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Salutogenese in der Physiotherapie

Eine gesunde Sichtweise


physiotherapie

Gesundheit ist nicht nur die Abwesenheit von Krankheit. Nach Aaron Antonovskys
salutogenetischem Modell ist jeder Mensch gesund und krank zugleich. Wie gesund und
wie krank man ist, hängt unter anderem von Stressoren und Widerstandsressourcen ab.
Welchen Einfluss dieses Modell auf die Physiotherapie hat und wie man als Physiothera-
peut die Ressourcen eines Patienten stärken kann, lesen Sie in diesem Beitrag.

bb Physiotherapeuten fördern die Gesundheit ihrer Patienten: novsky war von dieser relativ hohen Zahl fasziniert. Seither
in Prävention, Therapie oder Rehabilitation. Deswegen sollte beschäftigte er sich mit der Frage, wieso Menschen – trotz vieler
man als Physiotherapeut wissen, welche Konzepte von Gesund- gesundheitsgefährdender Faktoren – gesund bleiben und in der
heit und Krankheit Einfluss auf die Entscheidungs- und Clinical- Lage sind, zu einem ausgeglichenen Leben zurückzufinden. Auf-
Reasoning-Prozesse der täglichen Arbeit haben. grund seiner Studien folgerte er, dass Gesundheit nicht einfach
das Gegenteil von Krankheit ist. Zudem muss es Faktoren geben,
Biopsychosoziales Modell der WHO Für die WHO (World Health
s die den Menschen gegen Krankheit widerstandsfähig machen
Organisation) ist Gesundheit nach dem biopsychosozialen Denk- und die Gesundheit fördern.
modell definiert: „Gesundheit ist der Zustand von optimalem Während man aus pathogener Perspektive herausfinden
physischen, mentalen und sozialen Wohlbefinden und nicht ein- möchte, warum Menschen krank werden, beschäftigt sich der
fach die Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung“ [1]. Mit salutogene Ansatz mit den Bedingungen von Gesundheit und
dieser Definition wendet sich die WHO von dem tradi- den Faktoren, die Gesundheit erhalten [4, 5, 6].
28 tionell biomedizinischen Denkmodell ab. Das pathogen
Foto: Vereinigung zur Förderung der
Intensivpflege in Marburg e. V.

orientierte biomedizinische Modell hat seine Wurzeln Kontinuum von Gesundheit und Krankheit Für Antonovsky sind
s
in den Naturwissenschaften und erklärt Krankheiten Gesundheit und Krankheit keine statischen, sich gegenüberste-
mit dem Kausalitätsprinzip: Biologische Dysfunktionen
müssen behoben werden, um Gesundheit wiederher-
zustellen. Abb. 2 Physiotherapeuten begleiten Patienten auf einem Konti-
nuum individuellen Krankheitserlebens und individuellen Gesund-
Biomedizinisches Modell in der Kritik George Engel heitserlebens. In der Therapie begleitet man den Patienten zu
s
kritisierte schon 1977 in einem Beitrag für die Zeit- einem optimalen Gesundheitszustand.

schrift Science [2], dass das biomedizinische Modell zu


Abb. 1 Aaron
sehr der molekularen Biologie als Basiswissenschaft Der physiotherapeutische Prozess aus einer phänomeno-
Antonovsky
folgt und zu wenig Platz lässt für die sozialen und psy- logischen Perspektive
entwickelte das
Konzept der chischen Aspekte von Krankheit und Behinderung. In Kontinuum

