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Nachtrag zum Verhältnis

von Wirtschafts- und Sozialpolitik und Freiheit

Bereits für die Selbsterhaltung der „res publica“ als öffentlich-


rechtlicher Ordnung gilt: Der Staat ist hinsichtlich der dauerhaften Erfüllung
seiner Aufgaben auch von Bedingungen abhängig, die er selber schaffen
muss. Umso mehr ist dies der Fall mit Bezug auf die Sicherung der
staatsbürgerlichen Grundrechte. Damit erwächst der „res publica“ auch die
spezielle Aufgabe, die Ordnung des Wirtschaftsprozesses so zu gestalten,
dass diese Sicherung gewährleistet und nicht vielmehr gefährdet ist.
In Deutschland hat man sich nach der Währungsreform von 1948, die in
den drei westlichen Besatzungszonen stattfand, mit guten Gründen für die
„soziale Marktwirtschaft“ und gegen eine „Zentralverwaltungswirtschaft“
entschieden. Die wissenschaftlichen Grundlagen dafür wurden vor allem von
den sogenannten Ordo-Liberalen gelegt, als deren „Spiritus rector“ oder
Vordenker der damalige Freiburger Ökonomie-Professor Walter Eucken
anzusehen ist.1
Entscheidend für seine Theorie der Wirtschaftspolitik war die Einsicht,
dass die Lenkung des gesamten Wirtschaftsprozesses in einer
Volkswirtschaft von der Art der Wirtschaftsordnung abhängt und sich daher
die wirtschaftspolitische Tätigkeit des Staates auf die Gestaltung dieser
Ordnung zu richten und mehr oder weniger zu beschränken habe.
Was nun die Art der Wirtschaftsordnung betrifft, so war die
Zentralverwaltungswirtschaft weder für Eucken noch für irgendeinen
anderen Ordo-Liberalen überhaupt eine Option, da sie grundsätzlich das
Lenkungsproblem nicht zureichend lösen kann. Die Alternative war eine
marktwirtschaftliche Ordnung. So etwas war bereits aus der „klassischen“
Nationalökonomie bekannt, wie sie im 18. Jahrhundert (Adam Smith)
begründet und im 19. Jahrhundert praktiziert wurde. Aber eben daran
entzündete sich Euckens Kritik. Die Klassik habe die Lösung des
Lenkungsproblems in der angeblich natürlichen Ordnung des Marktes
gesehen, auf dem „Konkurrenzpreise automatisch den Prozess lenken“, so
dass es einer besonderen „Wirtschaftsordnungspolitik“ gar nicht bedürfe.“ 2
Dies führte zur Politik des „Laissez-faire“ mit ihren bekannten, sozial
verheerenden Folgen.
Dass die freie Marktwirtschaft auf der Basis von Privateigentum der
„Zentralverwaltungswirtschaft“, häufig sagt man: der Kapitalismus dem
Sozialismus, turmhoch überlegen ist, ist auch gegenwärtig noch oder wieder
unbestritten. Die letzten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts haben es nur

1
Siehe dazu vor allem: Walter Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, Jena 1939
(9. Aufl., Berlin 1989); und dann: Ders., Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Tübingen 1952
(7. Aufl., Stuttgart 2008); sowie: Ders., Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung,
in: ORDO, Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. 2, 1949, S. 1-99.
2
Siehe: Walter Eucken, Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung, S. 80.

