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Einführung in die
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systemische Beratungsarbeit
ob
Pr
1371
Trägergesellschaft des Ausbildungsinstitutes ist die
© Dieser Studienbrief wurde von Fachautoren/-innen speziell für die Institute der
BA Bergische Akademie für Erwachsenenbildung GmbH geschrieben. Die BA
Bergische Akademie für Erwachsenenbildung GmbH behält sich alle Rechte da-
ran, eingeschlossen das Recht der Übersetzung in fremde Sprachen, vor.
Gliederung
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Einführung in die systemische Beratungsarbeit 1371
Hinweis:
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit der Texte wird auf die gleichzeitige
Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche
Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht. Die
inhaltliche Darstellung bleibt davon unberührt, d. h. Forschungsergebnisse,
Studien usw. werden genderdifferenziert dargestellt.
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Einführung in die systemische Beratungsarbeit 1371
An einem Beispiel:
Ein Kind bekommt regelmäßig Fieber, sobald die Familie in Urlaub fahren
möchte. Der systemische Blick wäre dann nicht einseitig auf das Kind und sein
Symptom gerichtet, sondern darauf, was eigentlich das Symptom für das
Funktionieren der Familie sicherstellt. Also wozu und in welcher Weise dient
die Erkrankung des Kindes dem Familiensystem, welche verhindert, dass die
Familie in Urlaub fahren kann.
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Einführung in die systemische Beratungsarbeit 1371
Im Unterschied dazu behandeln andere Ansätze mehr oder weniger isoliert den
einzelnen Menschen und untersuchen, was allein dieser verändern kann. Der Kon-
text wird dabei nur zweitrangig berücksichtigt.
Wenn es um eine Erkrankung geht, wird der Patient medizinisch oder therapeu-
tisch behandelt und die Erkrankung wird ihm nahezu als eine Persönlichkeitsei-
genschaft zugeschrieben. Wenn es hingegen um störendes und auffälliges Verhal-
ten geht, wird der Einzelne in die Verantwortung genommen und aufgefordert,
das Verhalten einzustellen, und andernfalls in letzter Konsequenz sogar für das
Verhalten sanktioniert, also bestraft.
In der systemischen Beratungsarbeit wird, wie wir nun wissen, in der Regel eine
Gruppe von mehreren Menschen beraten, z. B. Familien, Teams, Paare, Gruppen
oder auch größere Organisationsformen. Es ist aber auch möglich, innerhalb der
systemischen Beratung von Einzelklienten dessen Lebensumfeld in das Setting
mit einzubeziehen. Hierzu gibt es Methoden, die den Kontext des Klienten im
Raum visualisieren und somit das System mit seinen Beziehungen in irgendeiner
Form sichtbar machen. Sie werden sehen, dass die Grundprinzipien systemischen
Denkens und Handelns zwar in unterschiedlichen Methoden ihre Umsetzung er-
halten, diese sich jedoch als grundlegende Sichtweisen und Haltungen in allen
Methoden widerspiegeln.
Die nachfolgende Darstellung der historischen Entwicklung der systemischen
Therapie und Beratung wird Ihnen nicht nur den Hintergrund aufzeigen, vor dem
diese Denkweise überhaupt entstehen konnte. Sie wird Ihnen auch in verständli-
cher Weise aufzeigen, worum es beim systemischen Ansatz mit Bezug zur Thera-
pie und Beratung eigentlich geht. Sie werden erfahren, wie viele verschiedene
Einflüsse in den systemischen Ansatz hineingewirkt haben und auf welche Weise
sich das breite Spektrum der Umsetzungen des systemischen Gedankens entwi-
ckelt hat. Dabei wird auch die Abgrenzung zu anderen therapeutischen Ansätzen
deutlich.
Merke:
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Einführung in die systemische Beratungsarbeit 1371
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Einführung in die systemische Beratungsarbeit 1371
Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer.
Der Nachbar hat einen Hammer. Also beschließt unser Mann, zum Nachbarn zu
gehen und sich den Hammer auszuborgen. Doch da beschleicht ihn ein Zweifel:
Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon
grüßte er nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile
nur vorgeschützt und er hat im Grunde etwas gegen ihn. Aber was könnte der
Nachbar nur gegen ihn haben? Er hat ihm doch nichts angetan; der Nachbar
bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von ihm ein Werkzeug borgen wollte, er
gäbe es ihm sofort. Und warum sein Nachbar nicht? Wie kann man einem
Mitmenschen einen so einfachen Gefallen ausschlagen? Leute wie dieser Kerl
vergiften einem das Leben. Und dann bildet der Nachbar sich noch ein, er sei
auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht`s ihm aber
wirklich. Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch bevor er
„Guten Morgen“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Sie können Ihren
Hammer behalten, Sie Rüpel!“
Aus: Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein“, Piper & Co., München, 1983.
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Einführung in die systemische Beratungsarbeit 1371
Wie Sie sehen, braucht unser Mann gar keinen „realen“ tatsächlich geschehenen
Anlass, um wütend zu werden und um sich dann so zu verhalten, wie er es tut. Es
genügt ihm eine gedankliche, eine innere Konstruktion einer „Wirklichkeit“ auf
Basis eigener Annahmen, Deutungen und Vorstellungen. Unser Mann schafft sich
sozusagen seine eigene „Welt“, innerhalb derer er sein Handeln ausrichtet.
