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Leitung: H. Ruddies
SS 1987
vorgelegt von
Johannes-Martin Goebel
Lessingstraße 2/49
6000 Frankfurt 1
Tel.: 069/729061
Vorwort
Die Erstellung dieser Arbeit erstreckte sich vom Ende des Sommersemesters 87 bis
zum Ende des Wintersemesters 87/88 mit größeren Unterbrechungen. Ich hatte im
Sommer 87 die Arbeit nicht zu Ende bringen können, da ich am Ende des Semesters
noch am Intensivkursus Hebräisch teilnahm; während dieser Zeit entstanden vor
allem das erste und das zweite Kapitel. Im Wintersemester hatte ich dann wenig
Zeit und wartete auch auf einige Bücher, die ich mir aufgrund der
Literaturangaben von Ken Wilber in seinem Buch "Halbzeit der Evolution" über die
Fernleihe bestellt hatte. Ich fand erst jetzt, Mitte März 88, genug Zeit meine
Arbeit fertigzustellen. Ganz am Schluß kam ich ziemlich ins Schleudern, da ich
das Buch von Alan Watts vorher ausgeklammert hatte und nun doch noch einbeziehen
wollte; ich hätte das dritte Kapitel eigentlich neu schreiben müssen,
beschränkte mich dann doch auf einen kleinen Einschub. Ich hoffe daß es mir
durch den Vergleich mit sekundären Texten über Hinduistische und Buddhistische
Schöpfungsvorstellungen gelungen ist, Moltmanns Ausführungen über das Zimzum zu
vertiefen.
logisch zu deuten?
IV. Ergebnis 19
Anmerkungen 20
I. Einleitung
Die Lehre von der creatio ex nihilo entstand im ersten und zweiten Jahrhundert
nach Christi Geburt. Bei der Auseinandersetzung der christlichen Apologeten mit
den Vertretern der Gnosis und vor allem mit den Anhängern der platonischen
Philosophie war deren vorrangiges Interesse die Darstellung der Allmacht Gottes.
Die Vertreter der Gnosis hatten eine sehr negative Auffassung von der Welt;
daher schrieben sie die Weltschöpfung anderen Göttern zu. 1 Die Anhänger der
platonischen Philosophie gingen dagegen von einer präexistenten Materie aus, die
von Gott gestaltet wurde. 2Bei dieser Annahme spielte das Problem der Theodizee
und die Gottesvorstellung eine entscheidende Rolle. Hermogenes lehnte zum
Beispiel sowohl die Emanationslehre als auch die der creatio ex nihilo ab:
"Aus sich selbst konnte er die Welt nicht schaffen, weil sein Wesen unteilbar
und unveränderlich ist, aus nichts aber deshalb nicht, weil er als der
vollkommen Gute nur Gutes hätte schaffen können, so daß der Ursprung des Bösen
nicht zu erklären wäre." 3
Diese Vorstellungen widersprachen der aus der Bibel gewonnenen Auffassung von
der Allmacht Gottes. Daher entwickelten die christlichen Theologen die Lehre von
der creatio ex nihilo. Diese Beschäftigung mit philosophischen Fragen wurde vor
allem von ehemaligen Anhängern philosophischer Schulen betrieben, so daß die
Loslösung von griechischen Kosmogonien erst allmählich geschah. Der erste
christliche Theologe, der eindeutig die Lehre der creatio ex nihilo vertrat,
war Irenäus. 4Er war der Ansicht, daß Gott aufgrund einer freien
Willensentscheidung "'durch sich selbst' den Kosmos und die Menschen geschaffen"
5 hat; "er nahm aus sich selbst den Stoff, das Urbild und die Form für die
Dinge, die er schuf". 6
Die Bedeutung der Lehre der creatio ex nihilo in der späteren Theologie
Die creatio ex nihilo steht in der ständigen Gefahr, als einmaliger und
abgeschlossener Akt verstanden zu werden und das Geschichtshandeln Gottes zu
verdrängen. Die Grundlegung der Schöpfung wird als vollständig verstanden und
ist nicht der Beginn einer creatio continua, sondern schließt diese aus.
