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Zeichnung: Semi Balgiogli (Türkei)


POLITISCHE Nr.4
WOCHENSCHRIFT Gründungsjahr
der deutschen Ausgabe
1945

LESERBRIEFE {2}' EREIGNISSE DER WOCHE ({), PIrI{SONALIEN (14


SPANNUNGSHERDE G. Sidorowa DER AUSNAHMEZUSTAND
S. Kuprejew STEPANAKERT, JANUAR

NIKARAGUA L Kudimow BLEIBEN DIE SANDINISTEN AN DER MACHT?


PARTEI UND GESELLSCHAFTM. Uljanow POLITISCHER MARATHON
G. Koncius UND WAS lST, WENN GORBATSCHOW WEITER LINKS STEHT?

IUMANIEN q::Posolsl,e/skr {. q1l,?1Dl! PROBE AUF DEM STEGESILATZ tz


OSTEUROPA M. Besrukow, A. Kortunow WER IST HEUTE VORNE? tl
DDR - BRD A. Kowrigin, N. Sholkwer FALSCHE SCHIACHTENBUMMLER u. a. l0
NZ-STANDPUNKT L Besymenski,,DER FEIND STEHT RECHTS'

WIRTSCHAFTSBAROMETER A. Didussenko $TUNDE DER REFORMEN tg


HAITI M, Baklanaw AUF DER SUCHE NACH
EINEM ZUHAUSE m
NZ.DISKUSSIONSCLUB
I. Ambarzumow DER WESTEN WILL UNS NICHTS BöSES 23
Rumänien: Revolution
und die Menge VON UNSEREM SONDERKORRESPONDENTEN

$.12 W. Shitomirski lÄND OHNE RAND


NZ.STANDPUNKT
W, NossenkoYERTRAUENSMANGEL BEI ZU V]EL INITIATTVE 23

JUGOSLAWIEN G. Syssoiaw lN ERWARTUNG DDR - BRD:


EINER LöSUNG tl Neonazls
werden aküv?
KDVR C. TolorajaÖFR{UNG ZUR WELT? tt
s.l6
UdSSR V. Janischewskaja ZEIT t llD GELD ü
RECT{TSSTAAT I. ChaIcwiIßKiGEÖFFI{ETE TOREil

STANDPITNKT DES ruRISTEN L FeofanowwAS tST üBERFLÜSS|G

IM GESETZ?

HANDSCHRIFTEN BRENNEN NICHT S. Tschitscherin RUSSIÄND


AM VORABEND DES 20. JAHRHUNDERTS
Der politischa
Gedanke TAGEBUCH DES SOZIOLOGEN 1,. /onrn ANTWORT
des 20. Jahrhunderts.
AN ALEXANDER SINOWJEW {3
Die Rubrik
,,Handschriften KULTUR UND POLITIK"I. KrossTREUE, KOMPROMISSE UND FANATISMUS $
brennen nicht" mit RELIGTON B. Balkarej RÜCKGABE VON HE|LrcTÜMERN
Boris Tschitscherin
fortgesetzt Titelbild: viktor Brel
s.39
Anschrift: 103782, GSP, Moskau K-6, Puschkinskaia pl.
tlD 229-ffi-7 2t 209 - 07 - 67
=
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Erscheint in Russisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch,
und Griechisch
,,Aeroflot" bringt die ,,Neue Zei{' prompt in jedes Land Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet
,.$,:,[,, ,,,,,,,,BRIEf.,,:f].
Ghelrodaktar
Vitali IGNATENKO
Bedaklion*dlegium:
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, Leonid ABßANIO\F{,
.,,,,,
,,llicht mil lügen leben" tödliche Krankheit des l-andes rat, der später 60 Millionen
und der Tod für die gesamte Opfer zermalmte, von Lenin,
LewBESYMENSKI, (11r.30189)
Menschheit",,,Kommunisten Trotzki und Dzierzynski
Alexej BUKALOW
(verantwortl,,'Sekretär), I Die eigentümliche Stilistik sind eine unerlcittliche totalitäre geschaffen wurde..." Vielleicht
des Autors dieses Aftikels Bande". Das wurde zu ver- hat sich die Position von Sol-
AlexanderDIDüSSEN-I(O' lenkt den Leser vom Wesen schiedenen Zeiten gesagt, shenizyn während der Pere-
' V,itali GANJUSCHKIN
(stellv.
l
der Frage ab: Wer ist denn direkt und ohne Umschweife. stroika geändert? Er hat bis
jetzt noch keine Erklärungen
Solshenizyn nun wirklich? Ja, Und weiter: Die OKobenevolu-
Chelredakteur), er ist ein Ereignis in der russi- tion war von Anfang an eine abgegeben, die seine früheren
Sergej GAT,I PtId.OWr',' schen Literatur. Und weiter? ,,verbrechensche Aktion Lenins Aussprüche konigiert hätten.
Wladimir Wenden wir uns den Werken und Trotzkis gegen die schwa- lch habe einmal in lhrer Zeit-
KULISTIKOW von Solshenizyn selbst zu, che russische Dernokratie-. ,.es schrifi zu einem anderen Anlaß
I (stel!v' Chefredakteur), ' weil der Autor des Adikels das gab überhaupt keinen Stalinis- gelesen: ,,Man hat uns noch
Leonid MLETSCHIN, nicht getan hat und uns somit mus als slchen, das hat Lenin nichts bewiesen, wir glauben es
Dmitr)DDDIDFNIF-f L),) iä\se)n \äD\, D\ \o\s\errtajn sD\D\ Ä\ts \b\ SrNs iter ss,\srr. -\N:r ss\\srr'srrs
llIexaider'Pumr;eNsxtI ein Antikommunrst oder ein gemacft". Heftig gegen Robert wenigstefis selbst acfüen." lhr
,,Kritiker des fanatischen Dog- Tucker polemisierend, der Autor whreibt: ,,Kann sein, der
Chefredakteur), matismus" ist. Solshenizyn behauptete, Stalin habe den Schriftsteller kommt hefl"
Galina SIDOROWA, selbst sagte:,,Kommunismus Bolschewismus zerstört, ver- Kann sein? Nicht das ist selt-
Viktor STARSCHINOW ist ein blutiges Hemd, dessen weist Solshenizyn seinen sam und traurig, sondern
man sich entledigen muß", Opponenten auf seinen ,,Archi- etwas anderes. Nicht Solshe-
Gestaltung: pel", wo er aukeigte, daß ,,der
,,Kommunismus ist die Negie- nizyn wird von Lenin korrigiert,
Igor SCIIEJIN rung des Lebens, das ist eine kommunistische Polizeiappa- sondern Lenin von Solsheni-
Verantw. Redakteqr, -,

der deutschen Ausgabe: I Auf Einladung desVorsitzenden desAusschus- über die Emigration, das das Ausreiseverbot für
Gennadi MJASNIKOW ses für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Geheimnisträger aufftinfJahre begrenzl, über das der
beim Kongreß der USA, Dennis Deconcini, und des Leiter der sowjetischen Delegation den Ausschuß
llZ-Konespondenten: Co-Vorsitzenden dieses Ausschusses Steny Hoyer informierte, auf alle Penonen Anwendung finden
weilte eine Delegation des Obersten Sowjets der wird, die ausreisen wollen, auch aufdiejenigen, die frü-
Algier UdSSR in den USA. Dieser Besuch war die Antwott
Michail CHROBOSTOW; her eine Absage erhielten. Die Mitglieder des Aus-
auf den Besuch des Ausschusses im November
schusses unterstrichen die Notwendigkeit, in der
Belgrad 1988 in der Sowjetunion. Die Ergebnisse der Reise
übertrafen alle Erwartungen. Es wurde eine bei- UdSSR einen Rechtsstaat zu schaffen und in diesem
Gennadi SYSSOJEW;
spiellose gemeinsame Erklärung angenommen und Zusammenhang die Aktuaütät der diskutierten Geset-
Berlin zesvorlagen in solchen Bereichen wie Bewegungs-,
ein Programm gemeinsamerAktionen im humanitä-
Anatoli KOWRIGIN; ren Bereich abgesteckt. Weil sich. die Aufmerksam- Presse-, Versammlungs- und Glaubensfreiheit. Der
Bonn keit der Massenmedien jedoch ausschließlich auf Ausschuß rief auch zurbaldigen kgalisierung der grie-
NiKita SHOLKWER; den zweiten Kongreß derVolksdeputierten konzen- chisch-katholischen Kirche in derUkraine auf. Eswur-
'' trierte, wurde unsere Reise in derSowjetunion prak-
'Bukarest tisch nicht beleuchtet und die gemeinsame Erklä-
den weiter Fragen erörtert, die mit der Selbstbestirn-
SergejSWlRlN; mung der Nationen, den zwischenethnischen Bezie-
rung nicht veröffentlicht. lch denke, diese Aufgabe hungen und der Strafgesetzgebung im Zusammenhang
Delhi könnte die NZ übernehmen.
SergejlRODOW; Fjodor Burlazki stehen.
Die sowjetische Delegation hat ebenfalls eine Reihe
Havanna tJi::t;
Vita|iSOBOLEW; vorsitzender des u*#i::fi iLYi?iä. von Fragen aufgeworfen, die mit den Menschenrech-
wissenschaftliche und kulturelle Beziehungen des Komirees ten in den USA zusammenhängen, inklusive der nicht-
Lusaka
fü r internationale Angelegenheiten erfolgten Ratifizierung mehrerer internationaler Men-
Nikolai RESCHETNJAK; des Obersten Soqjes der UdSSR schenrechtsdokumente. Die sowjetischen Parlamenta-
Managua Die sowjetische und die amerikanische Seite heben rier riefen die USA auf, die Hindernisse zu beseitigen,
JuTiKUDIMOW; die wachsende Rolie und die Wichtigkeit der humani- die die Entwicklung normaler Handelsbeziehungen
New York ftiren Problematik im gegenwärtigen Dialog zwischen bremsen. Die Delegationsmitglieder haben weiterhin
Jewgeni ANDRIANOW; der UdSSR und den USA hen'or. erklärt, daß die kisung vieler Emigrationsprobleme
Rom Die sowjetische Delegation hat mit großer Genugtu- wie die Gewährung des Status von politischen Flücht-
PawelNEGOIZA; ung die Erklärung von Senator Deconcini und dem lingen und die Perfektionierung der Erteilung von Visa
Stockholm Kongreßabgeordneten Hoyer aufgenommen, den hauptsächlich von der Bereitschaft der USA zw
Alexander POLJUCHOW; Vorschlag von häsident Gorbatschow zur Einberu- Zusammenarbeit abhänge.
fung eines Treffens der 35 KSZE-Teilnehmerländer Die sowjetische Delegation hat den Ausschuß für
Tokio
auf höchster Ebene zu unterstüfzen. 1990 zu einem Besuch der Sowjetunion eingeladen. um
Wladimir Bei den Arbeitssitzungen haben die Seiten Men- die Erörterung der Menschenrechtsthematik uad Ce:
OWSJANNIKOW. schenrechtsfragen erörtert. Die Mitglieder des Aus- damit verbundenen Fragen im Rahmen des e*:.r--ir-
Auslandsredaktionen: schusses fur Sicherheit und Zusammenarbeit in ropäischen Prozesses fortzusetzen und a:.":Lcr
Europa zeigten sich besorgt über eine Reihe von Pro- gemeinsamen Anhörung zum Realisierungs!-,ra. ier*
Warschau,,,Nowe Czasy"
blemen, die mit den Menschenrechten in der UdSSR Wiener Vereinbarungen und anderer KSZE-1,:*.ri-
Jan LYSEK;
Prag, ,,Nova doba"
im Zusammenhang stehen und gaben ihrer F{offnung mente durch beide Seiten teilzunehmen. D. Sensr
Ausdruck, daß die Fälle von Ausreiseverboten sowie haben außerdem verehbärt, daß die ErF::'r:: :r:r:.-
Vladimir TRAVNICEK; die Probleme von politischen Häftlingen in nächster halb des Jahres enge Kontakte zueila:ri:: -j:--.:rit*
Athen,,,Nei Keri" Zukunft eine positive Iösung erfahren werden. Die ten, um Details einer intensiveren Zu-v::-rl.:":::,gr tr.
Kostas MICHAELIDES Mitglieder des Ausschusses erwarten, daß das Gesetz erörtern und die Vorbereitungsart'eir i;j:::* "em,jE"

g ..I{ E U E z E I r" 4.90


und politisehe

Das ganze Leben


wie bei lwan
Denissowitsch?...
Den neuen
Nationalismus
stoppen
zyn. Die Frage, die Lenin oft wieder-
holte, wem das nütze, steht im
Raum. Entschuldigen Sie den lan-
gen Brief. Siewerden nieverstehen
können, wie weh das alles tut...
S. Livshiz
Berlin (West)

,,lm $chlal oder bcl wachem


Bewußtseln?" (l{r. 52/89)
I lch bin völlig mit der Position
des Autors einverstanden,,,Archi- ZLi /tt t trttg: ll I ul i t tti r,\ tttuschew
pel GUI-AG" ist ein großartiges
Buch, und es nicht zu drucken,
rung zahlreicher Nationen und hat Stalin (seiner falschen Kon- Schaffen wir erst ein sozialisti-
Nationalitäten in wenige Unions- zeption der Autonomisierung fol- sches System in Estland (oder
hieße unserer Literatur etwas vor-
enthalten. Und nicht nur unserer
republiken und fast rechtlose gend) zu einer bürokratisch ver- sonst wo), dann wird das
Literatur, sondern dem Bewußt- autonome Republiken bringt walteten Union der Republiken Bewußtsein der Menschen
sein iedes denkenden Menschen.
unter den Bedingungen der gemacht. Dieser Austausch schon nachfolgen" Die Praxis
Demokratisierung das Streben einer Union gegen die andere ist zeigt: Der Satz ist, so besehen,
lch teile mein Leben in zwei genau die
Abschnitte ein: vor der Lektüre des
der zahlenmäßig kleinen Völker sozialpolitische falsch. Das Bewußtsein des ein-
und nachher. Nachdem
und nationalen Minderheiten Bombe, die in den Mechanismus zelnen oder größerer Gruppen
"GULAG"
ich es gelesen hatte, konnte ich
nach Gleichberechtigung und als unseres nationalen Staatsauf- wirkt ebenso auf das Sein. Bei
schon nicht mehr lwan Denisso-
Gegenreaktion Nationalismus baus eingebaut ist und die hoch- lhrem Autor fehlt weitgehend
witsch aus einem anderen Buch
von seiten der ,,Stammnation" geht, wenn man auf das gewalt- die psychologische Kompo-
Solshenizyns sein, der unwillkür-
der Republik hervor. Diese Form same administrative Komman- nente;
lich nur daran dachte, wie er den
des sowjetischen republikani- dosystem der Lenkung von Ein sozialistisches Staatssy-
Tag überleben kann: Ausschlafen,
schen Nationalismus bezeichnet nationalen Prozessen verzichtet. stem, eine starke sozialistische
eine doppelte Portion Suppe lhrAutortaktvoll als neuen Natio- Nur eine zeitmäßig schnelle Gemeinschaft, ist nur als
bekommen, nicht krank werden.
nalismus. Sein Wesen ist aber Umgestaltung der Union der
Gemeinschaft starker, selbstbe-
So haben wir doch aber fast alle
das älte - die ,,Reichsdenk- Sozialistischen Sowjetrepubli- wußter, auch ihrer selbst sicherer
gelebt, zwar nicht im Lager, son- weise" des Republiksapparats, ken in eine Union der Sowjeti-
der fast ausschließlich aus Ver- schen Sozialistischen Nationen Menschen möglich und entwick-
dern verhältnismäßig trei!
tretern der ,,Stammnation" und Völkerschaften kann das lungsfähig. Wo über Jahrhun-
Unlängst las ich einen Beitrag, in
besteht; die Bestrebungen, die Land unter den neuen Bedingun- derte die nationale Kultur von
dem Solshenizyn als Monarchist, fremden kulturellen Einflüssen
Feind der Demokatie usw.
Probleme der Republik auf gen vor neuen nationalen Erup-
Kosten der politisch und wirt- tionen bewahren. dominiert worden ist, da besteht
bezeichnet wurde. Das ist doch die ein Nachholbedürfnis, das zu
schaft lich benachteiligten natio- W. Awanessow
Höhel Überlegen Sie mal, ob es, ignorieren fatale Folgen haben
nalen Minderheiten zu lösen; die Dr. paed., Moskau
wenn man sich erinnert, was SoF kann. Lenin hat das in bezug auf
ständige Schmälerung der natio-
shenizyn durchmachen mußte, Finnland sehr wohl gesehen. Für
dann noch real ist, ein,,übeaeug-
nalen Würde der letzteren, viel- ,,lllchl allein aul det Well.,."
fältige Formen der Gewalt, Teri- (1rr.30/891 mich als Außenstehenden ist
ter Anhänger der Leninschen
torialansprüche auf das Land der schwer zu begreifen, warum
ldeen zu sein". Unser Alltag selbst
macht manchen Mitbürger zu Anti-
autonomen Gebilde und derzah- I lm Frühling v. J. hatte ich selbständige baltische Staaten
lenmäßig kleinen Völker... zum ersten Mal Gelegenheit, deren - freundschaftliche -
kommunisten.
Wir entfernen uns immer mehr
Die vielgebrauchte Formel Estland zu besuchen. lch wurde Beziehungen zur Sowjetunion
,,starkes Zentrum - starke Repu- mit einer Reihe von estnischen etwa den Charakter der fin-
von der schlimmen Periode der Bürgern bekannt. Unter meinen
bliken" wird im Falle ihrer Reali- nisch-sowjetischen Beziehun-
Verbrechen und der geistigen estnischen Gesprächspartnern
sierung die Republiken stärken, gen haben könnten, in einer Zeit
Verarmung. Wollen wir sie doch habe ich keine Fanatiker getrof-
ohne Vorbehalte hinter uns las-
jedoch das Zentrum schwächen
fen, wohl aber engagierte estni-
der Umgestaltung und des
sen und auf unsere Bücherregale
und damit eine noch größere neuen Denkens nicht möglich
Bücherstellen, die Protest gegen
Welle des republikanischen sche Patrioten. Mein Eindruck sein sollten. Sind bei der
jene Zeit ausdrückenl Nationalismus hervoöringen, ist: trotz 50 Jahren sozialisti- Selbstbestimmung der nationa-
dieser zerstörerischsten Kraft scher Gesellschafts- und Wirt- len Minderheiten die Grenzen
O. Retschkow schaftsordnung ist das
unserer Gesellschaft sordnung. der sozialistischen Demokratie
Irningrad, RSFSR Bewußtsein eines großen Teils
Um den neuen Nationalismus und des Erneuerungsprozesses
,llatlonale Eruiliongn" zu stoppen, müßte man sich der Esten nicht sozialistisch erreicht?
über eine, wie es scheint, selt- geprägt.
(ilr.52/89) same Frage Gedanken machen: ln unserer kommunistischen Wolfgang Albrecht
I Nationale Eruptionen erge- ln was für einer Union leben wir? Bewegung sind wir offensichtlich Oulu. Finnland
ben sich logisch aus dem fal- Das von Lenin beabsichtigte frei- allzu gläubige Anhänger des Sat-
Zusammengestellt von
schen nationalen Staatsaufbau, willige Bündnis gleichberechtig- zes geworden, nach dem das
den rvir ererbt haben. Die Gliede- ter Nationen und Völkerschaften Sein das Bewußtsein bestimmt: M. Tscherwonzewa

,,II E U E z Et I" 4.00 E

__gerp Ul
ei dem Besuch einer Delegation der LDP, der F rankreich hat erneut seine Botschaft in
japanischen Regierungspartei, in der Sowjet" f Kabul eröffnet. Bekanntlich wurde sie im
union fand ein wichtiges Gespräch im ZK der Februar v. J. ,,aus Sicherheitserwägungen"
KPdSU statt, Wir hatten einen offenen Meinungs- gcschlossen und ihr gesamtes diplomatisches unrl
austausch mit Michail Gorbatschow. Das zeigt, daß technisches Personal in die Heimat zurückgeholt .

die UdSSR den Beziehungen zu Japan große Im vergangenen Jahr hat sich in Afghanistan
Bedeutung beimißt. Auch unsererseits wurdc der viel zum Besseren verändert. Die Regierung der
große Wunsch bekundet, die japanisch-sou'jeti- Republik Afghanistan bewies nach dem Abzug
schen Beziehungen weiterzuentwickeln. Wir unter- der sowjetischen Truppen entgegen wenig Wohl-
stützen die von Gorbatschow eingeleitete Pere- wollen bekundenden Prognosen ihre Lebensfii'
stroika, seinen Reuen Kurs in der Außenpolitik. higkeit, konsolidiert allmählich ihre Positio-
Unsere Zusammenarbeit dabei würde unseren Län- nen, hat die Kraft, Angriffe der Feinde abzu-
dbin wie der ganzen Wolt zugute konrmen. Eine sol- wehren. Ich meine, daß auch der jüngste
che Zusammenarbeit würde die japanisch-sowjeti- Beschluß der französischen Regierung, die
SHINTARO schen Beziehungen aufeine neue Ebene hebcn und Botschaft in Kabul wieder zu eröffnen, Symbol- s. GULABZO|,
ABE, helfen, sehwierige Probleme zwischen Moskau und charakter trägt. E,r reißt die ,,Einheitsfront" Mltglled
Tokio anzugehen, der westliehen Länder und Japans ein, die bis- d€o Politbtiros
G.fl6ral3ekrotär
d.r Wir waren natürlich nicht imstande, jetzt, bei die- lang ihre Diplomaten nicht in unsere Haupt- dÖ3ZKd6rDVPA,
ub.räldomokratl- sem Besueh, alle Probleme zu lösen. doch wir vet- stadt zurüekschicken wollen.
Außerord€ntliohör
einbarten eine Fortsetzung des Dialogs. Unserer- und
rchcn Peft6l
J€p€ng seits brachten wir, um die Perostroika zu unterstüt'
Frankreichs Schritt zeugt davon, daß es die B6vollmäöhtlgter
zen, einen Acht-Punkte-Plan für die Vertiefung der Aussichten für eine Lösung des Afghanistan-Pro- B0teöhäft€r
japanisch-sowjetischen Beziehungen mit, der von blems auf dem Weg der nationalen Aussöhnung dör Republik
der sowjetischen Seite hoch bewertet wurde. Der realistisch einsehätzt. Frankreich verlieh wieder- Alghanistän
Besuch .hatte großen Erfolg. Ich rcise mit einem
holt cler Hoffnung Ausdruck, daß es den Kon- in ddr UdSgR
Gefühl tiefer Genugtuung ab. lliktseiten gelingen möge, das Blutvergießen zu
beenden, und daß Frieden und Ruhe in Afghani
stan einkehren. Ein so realistisches Herangehen
llf ic erklärt sich mcjn Rücktritt als Milglied
einer Großmacht kann man nur begrüßen.
UU O"* Büros und der Riicktritt de, gcsumten
liüros des Gebietskomitecs der Partei ztrs:rmfiten Wir hoffen ferner, daß Frankreich bei dem
rnit dem 1, Sekretär G. Bctgomjakow? bevorstehenden Besuch des Präsidenten der
Der Rücktritt ist erfolgt, und das wichtigste ist Französischen Republik Francois Mitterrand in
.ie tzt, daraus Lehren zu ziehen. Pakistan ein€ weitere Friedensinitiative ergreifen
Schon nicht nur einzelne Kommunisten, son- wird, um zu einer schnellstmöglichen Lösung des
tlcrn die überwiegendc Mchrhcit ist zu dcr' Über- A{ghanistan-Problems beizutragen.
zcugung gekommen, daß radikale denrokratische
l{cformen in der Partei von der Basis bis zur
Spitze erfbrderlich sind. Ä nlaß für meinen Besuch in der Sowjct-
Zweifellos muß die Führungsrolle he ute durch A union war ein in Leningrad durchgefuhr
VIKTOR reales Ansehen nicht nur im Apparat, sondcrn tes Seminar cles Internationalen Management=
GORBA. bei den meisten Parteimitgliedern, bei der Bevöl- Instituts (LIMI) zum Thema ,,Percstroika uncl
kerung untermauert werden. Wenn ntan das sowjetische Wirtschaft", Fragen des Ausbaus
TSCHOW,
ignoriert, dann gerät auch alles Positive, was der der direkten Beziehungen zwischen westlicherr
Chetrodaktour Indusffiekonzernen und sowjetischen Untcr-
d3r
,,Erste" getan hat, in Vergessenheit, bleibt nur
das Negative. Uberdies wird in diesem Fall alles nehmen unter den neuen Bedingungen wurdcn
G€bietsz6itung
*Tjumenskaja
Fehlerhafte, nicht zu Ende Geführte auf die erörtert. Der staatliche italienische Treibstoff-
Prawda" gesamte Organisation, ja auf die Partei insgesamt konzern ENI hat langjährige Traditionen sol- GABRIELE
übertragen. cher Verbindungen. GAGLIARI,
Die Kommunisten des Gebiets verlangen Der kürzliche offizielle ltalien-Besuch von Prä6id€nt
zurecht die Einberufung einer aulSerr-rrdentlichen Präsident Gorbatschow gab der Herstellung des
Gebietsparteikonferenz, Ich meine, daß ebenso prinzipieller Beziehungen zur Sowjetunion, ENI-Konzerns
berechtigt auch Forderungen sind, die Einberu- insbesondere bei der Prospektierung und För- (ltalien)
fung des 28. Parteitages der KPdSU weitmög- derung von Erdöl und Erdgas, einen wichtigen
lichst vorzuziehen. Impuls. Unsere Zusammenarbeit mit der
Die Delegierten des Parteitages sollten direkt von UdSSR ist, wie ich sagen würde, Bestandteil
den Kommunisten in den Crundorganisationen unserer Strategie und erfolgt auf langfristiger
gewählt werden! Mögen sie volles Vertrauen genie- Grundlage. Bei meinen jetzigen Gesprächen in
ßen! Nur dann werden die Beschlüsse des Parteita- Moskau mit sowjetischen Kollegen wurde cinc
ges von der Masse der Parteimitglieder angenom- prinzipielle Vereinbarung darüber erzielt, daß
men werden. In unserer konkreten Situation in Tju- der UdSSR von Firmen der ENI-Gruppe Anla-
men, in der direkten Konfrontation der Kommuni- gen, Waren und Dienstleistungen im Wert von
sten des Gebiets mit dem Büro und dem 1. Sekretär tiber 1 Md. Dollar überlassen werden. Unser
des Gebietskomitees zeugen die lrserbriefe der neues Programm siehtu. a. die Errichtung von
Gebietszeitung davon, daß die meisten Leser Ver- AGlP-Tankstellen an der Straße von Moskau
ständnis für die stabilisierende und organisierende zum internationalen Flughafen Scheremetjewo
Rolle der Partei im Land haben.

4.S0
Krieg. Mit einer geradezu stoischen Ruhe wurde die-

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yär,t""rilru' x*]s**#i**"'j*äü*]n*$*1'*"-,**
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mitvondenschlaflosenNächtengerötetenAugengedul- a.a^-^a^^^t^
dig uns Journarisren die ru,iää"",l,j,liääJä?:ffä Karabach
Bleistift über die Landkarte Transkaukasiens fuhr, die
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und
- sen zu elnem lmmer stärker vemickelren Riinrlel c,c
::;'ä,:'ä#.'.Tä"iljilH:J",ilH!il,lx,Tlfi';ääi
eiRigg andefg stepanakerr keinen Ausweg wtßten. Jahrirundertealte

il:ää'$:"äfi#B'ffttrö'ä;',1"'"1iJi,iT#3; Gebieie
qurde wohl zum erstenmal das Durcheinander in den
u"rrratigr ig|:H;"ru*f'Slf:*.;*trffi;
zugleöh zum Banner, das die nationali'stischen Bewe_
Republiks-, Gebiets- und Rayonsgrenzen wirklich gungen Aserbaidshans und Armeniens hochhielten.
be*ußt, eine Erbschaft des,,Vaters der Völker,,. In IedäRepubliksetztesich dasZiel,dieeigenenForde-
Xarabach kam es zu ,,kleineren Gefechten,.: In den rungen d'urchzusetzen. UnterdemBanneivonNagorny
\ächten wurde geschossen, am Tag wurden Steine Kaäbach begannen die Demonstrationen in Baku und
:eworfen und die ersten Geiseln genommen. Auf Mee- GAlinA Jerewan, uufä"n"n ein Rücktritt der lokalen Behörden
ringsin Baku wurden unzählige Drohungen gegen die nr"rl!-"L-. ^ gefordertwurde,dieindieserFragedielnteressendieser
.{rmenier und Aufrufe, Karibach nicht- heärigeben, SidOfOWA, Republikenangeblichnichtentschiedengenugverteidig_
die Pogrome in Stepanakert politische ten. zusleich lngen rausende von Aierbidshanern,
i._:e-T':ff;Jriäfi::'o
\.as würde die Zukunft
Lnd doch
bringen?
verschwand das Wort ,,Krieg,. aus <ler
Beobachterin ffäfä'#i,ffiJ;iTLTi äi*äX#;iä11än1
zerstören' Dort war eine der Losungen
R:portage vom Herbst. vielleicht schien es manchen in der NZ "wir
werden
Gräber auf
:er Redäktion nicht geeignet ftir die Beschrelly1g aer 5fi*xhtrT#tf;lii;l;;j'fij#ilenische
K..:rlitre zwischen zwei Sowjetrepubliken. Vielleicht ,,soweithabenwiresgebraclit...,,_ nichtohneScha_
:-::e:. und ich selbst wünschte das in meinemtiefsten denfreudehörtmanheuiedeninterregionalenChorder
Gesprächspartner
-::eren. hatte sich mein informierter Konservativen flüstern. Da haben wir also unsere
- 'eilen den
filsteren Prognosen getäuscht. Doch in Demokratie...
r-r;-e::\fonarenderArbeitimNKAOhatArkadiWolski Ja, die haben wir. Untl die Demokratie hat deutlich
.:: Fiobleme der Region nur zu gut erfaßt. In seinen werdenlassen,daßnichtallevölkerundnichtalleRepu-
?::'='rsen ime er sich nie. bliken in gleicher weise auf sie vorbereitet sind. Und

,,il E U E z E I r" 4.e0 E


das, obwohl die überwiegende Mehrheit sie die Rolle der Armee, der Verfligungstruppen möglicherweise eine Eskalation der Spannun-
will. Hier übrigens könnte gerade die Vielfalt des UdSSR-Innenministeriums als Allheilnittel gen in der Region vermeiden können.
der Völker und Kulturen in unserem Land hel- in einer schweren Mnute, als einer Art Krisen- Ausnahmezustand... Man möchte hoffen,
daß er die Legislativorgane auf allen Ebenen
-
fen dann, wenn wir tatsächlich den anderen feuerwehr?
veranlassen wird, schneller neue Prinzipien
wohlwollend betrachten, wenn wir an den Bei- Wir sprechen heute von der Souveränität der
spielen und Fehlern der Nachbarn lernen wür- Republiken, von ihrer Selbständigkeit. Die für die föderative Ordnung unseres Landes,
den. Bewegung in dieser Richtung ist ein objektiver, Mechanismen für die Lösung ethnischer
Die wahre Explosion des viele Jahre unter- natürlicher Prozeß, der jahrelang behindert Streitfragen zu erarbeiten und im Obersten
dri.ickt gehaltenen nationalen Selbstbewußt- wurde und der deshalb bisweilen so mühsam Sowjet der UdSSR die entsprechenden
seins förderte eine explosive Mischung zutage: verläuft. Doch meiner Meinung nach setzt die Dokumente zu verabschieden. Offenbar
von nationaler Würde und nationalem Egois- Souveränität auch Verantwortung für die Fol- müssen sich die.Turisten endlich auch darüber
mus, von anderen, nicht immer verständlichen, gen der von der Führung der Republiken ergrif- klar werden, welchem Grundprinzip sie Vor-
Besonderheiten der Kultur und der Traditio- fenen Schritte vofaus. Als die Obenten Sowjets rang einräumen wollen - der Souveränität
nen. Wir sahen, wie wenig ähnlich wir uns sind. Armeniens und Aserbaidshans in den letzten der Republiken oder dem Recht der Völker
Folglich vollzieht sich natürlich der Prozeß der Monaten Beschlüsse zum NKAO-Problem faß- auf Selbstbestimmung. Ich würde die Selbst-
Demokratisierung in den Republlken in unter- ten, hätten sie vorhersehen müssen, wie die bestimmung als wichtigste Garantie für die
schiedlichem Tempo, und mancherorts andere Seite reagieren, welche Konfrontation Gewährleistung der Menschenrechte in
gäschieht das schmerzhaft . auf die Einwohner der Republiken zukommen jedem Land in den Vordergrund stellen.
So nehmen sich fur mich die jetzigen Ereig- würde. Was erwarteten sie? Hofften sie, das Nichts, kein noch so edles und gerechtes
nisse in Transkaukasien vor dem Hintergrund Zentrum werde schon die Situation ,,retten", Ziel, kann meiner Meinung nach einem Men-
der leidenschaftlichen Diskussionen, die werde Soldaten entsenden und notfalls den schen das Recht geben, einem anderen Men-
Michail Gorbatschow und seine zahlreichen Ausnahmezustand verhängen? schen das Leben zu nehmen. Doch viele
Gesprächspartner in Litauen führten,
beson- Doch mit größerer Souveränität der Republik Aserbaidshaner und Armenier, die sich
ders abstoßend aus. In Litauen kreuzte man ver- wäre es nur logisch, wenn gerade die Republik- heute bewaffnet gegenüberstehen, sind hier
bal die Klinge, in Transkaukasien aber griffman behörden die Sorge für die Gewährleistung der anderer Meinung. In diesen angespannten
zum Ballermann. Sicherheit all ihrer Bürger übemehmen würden. Monaten wurde meiner Meinung nach das eine
Bedeutet dies, daß wir ohne Gewalt selbst Möglicherweise würde man sich dann die Folgen deutlich: Vom Zentrum aus kann das Kara-
beim Aufbau einer demokratischen Gesell- mancher Beschlüsse gründlicher überlegen. bach-Problem nicht gelöst werden. Nur die
schaft nicht auskommen? Meiner Meinung nach waren sich in den Republiken selbst können es lösen. Und das
Ohne Gewalt als hemmenden Faktor eines ersten Jahren der Perestroika viele nicht erst, nachdem sie die Aussichtslosigkeit und
Konflikts wie des jetzigen zwischen Armeniern bewrrßt, wie schnell die Entwicklung des natio- den verbrecherischen Charakter eines weite-
und Aserbaidshanem geht es wohl nicht - doch nalen Selbstbewußtseins in den Republiken und ren Blutvergießens erkannt haben, wenn die
das kann nur vorübergehende, begrenzte Wir- autonomen Gebilden erfolgen wird. Erinnern noch schlummernde Vernunft die in die Tragö-
kung haben. Eine gewaltsame Lösung hat in der wir uns, im Februar 1988, als erstmals die Kara- die Verwickelten dazu bringen wird, die Waf-
Weltpraxis noch nie richtig funktioniert. bach-Frage aufgeworfen wurde, standen auf fen niederzulegen - und dies so, daß keine
Bestenfalls gelang es den Konflikt vorüberge- dem knin-Platz in Stepanakert bis zu 50 000 Seite sich als Sieger oder Verlierer ftihlt.
hend zu entschärfen. Man nehme nur den Li- -
Menschen Aserbaidshaner und Armenier -, Eine Lösung? Verschiedene Varianten hat
banon. Nordirland, Beispiele aus unserer eige- und schlugen gemeinsam vor, eine autonome man versucht. Vielleicht wird die Zeit kom-
nen Geschichte. Erinnern wir uns an die tragi- Republik mit eigener Verfassung, eigenem men, an eine neue Grenzfestlegung zwischen
schen Ereignisse in Tbilissi. Dieser Tage wurde Obersten Sowjet und eigenem Mnisterrat zu den Republiken nach einer von ihnen vorge-
auf eben jenem Platz emeut ein Hungerstreik schaffen. Es gab Meinungsverschiedenheiten, nommenen gemeinsamen Auflistung der
begonnen... wäs den Namen der künftigen Republik anging, umstrittenen Regionen und nach einer
In letzter Zeit stelle ich mir immer häufiger doch es gab auch Berührungspunkte. Wäre die- Volksabstimmung zu denken - mit Vertre-
dic Frar:c: Uberschätzcn wir nicht iibcrhaupt scs Prohlem dam:rls gclöst wortlcn. hiitlc nrurr tr'nr dcs Zentrums als Rcohachtcrn?

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Leid und Tränen,.. lirt() ,11..\(i l lklt)r!)h,

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Organisationskomitees der Republik

Stepanakert. Januar
angeht, so kann, wie das Komitee für die
Sonderverwaltung wiederholt warnte, der
Erlaß überhaupt nicht verwirklicht werden.
Die Genossen in Stepanakert weigern sich,
lnterview mit Generalmajor Sergej KUPREJEW, unter der Leitung des Organisationskomi-
tees der Republik örtliche Machtorgane -
Mitglied des Komitees für die Sonderverwaltung des NKAO ein Gebietsexekutivkomitee und ein
KPdSU-Gebietskomitee, die Baku unter-
NZ. Wie schätzen Sie die Lage im Autono- getötet wurden. Doch bislang gibt es keinen geordnet wären - wiedererstehen zu las-
men Gebiet Nagorny Karabach (NKAO) anderen Ausweg als in Nagorny Karabach zu sen. Auf das Territorium des NKAO wird
zum Zeitpunkt derVerhängung des Ausnah- bleiben . Zumindest sehe ich ihn heute nicht . niemand, der dem Organisationskomitee
mezustandes ein? NZ, Von woher gelangen so viele Waffen angehört, gelassen.
S. Kuprejew. In der letzten Nacht fielen nach Nagorny Karabach? NZ, Warum weigerte man sich in Stepana-
etwa 40 Schüsse. Wir sprechen da von einer S. K. Die Armenier erhalten sie aus Arme- kert, mit Vörtretern des Zentrums, mit dem
,,normalen Lage". Allein in der heutigen nien, die Aserbaidshaner aus Aserbaidshan. Sekretär des ZK der KPdSU A. Girenko und
Nacht brannten im Dorf Kirkidshan ftinf In Jerewan wurde gerade dieser Tage ein dem Vorsitzenden des Nationalitätensowjets
fläuser ab -
vier aserbaidshanische Häuser Überfall auf Militärs verübt. Dabei gelangte des Obersten Sowjets der UdSSR. R. Nischa-
und ein armenisches Haus. Die ganze Nacht eine große Zahl automatischer Waffen in die now zusammenzutreffen?
über wurde sporadisch geschossen, auch auf Hände von Zivilisten. Nicht ausgeschlossen,
Militärs. Wir im NKAO sitzen sozusagen daß Waffen in beiden Republiken irgendwo S. K. Weil sie zusammen mit Vertretern
zwischen zwei Stühlen - zwischen Baku und auch ausgegeben, speziell hergestellt wer- des Organisationskomitees der Republik
kamen.
Jerewan. In beiden Hauptstädten sind die den. Wir haben Angaben, daß auch in den
Leidenschaften am Siedepunkt angelangt, Betrieben von Nagorny Karabach insgeheim NZ, Die örtlichen Behörden sind also bis-
Aufrufe, sich zu bewaffnen, wurden laut. Waffen produziert werden. Zrdem wetden lang nicht reorganisiert, das Komitee ftir die
Aus Baku werden die Armenier vertrieben, sie gestohlen, erbeutet. Heute demonstrierte Sonderverwaltung aber handeit?
Pogrome begannen. In dem an das NKAO der NKAO-Kommandant auf einer Stabssit- S. K. Unser Komitee ist praktisch aufge-
angrenzenden Chanlar- und dem Schaumjan- zung einen ganzen Sack mit Brandsätzen. löst. Nur liegt der Erlaß über seine Auflö-
Rayon von Aserbaidshan, wo es viele Dörfer Hiesige ,,Bastler" füllen mit diesem Brand- sung bislang nicht vor. Doch im Grunde ist
mit armenischer Bevölkerung gibt, wfud satz Flaschen, um sie dann gegen Häuser und es so. Unsere Möglichkeiten sind erschöpft.
gekämpft, was natürlich auch Nagorny Kara- Kriegstechnik einzusetzen. Es ist heute hier
kein.Problem, Waffen zu organisieren. Im NZ. Und von welcher Seite zeigen sich die
bach berührt. Einheiten der Verfügungstrup-
pen des UdSSR-Innenministeriums bilden Schaumjan-Rayon erbeuteten Aserbaidsha- örtlichen nichtformellen Organisationen -
eine lebende Sperrkette zwischen den Seiten, ner zwei Schützenpanzerwagen und setzen der Nationalrat des NKAO?
die jetzt aufeinander schießen. Soweit ich sie ein. Hubschrauber ohne Erkennungszei- S. K. Er tagt ständig, er arbeitet. Aller-
weiß, wurde aus einigen Dörfern in diesen chen tauchen auf. Extremisten, Mitglieder dings kann er keine einzige Frage, die für
Rayons die armenische Bevölkerung vertrie- bewaffneter Verbände, tragen nicht selten das Gebiet lebenswichtig ist, lösen. Damit
ben. Nach Angaben vom 16. Januarwurden Miliz- oder Armeeuniform, was die örtliche müssen sich übrigens die Mitglieder des
20 Armenier und 43 Aserbaidshaner als Gei- Bevölkerung täuschen soll. Komitees für die Sonderverwaltung, d. h.
seln genommen. NZ, Wie geht man gegen diejenigen vor, wir, befassen. Dafür bilden die Vertreter
NZ. Hätte man das jetzige Blutvergießen die illegal Waff'en besitzen? Ich war irgend- des Nationalrats Selbstverteidigungs-
verhindern können? wie befremdet. als ich junge Menschbn hier trupps. In Jerewan wurde übrigens bereits
S, K, Das Komitee ftir die Sondewerwaltung sah, die seelenruhig mit Flinten vor der Fern- laut von der Bildung eines Nationalen Ver-
wamte immer wieder, dal3 sich die Situation sehkamera posieren. teidigungsrates gesprochen, in Baku ist er,
verschärft. Unsere Meldungen waren nicht von S. K. Der Kzrmpf gegen illegale Waffenliefe- soweit ich weiß, bereits gebildet. Das ehe-
Panik bestimmt, aber recht pessimistisch. Und rungen ist schwer. Dieser Tage wurde auf dem malige Presseorgan des Komitees für die
schon seit langem schlugen wir immer wieder Flughafen von Stepanakert ein ganzer Contai- Sonderverwaltung, die Zeitnng,.Sowjetski
vor, den Sonderzustand durch den Ausnahme- ner sichergestellt. Die Verantwortlichen dafur Karabach", erscheint jetzt 4ls Organ des
zustand zu ersetzen. Wir hier vor Ort meinen, aber wurden nicht gefunden. Die Miliz im Nationalrates des NKAO. Doch. wie
daß es nur so gelingen wird, den Tod von Men- NKAO ist praktisch untätig. Dem Gesetz kann gesagt: Eine Wiederherstellung örtlicher
schen zu verhindern, was in diesem Augenblick nicht Gelturig verschafft werden. Bis zur Ver- Machtorgane, die sich mit den Lebensfra-
das wichtigste ist. hängung des Ausnahmezustandes durften die gen des Gebiets befassen würden, erfolgt
NZ. Welche Anweisungen erhielten Militän die,Gesetze nicht anwenden. bislang nicht und ist auch nicht abzusehen.
die Militars im NKAO? Sind das die Verfü- NZ, Mit. änderen Worten, die Handlungen NZ. Ihre Prognose für die nächste
gungstruppen des UdSSR-Innenministe- beschräirkten sich darauf, Waffen zu entde\- Zukunft ist ziemlich pessimistisch?
riums? ken und zu beschlagnahmen?
S. K, Ja, es handelt sich um Einheiten des S. K. Vor allem handelten wir unorgani- S. K. Ja, das kann man sagen.
UdSSR-Innenministeriums. Wenn auf Sol- siert, überstürzt. NZ. Machen die Seiten irgendwelche ver-
daten geschossen wird, antworten sie. NZ. Am 28. November verabschiedete der nünftigen Kompromißvorschläge?
NZ. Es gibt also einen Befehl, nicht als Oberste Sowjet der UdSSR den Erlaß ,,Über S, K. Zumindest nicht jetzt. Und irgend-
erste zu schießen? Maßnahmen zur Normalisierung der Lage im welche vernünftigen Worte sind einfach nicht
S, K, Ja. Autonomen Gebiet Nagorny Karabach"... zu hören. Wir tun alles, urn die nichtformel-
NZ. Wie stehen die Soldaten zu ihrem Aut S. K. Absolut nichts von diesem Erlaß len Führer zu überreden. Verhandlungen
rag? wurde verwirklicht. autiunehmen, <loch bislang, im Grunde
S, K Offenheit, Demokratisierung und die NZ. Warum? unter Kriegsbedingungen, bringt das nichts.
Stimmungen in der Gesellschaft im Zusammen- S. K. Von Anbeginn an wurde er von kei- lvtalt könnte
Man Kolllltc meinen,
lltciltcil. wir
uil im N0ililr=g für
lIIt Komrtee rur utg
die I

l'rang mit der RückJ<ehr unserer Truppen aus ner Konfliktseite akzeptiert. Dann kamen Sonderverwaltung müßten als erste die Hoff- |

