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Zentralabitur 2018
Deutsch
Leistungskurs
Aufgaben
Erwartungshorizont
Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie
Deutsch
Leistungskurs
Aufgabenstellung A für Prüflinge im Land Berlin
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Leistungskurs
Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018 Länder Berlin und Brandenburg
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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018 Länder Berlin und Brandenburg
Material 1:
Deutsch-Schwedische Handelskammer: Warum duzt man sich in Schweden?
(2013)
[…] Die Galionsfigur dieser sogenannten Du-Reform wurde Bror Rexed1, der damalige Direk-
tor der Gesundheits- und Sozialbehörde. „Kalla mig Bror!“ („Ihr dürft mich Bror nennen!“),
verkündete er nach seinem Amtsantritt und richtete sich damit nicht nur an die Mitarbeiter,
sondern auch Klienten der Behörde. Sowohl im persönlichen Kontakt als auch in offiziellen
Schreiben wurde seitdem jeder Schwede, der mit der Gesundheitsbehörde zu tun hatte, mit
Du und mit dem Vornamen angesprochen. In Deutschland wäre es vermutlich heute noch
undenkbar, in einem offiziellen Behördenbrief geduzt zu werden. Doch in Schweden, so sagt
Eva Olovsson vom Språkrådet2, war Rexeds Initiative gar nicht so revolutionär: „In Schwe-
den waren Formalitäten und Hierarchien nie so wichtig wie zum Beispiel in Deutschland. Für
das einfache Volk war das Du schon lange gebräuchlich.”
Auch für den Sprachwissenschaftler Lars Melin3 war Rexeds Entscheidung nur ein nächster
logischer Schritt: „Rexed hat damit offene Türen eingerannt. Durch die Urbanisierung zerbrö-
ckelten Hierarchien und es wurden mehr Orte geschaffen, an denen Unbekannte aufeinan-
dertrafen und miteinander kommunizierten. In solchen Situationen etablierte sich dann das
Du als neutrale Ansprache.“ […]
Eine Ausnahme gibt es dennoch: Für Mitglieder der Königsfamilie gilt nach wie vor die An-
sprache mit vollem Titel. Wer also die Königin trifft, sollte nicht „Silvia“ sagen und auch nicht
„Frau Bernadotte“. Man fragt stattdessen höflich: „Wie geht es der Königin?“
1
Bror Rexed wurde 1967 Direktor der nationalen Gesundheits- und Sozialbehörde in Schweden.
2
Språkrådet: Rat für Schwedische Sprache
3
Lars Melin ist Dozent an der Universität Stockholm.
Material 2:
Holger Fuß: Tyrannei der Nähe. Gib mir mein Sie zurück (2014)
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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018 Länder Berlin und Brandenburg
Ein schwedisches Möbelhaus mahnt: „Wann hast du eigentlich das letzte Mal deine Matratze
ausgewechselt?“ Als Besucher einer deutschen Filiale des Unternehmens hören wir aber
schon mal eine Lautsprecherdurchsage: „Gesucht wird der Halter des Fahrzeugs mit dem
Kennzeichen XY. Bitte melden Sie sich umgehend an der Information!“ Damit die Älteren
beim flüchtigen Hinhören nicht denken, es würde nach einem Kind gesucht, wird
sicherheitshalber gesiezt. […]
Tatsächlich steckt hinter der vermeintlichen Lockerheit ein verächtlicher Brutalismus. Wir
schauen auf andere Menschen herab wie auf uns selbst. Das Gespür für menschliche Größe
ist uns abhandengekommen. Deshalb gehen wir achtlos miteinander um, halten uns für
affektgesteuerte Gestalten, die mutlos auf Verbraucherrechte pochen. Deshalb entfährt uns
das Du.
Eine Rekultivierung des Sie wäre ein aufschlussreiches kollektives Exerzitium. Wir kämen
raus aus der unechten Nähe und würden einen wohltuenden Abstand schaffen, einen
Spielraum für unsere Wahrnehmung, um das Andersartige beim Mitmenschen zu entdecken.
Es könnte ein Trainingslager sein, um zu lernen, von Sterblichen wieder grandios zu denken
und Respekt zu empfinden. Ich kenne Menschen, die das tun. Es sind Menschen, die gerne
siezen.
Holger Fuß, Jahrgang 1964, ist Journalist und lebt in Hamburg.
Material 3:
Stefanie Kara und Claudia Wüstenhagen: Die Macht der Worte (2012)
[…]
Die einen [Sprachforscher] sind überzeugt, dass unsere Sprache unser Denken bestimmt –
und dass Menschen deshalb sogar in unterschiedlichen Sprachen unterschiedlich denken.
Die anderen dagegen glauben, dass das Denken von der Sprache weitgehend unabhängig
ist – und dass allen Menschen ohnehin dieselben Grundregeln der Sprache angeboren sind.
Die Diskussion ist weit über die Grenzen der Linguistik hinaus von Bedeutung. Denn sie rührt
an grundlegende Fragen nach dem Wesen des Menschen und seiner Wahrnehmung.
Mittlerweile suchen auch Psychologen und Hirnforscher nach Antworten. Sie finden immer
mehr Hinweise darauf, dass Worte unser Denken und Handeln prägen, und dass wir uns
tatsächlich schon mit unserer Muttersprache bestimmte Denkmuster aneignen, die unser
Leben auf überraschende Weise beeinflussen.
Es gibt die offensichtliche Wirkung der Worte: Wer einen Roman aufschlägt, eine
Liebeserklärung bekommt oder in einen heftigen Streit gerät, der spürt, wie Sprache berührt.
Worte können trösten oder tief verletzen, manche hängen einem tage- oder gar jahrelang
nach. Auch unsere eigenen Worte wirken auf uns. Wenn wir etwa ein Tabuwort
aussprechen, kann das bei uns selbst körperlich messbare Stresssymptome hervorrufen.
[…]
Stefanie Kara ist freie Wissenschaftsjournalistin.
Claudia Wüstenhagen arbeitet als Redakteurin beim Magazin ZEIT Wissen.
