Sie sind auf Seite 1von 19

Rost, D. H. & Haferkamp, W. (2019).

Schulangst.
In X. Feng (Hrsg.),
Wichtige Themen der
Pädagogischen Psychologie
(S. 87–104).
Beijing, CN: China Renmin University Press.
Erster Teil Texte

Schulangst
Detlef H. Rost und Werner Haferkamp

1 Angst
Eine der ersten Arbeiten zum Thema „Angst“ verfasste 1895 Sigmund Freud, der Begründer der
Psychoanalyse, zum Thema ,,Über die Berechtigung, von der Neurasthenie einen bestimmten
Symptomkomplex als ,Angstneurose‘ abzutrennen“. Seitdem wird Angst immer wieder mit neuen
Untersuchungen und unter differenzierenden Fragestellungen erforscht. Obwohl besonders in
den letzten Jahrzehnten bedeutsame Fortschritte, sowohl, was die theoretische Fundierung der
Angst als auch die Aufklärung ihre Entstehungsbedingungen, Messung und Modifikation betrifft,
festzustellen sind, ist Angst ein virulentes Forschungsgebiet vieler Fachdisziplinen wie der
Pädagogischen Psychologie, Entwicklungspsychologie, Klinischen Psychologie, psychologischen
Diagnostik und Psychiatrie. Die Beschreibung klinischer (= therapiebedürftiger) Angstzustände
steht nicht mehr — wie vor Jahrzehnten — im Focus. Stattdessen widmet man sich den
Ursachen, der Diagnostik, der Therapie und der Prävention von Angst in allen Äußerungsformen
(von emotionaler Unsicherheit über Neurotizismus bis hin zu Phobien), allen Lebensbereichen
(Schule, Hochschule, Beruf, Familie, Alltagsleben) und allen Altersstufen (Kinder, Jugendliche,
Erwachsene).
Angst ist ein Spezialfall eines Erregungs- und Spannungszustandes mit spezifischen
somatischen und psychischen Empfindungen und Reaktionen. Sie ist gekennzeichnet durch
Vorwegnahme, aktuelle Empfindung oder Erinnerung einer subjektiv bedeutsamen realen oder
vorgestellten Unsicherheit bzw. Bedrohung (Versagen, Schmerz, Gefahr) im weitesten Sinne. Sie
wird in der Regel durch gelernte Hinweisreize ausgelöst. Die empfundene Bedrohung oder Gefahr
macht den Kern der Angstemotion aus. Angst neigt zur Verselbständigung und Generalisierung
(d. h. sie kann sich unter bestimmten Umständen von den angstmachenden Ereignissen
loslösen und mit anderen — an und für sich unbedrohlichen (= „neutralen“) — Reizen

087
教育心理学高级教程

verbinden. Ursprünglich nicht als bedrohlich empfundene Situationen und Reize können dadurch
ebenfalls Angstreaktionen hervorrufen.
Angstäußerungen betreffen vor allem drei Ebenen:
• Physiologische Indikatoren: erhöhter Puls, beschleunigte Atmung bis hin zur Atemnot,
erhöhter Blutdruck, Adrenalinausschüttung, Pupillenerweiterung, Schweißausbruch, Blässe,
verstärkte Darmperistaltik, Harndrang, Erbrechen usw.
• Emotional-subjektives Erleben: Wahrnehmung von Angst durch die eigene Person,
unangenehme innere Erregungszustände, Unwohlsein, Unsicherheit, Nervosität, innere
Spannung, ,,Kloß im Hals“, Übelkeit usw.
• Beobachtbare Verhaltensweisen und motorische Reaktionen: Unruhe, Zittern, Verkrampfung
bis zur Starre, Flattern der Stimme, Vermeidungsverhalten, Fluchtverhalten bzw. Aggression
usw.
Innerhalb dieser Erscheinungsebenen und zwischen ihnen korrelieren die Variablen in der Regel
nur mäßig miteinander, die einzelnen Reaktionen verlaufen oft nicht zeitlich parallel.
Physiologische Begleitreaktionen werden hauptsächlich durch das vegetative Nervensystem
gesteuert. Man kann sie im Allgemeinen nicht willentlich beeinflussen. Sie sind zudem polyvalent
(= mehrdeutig), d. h. ähnliche physiologische Reaktionen lassen sich bei unterschiedlichen
Affektzuständen wie z. B. Angst, Wut, Freude beobachten. Den kognitiven Theorien des sozialen
Lernens zufolge bestimmt die subjektive Bewertung von Situationen oder Reizen und nicht der
objektive neurologisch-physiologische Zustand Angst. Beispielsweise kann ein junger Mann
spüren, dass sein Herz schneller schlägt, wenn er sich zum ersten Mal mit einer Frau, die er
schon lange heimlich verehrt, trifft. Ein erhöhter Herzschlag kann sich bei ihm auch im Angesicht
einer Gefahr einstellen, wenn z. B. ein großer Hund aggressiv bellend auf ihn zu läuft. In diesen
beiden Fällen sind die physiologischen Reaktionen ähnlich, die erlebten Gefühle aber sehr
unterschiedlich.

2 Angsttheorien
Manche Autoren bezeichnen auf konkrete Objekte (z. B. Schlangen, Spinnen) gerichtete Angst
(z. B. Furcht vor Schlangen oder Spinnen) als „Furcht“. Häufig jedoch werden Angst und Furcht
als ein gleiches Phänomen angesehen. In der Auseinandersetzung mit dem Thema „Angst“

