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Strukturen, Schreibweisen, Themen

96 Narrative Modernität: Schnitzler von Erzählprosa, die sich am Vorbild des Dramas ori-
als Erzähler entierte und die sich dem in prominenter Weise von
Spielhagen ausformulierten Ideal einer möglichst un-
mittelbaren »Darstellung« (Spielhagen 1898, z. B. 54–
Der Epiker Schnitzler erscheint in literaturhistori- 57) von Geschehen verpflichtet fühlte. Dem Prinzip
schen Darstellungen als »Meister psychologischen Er- von Illusionsbildung und »objektiver Darstellungswei-
zählens« (Sprengel 1998, 283) und Prototyp für den se« (Spielhagen 1883, z. B. 134) entsprach die Tendenz
Prozess einer »Verinnerung« (Zenke 1976, 15–19) zu einem möglichst ›erzählerlosen‹ Erzählen – ver-
oder auch »Figuralisierung« (Schmid 2008, 193) des bunden mit der grundsätzlichen Skepsis gegenüber ei-
Erzählens in der »Klassischen Moderne« (Kiesel/Wie- ner Aussage- und Vermittlungsinstanz, die den Vor-
le 2011, bes. 260–262). Tatsächlich hat sich jedenfalls gang des Erzählens in den Vordergrund rückt, indem
der reife Autor Schnitzler als Vertreter einer Form von sie das Erzählte und/oder den Prozess des Erzählens
»psychologische[r] Literatur« (AB, 454 f.) verstanden, selbst reflektiert und kommentiert.
die »eine Art fluktuierendes Zwischenland zwischen Unabhängig von z. T. erheblichen Veränderungen
Bewußtem, Halbbewußtem und Unbewußtem« (ebd., im Blick auf das Verständnis von Mensch, Gesellschaft
455) sprachlich zu erkunden versucht. Denn »[d]as und Literatur kann das naturalistische Erzählen, wie es
Unbewußte«, so formuliert Schnitzler in bewusster im Umfeld der Berliner Moderne z. B. Gerhart Haupt-
Abgrenzung zu seinem Zeitgenossen Sigmund Freud, mann mit seiner »novellistische[n] Studie aus dem
»fängt nicht sobald an, als man glaubt, oder manch- märkischen Kiefernforst« Bahnwärter Thiel (1888)
mal aus Bequemlichkeit zu glauben vorgibt (ein Feh- oder Arno Holz und Johannes Schlaf mit Papa Hamlet
ler, dem die Psychoanalytiker nicht immer entgehen). (1889) realisierten, im Ansatz als eine Weiterentwick-
Die Begrenzungen zwischen Bewußtem, Halbbewuß- lung und Radikalisierung der Formen realistischen Er-
tem und Unbewußtem so scharf zu ziehen, als es über- zählens verstanden werden. Eine solche Kontinuität
haupt möglich ist, darin wird die Kunst des Dichters im Zeichen des Anspruchs auf »Objektivität des Er-
vor allem bestehen« (ebd.). Unterscheidet man in zählens« (Sprengel 1998, 159) gilt dagegen nur mit
der Erzählprosa des 20. Jahrhunderts zwei »große[] Einschränkungen für die jungen Wiener Autoren wie
Tendenzen«, nämlich eine »metanarrativ-ironische« Hugo von Hofmannsthal, Felix Salten oder Richard
und eine »psychologisch-mimetische« (Žmegač 1990, Beer-Hofmann – also die Autoren, die sich ab etwa
355), so erscheint Schnitzler als ein Autor, der im Sin- 1890 um den von Paris nach Wien zurückgekehrten
ne der zweiten Tendenz teils überlieferte Erzählfor- Hermann Bahr zur Gruppe des sogenannten Jung
men weiterentwickelt, teils neue Formen begründet Wien zusammenschlossen und die ihrerseits den wis-
und vorangetrieben hat. Der historische Hintergrund senschaftsgläubigen ›Naturalismus‹ mit Hilfe einer
für Schnitzlers Projekt der literarischen Erschließung neuen, sich auf die Darstellung von Sinneseindrücken
eines »Zwischenlandes« im Reich der menschlichen und Bewusstseinsvorgängen konzentrierenden ›Ner-
Psyche und dessen Konsequenzen für seine Formen ven‹-Kunst überwinden wollten (Bahr 1968). Denn zu
der Narration seien im Folgenden ausgeführt. Sowohl den Überzeugungen dieser vom Erkenntnisskeptizis-
die Entwicklung und Bandbreite als auch das spezifi- mus Friedrich Nietzsches und dem Empiriokritizis-
sche Profil seiner Erzählprosa sollen dabei Beachtung mus Ernst Machs geprägten jungen Generation gehör-
finden (ausführlich dazu Scheffel 2015). te, dass es keine sogenannten objektiven Wahrheiten
gibt und dass auch das Subjekt keine kohärente Ein-
heit, sondern vielmehr eine Art fließenden ›Komplex‹
Beginn des Erzählens im Schnittfeld von von sich stets wandelnden Empfindungen darstellt.