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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018 Länder Berlin und Brandenburg
Material 4:
Werner Besch: Duzen, Siezen, Titulieren: Zur Anrede im Deutschen heute und
gestern (1998)
1
Die „68er Jahre“ bezeichnen eine Epoche des gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Umbruchs. In den
sechziger Jahren bildeten sich in den USA und Westeuropa sogenannte Studentenbewegungen, die gegen
die Regeln und Lebensgewohnheiten protestierten, die ihnen von ihren Eltern und der Gesellschaft
vorgegeben wurden. Ihren Höhepunkt erreichten sie 1968.
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Material 5:
Interview mit dem Fehler-Forscher Jan Hagen: Lehren aus der Luftfahrt. Duzen
kann Leben retten (2013)
[…]
SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch schildern Sie viele […] Fehler, die zu Abstürzen führten.
Oft trauten sich Untergebene dabei nicht, den Kapitän rechtzeitig auf Probleme hinzuweisen.
Bis in der Luftfahrt ein neues Fehlermanagement entwickelt wurde, das eine offenere
Kommunikation und Fehleranalyse an Bord fördert. Warum sollte das auch in anderen
Branchen funktionieren?
Hagen: Weil in jedem Unternehmen mit komplexen Strukturen und starken Hierarchien die
Gefahr besteht, dass wichtige Informationen die Chefs nicht erreichen. [...]
SPIEGEL ONLINE: Gerade wir Deutschen sind allerdings nicht für übermäßiges
Aufbegehren gegenüber Obrigkeiten bekannt. Distanz zu Vorgesetzen entsteht bei uns
schon durch das Siezen.
Hagen: Deshalb hat etwa die Lufthansa als Teil des Fehlermanagements auch unter allen
Mitarbeitern an Bord das "Du" eingeführt – selbst wenn eine Besatzung zum ersten Mal
gemeinsam fliegt. Das flacht die Hierarchie ab und macht es leichter, auf Fehler
hinzuweisen.
SPIEGEL ONLINE: Duzen rettet also Leben?
Hagen: Im Zweifel ja.
SPIEGEL ONLINE: Auch außerhalb der Luftfahrt?
Hagen: Ja, etwa in Operationsteams, wo es inzwischen auch ein Fehlermanagement gibt.
Das Statusgefälle zwischen Chefarzt und Krankenschwester ist noch steiler als zwischen
Kapitän und Flugbegleiter. Doch auch eine Krankenschwester muss sich trauen, den Arzt auf
Fehler hinzuweisen. […]
Jan Hagen ist Professor in Berlin und beschäftigt sich vor allem mit den Themen Führung, Fehler- und
Krisenmanagement, darunter insbesondere der Art und Weise, wie Organisationen mit Fehlern umgehen.
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Material 6:
Grafik: Wer darf wem das Du anbieten? (2012)
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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018 Länder Berlin und Brandenburg
Material 7:
Interview mit dem Linguisten Martin Hartung: „Ein Du allein bedeutet nicht
viel“ (2007)
[...]
Was sagt es über unsere Gesellschaft, dass die Leute sich der Regeln1 immer weniger
bewusst sind? Sind wir egalitärer?
Da wäre ich vorsichtig. Man könnte auch auf die Idee kommen, dass die Hierarchien, die es
gibt - vielleicht sogar noch mehr gibt als früher -, nur überdeckt werden.
In manchen Unternehmen gilt ja die Regel: Jeder duzt jeden.
In jungen Unternehmen, gerade im Bereich Medien und Internet […], wird oft geduzt, aus
Prinzip.
Ist es nicht eine Chimäre, dass dadurch Hierarchien abgebaut werden?
Es gibt Unternehmen – wie auch Gruppen und Organisationen –, die leben das Du wirklich;
da drückt es ein Lebensgefühl aus. Mindestens die Hälfte dieser Unternehmen aber führen
das Du ein, ohne es zu leben; der Chef tut bloß so, als sei er nicht autoritär. Auf die Dauer
fällt aber keiner darauf rein. [...]
Das Duzen ist ja mit enorm viel Emotion belastet.
Natürlich, das gilt vor allem für das „Vertrautheits-Du“. Verwandtschaft, Freundschaft, Liebe,
Liebelei - die sind emotional besetzt, und deshalb lässt sich so ein Du auch nicht so leicht
zurücknehmen. Aber der rein grammatische Blick auf Sie und Du verdeckt ja ganz
wesentliche soziale Faktoren.
Inwiefern?
Wir verwenden das Du und das Sie in sehr komplexen Ausdruckskontexten - mit Intonation,
mit syntaktischer Konstruktion, in einer bestimmten Situation, mit Körpersprache: Hält man
Blickkontakt, dreht man den Körper weg? Das ist viel differenzierter, als das Paar Du gegen
Sie es nahelegt. Ein Du allein sagt nicht viel.
Zum Beispiel?
Ich kann mich sehr distanziert jemandem gegenüber verhalten - obwohl ich ihn duze. Das
zeigt: Ich mag dich nicht besonders. Oder: Ich duze dich zwar, aber wir sind noch am Anfang
der Beziehung. Wenn ich meinen Partner duze, drücke ich dadurch etwas anderes aus, als
wenn ich jemanden aus meiner Abteilung duze. „Du, Schätzchen, komm mal her“ ist was
ganz anderes als „Du, Hartung, komm mal her“.
Und die Körpersprache?
Wichtig ist auch der Abstand zwischen den Körpern. Bei jemandem, den ich distanziert duze,
vor dem bleibe ich auch mit größerem Abstand stehen. Jemanden aus meiner Familie, dem
darf ich näherkommen, sogar berühren. Wenn Sie jemanden duzen, den Sie nicht leiden
können, dann erkennt er das an Ihrem Gesicht, und er weiß, dass das kein Vertrautheits-Du
ist, sondern ein Not-Du. Er wird sich nicht bei Ihnen zu Hause einladen. […]
1
Regeln, nach denen man entscheidet, ob man duzt oder siezt.
Martin Hartung ist linguistischer Kommunikationsberater am Institut für Gesprächsforschung in Mannheim.