-$ehanistan und mit der Beendigung des die Ereignisse in Bewegung. Mehr noch. nung verlieren, doch wir halten es noch ftir I

-{liehanistan-Krieges beeinflussen natürlich Nachdem am 5. Dezember der Bahnverkehr möglich. daß es. wenn dem Blutvergießen i

auch die Soldaten. Sie wollen nicht in ethni- wiederaufgenommen wurde, ist er jetzt Einhalt geboten wird, gelingen könnte. die I

i:hen Konflikten fern von ihrem Heimatort erneut blockiert. Die Autostraßen waren Führer der nationalen Bewegungen davon zu I

rsrtommen. ln der Truppe ist etne gewisse überhaupt nicht freigegeben worden. Der überzeugen. miteinander zu sprechen und i

L ruhe
zu spüren. In den letzten Tagen kam es erste Punkt des Erlasses wurde also über- wenn schon nicht Freundschaft. so doch
vereinbarcn. I

:idger vor. daß junge Soldaten und Offiziere haupt nicht erfüllt, Was die Bildung eines einen Modus vivendi zu
I

,,I{ E U E z E I r" 4.s0 ll


Bleiben Wie dem auch sei, die NO will eine
Alternative zum Sandinismus sein. Im
Regierungsprogramm der NO können

die Sandinisten die Nikaraguaner manche attraktive


Dinge finden - so das Versprechen,
Grund und Boden an die Bauern als

an der Macht? Eigentümer zu übergeben. Die USA und


einige westliche Länder erklärten offen
ihre Unterstützung ftir Violeta Barrios
de Chamorro, was es der OPPosition
Hierzu vor den Wahlen durchgeführte Umfragen erlaubt, die Wähler mit den Aussichten
erlauben unterschiedliche Prognosen auf künftige üppige Finanzhilfe des

er Wahlkampf in Nikaragua Partei- und Staatsapparat, der jetzt, offen Westens, sollte sie bei den Wahlen sie-
ist inseine entscheidende gesagt, ganz für einen Sieg der FSLN gen, zu locken.
Phase getreten. An ihm arbeitet. Zugleich sind sich die Sandini-
sten bewußt, daß sie Fehler begangen Die ihrer Natur nach ruhigen, bedäch-
beteiligen sich mehr als 20
Parteien. 14 sind vereint in haben. Ich meine, die schwersten von tigen Nikaraguaner zeigen im ietzigen
der Nikaraguanischen Oppo- ihnen liegen im wirtschaftlichen Bereich. Wahlkampf bisweilen unerwartete
sitionsunion (NO), ein weiteres halbes Die Wirtschaft des Landes ist in einem Aggressivität. Nicht selten kommt es zu
Dutzend agieren selbständig. Sie alle tre- kritischen Zustand. Die Produktions- gegenseitigen Beleidigungen, selbst zu
ten gegen die Sandinistische Nationale kennziffern wecken Besorgnis, die Finan-
zen sind zerrittei, Teuerung, ja Armut Schlägereien zwischen Anhängern der
Befreiungsfront (FSLN) an.
bleiben. Nikaragua war nie ein wohlha- NO und der FSLN, wodurch beide Lager
Das ideologische Spektrum der Teil- bendes Land, und wohl niemand hier hat bislang eine wohl nicht sonderlich hohe
nehmer der Wahlkämpfe ist breit - von von der neuen Regierung Wunder erwar-
Linksradikalen, die fest an die kommen- politische Kultur demonstrieren. Die
tet, um so mehr da in den zehneinhalb Opposition behauptet, die besonders
de,,Weltrevolution" glauben, bis hin zu Jahren der Herrschaft der Sandinisten fast
Ultrarechten, die sich zu neokonservati- acht Jahre Krieg war. Und doch, wenn militant gesinnten Sandinisten wollten
ven Ansichten bekennen - ein überzeu- jene einschüchtern, die für die Opposi-
man den Nikaraguanern, die genug
gender Beweis dafür, daß es in Nikara- gehungert haben, plötzlich eine Alterna- tion stimmen wollten. Die Anhänger von
gua tatsächlich politischen Pluralismus
tive zur Lösung der akuten Probleme bie- Daniel Ortega und Sergio Ramirez ihrer-
gibt.
tet, machen sie sich unwillkürlich Gedan- seits werfen der Opposition vor, Unru-
Wie die meisten ausländischen Korre- ken. Ja, erst kommt das Fressen, dann
spondenten, die sich hier befinden, kon- kommt die Moral... hen provozieren zu wollen. Ich meine,
statieren, entspricht das nikaraguanische Und die Opposition will sich das eine gewisse Schuld an den sporadischen
Wahlrecht voll und ganz internationalen zrtflvtze machen. Gewaltakten trägt auch die Presse beider
Kriterien. Jeder Bürger über 16 Jahren Gegen Daniel Ortega und Sergio Rami- Seiten, die munter politische Etiketten
hat Stimmrecht. Allgemeine, gleiche, rez, die Kandidaten der FSLN für das
verteilte.
direkte, freie und geheime Wahlen wer- Amt des Präsidenten bzw. des Vizepräsi-
den abgehalten. Gegenwärtig sind mehr denten, treten die NO-Vertreter Violeta Die veröffentlichten Ergebdisse von
als 90 Prozent der potentiellen Wähler Barrios de Chamorro und Virgilio Godoy Meinungsumfragen, die mal der einen,
registriert - ein Ergebnis, das Elliot an. Violeta Barrios de Chamorro ist dann der anderen Seite (e nach dem, wer
Richardson, persönlicher Vertreter des Witwe des Eigentümers der Zeitung,,La
UNO-Generalsekretärs, als,,beeindruk- diese Umfragen wie durchführt) einen
Prensa", Pedro Joaquin Chamorro, der
kend" bezeichnete. Offiziell ist die Regi- noch vor dem Sieg der Revolutiön von beeindruckenden Sieg verheißen, wek-
strierung abgeschlossen, doch man hat sie Somozas Agenten umgebracht wurde. ken, ehrlich gesagt, kein allzu großes
für diejenigen verlängert, die den bewaff- Eine solche Tragik verleiht ihr Populari- Vertrauen. Einige ausländische Korre-
neten Widerstand gegen die Sandinisten tät, doch die schwache Gesundheit von spondenten schließen auch nicht aus, daß
beenden und in die Heimat zurückkehren Violeta Barrios, über die hartnäckige
wollten, wie das kürzlich neun Feldkom-
die Wahlergebnisse bei den Präsident-
Gerüchte im Umlauf sind, kann sie, sollte
mandeure der Contras taten. sie zum Staatsoberhaupt gewählt werden, schaftsanwärtern so nah beieinander lie-
Die Sandinisten verleihen in offiziellen daran hindern, effektiv das Land zu regie- gen können, daß die Bildung einer Koa-
Reden und privaten Gesprächen ihrer ren. In einer solchen Situation würde die litionsregierung der vernünftigste Aus-
Überzeugung Ausdruck, daß sie bei den Rolle des Vizepräsidenten an Bedeutung weg aus der Situation sein würde. Eine
Wahlen am25. Februar siegen werden. gewinnen. Doch der Ruf von Virgilio
solche Koalitionsregierung gab es bereits
Die NO-Führer wollen sich ebenfalls Godoy, der für dieses Amt kandidiert,
in den ersten Jahren nach dem Sieg der
nicht von vornherein geschlagen geben. wurde überraschend ernstlich bedroht.
Und das meinen sie wohl nicht ganz zu Godoys eigene Kollegen von der Unab' sandinistischen Revolution.
Unrecht. hängigen Liberalen Partei warfen ihm Juri
Die Sandinisten verweisen auf den mili- ,,Veruntreuung von Parteigeldern" vor. Kudimow
tärischen Sieg über die Contras, auf Auf ihre Forderung hin wurde ihm die
Itnmunität entzogcn und sein Fall an ein NZ-Korrespondent
gewisse Erfolge im sozialen Bereich. Sie
verfügen über einen gut funktionierenden Gericht weitergc e itet
I
MANAGUA

tr "il E U E zt I r",'4.90
Politischer
ständig sein, und zugleich soll eigentlich älles so blei-
ben, wie es ist, das heißt: engste Beziehungen zur
Wktschaft der Union. Man versteht war-um: Sie haben
keine Aussicht, Anschlüß an die Wirtschaft Europas zu

Marathon
gewinnen. Nüchtern denkende Menschen wissen, daß
Litauen dort keine Chance hat, daß Erzeugnisse der
litauischen Industrie und Landwirtschaft dofi nicht
konkurrenzfähig sind. Das einzige, worauf sie sich ver-
lassen können, ist der sowjetische Markt.
M ichait t-ili ano w,volksdeputierter der UdSSR und M iig I ied Wie soll man aber in so einem Fall Beziehungen
lösen, ohne etwas zu zerreißen? Wie soll man sich
der Zenlralen Revisionskommission der KPdSU
trennen, ohne auseinanderzugehen?
ch gehörte zur Delegation des ZK der KPdSU, Jetzt zum politischen Aspekt. Alle erkennen die
die sich in Litauen umgesehen hatte. Heute Kommunistische Partei I.itauens als führende politi-
weiß ich: Dort ist man zu konsequenten Maß- sche Kraft in der Republik an. Allerdings nur, wenn
nahmen entschlossen. An Ort und Stelle sie einen selbständigen Slatus hat. Überhaupt stellen
konnte ich mich davon überzeugen. Hier die litauischen Genossen die KPdSU der Zukunft als
wußte ich nichts. Während dieser Reise kam eine Partei mit gewissen föderativen Prinzipien dar
ich zu der Auffassung, daß der Wunsch nach und sind der Meinung, daß sie jetzt den Weg dahin
An der Diskussion Selbständigkeit, daß Freiheitsdurst und das Verlan- bahnen. Deshalb hat die KP Litauens auch ihre
über die Zukunft der gen, nach eigenem Gusto zu leben, eine Idee ist, die eigene Satzung, ihre eigene Konzeption und ihr eige-
KP Litauens alle Schichten der Bevölkerung ergriffen hat. Wir spra- nes Grundsatzprogramm. Es gibt warnende Stim-
chen mit Kolchosbauern, Schauspielern, Wissenschaft- men, die meinen, daß diese Selbständigkeit erst der
beteiligten sich der lern und Parteiarbeitern: Sie alle sehen das weitere Anfang ist. Bald werde die KP gewissermaßen ihre
Generalsekretär des Schicksal ihrer Republik nur noch in der Selbständig- Färbung wechseln. Inwiefern das so sein wird, kann
ZK der KPdSU keit, obwohl sie die Kompliziertheit und Vielgesichtig- ich nicht sagen. Daß jedoch inzwischen der Einfluß
Michail keit dieses Prozesses erkennen. Die Selbständigkeit, des Volkes auf die Partei gewaltig ist, kann als Tatsa-
die sie meinen, ist wirtschaftlich und politisch außeror- che nicht mehr angezweifelt werden. Zahlen können
Gorbatschow, das bezeugen: Bis zum Austritt der KP Litauens aus
. dentlichweit gespannt. Damit muß man heute rechnen.
Kommunisten und Allerdings habe ich in den Gesprächen, die ich der KPdSU wurde sie von 16 Prozent der Bevölke-
Einwohner der geführt habe, keine Antwort auf die Frage bekom- rung unterstützt. Sobald sie ausgetreten war, lag die
Republik men, wie meine Gesprächspartner sich das denn kon- Unterstützung bei 82 Prozent. Das Volk hat also in
kret vorstellten. Okonomisch wollen sie völlig selb- ihr die Kraft gesehen, die ihm die Möglichkeit bietet,

,,1{ E U E z E I r" 4.eo q


-t

den Weg einzuschlagen, der ihm vor- vorbauen und zentrifugale Kräfte bändi- auch in Litauen, aber nicht in dieser entblöß-
schwebt. Die selbständige Partei wurde, gen könnten. Für meine Begriffe besteht ten, beinahe unanständigen Form.
wenn schon nicht zur Verkörperung von ein großer Bedarf an neuen, frischen und Noch eine Beobachtung, die ich von dieser
Garantien, dann.immerhin zu einer trei- ungenormten Wechselbeziehungen zwi- Reise mitbringe: Im Zusammenhang mit der
bendgn Kraft des Umbaus auf neuer selb- schen den Parteiorganisationen. Das steht schwierigen politischen Situation und der
ständiger Grundlage. Der angesehenste an, darum kommen wir nicht mehr herum. bedrohlich angespannten Lage in der Wirt-
Mann der Republik heißt Brazauskas. Wenn wir uns damit zu viel Zeit lassen, schaft, die sich in der Union abzeichnen, l
Gerade deshalb wurde er auch Vorsitzen- setzt eine Kettenreaktion ein. Wir müssen wächst bei einigen Schichten in Litauen die
der des Präsidiums des Obersten Sowjets gemeinsam die Form von Koexistenz fin- Bereitschaft, sich im Alleingang aus diesem I

Litauens. den, bei der unser Land geeint bleibt und Schlamassel zu befreien. Nach dem Motto:
Genau genommen wurde er bei den nicht auseinanderbricht. Ob eine selbstän- Wir guckenzu, und ihr löffelt eure Suppemal
Litauern deshalb so populär, weil man ihm dige, vor allem potitisch selbständige Exi- besser alleine aus. Diese Linie läßt sich sehr
nrtrant, den Traum des Volkes von Selb- stenz möglich sein wird, ist eine äußerst deutlich verfolgen. Deshalb hat man es hier
ständigkeit verwirklichen zu können. schwierige Frage. auch so eilig: Man befürchtet die unvorher-
Wahrscheinlich kann er das Wesen der So wie früher auf Druck und Gewalt zu sehbaren Folgen der Ereigrisse und hat nur
Ereignisse besonders gut zum Ausdruck setzen, ist sinnlos. Gewalt ist kein probates noch den einzigen Wunsch, sich abzusetzen.
bringen. Er ist ein selbständiger Mann. Mittel mehr, sie hat uns nicht geholfen und Vor Prognosen sollte man sich, besonders
Für einen Parteifunktionär ist Selbständig- wird uns auch nicht mehr helfen. Das soll wenn sie die Politik betreffen, hüten. Ich
keit heute vielleicht sogar das Wichtigste natürlich nicht heißen, daß man jede Forde- weiß aber, daß es beim Plenum nicht bloß
überhaupt. Gehorsam darf nicht länger als rung der Republiken erfüllen muß, aber ich eine nette Unterhaltung geben wird. Im ZK
Tugend gelten. Befehlsempfänger können meine, daß es in Litauen, Lettland oder Est- ist man verschiedener Meinung darüber, wie
die Massen nicht mehr hinter sich bringen. land keine gewaltsame Lösung der nationa-
Mir scheint, daß auch in Moskau mit Juri len Frage geben darf. Sie wäre absolut unan-
Prokofjew ein Manri mit solchen Füh-
rungseigenschaften in die Stadtparteiorga-
nisation gekommen ist. Er ist ein freier
nehmbar, wie unangenehm die Prozesse dort
auch immer sein mögen. Selbst wenn es zu
Extremfällen kommt. Sobald man Druck
Und was ist,
Mensch, keine Standardausführung. In
der gesellschaftlichen und politischen
ausübt oder Gewalt anwendet, bricht alles
zusaülmen. Sofort. Die Folgen wären nicht
wenn
abzusehen. Das ist schließlich keine örtlich
Tätigkeit wird der Standardmensch allem
und jedem zum Verhängnis.
Allerdings muß ich sagen, daß mir die
begrelte Erscheinung. Es ist die historische
Bewegung eines Volkes, auf die wir, wenn
Gorbatschow
Rede, die Brazauskas bei der Versamm-
lung des Parteiaktivs hielt, nicht gefallen
wir ehrlich sind, nicht vorbereitet waren.
Man muß unbedingt festhalten, daß die
weiter links
Leute inLitauen politisch hochsensibel
hat. Sie war blaß, angesprochen wurde
eigentlich alles und nichts. Konnte er
nicht? Wollte er nicht? Keine Ahnung.
geworden sind. Jeder, mit dem wir uns unter-
halten haben, ist politisch informiert, denkt
steht?
Gibt es in Litauen russenfeindliche nach und lehnt Extremismus ab. Dauernd Während einer Begegnung
Stimmungen? Im Anfangsstadium. Rus- waren brisante Erklärungen zu hören. Auch
sen, mit denen wir sprachen, berichteten, vor dem Femsehschirm konnte man miterle- mit dem Parteiaktiv der
daß solche Tendenzen sich jetzt bemerk- ben, was für Parolen Gorbatschow an den Republik wurde diese
bar machen. Man bekommt beleidigende Kopf geworfenwurden.
Flugblätter unter die Tür geschoben, In Panevezys hat uns eine etwa vierhun- Frage gestellt
Drohbriefe flattern ins Haus, Fenster- dert Personen zählende Menschenmenge r nsoesamt führte diese Reise
scheiben gehen zu Bruch. Als aber bei umringt. Die Parolen waren so provozie- I ai"" Gäste. Mitolieder der
einer Begegnung mit dem Parteiaktiv von rend, daß man hätte gleich in Ohnmacht fal- I Delegation' des' ZK der
Panevezys eine Russin vergleichbare Fak- len können. Das Gespräch verlief dann aber KPdSU, durch 15 Rayons und
ten anführte, ergriffen sofort mehrere in einer ruhigeren Tonart, ohne Hysterie, über die Straßen aller größeren
Redner das Wort und sagten: Stimmt, in Fanatismus, blinde Wut. Rechthaberei, Städte in Fabriken, Kollektivwirt-
jeder Nation gibt es solche Schufte, auch Starrsinn, Hartnäckigkeit, wenn es darum schaften und Lehreinrichtungen.
unter uns Litauern. Aber mit denen haben geht, die eigene Position zu verteidigen und Unter dem Strich dauerten die
wir nichts zu tun. Man versicherte uns, daß den einmal eingeschlagenen Weg zu behaup- Begegnungen Hunderte von
ten: Das alles gibt es. Zügellosen und wild Stunden. Praktisch die gesamte
die litauische Nation internationalistisch
um sich schlagenden Extremismus jedoch erwachsene Bevölkerung Litau-
empfindet. Für meine Begriffe sind die
habe ich nicht angetroffen. Wie gesagt, alles
ens war am Bildschirm oder am
ethnischen Beziehungen in Lettland oder
bei einer sehr zugespitzten Fragestellung. Radio dabei. Auch in anderen
Estland schärfer und angespannter. Die Republiken der UdSSR sowie im
litauische Stammbevölkerung zeichnet Die Litauer sind zurückhaltende Menschen.
Ausland wurde die Visite mit gro-
sich durch eine tolerante Geisteshaltung Man darf annehmen, daß sie imstande sind,
ßem lnteresse verfolgt: lm Pres-
aus. das Schlimmste, nämlich Blutvergießen, zu
sezentrum von Vilnius waren
Sicherlich hat Gorbatschow keinen verhindern.
über zweihundert ausländische
leichten Stand. Jetzt ist es ganz klar: Der Jedenfalls halten sie die eigenen Reihen und an die hundertfünfzig sowje-
Partei stehen Veränderungen bevor. An fest geschlossen. Das merkt man übrigens
tische Joumdisten akkreditied.
der Selbständigkeit der kommunistischen auch am Verhalten der litauischen Deputier- Womit hat Utauen seine Gäste
Parteien in den Republiken führt nun kein ten bei den Tagungen des Obersten Sowjets empfangen? Zunächst einmal
Weg mehr vorbei. Was man unter Selb- und beim Kongreß der Volksdeputierten. mit der felsenfesten Ubeaeu-
ständigkeit zu verstehen hat, wird einer Absolut nicht so wie bei uns in Rußland, wo gung der meisten Bewohner,
großen Diskussion vorbehalten bleiben. jeder gegen jeden anrennt, zeigen will, wo er daß die Entscheidung des 20.
Die Frage ist auch, inwiefern das ZK, besser ist, wo man sich gegenseitig mit Jau- Parteitags der KP Litauens rich-
sein Politbüro und die ganze KPdSU in der che übergießt und ein unversöhnliches tig und sogar unvermeidlich war.
Lage sein werden, Beschlüsse vorzulegen, Wadenbeißen stattfindet, wie wir es bei 82 Prozent aller Befragten haben
die, beim 28. Parteitag verabschiedet, unseren Schriftstellern beobachten durft en. die Entscheidung des Partei-
negativen Erscheinungen in der Partei Möglicherweise gibt es so etwas ähnliches

E ,,il I" 1.90


das ..Problem Litauen- zu lösen ist. Es gibt denn da herausfinden? Ist doch ohnehin alles strativen Maßnahmen verlangen. Warten
sogar sehr unterschiedÜche Positionen und klar." Wir entgegneten: Wir wollen wissen, wir ab, wie sich die Ereignisse weiter entfal-
Iäsungsansätze. Wer sich durchsetzen wird. wie ihr hier lebt. Und wirklich. Während die- ten.
wage ich nicht zu beurteilen. Ich hoffe, daß ser Reise ist uns vieles kiarer geworden. Was wird in Litauen passieren? Dort wird
der gesunde Menschenverstand obsiegt. Gorbatschow steht, wie mir scheint, den man, wie ich meine, auch t'eiter in Richtung
Nach dieser Reise .läßt sich nämlich eine Positionen der KP Litauens schon viel auf Freiheit und Unabhängigkeit foruchrei'
durchaus hoffnungsvolle Bilanz ziehen. Die gelassener gegenüber. Man hat begriffen, ten. Hiei müssen wir nach neuen Formen von
Reise einer Gruppe von ZK-Mitgliedern mit daß es Dinge gibt, die man nicht rtlckgängig Kontakten zwischen den Republiken unter-
dem Generalsekretär, an der Spitze war, machen, denen man aber wohl eine Rich- einandei wie auch zwischen den Republiken
obwohl wir keine l-orbeeren vbn dort mitge- tung geben kann. Diese Reise war von uns und dem Zenttttm suchen, die für alle Betei-
bracht haben, ein vernühftigerZug. Einweiser eigentlich auch gar nicht so angelegt, daß ligten akzeptabel sind. Ein neuer Unions-Ver-
Zug. In der gegebeneir Situation der einzig damit Prozesse rückgängig gemacht werden trag? Vielleicht sogar ein solcher Vertrag. In
richtige Zug. Wir sindzwarauf den ersten Blick sollten, dazu sind diese viel zu ernst und den ökonomischen Beziehungen und Wech-
so wiedörgekommen, wie wir abgefahren tiefgreifend. Aber wir wollten den Versuch selbeziehungen Klarheit schaffen, wer wem
waren. Es ist üns nicht gelungen, alles wieder machen, uns über beiderseitig vorteilhafte etwas schuldet oder ob überhaupt jemand
einzurenken, wie wir es gewollt hätten. Daftir und annehmbare Lösungen zu verständi- etwas schuldet? Das wird unbedingt gesche-
haben. wie ich meine, beide Seiten einen gen, und diese Aufgabe konnten wir wäh- hen. Selbständigkeit bei politischen Entschei-
Schritt zum gegenseitigen Verständnis getan. rend dieser Reise bis zu einem gewissen dungen? Möglicherweise auch das. Auf jeden
Wir sind dort oft gefragt worden: ,,Warum Grade lösen. In das bevorstehende Plenum Fall aber sollte man sich vor Augen halten,
seid ihr eigentlich hergekommen?" Dann gehen die Befürworter eines gesunden daß wir noch lange zusammenbleiben werden.
haben wir geantwortet: Wir wollen herausfin- Standpunkts jedenfalls besser gewappnet Wir haben ein gemeinsames Schicksal, dem
den, was los ist. Neue Frage: ,,Was wollt ihr als diejenigen, die nach extremen admini- wir nicht entfliehen können.

tags, eine selbständige KP Litau- der KP Litauens, der angesehen- lich bedeutend klarer geworden. batschow bei einer Zusammen-
ens zu gründen, positiv bewertet. ste Politiker in der Republik. Die nationale Wiedergeburt der kunft mit Künstlern. ,,Und was soll
15 Prozent hätten sich ein ande- Die Mitglieder der Delegation Litauer richtet sich nicht gegen dann mit denjenigen gesaflehen,
res Ergebnis gewünscht. Die des ZK der KPdSU haben aus nationale Minderheiten, sondern die, wenn ihr euch absondert,
Argumente: Wenn der Parteitag ihren Auffassungen keinen Hehl trägt vielmehr zu ihrer eigenen ausreisen wollen? Wer bezahlt
die Selbständigkeit der KP nicht gemacht. ln der Rede von Gorba- Wiedergeburt bei. ,,Litauen war ihnen die Wohnung, die sie hier
ausgerufen.,hätte, hätten viele'ihre tschow vor dem Plenum des ZK anderen Nationen gegenüber zurücklassen? Wer stellt ihnen
Mitgliedsbücher abgegeben und der KPdSU sind sie klarformuliert schon immer tolerant eingestellt", neue Arbeitsplätze zur Verfü-
bei den bevorstehenden Wahlen und bei den Begegnungen in bemerkle Boris Olejnik. ,,Die Pro- gung?"
rur den Obersten Sowjet der Litauen noch einmal wiederholt bleme der nationalen Beziehun- Man darf wohl annehmen, daß
Republik und die örtlichen worden: Die Entscheidung des gen werden von jemandem auch Litauen sein Eigentum antei-
Sowjets hätten die Wähler sich 20. Parteitags der KP Litauens künstlich hoqhgespielt. Sie sind lig in anderen Republiken stecken
,'on den Kommunisten abge- führt zur Spaltung der KPdSU, ist nicht so akut, als daß man andau' hat. Litauen könnte eine Kompen-
,vandt. Mit anderen Worten hätte ein Schlag gegen die Perestroika ernd nur davon sprechen müßte", sation für die Arbeit fordern, die
Cie kommunistische Partei die und führt zu einer Zuspitzung der sagte Juri Masljukow. viele tausend Deportierte außer-
t,4oglichkeit verloren, die politi- nationalen Beziehungen und zu Wohl zum ersten Mal erhob halb seines Territoriums geleistet
schen Prozesse in Litauen weiter einer Verschlechterung der wirt- sich die brisante Frage, wie die haben, erklärte Valentinas Grei-
zr.r beeinflussen. schaftlichen Lage. Deshalb darf wirtschaft lichen Folgen jener poli- ciunas, 1. Sekretär des Stadtko-
Gegenwärtig sehen viele man sich nicht voneinander tischen Entscheidungen ausse- mitees der KP Litauens in Klai-
-lerade
in ihr die Garantie für poli- abgrenzen und sich isolieren, hen würden. Einige Wirtschafts- peda.
: sche und wirtschaftliche Stabili- sondern muß die demokratische führer in Litauen haben sie schon Folgender Dialog zwischen
:at. Eine Umfrage hat ergeben, Erneuerung aller Lebensbereiche zu spüren bekommen. Eisen- Gorbatschow und dem Publikum
d.aß die Wählersympathien für die der sowjetischen Gesellschaft, bahnlieferungen von Metall, Bau- im Saal ist mir noch deutlich in,
(P Litauens nach dem Parteitag aller Strukturen des Staates und holz und Ausrüstungen haben sie Erinnerung.
!,edeutend größer waren als vor- des öffentlichen Lebens und aller nicht erreicht. ,,Wir haben nicht ,,lhr wißt also, was eine Födera-
r?r. Von plus 16 Ende November lnstitutionen vorantreiben. Die vor, die wirtschaftlichen Bezie- tion ist?"
auf plus 73 Ende Dezember. Position der Gastgeber sah hungen zur UdSSR abreißen zu ,,Ja, wissen wirl" lautete die
3ezeichnend ist, daß eine selb- anders aus. ,;Wenn wir uns vom lassen. Warum setzt dann gegen zurückgerufene Antwort.
;;lndige KP Litauens sowohl von Beschluß des 20. Parteitages der uns eine handfeste Wirtschafts- ,,Woher wollt ihr das denn wis-
een Litauern selbst (von plus 16 KP Litauens distanzieren und ihn blockade ein?" fragte uns ein sen, ihr habt doch noch nie in
ar-f plus 79) als auch von Angehö- nicht erfüllen, wird man uns ein- Betriebsdirektor. Ob das eine einer solchen gelebt?"
',3en anderer Nationalitäten (von fach aus der Partei werfen", sagte Blockade war oder eine der übli- Stimmt. Haben wir noch nicht.
:, us J B auf plus 29) höher bewer- Wladimir Berjosow, Sekretär des chen Schlampereien bei der Wir wissen auch nicht, wie eine
::: wird. Hätten am Tag der ZK der KP Litauens. Allerdings Belieferung, muß erst noch umgebaute Union aussehen soll.
-rfrage Wahlen stattgefunden, ohne zu präisieren, wer ihn her- geklärt werden. Offensichtlich Vielleicht gelingt es uns ja wirk-
larn hätien 38.Prozent der Wäh- auswerfen wird. aber hat die Nachricht, in Litauen lich, aus ihr einen echten Verband
*ar tir eine selbständige KP Litau- Wahrscheinlich hatte kaum werde an einen Austritt aus der souveräner Staaten zu machen, in
{s.27 Prozent für ,,Sajudis" und jemand gehofft, daß es gelingen UdSSR gedacht, Geschäftsleute dem jede Nation gleichberechtigt
: ?'ozent für diejenige KP Litau- werde, Meinungsverschiedenhei- in anderen Republiken und im und sicher ist, weder geistig noch
3-s. die auf der Plattform der ten schnell beizulegen. Denn hin- Zentrum veranlaßt, über die wei- wirtschaftlich benachteiligt zt)
" "=:SU steht, gestimmt. ter ihnen standen nicht irgend- teren Aussichten für die Entwick- werden? Hier wäre die Frage
luf den Wahlzetteln werden welche persönlichen lnteressen, lung der Wirtschaftsbeziehungen angebracht, die Boris Olejnik sei-
r,-gens keine Parteien, sondern sondern die Positionen der politi- nachzudenken. nen litauischen Kollegen stellte:
=r:elpersonen stehen. Deshalb schen Strukturen. Jetzt steht auch das Problem ,,Und was ist, wenn Gorbatschow
s; arch die Sympathiekurve für Der politische Marathon, wie an, wie did Selbstbestimmung der weiter links steht als eure haus-
re ZK-Sekretäre beider kommu- Gorbatschow diese Reise tref- Republik bis hin zu ihrerAblösung backene KP Litauens?"
-rs:.scher Parteien von lnteresse. fend bezeichnete, verhalf den technisch vonstatten gehen soll. Noch eine Schlußfolgerung
l,e 3ekretäre der selbständigen Gästen dazu, sich gründlicher in Genauer gesagt geht es um die dieser letzten Tage: Die Pere.
.: l-f€uens: von plus 76 auf plus die Vorgänge in Litauen hineinzu- materiellen Werte, die in den Jah- stroika in Partei und Staat muß
::i : e Sekretäre der KP Litauens, denken, und den Gastgebern zu ren des gemeinsamen Lebens unbedingt beschleunigt werden.
:e ar-f der Plattform der KPdSU einer tieferen Einsicht in die Fol- erworben worden sind. ,,ln die- Der Worte sind genug gefallen.
fi=r-:: Jon minus 54 auf minus 61. gen ihrer Entscheidungen. sem Fall müssen solche Fragen
!iü31. !','ie vor ist Algirdas Bra- Die nationale Frage in ihrer mit allen Republiken und mit dem Gediminas Koncius
der 1. Sekretär des ZK litauischen Variante ist tatsäch- Staat gelöst werden", sagte Gor- VILNIUS
=Lsnss.

,,II E U E zEI r" 4,e0 IEr


BUM NIEil

Die Probe auf dem Siegesplatz


dem Krieg behandeln. Den Parteifunktio-
Unsere SonderkorresPondenten närenwird heute die Verfälschung derWah-
berichten aus Bukarest len von 1946 vorgeworfen.
ie Euphorie der ersten EtaPPe Situation besteht darin, daß der Begriff Deshalb empfanden wir am 12. Jantat,
,,Kommutrist" im Bewußtsein der Men- am Tag der Trauer und des Gedenkens an
der siegreichen Revolution läßt
schen zu einem Synonym des Bogriffes diejenigen, die in der Dezemberrevolution
allmählich nach. Und es stellt
sich die Frage, wie es weiterge- ,,Ceausescist" wurde. Der FIaß auf alles, ihr- Leben gelassen haben, gemischte
hen soll. Darauf kann niemand was wie auch immer mit dem Namen des Gefühle, als gestrige Kommunisten direkt
Ex-Diktators verbunden war, ist grenzen- auf der Straße ihre Parteibücher vor den
eine eindeutige Antwort geben. Ein zu
los, er macht die Menschen blind. Viele Augen von Hunderten von Menschen, die
schreckliches Erbe hat das Land angetre-
sagten uns offen: Dieser Partei wird man sich im Zentrum der Stadt versammelt hat-
ten, zu lange, zu schwer war die Krankheit
Zeit ist seit niöht nur die Jahrzehnte der Tyrannei, des ten, verbrannten.
des ,,Ceausescismus", zu wenig
in Bukarest und dem Sturz ' Hungers, der Demütigungen und Entbeh- Doch nichts schien von dem Sturm zu
dem Aufstand
rungen nicht verzeihen, ihr wird man das künden, der am Abend losbrach.
des Tyrannen vergangen. Das Leben im
Lande ist von einem Normalzustand noch Blut unserer Kinder nicht verzeihen. Die
sehr weit entfernt. Die junge Volksrevolu- unmenschliche Brutalität, mit der ver- Die Menge forderte den Tod
tion und ihre Führer sind vor schwere Her- sucht wurde. die Demonstrationen in
ausforderungen gestellt. Im Grunde Timisoara und dann in Bukarest niederzu- Wir sprachen gerade mit Mitarbeitern
schlagen, ist ja Werk der Securitate-Leute. des Freien rumänischen Fernsehens, als
haben sie bereits begonnen.
Bekannt ist. daß der Schießbefehl von ein K<illege im Studio auftauchte und uns
Ceausescu selbst gegeben wurde und nie- mitteilte, daß auf dem Siegesplarz Tau-
,,Kommunist"? -,,Ceausescist"! sende zusammengekommen seien, daß ein
mand aus seiner Umgebung zu widerspre-
für chen wagte. ln den Zeitur'gen tauchen Meeting begonnen habe und sich ein Zug
Es schien, der Vertrauensvorschuß
Artikel auf, die auf völlig neue Weise die von Demonstranten auf das Fernsehzen-
diejenigen, die die Führung des Landes
schwersten Bedingungen übernah- Geschichte der Entstehung der kommuni- trum zubewege.
unfer
men, hätte bedeutend sein müssen. Doch stischen Partei, ihrer Tätigkeit zw Zeil der Einige Minuten später waren wir auf
Kommunistischen Intemationale und nach dem Platz. Vor dem Gebäude, wo sich der
in den Gesprächen, die wir dieser Tage mit
vielen Menschen führten, verspürten wir Stab der Revolution befin-
o det, tobte die Menge. ,,Fort
bisweilen erstaunt ein unterschwclliges
Mißtrauen gegenüber der Front der natio-
mit dem Kommunismus!",
.,Fort mit lliescu!"...Fort mit
nalen Befreiung und ihren Führern' Wo
Brucan!" und,,Tod um Todl"
liegen die Ursachen?
Die von Lautsprechern ver-
Ünserer Meinung nach gibt es zwei stärkten Losungen wurden
Ursachen. Erstens befürchten die Men-
sofort autgegriffen, der ganze
schen, die Front usurpiere die Macht oder
Platz hallte von SPrechchö-
habe das bereits getan und eine Diktatur
ren wider. lmmer neue Leqte
werde nur durch eine andere abgelöst' Sol-
ergriffen das MikroPhon und
che Stimmungen erklären sich, wie wir
meinen, durch eine krankhafte Abneigung
verlangten mit heiserer
gegenüber dem Begriff der ,,Macht",
Stimme Rechenschaft von
jedem Führer der Front dar-
äuich die auf das äußerste getriebene über, was pr in der Vergan-
Furcht, daß sich die Vergangenheit wie-
genheit getan habe, verlang-
derholen könne. Diese Gefühle kann man
verstehen, wenn man bedenkt, welch
ten, die Kommunisten aus
allen Amtern zu entfernen,
grenzenloser Zynismus und welche Bruta-
forderten die Todesstrafe für
litat die früheren Machthaber Rumäniens diejenigen, die an den Ver-
kennzöichneten. Die neuen Führer des
brechen des alten Regimes
Landes sind sich. wie uns scheint, bewußt:
und an den Massenmorden
Nur auf demokratischem WÖg kann das vom Dezember schuld sind.
Land aus der überaus schweren wirtschaft-
lichen und moralischen Krise herausge-
Wenig später tauchten
Iliescu, Roman und Mazilu
führt werden. Und entsprechend handelt
auf dem Platz aluf. Sie ver-
man.
suchten einen Dialog zu füh-
Der zweite - und wichtigste - Grund
ist, daß die tührenden Vertreter derFront
ren, auf die Fragen, mit
denen sie überhäuft wurden,
früher bedeutende Amter entweder in der
Parteihierarchie wie Ion Iliescu oder im
zu antworten, die offenen
Be leidigungen und BeschimP-
dinlomatischen Dienst wie Silviu Brucan
fungen zu parieren. Doch all
,,,i.1 Dumitru Mazilu bekleideten. Vor der
Skeosis der Menschen rettet sie nicht ein-
ihre Anstrengungen sollten
vergeblich sein. Die Menge
mal der Umstand. daß sie seinerzeit mit
wütete. wollte nicht zuhören-
der RKP brachen, das Ceausescu-Regime
wollte sie nicht zu Wort kom-
scharf kritisierten, zu Dissidenten wurden
men lassen. Ehrlich gesagt, in
und Verfolgungen ausgesetzt waren. jenen Stunden und Minuten,
Der überaus dramatische Charakter der Die Arniee unterstützte das Volk