›Realismus‹, ›Naturalismus‹ und Jung Wien Mit der Gruppe von Jung Wien teilt der junge
Schnitzler sowohl die erklärte Aufmerksamkeit für die
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sich Innenwelt des Menschen als auch die Kritik am dogma-
das sogenannte »realistische Erzählen« zur »narrativen tischen Wahrheitsbegriff der zeitgenössischen positi-
Dominante« (Kiesel/Wiele 2011, 259) entwickelt. Fon- vistischen Wissenschaft. Im Unterschied zu seinen dem
tanes berühmte Forderung an den Roman, derzufolge Ästhetizismus huldigenden Künstlerfreunden ist der
dieser »uns eine Welt der Fiktion auf Augenblicke als als promovierter Mediziner naturwissenschaftlich ge-
eine Welt der Wirklichkeit erscheinen« lassen solle schulte »Dichter-Arzt« (Mann 1990, 91) aber ein Skep-
(Fontane 1960, 80), bildete die Grundlage einer Form tiker, der zugleich ein im Ansatz aufklärerisches Ideal

J. B. Metzler © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE,
ein Teil von Springer Nature, 2022
Jürgensen/Lukas/Scheffel, Schnitzler-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, https://doi.org/10.1007/978-3-476-05919-2_96
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vertritt. »Wir sind so rasch mit dem Systemisiren bei verzichtet in seiner Erzählung durchgehend auf das
der Hand; wir bringen aber eigentlich viel öfter Ord- Konstrukt einer narrativen Instanz, die das Erzählte
nung in unsere Gedanken als in die Sachen«, schreibt er kommentiert (oder auch nur z. B. die Krankheit des
schon 1891 in der von seinem Vater, dem Direktor der Protagonisten genau benennt) und die über irgend-
Wiener Poliklinik, gegründeten Fachzeitschrift Inter- eine Form von Zukunftswissen verfügt. Stattdessen
nationale klinische Rundschau und ergänzt: »Wir war- gibt er – bis hierhin Spielhagens Ideal einer möglichst
ten auf die Wahrheit und bekommen wohl bestenfalls objektiven und unmittelbaren »Darstellung« folgend
nur eine neue Schablone? – Dies ist nun einmal der – in der weitgehend neutralen Erzählform der sze-
Weg, den wir gehen. Das letzte Bestreben, die Wahrheit nischen Erzählung eine Art Chronik des Geschehens
zu finden, müssen wir für eine Zeit als die Wahrheit von der Offenbarung der tödlichen Diagnose bis zum
selbst gelten lassen« (MS, 234). Im Ergebnis relativiert Mordversuch des zunehmend geschwächten Felix an
Schnitzler das Ideal der Wahrheit also nur insoweit, als der gesunden Marie und seinem Tod infolge eines
er zeit seines Lebens jeden Anspruch auf absolute letzten Akts der Verzweiflung. Der Prozess des Ster-
Wahrheit verwirft. Die unaufhörliche Suche nach bens sowohl von Felix als auch der Liebesbeziehung
Wahrheit jenseits von Dogmen und Systemen, »das von Felix und Marie wird in diesem Rahmen jedoch
letzte Bestreben, die Wahrheit zu finden«, betrachtet er nur vordergründig im nüchternen Stil einer psy-
dagegen als ein wesentliches Ziel des menschlichen chisch-klinischen Studie notiert.
Denkens und Handelns – und damit auch des eigenen, Tatsächlich weist die Erzählweise weit über die
konsequent als Erkundung der »psychischen Realitä- Form einer medizinischen Studie hinaus. Zur kunst-
ten« (Psy, 283) angelegten Schreibens. vollen Komposition der Novelle gehört, dass der Autor
Betrachtet man die Anfänge des Epikers Schnitzler, sich im Rahmen einer chronologischen Präsentation
so verbindet der junge Autor unterschiedliche Ele- des Geschehens weder auf die szenische Darstellung
mente der Konzepte von Realismus, Naturalismus von Dialogen und Handlungen der Figuren noch auf
und Ästhetizismus und entwickelt daraus eine eigene eine durchgängige Subjektivierung im Sinne einer auf
Form des Erzählens. Das veranschaulicht ein Blick auf die besondere Perspektive der Gesunden oder des
die frühe, 1892 geschriebene Erzählung Sterben, die Todkranken fixierten internen Fokalisierung be-
1894 in der aus dem Zentralorgan des deutschen Na- schränkt. Grundlegend für die Erzählung sind viel-
turalismus, der Berliner Freien Bühne, hervorgegange- mehr ein Wechsel von Übersicht und Mitsicht, eine va-
nen Neuen Deutschen Rundschau erschien. In nuce riable interne Fokalisierung sowie gleitende Übergän-
enthält die ursprünglich unter dem Titel »Naher Tod« ge zwischen unterschiedlich ›mittelbaren‹ Formen der
konzipierte Novelle bereits vieles von dem, was die Er- Präsentation von Figurenbewusstsein wie ›Bewusst-
zählweise des gereiften Autors Schnitzler bestimmt. seinsbericht‹, ›erlebter Rede‹, ›Gedankenzitat‹ und ›in-
Wie in zahlreichen Werken des Naturalismus ist die nerem Monolog‹. Jenseits zeitgenössischer Dogmen
äußere Handlung der Novelle denkbar schlicht: Ein von einer ›Objektivität‹ oder ›Subjektivität‹ des Erzäh-