Salutogenese. der WHO-Definition von Gesundheit steht das biopsy-


chosoziale Denkmodell Pate, das sich seit der Publika- Individuelles Krankheits- Individuelles Gesundheits-
tion von Engel in der Medizin zunehmend durchsetzt. Im bio- erleben und -verhalten erleben und -verhalten
psychosozialen Modell steht der Mensch als denkendes und < Funktions-, Aktivitäts- und
< Einschränkungen auf
fühlendes Wesen im Mittelpunkt. Seine persönliche Geschichte Funktions-, Aktivitäts- und Partizipationsniveau
und das individuelle Erleben einer Krankheit oder Behinderung Partizipationsebene < Vertrauen, den Körper
spielen in Untersuchung und Behandlung eine zentrale Rolle [3]. < Krankheitsverhalten (zum wieder zu gebrauchen
Beispiel Angst vor Bewe- < Prävention
1970 entstand Idee zur Salutogenese Die Idee zu einem saluto-
s gung) < Körperbewusstsein
genetischen Denkmodell hatte der israelische Sozialwissen- < Leidensdruck < Kontrolle über Gesund-
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schaftler Aaron Antonovsky 1970 ( Abb. 1). Er befragte in einer < Pathobiologische Prozesse heit: zu wissen, was man
a bei Rezidiven tun muss
Studie Überlebende der Konzentrationslager des 2. Weltkriegs
(aktives Coping)
nach ihrem Gesundheitszustand. 29 % der Frauen gaben an, bei
guter emotionaler und physischer Gesundheit zu sein. Anto-
henden Zustände, sondern dynamische Zustände, die auf einem Das Kohärenzgefühl ist ein dynamisches Phänomen. Es wird
Kontinuum zwischen Wohlbefinden (Gesundheit) und Unwohl- von den Umständen geprägt, mit denen wir aufwachsen. Aber
sein (Krankheit) liegen ( Abb. 2). Während des Lebens bewegt
a auch spätere Lebenserfahrungen können das Kohärenzgefühl
sich jeder Mensch vorwärts und rückwärts auf diesem Konti- stärken [4, 5, 8].
nuum.
Das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum zeigt, dass jeder Stressoren führen zu Spannungszuständen Wenn eine Person

