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Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.

UN-BASIS-INFORMATIONEN 56

Migration, Flüchtlinge GEEIGNET FÜ


R

und die Vereinten Nationen UN im


er
Klassenzimm

Einleitung

Hätte man auf die Vereinten Nationen und


ihre Organisatoren gehört, wäre Europa
nicht so unvorbereitet in die „Flüchtlings-
krise“ in den Jahren 2015/2016 hineinge-
schlittert. Bereits vor 25 Jahren stellte die
damali­ ge Hohe Flüchtlingskommissarin
der Vereinten Nationen, Sadako Ogata,
fest: „Eine stabile Welt bekommt man
nicht, wenn man seine Türen vor dem
Elend schließt.“ Ihr war klar, dass Flücht-
lings- und Migrationsbewegungen weiter-
bestehen werden, wenn es nicht zu Verän-
derungen in der internationalen Migra-
tionspolitik, aber auch im Weltwirtschafts-
system kommt. Schon damals war das ge-
samte Bruttosozialprodukt der Re­gion Afri-
ka südlich der Sahara geringer als das von
Belgien. Schon damals gingen der soge-
nannten Dritten Welt durch die europäi-
schen Handelsbeschränkungen Einnah-
men verloren, die zehnmal so hoch waren Bereits 2004 sagte der damalige UN-Gene- brauchen Europa, aber Europa braucht
wie der gesamte finanzielle Umfang der ralsekretär Kofi Annan vor dem Europäi­ auch Einwanderer“, so Kofi Annan im Blick
westlichen Entwicklungshilfe und schon schen Parlament, ein Europa, das sich ab- auf den dramatischen Bevölkerungsrück-
damals waren 1,5 Milliarden Menschen un- schließe, wäre ärmer, schwächer und älter. gang in Europa. Nicht nur in diesem Zusam-
terernährt. 55 000 verhungerten täglich, Wenn es jedoch gelinge, die Einwanderung menhang, sondern auch in Bezug auf die
was in einem Monat der Einwohnerzahl gut zu lenken, werde Europa fairer, rei- weltweiten Flüchtlingsbewegungen, setzte
von Hamburg entspricht. cher, stärker und jünger sein. „Einwanderer Annan eine „Weltkommission für Interna-
tionale Migration“ ein, die nach 18 Mona-
ten intensiver Arbeit ihren Bericht vorlegte.
Mit dem Bericht wurde klar, dass Migration
und Flucht fast alle Staaten auf der Welt be-
trifft und dass kein Land die Probleme, die

Anlässlich des Internationalen Tages der Migration,


erklärte der Generalsekretär der Vereinten Nationen,
António Guterres am 18.12.2017 „Es hat sich gezeigt,
dass Migranten überall zu positiven ökonomischen,
sozia­len und kulturellen Veränderungen in den jeweili-
gen Gesellschaften beitragen. […] Dennoch wird ihnen
oft Feindseligkeit entgegengebracht. Sich solidarisch mit
ihnen zu zeigen, war nie dringender als heute.“
Foto: UN Photo / Mark Garden

Syrische Kurden 2014 bei der Flucht in die Türkei in der


Nähe der Stadt Kobanê. Der 2011 in Syrien begonnene
Bürgerkrieg hat die größten Fluchtbewegungen ausge-
löst, denen sich die Weltgemeinschaft seitdem gegen-
übersieht. Foto: UNHCR / I. Pricket
2 Migration, Flüchtlinge und die Vereinten Nationen

Zahl der Migranten, die seit mehr als einem Jahr daraus erwachsen, alleine regeln kann. Vielmehr
außerhalb ihres Heimatlandes leben sind – so der Bericht der Weltkommission – ge-
meinsame und kohärente Lösungsansätze not-
2050 270-300 Mio. wendig, wobei gerade auch die positive Seite der
Migration nicht aus den Augen verloren werden
2015 244 Mio. darf. Die vielen Vorschläge zur Verbesserung der
Integration der Migrantinnen und Mi­ g ranten
2000 175 Mio. oder die Ausein­a ndersetzung mit der irregulären
Migration fanden dennoch bis heute nur wenig
1990 120 Mio. Eingang in die internationale Migrations- und
Flüchtlingspolitik.
1985 105 Mio.

