Verfasser/in
Dipl. LSB
laut 140. Verordnung vom 14.02.2003 Lebens- und Sozialberatung in der Fassung 112/2006.
Begutachter/innen: Mag. Helga Ansorge/ Mag. Martin Köberl
Eidesstattliche Erklärung
dass ich meine Diplomarbeit, Praxisfall und das Prüfungsdesign bisher weder
im In- noch Ausland in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe.
dass ich, falls diese Diplomarbeit, Praxisfall und / oder das Prüfungsdesign ein
Unternehmen betrifft, für das ich tätig bin oder war, ich meine/n Arbeitge-
ber/in über betreffenden Titel, Form und Inhalt unterrichtet und sein/ihr Ein-
verständnis eingeholt habe.
1 Vorwort
Persönlich merke ich immer wieder, wie sehr mein physisches Körperempfinden sich
auf meine psychische Widerstandsfähigkeit auswirkt, mit Herausforderungen im
Alltag umzugehen. In körperlich guter Verfassung (durch regelmäßigen Sport,
Bewegung, und körperlichen Ausgleich) erlebe ich mich wesentlich ausgeglichener
und widerstandsfähiger, als in Zeiten wenig körperlicher Aktivität. Umgekehrt kenne
ich insbesondere aus meiner Jugend auch die Erfahrung, wie sich dauerhafte
Anspannungs-Situationen körperlich in Verspannungen und unachtsamer
Körperhaltung bis zu dauerhaften Schmerz-Zuständen auswirken können. In der
Praxis als Berater sehe ich den Körper als Ressource und möglichen Zugang,
vorgebrachte Themen von KlientInnen zu bearbeiten.
In der Arbeit mit KlientInnen begegnen mir oft mit verbal-kognitiv augenscheinlich
leicht zugänglichen, und logisch ergründbar nur schwer zugänglichen Themen.
Letztere werden oft umschrieben als „Gefühl von …“ oder „Ich habe so ein
Gefühl …“, „wenn … dann fühle ich mich…“. In der Arbeit mit diesen Gefühlen, bin
ich immer wieder neu von innerlichem Staunen erfüllt, wie befreiend und lösend das
verbal begleitete achtsam innerlich spürende Durcharbeiten negativ empfundener
Körperwahrnehmung wirken kann. Mit dieser Arbeit möchte ich vordringen in dieses
faszinierende Feld der Körperempfindung, und nach erster Literatur-Recherche
vertieft die Konzepte und Methoden von Focusing nach Eugene Gendlin vorstellen,
die über die folgenden Seiten dargestellt, meine zukünftige Beratungspraxis enorm
bereichern sollen.
2
2 Einleitung
Unser Körper ist Bestandteil unseres Lebens, die Physik und Chemie unserer Existenz.
Jeder Mensch sitzt, steht, liegt, spricht, isst, liebt, fühlt, lebt in einem Körper, als Körper,
mit einem Körper. Wir fühlen uns müde, wenn unser Körper Schlaf braucht, fühlen
uns energetisiert nach einem Erlebnis, das unsere Gefühle positiv berührt, runzeln die
Stirn, wenn unser Verstand mit etwas unerwartet Eigentümlichen konfrontiert ist.
Kommunikation ist uns ermöglicht durch Sprache, Gestik, Mimik. Wir regen unseren
Körper an durch Bewegung, wir pflegen oder vernachlässigen unseren Körper.
Regen wir uns auf, oder erregen uns in jedweder Art, beschleunigt unser Herzschlag,
unser Atem wird schneller, Schweiß tritt an unsere Stirn. Haben wir gedrückte
Stimmung, und finden Erleichterung, fällt uns ein Stein vom Herzen. Die Metapher
„wir fühlen uns niedergeschlagen“ drückt ebenso wie „himmelhoch
jauchzend“ eine Stimmung mit Attributen von Körperlichkeit und Verkörperung aus.
Nun ist der Körper per se nicht die Domäne der Lebens- und Sozialberatung. Ist er
aber für die psychologische Beratung zur Lösung persönlicher Probleme und
Herausforderungen nutzbar? Sollte er womöglich sogar ein wesentlicher Bestandteil
dieser sein? Welche Formen von Interaktionen mit dem Körper im Rahmen
psychologischer Beratung gibt es? Was ist Körperempfinden eigentlich, und wie
kann es uns in unserer Arbeit in der Beratung und Begleitung von Menschen in deren
persönlichen Entwicklungsprozessen unterstützen?
Diese Abhandlung widmet sich der Körperlichkeit des Seins, mit dem Ziel ihre
Nutzbarkeit für die Lebensberatung zu ergründen, insbesondere anhand der
wahrnehmungsorientierten Methode des Focusing.
Im Rahmen dieser Arbeit ist es mir wichtig, sowohl weibliche als auch männliche
Personen gleichwertig anzusprechen. Um dem gerecht zu werden, und zugleich
nicht den Schreib- oder Lesefluss zu stören, werden teilweise weibliche (z.B.
Beraterin), als auch männliche Form (z.B. Klient) benutzt, sowohl als auch eine
kombinierte Form (z.B. Klient*in), als auch die Ansprache an beide (z.B. Beraterin und
Berater). Insbesondere im Singular wird zumeist eine der beiden ursprünglichen
Formen genutzt, um die Problematik doppelter Artikel (der/die u.a.) zu vermeiden.
3
Ein Großteil der Literatur zur psychologischen Beratung mit Einbezug des Körpers
bezieht sich auf Formen der Körperpsychotherapie, als körperlich orientierte, bzw.
den Körper maßgeblich mit einbeziehende Formen der Psychotherapie. Dieses
Kapitel geht der Frage nach, inwiefern die in diesen Feldern generierten
Wissensbestände für die Lebensberatung zugänglich und nutzbar sind?
In Kompetenz und Form grenzt sich die Psychotherapie von der Lebens- und
Sozialberatung dahingehend ab, dass ihr, sowie der Klinischen- und Gesundheits-
Psychologie die krankheitsbezogene Arbeit mit Menschen, die nach ICD-10 als
psychisch krank eingestuft werden können, vorbehalten ist.2 Allen Formen der
psychologischen Berufsausübung gleich ist, dass Im Zentrum jeder psychologischen
Berufsausübung die Anwendung der Erkenntnisse und Methoden der
wissenschaftlichen Psychologie steht.3
Als Methoden der Lebens- und Sozialberatung zulässig sind jene, die einer oder
mehrerer der folgenden Orientierungen zugeordnet werden können4:
Die Arbeit mit dem Körper kann damit als ausdrücklich erlaubt und erwünscht
angesehen werden, insofern die gewählten Methoden durch die psychologische
Wissenschaft verifiziert sind, und den Prinzipien einer der vier obig erwähnten
psychologischen Strömungen folgen.
Die Körpertherapie7 kann aus der obigen Liste der zweiten genannten Strömung,
der humanistisch-existentiellen Orientierung zugeordnet werden. Sie bezieht sich seit
ihren akademischen Anfängen in den 1960er Jahren weitgehend auf ein
humanistisch-existentielles Menschenbild und dessen Prinzipien8. In den
körperorientierten Zugängen etabliert haben sich dahingehend u.a. das Bild des
empathischen, unterstützenden, wertschätzenden Begleiters, ein Lösungs-
Wachstums- und Potential-orientiertes Bild der KlientInnen anstelle diese als „Träger
von Störungen“ zu klassifizieren, sowie die Orientierung an den
phänomenologischen Erfahrungen der KlientInnen. Humanistischen Prinzipien
folgend steht der erlebende Klient im Zentrum der Beratungsbeziehung. Diese
Beziehung ist gleichberechtigt, der Klient entscheidet für sich selbst und der Berater
fühlt sich zum empathischen Verstehen im Bezugsrahmen des Klienten verpflichtet.