Um diese Reduzierung Gottes dogmatisch auszuschließen, wurde die Lehre von der
Trinität entwickelt; sie unterscheidet zwischen dem streng transzendenten Sein
des Vaters und der Weltimmanenz von Sohn und Geist, so daß der Mangel der Lehre
der creatio ex nihilo quasi durch eine Erweiterung Gottes ausgeglichen wird.
Luther hat die Schöpfung "aus nichts" aus ihrer rein auf die Schöpfung
beschränkten Anwendung herausgenommen und sie zur "'Kategorie' des Handelns
Gottes schlechthin" gemacht. 8 Damit deutet er diese Lehre aber soweit um, daß
sie ihren ursprünglichen Charakter verliert und vor allem das soteriologische
Handeln Gottes beschreibt.
In der neueren Theologie wird Gottes Schöpfung als Ausdruck seiner Gnade
verstanden: "Bereits die Schöpfung der Welt bedeutet Gottes teilnehmende
Selbstherablassung..." . 9 Durch Hinzufügung eines übergeordneten Prinzips wird
so die Lehre von der creatio ex nihilo qualitativ erweitert, indem sie in ein
umfassendes theologisches System eingebettet wird.
II. Die Schöpfungsvorstellung Moltmanns
Im vierten Kapitel seines Buches "Gott in der Schöpfung" beginnt Moltmann mit
einer Exegese des Schöpfungsberichts der Bibel. Gott hat die Welt
voraussetzungslos aus dem Nichts erschaffen. Dieses Schaffen ist eine
Entscheidung etwas außer Gott sein zu lassen. Die Begründung des Schöpfungsaktes
kann mit menschlichen Erklärungsmustern nicht dargestellt werden; "er ist
einheitlich und einzigartig". 10
Als Ergebnis dieser Untersuchung stellt er fest, daß die "creatio ex nihilo" am
besten die biblische Schöpfungsvorstellung beschreibt.
Zuerst betrachtet Moltmann das "Nichts" als Negation des Seienden. Für diese
Möglichkeit bieten sich zwei Definitionen an: Das "nicht mehr sein" und das
"noch nicht sein" (S.87). In beiden Fällen ist das "Nichts" in Relation zum
zeitlichen und räumlichen Sein gesehen; für den Schöpfungsvorgang kann eine
solche Definition nicht zutreffen, da das "Nichts" vor der Schöpfung weder zeit-
lich noch räumlich aufgefaßt werden kann (es gab weder Zeit noch Raum). Dem
"Nichts" irgendwelche Eigenschaften oder Möglichkeiten zuzuschreiben ist also
nicht möglich; eine Definition muß von dem Verhältnis Gottes zu seiner Schöpfung
her gemacht werden.
Als erstes stellt Moltmann fest, daß die Materie "durch den freien Willen Gottes
ins Dasein gerufen" (S.88) wurde; die Schöpfung ist weder Zufall noch
Selbstdarstellung Gottes: Sie wurde "aus der inneren Liebe, die der ewige Gott
selbst ist, ins Dasein gerufen" (S.89).
Das sichtbare Ergebnis der Schöpfung ist weder kausal noch final mit Gott
verbunden; es gibt keine natürliche Gotteserkenntnis. Diese Feststellung
unterstreicht Moltmann durch die Unterscheidung zwischen "schaffen", "machen",
und "scheiden". Mit diesen Begriffen beschreibt Moltmann drei Seinsebenen: Das -
Schaffen ist Voraussetzung und Ziel des Machen, es ist der die gesamte Schöpfung
umfassende Entschluß Gottes etwas außerhalb seiner Sphäre sein zu lassen - die
Entstehung des endlichen Seins überhaupt. Das Machen beschreibt das göttliche
Wirken innerhalb des durch das Schaffen entstandenen Raum-Zeit-Kontinuums; es
ist die Ausrichtung des göttlichen Scheidens innerhalb des durch das Schaffen
gesetzten Ziels: "Machen beschreibt das zweckvolle Herstellen eines Werkes"
(S.86). Erst das Scheiden läßt das für unsere Sinne und die Mittel der
Naturwissenschaft erkennbare Resultat entstehen - Gottes Schöpfung wird sicht-
bar.
Diese drei Ebenen göttlichen Handelns betrachtet Moltmann als durch die Exegese
des Priesterschriftlichen Schöpfungsberichts vorgegebene systematische
Unterscheidung. Eine Vermischung, oder die Aufgabe einer dieser Ebenen, würde
entweder zu einer unvollständigen Beschreibung oder zum Beispiel zu einer auf
rein naturwissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Schöpfungslehre führen.