088
Erster Teil Texte

sind zahlreiche Theorien entwickelt worden. Wir erwähnen hier nur kurz psychoanalytische,
lerntheoretische und kognitive Ansätze.
• Psychoanalytische Theorien. Angst wird als ein Affektzustand angesehen, der auf Konflikte
und Versagungen in der frühen Kindheit zurückzuführen ist. In einer Stresssituation werden
diese unzureichend verarbeiteten Erfahrungen, die im Unterbewusstsein schlummern, erneut
aktualisiert. Hatte S. Freud zunächst noch Angst als Unfähigkeit verstanden, sowohl von
der Umwelt gestellte Aufgaben zu bewältigen ( = „normale“ Angst) als auch mit den aus
unterdrückter Trieberregung resultierenden Anforderungen (= „neurotische“ Angst) fertig zu
werden, so integrierte er später Angst in seine allgemeine Neurosenlehre. Aus dem Erlebnis
des Geburtstraumas und der eigenen Hilflosigkeit erwächst die primäre Angst. Sekundäre
Ängste beziehen sich auf Erwartungen von Beeinträchtigungen, sind Reaktionen des „Ich“
und entstehen zumeist in der Auseinandersetzung mit den anderen Instanzen des Individuums
(„Es“ und „Über-Ich“) bzw. der Umwelt („Reale“ Angst = Konflikt zwischen der Person
und der Wirklichkeit; „neurotische“ Angst = Konflikt zwischen den „Ich“ und dem „Es“;
„moralische“ Angst = Konflikt zwischen dem „Ich“ und dem „Über-Ich“). Seit einigen
Jahrzehnten wird öfter auch ein enger Zusammenhang von Angst, Aggression und Frustration
thematisiert.
• Lerntheorien. Angst wird als erlernte Reaktionstendenz auf (bedrohliche) Reize verstanden.
Eine in dieser Tradition stehende Theorie definiert Angst als emotional bestimmten Trieb,
der in einer multiplikativen Verknüpfung mit der Reaktionsstärke die Wahrscheinlichkeit
einer Reaktion bestimmt. Wenn, wie bei einfachen Aufgaben, nur eine einzige Reaktion
im Vordergrund steht, kann sich Angst lernfördernd auswirken, während bei komplexen
Aufgaben, wie sie in der Schule in der Regel vorkommen, verschiedene Reaktionen
möglich sind und nicht selten eine unangebrachte Reaktion gewohnheitsmäßig ausgeführt
wird. Eine andere Theorie betont die angstauslösende Wirkung situativer Faktoren und den
Zusammenhang von Leistungsangst und kognitiven Prozessen. Verbindet sich der Angsttrieb
mit aufgabenrelevanten Reaktionen, wird die Aufgabenlösung erleichtert; verbindet er sich
mit aufgabenirrelevanten Reaktionen (= Hilflosigkeit, Überforderungsgefühlen etc.), wird die
Lösung einer Aufgabe erschwert.
• Kognitive Theorien. Wichtig sind die subjektiven Erwartungen und Bewertungen von
Reizen und Situationen und ihr Zusammenhang mit der persönlichen Selbsteinschätzung. So

089
教育心理学高级教程

unterscheiden sich z. B. erfahrene oder nicht ängstliche Menschen von unerfahrenen oder
neurotischen Personen dadurch, dass sie angstauslösende Reize und Situationen richtig deuten
können und entsprechende Abwehrmechanismen kennen und anwenden können, welche die
Angst ,,kontrollieren“. Furchterzeugende Hinweisreize können bei der Wahrnehmung, im
Denken und bei offenen Reaktionen vermieden werden. Man kann mit Angst unvereinbare
Reaktionen erzeugen oder positive Aspekte eines Ziels besonders betonen.

3 Phänomen Schulangst
Die Frage nach Entstehung, Einfluss und Modifikation von Angst stellt sich besonders
im Zusammenhang mit Leistungssituationen. So rückt denn auch die Schule ins Blickfeld, ist
sie doch — neben dem Elternhaus — die wichtigste Instanz zur Vermittlung kognitiver und
sozialer Kompetenz, deren Erwerb zudem an von der Gesellschaft aufgestellten Normen (z. B.
Zensuren) gemessen wird. Die Diskussion um Schulangst entzündet sich immer wieder an dem
zunehmenden Leistungsdruck in der Schule. Das wird in der Öffentlichkeit mit dem Schlagwort
„Schulstress“ bezeichnet. Herrschten noch in den Mitte des 20. Jahrhunderts im deutschen
Sprachraum tiefenpsychologisch-philosophischen Arbeiten zum Problemgebiet vor, so dominieren
heute lernpsychologisch-erfahrungswissenschaftliche Veröffentlichungen. Diese ,,empirische
Wende“ wurde durch die zunehmende Verfügbarkeit über brauchbare Messinstrumente zur
Angsterfassung, nämlich Angstfragebogen, möglich gemacht.
Der Begriff „Schulangst“ weist auf das angstauslösende Objekt „Schule“ hin. In der Schule
machen viele Kinder negative Lernerfahrungen. Daraus entwickelt sich dann Angst vor und
in schulischen Lehr- und Erziehungssituationen im weitesten Sinne: Angst vor Lehrern, vor
Mitschülern, vor Unterrichtsfächern und Unterrichtsinhalten, vor schulischen Regelungen und
Interaktionsformen, vor Prüfungen und schlechten Zensuren, vor Versagen, vor schulbezogenen
elterlichen Anforderungen usw. Die Bezeichnungen „Prüfungsangst“ und „Leistungsangst“
werden oft als Synonyme zu „Schulangst“ verwendet. Aus der Multikomplexität schulischer
Lehr-, Lern- und Erziehungssituationen ergibt sich, dass die Aufgliederung von Angst in „state
anxiety“ (= Angst als nur augenblicklicher und kurzfristiger Zustand, wenn z. B. ein sonst wenig
ängstlicher Schüler angesichts einer überraschend als besonders schwierig empfundenen Klausur
Versagensangst spürt) und „trait anxiety“ (= Angst als relativ stabile Persönlichkeitseigenschaft,

090
Erster Teil Texte

also als unspezifische Angstdisposition im Sinne einer prinzipiell leichten Erregbarkeit und
Unsicherheitstendenz in vielen unterschiedlichen Situationen), wie sie früher die Erfassung der
Angst dominierte, nicht mehr ausreicht. Die Unterscheidung der Angstreaktionen einer Person
in die Facetten „Besorgnis“ (= Grübeln) einerseits und Aufgeregtheit (= Selbstwahrnehmung
physiologischer Reaktionen) muss um eine emotionale Komponente (= Gefühl von
Niedergeschlagenheit und Hilflosigkeit im Sinne einer prä-depressiven Verstimmung) erweitet
werden.
Inwiefern allgemeine, also nicht auf Schule und Unterricht bezogene Angst für schulisches
Verhalten von Bedeutung ist, ist noch nicht endgültig geklärt. Neuere Forschungen zu Folge
stellen früher gefundene Zusammenhänge zwischen allgemeiner Angst und Schulleistungs-
bzw. Persönlichkeitsmaßnahmen möglicherweise Artefakte der Erfassungsmethoden dar, da
allgemeine Angstskalen in der Regel auch zugleich Elemente schulspezifischer Bedingungen
enthalten. Letztlich lässt sich individuelle Schulangst immer nur definieren und erklären, wenn
die persönlichen situativen Rahmenbedingungen und die jeweils besonderen Interaktionsmuster
von Lehrern, Kind, Eltern und Mitschülern genau analysiert werden.

