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12 1 Gelungene Kommunikation in der Physiotherapie

Fall 4:

Kerstin Klar ist ebenfalls eine Angestellte in der Praxis aufgeweckt, aber wenig zu einer aktiven Teilnahme
von Josef Boss. Sie ist eine erfahrene Therapeutin, die motiviert. Bei der Befunderhebung stellt Kerstin Klar
vorher in der Pädiatrie, Gynäkologie und in der Ortho- unter anderem fest, dass Marco seinen Fuß überhaupt
pädie gearbeitet hat. An diesem Nachmittag hat sie nicht anheben kann und somit beim Gehen beeinträch-
einen neuen Patienten, den sie am Ende des Arbeitsta- tigt ist. Das ganze Gangbild ist verändert. Kerstin Klar
ges noch zusätzlich behandeln soll. Marco ist sechs hat den Eindruck, dass der Junge keinen Bedarf an der
Jahre alt und kommt in Begleitung seiner Mutter in die Therapie sieht. Marco scheint sich nicht richtig zu kon-
Praxis. Die Therapeutin erfährt von der Mutter, dass zentrieren und lieber an der Therapiebankmechanik
das Kind eine Lähmung des rechten Fußes hat, die es spielen zu wollen, als aktiv mitzuarbeiten. Da Kerstin
sich vor vier Monaten beim Eintreten einer Scheibe in Klar inzwischen schon etwas müde ist – schließlich hat
der Schule zugezogen hat. Die Mutter erwähnt auch, sie heute schon 15 Patienten behandelt – ist sie ratlos,
dass sie noch drei Kinder habe, die alle jünger seien als was sie tun soll, um Marco mehr für die Behandlung zu
Marco. Der Junge wirkt auf Kerstin Klar recht zappelig, gewinnen.

Reflexion von Fall 4:

Was wäre Ihrer Ansicht nach notwendig, um einen guten Kontakt zu Marco aufzubauen und eine Basis für die
Zusammenarbeit zu schaffen?

Wie geht es dem Patienten im Alltag? Wie geht es ihm in dieser Behandlung? Was würde sich Marco
möglicherweise von der Therapeutin wünschen?

Wie geht es der Therapeutin? Was erwartet sie sich vom Patienten?

Welche Gedanken, Impulse, Körperempfindungen, Gefühle haben Sie bei sich selbst wahrgenommen, wenn
Sie sich in die Lage der Therapeutin versetzen?

Wie sollte die Therapeutin mit der Situation im Weiteren umgehen? Was könnte sie falsch machen? Was
wäre hilfreich? Was sollte Kerstin Klar jetzt oder bei der nächsten Behandlung ansprechen?

Nun haben Sie drei Therapeuten und vier Patien- sollen. Im folgenden Kapitel möchten wir erläu-
ten kennen gelernt. Diese Fälle werden wir in die- tern, was wir unter kompetenter Gesprächsfüh-
sem Buch immer wieder aufgreifen. Sie stehen rung in der Physiotherapie verstehen.
beispielhaft für wichtige Aspekte der Gesprächs-
führung in der Physiotherapie. In allen Fällen ver-
halten sich die Therapeuten motiviert und interes- 1.3 Kompetente Gesprächsführung
siert am Patienten. In der Praxis ist dies allerdings
nicht immer selbstverständlich – wenn Therapeu- Was sind die Voraussetzungen für eine qualitativ
ten beispielsweise während der Behandlung we- hochwertige und nachhaltige Behandlung in der
nig aufmerksam sind, weil sie gerade an ein Physiotherapie? Im Grunde geht es darum, eine
wichtiges privates Thema denken oder wenn sie positive Zusammenarbeit zwischen Patient und
fast ausschließlich über sich selbst sprechen. Therapeut zu gewährleisten. Der Therapeut hat
Im weiteren Verlauf des Buches werden noch dabei die Aufgabe, eine möglichst hohe Passung
weitere Beispiele aus der Praxis hinzukommen, zwischen der Person (gemeint ist hier der Patient)
die Ihnen bei der Reflexion und Weiterentwick- mit ihren Bedürfnissen, ihrem Befinden und ihren
lung Ihres eigenen Kommunikationsstiles helfen Ressourcen – das sind Fähigkeiten und Möglich-

