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Diabetologie
Diabetologie und Stoffwechsel
und Stoffwechsel
Supplement
S2
Heft S2 • Oktober 2021 • 16. Jahrgang • Seite S91 – S434
PRAXISEMPFEHLUNGEN DDG
Oktober 2021
Seite S91–S434
16. Jahrgang Praxisempfehlungen
der Deutschen
Diabetes Gesellschaft
Herausgegeben von
M. Kellerer
im Auftrag der DDG
This journal is listed in
Science Citation Index,
EMBASE and SCOPUS
CLINICAL PRACTICE RECOMMENDATIONS
Offizielles Organ
der Deutschen
Diabetes Gesellschaft ▪ Aktualisierte Version 2021
DDG-Praxisempfehlung
Diabetische Neuropathie
Autoren
Dan Ziegler1, Jutta Keller2, Christoph Maier3, Jürgen Pannek4
Institute Bibliografie
1 Institut für Klinische Diabetologie, Deutsches Diabetes- Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350
Zentrum an der Heinrich-Heine-Universität, Leibniz- DOI 10.1055/a-1515-9168
Zentrum für Diabetesforschung; Klinik für Endokrinologie ISSN 1861-9002
und Diabetologie, Universitätsklinikum Düsseldorf © 2021. Thieme. All rights reserved.
2 Medizinische Klinik, Israelitisches Krankenhaus, Hamburg Georg Thieme Verlag KG, Rüdigerstraße 14,
3 Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin, 70469 Stuttgart, Germany
Ruhr-Universität Bochum Zitierweise für diesen Artikel Diabetologie 2021;
4 Neuro-Urologie, Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil, 16 (Suppl 2): S336–S350. DOI:10.1055/a-1515-9168
Schweiz Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version des Artikels
Diabetologie 2019; 14 (Suppl 2): S243–S257. DOI:10.1055/a-
0899-0129
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Dan Ziegler, FRCPE
Institut für Klinische Diabetologie,
Deutsches Diabetes-Zentrum an der Heinrich-Heine-
Universität, Auf’m Hennekamp 65, 40225 Düsseldorf,
Deutschland
dan.ziegler@ddz.de
Aktualisierungshinweis
Die DDG-Praxisempfehlungen werden regelmäßig zur zweiten Änderung 3: CRP statt BSG (S. S338)
Jahreshälfte aktualisiert. Bitte stellen Sie sicher, dass Sie jeweils Begründung: BSG ist veraltet
die neueste Version lesen und zitieren. Änderung 4: ▶ Abb. 1 Bewertung des NDS 3–5; 6–8; 9–10
(S. S343)
Begründung: Korrektur
Stützende Quellenangabe: Young MJ, Boulton AJ, MacLeod
I N H A LT L I CH E Ä N D E R U N G E N G E G E N Ü B E R D E R AF et al. A multicentre study of the prevalence of diabetic
VO R J A H R E S FA S S U N G peripheral neuropathy in the United Kingdom hospital clinic
Änderung 1: Bei Schmerzen, die nicht hinreichend auf die population. Diabetologia 1993; 36: 150–154
Pharmakotherapie ansprechen, ist die Indikation für eine elek-
trische Rückenmarkstimulation zu erwägen, die jedoch nur in
hierfür spezialisierten Zentren durchzuführen ist (S. S339).
Begründung: Zunehmende Evidenz Anmerkung
Stützende Quellenangabe: Petersen EA, Stauss TG, Scowcroft
JA et al. Effect of high-frequency (10-kHz) spinal cord stimula- Die Praxisempfehlung der DDG „Diabetische Neuropathie“ ent-
tion in patients with painful diabetic neuropathy: A randomized stand in enger Anlehnung an die Nationale VersorgungsLeitlinie
clinical trial. JAMA Neurol 2021; 78: 687–698. Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter, Langfassung,
Änderung 2: Anmerkung: Ein hoher Score im NSS muss nicht Version 1.2, 28. November 2011, basierend auf der Fassung von
zwangsläufig auf schwere Symptome hinweisen, sondern August 2011 [1, 2]:
kann Polyneuropathie-typische Symptome widerspiegeln; Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereini-
ferner können auch andere neuropathischen Symptome gung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizi-
vorkommen, die durch den NSS nicht erfasst werden, z. B. nischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitli-
Gangunsicherheit, Fremdkörper- oder Kältegefühl (S. S343). nie Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter – Langfassung.