1
noch einmal drastisch vor Augen geführt. Ebenfalls drastisch gezeigt haben
sich im jüngst vergangenen Jahrzehnt aber auch die Auswüchse des
angeblich freien (de-regulierten) Marktes, besser vielleicht: dessen
Pervertierungen. Die damit verbundene besondere Bedrohung besteht darin,
dass durch sie auch das System der freien Marktwirtschaft als solches
diskreditiert und der Ruf nach staatlicher Intervention wieder laut wird.
Von einer „natürlichen“ Interessenharmonie („Der Markt wird’s
richten“) kann bezüglich der wirtschaftlichen Realität überhaupt keine Rede
sein. Als Adam Smith in seinem ökonomischen Hauptwerk 3 die (im
neoliberalen, marktradikalen Lager gerne beschworene) „unsichtbare Hand“
ins Spiel brachte (übrigens nur einmal), da hatte er einen Markt mit freiem
Wettbewerb im Sinn. Eben dieser aber war und ist gesamtwirtschaftlich nie
vollständig gegeben und überdies – so sah es bereits Smith selber – durch
wettbewerbsfremde Kräfte ständig bedroht. Daher ist der sogenannte
Marktmechanismus alles andere als eine Garantie für das allgemeine Wohl;
nicht einmal der Wettbewerb als solcher ist es, weil leicht an die Stelle des
„Leistungswettbewerbs“ ein „Behinderungs- oder Schädigungswettbewerb“
(Eucken) treten kann.
Bevor jedoch überhaupt mögliche Aufgaben einer
Wirtschaftsordnungspolitik des Staates zur Sprache kommen, ist dessen
Hauptaufgabe zu kennzeichnen.
Um zunächst kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es geht dabei
keineswegs um eine auf Erden gar nicht zu verwirklichende Gerechtigkeit;
denn diese ist kaum zu definieren und noch schwieriger feststell- und
messbar. Welches Gewicht sollen auf deren Waagschale etwa die
natürlichen Vor- bzw. Nachteile in Begabung, Gesundheit, Glück
bekommen? So gehört denn gerade zur Freiheit der Teilnahme am
Wettbewerb auch das Risiko des Misserfolges. Noch weniger wird hier ein
Plädoyer für einen Wohlfahrtsstaat im Sinne eines Staates plädiert, dessen
Aufgabe es ist, für die „Glückseligkeit“ seiner Bürger zu sorgen; denn für
deren Erreichung fehlt schon dem einzelnen Bürger selber der Leitfaden.
Worum es allerdings sehr wohl geht, sind einerseits das Recht jedes
Staatsbürgers und andererseits die Pflicht jedes Staatsbürgers zur
Partizipation am (als Hauptaufgabe des Staates geforderten) „output“ bzw.
am (für die Erfüllung dieser Hauptaufgabe erforderlichen) „input“ der „res
publica“. Der „input“ ist die Gesamtheit der Leistungen, Opfer, Kosten, die
vom Staatsvolk erbracht werden müssen, um den „output“ zu ermöglichen.
Dieser wiederum besteht in der Gesamtheit dessen, was der Staat an
Instrumenten für die Sicherung von jedermanns gesetzlich bestimmter
Freiheit im Sinne der Unabhängigkeit vom Zwang durch irgendeinen
Anderen bereitstellt. Genau darin liegt die entscheidende Rechtfertigung für

3
Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776
(Der Wohlstand der Nationen, München 1999).

2
den Staat als „res publica“ im Unterschied zu seinem gedanklichen
Gegenstück, dem staatlosen Zustand, traditionell auch Naturzustand genannt.
Mit Bezug auf die sogenannte freie Marktwirtschaft bedeutet dies, dass
diese nur dann zugleich soziale (besser: wahrhaft rechtsstaatliche)
Marktwirtschaft (und umgekehrt) ist, wenn man, wie rechtlich notwendig,
unter Freiheit nicht wilde, gesetzlose Freiheit (von „Heuschrecken“)
versteht, sondern Freiheit von jedermann unter allgemeinen Gesetzen der
Freiheit. Eine Marktwirtschaft und die darauf gerichtete Politik des Staates,
die nicht allgemein-gesetzliche Freiheit zum Prinzip haben, sind
rechtswidrig. Eben deswegen ist nicht etwa nur der Missbrauch
wirtschaftlicher Macht zu bekämpfen, sondern wirtschaftliche Macht
überhaupt, wenn sie die faktische Einschränkung der rechtlichen Freiheit
derjenigen, über die sie ausgeübt wird (bzw. ausgeübt werden kann), zur
Folge hat. Der Primat liegt bei der allgemein-gesetzlichen Freiheit von
jedermann; an dieser findet insbesondere das gleiche Recht auf den
beliebigen Erwerb von Eigentum seine Grenze, – nicht umgekehrt!
Nun hatte es der französische Schriftsteller Anatole France schon vor
einem Jahrhundert mit seinem berühmten Dictum, dass das Gesetz in seiner
erhabenen Majestät Armen wie Reichen gleichermaßen verbiete, unter
Brücken zu nächtigen, auf den Punkt gebracht: die rechtlich zugestandene
Freiheit, die auszuüben einem Mensch realiter möglich ist, hängt von seinen
je individuellen wirtschaftlichen Voraussetzungen und damit auch davon ab,
ob und inwieweit der Staat ihm auch diese sichert. Deswegen muss man mit
Bezug auf Besitzende und Erbende von einem Freiheitsprivileg gegenüber
den sozial Abhängigen sprechen. „Freiheit und Rechtsgleichheit beseitigen
nicht die wirtschaftliche Ungleichheit der Menschen, sondern fördern sie,
indem sie die Möglichkeit unterschiedlicher wirtschaftlicher Entfaltung
bieten. Soziale Ungleichheit kann bei fehlender staatlicher Intervention in
soziale Unfreiheit umschlagen, wenn gegenüber den Trägern
gesellschaftlicher Macht die Ausübung der Freiheit faktisch nicht mehr
möglich ist.“4 Über die rein rechtliche, als solche aber den Freiheitsgebrauch
nur ermöglichende Sicherung bedarf es daher der Schaffung bestimmter
sozialer Bedingungen, ohne welche der Freiheitsgebrauch nicht wirklich
stattfinden kann. Kurz: wirtschaftliche und jede andere Art von sozialer
Macht ist so, wie es mit politischer Macht im freiheitlichen Rechtsstaat
längst geschieht, zu kontrollieren und genau dort zu begrenzen oder auch zu
beseitigen, wo sie den Gebrauch, den ein Anderer von seiner rechtlichen
Freiheit machen will, behindert oder gar unmöglich macht.5

