Sie sind auf Seite 1von 1

NZZ am Sonntag § 23.

Januar 2011 Schweiz 13

Littering kostet 200 Millionen


Städte verlangen von Handel und Zigarettenindustrie finanzielle Beiträge
E-Mail der ..................................................................................

Eine Studie zeigt erstmals


eine Studie im Auftrag des Bundesam-
tes für Umwelt (Bafu) zum Thema
nen Franken, 50 Millionen entfallen auf
den öffentlichen Verkehr. Die Studie
wand entsteht durch weggeworfene
Zigarettenstummel.»

Woche
auf, was achtlos weggeworfene «Littering», wie das Phänomen im hat in vierzig Stichproben genau erho- Die Städte versuchen schon länger,
Abfälle kosten. Zu Buche Fachjargon heisst. ben, welche Art von Müll mit welchem Take-away-Ketten und Detailhandel an
schlagen vor allem Zigaretten. Diese Zahl aus der noch unver- Aufwand von den Reinigungskräften diesen Kosten zu beteiligen. «Littering
..................................................................................
..................................................................................
öffentlichten Studie hat am Freitag die beseitigt werden muss. Dabei wurde ist eine Sonderlast, die im letzten Jahr-
Von: schweiz.sonntagvnzz.ch Katharina Bracher Fachorganisation Kommunale Infra- laut Alex Bukowiecki, Geschäftsführer zehnt vor allem auf den Schultern der
Gesendet: Sa 22. Januar 2011, 11:32 struktur auf ihrer Homepage publik der Fachorganisation Kommunale In- Städte enorm angewachsen ist», sagt
An: thierry.carrelvinsel.ch Saubere Strassen und Plätze sind das gemacht. Für die Beseitigung von acht- frastruktur, sogar mit der Stoppuhr Renate Amstutz vom Schweizer Städ-
Betreff: Scharfe Schnitte Aushängeschild der sprichwörtlichen los liegengelassenen Take-away-Verpa- gemessen, wie das Personal in mühsa- teverband. «Es ist darum sinnvoll, den
Schweizer Reinlichkeit. Für dieses ckungen, Getränkeflaschen und Ziga- mer Handarbeit Zigarettenkippen aus Handel in Reinigungs- und Präven-
Guten Tag Herr Carrel Image zahlt die öffentliche Hand jedes rettenstummeln bezahlen die Schwei- Blumenbeeten klaubt. Es habe sich ge- tionsmassnahmen mit einzubeziehen.»
Ihre Kernkompetenz als promi- Jahr 200 Millionen Franken. Dies zeigt zer Städte und Gemeinden 150 Millio- zeigt: «Der mit Abstand grösste Auf- In Zürich etwa beteiligen sich die
nenter Herzchirurg sind kühne Medienhäuser an der Reinigung von
Schnitte mit dem Skalpell. Jetzt Trams und Haltestellen sowie an den

SALVATORE DI NOLFI / KEYSTONE


drängt es Sie in die Politik. Gezielte Kosten für Aufklärungskampagnen ge-
Sparschnitte sind tatsächlich auch gen Littering. Laut Bukowiecki wollen
dort gefragt, schliesslich hat der die Städte künftig auch die Zigaretten-
Bund über 100 Milliarden Franken industrie in die Pflicht nehmen.
Schulden. Aber haben Sie mit der Doch die Vertreter von Detailhandel
FDP die richtige Partei gewählt? und Take-away-Geschäften wehren
Scharfe Schnitte, das ist doch die sich gegen das Etikett des «Verursa-
Domäne der SVP? chers». In Bern kämpften Ladenbesit-
Immer schnittig, zer der Innenstadt gegen eine Sonder-
Ihre NZZ am Sonntag gebühr, die ihnen von der Stadtverwal-
tung für die Müllbeseitigung auferlegt
Von: thierry.carrelvinsel.ch wurde. Ihr Argument: Nicht der Han-
Gesendet: Sa 22. Januar 2011, 16:28 del sei Verursacher des Littering-Pro-
An: schweiz.sonntagvnzz.ch blems, sondern der Konsument selbst.
Betreff: AW: Scharfe Schnitte Das kantonale Verwaltungsgericht hat
eine entsprechende Regelung im Stadt-
Liebe NZZ am Sonntag berner Abfallreglement letzte Woche
Gerade als Herzchirurg muss ich für ungültig erklärt. Das Berner Urteil
mit dem Skalpell sparsam umgehen werfe den Städten «einen Knüppel
und nur krankes Gewebe entfernen. zwischen die Beine» bei der Suche
Nach dem Schnitt braucht es immer nach einer Lösung des Problems, sagt
eine sorgfältige Naht. Schliesslich Bukowiecki, der sich auf Bundesebene
soll es dem Patienten – und auch für die Interessen der kommunalen
dem Staat – nach dem Eingriff besser Infrastrukturen einsetzt.
gehen. Mit ihrer offenen und ganz- Falls sich keine andere Lösung fin-
heitlichen Betrachtungsweise böte den lasse, sagt Bukowiecki, sei eine
mir die FDP bei einer allfälligen vorgezogene Entsorgungsgebühr auf
Wahl sicher beste Voraussetzungen, Verpackungen – wie man sie von der
mitzuhelfen, die Problemfälle unse- Recyclinggebühr auf Elektrogeräte her
res Landes zu lösen. kennt – eine mögliche, aber drastische
Immer schnittig und «herzlich», Massnahme. Die Realisierung einer
Ihr Thierry Carrel solchen Gebühr wäre laut Bukowiecki
Achtlos weggeworfener Müll verursacht hohe Kosten in Städten und Gemeinden. (Genf, Juli 2007) jedoch «unendlich komplex».