Mann und eine Frau, die einander lieben und einan- lens entsteht auf diese Weise einerseits der Eindruck
der vollkommen zu gehören glauben, werden durch einer stabilen erzählten Welt, während der Leser ande-
Krankheit und Tod eines Partners voneinander ge- rerseits Einblicke in das Denken, Fühlen und Träumen
trennt. Nicht als äußeres Ereignis sind Krankheit und beider Protagonisten und damit auch in die Subjektivi-
Tod allerdings von Interesse, und die Erzählung ent- tät von Wahrnehmung erhält – wobei der Autor
spricht auch keineswegs dem typischen Muster der Schnitzler den Eindruck der Situations- und Subjekt-
den Verfall als »psychopathologischen Prozess« vor- gebundenheit von Wahrnehmung dadurch verstärkt,
führenden »Todes- und Krankheitsliteratur« des Fin dass er den Blick in das Innere der einen Figur in
de Siècle (Koopmann 2008, 351). Schnitzler folgt dem rhythmischem Wechsel mit der jeweiligen Außensicht
naturalistischen Prinzip der Fallgeschichte, legt seine durch ihren Partner konfrontiert und auf dieser
Erzählung aber wie ein psychologisches Experiment Grundlage die Kluft von Selbst- und Fremdwahrneh-
an, indem er die erzählte Geschichte genau in dem mung verdeutlicht. Vor allem dieses Gegeneinander
Augenblick beginnen lässt, da der junge Mann seiner von Innen- und Außensicht verleiht der Geschichte
Geliebten mitteilt, dass er nach der Diagnose eines der Entzweiung beider zu Beginn der Erzählung har-
Arztes schwer krank ist und bestenfalls noch ein Jahr monisch vereinten und am Ende jeweils auf ihr Selbst
zu leben habe. Ist die Diagnose richtig, und was be- zurückgeworfenen Liebenden in moderner, ästhetisch
deutet sie für das Verhältnis der Liebenden? Schnitzler konsequenter Weise Ausdruck.
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Genau zwanzig Jahre nach der Entstehung seiner von ihrem Verhältnis wusste. In Blumen, Die Frau des
ersten größeren Erzählung notiert Schnitzler selbst- Weisen, Andreas Thameyers letzter Brief und der erst-
kritisch in einer handschriftlichen Notiz anlässlich mals 1902 veröffentlichten Erzählung Die griechische
seiner ersten Werkausgabe von 1912: »Sterben – Die Tänzerin kommen die männlichen Figuren dagegen
Intensität des seelischen Erlebens stark. Im Stil noch scheinbar ohne die Vermittlung einer unbeteiligten
wenig künstlerisch, aber auch ungekünstelt. Die zwei Instanz in der Form des Tagebuchs, des Briefs oder ei-
Hauptfiguren noch fern von Gestalt. Typen ohne Fa- nem (Inneren?) Monolog zu Wort, wobei auch hier je-
milie, ohne Herkunft. Der Fall selbst dadurch wohl weils psychische Prozesse dargestellt sind, die mehr
rein, aber nicht genügend beweiskräftig u. menschlich oder weniger unmittelbar durch das Verhalten eines
überzeugend [...]« (ASAF, N. I., Folio 9). weiblichen Gegenübers ausgelöst werden.
An den nach Sterben erschienenen Erzählungen In der im Juli 1900 ausgearbeiteten Novelle Lieute-
lässt sich verfolgen, wie Schnitzler die von ihm selbst nant Gustl ist die konsequente Darstellung eines Ge-
angesprochenen Schwächen u. a. dadurch überwindet, schehens aus der Innensicht in ihrer Extremform ver-
dass er seinen Figuren zunehmend Individualität und wirklicht. Angeregt durch die im Herbst 1898 gelesene
Tiefe verleiht. Deutlich wird aber auch, dass er sein Erzählung Les lauriers sont coupés (1888) des Franzosen
Projekt der Erkundung einer »Zwischenwelt« gezielt Édouard Dujardin, führt Schnitzler mit dieser »Mono-
fortsetzt und zu diesem Zweck z. T. neue Formen des logerzählung« (Zenke 1976) eine radikale Neuerung in
Erzählens entwickelt. Dabei interessiert sich der Er- die deutschsprachige Erzählliteratur ein. Erstmals ver-
zähler Schnitzler insofern für die »friedlose[] Vielfäl- zichtet er nicht nur auf jegliche Erzählinstanz, sondern
tigkeit der Einzelfälle« (ES II, 985), als er geradezu sys- auch auf die Fiktion irgendeiner Art von ›realer‹ Nie-
tematisch nicht nur auf der Ebene des Erzählten The- derschrift oder Rede und damit auch eines möglichen
men, Situationen und Figurengruppierungen wieder- Adressaten. Sein Text präsentiert ein Geschehen mit
holt und variiert, sondern auch das Spannungsverhältnis der Ausnahme von wenigen, sehr kurzen Dialogpassa-
von ›Objektivität‹ und ›Subjektivität‹ in immer wieder gen vollständig in Gestalt der reinen Gedankenrede,
neuen Konstellationen des Erzählens inszeniert. d. h. des sogenannten Inneren Monologs oder auch
»autonomen Monologs« (Cohn 1978, 217–265), sodass
der Eindruck entsteht, als ob man – jedenfalls im ge-
Varianten der »Verinnerung« im Spannungs- wählten Zeitausschnitt – am Denken des männlichen
feld von ›Objektivität‹ und ›Subjektivität‹ Protagonisten vollkommen ›objektiv‹, unmittelbar und
ohne jede Auslassung, teilhaben könne.
