 h a-1 (=97% der Zeit) reicht
die hydraulische Kapazität (2 QTW) der Kläranlage aus. Die Regenüberlaufbecken
werden ca. 250 h pro Jahr beschickt (< 3%) und überlaufen nur während ca. 50 h
pro Jahr (<1%). Nur während wenigen Stunden pro Jahr muss Mischwasser über
Hochwasserentlastungen unbehandelt entlastet werden (|0.1% der Zeit). Die letzte
Grenze, die Schluckfähigkeit der Einlaufschächte und der Dachrinnen, wird nur
noch während Minuten alle 10 Jahre überschritten und ist kaum mehr von Belang.

Beispiel 15.1. Regenintensität, die durch die Abwasserreinigungsanlage geleitet wird


Eine Abwasserreinigungsanlage kann den doppelten Trockenwetteranfall hydraulisch
verarbeiten. Wie gross ist die mittlere Regenintensität, bei der die Anlage hydraulisch
überlastet wird?
Annahmen: Einwohnerdichte 200 Einwohner hared-1
Abwasseranfall 0.4 m3 E-1 d-1 im Mittel inkl. Fremdwasser
0.008 l s-1 E-1 Tagesspitze bei Trockenwetter
Die hydraulische Kapazität der Kläranlage entspricht dem doppelten maximalen Tro-
ckenwetteranfall:
QARA = 200 E hared-1 · 0.008 l s-1 E-1 · 2 = 3.2 l s-1 hared-1
Der mittlere Abwasseranfall beträgt 200 · 0.4 = 80 m3d-1hared-1 entsprechend 0.9
ls-1hared-1.
238 15 Mischwasserbehandlung

Speichervolumen bis zum Anspringen


des Überlaufes in m3 ha-1red

30 10 5 Jährlicher Überlauf in
20 % des Regenabflusses
30
Bereich der
Regenüberlaufbecken
Überlaufhäufigkeit / Jahr
20

1
10
2 10
20 Bereich der Hoch-
30
wasserentlastungen
0
0 10 20 30 40 50
Maximal abgeleitete Regenintensität beim
Anspringen des Überlaufes in l s-1 ha-1

Abb. 15.3. Jahresbilanz der Entlastungsmengen im Schweizerischen Mittelland. Die Speicherung


wird der Kapazität der Ableitung gegenübergestellt. In Regenüberlaufbecken dominiert die Spei-
cherung, in Hochwasserentlastungen die Ableitung (Munz, Eawag)

Damit verbleiben im Durchschnitt 3.2 - 0.9 = 2.3 l s-1 hared-1 für das Regenwasser.
Da die Abflussbeiwerte und damit die reduzierte Fläche für extrem starke Regen ge-
schätzt werden, wird bei geringen Regenintensitäten der effektive Regenwasserabfluss
stark überschätzt (s. Beispiel 13.1). Die Kläranlage wäre daher je nach Regendauer und
Temperatur erst bei Regenintensitäten überlastet, die > 3 l s-1 ha-1 sind.

In Abb. 15.3 sind einige Kenngrössen für das Zusammenspiel von Entlastung und
Speicherung in der Jahresbilanz des Mischwassers im Schweizerischen Mittelland
zusammengestellt. Diese Abbildung kann wie folgt gelesen werden:
– Eine Hochwasserentlastung, die bei einer kritischen Regenintensität von
rkrit = 40 l s-1 ha-1 anspringt und der kein Speichervolumen im Kanalnetz zuge-
ordnet ist, springt ca. 20-mal pro Jahr an (Punkt (1)). Dabei gelangen zwischen
5 und 6% des abfliessenden Regenwassers in die Vorflut. Da insgesamt ca.
830 mm Niederschlag pro Jahr zum Abfluss gelangen, sind das 0.06 ˜ 8300 =
500 m3hared-1a-1, während ca. (1-0.06) ˜ 8300 = 7800 m3hared-1a-1 in Richtung
Kläranlage weitergeleitet werden.
- Ein Regenbecken mit einem spezifischen Inhalt von 20 m3 hared-1, das bei einer
Regenintensität von 4 l s-1 ha-1 (nach Füllung) entlastet, überläuft zwischen 20
und 30-mal pro Jahr (Punkt (2)). Dabei werden ca. 25% (2100 m3ha-1reda-1) des
Regenwassers der Vorflut zugeleitet, während in der Jahresbilanz ca. 75% des
Abflusses (6200 m3ha-1reda-1) zur Kläranlage weiterfliesst und dort behandelt
wird.
Im linearen Punktediagramm der Einzelregen (Abb. 13.6) können Anlauf-
verluste, Retention und Speicherung sowie die Ableitung von Abwasser zur Klär-
15.2 Konzept der Mischwasserbehandlung 239

Gesamtniederschlagshöhe in mm
20
Einzelereignis mit Hochwasserentlastung (HWE)
15 HWE Entlastung, Beckenüberlauf (BÜ)
Einzelereignis ohne HWE, mit Beckenüberlauf (BÜ)
10 BÜ
Regenüberlaufbecken

5 Ableitung zur ARA


Kanalisation füllen
Mulden, Wasserfilm
0
0 1 2 3
Dauer des Regens (h)

Abb. 15.4. Schematische Darstellung der Anlaufverluste, der Retention und der Ableitung zur
Abwasserreinigungsanlage im linearen Punktediagramm der Einzelregen (s. Abb. 13.6). Einge-
zeichnet sind zwei Einzelregen, je mit und ohne Verlust von Mischwasser über die Hochwasser-
entlastung (HWE) resp. den Beckenüberlauf (BÜ)

anlage dargestellt werden (Abb. 15.4). Zusammen mit den Regenereignissen nach
Abb. 13.6 kann dieses Bild den Überblick über die Häufigkeit der unterschiedli-
chen Ereignisse vermitteln.

Beispiel 15.2. Wirkung einer Hochwasserentlastung


Unterhalb eines Einzugsgebiets in Zürich, mit einer Fläche von F = 10 ha und einem
Abflussbeiwert \ = 0.5 soll eine Hochwasserentlastung angeordnet werden, die bei ei-
ner kritischen Intensität von rkrit = 30 l s-1 ha-1 entlastet. Die Anlaufzeit beträgt tan = 5 min
und die Fliesszeit beträgt tF = 5 min. Es wird eine Jährlichkeit von z = 10 a berücksich-
tigt.
Wie gross ist die erforderliche Transportkapazität QRo für Regenwasser oberhalb der
Entlastung?
rZürich(10 min, 10 a) = 5313 / (10 + 8) = 295 l s-1 ha-1. (Tabelle 13.1)
3 -1
QRo = F ˜ \ ˜ rZürich = 10 ˜ 0.5 ˜ 295 / 1000 = 1.48 m s
Wie gross ist die erforderliche Transportkapazität QRu für Regenwasser unterhalb der
Entlastung?
QRu = F · \ · rkrit = 10 · 0.5 · 30 / 1000 = 0.15 m3 s-1
Durch die Hochwasserentlastung kann die Transportkapazität der Kanalisation für Re-
genwasser ca. um den Faktor 10 reduziert werden, z.B. kann an Stelle einer Kanalisati-
on mit ‡ 1 m im Zulauf, bei gleichem Gefälle im Ablauf ein Rohr mit ‡ 0.4–0.5 m einge-
setzt werden.
Da Hochwasserentlastungen Wassermengen nicht genau abtrennen können, wird bei
maximalem Zufluss (QRo,max) nach der Entlastung meist etwas mehr als die hier berech-
nete Menge QRu weitergeleitet. Die Details sind abhängig von der Gestaltung der Ent-
lastung und der zugehörigen Drosselung.
Nach Abb. 15.3 wird diese Entlastung < 30 Mal pro Jahr anspringen und es gehen ca.
8% des Regenwassers über diese Entlastung verloren.
240 15 Mischwasserbehandlung

Beispiel 15.3. Interpretation des linearen Punktediagramms


Dieses Beispiel zeigt, wie Abb. 15.4 interpretiert oder angewendet werden kann:
Ein Regen dauert 2 h und hat insgesamt eine Niederschlagshöhe von Htot = 10 mm
(= 100 m3 ha-1).
Insgesamt ergeben sich die folgenden Speichervolumina:
1. Muldenverluste: 1 mm = 10 m3 ha-1red
2. Kanalvolumen bei Entlastung: 2.5 mm = 25 m3 ha-1red
3. Volumen von Regenüberlaufbecken: 2 mm = 20 m3 ha-1red
Der Ablauf von Regenwasser in Richtung Kläranlage beträgt 2.3 l s-1 ha-1red (s.
Beispiel 15.1) oder während der Regendauer:
2.3 l s-1 ha-1red · 7200 sec · 10-4 mm ha l-1 = 1.7 mm.
Die entlastete Regenwassermenge beträgt:
Hentlastet = Htot-HSpeicher-HAbfluss = 10 - (1 + 2.5 + 2) - 1.7 = 2.8 mm oder 28 m3 hared-1.
Vom Regenwasser, das insgesamt auf undurchlässige Flächen gefallen ist, verbleiben
also 10% in Mulden; 45% werden im Kanalsystem (Kanäle und Becken) zurückgehalten
und verspätet abgeleitet; 28% werden in die Vorflut entlastet und 17% werden während
des Regens zur Kläranlage abgeleitet. (Diese Berechnung ist stark vereinfach, sie be-
rücksichtigt nicht, dass variable Regenintensität die Situation leicht verändern könnte
und dass zusätzlich Wasser verdunsten und versickern kann, oder dass der Abflusspro-
zess länger als der Regen dauert. Möglich ist, dass die Kanalisation durch einen so
geringen Regen nicht bis 25 m3 ha-1red gefüllt wird.)

15.3 Auswirkungen der Mischwasserbehandlung


In der Schweiz kommt heute ein einheitliches Konzept zur Behandlung von Re-
genwasser zur Anwendung, das auf die „Empfehlungen für die Bemessung und
Gestaltung von Hochwasserentlastungen und Regenüberlaufbecken“ des Eidg.
Amts für Umweltschutz (heute BAFU) vom Juli 1977 zurückgeht. In diesen Emp-
fehlungen wird ein Überlaufkennwert U eingeführt, der die örtlichen Gege-
benheiten an der Einleitstelle von Entlastungen berücksichtigt: Mit zunehmendem
Wert U nimmt auch der Schutz des Vorfluters zu. Dabei sprechen z.B. geringe
Wasserführung des Vorfluters, Einleitungen an Quaipromenaden und in Natur-
schutzgebieten oder oberhalb von Badeplätzen für erhöhte Anforderungen. Im
Einzugsgebiet von Seen, in denen auch weitergehende Phosphorelimination bei
Trockenwetter gefordert wird, wurden z.T. die Anforderungen generell erhöht.
Technisch führt ein zunehmender U Wert zu einer grösseren kritischen Regen-
intensität rkrit, bei der Hochwasserentlastungen anspringen oder zu einem grösse-
ren spezifischen Speichervolumen der Regenüberlaufbecken.
Es ist heute kaum möglich, den direkten Nutzen von Mischwasser-Rückhalte-
massnahmen für die Gewässer zu quantifizieren: Einerseits ist es schwierig zu
berechnen, welchen Anteil der Schmutzstoffe die Regenbecken zurückhalten, an-
dererseits wissen wir kaum, was die zurückgehaltenen Schmutzstoffe für die Um-
welt bedeuten. Weil zurückgehaltenes, gespeichertes Mischwasser ja vorerst noch
einer Behandlung in der Kläranlage zugeführt werden muss und anschliessend nur
teilweise gereinigt wieder in die Umwelt zurückgeleitet wird, kann nur eine Be-
trachtung des gesamten Systems (Einzugsgebiet, Entlastung, Rückhalt, Reinigung,
Einleitstellen von Entlastung und Kläranlage etc.) weiterhelfen.
15.3 Auswirkungen der Mischwasserbehandlung 241

Einzugsgebiet

5460 kg TSS ha-1red a-1


System bei System Regenwetter
‘Trockenwetter’ 260 h a-1
8500 h a-1 960
Regenbecken
270

4500 690

240
930
30
150
350
Abwasserreinigungsanlage

Vorflut

Abb. 15.5. Jahresbilanz der suspendierten Stoffe (TSS) für ein Regenüberlaufbecken und die
nachfolgende Kläranlage. Das Becken hat ein spezifisches Volumen von 30 m3 hared-1. Die An-
gaben sind in kg TSS ha-1red a-1. Die Angaben basieren auf einer Messkampagne (BUWAL
1984). Als Regenwetter (260 h a-1) wird die Zeit berücksichtigt, während der Mischwasser ins
Regenüberlaufbecken entlastet werden muss

15.3.1 Fallbeispiel Regenüberlaufbecken


In Abb. 15.5 ist die experimentell bestimmte Jahresbilanz für den Rückhalt von
partikulären Stoffen (TSS) für ein Regenüberlaufbecken dargestellt. Dieses Be-
cken hat ein grosses spezifisches Volumen von 30 m3ha-1red (typisch sind < 20
m3ha-1red). Die Jahreskosten solcher Becken betragen ca. Fr. 50.- m-3Becken a-1. In
diesem Becken werden 30 m3Mischwasser m-3Becken a-1 und 8 kgTSS m-3Becken a-1 zurück-
gehalten. Die spezifischen Kosten betragen demnach Fr. 1.60 m-3Mischwasser und Fr.
6 .- kg-1TSS. Die Rückhaltung ist teurer als die anschliessende Behandlung in einer
mechanisch biologischen Kläranlage (Fr. 0.30 m-3Abwasser oder Fr. 1.- kg-1TSS) und
bewegt sich im Bereich der weitergehenden Abwasserreinigung (z.B. Fr. 3.50
kg-1TSS in Filtrationsanlagen). Bei weitergehender Abwasserreinigung betrachten
wir heute eine detaillierte Abklärung der örtlichen Bedürfnisse als unumgänglich,
bei Massnahmen zur Behandlung von Mischwasser setzen wir dagegen häufig den
Bedarf voraus. Hier ist in Zukunft wohl eine detailliertere Betrachtung angebracht.
Betrachten wir die Jahresbilanz des Regenüberlaufbeckens in Abb. 15.5, so
fällt auf, dass im Vergleich zur Abwasserreinigungsanlage das Regenbecken nur
sehr wenig leistet (Elimination von 4150 resp. 240 kgTSS ha-1red a-1). Zudem kön-
nen diese Stoffe anschliessend in der Abwasserreinigungsanlage nicht vollum-
fänglich zurückgehalten werden. Ohne Regenbecken würde die Vorflut mit total
730 kgTSS ha-1red a-1 belastet, mit Regenbecken verbleiben noch 530 kgTSS ha-1red
242 15 Mischwasserbehandlung

a-1. Ob dieser kleine Wirkungsgrad von nur 27% den Aufwand für den Bau und
den Betrieb des Regenbeckens rechtfertigt, ist häufig fraglich. Die ästhetische Si-
tuation (Grobstoffe, Papier, Plastikteile) und die Hygiene (Anzahl Einleitungen
pro Jahr) an der Einleitstelle wird aber deutlich verbessert.
Im Fall des Regenbeckens in Abb. 15.5 liegt die Einleitstelle des Regenüber-
laufes an einem kleinen Gewässer im Einzugsgebiet eines Sees, während die Ein-
leitung der Abwasserreinigungsanlage an einem grösseren Fluss (dem Abfluss des
Sees) liegt. Entsprechend müssen die beiden Restbelastungen unterschiedlich be-
wertet werden. Nur auf die Einleitstelle der Entlastung bezogen ist der Wirkungs-
grad des Beckens mit 240/270 = 89% beträchtlich.
Massnahmen zur Behandlung von Mischwasser sollten immer aus den lokalen
Problemen heraus begründet werden und nicht grundsätzlich, nach einheitlichem
Konzept, landesweit zur Anwendung kommen. Dabei sind die häufigsten Proble-
me die ästhetische Beeinträchtigung des Umfeldes der Einleitstelle durch Sedi-
mente, Fest- und Grobstoffe sowie die Hygiene in Badegewässern. Nur in Aus-
nahmefällen können Regenüberlaufbecken ökologisch begründet werden.

15.3.2 Fallbeispiel Vorklärung


Die Vorklärung ist das erste Sedimentationsbecken auf Abwasserreinigungsanla-
gen (Abb. 18.1, Abschn. 19.3). Früher war es üblich, der Kläranlage während Re-
gen den 3–5-fachen Trockenwetteranfall zuzuführen und dann nach der Vorklä-
rung, vor der teuren biologischen Reinigung, auf den 1.5-fachen
Trockenwetteranfall zu entlasten. Die Überlegung war, dass so das Mischwasser
mindestens einer Sedimentation (Entschlammung) zugeführt wird. Die Vorklärbe-
cken wurden entsprechend grosszügig dimensioniert.
In Abb. 15.6 sind die gemessenen Ganglinien der Konzentrationen von gelös-
ten und partikulären Stoffen im Zu- und Ablauf eines Vorklärbeckens während
einem Regenereignis dargestellt. Die Konzentration der gelösten Stoffe (DOC) im
Zulauf nimmt während des Regens von 18  20 Uhr ab, weil das Regenwasser das
Mischwasser verdünnt. Die Konzentration der suspendierten Stoffe (TSS) nimmt
zu, weil die erhöhte Fliessgeschwindigkeit in der Kanalisation die Sedimente aus-
spült. Nach der Vorklärung muss Wasser entlastet werden, da die biologische An-
lage eine hydraulische Kapazität hat, die geringer ist, als diejenige der Vorklärung.
Das entlastete Wasser entspricht aber dem Abwasser, das 2 – 3 h vor dem Regen
ins Vorklärbecken eingeleitet wurde. Entsprechend hoch ist seine Konzentration
an gelösten Stoffen. Die entlastete Fracht an gelösten Stoffen ist nun grösser als
die Fracht, die der Anlage zufliesst. Mit anderen Worten, der Wirkungsgrad für
gelöste Stoffe ist negativ, die Umwelt wird als Folge der gewählten Massnahme
stärker mit DOC belastet als ohne Massnahmen, hingegen hat das gewählte Vor-
gehen für partikuläre, sedimentierbare Stoffe den erwünschten Effekt. Es bleibt
die vorläufig unbeantwortete Frage, ob die partikulären Stoffe oder die gelösten
Stoffe in der Umwelt die grössere Bedeutung haben.
Dieses Fallbeispiel zeigt, dass die einseitige Ausrichtung der Massnahmen auf
sichtbare, sedimentierbare Stoffe Nachteile für die Umwelt haben kann. Ohne ein
detailliertes Verständnis der Dynamik des ganzen Systems, können keine opti-
mierten Gewässerschutzmassnahmen erarbeitet werden.
15.3 Auswirkungen der Mischwasserbehandlung 243

g DOC m-3 g TSS m-3


50 500
40 Zufluss VKB 400
30 300
20 200
Ablauf
10 VKB 100
0 0
17 18 19 20 Uhr 17 18 19 20 Uhr
g DOC s-1 kg TSS s-1
200 3.0
160
2.0
120
80
1.0
40
0 0
17 18 19 20 Uhr 17 18 19 20 Uhr

Abb. 15.6. Konzentration (oben) und Frachten (unten) von gelöstem (DOC) und partikulären
(TSS) Stoffen im Zu- und Ablauf eines grossen Vorklärbeckens (VKB) während eines Regen-
ereignisses. Die schraffierten Flächen stehen für die Konzentrationen und Frachten, die nach der
Vorklärung ohne biologische Reinigung der Vorflut zugeführt wurden (s. Text)

15.3.3 Fallbeispiel Ammonium


Eine Situation, die immer wieder zu ökologischen Problemen führt, ist die folgen-
de: In ein kleines Fischgewässer wird Mischwasser entlastet, das mit Ammonium
NH4+ belastet ist. Die Kanalisation führt das Regenwasser sehr schnell ab, die
Verdünnungswassermenge im Gewässer nimmt nur langsam zu (entsprechend den
längeren Konzentrationszeiten in den natürlichen Gewässern). Durch die Entlas-
tung von Mischwasser können sich im Gewässer Ammoniumkonzentrationen er-
geben, die je nach pH und Temperatur fischtoxisch sind und sogar Fischsterben
verursachen können.
Durch einfache Verdünnungsrechnungen kann dieses Problem mindestens er-
kannt und erklärt, aber nicht gelöst werden. Das Problem stellt sich insbesondere
bei Regen mit mittlerer Intensität und entsprechend grosser Häufigkeit
(Abb. 15.7):
– Ammonium fällt mit konstanter Fracht an (insbesondere als Teil des Urins)
und wird mit Regenwasser zunehmend verdünnt.
– Bei geringer Intensität wird der grösste Teil des Mischwassers und damit auch
der grösste Teil der Ammoniumfracht in Richtung Kläranlage weitergeleitet;
das wenige, entlastete Wasser wird durch das Flusswasser genügend verdünnt.
– Bei mittlerer Intensität wird ein grosser Teil der Ammoniumfracht in das Ge-
wässer entlastet und nur ungenügend verdünnt.
– Bei grosser Intensität wird das Mischwasser durch Regenwasser so verdünnt,
dass die resultierende Konzentration (trotz grösserer Fracht) bereits im Misch-
wasser nicht mehr bedenklich ist.
244 15 Mischwasserbehandlung

Ammoniumkonzentration im Gewässer in g N m-3


3

0
0 20 40 60 80 100
Regenintensität in l s-1 ha-1

Abb. 15.7. Ammoniumkonzentration in kleinen Fliessgewässern: Resultat einer einfachen Ver-


dünnungsrechnung. Annahmen: Regenintensität, Ammoniumanfall und Wasserführung im Ge-
wässer sind konstant. Die Abwasserreinigungsanlage reinigt das Mischwasser bis zu 3 l s-1 ha-1
Regenintensität. Die Resultate sind exemplarisch und können nicht auf spezielle Fälle übertragen
werden

Auch dieses Problem kann nur mit einem detaillierten Verständnis und der Be-
rücksichtigung der ortsspezifischen Gegebenheiten einer sinnvollen Lösung zuge-
führt werden.
16 Technik der Siedlungsentwässerung

Die Technik der Siedlungsentwässerung ist über viele Jahrzehnte entwickelt wor-
den, sodass heute ein grosses Spektrum von technischen Elementen zur Verfügung
steht, deren Zusammenspiel nur aus einem Verständnis für die Aufgabe und die
Auswirkungen des ganzen Systems optimiert werden kann. Bis ca. 1990 war das
Ziel der Entwässerung, das Abwasser möglichst schnell aus den Siedlungen abzu-
leiten – das führte zu gravierenden Nachteilen in den Gewässern (schnelles An-
steigen von Hochwasser, grosse Mischwassermengen, die entlastet werden müs-
sen). Als typische Symptombekämpfung wurden daher die Regenüberlaufbecken
entwickelt, deren Realisierung immer noch im Gange ist. Der moderne Trend,
Massnahmen an der Quelle zu fördern, hat in der Siedlungsentwässerung zur
vermehrten Anwendung der Versickerung von Regenwasser geführt. Damit kön-
nen sowohl die Gewässer entlastet als auch die Grundwasserneubildung gefördert
werden.
Zur Gestaltung der technischen Elemente der Siedlungsentwässerung gibt es viele
nationale und internationale Richtlinien und Normen (EN, DIN, ÖNORM, SIA,
DWA, VSA, …). Hier werden nur die wichtigsten Aspekte der einzelnen Elemen-
te diskutiert, das zum Verständnis der Ganzen beitragen.

16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung


In der Siedlungsentwässerung kommen unterschiedlichste Bauwerke zum Einsatz,
deren Aufgabe meistens im Zusammenhang mit Regenereignissen steht. Hier wird
v.a. die Funktion dieser Bauten diskutiert, und es werden einfachste Angaben zur
Dimensionierung gemacht.

16.1.1 Liegenschafts- und Strassenentwässerung

Liegenschaftsentwässerung
Wir unterscheiden zwischen der Gebäude- und der Grundstücksentwässerung.
Während die Gebäudeentwässerung zum grössten Teil von Sanitärinstallateuren
realisiert wird, baut der Baumeister die Grundstücksentwässerung. Die Installatio-
nen für die Entwässerung von Liegenschaften sind weitgehend genormt, und die
Anwendung dieser Normen geschieht häufig unter der Kontrolle der Architekten.
Sofern die Normen eingehalten werden, sind kaum die Details für die Siedlungs-
246 16 Technik der Siedlungsentwässerung

entwässerung von Bedeutung, sondern viel eher die Prinzipien der Entwässerung.
Für Liegenschaften z.B.:
– Wird Dachwasser korrekt versickert?
– Werden bei Trennsystem die Abwässer richtig aufgetrennt (Tabelle 14.1, Seite
230)?
– Werden Parkplätze durchlässig gestaltet oder können sie als Retentionsvolu-
men für Regenwasser dauerhaft genutzt werden? Etc.
Die korrekte Entwässerung von Gewerbe- oder Industriebauten ist anspruchs-
voll. Die Vorbehandlung der Abwässer und der vorgesehene Anschluss der unter-
schiedlichen Abwasserleitungen an die öffentliche Kanalisation muss während der
Bauphase durch die Baupolizei geprüft werden, sonst ist häufig mit Fehlanschlüs-
sen zu rechnen. Wenn zusätzlich noch Versickerungs- und Retentionsanlagen auf
der Liegenschaft betrieben werden, steigen die Anforderungen weiter.
Die Erfahrung zeigt, dass die Liegenschaftsentwässerung, für die meist die Ei-
gentümer der Liegenschaft verantwortlich sind, nur schlecht unterhalten wird. Mit
Hilfe des modernen Kanalfernsehens kann die Grundstücksentwässerung heute
visuell untersucht werden: Ein grosser Teil dieser einfachen Erschliessungsleitun-
gen erweist sich dabei als schadhaft und undicht.

Rückstausicherung
Wird eine Kanalisation überlastet, so entsteht Rückstau, die Drucklinie steigt und
es können Überflutungen resultieren: Wasser dringt in Keller ein. In vielen Ge-
meinden wird die Rückstauebene mit der Stassenoberfläche gleichgesetzt. Sofern
die Kanalisation nach anerkannten Regeln dimensioniert worden ist, haftet der
Eigentümer einer Liegenschaft selber für entstehende, z.T. beträchtliche Schäden
and Waschmaschinen, Heizungen, Lagergütern, etc.
Mit Hilfe von Rückstausicherungen können solche Schäden vermieden werden. Ja
nach Situation wird das Abwasser nach aussen gepumpt oder es werden automati-
sche Verschlüsse eingebaut (Abb. 16.1).

Strassenentwässerung
Auch die Entwässerung der Strassen ist weitgehend genormt. Das abgeleitete Ab-
wasser wird je nach lokaler Situation und Bedeutung der Strasse versickert, nach
einem Abscheider (für Öl und Feststoffe) einer Vorflut zugeleitet oder z.B. inner-
halb von Siedlungen in die Kanalisation eingeleitet (s. Tabelle 14.1, Seite 230).
Neben den Wassermengen (die mit Abflussbeiwerten erfasst werden) sind für die
Siedlungsentwässerung die Schlammsammler bei den Einlaufschächten von Be-
deutung (Abb. 16.2). In diesen sammeln sich Sedimente, die bei intensiven Regen
in die Kanalisation ausgespült werden und dadurch hohe Belastungen hervorrufen.
Diese Belastung des Mischwassers mit Schmutzstoffen hängt weitgehend vom
Verkehrsaufkommen der Strasse und den Massnahmen zu deren Reinigung ab
(Trockenreinigung, Nassreinigung). Zudem kann sich im Herbst Laub in den Ein-
laufschächten ansammeln, zersetzen und bei nachfolgenden Regen in die Kanali-
sation verfrachtet werden. Von Bedeutung kann die Entwässerung von Tunnels
werden, insbesondere, wenn darin auch die hochbelasteten Abwässer während der
Nassreinigung abgeleitet werden.
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 247

Entlüftung

Dachentwässerung
gesicherte Installationen

Rückstauebene Strasse

gefährdeter Kellerraum Revisions-


schacht

Kellerentwässerung mit Rückstausicherung öffentlicher Kanal

Abb. 16.1: Rückstausicherung einer Liegenschaft: Alle Installationen mit Abfluss liegen über
der Rückstauebene, die Kellerentwässerung wird bei Rückstau automatisch mit einem Schwim-
mer verschlossen

Siphon als
Geruchsverschluss

Zur Kanalisation

Sedimente
Abb. 16.2. Schematische Darstellung
eines Strasseneinlaufschachts

Heute wird der Nutzen der Schlammsammler in Frage gestellt. Historisch, so-
lange keine Kanalisationen vorhanden waren oder die Strassenbeläge wenig befes-
tigt waren, waren sie als erste „Kläranlagen“ gerechtfertigt. Trotzdem wird noch
heute häufig die Erstellung dieser teuren Bauwerke gefordert.
Die Einlaufschächte stellen das erste Hindernis für abfliessendes Regenwasser
dar. Bei extrem grosser Regenintensität reicht das Schluckvermögen der Einläufe
nicht mehr aus und es wird Wasser in die Strassen zurückgestaut. In Ländern mit
extremen Regenereignissen wir häufig die Strasse im Querschnitt stark überhöht
und so Stauraum für Regenwasser geschaffen (Abb. 16.3).
248 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Verbleibende Überhöhter Gehsteig


Fahrspur
Einlauf
Zum Speichervolumen
Schacht

Abb. 16.3: Querschnitt einer Strasse mit starker Überhöhung, die ein grosses Speichervolumen
und auch bei Starkregen eine befahrbare Spur zur Verfügung stellt

Abb. 16.4: Beispiel eines bepflanzten


Dachs

16.1.2 Retention und Drosselung


Im Bereiche der Liegenschaftsentwässerung wird heute versucht, das abzuleitende
Regenwasser nur langsam, verzögert zum Abfluss zu bringen. Dazu kommen ver-
schiedenste Massnahmen zur Anwendung:
– die wasserspeichernde Bepflanzung von ganzen Dächern (Abb. 16.4),
– der Einstau von Flachdächern und Parkplätzen,
– die Gestaltung von Nassbiotopen mit Aufstau,
– die Stapelung von Brauchwasser in Zisternen.
Retention und Drosselung des Regenwasserabflusses im Bereich der Liegen-
schaften hat zur Folge, dass die maximale Wassermenge in der Kanalisation und
im nachfolgenden Fliessgewässer vermindert, und die Dauer des Abfliessens ver-
längert wird. Dadurch kann mehr Mischwasser einer Reinigung zugeführt werden.

16.1.3 Kanalisationen
Die Kanäle sind die umfangreichsten Bauwerke der Siedlungsentwässerung. Sie
werden v.a. als Freispiegelleitungen mit genormten Profilen, meist kreisförmig
gestaltet. An ihre Höhenlage werden hohe Anforderungen gestellt, weil die Ent-
wässerung auch unter Extrembedingungen mit natürlichem Gefälle möglich sein
soll.
Abwasserleitungen werden meistens als Freispiegelkanäle gestaltet. Druckleitun-
gen haben einen schwerwiegenden Nachteil: Bei geringer Wasserführung wird die
Fliessgeschwindigkeit und damit die Schleppkraft so gering, dass Sedimente nicht
zu verhindern sind. Zudem fehlt in Druckleitungen der Nachschub von Sauerstoff,
das Abwasser fault, das führt am Ende der Druckleitung zu Geruchsemissionen.
Druckleitungen können kaum im freien Gefälle beschickt werden, Hausanschlüsse
müssten gepumpt werden.
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 249

3r
3r/2

r/2

Abb. 16.5. Genormte Profile für Kanalrohre: Links das seltenere Eiprofil, rechts im Vergleich
das häufige Kreisprofil

Die Durchmesser der Kanalrohre sind heute für Kreis- und Eiprofile (s.
Abb. 16.5) genormt. Es sollen nur Normgrössen zur Anwendung gelangen, weil
sonst der Unterhalt und der teilweise Ersatz extrem verteuert werden. Nach deu-
tschen Richtlinien sollen die nachstehenden Kreisquerschnitte D = 2r nicht unter-
schritten werden:
– Schmutzwasserkanal D t 0.20 m, vorzugsweise t 0.25 m
– Regen- und Mischwasserkanal D t 0.25 m, vorzugsweise t 0.30 m
Für Leitungen bis zu einem Durchmesser D = 0.5 m kommen normalerweise
Kreisrohre zum Einsatz, darüber hinaus je nach besonderen Gegebenheiten auch
genormte Eiprofile oder andere Sonderprofile. Eiprofile haben den Vorteil, dass
bei Trockenwetter die Abflusstiefe bei Teilfüllung grösser und damit die Fliessge-
schwindigkeit höher ist (Beispiel 16.12). Sie bedingen aber eine grössere Bautiefe.

Beispiel 16.1. Dimensionierungswassermenge der kleinsten Kanalrohre


Wie gross ist die maximale Transportkapazität in einem Kanalrohr, das sowohl die mi-
nimale Fliessgeschwindigkeit als auch den minimalen Rohrdurchmesser einhält?
Minimale Fliessgeschwindigkeit: Siehe Tabelle 16.3, Seite 278.
Trennsystem, Schmutzwasserkanal:
Dmin = 0.2 m, vmin = 0.6 m s-1 und daraus Qmin = v ˜ S ˜ D2 / 4 = 0.02 m3 s-1
Für den Schmutzwasserkanal entspricht das ca. dem doppelten maximalen Trocken-
wetteranfall von 1000 Einwohnern. Viele Endstränge sind also überdimensioniert.
Mischsystem:
Dmin = 0.25 m, vmin = 0.6 m s-1 Qmin = 0.03 m3 s-1.
Bei einer massgebenden Regenintensität von z.B. 250 l s-1 ha-1 entspricht diese Was-
serführung einem Einzugsgebiet von ca. 0.1 hared oder der Siedlungsfläche von < 50
Einwohnern.
(In der Praxis kommen die minimal erforderlichen Fliessgeschwindigkeiten vmin bei Teil-
füllung zur Anwendung, d.h. die effektive maximale Leistung ist grösser).

Beispiel 16.2. Abstufung der genormten Kanalrohre


Die Durchmesser von Kanalrohren, die normalerweise zum Einsatz kommen, nehmen
stufenweise zu. Die Abstufungen in der Leistungsfähigkeit sind z.T. sehr gross, während
250 16 Technik der Siedlungsentwässerung

sich die Kosten bei gleicher Sohlentiefe nur wenig unterscheiden. Wir können daraus
auch ablesen, dass die Anforderungen an die hydraulische Dimensionierung von Kana-
lisationen nicht allzu gross sind (allerdings müssen die minimal erforderlichen Fliessge-
schwindigkeiten eingehalten werden). Das gilt insbesondere auch, wenn wir die Unsi-
cherheiten bei der Berechnung der anfallenden Wassermengen berücksichtigen.
In der folgenden Tabelle ist dargestellt, wie mit zunehmendem Durchmesser die Leis-
tung Qvoll und die Kosten zunehmen. Die Annahmen sind: kStrickler = 85 m1/3s-1, JS = 1%,
Normalabfluss. Auffallend ist, dass der minimale Sprung in der Leistungsfähigkeit 40%
beträgt, während die Kosten nur um 11% zunehmen.
Durchmesser im m Qvoll in m3 s-1 Kosten in Fr m-1 (ungefähr)
0.3 0.10 500
0.4 0.22 600
0.5 0.40 700
0.6 0.66 800
0.7 1.00 900
0.8 1.40 1000
1.0 2.50 1250
Proportional zu D2.67 D0.75

Kanalisationen werden je nach Aufgabe für unterschiedliche Wassermengen di-


mensioniert:
– Schmutzwasserkanäle im konsequenten Trennsystem werden häufig für den
doppelten maximalen Trockenwetteranfall bei Tagesspitze dimensioniert, weil
es nicht gelingt, Regenwasser vollumfänglich aus dem Schmutzwasserkanal
fernzuhalten und weil Drainagewasser auf Regenereignisse reagiert. (Haus-
drainagen wurden früher häufig an die tiefliegenden Schmutzwasserkanäle an-
geschlossen)
– Meteorwasserkanäle oder Regenwasserkanäle im Trennsystem müssen genü-
gend Transportkapazität haben, um auch bei Regenereignissen zu genügen, die
nur einmal alle 2–10 Jahre auftreten.
– Mischwasserkanalisationen müssen sowohl das Abwasser bei Trockenwetter
mit genügender Schleppkraft ableiten, als auch bei extremen Regenereignissen
genügend Kapazität zur Verfügung stellen. Je nach lokalen Gegebenheiten
werden Mischwasserkanäle entlastet, sodass die erforderliche Transportkapazi-
tät reduziert werden kann.

Anordnung von Kanälen im Strassenquerschnitt


Für die Anordnung von Werkleitungen im Strassenquerschnitt bestehen Richtli-
nien, wie sie in Abb. 16.6 dargestellt sind. Für die Abwasserleitungen ist die tiefs-
te Lage vorgesehen. Das erlaubt die Liegenschaften im freien Gefälle zu entwäs-
sern, verursacht hohe Baukosten und schränkt z.T. die freie Wahl der Höhenlage
ein.

Materialwahl
An das Material, die Muffen, die Dichtungen und die Dichtigkeit von Kanalrohren
werden hohe Anforderungen gestellt, die in den einschlägigen Normen ausformu-
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 251

Mitte

Fahrbahn Gehsteig
Entwässerung

Entwässerung
0m
Tel
EW TV
1m
Gas
Reserve Tel
EW
Trink- Fern-
2m
wasser heizung
- 2.70 m
3m
Ab-
wasser
4m

Abb. 16.6. Richtlinie des Tiefbauamts der Stadt Zürich für die Anordnung der Werkleitungen im
Strassenquerschnitt

liert sind. Eine hohe Lebenserwartung von Kanalisationen ist langfristig billiger
als ein dauernder und aufwändiger Unterhalt und eine bald erforderliche Erneue-
rung.
Die Materialien, aus denen Kanalisationsrohre hergestellt werden, sollen ge-
genüber den erwarteten Abwasserinhaltstoffen chemisch beständig und durch den
Transport von Sand nur einem geringen Abrieb unterworfen sein. Temperatur-
schwankungen dürfen sie nicht gefährden. Heute kommen die folgenden Materia-
lien zum Einsatz:
– Normal- und Spezialbeton
– Steinzeug
– Faserzement (früher Asbestzement, Eternit)
– Kunststoffrohrleitungen: Hart PVC (Hartpolyvinylchlorid), Hart PE (Hartpoly-
äthylen), GUP (glasfaserverstärkte, ungesättigte Polyesterharze)
Diese Materialien unterscheiden sich nach Preis, chemischer Beständigkeit,
Alterung, Abnutzung, Dichtigkeit, Temperaturbeständigkeit etc. Es muss beachtet
werden, dass nicht allein das Rohrmaterial von Bedeutung ist, sondern genauso
die Ausbildung der Stossfugen und die Materialien zu deren Abdichtung sowie die
Bettung der Rohre.
Da der Preis des Rohrmaterials häufig nur einen Bruchteil der Kosten des ein-
gebauten Rohrs ausmacht, aber das Rohrmaterial, zusammen mit der Art der Bet-
tung des Rohrs, weitgehend die Lebenserwartung des Kanals bestimmt, muss die
Lebenserwartung der Kanalisation in die Überlegungen miteinbezogen werden.
Insbesondere in Städten, wo eine spätere Erneuerung der Kanalisation oft um ein
Vielfaches aufwändiger ist, als der Neubau, lohnt es sich, die besten, alterungsbe-
ständigsten Materialien einzusetzen.
252 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Auflasten Verkehrslasten, Achslasten

Grundwasser:
Hydrostatischer Druck
und Auftrieb
Rohr:
Eigengewicht Abb. 16.7. Einwirkungen
und Füllung auf Kanalisationen

Hydraulische Berechnungen
Angaben zur hydraulischen Berechnungen von Kanalisationen sind in Abschn.
16.2 zusammengestellt.

Statische Berechnung von Kanalisationen


Auf Kanalisationen wirken unterschiedlichste, statische und dynamische Kräfte
ein (Abb. 16.7). Es ist Aufgabe der statischen Berechnung, diese angemessen bei
der Wahl des Kanalisationsmaterials, der Art der Gräben und der Bettung der
Rohre zu berücksichtigen. Die erforderlichen Berechnungen für erdverlegte Kana-
lisationen sind genormt (A127, SIA 190) und mit Hilfe von Beispielen dokumen-
tiert (SIA D 0100, 1993). Es wird hier auf diese Dokumente verwiesen, sie sind
selbsterklärend.

Dichtigkeit
Je nach Gewässerschutzbereich oder Grundwasserschutzzone werden unterschied-
liche Anforderungen an die Dichtigkeit der erdverlegten Kanalisation gestellt.
Diese gelten jeweils für alle Leitungen, Schächte und Anschlüsse des Kanalnetzes
und müssen bei der Bauabnahme überprüft werden. Der zulässige Wasserverlust
bei einem Überdruck von 5 mWs liegt je nach Zone, bezogen auf die benetzte Ka-
nalwandfläche, im Bereich von 0.05–0.15 l m-2 h-1.
In Abb. 16.8 ist schematisch dargestellt, wie die Dichtigkeit einer Kanalisation
geprüft werden kann. Allgemein gilt, dass wir bis heute der Dichtigkeit zuwenig
Bedeutung beigemessen haben und damit teilweise unsere Grundwässer gefähr-
den.
Wenn Kanalisationen durch Grundwasserschutzzonen geleitet werden müssen,
werden sie doppelwandig gestaltet, sodass eine Undichtigkeit jederzeit entdeckt
und die Dichtigkeit laufend überprüft werden kann. Die zugehörigen Kontroll-
schächte sind aufwändige Bauwerke.

Sanierung von Kanalisationen


Kanalrohre haben eine grosse Lebenserwartung, mit zunehmendem Alter müssen
aber immer häufiger lokale Schadstellen oder ganze Kanalstrecken saniert werden.
Dazu werden laufend neue Verfahren entwickelt, die je nach Schadenbild lokale
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 253

Entlüftung

Absenkung

Prüf-
druck

Entleerung

Abb. 16.8. Dichtigkeitsprüfung eines Leitungsabschnitts mit mehreren Schächten (nach SIA V
190, 1993)

Ausbesserungen mit Hilfe von Robotern oder die Auskleidung von Teilstrecken
mit Hilfe von Mörtel oder Kunststoff-Relining ermöglichen. Um allfällige Schä-
den rechtzeitig zu erkennen, werden Kanalisationen heute in regelmässigen Ab-
ständen mit ferngesteuerten Videokameras (Kanalfernsehen) inspiziert.

Beispiel 16.3. Sanierung von Kanalisationen


Im Jahresbericht 1991 der Stadtentwässerung Zürich wird die Gesamtlänge der öffentli-
chen Kanäle mit 831.7 km ausgewiesen. Für 11.3 km dieser Kanäle wurde 1991 die
Sanierung abgeschlossen. Insgesamt wurden 1991 für Kanalsanierungen 29.3 Mio. Fr
ausgegeben.
Diese Daten deuten auf eine Erneuerungsrate von 831 km / 11 km a-1 = 75 Jahre hin.
Die mittleren Kosten der Sanierung betragen Fr. 2600.- m-1Kanal.
Bei solchen Überlegungen sollten mehrere Jahre betrachtet werden.

16.1.4 Kontrollschächte
Kontrollschächte dienen dem Zugang, der Überwachung, dem Unterhalt (Reini-
gung) und der Lüftung des Kanalnetzes. Sie werden angeordnet:
– an allen Anfangs- und Endpunkten,
– in geraden Kanalsträngen alle 40–80 ev. 100 m. In begehbaren Kanälen (D >
0.6 m) werden die Kontrollschächte meist in kürzeren Intervallen angeordnet
als in Kanälen, die nur mit Robotern inspiziert werden können,
– bei allen Richtungs- und Gefällsänderungen,
– bei Kaliber- und Materialwechsel,
– bei Kanalvereinigungen,
– bei Sonderbauwerken.
In Abb. 16.9 ist ein typischer Kontrollschacht für kleinere Kanalisationen (D <
0.6m) dargestellt.
254 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Abschluss und Einstieg


mit Fertigelementen

Rohrbettung Styropor

Bankett

Beton Abb. 16.9. Ein typischer


Fundament Kontrollschacht

Bankett

Abb. 16.10. Schematische


Details analog zu Darstellung eines Vereini-
Einstieg
Kontrollschacht gungsschachts

Es gilt das Prinzip, dass die Kanalisation von einem Kontrollschacht zum
nächsten geradlinig verläuft und dadurch visuell (mit Lampe oder früher mit Spie-
geln und Sonnenlicht) kontrolliert werden kann.

16.1.5 Kanalvereinigungen
In einem Vereinigungsschacht (Abb. 16.10) werden Kanäle mit vergleichbarer
Bedeutung aber häufig mit unterschiedlichen Fliessgeschwindigkeiten zusammen-
geführt. Die hydraulische Berechnung geschieht unter Berücksichtigung des Im-
pulssatzes (Stützkraft) und soll gewährleisten, dass sich durch die seitliche Zufüh-
rung kein Rückstau in die Zulaufkanäle ergibt. Dazu sind dann je nach den lokalen
Verhältnissen unterschiedliche Sohlabstürze erforderlich, um zusätzliche kineti-
sche Energie zu gewinnen.

16.1.6 Profilwechsel
Durch seitliche Zuflüsse vergrössert sich der erforderliche Kanalquerschnitt fort-
laufend. Wenn genug Gefälle zur Verfügung steht, werden die Rohre mit Vorteil
scheitelbündig verlegt. Bei geringem Gefälle werden die Rohre jedoch zweckmäs-
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 255

a) b)
Abb. 16.11.
a) scheitelbündiger und
b) sohlenbündiger Profil-
wechsel in einer Kanalisa-
tion

Entlüftung
Wasserspiegel bei
Hochwasser

Umlenkung
nach oben

Wasserspiegel
bei Trockenwetter

Umleitung

Abb. 16.12. Beispiel eines Absturzschachts für Rohrdurchmesser von D = 0.3–0.6 m und Fall-
höhen bis ca. 5 m

siger sohlenbündig verlegt, um ein grösseres Sohlengefälle und damit bei Tro-
ckenwetter eine grössere Fliessgeschwindigkeit zu erzielen (Abb. 16.11).
Bei Profilwechseln von grossem zu kleinem Durchmesser, als Folge der Zu-
nahme der Fliessgeschwindigkeit nach einem Gefällswechsel von flach zu steil,
gelten spezielle Überlegungen (s. dazu Abschn. 16.2.4).

16.1.7 Absturzbauwerke
Oft muss in der Kanalisationstechnik ein hochliegender Kanalisationsstrang über
kurze Distanz mit einem tiefer liegenden verbunden werden. Wenn eine teilgefüll-
te Steilleitung (Abschn. 16.2.3) als direkte Verbindung nicht möglich ist, wird ein
Absturzbauwerk erforderlich, in dem die Energie gezielt umgewandelt werden
kann.

Absturzschacht
Der Absturzschacht (Abb. 16.12) kommt bis zu Fallhöhen von max. 10 m zur
Anwendung. Für seine hydraulische Berechnung ist von Bedeutung, ob die Ener-
gielinie im Zufluss über dem Terrain liegt: Hier muss ein allenfalls nach oben um-
gelenkter Abwasserstrahl so gelenkt werden, dass der Schachtdeckel nicht abge-
hoben werden kann.
256 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Um Geräusche zu vermindern und den Absturzschacht zugänglich zu machen,


wird eine Prallwand oder Umleitung so angeordnet, dass z.B. bis zur kritischen
Regenintensität (rkrit) der Abwasserstrahl umgelenkt wird und nur bei sehr intensi-
ven Regen diese Prallwand überschiessen kann (Abb. 16.12). Für die Berechnung
der Strahlgeometrie sind empirische Gleichungen, in Abhängigkeit der Froude-
Zahl im Zulauf verfügbar (SIA Dokumentation 40).
Damit im Unterlauf die hydraulischen Bedingungen möglichst gut definiert
sind, ist nach einem Absturzschacht in der Regel eine Entlüftung der nachfolgen-
den Kanalhaltung vorzusehen.

Wirbelfallschacht
Im Wirbelfallschacht wird das Abwasser zentrifugal, in einem grossen Wirbel,
entlang der Wand eines Fallschachts nach unten geleitet. Das hat gegenüber dem
Absturzschacht den Vorteil, dass ein grosser Teil der Energie durch Reibung an
der Schachtwand verloren geht, sodass im Schachtfuss nur noch wenig kinetische
Energie umgewandelt werden muss, und dass auch bei grossen Höhendifferenzen
keine übermässigen Geräusche entstehen.
Eine Einlaufspirale in den Schacht gewährleistet, dass bei unterschiedlicher
hydraulischer Belastung ein stabiler Luftkern im Wirbel erhalten bleibt. Die Be-
messung der Einlaufspirale ist abhängig von den Strömungsbedingungen im Zu-
lauf (strömend oder schiessend). Es wird daher darauf geachtet, dass diese Bedin-
gungen über grosse Bereiche der Zuflusswassermenge stabil sind.
Die Details der Bemessung und Gestaltung eines Wirbelfallschachts können
der Fachliteratur entnommen werden (z.B. DWA A157).

16.1.8 Düker
Freispiegelleitungen können Hindernisse wie Flüsse, tiefliegende Bahngeleise und
Strassen etc. nur mit grossem Verlust an Höhe überwinden. Düker überwinden
solche Hindernisse, indem sie als Druckleitungen gestaltet werden und die Hin-
dernisse unterfahren.
Um die Sedimentation von Feststoffen in den Druckleitungen zu vermeiden,
werden meistens zwei, besser drei Leitungen parallel angeordnet und mit Hilfe
eines Einlaufbauwerks mit zunehmender Wasserführung in Serie beschickt. Da-
durch gelingt es, minimale Fliessgeschwindigkeiten aufrecht zu erhalten und Se-
dimentation zu vermeiden. In Abb. 16.13 ist das Beispiel eines Dükers unter ei-
nem Fluss dargestellt.

16.1.9 Entlastungsbauwerke
Kanalentlastungen haben die Aufgabe, eine grosse Zulaufwassermenge auf eine
geringere Ablaufwassermenge zu reduzieren. Dabei wird das abgetrennte Abwas-
ser entweder einem Regenbecken oder direkt der Vorflut zugeleitet. Typische Ent-
lastungsbauwerke sind in Abb. 16.14 und 16.15 dargestellt. Die Entlastung mit
hochgezogener Überlaufschwelle springt an, nachdem Wasser von unten in den
Kanal zurückstaut; sie entlastet seitlich. Beim Sprungwehr wird das entlastete
Abwasser auf der oberen Seite eines Wurfstrahles abgeschält.
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 257

Längsschnitt

Fluss
Zufluss
Einlaufbauwerk Auslaufbauwerk
Düker, Druckleitungen Entleerungs-
schacht
Grundriss Notentlastung

Querschnitt Fluss
Fluss

Kanal 1: Trockenwetter und leichte Regen


+ Kanal 2: Mittlere Regen
+ Kanal 3: Starke Regen
2 1 3

Abb. 16.13. Beispiel eines Dükers mit dreifacher Leitungsführung zur Unterquerung eines Flus-
ses

Wir unterscheiden zwischen (s.a. Abb. 15.1):


– Hochwasserentlastungen, die nur selten anspringen (bei Regenintensitäten die
über rkrit liegen). Sie entlasten direkt in die Vorflut,
– Kanalentlastungen, die häufig anspringen und die Mischabwassermenge auf
die Wassermenge reduzieren, die der Kläranlage zugeführt werden kann. Ka-
nalentlastungen werden meistens zusammen mit Regenüberlaufbecken ange-
ordnet, in denen das entlastete Wasser einer einfachen Reinigung unterzogen
wird.
Entlastungen sollen eine gute Trennschärfe haben, d.h., dass unabhängig vom
Zufluss zum Entlastungsbauwerk die abfliessende Wassermenge möglichst genau
der erwarteten Wassermenge entspricht. Rein hydraulische Massnahmen resultie-
ren in grösseren Variationen der abfliessenden Wassermenge (je nach Wasser-
stand in der Entlastung), es werden daher gelegentlich Regelorgane (geregelte
Schieber etc.) vorgesehen oder Sonderformen von Entlastungen gebaut, die die
abfliessende Wassermenge genauer einhalten können.
Für die hydraulische Berechnung von Entlastungen stehen uns keine genauen
mathematischen Modelle zur Verfügung, sondern es besteht eine Reihe von Glei-
chungen und Berechnungsgängen, die mit empirischen Modellparametern das
Problem annähernd beschreibt. Für die Praxis steht meist nicht die genaue Be-
rechnung im Vordergrund, sondern die Konstruktion der Entlastung soll gewähr-
leisten, dass die Entlastungswirkung den lokalen Anforderungen gerecht wird, und
dass die Entlastung den sich im Laufe der Zeit ändernden Wassermengen ange-
passt werden kann.
258 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Grundriss Überlauf zur Schnitt


Vorflut
Überlauf
Zulauf

Ablauf zur ARA

Abb. 16.14. Beispiel eines Entlastungsbauwerks mit hochgezogener Überlaufschwelle (Streich-


wehr). Solche Überläufe kommen bei strömender oder schwach schiessender Strömung zur An-
wendung

Schnitt
Wasserspiegel bei
Entlastung

Überlauf Zulauf
zur Vorflut
Ablauf Wasserspiegel
zur ARA bei Trockenwetter

Bodenblech
Grundriss

Überlauf
Zulauf
zur Vorflut
Abb. 16.15. Regenüberlauf
mit Bodenöffnung (Sprung-
wehr, Leaping Weir). Solche
Wehre kommen im stark
Ablauf schiessenden Bereich zur
zur ARA Anwendung

Für seitliche Entlastungen (Abb. 16.14) muss die Höhenlage und die Länge des
Wehrs festgelegt werden. Die Höhenlage hängt ab vom verfügbaren Gefälle, von
der Lage der Drucklinie, die zu Überschwemmungen führt, und vom Speicher-
raum, der durch eine hohe Lage des Überfalls in der Kanalisation gewonnen wer-
den kann und soll. Der Ablauf der Entlastung in Richtung zur Kläranlage wird
vorteilhaft als Drosselstrecke ausgebildet. Die Länge des Überfalls wird mit Hilfe
von Näherungsformeln berechnet, die je nach lokalen Verhältnissen den vollstän-
digen (kein Rückstau) oder den unvollständigen (mit Rückstau) Überfall über ei-
nen senkrecht angeströmten Rechtecküberfall beschreiben.
Im stark schiessenden Strömungsbereich kommen Sprungwehre (Abb. 16.15)
zum Einsatz. Die Gestaltung der Bodenöffnung orientiert sich hier an der Wurfpa-
rabel des Wasserstrahls. Beträgt das Gefälle im Zulaufkanal weniger als 10%,
empfiehlt SIA 190, dass der Ablaufkanal zur ARA als Drosselstrecke ausgebildet
wird.
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 259

Regenüberlauf Regenbecken
Sammelbegriff

Regenrückhaltebecken Regenklärbecken Regenüberlaufbecken Schmutzwasser-


Hydraulische Klären von Speichern und Klären speicher
Abflussdrosselung Regenwasser im von Mischwasser Speichern von
Nur Meteorwasser Trennsystem Schmutzwasser

Fangbecken Verbundbecken Durchlaufbecken


Fangen des Kombination von Klären des
Schmutzstosses Fangen und Klären Überlaufwassers

Überlauf zum Überlauf zum


Vorfluter Vorfluter
vor dem Becken nach dem Becken

Abb. 16.16. Systematik der Regenbecken

16.1.10 Drosselstrecken
Drosselstrecken sind Kanalrohre, die teilweise unter Druck betrieben werden und
die Aufgabe haben den Durchfluss nach oben zu begrenzen. Sie kommen zur An-
wendung, um den Ablauf von Entlastungs- und Rückhaltebauwerken zu kontrol-
lieren. Ihre Bemessung folgt den Regeln für Leitungen unter Druck, wobei aller-
dings die Einlaufverluste ausgewiesen werden sollen. Es ist wenig sinnvoll, für
Drosselstrecken Leistungsreserven (Sicherheitszuschläge) vorzuhalten, wie das für
Kanalrohre vorgesehen ist.
Ist im Betrieb ein Übergang von Teilfüllung zu Vollfüllung vorgesehen, so
können Pulsationen entstehen (Zuschlagen der Leitung), die z.B. mit Entlüftungen
entschärft werden können. Drosselstrecken müssen die minimalen Kanaldurch-
messer von D t 0.25 m bei Mischwasserleitungen einhalten.

16.1.11 Regenbecken
Der Begriff Regenbecken ist ein Sammelbegriff für verschiedene Sonderbau-
werke, denen allen gemeinsam ist, dass sie bei Regenwetter Speichervolumen für
Regen- oder Mischwasser zur Verfügung stellen. Dadurch wird der Abfluss des
gespeicherten Wassers verzögert. In einigen Beckentypen wird zusätzlich eine
Reinigung, insbesondere durch Sedimentation erzielt.
In Abb. 16.16 ist die Systematik der Bezeichnung der verschiedenen Regenbe-
ckentypen zusammen mit der wichtigsten Aufgabe der einzelnen Typen zusam-
mengestellt.

Regenrückhaltebecken
Regenrückhaltebecken werden angeordnet, wenn z.B. in einem neuen Quartier
mehr Regenwasser anfällt als abgeleitet werden kann (oder soll). Sie werden so
260 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Erforderliches Dauer des massgebenden Regenabschnitts


Retentions - Volumen Zeit bis zur maximalen Füllung
iR in m3 ha-1red in Min
300 60
Zeit: z = 1,2,5,10 a
250 50

200 40
Volumen
150 z = 10 a 30

100 5 20
2
50 10
1
0 0
0 50 100 150
Regenintensität, die abgeleitet wird, rAb in l s-1 ha-1

Abb. 16.17. Spezifisches erforderliches Retentionsvolumen für Regenwasser in Abhängigkeit


der abfliessenden Wassermenge. z = 1 – 10a: Erwartete Jährlichkeit der Überflutung des gegebe-
nen Volumens. Basis: Regen im Raume Zürich. Nur gültig für kleine Anlagen. Diese Darstellung
wird auch genutzt, um Versickerungsanlagen zu dimensionieren (berechnet mit Gl. (16.1), s.a.
Beispiel 16.4)

ausgelegt, dass sie nur selten überlaufen (z.B. alle 5 Jahre) und haben entspre-
chend grosse Volumen. Gelegentlich werden diese Volumen mit Biotopen kombi-
niert und entsprechend in die Landschaft eingepasst, oder es werden grosse Park-
flächen temporär eingestaut. Beispiel 16.4 zeigt eine Methode, nach der einfachere
Becken dimensioniert werden können. Grössere Becken müssen anhand von de-
taillierten Untersuchungen und häufig mit Langzeitsimulationen, die auch Serien
von Regen beachten, dimensioniert werden.
Für die Situation im Raume Zürich kann Abb. 16.17 Anhaltspunkte für das er-
forderliche Volumen von Regenrückhaltebecken geben. Die Volumen sind analog
zu Beispiel 16.4 mit der folgenden Bilanz berechnet worden: VRet = Fred˜T˜(r(T)-
rab). Das maximal erforderliche Volumen ergibt sich für dVRet/dT = 0, basierend
auf den Regenanalysen von Hörler und Rhein (Abschn. 13.3, Gl. (13.3)) zu:
§ K(z) ˜ T ·
VRe t Fred ˜ ¨  rab ˜ T ¸
© TB ¹
(16.1)
K˜B Qab
T B  und rab
rab Fred
VRet = Erforderliches Retentionsvolumen (m3)
Fred = Angeschlossene reduzierte Fläche (m2)
Qab = Abgeleitete Wassermenge (m3 s-1)
T = Dauer des massgebenden Regenabschnitts (s)
K(z) = Ortskonstante für die Jährlichkeit z (m) [Muss aus den Angaben
von Hörler und Rhein umgerechnet werden auf die Einheit m]
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 261

B = Ortskonstante (s) [Muss aus den Angaben von Hörler und Rhein
umgerechnet werden auf die Einheit s]
Regenrückhaltebecken werden ca. 10-mal grösser als Regenüberlaufbecken.

Beispiel 16.4. Dimensionierung eines Regenrückhaltebeckens


Ein neues Baugebiet mit einer Fläche F = 10 ha und einem erwarteten maximalen Ab-
flussbeiwert \ = 0.33 soll an eine bestehende Kanalisation angeschlossen werden. Der
bestehende Kanal kann nur Qab = 0.1 m3s-1 Regenwasser aufnehmen.
Wie gross muss ein Regenrückhaltebecken dimensioniert werden, wenn es nur einmal
alle 5 Jahre überlaufen darf?
Als Information über die Regenintensität dienen die Angaben für Zürich (Tabelle 13.1).
Eine Anlaufzeit muss nicht beachtet werden, da die Angaben zu den Regen nur Regen-
abschnitte sind und Vorregen bereits zu einem beträchtlichen Abfluss führen können.
KZürich(z = 5 a) = 4569 l min ha-1 s-1, B = 8 min (Tabelle 13.1)
Die Regenintensität beträgt: r(T,z) = K(z) /(T + B)
Die zufliessende Wassermenge beträgt: Vzu = T · F · \ · r(T,z=5a)
Der Abfluss beträgt in erster Näherung: Vab = T · Qab.
Das erforderliche Speichervolumen ergibt sich aus der Differenz Zufluss - Abfluss.
Das maximal erforderliche Retentionsvolumen ergibt sich für einen Regenabschnitt mit
einer Dauer von 25 min zu 533 m3 (siehe nachfolgende Tabelle).
Dauer T Intensität Zufluss Abfluss Speicher
min l s-1 ha-1 m3 m3 m3
15 199 591 90 501
25 138 683 150 533
30 120 713 180 533
35 106 735 210 525
60 67 796 360 436

Ein identisches Resultat ergibt sich aus Abb. 16.17:


Die abgeleitete Regenintensität rab beträgt:
rab = Qab / (F ˜ \) = 0.1 m3s-1 / (10 ha˜0.3) = 33 l s-1 ha-1.
Mit z = 5 a ergibt sich aus Abb. 16.17 das erforderliche spezifische Retentionsvolumen
zu ca. 160 m3 ha-1red und die Dauer des massgebenden Regenabschnitts zu 25 min. Für
das ganze Becken beträgt das erforderliche Volumen VRet = 160 ˜ Fred = 160 ˜ 3 = 540
m3.
Das berechnete Volumen von 533 m3 kann ohne genauere Rechnung (Langzeitsimula-
tion mit effektiv gefallenen Regen) als Grundlage für erste Überlegungen dienen. Einem
definitiven Projekt müssten genauere Berechnungen zu Grunde gelegt werden, da die
Kosten dieses Beckens je nach lokalen Verhältnissen, erforderlicher Bauweise (Beton,
überdeckt?) und Landkosten bis gegen 1 Mio. Franken betragen können.

Beispiel 16.5. Analytische Berechnung des erforderlichen Retentionsvolumens


Basierend auf Gl. (16.1) ergibt sich für das Regenrückhaltebecken in Beispiel 16.4 die
folgende Situation:
K(z=5a) = 4569 l min ha-1 s-1 = 0.0274 m
B = 8 min = 480 s
262 16 Technik der Siedlungsentwässerung

rab = 0.1 m3 s-1 / 3.3 hared = 3 ˜ 10-6 m s-1


T = 1614 s = 27 min
VRet = 537 m3

Regenüberlaufbecken
Regenüberlaufbecken (oder häufig einfach Regenbecken) werden bei Entlas-
tungen von Mischwasserkanälen angeordnet. Sie sollen die Häufigkeit und den
Umfang der Belastung der Vorflut verringern und werden je nach Vorflut z.B.
nach Abb. 15.3 dimensioniert. Typische Volumen sind im Bereich von 15–30 m3
hared-1. Wir unterscheiden zwischen Fangbecken und Durchlauf- oder Klärbecken
(Abb. 16.16):
– Beide Becken sind vor dem Regen leer und haben eine Speicherfunktion ent-
sprechend ihrem Volumen.
– Das Fangbecken (Abb. 16.18) speichert den ersten Teil des Regenabflusses,
der häufig besonders stark mit Schmutzstoffen belastet ist (Abb. 16.21), die
z.B. aus Sedimenten auf der Oberfläche und in der Kanalisation sowie aus
Strasseneinlaufschächten abgeschwemmt werden. Am Schluss des Regens
verbleibt der erste Teil des Regenabflusses im Becken und wird zur Kläranlage
gefördert.
– Beim Durchlaufbecken (Abb. 16.18) fliesst das Wasser durch das Becken. Da-
bei sedimentieren spezifisch schwere Feststoffe auf den Boden aus und das
teilweise geklärte Wasser fliesst zur Vorflut. Am Schluss des Regens verbleibt
das letzte Wasser im Speicher und wird dann zusammen mit den Sedimenten
zur Kläranlage gepumpt.
– Das Verbundbecken (Abb. 16.19) vereinigt die Funktionen Fangen und Klären.
Zuerst wird ein Fangteil gefüllt. Zusätzlich überlaufendes Wasser wird dann
durch den Klärteil geleitet.
Regenüberlaufbecken können unterschiedlich in die Kanalisation eingeordnet
werden:
– Im Hauptschluss erfolgt der Abfluss zur ARA nach dem Becken, d.h. dass al-
les Abwasser, das zur Kläranlage weitergeleitet wird (auch bei Trockenwetter),
vorerst durch das Becken fliesst. Diese Anordnung führt zu einem grossen Ge-
fällsverlust; sie wird gewählt, wenn trotzdem kein Pumpwerk erforderlich ist
(Abb. 16.19). Das durchfliessende Abwasser kann nach der Entleerung genutzt
werden, um die Sedimente aus dem Becken zu schwemmen.
– Im Nebenschluss erfolgt der Abfluss zur ARA vor dem Becken, d.h. dass das
Abwasser bei Trockenwetter nicht durch das Becken fliesst. Das hat nur einen
geringen Gefällsverlust zur Folge. In der Regel bedingt die Entleerung des Be-
ckens ein Pumpwerk (Abb. 16.18), zudem sind Vorrichtungen zur Spülung des
Beckens nach der Entleerung erforderlich.
– Als Fangkanal oder Speicherkanal (Kanalstauraum) werden Kanalhaltungen
bezeichnet, die mit grossen Durchmessern gebaut werden, um während Regen
ein Speichervolumen (Retention) zur Verfügung zu stellen. Je nach Anordnung
der Entlastung (Abb. 16.20) entsprechen solche Kanäle in ihrer Funktion eher
Fangbecken oder Durchlaufbecken (Klärbecken).
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 263

Kanalüberlauf Zur Kläranlage


niedrig

Mischwasser-
zufluss Fangbecken

Beckenüberlauf
über höchstem WSp.
im Zulauf
Vorflut

Zur Kläranlage

Kanalüberlauf
niedrig Beckenüberlauf

Mischwasser- Durchlauf- und


zufluss Klärbecken

Vorflut

Abb. 16.18. Vergleich eines Fangbeckens und eines Durchlaufbeckens. Beide Becken sind hier
im Nebenschluss dargestellt, d.h. bei Trockenwetter fliesst das Abwasser nicht durch die Becken,
sondern wird ohne Gefällsverlust zur Kläranlage geleitet

Zufluss Beckenüberlauf

Klärbecken

Gefällsverlust
Fangbecken

Zur Kläranlage

Abb. 16.19. Längsschnitt durch ein Verbundbecken im Hauptschluss. Unten der Fangteil, oben
der Durchlauf- oder Klärteil des Beckens. Hauptschluss: Das Abwasser fliesst bei Trockenwetter
durch das Becken, daraus resultiert ein Gefällsverlust

Regenüberlaufbecken werden häufig mit Hilfe von empirischen Beziehungen


dimensioniert. Zunehmend wird ihre Funktion auch mit Hilfe von Langzeit-
simulationen, basierend auf Reihen von gemessenen Regen und einer detaillierten
Beschreibung des Einzugsgebietes, analysiert.