1975 84 Mio. 65,6 Millionen Flüchtlinge weltweit

1965 75 Mio. Dabei hat sich das „Weltflüchtlingsproblem“ seit-


her eher verschärft. Kriege, Bürgerkriege, massi-
ve Menschenrechtsverletzungen, Hunger, Armut
Zahl der weltweit Vertriebenen (2016) und Umweltkatastrophen – das sind einige Ursa-
chen für Menschen ihre Heimat zu verlassen. Die
Vertriebene weltweit: Grenzen zwischen den Gründen, ob Flüchtlin-
65,6 Mio. ge sich aus wirtschaftlicher Not oder politischer
davon Binnenvertriebene: Verfolgung auf den Weg machen, sind fließend.
In den letzten Jahren entstand der Eindruck, als
40,3 Mio.
davon Flüchtlinge unter UN-Mandat:
17,2 Millionen unter UNHCR-Mandat / 5,3 Millionen Nach Angaben des UNHCR beherbergt Jordanien 636.000 syri-
22,5 Mio. palästinensische Flüchtlinge registriert durch UNRWA sche Flüchtlinge. Sechs Kilometer von der syrischen Grenze ent-
davon Asylbewerber: fernt befindet sich das Flüchtlingslager Zaatari, eines der welt-
größten Flüchtlingslager. Foto: World Bank / Dominic Chavez
2,8 Mio.
Migration, Flüchtlinge und die Vereinten Nationen 3

würde die Mehrzahl der Flüchtlinge nach von UNHCR fallen und international fast in Nachbarländer. Alles in allem entspricht
Deutschland kommen, dabei nehmen arme Vergessenheit geraten sind. Für sie ist das das etwa der Hälfte der Bevölkerung Syri-
Entwicklungsländer viel mehr Geflüchtete Hilfswerk der Vereinten Nationen für Paläs- ens vor Ausbruch des Krieges, der 250 000
auf. Die Mehrzahl, rund 90 Prozent, bleibt tina-Flüchtlinge im Nahen Osten, (United Todesopfer gefordert hat. 1,2 Millionen ha-
im eigenen Land oder flieht in Nachbarlän- Nations Relief and Works Agency for Pales- ben im Libanon Schutz gefunden, der be-
der, nicht in die reichen Industrieländer tine Refugees, UNRWA) zuständig. reits bis Ende 2014 insgesamt 7,5 Milliarden
Europas. Die Zahl der Flüchtlinge auf der US-Dollar für die Bewältigung der „Flücht-
Welt hat mit 65,6 Millionen im Jahre 2016 Besonders besorgniserregend: Die Hälfte lingskrise“ aufbringen musste. Im Libanon
erneut eine traurige Rekordmarke erreicht, aller Flüchtlinge sind Kinder. Der seit dem sind seit Jahren über 20 Prozent der Bevöl-
die größer ist als die Bevölkerung Großbri- Eingreifen Saudi-Arabiens noch einmal kerung Flüchtlinge, in einem Land halb so
tanniens. Über 40 Millionen sind Binnen- massiv verschärfte Bürgerkrieg im Jemen groß wie Sachsen. Auf Deutschland über-
vertriebene, also Menschen, die vor Kon- hat 2,5 Millionen Menschen zur Flucht ge- tragen, wären das 16 Millionen.
flikten und Gewalt im eigenen Land auf der zwungen, die nicht nach Europa gekommen
Flucht sind. Das entspricht zwei Drittel al- sind. Das Elend der syrischen Flüchtlin- Insgesamt sind rund 244 Millionen Men-
ler Flüchtlinge weltweit. Hinzu kommen ge sieht so aus: 6,6 Millionen sind Heimat- schen als Migranten unterwegs. Prozentual
mehr als 22 Millionen Flüchtlinge, die sich vertriebene im eigenen Land. 4,9 Millio- gesehen ist ihr Anteil an der Weltbevölke-
außerhalb ihres Landes befinden, ebenfalls nen flüchteten ins Ausland, vor allem in rung aber kaum gestiegen: von 2,3 Prozent
wieder die höchste Zahl seit Menschenge-
denken. Zum Verantwortungsbereich des Migration zwischen den Hemisphären (2015)
Hochkommissariats für Flüchtlinge der
Vereinten Natio­nen (UNHCR) zählen da- 55,2 MILLIONEN
von 17,2 Millionen, von den Übrigen sind Nord-Nord
über etwa fünf Millionen palästinensische
Flüchtlinge, die nicht unter das Mandat

Die Statistiken basieren auf Zahlen von International


13,6 MILLIONEN 85,3 MILLIONEN
Organisation for Migration, Global Commission on
International Migration, United Nations High Commis-
NORD-Süd Süd-Nord
sioner for Refugees, United Nations Population Fund.
Quellen: S. Angenendt (2017): Das Global Forum on
Migration and Development 2017 – Zentrale Herausfor-
derungen und Erwartungen. Verne-Konferenz; Interna-
tional Organisation for Migration (2016): Global Migra- 37 % aller internationalen
tions Trends 2015; United Nations High Commissioner
90,2 MILLIONEN Migranten wanderten zwischen
for Refugees (2017): Global Trends: Forced Displace-
Süd-Süd Ländern im globalen Süden.
ment in 2016.

