Tiroler Tageszeitung

Unabhängige Tageszeitung für Tirol

Innsbruck, am 29.04.2024 - Erscheinungsweise: 312x/Jahr, Seite: 1,12
Druckauflage: 67 776, Darstellung: 74,6%, Größe: 722cm², easyAPQ: _
Auftr.: 660, Clip: 15919858, SB: Landestheater, Tiroler

Klassenkampf und Kabarett

„Le nozze di Figaro“ am Landestheater
schießt übers Ziel hinaus. Seite 12

Auch ein
Stück vom
Kuchen
Übers Ziel hinausgeschossen:
Barbora Horáková legt „Le nozze
di Figaro“ in Innsbruck zwischen
Klassenkampf und Kabarett an.
Von Barbara Unterthurner
Innsbruck – Einen abgehalf-
terten Cowboy, den Zuhälter
im Rüschenhemd, den Emo-
Musiker – sie alle würde man
nicht unbedingt auf der Gäs-
teliste der Hochzeit des Figaro
vermuten. Die Oper „Le nozze
di Figaro“ packt man, zuletzt
auch 2016 in Innsbruck, gern
in ein pompöses Barock-Dress
– haben die Schöpfer Mozart
und Da Ponte das chaotische
Verwirrspiel doch 1786 auf die
Bühne gehievt, ebenso in eine
Zeit kurz vor der Französi-
schen Revolution und mitten
in eine liebestolle und deka-
dente Gesellschaft am Hofe
Almaviva. Das Happy End
(zumindest in Liebessachen)
ist zwar vorprogrammiert, der
Weg hin zum Traualtar von
Kammerdiener Figaro und
Zofe Susanna allerdings ist
steinig und voltenreich, ge-
pflastert mit Eifersucht und
Habgier. So weit, so bekannt.
Für Barbora Horákovás
neue Inszenierung des Hoch-
zeitstages am Tiroler Lan-
destheater – die Premiere
der Konzeptübernahme aus
dem Nationaltheater Mann-
heim bzw. dem National-
theater Prag erfolgte am ver-
gangenen Samstag – braucht
es auf Kostümebene (Nicole
von Graevenitz) nun keine
Schnörkel mehr. Auch die
Bühne (Falko Herold) ist glatt
gebügelt. Das Schloss nahe
Sevilla ist nicht mehr. Zu-
nächst einmal findet sich das
Publikum in einem Häuser-
meer aus Einheitsarchitektur
wieder. Der Almaviva (vor-
trefflich gesungen von Jacob
Phillips) ist weniger Conte
als Immobiliengroßinvestor
mit Daumen-hoch-Qualität
– was zumindest angesichts
des aktuellen Skandals um ein
Tiroler Pendant doch einen
Schmunzler wert ist.
Auch das restliche Perso-
neninventar hat einen zeitge-
nössischen Zuschnitt: Figaro
(solide: Benjamin Chaman-
dy), der nice guy von neben-
an, Bartolo (Johannes Maria
Wimmer) trägt Cowboyhut
und raucht Zigarre, während
der liebestrunkene Cherubino
(die für ihre Hosenrolle bereits
prämierte Camilla Lehmeier)
sein „chitarrino“ kurzerhand
für eine E-Gitarre getauscht
hat. Nur schade, dass die nicht
erklingen darf. So weit al-
so, so anders – aber dennoch
reizvoll.
Bewusste Ausbrüche
Irgendwann aber schießt
Horáková übers Ziel hinaus.
Neben all dem Hochzeitshick-
hack will die Regisseurin, dass Feurig und präzise: Die Contessa (Marie Smolka) ist nicht so happy über die Hochzeit des Figaro. Foto: Gufler
auch der Klassenkampf und
eine tragische Vorgeschichte Märchenwald ist. Auf die Spit- mit Michael Wendeberg als tigen Stellen mal tiefe Trauer,
in der Ehe des Grafenpaars ein ze treibt es der neckische Basi- präzisen Taktgeber, der an den mal purer Wahnsinn durch-
Stück vom Hochzeitskuchen lio (wunderbar locker: Sascha richtigen Stellen akzentuiert, bricht. Während ihr Mann ein
abbekommen. Mit reichlich Zarrabi), der vor dem Grande weichzeichnet, den SängerIn- unverbesserlicher Schürzen-
Projektionen – unter anderem Finale die vierte Wand – auf nen in den Arien aber auch jäger bleibt. Für die musikali-
Videoeffekte von Falko He- der Bühne den Vorhang vor den nötigen Raum zu brillie- sche Ebene gab’s zur Premie-
rold – wird jeder Fokus auch dem vierten Akt – durchbricht. ren lässt. Besonders stechen re verdienten Applaus. Für die
fett inszeniert serviert. Gibt Aus der Umbaupause wird ein die Frauenfiguren hervor, Mit- Inszenierung zu Recht den ein
das Stück das überhaupt her? Stand-up-Programm. Und aus terhuber als allseits begehrte oder anderen Buhruf.
Die Liebesumwege zwischen der Opera buffa eben Kabarett. Susanna, die Temperament
Figaro, Susanna, dem Conte Unbestritten qualitätsvoll und Emotion im hellen Tim-
und der Contessa treffen sich bleibt bei all den Ausbrüchen bre fein austariert. Feuriger ist Le nozze di Figaro. Großes Haus
parallel dazu im nächtlichen der Einsatz von TLT-Chor und noch Marie Smolka (als Gräfin im Tiroler Landestheater, bis 4.
Giardino, der eigentlich ein Tiroler Symphonieorchester Almaviva), bei der an den rich- Juli, nächster Termin: 4. Mai.

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