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Diabetologie
Diabetologie und Stoffwechsel

und Stoffwechsel
Supplement

S2
Heft S2 • Oktober 2021 • 16. Jahrgang • Seite S91 – S434

PRAXISEMPFEHLUNGEN DDG
Oktober 2021
Seite S91–S434
16. Jahrgang Praxisempfehlungen
der Deutschen
Diabetes Gesellschaft

Herausgegeben von
M. Kellerer
im Auftrag der DDG
This journal is listed in
Science Citation Index,
EMBASE and SCOPUS
CLINICAL PRACTICE RECOMMENDATIONS

Offizielles Organ
der Deutschen
Diabetes Gesellschaft ▪ Aktualisierte Version 2021
DDG-Praxisempfehlung

Diabetische Neuropathie

Autoren
Dan Ziegler1, Jutta Keller2, Christoph Maier3, Jürgen Pannek4

Institute Bibliografie
1 Institut für Klinische Diabetologie, Deutsches Diabetes- Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350
Zentrum an der Heinrich-Heine-Universität, Leibniz- DOI 10.1055/a-1515-9168
Zentrum für Diabetesforschung; Klinik für Endokrinologie ISSN 1861-9002
und Diabetologie, Universitätsklinikum Düsseldorf © 2021. Thieme. All rights reserved.
2 Medizinische Klinik, Israelitisches Krankenhaus, Hamburg Georg Thieme Verlag KG, Rüdigerstraße 14,
3 Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin, 70469 Stuttgart, Germany
Ruhr-Universität Bochum Zitierweise für diesen Artikel Diabetologie 2021;
4 Neuro-Urologie, Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil, 16 (Suppl 2): S336–S350. DOI:10.1055/a-1515-9168
Schweiz Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version des Artikels
Diabetologie 2019; 14 (Suppl 2): S243–S257. DOI:10.1055/a-
0899-0129

Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Dan Ziegler, FRCPE
Institut für Klinische Diabetologie,
Deutsches Diabetes-Zentrum an der Heinrich-Heine-
Universität, Auf’m Hennekamp 65, 40225 Düsseldorf,
Deutschland
dan.ziegler@ddz.de

Aktualisierungshinweis
Die DDG-Praxisempfehlungen werden regelmäßig zur zweiten Änderung 3: CRP statt BSG (S. S338)
Jahreshälfte aktualisiert. Bitte stellen Sie sicher, dass Sie jeweils Begründung: BSG ist veraltet
die neueste Version lesen und zitieren. Änderung 4: ▶ Abb. 1 Bewertung des NDS 3–5; 6–8; 9–10
(S. S343)
Begründung: Korrektur
Stützende Quellenangabe: Young MJ, Boulton AJ, MacLeod
I N H A LT L I CH E Ä N D E R U N G E N G E G E N Ü B E R D E R AF et al. A multicentre study of the prevalence of diabetic
VO R J A H R E S FA S S U N G peripheral neuropathy in the United Kingdom hospital clinic
Änderung 1: Bei Schmerzen, die nicht hinreichend auf die population. Diabetologia 1993; 36: 150–154
Pharmakotherapie ansprechen, ist die Indikation für eine elek-
trische Rückenmarkstimulation zu erwägen, die jedoch nur in
hierfür spezialisierten Zentren durchzuführen ist (S. S339).
Begründung: Zunehmende Evidenz Anmerkung
Stützende Quellenangabe: Petersen EA, Stauss TG, Scowcroft
JA et al. Effect of high-frequency (10-kHz) spinal cord stimula- Die Praxisempfehlung der DDG „Diabetische Neuropathie“ ent-
tion in patients with painful diabetic neuropathy: A randomized stand in enger Anlehnung an die Nationale VersorgungsLeitlinie
clinical trial. JAMA Neurol 2021; 78: 687–698. Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter, Langfassung,
Änderung 2: Anmerkung: Ein hoher Score im NSS muss nicht Version 1.2, 28. November 2011, basierend auf der Fassung von
zwangsläufig auf schwere Symptome hinweisen, sondern August 2011 [1, 2]:
kann Polyneuropathie-typische Symptome widerspiegeln; Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereini-
ferner können auch andere neuropathischen Symptome gung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizi-
vorkommen, die durch den NSS nicht erfasst werden, z. B. nischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitli-
Gangunsicherheit, Fremdkörper- oder Kältegefühl (S. S343). nie Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter – Langfassung.
Begründung: Ergänzung Version 1.2, 2011 [cited: 01.08.2012]. Available from: http://
www.diabetes.versorgungsleitlinien.de.

S336 Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
Internet: http://www.versorgungsleitlinien.de, http://www. Screening
awmf-leitlinien.de.
Das Screening auf DSPN soll folgende Daten und Untersuchungen
Im Juni 2016 wurde die NVL durch die Mitglieder der Leitlinien-
(immer bilateral) umfassen:
gruppe geprüft. Bis zur Fertigstellung der aktualisierten Version
▪ Anamnese mit persönlichen Grunddaten und diabetesspezifi-
(voraussichtlich Januar 2020) wurden mehrere Abschnitte „in
schen Daten (siehe H 3 „Basisdiagnostik“) sowie Erfassung von
Überarbeitung“ dargestellt (Nationale VersorgungsLeitlinie Neu-
Risikofaktoren, -indikatoren bzw. klinischen Korrelaten für die
ropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter – Langfassung. 1. Auf-
DSPN.
lage, 2011. Version 5. AWMF-Register-Nr.: nvl-001e. Available
▪ Erfassung neuropathischer Plus- und Minussymptome (z. B.
from: http://www.leitlinien.de/nvl/diabetes/neuropathie). Vorbe-
sensible Reizerscheinungen, Schmerzen, Krämpfe, Taubheits-
haltlich der Überarbeitung der NVL geben die in dieser Praxisemp-
gefühl), insbesondere anamnestische Erfassung von Schmerz-
fehlung überarbeiteten Abschnitte die Position der DDG wieder.
intensität, -lokalisation und schmerzauslösenden Situationen
(mithilfe validierter Fragebogen).
▪ Inspektion und klinische Untersuchung (Hautfarbe, trophische
Diabetische sensomotorische Polyneuropathie Störungen, Fußdeformität, Fußulkus, Verletzungen, Hauttem-
peratur).
Definition, Risikofaktoren und Komorbiditäten
▪ Screening auf Fußkomplikationen und pAVK (siehe NVL „Typ-2-
Die diabetische Neuropathie ist eine klinisch manifeste oder Diabetes Fußkomplikationen“).
subklinische Erkrankung der peripheren Nerven, die infolge eines ▪ Einfache neurologische Untersuchungsmethoden: Untersu-
Diabetes mellitus ohne andere Ursachen auftritt. Sie kann das so- chung der Achillessehnenreflexe, des Vibrationsempfindens
matische und/oder das autonome Nervensystem betreffen. Das mit der C64-Hz-Stimmgabel nach Rydel-Seiffer sowie des
Risiko für die distal-symmetrische diabetische sensomotorische Druck- und Berührungsempfindens mit dem 10-g-Monofila-
Polyneuropathie (DSPN) und autonome Neuropathie steigt mit ment. Ist eine der drei Untersuchungen pathologisch, dann soll
den folgenden Risikofaktoren, -indikatoren bzw. Komorbiditäten: die Basisdiagnostik (siehe „Basisdiagnostik“) erfolgen.
▪ Diabetesdauer
▪ Diabeteseinstellung (Hyperglykämie) Ein Screening auf sensomotorische und/oder autonome diabetische
▪ arterielle Hypertonie Neuropathie soll bei Menschen mit Typ-2-Diabetes zum Zeitpunkt
▪ periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) der Diagnosestellung eines Diabetes erfolgen und bei Menschen
▪ Mediasklerose vom Typ Mönckeberg mit Typ-1-Diabetes spätestens 5 Jahre nach Diagnosestellung.
▪ diabetische Retino- und Nephropathie
▪ Depression Basisdiagnostik
▪ viszerale Adipositas
Die Basisdiagnostik umfasst alle Untersuchungen, die beim nie-
▪ Hyperlipidämie
dergelassenen Allgemeinmediziner, Internisten oder Diabetolo-
▪ Alkohol, Nikotin
gen als Mindeststandard durchgeführt werden, um die Diagnose
▪ mangelnde körperliche Aktivität
einer sensomotorischen diabetischen Neuropathie zu stellen und
▪ demografische Faktoren (Alter, Körpergröße, Körpergewicht)
Risikopatienten frühzeitig zu erkennen. Darüber hinaus sollen
Komplikationen einer diabetischen Neuropathie (z. B. Fußkompli-
Eine DSPN ist in 85–90 % an der Ätiologie des diabetischen Fußsyn-
kationen) frühzeitig diagnostiziert und therapiert werden. Die
droms beteiligt und hat damit einen erstrangigen Stellenwert in der
Inspektion und klinische Untersuchung der Beine und Füße soll
Risikokonstellation für Fußulkus und Amputation. Weiterhin gilt sie
beidseits und seitenvergleichend erfolgen. Eine Diagnostik sollte
als wichtiger Prädiktor für kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität.
erfolgen bei allen symptomatischen Patienten, v. a. bei unklaren
Bei manifestem Diabetes Typ 1 und Typ 2 ist mit einer mittleren
Schmerzen oder anderen neuropathischen Symptomen, und bei
Prävalenz der DSPN um 30 % zu rechnen. Etwa 13–26 % der Men-
allen asymptomatischen Patienten, die in der Screeninguntersu-
schen mit Diabetes weisen eine schmerzhafte Neuropathie auf.
chung (siehe „Screening“) einen pathologischen Wert aufweisen.
Die Inspektion der Beine und Füße soll umfassen:
Verlaufsformen
▪ Haut: Farbe, Turgor, Rhagaden, Blasenbildung, subkutane
Aufgrund klinischer Kriterien können unterschiedliche Verlaufs- Einblutungen;
formen unterschieden werden: ▪ Hyperkeratosen und Kallusbildung;
▪ subklinische Neuropathie (keine Symptome und klinischen ▪ abgeheilte Fußläsionen, Hypo- bzw. Anhidrose;
Befunde, aber pathologische quantitative neurophysiologische ▪ Zeichen einer bakteriellen Infektion und/oder Mykose,
Tests) ▪ Fußdeformitäten (z. B. Neuroosteoarthropathie (DNOAP bzw.
▪ chronisch-schmerzhafte Neuropathie (häufig) Charcot-Arthropathie), Hammerzehen, Krallenzehen);
▪ akut-schmerzhafte Neuropathie (sog. Insulin-Neuritis) (selten) ▪ Fußulkus mit genauer Beschreibung von Lokalisation, Ausdeh-
▪ schmerzlose Neuropathie (häufig) nung und Begleitinfektion.
▪ fokale Neuropathien, z. B. diabetische Amyotrophie (selten)
▪ als Komplikation das diabetisch-neuropathische Fußsyndrom
mit Fußulkus, Neuroosteoarthropathie und Amputation

Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved. S337
DDG-Praxisempfehlung

Die klinische Untersuchung soll umfassen:


▪ Erhebung des peripheren Pulsstatus (Palpation der Fußpulse P R A X I S T O O LS (S . A N H A NG )
der A. tibialis posterior und der A. dorsalis pedis beidseits); ▶ Abb. 1: Neuropathie-Symptom-Score (NSS) und Neuropa-
▪ Prüfung der Hauttemperatur, des Hautturgors und der thie-Defizit-Score (NDS)
Schweißbildung; ▶ Tab. 1: Einfache neurologische Untersuchungsmethoden
▪ orientierende Erfassung von Fußdeformitäten als Hinweis auf zur Diagnose der sensomotorischen diabetischen
eine diabetische Neuroosteoarthropathie (DNOAP bzw. Char- Neuropathie.
cot-Arthropathie) sowie orientierende Erfassung der Muskel-
und Gelenkfunktion;
▪ Beurteilung des Gangs, optische und Tastkontrolle von Schu- Weiterführende Diagnostik
hen und Einlagen (Veränderungen am Ober- und Futtermate-
Wenn die auf Symptomen beruhende Verdachtsdiagnose einer
rial, übermäßige Abnutzung der Laufsohlen, Fußabdruck auf
diabetischen Neuropathie nicht durch die Basisuntersuchungen
der Einlage, Wundsekret auf der Einlage, Ermüdung des
gesichert werden kann, sollen spezifische Untersuchungen (Elek-
Polstermaterials).
troneurografie und vor allem bei Verdacht auf eine sog. Small-
Fiber-Neuropathie eine Quantitative Sensorische Testung) durch-
Akute Veränderungen an Haut, Weichteilen oder Gelenken mit oder
geführt werden. Dazu soll der Patient an einen mit den genannten
ohne Trauma sind richtungweisend für eine schwere Komplikation.
Methoden vertrauten Arzt überwiesen werden.
Daher soll in solchen Fällen eine Infektion oder eine diabetische Neu-
Bei ätiologisch unklaren oder bei therapieresistenten Schmer-
roosteoarthropathie (DNOAP bzw. Charcot-Arthropathie) ausge-
zen sollte ein in Schmerzdiagnostik und Schmerztherapie erfahre-
schlossen werden. Hinweisend auf eine Infektion ist das Vorliegen
ner Arzt einbezogen werden. Die Schmerzdokumentation sollte
einer Hautläsion (Eintrittspforte), nach der gesucht werden muss.
möglichst eine Angabe zur Stärke (Intensität) und zum subjek-
Subjektive Symptome können klinisch mit dem Neuropathie-
tiven Schweregrad bzw. zur Erträglichkeit (Tolerabilität) des
Symptom-Score (NSS) und der Schweregrad neuropathischer
Schmerzes umfassen sowie eine Dokumentation der schmerzaus-
Defizite mit dem Neuropathie-Defizit-Score (NDS) [3] oder dem
lösen Konstellationen (Ruheschmerz, evozierbare Schmerzen
Michigan Neuropathie-Screening-Instrument (MNSI) [4] erfasst
durch Berührung und/oder belastungsabhängige Schmerzen
werden (https://eprovide.mapi-trust.org/instruments/michigan-
[Stand, Gehen]). Letztere sind atypisch für eine schmerzhafte
neuropathy-screening-instrument#contact_and_conditions_
Neuropathie.
of_use). Ein NDS ≥ 3 oder MNSI ≥ 2,5 Punkte liefert Hinweise für
eine DSPN. Bestehen neuropathische Symptome (NSS ≥ 3) oder
Defizite (NDS ≥ 3 oder MNSI ≥ 2,5) allein, ist das Vorliegen einer
Wichtige Differenzialdiagnosen
DSPN möglich. Liegen neuropathische Symptome und Defizite Differenzialdiagnostisch kommen in Betracht: Medikamente (z. B.
vor, ist eine DSPN wahrscheinlich [5]. Zytostatika), Metalle, Toxine (z. B. Alkohol), Niereninsuffizienz,
Die Motorik wird getestet durch die Kontrolle der Spreizfähig- pAVK, Vitamin-B-Mangel (B1, B6, B12), Tumorleiden, Parapro-
keit der Zehen, die Widerstandsprüfung der Streckung (Zehen- teinämien, Infektionen (z. B. HIV, Borreliose), Vaskulitiden,
gang) sowie Beugung von Zehen (Krallen) und Füßen sowie die erbliche Neuropathien, Endokrinopathien (Hypothyreose, Akro-
Testung des Fersengangs. megalie), Immunneuropathien, Engpasssyndrome.
Liegen neuropathische Schmerzen vor, wird deren Intensität Zum differenzialdiagnostischen Ausschluss wird ein internisti-
mithilfe der numerischen Ratingskala (NRS: 11 Punkte) von 0 sches Minimalprogramm mit folgenden Laborparametern vorge-
(= kein Schmerz) bis 10 (= maximal vorstellbarer Schmerz) erfasst. schlagen: Blutbild, Kreatinin, CRP, TSH, Vitamin B12, Folsäure, Ala-
nin-Aminotransferase (ALAT), Gamma-GT, Immunelektrophorese.
Verlaufskontrollen Eine Überweisung zum Neurologen sollte erfolgen, wenn eine
oder mehrere der folgenden Befundkonstellationen zutreffen:
Die Intervalle der Kontrolluntersuchungen und ggf. erforderliche
▪ Überwiegen von motorischen statt sensiblen Ausfällen
weiterführende Diagnostik (s. u.) richten sich nach dem individu-
▪ rasche Entwicklung und Progredienz der Symptomatik
ellen Risiko. Wenn keine Neuropathie vorliegt, soll einmal jährlich
▪ stark ausgeprägte Asymmetrie der neurologischen Ausfälle,
ein Neuropathie-Screening durchgeführt werden. Ergibt sich aus
Mononeuropathie und Hirnnervenstörung
dem Screening der Verdacht auf das Vorliegen einer Neuropathie,
▪ Fortschreiten der Symptomatik trotz Optimierung der Stoff-
soll die Diagnose mithilfe der Methoden der Basisdiagnostik evtl.
wechsellage
unter Hinzuziehung der erweiterten Diagnostik gesichert werden.
▪ Beginn der Symptomatik an den oberen Extremitäten
Bei Verdacht auf oder bei Vorliegen einer diabetischen Neuropa-
▪ Nachweis anderer neurologischer Symptome, die über das
thie sollte, abhängig von der individuellen Krankheitssituation, zu-
diabetische polyneuropathische Syndrom hinausgehen
mindest eine halbjährliche Verlaufskontrolle der Neuropathie
▪ Familienanamnese einer Neuropathie
stattfinden. Liegen zusätzlich eine periphere arterielle Verschluss-
krankheit und/oder Fußdeformitäten vor, werden Untersuchungs-
Eine Überweisung zu einem schmerzmedizinisch erfahren Arzt sollte
abstände von drei Monaten empfohlen.
erfolgen, wenn die Schmerzätiologie unklar bleibt und/oder wenn die
unten beschriebene symptomatische Basisschmerztherapie nicht
ausreichend wirksam ist oder nicht toleriert wird.

