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Z Psychodrama Soziom (2021) 20:371–385

https://doi.org/10.1007/s11620-021-00604-1

HAUPTBEITRÄGE - OFFENER TEIL

Das Zürcher Ressourcenmodell als Anreicherung für


die Psychodramapraxis
Mit Hund und Elefant über den Rubikon

Uwe Nowak

Angenommen: 6. Mai 2021 / Online publiziert: 11. Juni 2021


© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021

Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag in der Zeitschrift für Psychodrama und


Soziometrie (ZPS) erörtert Verknüpfungsmöglichkeiten der Praxis von Psychodrama
und ZRM-Training. Letzteres wurde von Maja Storch und Frank Krause als „res-
sourcenorientiertes Selbstmanagement“ begründet und zielt auf die Entwicklung von
Selbst-Regulation. Hier lässt sich Morenos Konzept zur Entwicklung von Spontanei-
tät in der Gegenüberstellung von Selbst-Kontrolle vs. Selbst-Regulation entdecken.
Der Modus von Selbst-Regulation, mit einer Abgleichung und Bearbeitung von Be-
dürfnis und Motiv ähnelt dabei dem Konzept von entwickelter Spontaneität und
erhöhter Rollenflexibilität.
Neben einem inhaltlichen und strategischen Überblick zum Vorgehen beim ZRM-
Training werden einzelne Elemente und Techniken vorgestellt und deren Anwend-
barkeit und Nutzen für die Psychodramapraxis anhand von Beispielen aufgezeigt.

Schlüsselwörter Psychodrama und Zürcher Ressourcenmodell ·


Selbstmanagement · Embodiment · Rubikon-Prozess · Neurobiologie ·
Haltungsziele und Motto-Ziele · Zielkriterien handlungswirksamer Ziele · Wenn
Dann Pläne · Zielbildung

Uwe Nowak ()


Psychodrama Institut Leipzig, Kantstr. 02, 04275 Leipzig, Deutschland
E-Mail: nowak@pdi-leipzig.de

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The Zurich Resource Model as enrichment for the psychodrama


practice
With dog and elephant over the rubicon

Abstract This article in the Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie (ZPS)
discusses possible links between the practice of psychodrama and ZRM training.
The latter was founded by Maja Storch and Frank Krause as “resource-oriented
self-management” and aims at developing self-regulation. Here Moreno’s concept
for the development of spontaneity in the juxtaposition of self-control vs. self-
regulation can be discovered. The mode of self-regulation, with an alignment and
processing of need and motive is similar to the concept of developed spontaneity
and increased role flexibility.
In addition to a content and strategic overview of the approach to ZRM training,
individual elements and techniques are presented and their applicability and benefits
for psychodrama practice are demonstrated using examples.

Keywords Psychodrama and the Zurich Resource Model · Self-management ·


Embodiment · Rubikon process · Neurobiology · General Attitude goals · Goal
criteria for action goals · Implementation Intentions · Goal formation

1 PD und das Zürcher Ressourcenmodell

Vor 35 Jahren konnte ich bei einer Tagung in einem Workshop Grete Leutz erle-
ben, wie sie mit Psychodrama einer Psychotherapeutin half, etwas Neues über die
Situation mit einer „schwierigen“ Patientin zu erfahren.
1997 war ich, inzwischen Diplom-Psychologe, selbst Psychodramaleiter und
bis heute arbeite ich gern mit dieser lebendigen und in vielen verschiedenen
Formaten anwendbaren Methode und habe seit vielen Jahren sogar das Privileg,
PsychodramatikerInnen weiter- und auszubilden.
J. L. Moreno als dessen Begründer hat mit dem Psychodrama, neben revolu-
tionärem Denken und Handeln zum Thema Psychotherapie, ein sehr komplexes
Theoriegebäude entworfen. Einiges davon wurde später von verschiedenen ande-
ren Wissenschaftsrichtungen erörtert und konkreter begründet bzw. „bewiesen“. Um
nur zwei Beispiele zu nennen, hat z. B. die Selbst-Organisationstheorie seine Ideen
zu Spontaneität und Kreativität konkretisiert und mit dem Ansatz „Spontane Ord-
nungsbildung in Systemen“ (vgl.: Luhmann 2016, S. 43–89) neu abgebildet. Oder
nehmen wir Morenos Modell der „Konserve“ – es lässt sich mit der Idee „Neuronale
Erregungsbereitschaft“ von Grawe (1998) hervorragend neu abbilden und „denken“.
In meiner Arbeit als Psychodramatiker habe ich somit sehr lange keinen Mangel
an Erklärungen oder Theorien verspürt. Jedoch konnte ich vor gut 15 Jahren neue und
sehr weitreichende Anregungen und Sichtweisen durch die Arbeit mit dem „Zürcher
Ressourcenmodell“ (ZRM) und meine Ausbildung zum Trainer bei Maja Storch in
Zürich entdecken, und diese ergänzend in mein psychodramatisches Denken und
Handeln integrieren.

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Dieser Artikel wird meine Erfahrungen zur Integration aufzeigen und dabei, nach
einer groben Einführung in das ZRM, die aus meiner Sicht relevantesten Momente
für die psycho-dramatische Praxis differenzierter vorstellen.

2 Das ZRM

Das Zürcher Ressourcenmodell wurde von Maja Storch und Frank Krause (2002)
entwickelt und erstmals 2002 in dem Buch „Selbstmanagement – ressourcenorien-
tiert“ umfassend auch mit einem Trainingsmanual veröffentlicht. In dem Training,
welches in der Regel zwei Tage dauert, kommen Menschen zusammen, die unter
Anleitung mittels eines klar strukturierten Prozesses in logisch aufeinanderfolgenden
Schritten Ziele entwickeln und sich für deren Umsetzung in der Praxis (im Leben)
optimal vorbereiten. Das Programm gründet hauptsächlich auf Konzepten der Psy-
chologie, der Pädagogik und der Neurobiologie. So wird z. B. der Ressourcenbegriff
formuliert mit „Alles, was geeignet ist, erwünschte neuronale Erregungsmuster zu
erzeugen, zu aktivieren oder zu verstärken, gilt in diesem Sinne als Ressource.“
(Storch und Krause 2007, S. 179).
Da Psychodrama und ZRM beide einen humanistisch psychologischen Theorie-
hintergrund haben ist es kein Zufall, dass die Arbeit mit dem ZRM, was die Haltung
der LeiterInnen anbelangt mehrere Ähnlichkeiten mit der des Psychodramas auf-
weist. Das „Hebammen-Prinzip“, formuliert „... dass alle Menschen zu erkennen
vermögen, was für sie jeweils wünschenswert und zuträglich, bzw. nicht zuträg-
lich ist. Zudem beinhaltet es die Überzeugung, dass Menschen grundsätzlich selber
im Stande sind, ihre Ziele anzugehen und auftretende Probleme selbst zu lösen.“
(Storch/Krause, ebd. S. 150).
Auch die Gruppe wird im ZRM gezielt als Ressource genutzt, u. a. durch die
Arbeit mit dem „Ideenkorb“ bei dem es darum geht „... ausschließlich, reichhaltiges
positives Material... zu produzieren. Die Auswahl der Assoziationen aus dem Ideen-
korb nimmt dann jede Person für sich allein vor.“ (ebda, S. 89). Anders als bei einem
„Brainstorming“ geht es hier per Instruktion um die Verpflichtung ausschließlich
positive, ressourcenorientierte Assoziationen zu liefern. Was den Angebotscharakter
betrifft, ist es ähnlich wie beim Doppeln im Psychodrama: in den Prozess gelangt
es nur über Validierung durch die ProtagonistInnen.