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Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie
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Erwartungshorizont A für Lehrkräfte im Land Berlin
Kurztitel: Distanz
Aufgabenart: Materialgestütztes Verfassen argumentierender Texte
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Darstellung
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Darstellung
G Berücksichtigung der
Textlänge (5 %)
H Sprachliche Korrektheit
(25 %)
I Lesefreundliche Form
(5 %)
Die Bereiche Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes und Darstellung
werden im Verhältnis 60:40 gewichtet.
Kriterien für eine gute (11 Punkte) und eine ausreichende (05 Punkte) Leistung
Aufgabenart: Materialgestütztes Verfassen argumentierender Texte
12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte
B Sachliche Richtigkeit fast durchweg sachliche Richtigkeit im Ganzen noch sachliche Richtig-
(25 %) der Ausführungen; kleinere Unge- keit der Ausführungen; Fehler im
nauigkeiten beeinträchtigen die Detail
Leistung nicht
C Nutzung von domä- weitgehend funktionale Nutzung im Ganzen noch funktionale Nut-
nenspezifischem von domänenspezifischem Wissen zung von domänenspezifischem
Wissen Wissen
(20 %)
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12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte
F Umgang mit weitgehend funktionale und korrek- im Ganzen noch funktionale und
Referenzen te Bezugnahme auf das Material korrekte Bezugnahme auf das
(5 %) (Zitat oder Paraphrase) entspre- Material (Zitat oder Paraphrase)
chend der geforderten Textsorte entsprechend der geforderten
Textsorte; Fehler im Detail
G Berücksichtigung der unwesentliche Über- oder Unter- deutliche Über- oder Unterschrei-
Textlänge schreitung der vorgegebenen Text- tung der vorgegebenen Textlänge
(5 %) länge
H Sprachliche kaum Verstöße gegen die Regeln wiederholt Verstöße gegen die
Korrektheit der deutschen Sprache Regeln der deutschen Sprache
(25 %) Fehler sind auf wenige Phänome- Fehler sind auf viele verschiedene
ne beschränkt Phänomene bezogen
keine Beeinträchtigung von Lese- gelegentlich Beeinträchtigung von
fluss und Verständlichkeit Lesefluss und Verständlichkeit
I Lesefreundliche ansprechende äußere Gestaltung verschiedene Schwächen in der
Form (Schriftbild, Korrekturen, Ab- äußeren Gestaltung (Schriftbild,
(5 %) schnittsgestaltung); kleinere Korrekturen, Abschnittsgestaltung);
Schwächen beeinträchtigen die insgesamt aber noch ausreichend
Lesbarkeit nicht übersichtlich und lesbar
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Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie
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Aufgabenstellung B für Prüflinge im Land Berlin
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Text 1:
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Text 2:
Und alles
ganz still
und so schön
daß man weiß
20 das Leben lohnt sich
weil man glauben kann
daß es das wirklich gibt
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Erwartungshorizont B für Lehrkräfte im Land Berlin
Kurztitel: Goethe/Fried
Aufgabenart: Interpretation literarischer Texte mit Textvergleich
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Text 2 (Fried)
Textgehalt: Beschreibung eines erinnerten Naturbildes als Ausdruck
einer Sehnsucht und eines Lebensbedürfnisses
textkonstituierende Mittel in ihrem Wirkungszusammenhang/Erschlie-
ßen struktureller Besonderheiten, z. B.:
lyrische Situation, Gestus: Reflexion der Gedanken eines nicht näher
vorgestellten lyrischen Sprechers; melancholischer Gestus
- formal umgesetzt in einem dreistrophigen, unregelmäßig aufge-
bauten, reimlosen Gedicht im freien Versmaß; Satzreihung (Kon-
junktion „und“, vgl. 3, 7, 10, 12, 16, 18) und Verzicht auf jegliche
Satzzeichen als Ausdruck gedanklicher Verknüpfung in der Mo-
mentaufnahme eines Augenblicks (Enjambements vgl. 1 f., 7 ff.,
10 f., 12 ff., 16 f.)
- räumliche und zeitliche Verankerung des dargestellten Augen-
blicks und angedeutete inhaltliche Kontrastierung von Großstadt
und Natur durch Titel („Nacht in London“)
- inhaltliche Struktur: die ersten vier Verse als Ausdruck innerer
Einkehr; Verse 5 bis 17 als Entwurf des Vorstellungsbildes; die
letzten fünf Verse als abschließende Wertung
- einleitende Beschreibung der Flucht in die vollständige Innerlich-
keit durch Vorstellung eines Naturbildes („Die Hände / vor das Ge-
sicht halten / und die Augen / nicht mehr aufmachen / nur eine
Landschaft sehen“, 1 ff.)
- sinnhafte Konkretisierung der vorgestellten Landschaft, optisch
(„Berge und Bach“, 6; „Wiese“, „Tiere“, 7; „Hang“, 8; „Wald“, 9;
„Vogel“, 13; „Himmelblau“, 15 ), geruchlich („Und das gemähte
Gras / zu riechen beginnen“, 10 f.) und akustisch („Und alles / ganz
still“, 16 f.), in ihrer geringen Bildhaftigkeit verallgemeinerbar für
viele Gebirgslandschaften
- positiv konnotierte farbliche Gegensätze von Hell und Dunkel als
Unterstützung einer angenehmen Wirkung des Beschriebenen
(„braun am hellgrünen Hang“, 8; „klein und schwarz / gegen das
Himmelblau“, 14 f.)
- Bedeutungserschließung des vorgestellten Naturbildes durch die
letzten fünf Verse: die Schönheit der Natur als Lebensgrund und
Hoffnungsträger in scheinbarer Abgrenzung zur Wirklichkeit des ly-
rischen Sprechers (vgl. Titel); Betonung durch Kausalität von
Schönheit und Gewissheit („und so schön / daß man weiß“, 18 f.)
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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018 Länder Berlin und Brandenburg
Darstellung
B Entwicklung von
Gedankengängen (20 %)
C Ausdruck (20 %)
E Sprachliche Korrektheit
(25 %)
F Lesefreundliche Form
(5 %)
Die Bereiche Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes und Darstellung
werden im Verhältnis 60:40 gewichtet.