Im Rahmen einer allgemeinen Tendenz zum »psycho- Dass diese Erzählung einen Skandal auslöste, liegt
logisch-mimetische[n]« (Žmegač 1990, 355) Erzählen allerdings nicht allein in ihrer innovativen Form be-
besteht der wohl offensichtlichste Beitrag Schnitzlers gründet. Entscheidend dafür war, zu wessen Denken
zur literarischen Moderne darin, dass er in seiner Er- Schnitzlers Text seinen Lesern scheinbar ungehindert
zählprosa unterschiedliche Möglichkeiten einer Zutritt verschafft. Mit der Gestalt des jungen Leut-
durchgängigen Darstellung von Geschehen aus der nants rückt Schnitzler eine Figur in den Blickpunkt,
Innensicht sondiert. In den frühen, im zeitlichen Um- die wichtige Grundwerte der bürgerlichen Gesell-
feld von Sterben entstandenen Novelletten der 1890er schaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts in der Form
Jahre stehen hier zunächst Studien des männlichen eines Idealtyps verkörpert. Diese Leitfigur der Epoche
Bewusstseins im Vordergrund. In der Erzählung Ein lässt ihr Autor in eine Situation geraten, wo sie in dem
Abschied, die sich auch inhaltlich als das Gegenstück verletzt wird, was ihre herausragende Stellung über-
zu Die Toten schweigen lesen lässt, wird dieses Be- haupt erst begründet: in ihrer Männlichkeit und ihrer
wusstsein durch das Medium einer ebenso unbeteilig- Ehre. Wie reagiert der Leutnant, den ein körperlich
ten wie neutralen narrativen Instanz weitgehend in überlegener Bäckermeister bei seinem Säbel packt
der dritten Person vermittelt. Diese Stimme ermög- und damit existentiell bedroht? Grundlegend für
licht auf wunderbare Weise, was in der realen Welt un- Schnitzlers Studie ist, dass Gustls Beleidigung zwar in
möglich wäre, nämlich in actu die Verwirrung und die einem öffentlichen Raum erfolgt, gleichwohl aber nur
Schuldgefühle eines jungen Mannes mitzuverfolgen, die beiden Beteiligten zum Zeugen hat. Gustl, der sei-
die dieser während und nach der tödlichen Erkran- nen satisfaktionsunfähigen Beleidiger ja nicht for-
kung seiner verheirateten Geliebten gegenüber nie- dern kann, muss sich in einem inneren Prozess fortan
mandem aussprechen kann, weil offenbar niemand selbst zur Verletzung seiner Ehre ins Verhältnis set-
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zen, und das Protokoll seines Denkens ist insofern vor dem Foyer des Hotels), gleichwohl aber nur die
von besonderer Brisanz. Mit Hilfe der literarischen beiden Beteiligten zum Zeugen hat. Wie der Leutnant
Technik des Inneren Monologs hebt Schnitzler in Gustl steht Else vor einem Dilemma, und wie Gustl
Lieutenant Gustl also die Grenze auf, die im sozialen zur Frage der Ehre, muss sich Else zur Frage des An-
Leben Innen- und Außenwelt trennt, und offenbart stands in einem inneren Prozess nunmehr allein ins
den Durchschnittscharakter und die Minderwertig- Verhältnis setzen.
keitskomplexe einer auf dem Prinzip der Verdrän- Indem sich Else schließlich vor den Augen Dors-
gung eigener Ängste und der Aggression gegen seine days und anderer Gäste des mondänen Hotels ent-
Geschlechtsgenossen aufgebauten Existenz. Die Idea- blößt, zieht sie den Akt, der die soziale Existenz ihrer
le von Ehre und Männlichkeit – und das ist das ei- Familie retten soll, in die Öffentlichkeit eben der Ge-
gentliche Skandalon dieser »Psychogramm« und »So- sellschaft, deren Doppelmoral von ihr die Preisgabe
ziogramm« verbindenden Novelle (Schmidt-Dengler des Anstands im Verborgenen verlangt. Die wahren
1996, 24) – erscheinen im Rahmen des von Schnitzler Gründe von Elses scheinbar skandalösem Verhalten
in Szene gesetzten Bewusstseinsprozesses als ein un- werden allerdings nicht den beteiligten Figuren, son-
gedeckter Wechsel, eine hohle Hülle, die sich letztlich dern nur dem Leser als Zeugen ihrer Gedanken ver-
auf äußere Attribute wie das Tragen einer Uniform ständlich. Ihm entdeckt die Geschichte von Elses Ent-
und eines Säbels reduziert. hüllung die Verlogenheit einer ›guten Gesellschaft‹,
Berücksichtigt man, dass Schnitzler die 1899 er- deren Werte sich im Aufrechterhalten des bloßen
schienene Traumdeutung von Sigmund Freud im Scheins erschöpfen, die ihre Töchter an reiche Männer
März 1900 intensiv gelesen hat, so lässt sich sein Lieu- zur Eheschließung verkauft und die dem Eros der
tenant Gustl zugleich als eine Art erster skeptischer Frau huldigt, ohne ihr eine autonome Sexualität zu ge-
Kommentar zu dem dort errichteten Lehrgebäude der statten. Im Unterschied zum Leutnant Gustl, der sich
Psychoanalyse verstehen. Das von Freud im systema- das Kleid und das Ansehen seines Standes um den
tischen Rahmen eines tiefenpsychologischen Modells Preis der Verdrängung bewahrt, zeigt Schnitzler die
erklärte Prinzip der Verdrängung gestaltet Schnitzler auf ihre Integrität bedachte Else daher am Ende nackt
im Rahmen seiner literarischen Fiktion als einen all- und ohne sozialen Schutz. Ohne Lebensraum in der
täglichen Prozess, der – jedenfalls in einem durch- Gesellschaft bleibt seiner Figur als Rettung nur die
schnittlichen Fall wie dem des Leutnant Gustl – nicht Flucht in einen hysterischen Anfall und die Zerstö-
in die nur noch dem Analytiker zugänglichen Tiefen rung ihres bewussten Selbst.