S338 Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
Allgemeine Behandlungsstrategien und Prävention Leitsätze der medikamentösen Therapie bei schmerzhafter
diabetischer Polyneuropathie
Wichtige Therapieziele bei Patienten mit Typ-1- oder Typ-2-Di-
abetes sind die Verbesserung der Lebensqualität, die Kompetenz- 1. Die Therapie der schmerzhaften diabetischen Polyneuropa-
steigerung (Empowerment) der Betroffenen im Umgang mit ihrer thie ist symptomatisch, nicht ursächlich.
Erkrankung, die Vermeidung mikro- und makrovaskulärer Folge- 2. Die medikamentöse Therapie chronischer neuropathischer
erkrankungen (Retinopathie, Nephropathie), der Neuropathie Schmerzen bei Diabetes mellitus sollte möglichst früh begin-
und des diabetischen Fußsyndroms sowie die Prävention und The- nen, sofern die Lebensqualität beeinträchtigende Schmerzen
rapie von Symptomen der Erkrankung. Sowohl bei Patienten mit vorliegen.
Typ-1- als auch bei Patienten mit Typ-2-Diabetes sollen die Thera- 3. Die Schmerztherapie sollte nicht allein eine Schmerzlinderung
pieziele individualisiert werden. Sie hängen unter anderem ab von erreichen, sondern auch eine Verbesserung der Schlafqualität,
(Ko-)Morbidität, Alter und Lebenserwartung sowie von der der Mobilität und der allgemeinen Lebensqualität ermöglichen.
Lebensqualität der Betroffenen. 4. Die Wahl des Medikaments richtet sich nach der Wirksamkeit
Bei allen Formen und in allen Stadien der Neuropathie sollen und dem generellen Risikoprofil der Substanzen bei bekann-
die Patienten in Bezug auf Lebensgewohnheiten, Diabetesthera- ten oder potenziellen Komorbiditäten.
pie und Fußpflege beraten werden. Je nach Wunsch des Patienten 5. Daher sollten im Fall gleicher analgetischer Wirksamkeit
sollen entsprechende Therapeuten und nach Möglichkeit Ange- Medikamente bevorzugt werden, deren Organtoxizität und
hörige problembezogen eingebunden werden. Bei Patienten mit insbesondere deren Risiko für kardiovaskuläre und renale
Typ-1- und Typ-2-Diabetes soll eine an den individuellen Patienten Nebenwirkungen am niedrigsten sind.
und sein Komorbiditäts- und Risikoprofil angepasste Diabetesein- 6. Substanzen mit erhöhten renalen und kardiovaskulären
stellung erfolgen. Langzeitrisiken (z. B. NSAR, Coxibe) sind daher bei der Thera-
Eine frühzeitige Kontrolle der Stoffwechseleinstellung und pie neuropathischer Schmerzen im Rahmen des Diabetes
bestehender Risikofaktoren (z. B. Rauchen, übermäßiger Alkohol- mellitus nicht indiziert.
konsum, Bluthochdruck) bei Menschen mit Diabetes kann die 7. Die analgetische Wirksamkeit ist individuell zu erproben.
Progression einer diabetischen Neuropathie verhindern oder 8. Die individuell erforderliche Dosis ist bei Beachtung der
zumindest hinauszögern oder verlangsamen. Patienten mit diabeti- zugelassenen Höchstdosen individuell zu titrieren. Es ist die
scher Neuropathie soll empfohlen werden, Alkohol allenfalls in mo- minimale, aber noch wirksame Dosis anzustreben.
deraten Mengen zu konsumieren und das Rauchen aufzugeben. 9. Die Wirksamkeit einer Pharmakotherapie sollte bei Erreichen
Patienten mit DSPN und Sensibilitätsverlust mit oder ohne einer adäquaten Dosis frühestens nach zwei Wochen beur-
Deformitäten/Dysproportionen an den Füßen sollen eine leitlini- teilt werden. Analgetisch unwirksame Medikamente sollten
engerechte Schuhversorgung erhalten. nicht weiter verschrieben werden.
10. Analgetikakombinationen sind nur empfehlenswert, wenn sie
Schmerztherapie individuell die Wirksamkeit verbessern und/oder das Risiko
durch eine Dosisreduktion der Einzelkomponenten verringert
Falls sich Patienten mit DSPN in ihrem täglichen Leben nicht
wird.
beeinträchtigt fühlen, ist es nicht notwendig, ihre Symptome zu
11. Psychopharmaka ohne analgetische Potenz sind für die
behandeln. Eine Schmerzanalyse ist die Voraussetzung für eine er-
Schmerztherapie nicht indiziert. Kombinationspräparate mit
folgreiche individuelle Schmerztherapie. Die medikamentöse
Koffein, Benzodiazepinen oder Muskelrelaxanzien sind nicht in-
Therapie ist symptomatisch. Sie sollte durch nichtmedikamentöse
diziert und bergen die Gefahr von Missbrauch und Abhängigkeit.
Maßnahmen unterstützt werden. Vor Einleitung einer medika-
mentösen Therapie soll eine ausführliche Medikamentenanamne-
Als realistische Ziele einer medikamentösen Therapie bei neuropa-
se erhoben werden. Die Wahl der Pharmakotherapie bei DSPN soll
thischen Schmerzen sind in der Regel anzustreben:
unter Berücksichtigung häufiger Komorbiditäten und Kontraindi-
1. Eine Schmerzreduktion um 30–50 % auf der 11 Punkte visuel-
kationen erfolgen. Nicht invasive, nicht pharmakologische Thera-
len Analogskala (VAS) oder der Numerischen Ratingskala
pieoptionen wie Psychotherapie/Verhaltenstherapie, transkutane
(NRS),
elektrische Nervenstimulation (TENS), Muskelstimulation (sog.
2. eine Verbesserung des Schlafs,
Hochtontherapie) oder Akupunktur können im Sinne einer multi-
3. eine Verbesserung der Lebensqualität,
modalen Schmerztherapie einbezogen werden. Bei Patienten mit
4. die Erhaltung sozialer Aktivitäten und der sozialen Teilhabe,
neuropathischen Schmerzen, die nach spätestens 12 Wochen
5. die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit.
Therapie keine ausreichende Schmerzlinderung zeigen und deren
Lebensqualität durch diese Schmerzen eingeschränkt ist, soll zur
Die genannten Therapieziele müssen mit dem Patienten vor
weiterführenden Therapie ein in der Schmerztherapie erfahrener
Beginn und im Verlauf der Therapie besprochen werden, um zu
Arzt hinzugezogen werden. Bei Schmerzen, die nicht hinreichend
hoch gesteckte Ziele oder Erwartungen zu verhindern. So werden
auf die Pharmakotherapie ansprechen, ist die Indikation für eine
Enttäuschungen vermieden, aus denen eine Schmerzverstärkung
elektrische Rückenmarkstimulation zu erwägen, die jedoch nur in
resultieren kann.
hierfür spezialisierten Zentren durchzuführen ist.

Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved. S339
DDG-Praxisempfehlung

Klinisch findet sich zumeist ein heterogenes Muster von Sympto-


P R A X I S T O O LS (S . A N H A NG ) men verschiedener Organsysteme, was zu Fehlinterpretationen
▶ Abb. 2: Algorithmus zur Pharmakotherapie der schmerzhaf- führen kann (s. Praxistools, ▶ Tab. 3).
ten diabetischen sensomotorischen Neuropathie. Beim Nachweis einer sensomotorischen diabetischen Neuropa-
thie muss wegen einer Koinzidenz von etwa 50 % für eine KADN im-
mer auch an mögliche Manifestationen einer ADN gedacht werden.
Ebenso bestehen Beziehungen zwischen ADN und anderen chroni-
Autonome diabetische Neuropathie schen diabetischen Komplikationen (Retinopathie, Nephropathie).
Das Vorgehen bei der Diagnostik entspricht grundsätzlich dem bei
Klassifikation und Prognose der sensomotorischen Neuropathie (s. o.). Hinzu kommen: kardiovas-
kuläre autonome Funktionstests und organspezifische Untersuchun-
Die autonome diabetische Neuropathie (ADN) ist neben der sen-
gen in Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen (▶ Tab. 3). Die
somotorischen diabetischen Neuropathie die häufigste Form von
Basisdiagnostik umfasst alle Untersuchungen, die beim niedergelas-
Störungen am peripheren Nervensystem. Symptomatische Mani-
senen Allgemeinmediziner, Internisten oder betreuenden Diabetolo-
festationen lassen sich von asymptomatischen nur durch Funk-
gen als Mindeststandard durchgeführt werden. Die weiterführende
tionstests unterscheiden. Grundsätzlich kann die ADN jedes auto-
Diagnostik erfolgt durch den Spezialisten, z. B. durch Neurologen/
nom innervierte Organ betreffen. Die Einteilung der ADN erfolgt
Kardiologen zur Synkopenabklärung, durch Gastroenterologen bei
entsprechend den betroffenen Organen und Funktionssystemen
gastrointestinalen und durch Urologen bei urogenitalen Störungen.
nach klinisch-phänomenologischen Kriterien.
Für die Pathogenese der ADN werden prinzipiell die gleichen
Kardiovaskuläre autonome Neuropathie (KADN)
Pathomechanismen und Risikofaktoren diskutiert wie für die sen-
somotorische diabetische Neuropathie. Eine KADN ist bei ca. 20 % der Patienten mit Diabetes anzutreffen
Es besteht heute kein Zweifel darüber, dass eine ADN erhebliche [6] und weist als frühes Zeichen einer vagalen Schädigung eine
Konsequenzen hinsichtlich einer reduzierten Lebenserwartung, Ri- Verminderung der Herzfrequenzvariabilität (HRV) auf, die häufig
sikoabschätzung für Endorganschäden und einer eingeschränkten vor Manifestation klinischer Symptome am kardiovaskulären
Lebensqualität hat. Bei Patienten mit kardiovaskulärer autonomer System und an anderen Organsystemen nachweisbar ist. Fortge-
diabetischer Neuropathie (KADN), diagnostiziert anhand von schrittene KADN-Stadien weisen eine Erhöhung der Ruheherzfre-
≥ 2 Tests, ist das Sterberisiko im Vergleich zu Patienten ohne quenz (vorwiegend Vagusläsion) und eine orthostatische Hypoto-
KADN im Lauf von bis zu 16 Jahren um den Faktor 3,5 erhöht [6]. nie (vorwiegend Sympathikusläsion) auf.
Entsprechend den Empfehlungen der Konsensuskonferenz von
Screening Toronto [6] sind zur Diagnose und Verlaufskontrolle mindestens
zwei autonome Reflextests zur Erfassung einer kardialen autono-
Geeignete Testverfahren für ein Screening auf eine autonome dia-
men diabetischen Neuropathie erforderlich: die Herzfrequenzvaria-
betische Neuropathie gibt es nicht. Folgende Symptome können
bilität (HRV) sowie der Orthostase-Test. Die Basisdiagnostik um-
jedoch für diese hinweisend sein, wenn auch mit geringer Spezifi-
fasst daher die Messung der HRV unter tiefer Atmung und nach
tät und Sensitivität. Sie sollen zu den Screeningintervallen im
Lagewechsel sowie die Blutdruckänderung im Orthostase-Test.
Rahmen einer Früherkennung erfasst werden [7]:
Daraus ergeben sich folgende diagnostische Konstellationen:
▪ Ruhetachykardie
1. ein abnormer HRV-Test: mögliche oder frühe KADN, die im
▪ Störungen im gastrointestinalen Bereich (dyspeptische
Verlauf zu bestätigen ist;
Symptome, Obstipation, Diarrhoe, Stuhlinkontinenz)
2. mindestens zwei abnorme HRV-Tests: definitive oder bestätigte
▪ Blasenfunktionsstörungen, sexuelle Funktionsstörungen
KADN;
▪ gestörte Hypoglykämiewahrnehmung
3. zusätzlich zu abnormen HRV-Tests auftretende orthostatische
▪ Schweißsekretionsstörungen
Hypotonie: schwere oder fortgeschrittene KADN.
▪ anderweitig nicht begründete Blutglukoseschwankungen

Mit dem Survey of Autonomic Symptoms (SAS) wurde ein einfa-


cher Fragebogen mit 12 Fragen für autonome Symptome validiert 1 . H E R Z F R E Q U E N Z VA R I A B I L I TÄT UN T E R T I E F E R
[8, 9] (▶ Tab. 2). Prospektive Studien zur weiteren Validierung AT M UN G → UNTERS UCH UNG SABL AU F
sind jedoch erforderlich, um die Aussagekraft des SAS in der Bei Testung der HRV unter tiefer Respiration atmet der liegende
Praxis abschließend beurteilen zu können. Proband über 1–2 min mit einer Frequenz von 6 Zügen/Minute.
Die Dauer der Inspiration und Exspiration beträgt jeweils 5 Se-
Diagnostik kunden. Es wird der Atemzyklus mit dem längsten R-R-Intervall
während der Exspiration (R-Rmax) und dem kürzesten R-R-In-
Die Symptome einer autonomen Dysfunktion sollen bei der
tervall während der Inspiration (R-Rmin) ermittelt und der Quo-
Anamneseerhebung abgefragt werden, v. a. im Hinblick auf die
tient (RRmax)/(R-Rmin) als sog. E/I-Quotient berechnet.
notwendige Differenzialdiagnose und die Möglichkeiten einer
Normwerte: Alter 20–30 Jahre: ≥ 1,12; 31–49 J.: ≥ 1,11; 50–
symptomatischen, organspezifischen Therapie. Das Vollbild einer
69 J.: 1,10; ≥ 70 J.: ≥ 1,09.
symptomatischen ADN mit Multiorganbefall tritt nur selten auf.

S340 Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
matik zu entscheiden, ob eine Überweisung zur weiterführenden
2. HE R Z FR E Q UE N Z VAR I AB IL I TÄT N AC H L AGE W EC H - Diagnostik (z. B. an einen gastroenterologisch erfahrenen Arzt)
SE L → UNTE RSUCH UNG SAB L AU F unmittelbar oder erst nach einem erfolglosen Therapieversuch
Unter EKG-Dokumentation erhebt sich der bislang liegende eingeleitet wird.
Proband und stellt sich neben die Untersuchungsliege. Die Eine besondere Verantwortung liegt in dem anspruchsvollen
Aufzeichnung beginnt mit dem Moment des aktiven Aufste- Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen, weil zahlreiche
hens. Als Testparameter wird der Maximum/Minimum- schwerwiegende gastrointestinale Erkrankungen sich gerade in
30:15-Quotient definiert als das längste R-R-Intervall zwi- ihren Frühstadien nur durch geringe und/oder unspezifische
schen Schlag 20 und 40, geteilt durch das kürzeste R-R-Inter- Symptome manifestieren können. Beispiele dafür sind sämtliche
vall zwischen Schlag 5 und 25 nach dem Aufstehen. Normwer- gastrointestinalen Malignome, aber auch Erkrankungen wie die
te: Alter 20–49 Jahre: ≥ 1,10; 50–79 J.: ≥ 1,09; ≥ 80 J.: ≥ 1,08. Zöliakie und das peptische Ulkus.

