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IM GESETZ?
der deutschen Ausgabe: I Auf Einladung desVorsitzenden desAusschus- über die Emigration, das das Ausreiseverbot für
Gennadi MJASNIKOW ses für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Geheimnisträger aufftinfJahre begrenzl, über das der
beim Kongreß der USA, Dennis Deconcini, und des Leiter der sowjetischen Delegation den Ausschuß
llZ-Konespondenten: Co-Vorsitzenden dieses Ausschusses Steny Hoyer informierte, auf alle Penonen Anwendung finden
weilte eine Delegation des Obersten Sowjets der wird, die ausreisen wollen, auch aufdiejenigen, die frü-
Algier UdSSR in den USA. Dieser Besuch war die Antwott
Michail CHROBOSTOW; her eine Absage erhielten. Die Mitglieder des Aus-
auf den Besuch des Ausschusses im November
schusses unterstrichen die Notwendigkeit, in der
Belgrad 1988 in der Sowjetunion. Die Ergebnisse der Reise
übertrafen alle Erwartungen. Es wurde eine bei- UdSSR einen Rechtsstaat zu schaffen und in diesem
Gennadi SYSSOJEW;
spiellose gemeinsame Erklärung angenommen und Zusammenhang die Aktuaütät der diskutierten Geset-
Berlin zesvorlagen in solchen Bereichen wie Bewegungs-,
ein Programm gemeinsamerAktionen im humanitä-
Anatoli KOWRIGIN; ren Bereich abgesteckt. Weil sich. die Aufmerksam- Presse-, Versammlungs- und Glaubensfreiheit. Der
Bonn keit der Massenmedien jedoch ausschließlich auf Ausschuß rief auch zurbaldigen kgalisierung der grie-
NiKita SHOLKWER; den zweiten Kongreß derVolksdeputierten konzen- chisch-katholischen Kirche in derUkraine auf. Eswur-
'' trierte, wurde unsere Reise in derSowjetunion prak-
'Bukarest tisch nicht beleuchtet und die gemeinsame Erklä-
den weiter Fragen erörtert, die mit der Selbstbestirn-
SergejSWlRlN; mung der Nationen, den zwischenethnischen Bezie-
rung nicht veröffentlicht. lch denke, diese Aufgabe hungen und der Strafgesetzgebung im Zusammenhang
Delhi könnte die NZ übernehmen.
SergejlRODOW; Fjodor Burlazki stehen.
Die sowjetische Delegation hat ebenfalls eine Reihe
Havanna tJi::t;
Vita|iSOBOLEW; vorsitzender des u*#i::fi iLYi?iä. von Fragen aufgeworfen, die mit den Menschenrech-
wissenschaftliche und kulturelle Beziehungen des Komirees ten in den USA zusammenhängen, inklusive der nicht-
Lusaka
fü r internationale Angelegenheiten erfolgten Ratifizierung mehrerer internationaler Men-
Nikolai RESCHETNJAK; des Obersten Soqjes der UdSSR schenrechtsdokumente. Die sowjetischen Parlamenta-
Managua Die sowjetische und die amerikanische Seite heben rier riefen die USA auf, die Hindernisse zu beseitigen,
JuTiKUDIMOW; die wachsende Rolie und die Wichtigkeit der humani- die die Entwicklung normaler Handelsbeziehungen
New York ftiren Problematik im gegenwärtigen Dialog zwischen bremsen. Die Delegationsmitglieder haben weiterhin
Jewgeni ANDRIANOW; der UdSSR und den USA hen'or. erklärt, daß die kisung vieler Emigrationsprobleme
Rom Die sowjetische Delegation hat mit großer Genugtu- wie die Gewährung des Status von politischen Flücht-
PawelNEGOIZA; ung die Erklärung von Senator Deconcini und dem lingen und die Perfektionierung der Erteilung von Visa
Stockholm Kongreßabgeordneten Hoyer aufgenommen, den hauptsächlich von der Bereitschaft der USA zw
Alexander POLJUCHOW; Vorschlag von häsident Gorbatschow zur Einberu- Zusammenarbeit abhänge.
