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Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie

Zentralabitur 2018

Deutsch
Leistungskurs

Aufgaben
Erwartungshorizont
Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie

Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018

Deutsch
Leistungskurs
Aufgabenstellung A für Prüflinge im Land Berlin

Bezug zum Rahmenlehrplan: Kommunikation


Literarische und pragmatische Texte unterschied-
licher medialer Präsentationsformen
Kommunikationssituationen und Kommunikationsmodelle
Kommunikationsmodelle im Vergleich
Aufgabenart: Materialgestütztes Verfassen argumentierender Texte
Hilfsmittel: Nachschlagewerk zur Rechtschreibung der deutschen
Sprache
Bearbeitungszeit: Die Arbeitszeit beträgt 315 Minuten und umfasst eine
individuelle Lese- und Auswahlzeit, die 30 Minuten nicht
überschreiten sollte.

Materialien: Material 1: Deutsch-Schwedische Handelskammer: Warum duzt


man sich in Schweden? (2013)
Material 2: Holger Fuß: Tyrannei der Nähe. Gib mir mein Sie zu-
rück (2014)
Material 3: Stefanie Kara und Claudia Wüstenhagen: Die Macht
der Worte (2012)
Material 4: Werner Besch: Duzen, Siezen, Titulieren: Zur Anrede
im Deutschen heute und gestern (1998)
Material 5: Interview mit dem Fehler-Forscher Jan Hagen: Leh-
ren aus der Luftfahrt. Duzen kann Leben retten (2013)
Material 6: Grafik: Wer darf wem das Du anbieten? (2012)

Material 7: Interview mit dem Linguisten Martin Hartung: „Ein


Du allein bedeutet nicht viel“ (2007)

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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018 Länder Berlin und Brandenburg

Aufgabe: Eine überregionale Tageszeitung berichtet über eine Ini-


tiative, die fordert, künftig in jeder Form der Kommunika-
tion (einschließlich in Behörden und Schulen) ausschließ-
lich das „Du“ zu verwenden. Nach skandinavischem Vor-
bild soll das Anredepronomen „Sie“ grundsätzlich aus der
deutschen Sprache verbannt werden. Daraufhin entwi-
ckelt sich eine kontroverse Debatte in dieser Zeitung.

Verfassen Sie einen Kommentar als Beitrag zur


Debatte über diese Initiative.

Nutzen Sie dazu die folgenden Materialien (1-7) und


beziehen Sie eigene Erfahrungen und im Unterricht
erworbenes Wissen (u a. zur Kommunikation) ein.
Wählen Sie eine geeignete Überschrift.

Zitate aus den Materialien werden dem Stil eines Kom-


mentars entsprechend ohne Zeilenangabe nur unter
Nennung von Autor/Autorin und ggf. Titel angeführt.

Ihr Kommentar sollte etwa 1000 Wörter umfassen.

Quellen: Material 1: Deutsch-Schwedische Handelskammer (2013,


12. November). Warum duzt man sich in Schweden?
http://www.handelskammer.se/de/nyheter/warum-duzt-man-sich-
schweden (Zugriff am 06.01.2017)
Material 2: Fuß, H. (2014, 9. Dezember). Tyrannei der Nähe. Gib mir
mein Sie zurück.
http://www.cicero.de/salon/tyrannei-der-naehe-gib-mir-mein-sie-
zurueck/58479 (Zugriff am 06.01.2017)
Material 3: Kara, S., Wüstenhagen, C. (2012, 9. Oktober). Die Macht
der Worte.
http://www.zeit.de/zeit-wissen/2012/06/Sprache-Worte-Wahrnehmung
(Zugriff am 06.01.2017)
Material 4: Besch, W. (1998). Duzen, Siezen, Titulieren: Zur Anrede
im Deutschen heute und gestern. Göttingen, S. 14-25.
Material 5: Interview: Böcking, H., Hagen, J. (2013, 16. November).
Lehren aus der Luftfahrt: Duzen kann Leben retten.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/interview-wie-die-
luftfahrt-aus-ihren-fehlern-lernt-a-930916.html (Zugriff am 06.01.2017)
Material 6: Grafik: (2012, 22. Oktober). Wer darf wem das Du anbie-
ten? In: Bild Bundesausgabe.
http://bilder.bild.de/fotos/wer-darf-wem-das-du-anbieten--
26815584/Bild/1.bild.jpg (Zugriff am 06.01.2017)
Material 7: Interview: Eisenhauer, B., Hartung, M. (2007, 1. Juli). Ein
Du allein bedeutet nicht viel.
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/interview-ein-du-allein-bedeutet-
nicht-viel-12093.html (Zugriff am 06.01.2017)

Die Textwiedergabe folgt den Quellen.


Offensichtliche Verstöße gegen die sprachliche Richtigkeit wurden in Fällen korrigiert, in denen dies zur Siche-
rung der Verständlichkeit notwendig erschien.

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Material 1:
Deutsch-Schwedische Handelskammer: Warum duzt man sich in Schweden?
(2013)
[…] Die Galionsfigur dieser sogenannten Du-Reform wurde Bror Rexed1, der damalige Direk-
tor der Gesundheits- und Sozialbehörde. „Kalla mig Bror!“ („Ihr dürft mich Bror nennen!“),
verkündete er nach seinem Amtsantritt und richtete sich damit nicht nur an die Mitarbeiter,
sondern auch Klienten der Behörde. Sowohl im persönlichen Kontakt als auch in offiziellen
Schreiben wurde seitdem jeder Schwede, der mit der Gesundheitsbehörde zu tun hatte, mit
Du und mit dem Vornamen angesprochen. In Deutschland wäre es vermutlich heute noch
undenkbar, in einem offiziellen Behördenbrief geduzt zu werden. Doch in Schweden, so sagt
Eva Olovsson vom Språkrådet2, war Rexeds Initiative gar nicht so revolutionär: „In Schwe-
den waren Formalitäten und Hierarchien nie so wichtig wie zum Beispiel in Deutschland. Für
das einfache Volk war das Du schon lange gebräuchlich.”
Auch für den Sprachwissenschaftler Lars Melin3 war Rexeds Entscheidung nur ein nächster
logischer Schritt: „Rexed hat damit offene Türen eingerannt. Durch die Urbanisierung zerbrö-
ckelten Hierarchien und es wurden mehr Orte geschaffen, an denen Unbekannte aufeinan-
dertrafen und miteinander kommunizierten. In solchen Situationen etablierte sich dann das
Du als neutrale Ansprache.“ […]
Eine Ausnahme gibt es dennoch: Für Mitglieder der Königsfamilie gilt nach wie vor die An-
sprache mit vollem Titel. Wer also die Königin trifft, sollte nicht „Silvia“ sagen und auch nicht
„Frau Bernadotte“. Man fragt stattdessen höflich: „Wie geht es der Königin?“
1
Bror Rexed wurde 1967 Direktor der nationalen Gesundheits- und Sozialbehörde in Schweden.
2
Språkrådet: Rat für Schwedische Sprache
3
Lars Melin ist Dozent an der Universität Stockholm.

Material 2:
Holger Fuß: Tyrannei der Nähe. Gib mir mein Sie zurück (2014)

Ein Kollege hatte mich unlängst zu einem Geburtstagsbarbecue am Elbufer mitgenommen.


Ich war weder eingeladen noch kannte ich jemanden. Der Gastgeber wurde 49, wendete in
sommerlichen Dreiviertelhosen und Sandalen die Steaks auf dem Rost und begrüßte mich
leutselig mit: „Ich bin der Bernd!“ Ich entbot meine Geburtstagswünsche und antwortete: „Ich
bin der Herr Fuß!“ Die Vorteile waren dreierlei. Erstens hatte die ansonsten
dahinplätschernde Gesellschaft ihren running gag. Zweitens konnte sich die Gästeschar
meinen Namen nachdrücklicher einprägen. Drittens erfuhr ich umgekehrt lauter Vornamen,
an denen ich das Hamburger Sie ausprobieren konnte: „Silke, darf ich Ihnen noch Wein
nachschenken?“
Eine Art Volksbelustigung durch paradoxe Intervention. [...]
Weitaus fahrlässiger mutet es an, wie sich im öffentlichen Raum eine Duz-Hegemonie
ausbreitet. Bei den gut 6000 Reklamekontakten, die ein Institut pro Tag und Kopf ermittelt
hat, werden wir immer öfter in der zweiten Person Singular angesprochen. Ein Smartphone
behauptet: „In dir steckt mehr, als du denkst.“ Eine Bausparkasse tönt: „Du kaufst den Luxus,
dich über alles aufzuregen – nur nicht über steigende Energiepreise.“

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Ein schwedisches Möbelhaus mahnt: „Wann hast du eigentlich das letzte Mal deine Matratze
ausgewechselt?“ Als Besucher einer deutschen Filiale des Unternehmens hören wir aber
schon mal eine Lautsprecherdurchsage: „Gesucht wird der Halter des Fahrzeugs mit dem
Kennzeichen XY. Bitte melden Sie sich umgehend an der Information!“ Damit die Älteren
beim flüchtigen Hinhören nicht denken, es würde nach einem Kind gesucht, wird
sicherheitshalber gesiezt. […]
Tatsächlich steckt hinter der vermeintlichen Lockerheit ein verächtlicher Brutalismus. Wir
schauen auf andere Menschen herab wie auf uns selbst. Das Gespür für menschliche Größe
ist uns abhandengekommen. Deshalb gehen wir achtlos miteinander um, halten uns für
affektgesteuerte Gestalten, die mutlos auf Verbraucherrechte pochen. Deshalb entfährt uns
das Du.
Eine Rekultivierung des Sie wäre ein aufschlussreiches kollektives Exerzitium. Wir kämen
raus aus der unechten Nähe und würden einen wohltuenden Abstand schaffen, einen
Spielraum für unsere Wahrnehmung, um das Andersartige beim Mitmenschen zu entdecken.
Es könnte ein Trainingslager sein, um zu lernen, von Sterblichen wieder grandios zu denken
und Respekt zu empfinden. Ich kenne Menschen, die das tun. Es sind Menschen, die gerne
siezen.
Holger Fuß, Jahrgang 1964, ist Journalist und lebt in Hamburg.

Material 3:
Stefanie Kara und Claudia Wüstenhagen: Die Macht der Worte (2012)

[…]
Die einen [Sprachforscher] sind überzeugt, dass unsere Sprache unser Denken bestimmt –
und dass Menschen deshalb sogar in unterschiedlichen Sprachen unterschiedlich denken.
Die anderen dagegen glauben, dass das Denken von der Sprache weitgehend unabhängig
ist – und dass allen Menschen ohnehin dieselben Grundregeln der Sprache angeboren sind.
Die Diskussion ist weit über die Grenzen der Linguistik hinaus von Bedeutung. Denn sie rührt
an grundlegende Fragen nach dem Wesen des Menschen und seiner Wahrnehmung.
Mittlerweile suchen auch Psychologen und Hirnforscher nach Antworten. Sie finden immer
mehr Hinweise darauf, dass Worte unser Denken und Handeln prägen, und dass wir uns
tatsächlich schon mit unserer Muttersprache bestimmte Denkmuster aneignen, die unser
Leben auf überraschende Weise beeinflussen.
Es gibt die offensichtliche Wirkung der Worte: Wer einen Roman aufschlägt, eine
Liebeserklärung bekommt oder in einen heftigen Streit gerät, der spürt, wie Sprache berührt.
Worte können trösten oder tief verletzen, manche hängen einem tage- oder gar jahrelang
nach. Auch unsere eigenen Worte wirken auf uns. Wenn wir etwa ein Tabuwort
aussprechen, kann das bei uns selbst körperlich messbare Stresssymptome hervorrufen.
[…]
Stefanie Kara ist freie Wissenschaftsjournalistin.
Claudia Wüstenhagen arbeitet als Redakteurin beim Magazin ZEIT Wissen.

