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Mit Erlass vom 6. Dezember 1926 hatte Mussolini die Schaffung einer vom Trentino
losgelösten Provinz Bozen angeordnet. Im Ausland sollte der Eindruck erweckt
werden, es würde sich um ein Entgegenkommen Italiens an Südtirol handeln, im
Inland wollte man diesen Eindruck eines Zugeständnisses an die Südtiroler aber
vermeiden; der Plan hinter dieser neuen Provinz war, durch eine verschärfte
Italienisierung eine, wenn möglich, italienische Mehrheit durch Gründung italienischer
Ortschaften und Zentren zu erreichen, d.h. hinter dem Entgegenkommen Italiens
verbarg sich ein geschicktes Täuschungsmanöver.
Um die Beziehungen zu Berlin zu normalisieren, wurden in München zwischen
Italien und Deutschland Geheimverhandlungen geführt, die am 29. Dezember 1926
zum deutsch – italienischen Schiedsvertrag führte, der als ein Druckmittel gegen
Frankreich gedacht war (Deutschland erhoffte sich Hilfe bei der Abschaffung der
militärischen Kontrollkommission, Italien wollte eine sich anbahnende deutsch –
französische Freundschaft im Gefolge des Locarno – Paktes stören). Deutschland
hatte sich in diesem Falle in der besseren Position befunden, da Italien an das Reich
herangetreten war, dadurch konnte man den Wunsch nach der Garantie der
Brennergrenze ablehnen, selbststellte man jedoch keine Forderungen nach
Minderheitenrechte für Südtirol.
Da Deutschland seine Politik gegenüber Frankreich aber nicht änderte, verstärkte
Mussolini im Jänner 1927 den Italianisierungsprozeß in Südtirol wieder, forderte die
örtlichen Behörden unter dem Präfekten Umberto Ricci und dem außerordentlichen
Kommissar des faschistischen Parteiverbandes Alfredo Giarratana auf, die
Verfolgung des deutschen Privatunterrichtes zu fordern.
In diesem Zusammenhang wurde der Obmann des Deutschen Verbandes, der
Rechtsanwalt Dr. Reut – Nicolussi, der eine deutsche Privatlehrerin verteidigt hatte,
im September 1927 aus der Liste der Rechtsanwälte gestrichen, woraufhin er nach
Innsbruck floh.
Zwei der Organisatoren des Privatunterrichtes, Rudolf Riedl und Dr. Josef Noldin,
wurden vor ein Gericht gestellt und zu mehreren Jahren Verbannung verurteilt.
Ersterer wurde begnadigt, Dr. Noldin aber starb 1929 nach seiner Rückkehr aus der
Verbannung an einer typhösen Krankheit, die er sich auf der Fiberinsel Lipari geholt
hatte.
An sich nahm der Präfekt eine relativ großzügige Haltung gegenüber dem
Privatunterricht ein, die scharfe Linie vertrat Giarrantana, die Spannungen zwischen
den beiden wurden erst durch ihre Ablösung beendet.
Die österreichische Südtirolpolitik war in diesem Jahr 1929 von besonderer
Vorsicht gekennzeichnet. Man stellte sich auf den Standpunkt, dass man sich von
Italien nicht provozieren lassen dürfte. Zudem hatte Mussolini dem österreichischen
Gesandten Egger im Jänner 1927 Erleichterungen zugesagt.
Mit dem Fall Noldin – Riedl eskalierte der Unmut der österreichischen Bevölkerung
über diese Stillhaltepolitik in Protestkundgebungen, die von den Schutzvereinen
abgehalten wurden, und auf denen man die Regierung zur Intervention aufrief.
Am 1. Februar 1927 riefen der Andreas Hofer - Bund, die deutsch – völkische
Arbeitsgemeinschaft und der Verband der völkischen Vereine in Innsbruck zu einer
Versammlung auf, Telegramme mit entsprechenden Interventionsaufforderungen
wurden an die österreichische Bundeskanzler Seipel, an den deutschen
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endgültig unter außen- und innenpolitischen Druck geraten. Die Regierung wies
vergeblich daraufhin, dass die italienischen Behörden in Übereinstimmung mit den
italienischen Gesetzen handeln würden, und man daher nicht eingreifen könnte.
Seipel betonte auch, dass Italien ein Herantreten an den Völkerbund sicher als einen
feindseligen Akt einstufen würde.