4 Entstehungsbedingungen von Schulangst


In lerntheoretischen Überlegungen wird die Entstehung von Angst häufig durch die von Iwan
Pawlow erforschte „klassische Konditionierung“ (auch als „Signallernen“ bezeichnet) erklärt.
Nach diesem Modell löst ein spezifischer unbedingter (= ungelernter) Reiz (z. B. Lärm,
intensive Bestrafung; in der Psychologie als „unkonditioniert Stimulus“ bezeichnet und mit
US abgekürzt) reflexartig eine unbedingte (= unkonditionierte) Reaktion (= UR, z. B. ein
intensives Angsterleben) aus. Ein ursprünglich ,,neutraler“ Reiz (= NS), der normalerweise keine
besonderen Emotionen hervorruft, kann, wenn er häufiger mit einem US gekoppelt worden ist,
als bedingter (= konditionierter) Stimulus (= CS) an Stelle des US eine konditionierte, d. h. durch
Lernprozesse erworbene ähnliche Angstreaktion (= CR) hervorrufen. Durch erneute Verknüpfung
des bedingten Stimulus (CS) mit anderen — eigentlich neutralen — Reizen (NS) können
zusätzliche Reize ebenfalls zu konditionierten Stimuli (CS) werden und Ängste hervorrufen. Die
Psychologie bezeichnet das als ,,sekundäre Konditionierung“, die Ausbreitung auf viele Reize als
Generalisierung.

091
教育心理学高级教程

Vermeidungsreaktionen, mit denen konditionierten Stimuli aus dem Wege gegangen wird,
verhindern oftmals, dass die gelernte CS→CR-Verbindung gelöscht wird. Sie wird also wieder
verlernt. In der Schule treten bei Schulangst Löschungsprozesse selten auf, ständige Tadel,
Drohungen, Bestrafungen etc. stabilisieren neu aufgebaute Konditionierungen.
Die Verschiedenartigkeit der Äußerungsformen von Angst, die Mannigfaltigkeit
angstauslösender Reize und Situationen sowie die enorme Variabilität individueller
Umweltbedingungen weisen darauf hin, dass es nicht die eine Ursache von (Schul-) Angst geben
kann. (Schul-)Angst entwickelt sich in der Regel auf unterschiedliche Art und Weise und hat
meistens mehrere Ursachen.
Dieser entwicklungsdynamische Aspekt von Angst ist durch eine sich selbst stabilisierende
und aufschaukelnde Aufeinanderfolge von auslösendem Erleben, individuellen Reaktionen und
Verhaltenskonsequenzen gekennzeichnet.
Der individuellen Lerngeschichte (Angsterfahrungen und misslungene Versuche, die Angst
zu bewältigen) kommt ein hervorragender Erklärungswert für die Behandlung von Angst zu.
Zweifellos gibt es individuell unterschiedliche Angstäußerungen in gleichen Situationen sowie
gleiche Angstäußerungen in verschiedenen Situationen. Das dürfte vor allem aus der spezifischen
Anhäufung persönlicher Erfahrungen unter bestimmten familiären und gesellschaftlichen
Sozialisationsbedingungen (elterliches Erziehungsverhalten, Geschwisterkorrelation,
Geschlechtsrolle, Sozialstatuts, Schulschicksal usw.) zu erklären sein.
Immer wieder hat die Forschung gefunden, dass Jungen weniger Angst haben oder bei
Befragungen zugeben als Mädchen, was sich auch eher mit ihrem sozialen Image verträgt.
Unterschichtkinder, die oft mit den in der Schule praktizierten Normen und Regeln wenig
vertraut sind, sind in der Schule häufig ängstlicher als Mittel- und Oberschichtkinder. Außerdem
ist eine befehlende und bestrafende Erziehungshaltung bei Eltern aus unteren sozialen Schichten
öfter anzutreffen als bei Eltern höher Schichten. Das tritt oft zusammen mit einer geringeren
sprachlichen Differenzierung aus und begünstigt die Entwicklung eines impulsiven kognitiven
Stils. So scheinen Unterschichtkinder Probleme spontaner, d. h. ohne längere Überlegungsphase,
anzugehen, so dass ihnen öfter und mehr Fehler unterlaufen. So erleben sie Misserfolge in
Leistungssituationen, was die Angstentstehung fördert.
Wichtige Bedingungsvariablen schulischer Angst sind neben ungünstigen vorschulischen
Erfahrungen in Leistungssituationen und im Elternhaus folgende Faktoren:

092
Erster Teil Texte

• Lehrerverhalten und Lehrerpersönlichkeit: autoritäres und extrem dirigistisches Verhalten,