Die Analogie zu Gott wird "durch den Segen geschaffen, den Gott auf seine
Geschöpfe legt" (S.90); also durch die Verheißung des Gottesreiches, in dem
Geschöpf und Schöpfer vereint sind. Dieser Segen ist damit Ausdruck des Bildes,
das Gott von seiner Schöpfung hat - Offenbarung des durch das Schaffen
angelegten Sinns der Welt.
In dem nun folgenden Kapitel "die Selbstbestimmung Gottes zum Schöpfer" (S.92)
erörtert Moltmann die traditionelle Schöpfungslehre der reformierten
Dekretenlehre und deren Weiterentwicklung durch Karl Barth, sowie die
Emanationslehre, als deren Vertreter er Paul Tillich nennt. Er versucht
dazustellen, inwiefern Gottes Schöpfung zu seinem Wesen gehört - seine
Selbstbestimmung ist.
Die Aussage der Emanationslehre geht eher in die entgegengesetzte Richtung: Die
Grenzen zwischen Schöpfer und Geschöpf werden verwischt, und die
verheißungsgeschichtliche Dimension, die über mehrere Stationen von der
Schöpfung im Anfang zur eschatologischen Schöpfung führt, geht verloren.
"Es ist angemessener und besser, das ewige göttliche Leben als Leben der ewigen,
unendlichen Liebe anzusehen, die im schöpferischen Prozess aus ihrer
trinitarischen Vollkommenheit überschwenglich heraustritt und in der ewigen
Sabbatruhe zu sich selbst kommt."(S.97)
So ist Gott nicht nur höchste Substanz, sondern auch Subjekt, und wiederum nicht
nur absolutes Subjekt, sondern auch höchste Substanz. 12Gottes kommunikative
Tätigkeit schränkt sein göttliches Sein in keiner Weise ein. Gott geht aus sich
heraus und bleibt trotzdem ganz er selbst. Seine Selbstbestimmung zum Schöpfer
ist Ausdruck seines Wesens.
Die in den beiden vorangegangenen Kapiteln gewonnenen Aussagen faßt Moltmann nun
zusammen. Als vorläufigen Ausgangspunkt nimmt er wieder die creatio ex nihilo,
erweitert diese klassische Bezeichnung aber entscheidend durch die jüdisch-
kabbalistische Lehre von der "Selbstverschränkung Gottes" (Zimzum). 13 Es geht
ihm in diesem Kapitel vor allem um ein tieferes theologisches Verständnis des
"Nichts", da die philosophischen Vorstellungen, wie er in Ý1 zeigte (s. S.87f.),
nicht als Grundlage für eine Schöpfung im Anfang gelten können.
Moltmann beginnt mit der Feststellung, daß es vor der Schöpfung nichts außer
Gott gab; es gab keine Materie, keinen Raum und keine Zeit. Das "Nichts" kann
also eigentlich nicht sein; "ein solches Außergöttliches müßte dann ein
Gegengöttliches sein" (S.99). Die Lehre vom Zimzum Gottes bietet eine sehr
einleuchtende und theologisch plausible Erklärung: Gott nimmt seine Gegenwart
zurück und schafft so das nihil für seine creatio ex nihilo. 14 Dies ist der
entscheidende Punkt dieser Erweiterung der Lehre von der creatio ex nihilo. Das
nihil, aus dem Gott die Schöpfung macht, muß in Bezug zum göttlichen Sein
gesetzt werden, und nicht, wie das 'mä on' und das 'ouk on', als Verneinung oder
als zeitliche Verknüpfung zum ens contingens : "Dann bleibt die Wirklichkeit
außerhalb Gottes gleichwohl in dieser Hinsicht in Gott" (S.101), und jegliche
Möglichkeit einer gegengöttlichen Urmaterie ist ausgeschlossen.
Das bedeutet, daß Gott nicht mehr als unbeweglicher Beweger angesehen werden
kann, sondern daß er erst durch eine Selbstbewegung Schöpfer wurde.
Allzumenschliche Vorstellungen, die Gott mit einem Bauherrn vergleichen, der die
Welt zusammensetzte und nun für die Unterhaltung sorgt, werden durch dieses
Modell bei weitem überboten.