Kriterien für eine gute (11 Punkte) und eine ausreichende (05 Punkte) Leistung
Aufgabenart: Interpretation literarischer Texte mit Textvergleich
12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte
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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018 Länder Berlin und Brandenburg
12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte
D Nutzung von domä- weitgehend funktionale Nutzung im Ganzen noch funktionale Nut-
nenspezifischem von domänenspezifischem Wissen zung von domänenspezifischem
Wissen Wissen
(20 %)
E Deuten der Ergeb- stimmige Deutung; kleinere Unge- insgesamt noch akzeptable Deu-
nisse nauigkeiten beeinträchtigen die tung
(aus A, B, C, D) Leistung nicht
(20 %)
12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte
D Umgang mit weitgehend funktionale und korrek- im Ganzen noch funktionale und
Referenzen te Bezugnahme auf die Textgrund- korrekte Bezugnahme auf die
(10 %) lage (Zitat oder Paraphrase) Textgrundlage (Zitat oder Para-
phrase); Fehler im Detail
E Sprachliche kaum Verstöße gegen die Regeln wiederholt Verstöße gegen die
Korrektheit der deutschen Sprache Regeln der deutschen Sprache
(25 %) Fehler sind auf wenige Phänome- Fehler sind auf viele verschiedene
ne beschränkt Phänomene bezogen
keine Beeinträchtigung von Lese- gelegentlich Beeinträchtigung von
fluss und Verständlichkeit Lesefluss und Verständlichkeit
F Lesefreundliche ansprechende äußere Gestaltung verschiedene Schwächen in der
Form (Schriftbild, Korrekturen, Ab- äußeren Gestaltung (Schriftbild,
(5 %) schnittsgestaltung); kleinere Korrekturen, Abschnittsgestaltung);
Schwächen beeinträchtigen die insgesamt aber noch ausreichend
Lesbarkeit nicht übersichtlich und lesbar
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Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie
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Aufgabenstellung C für Prüflinge im Land Berlin
Quelle: Rilke, Rainer Maria: Höhenluft. In: ders.: Werke in drei Bänden, hrsg.
von Horst Nalewski, Leipzig 1978, 2. Band, S.535 ff.
Erläuterungen: Rainer Maria Rilke (1875-1926), bedeutender und einflussreicher
deutscher Autor, dessen Frühwerk von naturalistischen Elementen
geprägt war
Ein Einakter ist ein Theaterstück, das in nur einem Akt eine
Konfliktzuspitzung und -lösung entwickelt. Er ist meist kurz und ohne
Szenenwechsel.
Sollte das zugrunde liegende literarische Werk ganz oder in Teilen im
Unterricht behandelt worden sein, wird die Nutzung Ihrer dort
erworbenen Kenntnisse erwartet.
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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018 Länder Berlin und Brandenburg
Anna Stark hat sich als Mutter eines unehelichen Knaben nach dem Bruch mit der bürgerlichen Welt
der Eltern in ein hochgelegenes Mansardenzimmer zurückgezogen, in dem sie getrennt von ihrer
Familie über sechs Jahre lang mit ihrem Kind ein ruhiges Leben geführt hat. Ihr Bruder Max
kontaktiert sie erstmalig nach dieser Zeitspanne, um sie ins Elternhaus zurückzuholen. Zunächst sagt
Anna froh zu. Als sie jedoch erfährt, dass Max ein Mädchen geschwängert hat, das sich daraufhin das
Leben nahm, reagiert Anna mit Entsetzen auf die Kaltschnäuzigkeit ihres Bruders.
1
das Überwundenhaben: verklärte Haltung ohne Bitterkeit
2
geckenhaft: eitel, übertrieben modisch gekleidet
3
der Kneifer: bügellose Brille
4
eingelernt: hier: brav, sich selbst kontrollierend
5
R.M.R.: Initialen des Autors
6
der Erker: ein mit Fenstern versehener Vorbau
7
der Schubkasten: die Kommode
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Max leichthin: Habe dir ja das ganze dumme Zeug nur erzählt, damit du erklärt findest,
20 weshalb Papa und Mama ...
Anna wendet sich: Sie wissen davon?
Max mit gewissem Dünkel: Gott, ja. Öffentliches Geheimnis. – Sowas spricht sich um8. In
den intimen Kreisen fängt man an zu munkeln. So eine Art – Berühmtheit. Mna9. Eingebildet.
Das tut ganz gut, von Zeit zu Zeit so’n bißchen Gesprächsstoff sein. Wie?
25 Anna eisig: Ich versteh dich nicht.
Max. Nicht? – Weißt du, du mußt es halt den Alten so ein bißchen ausreden. Ich hänge
eigentlich ganz von ihnen ab. Es gibt da jetzt eine Menge Verpflichtungen ... und Papa –
unter uns – er ist ein großer Philister, der wäre imstande ...
Anna stolz: Betteln soll ich für dich?
30 Max erhebt sich: Aber, liebe Schwester, du verstehst mich nicht, du verkennst die Situation.
Ich meine nur …
Anna unvermittelt: I c h g l a u b e, i c h w e r d e a u c h d i e E l t e r n n i c h t m e h r
verstehen–
Max: Das macht sich.
35 Anna sehr ernst: Ich versteh euch alle nicht ...
Pause.
Max schleudert den Zigarrenrest gegen den Ofen hin fort und geht mit auf dem Rücken
verschränkten Händen auf und nieder: Jaaaa – das sind die Jahre. Gähnt.
Anna: Max, ich glaube, es liegt noch etwas anderes zwischen uns, als die Jahre.
40 Max: ?
Anna groß: I c h h a b e d e n F r i e d e n.
Max: Mhm!
Anna: Ist das nicht alles, was man auf Erden haben kann?