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Material 4:
Werner Besch: Duzen, Siezen, Titulieren: Zur Anrede im Deutschen heute und
gestern (1998)

Der Zustand vor den 68er Jahren1


[…]
Muttersprachler sind in der Regel sicher in der korrekten Verwendung ihrer Sprache, aber
wenn sie genaue Regeln angeben sollen, dann kommen sie meist in Verlegenheit. Wer von
uns könnte ohne große Vorbereitung die Verteilungsregeln der Anrede benennen, sei es für
die 60er Jahre, sei es für heute, so, wie man sie Landesfremden vermitteln müsste. […]
[Die] Grundverteilung „vertraulich“ versus „höflich – achtungsvoll“ ist uns natürlich bewußt. In
der alltäglichen Anwendung bedarf sie allerdings der genaueren Ausführungsbestimmungen,
und die waren bis in die 60er Jahre mehr oder weniger konventionell festgelegt. Vieles davon
gilt natürlich auch heute noch. Konventionen bis in die 1960er Jahre: Man duzt sich in der
Familie, zwischen Verwandten, Freunden, Jugendlichen; Erwachsene duzen Kinder.
Natürlich erhalten auch Tiere das Du, erstaunlicherweise aber auch Gott, wo eigentlich nun
wirklich eine gesteigerte Respektform am Platze wäre. […]
Gruppen, die sich durch entscheidende Gemeinsamkeiten verbunden fühlen, haben schon
immer das Du gewählt. So war es in der Arbeiterklasse mit ihrem „Solidaritäts-Du“, das
später in die SPD und die Gewerkschaften übernommen wurde. Das galt und gilt aber auch
für Vereine, Sportgruppen, Verbindungsstudenten, Bergsteiger, Soldaten – kurz für vielerlei
Gruppierungen, die über eine gewisse Zeit oder generell zusammengehören. […]
Der Übergang vom Sie zum Du bei Erwachsenen unterliegt gewissen Regeln, deren
Anwendung eine hohe Sensibilität erfordert. Wer darf wem wann und warum das Du
anbieten? Eher die ältere Person der jüngeren, eher die sozial höherstehende der
niedrigstehenderen, auch geht die Du-Initiative eher von männlichen Gesprächspartnern als
von weiblichen aus – wohlgemerkt, es ist die Rede von den Konventionen vor den 68er
Jahren. Man „trank Brüderschaft“ (eine parallele Redensart „Schwesternschaft trinken“ war
nicht geläufig), und das war gewissermaßen ein feierlicher Akt mit zusätzlicher feierlicher
Umarmung. Der Wechsel vom Sie zum Du geht auch weniger förmlich vor sich, aber immer
wird der Übergang situativ günstig platziert und ausdrücklich als solcher betont. Warum das
Du angeboten wird, das kann vielerlei Gründe haben: lange Bekanntschaft, Wertschätzung,
Sympathie, Liebe – alles, was im menschlichen Miteinander den Wunsch nach Vertrautheit
aufkommen läßt. […]

Das neue Du – Signal des Aufbruchs


„Per Sie“ kann man keine Revolution machen. Das leuchtet unmittelbar ein. Historische
Beispiele bestätigen das. Sie sind oft mit revolutionärer Sprachanweisung verbunden.
Entsprechende Belege haben wir z. B. für die Französische Revolution.
Nun braucht man die Studentenbewegung der endsechziger Jahre nicht gleich als
Revolution zu bezeichnen, wiewohl deren Bewußtseinsprägung und schließlich auch deren
gesellschaftspolitische Wirkung im Rückblick als „revolutionär“ bezeichnet werden kann. […]
Sprachlich fielen neben dem soziologischen, später auch vulgärmarxistischen Vokabular der
Studentenführer zusätzlich zwei programmatische Änderungen auf: die Du-Expansion und
die Verweigerung jeglicher Titelanrede. Beides war damals ein bewußter Verstoß gegen die

1
Die „68er Jahre“ bezeichnen eine Epoche des gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Umbruchs. In den
sechziger Jahren bildeten sich in den USA und Westeuropa sogenannte Studentenbewegungen, die gegen
die Regeln und Lebensgewohnheiten protestierten, die ihnen von ihren Eltern und der Gesellschaft
vorgegeben wurden. Ihren Höhepunkt erreichten sie 1968.
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gültige Konvention, ein verbaler Versuch von Hierarchie-Abbau mit Provokations-


charakter. […]
Als wesentlich wirkungsmächtiger erwies sich allerdings die Du-Expansion. Bis gegen Ende
der 60er Jahre galt das Sie unter den Studierenden, ausgenommen ehemalige Mitschüler,
Mitglieder von Studentenverbindungen, auch von „linken“ Vereinigungen, Sport- und
Geographiestudenten, z. T. auch Studierenden in Fächern mit längerer Labortätigkeit. Das
hat sich innerhalb weniger Jahre vollkommen geändert. Es gilt das Du quer durch die Fächer
hindurch während der ganzen Studienzeit und oft darüber hinaus. Ein interstudentisches Sie
wirkt heute absolut befremdlich, ja lächerlich. […]
Das studentische Du hat sich vollständig durchgesetzt und ist unangefochten bis heute
geblieben. Es fand Sympathie und z. T. auch Nachahmung in anderen Bereichen
jugendlicher Ausbildung und in der Freizeitgestaltung. Zur generellen Anredeform, wie etwa
in skandinavischen Ländern, ist es nicht geworden. Auch hat es die anfänglich stark
ideologisch-solidarische Markierung weitgehend verloren, wie heute aus vielen Äußerungen
der jungen Leute hervorgeht. Es ist sozusagen die Fortsetzung des Schüler-Du,
selbstverständliche Anrede zwischen Personen jüngeren Alters (bis etwa 30?). Anderes
kennen sie nicht. Im Altersübergang und im Übergang zu anderen Alltags- und
Berufsbereichen ergeben sich dann allerdings weit mehr Unsicherheiten und gelegentlich
auch Konflikte, als dies nach altem Modus der Fall war. […]
Werner Besch, Jahrgang 1928, ist Sprachwissenschaftler und war Professor an der Universität Bonn.

Material 5:
Interview mit dem Fehler-Forscher Jan Hagen: Lehren aus der Luftfahrt. Duzen
kann Leben retten (2013)
[…]
SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch schildern Sie viele […] Fehler, die zu Abstürzen führten.
Oft trauten sich Untergebene dabei nicht, den Kapitän rechtzeitig auf Probleme hinzuweisen.
Bis in der Luftfahrt ein neues Fehlermanagement entwickelt wurde, das eine offenere
Kommunikation und Fehleranalyse an Bord fördert. Warum sollte das auch in anderen
Branchen funktionieren?
Hagen: Weil in jedem Unternehmen mit komplexen Strukturen und starken Hierarchien die
Gefahr besteht, dass wichtige Informationen die Chefs nicht erreichen. [...]
SPIEGEL ONLINE: Gerade wir Deutschen sind allerdings nicht für übermäßiges
Aufbegehren gegenüber Obrigkeiten bekannt. Distanz zu Vorgesetzen entsteht bei uns
schon durch das Siezen.
Hagen: Deshalb hat etwa die Lufthansa als Teil des Fehlermanagements auch unter allen
Mitarbeitern an Bord das "Du" eingeführt – selbst wenn eine Besatzung zum ersten Mal
gemeinsam fliegt. Das flacht die Hierarchie ab und macht es leichter, auf Fehler
hinzuweisen.
SPIEGEL ONLINE: Duzen rettet also Leben?
Hagen: Im Zweifel ja.
SPIEGEL ONLINE: Auch außerhalb der Luftfahrt?
Hagen: Ja, etwa in Operationsteams, wo es inzwischen auch ein Fehlermanagement gibt.
Das Statusgefälle zwischen Chefarzt und Krankenschwester ist noch steiler als zwischen
Kapitän und Flugbegleiter. Doch auch eine Krankenschwester muss sich trauen, den Arzt auf
Fehler hinzuweisen. […]
Jan Hagen ist Professor in Berlin und beschäftigt sich vor allem mit den Themen Führung, Fehler- und
Krisenmanagement, darunter insbesondere der Art und Weise, wie Organisationen mit Fehlern umgehen.
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Material 6:
Grafik: Wer darf wem das Du anbieten? (2012)

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Material 7:
Interview mit dem Linguisten Martin Hartung: „Ein Du allein bedeutet nicht
viel“ (2007)
[...]
Was sagt es über unsere Gesellschaft, dass die Leute sich der Regeln1 immer weniger
bewusst sind? Sind wir egalitärer?
Da wäre ich vorsichtig. Man könnte auch auf die Idee kommen, dass die Hierarchien, die es
gibt - vielleicht sogar noch mehr gibt als früher -, nur überdeckt werden.
In manchen Unternehmen gilt ja die Regel: Jeder duzt jeden.
In jungen Unternehmen, gerade im Bereich Medien und Internet […], wird oft geduzt, aus
Prinzip.
Ist es nicht eine Chimäre, dass dadurch Hierarchien abgebaut werden?
Es gibt Unternehmen – wie auch Gruppen und Organisationen –, die leben das Du wirklich;
da drückt es ein Lebensgefühl aus. Mindestens die Hälfte dieser Unternehmen aber führen
das Du ein, ohne es zu leben; der Chef tut bloß so, als sei er nicht autoritär. Auf die Dauer
fällt aber keiner darauf rein. [...]
Das Duzen ist ja mit enorm viel Emotion belastet.
Natürlich, das gilt vor allem für das „Vertrautheits-Du“. Verwandtschaft, Freundschaft, Liebe,
Liebelei - die sind emotional besetzt, und deshalb lässt sich so ein Du auch nicht so leicht
zurücknehmen. Aber der rein grammatische Blick auf Sie und Du verdeckt ja ganz
wesentliche soziale Faktoren.
Inwiefern?
Wir verwenden das Du und das Sie in sehr komplexen Ausdruckskontexten - mit Intonation,
mit syntaktischer Konstruktion, in einer bestimmten Situation, mit Körpersprache: Hält man
Blickkontakt, dreht man den Körper weg? Das ist viel differenzierter, als das Paar Du gegen
Sie es nahelegt. Ein Du allein sagt nicht viel.
Zum Beispiel?
Ich kann mich sehr distanziert jemandem gegenüber verhalten - obwohl ich ihn duze. Das
zeigt: Ich mag dich nicht besonders. Oder: Ich duze dich zwar, aber wir sind noch am Anfang
der Beziehung. Wenn ich meinen Partner duze, drücke ich dadurch etwas anderes aus, als
wenn ich jemanden aus meiner Abteilung duze. „Du, Schätzchen, komm mal her“ ist was
ganz anderes als „Du, Hartung, komm mal her“.
Und die Körpersprache?
Wichtig ist auch der Abstand zwischen den Körpern. Bei jemandem, den ich distanziert duze,
vor dem bleibe ich auch mit größerem Abstand stehen. Jemanden aus meiner Familie, dem
darf ich näherkommen, sogar berühren. Wenn Sie jemanden duzen, den Sie nicht leiden
können, dann erkennt er das an Ihrem Gesicht, und er weiß, dass das kein Vertrautheits-Du
ist, sondern ein Not-Du. Er wird sich nicht bei Ihnen zu Hause einladen. […]

1
Regeln, nach denen man entscheidet, ob man duzt oder siezt.
Martin Hartung ist linguistischer Kommunikationsberater am Institut für Gesprächsforschung in Mannheim.

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Erwartungshorizont A für Lehrkräfte im Land Berlin

Kurztitel: Distanz
Aufgabenart: Materialgestütztes Verfassen argumentierender Texte

Beschreibung der erwarteten Leistungen


Leistungen, die im Erwartungshorizont nicht ausgeführt wurden, aber als gleichwertig oder
besser anzusehen sind, sind bei der Gesamtbewertung angemessen zu berücksichtigen.

Allgemeine Leistungsanforde- Spezifische Leistungsanforderungen


rungen im Beurteilungsbereich

Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes

A Nutzung der Materialien Im Sinne einer differenzierten Auseinandersetzung gezielte Nutzung


(40 %) der Materialien M1-M7 zur Problematisierung, Stützung und Veran-
schaulichung eigener Argumente, Widerlegung möglicher Gegenargu-
B Sachliche Richtigkeit mente, Abgrenzung und Entgegnung.
(25 %)
Darlegung der zentralen Problemstellung/diskussionswürdiger Teilas-
pekte, z. B.:
- Diskussion, in welcher Hinsicht die ausschließliche Verwendung
des Anredepronomens „Du“ die Kommunikation beeinflussen wür-
de und somit die Initiative unterstützt oder abgelehnt werden sollte
- Abwägung, in welchen Kommunikationssituationen die Verwen-
dung des Anredepronomens „Du“ die Kommunikation erleichtern
bzw. erschweren würde
Mögliche Aspekte der Auseinandersetzung mit Bezug auf die Textvor-
lagen:
Gründe, die für die Initiative angeführt werden können, z. B.:
- Abbau von Hierarchien (M1, M4, M5)
- Duzen als Zeichen für gegenseitige Solidarität und Teamgeist (M4)
- Fehlervermeidung durch Verringerung von Hemmschwellen in der
Kommunikation (M5)
- Zusammenhang von Sprache und Denken, Wahrnehmung, Wirk-
lichkeit (M1, M3, M5, M7)
- Vermeidung von Unsicherheiten und Schwierigkeiten, die aus den
komplizierten Regeln der Verteilung von „Du“ und „Sie“ resultieren
(M4, M6)
- zunehmende Verbreitung des „Du“ in der historischen Entwicklung,
Etablierung des „Du“ als neutrale Anredeform in der jüngeren Ge-
neration (M4)
Gründe, die gegen die Initiative angeführt werden können, z. B.:
- Distanzlosigkeit bis hin zu Übergriffigkeit durch Aufgabe des Dis-
tanzmarkers „Sie“, Verlust von Respekt und Achtsamkeit in der
Kommunikation (M2)

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Allgemeine Leistungsanforde- Spezifische Leistungsanforderungen


rungen im Beurteilungsbereich

Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes


- Duzen als Manipulationstechnik, z. B. in der Werbung (M2)
- Einfluss der Sprache auf Denken und Wahrnehmung (z. B. Auf-
rechterhaltung einer als sinnvoll erachteten Distanz) (M3)
- vermeintliche Gleichberechtigung, eher Verschleierung existieren-
der Hierarchien (M2, M7)
- kein Abbau von Hierarchien und Distanz aufgrund anderer Mög-
lichkeiten, Distanz zu markieren (z. B. durch Körpersprache, Into-
nation) (M7)
- sprachliche Differenzierungsmöglichkeiten durch die Regeln zum
Gebrauch der pronominalen Anrede (M4, M6)
C Nutzung von domänen- Wesentliche domänenspezifische Kontexte, Konkretisierung entspre-
spezifischem Wissen chend dem erteilten Unterricht, z. B.:
(20 %) - Kenntnis verschiedener Kommunikationsmodelle, die auch die Be-
ziehungsebene berücksichtigen, auch im Vergleich, z. B. Axiome
Watzlawicks, Vier-Seiten-Modell Schulz von Thuns, Organon-Modell
Bühlers; unterschiedliche Kommunikationszwecke; weitere Funktio-
nen von Kommunikation
- Rolle von non- und paraverbaler Kommunikation
- Zusammenhang von Sprache, Denken, Wirklichkeit (sprachtheore-
tisch)
D Schlussfolgerung / Mögliche Schlussfolgerung(en)/Urteile, z. B.:
Urteilsbildung (15 %) - Anerkennung der ausschließlichen Verwendung des Anredeprono-
mens „Du“ als Erleichterung der Kommunikation durch Abbau von
Hierarchien (Anstreben einer symmetrischen Interaktion) und
dadurch entfallende Einhaltung komplizierter kommunikativer Regeln
zur Erleichterung der Konzentration auf den Sachinhalt der Botschaft
- kritische Einschätzung der ausschließlichen Verwendung des Anre-
depronomens „Du“ als Gefahr des Verlustes von gegenseitigem
Respekt der Kommunikationspartner sowie der Manipulation; Aner-
kennung der Auswahl der pronominalen Anrede je nach Kommunika-
tionssituation/-partner/-ziel als Möglichkeit der sprachlichen Differen-
zierung und ggf. Stärkung oder Schwächung des Beziehungsaspek-
tes in der Kommunikation
- abwägende Beurteilung, inwiefern die ausschließliche Verwendung
des Anredepronomens „Du“ einen Gewinn oder Verlust für die zwi-
schenmenschliche Kommunikation darstellt