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s
Mensch ein individuelles Krankheitserleben hat, das sich in Spannungszustände bewältigen kann, hat dies ebenfalls eine
einem individuellen Krankheitsverhalten ausdrückt. In der prak- positive Wirkung auf das Kohärenzgefühl. Spannungszustände
tischen Umsetzung bedeutet dies, dass man alle Faktoren unter- entstehen durch Stressoren. Dies sind von innen oder außen
suchen und in der Behandlung berücksichtigen sollte, die eine kommende Anforderungen an den Organismus, die sein Gleich-
Bewegung vorwärts oder rückwärts auf dem Gesundheits- gewicht stören [5]. Antonovsky unterscheidet zwischen physika-
Krankheits-Kontinuum stimulieren. Dies kommt einer phäno- lischen, chemischen und psychosozialen Stressoren. Vor allem
menologischen Sichtweise gleich – der Patient steht im Mittel- bei psychosozialen Stressoren spielt die Salutogenese eine wich-
punkt: Man begleitet den Patienten in der Behandlung zum tige Rolle. Gelingt es, die durch Stressoren ausgelösten Span-
Wohlbefinden und entwickelt mit ihm ein individuelles gesund- nungszustände zu bewältigen, hat dies eine gesundheitsför-
heitsförderndes Verhalten [7] ( Abb. 2).
a dernde oder -erhaltende Wirkung. Wenn es misslingt, entsteht
„Stress“. Da man Spannungszustände nicht immer bewältigen
Kohärenzgefühl: verstehbar, handhabbar, bedeutsam In der s kann, sind Stressreaktionen ein allgegenwärtiges Phänomen. Sie
Entwicklung und Handhabung von Gesundheit spielt das so müssen aber nicht zwangsläufig negative gesundheitliche Fol-
genannte Kohärenzgefühl eine wichtige Rolle. Das Kohärenz- gen haben. Häufig ist es die Kombination von verschiedenen
gefühl ist eine individuelle Grundhaltung gegenüber der Welt Stressoren (zum Beispiel Krankheitserregern, Schadstoffen und
und dem Leben. Die drei Teile des Kohärenzgefühls sind: körperliche Schwachstellen), die die Gesundheit schwächen.
< Gefühl der Verstehbarkeit: Ereignisse sollten im Leben struk-
turiert und erklärbar sein. Dem Stress mit Zuversicht begegnen Wie eine Person Stresso-
s
< Gefühl der Handhabbarkeit: Man hat genug Ressourcen, um ren bewertet, spielt für die Gesundheit eine wichtige Rolle: Eine
den Anforderungen des Lebens zu begegnen. Person mit starkem Kohärenzgefühl wird manche Stressoren als
< Gefühl von Sinnhaftigkeit: Man sieht die Anforderungen als neutral bewerten, während eine andere Person diese als span-
Herausforderungen und empfindet es als lohnenswert und nungserzeugend erfährt.
sinnvoll, Energie in sie zu investieren. Wird der Reiz als günstig oder irrelevant betrachtet, nimmt
Diese grundlegende Lebenseinstellung drückt die Zuversicht eine Person mit hohem Kohärenzgefühl meistens an, dass der
aus, dass die innere und äußere Erfahrungswelt vorhersagbar ist, Spannungszustand ohne Aktivierung von Ressourcen aufhört.
und dass sich die Angelegenheiten so entwickeln, wie man es ver- Dem als bedrohlich empfundenen Stressor begegnen Personen
nünftigerweise erwarten kann. Je ausgeprägter das Kohärenz- mit hohem Kohärenzgefühl häufig mit Zuversicht. Sie reagieren 29
gefühl einer Person ist, desto gesünder sollte sie sein bzw. desto darauf situationsgerecht. Die Person mit schwachem Kohärenz-
schneller sollte sie gesund werden. gefühl reagiert in bedrohlichen Situationen häufig hilflos, diffus h
Abb. 3 Physiotherapeuten sollten neben der pathogenetischen Rollenerweiterung des Physiotherapeuten
auch eine salutogenetische Perspektive auf den Patienten haben.
Berufsdefinition enthält salutogenetische Perspektive
So können sie einen für den Patienten sinnvollen und bedeutsamen
Behandlungsplan entwickeln.
Das Konzept der Salutogenese ist in der Physiotherapie bereits
vielfältig vorhanden, zum Beispiel in der Berufsdefinition des
Weltverbandes für Physiotherapie (World Confederation for
Kontinuum Physical Therapy; WCPT) [15]: „In der Physiotherapie wird mit
einzelnen Personen oder Gruppen gearbeitet, damit deren
Individuelles Krankheits- Individuelles Gesundheits- Bewegungsfähigkeit und Funktionsfähigkeit während des
erleben und -verhalten erleben und -verhalten ganzen Lebens so weit wie möglich erhalten bleibt bzw. wie-
derhergestellt wird. Physiotherapie ist besonders wichtig in
Situationen, in denen Bewegungsfähigkeit durch Alterung,
Pathogenetische Perspektive Salutogenetische Perspektive Verletzung oder Krankheit bedroht wird. Volle und funktio-
(biomedizinisch) < Ziele des Patienten nelle Bewegungsfähigkeit stehen für die Physiotherapie im
< Pathobiologische und (in Bezug auf Aktivitäten Zentrum dessen, was es heißt, gesund zu sein.“
physische Risikofaktoren und Partizipation) Man sollte das salutogenetische Konzept bewusst einset-
< Psychosoziale Risikofakto- < Körperliches Wohlbefinden zen und somit die kurative Physiotherapie um die Aufgaben
ren für eine Langzeitbehin- < Sinnvolles Handeln
der Gesundheitsförderung erweitern. In verschiedenen euro-
derung aufgrund von < Analyse von Ressourcen
päischen Ländern ist diese Entwicklung schon vollzogen.
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Schmerzen (z. B. Motivation zum Bewe-