Max: Frieden? – Ja. – Mna das heißt, (impertinent) heizt du dir auch deinen Ofen damit? –
45 Dann finde ich ihn – als Heizmaterial wenigstens – recht mangelhaft, deinen Frieden.
Anna als hätte sie nicht gehört: Es muß eine ganz andere Luft sein da unten in euren
Häusern. Eine drückende Schwere. Ich weiß nicht, ich bin sie entwöhnt. Ich kann mich nur
wie im Traum erinnern, daß ich sie einmal geatmet habe. Das ist lang10. – Und dann: bei
euch sieht man in die Mauern hinein und – in die Nachbarfenster. H i e r aber – schau –
50 weit, weit über alle Dächer. Und der Himmel ist viel näher hier. Nachts glaub ich oft, ich
könnt’ mir mit der Hand die Sterne holen. – Es ist alles anders hier. Hier herauf geht man nur
durch großes Leid. Man stirbt dann entweder hier oben, oder – man übersteht‘s. Und wenn
man‘s übersteht, dann ist man müde und mild und friedlich wie nach einer schweren
Krankheit. Und dann hat man lauter Verzeihen und Güte in sich – und man versteht nicht
55 mehr das unten – man ist so … s o ü b e r a l l e s L e i d h i n a u s …
8
spricht sich um: spricht sich herum
9
Mna: Verlegenheitsfloskel
10
lang: lang her
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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018 Länder Berlin und Brandenburg
Pause.
Max lauscht wie gebannt. Dann wie unwillig sich losreißend im alten Ton: Fertig?! Mna, das
war ja eine ganz respektable Leistung. Du könntest Romane schreiben. Du, das soll das
Schlechteste nicht sein ... Und der langen Rede kurzer Sinn: das gnädige Fräulein geruht auf
60 die freundlichst angebotene Wiederaufnahme in den Familienkreis ganz frei und munter – zu
pfeifen. Nicht?
Anna verschüchtert: Du mußt nicht spotten.
Max: Und du mußt nicht Gnaden machen11. Das >Gnaden machen< ist eigentlich nicht so
ganz auf deiner Seite. Sieht auf die Taschenuhr. Übrigens drängt auch meine Zeit. Kurz.
65 Also ich stehe hier, abgesendet von deiner Mutter, um dich aufzufordern, in die Arme deiner
Eltern zurückzukehren usw., usw. ...
Willst du? Ja oder nein? –
Anna entschlossen: Ja.
Max etwas überrascht: Soo. Mna also. Erfreulich. Es siegt also doch das Pflichtgefühl in dir,
70 den Eltern beizustehen.
Anna leise: Du sollst dich nicht täuschen. Das ist es nicht.
Max: Sondern?
Anna: Ich habe eine höhere Pflicht.
Max: Hm?
75 Anna: Mein Kind.
Max in Schrecken und Erstaunen: Wie? – – –
Anna: Ich glaube die Zukunft des kleinen Toni besser versorgt, wenn ich ...
Max: Also lebt...? Gefaßter. Mna, das ist schön. Du hast recht. Wo ist denn der ...
Anna: Toni ist in der Schule. – Bis du ihn sehen wirst, Max! Begeistert. B i s du ihn
80 s e h e n w i r s t ! Innig. Er ist mein alles.
Max nachdenklich: Soso.
Anna ebenso innig: Er ist auch brav und fleißig ...
Max: Und schon in die Schule geht er? Mna, das ist ja ganz nett. Also der kleine ... Wie heißt
er?
85 Anna: Toni.
Max: Toni? Hm. Also der kleine Toni soll auch mit? – Mna ja. Die Mama wird sich ja recht
freuen. – Daran dachten wir eigentlich nie. Sechs Jahre ... Übrigens famos: die alte Fellner
(erinnerst du dich?), meine Quartierfrau als Lieutenant – die hat immer sowas in die Pflege
gewünscht. D e r geben wir den Rangen12. Die hat eine tüchtige Hand, die alte Fellner. – Hui!
90 Bei der H e x e gedeiht er dir. Blühend. Und du bist‘s los – –
Anna die entsetzt lauscht, gepreßt, zurückhaltend: Glaubst du?
11
Gnaden machen: die Gnädige, d.h. eine der gesellschaftlichen Stellung nicht angemessene Rolle als gnädige
Frau spielen.
12
Rangen: unartiges Kind
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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018 Länder Berlin und Brandenburg
Max: Natürlich, Schwesterchen. Bin doch ein patenter Kerl? Wie? Gleich Rat bei der Hand.
Die alte Fellner! Sag doch bravo. Sieht zum Fenster hinaus. Weißt du, ganz abgesehen von
Plage und Störung, – ins Haus bringen kannst du sowas nicht. Das versteht sich von selbst.
95 Papa ist pensionierter Staatsbeamter, ich war Offizier – und dann hat man ja auch seinen
Verkehr; man darf die Leute nicht brüskieren.
Anna kaum mehr an sich haltend: Meinst du?
Max noch hinausblickend: Gott, da ist doch kein Wort weiter darüber zu verlieren; das giebt
ja der allergemeinste Begriff von gesellschaftlicher – Rücksicht, von savoir vivre, mna mit
100 einem Wort von – – Ehrenhaftigkeit.
Anna losbrechend, so daß Max erstaunt umsieht: G i e b t e s d a s a l l e s
b e i e u c h da unten? Nein, was ihr doch für schöne Dinge habt! Gesellschaftliche
Rücksicht habt ihr und Lebensart und Ehrenhaftigkeit und... j a – w a s d e n n n o c h ?
Gesellschaftliche Rücksicht – ja und Erziehung und Bildung und Ehre – und – nur kein Herz!
105 Lacht höhnisch.
Max in höchstem Erstaunen: Erlaube ...
Anna ruhiger und ernst: Mach dir nie mehr die Mühe heraufzukommen, Max. Es ist sonst
sehr still hier. Du trägst Zwietracht herauf und Haß und – – Verachtung.
Max heiser: Anna! Er lacht verächtlich.
110 Anna: Willst du sonst noch etwas ...?
Max erst sprachlos: – Du weist mir die Türe? Das ist der Dank. Ich hab‘s ja gleich gesagt.
Das ist der Dank. Wenn man euch aus eurem Schmutz ... Er ist ganz heiser vor Erregung;
nimmt seinen Hut vom Tische. Mna, ich kenn ja Frauenzimmer von deiner Sorte genug, – so
zweifelhafte ...
115 Anna steht hart am Fenster, vom Winterabendrot verklärt, zürnenden Auges vor ihm. Da tut
sich die Tür auf, und ohne Maxen, der noch beim Tisch steht, zu bemerken, stürzt Toni
(sechs Jahre, blond, frisch) herein. Er wirft die Bücher auf den Stuhl bei der Türe und stürmt
auf Anna zu.