Der Schmutzstoss
Mit zunehmender Wasserführung, als Folge eines Regenereignis, werden Sedi-
mente auf Dächern und Strassen, in Einlaufschächten und Kanalisationen aufge-
wirbelt und im Mischwasser abtransportiert. Das führt zu stark erhöhten Schmutz-
stoffkonzentrationen im Mischwasser (Abb. 16.21). In Abb. 16.22 ist die
264 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Entlastung

Kanalstauraum
Fangkanal Drossel

Trockenwetterabfluss

Entlastung

Kanalstauraum
Speicherkanal Drossel

Trockenwetterabfluss

Abb. 16.20. Beispiele von Kanalstauraum: Oben der Fangkanal, unten der oft weniger wirksame
reine Speicherkanal

kumulative Schmutzstofffracht gegen die kumulative Menge des abgeflossenen


Mischwassers aufgetragen. Von einem Schmutzstoss sprechen wir, wenn die ge-
messene Beziehung über der Diagonalen liegt, die sich auf der Basis einer kon-
stanten mittleren Schmutzstoffkonzentration ergibt. Je ausgeprägter der Schmutz-
stoss ist, desto eher ist der Einsatz eines Fangbeckens im Vergleich zu einem
Durchlaufbecken sinnvoll. Im Beispiel von Abb. 16.22 wäre ein Fangbeckenvo-
lumen von ca. 200 m3 geeignet, um den Schmutzstoss aufzufangen.
Ob in einer spezifischen Situation ein Fangbecken oder ein Durchlaufbecken
zur Anwendung kommen soll, ist abhängig vom erwarteten Schmutzstoss:
– Eine lange Fliesszeit in der Kanalisation bis zum Becken resultiert in einem
langen und daher wenig ausgeprägten Schmutzstoss. Fangbecken werden nur
realisiert, wenn die Fliesszeit weniger als 15 min beträgt.
– Geringe Fliessgeschwindigkeiten bei Trockenwetter und Sedimente in der Ka-
nalisation, die bei Regen ausgeschwemmt werden, können zu ausgeprägten
Schmutzstössen führen, die mit Vorteil gefangen werden.
Zusätzlich soll überlegt werden, wie der gefangene Schmutzstoss zur Kläran-
lage weitergeleitet wird und welchen zusätzlichen Entlastungen er allenfalls un-
terworfen ist. Die Wirkung eines Fangbeckens im Hauptschluss, das in einen Ka-
nal einleitet, der vor der Kläranlage noch einmal entlastet wird, ist häufig sehr
gering: Der Schmutzstoss wird hier nur teilweise der Kläranlage zugeführt.

Beispiel 16.6. Die Wirkung eines Fangbeckens


Wieviel Schmutzstoffe werden für das Beispiel des Regenereignisses in Abb. 16.22 in
einem Fangbecken und in einem Durchlaufbecken im Nebenschluss zurückgehalten?
Das Becken hat ein Volumen von 200 m3.
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 265

Konzentration im Mischwasser in g CSB m-3 Fracht im Mischwasser


Mischwasserabfluss in l s-1 in g CSB s-1
500 100
CSB
400 80

300 Fracht 60

200 40

100 20
Q
0 0
0 20 40 60 80 100 120
Dauer des Regenereignis in Minuten

Abb. 16.21. Ganglinie der Wassermenge, der CSB Konzentration im Mischwasser und der
Schmutzstofffracht während eines Regenereignisses in einer Mischkanalisation. Als Folge der
Ausspülung der Kanalisation tritt hier zu Beginn des Abflussereignisses ein Schmutzstoss auf

Kumulative CSB Fracht


in kg CSB
100

80 Effektiver Verlauf

60 Schmutz- Zusätzlicher
stoss CSB Anfall
40 Anfall bei
konstanter
20 Frachtanfall bei
Konzentration
Trockenwetter
0
0 100 200 300 400 500 600 700
Kumulative Wasserfracht in m3

Abb. 16.22. Kumulative Darstellung des Regenereignis in Abb. 16.21. Horizontal: das aufsum-
mierte Volumen des abgeflossenen Mischwassers. Vertikal: die aufsummierte CSB Fracht im
Mischwasser

Fangbecken: Das Becken ist gefüllt mit den ersten 200 m3 des Abflusses. Diese enthal-
ten ca. 50 kg CSB oder 250 gCSB m-3.
Durchlaufbecken: Das Becken enthält die letzten 200 m3 des Abflusses. Diese enthalten
93 - 78 = 15 kg CSB oder 75 gCSB m-3. Dazu kommen die Sedimente, die nicht quantifi-
ziert werden können. Es müsste sich ein Wirkungsgrad für die Sedimentation von ca.
50% des CSB ergeben, damit die Wirkung des Fangbeckens übertroffen wird. Das ist
unwahrscheinlich.
266 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Beispiel 16.7. Dimensionierung eines Fangbeckens


Eine Gemeinde muss als kritische Regenintensität für ihre Hochwasserentlastungen
rkrit = 30 l s-1 ha-1 gewährleisten. Sie muss nun an einer Stelle im Einzugsgebiet, an der
die Fliesszeit plus die Anlaufzeit t0 = 10 min beträgt, ein Regenüberlaufbecken erstellen.
Wie gross wird ein Fangbecken, das den Schmutzstoss bis zu rkrit auffangen kann?
Zur Kläranlage kann das Schmutzwasser plus das Regenwasser bis zu einer Regenin-
tensität von rab = 2.5 l s-1 ha-1 weitergeleitet werden.
Bei Regenintensitäten über 30 l s-1 ha-1 kann offenbar Mischwasser ohne grosse
Nachteile für die Umwelt entlastet werden, sonst hätte rkrit grösser gewählt werden müs-
sen. Damit der ganze Schmutzstoss bis zur kritischen Intensität aufgefangen werden
kann, muss mindestens das folgende spezifische Volumen zur Verfügung stehen:
Erforderlicher Speicherinhalt = t0 · (rkrit - rab) = 600 s · (0.030 - 0.0025)
= 16.5 m3 hared-1.
Dieses spezifische Volumen ist typisch für viele Situationen in der Schweiz.
Offensichtlich eignen sich Fangbecken insbesondere in Situationen, in denen kurze
Fliesszeiten mit einem ausgeprägten Schmutzstoss zusammentreffen.
(Weil der Abfluss erst nach der Zeit t0 die volle Intensität erreicht, könnte das hier be-
rechnete Fangvolumen den Schmutzstoss von Regen mit einer Intensität fangen, die
grösser ist als rkrit).

Regenklärbecken
Regenklärbecken (Abb. 16.16) werden eingesetzt, um das Regenwasser im Mete-
orwasserkanal eines Trennsystems zu klären. Sie kommen zum Einsatz, wenn die
Vorflut dieses Schutzes bedarf und im Einzugsgebiet Schmutzstoffe mit hoher
Konzentration ins Meteorwasser gelangen können (Industriegebiete, Arbeitsflä-
chen, Autobahn) oder wenn mit Havarien (Unfällen) gerechnet werden muss (Ha-
variebecken).
In der Schweiz werden solche Becken an wichtigeren Strassen als sogen. Öl-
abscheider gebaut, wenn das Abwasser direkt in die Vorflut eingeleitet werden
soll. Das Nutzen / Kosten Verhältnis von solchen Becken ist umstritten.
Havariebecken werden zur Verminderung von Risiken zunehmend realisiert.
Sie werden in Entwässerungssystemen von Industrie- und Gewerbebauten ange-
ordnet, insbesondere, wenn wassergefährdende Stoffe umgeschlagen werden oder
wenn ein erhöhtes Brandrisiko besteht und Löschflüssigkeiten zurückgehalten
werden sollen.

Beispiel 16.8: Havariebecken in der Chemischen Industrie


Am 1. Nov. 1986 wurden in Schweizerhalle bei einem Brand durch das Löschwasser
Tonnen giftiger Chemikalien in den Rhein gespült. Sie schädigten den Rhein über hun-
derte von Kilometern und zerstörten die aquatische Lebenswelt. Der sogen. Sandoz-
Unfall gilt als eine der grössten Umweltkatastrophen und war ein Anlass zum Umden-
ken im Störfall- und Gewässerschutz.

Schmutzwasserspeicher
Mischwasser ist häufig durch Regenwasser stark verdünnt. Hingegen behält das
Schmutzwasser z.B. aus einem Industriebetrieb oder aus einem Schmutzwasser-
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 267

kanal, der in einen Mischwasserkanal mündet, seine hohe Konzentration bei. In


solchen Situationen ist es sinnvoll, das Schmutzwasser während Regenereignissen
zu speichern und erst bei anschliessendem Trockenwetter wieder über die Kanali-
sation abzuleiten. Die Steuerung eines solchen Schmutzwasserspeichers kann über
die Abfluss- oder Niveaumessung im untenliegenden Kanal oder ev. über einen
Regenfühler erfolgen. Schmutzwasserspeicher haben oft im Vergleich zu Regen-
überlaufbecken ein günstiges Nutzen / Kosten Verhältnis, weil das gespeicherte
Wasser eine hohe Schmutzstoffkonzentration hat.

16.1.12 Siebe und Rechen


Um Grob- und Feinstoffe aus entlastetem Mischwasser zurückzuhalten, kommen
gelegentlich Rechen oder Siebe zum Einsatz. Je nach Konstruktion werden diese
Apparate dauernd oder nur einmal nach dem Regenereignis gereinigt und die zu-
rückgehaltenen Feststoffe werden in Richtung Kläranlage gesandt. Kontinuierlich
gereinigte Rechen sind aufwändig und bedingen laufenden Unterhalt. Sie können
aber ästhetische Probleme am Ort der Einleitung weitgehend vermeiden. Je nach
Problemstellung kommen Siebe und Rechen mit Öffnungen von <50 Pm (Mikro-
siebe) bis ca. 6 mm zur Anwendung.
Statische Rechen oder Siebe, die erst nach einem Regenereignis gereinigt wer-
den, haben nicht genügend Kapazität, um Feststoffe zurückzuhalten. Sie werden
heute nicht mehr realisiert.
Als Neubauten werden Siebe oder Rechen in der Schweiz meist nur in Ergän-
zung zu Regenüberlaufbecken, meist Fangbecken, erstellt.

16.1.13 Abwasserpumpwerke
Pumpwerke werden in der Kanalisationstechnik nur zurückhaltend eingesetzt. Sie
erlauben bei ungünstigem Gefälle die erforderliche Bautiefe der Kanalisationen zu
vermindern und dadurch Baukosten einzusparen. Sie müssen einen verstopfungs-
freien und zuverlässigen Betrieb gewährleisten und bei Stromausfall entlasten
können oder mit Notstrom ausgerüstet sein. Der verstopfungsfreie Betrieb bedingt,
dass die Pumpen einen freien Kugeldurchgang von mindestens 100 mm haben.
Der minimale Durchmesser der Druckleitung wird damit 100 mm besser 150 mm.
Bei Kreiselpumpen soll ein ausreichend dimensionierter Pumpensumpf eine genü-
gend kleine Schaltfrequenz ergeben. Die Förderwassermenge soll auf die ver-
schiedenen Situationen bei Trockenwetter und Regenwetter abgestimmt sein und
sie soll gewährleisten, dass die Kläranlage bei Trockenwetter nicht schwallweise
beschickt wird. Pumpwerke werden meistens mit mindestens zwei Pumpen ausge-
rüstet.
In Druckleitungen nach Pumpwerken darf die Aufenthaltszeit des Abwassers
nicht zu gross werden, sonst beginnt das Abwasser anzufaulen; es kann sich
Schwefelwasserstoff bilden, dadurch entstehen Geruchsprobleme. Dies muss ins-
besondere beachtet werden, wenn grosse Förderstrecken überwunden werden sol-
len oder bei kleinen Pumpen in der Nacht lange Schaltzeiten resultieren.
In der Abwassertechnik hat sich die Schneckenpumpe (Archimedes Spirale),
wie sie in Abb. 16.23 dargestellt ist, besonders bewährt. Sie fördert das Wasser so
wie es anfällt (nicht schwallweise), hat einen grossen Durchgang für Feststoffe
268 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Einlaufbecken Auslaufkanal
Abb. 16.23. Beispiel einer
Schneckenpumpe (Archime-
des Schraube) zur Förderung
von Mischwasser

Wirbel- Längsschnitt
drossel

Überstau

Grundriss

Abb. 16.24. Schematische


Darstellung einer Wirbel-
drossel

und einen ansprechenden mechanischen Wirkungsrad. Leider ist der Bau dieser
Pumpwerke eher aufwändig.
Für Details zu Pumpwerken wird auf die entsprechenden Angaben im Zusam-
menhang mit der Wasserversorgung (Abschn. 11.2, Seite 170) verwiesen.

16.1.14 Drosselorgane
Nach Regenüberlaufbecken, Retentionsbecken und Kanalentlastungen muss häu-
fig die Abwassermenge, die zur Kläranlage weiterfliesst, gedrosselt werden. Dazu
kommen unterschiedlichste Einrichtungen zur Anwendung, häufig werden Wir-
beldrosseln realisiert (Abb. 16.24). Diese haben die Eigenschaft, dass sie unab-
hängig vom Überstau eine gleichmässige Wassermenge weiterleiten, dass sie ei-
nen grossen Durchgang haben (also wenig verstopfungsanfällig sind) und
selbstregelnd, auf Grund von hydromechanischen Phänomenen funktionieren.

16.1.15 Einleitbauwerke
Die Einleitung von Abwasser in eine Vorflut erfordert den Bau eines Einleitbau-
werks mit einer Uferbefestigung, die gewährleistet, dass das Gewässerbett stabil
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 269

Retentionsvolumen Humus

Wenig
durchlässige
Filtersand Deckschichten

Durchlässige
Bodenschichten
Abb. 16.25. Künstliches Ver-
Grundwasser sickerungsbecken, humusierte
Mulde

bleibt und die Einleitung nicht unterspült wird. Einleitungen in Gewässer sollen
durch ihre Gestaltung gegen unbefugtes Betreten der Kanalisation gesichert sein
und die Ziele des naturnahen Wasserbaus berücksichtigen.

16.1.16 Versickerungsanlagen
Heute wird in der Siedlungsentwässerung die Versickerung von unverschmutztem
Abwasser gefordert. Damit soll erreicht werden, dass die Abflussspitzen in der
Vorflut verringert werden, den Abwasserreinigungsanlagen ein grösserer Anteil
des Mischwassers zugeleitet und die Grundwasserneubildung unterstützt wird.

Versickerungsverfahren
Um die Ableitung von Regenwasser und damit die Belastung der Gewässer mit
grossen Wassermengen und entlastetem Mischwasser zu verringern sowie die
Neubildung von Grundwasser zu unterstützen, werden immer häufiger Versicke-
rungsanlagen gefordert und realisiert. Dabei wird angestrebt, dass das Wasser über
unverletzte Humus- oder Deckschichten versickert wird, in denen eine weitgehen-
de Selbstreinigung und ein Rückhalt von Schadstoffen stattfinden. Eine Versicke-
rung unterhalb der belebten Bodenschicht, in einer eigentlichen Versickerungsan-
lage wird nur in zweiter Priorität zugelassen. Versickerungsanlagen werden häufig
zentral, d.h. für ein ganzes Quartier oder eine neue Überbauung, erstellt.
Für den Bau von Versickerungsanlagen bieten sich, in Abhängigkeit der jewei-
ligen geologischen und hydrologischen Verhältnisse, der Beschaffenheit des zu
versickernden Wassers und des Grundwasserschutzes, verschiedene Möglich-
keiten an:
– Diffuse, flächenförmige Versickerung über der belebten Bodenschicht (Hu-
mus). Entwässerung über die Strassenschulter, fehlende Dachrinnen (Traufe),
durchlässig gestaltete, humusierte Parkplätze etc.
– Versickerung in künstlich angelegten Versickerungsbecken (humusierte Mul-
den), z.B. in Kombination mit Biotopen, humusierte Versickerungsgräben über
sickerfähigem Untergrund (Abb. 16.25).
– Versickerung innerhalb der Deckschichten, z.B. in einen überdeckten Kieskör-
per (Abb. 16.26).
– Versickerungsschacht in die durchlässige, sickerfähige Schicht über dem
Grundwasserspiegel (analog Abb. 16.26, aber tiefer liegend).
270 16 Technik der Siedlungsentwässerung

1 Niederschlag, Luftverschmutzung

Abfluss, Oberflächenverschmutzung,
2
Trockendeposition, Oberflächenmaterial

Versickerungsanlage,
4
Retention, Leistung

Vorreinigung,
3
Schlammsammler
Boden,
6 Leitfähigkeit,
Stoffrückhalt
6 Grundwasser, Lage, Nutzung, Qualität

Abb. 16.26. Elemente einer Versickerungsanlage mit Kieskörper und Versickerung in die Deck-
schicht

– Um die Versickerungsleistung zu erhöhen können zusätzlich Versickerungs-


stränge oder Rigolen (Drainagerohre, die in Filterkies eingebettet sind) gebaut
werden. Dabei ergibt sich auch eine Retentionswirkung im Filterkies.
– Versickerungsbrunnen, d.h. ausgefilterte Brunnen (Bohrlöcher, mit Mantel aus
Filterkies) im Schotter über dem Grundwasserspiegel.
– Schluckbrunnen, d.h. ausgefilterter Brunnen im Schotter bis unter den Grund-
wasserspiegel (rückspülbar). Diese Lösung ist nur für unbelastetes Fremdwas-
ser zulässig und wird auch zur Grundwasseranreicherung in der Wasserversor-
gung eingesetzt (Abschn. 8.6, Seite 126).
– Heute werden zudem spezielle Materialien in die Versickerungsanlagen einge-
baut, die Schadstoffe, insbesondere Schwermetalle wie Kupfer, sehr effizient
adsorbieren. Dadurch werden die Schadstoffe in der Versickerungsanlage auf-
konzentriert und gelangen nicht ins Grundwasser – beim Abbruch der Anlage
muss die sorgfältige Entsorgung der eingebauten Filterschicht als Sondermüll
gewährleistet sein.
In Abb. 16.26 sind die Elemente einer Versickerungsanlage am Beispiel einer
Anlage mit Kieskörper dargestellt. Von Bedeutung sind:
– Der Niederschlag, dessen Intensität und ev. Schadstoffgehalt.
– Der Abfluss, dessen Dynamik (Art der Dächer, flach, steil) und Aufnahme von
Schadstoffen von den Oberflächen, insbesondere Schwermetalle und Pestizide.
– Die Vorreinigung, die hier als einfacher Schlammsammler dargestellt ist, aber
je nach Situation auch Filtration durch Humusschichten beinhalten kann.
– Die Versickerungsanlage, mit dem verfügbaren Retentionsvolumen (hier
Schacht und Porenvolumen im Filterkies) und der Versickerungsleistung (in
Abhängigkeit von der Filterfläche und der Durchlässigkeit der unterliegenden
Schichten).
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 271

g
de tun
Zunehmende Belastung des Abwassers m en sleis s
h g n
ne un r e
Zu inig erfah
e
R sV
Bahn
Ve de
Hauptstrasse Ve rs
rsi i ck
c ke eru
run ng
Quartierstrasse gü sve
Inf be rbo
iltr rb t
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Parkplatz o ni bte
nd Hu
Ein ie mu
Dachwasser le De ssc
du itun cks hi c
rch g i ch ht
l ä n i ch
laufende S c ss d ie t
hic ige
Brunnen ht

üB Zu Au S,S3,S2,S1
Gewässerschutzbereiche üB, Zu, Au und Grundwasserschutzzonen S
Zunehmende Anforderungen an den Schutz des Grundwassers

Abb. 16.27. Schematische Darstellung der Anforderungen an Versickerungsanlagen in Funktion


der Belastung des Abwassers und des erwünschten Schutzes des Grundwassers (s.a. Abb. 8.11,
Seite 128)

– Der Boden, in den infiltriert werden soll. Von Bedeutung sind seine hydrauli-
sche Leitfähigkeit und der mögliche Schadstoffrückhalt.
– Die Lage und die erwünschte Nutzung des Grundwassers. Der Abstand zwi-
schen max. Grundwasserspiegel und minimaler Lage des Versickerungs-
körpers soll mindestens 1 m betragen.
Abb. 16.27 zeigt in Abhängigkeit der Lage des Objekts (Gewässerschutz-
bereiche, Grundwasserschutzzonen, s.a. Abschn. 8.7, Seite 127) und der Art des
Abwassers (Belastung mit Schadstoffen), welche Art der Versickerung in Frage
kommt. Diese Darstellung gibt allenfalls ein Konzept. Die Details werden von der
zuständigen Behörde verbindlich geregelt. Von Bedeutung ist, dass zunehmende
Anforderungen an den Schutz des Grundwassers und die Belastung des Abwassers
eine entsprechend zunehmende Anforderung an die Leistung des Verfahrens stellt.
Zusätzlich zur sorgfältigen Gestaltung der Versickerungsanlagen wir heute zu-
nehmend versucht, durch Massnahmen an der Quelle (keine Verwendung von
blankem Kupfer als Dach- oder Fassadenverkleidung, Einsatz von biologisch ab-
baubaren Pestiziden zum Schutz von Anstrich und Verputz, Verbot von verblei-
tem Benzin, Luftreinhaltung, ...) die Belastung des anfallenden Regenwassers zu
vermindern.

Dimensionierung von Versickerungsanlagen


Die Versickerungsleistung einer Versickerungsanlage ist abhängig vom Bodenma-
terial, in das versickert werden soll. Meist wird ein Hydrogeologe zugezogen, der
mit Hilfe seiner lokalen Kenntnisse und anhand eines Versickerungsversuchs die
zu erwartende Leistung abschätzt. Es ist nicht möglich, allgemeingültige Angaben
272 16 Technik der Siedlungsentwässerung

zu machen. Zur Illustration sind typische Werte von Sickerleistungen unterschied-


licher Bodenschichten in Tabelle 16.1 zusammengestellt.
Die nutzbare Versickerungsleistung reicht von | 1 l min-1 m-2 (entsprechend
166 l s-1 ha-1) in einer kiesigen Moräne bis zu 100 l min-1 m-2 (entsprechend
16’000 l s-1 ha-1, in einem gut durchlässigen Kies). Da die Versickerungsflächen
meist nur einen Bruchteil z.B. der Dachflächen ausmachen, ist bei geringer Versi-
ckerungsleistung häufig eine Retention des anfallenden Wassers erforderlich. De-
ren Dimensionierung kann in Analogie zur Dimensionierung eines Regenrückhal-
tebeckens gemacht werden (s. Beispiel 16.4). In Abb. 16.17 ist für die
Regenverhältnisse von Zürich dargestellt, wie gross das erforderliche Retentions-
volumen sein soll. Von Bedeutung ist insbesondere die Menge des dauernd abge-
leiteten (versickerten) Abwassers. Viele Versickerungsanlagen werden so gestal-
tet, dass der Notüberlauf im Durchschnitt nur einmal in 5 Jahren anspringen muss.

Tabelle 16.1. Beispiele von Sickerleistungen gewachsener Böden, abgeleitet aus Angaben des
AGW des Kt. Zürich, 1996
-1 -2
Bodenart spezifische Sickerleistung in l min m
Grobkies > 100
Feinkies, sandig >10
Sand, kiesig 5 – 10
Sand 0.5 – 5
Moräne, lehmiger Kies 0.5 – 2
Moräne, kiesiger Lehm <1
Silt, Ton < 0.01
Humus, unverdichtet 2–3

Beispiel 16.9. Dimensionierung einer Versickerungsanlage


In einem kleinen Quartier soll eine zentrale Versickerungsanlage für das anfallende
Dachwasser von 1500 m2 Steildächern gebaut werden. Die Siedlung liegt im übrigen
Gewässerschutzbereich üB und der Grundwasserspiegel liegt mehrere m unter dem
anstehenden Boden: Es soll ein Versickerungsstrang in der sickerfähigen Schicht ge-
baut werden.
Für die vorgesehene Versickerungsanlage stehen FS = 100 m2 Versickerungsfläche
(kiesiger Sand) mit einer gemessenen Versickerungsleistung von qS = 5 l min-1 m-2 zur
Verfügung .
Die Anlage soll im Durchschnitt in 5 Jahren nicht mehr als 1 Mal überlastet sein: z = 5 a.
Wie gross ist das erforderliche Retentionsvolumen Vret?
Die reduzierte Fläche beträgt nach Gl. (13.8) und Tabelle 13.3:
Fred = \ ˜ F = 0.9 ˜ 1500 m2 = 1350 m2
Die versickerte Regenintensität (spezifische Versickerungsleistung) beträgt:
qV = qS ˜ FS / Fred = 62 l s-1 hared-1.
Nach Abb. 16.17 ergibt sich mit rAb = 62 l s-1 ha-1 und z = 5 a ein erforderliches Rückhal-
tevolumen von iR = 125 m3 hared-1 oder für den vorliegenden Fall:
VRet = Fred˜iR = 17 m3. Das entspricht einer Regenhöhe von 17 m3/1350 m2 = 13 mm.
16.1 Technische Elemente der Siedlungsentwässerung 273

Kiesmaterial hat eine Porosität von ca. 20%. 90 m3 Filterkies könnten also genügend
Retentionsvolumen zur Verfügung stellen. Je nach Gestaltung der Anlage muss also
kein zusätzliches Retentionsvolumen gebaut werden. Eventuell könnte sogar die Infiltra-
tionsfläche FS verkleinert werden, da der Filterkies bei einer Einbautiefe von 1 m zu-
sammen mit den Zulaufschächten ein zu grosses Retentionsvolumen anbietet.

Beispiel 16.10. Auswirkung der Versickerung


An ein Regenüberlaufbecken mit einem Volumen von VRB=600 m3 ist ein Siedlungsge-
biet mit einer Fläche von F = 80 ha mit einem Abflussbeiwert von \ = 0.45 und einer
Bevölkerung von 6000 E angeschlossen. Der mittlere Abwasseranfall bei Trockenwetter
beträgt Qm = 0.03 m3 s-1, bei Regenwetter werden QARA = 0.1 m3 s-1 zur Kläranlage wei-
tergeleitet (= doppelter maximaler Trockenwetteranfall).
Wie oft überläuft das Regenbecken, welcher Anteil des Regenwassers gelangt dabei in
die Vorflut?
Annahme: Die Gemeinde liegt im Schweizerischen Mittelland. Damit ist Abb. 15.3 gültig.
Die reduzierte Fläche beträgt: Fred = F ˜ \ = 80 ˜ 0.45 = 36 hared
Der Speicherinhalt beträgt: VRB / Fred = 16.7 m3 hared-1
Der spezifische Abfluss zur Kläranlage beträgt: (QARA-Qm)/Fred = 1.9 l s-1 hared-1
Nach Abb. 15.3 ergibt das:
> 30 Entlastungen (Überläufe) pro Jahr
| 35% Verlust von Regenwasser, oder 8300 m3hared-1a-1˜0.35˜Fred = 105’000m3a-1
Nun plant die Gemeinde im Zuge von Erneuerungen einen grossen Teil des Dachwas-
sers in diesem Gebiet zu versickern, der Abflussbeiwert wird dadurch auf \ = 0.3 redu-
ziert.
Welche Belastung verbleibt nach Realisierung der Versickerung während Regenwetter
für die Vorflut?
Die neue reduzierte Fläche beträgt: Fred = F · \ = 80 · 0.30 = 24 hared
Der Speicherinhalt beträgt: VRB / Fred = 25 m3 hared-1
Der spezifische Abfluss zur Kläranlage beträgt: (QARA - Qm) / Fred = 2.9 l s-1 ha-1
Nach Abb. 15.3 ergibt das:
|25 Entlastungen pro Jahr
|25% Verlust von Regenwasser, oder 8300 m3 hared-1a-1˜0.30˜Fred = 60’000 m3 a-1
Die Realisierung dieser Versickerungen fördert also nicht nur die Grundwasserneubil-
dung, sie verringert auch die Belastung der Gewässer in der Jahresbilanz und reduziert
die maximale Regenwassereinleitung in das Gewässer um ca. 1/3 (Abnahme der Fred).

16.1.17 Sanierungsleitungen
Nicht immer müssen Kanalisationen den höchsten technischen Anforderungen
genügen. In ländlichen Verhältnissen können technisch einfach gestaltete Anlagen
wirtschaftlich sein. Ein gelegentliches Versagen dieser Anlagen hat nicht die glei-
che Bedeutung wie in einer dicht bewohnten Siedlung.
Sanierungsleitungen sind Kanalisationen, die für die abwassertechnische Sanie-
rung von kleinen Weilern, Höfen, abgelegenen Häusergruppen etc. zur Anwen-
dung kommen. Sie führen häufig durch land- oder alpwirtschaftlich genutztes Ge-
biet, in dem keine zusätzlichen Anschlüsse an die Kanalisation erfolgen. Die
kleinen Abwassermengen (es wird im Trennsystem entwässert) erfordern nur klei-
274 16 Technik der Siedlungsentwässerung

ne Kanaldurchmesser (Dmin = 0.15 m), die meist geringer sind als die minimalen
Durchmesser von normalen Kanälen (D t 0.2 m). Ein allfälliges Versagen solcher
Leitungen führt nicht zu einer hygienischen Katastrophe.
Um Kosten zu sparen, werden Sanierungsleitungen sehr einfach realisiert, es
werden z.B. Verbindungen von Schächten zugelassen, die nicht geradlinig sind,
die Kontrollschächte werden in grösseren Abständen gebaut und sehr einfach ges-
taltet. Es wird auf ein minimales Gefälle von JS > 1% geachtet. Bei Gefällen über
3% werden die Rohre nur noch einfach gebettet, weil Setzungen kaum mehr zu
Problemen führen.
Im steilen Gelände soll die Rohrweite für ein maximales Gefälle von JS d 5%
berechnet werden und damit die Bildung eines Wasser- / Luftgemisches in steile-
ren Leitungen berücksichtigen.
Die Schweizerische Norm SN 592 000 (Liegenschaftsentwässerung) enthält
Hinweise zur Gestaltung von Sanierungsleitungen.
Das Sanitärabwasser von abgelegenen Einzelliegenschaften kann auch über
Druckschläuche entwässert werden. Dabei fördert z.B. eine Pumpe, die mit einer
Schneidevorrichtung ausgerüstet ist, in einen PE-Schlauch mit Durchmesser 50–
65 mm. Der Schlauch wird direkt ab Rolle, ohne offene Gräben, nur mit einem
Pflug in den Boden eingelegt und über Distanzen bis zu 1000 m an die nächste
Kanalisation geführt.
In Entwicklungsländern gibt es die Bestrebung, die Ableitung von Sanitärab-
wasser möglichst kostengünstig zu gestalten: Simplified Sewerage. So kann z.B.
zwischen den Häuserzeilen (im Hinterhof) das Abwasser von bis zu 1000 Perso-
nen bei einem Gefälle von < 1% in einer PVC Leitung mit einem Durchmesser
von 100 mm abgeleitet werden. Schächte sind kaum erforderlich. Allfällige Ver-
stopfungen werden mit langen Schläuchen und Druckwasserdüsen entfernt.

16.2 Hydraulische Berechnungen


Hydraulische Berechnungen in der Kanalisationstechnik beruhen auf den Grund-
lagen der Hydraulik, die Teil jeder Grundausbildung der Ingenieurinnen ist.
In diesem Kapitel werden keine detaillierten Angaben zu den erforderlichen hyd-
raulischen Berechnungen in der Kanalisationstechnik und der Siedlungsent-
wässerung gemacht. Es wird dazu auf die Fachliteratur verwiesen. Es wird hier
lediglich auf Probleme hingewiesen, die zum Verständnis der Funktion der einzel-
nen Bauwerke erforderlich sind.
Es ist heute üblich, dass in Ingenieurbüros Programme zur hydraulischen Be-
rechnung von Kanalisationen zur Anwendung kommen. Damit der projektierende
Ingenieur solche Berechnungen überprüfen kann, und damit er nicht unsachge-
mässe Projekte erarbeitet, ist es erforderlich, dass er ein Verständnis für die hyd-
raulischen Details in der Kanalisationstechnik hat.

16.2.1 Grundsätze / Lastfälle


Hydraulische Berechnungen von Kanalisationen und Sonderbauwerken sind pri-
mär für die maximalen Wassermengen erforderlich; die verfügbare Energie und
die gewählten Abmessungen der Bauwerke sollen gewährleisten, dass die ge-
16.2 Hydraulische Berechnungen 275

wünschten Wassermengen ohne Probleme (z.B. Rückstau in Keller und auf Stras-
sen etc.) abgeleitet werden können.
Für einzelne Sonderbauwerke (Pumpwerke, Düker, Drosselstrecken etc.) müs-
sen zusätzlich andere Belastungszustände betrachtet werden (z.B. Trockenwetter).
In Misch- und Schmutzabwasserkanälen sollen Ablagerungen vermieden werden.
Es wird daher, zusätzlich zur maximalen hydraulischen Belastung, der Lastfall
„täglicher maximaler Abwasseranfall bei Trockenwetter“ (bei Inbetriebnahme und
bei Vollausbau) für die Gewährleistung einer minimalen Fliess- oder Spülge-
schwindigkeit resp. Schleppkraft beachtet (Tabelle 16.3).
Der Bemessungsabfluss soll in der Regel mit freiem Wasserspiegel erfolgen,
nur in Dükern, Drosselstrecken, Pumpleitungen oder Stauraumkanälen wird Ab-
fluss unter Druck vorgesehen.

16.2.2 Freispiegelleitungen
Die Dimensionierung von Rohrleitungen erfolgt in der Kanalisationstechnik in der
Regel unter der Annahme, dass Normalabfluss herrscht (Prismatisches Gerinne,
Energielinie parallel zur Sohle des Gerinns oder Energiegefälle JE = Sohlgefälle
JS). Je nach hydraulischen Bedingungen erfolgt der Abfluss schiessend oder strö-
mend, bei Gefällen über 0.5% herrscht Schiessen vor.
Bei gleichem Energiegefälle JE haben Freispiegelleitungen eine grössere
Transportkapazität als volllaufende Kanäle (s. z.B. das Teilfüllungsdiagramm für
Kreisrohre in Abb. 16.29 über ca. 85% Teilfüllung). Das kann dazu führen, dass
der Abfluss bei hydraulischer Überlastung instabil wird und das Kanalrohr zu-
schlägt: Um Pulsationen und das Zuschlagen von Leitungen zu vermeiden, soll bei
freiem Abfluss der maximale Füllungsgrad 85% des Innendurchmessers bei Kreis-
rohren und 85% der Querschnittsfläche bei anderen Profilen nicht überschreiten
(SIA 190). Für Kreisrohre heisst das, dass die maximal abzuleitende Wassermenge
nicht grösser sein soll als die Wassermenge bei Vollfüllung der Leitung ist
(Qteil / Qvoll < 1).
Hydraulische Berechnungen von Rohrleitungen werden mit unterschiedlichen
Zielen unternommen:
– Für die Dimensionierung von Abwasserkanälen: Bei bekannter Wassermenge
Q und bekanntem Sohlgefälle JS soll das Profil der Leitung bestimmt werden.
Für diese Aufgabe ist es üblich, Leistungsreserven (Sicherheiten) von 10–25%
(SIA 190, 1997) zu berücksichtigen, die je nach Dimensionierungsverfahren
explizit ausgewiesen oder implizit in die hydraulischen Widerstandsbeiwerte
eingebaut werden.
– Es soll bei bekannter Gerinnegeometrie und Abflusstiefe die aktuelle Durch-
flussrate berechnet werden: Diese Aufgabe bedingt, dass ohne implizite Si-
cherheiten möglichst genau gerechnet wird. Die üblichen „Betriebsrauigkei-
ten“, die für die Dimensionierung verwendet werden, sind hier nur mit
Vorsicht anwendbar, sie sind eher zu gross.
– Es soll die Wasserspiegellage bei einem bestimmten Betriebszustand berech-
net werden: Diese Aufgabe muss je nach Fragestellung mit oder ohne Reser-
ven bearbeitet werden.
276 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Früher war es üblich, Freispiegelleitungen mit der einfachen Gleichung von


Manning - Strickler zu berechnen. Diese Gleichung eignet sich, um einfache Ab-
schätzungen zu machen, die für die Belange der Kanalisationstechnik meist genau
genug sind:
v k St ˜ R 2 / 3 ˜ J1/E 2 (16.2)
v = Mittlere Fliessgeschwindigkeit [L T]
kSt = Hydraulischer Widerstandsbeiwert nach Strickler [m1/3 s-1]
R = Hydraulischer Radius (Für Kreisrohre ¼ des Durchmessers) [L]
JE = Gefälle der Energielinie, bei Normalabfluss Sohlgefälle [-]

Tabelle 16.2. Rauigkeitsbeiwerte kb (Prandtl Colebrook) und hydraulische Widerstandsbeiwerte


kSt (Strickler) für Kanalisationen. Die Rauigkeitsbeiwerte entsprechen „Betriebsrauigkeiten“ und
nicht den messbaren Wandrauigkeiten. Sie sind für die Bemessung geeignet und beinhalten Si-
cherheiten (SIA 190, s.a. Abschn. 11.1, Seite 161)
Rauigkeitsbei- Hydraulischer
Art der Kanalisation wert Widerstandsbeiwert
1/3 -1
kb in mm kSt in m s
Druckleitungen ohne Schächte und ohne Anschlüsse 0.5 90
Kreisförmige und kreisähnliche Kanäle mit Schächten
1.0 85
und Anschlüssen in den Schächten
Leitungen mit direkten Anschlüssen zwischen den
1.5 80
Schächten
Leitungen aus nicht genormten Rohren 1.5 d 
Rechteckkanäle - d 
Gegliederte oder asymmetrische Querschnitte - d 
Gunitierte Stollen - d 

In Tabelle 16.2 sind Widerstandsbeiwerte und Rauigkeitsbeiwerte (Betriebs-


rauigkeiten, Bemessungswerte) für die hydraulische Berechnung von Kanalisatio-
nen zusammengestellt. Diese Werte können je nach Kanaldurchmesser zu Reser-
vekapazitäten für die Wassermengen (versteckte Sicherheiten) von ca. 10–25%
führen.
Aus Gl. (16.2) ergibt sich für Kreisrohre mit Vollfüllung:
Q voll 0.312 ˜ k St ˜ D8/ 3 ˜ J1/E 2 (16.3)
Die Angaben zur stationären Rohrhydraulik in Abschn. 11.1, Seite 161, kön-
nen sinngemäss auf Kanäle mit Vollfüllung übertragen werden.
Mit Hilfe des Teilfüllungsdiagramms in Abb. 16.29 kann die effektive Ab-
flusstiefe hTeil und die Fliessgeschwindigkeit vTeil auf Grund des Verhältnis
QTeil / Qvoll und vvoll = Qvoll / (S˜D2/4) berechnet werden.
16.2 Hydraulische Berechnungen 277

Qvoll in m3 s-1
D = 2.0 1.8 1.6 1.4 1.2 m
10 1.0 m
0.9 m
0.8 m
5 ms-1
0.7 m
0.6 m
4 ms-1
0.5 m
1
0.4 m

0.3 m

0.2 m
0.1
3 ms-1
2 ms-1

1 ms-1

0.5 ms-1
0.01
0.0001 0.001 0.01 0.1
Energiegefälle JE

Abb. 16.28. Bemessungsdiagramm für Kreisprofile. Die Berechnungen basieren auf Gl. (11.4)
von Prandtl - Colebrook, mit einer Wandrauigkeit von kb = 1 mm. Die Durchflussgeschwin-
digkeit entspricht der mittleren Fliessgeschwindigkeit bei voller Füllung des Kreisprofils (die
Pfeile beziehen sich auf Beispiel 16.11)

Teilfüllungsgrad hTeil / D

0.8 Durchfluss Q

0.6

0.4
Fliessgeschwindigkeit v
0.2

0
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2
Qteil / Qvoll vTeil / vvoll

Abb. 16.29. Teilfüllungsdiagramme für Kreisrohre, theoretisch berechnet (die Pfeile beziehen
sich auf Beispiel 16.11)
278 16 Technik der Siedlungsentwässerung

Um Ablagerungen in Kanälen zu vermindern, wird in Schmutzabwasser- und


Mischwasserkanälen geprüft, ob bei Trockenwetterabfluss während der Tages-
stunden eine minimale Fliessgeschwindigkeit gewährleistet ist (Tabelle 16.3). An-
spruchsvollere Ansätze (DWA A110) gehen von einer minimalen Sohlschubspan-
nung aus, die erreicht werden muss um Ablagerungen zu vermeiden.
In Abb. 16.28 ist ein Bemessungsdiagramm für Kreisprofile dargestellt. Es ba-
siert auf Normalabfluss und erlaubt für die Dimensionierungswassermenge und
bestimmte Gefälle den erforderlichen Innendurchmesser der Kanalisation zu
bestimmen. Bei Teilfüllung können die Bedingungen mit Hilfe von Abb. 16.29 auf
effektive Betriebssituationen umgerechnet werden (s. Beispiel 16.11).

Tabelle 16.3. Minimale Fliessgeschwindigkeiten bei Trockenwetterabfluss während der Tages-


stunden (SIA 190, 2000)
Innendurchmesser des Kanals Minimale Fliessgeschwindigkeit v
-1
< 0.4 m 0.6 m s
-1
0.4 – 1.0 m 0.8 m s
-1
> 1.0 m 1.0 m s

Beispiel 16.11. Dimensionierung einer Kanalisation


Wie gross muss der Innendurchmesser einer kreisförmigen Kanalisation mit einer
Betriebsrauigkeit von kb = 1 mm gewählt werden, damit sie die folgenden Leistungen
erbringt?
Maximale Wassermenge bei Regen: Qmax = 0.25 m3 s-1
Täglich erreichte Wassermenge bei Trockenwetter: QTW = 0.01 m3 s-1
Sohlgefälle JS = 0.3 %
Nach Abb. 16.28 ergibt sich für Qvoll = 0.25 m3 s-1 und JS = 0.3 % ein erforderlicher
Durchmesser von 0.52 m. Da Kanalrohre in Abstufungen von 0.1 m genormt sind, muss
ein Rohr mit Durchmesser 0.6 m gewählt werden. Bei unverändertem Sohlgefälle hat
dieses Rohr eine Abflusskapazität von Qvoll,0.6 = 0.34 m3 s-1 und eine Fliessgeschwindig-
keit von vvoll = 1.2 m s-1.
Für die effektive maximale Belastung ergibt sich die folgende Situation:
Regenwetter: Qmax / Qvoll = 0.25 / 0.34 = 0.74 und dafür nach Abb. 16.29:
hTeil / D = 0.64 oder Abflusstiefe hmax = 0.64 ˜ 0.6 m = 0.38 m
vTeil / vvoll = 1.1 oder Abflussgeschwindigkeit vmax = 1.1 ˜ 1.2 m s-1 = 1.3 m s-1
Trockenwetter: QTW / Qvoll = 0.01 / 0.34 = 0.029 und dafür nach Abb. 16.29:
hTeil / D = 0.1 oder Abflusstiefe h = 0.1 ˜ 0.6 m = 0.06 m
vTeil / vvoll = 0.4 oder Abflussgeschwindigkeit vTW = 0.4 ˜ 1.2 m s-1 = 0.48 m s-1
Diese Fliessgeschwindigkeit ist geringer als das zulässige Minimum nach Tabelle 16.3.
Entweder muss das Gefälle erhöht werden, oder es kann ein Eiprofil eingesetzt werden,
das bei Niedrigwasser etwas grössere Fliessgeschwindigkeiten ergibt (Beispiel 16.12).

Beispiel 16.12. Vergleich eines Kreis- und eines Eiprofils


Eine Kanalisation hat ein Sohlgefälle von JS = 0.3%, sie soll bei Trockenwetter 0.01 m3
s-1 Abwasser ableiten. Aufgrund der geforderten Leistung bei Regenwetter muss ein
Kanalrohr mit einem Durchmesser von 0.6 m gewählt werden. Es kann mit einem kStrickler
von 85 m1/3 s-1 gerechnet werden.
16.2 Hydraulische Berechnungen 279

Wie gross sind die Abflusstiefe und die Fliessgeschwindigkeit in einem Kreisprofil?
Der hydraulische Radius des Kreisprofils beträgt R = D/4 = 0.15 m
Nach Gl. (16.2) wird vvoll = 85 ˜ 0.152/3 ˜ 0.0031/2 = 1.31 m s-1
Nach Gl. (16.3) wird Qvoll = 0.312 ˜ 85 ˜ 0.68/3 ˜ 0.0031/2 = 0.372 m3 s-1
Der Teilfüllungsgrad wird QTeil / Qvoll = 0.01 / 0.372 = 0.027
Aus Abb. 16.29 ergibt sich für QTeil / Qvoll = 0.027: HTeil / Hvoll = 0.10 und vTeil / vvoll = 0.40.
Und daraus:
HTeil = 0.010 ˜ 0.6 = 0.06 m, vTeil = 0.40 ˜ 1.31 = 0.52 m s-1
Diese Fliessgeschwindigkeit ist geringer als die minimal anzustrebende Fliessgeschwin-
digkeit von 0.8 m s-1 (Tabelle 16.3). Es muss bei Trockenwetter mit Ablagerungen ge-
rechnet werden.
Welche Situation ergibt sich in einem Eiprofil mit gleichem Durchmesser?
Nach Abb. 16.5 hat die Trockenwetterrinne eines Eiprofils nur den halben Durchmesser
des nominellen Durchmessers. Damit können wir für die Trockenwetterrinne die Teilfül-
lungsdiagramme für Kreisprofile nutzen (die Praxis kennt Teilfüllungsdiagramme auch
für Eiprofile, z.B. DWA A110).
Für die Trockenwetterrinne gilt der Durchmesser von 0.3 m. Der zugehörige hydrauli-
sche Radius wird R = 0.3 m / 4 = 0.075 m (Dieser Wert gilt nur für die Trockenwetterrin-
ne).
Nach Gl. (16.2) wird vvoll = 85 ˜ 0.0752/3 ˜ 0.0031/2 = 0.83 m s-1
Nach Gl. (16.3) wird Qvoll = 0.312 ˜ 85 ˜ 0.38/3 ˜ 0.0031/2 = 0.059 m3 s-1
Der Teilfüllungsgrad wird QTeil / Qvoll = 0.01 / 0.059 = 0.17
Aus Abb. 16.29 ergibt sich für QTeil / Qvoll = 0.17: HTeil / Hvoll = 0.27 und vTeil / vvoll = 0.73.
Und daraus:
HTeil = 0.27 ˜ 0.3 = 0.08 m, vTeil = 0.73 ˜ 0.83 = 0.61 m s-1
Die Fliessgeschwindigkeit ist im Eiprofil günstiger. Die Fliessgeschwindigkeit erreicht
den Wert von 0.6 ms-1, der nach Tabelle 16.3 für D = 0.3 m anzustreben ist. Zudem ist
die Teilabflusstiefe etwas grösser, sodass weniger Sedimente gebildet werden.

Eine interessante Darstellung ergibt sich, wenn bei Teilfüllung die Fliessge-
schwindigkeit in Funktion der Abflussmenge dargestellt wird (Abb. 16.30). Deut-
lich zeigt sich der Vorteil des Freispiegelgerinns: Bei geringer Wasserführung ist
die Fliessgeschwindigkeit das Mehrfache der Fliessgeschwindigkeit im vollen
Kreisprofil (Druckleitung). Das ist insbesondere in Kanalisationen von Bedeutung,
wenn es gilt, die Ablagerung von Sedimenten zu vermeiden.
Für die hydraulische Berechnung von Kanalisationen, Sonderbauwerken etc.,
ist es wichtig zu wissen, ob ein Abfluss strömend oder schiessend erfolgt: Je nach
Situation pflanzen sich Störungen (Wellen, Rückstau) nach oben oder nur nach
unten fort, oder wir müssen Wassersprünge erwarten oder Bauwerke nach anderen
Kriterien auswählen und dimensionieren etc. Querschnittsform und Dimension,
Rauigkeit, Gefälle und Wassermenge entscheiden bei Normalabfluss, ob der Ab-
fluss strömend oder schiessend ist. Die entsprechenden Modelle werden mit den
Grundlagen der Hydraulik vermittelt. Mit Hilfe von Abb. 16.31 kann für eine be-
stimmte Abflusssituation bestimmt werden, ob Schiessen oder Strömen vorliegt:
Ist die Abflusstiefe geringer als die kritische Tiefe, so schiesst der Abfluss.
280 16 Technik der Siedlungsentwässerung

vteil / vvoll
1.2
1
0.8
0.6
0.4
Abb. 16.30. Fliessgeschwindigkeit bei
0.2
Teilfüllung in Funktion der abfliessen-
0 den Wassermenge. Ausgezogene Linie:
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 Kreisprofil mit Teilfüllung. Gestrichelte
Qteil / Qvoll Linie: Druckleitung

Kritische Tiefe in m Kanaldurchmesser


10

2.0 m
1 1.0 m
0.5 m
0.3 m
0.1

0.01 Abb. 16.31. Kritische Tiefe in Kreis-


0.01 0.1 1 10 100 profilen in Funktion der Wassermenge
Wassermenge in m3 s-1 und des Kanaldurchmessers

Beispiel 16.13. Kritische Tiefe im Kreisprofil


Ist die Strömung im Kanalrohr aus Beispiel 16.11 strömend oder schiessend?
Qmax = 0.25 m3 s-1 bei hmax = 0.38 m und D = 0.6 m.
Nach Abb. 16.31 ergibt sich die kritische Tiefe für diese Situation zu hkrit = 0.32 m. Der
Abfluss ist strömend.
Bei Trockenwetter mit QTW = 0.01 m3 s-1 bei hTW = 0.06 m und D = 0.6 m ist der Abfluss
gerade kritisch.

16.2.3 Steilleitungen
Unter Steilleitungen verstehen wir teilgefüllte Leitungen mit Kreisquerschnitt, in
denen das Wasser wegen der hohen Fliessgeschwindigkeit und den Turbulenzen
an der Wasser-Luftgrenzfläche Luft aufnimmt. Es bildet sich ein Wasser-Luft-
Gemisch. Die Luft wird in Form von Luftblasen eingetragen, die sich wegen ihres
Auftriebes vor allem nahe der freien Wasseroberfläche ansammeln. Das Luft-
Wasser-Gemisch beansprucht in der Steilleitung im Vergleich zum Wasser allein
mehr Querschnittsfläche, entsprechend müssen die Leitungsdurchmesser vergrös-
sert werden.
16.2 Hydraulische Berechnungen 281

Beschleunigung

Luftaufnahme Energieumwandlung
Gleichgewicht
Luft - Wasser

turbulente
Grenzschicht

Einlauf Steilstrecke Auslauf

Abb. 16.32. Schematischer Längsschnitt einer Steilleitung

Ein Lufteintrag muss erst bei grossem Gefälle erwartet werden. Je nach
Durchmesser der Leitung im Bereiche von JS > 12% für D = 0.2 m, JS > 10% für
D = 0.5 m und JS > 7% bei D = 2 m.
In Abb. 16.32 ist ein schematischer Längsschnitt einer Steilleitung dargestellt.
Nach einem anfänglichen Gefällswechsel ist eine Vergrösserung der steilen Kana-
lisation erforderlich, um eine genügende Fliessstrecke für die Beschleunigung des
Wassers zu gewährleisten. Nachdem die turbulente Grenzschicht bis zum freien
Wasserspiegel aufgebaut worden ist, beginnt eine Luftaufnahme, die später ein
Gleichgewicht erreicht; der erforderliche Fliessquerschnitt ist grösser geworden.
Im Auslauf der Steilstrecke wird mit Vorteil ein einfaches Bauwerk zur Umwand-
lung der Energie angeordnet, in dem auch die aufgenommene Luft wieder ausge-
schieden wird.
SIA 190 und DWA A110 geben Anhaltspunkte für die Dimensionierung von
Steilleitungen. Die Dokumentation SIA D 0100 gibt zusätzlich Anhaltspunkte zu
Berechnungen von Teilfüllungen von steilen Leitungen.

16.2.4 Gefällswechsel
In hügeligen Regionen und im Alpengebiet sind Gefällswechsel zwischen Kanal-
strecken mit schwachem Gefälle und steilen Strecken recht häufig. Damit hier
kein Rückstau entsteht, muss diese Situation sorgfältig, auf der Grundlage von
hydraulischen Berechnungen gestaltet werden.
In Abb. 16.33 sind verschiedene Ausbildungen des Überganges einer
Flachstrecke in eine Steilstrecke dargestellt:
– Im Beispiel a) wird der Steilkanal unmittelbar im Übergang, basierend auf ei-
ner Berechnung des Normalabflusses, auf den kleineren Durchmesser redu-
ziert. Da in der Steilstrecke die Geschwindigkeitshöhe ein Vielfaches derjeni-
gen in der Flachstrecke beträgt, fehlt im Übergang die erforderliche Energie
für die Beschleunigung des Wassers – diese Situation wird zu Rückstau füh-
ren.
– Im Beispiel b) wird die erforderliche Energie durch einen zusätzlichen Absturz
zur Verfügung gestellt. Wird auch der Einlaufverlust berücksichtigt, so muss
282 16 Technik der Siedlungsentwässerung

a) E.L. b) c)
E.L.
Einlauf- E.L.
verlust

Abb. 16.33. Verschiedene Ausbildungen des Übergangs einer Flachstrecke in eine Steilstrecke.
Die Energielinien E.L. sind schematisch für Normalabfluss gezeichnet (nach Hörler 1967)

Abb. 16.34. Typischer Übergang von einer


Flachstrecke in eine Steilstrecke: Das gros-
se Kaliber wird beibehalten, bis das Wasser
genügend beschleunigt hat, um im kleinen
Kanal Platz zu finden

nicht mit Rückstau gerechnet werden. Allerdings wird die abgehende Leitung
anfänglich voll laufen. Das kann im Bereich vom Übergang zur Teilfüllung zu
Problemen mit der Belüftung führen.
– Im Beispiel c) wird vorläufig der grosse Durchmesser der Flachstrecke beibe-
halten. Das Wasser muss nicht im Bauwerk, sondern erst in der nachfolgenden
Kanalisation beschleunigt werden – ein Rückstau ergibt sich nicht. Nach einer
angemessenen Beschleunigungsstrecke kann der Durchmesser der neuen Situa-
tion angepasst werden.
In der Praxis wird der Einlauf in eine Steilstrecke mit Hilfe von abgestuften
Rohrdurchmessern nach Berechnung der Absenkkurve gestaltet (Abb. 16.34).
Heute werden Programme für die Berechnung der entsprechenden Absenkkurven
mit Berücksichtigung einer eventuellen Luftaufnahme angeboten.
Die Gefällswechsel von Steilstrecken zu Flachstrecken sind weniger kritisch,
aber auch sie sollen auf Grund von sorgfältigen hydraulischen Berechnungen ges-
taltet werden. Ist der Abfluss in der Flachstrecke strömend, so ergibt sich ein Was-
sersprung, dessen Position berechnet werden soll.

16.3 Modelle der Siedlungsentwässerung


In der Siedlungsentwässerung sind insbesondere als Folge von extremen Regen-
ereignissen keine maximal zu erwartenden Belastungen der Bauwerke bekannt.
Immer müssen wir mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eine Überlastung und
damit möglicherweise einen Schaden in Kauf nehmen. Auch häufige Ereignisse
(Entlastung von Mischwasser, Überlaufen von Regenüberlaufbecken) können wir
16.3 Modelle der Siedlungsentwässerung 283

nur mit Häufigkeiten charakterisieren und nicht mit „Sicherheit“ quantifizieren


und zeitlich voraussagen.
Historisch wurden für die Dimensionierung von Kanälen und Anlagen in der
Siedlungsentwässerung sehr einfache Modelle verwendet (z.B. die Fliesszeit-
methode, Abschn. 13.5.4, Seite 222). Dabei wurde die Häufigkeit des Versagens
eines Bauwerks mit der Häufigkeit des entsprechenden Dimensionierungsregens
gleichgesetzt. Beispiel 16.14 zeigt aber, dass das Auftreten von Schäden eine ganz
andere Häufigkeit haben kann, als das Auftreten eines Dimensionierungsereignis-
ses. Je länger je mehr wird daher nicht mehr die Häufigkeit der Ursache (Regen)
sondern die prognostizierte Häufigkeit der unerwünschten Situation (Überflutung,
Schaden, Entlastung, ...) als Kriterium zur Beurteilung und Dimensionierung einer
Massnahme herangezogen.
Die Vorhersage der Häufigkeiten der erwarteten Auswirkungen von Regen-
ereignissen bedingt, dass wir anspruchsvollere Modelle (und zugehörige Pro-
gramme) verwenden, die im Detail die ablaufenden Prozesse in der Siedlungsent-
wässerung beschreiben. Zudem können wir nicht mehr auf der Basis eines
einzelnen Dimensionierungsregens entscheiden, sondern es müssen vorzugsweise
lange Regenserien, die auf einer nahen Niederschlagsmessstation gemessen wur-
den, als Basis dienen.
In den 70er Jahren wurde in den USA das sogen. Storm Water Management
Modell (SWMM oder verbal „swimm“) entwickelt, das Modelle für den Oberflä-
chenabfluss und detaillierte nichtstationäre Modelle für den Abfluss in Kanalisati-
onen enthält. Dieses Modell ist als Programm laufend weiter entwickelt worden
und kann noch heute in einer modernen Version von der USEPA gratis bezogen
werden (Internet). Aufbauend auf diesem öffentlich zugänglichen „Know How“
(der Quell Code ist öffentlich) wurden auch viele privatwirtschaftliche Produkte
hergestellt, die z.T. mehr Bedienungskomfort und zusätzliche Optionen bieten.
Ein Verständnis für die Modelle, die diesen anspruchsvollen und umfangreichen
Programmpaketen zu Grunde liegen, ist Vorbedingung für deren sinnvolle An-
wendung. Das bedingt eine Vertiefung in die Probleme der Siedlungsentwässe-
rung, Siedlungshydrologie und Hydraulik.
Je nach Fragestellung, Komplexität der Verhältnisse und Erfahrungen der In-
genieurin kommen heute sehr unterschiedliche Berechnungsmethoden und Model-
le zur Anwendung (Abb. 16.35).

Beispiel 16.14. Vergleich von steilen und flachen Kanälen bei Überlastung
In Deutschland werden Kanalisationen typisch für Regen mit einer Jährlichkeit von
z = 2 a, in der Schweiz häufig für z = 5 a dimensioniert. Einer der Unterschiede zwi-
schen den beiden Ländern ist das durchschnittliche Gefälle der Kanalisationen, in
Norddeutschland eher flach, in der Schweiz eher steil.
In welcher Situation (z = 2 a, flach oder z = 5 a, steil) sind die Reserven in der Trans-
portkapazität der Kanalisationen grösser?
Fallbeispiel: Gegeben ist ein Einzugsgebiet mit einer Fläche F = 4 ha, einem mittleren
Abflussbeiwert \ = 0.33, einer massgebenden Regendauer t0 von 10 min, mit der Re-
genintensität, die typisch ist für Bern. Beurteilt werden soll ein Sammelkanal mit einer
Länge L = 300 m, der das Regenwasser aus diesem Einzugsgebiet ableiten kann.
QR = \ ˜ F ˜ r(t0,z) r(t0,z) für Bern (Tabelle 13.1)
284 16 Technik der Siedlungsentwässerung

einfach hydraulische Verhältnisse komplex


keine Rückstauungen grosse
klein Komplexität der Netzstruktur gross
klein
klein

Listenrechnung
von Hand
Detaillierte
Anzahl der Varianten
Grösse des Netzes

Einfache hydro-
Simulation dynamische
Fliesszeit- z.B. basierend Simulation
Methode auf basierend auf
kinematischer Gleichungs-
Welle system von
St. Venant
Programmierte
gross
gross

Listen

Abb. 16.35. Typische Modelle, die für die Dimensionierung und die Analyse von Problemen in
der Siedlungsentwässerung angewendet werden (GEP Richtlinie des VSA, 1989)

z= 2a r(10’, 2a) = 227 l s-1ha-1 QR = 0.300 m3 s-1


z= 5a r(10’, 5a) = 295 l s-1ha-1 QR = 0.389 m3 s-1
z = 10 a r(10’, 10a) = 354 l s-1ha-1 QR = 0.467 m3 s-1
Fall 1: Das Einzugsgebiet ist flach, der Sammelkanal hat ein Sohlgefälle von JS = 0.6%,
die Kanalisation wird mit dem massgebenden Regen für z = 2 a dimensioniert.
z=2a QR = 0.300 m3s-1 JS = 0.6%
o D = 0.5 m 'HS = 1.8 m ('HS = LKanal ˜ JS)
Wie reagiert dieser Kanal auf einen Regen mit einer Jährlichkeit von z = 10 a?
(JE = Energiegefälle nach Abb. 16.28)
z = 10 a QR = 0.467 m3s-1 D = 0.5 m JE = 1.3% 'HE = 3.9 m
'H = 'HE  'HS = 2.1 m
Damit der Regen mit einer Jährlichkeit von z = 10 a durch diese Kanalisation abgeleitet
werden kann, ist im oberen Schacht ein Überdruck (Überstau) von mindestens
'H = 2.1 m erforderlich, d.h. der Wasserstand im oberen Schacht muss mindestens
2.1 m über dem Scheitel der Kanalisation stehen.
Fall 2: Das Einzugsgebiet ist „steil“, der Sammelkanal hat ein Sohlengefälle von
JS = 3%, die Kanalisation wird mit dem massgebenden Regen für z = 5 a dimensioniert.
Wie reagiert dieser Kanal auf einen Regen mit einer Jährlichkeit von z = 10 a?
z= 5a QR = 0.389 m3s-1 D = 0.4 m JS = 3.0% 'HS = 9.0 m
z = 10 a QR = 0.467 m3s-1 D = 0.4 m JE = 4.5% 'HE = 13.5 m
'H = 'HE  'HS = 4.5 m
Damit der Regen mit einer Jährlichkeit von z = 10 a durch diese Kanalisation abgeleitet
werden kann, ist im oberen Schacht ein Überdruck von mindestens 'H = 4.5 m erfor-
derlich.
Schlussfolgerung: Der steile Kanal wird voraussichtlich überschwemmen, denn er ist
kaum 4.5 m überdeckt. Der flache Kanal kann das Ereignis mit z = 10 a gerade noch
16.4 Entwurf von Kanalnetzen 285

ableiten, denn 2.1 m sind eine typische Überdeckung für eine Kanalisation. Trotz gerin-
gerer Häufigkeit des Dimensionierungsregens hat der flache Kanal eine grössere Leis-
tungsreserve.

16.4 Entwurf von Kanalnetzen


Kanalnetze wachsen über lange Zeit und können kaum je als Ganzes neu gestaltet
werden. Historische Gegebenheiten sind die Basis für die weitere Entwicklung.
Trotzdem muss mit Hilfe eines Generalentwässerungsplans (GEP, Kapitel 17)
darauf geachtet werden, dass sich ein Kanalnetz gezielt und nach einem über-
schaubaren Konzept entwickelt.
Die meisten Kanalnetze sind als Verästelungsnetze gestaltet, d.h. Vereini-
gungsschächte haben jeweils nur einen abfliessenden Kanal. Selten werden in be-
stehenden Netzen durch Vermaschung einzelne Kanäle mit einem Überlauf in ei-
nen anderen, leistungsfähigeren Kanal entlastet. Solche Entlastungskanäle treten
aber häufig erst bei hoher hydraulischer Belastung in Funktion.
Die meisten Kanalisationen folgen den öffentlichen Strassen. Im Strassen-
querschnitt liegen die Schmutzwasser- und Mischwasserleitungen zuunterst (Soh-
lentiefen von 3–5 m sind typisch), allfällige Meteorwasserleitungen liegen höher,
aber noch unter den Wasser-, Gas-, Elektrisch- und Telefonleitungen. Die Tiefen-
lage der Schmutzwasserleitung soll in der Regel ausreichen, um das erste Keller-
geschoss mit genügend Gefälle zu entwässern (Abb. 16.6). Querverbindungen zu
den Liegenschaften können so im freien Gefälle angeordnet werden.
Das gewählte Kanalgefälle folgt in erster Näherung dem Strassengefälle. Es
soll ausreichen, um im Schmutzwasser- und Mischwasserkanal bei Trockenwetter
die minimalen Fliessgeschwindigkeiten zu gewährleisten (Tabelle 16.3).
Die Kanalisationen werden entsprechend ihrer langen Lebenserwartung von
50–100 Jahren mit einem langen Planungshorizont geplant. Zukünftige, obenlie-
gende Baugebiete müssen berücksichtigt werden.

16.5 Abflusssteuerung im Entwässerungsnetz


In der Siedlungsentwässerung werden viele Elemente gebaut, die auf sehr seltene
Ereignisse und eine erst in Zukunft auftretende Belastung ausgelegt sind. Zudem
ist die Regenintensität nicht gleichmässig auf ein ganzes Einzugsgebiet verteilt. Es
bestehen also Transportkapazitäten, die nur selten genutzt werden.
Ziel der Abflusssteuerung ist, so auf den Abfluss in einem Entwässerungssys-
tem einzuwirken, dass die Belastung der Gewässer mit Mischwasser und entspre-
chenden Schadstoffen während einem Regenereignis möglichst gering gehalten
wird. Das bedingt, dass im Einzugsgebiet durch Stellorgane (Wehre, Pumpen,
Schieber) in den Abflussprozess eingegriffen werden kann. Basis für solche Ein-
griffe sind fernübertragene Messungen von Niederschlag, Wasserstand und Ab-
fluss (in grossen Städten auch Wetterradar) und möglicherweise Abflussmodelle.
Die Abflusssteuerung ist besonders vielversprechend in flachen Kanalnetzen.
In steilen Kanälen sind Rückstaustrecken von Wehren kurz und haben ein gerin-
ges Volumen. Hier ist es entsprechend aufwändig, in den Abflussprozess ein-
286 16 Technik der Siedlungsentwässerung

zugreifen. Der Betrieb von Regenüberlaufbecken wird häufig durch lokale Regel-
kreise unterstützt. Es ist absehbar, dass in grossen Einzugsgebieten in Zukunft
vermehrt Entwässerungsanlagen regional, von zentralen Warten aus, gesteuert
werden. Die bessere Ausnützung der bestehenden Speichervolumen ist hier oft
billiger als der Bau von neuem, schlecht und selten genutztem Retentionsvolumen.
Siehe auch Schilling 1990.

16.6 Messtechnik
Heute werden in der Siedlungsentwässerung noch überraschend wenig Messgeräte
eingesetzt: Teure Bauwerke wie Regenüberlaufbecken werden im Betrieb noch
kaum überwacht, entsprechend fehlen uns immer wieder gute Grundlagen, um
eine zuverlässige Erfolgskontrolle durchzuführen. Die Schwierigkeit bei der Mes-
sung von Grössen, die für die Siedlungsentwässerung von Bedeutung sind, liegt in
ihrer grossen Variabilität, sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht.
Zudem müssen diese Grössen im rohen Mischwasser gemessen werden, das Grob-
stoffe aller Art enthält. Die Messgeräte müssen meist dezentral aufgestellt werden,
automatisch betrieben werden können und Messwerte mit grosser zeitlicher Auf-
lösung liefern. Es ist empfehlenswert, vor der Aufstellung von Messinstrumenten
erfahrene Praktiker zu konsultieren.
Niederschlagsmessung, Wasserstandsmessung (Füllstände, Niveaumessung)
und gelegentlich Durchflussmessung kommen zur Anwendung. Die Messung von
Stoffkonzentrationen ist nur im Rahmen von Forschungsprojekten, mit grossem
personellem Aufwand möglich. Eine zuverlässige Durchflussmessung ist bis heute
noch kaum verfügbar.

16.7 Betrieb der Siedlungsentwässerung


Die Installationen der Siedlungsentwässerung müssen laufend überwacht, gerei-
nigt, unterhalten und betrieben werden. Dazu sollen im Rahmen der generellen
Entwässerungsplanung (GEP, Kapitel 17) die entsprechenden Pläne erarbeitet
werden.
Mit Hilfe von Fernsehkameras werden Kanäle regelmässig im Detail beobach-
tet und je nach Schadenbild und Gefährdung des Grundwassers zeitlich gestaffelte
Massnahmen zur Sanierung von schadhaften Kanälen geplant.
Die Kontrolle und der Betrieb von Sonderbauwerken (Regenbecken, Regen-
überfälle, Pumpwerke etc.) wird mit Vorteil dem Personal übertragen, das auch
die Kläranlage betreibt.
17 Entwässerungsplanung

Dem generellen Entwässerungsplan (GEP, auch Generalentwässerungsplan oder


engl. sewer master plan) kommt in der Siedlungsentwässerung eine zentrale stra-
tegische und operationelle Rolle zu. Er enthält die Grundlagen und Konzepte für
den Ausbau der Entwässerungsanlagen, deren Unterhalt, Betrieb und Finanzie-
rung. Zudem wird beschrieben, wie die anfallenden Daten verwaltet werden und
wer für was zuständig ist. Bis ca. 1990 kannten die Gemeinden nur das generelle
Kanalisationsprojekt (GKP). Ein moderner GEP geht weit über dieses GKP hin-
aus.