2.1 Rubikon-Prozess und Ressourcenpool

Für den Gesamtablauf eines ZRM-Trainings sind zwei Konzepte gut geeignet, um
eine Orientierung zu ermöglichen. Zum einen der Rubikon-Prozess, welcher eine
Weiterentwicklung der Vorlage „Rubikon-Modell“ (Gollwitzer 1991; Heckhausen
1989) ist. Die Phase des „Abwägens“ wird hier aber differenzierter über die expli-
zite Unterscheidung von Bedürfnissen und Motiven realisiert. Nach deren Klärung
ist die Phase der „Intention“ erreicht, was gleichzeitig dem Überschreiten des Ru-
bikons entspricht. Dem folgt dann die Phase der „Präaktionalen Vorbereitung“ und
schließlich die der „Handlung“.

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Der Ressourcenpool mit den Elementen „Bild“, „Motto-Ziel“, „Erinnerungshil-


fen“, „Embodiment“, „Situationstypen“ und „Sozialen Ressourcen“ kann ebenfalls
zur Orientierung im ZRM-Prozess dienen. Einige dieser Elemente werden im Praxis-
teil weiter unten inhaltlich anschaulicher, hier alle detailliert vorzustellen kann dieser
Beitrag nicht leisten.
Wenn der Pool komplett erarbeitet ist, ist das Training beendet und wir begeben
uns in unsere jeweilige Praxis.

2.2 Motto-Ziele versus Verhaltensziele

ZRM arbeitet in Absetzung zu Verhaltenszielen mit Haltungs- bzw. Motto-Zielen.


Diese sind das Ergebnis von Erkenntnissen aus der Motivationsforschung, denn
„durch konkrete Verhaltensziele, insbesondere dann, wenn sie schwierig sind, wird
ein System des Gehirns aktiviert, das positiven Affekt herabreguliert.“ (Storch und
Krause 2007, S. 95). Unerlässlich für die Überquerung des Rubikons sind aber
starke positive Emotionen, welche idealerweise durch wahrgenommene positive so-
matische Marker signalisiert werden. Das „System der somatischen Marker“ hat
Damasio (1994) in seinem Buch „Descartes’ Irrtum“ ausführlich beschrieben und
über zahlreiche Experimente validiert.
Wichtige Prüf-Elemente im ZRM Training für die Motto-Ziele sind die Ziel-Kern-
kriterien, welche weiter unten erklärt und über ein Praxisbeispiel nachvollziehbar
werden.

2.3 Embodiment, Priming und Wenn-dann-Plan

Embodiment ist im Rahmen vom ZRM wichtig, weil bei der Entwicklung neuer,
stabiler Strukturen nicht nur rein psychische Aspekte eine Rolle spielen, sondern
auch körperliche Momente bezüglich einer neuen Haltung effektiv oder hinderlich
sind. Storch/Krause formulieren dazu: „Nachhaltige Veränderung ist ... nur möglich,
wenn die Wechselwirkung zwischen Körper und mental-psychischen Vorgängen in
den Veränderungsprozess mit einbezogen wird.“ (Storch und Krause 2007, S. 119).
Priming ist als Phänomen über unzählige sozialpsychologische Experimente auf
Verhaltens- und Wahrnehmungsebenen beschrieben. Dabei geht es darum, dass durch
die Darbietung eines Reizes die Auftretenswahrscheinlichkeit eines bestimmten Ver-
haltens steigt, wobei die Reizwahrnehmung und -verarbeitung nicht bewusst erfolgen
muss. Im ZRM wird damit gearbeitet, wenn Erinnerungshilfen gesucht werden, die
als „Ressourcen“ (siehe die Definition oben) dazu dienen, dass neue neuronale Netz
zu aktivieren. Elementar ist dabei, dass nach der erfolgreichen Installation von „pri-
mes“ deren Aktivierung nicht an eine bewusste Wahrnehmung geknüpft ist (Storch
und Krause 2007, S. 75 ff.).
Ein Wenn-dann-Plan (WDP) spielt bei der Präaktionalen Vorbereitung im Rubi-
kon-Prozess eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, dass wir unsere Haltungsziele
wirksam umsetzen können. Dabei wird ein Phänomen oder Signal als Ausgangs-
punkt mit einem Element von Handlung oder Verhalten verknüpft. So kann z. B.
ein, eigentlich etwas unwilliger Student möglicherweise einen WDP formulieren;

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„Wenn es 16 Uhr ist, dann setze ich mich an den Schreibtisch und beginne den
nächsten Satz meiner Masterarbeit.“
Maja Storch stellt uns in ihrem Buch „Rauchpause“ (Storch 2008, S. 107) einen
eigenen WDP zur Verfügung, welcher sich darauf bezieht, dass sie im Auto bei roten
Ampeln ihre unerwünschte „Routine“ entdeckte, sich dann immer eine Zigarette
anzuzünden. Ihr gegenläufiger WDP lautete; „Wenn die Ampel rot ist, dann nehme
ich mir eine Zitronenmelissenpastille aus der Schachtel im Handschuhfach“.
Das Konzept der „Wenn-dann-Pläne“ wurde von Gollwitzer und Sheeran (2006)
erforscht und es gibt inzwischen viele Studien mit unterschiedlichsten Anforderun-
gen, welche bezüglich ihrer Wirksamkeit nachvollziehbare Ergebnisse zeigen.