Merke:
Dass Menschen nicht danach handeln, wie die Welt „wirklich“ ist, sondern
danach, wie sie ihre jeweilige Wirklichkeit in Kommunikation und Interaktion
mit der Umwelt (also der realen Welt) konstruieren, ist eine der wichtigsten
Grundannahmen systemischen Denkens.
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In der Folge haben sich in den letzten 35 Jahren in Deutschland in allen größeren
Städten und Regionen private Institute und gemeinnützige Vereine gebildet, die in
Familien- und Systemtherapie ausbilden.
Eine universitäre Ausbildung hat sich bislang in Deutschland noch nicht etabliert,
wenn auch gerade in den letzten Jahren Ansätze hierzu an verschiedenen Hoch-
schulen und Fachhochschulen unternommen wurden. Hintergrund dafür dürfte vor
allem sein, dass die systemische Therapie in Deutschland bis zum Jahre 2008 von
den entsprechenden öffentlichen Organen nicht als wissenschaftlich anerkanntes
Psychotherapieverfahren angesehen wurde, wie es in den USA und im europäi-
schen Ausland bereits lange der Fall war. In Folge dessen wird die Familien- und
Systemtherapie nicht über die Krankenkassen finanziert, sodass dieses Therapie-
angebot einem großen Teil der Bevölkerung aufgrund der hohen Therapiekosten
nicht zugänglich ist.
Es haben sich allerdings aus diesem Umstand heraus Nischen gebildet, in denen
sich Familien- und Systemtherapie und in einem weiteren Schritt auch die syste-
mische Beratung in unterschiedlichen Anwendungsfeldern gut etablieren konnte.
Das entspricht der systemischen Grundhaltung: „Handle immer so, dass sich die
Anzahl der Möglichkeiten erweitert.“ Diese Haltung, die hier die ganze Bewe-
gung und Entwicklung systemischer Arbeit in Deutschland erfasste, führte zu ei-
ner großen Vielfalt im Arbeitsfeld.
In der Jugendhilfe entwickelte sich z. B. eine solche Nische. Dort wurde die
Wirksamkeit des systemischen Ansatzes bereits früh erkannt. Und zwar deshalb,
weil gerade die Jugendhilfe nicht daran interessiert ist, Kinder und Jugendliche
bereits in jungen Jahren nach einem klassischen Krankheitsverständnis auf ein
bestimmtes Krankheitsbild festzuschreiben, zu kategorisieren und damit auch zu
chronifizieren. In Beratungsstellen und in besonderen Settings, wie beispielsweise
der aufsuchenden Familientherapie (also der Therapie am Wohn- und Lebensort
der Betroffenen), wurde systemische Therapie angeboten. Dort war sie rechtlich
abgesichert, wurde finanziert und insbesondere in der aufsuchenden Form auch
Familien zugänglich, die in sehr prekären Lebenslagen waren und sonst keinen
Zugang zu Psychotherapie gehabt hätten.
Die Tatsache, dass die klassischen Heilberufe wie Ärzte und Psychologen in den
von den Krankenkassen finanzierten Systemen mit systemischer Therapie kein
Geld verdienen konnten, führte zu einer starken Öffnung und Frequentierung des
systemischen Arbeitens innerhalb der helfenden Berufe, also der Sozialarbeit und
Sozialpädagogik. Hiermit war es möglich, die Methoden aus der systemischen
Therapie erfolgreich in die helfenden Felder zu implementieren. In diesem Sinne
entstand eine sehr kraftvolle dynamische Wechselwirkung zwischen systemischer
Forschung, systemischer Lehre und systemischer Praxis.
Daraus entwickelte sich schließlich die „Systemische Beratung“, die dem Hel-
fenden und dem Hilfesuchenden heute zahlreiche Möglichkeiten bietet, in einer
guten Beziehung zueinander die Anliegen des Hilfesuchenden zu verstehen und
zu behandeln. Die Forschung und Lehre verstärkten und unterstützten den Ansatz,
sodass in der Beratungsarbeit die Beziehung zwischen Berater und Klient das
zentrale und wichtigste Moment innerhalb der Beratungs- und Therapiearbeit ist.
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Merke:
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Fragen:
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3.1 Konstruktivismus
Erinnern Sie sich noch einmal an die Geschichte vom Mann mit dem Hammer,
der einzig auf Grundlage seiner Annahmen und Deutungen, nicht aber auf Grund-
lage von „objektiven“ Tatsachen handelte. Diesen Sachverhalt kann der Konstruk-
tivismus gut erklären.
Dieses philosophische Modell geht davon aus, dass jeder Mensch sich auf der
Grundlage seiner individuellen Wahrnehmungen in jedem Moment immer selbst
ein Bild von der Welt macht und sich somit ein Modell von der Welt erzeugt. Die-
ses Bild ist rein subjektiv und einzigartig. Das liegt daran, dass jeder Mensch die
Welt unterschiedlich wahrnimmt, indem er andere Wahrnehmungsfilter nutzt,
andere Vorerfahrungen einbezieht, andere Kontexte vorfindet, andere Wertungen,
Deutungen und Schlussfolgerungen vornimmt etc.