Begründung: Ergänzung Version 1.2, 2011 [cited: 01.08.2012]. Available from: http://
www.diabetes.versorgungsleitlinien.de.
S336 Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
Internet: http://www.versorgungsleitlinien.de, http://www. Screening
awmf-leitlinien.de.
Das Screening auf DSPN soll folgende Daten und Untersuchungen
Im Juni 2016 wurde die NVL durch die Mitglieder der Leitlinien-
(immer bilateral) umfassen:
gruppe geprüft. Bis zur Fertigstellung der aktualisierten Version
▪ Anamnese mit persönlichen Grunddaten und diabetesspezifi-
(voraussichtlich Januar 2020) wurden mehrere Abschnitte „in
schen Daten (siehe H 3 „Basisdiagnostik“) sowie Erfassung von
Überarbeitung“ dargestellt (Nationale VersorgungsLeitlinie Neu-
Risikofaktoren, -indikatoren bzw. klinischen Korrelaten für die
ropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter – Langfassung. 1. Auf-
DSPN.
lage, 2011. Version 5. AWMF-Register-Nr.: nvl-001e. Available
▪ Erfassung neuropathischer Plus- und Minussymptome (z. B.
from: http://www.leitlinien.de/nvl/diabetes/neuropathie). Vorbe-
sensible Reizerscheinungen, Schmerzen, Krämpfe, Taubheits-
haltlich der Überarbeitung der NVL geben die in dieser Praxisemp-
gefühl), insbesondere anamnestische Erfassung von Schmerz-
fehlung überarbeiteten Abschnitte die Position der DDG wieder.
intensität, -lokalisation und schmerzauslösenden Situationen
(mithilfe validierter Fragebogen).
▪ Inspektion und klinische Untersuchung (Hautfarbe, trophische
Diabetische sensomotorische Polyneuropathie Störungen, Fußdeformität, Fußulkus, Verletzungen, Hauttem-
peratur).
Definition, Risikofaktoren und Komorbiditäten
▪ Screening auf Fußkomplikationen und pAVK (siehe NVL „Typ-2-
Die diabetische Neuropathie ist eine klinisch manifeste oder Diabetes Fußkomplikationen“).
subklinische Erkrankung der peripheren Nerven, die infolge eines ▪ Einfache neurologische Untersuchungsmethoden: Untersu-
Diabetes mellitus ohne andere Ursachen auftritt. Sie kann das so- chung der Achillessehnenreflexe, des Vibrationsempfindens
matische und/oder das autonome Nervensystem betreffen. Das mit der C64-Hz-Stimmgabel nach Rydel-Seiffer sowie des
Risiko für die distal-symmetrische diabetische sensomotorische Druck- und Berührungsempfindens mit dem 10-g-Monofila-
Polyneuropathie (DSPN) und autonome Neuropathie steigt mit ment. Ist eine der drei Untersuchungen pathologisch, dann soll
den folgenden Risikofaktoren, -indikatoren bzw. Komorbiditäten: die Basisdiagnostik (siehe „Basisdiagnostik“) erfolgen.
▪ Diabetesdauer
▪ Diabeteseinstellung (Hyperglykämie) Ein Screening auf sensomotorische und/oder autonome diabetische
▪ arterielle Hypertonie Neuropathie soll bei Menschen mit Typ-2-Diabetes zum Zeitpunkt
▪ periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) der Diagnosestellung eines Diabetes erfolgen und bei Menschen
▪ Mediasklerose vom Typ Mönckeberg mit Typ-1-Diabetes spätestens 5 Jahre nach Diagnosestellung.