„Denn der Körper ist der Ort, an dem Erleben stattfindet, der Gefühle und
Stimmungen wahrnehmbar macht, der Wohlsein und Unwohlsein
unterscheidet…“11
Die Körperpsychotherapie bezieht sich theoretisch sowie praktisch immer auch, und
nie ausschließlich, auf den Körper des Menschen und auf das körperliche Erleben
seiner selbst. Sie versteht den Menschen als ein sich in seinem Körper und über seinen
Körper erlebendes Wesen und nutzt das Körpererleben als grundlegende Quelle des
Selbsterlebens. Zur psychologischen Beratung werden dabei je nach
Herangehensweise Prozesse der Körperwahrnehmung, der Körperregulation, des
Körperausdrucks oder der körperlichen Interaktion genutzt. 12
• wahrnehmungs-orientiert / erfahrungsorientiert,
• affektorientiert / energetisch,
• beziehungs-orientiert / analytisch,
• bewegungsorientiert / bewegungs-ausdrucksorientiert13.
9 Vgl. Geuter, S. 5
10 Vgl. Görlitz 2008 S. 18
11 Görlitz 2008 S. 18
12 Vgl. Ebd.
13 Vgl. Ebd. 65
7
Von den genannten Strömungen scheint insbesondere ein vertiefender Blick auf die
wahrnehmungsorientiert / erfahrungsorientierte Ausrichtung interessant. Ebenso
nutzbar können Inhalte der bewegungs-ausdrucksorientierte Verfahren sein. Diese
beziehen sich maßgeblich auf Formen des Tanz- und Bewegungsausdrucks. Die
anderen beiden Strömungen scheinen auf den ersten Blick weniger zugänglich für
die Lebensberatungspraxis. Affektorientierte Verfahren nutzen u.a. körperliche
Manipulation wie Massagen und gezielte Muskelüberdehnung. Körperliche
Manipulation ist einem anderen Gewerbe zuzuordnen als die psychologische
Lebensberatung, Beziehungsorientiert/analytische Verfahren gehen vermehrt auf
frühkindliche Aufarbeitungen ein, die eher in den Bereich der Psychotherapie fallen
als in die Bearbeitung von aktuellen Alltagsproblemen 14.
Im Folgenden wird das erste der 3 Modelle vorgestellte, das „Drei -Ebenen-
Modell“ (Geuter)16. Für das Verständnis in der Praxis kann das stark physiologisch und
neurobiologisch orientierte Modell eine vertiefende Anregung bieten, ist jedoch
nicht so relevant wie die beiden darauffolgenden, einander sehr ähnlichen
Modelle, die in Sprache und Vorstellung näher an Sprache und Konzepten
psychologischer Begleitung liegen. Diese Konzepte sind das 3-gliedrige Modell
menschlichen Erlebens der Integrativen Körperpsychotherapie (Körper, Gefühle,
Kognition), sowie das 4-gliedrige Modell der ganzheitlichen Verhaltenstherapie
(Gedanken, Körper, Verhalten, Gefühle).
Emotionen sind in dem Modell nicht als Dimension neben den anderen erfasst20. Sie
erhalten in diesem Modell einen besonderen Stellenwert.
Insbesondere, aber nicht nur ausschließlich unsere Gefühle finden auf all diesen 3
Ebenen des Bewusstseins statt. Unser gesamtes Erleben verarbeiten wir vegetativ,
muskulär-motorisch und kognitiv, simultan und miteinander verwoben 22 über diese
3 neurobiologisch fundierten23 Ebenen. Für die Gefühlswahrnehmung spielt nach
Ergebnissen der Gehirnforschung vor allem die Interozeption, also die
Innenwahrnehmung körperlicher Prozesse eine wesentliche Rolle.24 Das eben
vorgestellte Modell hebt sich zu den hier folgend vorgestellten Modellen vor allem
dadurch ab, dass es stark physiologisch orientiert ist, und der Emotion einen
übergreifenden Dimensions-Anspruch gibt. Das nächste Modell sieht sie als einen
von 3 Dimensionen.
Die 3 Dimensionen sind in der IBP wie folgt definiert28, wobei die Wichtigkeit der
Wechselwirkungen und Zusammenhänge zwischen den einzelnen Elementen
implizit zu betonen ist und in einer Vertiefung des Modells weiter auszuführen wäre.
Körperliche Dimension des Erlebens: Die Dimension des Körpererlebens in der IBP
bezieht sowohl bewusste und unbewusste Handlungen (Bewegung, Mimik, Gestik,
Körperhaltung), Körperempfindungen (Wahrnehmungen innerhalb des eigenen
Körpers) als auch Verhaltensimpulse (Impuls zu etwas, Impuls von etwas weg) mit
ein. Erwähnung findet insbesondere die beiderseitige Wechselwirkung zwischen
Körpergeschehen und emotionalem Erleben (Knie schlottern vor Angst, gekrümmte
Körperhaltung vertieft negative Emotionen, offene Körperhaltungen können das
Selbstbewusstsein stärken u.a.). Besonders Augenmerk wird auch auf die basale
Notwendigkeit der Körperlichkeit gelegt. „Ohne Körper können wir weder fühlen,
noch denken, noch handeln“29.
Emotionale Dimension des Erlebens: Die emotionale Dimension in der IBP verwendet
bezugnehmend auf Scharfetter30 die Begriffe Emotion, Affekt und Gefühl synonym,
wobei angemerkt wird, dass Affekt allgemeinsprachlich zur Beschreibung impulsiver
Gefühle genutzt wird. Gefühle/Emotionen/Affekte sind Teil des zerebralen
Nervensystems und helfen uns Sinneseindrücke durch die Bewertungen angenehm
/ unangenehm, wichtig / unwichtig zu differenzieren um unsere Reaktion
anzupassen. Sie dienen auch zur Interaktion mit anderen Menschen. Die Emotionale
Dimension bezieht sich auch auf Stimmungen (Gestimmtheit, Befindlichkeit) als
länger dauernde und geringer intensive Emotionsform, die unser Denken und
Handeln über eine gewisse Zeitspanne prägt, während die Emotion einen kürzeren
intensiveren Zeitverlauf hat. Betont wird in der IBP, wie auch bereits bei Geuter, die
enge Verbindung von Körperempfindungen und Emotionen, in der sich jeder Affekt
durch eine typische Kombination von körperlichen Empfindungen ausdrückt.
Kognitive Dimension des Erlebens: Die kognitive Dimension in der IBP bezieht sich auf
die Fähigkeit unseres menschlichen Gehirns, Informationen und Erlebnisse zu
speichern, zu vergleichen, in zeitliche Ordnung zu bringen und Bezüge herzustellen.
Unsere kognitiven Fähigkeiten erlauben uns das Erinnern von Vergangenem, und
die Vorstellung von potentiell positivem wie negativem Zukünftigem. Von unserem
Verstand generierte Bezüge verfestigen sich mit wiederkehrender Bestätigung zu
Glaubenssätzen und starren, pauschalisierenden Überzeugungen, die unser
subjektives Erleben unserer Lebenswelt maßgeblich wie eine Art Filter-Funktion
beeinflussen. Neben Gedanken können auch innere Bilder eine Form des kognitiven
Verarbeitens von situativ Erlebtem oder potentiellen Zukünften sein.
Die Kategorisierung in diese 3 Ebenen des Erlebens hat dabei eine rein didaktische
Funktion um Perspektiven zu strukturieren und die Wahrnehmungs- und
Reaktionsmöglichkeiten für die Beratung erweitern zu können31.