Das bedeutet, dass bei einer gleichen Reizsituation Menschen zwar ähnliche sub-
jektive Abbilder der Situation, der „tatsächlichen Welt“, konstruieren, nie aber
exakt dieselben. Somit können Menschen nicht dieselbe, sondern eine gleiche,
sich ähnelnde Wirklichkeit haben. So sind auch Weltmodelle unserer Klien-
ten/Kunden nicht die gleichen wie unsere als Therapeuten/Berater. Jeder Mensch
lebt also in seiner subjektiven Welt und handelt entsprechend (s. „Der Mann mit
dem Hammer“).
Die wesentliche Denkrichtung im Konstruktivismus ist auf den Prozess gerichtet.
Das bedeutet, dass es bei der Erklärung von Phänomenen nicht um das WAS geht
(was sehen wir?), sondern um das WIE (wie geschieht es?). Wie ist das, was wir
wahrnehmen, innerlich entstanden, welcher innere Prozess hat dazu geführt, dass
ich es so wahrnehme? Der Mann mit dem Hammer hat beispielsweise innerlich
verschiedene Erinnerungen abgerufen und sie in bestimmter Weise gedeutet und
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Einführung in die systemische Beratungsarbeit 1371
in Zusammenhang gebracht. Bis am Ende für ihn klar war, dass der Nachbar ein
Rüpel ist, der ihm nur das Leben vergiften möchte.
Um eine Sache zu begreifen, ist es notwendig zu verstehen, wie sie entstanden ist,
wie sie funktioniert und wirkt. Es geht also um sogenannte prozessuale Fragen. Es
geht um den Weg, wie sich ein Phänomen entwickelt hat, welche Faktoren den
Weg beeinflusst haben und wie das entstandene Phänomen wiederum die Fakto-
ren und den Weg beeinflusst. Das ist es, was untersucht wird. Diese Wechselwir-
kungen sind zentraler Bestandteil der Erforschung.
Besondere Bedeutung erhält diese Denkweise dadurch, dass der Beobachter selbst
zum Gegenstand der Erforschung wird, weil er durch seine Beobachtung zum Teil
des Prozesses wird. Es gibt damit keine vom Beobachter unabhängige Realität
und damit keine objektive Erkenntnis. Dieser Gedanke wird Ihnen in den konkre-
ten systemischen Vorgehensweisen und Methoden immer wieder begegnen.
Sie hören in der Rolle des Beraters die Schilderung eines Anliegens von Ihrem
Klienten. Dann können Sie das Geschilderte nur vor dem Hintergrund Ihrer
Vorerfahrungen verstehen, auf die Sie während des Zuhörens zurückgreifen.
Dabei handelt es sich in der Regel um eigene Erlebnisse, Informationen, die Sie
aus zweiter Hand über Medien etc. erhalten haben, Ihre Wahrnehmungsfilter,
Einstellung und all das, was zu Ihrer Weltsicht gehört.
Auf diesem Hintergrund verarbeiten Sie die Informationen Ihres Klienten. Auf
Ihre ureigene, ganz individuelle Art. Dann stellen Sie dem Klienten wiederum
Ihre Sicht in Form einer Antwort oder einer anderen Reaktion zur Verfügung.
Das hat nun wieder einen Einfluss auf Ihren Klienten, der wiederum genauso
subjektiv Ihre Antwort bzw. Reaktion wahrnimmt, „liest“ und deutet. Somit
sind Sie beide Teil eines Systems, nehmen wechselseitig aufeinander Einfluss
und sind keineswegs ein „außenstehender“ oder gar objektiver Beobach-
ter/Berater.
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Jede Sichtweise, was auch immer sie darstellt, wird gleichermaßen als eine mögli-
che von vielen und als jeweils relevante Information für das System verstanden.
Und es geht letztlich darum, diese Vielfalt für den Beratungsprozess zu nutzen.
Merke:
Die konstruktivistische Denkweise sagt aus, dass der Mensch sich seine eigene,
subjektive Wirklichkeit, sein eigenes Modell von der Welt konstruiert und
entsprechend sein Verhalten danach ausrichtet und nicht danach, wie die Welt
„wirklich“ ist. Dies gilt auch und insbesondere für den Beratungskontext.
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Einführung in die systemische Beratungsarbeit 1371
Beobachtung
Kommunikation
Resonanz
strukturelle Kopplung
Diesen Begriffen werden Sie immer wieder begegnen.
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Einführung in die systemische Beratungsarbeit 1371
Fragen:
6. Was sind die zentralen Strömungen der Philosophie, die zur Theoriebildung
von Familientherapie und systemischer Beratung beigetragen haben und wer
sind die wichtigsten Vertreter?
9. Worin besteht der Prozess des Existierens (Lebens) gemäß der Autopoiese?
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Einführung in die systemische Beratungsarbeit 1371
4. Systemtheorie
Wie bis hierhin schon deutlich wurde, ist die Systemtheorie ein interdisziplinäres
Erkenntnismodell zur Erklärung komplexer Phänomene1, welches in vielen ver-
schiedenen Forschungs- und Wissenschaftsbereichen Anwendung findet. Dabei
erforscht die Wissenschaft der Systemtheorie nicht die Eigenschaften eines be-
stimmten Phänomens, wie gut oder böse, sondern sie hat die Prozesse und deren
Auswirkungen im Blick, die ein Phänomen mit sich bringt (z. B. die Wirkung von
Verhaltensweisen).