17.1 Generelles Kanalisationsprojekt (GKP)


Historisch wurde das Konzept, nachdem eine Siedlung entwässert wurde, v.a. im
Rahmen eines generellen Kanalisationsprojekts (GKP, master plan) erarbeitet. In
diesem GKP standen ursprünglich die Belange der Kanalisation und des schnellen
Ableitens von Abwasser aus den Siedlungen im Vordergrund. Der Anfall und der
Transport von Schmutzstoffen sowie die Belastung der Umwelt im Zusammen-
hang mit der Rückführung des Abwassers in die Umwelt, standen eher im Hinter-
grund. Die lange Lebenserwartung von Abwasserleitungen macht es erforderlich,
die Entwicklung der Entwässerung und der Siedlungen miteinander zu koordinie-
ren. Nach Hörler (1966) hatte ein GKP einer Gemeinde zu umfassen:
– Übersichtsplan 1 : 10‘000;
– Situationsplan 1 : 2000;
– Längenprofile der Hauptsammelkanäle 1 : 2000/100 (20-fach überhöht);
– hydraulische Dimensionierung der Kanäle (Listenrechnung, meist nach dem
Fliesszeitverfahren, s. Abschn. 13.5.4, Seite 222) und eine Detailberechnung
hydraulisch kritischer Punkte;
– generelle Studien zur Abklärung des Platzbedarfes der Abwasserreinigungsan-
lage (die heute meist gebaut ist);
– Technischer Bericht: Erläuterung der Projektgrundlagen, Ergebnisse von Ver-
gleichsberechnungen, Begründung der gewählten Lösung.
Das GKP wurde periodisch überarbeitet und mit der Entwicklung der Ortspla-
nung in Einklang gebracht. Die meisten Kommunen haben heute ein GKP, auf
dem sie ihre Entscheide in Bezug auf den weiteren Ausbau der Siedlungsentwäs-
serung basieren können.
Die Anforderungen an die Siedlungsentwässerung, insbesondere aus der Sicht
des Gewässerschutzes, haben laufend zugenommen. Heute werden die Grundlagen
der Siedlungsentwässerung im Rahmen des generellen Entwässerungsplans (GEP)
288 17 Entwässerungsplanung

erarbeitet. Dieser wurde in der Schweiz 1989 mit den entsprechenden Richtlinien
des VSA eingeführt. Das traditionelle GKP ist nur noch ein Teilplan des GEP.

17.2 Genereller Entwässerungsplan (GEP)


Der GEP ist ein umfassender Plan, der die Ziele und die zukünftige Entwicklung
der Siedlungsentwässerung umschreibt. Er ist die Basis für die koordinierte Ent-
wicklung der Entwässerungsanlagen und deren Betrieb.
Der generelle Entwässerungsplan (GEP) wurde 1989 durch eine Richtlinie des
VSA (Verband Schweizerischer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute) in die
schweizerische Praxis eingeführt. Dies entspricht nicht dem üblichen Vorgehen,
nach dem Richtlinien die Aufgabe haben, die Praxis zu vereinheitlichen und damit
die Innovation der Praxis eher verzögern (diese dafür im Mittel qualitativ verbes-
sern). Die Bearbeitung des 1989 neu vorgeschlagenen GEP nimmt mehrere Jahre
in Anspruch. Eine einheitliche Praxis der GEP Bearbeitung bildet sich erst heraus.
Viele Teilaspekte der GEP Bearbeitung sind für die praktisch tätigen Ingenieure
eher ungewohnt, der VSA hat daher ein Musterbuch erarbeitet, das Anregungen in
Form von Ausführungsbeispielen vermittelt.
Der GEP ist ein interdisziplinäres und integrierendes Instrument: Er wird erar-
beitet durch Ingenieurinnen, Hydrogeologen, Ökologen, Informatikerinnen etc. Er
dient sowohl der lokalen als auch der übergeordneten Verwaltung im Vollzug und
unterstützt die Ingenieurarbeit sowie den Betrieb, den Unterhalt, die Erneuerung,
die Finanzplanung, die Dokumentation etc., also alle Aspekte der Siedlungsent-
wässerung. Zunehmend wird der GEP vom kommunalen Niveau auch auf das re-
gionale Niveau ausgedehnt.
Der ideale GEP ist ein sehr umfassender Plan:
– Die Grundlage stellt eine umfangreiche Erhebung von Basisdaten dar: Beste-
hende Installationen, Gewässercharakterisierungen, Versickerungskarten, Zu-
standsberichte für Gewässer, Kanalisation, Fremdwasser, Einzugsgebiete, Ge-
fahrenbereiche, Regencharakteristik, ...
– Als Arbeitsinstrumente werden Datenbanken und mathematische Modelle eva-
luiert.
– Teilpläne werden erarbeitet: zur Gestaltung des Leitungsnetzes und der Son-
derbauwerke, zur Reduktion des Fremdwassers, zur Versickerung und Retenti-
on des Regenwassers, zum Entlastungskonzept und zur Behandlung des Re-
gen- und Mischwassers, zum Betrieb der Installationen (Abflusssteuerung),
zum Umgang mit Störfällen, zum Unterhalt, zu Reparaturen und zur Sanierung
des Entwässerungsnetzes.
– Es werden Pflichtenhefte für alle Beteiligten geschrieben und Finanzpläne er-
stellt etc.
Schon heute ist absehbar, dass in Zukunft noch weitere Aspekte in den GEP
aufgenommen werden: Wirtschaftliche Aspekte, die Vernetzung mit der Wasser-
versorgung und ev. der Wasserwirtschaft. Der GEP ist der Vorläufer eines umfas-
senden, siedlungswasserwirtschaftlichen Rahmenplans, der alle Aspekte der Sied-
lungswasserwirtschaft koordinieren wird. Heute haben die Kommunen allerdings
17.3 Rollenteilung zwischen Politik und Ingenieur 289

noch kaum ein Verständnis dafür entwickelt, welchen Wert ein fundierter und
breit angelegter GEP darstellt.
Die Kosten für das Erarbeiten einer ersten Version eines GEP betragen je nach
Grösse der Kommune 50–250.- Fr. pro Einwohner. Für eine Gemeinde mit 5000
Einwohnern sind das Fr. 0.5–1 Mio., wobei die Erhebung der Grundlagedaten den
grössten Teil ausmacht. Anschliessend soll der Plan dauernd aktuell gehalten wer-
den. Heute schrecken die Kommunen noch vor diesen „unproduktiven“ Kosten
zurück, in Zukunft wird der GEP aber zum zentralen strategischen und operatio-
nellen Managementwerkzeug. In der Praxis besteht heute das Bedürfnis, den GEP
nicht nur für einzelne Kommunen zu erarbeiten, sondern insbesondere den Ge-
wässerschutz in ganzen Einzugsgebieten zu koordinieren: Es entsteht der regiona-
le Entwässerungsplan REP (VSA 2000).
Moderne Siedlungsentwässerung kann nur betrieben werden, wenn ein leis-
tungsfähiges Informationssystem die Grundlagedaten der Entwässerungsplanung
mit Daten über den Zustand, den Betrieb, Kosten, administrative Abläufe etc. ver-
bindet und in geeigneter Form als Information zur Verfügung stellt und verwaltet.
Die Erarbeitung von solchen Informationssystemen ist heute in vollem Gange und
stellt eine grosse Herausforderung der Siedlungswasserwirtschaft dar. Daten sind
die strategische Ressource für die Zukunft dieses Arbeitsgebiets.

17.3 Rollenteilung zwischen Politik und Ingenieur


Der Zielzustand der Siedlungsentwässerung muss politisch festgelegt werden: Es
ist eine politische Aufgabe, auszuhandeln, wieviel Mittel für die Siedlungshygiene
oder den Schutz der Umwelt resp. der Siedlungen zur Verfügung stehen. Dabei
besteht die Schwierigkeit, Schäden an Gütern, an Menschen und an der Umwelt zu
gewichten und gegeneinander abzuwägen. Es ist die Aufgabe der Politikerin, zu
entscheiden, ob Mittel der Allgemeinheit gespart werden sollen und dafür z.B. die
Überflutung von Liegenschaften häufiger in Kauf genommen werden muss.
Die möglichen Schäden und Risiken zu bezeichnen und zu quantifizieren ist
die Aufgabe der Ingenieurin. Sie soll aufzeigen, welche Massnahmen möglich
sind, was sie kosten und was sie bewirken. Ihre Vorschläge beruhen auf den Fach-
kenntnissen, den Berufserfahrungen und auf den gesetzlichen Grundlagen oder
technischen Richtlinien. Die Ingenieurin ist für die Wahl der richtigen Verfahren,
Berechnungsmethoden und für die technische Gestaltung der Lösungen verant-
wortlich. Sie kann nicht für die Festlegung der Zielzustände zuständig sein, son-
dern nur für deren Einhaltung. Sie stellt die Entscheidungsgrundlagen zur Verfü-
gung und berät die politischen Instanzen, welche im Rahmen der gesetzlichen
Bestimmungen die Entscheidungsträger sind.
18 Abwasserreinigung

Die Abwasserreinigung ist heute eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die ein ver-
tieftes Verständnis von Grundlagen aus den unterschiedlichsten Disziplinen be-
darf: Chemie, Mikrobiologie, Verfahrenstechnik, Biotechnologie, Steuer- und Re-
gelungstechnik, etc. Hier wird nur ein Überblick über die wichtigsten Verfahren
vermittelt.

18.1 Aufgaben der Abwasserreinigung


Die Aufgaben der Abwasserreinigung sind nicht absolut festgelegt, sondern sie
müssen politisch ausgehandelt werden: Wieviel ist die Gesellschaft bereit für den
Schutz der Gewässer auszugeben?
Aufgabe der Abwasserreinigung ist, zuverlässig und ökonomisch unerwünschte
Schmutzstoffe aus dem Abwasser zu entfernen und diese soweit aufzubereiten,
dass sie definitiv entsorgt oder einer Nutzung zugeführt werden können.
– Zuverlässig heisst, dass die Abwasserreinigungsanlagen eine hohe Verfügbar-
keit von gegen 100% aufweisen müssen; d.h. auch während Wochenenden und
Festtagen, in der Nacht und während Gewittern, bei Unterhaltsarbeiten, Um-
bauten und Revisionen muss eine, aus der Sicht der Gewässer genügende Rei-
nigungsleistung gewährleistet sein: „We never close“. Die Verfügbarkeit einer
genügenden Leistung von Abwasserreinigungsanlagen liegt im Allgemeinen
über 99% der Zeit.
– Ökonomisch heisst, dass unter Berücksichtigung der Jahreskosten (Betrieb,
Unterhalt, sowie Amortisation und Verzinsung der Investitionen) eine mög-
lichst günstige Situation resultieren soll. Durch Subventionen wird das häufig
verfälscht: Gemeinden oder Zweckverbände (die Eigentümer der Kläranlagen)
sind interessiert, mit grossen Subventionen, die meist nur für Investitionen
ausgerichtet werden, die Betriebskosten niedrig zu halten. Da die Abwasser-
reinigung als Produkt „Geschützte Umwelt“ hat, das sich nicht verkaufen lässt,
stehen häufig nur ungenügende finanzielle Mittel für einen zuverlässigen Be-
trieb zur Verfügung. Obwohl die Gebühren für die Abwasserreinigung kosten-
deckend sein müssen, werden diese in der Schweiz in vielen Kommunen an
Gemeindeversammlungen verhandelt.
– Unerwünschte Schmutzstoffe sind solche, die nach der momentanen Auffas-
sung und je länger je mehr in Abhängigkeit von der Vorflut, in die das gerei-
nigte Abwasser eingeleitet wird, aus dem Abwasser entfernt werden müssen:
Historisch vorerst Stoffe, die die Gewässer verschlammt haben (Sedimente,
TSS), dann biologisch abbaubare organische Stoffe (BSB5), dann Ammonium
292 18 Abwasserreinigung

(NH4+), Phosphor (P), Nitrat (NO3-) und heute Mikroverunreinigungen wie


Medikamente und Produkte der persönlichen Hygiene.
– Die Aufbereitung der eliminierten Schmutzstoffe geschieht im Rahmen der
Schlammbehandlung. Die produzierten Schlämme sollen gefahrlos (Hygiene,
Akkumulation von Schadstoffen, Abschwemmung in die Gewässer und Versi-
ckerung ins Grundwasser) und ohne übermässige Geruchsentwicklung in die
Landwirtschaft ausgebracht oder in geeigneter Form deponiert werden können
(heute meist als Asche eines Verbrennungsprozesses).
Die Aufgabe der Abwasserreinigung ist im Verlauf der Zeit stark ausgedehnt
worden, insbesondere weil mit zunehmendem Wohlstand in den Industrieländern
die Belastung der Gewässer gestiegen ist (v.a. mit dem Ausbau der Schwemmka-
nalisation) und gleichzeitig immer höhere, anspruchsvollere Anforderungen an
den Zustand und die Nutzung der Gewässer gestellt werden. In Zukunft wird es
darum gehen, die Prinzipien der Nachhaltigkeit und der Ressourceneffizienz auch
in der Abwasserreinigung zu berücksichtigen.
Abwasserreinigung ist eine Aufgabe im Bereiche des Gewässerschutzes: Die
Gewässer werden genutzt um Abwasser abzuleiten. Abwasser ist mit Schmutzstof-
fen belastet, die in den Gewässern unerwünschte Folgen haben. Die Abwasser-
reinigung soll dazu beitragen, diese Folgen so weit als möglich (und wirtschaftlich
tragbar) zu vermindern. Die Zielsetzung der Abwasserreinigung ist nie eine abso-
lute (z.B. die Abwassereinleitung darf keine Schäden verursachen), sondern, im
Rahmen von politischen Diskussionen um die Ziele des Gewässerschutzes, nur
eine relative. Was den westlichen Industrieländern als schützenswert erscheint, ist
häufig in Entwicklungsländern kaum von Belang (was in Anbetracht der akuten
lokalen Probleme mehr als verständlich ist).

Beispiel 18.1: Was verkauft die Stadtentwässerung?


Die Wasserversorgung verkauft Trinkwasser, ein vom Gesetz klar definiertes Produkt,
zu dem wir alle eine Beziehung haben. Aber was verkauft die Stadtentwässerung?
Sauberes Abwasser, geschützte Umwelt, hygienische Siedlungen etc. sind kaum Pro-
dukte, für die der Einzelne Konsument bereit ist zu Gunsten der Allgemeinheit Gebüh-
ren zu bezahlen, er wird ja kaum gerade bei der Einleitung „seines“ Abwassers die Na-
tur geniesssen.
Wir kaufen von der Stadtentwässerung das Recht, verschmutztes Abwasser in die Ka-
nalisation einzuleiten. Als Gegenleistung stellt uns die Gemeinde den Kanal zur Verfü-
gung und gewährleistet, dass unser Abwasser entsprechend den gesetzlichen Anforde-
rungen gereinigt und eingeleitet wird. So formuliert könnte jeder Private diese
Dienstleistung auch anbieten.

18.2 Einleitbedingungen von Kläranlagen


Einleitbedingungen charakterisieren die Anforderungen an das gereinigte Abwas-
ser, bevor es in die Vorflut (das Gewässer) eingeleitet werden darf. Einleitbedin-
gungen werden mit statistischen Eigenschaften angegeben: In der Schweiz müssen
die Grenzwerte in Anlagen für 10’000 – 50'000 Einwohner z.B. in 10 von 12 Pro-
ben pro Jahr eingehalten werden. Dabei beziehen sich die Grenzwerte auf men-
18.2 Einleitbedingungen von Kläranlagen 293

genproportionale 24-Stunden-Sammelproben, die in regelmässigen Abständen an


verschiedenen Wochentagen entnommen werden.
Tabelle 18.1 ist eine Zusammenfassung der Entwicklung der Einleitbedingungen
von Kläranlagen in der Schweiz. Angegeben sind die Parameter, die regelmässig
kontrolliert werden, sie sind heute in der eidgenössischen Gewässerschutzverord-
nung (1998) festgehalten. Weitere chemische und physikalische Grössen werden
in begründeten Spezialfällen kontrolliert.
– TSS steht für Total Suspendierte Stoffe und begrenzt die Konzentration der
partikulären, von blossem Auge sichtbaren Stoffe, die in den Gewässern aus-
sedimentieren können und dadurch zur Verschlammung der Sedimente führen.
Seit ungefähr 1976 ist mit der Einführung der Filtration über Sandbetten für
einzelne Anlagen eine Verschärfung des Grenzwerts möglich. Der Wert von 5
g TSS m-3 kann mit konventionellen Reinigungsverfahren (Abb. 18.1) in der
Regel nicht eingehalten werden und bedingt weitergehende Verfahren wie z.B.
die Filtration.
– BSB5 steht für den Biochemischen Sauerstoffbedarf während 5 Tagen und ist
ein Mass für die Belastung der Gewässer mit biologisch abbaubaren organi-
schen Stoffen, welche bei übermässiger Einleitung v.a. in Fliessgewässern zu
einer Massenentwicklung von Bakterien führen, die in unansehnlichen, grauen
Zotten im Wasser fluten („Abwasserpilz“, Sphärotilus natans). Das kann im
Sediment zu sauerstoffarmen oder anaeroben Verhältnissen führen. Die zu-
nehmende Erfahrung mit der biologischen Reinigung erlaubte diesen Grenz-
wert für einzelne Anlagen zu verschärfen – er kann meist mit ausschliesslich
biologischen Verfahren eingehalten werden.
– DOC steht für „Dissolved Organic Carbon“ und ist ein Mass für den Restge-
halt des gereinigten Abwassers an organischen Verbindungen, unabhängig da-
von ob diese noch biologisch abbaubar sind oder nicht. Biologisch schwer ab-
baubare und nicht abbaubare Verbindungen sind den heute angewendeten
(biologischen) Verfahren nur beschränkt zugänglich. Mit der Begrenzung des
DOC wollen wir die Restbelastung des Abwassers mit solchen Stoffen in
Grenzen halten, was z.T. nur mit Massnahmen an der Quelle (z.B. Produk-
tespezifikationen) möglich ist. Bei den Inhaltsstoffen der Wasch- und Reini-
gungsmittel ist das in den letzten Jahren zunehmend geschehen. Der seit 1976
vorgeschriebene Grenzwert kann heute durch gut betriebene biologische Ver-
fahren in der kommunalen Abwasserreinigung eingehalten werden, Probleme
können sich bei industriellen Abwässern ergeben. (In vielen Ländern, insbe-
sondere in der EU, wird an Stelle des DOC der CSB (Chemischer Sauerstoff-
Bedarf) zur Beurteilung der organischen Stoffe im Ablauf von Kläranlagen
verwendet.)
– Ammonium (NH4+) ist eine mineralische Form von Stickstoff, die im Gewässer
zu grosser Sauerstoffzehrung führen kann und unter ungünstigen Bedingungen
(hoher pH-Wert, hohe Temperatur) zum fischgiftigen Ammoniak (NH3) disso-
ziiert. Eine Begrenzung drängt sich v.a. in Forellengewässern auf. Seit ca.
1975 stehen Verfahren (Nitrifikation) sowie gesicherte Erfahrungen und Di-
mensionierungsmodelle zur Verfügung, die uns für einzelne Anlagen erlauben,
niedrige Grenzwerte zu setzen (2 g NH4-N m-3 im Ablauf bedingen eine Ver-
294 18 Abwasserreinigung

ringerung um bis zu 95%). Seit 1980 kann der Grenzwert auf Grund zuneh-
mender Erfahrungen weiter verschärft werden.
– Nitrit (NO2-) ist eine mineralische Form von Stickstoff, die schon in geringen
Konzentrationen fischgiftig ist. Der vorgesehene Grenzwert kann mit biologi-
schen Reinigungsverfahren bei guter Gestaltung und sorgfältigem Betrieb ein-
gehalten werden.
– Nitrat (NO3-) ist die dritte Form von mineralischem Stickstoff, die für unsere
Gewässer von Bedeutung ist. Es wird begrenzt im Hinblick auf den Schutz un-
serer Oberflächengewässer als Quelle für die Wasserversorgung (sowohl direkt
als auch indirekt über die natürliche Infiltration ins Grundwasser). Zum Schut-
ze der Nordsee wird heute Nitrat im Ablauf von grösseren Kläranlagen insbe-
sondere in Nordeuropa limitiert. Seit ca. 1980 kann die biologische Abwasser-
reinigung so gestaltet werden, dass zuverlässig eine mindestens teilweise
Reduktion des Nitrats erreicht wird. In der Schweiz wird nur für grosse Klär-
anlagen eine Elimination von Stickstoff, d.h. eine Reduktion der Nitratfracht,
gefordert. Anlagen oberhalb der grossen Seen tragen kaum zur Belastung der
Nordsee bei. Zur Reduktion der Stickstoffbelastung der Gewässer soll auch die
Landwirtschaft beitragen.
– Phosphat (PO43-) und seit 1976 totaler Phosphor werden begrenzt, um die
Überdüngung (Eutrophierung) unserer Seen möglichst gering zu halten. Tradi-
tionell sind v.a. chemische Verfahren (Fällung) für die Elimination von Phos-
phor eingesetzt worden. Die Verringerung des Grenzwerts nach 1986 von 1.0
auf 0.8 g Ptot m-3 widerspiegelt die Massnahmen an der Quelle (Verbot von Po-
lyphosphaten in Textilwaschmitteln, 1986). Der Grenzwert von 0.2 g Ptot m-3
bedingt den Einsatz von weitergehenden Reinigungsverfahren (Flockungs-
filtration). Heute können auch rein biologische Verfahren grössere Mengen
Phosphor aus dem Abwasser entfernen, die strengen Grenzwerte können diese
aber nur in Kombination mit chemischer Fällung einhalten.

Tabelle 18.1. Entwicklung der Einleitbedingungen von Schweizerischen Abwasserreinigungsan-


lagen. Angegeben sind die strengsten Werte, die typisch für weitergehende Abwasserreinigung
verlangt werden. Die Minimalanforderungen müssen heute (2006) von allen Anlagen > 10'000
EG eingehalten werden. In Anlagen bis 50’000 EG gelten die Werte als eingehalten, wenn in 10
von 12 mengenproportionalen 24-Stunden-Sammelproben, die in regelmässigem Abstand an
unterschiedlichen Wochentagen aus dem Ablauf der Kläranlagen gezogen werden, die Grenz-
-3
werte nicht überschritten worden sind. Alle Angaben sind in g m .
Jahr 1966 1976 Seit ca. 1980 Minimal (2006)
TSS 20 5 5 15
BSB5 20 10 5–10 15
DOC - 10 10 10
+
Ammonium (NH4 +NH3-N) - 2 1–2 2 ab 10°C
-
Nitrit (NO2 -N) 0.3 0.3 0.3 0.3
-
Nitrat (NO3 -N) - - 10 -
Phosphat-P 0.7 - - -
P total - 1 0.2–1.0 0.8
18.2 Einleitbedingungen von Kläranlagen 295

Die Einleitbedingungen in Tabelle 18.1 sind stark vereinfacht dargestellt. Heu-


te müssen je nach Anlagengrösse zusätzliche Bedingungen erfüllt werden (mini-
maler Reinigungsgrad, Begrenzung des totalen Stickstoffs, Jahresfrachten, maxi-
male Konzentrationen, Anzahl der gezogenen Proben, etc.), die hier nicht im
Detail dargestellt werden können.
Zusammenfassend ergibt sich das Bild, dass für immer mehr verschiedene
Stoffe immer strengere Anforderungen an das gereinigte Abwasser gestellt wer-
den. Verschärfungen der Einleitbedingungen werden hauptsächlich als Folge der
zunehmenden technischen Möglichkeiten der Abwasserreinigung eingeführt. In
der Schweiz ist es üblich, Einleitbedingungen gegenüber den Minimalanforder-
ungen nur zu verschärfen, wenn das aus der Sicht der Gewässer wirklich erforder-
lich ist. Internationale Verpflichtungen führen aber je länger je mehr dazu, dass
das technisch machbare auch gefordert wird.

Beispiel 18.2. Verdünnung des Abwassers in der Vorflut


Das folgende Beispiel gibt nur Grössenordnungen.
Im schweizerischen Mittelland wohnen ca. 500 Einwohner pro km2 (Die Schweiz hat ca.
7 Mio. E und eine Fläche von 40'000 km2 Ÿ 175 E km-2, nur 1/3 der Schweiz ist be-
wohnbar), diese liefern bei Trockenwetter pro Jahr 50'000 m3 km-2 Abwasser (plus
Fremdwasser) oder 1.6 l s-1 km-2.
Auf 1 km2 fallen 1 Mio. m3 Regenwasser, davon gehen 30% durch Evapotranspiration
verloren, weitere 15% fliessen direkt während des Regens oberflächlich ab und 5%
werden als Trinkwasser genutzt (50'000 m3 km-2 a-1). Der Basisabfluss der Fliessge-
wässer (gespeist durch Grundwasser) beträgt also ca. 50% des Niederschlags oder
500'000 m3 km-2 a-1.
Das Verhältnis des Niedrigwassers Q347 (Wassermenge, die an 95% der Tage über-
schritten wird) zur mittleren Wasserführung, die an ca. 50% der Tage überschritten wird,
beträgt typisch ca. Q347 / Q182 = 1 / 3. Daraus ergibt sich die Niedrigwasserführung im
„typischen“ Fliessgewässer zu ca. 500'000 / 3 = 170'000 m3 km-2 a-1 oder 5.4 l s-1 km-2.
Die Verdünnung des Abwassers beträgt also bei Niedrigwasser im schweizerischen
Mittelland, wenn kein Wasser aus den schwachbesiedelten Voralpen als Verdünnungs-
wasser zur Verfügung steht: QAbwasser / (Q347,Fluss+QAbwasser) = 1 / 4.4.
Um eine Ammoniumkonzentration von < 0.4 g N m-3 einzuhalten, muss daher die Ein-
leitbedingung auf 1–2 g NH4+-N m-3 lauten (die Fliessgewässer sind meist mit Ammoni-
um nur wenig vorbelastet!).
Die Nitratkonzentration in vielen Bächen beträgt ca. 2 g NO3--N m-3 (Vorbelastung aus
der Landwirtschaft). Der Grenzwert in den Fliessgewässern der Schweiz liegt bei 6 g
NO3--N m-3. Die Nitratkonzentration im Abwasser SNO3 muss deshalb auf den folgenden
Wert begrenzt werden:
SNO3 = ((QAbw+QFluss)·6 - QFluss·2) / QAbw = 20 g NO3--N m-3.
In den meisten gereinigten kommunalen Abwässern der Schweiz wird diese Konzentra-
tion auch ohne Stickstoffelimination eingehalten.

Beispiel 18.3: Einleitbedingungen in andere Ländern


Im Vergleich zur Schweiz unterscheiden sich sowohl in Deutschland als auch in Oste-
reich die Einleitbedingungen und die zugehörige Art der Probenahme stark.
Tabelle 18.2 gibt eine Übersicht über die Anforderungen in Deutschland, die in einer
296 18 Abwasserreinigung

sogen. qualifizierten Stichprobe eingehalten werden müssen. Für die Probenahme wer-
den entweder 5 Stichproben innerhalb von 2 h im Abstand von je mindestens 2 min
gezogen und gemischt oder es wird eine 2 h Mischprobe erhoben.
Im Vergleich zu 24 h Sammelproben, wie sie in der Schweiz erhoben werden, können
Stichproben auch extreme Werte erfassen. Daher müssen die Grenzwerte in Deutsch-
land eher höher angesetzt werden.

Tabelle 18.2: Mindestanforderungen an die Leistung von Kläranlagen in Deutschland


CSB BSB5 NH4-N Nges Pges
Anzahl Einwohner
g m-3 g m-3 g m-3 g m-3 g m-3
< 1000 150 40 - - -
1000 – 5000 110 25 - - -
5000 – 10’000 90 20 10 - -
10'000 – 100’000 90 20 10 18 2
> 100’000 75 15 10 18 1

18.3 Fliessschema einer Kläranlage


In der Schweiz gibt es ca. 1'000 öffentliche Kläranlagen, die das Abwasser von
insgesamt über 7 Mio. Einwohnern und der Industrie reinigen. Ein paar wenige
grosse Anlagen reinigen den Grossteil des Abwassers. Die meisten Kläranlagen
dienen einem Einzugsgebiet mit weniger als 5'000 Einwohnern. Das sind Anlagen,
die einen vollamtlichen Klärmeister beschäftigen, der gelegentlich durch einen
zusätzlichen Gemeindearbeiter vertreten oder unterstützt wird. Die durchschnittli-
che Kläranlage reinigt bei Trockenwetter ca. 3'000 m3 d-1 oder total 1–
2 Mio. m3 a-1 Abwasser und hat einen Durchfluss von im Mittel etwa 30 l s-1. Die
maximale Reinigungskapazität bei Regen beträgt etwa 100 l s-1. Die Anlage um-
fasst eine mechanische, eine biologische und meist auch eine chemische Reini-
gungsstufe, wie das in der Folge beschrieben ist.
In Abb. 18.1 ist das Fliessschema einer mechanisch-biologischen Abwasser-
reinigungsanlage (ARA) dargestellt, wie sie in der Schweiz mit kleinen Abwei-
chungen mehrere hundert Mal gebaut wurde. In den nachfolgenden Erläuterungen
der einzelnen Verfahrensstufen ist jeweils eine typische Aufenthaltszeit für das
Abwasser TW, den Schlamm TS oder das Gas TG angegeben:
– Das erste Bauwerk ist die Mischwasserentlastung, die während Regen die zu-
fliessende Wassermenge auf die hydraulische Kapazität der Anlage reduziert.
Sie ist in Abb. 18.1 nicht dargestellt.
– Der Zulauf fliesst vorerst durch einen Rechen, der Stoffe, die grösser als 5–20
mm sind, zurückhält. Das Rechengut wird maschinell gesammelt, entwässert
und meist zusammen mit Kehricht entsorgt (verbrannt). [TW = 10 sec].
– Im Sandfang werden mineralische Feststoffe (z.B. Sand > 0.1 mm Durch-
messer) abgetrennt, um Sedimente in langsamdurchflossenen Leitungen zu
vermeiden und Pumpen vor Abrasion zu schützen. Der Sand wird gewaschen
und deponiert. [TW = 2–10 min]
– Im Fettfang werden aufschwimmende Stoffe abgetrennt, die sonst hinter Stau-
blechen auf der Wasseroberfläche akkumulieren, Betonwände verkleben und
18.3 Fliessschema einer Kläranlage 297

mechanische Reinigung biologische Reinigung


Rechen Sandfang Fettfang Vorklärbecken Belüftungsbecken Nachklärbecken
Zulauf

Ablauf
ev. zur
Rechengut Sand Filtration
Rücklaufschlamm
Primär-
Fett
Abtransport schlamm
Rücklauf Sekundärschlamm
Eindicker Überschussschlamm

Gasometer
Biogas

Zur Nutzung
Frischschlamm (Landwirtschaft)
oder Entwässerung,
Hygienisierung bei Trocknung,
landwirtschaftlicher Verbrennung,
Nutzung Faulraum 35°C Schlammstapel Deponie

Schlammbehandlung

Abb. 18.1. Typisches Fliessschema einer zweistufigen, mechanisch-biologischen Abwasserreini-


gungsanlage. Die Schlammbehandlung ist verfahrenstechnisch heute häufig anspruchsvoller. Die
chemische Reinigungsstufe (Phosphatfällung) kann sehr einfach in dieses Fliessschema einge-
bracht werden

zu Geruchs- und Betriebsproblemen führen würden. Abgetrenntes Fett wird


häufig zusammen mit dem Klärschlamm auf der Anlage weiterbehandelt.
[TW = 2–10 min].
In vielen Kläranlagen sind der Sand- und der Fettfang in einem Bauwerk zu-
sammengefasst.
– Im Vorklärbecken sinken langsam sedimentierende Feststoffe im Verlauf von
ca. 1 Stunde auf den Boden ab und werden dort mechanisch zur weiteren Ein-
dickung in einen Trichter geräumt. Der sogen. Primärschlamm (Primär = aus
der ersten Stufe) wird der Schlammbehandlung zugeführt. [TW = 40 – 120 min,
TS = 1 d]
Die bisher beschriebenen Verfahrensstufen stellen zusammen die mechanische
Reinigung dar. Sie entsprechen ca. dem Stand der Technik, der bis 1960 in Europa
in den Kläranlagen realisiert wurde. Für die anschliessende biologische Reinigung
kennen wir verschiedene alternative Verfahren, hier dargestellt ist das Be-
lebtschlammverfahren (andere Verfahren werden später vorgestellt):
– Dem Belüftungsbecken werden mit dem Zulauf die biologisch abbaubaren,
gelösten, kolloidalen und noch nicht sedimentierten Schmutzstoffe zugeführt.
Über den Rücklaufschlamm werden Bakterien rezirkuliert, und durch die Be-
lüftung wird Sauerstoff ins Belüftungsbecken eingetragen. Nun können die
Bakterien unter Verwendung von Sauerstoff die Schmutzstoffe abbauen und
298 18 Abwasserreinigung

sich dadurch vermehren: Es bilden sich bräunliche Schlammflocken von 0.2–1


mm Grösse, Belebtschlamm. [TW = 2–15 h, TS = 2–15 d, TG (Luft) = 20 s)]
– Im Nachklärbecken wird durch Sedimentation der Belebtschlamm vom gerei-
nigten Abwasser getrennt (Mikroorganismen sind etwas schwerer, d.h. dichter
als Wasser). Das gereinigte Abwasser wird dekantiert und in die Vorflut gelei-
tet (möglicherweise vorher noch filtriert). Das Sediment wird mit dem Rück-
laufschlamm zum Belüftungsbecken zurückgeführt. Ein Teil des Rücklauf-
schlamms, der dem Zuwachs der Mikroorganismen durch die vorhergehende
Schmutzstoffelimination entspricht, wird als Sekundärschlamm (oder Über-
schussschlamm) abgetrennt (ca. 2% des Rücklaufschlamms) und der
Schlammbehandlung zugeführt. [TW = 3–5 h, TS = 1 h pro Durchgang]
– Im Eindicker werden die verschiedenen Schlämme zusammen oder getrennt
eingedickt, um ihr Volumen zu verringern. Dabei wird Wasser vom eingedick-
ten Sediment abgetrennt und in die Abwasserreinigung zurückgeleitet. [TS = 1–
2 d].
– Wird der Klärschlamm in der Landwirtschaft genutzt, so wird der eingedickte
Frischschlamm (oder Rohschlamm) einer Hygienisierung zugeführt. Bei Tem-
peraturen von 60–70°C werden Krankheitskeime, Wurmeier etc. abgetötet. Die
erforderliche Wärme liefert meist das Biogas (TS = 1–6 h).
– Im Faulraum werden die abbaubaren organischen Stoffe unter Ausschluss von
Sauerstoff in Biogas (Methan CH4 und Kohlendioxid CO2) zersetzt. Der Faul-
raum wird durch anfallendes Biogas auf einer Temperatur von ca. 35qC gehal-
ten um die Zersetzung zu beschleunigen. [TS = 15–30 d]
– Im Schlammstapel (Nachfaulraum) wird der ausgefaulte Schlamm bei ca. 25qC
gelagert und gestapelt und soweit als möglich weiter eingedickt. Klärschlamm
darf im Winter nicht auf die Felder ausgebracht werden, entsprechend ergeben
sich lange Stapelzeiten. [TS = 30–150 d]
– In vielen Kläranlagen wird der ausgefaulte Klärschlamm flüssig oder nach
Entwässerung, respektive Trocknung in die Landwirtschaft ausgetragen (nicht
im Winter). In der Schweiz muss er nach Entwässerung und Trocknung einer
Verbrennung zugeführt werden.
– Im Gasometer wird das anfallende Biogas bis zur Nutzung gespeichert. Typi-
sche Nutzungen sind: Prozesswärme für den Faulturm, respektive die thermi-
sche Hygienisierung des rohen Schlamms. Immer häufiger wird elektrische
Energie produziert, wobei die Abwärme der Gasmotoren als Prozesswärme
genutzt wird. [TG = 1 d]
Die Kläranlage in Abb. 18.1 müsste noch mit einer Phosphorelimination er-
gänzt werden, damit sie die Minimalanforderungen, die in Tabelle 18.1, Seite 294,
angegeben sind, einhalten könnte. Im einfachsten Fall bedingt das, dass im Zulauf
zum Belebungsbecken geringe Mengen von Chemikalien (z.B. Eisensalze) zudo-
siert werden, mit denen die Phosphate (PO43-) ausgefällt (in Feststoffe umgewan-
delt) und im Nachklärbecken abgetrennt werden können. Die Phosphate werden
anschliessend über den Sekundärschlamm der Schlammbehandlung zugeführt.
18.3 Fliessschema einer Kläranlage 299

Beispiel 18.4. Aufenthaltszeiten in Kläranlagen


Wie lange bleiben das Wasser und der Schlamm in der typischen Schweizerischen
Kläranlage?
Die folgenden Angaben sind typisch für eine moderne Kläranlage:
Abwasser Schlamm
TW TS
h d
Mechanische Vorreinigung 0.2 0.01
Vorklärung 1.5 1
Belüftungsbecken 10 13
Nachklärbecken 5 2
Schlammeindicker - 2
Faulraum - 25
Nachfaulraum / Schlammstapel - 100
Total < 24 h > 100 d
Das Wasser hat seine grösste Aufenthaltszeit im Belebungsbecken. Das ist insbeson-
dere dann der Fall, wenn Nitrifikation und Denitrifikation (Stickstoffelimination) erforder-
lich sind (s. später). Der Schlamm verbleibt ca. 15 d in der biologischen Reinigung (Be-
lebtschlamm), 25 d in der Stabilisierung (Faulraum) und bis zu 100 d im Schlammstapel,
weil aus kleinen Anlagen der Schlamm nur unregelmässig zu einer zentralen Entwässe-
rung und Trocknung abgeführt wird.
19 Mechanische Abwasserreinigung

Die mechanische Abwasserreinigung heisst auch „erste Reinigungsstufe“. Sie


entspricht den ersten Reinigungsverfahren, die realisiert wurden. Damals wurden
ausschliesslich mechanische Apparate (Rechen) und physikalische Prozesse (Se-
dimentation, Flotation) zur Reinigung eingesetzt. Damit konnten die auffälligsten,
ästhetischen Gewässerschutzprobleme gelöst werden: Die Schlammablagerung
wurde von den Gewässern in die technischen Bauwerke verlegt.
Die mechanische Abwasserreinigung umfasst die Vorreinigung (Abtrennung
von Sand, Fett und Grobstoffen) und die Vorklärung (Sedimentation).

19.1 Mechanische Vorreinigung


Die Aufgabe der mechanischen Vorreinigung ist das Entfernen von Sand, Fett und
Grobstoffen, die die nachfolgenden Reinigungsprozesse stören könnten.
Die mechanische Vorreinigung hat zum Ziel, das Wasser für die eigentliche Rei-
nigung vorzubereiten. Es sollen Grobstoffe und abrasiver Sand aus dem Abwasser
entfernt werden, die anschliessend zu Verstopfungen, Geruch, unansehnlichen
Verklebungen oder zu Problemen in der Schlammbehandlung (z.B. Plastikteile im
ausgefaulten Schlamm, der in die Landwirtschaft ausgetragen wird) etc. führen
könnten.
Wir unterscheiden:
– Grobstoffe (von Auge sichtbare, meist organische Stoffe, Papier, Plastik, Tex-
tilien etc.), diese werden meist mit Rechen oder Sieben entfernt;
– Sand, der in Sandfängen wegen seiner hohen Dichte zurückgehalten werden
kann;
– flotierende, aufschwimmende Stoffe (Fette, Öle), die in sogen. Fettfängen abge-
trennt werden.

19.1.1 Rechen
Rechen werden in verschiedensten Bauformen hergestellt, gelegentlich werden sie
mit abnehmendem Stababstand hintereinander gebaut. Typisch sind Stababstände
von 30–60 mm für Grobrechen, die anschliessend von Feinrechen mit 6–30 mm
Stababstand gefolgt werden. Heute ist ein Trend zu immer feineren Rechen zu
beobachten, dadurch nimmt einerseits die Menge des zurückgehaltenen Rechen-
guts zu (unerwünscht), andererseits wird die ganze Anlage und insbesondere auch
die Schlammbehandlung und damit der zum Schluss ev. in die Landwirtschaft
302 19 Mechanische Abwasserreinigung

Reinigungsmaschine

Rechengut

Rechen

Abb. 19.1. Typische, automatisch gereinigte


Rechenanlage einer grösseren Kläranlage

ausgetragene Schlamm geschützt. Ein Beispiel einer Rechenanlage ist in


Abb. 19.1 dargestellt.
Das Rechengut wird automatisch geräumt, entwässert, in Mulden gesammelt
und meist in Kehrichtverbrennungsanlagen entsorgt. Richtwerte für die anfallen-
den Mengen des Rechenguts sind in Tabelle 19.1 zusammengestellt.

Tabelle 19.1. Anfall von Sieb- oder Rechengut auf kommunalen Kläranlagen in Funktion des
Stababstands (s.a. Schüssler 1995). Der organische Anteil wird mit 85% der Feststoffe angege-
ben. Durch Pressen kann das Volumen stark reduziert werden. Je nach Siedlung und Gewerbe-
einleitungen ist ein Schwankungsbereich von -50% bis +100% möglich
3 -1 -1
Durchlassweite Spezifischer Anfall in m E a
Art der Abtrennung
mm ungepresst (8% TS) gepresst (25% TS)
Grobrechen 50 0.003 0.001
Feinrechen 15 0.012 0.004
Sieb 3 0.022 0.007

Beispiel 19.1. Anfall von Rechengut


Wieviel Rechengut fällt auf der Kläranlage einer Gemeinde mit 5000 Einwohnern jähr-
lich an? Die Kläranlage ist mit einem Feinrechen mit 10 mm Stababstand ausgerüstet
und hat eine Rechengutpresse, die das Rechengut bis auf einen Wassergehalt von 70%
entwässert.
Nach Tabelle 19.1 beträgt der Anfall bei 10 mm Stababstand ca. 0.015 m3 E-1 a-1 mit
einem Wassergehalt von 92%. Pro Einwohner fallen also ca. 1.2 kg Trockensubstanz
pro Jahr an (8% von 0.015 m3), mit 70% Wassergehalt sind das 1.2 / (1 - 0.7) = 4 kg E-1
a-1 oder total 20 t Rechengut pro Jahr, die in die Kehrichtverbrennung gebracht werden
müssen. Es muss ein Streubereich von 10–40 t a-1 erwartet werden.
Die Kosten der Entsorgung dieses Rechenguts betragen ca. 600.- Fr./t oder 2.50
Fr. E-1 a-1.

19.1.2 Sand- und Fettfang


Ziel der Sandabscheidung ist es, mineralische Stoffe, die hohe Sedimentationsge-
schwindigkeiten haben und sich daher schnell ablagern können (was zu Verstop-
fungen führen kann), möglichst sauber, d.h. ohne organische Stoffe, die sich unter
Geruchsentwicklung zersetzen, aus dem Abwasser abzutrennen. Dadurch werden
19.1 Mechanische Vorreinigung 303

Zufluss Ablauf

Grundriss
Staublech

v = 30 cm s-1

Schnitt

Sand

Sand

Abb. 19.2. Typische Bauformen von Sandfängen: Links der Längssandfang, rechts der Rund-
sandfang

nachfolgende, schnelllaufende Pumpen vor Abrasion geschützt und Sedimente in


stehendem Wasser vermieden. Die Abtrennung von aufschwimmenden Fetten und
Ölen verhindert, dass sich diese Stoffe später auf freien Oberflächen ansammeln,
verkleben und zu Geruchsproblemen führen.
Viele Sandfänge werden so ausgelegt, dass Sandkörner mit einem Durchmes-
ser von ca. 0.1–0.2 mm noch abgetrennt werden. Solche Sandkörner haben eine
Sinkgeschwindigkeit von ca. 1 cm sec-1.
Typische Bauformen von Sandfängen sind in Abb. 19.2 und Abb. 19.3 darge-
stellt. Im Längssandfang kann der Sand auf die Sohle des Bauwerks absinken und
anschliessend vom Abwasser abgetrennt werden. Die horizontale Fliessgeschwin-
digkeit von 0.3 m s-1 führt zu einer genügenden Schleppkraft, sodass Papier und
andere organische Grobstoffe in Suspension gehalten werden. Im Rundsandfang
wird durch die kinetische Energie im Zulauf eine Strömung angeregt, die zur Ab-
scheidung des Sandes führt und diesen dem Rand des Bauwerks zuführt, wo er in
einen Trichter fällt.
Heute werden häufig belüftete Sandfänge gebaut, in denen mit Hilfe von zuge-
führten Luftblasen die Strömung angeregt wird (Abb. 19.3). Gleichzeitig mit der
Abtrennung von Sand wird hier das Abwasser auch aufgefrischt (mit Sauerstoff
angereichert). Der Eintrag von Sauerstoff im Sandfang hat allerdings zur Folge,
dass bereits in diesem Bauwerk erste gelöste organische Verbindungen biologisch
abgebaut werden; das ist insbesondere dann unerwünscht, wenn anschliessend das
Abwasser denitrifiziert werden soll (Denitrifikation s. später). In belüfteten Sand-
304 19 Mechanische Abwasserreinigung

Belüftung zur Anregung der Umwälzung

aufschwimmendes
Fett

Abb. 19.3. Querschnitt durch einen be-


beruhigte Zone lüfteten Sandfang mit seitlicher Fettab-
scheidung in einer hydraulisch ruhigen
Sand
Zone. Die Belüftung regt die Umwälzung
Sand an. Der Durchfluss ist senkrecht zur
Zeichnung

fängen kann auch seitlich eine hydraulisch beruhigte Zone angeordnet werden, in
der spezifisch leichte Stoffe nach oben flotieren können.
Die typische hydraulische Aufenthaltszeit TW eines Längssandfangs ist | 1
min, im belüfteten Sandfang 3–5 min bei Regen und dazwischen im Rundsand-
fang.
In Tabelle 19.2 sind typische Werte für den anfallenden Sand zusammenge-
stellt. Der Sand wird möglichst frei von organischen Stoffen abgetrennt und einer
Deponie zugeführt. Da die aufschwimmenden Stoffe, Fette und Öle aus dem Fett-
fang meist mit dem Klärschlamm in die Schlammbehandlung gelangen und dort
nur einen kleinen Teil des anfallenden Klärschlamms ausmachen, wird der Anfall
dieser Stoffe kaum getrennt ausgewiesen. Fette resultieren in einem grossen An-
fall von Methan (CH4, Biogas), sie werden deshalb in den Faulturm gebracht, wo
sie zu einem grossen Teil abgebaut werden. Aus hygienischen Gründen wird Fett
heute auch zunehmend einer Verbrennung zugeführt.

Tabelle 19.2. Anfall von Sand in Sandfängen. Diese Angaben streuen stark, weil die Art des
Einzugsgebietes, der Strassenunterhalt und die Verhältnisse bei Regen eine zentrale Rolle spielen
3
0.005 m Sand pro Einwohner und Jahr
Richtwerte
50% Wasser, 25% org. Stoffe, 25% Sand
3 6 3
Bereich 20 – 60 – 200 m Sand / 10 m Abwasser

Beispiel 19.2. Sandanfall


Wieviel Sand fällt pro Jahr auf einer Kläranlage für 5000 Einwohner an?
Diese Anlage reinigt ca. 0.8 Mio. m3 Abwasser pro Jahr, daraus ergeben sich nach
Tabelle 19.2 16 – 48 – 160 m3 Sand a-1 (mit Werten pro 106 m3 Abwasser), oder als
Mittel ca. 5000 ˜ 0.005 = 25 m3 Sand a-1 (mit Werten pro Einwohner und Jahr).
Bei einem Schüttgewicht von 1500 kg m-3 sind das 30 – 300 g Sand m-3 Abwasser, die
im Sandfang abgetrennt werden.
Starke Regen bringen den Hauptanteil dieses Sandes. Der Einsatz von Streusand im
Winter kann diese Zahlen stark verändern. Ausschwemmungen aus Landwirtschaft,
Gärten und Rebbergen können grosse Probleme verursachen.
19.2 Dimensionierungsmodell für die Sedimentation 305

19.2 Dimensionierungsmodell für die Sedimentation


Die Sedimentation ist ein häufig eingesetzter Prozess in der Abwasserreinigung.
An Hand des Längssandfangs kann die Dimensionierung von Sedimentationsbau-
werken anschaulich eingeführt werden. Als wichtigste Dimensionierungsgrösse
resultiert die hydraulische Oberflächenbelastung vO = Q / AS = Zuflusswasser-
menge / horizontale Projektion der Sedimentationsfläche.
Feststoffe, deren Dichte US sich von der Dichte des Wassers UW unterscheidet,
schwimmen oder flotieren nach oben, sofern sie leichter sind als Wasser, oder sie
sedimentieren nach unten, wenn sie schwerer sind als Wasser. Beide Prozesse,
Flotation und Sedimentation, werden in der Wassertechnologie eingesetzt, um
Feststoffe aus dem Wasser abzutrennen und in einem Schlamm aufzukonzentrie-
ren. Hier wird nur die Sedimentation diskutiert, die Flotation kann anlog verstan-
den werden.
Ein sedimentierendes Partikel erreicht eine Sedimentationsgeschwindigkeit vS,
bei der die Schwerkraft und der Reibungswiderstand der vorbeiströmenden Flüs-
sigkeit gerade im Gleichgewicht sind. Für kugelförmige Partikel, die ihre Form
behalten (nicht durch Flockung vergrössert werden), ist es möglich, theoretisch
fundierte Angaben zur Sedimentationsgeschwindigkeit zu machen; für viele Ab-
wasserinhaltstoffe gelten aber die angeführten Voraussetzungen nicht. In
Tabelle 19.3 werden typische Sedimentationsgeschwindigkeiten vS angeführt, die
eine Grössenordnung vermitteln.

-1
Tabelle 19.3. Sinkgeschwindigkeit vS in m h von Feststoffen in Wasser bei 10°C
Dichte Durchmesser dS in mm
Stoff US
6 -3 1.0 0.5 0.2 0.1 0.05 0.01 0.005
10 gm
-1
Quarzsand 2.65 500 250 80 24 6 0.3 0.06 m h
-1
Anthrazit 1.50 150 75 26 7.6 1.5 0.08 0.015 m h
Schwebestoffe
a) -1
im häuslichen 1.2 120 60 18 3 0.8 0.03 0.008 m h
Abwasser
a)
Grobe Annahme, es muss ein weites Spektrum von Dichten erwartet werden.

In der Abwasserreinigung werden Absetzverfahren meist in kontinuierlich durch-


flossenen Bauwerken betrieben. Mit den stark vereinfachenden Annahmen, dass
die Strömung laminar ist, die Fliessgeschwindigkeit im ganzen Querschnitt gleich
ist und die Sedimentation in einem Rechteckgerinne abläuft, kann das Verfahren
einfach beschrieben werden (Abb. 19.4).
Die Fliessgeschwindigkeit v [L T-1] des Wassers ergibt sich aus dem Durch-
fluss Q [L3 T-1] und der Querschnittsfläche B ˜ H [L2] zu:
Q
v (19.1)
B˜ H
Die Zeit tS, die erforderlich ist, damit ein Partikel mit der Sedimentationsge-
schwindigkeit vS von der Oberfläche auf den Boden der Rinne absinkt, beträgt:
306 19 Mechanische Abwasserreinigung

Oberfläche ASed = L ˜ B

Tiefe H
Zufluss Q v
vS

Breite B

Länge L

Abb. 19.4. Absetzvorgang und Definition der geometrischen Grössen in einem Rechteckgerinne
mit laminarer und gleichmässiger Fliessgeschwindigkeit v

H
tS
vS
Alle Partikel, die den Boden erreichen, bevor das Wasser das Sedimentations-
becken wieder verlässt, gelten als zurückgehalten. Die Durchflusszeit Th (hydrau-
lische Aufenthaltszeit, V / Q) durch das Becken beträgt:
L
Th
v
Es werden also alle Partikel abgeschieden für die gilt:
H L L ˜ B˜ H V
t S  Th oder 
vS v Q Q
Umgeformt und mit der Oberfläche des Sedimentationsbeckens ASed = L ˜ B
ergibt sich für Partikel, die sicher die Bodenfläche erreichen:
Q Q
vS ! { vO (19.2)
L˜B ASed
vO hat die Dimension einer Geschwindigkeit, sie heisst Oberflächenbelastung
und ist in Gl. (19.2) definiert. Theoretisch werden alle Partikel, deren Sedimenta-
tionsgeschwindigkeit grösser als die Oberflächenbelastung vO ist, abgeschieden.
Alle Partikel mit vS < vO werden nur teilweise abgeschieden (der Anteil der abge-
schiedenen Partikel ist vS / vO). Auffallend ist, dass die Tiefe des Beckens H oder
die hydraulische Aufenthaltszeit Th keine Rolle spielen. Es kann gezeigt werden,
dass Gl. (19.2) unabhängig von der Form des Sedimentationsbeckens (rund, recht-
eckig etc.) gilt, sofern die Strömung laminar ist und alle Wasserteilchen die gleich
lange Aufenthaltszeit Th im Becken haben. Damit wird die hydraulische Oberflä-
chenbelastung vO zur wichtigsten Dimensionierungsgrösse von Sedimentationsbe-
cken. Abweichungen von der theoretischen Voraussage ergeben sich, weil die
Strömungsbedingungen nie ideal sind.
19.2 Dimensionierungsmodell für die Sedimentation 307

Beispiel 19.3. Dimensionierung eines Längssandfangs (ca. 5000 Einwohner)


In einem Sandfang sollen alle Sandkörner mit einem Durchmesser von dS > 0.1 mm
abgetrennt werden. Bei Regen fliessen maximal 0.1 m3 s-1 Mischwasser durch die Klär-
anlage. Im 0.35 m breiten, rechteckigen Zulaufkanal fliesst das Wasser mit ca. 0.8 m
s-1, das ergibt bei maximaler hydraulischer Belastung eine Wassertiefe von H = Q
/(B˜v) = 0.36 m.
Welche Dimensionen hat der Sandfang?
Nach Tabelle 19.3 haben Quarzkörner im Winter, bei Wassertemperaturen von 10°C,
mit einer Korngrösse von dS = 0.1 mm eine Sinkgeschwindigkeit von vS = 24 m h-1.
Nach Gl. (19.2) ergibt sich die zulässige maximale Oberflächenbelastung zu
vO = Q / ASed d vS = 24 mh-1.
Die erforderliche Oberfläche ist:
ASed = Q / vO = 0.1m3 s-1˜3600 s h-1 / 24 m h-1 = 15 m2.
Die Fliessgeschwindigkeit v im Längssandfang soll 0.3 m s-1 betragen, damit Sandparti-
kel aussedimentieren können, während organische Grobstoffe in Suspension gehalten
werden. Soll die Wassertiefe im Längssandfang ca. derjenigen im Zulaufkanal entspre-
chen, so ergibt sich die Breite des Sandfanges zu:
Q=B˜H˜v und daraus B = 0.1 m3 s-1/ (0.36 m ˜ 0.3 m s-1) | 1 m.
Damit wird der Längssandfang ca. 15 m lang (ASed = L ˜ B). Das Wasser fliesst in
Th = L / v = 15 m / 0.3 ms-1 = 50 s durch dieses Bauwerk. Am Ende muss ein Staublech
eingebaut werden, das dafür sorgt, dass die Fliessgeschwindigkeit unabhängig vom
Durchfluss immer ca. v = 0.3 ms-1 beträgt. Für die Berechnung der Form dieses Stau-
blechs wird auf die Fachliteratur verwiesen.
Um die Turbulenzen zu kompensieren, die insbesondere im Zu- und Ablaufbereich ent-
stehen, ist es üblich, Sedimentationsbecken um diese Störzonen zu vergrössern. Hier
heisst das, dass der Sandfang z.B. um 1–2 m verlängert wird.

Beispiel 19.4. Dimensionierung eines Sedimentationsbeckens (Vorklärbecken für ca.


5000 Einwohner)
In einem Sedimentationsbecken sollen die Schwebestoffe mit einem Partikeldurchmes-
ser von dS > 0.1 mm auch bei Regenwetter abgetrennt werden. Der maximale Misch-
wasserdurchfluss beträgt (analog zu Beispiel 19.3) Q = 0.1 m3s-1.
Wie gross wird das Becken?
Nach Tabelle 19.3 wird die zulässige Oberflächenbelastung vO = 3 m h-1.
Nach Gl. (19.2) wird die minimal zulässige Oberfläche ASed zu:
ASed = Q / vO = 0.1 m3 s-1 / (3 m h-1 / 3600 s h-1) = 120 m2.
Solche Sedimentationsbecken (Vorklärbecken, s. später) haben typisch eine Tiefe von
H t 2 m. Damit wird das Volumen zu V = ASed ˜ H = 240 m3 und die hydraulische Auf-
enthaltszeit wird Th = V / Q = 2400 s = 40 min (bei Regen).
Wird die Länge zu L = 20 m gewählt, so ergibt sich eine Breite von B = 6 m. Die mittlere
horizontale Fliessgeschwindigkeit im Becken wird zu v = Q / (B˜H) = 0.1 / (6˜2) | 0.01 m
s-1. Bei dieser geringen Fliessgeschwindigkeit können auch organische Stoffe aussedi-
mentieren.
Das hier dimensionierte Becken, dessen detaillierte Gestaltung später noch diskutiert
wird, würde nicht alle Partikel mit dS > 0.1 mm abtrennen, weil die Sedimentations-
geschwindigkeiten vS dieser Partikel über einen weiten Bereich streuen (s. Fussnote zu
Tabelle 19.3).
308 19 Mechanische Abwasserreinigung

Auch Vorklärbecken werden um das Volumen der Störzone, insbesondere im Zulauf,


vergrössert (s.a. Beispiel 19.3)

19.3 Vorklärung
Die Vorklärung geht historisch auf die ersten Abwasserreinigungsverfahren zu-
rück, die ausschliesslich mechanische und physikalische Reinigungsprozesse zur
Anwendung brachten. Aus der Beobachtung heraus, dass die Sedimentation von
Grobstoffen aus dem Abwasser zu einer massiven Verschlammung der Fliessge-
wässer führte, wurde die Sedimentation in ein technisches Bauwerk verlegt, in
dem die Sedimente als Klärschlamm abgetrennt werden können.

Beispiel 19.5. Anaerobe Sedimente in der Umwelt


Über die Themse in London wird aus dem 19. Jh. berichtet, dass sie gelegentlich ge-
kocht hätte. Diese Beobachtung geht auf das Phänomen zurück, dass Biogas in Form
von grossen Blasen aus den sich zersetzenden Sedimenten an die Oberfläche ent-
weicht.
In den USA wird über langsam fliessende Gewässer berichtet, die Feuer gefangen ha-
ben, weil laufend soviel Biogas aus den Sedimenten ausgetreten ist, dass ein Feuer
genährt werden konnte.

19.3.1 Aufgabe und Leistung der Vorklärung


Die Vorklärung soll sedimentierbare Stoffe aus dem zufliessenden Abwasser ent-
fernen und dadurch weitere Verfahrensstufen vor Betriebsproblemen schützen und
sie von Schmutzstoffen entlasten. Häufig wird die Vorklärung zusätzlich dazu
benutzt, den anfallenden Überschussschlamm aus der biologischen Reinigungsstu-
fe mit einzudicken, indem der Überschussschlamm dem Zulauf der Vorklärung
zugeführt wird.
Die Feststoffe, die in der Vorklärung abgetrennt werden, müssen nicht in der
nachfolgenden biologischen Reinigung aerob abgebaut werden. Das vermindert
den Sauerstoffbedarf der biologischen Reinigung. Weil entsprechend mehr organi-
sche Stoffe in die Schlammbehandlung gelangen, wird die Produktion von Biogas
in der Schlammfaulung proportional erhöht.
Die erforderliche Leistung der Vorklärung ist abhängig von den nachfolgenden
Reinigungsverfahren: Vor Tropf- und Tauchkörperverfahren (s. später) ist eine
weitgehende Abtrennung der suspendierten Stoffe erwünscht, weil diese die nach-
folgende Reinigung zusätzlich belasten und verstopfen können. Vor Belebungs-
verfahren (s. später) ist eine solche Abtrennung nicht im gleichen Masse erforder-
lich, weil die schweren, partikulären Stoffe die Eindickung des Belebtschlamms
im Nachklärbecken unterstützen und weil z.B. für die Denitrifikation diese Stoffe
als zusätzliche Quelle von organischen Verbindungen benötigt werden.
Abb. 19.5 erlaubt abzuschätzen, welcher Anteil der suspendierten Stoffe im
unbehandelten städtischen Abwasser in der Vorklärung abgetrennt werden kann.
Tabelle 19.4 gibt Anhaltspunkte über die erreichbare Konzentration des anfallen-
den Sediments, des Schlamms.
19.3 Vorklärung 309

Elimination in %
100

80 TSS

60

40
BSB5
20

0
0 1 2 3 4 5
Hydraulische Aufenthaltszeit Th im Vorklärbecken in h

Abb. 19.5. Reinigungswirkung von Vorklärbecken, basierend auf Absetzversuchen im Chargen-


versuch (Sedimentationszylinder). Als Richtwerte geeignet für städtisches Rohabwasser, nach
Sierp (zitiert in Imhoff 1999)

Tabelle 19.4. Typische Konzentrationen des anfallenden Schlamms in Vorklärbecken


-3
Feststoffkonzentration in kg TSS m
Verfahren
Bereich Typischer Wert
Nur Vorklärung (Primärschlamm) 40 – 120 60
a)
Vorklärung und Belebtschlamm
20 – 60 40
(Primär- und Sekundärschlamm)
Vorklärung und Tropfkörper
40 – 100 50
(Primär und Sekundärschlamm)
a)
Zunehmender Anteil von Sekundärschlamm verringert die mögliche Eindickung

Beispiel 19.6. Schlammanfall auf einer Kläranlage.


Wieviel Schlamm wird in der Vorklärung einer Anlage für 20'000 Einwohner produziert,
wenn der Überschussschlamm aus der Belebungsanlage (45 g TSS / Einwohner und
Tag) über die Vorklärung abgeleitet wird?
Die Aufenthaltszeit der Vorklärung beträgt im Mittel bei Trockenwetter 1 Stunde. Der
Abwasseranfall beträgt 8'000 m3 d-1 und das rohe Abwasser enthält 175 g TSS m-3.
Nach Abb. 19.5 ist eine Eliminationsleistung des Vorklärbeckens von ca. 60% der TSS
zu erwarten. Der Überschussschlamm wird zu 100% abgetrennt werden. (Sofern ein
Teil im Ablauf verloren geht, wird er später aus der folgenden Belebungsanlage erneut
zum Vorklärbecken zurückgeführt.)
Abgetrennter Primärschlamm: Q ˜ TSS ˜ 60% = 840 kg TSS d-1
Abgetrennter Belebtschlamm: Einw. ˜ 45 g/Ed = 900 kg TSS d-1
Total = 1740 kg TSS d-1
Nach Tabelle 19.4 muss mit einer typischen Konzentration des Schlamms von 40 kg
TSS m-3 (= 4.0 %) gerechnet werden:
QSchlamm = 1740 kg TSS d-1 / 40 kg TSS m-3 = 44 m3 d-1 oder ca. 2.2 l E-1 d-1 (ein typi-
scher Wert).
310 19 Mechanische Abwasserreinigung

Ablauf
Zufluss

Schlamm
zur Schlamm- Schlammtrichter
behandlung

Abb. 19.6. Längsschnitt und Funktionsschema eines rechteckigen, längsdurchströmten Vorklär-


beckens mit Sammlung des Schlamms durch Kettenräumer. Meist können auch Schwimmstoffe
von der Oberfläche gesammelt werden. Eine Tauchwand vermindert den Verlust von auf-
schwimmenden Stoffen im Ablauf

Beispiel 19.7. Änderung der Abwasserzusammensetzung in der Vorklärung


In der folgenden Tabelle sind typische Konzentrationen von Abwasserinhaltstoffen im
Zulauf und im Ablauf einer Vorklärung zusammengestellt. Der Wirkungsgrad für die
partikulären Stoffe ist mit 50% angenommen, derjenige für gelöste Stoffe wird vernach-
lässigt.
Stoff Zulauf Ablauf Einheit
TSS 180 90 g TSS m-3
BSB5 150 115 g O2 m-3
CSB 350 260 g O2 m-3
TKN 30 28 g N m-3
NH4+-N 20 20 g N m-3
NO2- -N 0 0 g N m-3
NO3- -N 1 1 g N m-3
P total 5 4.5 g P m-3
Alkalinität 6 6 Mol HCO3- m-3
Nur die TSS sind vollumfänglich partikulär. BSB5, CSB, TKN und TP enthalten sowohl
partikuläre als auch gelöste Anteile, entsprechend ist der Wirkungsgrad für den Rück-
halt dieser Stoffe geringer als 50%.

19.3.2 Gestaltung und Dimensionierung des Vorklärbeckens


Heute werden in der kommunalen Abwasserreinigung, insbesondere vor dem Be-
lebungsverfahren, zunehmend kleinere Vorklärbecken gebaut. Man will eine Gro-
bentschlammung beibehalten um Betriebsprobleme mit Sedimenten und Textilien
zu vermindern, aber man möchte z.B. im Hinblick auf die Sedimentations-
eigenschaften des Belebtschlamms nicht alle gutsedimentierbaren Stoffe bereits
vor der biologischen Reinigung zurückhalten. Da je länger je mehr die Denitrifika-
tion des Abwassers von Bedeutung wird, wird auch versucht, möglichst viele or-
ganische Stoffe in die biologische Reinigung zu leiten um das Denitrifikationspo-
tenzial zu erhöhen.
In Abb. 19.6 ist der Längsschnitt durch ein rechteckiges, längsdurchflossenes
Vorklärbecken dargestellt. Im Zulaufbereich wird durch Einbauten (hier eine
19.3 Vorklärung 311

Grundriss

Zufluss Ablauf
Düker

Räumerbrücke:
Schlammräumung
Schnitt

Ablauf

Zufluss Schlammabzug
Düker

Abb. 19.7. Grundriss und Querschnitt durch ein rundes Vorklärbecken. Die Räumerbrücke ist im
Schnitt nicht eingezeichnet, sie transportiert die Sedimente zur Mitte des Bauwerks

Prallwand) die kinetische Energie des Zuflusses verwirbelt. Beim Ablauf verhin-
dert eine Tauchwand, dass Schwimmstoffe, die sich am Wasserspiegel ansam-
meln, direkt in den Ablauf gelangen; Vorklärbecken sind entsprechend mit Vor-
kehrungen ausgerüstet, die solche Schwimmstoffe einsammeln und z.B. der
Schlammbehandlung zuführen. Das Sediment wird hier mit einem Kettenräumer
(zwei Ketten, an denen Querbretter befestigt sind) zusammengetragen, in einem
Schlammtrichter eingedickt und wird anschliessend z.B. einmal pro Tag in die
Schlammbehandlung gefördert. Die Sohle des Vorklärbeckens ist leicht geneigt
(1–2%), damit das Becken bei Reinigung leer laufen kann.
In Abb. 19.7 ist ein rundes Vorklärbecken dargestellt. Das Wasser fliesst vom
Zentrum zur Peripherie. Das Sediment wird durch eine Räumerbrücke ins Zent-
rum gefördert.
In Tabelle 19.5 sind einige Richtwerte für die Dimensionierung von Vorklär-
becken zusammengestellt. Von Bedeutung sind die hydraulische Oberflächenbe-
lastung bei Trocken- und bei Regenwetter sowie die minimale Tiefe der Becken.
Diese wird meist HVKB t 2 m gewählt. In einzelnen Anlagen geht die mittlere
Aufenthaltszeit bei Regen auf 15–20 min zurück (TH = HVKB / vO). Es stellt sich
die Frage, ob eine solche Sedimentation nicht durch feine Rechen oder Siebe er-
setzt werden könnte?