Diese Erklärung der Schöpfung ermöglicht die Frage der Theodizee besser zu
beantworten. Das "Sein" ist nur in einem "gottverlassenen Raum" möglich. 15Das
heißt, daß es nur in Freiheit exi- stieren kann. Die Freiheit die Gott seiner
Schöp fung gibt, ist aber in seiner "sich selbst erniedrigenden Liebe" (S.101)
begründet, und diese Liebe setzt sich bei der Erhaltung der Schöpfung fort und
kommt in der Neuschöpfung zu ihrem Höhepunkt: "Gott nahm als Schöpfer
Knechtsgestalt an" (S.101), und "endlich soll auch die neue Schöpfung des
Himmels und der Erde aus der Geschichte des Leidens Gottes hervorgehen und
dieses Leiden zum Zentrum haben." (S.102) Unsere Leiden bedeuten ein Vorankommen
zum Reich Gottes, und sie sind Geburtswehen dieser Welt.
Die Selbstbeschränkung Gottes wird im Kreuz Christi offenbart: "Im Weg des
Sohnes in die Entäußerung und in die Knechtschaft bis in diesen Tod hinein und
im Weg seiner Erhöhung und Verherrlichung durch die ganze Schöpfung wird Gott
allgegenwärtig." (S.103) Das "Nichts", das durch die Schöpfung entstand, und dem
die Geschöpfe ständig ausgesetzt sind, wird von Gott durch seine Liebe, die in
Christus offenbart wurde, überwunden.
Ich meine, daß die Gleichsetzung des weltgeschichtlichen Nichts mit dem "Nichts"
am Anfang ein Fehler wäre. Das "Nichts", aus dem das Sein wurde, bedeutet die
Freiheit von Gott und damit die Möglichkeit zum Bösen. 18So sind Unglücke,
Katastrophen und das Leiden Folge unserer Freiheit; würde Gott diese Dinge
verhindern, würde er die Welt ihres Sinns berauben - wir wären nur noch
Marionetten Gottes und vollkommen unter seiner Herrschaft. Das Leiden ist somit
Konsequenz des endlichen Seins; mit Gott über den Grund des Leidens zu rechten
bedeutet, einen tyrannischen Gott zu wollen.
Gottes Liebe versucht jedoch dieses Nichts zu überwinden und der, der daran
glaubt, weiß, daß es durch die neue Schöpfung überwunden wird. Der Glaube an
diese Liebe drückt sich in der Auferstehungshoffnung aus; "Auferstehungshoffnung
bringt die Lebendigen in eine Hoffnungsgemeinschaft mit den Toten" (S.104). Im
Keuzesgeschehen zeigt Gott seine Solidarität mit der geknechteten Kreatur; durch
den Glauben wird der Schwache stark und die Solidarität Gottes und der Gemeinde
gibt ihm trotz der scheinbar übermächtigen Kraft des Bösen eine Zukunft.
Der Glaube an Gottes heilsgeschichtliches Schaffen bedeutet, daß Gott die Welt
erhalten wird; es wird keine totale Apokalypse geben - die Apokalypse ist gegen
Gottes Willen; solche Vorstellungen entstehen aus dem Trauma weltgeschichtlicher
Katastrophen. Wer einen Weltuntergang erwartet glaubt nicht an Gott den Schöpfer
und damit an den Sinn der Schöpfung. Dieser Glaube gibt demjenigen, der dem
weltgeschichtlichen Nichts ausgesetzt ist, die Kraft nicht zu verzweifeln; nur
so sind Leute wie Bonhoeffer und viele andere Menschen zu verstehen, die auf
Gott vertrauten, obwohl sie den sicheren Tod vor Augen hatten.
Meiner Meinung nach heißt dies jedoch nicht, daß die Selbstzerstörung der
Menschheit unmöglich ist. Die Aussage Moltmanns bezieht sich auf die gesamte
Schöpfung und damit auf den Kosmos. Die Zerstörung der Erde wäre lediglich eine
der vielen kleinen Katastrophen, die täglich stattfinden. Gott tut alles, um die
Menschheit davon abzuhalten; wir müssen nur auf ihn hören.
kosmologisch zu deuten?