Liebesentzug, Tadel, Spott, Herabsetzen, gezielte Demütigungen, Nichtbeachten, körperliches
Bestrafen, Strafarbeiten, Ausschließen von belohnenden Aktivitäten, Unsicherheit, Angst und
Neurotizismus des Lehrers usw. Ingesamt: Provokation eines negativen und emotional kalten
Klassenklimas.
• Inhalt und Vermittlung des Lehrstoffs: Unterrichtsinhalte außerhalb des Interessengebietes,
komplizierte und sprachlich unverständliche Informationsvermittlung, monotoner
Lehrervortrag, sachlogisch bzw. lernpsychologisch verwirrende Strukturierung, mangelnde
oder fehlende Angabe und Präzisierung von Lehrzielen, zu seltenes oder fehlendes feed-back
über Lernerfolge usw.
• S ch u lleis t u n g en u n d Zen s ieru n g: s p ra c h li ch e s U n v erm ö g e n d e s Sc h ü le rs ,
Konzentrationsschwierigkeiten, Überforderung und schlechte Schulleistung und generelles
Leistungsversagen des Schülers. Beim Lehrer: strenge Zensurengebung, häufiger
Zensurenvergleich, scharfe Auslese, Nichtbeachtung spezifischer Leistungs- und
Begabungsstrukturen usw.)
• Gestaltung von Prüfungssituationen: fremde Arbeitsumgebung, Ungewissheit über
Prüfungsanforderungen und Bewertungsmaßstäbe, Androhung und Auswahl zu schwieriger
Klassenarbeiten, hoher Zeitdruck, zu lange Prüfungen, überstrenge Aufsicht, Verwendung
von Fangfragen, disqualifizierende und abwertende persönliche Bemerkungen vor, während
und nach der Prüfung usw.
• Verhältnis der Schüler untereinander: starke Rivalität, Konkurrenz statt Kooperation,
Hänseln, Entziehen der Anerkennung, Ausstoßen, Bloßstellen und Spott, Unterjochen,
Misshandeln usw., also all das, was heute mit dem Begriff „Mobbing“ bezeichnet wird.
• Verhalten und Einstellung der Eltern: an das Erfüllen von Leistungsnormen gekoppelte
Zuwendung, Tadeln, Hausarrest, Züchtigen, emotionale Kälte, überhöhte spezifische
Leistungsanforderungen konträr zu kindlichen Begabungs- und Motivationsstrukturen,
Desinteresse oder unrealistische Einstellung zur Schule, Angst der Eltern vor der Schule,
Ablehnung des Lehrers oder bestimmter schulischer Lehrmethoden und Lernsituationen,
psychische Labilität der Eltern usw.).
• Unterricht: Leistungsprüfungen und Zensurengebung, d. h. die Möglichkeit des subjektiven
und objektiven Versagens sowie dessen unzureichende affektive und kognitive Verarbeitung

093
教育心理学高级教程

können emotionale Anspannungen, Verkrampfungen, Blockierungen und schließlich Angst


hervorrufen. Dadurch werden viele Möglichkeiten formeller wie informeller Kommunikation
beeinträchtigt. Auch hierbei dürften ähnliche, früher gemachte Erfahrungen des Schülers,
die selbst erlebt oder visuell — Filme, Videos im Internet — bzw. sprachlich vermittelt
sein können, z. B. Berichte von Eltern über ihre „schreckliche“ Schulzeit, die Interpretation
schulischer Situationen bestimmen.

5 Auswirkungen von Schulangst


Zahlreiche Arbeiten haben gezeigt, dass hochängstliche Kinder im Verhalten, in (Schul-)
Leistungen, sozialen Beziehungen benachteiligt sind und ein geringes Selbstvertrauen
haben. Auch hier ist — ähnlich wie bei den Ursachen von Angst — ein Beziehungsgeflecht
verschiedenster Variablen anzunehmen. An dieser Stelle kann nur auf einige schulisch relevante
Zusammenhänge hingewiesen werden:
• Hochängstliche Kinder haben nicht selten ein ungünstiges Bild von sich selbst, d. h.
ein beschädigtes Selbstkonzept, und sie werden häufig von ihrer Umwelt (= Eltern,
Mitschüler, Lehrer, Verwandte) weniger geschätzt. Sie nehmen auch meistens in ihrer
Klassengemeinschaft einen niedrigen Rangplatz ein bis hin zur sozialen Isolierung.
• Hochängstliche Schüler werden von Eltern und Lehrern oftmals als unangepasst und ,,negativ“
gekennzeichnet und zumeist in ihrer Intelligenz und Begabung unterschätzt.
• Hochängstliche Kinder fallen häufig durch nervöses Hantieren auf, durch schlechte
Arbeitshaltung, mangelnde Aufgabenzuwendung und aufgabenunspezifische Arbeitsweisen.
• Hochängstliche Schüler zeigen in der Regel ein gesteigertes Ausmaß von Hilflosigkeit,
Unsicherheit, mangelndem Selbstvertrauen und geringerem Selbstwertgefühl. Sie sind oft mit
sich selbst wenig zufrieden.
• Hochängstliche Kinder leisten in der Regel in vielen Schulfächern weniger, erhalten
schlechtere Noten und schneiden bei Schulleistungs- und Intelligenztests weniger gut ab.
• Hochängstliche Schüler pflegen Leistungserfolge eher externalen (= äußeren) Faktoren
(z. B. Zufall) und Leistungsmisserfolge mehr internalen (= inneren) Ursachen (z. B.
mangelnde eigene Begabung) zuzuschreiben. Dementsprechend leiden sie mehr unter
Misserfolgsrückmeldungen.

094
Erster Teil Texte

6 Erfassung von Schulangst


Eine Diagnose von Schulangst ist — den drei Erscheinungsebenen entsprechend — durch
physiologische Messungen, Selbstangaben der Schüler (vorwiegend in Form von Fragebogen)
und Beobachtung bzw. Verhaltenseinschätzung (Ratingverfahren) durch Bezugspersonen (Lehrer,
Mitschüler, Eltern, Psychologen etc.) möglich.
Physiologische Messungen können heute mit einem Höchstmaß an Genauigkeit durchgeführt
werden. Diese Verfahren sind allerdings nicht nur sehr kosten- und zeitaufwendig, sondern
bringen auch eine Reihe noch nicht zufriedenstellend gelöster Probleme bei der Interpretation der
Daten mit sich. Außerdem muss zu ihrer Ergänzung auf jeden Fall die subjektive Befindlichkeit
der Schüler erfasst werden.
Fragebogen sind die ökonomischste und in Forschung und Praxis am häufigsten angewandte
Methode, um verschiedene Aspekte der Angst bei Kindern zu erfassen.
Weil viele Fragebogen immer noch sehr unspezifisch sind, ist die Entwicklung
eines verhaltensdiagnostischen Inventars als Leitfaden zur Verhaltensanalyse dringend
erforderlich. In ihm sollten folgende Punkte berücksichtigt werden: verschiedene Fächer,
Unterrichtsstile, Erziehungsverhalten einzelner Lehrer, häusliche Vorbereitungen auf die Schule
(Hausaufgabensituation, Leistungsdruck des Elternhauses usw.), individuelle Interessen und
Motivationsrichtungen, Reaktionen des sozialen Umfelds (z. B. Mitschüler) auf Angstverhalten
und Leistungserfolge bzw. Leistungsmisserfolge, Beobachtungsleitende Fragen zur Gewinnung
modifikationsrelevanter diagnostischer Informationen helfen, die Diagnose zu verfeinern, wie:
Wann (z. B. montags, in der Deutschstunde?) und wo (z. B. zu Hause, vor der Schule, in der
normalen Unterrichtssituation, beim Aufgerufenwerden?) tritt Schulangst mit welcher Häufigkeit
(selten, manchmal, öfter, immer?) auf. Wie intensiv ist sie dann (schwach, durchschnittlich, hoch –
aber noch zu ertragen, überstark?). Welche Mittel setzt der Schüler wann und wie erfolgreich
ein, um Schulangst zu verringern? In welcher Art und Weise, wie häufig und wie regelmäßig
reagiert die Umwelt (Eltern, Geschwister, Lehrer, Mitschüler) auf die Schulangst und die
Bewältigungsversuche? Weiterhin wäre auch an eine schulbezogene Angst-Reiz-Liste zu denken,
mit der die Angstbesetzung spezifischer Situationen, Ereignisse und Objekte erfragt werden
könnte.
Eltern und Lehrer können die Schulangst von Kindern und Schülern nicht zuverlässig und