Hauptherkunftsländer von Flüchtlingen 2016 2015 Hauptaufnahmeländer für Flüchtlinge 2015 2016

Syrien 5.500.448 4.850.792 Türkei 2.869.421 2.541.352

Afghanistan 2.488.689 2.662.954 Pakistan 1.352.560 1.561.162

Südsudan 1.436.651 778.629 Libanon 1.012.969 1.070.854

Somalia 1.012.323 1.123.022 Iran 979.435 979.437

Sudan 646.036 622.463 Uganda 940.835 477.187

Demokratische Republik Kongo 537.265 541.291 Äthiopien 791.631 736.086

Zentralafrikanische Republik 490.892 471.104 Jordanien 685.197 664.118

Eritrea 431.704 379.766 Deutschland 669.482 316.115

Burundi 408.085 292.764 Demokratische Republik Kongo 451.956 383.095

Irak 307.986 261.107 Kenia 451.099 553.912


4 Migration, Flüchtlinge und die Vereinten Nationen

im Jahr 1970 auf 3,3 Prozent in 2015, dem deutschen Kreisstadt wie Saarlouis oder Ho-
Jahr der sogenannten Flüchtlingskrise. Das yerswerda. Die höchste Zahl an Toten, 5 096, Die Rolle Deutschlands
heißt, immer noch bleibt fast 100 Prozent war im Jahre 2016 zu beklagen, nachdem
der Menschheit in seiner Heimat und macht die kurze und relativ weniger gefährliche Deutschland ist schon seit geraumer Zeit
sich nicht auf den Weg ins reiche Europa. Route von der Türkei nach Griechenland ein Einwanderungsland. Ein Blick auf die
als Folge des Abkommens zwischen der EU Einwanderungsgeschichte relativiert daher
und der Türkei geschlossen worden war. Die die aktuellen Flüchtlings- und Zuwande-
Versagt Europa? IOM weist auch auf die unsichere Datenla- rungszahlen: Nach dem Zweiten Weltkrieg
ge bei der irregulären Migration hin. Das flüchteten rund 12,5 Millionen deutsche
Die aktuelle „Flüchtlingskrise“ ist nicht neu gilt insbesondere für die Zahl der Toten und Heimatvertriebene in die Bundesrepublik.
und keine „Krise der Flüchtlinge“, sondern Vermissten, die anhand der toten Flücht- Von 1955 bis 1973 sind rund 14 Millionen
eine Krise nicht nur der deutschen, son- linge, die gefunden werden, und aufgrund „Gastarbeiter“ ins Land geholt worden, von
dern auch der europäischen Migrations- von Augenzeugenberichten geschätzt wird. denen etwa 11 Millionen wieder in die Hei-
und Flüchtlingspolitik, ja der Europäischen Von einer hohen Dunkelziffer ist daher aus- mat zurückgekehrt sind. 5 Millionen Spät-
Union. Die EU hat dabei zugesehen, wie das zugehen. In der Sahara, durch die sich viele aussiedler, vor allem sogenannte „Russ-
Mittelmeer zum Massengrab geworden ist. Flüchtlinge und Migranten auf den Weg auf landdeutsche“ fanden eine neue Heimat
Zwar ist die Zahl der Flüchtlinge und Mi­ die vermeintliche Wohlstandinsel Europa in der Bundesrepublik. Anfang der 1990er
granten, die im Laufe des Jahres 2017 über machen, bleiben viele Menschen im wahrs- Jahre hatten sich in Folge des Bürgerkriegs
das Mittelmeer Europa erreicht haben, um ten Sinne des Wortes auf der Strecke. IOM im ehemaligen Jugoslawien rund eine hal-
ungefähr die Hälfte gegenüber dem Jahr zu- schätzt, dass dreimal so viele Menschen be Million Asylanträge angestaut. Aber an-
vor auf rund 172 000 gesunken. Allerdings in der Wüste ums Leben kommen wie auf statt auf all diesen Erfahrungen mit Flucht-
sind dabei immer noch 3 116 Menschen dem Mittelmeer. Männer, Frauen und Kin- und Zuwanderung aufzubauen, das Thema
ums Leben gekommen. Wieder kamen die der machen sich unter Lebensgefahr auf aus der historischen Erfahrung heraus mit
meisten (rund 70 Prozent) nach Italien, den Weg, oft Schleppern und Menschen- Ruhe und Gelassenheit anzugehen, verfällt
die restlichen nach Griechenland, Spanien händlern ausgeliefert, weil ihnen praktisch die Migrationspolitik bei jeder neuen „Ein-
und Zypern. Die europäische Grenze im keine legalen Zugangswege zur Verfügung wanderungswelle“ in Panik und versucht
Mittelmeer bleibt bei weitem die tödlichs- stehen. Zwar betonen die europäischen mit allen Mitteln die Zahlen einzudäm-
te der Welt. Zu diesem Ergebnis kam ein Be- Staaten immer wieder, man müsse solche men. Einwanderung bei allen Problemen
richt der Internationalen Organisation für Möglichkeiten schaffen, in Wirklichkeit hat auch als Gewinn und Chance für das Land
Migration (IOM) am 24. November 2017. sich Europa jedoch in den letzten Jahren zu sehen, davon sind wir immer noch sehr
Im Zeitraum zwischen 2000 und 2017 er- immer mehr abgeschottet und seine Gren- weit entfernt. Dabei leben bereits 18,6 Mil-
tranken mindestens 33 761 Migranten und zen durch fragwürdige Abkommen mit der lionen Menschen mit Migrationshinter-
Flüchtlinge oder gelten als vermisst. Diese Türkei und afrikanischen Staaten immer grund in Deutschland, d. h. sie selbst oder
entspricht in etwa der Einwohnerzahl einer weiter nach außen verlagert. zumindest ein Elternteil ist eingewandert,