Autonome Neuropathie am Urogenitaltrakt


Die diabetische Zystopathie wird als eine primär neurogene sen-
3 . O R T H OST A S E-T E S T → UNTERS UCH UNGSA BL AU F somotorische Schädigung aufgefasst. Im Rahmen der Basisdiag-
Beim Orthostase-Test wird der Blutdruck zweimal innerhalb ei-
nostik sollte jeder Patient mit Diabetes regelmäßig gezielt nach
ner Minute im Liegen gemessen, anschließend direkt nach ak-
Miktionsstörungen (Miktionsfrequenz, Restharn, Harnwegsinfek-
tivem Aufstehen und danach alle 30 Sekunden über 3 Minuten.
te, Harnstrahlabschwächung, Notwendigkeit der Bauchpresse, In-
Normwert für den systolischen Blutdruckabfall: ≤ 27 mmHg.
kontinenz) und der Zufriedenheit im Sexualleben befragt werden.
Andere Fachgesellschaften haben zur Diagnose einer orthosta-
Weiterhin sollte eine Medikamentenanamnese zum Erkennen
tischen Hypotonie bereits einen systolischen Blutdruckabfall ab
unerwünschter Wirkungen der Medikation auf den Harntrakt
20 mmHg zusammen mit Orthostasesymptomen empfohlen.
erfolgen. Als wesentlicher Bestandteil der Basisdiagnostik sollte
ein Miktionstagebuch (Miktionsfrequenz, Miktionsvolumina und
Trinkmenge) über 48 Stunden geführt werden. Bei Änderung der
anamnestischen Angaben sollte das Führen eines Miktionstage-
Als weiterführende Diagnostik werden bei allen symptomatischen
buchs wiederholt werden. Die Anamnese sollte bei asymptomati-
Patienten, bei denen die Basisdiagnostik zu keinem eindeutig pa-
schen Patienten jährlich erfolgen.
thologischen Befund geführt hat, computergestützte Tests durch
Die Basisdiagnostik bei sexuellen Funktionsstörungen besteht
den Spezialisten durchgeführt. Sie dienen neben der Sicherung
in der gezielten anamnestischen Exploration bei Frau und Mann.
der Diagnose der Feststellung des Schweregrads und der Risiko-
Bei belastenden Störungen im Sexualleben soll eine genauere
abschätzung bzw. Prognose der KADN.
Abklärung erfolgen, bei Männern mithilfe des IIEF5-Fragebogens
(International Index of Erectile Function-5) [10] (s. Praxistools,
Autonome Neuropathie am Gastrointestinaltrakt
▶ Tab. 4, 5).
Störungen des Verdauungstrakts treten bei Patienten mit Diabe- Bei Miktionsbeschwerden, erhöhten Restharnwerten (> 20 %
tes mellitus gehäuft auf. Sie führen zu einer signifikanten Beein- der Blasenkapazität bzw. > 100 ml) und/oder rezidivierenden
trächtigung der Lebensqualität und erfordern eine differenzialdi- Harnwegsinfekten (mehr als drei Harnwegsinfekte pro Jahr) sollte
agnostische Abklärung. Im Rahmen der Basisdiagnostik soll eine eine fachärztlich-urologische Untersuchung initiiert werden.
ausführliche Anamnese erfolgen, in der folgende Symptome und
Befunde gezielt erfragt werden: gastrointestinale Symptome ein- Perioperative Betreuung
schließlich Dysphagie/Odynophagie, abdominelle Schmerzen,
Patienten mit KADN weisen im Vergleich zu Patienten ohne diese
Übelkeit, Erbrechen, Völlegefühl, Blähungen, Diarrhoe, Obstipa-
Komplikation eine erhöhte perioperative Morbidität und Mortali-
tion, Stuhlinkontinenz oder Blut im Stuhl; Dauer und mögliche
tät auf. Als einfache präoperative Maßnahmen bei elektiven Ein-
Progredienz gastrointestinaler Symptome; Vorliegen von B-Symp-
griffen zur Detektion einer relevanten autonomen Neuropathie
tomen (Fieber, Schwäche, Gewichtsverlust) und Bedeutung der
sollen durchgeführt werden: Anamnese mit persönlichen Grund-
Beschwerden für die Lebensqualität.
daten und diabetesspezifischen Daten sowie Erfassung von Risiko-
Ein Ausschluss struktureller und infektiöser Erkrankungen
faktoren und -indikatoren bzw. von klinischen Korrelaten für sen-
sollte erfolgen bei allen Beschwerden, die progredient verlaufen
somotorische und autonome diabetische Neuropathien,
oder mit Warnsymptomen einhergehen (z. B. Blutung, Anämie,
körperliche Untersuchung sowie Auswertung von Vorbefunden
frühe Sättigung, ungeklärter Gewichtsverlust > 10 %, Dysphagie/
einschließlich früherer Narkoseprotokolle. Patienten mit diabeti-
Odynophagie, anhaltendes Erbrechen, Familien- oder Eigenanam-
scher Neuropathie sollten auch bei großen operativen Eingriffen
nese mit gastrointestinalen Tumoren, frühere peptische Ulzera,
nicht zwangsläufig ein erweitertes hämodynamisches Monitoring
Lymphknotenvergrößerungen, tastbare Resistenzen, Malnutriti-
erhalten. Ebenso wie Patienten ohne Neuropathie dürfen Patien-
on, Blut im Stuhl, paradoxe Diarrhoen, Alter > 50 Jahre), wenn die-
ten mit autonomer diabetischer Neuropathie bis sechs Stunden
se neu aufgetreten sind und noch keine adäquate Diagnostik
vor Narkoseinduktion feste Nahrung und bis zwei Stunden vor
stattgefunden hat. Bei länger als 4 Wochen andauernden Be-
Narkoseinduktion klare Flüssigkeiten zu sich nehmen.
schwerden, die subjektiv belastend sind, ist anhand der Sympto-

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lung der Ernährung angeraten werden, d. h. kleine, über den Tag


