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THERMOSPANNUNGEN –
VIEL GENUTZT UND FAST IMMER FALSCH ERKLÄRT!
Kurzfassung
Die Funktionsweise von Thermoelementen wird in Lehrbüchern der Experimentalphysik, in
Schulbüchern und in Anfängerpraktika an Hochschulen zumeist einfach auf die auftretenden
Kontaktspannungen bzw. deren Temperaturabhängigkeit zurückgeführt. Die tatsächliche Ursa-
che für die Entstehung einer Thermospannung, nämlich die Thermodiffusion von Ladungsträ-
gern, wird dabei quantitativ wie konzeptuell völlig vernachlässigt. Wir zeigen zunächst noch-
mals, wie die auftretenden Kontaktspannungen kompensiert werden und erläutern das Phäno-
men der Thermodiffusion. Anschließend demonstrieren wir, wie die Entstehung einer Thermo-
spannung anschaulich und gegebenenfalls auch ohne mathematische Hilfsmittel dargestellt
werden kann.
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Thermospannungen – viel genutzt und fast immer falsch erklärt!
kalt
E
− +
heißer
heißer
+ Lötkolben A UK (T1 )
Lötkolben −
V V
− + 1
n−Halbleiter p−Halbleiter V B
kaltes Metall kaltes Metall 2
11
Pelster et al.
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Thermospannungen – viel genutzt und fast immer falsch erklärt!
B
1
U KA|B =−
e ∫
dµ
A A B
1
= − ⋅ (µ B − µ A ) . (3)
e b) 0
z
Die chemischen Potentiale von Metallen liegen Gesamtenergie E
typischerweise im Bereich von 1-10 eV, so daß sich − +
Kontaktspannungen in der Größenordnung von
einigen Volt ergeben (siehe [12] sowie Tabelle 2.1 µ− e φ
in [1]). U K wird auch als Galvani-, Berührungs- A B
oder „innere“ Kontaktspannung bezeichnet µA µB
[9,12,13], die aber nicht direkt meßbar ist. Diese
„inneren“ Kontaktspannungen zwischen Materia-
lien, deren Oberflächen in direktem Kontakt mit- eUK
einander sind, dürfen nicht über die Differenz der
Austrittsarbeiten erklärt werden! Zum einen han- c) z
delt es sich sich um einen direkten Übergang der
Elektronen von Bereichen mit höherem zu solchen Abb. 5: a) Chemisches Potential an der Grenzflä-
mit niedrigerem chemischen Potential (siehe Abb. che zwischen zwei Metallen. Durch Elektronendif-
5a). Die Elektronen müssen bei der Diffusion also fusion in das Material mit kleinerem chemischen
keine Barriere überspringen, d. h. erst das eine Ma- Potential baut sich ein elektrisches Feld E=
terial verlassen um dann vom Außenraum in das −dΦ / dz auf ( Φ : elektrisches Potential). b) Im
andere zurückzufallen (was ein thermisch aktivierter Gleichgewichtszustand ändert sich das elektrische
Prozeß wäre!). Zum andern entspricht die Differenz
Potential analog zum chemischen, dΦ = 1 / e ⋅ dµ
der chemischen Potentiale nicht der der Austrittsar-
beiten [1,9,6,27], da zum Verlassen eines Festkör- (siehe Gl. 2), so daß für die Kontaktspannung
pers noch ein materialspezifisches Oberflächenpo- U KA|B = Φ A − Φ B = −1 / e ⋅ ( µ B − µ A ) gilt. c) An der
tential überwunden werden muß (siehe Kap. 18 in Grenzfläche ist also die Gesamtenergie der beweg-
[1]).6 lichen Elektronen, das sogenannte elektrochemi-
sche Potential µ − eΦ , konstant [5,26]: Es erfolgt
5
Da Temperatur und Materialeigenschaften räumlich variieren keine weitere Aufladung, da sich die Oberflächen
können, ist das chemische Potential i. a. eine orts- und tempera- der Fermi-Seen (Fermi-Kanten) energetisch auf
turabhängige Funktion, µ ( z , T ( z )) . Für T=const. reduziert sich gleicher Höhe befinden. (Vorsicht: Dies bedeutet
dies hier auf die einfache Ortsabhängigkeit µ ( z ) . nicht, daß die Fermi-Energien bzw. die chemi-
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Austrittsarbeiten bestimmen hingegen die „äußere“ Kontakts- schen Potentiale gleich sind. Ihnen entspricht in
spannung (Kontaktpotential, Voltaspannung), welche man zwi- dieser Darstellung die Tiefe der Fermi-Seen).
schen Leitern mißt, deren Oberflächen sich nicht unmittelbar
berühren (siehe Kap. 18 in [1], Kap. 8.3.1 in [8] bzw. Ref.
[12,14]). Der Ladungsaustausch erfolgt dabei z. B. über eine
leitende Verbindung oder einen Tunnelprozeß. Die Unterschiede nur ungenau von „Metallen in Kontakt“ gesprochen (siehe z. B.
zwischen „innerer“ und „äußerer“ Kontaktspannung sind in Ref. [8,11], so daß es dem Leser überlassen bleibt zu erkennen, wel-
[27] sehr schön dargestellt. Allerdings wird in vielen Lehrbüchern che Situation behandelt wird.