Wo die Vertriebenen der Welt aufgenommen werden (2016)

16 %
Amerika 26 %
Mittlerer Osten
und Nordafrika
17 %
Europa

30 %
11 % Afrika
Asien und
Pazifik
55 %
Mehr als die Hälfte (55 %)

2,9 MILLIONEN
Menschen
aller Flüchtlinge weltweit
kommen aus lediglich drei
Im dritten Jahr in Folge beherbergt die Ländern: Syrien, Afghanistan
Türkei mit 2,9 Millionen Menschen die und Südsudan.
größte Anzahl an Flüchtlingen weltweit,
Hauptaufnahmeländer sind außerdem
noch Pakistan und Libanon.
Migration, Flüchtlinge und die Vereinten Nationen 5

das entspricht 22,5 Prozent der Bevölke-


rung. In den Jahren 2015/2016 entstand
der fatale Eindruck, als würde Deutschland
von 890 000 Flüchtlingen „überrannt“, als
seien die Grenzen für weitere „Millionen“
unkontrolliert offen. Die Entscheidung, in
einer Ausnahmesituation im Herbst 2015
eine große Anzahl von Flüchtlingen auf-
zunehmen, war richtig und ein wichtiges
weltweites Signal für eine humane Flücht-
lingspolitik. Das darf aber nicht darüber
hinwegtäuschen, dass sowohl vorher als
kurz darauf die Politik darauf ausgerichtet
war, die Grenzen vor Flüchtlingen und Mi-
granten abzuschotten. Vergeblich hat sich
Deutschland in den letzten Jahren darum
bemüht, ein gerechtes System der Vertei-
lung der Flüchtlinge auf die europäischen
Staaten zu erreichen. Was nicht nur in
Deutschland fehlt, ist eine umfassende Ein-
wanderungsgesetzgebung, wobei man sich
allerdings darüber im Klaren sein muss,
dass damit nicht das internationale Flücht- Mehr als drei Millionen Südsudanesen mussten ihre Heimat auf der Suche nach Sicherheit und Zuflucht verlassen.
lingsthema abgehakt ist, sondern weiterhin Durch die Kämpfe und eine anhaltende Dürre drohte eine Hungersnot. Mitte Juni 2017 besuchte Filippo Grandi,
eine Herausforderung bleiben wird. Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, das Camp und sprach mit den Familien vor Ort.
Foto: Flickr / UNMISS Multimedia

UN-Institutionen, die sich mit den Folgen und Ursachen von Flucht und Migration beschäftigen (Auswahl)