095
教育心理学高级教程

gültig einschätzen. Mehrere Untersuchungen haben nämlich festgestellt, dass die mit einem
Fragebogen gemessene Schulangst von Kindern mit der Einschätzung ihrer Angst durch Eltern
oder Lehrer nur sehr gering zusammenhängt. Das liegt auch daran, dass Angst hauptsächlich
etwas ist, was eine Person in sich spürt. Gefühle, die eine Person hat, kann man nicht gut als
Außenstehender sehen. Eine solide pädagogisch-psychologische Diagnose kommt nicht ohne eine
gezielte Befragung des betreffenden Schülers aus. Es existieren inzwischen auch Fragebogen,
mit denen man häufige auslösende Bedingungen (= was die Leistungsangst verursacht), mehrere
Manifestationsweisen (= wie sich die Angst beim Schüler bemerkbar macht), unterschiedliche
Strategien zur Bewältigung (= ob der Schüler schon weiß, mit welchen Maßnahmen die Angst
reduziert werden kann und er diese flexibel einsetzt) und wichtige Stabilisierungsformen (=
Verhaltensweisen des Schülers und der Eltern bzw. Lehrer, welche verhindern, dass sich mit der
Zeit die Angst abschwächt) differenziert feststellen kann.

7 Angst und Schulleistung


Kinder mit hoch ausgeprägter Schulangst leisten in der Regel in fast allen Fächern weniger
als emotional stabile Schüler. Während allgemeine Angstskalen meist nur gering mit Leistung
korrelieren und die globale Einstellung zur Schule (Schulunlust) eher eine untergeordnete Rolle
spielt, zeigen sich bei Prüfungsangstwerten Korrelationen zur schulischen Leistung von niedriger
bis mittlerer Höhe (r = .20 bis r = .40). Diese Zusammenhänge gibt es bereits in der Grundschule.
Auch bei objektiven Lernerfolgsmessungen (Schultests) und Intelligenztests schneiden Ängstliche
häufig schlechter als wenig Ängstliche ab.
Sicherlich sind zwischen Noten und Prüfungsangst keine monokausalen Relationen
anzunehmen, jedoch können für viele Kinder die aufgewiesenen negativen Beziehungen
sich leicht aufschaukeln: ,,schlechte Note → Prüfungsangst → schlechte Note → stärkere
Prüfungsangst → schlechte Note usw.“ werden.
Leistungsschwächere Schüler reagieren oft mit erhöhter Angst auf Prüfungsankündigungen.
Gleichzeitig sind sie nicht selten misserfolgsorientiert und tendieren dazu, Erfolge, die sie ohnehin
relativ selten erzielen, mehr dem Zufall als dem eigenen Leistungsvermögen zuzuschreiben und
gehäufte Misserfolge eher auf persönliches Unvermögen (z. B. „ich bin zu dumm dafür“) als auf
externe Faktoren ( wie „der Lehrer hat zu schwierige Aufgaben ausgewählt“) zurückzuführen. So

096
Erster Teil Texte

stabilisiert sich ihr negatives Selbstwertgefühl, die Erfolgswahrscheinlichkeit bleibt auf niedrigem
Niveau oder sinkt sogar. Hinzu kommt, dass sich diese Kinder nicht selten überhöhte oder gar
unrealistische Ziele setzen. Ihr Misserfolg (bedingt durch die Diskrepanz von Leistung und
Leistungswunsch) bestätigt sie in ihrer negativen Erwartungshaltung und trägt damit zu erhöhter
Unsicherheit und Leistungsangst bei.
Umgekehrt verfügen gute Schüler in der Regel über ein an ihren Fähigkeiten orientiertes
Anspruchsniveau und haben deshalb allgemein weniger Angst in Leistungssituationen. Erfolge
führen leistungsstarke Schüler selbstbewusst auf ihre gute Begabung („klar doch, ich bin eben
schlau und schaffe so etwas natürlich“) zurück. Misserfolge dagegen schreiben sie äußeren
Faktoren zu („das liegt nur daran, dass ich diesmal Pech gehabt habe“).
Da allgemein gilt, dass die der eigenen Erwartung entsprechenden Noten deutlicher
wahrgenommen und beachtet werden und so als Verstärker wirken, kann auch durch einige
außerplanmäßige Erfolge (einige gute Zensuren bei schwachen Schülern bzw. einige schlechte
Zensuren bei guten Schülern) diese in der persönlichen Lerngeschichte verankerte Verbindung
nicht nachhaltig erschüttert werden. Auch wenn ein leistungsschwaches Kind aufgrund
zusätzlicher Bedingungen, z. B. durch Nachhilfeunterricht, bessere Leistungen erbringen, kann
die Angst vor der Prüfung dazu führen, dass der Schüler diese neugewonnene Fähigkeit nicht in
eine Leistungsverbesserung umsetzen kann.
Eine in verschiedenen Untersuchungen beobachtete leistungsfördernde Komponente
von Angst trifft wohl nur bei leichten und überschaubar strukturierten Aufgaben zu. Das
Aktivierungsniveau des Schülers ist dann erhöht, es ist aber nicht überhöht, und er ist deshalb
hellwach und leistungsfähig und nicht blockiert. Bei den komplex determinierten Schulnoten
sind aber solche kurvilinearen Beziehungen kaum zu finden. Manche Autoren halten in diesem
Zusammenhang auch Neugierde für eine Vorform von Angst.

