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Hörspiel über eine Reise auf der Gastarbeiterroute AUTOS

Hörspiel, 77 min 26.01.2020Hörspiel nach dem Theaterstück von Enis Maci

Die Straße ist ein Universum, das Auto „unsere blechhaut“. Eine Frau und ein Mann fahren die
ehemalige Gastarbeiterroute ihrer Eltern nach. In die traumatischen Erinnerungen ihrer
Familiengeschichte mischen sich Stimmen aus dem Radio. Es kreuzen sich die Biografien
verstoßener Söhne, eines verschollenen Castingshow-Stars, eines albanischen Punks und jener
jungen Tschechin, die als erster Mensch vorsätzlich einen LKW in eine Menschenmenge steuerte.
AUTOS
Hörspiel nach dem Theaterstück von Enis Maci
Radiofassung und Regie: Giuseppe Maio
Mit: Amelle Schwerk, Matthias Rheinheimer, Toni Jessen, Julius Stucke, Melina von Gagern, Luise
Wolfram, Tilla Kratochwil, Rainer Strecker, Susanne Bormann, Max Hegewald, Sandra Borgmann,
Tobias Dutschke, Lisa Hrdina, Alexander Ebeert, Volker Wackermann, Florian Lukas, Christian
Gaul, Meike Rötzer, Achim Buch, Hans Löw, Thomas Niehaus, Amelia Umuhire, Tilo Werner,
Stephan Schadt
Komposition: Andreas Bick
Ton und Technik: Martin Eichberg und Philipp Adelmann
Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2019
Länge: 77'19

Enis Maci, geboren 1993 in Gelsenkirchen, hat Literarisches Schreiben am Deutschen


Literaturinstitut Leipzig und Kultursoziologie an der London School of Economics studiert. In der
Spielzeit 2018/19 war sie Hausautorin am Nationaltheater Mannheim. Ihr Stückentwurf
„Mitwisser“ wurde 2017 mit dem Hans-Gratzer-Stipendium ausgezeichnet, 2018 uraufgeführt und
zu den Mülheimer Theatertagen 2019 eingeladen. „AUTOS“ wurde 2019 am Schauspielhaus Wien
uraufgeführt. Enis Maci wurde von „Theater heute“ zur „Nachwuchsautorin des Jahres 2018“
gewählt und mit dem Literaturpreis „Text & Sprache“ 2019 des Kulturkreises der deutschen
Wirtschaft ausgezeichnet. 2018 erschien ihr Essayband „Eiscafé Europa“.
Giuseppe Maio, geboren 1970 in Süd-Italien, lebt in Berlin. Autor und Regisseur zahlreicher
Hörspiele und Features. Zuletzt für Deutschlandfunk Kultur: „Der Drehung entgegen – Wie Franz
Erhard Walther aus dem Bild ausstieg“ (Dlf Kultur 2017) und als Regisseur und Bearbeiter (mit
Klaudia Ruschkowski) „Nacht“ von Etel Adnan (Hörspiel des Monats August 2017).

Enis Maci über ihr Theaterstück und Hörspiel „AUTOS“ – „Wie eine Detektivin spüre ich Indizien
auf“ Hörspielmagazin, vom 26.01.2020

Enis Maci im Interview über Autos, Recherche und das Kombinieren von Geschichten:
„Wie eine Detektivin spüre ich Indizien auf“
Das Interview für Deutschlandfunk Kultur führte Lene Albrecht.
Für die Dramatikerin Enis Maci ist ein Auto vieles: Statussymbol, mörderisches Kraftfahrzeug,
schützende Blechhaut und Mittel zum Verschwinden. Im Interview spricht die Autorin unter
anderem über das Sammeln und Kombinieren von Geschichten, die auf den ersten Blick nichts
miteinander zu tun haben.

Wurde 2018 in der Kritiker*innen-Umfrage von „Theater heute“ zur Nachwuchsdramatikerin


des Jahres gewählt: Enis Maci. (Foto: privat)