▪ diabetische Retino- und Nephropathie
▪ Depression Basisdiagnostik
▪ viszerale Adipositas
Die Basisdiagnostik umfasst alle Untersuchungen, die beim nie-
▪ Hyperlipidämie
dergelassenen Allgemeinmediziner, Internisten oder Diabetolo-
▪ Alkohol, Nikotin
gen als Mindeststandard durchgeführt werden, um die Diagnose
▪ mangelnde körperliche Aktivität
einer sensomotorischen diabetischen Neuropathie zu stellen und
▪ demografische Faktoren (Alter, Körpergröße, Körpergewicht)
Risikopatienten frühzeitig zu erkennen. Darüber hinaus sollen
Komplikationen einer diabetischen Neuropathie (z. B. Fußkompli-
Eine DSPN ist in 85–90 % an der Ätiologie des diabetischen Fußsyn-
kationen) frühzeitig diagnostiziert und therapiert werden. Die
droms beteiligt und hat damit einen erstrangigen Stellenwert in der
Inspektion und klinische Untersuchung der Beine und Füße soll
Risikokonstellation für Fußulkus und Amputation. Weiterhin gilt sie
beidseits und seitenvergleichend erfolgen. Eine Diagnostik sollte
als wichtiger Prädiktor für kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität.
erfolgen bei allen symptomatischen Patienten, v. a. bei unklaren
Bei manifestem Diabetes Typ 1 und Typ 2 ist mit einer mittleren
Schmerzen oder anderen neuropathischen Symptomen, und bei
Prävalenz der DSPN um 30 % zu rechnen. Etwa 13–26 % der Men-
allen asymptomatischen Patienten, die in der Screeninguntersu-
schen mit Diabetes weisen eine schmerzhafte Neuropathie auf.
chung (siehe „Screening“) einen pathologischen Wert aufweisen.
Die Inspektion der Beine und Füße soll umfassen:
Verlaufsformen
▪ Haut: Farbe, Turgor, Rhagaden, Blasenbildung, subkutane
Aufgrund klinischer Kriterien können unterschiedliche Verlaufs- Einblutungen;
formen unterschieden werden: ▪ Hyperkeratosen und Kallusbildung;
▪ subklinische Neuropathie (keine Symptome und klinischen ▪ abgeheilte Fußläsionen, Hypo- bzw. Anhidrose;
Befunde, aber pathologische quantitative neurophysiologische ▪ Zeichen einer bakteriellen Infektion und/oder Mykose,
Tests) ▪ Fußdeformitäten (z. B. Neuroosteoarthropathie (DNOAP bzw.
▪ chronisch-schmerzhafte Neuropathie (häufig) Charcot-Arthropathie), Hammerzehen, Krallenzehen);
▪ akut-schmerzhafte Neuropathie (sog. Insulin-Neuritis) (selten) ▪ Fußulkus mit genauer Beschreibung von Lokalisation, Ausdeh-
▪ schmerzlose Neuropathie (häufig) nung und Begleitinfektion.
▪ fokale Neuropathien, z. B. diabetische Amyotrophie (selten)
▪ als Komplikation das diabetisch-neuropathische Fußsyndrom
mit Fußulkus, Neuroosteoarthropathie und Amputation
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DDG-Praxisempfehlung
S338 Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
Allgemeine Behandlungsstrategien und Prävention Leitsätze der medikamentösen Therapie bei schmerzhafter
diabetischer Polyneuropathie
Wichtige Therapieziele bei Patienten mit Typ-1- oder Typ-2-Di-
abetes sind die Verbesserung der Lebensqualität, die Kompetenz- 1. Die Therapie der schmerzhaften diabetischen Polyneuropa-
steigerung (Empowerment) der Betroffenen im Umgang mit ihrer thie ist symptomatisch, nicht ursächlich.