Allgemeine Leistungsanforde- Spezifische Leistungsanforderungen


rungen im Beurteilungsbereich

Darstellung

A Strukturierung des Textes Die spezifischen Leistungsanforderungen sind dem Kriterienraster zu


(15 %) entnehmen, grundsätzlich gilt jedoch, dass Struktur, Argumentation
und Sprache den Anforderungen der Textsorte Kommentar entspre-
chen müssen, etwa:
B Entwicklung von Gedan-
- eine schlüssig gegliederte, transparente Darstellung mit durchgängi-
kengängen (15 %) ger Perspektivierung
- eine nachvollziehbare zielführende Argumentation
C Ausdruck (15 %) - die Veranschaulichung der dargestellten Zusammenhänge anhand
adäquater Beispiele
D Einsatz von Textmustern - eine funktionale Rhetorik
- ein sachgerechter Sprachstil
(10 %)
- ein zielgerichteter Adressatenbezug

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Allgemeine Leistungsanforde- Spezifische Leistungsanforderungen


rungen im Beurteilungsbereich

Darstellung

- eine funktionale Integration von Referenzen auf die Materialien in


E Berücksichtigung der den eigenen Text
Adressaten (5 %)

F Umgang mit Referenzen


(5 %)

G Berücksichtigung der
Textlänge (5 %)

H Sprachliche Korrektheit
(25 %)

I Lesefreundliche Form
(5 %)

Die Bereiche Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes und Darstellung
werden im Verhältnis 60:40 gewichtet.

Kriterien für eine gute (11 Punkte) und eine ausreichende (05 Punkte) Leistung
Aufgabenart: Materialgestütztes Verfassen argumentierender Texte

I: Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes (60 %)

12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte

A Nutzung der fast durchweg differenzierte und im Ganzen noch sachgerechte


Materialien funktionale Nutzung der Materia- Nutzung der Materialien; ggf. Feh-
(40 %) lien; kleinere Ungenauigkeiten ler beim Verständnis bzw. Mängel
beeinträchtigen die Leistung nicht bei der Nutzung einzelner Materia-
lien

B Sachliche Richtigkeit fast durchweg sachliche Richtigkeit im Ganzen noch sachliche Richtig-
(25 %) der Ausführungen; kleinere Unge- keit der Ausführungen; Fehler im
nauigkeiten beeinträchtigen die Detail
Leistung nicht

C Nutzung von domä- weitgehend funktionale Nutzung im Ganzen noch funktionale Nut-
nenspezifischem von domänenspezifischem Wissen zung von domänenspezifischem
Wissen Wissen
(20 %)

D Schlussfolgerung/ stimmige und nachvollziehbare im Ganzen nachvollziehbare


Urteilsbildung Schlussfolgerung/ Urteilsbildung; Schlussfolgerung/ Urteilsbildung,
(15 %) kleinere Ungenauigkeiten stören verschiedene Schwächen im Detail
die Leistung nicht

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II: Darstellung (40 %)

12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte

A Strukturierung des schlüssige Struktur; kleinere Un- im Ganzen noch nachvollziehbare


Textes genauigkeiten beeinträchtigen die Struktur
(15 %) Darstellung nicht

B Entwicklung von weitgehend überzeugende Gedan- im Ganzen noch nachvollziehbare,


Gedankengängen kengänge; kleinere Ungenauigkei- zum Teil aber pauschalisierende,
(15 %) ten beeinträchtigen die Leistung undifferenzierte Gedankengänge
nicht

C Ausdruck sprachliche (ggf. fachsprachliche) im Ganzen noch sprachliche (ggf.


(15 %) Klarheit; vielfältige Lexik; kleinere fachsprachliche) Klarheit; einfache,
Ungenauigkeiten beeinträchtigen zum Teil ungenaue bzw. sich wie-
die Leistung nicht derholende Lexik

D Einsatz von weitgehend konsequenter und im Ganzen noch aufgabengerech-


Textmustern aufgabengerechter Einsatz von ter Einsatz von Textmustern
(10 %) Textmustern, die der geforderten
Schreibfunktion entsprechen

E Berücksichtigung der weitgehend angemessene Berück- ansatzweise Berücksichtigung der


Adressaten sichtigung der Adressaten bei der Adressaten; Mängel bei der Wahl
(5 %) Wahl der Sprache und der Präsen- der Sprache und/oder der Präsen-
tation von Inhalten; kleinere Unge- tation von Inhalten
nauigkeiten beeinträchtigen die
Leistung nicht

F Umgang mit weitgehend funktionale und korrek- im Ganzen noch funktionale und
Referenzen te Bezugnahme auf das Material korrekte Bezugnahme auf das
(5 %) (Zitat oder Paraphrase) entspre- Material (Zitat oder Paraphrase)
chend der geforderten Textsorte entsprechend der geforderten
Textsorte; Fehler im Detail

G Berücksichtigung der unwesentliche Über- oder Unter- deutliche Über- oder Unterschrei-
Textlänge schreitung der vorgegebenen Text- tung der vorgegebenen Textlänge
(5 %) länge

H Sprachliche kaum Verstöße gegen die Regeln wiederholt Verstöße gegen die
Korrektheit der deutschen Sprache Regeln der deutschen Sprache
(25 %) Fehler sind auf wenige Phänome- Fehler sind auf viele verschiedene
ne beschränkt Phänomene bezogen
keine Beeinträchtigung von Lese- gelegentlich Beeinträchtigung von
fluss und Verständlichkeit Lesefluss und Verständlichkeit
I Lesefreundliche ansprechende äußere Gestaltung verschiedene Schwächen in der
Form (Schriftbild, Korrekturen, Ab- äußeren Gestaltung (Schriftbild,
(5 %) schnittsgestaltung); kleinere Korrekturen, Abschnittsgestaltung);
Schwächen beeinträchtigen die insgesamt aber noch ausreichend
Lesbarkeit nicht übersichtlich und lesbar

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Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie

Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018

Deutsch
Leistungskurs
Aufgabenstellung B für Prüflinge im Land Berlin

Bezug zum Rahmenlehrplan: Literarische Strömungen und Epochenbegriff:


Aufklärung – Empfindsamkeit – Sturm und Drang
Literarische und pragmatische Texte
Sturm und Drang
Entwicklung des künstlerischen Selbstverständnisses
Aufgabenart: Interpretation literarischer Texte
– mit Textvergleich –
Hilfsmittel: Nachschlagewerk zur Rechtschreibung der deutschen
Sprache
Gesamtbearbeitungszeit: Die Arbeitszeit beträgt 315 Minuten und umfasst eine
individuelle Lese- und Auswahlzeit, die 30 Minuten nicht
überschreiten sollte.

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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018 Länder Berlin und Brandenburg

Texte: Johann Wolfgang von Goethe: [ Ich saug an meiner


Nabelschnur ] (1775)
Erich Fried: Nacht in London (1946)
Aufgabe: Interpretieren Sie das Gedicht [ Ich saug an meiner
Nabelschnur ] von Johann Wolfgang von Goethe.
Vergleichen Sie es im Hinblick auf die Funktion der
Natur für den lyrischen Sprecher mit dem Gedicht
Nacht in London von Erich Fried.
Berücksichtigen Sie dabei sowohl sprachliche als
auch inhaltliche Aspekte.
Quellen: Goethe, Johann Wolfgang von: [ Ich saug an meiner Nabelschnur ] In:
ders.: Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden Band 1: Gedichte
und Epen, Neunte Auflage, hrsg. von Erich Trunz. München 1969, S.
102.
Fried, Erich: Nacht in London. In: ders.: Gedichte. Stuttgart 1993, S.
66.
Erläuterungen: Goethes Gedicht [ Ich saug an meiner Nabelschnur ] entstand als
Tagebucheintrag während einer Reise in die Schweiz.
Erich Fried (1921-1988), österreichischer Autor, musste aufgrund
seiner jüdischen Herkunft 1938 vor dem deutschen
Nationalsozialismus ins Exil fliehen, lebte bis zu seinem Lebensende
1988 in London

Die Textwiedergabe folgt den Quellen.

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Text 1:

Johann Wolfgang von Goethe: [ Ich saug an meiner Nabelschnur ]


(1775)
Ich saug’ an meiner Nabelschnur
Nun Nahrung aus der Welt.
Und herrlich rings ist die Natur,
5 Die mich am Busen hält.
Die Welle wieget unsern Kahn
Im Rudertakt hinauf,
Und Berge wolkenangetan
Entgegnen unserm Lauf.

10 Aug mein Aug, was sinkst du nieder?


Goldne Träume, kommt ihr wieder?
Weg, du Traum, so gold du bist,
Hier auch Lieb und Leben ist.
Auf der Welle blinken
15 Tausend schwebende Sterne,
Liebe Nebel trinken
Rings die türmende Ferne,
Morgenwind umflügelt
Die beschattete Bucht,
20 Und im See bespiegelt
Sich die reifende Frucht.

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Text 2:

Erich Fried: Nacht in London (1946)


Die Hände
vor das Gesicht halten
und die Augen
nicht mehr aufmachen
5 nur eine Landschaft sehen
Berge und Bach
und auf der Wiese zwei Tiere
braun am hellgrünen Hang
hinauf zum dunkleren Wald

10 Und das gemähte Gras


zu riechen beginnen
und oben über den Fichten
in langsamen Kreisen ein Vogel
klein und schwarz
15 gegen das Himmelblau

Und alles
ganz still
und so schön
daß man weiß
20 das Leben lohnt sich
weil man glauben kann
daß es das wirklich gibt

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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018

Deutsch
Leistungskurs
Erwartungshorizont B für Lehrkräfte im Land Berlin

Kurztitel: Goethe/Fried
Aufgabenart: Interpretation literarischer Texte mit Textvergleich

Beschreibung der erwarteten Leistungen


Leistungen, die im Erwartungshorizont nicht ausgeführt wurden, aber als gleichwertig oder
besser anzusehen sind, sind bei der Gesamtbewertung angemessen zu berücksichtigen.

Allgemeine Leistungsanforde- Spezifische Leistungsanforderungen


rungen im Beurteilungsbereich

Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes

A Textverständnis (25 %) Wesentliche Aspekte der Texterschließung mit exemplarischen Text-


bezügen, z. B.:
B Erschließen Text 1 (Goethe)
textkonstituierender Mittel Textgehalt: Beschreibung der Kraft spendenden Wirkung der Natur auf
in ihrem Wirkungs- einen lyrischen Sprecher
zusammenhang (25 %)
textkonstituierende Mittel in ihrem Wirkungszusammenhang/Erschlie-
ßen struktureller Besonderheiten, z. B.:
lyrische Situation, Gestus: Reflexion von Gedanken und Gefühlen
eines lyrischen Ich in einem Kahn sitzend; zunächst mit einem lobprei-
senden, dann in einen gefassteren Grundgestus wechselnd
- Stimmungswechsel formal umgesetzt in unterschiedlicher Stro-
phengestaltung:
erste Strophe: acht Verse, Kreuzreim, Wechsel von vier- und drei-
hebigen alternierend jambischen Versen, Enjambements
zweite Strophe: Rhythmus- und Reimwechsel: trochäisch alternie-
rende erste vier Verse im Paarreim; letzte vier Verspaare im
Kreuzreim mit leicht variiertem Rhythmus
- enge Korrespondenz zwischen der formalen und der inhaltlichen
Struktur: erste Strophe als Ausdruck der Symbiose von Mensch
und Natur (vgl. 1-4), erster Teil der zweiten Strophe als Rückbe-
sinnung des lyrischen Sprechers auf sich selbst (vgl. 9); Perspek-
tivwechsel im zweiten Teil der zweiten Strophe auf die den lyri-
schen Sprecher umgebende Natur (vgl. 13 ff.)
- einleitendes metaphorisches Bild von einer mütterlichen („Die mich
am Busen hält“, 4), nährenden Natur („Ich saug an meiner Nabel-
schnur / Nun Nahrung aus der Welt“, 1 f.) als Ausdruck innigster
Verbundenheit zwischen dem lyrischen Sprecher (ggf. als Künst-
ler) und der Natur; Vertiefung des Bildes mittels Anapher (vgl. 4 f.)
und Personifizierung („Die Welle wieget unsern Kahn“, 5)
- Hinweise auf lokale und temporäre Gegebenheiten: die den See
umgebende Bergwelt, auf die sich die Insassen des Kahns am
Morgen eines Tages („Liebe Nebel“, 15; „Morgenwind umflügelt“,
17) zubewegen („Und Berge wolkenangetan / Entgegnen unserm

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Allgemeine Leistungsanforde- Spezifische Leistungsanforderungen


rungen im Beurteilungsbereich

Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes


Lauf“, 7 f.)
- Rückwendung von der nicht näher vorgestellten Wir-Perspektive
(„unserm Lauf“, 8) zum lyrischen Sprecher, der sich von der
Ebenmäßigkeit des wellenhaften Wiegens einschläfern lässt („Aug
mein Aug, was sinkst du nieder?“, 9), gegen eine traumhafte Ab-
wendung von der Wirklichkeit („Lieb und Leben“, 12) wehrt, wenn-
gleich diese traumhafte Abwendung durch die Symbolik der Farbe
Gold (für Licht, Beständigkeit, Weisheit) positiv konnotiert ist (vgl.
10 f.)
- erneuter Perspektivwechsel hin zur ruhigen, aufwertenden Be-
schreibung der naturhaften Umgebung („Liebe Nebel“, 15; „Mor-
genwind umflügelt“, 17) mittels Personifikation (vgl. 15 f.; 19 f.)
- Schlussbild mit Anspielung auf einen mit der Natur verbundenen
Reifeprozess („Und im See bespiegelt / Sich die reifende Frucht.“,
19 f.) gedankliche Anknüpfung an die erste Strophe als symboli-
scher Ausdruck der Lebenskraft der Natur
Fazit: Die Erfahrung der Natur wird als kraftspendendes Element für
die eigene Reifung, aber auch als Mittel zur Selbstbeschränkung und
-beherrschung sowie als Möglichkeit zur Hinwendung zum Hier und
Jetzt beschrieben.