ILO (International Labour Organization): UNHCR (United Nations High Commissioner UN Population Division Die Bevölkerungsab-
Die Internationale Arbeitsorganisation befasst for Refugees): Der Hohe Flüchtlingskommissar teilung der Vereinten Nationen arbeitet der UN
sich mit Migration insbesondere im Zusammen- der Vereinten Nationen setzt sich gegen Verfol- Commission on Population and Development –
hang mit den Arbeitsbedingungen von Wander- gung und für Migranten ein. Der Schwerpunkt einer Kommission des ECOSOC – zu und ent-
arbeitnehmern. (www.ilo.org) der Arbeit liegt im weltweiten Flüchtlingsschutz wickelt regelmäßig demografische Projektionen
und den damit verbundenen Problemen. zur Entwicklung der Weltbevölkerung.
IOM (International Organisation for Migration): (www.unhcr.ch) (www.un.org/esa/population/unpop.htm)
Die Internationale Organisation für Migration
hilft beim Migrationsmanagement und wurde der UNODC (United Nations Office on Drugs and UNRWA (United Nations Relief and Works
Staatengemeinschaft 1951 gegründet. Sie hat Crime): Innerhalb des UN-Büros für Drogen und Agency for Palestine Refugees in the Near East):
zurzeit 165 Mitgliedstaaten und ist seit Septem- Verbrechensbekämpfung arbeitet das Centre for Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Paläs-
ber 2016 als sogenannte verwandte Organisation International Crime Prevention (CICP) mit den tinaflüchtlinge im Nahen Osten wurde von 1949
Teil des Systems der Vereinten Nationen. Mitgliedstaaten u. a. an der Bekämpfung der ins Leben gerufen. Ursprünglich nur mit einem
(www.iom.int) wachsenden Bedrohungen durch transnationales einjährigen Mandat ist UNRWA heute eine der
organisiertes Verbrechen, Korruption und Men- größten Unterorganisationen der Vereinten Na-
OHCHR (Office of the High Commissioner for schenhandel. (www.unodc.org) tionen und für 5,6 Millionen Menschen in Jor-
Human Rights): Das Amt des Hohen Kommissars danien, Syrien, dem Libanon, dem Gaza-Streifen
für Menschenrechte setzt sich für die univer- UNO Flüchtlingshilfe In Deutschland ist sowie im Westjordanland einschließlich Ost-
selle Umsetzung aller Menschenrechte ein und die UNO-Flüchtlingshilfe seit 1980 der Spen- Jerusalem zuständig. (www.unrwa.org)
arbeitet in den Bereichen Flucht und Verfolgung, denpartner des UNHCR. Der Verein hat das DZI-
Arbeit und Menschenhandel. (www.ohchr.org) Spendensiegel und ist Unterzeichner der WHO (World Health Organisation):
Initiative Transparente Zivilgesellschaft. Die Weltgesundheitsorganisation beschäftigt sich
UNESCO (United Nations Educational, Scientific (www.uno-flüchtlingshilfe.de) mit Migration v. a. im Zusammenhang mit der
and Cultural Organization): Die Organisation der Wanderung von Fachkräften im Gesundheits-
Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft UNFPA (United Nations Fund for Population wesen, gesundheitlichen Folgen von erzwun-
und Kultur verfolgt in ihrem Programm zu inter- Activities): Der Bevölkerungsfonds der Vereinten gener Migration (z.B. Traumatisierung) sowie
nationaler Migration die Absicht, die Achtung der Nationen nahm seine Arbeit 1969 auf und ist der Gesundheitsversorgung von Migranten im
Rechte von Migranten zu fördern sowie zu deren heute die größte internationale Organisation zur Zielland. (www.who.int)
Eingliederung in die Einwanderungsgesellschaf- Förderung von bevölkerungspolitischen Program-
ten beizutragen. (www.unesco.org) men und Maßnahmen reproduktiver Gesundheit.
(www.unfpa.org)
6 Migration, Flüchtlinge und die Vereinten Nationen

verkündeten Plänen. Nur an der Umsetzung Wirtschaftsfaktor Rücküberweisungen (remittances).