Toni jubelnd: Mutterl!
120 Anna nimmt ihn in die Arme und küßt ihn innig.
Toni hastig fortfahrend: Mutterl, der Fritz hat heute schon’s Christkind gesehen. Wirklich!
Und der Herr Lehrer hat gesagt, daß es jetzt jede Nacht durch die Stadt fliegt, ist das wahr?
Anna hebt den Blick voll Glückseligkeit zu Max, der immer noch an der Türe zögert.
Toni folgt, da keine Antwort kommt, dem Blick der Mutter und sieht erstaunt bald auf Max,
125 bald auf Anna.
Anna tritt in den Erker.
Toni dies bemerkend: Nicht, nicht gleich wieder nähen, Mutterl! Dann schmeichelnd zu Max.
Du, bist du der Dottor? Faßt Mütterchens Hand. Schau, was Mutterl für wehe Hände hat vom
Nähen! Zu Anna. Tuts weh?!
130 Anna lächelt durch Tränen und kniet in gerührter Liebe nieder, den Kleinen zu küssen.
Schluß
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Erwartungshorizont C für Lehrkräfte im Land Berlin
Sollte das zugrunde liegende literarische Werk im Unterricht ganz oder in Teilen behandelt
worden sein, so wird eine vertiefende Kontextualisierung entsprechend des erteilten
Unterrichts erwartet.
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Figur Anna:
- junge, alleinerziehende Frau, arbeitet als Näherin (vgl. 14, 127),
Sympathieträgerin: einfach gekleidet, ruhig, klar blickend, („schlicht
in Kleidung und Wesen“, 2), direkt und ohne Umschweife Vorwürfe
formulierend (vgl. 101 ff.), Ablehnung der Unterstützung der
unseriösen Ziele des Bruders (z. B. durch rhetorische Frage „stolz:
Betteln soll ich für dich?“, 29), unbeirrbar, sicher im moralischen
Urteil (vgl. 46 ff., 101 ff.), kluge und redegewandte Zurechtweisung
ihres Bruders etwa durch Entgegensetzung, seiner Vorstellung von
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Darstellung
B Entwicklung von
Gedankengängen (20 %)
C Ausdruck (20 %)
E Sprachliche Korrektheit
(25 %)
F Lesefreundliche Form
(5 %)
Die Bereiche Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes und Darstellung
werden im Verhältnis 60:40 gewichtet.
Kriterien für eine gute (11 Punkte) und eine ausreichende (05 Punkte) Leistung
Aufgabenart: Interpretation literarischer Texte
12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte
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12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte
12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte
E Sprachliche kaum Verstöße gegen die Regeln wiederholt Verstöße gegen die
Korrektheit der deutschen Sprache Regeln der deutschen Sprache
(25 %) Fehler sind auf wenige Fehler sind auf viele verschiedene
Phänomene beschränkt Phänomene bezogen
keine Beeinträchtigung von gelegentlich Beeinträchtigung von
Lesefluss und Verständlichkeit Lesefluss und Verständlichkeit
F Lesefreundliche ansprechende äußere Gestaltung verschiedene Schwächen in der
Form (Schriftbild, Korrekturen, äußeren Gestaltung (Schriftbild,
(5 %) Abschnittsgestaltung); kleinere Korrekturen, Abschnittsgestaltung);
Schwächen beeinträchtigen die insgesamt aber noch ausreichend
Lesbarkeit nicht übersichtlich und lesbar
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Twitter1 ist am Ende. So verkündete es kürzlich zumindest der New Yorker2. Dazu war
zuletzt immer wieder zu lesen, die Plattform wolle die ikonische 140-Zeichen-Begrenzung
der Posts aufheben oder zumindest lockern. Es scheint also ein geeigneter Zeitpunkt zu
sein, um danach zu fragen, was Twitteratur war. Dieser Begriff bezeichnet nämlich kein
5 literarisches Genre, sondern situiert bestimmte literarische Texte im Diskurs über
Gegenwartsliteratur.
Bemerkenswert ist zunächst, dass sich der Begriff überhaupt herausgebildet hat.
Facebookeratur ist kein stehender Begriff, der „1. Facebookroman“ Zwirbler blieb eher
unbeachtet. Auch dass der syrische Autor Aboud Saeed ähnlich wie die österreichische
10 Autorin Stefanie Sprengnagel ihre literarischen Karrieren mit Texten auf Facebook begannen
und sie diese in vielfältiger Weise wiederverwendet haben, wird als ein eher
nebensächliches Phänomen betrachtet.I Florian Meimberg hingegen wurde für seine
Kürzestgeschichten auf Twitter im Jahr 2010 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.
Warum also Twitteratur? Prägend für den Begriff und seine Karriere war eine Textsammlung:
15 Twitterature. The World’s Greatest Books Retold Through Twitter3 von Alexander Aciman
und Emmet Rensin, die 2009 erschienen ist. Die Sammlung enthält Palimpseste4 einiger
Werke der Weltliteratur in netzaffiner5 Jugendsprache. Deren Erzähler_innen trugen wie auf
Twitter eine Namensbezeichnung mit At-Zeichen und kommunizierten in Abschnitten von
höchstens 140 Zeichen.
20 Klassiker-Palimpseste sind es jedoch nicht, was dann als Twitteratur bezeichnet wurde.
Auch die Nähe zur dramatischen Form hat sich nicht als dauerhaft erwiesen. Wie auch sonst
im Literaturbetrieb steht die Prosa im Vordergrund. Zwar gibt es eine hohe lyrische
Produktivität – man muss nur einmal auf Twitter nach dem Hashtag6 #Haiku suchen – auf
der Plattform, diese fand jedoch verhältnismäßig geringe Beachtung. Zudem wurde
25 Twitterature die Zugehörigkeit zur Twitteratur häufig abgesprochen, weil die Texte nie auf
Twitter veröffentlicht wurden. Ein Meilenstein der Twitteratur war dagegen Jennifer Egans
Agentinnenroman Black Box, der 2012 sowohl im New Yorker-Heft als auch auf einem
eigens eingerichteten Fiction-Account der Zeitschrift auf Twitter erschien. Egan unterteilte
ihren Roman in 47 Kapitel, die jeweils aus mehreren, höchstens 140 Zeichen langen Sätzen
30 bestehen.