fung eines Treffens der 35 KSZE-Teilnehmerländer Die sowjetische Delegation hat den Ausschuß für
Tokio
auf höchster Ebene zu unterstüfzen. 1990 zu einem Besuch der Sowjetunion eingeladen. um
Wladimir Bei den Arbeitssitzungen haben die Seiten Men- die Erörterung der Menschenrechtsthematik uad Ce:
OWSJANNIKOW. schenrechtsfragen erörtert. Die Mitglieder des Aus- damit verbundenen Fragen im Rahmen des e*:.r--ir-
Auslandsredaktionen: schusses fur Sicherheit und Zusammenarbeit in ropäischen Prozesses fortzusetzen und a:.":Lcr
Europa zeigten sich besorgt über eine Reihe von Pro- gemeinsamen Anhörung zum Realisierungs!-,ra. ier*
Warschau,,,Nowe Czasy"
blemen, die mit den Menschenrechten in der UdSSR Wiener Vereinbarungen und anderer KSZE-1,:*.ri-
Jan LYSEK;
Prag, ,,Nova doba"
im Zusammenhang stehen und gaben ihrer F{offnung mente durch beide Seiten teilzunehmen. D. Sensr
Ausdruck, daß die Fälle von Ausreiseverboten sowie haben außerdem verehbärt, daß die ErF::'r:: :r:r:.-
Vladimir TRAVNICEK; die Probleme von politischen Häftlingen in nächster halb des Jahres enge Kontakte zueila:ri:: -j:--.:rit*
Athen,,,Nei Keri" Zukunft eine positive Iösung erfahren werden. Die ten, um Details einer intensiveren Zu-v::-rl.:":::,gr tr.
Kostas MICHAELIDES Mitglieder des Ausschusses erwarten, daß das Gesetz erörtern und die Vorbereitungsart'eir i;j:::* "em,jE"
__gerp Ul
ei dem Besuch einer Delegation der LDP, der F rankreich hat erneut seine Botschaft in
japanischen Regierungspartei, in der Sowjet" f Kabul eröffnet. Bekanntlich wurde sie im
union fand ein wichtiges Gespräch im ZK der Februar v. J. ,,aus Sicherheitserwägungen"
KPdSU statt, Wir hatten einen offenen Meinungs- gcschlossen und ihr gesamtes diplomatisches unrl
austausch mit Michail Gorbatschow. Das zeigt, daß technisches Personal in die Heimat zurückgeholt .
die UdSSR den Beziehungen zu Japan große Im vergangenen Jahr hat sich in Afghanistan
Bedeutung beimißt. Auch unsererseits wurdc der viel zum Besseren verändert. Die Regierung der
große Wunsch bekundet, die japanisch-sou'jeti- Republik Afghanistan bewies nach dem Abzug
schen Beziehungen weiterzuentwickeln. Wir unter- der sowjetischen Truppen entgegen wenig Wohl-
stützen die von Gorbatschow eingeleitete Pere- wollen bekundenden Prognosen ihre Lebensfii'
stroika, seinen Reuen Kurs in der Außenpolitik. higkeit, konsolidiert allmählich ihre Positio-
Unsere Zusammenarbeit dabei würde unseren Län- nen, hat die Kraft, Angriffe der Feinde abzu-
dbin wie der ganzen Wolt zugute konrmen. Eine sol- wehren. Ich meine, daß auch der jüngste
che Zusammenarbeit würde die japanisch-sowjeti- Beschluß der französischen Regierung, die
SHINTARO schen Beziehungen aufeine neue Ebene hebcn und Botschaft in Kabul wieder zu eröffnen, Symbol- s. GULABZO|,
ABE, helfen, sehwierige Probleme zwischen Moskau und charakter trägt. E,r reißt die ,,Einheitsfront" Mltglled
Tokio anzugehen, der westliehen Länder und Japans ein, die bis- d€o Politbtiros
G.fl6ral3ekrotär
d.r Wir waren natürlich nicht imstande, jetzt, bei die- lang ihre Diplomaten nicht in unsere Haupt- dÖ3ZKd6rDVPA,
ub.räldomokratl- sem Besueh, alle Probleme zu lösen. doch wir vet- stadt zurüekschicken wollen.