4
Dieter Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, Köln 1983,
133.
5
Siehe hierzu auch: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Freiheitssicherung gegenüber
gesellschaftlicher Macht. Aufriß eines Problems; in: Ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit;
Frankfurt/Main 1976, 336-348.

3
Als allgemeines Fazit lässt sich jetzt konstatieren: Der Staat hat erstens
das Recht und die Pflicht, im Falle von privaten oder auch öffentlichen (also
eigenen) wirtschaftlichen Machtpositionen zu verhindern, dass sie mit
Verweis auf die Freiheit des Wirtschaftens zur Unterdrückung der realen
Freiheit Anderer benutzt werden. Er hat zweitens das Recht und die Pflicht,
zur Erfüllung seiner Aufgabe von seinen Bürgern Abgaben zu verlangen,
deren Höhe nicht nur von der „Leistungsfähigkeit“ eines Bürgers abhängt,
sondern von dessen Partizipation am staatlichen „output“, gewissermaßen
von dem, was er dem Staat in Vergangenheit und Gegenwart „verdankt“.
Man kann sich diesen letzten Punkt leicht verständlich machen. Man
muss sich nur vorstellen, der ein millionenschweres Jahreseinkommen
beziehende Vorstandsvorsitzende einer großen deutschen Autofabrik wäre in
einem quasi staatlosen Zustand wie etwa Tchad oder Ruanda zur Welt
gekommen, um sofort zu wissen oder jedenfalls zu ahnen, was er dem
deutschen Staat als Rechtssicherungsordnung verdankt. Um nur das
Wichtigste zu nennen: eine funktionierende öffentlich-rechtliche Ordnung
überhaupt und insbesondere einen rechtlich geschützten Privatrechtsraum
mit Rahmenbedingungen verschiedenster Art (Infrastruktur, Märkte,
Börsen, Ausbildungsinstitutionen, Gesundheitssysteme, Versicherungen
etc.). Die Lage, in der er dagegen im staatlosen „Naturzustand“ gewesen
wäre, hat der englische Philosoph Thomas Hobbes schon vor mehr als 350
Jahren beschrieben: „Deshalb trifft alles, was Kriegszeiten mit sich bringen,
in denen jeder eines jeden Feind ist, auch für die Zeit zu, während der die
Menschen keine andere Sicherheit als diejenige haben, die ihnen ihre eigene
Stärke und Erfindungskraft bieten. In einer solchen Lage ist für Fleiß kein
Raum, da man sich seiner Früchte nicht sicher sein kann; und folglich gibt es
keinen Ackerbau, keine Schifffahrt, keine Waren, die auf dem Seeweg
eingeführt werden können, keine komfortablen Gebäude, keine Geräte für
die viel Kraft erfordernde Hin- und Herbewegung von Dingen, keine
Kenntnis von der Erdoberfläche, keine Zeitrechnung, keine Künste, keine
Literatur, keine gesellschaftlichen Beziehungen, und es herrscht, was das
Schlimmste von allem ist, beständige Furcht und Gefahr eines gewaltsamen
Todes; das menschliche Leben ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und
kurz.“
Nunmehr ist es möglich, einige Überlegungen zur
Wirtschaftsordnungspolitik des freiheitlichen Rechtsstaates vorzustellen und
mit entsprechenden Vorschlägen zu verbinden, wobei stets im Auge zu
behalten ist, dass der Staat und seine Gesetze nicht etwa bloß die pure
physische Selbsterhaltung der Bürger als Lebewesen zu sichern haben,
sondern auch und besonders deren Selbsterhaltung als Person, also als freies,
der Verfolgung und Verwirklichung selbstgesetzter Zwecke fähiges Wesen.
Grundsätzlich stellt sich nach dem Gesagten nicht mehr die Frage, ob,
sondern nur, in welcher Weise (quantitativ und qualitativ) der Staat zwecks
Erfüllung seiner Aufgabe in die gesellschaftliche Einkommens- und