Erkrankung, die Vermeidung mikro- und makrovaskulärer Folge- 2. Die medikamentöse Therapie chronischer neuropathischer
erkrankungen (Retinopathie, Nephropathie), der Neuropathie Schmerzen bei Diabetes mellitus sollte möglichst früh begin-
und des diabetischen Fußsyndroms sowie die Prävention und The- nen, sofern die Lebensqualität beeinträchtigende Schmerzen
rapie von Symptomen der Erkrankung. Sowohl bei Patienten mit vorliegen.
Typ-1- als auch bei Patienten mit Typ-2-Diabetes sollen die Thera- 3. Die Schmerztherapie sollte nicht allein eine Schmerzlinderung
pieziele individualisiert werden. Sie hängen unter anderem ab von erreichen, sondern auch eine Verbesserung der Schlafqualität,
(Ko-)Morbidität, Alter und Lebenserwartung sowie von der der Mobilität und der allgemeinen Lebensqualität ermöglichen.
Lebensqualität der Betroffenen. 4. Die Wahl des Medikaments richtet sich nach der Wirksamkeit
Bei allen Formen und in allen Stadien der Neuropathie sollen und dem generellen Risikoprofil der Substanzen bei bekann-
die Patienten in Bezug auf Lebensgewohnheiten, Diabetesthera- ten oder potenziellen Komorbiditäten.
pie und Fußpflege beraten werden. Je nach Wunsch des Patienten 5. Daher sollten im Fall gleicher analgetischer Wirksamkeit
sollen entsprechende Therapeuten und nach Möglichkeit Ange- Medikamente bevorzugt werden, deren Organtoxizität und
hörige problembezogen eingebunden werden. Bei Patienten mit insbesondere deren Risiko für kardiovaskuläre und renale
Typ-1- und Typ-2-Diabetes soll eine an den individuellen Patienten Nebenwirkungen am niedrigsten sind.
und sein Komorbiditäts- und Risikoprofil angepasste Diabetesein- 6. Substanzen mit erhöhten renalen und kardiovaskulären
stellung erfolgen. Langzeitrisiken (z. B. NSAR, Coxibe) sind daher bei der Thera-
Eine frühzeitige Kontrolle der Stoffwechseleinstellung und pie neuropathischer Schmerzen im Rahmen des Diabetes
bestehender Risikofaktoren (z. B. Rauchen, übermäßiger Alkohol- mellitus nicht indiziert.
konsum, Bluthochdruck) bei Menschen mit Diabetes kann die 7. Die analgetische Wirksamkeit ist individuell zu erproben.
Progression einer diabetischen Neuropathie verhindern oder 8. Die individuell erforderliche Dosis ist bei Beachtung der
zumindest hinauszögern oder verlangsamen. Patienten mit diabeti- zugelassenen Höchstdosen individuell zu titrieren. Es ist die
scher Neuropathie soll empfohlen werden, Alkohol allenfalls in mo- minimale, aber noch wirksame Dosis anzustreben.
deraten Mengen zu konsumieren und das Rauchen aufzugeben. 9. Die Wirksamkeit einer Pharmakotherapie sollte bei Erreichen
Patienten mit DSPN und Sensibilitätsverlust mit oder ohne einer adäquaten Dosis frühestens nach zwei Wochen beur-
Deformitäten/Dysproportionen an den Füßen sollen eine leitlini- teilt werden. Analgetisch unwirksame Medikamente sollten
engerechte Schuhversorgung erhalten. nicht weiter verschrieben werden.