Angriff auf Behinderten-Institutionen Demonstration


gegen Dick Marty
..................................................................................
von störenden und schwierigen Kin- angekündigt
GEORGIOS KEFALAS / KEYSTONE

Der Direktor des Bundesamts dern entlasten wollen. Eltern, die nicht ..................................................................................
für Sozialversicherungen, Yves wollen, dass ihr Kind mit einem verhal-
Am Dienstag debattiert der
Rossier, kritisiert die Separation tensauffälligen Kind zur Schule gehen
muss. Und die Behinderten-Institutio- Europarat über den Bericht von
von auffälligen Kindern an den
nen, die um ihre Pfründen fürchten. Dick Marty zum angeblichen
Schulen. Bei ausländischen Kin- «Wenn wir mit der laufenden IV-Re- Organhandel der kosovarischen
dern grenze diese an Apartheid. vision von der Wirtschaft fordern, Be-
Befreiungsarmee. Albaner rufen
hinderte in den Arbeitsmarkt zu inte-
..................................................................................
grieren, das aber nicht einmal in der zu Protesten in Strassburg auf.
Stefan Bühler
öffentlichen Schule schaffen, die kei- ..................................................................................
Die Euphorie ist verflogen. Nachdem nem Konkurrenzdruck ausgesetzt ist, Heidi Gmür
landauf, landab Kleinklassen geschlos- haben wir ein Glaubwürdigkeitspro-
sen wurden mit dem Ziel, verhaltens- blem.» Rossier erläutert einen Vor- «Unsere Freiheit ist verdient, vertei-
auffällige und behinderte Kinder in Re- schlag, den er kürzlich in der «Tribune digt sie!» – unter diesem Motto werden
gelklassen zu integrieren, kehrte 2010 de Genève» skizziert hat: Sonderpäd- Albaner im Internet aufgerufen, am
der Wind: Im Kanton Zürich scheiterte agogen, «die es sicher braucht», sollen nächsten Dienstag in Strassburg gegen
Erziehungsdirektorin Regine Aeppli den Tessiner FDP-Ständerat und Eu-
mit ihrem ehrgeizigen Konzept zur In- roparat-Berichterstatter Dick Marty zu
tegration der Sonderpädagogik in Re- Yves Rossier demonstrieren. Denn voraussichtlich
gelschulen am Widerstand von Schul- am Dienstag berät der Europarat Mar-
behörden, Lehrern, Behinderten- und «Besser für alle Kinder»: Unterricht in der Regelklasse. (Movelier, 17. Juni 2008) «Sonderschüler von tys Bericht über Kosovo. Es soll auch
Elternorganisationen. Und im Oktober heute sind IV-Rent- eine Petition eingereicht werden, die
präsentierte die SVP ihr Bildungs-Pa- ner von morgen», UCK-Veteranen und andere Organisa-
pier. Darin fordert sie «den sofortigen Enorme Unterschiede sagt der Chef des
tionen Anfang Januar lanciert haben.
Bundesamts für So-
Stopp der Auflösung von Sonderklas- Laut Online-Berichten haben sie innert
zialversicherungen.
sen und Kleinklassen». Anteil der Schüler in Sonderklassen nach Kantonen wenigen Tagen über 200 000 Unter-
Nun mischt sich Yves Rossier in die schriften gesammelt. Mit der Petition
Debatte, Direktor des Bundesamts für 8% statt in Heimen in öffentlichen Schulen fordern sie den Europarat auf, Martys
Sozialversicherungen und damit Chef arbeiten. «Wollen wir, dass sich behin- Bericht zurückzuweisen. Mit Span-
7
der Invalidenversicherung (IV). Die derte Kinder in der Mitte der Gesell- nung erwartet wird zudem die Rede
Position der SVP bezeichnet er rund- 6
schaft bewegen können und nicht an des albanischen Premierministers Sali
weg als «Irrtum». Die Integration füh- den Rand gedrängt werden, sind Berisha vor dem Europarat, die für
re «nicht zu schlechten Schulen, son- 5 Sonderinstitutionen der falsche Weg.» Donnerstag traktandiert ist.