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Als Phänomene im systemischen Sinne verstehen wir an dieser Stelle alle Interaktionen und
Wirkungsweisen zwischen Einzelpersonen und deren Systemzugehörigkeit (z. B. Familie, Schul-
klasse etc.), innerhalb vom System (unterhalb aller Systemmitglieder z. B. Vater, Mutter, Kinder,
Geschwister etc.) sowie zwischen System und deren Umwelt.
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Einführung in die systemische Beratungsarbeit 1371
Beides dient lediglich dazu, das natürliche und auf Zeit angelegte System zu er-
halten. So ist die konkrete Erfahrung als Berater von Familien oder Gruppen da-
von gekennzeichnet, dass der Beratungsprozess vonseiten des Klienten beendet
wird, sobald die Beraterimpulse des Beraters vom Klienten als zu stark, irritierend
oder als gefährdend empfunden werden. Dies hat den Grund, dass sich das System
„zur Wehr“ setzt und somit die auf Zeit angelegte Beratungs- und Begleitungsbe-
ziehung beendet wird.
Das macht noch einmal deutlich, dass sowohl Klienten, Gruppen und Familien
gleichermaßen die Verantwortung für den Beratungsprozess haben und der Bera-
ter lediglich ein eingeladener Beobachter des Prozesses ist, den man bittet, seine
Beobachtung kundzutun.
Die Techniken des systemischen Arbeitens, die sich im Laufe der Zeit entwickelt
haben, bilden diese Theorie ab. Sie sind darauf ausgerichtet, die eigenen Leistun-
gen des Systems wertzuschätzen, zu würdigen und vielfach durch Hinterfragen
bestimmter Muster die Entwicklung neuer Handlungs- und Verhaltensmöglichkei-
ten aus dem bereits vorhandenen Material voranzubringen.
Die Systemtheorie beschreibt vor allem die Rolle des Beraters in einem System,
in dem er beraten soll:
Wie ist der Berater im System eingebettet?
Welche Möglichkeiten hat er, wenn er selbst als Teil des Systems verstan-
den wird?
Wie wirken die Entwicklungen und Dynamiken eines Systems wiederum
auf den Berater zurück?
Aus dieser Perspektive heraus sind verschiedene Handlungsmöglichkeiten und
Methoden der Beratung und Therapie entstanden. Diese wurden in sogenannten
Schulen mit verschiedenen Schwerpunkten erarbeitet und weiterentwickelt. Diese
Schulen sind neben den theoretischen Grundlagen und wissenschaftlichen Ansät-
zen in der unten stehenden Grafik im Überblick dargestellt.
Merke:
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Die nachfolgende Grafik gibt Ihnen zunächst eine Übersicht über die Wurzeln der
modernen systemischen Psychotherapie. Sie zeigt die wissenschaftlichen und phi-
losophischen Wurzeln auf, die bis hierhin bereits angesprochen wurden sowie die
verschiedenen Therapieschulen, die mit diesen Wurzeln verbunden sind und die
Sie im Folgenden noch kennenlernen werden.
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Einführung in die systemische Beratungsarbeit 1371
Fragen:
10. Wenn die Systemtheorie nicht nach Eigenschaften fragt, wonach fragt sie
dann?
12. Welche Möglichkeiten der Steuerung hat der Berater, wenn es um die
Bedeutungsgebung der Beratungsinhalte durch den Klienten/Kunden geht?
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Einführung in die systemische Beratungsarbeit 1371
Die Therapie wurde somit aus dem stark reglementierten und strukturierten klini-
schen Bereich gelöst und konnte hierdurch für mehr Menschen zugänglich wer-
den. Aber nicht nur der Kreis der Klienten wurde größer, auch der Kreis der Fach-
leute und Gruppen, die mit diesem Ansatz arbeiten konnten, erweiterte sich.
Die Alltagstauglichkeit dieses Ansatzes, welcher Klienten nicht allein auf Krank-
heitsbilder festschreibt und damit „pathologisiert“, wurde schnell deutlich und
zeigte gleichzeitig auch die Anwendungsmöglichkeiten in anderen Beratungsfel-
dern auf (u. a. Wirtschaft, Verwaltung, Organisationen).
Minuchin arbeitete mit Visualisierungen. Er bot Klienten sogenannte strukturie-
rende Bilder an. Dies sind Bilder über Subsysteme2 und Generationsgrenzen von
Familien. Diese werden auch als „Landkarte“ oder Systemzeichnung bezeichnet.
Sie sollen helfen, die Komplexität des Behandlungs- und Beratungskontextes zu
reduzieren. Außerdem dienen solche Visualisierungen der Orientierung im Bera-
tungsprozess. Sie helfen, sich zu verorten, d. h. zu wissen, wo man im Prozess
gerade steht, wen (welches Systemmitglied) man im Blick hat und wen möglich-
erweise gerade nicht. Und schließlich können sie auch als Instrument zur Hypo-
thesenbildung dienen.
Die folgende Abbildung zeigt eine solche Systemzeichnung. In diesem Falle zeigt
sie eine sogenannte „Familien(land)karte“, die verdeutlicht, welche Beziehungen
innerhalb der Familie bestehen.