10. Analgetikakombinationen sind nur empfehlenswert, wenn sie
Schmerztherapie individuell die Wirksamkeit verbessern und/oder das Risiko
durch eine Dosisreduktion der Einzelkomponenten verringert
Falls sich Patienten mit DSPN in ihrem täglichen Leben nicht
wird.
beeinträchtigt fühlen, ist es nicht notwendig, ihre Symptome zu
11. Psychopharmaka ohne analgetische Potenz sind für die
behandeln. Eine Schmerzanalyse ist die Voraussetzung für eine er-
Schmerztherapie nicht indiziert. Kombinationspräparate mit
folgreiche individuelle Schmerztherapie. Die medikamentöse
Koffein, Benzodiazepinen oder Muskelrelaxanzien sind nicht in-
Therapie ist symptomatisch. Sie sollte durch nichtmedikamentöse
diziert und bergen die Gefahr von Missbrauch und Abhängigkeit.
Maßnahmen unterstützt werden. Vor Einleitung einer medika-
mentösen Therapie soll eine ausführliche Medikamentenanamne-
Als realistische Ziele einer medikamentösen Therapie bei neuropa-
se erhoben werden. Die Wahl der Pharmakotherapie bei DSPN soll
thischen Schmerzen sind in der Regel anzustreben:
unter Berücksichtigung häufiger Komorbiditäten und Kontraindi-
1. Eine Schmerzreduktion um 30–50 % auf der 11 Punkte visuel-
kationen erfolgen. Nicht invasive, nicht pharmakologische Thera-
len Analogskala (VAS) oder der Numerischen Ratingskala
pieoptionen wie Psychotherapie/Verhaltenstherapie, transkutane
(NRS),
elektrische Nervenstimulation (TENS), Muskelstimulation (sog.
2. eine Verbesserung des Schlafs,
Hochtontherapie) oder Akupunktur können im Sinne einer multi-
3. eine Verbesserung der Lebensqualität,
modalen Schmerztherapie einbezogen werden. Bei Patienten mit
4. die Erhaltung sozialer Aktivitäten und der sozialen Teilhabe,
neuropathischen Schmerzen, die nach spätestens 12 Wochen
5. die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit.
Therapie keine ausreichende Schmerzlinderung zeigen und deren
Lebensqualität durch diese Schmerzen eingeschränkt ist, soll zur
Die genannten Therapieziele müssen mit dem Patienten vor
weiterführenden Therapie ein in der Schmerztherapie erfahrener
Beginn und im Verlauf der Therapie besprochen werden, um zu
Arzt hinzugezogen werden. Bei Schmerzen, die nicht hinreichend
hoch gesteckte Ziele oder Erwartungen zu verhindern. So werden
auf die Pharmakotherapie ansprechen, ist die Indikation für eine
Enttäuschungen vermieden, aus denen eine Schmerzverstärkung
elektrische Rückenmarkstimulation zu erwägen, die jedoch nur in
resultieren kann.
hierfür spezialisierten Zentren durchzuführen ist.
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DDG-Praxisempfehlung
S340 Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
matik zu entscheiden, ob eine Überweisung zur weiterführenden
2. HE R Z FR E Q UE N Z VAR I AB IL I TÄT N AC H L AGE W EC H - Diagnostik (z. B. an einen gastroenterologisch erfahrenen Arzt)
SE L → UNTE RSUCH UNG SAB L AU F unmittelbar oder erst nach einem erfolglosen Therapieversuch
Unter EKG-Dokumentation erhebt sich der bislang liegende eingeleitet wird.
Proband und stellt sich neben die Untersuchungsliege. Die Eine besondere Verantwortung liegt in dem anspruchsvollen
Aufzeichnung beginnt mit dem Moment des aktiven Aufste- Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen, weil zahlreiche
hens. Als Testparameter wird der Maximum/Minimum- schwerwiegende gastrointestinale Erkrankungen sich gerade in
30:15-Quotient definiert als das längste R-R-Intervall zwi- ihren Frühstadien nur durch geringe und/oder unspezifische
schen Schlag 20 und 40, geteilt durch das kürzeste R-R-Inter- Symptome manifestieren können. Beispiele dafür sind sämtliche
vall zwischen Schlag 5 und 25 nach dem Aufstehen. Normwer- gastrointestinalen Malignome, aber auch Erkrankungen wie die
te: Alter 20–49 Jahre: ≥ 1,10; 50–79 J.: ≥ 1,09; ≥ 80 J.: ≥ 1,08. Zöliakie und das peptische Ulkus.