2.4 Situationstypen und soziale Ressourcen

Das ZRM-Training beschreibt für die Praxisvorbereitung verschiedene Situationsty-


pen, wobei der Typ A Situationen entspricht, in denen es schon oder bald leichtfällt,
dass neue Haltungsziel zu realisieren. Der Typ B steht für Situationen, welche in
unterschiedlichen Abstufungen schwierig zu bewältigen sind, diese werden deshalb
häufig auch als das „Fitnesscenter“ im ZRM-Prozess bezeichnet. Bei dieser Meta-
pher dürfte auch wenig sportbegeisterten LeserInnen plausibel erscheinen, dass wir,
wenn wir mit zu hohen Gewichten und daraus resultierenden Kraftaufwänden ar-
beiten, sehr schnell sowohl die Lust am Training als auch unsere Gesundheit (durch
Zerrung oder Muskelriss) aufs Spiel setzen. Deshalb wird TeilnehmerInnen empfoh-
len (Storch und Krause 2007, S. 195) „Für die anstehende Aufgabe ..., zunächst eine
Situation mit einem niedrigen bis mittleren Schwierigkeitsgrad auszuwählen ...“.
Während die Typen A und B übrigens bekannte Situationen sind, ist der Typ C vor
allem dadurch schwierig, dass er zum ersten Mal auftritt. Dem trägt das Programm
auch durch entsprechende Empfehlungen und Planungen Rechnung.
Soziale Ressourcen (SR) sind der Bereich, welcher am ehesten in einem sehr deut-
lichen Zusammenhang zu psychodramatischer Arbeit genannt werden kann. Auch
im ZRM dienen sie der Stabilisierung, Unterstützung und Anregung bezüglich indi-
vidueller Ziele. Die Unterteilung in stille, strategische und eingeweihte SR kann, wie
weiter unten an einem Beispiel deutlich wird, für das Psychodrama eine interessante
Perspektive bieten.

3 Eine „Begegnung“ von ZRM und Psychodrama

Morenos Beschreibung von Begegnung u. a. als „... ein Treffen auf dem intensivst
möglichen Kommunikationsniveau ...“ (Moreno 1956, S. 27), veranlasst mich da-
zu, das mit meinem Beitrag realisierbare Niveau bescheiden zu formulieren. Es
soll darum gehen, verschiedene Perspektiven auszutauschen und Potenziale sichtbar
werden zu lassen. Die LeserInnen sollen angeregt werden, mittels eines eigens ge-
wählten Weges Entwicklung für Denken und Handeln zu ermöglichen. Da ich als
Psychodramatiker schreibe, werde ich dies vor allem bezogen auf das Psychodrama
praktizieren. Dabei bemerke ich auch in meiner Rolle als ZRM-Trainer durchaus
häufig Veränderungsanlässe und Anregungen aus Richtung des Psychodramas für

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das ZRM-Training. Um nur ein Beispiel zu nennen, ist die Dramaturgie eines ZRM-
Kurses, wenn ich sie in Relation zum Geschehen im Kreativen Zirkel betrachte,
ausgesprochen optimistisch, was die Bewältigung und Überwindung der Instabili-
tätsphase mittels Bildwahl und Motto-Zielfindung anbelangt.
Ich werde im folgenden Text einzelne Elemente vom ZRM in ihrer Anwendung
für Psychodrama näher erläutern und neben theoretischen Überlegungen auch mit
Beispielen aus meiner Praxis illustrieren.

3.1 Vor und auf dem Rubikon und ein Motto-Ziel aus dem Ideenkorb

Der Rubikon-Prozess als Konzept greift eine überlieferte Situation auf, in welcher
Julius Caesar im Jahre 49 v. Christus mit seinen Truppen vor dem Fluss Rubikon la-
gert und weitere Strategien plant. Die gegnerischen Kräfte sind jenseits des Rubikon
zu erwarten und es ist riskant überzusetzen und dann den Fluss im Rücken zu ha-
ben. Caesar soll damals mit dem Satz „alea jacta est“ (der Würfel ist gefallen) nach
langem Abwägen den Entschluss gefasst haben den Rubikon am nächsten Morgen
zu überqueren. Gollwitzer (1991, S. 39) formuliert für das mit Heckhausen erstell-
te Rubikon-Modell einen Zusammenhang mit der Frage: „Welche Karriere müssen
Wünsche durchlaufen, damit sie effektiv in relevante Handlungen umgesetzt werden
können?“.
Im Psychodrama haben wir es oft mit ProtagonistInnen (PT) zu tun, welche
wir bei dieser „Karriere der Wünsche“ begleiten. Für mich ist der Rubikon daher
ein gutes Orientierungsinstrument, welches auch im Kreativen Zirkel abbildbar ist.
Erwärmungsphase und Spontaneitätslage entsprechen dabei dem Hin- und Herlaufen
vor dem Fluss. Gedanken wie; „soll ich oder soll ich nicht?“, „ich würde gern das
andere Ufer erreichen, aber habe Angst“, „was, wenn ich das Erhoffte doch nicht
finde?“, „was lasse ich zurück?“... geben in Ausschnitten die Situation der PT wieder.
Ein Protagonist (Ricardo) möchte dazu arbeiten, seinen Arbeitsplatz zu kündigen
und sich um eine andere Stelle zu bemühen. Er „plant“ das seit mehr als einem
Jahr und ist inzwischen ziemlich ermüdet und angestrengt. Zunächst erkläre ich ihm
kurz das Bild mit dem Rubikon und lasse ihn die Bühne entsprechend einrichten.
Ricardo: „Aha, wir ziehen in die Schlacht!“ ist energetisiert und beginnt. Wir haben
einen Bereich vor dem Rubikon, den Fluss selbst und einen nach der Überquerung.
Während des Aufbaus hält er plötzlich inne und erklärt, dass er sich offenbar schon
mal ungefähr in der Mitte des Flusses befand, dann aber wieder „umgekehrt“ sei ...,
ich verspreche, dass wir zu der Situation sicher kommen werden und bitte ihn,
am Anfang vor dem Fluss zu beginnen. Im „Hier und Jetzt“ ca. vor einem Jahr
beschreibt er die Situation auf Arbeit als Projektentwickler für Software und lässt in
einem kurzen Dialog mit einem Arbeitskollegen deutlich werden, was er vermisst,
bzw. was ihn stört. Er wünscht sich mehr Eigeninitiative und ist mit dem Agieren der
Führungsetage oft nicht einverstanden, sein Kollege beschwichtigt ihn und weist auf
die guten finanziellen und zeitlichen Bedingungen (flexible Arbeitszeiten etc.) hin.
An der Stelle hält R. inne und stellt fest: „Das ging also schon da los ...“ er erklärt,
dass das auch in der Mitte des Rubikon ähnlich war, dort aber nicht mit seinem
Kollegen. Was uns zur zweiten Szene führt: R. in der Mitte des Flusses. Er will sich
bewerben bzw. überlegt sogar mit einem ehemaligen Studienkollegen ein start up zu

