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Sandwirtsbrief des Andreas


Hofer – Bundes Tirol
DIE SPANNUNG IM JAHRE 1928 UND DIE FORDERUNG DES ANDREAS HOFER - BUNDES
NACH EINEM VÖLKERBUNDAPPELL

Mit Erlass vom 6. Dezember 1926 hatte Mussolini die Schaffung einer vom Trentino
losgelösten Provinz Bozen angeordnet. Im Ausland sollte der Eindruck erweckt
werden, es würde sich um ein Entgegenkommen Italiens an Südtirol handeln, im
Inland wollte man diesen Eindruck eines Zugeständnisses an die Südtiroler aber
vermeiden; der Plan hinter dieser neuen Provinz war, durch eine verschärfte
Italienisierung eine, wenn möglich, italienische Mehrheit durch Gründung italienischer
Ortschaften und Zentren zu erreichen, d.h. hinter dem Entgegenkommen Italiens
verbarg sich ein geschicktes Täuschungsmanöver.
Um die Beziehungen zu Berlin zu normalisieren, wurden in München zwischen
Italien und Deutschland Geheimverhandlungen geführt, die am 29. Dezember 1926
zum deutsch – italienischen Schiedsvertrag führte, der als ein Druckmittel gegen
Frankreich gedacht war (Deutschland erhoffte sich Hilfe bei der Abschaffung der
militärischen Kontrollkommission, Italien wollte eine sich anbahnende deutsch –
französische Freundschaft im Gefolge des Locarno – Paktes stören). Deutschland
hatte sich in diesem Falle in der besseren Position befunden, da Italien an das Reich
herangetreten war, dadurch konnte man den Wunsch nach der Garantie der
Brennergrenze ablehnen, selbststellte man jedoch keine Forderungen nach
Minderheitenrechte für Südtirol.
Da Deutschland seine Politik gegenüber Frankreich aber nicht änderte, verstärkte
Mussolini im Jänner 1927 den Italianisierungsprozeß in Südtirol wieder, forderte die
örtlichen Behörden unter dem Präfekten Umberto Ricci und dem außerordentlichen
Kommissar des faschistischen Parteiverbandes Alfredo Giarratana auf, die
Verfolgung des deutschen Privatunterrichtes zu fordern.
In diesem Zusammenhang wurde der Obmann des Deutschen Verbandes, der
Rechtsanwalt Dr. Reut – Nicolussi, der eine deutsche Privatlehrerin verteidigt hatte,
im September 1927 aus der Liste der Rechtsanwälte gestrichen, woraufhin er nach
Innsbruck floh.
Zwei der Organisatoren des Privatunterrichtes, Rudolf Riedl und Dr. Josef Noldin,
wurden vor ein Gericht gestellt und zu mehreren Jahren Verbannung verurteilt.
Ersterer wurde begnadigt, Dr. Noldin aber starb 1929 nach seiner Rückkehr aus der
Verbannung an einer typhösen Krankheit, die er sich auf der Fiberinsel Lipari geholt
hatte.
An sich nahm der Präfekt eine relativ großzügige Haltung gegenüber dem
Privatunterricht ein, die scharfe Linie vertrat Giarrantana, die Spannungen zwischen
den beiden wurden erst durch ihre Ablösung beendet.
Die österreichische Südtirolpolitik war in diesem Jahr 1929 von besonderer
Vorsicht gekennzeichnet. Man stellte sich auf den Standpunkt, dass man sich von
Italien nicht provozieren lassen dürfte. Zudem hatte Mussolini dem österreichischen
Gesandten Egger im Jänner 1927 Erleichterungen zugesagt.
Mit dem Fall Noldin – Riedl eskalierte der Unmut der österreichischen Bevölkerung
über diese Stillhaltepolitik in Protestkundgebungen, die von den Schutzvereinen
abgehalten wurden, und auf denen man die Regierung zur Intervention aufrief.
Am 1. Februar 1927 riefen der Andreas Hofer - Bund, die deutsch – völkische
Arbeitsgemeinschaft und der Verband der völkischen Vereine in Innsbruck zu einer
Versammlung auf, Telegramme mit entsprechenden Interventionsaufforderungen
wurden an die österreichische Bundeskanzler Seipel, an den deutschen
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Außenminister Stresemann und den bayrischen Ministerpräsidenten Held geschickt.