E ,,N E U E z E I I" 4.90


als wir die Spannungen hautnah verspürten, einzig mögliche * ebenso wie die überstürzt srnen, tauchten in den Geschäftdn auf
bangten wir nicht nur um das Schicksal der verkünddten beiden ersten Erlasse. Ja,
- die
Sonderverteilungsstelien für die Partei-
Führer der Front, sondern auch der Revo- manchen mag das Velhalten Mazilus und Elite wurden aufgelöst, die Lebensmittella-
lution selbst. des R.ates der Front in dieser Ausnahmesi- ger wurden geöffnet. Als wir diese Meldun-
Als die Leidenschaften ihren Höhepunkt tuation billiger Populismus, ein Nachgeben gen lasen, freuten wir uns aufrichtig. Doch
ereichten, tatMaziltt einen völlig unerwar- gegenüber den Leidenschaften der Menge eine Woche verging, und wieder sind die
teten Schritt. Er riß einem Redner das scheinen. Regale in den Geschäften leer, und in den
Mikrophon aus der Hand und schrie: ,,Fort Es ist offensichtlich, daf$ die Entschei- Wohnungen wird nur schwach geheizt.
mit dem Kommunismus! Tod um Tod!"... dung, die RKP zu verbieten, vom Rat der Die Führer der Front sind sich bewußt,
Und sofort wiederholte die Menge im Front unter dem starken Druck der daß sie überstürzt handelten, als sie fast alle
Sprechchor:,,Mazilul",,Mazilu!" Eine wei- Demonstranten gelaßt wurde. Doch in Lebensmittelvorräte bereits in den ersten
tere halbe Stunde später, nachdem der Rat jenem Augenblick waren ausgewogene, Tagen der Revolution in den Verkauf
der Front eine Sondersitzung unter Teil- sorgfä1tig durchdachte Entscheidungen ein- gaben. Die Menschen. die r.iele Lebensmit-
nahme von Vertretern der Demonstranten fach nicht möglich. Jeder andere Schritt tel monatelang nicht gesehen hatten,
abgehalten hatte, verlas Iliescu vom Balkon hätte unter jenen Bedingungen zu völlig begannen alles wie wild aufzukaufen - das
drei Erlasse: über das Verbot der RKP, unabsehbaren Folgen führen können, in unerbittliche Gesetz einer Mangelwirt-
über ein Referendum am 28. Januar zur der Luft lag schon der Geruch von Blut. Die schatl, das uns aus unserem eigenen Land
Einführung der Todesstrafe für die Schuldi- Führer der Front verstanden das nur zu gut hinlänglich bekannt ist, tat das seine. Es
gen an den Verbrechen des alten Regimes - ebenso wie sie auch verstanden, daß die wurde viel mehr gekauft als nötig, die Kühl-
und über die Bildung eines Ausschusses der Erlasse überstürzt verabschiedet worden schränke wurden bis oben vollgestopft. Als
Front der Nationalen Rettung, um Fälle waren. Nicht von ungefähr kritisierte Silviu dann diese Lebensmittelvorräte ausgingen,
von Opfern des ,,Ceausescismus" zu prü- Brucan, daß das Parteiverbot so überstürzt stellte sich heraus, daß in den Geschäften
fen. Und jene, die gerade erst den Rücktritt erlassen wurde, und bereits am nächsten keine Waren mehr angeboten wurden.
des Vorsitzenden des Rates der Front ver- Tag teilte Ion Iliescu mit, daß Schicksal der Unzufriedenheit entstand, Gerüchte
langt hatten, begannen begeistert seinen RKP solle bei dem Referendum am 28. kamen in Umlauf, daß der Export von
Namen zu rufen:,,Iliescu!",,Iliescu!". Januar entschieden werden. Lebensmitteln wiederaufgenommen wor-
Unserer Meinung nach wurde gerade an Lange werden wir nicht mehr zu warten den sei, obwohl das nicht stimmte. Doch
jenem Abend die Front der Nationalen Ret- brauchen. hungrigen Mägen wollen die Erklärungen
tung gerettet. Wir sagen das ohne jegliche Uns ist klar, wie schwer es heute jene der neuen Regierung über die wahren
Ubertreibung, da wir den Eindruck nicht rumänischen Kommunisten haben, die Gründe für den Lebensmittelmangel nicht
loswerden können, daß die am Tag aufden nicht das geringste mit den Verbrechen des so recht einleuchten. Zudem begannen sich
Straßen entstandenen spontanen Trauer- Ceausescu-Clans zu tun hatten, doch denen viele Menschen Fragen zu stellen: Wohin
meetings von gewissen Leuten sehr blinder Haß alle Leiden und Probleme gelangte die humanitäre und andere Hilfe
geschickt hin auf die wahre Explosion des zuweist. Mit ihnen kann man nur Mitgefühl aus dem Ausland? In Kindergärten und
Volkszorns auf dem Siegesplatz gesteuert empfinden, kann ihnen nur Kraft und Aus- -krippen, in Kinderheime? Doch da wurde
wurden. Doch wer stand dahinter? dauer wünschen... eine Reportage aus einem Krankenhaus
Die Zeitung ,,Rominia libera" bezich- Doch das eine müssen wir sagen. Heute,
tigte am nächsten Morgen ... Mazilu des da wir über Rumänien, über das Schicksal
gezeigt -
dort hatte man ebenfalls von die-
ser Hilfe nichts gespürt. Und die Unzufrie-
Versuchs, die nationale Eintracht untergra- der RKP sprechen, darf man nicht mit frü- denheit nahm weiter zu.
ben und Unruhen stiften zu wollen. Sie ver- heren Maßstäben arbeiten, darf nicht im Die Führung der Front stellte, um ftir
langte, ihn aus dem Rat der Front zu entfer- Rahmen alter ideologischer Direktiven Abhilfe zu sorgen, drei Mio Dollar für
nen, begann mit einer Untersuchüng seines denken. Wir sind davon überzeugt, daß Lebensmittelkäufe in EG-Ländem bereit.
Lebenslaufes vor 1985, als man ihn als Dis- gewisse Leute meinen, ,,gewisse Kräfte" Der Nahrungsmittelmangel kann ja zu schwe-
sidenten zu verfolgen begann. Einige bio- wollten die ,,kommunistische Partei ins ren politischen Spannungen ftihren. Die Men-
graphische Angaben, die in der Zeitung politische Abseits schieben", und deshalb schen wollen von der Revolution, daß sie
angeführt wurden, entmutigen. Wie glaub- .
gebe es im Land antikommunistische augenblicklich alle Probleme löst. Eine
rvürdig sie sind, wollen wir hier nicht erör- Exzesse. Das wäre nicht nur eine Vereinfa- bekannte und verständliche Ungeduld.
tern. Doch keineswegs können wir der chung, sondern auch eine gefährliche Kurz- Bekannt ist auch der Widerstand der alten
Behauptung zustimmen, Mazilu stehe hin- sichtigkeit. Jegliche Versuche, der ,,Bru- Bürokratie. Die gestrigen Funktionäre in
ter dem Meeting auf dem Siegesplatz und derpartei" von außen zu helfen, z. B. bei manchen Kreisen, Leute, die alle Posten und
das Ziel, das er verfolgte, sei ein Macht- der Ausbildung von Kadern, können nur Privilegien eingebüßt haben, machten schnell
kampf im Rat der Front, das Streben, ihn zu die auch ohnehin instabile Lage im Land auf ,,Umstellung" und begannen die Räte der
spalten, gewesen. Die Beschuldigungen weiter destabilisieren. Sie können der Front Front zu unterwandem. Doch in Wirklichkeit
unserer rumänischen Kollegen sind nicht der Nationalen Rettung schaden. die. wie wollten sie nur Schaden anrichten, sabotieren.
mit Bewejsen tielegt. Leider kommen sie wir meinen, bislang die einzige tatsächlich Die Vertreter der örtlichen Behörden, die
.'serade jenen zupaß, die die Positionen der stabilisierende und organisierende Kraft nicht wissen, wie sie verfahren sollen, sind bis-
Front untergraben wollen. der vbn dem Chaos der Revolution erfaßten weilen ratlos, suchen Rat und Hilfe in Buka-
Wer hat dann Tausende von Menschen Gesellschaft ist. Auch so gibt es genug Pro- rest, wobei sie nicht begreifen, daß sie selbst
lemonstrieren lassen? Nicht ausgeschlos- bleme. alle Probleme anpacken dürfen. Ja, auch
sen. daß sich dahinter Führer der Securi- Demokratie muß man noch lernen...
:ate. die in den Untergrund gegangen sind, Erst das Fressen und dann? Dieser Tage begann in Bukarest ein Rund-
'. erbergen, alte Kader von Ceausescus
,,ei- tischgespräch unter Teilnahme von Vertretern
..erner Garde". Viele von ihnen sind ja lei- Als im Dezember die Kämpfe in der der Oppositionsparteien. Offenbar werden die
:er noch nicht dingfest gemacht... rumänischen Hauptstadt nachließen und allgemeinen Wahlen, die man in den ersten
Zt den Ereignissen am Abend des 12. klar wurde, daß die Revolution gesiegt Tagen der Revolution auf den April angesetzt
-it.nuar zurückkehrend, stellten wir uns die hatte, wurde es zu einer der ersten Aufga- hatte, in Absprache zrrvischen der Front und
F::ee: Wie konnte man eine Situation in ben der Front, die Bevölkerung mit den Teilnehmern des Rundtischgesprächs
,::lere Bahnen leiten, als sie auf das äußer- Lebensmitteln zu versorgen und die Häuser doch erst im Mai oder im Juni statrfinden.
':: ertritzt
:.:
war? Offenbar war der Schritt,
\fazilu unternahm, bei all seiner Frag-
zu beheizen.In den Wohnungen der Rumä-
Drnitri Pogorshelski,
nen wurde es warm - die Gaszufuhr wurde
-
-:liskeit und Widersprüchlichkeit der spürbar erhöht. Lebensmittel, auch Apfel- Sergej Swirin
,.il T" 4.S0 @
Die Rückkehr der UdSSR in die allgemeinen Bahnen der
Weltzivilisation ist ein langsamer, schwieriger und
widersprüchlicher Prozeß

Wer ist heute vorne? och vor einem halben Jahr analysierten sowje- anderer Regionen und des ganzen Landes zu berück-
tische Beobachter die politische und soziale sichtigen. Daher rühren zusätzliche Schwierigkeiten,
Entwicklung in Osteuropa mit einem gewissen die die ohnehin keineswegs einfache Transformation
Gefühl der Überlegenheit: Ihr hinkt uns hin- der Gesellschaft verlangsamen. In den meisten osteuro-
terher, seid noch nicht bereit, euch die Ideen päischen Ländern, die den Weg der Reformen gehen
der Perestroika und die Philosophie des neuen (vielleicht mit Ausnahme von Jugoslawien), spielt das
Denkens anzueignen. Zwar veränderte sich Wiedererwachen des nationalen Selbstbewußtseins
Die dramatische die Evolutionsrichtung im Westen der europäischen eine mobilisierende Rolle und trägt dazu bei, wenn
Entwicklung der ,,sozialistischen Gemeinschaft" seit 1985 wesentlich, nicht Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppie-
aber der ,,große Bruder" marschierte nach wie vor rungen einzuebnen, so doch wenigstens den Dialog zwi-
letzten Monate in allen voran. Während er früher den Weg in die lichte schen ihnen konstruktiver zu gestalten.
den Zrtkrnft des Kommunismus mit einem administrati-
osteuropäischen ven Kommandoprofil gebahnt hatte, war er nunmehr Was wir verschwiegen
Ländern läßt über der Bahnbrecher einer neuen Entwicklungsrichtung
des Sozialismus. Beeindruckend ist wohl auch, wie wenigunserinnen-
vieles nachdenken, politisches Denken auf die gegenwärtige stürmische
ÜberdieZukunftdes Die Rollen verändern sich Entwicklung in Osteuropa vorbereitet war. Nicht, daß
Warschauer wir zu wenig Information hätten. Aber man muß zuge-
Vertrags und des Plötzlich veränderten sich die Rollen buchstäblich ben, daß darin, wie wir unsere nächsten Verbündeten
Rats für über Nacht. Bei uns entfalten sich die Diskussionen auffassen, zahlreiche Mlthen einheimischer Prove-
über Eigentumsformen erst, in Polen aber wird die nienz existieren. Eine vereinfachte und falsche Vorstel-
Gegenseitige Wirtschaft mit Hochdruck privatisiert. Wir gehen erst lung von den osteuropäischen Ltindem beherrscht
Wirtschaftshilfe, die daran, die Frage eines Effektenmarktes zu prüfen, in unser Bewußtsein seit Jahrzehnten.
Geschicke eines Ungarn haben sie schon eine Börse. In den Nachkriegsjahren, als die UdSSR in Osteu-
,,gesamteuropä- Was in der UdSSR um den Preis großer Anstrengun- ropa eine dominierende Position hatte, erhielt sie die
ischen Hauses", clie gen gelingt, vollzieht sichin Osteuropaviel leichter. Was Möglichkeit, die dortigen Staaten nach eigenem
für uns ein Diskussionsgegenstand, ist ftir den überwie- Ebenbild umzumodeln. Ihnen war die wenig benei-
Garantien der genden Teil der Osteuropäer selbstverständlich. Man denswerte Rolle von ,,Bundesgenossen und Kopien"
europäischen kann ohne weiteres voraussagen: Der Abstand zwi- zugedacht, deren Hauptpflicht darin bestand, der
Stabilität, dasWesen schen den osteuropäischen Ländern und der Sowjet- ftihrenden Kraft der sozialistischen Welt wider-
des Sozialismus. Im union wird sich in absehbarer Zeit vergrößern. spruchslos 2u parieren. Die Stalinsche ,,soziale Inge-
neuen Licht Natürlich ist dieses Zurückbleiben objektiv nieurwissenschaft" vernichtete jahrelang und rück-
bedingt. Vor allem muß man in Betracht ziehen, daß sichtslos Unbotmäßige und Andersdenkende, zer-
präsentieren sich die UdSSR schon wegen ihres Riesenterritoriums, störte Strukturen und Traditionen, die seit Genera-
auch die ihrer ethnischen und sozialen Vielfalt, der Besonder- tionen bestanden. Das ursprüngliche Modell der
Veränderungen in heiten in der politischen Kultur und wegen ihrer Beziehungen war jedoch nicht von langer Dauer.
der UdSSR selbst Zugehörigkeit nicht nur zu Europa, sondern auch zu Nach Stalins Tod wurde es durch ein flexibleres
Asien weit weniger ,,Startschub" hat als etwa System des Zusammenwirkens - von Juniorpartner
Ungarn, die DDR, Polen oder sogar Rumänien. und Seniorpartner - abgelöst, wobei die Betonung
Der Staatssozialismus, das administrative Kom- auf dem Wörtchen ,,Senior" lag (besonders deutlich
mandosystem, ideologische Dogmen und sonstige trat das 1956 in bezug auf Ungarn und 1968 auf die
Attribute des Stalinismus haben bei uns tiefere und Tschechoslowakei zutage; in beiden Fiillen ging der
zähere Wurzeln als bei unseren westlichen Nachbarn. ,,große Bruder" davon aus, daß er sich besser in den
Der Stalinismus in der UdSSR ist, das ,,Breshnew- Nöten und Erfordernissen seiner,,Schutzbefohle-
sche Modell" eingeschlosen, rund 70, in Osteuropa nen" auskenne als sie selbst).
etwa 40 Jahre alt. Der Stalinismus ist unsere eigene Es hatte weitgehende Folgen, daß die staatlichen
Schöpfung, ein auf unserem nationalen Boden groß- und sozialen Strukturen sowie die Innen- und Außen-
gepäppeltes Ungeheuer, für die Osteuropäer ist er politik der osteuropäischen Länder von den Wün-
ein aufgezwungener Importartikel. In Osteuropa schen und Vorstellungen der sowjetischen Führung
konnte der Stalinismus die moralischen Normen der abgeleitet waren. Diese Länder wurden in der UdSSR
Gesellschaft nicht so sehr entstellen, nicht so tief ins beinahe nicht mehr als Gesellschaften betrachtet, die
Bewußtsein eindringen und erst recht nicht so verhee- ihren eigenen einmaligen Weg hätten gehen können.
rend den genetischen Fonds der Nation zerstören. Dieser Standpunkt wurde durch einen Strom von
Und erst der Einfluß des ,,multinationalen Fak- faden Publikationen und Femsehsendungen mit
tors"! In der UdSSR ist die Entwicklung der Refor- Nachdruck propagiert und anerzogen. Die plumpe
men stark von ethnischen Widersprüchen gefärbt, die Propaganda überwand sogar die Schranken des
nicht selten extreme Formen annehmen. Immer wie- gesunden Menschenverstands. Während die in der
der werden Versuche unternommen, eine separate UdSSR entworfenen rosa Bildchen der sowjetischen
Lrisung von Problemen auszuarbeiten, mit denen ein- Wirklichkeit dennoch eine Konfrontation mit dem
zelne Nationen und Völkerschaften konfrontiert schnöden Alltag nicht vermeiden konnten, waren die
sind. Ihre Vertreter reagieren oft mit unverhohlener ,,sozialistischen Partner" - nahe gelegen, aber immer
Animosität auf die Aufforderungen, die Interessen noch weit genug entfernt - ein ideales Objekt für die

@ .II E U E z E r I" 4.S0


lliqiiJ@t:Bj.;iii.i?;ir':i&:r I 4.tffstw#

1.. ra*i:r:rffi!:.r :: !i;l

Mythologisierung. Selbst die bes- Polen und Ungarn zurück.


sere als bei uns Qualität von Zugleich erwies sich, daß ihre
Waren aus Osteuropa und die zu Variante der administrativen
uns durchsickernde Information Kommandowirtschaft weit effek-
über einen höheren Lebensstan- tiver war als die sowjetische. Ein
dard in den verbündeten Ländern wichtiger Grund ist eine höhere
iösten beim Gros unserer Beyöl- Arbeitskultur in diesen Ländern
kerung, darunter auch bei Fach- im Vergleich mit der UdSSR.
kräften, eine recht eigenartige Diese Eigenschaft des ..Faktors
Reaktion aus: ,,Die haben diesen Mensch" wurde in Generationen
Lebensstandard. weil wir ihnen anerzogen. Nach allem zu urtei-
helfenl" Beweise? Bitteschön: len, werden sich auch die demo-
unsere billigen Rohstoffe. unsere kratischen Strukturen in der DDR
F/E-Arbeiten. unser hoher Bei- und der Tschechoslowakei viel
trag gemeinsamen Verteidi- leichter entwickeln. Auch in die-
gung ^tr
USw. usf. Aus irgendeinem ser Hinsicht können sie sich auf
Grund machte sich kaum jemand ein bemerkenswertes historisches
Gedanken darüber, daß unsere Erbe stützen,
Hilfe, die tatsächlich viele Pro- Rumänien steht in dieser Reihe
bleme lösen half, zugleich einc abseits. Dort hat eines der
Art Lohn war für den Verzicht schl i mmsten Unterdrückungsregi-
unserer Bündnispartner auf wahre mes eben erst zu bestehen aufge=
Souveränität aussichts- und hört. Die Fesseln zersprangen bei:
reichere Entwicklungsrichtungen. nahe augenblicklich. Wie ist aber
Nqr wenige wußten wirklich, das Verhältnis zwischen den
wie es um die osteuropäischen gesunden kreativen Kräften, die
Länder stand. Schutzfilter funk. sich in der rumänischen Gesell-
tionierten beinahe störungsfrei. schaft erhalten haben, und dem
Neue Ideen fanden selbst auf Erbe der superzentralisierten
höchster Ebene nur mit Mühe Diktatur. das leichter zurückzu-
Prag trifft seine Wahl /,irar:,,,\i,rr' \Ltk, tttutt (Grol)britututit,tt)
Eingang. Die sowjetische Füh- weisen als zu überwinden ist?
rung jener Jahre schuf ein starkes System Auslandskapital) erprobt; das gilt auch für Welchen Weg wird das Land weitergehen?
des Selbstschutzes vor ,,irrtümlichen Stand- Modelle, die ein Versuch waren, die Nur die Zeitkann auf diese Fragen antwor-
punkten", das nur ein schwaches Echo des Marktorientierung mit direktiver Wirt- ten.
Lebens in den verbündeten Ländern durch- schaftsleitung zu verbinden.
1ieß. Daß eine radikale politische Reform den Muß kopiert werden?
logischen Abschluß sich hinziehender öko-
Vorzeige-Modelle nomischer Veränderungen und Experi- Demnach wird die Rückkehr in die
mente bildet, bestätigen auch Ungarns gemeinsamen Bahnen der Weltzivilisation
Indessen waren die Anzeichen einer Erfahrungen. Die Bevölkerung lebe im bei uns langsamer als bei den Osteuropäern
.,Individualität" der osteuropäischen Län- Wohlstand, dieses propagandistische KIi- verlaufen. Das muß uns die Osteuropäer
der nicht zu übersehen. Obwohl durch die schee wurde in West und Ost aufgegriffen. mit Notwendigkeit etwas entfremden. Sie
ihnen aufgezwungenen Beschränkungen Für jene Sowjetbürger. die meinten. unser werden nach neuen Ideen und Erfahrun-
behindert, führten sie die Fähigkeit zu selb- schwerstes Problem seien die
leeren gen, schließlich auch nach Hilfe zunehmend
ständiger Entwicklung vor Augen. In Polen Geschäftsregale, müssen die Erfolge der im Westen und nicht im Osten suchen.
z. B. nahm das Regime schon in den 50er USAP bei der Versorgung der Menschen Übrigens wird die ..Mode" für die UdSSR
Jahren Kurs auf eine Liberälisierung des mit erstklassigen Waren und Lebensmitteln im Westen immer dcutlicher von der ,,ost-
rvissenschaitlichen und kulturellen Lebens attraktiv genug ausgesehen haben. Wie europäischen Mode" abgelöst. Mit Osteu-
Jer Gesellschaft. Eine Erweiterung der dann anders, das war eine so anschauliche ropa ist leichter Kirschen essen als mit der
Schaffensfreiheit war u. a. daran zu erken- Bestätigung für die Richtigkeit der uns ans UdSSR.
nen, wie an Politik, Wirtschaft und Philoso- Herz gewachsenen theoretischen Schemata Hier sind zwei extreme Standpunkte über
phie herangegangen wurde. Polnischen und Postulate. Zudem bei der Uncrschüt- unscie Politik in Osteuropa und unsere Ein-
Fachkräften gelang es, die Abkapselung in terlichkeit der bestehenden Ordnungl stellung zu den dortigen Reformen mög-
:inem engen Kreis ideologisierter Sche- Dabei richtete sich die Politik der ungari- lich. Der erste ergibt sich ausciner gewissen
;nata zu vermeiden; den verschiedensten schen Führung auf die allmähliche Entwick- Bestürzung. Schließlich hat die Sowjet-
Einflüsseu, darunter dem amerikanischen lung der Marktmechanismen im Rahmen union das Banner der revolutionären
:nd dem westeuropäischen, wurde Tür und der bestehenden politischen Strukturen Erneuerung gehißt und Wandlungen in den
Tor geöffnet. Die Erweiterung des Wissen- und der zentralisierten Wirtschaftsleitung. osteuropäischen Ländern angeregt, und
.;haftler- und Studentenaustausches mit Auf die nicht zu vermeidenden halbherzi- nun wollen sie immer autonomer handeln?
,nderen Ländern bildete einen wichtigen gen Lösungen folgten halbfertige Resul- Obendrein schnappen sie uns gute
3:standteil der Ausbildung. Da Polen erst- tate. Dennoch sammelte man Erfahrungen, Geschäfte mit dem Westen. Kredite und
.-i:ssige Fachkräfte bekam, war das eine bildete Fachkräfte aus und schuf die nöti- technische Hilfe weg. Besonders bitter aber
.'r;htige Ausgangsbasis für unterschiedli- gen Strukturen. Die USAP behielt die sind die antisowjetischen Ausschreitungen.
-:,e Experimente, die die Leistungsfähig- Hebel der Kontrolle in ihrer Hand, bis die Letzten Endes könnten auch wir nur von
r .:: s€iner Wirtschaft steigern sollten. Möglichkeiten dieser Entwicklung unseren eigenen Interessen ausgehen! Der
'.i
;:n'olle Erfahrungen, die die Perspekti- erschöpft rvaren. zweite Standpunkt ist Ausdruck der Unge-
-:- erkennen ließen, wurden gesammelt. Vom Staridpunkt der,,Individualität" ,duld. Warum bleiben wir denn zurück?
> .rlrden noch vor Amtsantritt der heuti- nehmen die DDR und die Tschechoslowa- Wieso sind wir schlechter als die? Her mit
.::. Koalitionsregierung viele technokrati- kei einen besonderen Platz ein. Sie blieben. dem Mehrparteiensvstem. Privateigentum.
.::: Lösungen von Wirtschaftsproblemen was Experimente mit der Umsetzung der der Börse und all dem anderen, was in Ost-
- '. mit n eitgehender Heranziehung von Marktwirtschaft angeht, lange Zeit hrnter europa bereits existiert! Besonders günstig
I

,,TI E U E z E r r" 4.90 E


ist der Boden für eine solche Ungeduld in heit allmählich, Jahr für Jahr zu bewälri-
jenen Teilen unseres Landes, wo das gen.
Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung Offenbar ist eine gewisse Konkurrenz 11 m Oktoher v. .T. erhielt Trmgard Seidel.
und'die kulturellen Traditionen denen in zwischen der UdSSR und Osteuropa auf
I Leiterin der Gedenkstätte in Buchen-
Osteuropa nahestehen: Baltikum, Belo- I wald. rao in clen Jahren des Faschismus
westlichen Märkten nicht auszuschlie- 56 000 Menschen umgebracht wurden, ein
rußland, Westukraine. ßen. Sie kann jedoch durchaus kon- schweres Paket. Als sie es öffnete, entdeckte
Man müßte sich die größte Mühe struktiv sein und zur Erhöhung der sie ein dickes Pamphlet, als dessen Autoren
geben, diese beide Extrcme zu vermei- Effektivitat der Produktion bei uns und die Organisation ,,Untergrundbewegung
den. Die Hinwendung Osteuropas zum bei ihnen beiträgen. Außerdem ver- I{epublikaner" verantwortlich zeichnete. In
Westen ist als wirtschaftliche und politi- sperrt eine solche Konkurrenz der wirt- diesem vom Geist des Rassismus und Natio-
nalismus durchdrungenen Machwerk fanden
sche Unvermeidlichkeit aufzufassen. Wir schaftlichen Zusammenarbeit nicht den
sich.unter anderem folgende Worte: ,,Haltet
sind heute einfach nicht in der Lage, weg.
die Ofen offen". Frau Seidel ließ damals die-
unseren Nachbarn jene Hilfe zu erweisen, Spricht man jedoch von der ldee. sen {orfall nicht publik werden. Es war noch
die sie brauchen. Es wäre also zumindest ,,alles so zu tun wie in Osteuropa", so ist eine andere Zeit, am Vorabend des 40. Jah-
naiv, damit zu rechnen, die UdSSR sie, so attraktiv sie für die sowjetischen restages der Deutschen Demokratischen
könne schon in absehbarer Zukunft die Radikalen auch sein mag, mit Vorsicht Republik, und ausschließlich positive Infor-
wirtschaftliche,,Lokomotive" Osteuro- zu genießen. Natürlich werden die ost- mationen waren gefragt. ..
Seitdem haben sich im Leben der Republik
pas werden. europäischen Erfahrungen für uns jähe Veränderungen vollzogen, die es erlaub-
Was den Antisowjetismus betrifft, so immer mehr an Wert gewinnen. Wahr- ten, viele Dinge beim Namen zu nennen.
verdienen natürlich die Menschen in Ost- scheinlich werden unsere führenden Zweifellos wurde im ersten sozialistischen
europa unsere tiefe Achtung und Dank- Politiker nach Prag und Budapest Staat auf deutschem Boden viel getan, um
barkeit, die trotz aller Wechselfälle der ebenso oft wie nach Tokio und Was- den Faschismus in allen seinen Erscheinungs-
Geschichte und aller Prüfungen, die hington reisen müssen. Aber ein blindes formen auszumerzen. Doch die positive Vor-
ihnen zuteil wurden, in ihren llerzen Kopieren der Erfahrungen anderer stellung, um alles in diesem Bereich sei es gut
Liebe zu unserem Land oder zumindest Länder und das nur zu gut bekannte bestöllt, sollte sich als trügerisch erweisen,
Anhänglichkeit bewahrt haben. Wir sind wie es die Ereignisse der letzten Tage deut-
Streben, ,,einzuholen und zu überho- lich werden ließen.
jedoch nicht berechtigt, jene zu verurtei- len", diesmal angewandt auf Osteu-
len, die nicht so wohlwollend über die ... In der Nacht auf den 28. Dezember
ropa, birgt ernsthafte soziale Er- v. J. wurde die Gedenkstätte im Berliner
UdSSR denken. Sie haben nicht wenig schütterungen in sich. Das liegt wohl Treptow-Park geschändet. Am 29. Dezem-
historische Gründe dafür. Es bedarf der kaum im lnteresse der sowjetischen ber tauchten in Görlitz an einem Denkmal
größten Geduld, Umsicht und des größ- Gesellschaft. für Verfolgte des Nationalsozialismus sowie
ten Taktgefühls, uns mit unserer Freund- an anderen Stellen der Republik Haken-
schaft nicht aufzudrängen und die nega- Michail Besrukow, kreuze und Losungen ,,Juden raus" auf. In
tive Hinterlassenschaft der Vergangen- Andrej Kortunow der Neujahrsnacht wurden Gräber sowjeti-
scher Soldaten in Gera geschändet. In der
Nacht zum 2. Januar schmierten Unbekannte
in Pirna an Häuserlvände und Schaufenster
riesengroße Sprüche wie ,,Hitler lebt" und
..Wir sind da - Republikaner"...
Dieser Tage traf bei der Bezirksstaätsan-
waltschaft in Rostock ein ,,Protestbrief"
gegen das Urteil eines hiesigen Gerichts ein,
das im September 1989 den ehemaligen SS-
Mann Holtze, der der Ermordung polnischer
Bürger im zweiten Weltkrieg für schuidig
befunden hatte. Man wolle all das erreichen,
was Hitler ihnen befohlen habe, hieß es in
diesem Brief vor dem Hintergrund einer
Karte mit den Urnrissen des ehemaligen
deutschen Reiches in den Grenzen von 1937.
Die Briefschreiber suchten ihren Forderun-
gen durch Morddrohungen gegen die Mitar-
beiter der Staatsanwaltschaft Rostock Nach-
druck zu verleihen.
Die Aufzählung derartiger Tatsachen ließe
sich fortsetzen. Hierbei wird oft die Frage
gestellt, wo denn die Wurzeln der rechtsradi-
kalen Tendenzen zu suchen seien, ob sie
hausgemacht oder aber importiert seien.
Die ersten dokumentarisch belegten Fälle
des Auftretens von Ultrarechten in der DDR
gab es am Beginn der 80er Jahre. Damals
meldeten sich ,,Skinheads" zu Wort, die aus
einer Zr.lsammenrottung von Fußball-
Schlachtenbummlern zu einer von der Nazi-
ldeologie geleiteten Bewegung wurden.
Besonders aggressiv wurde das Verhalten der
Einerseits ist die Lösung nah... Anderseits sind die Menschen fern.-. ,,Skinheads" in den letzten zwei, drei Jahren.
,,Trybunu Ludu" (Folen So inszenierten sie im Oktober 1987 eine

E "lt 4.S0
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Falsche Schlachtenbummler u. a.
Unsere Korrespondenten Anatoli Kowrigin und ner" sind noch alarmierender: die unverzügli-
che Wiedervereinigung Deutschlands (dem
Nikita Sholkwer berichten aus Berlin und Bonn Programmtext wird eine Karte Deutschlands
in den Grenzen von 1937 beigelegt). Nicht
wüste Schlägerei bei der Berliner Zionskir- tisrnus ist zu berücksichtigen. Besonders ausgeschlossen werden. die Möglichkeit eines
che und vom Januar bis zum März 1988 zer- machte er sich in den letzten Wochen neuen Anschlusses Osterreichs und eine
störten sie über 200 Grabsteine auf dem jüdi- bemerkbar, was die hiesige Presse besorgt Abwendung von der europäischen Integra-
schen Friedhof in Berlin. an cler Schönhau- konstatiert. Mit dem Export clieses Erzeug- tion.
ser-A11ee. nisses befassen sich zrvei Parteien der BRf) - Die dynamischen Veränderungen in der
Im Sommer 1989 entdeckten die zuständi- die CSIJ und die ,.Republikaner". DDR kamen für die ,,Republikaner" wie übri-
gen Organe der DDR die.,,SS-Geheimorga- gens auch fur die anderen bundesdeutschen
nisation Wohlgast". Angaben zufolge, die Parteien überraschend. Lange genug war
der Sprecher der Kriminalpolizei der DDR ie ,,Republikaner" nehmen erst seit Schönhuber unentschlossen. Wie sollte er rea-
Oberstleutnant Bernd Wagner dieser Tage kurzem einen festen Platz am rech- gieren? Einerseits die sehnlich gewünschte
Journalisten mitteilte, wurden 1988 im ten Flügel des politischen Lebens in ,,Wiedervereinigung", andererseits die
Zusammenhang mit Nazi-Aktionen Verfah- der BRD ein. 199t) verabschiedeten sie enorme Zahl von DDR-Bewohnern (mehr als
ren gegen 185 Personen und in den ersten 11 ein neues Programm, das ir.r einem merkwür- 1000 täglich), die in die BRD umsiedeln,
Monaten v. J. gegen 296 Personen eingelei- digen Durcheinander eine Ansammiung der wodurch die Belastung des Arbeitsmarktes
tet. Die Behörden verfügen über Angaben zu verschiedensten Forderungen enthält - von wächst, die Konkurrenz bei der Suche nach
1100 Personen, die in rechtsradikale Tätig- einer Wiedervereinigung Deutschlands bis bezahlbarem Wohnraum stark zunimmt und
keit verwickelt sind. Wie Oberstleutnant zu einer Streichung des F{afturlaubs für sich gerade jene sozialen Probleme verschär-
Wagner sagte, besteht aller Anlaß zu der Schwerverbrecher. Oblvohl sich die Partei fen, für die Schönhuber populistische Lösun-
Vermutung, daß es in der Republik noch und ihr Führel Franz Schönhubel verbal gen parat hielt, was ihm Wähler zutrieb.
andere unbekannte Gruppierungen dieser vom Hitlerfaschismus distanzieren, sind ras- Einen Ausweg aus diesem Dilemma zeigte
Art gibt. sistische, ausländerfeindliche Forderungen die weitere Entwicklung in der DDR, insbe-
Wo liegen die Ursachen für diese gefährli- Hauptthema der,,Republikaner". Nicht sondere die für Ubergangszeiten so bezeich-
chen Erscheinungen? Nach Meinung cines weniger laut ist im Progranrm auch der Ruf nende Aufwallung nationaler Emotionen.
Mitarbeiters des Instituts für Internationale nach einer ,,starken Hand", nach einer Wie- Schönhuber beschloß, die sich bahnbrechen-
Politik und Wirtschaft Dr. Manfred Behrend derherstellung von ,,Recht und Ordnung" zu den ,,großdeutschen" Leidenschaften in der
erklären sie sich aus dem System, das viele vernehmen. DDR aktiv auszunutzen.
Jahre in der DDR bestand. Die Stalinsche Im Januar 1989 hatten die ,,Republikaner" Die bundesdeutschen ,,Republikaner"
Variante des Sozialismus wirkte sich überaus einen großen Erfolg in Berlin (West), wo sie machen kein Geheimnis aus ihrer Tätigkeit in
negativ auf alle Bereiche des öffentlichen die 5%-Sperrklausel überwanden und in das der DDR. Vor einigen Tagen versuchte
Lebens aus. Sie führte zu einer Kluft zwi- Abgeordnetenhaus einzogen. Auf der näch- Schönhuber mit seinem Europaparlamenta-
schen Worten und Taten, Versprechungen sten Etappe, bei den Wahlen zum Europäi- rier-Ausweis in die DDRzu gelangen, um per-
und der Wirklichkeit, zur Ausbreitung einer schen Parlament im Sommer v. J., erhielt sönlich an der Gründung von Ortsgruppen der
doppelten Moral. All das mul3te sich vor Schiinhuber 7,1 Prozent der Stimmen. Und ,,Republikaner" in Berlin, Leipzig, Dresden
allem auf die junge Generation auswirken, bei Kommunalwahlen in der BRD votieren und Karl-Marx-Stadt teiizunehmen. Der
von der ein Teil versucht, Ideale im rechten ftir die ,,Republikaner" bisweilen bis zu 20 ,,republikanische" Abieger in der DDR soll,
politischen Spektrum zu finden. und mehr Prozent der Wähler. wie er hofft, an den für den 6. Mai angesetzten
Doch auch der importierte Neokonserva- Die außenpolitischen Ziele der,.Republika- Wahlen zur Volkskammer teilnehmen.
Die ,,Republikaner" rüsten ihre Stütz-
punkte in der DDR üppig mit allern Erforder-
lichen aus, darunter mit Kopier- und Druck-
technik aus dem inzwischen Bonner Haupt-
quartier der Partei und aus deren Vertretung
in Berlin (West). Zwischen 80 000 und 100 000
Flugblättern wurden bereits in die DDR
gebracht. Nach Schätzungen,,republikani-
scher" Politiker gibt es in der DDR an die
50 000 feste Anhänger Schönhubers.
Schwer zu sagen, wieweit diese Angaben
stimmen. Doch wenn man bedenkt, wie aufge-
heizt die nationalen Leidenschaften sind und
wie populär die Losung einer ,,Wiedervereini-
gung" als eines ,,Zaubermittels" zur Lösung
aller Probleme ist, dann stellen sich diese Zah-
len als durchaus realistisch dar.
Schönhuber tut alles, damit die Tätigkeit
der ,,Republikaner" in den Medien der DDR
beleuchtet wird - und das scheint ihm zu
gelingen. Hierbei läßt er sich von dem Prinzip
leiten, lieber überaus kritische Informationen
als überhaupt keine. Diesem Ziel dienen
Revanchisten auf dem DDR-Boden diverse provokatorische Aktionen, Erklärun-
gen und Forderungen.

,,II E U E z E I r" 4.90 tr


{

,,Der Feind steht rechts"


as, worüber die NZ-Korrespondenten sondern auch in der DDR. Nicht nur den Bonner
Berlin und Bonn auf den vorherge-
aus ..Landsmannschalten". sondern auch einigen Grup-
henden Seiten berichteten, ist eine bit- pen, die in Leipzig demonstrieren, mißfallea die
tere Realität des heutigen Europa, eine Westgrenzen Polens. In letzterem sehe ich weniger
Realität, die absolut nicht in den Kon- den verhängnisvollen Einfluß des Westens (er ist
text des gesamteuropäischen Prozesses zu passen zweifellos vorhanden) als vielmehr ein Anzeichen für
scheint. die Zählebigkeit einer Ideologie, die die Welt nur als
Lange Zeit verstande_n wir unter dem gesamteuro- Objekt der Gewalt, die Menschen als ,,Feindbild"
päischen Prozeß etwas von vornherein Positives und sieht. Vergessen wir nicht, daß es in der Welt nicht
Wünschenswertes. Die Konfrontation der beiden nur,,Allgemeinmenschliches", sondern auch,,Allge-
Teile Europas zu überwinden, wirtschaftliche Kon- meinunmenschliches" gibt...
takte und menschliche Beziehungen anzuknüpfen - Die erste Reaktion in Europa auf die hochkom-
ist das nicht eine edle Aufgabe? Doch wie gefahrlich menden,,gesamtdeutschen" Emotionen des Nationa-
ist eine einseitige Aufnahme, wie wir das früher so lismus ist verständlich: Die Angst davor, bei einer
liebten! Jeder Prozeß trägt innere Widersprüche in weiteren Annäherung der beiden deutschen Staaten
sich (dafür ist es eben ein Prozeß!). Und das könnten nationalistische (und sogar neonazi-
Ergebnis: In den europäischen Gesellschaf- stische) Stimmungen stärker werden, könn-
ten, die sich näherkommen, finden einander ten bedeutenden Raum in den neuen
nicht nur positive, sondern auch destruktive deutsch-deutschen Beziehungen einnehmen
Kräfte. und verhängnisvollen Einfluß, ja Druck auf
Daß es in Westeuropa (und insbesondere die Haltung der Regierungen der BRD und
in der BRD) rechte und ultrarechte Grup- der DDR ausüben. Wenn man nicht nur von
pierungen gibt, ist eine seit langem Ideen, sondern von europäischen Grenzen zu
bekannte Tatsache, derer wir schon fast sprechen beginnt, wird die Sache doppelt
überdrüssig geworden sind. Vielleicht ist ernst.Mit anderen Worten: Ein weiteres
daran auch die sowjetische Publizistik Argument gegen eine mögliche Vereinigung
schuld, die nicht sonderlich wählerisch Eti- der deutschen Staaten? Doch ein derarti-
kette des ,,Neonazismus" und des ,,Neofa- ges Verständnis der Ereignisse scheint mir
schismus" verteilte. Julius Fuciks unsterbli- persönlich etwas kurzsichtig, ja passiv zu sein.
cher Aufruf , wachsam zu sein, wurde oft als Im heutigen Europa geht es nicht darum,
Lew eine Art Ritual verstanden. Jedes Ritual neue Hindernisse zwischen den Staaten auf-
aber trägt in sich die Gefahr, daß man sich zubauen (oder die alten zu bewahren). Laßt
Besymenski daran gewöhnt, daß es zur Routine wird. uns doch nicht immer aufs neue nach Argu-
Die Folgen sind betrüblich: Wenn schließ- menten dagegen suchen (in diesem Fall gegen
lich eine reale Gefahr entsteht, ist das Publi- die Möglichkeit einer Vereinigung, sollte das
kum schon zu müde für eine Reaktion... dem Willen der Bevölkerung in beiden Ländern
Fucik aber hatte recht! Die 1945 vernichtete ent- entsprechen). Wir werden nicht zu Maßnahmen,
setzliche Maschinerie der Nazi-Herrschaft - sie war um irgendeine Bewegung auszugrenzen, aufrufen,
zugleich eine entsetzliche Maschinerie der Massen- sondern uns an das Bewußtsein jener wenden, die
verdummung - hinterließ im europäischen Bewußt- diese Bewegung vollziehen. Die Offentlichkeit in
sein leider nicht nur ein Gefühl des Abscheus. Eine der BRD und in der DDR muß begreifen, daß ihre
durchaus reale Trägheit des Denkens blieb, für des- Staaten (und erst recht ein einheitlicher deutscher
sen Anhänger sich viele Wahrheiten der Vergangen- Staat) nur dann, wenn sie nicht zu einem ,,Unruhe-
heit als bequeme Form für ein neues politisches Sein stifter" werden. positiv im heutigen Europa aufge-
erweisen sollten. nommen werden.
Hier begingen wir eineh weiteren Fehler. Gewohnt
Unsere Pflicht ist es. das offen zu sagen. Und das
daran, seit dem 7. Kongreß der Kommunistischen nicht nur, weil die Sowjetunion zu den Siegermächten
Internationale im Faschismus die ,,offene Diktatur gehört. Demokraten zu sein kann man nicht befeh-
der aggressivsten Elemente des großen Monopolka-
len. Die Deutschen selbst müssen erkennen, wie
pitals" zu sehen, beobachteten die marxistischen gefährlich eine Rückkehr zur Vergangenheit wäre. In
Interpretatoren der Ereignisse etwas verlegen, daß in
Berlin gingen am Tag des Gedenkens an die großen
keinem westlichen Land das große Monopolkapital
Revolutionäre Karl Liebknecht und Rosa Luxem-
auch nur dann daran dachte, neofaschistische oder
burg Zehntausende auf die Straße, in der BRD aber
andere ultrarechte Gruppen zu unterstützen. Und
während wir uns den Kopf über dieses Rätsel zerbra-
protestierten zur gleichen Zeit Antifaschisten
gegen einen Parteitag von Neonazis in Rosenheim.
chen, erhielten die Ultrakonservativen zunächst Das ist eine deutsch-deutsche Gemeinsamkeit, die
schüchtern und dann immer selbstbewußter eine
hoffen 1äßt!
Grundlage. So formierte sich eine Ultrarechte in
Westeuropa. Es ist Sache der Ehre aller Deutschen - ich denke
Und erst recht galt es als ,,nicht schicklich", neona- da vor allem an die antifaschistischen Traditionen der
zistische Stimmungen in sozialistischen Ländern zu DDR sich gegen die zerstörerischenTendenzen zu
-.
suchen! Jetzt ernten wir die Früchte dieser doktrinä- wenden, die noch in Europas Schoß verborgen sind.
ren Haltung. Wie sich herausstellt, gibt es Anhänger Vor vielen Jahren erklärte Reichskanzler Dr. Josef
des Nazismus und der Hitler-Ideologie selbst in der Wirth, ein herausragender deutscher Demokrat:
Sowjetunion. Auch im sozialistischen Rumänien ver- ,,Der Feind steht rechts!" Wiederholen wir diese
suchte man eine SS aufzubauen. Und es gibt, wie wir Worte, doch lassen wir seine Mahnung nicht unge-
jetzt erfahren, ,,Republikaner" nichtnur in der BRD, hört verhallen! I
..,*:El "lt
A Eü l- l9l,,4.90
Stunde der Reformen
Die 45. Tagung des RGW sprach sich für völlig neue
Formen der Zusammenarbeit aus
ohl keine Tagung des Rates für und den Mechanismen des Rates stehe.
gegenseitige Wirtschaft shilfe in Kurz gesagt, Kritik gab es genug. Und
den letzten Jahren hatte schon dieseKritik hatte ihre Berechtigung.
vor ihrem Beginn so viele Prognosen und Die Vorschläge, die der sowjetische
Prophezeiungen bezüglich des künftigen Regierungschef Nikolai Ryshkow der
Schicksals dieser internationalen Tagung unterbreitete, nahmen, wie einige
Gemeinschaft hervorgerufen wie die 45. Kommentatoren bemerkten, den radikal-
Tagung, die unlängst in Sofia beendet sten Kritikern des RGW den ,,Wind aus
wurde. den Segeln". Der sowjetische Delega-
Selbst Mutmaßungen, ob das nicht die tionsleiter ging im Grunde weiter als die
letzte Tagung des Rates in seiner mehr als Kritiker, indem er nicht nur der jetzigen
40jährigen Geschichte werden würde, Situation im RGW eine objektive Ein-
wurden angestellt. Und, ehrlich gesagt, schicdc in den Positior.rcn gab. CSSR-
schätzung gab, sondern auch ein kon-
solche pessimistischen Prognosen waren Regierungschef Marian Calfa z. B.
struktives Programm für die Zukunft vor-
nicht grundlos. Der RGW ist in einer tief- erklärte, sein Land werde erst Ende des
legte. Seine Einschätzungen der Lage lie-
greifenden inneren Krise in die 90er Jahre kommenden Fünfjahrplans, nicht aber
fen darauf hinaus, daß der RGW in seiner
getreten. Der Mechanismus der interna- schon 1991, an einen solchen stufenwei-
derzeitigen Form nicht weiterbestehen
tionalen wirtschaftlichen Zusammenar- sen Ubergang gehen können. IJnd zwar,
kann. Die RGW-Staaten stehen vor der
beit, der in den Nachkriegsjahrzehnten Wahl, diese Wirtschaftsorganisation, die
weil die Tschechoslowakei große Liefe-
eine nicht geringe positive Rolle spielte, rungen von sowjetischem Erdöl und Erd-
bei all ihren Mängeln für die Mitgliedslän-
indem er die Bemühungen der Mit- der lebensnotwendig ist, aufzugeben oder
gas brauche, wofür man nach Weltmarkt-
gliedsländer mobilisierte und vereinte, preisen in Devisen zahlen müsse, wäh-
aber die Organisation nach völlig neuen
erwies sich unter den neuen Bedingun- rend die Devisenpreise für die Erzeug-
Prinzipien umzugestalten.
gen als nicht effektiv. Die im Rahmen nisse der tschechoslowakischen Industrie
des administrativen Kommandosystems Was muß dieser Umgestaltung heute niedriger seien als die Weltmarkt-
entstandene Praxis der bilateralen und zugrunde liegen? Vor allem eine radikale preise, da diese Produkte einstweilen
multilateralen Beziehungen, der Festle- Veränderung_der bestehenden Praxis der nicht den internationalen Qualitätsanfor-
gung der Preise und der gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen der Ratsländer. derungen entsprechen. Kuba würdp es
Abrechnungen geriet in Widerspruch zu Ab 1991 soll der stufenweise Übergang überhaupt vorziehen, alles beim alten zu
den Erfordernissen der Dezentralisie- zum Einsatz konvertierbarer Währungen belassen. Es gibt gewisse Zweifel und
rung der Wirtschaft, der Einführung der im gegenseitigen Zahlungsverkehr und zu Meinungsunterschiede auch in den Hal-
Marktbeziehungen, der großangelegten Weltmarktpreisen im Außenhandel erfol- tungen anderer Mitgliedsländer. Doch
gen. Ein solcher Schritt wird es erlauben, insgesamt dominierte die Auffassung,
Einbeziehung der Direktproduzenten in
die internationale Arbeitsteilung, der zu echten Marktbeziehungen im RGW daß die Stunde der Reformen gekom-
Kooperation und die Außenhandelsope- überzugehen und die Effektivität der men ist. Der RGW braucht eine grund-
rationen. Wirtschaftsbeziehungen zu verbessern, legende Umgestaltung. um aus einer
Diese Widersprüche machten sich wird die Produzenten durch die Konkur- geschlossenen Struktur mit spezifischen
immer bemerkbarer, bremsten die renz allmählich auf den Weltstand brin- inneren Regeln zu einer offenen Organi-
Umbauprozesse und die Verwirklichung gen, was Qualität, Energie- und Material- sation zu werden, in der sich die Bezie-
tiefgreifender Wirtschaftsreformen in den aufwand, die Selbstkosten ihrer Erzeug- hungen auf die weltweit anerkannten
RGW-Ländern. Und nicht von ungefähr nisse angeht. Die Praxis soll nun der Ver- Prinzipien der Kooperation, der Kon-
erklärte CSSR-Finanzminister Vaclav gangenheit angehören, da der Warenaus- kurrenz und auf den gegenseitigen Vor-
Klaus einige Tage vor der Begegnung in tausch zwischen den RGW-Ländern an teil gründen.
Sofia in einem Interview für die polnische den Handel zwischen Steinzeitstämmen
nach dem Motto ,,Tausche drei Axte Eine Sonderkommission wurde einge-
Zeitung,,Rzeczpospolita", die Tsche- setzt, die ein Dokument für eine solche
gegen fünf Hammel" erinnerte, die dabei
choslowakei schlage überhaupt vor, diese Umgestaltung zu erarbeiten hat. Man
Organisation aufzulösen. Zwar nahm der entstehenden Ungleichgewichte als
unvermeidliche Kosten der,,Gemeinsam- erwartet, daß dieses Papier sehr durch-
Minister einen Tag später seine eigene dacht und ausgewogen sein und die Inter-
Erklärung zurück, doch dabei ftlgte er keit der Ideologien und Ziele" verbucht
wurden und die von einem Produzenten essen aller Mitgliedsländer innerhalb wie
hinzu, daß der RGW trotz allem in seiner außerhalb Europas berücksichtigen wird.
jetzigen Form nicht weiterbestehen könne erarbeiteten Transferrubel oder nationa-
len Währungen von diesem nicht nach Nichtsdestoweniger sollte die Erarbei-
und es keinerlei grundsätzliches Argu- tung des Dokuments nicht hinausgescho-
ment für dessen Weiterbestand gebe. eigenem Gutdünken in einem beliebigen
Land, wo es das gesuchte Produkt gab, ben werden. Eine solche Gefahr aber
Eine ähnliche Haltung nahm Zeitungs- besteht, wie die frühere Praxis des RGW
meldungen zufolge auch der ungarische ausgegeben werden konnten.
zeigt. Und zwar, weil man im RGW, wie
Außenminister Gyula Horn ein. Und Kurz gesagt, Rückkehr
es geht um eine CSSR-Ministerpräsident Marian Calfa
Malgorzata Niezabitowska, Pressespre- zu den in Jahrhunderten erarbeitetenzivi- sagte, immer noch Monate, ja Jahre brau-
cherin der polnischen Regierung, lisierten Normen der Weltwirtschaft. Die che, während es heute aufTage und Stun-
erklärte, daß wenn Polen die Frage einer Notwendigkeit einer solchen Rückkehr den ankomme.
Auflösung des RGW jetzt auch nicht wurde von der 45. RGW-Tagung unter-
stelle, es doch sehr kritisch zu der Struktur stützt, obwohl es natürlich auch Unter- Alexander Didussenko
u, E. zEtI" 4.00_.;E
ltAtrl
Das Land, das Bolivar einst als Vorbild für dle Völker der
Region bezeichnete, ist heute das Armenhaus der
westlichen Hemisphäre