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Subsysteme sind Untersysteme in einem Hauptsystem: z. B. Elternsystem im Familiensystem.
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Die Darstellung erfolgt mithilfe festgelegter Symbole, damit nicht nur die einzel-
nen Elemente, sondern auch die Qualität der Beziehungen untereinander darge-
stellt werden kann.
So bedeuten Rechtecke männliche und Kreise weibliche Systemmitglieder.
Eine Zickzacklinie bedeutet, dass die Beziehung zwischen den verbunde-
nen Elementen konfliktträchtig ist.
Eine gepunktete Linie zeigt auf, dass die Beziehung distanziert ist usw.
(Die Informationen hierzu stammen aus den Gesprächen mit Klienten.)
Diese zentralen Vorgehensweisen bei der strukturellen Familientherapie sind auch
in die systemische Beratung eingeflossen.
Natürlich gilt auch hier, dass es sich hierbei immer um Konstrukte handelt, die
nicht der „Realität3“ entsprechen, sondern eben nur der subjektiven Wirklichkeit
des Beobachters, also seiner individuellen Sicht der Dinge.
Das genau war die „Schwäche“ des Ansatzes: Er war noch nicht geprägt von den
Grundideen der Kybernetik 2. Ordnung, die die „Beobachtung des Beobachters“
einführten. Damit ist Folgendes gemeint: Die vom Therapeuten (= Beobachter)
aus seiner Wahrnehmung heraus beschriebenen Generationsgrenzen, System-
zeichnungen und Landkarten etc. sind eben die Beobachtung des Therapeuten und
stellen nur bedingt die Wirklichkeit der Klienten dar.
Trägt man dieser Tatsache Rechnung, dann kann man jedoch gut mit den Metho-
den und Vorgehensweisen Minuchins arbeiten. Dazu müssen die eigenen Be-
obachtungen auch als solche, nämlich als die subjektive Wahrnehmung des
Therapeuten, benannt und dem Klienten ergebnisoffen zur Verfügung gestellt
werden (im Sinne eines Angebotes und nicht als Aussage über Tatsachen). Der
Therapeut legt dem Klienten seine Beobachtung dar und regt diesen dazu an, dies
für sich persönlich zu prüfen und darüber zu einer eigenen Bedeutungszuschrei-
bung zu kommen (siehe hierzu auch Punkt 6.1 „Reflecting Team“). Ergebnisoffen
heißt in diesem Zusammenhang, dass die Bedeutungszuschreibungen nicht gewer-
tet werden in dem Sinne, dass der Therapeut die richtige Deutung und der Klient
die problematische bzw. falsche Deutung hat.
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Realität = Allumfassende, objektive Wirklichkeit.
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Ein Genogramm ist von der Struktur her vergleichbar mit einem Familienstamm-
baum.
Das Genogramm dient auch dazu, den Überblick über die vielfältigen komplexen
Verbindungen unter den Menschen und die Ereignisse in einer Familie zu behal-
ten. Es ist in diesem Sinne auch ein diagnostisches Instrument.
An der obigen Darstellung ist z. B. sehr gut erkennbar, wie sich Berufsbilder
(hier: Pfarrer) in der Familie C. G. Jungs über Generationen hinweg wiederholen.
So kann das Genogramm unterschiedliche Hinweise über Verläufe, Beruf, Bezie-
hung etc. geben, die dann für den therapeutischen bzw. beratenden Prozess ge-
nutzt werden können.
Das Genogramm hat vielfach Einzug gehalten in die unterschiedlichen Felder der
systemischen Beratung. Ein wichtiges gedankliches Konstrukt, welches dem
Mehrgenerationen-Modell zugrunde liegt, sind die Modelle sogenannter
Loyalitätsbindungen und
Verdienstkonten,
die über die Generationsgrenzen hinweg wirksam sind.
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Loyalitätsbindungen
Loyalitätsbindungen sind verinnerlichte Erwartungen der Gruppe (z. B. Familie)
an ihre Mitglieder. Um ein loyales Mitglied der Gruppe/Familie zu sein, muss das
Mitglied den Anspruch dieser Erwartungen erfüllen, aber auch in der Lage sein,
bestimmte und für die Gruppe wichtige Verhaltensweisen und Rituale an den Tag
zu legen.
Verdienstkonten
Bei Verdienstkonten geht es um eine Art von gruppen- oder familieninterner
„Buchführung“. Diese Buchführung sollte ausgeglichen sein, damit ein Gleichge-
wicht im Gruppen- oder Familien-System gegeben ist. Ist dieses Gleichgewicht
nicht gewährleistet, kommt es zu Störungen im System, die sich in unterschiedli-
chen Symptomen zeigen können.
„Gespeichert“ werden auf solchen Verdienstkonten Situationen und Konflikte in
der Gruppe/Familie und diejenigen Personen, die daran beteiligt sind. Die An-
nahme ist, dass jedes Systemmitglied innerlich (im Gedächtnis) und unbewusst
ein solches Konto führt. Jeder gestaltet dabei seine Vorstellung von Stabilität im
System, indem er Konflikte klärt und gegebenenfalls auch eine Sanktion entge-
gennimmt. Jeder ist selbst verantwortlich für die Klärung seines Kontos.