Am 8. Februar kam es zu einer Protestkundgebung des AHB – Wien und des
Deutschen Schulvereins Südmark in der Volkshalle des Wiener Rathauses, auf der
Innerkofler, der Leiter des Wiener AHB, erklärte, man würde sich nicht hindern
lassen, auf Südtirol aufmerksam zu machen, auch wenn der Bundeskanzler es
verlangen würde. Eine Sammlung von Protestschreiben der Ortsgruppe des
Alldeutschen Verbandes, des DSS und anderer nationaler Vereine sowie der
Salzburger Landesregierung und der Ortsparteileitung aller großen Parteien zeigte
die Unruhe in der Öffentlichkeit über die Entwicklung in Südtirol.
Der Tiroler Landeshauptmann, ganz auf der Linie der Regierung, lehnte es ab, den
Bundeskanzler zu einem Völkerbundappell, wie er überall gefordert wurde, zu
überreden. Anträge der Sozialdemokraten im österreichischen Parlament bezüglich
eines solchen Appells wurden von der Regierung abgewehrt. Ebenso lehnte
Deutschland in Person des Außenministers Gustaf Stresemann und des
Reichskanzlers Wilhelm Marx solche Forderungen ab.
Es hatten sich zwei konträre Standpunkte herauskristallisiert, die eine Seite, die
österreichische Regierung und Landeshauptmann Stumpf, befürchteten. Dass
Mussolini derartige Aktionen nur als Vorwand für weitere Maßnahmen gegen Südtirol
benützen würde, die andere, in erster Linie die Schutzvereine, glaubten, eine
informierte Weltöffentlichkeit könne die Entnationalisierung einschränken.
Zur Haltung der österreichischen Regierung trug natürlich die Abhängigkeit von
Italien bei. Zum einen hatte Mussolini um Unterstützung beim Wunsch Österreichs
nach der Aufhebung der Intereralliirten Militärkontrolle gebeten, zum anderen hatte
dieser seine Hilfe bei den Londoner Verhandlungen um eine Investitionsanleihe
versprochen. Das hatte nun zur Folge, dass die Regierung keinerlei offizielles
Interesse am Südtirolproblem besaß.
Trotzdem konnte sie nicht verhindern. Dass es 1927 / 28 zu Debatten über diese
Frage im Parlament kam. die die Beziehung zu Italien stark abkühlen sollte.
Bundeskanzler Seipel befand sich in dieser Situation in einer regelrechten
Zwickmühle. Italien reagierte auf jeden offiziellen Versuch, das Südtirolproblem
anzusprechen, sehr verärgert. Mit seiner vorsichtigen Haltung verscherzte es sich
der Bundeskanzler in Österreich aber nicht nur mit den Südtirolverbänden oder den
Sozialdemokraten, sondern musste auch noch Kritik von seiner eigenen
Parteigenossen einstecken.
Die Angriffe in der Tiroler Presse wurden wieder schärfer, in Wien richtete die
dortige AHB – Bundesgruppe, in dem man die Anrufung des Völkerbundes verlangte.
Am 16. Dezember fand in Innsbruck eine Südtirolkundgebung mit Dr. Reut –
Nicolussi als Redner statt, der weiter in Hall., Reute, Schwaz, Kitzbühel und Lienz
folgten, daneben wurden wie schon 1925 / 26 Boykottaufrufe laut.
Italien antwortete auf diese neuerliche antiitalienischen Kampagnen mit weiteren
Verschärfungen. Mit einem Erlass des Schulamtes von Trient vom 29. Dezember
1927 wurde in Südtirol der italienische Religionsunterricht eingeführt. Am 12. Februar
1928 übte der AHB – Wien auf einer Versammlung in diesem Zusammenhang
vorsichtige Kritik am Vatikan. Am 18. Jänner hatte man bereits den Favoritenplatz in
Wien in Südtirolerplatz umbenannt. Die Ablehnung eines Teilnahmeangebots der
Mailänder Scala an den Salzburger Festspielen durch die Verantwortlichen beweist,
wie die Emotionen aufgeputscht worden waren.
Am 17. Jänner stellten die Tiroler Abgeordneten im Nationalrat einen Antrag mit
dem Südtirolproblem im Mittelpunkt, damit war die österreichische Regierung
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endgültig unter außen- und innenpolitischen Druck geraten. Die Regierung wies