Auf der Suche nach einem Zuhause


as rote, angerostete Tor war angelehnt. Als ten. Ohne sich durch die Anwesenheit von Fremden
wir unentschlossen vor dem Eingang stehen- beirren zu lassen, streifte eine junge Negerin ihr Kleid
trlieben, kam ein Mädchen zilm Tor heraus. ab und begann sich gründlich einzuseifen.
Sie balancierte einen Wassereimer auf dem Vom Baum her trat eine Gestalt auf uns zu. ,,Sie
Kopf. wollen sich wohl das Haus ansehen? lch führe Sie."
,,Kann rnan da rein?" fragte mein Begleiter. Der Alte, der uns seine Hilfe anbot, war der Wäch-
Das Mädchen antwortete nicht, ging über ter von Duvaliers Residenz. Genauer gesagt war er
ln diesem karibischen die staubige Straße und verschwand auf der anderen der ehemalige Wächter der ehemaligen Residenz des
Staat stürzte die Straßenseite, wo hinter verkümmerten Bananenbäu- ehemaligen Diktators. Max, der uns seinen Nachna-
men halbzerstörte Elendshütten standen. men nicht nennen und sich partout nicht fotografie-
Diktaturam 7. Februar Wir gingen hinein. ren lassen wollte, bewacht die verödete Villa übrigens
1986. Sie gehört Auf der mit welken Rosenblättern übersäten Allee imrner noch, obwohl ihn niemand mehr dafür
jedoch immer noch kamen uns eine Frau und ein kleiner Junge entgegeu. bezahlt. Er tut das aus jahrelanger Gewohnheit und
nicht der Beide hatten diesen wiegenden Gang an sich, den weil er ansonsten keine Autgabe mehr hat.
Vergangenheit an. hier in Haiti schon die Kinder annehmen, denn alle ,,Hier, sehen Sie, mehr ist nicht übriggeblieben."
tragen alles auf dem Kopf. Die Frau und der Junge Mißbilligend schüttelt Max den Kopf. Wir sehen von
Duvalier ist nach trugen ebenfalls Wassereimer. Feuer beschädigte Mauern, ein Bassin, auf dessen
Frankreich geflohen, Wir schritten die wohlriechende Allee entlang. Die Grund eine grüne, übelriechende Pfütze steht, die
aber der Duvalismus Luftlvar ertüllt von dem Duft der Blumen, die man zerfallene Ballustrade, auf der einst Orchester Fox-
lebt weiter, in in der Hitze des Tages nicht bemerkt, jetzt aber, vor trott intonierten, den von einem niedergetretenen
Sonnenuntergang, nahmen wir sie, wie auch die blü- Zaun umgebenen Tennisplatz. Durch die steinernen
konkreten Personen, Bodenfliesen bricht Unkraut hervor.
henden Büsche. wieder wahr. Uns kamen weitere
ldeen, Stimmungen. Frauen und Kinder im wiegenden Schritt und mit ,,Deshoukay?" fragt mein Begleiter.
ln der Angst Wassereimern auf dem Kopf entgegen. Die Sonne ,,Deshoukay", erwidert Max betrübt.
ging unter. Während wir zurückgehen, teilt Max uns mit. daß
In der Ferne galoppierte ein Reiter über eine in letzter Zeit viele Ausländer kommen, um so n'ie
Wiese. Das hohe Gras verdeckte die Beine des Pfer- der ,,Monsieur", wobei er zu mir herübernickt, Fotos
des, so daß der Reiter vorbeizuschweben schien. A1s zu machen. AulSerdem kommen die Leute aus der
er an der roten Halbkugel der sinkenden Sonne vor- Nachbarschaft, um Wasser zu holen, sich und ihle
beiritt, war er für einen Augenblick tiefschwarz. Wäsche zu waschen. Das verbiete ihnen jetzt keiner
tiber diese Allee näherten wir uns der Residenz mehr.
des gestürzten Diktators. Die Unterhaltung verläuft in der Kreolensprache.
Vor uns hörten wir lebhafte Stimmen und Wasser- Ich bitte meinen Begleiter, Max zu fiagen, was er von
plätschern. In einem seichten, zur Hälfte mit Wasser dem ehemaligen Hausherrn hä11.
gefüllten Bassin badeten Frauen. Kinder hielten Pla- ,,Er sagt, Duvalier sei ein guter Mensch gewesen.
stikeimer unter einen Wasserstrahl. der sich aus Nur die Leute in seiner Umgebung seien schlechte
einem durchlöcherten Wasserrohr ergoß. In der Menschen gewesen, und das war auch der Grund für
Nähc slßcn Mrinncr rrrttcr cit.tr-rt.t Ritum ttntl rauch- das ganze Eiend."
Diktaturen unter tropischem Himmel und in kühle-
ren Regionen haben offensichtlich manches gemein.

Kolumbus und,,Deshoukay"
Das Wort ist neu, genauer gesagt rvird es in e:iner
neuen Bedeutung verwandt. Deshoukay ist die Kraft,
die ein Bauer aufuendet, wenn er einen Baum mit der
Wurzel ausreißt. In letzter Zeit ist Deshoukay das
meistgebrauchte Wort in der hiesigen Politik, sobald
man auf die Notwendigkeit zu sprechen kommt, die
Wurzeln der Diktatur auszureißen.
In der Praxis kann Deshoukay ganz verschieden
aussehen.
An dem Tag, als ich in Port-au-Prince landete, zog
die Menschenmenge ein Mitglied der Tontons-
Macoutes aus dem Flugzeug, brachte ihn auf der
Stelle um und verbrannte die Leiche. Tontons-
Macoutes war die Bezeichnung tür Duvaliers
Geheimpolizei, die überall Angst und Schrecken ver-
breitet hat.
Über Zwischenfälle wie diesen wundert sich heut-
zutage in Haiti keiner mehr, obwohl sie die Phantasie
t:rt-3u-Prince. Denkmal des Sklavenaufstands Ende des 18. Jahrhunderts ausländischer Korrespondenten stark beschäftigen.

tr t{EllE T" 4.90

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Die internationale Presse berichtet über Medarde, ein in Haiti bekannter Theater- plasma ein besonders einträgliches
barbarische Exzesse in diesem mittelgroßen autor. ,,Im Volk hält man Kolumbus für den Geschäft. Die Hungernden spendeten
Käribik-Staat. ersten Imperialisten, mit dem die Zeilrech- Dollar. Derselbe Liter
einän Liter ts1ut für 3

,,Wie jeder normale Mensch kann ich nung unserer Not einsetzt. Kolumbus kam wurde in den USA für 25 Dollar verkauft.
Lynch-Justiz nicht billigen", sagte mir ein mit dem Kreuz, seine Soldaten kamen mit Im Flughaten von Port-au-Prince stehen
einheimischer Kollege. ,,Aber ich verstehe dem Schwert. Heute gibt es in Haiti keine vorsintflutliche zweimotorige Douglas-
diejenigen, die sich auf diese Weise an den Ureinwohner mehr. Wir sind Nachkommen Maschinen der Air Haiti. Als ich mir diese
Macoutes rächen. In den schlimmsten afrikanischer Negersklaven. Also hat die museumsreifen Ausstellungsstücke ansah,
Tagen der Diktatur, als bestialische Morde Menge'das Denkmal ins Meer gestoßen. konnte ich mich nicht von dem Gedanken
verübt wurden und die totale Angst Der neue Bürgermeister hat angeordnet, freimachen. daß in ihnen die Leichen von
herrschte, haben diejenigen, die gegen die die Statue aus dem Wasser zu holen. Vor- Obdacl.rlosen nach Miami geflogen worden
Diktatur kämpften, gewarnt: Niemand erst verrvahrt er sie hier in der Garage." sind: Auch das ein von Duvalier entdecktes
solle die Rache des Volkes an den Henkern In Flaiti und in der Dominikanischen lukratives Geschäft. Haiti hat Leichen
Barbarei nennen." Republik, zwei Nachbarstaaten a'uf ein und exportiert. Zu einem solchen Ausmaß an
Mein Gesprächspartner, ein äußerst derselben Insel, streiten sich die Historiker Zynismus hat es wohl noch keine Diktatur
ruhiger Mann mit ausgewogenen Urteilen, schon seit Jahren darüber, aufwelches die- gebracht. Duvalier entwickelte die wirt-
hat unter Duvalier die Kerker von Fort ser beiden Länder der Entdecker Amerikas schaftliche Zweckmäl3igkeit des Terrors zu
Dimanche kennengelernt. Bei der Erwäh- seinen Fuß zuerst gesetzt hat. Noch kompli- einer irrsinnigen Perfektion. Die Diktatur
nung dieses Gefängnisses läuft es jeder- zierter sind die Polemikefl, die von latein- produzierte Leichen, und die Diktatur
mann in Haiti kalt über den Rücken. amerikanischen Wissenschaftlern zwischen exportierte sie. Ausländische lVledizinstu-
Wer die ,,Komödianten" von Graham Mexiko und Chile und von Lateinamerika- denten sezierten Leichen von Menschen,
Greene gelesen hat, wird sich an den Wissenschaftlern zrvischen Madrid und die verhungert oder zu Tode gefoltert wor-
Kolumbusplatz in Port-au-Prince erinnern. Tokio geführt werdcn. Die Untersuchun- den waren.
Die Helden des Romans haben sich immer gen sollen ein für aliemal zeigen, was die Das Schlirnmste ist wohl, daß der Duva-
am Kolumbus-Denkmal verabredet. Auch Entdeckung des Kolumbus eigentlich war, lismus das Leben zu einer sinnlosen Exi-
ich wollte mir diesen Platz ansehen. eine Begegnung zrveier Welten oder Völ- stenz hat werden lassen und die Vorstellun-
,,F'ahren wir!" sagte mein Begieiter, ohne kermord. Dier.veil haben die Einwohner gen vom T'od transformiert hat. Auf dem
sich lange zu besinnen. Allerdings lächelte von Port-au-Prince, ohne etr,vas von diesen Weg von Port-au-Prince in die im Süden
er dabei etrvas merkwürdig. Woltgefechten zu ahnen. Kolumbus vom gelegene Stadt Jacmel gerieten wir in einen
Wir ließen die Brüstung der Uferstraße, Sockel gestoßen und ihrn die I-Iand abge- Stau. Vor uns zog sich fast über einen Kilo-
auf der Straßenmaler äußerst interessante schlagen, mit dei' er einst die heidnischen meter eine Trauerprozession hin und
Bilder anbieten, hinter uns und fuhren zum {Jreinwol-rner gctautt hat. strömte als schwarzer Fluß auf einen Dorf-
Kai. Hinter einem niedrigen Zaun stand ein Hier hat nur einer unter vielen Deshou- friedhof. Dazu spielte eine Band die heitere
Sockel und auf diesem war mit frischer kay stattgefunden. Der K<tlumbus-Platz Melodie eines bekannten amerikanischen
Farbe der Name Peralte geschrieben, des heißt jctzt Ferallc-Plrrtz. Schlagers.
Nationalhelden von Haiti, der 1919 wäh- Um zu begreifen, wanrm das Wort De-
rend der amerikanischen Okkupation sein shoukay heute in Port-au-Frince in aller Die Geisterstadt
Leben ließ. Munde ist, muß man nicht unbedingt an die
,,Und wo ist Kolumbus?" Verbrechen der Diktatur erinnern. Im Prin- Nirgendrvo spürt man die irrationalen
,,Fahren wir weiter", sagte mein Bekann- zip funktionieren alle Diktaturen gleich, Folgen der Diktatorenherrschaft so stark
ter mit demselben seltsamen Lächeln. auch wcnn sich die Henker Lind Folterer wie in der Hauptstadt. Hätten Gegner des
Wenige Minuten später stand ich vor dem technisch weiterentwickeln" Verschieden Urbanismus noch einen Beweis für die Idio-
Rathaus und verfolgte, ohne ein Wort zu ist nur das Ausmaß des Irrationalen, in rvel- tie des Stadtlebens gebraucht, dann würden
verstehen, den erregten Wortwechsel zwi- ches eine Diktatur das eine oder andcre sie hier in Port-au-Prince alle Beweise ver-
schen meinem Begleiter und dem Wachpo- Land stürzt. cirrt finden.
sten. Zwischendurch sahen sie zu mir her- Haiti, das Simon Bolivar, der Beficier In dieser Stadt kar.rn jedes noch so bedeu-
über, und dann konnte ich Worte wie Lateinamerikas, einst als Vorbild füt" dic tungsiose Ereignis zu unerwarteten und in
,,Monsieur" und,,Foto" verstehen. Schließ- Völker der westlichen Hemisphiire bezeich- der Regel tragischen F'olgen führen.
lich gab man mir mit einer geheimnisvollen nete; Haiti, wo revoltierende Sklavcn zum Es regnet. Regen ist in den Tropen eir-re
Handbewegung zu erkennen. daß ich dem ersten Mal in Amerika eine antikoloiriale dcr verläßlichsten Erscheinungen über-
Posten folgen solle. Die Eisentore sprangen Revoiution vr:ilendeten und wo 1804 die haupt. Es rcgnet immcr in denselben Mona-
auf, und aus der Dunkelheit rollten Schub- Republik ausgeruten wurdc; Haiti, ein ten und zur selben Tageszeit. In Port-au-
karren, wie Bauarbeiter sie benutzen, ins Land, in dem der eiserne Wiile der chema- Prince aber ist jeder RegengulS etwas
Freie. Als ich durch das Tor trat, sah ich, ligen Sklaven, ihre Unabh2ingigkeit um Außergewöhnliches, wie etwa in der
daß der aufmerksame Wachposten mir auf jeden Preis zu verteidigen, dazu geführt Sahara.
diese Weise Gelegenheit geben wollte, hat, daß 1000 Festnngen gebaut rvurden Die Stadt liegt am ,\usläufer des Kens-
Kolumbus zu fotografieren. Die Statue des (was die Zahl der Festungen pro Kopf der coff-Berges. Hier ist die soziale Geographic
großen Seefahrers stand in einer Garage Bevölkerung angebt, hat Haiti bestin'rrnt dcn ganz einfach. Je niedriger sich eine Woh-
mitten im Bauschutt neben einem verstaub- ersten Platz in der Welt): L)icses Haiti ist nung befindei, desto ärmer ist ste. In der
ten Lastwagen. Ich machte dem eilfertigen heute eines der ärmsten Ländcr dcr Welt. Unterstadt liegen nichtendenwollende
Unbekannten mit Zeichen verständlich. Und das ist einc direkte Folge der Diktatur. Elendsviertel. Auf dem Kenscoff-Berg liegt
daß er seine nützlicle Tätigkeit einstellen Wenn man die entsetzliche Armut der dic reiche Satellitenstadt Petionville. Noch
solle. !ch wollte derl'KolLtmbus so folo;tra- Menschen von Haiti veransch:rulichen will. rveiter oben sprechen die Teleskopanten-
fieren, rvie er sich mir jetzt dzrrbot, in der benutzt man dazu gervöhnlich Zahlen rvic nen auf den Ziegelddchern der Villen vom
Garage des Rathauses, die Hand, in der er diese: 800 000 Bauernfamilicn, clas sincl millionenschweren Besitzstand i hrer Eigen-
früher das Kreuz geltalten hatte. abgeschla- etwa 4 Mio Menschen, leben mit einem tümcr.
gen. Der kniende Kolumbus bot cinen iährlichen Einkommen vor.r 150 Dollar. tlberalt in Lateinamerika liegen extrente
erbärmlichen Anblick. B0 Prozent der Bevölkerung sind Analpha- Armut und extremer Reichtum nah beiein-
,,Nach Duvaliers Flucht haben die Mcn- bcten. 15 von 100lrleugeborenen stel'be11im ander. Nirgendwo aber ist die Armut so
J schen auch an Kolumbus Deshoukal, Prak crstcn Lebcttsjahr. provozierend wie ir Port-au-Prince. Man
ziert", erklärte der mich begleitende lves Llnter Iluvaiier wa: dcr Ilandel mit Blut- kann ihr nicht aus clem Weg gchen. In
i r'::l r"
.,iI E U E zEr 4.s0 El
Planeten, und deshalb schwimmen auch
Panama braucht ein Bewoh-
jeden Tag ..nasse Rücken". mexikanische
ner des vornehmen Viertels
Landarbeiter, die sich in den USA verdin-
Paitilla, wenn er will. für
gen, von Süden nach Norden durch den Rio
Monate keinen einzigen Grande.
Armen zu sehen. In Port-au-
Auch aus Haiti schwimmt man in die Ver-
Prince ist das
praktisch
einigten Staaten. und zwar in überfüllten,
unmöglich. Wann immer sic
wenig seetüchtigen Kähnen. Diese sinken hin
von ihrem Berg herabstei-
und wieder. Dann werden die Passagiere von
gen, sehen die Millionärc
von Haiti ihre armen Lands-
Haien gefressen. Häufiger aber fangen
Schnellboote der amerikanischen Küstenwä-
leute. Und umgekehrt.
che die Flüchtlinge ab und geleiten sie zurück
Jetzt also zum Regen. Als
an den Strand von Haiti. Unter Duvalier
der Kenscoff-Berg noch
hätte das für die Flüchtlinge den Tod in den
nicht besiedelt war, versik-
Gefängnissen der Diktatur bedeutet. Inzwi-
kerte das Regenwasser im
schen werden Boat-People in Haiti nicht
Boden und die Stadt wurdc
mehr erschossen. Sie erwartet der Hunger-
nicht mehr als jede andere
tod, weil 3ie das wenigt! Geld, das sie besa-
Stadt in den Tropen in Mit-
ßen, in die Überfahrt investiert und damit oft
leidenschaft gezogen. Dann
genug die Mafia bezahlt haben, die den Men-
bebaute man den Berg mit
schenhandel betreibt. In der Woche, die ich
Villen und verlegte Straßen.
in Haitiwar, wurden zwei Fluchtkähne unter
Jetzt versickert das Regen-
Geleitschutz nach Port-au-Prince zurückge-
wasser nicht mehr im Boden.
bracht.
sondern ergießt sich über diu
Die Bewohner von Haiti gehen auch in die
Straßen in die Stadt.
benachbarte Dominikanische Republik, die
Wir fuhren des Nachts, als
etwas ,,reicher" als Haiti ist. Dort etwartet sie
es regnete, nach Petionvilie.
Sklavenarbeit auf den Zuckerrohrplantagen
Uns strömten Wassermassen
und eine armselige Bezahlung, von der sie
entgegen, die hier und dort
sogar noch einige Dollar abzweigen, um ihre
Strudel bildeten und größerc
Angehörigen zu Hause zu unterhalten. Aus
Steine in die Dunkelheit mit
diesen schweißgetränkten Dollars bestehen
sich rissen. Am Hang hinter
einer Wende sotT der Motor
die Millionen, von denen ein bedeutender
ab, und wir blieben in den Teil der 6-Millionen-Bevölkerung von Haiti
lebt.
tobenden Elementen allein. Haitische Madonna Außerdem gehen die Bauern von Haiti
Dabei handelte es sich um
Papier, das etwa 20 US-Cents entspricht, noch in die Hauptstadt.
den gewöhnlichen, nicht besonders starken
sondern weil sie so schneller sind. Man braucht nur einmal einen Mahuli zu
Regen der bereits ausklingenden l{egenzeit.
Überhaupt ist die motorisierte Fortbewe- sehen, um zu wissen, wie so etwas aussieht.
Für den nächsten Morgen hatte ich eine
Verabredung in
der Unterstadt. Meine gung in Haiti ein abenteuerliches Unterfan- Mahuli sind Viehtreiber. Während der 2

gen, dessen Ausgang stets ungewiß ist. Wenn Fahrtstunden von Jacmel in die. Hauptstadt
Freurrde versprachen, schon um 7 Uhr mor-
trafen wir überall ausgezehrte, von der Sonne
gens vorzufahren. Warum so früh, wenn wir man die städtische Enge hinter sich hat und
endlich auf die Schnellstraße darf, hat man verbrannte Menschen an. die ebenso ausge-
uns erst um 9 Uhr verabredet hatten? ,,Später
den Eindruck, als fahre man eine Einbahn- mergelte Kühe in die Hauptstadt treiben. In
kommen wir einfach nirgends mehr durch.
straße in Gegenrichtung entlang. Dieses Port-au-Prince sagt man: ,.Das Fleisch bei
Dann sind die Straßen verstopft."
.Ktnznach7 fuhren wir vom Hotel ab" und Chaos läßt sich kaum beschreiben. Jeder uns ist so hart, weil es von weit her kommt."
überholt jeden mit einer Geschwindigkeit, Sobald die Mahulis das Vieh in die Schlacht-
ich begriff schlagartig, warum meine Freunde
so früh wie möglich fahren wollten. Die bei der man das Letzte aus dem Motor her- höfe im Süden der Stadt getrieben haben,
ausholt. Der eine oder andere mag diesen machen sie sich auf den Rückweg.
ganze schmale Fahrbahn, wo gciade zwei
Fahrstil auf das Temperament der Bewohner Manchmal sieht man Frauen und Kinder mit
Wagen aneinander vorbei paßten, war in bei-
von Haiti zurückführen. Mir scheint eine den Mahulis ziehen. Sie werden schon nicht
den Richtungen mit Fahrzeugen verstopft, so
andere Erklärung naheliegender. Während mehr an ihren Ausgangspunkt zurückkehren,
daß man eine Schildkröte um ihre Geschwin-
der Diktatur, als jede Freiheitsregung unter- sondern ihr Glück in Port-au-Prince versuchen.
digkeit hätte beneiden können.
Diese Unmenge von Automobilen in einer drückt wurde, war ein entfesselter Fahrstil Die Stadt ist ständig in Bewegung. Auf den
Stadt, die sb arm ist wie Port-au-Prince, ist fast die einzige Möglichkeit, sich frei zu ersten Blick kann mari'sich diese Bewegung
erstaunlich. Nur sind die meisten Fahrzeuge äußern. Die Polizei war nicht dazu da, diese nicht ganz erklären. Die Bewohner des einen
ein Mittelding zwischen Bus und Taxi, in Raserei zu verhindern, und dient bis auf den Slumviertels ziehen in ein anderes um. Die
denen je nach Tageszeit 10 und mehr Fahr- heutigen Tag immer noch nicht dazu. Menschen wechseln ihren Arbeitsplatz, um
gäste, ihre Zahl ist nach oben offen, Platz Was sich in Worten nicht mehr wiederge- nicht zu viel für die Beförderung auszugeben.
finden. Diese Minibusse heißen hier ,,Tap ben läßt, ist die unwahrscheinliche Enge, in ln der Zeit. die sie brauchen; um eine neue
tap" und sind aufgrund ihrer grellen Bema- der die Einwohner von Port-au-Prince leben. Arbeit zu finden, hat man sie schon vor die
lung eine besondere Sehenswürdigkeit für In entwickelten Ländern hält man eine Kor- Tür gesetzt. Dann suchen sie sich am anderen
Besucher der Hauptstadt. Sie sind außerdem relation zwischen der Bevölkerung der größ- Ende der Stadt ein Zuhause, und alles fängt
das einzige städtische Transportmittel, ten Stadt und der Bevölkerung der zweit- von vorne an. Es heißt, daß eine Familie
was wieder nichts mit ihrer Bemalung zu tun größten Stadt von 2 : I fur normal. In Ent- nicht länger als 2 Jahre in einem Bidonville
hat. wicklungsländern schwankt sie um das Ver- wohnt. Ublich ist auch, daß jemand, der
In der Stadt der Widersprüchlichkeiten hältnis 5 : 1. Die Bevölkerungsdichte in Port- Arbeit gefunden hat, nicht länger als 3 Jahre
muß auch die Bezeichnung ,,Tap tap" eine au-Prince übersteigt die der zweitgrößten an diesem Arbeitsplatz verbleibt.
solche sein. In der Kreolensprache heißt ,,tap Stadt Cap-Haitien 11mal. Der Grund daftir
tap" schnell, und zwar meint man damit ist derselbe wie in den anderen Ländern der Michail Baklanow
Höchstgeschwindigkeit. Zu den Stoßzeiten Region. Arme Bauern wandern in die Haupt- APN-Korrespondent für die NZ
gehen viele Bewohner der Stadt lieber zu stadt oder suchen sich Arbeit im Ausland. PORT-AU-PRINCE - PANAMA
Fuß. nicht nur, weil sie nicht über 1 Gourde Das ist zum Beispiel auch in Mexiko der Fall. Fotos des Autors und
serfügen, ein unglaublich speckiges Stück Deshalb ist Mexico City die größte Stadt des aus ,,National Geographk" ((ISA)

a ,, lt T " 4.0$
Jewgeni Ambarzumow:
DerWesten will uns nichts Böses
Demokratie jetzt Diskussionen und Axiome
Als die internationale Konferenzzu Fragen der weltweiten tionszeit der Kampf gegen die westliche
Entwicklung (Rimini), an der auch der sowjetische Politologe Demokratie ein Mittel war, mit dem
bestimmte führende Gruppierungen ihre
JewgeniAmbarzumow teilnahm, zu Ende war, bat ich ihn um Herrschaft sicherten und sich hinter ihrer
ein lnterview. Mit meiner ersten Frage wollte ich natürlich in ideologischen Panzerung der Kontrolle
Erfahrung bringen, wie seine westlichen Kollegen die durch das Volk zu entziehen versuchten.
Entwicklung in der UdSSR sehen. Daß sowjetische Menschen heute so vorbe-
haltlos ihre Meinung sagen und sich in ver-
r ch habe den Eindruck gewon- jedoch nicht vergessen: Als die Stände schiedenen Organisationen, Vereinigungen
I n"n, daß der Westen unsere zusammentraten, haben sie nicht wirklich und Gruppierungen zusammenfinden, ist
f Perestroika ernstnimmt und sich die Meinung des Volkes zum Ausdruck ein Indiz dafür, daß Demokratie einen uni-
I uon rnr t urantren rur erne Beru- gebracht. Heute sollte man sich die Unter- versellen Wert darstellt. Sie ist das Fluß-
a hieung in den internationalen schiede zwischen Demokratie und den alten bett, in dem moderne politische
,r Ständeversammlungen noch einmal verge- Geschichte sich heute vollzieht. Es wäre
Angelegenheiten verspricht. Ich kann nur genwärtigen. In ihrer modernen Auffas- allerdings ein Fehler zu meinen, Demo-
vor einer deformierten Vorstellung über sung ist Demokratie ein Ergebnis der Neu- kratie sei ein Allheilmittel. Dadurch, daß
den Westen und seine Einstellung gegen- zeit und jüngsten Vergangenheit. Stände- wir Demokratie einführen, und diesen
über den Vorgängen in der UdSSR warnen. Demokratie läßt sich dagegen nur auf die Weg haben wir heute eingeschlagen, gibt
Bei uns gibt es Leute, die glauben, der ferne Vergangenheit, als die russischen es nicht automatisch mehr Fleisch oder
Westen sitze da und warte, daß die Sowjet- Lande herausgebildet wurden. und darüber andere Mangelwaren. Wird aber der
union möglichst schnell auf den Hund hinaus wahrscheinlich noch auf äußerst Initiative jedes einzelnen freier Raum
kommt und in einen Bürgerkrieg hineinge- kriegerische Zeiten anwenden. Außerdem gegeben, kann Demokratie die Kräfte der
zogen wird. Das ist ein gründlicher und wird Demokratie in jedem Land verschie- Gesellschaft nicht nur im politischen,
gefährlicher Irrtum. Im Westen ist man den aufgefaßt. In Japan hat man ein ande- sondern auch im wirtschaftlichen Bereich
daran interessiert, unvorhersehbare Situa- res Demokratieverständnis als in Frank- freisetzen.
tionen auszuschließen, und will in der reich oder in Italien. Trotzdem würde kein Demokratie hängt notwendigerweise
Sowjetunion deshalb wirklich eine gedei- Japaner daran zweifeln, daß seine Gesell- mit Pluralismus zusammen. Im italieni-
hende und friedliche Großmacht sehen." schaft eine demokratische Gesellschaft ist. schen Parlament sind Katholiken, Kom-
Db noü rhc ftrllerilsclnn tlnblenräsF Wir haben die westliche Demokratie munisten, Sozialisten, die Soziale Bewe-
dorbn Gilullo ftüeotü tsil In der wesül- mehr als genug gescholten. Wissen wir des- gung Italiens, sprich die Neofaschisten,
drcrt hGssr mlllffihü tomnaüert wor- halb besser, was sie eigentlich darstellt? Im Republikaner und Liberale. vertreten. Jn
ün.. heutigen Europa, unter anderem auch in Italien gibt es drei nationale Gewerk-
,,Giulio Andreotti hat einen prinzipiell Italien, ist Demokratie Ergebnis eines jahr- schaftskonföderationen und autonome
wichtigen Gedanken geäußert, daß es näm- hundertelangen Kampfes von Kräften, die Gewerkschaften. Dieses ganze sozialpolt-
lich jetzt darauf ankomme, die Beziehun- sich auf verschiedene Volksschichten stüt- tische Spektrum bringt unterschiedliche
gen zwischen Ost und West nicht mehr nur zen. Dabei wurde fast immer der Wunsch Weltanschauungen und ökonomische
auf der Grundlage von Zweckmäßigkeit, offenbar, das Volk so umfassend und so Interessen zum Ausdruck. Dennoch ist
rl
sondern auch von Solidarität zu gestalten. authentisch wie möglich zu vertreten. die italienische Gesellschaft hinreichend
i Der Begriff der Solidaritat verträgt
wunderbar mit dem des neuen Denkens in
sich Ich meine überhaupt, daß Demokratie
nicht unbedingt sozial oder klassenmäßig
geeint, um in internationalen Angelegen-
heiten ein Wort mitzureden. Unabhängig
ii der Politik. Inzwischen findet eine Art Auf- eingefärbt werden muß. Sie ist vielmehr ein von ihrer Parteizugehörigkeit sagen Ita-
ü klärung statt, bei der geprüft wird, inwie- Ergebnis der menschlichen Kultur, ange- liener im Ausland stolz, daß sie Italiener
* weit sich das Solidaritäts-Konzept in den fangen bei der griechischen Antike. sind. Ihr Pluralismus hindert sie nicht, ita-
Ost-West-Beziehungen verwirklichen Wir können von der westlichen Demokra- lienische Patrioten zu sein. Sowjetbürger
läß1." tie noch manches lernen. Wäre beispiels- dagegen ziehen es oft vor, im Ausland
ln r|ar Sorleümbn spfcil nan lrtml- weise in Italien die Demokratie wirklich nur keine Notiz voneinander zu nehmen."
3ciür üGr $tüt nn sfrlqn ülfrn wog eine Fiktion, dann hätte man den Kommuni- Vielleicht könnten wir im Westen auch
lb do pltrsdn unü öl(munbclrc Enürlde sten nicht erlaubt, in vielen Provinzen und lernen, was Plurallsmus lsl?
@. Städten die Regierung zu stellen und im Par- ,,Ich beschäftige mich seit Anfang der
,,Die russische,Geschichte weist in der lament der Republik stark vertreten zu sein. 60er Jahre mit Italien und war schon
Tat einige Besonderheiten auf. Von daher Wenn wir schon von einer Priorität der allge- mehrfach hier. Ich kann mich noch gut
wird auch die Uberzeugung abgeleitet, daß meinmenschlichen Werte sprechen, müssen erinnern, wie angespannt in den Jahren
der russische Weg auch heute etwas Exklu- wir uns darüber im klaren sein, daß Demo- des kalten Krieges die Beziehungen zwi-
sives haben müsse. Def Demokratie wird kratie einer dieser Werte ist. schen Italienern, die verschiedenen politi-
zum Beispiel der Begriff der Versamm- In der UdSSR gibt es Kulturschaffende, schen Parteien angehörten. waren. Nicht
lungs-Demokratie der vorrevolutionären respektierte Schriftsteller und Wissen- selten sahen sie im andern den Feind, dem
Stände entgegengehalten. Dabei geht es, schaftler, die der westlichen Demokratie man lieber aus dem Weg geht. Als Italien
soweit ich sehe, darum, Volksinteressen mißtrauisch gegenüberstehen. Sie meinen, wirtschaftlich erstarkte und man davon
miteinander abzustimmen und zum Aus- daß der Westen beabsichtige, die Sowjet- sprechen konnte, daß dieses Land auf-
druck zu bringen, wie das in der Vergangen- union mit ihrer Hilfe zu überrumpeln. Ver- blüht, wurde die Spannung durch normale
heit angeblich der Fall war. Man sollte gessen wir aber nicht, daß in der Stagna- Koexistenz abgelöst, mehr noch, es ent-

,.il E U E ZEII"4,9OE
D

stand ein sozialer Konsens, eine stillschwei- italienische Kreise dem Phänomen von Jel- Extremismus auftreten. In Krakow habe
gende Übereinkunft darüber, claß einige zins Populismus gegenüberstehen. Hier ich gesehen, wie er bei einer Diskussion mit
grundlegende Prinzipien von allen über- meint man, daß die sowje tischen Inteliektu- Studenten diejenigen zurechtwies, die
nommen werden mußten. lnzwischen ellen unverantwortlich gehandelt hätten, einen Abzug der sowjetischen Truppen aus
haben zum Beispiel 'die Kommunisten ais sie Jelzin unterstützten, weil eine popu- Polen oder einen polnischen Austritt aus
Freunde unter den Christdemokraten, listische Politik das Land ins Chaos zu stür- dem Warschauer Pakt forderten. Ich habe
Sozialisten und sogar unter den Rechten. zen droht. Viele westliche Beobachter sind den Eindruck, daß die Abneigung gegen
Ich kenne FälIe, da die politische Unverein- davon überzeugt, daß Jelzin in seinen poli- jeden Extremismus der modernen westli-
barkeit ein kommunistisches Parlaments- tischen Aktionen unberechenbar ist. Das chen Entwicklungskonzeption zugrunde
mitglied nicht hindert, mit einem Abgeord- haben mir keine Konservativen, keine Dog- liegt. Eine solche Konzeption schließt das
neten der neofaschistisbhen Partei befreun- matiker gesagt. Weil ihnen sehr am Schick- Prinzip ,Je schlechter für die, desto besser
det zu sein. In der Sowjctunion geht der sai der Perestroika liegt, halten sie auch die für uns' aus. Im Westen wollen höchstens
interne politische Kamplleider ins Extreme Forderungen der baltischen Republiken, extrem rechte Kräfte unser Land im Chaos
und wird zum Selbstzweck. Dabei treten für sei es nach ,A,btrennung oder einer eigenen versinken oder auf dem Müllhaufen der
denjenigen, der mit der Entlarvung seines Währung, für überzogen. Ich habe ver- Geschichte sehen."
Opponenten beschäftigt ist, die Interessen sucht, mit ihnen zu polemisieren. Ich habe Es gibt die lllleinung, der Westen helle der
einer stabilen gesellschafllichen Entrvick- keinen Zweifel daran gelassen, daß ein $owiefunion ntt], um uns dem lkpitalismus
lung nicht selten in den Hintergrund. Staat wie unserer eine starke R.egierung näher zu bringen,
Obwohl es sich um ein und dieselbe Partei braucht, daß auch der führende Mann der ,,In der UdSSR streitet man sich schon
handelt, ist eine Seite scheinbar bercit, die Perestroika wichtige Vollmachten für ihre manches Jahr mit der Frage herum. in was
andere zu vernichten. Es ist gcfährlich, so Verwirklichung braucht, meine aber den- für einer Gesellschaft wir eigentlich leben.
zu leben. Meine Gesprächspartner in Ita- noch, daß dieser erste Mann durch die Inzwischen wissen wir schon nicht mehr, ob
lien machten rnich darauf aufmerksam, wie mächtige demokratische Aktivität der wir uns auf den Sozialismus oder auf den
unkonstruktiv die Aktionen der sogenann- sowjetischen Menschen gestützt rverden Kapitalismus zubewegen. Irn Westen macirt
ten radikalen Opposition seien. Sie haben muß. Ich habe seinerzeit für Jelzin man sich über den Namen der Gesellschaft
mir zurn Beispiel gesagt: Die Kritik, die gestimmt, rveii ich in ihm eine gegen den die geringsten Sorgen. Wir gehen dagegen
eure radikalen Politiker an der sowjetischen Apparat gerichtete Kraft gesehen habe. Ich vom Primat der Ideologie aus und versu-
Regierung üben, wird zum Selbstzweck. Ich glaube, daß viele etwa dasselbe von ihm chen, unsere Einstellung zur Politik und zur
gebe diese lVleinung wieder. weil ich gehalten haben." Okonomie aus ihr abzuleiten. Die Praxis
giaube, daß es nicht schaden kann, sich ein- Bei der Beweltrng der Radikalen in der hat erwiesen, daß so etwas nicht produktiv
mal nrit anderen Augen zu sehen." Sowjetunion sind Sie also mit lhren westli- ist. In Pisa haben Studenten mir den Tip
lst alles, $ras man inn Westen über die chen 0pponenüen aneinandergeraten? gegeben: Hauptsache, die sowjetische
sowjetische Gesellschaft und über die Pere- ..Ich spreche hier ganz bewußt die Gesellschaft wird im Verlauf der Pere-
stroika denkt, lür uns brauchbar? Unruhe des Westens an, weil ich selbst über stroika keine Bourgeois-Gesellschaft. Da
,,Aus verständlichen Gründen können Konfliktsituationen beunruhigt bin, die habe ich sie gefragt. ob die Hauptsache
sich die Menschen im Westen die Schwie- man eindeutig hätte vermeiden können. nicht eher darin besteht. daß die sowjeti-
rigkeiten im Alltag der sowjetischen Men- Beobachter und Kritiker im Westen haben schen iVlenschen endlich besser leben. Und
schen nur schwer vorstellen. Deshalb kann den Erfolg der Perestroika zu ihrem Krite- wie sie sich eine antibourgeoise Gesell-
man auch verslehen, daß der eine oder rium gemacht. Alles, was gegen die Pere- schaft vorstellen. n'elche Eigenschaften sie
andere im Westen die Perestroika eupho- stroika arbeitet, läßt sie authorchen. Ich hätte. Als Antrvort hörte ich: Neben einem
risch überbewertet und ihre Schrvierigkei- kann einen solchen Ansatz verstehen. Eine hohen Lebensstandard sollte sie die Demo-
ten und Widersprüche unterschätzt. Trotz- Niederlage der Perestroika hätte nicht nur kratie hochhalten und die Freiheit der Kri-
dem ist es für uns äußerst nützlich, die west- für die Sowjetunion, sondern auch für den tik garantieren. Genau das wollen wir ja!
liche Sichtweise zu verstehen rrnd zu Westcn dramatische Folgen. Es ist bemer- entgegnete ich ihnen. Die jungen Leute
berücksichtigen. Aniangs habe ich mich kenswert, daß selbst Politologen wie Zbi- waren leicht vers'irrt. ;
darÜltr't,Jt'\\ ltrtrir'rI. \\ ir' I)( r',rIi\ l\trrll-t'rrirt' qnicu, Brzczirrski gcgcn .jctlt- Form von Jede gesellschaftljche Entwicklung bringt
gewisse Anstrengungen mit sich. Es ist
unmöglich, die Entscheidung vorher zu kon-
struieren. Das haben wir lange genug ver-
sucht. Wir rvollten alles besonders gut
machen, das Ge-eegenteil ist dabei herausge-
kommen. Als Lenin sah, wohin der Kriegs-
kommunismus das Land brachte, sagte er, \
daß der Wagen nicht dahin fährt, wohin die
am Steuer meinen. daß er fähfi.
Oft kann man in der sowjetischen Presse
lesen: Bervahre uns Gott vor einem neuen
Kapitalismus und der Entwicklung des Pri-
vateigentums. Bei unseren Erfahrungen.
die wir mit der Unterdrückung jedes Keims
von privater Initiative gesammelt haben,
sind wir immerhin in eine Sackgasse gera-
ten. Wäre es nicht besser, sich in diesem
Fall über vielfältigeEigentumsformen
Gedanken zu machen? Ausländischer Hilfe

ry
stehen wir genau so ärgwöhnisch gegen-
über. Es ist durchaus möglich, dalS die
sowjetische Wirtschafi keinc direkten
. .',, Finanzenspritzen braucht. Um so mehr. als
-
=/1
.=4:::==
die bereits gewährten Kredite noch nicht
vrillig in Anspruch genommen sind. Ich bin
Zc t t lu t t., r i
U : ;li ex tn d er Ll nl i oro rr jedoch der festen Überzeugung. daß rvir