Bei meinen Überlegungen zum Zimzum fielen mir große Ähnlichkeiten zur
Schöpfungs-Vorstellung Ken Wilbers auf, die er in seinem Buch Halbzeit der
Evolutionbeschreibt, 20. Er versteht die Schöpfung als "Ausdruck oder kenotische
Objektivierungen des Höchsten Geistes, des Geistes an sich" . 21Der Involution
am Anfang folgt die Evolution, bei der sich der Geist, bei der Materie
beginnend, wieder zu der höchsten Bewußtseinsstufe hin entwickelt; der Prozess
der Involution läuft rückwärts:
"Sobald die Involution abgeschlossen ist, kann also die Evolution beginnen. Da
Involution das Einfalten des Höheren in das Niedere war, ist Evolution das
Entfalten des Höheren aus dem Niederen. 'Aus' ist jedoch das falsche Wort: Es
ist ja nicht so, daß das Höhere tatsächlich aus dem Niederen kommt, so wie eine
Wirkung aus ihrer Ursache. Das Niedere kann niemals das Höhere erzeugen.
Vielmehr kommt das Höhere aus dem URSPRUNG, wo es bereits als Potential exi-
stiert. Jedoch nimmt das Höhere, wenn es entsteht, seinen Weg durch das
Niedere." 22
Die Involution am Anfang bedeutet nach Ansicht Wilbers, daß die Evolution keine
creatio ex nihilo ist:
"From the successive standpoint of time, the drama of creation and redemption,
of the infinte manifesting itself in the finite, may be divided into two stages.
The first is involution, wherein the supreme Self deliberately forgets and lays
aside its omniscience, and identifies itself with finite points of view -
culminating in the experience of total separateness and independence as the
human ego. The second is evolution, wherin the Self awakens to its true identity
within the finite order... The first phase, involution, manifests in finite form
the Son's distinction from the father; the second, evolution, manifests his
union with the father. The infinite, in the act of manifesting and identifying
itself with the finite, is the formative logos, God the Son, whose image is the
entire finite order considered simultaneously, sub specie aeternitatis." 23a
Durch diesen Vergleich stellt Watts die besondere Verbindung Gottes mit seiner
Schöpfung klar heraus. Gott "involviert" sich und läßt das endliche Sein
entstehen. Dabei nimmt er am endlichen Sein als Sohn teil, ohne in ihm
aufzugehen; Weltimmanenz und Welttranszendenz Gottes sind Bestandteile seines
Wesens. Beachtet man, daß Watts nicht die Schöpfung in ihrer Zeitlichkeit,
sondern als Ganzes mit "Gott dem Sohn" vergleicht, wird ein Vergleich mit
Moltmanns trinitarischer Schöpfungslehre durchaus möglich: Gott schafft und er-
hält die Welt "durch den Sohn", indem er im Akt der Involution die Welt
entstehen läßt und durch ihn bei der Evolution die Welt ihrem endgültigem Ziel
zuführt. Indem Moltmann den Mittlercharakter Christi betont, verhindert er aber
eine Identifikation von Christus mit der Schöpfung und hebt ihn auf eine mehr
transzendente Ebene. Zu beachten ist außerdem, daß Moltmann nicht betont, daß
Gott wegen seiner Zeitlosigkeit nicht getrennt vom endlichen Sein existieren
kann. Es besteht bei ihm die Gefahr, daß er von einem Gott vor der Schöpfung
spricht, was bedeuten würde, daß Gott endlich ist und man von ihm in zeitlichen
Kategorien sprechen kann. 23b
Dies hieße jedoch theologisch gesehen, Gott zu einem Spieler zu machen, der
gerade mal eben eine Welt entstehen läßt, außerdem wird unserem kreatürlichen
Sein jeglicher Sinn entzogen. Das steht im klaren Gegensatz zu der von Moltmann
dargestellten christlichen Gottesvorstellung, nach der Gott aus seiner Liebe
heraus die Welt erschaffen hat und unser Menschsein für Gott wichtig ist - wir
sind Gegenüber und Partner Gottes. Auch das Ziel der Evolution ist mit der
christlichen Vorstellung nur sehr begrenzt vereinbar: Die Vereinigung mit Gott