Im deutschsprachigen Raum hat es kein Twitter-Roman zu größerer Prominenz gebracht,
obschon es sicherlich welche gibt. Mehr Echo fanden die oben schon erwähnten Tiny Tales
von Florian Meimberg. Bei ihnen handelt es sich um Kürzestgeschichten, die jeweils
höchstens 140 Zeichen lang sind. Bekanntheit erlangten auch einige Accounts, die fiktive
1
Twitter: Mikrobloggingdienst mit mehreren hundert Millionen registrierten Nutzern. Die Nutzer von Twitter
können in auf 140 Zeichen begrenzten Posts, die Tweets genannt werden, telegrammartige und öffentlich
zugängliche Kurznachrichten verbreiten.
2
New Yorker: unregelmäßig in New York erscheinendes Lifestylemagazin mit anspruchsvollen Essays,
Kurzgeschichten und kritischen Beiträgen zu aktuellen Ereignissen.
3
Twitterature. The World’s Greatest Books Retold Through Twitter : englischsprachiger Buchtitel, zu deutsch
etwa: „Twitteratur. Die berühmtesten Bücher der Welt neuerzählt via Twitter“; in dem 146-seitigen Bändchen
werden 60 Bücher mit jeweils maximal 20 Tweets dargestellt.
4
Palimpseste: Plural von Palimpsest, antikes oder mittelalterliches Schriftstück, von dem der ursprüngliche Text
abgeschabt oder abgewaschen und das danach neu überschrieben wurde.
5
netzaffin: in enger Beziehung mit dem Internet stehend
6
Hashtag: ein mit ‚#‘/Doppelkreuz versehenes Schlagwort, das dazu dient, bestimmte Inhalte auf Twitter für
andere Benutzer leichter auffindbar zu machen.
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35 Figuren inszenieren wie Jan-Uwe Fitz alias @vergraemer. Der größte literarische Account
auf Twitter im deutschsprachigen Raum ist vermutlich der der „Online-Omi“ Renate
Bergmann, ein satirischer Account, der aus dem Leben einer älteren Dame berichtet.
Bemerkenswert am Prinzip dieser Twitter-Accounts ist, dass weniger die Kürze der einzelnen
Posts, sondern eher die potentiell unendliche Fortsetzbarkeit im Zentrum des Erzählens
40 steht.
Als drittes im deutschsprachigen Raum relevantes Textkorpus7 sind die – siehe den Text von
Holger Schulze in Ausgabe 800 des Merkur – Veröffentlichungen im Frohmann Verlag zu
nennen. Autorinnen wie Ute Weber, Anousch Mueller, Claudia Vamvas posten kurze Texte
zwischen Alltagsbeobachtung und Aphorismus, die jeweils zu Buchveröffentlichungen im
45 Frohmann Verlag führten. Von Mueller erschien zudem der Roman Brandstatt (2013) im
Rowohlt Verlag. Wie auch Torsten Rohde, dem Schöpfer der Figur Renate Bergmann, und
Meimberg verhalfen die literarischen Aktivitäten auf Twitter zu Buchveröffentlichungen in
arrivierten Verlagen.
Aber zurück zur Twitteratur: Aus den sehr verschiedenen Texten – ein Roman, Palimpseste,
50 Kürzestgeschichten – lässt sich keine spezifische Textsorte ableiten. Auch die Reduktion auf
die formale Bedingung, Textabschnitte in 140 Zeichen zu verpacken, unterschlägt vieles und
ist kein ausreichendes Kriterium für Twitteratur. Die Virulenz8 dieses Begriffes scheint andere
Gründe zu haben.
In Twitterature steht Twitter in der Kontraktion von Twitter und literature für die stilistische
55 und formale Aktualisierung der literarischen Klassiker von Romeo and Juliet bis zu den
Leiden des jungen Werther. Twitter ist die Metapher für die Revitalisierung vermeintlich toter
Literatur. Viel wichtiger als die Kürze, als die Begrenzung auf 140 Zeichen, war im Begriff der
Twitteratur und in der Verbindung von Literatur und Twitter immer die Konnotation des
sozialen Netzwerks mit Lebendigkeit, Unmittelbarkeit, Gegenwärtigkeit und Aktualität. Diese
60 Konnotationen lassen sich dann gegen eine vermeintlich tote, vermittelte,
vergangenheitsbehaftete – gedruckte – Literatur in Stellung bringen. Insofern ist es kein
Zufall, dass Egan ihren Roman Black Box für Twitter geschrieben hat: Die Protagonistin und
Erzählerin ist eine Cyborg9-Agentin, Black Box ihr Missions-Logbuch, das sie in unmittelbarer
Übertragung ihrer Gedanken schreiben kann. So ist die formale Annäherung an Twitter auch
65 auf thematischer Ebene relevant: Twitter wird als Ort einer vermeintlich unmittelbaren
Kommunikation aufgerufen.
Dieser spezifische Dualismus von Leben und Tod zeigt sich nicht nur in den literarischen
Texten, sondern wird auch in der theoretischen Reflexion des Phänomens immer wieder
betont. Christiane Frohmann, Verlegerin und Gründerin des Frohmann Verlags, hat das
70 beispielsweise in einem Text über „instantanes10 Schreiben“ getan. Schon der Titel hebt
wieder die Verbindung von Online-Schreibweisen und Unmittelbarkeit hervor. Deutlicher wird
es noch im Text, wenn es heißt: „[D]ieses neue Schreiben, Lesen und Publizieren [wirkt]
befreiend, zugänglich und verbindend, mit einem Wort: lebendig“. Und weiter: „Das Netz ist,
anders als ein Buch oder Sterbebett, kein passender Ort für letzte Worte, es ist der Raum für
75 ständig zu aktualisierende Statusmeldungen.“ Online tobt das Leben, während im Regal das
Buch im Sterben liegt. Auch der Twitter-Apologet und Literaturwissenschaftler Stephan
7
Textkorpus: Sammlung von schriftlichen oder schriftlich aufgezeichneten Texten
8
Virulenz: hier im Sinne von gehäufte Verwendung
9
Cyborg: Mensch-Maschine-Mischwesen
10
instantan: augenblicklich
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Porombka ist immer wieder mit einer ähnlichen Position hervorgetreten. Ein Beispiel: „Wer
wirklich twittert, lebt mit dem Programm. Twitter bietet keine Geschichte mit Anfang und
Ende. Es ist eine Erzählmatrix, in der man drin ist und die man fortschreibt“, schreibt er an
80 einer Stelle, um mit diesem Leben auch die einzige Möglichkeit neuer Literatur zu verbinden.