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gründen. Nun aber wird er von seiner Freundin zurückgerufen, er wisse nicht wohin
es führen wird, hier ist die Sicherheit, sie wollen doch eine Familie gründen und
er mag doch eigentlich seinen Job. Am Ende der Szene steht er neben ihr wieder
am Ufer und sagt: „Vielleicht später.“. Nachdem er die komplette Szene aus der
Position des „alter ego“ beobachtet hat, bitte ich ihn eine Frage oder Botschaft an
Ricardo zu richten. Er findet den überraschenden Satz: „Werde endlich erwachsen
und höre nicht länger auf Deine Mutter!“. Nach dem anschließenden Rollentausch
erklärt er seiner Freundin, die glaubt sich verhört zu haben, dass sie ähnlich seiner
Mutter immer mal fast „durchdreht“, wenn etwas nicht 1000 % sicher ist und dass
er aber lernen möchte Risiken einzugehen und vielleicht auch mal zu scheitern.
Als Experiment bitte ich ihn wieder zur Mitte des Flusses und lasse das „alter
ego“ nochmal die Botschaft senden, was ihn mit Blick auf die Freundin antworten
lässt: „Ich will sie doch aber mitnehmen“. Daraufhin frage ich, ob er diesen Dialog
vertiefen möchte oder noch einmal schauen mag, was für ihn hilfreich sein könnte
bezüglich der Botschaft des alter ego. Ricardo entscheidet sich für letzteres.
Da ich mit der Gruppe bereits mit dem Element „Motto-Ziel“ und der Methode
Ideenkorb gearbeitet habe, kann ich dafür an der Stelle ohne lange Einführung zur
Erarbeitung desselben überleiten. Die Gruppe bekommt den Auftrag, in 2 Gruppen
zum einen Angebote für Motto-Ziele zu erarbeiten und zum anderen Images zu
finden, welche dafür stehen die Botschaft des alter ego umzusetzen.
Die Motto-Ziele reichen von; „Ich mach, was ich will“ über „Ich liebe das Risiko“
und „No risk no fun“ zu „Ich verantworte meine Zukunft“ und „Ich suche das
Abenteuer und verlasse die Bequemlichkeit“. Als Images werden vorgestellt „Pippi
Langstrumpf“, die Hauptfigur aus „Into the wild“, „Edward Snowden“ und „Harry
Potter“.
Ricardo (bei den Ideenkörben per Instruktion stummer Zuschauer) bekommt dann
die Möglichkeit, sein eigenes Motto-Ziel zu formulieren. Es lautet: „Ich wage etwas
und bin dadurch freier und lebendiger.“. Bezogen auf das Image gefragt, würde er
gern Edward Snowden treffen, was aus Zeitgründen in der Sitzung leider nicht mehr
realisierbar ist.
Mit der Idee Morenos würden wir sagen, dass Ricardo mit diesem Motto-Ziel
die Chance bekommt, sich hin zu mehr Spontaneität zu entwickeln. Damit handelt
er neu und angemessen bezogen auf die Herausforderungen des eigenen Lebens
und gestaltet dabei stets aufs Neue die Balance von Autonomie und Bindung. Das
Beispiel illustriert übrigens m. E. gut, was ZRM damit meint, dass es hilfreich und
notwendig ist, vor dem Rubikon eine Klärung bezüglich unbewusster Bedürfnisse
und Motive anzugehen.
In der Arbeit mit dem ZRM kommt es immer wieder vor, dass Menschen von den
„Angeboten“ des eigenen Unbewussten zurückschrecken und vermuten, dass sie ab
sofort in eine bestimmte Richtung überreagieren werden. Das sind natürlich im Ver-
ständnis des Kreativen Zirkels nachvollziehbare Dämpfungsaktivitäten bezüglich der
erlebten Instabilität. Auch Ricardo sagte bei der Prozessanalyse zur oben beschrie-
benen Sitzung, dass er zwischendurch bei den Ideenkörben die Gefahr sah, zu einem
Hasardeur werden zu sollen: „Der Typ in dem Film ist schließlich draufgegangen.“
Ricardos Motto-Ziel hat etwas von dieser Energie und autonomen Perspektive der

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Filmfigur und kann/soll als neues neuronales Netz seine Persönlichkeit vollständiger
und rollenflexibler werden lassen.

3.2 Ziele mittels Kernkriterien optimieren

Im Psychodrama kommen wir oft an Punkte, bei denen ProtagonistInnen aus der
Spontaneitätslage heraus in einer Szene Ziele formulieren; „Ich lasse mir das nicht
länger gefallen!“, „Ich will, dass er einsieht, dass er im Unrecht ist.“, „Die sollen
mich einfach in Ruhe meine Arbeit machen lassen!“, „Ich will in der Prüfung nicht
so aufgeregt sein.“, „Ich will nicht immer stark sein müssen.“, „Ich will nicht länger
für Dein Befinden verantwortlich sein.“ sind einige Beispiele dafür.
Das ZRM-Training hat bezüglich der Zielformulierung die zwei Prüfelemente:
Kernkriterien und Affektbilanz. Beide sollen helfen ein handlungswirksames Ziel zu
entwickeln.
Die Kernkriterien sind: 1. Formulierung als Annäherungsziel, 2. das Kriterium
der Verfügbarkeit und 3. das begleitende Auftreten positiver somatischer Marker
(Storch und Krause 2007, S. 98 ff.).
Allein das erste Kriterium bringt oft eine wichtige Korrektur. Wenn ich als Leiter
eines Psychodramas kurz den Unterschied von Annäherungs- und Vermeidungs-
zielen erläutere, können ProtagonistInnen meist sehr schnell eine Umformulierung
vornehmen. So wird dann aus dem Prüfungsbeispiel von oben das Ziel: „Ich will
entspannter, sicherer in die Prüfung gehen.“ An dieser Stelle möchte ich bewusst da-
rauf verzichten, Belege oder Argumente bezüglich der Wertigkeit dieses Kriteriums
zu diskutieren, da dies für die allermeisten KollegInnen wohl auch ohne ZRM bei
Zielformulierungen von KlientInnen die Regel ist. Oft ist die Instruktion oder Erklä-
rung dessen begleitet von dem Beispiel des „rosaroten Elefanten – an den jemand
jetzt NICHT denken soll.“.
Bei dem zweiten Kriterium geht es kurz gesagt darum, dass wir uns etwas vorneh-
men sollen, was durch uns realistischerweise erreichbar ist und in unserer Kontrolle
liegt. In dem Film „American Beauty“ bereitet die Immobilienmaklerin Carolyn
(Anette Benning) ein Haus auf den Verkauf vor und spricht dabei gebetsartig immer
wieder den Satz: „I will sell this house today“, ein gutes Beispiel für ein Ziel, wel-
ches eben nicht 100 % in Ihrer Kontrolle liegt. Denn, auch wenn das Hause attraktiv
ist, braucht es interessierte KundInnen, welche auch noch solvent sind und denen
gerade dieses Haus und das Umfeld gefällt. So gesehen ist das Scheitern und damit
auch die daraus resultierende Frustration durchaus möglich. Anders sähe es aus,
wenn sie sagen würde, „I’ll do my best today for selling this house.“. Dann wäre
es am Ende des Tages, bei nicht erfolgtem Verkauf möglich zu sagen, dass sie ihr
Bestes getan hat und dieses Ziel also erreicht wurde, aber die Bedingungen, welche
nicht in ihrem Verfügungsbereich lagen, dafür verantwortlich sind, dass das Haus
noch nicht verkauft ist. Nähere Erläuterungen dazu bei Storch und Riedener (2009,
S. 95).
Das dritte Kriterium: „... prüft den willensbahnenden positiven Affekt ab, der ein
Motiv über den Rubikon begleitet.“ (Storch und Krause 2007, S. 104) Dieser positive
Affekt wird über somatische Marker signalisiert und tritt dann auf, wenn; „... ein
Ziel so formuliert ist, dass ein „glückseliges Grinsen“ auftritt. Somatische Marker