@ ,,N E u E z E ! T" s.go


westliche Erfahrungen brauchen. Viele menarbeiten können und müssen. Heut- befreien. Vor einigen
en Jahren sagte man
begabte Wissenschaftler, lngenieure und zutage ist der Streit ein Bestandteil des )n der DDR und der
in führenden Kreisen
Erfinder, die gegen das staatliche System normalen Lebens." Tschechoslowakei ungefähr folgendes:
mit seiner Gleichgültigkeit und seinen Perestroika. wenn die
Wer braucht so eine Perestroika,
Diese neue Siclttueise kann uns wahr-
Fallstricken für außergewöhnliche Persön- Geschäfte leer sind?) T'rotzdem haben die
scheinlich allen helfen' zuverciclrüicher au!
lichkeiten angerannt sind, wurden mora- Ereignisse zu sehauen' die sich in einigen Demonstranten in diesen Ländern. die
lisch gebrochen oder physisch vernichtet. :rkämptl haben, nicht
sich mehr Freiheit erkämptl
sozialistischen Ländern schnell entlaltet .lamen Gorbatschows
Inzwischen werden die l{indernisse für haben.
von ungefähr den Namen
eine freie Entfaltung von Initiative besqi- gerufen. Das Leben n hat wieder einmal
tigt, aber die verpaßten Chancen lassen ,,Ich sehe schon, wie sich vieie an den ensch nicht von Brot
gezeigt, daß der Mensch
sich nicht mehr aufholen. Im Westen
Kopf fassen: Der Sozialismus ist am allein lebt. Dieses Beispiel zeigt doch, daß
Ende, das Einparteiensystem bricht aus- die Perestroika und die mit ihr zusammen-
müssen wir lernen, was Management und
einander usw. Fragen wir uns doch ein- hängende Reform des Sozialismus unver-
Marketing ist, und uns fortschrittliche
Technologie aneignen. Wie viel können
mal, ob damittdie Welt untergegangen meidlich sind."
da gemeinsame Betriebe bringen, die ist. Wohl kaum. Die Entwicklung wird ln letzter Zeit spriclrl man sich immer
freier und natürlicher. In den osteuropäi- naehhaltiger lür ein gesaffieüropäisches
schon Lenin für die beste Form für eine
schen Staaten wirft man endlich das stali-
Transmission und Übernahme von
nistische Sozialismusmodeli, das wir
Haus aus. Wie stellen sich, lhren Beobach-
Erfahrungen gehalten hat! " ürngen zulolge, dle Westeürcpäer dieses
ihnen aufgezwungen haben, über Bord. llaus vor?
lür unvollkom-
Was halten Sie pensänlich Heute sagen r'vir uns doch selbst davon ,,Sie wünschen es mit geeinten Kräften
men in der sowietischen Gesellschaft' los und versuchen, ein alternatives zu bauen und wollen sich dabei gegenseitig
beeonders wenn Sie sie uon hierr von Modell zu entwickeln. nur das Beste. .ledes Volk bekommt seine
der wesüichen Seite Europas' betrach- Mit der Perestroika wird auch die Ein- eigene Wohnung garantiert, die nicht
bn? stellung zur Sowjetunion besser. Der Anti- durch undurchlässige. Mauern oder
,,Die unermeßlich niedrigere Lebens- sowjetismus, der sich besonders seit 1968, Geheimschlösser voneinander abgegrenzt
qualität im Vergleich zu dem, was die als die Truppen in die Tschechoslowakei ist. Was unseren Platz im gemeinsamcn
Menschen in so gut wie jedem Land des einmarschiert sind, in den Ländern des Haus Europa angeht: Bei all ihren Beson-
Westens gesichert vor{inden, und die Sozialismus angehäuft hat, verliert an Ein- derheiten ist die russische Kultur ein Teil
unterentwickelte Selbstachtung und fluß. Ich glaube, man muß nicht gleich der Weltkultur und besonders der euro-
Selbstäußerung. Es tut mir weh, und ich Alarm schlagen, weil man sich in Polen päischen Kultur. Diese Gemeinsamkeiten
ärgere mich darüber, weil so ein Volk wie oder Llngarn von einigen Beiworten ver- müssen wir uns selbst vor Augen halten,
unseres die in unserer Gesellschaft ange- abschiedet hat. Das Wesen liegt nicht in damit wir uns nicht in die Besonderheiten
häuften Krankheiten ziemiich schnell den Beirvorten. Vor einiger Zeit sagte ein eines russischen Entwicklungsweges ver-
überwinden und zivilisierter leben könnte. Spitzenpolitiker, daß Polen inzwischen auf rennen. Andererseits scheint mir die
Man muß nicht unbedingt alles kopieren. dem Weg vom Sozialismus zurn Kapitalis- Sichtweise deljenigen sehr gefährlich, die
Japan hat zwar amerikanische Erfahrun- mus ist. lch nehme mir die Freihcit, ihm in den baltischen Republiken, in Polen
gen übernommen, trotzdem die Besonder- nicht zuzustimmen. Die osteuropäischen oder Ungarn die Abgesondertheit hewor-
heiten seiner geschichtlichen und kulturel- Länder haben nämlich nicht nur negative streichen. Als sei alles, was östlicher liegt,
len Entwicklung beibehalten, und dabei Erfahrungen mit sozialistischen Werten nicht mehr Europa. Im Westen warnt man
den Westen noch in gewisser Hinsicht geinacht. Wenn man die Lehre des Katho- vor solchen irrigen Auffassungen. Und
überholt, und das innerhalb von drei Jahr- lizismus nimmt, die in Polen starken Ein- nicht nur deshalb. weil so etwas in der Pra-
zehnten. Die vorrangige Aufgabe für fluß hat, dann finden sich auch in ihr sozia- xis eine unvorhersehbare Situation und
unsere Gesellschaft sehe ich darin, die listische Elemente. Marx hat einst vom eine Gefahr für die ganze Welt darstellen
Versorgungslage zu regeln und das Pro- christlichen Sozialismus gesprochen. würde. Ohne die Kultur der russischen
blem von Angebot und Nachfrage auf dem Heute sind möglicherweise viele in Polen, und anderen \zölker unseres Landes
Markt zu lösen. vielleicht sogar Papst Karol Wojtyla, würde die europäische Kultur verarmen.
Sie ist ein Mittler zwischen europäischen
Noch etwas ist mir aus Gesprächen mit christliche Sozialisten. Auf jeden Fall
und orientalischen Traditionen. An dieser
Menschen im Westen klar geworden: erleidet die Idee des Sozialismus durch
kulturellen Nahtstelle zeichnet sich schon
IJnsere panische Angst vor Feinden hat neue Vorstellungen über ihre praktische
heute eine zukünftige Brücke zwischen
! uns in die politische Schizophrenie getrie-
ben. Es wäre nicht richtig zu glauben, daß
Realisierung keinen Schiftbruch. Ich bin
davon überzeugt, daß sie mit der Zeit neue
Ost und West ab."

I jetzt alle plötzlich unsere Freunde gewor-


den sind. Trotzdem sind es Leute, denen
Kraft gewinnen wird.
Nicht nur wir müssen uns vcln'veralte-
ten Vorstellungen über Sozialismus
Pawel l{egoiza
Korrespondent für ,,Trud" und ,,Neue Zeit"
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etwas an uns liegt, mit denen wir zusam-

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Uon Kürbissen, Beziehungen zwischen den llationalitäten und üem


Prinzip der Konlöderation

Land ohne Rand ieder einmal wird das Gespräch, das ich ,,Ein wichtiges Element der kanadischen Nationali-
mit dem Politologen und Publizisten Ilya tätenpolitik", sagt Ilya Gerol, ,,ist der kulturelle Plura-
Gerol fi.ihre, von einem Läuten an der Tür libmus, das Zusammenleben der Volksgruppen und
unterbrochen. Ich gehe jedesmal mit an Kulturen, das wir hier auch als kanadisches Mosaik
die Tür, weil ich neugierig bin. Im Türrah- bezeichnen. Jede Minderheit gilt bei uns als Volks-
men zeigen sich immer wieder neue Grüppchen von gruppen, die nicht nur alle Rechte, sondern auch Vor-
Zu Allerheiligen Kindern verschiedenen Alters. Die einen maskiert, die rechte für den Bezug von staatlicher Unterstützung
geht das Geschäft anderen in,,angsteinflößender" Henkerskluft mit schar- genießt, um sich als nationale Minderheit besser ent-
weiter. Zwar fem Beil, als Pirat oder grell geschminkter Punk. Sie alle
jagen dem Hausherrn routiniert Angst ein, woraufhin
wickeln zu können, mit eigenen Schulen, die vom
Staat subventioniert werden, mit eigenen Kulturwer-
kommt man der sich ,,loskauft", indem er aus einem rechtzeitig vor- ten und, was sehr interessant ist, mit ihrer eigenen ein-
maskiert nicht bereiteten riesigen Sack eine Handvoll Bonbons hervor- zigartigen Verbindung zur Urheimat, die ebenfalls
in eine Bank, holt und großzügig verteilt. Jedes von diesen jungen vom Staat gefördert wird. fJnsere Gesellschaft meint,
denn unter der Schreckgespenstem trägt eine Tüte ftir die Beute, man- je stärker beispielsweise die Verbindung der Libane-
Maske könnte sich che sind schon halbvoll, denn dies ist nicht das eßte sen zum Libanon und der Italiener zu Italien sind,
Haus, dessen Bewobnern sie ,,Angst einjagen". Heute desto fester sind auch die Verbindungen Kanadas zu
ein richtiger ist Halloween, ein fröhliches Fest vor Allerheiligen. diesen Minderheiten."
Gangster Schon zwei Tage vorher treiben karnevalistisch aufge- ,,Verzeihung, wo ist denn da die Logik?"
verbergen. motzte Gestalten auf den Straßen ihr Unwesen. Nicht ,,Kanada ist ein Land, das dich nicht nur als einen
Ein Bankange- nur auf den Straßen übrigens. Die Mitarbeiterinnen seiner Bürger liebt, sondern an dir liebt, daß du
stellter aber mußn einer solch soliden ünd nüchternen Einrichtung wie der andere Wurzeln hast. Das hilft Kanada, dem Land,
Bank, in der ich mich einmal auflrielt, machten einen, aus dem du stammst, näher zu sein. Sie sind die kana-
ob als Gangster gelinde gesagt, merkwürdigen Eindruck. Die Kassiere- dische Brücke zu diesem Land. Wenn zum Beispiel
oder als Pirat rin, die meinem Begleiter das Geld vorzählt, hat das der italienische Premierminister anreist, hält er nach
verrnurnmtn immer Erscheinungsbild einer Dame aus einer Hafenkneipe den offiziellen Gesprächen eine Ansprache vor der
einwandfrei zählen. angenornmen. Offenherzige Gewandung, Tätowierun- italienischen Gemeinde, wo man ihn mit der italieni-
gen, wie der Anker auf ihrer Schulter, ein gewaltiges schen Flagge begrüßt. Vertreter der Bundesregierung
Veilchen unter dem linken, eine Art Spinnennetz unter sind bei der italienischen oder jeder anderen Festver-
dem rechten Auge, schwarzer Lippenstift, dazu passend anstaltung dabei. Bei uns ist eine doppelte Staatsbür-
schwarzer Nagellack. Zur Krönung hat sie ein Hunde- gerschaft möglich. Wir wissen, daß man niemanden
halsband angelegl. Der Kürbis hinter ihr ist ihre Kolle- mit Gewalt zum Kanadier macht. Nur Liebe kann
gin: Ein mächtiger Fuckel rundet die künstlich aufge- einen zum Kanadier machen."
blähte Vorderfront ab. Kürbisse sind ein wichtiges Hal- ,,Worin äußert sich das denn noch?"
Ioween-Utensil. Sie werden in unvorstellbaren Mengen ,,Nehmen wir zum Beispiel nur die feierliche Verlei-
gekauft. Man entfernt das weiche Innenleben, schneidet hung der kanadischen Staatsbürgerschaft. Man
Augen, Nase und Mund in die Schale, stellt brennende bekommt sie nach drei Jahren, wenn man eine ständige
Kerzen hinein und postiert das Ganze am Hauseingang Aufenthaltserlaubnis hat. Während der Zeremonie lei-
oder auf dem Balkon. lmmer noch keine Angst? Dieses stet man einen Treueid auf Königin Elisabeth II. und
Spiel wird überall zelebriert. Später läuft lhnen im Kanada. Ddbei ist ein besonderer Staatsbtirgerschafts-
Geschäftsviertel der City eine Dame in Abendtoilette Richter anwesend, der unserer Tradition zufolgejeweils
über den Weg, die sich von einem wilde Sprünge voll- eine nationale Minderheit repräsentiert. Er wendet sich
führenden King Kong begleiten läßt. Oder noch besser: ungefähr mit folgenden Worten an den neuen Bürger
Duich die Menschenmenge schwebt ein dunkel gedeck- Kanadas: Wir wissen, daß Sie das Land lieben, aus dem
ter Tisch. Aus zwei daraufbefestigten Tellem schauen Sie hergekommen sind. Wir lieben Sie dafür, daß Sie
die fröhlichen Köpfe zweier junger kute heraus, die lhre Länder lieben. und wir möchten gerne, daß sich in
diesen Tisch tänzelnd tragen. Ich habe keinen einzigen Ihrem Herzen auch ein bißchen Platz für Kanada findet.
Trunkenbold und auch nicht eine Spur von Aggressivi- Eigentlich geht es dabei um das Recht derAuswahl, und
tät, wie sie leider ftir uns bezeichnend wären, gefunden. das festigt eine Gesellschaft immer.
Wie würde Vergleichbares wohl zu Hause ablaufen? Hier noch ein anderes Beispiel. Wir haben hier diese
Ein schwacher Trost: Das Fernsehen bringt Mel- ftirchterliche ,Nascha Gaseta', eine Zeitung der russi-
dungen über nicht ganz so unbeschwerte Halloween- schen Minderheit. Sie wird von niemandem gelesen,
Feierlichkeiten südlich von Kanada. Im New Yorker aber das Prinzip, daß man für die Herausgabe einer
Stadtteil Bronx gingen mehfere Häuser in Flammen Minderheitenzeitung Beihilfen erhalten kann, wird ein-
auf. Verschiedentlich kam es zu Schießereien, bei gehalten. Das ist ein Zeichen für die Stärke des Staates,
denen eine minderjährige schwangere Frau schwer ein Ausdruck derselben Politik der ,Gemeinschaft der
verletzt wurde. Soweit ich das in Erfahrung bringen Gemeinden'."
konnte, lassen sich solche Leidenschaften in Kanada ,,Was für eine Zeitung ist denn das?"
nicht beobachten. ,,Ein extremistisches, extrem rechtes und obendrein
Wieder klingelt es an der Tür. Die übliche Hand- stümperhaft gemachtes Blatt. Die Regierung hilft allen
voll Bonbons für die weißen, schokoladenfarbenen Volksgruppen, ihre eigenen Zeitungen herauszubringen,
und ganz schwarzen Kinder. Das zur Illustration auch den gespaltenen, wie zum Beispiel der portugiesi-
Anfang siehe Nr. 2 unseres Gesprächs. schen Volksgruppe, die zur Hälfte aus Sympathisanten

tr ."il E U E z E I I" 4.90


der jetzigen Regierung und aus Salazar-Anhän- ihrer Rechte eingelassen, damit die Gerech- die Provinz mehr integriert werden, damit soll
gern besteht." tigkeit wiederhergestellt und infolgedessen ein Sonderstatus fur Quebec zum Nachteil des
,,Soviel ich weiß, gibt es ein eigenes Ministe- die Rechtsebenen Busgeglichen werden. " übrigen Landes geschaffen werden. Damit wird
rium bei Ihnen. das die Beziehungen zwischen ,,Das heißt also, daß Menschen, die heute zwar heftiger Protest wachgerufen. aber der phi-
den Volksgruppen regelt." leben, zugunsten derer, die.nach ihnen kom- losophische Kem ist hier außerordentlich wich-
,,Ja, es gibt ein Ministerium fur Fragen der men, auf einen Teil ihrer Rechte verzich- tig. Sie können nichts mit Gewalt erreichen,
Nationalkulturen. Es achtet darauf, daß es nicht ten?" sondem Sie kommen nur weiter, wenn Sie
zu extremistischen Zusammenstößen kommt. ,,Stimmt genau. Und das ist richtig so. Eine besondere Fürsorge an den Tag legen, indem
Allerdings kann der Staat keine Schlichtungs- große Volksgruppe, die in jedem Staat als Sie einen Sonderstatus einrichten."
stelle sein. Irgend jemand muß den Staat auf Nation dominiert, muß auf viele Vorrechte ,,Gibt es hier keine Parallelen zu der Situation
bestehende Fragen aufmerksam machen und und häufiger sogar Rechte verzichten, um in der UdSSR?"
gemeinsam mit ihm nach einem Kompromiß damit ausgleichend auf die Lage der Minder- ,,Die Situation erinnert tatsächlich an das,
suchen. Hier ein Beispiel. Die große und'geach- heiten einzuwirken und hier ein gemeinsa- was man heute bei Ihnen vorfindet. Wenn Sie in
,tete armenische Gemeinde setzt durch, daß die mes Haus auch fur sie aufzubauen." den Republiken nicht den moralischen, politi-
türkische Regierung den Völkermord von 1915, ,,Also was jetzt, auf Privilegien oder auf schen und wirtschaftlichen Status von ,privile-
als 2 000 000 Armenier ermordet worden waren, Rechte?" gierten Gesellschaften' einrichten, kann Ihr
offiziell als Tatsache anerkennt. Dann gab es die ,,In erster Linie natürlich auf Privilegien, Land auseinanderfallen. Inzwischen hört man:
Forderung, den Völkermord im Unterrichts- die überhaupt inhuman sind, und zweitens Was soll denn dann mit den Russen passieren?
programm zu thematisieren. Die türkische auf Rechte." Denen geht's doch noch schlechter. Jetzt wird
Gemeinde erhob Einwände. Die kanadische ,,Das sieht schon anders aus..." schon dazu aufgerufen, Rußland soile aus der
Regierung hat zuerst geschwankt, neigt aber ,,Das ist unverzichtbar; um der Minderhei- Sowjetunion austreten. Die Menschen machen
jetzt dazu, daß die Forder.ung, Nachfonchun- ten willen und um zu einem gemeinsamen sich Sorgen um Rußland, und ihr Kummer ist
gen anzustellen, zumindest legitim ist. Als dann Haus für alle zu kommen. Schließlich ist das gerechtfertigt. Dabei ist Rußland der größte
die armenische Gemeinde in Toronto den Jah- auch im Interesse der größeren Volksgruppe, Bestandteil innerhalb der Union, und die russi-
restag des Völkermords beging, waren Regie- die den Grundstein zu diesem Haus gelegt sche Mehrheit ist die dominierende Mehrheit im
rungsvertreter dabei anwesend. Ich habe dort hat. Das Problem ist in Kanada längst gelöst, Land. Auch wenn es sich brutal anhört, aber es
übrigens eine Rede gehalten." und zwar ziemlich erfolgreich, aber inzwi- wäre vemünftig, etwas zu opfern, um die übri-
,,Gehen wir noch etwas zurück. Soweit ich schen wird es wieder aufgerollt, nachdem wir gen zu erhalten. Vereinfachend gesagt, müßten
verstehe. ist man hier der Überzeugung. daß einen gewaltigen Einwandererzustrom zu Sie jetzt zeigen, daß Sie die andem mehr lieben
es nicht angeht, Menschen selbst mit. demo- verzeichnen haben. Unsere Gesellschaft hat als sich selbst. Allzu lange haben die Minderhei-
kratischen Mitteln zu einer Art Einheit sich dazu bekannt, daß Kanada nicht länger ten gelitten. Man muß Sonderbedingungen für
zusammenzuschweißen, und daß man alles ein weißes Land, ein christliches Land, son- sie schaffen, Rahmenbedingungen für beson-
fördern muß, was für die Vblksgruppen dern ein Land fur alle Minderheiten und dere Fürsorge, Vertrauen und Autonomie. Das
tlpisch ist. Beeinträchtigt eine solche regie- Religionen ist. Wir haben eine Sonderkom- ist, worauf in Kanada die Politik des kulturellen
rungsoffizielle besondere Schutzpolitik in mission für Menschenrechte bei der Regie- Pluralismus beruht."
Hinsicht auf Minderheiten denn nicht die rung ins Leben gerufen, die darauf achtet, ,,Wir gehen die Frage nach dem staatlichen
Rechte der größeren Volksgruppen?" daß keine Menschenrechte verletzt werden. " Aufbau von verschiedenen Seiten an. Kanada
,,Das ist eine wichtige Frage. In den USA ,,Wir haben bisher mehr von der moralischen ist eine Konföderation. Mein Land ist eine
zum Beispiel ist ein System von Privilegien Seite des Problems gesprochen. Es gibt aber Föderation. Die Idee eines freieren Verbunds
für schwarze Amerikaner eingerichtet wor- auch noch einen wirtschaftlichen Aspekt. Die der Republiken, die die UdSSR ausmachen,
den. Jetzt kommt ein Weißer und erklärt: Provilzen sind unterschiedlich entwickelt. Was kommt vielen Leuten immer noch wie eine Got-
Machen Sie einen Schwarzen aus mir, sonst untemehmen Sie, um wirtschaftlich bedingte teslästerung vor. Ich kann mir, ehrlich gesagt,
komme ich nicht an die Universitä1... Eine Spannungen zu vermeiden?" auch nicht besonders gut vorstellen, wie unsere
umgekehrte Diskriminierung? Darauf gibt es ,,Dasselbe wie in anderen Bereichen auch. Union morgen aussehen soll. Was denken Sie
nur eine Antwort: Zwei Jahrhunderte histo- Quebec zum Beispiel erhält mehr Kapitalinve- als Fachmann fur nationale Fragen?"
rische Ungerechtigkeit müssen kompensiert stitionen als jede andere Provinz. Nach Quebec ,,Ich habe bemerkt, daß im Verlauf der Dis-
werden, damit ein Ausgleich stattfindet. In werden die größten Fimen aus anderen Provin- kussion, die jetzt bei Ihnen gefuhrtwird, sowohl
Kanada haben die größeren Volksgruppen zen verlagert, hier werden Betriebe von auslän- in den Reden der Volksdeputierten und der
sich bewußt ar.rf einige Einschränkungen clischcn Gescllschaftcn irufscmacht. Dlmit soll Mitglieder des Obersten Sowjets, als auch in
Veröffentfichungen, unter anderem auch in wis-
senschaftlichen Publikationen, die Idee einer
Konföderation gewöhnlich schroff zurückge-
wiesen 'rvird. Dabei hört man immer dieselbe
merkwürdige Argumentation: Wir können nur
eine Föderation oder ein unitarischer Staat sein,
denn eine funktionierende Konföderation gibt
es nirgends. Vielleicht.wäre es garz nützlich,
sich einmal die kanadische Konföderation mit
ihren eindeutig föderativen Zügen genauer
anzusehen?"
,,Laut Definition ist eine Konföderation doch
ein Verband von souveränen Staziten, die sich
zusammenschließen, um ihre Tätigkeit in Teii-
bereichen zu koordinieren."
,,Das ist die wissenschaftliche Definition. Sol-
che Vereinigungen gibt es wirklich nicht in der
Praxis. Höchstens die Beneluxländer oder die
Europäische Gemeinschaft nach 1992, Ein so1-
ches Gebiide eignet sich nicht für die Sowjer-
union, nicht fur Kanada. In einem Land, das
sich vom Atlantik bis zum Pazifik erstreckt,
kann man sich keine lockere Konföderation mit
schwacher Zentralregierung leisten. lJnseren
Besondere Nachfrage-nach Kürbissen vor Halloween. Mit zwei Dollar sind Sie dabei westlichen Provinzen könnten dann etwa die

,,I{ E U E z E I r" 4.90 w


,,.. . und sie dazu zwingen können wir auch
nicht."
,,Und wenn sie das Dokument nun nicht
unterzeichnen?"
,,Dann ist die Meech-See-Vereinbarung
gestorben und wir müssen neue Verhandlun-
gen aufnehmen. Hier noch ein etwas anders
gelagerter Konflikt. Seinerzeit hat die Pro-
vinz Saskatchewan, die damals die erste
sozialdemokratische Regierung des Landes
hatte, die unentgeltliche medizinische Ver-
sorgung eingeführt. Das stieß auf seiten der
Bundesregierung auf heftigen Widerstand.
Sie wollte das mit allen Mitteln unterbinden
und legte ihr Veto ein. Doch die Provinz
blieb bei ihrer Entscheidung, und mit der
Zeit praktizlerten andere Provinzen etwas
Ahnliches. Danach führte die konservative
Regierung das kostenlose Gesundheitswesen
in ganz Kanada ein."
.,Soviel ich weiß sind die Differenzen in
Zusammenhang mit der Meech-See-Verein-
barung nicht der einzige Konflikt zwischen
Der Kurs heißt Konföderation den Provinzen."

USA näher sein als Kanada, wentr es diese ,,Kommerzielle oder wirtschaftliche Abkom- ,,Richtig. Da ist noch das Erdöl in Alberta.
Macht nicht gibt. Wir hatten schon mehrere men mit einem anderen Staat tverden üblicher- Auf welcher Grundlage sollen andere Pro-
sowjetische Delegationen hier, die sich darüber weise auf Regierungsebene gcschlossen. Sobald vinzen es beziehen? Sie sind gezwungen, es
Gedanken gemacht haben, ob die UdSSR mit aber irgendeine Gesellschaft im Rahmen dieses zu kaufen. Ein anderer Streitpunkt ist der
unseren kanadischen Edahrungen etwas anfan- Vertrages aktiv wird, mischen sich die Bundes- Strom, den Quebec produziert und dann
gen könnte. Jemand hat die Idee aufgebracirt, behörden nicht mehr ein. Es bleibt ihnen über- plötzlich an die Vereinigten Staaten verkauft
in Moskau ein Symposium zu diesen Thema lassen, ob sie sich unterstützend einschalten. hat. Oder nehmen Sie die Auseinanderset-
durchzufuhren, bei dem Vertreter Ihrer Repu- Allerdings können auch die Provinzen selbst zungen zwischen Ontario und Quebec, weil
u'irtschaftliche Vereinbarungen mit anderen den Einwohnern von Ontario die Benutzung
bliken und unserer Pro.,'inzen. Abgesandte der
Slaatcn treffen unci ihre eigenen Delegationen des kostenlosen Gesundheitswesens in Que-
sowjetischen und kanadischeu Vijiker des Nor-
entsenden. Die Provinzen haben eigene Mini- bec versagt worden war. Es gibt noch viele
dens, Wissenschaftler, Soziologen und Politolo-
gen diese Frage diskutieren un,-1 zrtlnindest sterisn für außenwirtschaftliche Beziehungen. andere Konfliktsituationen. Sie werden aber
einen Modelltyp prägen könnten. Datrei könnte British Columbia hat zum Beispiel mit der chi- alle auf dem Weg von Verhandlungen zwi-
man die Modelle vergieichen." nesischen Regierung einen solchen Vertrag schen den Provinzregierungen gelöst."
,,Wic sehen denn unter den Bedingungen abgesch lorsen I U m larse ndc poti t'ilche Ve rt rägä ,,Ohne Hilferuf nach oben?"
einer födeialisierten Konföderation die Vor- sind dagegen ein Vorrecht der Regiemng."
,.Die Bundesbehörden haben keine fecht-
rechte der kanadischen Provinzen aus?" ,.Die Provinzetr haben also zr.rci Vöglichkei- liche Grundlage, auf der sie fur die Provinzen
,,In gewisser Hinsicht sind die Provinzen sou- ten, intemationale Wirtschaftsbeziehungen her- Entscheidungen fällen könnten. Die Rechte
verän. Sie befinden sclbst über ihre industrielle zustellen: mittelbar über Regierungsorgane sind klar voneinander abgegrenzt. Letzten
Entwicklung, ihr Cesundheitswesen, ihr Bil- oder selbständig?" Endes gibt es noch'das Bundesparlament
dungssystem, ihre Einwanderungs- und ,,Ja. Wie gesagt. dabei geht es nur um wirt- oder die königlichen Kommissionen, die die
Arbeitsge.utzgebung. " schaftliche, nicht um politische Vereinbarun- Probleme prüfen und Empfehlungen vorle-
,,Das heißt, in verschiedenen R.egionen Ihres gen. Obwohl die Provinzen im wirtschaftlichen gen. Diese werden von den Provinzen
Landes geiten unterschiedliche Arbeitsge- Bereich souverän sind, gehen sie, wenn sie Aus- gewöhnlich ernst genommen."
setze?" landsverbindungen hcrsteiicn. natürlich von der
.,Wir haben maßgebliche 13trttciesgesetze. Interessenlage des ganzen Landes aus. Ich ,,Sie kennen sich im staatlichen Aufbau
Zum Beispiel haben wir den l\tnricststunden- meine damit das Prinzip .Starke Provinzen der UdSSR aus und verfolgen von Berufs
lohn auf v-iel Dollar fünfzig {,'ents fcstgelegt. maclren ein starkes Zentrum'." wegen die Lage in unseren Unionsrepubli-
Die eine Provinz kann diese Untergrenze auf ,,Folgt das eine aus dem andern?" ken. Könnte Ihrer Meinung nach ein sol
sechs Dollar fünfzig Cents anhctren, die andere .,Das würde ich nun nicht gerade sagen, ches System der Beziehungen zwischen
auf. sagen wir, vier Dollar fünfundsiebzig, aber immerhin ist es ein Prinzip. das nicht so leichi in Zentrum und Provinzen und zwischen den
in keiner darf eine Entlohnung unter dem Bun- die Praxis umzusetzen ist. Hier herrscht der Provinzen selbst auf unsere Verhältnisse
desmindestsatz zugelassen werden. Die Bun- Konflikt als Daucrzustand. ' übertragen werden?"
iesgesetze werden übrigens vom Unterhaus, in ,,In der UdSSR halten sich die meisten an ,,Natürlich haben die kanadischen Pro-
.lcm alle Provinzen vertreten sind, und vom eine von folgenden zwei Konzeptionen: ,Starke vinzen ihre eigenen Interessen, trotzdem
Senat verabschiedet, dessen Mitglieder auf Vor- Republiken machen ein starkes Zentrum', lassen sie sich nicht mit lhren Republiken
.ch1ag der Provinzen ernannt werden." beziehungsweise ,Ein starkes Zentrum macht vergleichen, wo es immerhin noch die
..Woraus werdel die Provinzhaushalte starke Republiken'."
nationale Frage gibt. Man sollte die kana-
...pci.t)' ,,In Kanada ist nur die erste Variante mög- dische Praxis nicht mechanisch übertragen.
\us den intelnen Kapazitätet und aus FJun- lich. Hier hat man keine Angst vor starkeu Pro-
..
Was jedoch meiner Meinung nach nützlich
-..sclicm. Wc:- '.rll heispiclsweise tlie nördll- vinzen. Wil meineh. jc stärker sie sind. ciesto
sein könnte, wäre. jede Republik zu einer
:ien Territodcn cntwickeln? Welche Gesell- bcsscr steht Kanlda insgcsamt d:r. Was ttic per-
.ll-'an iibernlrrmt es. an der Eismecrküste etwas manenten Konflikte angeht, ctie daraus entste-
Art Quebec zrl machen. zu erner ,distinct
hcn.. so werden die imRahmen detbestelrenden
society', erner Gesellschall mit Sondersta-
::,-rrihaltes auizubauen? So etrvas kaun nul der
" tus. "
S::r:1: machen. Für so etwas hahen rvir bei uns Gc-cetze beigelegt.
:.:. Si st.m von Staatskonzernen, die ihre Mittel .^\!ir haben schon einen soichcr, Streitpunkt Wladimir Shitomirski
--. -:nr Buncieshaushalt bezichefi ." angesprochen, nämliclr daß cinige Provtnzcn
OTTAWA--MOSKAU
.. K.rnnen Ihre Provinzen außenrvirtschaftli- ciie Meech-See-Vereinbarung nicht unterschrei-
Fotos: der Aut".tr
: :- : B:ziehuuqen herstellen?" hen wollen..."

A -H E u E z E I T" 4.90
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Ventrauensrnangel
bei zw viel lnitiative
m Nahen Osten gab es im vergangenen Jahr lung den Frieden nicht näherbringen. Viele in Israel
eine Rekordzahl von Friedensinitiativen: palä- machen sich inzwischen Gedanken darüber, welchen
stinensische Vorschläge, Shamir-Plan, Muba- Enfluß die Teilnahme an solchen,,Kamplbperationen"
raks 10-Punkte-Programm, Schewardnadses auf die moralische Verfassung der in Uniform gesteck-
Vorschlag, Baker-Plan usw. Der dadurch ten jungen Menschen ausübt. Ferner machen die
bedingte Prozeß ist nicht nur eine abermalige Aktivie- Gerichtsprozesse gegen Israelis, die ,,verbotene" Kon-
rung der Diplomatie. Es wird zielstrebig nach Methoden takte mit der PLO aufnehmen, der israelischen Regie-
gesucht, den Konflikt beizulegen, wobei sich alle inter- rung keine Ehre.
essierten Seiten darüber einig sind, daß die sich in die Man kann nicht sagen, daß die andere Seite schon
Länge ziehende ,,Weder Krieg noch Regulierung"- alles, was in ihren Kräften steht, getan hätte, um den
Situation heute bereits die Gefahr einer Explosion von friedlichen Prozeß voranzubringen. In einigen PLO-
runvorhersagbaren Ausmaßen in sich birgt, was Kreisen hört man, die Organisation habe ,.das Limit an
nur durch die Aufnahme eines Diaiogs abzu- Kompromissen erschöpft", nun sei es an
wenden ist. Der Konsens zu diesen Schlüs- der Zeit, erneut,,Härte" zu demonstrieren.
selfragen bedeutet noch nicht, daß die größ- Einige Anhänger dieser ,,Härte" suchten
ten Hindernisse beseiiigt wären. Fragen sogar ihr:e Aufiufe durch entsprechende
grundsätzlichen Charakters - Zusammen- Schritte zu bestärken. Das kannjedoch ihre Warum ist
setzung der Teilnehmer am Dialog, seine Absichten nicht verbergen, Arafats Kurs die Situa-
Stadien und Endziele - sind noch nicht auf gegenseitig annehmbare Entscheidun-
gelöst.
tion
gen zu ändern. Inzwischen ist die Palästi-
Israel weigert sich nach wie vor stur, mil nensische Nationalcharta von 1968, die mit ,,Weder
der PLO zu verhandeln, und lastet ihr extremistischen Sätzen gespickt ist, noch Krisg norh
,,Hinterlist" an, obwohl PlO-Vorsitzen- nicht offiziell revidiert worden. Frieüen"
der Arafat bereit ist, alle Mißverständnisse Infolge des mangelnden Vertrauens
und Probleme mit Tel Aviv zu besprechen. zwischen den unmittelbaren Konfliktpar- üclänrfiffi?
Wladimir Offensichtlich ist ferner, daß es eine Zeit- teien kommt es auf vereinbarte friedens-
Nossenko bombe für das künftige Friedenssystem dienliche Schritte der USA und der
wäre, die PLO und zugleich mit ihr Hun- UdSSR ganz besonders an. Das Ver-
derttausende palästinensische Flüchtlinge trauen zwischen diesen beiden Mächten
auszuklammern. Außerdem kann der Dialog nur dann kann u. a" dannvoll gesichert werden, wennjede von
konstruktiv sein, wenn seine Teilnehmer einander ihnen in ihrer Nahostpolitik Handlungen vermeidet,
vertfauen - die den Eindruck erwecken könnten, sie wolte die
Israel sollte garantieren, daß die von ihm vorgeschla- Kontrolle über den friedlichen Prozeß monopolisie-
gene Etappe der ,,Autonomie" für die Palästinenser ren.
nicht zu einer endgültigen Regulierungsform ausartet, Meines Erachtens spielt die UdSSR heute endlich
die durch das Selbstbestimmungsrecht dieses Volkes eine konstruktive Rolle bei der Regelung. Freilich
einen dicken Strich macht. Die palästinensische Seite gibt es noch ungelöste Fragen, daruntär einä so heikle
muß ihrerseits garantieren, daß die Schaffung eines wie clie Wiederherstellung der diplomatischen Bezie-
eigenen Staates keine Vorbereitung auf eine ,,Befreiung hungen zu lsrael. Der offizielle Standpunkt ist
von ganz Palästina" bedeuten würde. Beide Seiten ver- bekannt und hat seine Logik. Es lohnt sichjedoch, die
kündeten wiederholt, sie hätten schon alle möglichen Frage auch unter einem anderen Blickwinkel zu
Erkiärungen über ihre Absichten abgegeber.r, es habe betrachten. Die Beziehungen wurden i967 abgebro-
also keinen Sinn. wieder damit zu kommen. Diesern chen, um die Politik Israels im Konflikt zu beeinflus-
Standpunkt ist schwer beizupflichten. In den langen sen. In den 22 Jahren seitdem hat das keine Ergeb-
Jahrzehnten des Konflikts hat sich zwischen beiden Vöi- nisse gezeitigt. Vielleicht wird sich ein anderer Weg,
kern enorm viel Mißtrauen, Argwohn und Feindselig- der auch die Bewegung zu poitischen Kontakten ein-
keit angestaut. Es ist nicht so leicht, sich von dieser Last schließt, den Friedensprozeß positiv beeinflussen?
zu befreien. Deshalb wäre jede Erklärung, die darauf Was eventuelle negative Folgen betrifft, so ist folgen-
zielt, dem Opponenten mehr Vertrauen abzuringen, des in Betracht zu ziehen. Erstens hat die UdSSR
seh r angebrachl .
Beziehungen zu zahlreichen Staaten, was jedoch
noch nicht bedeutet, ciaß sie mit dem politischen Kurs
Folgendes ist noch zu berücksichtigen. Die gegensei- eines jeden von ihuen einverstanden ist. Zweitens
tige Verständigung ist mit Erklärungen allein nicht zu hatten verschiedene arabische politische Kräfte, die
schaffen, erst recht nicht, wenn ein Kurs eingeschiagen sich jahrzehntelang auf die UdSSR stützten, die Mög-
wird, der zur Abschwächung der gegen die Regulierung lichkeit, sich von unserer aufrichtigen Freundschaft
wirkenden Faktoren keineswegs beiträgt. Israels Spit- zu überzeugen. Wer von ihnen wirklich einen festen
zenpolitiker mögen die Intifada noch so oft einem Aus- und gerechten Frieden anstrebt, würde einem so1-
bruch extremistischer Stimmungen gleichsetzen, fest chen Schritt wahrscheinlich Verständnis entgegen-
stetlt jedoch, daß gervaltsame Methoden zu ihrer Abstel- bringcn T

,,lt E u E 7E)r"rr.90l
ln Erwartung einer Losung völlig neuen Programm in die Wahlen.
Die Kongresse und Konferenzen der Verbände der Kommunisten Auf einer Plattform, die der slowenischen
in den Republiken und Regaonen derSFRJ sind abgeschlossen. Die ähnlich ist, steht auch der Bund der Kommu-
Positionen verschiedener Teile des BdKJ wurden dabeizum Aus- nisten von Kroatien, auf dessen jüngstem
druck gebracht. Wenn diese Positionen endgültig sind, dann kann Parteitag sich eine sehr radikale Veränderung
der Positionen vollzog. Der BdK von Kroa-
man sich nur schwer vorstellen, daß sie auf dem 14. Parteitag des tien sprach sich einmütig für eine I-egalisie-
BdKJ zu einem Dokument vereint werden können rung der Opposition aus. Eine wichtige Rolle
bei der Annahme dieses Beschlusses spielten
instweilen kann man mit Freude" aus Beethovens 9. Sinfonie. In die- die alternativen Organisationen, von denen
Gewißheit nur sagen, daß der sen äußeren Anzeichen kamen auch bedeu- es mehr als ein Dutzend in der Republik gibt.
bevorstehende Parteitag zum iendere Veränderungen in der Haltung der Während des Parteitages der kroatischen
vorgesehenen Zeitpunkt, vom slowenischen Kommunisten zum Ausdruck. Kommunisten organisierte die Opposition
20. bis 22. Januar, stattfinden Der BdK Sloweniens verzichtete auf die eine Unterschriftensammlung für eine Peti-
wird. Der Vorschlag des BdK von Kroatien, führende Rolle in der Gesellschaft, sprach tion mit der Forderung, alle Parteien zu lega-
ihn zu verschieben, fand keine Mehrheit. sich für eine Beschränkung seines Einflusses lisieren, die politischen Häftlinge freizulassen
Die Meinung dominierte. daß eine Verschie- entsprechend der Wählerstimmen, die er bei und vorfristige Wahlen durchzuführen. Der
bung eine negative Reaktion in der Gesell- den Wahlen erhält, aus. Die slowenischen Bund der Kommunisten von Kroatien
schaft auslösen und als Eingeständnis der Kommunisten unterstützten einhellig ein stimmte all diesen Forderungen zu.
Unfähigkeit des BdKJ, ein konkretes Pro- Mehrparteiensystem und erklärten ihre Die Plattform des Bundes der Kommunisten
gramm für Veränderungen vorzuschlagen, Bereitschaft, zu gleichen Bedingungen wie von Serbien, der größtenjugoslawischenRepu-
aufgefaßt werden würde. die Opposition in den Wahlkampf zu gehen. blik , unterscheidet sich merklich von der slowe-
Nichtsdestoweniger bleiben Zweifel Dabei wurde betont, daß nicht die Arbeiter- nischen und der kroatischen. In Serbien ist man
daran, daß es dem BdKJ gelingen wird, die klasse, sondem breite Bevölkerungsschichten damit nicht einverstanden, daß der BdKJ zu
bestehenden Gegensätze zu überwinden. jetzt dre gesellschaftliche Grundlage des BdK einer Koalition von Parteien wird, und tdtt für
Und diese Zweifel sind nicht unbegründet, von Slowenien sind. Jetzt können auch Gläu- eine feste Einheit der Partei ein . Was einen poli-
wenn man die Plattformen vergleicht, mit bige in die Partei aufgenommen werden. Die tischen Pluralismus angeht, so sprechen sich die
denen die Kommunisten der jugoslawischen Partei trennte sich vom Prinzip des demokrati- Kommunisten Serbiens nicht direkt fürein Mehr-
Republiken dem 14. (außerordentlichen) schen Zentralismus und erklärle sich bereit parteiensystem aus und erklären, nur Organisa-
Parteitag entgegengehen. zum Rückzug aus den Betrieben, wo sie die tionen, dieftireinebundesstaatliche Ordnungdes
Der Bund der Kommunisten Sloweniens Parteikomitees auflöste. Landes, für Demokratie und Sozialismus eintre-
spürt jetzt vielleicht mehr als die anderen Die slowenischen Kommunisten plädierten ten, hätten eine Existenzberechtigung. Nicht
Organisationen des BdKJ eine Opposition ferner für eine größere Eigenständigkeit der akzeptabel ist für Serbien auch die Idee einer
im Nacken. Das Tempo zu verringern oder Parteiorganisationen der Republik, nicht für ,,asymmetrischen Föderation", in der die Rechte
sich auch nur weiter mit der früheren eine einheitliche, geschlossene Partei, son- der Republiken Vorrang vor den Befugnissen der
Geschwindigkeit fortzubewegen, würde für dern im Grunde für eine Vereinigung von Föderation hätten.
ihn bedeuten, in der Republik nur noch die Bündnissen. So sind vor dem 14. Parteitag im BdKJ zwei
zweite Geige zu spielen. Die Opposition in Es gab Vorschläge, auch die Bezeichnung Konzeptionen, zwei Haltungen zu Reformen
Slowenien, die in letzter Zeit ihre Reihen ,,Bund der Kommunisten" zu verändern, in der Partei und der Gesellschaft deutlich
bedeutend gefestigt hat, ist entschieden doch die Mehrheit meinte, die Zeit dafür sei geworden. Die eine Haltung deckt sich mit der
gestimmt. lhr ZieI ist ein Sieg bei den im noch nicht gekommen. Also geht die Partei, Sloweniens und Kroatiens, die zweite mit der
Frühjahr bevorstehenden Wahlen und die wie mir der neue Vorsitzende der sloweni- Serbiens. Die Plattformen der Kommunisten
Entfernung des Bundes der Kommunisten schen Kommunisten Ciril Ribicic sagte, der übrigen jugoslawischen Republiken neh-
von der Macht. zwar mit dem früheren Namen, doch einem men weitgehend eine Zwischenstellung ein.
Die slowenischen Kommuni- Zweifellos wird es ftir den BdKJ riicht einfach
sten sehen sich vor ein Dilemma sein, Berührungspunkte in Streitfragen zu fin-
gestellt: sich mit der unvermeid- den und erst recht ein gemeinsames Programm
lichen Niederlage abzufinden --ol-..:-l- zu erarbeiten. Einige hiesige Journalisten mei-
oder der Gesellschaft attrakti-
r.ere Ideen als die Opposition
vorzuschlagen. Der BdK Slowe-
; "it3ejla
'j-4--l (r:-/-1.<,
nen, der 14. Parteitag könne zum letzten Partei-
tag des BdKJ werden: Kommt es zu einer Spal-
tung, wird es keine einheitliche Partei mehr
niens hat seine Wahl getroffen, geben. Wenn aber ein radikales Programm ver-
indem er ein radikales Pro-
qamm und eine neue Perspek-
iive für die weitere Entwicklung
+I 1*?'5
abschiedet wird, dann wird die Partei anders
und dem alten BdKJ nicht mehr ähnlich sein.
Schon bald werden wir die Antwort wissen.
lr,.