ist nur für das Bewußtsein des Einzelnen möglich, die Gesamtheit der Schöpfung
bleibt unerlöst. 28
Trotz dieser großen Unterschiede dieses Modell gut zur Veranschaulichung der
Schöpfungsvorstellung Moltmanns geeignet. Der Gesamtprozess von Evolu- tion und
Involution wäre das Schaffen Gottes und die Entfaltung der Materie zur
Kreatürlichkeit das Machen und das Scheiden Gottes. Die Involution betrifft
natürlich nicht das Ganze des göttlichen Seins, sondern nur Gott den Sohn. Nach
dem Auftreten des Menschen, der die Möglichkeit hat, mit Gott zu kommunizieren,
spielt das Handeln Gottes durch den Sohn eine entscheidende Rolle: Er ermög-
licht uns trotz unserer Sündhaftigkeit, die Wahrheit Gottes zu erkennen und an
seiner Schöpfung als Mandata teilzunehmen. Dies fehlt bei Wilber ebenfalls
vollkommen; bei ihm ist der Sohn im Menschen verborgen, er ist der Grund unseres
Bewußtseins, den wir suchen müssen, um die Wahrheit zu erkennen. Die Bedeutung
dieser Aussage wird bei Swami Vivikananda, der zur Erreichung eines besseren
Menschseins, die Suche nach der eigenen Kraft (Kundalini) fordert, besonders
deutlich:
"The man who thinks that he is receiving response to his prayer does not know
that the fulfillment comes from his own nature, that he has succeeded by the
mental attitude of prayer in waking up a bit of this infinite power which is
coiled up within himself." 29
Stellt man Wilbers Modell von Involution und Evolution in den von Moltmann
dargestellten christlichen Kontext, bedeutet das, daß die Welt wahrer Partner
Gottes ist und daß die Botschaft des Reiches Gottes keine Botschaft außerhalb
dieser Welt ist, sondern eine Botschaft für diese Welt. Die Welt kommt von Gott
und kehrt zu Gott zurück.
Die Schöpfung ist Freiraum in Gott; sie ist kommunikatives Gegenüber zu Gott,
dem er durch den Geist seine unendliche Liebe vermittelt, die in Christus
offenbart wurde.
Christus, wie er in jenem Schrei am Kreuz die Sünde der Welt trug, zeigt Gottes
entäußernde Anteilnahme an unserem endlichen Dasein. Anteilnahme bedeutet in
diesem Zusammenhang nicht, daß nur irgendein Teil übernommen wird, sondern
alles. Wer an diesen Christus am Kreuz als Sohn Gottes glaubt, der braucht nicht
mehr nach der Gerechtigkeit Gottes zu fragen, denn Christus ist die Ge-
rechtigkeit Gottes. Er ist jenes Werk Gottes, das uns ermöglicht, seinen Willen
zu erfüllen und unser fleischliches Sein zu überwinden. Man könnte fast sagen,
daß man Gott unterschätzt, wenn man sein Handeln nach weltlicher Gerechtigkeit
mißt, ihn nach dem Schuld-Sühne Prinzip strafen läßt und so das Schicksal der
Menschen erklärt; dies war zum Beispiel die Meinung jener Freunde des Hiob, die
ihm eine Schuld nachweisen wollten. Nein! Gott macht uns durch Christus zu neuen
Menschen, die ihre Schuld erkennen und einen neuen Anfang versuchen.
In diesem Zusammenhang muß man auch die Frage stellen, ob jener messianische
Sprung, 30 von dem Moltmann immer wieder spricht, nicht eine Verwechslung einer
religiösen Naherwartung mit einer geschichtlichen Tatsache ist. Ist jene
Vorstellung eines die Welt erlösenden Messias nicht ein Symbol für den die
gesamte Heilsgeschichte umfassenden Erlösungswillen Gottes? Ist dieser Sprung
wirklich ein Sprung und nicht eine religiöse Erwartung für eine umfassende
Entwicklung? Bedeutet es wirklich die schlechthinnige Abhängigkeit des Menschen
von Gott aufzulösen, wenn die Welt sich zu Gott hin entwickelt und das Ende der
Geschichte Gott ist?
Ist es nicht allein Gott der uns unsere Wahrheit, unsere Bestimmung gibt? Muß
einem denn immer vorgehalten werden, daß man eigenwillig die Welt verändern
will, wenn man sich nur als Werkzeug Gottes versteht?