Die Rolle der Vereinten Nationen hapert es regelmäßig. So haben sich die rei- In vielen Ländern des globalen Südens wie zum Beispiel
Somalia ist die Wirtschaft dringend auf die Rücküber-
chen Länder vor über 40 Jahren verpflich-
weisungen von in Europa oder Nordamerika lebenden
Den Vereinten Nationen kommen bei der tet, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes Migranten der angewiesen. Viele Auswanderer könnten
Bewältigung der weltweiten Migrations- für Entwicklungshilfe auszugeben. Davon ihren Angehörigen und Freunden in der Heimat sogar
und Flüchtlingsbewegungen mehrere Auf- sind viele aber noch weit entfernt. Deutsch- noch viel mehr Geld schicken, wenn die Gebühren,
gaben zu. Steuerung von Migration und land erreichte im Jahr 2015 schätzungs- die manche Banken verlangen, nicht so hoch wären.
Teilweise liegen sie bei 10 Prozent und mehr.
Flüchtlingsschutz, oder noch besser, dafür weise 0,41 Prozent, wobei diese Quote auch
Foto: UN Photo / Stuart Price
zu sorgen, dass es gar nicht erst zu Flucht Leistungen der Länder und Kommunen ent-
kommen muss. Gebetsmühlenartig erklingt hält, etwa die von den Ländern aufgebrach- unterstützen. Das ist schon seit langem drei
es deshalb immer wieder: Beseitigung der ten Studien­platzkosten für Studierende aus Mal so viel, wie weltweit an Entwicklungs-
Fluchtursachen! Dabei sind die Vereinten Entwicklungsländern. Inzwischen kommt hilfe gezahlt wird.
Nationen auf die Unterstützung der UN-Mit- Deutschland zum ersten Mal auf die an-
gliedstaaten angewiesen. 1990 hat die Bun- gestrebte Marke von 0,7 Prozent, weil die Entwicklungszusammenarbeit kann einen
desregierung diesen Grundsatz verankert. Kosten für die Unterbringung von Flücht- wichtigen Beitrag dazu leisten, dass Men-
Eine interministerielle Arbeitsgruppe unter lingen eingerechnet werden, was aber mit schen nicht aus wirtschaftlichen Gründen
Leitung des Bundesinnenministeriums be- dem eigentlichen Zweck der Entwicklungs- ihre Heimat verlassen müssen. Aber es ist
schäftigte sich ein Jahr später mit der Fort- hilfe und der Armutsbekämpfung vor Ort naiv zu glauben, durch sie allein könne man
schreibung dieser Flüchtlingskonzeption. nichts zu tun hat. Ohne die Ausgaben für die Fluchtursachen wirkungsvoll bekämp-
Unter anderem forderte sie den Aufbau de- die Flüchtlinge liegt die Quote wie in den fen. Wie schwer es ist, diese einzudämmen,
mokratischer Strukturen sowie eine struk- vergangenen Jahren bei rund 0,52 Prozent. zeigt sich gerade am Beispiel Syriens. Er-
turelle „Veränderung der Rahmenbedin- Die Höhe der Entwicklungshilfe erscheint schwerend kommt hinzu, dass Unterneh-
gungen innerhalb der Entwicklungsländer allerdings eher bescheiden, wenn man be- men in Industrieländern an den Konflik-
und zwischen Entwicklungs- und Indus- denkt, dass die „Gastarbeiter“, die Arbeits- ten in der Dritten Welt gut verdienen, da sie
trie­ländern“. An Ideen und guten Vorschlä- migranten, pro Jahr nach Angaben der die Waffen produzieren, mit denen die Kon-
gen fehlt es also lange schon nicht, auch Weltbank 575 Milliarden US-Dollar nach flikte ausgefochten werden. Der wesent-
nicht an Versprechungen und hoffnungsvoll Hause überweisen und damit ganze Länder lich durch die Industrieländer verursachte
Migration, Flüchtlinge und die Vereinten Nationen 7

Klimawandel löst weitere Flüchtlingsbewe- angewiesen. In den Flüchtlingslagern rund