Text 2 (Fried)
Textgehalt: Beschreibung eines erinnerten Naturbildes als Ausdruck
einer Sehnsucht und eines Lebensbedürfnisses
textkonstituierende Mittel in ihrem Wirkungszusammenhang/Erschlie-
ßen struktureller Besonderheiten, z. B.:
lyrische Situation, Gestus: Reflexion der Gedanken eines nicht näher
vorgestellten lyrischen Sprechers; melancholischer Gestus
- formal umgesetzt in einem dreistrophigen, unregelmäßig aufge-
bauten, reimlosen Gedicht im freien Versmaß; Satzreihung (Kon-
junktion „und“, vgl. 3, 7, 10, 12, 16, 18) und Verzicht auf jegliche
Satzzeichen als Ausdruck gedanklicher Verknüpfung in der Mo-
mentaufnahme eines Augenblicks (Enjambements vgl. 1 f., 7 ff.,
10 f., 12 ff., 16 f.)
- räumliche und zeitliche Verankerung des dargestellten Augen-
blicks und angedeutete inhaltliche Kontrastierung von Großstadt
und Natur durch Titel („Nacht in London“)
- inhaltliche Struktur: die ersten vier Verse als Ausdruck innerer
Einkehr; Verse 5 bis 17 als Entwurf des Vorstellungsbildes; die
letzten fünf Verse als abschließende Wertung
- einleitende Beschreibung der Flucht in die vollständige Innerlich-
keit durch Vorstellung eines Naturbildes („Die Hände / vor das Ge-
sicht halten / und die Augen / nicht mehr aufmachen / nur eine
Landschaft sehen“, 1 ff.)
- sinnhafte Konkretisierung der vorgestellten Landschaft, optisch
(„Berge und Bach“, 6; „Wiese“, „Tiere“, 7; „Hang“, 8; „Wald“, 9;
„Vogel“, 13; „Himmelblau“, 15 ), geruchlich („Und das gemähte
Gras / zu riechen beginnen“, 10 f.) und akustisch („Und alles / ganz
still“, 16 f.), in ihrer geringen Bildhaftigkeit verallgemeinerbar für
viele Gebirgslandschaften
- positiv konnotierte farbliche Gegensätze von Hell und Dunkel als
Unterstützung einer angenehmen Wirkung des Beschriebenen
(„braun am hellgrünen Hang“, 8; „klein und schwarz / gegen das
Himmelblau“, 14 f.)
- Bedeutungserschließung des vorgestellten Naturbildes durch die
letzten fünf Verse: die Schönheit der Natur als Lebensgrund und
Hoffnungsträger in scheinbarer Abgrenzung zur Wirklichkeit des ly-
rischen Sprechers (vgl. Titel); Betonung durch Kausalität von
Schönheit und Gewissheit („und so schön / daß man weiß“, 18 f.)

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Allgemeine Leistungsanforde- Spezifische Leistungsanforderungen


rungen im Beurteilungsbereich

Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes


und Glauben und Realität („weil man glauben kann / daß es das
wirklich gibt“, 21 f.)
- lyrischer Sprecher, der ggf. stellvertretend ein verallgemeinerbares
Sehnsuchtsgefühl artikuliert (Verwendung von Infinitiven, vgl. 2, 4,
5, 11, und des Indefinitpronomens „man“, vgl. 19, 21)
Fazit: Die erinnerte ideale Naturerfahrung wird im Glauben an ihre
Realität als Lebensmotivation empfunden.

C Herstellen von Beziehun- Vergleichsaspekte, z. B.:


gen / Herausarbeiten von - Thema (Wirkung der Natur auf den Menschen)
Vergleichsaspekten (10 %) - Inhalt, Naturbild (unterschiedliche Schwerpunktsetzung in der
Funktionalität der Natur für den Menschen: bei Goethe Natur als
Kraft- und Inspirationsquelle, hier Fokussierung auf den Prozess
der Reifung des Menschen/Künstlers, bei Fried Natur in ihrer
Schönheit/Vollkommenheit als Lebensmotivation)
- Inhalt, Verhältnis Traum/Vorstellung und Wirklichkeit (bei Goethe
Natur als Teil der gegenwärtigen Wirklichkeit; Traum wird abge-
wehrt; bei Fried Natur imaginiert/erinnert in scheinbarer Abgren-
zung zum Leben in der Großstadt)
- Sprache und Form (unterschiedliche Gestaltungsmerkmale: bei
Goethe schwärmerische, pathetische, emotionale Sprache, bei
Fried eher nüchtern betrachtend, dann positiv bilanzierend; unter-
schiedliche Form: bei Goethe zweistrophiges, gereimtes, überwie-
gend gleichmäßig alternierendes Gedicht, bei Fried unregelmäßig,
in freier Metrik; lyrisches Ich bei Goethe, lyrischer Sprecher ggf. mit
Verallgemeinerungsanspruch bei Fried; lobpreisender Gestus bei
Goethe; bei Fried melancholischer Gestus; ähnlicher Aufbau: Drei-
erstruktur mit Fazit)
- ästhetische Überhöhung der Natur bei Goethe; nüchtern beschrei-
bende Erinnerung an Natur bei Fried

D Nutzung von domänen- Wesentliche domänenspezifische Kontexte, Konkretisierung entspre-


chend dem erteilten Unterricht, z. B.:
spezifischem Wissen
(20 %) - literaturtheoretisch (Merkmale der Lyrik)
- literaturhistorisch (Sturm und Drang, Motiv der Natur, Pantheismus,
künstlerisches Selbstverständnis)
- biografisch (Goethe)

E Deuten der Ergebnisse Mögliche Deutungen, z. B.:


(aus A,B,C,D) (20 %) - Bedeutung der Natur für den Künstler bzw. den Menschen allge-
mein: Natur als Vorbild und Inspiration, als Verkörperung göttlicher
und menschlicher Kräfte bei Goethe; als Hoffnungsgrundlage bei
Fried;
- bei beiden Abkehr von der zivilisatorischen Enge und Hinwendung
zur unverstellt wirkenden Lebenskraft der Natur
- Vorstellung als Mittel der Vergegenwärtigung der Natur bei Fried
und Natur als Mittel der Ablenkung vom Traum bei Goethe

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Allgemeine Leistungsanforde- Spezifische Leistungsanforderungen


rungen im Kompetenzbereich

Darstellung

A Strukturierung des Textes Die spezifischen Leistungsanforderungen sind dem Kriterienraster zu


(20 %) entnehmen.

B Entwicklung von
Gedankengängen (20 %)

C Ausdruck (20 %)

D Umgang mit Referenzen


(10 %)

E Sprachliche Korrektheit
(25 %)

F Lesefreundliche Form
(5 %)

Die Bereiche Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes und Darstellung
werden im Verhältnis 60:40 gewichtet.

Kriterien für eine gute (11 Punkte) und eine ausreichende (05 Punkte) Leistung
Aufgabenart: Interpretation literarischer Texte mit Textvergleich

I: Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes (60 %)

12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte

A Textverständnis nachvollziehbares, differenziertes im Ganzen noch nachvollziehbares


(25 %) Textverständnis; kleinere Unge- Textverständnis; Ungenauigkei-
nauigkeiten beeinträchtigen die ten/Fehler im Detail
Leistung nicht

B Erschließen textkon- differenzierte Erarbeitung text- im Ganzen noch angemessene


stituierender Mittel in konstituierender Mittel in ihrem Erarbeitung textkonstituierender
ihrem Wirkungszu- Wirkungszusammenhang; kleinere Mittel in ihrem Wirkungszusam-
sammenhang Ungenauigkeiten beeinträchtigen menhang; Fehler im Detail
(25 %) die Leistung nicht

C Herstellen von differenzierte und textorientierte Vergleich nur in Teilbereichen;


Beziehungen/ Auswahl passender Vergleichsas- inhaltliche Defizite/Fehler
Herausarbeiten von pekte
Vergleichsaspekten
(10 %)

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12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte

D Nutzung von domä- weitgehend funktionale Nutzung im Ganzen noch funktionale Nut-
nenspezifischem von domänenspezifischem Wissen zung von domänenspezifischem
Wissen Wissen
(20 %)

E Deuten der Ergeb- stimmige Deutung; kleinere Unge- insgesamt noch akzeptable Deu-
nisse nauigkeiten beeinträchtigen die tung
(aus A, B, C, D) Leistung nicht
(20 %)

II: Darstellung (40 %)

12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte

A Strukturierung des schlüssige Struktur; kleinere Un- im Ganzen noch nachvollziehbare


Textes genauigkeiten beeinträchtigen die Struktur
(20 %) Darstellung nicht

B Entwicklung von weitgehend überzeugende Gedan- im Ganzen noch nachvollziehbare,


Gedankengängen kengänge; kleinere Ungenauigkei- zum Teil aber pauschalisierende,
(20 %) ten beeinträchtigen die Leistung undifferenzierte Gedankengänge
nicht

C Ausdruck sprachliche (ggf. fachsprachliche) im Ganzen noch sprachliche (ggf.


(20 %) Klarheit; vielfältige Lexik; kleinere fachsprachliche) Klarheit, einfache,
Ungenauigkeiten beeinträchtigen zum Teil ungenaue bzw. sich wie-
die Leistung nicht derholende Lexik

D Umgang mit weitgehend funktionale und korrek- im Ganzen noch funktionale und
Referenzen te Bezugnahme auf die Textgrund- korrekte Bezugnahme auf die
(10 %) lage (Zitat oder Paraphrase) Textgrundlage (Zitat oder Para-
phrase); Fehler im Detail

E Sprachliche kaum Verstöße gegen die Regeln wiederholt Verstöße gegen die
Korrektheit der deutschen Sprache Regeln der deutschen Sprache
(25 %) Fehler sind auf wenige Phänome- Fehler sind auf viele verschiedene
ne beschränkt Phänomene bezogen
keine Beeinträchtigung von Lese- gelegentlich Beeinträchtigung von
fluss und Verständlichkeit Lesefluss und Verständlichkeit
F Lesefreundliche ansprechende äußere Gestaltung verschiedene Schwächen in der
Form (Schriftbild, Korrekturen, Ab- äußeren Gestaltung (Schriftbild,
(5 %) schnittsgestaltung); kleinere Korrekturen, Abschnittsgestaltung);
Schwächen beeinträchtigen die insgesamt aber noch ausreichend
Lesbarkeit nicht übersichtlich und lesbar

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Deutsch
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Aufgabenstellung C für Prüflinge im Land Berlin

Bezug zum Rahmenlehrplan: Literatur im 19. Jahrhundert


Literarische und pragmatische Texte
Naturalismus
Konzepte realistischen Schreibens
Aufgabenart: Interpretation literarischer Texte
Hilfsmittel: Nachschlagewerk zur Rechtschreibung der deutschen
Sprache
Gesamtbearbeitungszeit: Die Arbeitszeit beträgt 315 Minuten und umfasst eine
individuelle Lese- und Auswahlzeit, die 30 Minuten nicht
überschreiten sollte.

Text: Rainer Maria Rilke: Höhenluft (1897)


Aufgabe: Interpretieren Sie den Schluss des Einakter-Dramas
Höhenluft von Rainer Maria Rilke.
Berücksichtigen Sie dabei insbesondere die
Figurengestaltung vor dem Hintergrund Ihrer
Kenntnisse über naturalistische Dramen.

Quelle: Rilke, Rainer Maria: Höhenluft. In: ders.: Werke in drei Bänden, hrsg.
von Horst Nalewski, Leipzig 1978, 2. Band, S.535 ff.
Erläuterungen: Rainer Maria Rilke (1875-1926), bedeutender und einflussreicher
deutscher Autor, dessen Frühwerk von naturalistischen Elementen
geprägt war
Ein Einakter ist ein Theaterstück, das in nur einem Akt eine
Konfliktzuspitzung und -lösung entwickelt. Er ist meist kurz und ohne
Szenenwechsel.
Sollte das zugrunde liegende literarische Werk ganz oder in Teilen im
Unterricht behandelt worden sein, wird die Nutzung Ihrer dort
erworbenen Kenntnisse erwartet.

