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Einführung 3

1 Gelungene Kommunikation in der Physiotherapie

Was ist gelungene Kommunikation? Wie kann Fachfrau einfach wohl? Von vielen erfahrenen
durch gelungene Kommunikation der Therapie- Therapeutinnen und Therapeuten wird zumindest
verlauf und der Behandlungserfolg gefördert wer- berichtet, dass Physiotherapeuten und Masseuren
den? Ist gelungene Kommunikation lernbar? Diese ein hohes Vertrauen von Patienten entgegenge-
Fragen werden im ersten Kapitel erörtert. Der bracht wird (Abb. 1.1).
Abschnitt 1.1 führt in das Thema dieses Buches Wenn die Unterhaltung mit Patienten sehr oft
anhand von Situationen aus der Praxis ein. Im ohne Probleme funktioniert, wozu dann ein Buch
folgenden Abschnitt (1.2) werden vier ausführliche über Gesprächsführung für Physiotherapeuten?
Beispiele der Kommunikation zwischen Patient Die Ausbildung in der Physiotherapie integriert
und Therapeut gegeben, die in speziell ausge- seit etwa zehn Jahren das Fach Sozialwissenschaf-
arbeiteten Aktivitäten systematisch reflektiert ten. Ein Teil dieses Fachs ist der Unterricht in
werden können. Im Abschnitt über kompetente Gesprächsführung (Lehrpläne für die Berufsfach-
Gesprächsführung (1.3) wird erläutert, dass ein schule für Physiotherapie 1997). Warum wurde
positiver Kontakt und das gegenseitige Verstehen dieses Fach in die Ausbildung integriert? Aufgrund
von Therapeut und Patient dazu beitragen, eine der Ergebnisse der psychologischen und medi-
Passung zwischen Person und Intervention im zinischen Forschung sowie nicht zuletzt den Er-
Sinne einer möglichst optimalen Behandlung zu fahrungen von vielen praktisch tätigen Physiothe-
fördern. rapeutinnen und Physiotherapeuten wurde bei der
Lehrplanerstellung ein Konsens hergestellt, dass
mit Blick auf Gesundheit, ihre Störung und Wie-
1.1 Einführung derherstellung biopsychosoziale Modelle oft von

Für viele Physiotherapeutinnen und Physiothera-


peuten, die in freier Praxis oder in Kliniken tätig
sind, aber auch für Schülerinnen und Schüler im
Praktikum, ist Gesprächsführung mit Patienten in
der Regel kein Problem. Häufig macht man die
Erfahrung, dass die Patienten zufrieden sind, wenn
man sich freundlich mit ihnen unterhält – über die
Beschwerden, den Therapieverlauf, Ärzte, andere
Patienten, öffentliche Ereignisse oder persönliche
Erfahrungen. Manche Patienten ziehen es sogar
vor, wenn sich der Behandler eher einsilbig ver-
hält. So kommt es in den Therapieeinheiten vor,
dass sich Patienten oft bereitwillig öffnen und
dem Therapeuten einen Einblick in ihre persönli-
che Situation gewähren.
Woran liegt das? Hängt es damit zusammen,
dass viele Patienten ein grundlegend hohes Ver-
trauen in den Beruf des Physiotherapeuten und
des Masseurs haben, das nur schwer zu erschüt-
tern ist? Fühlen sich Patienten in den Händen
eines auf den Körper und die diesen betreffende
Heilung spezialisierten Fachmannes bzw. einer Abb. 1.1 Therapeut begrüßt Patientin

