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Berufspolitisches Forum

Med Klin Intensivmed Notfmed 2015 · 110:376–377 L. Engelmann


DOI 10.1007/s00063-015-0020-4 Leipzig, Deutschland
Online publiziert: 28. April 2015
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

Hat die Intensivmedizin mit der


Generation Y eine Zukunft?

Die Frage ist ernst gemeint und weder nen, belastbar sein, die Fülle der täglichen medizin alle Möglichkeiten der Selbst­
rhetorisch noch populistisch. Sie zielt auf Aufgaben erledigen, flexibel sein, weil verwirklichung, sofern man diese für sich
die Vereinbarkeit von Intensivmedizin kein Tag verläuft, wie man ihn morgens definiert hat. Selbstverwirklichung heißt
und Generation Y. Allem voran: Intensiv­ geplant hat, Dienst in Schichten tun und für den jungen Arzt nichts anderes, als al­
medizin existiert auf hohem Niveau und bei meist hoher Arbeitsintensität solange les zu tun, um den selbst gewählten Beruf
ihr Qualitätsniveau muss zumindest er­ bleiben, bis die Arbeit getan ist. Notfälle mit seiner Verantwortung für den Patien­
halten bleiben. bringen alle Zeitpläne durcheinander. Am ten auszufüllen. Ist das nicht so, war die
Ende des Dienstes ist man „geschlaucht“, Berufswahl falsch. Selbstverwirklichung
Worin bestehen die Grundlagen meist aber zufrieden, weil die tägliche Ar­ kann also nur darin bestehen, die klini­
des erreichten Qualitätsniveaus? beit in der Regel „abrechenbar“ ist und schen Erfahrungen in einem konzentrier­
man sich im vorgegebenen Rahmen ein­ ten Prozess zu erwerben. Dieser Prozess
Intensivmedizin ist ein gesellschaftliches bringen konnte. ist arbeitsintensiv, zeitaufwendig, teamge­
Erfordernis und verfolgt das Ziel, Leben Ist das nun mit den Vorstellungen bunden, in der Intensivmedizin von Ex­
lebenswert zu erhalten oder wiederher­ der Generation Y von Arbeit vereinbar? perten geführt, muss aber von bewusstem
zustellen. Die Gesellschaft setzt dazu ei­ Wenn man dem folgt, was in Wikipedia Wollen getragen sein. Die Selbstverwirk­
nen hohen Betrag ihres Sozialprodukts und anderen Internetquellen zum Thema lichung im Sinne der Berufswahl und die
ein. In Form von moderner Technik und geschrieben wird, eher nicht. Die Genera­ Vorstellungen der Generation Y sind also
qualifiziertem Personal garantiert sie die tion Y fordert Selbstbestimmung, Selbst­ kein Gegensatz.
Voraussetzungen, die zur Erfüllung der verwirklichung, mehr Freiraum, Balance
Aufgabe notwendig sind. Der Dualismus von Beruf und Freizeit, lehnt Hierarchien Technikaffinität. Die Generation Y ha­
von Technik und Personal erfordert der­ ab, möchte früh Führungspositionen und be eine technikaffine Lebensweise, weil
zeit v. a. Personalqualifikation, um die Anerkennung als Experte, lieber in virtu­ sie im Umfeld von Internet und mobiler
vorhandenen technischen Möglichkei­ ellen als realen Teams arbeiten und hin­ Kommunikation aufgewachsen sei (Wi­
ten optimal nutzen zu können. Das dar­ sichtlich der Arbeitsinhalte und -zeiten kipedia). Auch dafür ist die Intensivme­
gelegte Gesamtpaket stellt an den Fak­ flexibel sein. dizin eine geeignete Heimstatt. Kein Teil­
tor Mensch einige grundsätzliche Anfor­ Dennoch bleibt die Aufgabe, mit der gebiet der klinischen Medizin hat mehr
derungen. Das Personal trägt die Verant­ Generation Y die erreichte Qualität der Technikbezug als die Intensivmedizin mit
wortung, dem Kranken die Segnungen Intensivmedizin zu erhalten und logi­ ihren Diagnostik- und Therapiegeräten
der Intensivmedizin auch weiterhin zur scherweise auch zu entwickeln. auf Computerbasis, elektronischen Pati­
Verfügung zu stellen; belastbares medizi­ entenüberwachungssystemen, Patienten­
nisches Wissen zu erwerben und es inten­ Was also ist zu tun? datenmanagementsystemen und Exper­
sivmedizinisch zu spezialisieren; langjäh­ tensystemen. Die Beschaffung von Infor­
rig Erfahrung zu sammeln, die eine Be­ Zunächst gibt es auch verbindende Brü­ mationen über den Patienten, die Wis­
handlung der Erkrankung am einzelnen cken. sensvertiefung mithilfe elektronischer Bi­
Patienten erfolgreich ermöglicht; sich be­ bliotheken und die Kommunikation mit
wusst in ein Behandlungsteam zu integ­ Selbstverwirklichung. Zum Arztsein dem früheren und kommenden Umfeld
rieren u. v. a. m. gehören solide Kenntnisse aus dem Stu­ des Patienten, aber auch im Team gehö­
Für den Intensivmediziner bedeu­ dium und darauf aufbauend klinische Er­ ren zu den täglichen Arbeitsinhalten. Fa­
tet das, lange Jahre immer am Patien­ fahrungen. Die Generation Y behaup­ zit: Die Intensivmedizin erfüllt auch die­
ten zu sein, zu beobachten und Gesehe­ tet von sich, gut ausgebildet zu sein, d. h., sen Wunsch der Generation Y.
nes zu verarbeiten. Krankheit und Pati­ das Studium mit besten Ergebnissen ab­ Neben den schon bestehenden Brü­
ent müssen durch seinen Kopf, Meinun­ solviert zu haben. Soweit besteht Verein­ cken zwischen Intensivmedizin und Ge­
gen der Kollegen müssen akzeptiert oder barkeit. Im Anschluss Erfahrung zu sam­ neration Y müssen sicher auch neue ge­
überdacht werden. Der Intensivmediziner meln, gehört aber genauso zum Ausbil­ baut werden. Das betrifft vordergründig
muss aus den Erfahrungen Wissen gewin­ dungsprozess. Hier bietet die Intensiv­ zwei Problemkreise:

376 | Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2015


Fachnachrichten

55Hierarchie, frühe Führungsposition Bei allem Schichtdienst sollten die Ar­ Der gefährlichste Tag des
und Expertenstellung beitszeiten flexibel sein, flexibel bezüglich Jahres
55Balance zwischen Beruf und Freizeit der Übergabezeiten, die an die sozialen
Erfordernisse der momentanen Mitarbei­ Wenn es um schwere Autounfälle geht, ist
nicht der Jahreswechsel, sondern der 1.
Hierarchie, frühe Führungsposition, Ex- ter angepasst werden können, und flexibel Mai der gefährlichste Tag des Jahres. Das
pertenstellung. Fachbereiche, in denen bezüglich ihrer gegenseitigen Vertretbar­ ergibt eine Auswertung des deutschen
klinische Erfahrungen eine zentrale Rol­ keit. Die Dienstplangestaltung sollte in der TraumaRegister DGU® von Prof. Dr. Rolf Le-
le spielen, werden ohne Hierarchie nicht Hand der Diensttuenden selbst liegen, die fering, Statistiker an der Universität Witten/
auskommen. Am Ende muss der klinisch am besten ihre eigenen Bedürfnisse reali­ Herdecke: „Betrachtet man das Ranking der
Jahrestage, dann fällt auf, dass zwischen
Erfahrenste die Entscheidung fällen. Wer sieren können. Denkbar ist durchaus, die Weihnachten und Neujahr erstaunlich we-
aber schon intensivmedizinisch gearbei­ Einhaltung der Arbeitszeit über einen län­ nige Unfälle passieren. Das TraumaRegister
tet hat, weiß, dass in den Entscheidungs­ geren Zeitraum zu betrachten und zeitlich erfasst die vielen leichten Unfälle mit Böllern
findungsprozess alle Mitarbeiter einbe­ begrenzte individuelle Bedürfnisse zu be­ an Silvester nicht, weil diese selten intensiv-
zogen werden, auch unterschiedliche Be­ rücksichtigen. medizinisch versorgt werden müssen, aber
schwere Autounfälle gibt es in dieser Zeit
rufsgruppen. Zudem sind im Findungs­ Mehr Freiraum durch Teilzeitbeschäf­ erstaunlich wenig. Das könnte daran liegen,
prozess die Hierarchien eher flach, was tigung zu schaffen, dürfte für die Intensiv­ dass man vorsichtiger fährt, weil man seine
sich formal daran zeigt, dass sich die Kol­ medizin keine Lösung sein, weil vermehr­ Familie mit im Auto hat.“
legen in der Intensivmedizin häufig mit te Übergabezeiten die effektive Arbeitszeit Unter den „Top Ten“ der Tage mit den meis-
„Du“ anreden. de facto einschränken. ten schweren Unfällen neben dem 1. Mai
findet sich noch ein weiterer bundesweiter
Eine Expertenposition kann auch der Es ist auch keine Lösung, wie früher Feiertag: der 3. Oktober. Die übrigen „kriti-
junge Kollege erlangen, wenn er auf einem zu verfahren, als Chefärzte die Dienstzeit schen“ Tage liegen alle im Sommer, wo vor
der vielen Teilgebiete der Intensivmedizin oder zumindest Teile davon auf dem Golf- allem durch Motorradfahrer die Unfallzahlen