Hoos-Leistner, Gesprächsführung für Physiotherapeuten (ISBN 9783131476913), © 2016 Georg Thieme Verlag KG
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Kompetente Gesprächsführung 13

keiten des Patienten – und der entsprechenden peut einen positiven Kontakt zum Patienten auf-
therapeutischen Intervention herzustellen. Wenn baut, die gegenseitige Zusammenarbeit fördert,
der Patient das Gefühl hat, dass es um ihn geht und notwendige Informationen vom Patienten be-
dass die jeweiligen therapeutischen Handlungen kommt bzw. an diesen weitergibt, so dass sie
wirklich zu ihm passen, dürfte seine Bereitschaft der Patient verstehen und umsetzen kann. Kom-
zur Zusammenarbeit geweckt werden (Abb. 1.2). petente Kommunikation dient also als Brücke
Damit Therapeuten diese Passung erreichen, zum Erleben des Patienten, um die einzelnen
umfassen die beruflichen Kompetenzen von Phy- Behandlungsschritte individuell auf diesen ab-
siotherapeuten fachliche, personale und soziale zustimmen.
Kompetenzen (vgl. Klemme u. Siegmann 2006). Im | Bei den personalen Kompetenzen ist insbeson-
Idealfall sind alle Kompetenzbereiche gut ausge- dere die Fähigkeit zur Selbststeuerung wichtig,
bildet, da erst mit ausreichenden personalen und d. h., eigene Zustände in eine positive Richtung
sozialen Kompetenzen die fachlichen Fähigkeiten zu beeinflussen. Beispielsweise geht es hier um
voll zum Einsatz kommen können. die Frage, wie es ein Physiotherapeut auch nach
| Die fachlichen Kompetenzen wie das Wissen dem zehnten Patienten am Tag schafft, den
über Anatomie, Physiologie und Krankheits- darauf folgenden Patienten ebenfalls mit Inte-
lehre, diagnostische Verfahren, Indikationen resse und Engagement zu behandeln (vgl. Kapi-
und Kontraindikationen sowie den gezielten tel 4).
Einsatz therapeutischer Techniken sind der
Schwerpunkt in der Ausbildung von Physiothe- Was unterscheidet aber eine freundliche Unterhal-
rapeuten (Lehrpläne für die Berufsfachschule für tung, die eine fachlich hochwertige Behandlung
Physiotherapie 1997). Engagierte Physiothera- begleitet, von einer kompetenten Gesprächsfüh-
peuten erweitern ihre fachlichen Kompetenzen rung? Nicht jeder Physiotherapeut, der den Patien-
durch regelmäßige Fortbildungen, die Reflexion ten gegenüber eine freundliche Einstellung hat
eigener Erfahrungen mit Patienten, kollegiale und mit ihnen über alle möglichen Themen reden
Unterstützung und durch Fachliteratur. kann, muss auch über die Fähigkeit zur aktiven
| Zu den sozialen Kompetenzen gehört die Fähig- Steuerung des Gesprächs verfügen (mit Steuerung
keit zur Gesprächsführung (Lehrpläne für die des Gesprächs ist nicht nur die Steuerung des
Berufsfachschule für Physiotherapie 1997). Wie Behandlungsablaufs gemeint, d. h. wann sich der
Potter, Gordon, Hamer u. Houghton (2005) fest- Patient vom Rücken auf den Bauch legen soll).
stellen, nimmt die Bedeutung von Schulungen Diese Fähigkeit können Therapeuten erweitern, so
im Bereich Kommunikation für Physiotherapeu- dass sie im Gespräch den Überblick behalten und
ten immer mehr zu. Bei den kommunikativen die wichtigen Themen, Befindlichkeiten und Wün-
Fähigkeiten geht es darum, wie der Physiothera- sche mit Bezug zu den Behandlungszielen aufgrei-