P R A X I S T O O LS (S . A N H A NG ) verteilte Mahlzeiten mit Vermeidung rasch resorbierbarer Kohlen-
▶ Tab. 2: Survey of Autonomic Symptoms (SAS) zum Scree- hydrate. Patienten mit einer diabetischen Gastroparese soll eine
ning auf autonome Symptome Umstellung der Ernährung angeraten werden, d. h. kleine, über
▶ Tab. 3: Klinisch wichtige Manifestationen, zugeordnete den Tag verteilte Mahlzeiten mit reduzierter Fettzufuhr und wenig
Diagnostik und spezielle Therapie der autono- Ballaststoffen. Allgemeine Maßnahmen wie das gründliche Kauen
men Neuropathie bei Diabetes mellitus. und eine aufrechte Körperhaltung (für mind. 30 Min.) nach dem
▶ Tab. 4, 5: Der IIEF-5 (International Index of Erectile Func- Essen sollen empfohlen werden. Bei unzureichendem Erfolg kön-
tion) Fragebogen/Interpretation der im IIEF-5 er- nen Prokinetika versucht werden. Die Zulassung von Metoclopra-
reichten Punkte zur Diagnose einer erektilen Dys- mid und Domperidon wurde eingeschränkt, sodass die Gabe als
funktion. Prokinetika einen Off-Label-Use darstellt. Bei einem Off-Label-
Use müssen folgende Kriterien berücksichtigt werden: (1) nach-
gewiesene Wirksamkeit, (2) günstiges Nutzen-Risiko-Profil,
Therapie (3) fehlende Alternativen – Heilversuch. Die Behandlungsmöglich-
keiten bei symptomatischen gastrointestinalen Störungen sind in
Die o. g. Grundsätze der allgemeinen Behandlungsstrategien und
▶ Tab. 3 genannt.
Prävention bei der diabetischen sensomotorischen Neuropathie
Die Behandlung von Blasenfunktionsstörungen (diabetische
gelten gleichermaßen für die autonomen Neuropathien. Zur Phar-
Zystopathie) soll die subjektiven Beschwerden der Betroffenen
makotherapie der symptomatischen autonomen diabetischen
bessern (z. B. Miktionsbeschwerden, Harnwegsinfekte). Da ein
Neuropathie ist anzumerken, dass nur wenige größere kontrollier-
Teil der möglichen Folgen einer diabetischen Zystopathie (z. B.
te Studien vorliegen (Ausnahme: erektile Dysfunktion), sodass
Restharnbildung mit nachfolgender Schädigung des oberen Harn-
sich einige Empfehlungen zusätzlich auf Evidenz aus Untersu-
trakts) asymptomatisch oder mit nur sehr diskreten Symptomen
chungen bei Patienten ohne Diabetes mit entsprechenden Symp-
verlaufen kann, ist eine subtile Anamnese mit gezieltem Anspre-
tomen beziehen (s. Praxistools, ▶ Tab. 3).
chen der möglichen Beschwerden Voraussetzung für das Erken-
Bei der KADN sollten die über physikalische Maßnahmen hi-
nen dieser Folgen, die Vermeidung von Komplikationen und die
nausgehenden Therapieoptionen nicht außerhalb von Einrichtun-
gezielte Therapie. Verhaltensstrategien wie „timed voiding“ (Mik-
gen mit Kompetenz in der Behandlung der KADN durchgeführt
tion nach der Uhr) oder „double voiding“ (zwei Blasenentleerun-
werden. Betablocker mit intrinsischer sympathomimetischer Akti-
gen innerhalb kurzer Zeit) können als Erstmaßnahme durchge-
vität (z. B. Pindolol) und trizyklische Antidepressiva in antidepres-
führt werden, da eine Verbesserung der Blasenentleerung ohne
siv wirksamer Dosierung (z. B. Amitriptylin, Imipramin) sollten bei
medikamentöse oder operative Intervention möglich ist. Insge-
Patienten mit KADN aufgrund ihres ungünstigen Einflusses auf die
samt sind die Symptome und die Folgen der diabetischen Zysto-
HRV und der erhöhten Gefahr von Herzrhythmusstörungen nicht
pathie durch eine medikamentöse Therapie nur eingeschränkt
gegeben werden.
beeinflussbar. Bei einer instabilen Stoffwechselsituation und bei
Manifeste Störungen des Gastrointestinaltrakts sollen symp-
manifesten diabetischen Folgeerkrankungen sind Harnwegsinfek-
tomorientiert und nach den auch für Menschen ohne Diabetes
tionen bei Menschen mit Diabetes mellitus als kompliziert zu wer-
mellitus gültigen Vorgaben therapiert werden. Dabei gilt, dass
ten. Bei diesen komplizierten Harnwegsinfekten wird eine Thera-
diabetesspezifische Risiken und Kontraindikationen berücksich-
piedauer von mindestens 7 Tagen empfohlen.
tigt werden müssen. Messbare gastrointestinale Funktionsstörun-
Die symptomatische Pharmakotherapie an verschiedenen
gen, die weder mit subjektiven Beschwerden noch mit relevanten
Organ- und Funktionssystemen (s. Praxistools, ▶ Tab. 3) ist in der
morphologischen Veränderungen oder mit einer Beeinträchti-
Regel durch die entsprechenden Spezialisten im Rahmen der
gung der Stoffwechselsituation verbunden sind, sind nicht be-
interdisziplinären Zusammenarbeit einzuleiten.
handlungsbedürftig. Patienten mit diabetischer Gastropathie in
Form einer beschleunigten Magenentleerung sollte eine Umstel-

S342 Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
Praxistools

3–5
6–8
9 – 10

▶ Abb. 1 Diagnosekriterien für die sensomotorische diabetische Neuropathie. Quelle: Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereini-
gung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Neuropathie
bei Diabetes im Erwachsenenalter – Langfassung, 1. Auflage. Version 5. 2011. Available from: www.dm-neuropathie.versorgungsleitlinien.de;
DOI: 10.6101/AZQ/000302. [rerif]
Anmerkung: Ein hoher Score im NSS muss nicht zwangsläufig auf schwere Symptome hinweisen, sondern kann Polyneuropathie-typische
Symptome widerspiegeln; ferner können auch andere neuropathischen Symptome vorkommen, die durch den NSS nicht erfasst werden, z. B.
Gangunsicherheit, Fremdkörper- oder Kältegefühl.

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▶ Tab. 1 Einfache neurologische Untersuchungsmethoden zur Diagnose der sensomotorischen diabetischen Neuropathie (Durchführung immer
bilateral) [1, 2].

Qualität Untersuchung Befunde bei sensomotorischer diabetischer


Polyneuropathie

Schmerzempfindung ▪ mit Zahnstocher, Einmalnadel oder Neu- bds. gliederabschnittsweise Begrenzung (z. B. socken- oder
rotip strumpfförmig)
▪ Es sollte gefragt werden: „Ist es
schmerzhaft?“ (nicht: „Können Sie die
Nadel fühlen?“)
Berührungsempfindung z. B. mit Wattebausch bds. gliederabschnittsweise Begrenzung (z. B. socken- oder
strumpfförmig)
Druck- und Berührungsempfindung 10-g-Monofilament an der Plantarseite des positiver Screeningtest: fehlende Empfindung an zumindest
Metatarsale 1–2; plantar distal an der einer Hautstelle
Großzehe; ggfs. zusätzlich an der Basis des
Metatarsale 3 und 5. Cave: Untersuchung
an nicht verhornten Stellen durchführen.
Temperaturempfindung ▪ mit kaltem Metall (z. B. Stimmgabel), bds. gliederabschnittsweise Begrenzung (z. B. socken- oder
eiswassergekühltem Reagenzglas oder strumpfförmig)
TipTherm
Vibrationsempfindung mit C64-Hz- ▪ zunächst am Großzehen-Interphalangeal- ▪ untere Normgrenze am Großzehen-Interphalangealgelenk:
Stimmgabel (nach Rydel-Seiffer) gelenk; falls Vibrationsempfindung ▪ für Alter bis 39 Jahre 5/81
bds. = 0/8, Untersuchung einer proxi- ▪ für Alter 40–59 Jahre 4,5/81
malen Stelle (Malleolus medialis) ▪ für Alter 60–74 Jahre 4/81
▪ für Alter ≥ 75 Jahre 3,5/81
Muskeleigenreflexe Achilles- und Patellarsehnenreflex
bds. Minderung oder Aufhebung der Auslösbarkeit

1
Untere Normgrenzen für Vibrationsempfindung [11].

S344 Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
Paent mit diabescher
sensomotorischer Polyneuropathie

nein keine Therapie


Schmerzen?
notwendig
ja
Individualisierter
Behandlungsplan
nach Schmerzanalyse und

Chronische leichte bis Chronische starke


Schmerzen moderate Schmerzen Schmerzen

Zeitlich begrenzter
Therapieversuch mit
Monotherapie2 mit TZA3 oder
Paracetamol (max. 3 g/Tag) Duloxen oder Pregabalin oder
oder Metamizol (max. 4 Gabapenn oder Capsaicin 8 %
g/Tag) Pflaster oder α-Liponsäure4 oder
(Empfehlungsgrad 0) Tramadol5
(wenn Opioide indiziert)
(Empfehlungsgrad B)

Bei fehlender / Bei fehlender /


unzureichender unzureichender
Wirkung Wirkung1

2,6 Wechsel auf eine Opioide


Bei guter Verträglichkeit andere Substanz in (Empfeh-
Monotherapie (s.o.)
Dosissteigerung der Monotherapie- lungsgrad 0)
untereinander oder mit
Opioid gruppe7

Bei fehlender /
Bei fehlender / Bei fehlender /
unzureichender
unzureichender unzureichender
Wirkung1
Wirkung1 Wirkung1

Wechsel innerhalb

1
Erhaltungstherapie versucht werden.
2
.
3
vorzugsweise Amitriptylin.
4
alternav ggf. Benfoamin.
5
alternav ggf. Tilidin erwägen.
6

Tramadol, starke Opioide) sollen jeweils nicht miteinander kombiniert werden.


7
ggf. Natriumkanalblocker oder Cannabinoide erwägen.