8 Vorbeugung von Schulangst


Vorbeugung und Modifikation von Angst vor Schule und Leistungsanforderungen hängen
natürlich eng mit den von der Gesellschaft gesetzten Normen zusammen. Zur effektiven
Vorbeugung sind umfassende Längsschnittuntersuchungen nötig, welche diejenigen
Komponenten identifizieren, die in bestimmten sozialen Situationen bei bestimmten Personen

097
教育心理学高级教程

Verhaltensstörungen und Ängste auslösen, stabilisieren oder verstärken.


Die Analyse der Lehr- und Lernsituation in der Schule unter lernpsychologischen Aspekten
zeigt, dass der Lehrer durch eine Ausnutzung vorhandener Freiräume der Entstehung von
Schulangst vorbeugen kann.
Neben der Schaffung einer emotional warmen und experimentellen Atmosphäre im
Klassenzimmer als wichtigster Faktor ist vor allem an gezielte Maßnahmen bei der Einschulung
bzw. beim Übergang auf weiterführende Schulen, bei der Unterrichtsgestaltung, bei
Leistungsbewertungen und in Prüfungssituationen sowie im Elternhaus zu denken.

☛Einschulung und Übergang auf weiterführende Schulen


Der Schulanfang bedeutet den Eintritt in einen stärker leistungsorientierten Lebensabschnitt. Die
geforderte und notwendige Veränderung bisheriger Gewohnheiten (,,vom Spielen zum Lernen“)
und die Fremdheit der Schulsituation werden von vielen Kindern als belastend und verunsichernd
erlebt. Zur Entschärfung dieser Krisensituation bieten sich drei Schritte an (ähnliche Maßnahmen
gelten für den Übergang in weiterführende Schulen), z. B.:
• Erster Schritt. Die Lehrer der ersten Klassen sollten möglichst frühzeitig, am besten bei
Kindergartenelternabenden, mit den Eltern der Einzuschulenden Kontakt aufnehmen. Dort
können sie Informationen über das heutige Schulleben geben, so dass der Unterschied zu den
Schulerfahrungen der Eltern deutlich wird. Zusätzliche Hinweise bezüglich der Vorbereitung
auf die Schule und der Anforderungen in den ersten Schulwochen helfen, überhöhte
Leistungserwartungen abzubauen.
• Zweiter Schritt. Die Lehrer besuchen den Kindergarten und stellen sich vor. Im
gemeinsamen Gespräch und Spiel lernen sich gegenseitig kennen.
• Dritter Schritt. Durch Besuche von Kindergartengruppen in Anfangsklassen wird den
Kindern eine erste Einschätzung ihrer zukünftigen Situation möglich. Dabei sollten weniger
schulische Leistungsforderungen als das soziale Miteinander im Vordergrund stehen. Diese
Besuche können auch dazu genutzt werden, um das Schulgebäude und die Schulumgebung
gemeinsam zu erkunden.

☛Unterricht
Einen erheblichen Teil des Tages verbringen Schüler im Klassenzimmer im unmittelbaren

098
Erster Teil Texte

Kontakt mit ihrem Lehrer. Dennoch gehen viele Pädagogen nicht hinreichend ausgebildet
in diese Unterrichts- und Erziehungssituation hinein. Die Verwirklichung effektiver und
psychohygienischer Techniken des Lehrerverhaltens sollte stärker als heute üblich in der
Lehrerausbildung verankert sein.
Entwicklungspsychologische, lernpsychologische und unterrichtspsychologische
Erkenntnisse sollten in der Lehrerausbildung eine größere Rolle als bisher spielen.
• Erziehungs- und Führungsstil. Insbesondere gilt es, dass Lehrer lernen, ihren eigenen
Erziehungs- und Führungsstil selbstkritisch wahrzunehmen und zu reflektieren sowie die
Auswirkungen auf das Schülerverhalten möglichst objektiv festzustellen. Vor allem sollte sich
der Lehrer auf subjektive Wahrnehmungsverzerrungen hin kontrollieren und sich über seine
implizite Führungs- und Persönlichkeitstheorie bewusst werden bzw. diese durch regelmäßige
Arbeitsbesprechungen mit Kollegen und gegenseitige Hospitationen in Frage stellen und
diskutieren.
• Offene Gespräche. Indem Schüler regelmäßig und ausgiebig Gelegenheit erhalten, sich
und ihre Probleme darzustellen (z. B. gemeinsame Regelung klasseninterner sozialer
Fragen, anonyme Lehrerkritik) und im Gespräch mit dem Lehrer positive Lösungs- bzw.
Änderungsvorschläge zu erarbeiten, wird ihr Engagement für die Schule unterstützt und
Selbstverantwortlichkeit für eigenes Verhalten angebahnt.
• Lehrertraining. Praxisbegleitende Lehrertrainings können elementare Prinzipien
effektiven Unterrichts vermitteln und den Lehrer anleiten, seine Aufmerksamkeit auf
positives Schülerverhalten zu zentrieren, dieses positiv zu verstärken und zynische, das
Selbstwertgefühl verletzende Bemerkungen zu vermeiden.
• Lernpsychologie. Der Unterricht sollte nach modernen lernpsychologischen Erkenntnissen
gestaltet werden. Die Aufgliederung von Lehr-/Lernaktivitäten in kleinere Einheiten und ihre
optimale zeitliche Aufeinanderfolge, verbunden mit kurzen Unterrichtsüberprüfungen, welche
feststellen, wie weit die Kinder alles verstanden haben, geben dem Lehrer Hinweise, bei
wem und wo er noch zusätzliche Hilfen geben muss. Die Verständlichkeit von mündlichen
Erklärungen und von Texten (Arbeitsblätter, Lehrbücher) kann beispielsweise durch
folgende Maßnahmen verbessert werden: Verwendung einer einfachen und klaren Sprache,
Anreicherung des Lehrstoffs durch zusätzliche Veranschaulichungen (Bilder, Grafiken, Videos
etc.) und konkrete Beispiele sowie Aufgliederung des Lehrstoffs in inhaltlich prägnante und

099
教育心理学高级教程

nicht zu umfangreiche Teile. All das führt dazu, dass die Schüler Erfolgserlebnisse haben,
weil sie den Lehrstoff kapieren.