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Pelster et al.
2.1.2 Zur Temperaturabhängigkeit von Kontakt- de übergehen (siehe Abb. 5a), kann man den Diffu-
spannungen sionsvorgang also nicht „einfrieren“, d. h. die Kon-
Das chemische Potential hängt von der Temperatur taktspannung verschwindet nicht für T → 0 .
ab. Im Modell quasifreier Ladungsträger (Elektro-
nengas-Modell für Metalle) gilt beispielsweise für
k B T << ε F 2.1.3 Kontaktspannungen können keine Thermo-
spannungen hervorrufen
2
π k BT 2 2
µ ≈ ε F ⋅ 1 − ⋅ (4) Bei einem aus Metallen aufgebautem Thermoele-
12 ε F2 ment mit zwei Kontaktstellen (Abb. 6) ergibt sich
aus Gl. 5 für die Differenz der Kontaktspannungen
(siehe S. 15 in [6] oder S. 47 in [1]). Die Fermiener-
gie ε F liegt typischerweise im Bereich einiger eV. ∆U K = U KA|B (T1 ) − U KA|B (T2 )
Der temperaturabhängige Term liefert eine Korrek-
tur, die selbst bei Raumtemperatur nur in der Grö- =
π 2 k B2 1
⋅
−
1
12e ε F , A ε F , B
(
⋅ T22 − T12 ) . (6)
ßenordnung von 10 −4 liegt [1]. Dennoch ist dies im
folgenden von Bedeutung: mit steigender Tempera-
Befindet sich das Thermoelement auf konstanter
tur verringern sich quantenmechanische Effekte7 und
Temperatur, so heben sich die Kontaktspannungen
das chemische Potential sinkt (siehe Abb. 4). Ob-
auf, andernfalls ist die Kompensation unvollständig.
wohl also bei Temperaturerhöhung die Gesamtener-
Es ergeben sich pro Grad Temperaturdifferenz
gie des Elektronengases steigt, erniedrigt sich die
mittlere Energie der am Ladungstransport beteiligten Spannungen ∆U K in der Größenordnung von 1 µV.
Elektronen geringfügig! Das ist zwar sehr wenig im Vergleich zu den einzel-
nen Kontaktspannungen (in der Größenordnung von
An Grenzflächen wird dann also das chemische
Potential auf beiden Seiten kleiner, wobei sich aber
der energetische Abstand vergrößert, so daß die
Kontaktspannung betragsmäßig anwächst. Dies wird
klar, wenn wir Gl. 4 in Gl. 3 einsetzen, so daß sich
für Metall-Metall-Übergänge
U KA|B (T ) = − ⋅ (ε F , B − ε F , A )
1
e
π 2 k B2 1 1 2
+ ⋅ − ⋅T (5)
12e ε F , A ε F , B
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Thermospannungen – viel genutzt und fast immer falsch erklärt!
- die Erwärmung bzw. Kühlung der Verbindungs- modiffusion. Im Gleichgewicht gilt j = 0 und somit
stellen die vermeintlich anschauliche Erklärung nach Gl. 1 [1,2,3,4,5,24] 9
mittels eines temperaturabhängigen Grenzflä-
cheneffektes suggeriert, dT 1 dµ
E = Q⋅ − ⋅
- die Kontaktspannungen die größten Potential- dz e dz
sprünge im Meßkreis darstellen und 1 dµ dT
= Q − ⋅ ⋅ . (7)
e dT dz
- die Differenz der Kontaktspannungen zumindest
in der Größenordnung der gemessenen Thermo- Wie die unterschiedlichen Vorzeichen schon andeu-
spannungen liegt (siehe auch weiter unten, Gl. ten, konkurrieren bei der Thermodiffusion zwei
18). Terme.10 Das chemische Potential nimmt wie bereits
oben besprochen mit fallender Temperatur zu (Abb.
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7b). Würde also nur dies eine Rolle spielen, so müß- k B < E > −µ
te das warme Ende des Metallstabs gegenüber dem Q=− ⋅
e k BT
kalten Ende negativ geladen sein. Tatsächlich tritt
aber genau das Gegenteil ein (siehe Abb. 7a): Für π 2 k B k BT
=− ⋅ , (9)
die Ausbildung des Gleichgewichtszustandes ist es 2e εF
entscheidend, wie schnell die Diffusionsprozesse in
verschiedenen Bereichen des Materials ablaufen (ein wobei <E> eine geschwindigkeitsgewichtete Mitte-
Faktor, den wir im vorherigen Abschnitt bei der lung über die elektronischen Energiezustände an der
Behandlung schmaler Übergangsbereiche auf kon-
Fermikante bedeutet.12 Der Seebeck-Koeffizient ist
stanter Temperatur nicht berücksichtigen mußten).
somit proportional zum Anteil der thermisch ange-
Im klassischen Bild haben die Ladungsträger auf der
regten Leitungselektronen, k B T / ε F , und ver-
heißen Seite im Mittel eine höhere Geschwindigkeit
als die auf der kalten Seite, was in Abb. 7a) durch schwindet im Grenzfall tiefer Temperaturen T → 0 .