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haben eine hohe „face validity“, so dass auch eine Gruppe von Laien sehr schnell
in der Lage ist, deren Vorhandensein beziehungsweise deren Fehlen zuverlässig zu
diagnostizieren.“ (ebd. S. 105).
Eine Doktorandin, Frau W., sucht in einem Coaching Unterstützung für die An-
fertigung einer Habilitation neben ihrer Arbeit als angestellte Ärztin. Nachdem wir
zunächst anamnestisch zu ihrer Berufsbiografie und mittels sozialem Atom bezüglich
ihrer aktuellen Lebenssituation gearbeitet haben, lasse ich sie auf der Psychodrama-
bühne in einen Dialog mit ihrer begonnen Arbeit gehen. Diese kommt ziemlich
schnell zur Sache und herrscht Frau W. an, dass es nicht so weitergehe, sie wolle
endlich „fertig gestrickt“ werden und sie verbitte sich das ewige Aufschieben und
Vertrösten. Frau W. sieht genervt bis verzweifelt aus und entgegnet, dass ihr die Kraft
fehle und neben der täglichen Arbeit in der Klinik ja auch noch ihre Familie etwas
von ihr brauche. Es entwickelt sich ein ausgesprochen freudloser und angespannter
Dialog und Frau W. sagt, dass das genauso sei, ständig sei sie hin und her gerissen
und ärgere sich, dass ihr die Ausdauer fehle, einfach dranzubleiben. Ich bitte sie,
zum Abschluss der heutigen Sitzung ein hilfreiches Ziel für die Bewältigung ihrer
Arbeit zu formulieren. Sie sagt: „Ich lasse mich nicht ablenken und bleibe beharrlich
dran.“
In der nächsten Sitzung arbeiten wir mit diesem Ziel und einem jeweiligen „Echo“
von Elementen aus ihrem sozialen Atom. Verkürzt: ihre 5 jährige Tochter sagt,
das klinge anstrengend und langweilig, Ihr Mann meint, dass sie da eben besser
organisieren müsse und der Vater von Frau W. (selbst Akademiker) findet das genau
richtig, denn wer etwas erreichen wolle müsse sich durchbeißen.
Die Aufgabe für die folgende Sitzung ist die Optimierung ihres Ziels. Zunächst
arbeiten wir zu den 3 Kernkriterien und der erste Teil ihres Zieles wird zu: „Ich
wähle bewusst Zeit für’s Schreiben.“ Hier wird auch deutlich, dass bezüglich des
zweiten Kriteriums ihre Freiheit bezüglich „Nichtablenkung“ vor allem in Bezug
auf ihre Tochter zu Hause nicht durchhaltbar wäre.
An der Stelle erkläre ich Frau W. zunächst das Konzept der 2 Systeme (sehr
gut vorgestellt bei Storch und Kuhl 2013, S. 22ff.) und bitte sie, bezogen auf ihre
Habilitation ein Bild aus einer Galerie auszuwählen und dabei in erster Linie auf
ein positives Befinden zu achten. Diese Bild wird ein wichtiges Element für den
zu erstellenden Ressourcenpool (siehe Kapitel 1.1.). Sie entscheidet sich lächelnd
für ein Foto, auf dem ein ungefähr 8 jähriges indisches Mädchen mit einem kleinen
Elefanten eine staubige Straße entlangspaziert. Nach einem Ideenkorb zu dem Bild,
welcher in Ermanglung einer Gruppe zu zweit realisiert wird, entstehen verschie-
denen Varianten von Motto-Zielen. Eines davon wählt Frau W. aus und dieses wird
mittels Affektbilanz (vgl. Storch und Kuhl 2013, S. 130) optimiert und es entsteht
abschließend: „Mit kindlicher Freude, Neugier und wachem Geist gehe ich frei und
elefantisch meinen Weg.“
Als sie dieses Motto-Ziel in ihrem sozialen Atom vorstellt und das Bild dazu zeigt,
schaut ihre Tochter entzückt und leuchtet ihre Mutter an. Der Vater von Frau W.
blickt irritiert und fragt, was das denn jetzt soll, das sei doch kindisch. Und ihr Mann
sagt, dass er sie sehr lange nicht so entspannt und froh gesehen habe ...
Bei diesen ausschnitthaften Schilderungen ist zu sehen, wie konkret die „Karriere
der Wünsche“ auch mittels Zieloptimierung begleitet werden kann. Zu Beginn war