Dort sind beispielsweise bereits viele Physiotherapeuten als
gen) und Bewegungs-
interessen
ergonomische Berater tätig.
oder auch mit schwer zu regulierenden Emotionen [5, 6]. Stres- siotherapie – in der Untersuchung und in der Behandlungspla-
soren kann man positiv begegnen, wenn man so genannte gene- nung (a Kasten, S. 29). Denn in der Physiotherapie sollte man
ralisierte Widerstandsressourcen zur Verfügung hat. Generali- nach denjenigen Einflüssen suchen, die eine Rückwärtsbewe-
sierte Widerstandsressourcen sind Faktoren, die eine erfolgreiche gung auf dem Kontinuum verursachen oder eine Vorwärtsbewe-
Spannungsbewältigung erleichtern, zum Beispiel soziale Unter- gung stimulieren. Dazu sollte der Therapeut sowohl eine patho-
physiotherapie

stützung durch Familie und Freunde. genetische als auch eine salutogenetische Sichtweise haben
( Abb. 3, S. 29) [9].
a
Pathogenese und Salutogenese sind komplementär Das saluto-
s Schon bei der Formulierung des Therapieziels kommt es
genetische Konzept beinhaltet viele Aspekte, die die Gesundheit darauf an, welche Sichtweise man hat. Aus salutogenetischer Per-
beeinflussen. Doch es ist kein Ersatz zum pathogenetischen. spektive stellt man sich die Fragen:
Beide Konzepte ergänzen sich. Die Frage, warum Menschen < Wie sieht der Zustand optimalen Gesundheitserlebens für den
gesund bleiben, sollte allerdings Vorrang haben vor der Frage Patienten aus?
nach den Ursachen von Krankheiten [6]. Dies gilt sowohl für die < Wie kann der Physiotherapeut das Gesundheitserleben und
Forschung als auch für die klinische Tätigkeit am Patienten. So -verhalten des Patienten beeinflussen (über Schmerzbekämp-
hat die Art, wie die Forschungsfrage definiert wird, einen ent- fung und Verbesserung der lokalen Funktionsstörungen
scheidenden Einfluss darauf, welche Richtung man einschlägt, hinaus)?
um Antworten zu finden [4].
In der klinischen Arbeit am Patienten kann man mit einer Kohärenzgefühl bestimmen durch psychosoziales Assessment s
pathogenen Sichtweise Risikofaktoren reduzieren und, wo nötig, Je mehr man über das persönliche Krankheitserlebnis des Patien-
Therapien einsetzen. Doch man sollte nicht annehmen, dass man ten erfährt, desto besser kann man die Therapie darauf ab-
damit automatisch einen optimalen Gesundheitszustand für den stimmen. Dies gelingt beispielsweise über ein psychosoziales
Patienten erreicht. Dazu ist die salutogene Sichtweise nötig, die Assessment. Der Physiotherapeut kann sich so ein Bild über das
die Geschichte des Kranken in den Mittelpunkt stellt und dessen Kohärenzgefühl des Patienten machen. Dazu sollte man folgen-
persönliches Erleben der Krankheit. Aus salutogener Perspektive de Fragen beantworten:
kann sich der Patient aktiv mit Hilfe seiner eigenen Ressourcen < Verstehbarkeit: Ist der Zustand für den Patienten erklärbar?
auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum bewegen. Welches Verständnis hat der Patient von seiner biomedizini-
schen Diagnose und den Behandlungsmöglichkeiten? Sieht
Therapieentscheidungen salutogenetisch fällen Das Gesund-
s der Patient einen Sinn in den Handlungen des Physiothera-
heits-Krankheits-Kontinuum spielt eine zentrale Rolle in der Phy- peuten bzw. erwartet er, dass der Physiotherapeut ihm hilft?