Ebenso wie sich Geuter in seinem Modell für die Integrität von kognitivem,
innerkörperlichem Wahrnehmen und Bewegungs- / Lage-Wahrnehmen ausspricht,
formulieren Kaul und Fischer, „Körpererleben, Emotion und Kognition beeinflussen
einander gegenseitig und können weder getrennt noch hierarchisiert werden“32. Sie
stehen in Wechselbeziehung zueinander und bilden ein interagierendes Ganzes 33
eine funktional untrennbare Einheit34. In dieser Aussage der Integrität und
Interdependenz gleichen die beiden bereits vorgestellten Modelle auch dem nun
folgenden dritten Modell in unserer Übersicht zu Erlebens-Modellen des
menschlichen Seins.
Anstelle einer ausformulierten Definition der 4 Begriffe, erläutert Görlitz deren Inhalte
am Beispiel der Beschreibung eines Klienten37:
• Hilflosigkeit,
• Traurigkeit,
• Angst,
• Unsicherheit,
• Enttäuschung,
• Wut,
• Ärger,
• …
Verhaltensebene / Motorik
Die Differenzierung von Körperlichkeit in die Ebene des Körpers und die des
Verhaltens bei Görlitz könnte verglichen werden mit der Differenzierung zwischen
Innen-Wahrnehmung des Körpers und der Wahrnehmung dessen Bewegung und
Lage wie wir sie im obigen Modell von Geuter finden. Vergleichen wir die hier in Form
einer Klienten-Beschreibung dargestellten Vorgänge von Körper und Verhalten, mit
den in Geuters Modell vorgestellten Definitionen von Innen-Wahrnehmung (Körper)
und Lage-Wahrnehmung (Bewegung), können wir feststellen, dass es sich
kontextuell um ähnliche Bereiche aus einem anderen Blickwinkel handelt.
In der Beschreibung bei Görlitz scheint eine Unschärfe zwischen Verhalten und
Körper vorzuliegen. Ein Vergleich der zur Definition dienenden Klientenzustände bei
Görlitz lässt darauf schließen, dass für die Beratungspraxis die Grenze zwischen den
beiden fließend ist. Auch wenn die Grenzen innerhalb des Modells fließend sein
mögen, kann es uns dennoch, ebenso wie die beiden vorhergehenden, unser
Konzept von Wahrnehmungsebenen der menschlichen Existenz erweitern, in diesem
Fall nämlich die Ebene des Verhaltens, die im vorhergehenden Modell der IBP nicht
so prägnant dargestellt ist, und im 3-Ebenen Modell am ehesten mit dem Lagesinn
zu verbinden wäre. Zusammenfassend bieten die Modelle je 3 Perspektiven, die von
einer Integrität mehrerer körperlicher Wahrnehmungs-Ebenen sprechen, die
sinnvolle Ausgangspunkte für die psychologische Begleitung sein können. Wir fassen
nun zusammen.
Ziel dieses Kapitels war es, einen Überblick zu verschaffen, inwiefern körperliches
Empfinden für phänomenologische, also wahrnehmungsorientierte Arbeit anhand
der Erlebnisse von KlientInnen relevant sind.
Allen 3 Modellen gleich ist, dass sie die verschiedenen Wahrnehmens-Ebenen als
miteinander verschränkt und verbunden beschreiben. Geuters Modell und das
Modell der integrativen Körpertherapie betonen insbesondere die starken
Zusammenhänge von Emotionsempfinden und Körperempfinden, die wir auch bei
Gendlins Focusing, dem wir die folgenden Kapitel widmen, erkennen werden.
16
Eugene Gendlin geht mit seiner Vorstellung menschlichen Erlebens, auf die seine
Arbeit aufbaut, sogar noch einen Schritt weiter, und verbindet die kognitive,
emotionale und körperliche Ebene. Er spricht von einem 6. Sinn sozusagen, der über
innere und äußere Wahrnehmungen aufgenommene und verarbeitete
Informationen situativ / dynamisch zusammenfügt zu etwas, das Gendlin als Felt
Sense bezeichnet. Dieser wird als ein Element des Focusing vorgestellt, dem der
weitere Verlauf dieser Abhandlung gewidmet ist.
17
Ursprünglich suchten sie die Ursache für das Gelingen der Therapie in der
methodischen Vorgehensweise der TherapeutInnen, konnten dabei aber keinen
signifikanten Unterschied feststellen, da sich dahingehend in den beiden Tonband-
Gruppen kein wesentlicher Unterschied zeigte. Als sie ihre Aufmerksamkeit in den
Aufzeichnungen auf die KlientInnen richteten, machten sie die Entdeckung, dass es
einen signifikanten Unterschied in der Ausdrucksweise der KlientInnen gab. Dieser
Unterschied war so markant, dass sie nach dem Erkennen der Merkmale bereits
beim Anhören der ersten oder zweiten Sitzungs-Aufnahme sagen konnten, ob der
weitere Verlauf zum Erfolg geführt hatte.
Korrelierend mit der Erfolgswahrscheinlichkeit der Therapie war die Art und Weise,
wie die Klient*innen sich über sich selbst äußerten. Um persönliche Probleme
erfolgreich lösen zu können, schien es erforderlich, beim Denken und Sprechen über
ein Thema auf unklare wahrnehmbare Empfindungen zugreifen zu können bzw. ein
sich auf das Problem beziehendes unmittelbares körperliches Erleben
wahrzunehmen. Klient*innen, die zur Wahrnehmung dieser Empfindungen in der
Lage waren, profitierten nach den Beobachtungen der Forscher*innen stärker von
der Psychotherapie. Da die Klient*innen mit erfolgreichem Therapieverlauf bereits in
der ersten Tonband-Aufnahme von denen, deren Verlauf nicht erfolgreich war zu
unterscheiden waren, kamen die Forscher zu dem Schluss, dass sie bereits mit einer
Fähigkeit zur Therapie gekommen waren, die den im Rahmen der Therapie
erfolgreichen KlientInnen vorbehalten war.41
Gendlin spricht bei dieser Fähigkeit von <<innerer Beteiligung>>42, und entwickelte
daraus das Konzept des Felt Sense, der körperlich gespürten Bedeutung eines
Problems oder Themas. 43Um Klient*innen helfen zu können, die nicht über diese
Fähigkeit verfügen, den Felt Sense spüren zu können, entwickelte Gendlin ein
Training, um Klient*innen zu unterstützen, ihre Aufmerksamkeit nach innen zu richten,
auf ihr eigenes inneres Erleben zum Thema oder Problem.
Diese direkte Bezugnahme auf die im Augenblick des Sprechens körperlich erlebte
Bedeutung einer Situation oder eines Themas nannte Gendlin „Focusing“. Zuerst
erforschte und lehrte Gendlin „Focusing“ zur Verbesserung der Psychotherapie,
stellte jedoch bald fest, dass Focusing über das therapeutische Setting hinaus u.a.
als Selbsthilfe-Technik bei psychologischen Problemen im Alltag, sowie zur
Entscheidungsfinden und Kreativitäts-Steigerung genutzt werden konnte.44 1978
veröffentlichte er sein erstes Buch zu Focusing, und baute aufgrund der großen
Nachfrage im Folgejahr das Focusing Institute auf, das sich der internationalen
Verbreitung von Focusing widmete45.
Focusing wendet sich zuvorderst an Menschen, die die Fähigkeit für sich selbst
erlernen wollen. Dass die für den Therapieprozess implizit notwendige Focusing
Erfahrung eigenständig, unabhängig von einem therapeutisch begleiteten Setting
für den Selbstgebrauch gelehrt und erlernt werden kann, bezeichnete Gendlin als
kleine Revolution46.
Eugene T. Gendlin wurde für seine Arbeit mehrfach geehrt47. Von der American
Psychological Association wurde er insgesamt viermal ausgezeichnet, u.a. für seine
Entwicklung der Experiential Psychotherapy und seiner Arbeit mit dem Focusing
Institute. In seiner Geburtsstadt Wien wurde ihm der Ehrenpreis des Viktor Frankl-
Fonds der Stadt Wien für sinnorientierte humanistische Psychotherapie verliehen.