Die Textwiedergabe folgt der Quelle.

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Anna Stark hat sich als Mutter eines unehelichen Knaben nach dem Bruch mit der bürgerlichen Welt
der Eltern in ein hochgelegenes Mansardenzimmer zurückgezogen, in dem sie getrennt von ihrer
Familie über sechs Jahre lang mit ihrem Kind ein ruhiges Leben geführt hat. Ihr Bruder Max
kontaktiert sie erstmalig nach dieser Zeitspanne, um sie ins Elternhaus zurückzuholen. Zunächst sagt
Anna froh zu. Als sie jedoch erfährt, dass Max ein Mädchen geschwängert hat, das sich daraufhin das
Leben nahm, reagiert Anna mit Entsetzen auf die Kaltschnäuzigkeit ihres Bruders.

Rainer Maria Rilke: Höhenluft (1897)


[…]
Anmerkung:
Die einzelnen Figuren charakterisieren sich klar. Anna schlicht in Kleidung und Wesen. Alles
verrät das Überwundenhaben1: Der ruhige klare Blick, die weißen, wünschelosen Hände.
Max Stark, nicht just geckenhaft2, aber vornehm modern. Blond mit gezwirbeltem
5 Schnurrbart, eventuell Kneifer3. Das »Mna« spricht er ganz kurz.
Toni kann zwischen sechs und acht Jahren stehen. Nicht sehr eingelernt4, recht herzlich und
innig: blonder Wildfang. – Alles andere bleibt der verständigen Regie überlassen. –
R.M.R.5 […]
Ort der Handlung: Kleine deutsche Stadt. Schlichtes Mansardenzimmer.
10 Zeit: Gegenwart. Kurz vor Weihnachten. Mittag.
Anmerkung:
Die schlichte Mansarde ist sauber und nett; die kleinen Scheiben im tiefgelegenen Fenster
mit weißen Vorhängen verhangen. Die Dielen rein gescheuert. Im tiefen Mansardenerker6
steht die Nähmaschine. Das Bett ist mit einer geblumten Kattundecke bedeckt, das daneben
15 stehende Kinderbettchen mit aufgezogenen grünen Garngittern besonders schmuck. Auf
dem Schubkasten7 allerlei Kleinigkeiten, auch einige Bücher. Auf dem Schrank ein paar
größere Pappkartons. Auf dem Tisch die Reste einer Mahlzeit, welche die alte Bedienerin
abzuräumen eben im Begriffe steht. Um den Tisch herum ein mit schwarzem Glanzleder
bezogener Lehnstuhl und zwei gewöhnliche Holzsessel. […]

1
das Überwundenhaben: verklärte Haltung ohne Bitterkeit
2
geckenhaft: eitel, übertrieben modisch gekleidet
3
der Kneifer: bügellose Brille
4
eingelernt: hier: brav, sich selbst kontrollierend
5
R.M.R.: Initialen des Autors
6
der Erker: ein mit Fenstern versehener Vorbau
7
der Schubkasten: die Kommode
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Max leichthin: Habe dir ja das ganze dumme Zeug nur erzählt, damit du erklärt findest,
20 weshalb Papa und Mama ...
Anna wendet sich: Sie wissen davon?
Max mit gewissem Dünkel: Gott, ja. Öffentliches Geheimnis. – Sowas spricht sich um8. In
den intimen Kreisen fängt man an zu munkeln. So eine Art – Berühmtheit. Mna9. Eingebildet.
Das tut ganz gut, von Zeit zu Zeit so’n bißchen Gesprächsstoff sein. Wie?
25 Anna eisig: Ich versteh dich nicht.
Max. Nicht? – Weißt du, du mußt es halt den Alten so ein bißchen ausreden. Ich hänge
eigentlich ganz von ihnen ab. Es gibt da jetzt eine Menge Verpflichtungen ... und Papa –
unter uns – er ist ein großer Philister, der wäre imstande ...
Anna stolz: Betteln soll ich für dich?
30 Max erhebt sich: Aber, liebe Schwester, du verstehst mich nicht, du verkennst die Situation.
Ich meine nur …
Anna unvermittelt: I c h g l a u b e, i c h w e r d e a u c h d i e E l t e r n n i c h t m e h r
verstehen–
Max: Das macht sich.
35 Anna sehr ernst: Ich versteh euch alle nicht ...
Pause.
Max schleudert den Zigarrenrest gegen den Ofen hin fort und geht mit auf dem Rücken
verschränkten Händen auf und nieder: Jaaaa – das sind die Jahre. Gähnt.
Anna: Max, ich glaube, es liegt noch etwas anderes zwischen uns, als die Jahre.
40 Max: ?
Anna groß: I c h h a b e d e n F r i e d e n.
Max: Mhm!
Anna: Ist das nicht alles, was man auf Erden haben kann?
Max: Frieden? – Ja. – Mna das heißt, (impertinent) heizt du dir auch deinen Ofen damit? –
45 Dann finde ich ihn – als Heizmaterial wenigstens – recht mangelhaft, deinen Frieden.
Anna als hätte sie nicht gehört: Es muß eine ganz andere Luft sein da unten in euren
Häusern. Eine drückende Schwere. Ich weiß nicht, ich bin sie entwöhnt. Ich kann mich nur
wie im Traum erinnern, daß ich sie einmal geatmet habe. Das ist lang10. – Und dann: bei
euch sieht man in die Mauern hinein und – in die Nachbarfenster. H i e r aber – schau –
50 weit, weit über alle Dächer. Und der Himmel ist viel näher hier. Nachts glaub ich oft, ich
könnt’ mir mit der Hand die Sterne holen. – Es ist alles anders hier. Hier herauf geht man nur
durch großes Leid. Man stirbt dann entweder hier oben, oder – man übersteht‘s. Und wenn
man‘s übersteht, dann ist man müde und mild und friedlich wie nach einer schweren
Krankheit. Und dann hat man lauter Verzeihen und Güte in sich – und man versteht nicht
55 mehr das unten – man ist so … s o ü b e r a l l e s L e i d h i n a u s …

8
spricht sich um: spricht sich herum
9
Mna: Verlegenheitsfloskel
10
lang: lang her
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Pause.
Max lauscht wie gebannt. Dann wie unwillig sich losreißend im alten Ton: Fertig?! Mna, das
war ja eine ganz respektable Leistung. Du könntest Romane schreiben. Du, das soll das
Schlechteste nicht sein ... Und der langen Rede kurzer Sinn: das gnädige Fräulein geruht auf
60 die freundlichst angebotene Wiederaufnahme in den Familienkreis ganz frei und munter – zu
pfeifen. Nicht?
Anna verschüchtert: Du mußt nicht spotten.
Max: Und du mußt nicht Gnaden machen11. Das >Gnaden machen< ist eigentlich nicht so
ganz auf deiner Seite. Sieht auf die Taschenuhr. Übrigens drängt auch meine Zeit. Kurz.
65 Also ich stehe hier, abgesendet von deiner Mutter, um dich aufzufordern, in die Arme deiner
Eltern zurückzukehren usw., usw. ...
Willst du? Ja oder nein? –
Anna entschlossen: Ja.
Max etwas überrascht: Soo. Mna also. Erfreulich. Es siegt also doch das Pflichtgefühl in dir,
70 den Eltern beizustehen.
Anna leise: Du sollst dich nicht täuschen. Das ist es nicht.
Max: Sondern?
Anna: Ich habe eine höhere Pflicht.
Max: Hm?
75 Anna: Mein Kind.
Max in Schrecken und Erstaunen: Wie? – – –
Anna: Ich glaube die Zukunft des kleinen Toni besser versorgt, wenn ich ...
Max: Also lebt...? Gefaßter. Mna, das ist schön. Du hast recht. Wo ist denn der ...
Anna: Toni ist in der Schule. – Bis du ihn sehen wirst, Max! Begeistert. B i s du ihn
80 s e h e n w i r s t ! Innig. Er ist mein alles.
Max nachdenklich: Soso.
Anna ebenso innig: Er ist auch brav und fleißig ...
Max: Und schon in die Schule geht er? Mna, das ist ja ganz nett. Also der kleine ... Wie heißt
er?
85 Anna: Toni.
Max: Toni? Hm. Also der kleine Toni soll auch mit? – Mna ja. Die Mama wird sich ja recht
freuen. – Daran dachten wir eigentlich nie. Sechs Jahre ... Übrigens famos: die alte Fellner
(erinnerst du dich?), meine Quartierfrau als Lieutenant – die hat immer sowas in die Pflege
gewünscht. D e r geben wir den Rangen12. Die hat eine tüchtige Hand, die alte Fellner. – Hui!
90 Bei der H e x e gedeiht er dir. Blühend. Und du bist‘s los – –
Anna die entsetzt lauscht, gepreßt, zurückhaltend: Glaubst du?

11
Gnaden machen: die Gnädige, d.h. eine der gesellschaftlichen Stellung nicht angemessene Rolle als gnädige
Frau spielen.
12
Rangen: unartiges Kind
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Max: Natürlich, Schwesterchen. Bin doch ein patenter Kerl? Wie? Gleich Rat bei der Hand.
Die alte Fellner! Sag doch bravo. Sieht zum Fenster hinaus. Weißt du, ganz abgesehen von
Plage und Störung, – ins Haus bringen kannst du sowas nicht. Das versteht sich von selbst.
95 Papa ist pensionierter Staatsbeamter, ich war Offizier – und dann hat man ja auch seinen
Verkehr; man darf die Leute nicht brüskieren.
Anna kaum mehr an sich haltend: Meinst du?
Max noch hinausblickend: Gott, da ist doch kein Wort weiter darüber zu verlieren; das giebt
ja der allergemeinste Begriff von gesellschaftlicher – Rücksicht, von savoir vivre, mna mit
100 einem Wort von – – Ehrenhaftigkeit.
Anna losbrechend, so daß Max erstaunt umsieht: G i e b t e s d a s a l l e s
b e i e u c h da unten? Nein, was ihr doch für schöne Dinge habt! Gesellschaftliche
Rücksicht habt ihr und Lebensart und Ehrenhaftigkeit und... j a – w a s d e n n n o c h ?
Gesellschaftliche Rücksicht – ja und Erziehung und Bildung und Ehre – und – nur kein Herz!
105 Lacht höhnisch.
Max in höchstem Erstaunen: Erlaube ...
Anna ruhiger und ernst: Mach dir nie mehr die Mühe heraufzukommen, Max. Es ist sonst
sehr still hier. Du trägst Zwietracht herauf und Haß und – – Verachtung.
Max heiser: Anna! Er lacht verächtlich.
110 Anna: Willst du sonst noch etwas ...?
Max erst sprachlos: – Du weist mir die Türe? Das ist der Dank. Ich hab‘s ja gleich gesagt.
Das ist der Dank. Wenn man euch aus eurem Schmutz ... Er ist ganz heiser vor Erregung;
nimmt seinen Hut vom Tische. Mna, ich kenn ja Frauenzimmer von deiner Sorte genug, – so
zweifelhafte ...
115 Anna steht hart am Fenster, vom Winterabendrot verklärt, zürnenden Auges vor ihm. Da tut
sich die Tür auf, und ohne Maxen, der noch beim Tisch steht, zu bemerken, stürzt Toni
(sechs Jahre, blond, frisch) herein. Er wirft die Bücher auf den Stuhl bei der Türe und stürmt
auf Anna zu.
Toni jubelnd: Mutterl!
120 Anna nimmt ihn in die Arme und küßt ihn innig.
Toni hastig fortfahrend: Mutterl, der Fritz hat heute schon’s Christkind gesehen. Wirklich!
Und der Herr Lehrer hat gesagt, daß es jetzt jede Nacht durch die Stadt fliegt, ist das wahr?
Anna hebt den Blick voll Glückseligkeit zu Max, der immer noch an der Türe zögert.
Toni folgt, da keine Antwort kommt, dem Blick der Mutter und sieht erstaunt bald auf Max,
125 bald auf Anna.
Anna tritt in den Erker.
Toni dies bemerkend: Nicht, nicht gleich wieder nähen, Mutterl! Dann schmeichelnd zu Max.
Du, bist du der Dottor? Faßt Mütterchens Hand. Schau, was Mutterl für wehe Hände hat vom
Nähen! Zu Anna. Tuts weh?!
130 Anna lächelt durch Tränen und kniet in gerührter Liebe nieder, den Kleinen zu küssen.
Schluß

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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018

Deutsch
Leistungskurs
Erwartungshorizont C für Lehrkräfte im Land Berlin

Kurztitel: Rilke: Höhenluft


Aufgabenart: Interpretation literarischer Texte

Beschreibung der erwarteten Leistungen


Leistungen, die im Erwartungshorizont nicht ausgeführt wurden, aber als gleichwertig oder
besser anzusehen sind, sind bei der Gesamtbewertung angemessen zu berücksichtigen.

Sollte das zugrunde liegende literarische Werk im Unterricht ganz oder in Teilen behandelt
worden sein, so wird eine vertiefende Kontextualisierung entsprechend des erteilten
Unterrichts erwartet.