Beispiel 19.8. Dimensionen eines Vorklärbeckens


Eine Kläranlage für 5000 Einwohner soll mit einem Tropfkörper ausgerüstet werden.
Wie gross soll das Vorklärbecken gebaut werden?
312 19 Mechanische Abwasserreinigung

Die mittlere Abwassermenge bei Trockenwetter beträgt ca. 2'000 m3 d-1. Als maximaler
Anfall bei Trockenwetter (Stundenspitzenwert) QTW sollen ca. 150 m3 h-1 angenommen
werden.
Nach Tabelle 19.5 ergeben sich für mittlere Bedingungen:
     Th = 2 h vO = 1.2 m h-1
Und daraus: VVKB = QTW ˜ Th = 300 m3 (Volumen)
AVKB = QTW / vO = 125 m2 (Oberfläche)
HVKB = Th ˜ vO = 2.4 m (Mittlere Tiefe)
Sofern die Anlage nur einstrassig gebaut wird, was bei dieser Grösse wahrscheinlich ist
(insbesondere wenn auf der Kläranlage ein Regenbecken für Notfälle verfügbar ist),
würde das Becken ca. 5 m breit und 25 m lang. Vorklärbecken werden heute nur noch
selten als runde Becken gebaut. Hier ergäbe sich ein Durchmesser von ca. 13 m plus
Ablaufrinne.

Tabelle 19.5. Dimensionierungsrichtwerte für horizontal durchflossene Vorklärbecken und im


Vergleich Nachklärbecken. Im Zufluss zum Vorklärbecken sind verfahrensinterne Rückläufe zu
berücksichtigen. Beim Nachklärbecken im Belebtschlammverfahren bleibt der Rücklaufschlamm
unberücksichtigt
Vorklärbecken Nachklärbecken
Art der Reinigung Th vO Th vO
-1 -1
h mh h mh
Nur Sedimentation 1.7 – 2.5 1.5 – 0.8 - -
Chemische Fällung 0.5 – 0.8 4.0 – 2.5 - -
Tropfkörperverfahren 1.7 – 2.5 1.5 – 0.8 2.0 – 3.0 1.5 – 0.8
Belebtschlammverfahren 0.5 – 1.0 4.0 – 2.5 2.0 – 6.0 1.5 – 0.5
Th = Volumen / Trockenwetterzufluss (Tagesmaximum) = Hydraulische Aufenthaltszeit
vO = Trockenwetterzufluss (Tagesmaximum) / Oberfläche des Beckens = hydraulische Flächen-
belastung.
Die mittlere Tiefe des Beckens wird zu H = Th˜vO = Volumen / Oberfläche

Betrieb von Vorklärbecken


In kleineren Kläranlagen wird der anfallende Klärschlamm direkt im Vorklärbe-
cken eingedickt (Schlammtrichter) und z.B. 1 bis 2 Mal pro Tag zur Schlammbe-
handlung abgepumpt. Vielfach wird die Konzentration des abgepumpten
Schlamms nur visuell überprüft. In grösseren Kläranlagen kann der anfallende
Klärschlamm ev. kontinuierlich zu einem Eindicker gepumpt werden. Das Bauvo-
lumen der Vorklärung wird durch die Anforderungen der Sedimentation bestimmt,
der Anfall von Klärschlamm ist gering, volumenmässig nur | 1% des Abwasser-
anfalles (s. Beispiel 19.6).

19.3.3 Emscherbrunnen
Der Emscherbrunnen ist ein einfaches kombiniertes Bauwerk, das Sedimentation
und Schlammstabilisierung (s. später) miteinander verbindet. Er hat v.a. histori-
sche Bedeutung und kam in kleinen Anlagen häufig zur Anwendung. Ein Schema
eines Emscherbrunnens ist in Abb. 19.8 dargestellt. Heute werden Emscherbrun-
nen kaum mehr gebaut, hingegen kommen Fertigbauteile in ähnlicher Funktion für
Kleinstanlagen noch zur Anwendung.
19.4 Chemische Abwasserreinigung 313

Querschnitt Grundriss

Vorklärung
Schlamm-
abfuhr

Schlammstabilisierung Grundwasser
kalt, ev. mit Gasproduktion 10°C

Abb. 19.8. Querschnitt und Grundriss eines rechteckigen Emscherbrunnens: Der Sedimentati-
onsraum ist zweigeteilt, das Wasser fliesst senkrecht zum Schnitt, der Schlammraum reicht tief
in den Boden und erreicht Grundwassertemperatur. Die Verbindungsschlitze zwischen Sedimen-
tation und Schlammraum sind so gestaltet, dass Gasblasen (Biogas) aus dem Schlammraum die
Sedimentation nicht stören können

19.4 Chemische Abwasserreinigung


In der chemischen Abwasserreinigung werden Chemikalien eingesetzt, die die
Flockenbildung von Feststoffen unterstützen. Grössere Flocken können dann bes-
ser durch Sedimentation aus dem Abwasser abgetrennt werden (s.a. Abschn. 9.5,
Seite 140).
In der chemischen Abwasserreinigung unterscheiden wir zwischen Fällung
und Flockung:
– In der Fällung werden dem Abwasser Chemikalien zugesetzt, die gelöste Salze
in unlösliche Feststoffe überführen, die anschliessend z.B. durch Sedimentati-
on aus dem Abwasser abgetrennt werden können. Wichtigstes Beispiel in der
Abwasserreinigung ist die Phosphatfällung, sie wird hier als integrierter Teil
der biologischen Reinigung besprochen (s. Abschn. 20.4.10, Seite 354).
– In der Flockung werden dem Abwasser Chemikalien zugesetzt, die mit unter-
schiedlichen Mechanismen die Abstossungskräfte zwischen den einzelnen,
meist negativ geladenen Partikeln verringern und dadurch die Flockenbildung,
das Zusammenballen, erleichtern.
In den meisten Verfahren zur chemischen Abwasserreinigung laufen beide
Prozesse, Fällung und Flockung, gemeinsam ab; aus z.T. gelösten, kolloidalen und
partikulären Stoffen bilden sich grössere Agglomerate, Flocken, die anschliessend
durch Sedimentation abgetrennt werden. Die Flockenbildung wird häufig durch
eine geringe Turbulenz (Durchmischung) unterstützt. Als Fällungs- und Flo-
ckungschemikalien kommen in Frage:
– Eisen-III-Chlorid (FeCl3) oder häufiger Eisen-III-Chlorid-Sulfat (FeClSO4):
Dieses Salz wird als konzentrierte Lösung mit einem Gehalt an Fe3+ von z.B.
314 19 Mechanische Abwasserreinigung

12 % (Gewicht) angeliefert. Dreiwertiges Eisen (Fe3+) bildet im Wasser unlös-


liches Eisenhydroxid, Fe(OH)3 und Eisenphosphat (FePO4).
– Aluminiumsulfat, Al2(SO4)3˜H2O: Dieses Salz wird pulverförmig angeliefert
und muss zuerst als wässerige Lösung aufbereitet werden. Dreiwertiges Alu-
minium (Al3+) reagiert im Wasser analog zum dreiwertigen Eisen. Aluminium-
salze werden auch in polymerisierter Form eingesetzt (Poly-Aluminium-
Chlorid, PAC). Beim Einsatz von Aluminium sollte beachtet werden, dass die
landwirtschaftliche Nutzung des dabei anfallenden Schlamms nicht unproble-
matisch ist.
– Polyelektrolyten: Hochmolekulare organische Stoffe, die allein oder zusam-
men mit Metallsalzen eingesetzt werden und die Flockung unterstützen.
Es gibt eine Reihe von anderen Chemikalien, die zur Vorfällung oder zur che-
mischen Abwasserreinigung eingesetzt werden. Für Details ist die Fachliteratur zu
konsultieren.
In der chemischen Abwasserreinigung werden dem Abwasser Metallsalze in
einer Menge zugesetzt, dass die Löslichkeit der Metallhydroxide wesentlich über-
schritten wird. Diese fallen dann in Form von Feststoffen oder Flocken unter Ein-
schluss von dispergierten, suspendierten Teilchen aus. Es bilden sich grössere,
wasserreiche Aggregate von suspendierten Stoffen und Metallhydroxiden, die nun
durch Sedimentation abgetrennt werden können. Bei optimiertem Betrieb der Fäl-
lung kann mit dieser Reinigungsstufe ein grosser Teil der kolloidalen und partiku-
lären Schmutzstoffe abgetrennt werden. Die gelösten organischen Stoffe verblei-
ben im Abwasser (s. Tabelle 19.6).

Tabelle 19.6. Abwassercharakteristik auf einer schwedischen Kläranlage. Die Zahlen sind Mit-
telwerte über ein Betriebsjahr. Der Zufluss schliesst Rückläufe aus der Schlammbehandlung mit
ein. BSB7 statt BSB5 weil eine Woche 7 Tage hat und somit nicht über Wochenende analysiert
werden muss
Ablauf
Parameter Einheit Zulauf
Vorklärung Vorfällung
TSS g m-3 210 62 40
BSB7 total g m-3 O2 140 68 39
gelöst g m-3 O2 28 24 17
P total total g m-3 P 7.7 6.3 2.9
gelöst g m-3 P 4.8 4.8 1.5
Kjeldahl-N total g m-3 N 33 29 28
gelöst g m-3 N 25 25 25

Die Metallsalze verbinden sich auch mit dem Phosphat (PO43-) im Wasser und
bilden schwerlösliche Salze, z.B. Eisenphosphat FePO4. Diese können zusammen
mit den Hydroxiden abgetrennt werden, sodass in der Vorfällung auch Phosphor
aus dem Wasser abgeschieden werden kann. Die Dosierung von Metallsalzen
muss aber genügen, alles Phosphat zu fällen und einen Überschuss von Hydroxi-
den zu bilden, die die Flockung unterstützen (s. Beispiel 19.9).
In Abb. 19.9 ist ein einfaches Fliessschema einer chemischen Abwasser-
reinigungsanlage dargestellt. Die Chemikalien werden bei hoher Turbulenz
19.4 Chemische Abwasserreinigung 315

Chemikalien Zugabe

Mischung Flockung Sedimentation

Schlammabzug

Abb. 19.9. Schematische Darstellung einer chemischen Abwasserreinigungsanlage: Einmischen


der Chemikalien mit hoher Turbulenz, Flockungsbecken mit geringerer Turbulenz und Sedimen-
tation mit ruhiger Strömung

schnell ins Abwasser eingemischt, anschliessend wird durch geringe Turbulenz


die Flockenbildung unterstützt und zum Schluss werden in einem Sedimentations-
becken die Feststoffe abgetrennt. Diese verschiedenen Funktionen können auch in
speziell entworfenen Apparaten vereinigt werden (s. z.B. Abb. 9.12).
Von Vorfällung sprechen wir, wenn das Ziel der chemischen Reinigung v.a.
die Fällung des Phosphats ist und diese Stufe vor der biologischen Reinigung an-
geordnet ist. Vorfällung oder chemische Abwasserreinigung wird eingesetzt:
– um die nachfolgenden Verfahrensstufen zu entlasten
– um Phosphor aus dem Abwasser zu entfernen
– als eigenständige Abwasserreinigung, wenn die Anforderungen an das gerei-
nigte Abwasser, z.B. an einer leistungsfähigen Vorflut, nicht sehr hoch sind.
Der Anfall von Schlamm wird durch die Zugabe von Chemikalien vergrössert.
Im Ablauf verringert sich das Verhältnis von organisch gebundenem Kohlenstoff
zu Stickstoff (dieser liegt vorwiegend gelöst vor und kann nicht gefällt werden) –
damit werden die Voraussetzungen für die Denitrifikation verschlechtert (s. spä-
ter).
Als Beispiel werden in Tabelle 19.6 der Zulauf und der Ablauf einer konventi-
onellen Vorklärung und einer Vorfällung in einer schwedischen Kläranlage ver-
glichen. Deutlich ist die Elimination des Phosphors und der partikulären Stoffe zu
sehen – weniger verändert werden die gelösten Stoffe.
In den Flockungsbecken wird mit Hilfe von Paddeln eine Turbulenz erzeugt,
die das Wachstum der Flocken begünstigt. Die Intensität der Turbulenz muss der
Scherfestigkeit der Flocken angepasst werden. Sie wird über den Energieeintrag
gesteuert. Typische Werte liegen im Bereich von 10–30 Watt m-3 Flockungsbe-
cken. Häufig werden keine speziellen Reaktoren für die Flockung gebaut, sondern
bestehende Bauwerke genutzt:
– In belüfteten Sandfängen herrschen Bedingungen, die die Flockung unterstüt-
zen.
– In den Einlaufbauwerken zu Sedimentationsbecken steht eine geringe Zeit zur
Bildung der Flocken zur Verfügung.
316 19 Mechanische Abwasserreinigung

Beispiel 19.9. Chemikalienverbrauch in der Vorfällung


Wieviel Eisensalz muss dem nachfolgend charakterisierten Abwasser in der Vorfällung
zugeführt werden, wenn 50% des Eisens der Fällung von FePO4 und 50% der Bildung
von Fe(OH)3 dient?
Wieviel Schlamm wird produziert, wenn insgesamt 80% der suspendierten Stoffe abge-
schieden werden?
TP = totaler Phosphor = 7 g P m-3
TSS = 200 g TSS m-3
Atomgewichte: Fe 56, P 31, H 1, O 16
1. Annahme: Aller Phosphor wird als FePO4 ausgefällt
Eisenbedarf: 7 g P m-3 ˜ 56 g Fe / 31 g P = 12.6 g Fe m-3
Formelgewicht von FePO4 = 56 + 31 + 4˜16 = 151 g Mol-1
Feststoffe die gebildet werden: 7 g P m-3˜151 g FePO4 / 31 g P = 34 g TSS m-3.
2. Annahme: Der Eisenbedarf für die Fällung muss für eine effiziente Flockung verdop-
pelt werden (s. oben):
Totaler Eisenbedarf: 2 ˜ 12.6 g Fe m-3 = 25.2 g Fe3+ m-3
-3
= 210 g m einer Lösung mit 12% Gew. Fe III.
Formelgewicht von Fe(OH)3 = 56+3·(16+1) = 107 g Mol-1.
Es entstehen 12.6 g Fe m-3 ˜ 107 g Fe(OH)3 / 56 g Fe = 24 g Fe(OH)3 m-3.
Da auch die Eisensalze Feststoffe sind, beträgt die totale Feststoffkonzentration TSS
nun: 200 + 34 + 24 = 258 g TSS m-3.
Davon werden 80% oder 206 g m-3 abgetrennt, es verbleiben 52 g TSS m-3.
Der Schlammanfall beträgt bei einer Schlammkonzentration von 4% TS (40 kg TSS m-3)
ca. 0.006 m3 m-3Abwasser oder ca. 2 l E-1 d-1 (ohne Schlamm aus der biologischen Reini-
gung).
Da im Ablauf noch ca. 20% der TSS enthalten sind, enthält dieser noch ca. 7 g m-3 ˜
0.2 = 1.4 g Phosphor m-3. Von den 200 g TSS m-3, die ursprünglich im Abwasser enthal-
ten waren, finden wir im Ablauf noch 0.2 ˜ 200 = 40 g m-3. Damit eine reine Vorklärung
eine Abtrennung von 80% der TSS erbringt, müsste die hydraulische Aufenthaltszeit
nach Abb. 19.5 zu Th = 3 - 4 h gewählt werden. Nach Vorfällung genügt ein Bruchteil
davon (| 1 h), weil die kleinen Partikel zu grösseren, schneller sedimentierenden Flo-
cken aggregiert worden sind.
20 Biologische Abwasserreinigung

Die biologische Abwasserreinigung umfasst den leistungsfähigsten Teil einer mo-


dernen Abwasserreinigungsanlage. Wir unterscheiden zwei Hauptgruppen von
Verfahren, das Belebtschlammverfahren mit Mikroorganismen, die im Abwasser
suspendiert sind (schweben) und die Tropfkörperverfahren, mit Mikroorganismen,
die auf Bewuchsflächen fixiert sind, an denen das zu reinigende Abwasser vorbei-
fliesst. Heute können wir sehr viele unterschiedliche Prozesse (Vorgänge) in die
biologische Reinigung hineinprojektieren, sodass viele verschiedene Reinigungs-
probleme mit solchen Verfahren gelöst werden können.
Dieses Kapitel folgt ungefähr der geschichtlichen Entwicklung der einzelnen Ver-
fahren - damit soll insbesondere aufgezeigt werden, wie immer anspruchsvollere
Probleme zu immer anspruchvolleren Verfahren geführt haben. Heute haben die
Verfahren eine Komplexität erreicht, die eine weitere ausschliessliche Anwendung
von „End of Pipe“ Lösungen nicht mehr sinnvoll erscheinen lässt. In Zukunft
werden vermehrt auch Massnahmen an der Quelle zum Tragen kommen.
Die biologische Abwasserreinigung wird in diesem Buch detaillierter einge-
führt als die anderen Themen. Es soll damit exemplarisch angedeutet werden, dass
die Siedlungswasserwirtschaft in ihrer Vertiefung weit über das Anwenden von
Erfahrungszahlen hinausgeht. Diese detaillierte Beschreibung soll denjenigen Stu-
dierenden, die nicht in Siedlungswasserwirtschaft vertiefen einen Einblick in das
Fachwissen vermitteln, das heute insbesondere in den Umweltingenieurwissen-
schaften erarbeitet wird.

20.1 Ziel der biologischen Abwasserreinigung


Ziel der Abwasserreinigung ist es, Abwasserinhaltstoffe, die in der Natur (Vorflut)
unerwünschte Eigenschaften und Folgen haben, aus dem Abwasser abzutrennen
oder in Stoffe überzuführen, die in der Natur keinen oder einen geringeren Scha-
den anrichten. In der biologischen Abwasserreinigung können solche Stoffe z.B.:
– In Form von Gasen (Stickstoff N2, Kohlendioxid CO2) schadlos in die Atmo-
sphäre abgegeben werden oder wie beim Biogas (Methan, CH4) weiter behan-
delt und sogar genutzt werden.
– In Form von oxidierten, gelösten, häufig mineralischen Stoffen im gereinigten
Abwasser verbleiben (Nitrat NO3-, Wasser H2O, Bikarbonat HCO3-).
– Als Feststoffe (Biomasse, adsorbierte Stoffe, geflockte und z.T. chemisch ge-
fällte Stoffe) in aufkonzentrierter Form als Schlamm aus dem Abwasser abge-
trennt werden.
318 20 Biologische Abwasserreinigung

In der biologischen Abwasserreinigung wird insbesondere das Wachstum der-


jenigen Mikroorganismen gefördert, die entsprechend dem formulierten Ziel,
schädliche in weniger schädliche oder harmlose Stoffe überführen. Nie wird es mit
biologischen Methoden gelingen, Schadstoffe vollumfänglich aus dem Abwasser
zu entfernen; immer verbleibt eine Restbelastung, die von der Prozessführung und
dem gewählten Verfahren abhängig ist.

20.2 Mikrobiologische Prozesse


In der biologischen Abwasserreinigung werden Mikroorganismen gezüchtet, d.h.
es wird dafür gesorgt, dass sich in der Reinigungsanlage Mikroorganismen,
hauptsächlich Bakterien, ansiedeln und vermehren können. Im Folgenden werden
die wichtigsten mikrobiologischen Prozesse kurz beschrieben: Wachstum, Zerfall,
Hydrolyse, Nitrifikation, Denitrifikation.
Unter Mikroorganismen verstehen wir hier einzellige Organismen, v.a. Bakterien,
mit unterschiedlichsten Eigenschaften. Einzelne Bakterien haben eine Grösse von
ca. 1 Pm (10-3 mm) und sind z.T. unter dem Mikroskop gerade noch einzeln zu
erkennen. Wir verfolgen in der Abwasserreinigung die Entwicklung dieser Orga-
nismen indem wir ihre Masse (die Biomasse) verfolgen, und nicht ihre Anzahl.

20.2.1 Wachstum
Das Wachstum von Mikroorganismen beschreibt den Prozess der Vermehrung der
Zellen und der Masse der Organismen. Da die Bakterien für ihre Vermehrung
Substrate (Nährstoffe) aufnehmen müssen, die sie in der Abwasserreinigung dem
Abwasser entziehen, ist das Wachstum der eigentliche Reinigungsprozess. Je
schneller sich die Biomasse vermehrt, desto mehr Schmutzstoffe werden dem
Abwasser entzogen und desto schneller verläuft die Reinigung. Durch das Wachs-
tum wird z.B. ein Teil der gelösten organischen Verbindungen zu mineralischen
Stoffen (CO2, H2O) abgebaut um Energie zu gewinnen; ein Teil wird in die Bio-
masse eingebaut und kann nun in der Form von Feststoffen aus dem Abwasser
abgeschieden werden.
In der Natur ist das Wachstum, das die Schmutzstoffe auslösen, unerwünscht.
Die Produktion der Biomasse und der damit einhergehende Sauerstoffverbrauch
wirken sich nachteilig auf die Umwelt aus. In der Abwasserreinigung sollen daher
diese Prozesse in technischen Bauwerken kontrolliert ablaufen.
Die Bakterien vermehren sich exponentiell (Abb. 20.1). Da wir nicht die An-
zahl der einzelnen Organismen, sondern nur global ihre Masse (oder Konzentrati-
on) verfolgen, wird diese Vermehrung mit der Wachstumsgeschwindigkeit P cha-
rakterisiert: mit Hilfe der Wachstumsgeschwindigkeit können wir in einem
geschlossenen System (einem Chargenreaktor) die Zunahme der Masse oder der
Konzentration dieser Bakterien mit der Zeit beschreiben. Die Bakterien vermehren
sich proportional zu ihrer Anzahl oder Masse, die Proportionalitätskonstante heisst
Wachstumsgeschwindigkeit. Eine Bilanz um einen Chargenreaktor ergibt:
20.2 Mikrobiologische Prozesse 319

Zeit t
0˜td 1˜td 2˜td i˜td n˜td
20 21 22 2i 2n

Abb. 20.1. Exponentielles Wachstum der Bakterien: Die einzelnen Generationen sind um die
Verdoppelungszeit td verschoben. Die Anzahl der Bakterien nimmt in einer geometrischen Reihe
exponentiell zu

dX
P˜X (20.1)
dt
X = Konzentration der Bakterien >M L-3@
P = Wachstumsgeschwindigkeit der Bakterien >T-1@
t = Zeit >T@
Die Integration von Gl. (20.1) mit den Anfangsbedingungen X = X0 bei t = 0
ergibt eine Beschreibung des exponentiellen Wachstums der Bakterien:
X(t) X 0 ˜ exp(P ˜ t) (20.2)
Die Wachstumsgeschwindigkeit P ist abhängig von der Art der Bakterien und
den Umweltbedingungen (Temperatur, Nährstoffangebot, Sauerstoff, pH, Giftstof-
fen etc.). Typische Werte, zusammen mit den Verdoppelungszeiten td, sind in
Tabelle 20.1 zusammengestellt.

Beispiel 20.1. Grenzen des exponentiellen Wachstums


Unter dem Mikroskop beobachten wir ein Bakterium einer Art, die sich kettenförmig als
Faden vermehrt. Jedes einzelne Bakterium ist 1 Pm (10-6 m) lang (und damit im Mikro-
skop bei grosser Vergrösserung gerade noch sichtbar). Nach 30 min. beobachten wir
zwei Bakterien, nach weiteren 30 min. ist der Faden bereits 4 Bakterien oder 4 Pm lang.
Nun lassen wir die Probe über einige Stunden unter dem Mikroskop stehen und kom-
men nach 4 h zurück um die Probe erneut zu beobachten (5 h nach Ansetzen der Pro-
be). Was erwarten wir?
In 5 h können sich die Bakterien 10 Mal verdoppeln, es wären also 210 = 1024 Bakterien
vorhanden und der Faden wäre bereits 1 Millimeter lang, und wir könnten ihn von blos-
sem Auge sehen.
Wie lang wäre der Faden nach einem Tag, also 24 h nach Beginn des Experiments,
sofern sich die Bakterien unbeschränkt weiter vermehren könnten?
320 20 Biologische Abwasserreinigung

Nach 24 h ergäben sich 248 = 2.8 · 1014 Bakterien, mit einer Fadenlänge von 280’000
km. Diese Bakterien hätten ein Gewicht von ca. 300 g. Es ist offensichtlich nicht mög-
lich, dass sich Bakterien in einem Versuch ohne Nachschub von Nährstoffen während
24 h ungehindert vermehren können.
In der Abwasserreinigung beschränkt meistens der Nachschub von Schmutzstoffen das
schnelle Wachstum der Bakterien.

Beispiel 20.2. Exponentielles Wachstum


Wie gross ist die Verdoppelungszeit td der Fadenbakterien im Beispiel 20.1?
Aus der Beobachtung der Verdoppelung innert 30 min ergibt sich td = 30 min.
Wie gross ist die Wachstumsgeschwindigkeit P dieser Fadenorganismen (Gl.(20.2))?
Aus X = X(t=0) · exp(P · t) ergibt sich nach einer Verdoppelung:
X(td)/X(t=0) = 2 = exp(P · td) oder ln(2) = P ˜ td
P = ln(2) / td = 0.69 / 30 min = 0.023 min-1 = 1.4 h-1

Tabelle 20.1. Typische Wachstumsgeschwindigkeiten P und Verdoppelungszeiten td von Bakte-


rien (Richtwerte, nicht für die Dimensionierung geeignet)

Art Vorkommen Temperatur P td


-1
Escherichia Coli Darmbakterien 37°C 30 d 0.5 h
-1
typische Bakterien, die in der biologischen Reinigung 20°C 6d 3h
-1
organische Stoffe abbauen 10°C 3d 6h
-1
20°C 1d 17 h
Nitrosomonas Nitrifikation -1
10°C 0.3 d 55 h
-1
Acetat spaltende Bakterien Faulturm 33°C 0.1 d 170 h

20.2.2 Zerfall
Mikroorganismen müssen dauernd Energie umsetzen um am Leben zu bleiben,
z.B. um sich zu bewegen, um ihre innere Struktur intakt zu halten, um Makromo-
leküle (Enzyme, Erbmaterial etc.) zu reparieren, … . Wenn extern nur ungenügend
Nährstoffe angeboten werden, werden für diese Prozesse zellinterne Stoffe verat-
met und daraus die erforderliche Energie gewonnen, man spricht von endogener
Atmung: Durch die Veratmung von Zellmasse nimmt diese ab, es resultiert ein
Zerfall der Biomasse.
In der Abwasserreinigung ergeben sich immer wieder Perioden (z.B. in der
Nacht), in denen nur ungenügend externe Nährstoffe zur Verfügung stehen. In
diesen Perioden dominieren die Zerfallsprozesse, die verfügbare Biomasse nimmt
langsam ab.

20.2.3 Hydrolyse
Viele organische Stoffe im Abwasser liegen in Form von Partikeln, Kolloiden
oder hochmolekularen Verbindungen vor, die von Bakterien nicht direkt aufge-
nommen und abgebaut werden können. Bakterien scheiden deshalb Enzyme (Fer-
mente) aus, die diese Stoffe in ihre einzelnen, wasserlöslichen Bausteine (Zucker,
Aminosäuren, Fettsäuren) zerlegen und sie damit für den Abbau verfügbar ma-
20.2 Mikrobiologische Prozesse 321

chen. Dieser Prozess heisst Hydrolyse, er nimmt Zeit in Anspruch und verzögert
den Abbau der oben beschriebenen Stoffe.

20.2.4 Abbau organischer Stoffe, heterotrophe Organismen


Im aeroben Abbau der organischen Stoffe mineralisieren heterotrophe Mikroor-
ganismen einen Teil der organischen Stoffe (hier dargestellt anhand eines Kohle-
hydrats CH2O) zu Kohlendioxid CO2 und Wasser H2O:
CH2O + O2 o CO2 + H2O
Der Rest der organischen Stoffe wird in die Mikroorganismen eingebaut, die
sich dabei vermehren: Der Abbau von organischen Stoffen ist also ein Wachs-
tumsprozess. Es gibt eine grosse Zahl von unterschiedlichen heterotrophen Bakte-
rien, die organische Stoffe abbauen können. Sie vermehren sich schnell, entspre-
chend werden die zugehörigen Bauwerke eher klein.

20.2.5 Nitrifikation
Unter Nitrifikation verstehen wir einen mikrobiologischen Prozess, in dem spezia-
lisierte Bakterien Ammonium NH4+ zu Nitrat NO3- oxidieren:
NH4+ + 2 O2 o NO3- + H2O + 2 H+
Dieser Prozess läuft sehr langsam ab, entsprechend gross werden die Bauwer-
ke, die diesen Prozess ermöglichen. Die Nitrifikation verbraucht grosse Mengen
von gelöstem Sauerstoff O2. Die heterotrophen Bakterien, die die organischen
Stoffe abbauen, können nicht nitrifizieren.

20.2.6 Denitrifikation
Unter der Denitrifikation verstehen wir einen mikrobiologischen Prozess, in dem
für die Oxidation von organischen Stoffen an Stelle von Sauerstoff O2 Nitrat NO3-
reduziert wird. Das Produkt der Denitrifikation ist elementarer Stickstoff N2, der
problemlos in die Atmosphäre abgegeben werden kann.
5 CH2O + 4 NO3- + 4 H+ o 2 N2 + 5 CO2 + 7 H2O
Die Denitrifikation ist also ein Prozess, mit dem Stickstoff aus dem Abwasser
entfernt werden kann. Er bedingt, dass organische Stoffe verfügbar sind. Die meis-
ten heterotrophen Bakterien, die organische Stoffe aerob abbauen, können auch
denitrifizieren.

20.2.7 Nährstoffbedarf der Mikroorganismen


Mikroorganismen müssen Biomasse (ihre eigene Masse) aufbauen, die aus unter-
schiedlichen organischen Stoffen besteht (Kohlenhydrat, Protein, Nukleinsäure
etc.). Diese Stoffe enthalten z.T. organisch gebundenen Stickstoff N, und Phos-
phor P, Nährstoffe, die dem Abwasser entzogen werden. Erfahrungswerte für
kommunales Abwasser sind in Tabelle 20.2 zusammengestellt.
322 20 Biologische Abwasserreinigung

Tabelle 20.2. Nährstoffbedarf von Mikroorganismen: Proportional zur Konzentration der abge-
bauten organischen Stoffe bauen die Mikroorganismen Nährstoffe in ihre Biomasse ein
-1
Stickstoffbedarf iN = 0.04 – 0.05 g N g BSB5
-1
Phosphorbedarf iP = 0.01 – 0.02 g P g BSB5

Beispiel 20.3. Nährstoffbedarf der Mikroorganismen


Ein Abwasser enthält:
Organische Stoffe: 180 g BSB5 m-3
Kjeldahlstickstoff : 30 g TKN m-3
Totaler Phosphor: 6 g TP m-3
Wieviel Nährstoffe (Stickstoff und Phosphor) enthält der Ablauf, wenn das Abwasser
biologisch gereinigt wird?
Siehe Tabelle 20.2:
Stickstoff: TKNAblauf = TKNZulauf - iN · BSB5,Zulauf = 30 - 0.045˜180 = 21.9 g N m-3
Phosphor: TPAblauf = TPZulauf - iP · BSB5,Zulauf = 6 - 0.015˜180 = 3.3 g P m-3
Die Differenz zum Zulauf muss als Teil der produzierten Mikroorganismen im Über-
schussschlamm aus der biologischen Reinigung abgeführt werden.

20.3 Unterschiedliche biologische Verfahren


In der biologischen Abwasserreinigung unterscheiden wir zwei Gruppen von Ver-
fahren:
– Verfahren mit suspendierter Biomasse: In diesen Verfahren wird die Biomasse
durch Turbulenz im Wasser in Schwebe gehalten. Die Biomasse wird in Form
von Schlammflocken von ca. 0.1–1.0 mm Grösse mit dem Wasser transpor-
tiert. Diese Verfahren sind den Seen oder Algenteichen nachempfunden: Die
Algen werden im See in Schwebe gehalten, wenn sich ein Wasserpaket z.B. als
Folge einer Welle bewegt, so werden die suspendierten Algen (die Biomasse)
mitbewegt. Die Leistung von Verfahren mit suspendierter Biomasse wird be-
stimmt durch die Masse der Organismen die im biologischen Reaktor in Sus-
pension gehalten wird. Als Dimensionierungsparameter wird daher häufig die
Abbauleistung pro vorhandene Biomasse angegeben.
– Verfahren mit festsitzender Biomasse: In diesen Verfahren sitzt die Biomasse
als dünner Film (ein Biofilm) auf einer Aufwuchsfläche fest. Das Abwasser
rinnt über diesen Biofilm hinweg, es bewegt sich relativ zur Biomasse, die auf
der Unterlage festsitzt. Diese Verfahren sind den Fliessgewässern, insbesonde-
re den kleinen Bächen, nachempfunden: Im Bach sitzt der grösste Teil der ak-
tiven Mikroorganismen als sogen. Benthos auf dem Sediment, den Steinen
oder z.T. auf den Blättern von höheren Pflanzen fest. Im Zuge der Selbstreini-
gung fliesst das Wasser über diese Biomasse hinweg und tauscht dabei
„Schmutzstoffe“ mit diesem Biofilm aus. Ein altes Sprichwort sagt: Fliesst das
Wasser über sieben Stein’, so ist das Wasser wieder rein. Die Leistung von
Biofilmverfahren wird bestimmt durch das Angebot von Bewuchsflächen.
Häufig wird deshalb die Abbauleistung pro Fläche Biofilm als Dimensionie-
rungswert gebraucht.
20.4 Belebtschlammverfahren 323

Zur ersten Gruppe gehören z.B. das Belebtschlammverfahren (Abschn. 20.4)


oder der Faulturm (Abschn. 25.3.1, Seite 405), zur 2. Gruppe gehören der Tropf-
körper (Abschn. 20.5, Seite 363), der Tauchkörper (Abschn. 20.6, Seite 369) und
viele neuere Entwicklungen, sogen. Biofilter.

20.4 Belebtschlammverfahren
Das Belebtschlammverfahren ist ab 1914 in England entwickelt und anschliessend
bald in die grosstechnische Anwendung eingeführt worden. Bereits in den frühen
20er Jahren haben in den USA grosse Anlagen mit diesem Verfahren im Betrieb
gestanden. Es erhielt seinen Namen (Activated Sludge Process), weil im Verfah-
ren ein Schlamm (eine Suspension) gebildet wird, der aktive Mikroorganismen
enthält (Belebtschlamm), die das Abwasser aerob (in Gegenwart von gelöstem
Sauerstoff O2) reinigen können.
Heute stellt das Belebtschlammverfahren in den Industrieländern das wichtigs-
te biologische Abwasserreinigungsverfahren dar. Es wird in den verschiedensten
Varianten eingesetzt. Im Laufe der Zeit ist es gelungen, eine Vielzahl von ver-
schiedenen mikrobiologischen, chemischen und physikalischen Prozessen in das
Verfahren zu integrieren und gleichzeitig zu optimieren:
– Abbau von organischen Stoffen (BSB5, CSB)
– Flockung und teilweiser Abbau von partikulären Stoffen (TSS)
– Oxidation von Ammonium NH4+ zu Nitrat NO3- (Nitrifikation)
– Reduktion von Nitrat NO3-, zu Stickstoff N2 (Denitrifikation)
– Chemische Phosphorelimination (Simultanfällung)
– Biologische Phosphorelimination
– Elimination von spezifischen organischen Verbindungen (Mikroverunreini-
gungen, Medikamente, NTA, …)
Die Vielfalt der Verfahren drückt sich v.a. in der Gestaltung der Reaktoren und
in der Vielfalt der Umweltbedingungen aus, die den Mikroorganismen angeboten
werden. Diese Vielfalt, zusammen mit seiner Leistungsfähigkeit, der Wirtschaft-
lichkeit und der möglichen Betriebsstabilität, sind die Gründe für die häufige An-
wendung des Verfahrens.

20.4.1 Fliessschema des Belebtschlammverfahrens


Ein typisches Fliessschema eines einfachen Belebtschlammverfahrens ist in
Abb. 20.2 dargestellt:
– Die Schmutzstoffe werden durch den Zulauf in das Belüftungsbecken (Bele-
bungsbecken) geführt und über den Rücklaufschlamm werden die Mikroorga-
nismen zugeführt (Belebtschlamm), die für die Reinigung verantwortlich sind.
Durch eine Belüftung wird Luft in das Belebungsbecken eingetragen und dar-
aus Sauerstoff im Abwasser gelöst. Die Belüftung hat zusätzlich die Aufgabe,
das Abwasser und den belebten Schlamm zu durchmischen und die Mikroor-
ganismen in Schwebe zu halten. Durch das Zusammentreffen von Schmutz-
stoffen (= Nährstoffe), Mikroorganismen und Sauerstoff können sich die Mik-
roorganismen vermehren und dadurch das Abwasser reinigen.
324 20 Biologische Abwasserreinigung

Belebungsbecken Nachklärbecken
Sedimentation
Luft
Zulauf
Ablauf

Rücklaufschlamm Überschussschlamm

Abb. 20.2. Fliessschema eines einfachen Belebtschlammverfahren: Ein aerobes, volldurchmisch-


tes Belebungsbecken (hier ein Belüftungsbecken) ist gefolgt von einem Nachklärbecken zur
Abtrennung der Biomasse (Belebtschlamm) aus dem gereinigten Abwasser. Der Rücklauf-
schlamm bringt die Biomasse zurück ins Belebungsbecken, mit dem Überschussschlamm wird
der Zuwachs des Belebtschlamms laufend aus dem System abgezogen. Die Belüftung führt dem
Prozess gelösten Sauerstoff zu

– Durch hydraulische Verdrängung gelangt das Belebtschlamm – Abwasser


Gemisch (Engl. Mixed Liquor) ins nachfolgende Nachklärbecken, wo der
Schlamm als Folge der Gravitation nach unten aussedimentiert und eingedickt
wird. Das überstehende, gereinigte Abwasser wird dekantiert; es enthält noch
die nicht eliminierbaren gelösten Stoffe sowie eine geringe Restkonzentration
von suspendierten Stoffen.
– Das Sediment aus dem Nachklärbecken wird als Rücklaufschlamm ins Bele-
bungsbecken zurückgeführt, sodass dort die gewünschte Schlammkonzentra-
tion eingehalten werden kann. In der kommunalen Reinigung wird der Be-
lebtschlamm ca. 20–50 mal im Kreise geführt, sodass die Konzentration der
Bakterien im Belebtschlammbecken gegenüber Verfahren ohne Rücklauf um
diesen Faktor erhöht ist; damit wird auch die Abbauleistung des Reaktors um
den gleichen Faktor erhöht.
– In jedem Kreislauf des Belebtschlamms durch das Belüftungsbecken wird
durch den Abbau der Schmutzstoffe und das zugehörige Wachstum der Orga-
nismen der Schlamm etwas vermehrt. Dieser Zuwachs wird in Form von
Überschussschlamm vom Sediment des Nachklärbeckens abgetrennt und der
Schlammbehandlung zugeführt.
Das Belebtschlammverfahren beruht also auf dem Zusammenspiel von zwei
getrennten Reaktoren, dem Belebungsbecken und dem Nachklärbecken, die beide
erforderlich sind und aufeinander abgestimmt werden müssen. Neben der eigentli-
chen Reinigung des Abwassers im Belebungsbecken muss die Biomasse im Nach-
klärbecken effizient abgetrennt und aufkonzentriert (eingedickt) werden können.

Beispiel 20.4. Rücklaufschlamm / Überschussschlamm


In einer Belebungsanlage für 50’000 E werden Q = 20’000 m3d-1 Abwasser gereinigt
und es werden ÜSQ = 150 gTSS m-3Abwasser Belebtschlamm produziert, der in Form von
Überschussschlamm aus dem Verfahren abgezogen werden muss. Im Belebungsbe-
cken kann eine Belebtschlammkonzentration von TSBB = 3000 gTSS m-3 unterhalten wer-
den. Es werden R = 25’000 m3d-1 Rücklaufschlamm (inkl. Überschussschlamm) ge-
20.4 Belebtschlammverfahren 325

pumpt und der Überschussschlamm wird vom Rücklaufschlamm abgetrennt. Im Ablauf


des Nachklärbeckens gehen TSe = 15 gTSSm-3Abwasser in Form von Biomasse (Be-
lebtschlamm) verloren.
Wieviel Überschussschlamm muss abgepumpt werden?
Wie oft zirkuliert der Belebtschlamm durch das Belebungsbecken?
1. Fracht des Überschussschlamms:
Als Überschussschlamm muss die Schlammproduktion minus die Verluste im Ablauf
des Nachklärbeckens abgezogen werden:
Q ˜ ÜSQ - Q ˜ TSe = 2700 kgTSS d-1
2. Konzentration des Rücklauf- und des Überschussschlamms TSR:
Der Zufluss von Belebtschlamm zum Nachklärbecken entspricht dem Zufluss zum Be-
lebungsbecken, also Q + R und es werden dem Nachklärbecken gleichviel TSS zugelei-
tet, wie daraus abgeleitet werden:
(Q + R) · TSBB = Q · TSe + R · TSR
Daraus TSR = ((20’000+25’000)·3000 - 20’000·15)/25’000 = 5400 gTSS m-3
3. Die Überschussschlammmenge beträgt:
QÜS = Fracht / Konzentration = 2700 kgTSS d-1 / 5.4 kgTSS m-3 = 500 m3 d-1 (oder ca. 2.5%
des gereinigten Abwassers)
4. Rezirkulation des Schlamms:
Im Belebungsbecken werden Q · ÜSQ = 3000 kgTSS d-1 Schlamm produziert und es
fliessen dem Becken (R - QÜS) · TSR = 132’000 kgTSS d-1 Feststoffe zu. Im Durchschnitt
muss daher der Belebtschlamm 132’000 / 3000 = 44 mal durchs Belebungsbecken ge-
leitet werden, bevor er die Anlage im Überschussschlamm oder im Ablauf verlässt.

20.4.2 Charakterisierung von Belebtschlamm


Abb. 20.3 zeigt eine mikroskopische Aufnahme einer Belebtschlammflocke in
einer Vergrösserung, in der einzelne Bakterien gerade nicht mehr unterschieden
werden können. Die zentrale Flocke ist ein Konglomerat von verschiedensten
Bakterien und Partikeln aus dem Abwasser, die sich an diese Flocken anlagern.
Einzelne Bakterienarten wachsen fadenförmig und halten so die Flocken zusam-
men (analog zum Stahlbeton oder glasfaserverstärkten Baustoffen beim Bauen).
Die Flocke in Abb. 20.3 ist von fadenförmig wachsenden Bakterien durchwuchert.
So werden die Flocken voluminös und sedimentieren nur noch langsam, es ent-
steht ein Blähschlamm, der den Betrieb des Nachklärbeckens massiv stört. Der
SchlammVolumen-Index (SVI) ist ein Mass für die Eindickeigenschaften des Be-
lebtschlamms:
Zur Bestimmung des Schlammvolumen-Indexes (SVI, Engl. Sludge Volume In-
dex) wird Belebtschlamm mit der bekannten Konzentration XBS in einem 1 l
Messzylinder (VMZ) während 30 min. sedimentiert und anschliessend das Volu-
men VSF der Schlammflocken abgelesen (Abb. 20.4). Der SVI gibt an, welches
Volumen (in ml) 1 g Trockensubstanz beansprucht:
SVI = VSF / (VMZ ˜ XBS) in ml/gTS (20.3)
Um Wandeffekte gering zu halten wird gelegentlich der sogen. Verdünnungs-
schlammvolumenindex bestimmt; hier wird der Belebtschlamm anfänglich soweit
326 20 Biologische Abwasserreinigung

Abb. 20.3. Aufnahme einer Belebtschlammflocke im Phasenkontrastmikroskop (Kappeler 1989)

1000 ml

Abb. 20.4: Bestimmung des Schlammvolumenindex SVI:


355 ml Links anfängliche Probe von Belebtschlamm im Messzy-
linder, rechts gleiche Probe nach 30 min Absetzzeit mit
überstehendem klaren Abwasser und aufkonzentriertem
Sediment (s.a. Beispiel 20.5)

mit dem Ablauf der Nachklärung verdünnt, bis ein Volumen der Schlammflocken
VSF < 300 ml resultiert.

Beispiel 20.5. Schlammvolumenindex


Ein Belebtschlamm hat eine Konzentration von 3350 gTS m-3. In einem 1 l Messzylinder
dickt eine Probe dieses Schlamms in 30 min. auf 355 ml Schlammbett ein. Wie gross ist
der SVI?
SVI = 355 ml / (1 l · 3.35 gTS l-1) = 106 ml/gTS.
Ein normaler Belebtschlamm.
Um den Verdünnungsschlammvolumenindex zu bestimmen müsste dieser Versuch mit
einer geringeren Anfangskonzentration wiederholt werden (z.B. XBS | 2500 gTS m-3).

Typische Werte für den SVI sind in Tabelle 20.3 angegeben. Heute sind Mass-
nahmen bekannt, um der Entwicklung von Blähschlamm bereits in der Phase der
Projektierung der Anlagen vorzubeugen. Von besonderer Bedeutung sind sogen.
Selektoren, kleine abgetrennte hochbelastete erste Teile des Belebungsbeckens.
Für die Bemessung und die Funktion von Selektoren wird auf die Fachliteratur
verwiesen (DWA A131).
20.4 Belebtschlammverfahren 327

Tabelle 20.3. Typische Werte für den Schlammvolumen-Index (SVI). Abweichungen von diesen
Werten sind häufig, bei zu hohen SVI sollen Massnahmen ergriffen werden um bessere Eindick-
eigenschaften des Schlamms zu erreichen
Verfahren oder spezielle Bedingung SVI in ml / gTSS
Belebtschlammverfahren ohne Vorklärung 75 – 100
Belebtschlammverfahren nach Vorklärung 100 – 150
Verfahren mit Simultanfällung (Phosphorelimination) 80 – 130
Bei grossem Anteil gelöster organischer Schmutzstoffe > 150
Blähschlamm 150 – 1000

Tabelle 20.4. Typische Werte für die Belebtschlammkonzentrationen in verschiedenen Verfah-


rensvarianten (Kommunale Abwasserreinigung)
Typische Konzentration in:
Verfahren -3 -3 -3
gTSS m gVSS m gCSB m
Ohne Vorklärung 4500 2800 4000
Nach Vorklärung 3000 2000 3000
Nach Vorklärung mit Simultanfällung 3500 2000 3000

Die Konzentration des Belebtschlamms wird auf Kläranlagen meist in Form von
Trockensubstanz (TS) oder nach Filtration in total suspendierten Stoffen (TSS)
gemessen, gelegentlich wird zusätzlich der Glühverlust (VSS) bestimmt. In der
Forschung wird heute zunehmend auch mit dem CSB des Belebtschlamms gear-
beitet, weil mehrere mathematische Modelle für das Belebtschlammverfahren auf
dem CSB basieren. In Tabelle 20.4 sind typische Werte für die Belebtschlamm-
konzentration zusammengestellt.
Beim Projektieren einer Belebungsanlage wird die Belebtschlammkonzentrati-
on auf Grund eines iterativen Vorgehens gewählt: Je grösser das Nachklärbecken,
desto grösser wird die mögliche Eindickung und desto grösser wird die zulässige
Belebtschlammkonzentration TSBB. Da alle Dimensionierungsverfahren für das
Belebungsbecken nur die erforderliche Masse von Belebtschlamm berechnen (also
das Produkt VBB˜TSBB), resultiert aus einer Vergrösserung der Belebtschlamm-
konzentration TSBB eine Verringerung des erforderlichen Beckenvolumens VBB.

Beispiel 20.6. Schlammvolumenindex und Belebtschlammkonzentration


In einer Belebungsanlage entwickelt sich ein Blähschlamm mit einem SVI von
500 ml g-1TSS. Die Anlage wird mit einem Verhältnis von Zulauf Q zu Rücklaufschlamm
R von 1 : 1 betrieben.
Wie gross ist die Belebtschlammkonzentration im Belebungsbecken TSBB, die maximal
eingehalten werden kann?
Der SVI gibt an, dass eingedickter Belebtschlamm im Rücklaufschlamm in erster Nähe-
rung maximal die Konzentration von TSR < 1 / SVI = 2 kg TSS m-3 erreichen kann. Eine
einfache Bilanz für den Belebtschlamm ums Nachklärbecken ergibt:
R ˜ TSR
(Q  R ) ˜ TSBB Q ˜ TS Ablauf  R ˜ TSR und mit TSAblauf |0 resultiert: TSBB
(Q  R )
328 20 Biologische Abwasserreinigung

Es resultiert, dass in erster Näherung die Konzentration im Belebungsbecken TSBB < 1


kg TSS m-3 wird. Das ist ein Wert, der nur eine geringe Reinigungsleistung ergibt (s.a.
Tabelle 20.4).

20.4.3 Dimensionierung des Belebtschlammverfahrens


Die Dimensionierung und Gestaltung des Belebtschlammverfahrens bedingt die
Bearbeitung einer Reihe von Fragen, die hier nur oberflächlich gestreift wird:
– Volumen und allfällige Unterteilung des Belebungsbeckens. Das ist abhängig
vom Reinigungsziel und der möglichen Belebtschlammkonzentration, welche
durch das Nachklärbecken und die Eindickeigenschaften des Belebtschlamms
(SVI) gegeben wird.
– Verbrauch von Sauerstoff und die Dimensionierung einer entsprechenden Be-
lüftungseinrichtung.
– Produktion von Schlamm, der als Überschussschlamm abgezogen und der
Schlammbehandlung zugeführt werden muss.
– Grösse und Gestaltung des Nachklärbeckens. Diese bestimmen wieweit der
Belebtschlamm eingedickt und während Regen gespeichert werden kann.
– Zusätzlich müssen allenfalls chemische Prozesse, z.B. die Fällung von Phos-
phor, mitberücksichtigt werden.
Historisch sind Belebungsanlagen mit einer Schlammbelastung dimensioniert
worden, die angibt, wieviel Schmutzstoffe (speziell BSB5) pro Menge Be-
lebtschlamm (gemessen als Trockensubstanz) pro Zeit abgebaut werden müssen:
Q ˜ BSB5
BTS (20.4)
VBB ˜ TSBB
Die verwendete Nomenklatur beruht auf der in Deutschland verwendeten (und
stark genormten), die im deutschen Sprachraum in der Praxis übernommen wurde:
BTS = Schlammbelastung bezogen auf Trockensubstanz (TSS)
[kg BSB5 kg-1 TSS d-1]
Q = Zufluss zur Belebungsanlage [m3 d-1]
BSB5 = Konzentration an BSB5 im Zulauf zur Belebungsanlage [kg BSB5 m-3]
VBB = Volumen des Belebungsbeckens [m3]
TSBB = Konzentration des Belebtschlamms im Belebungsbecken, gemessen
als Trockensubstanz [kg TSS m-3].
Für die Belastung der Anlage (Q ˜ BSB5) wird ein Tagesmittelwert an einem
„Dimensionierungstag“ eingesetzt. Nach dem alten Arbeitsblatt A131 (1991) der
Abwassertechnischen Vereinigung in Deutschland (ATV) dient z.B. bei Anlagen
zur Elimination der organischen Stoffe (BSB5) ohne Nitrifikation die Tagesfracht,
die an 85% der Werktage (Montag bis Freitag) unterschritten wird, als Dimensio-
nierungswert.
In Tabelle 20.5 sind die Dimensionierungswerte angeben, die in einem frühe-
ren Arbeitsblatt A131 (1981) für verschiedene Belebungsverfahren empfohlen
wurden. Diese Werte kommen heute kaum mehr in dieser Form zur Anwendung,
aber um ein Verfahren schnell zu beurteilen, haben sie noch heute ihre Gültigkeit.
Jeder erfahrene Ingenieur, der Kläranlagen projektiert, kennt diese Werte. Das
20.4 Belebtschlammverfahren 329

Verfahren mit Schlammstabilisierung liefert einen Überschussschlamm, der nach


Eindickung ohne grössere Geruchsbelästigung in die Landwirtschaft ausgebracht
werden konnte (heute muss solcher Schlamm noch zusätzlich hygienisiert wer-
den). Die Verfahren mit Nitrifikation schliessen neben dem Abbau von organi-
schen Stoffen auch die Oxidation von Ammonium (NH4+) zu Nitrat (NO3-) mit
ein.

Tabelle 20.5. Zusammenstellung der wichtigsten Bemessungsgrössen für verschiedene Be-


lebtschlammverfahren nach dem alten Arbeitsblatt A 131 (1981). Diese Werte werden heute
nicht mehr für die Dimensionierung gebraucht, als Richtwerte können sie aber immer noch Ver-
wendung finden
Verfahren
Kenngrösse Schlamm- mit Nitrifi- ohne Nitri-
stabilisierunga) kation fikation
Feststoffgehalt TSBB in kgTSS m-3 4–5 2.5 – 3.3 2.5 – 3.3
Schlammbelastung BTS in kgBSB5 kg-1TSS d-1 0.05 0.15 0.30
Minimale hydraulische Aufenthaltszeit im
- 1.5 1.0
Belebungsbecken bei Regen (bei 2˜QTW) in h
Spezifische Schlammproduktion ÜSB in kgTSS
1.0 0.9 1.0
kg-1BSB5
-1 b)
Maximaler Sauerstoffverbrauch in kgO2 kg BSB5 2.5 2.5 1.5 – 2.0c)
a)
Diese Anlagen nitrifizieren. Sie werden ohne Vorklärbecken betrieben
b)
Mit diesem Sauerstoffeintrag, bezogen auf die mittlere Tagesfracht des BSB5,
kann auch der Tagesspitzenbedarf abgedeckt werden
c)
Diese Anlagen können im Sommer auch nitrifizieren, dieser Sauerstoffverbrauch
berücksichtigt aber nur den Abbau des BSB5

Beispiel 20.7. Einfache Dimensionierung einer Belebungsanlage


Eine Belebungsanlage soll das vorgeklärte Abwasser von ca. 10’000 Einwohnern reini-
gen:
Q = 4000 m3d-1 (wird an 85% der Werktage unterschritten), BSB5 = 0.120 kg BSB5 m-3
Das Nachklärbecken wird so dimensioniert, dass eine Schlammkonzentration von
TSBB = 3.0 kg TSS m-3 erreicht werden kann.
Die Anlage soll zuverlässig die organischen Stoffe (BSB5) abbauen, eine Nitrifikation ist
nicht erforderlich. Die Schlammbelastung wird mit BTS = 0.3 kg BSB5 kg-1 TSS d-1 ge-
wählt (Tabelle 20.5).
Wie gross wird das Belebungsbecken?
Nach Gl. (20.4) ergibt sich: VBB = Q · BSB5 / (BTS · TSBB) = 533 m3
Die mittlere hydraulische Aufenthaltszeit beträgt: Th = VBB / Q = 3.2 h.
Bei Regen wird der doppelte Trockenwetteranfall (Tagesspitze, z.B. Q14) über die Anla-
ge geleitet. Die tägliche maximale Wassermenge ergibt sich zu:
QTW,max = Q14 = Qmittel ˜24h / 14h = 286 m3h-1
Die minimale hydraulische Aufenthaltszeit beträgt Th,min = VBB / (2 ˜QTW,max) = 0.93 h
Diese Aufenthaltszeit ist geringer als der minimal vorgegebene Wert von 1 h. Das Vo-
lumen des Belebungsbeckens sollte also auf 2 ˜286 m3h-1˜1 h = 572 m3 vergrössert wer-
den.
330 20 Biologische Abwasserreinigung

Heute wird an Stelle der Schlammbelastung meistens das sogen. Schlammalter als
Basis für die Dimensionierung benutzt. Das Schlammalter Tx gibt an, wie lange im
Mittel eine Schlammflocke im Belebtschlammbecken verbleibt, bevor sie im
Überschussschlamm oder im Ablauf des Nachklärbeckens aus der Anlage verloren
geht. Das Schlammalter kann zur Wachstumsgeschwindigkeit der Mikroorganis-
men (oder auch deren Verdoppelungszeit) in Beziehung gebracht werden und steht
daher den mikrobiologischen Prozessen im Belebungsbecken nahe. In Worten
ergibt sich:
Masse der Feststoffe im Belebungsbecken
Schlammalter
Schlammverluste je Zeiteinheit
Die Schlammverluste setzen sich zusammen aus dem Überschussschlamm und
dem Verlust von Schwebestoffen im Ablauf des Nachklärbeckens. Mathematisch
ergibt sich:
VBB ˜ TSBB
TX | (20.5)
Q ˜ TSe  Q ÜS ˜ TSÜS
Tx = Schlammalter in Tagen. Typische Werte liegen im Bereich von
3–15 Tagen.
TSe = Konzentration der Schwebestoffe im Ablauf des Nachklärbeckens,
typisch sind Werte < 20 gTSS m-3.
QÜS = Menge des abgezogenen Überschussschlamms [m3 d-1]
TSÜS = Konzentration des abgezogenen Überschussschlamms. Typisch sind
ca. 2 ˜ TSBB = 6–10 kgTSS m-3. Die genaue Konzentration muss mit
Hilfe einer Stoffbilanz um das Nachklärbecken berechnet werden.
In der Berechnung des Schlammalters nach Gl. (20.5) wird nicht berücksich-
tigt, dass der Ablauf des Nachklärbeckens um die Menge des Überschuss-
schlamms verringert wird. Daraus ergibt sich für die Reinigung von kommunalem
Abwasser ein vernachlässigbar kleiner Fehler: Der Überschussschlamm beträgt
hier nur ca. 2–5% des Zufluss.
Mit Gl. (20.5) kann das Schlammalter mit den Erfahrungszahlen aus dem Be-
trieb einer bestehenden Anlage berechnet werden, da alle Grössen gemessen wer-
den können. Um eine Anlage zu dimensionieren, müssen die erwarteten
Schlammverluste (Q·TSe + QÜS·TSÜS) vorerst aus der Schlammproduktion berech-
net werden (im Gleichgewicht wird gleichviel Schlamm produziert wie verloren
geht). Dies geschieht durch Abschätzung der spezifischen Schlammproduktion
ÜSB, die angibt, wieviel Trockensubstanz in Form von Belebtschlamm produziert
wird pro Masse BSB5, die in die Anlage geleitet wird. Die Schlammproduktion
ergibt sich zu:
SP = ÜSB ˜ Q ˜ BSB5 in kgTSSd-1 (20.6)
Mit diesen Überlegungen wird das Schlammalter zu:
VBB ˜ TS BB
TX (20.7)
SP
20.4 Belebtschlammverfahren 331

Richtwerte zur Abschätzung von ÜSB stehen in Tabelle 20.5 und Tabelle 20.6.
Tabelle 20.6 gibt Richtwerte für das erforderliche Schlammalter.
Es besteht eine Beziehung zwischen dem Schlammalter Tx und der Schlamm-
belastung BTS in der Form:
1 Q ˜ BSB5
BTS (20.8)
ÜSB ˜ TX VBB ˜ TSBB
ÜSB = Spezifische Produktion von Belebtschlamm als Folge der Elimination
von BSB5 und der Fällung von Phosphor [kg TS kg-1 BSB5].

Tabelle 20.6. Richtwerte für das erforderliche Schlammalter Tx in Tagen in Abhängigkeit der
Reinigungsleistung und der zu erwartenden mittleren Schlammproduktion ÜSB (ohne Phosphor-
fällung). Gültig für Temperaturen > 10°C. Arbeitsblatt DWA A131 (2000)
Grösse der Anlage: Spez. Produktion
angeschlossene von Schlamm
Reinigungsziel
Einwohnergleichwerte ÜSBb)
< 20’000 > 100’000 kgTSS kg-1BSB5
Ohne Nitrifikation 5 4 0.9 – 1.2
Mit Nitrifikation 10 8 0.8 – 1.1
Mit Nitrifikation und Denitrifikation 12.5 – 20 10 – 16 0.7 – 1.0
Mit Schlammstabilisierunga) 25 - 0.6 – 1.0
a)
Dieses Verfahren wird ausschliesslich ohne Vorklärung betrieben und kommt nur in kleinen
Anlagen zur Anwendung. Es schliesst die Schlammbehandlung in der Anlage mit ein.
b)
Der Bereich gibt die Schlammproduktion mit grosser bis kleiner Vorklärung an. Zusätzlich
müssen bei Phosphorelimination noch die dabei entstehenden Fällungsprodukte berücksich-
tigt werden (ca. 6.8 kg TSS kg-1 P), s.a. Abschn. 20.4.10, Seite 354, und Gl. (20.21), Seite
344.

Beispiel 20.8. Definition des Schlammalters


In einem Belebtschlammbecken befindet sich eine Belebtschlammmenge von
VBB ˜ TSBB = 10’000 kg TSS. Pro Tag werden im Überschussschlamm und im Ablauf der
Anlage 1000 kg TSS abgezogen.
Offensichtlich wird bei diesem Betrieb der Belebtschlamm im Durchschnitt alle 10 d er-
neuert oder das durchschnittliche Schlammalter beträgt 10 d (s.a. Gl. (20.5)).

Beispiel 20.9. Schlammproduktion


Wieviel Belebtschlamm wird in einer Belebungsanlage für 20’000 Einwohner produziert?
Die Anlage wird mit einem Schlammalter von TX = 10 d (Nitrifikation) nach einer Vorklä-
rung mit ca. 1 h mittlerer hydraulischer Aufenthaltszeit und mit Simultanfällung für die
Phosphorelimination betrieben.
Q = 7500 m3 d-1 mit 120 g BSB5 m-3 und 4.8 g P m-3 die gefällt werden müssen.
Nach Tabelle 20.6 beträgt die Schlammproduktion bei einem Schlammalter von 10 Ta-
gen und mittlerem Vorklärbecken ca. 0.9 kg TSS kg-1 BSB5. Dazu kommen nach Fuss-
note in Tabelle 20.6 noch ca. 6.8 kg TSS pro kg P das gefällt werden soll.
Damit ergibt sich die folgende Schlammproduktion:
332 20 Biologische Abwasserreinigung

Elimination der organischen Stoffe:


Q ˜ 120 g BSB5 m-3 ˜ 0.9 kg TSS kg-1 BSB5 = 810 kg TSS d-1
Fällung des Phosphors:
Q ˜ 4.8 g P m-3 ˜ 6.8 kg TSS kg-1 P = 245 kg TSS d-1
Totale Schlammproduktion:
SPtotal = 1055 kg TSS d-1
Sofern von dieser Schlammproduktion im Ablauf 15 g TSS m-3 (= TSe) verloren gehen,
müssen noch SPtotal - Q ˜ TSe = 943 kg TSS d-1 als Überschussschlamm abgezogen
werden. Bei einer typischen Konzentration TSÜS = 7 kg TSS m-3 ergibt sich:
QÜS = 942 / 7 = 135 m3d-1 oder < 2% von Q.
Die Simultanfällung vergrössert die Produktion von Belebtschlamm um 245/810 = 30%.
Im Ablauf des Nachklärbeckens gehen ca. 10% der Schlammproduktion verloren.

Beispiel 20.10. Spezifische Schlammproduktion ÜSB


Wie gross wird die spezifische Schlammproduktion ÜSB für die Anlage in Beispiel 20.9?
Nach Gl. (20.6) wird:
ÜSB = SP / (Q · BSB5) = 1055 kgTSS / 900 kgBSB5 = 1.17 kgTSS kgBSB5-1
Dieser Wert ergibt sich auch aus:
ÜSB = 0.9 kgTSS kg-1BSB5 + 6.8 kgTSS kgP-1 ˜ 4.8 gP m-3 / 120 gBSB5 m-3
= 1.17 kgTSS kgBSB5-1
ÜSB ist die Summe der Beiträge aus der Elimination des BSB5 und der Fällung des
Phosphors.

Beispiel 20.11. Schlammalter TX und Schlammbelastung BTS


Wie gross sind die Schlammalter TX der Verfahren, die früher für unterschiedliche Reini-
gungsziele empfohlen wurden (s. Tabelle 20.5)?
Nach Gl. (20.8), wird TX = 1 / (ÜSB ˜ BTS).
Verfahren BTS ÜSB TX
mit Schlammstabilisierung 0.05 1.0 20 d
mit Nitrifikation 0.15 0.9 7.4 d
ohne Nitrifikation 0.30 1.0 3.3 d
Diese Werte des Schlammalters TX sind geringer als die Werte, die heute empfohlen
werden (Tabelle 20.6), das entspricht den zunehmenden Anforderungen an die Zuver-
lässigkeit der Abwasserreinigung.

Beispiel 20.12. Schlammbelastung BTS


Wie gross ist die Schlammbelastung BTS der Belebungsanlage in Beispiel 20.9?
Nach Gl. (20.8) wird:
BTS = 1 / (ÜSB · Tx) = 1 / (1.17 kgTSS kg-1BSB ˜ 10 d) = 0.085 kgBSB5 kgTSS-1 d-1.
Ohne Phosphorfällung ergäbe sich:
BTS = 1 / (0.9 kgTSS kgBSB5-1 ˜ 10 d) = 0.111 kgBSB5 kgTSS-1 d-1
Dieser Wert ist kleiner als der früher empfohlene Richtwert für Nitrifikation von 0.15
kgBSB5 kgTSS-1 d-1 (s. Tabelle 20.5).
20.4 Belebtschlammverfahren 333

Durch die Simultanfällung verändert sich die Bedeutung der Belebtschlammkonzentrati-


on TSBB: Neben dem „konventionellen“ Belebtschlamm enthalten die Feststoffe nun
auch die Fällungsprodukte. Dadurch verändert sich auch die Bedeutung der Schlamm-
belastung BTS: Bei gleichem Verhältnis von Schmutzstoffen zu Mikroorganismen nimmt
die Schlammbelastung bei Simultanfällung ab.

20.4.4 Dynamische Simulation von Belebungsanlagen


Die statische Dimensionierung (Abschn. 20.4.3) kann Belastungsvariationen nicht
explizit berücksichtigen. Die Erfahrungszahlen, die dieser Art der Dimensionie-
rung zu Grunde liegen, basieren auf einer „typischen“ Variation der Belastung
(Tagesgang, Wochengang, Temperatur etc.).
Die dynamische Simulation von biologischen Reinigungsverfahren basiert auf
der numerischen Integration von Stoffbilanzen und erlaubt eine zeitabhängige
Prognose des Verhaltens von Anlagen. Heute kommen kommerzielle Simulati-
onsprogramme zur Anwendung, die z.T. sehr detaillierte Einsichten in das Verhal-
ten von Belebungsanlagen vermitteln. Die Anwendung solcher Programme be-
dingt ein gutes Verständnis der Modelle, die der Simulation zu Grunde liegen. Im
Rahmen von anspruchsvolleren Projekten ist es heute üblich, dass zusätzlich zu
einer vorgängigen statischen Dimensionierung das Konzept der Anlage durch Si-
mulation bereits in der Phase der Anlagenprojektierung optimiert wird. Häufig
wird die Simulation durch Spezialistinnen im Auftrag und in Zusammenarbeit mit
dem projektierenden Ingenieur durchgeführt.
Nur vertiefte Auseinandersetzung mit der Technik der Simulation kann in die-
ses wertvolle Werkzeug einführen. Es sollte heute aber unbedingt zur Unterstüt-
zung der Arbeit des projektierenden Ingenieurs genutzt werden.