„Mit Focusing hat Gendlin … so etwas wie die Quintessenz psychischer Veränderung
entdeckt.“48 „… eine einfache und effektive Methode zu erkennen, was ich wirklich
spüre und wollte (will).“49
44 Vgl.Cornell 201312, S. 15
45 http://www.focusing.org/timeline.asp (abgerufen am 7.3.2018, 14:40)
Gendlin beschreibt Focusing als einen körperlich spürbar ablaufenden Prozess, bei
dem sich aus Körperempfindungen Sinngehalte ergeben.50 „Focusing ist ein
ganzheitliches Geschehen, das Körperempfindungen, Gefühle und Denken
einschließt.“51 Der Prozess basiert auf der Annahme, dass jedes Gefühl und jede
Körperempfindung zu einem Problem einen guten Grund hat, auch wenn man ihn
noch nicht kennt.52 Es ist ein „spezielle(s) Sprechen-Lassen aus dem Körper“ 53, durch
das die eigentliche Bedeutungen eines Problems in deutlich spürbar evidenter
Weise erfahren werden kann. Über den Körper werden Gefühle und Verstand in
einen produktiven Kontakt gebracht.54
Bei allem ist wichtig zu betonen, dass es sich bei Focusing um eine natürliche
Fähigkeit handelt, die Gendlin nicht erfunden, sondern entdeckt hat in seiner
eingangs erwähnten Studie. Focusing ist also eine natürliche menschliche Anlage,
die in der Begleitung unterstützt und für den Selbstgebraucht geschult werden
kann55. Dabei geht es im Kern darum, eine vertrauensvolle Beziehung zum eigenen
Körper aufzubauen. Mit diesem Vertrauen ist nicht vordergründig eine äußerlich
fokussierte Form von Selbstvertrauen gegenüber anderen zu verstehen, sondern ein
Vertrauen in die inneren Gefühle und Wahrnehmungen auf eine innere Weisheit56.
Im Focusing Prozess versuchen wir ein aktuelles Problem nicht gedanklich analytisch
zu erfassen, sondern nehmen über unser Körpergefühl mit dem Felt Sense zu diesem
Problem Kontakt auf. Damit erfassen wir das ganze Problem auf einmal, anstelle es
innerlich zu diskutieren. Anstelle gedanklich analytisch zu suchen, begibt sich die
fokussierende Person in eine empfängliche nach innen spürende Haltung, um mit
dem Felt Sense zu dem Problem Kontakt aufzunehmen. Die empfängliche Haltung
und das bewusste immer wieder den Kontakt suchen zu diesem allgemeinen Gefühl
des Problems sind wesentliche Schlüssel zur Veränderung, wie wir noch im Detail
sehen werden. Das Vorgehen beruht auf der Einsicht, dass unser Verstand nur
schwerlich all die vielen Einzelheiten einer Situation und deren oft subtilen
Zusammenhänge erfassen kann. Sobald das Problem aber als Ganzes erspürt
werden kann, wird es möglich, dem Kern des Problems Schritt für Schritt näher zu
kommen. Jeder dieser Schritte passiert natürlich und entsteht sozusagen im Dialog
zwischen dem Körpergefühl mit den Gedanken und Gefühlen. Immer wenn sich
dabei etwas offenbart tritt ein sogenannter Felt Shift ein. Bei diesem Felt Shift oder
Body Shift stellt sich eine Stimmigkeit ein. Ein merkbarer „das ist es“ Moment passiert,
der das Körpergefühl und den Felt Sense verändert, und wieder Ausgangspunkt sein
kann für den nächsten Schritt. Diese merkbare Veränderung kann nur subtil sein, und
einen Schritt im Prozess markieren, oder ein mit großer Erleichterung verbundenes
Selbsterfahren dem Problem auf seinen Grund gekommen zu sein. Man erlebt, wie
es sich körperlich plötzlich ganz anders anfühlt. Eine innere Anspannung löst sich, als
Folge davon, durch Focusing dem Problem einen Schritt näher gekommen zu sein.
Das Problem fühlt sich dann anders und besser als zuvor an. Der Felt Sense zu diesem
Problem, also die körperliche Wahrnehmung zu dem Problem, und damit das
Problem selbst haben sich verändert. Die Person selbst hat sich in Bezug auf dieses
Problem verändert. Das Problem zu lösen ist dabei ein tieferer Schritt, als es kognitiv
zu verstehen. Deshalb ist auch der Lösungsvorgang weniger Sprach-orientiert als
daraufhin orientiert, innere Spannung zu lösen.57
Im Prozess wird unmittelbar auf das Gefühl oder Gespür zu einer Situation Bezug
genommen. Die Begleitung des Prozesses erinnert dabei an die Begleitung eines
Dialogs. Das Gespür, der Felt Sense kann dabei als Dialogpartner der KlientInnen
angesehen werden, dem wie in einem echten Dialog auch Zeit zur eigenen, aus
eben diesem Dialogpartner, kommenden Antwort gegeben wird.59 Cornell
vergleicht die notwendige Geduld und das Nichtwissen im Erspüren des Felt Sense
mit dem Reiz einer Schatzsuche, und verborgener Weisheit, die langsam ans Licht
gebracht werden mag.60
„Ein Felt Sense ist keine geistige, sondern eine physische Erfahrung, ein
körperliches Wahrnehmen einer Situation, einer Person oder eines Ereignisses.
Eine innere Aura, die alles umfaßt, was sie zu einem bestimmten Gegenstand
zu einer bestimmten Zeit fühlen und wissen. Sie umfaßt es und teilt es Ihnen
mit, und zwar nicht in Einzelheiten, sondern als Gesamteindruck. … Ein Felt
Sense tritt nicht in Form von Worten, Gedanken oder anderen getrennten
Einheiten auf, sondern als umfassendes (wenn auch oft verwirrendes und
komplexes) körperliches Gefühl. Da sich ein Felt Sense nicht in Worten mitteilt,
läßt er sich auch nicht leicht in Worte fassen.“61 „Er ist die körperlich gespürte
Bedeutung eines Problems oder Themas.“62
Gendlin erläutert den Felt Sense u.a. am Beispiel der Wahrnehmung zu einer Person.
Es gibt eine Unzahl von möglichen Daten zu dieser Person, die wir dabei
berücksichtigen könnten (Größe, Haarfarbe, Alter, Augenfarbe, Gewicht, was
wissen wir von der Person, wie haben wir mit ihr bisher interagiert, woher kennen wir
uns, was verbindet uns…). Wenn wir an diese Person denken, dann laufen nicht all
diese Daten durch unser Bewusstsein, sondern es stellt sich ein gewisses ganz eigenes
Körpergefühl für jede Person ein (das sich je Situation mit dieser Person sowie in
Konstellation mit weiteren Personen verändert).63 Insbesondere bei Vergleichen,
59 Vgl. Gendlin und Schoch 20087, S.9, Vorwort von Feuerstein und Müller
60 Vgl. Cornell 201312, S. 37
61 Gendlin und Schoch 20087, S. 54
62 Ebd. S. 30
63 Vgl. Ebd. S. 57
23
Dieses Gefühl, oder Gefühle sind aber in erster Linie nicht „Freude“, „Trauer“ oder
andere Emotionen, sondern ein nicht unmittelbar zu definierendes Körpergefühl. Im
Vergleich zur oft klaren und scharfen, definierbaren Emotion „Ärger“, „Freude“,
„Angst“, ist der Felt Sense viel komplexer und schwerer in Worte zu fassen.64 Er enthält
emotionale Bestandteile genauso wie sachliche Komponenten 65, und konstruiert
sich aus der Sammlung aller zu dem Zeitpunkt bestehenden Eindrücke. Der Körper
liefert <<alles über Person X>> (insbesondere mit nahestehenden Personen
funktioniert es sehr gut) in einer einzigen großen reichen, komplexen Empfindung,
einem einzigen Felt Sense., anstelle die kognitive Anstrengung und den zeitlichen
Aufwand auf sich zu nehmen, alle vorhandenen Informationen kognitiv linear
aufzurufen. 66
Die im obig erwähnten Integrationsmodell kurz vorgestellte IBP definiert den Felt
Sense als „Über die Wahrnehmung von eigenen Gefühlen und
Körperempfindungen erlebte, gespürte Bedeutung der Hier-und-jetzt-Erfahrung.“67
Der Felt Sense ist etwas amorphes, dynamisches, das jeweils situativ betrachtet
werden kann und sich durch diese Betrachtung auch verändert, was der bewussten
Betrachtung durch Focusing seine maßgebliche Qualität gibt. Wenn ein Felt Sense
auftaucht, weiß die Fokussierende unter Umständen nicht, wie sie ihn zunächst
nennen soll und was er ist. Es ist wichtig, das zuzulassen. Man kann es als Lernprozess
verstehen, zu lernen, sich über dieses Nichtwissen ausgesprochen zu freuen und
gespannt zu sein auf die Teile des Erlebens, die noch unbekannt erscheinen. Dabei
ist es wichtig in die Weisheit dieses Unklaren, vagen, verschwommenen, das
zunächst schwer zu beschreiben ist, zu vertrauen.