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Frau W. in erster Linie im Modus von Selbst-Kontrolle aktiv und wechselt später mit
der Auswahl des Bildes und mit Hilfe des Unbewussten in den Modus von Selbst-
Regulation, welchen Julia Weber als „... die „demokratische“ Form der Selbststeue-
rung ...“ bezeichnet (vgl. Weber 2013, S. 54).
Interessant ist auch der Wechsel, welcher sich in Sprache und Körper widerspie-
gelt; war sie mit dem zuerst formulierten Ziel angespannt, mit gerunzelter Stirn,
so zeigt sich mit dem neuen Motto-Ziel eine weiche, spielerische Art, welche dann
auch durch ihre Gegenüber (Tochter und Ehemann) positiv registriert wird. Der Va-
ter von Frau W. hat dafür „konsequenterweise“ nur Spott übrig und versucht das
alte neuronale Netz: Kampf, Anstrengung, Disziplin in den Vordergrund zu rücken.
Auch hier kommt es (wie bei Ricardo, s. oben) etwas später dazu, dass Frau W. die
Befürchtung äußert, dass sie jetzt wohl nur noch spielerisch und kindlich sein solle.
Die Erklärung, dass es sich lediglich um eine Ergänzung zu ihrem disziplinierten
und konsequent arbeitenden Selbst handelt, ist für sie schließlich überzeugend.
Mittels Priming und Embodiment wird dieser Anteil gestärkt und durch soziale
Ressourcen und die Arbeit zu den verschiedenen Situationstypen (s. unten) unter-
stützt. Selbst-Regulation – und ich behaupte auch, die Möglichkeit im Rahmen des
kreativen Zirkels spontan zu handeln – ist laut Julius Kuhl an bestimmte Bedingun-
gen gebunden: „Die Fähigkeit zur selbstregulierten Rekrutierung positiven Affekts
betrachte ich als die entscheidende Voraussetzung für Selbstbestimmung und intrin-
sische Motivation.“ (Kuhl 2001, S. 177).
Diese „Rekrutierung“ erfolgt bei Frau W. ab dem Moment, wo sie sich mit ihren
inneren Repräsentationen des kleinen, freien, neugierigen Mädchens aus ihrer ei-
genen Biografie verband, welche ihr emotionales Erfahrungsgedächtnis bereitstellte
und dem sie bei der Auswahl des Bildes durch die Abstinenz kühler Rationalität
eine Chance gab.

3.3 Embodiment, ein Hund, ein Chef und ein Stück vom Fell

In einem nächsten Beispiel wird während einer Einzelarbeit in einer Psychodrama-


gruppe deutlich, wie v. a. die Konzepte von Embodiment, Priming und WDP im
Psychodrama genutzt werden kann.
Eine Psychologin einer Beratungsstelle kommt in ihrer Tätigkeit immer wieder
in Konfliktsituationen, bei denen ihr Chef aus ihrer Sicht fachfremd und autoritär
Entscheidungen fällt und dadurch die Arbeit für alle KollegInnen erschwert und
unerfreulich macht. Am Beginn der Arbeit sagt sie gleich, dass sie ihn in einer
Szene treffen will um „mal in Ruhe Argumente zu finden und zu sortieren“. Die
Szene entwickelt sich rasant; der Chef gibt nüchtern und hartnäckig seine Argumente
und Entscheidungen zum Besten und wirkt etwas amüsiert wegen der Emotionalität
seines Gegenübers und nach einiger Zeit ist sie total wütend und ärgert sich (zur
Seite gesprochen) über ihre Hilflosigkeit und Betroffenheit. Sie wünscht sich ein
Hilfs-Ich, welches sie darin unterstützt, ruhig und souverän zu bleiben. Nachdem
sie das dieses eingerollt hat (sie nennt es „Innere Ruhe“) und ein paar hilfreiche
Schlüsselbotschaften formuliert hat, will sie „den Kampf neu aufnehmen“, was nach
ein paar Minuten aber trotz unterstützender Bemerkungen durch das Hilfs-Ich in der
gleichen Situation endet.

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Ich frage sie, wer oder was ihr einfällt, wenn sie an „souverän und ruhig“ denkt.
Sie zählt, nicht sehr enthusiastisch, ein paar Menschen auf, die ihr einfallen. Plötz-
lich aber hellt sich ihr Gesicht auf und sie sagt: „Carlos, eigentlich Carlos!“ Carlos
stellt sich als ihr Hund heraus. In einer nun folgenden Szene mit rauflustigen Welpen
auf einem Hof, sehen wir, wie Carlos mit den ungestümen und zeitweise aufdring-
lichen Jungen umgeht. Die Welpen raufen immer mal miteinander und probieren
sich ab und zu an dem Rüden Carlos. Der liegt ungerührt in dem Durcheinander,
teilt manchmal einen leichten Pfotenhieb aus, wenn die Bälger es in seine Richtung
übertreiben und schaut sonst stolz auf seine lebendigen Nachkommen. Faszinierend
ist die Veränderung der Protagonistin auf körperlicher und stimmlicher Ebene, die
angespannte, elektrisierte Kampfhaltung der ersten Szene ist komplett einem ent-
spannten, ruhigen Ausdruck gewichen. Ich bitte sie aus der Rolle einen Satz zu
formulieren. Sie sagt mit tiefer, ruhiger Stimme lediglich: „Wuff – was willst Du
von mir?“. Bevor wir die Szene wechseln, fokussiere ich ihre Wahrnehmung auf
ihren (Carlos) Körper und fordere sie auf, eine kleine, u. U. nur für sie sichtbare
Geste (Microversion, s. unten) zu finden, begleitet von einem im Kopf gesproche-
nen „Wuff“. Sie streicht sich mit dem rechten Daumen über den linken Zeigefinger.
Danach schneide ich ein winziges Stück von dem Fellschal (Prime – s. oben), wel-
chen sie als Requisit für Carlos gewählt hatte ab und bitte sie, es, begleitet von
einem „Wuff“, in Ihrer Hosentasche zu verstauen.
Bevor die vorangegangene Szene neu angegangen wird bitte ich die Protagonistin
noch, für den Fall einer doch stattfindenden Eskalation einen „Wenn-Dann-Plan“ zu
formulieren, welcher schnell gefunden ist: „Wenn mein Chef lauter wird – Dann
nutze ich mein micro-move.“
So präpariert geht sie erneut in die Szene mit ihrem Chef. Wir erleben eine völlig
andere Dynamik: Sie ist wesentlich entschleunigt, fragt nach, bleibt auch äußerlich
gelassen und sie registriert, nun selbst still lächelnd, wie ihr Chef aus dem Konzept
kommt: „Was denn mit ihr nicht stimme?“. An der Stelle sagt sie, dass wir die
Szene beenden können. Das Rollensharing des Chefs war insofern spannend, dass
er fühlte, dass er die Kontrolle verlor, welche er in den ersten beiden Szenen klar
hatte, und er wisse nicht so recht, wie das weiter gehen wird.
Bei unserem nächsten Gruppentreffen nach 6 Wochen berichtet die Protagonistin,
dass sie es bei einer Dienstberatung sehr gut geschafft habe, sich auch mit Hilfe von
ihrem micro-move zu regulieren und sogar schmunzeln musste, weil sie einmal ein
„Wuff“ gehaucht habe. Den anderen Teammitgliedern sei die Veränderung auch
aufgefallen und sie wurde gefragt, ob ihr denn ab sofort alles egal sei. Worauf sie
geantwortet habe, dass dem nicht so sei, aber auch andere ja mal was sagen könnten,
wenn sie es wollten.
Der Grundgedanke des Embodiments mit der Wechselwirkung psychischer und
körperlicher Momente wurde weiter oben ja bereits kurz vorgestellt. In unserem Bei-
spiel wurde nachvollziehbar, dass allein die kognitive Komponente („Erinnerung des
Hilfs-Ichs bezüglich eigener Souveränität“) nicht ausreichte, um das Haltungsziel:
„Ich bleibe souverän und bewahre die Ruhe“ umzusetzen. Erst nach dem Umweg
im Rollenwechsel, über den Körper und die Haltung ihres Hundes gelang es ihr, die
Qualität dieser Haltung zu „er – leiben“. Diese Synchronisation von psychischen