Mit diesem Beschwichtigungversuch hatte die Regierung aber nur Empörung in der
Öffentlichkeit geerntet, die Press, insbesondere in Tirol, attackierte die Regierung
aufs schärfste. Die Südtirolerdepatte im Parlament hatte in der Öffentlichkeit großes
Interesse hervorgerufen. Südtirol wurde zum beherrschenden Thema in der
innenpolitischen Berichterstattung.
Der Andreas Hofer – Bund rief für den 26. Februar zu einer Kundgebung gegen die
Antwort Seipels auf, den „wie müssen selbstverständlich auf unser Recht
beharren, die Südtirolerfrage vor den Völkerbund zu bringen“.
Nachdem die Tiroler Nationalräte aber im Parlament im Sinne der Tiroler und des
Bundes aktiv wurden, verzichtete man auf eine derartige Demonstration.
Am 23. Februar 1928 hielt der Nationalrat, sicher unter dem Eindruck der Haltung
der Bevölkerung, eine Südtirolkundgebung ab. In seiner Rede anerkannte Seipel die
Berechtigung der Kritik, wies aber erneut auf die realpolitischen Gründe für das
Verhalten der Regierung hin. In Tirol herrschte nach diesem Akt des Protestes im
Nationalrat weitgehend Zufriedenheit, vor allem auch wegen des Aufsehens, das
man auf internationaler Ebene erregt hatte. Zahlreiche Diplomaten sprachen sich
zugunsten Österreichs aus, auch die Presse in Frankreich, den USA, Skandinaviens
und Argentiniens bezog eine österreichfreundliche Stellung.
Nur die Bundesgruppe Wien war mit dem Erreichten nicht zufriedengestellt, da es
zu keinem Entschluss gekommen war, sich an den Völkerbund zu wenden.
Gegenüber der Bundesleitung erklärten sie daher „wir werden nicht eher ruhen
und rasten, bis dieser Schrei zum Völkerbund dringt, wir werden es
durchzuführen suchen, sei es mit Dr. Seipel und sonst ohne ihn“.
Die Gegenpropaganda in Italien ließ nicht lange auf sich warten. Zuerst reagierte
die italienische Presse, dann drohte das offizielle Italien mit der Behinderung der
österreichischen Bemühungen um eine Investitionsanleihe und berief seinen
Gesandten zurück. Am 7. März gelang es Seipel, den Hauptausschuss des
Nationalrates in einer vertraulichen Sitzung einzulenken. Der Nationalrat fasste denn
auch den Beschluss, unter die Debatte einen Schlussstrich zu ziehen (zur
Unzufriedenheit der Südtirolverbände).
Zwischen April und Juli 1928 versuchte Seipel noch mit Geheimverhandlungen
Erleichterungen für Südtirol zu erhalten. Diese scheiterten aber, wie auch eine
deutsche Initiative um diese Zeit, an der starren Haltung Mussolinis, der sich
weigerte, Südtirol den Status einer österreichisch – italienischen oder deutsch –
italienischen Angelegenheit zuzuerkennen. Schließlich erklärte Seipel in der
Hoffnung auf einen besseren Zeitpunkt, dass Südtirol ein inneritalienisches Problem
sei.
Die musste naturgemäß zu heftiger Kritik der Volkstumsvereine führen, die diese
Erklärung Seipels mit der Feststellung, „dass die österreichische Staatskanzlei
sich die sachlich unwahren und im politischen Geschäft verhängnisvolle
Phrasen entlocken ließ“ empört zurückgewiesen.
Einen weiteren Versuch setzte Seipel, als er in einer Rede vor dem Völkerbund
allgemein über die Minderheitenfrage referierte und damit indirekt natürlich auch
Südtirol ansprach. Eine minderheitenpolitische Initiative des deutschen
Außenministers Stresemann in diesem Sinne scheiterte aber am 6. März am
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In dieser Zeit des gespannten Verhältnisses zu Italien fiel auch die Absicht des
Andreas Hofer – Bundes, gemeinsam mit dem Bund Oberland an 24. Juni 1929 an
der Unrechts-Brennnergrenze eine Sonnwendfeier zu veranstalten, mit der
Verbundenheit von Nord-Ost- und Südtirol demonstrieren werden sollte. Von den
Behörden wurde dieser Akt aber untersagt, um die Beziehungen zu Italien nicht noch
mehr zu belasten. Der Hoferbund protestierte gegen dieses Verbot und warf der
Regierung vor, eine übergroße Rücksichtnahme auf Italien an den Tag zu legen.
Für die Richtigkeit der Wiedergabe Ing. Winfried Matuella Schriftführer des AHBT