dern vielmehr zu einem besseren Er- Beim Heimverband Curaviva re- Im Bericht wirft Marty der kosovari-
gebnis für alle Kinder». Rossier geht 4 agiert Markus Eisenring, Bereichsleiter schen Befreiungsarmee UCK und dem
mit dem heutigen System hart ins Ge- für Kinder- und Jugendheime, skep- heutigen Premierminister Hashim
3
richt: «Die Schweiz hat das segrega- tisch: «Es ist niemand gegen Integra- Thaci kriminelle Machenschaften vor.
tivste Schulsystem Europas.» Jedoch 2
tion, aber als Ideologie funktioniert sie Schwer wiegt der Vorwurf, man habe
mit riesigen Unterschieden: «Geht ein nicht.» Sowohl die grundsätzliche Ab- Ende der neunziger Jahre Leute depor-
Kind im Tessin in die Regelklasse, gilt 1 lehnung durch die SVP wie Rossiers tiert und erschossen, um ihnen Organe
das gleiche Kind in Baselland als be- Ansatz führten nicht zum Ziel: «Es zu entnehmen und diese zu verkaufen.
hindert und wird gesondert geschult.» 0 braucht Integration in den Regelschu- Die zuständige Kommission des Eu-
Er wirft Schulen und Institutionen vor, BL AG SG SO SH BE LU TG NE AI SZ BS GL JU VD ZH UR ZG GE NW GR OW FR VS AR TI* len und gesonderte Betreuung in den roparats hat Martys Bericht bereits im
sie würden nach eigenen Bedürfnissen Quelle: Bundesamt für Statistik * Der Kanton Tessin kennt keine Sonderklassen Institutionen.» Dass Sonderschulen Dezember verabschiedet; sie verlangt
entscheiden: «Die Beurteilung geht nach wie vor eine Berechtigung haben, insbesondere eine Untersuchung der
nicht vom Kind aus, sonst hätten wir heid», sagt er: «Staatszugehörigkeit viel zu oft in die geschützte Werk- zeigen laut Eisenring «die vielen An- Vorwürfe durch die Justizbehörden.
überall etwa die gleiche Quote», argu- wird zur Behinderung.» statt», sagt der Sozialversicherungs- fragen für die Placierung von Jugendli- Der Bericht hatte in Kosovo und Al-
mentiert Rossier. «Es kann niemand Rossier zieht den Nutzen von Son- Chef: «Sonderschüler von heute sind chen und Kindern». Die Institutionen banien heftige Reaktionen ausgelöst.
ernsthaft behaupten, dass es in Basel- derschulen grundsätzlich in Zweifel: IV-Rentner von morgen.» stellten sich zunehmend in den Dienst Thaci verglich Marty mit Joseph Goeb-
land viermal mehr behinderte Kinder «Durchlaufen Kinder eine Laufbahn in Dies sei nicht allein das Problem der der Integration. So führe der Weg zur bels, Berisha schimpfte ihn einen Ras-
gibt als im Tessin.» (vgl. Grafik) den Institutionen, haben sie später rie- Schulen, sondern ein gesellschaftliches Integration «oft über eine befristete sisten. Es ist ungewiss, ob Marty mit
Noch krasser sei es bei ausländi- sige Probleme bei der Eingliederung in Problem. Denn viele Kräfte machten Separation», sagt Eisenring. Klar ist für dem Interview, welches das albanische
schen Kindern: «Das Risiko für auslän- den Arbeitsmarkt.» Sie seien nur sich für die Separation stark: Eltern, ihn: «Als Sparmassnahme taugt die In- Nachrichtenportal albinfo.ch in der
dische Kinder, separiert zu werden, ist Kleingruppen gewohnt, würden die die sich für ihr behindertes Kind einen tegration nicht. Wollen wir Integration Schweiz initiiert hat und das im koso-
überall höher – das riecht nicht nur Codes der Arbeitswelt nicht kennen: möglichst geschützten Rahmen wün- an Schulen fördern, müssen wir zuerst varischen Fernsehen ausgestrahlt wur-
nach Segregation, sondern nach Apart- «Der Weg von der Sonderschule führt schen. Öffentliche Schulen, die sich einmal investieren.» de, die Wogen etwas glätten konnte.

Das könnte Ihnen auch gefallen