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S342 Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
Praxistools
3–5
6–8
9 – 10
▶ Abb. 1 Diagnosekriterien für die sensomotorische diabetische Neuropathie. Quelle: Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereini-
gung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Neuropathie
bei Diabetes im Erwachsenenalter – Langfassung, 1. Auflage. Version 5. 2011. Available from: www.dm-neuropathie.versorgungsleitlinien.de;
DOI: 10.6101/AZQ/000302. [rerif]
Anmerkung: Ein hoher Score im NSS muss nicht zwangsläufig auf schwere Symptome hinweisen, sondern kann Polyneuropathie-typische
Symptome widerspiegeln; ferner können auch andere neuropathischen Symptome vorkommen, die durch den NSS nicht erfasst werden, z. B.
Gangunsicherheit, Fremdkörper- oder Kältegefühl.
Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved. S343
DDG-Praxisempfehlung
▶ Tab. 1 Einfache neurologische Untersuchungsmethoden zur Diagnose der sensomotorischen diabetischen Neuropathie (Durchführung immer
bilateral) [1, 2].
Schmerzempfindung ▪ mit Zahnstocher, Einmalnadel oder Neu- bds. gliederabschnittsweise Begrenzung (z. B. socken- oder
rotip strumpfförmig)
▪ Es sollte gefragt werden: „Ist es
schmerzhaft?“ (nicht: „Können Sie die
Nadel fühlen?“)
Berührungsempfindung z. B. mit Wattebausch bds. gliederabschnittsweise Begrenzung (z. B. socken- oder
strumpfförmig)
Druck- und Berührungsempfindung 10-g-Monofilament an der Plantarseite des positiver Screeningtest: fehlende Empfindung an zumindest
Metatarsale 1–2; plantar distal an der einer Hautstelle
Großzehe; ggfs. zusätzlich an der Basis des
Metatarsale 3 und 5. Cave: Untersuchung
an nicht verhornten Stellen durchführen.
Temperaturempfindung ▪ mit kaltem Metall (z. B. Stimmgabel), bds. gliederabschnittsweise Begrenzung (z. B. socken- oder
eiswassergekühltem Reagenzglas oder strumpfförmig)
TipTherm
Vibrationsempfindung mit C64-Hz- ▪ zunächst am Großzehen-Interphalangeal- ▪ untere Normgrenze am Großzehen-Interphalangealgelenk:
Stimmgabel (nach Rydel-Seiffer) gelenk; falls Vibrationsempfindung ▪ für Alter bis 39 Jahre 5/81
bds. = 0/8, Untersuchung einer proxi- ▪ für Alter 40–59 Jahre 4,5/81
malen Stelle (Malleolus medialis) ▪ für Alter 60–74 Jahre 4/81
▪ für Alter ≥ 75 Jahre 3,5/81
Muskeleigenreflexe Achilles- und Patellarsehnenreflex
bds. Minderung oder Aufhebung der Auslösbarkeit
1
Untere Normgrenzen für Vibrationsempfindung [11].
S344 Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
Paent mit diabescher
sensomotorischer Polyneuropathie
Zeitlich begrenzter
Therapieversuch mit
Monotherapie2 mit TZA3 oder
Paracetamol (max. 3 g/Tag) Duloxen oder Pregabalin oder
oder Metamizol (max. 4 Gabapenn oder Capsaicin 8 %
g/Tag) Pflaster oder α-Liponsäure4 oder
(Empfehlungsgrad 0) Tramadol5
(wenn Opioide indiziert)
(Empfehlungsgrad B)
Bei fehlender /
Bei fehlender / Bei fehlender /
unzureichender
unzureichender unzureichender
Wirkung1
Wirkung1 Wirkung1
Wechsel innerhalb
1
Erhaltungstherapie versucht werden.