Eine weitere Annahme ist, dass wenn ein Systemmitglied nicht zum Ausgleich
kommt bzw. dies nicht will, das System darauf mit Sanktionen reagieren wird.
Die beschriebenen Ansätze erwiesen sich für die Praxis systemischer Beratung,
sowohl in Familien wie auch in anderen Systemen, als sehr hilfreich.
Das natürliche Gefühl in Familien, dass jemand aus der Familie verantwortlich ist
für ein belastendes Ereignis oder dass ein Familienmitglied etwas besonders
Wichtiges in der Familie bewirkt hat, wird dabei genutzt. Wichtige Ereignisse und
Leistungen bilden die sogenannten Verdienstkonten der Familien- und Sys-
temmitglieder. Die Annahme ist, wie oben bereits erwähnt, dass Verdienstkonten
ausgeglichen werden müssen. Werden diese nicht ausgeglichen, zeigt sich dies
häufig als Störung im System.
Beispiel:
Eine sich aufopfernde ältere Schwester in einer Reihe von Geschwistern ist
scheinbar immer die Gebende. Sie wird aber dafür nicht ausreichend gewürdigt,
weil so viel Engagement oft nicht ausgeglichen werden kann. Wenn dann die
Geschwister ihr etwas zurückgeben wollen, möglicherweise materiell, lehnt sie
dies ab und fühlt sich gekränkt. Ebenso fühlen sich diejenigen verletzt, die
endlich den verdienten Ausgleich schaffen wollten. So entstehen starke
Störungen in den Beziehungen unterhalb der Geschwister. Nicht selten
reagieren die, die in einem System immer in der gebenden Rolle waren, später
mit Symptomen und Erkrankungen wie Depression.
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Symmetrische Kommunikationsform
„Symmetrische Kommunikationsform“ meint, dass sich ähnliche Charaktertypen
in ihrer Kommunikation gegenseitig „aufschaukeln“ und es zu einer sogenannten
„symmetrischen“ Eskalation kommen kann. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist ein
Paar, welches sich trennt, nachdem beide im Streit nicht mehr die Möglichkeit
und Fähigkeit gefunden haben, den Streit zu beenden. Beide stritten solange wei-
ter, ohne ihre eigene Kommunikation zu verändern, bis sie so weit voneinander
entfernt und entzweit waren, dass kein Kontakt mehr untereinander möglich war.
Eine solche Trennung könnte aber möglicherweise auch als eine konstruktive Lö-
sungsmöglichkeit gesehen werden, da mit dem Kontaktabbruch weitere Kränkun-
gen und Verletzungen der Einzelnen verhindern werden.
Komplementäre Kommunikationsform
Mit „komplementärer Kommunikationsform“ ist ein Kommunikationsmuster ge-
meint, bei dem ein Kommunikationspartner denkt, dass er die Eigenart des ande-
ren ausgleichen muss und so eine komplementäre, sich ergänzende Kommunika-
tion entsteht. Auch diese zweite Form ist eine Art von Eskalation, bei der eine
starre Festschreibung auf ein Verhaltensmuster (hier z. B. Ausgleich) stattfindet,
die Dynamik einer gelungenen Kommunikation und Beziehung verhindert. Bezo-
gen auf das sich trennende Paar kann dies bedeuten, dass der eine weg strebt und
der andere verhält sich und kommuniziert so, dass er den anderen in der Bezie-
hung halten kann. So entstehen häufig Muster von Hierarchien in Beziehungen,
also ein oben und unten (im Sinne von Herrschen und Unterwürfigkeit), wobei
einer immer oben und der andere immer unten ist. Das führt ebenso zu einer Er-
starrung der Kommunikation.
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Einführung in die systemische Beratungsarbeit 1371
Satir hat dann mit den Menschen durch Veränderung dieser so entstandenen
Skulptur eine Verbesserung erarbeitet und dabei festgestellt, dass die Wirkung gut
und stärker war, als wenn nur über die Dinge gesprochen wurde.
Virginia Satir hat auch die frühen Familientherapieschulen in Deutschland stark
geprägt. Dies vor allem wegen ihrer humanistischen Ausrichtung, die in den frü-
hen 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts eine sehr große, auch gesellschaftspoliti-
sche Bedeutung hatte. Nicht zuletzt aber auch, weil sie eine sehr beeindruckende
Persönlichkeit war.
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ebenso die Absicht hegen, die Herstellung des Gleichgewichts im System zu er-
möglichen.
Die Interventionen sind dabei häufig sehr direktiv (werden durch den Therapeuten
initiiert und können strikte Vorgaben beinhalten). Die Arbeit befasst sich nur mit
der Gegenwart der Familie, ihren aktuellen Kommunikations- und Organisa-
tionsmustern und der Bedeutung der Symptome für das Familiensystem.
Zu den wichtigsten Interventionsformen der strategischen Familientherapie gehö-
ren:
Reframing
Positive Konnotationen
Paradoxe Interventionen
Ordeale
Reframing
Damit ist eine positive Umdeutung des symptomatischen Verhaltens gemeint. Bei
einer solchen Umdeutung wird dem Verhalten eine positive Bedeutung gegeben.