vergeblich daraufhin, dass die italienischen Behörden in Übereinstimmung mit den
italienischen Gesetzen handeln würden, und man daher nicht eingreifen könnte.
Seipel betonte auch, dass Italien ein Herantreten an den Völkerbund sicher als einen
feindseligen Akt einstufen würde.
Mit diesem Beschwichtigungversuch hatte die Regierung aber nur Empörung in der
Öffentlichkeit geerntet, die Press, insbesondere in Tirol, attackierte die Regierung
aufs schärfste. Die Südtirolerdepatte im Parlament hatte in der Öffentlichkeit großes
Interesse hervorgerufen. Südtirol wurde zum beherrschenden Thema in der
innenpolitischen Berichterstattung.
Der Andreas Hofer – Bund rief für den 26. Februar zu einer Kundgebung gegen die
Antwort Seipels auf, den „wie müssen selbstverständlich auf unser Recht
beharren, die Südtirolerfrage vor den Völkerbund zu bringen“.
Nachdem die Tiroler Nationalräte aber im Parlament im Sinne der Tiroler und des
Bundes aktiv wurden, verzichtete man auf eine derartige Demonstration.
Am 23. Februar 1928 hielt der Nationalrat, sicher unter dem Eindruck der Haltung
der Bevölkerung, eine Südtirolkundgebung ab. In seiner Rede anerkannte Seipel die
Berechtigung der Kritik, wies aber erneut auf die realpolitischen Gründe für das
Verhalten der Regierung hin. In Tirol herrschte nach diesem Akt des Protestes im
Nationalrat weitgehend Zufriedenheit, vor allem auch wegen des Aufsehens, das
man auf internationaler Ebene erregt hatte. Zahlreiche Diplomaten sprachen sich
zugunsten Österreichs aus, auch die Presse in Frankreich, den USA, Skandinaviens
und Argentiniens bezog eine österreichfreundliche Stellung.
Nur die Bundesgruppe Wien war mit dem Erreichten nicht zufriedengestellt, da es
zu keinem Entschluss gekommen war, sich an den Völkerbund zu wenden.
Gegenüber der Bundesleitung erklärten sie daher „wir werden nicht eher ruhen
und rasten, bis dieser Schrei zum Völkerbund dringt, wir werden es
durchzuführen suchen, sei es mit Dr. Seipel und sonst ohne ihn“.
Die Gegenpropaganda in Italien ließ nicht lange auf sich warten. Zuerst reagierte
die italienische Presse, dann drohte das offizielle Italien mit der Behinderung der
österreichischen Bemühungen um eine Investitionsanleihe und berief seinen
Gesandten zurück. Am 7. März gelang es Seipel, den Hauptausschuss des
Nationalrates in einer vertraulichen Sitzung einzulenken. Der Nationalrat fasste denn
auch den Beschluss, unter die Debatte einen Schlussstrich zu ziehen (zur
Unzufriedenheit der Südtirolverbände).
Zwischen April und Juli 1928 versuchte Seipel noch mit Geheimverhandlungen
Erleichterungen für Südtirol zu erhalten. Diese scheiterten aber, wie auch eine
deutsche Initiative um diese Zeit, an der starren Haltung Mussolinis, der sich
weigerte, Südtirol den Status einer österreichisch – italienischen oder deutsch –
italienischen Angelegenheit zuzuerkennen. Schließlich erklärte Seipel in der
Hoffnung auf einen besseren Zeitpunkt, dass Südtirol ein inneritalienisches Problem
sei.
Die musste naturgemäß zu heftiger Kritik der Volkstumsvereine führen, die diese
Erklärung Seipels mit der Feststellung, „dass die österreichische Staatskanzlei
sich die sachlich unwahren und im politischen Geschäft verhängnisvolle
Phrasen entlocken ließ“ empört zurückgewiesen.
Einen weiteren Versuch setzte Seipel, als er in einer Rede vor dem Völkerbund
allgemein über die Minderheitenfrage referierte und damit indirekt natürlich auch
Südtirol ansprach. Eine minderheitenpolitische Initiative des deutschen
Außenministers Stresemann in diesem Sinne scheiterte aber am 6. März am
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Widerstand mehrerer Staaten, die wie Italien Minderheitenprobleme besaßen (Polen,