Intuition könnten eine Bezeichnung sein, die dem Felt Sense sehr nahekommt, und
zugleich zu leicht dazu verleitet, den Felt Sense als etwas bereits Bekanntes einzu-
ordnen69 und nicht seine ganz nahe am Körpererleben und am stillen Bewussten in
sich selbst hinspüren und hinhören, angesiedelte Qualität zu erkennen. Ein Felt Sense,
bzw. Felt Senses können in jedem Körperteil entstehen. Im Allgemeinen sind sie aber
in der Körpermitte am klarsten. Dort kann man auch am einfachsten damit arbeiten:
im gesamten Hals-, Brust- und Bauchraum.70
Wenn wir einen Body Shift mit Worten erfassen wollen, dann sind folgende bekannte
Ausdrücke möglicherweise treffend, „Eureka“ - „mir ist der Knopf aufgegangen“ –
„Aha“, wobei die körperliche Wahrnehmung zu den Äußerungen im Mittelpunkt
stehen. Der Focusing Prozess läuft in Schritten ab, und führt zu eindeutig spürbaren
psychischen Veränderungen, einhergehend mit einer körperlichen Entspannung,
Erleichterung oder Entkrampfung.71 Um dieses Gefühl der innerlichen Entkrampfung
zu benennen, entwickelte Gendlin die Bezeichnungen <<Felt Shift>> oder <<Body
Shift>>72. Die Benennung dieser spürbaren inneren Bewegung als Body Shift deutet
dabei an, dass es sich nicht um ein geistiges Phänomen, sondern eine körperlich
spürbare Veränderung handelt.
68 Cornell 201312, S. 37
69 Vgl. Wiltschko 2008, S. 15f
70 Cornell 201312, S. 45
71 Vgl. Gendlin und Schoch 20087, S. 13, Vorwort von Widl-Missongs
72 Ebd. S. 61
25
Diese klar wahrnehmbare körperliche Entspannung und Erleichterung sind der Test
dafür, ob Focusing, also das zugreifen auf themenbezogenen Körperempfindungen
zur Lösung psychischer Herausforderungen, tatsächlich stattfindet. 73 Ganz
unterschiedlich nach Person stellt sich das neue entspanntere, entkrampfte,
wohligere Gefühl in der zuvor gespürten Körperregion, oder im ganzen Körper ein.74
Aus der Erklärung, ohne es selbst erlebt zu haben, erscheint der Body Shift oder Felt
Shift möglicherweise nicht gleich verständlich. Sobald man das Gefühl einmal selbst
bewusst wahrgenommen hat, wie der Autor dieser Abhandlung aus eigener
körperlicher Erfahrung berichten kann, ist sofort klar, worum es geht. „Es ist ein
bestimmtes, physisches Gefühl der Veränderung, das Sie immer wieder erkennen
werden, sobald Sie es einmal erlebt haben.“75 Gendlin vergleicht es mit der
jedermann vertrauten Erfahrung, schon den ganzen Tag ein unbestimmtes Gefühl
zu haben, etwas vergessen zu haben, und plötzlich die Einsicht zu bekommen, was
es ist. Ein anderes Beispiel ist, wenn wir etwas verlegt haben, und doch irgendwo
erahnen, wo es ist, und in einem Moment „Aha, ja, da ist es“ klar wird, wo es ist. 76
Eine Beschreibung für das physische Gefühl der Entspannung ist das Ausatmen nach
längerem Anhalten der Luft. Wir können im Selbstversuch klar spüren, wie der Druck
von unserer Brust, und die Anspannung aus dem Körper weicht. Je nach Person und
Thema kann sich das ganz unterschiedlich anfühlen, in jedem Fall ist es eine positive,
angenehme, erleichternde Erfahrung. Einhergehend mit dieser physischen
Erfahrung kommt mit einem erfolgreichen Focusing-Schritt in der Regel auch ein
tieferes Verständnis des Problems. In Worten und Gefühlen offenbart sich das Thema
aus einer bisher nicht wahrgenommenen Sichtweise. Dabei wird oft klar, dass die
Wurzel des Problems an anderer Stelle liegt, als zuerst gedacht. 77
„Die Bedeutung, die der Körper in sich birgt, ist manchmal an eine Erinnerung,
eine Überzeugung oder, ein unbefriedigtes Bedürfnis oder einen von uns
unausgedrückten Teil von uns gekoppelt. Wir müssen das Problem nicht
<<lösen>>. Die Botschaft zur Kenntnis nehmen, sie wirklich anzuhören, das
allein bringt eine tiefe Erleichterung.“78
Der Focusing Prozess erfolgt in kleineren und größeren Schritten bzw. Body Shifts. Ein
Shift geht dabei oft einher mit einem Moment der Stimmigkeit, wo klar innerlich
fühlbar das Körpergefühl zu Gedanken oder Gefühlen passt, die zuvor nicht bewusst
zugreifbar waren. Mit dieser „Aha, das ist es“ Stimmigkeit, verändert sich auch
wieder das dazugehörige Körpergefühl. Die Sicht und Wahrnehmung zu dem
Problem hat sich damit verändert. Dabei kann es sich um einen maßgeblichen
Schritt handeln, der sofort an die Wurzel des Problems gelangt, und das Problem
vollends entspannt, oder um kleine Veränderungsschritte. Der Prozess schreitet oft in
Schritten kleiner Erkenntnisse voran. Wichtig ist, dass sich dabei jede einzelne richtig
anfühlt und im Körper bemerkbar macht.79 Ein Body Shift verändert den Felt Sense
zum Thema, wobei die Veränderung maßgeblich im Körper stattfindet, nicht im
Kopf. 80 Dieser neue Felt Sense kann nun Ausgangspunkt für eine weitere Vertiefung
oder eine weitere Sitzung in einem längeren Prozess sein, je nachdem wie sehr das
Ausmaß der eingetretenen Erleichterung und der „Aha“ Effekt sich eingestellt
haben.
78 Cornell 201312, S. 25
79 Ebd.
80 Vgl. Gendlin und Schoch 20087, S. 91
27
1. Freiraum schaffen
2. Einen Felt Sense kommen lassen
3. Den Felt Sense beschreiben: Einen „Griff“ finden
4. Vergleichen
5. Fragen
6. Annehmen und schützen
Dieser idealtypische Prozess ist in der Praxis, insbesondere bei Menschen mit gutem
Körpergefühl nicht so mechanisch abgrenzbar. Die Schritte gehen dabei ineinander
über.81
Zu 1. Freiraum schaffen
Der erste Schritt besteht darin Raum für den Kontakt mit dem Felt Sense zu schaffen.