Deutschlandfunk Kultur: Enis Maci, Ihr Hörspiel „AUTOS“ beginnt so: Eine junge Frau und ein
junger Mann sitzen im Auto, sie fahren die „Gastarbeiterroute“ ihrer Eltern nach und erinnern sich
an die Erfahrung der Elterngeneration, die ausgewandert ist. Welche Rolle spielt dieses Erinnern im
Auto?
Enis Maci: Die Idee von Erinnerung zweiter Hand sozusagen, die weitergegeben wird von
Generation zu Generation oder möglicherweise auch einfach nur von Person zu Person in Akten des
Wiedererzählens und Auslassens und so weiter, begleitet mich schon länger. Und ich könnte gar
nicht genau sagen, was mich zuerst dazu gebracht hat, „AUTOS“ zu schreiben. Aber es ging stark
darum, dass das Auto in dem Moment so etwas Gewaltiges, potenziell Mörderisches, war. Als ich
das geschrieben habe, lebte ich in London und der Anschlag auf der Westminster-Brücke war
allgegenwärtig. Und gleichzeitig steht das Auto für eine Freiheit und für ein „es geschafft haben“.
Irgendwie.
Deutschlandfunk Kultur: Inwiefern?
Enis Maci: Ich habe kürzlich mit dem Bus die deutsch-luxemburgische Grenze überquert. Sobald
man nach Luxemburg reinfährt, sind überall Schilder, die warnen, dass man unter keinen
Umständen schneller als 100 fahren darf, weil auf dieser Straße natürlich ihr Auto liebende deutsche
Fahrer unterwegs sind, für die Tempo 130 der Inbegriff der Freiheit ist. Aber eben auch nicht nur
diese Erzählung vom Auto als ein Versprechen, sondern natürlich auch so eine migrantische oder
postmigrantische Erzählung davon, dass man dann diesen Mercedes hatte und mit dem dann nach
Hause (wenn es das denn überhaupt gibt) fuhr und so weiter und so fort. Ich habe viele Geschichten
zu Autos im Hinterkopf, die mir vielleicht eingeschrieben sind, weil ich sie sowohl konsumiert als
auch erfahren habe.
Deutschlandfunk Kultur: In Ihrem Essayband „Eiscafé Europa“ heißt es an einer Stelle: „Jeder
Schreibakt begann damit, dass ich die Notizen per ‚Steuerung F‘ nach relevanten Stichwörtern
durchforstete“. Sind Sie eine Art Sammlerin, die unterschiedliche Stränge zueinander in ein
Verhältnis bringt?
Enis Maci: Ja, das stimmt… Ich glaube, dass sich mein Verfahren zum Beispiel von einem strikt
auf Recherche basierenden Schreiben unterscheidet, weil am Anfang des Arbeitens eben noch nicht
klar ist, welche dieser Spuren überhaupt relevant sein werden, und weil das Sammeln der Hinweise
eigentlich dem Arbeiten selbst vorausgeht. Wie eine Detektivin spüre ich diejenigen Indizien auf,
die auf ein bestimmtes Verbrechen hinweisen. Und erst im Schreiben wird überhaupt
herausgefunden, welches das sein könnte. Und ich denke, das strikte Recherchieren – gegenüber der
auf Informationen Sammeln basierenden Methode – verlässt sich eher darauf, dass man schon
vorher weiß, wo man hin will.
Deutschlandfunk Kultur: In „AUTOS“ tauchen reale Fälle auf. Da ist zum Beispiel Olga
Hepnarová, die im März 1973 als erste Selbstmordattentäterin mit einem LKW in Prag in einer
Menschenmenge raste. Welche Bedeutung hat für Sie gefundenes Material bei der Recherche für
einen Stoff?
Enis Maci: Gefundenes Material ist ein ganz zentraler Ausgangspunkt meiner Arbeit. Meistens gibt
es schon vorher eine Idee oder eine Art Keim. Oder, sagen wir, vielleicht eine Spur, auf die ich mich
begebe. Und in dem Moment, in dem man mit der Wirklichkeit, die über einen selbst hinaus weist,
konfrontiert ist, sieht man ja die ganze Zeit weitere Hinweise oder Assoziationsfelder, die irgendwie
damit zu tun haben. Und die gilt es dann zu beackern.
Deutschlandfunk Kultur: Die Geschichte um Olga Hepnarová ist ja eigentliche eine verschüttete.
Bei einem Selbstmordattentat denken wir an erster Stelle an einen ideologischen Anschlag, oder?
Enis Maci: Genau. Als ich das Stück verfasst habe, habe ich auch teilweise in London gewohnt.
Und gerade dort war das Klima geprägt von Angst vor weiteren Attentaten. Gerade solche, die mit
einem Auto durchgeführt werden. Es ist viel die Rede davon gewesen, dass das ein innovativer
Ansatz des sogenannten Islamischen Staats sei. Und das hat mich interessiert. Und dann bin ich auf
die Geschichte von Olga Hepnarová gestoßen, die – wie ja oft eine Sache genauso wahr ist wie ihr
Gegenteil – einerseits verschüttet war, andererseits aber gar nicht. Es gibt sogar einen Spielfilm
über ihren Fall, der auf der Berlinale gelaufen ist, den man aber vielleicht eher als Psychogramm