▶ Abb. 2 Algorithmus zur Pharmakotherapie der schmerzhaften diabetischen sensomotorischen Neuropathie. Daten modifiziert nach Quelle:
Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesell-
schaften (AWMF). Nationale. VersorgungsLeitlinie Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter – Langfassung, 1. Auflage. Version 5. 2011.
Available from: www.dmneuropathie.versorgungsleitlinien.de; DOI: 10.6101/AZQ/000 302. [rerif]

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▶ Tab. 2 Survey of Autonomic Symptoms (SAS) zum Screening auf autonome Symptome. Quelle: [9]

Symptom/Gesundheitsproblem Frage 1a: Frage 1b:


Hatten Sie eine der folgenden Gesund- Wenn Sie bei Frage 1a mit ja geantwortet haben,
heitsbeschwerden während der letzten was würden Sie sagen, wir stark Sie diese Symp-
6 Monate? tome stören?
(1 = ja; 0 = nein) (1 = überhaupt nicht; 2 = ein bisschen; 3 = etwas;
4 = mäßiges Ausmaß; 5 = stark)

1. Haben Sie ein Gefühl von Blutleere im Kopf? 1 0 1 2 3 4 5


2. Haben Sie einen trockenen Mund oder trockene 1 0 1 2 3 4 5
Augen?
3. Sind ihre Füße blass oder bläulich? 1 0 1 2 3 4 5
4. Sind ihre Füße kälter als der Rest Ihres Körpers? 1 0 1 2 3 4 5
5. Ist das Schwitzen an Ihren Füßen im Vergleich 1 0 1 2 3 4 5
zum restlichen Körper verringert?
6. Ist das Schwitzen an ihren Füßen verringert 1 0 1 2 3 4 5
oder fehlend (beispielsweise nach körperlicher
Aktivität oder bei heißem Wetter)?
7. Ist das Schwitzen an Ihren Händen im Vergleich 1 0 1 2 3 4 5
zum restlichen Körper erhöht?
8. Haben Sie Übelkeit, Erbrechen oder Blähungen 1 0 1 2 3 4 5
nach dem Essen einer kleinen Mahlzeit?
9. Haben Sie ständigen Durchfall (mehr als 3-mal 1 0 1 2 3 4 5
weichen Stuhlgang pro Tag)?
10. Haben Sie ständig Verstopfung (weniger als 1 0 1 2 3 4 5
1 Stuhlgang jeden zweiten Tag)?
11. Haben Sie Harnverlust? 1 0 1 2 3 4 5
12. Haben Sie Schwierigkeit, eine Erektion zu 1 0 1 2 3 4 5
bekommen (Männer)?

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▶ Tab. 3 Klinisch wichtige Manifestationen, zugeordnete Diagnostik und spezielle Therapie der autonomen diabetischen Neuropathie bei Diabetes
mellitus. Quelle: [2, 7].

Organmanifestationen und Klinik Untersuchungsmethoden Therapie

kardiovaskuläres System
▪ Ruhetachykardie Basisdiagnostik kardiovaskuläre autonome Neuropathie
▪ reduzierte Herzfrequenzvariabilität ▪ HRV unter tiefer Respiration und nach ▪ im Allgemeinen keine spezielle Behandlung
▪ orthostatische Hypotonie Lagewechsel notwendig (wichtig: Diagnose und Therapie
▪ Belastungsintoleranz (inadäquater Anstieg ▪ Orthostasetest koronarer Herzkrankheit und Herzinsuffizienz)
von Herzfrequenz und Blutdruck unter weiterführende Diagnostik ▪ bei Sinustachykardie kardioselektive
Belastung) Autonome Funktionstests (Testbatterie): β-Rezeptorenblocker
▪ perioperative Instabilität mit vermehrten ▪ HRV in Ruhe (Frequenz- und Zeitbereich) orthostatische Hypotonie
Blutdruck- und Frequenzabfällen ▪ Expirations-/Inspirationsquotient unter tiefer ▪ allgemeine Maßnahmen: liberalisierte Koch-
▪ verminderte bzw. fehlende Wahrnehmung Respiration salzzufuhr, körperliches Training, Kompres-
von Myokardischämien unter Belastung ▪ max/min 30:15-Quotient sionsstrümpfe, Beachtung hypoton wirken-
▪ stummer bzw. symptomarmer Myokard- ▪ Valsalva-Quotient (Valsalva-Manöver) der Pharmaka
infarkt ▪ Orthostase-Test ▪ blutdrucksteigernd wirksame Medikamente
▪ QTc-Verlängerung 24-h-HRV ggf. Synkopenabklärung mit kurzer Halbwertszeit (Midodrin)
▪ plötzlicher Herztod ▪ Fludrocortison (Beginn mit niedriger Dosis)
Gastrointestinaltrakt
alle gastrointestinalen Manifestationen Basisdiagnostik am GI-Trakt:
▪ Anamnese
▪ Ausschluss struktureller und infektiöser
Erkrankungen
Dysphagie und Refluxerkrankung weiterführende Diagnostik: Dysphagie:
Stufe 1: Allgemeinmaßnahmen Prokinetika in
▪ Ösophagogastroduodenoskopie Einzelfällen
▪ ggf. auch sonstige bildgebende Untersuchungen Reflux:
Stufe 2: Protonenpumpeninhibitoren
▪ Ösophagusmanometrie
▪ 24-h-pH-Metrie mit/ohne Impedanzmessung
diabetische Gastropathie (dyspeptische Stufe 1: Gastroparese (Gastropathie):
Symptome, postprandiale Hypoglykämie) ▪ Ösophagogastroduodenoskopie ▪ Ernährungsmodifikation: häufige kleine
▪ Abdomensonografie Mahlzeiten, ballaststoffarm, fettreduziert
▪ ggf. sonstige bildgebende Untersuchungen ▪ Anpassung des Spritz-Ess-Intervalls
▪ Laboruntersuchungen ▪ Prokinetika (alle Off-Label): Metoclopramid,
Stufe 2: Domperidon, ggf. Prucaloprid, Erythromycin
▪ Magenentleerungsszintigrafie bei schweren refraktären Symptomen
▪ 13C-Oktansäure-Atemtest ▪ Bei Bedarf Antiemetika ergänzen zur sympto-
matischen Therapie von Übelkeit und Erbre-
chen (Antihistaminika, 5-HT3-Antagonisten)
▪ ggf. gastrale Neurostimulation („Magen-
schrittmacher“)
▪ Jejunalsonde
▪ parenterale Ernährung
diabetische Cholezystopathie Laboruntersuchungen, Abdomensonografie Ggf. Cholezystektomie bei symptomatischer
Cholezystolithiasis
diabetische Diarrhö (Enteropathie) und Stufe 1: Diarrhö:
exokrine Pankreasinsuffizienz ▪ Endoskopie ▪ Quellstoffe
▪ Abdomensonografie ▪ Loperamid
▪ Laboruntersuchungen, einschließlich Stuhlunter- ▪ Cholestyramin
suchungen auf pathogene Keime ▪ Clonidin
▪ ggf. sonstige bildgebende Untersuchungen ▪ Octreotid
Stufe 2: ▪ bei bakterieller Fehlbesiedlung des Dünn-
▪ Laktose-/Fruktose-/Sorbitol-Wasserstoffatemtest darms Breitspektrumantibiotika, z. B. Rifaxi-
▪ Glukose-Wasserstoffatemtest min (off label) über 10 Tage mit medizini-
▪ ggf. fäkale Elastase-1 scher Hefe (z. B. Perenterol)
▪ ggf. Laktulose-Wasserstoffatemtest schwere exokrine Pankreasinsuffizienz
▪ ggf. D-Xylose-Test ▪ Pankreasenzyme

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▶ Tab. 3 (Fortsetzung)

Organmanifestationen und Klinik Untersuchungsmethoden Therapie

diabetische Obstipation (Hypomotilität Stufe 1: Obstipation:


des Kolons) ▪ digital rektale Untersuchung ▪ ausreichend Flüssigkeit, Ballaststoffe,
▪ Ileokoloskopie Bewegung
▪ Laboruntersuchungen ▪ Gelbildner (Pektine, Flohsamenschalenprä-
▪ ggf. Abdomensonografie parate)
▪ ggf. sonstige bildgebende Untersuchungen ▪ Faserstoffe (z. B. Weizenkleie, Leinsamen)
Stufe 2: ▪ Laxanzien: z. B. Natriumpicosulfat, Bisacodyl,
▪ (MRT-)Defäkografie Makrogol, Laktulose/Laktitol nach Verträg-
▪ anorektale Manometrie lichkeit und Effekt
▪ Hinton-Test ▪ ggf. Biofeedback bei rektaler Entleerungs-
▪ neurologische Untersuchungen störung
▪ ggf. Prucaloprid bei verzögertem Transit
(Prokinetikum, zugelassen bei laxanzienre-
fraktärer Obstipation)
diabetische Stuhlinkontinenz Stufe 1: Stuhlinkontinenz:
▪ digitale rektale Untersuchung ▪ Antidiarrhoika
▪ rektale Endosonografie ▪ Beckenbodengymnastik
▪ (MRT-)Defäkografie ▪ Biofeedback
Stufe 2: ▪ ggf. sakrale Neurostimulation in refraktären
▪ anorektale Manometrie Fällen
▪ ggf. neurologische Untersuchungen
Urogenitaltrakt
diabetische Zystopathie Basisdiagnostik Zystopathie:
(Blasenentleerungsstörung) ▪ Miktionstagebuch über 48 h ▪ Verhaltensmodifikaton
▪ Elektrostimulation
weiterführende Diagnostik
▪ Biofeedback
▪ spezifischer Fragebogen (z. B. Internationaler
▪ Antimuskarinika
Prostata-Symptom-Score (IPSS)-Fragebogen
▪ Beta-3-Adrenozeptor-Agonisten
▪ Uroflowmetrie
▪ Alpharezeptorenblocker
▪ Restharnbestimmung
▪ ggf. antibiotische Therapie
▪ digitorektale Untersuchung beim Mann
▪ Blasenhalsinzision
▪ ggf. urodynamische Untersuchung
▪ Selbstkatheterisation
▪ suprapubische Harnableitung
erektile Dysfunktion Basisdiagnostik erektile Dysfunktion:
Stufe 1: ▪ Vermeidung medikamentöser Nebenwir-
▪ Sexualanamnese, IIEF-5 kungen (bedingt durch Antihypertonika,
▪ Laboruntersuchungen Tranquilizer, Antidepressiva)
▪ Gesamttestosteron (fakultativ freies Testoste- 1. Stufe:
ron), Prolaktin, FSH, LH ▪ 5-Phosphodiesterase-Hemmer (Sildenafil,
Stufe 2 (fakultativ): Tadalafil, Vardenafil, Avanafil)
▪ Test mit einem PDE5-Hemmer (Sildenafil, Varde- 2. Stufe:
nafil, Tadalafil, Avanafil) ▪ Erektionshilfesystem (Vakuumpumpe)
▪ Schwellkörper-Autoinjektionstherapie
(SKAT)
3. Stufe:
▪ Schwellkörperimplantat
erweiterte Diagnostik Hypogonadismus:
Stufe 3 (nur wenn eine operative Therapie geplant ▪ Testosteron-Substitution
oder sinnvoll ist):
▪ Schwellkörperinjektionstest (SKIT)
▪ Doppler-/Duplex-Sonografie
▪ Kavernosometrie und Kavernosografie
▪ nächtliche Tumeszensmessung

S348 Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
▶ Tab. 3 (Fortsetzung)

Organmanifestationen und Klinik Untersuchungsmethoden Therapie

neuroendokrines System (endokrine Dysfunktion)


hypoglykämieassoziierte autonome Dysfunktion ▪ engmaschige Blutglukosekontrollen (insbeson- ▪ Vermeiden von symptomatischen und
▪ Reduktion bzw. Fehlen der hormonellen dere Selbstkontrollen), besonders auch nachts asymptomatischen (oftmals nächtlichen)
Gegenregulation Hypoglykämien
▪ gestörte Hypoglykämiewahrnehmung ▪ Hypoglykämie-Wahrnehmungstraining
▪ erhöhte Glukoseschwelle für Hypoglykä- (BGAT)
miesymptome bei Blutglukoseabfall
▪ verminderte Katecholaminsekretion im
Stehen und unter körperlicher Belastung
Sudomotorik und Vasomotorik
▪ Dyshidrose, Anhidrose („trockene Füße”) Schweißtests: ▪ fett- oder harnstoffhaltige Externa
▪ gustatorisches Schwitzen QSART: Quantitative sudomotor axon reflex test ▪ Vermeidung starker Hitzeexposition
TST: Thermoregulatory sweat test ▪ Prophylaxe bei identifizierter Ursache des
SSI: Silastic sweat imprint Schwitzens (Nahrungsbestandteile)
ACHSST: Acetylcholine sweatspot test ▪ Anticholinergika, Clonidin (niedrige Dosis)
Neuropad: Indikatorpflaster ▪ Glycopyrrolat-Creme
Sudoscan: Kutane elektrochemische Leitfähigkeit ▪ bei fokaler Hyperhidrose Versuch mit
Botulinumtoxin
pupillomotorisches System
▪ Miosis ▪ klinische Untersuchung ▪ Hinweis an den Patienten auf verminderte
▪ gestörte Pupillenreflexe ▪ Infrarotpupillografie (Konstriktions-, Dilatations- Dunkeladaption und Gefährdung bei
▪ verminderte Dunkeladaption geschwindigkeit, Latenzzeit des Pupillenreflexes) Nachtblindheit
▪ Glaukomgefährdung
(Kontrolle des Augendrucks)
respiratorisches System
▪ zentrale Fehlregulation der Atmung mit ggf. Schlaflabor ggf. CPAP-Therapie
herabgesetztem Atemantrieb gegenüber
Hyperkapnie bzw. Hypoxämie
▪ Schlafapnoe-Syndrom
▪ Atemstillstand

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DDG-Praxisempfehlung

▶ Tab. 4 Der IIEF-5-Fragebogen (5-item International Index of Erectile Function). Daten nach [10].

Auftreten innerhalb der letzten 6 Monate. (Bei jeder Frage nur eine Antwort ankreuzen, die die individuelle Situation am besten beschreibt).

1. Wie groß ist die Zuverlässigkeit, sehr niedrig niedrig mittel hoch sehr hoch
eine Erektion zu erhalten und
aufrecht zu erhalten?
2. Wenn Sie eine Erektion durch nie/selten gelegentlich (weni- manchmal oft (deutlich mehr meistens/immer
sexuelle Stimulation haben, wie oft ger als die Hälfte) (ungefähr die als die Hälfte)
ist Ihre Erektion hart genug für eine Hälfte)
Penetration?
3. Wie oft können Sie während des nie/selten gelegentlich (weni- manchmal oft (deutlich mehr meistens/immer
Geschlechtsverkehrs Ihre Erektion ger als die Hälfte) (ungefähr die als die Hälfte)
nach der Penetration Ihrer Partnerin Hälfte)
aufrechterhalten?
4. Wie schwierig ist es für Sie, extrem schwierig sehr schwierig schwierig etwas schwieriger nicht schwierig
Ihre Erektion für die Dauer des
Geschlechtsverkehrs aufrecht zu
erhalten?
5. Wie oft empfanden Sie eine nie/selten gelegentlich (weni- manchmal oft (deutlich mehr meistens/immer
sexuelle Befriedigung beim Versuch ger als die Hälfte) (ungefähr die als die Hälfte)
eines Geschlechtsverkehrs? Hälfte)
Punkte 1 2 3 4 5

Scherbaum WA, Lauterbach KW, Renner R, [Hrsg.] Evidenzbasierte Dia-


betes-Leitlinien DDG. 1. Aufl. 2000. ISBN: 3-933740-12-6
▶ Tab. 5 Interpretation der im IIEF-5 erreichten Punkte zur Diag-
nose einer erektilen Dysfunktion. Daten nach [10]. [2] Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV),
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesell-
schaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Neuropathie bei Di-
Gesamtpunkt- Punktzahl Interpretation abetes im Erwachsenenalter – Langfassung. 2011. Version 1.2: http://
zahl aus den (gesamt) der erektilen www.diabetes.versorgungsleitlinien.dehttp://www.awmf-leitlinien.de
Fragen 1–5 Dysfunktion (ED)
[3] Young MJ, Boulton AJ, MacLeod AF et al. A multicentre study of the
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Frage 1: _____ 5–7 schwere ED hospital clinic population. Diabetologia 1993; 36: 150–154
Frage 2: _____ 8–11 mittelschwere ED [4] Feldman EL, Stevens MJ, Thomas PK et al. A practical two-step quantita-
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Frage 3: _____ 12–16 leichte bis
staging of diabetic neuropathy. Diabetes Care 1994; 17: 1281–1289
mittelschwere ED
[5] Dyck PJ, Albers JW, Andersen H et al. Diabetic polyneuropathies: update
Frage 4: _____ 17–21 leichte ED on research definition, diagnostic criteria and estimation of severity. Di-
Frage 5: _____ 22–25 keine ED abetes Metab Res Rev 2011; 27: 620–628

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[7] Haslbeck M, Luft D, Neundörfer B et al. Deutsche Evidenz-basierte Dia-
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