Abb. 1.2 Therapeut und Patientin


im Gespräch

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fen können. Dies kann auch introvertierten Thera- im Dienste der Gesundheit des Patienten zu set-
peuten, die sich im Gespräch eher zurückhalten, zen. „Gemeinsame Entscheidungen lassen sich
dabei helfen, mehr Sicherheit und Offenheit im nicht rezeptartig oder standardisiert herbeiführen
Gespräch mit den Patienten zu entwickeln. – vielmehr handelt es sich um komplexe Ansätze,
Welche Gesprächsthemen sind für die Behand- die Gespür und kommunikative Kompetenzen
lung wichtig? Ein freundlicher Smalltalk kann erfordern“ (Bollert u. Geuter 2007).
zeitweise – z. B. nach der Begrüßung – durchaus An dieser Stelle bietet sich ein Blick zurück auf
angebracht sein, weil dadurch zum Ausdruck die Beispiele von Abschnitt 1.2 an:
gebracht wird, dass die Kommunikationskanäle | In Fall 1 verhält sich die Therapeutin sehr zuge-
offen und beide Personen zur Kontaktaufnahme wandt und stimmt die Behandlung feinfühlig
bereit sind (Flammer 1997). Die Gefahr besteht auf den Zustand der Patientin in körperlicher
dabei aber auch, sich im weiteren Verlauf in und emotionaler Hinsicht ab. Die Therapeutin
Belanglosigkeiten zu verlieren und wichtige An- hat eine sehr wertschätzende Einstellung zur
satzpunkte für eine umfassende Behandlung des Patientin und interessiert sich für das, was die
Patienten – im Sinne der Passung von Person und Patientin ihr erzählt. Empfehlenswert erscheint
Intervention – zu übersehen. ein Handlungsschritt der Physiotherapeutin in
Eine kompetente, aktive Gesprächsführung Richtung Selbstregulation. Offensichtlich hat die
geht also über freundlichen Smalltalk hinaus. Ziel Therapeutin die Vorstellung, dass sie dem Rede-
der hier vorgestellten Art von Gesprächsführung fluss der Patientin kompromisslos folgen muss.
ist die Förderung des gegenseitigen Verstehens in Dabei kommt es zu dem Phänomen, dass durch
der Physiotherapie, um eine individuelle und die vielen und für die momentane Behandlung
nachhaltige Behandlung durchführen zu können: nicht relevanten Informationen die Kapazitäten
| Der Physiotherapeut soll in der Lage sein, die der Therapeutin deutlich überschritten werden
Gedanken und Gefühle des Patienten zu verste- – nur mit hohem Aufwand kann sie gleichzeitig
hen, weil dies eine wichtige Grundlage für mög- eine hochwertige Behandlung durchführen und
licherweise notwendige Veränderungen des sich auf die Gesprächsinhalte konzentrieren.
Patienten ist. Zu den erwünschten Veränderun- Dies zeigt sich in den sich der Behandlung
gen gehört auch die emotionale Stabilisierung anschließenden körperlichen Beschwerden der
des Patienten durch die Unterstützung des The- Therapeutin. Um gut für sich selbst zu sorgen,
rapeuten. könnte die Therapeutin ein körperlich, mental
| Der Physiotherapeut soll sich so ausdrücken und emotional regulierendes Verfahren einset-
können, dass ihn der Patient verstehen kann. zen, sobald sie die ersten Symptome bemerkt.
Dies ist ebenfalls eine zentrale Grundlage für Weiterhin dürfte sich eine angemessene Steue-
Veränderungen des Patienten. (Dazu gehören rung des Gespräches auf die wesentlichen Anlie-
natürlich auch die behandlungsspezifischen gen der Patientin positiv auf das Befinden der
Anweisungen, z. B. wann sich der Patient vom Therapeutin und auch auf das Befinden der Pati-
Bauch auf den Rücken drehen soll.) entin auswirken. Die Therapeutin kann zum
Ausdruck bringen, inwieweit sie die innere Welt
Beispielsweise kann es notwendig sein, dass der der Patientin versteht und gleichzeitig darauf
Patient seine gesundheitliche Lage anders (z. B. achten, dass sich beide auf die momentane
realistischer und/oder optimistischer) einschätzen Behandlung konzentrieren können. Somit sorgt
sollte, als er es tut. In diesem Fall wäre also eine sie für eine hohe Passung der Intervention zur
alternative Sichtweise zu erarbeiten. Oder der Person und fördert die gegenseitige Wertschät-
Patient sollte seine gesundheitsbezogenen Einstel- zung und Zusammenarbeit.
lungen ändern, um weitere Heilungsschritte ma- | In Fall 2 verfügt der Therapeut über ein ausge-
chen zu können, die den unmittelbaren Behand- prägtes Selbstbewusstsein in Hinblick auf seine
lungserfolg weiterführen (z. B. kontinuierliches Fachkompetenz. Der Patient verhält sich fast
Herz-Kreislauftraining, funktionelle Kräftigungs- schon arrogant, indem er die Entschuldigung
übungen). Hier könnte es um die Veränderungen des Therapeuten überhört und betont, dass er
von möglicherweise starren Überzeugungen des aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit umge-
Patienten und um die Entwicklung von Eigenmoti- hend schmerzfrei sein muss. Weiterhin erwartet
vation gehen. In jedem Fall sollte sich der Physio- er vom Therapeuten, bezüglich der Befundung
therapeut ein Bild davon machen können, was mit dem Arzt zu sprechen und die vom ihm als
der Patient zum jeweiligen Thema denkt und wirkungsvoll empfundenen Massagen durchzu-
fühlt, um dies in die Behandlung einfließen zu las- führen. Es scheint so, als wären beide Personen
sen und veränderungswirksame verbale Impulse vom Verhalten des anderen gekränkt, so dass