Die aktuellen Probleme werden dabei an einen imaginären Rand des Raumes
geschoben und aufgestapelt, ganz wie das Aufstapeln von Umzugskisten in einem
überfüllten und unordentlichen Raum, in dem nicht einmal Platz ist, sich entspannt
zu setzen. Die Dinge werden zur Seite geschoben, um einen Platz für sich selbst zu
schaffen. Die Probleme sind dadurch nicht weg, aber zumindest ein Platz für sich
selbst ist dadurch geschaffen.83 Dieser Prozess kann in einer möglichen Variante so
lange gestaltet werden, dass ein erstes Gefühl der Entspannung „Ja, davon
abgesehen fühle ich mich gut.“84 eintritt. Nach diesem Freiraum schaffenden Schritt
kann die Frage folgen, welches das Schlimmste der Probleme ist „Welches ist das
Schlimmste?“85 Sollte damit eine Spirale der Selbstkritik, verbalisierten Verzweiflung,
oder kognitiven Analyse beginnen, ist es wichtig, diese freundlich zu unterbrechen
und einzuladen, „Gehen Sie doch mal mit der Aufmerksamkeit in ihr Inneres … und
sehen Sie nach, was das Schlimmste von allem ist. Bleiben sie eine Weile ruhig.
Versuchen Sie, das Gefühl von alledem zu erfassen.“86 Dies sollte nun die zweite
Bewegung des Focusing einleiten.
In der Zweiten Bewegung nimmt die Klient*in Kontakt auf mit dem Gefühl zum
Problem. Dabei kann es zu Beginn oft zur Blockade des nicht „hineinkommens“87
kommen, in dem die/der KlientIn noch keinen Zugang zu gefühlsbezogenen oder
impliziten Körperwahrnehmungen hat. Fragen, die unterstützen können, zum Felt
Sense eines Problems vorzudringen sind z.B. „Wie fühlt sich das an?“, „Wo im Körper
spürten Sie das?“, oder die Frage-Kombination: „Gibt es ein Gefühl zu dem
Problem? … Wo im Körper spüren sie dieses Gefühl?“. Sollte eine innere Diskussion
zum Problem beginnen, kann die Frage „Wie fühlt sich das Problem als Ganzes
an?“ unterstützen.88 Zwei wesentliche Aspekte in der Arbeit mit dem Felt Sense sind
die Fokus-Verschiebung von kognitiven Antworten auf die Problem-Ergründungs-
Frage hin zum impliziten Körpergefühl des Problems, sowie die notwenige Geduld,
diesem Felt Sense Raum zu geben. Der Felt Sense ist wie ein scheues Tier. Er kann
nicht gezwungen werden etwas zu tun, zu dem er nicht freiwillig bereit ist und kann
nicht bewegt werden sich zu verändern oder etwas zu verraten, wenn es nicht von
selbst von innen heraus kommt.89
„Wir bemühen uns nicht, ein Gefühl zu finden oder irgend etwas
herbeizuführen, sondern wir laden etwas ein, sich spüren zu lassen, indem wir
eine sanfte, offene Frage stellen, zum Beispiel <<Was verlangt denn jetzt nach
meiner Aufmerksamkeit?>>“90
Sobald ein Felt Sense, also ein Körpergefühl zum Problem auftaucht, gilt es dieses
zunächst oft unbestimmte Gefühl anzunehmen und wertzuschätzen, ohne mit dem
Verstand zu versuchen es zu definieren oder zu ergründen.91 Dieses dabei bleiben
und annehmen ist wichtig, um im weiteren Verlauf der Exploration Antworten aus
diesem Felt Sense entstehen lassen zu können.
Sobald der Felt Sense fühlbar ist, aber noch nicht verbalisiert beschrieben werden
kann, gilt es ein Wort (beispielsweise ein Eigenschaftswort), einen Satz oder ein Bild
zu finden, das zu dem Gefühl des Felt Sense passt. Auf der Suche nach dieser
Verbalisierung ist es wichtig, das zu Findende auch wirklich aus dem Gefühl heraus
entstehen zu lassen, anstelle es rational analytisch herbeiführen zu wollen. Geduld
und das bewusste Bleiben bei dem Gefühl, bzw. immer wieder dazu zurückkehren
ist der Kern dieses, sowie der folgenden Prozess-Schritte. „Wenn der Felt Sense nicht
sogleich reagiert, macht das gar nichts. Bleiben Sie ein paar Minuten innerlich bei
ihm.“92
Wenn ein Wort oder Bild gefunden ist, dann bezeichnet das Gendlin als einen
<<Griff>>93, durch dessen Aussprechen oder vorstellen es zu einer nur kleinen oder
auch größeren, jedenfalls merkbaren Entspannung oder Lockerung im Körper
kommt, womit sich der Felt Sense wiederum verändert. Tritt keinerlei körperliche
Entspannung oder Lockerung ein, so ist dieser Griff noch nicht gefunden. Wenn er
gefunden ist, vergleicht Gendlin damit, wie wenn man beim Versteckspiel die
90 Cornell 201312, S. 23
91 Vgl. Cornell 201312, S. 23
92 Gendlin und Schoch 20087, S. 81
93 Vgl. Gendlin und Schoch 20087, S. 77f
30
Suchende Person ist, und jemanden findet, oder wenn ein verlegter Gegenstand
gefunden wird. Gewöhnlich ist der erste Griff, also die erste stimmige Bezeichnung
oder das Bild, nur mit einer geringen körperlichen Erleichterung, also nur einem
kleine Shift verbunden, weshalb es wichtig ist, achtsam zu sein, um es womöglich
nicht zu verpassen. Von diesem Griff kann nun die Exploration in einem Weitertasten
und Erspüren der Stimmigkeit mit mehr oder weniger laut oder leise auftauchenden
weiteren Begriffen und Bildern im Vergleich zum Gefühl des Felt Sense erfolgen.
Wichtig ist es, im Prozess immer wieder den Felt Sense zu spüren, also immer wieder
von Gedanken, Emotionen und Verbalisierungen zurückzugehen zum eigentlichen
im Körper wahrgenommenen Felt Sense.94 Wir pendeln zwischen dem Felt Sense und
einer möglichen kognitiven Beschreibung / Bezeichnung hin und her. Wenn sie gut
übereinstimmen, dann ist das körperlich als wohliges Gefühl der Stimmigkeit „Ja, das
ist es…“ spürbar. 95 Mit dieser Spürbarkeit verändert sich auch wieder der Felt Sense
dazu. Diese Veränderung ist der bereits beschriebene Body Shift96. Wichtig ist es
diesen auch auszukosten, und ihm Raum zu geben, bevor die nächste Bewegung
eingeleitet wird. Mit jeder Veränderung des Felt Sense verändert sich auch das
Problem. Nur Antworten, die aus dem direkten Kontakt mit dem Felt Sense kommen,
bewirken diese Veränderung. „Es ist ein großer Unterschied, ob Sie einem Gefühl
Worte oder Bilder aufzwingen, oder ob Sie die Worte oder Bilder aus dem Gefühl
kommen lassen.“97 Antworten aus dem Kopf sind oft daran erkennbar, dass sie sehr
rasch kommen, wenn der Geist sich einmischt und keinen Raum mehr lässt für
direkten Kontakt mit dem Felt Sense. In diesem Fall ist es wichtig, darauf zu vertrauen,
die Gedanken vorüberziehen zu lassen und in Kontakt zu gehen mit dem Felt Sense,
über den Griff, der bereits gefunden wurde98.
Zu 5. Fragen
Sollte bereits im 4. Schritt eine maßgebliche Veränderung des Felt Sense, also ein
Body Shift eingetreten sein, dann kann der folgende, durch Fragen unterstützende
Schritt entfallen, und direkt zur 6. Bewegung übergegangen werden. Beim stellen
<<offener Fragen>> im Focusing wird bewusst darauf verzichtet, die Frage durch
einen Denkprozess zu beantworten99.