4
Vermögensstruktur und also in die Verteilung von Eigentum (im weitesten
Sinn) eingreifen darf und soll,6 wobei eine „Umverteilung“ nicht, wie schon
angedeutet, der Beförderung der Glückseligkeit der Bürger, sondern der
faktischen Sicherstellung ihrer rechtlichen Freiheit zu dienen hätte.
Darauf zielende „ordo-liberale“ Maßnahmen 7 müssten sich nicht nur,
wie selbstverständlich, auf Sozialhilfe, medizinische Versorgung, Errichtung
von Erziehungs- und Bildungsanstalten beziehen, sondern auch auf
Förderung des Mittelstandes, auf Verhinderung einer zu großen Wohlstands-
Asymmetrie,8 auf die Vermeidung von Dysfunktionalitäten im
Marktmechanismus bezweckende Rahmenbedingungen für den
wirtschaftlichen Wettbewerb nach der Devise: nicht intervenieren, sondern
gesetzlich und langfristig regulieren!9 Zu diesen Rahmenbedingungen
könnten beispielsweise gehören: Änderungen, auch radikale, im Erbrecht;
eine Höchstgrenze für Einkommen bzw. größt-mögliche Steuerprogression;
Beschränkung des Höchstverdienstes in einem Unternehmen auf ein x-
faches des niedrigsten Verdienstes; Vorschriften über
Arbeitnehmerbeteiligungen am Kapital; ein verschärftes und auch
hochgradig strafbewehrtes10 Wettbewerbsrecht mit den entsprechenden
6
„Nur im Rahmen der Wettbewerbsordnung [wenn sie denn voll funktioniert!] ist
Privateigentum nicht die Basis privater Macht. Nur dann gilt auch der vielgenannte Satz, das
Privateigentum nicht nur dem Eigentümer, sondern auch dem Nichteigentümer Nutzen bringt.
Das tut es in der Tat durch die große ökonomische Effizienz der Wettbewerbsordnung und
dadurch, dass die verschiedenen Privateigentümer miteinander konkurrieren“. Im Fall von
Monopolen „muss die Verfügungsmacht über das Privateigentum beschränkt werden.“
(Walter Eucken, Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung, S. 51).
7
Die folgenden Erörterungen finden sich dem Prinzip nach bereits in dem erwähnten
Werk von Adam Smith. Fast bis ins Detail konnte man sie vor nicht allzu langer Zeit auch in
einem Buch wiederfinden, dessen Autor damals Generalsekretär der FDP war: Karl-Hermann
Flach, Noch eine Chance für die Liberalen Oder: Die Zukunft der Freiheit, Frankfurt/Main
1971. In den sogenannten „Freiburger Thesen“ der FDP von 1971 findet sich die Handschrift
von Flach. Die Politik der FDP war auch einige Jahre davon beeinflusst. Aber mit Flachs Tod
1973 begann auch der von Flach vertretene radikale Liberalismus innerhalb der FDP langsam,
aber unaufhaltsam hinzusiechen, bis zuletzt rein gar nichts mehr davon zu erkennen war. So
ist es auch nicht verwunderlich, dass Flachs Streitschrift längst vergriffen ist und die FDP eine
Neuauflage offensichtlich nie betrieben hat. Ihre Mitglieder kannten von Flach vermutlich nur
den Namen.
8
Soziale Verwerfungen kann eine Gesellschaft auf Dauer schwer aushalten. Eine
Polarisierung der Einkommen führt leicht zu der ganz anderen Polarisierung zwischen
einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen und anderen, von diesen eben dafür
verantwortlich gemachten Bevölkerungsgruppen und letztlich zu einer Destabilisierung von
Gesellschaft und Staat. An dem weiten positiven Echo auf das 2010 erschienene Buch
„Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin ist eine solche Tendenz gut zu erkennen.
9
Ich sage all dies, wohlgemerkt, als radikal-liberaler Verfechter von Privateigentum
(auch an den Produktionsmitteln), Marktwirtschaft und freiem Wettbewerb und ohne den
Anflug einer Tendenz in Richtung Zentralverwaltungswirtschaft oder auch nur
Verstaatlichung.
10
Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht (z. B. kostenpflichtige telefonische
Warteschleifen) sollten also nicht nur mit Bußgeldern (für das Unternehmen), sondern als