Wenn uns Gott wirklich aus Liebe geschaffen hat, dann will er nicht, daß wir uns
nichts zutrauen. Derjenige, der sich unter Gott weiß, der muß sich etwas
zutrauen, sonst ist sein Glaube schwach und nichtig.
Mit seiner Erweiterung der Lehre von der creatio ex nihilo geht Moltman so weit
über den traditionellen Rahmen hinaus, daß man schon fast nicht mehr von einer -
creatio ex nihilo sprechen kann. Meiner Meinung nach müßte man eher von einer
creatio in deo sprechen, da jenes nihil durch das Zimzum Gottes schon eine so
bedeutende Qualität gewonnen hat, daß es rein logisch kein nihil mehr ist; eine
Übertragung ins Griechische wäre vielleicht 'me theos', wenn man dies als
Entsprechung zum 'me on' sieht.
Moltmann nimmt mit seiner Schöpfungsvorstellung auch die Aussagen der neueren
Theologie auf, indem er schon die Schöpfum im Anfang als Ausdruck der Liebe
Gottes sieht, die in Christus ihren Höhepunkt erreicht. 31
Mit der Beschreibung der Schöpfung im Anfang als Zimzum eröffnet Moltmann eine
breite Basis für das ökumenische Gespräch mit Religionen, die sich auf die
Mystik konzentrieren. 33 Sein Buch "Gott in der Schöpfung" ist meiner Meinung
nach ein bedeutender Beitrag zur Weiterentwicklung der Theologie. 34
Literaturverzeichnis
Primärquelle
Sekundärquellen
Barth, K. Kirchliche Dogmatik II/2. S.181. Zitiert aus Moltmann, a.a.O, S.94.
Kundalini, evolution and enlightment. Ed. John White. New York: Anchor Press,
1979. 479 S.
May, Gerhard. Schöpfung aus dem Nichts: d. Entstehung d. Lehre von d. creatio ex
nihilo. 1.Aufl. Berlin, New York: de Gruyter, 1978.
Watts, Alan. The supreme Identity. London: Wildwood House, 1973, 204 S.
Wilber, Ken. Halbzeit der Evolution. 1.Aufl. Bern, München Wien: Scherz, 1984.
S.339-364.
vgl. Gerhard May, Schöpfung aus dem Nichts: d. Entstehung d. Lehre von d.
creatio ex nihilo, 1.Aufl.(Berlin, New York: de Gruyter, 1978), S.40ff.
3 a.a.O., S.143
5 a.a.O., S.171
6 a.a.O., S.172. Meiner Meinung nach zeigt die Formulierung "aus sich selbst",
daß Irenäus keine reinrassige creatio ex nihilo vertreten hat. Es liegt nahe,
daß Irenäus sich die Materie als eine Art Emanation Gottes vorstellte, wenn auch
nicht in einem unmittelbaren Sinn.
14 vgl. Moltmann, a.a.O., S.99: "Nur indem und soweit wie der allmächtige und
allgegenwärtige Gott seine Gegenwart zurücknimmt und seine Macht einschränkt,
entsteht jenes nihil für seine creatio ex nihilo.
19 Moltmann, a.a.O., S.101 Mitte. Auch S.107 zeigt, daß Moltmann die
trinitarische Lehre Augustins als traditionelles Modell übernimmt, ohne es
kritisch zu bewerten; die Sophia-Christologie zeigt eindeutig in weibliche
Richtung.
21 a.a.O., S.343.
22 a.a.O., S.344.
23a Alan Watts, äThe supreme identity (London: Wildwood House, 1973), S.142.
Auf dieses Buch verweist Wilber.
23b vgl. Moltmann, a.a.O., S.106ff.
25 a.a.O., S.343.
26 ebd.
27 Kundalini, evolution and enlightment, Ed. John White (New York: Anchor Press,
1979), S.27-47; auf dieses Buch verweist Wilber in seinen Anmerkungen.
28 In der Religion des Mahayana Buddhismus findet man jedoch meiner Ansicht nach
eine Vorstellung, die mit der christlichen universalen Erlösung vereinbar ist:
Die Menschen, deren Bewußtsein die höchste Ebene erreicht hat, werden Bodhisatt-
vas und gehen erst ins Nirvana ein, wenn alle Menschen erlöst sind.
29 a.a.O., S.22.
31 vgl. Kapitel I.