20.4.5 Gestaltung des Belebungsbeckens, Sauerstoffverbrauch


Im Belebungsbecken muss der Belebtschlamm mit dem Abwasser vermischt und
in Suspension gehalten werden. Zusätzlich müssen die Umweltbedingungen ange-
boten werden, die für das gewählte Verfahren erforderlich sind: Aerob (mit Sauer-
stoff O2, für den aeroben Abbau von organischen Stoffen und die Nitrifikation),
anoxisch (ohne Sauerstoff, aber mit Nitrat NO3-, für die Denitrifikation) oder an-
aerob (ohne Sauerstoff und ohne Nitrat) im Zusammenhang mit der biologischen
Phosphorelimination.
Damit die Biomasse (der Belebtschlamm) in den Belebungsbecken in Suspen-
sion gehalten werden kann (und nicht aussedimentiert), muss in diesen Becken
eine genügende Turbulenz oder Strömungsgeschwindigkeit aufrechterhalten wer-
den. Mit einer Sohlenströmung von > 0.15 (besser 0.3) m s-1 können Sedimente
zuverlässig vermieden werden. Unter Sohlenströmung verstehen wir die Strö-
mungsgeschwindigkeiten unmittelbar über der Beckensohle.
In aeroben Beckenteilen (Belüftungsbecken) wird durch den Eintrag von Sau-
erstoff (Belüftung) meist genügend Turbulenz erzeugt, um die Biomasse in Sus-
pension zu halten. Gelegentlich werden Belüftung und Strömung durch unter-
schiedliche Apparate gewährleistet. In anoxischen und anaeroben Becken muss
die erforderliche Strömung durch spezielle, meist langsamlaufende Propeller er-
zeugt werden. Bei guter Wahl des Apparats genügen 2–5 W m-3 spezifische Leis-
334 20 Biologische Abwasserreinigung

Luft
O2 O2

O2 O2

O2

Abb. 20.5. Schematische Darstellung von verschiedenen Systemen für den Sauerstoffeintrag in
Belebungsanlagen. Links: Oberflächenbelüftung. Rechts: Feinblasige Tiefenbelüftung

tung für die erforderliche Durchmischung. (Mit der Belüftung tragen wir ca. 10–
20 W m-3 mechanische Energie ein, die in Turbulenz umgewandelt wird.)
Für den aeroben Abbau von organischen Stoffen und die Nitrifikation verbrau-
chen die Mikroorganismen Sauerstoff, der durch die Belüftung nachgeliefert wer-
den muss. Wir unterscheiden zwei Prinzipien des Sauerstoffeintrages (s.
Abb. 20.5):
– Oberflächenbelüftung: Der Belebtschlamm wird durch Walzen, Schaufel- oder
Pumpenräder durch die Luft geworfen, dabei wird Sauerstoff aus der Luft im
Belebtschlamm gelöst.
– Blasenbelüftung: Komprimierte Luft wird in der Tiefe des Belebungsbeckens
feinblasig (1–4 mm Blasendurchmesser) eingetragen. Aus den aufsteigenden
Luftblasen geht Sauerstoff im Belebtschlamm in Lösung.
Für den Eintrag von Sauerstoff ist der grösste Anteil von elektrischer Energie
auf Kläranlagen erforderlich. Für den Abbau von 1 kg BSB5 ist ca. 1 kg Sauerstoff
erforderlich, für dessen Eintrag 0.5–1 kWh Energie benötigt werden. Die detail-
lierte Berechnung des Sauerstoffverbrauchs bei verschiedensten Belastungssituati-
onen und die Dimensionierung der Apparate zum Eintrag des Sauerstoffs ist eine
anspruchvolle Aufgabe, die Fachleuten überlassen werden soll.
In allen Modellen zur Dimensionierung der Belebungsbecken kommt das Pro-
dukt Volumen mal Belebtschlammkonzentration, VBB ˜ TSBB, vor, d.h. je kleiner
die mögliche Belebtschlammkonzentration ist, desto grösser wird das erforderli-
che Volumen des Belebungsbeckens. Die zulässige Konzentration des Be-
lebtschlamms TSBB wird bestimmt durch das gewählte Verfahren, die Grösse und
Leistung des Nachklärbeckens und die Zusammensetzung des Abwassers. Richt-
werte sind in Tabelle 20.7 zusammengestellt. Die detaillierte Dimensionierung
von Nachklärbecken und die Begründung einer Wahl der Belebtschlammkon-
zentration muss der vertiefenden Literatur entnommen werden (z.B. DWA A131).
Belebungsbecken werden heute meist ca. 4–5 m tief gebaut. Allerdings besteht
ein Trend zu immer tieferen Becken, um die erforderliche Landfläche zu verrin-
gern. Dadurch ergibt sich die Gefahr, dass der pH-Wert im Becken absinkt, weil
immer weniger Luft durch die Becken geblasen werden muss und dadurch immer
mehr Kohlensäure oder CO2 im Becken akkumuliert (s.a. Beispiel 20.13).
20.4 Belebtschlammverfahren 335

Zulauf

einfache
Zwischenwände
nicht tragend

Luft

Ablauf
Luft

Zulauf
Abb. 20.6. Beispiele von Belebungsbecken
im Grundriss. Oben: Als Kaskade von
Ablauf längsdurchströmten, in Serie geschalteten
Becken. Unten: Als Umlaufbecken gestal-
Umwälzung tet

Belebungsbecken werden heute meist längsdurchströmt oder als Umlauf-


becken gestaltet (s. Abb. 20.6).

-3
Tabelle 20.7. Trockensubstanzkonzentration TSBB im Belebungsbecken in kg TSS m . Angege-
ben werden typische Bereiche (nach Arbeitsblatt A 131, 1991) und ein in der Schweiz häufig
gewählter Wert (kursiv) als Annahme für die Dimensionierung
Reinigungsziel mit Vorklärung ohne Vorklärung
Ohne Nitrifikation 2.5 – 3.0 – 3.5 3.5 – 4.0 – 4.5
Mit Nitrifikation (und Denitrifikation) 2.5 – 3.0 – 3.5 3.5 – 4.0 – 4.5
Mit Schlammstabilisierung nicht üblich 4.0 – 4.5 – 5.5
Mit chemischer P Fällung (Simultanfällung) 3.0 – 3.5 – 4.5 3.5 – 4.0 – 5.0

Beispiel 20.13. Sauerstoffgehalt der Luft


1 m3 Normal-Luft enthält ca. 300 g Sauerstoff O2. Davon werden ca. 3–5 % im Wasser
gelöst, wenn die Luftblasen 1 m aufsteigen. Ein typisches Belebungsbecken ist ca. 4–5
m tief, d.h. dass bis zu 20 % des Sauerstoffs aus der Luft in Lösung gehen oder ca. 60
g O2 m-3 Luft.
Durch den Abbau von organischen Soffen (BSB5) entsteht Kohlendioxid CO2. Die auf-
steigende Luft nimmt das entstehende CO2 teilweise aus dem Wasser auf und führt es
in die Atmosphäre ab, dadurch steigt der pH Wert im Belüftungsbecken.
336 20 Biologische Abwasserreinigung

Beispiel 20.14. Dimensionierung des Belebungsbeckens


Wie gross wird das Belebungsbecken der Anlage, die in Beispiel 20.9 beschrieben
wird?
Nach Tabelle 20.7 beträgt eine typische Belebtschlammkonzentration für ein Verfahren
nach Vorklärung und mit Phosphorfällung TSBB = 3.5 kg TSS m-3. Nach Gl. (20.7) ergibt
sich bei einem Schlammalter Tx = 10 d und einer Schlammproduktion von SPtotal = 1055
kg TSS d-1 (s. Beispiel 20.9) das folgende Volumen: VBB = Tx ˜ SP / TSBB = 3000 m3.
Die mittlere hydraulische Aufenthaltszeit im Belebungsbecken beträgt:
Th = VBB / Q = 9.6 h.

20.4.6 Gestaltung des Nachklärbeckens


Nachklärbecken werden heute rechteckig (längsdurchströmt oder querdurch-
strömt) oder rund gestaltet. Sie unterscheiden sich wenig von den grundsätzlichen
Bauformen der Vorklärbecken (s. Abschn. 19.3.2, Seite 310), allerdings sind sie
meist tiefer (über 3 m).
Im Unterschied zum Vorklärbecken, in dem der Sedimentationsprozess vor-
herrscht, haben Nachklärbecken in Belebungsanlagen zwei deutlich unterschiedli-
che Aufgaben:
– Der Belebtschlamm muss vom gereinigten Abwasser abgetrennt werden (Se-
dimentation) und
– der abgetrennte Belebtschlamm muss auf die Konzentration des Rücklauf-
schlamms eingedickt werden, das braucht Zeit.
Die Förderung von eingedicktem Schlamm aus dem Nachklärbecken (= Rück-
laufschlamm) ist kontinuierlich und entspricht als Volumenstrom ungefähr dem
Abwasserdurchsatz. Er ist damit ca. 100-mal grösser als im Vorklärbecken, wo
nur der eingedickte Primärschlamm, meist diskontinuierlich, abgezogen wird.
Heute werden im Nachklärbecken fünf verschiedene Zonen unterschieden, für die
je Dimensionierungsvorschläge vorhanden sind (Abb. 20.7):
– Die Einlaufstörzone, in der die kinetische Energie des Zulaufs in Turbulenz
umgewandelt wird.
– Eine Klarwasserzone, die über der Trennzone liegt und aus der das gereinigte
Abwasser abgeleitet wird.
– Die Trennzone, in der das Abwasser von den Feststoffen getrennt wird und
Turbulenzen abgebaut werden.
– Eine Speicherzone, in der Belebtschlamm bei hoher hydraulischer Belastung
der Anlage (z.B. Regen) gespeichert und anschliessend wieder rezirkuliert
wird.
– Eine Eindick- und Räumzone, in der der Schlamm auf die Rücklaufschlamm-
konzentration eindickt und als Rücklaufschlamm ausgetragen wird.
Diese fünf Zonen können im realen Betrieb kaum scharf unterschieden wer-
den, sie zeigen aber die einzelnen Aufgaben des Nachklärbeckens auf. Besondere
Aufmerksamkeit muss der Räumung des Schlamms zukommen: Wenn Be-
lebtschlamm unter Ausschluss von Sauerstoff im Nachklärbecken lange liegen
bleibt, so kann durch Denitrifikation N2-Gas freigesetzt werden, das zu einer Flo-
tation (Aufschwimmen) des Schlamms führt. Es ist heute erforderlich, eine ober-
20.4 Belebtschlammverfahren 337

Einlauf-
wirksame Oberfläche
störzone

Klarwasserzone
Trennzone
hmin> 3m
Speicherzone
Eindick- und Räumzone

Abb. 20.7. Verschiedene Zonen im Nachklärbecken, nach ATV A131 (1991)

Rücklaufschlamm

Zulauf

wirksame Oberfläche

Ablauf Abb. 20.8. Ein Saugräumer


als Beispiel eines Schlamm-
räumsystems in einem quer-
durchströmten, rechteckigen
Nachklärbecken

flächliche Räumung von Schwimmschlamm vorzusehen. Der eingedickte Be-


lebtschlamm wird entweder durch Kettenräumer mit kontinuierlicher Räumwir-
kung oder durch fahrende Schild- und Saugräumer periodisch zum Rücklauf-
schlamm geführt (Abb. 20.8).
Nach dem Arbeitsblatt DWA A131 (2000) werden Nachklärbecken für die
maximale hydraulische Belastung bei Regenwetter bemessen. Dabei werden die
Eindickeigenschaften des Belebtschlamms (Schlammvolumenindex SVI), die
Konzentration des Belebtschlamms im Belebungsbecken (TSBB), das Rücklauf-
verhältnis RV = QRücklaufschlamm / QZulauf zur Anlage und hydraulische Störungen im Ein-
laufbereich berücksichtigt. Die Oberfläche von horizontal durchströmten Nach-
klärbecken wird deutlich grösser als bei vertikal (von unten nach oben)
durchströmten Becken. Richtwerte für die ungefähre Dimensionierung von Nach-
klärbecken sind in Tabelle 20.8 zusammengestellt. Das Rücklaufverhältnis RV
wird, bezogen auf den maximalen Abwasseranfall bei Trockenwetter, meist zu ca.
1 gewählt.
In der Schweiz wird bei Regen deutlich mehr Mischwasser über die Kläranla-
gen geleitet als in Deutschland (s.a. Beispiel 5.18, Seite 91), daher werden für die
Dimensionierung von Nachklärbecken eher die oberen Grenzwerte gewählt.
338 20 Biologische Abwasserreinigung

Tabelle 20.8. Typische Dimensionierungswerte für Nachklärbecken. Berechnet mit Angaben aus
dem Arbeitsblatt A131. Angegeben werden nur Bereiche der wichtigsten Grössen, diese genügen
nicht für eine detaillierte Dimensionierung. Hydraulische Grössen beziehen sich auf die maxima-
le Belastung bei Regenwetter
Fliessrichtung des Wassers horizontal vertikal
-1 -1
Hydraulische Oberflächenbelastung Q / ANKB < 1.6 m h < 2.0 m h
-1 -1
typische Werte 1.0 – 1.6 m h 1.2 – 2.0 m h
Beckentiefe >3m
typische Werte 3.0 – 4.5 m 5–7m
Hydraulische Aufenthaltszeit > 2.5 h
typische Werte (VNKB / QRegen) 2.5 – 3.5 h 2.5 – 4 h

Beispiel 20.15. Dimensionierung eines Nachklärbeckens


Wie gross wird das Nachklärbecken der Anlage, die in Beispiel 20.9 beschrieben wird?
Die maximale Abwassermenge QRW bei Regen beträgt:
Annahmen: Tagesspitze / Tagesmittelwert = 1.5
Regenwetter / Trockenwetter = 2.0
QRW = QTW · 1.5 · 2.0 = 7500 m3 d-1 · 1.5 · 2.0 = 22’500 m3 d-1 = 938 m3 h-1
Nach Tabelle 20.8 soll die Oberflächenbelastung vO < 1.6 m h-1, die Tiefe > 3 m und die
hydraulische Aufenthaltszeit > 2.5 h sein.
Daraus ergibt sich ein minimales Volumen von VNKB = 2.5 h˜938 m3h-1 = 2345 m3. Eine
Oberfläche von ANKB = QRW / vO > 937 m3h-1 / 1.6 mh-1 = 585 m2. Als mittlere Tiefe resul-
tiert hNKB = VNKB / ANKB = 4.00 m. Ev. sollte hier die Oberflächenbelastung und die mittle-
re Tiefe verringert werden.
Das Volumen des Nachklärbeckens VNKB hat im Vergleich zum erforderlichen Bele-
bungsbecken VBB die gleiche Grössenordnung (je nach Aufgabe: Ohne Nitrifikation VBB
> 1500 m3, mit Nitrifikation ca. 2800 m3, mit Denitrifikation und Phosphorelimination bis
> 4000 m3).

20.4.7 Elimination von organischen Stoffen


Historisch war die erste Aufgabe der biologischen Abwasserreinigung die Reduk-
tion der schnellabbaubaren organischen Stoffe, die v.a. in den Fliessgewässern
zur massenhaften Entwicklung von flutenden Zotten des sogen. Abwasserpilzes
(ein fadenförmig wachsendes Bakterium, Sphaerotilus natans) geführt haben. In
den technischen Anlagen kann dieser Selbstreinigungsprozess z.B. in hochbelaste-
ten Belebungsanlagen erreicht werden. In der Schweiz sind viele der heute beste-
henden Belebungsanlagen in der Periode 1950–1975 vorerst für den Abbau von
BSB5 gebaut und entsprechend ausgelegt worden.
Ist das Ziel der biologischen Reinigung nur der Abbau von organischen Stoffen
(meist gemessen als BSB5), so beruht die Reinigungsleistung zur Hauptsache auf
dem Wachstum von schnellwachsenden heterotrophen Mikroorganismen. Die
Verfahren kommen mit einer grossen Belastung und entsprechend kleinen Bele-
bungsbecken aus.
Im deutschen Sprachraum sind solche Verfahren bis ca. 1975 realisiert wor-
den. Die gewählte Schlammbelastung basierte dabei auf Arbeiten wie sie Wuhr-
mann (1964) für die Schweiz vorgestellt hat und deren Resultate in Abb. 20.9 dar-
20.4 Belebtschlammverfahren 339

Wirkungsgrad für die Elimination von BSB5 in %


100

80 > 13°C

60

40 < 11°C < 11°C


> 13°C
20

0
0.1 0.2 0.4 0.6 0.8 1 2 4 6 8 10
Schlammbelastung BTS in kg BSB5 kg-1 TSS d-1

Abb. 20.9. Zusammenhang zwischen Wirkungsgrad, Abwassertemperatur und Schlammbelas-


tung in Belebungsanlagen. Experimentelle Angaben aus Pilotversuchen von Wuhrmann 1964 mit
Abwasser der Stadt Zürich. Jeder Datenpunkt ist der Mittelwert für eine längere Betriebsperiode.
Historisch hatte diese Darstellung v.a. in der Schweiz eine grosse Bedeutung, heute wird nicht
mehr auf dieser Basis dimensioniert

gestellt sind. Sie haben heute keine Bedeutung mehr. Interessant ist, dass die er-
wartete Leistung bei einer Schlammbelastung BTS < 1 kgBSB5kg-1TSSd-1 weder von
der Temperatur noch von der Belastung abhängig ist. Die Resultate von einzelnen
Experimenten sind aber beträchtlichen Streuungen unterworfen. Eine Dimensio-
nierung von Belebungsanlagen für einen Wirkungsgrad von 90 r 1% ist nicht
möglich – die Reinigungsleistung ist von zu vielen Randbedingungen abhängig!
Im Arbeitsblatt A131 wurde 1981 für Verfahren ohne Nitrifikation eine
Schlammbelastung BTS = 0.3 kg BSB5 kg-1 TSS d-1 angegeben. Heute (DWA
A131, 2000) werden auch solche Verfahren auf Grund eines vorgegebenen
Schlammalters im Bereich von 4–5 Tagen dimensioniert (s.a. Tabelle 20.6). Anla-
gen ohne Nitrifikation werden im deutschen Sprachraum kaum mehr neu gebaut.
Sowohl neue Anlagen als auch Erweiterungen schliessen heute mindestens die
Nitrifikation mit ein.

Beispiel 20.16. Historische Dimensionierung von Belebungsanlagen in der Schweiz


Bis 1976 mussten Belebungsanlagen in der Schweiz für eine BSB5-Reduktion von min-
destens 85% unter Winterbedingungen dimensioniert werden. Gleichzeitig durfte der
BSB5 im Ablauf nicht grösser als 20 g m-3 sein. Als Basis für diese Dimensionierung
diente Abb. 20.9.
Wie gross ist der erforderliche Wirkungsgrad bei einer BSB5 Konzentration im Zulauf
(Ablauf Vorklärung) von 150 gBSB5 m-3?
KBSB = (BSBzu - BSBab) / BSBzu = (150 - 20) / 150 = 87%.
340 20 Biologische Abwasserreinigung

Also ist die strengere Anforderung das Einhalten einer Ablaufkonzentration von BSB5 <
20 g m-3.
Welche Schlammbelastung war damals maximal zulässig?
Nach Abb. 20.9 ergibt sich bei 10°C und 87% Wirkungsgrad eine Schlammbelastung
BTS < 0.6 kgBSB5 kgTS-1 d-1.
Heute würden solche Anlagen mit einem Schlammalter von 4–5 Tagen dimensioniert,
unabhängig vom erforderlichen Wirkungsgrad. Das ergibt ohne Phosphorelimination
eine zulässige Schlammbelastung von BTS | 0.2–0.25 kgBSB5 kgTS-1 d-1, also weniger als
halb so gross wie früher und daher mit doppeltem Volumen des Belebungsbeckens.
Dies widerspiegelt die Tatsache, dass wir heute grössere Anforderungen an die Zuver-
lässigkeit der Anlagen stellen.

Beispiel 20.17. Dimensionierung für die Elimination von BSB5


Wie gross wird das Belebungsbecken VBB einer Anlage für 10’000 Einwohner, die nach
kleiner Vorklärung das Abwasser ohne Nitrifikation und ohne Phosphorelimination bio-
logisch reinigen kann?
Q = 3000 m3d-1 BSB5 = 150 g BSB5 m-3
Nach Tabelle 20.6 wird Tx = 5 d und ÜSB = 1.0 kg TSS kg-1 BSB5.
Nach Gl. (20.6) wird:
SP = 1.0 kg TSS kg-1 BSB5 ˜ 3000 m3 d-1 ˜ 0.15 kg BSB5 m-3 = 450 kg TSS d-1
Nach Tabelle 20.7 wird TSBB typisch zu 3.0 kg TSS m-3 gewählt.
Mit Gl. (20.7) wird: VBB = Tx ˜ SP / TSBB = 5 ˜ 450 / 3 = 750 m3
Die mittlere hydraulische Aufenthaltszeit im Belüftungsbecken wird damit:
Th = VBB / Q = 0.25 d = 6 h.
Die Schlammbelastung BTS ergibt sich zu:
BTS = Q ˜ BSB5 / (VBB ˜ TSBB) = 0.2 kg BSB5 kg-1TSS d-1.
Diese Anlage würde im Sommer sicher, im Winter ev. teilweise nitrifizieren.

Verantwortlich für die Elimination der organischen Stoffe sind aerobe hete-
rotrophe Bakterien, welche in Gegenwart von Sauerstoff organische Verbindun-
gen mineralisieren oder abbauen. Ein Teil der organischen Verbindungen dient
dem Aufbau der Biomasse und dem Wachstum (ca. 60%), der Rest wird veratmet,
z.B. zu Kohlendioxid (CO2) und Wasser (H2O). Durch das Wachstum dieser Bak-
terien werden somit dem Abwasser organische Schmutzstoffe entzogen, die an-
schliessend teilweise als Feststoffe (Biomasse) anfallen und als Überschuss-
schlamm aus dem Abwasser abgetrennt werden können.
Nachfolgend ist eine Reaktion dargestellt, die heterotrophe Organismen in ei-
ner aeroben Umgebung (mit Sauerstoff) durchführen können. Dabei steht CH2O
für ein Kohlehydrat, z.B. ein Zucker, ein Beispiel eines organischen Stoffs, der als
BSB5 oder CSB im Abwasser erfasst wird:
CH2O + O2 o CO2 + H2O (20.9)
Diese Reaktion schliesst keine gleichzeitige Produktion von Biomasse ein. Ei-
ne typische Zusammensetzung von Biomasse entspricht der folgenden Formel:
C5H7NO2. Werden z.B. 66% des Kohlenstoffs in die Biomasse eingebaut, so ergibt
sich insgesamt die folgende Reaktionsgleichung:
20.4 Belebtschlammverfahren 341

O2 - Verbrauch
1 - YCSB

abgebauter CSB Abb. 20.10. Aufteilung des abgebau-


1.00 ten CSB in den veratmeten Anteil
(1-YCSB = O2 Verbrauch) und den
CSB in Biomasse Anteil, der in die Biomasse inkorpo-
inkorporiert YCSB
riert wird (YCSB)

15 CH2O + 2 NH3 + 5 O2 o 2 C5H7NO2 + 5 CO2 + 11 H2O (20.10)


Für den Abbau von 15 ˜ (12+2·1+16) = 450 g organische Stoffe werden also
5 ˜ 16 ˜ 2 = 160 g Sauerstoff veratmet und es entstehen 2 · (5·12+7·1+1·14+2·16)
= 226 g Biomasse. (Atomgewichte C = 12, H = 1, N = 14, O = 16)
Der Ausnützungskoeffizient Y (vom Engl. Yield) gibt an, wieviel Biomasse
produziert wird pro Masse Schmutzstoffe die abgebaut wird: er ist also eine Pro-
portionalitätskonstante. Die Produktion der Biomasse interessiert uns einerseits,
weil die Biomasse als Klärschlamm anfällt und weiter behandelt werden muss,
andererseits weil die gebildete Biomasse für die Reinigung verantwortlich ist.
Aus Gl. (20.10) ergibt sich der Ausnützungskoeffizient zu:
Y = 226 g Biomasseproduziert / 450 g Organische Stoffeabgebaut
= 0.5 gBiomasse g-1Organische Stoffe
Für den CSB gilt ein Erhaltungssatz, CSB kann nicht einfach verschwinden.
Den abgebauten CSB finden wir entweder im produzierten Schlamm wieder oder
wir müssen die entsprechende Menge Sauerstoff O2 in das Belebungsbecken nach-
liefern, damit der CSB veratmet werden kann (Abb. 20.10). Wir können also,
wenn wir den Ausnützungskoeffizienten für CSB kennen, daraus einerseits die
Menge des anfallenden Schlamms und andererseits den erforderlichen Sauerstoff-
eintrag berechnen.

Beispiel 20.18. Der Ausnützungskoeffizient


Wie gross ist der Ausnützungskoeffizient YCSB für das Wachstum der heterotrophen
Organismen in Gl. (20.10), wenn sowohl Biomasse als auch organische Stoffe als CSB
gemessen werden?
Der CSB von 450 g CH2O ist: 15 CH2O + 15 O2 o 15 CO2 + 15 H2O
und daraus: CSB = 15 · 32 g O2 = 480 g CSBorg.Stoffe.
Der CSB von 226 g C5H7NO2 ist: 2 C5H7NO2 + 10 O2 o 10 CO2 + 2 NH3 + 4 H2O
und daraus: CSB = 10 · 32 g O2 = 320 g CSBBiomasse.
Der Ausnützungskoeffizient Y beträgt: YCSB = 320 / 480 = 0.67 gCSB,Biomasse g-1CSB,Substrat.
Mit YCSB = 0.67 können wir berechnen, dass 1 – YCSB = 0.33 g O2 verbraucht werden um
1 gCSB,Substrat abzubauen.
342 20 Biologische Abwasserreinigung

Beispiel 20.19. CSB Erhaltung


Wenn wir den Ausnützungskoeffizienten für den CSB kennen, können wir auch den
Sauerstoffverbrauch für den Aufbau der Biomasse (resp. den Abbau der organischen
Stoffe) berechnen:
Wieviel Biomasse wird gebildet und wieviel Sauerstoff wird verbraucht, wenn die orga-
nischen Stoffe in einem Abwasser abgebaut werden?
Annahmen: Das Abwasser enthält 250 g CSB m-3, davon sind 90 % biologisch abbau-
bar. Der Ausnützungskoeffizient beträgt YCSB = 0.66 gCSB g-1CSB (typisch für kommunales
Abwasser). S.a. Abb. 20.10.
CSB im Ablauf: Nur 90% des CSB sind abbaubar
CSBAblauf = 0.1 ˜ 250 gCSBm-3 = 25 gCSB m-3
Biomassenproduktion: 250 gCSB m-3 ˜ 0.90 ˜ 0.66 gCSB g-1CSB = 148.5 gCSB m-3
Sauerstoffverbrauch:
Da CSB weder produziert noch verbraucht werden kann, muss die Summe der Biomas-
se, des Ablaufs und des Sauerstoffverbrauchs der Zulaufkonzentration entsprechen:
Sauerstoffverbrauch = 250 - 25 - 148.5 = 76.5 gO2 m-3.
Der Sauerstoffverbrauch könnte analog zur Biomassenproduktion berechnet werden
aus: CSBabgebaut · (1-YCSB) = 250 · 0.9 · (1-0.66) = 76.5 gO2m-3.
Effektiv würde der Sauerstoffverbrauch noch etwas grösser, weil neben den Wachs-
tumsprozessen noch Zerfallsprozesse (endogene Atmung) ablaufen. Typisch wären ca.
100 g O2 m-3. Dadurch würden nach dem Zerfall noch 250 - 25 - 100 = 125 gCSB m-3
Biomasse übrig bleiben, die als Überschussschlamm anfallen.

20.4.8 Nitrifikation
Die Abwasserreinigung, die auf den Abbau der organischen Stoffe ausgelegt ist,
hat sich in vielen Situationen als ungenügend erwiesen: In diesen hochbelasteten
Anlagen werden langsam abbaubare, organische Verbindungen kaum abgebaut
(ein prominentes Beispiel ist NTA, ein Komplexbildner und Zusatzstoff zu vielen
Waschmitteln). Ammonium NH4+, das in den Fliessgewässern einerseits einen
grossen Sauerstoffverbrauch auslöst und andererseits zum fischgiftigen Ammoniak
NH3 dissoziiert, wird in diesen Anlagen nicht abgebaut.
Nitrifizierende Anlagen kennen diese Probleme weniger: Sie bedingen grösse-
re, schwachbelastete Becken; langsam abbaubare organische Verbindungen wer-
den darin vermehrt abgebaut und Ammonium wird zum weniger bedenklichen Nit-
rat aufoxidiert.

Prozesse der Nitrifikation


Unter Nitrifikation verstehen wir die Oxidation von Ammonium NH4+ zu Nitrit
NO2- und weiter zu Nitrat NO3- unter Verbrauch von Sauerstoff O2 durch au-
totrophe Bakterien (autotrophe Bakterien benötigen keine organischen Stoffe, sie
bauen ihre Biomasse aus Kohlendioxid CO2 auf). Die Nitrifikation ist ein Prozess
der heute in der biologischen Abwasserreinigung regelmässig genutzt wird, er ver-
ringert die Konzentration des Ammoniums.
Die folgenden Reaktionen beschreiben die Nitrifikation:
20.4 Belebtschlammverfahren 343

Pmax der Nitrifikanten d-1

0.6
P max 0.29 ˜ e 0.11˜(T 10qC)
0.4

0.2

0
4 6 8 10 12 14 16
Temperatur °C

Abb. 20.11. Zusammenhang zwischen der maximalen Wachstumsgeschwindigkeit von Nitroso-


monas Pmax und der Temperatur des Abwassers. Diese Werte sind gültig, wenn genügend gelös-
ter Sauerstoff zur Verfügung steht, der pH-Wert zwischen 7 und 8 liegt und keine Giftstoffe die
Nitrifikanten hemmen. Experimentelle Werte mit Fehlerbereich

NH4+ + 1.5 O2 o NO2- + H2O + 2 H+ (Nitrosomonas)


NO2- + 0.5 O2 o NO3- (Nitritoxidierer) (20.11)
Total NH4+ + 2 O2 o NO3- + H2O + 2 H +
(Nitrifikanten)

Die Nitrifikation verläuft nach Gl. (20.11) in zwei Stufen: Vorerst wird durch
Bakterien der Gruppe Nitrosomonas Ammonium NH4+ zu Nitrit NO2- oxidiert und
wieder ins Abwasser ausgeschieden. Anschliessend wird durch Bakterien die wir
hier Nitritoxidierer nennen, das Nitrit aufgenommen und zum Endprodukt Nitrat
(NO3-) oxidiert. Da sich die Nitritoxidierer meist schneller vermehren als Nitro-
somonas, erscheint das Zwischenprodukt Nitrit meist nur in geringen Konzentrati-
onen. Beide Gruppen von nitrifizierenden Bakterien (die Nitrifikanten) sind obli-
gat aerob, d.h., dass sie ohne Sauerstoff nicht nitrifizieren können.
Die Nitrifikanten sind langsamwachsende Bakterien: Als autotrophe Organis-
men müssen sie aus mineralischen Stoffen, insbesondere Kohlendioxid CO2, Bio-
masse aufbauen, was eine grosse Syntheseleistung erfordert. In Abb. 20.11 ist die
Abhängigkeit der maximalen Wachstumsgeschwindigkeit von Nitrosomonas von
der Temperatur dargestellt: Diese nimmt pro 1°C um 11% zu. Ihre Wachstumsge-
schwindigkeit ist im Vergleich zu derjenigen der heterotrophen Bakterien, die or-
ganische Stoffe abbauen, viel geringer (Tabelle 20.1, Seite 320).
Insgesamt sind nach Gl. (20.11) für die Nitrifikation 2 Mol O2 pro Mol NH4+
erforderlich oder 2 · 32 g O2 pro 1 · 14 g N = 4.57 g O2 g-1 N. Zusätzlich werden
Protonen H+ freigesetzt, was zur Folge hat, dass der pH-Wert des gereinigten Ab-
wassers abnimmt.

Beispiel 20.20. Mikrobiologische Erkenntnisse


In frühen mikrobiologischen Arbeiten wurden Bakterien der Nitrobakter-Arten als wich-
tigste Gruppe identifiziert, die Nitrit zu Nitrat oxidiert. Ingenieure, die insbesondere in der
Abwasserreinigung kaum den Aufwand auf sich nehmen, einzelne Arten von Mikroor-
ganismen zu identifizieren, haben diese Erkenntnisse übernommen und über Jahrzehn-
344 20 Biologische Abwasserreinigung

te unbesonnen die Nitritoxidation den Nitrobakter-Arten zugeordnet. Jüngere mikrobio-


logische Untersuchungen insbesondere mit gentechnischen Methoden haben nun deut-
lich gezeigt, dass Nitrobakter in Belebungsanlagen kaum vorkommt sondern andere
Bakterien für die Nitritoxidation verantwortlich sind. Vorsichtshalber brauchen wir an
Stelle des in der technischen Literatur üblichen Begriffs Nitrobakter besser Nitritoxidie-
rer. In der Realität ändert das nur wenig an unseren Überlegungen.

Beispiel 20.21. Einleitbedingungen


Typisches kommunales Abwasser enthält nach biologischer Reinigung:
Ohne Nitrifikation: Mit Nitrifikation:
20 g m-3 NH4+ - N 1 g m-3 NH4+ - N
0.2 g m-3 NO2- - N 0.2 g m-3 NO2- - N
1 g m-3 NO3- - N 18 g m-3 NO3- - N
In der Schweiz werden häufig die folgenden Grenzwerte für nitrifizierende biologische
Anlagen vorgeschrieben:
< 1–2 g m-3 NH4+ - N
< 0.3 g m-3 NO2- - N
Diese Werte müssen in Anlagen > 10'000 EG, bei Abwassertemperaturen über 10qC, in
10 von 12 jährlichen Tagessammelproben eingehalten werden.
Für Nitrat kommt nur für grosse Anlagen ein Grenzwert zur Anwendung. Im Hinblick auf
den Schutz der Nordsee hat sich die Schweiz verpflichtet, die Nitratfracht im Rhein um
50% zu reduzieren, das bedingt, dass neben den grossen Anlagen auch die Landwirt-
schaft ihre Stickstoffemmissionen reduzieren muss.

Beispiel 20.22. Sauerstoffbedarf der Nitrifikation


Wieviel Sauerstoff ist erforderlich um den Ammoniumgehalt eines typischen kommuna-
len Abwassers zu nitrifizieren?
Annahmen: Das Abwasser enthält 20 g NH4+-N m-3
Nach Gl. (20.11) sind pro 1 g NH4+-N 4.57 g O2 für die Nitrifikation erforderlich.
Also: Sauerstoffverbrauch = 4.57 gO2 g-1NH4+-N ˜ 20 gNH4+-N m-3 = 91.4 gO2 m-3
Dieser Sauerstoffverbrauch kann im Vergleich zum Verbrauch für den Abbau der orga-
nischen Stoffe sehr beträchtlich sein (s. Beispiel 20.19).

Durch die Nitrifikation wird Säure (Protonen, H+) freigesetzt (s. Gl. (20.11)) die
mit Bikarbonat HCO3- neutralisiert wird:
H+ + HCO3 o H2CO3 o H2O + CO2 (20.12)
Kohlendioxid CO2 (in der Form von H2CO3 auch als Kohlensäure bekannt)
wird durch die Belüftung z.T. in die Atmosphäre ausgetragen, trotzdem sinkt
durch diese Reaktion der pH-Wert des Abwassers. Ist nicht genügend Bikarbonat
(Alkalinität) verfügbar, so sinkt der pH-Wert soweit ab, dass das Wachstum der
Nitrifikanten gehemmt wird. Pro 1 Mol Ammonium NH4+-N (14 g N) werden 2
Mol Bikarbonat verbraucht oder pro 7 g NH4+-N m-3 sind 1 Mol HCO3- m-3 oder
5 °f Alkalinität erforderlich.
20.4 Belebtschlammverfahren 345

Zusammenfassung
Nitrifikation bedingt, dass die folgenden 4 Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind:
1. Ammonium muss vorhanden sein
2. Gelöster Sauerstoff muss vorhanden sein
3. Genügend Bikarbonat muss vorhanden sein
4. Biomasse, die Nitrifikanten enthält, muss vorhanden sein.

Beispiel 20.23: Veränderung der Abwasserzusammensetzung bei Nitrifikation


Im Zulauf einer Belebungsanlage, die mit vollständiger Nitrifikation (NH4+-Nab = 1 g m-3)
betrieben wird, messen wir die folgenden Konzentrationen:
BSB5 = 125 g m-3 TKN = 30 g N m-3
NO2- = 0.1 g N m-3 NO3- = 1.5 g N m-3
SBV = 6 Mol m-3
Welche Zusammensetzung hat der Ablauf der Anlage?
Stickstoff im Belebtschlamm: Vom TKN im Zulauf wird ein Teil in den Belebtschlamm
eingebunden. Nach Tabelle 20.2 und Beispiel 20.3, Seite 322, werden ca. 4.5% des
BSB5 als organisch gebundener Stickstoff in die Biomasse eingebaut: 'NBM = 0.045˜125
= 5.6 g N m-3. Diese finden wir im Überschussschlamm und als partikulären Anteil im
Ablauf wieder.
BSB5: Im Ablauf verbleibt eine Restkonzentration von ca. 10 g BSB5 m-3
TKN: Im Ablauf verbleibt eine geringe Restkonzentration von gelöstem organisch ge-
bundenem Stickstoff (1 g org.N m-3), ein Anteil organisch gebundener Stickstoff in den
partikulären Stoffen (ca. 10 g TSS m-3 mit 5% org. N = 0.5 g N m-3), dazu kommt die
Restkonzentration von Ammonium: TKNab = 1 + 0.5 + 1 = 2.5 g N m-3. Der gelöste Anteil
beträgt GKNab = 0.5 + 1 = 1.5 g N m-3.
Nitrit NO2-: Es ist schwierig, die Nitritkonzentration unter 0.3 g N m-3 zu reduzieren, es
resultiert NO2--N = 0.3 g N m-3 unabhängig von der Konzentration im Zulauf.
Nitrat NO3-: Der Rest des Stickstoffs wird nitrifiziert, es resultiert:
NO3--Nab = (TKN + NO2- + NO3-)zu – 'NBM - (GKN + NO2-)ab = 30+0.1+1.5-5.6-1.5-0.3 =
24.2 g N m-3.
Nitrifizierter Stickstoff 'Nnit = (NO2- + NO3-)ab – (NO2- + NO3-)zu = 0.3+24.2-0.1-1.5 = 22.9
g N m-3.
SBV: Pro 7 g Stickstoff der nitrifiziert wird, verlieren wir 1 Mol Säurebindungsvermögen.
SBVab = SBVzu - 'Nnit / 7 = 6 – 22.9/7 = 2.7 Mol m-3.

Verfahrenstechnik der Nitrifikation


Im Vergleich zu heterotrophen Organismen wachsen Nitrifikanten sehr viel lang-
samer. Das bedingt, dass die Belebungsbecken von nitrifizierenden Anlagen stark
vergrössert werden. Die schematischen Konzentrationsprofile von BSB5 und
Ammonium NH4+ in Abb. 20.12 zeigen deutlich, dass für den Abbau von organi-
schen Stoffen ein sehr viel kleineres Becken ausreichen würde, während Ammo-
nium schon bei geringer Zunahme der Belastung in den Ablauf gelangen wird.
Belebungsanlagen mit Nitrifikation werden heute auf der Basis des Schlamm-
alters dimensioniert. Soll die Nitrifikation an 10°C gewährleistet werden, so erge-
ben sich typische Werte für das Schlammalter im Bereich von 8–10 Tagen. Eine
differenzierte Dimensionierung in Abhängigkeit der Belastungsvariation, des
346 20 Biologische Abwasserreinigung

O2

BSB5

NH4+

NO3-

Abb. 20.12. Einfaches Fliessschema einer nitrifizierenden Belebungsanlage. Unten sind für ein
längsdurchströmtes Becken die Konzentrationsprofile für vier Abwasserinhaltstoffe gezeichnet.
Deutlich sichtbar sind die Konzentrationssprünge als Folge der Verdünnung (Rücklaufschlamm)

Temperaturgangs und der erforderlichen Restammoniumkonzentration ist mit pau-


schalen Dimensionierungswerten nicht möglich. Es ist heute üblich, die statische
Dimensionierung mit Hilfe der dynamischen Simulation zu überprüfen.
Die Erfahrungen, die dem Arbeitsblatt DWA A131 zu Grunde liegen berück-
sichtigen Temperaturen um 10°C (Tabelle 20.6). Wird die Dimensionierungstem-
peratur geringer als 10°C angesetzt, bedingt das eine Erhöhung des erforderlichen
Schlammalters. Ein oft angewendetes Vorgehen zur Abschätzung des erforderli-
chen Dimensionierungswerts für das Schlammalter geht von einem Sicherheitsfak-
tor SF für die Nitrifikation aus:
SF P max ˜ TX (20.13)
SF = Sicherheitsfaktor [-]
Pmax = Maximale Wachstumsgeschwindigkeit der Nitrifikanten
bei der gewählten Dimensionierungstemperatur [T-1]
TX = Erforderliches Schlammalter [T]
Der Sicherheitsfaktor SF setzt zwei Aspekte einer Belebungsanlage miteinan-
der in Beziehung: Die Wachstumsgeschwindigkeit Pmax charakterisiert auf einfa-
che Weise die maximale Leistungsfähigkeit der Nitrifikanten. Das Schlammalter
TX wird durch die Grösse der Bauten (insbesondere des Belebungsbeckens) und
den Schmutzstoffanfall (Schlammproduktion) bestimmt (Gln.(20.6) und (20.7)).
Für die Dimensionierung wird vorerst ein SF gewählt (s. u.). Die gewählten kriti-
20.4 Belebtschlammverfahren 347

schen Betriebsbedingungen (z.B. die Dimensionierungstemperatur, Abb. 20.11


und Gl. (20.14)) erlauben nun, Pmax zu berechnen und mit Gl. (20.13) ergibt sich
das erforderliche Schlammalter TX. Der effektive SF kann auch für Betriebsbedin-
gungen einer Anlage berechnet werden: Das Schlammalter TX kann mit Gl. (20.5)
berechnet werden, Pmax kann nach Gl. (20.14), in Funktion der Betriebstemperatur
T, abgeschätzt werden aus (Abb. 20.11):
P max (T) 0.29 d 1 ˜ exp(0.11 ˜ (T  10qC)) (20.14)
Ergibt sich für den Betrieb ein SFBetrieb < 1.0, so kann keine Nitrifikation statt-
finden.

Beispiel 20.24. Sicherheitsfaktor im Betrieb


Eine Belebungsanlage wird im Winter bei 9°C und einem Schlammalter von 3.5 d be-
trieben. Wie gross ist der Sicherheitsfaktor SF dieser Anlage? Wird die Anlage nitrifizie-
ren?
Aus Gl. (20.14) ergibt sich Pmax(T = 9°C) zu 0.26 d-1.
Mit Gl. (20.13) ergibt sich der Sicherheitsfaktor SF im Betrieb zu:
SF = Pmax ˜ TX = 0.26 d-1 ˜ 3.5 d = 0.9
Mit diesem SF würde die Anlage sicher nicht mehr nitrifizieren können, sofern die tiefe
Temperatur über mehrere Tage anhält.

Für die Dimensionierung ergibt sich der erforderliche Sicherheitsfaktor aus der
Variation der Ammoniumfracht im Tagesgang im Zulauf zur Anlage. Er wird
meist geschätzt aus:
FNH 4,max
SFerforderlich (20.15)
FNH 4,mittel

FNH4,max = Maximale Ammoniumfracht, die nitrifiziert werden soll, z.B.


Spitzenfracht, die an weniger als 20% der Tage währen 2 h
überschritten wird [kg N d-1].
FNH4,mittel = Mittlere tägliche Fracht, die z.B. an 50% der Tage nitrifiziert
werden soll [kg N d-1].
Der erforderliche Sicherheitsfaktor kann z.B. durch Messungen von Tages-
ganglinien erhoben werden oder (nur in Ausnahmefällen) aus Erfahrungswerten in
Abhängigkeit von der Anlagengrösse bestimmt werden (Abb. 6.4, Seite 102). In
Abb. 20.13 sind Resultate aus Versuchen mit einer Anlage dargestellt, die im Be-
trieb einen SF hat, der etwas geringer als der erforderliche SF nach Gl. (20.15) ist.
Deutlich sichtbar sind die täglichen Durchbrüche von Ammonium unmittelbar
nach dem Anstieg der Belastung. Bei geeigneter Wahl des Sicherheitsfaktors kön-
nen solche Durchbrüche vermieden werden.
Die Nitrifikation verursacht einen erheblichen Sauerstoffbedarf (ca. 4.3–4.5 kg
O2 / kg NH4+-N), der zudem im Tagesgang entsprechend der Belastung stark vari-
iert. Die Belüftungsaggregate müssen auf den maximalen Bedarf im Tagesgang
bei hoher Sommertemperatur ausgelegt werden. Hier wird nicht im Detail darauf
eingegangen, das Arbeitsblatt DWA A131 macht entsprechende Angaben.
348 20 Biologische Abwasserreinigung

Ablauf Vorklärbecken Ablauf Belebungsbecken


g NH4+-N m-3 g NH4+-N m-3

20 22.4.75 23.4.75 24.4.75 10


Ablauf VKB

10 5
Ablauf BB
0 0
0 12 24 12 24 12 24 12
Uhrzeit

Abb. 20.13. Ganglinie der Ammoniumkonzentration im Zulauf und im Ablauf des Belebungs-
beckens einer nitrifizierenden Belebungsanlage. Das Belebungsbecken entspricht einem voll-
durchmischten Reaktor. Deutlich sichtbar sind die Durchbrüche des Ammoniums unmittelbar
nach dem Anstieg der Belastung. (Sicherheitsfaktor im Betrieb der Anlage SFBetrieb | 2.0 nach
Gl. (20.13), SFerforderlich | 2.2 nach Gl. (20.15))

Es ist heute üblich, Belebungsbecken von nitrifizierenden Anlagen längsdurch-


strömt zu gestalten und die Belüftung entlang des Beckens dem Sauerstoffbedarf
anzupassen.

Beispiel 20.25. Schlammalter und Nitrifikation


Wie gross wird das erforderliche Schlammalter für die Nitrifikation von kommunalem
Abwasser mit 100 kg NH4+-N d-1 bei einer Dimensionierungstemperatur von 8qC?
100 kg NH4+-N d-1 entsprechen ca. 12’000 EG.
Mit Anwendung von Abb. 6.4, Seite 102, ergibt sich nach Gl. (20.15) der erforderliche
Sicherheitsfaktor zu:
SF = 3.37 ˜ (100)-0.08 ˜ 1.25 = 2.9.
Der Faktor 1.25 berücksichtigt, dass nicht der 50% Wert sondern der 80% Wert der
extremen Tageswerte berücksichtigt werden soll.
Aus Gl. (20.14) ergibt sich für eine Temperatur von 8qC:
Pmax(8qC) = 0.29 d-1 · exp(0.11·(8qC - 10qC)) = 0.23 d-1
Aus Gl. (20.13) ergibt sich nun:
Tx,erforderlich = SF / Pmax = 2.9 / 0.23 = 12.6 d.
Dieser Wert ist um einiges grösser als der Richtwert von 10 Tagen aus Tabelle 20.6,
weil eine tiefere Temperatur berücksichtigt wurde. Bei 10qC ergäbe sich ein erforderli-
ches Schlammalter von 10 Tagen.

Beispiel 20.26. Dimensionierung mit Nitrifikation


Wie gross wird das Belebungsbecken VBB einer Anlage für 10’000 Einwohner, die nach
kleiner Vorklärung bei Temperaturen über 10qC das Abwasser ohne Phosphoreliminati-
on nitrifizieren kann?
Q = 3000 m3d-1 BSB5 = 150 g BSB5 m-3
Es ergibt sich analog zum Beispiel 20.17:
Tx = 10 d
ÜSB = 0.9 kg TSS kg-1 BSB5
20.4 Belebtschlammverfahren 349

SP = 3000 ˜ 0.15 ˜ 0.9 = 405 kg TSS d-1


TSBB = 3.0 kg TSS m-3.
VBB = 10 ˜ 405 / 3 = 1350 m3
Th = VBB / Q = 0.45 d = 10.8 h.
Die Schlammbelastung BTS ergibt sich zu:
BTS = Q ˜ BSB5 / (VBB ˜ TSBB) = 0.11 kg BSB5 kg-1TSS d-1.

20.4.9 Denitrifikation
Mit der Nitrifikation wird dem Abwasser kein Stickstoff entzogen; das häufig kriti-
sche Ammonium NH4+ wird nur in das weniger bedenkliche Nitrat NO3- überführt.
Zum Schutze der Nordsee, deren Primärproduktion teilweise durch Stickstoff limi-
tiert wird, haben diejenigen Staaten, die in die Nordsee entwässern, beschlossen,
die eingeleitete Nitratfracht zu verringern, die Denitrifikation in Belebungsanla-
gen muss dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.

Prozesse der Denitrifikation


Unter Denitrifikation versteht man die mikrobiologische Reduktion von Nitrat
NO3- zu elementarem Stickstoff N2. Viele heterotrophe Bakterien können in Ab-
wesenheit von Sauerstoff O2 Nitrat an Stelle des Sauerstoffs zur Oxidation von
organischen Stoffen nutzen, dabei wird Nitrat zu elementarem Stickstoff reduziert.
Unter der Annahme, dass organische Stoffe die Zusammensetzung eines Kohlen-
hydrats CH2O (z.B. Zucker) haben, ergibt sich die folgende Reaktion:
5 CH2O + 4 NO3- + 4 H+ o 2 N2 + 5 CO2 + 7 H2O (20.16)
im Vergleich zur aeroben mikrobiellen Atmung nach Gl. (20.9):
5 CH2O + 5 O2 o5 CO2 + 5 H2O
In der Denitrifikation sind 4 ˜ 14 g NO3--N äquivalent zu 5 ˜ 32 g O2 oder 1 g
NO3--N entspricht 2.86 g O2. Aus den obenstehenden Gleichungen kann der
Verbrauch von organischen Stoffen für die Denitrifikation nicht berechnet werden,
da zusätzlich noch organische Stoffe für den Aufbau der Biomasse benötigt wer-
den (s. Beispiel 20.27).

Beispiel 20.27. Denitrifikation


Ein Abwasser enthält die folgenden Stoffe:
Organische Verbindungen, CH2O: 100 g m-3
Nitrat, NO3-: 20 g m-3 N
Wieviel Nitrat enthält der Ablauf einer denitrifizierenden Anlage mindestens, wenn 60%
der organischen Stoffe für den Aufbau der Biomasse benötigt werden (s. Gl. (20.16))?
Das Formelgewicht von CH2O beträgt: 12 + 2·1 + 16 = 30 g Mol-1.
-3
100 g m CH2O entsprechen: 100 / 30 = 3.33 Mol m-3
40% davon werden abgebaut: 3.33·0.4 = 1.33 Mol m-3
Pro 4 Mol NO3- werden 5 Mol CH2O abgebaut: 1.33 ˜ 4 / 5 = 1.06 NO3- Mol m-3
Die maximale Denitrifikation entspricht also: 1.06 Mol m-3 ˜ 14 g Mol-1N
= 15 g NO3--N m-3.
350 20 Biologische Abwasserreinigung

Die Ablaufkonzentration würde also mindestens 20 - 15 = 5 g NO3--N m-3 betragen.


(Mindestens, weil ev. ein Teil der organischen Stoffe noch zum Abbau von ev. vorhan-
denem O2 verbraucht wird.)
Wieviel Sauerstoff wäre für den Abbau der organischen Stoffe erforderlich?
Pro Mol CH2O das abgebaut wird, wird ein Mol O2 benötigt (Gl.(20.9)):
Sauerstoffbedarf = 1.33 Mol CH2O m-3 · 1 Mol O2 Mol-1 CH2O
= 1.33 Mol O2 m-3 = 43 g O2 m-3 (oder 2.86 g O2 g-1 NO3--N).

N2 ist im Wasser nur schlecht löslich. Als Folge der Denitrifikation können daher
Stickstoff-Gasblasen entstehen, die aus dem Abwasser aufsteigen. Dieses Phäno-
men, das in einfachen Versuchen beobachtet werden kann (s. Beispiel 20.28),
kann den Betrieb von biologischen Reinigungsanlagen ev. massiv stören, insbe-
sondere wenn die Denitrifikation im Nachklärbecken einer Belebungsanlage statt-
findet und die aufsteigenden Gasblasen die Abtrennung des Belebtschlamms vom
gereinigten Abwasser im Nachklärbecken verhindern.

Beispiel 20.28. Denitrifikation im Nachklärbecken


Bleibt Belebtschlamm über längere Zeit in einem Standzylinder stehen, so wird der
Schlamm als Folge der Schwerkraft vorerst eindicken, d.h. sich absetzen (Abb. 20.4).
Stammt der Schlamm aus einer Belebungsanlage, die nitrifiziert (d.h. der Be-
lebtschlamm enthält im Wasser auch Nitrat), so beginnen sich nach längerer Zeit (30–
90 min) kleine Gasblasen (ca. 0.2 mm Durchmesser) zu bilden, die am Belebtschlamm
haften und diesen an die Oberfläche flotieren lassen.
Die Gasblasen enthalten N2, das Produkt der Denitrifikation. Da 1 l Gas nur etwa 1.2 g
N2 enthält, kann durch die Denitrifikation von z.B. 10 g m-3 NO3--N bereits ein Auftrieb
entstehen, der mehrere kg Biomasse an die Oberfläche tragen kann.
Der gleiche Prozess läuft auch im Nachklärbecken ab, wenn der Schlamm dort lange
liegen bleibt, d.h. nur langsam geräumt wird.

Die Denitrifikation wird heute gezielt eingesetzt, um die Nitratfracht im gereinig-


ten Abwasser zu verringern. Es müssen dann in Abwesenheit von Sauerstoff die
heterotrophen Bakterien mit dem Nitrat und den organischen, abbaubaren Stoffen
zusammengeführt werden. Das Nitrat wird erst im Zuge der aeroben Nitrifikation
in der Anlage selbst gebildet. Es müssen daher aufwändige Verfahrensführungen
entworfen werden, um sicherzustellen, dass während der aeroben Nitrifikation
nicht die für die anoxische (kein Sauerstoff aber Nitrat vorhanden) Denitrifikation
erforderlichen organischen Stoffe abgebaut werden. Die mögliche Denitrifikation
ist abhängig von der Abwasserzusammensetzung (Beispiel 20.27) und der Verfah-
rensführung (s. unten).

Beispiel 20.29. Nitrifikation / Denitrifikation


In der Nitrifikation wird für die Produktion von Nitrat NO3- aus Ammonium NH4+ Sauer-
stoff verbraucht. In der Denitrifikation kann ein Teil dieses Sauerstoffs wieder zurück-
gewonnen werden.
20.4 Belebtschlammverfahren 351

Welcher Teil des Sauerstoffs, der in die Nitrifikation investiert wird, kann im Zuge der
Denitrifikation zurückgewonnen werden, wenn die Denitrifikation 80% der Nitrifikation
ausmacht?
Nach Gl. (20.11) braucht die Nitrifikation 4.57 g O2 g-1 N und nach Gl. (20.16) gibt die
Denitrifikation das Äquivalent von 2.86 g O2 g-1 N zurück. Die Einsparung von Sauerstoff
durch die Denitrifikation beträgt deshalb im Vergleich zum Sauerstoffverbrauch in der
Nitrifikation: 80% ˜ 2.86 / 4.57 = 50%. Oder die Hälfte des Sauerstoffs, der in die Nitrifi-
kation investiert wird, kann durch die Denitrifikation wieder eingespart werden.

Die Denitrifikation verbraucht nach Gl. (20.16) Säure (Protonen H+), diese wird
z.B. durch die Dissoziation von Kohlensäure freigesetzt, dabei entsteht die Base
Bikarbonat HCO3-, entsprechend:
CO2 + H2O o H2CO3 o H+ + HCO3- (20.17)
Pro Molekül Nitrat wird ein Proton verbraucht, dadurch steigt der pH-Wert des
Abwassers und es wird entsprechend Gl. (20.17) Bikarbonat frei. Durch die De-
nitrifikation kann also die Hälfte der Alkalinität (Bikarbonat), die in der Nitrifika-
tion verloren gegangen ist (s. Gln.(20.11) und (20.12)), wieder zurückgewonnen
werden.

Zusammenfassung
Denitrifikation bedingt, dass die folgenden 4 Bedingungen gleichzeitig erfüllt
sind:
1. Organische, biologisch abbaubare Verbindungen müssen vorhanden sein
2. Gelöster Sauerstoff darf nicht vorhanden sein
3. Nitrat muss vorhanden sein
4. Heterotrophe Biomasse muss vorhanden sein.

Verfahrenstechnik der Denitrifikation


Soll neben der Nitrifikation (Stickstoffoxidation) auch die Denitrifikation (Stick-
stoffelimination) in einem Belebungsverfahren erreicht werden, so muss zusätz-
lich zur aeroben Nitrifikationszone eine weitere, anoxische (kein Sauerstoffein-
trag) Reaktionszone ins Belebungsbecken integriert werden. In dieser Zone
werden die heterotrophen Bakterien an Stelle von Sauerstoff O2 Nitrat NO3- ver-
atmen und dieses zu elementarem Stickstoff N2 reduzieren, der gefahrlos in die
Atmosphäre abgegeben werden kann. Diese Denitrifikation geschieht besonders
dann sehr schnell, wenn grosse Mengen von gelösten, leichtabbaubaren, organi-
schen Verbindungen verfügbar sind.
Es gibt viele verschiedene Fliessschematas, die zur Denitrifikation von kom-
munalem Abwasser geeignet sind, das einfachste davon ist in Abb. 20.14 darge-
stellt. In der vorgeschalteten Denitrifikationszone, die nicht belüftet wird, werden
aus dem Zulauf die organischen Stoffe, mit dem Rücklaufschlamm die Biomasse
und mit der internen Rezirkulation das in der aeroben Nitrifikation produzierte
Nitrat zusammengeführt. Da die Nitratkonzentration im Ablauf der Anlage immer
ca. der Nitratkonzentration in der Rezirkulation entspricht, ist nur eine teilweise
352 20 Biologische Abwasserreinigung

vorgeschaltete Nitrifikation Nachklärbecken


Denitrifikation

Zulauf
Ablauf

Interne Rezirkulation
Überschuss-
Rücklaufschlamm schlamm

Abb. 20.14. Fliesschema einer Belebungsanlage mit vorgeschaltetem Denitrifikationsreaktor.


-
Eine interne Rezirkulation führt Nitrat NO3 aus der Nitrifikationszone zurück ins Denitrifikati-
onsbecken ohne die Nachklärung zu belasten

Denitrifikation möglich, je grösser die Rezirkulation, desto grösser wird die De-
nitrifikation.
In Abb. 20.15 sind schematisch die Längenprofile von einigen Abwasserin-
haltstoffen dargestellt. Die Denitrifikation ist in dieser Darstellung durch das An-
gebot von Nitrat (NO3-) limitiert, dessen Konzentration gegen null fällt, während
noch organische Stoffe (BSB5) verfügbar sind. Eine Vergrösserung der internen
Rezirkulation würde mehr Nitrat in die Denitrifikation bringen und daher zu einer
Verbesserung der Denitrifikation führen.
Die Dimensionierung der Denitrifikation erfolgt für kommunales Abwasser in
erster Näherung auf der Basis des Verhältnis JD des Nitrat Stickstoffs, der denitri-
fiziert werden muss zum BSB5 im Zulauf. Für die Nitrifikation muss angenähert
das gleiche aerobe Belebungsvolumen (Belüftungsbecken) vorhanden sein wie
ohne Denitrifikation. Dazu ergibt sich ein Anteil des Denitrifikationsreaktors VD
am Belebungsbecken VBB. Richtwerte für die Dimensionierung einer Denitrifika-
tion gibt Tabelle 20.9.
Da die Nitrifikation im Winter, bei einer Temperatur um 10°C, ein sehr gros-
ses Schlammalter und damit auch ein grosses Belebungsbecken bedingt, ist es
heute üblich, im Sommer bei erhöhten Temperaturen und damit grossen Leis-
tungsreserven der Nitrifikation einen Teil des Beckens abzutrennen und mit De-
nitrifikation zu betreiben. Noch einfacher ist eine sogen. intermittierende Denitri-
fikation, hier wird zeitlich hintereinander, im gleichen Becken, eine Phase belüftet
(Nitrifikation) und eine Phase unbelüftet (Denitrifikation) betrieben. Mit zuneh-
mender Temperatur können die unbelüfteten Phasen laufend verlängert werden.
Von simultaner Denitrifikation sprechen wir, wenn im gleichen Becken gleichzei-
tig beide Prozesse ablaufen. Das ist z.B. in Umlaufbecken der Fall (Abb. 20.6),
wenn unmittelbar nach der Belüftung Sauerstoff vorhanden ist, aber nach einiger
Fliessstrecke dieser wieder auf null abfällt und damit die Denitrifikation einsetzen
kann.
20.4 Belebtschlammverfahren 353

Zulauf

O2

BSB5

NH4+

NO3-

Abb. 20.15. Schematische Darstellung eines Verfahrens mit Vordenitrifikation. Dargestellt sind
die Konzentrationsprofile entlang der Fliessrichtung für vier relevante Wasserinhaltsstoffe. Deut-
lich sind die Verdünnungen durch die Rückläufe und die Abstufung der Konzentration des Sau-
erstoffs zu sehen

Tabelle 20.9. Richtwerte für die Bemessung der Denitrifikation bei Trockenwetter und durch-
schnittlichen Verhältnissen. Die Angaben beziehen sich auf JD, die Masse des Nitrat-Stickstoffs,
die in einer vorgeschalteten Denitrifikation bei 10–12qC pro Masse zugeführten BSB5 denitrifi-
ziert werden kann, den Anteil VD des vorgeschalteten Denitrifikationsbeckens am ganzen Bele-
bungsbecken VBB und das erforderliche Schlammalter Tx (kleine Werte für grosse Anlagen >
100’000 EG, grosse Werte für Anlagen < 20’000 EG). Nach Arbeitsblatt DWA A131 (2000)
Erforderliche spezifische Anteil der Denitrifikation am Erforderliches
Denitrifikation Belebungsbecken Schlammalter
-
JD in kg NO3 -N / kg BSB5 VD / VBB TX in Tagen
0.11 0.2 10.0 – 12.5
0.13 0.3 11.4 – 14.3
0.14 0.4 13.3 – 16.7
0.15 0.5 16.0 – 20.0

Beispiel 20.30. Dimensionierung einer Denitrifikation


Wie gross wird das Belebungsbecken VBB und der Anteil des Denitrifikationsbeckens VD
einer Anlage für 10’000 Einwohner, die nach kleiner Vorklärung bei Temperaturen über
10qC das Abwasser ohne Phosphorelimination nitrifizieren und denitrifizieren kann?
Zielvorstellung ist, dass die Anlage 2/3 des zufliessenden Stickstoffs eliminiert.
Q = 3000 m3d-1 BSB5 = 150 g BSB5 m-3 TKN = 33 g N m-3 NO3- = 0 g N m-3
Aus der Schlammbehandlung werden noch 3 g N m-3Abwasser
in die Anlage zurückgeführt,
sodass sich im vorgeklärten Abwasser insgesamt 36 g TKN m-3 befinden.
1. Wieviel Nitrat muss denitrifiziert werden?
354 20 Biologische Abwasserreinigung

Im Zulauf befinden sich 33.0 g N m-3


Im Ablauf befinden sich 33% der zufliessenden TKN 11.0 g N m-3
In den Belebtschlamm werden inkorporiert: 0.045 g N g-1 BSB5 6.8 g N m-3
(s. dazu Tabelle 20.2)
Aus der Schlammbehandlung fliessen zurück 3.0 g N m-3
Denitrifiziert werden müssen: 'Ndenit = 33.0 - 11.0 – 6.8 + 3.0 = 18.2 g N m-3
Insgesamt müssen nitrifiziert werden: 'Nnit = 33.0 – 6.8 + 3.0 = 29.2 g N m-3
(Annahme: 100% Nitrifikation. d.h. alles Ammonium wird nitrifiziert.):
2. Wie gross ist der Anteil der Denitrifikation und das erforderliche Schlammalter?
Die erforderliche Denitrifikation JD = 'Ndnit / BSB5 = 18.2/150= 0.12 kg NO3--N kg-1 BSB5.
Daraus ergibt sich nach Tabelle 20.9 ein erforderliches Schlammalter von Tx = 13.5 d
und ein Anteil des Denitrifikationsbeckens VD / VBB = 0.25.
3. Wie gross ist die Schlammproduktion?
Nach Tabelle 20.6 muss mit einer spezifischen Schlammproduktion von ca. ÜSB = 0.85
kg TS kg-1 BSB5 gerechnet werden. Daraus ergibt sich nach Gl. (20.6) die Schlammpro-
duktion zu:
SP = Q · BSB5 · ÜSB = 383 kg TSS d-1
4. Wie gross wird das Belebungsbeckenvolumen?
Die zulässige Belebtschlammkonzentration beträgt TSBB = 3.0 kg TSS m-3
(Tabelle 20.7). Gleichung (20.7) ergibt: VBB = Tx ˜ SP / TSBB = 13.5 ˜ 383 / 3 = 1720 m3.
Das Volumen der Denitrifikation wird: 25% von VBB = 430 m3 = VD
Das Volumen der Nitrifikation wird: 75% von VBB = 1290 m3 = VBB - VD
Diese Werte müssen mit dem erforderlichen Volumen einer Nitrifikation verglichen wer-
den: VBB = 1350 m3 (s. Beispiel 20.26). Das Beckenvolumen, das für die Nitrifikation
erforderlich ist verringert sich v.a. weil beim höheren Schlammalter die spezifische
Schlammproduktion etwas geringer wird: Von 0.9 kg TSS kg-1 BSB5 bei Tx = 10 d zu
0.85 kg TSS kg-1 BSB5 bei Tx = 13.5 d.
Die mittlere hydraulische Aufenthaltszeit Th beträgt nun 14 h, die Schlammbelastung BTS
wird 0.09 kg BSB5 kg-1 TSS d-1.
5. Wie gross ist das erforderliche Rücklaufverhältnis?
Vom insgesamt nitrifizierten Nitrat von 29.2 g N m-3 müssen 18.2 g N m-3 denitrifiziert,
d.h. in die Denitrifikation zurückgeführt werden. Da die Ablaufkonzentration noch 11.0 g
N m-3 beträgt, muss das Abwasser mindestens 18.2 / 11.0 = 1.7 mal rezirkuliert werden.
Die gewählten Rezirkulationsraten könnten z.B. sein: Rücklaufschlamm = Interne Rezir-
kulation = Zufluss (oder das Wasser wird 2-mal rezirkuliert, d.h. es fliesst im Durch-
schnitt 3-mal durchs Becken).

20.4.10 Chemische Phosphorelimination


Für die Wäsche von Textilien kamen ab 1950 zunehmend statt Handarbeit und
Seife Waschautomaten und künstlich hergestellte Detergenzien zum Einsatz. Diese
Textil-Waschmittel enthielten Polyphosphat um die Wasserhärte (insbesondere
Ca2+) zu binden. Die Belastung der Gewässer mit dem Nährstoff Phosphat PO43-
nahm in der Folge exponentiell zu. In vielen Binnenseen, die meistens phosphor-
limitiert sind, hat diese Belastung zu einer Überdüngung (Eutrophierung) geführt,
mit all ihren unerwünschten Nebenwirkungen.
20.4 Belebtschlammverfahren 355

Schon Mitte der 50er Jahre hat Prof. Thomas (Univ. Zürich), in der Schweiz
erste Versuche gemacht, um mit Hilfe von Eisensalzen die Phosphate im Abwasser
zu fällen und die gefällten Feststoffe aus dem Abwasser abzutrennen. Dabei wurde
das sogen. Simultanfällungsverfahren entwickelt, das heute weltweit das wichtigs-
te Verfahren zur Entfernung von Phosphor darstellt.
Fällung heisst ein chemischer Prozess, in dem ein im Wasser unlösliches Salz
gebildet wird, das dann z.B. durch Sedimentation aus dem Abwasser abgetrennt
werden kann.