Hoos-Leistner, Gesprächsführung für Physiotherapeuten (ISBN 9783131476913), © 2016 Georg Thieme Verlag KG
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4 1 Gelungene Kommunikation in der Physiotherapie

größerer Tragweite sind als klassische Krankheits- den in der Aus- und Weiterbildung vor, die sich
modelle (siehe Antonovsky 1987, Faltermaier 1994, bewusst sind, dass das eigene Auftreten und die
Hüter-Becker 2006, Hurrelmann u. Laaser 1993, Art und Weise, wie sie mit den Patienten in Kon-
Lenhart 2005, Weltgesundheitsorganisation 1986). takt treten, eine Rolle bei der Behandlung spielen.
Insbesondere werden die Zunahme von chroni- Bei den bereits praktisch tätigen Physiotherapeu-
schen und multifaktoriell bedingten Erkrankungen tinnen und Physiotherapeuten kommt die Motiva-
und Beschwerden sowie die Probleme der erfolg- tion durch ihre Erfahrungen mit bestimmten Kom-
reichen Behandlung derselben in Zusammenhang munikationssituationen – Behandlungen von Pati-
mit der Entwicklung der neuen Modelle diskutiert. enten, Kontakt mit Angehörigen, Ärzten oder dem
Psychosoziale Komponenten werden also auch im Team – zustande.
Berufsalltag der Physiotherapie immer wichtiger, Wenn auch anfangs davon die Rede war, dass
weil der Behandlungserfolg in hohem Maße auf die Kommunikation mit Patienten häufig relativ
konstruktiver Zusammenarbeit von Physiothera- einfach erscheint, kommt man in der Praxis immer
peut und Patient beruht: „In der Physiotherapie wieder in Situationen, die einen nachdenklich
kann die Bedeutung wirksamer Kommunikations- stimmen können. Bei näherer Betrachtung – sei es
fähigkeiten nicht hoch genug eingeschätzt wer- einfach für sich selbst oder im Gespräch mit einem
den, da alle Therapeuten ihre Patienten unterwei- Kollegen oder einer anderen vertrauenswürdigen
sen und deren Angaben für eine wirksame Person – stellt man dann vielfach fest, dass Kom-
Behandlung benötigen“ (Potter, Gordon, Hamer u. munikation eben nicht immer so trivial ist:
Houghton 2005, S.26 – 27). Erstaunlicherweise | Therapeutin: „Diese Patientin redet die ganze
gibt es im deutschen Sprachraum bislang nur Zeit – ich weiß schon gar nicht mehr, was ich
wenige Veröffentlichungen dazu – Stachowski machen soll. Letztes Mal hat sie mir dauernd
publizierte 2007 seine Bachelor-Arbeit, in der er von ihren Kindern erzählt, von deren Problemen
einen Überblick über Ansätze der Kommunikation und andere Dinge, die mich doch eigentlich gar
gibt und diese auf den Fall eines Patienten mit nichts angehen! Ich kann sie doch nicht einfach
chronischen Rückenschmerzen anwendet. unterbrechen und sagen, dass mir das alles zu
Dass der Patient als ganze Person angesprochen viel ist.“ Kollege: „Kenn ich. Ich schalte dann ein-