des Unbewussten, sondern unmittelbar an den Rand Vergleicht man die erzählerische Umsetzung des
des Bewusstseins und damit durchaus noch in den Inneren Monologs in Lieutenant Gustl und Fräulein El-
Verfügungs- und Verantwortungsbereich des Ver- se, zeigt sich überdies Schnitzlers Entwicklung im Rah-
drängenden gehört. men seiner literarischen Erkundungen der mensch-
Die Ende 1923 vollendete zweite »Monologerzäh- lichen Psyche. In dem Spätwerk leuchtet Schnitzler tie-
lung« Fräulein Else bildet gewissermaßen das späte fer in das Innere seiner Figur. Der Raum des Bewusst-
Gegenstück zu Lieutenant Gustl. Noch einmal präsen- seins ist um die Darstellung von Träumen und
tiert Schnitzler ein Geschehen ohne Erzähler und bildhaften Assoziationen erweitert, das Denken der Fi-
schafft die Illusion, dass der Leser unmittelbar am gur scheint noch weniger rational gesteuert und radi-
Denken und Erleben der Figur teilhaben kann. Dabei kaler in seiner Inkohärenz erfasst. Außerdem bezieht
wird auch in Fräulein Else das Bewusstseinsprotokoll Schnitzler nunmehr auch das im Lieutenant Gustl na-
eines repräsentativen Typus in einer besonderen Situa- hezu vollkommen ausgeblendete Medium des Textes
tion gegeben. An die Stelle des Leutnants als männ- in seine Gestaltung ein. Der Gegensatz zwischen In-
lichem Vorbild der Jahrhundertwendegesellschaft nen- und Außenwelt ist durch einen unterschiedlichen
rückt hier jedoch eine junge Frau, die ihren Platz in der Schriftschnitt (›recte‹ vs. ›kursiv‹) markiert, und das an
Gesellschaft nicht verteidigen, sondern finden muss. drei Stellen eingefügte Zitat einer die Linearität des
Wie in Lieutenant Gustl ist auch in diesem Fall von Textes durchbrechenden Notenschrift illustriert, wie
entscheidender Bedeutung, dass der Angriff auf die weit die Auflösung von Elses bewusstem Selbst reicht
Integrität der Figur zwar in einem öffentlichen Raum und in welchem Ausmaß sich dieser psychische Pro-
erfolgt (das von der Mutter im Namen des Vaters ge- zess einer diskursiv geordneten Sprache und damit
wünschte Gespräch mit dem reichen Kunsthändler letztlich auch der Illusion einer ›Objektivität‹ von ver-
Dorsday findet auf einer Promenade statt, unmittelbar baler Darstellung entzieht.
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Sieht man von den vorgestellten radikalen Formen Figurenrede selbst offenbart. Eine Kombination von
einer durchgängigen Innensicht ab, so zeichnen sich zwei Innensichten zu einem spezifischen Typ von
die in aller Regel dem Prinzip einer chronologischen multiperspektivischem Erzählen bietet dagegen Die
Darstellung von Geschehen verpflichteten Erzählun- kleine Komödie – wobei in diesem Fall wiederum, an-
gen Schnitzlers durch eine im Einzelfall sehr variable ders als in Sterben und vielen anderen Erzählungen
Kombination von Übersicht und Mitsicht aus. Dabei Schnitzlers, jede Übersicht fehlt. In einer Folge von
ist die Übersicht grundsätzlich stark reduziert, d. h., kommentarlos, ohne Herausgeberfiktion aneinander-
die Präsenz einer das Geschehen sprachlich vermit- gereihten Briefen wird hier im Wesentlichen dasselbe
telnden heterodiegetischen narrativen Instanz ist im Geschehen, d. h. die Geschichte einer auf einer wech-
Sinne der Idee einer »objektiven Darstellungsweise« selseitigen Täuschung aufbauenden Affäre, aus der
zurückhaltend gestaltet: Sie berichtet, aber sie bewer- Sicht und mit den Stimmen von Mann und Frau in der
tet und kommentiert – im Unterschied etwa zu den Form der eingeschobenen Erzählung präsentiert.