Prozesse der chemischen Phosphorelimination


Die chemische Phosphorelimination beruht auf der Fällung von Phosphaten durch
Eisen-, Aluminium- oder Kalziumsalze. Hier wird nur die Fällung mit Eisensalzen
diskutiert. Die Fällung mit Aluminiumsalzen ist analog zur Anwendung von drei-
wertigem Eisen Fe3+, die Anwendung von Kalzium Ca2+ ist in Europa eher selten.
Häufig angewendet wird zweiwertiges Eisen Fe2+, das in Form von Eisensulfat
(FeSO4) als festes Salz auf die Kläranlage geliefert wird und in einer Lösestation
vorerst als gesättigte, wässrige Lösung aufbereitet werden muss. Nach Zugabe ins
Abwasser wird zweiwertiges Eisen Fe2+ in Gegenwart von Sauerstoff schnell zu
dreiwertigem Eisen Fe3+ aufoxidiert, entsprechend:
4 Fe2+ + O2 + 4 H+ o 4 Fe3+ + 2 H2O (20.18)
Das eigentliche Fällmittel ist das dreiwertige Eisen Fe3+, das mit Phosphat
PO43- das unlösliche FePO4 bildet.

Beispiel 20.31. Sauerstoffbedarf der Oxidation von zweiwertigem Eisen


Wieviel Sauerstoff wird für die Oxidation von 13 g Fe2+ m-3 zu Fe3+ verbraucht? (13 g Fe
m-3Abwasser ist eine typische Dosierung für die Fällung des Phosphors im kommunalen
Abwasser)
Atomgewichte: Fe 55.8, O 16
Nach Gl. (20.18) werden pro 4 Mol Fe (= 4 · 55.8 g = 223.2 g Fe) 1 Mol O2 (= 32 g O2)
verbraucht. Daraus ergibt sich der Sauerstoffverbrauch zu:
13 g Fe m-3 · 32 g O2 / (4˜ 55.8 g Fe) = 1.9 g O2 m-3
Das ist im Vergleich zum Sauerstoffbedarf für den Abbau der organischen Stoffe und
die Nitrifikation verschwindend wenig (ca. 1%).

In kleineren Anlagen wird gelegentlich direkt dreiwertiges Eisen Fe3+ in Form


einer Eisenchlorid Lösung FeCl3 oder ev. FeClSO4 (eine braune, korrosive, saure
Flüssigkeit mit ca. 123 g Fe / kg Lösung und einer Dichte von 1.52 kg l-1) auf die
Anlage geliefert und dem Abwasser zugeführt.
Dreiwertiges Eisen Fe3+ verbindet sich mit Phosphat PO43- zu Eisenphosphat
FePO4. Diese Reaktion steht in Konkurrenz zur Bildung von Eisenhydroxid
Fe(OH)3, entsprechend:
Fe3+ + PO43- o FePO4
Fe3+ + 3 OH- o Fe(OH)3
356 20 Biologische Abwasserreinigung

In Wirklichkeit bildet sich ein amorphes Gemisch von


Fe(PO4)x(OH)3-3x (20.19)
Weil sich diese beiden Reaktionen konkurrenzieren, muss das molare Verhält-
nis zwischen dosiertem Eisen und zu fällendem Phosphat > 1 Mol Fe3+ pro Mol
PO43- sein; man spricht von überstöchiometrischer Fällmitteldosierung:
Mol Fe 3dosiert

E !1 (20.20)
Mol PO34 gefällt

E = Stöchiometrisches Verhältnis für die Dosierung von Fällmittel


[MolFe Mol-1P]. E entspricht dem Kehrwert von x in Gl. (20.19)
VORSICHT: In der Literatur wird der E-Wert nicht immer auf das zu fällende
Phosphat bezogen, sondern gelegentlich auf den totalen Phosphorgehalt des Ab-
wassers. Die Werte sind entsprechend geringer und gelegentlich < 1. In erster Nä-
herung können die gelösten Phosphorverbindungen gefällt werden.
In Tabelle 20.10 sind typische E-Werte für verschiedene Verfahren zusam-
mengestellt.

Tabelle 20.10. Typische Fällmitteldosierung (E-Werte) und Restkonzentration von gelöstem


Phosphor in verschiedenen Verfahren
Verfahren E-Wert Rest Pgelöst
Vorfällung (auch chem. Abwasserreinigung, Seite 313) 2.0–3.0 0.5
Simultanfällung allein 2.0 0.5
Simultanfällung vor Flockungsfiltration 1.0 1.5
Zulauf zur Flockungsfiltration nach Simultanfällung 2.0–2.5 0.1

Die Fällungsprodukte sind flockige, suspendierte Stoffe und bestehen aus einer
Mischung von FePO4 und Fe(OH)3. Sie können durch Sedimentation zusammen
mit anderen Schlämmen abgetrennt werden. Gemessen werden sie als Teil der
suspendierten Stoffe, TSS.
Mit zunehmender Dosierung des Eisensalzes verringert sich die Restkonzen-
tration der gelösten Phosphate im Abwasser, aber die zusätzliche Schlammproduk-
tion nimmt zu. Durch zweistufige Fällungsverfahren kann bei gleicher oder besse-
rer Leistung insgesamt ein Teil der Fällmittel eingespart werden (s.a. Abschn.
21.1, Seite 375, und Beispiel 20.35).
Die Schlammproduktion kann vereinfacht berechnet werden mit der folgenden
Gleichung, die aus der chemischen Stöchiometrie abgeleitet wurde:
SPP = Q ˜ SP,gefällt ˜ 1.5 + SFe,dosiert ˜ 1.9) (20.21)
SPP = Schlammproduktion als Folge der chemischen Phosphorelimination
[MTSS T-1]
Q = Zufliessende Wassermenge [L-3 T-1]
SP,gefällt = Konzentration des gefällten Phosphors [MP L-3]
SFe,dosiert = Konzentration des zudosierten Eisens [MFe L-3]
1.5, 1.9 = Theoretische Faktoren [MTSS MP-1, MTSS MFe-1]
20.4 Belebtschlammverfahren 357

Beispiel 20.32. Fällmitteldosierung


Wie gross wird das Verhältnis der Massen zwischen Eisendosierung und Phosphorkon-
zentration wenn der E-Wert = 1 ist?
Atomgewichte: Fe 56 g Mol-1 P 31 g Mol-1
E = 1 = 1 Mol Fe / 1 Mol P = 56 g Fe / 31 g P = 1.8 g Fe / g P
In der Praxis wird die Dosierung von Eisen als Masse angegeben (z.B. gFe m-3Abwasser).
Soll ein Abwasser mit 5 g m-3 gelöstem Phosphor mit einem E-Wert von 2.0 mit Eisen
gefällt werden, so beträgt die erforderliche Dosierung:
5 gP m-3 ˜ 2.0 Mol Mol-1 ˜ 1.8 gFe gP-1 = 18 gFe m-3.

Beispiel 20.33. Schlammproduktion in der Phosphatfällung


Ein kommunales Abwasser enthält 6 g Ptot m-3, davon werden 1.2 g P m-3 zum Aufbau
der Biomasse in den Belebtschlamm eingebaut, der Rest soll durch Eisensulfat (FeSO4)
gefällt werden. Es wird mit einem stöchiometrischen Verhältnis E von 1.5 Mol Fe2+ zu 1
Mol Pgefällt gerechnet. Wieviel Eisensulfat muss zudosiert werden? Wieviel Feststoffe
bilden sich als Folge der Phosphorelimination?
Atomgewichte: Fe 55.8, P 31, H 1, O 16, S 32.
Der Bedarf an Eisen beträgt:
(6.0-1.2)gP m-3 ˜ 1.5 MolFe Mol-1P ˜ 55.8 gFe Mol-1Fe / 31 gP Mol-1P = 13 gFe m-3
Das entspricht: 13 ˜ (55.8+32+4·16) / 55.8 = 35 gFeSO4 m-3
Als Fällungsprodukte und damit als zusätzlicher Schlamm entstehen:
Fe(PO4)0.67(OH)1.00 (eine Mischung von FePO4 und Fe(OH)3 im molaren Verhältnis von
2 : 1, weil pro 1 Mol P 1.5 Mol Fe dosiert werden:
Formelgewicht >Fe(PO4)0.67(OH)1.00@ = 55.8+(31+4·16)·0.67+(16+1)·1.00
= 136.5 g TSS Mol-1Fe oder 136.5 / 0.67 = 203.7 g TSS Mol-1P.
Damit entsteht die folgende Masse von Fällungsprodukten:
4.8 g P m-3 · (203.7 gTSS Mol-1P) / 31 gPMol-1P = 31.5 gTSS m-3 oder
-3
13 g Fe m · 136.5 gTSSMol-1Fe / 55.8 gFeMol-1Fe = 31.5 gTSS m-3
Es fallen also 31.5 gTSS / 4.8gP = 6.6 gTSS g-1P
an. Dieser Wert entspricht dem Erfah-
rungswert, der in der Fussnote von Tabelle 20.6, Seite 331, angegeben ist.

Beispiel 20.34. Schlammproduktion in der Phosphorelimination


Welche Schlammproduktion ergibt sich im Beispiel 20.33 mit Hilfe von Gl. (20.21)?
Mit SP,gefällt = 4.8 gP m-3, SFe,dosiert = 13 gFe m-3 ergibt sich die Schlammproduktion pro
Volumen Abwasser zu SPP / Q = 1.5 ˜ 4.8 + 1.9 ˜ 13 = 31.9 gTSS m-3.

Beispiel 20.35. Zweistufige Fällung


Wieviel Fällmittel muss eingesetzt werden, um in einem Abwasser 5 gP m-3 mit Fe2+ zu
fällen?
Dimensionierung nach Tabelle 20.10, Atomgewichte: P 31, Fe 56
Einstufige Fällung
Einstufige Simultanfällung, nach Tabelle 20.10: E = 2 MolFe MolP-1
Fe Bedarf : 5 ˜ 2 ˜ 56 / 31 = 18.1 gFe m-3
Die Restkonzentration des gelösten Phosphors beträgt noch ca. 0.5 gP m-3
358 20 Biologische Abwasserreinigung

Zugabe von FeSO4 Simultanfällung

Schlammabzug

Vorfällung
Zugabe von FeCl3, Al2(SO4)3

Vorklärbecken

Schlammabzug

Abb. 20.16. Verfahren zur Phosphorelimination in der kommunalen Abwasserreinigung. Oben


das häufig angewendete Simultanfällungsverfahren. Unten das seltenere Vorfällungsverfahren

Zweistufige Fällung (Tabelle 20.10)


Simultanfällung vor Flockungsfiltration: E= 1 MolFe MolP-1
Fe Bedarf 1.Stufe: 5 ˜ 1 ˜ 56 / 31 = 9.0 gFe m-3
Es verbleiben 1.5 gP m-3, die mit E = 2.5 MolFe MolP-1 gefällt werden (Tabelle 20.10)
Fe Bedarf 2.Stufe: 1.5 ˜ 2.5 ˜ 56 / 31 = 6.8 gFe m-3
Insgesamt werden also 9.0 + 6.8 = 15.8 gFe m-3 gebraucht und die Restkonzentration
des gelösten Phosphors ist auf 0.1 gP m-3 reduziert worden.
Die zweistufige Fällung vermindert also den Fällmittelbedarf und entsprechend die
Schlammproduktion, zusätzlich resultiert eine geringere Restkonzentration des gelösten
Phosphors. Allerdings eignet sich Fe2+ nicht in jedem Fall für die Flockungsfiltration. Ev.
muss das teurere dreiwertige Eisen verwendet werden.

Verfahren der chemischen Phosphorelimination


Zur Fällung von Phosphor kommen verschiedene Verfahren zur Anwendung
(Abb. 20.16):
– Die Vorfällung beruht auf der Zugabe der Fällmittel zum Zufluss der Vorklä-
rung und unterstützt dort durch Flockung gleichzeitig die Elimination von sus-
pendierten Stoffen. Der Fällmittelbedarf ist hoch, weil verschiedene andere
Prozesse (z.B. Flockung) in Konkurrenz zur Fällung stehen.
– In der Simultanfällung werden die Fällmittel der biologischen Reinigung zuge-
geben und die Fällungsprodukte werden in den biologischen Schlamm einge-
schlossen.
– In der Nachfällung (nicht dargestellt) wird das biologisch vorgereinigte Ab-
wasser in speziellen Bauwerken gefällt. Früher wurden dazu Flockungsbecken
und Sedimentationsbecken eingesetzt, heute wird eher eine Flockungsfiltration
20.4 Belebtschlammverfahren 359

eingesetzt, in der die Fällungsprodukte durch Filtration abgetrennt werden. Die


Nachfällung wird häufig als zweite Fällungsstufe in einem zweistufigen Ver-
fahren angewendet, insbesondere nach Simultanfällung.
Heute kommt die Simultanfällung am häufigsten zur Anwendung. Sie erbringt
bei genügender Dosierung der Metallsalze (E-Wert, Tabelle 20.10) eine zuverläs-
sige Leistung und ist äusserst einfach in der Installation und im Betrieb: Ein La-
gertank, allenfalls eine Lösestation beim Einsatz von FeSO4, und eine Dosierpum-
pe mit einer Leitung zu einer geeigneten, turbulenten Einleitstelle genügen. Die
zusätzliche Schlammproduktion ist geringer als in der Vorfällung. Der Chemika-
lieneinsatz wird häufig entsprechend dem Phosphoranfall nach einem Tages- oder
Wochenprogramm gesteuert.

20.4.11 Biologische Phosphorelimination


Die chemische Phosphorelimination hat den Nachteil, dass einerseits extern zuge-
kaufte Chemikalien erforderlich sind und andererseits zusätzlicher Überschuss-
schlamm anfällt, der in der Entsorgung grosse Kosten verursachen kann. Im Ge-
gensatz dazu nutzt die biologische Phosphorelimination die Abwasserinhaltstoffe
und die zusätzliche Schlammproduktion ist geringer.

Prozesse der biologischen Phosphorelimination


Es gibt eine Reihe von heterotrophen Bakterien, die Polyphosphate als Speicher-
stoff einlagern können (polymerisiertes Phosphat PO4 ist ein Speicherstoff für bio-
chemisch nutzbare Energie). Der Phosphorgehalt dieser Bakterien kann dann, je
nach Umweltbedingungen bis zu 15% betragen (normal sind ca. 1–2%). Gelingt
es, diese Bakterien in der biologischen Reinigungsanlage zu züchten und sie aus
dem Abwasser abzutrennen, wenn sie grosse Mengen von Phosphor gespeichert
haben, so ist damit gleichzeitig eine biologische Phosphorelimination erreicht.
Die Anforderungen dieser Bakterien sind komplex, eine einfache Modellvor-
stellung ist die folgende (Abb. 20.17):
– In einer anaeroben Umgebung (kein Sauerstoff) können die Phosphor-
akkumulierenden Organismen unter Verbrauch von Polyphosphat organische
Stoffe aufnehmen und als organische Speicherstoffe (Polysubstrat) innerhalb
der Zellen einlagern. Dabei wird Polyphosphat im Inneren der Zellen abgebaut
und als Phosphat ins Abwasser abgegeben. Diese Reaktion liefert die erforder-
liche Energie.
– In einem nachfolgenden aeroben (mit Sauerstoff) oder anoxischen (mit Nitrat,
ohne Sauerstoff) Reaktor werden die organischen Speicherstoffe abgebaut
(veratmet), die daraus gewonnene Energie dient dazu, die Biomasse zu ver-
mehren und wieder mehr Polyphosphate aufzubauen. Durch den Aufbau der
Polyphosphate wird dem Abwasser nun Phosphat entzogen und in den Zellen
eingelagert.
– Die nun phosphorreichen Organismen können teilweise als Überschuss-
schlamm dem Abwasser entzogen werden (Phosphorelimination), grösstenteils
werden sie zurück in die anaerobe Umwelt gebracht (Rücklaufschlamm), wo
der Zyklus erneut beginnt.
360 20 Biologische Abwasserreinigung

Anaerobe Prozesse Anoxische und aerobe Prozesse

gelöstes ortho- NO3- ortho-


Substrat Phosphat O2 Phosphat

Zellwachstum

Energie Energie

Poly Substrat Poly Phosphat Poly Substrat Poly Phosphat

Abb. 20.17. Ein einfaches biochemisches Modell für die biologische Phosphorelimination. Dar-
gestellt ist ein Phosphor-akkumulierendes Bakterium. Links die anaeroben Prozesse; rechts die
aeroben und anoxischen Prozesse

Die Phosphor-akkumulierenden Organismen haben gegenüber den hetero-


trophen Organismen den Vorteil, dass sie unter anaeroben Umweltbedingungen
organische Stoffe speichern können, die ihnen anschliessend im aeroben Reaktor
für ihr Wachstum zur Verfügung stehen. Wir müssen daher dafür sorgen, dass
dieser Vorteil zum Tragen kommt. Nur so ist gewährleistet, dass diese Organis-
men sich in einem Verfahren auch effektiv ansiedeln.
Die Prozesse der biologischen Phosphorelimination sind von 1980 – 2000 in-
tensiv erforscht worden. Für viele Fragestellungen der Ingenieure stehen heute
gesicherte Erkenntnisse zur Verfügung. Die ersten Anlagen mit biologischer
Phosphorelimination wurden v.a. in Südafrika von James Barnard 1975 – 1980,
basierend auf empirischen Grundlagen, projektiert und betrieben. Die mikrobiolo-
gischen Prozesse waren damals noch kaum bekannt.

Zusammenfassung
Biologische Phosphorelimination bedingt, dass die folgenden 4 Bedingungen
gleichzeitig erfüllt sind:
1. In einem anaeroben Reaktorteil müssen gelöste organische, biologisch abbau-
bare Verbindungen (mit Vorteil flüchtige Säuren, Essigsäure) angeboten wer-
den, dabei darf kein Nitrat (NO3-) und kein Sauerstoff (O2) vorhanden sein.
2. Es muss ein nachfolgender aerober oder anoxischer Reaktorteil mit genügen-
der Reaktionszeit angeboten werden.
3. Die Biomasse muss an das Verfahren adaptiert sein (Wochen).
4. Der phosphorreiche Schlamm soll aus einem aeroben Teilstrom als Über-
schussschlamm abgezogen werden.
20.4 Belebtschlammverfahren 361

Denitrifikation Nitrifikation
Zulauf

anaerob anoxisch anoxisch aerob


XTSS

NO3-

PO4

CSBgel

Abb. 20.18. Fliessschema einer Anlage mit biologischer Phosphorelimination. Das Verfahren
wurde ursprünglich von einer Arbeitsgruppe an der University of Cape Town (UCT) vorgeschla-
gen und heisst in der Literatur UCT Verfahren (oder modifiziertes UCT Verfahren). Unten sind
die Konzentrationsprofile einiger Stoffe aufgetragen, die für das Verfahren von Bedeutung sind
(s. Text)

Verfahrenstechnik der biologischen Phosphorelimination


Nach intensiven Forschungsarbeiten steht heute die biologische Phosphorelimina-
tion international in mehreren hundert Anlagen erfolgreich im Betrieb. Dabei
kommen viele unterschiedliche Fliessschematas zur Anwendung, die alle sowohl
organische Stoffe als auch die Nährstoffe Stickstoff und Phosphor mit Hilfe von
mikrobiologischen Prozessen eliminieren können. In Abb. 20.18 wird ein typi-
sches Verfahren vorgestellt:
– Der erste Reaktor wird anaerob betrieben (ohne Sauerstoff O2, ohne Nitrat
NO3-), dazu wird aus dem 2. Reaktor Belebtschlamm ohne Nitrat rezirkuliert.
Phosphat PO43- wird durch die Phosphor-akkumulierenden Bakterien ins Ab-
wasser abgegeben und gelöste organische Stoffe werden als Reservestoffe in
die Biomasse eingelagert.
– Der zweite Reaktor wird anoxisch betrieben (ohne Sauerstoff aber mit Nitrat)
und dient der Denitrifikation: Die Restkonzentration der organischen Stoffe
aus dem ersten Reaktor wird mit dem Nitrat und der Biomasse aus dem Rück-
laufschlamm zusammengeführt. Durch die Denitrifikation wird nitratfreier Be-
lebtschlamm produziert, der in den ersten Reaktor zurückgeführt werden kann.
So gelingt es, den ersten Reaktor mit Biomasse aber ohne Nitrat zu versorgen.
362 20 Biologische Abwasserreinigung

– Der dritte Reaktor wird auch anoxisch betrieben, hier wird das Nitrat aus der
internen Rezirkulation denitrifiziert. Das führt dazu, dass im Ablauf und im
Rücklauf nur geringe Nitratkonzentrationen auftreten.
– Der vierte Reaktor wird aerob (mit Sauerstoff) betrieben, er dient der Nitrifi-
kation: Ammonium NH4+ wird abgebaut und Nitrat wird produziert. Gleichzei-
tig bauen nun die Phosphor akkumulierenden Organismen die gespeicherten
organischen Stoffe ab und nehmen dabei das Phosphat wieder auf, um es als
Speicherstoff innerhalb der Biomasse festzulegen.
Anlagen mit biologischer Phosphorelimination werden häufig so dimensio-
niert, dass die biologischen Prozesse durch Zugabe von wenig Eisensalz unter-
stützt werden.

Beispiel 20.36. Gefahren der biologischen Phosphorelimination


Eine Belebtschlammanlage mit biologischer Phosphorelimination wird mit einem
Schlammalter von 15 Tagen betrieben, das Belebungsbecken hat insgesamt eine hyd-
raulische Aufenthaltszeit von ca. 15 h. Nach einem Gewitter fällt für 5 h der Strom aus.
Was bedeutet das im ungünstigsten Fall für die Belastung der Vorflut? Eine Notstrom-
anlage für die Belüftung ist nicht verfügbar.
Der Stromausfall verursacht, dass das normalerweise aerobe Belüftungsbecken vor
dem Nachklärbecken innerhalb von Minuten anoxisch (kein Sauerstoff aber Nitrat) wird,
es wird eine Denitrifikation einsetzen. Nach ca. 1 h ist kein Nitrat mehr vorhanden, das
führt in der ganzen Anlage zu einer Phosphatfreisetzung. Da das Schlammalter 15 d
beträgt, wird angenähert der Phosphoranfall von 15 Tagen freigesetzt. Phosphor wird
nun während Stunden mit sehr hoher Konzentration ins Gewässer geleitet. Weil das
gelöste Phosphat mit dem Wasser verdrängt wird und nicht mit dem Schlamm ins Se-
diment des Nachklärbeckens gelangt, wird pro Stunde ungefähr soviel Phosphor in die
Gewässer ausgewaschen, wie normalerweise während einem Tag entfernt wird. Nach
dem Wiedereinsetzen der Belüftung muss mit Stunden bis Tagen gerechnet werden, bis
das alte Gleichgewicht wieder eingestellt ist. Im ungünstigsten Fall wird also die Vorflut
mit zusätzlichen 5–15 Zulauf-Tagesfrachten des Phosphors belastet. Wenn die Anlage
insgesamt z.B. zusammen mit einer Flockungsfiltration 95% des zufliessenden Phos-
phors entfernt, so nimmt die restliche Jahresfracht durch dieses Ereignis um 30–80%
zu:
(5 - 15 d/365 d = 1.4 - 4%, Restfracht = 100% - 95% = 5%, (1.4 - 4%)/5% = 30 - 80%).
Ev. könnte hier die Belastung der Vorflut während diesem Ereignis verringert werden,
wenn das Wasser nach der Vorklärung entlastet würde, statt es durch die nicht funktio-
nierende Anlage zu leiten.

20.4.12 Biologische Nährstoffelimination: Zusammenfassung


Belebungsanlagen gehören im ganzen Bereich der Biotechnologie zu den an-
spruchsvollsten Verfahren. Es gibt kaum andere biologische Verfahren, in denen
gleichzeitig 3 unterschiedliche, schlecht definierte Gruppen von Bakterien zu-
sammenwirken müssen, um die charakteristische Leistung des Verfahrens zu
erbringen, und das im Sommer und im Winter, bei täglichen Belastungsvariatio-
nen, mit einer sehr hohen Verfügbarkeit der erwarteten hohen Leistung.
In Tabelle 20.11 sind die Umweltbedingungen zusammengestellt, die erforderlich
sind, damit die einzelnen Prozesse ablaufen können. Von besonderer Bedeutung
20.5 Tropfkörperverfahren 363

sind Sauerstoff O2 und Nitrat NO3-, sie bestimmen hauptsächlich, welche Prozesse
möglich sind.
Die Dimensionierung von Belebungsanlagen basiert heute meistens auf einem
erforderlichen Schlammalter, das die Produktion von Feststoffen mit der Masse
von Belebtschlamm, die sich im System befindet, in Beziehung setzt. Dieser stati-
sche Ansatz wird meistens durch dynamische Modellansätze (Simulation) ergänzt,
wobei es üblich ist, für diese Aufgabe Spezialisten zuzuziehen.

Tabelle 20.11. Zusammenstellung der erforderlichen Umweltbedingungen in den verschiedenen


Belebtschlammverfahren. + heisst, dass dieser Stoff vorhanden sein muss, damit der entspre-
chende Prozess ablaufen kann. Produkt heisst, dass dieser Stoff produziert wird. Hemmt heisst,
dass dieser Stoff den Prozess hemmt oder verunmöglicht und daher nicht vorhanden sein darf

Aerober Simultanfäl- Biologische Phosphor


Erforderliche Nitrifi- Denitrifika-
Abbau von lung mit Elimination
Umweltbedingung kation tion 2+
CSB Fe Phase I Phase II
aerob aerob anoxisch aerob anaerob aerob
O2 + + hemmt + hemmt +
CSB + + +
Het. Biomasse + +
Nitrifikanten +
PAOa) + +
+
NH4 +
-
NO3 Produkt + hemmt
3-
PO4 + Produkt +
-
HCO3 + Produkt + +
Schlammalter <5d 7 – 10 d 10 – 20 d > 15 d
a)
PAO = Phosphor akkumulierende Organismen

20.5 Tropfkörperverfahren
Die Tropfkörperverfahren sind älter als das Belebungsverfahren  bereits im
19. Jh. sind in England die ersten biologischen Filter oder „Trickling Filters“
gebaut worden. In Europa wurden bis ca. 1960 viele Tropfkörper gebaut. Der
Trend, Abwasser von mehreren Kommunen in grossen und leistungsfähigen Ver-
bandskläranlagen zu reinigen, hat dann zunehmend dazu geführt, dass das Bele-
bungsverfahren dem Tropfkörper vorgezogen wurde. Heute kommen Tropfkörper
v.a. noch in kleinen Abwasserreinigungsanlagen zur Anwendung.
Tropfkörper sind biologische Reaktoren mit festsitzender Biomasse. Sie wer-
den mit Hilfe einer spezifischen Schmutzstoffbelastung pro Reaktorvolumen oder
pro Bewuchsfläche dimensioniert. Ihr Leistungsspektrum umfasst den Abbau von
organischen Stoffen, die Nitrifikation und unter besonderen Bedingungen auch die
Denitrifikation.
Im klassischen Tropfkörperverfahren wird das vorgeklärte Abwasser über eine
Schüttung von faustgrossen Steinen verregnet und rinnt als Folge der Schwerkraft
über diese Steinschüttung (Abb. 20.19). Auf den Steinen siedelt sich die aktive
Biomasse in Form eines dünnen Biofilmes an und wird aus dem vorbeirinnenden
364 20 Biologische Abwasserreinigung

Zufluss
Luft Biofilm

Trägermaterial
Steinbrocken

Tropfkörper
Luft

Abwasser

Abb. 20.19. Schematische Darstellung eines Tropfkörpers mit Vergrösserung eines bewachsenen
Steines

Abwasser mit Schmutz- und Nährstoffen versorgt. In den Zwischenräumen zwi-


schen den Steinen kann Luft zirkulieren, die das Abwasser mit Sauerstoff ver-
sorgt. Die sich vermehrende Biomasse wird von Zeit zu Zeit durch das vorbeirin-
nende Wasser in Form von kleinen Flocken abgeschwemmt und im
Nachklärbecken abgetrennt.
Im Englischen werden Tropfkörper als Trickling Filter bezeichnet, eine ältere
englische Bezeichnung für schwachbelastete Verfahren ist Biological Filter. Mo-
derne Tropfkörper werden statt mit Steinen (Brocken) mit Paketen von Kunststoff-
folien gefüllt, auf deren Oberfläche sich die Biomasse ansiedeln kann. Diese kön-
nen eine grössere bewachsene Oberfläche pro Volumen aufweisen und stellen eine
grosse Porosität für die Luftzirkulation zur Verfügung.
In Abb. 20.20 ist ein typisches Abwasserreinigungsverfahren mit einem Tropf-
körper dargestellt. Um eine Verstopfung des Tropfkörpers zu vermeiden, ist eine
Vorklärung erforderlich, in der auch meist der biologische Schlamm aus der
Nachklärung eingedickt wird. Bei hohen Schmutzstoffkonzentrationen ist es er-
forderlich, den Ablauf des Tropfkörpers zu rezirkulieren und dadurch die
Schmutzstoffkonzentration zu verringern und gleichzeitig die Schwemmkraft des
fliessenden Abwassers zu erhöhen.

20.5.1 Bemessung von Tropfkörpern


In brockengefüllten Tropfkörpern kommen häufig Steine oder gebrochene Lava
zum Einsatz, die Durchmesser von 40 – 80 mm haben. Daraus ergibt sich eine
bewachsene, aktive Oberfläche von ca. 90 m2 m-3 Tropfkörpervolumen. Für diese
Oberfläche eignet sich die Raumbelastung BR für die Bemessung:
Q ˜ BSB5
BR (20.22)
VTK
20.5 Tropfkörperverfahren 365

Tropfkörper

Pumpe

Vorklärung Nachklärung
Zulauf

Ablauf

Rezirkulation

Schlammrückführung

Schlammabzug

Abb. 20.20. Fliessschema eines typischen Reinigungsverfahrens mit Tropfkörper

BR = Raumbelastung des Tropfkörpers [g BSB5 mTK-3 d-1]


Q = Durchfluss durch den Tropfkörper ohne Rezirkulation [m3 d-1]
BSB5 = Konzentration des BSB5 im Zulauf zum Tropfkörper vor der
Verdünnung durch eine allfällige Rezirkulation [g BSB5 m-3]
VTK = Volumen der Tropfkörperschüttung [mTK3]
Neuere Tropfkörper werden mit Trägermaterial für die Biomasse ausgerüstet,
das aus Paketen von Kunststofffolien besteht. Diese Folien haben eine spezifische
Oberfläche von a = 100 – 140 – 170 m2 mTK-3. Ist das Abwasser nur durch eine
Vorklärung vorgereinigt worden, so sollte die spezifische Oberfläche der Folien <
140 m2 mTK-3 gewählt werden, da diese sonst verstopfen können.
Tropfkörper mit Folien werden auf der Basis der Belastung pro Bewuchsflä-
che, d.h. der Flächenbelastung BA, dimensioniert:
Q ˜ BSB5
BA (20.23)
a ˜ VTK
BA = Flächenbelastung der Kunststofffolien [g BSB5 m-2 d-1]
a = Spezifische Oberfläche der Folien [m2Folien m-3TK]
VTK = Volumen des Tropfkörpers, das mit Paketen von Folien
gepackt ist [mTK3]
In Tabelle 20.12 sind typische Dimensionierungswerte für Tropfkörper zu-
sammengefasst.
366 20 Biologische Abwasserreinigung

Tabelle 20.12. Dimensionierungsrichtwerte für Tropfkörper nach Vorklärung (Arbeitsblatt


DWA A281, adaptiert auf häusliches Abwasser)
Ziel der Reinigung Raumbelastung Flächenbelastung BA
Art des Füllmaterials -3 -1 -2 -1
BR [gBSB5 m d ] [gBSB5 m d ]
-3
Reinigung ohne Nitrifikation (im 24 h Mittel < 20 gBSB5 m im Ablauf)
Brockenfüllung (40 – 80 mm) 400 -
Kunststofffolien - 4
Reinigung mit Nitrifikation
Brockenfüllung (40 – 80 mm) 200 -
Kunststofffolien - 2
Für Nachklärbecken werden meist hydraulische Aufenthaltszeiten VNKB/Q > 2.5 h und
-1
hydraulische Oberflächenbelastungen Q/FNKB < 1 mh bei Trockenwetter gewählt.
Die Schlammproduktion kann analog zur Schlammproduktion in Belebungsanlagen mit
gleicher Leistung berechnet werden.

Beispiel 20.37. Dimensionierung eines Tropfkörpers


Wie gross wird das Volumen eines Tropfkörpers, der mit Steinbrocken gefüllt ist und
das vorgeklärte Abwasser einer ländlichen Gemeinde mit 2500 Einwohnern nitrifizieren
kann?
Zufluss Q = 600 m3 d-1 mit 160 g BSB5 m-3
Nach Tabelle 20.12 beträgt die zulässige Raumbelastung bei Nitrifikation BR = 200 g
BSB5 m-3 d-1. Daraus ergibt sich das erforderliche Volumen der Brockenfüllung zu:
VTK = Q · BSB5 / BR = 480 m3
Bei einer Bauhöhe von 4 Metern ergibt sich eine Querschnittsfläche von 120 m2
(Durchmesser 12.5 m). Die hydraulische Beschickung dieser Querschnittsfläche sollte
mindestens 10 m3 m-2 d-1 betragen (DWA A281). Mit dem vorhandenen Zufluss ergeben
sich 600 m3d-1 / 120 m2 = 5 m3 m-2 d-1. Es ist daher erforderlich, das Abwasser durch
Rezirkulation des Ablaufs zweimal über den Tropfkörper zu leiten.
Auffallend ist, dass bei dieser Dimensionierung die Menge des Stickstoffs, die nitrifiziert
werden muss, nicht erscheint, obwohl anzunehmen ist, dass die Nitrifikationsleistung
mit zunehmendem Tropfkörpervolumen zunimmt. Diese einfache Dimensionierung be-
ruht auf Erfahrungen mit kommunalem Abwasser und darf nicht auf Abwasser mit deut-
lich abweichender Zusammensetzung übertragen werden. Das Arbeitsblatt A281 gibt
an, wie mit abweichendem Abwasser umgegangen werden kann.

Beispiel 20.38. Bewuchsfläche von Tropfkörpern


Typische Packungen aus Kunststofffolien für Tropfkörper nach Vorklärung werden mit
einer Bewuchsfläche von a = 100–140 m2 m-3 geliefert. Wie gross ist die zulässige
Raumbelastung eines Tropfkörpers mit Nitrifikation, wenn ein Füllmaterial mit einer Be-
wuchsfläche a = 100 m2 m-3 gewählt wird?
Nach Tabelle 20.12 beträgt die zulässige Flächenbelastung BA = 2 g BSB5 m-2 d-1. Dar-
aus berechnet sich die zulässige Volumenbelastung zu:
BR = BA ˜ a = 2 g BSB5 m-2 d-1 ˜ 100 m2 m-3 = 200 g BSB5 m-3 d-1
Die zulässige Raumbelastung bei einer spezifischen Oberfläche von a = 100 m2 m-3
entspricht derjenigen eines brockengefüllten Tropfkörpers. Bei einem mittleren Durch-
20.5 Tropfkörperverfahren 367

Konzentration

BSB5
Tropfkörper

NH4+

NO3-

Abb. 20.21. Konzentrationsprofile über die Tiefe eines nitrifizierenden Tropfkörpers. Deutlich
wird die örtliche Trennung der Nitrifikation vom Abbau der organischen Stoffe

messer der Brocken von 6 cm hat die Brockenfüllung eine Oberfläche von 80–100 m2
m-3.

In nitrifizierenden Tropfkörpern zeigt sich, dass die leichtabbaubaren organischen


Stoffe bevorzugt im oberen Teil des Tropfkörpers abgebaut werden, während die
Nitrifikation im unteren Teil des Tropfkörpers dominiert (Abb. 20.21). Das er-
klärt, wieso nitrifizierende Tropfkörper nur mit halber Belastung und entsprechend
doppeltem Volumen dimensioniert werden. Das Arbeitsblatt DWA A281 schlägt
vor, die beiden Teile des Tropfkörpers getrennt zu dimensionieren, je mit einer
Raum- resp. Flächenbelastung für BSB5 für den oberen Teil und analog für TKN
für den nitrifizierenden Teil. Der Vorschlag geht von den folgenden Werten aus
(10–12°C):
Abbau von BSB5 (20.24)
Q ˜ BSB5 Q ˜ BSB5
BR ,BSB d 0.4 kg BSB5 m3TK d 1 BA,BSB d 4 g BSB5 m 2 d 1
VTK,BSB a ˜ VTK,BSB

Nitrifikation (20.25)
Q ˜ TKN zu Q ˜ TKN zu
BR ,Nit d 0.1 kg TKN m3TK d 1 BA,Nit d 1 g TKN m 2 d 1
VTK,Nit a ˜ VTK,Nit

Beispiel 20.39: Dimensionierung eines nitrifizierenden Tropfkörpers nach DWA A281


Wie gross wird das Volumen eines Tropfkörpers, der mit Steinbrocken gefüllt ist und
das vorgeklärte Abwasser einer ländlichen Gemeinde mit 2500 Einwohnern nitrifizieren
kann?
Zufluss Q = 600 m3 d-1 mit 160 g BSB5 m-3 und 40 g TKN m-3.
VTK,BSB = Q˜BSB5/BR,BSB = 600˜0.160/0.4 = 240 m3
VTK,Nit = Q˜TKNzu/BR,Nit = 600˜0.040/0.1 = 240 m3
VTK,tot = 480 m3
368 20 Biologische Abwasserreinigung

Das entspricht dem Volumen, das in Beispiel 20.37 berechnet wurde.

Tropfkörper können auch als denitrifizierende Reaktoren gestaltet werden: Wird


der Zutritt von Frischluft z.B. durch Einstau des Ablaufs und Abdeckung verhin-
dert, so stellen sich anoxische Zustände ein. Das nitrifizierte Abwasser, z.B. aus
einem nachgeschalteten, nitrifizierenden Tropfkörper, muss dann zum Zulauf des
denitrifizierenden Tropfkörpers geleitet werden, wo es zusammen mit dem vorge-
klärten Abwasser denitrifiziert werden kann. Analog zur Denitrifikation in Bele-
bungsanlagen kommen auch hier organische Stoffe (im Ablauf Vorklärung), Nitrat
(im Rücklauf aus der Nitrifikation), Biomasse (auf den Bewuchsflächen) und feh-
lender Sauerstoff (kein Luftzutritt) zusammen, sodass eine Denitrifikation resul-
tiert.

20.5.2 Phosphorelimination in Tropfkörperverfahren


Die chemische Phosphatfällung kann auf einfache Art auch in die Tropfkörperver-
fahren integriert werden:
– Im Vorfällungsverfahren werden die Fällmittel dem Zulauf zur Vorklärung
zudosiert (Abb. 20.16). Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass die Fällungs-
produkte in der Vorklärung abgetrennt werden und dass die induzierten Flo-
ckungsprozesse die Reinigungsleistung der Vorreinigung verbessern und da-
durch den Tropfkörper insbesondere von organischen Stoffen (BSB5)
entlasten. Dafür erhöht sich der Anfall von Klärschlamm.
– Analog zum Simultanfällungsverfahren können die Fällmittel der biologischen
Stufe zugeführt werden. Damit die Fällungsprodukte den Tropfkörper nicht be-
lasten, sollten die Fällmittel erst dem Ablauf des Tropfkörpers zudosiert wer-
den. Die Fällungsprodukte werden dann im Nachklärbecken abgetrennt.
Der Bedarf an Fällmittel und die Schlammproduktion sind gleich wie im Be-
lebtschlammverfahren (s. dazu Tabelle 20.10 und Gl. (20.21)).

20.5.3 Nachklärung
In der Nachklärung von Tropfkörpern muss nur der produzierte Schlamm abge-
trennt werden und nicht wie im Belebungsverfahren Belebtschlamm, der ca. 50
Mal rezirkuliert wird. Das Arbeitsblatt DWA A281 schlägt vor, die Nachklärung
für die maximale hydraulische Belastung (meist bei Regenwetter, inkl. interner
Rezikulationen, die über die Nachklärung geleitet werden) auszulegen. Richtwerte
sind eine minimale hydraulische Aufenthaltszeit VNK / Q t 2.5 h und eine hydrau-
lische Oberflächenbelastung von ANK/Q = vO d 0.8 m h-1 ohne Flockung / Fällung
resp. vO d 1.0 m h-1 mit Flockung auszugehen.
An Stelle von Nachklärbecken kommen auch Apparate zum Einsatz wie Mik-
rosiebe oder rotierende Filtertrommeln, die z.B. mit Textilien bespannt sind und
eine entsprechende Abtrennung bei viel kleinerem Bauvolumen erlauben (Abschn.
21.1.2, Seite 378).
Die Produktion von Schlamm (z.B. in kg TSS kg-1 BSB5) entspricht derjenigen
eines gleich leistungsfähigen Belebtschlammverfahrens.
20.6 Tauchkörperverfahren 369

Rotierende Tauchkörper
mit Bewuchsflächen

Vorklärung Nachklärung
Zulauf
Ablauf

Schlammrückführung
Schlammabzug

Abb. 20.22. Typisches Abwasserreinigungsverfahren mit Tauchkörpern

20.6 Tauchkörperverfahren
Rotierende Tauchkörper sind sehr ähnlich den Tropfkörpern, sie bieten Bewuchs-
flächen in einem rotierenden Apparat an, der abwechslungsweise den Biofilm ins
Abwasser eintaucht und an die Luft bringt.
Die ersten Tauchkörperverfahren bestanden aus einer Reihe von kreisförmigen
Scheiben, auf denen die Biomasse in Form eines Biofilmes festsitzt. Die Scheiben
werden auf einer Achse gedreht, sodass der untere Teil dieser Scheiben in eine
Wanne mit dem zu reinigenden Abwasser eintaucht und mit den Schmutzstoffen
in Kontakt kommt. Im oberen Teil ist der Biofilm der Luft ausgesetzt und kann
Sauerstoff aufnehmen. Diese häufig in Form von Kompakt- oder Fertiganlagen
industriell hergestellten Apparate trugen noch den Namen Scheiben-Tropfkörper
oder Tauchtropfkörper oder kurz TTK. Heute kommen an Stelle der flachen
Scheiben unterschiedliche Trägermaterialien zur Anwendung, sodass man häufi-
ger von Tauchkörperverfahren spricht. In Englisch werden diese Verfahren als
Rotating Biological Contactors oder kurz RBC bezeichnet.
In Abb. 20.22 ist ein typisches Tauchkörperverfahren dargestellt. Der Zulauf
wird über eine Vorklärung und anschliessend in einen mehrstufigen Tauchkörper-
reaktor geleitet. Im nachgeschalteten Nachklärbecken werden die abgeschwemm-
ten Feststoffe durch Sedimentation abgetrennt und zusammen mit dem Primär-
schlamm im Vorklärbecken eingedickt.
Tauchkörper werden mit Durchmessern von über 3 m hergestellt und tragen
bis zu 10’000 m2 Bewuchsfläche pro Walze. Da in einer kommunalen Kläranlage
bis zu > 10 m2 pro Einwohner Bewuchsfläche erforderlich sind, ist das Verfahren
eher für kleinere Anlagen geeignet.
Tauchkörper werden auf der Basis einer Flächenbelastung BA dimensioniert:
Q ˜ BSB5
BA (20.26)
A TK
370 20 Biologische Abwasserreinigung

BA = Flächenbelastung der Bewuchsfläche eines Tauchkörpers


[gBSB5m-2d-1]
Q = Zuflusswassermenge [m3 d-1]
BSB5 = BSB5 - Konzentration im Zufluss [g BSB5 m-3]
ATK = Bewuchsfläche des Tauchkörpers [m2]
Die erforderliche Bewuchsfläche wird meist auf mehrere Walzen verteilt, die
in abgetrennten Wannen rotieren. Die zulässige Flächenbelastung ist abhängig
vom Reinigungsziel und der Gestaltung des Reaktors. Beispiele für typische Di-
mensionierungswerte für kommunales Abwasser können der Tabelle 20.13 ent-
nommen werden.

Tabelle 20.13. Dimensionierungsrichtwerte für rotierende Tauchkörper nach Vorklärung (Ar-


beitsblatt DWA A281, adaptiert auf häusliches Abwasser)
-2 -1
Ziel der Reinigung Flächenbelastung BA [gBSB5 m d ]
-3
Reinigung ohne Nitrifikation (im 24 h Mittel < 20 gBSB5 m im Ablauf)
Mindestens 2 Walzen in Serie 8
Mindestens 3 Walzen in Serie 10
Reinigung mit Nitrifikation
Mindestens 3 Walzen in Serie 4
Mindestens 4 Walzen in Serie 5
Die Schlammproduktion kann analog zur Schlammproduktion in Belebungsanlagen mit
gleicher Leistung berechnet werden.

Tauchkörper können wie Tropfkörper als nitrifizierende Reinigungsstufen hinter


bestehende Anlagen gebaut werden, die nicht nitrifizieren. Für die Denitrifikation
kommen Tauchkörper nur sehr beschränkt zum Einsatz (z.B. im Einstaubetrieb,
sodass der Bewuchs nicht mit Luft in Kontakt kommt).
Analog zu nitrifizierenden Tropfkörpern schlägt das Arbeitsblatts A281 auch
für Tauchkörper eine getrennte Bemessung für den Abbau von BSB5 einerseits
und die Nitrifikation andererseits vor. Die vorgeschlagene Leistung für Scheiben-
tauchkörper beträgt:
Für 3-stufige Kaskaden: BA,BSB < 8 g m-2 d-1 und
BA,TKN < 1.6 g m-2 d-1
Für 4-stufige Kaskaden: BA,BSB < 10 g m-2 d-1 und
BA,TKN < 2 g m-2 d-1.
Sowohl die chemische Phosphorelimination als auch die Nachklärung werden
analog zum Tropfkörperverfahren gestaltet (s. dazu Abschn. 20.5.2 und 20.5.3).

Beispiel 20.40. Dimensionierung eines Tauchkörpers


Wie gross wird ein Tauchkörper, der das vorgeklärte Abwasser einer ländlichen Ge-
meinde mit 2500 Einwohnern nitrifizieren kann (s.a. Beispiel 20.37)?
Zufluss Q = 600 m3 d-1 mit 160 gBSB5 m-3
Die Belastung der Anlage beträgt: BBSB5 = Q · BSB5 = 96 kgBSB5 d-1.
20.7 Neuere biologische Verfahren 371

Die zulässige Flächenbelastung BA für nitrifizierende Anlagen beträgt je nach Gestal-


tung der Anlage (3 oder 4 Walzen) 4 y 5 gBSB5 m-2 d-1 (Tabelle 20.13). Daraus ergibt
sich die erforderliche Bewuchsfläche ATK zu:
ATK = BBSB5 / BA = 19’200 y 24’000 m2.
Der Lieferant von Tauchkörpern bietet Walzen mit 5000, 7500 und 10000 m2 Bewuchs-
fläche an.
Es ergibt sich nun ein Optimierungsproblem, sollen 4 Walzen mit 5000 m2 mit gerade
genügender Leistung oder 3 Walzen mit 10000 m2 aber einigen Leistungsreserven ein-
gebaut werden? Zu berücksichtigen sind nicht nur die Lieferung der Apparate, sondern
auch die baulichen Aufwendungen.
Pro 100 m2 Bewuchsfläche sind 0.5–1 m3 nutzbares Wannenvolumen erforderlich (je
nach Produkt). Dabei ist nur die Hälfte der Bewuchsflächen ins Abwasser eingetaucht.
Das erforderliche nutzbare Wannenvolumen wäre für diese Anlage also nur ca.
VTK = 200 m3 gross.

Beispiel 20.41: Bemessung eines Scheibentauchkörpers nach DWA A281


Wie gross wird die erforderliche Bewuchsfläche eines Scheibentauchkörpers, der das
vorgeklärte Abwasser einer ländlichen Gemeinde mit 2500 Einwohnern nitrifizieren
kann?
Zufluss Q = 600 m3 d-1 mit 160 g BSB5 m-3 und 40 g TKN m-3.
Es wird eine 4 stufige Kaskade gewählt.
ATK,BSB = Q˜BSB5/BA,BSB = 600˜160/10 = 9600 m2
VTK,Nit = Q˜TKNzu/BR,Nit = 600˜40/2 = 12’000 m2
VTK,tot = 21’600 m2
Das entspricht ca. der berechneten Oberfläche in Beispiel 20.40.

20.7 Neuere biologische Verfahren


Immer häufiger müssen bereits bestehende Abwasserreinigungsanlagen erneuert
oder erweitert werden; oft besteht in solchen Situationen Platzmangel, weil seit
dem ersten Ausbau der Anlage die Siedlung gewachsen ist. Neuere Verfahren ver-
suchen daher mit deutlich weniger Bodenfläche (foot print) auszukommen.

20.7.1 Biofiltration
V.a. die grossen französischen Wassergesellschaften haben Ende des 20. Jh. so-
gen. Biofilterverfahren entwickelt, die heute bereits in grösserer Zahl zuverlässig
Abwasser reinigen. Die Möglichkeiten zur Elimination von TSS, CSB und Stick-
stoff sind dabei dem Belebtschlammverfahren ebenbürtig, wobei die erforderli-
chen Bauwerke deutlich kleiner sind.
Ein Beispiel eines solchen Verfahrens ist in Abb. 20.23 dargestellt. Der Biofilter
wird von unten nach oben durchflossen. Das Filtermaterial besteht aus leichtem
Styropor Material mit 3 – 5 mm Durchmesser und schwimmt gegen den obenlie-
genden Filterboden auf. Auf diesem Filtermaterial siedeln sich Mikroorganismen
an, gleichzeitig wirkt dieses Material als Raumfilter analog einem gewöhnlichen
Schnellfilter (Absch. 9.3 und 21.1.1). Im Betrieb wird Luft ins Filterbett eingebla-
372 20 Biologische Abwasserreinigung

Verteilung Zufluss
Rezirkulation
Ablauf
gereinigtes Abwasser
Rückspülen mit
gereinigtem Abwasser
Betriebsluft

Rückspülluft
Zufluss

Luft

Abb. 20.23: Oben: Verfahrensschema eines


typischen aufwärtsdurchströmten Biofilters
(Biostyr™, Veolia Water). Links: Bild des
Biostyr™ Füllmaterials, ca. natürliche Grös-
se

sen, das versorgt die Mikroorganismen mit Sauerstoff und erlaubt z.B. die Nitrifi-
kation. Wird der Ablauf, der nun Nitrat enthält mit dem vorgeklärten Zulauf ver-
mischt, so kann im unteren, nicht belüfteten Teil des Filterbetts eine Denitrifikati-
on stattfinden: Nährstoffe und Nitrat stammen aus dem Zufluss, Sauerstoff wird
nicht nachgeliefert und die Mikroorganismen sitzen auf dem Filtermaterial.
Der „Überschussschlamm“ akkumuliert im Filterbett, damit nimmt der Ener-
gieverlust laufend zu. Der Biofilter muss analog zu einem Schnellfilter regelmäs-
sig gespült werden. Dazu wird das Wasserniveau abgesenkt und das Filterbett mit
Spülluft gereinigt, sodass anschliessend die zurückgehaltenen Feststoffe ausgewa-
schen werden können.
Richtig gestaltet sind solche Biofilter heute dem Belebungsverfahren ebenbür-
tig, die Bauwerke sind kleiner aber die Investitionen eher grösser. Die Verfahren
werden zusammen mit dem Lieferanten der Ausrüstung, basierend auf spezifi-
schem „know how“ dimensioniert und gestaltet.

20.7.2 Membran Bioreaktoren (MBR)


Wie in der Trinkwasseraufbereitung kommen auch in der Abwasserreinigung im-
mer mehr Membranen zur Anwendung. Sie ersetzen das Nachklärbecken in Bele-
bungsanlagen und ermöglichen eine hohe Belebtschlammkonzentration. Die er-
forderlichen Bauwerke werden entsprechend klein, der Energiebedarf nimmt zu.
In Abb. 20.24 ist ein Verfahren mit eingetauchten Membranen dargestellt. Dabei
kommen Plattenmembranen oder Bündel von Hohlfasermembranen (Durchmesser
aussen 0.5–2 mm) zur Anwendung, die durch die aufsteigenden Luftblasen immer
20.7 Neuere biologische Verfahren 373

Zufluss Belüftung Membranmodul Rückspülung

Ablauf / Permeat

Überschussschlamm

Rezirkulation Membranmodul: Platten oder Hohlfasern

Abb. 20.24: Verfahrensschema eines Membranbioreaktors mit eingetauchten Membranen

Zufluss Belüftung Rückspülung

Ablauf / Permeat

Überschussschlamm
Konzentrat
Rezirkulation
Cross Flow Membranmodul: Platten oder Röhren

Abb. 20.25: Verfahrensschema eines Membranbioreaktors mit externen ‚Cross Flow’ Membra-
nen

Druckdifferenz in mWs

1000 Umkehr-
osmose Bereich für MBR Anlagen

Nano-
100
filtration
Ultra-
10 filtration
Mikrofiltration

Desinfektion Sandfiltration
1 Abb. 20.26: Transmembrandruck
0.0001 0.001 0.01 0.1 1 10 100 und Porengrösse von unterschied-
Porengrösse in Pm lichen Membranen

wieder gereinigt werden. Der Luftbedarf für die Reinigung der Membran reicht in
der Regel aus um genügend Sauerstoff für den Abbau der Schmutzstoffe und die
Nitrifikation nachzuliefern.
In Abb. 20.25 ist ein Verfahren mit aussenliegenden, sogen. „Cross Flow“
Membranen dargestellt. Hier wird die dauernde Reinigung der Membranen er-
reicht, indem das Konzentrat mit erhöhter Geschwindigkeit über die Membranen
fliesst und eine Scherströmung erzeugt, die die abgeschiedenen Feststoffe weg-
erodiert.
374 20 Biologische Abwasserreinigung

Die Membranen haben die Neigung zu verstopfen und müssen regelmässig


rückgepült werden. Dazu gibt es unterschiedliche Programme, die der Lieferant
der Membranen vorschreibt. Z.B. alle 10 min während 30 sec. mit Permeat rück-
spülen und alle 2 Wochen während mindestens 30 min chemisch behandeln. Zu-
dem ist gelegentlich eine intensive chemische Behandlung erforderlich, die mehre-
re Stunden dauern kann.
Da die Membranen eng gepackt werden, besteht die Gefahr der Verstopfung
durch grobe Feststoffe. Eine intensive Vorreinigung des Abwassers mit grosser
Vorklärung oder Sieben mit Öffnungen im Bereich von 0.5–3 mm sollen helfen,
das zu vermeiden.
In Abb. 20.26 ist die Porengrösse und der erforderliche Transmembrandruck
für die unterschiedlichen Membranen dargestellt. In der Abwasserreinigung wir
mit rel. geringen Druckdifferenzen gearbeitet, grosse Differenzen brauchen viel
Energie und gefährden allenfalls die Biomasse durch hohe Scherkräfte in den
Pumpen. Mit der eingesetzten Mikro- resp. Ultrafiltration werden wohl viele Mik-
roorganismen zurückgehalten, es entsteht aber kein „desinfiziertes“ Wasser.
Da die Abtrennung des Belebtschlamms nicht von dessen Sedimentations-
eigenschaften abhängig ist, können Membrananlagen mit hoher Schlammkon-
zentration und damit auch hohem Schlammalter betrieben werden. Die Reini-
gungsleistung ist konventionellen Anlagen insbesondere in Bezug auf Kolloide,
Partikel und Hygiene deutlich überlegen.
Sowohl der Energiebedarf als auch die Investitionskosten sind heute für
Membrananlagen noch höher als für konventionelle Anlagen, hingegen werden die
Bauwerke klein und der Landbedarf ist entsprechend gering.
Experten rechnen damit, dass in Zukunft Membrananlagen eine wichtige Rolle
in der Abwasserreinigung spielen werden. Die Entwicklung von neuen Membra-
nen, mit immer grösserer Lebenserwartung und besseren Eigenschaften ist rasant.

Beispiel 20.42: Belebtschlammkonzentration in Membranbioreaktoren


In einem Membranbioreaktor wird das gereinigte Abwasser über die Membran, ohne
Feststoffe abgezogen. Liegen die Membranen innerhalb des Belebungsbeckens (einge-
taucht) oder wird das Konzentrat in den letzten Reaktor zurückgeführt, so resultiert das
in einer Zunahme der Konzentration der Biomasse.
Annahme: Einer Anlage mit eingetauchten Membranen wird soviel Überschussschlamm
entzogen, dass die Belebtschlammkonzentration im letzten, nitrifizierenden Reaktor
gerade XN = 10 kg TSS m-3 beträgt. Um eine gute Denitrifikation zu erreichen wird das
Abwasser 3 Mal aus der Nitrifikation in die Denitrifikation rezirkuliert.
Wie gross ist die Belebtschlammkonzentration XD im Denitrifikationsreaktor?
Eine einfache Schlammbilanz um den Denitrifikationsreaktor im stationären Zustand hat
die Form:
R · XN + Q · Xzu = (Q + R) · XN daraus folgt mit Xzu = 0 sowie R/Q = 3
XD = 7.5 kgTSS m-3
Der Gradient der Belebtschlammkonzentration entlang des Reaktors ist gross.
21 Physikalische Reinigungsverfahren

Es gibt eine ganze Reihe von Abwasserreinigungsverfahren, die v.a. auf physikali-
schen Prozessen beruhen, häufig ergänzt durch chemische Prozesse: man spricht
von physikalisch-chemischer Abwasserreinigung. Viele dieser Verfahren kommen
z.B. in der Industrieabwasserreinigung zur Anwendung. Hier werden nur diejeni-
gen Verfahren vorgestellt, die in der kommunalen Abwasserreinigung eine Rolle
spielen.

21.1 Filtration
Filtration ist ein Verfahren zur Abtrennung von suspendierten Stoffen aus einem
Abwasser. In der Raumfiltration wird das Abwasser durch ein grobkörniges Sand-
bett geleitet, dabei werden die suspendierten Stoffe verteilt über den Raum dieses
Sandbetts durch verschiedene Mechanismen (Siebung, Anlagerung, Sedimentation
etc.) zurückgehalten. In der Flächenfiltration werden die Feststoffe hauptsächlich
an der Oberfläche des Filters zurückgehalten. Als Filtermaterialien dienen hier
dünne, feinkörnige Sandschichten, Textilien und Ähnliches. Typisch für die Filtra-
tion ist, dass durch die Akkumulation von Feststoffen im Filtermaterial der Ener-
gieverlust des durchfliessenden Abwassers zunimmt, und dass die Feststoffe, je
nach Bauart des Filters, diskontinuierlich oder kontinuierlich aus dem Filtermate-
rial rückgespült werden müssen.
In der Abwasserreinigung kommt die Filtration häufig als letzte Verfahrens-
stufe zur Anwendung. Es sollen die suspendierten Stoffe (TSS), die noch im Ab-
lauf z.B. eines Nachklärbeckens enthalten sind, auf geringste Restkonzentrationen
(< 5 g TSS m-3) reduziert werden. Eine weitere, häufige Anwendung ist die Elimi-
nation der Restkonzentration von Phosphor nach z.B. einer Simultanfällung.
Durch Zugabe von Fällungschemikalien können die restlichen gelösten Phosphate
in partikuläre Stoffe überführt und zusammen mit den partikulären Phosphaten im
Ablauf des Nachklärbeckens im Filter zurückgehalten werden. Mit dieser zweistu-
figen Fällung (Beispiel 20.35) können sehr geringe Restkonzentrationen von tota-
lem Phosphor erreicht werden (Ptot < 0.2 g P m-3, Tabelle 20.10).

21.1.1 Raumfiltration
Die Verfahren zur Filtration von Abwasser haben sich aus den Verfahren der
Trinkwasseraufbereitung heraus entwickelt und sind zu diesen konstruktiv sehr
ähnlich (s. Abschn. 9.3, Seite 136). In der Abwasserreinigung müssen grössere
Konzentrationen von Schwebestoffen zurückgehalten werden. Es resultieren dar-
aus kürzere Laufzeiten und oft werden gröbere Filtermedien, höhere Filter-
376 21 Physikalische Reinigungsverfahren

Filtration Rückspülung

Rohwasser Schlamm-
wasser

Filtrat Luft
Spülwasser

Abb. 21.1. Verfahrensschema einer typischen Raumfilteranlage mit diskontinuierlicher Rückspü-


lung. Der Filter wird meist in mehreren Einheiten parallel betrieben, sodass während des Rück-
spülens immer genügend Filterfläche im Betrieb steht. Wie in der Trinkwasseraufbereitung
kommen Mehrschichtfilter zur Anwendung, z.B. grobes Blähtongranulat über feinerem Quarz-
sand. Siehe auch Abb. 9.7, Seite 137

Schlamm- Filtrat-
wasser Ablauf

Sandbett,
abwärtsströmend

Rohwasserzulauf
Spülluft
aufwärtsströmend

Abb. 21.2. Verfahrensschema eines aufwärtsdurchflossenen Raumfilters mit kontinuierlicher


Spülung des Sandbetts im zentralen Rohr: Das Filterbett wandert von oben (sauber) nach unten
(beladen) und wird dann durch Luft und Wasser in der Mitte nach oben getragen und gewaschen

schichten und grössere zulässige Druckhöhen gewählt. In Abb. 21.1 und 21.2 sind
typische Verfahren zur Filtration von Abwasser dargestellt. In Tabelle 21.1 sind
Dimensionierungswerte für Raumfilter in der Abwasserreinigung zusammen-
gestellt.
Raumfilter sind teure Bauwerke, die zuverlässig eine gute Leistung erbringen
können: Im Ablauf von gut betriebenen Filtern befinden sich < 3 g TSS m-3 und
somit weitgehend nur noch gelöste Restverunreinigungen. Für die Rückspülung
kommt bereits filtriertes Abwasser zum Einsatz. Zudem wird mit Hilfe von Luft
die Turbulenz im Filterbett erhöht und dadurch der Filtersand besser gewaschen.
Der Anteil des Rückspülwassers beträgt 2–5% des zufliessenden Wassers, er wird
in die Abwasserreinigung zurückgeleitet.
21.1 Filtration 377

Tabelle 21.1. Typische Dimensionierungswerte für Raumfilter


Zulässige Druckhöhe 3–6 m Wassersäule
Filterschicht (z.B.) Blähton 2–4 mm 1.4 m Schichthöhe
Quarzsand 0.8–1.2 mm 0.5 m Schichthöhe
-1
Filtergeschwindigkeit(Qzu / Afilter) Trockenwetter < 12 m h
-1
Regenwetter < 24 m h
Filterlaufzeit bis zur Rückspülung ca. 24 h
Waschwasserbedarf < 5% des Filtrats
-2
Feststoffrückhalta) 2–4 kg TSS m
a)
Feststoffrückhalt = Masse von suspendierten Stoffen, die im Filterbett zurückgehalten wird,
bevor eine Rückspülung erforderlich wird, bezogen auf die verfügbare Querschnittsfläche
des Filters.

Beispiel 21.1. Raumfiltration für 50’000 Einwohner


Wie gross wird ein Raumfilter für die Filtration des biologisch gereinigten Abwassers
von 50’000 Einwohnern?
Q = 20’000 m3d-1 mit einer Trockenwetterspitze von QTW = 1200 m3h-1
Das Abwasser ab Nachklärbecken enthält noch TSSzu = 20 gTSSm-3
Im Ablauf des Filters befinden sich TSSab = 3 gTSSm-3
Die Filterschicht hat eine Höhe von HF = 1.5 m
Zulässige Filtergeschwindigkeit bei Trockenwetter vTW d 12 mh-1
Zulässiger Feststoffrückhalt bis zur Rückspülung Vmax = 3000 gTSS m-2
1. Wie gross wird die erforderliche Filterfläche AF?
Es gilt vF = QF / AF oder AF = QTW˜ / vTW = 1200 / 12 = 100 m2
Die Filter müssen rückgespült werden und stehen daher nicht immer zur Verfügung.
Daher muss die Filterfläche vergrössert werden. Hier könnten z.B. 6 Filterzellen mit je
20 m2 Filterfläche gebaut werden. Das ergibt 120 m2 Filterfläche, wovon immer 5 ˜
28 = 140 m2 verfügbar wären. Zusätzlich zum Abwasser muss auch das Rückspülwas-
ser wieder filtriert werden. Mit der Annahme, dass <5% Rückspülwasser erforderlich
sind genügen 120 m2 Filterfläche.
2. Wie oft müssen die Filter rückgespült werden?
Der Feststoffrückhalt pro Filterfläche ergibt sich zu: V = WF ˜QF ˜ (TSSzu-TSSab) / AF
WF entspricht der Zeit seit der letzten Rückspülung.
Vmax ˜ A F 3000 ˜ 120
Für V = Vmax wird Wmax 1.0 d
QF ˜ (TSS zu  TSS ab ) 21'000 ˜ (20  3)
Die Filterlaufzeit (inkl. 5% Rückspülwasser) beträgt also gerade etwa 24 h. Bei Regen
müssten die Filter häufiger rückgespült werden. Die erhöhte hydraulische Belastung
führt dann ev. zu einer geringeren mittleren Leistung.

Beispiel 21.2. TSS im Rückspülwasser


In einer Flockungsfilteranlage werden 3% des filtrierten Wassers für die Rückspülung
eingesetzt. Im Zulauf zum Filter beträgt die TSS Konzentration TSSzu = 20 g m-3, im
Ablauf noch 3 gTSS m-3.
Welche TSS Konzentration hat das Rückspülwasser?
Es gilt die Bilanz: QAbwasser ˜ WF ˜ (TSSzu - TSSab) = QRückspül ˜ WRückspül ˜ TSSRückspül
WF = Filterlaufzeit, WRückspül = Dauer der Rückspülung
378 21 Physikalische Reinigungsverfahren

Schlamm- Rotierende Filtertrommel


wasser

Zulauf

Filtrat

Abb. 21.3. Beispiel eines Flächenfilters: Eine rotierende Filtertrommel. Die Reinigung der Fil-
tertücher (z.B. Nadelfilz) wird eingeschaltet, wenn der Strömungswiderstand (Niveaudifferenz)
über das Tuch zu hoch wird

Mit QRückspül ˜ WRückspül / QAbwasser ˜ WF = 0.03 = 3% ergibt sich


TSSRückspül = (TSSzu - TSSab) / 0.03 = 570 gTSS m-3
das ist konzentrierter als das Abwasser im Zulauf zur Abwasserreinigungsanlage.
Wie gross ist die Beladung V des Filters nach 23.5 h, wenn die mittlere Filtergeschwin-
digkeit vF = 8 m h-1 beträgt?
V = vF ˜ (TSSzu - TSSab) ˜ WF = 8 ˜ (20 - 3) ˜ 24 = 3264 g mTSS-2
Dieser Wert liegt gerade bei der typischen Beladung, die zulässig ist, bis der Filter rück-
gespült werden muss.

21.1.2 Flächenfiltration
In kleinen Anlagen wird gelegentlich an Stelle der Raumfiltration die einfachere
und weniger leistungsfähige Flächenfiltration eingesetzt. Ein Beispiel eines sol-
chen Flächenfilters ist in Abb. 21.3 dargestellt: Auf einer rotierenden Filtertrom-
mel ist ein Textilfiltergewebe aufgezogen, in dem sich Partikel verfangen. Eine
Rückspülvorrichtung reinigt das Gewebe, sodass der Fliesswiderstand nicht zu
gross wird. Gelegentlich werden an Stelle der Filtergewebe Mikrosiebe eingesetzt.
Das sind Apparate, ähnlich den Tuchfiltern, die allerdings mit Metallgeweben mit
Porenöffnungen im Bereich von 16–60 Pm ausgerüstet sind (s.a. Abschn. 9.7, Sei-
te 141).