I'w
3er Republik präsentierte. Meiner Meinung nach erfolgt in den letzten
Zum Emblem ihres Parteita- Wochen vor dem Parteitag eine gewisse Radi-
ses rvählten die slowenischen kalisierung der Positionen des BdKJinsgesamt.
Kommunisten eine hellblaue In vielem läßt sich das durch die in der Partei
Flaege mit einem goldgelben der jugoslawischen Kommunisten herrschende
S:-'rn - die Farben des verei- Uberzeugung erklären, der BdKI müsse ent-
:.reien Europa. Entsprechend schiedene Umgestaltungen selbst einleiten,
:ie.1 das programmatische ohne abzuwarten, bis dies die Menschen auf
D.rk ument des Parteitages,,Für den Straßen verlangen werden
.r :uropäisches I-ebensniveau".
lni stan der ,,Internationale" Gennadi Syssojew,
:-:-:le vor Beginn des Parteita- NZ-Korespondenl
:.i Schillen Ode ,,An die Fragen... Fragen.,, Aus :,,Intervizw" (Jugoslawien) ZAGREB - LIUBLIANA - BELGRAD

tr .XEUE z E r_r: 4.90


TI

O'ffnung zur Welt?


! m zweiten Jahr des 5. Jahrzehnts ihrer Ihr bescheidener und beinahe asketisch der KDVR. Darunter versteht man nicht nur
I Existenz bleibt die Koreanische Demo- anmutender Lrbensstil hindert die koreani- die Beseitigung von Unausgewogenheiten,
! kratische Volksrepublik den Prinzipien schen Arbeiter keineswegs, Beispiele von einer zurückgebliebenen, Rohstoffe, Brenn-

I :ä:
"'''rffil* [:i' il.'.'l'DieH?l
,zugrunde gelegt worden sind.
ffil;
Linie des
Arbeitsheroismus zu bieten. Zu Heldentaten
der Arbeit inspiriert die Menschen, daß, wie
Kim Il Sung sagt, ,,ihre persönlichen Interessen
stoffe und Energie produzierenden Industrie
und des Transports, die insgesamt die Ursache
für Engpässe in der Produktion darstellen, son-
Aufbaus , eines ,,staatlichen Sozialismus" und die Interessen der Gesellschaft völlig über- dern auch eine radikale technische Umrüstung
brachte eine Wirklichkeit hervor, welche die einstimmen". In Berichten über wirtschaftliche der Wirtschaft. Die ,,technische Revolution"
KD\IR heute merklich von anderen sozialisti- Themen tauchen nicht von ungefähr Worte wie wird als ,,wichtigste Aufgäbe des laufenden Sie-
schen Staaten untencheidet. Was hat das dem ,,Front",,,Kampf ' und,,Stoßbrigade" auf . Die benjahrplans" bezeichnet. Hintereinander
. Volk gebracht? Welche Probleme beschäftigen Aufrechterhaltung von Arbeitsenthusiasmus in haben zwei ZK-Plenen der Partei der Arbeit
das Land heute? füedlichen Schlachten ist, wie man in der ausschließlich unterschiedliche Aspekte der
Das von zwei Kriegen verwüstete Land KD\IR meint, eine unverzichtbare Vorausset- Verbindung von Wissenschaft und Produktion
mußte bei Null anfangen. Hier sollten nicht nur zung für wirtschaftlichen Fortschritt. Damit die- behandelt. Im Mittelpunkt der Aufmerksam-
schon bestehende Bergwerke und Fabriken wie- keit stehen Elektronik, Automatisierung, Bio-
derhergeste-llt, sondern neue Wirtschaftsbran- technologie und die effektivere Nutzung von
chen erschlossen werden, die den internen Energiequellen.
Bedarf vollständig abdecken, konnten. Die Vordringlich wurde auch die ,,Verbesserung
damals von der Partei der Arbeit gestellte Auf- des Lebens des Volkes" auf die Tagesordnung
gabe, sich nur auf die eigenen Kräfte zu stützen, gesetzt. Konkret sei erforderlich, ,,das Problem
ist auch heute nicht von der Tagesordnung ver- der Ernährung, Bekleidung und Wohnraum-
schwunden. Die extensive Entwicklung machte versorgung zu lösen".
eine spürbare Steigerung des Produktionspo- In der KDVR denkt man immer häufiger dar-
tentials möglich: Heute kann die KDVR stolz über nach, wie die Ökonomie Anschluß an die
auf eine starke Bergbauindustrie, Metallurgie, Außenwelt finden könnte. Man will den Export
Elektroenergetik, Chemie und einen Maschi- erweitern, nicht nur jedoch von traditionellen
nenbau mit universeller Bandbreite verweisen. Rohstoffen, Schwarzmetallen, Mineralien,
Was die Pro-Kopf-Produktion von Stahl. Baumaterialien und Feuerfeststoffen, sondem
Tnment, Zerspanungsmaschinen und metrere auch von fertigen Industrieerzeugnissen wie
andere quantitative Kennziffern angeht, hat die Textilien, Maschinen und Ausrüstungen. Inter-
KDVR viele europäische sozialistische Länder nationale Marktpositionen zu erobem ist nicht
überholt. Die Besonderheit besteht allerdings leicht. Deswegen knüpft man hier gewisse Hoff-
darin, daß die gesamte technologische Kette von nungen an Gemeinschaftsbetriebe. Ein 1984
der Förderung des Rohstoffs bis zur Produktion verabschiedetes Gesetz bietet ausländischen
von'feftigeh Erzeugnissen im engen nationalen Unternehmern die Mögiichkeit, in die Wirt-
Rahmen zu einer Verringerung der Endproduk- schaft derKDVR zu investieren. Wegen unzu-
tion geführt, die Verbindung zum Weltmarkt reichender Informationen über die wirtschaftli-
geschwächt trnd ldtzten Endes zu einem niedri- chen Bedingungen des Landes und seiner Devi-
gen Konsumeffekt der Wirtschaft geführt hat. senverschuldung sowie eines gewissen Mißtrau-
Daftir sprechen auch die statistischen Angaben: ens fanden sich jedoch nicht allzu viele ausländi-
Bei einem im Verhiiltnis zu europäischen soziali- Bei einem Arbeitseinsatz in der Ortschaft sche Kapitalgeber. Sehr aktiv zeigten sich japa-
stischen Ländern 2- bis 3mal niedrigeren Natio- Chonsan nimmt der herzensgute Genosse nische Unternehmer koreanischer Abstam-
naleinkommen slehr die KDVR ihien in nichrs Kim Ghen ll seine leitende Position ein mung. Mit ihnen aufgezogene Gemeinschafts-
nach. sondern übertrifft sie bisweilen noch, was Foto und Bildtext aus d.er Zeißchrift ,,Korea" (KDVR) untemehmen spielen in der Wirtschaft der
den Anteil der Industrie am Nationaleinkom- ser Enthusiasmus nicht zum Erliegen kommt, KD\IR eine wichtige Rolle. Ihnen ist zu verdan-
menbetrifft , derbei 60% liegt, wobeiin derlndu- muß ständig die Erinnerung an den äußeren ken, daß innerhalb des zentralisierten, durch
striepiöduktion selbst etwa zwei Drittel auf die Feind, den Imperialismus, wachgehalten wer- Direktiven geleiteten wirtschaftlichen Systems
Schwerindustrie entfallen. den, der eine tödliche Bedrohung fi.ir das Volk praktisch ein neuer, nach Marktprinzipien funk-
Weil die Basis der Produktion von Konsum- darstellt. Unter Bedingungen der mit dieser tionierender Sektor entstanden ist. Zaghafte
gütem schwach ist. muß man. um die soziale Gefahr verbundenen Anspannung leuchtet es Schritte zu einer stärkeren Nutzung von Ware-
Gerechtigkeit zu wahren, auf eine gleichmache- ein, daß die Arbeitsanstrengungen nicht so sehr - Geld -Beziehungen lassen sich auch auf
rische und normierende Verteilung von Waren materiell als vielmehr moralisch stimuliert wer- anderen Gebieten beobachten: Märkte und
des Massenbedarfs zurückgreifen. Bislang ist es den müssen. Entsprechend muß bei der wirt- Kommissionsgeschäft e werden wieder aktiviert,
noch nicht gelungen, dem Ernährungsproblem schaftlichen Leitung ein starrer Zentralismus und es ist ein Netz von Devisengeschäften ein-
aus eigener Kraft endgültig beizukommen: herrschen, der Erinnerungen an den sowjeti- gerichtet worden, in denen Waren nicht verteilt,
Grundnahrungsmittel werden auf Lebensmit- schen ädministrativen Kommandostil aus der sondem verkauft werden. Tschollima, das
telkarten verteilt. Ursache daftir ist nicht etwa Zeit der Industrialisierung nahelegt. legendäre geflügelte Roß und Sy,rnbol der
der mangelnde Fleiß der koreanischen Bauem, Natürlich ist der heutige Entwicklungsstand KDVR, korrigiert also seinen Kurs. Es scheint,
denn in Jahrhunderten hat der Bewässerungs- der Produktion in der KDVR nicht mit dem der daß der Prozeß von Veränderungen im Bereich
anbau von Reis hier seine höchste Effektivitär kolonialen Vergangenheit zu vergleichen. der Produktionsleitung, bei Austausch und Ver-
erreicht. Es mangelt eher an landwirtschaftli- Allerdings setzt die technologische Revolution, teilung in Ubereinstimmung mit den Erforder-
cher Nutzfläche. Viehzucht hat hier überhaupt die in der Welt vor sich geht, und das stürmische nissen der Produktivkräfte des Landes in Gang
keine Tradition. Auf dem Tisch des Koreaners Wachstum eines neuen asiatischen Industriea- kommt.
sieht man kein Fleisch, sondern überwiegend lismus die qualitative Vervollkommnung auf die Georgi Toloraja
Meeresprodukte. Tagesordnung der Wirtschaftsenfwicklung in PJÖNGJANG-MOSKAU

,,1I E U E zEtr"4.e0tr
udssB
Die Preise steigen, die löhne sind iedoch ,,eingefroren't, lst ein Aul-
schvuung zu erwarlen?

Zeit und Geld Valentina J anis chew s kai a, Dr. oec.

ie galoppierende Inflation in unserem extra eingegangen werden muß.


Land wurde zur schlimmen Realität. Es herrscht die weitverbreitete Meinung, daß die
Die Regierung und einige führende Herstellerbetriebe bei uns die Monopolisten sind.
Wirtschaftswissenschaftler meinen, Das ist ein Irrtum oder eine vorsätzliche Verzerrung
daß die Ursachen der Inflation vor der Wahrheit. Es soll also jeder ein Monopolist sein,
allem im übermäßigen. Wachstum der Geldein- der defizitäre Waren verkauft. Das heißt also, wenn
Um die Nnflation zu künfte und dem Mangel an Waren und Dienstlei- jemand im Winter frische Erdbeeren verkauft, dann
überwinden, sind stungen liegen. Daher auch die vorgeschlagenen ist er ein Monopolist. In Wirklichkeit bedeutet das
nicht guteWünsche Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation: Steige- Wort,,Monopol" die vorsätzliche, organisierte
wichtig, sondern rung der Produktion und des Imports von Waren' Beschränkung, manchmal auch die Beseitigung der
die Kenntnis der Erweiterung der Dienstleistungen einerseits Td q. Konkurrenz, Schon Lenin nannte Anfang des Jahr-
realen Bedingun- Begrenzung des Lohnwachstums andererseits. Es hunderts die wichtigsten Methoden der Realisierung
gen, exakte Vor- bestehen große Zweifel an der Effektivität dieser einer Monopolherrschaft. Darunter: Dem Konkur-
Mal3nahmen. renten werden die Rohstoffe, die Arbeitskräfte,
stellungen über Absatzmöglichkeiten und Transportmittel entzo-
Die Warenknappheit und die überschüssige Kauf-
den Funktionsme- gen, die Preise gedrückt. Diese und andere Metho-
kraft, die abweihselnd als Ursache bzw. als Folge
chanismus der den sind auch in unserer Wirtschaft we:it verbreitet.
der Inflation angesehen wetden, sind ein Teufels-
Wirtschaft. kreis, aus dem kein Weg herauszuführen scheint. In Nicht die Betriebe wenden sie an, sondern der zen-
dieser Situation erinnern die Vorschläge zur Beseiti- trale Apparat: die Staatskomitees für Planung,
gung des Defizits und der Begrenzung der Einkünfte Beschaffung, Preise, die Ministerien und andere
dcr Beschäftigten und Betriebe an eine Situation, Organe. Sie haben die Möglichkeit zu diktieren,
wo man hofft. schncll und gefahrlos mit einem wer, was und wieviel erzeugt, zu welchen Preisen
defekten Auto auf einer ausgefahrenen, aber richtig und wem verkauft werden soll. Sie sind es, die nach
und übersichtlich beschilderten Straße vorwärts zu eigenem Dafürhalten materielle und finanzielle
kommen. Ressoutcen sowie die fertigen Erzeugnisse vertei-
len. Sie diktieren auch Höhe der Löhne, organisie-
Was wir uom llefizit wissen ren die Abhängigkeitsverhältnisse von Lieferanten
und Verbrauchern.
und was nicht Was die Betriebe angeht, so lassen sie keine
neuen. Monopoie entstehen, sondern nutzen
Defizite sind ein Fluch unseres Lebens. Der Mensch die Ergebnisse der Monopolherrschaft des Zen-
ist helle und findet aus jeder Situation einen Aus- trums, die die Wirtschaft und die Ware-Geld-
weg. Auch an das Defizit hat sich der sowjetische Beziehungen deformiert. Eines dieser Ergebnisse
Mensch gewöhnt. Die einen harren in Warteschlan- ist das Defizit in der erslen, ofiziellen Wirt-
gen aus, andere bauen ein System von Sondervertei- schaft.
lung und Extraservice auf. Die dritten knüpfen Das Defizit, das in der offiziellen Wirtschaft
Bekanntschaften im Handel an. Wieder andere kön- wütet, und sein Fehlen in der Schattenwirtschaft
nen für eine Ware jede beliebige Summe.zahlen. sind interdependente Prozesse' die die Theorie
Zum Beispiel tür Strumpfhosen, auf denen Affchen und Praxis vor eine Reihe von Fragen steilen. So
laufen, oder Schuhe, die die Farbe entsprechend der z. B. woher kommen die Waren auf dem Schwarz-
Kleidung ändern, tausend oder auch anderthalbtau- markt?
send Rubel. Ein wichtiger Warenlieferant für den Schwarz-
Da stellt sich die Frage: Welches Defizit bekämp- markt ist die illegale Produktion, die die von den
fen wir eigentlich? Es existiert nur in der ersten, der ,,schatten-Betrieben" hergestellten Waren sowie
offiz:ieilen Wirtschaft. Die zweite, die Schattenwirt- die nichterfaßte Warenproduktion in den staatli-
schaft kennt kein Defizit, weil hier eines der wichtig- chen Betrieben einschließt. Das Vorhandensein
sten Marktprinzipien herrscht: Die Ware kostet einer illegalen Produktion erklärt aber nicht die
soviel, wie der Käufer dafür bezahlt. In der ersten Herkunft und die Erweiterung des Schwarzmarktes
Wirtschaft ist die Wirksamkeit dieses Prinzips und der Spekulation, weil man noch Anwort auf die
jedoch von den Monopolen eingeschränkt, auf die Frage finden muß, aus welchen Quellen die illegale

EI -II E U E z EI I" 4.90


Betriebe noch günstigere
Bedingungen für die mas-
senhafte Ab-.vanderung -r,on
Waren auf den Schwarz-
markt geschaffen. Wenn frü-
her die Spekulanten ihre
Waren in klcin,^n Mengen im
Einzelhandel erwerben
mußten, so geschieht das
jetzt großhandc lsmäßig.
Das wird auch durch die
Angaben des Ministeriurns
des Inneren bestätigt, die im
Ergebnis der dreitägigen
Operation,,Ring" erhalten
wurden, die durch die
Posten bei den Abfahrten
von der Moskauer Ringauto-
Ze ic hnung : N i kolai Ts cher kas s ow bahn durchgeführt wurde.
Im Ergebnis der Kontrollen
Produktion mit Rohstoffen, Material, Verluste. Oftmals zerstören die von LKWs wurden zur Ausfuhr aus
Ausrüstungen und Arbeitskräften ver- Beschäftigten mutwillig Waren, um Moskau bestimmte Waren im Wert von
sorgt wird. Die Antwort auf diese Frage unbestrafl zu stehlen. Nach Angaben 25C 000 Rubel sichergestellt, die in gro-
ist eigentlich offensichtlich - aus.der der Hauptverwaltung der Feuerwehr ßen Partien aufgekauft worden \\raren.
ersten, der offiziellen Wirtschaft. des Ministeriums des Innern der Allein in einem der angehaltenen Autos
Um die Produktionsmittel und ferti- UdSSR betrugen 1988 allein die Verlu- wurden ca. 6000 Päckchen Importtee,
gen Erzeugnisse von der ersten in die ste im Handel durch Brandstiftung in 3000 Beutel Bonbons. 230 Dosen Kaf-
zweite nt verschieben, werden sowohl Lagerräumen, Großhandelslagern und fee sowie 200 kg Zucker entdeckt.
illegale (Diebstahl, Bestechung von Verkaufsräumen 47,8 Mio Rubel. Aus In Leningrad wurden bei einem Speku-
Amtsinhabern) als auch legale Kanäle diesem Grunde wird auch eine Riesen- lanten 330 Eheringe sichergestellt,
(Festlegung entsprechender Normen menge Fleiscir, Gemüse, Obst die bekanntlich nur,auf Bezugsscheine
und Kontingente) genutzt. Die unbe- und anderer Landwirtschaftserzeug- für angehende Eheleule verkauft rvcr-
grenzten Möglichkeiten für die Abwan- nisse vernichlet. Zu Tausenden und den.
derung von Wären in die Schattenwirt- Zehntausenden kommt jährlich Vieh In der Region Chabarowsk gingen
schaft werden von allen Formen der um. In den Betrieben der Lederverar- 1988 80% der japanischen Videorekor-
zentralen Verwaltung geschaffen, dabei beitung verfaulen Bälge, in der holzver- der, die gegen Lieferung von landwirt-
sind wohl die zentrale Planung, die arbeitenden Industrie wird Holz ver- schaftlichen Erzeugnissen angeboten
materiell-technische Versorgung, die nichtet. werden sollten, an Leute, die kein
Preisbildung und die Normierung die Innerhalb von ca. zwei Jahren wur- Gramm dieser Produkte verkauft
wichtigsten. den von den Organen des Ministerium habe n.
Um reale oder herabgesetzte Pläne, des Innern der UdSSR 450 000 Wirt- Man'kann natürlich nicht sagen, daß
ausreichende oder überhöhte Ressour- schaltsverbrechen festgestellt. Fast dagegen nicht angekämpft wird. Im
cen. vergünstigte Normative zu bekom- 14 000 in großen und besonders großen Gegenteil. Aber das führt zu keinem
men oder überhöhte Preise für seine Dimensionen. Nach Angaben des Ergebnis. Mehr noih, die Verschärfung
Erzeugnisse festzulegen, sind die Staatskomitees für Statistik der UdSSR des Kampt'es mit administrativen
Betriebe oft bereit, die übergeordneten erlitt der Staat aufgrund von Verder- Methoden begünstigt nur die Preisstei-
Organe zu bestechen. Bestechuirg mit ben, Manko und Diebstahl Verluste in gerungen auf dem Schwarzmarkt und
Geld ist längst nicht die einzige Form Höhe von 4.1 Md. Rubel. Diese Liste das Ansteigen der Vcrbrechensrate ais
von Korruption. Die Betriebsleitung ist unendlich. Die Ursachen sind die Preis für clas größer werdende Risiko.
stellt, um sich das Wohlwollen des gleichen - der in die Illegalität gezwun- Im Ergebnis leiden darunter weniger
Ministeriums oder der jeweiligen gene, deformierte Markt. die Verkäufer als die Käufer. Man
Hauptabteilung zu sichern, deren Mit- Während über die Anerkennung bekommt den Eindruck, daß wir in die-
arbeitern das betriebseigene Sanato- oder die Nichtanerkennung der Markt- ser Frage beharrlich die Erfahrungen
rium zur Verfügung, übernimmt die wirtschaft gestritten wird, wobei der anderer Länder ignoriercn. In dcn IJSA
Reparatur der AutoJ, die Renovierung Markt in der Größenordnung des gan- kontrolliert die Regierung z. B. die
der Wohnungen, den Bau von Wochen- zen Landes durch den Markt innerhalb Preissteigerungen für alkoholische
endhäusern... Die Beschaffer, die das der Betriebe ersetzt wird, sind alle Getränke, wohl wissend, daß eine
Prinzip der zentralen materiell-techni- Anstrengungen, die Schattenwirtschaft Preissteigerung von 2A"/" das berech-
schen Versorgung in die Tat umsetzen, einzuschränken und abzudrängen, zum tigte Risiko'der Schwarzbrennerei in
sind ein integrierendes Glied, das die Scheitern verurteilt und werden damit sich birgt. Und das würde dazu führen,
offizielle und die Schattenwirtschaft enden, daß die zweite Wirtschaft nur daß die Einkünfte vom Verkauf der
miteinande r verbindet. noch flexibler wild. So hat der Übcr- alkolrolischen Getränke nicht in den
Der Warenfluß aus der ersten in die gang vom freien Handel in den Staatshaushtrlt gelangen, sonclern in die
zweite Wirtschaft birgt in sich kotrossale Geschäften zu ihrer Verteilung ilbcr die F{ände clcl iliegalen Geschäfterioacher.

,,|rElII äFtf" 1,.flm ffi


| ,.,...:. .!.rr-ilr',ri rr., .ilr ,.,i!t-{39',
Mit dem gleichen Ziel ur.d außerdem, damit nichts zu tun, oder genauer, ist gabe.des Geldes auf offizielle Art und
um nicht schwere Trunksucht zu provo- dabei nicht das wichtigste. Die Inhaber Weise erschweren, günstige Bedingun-
zieret, sind auch übermäßig hohe der überflüssigen Vorräte wollen sich gen für den Schwarzmarkt, die Schat-
Preise für alkoholische Getränke in davon nicht trennen, weil man beim tenwirtschaft.
Cafes und Restaurants nicht erlaubt. gegenwärtigen System der zentralen Ihrerseits spielt die Schattenwirt-
materiell-technischen Versorgung schaft eine immer größere Rolle auf
$tagnationsgesetz: jederzeit ohne das notwendige Material dem Produktionsmittelmarkt. Dabei
und die Rohstoffe dastehen kann. erfolgt die Verschmelzung und der
Milliarden in den Wind Wenn man jedoch Vorräte hat, kann Naturalaustausch zwischen zwei Schat-
man diese in die Produktion stecken tenmärkten - dem der Produktionsmit-
Haben die Betriebe viel oder wenig oder gegen etwas dringend Benötigtes tel und dem der Konsumgüter. Fälle.
überflüssiges Geld? Nach Ansicht des eintauschen. Natürlich werden so die wo die Betriebe Baumaterial, Maschi-
Wirtschaftswissenschaftlers Nikolai besten Bedingungen für die Schatten- nen und Metall gegen PKW. die aus den
Schmeljow befinden sich auf den Kon- wirtschaft geschaffen. Ein solches Fonds für einen anderen Betrieb
ten der Betriebe 150 Md. Rubel ohne Erzeugnis wie Walzgut wurde z. B. bestimmt sind. gegen in eigener Verfü-
Warendeckung. Diese Ziffer ruft schon zu einer Art Valuta des halblegalen gungsgewalt befindliche Wohnungen,
an sich ernsten Widerspruch hervor. ,,grauen'i Marktes der Produktionsmit- Ferienschecks usw. eintauschen, sind
Man darf nämlich, wenn man die Kauf- tel, für die man al,les eintauschen keine Seltenheit. Im Ergebnis werden
kraft von Betrieben charakterisiert, die kann. die Vorräte an warenmäßigen und
objektiven Bedingungen der Realisie- Die übermäßigen Vorräte an waren- materiellen Werten zu einer Ouelle der
rung dieser Kaufkraft nicht ignorieren, mäßigen und materiellen Werten sind eigennützigen Bereicherung von so
was sich in der Möglichkeit oder ein Ergebnis der entstandenen Lage im manchem Wirtschaftsleiter. Ein solcheS
Unmöglichkeit, Produktionsmittel zu Land, da man bei der Wahl zwischen System begünstigt in jedem Falle die
erwerben, ausdrückt. Wenn man davon der Planerfüllung um jeden Preis und Inflation.
spricht, daß auf den Konten der der Materialeinsparung dem ersten den
Betriebe nicht gedecktes Geld ange- Vorzug gibt. Geldr ,,überflüssig'I
häuft ist, muß man dieses mit den Vor- Folglich liegt die Ursache dafür, daß
räten von warenmäßigen und materiel- die einen Betriebe auf ihren Konten .oder,,heißrr?
len Werten vergleichen, deren Umfang ungedecktes Geld haben und die ande-
Anfang 1989 478 Md. Rubel betrug. Es ren überflüssige materielle Werte So manch einer behauptet. daß die
gibt natürlich Grund genug anzuneh- anhäufen, oft nicht im Fehlen dieser Bevölkerung über überflüssiges Geld
men, daß die wirkliche Summe auf- Werte, sondent darin, daß sie gemäß verfüge. Wollen wir auch dieses Pro-
grund von Verfälschungen und Unzu- den Regeln der marktfeindlichen büro- blem untersuchen. Auf den persönli-
länglichkeiten der Erfassung geringer kratischen Kommandobeziehungen chen Konten in den Sparkassen haben
ist. Besonders betrifft das die nichtvoll- verteilt werden. Diese Beziehungen sich 320 Md. Rubel angehäuft. Außer-
endete Produktion (einschließlich der schaffen, indem sie verhindern, daß dem hätten nach den Berechnungen
Bauproduktion). Außerdem ist ein Teil diese Produktionsmittel auf den offi- eini ger Wirtschaftswissenschaftler die
der Werte verdorben, gestohlen. ziellen Markt, zum freien Erwerb und Leute noch ca. 50-70 Md. Rubel zu
Wahrscheinlich sind 350 Md. Rubel Verkauf gelangen, indem sie die Aus- Hause liegen. Andere Autoren
der mehr oder weniger reale behaupten, daß 100 Md. Rubel im
Wert der Vorräte an waren- Umlauf seien und daß. nach Meinung
mäßigen und materiellen von P. Korotkow, diese Mittel vom
Werten in der Volkswirt- Finanzministerium und von der
schaft. Für praktische Ziele ist Staatsbank der UdSSR bis zur letzten
es natürlich wichtig, den Kopeke berücksichtigt würden. Ein
Inhalt, die Struktur, die Inha- bewundernswerter Glaube an die All-
ber, die Standortverteilung macht des Apparats!
und die Preise für Rohstoffe. Bei der Schätzung der Menge dgs
Material und Ausrüstungen zu überflüssigen Geldes muß man beach-
kennen. Wie dem auch sei, bei ten, daß hier verschiedene Faktoren
einem Nationaleinkommen wirken. Einer davon ist das Preisni-
von 625 Md. Rubel und einem veau. Je höher die Preise, umso mehr
Bruttosozialprodukt von 866 Geld wird benötigt. Die künstliche Ein-
Md. Rubel sind materielle dämmung des Preisanstiegs bedingt
Vorräte in einem solchen
/z einen geringeren Geldbedarf, gleichzei-
tlmfang zu groß. tig wirken aber die realen Prozesse in
Bei uns herrschen Bedin- die entgegengesetzte Richtung. Das
gungen. unter dencn dic eincn provoziert eine verdeckte Inflation, ihr
Betriebe und Einrichtungen Abwandern in den Bereich des
die überflüssigen Werte nicht Schwarzmarktes.
verkaufen wollen und die Beim Hinweis auf die großen Sum-
anderen diese nicht erwerben men aufden Konten in den Sparkassen.
können. Das Vorhandensein darf rnan aber folgenden Umstand nicht
oder Fehlen von Geld hat Zeichnung: V. Bogorad ignorieren. Erstens ist die Bevölkerung

@ ,,lt
aufgrund der geringen Renten, Ein- Man kann den Wunsch einiger Lei- Warenproduktion. sondern behindert ]

künfte und der unterentwickelten ter verstehen, alle Mißstände der Wirt- auch die Realisierung solcher Pro-
gramme wie den Erwerb von staatli-
1

Sozialversicherung gezwungen, einen schaft auf die Genossenschaftler und I

Teil des Geldes für das Alter, den den Gruppenegoismus der Betriebe chen Wohnungen als persönliches I

,,schwarzen Tag", die Beerdigung zu schieben zu wollen. Wenn man sich das Eigen.tum. den Erwerb von Aktien,
den Übergang zu Pachtformen. die
I

sparen. Diesen Teil der Ersparnisse Problem jedoch genauer ansieht, wird
Erweiterung der kostenpflichtigen
I

kann man wohl kaum zu dem ,,heißen" man entdecken, daß die Wurzeln unse- I

Geld zählen, das einer der Inflations- rer Armut nicht in der Perestroika und Dienstleistungen für die Bevölkerung.
darunter die im medizinischen
I

faktoren ist. nicht in der Preissteigerung zu suchen


bis
I

Zweitens ist es unbegründet, zu die- sind. Der Kasernenhofsozialismus Bereich. Diese Programme sind I

sem ,,heißen" Geld die Spareinlagen zu wird praktisch immer von Armut jetzt nur auf die zugeschnitten. die
zählen, die durch das Fehlen von Ver- begleitet. Die wichtigste Bedingung überflüssiges Geld haben.
braucherkrediten verursacht sind, was für die Entwicklung der Produktion Die Feststellung der Tatsache. daß I

die Leute zwingt, erst eine bestimmte von Konsumgütern, die ausreichende ein bedeutender Teil der Bevölkerung I

Summe zusammenzusparen, ehe man und dynamische Kaufkraft der Bevöl- überaus geringe Einkünfte hat. ver- |

sich dann teure Waren kaufen kann. kerung, hat im Laufe vieler Jahrzehnte drängt nicht die Frage nach dem Bezug
nichterarbeiteten Geldes aus der ver-
I

Trotzdem ist bei der Ausarbeitung gefehlt. Daher die niedrigen Preise für |

von Maßnahmen gegen die Inflation die Konsumgüter. Doch auch die Ein- deckten Wirtschaft. In bezug auf die I

nicht die Auszählung des sich im künfte sind bei einem Großteil der verdeckten Einkommensquellen muß I

Umlauf befindlichen überflüssigen Bevölkerung niedrig. Deshalb waren unbedingt die äußerst wichtige Rolle
hervorgehoben werden. die der Kre-
I

Geldes das Wichtigste, umso mehr, als selbst bei solchen Preisen viele Waren I

daß man die Inflation nur nach dem für die Mehrzahl der Bevölkerung dit. genauer die Kreditfinanzierung
spielt. wenn die Kredjte nach Plan ver-
]

Verbrauchermarkt bemessen kann. unerschwinglich. Die niedrigen Preise ]

Viel wichtiger ist es, die Einkommens- waren ihrerseits nicht das Ergebnis des geben werden. um nicht selten Schlam- I

quellen und die Struktur der Bevölke- technischen Fortschritts, nicht des perei oder auch Diebstähle zu vertu- I

rung nach der Einkommenshöhe zu Warenüberflusses, sondern der ufier- schen.


Es gibt nur einen Ausweg aus der
I

kennen. Hier kann man die Antworten bittlichen Ausbeutung von Arbeits- I

auf die Fragen nach den Inflationsquel- kräften, die man fast umsonst Krise. die Herausbildung eines zivili- |

len auf dem Verbrauchermarkt finden. hatte. sierten Marktes. der obiektiv erfor- |

Das erste, was bei einer solchen Die kleinste Belebung auf
dem dert: die Selbständigkeit der Betriebe
Arbeitsmarkt, die Befreiung der und
I

Sichtweise hervorgehoben werden bei der Entscheidung darüber. was I

muß, ist, daß mindestens ein Drittel Arbeit, der Übergang zu Ware-Geld- wieviel produziert werden. bei wem
soll:
I

der Bevölkerung keine Ersparnisse Beziehungen und als Folge davon das man kaufen und wem verkaufen
Preisel Ablösung der
I

hat. Diese Menschen machen sich Vorhandensein von Geld unter der ausgewogene I

nicht über das Defizit Gedanken, son- Bevölkerung haben zu Preissteigerun- Kreditfinanzierung durch Kredite: i

dern darüber, wie sie einigermaßen gen geführt: 1961 für die Erzeugnisse Antimonopolgesetz. Die Schatten- |

über die Runden kommen von Lohn- der Landwirtschaft, vor allem tieri- seiten der Marktwirtschaft werden
nicht von den Marktgesetzen verur-
I

tag zu Lohntag. Wenn man die Kauf- scher Herkunft, 1967 für die Produk-
sacht. sondern dadurch, daß das
|

kraft nicht nur als Faktor, als Konsum- tionsmittel. Seit dem Ende der 50er
administrative System durch die Ver-
I

voraussetzung.sieht, sondern als Pro- Jahre läuft ständig entweder offen oder I

duktionsfaktor, kann man mit gutem in verdeckter Form der Prozeß der treibung des Marktes in die lllegali- |

Grund davon sprechen, daß für die Preiserhöhung. tät die Forderungen der Marktge-
ist die ignorierte.
|

Wirtschaft, den Markt und für den Gleichzeitig R.egierung setze I

Ausweg aus der Krise die Kaufkraft beharrlich bestrebt, eine Lohnstopp- Die Marktwirtschaft negiert nicht I

der meisten Käufer nicht ausreichend Politik durchzuziehen, was außeror- das zentrale Leitungssystem. sondern I

ist. Dieser Teil der Bevölkerung, der dentlich gefährliche Folgen haben setzt es voraus. Dieses System muß I

geringe und mittlere Einkommen hat, kann. Außer der bei dem niedrigen sich aber grundsätzlich von dem gegen- |

befürchtet am meisten selbst die aller- Verdienst nur natürlichen Uninteres- wärtig existierenden unterscheiden: I

kleinste Preiserhöhung, die in vielen siertheit an der Arbeit der Beschäf- Erstens müssen die Funktionen des I

Fällen objektiv unumgänglich ist. tigten und der Ineffektivität des Ein- Zentrums definiert und ausgefeilt wer- |

Diese Menschen treten aktiv gegen die satzes neuer Maschinen (die Arbeits- den: zweitens müssen unbedingt spe- |

Genossenschaftler auf , weniger wegen kraft ist ja so billig) nehmen der zielle Methoden der Einwirkung des I

der unbefriedigenden Qualität der Schattenmarkt der Arbeitskräfte und Zentrums auf die Betriebe gefunden
und
i

Waren und Dienstleistungen als viel- die Schatteneinkünfte immer größere werden, die direkte Befehle I

mehr wegen der hohen Preise. Diese Ausmaße an. Anweisungen auf ein Minimum rcdu- |

Käufer sind auch gegen die von den Die llnzufriedenheit der Menschen zieren (Empfehlungen usw.): drittens ]

Betrieben festgelegten Preisauf- mit der Höhe des Lohns, die Unmög- muß wirklich die Unvermeidlichkeit I

schläge. Der Versuch, den Konflikt lichkeit aufgrund der Verbote, auf ehr- der Verantwortung des Zentrums für
zwischen den Erzeugern und den Ver- liche Weise viel Geld zu verdienen, alle seine Entscheidungen garantiert, ]

brauchern zu lösen, indem man die stoßen die Menschen oft in die Schat- d. h. das rvichtigste Prinzip. die Gol-
Preise oder die Löhne einfriert, scheint tenwirtschaft oder sogar in Verbre- dene Regel jedes Systems - die adä-
unbegründei und ist zum Scheitern chergruppen. Der niedrige Lohn quate Rückkopplung. realisiert wer-
verurteilt. bremst nicht nur die Steigerung der den. l
,,IIEUE zEll"
RECHTSSIAAI

Geöffnete Türen
Freizügigkeit im gemeinsamen Haus Europa
mente auszuarbeiten und zu vereinbaren.
Sie alle betreffen die Regeln der Gültigkeit
des Vertrags. Besonders schwierig sind
Probleme del einheitlichen Kriterien in der
Igor Chalewinski, Visapolitik. darunter in bezug auf die
keinem Widerspruch zueinander stehen Transitpassagiere aus Drittländern, die
erster stellvertretender Leiter der Konsularver-
dürfen. Zoll- und Steuerregeln und Fragen des
waltung des Außenministeriums der UdSSR Informationsaustausches. In den Nieder-
Inzwischen stehen die Aufgaben für die
nächste Zukunft schon fest: Abstimmung landen z. B. wird der Verkauf von Marihu-
der Einreise- und Ausreiseregelung in den ana und Haschisch nicht bestraft, in ande-
as Experiment mit dem visa- Teilnehmerländern, Formulierung einheit- ren Ländern ist er verboten. Die Teilneh-
freien Verkehr begann im Nor- licher Gesetze über Rauschgiftmittel, Waf- mer des Vertrags von Schengen haben
den von Westeuropa. Im Juli fen und Sprengstoffe; Erweiterung des natürlich ihre spezifischen Beziehungen zu
1954 trat ein Abkommen zwi- Informations- und Datenaustausches zwi- anderen Ländern, darunter auch bilaterale
schen Schweden, Dänemark, schen Zoll und Polizei zur besseren Abkommen über visafreie Reisen. So hat
Island, Norwegen und Finnland über die Bekämpfung der Kriminalität, des die BRD eine solche Regelung mit Öster-
Abschaffung der Paßkontrolle an den Gren- Schmuggels, des gesetzwidrigen Kapital- reich und Dänemark. In Frankreich dage-
zen in Kraft. transfers, der illegalen Einreise bzw. des gen gilt ietzt eine viel striktere Einreisere-
Aufgrund dieses Abkommens können die illegalen Aufenthalts ; Y erzicht auf zahlrei- gelung, besonders für die Bürger der Staa-
Signatarstaaten nur Menschen die Einreise che Kontrollmaßnahmen beim Gütertrans- ten. die nicht zur EC gehören.
verweigern, die keinen gültigen Paß bzw. port und vereinfachtes Verfahren zur DennoOh gaben am 13. November 1989
kein anderes güItiges Dokument bei sich Erteilung der Erlaubnis, die Grenze zu fünf Länder ihre Absicht bekannt, eine
haben, denen die Einreiseerlaubnis oder überqueren. Es gibt einen Paragraphen Konvention über das Inkrafttreten des
Arbeitszulassung fehlen, die ferner keine über die nur visuellle (pausenlose) Kon- Vertrags von Schengen zu unterzeichnen.
ausreichenden Mittel für den Aufenthalt in trolle der individuellen Verkehrsmittel, die Das hätte schon am 15. Dezember getan
einem dieser Staaten haben; ferner Vorbe- die gemeinsamen Grenzen mit vernünfti- werden sollen. Die Unterzeichnung würde
strafte oder Personbn, gegen die der Ver- ger Geschwindigkeit zu passieren haben. die Abschaffung der Grenzkontrolle an
dacht besteht, daß sie Sabotage, Spionage Selbstverständlich ist eine Stichprobekon- den Grenzen zwischen betreffenden Län-
o. ä. beabsichtigen. Nicht einreisen dürfen trolle zugelassen. dern und ihre Verlegung an ihre äußeren
schließlich Personen aus Listen, in denen aus An langfristigen Maßnahmen ist folgen- Grenzen bis 1990 bedeuten. Das hätte,
einem der genannten Staaten ausgewiesene des vorgesehen: Abschaffung der Kon- schrieb die französische ,,Liberation", ein
Ausländer aufgeführt werden. trolle beim Uberqueren der gemeinsamen ,,Prüffeld" des Europa von 1993 werden
Ubrigens haben die Teilnehmerstaaten Grenzen, Regelung des Zusammenwirkens sollen. Der entsprechende Wortlaut des
das Recht, an den zwischen ihnen verlaufen- von Polizisten, das Suchen nach den Mit- Vertrags, insgesamt 137 Altikel, war fer-
den Grenzen eine stichweise Paßkontrolle teln zur Bekämpfung des organisierten tig, aber ztrUnterzetchnung kam es nicht.
durch- und in einigen Fällen sie überhaupt Verbrechens usw. Im Grunde forderte man die Parlamente
einzuführen. Zur Lösung von Fragen aus Es geht also darurn, bis zu 300 Doku- lediglich auf, das Abkommen zu bestätigen
dem Bereich der gemeinsamen
Paßkontrolle in den Nordländern
s'urde eine Kommission für
Zusammenarbeit (Nordkommis-
sion für Angelegenheiten von Aus-
ländem) eingesetzt.
Das nächste europäische Expe-
riment war das Abkommen von
1960 über die allgemeine Ein-
reise- und Ausreiseregelung in
den Benelux-Ländern (Belgien,
Niederlande und Luxemburg). In
Weiterentwicklung dieses
Abkommens wurde am 14. Juni
1985 in Schengen (Luxemburg)
ein Vertrag unterzeichnet, an
dem sich neben den Benelux-Län-
Cern äuch die BRD und Frank-
reich beteiligen. Der Vertrag
sollte die Freizügigkeit aller Bür-
ser der Teilnehmerländer inner-
halb des betreffenden Territo-
riums gewährleisten, die Kon-
trolle über den Grenzverkehr
.bschaffen und den Austausch
'' on Waren und Dienstleistungen
.:rleichtern. Die Prinzipien sind
:rrrr isorisch in Klaft. Zu sciner
r:llen Gültigkeit muß eite ganze
Reihe von Gesetzen verabschiedet
*erJen, die den Verfassungsarti-
e1n der Teilnehmerländer ent-
,^,%-
: rr3ihen müssen und zugleich in Zeic hnLrng : W ladimir N e nas chew