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382 U. Nowak

und physischen Momenten erleichtert ihr im Anschluss in der erneuten Szene mit
dem Chef, die gewünschte Qualität nachhaltig ein- und umzusetzen.
ZRM unterscheidet beim Embodiment zwischen Makroversion und Microversi-
on, wobei eine Makroversion wesentlich „ausschweifender“ ist und mehrere Be-
wegungselemente und Gesten haben kann. Makros sind für den privaten Raum
geeignet, um sich mit einem Motto-Ziel zu verbinden, das erinnert manchmal an
eine Qi-gong Übung, wobei beim Embodiment im ZRM auch begleitend das Motto-
Ziel verbalisiert wird. Im öffentlichen Bereich, in dem es dann ein oder mehrere
Gegenüber gibt, wird über die für dieses Gegenüber nicht oder nur schwer sichtbare
Microversion diese Verbindung hergestellt.

3.4 Orientierung mittels Situationstypen und Entwickeln sozialer Ressourcen

Zu Beginn meines Beitrages habe ich bereits kurz den Rubikon-Prozess vorgestellt,
bei dem eine Phase als „präaktionale Vorbereitung“ bezeichnet wird. Diese Phase
folgt beim Vorhandensein einer klaren Intention, was im ZRM bedeutet, dass es ein
stabiles, per Kernkriterien und Affektbilanz optimiertes Motto-Ziel gibt.
Bei der Umsetzung dieses Zieles haben wir mit verschiedensten Schwierigkeiten
zu rechnen, da erstens dieses neue neuronale Netz ja erst entstanden ist und über
praktische Erfahrungen positiv validiert werden muss und zum zweiten, unsere „al-
ten“ neuronalen Netze nicht plötzlich inaktiv sind. Drittens ist damit zu rechnen,
dass nicht alle Menschen unserer sozialen Felder mit unserem neuen Ziel einver-
standen sind, denken wir an das Beispiel von Frau W. und die Reaktion ihres Vaters.
Maja Storch nutzte einmal in einem Ausbildungsseminar das Bild: „Es ist, als ob ein
kleines Kind sich in einem Raum voller durchaus auch dominanter oder ignoranter
Erwachsener Gehör verschaffen will.“.
Es muss also darum gehen, dass wir bezüglich unserer neuen Haltung Unterstüt-
zung und Orientierung bekommen. Orientierung gibt ZRM dabei mit dem Modell
der Situationstypen, bei denen A-Situationen, B-Situationen und C-Situationen un-
terschieden werden, wie weiter oben schon beschrieben. Im Psychodrama lässt sich
dabei nach der Vorstellung der unterschiedlichen Situationen sehr gut szenisch ar-
beiten.
In dem Beispiel mit Frau W. und ihrer Habilitation (wir sind inzwischen in der
Phase der präaktionalen Vorbereitung) steht dabei zu Beginn die Frage, in welchen
Situationen/Momenten es ihr schon ganz gut oder im Ansatz gelingt, entsprechend
ihres Motto-Zieles zu handeln. Sie ist am ehesten an Situationen mit ihrer Tochter
erinnert. So wählt sie eine Szene, in welcher sie mit ihrer Tochter einen unbe-
schwerten, frohen und spielerischen Nachmittag verbringt. In der Szene, in welcher
die Prädikate ihres Motto-Ziels „kindlich, froh, neugierig und frei elefantisch“ auf-
tauchen, hält sie inne und sagt: „eigentlich könnte ich bei meiner Tochter etwas
von dem frei und elefantisch abkupfern, die kümmert sich eher nicht um den Ernst
des Lebens“. Und im Rollentausch als ihre Tochter bietet sie an, der Mama einfach
ein „Geheimzeichen“ auf den Arm zu malen, damit sie sich erinnert, wenn sie „zu
langweilig und ernst“ wird.

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Das Zürcher Ressourcenmodell als Anreicherung für die Psychodramapraxis 383