die Tschechaslowakei, Rumänien, Jugoslawien, Griechenland und Bulgarien). Über
einen speziellen Minderheitenschutz für die Südtiroler gab es während der Existenz
des Völkerbundes nicht einmal eine Debatte.

Nachdem ein italienisches Entgegenkommen auf neuerliche Praxis der


Zurückhaltung der österreichischen Regierung hin ausblieb, regten sich die Stimmen
wieder, die zu einer Agitations- und Demonstrationspolitik aufriefen, die alte
Forderungen nach Revision der Friedensverträge, Boykot italienischer Waren etc.
wurden laut. Die Basis dieser Forderungen waren die Gedenkkundgebungen
anlässlich des 9. Jahrestages der Annexion Südtirols durch Italien, vor allem die des
Andreas Hofer Bundes in Innsbruck, auf der Dr. Kolb die Rede hielt und der
großdeutsche Abgeordnete Dr. Pembauer der Versammlung die Resolution
vorschlug, die Regierung zum Eingreifen aufzufordern, was auch angenommen
wurde. Der Wiener AHB hielt zwei Kundgebungen ab, am Annexionstag sowie am 9.
November zur zehnjährigen Wiederkehr des Verlustes von Südtirol.
Das Wiederaufleben dieser verschärften Südtirolerpropaganda in Österreich führte
zu einer abweichenden Haltung Italiens, das die Anleihebestrebungen Österreichs
behinderte. Dies dürfte unter anderem einer der Gründe gewesen sein, weshalb
Seipl am 3. April 1929 zurücktrat, die Probleme seiner Regierung gingen auf das
Kabinett Streeruwitz über, denn Italien blieb auch diesem Bundeskanzler gegenüber
misstrauisch.

In dieser Zeit des gespannten Verhältnisses zu Italien fiel auch die Absicht des
Andreas Hofer – Bundes, gemeinsam mit dem Bund Oberland an 24. Juni 1929 an
der Unrechts-Brennnergrenze eine Sonnwendfeier zu veranstalten, mit der
Verbundenheit von Nord-Ost- und Südtirol demonstrieren werden sollte. Von den
Behörden wurde dieser Akt aber untersagt, um die Beziehungen zu Italien nicht noch
mehr zu belasten. Der Hoferbund protestierte gegen dieses Verbot und warf der
Regierung vor, eine übergroße Rücksichtnahme auf Italien an den Tag zu legen.

Diese übertriebene Rücksichtnahme der damaligen Regierung erinnert stark an


Verhältnisse wie sie heute noch in der Bundesregierung sowie in den
Landesregierungen in Nord- bzw. Südtirol vorherrschen.

Für die Richtigkeit der Wiedergabe Ing. Winfried Matuella Schriftführer des AHBT

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