EI -il T" 4.S0


bzw. abzulehnen, aufjeden Fall keine Kor- der sowie der USA und Kanadas stehen, des A.bkommen mir ltalien. Mit der BRD
rekturen an ihm vorzunehmen. Die Abge- verpflichtet dazu,die Regelungen irn und mit Spanien rvird in dieser Frage aktiv
ordneten aber bestehen gerade darauf. Lei- Grenzverkehr zu vereinfachen. Das euro- verhandelt.
der hörte man auch Klischees wie ,,die päische Haus braucht dynamische zwi, Ein weiterer wichtiger Aspekt der west-
Angst vor einem Zustrom von Flüchtlin- schenmenschliche Kontakte. Westeuropa eur-opäischen konsularischen Erfahrungen
gen" aus der DDR. Begründet erklärte der bietet gemeinsam mit den USA und ist die Ernennung von mehr Honoraikon-
Minister für nationale Wirtschaft von Kanada interessante Erfahrungen an. Sie suln. Diese sind begeisterte Anhänger tler
Luxemburg Robert Goebbeis: ,,Wenn wir korrelieren mit der einschlägigen Zusam- freundschaftlichen bilateralen Beziehun-
den Vertrag von Schengen zwischen den menarbeit in den osteuropäischen Ländern. gen zwischen Völkern und Menschen; sie
Fünf nicht unterzeichnen, kann ich mir Ungarn z. B. ist sehr er-rergisch in scinem verrichtcn ihre Obliegenheiten ehrenamt-
nicht vorstellen, wie ihn alle 12 EG-Länder Fremdenverkehr. Das Land hat bilaterale lich, sind jedoch in der Lage, realistiscl'r zu
unterzeichnen." Mit bitterer Ironie betonte Vereinbarungen mit Finnland, Schweden, den mcn:x:lllichen Kontakten und zur
er: ,,Nach dem Lauf der Dinge zu urteilen, Österreich, Malta urrd Zypern über visaf- gegenseitigen Verständigung beizutragen.
wird es 1993 Waren und Kapitalien besser reie Reisen bei allen Auslandspässen; mit Unsere Partner haben Hr.rnderte von Hono-
gehen als den Menschen." der BRD, der Türkei, mit Griechenland rarkonsuln. Wir beleben diese interessante
In der Europäischen Gemeinschaft beob- und Spanien darüber, daß sich die Inhaber Einrichtung wieder. So wurde der bekannte
achtet man aufmerksam, wie der Vertrag diplomatischer Pässe auf gegenseitiger bolivianische Maler Lorgio Väca Duran der
von Schengen verwirkliöht wird. Die Pläne Grundlage bis zu 30 Tagen aufhalten kön- erste Honorarkonsul der UdSSR in der
der Vereinigung Europas bis 1992 erfor- nen; eine Vereinbarung mit Großbritan- Stadt Santa Cruz (Bolivien).
dern gemeinsame Standpunkte auch zu Fra- nien über die gegenseitigc Ausstcllung der Im vorigen Jahr schlug die UdSSR-Dele-
gen der Freizügigkeit. Beim Treffen der Einreisevisa für lnhaber diplomatischer gation beim Pariser Treffen der KSZE-
Staats- und Regierungschefs der EG-Län- Pässe innerhalb von 48 Stunden. Konferenz über dic menschliche Dimen-
der im Dezember 1988 wurde ein Beschluß Wie arbeiten wir mit den westeuropä- sion eine Sonderberatung über die Humani-
gefaßt, dem zufolge iedes Land einen Koor- ischen Partnern zusammen? 1989 konnten sierung des gesamten Bereichs del Konsu-
dinator stellte, damit Fragen über den visa- wir einen beträchtlichen Fortschritt ver- iarbeziehungen vor. Dort könnten die Fra-
freien Verkehr innerhalb der EG erörtert zeichnen. April: sowjetisch-britisches gen uür die Freizügigkeit ein solides Faket
wurden. Man bildete ein spezielles Komi, Memorandum über die gegenscitige Ver- bilden. Selbstverständlich rvürde ein
tee, dem Vertreter der Innenministerien ständigung in Fragen der Einreisebewilli- gesamteliropäisches Forum zur konsulari-
und Immigrationsbehörden angehören. gungen; Mai: Abkommen mit Zypern über schen Thematik sowohl Probleme ans l-icht
Das Komitee bereitet Empfehlungen für visafreie Reisen mit diplomatischen Pässen; fördern als auch die Wege zu ihrer raschen
die Vereinheitlichung der Einreise- und Oktober: Memorandu'm mit Finnland über Lösung weisen.
Ausreisebestimmungen der EG-Länder Einreisefragen: November: ein umlasscn- m
yor. Eine solche Annäherung ist nicht
leicht, weil sie souveräne Rechte der Staa-
ten angreift. In diesem Zusammenhang
werden die Vorschläge des Komitees der
Koordinatoren wahrscheinlich Empfehlun-
gen bleiben. Die EG-Länder behalten sich
Die Genossenschaft ,,WFEEIVIJA"
das Recht vor, den Umfang der Formalitä,
ten mit der Einreisebewilligung für Bürger : bietet Wohnungen und Zimmer '
in
aus Drittländern zu bestimmen. Für sie soll MoSkau für die Unterbringung sCIwjetischer,und
ein entsprechendes Einreiseverfahren
für die EG-Staaten festgelegt werden.
Auf diese Weise wird man Lösungen für
,, ausländischer Bürger sowie für VeftretunEen
,ausländischer Firmen an, stellt hier:für ihre
,

Fälle finden, in denen einige EG-Staaten


Sonderbeziehungen zu Drittländern unter-
halten.
'Telefone und Telefax-Geräte zur Verfügung.
Innerhalb der Europäischen Gemein-
schaft können die Bürger der Mitgliedslän-
Den äus;!äindischen Gästen wird dieeinmatige fnAqti"nXtit ,

der visafrei reisen. Diese Regelung wirkt geboten, Leben uind Alttag einer sowjetisch-en
auch in den Beziehungen zwischen anderen Fam il kCh ni Cnzu le rn€i ;
ie
westeuropäischen Staaten. Das abschlie-
ßende Stadium war der Einschluß von Län- Die Genossenschaft ist an der Bilduno I '
dern wie z. B. Zypern in diese visafreie VönGemeinSchaftSunternehmeniimB"ereich'..
Familie in Westeuropa. Einige Besonder-
heiten gibt es in den Einreise- und Ausreise-
des internationalen Tourismus interessiert, , ,

bestimmungen zwischen den westeuropä-


ischen Ländern und den USA. In der AufgegenseitigeVöieinbarungvertrittrdieGenossensehaft ,

Hauptsache führen sie den visafreien Ver- lhr:e lnteressen bei der Vermarktung vCIn ErTss,gnissen und
kehr ein, aber während z. B. ein US-Bürger Dienstleistun$en in derSowjetunion, organisiert Werbüng ;nFernsehen,
nach Finnland für eine Dauer bis zu drei Rundfunk und Pre$se
Monaten visafrei einreist, darf ein Finne
(bzw. ein Belgier) in die USA nur mit einem ,Anggbote sind za richte-n an: l

Visum einreisen, unabhängig von der Auf- Genossenschaft Strastnoi Bulwar I


enthaltsdauer. Das gleiche gilt auch für "WREMJÄ",
1i27412,Moskau, UdSSR
Belgier und die Bürger einiger anderer Län-
der.
TeleJax:2m3511
Das Wiener Schlußdokument, unter dem Telefone: 229 90 89, 229 11 6€, 905 27 52
die Unterschriften der europäischen Län-

,,IIEUE ZEIT" 4.eo m


s I A-ll'ü P !ü n'[ { il f S J U x';:31{ :f 1{ E H

Was ist überflussig


\ im Gesetz?
n diese Worte mußte ich mich
| I erin- '" sie unbedingt jemandem zugeordnet sein müssen
Al"ff'":,[fif-H-+:fl#]il.ä*.ril:,*1H:':%j:l1l1""-J;:'ru:[l,:"il.Tä';:}
/t trum für den der - I ,4\J
Schutz i Die
Menschen die einen. anderen bestanden trotzdem darauf:
f,.{ rechre, oder, wie man es dort noch lk$'-W. t ' ..Dann laßt es uns doch so festschreiben. damit es
a. I n.nn,.fürdieEinhaltungderVerträge lY W" .'-,. keine l\Iißverständnisse gibt." Der Passus wurde
von Helsinki. Es war in den ersten Oktobertagen, I Vl :;; XM also hineingeschrieben und das Gesetz verabschie-
als bei uns das Pressegesctz in Arbeit war. Also erör- I Wffi1ful A.#ffi) det. Ortlichen Behörden und Amtsstellen kam das
terten wir auch seine möglichen Varianten. Meine lW,,' , /. WW] ungelegen. Sie .,korrigierten" das Gesetz: Jetzt muß

H:T::1trffi::tffi:xi3,T.1';ffi
gend informiert. Es war somit ein Gespräch unter
;:#;wwffilfr ffi ffi:trff ätrJ::::H:_:::ä,"
Sachkundigen. normen, nicht garantierte Rechte sind für viele
Der Staidpunkt der einen, übrigens nicht rein Wie Gesetzesakte be] uns bezeichnend. Sehen wir uns
AUf die Ffage,
amerikanischän, sondern gemischten Seite lautete, nurdieWohngesetzgebungan,auf diewirseinerzeit
MeistefWeike def
nichtsüberflüssigesenthalten. Dererste ztsatzztr Bitdhauerei .
das Gesetz solle äußerst karg gehalten sein und
i?",'i:t'.J#1t-"räff ff:"i':^?Ht*Tfti:;
Verfassung der LiSA verkündete die Freiheit insbe- geSChaffen wefden, Geschichte und Kultur, oder unsere Gesundheitsge-
sondere dis Wortes. Das war schon das ganze SOll ein gfOßef Mei- setzgebung. Als Deklarationen sind sie vortrefflich.
Gesetz. Es gab keinerlei Einschränkungen, die in Stef def Vefgangen- Nirgendwo in ,,der anderen" Welt ist das Recht auf
diesen Zusatz aufgenommen worden wären. ,,Wir Wohnraum gesetzgeberisch fixiert' Bei uns ist es
heit geantwOiet
haben kein pressegesetz. Das macht nichts, damit
könnenwirreben... habei: ,,Man nimmt $ll;Xij.ji1].1;;Hti.;"ä1äH$"*H:ffi1"f
Der andere Standpunkt, den ich unterstützte: Wie einen GeSteinSbfOk- tch ist. Die Wohngesetzgebung garantiert noch lange
ihr das in den USA macht, ist eure Sache. Wir dage- ken, meißelt alleS nicht ihre Realisierung. Im Exekutivkomitee hat man
gen brauchen unbedingt ein Pressegesetz, in dem ÜbefftüSSige Weg gesagl: ,.Es gibt keine Wohnungen", und es gibt nie-
alle Kleinigkeiten festgeschrieben sind. Sie werden manden' bei dem man Beschwerde einlegen könnte'
Und efhält ein VOttäf -
schon nicht überflüssig sein. Man muß dem bürokra-
rischen System direkt und eindeutig vorschreiben,
detes Kunstwerk.; l;'"*mn|i:?äSt ä:ä'JääfffJ"Xäl,#:l'
waseseinemJournalistenverweigeindarfundwas Überflüssiges, Deklaratives und nicht durch
Schwelle
nicht, sonst *'ird er gar nicht erst über die Rechtsgarantien Abgesichertes findet sich in unse-
einer Behörde gelassen. ,,Was nicht verboten ist, ist ren Gesetzen, das Grundgesetz eingeschlossen,
automatisch erlaubt": Für einen Bürokraten ist das Schall und allzuviel. Das untergräbt den Glauben an die Rechtsverbindlich-
Rauch. Das Gesetz soll beispielsweise direkt vorschreiben: Mit keit. Vor einiger Zeit trat beispielsweise das ,Gesetz über die
einem Redaktionsausweis ist der ZugangntBehörden, ausgenom- Gerichtsbarkeit in Kraft. Darin ist klar festgelegt, daß ein Bürger,
men sind nur genau bezeichnete Einrichtungen, zwangsläufig zu der einer Straftat verdächtigt wird, das Recht hat, vom Zeit-
gewähren. Dann gibt es immerhin die Hoffnung, daß man hinein- punkt seiner Verhaftung an einen Rechtsanwalt in Anspruch zu
gelassen wird. Wir verwiesen auf internationale Erfahrungen. In nehmen. Wie soll das aber in der Praxis aussehen? Es gibt nicht
- Parla-
England zum Beispiel sind Sicherheitsgurte durch ein vom genug Rechtsanwälte, das Geld, sie zu bezahlen, ist nicht da,
ment verabschiedetes Gesetz vorgeschrieben. ,,Kleinliche" Rege- und es gibt kein System für ständige Bereitschaft. Hätte man das
lungen? alles im Gesetz selbst berücksichtigen sollen? Ich glaube nicht.
Natürlich fanden die Seiten keinen Konsens. Er hätte auch kei- Man hätte nur gemeinsam mit dem Gesetz eine entsprechende
nen besonderen Sinn gehabt. (Jnsere rein private Diskussion ist Durchführungsbestimmung verabschieden müssen. Anderen-
dagegen, wie mir scheint, Ausdruck des Gesetzgebungsprozesses, fall,s läuft man Gefahr, eine humane und zivilisierte Rechtsnorm
der im Obersten Sowjet, seinen Ausschüssen und Unterausschüs- zu kompromittieren. Ich denke, das administrative Kommando-
sen,solebhaftundwidersprüchlichverläuft. system hat solche Gesetze ganz bewußt hervorgebracht. Es
Übrigens ist dies nicht nur ein Leiden unserer noch nicht ganz wußte im voraus, daß es alle deklarierten Rechte in der }Iand
flügge gewordenen Gesetzgeber. Es ist vielmehr die Dialektik des hatte. Es konnte sie gewähren, es konnte sie beschneiden, sie
Gesetzesansich.AufdereinenSeitesolleseinebestimmteSphäre selektiv bewilligen oder ganz einfrieren. Dem Bürger blieb'.
des Lebens maximal reglementieren, um der Willkür der Exeku- nichts anderes übrig, als zu bitten, Beschwerdebriefe zu schrei-
tive keine Hintertür offen zu lassen. Andererseits ist es unmöglich, ben oder Bestechungsgelder zu zahlen.
alles bis ins kleinste vorzuschreiben. Für uns ist dieser natürliche Inzwischen werden Gesetze von unseren erstmals gewählten
Widerspruch besonders schmerzhaft, weil wir genau wissen, wie Volksdeputierten formuliert. Auf ihren Schultern liegt jetzt ein
routiniertdasamtlicheKommandosystemoderdezentraleBehör- g.ewaltiges Stück Arbeit. Es ist schwer, hier den Ral zu geben:
deneinGesetzverfälschenkönnen. Überstürzt nichts, überarbeitet den Entwurf noch einmal und
IchhattedieEhre,indemTeamzuarbeiten,welchesdasGesetz meßt lieber siebenmal ab, wenn das Leben die unverzügliche
über die Genossenschaften in der Abschlußphase ausgearbeitet Verabschiedung des nächsten Gesetzes erforderlich macht. Doch
hat. Damals kam die Frage auf: Müssen die Genossenschaften auch der berühmte Artikel Lenins wurde nicht in einer besonders
unbedingt jemandem zugeordnet sein, oder können sie selbständig ruhigen Situation geschrieben. Er hieß: ,,Lieber weniger, aber bes-
auftreten, nachdem sie ihre Satzung im Exekutivkomitee des ser."
jeweiligen Sowjets haben registrieren lassen? Im Entwurf ist das
nicht genau festgelegt worden. ,,Wenn also nicht gesagt wird, daß J. FeOfAnOW
g ,,1{ E u E z E I r" 4.90
ll A ll Il S "G :1'X'; F I E t l8 R E .t'll'{'ll''ll I G tl T

Präsentation: Dr. jur. habil. Boris Tschitscherin gilt als missar Sowjetrußlands für aus-
VaIeTiSORJKIN Nestor des russischen Libera- wärtige Angelegenheiten. Boris
P0uTt$GllE
n ieAufoabedesdenken- lismus des 20. Jahrhunderts. Tschitscherin dagegen, der
GEBAIIKEI{ OES
I I o"n Täils von Rußlands Mit seinen Büchern wuchsen nicht einmal die erste russische
l-lGesellschaft ,,besteht viele glänzende Vertreter der Revolution erlebte, hatte den
darin, sich im voraus auf eine
bessere Ordnung der Dinge
vorzubereiten. Man muß sich
liberalen lntelligenz Rußlands
auf: Nikolai Berdjajew, Jewgeni
Trubezkoi, Pawel Nowgorod-
Sozialismus nicht akzeptiert.
Er lehnte ihn in jenen Formen
ab, die der russische Sozialis-
mus im 19.
20,
über die wirkliche Sachlage zew, lwan lljin u. a. Leider Jahrhundert JAHRHUl{DERT$
klarwerden, muß wissen, was wurde der Liberalismus, dieser annahm: mit seinem Nihilis-
man zu wünschen uhd worauf lebendige, breite und vielge- mus, seiner Orientierung auf
man sich zuzubewegen hat." sichtige Strom der russischen Gewalt und den Aufforderun-
Das sind Worte des hervona- Freiheitsbewegung, der für all- gen, ,,zur Axt zu greifen". Der
genden russischen Philoso- gemeinmenschliche und Extremismus indes sei, meinte mungen in der Freiheitsbewe-
phen und Staatswissenschaft- humanitäre Werte besonders Tschitscherin, dazu angetan, gung fühfte zur lsolierung des
lers Boris Nikolajewitsch empfänglich war, von einer noch so hochsinnige Absichten Liberalismus, der zwischen
Tschitscherin. anderen Strömung, der soziali- und noch so edle Ziele Reaktion und extremem Nihi-
Die nachstehenden Auszüge stischen, getrennt. zugrunde zu richten, und führe lismus eingequetscht war. Das
aus seinem Buch ,,Rußland am Das Geschlecht der Tschi- unvermeidlich nur zur Ablö- Schicksal des Liberalismus
Vorabend des 20. Jahrhun- tscherin reicht in Rußland auf sung der einen Form derTyran- und des russischen Sozialis-
derts" haben wir so ausge- Afanassi Tschitscherin zurück, nei durch eine andere. mus zu Beginn unseres Jahr-
wählt, daß sie einen geschlos- der in die Rus im Gefolge der Boris Tschitscherin sah Ruß- hunderts läßt an Kain und Abel
senen und innerlich zusam- byzantinischen Kaiserstochter lands Zukunft als Ablösung iler denken. Letzten Endes ging
menhängenden Text bilden, Sophia Paläolog, der Frau Alleinherrschaft und des ab- Rußland nicht den Weg, den
der in komprimierter Form die lwans lll., kam, und einer Fami- solutistisch-bürokratischen Boris Tschitscherin, seine
Grundidee des ganzen Werks liensage nach stammt die Systems durch eine verfas- Gesinnungsfreunde und Nach-
darstellt. Dynastie von Cicero ab. Es sungsmäßige, auf dem Vorrang folger bahnten, sondern einen
Übrigens wurde das Buch in kam so, daß in diesem uralten des Rechts und auf garantier- -
anderen und fand auf ihm
Rußland kein einziges Mal ver- Geschlecht Vertreter beider ten Bürgerrechten beruhende weder Freiheit noch Wohlerge-
öffentlicht. Dagegen erschien Strömungen waren, die Ordnung. lhm schwebte ein hen. Heute, kurz vor Beginn
es zu Lebzeiten des Autors schließlich einander antagoni- friedlicher, Gewalt und Blutver- des 21. Jahrhunderts, stehen
Anfang unseres Jahrhunderts stisch gegenüberstanden. gießen ausschließender Über- wir wieder vor Aufgaben, die
mehrmals in Berlin, und zwar Boris Tschitscherins Neffe gang dazu vor. einst die besten Geister Ruß-
unter dem Pseudonym ,,Russi- Georgi wurde Sozialdemokrat, Der tragische Bruch zwi- lands, darunter Boris Tschi-
scher Patriot". Bolschewik, später Volkskom- schen verschiedenen Strö- tscherin, formulierten.

Rußland am Vorabend des


20. Jahrhunderts Boris Tschitscherin (1828 - 1904)

as 19. Jahrhundert war ein Wen- Einklang brachte und eine neue, auf der Bür-
depunkt in der russischen gerfreiheit aufbauende Ordnung der Dinge
Geschichte... Große Umwäl- fest untermauerte. Ein in höchstem Maße
zungen folgten aufeinander und schwieriges Werk wurde friedlich und richtig,
brachten dem russischen Land durch einträchtiges Handeln der Regierung
eine neue Einrichtung. Vor allem mußte das und der besten gesellschaftlichen Kräfte voll-
Leibeigenenrecht abgeschafft werden. Das bracht. Aber das war erst der Anfang. Auf
war eine längst gereifte und ihrer Lösung har- ihn folgte eine ganze Reihe von Wandlungen,
rende Frage. Während die Abschaffung der die auf dem Boden der Bürgerfreiheit eine
Sklaverei in den Vereinigten Staaten von neue gesellschaftliche Ordnung schufen. Wie
schrecklichen Bruderkriegen begleitet und auf den Wink eines Zauberstabs erschien ein
um den Preis der Ströme von Blut gekauft Gericht mit allen Garantien, die die
wurde, vollzog sie sich in Rußland durch Gesetzgeber der gebildeten Völker Euro-
einen wohldurchdachten und vernünftig pas ausgearbeitet hatten, mit der Unab-
ausgeführten Legislativakt, der die egenseiti- setzbarkeit der Richter, mit der Öffentlich-
gen Interessen der Stände miteinander in keit, der Transparenz und dem Schöffenge-

,,]t E It E zE! r" 4.st tg


richt. Den neuen Semstwo-Strukturen wurde eine unabhängige Hal- Angesichts dieser Gesinnung stieß die sozialistische Propaganda
tung gesichert, die Vorzensur abgeschafft. Bücher erschienen nun natür1ich auf keinen Widerstand. Während vom Thron herab 20 MiI-
ohne Hindernisse; in den Zeitschliften wurden alle öffentlichen Fra- lionen russischen Mcnschen die Freiheit gewährt wurde und die größte
,qen erörtert. Eine der größten Taten Alcxanders II. war schließlich Umwälzung in der russischen Geschichte stattfand, wurden illegale
seine Arnreereform. In der Armee selbst zog ein neuer Geist ein; der Flugblätter gedruckt. die zur Vernichtung nicht nur tler ganzen Zaren-
Soldat. früher eine Maschine, war nun Mensch... familie, sondern auch des gesamten Adels und der höchsten Beamten-
Selbst in materielier Hinsicht wurde das Land erneuert. Ein Eisen- schaft aufforderten.
bahnnetz überzog es; die Industrie erlebte einen beispiellosen Auf- Zu den i nneren Schwierigkeiten kamen noch äußcre. Der polnische
schwung. Das war ddr größte Umbruch in der russischen Geschichte. Aufstand brach aus. Die Polen verstanden es nicht. Alexanders II.
Die bis dahin fronherrliche Gesellschaft wurde wie durch ein Wunder huldvolle Bestrebungen zu nutzen. Man machte ihnen große Zuge-
frei und gewann mit einem Schlag aile Bedingungen für eine aufge- ständnisse . Aber die Polen wollten alles orlcr nichts. Sie hatten vor,
k1ärte Lebenslveise. mit Gewalt zu entreißen, was der langsame Prozeß des sozialen Lebens
Die Reformen Alexanders II. veränderten die ganze Natur des rus- ihnen ohnehin gewährte. Murawjow wurde nach Litauen entsandt,
sischen Landes so schnell, daß sich die Gesellschaft in diesem Strudel setzte den Regierungsterror dem revolutionären entgegen und schlug
nur mühsam zurechtfand. Vielen mag scheinen, daß sie übereilt vorge- die Erhebung nieder. Auch der Aufstand in Polen wurde ohne beson-
nommen wurden, daß man die Gesellschaft hätte allmählich an die dere Mühe unterdrückt. Leidcr setzte die russische Regierung lrier
neue Ordnung heranführen sollpn. Es geht jedoch darum. claß sie viel nicht den Schlußpunkt. Sie hielt es für nötig, die Selbständigkeit des
zu lange hinausgeschoben worden waren. Wenn eine Regierung, statt Polnischen Reichs endgü1tig zu löschen, und gliederte es dern Russi-
das Volk den Weg allmähiicher Verbesselüngen zu führen, jede Bewe- schen Reich ein. Das war ein schwerer politischer Fehier. Man darf
gung zurn Stehen bringt und jede abcr nicht ein Gliedmaß. das
Freiheit unterdrückt. führt das nicht mit dem Körper organisch
unvermeidlich zur Notwendig- Dib gesetzliche Ordnung kann niemals verbunden ist. ihm rein mecha-
keit eines tiefen Einschnitts" Die
versäumte Zeit muß auf einmal
dort gefestigt werden, wo alles von einem immer
nisch aufsetzen. Polen war schon
und ist weiter eine wunde
eingeholt werden. Die Köpfe persönlichen Willen abhängt und wo sich Ste lle Rußlancls: eine äußere
sind schon so reif, daß sie sich mit
Halhheiten nicht mehr begnii-
jede mit Macht ausgestattete Person Krankheit ist jedoch weniger
gefährlich als eine, die ins Innere
gen. Alexanders lI. Reformen unter Vorschützen der allerhöchsten getrieben wird. Die Vernichtung
riaren das mindeste davon, was
Weisung über das Gesetz stellen kann" del Selbständigkeit des Polni-
man der russischen Gesellschaft
gewähren konnte; mit
schnellen Aneignung zeigte
ihrer rm schen Reiches uncl alles Streben
nach der Russifizielung dieses
Landcs fördcrn keineswegs seine
diese, daß sie auf die Veränderungen vorbereitet war. Sie wäre mit Annäherung an Rul3land; im Gegenteil, sie errcgen in der Bevölke-
ihnen, trotz der Schnelligkeit der Wancllung, auch fertiggeworden, rung nur noch mehr Haß gegen die Fremdherrschaft. I\,{it ihr-em unver-
u'ären nicht Erscheinungen eincn anderen Art dazwischengekommen. nünftigen ,Aufstand rückterr dic Polen die Möglichkeit einer richtigen
Eine natürliche Folge der Unterdrückung des Denkens ist, daß es die Lösung der Frage in weitc Fcrnc; aber auch die von der russischen
extremsten Richtungen einschlägt. Ein Extrem zieht immer ein anderes R.egierung getroffenen Maßnahmen bringen uns diesem Ziel nicht
nach sich. Werke sozialistischen und rlaterialistischen Inhalts gingen als näher'. Am Ausgang des 19. Jahrhunclerts bleibt das eine dräuende
Handschritlen und Broschüren unr. Der Mittelpunkt dieser Propaganda Frage der Zukunft.
n ar der Petersburger Journalistenl<reis, der sich das Ziel setzte, jede Auto-
ntät zu untergraben, er predigte offen sozialistische und materialistischc E swarrticht so leicht. dcrgeistigcrr Gär'ungim Lancl Herrzuuer-
Ideen als das Zukunftsideal, das mit allen Mitte Ln anzustreben sei. Für die L. der . Von dcr soziaiistischen Propaganda berauscht. ging ein Teil
in diesem Kreis führenden Schriftsteller waren Oldnung, Recht und poli- der russischen Jugend unters Volk... All das verfolgte offenbar das
tische Freiheit leerer Schall bzw. Instrumente zur Erreichung anderer Ziel, dte unwissende Masse gegen clie Regierung und die obersten
Ziele. Ihr einziges Ideal war ein in der Gemeinde versklavter Bauer und Klassen aufzubringen. Maßnahrnen. die die Reeierung ergriff, ver-
ein Arbeiter, dem in einem staatlichen Artel die Hände gebunden warcn. schlimmerten clas Übei noch mehr. Selbstvcrständlich waren sie nur
\Vährend sich die russische Gesellschaft die für sie neuen sozialen Prin- dazu angetan. den Grimm zu verstärken. Verbannte trugen die revo-
zipicn, die eine vernünftige Auffassung von der Wirklichkeit und eine lutionären Ideen in jecle noch so entfernte Gegend Rußlands. Die
uinsichtige Einstellung zu Freiheit und Recht erforderten. aneignen Nihilisten bildeten eine festgefügte Organisation... Eine ganze Serie
nußte, wurde ihr eingercdet, all das sei Unsinn und die gesamte beste- von Morden setzte ein. Ahnlich denr. wie ein Verrückter manchmal
hende Ordnung dem Untergang geweiht. Die sozialistische Propaganda. eine erstaunliche List entwickelt, um seine sinnlosen Zrele zu euei-
ji: auf den Petersburger Journalistenkreis zurückrcichte, vergifiete untl chen, schienen die russischen Nihilisten ihrcn ganzen Verjtand und
1 -rglftet bis heute einen beträchtlichen Teil der russischen JtLgend. Sie rief Willen darauf zu richten, Rußlancl vom richtigen Weg abzudrängen,
E::cheinungen ins Leben, die Rußlancl vom richtigen F,ntwicklungslveg es in ein vollständiges Chaos zu stürzen und so letztendlich die härteste
und der Reaktion Tür und Tor öffneten. Reaktion auszultjsen" Die Regierung, die eine Zeitlang den Kopf ver-
'ibrachten
lor, dachte daran, sich an die Gesellschaft zu wenden und ihren Bei-
an sollte meinen, die Regierung hätte an den gesunden Kräften stand zu fordern. Es gab sogar das Projekt, eine Konferenz von
einen Halt gegen diese Bestrebungen finden können. Hier bestand ge."vählten Personen cinzubelufen und über Iegislative Fragen zu bera-
'.:cch eine Schwierigkeit anderer Art, ebenfalls durch das System der frü- ten. Abel die i.vahnsinnigen Nihilisten hatten das Projekt verhindert.
-.:;n Herschaft heworgebracht. Diese Schwierigkeit war jenes tiefe Miß- Die Elmordung des Zaren setzte allen liberalen Initiativen ein Ende.
:::-:n gegen die Regierung, das in der lussischen Gesellschaft unter dcm Dic Übeltat vom 1. März veranschaulichte das abgrundtiefe Übel,
l. -:k der Nikolai-Despotie so tiefe Wurzeln geschlagen hatte. Nicht nur das sich in der russischen Gesellschaft angestaut hatte. Wenn die
' : Träger extremer Ansichten, sondern auch der ganze denkende Teil der I-eichtigkeit, mit der die großen Umgestaltungen Alexanders II. voll-
war gewohnt, in der Regierung einen Feind zu sehen. Weder bracht und angeeignet wurden, darauf hinwies, daß diese Gesellschaft
"'-'.-.:-schaft
.: ::hter noch Gegner der Neuerungen glaubten an die Festigkeit und auch gesuncle Kräfte hatte. clie fähig waren. den Weg von Aufklärung
. ::f uenz der herrschenden Macht. Dazu trugen in hohem Maße jene und Fortschritt zu gehen, deckte die nihilistische Ber,vegung jene ver-
:.- - ,. faulten Säfte auf, die, von der vergangenen Unterdrückung hervorge-
':kungen, denen die Reformbestrebungen ausgesetzt waren, und die
:::: der einander gegenüberstehenden Parteien um den Thron bei. Als bracht und zusammengepreßt, zu inneren Eiterbeulen ausgewachseit
:. .''::ildungen endlich auf dem f'€sten Boden des Gesetzes standen, waren und nun den $anzen Organismus infizierten. Rußland mußte die
' - -:; :ci: Ausführung Menschen aufgetragen, zu denen die Gesellschaft Strafe dafür tragen; sie nahm die Form cler Reaktion an. Der Wahn-
- :-: j:: *eringste Vertrauen hatte. Begreiflicherweise fand die Regie- sinn trug seine Früchte; Anstatt die Freiheit erweitern zu helfen.
--: - j:: ,jie erößten Umgestaltungen vollbrachte, unter solchen Umstän- zwang er die Bewegung zum Krebsgang.
-:- ,jie _sebührende Unterstützung in der Gesellschaft. Führend (in der öffcntlichen Reaktion-- d. Red.) rvar ein Journa-
-:::

EI .il E U E z E r T" 4.90


list, der recht viel Geist, Bildung und Talent hatte, aber allen mora- standen, besonders wohlwollend erhört wurden und sich empor-
lischen Motiven fremd und nur auf seine persönlichen Ziele - dienen durften.
Macht und Einfluß - aus war. Die Rolle, die er (gemeint ist Michail Die entgegengesetzte Richtung umfaßte dagegen die ganze in
Katkow - d. Red.) in der polnischen Frage gespielt hatte, verhalf Bewegung geratene Jugend, die von edlen Bestrebüngen efüllt war,
ihm zu einer herausgehobenen Stellung. Er sah, daß man, auf aber keine vernünftige Leitung hatte. Diese Kräfte konnten noch
Patriotismus spekulierend, sowohl auf die Regierung als auch auf weniger als die ersteren zur richtigen Entwicklung des russischen
die Gesellschaft erfolgreich einwirken konnte. Das patriotische gesellschaftlichen Lebens beitragen. Eher waren sie das größte Hin-
Banner, das er schwenkte, wurde jedoch in seinen Händen dernis für dieses Leben. Der Sozialismus ist eine sinnlose Negation
beschmutzt. Es hörte auf, der Inbegriff heiliger Gefühle und edler der gesamten bestehenden Gesellschaftsordnung um einer phan-
Bestrebungen zu sein; vielmehr wurde es zu einem Synonym der tastischen Zukunft willen; was konnte er also der sozialen Ord-
Kriecherei und Bedrängnis. Das war eine gehässige ltretze gegen nung anderes als Zerstörung geben? Wegen der sozialistischen
alle angegliederten Völkerschaften, denen das Streben nach Sepa- Propaganda wurde die russische Gesellschaft um die Früchte der
ratismus iu Last gelegt wurde. Jede Außerung der Unabhängigkeit großen Umgestaltungen Alexanders II. gebracht. Gerade diese
wurde verteufelt; alles mußte sich der omnipotenten Staatsmacht Propaganda 1öste die Reaktion aus und diente dieser sogar als die
fügen, die alle auf einen einheitlichen Stand reduzierte.. . wichtigste Stütze. Wenn unfertige junge Leute Geheimorganisa-
tionen bildeten und das Volk inrden Fabriken aufwiegelten, war
ie Behauptung einer Macht, die fähig gewesen wäre, die revo- das für die Polizei ein gefundenes Fressen. Eine bessere Rechtfer-
lutionären Bestrebungen, die sich in so erschreckenden Aus- tigung hätte sie selbst nicht erfinden können.
maßen offenbart hatten, zu In der russischen Gesellschaft
unterdrücken, lvar nach dem mangelte es nicht an gesunden
Ereignis vom 1. März zweifellos Es ist politisch absurd, sich einzubilden, Kräften, aber sie waren ernied-
rigt und unter den extremen
ein Gebot der Zeit. Es genügt
jedoch nicht, die Macht stärken für ein leibeigenes Volk eigne sich die Richtungen verirrt.
zu wollen; man muß noch wis- gleiche Regierungsfotm wie für eine auf Fl ußland tritt in das 20. Jahr-
sen. worin ihre wahre Stärke
liegt. Sie besteht nicht nur in Freiheit beruhende soziale Lebensweise. Fi hundert. Was ist aus dem
mechanischen Mitteln allein; Aufschwung des Geistes, aus
daran mangelte es nicht. Die den großen Hoffnungen gewor-
Stärke einer Macht erschöpft den, mit denen es die Umbil-
sich nicht in materiellen Mitteln. Dazu gehört außerdem ein geisti- dungen desZaren und Befreiers aufgenommen hatte? All das hat
ges Element: jene moralische Autorität, die der Regierung das Ver- sich verflüchtigt. Zum Glück kann die Leibeigenschaft nicht zurück-
irauen und den Respekt des Volkes einbringt. Um aber die morali- kehren; nur das allein läßt auf eine bessere Zukunft hoffen. Aber
sche Autorität zu erlangen, muß man sich auf die gesunden und sta- selbst wenn Rußland nicht mehr das Schandmal der Leibeigetrschaft
trägt, ist es doch, geoauso wie in der Zeitvor den Reformen, ,,von
-
bilen Kräfte der Gesellschaft stützen. Besonders notwendig ist das,
wenn eine seit langem verschleppte Krankheit kuriert werden muß. gottloser Heuchelei, verderblicher Lüge, toter und schändlicher
Indessen handelte die Reaktion, die nach dem tragischen Tod des Faulheit und allem Greuel gezeichnet" (A. Chomjakow - d. Red. ):
Zaren:ulrrd Befreiers begann, gerade umgekehrt. Sie wandte sich Armes Rußlandl Dabei hatte es so viele gute Kräfte! So viele edle
nicht nur gegen die verfaulten Säfte, sondern auch gegen die gesun- Bestrebungenl Wie leicht könnte im Grunde eine Regierung, die
desten Elemente der Gesellschaft. Jede unabhängige Kraft, jede ihre Berufung versteht, dieses herzensgute, kluge, gefügige,
öffentliche Aktivität galten als gefährlich. Die Behauptung der zugleich aber energische und begabte Volk lenken! Sie müßte ledig-
Macht wurde einer alten, zu nichts tauglichen Bürokratie ohne jede lich nicht das Schlechteste an ihm, sondern das Beste, nicht die Skla-
Autodtät anvertraut... verei und Heuchelei, sondern das Gesunde und Unabhängige för-
Von allen Produkten der Epoche der Reformen blieben die allge- dern. Unsere gegenwärtige Politik ist eine Wiederholung der Politik
meinen Gerichte allein unangetastet, aber dort kam ein neuer Geist aus der Vorreformzeit; sie wird unvermeidlich gleiche Resultate zei-
auf, der völlig entgegengesetzt war jenem uneigennützigen und tigen: zuerst ein geistliches und moralisches Absinken des gesell-
hohen Wahrheitsdrang, der diese Gerichte in der Anfangszeit inspi- schaftlichen Niveaus, was schon eingetreten ist, dann eine Katastro-
riert hatte. Einer allmächtigen Regierung fällt es nicht schwer, jede phe, die Rußland aus der falschen Bahn, in der es steckengeblieben
Spur von Unabhängigkeit in den Gerichten zu vertilgen und nur ist, schleudern und wieder auf den richtigen Weg der gesetzmäßigen
deren äußere Hül1e zu belassen... Entwicklung bringen wird.
Auf all das sah die gedemütigte russische Gesellschaft mit stump- Eine Katastrophe ist aber auf jeden Fall Sache des Zufalls' Sie
fer Gleichgültigkeit. Aus Angst vor unvermeidlicher Strafe wagte kann nahe oder fern sein; inneren Unruhen oder äußeren Ereignis-
niemand, den Mund aufzumachen. Für jedes halbwegs unabhängige sen entspringen; all das ist ein Geheimnis der Geschichte. Aufgabe
Wort fiel ein Mensch sofort in Ungnade und fand nirgends Unter- des denkenden Teils der russischen Gesellschaft besteht darin, sich
stützung. Die edlen Bestrebungen der Epoche der Umgestaltungen im voraus auf eine bessere Ordnung der Dinge vorzubereiten.
schienen in eine nebelhafte Ferne entrückt' In der Vorreformzeit umrissen die besten Köpfe schon das ganze
In Literatur und Gesellschaft gewannen extreme Richtungen die Programm künftiger Umgestaltungen; deshalb kamen diese so
Oberhand. Der reaktionären Partei gehörten neben der herr- leicht zustande. Heute ist es Pflicht der denkenden Menschen,
schenden Bürokratie ruinierte bzw. so gut wie ruinierte Adlige genauso sich selbst und der Gesellschaft die herangereiften Aufga-
an, die eigennützig zur Regierung als zu der Quelle aller materiel- ben des russischen Lebens vorzustellen.
len und karrieremäßigen Wohltaten beteten. In dieser Partei
drängte sich ferner die von Katkow geformte Generation, die auf F\ iese Aufsaben stellen sich schon anders als in der Zeit uoi den
den Namen junge Schufte hörte, nur Willkür und Kriecherei lJ R.fo.tnä. Was damals geplant wurde, ist heute Wirklichkeit.
kannte und gemeinsam mit ihrem Abgott Lobgesänge auf die Es wäre nicht besonders schwer, die Entstellungen zu beseitigen
Re$ierung anstimmte, wobei besonders die Tatkraft und Weis- und zur normalen Sachlage zurückzukehren, doch muß man sich
heit Alexanders III. gepriesen wurden. Schließlich gehörte zu genau die Rechenschaft darüber abgeben, unter welchen Bedingun-
dieser Partei jene Masse von trivialen Personen, von denen es in g.en das möglich ist. Dazu aber muß man wissen, wo die Wurzel des
jeder Gesellschaft wimmelt, besonders einer so obskuren Gesell- Ubels liegt.
schaft wie der unsrigen, die mit dem Strom schwimmt und jeder Fürjeden denkenden Beobachter des heutigen russischen Lebens
Macht zu huldigen bereit ist. Man kann sagen, daß das die ist es offensichtlich, daß das größte Ubel, das uns zerfrißt, in iener
schlimmsten Elemente der russischen Gesellschaft waren, die uferlosen Willkür besteht, die überall herrscht, und auch in jencrm
jedoch unter der Herrschaft der Reaktion in besonderer Gunst Lügennetz, in dem sich die russische Gesellschaft von unten lris