In der Nachbesprechung der Szene kommt ihr noch der Gedanke, dass sie mit
einer guten Freundin ähnliche Momente von „frei und wach“ hat und sie sich vor-
nimmt, diesen Kontakt wieder zu intensivieren.
Hier genau liegt der Sinn, sich mit A-Situationen zu beschäftigen. Über die
Aktivierung der neuronalen Netze mittels auch anteiliger Realisierung des Motto-
Ziels wird durch die dabei stattfindende Transmitterausschüttung eine Stabilisierung
erreicht, was die von Kuhl (2001) weiter oben beschriebene „Rekrutierung positiver
Affekte“ bedeutet. Lebensnah wird das hier wirkende Prinzip über die verschiedenen
Varianten der „Glücksbohnengeschichte“1 erzählt. Es geht darum, aufmerksam zu
sein auch für kleine Schritte und Momente.
Bei der Arbeit zu B-Situationen gilt es zunächst festzustellen, welchen Schwie-
rigkeitsgrad einzelne Szenen haben. Diese Analyse findet im ZRM-Training mithilfe
eines Thermometers statt, welches den Herausforderungsgrad misst. Dabei werden
verschiedene Szenen bzw. Situationen, welche im Zusammenhang mit dem Mot-
to-Ziel relevant sind, zunächst aufgelistet und dann entsprechend unterschiedlicher
Anforderungsgrade auf dem Thermometer eingeordnet. Es wird dahingehend orien-
tiert, dass ein Bereich zwischen 40–60 Grad ein optimaler Trainingsbereich für die
Anwendung des neuen Motto-Ziels ist. (Storch und Krause 2007, S. 196). Nach der
Auswahl einer so geeigneten Situation, erfolgt eine detaillierte Planung und voraus-
schauende Vorbereitung darauf mittels der Arbeitsblätter 11 und 12 (im Anhang von
Storch und Krause 2007).
Psychodramatisch arbeite ich mit Requisiten, welche für die verschiedenen
schwierigen Situationen stehen und leite die ProtagonistInnen dann durch die
jeweilige gewählte Szene.
Frau W. findet mit drei Requisiten drei verschiedene Situationen und wählt ei-
ne Szene, in welcher sie mit ihrem Mann darüber sprechen will, wie es gelingen
kann, dass sie verlässlich Freiräume für Freizeit und Habilitation einrichten kann.
Als „zu heiß“ taxiert sie ein Gespräch mit ihrem Chefarzt in der Klinik und eine
Auseinandersetzung mit ihrem Vater und wählt diese aktuell ab.
In der Szene mit ihrem Mann wird dessen Ambivalenz deutlich, dass er einerseits
die „lächelnde, frohe Frau“ möchte, andererseits aber nur schwer den Einschrän-
kungen zustimmen kann, welche es für ihn bedeutet, wenn sie mehr Freiräume
beansprucht. Interessanterweise versucht Frau W. zunächst sachlich zu argumentie-
ren, dass es ja für alle besser sei, wenn die Arbeit dann fertiggestellt wäre ...kommt
dort aber schnell nicht weiter und wir sehen eine klassische Patt-Situation. Nach
einer Unterbrechung, in welcher sie sich mittels Embodiment und Aktivierung ei-
ner sozialen Ressource (s. unten) noch einmal neu auf die Situation eingestellt hat,
entsteht eine neue Szene. Sie bringt, wie sie später bemerkte „elefantisch frei“ eher
spielerisch ihren Mann dazu, Zugeständnisse zu machen und dieser resümiert: „So
hast Du mich lange nicht rumgekriegt ...“.
Der dritte Situationstyp ist nicht in Hinsicht auf den Schwierigkeitsgrad anders,
sondern bezogen auf das Kriterium Bekanntheit. C-Situationen sind dadurch so
kompliziert, weil sie erstmalig und dabei oft überraschend auftreten. So kann zum
Beispiel die Studentin, welche sich bestens auf eine Prüfung vorbereitet hat und

1 Verfasser unbekannt: https://netzfrauen.org/2015/01/19/die-gluecksbohnen-geschichte-zum-nachahmen/

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384 U. Nowak

auch über ein entsprechendes Motto-Ziel, Embodiment und ein Arsenal an Primes
verfügt, sehr aus dem Konzept geraten, wenn eine Prüferin ihr mitteilt, dass es eine
feste Quote an „Nichtbestanden“ geben soll und bisher alle Prüflinge bestanden
haben. Hier empfiehlt das ZRM-Training (Storch und Krause 2007, S. 197), das
Spezielle an der Situation anzuerkennen und eine detaillierte, nüchterne Analyse der
Bedingungen vorzunehmen. Danach werden die Erfahrungen als Grenzerfahrungen
eingeordnet, Konsequenzen im Sinne von Handlungsvornahmen, z. B. auch einem
neuen WDP gezogen und die entsprechende Situation als zu trainierende B-Situation
deklariert.
Das alles sind Strategien, Handlungen, Dialoge, welche im Möglichkeitsraum
psycho-dramatischer Umsetzung fast grenzenlos gestaltbar sind und deshalb hier
nicht näher zu erläutert werden brauchen.
Dies dürfte ebenso für die Entwicklung und Entdeckung sozialer Ressourcen gel-
ten, da alle PsychodramatikerInnen die Arbeit mit inneren HelferInnen, Kraftfiguren
und konkreten Personen, wie auch Images seit jeher als unterstützende Momente in
Psychodramaszenen nutzen. In der oben beschriebenen Szene von Frau W. tauchte
als soziale Ressource übrigens ihre Tochter auf, welche mit treuherzigen Augen
und Schmollmund den Satz einbrachte: „Mensch Papa, nun stell dich doch nicht so
schief“.
Ich hoffe mit meinem Beitrag ein wenig die Lust geweckt zu haben, die recht
strukturierten Ansätze und Vorgehensweisen sowie neurowissenschaftlichen Er-
kenntnisse aus der ZRM-Welt als bereichernde Momente für die bunte, kreative und
lustvolle Arbeit auf der Psychodramabühne zu entdecken und diese möglicherweise
in die eigene Praxis einzubeziehen.

Literatur

Damasio, A. (1994). Decartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. München: List.
Gollwitzer, P. (1991). Abwägen und Planen. Göttingen: Hogrefe.
Gollwitzer, P., & Sheeran, P. (2006). Implementation intentions and goal achivement: a meta-analysis of
effects and processes. Advances in Experimental Social Psychology, 38, 69–119.
Grawe, K. (1998). Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe.
Heckhausen, H. (1989). Motivation und Handeln (2. Aufl.). Berlin: Springer.
Kuhl, J. (2001). Motivation und Persönlichkeit. Göttingen: Hogrefe.
Luhmann, N. (2016). Spontane Ordnungsbildung. In Der neue Chef. Berlin: Suhrkamp.
Moreno, J. L. (1956). In Progress in Psychotherapy. New York: Grune & Straton.
Storch, M. (2008). Rauchpause. Bern: Huber.
Storch, M., & Krause, F. (2002). Selbstmanagement – ressourcenorientiert. Bern: Huber.
Storch, M., & Krause, F. (2007). Selbstmanagement – ressourcenorientiert. Bern: Huber.
Storch, M., & Kuhl, J. (2013). Die Kraft aus dem Selbst. Bern: Huber.
Storch, M., & Riedener, A. (2009). Ich pack’s Selbstmanagement für Jugendliche. Bern: Huber.
Weber, J. (2013). Turning Duty into Joy. Optimierung der Selbstregulation durch Motto-Ziele. unv. Diss.
Osnabrück: Universität Osnabrück.

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Das Zürcher Ressourcenmodell als Anreicherung für die Psychodramapraxis 385

Uwe Nowak 1959, Diplom Psychologe (Klinische Psychologie), Mit-


begründer und Ausbildungsleiter vom Psychodrama Institut Leipzig
(www.pdi-leipzig.de), Leiter vom IPP Leipzig (www.ipp-leipzig.de),
Supervisor (BDP) und Coach, zertifizierter ZRM-Trainer, freiberuflich
tätig.

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