und zur Mitarbeit aktiviert wird, ist weder trivial fach auf Durchzug.“ Könnte man mit Patienten,
noch selbstverständlich. Eine systemische und die viel reden, auch auf elegantere Weise umge-
personzentrierte Sichtweise auf die zu behan- hen, statt zu resignieren oder sie zu ignorieren
delnde Störung kann Physiotherapeuten zu neuen (und sich in Wirklichkeit darüber zu ärgern)?
Ansatzpunkten der Behandlung verhelfen. Bei- | Therapeut: „Das hat mich echt mitgenommen,
spielsweise gewinnen Modelle der geteilten Ent- als die Patientin sagte, dass der Arzt ein Rezidiv
scheidungsfindung zunehmende Bedeutung in der festgestellt hat. Ich hatte gehofft, sie sei ge-
Physiotherapie: „,Mündige’ Patienten möchten in heilt!“ Kollegin: „Ich seh schon, diese Nachricht
Entscheidungen einbezogen werden, über Behand- schockiert dich sehr – du siehst ganz geknickt
lungsalternativen Bescheid wissen und ihren aus. Komm, wir gehen nachher einen Kaffee
Anteil an Verantwortung für eine erfolgreiche The- trinken.“ Was tun bei persönlicher Betroffenheit
rapie übernehmen“ (Bollert u. Geuter 2007, S.892). – bei schwersten Erkrankungen, wie sie in der
Wie können nun Physiotherapeuten diese Neurologie und inneren Medizin vorkommen
Zusammenarbeit durch erfolgreiche Gesprächs- (z. B. Multiple Sklerose, onkologische Patien-
führung fördern? Wenn Sie sich diese Frage schon ten)? Könnte es sein, dass einem in diesen Fäl-
einmal gestellt haben, gehören Sie zu den Perso- len die Hände gebunden sind, auf konstruktive
nen, für die wir das Buch geschrieben haben. Es ist Weise damit umzugehen? Sollte man einfach
nicht von der Hand zu weisen, dass eine gewisse auf die soziale Unterstützung durch Kollegen
Neugier und Motivation, sich mit diesem Thema vertrauen, um die eigene Betroffenheit zu ver-
auseinanderzusetzen, erforderlich sein dürfte. dauen?
Schließlich kann man bei der Veränderung der | Therapeut: „Unglaublich! Diese Zicke hat sich
Kommunikation zwischen Physiotherapeut und doch tatsächlich bei meinem Chef über mich
Patient immer nur bei sich selbst ansetzen. Die beschwert! Ich sei nicht kompetent, sagt sie!“
positiven Wirkungen auf den Kontakt zum Patien- Kollegin: „Echt krass. Am besten, du gibst den
ten und den Behandlungserfolg können dann erst Fall ab und vergisst die Sache.“ Therapeut: „Ich
daraus folgen. Goethe soll einmal gesagt haben: glaub, das mit dem Abgeben hab ich eh nicht
„Wenn jeder vor seiner eigenen Tür kehren würde, mehr in der Hand. Das stresst mich jetzt voll.
wäre die ganze Welt sauber.“ Dieses Interesse am Bin mal gespannt, was der Chef nachher sagen
Thema Gesprächsführung liegt häufig bei Lernen- wird. Hoffentlich wird mein Vertrag verlängert.“

