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Sozialtherapeutische Nachsorge
17.03.2015, OPK
Kassenzahnärztliche Vereinigung Brandenburg
ISONA Angebote, Seite 2
Ansatz 1: Good-
Good-lives-
lives-Model (Ward & Marshall
2004)
Ansatz 2: RNR-
RNR-Model, Risikovermeidung (Andrews & Bonta 1998, 2010)
• Risk principle:
principle Die Intensität der Behandlung soll an der individuellen Gefährlichkeit
ausgerichtet werden. (Wer ist zu behandeln?) Privilegierung gefährlicher Straftäter
• Need principle:
principle Die Behandlungsziele sollten den dynamischen Risikofaktoren
(kriminogenen Needs) entsprechen, z.B. kriminalitätsbegünstigende Einstellungen,
kognitive Verzerrungen, Suchtproblematik, kriminelles Umfeld, mangelnde Selbstbe-
herrschung, Dissozialität, negative Emotionalität (Was ist zu behandeln?) ABER:
widerspricht sozialtherapeutischer Ganzheitlichkeit; nicht-kriminogene Needs können
Behandlungshindernisse darstellen, ihre erfolgreiche Behandlung kann Motivation für
weitergehende Behandlung schaffen!
• Responsivity principle:
principle Die Art der Behandlung sollte an der individuellen
Ansprechbarkeit des Klienten (kognitive Fähigkeiten, Motivation, kultureller
Hintergrund) ausgerichtet sein. (Wie ist zu behandeln?)
Zu berücksichtigen sind: geringe Motivation, geringes Behandlungsengagement, Scham und soziale
Ängste, interkulturelle Traditionen, Kommunikationsprobleme, Intelligenz, Leugnen oder Bagatellisieren:
muß kein Hindernis bedeuten, hohe Psychopathie, antisoziale Persönlichkeit, ausgeprägte Kriminalität,
viele Vorstrafen, eigene Traumatisierung, Alkoholprobleme, Drogenkonsum, Feindseligkeit, akute
Gewalttätigkeit
ISONA Angebote, Seite 4
(1) dissoziales Umfeld kann der „Täter“ nach der Haft neu aufbauen
(2) dissoziale Kognitionen kann der Täter in seinem „Kopfkino“ ändern
(3) dissoziale Vorgeschichte läßt sich nicht mehr ändern, aber „verarbeiten“ (d.h.
eigene Schwächen als Verletzlichkeiten erkennen und vorwegnehmen, Alternativen
entwickeln „Heute würde ich in der Situation dies und das tun ...“)
(4) dissoziale Persönlichkeit kann der Täter durch Ressourcenaufbau kompensieren
1. mindestens drei Einzelgespräche für Anamnese und Diagnostik: KV-S, KV-SAS, KV-
Fam, MSI, Staxi u.a.
2. Auswertungsgespräch mit dem Gefangenen
3. dann erst Abschluß der Therapievereinbarung über Ablauf der Nachsorge,
Datenschutz und Schweigepflichtsentbindungen
3fache Ausfertigung: 1x Klient, 1x Therapeut, 1x JVA: Fachdienst oder BWH, FA
GPA Erwähnung im Vollzugsplan zur Kenntnis: Strafvollstreckungskammer
Urteil, Gutachten, Vollzugsplan und Entlassungsbeschluß für Therapeuten
4. Wenn keine Therapievereinbarung zustande kommt: mögliche Gründe
a. Programm paßt nicht zum Klienten (z.B. vordergründig Suchtprobleme)
b. Motivation unzureichend
c. wird erst viel später entlassen als erwartet oder zieht weg
Klient hat „geschnuppert“, kein Aktenvermerk, keine sonstigen Nachteile
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b. Übergangsphase:
Übergangsphase
c. SKT-
SKT-Aufbaustufe, Teil 1 (Lebensplanung und Alltagsbewältigung):
d. SKT-
SKT-Aufbaustufe, Teil 2
(Familientraditionen und
Sexualität)
• Motivierende Gesprächsführung (z.B. nach Miller & Rollnick, 1991): change talk
• Programme zur Therapievorbereitung (in der Gruppe, 16 Sitzungen) – insb. für Täter,
die bisher wegen Tatleugnung oder Therapieabbruch ausgesondert wurden (Schlank &
Shaw 1996): Kombination aus Relapse Prevention, Empathietraining, paradoxer
Intervention und positiver Verstärkung
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• Der Täter dient in der Familie als negative Projektionsfläche und Sün-
denbock, die übrigen Familienmitglieder können zusammenhalten.
• Emotionale Verstrickungen zwischen dem Täter (z.B. Stiefvater) und
einem weiteren Familienmitglied (z.B. Mutter), die Übergriffe werden
durch das verstrickte Familienmitglied geduldet und indirekt unterstützt
(Geheimnisse, Racheprojektionen, Schutzversprechen).
• Generationsgrenzen sind aufgelöst (Imbroglio), z.B. Tochter probiert sich
im Flirten aus mit dem Vater, Mutter benutzt Sohn als Partnerersatz.
• Dem Täter gelingt es durch die Delikte, sich der rigiden Kontrolle oder
Infantilisierung durch die Familie zu entziehen und die adoleszente
Loslösung zu vollziehen (z.B. sex. Mißbrauch als
Entwicklungsproprogression).
pro
• Extreme Taten führen zu Beziehungsabbruch (sonst in Familien schwer).