5
Aufsichtsbehörden, die das Marktgeschehen als Ganzes überwachen, und
eine strenge und auch Wettbewerbskontrolle, um insbesondere die künstliche
Verknappung von Gütern und die Beseitigung offener Märkte zu verhindern;
strenge Anforderungen hinsichtlich der Eigenkapitaldeckung von Banken
und anderen Unternehmen; eine massive Steuer auf kurzfristige
Transaktionen an der Börse; Regeln in Bezug auf die Möglichkeit von
Produktionsunternehmen, Gewinne nicht im Unternehmen zu investieren,
sondern damit am Kapitalmarkt zu spekulieren; Zerschlagung von „too big
to fail“-Unternehmen; Verbot bestimmter Arten von Personal-Union und
radikale Beschränkung der Zahl möglicher Aufsichtsratsposten, also um
Ausschaltung herrschaftsgarantierender Netzwerke von Machteliten; Verbot
von „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“, die von den gesetzlichen
Vorgaben abweichen, um den Vertragspartner zu benachteiligen.
Die Freiheit des Wirtschaftens findet also ihre Grenze an den vom Staat
gesetzten Spielregeln für den Ablauf des Wirtschaftsprozesses. 11 Diese
Spielregeln sind umso besser, je mehr sie die Freiheit des Wettbewerbs
befördern. Eine solche Spielregel enthielte etwa das Verbot, die
Vertragsfreiheit zur Beseitigung von Konkurrenz oder zur vertraglichen
Beschränkung der Vertragsfreiheit zu gebrauchen.
Eine andere, für die Herstellung und Erhaltung einer funktionsfähigen
Wettbewerbsordnung notwendige Spielregel ist die Haftung derjenigen
Personen, welche die wesentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen
treffen.12 Das im Wettbewerb unvermeidliche Risiko ist zugleich der
vielleicht wichtigste Kontrollfaktor im Wirtschaftsprozess. Er ist in der
Regel schwach bei Entscheidungen durch die öffentliche Hand, bei
Monopolen und bei Haftungsbeschränkungen.
Haftungsbeschränkungen stellen gegenwärtig vermutlich neben
Monopolen und Kartellen die größte Gefahr für eine freiheitliche
Wettbewerbsordnung dar, weil durch sie besonders leicht Verluste aufgrund
von Fehlentscheidungen auf Andere abgewälzt werden können, die für diese
Entscheidungen gar nicht verantwortlich sind. Deshalb sind

Straftaten der Unternehmensführung behandelt werden.


11
Wie wenig gesetzliche und somit für alle gleichermaßen geltende Bestimmungen den
Wettbewerb behindern, zeigt etwa ein Spaziergang durch die Grachten von Amsterdam. Dass
die Altstadt gleichsam wie aus einem Guss aussieht, verdankt sie den strengen Baugesetzen.
Die immense Vielfalt und Schönheit verdankt sie dem unter diesen Gesetzen stehenden und
dennoch freien Wettbewerb der Bauherren. Auch hier gilt Goethes Wort: „In der
Beschränkung zeigt sich erst der Meister, / Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“ Will
man das Gegenteil der Amsterdamer Erfahrung machen, so genügt eine Fahrt auf einer
Landstraße in Belgien, wo man offensichtlich durch kein Gesetz daran gehindert wurde,
seiner Bauherren-Willkür freien Lauf zu lassen. Immense Vielfalt gibt es auch hier; aber
Schönheit hatte keine Chance. Dafür muss man nach Brügge oder Antwerpen oder Gent
reisen.
12
Zum Folgenden siehe besonders: Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik,
6. Aufl., Tübingen 1990, S. 279 ff.