„Wir haben es nicht eilig. Wir schaffen eine innere Atmosphäre ohne Druck,
indem wir einfach bei dem bleiben, was da ist. Dann stellen wir
unaufdringliche Fragen, um die Beziehung einzuladen, uns mehr zu
erzählen.“100
„Dem Felt Sense eine Frage stellen ist wie einem anderen Menschen eine Frage
stellen. Sie stellen die Frage, dann warten Sie.“101 In diesem Dialog ist es wichtig, den
Fragen Zeit zum Wirken zu geben, und immer wieder, z.B. über den Griff aus der 3.
Bewegung, zum Felt Sense zurückzukehren102. Mögliche Fragetechniken können
dabei sein z.B. beim Griff „nervös“: „Was an diesem Problem macht mich so
nervös?“, „Was ist das Schlimmste daran?“, „Was ist das Nervöseste daran?“, oder
Was benötigt der Felt Sense (bzw. was bräuchte es), damit ich mich gut fühle?“
All diese Fragen brauchen Raum, den unklaren Felt Sense zu spüren, um konkrete
Antworten daraus kommen zu lassen. Sollten keine Antworten kommen, und der
Prozess sich anstrengend anfühlen, dann sollte der Prozess für einen Moment, oder
die Sitzung beendet werden, Focusing soll sich angenehm anfühlen, und keine
Arbeit sein.103
Focusing ist vor allem ein Prozess des Annehmens und Wertschätzens. Jeder
Veränderung, jede Erkenntnis aus dem Felt Sense heraus gilt es als Geschenk
anzuerkennen. Gewonnene Erkenntnisse können dabei klein oder groß sein. Jede
Wertschätzung ist eine Einladung für weitere Erkenntnisse104.
Abgesehen von zeitlichen Rahmenbedingungen im Außen, ist die Reaktion aus dem
Körper maßgeblich, ob es Zeit ist aufzuhören, oder ob es günstig ist einen weiteren
Schritt zu tun, im Spüren des aktuellen Felt Sense ein wenig zu verweilen, oder einen
Abschluss zu finden.106
Am Ende einer erfolgreichen Sitzung, wenn der Body Shift, Felt Shift, oder eine
tiefgehende Erkenntnis gefunden wurde, aber sozusagen keine logisch
nachvollziehbare Lösung, kann es passieren, dass ein innerlicher Wunsch auftaucht,
„es abzuschließen“, „nun eine Lösung zu finden“, oder „und was mach ich jetzt?“.
In solchem Fall ist es wichtig, einzuladen, das entspannte Gefühl der Erkenntnis zu
genießen und auszukosten, und einen kognitiven, fragenden, lösungssuchenden
Gedanken für diesen Moment sanft, aber bestimmt beiseite zu stellen, um wieder in
den entspannten Körper einzutauchen, der sich eben seine Entspannung verdient
hat.107
Oft ist es nicht möglich, ein bestimmtes Problem in einer Sitzung vollständig zu lösen,
und viele Schritte und Focusing Prozesse sind nötig, um dem Kern des Problems zu
ergründen und Erleichterung zu gewinnen. „Ein Schritt liegt immer dann vor, wenn
der Felt Sense sich, und sei es auch nur geringfügig, verändert.“109 Dabei ist wichtig
zu verstehen, dass bereits jede kleine spürbare Veränderung, jeder Body Shift, den
Ausgangspunkt für einen weiteren Focusing Prozess oder eine Bewegung innerhalb
einer Sitzung, oder auch darüber hinaus bieten kann. Der Felt Sense von dem jeweils
in den Focusing Prozess eingestiegen wird, ist dabei immer der aktuell tatsächlich
gefühlte110, und nicht der vom Beginn der Sitzung, oder von der letzten Sitzung,
sondern immer der aktuell im Körper wahrgenommene.
Focusing begleiten
Professionelle Begleitung ist bei Focusing nicht zwingend notwendig. Die Technik
kann nach dem Erlernen allein, oder mit einer befreundeten Person, die die Technik
kennt durchgeführt werden.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass Focusing als Selbsthilfe zur Lösung persönlicher
Probleme ist, wenn eine andere Person begleitend unterstützt. Gendlin schlägt in
seinem Buch eine sog. Focusing Partnerschaft vor, in der Laien einander im Focusing
begleiten. Dabei ist nicht vorgesehen, dass diese Personen Freunde oder Familien-
Mitglieder sind, um Verstrickungen im Alltag zu vermeiden.111
Ein wichtiges Augenmerk ist auf die Ausdrucksweise beim Begleiten zu legen112, und
insbesondere, dem Prozess nicht durch zu viel Engagement in der Begleitung im
Weg zu stehen113, und die Rolle auf die Begleitung der Klientinnen in Ihrem eigenen
Prozess zu legen, anstelle das Probleme für die andere Person lösen zu wollen.114
Die Begleitung liegt in einer Unterstützung des Dialogs zwischen KlientIn und Felt
Sense. Dies passiert insbesondere durch ein Vorschlagen von Fragen, die der Klient
an den Felt Sense stellen kann, oder durch Fragen an die Klientin. Die begleitende
Person tritt nicht direkt mit dem Felt Sense in Dialog. Der Dialog (verbalisiert oder
nicht) findet nur im Klienten statt. 115
Auch für Focusing-erfahrene Personen kann es sehr unterstützend sein, wenn ein
anderer Mensch in ihrem Prozess zugegen ist.117
Problem-Trance dissoziieren
Beim Eintauchen in den Felt Sense kann sich eine Problemtrance, oder
überbordende Gefühle kommen, die in einer Identifizierung mit der gefühlten
Wahrnehmung überfordernd sein können. Dabei ist die Perspektive hilfreich, die
Probleme vor sich sehen zu können, und nur in einen Teil-Aspekt einzutauchen (wie
in der ersten Bewegung, dem Freiraum schaffen), oder das Gefühl im Körper einem
Anteil des Selbst zuzuordnen, z.B.: „Ein Teil von Ihnen ist nervös, wie fühlt sich dieser
Teil an?“118
Ja ist richtig, nein ist richtig
Im Dialog zwischen kognitiven Suchbewegungen, und dem Felt Sense ist jede
Bewegung wertvoll. Selbst wenn im Vergleich mit angebotenen Worten, diese
abgelehnt werden, oder nicht ganz stimmig sind, so ist das als klares Zeichen zu
sehen, dass implizit etwas da ist, das richtig ist, und der Körper damit weiß, dass der
abgelehnte Begriff falsch ist.119 Der Körper weiß damit, in welche Richtung er gehen
muss.
Anerkennung und Wertschätzung für das was aus dem eigenen Körpergefühl
entsteht, ist die Ausgangsbasis für die gelingende Entwicklung, die der Prozess
ermöglichen kann. Das wertschätzende Ruhen und in sich zuhörend sein ist der
Schlüssel dafür. Deshalb ist es wichtig, auch nicht willkommene, oder vorerst
verwirrende Erkenntnisse anzunehmen, und wertzuschätzen.120 Sollten Worte im Weg
stehen, und immer wieder eine innere Diskussion beginnen, kann die Frage „Wie fühlt
sich das gesamte Problem an?“, oder „Wie würde sich eine Person fühlen, die dieses
Problem hätte?“ helfen.121
• Focusing ist kein Selbstgespräch, in dem Gedanken mit sich selbst, oder An-
teilen von sich selbst ausgetauscht werden. Im Dialog des Focusing verzichtet
der Fragende bewusst darauf sich selbst eine Antwort zu geben, sondern öff-
net den Raum für eine tiefergehende Antwort aus dem Felt Sense entstehend.