gungen aus. Denn weltweit steigt die Zahl um Syrien mussten daher die Nahrungs- Flüchtlingsdefinition
der Menschen, die auf Grund von Umwelt- mittelrationen gekürzt werden, weil nicht nach der Genfer Konvention
katastrophen flüchten. Diese werden nicht mehr genügend finanzielle Hilfsmittel zur und dem Protokoll von 1967
durch die Genfer Flüchtlingskonvention Verfügung standen. Angesichts dieser Mi-
und andere Abkommen erfasst. sere und ohne Aussicht auf ein Ende des Als Flüchtling gilt jede Person, „die aus der
Krieges in ihrer Heimat verwundert es begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer
Schwere Menschenrechtsverletzungen durch nicht, dass sich so viele Flüchtlinge auf den Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu
diktatorische Regime sind eine weitere Weg nach Europa gemacht haben. Die un- einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen
Fluchtursache. Hier kann Entwicklungs- zureichende Ausstattung des UNHCR hat ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb
hilfe sogar kontraproduktiv wirken, indem daher bei der Vorgeschichte der neuesten des Landes befindet, dessen Staatsangehö­rig­
sie diese Regime stützt und stärkt. Zu den „Flüchtlingskrise“ eine fatale Rolle gespielt. keit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes
Fluchtursachen zählen aber auch die ver- nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen
heerenden Folgen der militärischen Inter- dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen
ventionen des Westens, insbesondere der Verhandlungen auf UN-Ebene will; oder die sich als staatenlose infolge solcher
USA im Nahen Osten. Durch sie ist eine Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in
ganze Region destabilisiert worden – und Im Dezember 2017 stieg die US-Regierung welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt
nicht erst in den letzten Jahren. Nicht we- aus dem Prozess für ein globales Abkom- hatte, und dorthin nicht zurückkehren kann
nige Konflikte im Nahen Osten ebenso wie men zum Schutz von Migranten und Flücht- oder wegen der erwähnten Befürchtungen
in Afrika haben ihre historischen Wurzeln lingen aus, das ein Jahr zuvor unter Trumps nicht dorthin zurückkehren will.“
in der Kolonialzeit mit ihren willkürlichen Vorgänger Barack Obama ins Leben gerufen
Grenzziehungen. worden war. Ziel dieser UN-Verhandlungen
für einen „Global compact for safe, regular (GFMD) inne, das 2007 gegründet wurde.
Fluchtbewegungen können aber auch and orderly migration“ ist die Stärkung in- Die Arbeit dieses Gremiums steht unter dem
durch eine zu zögerliche oder unzureichen- ternationaler Zusammenarbeit beim The- Motto „Auf dem Weg zu einem globalen Ge-
de Intervention durch die internationale ma Flüchtlinge und Mi­ g ra­
t ion. Inwiefern sellschaftsvertrag für Mi­
gra­tion und Ent-
Gemeinschaft verstärkt werden. So müss- sich die Pläne, bis Ende 2018 endlich welt- wicklung“. Dabei soll vor allem der Inter­
te zum Beispiel das Hochkommissariat für weit die Migrations- und Flüchtlingspoli- essenausgleich im Rahmen regulärer und
Flüchtlinge der Vereinten Nationen mit tik vernünftig und unter humanitären Ge- geordneter Mi­gra­tion zwischen Migranten
mehr Geld und Personal ausgestattet wer- sichtspunkten zu regeln, nun realisieren und ihren Herkunfts-, Transit- und Ziellän-
den. UNHCR leidet unter chronischen per- lassen, ist gegenwärtig offen. Deutschland dern behandelt werden. Allerdings haben
sonellen und finanziellen Problemen, da kommt in der europäischen Migrationspo- die Beschlüsse des GFMD nur empfehlen-
es nur zwei Prozent seiner Gelder aus dem litik und auch im globalen Kontext in jedem den Charakter. Migration und Flucht wer-
UN-Budget erhält. Bei dem Rest – mehr als Fall eine wichtige Rolle zu. Mit Marokko hat den weit oben auf der Agenda der Vereinten
eine Milliarde Dollar im Jahr – ist es auf die es 2017 und 2018 auch den Vorsitz im Globa- Nationen bleiben, Lösungen erfordern in-
freiwilligen Leistungen der Geberländer len Forum für Migration und Entwicklung ternationale Zu­sammenarbeit.

Erklärung der DGVN zum Internationalen Tag der Migranten vom 18. Dezember 2017

„Deutschland spielt wichtige Rolle in der internationalen Migrationspolitik“

Anlässlich des Internationalen Tages der Mi­gran­ gewesen sind. Der Internationale Tag der Mi- Globa­le Verantwortung zeigt sich darin, dass
ten fordert der Vorstand der Deutschen Gesell- gran­ten gibt Anlass darüber nachzudenken, man Chancen für internationale Zusammenar-
schaft für die Vereinten Nationen (DGVN) die dass die USA selbst eine Nation sind, die immer beit auch dann sucht, wenn sich andere Staaten
Bundesregierung auf, „Kurs zu halten“ und kri- stolz darauf geblickt hat, selbst das Zielland zurückziehen. „Die Vereinten Nationen sind nicht
tisiert, dass die Vereinigten Staaten von Amerika von Mi­grantinnen und Migranten aus aller vollkommen, aber ein guter Deal. Der beste, den
sich aus den Verhandlungen für einen „Global Welt zu sein. wir weltweit haben,“ so Meier-Braun weiter.
compact for safe, regular and orderly migration“
zurückgezogen haben. „Nach dem Austritt aus „Klar ist auch, dass Migration große Herausfor- Auch innenpolitisch stellt Migration eine Her-
der UNESCO, restriktiveren US-amerikanischen derungen sowohl für die Ziel- wie auch für Her- ausforderung dar. Zuletzt hatte die DGVN
Finanzleistungen für das System der Vereinten kunftsländer mit sich bringt, aber auch Gewinn deshalb in ihrem Forderungskatalog zur Bun-
Nationen, dem Aufkündigen des Klimaüberein- sein kann. Gerade deshalb ist es wichtig, dass destagswahl 2017 darauf hingewiesen, dass
kommens von Paris und der ‚Jerusalem-Entschei- sich die Vereinten Nationen global um kollektive innerhalb Deutschlands und der EU durch ein
dung‘ zeigt sich ein weiteres Mal, dass die gegen- Lösungen unter der Wahrung menschenrechtli- Einwanderungsgesetz mehr sichere und legale
wärtige US-Regierung wenig Interesse daran cher Aspekte bemühen,“ unterstreicht der Mi­­ Zuwanderungswege zu schaffen sind – auch
hat, globale Herausforderungen im Rahmen grationsbeauftragte im DGVN-Vorstand Prof. Dr. um das unbegrenzte Recht auf Asyl zu schützen.
von Vereinbarungen der Vereinten Nationen zu Karl-Heinz Meier-Braun. Deutschland, das sich Für DGVN-Vorstand Karl-Heinz Meier-Braun
lösen“, sagt der Vorsitzende der DGVN Detlef 2017/2018 mit Marokko bereits den Vorsitz im muss dies bei den Verhandlungen über eine
Dzembritzki. Dies sei umso bedauerlicher, als Globalen Forum über Migration und Entwicklung neue Bundesregierung nun ebenso Berücksich-
gerade die USA Motor und Motivator für die teilt, ist aufgefordert, sich im UN-Prozess für tigung finden wie der Schutz von Ehe und
Idee und die Gründung der Vereinten Nationen den Globalen Pakt weiter aktiv einzubringen. Familie für anerkannte Flüchtlinge.
8 Migration, Flüchtlinge und die Vereinten Nationen