Außerord€ntliohör
einbarten eine Fortsetzung des Dialogs. Unserer- und
rchcn Peft6l
J€p€ng seits brachten wir, um die Perostroika zu unterstüt'
Frankreichs Schritt zeugt davon, daß es die B6vollmäöhtlgter
zen, einen Acht-Punkte-Plan für die Vertiefung der Aussichten für eine Lösung des Afghanistan-Pro- B0teöhäft€r
japanisch-sowjetischen Beziehungen mit, der von blems auf dem Weg der nationalen Aussöhnung dör Republik
der sowjetischen Seite hoch bewertet wurde. Der realistisch einsehätzt. Frankreich verlieh wieder- Alghanistän
Besuch .hatte großen Erfolg. Ich rcise mit einem
holt cler Hoffnung Ausdruck, daß es den Kon- in ddr UdSgR
Gefühl tiefer Genugtuung ab. lliktseiten gelingen möge, das Blutvergießen zu
beenden, und daß Frieden und Ruhe in Afghani
stan einkehren. Ein so realistisches Herangehen
llf ic erklärt sich mcjn Rücktritt als Milglied
einer Großmacht kann man nur begrüßen.
UU O"* Büros und der Riicktritt de, gcsumten
liüros des Gebietskomitecs der Partei ztrs:rmfiten Wir hoffen ferner, daß Frankreich bei dem
rnit dem 1, Sekretär G. Bctgomjakow? bevorstehenden Besuch des Präsidenten der
Der Rücktritt ist erfolgt, und das wichtigste ist Französischen Republik Francois Mitterrand in
.ie tzt, daraus Lehren zu ziehen. Pakistan ein€ weitere Friedensinitiative ergreifen
Schon nicht nur einzelne Kommunisten, son- wird, um zu einer schnellstmöglichen Lösung des
tlcrn die überwiegendc Mchrhcit ist zu dcr' Über- A{ghanistan-Problems beizutragen.
zcugung gekommen, daß radikale denrokratische
l{cformen in der Partei von der Basis bis zur
Spitze erfbrderlich sind. Ä nlaß für meinen Besuch in der Sowjct-
Zweifellos muß die Führungsrolle he ute durch A union war ein in Leningrad durchgefuhr
VIKTOR reales Ansehen nicht nur im Apparat, sondcrn tes Seminar cles Internationalen Management=
GORBA. bei den meisten Parteimitgliedern, bei der Bevöl- Instituts (LIMI) zum Thema ,,Percstroika uncl
kerung untermauert werden. Wenn ntan das sowjetische Wirtschaft", Fragen des Ausbaus
TSCHOW,
ignoriert, dann gerät auch alles Positive, was der der direkten Beziehungen zwischen westlicherr
Chetrodaktour Indusffiekonzernen und sowjetischen Untcr-
d3r
,,Erste" getan hat, in Vergessenheit, bleibt nur
das Negative. Uberdies wird in diesem Fall alles nehmen unter den neuen Bedingungen wurdcn
G€bietsz6itung
*Tjumenskaja
Fehlerhafte, nicht zu Ende Geführte auf die erörtert. Der staatliche italienische Treibstoff-
Prawda" gesamte Organisation, ja auf die Partei insgesamt konzern ENI hat langjährige Traditionen sol- GABRIELE
übertragen. cher Verbindungen. GAGLIARI,
Die Kommunisten des Gebiets verlangen Der kürzliche offizielle ltalien-Besuch von Prä6id€nt
zurecht die Einberufung einer aulSerr-rrdentlichen Präsident Gorbatschow gab der Herstellung des
Gebietsparteikonferenz, Ich meine, daß ebenso prinzipieller Beziehungen zur Sowjetunion, ENI-Konzerns
berechtigt auch Forderungen sind, die Einberu- insbesondere bei der Prospektierung und För- (ltalien)
fung des 28. Parteitages der KPdSU weitmög- derung von Erdöl und Erdgas, einen wichtigen
lichst vorzuziehen. Impuls. Unsere Zusammenarbeit mit der
Die Delegierten des Parteitages sollten direkt von UdSSR ist, wie ich sagen würde, Bestandteil
den Kommunisten in den Crundorganisationen unserer Strategie und erfolgt auf langfristiger
gewählt werden! Mögen sie volles Vertrauen genie- Grundlage. Bei meinen jetzigen Gesprächen in
ßen! Nur dann werden die Beschlüsse des Parteita- Moskau mit sowjetischen Kollegen wurde cinc
ges von der Masse der Parteimitglieder angenom- prinzipielle Vereinbarung darüber erzielt, daß
men werden. In unserer konkreten Situation in Tju- der UdSSR von Firmen der ENI-Gruppe Anla-
men, in der direkten Konfrontation der Kommuni- gen, Waren und Dienstleistungen im Wert von
sten des Gebiets mit dem Büro und dem 1. Sekretär tiber 1 Md. Dollar überlassen werden. Unser
des Gebietskomitees zeugen die lrserbriefe der neues Programm siehtu. a. die Errichtung von
Gebietszeitung davon, daß die meisten Leser Ver- AGlP-Tankstellen an der Straße von Moskau
ständnis für die stabilisierende und organisierende zum internationalen Flughafen Scheremetjewo
Rolle der Partei im Land haben.