Pfeile angedeutet ist. In jedem kleinen Volumenele-
ment des Materials ist die Geschwindigkeit der von Thermodiffusion führt also zum Aufbau eines elekt-
der warmen Seite kommenden Elektronen größer als rischen Feldes, wobei zwei Anteile zu unterscheiden
die derer, die von der kalten Seite kommen. Damit sind: Das Feld wird im wesentlichen durch den
ist der mittlere Geschwindigkeitsvektor auf das kalte dominierenden Seebeck-Term bestimmt, allerdings
Ende gerichtet, so daß eine entsprechende Ladungs- durch die temperaturbedingte Änderung des chemi-
verschiebung stattfindet (weiter unten in Abb. 10 schen Potentials abgeschwächt. Zur Verdeutlichung
wird dies anschaulich gemacht). Durch diesen dem betrachten wir die Variation des elektrischen Poten-
Temperaturgradienten entgegengesetzten Ladungs- tials Φ , wie sie in Abb. 7b) dargestellt ist. Mit
transport sammeln sich also Elektronen am kalten E = −dΦ / dz folgt aus Gl. 7 sofort
Ende an, während sich das heiße Ende entgegenge- dΦ = −QdT + 1 e ⋅ dµ . Während das chemische
setzt lädt.11 Das entstehende elektrische Feld wirkt Potential zum kalten Ende hin zunimmt, liefert der
dem Thermodiffusionsstrom entgegen, der schließ- Seebeck-Term einen negativen Beitrag (Q<0,
lich zum Erliegen kommt. Genauer gesagt tritt ein dT<0). Dieser dominiert, wie man sich leicht anhand
dynamisches Gleichgewicht ein, d. h. es diffundieren der Gln. 4 und 9 klarmacht: 1 e ⋅ dµ = 1 3 ⋅ QdT .
genausoviel Ladungsträger vom heißen zum kalten
Ende wie umgekehrt.
Zwischen dem warmen und dem kalten Ende des
Leiters entsteht somit eine positive Thermodiffusi-
Der zuletzt beschriebene Anteil der Thermodiffusi-
zk
∫z
on, welcher die Polung des Leiterstücks bestimmt, w→k
onsspannung, U TD = Φw − Φk = Edz , die
wird durch den Seebeck-Koeffizienten Q charakte- w
risiert. In der einfachsten mikroskopischen Be- sich aus Gl. 7 zu
schreibung faßt man die Elektronen als klassisches
Teilchen-Gas auf, für das sich in wenigen Zeilen die T1 zk
1
∫ ∫
w→ k
Beziehung U TD = QdT − dµ
e
T2 zw
1 d
Q=− ⋅ 1 mv 2 (8) T2
2 1
3e dT = − QdT + ⋅ [µ (T2 ) − µ (T1 )]
∫ (10)
e
herleiten läßt [1,5]. Dabei ist m die Masse der Elekt- T1
ronen, v der Betrag ihrer Geschwindigkeit und <...> ergibt. Bei hinreichend kleinen Temperaturdifferen-
bedeutet den thermischen Mittelwert. Also ist die zen ( T2 − T1 << T1 , T2 ) spielt die Temperaturab-
Temperaturabhängigkeit der mittleren kinetischen hängigkeit von Q keine Rolle (siehe Gl. 9), so daß
Energie, 12 mv 2 , entscheidend für die Thermodiffu- sich die obige Gleichung zu
sion. Berücksichtigt man die Tatsache, daß die E-
1
lektronen sich nicht wie klassische Teilchen verhal- w→ k
U TD = −Q ⋅ (T2 − T1 ) + ⋅ [µ (T2 ) − µ (T1 )] (11)
ten, sondern ihre energetische Verteilung der Fer- e
mistatistik gehorcht, so ergibt sich für den einfachs-
ten Fall, d. h. bei energieunabhängiger freier Weg- vereinfacht. Pro Grad Temperaturdifferenz ergeben
länge, der Ausdruck [1,2,4] sich für Metalle Thermodiffusionsspannungen in der
Größenordnung von 1 - 10 µV. Diese sind aber so
nicht direkt meßbar, da beim Anschluß eines Volt-
11
Dies gilt auch für quasifreie Ladungsträger, deren mittlere
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1
e wobei ∫T Q A dT und ∫T Q B dT als „(absolute)
U K = − ⋅ [µ A (T2 ) − µ B (T2 )]
B| A 1 1
. (12)
e integrale Thermokräfte“ bezeichnet werden. Gl. 13
und 14 erklären, weshalb man mit geeichten Ther-
Die gemessene Thermospannung ergibt sich als moelementen, d. h. wenn QB − Q A bekannt ist, aus
Summe der obigen Teilspannungen zu der gemessenen Thermospannung die Temperatur-
differenz bestimmen kann. Für das Elektronengas-
U Thermo = (Q B − Q A ) ⋅ (T2 − T1 ) , (13) Modell liefert Einsetzen von Gl. 9 in Gl. 14
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