Umweltbedingte Flüchtlingsbewegungen nehmen zu. 2008 flüchteten beispielsweise zahlreiche Menschen in Myanmar vor dem Zyklon Nargis.
Foto: UNHCR / S. Kritsanavarin

Weiterführende Informationen

Aktuelle Bücher des Autors: ƒƒ Nicole Hirt: Die Afrika-Strategie der EU: Abschottung statt Flucht­
ƒƒ Karl-Heinz Meier-Braun: Schwarzbuch Migration. Die dunkle Seite ursachenbekämpfung, Hamburg 2017 (GIGA Focus Afrika, Nr. 3
unserer Flüchtlingspolitik. München 2018 (im Erscheinen). vom 2.8.2017).
ƒƒ Ders.: Die 101 wichtigsten Fragen: Einwanderung und Asyl. München 2017. ƒƒ International Organization for Migration (IOM): World Migration Report
2018, Genf 2017.
Literaturhinweise: ƒƒ Dina Ionesco et al: Atlas der Umweltmigration, München 2017.
ƒƒ Steffen Angenendt/Anne Koch: „Global Migration Governance“ im Zeit- ƒƒ Jochen Oltmer: Globale Migration. Geschichte und Gegenwart,
alter gemischter Wanderungen. Forderungen für eine entwicklungs­ München 2016.
orientierte Migrations­politik, Berlin 2017. ƒƒ Bettina Rühl: Ein Mensch für 730 Euro. IPG Internationale Politik und
ƒƒ Klaus J. Bade: Migration – Flucht – Integration. Kritische Politikbegleitung Gesellschaft vom 28. November 2017.
von der „Gastarbeiterfrage“ bis zur „Flüchtlingskrise“. Erinnerungen und ƒƒ Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration:
Beiträge, Karlsruhe 2017. Chancen in der Krise: Zur Zukunft der Flüchtlingspolitik in Deutschland
ƒƒ Petra Bendel: EU-Flüchtlingspolitik in der Krise. Blockaden, Entschei­ und Europa. Jahresgutachten 2017. Berlin 2017.
dungen, Lösungen, Bonn 2017. ƒƒ UNHCR: Global Trends. Forced Displacement in 2016. Genf 2017.
ƒƒ DGVN (Hrsg.): „Menschen auf der Flucht“, Themenheft der Zeitschrift
Vereinte Nationen Nr. 5/17 (u. a. mit den Beiträgen von Martin Geiger,
Die Rolle der IOM im UN-System, S. 201ff., Anne Koch, Ein Jahr nach den
New Yorker Gipfeln, S. 195ff., Walter Kälin, Klimaflüchtlinge oder Diese Ausgabe der UN-Basis-Informationen erscheint auch online auf:
Katas­trophenvertriebene?, S. 207ff.). www.dgvn.de/un-basis-informationen

Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V. Die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen
Zimmerstraße 26/27 | D-10969 Berlin
braucht Sie als Mitglied.
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Für Frieden.
ISSN: 1614-5453 | Stand: Dezember 2017
Für Klimaschutz.
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