• Focusing ist kein analytischer Prozess, es wird sozusagen nicht versucht, ratio-
nal Antworten, bzw. Lösungen zu gestellten Problemen zu finden. Statt zu ver-
suchen, das Problem analytisch zu diskutieren, also in seine Bestandteile zu
zerlegen, um deren Mechanik zu verstehen, nimmt der/die Fokussierende
Kontakt mit dem Problem in seiner Gesamtheit, ausgedrückt über den Felt
Sense auf.124
• Focusing ist kein Fokussieren auf ein rein körperliches Gefühl. Der Felt Sense ist
ein Körpergefühl mit einer Bedeutung dahinter. Er ist die körperliche Empfin-
dung z.B. eines Problems, einer Sorge oder einer bestimmten Situation. Körper-
empfindungen, die rein körperlich scheinen (ein Mückenstich, Völlegefühl
vom Essen, leichte Erkältung, etc. …) sind dabei nicht im Fokus, sofern sie nicht
relevant sind für die Frage des Themas der Klientin, des Klienten, bzw. die
Frage, was für sie/ihn gerade wichtig ist im Leben.125
• Focusing ist kein Baden in überwältigenden Gefühlen. Wenn ein unangeneh-
mes Gefühl immer wieder auftaucht, oder zu überwältigen scheint, hat es kei-
nen Sinn, darin voll einzutauchen. Begriffe, bzw. im weiteren Text erläuterte
<<Griffe>>, die zu dem Gefühl auftauchen, erlauben es, in einzelne Aspekte
des Gesamtgefühls weiter vorzudringen, ohne von der Gesamtheit überfor-
dert zu werden.126 Ebenso können Fragetechniken unterstützen, dem Gefühl
Erleichterung zu verschaffen127. Prinzipiell steht im Mittelpunkt des Prozesses,
dass die Klient*innen die volle Erlaubnis, und das jedem Menschen gegebene
Recht haben, sich wohl zu fühlen.
Wie bereits erwähnt, hat Eugene Gendlin Focusing nicht erfunden, sondern
methodisch differenziert erfasst und lehrbar gemacht. Da dieser Prozess eine
natürliche Veranlagung des Menschen ist, findet er sich auch in anderen Formen
und Schulen wieder. Sabine Ecker beschreibt beispielsweise in „Zuhause im eigenen
Körper“ (2015) einen ähnlichen Prozess, den ich in meiner Coaching-Ausbildung
gelernt und erfahren, sowie in der Praxis, und ursächlich für das Interesse an dieser
Arbeit einsetze: Gefühle wahrnehmen ohne zu bewerten128
1. Welches Gefühl spüren Sie genau? Finden Sie die Bezeichnung, die am
detailliertesten passt.
2. Wo im Körper spüren Sie das Gefühl am deutlichsten?
3. Wie fühlt es sich genau an?
4. Nehmen Sie es einfach zur Kenntnis, ohne es zu bewerten?
5. Nehmen Sie wahr, welcher Handlungsimpuls in dem Gefühl steckt: Ich würde
am liebsten…
Der 5. Schritt würde in der bisherig von mir persönlich praktizierten Form nicht zur
Anwendung kommen. Stattdessen leite ich Klient*innen meist an, das Gefühl
einzuladen sich zu verändern, und diese Veränderung zu begleiten. Farbe, Form,
Rhythmus, Ton des Gefühls verändern sich zumeist zu einem wohligen Gefühl,
gefolgt von Klarheit und innerer Ruhe. Ebenso wie in diesen beiden Formen kann die
Einladung „Wie fühlt sich das in Ihrem Körper an?“, „Was spüren Sie dabei im
Körper?129, sowie „Wo im Körper spüren Sie das?“130, den Ausgangspunkt für viele
verschiedene Zugänge bieten, die mit einer ähnlichen, im Focusing sehr gut
dargestellten Mechanik bewusst oder unbewusst arbeiten, um Klient*innen in
persönlichen Problemlösungs- und Entwicklungs-Prozessen zu begleiten.
6 Schlussfolgerungen
Arbeit mit Körper und Körperwahrnehmung ist ein zulässiger und erwünschter
Bestandteil der Lebensberatung, sofern die im 1. Abschnitt dieser Arbeit
besprochenen Kriterien erfüllt sind.
Focusing ist eine gut entwickelte, in der Literatur vielfach zitierte, viel beforschte, und
methodisch ausgereifte Form der wahrnehmungsorientierten psychologischen
Begleitung. Insbesondere ergeben sich aus den bisherigen Erkenntnissen zu Focusing
3 Anwendungsformen:
1. In einfachen Formen lässt sich der Prozess, ebenso wie Focusing ähnliche
Methoden als Intervention innerhalb eines Sitzungsverlaufs einsetzen bei
Menschen, die von sich aus unklare Gefühle, oder Gefühle im Körper
ansprechen.
2. Um den gesamten Begleitungs-Verlauf focusing-orientiert zu gestalten, sind
weitere Aus- und Fortbildungen nötig, um einen qualitätvollen, sicheren Raum
zu ermöglichen, der verschiedenartige Prozesse und Bedürfnisse halten kann,
um insbesondere mit unerwarteten Situationen und Komplikationen im Prozess
umgehen zu können.
3. Mit eben entsprechender Weiterbildung kann Focusing auch als Selbsthilfe-
Methode zur Eigen-Anwendung unterrichtet und geschult werden.
7 Persönliches Resumee
Die vorliegende Abhandlung kann nur eine erste Einführung in die möglichen
Zugänge von Focusing bieten. Der idealtypische Ablauf eines Focusing-Prozesses ist
durch vielfältige Abwandlungen, Feinheiten und Interventionen angereichert, die
Focusing Begleiter in ihren Prozessen anwenden. Diese gut dokumentierten Prozesse
aufzuarbeiten kann Inhalt weiterer Arbeitens sein.
40
Cornell 201312
Ann Weiser Cornell: Focusing. 12. Aufl., Dt. Erstausg. Reinbek bei Hamburg 2013.
Ecker 2015
Sabine Ecker: Zuhause im eigenen Körper. 1. Aufl. Weinheim 2015.
Geuter 2015
Ulfried Geuter: Körperpsychotherapie. Berlin 2015.
Görlitz 20085
Gudrun Görlitz: Körper und Gefühl in der Psychotherapie. 5., durchges. Aufl.
Stuttgart 20085
Scharfetter 20025
Christian Scharfetter: Allgemeine Psychopathologie: Eine Einführung Taschenbuch
5., neubearb. Aufl. 2002
Wienands 20132
András Wienands: Einführung in die körperorientierte systemische Therapie. 2.,
unveränd. Aufl. Heidelberg 2013.
Wiltschko 2008
Johannes Wiltschko (Hrsg.): Focusing und Philosophie. Wien 2008.
10 Abbildungsverzeichnis
11 Internet-Verzeichnis
12 Abstract
Die Arbeit mit dem Titel „Körperempfinden, insbesondere Focusing nach Eugene T.
Gendlin als Beitrag in der Lebensberatung“ widmet sich der Frage, inwiefern
körperorientierte Beratungsmethoden im Rahmen der Lebensberatung zulässig sind,
und welche Strömungen aus dem Bereich der Körperpsychotherapie sich für die
psychologische Lebensberatung eignen. Weiter vertiefend widmet sie sich anhand
der Vorstellung von 3 Wahrnehmungs-Modellen der Frage, inwiefern
Körperwahrnehmung relevant für klientenzentrierte wahrnehmungsorientierte
Begleitung sein kann, um sich im weiteren Verlauf in eine Methode der
körperwahrnehmungsorientierten Begleitung zu vertiefen. Diese Methode Focusing
nach Eugene T. Gendlin wird vertieft in Kern-Konzepten und Anwendungsverlauf
vorgestellt, und auf möglichen Gebrauch in der Lebensberatung hin untersucht.