Hoos-Leistner, Gesprächsführung für Physiotherapeuten (ISBN 9783131476913), © 2016 Georg Thieme Verlag KG
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Patienten und Therapeuten 5

Könnte es sein, dass einem sogenannte „schwie- die männliche Form, die weibliche und männliche
rige Patienten“ einfach das Leben schwer Physiotherapeuten, Patienten, Ärzte, Angehörige
machen wollen? Oder kann man diese Situation umfasst. Ausnahmen sind kenntlich gemacht,
auch anders sehen? Wie könnte der Therapeut wenn wir Frauen oder Männer meinen.
seine eigenen Möglichkeiten nutzen, um zu einer
guten Lösung für alle Beteiligten beizutragen?
| Therapeutin: „Jetzt habe ich den Patienten nach 1.2 Patienten und Therapeuten
allen Regeln der Kunst behandelt. Er ist weitge-
hend schmerzfrei und könnte locker die Übun- Oft steht in der Physiotherapie, auch aufgrund der
gen für die Schulter machen, die wir schon regelmäßigen Termine, schlicht mehr Zeit für per-
mehrfach durchgegangen sind. Er aber sagt, dass sönliche Gespräche zur Verfügung – im Gegensatz
er einfach nicht dazu kommt, sie zu machen, zu einem Besuch beim Arzt. In den USA beispiels-
und er verstehe eigentlich gar nicht, wozu die weise „verbringt der Arzt fünf Minuten mit einem
noch gut wären, schließlich sei er froh, dass die Patienten – einschließlich ‘Guten Tag’ und etwas
Schmerzen weg sind!“ Kollegin: „Hast du ihm Smalltalk. Das sieht ganz anders in Ländern wie
denn nicht erklärt, wozu er die Übungen der Schweiz und Belgien aus, die einen ‘offenen
braucht?“ Therapeutin: „Klar hab ich das! Aber Markt’ haben, in dem Patienten sich an mehr als
ich kann mir doch nicht den Mund fusselig einen praktischen Arzt oder Facharzt wenden kön-
reden!“ Könnte es sein, dass Patienten einen nen. In dieser Wettbewerbssituation investiert der
nicht immer so verstehen, wie man es gern Arzt Zeit in seine Patienten, wenn er möchte, dass
möchte? Wie könnte man das ändern? Welchen sie wiederkommen. In diesen Ländern beträgt die
Einfluss hat man auf die Motivation von Patien- durchschnittliche Konsultationsdauer fünfzehn
ten? Wo liegen die Grenzen? Dies ist ein ty- Minuten“ (Gigerenzer 2007, S.176). Wie eingangs
pischer Fall, bei dem ein nachhaltiger Behand- erwähnt, nehmen Patienten – auch infolge der
lungserfolg nur durch unterschiedliche biopsy- verfügbaren Therapiezeit – dem Therapeuten ge-
chosoziale Faktoren zustande kommen kann genüber oft eine Haltung ein, die von Offenheit
(körperliche Heilung, Motivation des Patienten, und Vertrautheit geprägt ist, so dass Physiothera-
verständliche Kommunikation zwischen Thera- peuten unter Umständen großen Anteil an priva-
peutin und Patient). ten Erlebnissen und Gefühlen der Klienten haben.
Im Zuge der Behandlungen leiten Physiotherapeu-
Wenn Sie also als erfahrener Therapeut entspre- ten Patienten an, sie beraten Patienten und deren
chende Erfahrungen gemacht haben oder sich als Angehörige und hören sich die Gedanken und Er-
Schüler in der Ausbildung auf die kommunikati- fahrungen, auch die Sorgen und Ängste der Betrof-
onsbezogenen Anforderungen der Praxis eines fenen an. Wie viele Kollegen in sozialen Berufen
Physiotherapeuten einstellen und angemessen werden folglich auch Physiotherapeuten kommu-
vorbereiten wollen, werden Sie von diesem Buch nikativ gefordert. Die in 1.1 angeführten Beispiele
profitieren. stellen nur einen Ausschnitt möglicher Anforde-
rungen dar, die mit der Kommunikation zwischen
„Den anderen zu verstehen und sich selbst ver- Physiotherapeut und Patient zu tun haben.
ständlich zu machen, ein befriedigendes Gespräch Für viele Patienten ist der Physiotherapeut der
zu führen, das sind keine Fähigkeiten, die man hat Fachmann des Bewegungsapparates. Dessen
oder nicht, sie können erlernt werden“ (Langfeldt- Arbeit wird in den meisten Fällen sehr geschätzt
Nagel 2004, S.84). und die Patienten erweisen sich als dankbar –
vorausgesetzt, die Behandlung verläuft erfolgreich.
Wir möchten Sie mit diesem Buch in die span- Oft kommen Patienten immer wieder zum glei-
nende Welt der erfolgreichen Kommunikation mit chen Physiotherapeuten, sobald sie eine Therapie
Patienten mitnehmen und Sie mit dem Wissen benötigen. Andere Patienten sind zwar auf die
vertraut machen, das unserer Ansicht nach hilf- Arbeit des Therapeuten angewiesen, sehen aber
reich ist, um sich in den unterschiedlichsten Situa- die Notwendigkeit und den persönlichen Nutzen
tionen der Physiotherapie zu orientieren. Es ist uns nicht gleich ein. Das passiert häufig in einer Klinik
ein großes Anliegen, dass Sie den Überblick und oder im Krankenhaus, in einem Pflegeheim oder
die Führung im Gespräch mit den Patienten be- einer anderen stationären Einrichtung. Die Arbeit
halten, um auch auf diese Weise zu einer hohen des Physiotherapeuten wird von diesen Patienten
Qualität der Behandlung beizutragen. zwar in der Regel auch geschätzt, ist jedoch nur
Anmerkung: Im weiteren Verlauf wählen wir ein Teil des täglichen Ablaufs, den man als Patient
aus Gründen der leserfreundlichen Textgestaltung kaum beeinflussen kann. Wer in so einer Einrich-

Hoos-Leistner, Gesprächsführung für Physiotherapeuten (ISBN 9783131476913), © 2016 Georg Thieme Verlag KG
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