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Krieg. Mit einer geradezu stoischen Ruhe wurde die-
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mitvondenschlaflosenNächtengerötetenAugengedul- a.a^-^a^^^t^
dig uns Journarisren die ru,iää"",l,j,liääJä?:ffä Karabach
Bleistift über die Landkarte Transkaukasiens fuhr, die
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und
- sen zu elnem lmmer stärker vemickelren Riinrlel c,c
::;'ä,:'ä#.'.Tä"iljilH:J",ilH!il,lx,Tlfi';ääi
eiRigg andefg stepanakerr keinen Ausweg wtßten. Jahrirundertealte
il:ää'$:"äfi#B'ffttrö'ä;',1"'"1iJi,iT#3; Gebieie
qurde wohl zum erstenmal das Durcheinander in den
u"rrratigr ig|:H;"ru*f'Slf:*.;*trffi;
zugleöh zum Banner, das die nationali'stischen Bewe_
Republiks-, Gebiets- und Rayonsgrenzen wirklich gungen Aserbaidshans und Armeniens hochhielten.
be*ußt, eine Erbschaft des,,Vaters der Völker,,. In IedäRepubliksetztesich dasZiel,dieeigenenForde-
Xarabach kam es zu ,,kleineren Gefechten,.: In den rungen d'urchzusetzen. UnterdemBanneivonNagorny
\ächten wurde geschossen, am Tag wurden Steine Kaäbach begannen die Demonstrationen in Baku und
:eworfen und die ersten Geiseln genommen. Auf Mee- GAlinA Jerewan, uufä"n"n ein Rücktritt der lokalen Behörden
ringsin Baku wurden unzählige Drohungen gegen die nr"rl!-"L-. ^ gefordertwurde,dieindieserFragedielnteressendieser
.{rmenier und Aufrufe, Karibach nicht- heärigeben, SidOfOWA, Republikenangeblichnichtentschiedengenugverteidig_
die Pogrome in Stepanakert politische ten. zusleich lngen rausende von Aierbidshanern,
i._:e-T':ff;Jriäfi::'o
\.as würde die Zukunft
Lnd doch
bringen?
verschwand das Wort ,,Krieg,. aus <ler
Beobachterin ffäfä'#i,ffiJ;iTLTi äi*äX#;iä11än1
zerstören' Dort war eine der Losungen
R:portage vom Herbst. vielleicht schien es manchen in der NZ "wir
werden
Gräber auf
:er Redäktion nicht geeignet ftir die Beschrelly1g aer 5fi*xhtrT#tf;lii;l;;j'fij#ilenische
K..:rlitre zwischen zwei Sowjetrepubliken. Vielleicht ,,soweithabenwiresgebraclit...,,_ nichtohneScha_
:-::e:. und ich selbst wünschte das in meinemtiefsten denfreudehörtmanheuiedeninterregionalenChorder
Gesprächspartner
-::eren. hatte sich mein informierter Konservativen flüstern. Da haben wir also unsere
- 'eilen den
filsteren Prognosen getäuscht. Doch in Demokratie...
r-r;-e::\fonarenderArbeitimNKAOhatArkadiWolski Ja, die haben wir. Untl die Demokratie hat deutlich
.:: Fiobleme der Region nur zu gut erfaßt. In seinen werdenlassen,daßnichtallevölkerundnichtalleRepu-
?::'='rsen ime er sich nie. bliken in gleicher weise auf sie vorbereitet sind. Und
L{ t*.' '1r.,.*r*.,,i
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f:
Stepanakert. Januar
angeht, so kann, wie das Komitee für die
Sonderverwaltung wiederholt warnte, der
Erlaß überhaupt nicht verwirklicht werden.