›Erzählern‹ bei Fontane oder Thomas Mann – nicht Im Rahmen der in Schnitzlers Werken – entgegen
einmal ansatzweise Geschehen oder Figuren. In allen einem landläufigen Klischee überdies an durchaus
Erzählungen mit einer heterodiegetischen narrativen verschiedenen historischen Orten und Zeiten ange-
Instanz findet sich im Blick auf die Darstellung der In- siedelten – erzählten Welt scheint dem dargestellten
nenwelt von Figuren – wie schon in Sterben – überdies Geschehen in der Tradition von ›Realismus‹ und ›Na-
ein komplexes Spiel mit der Grenze von »Erzähler- turalismus‹ zumindest in seinem Kern ein eindeutiger
text« und »Figurentext« (Schmid 2008, 156–159). Realitätsstatus zuzukommen. Bei näherem Hinsehen
Infolge gleitender Übergänge zwischen ›Bewusst- führt das mit einer »objektiven Darstellungsweise«
seinsbericht‹, ›erlebter Rede‹, ›Gedankenzitat‹ und eng verknüpfte Prinzip der Perspektivierung von Ge-
›innerem Monolog‹ umfasst dieses Spiel die Interfe- schehen aber wiederholt dazu, dass eben dieser Status
renzen von Erzähler- und Figurenstimmen und eine in Zweifel steht, ja dass die auf der Ebene des Erzähl-
jeweils variierende Distanz zum Erzählten. Zugleich ten für viele Geschichten Schnitzlers zentrale Frage
bleibt das Prinzip der Figuralisierung des Erzählens nach dem genauen Verlauf der Grenze von Wirklich-
wiederum – anders als in Sterben – wiederholt auf die keit und Täuschung, von intersubjektiv gültigen Tat-
Perspektive einer einzelnen Figur beschränkt. Im Ein- sachen und der bloßen Einbildung einzelner Subjekte,
zelnen unterschiedlich profilierte Formen einer fixier- auch zum Gegenstand des Erzählens wird. Auf diese
ten internen Fokalisierung (zu deren Konsequenzen Weise entstehen kaum in ein herkömmliches Genre
eine Außensicht auf alle anderen Figuren der erzähl- einzuordnende, in der Forschung hilfsweise als »qua-
ten Welt gehört) finden sich so z. B. in Frau Bertha si-fantastisch« charakterisierte Texte (Lukas 1996, 259
Garlan, Frau Beate und ihr Sohn, Doktor Gräsler, Ba- u. 263) wie Die Weissagung oder Das Tagebuch der Re-
dearzt, Casanovas Heimfahrt oder auch Spiel im Mor- degonda. Sowohl die wirklichkeitsstiftende Kraft von
gengrauen und Flucht in die Finsternis, also all den Er- Sprechakten im Allgemeinen als auch die Grundlagen
zählungen, die sich dem Verhalten einzelner, teils fiktionaler Narration im Besonderen werden hier
männlicher, teils weiblicher Charaktere in besonde- ganz offensichtlich reflektiert. Ein »psychologisch-mi-
ren, teils ähnlichen, teils grundverschiedenen Situa- metischer« Ansatz des Erzählens schließt im Falle
tionen widmen. Auch die interne Fokalisierung in den Schnitzlers also Werke ein, die eindeutig auch der
beiden Romanen Schnitzlers bleibt konsequent (The- zweiten »großen Tendenz« moderner Erzählprosa
rese) bzw. im Wesentlichen (Der Weg ins Freie) auf das nach Viktor Žmegač, d. h. einer »metanarrativ-iro-
Bewusstsein einer einzelnen Figur begrenzt. nische[n]« Form, entsprechen (1990, 355).
Mit dem Thema und dem Verlauf seiner Geschich-
ten hat Schnitzler auch die Form seines Erzählens ge-
zielt variiert. Eine interessante Abwandlung der Form Epische Formen
einer fixierten internen Fokalisierung findet sich so et-
wa in der Ehegeschichte Traumnovelle, in der eine he- Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wuchs die Produktion
terodiegetische narrative Instanz den Zugang zum Be- von ›Kurzer Prosa‹ stetig an und erreichte »nach 1900
wusstsein der männlichen Figur eröffnet, während die einen Höhepunkt« (Sorg 2008, 369). Im Sinne dieser
weibliche Figur ihr Denken und Fühlen und vor allem allgemeinen, mit einem gewissen »Tiefstand des Ro-
einen langen und ungewöhnlich komplexen Traum mans« (Koopmann 2008, 343) verbundenen Tendenz
ohne die Hilfe einer fremden Stimme in der direkten handelt es sich auch bei den Erzähltexten Schnitzlers
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mehrheitlich um Werke von kürzerem bis mittlerem deutet. Zur Komposition von Lieutenant Gustl und
Umfang in der Gestalt von Prosaskizzen, Prosastü- Fräulein Else gehören so z. B. facettenreiche intermedia-
cken, Novelletten und Novellen – also Werke, die zu- le Bezüge auf jeweils ein Musikstück, das Leutnant
meist einen vergleichsweise kurzen Ausschnitt von er- Gustl zu Beginn und Fräulein Else am Ende der erzähl-
zählter Zeit umfassen und die eine in irgendeiner Hin- ten Geschichte hören (d. h. auf Felix Mendelssohn Bar-
sicht besondere, aus dem Strom der Zeit herausragen- tholdys Paulus-Oratorium bzw. auf Robert Schumanns
de Begebenheit umkreisen. Dem »Kult des Augenblicks Carnaval op. 9). Die Traumnovelle wiederum ist nicht
um 1900« (Sorg 2008, 380) und dem zeittypischen zuletzt als skeptischer Gegentext zu Hugo von Hof-
Interesse für offene Formen folgt Schnitzler allerdings mannsthals Märchen der 672. Nacht und zum Ästheti-
nicht mit der Radikalität eines Peter Altenberg, Carl zismus der Autoren von Jung Wien angelegt, und die
Einstein oder Robert Walser. Das Geschehen in Symmetrie in der Komposition der als ›Doppel-
Schnitzlers Erzähltexten besteht in keinem Fall aus – geschichte‹ konzipierten Erzählung wird in diesem Fall
im Extremfall – rein seriell, d. h. chronologisch an- durch den markierten intertextuellen Bezug auf ein
einandergereihten Ereignissen, sondern es ist zumin- eingangs zitiertes orientalisches Märchen aus Die Er-
dest im Ansatz immer zu einem Plot, einer mehr oder zählungen aus den Tausendundeinen Nächten reflektiert
minder deutlich konturierten Geschichte, geordnet, in (allgemein zum »intertextuellen Erzählen« Schnitzlers
der die Ereignisse nicht grundlos aufeinander, sondern zuletzt Aurnhammer 2013).