Tab. 1 Pathogener und salutogener Kommunikationsstil: Beispiele zu verschiedenen klinischen Situationen


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Situation Pathogene Fragen/Aussagen Salutogene Fragen/Aussagen

Anamnese: Feststellen der „Wenn es beim Fensterputzen wehtut, müssen „Können Sie trotz des Schmerzes mit dem
Irritierbarkeit eines Problems Sie dann wegen der Schmerzen aufhören?“ Fensterputzen weitermachen?“

„Wieso sind die Schmerzen morgens stärker?“ „Wieso denken Sie, dass die Schmerzen am
Nachmittag besser sind? Was könnten Sie tun,
damit die Schmerzen morgens so sind wie am
Nachmittag?“

„Wenn es wehtut: Was tun Sie dann gegen die „Wenn es wehtut: Was können Sie selbst
Schmerzen?“ unternehmen, damit Ihnen wieder wohler ist?“

Anamnese: 24h-Verhalten der „Was können Sie wegen der Schmerzen nicht „Was ist trotz des Schmerzes noch möglich?
Symptome und Aktivitätsniveau mehr tun?“ Welche Hobbys und Aktivitäten machen Ihnen
Spaß?“

Inspektion „Ihr Schulterblatt steht zu hoch!“ „Sie haben eine gute Körperhaltung. Einzig
dieses Schulterblatt steht etwas höher als das
andere.“

Funktionsuntersuchung: „Bei Ihnen finde ich nichts Abnormales.“ „Soweit ich das beurteilen kann, sind Ihre Reflexe
Neurologie und die Muskulatur tip-top in Ordnung.“

Wiederbefund: Wenn es nach der „Es tut Ihnen also immer noch weh!“ „Merken Sie außer dem Schmerz noch einen
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Therapie eine objektive Verände- anderen Aspekt der Bewegung? Die Beweglich-
rung gibt, der Patient aber den keit? Oder die Art, wie Sie sich bewegen – im
Schmerz unverändert erlebt. Vergleich zu vorher?“
< Handhabbarkeit: Kennt der Patient Selbstbehandlungsstrate- physiokongress
gien?
< Sinnhaftigkeit: Ergeben die Therapiemaßnahmen für den Patient education
Patienten einen Sinn? Hat der Patient ein Erfolgserlebnis, Zu diesem Thema gibt es am 17. Juni 2006 ein Mitmach-
wenn er Selbstmanagementstrategien ausführt? Seminar auf dem physiokongress in Aachen. Infos dazu
Je höher das Kohärenzgefühl des Patienten in Bezug auf seine gibt es unter www.physiokongress.de.

physiotherapie
Beschwerden ist, desto motivierter und regelmäßiger wird er
zum Beispiel ein Heimübungsprogramm durchführen.