Es wird z. B. herausgearbeitet, was dieses Verhalten für das System eigentlich
sicherstellen soll, also welche positive Intention mit dem symptomatischen Ver-
halten verbunden ist. Damit ist keine Wertung in dem Sinne gemeint, dass das
symptomatische Verhalten gut oder schlecht für die Beteiligten oder für das Sys-
tem ist, sondern welche „gute Absicht“ für das System damit verbunden ist.
Positive Konnotationen
Dies meint eine Haltung, die ausdrückt, dass alles Verhalten in einem System als
grundsätzlich wichtig und nützlich für das System erachtet wird.
Paradoxe Interventionen
Der Begriff „Paradoxe Interventionen“ bezeichnet Methoden, die dazu verwendet
werden, einen scheinbaren Widerspruch zu den therapeutischen Zielen zu erzeu-
gen, die aber dafür entworfen sind, diese Ziele tatsächlich zu erreichen.
Ordeale
Übersetzt bedeutet Ordeal „Rosskur“ oder „Feuerprobe“. Im therapeutischen Kon-
text meint ein Ordeal, dass dem Klienten für den Zeitpunkt des Auftretens seines
Symptomes auferlegt wird, eine Aufgabe auszuführen, die unangenehmer oder
schwieriger ist als sein Symptom selbst. Z. B. bei beklagter Schlafstörung (Symp-
tom) soll er, statt zu schlafen, beispielsweise irgendeine Hausarbeit verrichten.
Die Annahme ist, dass wenn es schwerer ist, ein Symptom zu erhalten, anstatt es
aufzugeben, dann wird es eher aufgegeben als aufrechterhalten. Voraussetzung ist
die sorgfältige Auswahl der Aufgabe und die Bereitschaft des Klienten, das Or-
deal anzunehmen.
Die oben genannten Interventionsformen sind auch für die systemische Beratung
von besonderer Bedeutung, da es Interventionen sind, die sich über die Entwick-
lung von der Familientherapie hin zur systemischen Therapie und Beratung als
praxisrelevant und tauglich bewährt haben.
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5.5.1 Zirkularität
Die Grundidee war, dass die Prozesse in Familien (oder allgemein in Systemen)
immer zirkulär sind. Damit ist gemeint, dass alles, was in einer Familie geschieht,
immer in Wechselwirkung zueinander steht, sich immer gegenseitig beeinflusst,
also zirkuliert. Aus der Idee der Zirkularität der Prozesse entwickelte das Mailän-
der Team eine besondere und effektive Fragetechnik: Das sogenannte „zirkuläre
Fragen“, welches bis heute prägend für die systemische Arbeit in allen Bereichen
der Beratung ist. Sie werden diese Fragetechnik noch eingehend kennenlernen.
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Beim zirkulären Fragen wird ein Mitglied des Systems dazu befragt, was es
glaubt, wie ein anderes Mitglied über einen bestimmten Sachverhalt oder über
eine bestimmte Beziehung im System denkt.
Beispiel: Das System ist eine Familie mit Sohn und Tochter
Frage an z. B. den Vater:
„Was glauben Sie, was Ihre Frau denkt, wenn sie beobachtet, wie sich Ihr Sohn
und Ihre Tochter um Sie als Vater streiten?“
Frage an z. B. die Mutter, deren Tochter sich geritzt hat:
„Was glauben Sie, was Ihr Sohn denkt, wenn er Sie und Ihren Mann dabei beo-
bachtet, wie Sie in dieser Situation mit Ihrer Tochter umgehen?“
Durch solche Fragen werden im Beratungsprozess für den Therapeuten und vor
allem auch für den Klienten selbst Informationen über das Beziehungsgeflecht
und die Prozesse der Familienmitglieder untereinander sichtbar und verfügbar.
Diese Fragetechnik hat sich als sehr hilfreich für den therapeutischen bzw. bera-
tenden Prozess erwiesen.
5.5.2 Hypothetisieren
Hypothetisieren bedeutet, dass der Therapeut oder Berater Annahmen über das
System (z. B. eine Familie) formulieren. Und zwar auf der Basis von vorab (also
schon vor der Sitzung) zur Verfügung stehenden Informationen bzw. vor einer
jeden Sitzung. Dann werden Hypothesen darüber gebildet, was sich in der Zeit
zwischen zwei Sitzungen verändert haben könnte, was wiederum dann aktuell
Thema in der Sitzung sein könnte.
Hierbei geht es auch um zirkuläre Hypothesen, d. h. um Hypothesen, die Annah-
men über die Beziehungen in einer Familie formulieren. Wenn sich z. B. zwischen
zwei Sitzungen etwas am symptomatischen Verhalten eines Familienmitgliedes
verändert haben sollte, interessiert uns vor allem, welche Auswirkungen diese
Veränderung auf die anderen Familienmitglieder und deren Beziehungen unterei-
nander haben könnte.
Beispiel:
Ein Vater hat bei der letzten Sitzung die Aufgabe bekommen, wenn er zu viel
getrunken hat, ein Zimmer in einer Pension zu nehmen, anstatt seine Familie zu
verprügeln.
Hypothesen könnten dann etwa in der folgenden Form gebildet werden:
‒ Die Erfüllung dieser Aufgabe hat Auswirkungen auf die Beziehung zwischen
Frau und Mann, wenn es x4 Monate gibt, in denen die Frau nicht verletzt
wird.