"ll E ll E zEtr"4,mtr
oben verfangen hat. Die Wurzel des einen und des anderen liegt wenn sie nach all den Umgestaltungen, die sie im Lande voll-
in der bürokratischen Leitung, die, von niemandem behindert, brachte, auch sich selbst umgestaltet. Sie hat die allgemeine Fre!
alle unabhängigen Kräfte unterdrückt und durch immer größere heit eingeführt und der Gesellschaft auf die Beine geholfen, jetzt
Machtkonzentration in ihrer Hand das ganze russische Leben muß sie sich selbst beschränken und so ihr Werk vollenden. Das
demoralisiert. Das ist unser altes Ubel, doch schien es, daß wir ist ihre wirkliche Aufgabe. Nur auf diese Weise kann sie ihre zer-
einen Ausweg daraus gefunden haben. Die überaus große setzende Umgebung durchbrechen; nur auf diesem Weg kann in
Bedeutung der Reformen Alexanders II. bestand eben darin, Rußland die gesetzliche Ordnung eingeführt und die uns überall
daß sie dem russischen Staat das für ihn neue Fundament von niederdrückende Willkür gezähmt werden.
Freiheit und Recht gaben und den öffentlichen Kräften auf die Besteht die Hoffnung, daß eine solche Umgestaltung in mehr
Beine halfen. Diese Umgestaltungen erstreckten sich jedoch oder minder n aher Zukunft zustande kommt? Man muß zugeben,
nicht auf alle Seiten des staatlichen Lebens. Früher oder später daß diese Wahrscheinlichkeit gering ist.
mußte sich der Widerspruch zwischen alt und neu auswirken: Zu glauben, ein Monarch würde seine Macht aus eigenem
Entweder mußte die Bürokratie die unabhängigen gesellschaft- Antrieb, von seiner Großmut dazu bewogen, einschränken,
lichen Kräfte unterdrücken, oder diese letzteret mußten die bedeutet, die menschliche Natur nicht zu kennen. Gewiß, er mag
Methoden und Gewohnheiten der bürokratischen Verwaltung die ganze Schwere seiner Bürde empfinden, aber die Anzie-
verändern. Die nihilistische Bewegung spielte der Bürokratie in hungsmagie der Macht ist dermaßen groß, daß sie allein alle
die Hände, und sie nutzte das aus, um die gesellschaftlichen unvorteilhaften Seiten der Macht aufwiegen kann. Hinzu kommt
Kräfte niederzuschlagen und der Einfluß der Umgebung,
die von der Reform ins Leben von Menschen, deren persönt-
gerufenen Institutionen nr Es ist unmöglich, die Bürokratie nt che Interessen durch und durch
unterwandern. Es ist klar, daß mit der Aufrechterhaltung die-
man zur normalen Ordnung beschränken, wenn man jene Macht ser Macht verbunden sind, weil
nur über die Einschränkung unangetastet läßt, der die Bürokratie als sie in deren Schatten ihre
der bürokratischen Willkür Werkzeug dient und die noch häufiger der ' eigennützigen Ziele erreichen.
kommt. Einen sehenswerten Vorwand
Es ist jedoch unmöglich, die Bürokratie ein Werkzeug ist:
die für die Aufrechterhaltung der
Bi-irrokratie zu beschränken, uneingeschränkte Macht des Monarchen. Macht findet sich immer: das
wenn man jene Macht unange- Volksempfinden, eine histori-
tastet läßt, der die Bürokratie sche Mission, der angebliche
als Werkzeug dient und die Nutzen des Vaterlandes, ein
noch häufiger der Bürokratie möglicher Zerfall des Staates,
ein Werkzeug ist: die uneingeschränkte Macht des Monarchen. kurzum, all jene Merkmale, die bemüht werden, wenn eine
Solange diese besteht, wird die grenzenlose Willkür auf dem Gip- Einschränkung der Willkür verhindert werden soll...
fel immer eine ebensolche Willkür in den untergeordneten Berei-
Bei uns kann eine von außen kommende Katastrophe den
chen bewirken. Die gesetzliche Ordnung kann nie dort gefestigt
Prozeß des gesellschaftlichen Selbstbewußtseins beschleuni-
werden, wo alles von einem persönlichen Willen abhängt und wo
-
jede mit Macht ausgestattete Person sich unter Vorschützen der
gen. Sie kann völlig überraschend passieren. Die heutige
gespannte Lage in Europa liefert genügend Anlässe zrZlusam-
allerhöchsten Weisung über das Gesetz stellen kann... Gegen
eine iolche Auffassung werden zweifelsohne alle theoretischen menstößen. Die Großmächte stehen, schwer bewaffnet, einan-
und praktischen Verehrer der Selbstherrschaft ein Geheul erhe- der gegenüber und bauen ihre Heere fortwährend aus, so daß
ben, da sie in ihr etwas sehen, was unzertrennlich mit dem Leben jeder Funke einen Brand auslösen kann...
des russischen Volks selbst zusammengewachsen sei... Von all
diesen Ausführungen läßt sich herzlich wenig in Betracht ziehen.
Das kriecherische Gerede von einer mystischen Verschmelzung It ußland muß seinen Volksgeist wachrütteln, das aber ist nur
votZar und Volk, die angeblich nur bei uns existiert, sonst nir- F[ U.i einer völligen Umkreäpelung der gesamten Innenpoli-
gends, obwohl die Geschichte der westeuropäischen Länder tik möglich. Das russische Volk kann zu einem neuen Leben auf-
gerufen werden, wenn sich darin die Prinzipien von Freiheit und
höchst lehrreiche Beispiele dafür liefert, sollten offiziellen Gruß-
Recht durchgesetzt haben. Die uneingeschränkte Macht, diese
adressen, Beamtenberichten und Zeitungsartikeln bestimmter
Quelle jeder Willkür, muß einer auf dem Gesetz fußenden verfas-
Art überlassen werden. Ernsthaft läßt sich diese Frage nur vom
sungsmäßigen Ordnung den Platz abtreten... Wird das Wissen um
politischen Standpunkt aus betrachten.
diese hohe Berufung in Rußland erwachen? Die Zukunft wird zei-
Es ist politisch absurd, sich einzubilden, für ein leibeigenes gen, ob dieses Wissen sich aus einer richtigen inneren Entwicklung
\iolk eigne sich die gleiche Regierungsform wie für eine soziale ergibt oder aber um den Preis der Ströme von Blut und des Unter-
Lebensweise... Solange der ganze unterste Stand in Sklaverei gangs vieler Generationen erkauft wird. Vielleicht wird auch bei
lebt, kann es keinep anderen Staat geben als den Staat der Aristo- uns ein Staatsmann hervortreten, der die Aufgaben der Zeit
kratie oder der Monarchie in Reinkultur. Dieweil aber die Leib- tregreift und Rußland auf den ihm von der Geschichte zugedach-
:igenschaft unten beseitigt ist, muß sie auch oben beseitigt wer- ten Weg zu bringen vermag. Auf jeden Fall ist es unmöglich, bei
len. Dann wird sich das Volksleben vor anderen Aufgaben sehen der heutigen kurzsichtigen Despotie zu bleiben. die alle Volks-
und die Freiheit ihr Recht fordern. Bedenkt man, daß ein einziger kräfte lähmt. Damit Rußland vorwärtsmarschieren kann. ist es
\\-i11e einer gar nicht darauf vorbereiteten Person, eines Men- notwendig, daß die Macht der Willkür durch eine Macht abgelöst
.chen bisweilen ohne besondere Fähigkeiten (sie sind immer eine wird, die vom Gesetz begrenzt und von unabhängigen Instituten
.{usnahme) und ohne die gebührende Erfahrung in den staatli- umzäunt ist. Die Bürgerfreiheit muß durch politische Freiheit
.-hen Angelegenheiten, nach eigenem Gütdünken Millionen untermauert und gefestigt werden. F'rüher oder später, aufdiesem
\{enschen mit all den sich aus der flreiheit ergebenden, unendlich oder anderem Wege wird das vollzogen werden, auf jeden Fall
k omplizierten Beziehungen lenken rnuß, stellt man sich die ganze kommt das mit Notwendigkeit, weil das von der Notwendigkeit
L-rr ernunft dieser Zustände erst richtig vorr-Die Selbstherrschaft diktiert wird. Die Macht der Ereignisse wird unausweichlich zu
j:r russischen Zarcnist jelzl ein Schauplatz persönlicher Interes- diesem Ausgang bringen. Das eben ist die Aufgabe des 20. Jahr-
.en der niedrigsten Art. Sie kann diese Lage nur überwinden, hunderts.

.}I E U E z E I t" &.gtt


IAGEBUGH DES SOZIOTllGEl{
ie englische Zeitschrift,,Detente", Untertitel: der Welt zu erreichen. Alles andere ist nur ein l\'Iittel, um
,,Vierteljahreszeitschrift für das Verständnis der dieses Ziel zu erreichen, eine Taktik, um die wirklichen
Sowjetunion", brachte in ihrer Nr. 1"5 1989 einen Absichten und Handlungen zu kaschieren. Die Sowjet-
größeren Artikel von Alexander Sinowjew, union streicht ihren friedfertigen Charakter heraus und
,,Der ausgebliebene dritte Weltkrieg, die Krise erpreßt die Welt mit ihrer Perestroika, wobei sie nur dieses
des Kommunismus und die Offensive dei Demokratie". Ziel im Kopf hat.
Der Artikel ist gehaltvoll und interessant. Der dritte Welt- In 5 bis 10 Jahren wird die Krise in der UdSSR überwun-
krieg, schreibt Sinowjew, ist vorübergegangen, ohne statt- den sein. Dann wird die Maske der Verwestlichung schnell
gefunden zu haben. Er ist nicht aufgehoben, sondern an fallen, und der Kommunismus zeigt wieder seine Zähne
uns vorbeigegangen, indem er sich in regionalen Kriegen und Klauen. Wieder wird die Welt nicht den Zusammen-
und einem erbitterten kalten Krieg ,,aufgelöst" hat. bruch des Kommunismus, sondern einen Kommunismus
Warum gehört er der Vergangenheit an? In diesem Arti- erleben, der zu einem neuen Angriff auf den Ka.pitalismus
kel wird eine überzeugende Antwort gegeben. Für diesen bereit ist. Die sogenannte postkommunistische Ara ist nur
Krieg war alles gerüstet. Die Waffen standen bereit. Doch ein Traum des Westens."
sie blieben ungenutzt. Für einen zukünftigen Krieg taugen Ein Essay zur Geschichtsphilosophie also. Sinowjews
sie nichts mehr, deshalb werden siejetzt verschrottet. Die Ideen lassen sich in vielön Punkten anfechten. Man kann
strategischen Doktrinen lagen ebenfalls vor. Jetzt werden bestreiten, daß in Rußland nicht an Demokratie zu denken
sie revidiert. Die Teilung der Welt in zwei Lager entsprach ist und daß es die russischen Menschen ,,aus Gewohnheit"
einer Vorkriegssituation. Jetzt ist sie aufgebrochen, eine zu Armut und Demütigung zieht. Man kann seine These
geopolitische Umgruppierung findet statt. Der Krieg war bestreiten, daß jetzt nur eine Umgruppierung der Kräfte
insgesamt vorbereitet, aber es kam nicht dazu. vor einem neuen, dem vierten Weltkrieg stattfindet.
Ein Ergebnis dieses nicht zustandegekommenen Krieges Immerhin ist internationale Entwicklung mehr als nur eine
und der langen Friedensperiode ist, wie Sinowjew schreibt, Umgruppierung und ein Inmarschsetzen von Kolonnen
die tiefe Krise des Kommunismus. Die Schuld liegt nicht in verfeindeter Streitkräfte. Neben früher ungekannten welt-
den Fehlern eines Stalin oder Breshnew, nicht im subjekti- weiten Problemen wie der ökologischen Herausforderung
ven Faktor, sondern in den objektiven Gesetzmäßigkeiten und der atomaren Gefahr entsteht eine neue internationale
des kommunistischen Systems, die sich in einer längeren und ,,persönliche" Ethik. Schließlich kann man clie sowje-
Friedensperiode in ihrer ganzen Unerbittlichkeit gezeigt tische Perestroika nur als,,Rauchvorhang" vor dem westli-
hätten. chen Betrachter bezeichnen, wenn man nicht bemerkt, was
Weil der Kommunismus in der Krise steckt, werden bei uns in Wirklichkeit vor sich geht: ein Aufschwung cler
Demokratisierung. neue Offenheit und Pluralismus ver- demokratischen Bewegungen, die Herausbildung von Par-
kündet. Insgesamt wolle man die Krise mit westlichen lamentarismus, Markt und politischer Freiheit.
Methoden überwinden. Sinowjew fragt: Können sie Erfolg So etwa könnte man schreiben, wollte man Sinowjews
bringen, wenn der Kommunismus bleibt, was er ist? Seine düstere Vorausschau widerlegen. Das erübrigt sich iedoch.
Antwort fällt negativ aus. Erstens, weil die jetzige Führung Weil nämlich eine solche Vorausschau wenlger eine unum-
erklärt hat, daß sie der kommunistischen Idee treu bleibt. stößliche logische Schlußfolgerung aus feststehenden. Tat-
Und,,ein aufblühender demokratischer Kommunismus, sachen ist als vielmehr das Ergebnis einer inneren Uber-
der ohne ideologische Diktatur auskommt, ist logischer- zeugung, eines Glaubens an die Unvermeidlichkeit des
weise Nonsens". Zweitens, weil man Demokratie nicht einen oder anderen Verlaufs derEreignisse. Und dagegen
,,einftihren" kann. Rußland sei doch das klassische Land zu polemisieren ist bekanntlich vergebens.
der Sklaverei und Unterdrückung. Die russische Tradition Als Antwort an Sinowjew führe ich an, was der Klassiker
erfordert den Kommunismus. der Soziologie Max Weber vor 80 Jahren in einer ähnlichen
Die Schlußfolgerung: Die jetzige ,,Verwestlichung" der Situation gesagt hat, nämlich unmittelbar nach dem ersten
Sowjetunion wird immer oberflächlich und inkonsequent mißlungenen Umbauversuch dieses Jahrhunderts in Ruß-
bleiben. Sie ist weiter nichts als ein Instrument, die Krise land, der Revolution von 1905 - 1907. Damals hieß es,
clcs Kommunismus zu überwinden. Des weiteren ftihre ich ein neues und starkes demokratisches Rußland würe bei
cin längeres Zitat an, das die Absicht des ganzen Artikels erfolgreich verlaufener Revolution ein gefährlicher Nach-
,rusammenfaßt: bar für Deutschland geworden . ,,Zudem halte ich an der
,,Das wirkliche Ziel der Perestroika ist die Herausbil- Ansicht fest", schreibt Weber, ,,daß die Erneuerung Ruß-
tlung eines diktatorischen Apparats im Sinne Slalins, die lands kommen wird und daß es folglich im Interesse
Nutzung dieser Diktatur für die Wiederherstellung der Deutschlands liegt, daß diese Etnetren;r,rg mö glichst s chnel I
Ordnung im Land, die Modernisierung der Streitkräfte, kommen möge, damit wir so bald als möglich durch unmit-
um möglicherweise die Position der stärksten Supermacht telbare Wechselwirkung von Volk zu Volk die uns trennen-
den Fragen lösen können. Nicht also nur im Hinblick auf

Antwort an die uns allen gemeinsamen hohen Kulturaufgaben, son-


dern auch mit Rücksicht auf die unmittelbaren Aufgaben
der deutschen Interessen sind alle meine Sympathien seit
langer Zeit auf seiten der russischen Freiheitsbewegrtng.

Alexander Ich würde es als politische Kurzsichtigkeit und Frigheit, als


etwas, das eines starken und stolzen Volkes :.:iil:;; unwür-
dig ist, betrachten, wenn wir die Lö,sung dies':r l:rttgen auf

Sinowjew unsere Nachkommen abwälzen wollten. Irgendwelche


,Angst'vor den Folgen einer Erneuerung Rußlands ist mir
völlig fremd."
Weber war Historiker, Soziologe und was man heute R*rl-
Leonid Ionin politiker nennt. Er glaubte an eine Demokratie nicht nur für
sich, für Deutschland, für den Westen. Er nahm zu Recht an,
daß dieser Glaube, verbunden mit den Ansüengungen beider
Nationen, imstande ist, die demokratische Erneuerung Ruß-
lands näherzubringen. Sät man dagegen Feindschaft und Miß-
trauen, ist sie höchstens hinauszuschieben.

,,il E t E 7.E 4.S0 E


FERS ALIEII

keit großangelegte Projekte in jiziert werden kann, hat der das,,Phantastik-Theater" die
Angriff nehmen wie z. B die Regisseur eine völlig ausgefal- Traditionen des Planetariums
Einführung der Strichkodie- lene Dekoration geschaffen. der 30er Jahre weiterführt, als
rung in den Moskauer Das Theater hat keine stän- hier originelle Veranstaltungen
Geschäften. Sie wird efiehiv in dige Truppe, alle in den Stük- mit der Verwendung optischer
vielen Ländern eingeseüt und ken beschäftigten Schauspie- EffeKe stattfanden.
ergibt eine verblüfiende Zeit- ler sind jedoch Profis. Norma-
ernsparung für den Käufer. lenrueise stehen sie bei Sergej
Der Fonds kann pine Gold- unter Vefirag.
grube für kleine und bislang ,,Unser Theater ist flexibel",
unrentable Betriebe werden, ezählt Sergej Skripkin. ,,Wir
die in der Lage sind, seine Auf- können auf jeder beliebigen
träge operativ zu erledigen. Bühne mit einem Minimum an -
Also alles, was das Exekutiv- Dekoration auftreten. Für die
komitee des Moskauer Stadt- ,,Maskierung" haben wir über-
sowjets nicht realisieren haupt keine Bühne gebraucht,
--
; l,':srauer, die die Dränge- konnte, entweder aufgrund ist der Regisseur des unlängst sie wurde durch den Zuschau-
e - :?r Geschäften, die Luft- der schwerfälligen StruKur beim Moskauer Planetarium ersaal des Planetariums
, ::::nuuung, die verurahr- und wegen fehlender Mittel gegründeten ,,Phantastik- ersetzt. "
,:::er Hö{e und Straßen satt oder weil man nicht wollte, will Theaters". Einige Probeinsze- Zum Repertoire des ,,Phan-
-::.1. warten schon seit Jah- der Fonds nun anpacken. nierungen des Theaters waren tastik-Theaters" gehört auch
-i- oaraut, daß sich ein Alexander sieht in seiner 0rga- ein Reinfall, das Stück ,,Mas- die dramatische Komposition
r,':^sch odereine 0rganisation nisation natürlich kein Allheil- kierung" nach Ezählungen ,,Universum des Nikolai
'-:;: die ihrLeben erleichtern mittel für Moskau, ist aber des amerikanischen Schrift- Rerich", eine lnszenierung
.-L^r iilun wurde in der Haupt- übezeugt, daß der Fonds stellers Henry Catner brachte unter der Kuppel des Planeta- Wenn jemand von den
!::: ein Fonds der wissen- einige größere dringliche Pro- dann aber den Erfolg. Unter riums nach Motiven der Werke Lesern der NZ vor zwei Jah-
::-:rirch-technischen Ent- bleme lösen kann. Ausnu[ung der technisch- von Rerich mit der Demonstra- ren zuiällig sein Porträt von
r, r.i:.,ing V00 Moskau gegrün- E optischen Möglichkeiten des tion von Dias und von der Musik einem der Künstler in Bitzy
:::. Alexander Jafiowlew Planetariums, womit der Ster- Rachmaninows untermalt. oder im lsmailowo-Park für
* - ide sein Direktor. Der 3Ojährige $erucl Slfü0ldn nenhimmel auf die Kuppel pro- Sergej ist der Meinung, daß 50 Kopeken anstatt der übli-
'iach Abschluß der chemi- chen 1 0 -1 5 Rubel hat malen
::^er Fakultät der Moskauer lassen, werfen Sie es nicht
- : ronossow-Universität
weg. Sein Autor istder inzwi-
:':eitete er eine Zeitlang in schen anerkannte Avantgar
:rem Forschungsinstitut. dist Michail Smor-
l:in wechselte er in das tschewsld.
i iekutivkomitee des Mos- Stolz darauf, seinen ari-
.:.ler Stadtsowjets über, wo stokratischen Stammbaum
:: die Venvaltung für die Aus- bis zum Jahr 1416 zurück-
a.beitung und Finanzierung verfolgen zu können, wuchs
, on komplexen wissenschaft- Smortschewski in einem
:n-technischen Zielprogram- Kinderheim auf. Dieses
-en leilete. befand sich gerade gegen-
Unsere Aufgabe besteht
. über des Surikow-lnstituts,
:arin, dje Hauptstadt besser, und Michail gewöhnte sich
r:lberer und schöner zu daran, dort vorbeizu-
-achen' , sagt der 4Ojährige schauen. Später wechselte
lref der neuen gesellschaftli- er die Arbeitsstellen (die
::en 0rganisation, die auf letzte als Feuerwehrmann
^ iiative des Mossowjets und mit einem Gehalt von 80
::s Staatskomitees der Rubel), die Liebe zur Kunst
,:SSR für Wissenschaft und aber blieb.
-::hnik gegründet wurde. Wegen der Darstellung
, : irangige Tätigkeitsrichtun- von radikalen politischen
,,

::- des Fonds sind die Ökolo- Ansichten" in seinen Kunst-


,' . das
Gesundheitswesen werken hatte er viele Zusam-
--: s'aCtgestalterische Maß- menstöße mit den 0rd-
-:'ren. Zu den dringlichsten nungshütern. Die politisierte
:-':acen gehört der Aufbau Kunst des Malers richtete
; -:s ef{ektiven Entsorgungs- sich gegen den Krieg in
:,::ers für die Moskauer Afghanistan, gegen die Ver-
,',:-r('ajlwerke und die Ein- bannung von Akademiemit-
'-----; von Kleingeräten für glied Sacharow nach Gorki...
:: S:r:3enräumung, denn Große Resonanz, darunter
:r-: ,?'iargene Jahr war fast auch in der Form von admini-
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:r: : - --:':mmeaielle Tätig- von Tbilissi" hervor. lm Aus-

-I{ E U E z E I r" 4.90


land wurde Smor-
s w1ff,s
veland. Sergej f uhr in die Von seinen 53 Jahren hat
ein anderer
tschewski USA auf eigenes Risiko
Empfang bereitet, und eigene Gefahr, Das fl,T,tgilräi::ilfi?,ifsii
unlängst wurde er Ehren- war wirklich mit Risiko tern zugebracht, Bei der Lek-
mitglied der Amerikani- verbunden, weil das offi- türe von schöngeistiger Lite-
schen Assoziation für die ziell umgetauschte Geld ratur im Gefängnis kam er zu
Entwicklung der polni- nur 1ür die Fahrkarte von dem Schluß, daß er das
schen Kultur, Wie viele zumindest genauso gut
New York nach Cleveland
andere sowjetische Avant- könne. Er betestigte am Kopf-
reichte. Die Rückreise
gardisten ist Michail im ende seines Bettes einen klei-
konnte er nur dank des
Westen bekannter als in nen Tisch mit einer Schreib-
Preisgeldes antreten. . .
maschine und ging ans Werk,
der Heimat.
Persönlich bekannt mit ,,Entsprechend den Das erste Buch ,,Satan's
Wojciech Jaruzelski, Bedingungen des Wettbe- Sandbox", ein Roman aus
ff*,
Tadeusz Muowieeki und werbs geht der Gewinner dem Leben der Häftlinge,
vielen anderen polnischen auf Konzertreise durch fand keine Beachtung. Zu Hel-
Politikern, ist Smor- den großen Bühnen auftre- Amerika und Europa, Es den seines zweiten Buches
tschewski übeaeugt, daß ten (dafür muß man Preis- ist auch ein Debüt mit dem machte Fogle Drogensüch- unr.l die Schauspieler fur die
die Tätigkeit der offiziellen träger sein), weil sie bei hervorragenden Sinfo- tioe, wobei er sich auf die Hauptrollen gefunden waren,
Freundschaftsgesellschaf- derAuslese durch das $ieb eigenen Erfahrungen sowie saß Fogle beroits wiedor im
nieorchester Cleveland
ten weit vom ldeal entfernt gefallen sind, lch konnte auf die Erzählungen seines Gefängnis. DerFilm kam trotz-
vorgesehen'1, fährt Sergej
ist, Deshalb initiiefte er die auch nie diese, eigentlich Mithäftlings stützte, Fogle dem in die Kinos der USA, und
fort,,,Gegenwärtig habe
Gründung der Moskauer unnötige, Hürde überwin-
ich jedoch im eigenen
übergab den Roman einem James Foole bekam dafür
,,Polonia", die auf freiwilli- den. " im Filmgeschäfi arbeitenden 1 2 000 Dollar. Er kann sie abor

ger Grundlage die Polen der ln unserem Land gab es


Land weder Gastspiele
Journalisten, den or kannte, erst ausgeben, wenn er seine
noch Arbeit.., "
sowjetischen Hauptstadt iiberhaupt keine Auslese Als sieh ein Regisseur für das HaftstraJe verbüßt hat, und das
vereint, und wurde deren für den Wettbewerb in Cle- Werk zu interessieren begann wird im Jahre 2001 sein,
Vorsitzender, lndieser
Eigenschaft sorgt er sich
ieut mehr um organisatori-
sehe Fragen,0bwohl die
Gesellschaft schon beim
Mossowjet registriert ist,
-
verftrgt man bis je?t weder
über Räumlichkeiten noch
über einen Stempel. Außer-
dem ist Smofischewski der
Meinung, daß es an der Zeit
sei, in Moskau ein Museum
der polnischen Kultur einzu-
richten, Die ersten Exponate
sind bereits vorhanden,
aber von Räumlichkeiten
kann man nurträumen,,"

Erstmals gewann beim


lnternationalen Robert-
Casadesus-Pianistenwett-
bewerb in Cleveland ein
sowjetischer Pian'ist den
ersten Preis, der Absol-
vent des Moskauer Tschai-
kowski-Konservatori ums
Sergel Batalan.
,,Früher gab es nur eine
Möglichkeit, an einem
internationalen Wettbe-
werb teilzunehmen, näm-
lich über eine offizielle
Auslese", erzählt der
28jährige Maestro.,,Das
hat seine Vor-(der Staat
bezahlt die Reisekosten
und Tagegeld) und Nach-
teile. Viele talentierte
Musiker konnten nicht auf
Treue, Kompromisse
und Fanatismus
Die Meinung des estnischen Schriftstelters Jaan Kross
n der Fassade eines alten Hauses in peinlich genau an die Fakten und gestalten
der Rataskaevu-Straße in Tallinn ist trotzdem etwas Eigenes, erfinden, phanta-
eine Gedenktafel in Form einer sieren, Was ist dann GeschichteltirSie, eine
Palette und einer Staffelei ange- Teststrecke?
bracht. Auch die Gestalt des Malers Ich ventehe T}'njanows Gedanken so, daß
ist, bis auf das Gesicht, gut zu erkennen. Das man ein Dokument angelegentlich bis zu Ende
Denkmal zeigt den berühmten Maler und Bild- studieren soll, um ent danach mit der eigenen
hauer Mihel Sittov (1469 - 1525) von Tallinn. Komposition zu beginnen. Für mich ist
Er portraitierte die gekrönten Häupter Spa- Geschichte eine Tatsachensammlung aus dem
niens, Englands und Dänemarks, schnitzte Hei- menschlichen Leben. Manchmal sind diese Tat-
ligenbilder. Nur sein eigenes Pofirät ist nicht sachen zufällig, manchmal auch gesetzmäßig
erhalten. entstanden, sie körrnen spärlich oder im über- paradox klingcn. Dcrtn alle mcinc litcrar.ischon
'l-rotzdem könnte jeder, der die fluß vorhanden sein, und doch sind sie alle
,,Vier Mono- Gestalten müssen sich ständig der Frage nach
loge über den HeiJigen Georg" gelesen hat, Ereignisse, die sich so abgespielt haben und von ihrer Treue steilen. Der Treue zu ihren Zielen
genau wiedergeben, wer Mihel Sittov war, was Menschen erlebt worden sind. und Idealen, ihrer Klasse und bestimmten
er geliebt, was er verachtet hat, weil Jaan Kross lst Jaan Kross dann ein historisierender Ideen. Sie müssen wählen anvischen ihren Wün-
das alles in seinem Werk beschrieben hat. Kross 'Romancier,
der Überlieferungen aus alter schen und Möglichkeiten, die oft überhaupt
hat übrigens nicht nur den Maler Sittov vor der Zeit aufleben läßt? Oder ein Belletrist, der nicht zusammenfallen. Michelson und Jansen
Vergessenhcit bcwahrt. Der Heerführer Personen aus der Gegenwart nimmt und in gehen Kompromisse ein, Rüssow macht auch
Michelson, der Pugatschow verhaftet hat, Bal- ältere Gewänder hüllt? nicht geringe Zugeständnisse, aber ob man ein
thasar Rüssow, der die ,,Chronik der livländi Ich glaube nicht, daß ich ein historisierender Zugeständnis verurteilen oder gutheißen soll,
schen Provirz" geschrieben hat, Oberst von Romancier bin. Eher ein Belletrist der Gegen- hängt meiner Meinung davon ab, welches Ziel
Bock, der das Schicksal Tschaadajews vorweg- wart. Ich denke über die Gegenwarl nach und mit dem Kompromiß verfolgt wird. Das wird
gerommen hat: sie und viele andere wurden wende mich an meine Zeitgenossen. Dennoch außerdem nicht immer sofort klar, und auch
von Jaan Kross zu neuem lrben erweckt. Selt- ist das Spiel mit der Geschichte, das ich in mei- nicht für alle. Um so weniger für die Zeitgenos-
sam nur, daß jedes seiner Bücher, die Ereignis- nen Büchem treibe, eine ernste Angelegenheit. sen, denn ihnen fällt es schwer, einen Blick in
sen aus längst vergangenen Tagen gewidmet Ich üete dem historischen Material mit großem die Zukunft zu werfen. Sie leben und sind mit
sind, in gewisser Weise eine Antwort auf die Respekt entgegen, weil ich mir über die Ernst- dem Gegenwärligen überlastet.
brennendsten Fragen der Gegenwart bietet. haftigkeit solcher ,,Spiele" mit der Vergangen- Für wen wird denn dann der Kompromiß
Die Fragen, auf die Kross eine Antwort sucht heit bewußt bin. Ich versuche zum Beispiel die gefunden?
und findet, interessieren nicht nur die Irser in Chronologie nicht zu verletzen und wirkliche Für wen hat dann Jansen eine Zeitung her-
Estland, seine Bücher sind in viele Sprachen der Tatsachen nicht zu verfremden. Feuchtwanger ausgegeben und die Tradition der Sängedeste
LIdSSR und des Auslands übersetzt. Unlängst konnte in einem seiner Romane das Alter von begründet? Für sich selbst oder fur zukünftige
wurde er als Kandidat für den Nobeipreis ftir Rousseaus Frau um 10 bis 15 Jahre veränderl, Generationen seines Volkes? Die Antwort ist
Literatur vorgeschlagen. weil er es so fur seinen Stoff brauchte. Mir geht klar: für sein Volk. Deshalb haben auch wir
Angefangen haben Sie als Dichter. Kriti- das nicht so leicht von der Hand, zumindest ver- Esten, selbst in den dogmatischsten Zeiten, Jan-
ker haben Sie als Begründerderphilosophi- berge ich solche Verfälschungen so, daß sie sen zwar für seine Kollaboration mit den Deut-
schen Richtung in der estnischen Lyrik nicht gleich jemanden verärgem, der ein schen verurteilt und trotzdem seine Verdienste
bezeichnet. Dann haben Sie die Verse plötz- gewöhnliches Irxikon zur Hand hat. Davon um das nationale Erwachen nicht vergessen.
lich sein gelassen und sich der Prosa, der abgesehen möchte ich mich in dem Raum zwi- Natürlich ist das schwierig und vieldeutig. Hier
historisierenden Prosa, zugewandt. Warum schen den bekannten historischen Tatsachen kommt man mit zwei Farben nicht aus. Und
das? immerhin noch frei genug fühlen. eine Vorhersage ist auch nicht leicht.
So plötzlich nun auch wieder nicht. Ich habe lhre Gestalten schließen sehr oft Kom- Trotzdem, birgt der Kompromiß nicht
mich schon in jungen Jahren für Geschichte promisse. Glauben Sie, daß der Kompromiß eine Aushöhlung der ldee in sich? Niemand
interessiert. Irgendwann habe ich begriffen, daß für ein soziales lndividuum natürlich und kann doch schlieBlich genau sagen, wo der
ich meinen Glauben an die magische Kraft des notwendig ist? KompromiB auffrört. Erst recht wenn alles
poetischen Wortes verliere, dieses eiuigen und Jeder Fortschritt ist Ergebnis von Kompro- mit höheren Zielen gerechtfertigt wird.
zutreffendsten Wortes, das ich ftir meine missen. Deshalb ist die Triade aus These, Anti- Außerdem ist es immer leicht, beim Kom-
Gedichte gesucht habe. Mir schien, daß der these und Synthese auch wahr. Meine Helden promiß die persönliche Würde zu verlieren,
Leser dieses mein einziges Wort nicht allzu sehr schließen alJerdings keine Kompromisse im Das stimmt, aber das Leben ist insgesamt
brauche. Wenn es gelingen sollte, ihm etwas bösen Sinne des Wortes, weichen nicht von eine gefährliche Angelegenheit. Versöhiertum
vielleicht nicht gerade zu erklZiren, denn mir ihren wichtigsten Zielen ab und werfen auch die ist gefährlich, gefährlich ist aber auch Unver-
selbst ist auch längst nicht alles klar, sondern zu Moral nicht über Bord. So eingehend habe ich söhnlichkeit. Für uns ist das jetzt besonders
erzählen, dann mußte ich dafür mebr Worte mich aber mit dem Problem des Kompromisses aktuell. Weil es in unserer jetzigen Situation
aufuenden. Die Gedichte wurden mir zu eng. noch nicht befaßt. leicht ist, moralische leitlinien einzubüßen und
1 969 , als ich umsattelte
, war ich immerhin schon Weso nictrt befaßt, wenn lhre ,,Mer nur noch das durchaus materielle Endergebnis
-19. Ich habe mir keine Gewalt angetan, sondern Monologe" mit dem Sats beginnen: ,,Herr, wichtig zu sein scheint. Ich meine, für das Indi-
bin, wie mir schien, den Weg des geringsten ich will einen Handel mit Dir beginnen,,? viduum muß etwas anderes von Belang sein:
Widerstands gegangen, meinem eigenen Da haben Sie den Begriff des Kompromisses Hast du zur Neuorientierung auf bestimmte
Wunsch gehorchend. schon zur Synthese erweitert! Verstehen Sie, moralische Werte beigetragen? Oder anden
Tynjanow hat gesagt, daß er da anfängt, worum es geht: Die andere Seite der Medaille, herum, hast du diese Neuorientierung
wo das Dokument aufhört. Sie halten sich also des Kompromisses, ist die Treue. Das mag gebremst? Das ist viel wichtiger als irgendwel-
.E
"II E U E z E I T" 4.90
che individuellen I-orbeerkränze. Ich stelle fest,
daß manche Künstler sich oft von dem Wunsch
leiten lassen, sich diesen I-orbeerkranz so
schnell wie möglich aufuusetzen.
Werden wir damit nicht zu Agenten des
Zeitgeschmacks? Mal wollen lhre Helden
Rückgabe von Heiligtumern
aus ihrer Epoche herausfallen, mal wollen Die Sowietregierung übergab der russisch-
sie vorauseilen und der Geschichte Beine
machen. Werden wir damit nicht zu Speku- orthodoxen Kirche 544 seltene lkonen,
lanten an der politischen Börse?
Natürlich sind wir Spekulanten, wenn man Kruzifixe und alte Bücher
darunter die Notwendigkeit versteht, den Zeit'
geschmack einzuplanen. Wir sind zweifellos 'l f ersuche. Kunstwerke heimlich außer
dazu gezwungen. Mit welchem ZeI und wie V Landes zu bringen. die zum kulturel-
weit kann man sich auf den Zeitgeschmack ein- len Gemeingut eines Landes gehören und
lassen: Das sollte meiner Meinung nach den deshalb nicht ausgeführt werden dürfen,
Ausschlag geben. Spekulation? Ja. Der andere wird es wohl zu allen Zeiten geben. Doch
Name daftir aber ist Treue. Wenn wir nämlich weitaus nicht immer gelingt das: Antiqui-
bei unseren Kompromissen konsequent sind, täten werden vom Staat eingezogen, der
bleiben wir uns gleichzeitig selbst treu. betreffende erhält eine Geldstrafe. Allein
ln lhren Romanen zeigen Sie, wie schwer im letzten halben Jahr konfiszierten Mitar-
es ist, diese Treue einzuhalten. Nicht von beiter des sowjetischen Zolls etwa 600
ungefähr verüben viele lhrer Gestalten Ver- Kunstwerke. Auf goldenem Grund
rat am Lehrer oder am Schüler' an der gemalte Vitae von HeiUgen: Ikonen mit
Geliebten oderam Herrscher, dem sie einen
kunstvollen Silberbeschlägen; bronzene,
Eid geleistet hatten. Jedesmal wird derVer-
zusammenlegbare Heiligenbilder; Altar-
rat gerechtfertigt Sei es, daß iemand sich
kreuze mit farbiger Emaille. . .
um seindr Voöestimmung oder Berufung
Was geschieht mit den beschlagnahm-
willen retten, sei es, daß er seine ldeen
behaupten will.
ten Kostbarkeiten? Meist gelangen sie
Ich glaube, über ,,Verrat" meiner Helden nach der Schätzung durch Experten in die
kann man nur in Anführungsstrichen sprechen. Lagerräume von Museen. Sie verstauben
Für meine Begriffe dienen sie ihren Idealen dort, bisweilen werden sie zerstört oder Metropolit von Rostow und Nowotscher-
recht wacker. Obwohl sie Menschen mit ihren gestohlen. Es kam auch vor, daß die kassk Wladimir mit der zurückgegebenen
eigenen Schwächen und Fehlern sind, wissen schmiedesilbernen Beschläge als Altme- lkone der Gottesmutter von Wladimir
sie, daß gewisse scheinbar absolute Werte mit tall verkauft wurden. Mitarbeiter des Zolls
der Zeit relativiert werden. können sich daran erinnern, daß sie die heilig. Wie gut, daß sich Menschen irn
Trotzdem gehen einige lhrer Helden bis gleiche Ikone zweimal oder gar dreimal Staatsdienst fanden, die die Ikonen aus
zum Letzten. Timo von Bock hat zum Bei- beschlagnahmten... den Lagerräumen holten.
spiel nicht nur auf den Seiten lhres Romans Reicht es, sich darüber zu empören, ... Bei einer feierlichen Zeremonie im
im Gefängnis gesessen, sondem auch in oder besteht Handlungsbedarf? Die Moskauer St. Danilow-Kloster waren 450
der durchaus realen Fesfung Schlüssel' Hauptzollverwaltung entschloß sich zu Ikonen, 28 zusammenlegbare Heiligenbil-
burg, handeln und ersuchte den UdSSR-Mini- der, 37 Kruzifixe, 2 Kirchensiegel, 12
Solche Fanatiker waren damals erforderlich, sterrat um dic Erlaubnis, die beschlag- geistliche Bücher und andere Kostbarkei-
a1s in einer Gesellschaft und in einem Staat reak- ten (alle gerettet vom Zoll) vertreten, von
nahmten Wcrtc tlcr Kirche zu übergeben.
tionlire Kräfte dominierten. Sobald die Reak- Dieser Bittc * r,rrdc entsprochen. denen ein Teil an wieder eröffnete Gottes-
tion schwächer wird, wird auch von edlen Men- häuser übergeben werden soll, anderen
schen nicht mehr eine solch leidenschaftliche Ein kleiner Exkurs. Mir scheinen drei
werden hier, im Moskauer St. Danilow-
Selbstverleugnung verlangt. Verständlicher- auf den ersten Blick unterschiedlichc
Kloster, bleiben, wieder andere sollen
weise hat der Mensch keine unbegrenzten poli- Dinge eng miteinander verbunden zu sein:
nach Sagorsk kommen. Natürlich geht es
tischen oder moralischen Entscheidungsmög- Wenn Maschinen um ihrer selbst willen dabei nicht um die Zahl.
lichkeiJen, sie werden ihm durch seine Zeit vor- erzeugt werden; wenn ein Drittel der in
unserem Land eingebrachten Ernte ver- ,,Eine Ikone ist für einen denkenden
geschrieben. Andererseits hängt das auch von
und fühlenden Menschen der Punkt, wo
diesem Menschen selbst ab, in was ftir einer Zeit fault, verlorengeht, und das bei keines- sich Kultur und Religion in ihrem Wunsch
er lebt, in einer düster verhangenen oder einer wegs überfüllten Regalen; wenn Werke begegnen, den Sinn unserer Hoffnungen
etwas aufgeklärtercn Zeit. der Kultur und des Geistes in staubigen auf eine bessere Zukunft zu erkennen, zu
Wie stehen Sie zu ihrer Nominierung für Abstellkammern herumliegen. All das ist erklären. Das gegenseitige Verständnis
den Nobelpreis? gleich unsittlich, und es ist auch sinnlos. von Staat und Kirche wird zur Wiederbele-
Ich habe erst vor dem Fernseher erfahren, Selbst für Nichtgläubige sind Ikonen mehr bung der geistigen und sittlichen Werte in
daß ich zu den Kandidaten gehöre: Der Direk- als Kunstwerke. Etwas mehr spricht aus unserem Land beitragen", sagte der neue
tor des Schwedischen Instituts befand sich in Namen wie ,,Der Erlöser als Triumpha- UdSSR-Kulturminister Nikolai Gubenko,
Tallinn und hat es dem estnischen Fernsehen tor", ,,Johannes der Täufer, meditierend" der an der Feier teilnahm.
mitgeteilt. Natürlich ist das eine große Ehre für und ,,Stille mein Leid". Nicht Mystik ist es. ... Natürlich kann man die Übergabe
mich. Dennoch würde ich diese Tatsache nicht Z,t allen Zeiren gab es Begriffe wie der Ikonen als edlen Schritt seitens der
überbewerten. In den 30er Jahren hat einmal
,,Liebe", ,,Hoffnung" und ,,Glaube", die Regierung, der er ist, würdigen. Doch
ein Klassenkamerad von mir gesagt, daß viele auch nichtreligiösen Menschen Kraft man kann ihn auch als unsere Rückkehr
wirkliche Schriftsteller keinerlei Preise erhal- gaben...
ten. Ich habe mir seinen Hinweis gemerkt. Des-
zum gesunden Menschenverstand sehen.
halb habe ich es auch durchaus gelassen aufge- Besagte Ikonen sind auch unter denjeni- Wir geben den Boden an die Bauern, die
nommen, daß ich jetzt in die Liste der Anwärter gen, die vom Zoll sichergestellt wurden. Betriebe an diejenigen, die in ihnen arbei-
eingetragen worden bin. Digsen Heiligenbildern vertrauten ganze ten, Ikonen und Glocken an die Kirche
TALLINN Generationen ihre geheimsten Wünsche, zurück.
tnteruiew:MarkLewin Freude und Leid an. Die Kirche verleiht Boris Balkarei
Foto: D. Planz diesen Gegenständen Leben, nennt sie Foto des Autors

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fafirfgresedfscdbaffielr,,FsrsmeesermdSrgrmrarsafsorsef$rsrf#s# ff##A;ämdsrsr
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