Kohärenzgefühl stärken Viele Interventionen der Physiothera-


s Therapieeinheiten durch Wiederbefunde: Man fragt beim Pati-
pie können das Kohärenzgefühl des Patienten stärken, zum Bei- enten nach, ob er in der Lage war, die Empfehlungen und Übun-
spiel die Wortwahl des Therapeuten ( Tab.): Die Qualität der
a gen in seinen Alltag umzusetzen. Zudem erkundigt man sich,
Kommunikation und die Wortwahl haben oft einen direkten welche Effekte er dabei wahrgenommen hat. Wiederbefunde
Effekt auf das persönliche Erleben und das Krankheitsverhalten können auch während einer Therapiesitzung zum Gefühl der
des Patienten [3, 10, 11, 12]. Allerdings hat die Wortwahl von Handhabbarkeit beitragen, wenn man sie sofort nach einer
Physiotherapeuten, zum Beispiel während der Anamnese, häufig Übung oder Technik einsetzt [13].
eine pathogene Perspektive (Defizite hervorheben). Um Kom-
munikation aus salutogener Perspektive zu gestalten, sollte man Präventiv gegen Rezidive Im Schmerzmanagement spielt die
s
positive Befunde betonen und den Patienten loben (Ressourcen Linderung der Beschwerden eine große Rolle. Darüber hinaus ist
hervorheben). es jedoch essenziell, dass man dem Patienten hilft, Rezidive zu
Ein häufiges Therapieziel in der Physiotherapie ist Schmerz- vermeiden. Von einigen Syndromen, wie zum Beispiel dem Ten-
linderung. Aus salutogener Perspektive sollte man dieses Thera- nisellenbogen und nichtspezifischen Kreuzschmerzen, nimmt
pieziel erweitern um die Verbesserung und Optimierung von man zwar an, dass sie selbstregulierend sind. Allerdings treten
Aktivitäten, die für den Patienten eine Freude sind und ihm dabei häufig Rezidive auf [14]. Deswegen ist die Rezidivpräven-
einen Lebenssinn geben. tion für Patienten wichtig. Man lehrt dem Patienten, wie er sich
über sein Bewegungsverhalten im Alltag bewusst wird. Zudem
Patienten informieren, aufklären und schulen Viele Patienten
s schult man Coping-Strategien. Zum Beispiel sollen Patienten bei
kennen die spezifischen Denkmodelle und Wirkweisen der Phy- auftretenden Schmerzen aktive Strategien einsetzen, um ihr all-
siotherapie nicht. Sie können sich nicht vorstellen, dass gezieltes gemeines Wohlbefinden zu fördern und die allgemeine Fitness
Bewegen einen Effekt auf Schmerzen, Bandscheibenprobleme zu optimieren.
oder degenerative Veränderungen hat. Bevor und während Thera- Bei vielen chronischen Schmerzen kann man nicht immer
peuten aktive und passive Bewegungsbehandlungen durch- direkt den Schmerz behandeln. Allerdings kann man aus saluto-
führen, ist es meist sinnvoll, Patienten über das Regenerations- gener Sicht mit dem Patienten ein „Wohlfühlprogramm“ ent- 31
potenzial einer Bandscheibe oder über neurophysiologische wickeln, worin man zum Beispiel Strategien zur Förderung des
Schmerzmechanismen zu informieren und zu schulen. Dies Wohlbefindens, Freude an Bewegung und Körperwahrnehmung
sollte den Nutzen der Interventionen erklären. schult.
Neben der Stärkung des Kohärenzgefühls haben Informatio-
nen und Schulungen auch einen Effekt auf die Motivation, das Salutogenese als therapeutische Grundhaltung Die salutoge-
s
Bewegungsverhalten und die Compliance der Patienten [13]. netische Perspektive ist eine therapeutische Grundhaltung, bei
der es wichtig ist, dass sich die Therapeuten über ihre Wortwahl
Selbstbehandlung als Coping-Strategie Sobald der Physiothe-
s und ihre Handlungen bewusst sind. Alle Handlungen des Thera-
rapeut die Ursache der Symptome festgestellt hat, muss man den peuten führen bei den Patienten zu einem verbesserten Erleben
Patienten darüber informieren, was er selbst während seines von Gesundheit und zu einem gesundheitsfördernden Bewe-
Alltags gegen seine Beschwerden unternehmen kann. Eine gungsverhalten.
gezielte Selbstbehandlungsstrategie trägt zum Gefühl der Hand- Elly Hengeveld
habbarkeit bei. Es ist jedoch essenziell, dass der Patient dabei ein
Erfolgserleben hat. Dies kontrolliert man während der nächsten Q Literaturverzeichnis unter www.thieme.de/physioonline

physiobonus
Elly Hengeveld, MSc, BPT, OMT svomp, ist seit 1980
g Salutogenese pur
Vertiefen Sie Ihr Wissen über die Salutogenese.
Physiotherapeutin und lebt in Oberentfelden,
Schweiz. Sie ist Lehrerin für Manuelle Therapie
physiopraxis verlost drei Exemplare des Buchs
(IMTA) und arbeitet in einer Privatpraxis. Ihre
„Salutogenese – zur Entmystifizierung der
besonderen Interessen sind die Behandlung von
physiopraxis 4/06

Gesundheit“ von Aaron Antonovsky. Das


Patienten mit chronischem Schmerz, Bewegungs-
Stichwort lautet „Salutogenese“. Einsende- paradigma als spezifische Basis des Wissensspek-
schluss ist der 18. Mai 2006. trums von Physiotherapeuten, salutogenetische
Perspektiven sowie Clinical-Reasoning-Prozesse.

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