6
Gesellschaftsformen und Allgemeine Geschäftsbedingungen insofern zu
verbieten, als sie es ermöglichen, sich der Haftung zu entziehen.
Zurecht muss ein besonderes Augenmerk den Aktiengesellschaften 13
gelten, da inzwischen die meisten Großunternehmen in dieser
Gesellschaftsform organisiert sind.
Dazu schrieb Eucken schon 1949:
„Die Haftungsbeschränkung auf die Aktie war [bei dem Ausbau des
modernen Aktienrechts im 19. Jahrhundert] erforderlich, um diese
Kapitalien [große Summen von Kapitalsplittern] heranzuziehen, und sie war
wenig bedenklich, weil die einzelnen Aktionäre nur einen geringen Einfluss
auf die Leitung besaßen.“ Heute hat die Aktie daneben noch „eine ganz
andere Funktion erhalten: nämlich der Beherrschung [...] durch einzelne
Personen oder durch Gesellschaften [...] für die Beschränkung der Haftung
besteht jetzt kein Grund mehr. – Gegenüber der modernen Tendenz zur
Haftungsbeschränkung ist es notwendig, dass Gesellschafter, die eine
größere Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft besitzen, für die Schulden
dieser Gesellschaft haften.“ Die Erfolgshaftung ist auch für den Vorstand
einer Aktiengesellschaft geboten, sofern dieser „mit seinen Plänen und
Entscheidungen für die Lenkung des Wirtschaftsprozesses verantwortlich
ist.“ Im Schutz einer Gesellschaftsform mit beschränkter Haftung, wie im
Falle der Aktiengesellschaft, ist „ein hohes Maß von Sicherheit für die Firma
gegeben“ (keinerlei Risiko bei Entscheidungen). Aber gerade dadurch
„geraten Selbstinteresse der Firmen und Gemeinwohl miteinander in
Konflikt.“14
Zur Frage der Rahmenbedingungen noch einige abschließende
Bemerkungen:
Die Vererbung von politischer Macht ist seit langem abgeschafft, die
Vererbung von ökonomischer Macht hingegen nicht. Und doch ist auch jede
Art von ökonomischer Machtkonzentration potenziell gefährlich, nicht nur
die in staatlicher Hand oder in der Hand von privaten Kapitalgesellschaften
(Konzernen), sondern auch die in individueller Hand. So führen etwa die
durch Vererbung bewirkten Reichtumsunterschiede zu einer Verzerrung der
Chancengleichheit, so dass die Ärmeren de facto nicht die Möglichkeit
haben, dorthin zu gelangen, wohin sie ihr Talent, Fleiß und Glück an sich
führen könnten. Man denke nur an ungleiche Bildungs- und damit
Karrierechancen je nach Wohlstand der Eltern. Um dies zu verhindern,
könnte das Recht der Vererbung auf einen Maximalbetrag beschränkt
werden.15 Sehr ernsthaft zu prüfen ist auch der Vorschlag, zum Zwecke der –
13
Von der überaus problematischen GmbH hier gar nicht zu reden.
14
Walter Eucken, Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung, S. 59 ff.
15
„Der Mann, der reich stirbt, stirbt in Schande.“, sagte einst der amerikanische
Großindustrielle Andrew Carnegie, der mit seinem Riesenvermögen zahlreiche bedeutende
Stiftungen gründete. Übrigens ist mir bisher kein auch nur halbwegs einleuchtendes
Argument zugunsten des Erbrechts bekannt geworden. Haslett versucht sogar zu zeigen, dass
und warum das Erbrecht gegen die Prinzipien des Kapitalismus verstößt. Siehe: D. W. Has-