Allgemeine Spezifische Leistungsanforderungen


Leistungsanforderungen im
Kompetenzbereich

Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes

A Textverständnis (30 %) Wesentliche Aspekte der Texterschließung mit exemplarischen Text-


bezügen, z. B.:
B Erschließen Textgehalt: Auseinandersetzung zwischen Anna und ihrem Bruder Max
textkonstituierender über Annas Rückkehr und die Bedingungen ihrer Rückkehr zur
Mittel in ihrem Wirkungs- Familie, Annas abschließende Weigerung
zusammenhang (30 %)
textkonstituierende Mittel in ihrem Wirkungszusammenhang/Erschlie-
ßen struktureller Besonderheiten, z. B.:
Situierung der Szene:
- Zeit: Vorweihnachtszeit, Mittag (vgl. 10)
- Ort: Kleinstadt, einfaches Zimmer im Dachgeschoss (vgl. 9); weitere
Details, die auf Annas Erwerbstätigkeit als Näherin („Nähmaschine“,
14) und das umhegte Kind hinweisen (liebevoll ausgestattetes
Kinderbett, vgl. 14 ff.)
Handlung/Gesprächssituation:
- Dialog zwischen den Geschwistern; Max‘ Intention, die Schwester
als seine Fürsprecherin in die Familie zurückzuholen; Annas
zunächst positive Reaktion („Ja.“, 68) verbunden mit dem Wunsch
nach einer sicheren Zukunft für ihr Kind (vgl. 73 ff.)
- nach Ablehnung dieses Wunsches emotionsgeladene Abwehr des
brüderlichen Angebots, Fortschicken des wütenden Bruders („Du
weist mir die Türe? Das ist der Dank!“, 111) und Verzicht auf die
Rückkehr
Aufbau/Struktur:
- temporeicher, spannungssteigernder Dialog, stetiger
Sprecherwechsel
- Dominanz Annas (vgl. 97 ff.), auch durch ihre entscheidenden

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Allgemeine Spezifische Leistungsanforderungen


Leistungsanforderungen im
Kompetenzbereich

Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes


Impulse, aufgrund derer sie sich schrittweise von ihrem Bruder und
den Eltern distanziert (vgl. 25 ff., generalisierend vgl. 35), und ihre
moralische Haltung Schritt für Schritt verständlich macht („Ich habe
den Frieden“, 41), unterstrichen durch rhetorische Frage („Ist das
nicht alles, was man auf Erden haben kann?“, 43) und längerem
Monolog (46 ff.), der auf das Ende verweist („man ist so… s o
ü b e r a l l e s L e i d h i n a u s“, 55)
- Max‘ längere und zahlreichere Redebeiträge durch Skizzierung der
Zukunft des Kindes (vgl. 86 ff.); Abwehr Annas erst durch
stammelnde ungläubige Fragen („Glaubst du?“, 91; „Meinst du?“,
97), dann durch klare Zurückweisung der Doppelmoral (vgl. 101 ff.)
und Verweis des Bruders aus der Wohnung (vgl. 107 ff.)
- nach Tonis Auftritt (vgl. 119 ff.) lediglich Beiträge des Kindes; Annas
Verhalten als stummer Kommentar zu ihrem Monolog durch
verhaltensindizierende Regieanweisungen (vgl. 115 ff.); Fehlen von
Hinweisen auf Max entsprechend seiner moralischen Unterlegenheit
in diesem Abschnitt
- das Fehlen von Redeanteilen im letzten Abschnitt des Textes als
Ausdruck von Nichtzugehörigkeit zur Familie Annas sowie als Indiz
für Annas moralische Überlegenheit (vgl. 101 ff.)
Figurenkonstellation:
- zunehmendes Spannungsverhältnis zwischen den kontrastierenden
Figuren und damit Entfremdung sowie endgültige Entzweiung der
Geschwister

Figurencharakteristik und sprachliche Indikatoren:


Figur Max:
- ehemaliger Offizier (vgl. 95), moralisch zweifelhafte Figur durch
Verantwortungslosigkeit gegenüber einer jungen Frau (vgl. 22 ff.,
111 ff.), überheblich (vgl. 19 f., 30 f.), zynisch (vgl. 57 f.), sarkastisch
(„Frieden? – Ja. – Mna das heißt, (impertinent) heizt du dir auch
deinen Ofen damit? Dann finde ich ihn – als Heizmaterial wenigstens
– recht mangelhaft, deinen Frieden“, 44 f.), aggressiv, indem er
seiner Schwester die vermeintliche Verfehlung als Mittel, sie zu
beeinflussen, mehrfach vorhält (vgl. 111 ff.), eitel („Das tut ganz gut
von Zeit zu Zeit, so’n bißchen Gesprächsstoff sein“, 24), rücksichts-
und empathielos, als er der Schwester vorschlägt, sich von ihrem
Kind zu trennen (vgl. 93 ff.), selbstgerecht („Bin doch ein patenter
Kerl? Wie?“, 92)
- unbeholfener Sprachduktus: Mischung aus Bildungs- und
andeutender, oft elliptischer Umgangssprache, unterbrochen von
dem Verlegenheitswort ‚Mna‘ (vgl. 5 und fast alle weiteren
Redebeiträge); Neigung zu sich selbst unterbrechenden,
andeutenden Bemerkungen (vgl. 26 ff.), um Drohungen
auszusprechen; Vorbringen von Begriffsketten und Redewendungen
anstelle von zusammenhängenden Gedankengängen („Gott, da ist
kein Wort weiter drüber zu verlieren; das gibt ja der allergemeinste
Begriff von gesellschaftlicher – Rücksicht, von savoir vivre, mna mit
einem Wort von – Ehrenhaftigkeit“, 98 ff.).

Figur Anna:
- junge, alleinerziehende Frau, arbeitet als Näherin (vgl. 14, 127),
Sympathieträgerin: einfach gekleidet, ruhig, klar blickend, („schlicht
in Kleidung und Wesen“, 2), direkt und ohne Umschweife Vorwürfe
formulierend (vgl. 101 ff.), Ablehnung der Unterstützung der
unseriösen Ziele des Bruders (z. B. durch rhetorische Frage „stolz:
Betteln soll ich für dich?“, 29), unbeirrbar, sicher im moralischen
Urteil (vgl. 46 ff., 101 ff.), kluge und redegewandte Zurechtweisung
ihres Bruders etwa durch Entgegensetzung, seiner Vorstellung von
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Allgemeine Spezifische Leistungsanforderungen


Leistungsanforderungen im
Kompetenzbereich

Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes


gesellschaftlicher Rücksicht (vgl. 101 ff.), zusammengefasst in einem
einzigen Schlüsselbegriff („Herz“, 104)
- emotional: wütend und verächtlich bei der Verteidigung ihrer
Wertvorstellungen (vgl. Regieanweisungen 97, 101); Zugewinn
moralischer Stärke durch zunehmende sprachliche
Differenzierungen und Bilder (vgl. 46 ff.), zunehmende Distanz zur
Familie durch Betonung des Kontrasts zwischen ihrer und eigener
Perspektive („da unten in euren Häusern“, 46 f.; „H i e r aber“, 49),
Liebe für das Kind („Er ist mein alles“, 80), Empfindung von Trost im
Kind für gesellschaftliche Ächtung (vgl. Regieanweisungen 120,
123,130);
- zurückhaltender, bei Herausforderung aber klar urteilender und
bestimmter Sprachduktus, z.B. bei der endgültigen Trennung von
dem Bruder („Mach dir nie mehr die Mühe heraufzukommen, Max.
Es ist sonst sehr still hier. Du trägst Zwietracht herauf und Haß und –
– Verachtung“, 107 f.)
- klare Urteilsfähigkeit in Bezug auf die Doppelmoral:
Gegenüberstellung der dumpfen Atmosphäre („da unten in euren
Häusern. Eine drückende Schwere“, 46 f.) und eines freien Blicks
(„weit, weit über alle Dächer“, 50), Insistieren auf ihre
Ungebundenheit als Abkehr von der Doppelmoral ihrer Eltern und
der etablierten bürgerlichen Gesellschaft (vgl. 101 ff.)
- ihre romantischen Freiheitsreminiszenzen lesbar als Trost („Nachts
glaub ich oft, ich könnte mir mit der Hand die Sterne holen“, 50 f.)

C Nutzung von Wesentliche domänenspezifische Kontexte, Konkretisierung


entsprechend dem erteilten Unterricht, z. B.:
domänenspezifischem
Wissen (20 %) - literaturtheoretisch (Merkmale der Gattung Drama, Konzepte
realistischen Schreibens)
- literaturhistorisch (Naturalismus, Realismus)
- geistesgeschichtlich (Beginn der Moderne, Naturalismus und
eventuell Gegenströmungen)
- sozialgeschichtlich (soziale Frage, Ära Bismarcks und
Wilhelminische Epoche, bürgerliche Doppelmoral, Frauenfrage,
moralischer Kodex)

D Deuten der Ergebnisse Mögliche Deutungen, z. B.:


(aus A,B,C) (20 %) - Konzepte des realistischen/naturalistischen Schreibens werden
deutlich, Szene wirklichkeitsnah
- soziale Wirklichkeit und Wertung der Figuren durch
Regieanweisungen und Dialog festgelegt
- Kritik an Doppelmoral und Zynismus des Militärs und der
bürgerlichen Eliten
- moralische und relative soziale Freiheit der Figur Anna durch
reduzierten Lebensstandard und Isolation im Vergleich zur
Abhängigkeit des Bruders vom Regelkanon der bürgerlichen
Gesellschaft bei hohem Lebensstandard
- Selbstentlarvung der Figur Max durch Sprache
- Selbstbefreiung Annas entspricht nicht der Determinismus-Theorie
- künstlerische Gestaltung etwa durch moralisch und sprachlich
agierendes gegensätzliches Geschwisterpaar, auch durch das
komplementäre Spiel von Sprache und schweigender Präsenz im
letzten Teil
- teilweise Abweichung von den strengen Gestaltungsvorgaben des
Naturalismus, insbesondere durch die Figurenentwicklung Annas

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Allgemeine Spezifische Leistungsanforderungen


Leistungsanforderungen im
Kompetenzbereich

Darstellung

A Strukturierung des Textes Die spezifischen Leistungsanforderungen sind dem Kriterienraster zu


(20 %) entnehmen.

B Entwicklung von
Gedankengängen (20 %)

C Ausdruck (20 %)

D Umgang mit Referenzen


(10 %)

E Sprachliche Korrektheit
(25 %)

F Lesefreundliche Form
(5 %)

Die Bereiche Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes und Darstellung
werden im Verhältnis 60:40 gewichtet.

Kriterien für eine gute (11 Punkte) und eine ausreichende (05 Punkte) Leistung
Aufgabenart: Interpretation literarischer Texte

I: Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes (60 %)

12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte

A Textverständnis nachvollziehbares, differenziertes im Ganzen noch nachvollziehbares


(30 %) Textverständnis; kleinere Textverständnis;
Ungenauigkeiten beeinträchtigen Ungenauigkeiten/Fehler im Detail
die Leistung nicht

B Erschließen differenzierte Erarbeitung text- im Ganzen noch angemessene


textkonstituierender konstituierender Mittel in ihrem Erarbeitung textkonstituierender
Mittel in ihrem Wirkungszusammenhang; kleinere Mittel in ihrem
Wirkungszusammen- Ungenauigkeiten beeinträchtigen Wirkungszusammenhang; Fehler
hang die Leistung nicht im Detail
(30 %)
C Nutzung von domä- weitgehend funktionale Nutzung im Ganzen noch funktionale
nenspezifischem von domänenspezifischem Wissen Nutzung von
Wissen domänenspezifischem Wissen
(20 %)

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12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte

D Deuten der stimmige Deutung; kleinere insgesamt noch akzeptable


Ergebnisse (aus Ungenauigkeiten beeinträchtigen Deutung
A,B,C) die Leistung nicht
(20 %)

II: Darstellung (40 %)

12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte

A Strukturierung des schlüssige Struktur; kleinere im Ganzen noch nachvollziehbare


Textes Ungenauigkeiten beeinträchtigen Struktur
(20 %) die Darstellung nicht

B Entwicklung von weitgehend überzeugende im Ganzen noch nachvollziehbare,


Gedankengängen Gedankengänge; kleinere zum Teil aber pauschalisierende,
(20 %) Ungenauigkeiten beeinträchtigen undifferenzierte Gedankengänge
die Leistung nicht

C Ausdruck sprachliche (ggf. fachsprachliche) im Ganzen noch sprachliche (ggf.


(20 %) Klarheit; vielfältige Lexik; kleinere fachsprachliche) Klarheit; einfache,
Ungenauigkeiten beeinträchtigen zum Teil ungenaue bzw. sich
die Leistung nicht wiederholende Lexik

D Umgang mit weitgehend funktionale und im Ganzen noch funktionale und


Referenzen korrekte Bezugnahme auf die korrekte Bezugnahme auf die
(10 %) Textgrundlage (Zitat oder Textgrundlage (Zitat oder
Paraphrase) Paraphrase); Fehler im Detail

E Sprachliche kaum Verstöße gegen die Regeln wiederholt Verstöße gegen die
Korrektheit der deutschen Sprache Regeln der deutschen Sprache
(25 %) Fehler sind auf wenige Fehler sind auf viele verschiedene
Phänomene beschränkt Phänomene bezogen
keine Beeinträchtigung von gelegentlich Beeinträchtigung von
Lesefluss und Verständlichkeit Lesefluss und Verständlichkeit
F Lesefreundliche ansprechende äußere Gestaltung verschiedene Schwächen in der
Form (Schriftbild, Korrekturen, äußeren Gestaltung (Schriftbild,
(5 %) Abschnittsgestaltung); kleinere Korrekturen, Abschnittsgestaltung);
Schwächen beeinträchtigen die insgesamt aber noch ausreichend
Lesbarkeit nicht übersichtlich und lesbar

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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018

Deutsch
Leistungskurs
Aufgabenstellung D für Prüflinge im Land Berlin

Bezug zum Rahmenlehrplan: Literatur im 20./21. Jahrhundert


literarische und pragmatische Texte
Literatur im Kontext neuer Medien
Erzählkonzeptionen
Aufgabenart: Analyse pragmatischer Texte
Hilfsmittel: Nachschlagewerk zur Rechtschreibung der deutschen
Sprache
Bearbeitungszeit: Die Arbeitszeit beträgt 315 Minuten und umfasst eine
individuelle Lese- und Auswahlzeit, die 30 Minuten nicht
überschreiten sollte.