2
.
3
vorzugsweise Amitriptylin.
4
alternav ggf. Benfoamin.
5
alternav ggf. Tilidin erwägen.
6
▶ Abb. 2 Algorithmus zur Pharmakotherapie der schmerzhaften diabetischen sensomotorischen Neuropathie. Daten modifiziert nach Quelle:
Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesell-
schaften (AWMF). Nationale. VersorgungsLeitlinie Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter – Langfassung, 1. Auflage. Version 5. 2011.
Available from: www.dmneuropathie.versorgungsleitlinien.de; DOI: 10.6101/AZQ/000 302. [rerif]
Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved. S345
DDG-Praxisempfehlung
▶ Tab. 2 Survey of Autonomic Symptoms (SAS) zum Screening auf autonome Symptome. Quelle: [9]
S346 Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
▶ Tab. 3 Klinisch wichtige Manifestationen, zugeordnete Diagnostik und spezielle Therapie der autonomen diabetischen Neuropathie bei Diabetes
mellitus. Quelle: [2, 7].
kardiovaskuläres System
▪ Ruhetachykardie Basisdiagnostik kardiovaskuläre autonome Neuropathie
▪ reduzierte Herzfrequenzvariabilität ▪ HRV unter tiefer Respiration und nach ▪ im Allgemeinen keine spezielle Behandlung
▪ orthostatische Hypotonie Lagewechsel notwendig (wichtig: Diagnose und Therapie
▪ Belastungsintoleranz (inadäquater Anstieg ▪ Orthostasetest koronarer Herzkrankheit und Herzinsuffizienz)
von Herzfrequenz und Blutdruck unter weiterführende Diagnostik ▪ bei Sinustachykardie kardioselektive
Belastung) Autonome Funktionstests (Testbatterie): β-Rezeptorenblocker
▪ perioperative Instabilität mit vermehrten ▪ HRV in Ruhe (Frequenz- und Zeitbereich) orthostatische Hypotonie
Blutdruck- und Frequenzabfällen ▪ Expirations-/Inspirationsquotient unter tiefer ▪ allgemeine Maßnahmen: liberalisierte Koch-
▪ verminderte bzw. fehlende Wahrnehmung Respiration salzzufuhr, körperliches Training, Kompres-
von Myokardischämien unter Belastung ▪ max/min 30:15-Quotient sionsstrümpfe, Beachtung hypoton wirken-
▪ stummer bzw. symptomarmer Myokard- ▪ Valsalva-Quotient (Valsalva-Manöver) der Pharmaka
infarkt ▪ Orthostase-Test ▪ blutdrucksteigernd wirksame Medikamente
▪ QTc-Verlängerung 24-h-HRV ggf. Synkopenabklärung mit kurzer Halbwertszeit (Midodrin)
▪ plötzlicher Herztod ▪ Fludrocortison (Beginn mit niedriger Dosis)
Gastrointestinaltrakt
alle gastrointestinalen Manifestationen Basisdiagnostik am GI-Trakt:
▪ Anamnese
▪ Ausschluss struktureller und infektiöser
Erkrankungen
Dysphagie und Refluxerkrankung weiterführende Diagnostik: Dysphagie:
Stufe 1: Allgemeinmaßnahmen Prokinetika in
▪ Ösophagogastroduodenoskopie Einzelfällen
▪ ggf. auch sonstige bildgebende Untersuchungen Reflux:
Stufe 2: Protonenpumpeninhibitoren
▪ Ösophagusmanometrie
▪ 24-h-pH-Metrie mit/ohne Impedanzmessung
diabetische Gastropathie (dyspeptische Stufe 1: Gastroparese (Gastropathie):
Symptome, postprandiale Hypoglykämie) ▪ Ösophagogastroduodenoskopie ▪ Ernährungsmodifikation: häufige kleine
▪ Abdomensonografie Mahlzeiten, ballaststoffarm, fettreduziert