Die Verknüpfung von Twitter und Leben erinnert an das Pathos künstlerischer Avantgarden,
die stets die Verbindung von Leben und Kunst als das Aufrichtige und Wahre proklamierten.
Aktuell verbindet sich mit dieser Positionierung eine bestimmte Verortung im kulturkritischen
Diskurs über die sogenannte Digitalisierung. Die Affirmation von Twitter als Affirmation des
85 Lebens ist auch eine Affirmation der Beschleunigung und der Simultaneität der digitalen
Netzwerke. Twitteratur ist also auch die Fantasie einer Form, die als Symptom dessen
gelesen werden kann, was sich mit verschiedenen Graden des Alarmismus inszenierende
Kulturkritiker wie Manfred Spitzer oder Douglas Rushkoff11 als Digitale Demenz (2012) oder
als Present Shock (2013) gefasst haben.
90 Im „Present Shock“ und der „digitalen Demenz“ wird all das, was in Bezug auf die Twitteratur
als lebendig überschwänglich gefeiert wird, pathologisiert. Überspitzt könnte man sagen,
dass die implizite Botschaft von Rushkoff und Spitzer ist: Lesen Sie doch einmal wieder
einen langen Roman von Dostojewski12! Erinnern Sie sich doch dieser traditionellen
Mnemotechnik13, und wenn nicht die Welt gerettet wird, so retten Sie sich doch zumindest
95 selbst!
[…]
Was war also Twitteratur? Eine neue sprachliche Verdichtung der Fantasie, es gäbe eine
literarische Form, die die Gegenwart – das Leben – zu fassen vermöge.
I
Gergely Teglasy TG: Zwirbler. Der 1. Facebook Roman. Freiburg 2014. Aboud Saeed: Der klügste Mensch im
Facebook. Statusmeldungen aus Syrien. Berlin 2013. Stefanie Sprengnagel. Auch in Thomas Meineckes Roman
14
Lookalikes (Berlin 2011) spielen Facebook- und Twitterstatusmeldungen eine Rolle.
11
Manfred Spitzer oder Douglas Rushkoff: Sachbuchautoren deutscher (Manfred Spitzer, geb. 1958) bzw.
amerikanischer (Douglas Rushkoff, geb. 1961) Herkunft, die in ihren Büchern vor den negativen Folgen der
Digitalisierung warnen.
12
Dostojewski: Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821-1881), bedeutender russischer Schriftsteller, der vor
allem durch seine psychologischen Romane Weltruhm erlangte, erstveröffentlichte seine Romane
überwiegend kapitelweise als Fortsetzungsromane in periodisch erscheinenden Zeitschriften.
13
Mnemotechnik: Verfahren, das die eigene Gedächtnisleistung steigern soll
14 I
Die Endnote ist Teil des Original-Blogbeitrags von Elias Kreuzmair.
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Erwartungshorizont D für Lehrkräfte im Land Berlin
Hauptthesen:
- der Begriff der Twitteratur erfährt innerhalb des Diskurses über
Gegenwartsliteratur eine gehäufte Verwendung („Virulenz“, 52) und
verweist auf neuere literarische Texte verschiedener Gattungen (vgl.
20 ff.), im Umfeld des Mikrobloggingdienstes Twitter; Primat der
Prosa innerhalb dieser Literaturform (vgl. 21 f.)
- Vorherrschen eines charakteristischen formalen Gestaltungsprinzips
(„Textabschnitte in 140 Zeichen“, 51) bei den Twitter-Posts (Tweets)
nachempfundenen oder tatsächlich über Twitter publizierten Texten
- Twitteratur als kein eigenständiges literarisches Genre bzw. keine
eigene Textsorte (vgl. 4 f.; 49 ff.), die sich mit Hilfe formaler oder
inhaltlicher Kriterien eindeutig abgrenzen lässt
- Postulat, Autorinnen und Autoren (vgl. 61 ff.) und Theoretiker (76 f.)
der Twitteratur unternähmen mit Hilfe ihrer Texte und des Begriffs
selbst den Versuch, sich in den Debatten über das Selbst-
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Darstellung
B Entwicklung von
Gedankengängen (20 %)
C Ausdruck (20 %)
E Sprachliche Korrektheit
(25 %)
F Lesefreundliche Form
(5 %)
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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018 Länder Berlin und Brandenburg
Darstellung
Die Bereiche Aufgabenbezogene inhaltliche Entfaltung des verfassten Textes und Darstellung
werden im Verhältnis 60:40 gewichtet.
Kriterien für eine gute (11 Punkte) und eine ausreichende (05 Punkte) Leistung
Aufgabenart: Analyse pragmatischer Texte
12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte
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Zentrale schriftliche Abiturprüfung 2018 Länder Berlin und Brandenburg
12 – 10 Punkte 06 – 04 Punkte
E Sprachliche kaum Verstöße gegen die Regeln wiederholt Verstöße gegen die
Korrektheit der deutschen Sprache Regeln der deutschen Sprache
(25 %) Fehler sind auf wenige Fehler sind auf viele verschiedene
Phänomene beschränkt Phänomene bezogen
keine Beeinträchtigung von gelegentlich Beeinträchtigung von
Lesefluss und Verständlichkeit Lesefluss und Verständlichkeit
F Lesefreundliche ansprechende äußere Gestaltung verschiedene Schwächen in der
Form (Schriftbild, Korrekturen, äußeren Gestaltung (Schriftbild,
(5%) Abschnittsgestaltung); kleinere Korrekturen, Abschnittsgestaltung);
Schwächen beeinträchtigen die insgesamt aber noch ausreichend
Lesbarkeit nicht übersichtlich und lesbar
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