Expertenwissen oder -fähigkeiten erwor­ oder Tennisplatz verbrachten und sich zu fast doppelt so hoch sind wie im Winter.
ben hat. Exemplarisch seien hier die Ult­ Dienstaufgaben rufen ließen, selbst in Im TraumaRegister DGU® sind Daten von
weit über 150.000 dokumentierten Einzel-
raschalldiagnostik, Wissen über Antibio­ Zukunft nicht, wenn akademisierte Pfle­ fällen hinterlegt. Seit 1993 sammelt das Re-
tika („antibiotic stewardship“) und Spe­ gekräfte die Stellung am Intensivpatien­ gister Daten schwerverletzter Patienten, um
zialwissen aus Teilbereichen der inneren ten halten und nur dann den Arzt ru­ den beteiligten Kliniken Rückmeldung über
Medizin genannt. fen, wenn das Problem für die Pflegekraft ihre Behandlungsqualität zu geben.
Eine frühe Führungsposition wird da­ nicht lösbar ist.
Literatur:
von abhängen, wie schnell und erfolgreich Pape-Köhler CI, Simanski C, Nienaber U,
die patientenbezogene Selbstverwirkli­ Fazit Lefering R (2014) External factors and the
chung stattgefunden hat, ob Teamfüh­ incidence of severe trauma: time, date, sea-
rungsfähigkeiten erworben wurden, und Alles in allem bleiben einige Probleme son and moon. Injury 45S:93-99
letztlich davon, ob Planstellen vorhanden für die Zukunft von Generation Y und In-
Quelle: Universität Witten/Herdecke,
sind. Der Schichtbetrieb erfordert neben tensivmedizin ungelöst und bedürfen www.uni-wh.de
einem Chef mehrere kompetente Ober­ der Diskussion. Kompromisse können die
ärzte, sodass ein Stamm momentaner Antwort nicht sein, da weder der Patient
und potenzieller Führungskräfte vorhan­ noch die Intensivmedizin sie tolerieren.
den sein muss. Kurz- und langfristig ori­ Neue Wege werden gesucht, diskutieren
entierte Personalentwicklungsgespräche wir sie miteinander!
und -pläne sind unverzichtbar.
Korrespondenzadresse
Balance zwischen Beruf und Freizeit. Sie
muss v. a. für die Kollegen geschaffen wer­ Prof. Dr. L. Engelmann
den, die sich über einen längeren Zeit­ Sigebandweg 25
raum an die Intensivmedizin binden und 04279 Leipzig
pdle@gmx.de
die dringend gebraucht werden, soll sich
die Intensivmedizin weiter entwickeln.
Schichtdienst wird unumgänglich sein,
setzt aber eine Personalzuführung vor­
aus, die den Schichtdienst für den Einzel­ Einhaltung ethischer Richtlinien
nen planbar macht und die alle Leistun­
gen beinhaltet, die zum Arbeitsinhalt ge­ Interessenkonflikt. L. Engelmann gibt an, dass kein
Interessenkonflikt besteht.
hören, also die unmittelbare Patienten­
versorgung, Lehre, Forschung und Sit­ Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen
zungen. oder Tieren.

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2015 | 377


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