▪ ggf. sonstige bildgebende Untersuchungen ▪ Anpassung des Spritz-Ess-Intervalls
▪ Laboruntersuchungen ▪ Prokinetika (alle Off-Label): Metoclopramid,
Stufe 2: Domperidon, ggf. Prucaloprid, Erythromycin
▪ Magenentleerungsszintigrafie bei schweren refraktären Symptomen
▪ 13C-Oktansäure-Atemtest ▪ Bei Bedarf Antiemetika ergänzen zur sympto-
matischen Therapie von Übelkeit und Erbre-
chen (Antihistaminika, 5-HT3-Antagonisten)
▪ ggf. gastrale Neurostimulation („Magen-
schrittmacher“)
▪ Jejunalsonde
▪ parenterale Ernährung
diabetische Cholezystopathie Laboruntersuchungen, Abdomensonografie Ggf. Cholezystektomie bei symptomatischer
Cholezystolithiasis
diabetische Diarrhö (Enteropathie) und Stufe 1: Diarrhö:
exokrine Pankreasinsuffizienz ▪ Endoskopie ▪ Quellstoffe
▪ Abdomensonografie ▪ Loperamid
▪ Laboruntersuchungen, einschließlich Stuhlunter- ▪ Cholestyramin
suchungen auf pathogene Keime ▪ Clonidin
▪ ggf. sonstige bildgebende Untersuchungen ▪ Octreotid
Stufe 2: ▪ bei bakterieller Fehlbesiedlung des Dünn-
▪ Laktose-/Fruktose-/Sorbitol-Wasserstoffatemtest darms Breitspektrumantibiotika, z. B. Rifaxi-
▪ Glukose-Wasserstoffatemtest min (off label) über 10 Tage mit medizini-
▪ ggf. fäkale Elastase-1 scher Hefe (z. B. Perenterol)
▪ ggf. Laktulose-Wasserstoffatemtest schwere exokrine Pankreasinsuffizienz
▪ ggf. D-Xylose-Test ▪ Pankreasenzyme
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▶ Tab. 3 (Fortsetzung)
S348 Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
▶ Tab. 3 (Fortsetzung)
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DDG-Praxisempfehlung
▶ Tab. 4 Der IIEF-5-Fragebogen (5-item International Index of Erectile Function). Daten nach [10].
Auftreten innerhalb der letzten 6 Monate. (Bei jeder Frage nur eine Antwort ankreuzen, die die individuelle Situation am besten beschreibt).
1. Wie groß ist die Zuverlässigkeit, sehr niedrig niedrig mittel hoch sehr hoch
eine Erektion zu erhalten und
aufrecht zu erhalten?
2. Wenn Sie eine Erektion durch nie/selten gelegentlich (weni- manchmal oft (deutlich mehr meistens/immer
sexuelle Stimulation haben, wie oft ger als die Hälfte) (ungefähr die als die Hälfte)
ist Ihre Erektion hart genug für eine Hälfte)
Penetration?
3. Wie oft können Sie während des nie/selten gelegentlich (weni- manchmal oft (deutlich mehr meistens/immer
Geschlechtsverkehrs Ihre Erektion ger als die Hälfte) (ungefähr die als die Hälfte)
nach der Penetration Ihrer Partnerin Hälfte)
aufrechterhalten?
4. Wie schwierig ist es für Sie, extrem schwierig sehr schwierig schwierig etwas schwieriger nicht schwierig
Ihre Erektion für die Dauer des
Geschlechtsverkehrs aufrecht zu
erhalten?
5. Wie oft empfanden Sie eine nie/selten gelegentlich (weni- manchmal oft (deutlich mehr meistens/immer
sexuelle Befriedigung beim Versuch ger als die Hälfte) (ungefähr die als die Hälfte)
eines Geschlechtsverkehrs? Hälfte)
Punkte 1 2 3 4 5
S350 Ziegler D et al. Diabetische Neuropathie… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S336–S350 | © 2021. Thieme. All rights reserved.