☛Leistungsbewertungen und Prüfungssituationen


Kontrolle und Prüfung vermittelten Wissens sind notwendige Voraussetzungen für effektives
Lehren und Lernen, da nur so Probleme und Schwierigkeiten im Lehr- und Lernprozess
diagnostiziert werden können. Deshalb dürfte die häufig diskutierte Forderung nach Abschaffung
von Prüfungen nicht nur irreal, sondern auch pädagogisch und psychologisch wenig sinnvoll sein.
Sinnvoll dagegen sind alle Versuche, Klassenarbeiten und Prüfungssituationen zu entschärfen
und vergleichende Leistungsbewertungen zugunsten einer lehr- und lernprozessorientierten
pädagogischen Diagnostik zu vermindern.
• Teil des Unterrichts. Wenn Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit von Prüfungen zur
Selbstkontrolle des Lernprozesses bewusst gemacht, in den normalen Unterrichtsablauf
eingegliedert und ähnlich wie Übungssituationen gestaltet werden, können Schüler Prüfungen
als selbstverständliche und helfende Komponenten des Unterrichts begreifen lernen. Damit
verlieren Prüfungen viel von ihrem bedrohlichen Charakter.
• Transparenz. Prüfungsanforderungen, -verlauf und -bewertung sollten möglichst frühzeitig
und detailliert bekannt gegeben werden. Beispiele, welche Aufgaben in der Prüfung dran
kommen und die Erläuterung der Kriterien, mit denen die Leistung bewertet wird, führen
zur Transparenz von Prüfungssituationen und ermöglichen es dem Schüler, sich emotional
und kognitiv darauf einzustellen. In diesem Sinne sollten alle Bewertungskriterien vor der
Prüfung definiert und nachträglich nicht oder höchstens zugunsten der Schüler verändert
werden. Darüber hinaus erhalten Schüler und Lehrer bei einer so verstandenen pädagogischen
Diagnose differenziertes feed-back (lehrzielbezogenes Leistungsniveau, Erfolge und
Probleme im Lehr- und Lernprozess). Durch die rechtzeitige Beseitigung sichtbar gewordener
Lern- und Leistungsdefizite kann Schulangst vorgebeugt werden.
• Rückmeldefunktion. Da Prüfungssituationen wesentlich stärker als üblich unter dem
Gesichtspunkt der Kontrolle des Vermittlungsprozesses verstanden werden müssen, sollten
sie mit ihren formalen Bedingungen mehr dem Schüler als dem Lehrer entgegenkommen, so
dass die Kinder möglichst ohne bzw. unabhängig von emotionalen Hemmungen über ihren
Lern- und Leistungsstand Auskunft geben können (u. a. leichte Aufgaben am Anfang einer

100
Erster Teil Texte

Klassenarbeit, häufigere Verwendung von Mehrfachwahlaufgaben [= multiple-choice-Items],


differenzierende und ermutigende Rückmeldungen bei mündlichen Prüfungen, Bereitstellung
zusätzlicher Hilfen, keine ,,Fangfragen“, bei ,,Blockaden“ Rückgang auf schon beherrschten
Stoff, strikte Vermeidung abwertender Bemerkungen usw.).
• Prüfungssituation. Auch die äußere Gestaltung von Prüfungen kann zur Entkrampfung
beitragen. Man sollte Schüler ermutigen, während der Klassenarbeiten etwas zu essen oder
zu trinken (oder Bonbons zu lutschen), um so durch die angenehme sensorische Erfahrung
einer zu starken Anspannung oder Verkrampfung vorzubeugen. Bei längeren Prüfungen —
und selbstverständlich auch bei jeder längeren Lernsequenz — sind häufigere Pausen mit
gemeinsamen Entspannungsübungen sinnvoll.
• Häufigkeit. An Stelle weniger und umfangreicher sollten viele und kürzere Prüfungen und
Klassenarbeiten angesetzt werden. Das ermöglicht ein häufiges und gezieltes feed-back
für Lehrer, Schüler und Eltern über Stärken und Schwächen des Schülers. Zudem wird
gelegentliches Versagen erträglicher. Wo es möglich ist, sollte auf Leistungsdruck verzichtet
werden. Dies gilt besonders für die sogenannten musischen Fächer und für Sport, die dann
mehr Spaß machen. So haben die Schüler mehr Freude an Schule und Unterricht.

☛Elternhaus
Das Hineinwirken der Schulsituation ins Elternhaus hat entscheidenden Anteil an Aufbau
und Stabilisierung schulischer Ängste. Dieses Problem ist nur durch eine Intensivierung
der Kommunikation und Kooperation zwischen Schule und Elternhaus zu lösen. Die dazu
erforderliche Zusammenarbeit wird anfangs für Lehrer und Eltern eine zusätzliche Belastung
bedeuten, langfristig jedoch Entlastung bringen. Insbesondere gilt auch für das Elternhaus:
• Die schulische Situation des Kindes sollte offen und frei von persönlichen Abwertungen im
Kreise der Familie regelmäßig besprochen werden (nicht erst bei schlechten Noten!), und in
solidarischer Unterstützung sollten auch die Meinungen und Vorschläge des Schülers gehört
und anerkannt werden.
• Elterliche Reaktionen auf (positives und negatives) Leistungs- und Schulverhalten des
Schülers müssen eindeutig vorhersehbar und angemessen sein, so dass sie als gerecht
empfunden werden und das gegenseitige Vertrauen nicht zerstört wird.
• Die eigenständige Persönlichkeit des Schülers sollte man achten und wertschätzen. Eltern

101
教育心理学高级教程

sollten in ihm nicht das Ideal des eigenen Selbstbildes sehen.


Nicht zuletzt ist Prüfungsangst oft auch durch reale Wissens-, Kenntnis- und Verhaltensdefizite
(mit-)bedingt, die oft nicht (nur) auf zu geringe Vorbereitung oder längeres Fehlen zurückgeführt
werden können, sondern deren Ursache auch in unökonomischen Arbeitstechniken liegen
kann. Hier ist ein systematisches Training im Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten angebracht.
Solche Programme, die bei älteren Schülern, Jugendlichen und Erwachsenen schon mit großem
Erfolg eingesetzt wurden, wären gerade auch für den Grundschulbereich zu entwickeln und
zu evaluieren. Die Eltern können durch Bereitstellen angemessener Materialien, eines ruhigen
eigenen Arbeitsplatzes, regelmäßiger Kontrolle der Hausaufgaben usw. ihr Kind unterstützen.
Ohne Kommunikation von Eltern, Schülern und Lehrern über Probleme im Schulalltag
und über den Erziehungs- und Sozialisationshintergrund der Kinder sind viele präventive und
therapeutische Maßnahmen zum Scheitern verurteilt.