nach bestimmten – wenn auch im Einzelfall nicht im- Eine angebliche Nähe zum impressionistischen Er-
mer eindeutig zu ermittelnden – Regeln auseinander zählen (z. B. Allerdissen 1985) sowie der vergleichs-
folgen. Dass die Struktur von Schnitzlers Werken da- weise geringe Umfang der Mehrzahl von Schnitzlers
bei auf einer »Tiefenebene« höchst ausgeklügelt ist und Werken hat zu dem bis heute auch in Literatur-
in vielen Fällen ein »narratives 3-Phasen-Modell« ver- geschichten verbreiteten Vorurteil geführt, dass der
wirklicht, hat Lukas ausgeführt (1996, 12 u. 15). Wiener Autor nur in den kurzen Prosaformen hei-
Wie Hugo von Hofmannsthal, die Brüder Mann, misch sei. Seine beiden Romane werden in diesem Zu-
Stefan Zweig und viele andere Autoren der Klassischen sammenhang entweder ausgeblendet oder doch zu-
Moderne bevorzugt Schnitzler im Feld der ›Kurzen mindest als – jedenfalls aus formaler Sicht – zweitran-
Prosa‹ das überlieferte Genre der Novelle und damit gig bewertet (z. B. Sprengel 2004, 243). Dabei wird
eine klassisch geschlossene, durchkomponierte ästhe- übersehen, dass Schnitzler auch in diesen Werken ei-
tische Form – wobei er diese Gattungskonvention wie- gene und, für sich genommen, jeweils konsequente äs-
derholt ironisch bricht und im Blick auf die Gattungs- thetische Wege geht (detailliert zu Schnitzlers Beitrag
zugehörigkeit seiner Texte im Einzelfall nicht nur von zur Gestalt des modernen Romans Scheffel 2015, 140–
Novelletten, sondern auch von »Novellettchen« (an 171). So ist Der Weg ins Freie (1908) eben nicht als Bil-
Hugo von Hofmannsthal, 2.8.1893; Hofmannsthal- dungs- oder Entwicklungsroman, sondern als ein sys-
Bw, 42) spricht. Der Form der Novelle im klassischen tematisch entfabelter Roman angelegt, der mit Hilfe
Sinn entsprechen neben Frau Bertha Garlan, Die Weis- eines als eine Art Brennspiegel und Katalysator fun-
sagung, Andreas Thameyers letzter Brief, Das Schicksal gierenden männlichen Protagonisten ein weites Spek-
des Freiherrn von Leisenbohg und vielen anderen trum von unterschiedlichen, aber prinzipiell gleichbe-
Werken interessanterweise auch Lieutenant Gustl und rechtigten Lebensentwürfen präsentiert und der auf
Fräulein Else, also die beiden »Monologerzählungen« diese Weise eine höchst moderne Poetik des Neben-
Schnitzlers, die gerade keiner bestimmten ästheti- einanders verwirklicht – eine Poetik, die sich sowohl
schen Gestalt, sondern allein der möglichst ›realisti- dem Prinzip einer zielgerichteten Entwicklung von Fi-
schen‹, d. h. unmittelbaren und ›objektiven‹ Darstel- guren als auch der eindeutigen Bewertung ihres Ver-
lung von Bewusstseinsvorgängen verpflichtet schei- haltens verweigert und die dem Problem der Suche
nen. Doch wie alle Erzählungen Schnitzlers erschöp- nach Ordnung und damit auch dem eigentlichen The-
fen sich auch diese Werke nicht einmal vordergründig ma dieses ›Zeitromans‹ in kongenialer Weise ent-
im Versuch eines psychologischen Realismus. Die Poe- spricht. Schnitzlers zweiter Roman Therese. Chronik
tizität dieser und anderer Texte und damit die Tatsa- eines Frauenlebens (1928) ist seinerseits wie ein Ge-
che, dass ihre Form – wie jede poetische Form – künst- genstück zu Der Weg ins Freie angelegt. Die Suche
lich ist und der »chaotischen Wahrheit« (AB, 26) des nach dem verlorenen Halt in einer Epoche des Über-
Lebens nicht entspricht, wird vielmehr in den Texten gangs wird hier nicht mit Hilfe eines schmalen Zeit-
selbst mittelbar reflektiert oder doch zumindest ange- ausschnitts und einer Fülle von Figuren, sondern am
396 VII. Strukturen, Schreibweisen, Themen

Beispiel der in vielen Szenen entfalteten Lebens- Dangel, Elsbeth: Wiederholung als Schicksal. A. S.s Roman
geschichte einer einzelnen Figur illustriert. In 106 »Therese. Chronik eines Frauenlebens«. München 1985.