‒ Frau X. wird etwas vermissen, wenn ihr Mann nicht neben ihr schläft.
4
x = eine Anzahl.
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‒ Die Kinder denken darüber nach, wie es dem Vater dann geht, wenn er nicht
zu Hause schläft.
‒ Die Familienmitglieder werden die Zeit anders miteinander verbringen,
wenn der betrunkene prügelnde Vater nicht die Zeit und den Raum einnimmt,
und könnten somit neue gemeinsame Interessen entwickeln.
Diese Hypothesen werden dann im Gespräch überprüft. Sie können der Familie
dadurch zugänglich gemacht werden.
Hypothesen dienen in der Hauptsache zur Vorbereitung auf die Sitzungen für den
Therapeuten. Der Therapeut hat hierdurch die Möglichkeit, alleine oder mit Un-
terstützung seines Teams, immer wieder den Einbezug verschiedener Familien-
mitglieder zu praktizieren und sich aus der Distanz heraus mit der Familie zu be-
schäftigen. So läuft er weniger Gefahr, einzelnen Familienmitgliedern die Ver-
antwortung für schwierige Familiensituationen alleine zu übertragen. Und es ist
eine Möglichkeit, besser sicherzustellen, dass alle Elemente des Systems einbezo-
gen und keine einseitigen Schwerpunkte gebildet werden.
5.5.3 Neutralität
Neutralität als Prinzip bedeutet die Neutralität des Therapeuten. Neutralität vor
allem gegenüber Themen und Haltungen, die ein System (z. B. eine Familie) mit-
bringt. Das Prinzip wurde entwickelt, damit sichergestellt ist, dass der Therapeut
konsequent jedem Familienmitglied gleichermaßen mit seiner Aufmerksamkeit
zur Verfügung steht. Neutralität bedeutet aber auch, sich neutral gegenüber den
Störungen und Symptomen der Systemmitglieder (z. B. Familienmitglieder) zu
zeigen.
Aus dieser Haltung heraus hat sich die positive Konnotation entwickelt. Alle
Verhaltensweisen, Handlungen und Aussagen der Familienmitglieder, insbeson-
dere symptomatisches Verhalten, werden als grundsätzlich wichtig und nützlich
für das System erachtet, also positiv „konnotiert“ (gedeutet). D. h. nicht, dass die
Therapeuten das Verhalten positiv bewerten oder gar „gut finden“. Allerdings
deuten sie es im Kontext des Systems, mit dem sie arbeiten, als positiv für das
System.
Am oben genannten Beispiel des trinkenden Vaters könnte so eine positive Kon-
notation für das System z. B. sein, dass der Mann mit seinem Verhalten Nähe und
Distanz zwischen ihm und seiner Frau oder ihm und seinen Kindern reguliert.
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Einführung in die systemische Beratungsarbeit 1371
schlusskommentar zum Ende einer Sitzung wie eine Hausaufgabe formuliert wer-
den.
Wenn z. B. ein Klient sagt, er könne ein bestimmtes Verhalten nicht aufhören
oder verändern, weil es außerhalb seiner Kontrolle liegt, und auch die Therapie
werde daran nichts verändern, dann kann ihm vom Therapeuten aufgetragen
(„verschrieben“) werden, dieses Verhalten zu zeigen, und zwar gesteuert: zu be-
stimmten Zeiten oder in bestimmten Situationen.
Folgt der Klient dieser Aufforderung und zeigt das Verhalten, wie vom Therapeu-
ten angeordnet, kann er das nur geplant, also kontrolliert tun.
Kann er gezielt dieses Verhalten produzieren, macht er die Erfahrung, dass er es
auch steuern kann. Er kann es also bewusst produzieren und in Folge davon auch
wieder einstellen. Die Therapie ist somit erfolgreich, weil das unerwünschte Ver-
halten durch die Selbststeuerung überwunden wurde.
Zugespitzt bezogen auf das oben genannte Beispiel könnte das bedeuten, den Va-
ter in einem Setting aufzufordern, im nächsten Monat einmal an einem festgeleg-
ten Tag seine Frau und seine Kinder zu misshandeln. Dazu könne er sich betrin-
ken oder auch nicht, der Tag wird nur vorher gemeinsam zwischen Mann und
Frau festgelegt.
Das geht natürlich nur, wenn der Behandlungsverlauf es zulässt. Das geht nicht
bei schwer gestörten Gewalttätern. Im oben genannten Beispiel, in dem auch Res-
sourcen erarbeitet werden konnten, also Phasen, in denen der Vater positives und
vorbildliches Verhalten zeigt, ist das allerdings möglich.
Das Mailänder Modell hat die Familientherapie sehr verändert, ging aber immer
noch davon aus, dass durch gezieltes strategisches Vorgehen eine Veränderung im
System erreicht werden kann. Sie war demnach immer noch ein klassisches Mo-
dell.
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Fragen:
14. Was hat die strukturelle Familientherapie geleistet, um die Arbeit auch für
die Klienten darstellbar zu machen?
17. In welcher Schule entwickelten sich die zentralen Ideen der systemisch-
kybernetischen Familientherapie und wie heißen diese?
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Abbildungsverzeichnis
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