9 Therapie von Schulangst


Zur Verringerung von Schulangst lassen sich natürlich viele der Hinweise, die zur Vorbeugung
von Angst angeführt wurden, sinnvoll nutzen. Für die Therapie stärker ausgeprägter Schulangst
(Schulneurose, Schulphobie) müssen darüber hinaus jedoch spezielle psychotherapeutische
Techniken, insbesondere die der Verhaltenstherapie, eingesetzt werden. Diese Techniken können
und dürfen nur von Fachpsychologen in enger Zusammenarbeit mit Schule und Elternhaus
angewandt werden. Überreden und andauernder Appell an die Einsicht (,,vor der Schule brauchst
du doch keine Angst zu haben, da tut dir doch niemand etwas“) helfen nicht.
Die klassische verhaltenstherapeutische Technik zur Reduzierung von Angstsymptomen ist
die systematische Desensibilisierung, die obzwar für Erwachsene entwickelt — auch (modifiziert)
mit Erfolg schon bei Grundschulkindern — eingesetzt werden kann. Nach einer ausführlichen
Analyse der situativen Rahmenbedingungen, der individuellen Äußerungsformen und der
persönlichen und Umweltreaktionen auf das Verhalten erfolgt in Zusammenarbeit von Kind
und Psychologe die Konstruktion der sogenannten Angsthierarchie. In ihr werden qualitativ
und quantitativ unterschiedlich ausgeprägte angstauslösende Reize und Situationen ermittelt
und in Richtung zunehmender Angstbesetzung geordnet (z. B. etwas über Schule lesen →
aufstehen und an den heutigen Tag denken → das Elternhaus mit der Schultasche verlassen →

102
Erster Teil Texte

die Schule sehen → auf den Schulhof gehen → in der Schultür einem Lehrer begegnen → vor
der Klassentür stehen → die Klassentür öffnen → in das Klassenzimmer hineingehen → sich
auf den Platz setzen → Unterrichtsbeginn → vom Lehrer angeschaut werden → aufgerufen
werden → zur Tafel gehen usw.). Weiterhin wird der Schüler durch bestimmte Techniken wie
progressive Muskelentspannung oder autogenes Training angeleitet, sich zu lockern und zu
entkrampfen. Diese gelernte Entspannungsreaktion ist mit den Begleitsymptomen von Angst,
d. h. mit psychischer und physischer Verkrampfung, unvereinbar. Im Verlauf der Therapie wird
das Schulkind schrittweise angstauslösenden Situationen ausgesetzt, zuerst in der Vorstellung
und ggf. veranschaulicht durch Bilder oder Photos und später in der Wirklichkeit. So lernt es,
dass aufkeimende Angst mit Entspannung verringert werden kann. Schließlich kann auch die
an der Spitze der Angsthierarchie stehende Situation ohne größere Furcht ertragen werden. Es
empfiehlt sich, parallel dazu den Schüler für neu bewältigte Situationen von Eltern, Lehrern und
Therapeuten positiv zu verstärken. Zusätzlich sollten noch andere Hilfsmittel eingesetzt werden,
wobei besonders ein reales Training zusammen mit weniger ängstlichen Modellpersonen (das
sind die Klassenkameraden) erfolgversprechend ist.
Da schulängstliche Kinder häufig auch unterdurchschnittliche Schulleistungen
zeigen, sollten therapeutische Verfahren durch Maßnahmen zum Erwerb von Arbeits- und
Studiertechniken, auch durch Nachhilfeunterricht ergänzt werden, um Schülern in der Schule
zu häufigeren Erfolgserlebnissen zu verhelfen. In neueren verhaltenstherapeutischen Ansätzen
werden darüber hinaus zusätzlich stärker kognitive Aspekte betont, indem Motivation,
Einstellung und Denkprozesse in die Therapie einbezogen werden. Aufmerksamkeits- und
Selbstbehauptungstrainings können dazu beitragen, das Selbstvertrauen der Schüler zu steigern,
ihnen zur realistischen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten zu verhelfen und langfristig eine
Leistungssteigerung zu bewirken.
Im Rahmen personzentierter (= gesprächstherapeutischer) Ansätze kann das Kind in einer
emotional warmen Atmosphäre seine Gefühle und Probleme dem Psychologen mitteilen, fühlt
sich bedingungslos akzeptiert und verstanden und erlebt häufig so erstmals ein angstfreies
Gespräch über seine Probleme. Es wird sich ihrer bewusster und ist aufgeschlossener, sie zu
relativieren und Lösungsstrategien zu entwickeln.
Beim nicht-lenkenden (= nicht-direktiven) spieltherapeutischen Vorgehen steht als
therapeutisches Medium nicht so sehr das — bei jüngeren Kindern weniger angemessene —

103
教育心理学高级教程

systematische Gespräch, sondern das Spiel im Vordergrund. Hier richtet der Psychologe seine
ganze Aufmerksamkeit auf die Gefühle des Kindes, die sich im Spiel offenbaren. Außer in
wenigen, genau definierten Situationen (z. B. bei gröberen Regelverstößen) verhält er sich nicht-
lenkend (ohne allerdings vollständig gewähren zu lassen) und hilft so dem Schüler, seine Ängste
zu erkennen und sie spielerisch zu verarbeiten, was auch in Gruppensituationen möglich ist.
Nur der Vollständigkeit halber sei auch auf zwei der zahlreichen psychoanalytischen Versuche
hingewiesen. Manche Therapeuten schalten sich direkt in das Spiel ein und deuten seinen
Symbolgehalt, spiegeln die kindlichen Reaktionen und versuchen so, das Unbewusste bewusst zu
machen. Andere wollen die heilenden Kräfte des kindlichen Spiels nutzen, indem sie das Spiel
immer wieder aktiv anregen und vorwärtstreiben. Sie fühlen sich in das Spielgeschehen ein und
geben mit neuen Instruktionen neue Impulse.

104

Das könnte Ihnen auch gefallen