durchnummerierten Kapiteln und der Form des Epi- Fontane, Theodor: Schriften zur Literatur. Hg. v. Hans-Hein-
rich Reuter. Berlin 1960.
sode an Episode reihenden Erzählens ist dieses Spät- Kiesel, Helmuth/Wiele, Jan: Klassische Moderne (1890–
werk als eine neue Art von »Desillusionsroman« 1930). In: Matías Martínez (Hg.): Handbuch Erzähllitera-
(Dangel 1985, 47–49) konzipiert, der eine Nähe zu tur. Theorie, Analyse, Geschichte. Stuttgart 2011, 258–272.
»Stiltendenzen der Neuen Sachlichkeit« (Perlmann Kiwit, Helmut: »Sehnsucht nach meinem Roman«. A. S. als
1987, 180) aufweist und der die »Erfahrung zielloser Romancier. Bochum 1991.
Koopmann, Helmut: Roman. In: Sabine Haupt/Stefan B.
Wiederholung« (ebd., 177) im Leben der vergeblich
Würffel (Hg.): Handbuch Fin de Siècle. Stuttgart 2008,
ihren Ort in der Gesellschaft suchenden weiblichen 343–368.
Protagonistin mit Hilfe der »Strukturprinzipien« von Lukas, Wolfgang: Das Selbst und das Fremde. Epochale
»Progression« und »Repetition« (ebd., 176) spiegelt. Lebenskrisen und ihre Lösung im Werk A. S.s. München
Schaut man von diesem späten Roman schließlich 1996.
noch einmal auf das gesamte, die Zeit von – berück- Mann, Klaus: Tagebücher 1936 bis 1937. Hg. v. Joachim
Heimannsberg u. a. München 1990.
sichtigt man allein die zu Lebzeiten veröffentlichten Perlmann, Michaela L.: A. S. Stuttgart 1987.
Texte – 1885 bis 1931 umspannende Prosawerk des Michael Scheffel: Arthur Schnitzler. Erzählungen und
Wiener Autors, so bestätigt sich: Der Entwurf spezifi- Romane. Berlin 2015.
scher Varianten einer »Verinnerung« des Erzählens ist Schmid, Wolf: Elemente der Narratologie. Berlin/New York
22008.
Teil einer geradezu programmatischen Vielfalt von
Schmidt-Dengler, Wendelin: A. S. Leutnant Gustl. In: Inter-
Erzählformen und -kompositionen. Weniger in der
pretationen. Erzählungen des 20. Jahrhunderts. Bd. 1. Stutt-
Entwicklung eines bestimmten Typus von Erzählung gart 1996, 75–98.
als vielmehr in der prinzipiellen Offenheit im Blick auf Sorg, Reto: Kurze Prosa. In: Sabine Haupt/Stefan B. Würffel
die »chaotische[] Wahrheit« (AB, 26) des mensch- (Hg.): Handbuch Fin de Siècle. Stuttgart 2008, 369–414.
lichen Lebens, in der Praxis einer proteisch-unfixier- Spielhagen, Friedrich: Beiträge zur Theorie und Technik der
baren, sich von Sujet zu Sujet wandelnden narrativen Epik und Dramatik. Leipzig 1883.
Spielhagen, Friedrich: Neue Beiträge zur Theorie und Technik
Gestalt liegt die besondere Leistung und wohl auch die
der Epik und Dramatik. Leipzig 1898.
Modernität des Erzählers Schnitzler. Sprengel, Peter: Geschichte der deutschsprachigen Literatur
1870–1900. Von der Reichsgründung bis zur Jahrhundert-
Literatur wende. München 1998.
Allerdissen, Rolf: A. S. Impressionistisches Rollenspiel und Sprengel, Peter: Geschichte der deutschsprachigen Literatur
skeptischer Moralismus in seinen Erzählungen. Bonn 1985. 1900–1918. Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des
Aurnhammer, Achim: A. S. Intertextuelles Erzählen. Berlin/ Ersten Weltkriegs. München 2004.
Boston 2013. Zenke, Jürgen: Die deutsche Monologerzählung im 20. Jahr-
Beßlich, Barbara: Das Junge Wien im Alter. Spätwerke hundert. Köln/Wien 1976.
(neben) der Moderne (1905‒1938). Wien 2021, 326‒353. Žmegač, Viktor: Der Europäische Roman. Geschichte seiner
Bahr, Hermann: Zur Überwindung des Naturalismus. Theo- Poetik. Tübingen 1990.
retische Schriften 1887–1904. Hg. v. Gotthart Wunberg.
Stuttgart u. a. 1968. Michael Scheffel
Cohn, Dorrit: Transparent Minds. Narrative Modes for Pre-
senting Consciousness in Fiction. Princeton 1978.

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