21.2 Flotation mit gelöster Luft


Flotation mit gelöster Luft (Dissolved Air Flotation, DAF) ist ein Verfahren zur
Abtrennung von suspendierten Stoffen aus Abwasser oder zum Eindicken von
Schlämmen (z.B. Belebtschlamm). Typischerweise wird Luft in einem Teilstrom
des Wassers (meist bereits gereinigtes Abwasser) unter erhöhtem Druck gelöst
(400–800 kPa, 3–7 atü). Wird der Druck dieses mit Gas angereicherten Wassers
entspannt, so entstehen kleine Gasblasen (20–150 Pm Durchmesser), die sich an
21.2 Flotation mit gelöster Luft 379

Schlammräumung

Schlammschaum
Flotat

Feststoffe
Zulauf Schlamm

Entspannungsventil Ablauf

Luft

Druckwasser

Abb. 21.4. Flotationsverfahren mit gelöster Luft. In einem Teilstrom des gereinigten Abwassers
wird unter Druck Luft angereichert, in der Flotationszelle wird dieses Wasser entspannt, von der
Oberfläche wird das konzentrierte Flotat weggetragen

die Schwebestoffe oder Schlammflocken anlagern und diese nach oben tragen.
Von der Oberfläche kann ein konzentrierter Schlammschaum abgetrennt werden.

Beispiel 21.3. Mineralwasserflasche


Eine geschlossene Mineralwasserflasche steht unter einem gewissen Überdruck von
Kohlendioxid CO2. Beim Öffnen der Flasche wird dieser Druck reduziert und das Mine-
ralwasser steht jetzt nur noch unter dem atmosphärischen Druck, es ist übersättigt und
aus dem gelösten CO2 entstehen kleine Gasblasen bis zum Schluss das Mineralwasser
nicht mehr mit Gas übersättigt ist.
Die Gasblasen in der Mineralwasserflasche sind um ein Vielfaches grösser als im Flota-
tionsverfahren, weil CO2 im Wasser um ein Vielfaches (> Faktor 30) löslicher ist als Luft
und daher die entstehenden Blasen schneller wachsen können.
Wenn wir die Mineralwasserflasche schütteln, so entstehen in kurzer Zeit sehr viele
Blasen. Das entspricht dem Energieeintrag im Entspannungsventil der Flotation, wo in
kürzester Zeit die ganze Luft in Form von kleinsten Gasblasen ausgeschieden wird.

Ein typisches Flotationsverfahren ist in Abb. 21.4 dargestellt. Dimensionierungs-


parameter für die Flotation sind z.B.:
– Die Feststoffoberflächenbelastung der Flotationszelle (meist massgebend für
die Eindickung von Schlämmen, 4–10 kgTSS m-2 h-1).
– Die hydraulische Oberflächenbelastung der Flotationszelle (meist massgebend
für die Reinigung von Abwasser, 3–8 m h-1)
– Das Verhältnis von gelöster Luft, die durch Entspannung des Druckes zu Luft-
blasen wird, zu den Feststoffen, die entfernt werden müssen (typischer Wert
im Bereich von 10–20 cm3 g-1TSS = 10–20 ˜ 10-6 m3 g-1TSS für Schlammeindi-
ckung, z.T. bis > 200·10-6 m3g-1TSS für die Abwasserreinigung).
380 21 Physikalische Reinigungsverfahren

– Der Anteil des Abwassers, in dem Luft gelöst wird und der Druck, unter dem
diese gelöst wird (Je nach Bedarf von gelöster Luft, 10–300%, 3–8 bar)). Etc.
Pro 100 kPa (1 bar) können ca. 0.02 Nm3Luft m-3Wasser (N für Normal) im Was-
ser gelöst werden. Die Löslichkeit nimmt proportional mit dem Druck zu, im Lö-
sungsreaktor kann aber nur ca. 50–80% des Gleichgewichtes, d.h. der theoretisch
möglichen Menge, erreicht werden.
Neben der Druckflotation kommt in der Industrie auch die Vakuumflotation
zum Einsatz. Hier wird das Wasser übersättigt, indem es unter Vakuum gesetzt
wird. Einige Verfahren benutzen auch die Elektrolyse: An Elektroden entstehen
Wasserstoff- H2 und Sauerstoffblasen O2 aus der Elektrolyse von Wasser H2O.

Beispiel 21.4. Druckflotation


Ein Abwasser enthält 200 g TSS m-3. Es sollen 15·10-6 Nm3Luft g-1TSS angeboten werden.
Aus dem Ablauf der Flotation wird ein Teilstrom unter einem Druck von 700 kPa (6 atü)
zu 75% mit Luft gesättigt.
Wieviel Luft wird pro m3Wasser nach der Entspannung freigesetzt?
Freigesetzte Luft = Gelöste Luft - Restliche Luft nach Entspannung (entsprechend dem
Restluftdruck von 1 at bei 100% Sättigung)
= 0.75˜(0.02Nm3Luftm-3Wasser/100kPa)˜700kPa-1.00˜(0.02Nm3m-3/100kPa)˜100kPa
= 0.105 - 0.02 = 0.085 Nm3Luftm-3Druckwasser
Wie gross ist der Luftbedarf für die Flotation?
Luftbedarf pro m3Abwasser = 200 gTSS m-3Abwasser ˜ 15·10-6 Nm3Luftg-1TSS
= 0.003 Nm3Luftm-3Abwasser.
Welcher Teil (QR = Rezirkulation) des gereinigten Abwassers (Q = Durchfluss) muss mit
Luft angereichert werden?
QR / Q = 0.003 Nm3Luftm-3Abwasser / 0.085 Nm3Luftm-3Druckwasser = 3.5%
In Wirklichkeit werden meist > 10% des Wassers rezirkuliert um die Abtrenn- und die
Eindickwirkung zu verbessern.
22 Umfeld und Kosten der Abwasserreinigung

Heute werden Kläranlagen kaum mehr vollständig neu gebaut, sondern es beste-
hen bereits ältere Anlagen und Bauwerke, deren Durchsatz erhöht werden oder
deren Leistung ergänzt werden muss. Im Vergleich zu früher kann daher von den
Erfahrungen mit den bestehenden Anlagen profitiert und das zu behandelnde Ab-
wasser viel besser charakterisiert werden.

22.1 Projektbearbeitung
Die folgenden Aufgaben müssen vor Beginn der eigentlichen Projektierung einer
Anlagenerweiterung oder -erneuerung bearbeitet werden. Dabei soll insbesondere
das Umfeld der Kläranlage abgesteckt werden (Abb. 22.1): Abwasseranfall, gerei-
nigtes Abwasser, Vorflut und Klärschlamm. Diese vier Bereiche können und sol-
len parallel bearbeitet werden. Sie bedingen, dass sowohl die politischen Behörden
(Strategische Planung der Siedlungsentwicklung) als auch die Aufsichtsbehörden
(Gewässerschutz) Stellung beziehen.
1. Es müssen die Wassermengen und Stofffrachten festgelegt werden, für die das
neue Verfahren ausgelegt werden soll:
– Abwassermenge bei Trockenwetter und Regenwetter sowie deren Tages-
gang, je mit statistischer Verteilung.
– Schmutzstofffrachten (CSB total und gelöst, BSB5, TSS, TKN total und
gelöst, NH4+-N, NO2- und NO3--N, P total und gelöst, Säurebindungsver-
mögen etc.) und Tagesganglinien je mit statistischer Verteilung.
– Ev. sind saisonale und Wochenganglinien zu erarbeiten.
– Eine Temperaturganglinie im Jahresverlauf, Extremwerte.
Häufig bedingt das Erarbeiten dieser Grundlagen die Auswertung von beste-
henden Messungen und meist umfangreiche zusätzliche Untersuchungen. Da-
bei ist darauf zu achten, dass historische Messungen, die für den Betrieb der
Anlage gemacht wurden, sich nur beschränkt als Basis für den Ausbau einer
Anlage eignen, die Millionen kosten wird. Bei Messwerten, die auf Kläranla-
gen routinemässig erhoben werden, müssen wir grundsätzlich annehmen, dass
diese durch systematischen Messabweichungen (Fehler) verfälscht sind.
2. Die Betriebserfahrungen mit der bestehenden Anlage sollen systematisch aus-
gewertet werden. Daraus ergeben sich wichtige Hinweise für die Gestaltung
des neuen Verfahrens.
3. Es sollen die Einleitbedingungen für das gereinigte Abwasser in die Vorflut
festgelegt werden. Dazu sind je nach Vorflut ev. umfangreiche Untersuch-
ungen erforderlich. Sinnvoll sind Unterscheidungen nach Trocken- und Regen-
382 22 Umfeld und Kosten der Abwasserreinigung

Emmissionen
Lärm
Geruch, ... Vorflut

Zulauf
ARA Ablauf Zustand,
Bestandesaufnahme: Wasserführung
Einleit- Niedrigwasser
Unterschiedliche Bauten, Apparate
Bedingungen
Belastungssituationen, Leistung, ...
Planung,
etc.
Klärschlamm
Unterbringung
Stapelung
Anforderungen
...
Abb. 22.1. Das Umfeld einer Abwasserreinigungsanlage

wetter sowie nach saisonalen Gegebenheiten (z.B. nach Abwassertemperatur


oder Jahreszeit). Jede Einleitbedingung soll in Form von statistischen Angaben
formuliert werden, absolute Anforderungen sind nicht dienlich.
4. Es sollen die Möglichkeiten zur Unterbringung, Nutzung oder Deponie des
Klärschlamms aufgezeigt werden. Damit können dann auch die Anforderungen
an den Klärschlamm ausformuliert werden: Erforderliche Stapelzeiten, hygie-
nische Anforderungen, Grad der Trocknung etc.
5. Es soll die Umgebung auf ihre Empfindlichkeit in Bezug auf Emissio-
nen / Immissionen überprüft werden: Lärm, Geruch, Verkehr, Lufthygiene.
6. Es soll eine Bestandsaufnahme der bestehenden Bauwerke, Maschinen etc.
gemacht werden, damit später entschieden werden kann, was erneuert werden
soll und was ev. abgebrochen werden muss.
7. Es sollen Überlegungen gemacht werden, ob ev. ein Zusammenschluss mit
einer anderen, nahegelegenen Anlage wirtschaftlicher ist als die Erweiterung
der bestehenden Anlage. Ev. können auch nur die Aufwendungen für die wei-
tergehende Schlammbehandlung zusammengelegt werden.
8. Diese Grundlagen müssen sowohl für den Ist-Zustand als auch für einen ge-
planten zukünftigen Sollzustand verfügbar sein. Die Planung muss dabei in
Übereinstimmung mit der Planung der Kommunen und der Wasserversor-
gungs- und Siedlungsentwässerungsanlagen und -systeme entwickelt werden.
Typische Planungshorizonte sind im Bereich von 15 – 25 Jahren.
Häufig wird diesem Umfeld der Anlage zu wenig Beachtung geschenkt und
anschliessend die Arbeit des Ingenieurs mehrfach wiederholt. Ein unstrukturiertes
Vorgehen deutet auch auf die Unsicherheit der beteiligten Instanzen (Politiker,
Verwaltung, Ingenieure) hin und sollte frühzeitig identifiziert werden. Unsicher-
heit führt häufig zu überhöhten Anforderungen, die sich ökologisch kaum recht-
fertigen lassen.
Nun kann die Ingenieurin in einem generellen Variantenstudium verschiedene
Verfahren untersuchen und aufzeigen, mit welchen Möglichkeiten die Ziele er-
reicht werden können. Daraus ergeben sich ev. Anpassungen der Zielvorstellung,
die mit allen Beteiligten bereinigt werden sollen.
22.2 Kosten der Abwasserreinigung 383

Die heute übliche Ausschreibung von Wettbewerben kann nur erfolgreich sein,
wenn der Erarbeitung der Grundlagen in hohes Gewicht zukommt und diese von
Fachkräften durchgeführt wird.

22.2 Kosten der Abwasserreinigung


Statistische Erhebungen des BUWAL (2003) zeigen, dass die Kosten der Abwas-
serreinigung in einem breiten Band variieren. Im Vergleich waren die Kosten in
Frankreich und Deutschland etwa gleich wie in der Schweiz. Die Angaben in
Tabelle 22.1 vermitteln nur eine Grössenordnung für die Kosten der Abwasserrei-
nigung, konkrete Werte können nur angegeben werden, wenn die Details des an-
gewandten Reinigungsverfahrens und der Schlammbehandlung bekannt sind.
Heute nehmen die Gebühren, die den Abwasserproduzenten verrechnet wer-
den, noch laufend zu. Viele Anlagen wurden ursprünglich mit Fördermitteln, Sub-
ventionen und Steuergeldern gebaut, um möglichst schnell einen hohen Standard
der Abwasserreinigung zu erreichen. Mit dem Übergang zu einer verursacherge-
rechten Finanzierung dürfen heute keine kommunalen Steuergelder mehr für die
Abwasserreinigung eingesetzt werden und Subventionen werden kaum mehr er-
teilt. Die nun einsetzende Erneuerung der bestehenden Anlagen und der Ausbau
auf einen modernen Standard verursachen bei einer betriebswirtschaftlichen Voll-
kostenrechnung ungewohnt hohe Gebühren.

Tabelle 22.1. Spezifische Kosten von Investitionen und Betrieb von Kläranlagen. Grobe Richt-
werte, die ein Bild der Grössenordnung vermitteln, aber nie als Entscheidungsunterlagen dienen
können. Die Entsorgung des Klärschlamms kann grosse zusätzliche Kosten verursachen (z.B.
kann Entwässerung, Trocknung und Verbrennung die Betriebskosten um Fr. 30 E-1 a-1 erhöhen
und die Investitionen nehmen entsprechend zu). Quelle BUWAL 2003
1000 100’000
Angeschlossene Einwohner Einw.
gering mittel hoch gering mittel hoch
Investitionen bei Neubau (ohne Land) 1000 2600 4400 400 700 1000 Fr E-1
Betriebskosten pro Einwohner 70 125 170 15 25 35 Fr a-1
Werterhaltung 40 80 140 15 30 40 Fr a-1
Jahreskosten pro Einwohnera) 110 205 310 30 55 75 Fr a-1
Angestellte 0.5 1 3 5 8 -
a)
Betrieb und Erneuerung in 33 a, keine Verzinsung
23 Kleinkläranlagen und alternative Konzepte

Kleinkläranlagen sind Abwasserreinigungsanlagen für abgelegene kleine Abwas-


serquellen (Einzelgebäude, Weiler, Dorffraktionen, …). Die Anforderungen an
ihre Leistung sind häufig geringer als für zentrale Anlagen, weil die Selbstreini-
gung einiges beitragen kann. Der Betrieb muss sehr einfach und zuverlässig sein.
In Frage kommen naturnahe Verfahren, die häufig spezifisch grosse Bauwerke
oder Flächen beanspruchen.
In vielen OECD Ländern sind heute über 75% der Einwohner an zentrale, meist
kommunale Abwasserreinigungsanlagen angeschlossen, die das Abwasser von
mindestens einigen hundert Einwohnern reinigen. Ein Teil der noch nicht ange-
schlossenen Einwohner wohnen abseits und es bieten sich keine wirtschaftlichen
Möglichkeiten an, deren Abwasser zu zentralen Kläranlagen zu leiten. Es werden
Einzelreinigungsanlagen oder Kleinkläranlagen erforderlich.
Kleinkläranlagen sollen die Möglichkeit bieten, auch für kleine Abwassermen-
gen eine zuverlässige und wirtschaftliche Abwasserreinigung zu gewährleisten.
Da hier eine regelmässige, tägliche Betriebsüberwachung durch geschultes Perso-
nal nicht gegeben ist, müssen die Verfahren so gestaltet werden, dass sie auch mit
kleinstem Wartungsaufwand eine zuverlässige Reinigungsleistung erbringen.
Heute steht eine Vielzahl von verschiedensten Verfahren zur Verfügung, die je
nach Situation zur Anwendung kommen. Die folgenden Beschreibungen sind Bei-
spiele, ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Wertung.

23.1 Anaerobe Reinigungsverfahren


Historisch von grosser Bedeutung sind die Abwasserfaulräume (Abb. 23.1), 3-
kammerige Behälter mit einem anaeroben Sediment. Der Bodenschlamm muss ca.
alle 6–24 Monate teilweise abgeführt werden, die Restschlammmenge dient dem
Animpfen. Die Aufenthaltszeiten des Abwassers in einem Abwasserfaulraum
betragen bis 10 d, d.h. dass 1.5–3 m3 Volumen pro Einwohner erforderlich sind. In
den USA ist dieses Verfahren in Form eines „Septic tanks“, eine 2-kammerige,
kleinere Variante heute noch sehr verbreitet. Hier beträgt die hydraulische Auf-
enthaltszeit 1–2 d, es resultiert v.a. eine Sedimentation.
Nachteile der anaeroben Abwasserreinigung sind der geringe Reinigungseffekt
und, dass das gereinigte Abwasser noch viele Abbauprodukte enthält (Schwefel-
wasserstoff H2S, organische Säuren), die die Gewässer belasten und zur Entwick-
lungen von unästhetischen flutenden, grauen Zotten von Bakterien in kleinen Ge-
wässern führen (Beggiatoa, Sphärotilus natans).
386 23 Kleinkläranlagen und alternative Konzepte

Zulauf Ablauf

Abb. 23.1. Darstellung eines


Abwasserfaulraums: Die
Zwischenwände vermindern
Sediment
Kurzschlussströmungen

Untergrundverrieselung
Faulraum Entlüftung

Versickerung

Bodenfilteranlage

Entlüftung Entlüftung

Sammelschacht

Abdichtung mit Geotextil zur Vorflut

Grundriss

zur Vorflut

Abdichtung mit Geotextil

Abb. 23.2. Beispiele von Reinigungsanlagen mit Bodenpassage. Oben: Untergrundverrieselung


mit Versickerung des Abwassers. Unten: Bodenfilteranlage mit Sammlung des gereinigten Ab-
wassers und Einleitung in eine Vorflut

In Abb. 23.1 ist ein typischer Abwasserfaulraum dargestellt. Abwasserfaul-


räume für Einzelhäuser können als Fertigbauteile im Handel bezogen werden.

23.2 Verfahren mit Bodenpassage


Der Bodenkörper bietet mit seinen grossen Oberflächen vielen Mikroorganismen
die Möglichkeit der Ansiedlung. Wenn nun vorbehandeltes Abwasser (z.B. aus
einem Abwasserfaulraum) durch einen Bodenkörper durchsickert, so bildet sich
eine sogen. Biokruste aus, die eine hochwirksame Reinigung ergibt, die bis zur
Abwasserteiche 387

Zulauf
Teich 1 Teich 3 Ablauf
Teich 2 zur Vorflut
Vorreinigung

Abb. 23.3. Schematische Darstellung von Abwasserteichen: Eine einfache Vorreinigung gefolgt
von einer Kette von drei flachen Teichen. Teiche werden häufig ins Gelände eingepasst

Nitrifikation und ev. teilweisen Denitrifikation reichen kann. Das gereinigte Ab-
wasser wird je nach Situation in den Untergrund versickert oder in Drainagerohren
wieder gesammelt und einem Bach zugeleitet. Typischerweise wird eine Filter-
schicht mit Sand mit einer Körnung von 0.5–3 mm und einer Schichthöhe von
0.5–1.0 m eingebaut (Abb. 23.2).
Bei geeigneter Gestaltung der Anlagen kann mit einer Lebenserwartung des
Bodenkörpers vor dem Verstopfen von bis zu 30 Jahren gerechnet werden. Wich-
tig ist eine schwallweise Beschickung, die die Erneuerung der Bodenluft unter-
stützt. Der Flächenbedarf von solchen Anlagen ist gross, je nach Bodenmaterial 5–
15 m2 pro Einwohner.

23.3 Abwasserteiche
Teiche können Sauerstoff durch ihre Oberfläche aufnehmen oder im Sommer kann
Sauerstoff durch Photosynthese freigesetzt werden. Dieser Sauerstoff kann für
eine einfache aerobe Abwasserreinigung genutzt werden.
In Abwasserteichen fliesst das Abwasser nach einer einfachen Vorreinigung
(z.B. ein Emscherbrunnen, s. Abschn. 19.3.3, Seite 312) verteilt über mehrere Ta-
ge durch eine Kette von 2–4 Teichen, dabei werden die organischen Stoffe abge-
baut und Partikel können aussedimentieren. Abbildung 23.3 zeigt schematisch
eine solche Anlage. Die Teiche sind ca. 1–1.5 m tief und haben eine totale Ober-
fläche von bis zu 10 m2 E-1. Damit ergibt sich eine hydraulische Aufenthaltszeit
bei Trockenwetter von über 30 d. Gelegentlich wird auch Meteorwasser über sol-
che Anlagen geleitet.
Abwasserteiche können auch bei höherer Belastung (2–3 m2 E-1) und mit Be-
lüftung betrieben werden, diese haben allerdings den Nachteil, dass sie Energie
brauchen. Gelegentlich werden auch beide Arten von Teichen miteinander kombi-
niert.

23.4 Pflanzenanlagen
Pflanzenanlagen werden in unterschiedlichen Varianten gebaut. Typisch wird das
Abwasser durch einen Boden geleitet, der mit Sumpfpflanzen besetzt ist
(Abb. 23.4). Im Bodenkörper und auf den Wurzeln können sich Mikroorganismen
ansiedeln, die das langsam vorbeiströmende Abwasser reinigen. Gleichzeitig wirkt
das Bodenmaterial als Filter und hält partikuläre Stoffe zurück, die anschliessend
mineralisiert werden. Je nach Bodenmaterial können solche Anlagen auch Phos-
phor zurückhalten, bis ihre Sorptionskpazität erschöpft ist.
388 23 Kleinkläranlagen und alternative Konzepte

Bepflanzung mit Sumpfpflanzen

Zufluss von Gereingter


Sandiger Boden Ablauf zu Vorflut
Vorreinigung
Abdichtung gegen gewachsenen Boden
4 – 10 m2 E-1

Abb. 23.4: Schematische Darstellung einer horizontaldurchströmten Pflanzenanlage

23.5 Varianten der konventionellen Verfahren


Es sind auch für Einzelhäuser eine Reihe von kleinen Reinigungsverfahren erhält-
lich, die den grossen, konventionellen Verfahren nachempfunden sind: Tropfkör-
per, Tauchkörper, Belebungsanlagen. Dabei kommen zunehmend Membranen als
letztes Klärelement zum Einsatz. Die Anlagen werden meist mit sehr geringer Be-
lastung betrieben und häufig als vorfabrizierte Fertiganlagen geliefert. Es müssen
Wartungsverträge mit dem Lieferanten abgeschlossen werden, die eine regelmäs-
sige Wartung der mechanischen Teile der Anlagen gewährleisten. Bei guter
Überwachung können diese Verfahren eine weitgehende Reinigung erbringen –
oft werden aber auch andere Erfahrungen gemacht.
Die meisten Kleinkläranlagensysteme auf dem Markt nutzen die Verfahren der
grossen zentralen Kläranlagen, allerdings mit einer Anpassung an die spezielle
Situation des geringen, unregelmässigen Abwasseranfalls.

23.6 Speicher, Trockenklosetts, etc.


Geschlossene Abwasserstapel, wassersparende Installationen, Trockenklosetts,
Komposttoiletten und viele andere Verfahren werden hier nicht diskutiert, in spe-
ziellen Situationen ist ihre Anwendung aber sicher gerechtfertigt. Einen breiten
Überblick gibt VSA (1995).

23.7 Wahl des Verfahrens


An die Reinigungsleistung von Kleinkläranlagen werden kaum die gleich strengen
Anforderungen gestellt wie an die grossen Anlagen. Im Vordergrund steht das
Vermeiden von lokalen Gewässerschutz-, Geruchs- und Hygieneproblemen sowie
der zuverlässige und einfache Betrieb. In der Schweiz lässt die Gewässerschutz-
verordnung (1998) unter bestimmten Bedingungen (z.B. für kleine Abwasserquel-
len) erleichterte Einleitbedingungen zu. Für kleine Abwasserquellen kann
Abb. 23.5 Hinweise auf das erforderliche Abwasserreinigungsverfahren geben.
Diese Darstellung berücksichtigt das Verdünnungsverhältnis des Abwassers mit
Bachwasser und den Gehalt des typischen kommunalen Abwassers an organischen
Stoffen BSB5, suspendierten Stoffen TSS und Ammonium NH4+. Bei anorgani-
Entsorgung des anfallenden Schlamms 389

Wirkungsgrad der Anlage für die


Elimination von organischen Stoffen
% 100
Schwachbelastete Belebungsanlage
80 Schwachbelastete Tropfkörper
Belebtschlammanlage
60

40 anaerobe Reinigung
chemische Reinigung
20 nur Sedimentation
Abb. 23.5. Erforderliche Abwas-
0 serreinigungstechnik in kleinen
1 10 100 Anlagen im Vergleich zum Ver-
Verdünnung des gereinigten Abwassers dünnungsverhältnis des Abwas-
(Flusswasser / Abwasser) sers in der Vorflut

schen Reinigungsverfahren muss zusätzlich die Produktion von Schwefelwasser-


stoff H2S beachtet werden.

23.8 Entsorgung des anfallenden Schlamms


Der Klärschlamm, der auch auf Kleinkläranlagen anfällt, kann ev. direkt in der
Landwirtschaft sinnvoll entsorgt werden. Das bedingt, dass er biologisch stabil ist
und mindestens 120–180 d gestapelt werden kann (s. dazu Abschn. 25.4, Seite
412). Häufig wird der Schlamm auch in eine nahegelegene, zentrale Abwasserrei-
nigungsanlage zur weiteren Behandlung gebracht.

23.9 Dezentrale Entsorgungskonzepte


Während Kleinkläranlagen typische ‚End of Pipe’ Lösungen sind, werden heute
zunehmend neue, integrierte Entsorgungskonzepte für Siedlungen entworfen. Mit
einer konsequenten Auftrennung des Abwassers an der Quelle (wir unterscheiden
Grauwasser aus Küche und Bad, Schwarzwasser aus der Toilette und Meteorwa-
ser) können anschliessend optimierte Entsorgungs- und Nutzungsmöglichkeiten
für die einzelnen Teilströme entworfen werden. Immer häufiger führen solche
Konzepte zu dezentralen, kleinräumigen Systemen, in denen die Benutzer und
Eigentümer Eigenverantwortung übernehmen.
Ein Beispiel eines solchen Konzepts ist in Abb. 23.6 dargestellt. Dieses Kon-
zept ist von der Fa. Otterwasser für das Quartier Flintenbreite in Lübeck entwor-
fen und realisiert worden. Das Schwarzwasser wird zusammen mit den organi-
schen Küchenabfällen mit Hilfe eines Vakuumsystems gesammelt und in einer
gemeinsamen Biogasanlage vergärt. Als Produkte entstehen nutzbares Biogas (ein
Gasmotor produziert elektrische Energie und gibt Abwärme als Heizenergie ab)
und ein organischer, nährstoffreicher Dünger, der in der Landwirtschaft genutzt
wird. Das Grauwasser wird ohne Fremdenergie in einem Bodenfilter gereinigt und
einer Vorflut zugeführt. Das Meteorwasser kann gesammelt und genutzt resp. in
390 23 Kleinkläranlagen und alternative Konzepte

Meteorwasser
Nutzung von
Biogas im
Bockheizkraftwerk
Dachwasser Nutzung
Vakuum WC oder Versickerung
org. Küchenabfälle
Küche
Biogas- Bad
Zentrale Waschen zur Vorflut
anlage
Vakuum
Anlage
organische Stoffe und Grauwasserreinigung
Nährstoffe zur im Bodenkörper
landwirtschaftlichen Nutzung ohne Fremdenergie

Abb. 23.6: Schematische Darstellung eines integrierten Entsorgungskonzeptes: Anaerobe


Schwarzwasser Behandlung mit Nutzung des Biogases, separate Behandlung des Grauwassers in
einer Bodenfilteranlage und getrennte Versickerung (resp. Nutzung) des unbelasteten Meteor-
wassers (adaptiert von www.otterwasser.de)

Fäkalschlammentsorgung Vorflut
Gebäude
Dosier- Bodenfilter Kontroll-
schacht schacht Schönungsteich
Einleitung

Abwasser-
faulraum
Versickerung
Bewässerung

zur Filtration, Desinfektion, Brauchwassernutzung


von Wasserversorgung

Abb. 23.7: Beispiel einer dezentralen Lösungskonzepts (adaptiert von www.bit-bau.com)

den Untergrund versickert werden. Gesamthaft ergibt sich das Bild eines ganzheit-
lich entworfenen Systems.
Urin enthält einen grossen Teil der Nährstoffe im häuslichen Abwasser: Über
75% des Stickstoffs und über 50% des Phosphors. Heute wird eine Reihe von Sa-
nitärsystemen entworfen, die den Urin direkt an der Quelle abtrennt (Trenn- oder
NoMix WC) und einer separaten Behandlung zuführen. Solche Systeme haben,
sofern sie technisch ausgereift sind, viele Vorteile und eignen sich auch für kleine
Einzugsgebiete. Sie bringen eine grosse Reduktion der Belastung der Gewässer
mit Nährstoffen und einer Reihe von Chemikalien, die im Urin enthalten sind
(Hormone, Arzneimittel) und vereinfachen die erforderliche Abwasserreinigung.
Heute werden auf dem Markt ganze Entsorgungskonzepte angeboten, die auch
die teilweise Nutzung des gereinigten Abwassers miteinschliessen, ein Beispiel ist
in Abb. 23.7 dargestellt. Das Brauchwasser hat hier allerdings nur einen engen
Einsatzbereich (Toilette) und die Wirtschaftlichkeit von solchen Systemen ist nur
in Ausnahmefällen gegeben.
24 Entsorgung von Klärschlamm

Der Klärschlamm ist ein Spiegel unserer Aktivitäten. Wir finden darin sowohl die
harmlosen als auch die bedenklichen Stoffe wieder, die in der Abwasserreinigung
dem Abwasser entzogen wurden: Biomasse, Nährstoffe, Schwermetalle, natur-
fremde organische Verbindungen, hygienisch bedenkliche Keime, etc. Die Aufga-
be der Schlammbehandlung ist, diese Schlämme in einen Zustand zu bringen, in
dem entweder die Inhaltsstoffe in der Landwirtschaft genutzt oder die Reststoffe in
einer Deponie endgelagert werden können. Dazu steht uns heute ein breites Spekt-
rum von mechanischen, physikalischen, biologischen und thermischen Verfahren
zur Verfügung.

24.1 Ziel und Aufgabe der Schlammbehandlung


Die Schlammbehandlung soll den Klärschlamm soweit aufbereiten, dass er land-
wirtschaftlich genutzt oder in einer Deponie endgelagert werden kann. Dabei soll
die Qualität des Produkts in jedem Fall für die Umwelt bedenkenlos sein. Dass
diese Qualität erreicht wird, ist auch eine Aufgabe, die wir mit Massnahmen an
der Quelle, d.h. beim Produzenten des Abwassers, angehen müssen.
Die Schmutzstoffe, die wir im Klärschlamm finden, gelangen auch über die
Mischwasserentlastungen, aus undichten Kanälen, aus nicht angeschlossenen Ab-
wasserquellen und als Restverunreinigung im Ablauf der Abwasserreinigungs-
anlagen in die Umwelt (Abb. 24.1). Mit der Überwachung der Qualität des Klär-
schlamms überwachen wir also auch die Belastung der Umwelt aus vielen anderen
Schmutzstoffquellen. Die Qualität des Klärschlamms muss deshalb strengen An-
forderungen genügen, unabhängig davon, wie wir den Klärschlamm entsorgen
wollen. Das Ziel, einen Klärschlamm zu produzieren, der bedenkenlos in der
Landwirtschaft genutzt werden könnte, bedingt umfangreiche Massnahmen an der
Quelle (d.h. bei den Abwasserproduzenten): Bedenkliche Stoffe sollen gar nicht
erst in die Kanalisation gelangen.
Seit ca. 1980 wird die Qualität des Klärschlamms intensiv überwacht, wobei
insbesondere die Schwermetalle beachtet werden. Mit gezielten Massnahmen in
Industrie- und Gewerbebetrieben ist es gelungen, den Schwermetallgehalt des
Klärschlamms stark zu reduzieren. Abbildung 24.2 zeigt diesen Trend anhand der
Resultate einer Grossstadt (s.a. Tabelle 4.2, Seite 68). Cadmium hatte seine über-
wiegende Quelle im Gewerbe, während Zink als Korrosionsschutz von Dachrin-
nen, Wasserleitungen etc. zur Anwendung kommt und diese nur sehr langsam er-
setzt werden.
392 24 Entsorgung von Klärschlamm

Atmosphäre Landwirtschaft Deponie

Produkte
Nahrung
Schlammbehandlung

Entlastung
Kanalisation Abwasserreinigungsanlage
Leck
Grundwasser
Systemgrenze

Vorflut

Nicht angeschlossene Abwasserquellen

Abb. 24.1. Überblick über die Stoffströme in der Abwasserreinigung: Die zufliessenden Stoffe
gehen entweder in die Vorflut verloren oder sie werden in die Atmosphäre, die Landwirtschaft,
das Grundwasser oder eine Deponie verfrachtet

g Zink / t TS g Cadmium / t TS
2000 20

Zink
1500 15

1000 10

500 Cadmium 5

0 0
1980 1982 1984 1986 1988 1990
Jahr
Abb. 24.2. Entwicklung des Schwermetallgehalts im Klärschlamm der Kläranlage Werdhölzli
der Stadt Zürich. Die Grenzwerte, die eine Nutzung noch zulassen, liegen bei 2000 g Zn / t TS
und 5 g Cd / t TS (dargestellt sind Jahresmittelwerte aus der Eigenüberwachung)

Folgerung
Es ist nicht das Ziel der Schlammbehandlung, aus einem bedenklichen, mit
Schwermetallen belasteten Klärschlamm ein Produkt herzustellen, das wir beden-
kenlos deponieren können. Dazu kommen nur Massnahmen an der Quelle in Fra-
ge.
Die Verfahren der Schlammbehandlung konzentrieren sich darauf, die Eigen-
schaften des Schlamms zu verändern (Geruch, Volumen, Hygiene etc.) aber nicht,
den Schadstoffgehalt der Schlämme zu reduzieren.
Ziel und Aufgabe der Schlammbehandlung 393

Im Klärschlamm werden die Stoffe aufkonzentriert, die aus dem Abwasser elimi-
niert werden und nicht durch Mikroorganismen mineralisiert werden konnten.
Rohschlamm, wie er auf Kläranlagen meist aus der Vorklärung anfällt, ist in jeder
Beziehung ein unangenehmes Produkt, es enthält:
– Hygienisch bedenkliche Keime: Viren, Krankheitserreger, Wurmeier etc.
– Biologisch schnell zersetzbare organische Feststoffe und eine grosse Zahl von
aktiven Mikroorganismen.
– Schwermetalle, die als Element nicht abgebaut werden können und sich im
Schlamm aufkonzentrieren. Diese müssen an der Quelle eingeschränkt werden.
– Organische Verbindungen, die als hydrophobe (wasserabstossende), resp. li-
pophile (fettlösliche) Verbindungen die Tendenz haben, sich am Schlamm (an
den Feststoffen) anzulagern und aufzukonzentrieren. Sofern diese Stoffe für
die Umwelt bedenklich sind, müssen auch sie an der Quelle erfasst werden.
Insbesondere die grosse biologische Aktivität und die hohe Konzentration von
abbaubaren Stoffen im aufkonzentrierten Schlamm führen dazu, dass im Schlamm
anaerobe Verhältnisse herrschen, die zu intensiver Entwicklung von flüchtigen,
stark stinkenden, organischen Säuren führen. Man spricht von instabilem Klär-
schlamm, der einer schnellen, stinkenden Zersetzung unterworfen ist.
Je nach der Art der Endunterbringung / Endlagerung des Schlamms sind die
Anforderungen an das Produkt unterschiedlich, der Schadstoffgehalt soll in jedem
Fall begrenzt werden.
– Ist das Ziel, den Klärschlamm landwirtschaftlich zu nutzen, muss der Schlamm
hygienisch einwandfrei und stabil (d.h. es darf zu keiner Geruchsentwicklung
als Folge einer schnellen, mikrobiologischen Zersetzung kommen) sowie
transportfähig und in der Landwirtschaft einfach auszubringen sein. Dazu
kommt, dass Klärschlamm nur während der Vegetationsperiode ausgebracht
werden darf, d.h. der anfallende Klärschlamm muss im Winter über 3–4 Mona-
te gestapelt werden können.
– Soll der Klärschlamm in einer Deponie endgelagert werden, so muss er wei-
testgehend frei von organischen Anteilen sein. Heute wird wo immer möglich
nur Asche von verbranntem Klärschlamm in Deponien eingebracht. Früher
wurde entwässerter Klärschlamm, der z.B. mit gebranntem oder gelöschtem
Kalk (CaO, Ca(OH)2) verfestigt wurde, in Deponien gelagert. In solchen De-
ponien werden die organischen Stoffe im Klärschlamm noch über Jahrzehnte
mineralisiert.
– Soll der Klärschlamm in Industrieöfen (Zementwerken) verbrannt und energe-
tisch genutzt werden, muss der Wassergehalt des Klärschlamms durch Trock-
nung reduziert werden und seine Zusammensetzung darf weder das Produkt
(Zement) noch die Abgase negativ beeinflussen. Für die Verwendung in der
Zementindustrie sind z.B. der Chlorid- (Cl-) und der Quecksilber- (Hg) Gehalt
von Bedeutung. Cl- ist im Zementklinker unerwünscht und Hg entweicht z.T.
in den Rauchgasen, wenn keine besonderen Vorkehrungen getroffen werden.
394 24 Entsorgung von Klärschlamm

Anteil der Verwertung in %


100
80 Landwirtschaftliche Verwertung

60
40
20 Verbrennung und Deponie
0
1970 1980 1990 2000 2010 Abb. 24.3. Nutzung und Entsorgung von
Jahr Klärschlamm in der Schweiz

24.2 Nutzung und Endlagerung


In der Schweiz wird immer weniger Klärschlamm landwirtschaftlich genutzt
(Abb. 24.3). Strenge Auflagen für die Landwirte und die Bedenken, dass mit dem
Klärschlamm naturfremde Stoffe in den Boden und in die Produkte gelangen, ha-
ben dazu geführt, dass immer mehr Klärschlamm verbrannt werden muss. Als
Folge der BSE Krise (Rinderwahnsinn) haben die Grossverteiler in der Schweiz
entschieden, dass sie der Landwirtschaft keine Produkte mehr abnehmen wollen,
die mit Klärschlamm in Kontakt gekommen sind.
2003 hat die Schweiz entschieden, dass mit wenigen Ausnahmen, ab Sept.
2006 aller Klärschlamm verbrannt werden muss. Damit gehen die Nährstoffe, die
im Klärschlamm vorhanden sind, definitiv verloren (Tabelle 24.1). Es soll aller-
dings geprüft werden, ob der Phosphor aus dem Klärschlamm in geeigneter Form
extrahiert werden kann. Die EU prüft strenge Grenzwerte für Schadstoffe im Klär-
schlamm, eine eingeschränkte landwirtschaftliche Nutzung ist aber immer noch
vorgesehen.

Tabelle 24.1: Jährlicher Umsatz von Düngstoffen in der Schweiz (BUWAL 2003)
Form des Düngstoffs Stickstoff Phosphor
Hofdünger ca. 160'000 t a-1 ca. 25'000 t a-1
Mineraldünger ca. 70'000 t a-1 ca. 8'000 t a-1
Klärschlamm ca. 4'000 t a-1 ca. 2'000 t a-1

Ökologisch wäre es sinnvoll, den Kreislauf der Nährstoffe zu schliessen: Die


Landwirtschaft exportiert in ihren Produkten Nährstoffe, die sie ersetzen muss.
Wir scheiden diese Nährstoffe wieder aus und übergeben sie dem Abwasser. Ein
Teil davon wird in der Form von Klärschlamm wieder verfügbar und sollte nicht
durch mineralische Rohstoffe ersetzt werden müssen. Allerdings bedingt das
Schliessen der Kreisläufe, dass der Klärschlamm eine einwandfreie Qualität hat –
was heute offenbar nicht immer gewährleistet werden kann.
Verfahrensablauf und Stoffströme 395

Abwasserreinigung Nutzung der Energie

Rückbelastung Schlammanfall: primär, sekundär, tertiär

Eindickung

Hygienisierung Energie

Stabilisierung Biogas

Eindickung, Stapelung

Entwässerung

Trocknung Landwirschaft

Verbrennung Deponie

Atmosphäre
Systemgrenze

Abb. 24.4. Überblick über die Verfahrensstufen einer umfassenden Schlammbehandlung. Kaum
je sind alle diese Stufen auf einer Abwasserreinigungsanlage realisiert. Kreise identifizieren den
Eintrag und den Austrag von Stoffen aus dem System

24.3 Verfahrensablauf und Stoffströme


Bis ca. 1975 war die Schlammbehandlung auf den meisten Abwasserreinigungsan-
lagen sehr einfach. Mit den zunehmenden Bedenken, insbesondere Schwermetalle
in die Landwirtschaft einzubringen, sind die Probleme, den Klärschlamm zu ent-
sorgen, immer grösser geworden. Heute umfasst die Verfahrenskette der
Schlammbehandlung viele hintereinandergeschaltete Stufen, die im Betrieb an-
spruchsvoll, aufwändig und teuer sind.
Abb. 24.4 gibt einen schematischen Überblick über die Verfahrensstufen für die
Schlammbehandlung in einer grossen Stadt:
– Der Klärschlamm aus der Abwasserreinigungsanlage setzt sich aus den drei
Fraktionen Primär-, Sekundär- und Tertiärschlamm zusammen: Primär-
schlamm aus der mechanischen, Sekundär- aus der biologischen und Tertiär-
aus der chemischen Reinigung.
– Im Eindicker wird sein Volumen verringert.
– In der Hygienisierung werden pathogene Keime abgetötet (sofern eine land-
wirtschaftliche Nutzung vorgesehen ist).
– In der Stabilisierung werden die leichtabbaubaren, organischen Stoffe minera-
lisiert und teilweise in Biogas umgesetzt, dadurch vermindert sich das Ge-
ruchspotential des Schlamms.
396 24 Entsorgung von Klärschlamm

– Im Eindicker und Stapelraum wird noch einmal das Volumen vermindert und
der Schlamm bis zu einer möglichen Nutzung oder Weiterverarbeitung gela-
gert.
– In der Entwässerung wird mit Hilfe von Maschinen und Flockungsmittel der
Wassergehalt des Schlamms reduziert.
– In der Trocknung wird der Wassergehalt durch verdampfen weiter reduziert.
– In der Verbrennung werden die organischen Stoffe weitestgehend minerali-
siert, was übrig bleibt ist mineralische Asche.
Kann der Klärschlamm in der Landwirtschaft genutzt werden, wird meist der
hygienisierte und stabilisierte, aber noch flüssige Schlamm aus dem Stapelbecken
eingesetzt. Immer mehr wird auch entwässerter und getrockneter Schlamm auf
diesem Weg genutzt. Allfällige Asche wird deponiert. Ein Teil der Schmutzstoffe
wird mineralisiert und gelangt in Form von Kohlendioxid CO2 und Wasser H2O in
die Atmosphäre. Aus vielen Behandlungsstufen muss Schlammwasser, das meist
mit viel Ammonium NH4+ belastet ist, in die Abwasserreinigungsanlage zurückge-
führt werden, wo eine massive zusätzliche Belastung entsteht.
In Tabelle 24.2 sind die Stoffflüsse und die Volumen der anfallenden
Schlammmengen und Nährstoffe zusammengestellt. Mit dem abnehmenden Vo-
lumen nimmt die Konzentration des Schlamms laufend zu. Die Ansatzpunkte der
Schlammbehandlung sind v.a. der Wassergehalt und die Verminderung der orga-
nischen Stoffe (gemessen als VSS oder GV).

Tabelle 24.2. Übersicht über die Stoff- und Volumenströme in der Schlammbehandlung kom-
munaler Kläranlagen. Die Angaben beziehen sich auf einen Einwohnergleichwert (d.h. pro Ein-
wohner) und eine Anlage mit Phosphorelimination
Volumenstrom TSS TSS VSS TKN TP
Stoffstrom -1 -1 -3 -1 -1 -1 -1 -1 -1 -1 -1
lE d gm gE d gE d gE d gE d
Rohabwasser 350 200 70 50 11 1.8
Gereinigtes Abwasser 350 < 15 <5 <3 2 – 8 < 0.2
Primärschlamm 35 25 1 0.2
Sekundärschlamm 45 35 2 0.6
Tertiärschlamm 10 0 0 0.8
Frischschlamm 2.5 36’000 90 60 3 1.6
eingedickt 1.8 50’000 90 60 3 1.6
Faulschlamm (stabilisiert) 1.8 33’000 60 30 3 1.6
eingedickt 0.8 75’000 60 30 2.2 1.5
Entwässert 0.24 250’000 60 30 1.6 1.4
Getrocknet 0.07 950’000 60 30 1.4 1.4
6
Verbrannt, Asche 0.03 > 10 30 0 0.0 1.4

24.4 Klärschlammkonzepte
Die Entsorgung des Klärschlamms ist heute aufwändig und teuer. Die Lösung der
dabei anfallenden Probleme wird daher häufig im regionalen Verbund angegan-
gen. Klärschlammkonzepte weisen den Weg zu einer rationellen Nutzung und Ent-
sorgung.
Zukunft der Klärschlammentsorgung 397

Ein Klärschlammkonzept soll aufzeigen:


– Wo ist in der Landwirtschaft ein Nährstoffdefizit vorhanden, sodass die ent-
sprechende Region Klärschlamm zur Nutzung aufnehmen kann.
– Welche, v.a. kleinen Anlagen den stabilisierten Klärschlamm direkt flüssig an
die Landwirtschaft abgeben können.
– Wo (ev. zentrale) Klärschlammentwässerungsanlagen realisiert werden sollen.
– Wo zentrale Klärschlammtrocknungsanlagen für mehrere Anlagen gemeinsam
gebaut werden sollen.
– Wo und wie wird Klärschlamm verbrannt und allenfalls die Asche deponiert
werden kann. In Frage kommen Industrieöfen (Zementwerke), spezielle
Schlammverbrennungsöfen oder gemeinsame Verbrennung mit Kehricht.
Heute sollte darauf geachtet, dass den Kläranlagen unabhängige Entsorgungs-
wege für Klärschlamm offen stehen: Meist eine landwirtschaftliche Nutzung und
eine alternative Verbrennung. Die Erfahrungen in der Vergangenheit haben ge-
zeigt, dass die Abnehmer von Klärschlamm (Landwirte) sehr schnell auf Berichte
über Schadstoffe im Klärschlamm reagieren (eine entsprechende Fernsehsendung
genügt), sodass es immer wieder zu Problemen mit dem Absatz von Klärschlamm
gekommen ist.
Das Verfügbarmachen von alternativen, meist sehr technischen Entsorgungs-
weges neben der Nutzung in der Landwirtschaft, ist teuer und langwierig: Es müs-
sen grosse Investitionen gemacht werden für Anlagen, die vielleicht nicht ausge-
lastet werden können. Zudem lehnt die Öffentlichkeit Anlagen zur Entsorgung
(Deponien, Verbrennungsöfen) an vielen Standorten ab.
Einerseits enthält Klärschlamm in der Form von organischen Stoffen grössere
Mengen von chemisch gebundener Energie. Diese wird in der Form von Biogas
und Verbrennungswärme nutzbar. Andererseits brauchen Hygienisierung, Stabili-
sierung, Trocknung und ev. Verbrennung grössere Mengen von Prozesswärme,
sodass zu einer wirtschaftlichen Schlammbehandlung immer auch ein sorgfältig
gestaltetes Energiekonzept gehört.

24.5 Zukunft der Klärschlammentsorgung


Die Zukunft der Klärschlammentsorgung ist heute ungewiss. Krisen wie BSE
(Rinderwahsinn und Schlachthofabwasser), Erkenntnisse über Stoffe, die endokrin
wirksam sind (Hormone und Hormonanaloge), das Schicksal von Arzneimitteln,
die wir teilweise wieder ausscheiden, Schwermetalle, Wurmeier, usw. haben dazu
geführt, dass die Landwirtschaft und die Konsumenten die Nutzung des Produkts
Klärschlamm zunehmend mit unannehmbaren Risiken verbinden. Obwohl die
Qualität des Klärschlammes laufend überprüft wird und strengen Grenzwerten
genügen muss, können wir die Risiken nicht gänzlich zurückweisen. Es wird zu-
nehmend schwieriger, den Klärschlamm in der Landwirtschaft sinnvoll und nutz-
bringend einzusetzen.
Den Risiken stehen unsere Bedenken gegenüber, die Nähr- und Nutzstoffe im
Klärschlamm, die wir z.T. aus begrenzten Ressourcen (Phosphor) gewonnen ha-
ben, nutzlos zu deponieren und bestenfalls den Energieinhalt der organischen
Stoffe als Verbrennungswärme zu nutzen.
398 24 Entsorgung von Klärschlamm

Heute sind Bemühungen im gang, die Nährstoffe in sauberer Form aus dem
Klärschlamm oder aus dessen Asche zu extrahieren und einer Nutzung zuzufüh-
ren. Als Alternative wird zunehmend versucht Sanitärsysteme zu entwickeln, die
die Nährstoffe insbesondere im Urin an der Quelle erfassen und einer direkten
Aufbereitung zuführen (s.a. Abschn. 23.9, Seite 389).
Insgesamt ist der Umgang mit den Stoffen, die wir dem Abwasser entnehmen,
in Zukunft weit offen. Keinesfalls sollten wir aufhören die Qualität des Klär-
schlammes zu überwachen, denn eine gute Qualität dieses Stoffes gewährleistet
auch, dass all die unvermeidbaren Abwasserverluste aus unserem Entwässerungs-
system die Umwelt nicht nachteilig beeinflussen.
Vorläufig bleibt es erforderlich, dass wir uns hier mit den Grundlagen des gan-
zen Spektrums von Verfahren zur Aufbereitung von Klärschlamm befassen.
25 Verfahren der Schlammbehandlung

Die Verfahrensketten für die Behandlung von Klärschlamm sind in den letzten
Jahren immer anspruchsvoller geworden. Abbildung 24.4 gibt einen Überblick
über die verschiedenen Verfahrensstufen die zur Anwendung kommen. Hier wer-
den diese Stufen detailliert vorgestellt und diskutiert.

25.1 Eindickung
Eindicker sollen dem Schlamm (Primärschlamm, Belebtschlamm oder ausgefaul-
ter Schlamm, etc.) Schlammwasser soweit als möglich entziehen, um das Volumen
des Schlamms zu verringern. Dabei soll das abgetrennte Schlammwasser mög-
lichst frei von Trübstoffen (TSS) sein. Das entlastet alle nachfolgenden Verfah-
rensstufen.
Eindicker sind den Absetzbecken ähnlich (Abb. 25.1). Ein langsam rotierendes
Krälwerk (vertikale, rechenähnliche Stäbe) erzeugt Wirbel im Schlamm, welche
die Flockung unterstützen und Möglichkeiten zur Ableitung des Schlammwassers
nach oben geben. Am Boden wird der eingedickte Schlamm mit dem Schlamm-
räumschild zum zentralen Schlammabzug geräumt. Auf der Oberfläche wird der
Schwimmschlamm beseitigt. Das Schlammwasser wird unterhalb der Oberfläche
seitlich abgezogen.
Die erreichte Konzentration des eingedickten Schlamms ist abhängig von der
Art des einzudickenden Schlamms und der Feststoff-Oberflächenbelastung BA:
Q zu ˜ TSzu Feststoffstrom
BA (25.1)
AE Oberfläche
Qzu = Schlammmenge im Zufluss in m3 d-1
TSzu = Trockensubstanzgehalt des Zufluss in kgTS m-3
AE = Oberfläche (Projektion) des Eindickers in m2
BA = Feststoff-Oberflächenbelastung in kgTS m-2 d-1
Tabelle 25.1 gibt Richtwerte für geeignete Feststoff-Oberflächenbelastungen.
Soll Faulschlamm eingedickt werden, so muss der Schlamm von der Faulraum-
temperatur von 35°C auf ca. 25°C abgekühlt werden. Dadurch werden die biologi-
schen Prozesse und damit die Gasproduktion gestoppt. Aufsteigende Gasblasen
stören den Eindickvorgang.
In kleineren Anlagen werden auch statische Eindicker gebaut, die mit steilem
Boden ausgerüstet sind und kein Krälwerk enthalten.
400 25 Verfahren der Schlammbehandlung

Zulauf

Schwimmschlammbeseitigung

Schlammwasserabzug
Krälwerk

Schlammabzug

Abb. 25.1. Schlammeindicker mit Krälwerk. Der Innendurchmesser reicht von 5–30 m, typische
Tiefen sind > 3 m

Tabelle 25.1. Typische Feststoffoberflächenbelastung BA und erreichte Konzentrationen des


eingedickten Schlamms TSab für Eindicker mit Krälwerk
Typische Belastung BA Erreichte Konzentration
Art des Schlamms -2 -1 -3
BA in kgTS m d TSab in kgTS m
Primärschlamm 80 – 120 80 – 150
Primär- und
50 – 70 50 – 100
Sekundärschlamm
Belebtschlamm allein 25 – 30 20 – 35

Beispiel 25.1. Dimensionierung eines Eindickers für Frischschlamm


Wie gross wird ein Eindicker für den Frischschlamm einer Stadt mit 50'000 Einwoh-
nern? Als Frischschlamm bezeichnen wir die Summe von Primär- und Sekundär-
schlamm.
Die Kläranlage ist mit einer Belebungsanlage ausgerüstet, es fallen pro Einwohner ca.
80 gTS d-1 an.
Feststoffanfall: Qzu · TSzu = 50'000 E · 80 gTS E-1 d-1 = 4000 kgTSd-1.
Zulässige Feststoff-Oberflächenbelastung nach Tabelle 25.1: BA = 50 kgTSm-2d-1.
Erforderliche Oberfläche: AE = Qzu · TSzu / BA = 4000 / 50 = 80 m2
Der Eindicker hätte einen Durchmesser von ca. 10 m und eine typische Tiefe von H = 3
m. Damit ergibt sich ein Volumen des Eindickers von VE = 240 m3. Wenn der rohe
Schlamm mit 33 kgTS m-3 anfällt, so ergibt sich eine mittlere Aufenthaltszeit TE von 2
Tagen (Qzu = 4000 / 33 = 121 m3 d-1, TE = VE / Qzu) . Das ist typisch.

Die Eindickung betrifft ausschliesslich die partikulären Stoffe, nur diese können
mit Hilfe der Schwerkraft aufkonzentriert werden. Die gelösten Stoffe verbleiben
mit unveränderter Konzentration im Schlammwasser und müssen mit diesem ent-
sorgt werden. Das Schlammwasser kann je nach Herkunft des Schlammes eine
Hygienisierung 401

Zufluss aus der Kläranlage Landwirtschaftliche


Verwertung
Vorpasteurisierung Faulturm Nachpasteurisierung

Alternative Entsorgung

Abb. 25.2: Schematische Darstellung zur Anordnung einer Vor- resp. Nachpasteurisierungsanla-
ge. Heute kommt ausschliesslich die Vorpasteurisierung zur Anwendung

beträchtliche Rückbelastung der Kläranlage bedeuten, die genau quantifiziert wer-


den muss (s.a. Beispiel 25.9, Seite 410).

25.2 Hygienisierung
Im Klärschlamm werden pathogene Keime (Krankheitserreger), Viren, Wurmeier,
etc. aufkonzentriert. Durch die landwirtschaftliche Nutzung des Schlamms entsteht
die Gefahr, dass solche Krankheitserreger in einem Kreislauf Mensch und Vieh
gefährden. Die Hygienisierung hat die Aufgabe, diesen Kreislauf zu unterbrechen.
Die Hygienisierung wird heute vor der Schlammstabilisierung angeordnet, man
spricht von Vorpasteurisierung. Bei der Einführung der Hygienisierung (1980)
wurden vorerst Nachpasteurisierungsanlagen gebaut (Abb. 25.2), die später als
nicht zielführend ausser Betrieb genommen werden mussten.
Die Anordnung als Nachpasteurisierung ist nahe liegend – wir erwarten, dass
der Klärschlamm optimal hygienisiert ist, wenn er vom Landwirt übernommen
wird. Zudem müssen wir in dieser Anordnung nur denjenigen Schlamm hygieni-
sieren, der wirklich in die Landwirtschaft gelangt. Aber:
Die Hygienisierung ist ein thermischer Prozess, der als Pasteurisierung bei ca.
70°C abläuft. Im Zuge dieser Erwärmung werden partikuläre organische Stoffe
z.T. aufgelöst und stehen nun als reiche Nahrung für Bakterien zur Verfügung.
Durch die Erwärmung werden alle Bakterien zu einem sehr grossen Teil abgetötet.
Wird nun der hygienisierte Schlamm, mit geringen Restkonzentrationen von Kei-
men zurückgekühlt (z.B. auf ca. 35°C) und bis zur Nutzung gelagert, stellt er ein
ideales Nährmedium dar für viele Krankheitskeime, die wir im Darm ausscheiden:
warm und nährstoffreich. Diese Keime können sich nun genauso schnell vermeh-
ren wie die erwünschten Bakterien, die den Klärschlamm stabilisieren – der Klär-
schlamm wird wieder verkeimt.
Nach einer Vorpasteurisierung gelangt der Klärschlamm in den Faulturm, der
die erwünschten Bakterien in grosser Zahl enthält. Diese bauen die gelösten Stoffe
in kurzer Zeit ab. In Konkurrenz gegen diese „Übermacht“ können sich die patho-
genen Keime in der kurzen Zeit in der reiche Nährstoffe vorhanden sind, nicht
mehr vermehren – der Faulschlamm bleibt hygienisiert. Ein Nachteil verbleibt:
Wir müssen den ganzen Klärschlamm hygienisieren, unabhängig von seiner Nut-
zung.
402 25 Verfahren der Schlammbehandlung

Vorlagebehälter Entlüftung

15°C Umluft
Reaktor
Ablauf zum 40°C
Faulturm Luft-
Zulauf Zufuhr
vorgewärmt

Wärmetauscher 65°C
im Chargenbetrieb
40°C
Temperatur
Ablauf heiss Regelung
65°C

Abb. 25.3. Typisches Fliessschema eines aerob thermophilen Verfahrens für die Hygienisierung
von Klärschlamm. Der Wärmetauscher wird chargenweise betrieben, indem pro Charge ca. 20%
des Reaktorvolumens in den Wärmetauscher geleitet werden. Die Luftzufuhr wird so geregelt,
dass die Reaktortemperatur von ca. 65°C eingehalten werden kann

25.2.1 Aerob thermophile Hygienisierung


In der aerob thermophilen Hygienisierung wird die biogene Abwärme aus dem
Abbau von organischen Stoffen genutzt, um den Schlamm zu erwärmen und zu
hygienisieren.
Aerob thermophile Hygienisierung bedeutet:
– Ein Prozess heisst aerob, wenn gelöster Sauerstoff O2 vorhanden ist, den die
Mikroorganismen für die Atmung nutzen können. Dabei wird sehr viel mehr
der chemischen Energie aus der Zersetzung der organischen Stoffe frei als in
anaeroben Prozessen (ohne Sauerstoff).
– Thermophil heisst der Temperaturbereich von 45 bis 75°C, in dem sich ther-
mophile Bakterien optimal vermehren können. Die aerob thermophile Hygie-
nisierung wird häufig mit Temperaturen um 60–65°C betrieben.
Die aerob thermophile Hygienisierung hat das Ziel, den anfallenden Klär-
schlamm zu hygienisieren. Dazu muss einerseits die Temperatur genügend hoch
angesetzt werden, andererseits muss der Reaktor so gestaltet werden, dass keine
Kurzschlussströmungen möglich sind, die unerwünschte Keime unversehrt durch
das Verfahren fliessen lassen.
Die Prozesswärme für das Erreichen der Betriebstemperatur wird teilweise
durch Rückkühlen des Ablaufes in Wärmetauschern erreicht, zusätzlich wird
durch die aeroben biologischen Abbauprozesse Wärme freigesetzt (analog zur
Erwärmung einer Kompostmiete). Da der Klärschlamm ein konzentriertes Nähr-
medium ist, das viel chemische Energie pro Volumen enthält, genügt die freige-
setzte Wärme, um die Temperatur des behandelten Schlamms anzuheben.
In Abb. 25.3 ist das Fliessschema eines aerob thermophilen Hygienisierungs-
verfahrens dargestellt:
Hygienisierung 403

– Das Verfahren wird chargenweise betrieben, d.h. eine bestimmte Menge von
Klärschlamm wird z.B. alle 4 h dem biologischen Reaktor zugeführt, nachdem
ein entsprechender Teil (z.B. 1/6 des Reaktorvolumens) des behandelten
Schlamms in den Wärmetauscher geleitet wurde. Dadurch gelangen Krank-
heitskeime nicht im Kurzschluss durch die Anlage.
– Aus einem Vorlagebehälter wird der zufliessende Frischschlamm mit geringer
Temperatur (z.B. 10–20°C) vorerst in einem Wärmetauscher mit der letzten
Charge von behandeltem Schlamm in Kontakt gebracht, sodass die Temperatu-
ren ausgeglichen werden können. Der zufliessende Schlamm wird von 15 auf
40°C aufgewärmt, der abfliessende Schlamm wird von der Reaktortemperatur
(z.B. 65°C) auf eine geeignete Temperatur für den Zufluss in den Faulturm
(z.B. 40°C) abgekühlt.
– Nach dem Temperaturausgleich wird der abgekühlte Ablauf dem Faulturm
zugeführt, und neuer heisser Reaktorinhalt in den Wärmetauscher geleitet.
– Nun kann der aufgewärmte Zufluss in den Reaktor gepumpt werden und an-
schliessend mit kühlem, neuem Zufluss ersetzt werden.
– Im Reaktor wird Sauerstoff eingetragen, wobei gleichzeitig der Reaktorinhalt
intensiv umgewälzt wird. Die verbrauchte Luft bei der Reaktortemperatur von
z.B. 65°C enthält in Form von Wasserdampf sehr viel Wärme. Damit diese
nicht unnötig verloren geht, wird die Luft mehrmals im Kreise geführt, bevor
sie als Abluft abgeführt wird; der Sauerstoff in der zugeführten Luft wird dabei
fast vollständig ausgenutzt.
– Dem Reaktor wird gerade soviel Luft (Sauerstoff) zugeführt, dass die Betriebs-
temperatur nicht über das für die Hygienisierung erforderliche Mass ansteigt,
denn Sauerstoffverbrauch und der damit verbundene Abbau von organischen
Stoffen bedeutet eine Verminderung des begehrten Biogases, das in der nach-
folgenden Faulung entsteht.
- Nach z.B. 4 h kann der Zyklus wiederholt werden, 1/6 des Reaktorinhalts wird
ausgetauscht. Das gewährleistet eine zuverlässige und genügende Hygienisie-
rung. Die zugeführte Menge von kaltem Schlamm resultiert in einer Abküh-
lung von < 5°C, die erforderliche biogene Aufheizung ist in kurzer Zeit mög-
lich.
Die Aufenthaltszeit im aerob-thermophilen Reaktor beträgt ca. 24 h, während
dieser Zeit wird nur ein geringer Teil (ca. 20%) der zugeführten organischen Stof-
fe abgebaut (s.a. Beispiel 25.2), der Klärschlamm ist daher noch nicht fertig stabi-
lisiert.
Der Ablauf von aerob thermophilen Hygienisierungsreaktoren wird im Allge-
meinen auf eine Temperatur zurückgekühlt, die nur wenig über derjenigen des
nachfolgenden Faulturmes liegt. Dadurch wird dem Faulturm die erforderliche
Wärme zugeführt, die z.B. durch Abstrahlung verloren geht. In anaeroben Prozes-
sen wird der grösste Teil der chemischen Energie der abgebauten organischen
Stoffe in Form von Biogas abgeführt. Es wird darum durch die biologischen Pro-
zesse kaum nutzbare Wärme frei.
Reaktoren für die aerob thermophile Hygienisierung werden von Lieferanten
als Apparate verkauft und nicht als Prototyp von den Ingenieuren entworfen, wie
das in der Abwasserreinigung der Fall ist.
404 25 Verfahren der Schlammbehandlung

In wenigen Fällen wird die aerob-thermophile Behandlung soweit geführt, dass


der produzierte Schlamm stabil ist und direkt in die Landwirtschaft ausgetragen
werden kann. Das bedingt lange Aufenthaltszeiten (z.B. 10–20 d), mehr Sauerstoff
und geeignete Möglichkeiten zur Stapelung des Schlamms. Bei dieser Lösung
werden die Reaktoren einfacher gestaltet, weil weniger Sauerstoff pro Volumen
und Zeit in den Reaktor eingetragen werden muss. Man spricht von aerob-
thermophiler Schlammstabilisierung.

Beispiel 25.2. Aerob thermophile Hygienisierung


Ein Lieferant eines aerob thermophilen Hygienisierungsverfahrens hat festgestellt, dass
in seinem Verfahren insgesamt 4.5 kcal g-1 organische Stoffe, die abgebaut werden, als
nutzbare Prozesswärme anfallen. In den Wärmetauschern wird der zufliessende Klär-
schlamm, der bei 15°C anfällt, auf ca. 35°C aufgewärmt, wobei der thermophil behan-
delte Schlamm von 60°C auf 40°C zurückgekühlt wird.
Welcher Anteil der organischen Stoffe muss im Verfahren veratmet werden, damit die
Prozesstemperatur von 60°C erreicht wird?
Der frische Schlamm enthält 4.5% TS mit 60% GV, das entspricht:
45 kgTS m-3 ˜ 0.6 kgGV kg-1TS = 27 kgGV m-3
1 kcal erwärmt 1 kg Schlamm um 1°C
Um die Temperatur des Schlamms von 35° auf 60°C anzuheben sind pro m3 Schlamm
25'000 kcal erforderlich. Es müssen also 25'000 kcal m-3 / 4.5 kcal g-1GV = 5.6 kgGVm-3
abgebaut werden. Das sind 5.6 kgGVm-3 / 27 kgGVm-3 = 21% der zufliessenden organi-
schen Stoffe.
Erfahrungsgemäss sind für den Abbau von 1 kg GV ca. 1.5 kg Sauerstoff erforderlich.
Es werden also 5.6 kgGV m-3 ˜ 1.5 kg O2 kg GV = 8.4 kg O2 m-3 verbraucht.
Entsprechend der Abnahme der organischen Stoffe vermindert sich auch die Gaspro-
duktion einer allfällig nachfolgenden Schlammfaulung.

Beispiel 25.3. Erwärmung durch mechanische Energie


Wieviel könnte die Temperatur des Klärschlamms in Beispiel 25.2 angehoben werden,
wenn die elektrische Energie, die für den Eintrag von Sauerstoff benötigt wird, direkt zur
Aufheizung des Schlamms eingesetzt würde?
Annahmen: Für den Eintrag von 1 kg O2 wird 1 kWh benötigt.
Mit 1 kWh kann 1 m3 Schlamm um 0.8°C erwärmt werden.
Für die biogene Erwärmung des Schlamms um 25°C sind in Beispiel 25.2 8.4 kgO2m-3
erforderlich. Der Eintrag dieses Sauerstoffs erfordert 8.4 kWh m-3Schlamm. Mit dieser
Energie könnte der Schlamm um ca. 7°C erwärmt werden.
Da ein grosser Teil dieser mechanischen Energie im Reaktor dissipiert, findet diese
Erwärmung auch effektiv statt. Allerdings ist im empirisch bestimmten Wert von 4.5 kcal
g-1 organische Stoffe in Beispiel 25.2 diese Erwärmung bereits enthalten.

25.2.2 Thermische Hygienisierung / Pasteurisierung


Klärschlamm kann rein thermisch, in sogen. Pasteurisierungsanlagen, hygienisiert
werden. Der Betrieb von Pasteurisierungsanlagen ist meist chargenweise, wobei
davon ausgegangen wird, dass 30 min bei einer Temperatur von 70°C für eine
Hygienisierung ausreichen.
Biologische Schlammstabilisierung 405

Reaktor 1: Reaktor 2:
wird gefüllt wird entleert

70°C
70°C
Wärmetauscher
im Gegenstrom 70°C
Zum
70°C
Faulturm
40°C Dampf
40°C

Frischschlamm 10°C

Abb. 25.4. Fliessschema für ein typisches thermisches Hygienisierungsverfahren. Die zwei Re-
aktoren erlauben, die Wärme im Wärmetauscher zurückzugewinnen. Typisch sind Aufenthalts-
zeiten pro Charge von 30 min bei 70°C. Die erforderliche Prozesswärme wird von aussen zuge-
führt, z.B. in Form von Dampf, der mit Biogas produziert wird.