Text: Elias Kreuzmair: Was war Twitteratur? (2016)

Aufgabe: Analysieren Sie Elias Kreuzmairs Blog-Beitrag Was


war Twitteratur?.

Berücksichtigen Sie dabei, wie der Autor seiner


Leserschaft die Spezifik dieser modernen
Literaturform sprachlich und inhaltlich vermittelt.

Quelle: Kreuzmair, Elias: Was war Twitteratur? In: Merkur-Blog vom


04.02.2016.
https://www.merkur-zeitschrift.de/2016/02/04/was-war-
twitteratur/#more-2942 (Zugriff am 01.03.2017)

Erläuterungen: Elias Kreuzmair (geb. 1986), Literaturwissenschaftler und Journalist,


dessen Forschungsschwerpunkt überwiegend im Bereich der
Gegenwartsliteratur liegt
Der Merkur ist eine monatlich erscheinende Zeitschrift mit
vergleichsweise niedriger Auflage, die sich an ein vornehmlich
akademisches Publikum richtet. Als eine der ältesten
Kulturzeitschriften Deutschlands veröffentlichen im Merkur neben
Geistes- und Kulturwissenschaftlern z.T. auch bedeutende
Intellektuelle, häufig in Form von Essays, zu einer großen Bandbreite
von Themen.
Der Merkur-Blog bietet Leserinnen und Lesern der Zeitschrift Merkur
seit 2012 Raum für Stellungnahmen zu Texten und Themen der
Druckausgabe, den es in der Zeitschrift selbst nicht gibt.

Die Textwiedergabe folgt der Quelle.


Offensichtliche Verstöße gegen die deutsche Rechtschreibung und Grammatik wurden stillschweigend korrigiert.

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Elias Kreuzmair: Was war Twitteratur? (2016)

Twitter1 ist am Ende. So verkündete es kürzlich zumindest der New Yorker2. Dazu war
zuletzt immer wieder zu lesen, die Plattform wolle die ikonische 140-Zeichen-Begrenzung
der Posts aufheben oder zumindest lockern. Es scheint also ein geeigneter Zeitpunkt zu
sein, um danach zu fragen, was Twitteratur war. Dieser Begriff bezeichnet nämlich kein
5 literarisches Genre, sondern situiert bestimmte literarische Texte im Diskurs über
Gegenwartsliteratur.
Bemerkenswert ist zunächst, dass sich der Begriff überhaupt herausgebildet hat.
Facebookeratur ist kein stehender Begriff, der „1. Facebookroman“ Zwirbler blieb eher
unbeachtet. Auch dass der syrische Autor Aboud Saeed ähnlich wie die österreichische
10 Autorin Stefanie Sprengnagel ihre literarischen Karrieren mit Texten auf Facebook begannen
und sie diese in vielfältiger Weise wiederverwendet haben, wird als ein eher
nebensächliches Phänomen betrachtet.I Florian Meimberg hingegen wurde für seine
Kürzestgeschichten auf Twitter im Jahr 2010 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.
Warum also Twitteratur? Prägend für den Begriff und seine Karriere war eine Textsammlung:
15 Twitterature. The World’s Greatest Books Retold Through Twitter3 von Alexander Aciman
und Emmet Rensin, die 2009 erschienen ist. Die Sammlung enthält Palimpseste4 einiger
Werke der Weltliteratur in netzaffiner5 Jugendsprache. Deren Erzähler_innen trugen wie auf
Twitter eine Namensbezeichnung mit At-Zeichen und kommunizierten in Abschnitten von
höchstens 140 Zeichen.
20 Klassiker-Palimpseste sind es jedoch nicht, was dann als Twitteratur bezeichnet wurde.
Auch die Nähe zur dramatischen Form hat sich nicht als dauerhaft erwiesen. Wie auch sonst
im Literaturbetrieb steht die Prosa im Vordergrund. Zwar gibt es eine hohe lyrische
Produktivität – man muss nur einmal auf Twitter nach dem Hashtag6 #Haiku suchen – auf
der Plattform, diese fand jedoch verhältnismäßig geringe Beachtung. Zudem wurde
25 Twitterature die Zugehörigkeit zur Twitteratur häufig abgesprochen, weil die Texte nie auf
Twitter veröffentlicht wurden. Ein Meilenstein der Twitteratur war dagegen Jennifer Egans
Agentinnenroman Black Box, der 2012 sowohl im New Yorker-Heft als auch auf einem
eigens eingerichteten Fiction-Account der Zeitschrift auf Twitter erschien. Egan unterteilte
ihren Roman in 47 Kapitel, die jeweils aus mehreren, höchstens 140 Zeichen langen Sätzen
30 bestehen.
Im deutschsprachigen Raum hat es kein Twitter-Roman zu größerer Prominenz gebracht,
obschon es sicherlich welche gibt. Mehr Echo fanden die oben schon erwähnten Tiny Tales
von Florian Meimberg. Bei ihnen handelt es sich um Kürzestgeschichten, die jeweils
höchstens 140 Zeichen lang sind. Bekanntheit erlangten auch einige Accounts, die fiktive
1
Twitter: Mikrobloggingdienst mit mehreren hundert Millionen registrierten Nutzern. Die Nutzer von Twitter
können in auf 140 Zeichen begrenzten Posts, die Tweets genannt werden, telegrammartige und öffentlich
zugängliche Kurznachrichten verbreiten.
2
New Yorker: unregelmäßig in New York erscheinendes Lifestylemagazin mit anspruchsvollen Essays,
Kurzgeschichten und kritischen Beiträgen zu aktuellen Ereignissen.
3
Twitterature. The World’s Greatest Books Retold Through Twitter : englischsprachiger Buchtitel, zu deutsch
etwa: „Twitteratur. Die berühmtesten Bücher der Welt neuerzählt via Twitter“; in dem 146-seitigen Bändchen
werden 60 Bücher mit jeweils maximal 20 Tweets dargestellt.
4
Palimpseste: Plural von Palimpsest, antikes oder mittelalterliches Schriftstück, von dem der ursprüngliche Text
abgeschabt oder abgewaschen und das danach neu überschrieben wurde.
5
netzaffin: in enger Beziehung mit dem Internet stehend
6
Hashtag: ein mit ‚#‘/Doppelkreuz versehenes Schlagwort, das dazu dient, bestimmte Inhalte auf Twitter für
andere Benutzer leichter auffindbar zu machen.
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35 Figuren inszenieren wie Jan-Uwe Fitz alias @vergraemer. Der größte literarische Account
auf Twitter im deutschsprachigen Raum ist vermutlich der der „Online-Omi“ Renate
Bergmann, ein satirischer Account, der aus dem Leben einer älteren Dame berichtet.
Bemerkenswert am Prinzip dieser Twitter-Accounts ist, dass weniger die Kürze der einzelnen
Posts, sondern eher die potentiell unendliche Fortsetzbarkeit im Zentrum des Erzählens
40 steht.
Als drittes im deutschsprachigen Raum relevantes Textkorpus7 sind die – siehe den Text von
Holger Schulze in Ausgabe 800 des Merkur – Veröffentlichungen im Frohmann Verlag zu
nennen. Autorinnen wie Ute Weber, Anousch Mueller, Claudia Vamvas posten kurze Texte
zwischen Alltagsbeobachtung und Aphorismus, die jeweils zu Buchveröffentlichungen im
45 Frohmann Verlag führten. Von Mueller erschien zudem der Roman Brandstatt (2013) im
Rowohlt Verlag. Wie auch Torsten Rohde, dem Schöpfer der Figur Renate Bergmann, und
Meimberg verhalfen die literarischen Aktivitäten auf Twitter zu Buchveröffentlichungen in
arrivierten Verlagen.
Aber zurück zur Twitteratur: Aus den sehr verschiedenen Texten – ein Roman, Palimpseste,
50 Kürzestgeschichten – lässt sich keine spezifische Textsorte ableiten. Auch die Reduktion auf
die formale Bedingung, Textabschnitte in 140 Zeichen zu verpacken, unterschlägt vieles und
ist kein ausreichendes Kriterium für Twitteratur. Die Virulenz8 dieses Begriffes scheint andere
Gründe zu haben.
In Twitterature steht Twitter in der Kontraktion von Twitter und literature für die stilistische
55 und formale Aktualisierung der literarischen Klassiker von Romeo and Juliet bis zu den
Leiden des jungen Werther. Twitter ist die Metapher für die Revitalisierung vermeintlich toter
Literatur. Viel wichtiger als die Kürze, als die Begrenzung auf 140 Zeichen, war im Begriff der
Twitteratur und in der Verbindung von Literatur und Twitter immer die Konnotation des
sozialen Netzwerks mit Lebendigkeit, Unmittelbarkeit, Gegenwärtigkeit und Aktualität. Diese
60 Konnotationen lassen sich dann gegen eine vermeintlich tote, vermittelte,
vergangenheitsbehaftete – gedruckte – Literatur in Stellung bringen. Insofern ist es kein
Zufall, dass Egan ihren Roman Black Box für Twitter geschrieben hat: Die Protagonistin und
Erzählerin ist eine Cyborg9-Agentin, Black Box ihr Missions-Logbuch, das sie in unmittelbarer
Übertragung ihrer Gedanken schreiben kann. So ist die formale Annäherung an Twitter auch
65 auf thematischer Ebene relevant: Twitter wird als Ort einer vermeintlich unmittelbaren
Kommunikation aufgerufen.
Dieser spezifische Dualismus von Leben und Tod zeigt sich nicht nur in den literarischen
Texten, sondern wird auch in der theoretischen Reflexion des Phänomens immer wieder
betont. Christiane Frohmann, Verlegerin und Gründerin des Frohmann Verlags, hat das
70 beispielsweise in einem Text über „instantanes10 Schreiben“ getan. Schon der Titel hebt
wieder die Verbindung von Online-Schreibweisen und Unmittelbarkeit hervor. Deutlicher wird
es noch im Text, wenn es heißt: „[D]ieses neue Schreiben, Lesen und Publizieren [wirkt]
befreiend, zugänglich und verbindend, mit einem Wort: lebendig“. Und weiter: „Das Netz ist,
anders als ein Buch oder Sterbebett, kein passender Ort für letzte Worte, es ist der Raum für
75 ständig zu aktualisierende Statusmeldungen.“ Online tobt das Leben, während im Regal das
Buch im Sterben liegt. Auch der Twitter-Apologet und Literaturwissenschaftler Stephan

7
Textkorpus: Sammlung von schriftlichen oder schriftlich aufgezeichneten Texten
8
Virulenz: hier im Sinne von gehäufte Verwendung
9
Cyborg: Mensch-Maschine-Mischwesen
10
instantan: augenblicklich
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Porombka ist immer wieder mit einer ähnlichen Position hervorgetreten. Ein Beispiel: „Wer
wirklich twittert, lebt mit dem Programm. Twitter bietet keine Geschichte mit Anfang und
Ende. Es ist eine Erzählmatrix, in der man drin ist und die man fortschreibt“, schreibt er an
80 einer Stelle, um mit diesem Leben auch die einzige Möglichkeit neuer Literatur zu verbinden.
Die Verknüpfung von Twitter und Leben erinnert an das Pathos künstlerischer Avantgarden,
die stets die Verbindung von Leben und Kunst als das Aufrichtige und Wahre proklamierten.
Aktuell verbindet sich mit dieser Positionierung eine bestimmte Verortung im kulturkritischen
Diskurs über die sogenannte Digitalisierung. Die Affirmation von Twitter als Affirmation des
85 Lebens ist auch eine Affirmation der Beschleunigung und der Simultaneität der digitalen
Netzwerke. Twitteratur ist also auch die Fantasie einer Form, die als Symptom dessen
gelesen werden kann, was sich mit verschiedenen Graden des Alarmismus inszenierende
Kulturkritiker wie Manfred Spitzer oder Douglas Rushkoff11 als Digitale Demenz (2012) oder
als Present Shock (2013) gefasst haben.
90 Im „Present Shock“ und der „digitalen Demenz“ wird all das, was in Bezug auf die Twitteratur
als lebendig überschwänglich gefeiert wird, pathologisiert. Überspitzt könnte man sagen,
dass die implizite Botschaft von Rushkoff und Spitzer ist: Lesen Sie doch einmal wieder
einen langen Roman von Dostojewski12! Erinnern Sie sich doch dieser traditionellen
Mnemotechnik13, und wenn nicht die Welt gerettet wird, so retten Sie sich doch zumindest
95 selbst!
[…]
Was war also Twitteratur? Eine neue sprachliche Verdichtung der Fantasie, es gäbe eine
literarische Form, die die Gegenwart – das Leben – zu fassen vermöge.
I
Gergely Teglasy TG: Zwirbler. Der 1. Facebook Roman. Freiburg 2014. Aboud Saeed: Der klügste Mensch im
Facebook. Statusmeldungen aus Syrien. Berlin 2013. Stefanie Sprengnagel. Auch in Thomas Meineckes Roman
14
Lookalikes (Berlin 2011) spielen Facebook- und Twitterstatusmeldungen eine Rolle.