7
für ein gutes Funktionieren einer freien Marktwirtschaft wesentlichen –
Herstellung möglichst großer Gleichheit der Startchancen jedem Staatbürger
bei Eintritt ins Erwachsenenalter eine bestimmte Summe (z. B. 100.000
Euro) in Form einer Treuhänderschaft zur freien Verfügung zu stellen, die
am Lebensende mit Zinseszinsen aus der Erbschaft zurückzuzahlen ist. 16
Die Abschöpfung von exorbitanten Einkommens- bzw.
Vermögenszuwächsen muss durchaus nicht zu einer unmittelbaren
Umverteilung in dem Sinne führen, dass das Abgeschöpfte etwa den unteren
Sozialklassen gegeben wird. Vielmehr könnte es für die Wahrnehmung
staatlicher Aufgaben im Verein mit damit zugleich möglicher Senkung
staatlicher Schulden verwendet werden, insbesondere für jene Aufgaben, die
auf die Sicherstellung der Möglichkeit für jedermann zielen, seine
Persönlichkeit nach seinem freien Gutdünken zu entfalten (oder auch nicht
zu entfalten).
Im Zusammenhang mit der Höhe der Vergütung von sogenannten
„Leistungsträgern“ wird notorisch außer Acht gelassen, dass in einer
arbeitsteiligen Wirtschaft eine individuelle „Leistung“, etwa mit Bezug auf
die Steigerung eines Unternehmensgewinns, darin dem sogenannten
Werbeerfolg ähnlich, angesichts der zahllosen in Betracht kommenden
Einflussfaktoren, vor allem in Gestalt der unentbehrlichen Mitarbeiter, kaum
bestimmbar ist. Eine Steigerung des Gewinns oder des Börsenwertes eines
Unternehmens lässt sich gar nicht individuell zurechnen. Auch liegt dem
Unternehmenserfolg oft gar nicht eine Leistung der Firma, sei es nun der
Leitung oder der vielleicht exzellenten Facharbeiter, zugrunde, sondern ganz
einfach Glück, nicht etwa das „Glück der Tüchtigen“, sondern Glück mit
einer günstigen Marktlage. Auch ist der ausgeprägte Stolz, den manche
Menschen auf ihre Leistung zeigen, häufig mit gewaltiger
Selbstüberschätzung gepaart. Ebenso ist es ein notorischer Fehler zu meinen,
Unterschiede im Einkommen und/oder Vermögen seien nur auf Differenzen
in der natürlichen Begabung zurückzuführen, während doch besonders
Vermögen häufig durch Erbschaft, Einheirat und Börsen- und
Immobilienspekulation erworben wird.

lett, Is Inheritance Justified?; in: Philosophy and Public Affairs 15 (1986) 122-155.
16
Siehe dazu die wohldurchdachte Vorlage von: Bruce Ackerman / Anne Alstott, Die
Stakeholder-Gesellschaft. Ein Modell für mehr Chancengleichheit, Frankfurt/New York 2001.

8
Um abermals einem Missverständnis zuvorzukommen: Leistungsdenken
soll keineswegs durch Anspruchsdenken ersetzt werden. Doch wenn von
Leistung, die sich – wie der Slogan einmal lautete – wieder lohnen soll, die
Rede ist, dann muss auch gesagt werden, wie denn Leistung zu messen ist.
Und da wird sofort augenfällig, dass häufig die auf dem Markt tatsächlich
gezahlten Preise unmöglich die tatsächlich erbrachten Leistungen
wiederspiegeln können. Niemand wird doch allen Ernstes behaupten wollen,
dass der Vorstandsvorsitzende eines großen Unternehmens mit mehreren
zigtausend Angestellten, den sogenannten „Mit-Arbeitern“ (!), eine um das
Mehrhundertfache größere Leistung erbringt als etwa die Person am
Fließband. Und wie ist das wirkliche Leistungsverhältnis zwischen
Universitätsprofessor, Gymnasiallehrer, Grundschullehrer und Kita-
Betreuer? Ein in dieser Ordnung sinkendes Einkommen lässt sich doch
weder mit unterschiedlicher Arbeitsleistung, noch mit dem Nutzen für die
Gesellschaft rechtfertigen, sondern allein mit der unterschiedlichen
Investition an – oft unbezahlter oder schlecht bezahlter – Lebenszeit, die
erforderlich ist, um überhaupt eine solche Tätigkeit ausüben zu können. Das
heißt: erlangte Qualifikation sowie die spezielle Qualität der Berufsausübung
dürfen sich durchaus in Einkommensunterschieden niederschlagen, freilich
nur gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Im übrigen ist Gewinnsteigerung genau die Aufgabe, für die ein
Manager sein – zumeist recht hohes – Salär bekommt. Für eine zusätzliche
Belohnung durch einen sogenannten Bonus lässt sich kein guter Grund
nennen. Es wäre so, als bekäme ein Chirurg einen Bonus, wenn er nicht nur
operierte, sondern darüber hinaus auch noch erfolgreich. Ein guter Manager,
Chirurg, Lehrer soll mehr verdienen als ein schlechter; aber nicht außerdem
noch für die erwartete gute Arbeit belohnt werden. Im übrigen genügt bereits
ein Blick auf die Zahl der Mehrfachmandatsträger in Vorständen und
Aufsichtsräten und unter Mehrheitsaktionären und die vielfachen
Überkreuzverflechtungen für die berechtigte Vermutung, dass es auch und
gerade bei den Entscheidungen über die Vergütungen von Spitzenmanagern
in der Regel allzu „menschlich“ zugeht.