• Die Tat als anachronistischer Lösungsversuch, z.B. fehlende körperliche
Zuwendung während der Kindheit wird nun gewaltsam nachgeholt.
ISONA Angebote, Seite 16
1. Abkehr von einer auf die äußere Symptomatik fixierten Sichtweise („Tatszena-
rio“), die im positiven Fall zu zwei Effekten führt (1. Reden lernen über das Delikt,
2. moralische Selbstverurteilung), im negativen Fall aber das Ausweichverhalten
(Bagatellisierung, kognitive Verzerrungen, Ausreden) verstärkt
2. Primärer Fokus ist nicht die Identifikation des Symptoms, sondern die
Erkenntnis, welche Interaktionsmuster, sozialen Gewohnheiten und
Kommunikationsformen im Einzelfall mit welcher Funktion zur Delinquenz
beitragen (insbesondere beobachtbare Beziehungsregeln und -muster, repetitive
Interaktionsschleifen, „Beziehung“ des Täters zu seinem Delikt)
– Elz (2002): Auswertung des BZR des Jahrgangs 1987, N=780, nach 6 Jahren
• 19% einschlägig rückfällig (geringer als andere Delikte)
• bei innerfamilialem Missbrauch: 6 – 7%
• bei außerfamilialem Missbrauch: 25%
• bei Tätern, die das Opfer nicht kannten: 33%
• Lösungsorientierung: logische
Unabhängigkeit von Problem und Lösung,
Fokus auf Ausnahmen, „miracle question“
• Äquifinalität (Steve de Shazer)
• Lösungen als Problem: z.B. Gefängnis
• Kontextualisierung: zeitlich, räumlich,
personell, familial
• Allparteilichkeit: respektvoll gegenüber den
beteiligten Personen, respektlos gegenüber
ihren Ideen (und Taten)
• Aufdecken von Pseudo-Ressourcen: z.B.
wenn Klienten den Therapeutenjargon
kognitiv beherrschen, ohne eine eigene
emotionale und innere Haltung zu
entwickeln
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Systemische Arbeitsweisen
Arbeitsweisen und Strategien 2
Skalierungsscheibe
(Frank Natho)
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Timeline-Techniken:
Lebensfluß,
Biographiearbeit,
Hausaufgaben
0 0,2 0,4
– MST bezieht nicht nur den Klienten, sondern auch Angehörige in die Behandlung ein.
Dadurch wächst die Motivation, die Behandlung zu Ende zu führen. Im Vergleich zu her-
kömmlichen stationären Therapieformen:
home-
home-based stationäre Therapie
MST (KVT)
90 Tage Behandlungsteilnahme 95% 59%
vollständiger Abschluß der Behandlung 88% 24%
vollständige Behandlungsteilnahme bei 96% 78%
Jugendlichen (120 Tage)
Tabelle: Effektivitätsvergleich zwischen multisystemischer und stationärer Therapie bei Drogenabhängigkeit nach Dakof et al.
(2003)
– Die Effekte der MST erweisen sich gegenüber anderen state-of-the-art Verfahren
signifikant größer und nachhaltiger, einschließlich Familien-Gruppentherapie, kognitiv-
behavioraler Einzeltherapie, Peer-Gruppentherapie und einsichtsorientierte
Einzeltherapie (vgl. Liddle & Dakof 2002).
– MST zeigt Wirkung auch bei schwerwiegend komorbiden Klienten, bei denen z.B.
Drogenabhängigkeit und Delinquenz gepaart auftreten.
– Psychiatrische Symptome werden durch MST stärker minimiert als durch kognitiv-
behaviorale Therapien (zwischen 35% bis 80%).
– Nach kognitiv-behavioralen Therapien treten häufiger als nach MST emotionale und
verhaltensbezogene Rückfälle auf.
– Teilnehmer an MST kehren häufiger in ihre begonnene Ausbildung oder Schule
zurück (43% bei MST vs. 17% bei Familien-Gruppentherapie vs. 7% bei Peer-
Gruppentherapie, vgl. Rowe et al. 2004).
– Die Delinquenzneigung wird durch MST signifikant stärker verringert als durch Peer-
Gruppentherapien (gemessen anhand der Zahl der Arreste, Verurteilungen und
Bewährungswiderrufe innerhalb von 12 Monaten nach Behandlungsende).
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– Die Gesamtkosten für MST sind deutlich geringer als in üblichen Einzeltherapien oder
stationären Behandlungen: Für eine MST ($164 pro Woche) sind ungefähr 15% der
Kosten einer stationären Behandlung ($1,068) aufzuwenden und etwa die Hälfte einer
gemeindenahen Psychiatriebehandlung ($365) – diese Zahlen gelten für die USA. Eine
Intensiv-MST wird mit durchschnittlich $384 je Woche angesetzt.
„Nee, zur JVA hab ich keinen Kontakt mehr, nur der Herr W.
kommt bei mir noch vorbei oder icke bei ihm, einmal so im
Monat oder alle 14 Tage, wie er eben Zeit hat. Der is ja auch
ein Netter, kontrolliert nich viel, fragt bloß so, wie’s geht und
wie ich klarkomm. Der kennt mich ja, dem brauch ich nich
alles lange von vorn zu erklärn, der sieht ja, wat los is.“
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