In Abb. 25.4 ist ein typisches Verfahrensschema für eine thermische Pasteuri-
sierung dargestellt. Häufig dient die Pasteurisierung auch der Heizung des Faul-
turmes, indem die Rückkühlung nur soweit getrieben wird, dass der Wärmebedarf
des Faulturms mit dem warmen Schlamm gedeckt werden kann. Ein Vorteil der
thermischen Pasteurisierung ist die Tatsache, dass keine organischen Stoffe aerob
abgebaut werden und daher die Produktion von Biogas nicht vermindert wird. Ein
Nachteil ist, dass Dampf thermodynamisch eine hochwertige Form von Wärme
darstellt, die z.B. aus Biogas produziert werden muss und daher nicht für die Pro-
duktion von Elektrizität genutzt werden kann.

25.3 Biologische Schlammstabilisierung


In der biologischen Schlammstabilisierung werden die organischen Stoffe, die sich
schnell zersetzen können und daher Geruchsprobleme verursachen, in einem tech-
nischen Verfahren unter kontrollierten Bedingungen abgebaut.

25.3.1 Anaerob mesophile Schlammstabilisierung / Faulung


Die Faulung von Klärschlamm ist ein altes, bewährtes und häufiges Verfahren zur
Stabilisierung von Klärschlamm. Es hat den Vorteil, dass mit dem produzierten
Biogas ein wertvoller Energieträger verfügbar wird.
Mesophile Schlammfaulung heisst:
– Mesophil bezeichnet den Temperaturbereich zwischen 15 und 45°C, der für
die mesophilen Mikroorganismen speziell geeignet ist. Die Schlammfaulung
wird mit ca. 35°C betrieben. Die mikrobiologischen Prozesse laufen bei dieser
Temperatur um ein Vielfaches schneller ab als bei der Temperatur des anfal-
lenden Klärschlamms (10–20°C).
406 25 Verfahren der Schlammbehandlung

Frischschlamm Trübwasser Gasometer Faulwasser zurück


von der ARA zurück zur ARA zur ARA

Eindicker
Biogas

Schlammabgabe
Entwässerung
Verbrennung
aerob thermophile Entsorgung
Hygienisierung Nachfaulraum
oder Wärmetauscher Faulraum Eindicker Stapel

Abb. 25.5. Typisches Verfahrensschema einer mesophilen Schlammfaulanlage

– Mit Faulung werden Prozesse bezeichnet, die unter Ausschluss von Sauerstoff
(anaerob) ablaufen.
Die mesophile Schlammfaulung ist mengenmässig das wichtigste Stabilisie-
rungsverfahren; die zugehörigen Reaktoren, die zwei Faultürme, sind auf vielen
Kläranlagen von weitem sichtbare charakteristische Bauten. Die Bauwerke der
Abwasserreinigung liegen meistens im Boden, weil das zu reinigende Abwasser
nicht gepumpt werden soll. Im Gegensatz dazu können die Bauwerke für die
Schlammbehandlung in ihrer Höhenlage nach den Anforderungen des Bauingeni-
eurs optimiert werden, da die kleinen Schlammmengen ohne Probleme gepumpt
werden können. Das führt zu den weit herum sichtbaren Faultürmen auf den Klär-
anlagen.
In Abb. 25.5 ist das Verfahrensschema einer typischen Schlammfaulung dar-
gestellt (s.a. Abb. 18.1, Seite 297):
– Der eingedickte Klärschlamm, der in der Abwasserreinigung anfällt, wird in
einem Wärmetauscher oder einer Hygienisierung auf die Temperatur des Faul-
reaktors (33–37°C) aufgeheizt. Dazu dient Prozesswärme, die z.B. durch Bio-
gas produziert wird oder als Abwärme aus der Biogasnutzung anfällt.
– Der warme Schlamm wird in den durchmischten Faulreaktor geleitet. Moder-
ne Faulreaktoren werden in regelmässigen Abständen (z.B. mehrmals täglich)
vollständig durchmischt, sodass Feststoffe und Wasser die gleiche Aufent-
haltszeit haben. Durch anaerobe Abbauprozesse bildet sich Biogas (ca. 67%
Methan CH4 und 33% Kohlendioxid CO2), das in Form von Gasblasen dem
Faulschlamm entweicht. Typisch verbleibt der Schlamm für ca. 15 – 20 – 30 d
im Faulturm.
– Das Biogas wird aufgefangen und im Gasometer bis zur Nutzung gestapelt.
Auf grösseren Kläranlagen (ca. ab 10'000 Einwohner) wird das Biogas in
Gasmotoren zur Produktion von elektrischer Energie genutzt, wobei die Ab-
wärme des Gasmotors die erforderliche Prozesswärme für die Aufheizung des
frischen Schlamms liefert.
Biologische Schlammstabilisierung 407

Gasproduktion
in m3 kg-1 org. Feststoffe im Zulauf
0.5
30°C
25°C
0.4 20°C
0.3 15°C
10°C
0.2
Übliche
0.1 Faulzeit
0.0
0 20 40 60 80 100
Faulzeit in Tagen

Abb. 25.6. Gasentwicklung in Abhängigkeit der Faulzeit und der Temperatur im Faulturm. Die
3
Gasproduktion in m Gas / kgorg. Feststoffe bezieht sich auf die organischen Stoffe, gemessen als
Glühverlust, die dem Faulturm zugeführt werden (Imhoff 1999 adaptiert nach Fair and Moore
1937)

– Der ausgefaulte Schlamm wird dann in einen Nachfaulraum verdrängt. Durch


Verringerung der Temperatur werden die biologischen Prozesse gestoppt; da-
durch wird die Turbulenz als Folge von aufsteigenden Gasblasen verringert.
Durch Schwerkraft wird der ausgefaulte Schlamm eingedickt und das überste-
hende Faulwasser in die Kläranlage zurückgeleitet. Das aufkonzentrierte Se-
diment wird bis zur Nutzung oder weiteren Behandlung im Nachfaulraum ge-
stapelt.
Die Schlammfaulung hat den Vorteil, dass sie mit geringem Einsatz von
Fremdenergie auskommt und, nachdem sie einmal eingefahren ist, häufig zuver-
lässig und stabil betrieben werden kann.
Die Faulung hat zur Folge, dass der organische Anteil des rohen Schlamms
(dessen Glühverlust, GV oder VSS) um ca. 50% reduziert wird; dabei entsteht
Biogas, und der organisch gebundene Stickstoff aus dem Frischschlamm wird als
Ammonium NH4+ freigesetzt (C5H7NO2 steht für organische Stoffe):
2 C5H7NO2 + 8 H2O o 5 CH4 + 3 CO2 + 2 NH4+ + 2 HCO3- (25.2)
Gleichzeitig wird im Nachfaulraum durch die Eindickung die Trockensub-
stanzkonzentration auf 6–7.5% TS angehoben, was in einer signifikanten Volu-
menreduktion resultiert. Eine typische Zusammensetzung von Faulschlamm, wie
er aus dem Nacheindicker abgezogen wird, ist in Tabelle 4.2, Seite 68, beschrie-
ben. Richtwerte für die Dimensionierung von Faultürmen gibt Tabelle 25.2.
In Abb. 25.6 ist die Gasentwicklung in Funktion der Faulraumtemperatur dar-
gestellt. Es wird deutlich, dass der Grad der Stabilisierung (der Abbau der organi-
schen Stoffe, der proportional zur Gasproduktion ist) mit zunehmender Tempera-
tur immer besser wird. Es ist heute üblich, die Faulung mit 33–37°C zu betreiben.
408 25 Verfahren der Schlammbehandlung

Biogas enthält Schwefelwasserstoff H2S das in den Gasmotoren zu Schwefel-


säure H2SO4 verbrennt und die Gasmotoren beschädigt. Wenn die Abwasser-
reinigung mit Phosphatfällung mit Eisensalzen betrieben wird, so wird im Faul-
turm etwas Eisen in Form von Fe2+ freigesetzt, das sich sofort mit S2- zum
schwerlöslichen Schwefeleisen FeS verbindet. Das Biogas ist dann frei von H2S
und kann ohne Probleme in Gasmotoren genutzt werden.

Tabelle 25.2. Dimensionierungsrichtwerte für die mesophile Faulung von Klärschlamm auf
kommunalen Anlagen
Mittlere Aufenthaltszeit Th des Schlamms:
Kleine Anlagen mit geringer Durchmischung > 30 d
Mittlere Anlagen, regelmässig durchmischt 20 d
Grosse Anlagen, gut überwacht und gemischt 12–16 d
Temperatur im Faulturm 33–37°C
Abbau von organischen Stoffen 40–55%
Produktion von Biogas pro abgebaute org. Stoffe 0.9 m3 kg-1 GVabgebaut
Typische Gaszusammensetzung
Methan (CH4) 63%
Kohlendioxid (CO2) 35%
Andere (N2, H2, H2S) 2%

Beispiel 25.4. Dimensionieren eines Faulturmes


Wie gross wird ein Faulturm, der den Klärschlamm einer Stadt mit 20'000 Einwohnern
behandeln kann?
Annahmen:
Der Frischschlamm enthält 4.0% Trockensubstanz (TS).
Pro Einwohner fallen 100 g TSS pro Tag an.
Der Faulturm soll eine Aufenthaltszeit von Th = 20 Tagen gewährleisten.
QSchlamm = 20'000 E ˜ 0.1 kgTSS E-1 d-1 / 40 kgTSS m-3 = 50 m3 d-1 (= 2.5 l E-1 d-1)
VFaulraum = QSchlamm · Th = 50 · 20 = 1000 m3 oder ca. 0.05 m3 E-1

Beispiel 25.5. Produktion von Biogas


Wieviel Biogas fällt aus dem Faulturm einer Stadt mit 20'000 Einwohnern an
(Beispiel 25.4)?
Annahmen:
Der Faulturm ist gut durchmischt und gewährleistet eine Aufenthaltszeit von 20 d bei
35°C. Pro Einwohner fallen 100 g TS pro Tag an, der zu 60% aus organischem Material
(GV, Glühverlust) besteht. Im Faulturm werden 50% der eingebrachten organischen
Stoffe abgebaut.
Abbau von organischen Stoffen (Morg in kgGV d-1):
Morg = 20'000 E · 0.1 kgTSE-1d-1 · 0.6 kgGV kg-1TS · 0.5 kgGVabgebautkg-1GVzugeführt
= 600 kgGV d-1
Anfall von Biogas:
QGas = Morg · 0.9 m3Biogaskg-1GVabgebaut
= 540 m3Biogas d-1 = 27 l E-1 d-1
Biologische Schlammstabilisierung 409

Heizwert:
Biogas hat einen Heizwert von ca. 6.5 kWh pro m3 (1.163 kWh erwärmen 1m3 Schlamm
um 1°C). Das Biogas stellt also einen Heizwert von ca. 3500 kWh d-1 dar. Dieser könnte
bei einem Wirkungsgrad von 100% den anfallenden Frischschlamm um 80°C erwär-
men. Aus dem anfallenden Biogas können ca. 2 Watt Dauerleistung pro Einwohner
elektrische Energie gewonnen werden.

Beispiel 25.6. Anfall von Faulschlamm


50% der organischen Stoffe (Glühverlust) im Frischschlamm aus der Kläranlage in
Beispiel 25.4 werden in der Faulung abgebaut. Wieviel Faulschlamm muss täglich ab-
geführt werden, wenn dieser eine Zusammensetzung hat, die den Mittelwerten für 1989
aus Tabelle 4.2, entspricht?
Zusammensetzung des Faulschlamms (Tabelle 4.2):
5.9 % TS = 59 kg TSS m-3Faulschlamm.
460 kg GV / t TS
Eine t TS im Faulschlamm enthält also: 460 kg GV und 540 kg Glührückstand (GR, mi-
neralische Stoffe). Da 50% der organischen Stoffe abgebaut wurden, entspricht das im
Frischschlamm: 2 ˜ 460 kg GV + 540 kg GR = 1460 kg TS oder durch die Faulung wer-
den die Feststoffe um 460 kg GV / 1460 kg TS = 31.5% verringert.
Im Frischschlamm fallen 20'000 E ˜ 0.1 kgTSS E-1 d-1 = 2000 kgTSS d-1 an.
Im Faulschlamm verbleiben davon 2000 kgTSS d-1˜(100%-31.5%) = 1370 kgTSS d-1.
Bei einer Konzentration des Faulschlamms von 5.9% (= 59 kg TSS m-3) ergibt sich eine
Faulschlammmenge von 1370 kg TSS d-1 / 59 kg TSS m-3 = 23 m3 d-1.
Die Schlammmenge, die von der Anlage abgeführt werden muss, wird also durch die
Faulung von 50 m3 d-1 auf 23 m3 d-1 verringert.

Beispiel 25.7. Dimensionieren eines Schlammstapels


Wie gross muss der Schlammstapel werden, wenn der Faulschlamm aus Beispiel 25.6
während 4 Monaten (120 d) gelagert werden soll, bevor er landwirtschaftlich genutzt
wird?
VStapel = 120 d ˜ QFaulschlamm = 120 d ˜ 23 m3 d-1 = 2800 m3
Dieses Stapelvolumen ist ausserordentlich gross und teuer (der Faulturm hat ein Volu-
men von 1000 m3, Beispiel 25.4). Es sollte entweder versucht werden, den Faul-
schlamm noch weiter einzudicken oder der Schlamm muss im Winter anders entsorgt
resp. entwässert, getrocknet und trocken gestapelt werden.
Die häufige Lösung, dass ein zweiter Faulturm (der Nachfaulraum, Stapel) das gleiche
Volumen hat wie der Faulraum selbst, genügt im Normalfall nicht für die Stapelung!

Beispiel 25.8. Stickstoff im Faulwasser


Ein Frischschlamm enthält 4.5% TSS mit 60% GV. Der Anteil des organisch gebunde-
nen Stickstoffs an den organischen Stoffen (GV) beträgt 5%.
Wie gross ist die Ammoniumkonzentration im ausgefaulten Schlamm?
Im Faulturm werden ca. 50% der organischen Stoffe abgebaut (Tabelle 25.2), wodurch
ca. 50% des organisch gebundenen Stickstoffs als Ammonium NH4+ frei werden
(Gl.(25.2)). Die NH4+-N Konzentration beträgt:
410 25 Verfahren der Schlammbehandlung

SNH4 = 45 kg TSS m-3 ˜ 0.6 kg GV kg-1 TSS ˜ 0.05 kg N kg-1 GV ˜ 0.5


= 680 g NH4+-N m-3
Da der Faulschlamm eingedickt und ev. entwässert wird, muss das Faulwasser und das
Filtrat in die Kläranlage zurückgeleitet werden, was eine grosse Rückbelastung der An-
lage mit Ammonium ausmachen kann. Der hier anfallende Stickstoff muss bei der Di-
mensionierung von nitrifizierenden und denitrifizierenden Kläranlagen berücksichtigt
werden.

Beispiel 25.9. Rückbelastung der Abwasserreinigung


Wie gross ist der Anteil der Stickstofffracht einer Kläranlage, der aus der Schlammbe-
handlung in die Kläranlage zurückgeleitet wird?
Annahmen:
1 Einwohner liefert im Zulauf zur Kläranlage 11 g Stickstoff pro Tag (Tabelle 6.1, Seite
97), davon werden ca. 3 g in den Klärschlamm eingebunden (1 g im Primärschlamm, 2
g im Sekundärschlamm, Tabelle 24.2, Seite 396). Die biologische Anlage wird ohne
Rückläufe mit 10 gN E-1 d-1 (=100%) belastet.
50% des Stickstoffs im Klärschlamm gehen durch den Abbau der organischen Stoffe in
Lösung (s. Beispiel 25.8): Gelöster Stickstoff im Faulschlamm: 1.5 g E-1 d-1.
Als Folge der Verringerung des Volumens des Schlamms wird der gelöste Stickstoff in
die Kläranlage zurückgeleitet:
Die Volumenverringerung beträgt (Tabelle 24.2):
68% bei Faulung und Eindickung (2.5 o 0.8 l E-1 d-1), daraus ergibt sich eine Rückbe-
lastung der Anlage von 1.5 ˜ 0.68 = 1.0 gNE-1d-1 = 10% der Belastung der biologischen
Anlage
84% bei Entwässerung: 1.5 ˜ 0.84 = 1.26 gNE-1d-1 = 13% der Belastung
95% bei Trocknung: 1.5 ˜ 0.95 = 1.43 gNE-1d-1 = 15% der Belastung
Bedeutung der Rückbelastung für die Abwasserreinigung:
Werden diese Rückläufe in kurzer Zeit in die biologische Reinigung zurück geleitet, so
kann insbesondere die Nitrifikation im Tagesverlauf stark überlastet werden, z.B. ma-
chen bei Schlammentwässerung die Filtrate verteilt über 2 h im Vergleich zum Zulauf
zur Anlage 13% ˜ 24 h / 2 h = 156% der Ammoniumfracht aus. Wenn diese Belastungs-
spitze auf die hohe Ammoniumbelastung am Vormittag trifft, kann die Nitrifikation nicht
mehr genügen – die Anlage ist überlastet und Ammonium wird zur Vorflut durchbrechen
(s.a. Abb. 20.13).
Heute ist es üblich, Rückläufe aus der Schlammbehandlung zu stapeln und in der Nacht
in die biologische Reinigung zurückzuleiten.

25.3.2 Langzeitbelüftung
Wird ein Belebtschlammverfahren ohne Vorklärung und mit grossem Schlamm-
alter (TX > 20–25 d, s. Tabelle 20.6) betrieben, so fällt auf dieser Anlage nur der
Überschussschlamm aus diesem Verfahren an. Es entsteht insbesondere kein Pri-
märschlamm. Die biologische Aktivität dieses Schlamms (der Sauerstoff-
verbrauch) ist sehr gering, weil alle schnellabbaubaren organischen Stoffe bereits
abgebaut wurden. Der Schlamm ist also bereits stabil.
In kleinen Anlagen (< 5'000 E) kommt dieses Verfahren zur Anwendung, weil
es im Betrieb sehr einfach ist (es gibt nur eine Verfahrensstufe) und es eine gute
Reinigungsleistung erbringt. Diese Anlagen werden mit einem hohen Schlammal-
Biologische Schlammstabilisierung 411

ter betrieben und haben entsprechend ein grosses Belebungsbecken. Sie nitrifizie-
ren und können wegen des grossen Volumens häufig auch mit Denitrifikation be-
trieben werden. Die grosse Aufenthaltszeit hat dem Verfahren den Namen Lang-
zeitbelüftung gegeben.
Der anfallende Klärschlamm kann z.B. in eine grössere Nachbaranlage ge-
bracht werden, wo er weiter aufbereitet wird. Im Sommer kann der Schlamm lokal
eingedickt und direkt an die Landwirtschaft abgegeben werden, allerdings ohne
Hygienisierung.

Beispiel 25.10. Langzeitbelüftung


Wie gross wird das Belebungsbecken einer Langzeitbelüftung ohne Vorklärung für eine
Gemeinde mit 1000 Einwohnern? Es soll keine Phosphorelimination betrieben werden.
Mittlerer Zufluss Q = 250 m3 d-1
BSB5 im Rohabwasser = 240 g m-3
In Tabelle 20.6 wird im Belebungsverfahren mit Schlammstabilisierung das Schlammal-
ter TX mit 25 Tagen angegeben. (Das Arbeitsblatt DWA A131 gilt allerdings nur für An-
lagen für mehr als 5000 Einwohner.) Die spezifische Schlammproduktion ÜSB beträgt
ca. 1.0 kgTSkg-1BSB5. Nach Tabelle 20.7 ist eine typische zulässige Belebtschlammkon-
zentration TSBB z.B. 4.5 kgTSm-3.
Das erforderliche Volumen des Belebungsbeckens VBB wird damit zu:
VBB = TX ˜ Q ˜ BSB5 ˜ ÜSB / TSBB = 333 m3
Die mittlere Aufenthaltszeit des Abwassers, Th = VBB/Q = 1.33 d, wird sehr gross, daher
der Name des Verfahrens.
Da der Schlamm in den Becken des Verfahrens nur für kurze Zeit gestapelt werden
kann, ist zusätzlich ein Schlammstapel erforderlich, der z.B. als Eindicker gestaltet wird
oder es könnten z.B. Trockenbeete (s. Abschn. 25.5.5) gebaut werden, in denen der
Schlamm entwässert wird.

25.3.3 Aerobe mesophile Schlammstabilisierung


An Stelle einer Langzeitbelüftung, in der der Schlamm in verdünnter Form als
Belebtschlamm aerob stabilisiert wird, ist es möglich, den konzentrierten Klär-
schlamm in einem separaten Reaktor aerob mesophil (d.h. mit Sauerstoff im Tem-
peraturbereich von ca. 15–30°C) zu stabilisieren. Die mittlere Aufenthaltszeit in
diesem Reaktor wird analog zum Schlammalter in der Langzeitbelüftung mit ca.
25 Tagen gewählt. Da in eine aerobe mesophile Schlammstabilisierung gelegent-
lich auch Primärschlamm (Schlamm aus der Vorklärung) gelangt, kann die Sauer-
stoffzehrung recht gross werden. Der rohe Schlamm (Primär- und Sekundär-
schlamm) wird daher nur mit ca. 2.5–3.5% TS (25–35 kg TSS m-3) in den Reaktor
eingeführt.
Da in diesem einfachen Verfahren die eingetragene Luft direkt in die Atmo-
sphäre verloren geht, kann die Abwärme der biologischen Prozesse (s. aerob
thermophile Schlammhygienisierung, Abschn. 25.2.1) nicht für die Aufwärmung
des Schlamms genutzt werden. Die resultierende geringe Prozesstemperatur liegt
im mesophilen Bereich, 15–25°C.
412 25 Verfahren der Schlammbehandlung

Beispiel 25.11. Aerobe Schlammstabilisierung


In einer Kläranlage für 1000 Einwohner fallen ca. 100 kgTS d-1 als Klärschlamm an. Wie
gross wird eine mesophile aerobe Schlammstabilisierung? Wieviel Sauerstoff wird in
diesem Reaktor verbraucht?
Reaktorvolumen:
Die Zulaufkonzentration des Schlamms wird auf ca. 3.3% TS = 33 kgTSSm-3 eingestellt,
d.h. es fallen 100 kgTSS d-1 / 33 kgTSS m-3 = 3 m3 d-1 Rohschlamm an.
Die typische Aufenthaltszeit in der aeroben Stabilisierung beträgt ca. 25 d, damit wird
das Volumen des Reaktors zu: V = 25 d · 3 m3 d-1 = 75 m3.
Zusätzlich zu diesem Reaktionsvolumen müssten wir noch ein Stapelvolumen vorse-
hen. Schlammstapelung wird aber erst nach der Eindickung des stabilisierten
Schlamms, bei möglichst grosser Konzentration erfolgen. Alternativ könnte der
Schlamm auch in Trockenbeeten gestapelt werden.
Sauerstoffbedarf:
Von den 100 kg TSS sind ca. 67% organisch (GV, Glühverlust), davon werden ca. 50%
aerob abgebaut:
Abbau von organischen Stoffen: 50% · 0.67 kgGVkg-1TS · 100 kgTS d-1 = 34 kgGV d-1.
Für den Abbau von 1 kgGV sind ca. 1.5 kgO2 erforderlich:
Sauerstoffbedarf: 1.5 kgO2kg-1GV · 33 kgGV d-1 = 50 kgO2 d-1 oder bezogen auf das Reak-
torvolumen ca. 50 kg / 75 m3 = 0.67 kg O2 m-3 d-1.
Der mögliche Eintrag von Sauerstoff in einen konzentrierten Schlamm hinein ist be-
grenzt, diese Menge könnte aber eingetragen werden.

25.4 Stapelung
Klärschlamm darf nur während der Vegetationsperiode in die Landwirtschaft
ausgebracht werden, d.h. wenn die Nährstoffe durch das Pflanzenwachstum ge-
nutzt werden können. Das bedingt, dass der anfallende Schlamm im Winter gela-
gert werden muss.
Die Gefahr, dass nicht genutzte Nährstoffe aus dem Boden ins Grundwasser
oder bei gefrorenem Boden in die nahen Gewässer ausgeschwemmt werden, ist
gross. Eine Lagerdauer von 3–4 Monaten, je nach Höhenlage der Anlage, ist er-
forderlich, um die Wintermonate zu überbrücken. Die entsprechenden Stapelvo-
lumen werden v.a. bei flüssiger Schlammstapelung sehr beträchtlich und überstei-
gen die Volumen der Schlammfaulung um ein Mehrfaches (s. dazu Beispiel 25.7
und Beispiel 25.13). Konsequente Eindickung und ev. mobile Entwässerungsan-
lagen können mithelfen, die entsprechenden Stapelvolumen zu vermindern.
VORSICHT: Viele Fischsterben werden verursacht, weil in kleinen Anlagen
der Faulschlamm von z.B. einem Monat mit einer mobilen, zugemieteten Entwäs-
serungsanlage in kurzer Zeit entwässert wird und die anfallenden Schlammwässer
über die Kläranlage entsorgt werden. Dadurch werden nitrifizierende Anlagen
stark mit dem Ammonium im Schlammwasser überlastet und die Gewässer ent-
sprechend belastet (s. dazu Beispiel 25.9).
Entwässerung 413

25.5 Entwässerung
Ziel der Schlammentwässerung ist die Verminderung des Volumens des anfallen-
den Schlamms durch Verminderung des Wasseranteils. Dieser Prozess wird in
Apparaten durchgeführt und wird durch die Zugabe von Flockungshilfsmitteln
unterstützt.
Durch mechanische Entwässerungsverfahren kann ein Schlamm mit 18–40 % TS
und entsprechend 82–60 % Wasser erhalten werden. Dabei entsteht ein Schlamm-
kuchen, der anfänglich meist pastös bis stichfest ist, der aber schon bald wieder
Flüssigkeit abgibt, verklebt und in dieser Form nicht gelagert werden kann.
Schlammentwässerung ist also meist nur ein Zwischenschritt, der zu weiterge-
henden Massnahmen führt: Trocknung, Verbrennung oder (mechanische) Stabili-
sierung mit Kalk als Notlösung (Zugabe von gelöschtem Kalk, Ca(OH)2, der sich
zu CaCO3 verfestigt). Ev. kann entwässerter Schlamm direkt mit Miststreuern in
die Landwirtschaft ausgebracht werden.

25.5.1 Konditionierung
Die Schlammkonditionierung bereitet den Schlamm mit Hilfe von Chemikalien auf
die Entwässerung vor: Gut konditionierter Schlamm gibt das Wasser leichter ab.
Im ausgefaulten Klärschlamm ist das Wasser (meist mit >96% Volumenanteil) mit
den Feststoffen so verbunden, dass die Abtrennung nur beschränkt möglich ist. Es
werden daher organische Flockungshilfsmittel (meist Polyelektrolyten, langkettige
Moleküle) zugegeben, die zur Flockung der Feststoffe beitragen und die Abtren-
nung des Wassers erleichtern. Die Wahl und die Dosierung von Flockungshilfs-
mitteln basiert meist auf Versuchen und Optimierungen, die anlagenspezifisch
sind. Typische Dosierungen von Flockungshilfsmitteln sind im Bereich von 4–10
g kg-1 TS. Bei einem Preis von 5–10 Fr kg-1 machen diese Chemikalien einen
grossen Teil der Kosten der Schlammbehandlung aus.

25.5.2 Dekanter
Dekanterzentrifugen sind Maschinen, die die Zentrifugalkraft für die Entwässe-
rung von Klärschlamm nutzen.
Zentrifugen werden heute v.a. in Form von Dekantern zur Entwässerung von
Faulschlamm eingesetzt (Abb. 25.7). Die Feststoffe sedimentieren unter der Ein-
wirkung der Zentrifugalkraft an der Aussenwand aus und werden mit einer lang-
samlaufenden Schnecke ausgetragen. Die Flüssigkeit akkumuliert gegen das Zent-
rum des Dekanters und kann über ein Wehr dekantiert werden. Dekanter sind
kontinuierlich betriebene Apparate, mit denen im ausgetragenen Kuchen ein Fest-
stoffgehalt > 25% TS erreicht werden kann.

25.5.3 Filterpressen
In Filterpressen wird der Schlamm durch Druck über Filtertücher entwässert.
Filterpressen (Abb. 25.8) werden chargenweise betrieben. Der konditionierte
Schlamm wird in die Filterkammern der Presse unter Druck eingepumpt. Über die
414 25 Verfahren der Schlammbehandlung

Getriebe Schnecke Trommel Wehr


Antrieb:
Trommel
Schnecke
Schlamm-
zulauf

Feststoffaustrag Zentratablauf

Trocken-
zone Flüssigzone

Abb. 25.7. Schemaskizze eines Schlammdekanters. Die Schnecke dreht sich relativ zur Trommel
und trägt die Feststoffe aus. Die geklärte Flüssigkeit wird über ein geregeltes Wehr ausgetragen

Träger Filterkammern
Presskolben

Hydraulischer
Zylinder:
Druckkraft

Austrag des Filterkuchens


nach dem Öffnen der Presse

Dichtung

Filterplatte

Schlamm

Filtertuch mit
Druckkraft
Drainage-Membran
als Unterlage
Filterkammer
gefüllt mit Schlamm

Filtrat

Abb. 25.8. Schemaskizze einer Filterpresse: Oben Filterpresse mit einer Serie von Filterplatten.
Unten: Funktionsschema während des Füllens der Filterkammern. Nach dem Füllen wird ge-
presst (Hydraulischer Zylinder) und anschliessend werden die Filterkammern geöffnet, sodass
die Filterkuchen herausfallen können
Entwässerung 415

Schlamm und Flockungsmittel Zulauf Filtertuch Entwässerungs-


walze

Abb. 25.9. Schematische


Austrag von Ablauf von Reinigung des Darstellung einer Bandfil-
Filterkuchen Pressrollen Filtrat Filtertuches terpresse

grossen, mit Filtertüchern bespannten Filterflächen entweicht das Filtrat. Gegen


Ende eines Filterzyklus wird das Wasser noch weiter ausgepresst, indem die Fil-
terpresse (z.B. mit hydraulischen Pressen) langsam geschlossen wird. Zum
Schluss wird die Presse geöffnet und der entwässerte Kuchen fällt heraus.
Mit Filterpressen kann bei geeigneter Konditionierung und genügender Filter-
zeit ein hoher Feststoffgehalt von > 30% TS erreicht werden. Filterpressen sind
grosse Apparate und kommen v.a. in grossen Anlagen zur Anwendung.

25.5.4 Bandfilterpressen
Bandfilterpressen (Abb. 25.9) sind eine kontinuierliche Variante der oben disku-
tierten Filterpressen. Der konditionierte Schlamm wird vorerst in einer dünnen
Schicht auf die Filterfläche aufgebracht und mit Schwerkraft oder Unterdruck
entwässert. Anschliessend wird der Filterdruck erhöht und in Umlenkrollen wird
der Schlamm „geknetet“ um die Entwässerung zu unterstützen. Bandfilterpressen
sind kleine Apparate und können entsprechend auch in kleineren Kläranlagen zum
Einsatz gelangen. Die erreichten Feststoffkonzentrationen sind geringer als dieje-
nigen von Filterpressen.

25.5.5 Trockenbeete
Trockenbeete nutzen die natürliche Drainage und Trocknung an der Luft. Sie eig-
nen sich v.a. in kleinen Anlagen.
In Schlammtrockenbeeten wird stabilisierter Schlamm auf einer Filterschicht aus
Sand ausgebracht, die unten drainiert ist. Der Schlamm gibt grosse Teile seines
Wassergehalts in die Drainage ab und trocknet nachher an der Luft aus. Ein Bei-
spiel eines Schlammtrockenbeets ist in Abb. 25.10 dargestellt. Der getrocknete
Schlamm wird zusammen mit einer dünnen Sandschicht ausgetragen und kann
landwirtschaftlich genutzt werden.
Trockenbeete eignen sich auf kleinen und einfachen Kläranlagen, wo sie meist
„von Hand“ betrieben werden und dort das Problem der Volumenverringerung des
416 25 Verfahren der Schlammbehandlung

ev. Abdeckung

Faulschlamm flüssig
z.B. 20 cm

Drainage Sandbett 30 cm
für Drainage

Steinplatten

Abb. 25.10. Schematische Darstel-


Zufluss lung eines Schlammtrockenbeets

Klärschlamms auf effiziente Art lösen. Mit Trockenbeeten ergibt sich auch die
Möglichkeit der Stapelung von Schlamm vom Winter in die Vegetationsperiode.
Nach Imhoff (1999) kann in grösseren Anlagen der folgende Flächenbedarf
angenommen werden:
– Nur mechanische Reinigung: 13 Einwohner m-2
– Anlage mit Tropfkörper: 6 Einwohner m-2
– Belebungsanlage: 4 Einwohner m-2
In kleinen Anlagen sollte noch ein Zuschlag gemacht werden.

Beispiel 25.12. Dimensionierung von Trockenbeeten


Wie gross werden die Trockenbeete für eine Kläranlage mit Tropfkörpern, die das Ab-
wasser von 1000 Einwohnern reinigt?
Bei 6 Einwohnern m-2 sind total 160 m2 erforderlich, diese Fläche steht in ländlichen
Gemeinden sicher zur Verfügung. Diese Fläche kann z.B. auf 200 m2 erhöht werden,
um den Betrieb zu vereinfachen.

Beispiel 25.13. Trockenbeete als Schlammstapel


Wie lange kann der Klärschlamm in Trockenbeeten gestapelt werden?
Annahmen: Von jedem Einwohner fallen pro Tag 0.8 l eingedickter, ausgefaulter
Schlamm an. Die Anlage wird mit Tropfkörpern betrieben, entsprechend steht pro 6
Einwohner 1 m2 Trockenbeet zur Verfügung. Die Trockenbeete können bis zu 0.2 m
Tiefe mit Faulschlamm gefüllt werden.
Das Stapelvolumen beträgt 1 m2 ˜ 0.2 m / 6 E = 0.033 m3 E-1
Die minimale Stapelzeit beträgt: 0.033 m3 E-1 / 0.0008 m3 E-1 d-1 = 41 d
In dieser Zeit wird ein grosser Teil des Wassers an die Drainage abgegeben, sodass
Klärschlamm nachgefüllt werden kann und damit die Stapelzeit entsprechend verlängert
wird und insgesamt mindestens 90 d beträgt.
Trocknung 417

Vorlauf Scheibenelement
heiss beheizt
Rücklauf
kühler Gegenhaken
fest

Mantelrohr Knet- und


beheizt Mischbarren
Trockenschlamm bewegt

Abb. 25.11. Querschnitt durch einen Klärschlammtrockner. Grosse beheizte Oberflächen und
Einbauten, die die dauernde Erneuerung der Oberflächen erwirken, führen zu einer effizienten
Trocknung. Durch drehen der Einbauten wird der Klärschlamm gefördert

Analog zu Trockenbeeten kommen heute auch grosse Anlagen zur Anwendung, in


denen mit Sonnenenergie der Klärschlamm getrocknet wird. In einem verglasten,
von der Sonne erwärmten, entlüfteten Raum wird der feuchte Schlamm dauernd
gewendet und so getrocknet.

25.6 Trocknung
In der thermischen Trocknung wird der Wassergehalt von entwässertem Schlamm
durch Verdampfung des Wassers weiter vermindert.
Es kommen unterschiedlichste Bauformen von Trocknern zur Anwendung, wobei
insbesondere die verfügbare Prozesswärme eine Rolle spielt. Ein Beispiel eines
Trockners ist stark vereinfacht in Abb. 25.11 dargestellt. Das Produkt, der ge-
trocknete Klärschlamm, enthält meist ca. 75–95% TS (d.h. < 25% Wasser).
Für die Beheizung kommen Dampf, heisse Abgase oder ev. Trägeröl zur An-
wendung. Bei der Brüdenkompression werden die Abgase (die Brüden) in Kom-
pressoren komprimiert, dadurch wird Wasser ausgeschieden und die Verdamp-
fungswärme kann wieder genutzt werden. Diese Art der Beheizung beruht auf der
Nutzung von elektrischer Energie und kommt mit weniger, dafür hochwertiger
Fremdenergie aus. Die Beheizung kann sowohl direkt, als Gaseintrag in den
Trockner, als auch indirekt, über Oberflächen erreicht werden. Als Energiequelle
kommen die Abwärme einer nachfolgenden Schlammverbrennung oder allenfalls
Biogas und Fremdenergie in Frage.
Trockner für Klärschlamm sind teure und anspruchsvolle Apparate und kom-
men nur in grösseren Kläranlagen (z.B. > 50'000 EG) wirtschaftlich zum Einsatz.
Kleinere Kläranlagen transportieren meist entwässerten Schlamm zur nächstgele-
genen Trocknungsanlage.
Getrockneter Klärschlamm ist hygienisiert und kann mit > 90% TS über länge-
re Zeit gestapelt werden. Als Granulat kann er in der Landwirtschaft genutzt
werden, dazu wird er gelegentlich mit mineralischem Dünger angereichert. Die
Lagerung kann Probleme verursachen: Verpuffung, Staubexplosionen und
Schwelbrände werden häufig beobachtet.
418 25 Verfahren der Schlammbehandlung

Verbrennungsraum Abgas und Asche 850°C


800 - 900°C

Zusatzbrenner
Schlammzufuhr
getrocknet
Wirbelschicht
(Sandwirbelbett) Düsenboden

Wirbelluft Anfahrbrenner

Abb. 25.12. Schematische Darstellung eines Wirbelschichtofens. Die Verbrennung der getrock-
neten Schlammpartikel findet in einem aufgewirbelten Sandbett statt. Die Asche wird mit den
Abgasen ausgetragen

25.7 Verbrennung
Mit der Verbrennung wird der Energieinhalt des Klärschlamms genutzt, eine Nut-
zung der Nährstoffe ist kaum mehr möglich.
Heute werden zwei Arten der Verbrennung von Klärschlamm angewendet:
– Klärschlamm kann in Industrieöfen, insbesondere in Zementwerken, als Zu-
satzbrennstoff verbrannt und die Asche ins Produkt eingebunden werden. Mit
solchen Lösungen könnte in der Schweiz der Klärschlamm weitgehend ent-
sorgt werden. Probleme ergeben sich, weil der Klärschlamm die Rauchgase
belastet (z.B. entweicht ein Teil des im Klärschlamm vorhandenen Quecksil-
bers Hg). Das hat zu grossen politischen Widerständen gegen diese Lösung ge-
führt. Heute wird die Möglichkeit genutzt, zu Lasten des Klärschlamms eine
zusätzliche Rauchgasreinigung in den Zementwerken zu realisieren, sodass
insgesamt die Umwelt entlastet wird.
– Klärschlamm kann allein, z.B. in Wirbelschichtöfen (Abb. 25.12) verbrannt
werden. Hier wird im Verbrennungsraum der Schlamm durch Luft in einem
Sandbett in Schwebe gehalten und die Asche wird mit dem Abgas ausgetragen.
Der zugeführte Klärschlamm muss soviel Wasser enthalten, dass durch Ver-
dampfen die Wirbelschicht auf der erwünschten Temperatur von 800–950°C
(geruchsfreie Verbrennung) gehalten werden kann. Die Abwärme kann hier für
die Trocknung des Klärschlamms genutzt werden (s. Abb. 25.13).
Wenn die Verbrennung die einzige Art der Klärschlammentsorgung ist, so ist
es wenig sinnvoll, in einem Faulturm vorerst den Heizwert des Klärschlamms
durch Entzug von Biogas zu reduzieren. In diesem Fall kann direkt der Frisch-
schlamm entwässert, getrocknet und verbrannt werden. Daraus ergibt sich aller-
dings das Problem, dass nun ein geeigneter Stapelraum für nicht stabilisierten
Schlamm während Revisions- und Unterhaltarbeiten fehlt.
Schlammverbrennung ist ausserordentlich teuer. Mit 20 Fr. pro Einwohner und
Jahr können diese Kosten fast gleich teuer werden wie der übrige Betrieb einer
Verbrennung 419

Kamin

Klärschlamm Waschwasser
Klärschlamm getrocknet entwässert

Wärmetauscher
Ofen
850°C Schlamm-
trocknung Rauchgas
und Asche
Wäscher

Stinkluft
aus ARA
10°C
Asche zur Waschwasser
Deponie zur Vorflut

Abb. 25.13. Fliessschema einer Schlammverbrennungsanlage mit integrierter Schlamm-


trocknung und Verbrennung der Stinkluft aus der Abwasserreinigungsanlage

grossen Kläranlage. Die Kostenangaben in Tabelle 25.3 basieren auf Berechnun-


gen. Realisierte Projekte führen häufig zu noch höheren Kosten, weil die Auslas-
tung nicht den Erwartungen entspricht.
Das BUWAL (2004) hat für verschiedene Projekte in der Schweiz Kostenan-
gaben (basierend auf Projektannahmen) gemacht:
– Für Trocknung von entwässertem Schlamm (24 resp. 32%TS) betragen die
Kosten Fr. 389.- resp. 256.- pro t TS.
– Für die Verbrennung im Zementwerk muss mit Fr, 156.- pro t TS gerechnet
werden. Hier muss getrockneter Schlamm angeliefert werden.
– Für die Verbrennung von entwässertem Schlamm (25%TS) in einer Klär-
schlammverbrennung muss mit Kosten von Fr. 492.- pro t TS gerechnet wer-
den. Der gleiche Schlamm wird in einer Kehrrichtverbrennung für Fr. 640.- –
680.- pro t TS verbrannt.
– Zu all diesen Kosten kommt der Aufwand für die Stabilisierung und Entwässe-
rung sowie den Transport des Klärschlamms.

Tabelle 25.3. Kosten der Klärschlammverbrennung im Wirbelschichtofen bei einer Leistung von
-1
6000 t TS a , die mit 25%TS angeliefert werden (150'000–250'000 EG) nach Obrist (1989)
-1
Minimale Kapitalkosten 290 Fr t TS
-1
Zusatzbrennstoff 50 Fr t TS
-1
Elektrische Energie 54 Fr t TS
-1
Personal 40 Fr t TS
-1
Aschedeponierung 50 Fr t TS
-1
Instandhaltung, Rest 80 Fr t TS
-1
Total 564 Fr t TS
-1 -1
das entspricht ca. 20 Fr E a
Literatur

Die hier zusammengestellte Literatur vertieft einzelne Fachbereiche der Sied-


lungswasserwirtschaft. Zusätzlich sind die im Text zitierten Arbeiten angegeben.
Neben den Fachbüchern sollten angehende Fachleute auch laufend die neuesten
Entwicklungen in den Fachzeitschriften des Arbeitsgebiets verfolgen.

Technisch-wissenschaftliche Zeitschriften
Beispiele von Zeitschriften, die sich mit Themen aus der Siedlungswasserwirt-
schaft befassen sind:
– Environmental Science and Technology (ISSN: 0013-936X)
– Gas Wasser Abwasser (ISSN: 1018-760X)
– GWF-Wasser/Abwasser (ISSN: 0016-4909)
– Journal of Environmental Engineering (ASCE) (ISSN: 0733-9372)
– Journal of Hydraulic Engineering (ASCE) (ISSN: 0733-9429)
– Journal of Hydroinformatics (ISSN: 14647141)
– Journal of the American Water Works Association (ISSN: 0003-150X)
– Journal of Water Supply: Research & Technology – AQUA (ISSN: 00037214)
– Korrespondenz Abwasser (ISSN: 1616-430X)
– Water 21 (ISSN: 1561-9508)
– Water Environment & Technology (ISSN: 1044-9493)
– Water Environment Research (ISSN: 1061-4303)
– Water Research (ISSN:0043-1354)
– Water Science & Technology (ISSN: 0273-1223)
– Water Science & Technology: Water Supply (ISSN 1606-9749)

Technische Regelwerke
Die technischen Regelwerke der Fachverbände zusammen mit den Normen der
nationalen und internationalen Normenvereinigungen (DIN, ÖNV, SNV, EN) ge-
ben umfangreiche und z.T. detaillierte Anhaltspunkte für die praxisgerechte tech-
nische Gestaltung, den Betrieb und den Unterhalt sowie die administrativen Be-
lange der Siedlungswasserwirtschaft.
Die folgenden Regelwerke wurden bei der Erarbeitung dieses Texts z.T. genutzt:
– DWA, ATV-DVWK Regelwerk: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft,
Abwasser und Abfall e.V.; DWA Bundesgeschäftsstelle, Theodor-Heuss-Allee
17, D-53773 Hennef
422 Literatur

– DVGW Regelwerk: Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V., Tech-
nisch-wissenschaftliche Vereinigung, Postfach 14 03 62, D-53058 Bonn, Ver-
trieb: Wirtschafts- und Verlagsgesellschaft Gas und Wasser mbH, Postfach 14
01 51, 53056 Bonn
– ÖVGW Regeln Wasser: Verband Gas & Wasser, Schubertring 14, A 1010
Wien
– SVGW Regelwerk: Schweizerischer Verein des Gas- und Wasserfaches, Grüt-
listr. 44, Postfach 658, CH-8027 Zürich
– VSA Richtlinien: Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleu-
te, Strassburgstr. 10, Postfach, 8026 Zürich

Einleitung
– ATV (1998) Geschichte der Abwasserentsorgung, Serie von Beiträgen in Kor-
respondenz Abwasser anlässlich des 50. Jubiläumsjahres der Abwassertechni-
schen Vereinigung
– ATV-Handbuch (1996) Betriebstechnik, Kosten und Rechtsgrundlagen der
Abwasserreinigung, 4.Aufl, Ernst&Sohn
– Berliner Wasser-Betriebe (1993) Wasserwerk Friedrichshagen 1893 – 1993,
Verlag für Bauwesen
– Illi M (1987) Von der Schîssgruob zur modernen Stadtentwässerung, Verlag
NZZ
– Kummert R, Stumm W (1992) Gewässer als Ökosysteme, 3 Aufl.,
vdf / Teubner

Zitiert
– Candinas T, Chassot G, Besson J-M, Lischer P (1991) Nutz- und Schadstoffe im Klär-
schlamm, Schweiz. Landw. Fo., 30 (1/2), 45 – 59
– Hörler A. (1966) Kanalisation, Ingenieurhandbuch, 78. Ausg., Band II, Schweiz. Verlags-
haus AG
– Lehmann M (1994) Volkswirtschaftliche Bedeutung der Siedlungswasserwirtschaft, GWA,
6/74, 442
– Whipple and Horwood zitiert in Fair, Geyer and Okun, Water and Wastewater Engineering,
Vol 1, John Wiley & Sons, 1966

Grundlagen
– Deutsche Einheitsverfahren zur Wasser-, Abwasser- und Schlammuntersu-
chung. Band I - V. Verlag Chemie ISBN 3-527-28653-5. Wird laufend erneu-
ert.
– Levenspiel O (1999) Chemical Reaction Engineering, 3.Edn., John Wiley &
Sons.
– Sigg L, Stumm W (1996) Aquatische Chemie, 4. Aufl, vdf / Teuber
– Standard Methods for the Examination of Water and Wastewater, 19.Edn.
1998. American Public Health Association, 1015 Fifteenth Street, NW, Wa-
shington, DC 20005, USA
Wasserversorgung 423

Zitiert
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weise und Analysemethoden), Teil 1 und 2, Eidgenössisches Departement des Innern, Aus-
gabe 1983.
– Ellis B. (1985)
– Zobrist J, Eawag (1998) Persönliche Mitteilung.

Wasserversorgung
– Damrath H, Cord-Landwehr K (1998) Wasserversorgung, 11. Aufl., Teubner
– DVGW, Lehr- und Handbuch Wasserversorgung, Oldenbourg
Bd.1: Wassergewinnung und Wasserwirtschaft (1996)
Bd.3: Maschinelle und elektrische Anlagen (1995)
Bd.5: Wasserchemie für Ingenieure (1993)
– Gebr. Sulzer AG (1990) Kreiselpumpen Handbuch, 3.Aufl, Vulkanverlag
– Grombach P, Haberer K, Merkl G, Trüeb U E (2000) Handbuch der Wasser-
versorgungstechnik, 3.Aufl, Oldenbourg
– Kottmann A (1992) Druckstossermittlung in der Wasserversorgung, Vulkan-
verlag

Zitiert
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– Joukowsky (1898) Die Originalarbeit stand dem Autor nicht zur Verfügung
– SVGW (1989) Richtlinien für Projektierung, Ausführung und Betrieb von Quellfassungen.

Siedlungsentwässerung
– ATV-Handbuch (1994) Planung der Kanalisation, 4.Aufl, Ernst&Sohn
– ATV-Handbuch (1996) Bau und Betrieb der Kanalisation, 4.Aufl, Ernst&Sohn
– Geiger W, Dreiseitl H (2001) Neue Wege für das Regenwasser, 2. Aufl. Ol-
denbourg
– Hager A H (1994) Abwasserhydraulik, Springer-Verlag
– Hosang/Bischof W (1998) Abwassertechnik, 11.Aufl, Teuber
– Hörler A, Rhein H R (1962) Die Intensitäten der Starkregen in der Schweiz,
Schweiz. Z. Hydrologie, XXIV, S. 291-352.
– Imhoff K und K R (1999) Taschenbuch der Stadtentwässerung, 29.Aufl, Ol-
denbourg
– Schilling W (1990) Operationelle Siedlungsentwässerung, Oldenbourg
– SIA (1980) Kanalisationen, Schweiz. Ingenieur und Architektenverein, Doku-
mentation 38
– SIA (1982) Sonderbauwerke der Kanalisationstechnik I, 2. Aufl., Schweiz.
Ingenieur und Architektenverein, Dokumentation 40
– SIA (1982) Sonderbauwerke der Kanalisationstechnik II, Schweiz. Ingenieur
und Architektenverein, Dokumentation 53
424 Literatur

– SIA (1993) Kanalisationen 4, Schweiz. Ingenieur und Architektenverein, Do-


kumentation D 0100
– Sieker F (2002) Naturnahe Regenwasserbewirtschaftung in Siedlungsgebieten,
2. Aufl., Expert Verlag Renningen.
– Vischer D, Hager W H (1992) Hochwasserrückhaltebecken, vdf
– Vischer D, Huber A (1993) Wasserbau, 5.Aufl, Springer Lehrbuch
– VSA (1989) Genereller Entwässerungsplan (GEP), Richtlinie und Musterbuch,
Verband Schweiz. Abwasser- und Gewässerschutzfachleute
– WSL (1975 – 1992) Starkniederschläge des schweizerischen Alpen- und Al-
penrandgebietes, Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft,
Band 1 (1975) bis Band 9 (1992)

Zitiert
– AGW (1982) Der Spitzenabflussbeiwert von Siedlungsgebieten, Dezember 1982. Baudirek-
tion des Kantons Zürich, Amt für Gewässerschutz und Wasserbau.
– AGW (1996) Die Versickerung von Regenwasser auf der Liegenschaft, Direktion der öffent-
lichen Bauten des Kantons Zürich, Amt für Gewässerschutz und Wasserbau. Viele schweize-
rische Behörden stellen ähnliche Unterlagen zur Verfügung.
– ATV (1982) Planung und Bau von Abwasserpumpwerken mit kleinen Zuflüssen, Arbeits-
blatt A 134
– ATV (1990) Bau und Bemessung von Anlagen zur dezentralen Versickerung von nicht
schädlich verunreinigtem Niederschlagswasser, Arbeitsblatt A138
– BUWAL (1979) Der Spitzenabflussbeiwert - Eine Untersuchung der Regenwasserverluste in
Siedlungsgebieten.
– BUWAL (1984) Wirkung von Regenbecken, Schriftenreihe Umweltschutz Nr. 29
– Hörler A (1966) Kanalisation, Ingenieur-Handbuch (Schweiz. Verlagshaus AG, Zürich)
– Hörler A (1967) Gefällswechsel in der Kanalisationstechnik bei Kreisprofilen, Schweiz. Z.
Hydrol., 29:2, 387 - 426.
– Hörler A, Rhein H R (1961) Die Intensitäten der Starkregen in der Schweiz, Schweiz. Bau-
zeitung, 79:32, 559-563.
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XXVI:2.
Sachverzeichnis

A 131 (Arbeitsblatt der DWA-ATV- – Tauchkörper, 369


DVWK), 96, 328, 342 - 354 – Tropfkörper, 363
Abflussbeiwert, 205, 217 - 226 BSE, 13, 394, 397
Abflusssteuerung, 285
Abwasseranfall, 69, 83 Chemische Abwasserreinigung, 313
Abwasserfaulraum, 385 Chemischer Sauerstoffbedarf s. CSB
Abwasserreinigungsanlage Chlor, 132, 146
– Fliesschema, 296 Chlordioxid, 132, 146
– biologische, 317 Chlorierung, 132
Abwasserteich, 387 Cryptosporidien, 54
Adsorption, 139, 146 CSB, s.a. BSB5
Aerob thermophile Hygienisierung, 402 – Definition, 36
Aktivkohle, 139, 146 – Einwohnergleichwert, 96
Alkalinität, s. Säurebindungsvermögen
Ammoniak, Ammonium, 41, 100, 243, 321, Dekanter (Klärschlamm), 413
342, 409, 410 Denitrifikation, 321, 349, 362
Anreicherung von Grundwasser, 126 Desinfektion (s.a. Hygienisierung), 7, 56, 132
Äquivalente Rohrleitung, 168 Dichte
Archimedes Schraube, 267 – Filtersand, 136
– Suspendierte Stoffe, 305
Bakterien, 54, 132, 318, 401 – Wasser, 53
Bandfilterpresse, 415 Dichtigkeit von Kanälen, 252
Belebtschlammflocke, 325 Drainage, 69
Belebtschlammverfahren, 323 - 362 Drosselstrecke, 259
Belebungsanlage, 323 - 362 Druckleitung
Belüftung, 333 – Abwasser, 267
Betriebspunkt von Pumpanlagen, 176 – Trinkwasser, 162, 190
Betriebsrauhigkeit, hydraulisch, 162 - 168 Druckstoss in Druckleitungen, 190
Biochemischer Sauerstoffbedarf s. BSB5 Druckverlust, s. Energieverlust
Biofilm, 322, 363, 369, 371 Druckwindkessel, 159, 193
Biofiltration, 371 Druckzone, 186
Biogas, 405 Düker (Kanalisationstechnik), 256
Biologische Abwasserreinigung, 317 - 375 Dynamische Simulation
Biologische Phosphorelimination, 359, 362 – Abwasserreinighung, 333
Blähschlamm, 325 – Kanalisation, 282
Bodenfilter, 386
Bodenpassage, 126, 386 Eindicker
BSB5 – Dimensionierung, 399
– Belebtschlammanlage, 328, 338 – Emscherbrunnen, 312
– Definition, Analyse, 38 – Fliessschema ARA, 296
– Einwohnergleichwert, 96 – Fliessschema Schlamm, 395
– im städtischen Abwasser, 60 Einwohnergleichwert (EG), 96
– Jahresgang, 99 Eisenchlorid, 355
428 Index

Emscherbrunnen, 312 Generelles Kanalisationsprojekt s. GKP


Energieverlust GEP, 287
– Filtration, 136 Geruch, 54
– hydraulisch, 162, 186 Geschmack, 54
Enthärtung von Trinkwasser, 145 Gewässerschutz, 15, 127, 381
Entlastung von Mischwasser, 236, 256 Gewässerschutzbereiche, 127, 269
Entsäuerung von Trinkwasser, 144 Giardia, 54
Entwässerungsplanung, 287 GKP, 287
Escherichia coli, 55 Glührückstand, 36, 66
Extremwertfaktor Glühverlust
– Abwasser, 90 – Analyse im Abwasser, 36
– Trinkwasser, 71 – Analyse im Klärschlamm, 66
– von Belebtschlamm, 325
Fällmittel, 355 – von Faulschlamm, 395
Fällung Grenzwerte
– Abwasserreinigung, 313, 354, 375 – Abwasser, 292
– Wasseraufbereitung, 145 – Klärschlamm, 67
Fangbecken, 262 – Trinkwasser, 56, 60
Faulraum, s. Faulturm Grundwasser, 116 - 125
Faulschlamm, 67, 395, 405 Grundwasserbrunnen, 119 - 125
Faulturm, 296, 405 GUS s. TSS
Faulung, 405
Fehlanschlüsse an Kanalisationen, 229 Hauptleitung, Wasserversorgung, 93, 162,
Fettfang, 302 184
Feuerwehr, 82, 156, 188 Hydraulische Aufenthaltszeit
Filterpresse, 413 – Nachklärung, 336
Filtration – Vorklärung, 310
– Abwasser, 375 Hydraulische Berechnungen
– Labor, Analytik, 34 – Kanalisation, 274
– Trinkwasser, 135 - 139 – Wasserversorgung, 161 - 196
Flächenbelastung Hydrolyse, 320
– Tauchkörper, 369 Hygiene
– Tropfkörper, 364 – Klärschlamm, 401
Flachstrecke von Kanalisationen, 281 – Trinkwasser, 54, 132
Fliessgeschwindigkeit Hygienisierung (Klärschlamm), 296, 401
– Kanalisation, 222, 275
– Trinkwasserleitungen, 162, 170 IDF (Intensität-Dauer-Frequenz Kurve), 210
Fliesszeitverfahren, 222 intermittierende Denitrifikation, 351
Flockung Ionenaustausch, 145
– Abwasser, 313, 355
– Klärschlamm, 413 Jahresgang
– Trinkwasser, 140, 146 – Abwasseranfall, 87
Flockungsfiltration, 375 – Quellwasser, 117
Flotation mit gelöster Luft, 378 – Schmutzstoffanfall, 99
Flusswasser, 58, 115, 126, 142 – Temperatur, 104
Förderhöhe von Pumpen, 170 – Wasserverbrauch, 75
Freispiegelleitungen, 275 Jährlichkeit von Regen, 208, 220
Fremdwasser, 83 - 92
Frischschlamm, 296, 395 Kaliumpermanganatverbrauch, 37
Kanalisation, 199 - 286
Gasproduktion (Biogas, Faulgas), 405 Kanalstauraum, 262
Gefällswechsel, 281 Kjeldahl-Stickstoff, 42, 96
Generalentwässerungsplan s. GEP Kläranlage, 291 - 383
Genereller Entwässerungsplan s. GEP Klärschlamm, 13, 65, 296, 391 - 418
Index 429

Klarwasserzone (Nachklärbecken), 336 – Langsamsandfilter, 135


Kleinkläranlagen, 385 – Langzeitbelüftung, 410
Koagulation, 140 – Prozesse, 321
Kontrollschacht, 253 – Tauchkörper, 369
Kosten – Tropfkörper, 364
– Abwasserreinigung, 383 Nitrit, 40, 43, 292, 342
– Klärschlammverbrennung, 418 Nitritoxidierer, 342
– Siedlungswasserwirtschaft, 16 Nitrobakter, 342
– Wasserversorgung, 197 Nitrosomonas, 318, 342
Kreiselpumpe, 170 NPSH in Pumpanlagen, 173

Landwirtschaft, 67, 127, 389, 394 Oberflächenbelastung (hydraulisch)


Langsamsandfilter, 135, 146 – Definition, 305
Langzeitbelüftung, 410 – Eindicker, 399
Lebensmittel (Trinkwasser), 56, 107 – Flotation, 378
Leitfähigkeit des Wassers, 51 – Nachklärung, 336
Liegenschaftsentwässerung, 245 – Vorklärung, 310
Löschwasser, 82, 156, 159 Oberflächenspannung von Wasser, 53
Organisch gebundener Kohlenstoff, 39
Massenbilanz, 21 Ozon, Ozonierung, 132, 146
Mechanische Abwasserreinigung, 301
Mehrschichtfilter Parallelbetrieb von Pumpen, 176
– Abwasserreinigung, 375 Pasteurisierung von Klärschlamm, 404
– Trinkwasseraufbereitung, 136 pathogene Keime
Membrantechnologie – Klärschlamm, 401
– Abwasserreinigung, 372 – Trinkwasser, 54, 132
– Trinkwasseraufbereitung, 149 Pflanzenanlagen (Abwasserreinigung), 387
Mengenproportionale Probenahme, 62 Phosphat, s. Phosphor
Meteorwasser, 62, 199 Phosphor
Mikrosieb, 141, 378 – Analyse, 44
Mischsystem, 227, 235, 259 – biologische Elimination, 359
Mischwasser, 62, 83, 228, 235 – chemische Abwasserreinigung, 313
– chemische Fällung, 354
Nachklärbecken – Einleitbedingung Abwasser, 292
– Belebungsanlagen, 296, 336 – Einwohnergleichwert, 96
– Denitrifikation im NKB, 349 – Flockungsfiltration, 375
– Tauchkörper, 369 – Klärschlamm, 67
– Tropfkörper, 363 – typische Konzentrationen, 58
Net Positive Suction Head, s. NPSH – Tauchkörper, 369
Netzberechnung (Wasserversorgung), 161, – Tropfkörper, 363
178 pH-Wert
Niederschlag – Belebungsbecken, 333
– chemische Zusammensetzung, 59 – Definition, 45
– im Jahresgang, 87 – Denitrifikation, 349
– Intensität, Regenspende, 208, 210 – Nitrifikation, 342
Nitrat – typische Werte, 58
– Analyse, 40, 43 – Trinkwasseraufbereitung, 146
– Denitrifikation, 321, 349 Probenahme, 62
– Einleitbedingungen Abwasser, 292 Pumpen, 170
– Nitrifikation, 321, 342 – Pumpenkennlinie, 173
– Typische Konzentrationen, 58 – Abwasserpumpwerke, 267
Nitrifikation – NPSH, 173
– Belebtschlammverfahren, 342
– Einleitbedingungen, 292 Quellfassung, 117
430 Index

Quellwasser, 117, 131 – Belebtschlamm, 328


– chem. Phosphorelimination, 355
Rauhigkeit, Rauhigkeitsbeiwert (hydrau- – Tauchkörper, 369
lisch), 162 - 168, 275 – Tropfkörper, 363
Raumbelastung (Tropfkörper), 364 Schlammstabilisierung
Raumfiltration (Abwasser), 375 – Belebungsanlagen, 328
Rechen, 267, 296, 301 – Emscherbrunnen, 312
Rechengut, 301 – Faulturm, 405
Reduzierte Fläche, 221, 222 – Hygienisierung, 402
Regenabschnitt, 210, 221 – Langzeitbelüftung, 410
Regenbecken, 241, 259 Schlammvolumen Index s. SVI
Regendauer, 210, 221 Schmutzstoss, 263
Regenintensität, 205 - 245 Schmutzwasserspeicher, 266
Regenspendenlinie, s. IDF Schneckenpumpe, 267
Regenüberlaufbecken, 241, 259 Schnellfilter (Trinkwasser), 136
Regenwasser Schutzzone (Grundwasser), 111, 127
– Ableitung, 199 Schwermetalle, 58, 67, 391
– Anteil am Abwasser, 83 Sedimentation
– Berechnung, Menge, 219 – Modell, 305
– Typische Zusammensetzung, 59 – Nachklärung, 336
Reinwasser, 229, 231 – Sandfang, 305
Reservoir (Trinkwasserspeicher), 153, 186 – Tauchkörper, 369
Retention von Regenwasser, 200, 232, 248, – Trinkwasseraufbereitung, 141
259, 271 – Tropfkörper, 368
Reynoldszahl, 162 – Vorklärung, 310
Rezirkulation Sedimente
– Belebtschlamm, 351 – Abwasserreinigung, 308, 336
– Flotation, 378 – Kanalisation, 248, 275
– Tropfkörper, 363 – Regenbecken, 241, 262
Röhrenreaktor, 25 Seewasser, 58, 125, 146
Rückbelastung aus der Schlammbehandlung, Seewasserfassung, 125, 146
405 Selbstreinigung, 269, 322
Rückhaltebecken, 259 Selektor (Belebungsanlagen), 325
Rücklaufschlamm, 296, 323 Septic Tank (Abwasserfaulraum), 385
Rückstausicherung (Liegenschaftsentwässe- Seriebetrieb von Pumpen, 176
rung), 246 SF (Sicherheitsfaktor)
Rührkessel, 24 – Belebung (Nitrifikation), 345
– Grundwasserbrunnen, 121
Salmonella, 56 Shigella, 56
Sandanfall, 302 Sicherheitsfaktor, s. SF
Sandfang, 296, 302 Siedlungsentwässerung, 199 - 287
Sauerstoff, 50, 333 Siedlungshydrologie, 205 - 227
Sauerstoffverbrauch, s.a. BSB5 Siedlungswasserwirtschaft
– Abbau von org. Stoffen, 338 – Definition, 1
– Aerobe Hygienisierung, 402 – Geschichte, 2
– Belebungsbecken, 333 Simplified Sewerage, 273
– Langzeitbelüftung, 410 Simulation
– Nitrifikation, 342 – Belebungsanlagen, 333
– Oxidation von Fe2+, 355 – Kanalisationen, 282
Säurebindungsvermögen, 47, 342, 349 Simultanfällung, 358
Schlammalter, 328, 345, 351, 361, 410 SP, s. Schlammproduktion
Schlammbelastung, 328 Speicherzone im Nachklärbecken, 336
Schlammentwässerung, 413 Stabilisierung, s. Schlammstabilisierung
Schlammproduktion Steilleitung, 280
Index 431

Stickstoff, 40, 58, 96, 100 Vereinigungsschacht, 254


Stoffbilanz, 21 Verschmutztes Abwasser, 199
Strassenentwässerung, 245 Versickerung
Suspendierte Stoffe, s. TSS – Abwasser, 386
SVI, 325 – Regenwasser, 269
SWMM, 282 – Versickerungsmulde, 269
Systemanalyse, 19 - 33 – Versickerungsschacht, 269
Systemkennlinie (Pumpwerke), 171 Vibrio cholerae, 56
Viren, 56, 132, 401
Tagesgang Viskosität, 53, 162
– Abwasser, 83, 333 Vorflut, 5, 292
– Ammonium, 100, 345 Vorklärbecken, 96, 242, 296, 308
– Temperatur, 105
– Wasserverbrauch, 76 Wachstumsgeschwindigkeit von Mikroorga-
Tauchkörper, 369 nismen, 318, 342
Tauchtropfkörper, s. Tauchkörper Wasserbedarf, 71 - 82
Teichanlage, 387 Wasserfassung, 117 - 121
Teilfüllung von Freispegelleitungen, 275 Wasserhärte, 47, 145
Temperatur, 104 Wasserturm, 158
TKN, 42, 96 Wasserverbrauch, s. Wasserbedarf
TOC, 39 Wasserversorgung, 107 - 197
Toleranzwert, 56 Widder (hydraulischer), 195
Trennsystem, 229 Wirbeldrossel, 268
Trennzone (Nachklärung), 336 Wirbelfallschacht, 256
Trinkwasser, 2 - 10, 54, 107 - 197 Wirbelschicht (Verbrennung), 418
Trockenbeet, 415 Wochengang
Trockenklosett, 388 – Schmutzstoffe, 103
Trockenwetterabfluss, 83 - 92 – Wasserversorgung, 75
Trocknung (Klärschlamm), 391, 415, 417
Tropfkörper, 363 Zähigkeit von Wasser, 53, 162
Trübung, 51 Zentrifuge, s. Dekanter
TSS (GUS, suspendierte Stoffe) Zerfall von Mikroorganismen, 320
– Analyse im Abwasser, 34 Zuströmbereich (Grundwasserbrunnen), 127
– Analyse im Klärschlamm, 66
– Belebtschlamm, 325
– Einleitbedingung Abwasser, 292
– Einwohnergleichwert, 96
– s.a. Filtration,
– Nachklärbecken, 336
– Vorklärung, 308

Überschussschlamm, 296, 323, 328, 360


Uferfiltration, 119
Ultrafiltration, s. Membrantechnologie
Untergrundverrieselung, 386
Unverschmutztes Abwasser, 199
Urin, 389
UV Strahlung, 132

Vakuum
– Entwässerung, 232, 389
– Filtration im Labor, 34
Verbrennung (Klärschlamm), 395, 418
Verbundbecken, 262

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