Italo-Kapitalismus
Adam Smith hatte lange vor seiner Untersuchung über die Natur und die
Ursachen des Wohlstands der Nationen eine „Theorie der ethischen
Gefühle“ geschrieben, deren wesentliche Erkenntnisse sich auch in dem
ökonomischen Hauptwerk niedergeschlagen haben, das dadurch ab-grundtief
vom Manchesterliberalismus, ganz zu schweigen vom gegenwärtig
grassierenden Raubtierkapitalismus, entfernt ist. Anstatt dies nun im
Einzelnen zu zeigen, will ich diesen Nachtrag mit zwei Erzählungen
beenden, an denen Smith seine helle Freude gehabt hätte, ja, die von ihm
selber stammen könnten.

9
1975 habe ich einen gebrauchten, aber nur wenig gefahrenen Mercedes
Diesel gekauft. Irgendjemand empfahl mir einen Unterbodenschutz. Eine
offizielle Mercedes-Vertretung in München machte mir ein Angebot zu
einem nicht gerade unerheblichen Preis. Da in Italien, wo ich mich häufig
aufhielt, solche Arbeiten damals noch sehr viel billiger als in Deutschland
waren, fuhr ich bald darauf bei der offiziellen Mercedes-Vertretung in
Florenz vor und bat dort um dieselben Maßnahmen, für die man mir in
München ein Angebot gemacht hatte. Da kam der Werkstattmeister zu mir
und erklärte mir, diesen Auftrag hätte ich erteilen sollen, als der Wagen neu
war. Jetzt sei es reine Geldverschwendung. Er würde mir eine andere
Maßnahme empfehlen, die auch einen Schutz bewirke und sehr viel billiger
sei. – Mein Urteil damals wie heute: der Mann war erstens anständig, aber
zweitens auch ein guter Kaufmann. Denn er hatte mich mit einem Schlag zu
seinem Dauerkunden gemacht.
1992 fuhr ich – noch immer mit demselben, inzwischen sehr alten
Mercedes – von Arezzo kommend nach Hause ins Mugello. Als ich die
Autobahn bei Incisa verlassen wollte und an der Mautstelle hielt, stellte ich
fest, dass mein Wagen einen platten Reifen hatte. Es war Samstag kurz vor
20 Uhr. Da der Wagenheber nicht funktionierte, machte ich mich in tiefer
Dunkelheit auf den Weg zur Ortschaft. Nach einigen hundert Metern hörte
ich direkt am Ortseingang das bekannte Rasseln einer heruntergelassenen
Werkstatttür und sah zu meiner Freude, dass es sich tatsächlich um eine
Autowerkstatt handelte. Ich klopfte an die große Tür. Da öffnete sich
innerhalb ihrer eine kleine, in der ein Mann erschien (es war der Inhaber der
Werkstatt), der nach meinem Begehr fragte. Als ich ihm meine Lage kurz
geschildert hatte, erklärte er mir zwar zunächst, ein Mercedes habe keinen
platten Reifen, und dann, bei einem Mercedes gebe es keinen
nichtfunktionierenden Wagenheber. Ich muss ihm aber dennoch am Ende
glaubwürdig erschienen sein. Jedenfalls suchte und fand er einen in seinen
Fiat 500 passenden Wagenheber. Wir fuhren zur Mautstelle, wo er den
Reifen bald gewechselt hatte. Als ich nun fragte, was ich ihm schulde,
bekam ich eine Antwort, die mich noch immer, mehr als zwanzig Jahre
später, fassungslos macht: „Nichts“ – „Nichts?“ – „Nein, nichts; ich hatte
doch schon Feierabend!“ – Mein Urteil damals wie heute: Dieser Mann hat
an jenem Abend sicher nicht als Unternehmer gehandelt. Aber er hat
buchstäblich meisterhaft gezeigt, dass Leben als wahrhaft menschliches
etwas ganz anderes ist als bloßes Geld-Verdienen. Ich konnte zwar nicht sein
Dauerkunde werden. Aber die Erinnerung an ihn begleitet mich noch heute.

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