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Kompetente Gesprächsführung 15

sich daraus eine Art Machtkampf entwickelt. durch Körpersprache und geeignete Wort-
Nachdenken könnte der Therapeut über eine wahl zu signalisieren. Die Voraussetzung ist hier
alternative Interpretation des Verhaltens des die Selbstwahrnehmung der Therapeutin und
Patienten, indem er dies z. B. nicht als Kritik an ihre Klärung, unter welchen Bedingungen sie
seiner Kompetenz und Person auffasst. Auch mit einem Patienten zusammenarbeiten kann.
hier kann eine entsprechende Selbstwahrneh- Ein Wechsel zu einem männlichen Kollegen
mung und Selbststeuerung hilfreich sein. Statt könnte ratsam erscheinen, weil dadurch der
die gegenseitigen Erwartungen zwischen den Rahmen der Behandlung noch eindeutiger
Zeilen zu formulieren, könnte der Therapeut in gestaltet wird. Bevor in diesem Fall eine Passung
der Kommunikation aktiv werden und die zwischen den krankheitsbezogenen Erwartun-
hohen Erwartungen des Patienten ansprechen gen und Bedürfnissen des Patienten und der
und auf wertschätzende Weise klären. Eine Be- therapeutischen Intervention erreicht werden
zugnahme auf den Ärger des Patienten könnte kann, muss dem Patienten klar sein, dass nur
dabei behilflich sein, der nicht nur mit der (kur- solche Erwartungen und Bedürfnisse in einer
zen) Wartezeit zu tun haben dürfte, sondern Physiotherapie erfüllt werden. Sexuelle oder
auch eine Reaktion auf die schmerzlichen und anderweitige über die Behandlung hinausge-
rezidivierenden Beschwerden sein kann. Wei- hende private Bedürfnisse nach Kontakt gehö-
terhin könnte der Therapeut zum Ausdruck ren nicht dazu.
bringen, dass er seine gesamte Erfahrung einset- | In Fall 4 ist der Patient ein Kind, das nicht son-
zen wird, um dem Patienten zu helfen. Damit derlich für die Therapie motiviert erscheint.
vermittelt er das Engagement, das der Patient Man könnte vermuten, dass dies auch daran
wünscht, um selbst kooperieren zu wollen. liegt, dass es auf Anordnung des Arztes und der
Indem der Therapeut also das gegenseitige Ver- Mutter dort hingehen soll. Möglicherweise ver-
stehen aktiv verfolgt, schafft er die Grundlage steht es den Zusammenhang zwischen der Ver-
für eine positive Kooperation. letzung und der Therapie nicht genau und
| In Fall 3 haben wir es mit einer besonderen Situ- denkt, dass die Beschwerden auch von selbst
ation zu tun. Die Behandlung findet im Hause wieder weggehen werden oder es hat aufgrund
des Patienten statt. Erschwerend kommt hinzu, der langen Dauer der Beschwerden vielleicht
dass die Bemerkungen des Patienten die her- schon resigniert. Wenn das Kind nicht wirklich
kömmlichen Grenzen des therapeutischen Kon- weiß, was es hier soll, ist nicht auszuschließen,
taktes überschreiten. Dies ist eindeutig eine dass es innerlich trotzig, wütend und sauer ist –
schwierige Situation für die Therapeutin. Der vermutlich in größerem Ausmaß, als es das in
Patient scheint die Rolle der Therapeutin als der Behandlung zum Ausdruck bringt. In Wor-
professionelle Helferin falsch einzuschätzen und ten dürfte dies eher schwer herauszufinden
zu testen, wie weit er in seiner Kontaktauf- sein, insbesondere wenn sich Patient und Thera-
nahme gehen kann. Dabei kommt es zwar nicht peutin noch nicht kennen. Hier ist es also not-
zu körperlichen Grenzüberschreitungen (z. B. wendig, die Körpersprache richtig zu verstehen.
Berührungen durch den Patienten), sondern zu Das Abwenden des Jungen zur Therapiebankme-
mehr oder weniger doppeldeutigen anzüglichen chanik könnte beispielsweise ein Hinweis auf
Äußerungen. In der ersten Bemerkung erwähnt einen unangenehmen Reiz sein, der durch die
er, dass er die Therapeutin für eine attraktive Behandlung gesetzt wurde, oder aber ein Anzei-
Frau hält (was ja zunächst einfach ein Kompli- chen von Langeweile oder Überforderung. Durch
ment sein kann) und er die Zuteilung als Service eine aktive Steuerung des Gesprächs mit dem
der Praxis versteht. Sein breites Grinsen könnte Patienten kann die Therapeutin dies genauer
man so deuten, dass dadurch die Zweideutigkeit herausfinden – im Unterschied dazu, die Be-
seiner Worte unterstrichen wird. Die zweite handlung durchzuziehen und sich gegenseitig
Bemerkung über die kalten Hände der Thera- innerlich übereinander zu ärgern. Dabei ist eine
peutin und dass ihm ganz warm sei, kann man wertschätzende und interessierte Haltung dem
als Steigerung des Austestens interpretieren. Die Kind gegenüber hilfreich, da Kinder oftmals
Situation ist also ambivalent: Erst wirkt der Pati- noch sensibler als Erwachsene (die sich stärker
ent offen und freundlich (bei der Begrüßung), an Konventionen im Umgang miteinander, z. B.
dann verhält er sich grenzüberschreitend. Emp- Höflichkeit, halten können) auf Ablehnung rea-
fehlenswert erscheint eine Klärung der Rollen gieren. Weiterhin braucht das Kind klare Anwei-
von Patient und Therapeutin. Allerdings ist dazu sungen, was in der Behandlung getan wird und
ein aktives Vorgehen seitens der Therapeutin wie es sich verhalten soll. Wenn es der Thera-
notwendig, um die erforderliche Abgrenzung peutin gelingt, einen positiven Anker zu schaf-