deuten kann. Mich interessieren aber eher die Verhältnisse, die zu einer bestimmten Tat führen
können, oder die Rhetorik, die um einen bestimmten Diskurs herum stattfindet.
Deutschlandfunk Kultur: Geht es Ihnen darum, wie Wirklichkeit erzählt wird?
Enis Maci: Genau. Und darum, wie Wirklichkeit im Erzählen hergestellt wird, jedes Mal aufs
Neue, auch im Wiedererzählen und in den Variationen und Auslassungen, die unweigerlich
stattfinden, wenn man wieder erzählt.
Deutschlandfunk Kultur: Ganz unterschiedliche Bruchstücke finden Eingang in Ihr Hörspiel. Da
ist die Selbstmordattentäterin Olga Hepnarová, dann ist da der DSDS-Sänger Daniel Küblböck, der
seit September 2018 verschollen ist, nachdem er vom Bord eines Kreuzfahrtschiffes in den
Nordatlantik gesprungen war. Um seine Figur und die Frage, warum er womöglich Selbstmord
begangen hat, ranken auch viele Verschwörungstheorien. Wie sind diese beiden Geschichten für Sie
zusammengekommen?
Enis Maci: In AUTOS geht es auch um das Verschwinden. Und Daniel Küblböck ist ja
gewissermaßen verschwunden. Oder er hat sich für das Verschwinden entschieden. Und die
Berichterstattung darüber hat mich stark erinnert an die Geschichte von Bas Jan Ader, diesem
niederländischen Künstler, der verschollen ist bei seinem Versuch, den Atlantik zu überqueren, was
eigentlich Teil einer längeren Performance sein sollte. Und diese Geschichte wiederum war mir
vertraut geworden durch „Schlafgänger“ von Dorothee Elmiger. In dem Moment verknüpft sich
also eine lange zurückliegende Lektüreerfahrungen mit der Berichterstattung über jemanden, über
den eigentlich immer nur mit Häme berichtet worden ist, zu etwas anderem Dritten, das vielleicht
ein Erforschen dessen ist, was Verschwinden bedeuten kann.
Deutschlandfunk Kultur: An einer Stelle taucht die Formulierung „unsere Blechhaut“ auf. Was
verkörpert dieses Bild für Sie? Einen Panzer, der schützt, der aber auch verletzen kann? Der einen
von der Welt abgrenzt, einen gleichzeitig aber auch mit der Welt konfrontiert?
Enis Maci: So sehr das Auto selbst etwas Gefährliches sein kann, ob absichtlich oder nicht, so sehr
ist sein Inneres auch ein Schutzraum, ein realer oder einer, von dem man möglicherweise träumt,
wenn man in der U-Bahn sitzt und die anderen stinken und schwitzen und man hat überhaupt keinen
Bock jetzt. Und dieser Übergang zwischen Innen und Außen, der ist ja wirklich nicht mehr als eine
Haut. Das ist ja vor allen Dingen eine Abmachung, an die man sich hält, so wie jede Tür eigentlich
auch nur ein Vorschlag ist. Die meisten von ihnen könnten sehr einfach niedergerissen werden. Und
in dem Moment, in dem ich dann zum Beispiel später über die Argentinische Ameise schreibe, habe
ich eben das Gefühl, dass das Material, das mir sozusagen über die Füße läuft, eigentlich danach
schreit, mit eingebunden zu werden. Handelt es sich doch bei ihr auch um ein Tier mit einem Exo-
Skelett.
Deutschlandfunk Kultur: Stimmt, das Exo-Skelett spielt auch eine Rolle in „AUTOS“. Was ist
das genau?
Enis Maci: Der Mensch hat ein Endo-Skelett, die Knochen sind innen und das Fleisch ist außen,
und bei vielen Insekten, vielleicht auch bei allen, das weiß ich gar nicht genau, ist eben der
knöcherne oder aus Chitin bestehende Panzer außen und schützt das Innere. Was mir irgendwie
auch logischer erscheint. Aber ja, jetzt funktioniert ja die Evolution nicht nach Maßstäben der
Logik… (lacht)
Deutschlandfunk Kultur: Welche Beziehung haben Sie denn zur Blechhaut? Zum Auto?
Enis Maci: Ich bin ganz lange ohne Auto aufgewachsen und habe vielleicht auch deshalb keinen
Führerschein. Aber 2020 wird das Jahr, in dem ich ihn mache.
Deutschlandfunk Kultur: Wir wünschen Ihnen viel Erfolg dabei.

Werke
Eiscafé Europa, Essays, Suhrkamp, Berlin 2018, ISBN 978-3-518-12726-1
Lebendfallen, Drama, UA im März 2018 am Schauspiel Leipzig, Suhrkamp Insel Theater Verlag
Mitwisser, Drama, UA im März 2018 am Schauspiel Wien, Suhrkamp Insel Theater Verlag
Autos, Drama, UA im Januar 2019 am Schauspielhaus Wien, Suhrkamp Insel Theater Verlag
+ Autos, Hörspiel nach dem Theaterstück von E. Maci, Radiofassung und Regie: Giuseppe
Maio, Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2019, Länge: 77'19 Minuten.
Bataillon, Drama, UA am 23. Januar 2020 im Nationaltheater Mannheim
Wunde R, Drama, UA am 15. Juni 2020 in den Münchner Kammerspielen, Regie: Felix
Rothenhäusler

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