Die Genossen in Stepanakert weigern sich,
lnterview mit Generalmajor Sergej KUPREJEW, unter der Leitung des Organisationskomi-
tees der Republik örtliche Machtorgane -
Mitglied des Komitees für die Sonderverwaltung des NKAO ein Gebietsexekutivkomitee und ein
KPdSU-Gebietskomitee, die Baku unter-
NZ. Wie schätzen Sie die Lage im Autono- getötet wurden. Doch bislang gibt es keinen geordnet wären - wiedererstehen zu las-
men Gebiet Nagorny Karabach (NKAO) anderen Ausweg als in Nagorny Karabach zu sen. Auf das Territorium des NKAO wird
zum Zeitpunkt derVerhängung des Ausnah- bleiben . Zumindest sehe ich ihn heute nicht . niemand, der dem Organisationskomitee
mezustandes ein? NZ, Von woher gelangen so viele Waffen angehört, gelassen.
S. Kuprejew. In der letzten Nacht fielen nach Nagorny Karabach? NZ, Warum weigerte man sich in Stepana-
etwa 40 Schüsse. Wir sprechen da von einer S. K. Die Armenier erhalten sie aus Arme- kert, mit Vörtretern des Zentrums, mit dem
,,normalen Lage". Allein in der heutigen nien, die Aserbaidshaner aus Aserbaidshan. Sekretär des ZK der KPdSU A. Girenko und
Nacht brannten im Dorf Kirkidshan ftinf In Jerewan wurde gerade dieser Tage ein dem Vorsitzenden des Nationalitätensowjets
fläuser ab -
vier aserbaidshanische Häuser Überfall auf Militärs verübt. Dabei gelangte des Obersten Sowjets der UdSSR. R. Nischa-
und ein armenisches Haus. Die ganze Nacht eine große Zahl automatischer Waffen in die now zusammenzutreffen?
über wurde sporadisch geschossen, auch auf Hände von Zivilisten. Nicht ausgeschlossen,
Militärs. Wir im NKAO sitzen sozusagen daß Waffen in beiden Republiken irgendwo S. K. Weil sie zusammen mit Vertretern
zwischen zwei Stühlen - zwischen Baku und auch ausgegeben, speziell hergestellt wer- des Organisationskomitees der Republik
kamen.
Jerewan. In beiden Hauptstädten sind die den. Wir haben Angaben, daß auch in den
Leidenschaften am Siedepunkt angelangt, Betrieben von Nagorny Karabach insgeheim NZ, Die örtlichen Behörden sind also bis-
Aufrufe, sich zu bewaffnen, wurden laut. Waffen produziert werden. Zrdem wetden lang nicht reorganisiert, das Komitee ftir die
Aus Baku werden die Armenier vertrieben, sie gestohlen, erbeutet. Heute demonstrierte Sonderverwaltung aber handeit?
Pogrome begannen. In dem an das NKAO der NKAO-Kommandant auf einer Stabssit- S. K. Unser Komitee ist praktisch aufge-
angrenzenden Chanlar- und dem Schaumjan- zung einen ganzen Sack mit Brandsätzen. löst. Nur liegt der Erlaß über seine Auflö-
Rayon von Aserbaidshan, wo es viele Dörfer Hiesige ,,Bastler" füllen mit diesem Brand- sung bislang nicht vor. Doch im Grunde ist
mit armenischer Bevölkerung gibt, wfud satz Flaschen, um sie dann gegen Häuser und es so. Unsere Möglichkeiten sind erschöpft.
gekämpft, was natürlich auch Nagorny Kara- Kriegstechnik einzusetzen. Es ist heute hier
kein.Problem, Waffen zu organisieren. Im NZ. Und von welcher Seite zeigen sich die
bach berührt. Einheiten der Verfügungstrup-
pen des UdSSR-Innenministeriums bilden Schaumjan-Rayon erbeuteten Aserbaidsha- örtlichen nichtformellen Organisationen -
eine lebende Sperrkette zwischen den Seiten, ner zwei Schützenpanzerwagen und setzen der Nationalrat des NKAO?