11
Manfred Spitzer oder Douglas Rushkoff: Sachbuchautoren deutscher (Manfred Spitzer, geb. 1958) bzw.
amerikanischer (Douglas Rushkoff, geb. 1961) Herkunft, die in ihren Büchern vor den negativen Folgen der
Digitalisierung warnen.
12
Dostojewski: Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821-1881), bedeutender russischer Schriftsteller, der vor
allem durch seine psychologischen Romane Weltruhm erlangte, erstveröffentlichte seine Romane
überwiegend kapitelweise als Fortsetzungsromane in periodisch erscheinenden Zeitschriften.
13
Mnemotechnik: Verfahren, das die eigene Gedächtnisleistung steigern soll
14 I
Die Endnote ist Teil des Original-Blogbeitrags von Elias Kreuzmair.
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Erwartungshorizont D für Lehrkräfte im Land Berlin

Kurztitel: Kreuzmair: Twitteratur


Aufgabenart: Analyse pragmatischer Texte

Beschreibung der erwarteten Leistungen


Leistungen, die im Erwartungshorizont nicht ausgeführt wurden, aber als gleichwertig oder
besser anzusehen sind, sind bei der Gesamtbewertung angemessen zu berücksichtigen.

Allgemeine Spezifische Leistungsanforderungen


Leistungsanforderungen im
Beurteilungsbereich

Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes

A Textverständnis (35 %) Wesentliche Aspekte der Texterschließung mit exemplarischen Text-


bezügen, z. B.:
B Erschließen Textgehalt: retrospektive Auseinandersetzung mit einem neueren
textkonstituierender literarischen Phänomen, das sich im Kontext neuer Medien und
Mittel in ihrem Wirkungs- zwischen Zustimmung und Kritik entfaltet
zusammenhang (30 %)
textkonstituierende Mittel in ihrem Wirkungszusammenhang/ Erschlie-
ßen struktureller Besonderheiten, z. B.:
Kommunikationssituation und -ziel:
- ein Literaturwissenschaftler informiert eine fachlich vorgebildete
Leserschaft in Form eines überblicksartigen Blogbeitrags zu einem
Gegenstand der neueren literaturwissenschaftlichen Forschung
(eingeschränkter und spezifischer Adressatenkreis), dabei
Problematisierung, inwiefern Twitteratur das Leben erfassen könne
- dominantes kommunikatives Ziel ist es, anhand einer überwiegend
sachlichen Informationsvermittlung den Adressaten in eine
hinterfragende, kritische Rezeptionshaltung zu versetzen

Hauptthesen:
- der Begriff der Twitteratur erfährt innerhalb des Diskurses über
Gegenwartsliteratur eine gehäufte Verwendung („Virulenz“, 52) und
verweist auf neuere literarische Texte verschiedener Gattungen (vgl.
20 ff.), im Umfeld des Mikrobloggingdienstes Twitter; Primat der
Prosa innerhalb dieser Literaturform (vgl. 21 f.)
- Vorherrschen eines charakteristischen formalen Gestaltungsprinzips
(„Textabschnitte in 140 Zeichen“, 51) bei den Twitter-Posts (Tweets)
nachempfundenen oder tatsächlich über Twitter publizierten Texten
- Twitteratur als kein eigenständiges literarisches Genre bzw. keine
eigene Textsorte (vgl. 4 f.; 49 ff.), die sich mit Hilfe formaler oder
inhaltlicher Kriterien eindeutig abgrenzen lässt
- Postulat, Autorinnen und Autoren (vgl. 61 ff.) und Theoretiker (76 f.)
der Twitteratur unternähmen mit Hilfe ihrer Texte und des Begriffs
selbst den Versuch, sich in den Debatten über das Selbst-

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Allgemeine Spezifische Leistungsanforderungen


Leistungsanforderungen im
Beurteilungsbereich

Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes


verständnis von Gegenwartsliteratur und die Folgen der
Digitalisierung (vgl. 83 f.) in einem avantgardistischen Habitus (vgl.
81 f.) inhaltlich zu profilieren
- Einordnung von Twitteratur durch den genannten Personenkreis als
gegensätzlich im Vergleich zu älterer und analoger Literatur und
zugleich allein zukunftsweisend (vgl. 56 f.; 81ff.), wobei Twitteratur
als ideale literarische Form verstanden wird, um die Geschehnisse
der Gegenwart literarisch abzubilden (vgl. 97 f.)
- Kontrastierung dieser Aufwertung des Mediums Twitter in
Verbindung mit Literatur und ihrer Einordnung als wegweisend mit
kultur- und medienkritischen Positionen (vgl. 86 ff.), die Tendenzen
der Twitteratur im Rahmen von Digitalisierung problematisieren (vgl.
90 ff.)
- Beschreibung von Twitteratur als Phänomen der jüngeren
Vergangenheit (gehäufte Verwendung des Präteritums, vgl. Titel,
20, 24 f., 31, 97), obwohl sie im Bereich der Gegenwartsliteratur
verortet wird
rhetorische Gestaltung und argumentative Strategien:
- makrostrukturelle Gliederung des Textes folgt klassischem Aufbau:
eingangs Rechtfertigung der Publikation/des Untersuchungs-
gegenstandes und Kenntlichmachung des Schreibziels (1-5),
Etymologie des Begriffs und Abgrenzung zu medial ähnlichen
literarischen Textformen (7-19), literaturgeschichtlicher Abriss für
den amerikanischen und deutschen Sprachraum unter Nennung
wichtiger Werke sowie Autorinnen und Autoren (20-48), Merkmals-
bestimmung des Phänomens bzw. Problematisierung seiner
Abgrenzung (49-66), Verortung von Twitteratur im gegenwärtigen
literaturwissenschaftlichen und medienkulturellen Diskurs (67-95)
mit pointierendem Fazit (97 f.)
- häufige Verwendung von Bildungssprache („netzaffiner“, 17;
„obschon“, 32; „arrivierten“, 48) und Fachsprachen der Literatur- und
Sprachwissenschaft („Textkorpus“, 41; „Palimpseste“, 16;
„Kontraktion“, 54) sowie der neuen Medien („At-Zeichen“, 18;
„Hashtag“, 23; „Account“, 37) und ihrer wechselseitigen
Durchdringung („Twitter-Apologet“, 76; „Fiction-Account“, 28) als
Hinweis auf die kulturelle Vorbildung von Autor sowie Adressaten
und Adressatinnen (vgl. auch Publikationsorgan und Leserreich-
weite)
- auch formale Merkmale der Textgestaltung weisen auf einen
gehobenen und überwiegend elaborierten Duktus hin: häufige
Erwähnung von Autorennamen (vgl. 9, 10, 12, 15, 26) und
Publikationen (vgl. 1, 8, 15, 27, 32), Häufung von Zitaten (vgl. 72 f.,
73 ff., 77 ff.), Verwendung einer Endnote
- Schilderung des Untersuchungsgegenstandes, mit überwiegend
sprachlicher und inhaltlicher Distanz zum Untersuchungsobjekt; fast
durchgängig neutrale Sprachverwendung (jedoch z. B.
sprachspielerischer Neologismus „Facebookeratur“, 8; und
wertendes Fazit als Ausnahme)
- gelegentliche rhetorische Zuspitzungen oder Überformungen zum
Zwecke der Aufmerksamkeitssteigerung, zumeist an den
Scharnierstellen des Textes, z. B. im ersten Satz („Twitter ist am
Ende“, 1) und im Schlusswort (vgl. Frage und resümierende
Beantwortung, 97 f.), aber auch zur Pointierung von Hauptthesen
(vgl. z. B. Metapher und Personifikation und Antithetik „Online tobt
das Leben, während im Regal das Buch im Sterben liegt“, 75 f.);
- vordergründig zurückhaltende eigene Positionierung in Bezug auf
den Sachgegenstand entsprechend dem dominanten
kommunikativen Ziel; bei angedeuteten Wertungen oder Kritik
zumeist Relativierung („Twitter ist am Ende. So verkündet es

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Allgemeine Spezifische Leistungsanforderungen


Leistungsanforderungen im
Beurteilungsbereich

Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes


zumindest der New Yorker“, 1); eindeutige Kritik im Fazit, z. B.
durch Konjunktiv II („Eine neue sprachliche Verdichtung der
Fantasie, es gäbe eine literarische Form, die die Gegenwart […] zu
fassen vermöge“, 97 f.)
- Kontrastierungen, auch in Form von Antithesen, zur Hervorhebung
inhaltlich gegensätzlicher oder sich ausschließender Positionen (vgl.
75 ff.)
C Nutzung von Wesentliche domänenspezifische Kontexte, Konkretisierung
domänenspezifischem entsprechend dem erteilten Unterricht, z. B.:
Wissen (20 %) - literaturhistorisch (deutschsprachige Gegenwartsliteratur)
- gattungstheoretisch (Merkmale von Erzähltexten, Abgrenzung von
literarischen und pragmatischen Texten im Kontext neuer Medien)
D Schlussfolgerung(en) Mögliche Schlussfolgerung(en), z. B.:
(aus A,B,C) (15 %) - Blogbeitrag Kreuzmairs als Beispiel für einen anspruchsvollen
fachlichen Text aus dem Themenbereich Literatur im Kontext neuer
Medien, der sich an ein an Literatur interessiertes Publikum richtet
- Häufung von darstellenden Textpassagen, weniger vordergründige
eigene Meinungsäußerungen mit sprachlicher Distanz zum
Untersuchungsgegenstand als charakteristisch für das primäre
kommunikative Ziel, überwiegend sachlich zu informieren
- informative, überblicksartige Darstellung zu einem literarischen
Phänomen des 21. Jahrhunderts im Kontext neuer Medien,
insbesondere unter Nennung seiner erzählkonzeptionellen
Besonderheiten (z. B. Veröffentlichung über das Internet,
sprachliche formale und konzeptionelle Gestaltung im Twitter-Stil,
Inszenierung der Autorinnen und Autoren über Figuren in den
neuen Medien, Unabgeschlossenheit der Erzähltexte)

Allgemeine Spezifische Leistungsanforderungen


Leistungsanforderungen im
Kompetenzbereich

Darstellung

A Strukturierung des Textes Die spezifischen Leistungsanforderungen sind dem Kriterienraster zu


(20 %) entnehmen.

B Entwicklung von
Gedankengängen (20 %)

C Ausdruck (20 %)

D Umgang mit Referenzen


(10 %)

E Sprachliche Korrektheit
(25 %)

F Lesefreundliche Form
(5 %)

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Allgemeine Spezifische Leistungsanforderungen


Leistungsanforderungen im
Kompetenzbereich

Darstellung

Die Bereiche Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes und Darstellung
werden im Verhältnis 60:40 gewichtet.

Kriterien für eine gute (11 Punkte) und eine ausreichende (05 Punkte) Leistung
Aufgabenart: Analyse pragmatischer Texte

I: Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes (60 %)

12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte

A Textverständnis nachvollziehbares, differenziertes im Ganzen noch nachvollziehbares


(35 %) Textverständnis; kleinere Textverständnis;
Ungenauigkeiten beeinträchtigen Ungenauigkeiten/Fehler im Detail
die Leistung nicht

B Erschließen differenzierte Erarbeitung text- im Ganzen noch angemessene


textkonstituierender konstituierender Mittel in ihrem Erarbeitung textkonstituierender
Mittel in ihrem Wirkungszusammenhang; kleinere Mittel in ihrem
Wirkungszusammen- Ungenauigkeiten beeinträchtigen Wirkungszusammenhang; Fehler
hang die Leistung nicht im Detail
(30 %)
C Nutzung von domä- weitgehend funktionale Nutzung im Ganzen noch funktionale
nenspezifischem von domänenspezifischem Wissen Nutzung von
Wissen domänenspezifischem Wissen
(20 %)

D Schlussfolgerung(en) stimmige Deutung; kleinere insgesamt noch akzeptable


(aus A,B,C) Ungenauigkeiten beeinträchtigen Deutung
(15 %) die Leistung nicht

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II: Darstellung (40 %)

12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte

A Strukturierung des schlüssige Struktur; kleinere im Ganzen noch nachvollziehbare


Textes Ungenauigkeiten beeinträchtigen Struktur
(20 %) die Darstellung nicht

B Entwicklung von weitgehend überzeugende im Ganzen noch nachvollziehbare,


Gedankengängen Gedankengänge; kleinere zum Teil aber pauschalisierende,
(20 %) Ungenauigkeiten beeinträchtigen undifferenzierte Gedankengänge
die Leistung nicht

C Ausdruck sprachliche (ggf. fachsprachliche) im Ganzen noch sprachliche (ggf.


(20 %) Klarheit; vielfältige Lexik; kleinere fachsprachliche) Klarheit; einfache,
Ungenauigkeiten beeinträchtigen zum Teil ungenaue bzw. sich
die Leistung nicht wiederholende Lexik

D Umgang mit weitgehend funktionale und im Ganzen noch funktionale und


Referenzen korrekte Bezugnahme auf die korrekte Bezugnahme auf die
(10 %) Textgrundlage (Zitat oder Textgrundlage (Zitat oder
Paraphrase) Paraphrase); Fehler im Detail

E Sprachliche kaum Verstöße gegen die Regeln wiederholt Verstöße gegen die
Korrektheit der deutschen Sprache Regeln der deutschen Sprache
(25 %) Fehler sind auf wenige Fehler sind auf viele verschiedene
Phänomene beschränkt Phänomene bezogen
keine Beeinträchtigung von gelegentlich Beeinträchtigung von
Lesefluss und Verständlichkeit Lesefluss und Verständlichkeit
F Lesefreundliche ansprechende äußere Gestaltung verschiedene Schwächen in der
Form (Schriftbild, Korrekturen, äußeren Gestaltung (Schriftbild,
(5%) Abschnittsgestaltung); kleinere Korrekturen, Abschnittsgestaltung);
Schwächen beeinträchtigen die insgesamt aber noch ausreichend
Lesbarkeit nicht übersichtlich und lesbar

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