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fen, wird das Kind wahrscheinlich sehr gern lichen, welche Gedankengänge und Wertvorstel-
kooperieren. Dies kann eine Aktivität sein, an lungen hinter der Reflexion der Fallbeispiele ste-
der das Kind Freude hat. Selbstverständlich hen.
sollte diese im Rahmen der Behandlung ange- Die Fähigkeiten zum gegenseitigen Verstehen
messen und möglichst therapiezielbezogen sein. mit dem Ziel einer individuellen, qualitativ hoch-
Oftmals bieten sich Koordinationsaufgaben an, wertigen und nachhaltigen Behandlung können
da diese alle Sinne und den ganzen Körper sowohl von introvertierten als auch von extrover-
ansprechen und eine Herausforderung für das tierten Physiotherapeuten gelernt werden. Man
Kind sein können. Wenn die Therapeutin eine muss nicht unbedingt viele Worte machen können
interessierte Haltung vermittelt, anregende Auf- oder wollen, um die Gespräche mit den Patienten
gaben stellt und durch eine natürliche Autorität zielorientiert, einfühlsam und aktiv zu führen.
Führung und Richtung zu geben versteht, Vielmehr geht es um die positive Wertschätzung
könnte es sein, dass das Kind zukünftig immer und Weiterentwicklung des eigenen Kommunika-
zu seiner Lieblingstherapeutin in Behandlung tionsstils. Jeder Therapeut hat seine persönliche
kommen möchte. Art und Weise, mit dem Patienten Kontakt aufzu-
nehmen und im Gespräch zu bleiben. Dieses Buch
Diese Reflexionen der Beispiele sollen deutlich möchte dazu ermutigen, die eigenen diesbezüg-
machen, wie die konstruktive Zusammenarbeit lichen Stärken zu entdecken und zu bestärken.
von Therapeut und Patient durch gegenseitiges Davon ausgehend könnte eine Neugier entstehen,
Verstehen gefördert werden kann. So kann der über wünschenswerte Veränderungen des eigenen
Therapeut für eine individuelle Passung der Inter- Kommunikationsstils nachzudenken, interessante
ventionen in Bezug auf die Bedürfnisse, die Impulse aufzugreifen und aus den eigenen Er-
Befindlichkeit und die Wünsche sowie die Fähig- fahrungen mit den Patienten weiterzulernen. Im
keiten und Möglichkeiten des Patienten sorgen. In folgenden Kapitel wird das Potenzial für persönli-
den folgenden Kapiteln wird das entsprechende che Veränderungen mit Blick auf die Einheit von
Hintergrundwissen dargestellt, um zu veranschau- Körper, Fühlen und Denken thematisiert.

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