die jetzt aufeinander schießen. Soweit ich sie ein. Hubschrauber ohne Erkennungszei- S. K. Er tagt ständig, er arbeitet. Aller-
weiß, wurde aus einigen Dörfern in diesen chen tauchen auf. Extremisten, Mitglieder dings kann er keine einzige Frage, die für
Rayons die armenische Bevölkerung vertrie- bewaffneter Verbände, tragen nicht selten das Gebiet lebenswichtig ist, lösen. Damit
ben. Nach Angaben vom 16. Januarwurden Miliz- oder Armeeuniform, was die örtliche müssen sich übrigens die Mitglieder des
20 Armenier und 43 Aserbaidshaner als Gei- Bevölkerung täuschen soll. Komitees für die Sonderverwaltung, d. h.
seln genommen. NZ, Wie geht man gegen diejenigen vor, wir, befassen. Dafür bilden die Vertreter
NZ. Hätte man das jetzige Blutvergießen die illegal Waff'en besitzen? Ich war irgend- des Nationalrats Selbstverteidigungs-
verhindern können? wie befremdet. als ich junge Menschbn hier trupps. In Jerewan wurde übrigens bereits
S, K, Das Komitee ftir die Sondewerwaltung sah, die seelenruhig mit Flinten vor der Fern- laut von der Bildung eines Nationalen Ver-
wamte immer wieder, dal3 sich die Situation sehkamera posieren. teidigungsrates gesprochen, in Baku ist er,
verschärft. Unsere Meldungen waren nicht von S. K. Der Kzrmpf gegen illegale Waffenliefe- soweit ich weiß, bereits gebildet. Das ehe-
Panik bestimmt, aber recht pessimistisch. Und rungen ist schwer. Dieser Tage wurde auf dem malige Presseorgan des Komitees für die
schon seit langem schlugen wir immer wieder Flughafen von Stepanakert ein ganzer Contai- Sonderverwaltung, die Zeitnng,.Sowjetski
vor, den Sonderzustand durch den Ausnahme- ner sichergestellt. Die Verantwortlichen dafur Karabach", erscheint jetzt 4ls Organ des
zustand zu ersetzen. Wir hier vor Ort meinen, aber wurden nicht gefunden. Die Miliz im Nationalrates des NKAO. Doch. wie
daß es nur so gelingen wird, den Tod von Men- NKAO ist praktisch untätig. Dem Gesetz kann gesagt: Eine Wiederherstellung örtlicher
schen zu verhindern, was in diesem Augenblick nicht Gelturig verschafft werden. Bis zur Ver- Machtorgane, die sich mit den Lebensfra-
das wichtigste ist. hängung des Ausnahmezustandes durften die gen des Gebiets befassen würden, erfolgt
NZ. Welche Anweisungen erhielten Militän die,Gesetze nicht anwenden. bislang nicht und ist auch nicht abzusehen.
die Militars im NKAO? Sind das die Verfü- NZ, Mit. änderen Worten, die Handlungen NZ. Ihre Prognose für die nächste
gungstruppen des UdSSR-Innenministe- beschräirkten sich darauf, Waffen zu entde\- Zukunft ist ziemlich pessimistisch?
riums? ken und zu beschlagnahmen?
S. K, Ja, es handelt sich um Einheiten des S. K. Vor allem handelten wir unorgani- S. K. Ja, das kann man sagen.
UdSSR-Innenministeriums. Wenn auf Sol- siert, überstürzt. NZ. Machen die Seiten irgendwelche ver-
daten geschossen wird, antworten sie. NZ. Am 28. November verabschiedete der nünftigen Kompromißvorschläge?
NZ. Es gibt also einen Befehl, nicht als Oberste Sowjet der UdSSR den Erlaß ,,Über S, K. Zumindest nicht jetzt. Und irgend-
erste zu schießen? Maßnahmen zur Normalisierung der Lage im welche vernünftigen Worte sind einfach nicht
S, K, Ja. Autonomen Gebiet Nagorny Karabach"... zu hören. Wir tun alles, urn die nichtformel-
NZ. Wie stehen die Soldaten zu ihrem Aut S. K. Absolut nichts von diesem Erlaß len Führer zu überreden. Verhandlungen
rag? wurde verwirklicht. autiunehmen, <loch bislang, im Grunde
S, K Offenheit, Demokratisierung und die NZ. Warum? unter Kriegsbedingungen, bringt das nichts.
Stimmungen in der Gesellschaft im Zusammen- S. K. Von Anbeginn an wurde er von kei- lvtalt könnte
Man Kolllltc meinen,
lltciltcil. wir
uil im N0ililr=g für
lIIt Komrtee rur utg
die I
l'rang mit der RückJ<ehr unserer Truppen aus ner Konfliktseite akzeptiert. Dann kamen Sonderverwaltung müßten als erste die Hoff- |
-$ehanistan und mit der Beendigung des die Ereignisse in Bewegung. Mehr noch. nung verlieren, doch wir halten es noch ftir I
-{liehanistan-Krieges beeinflussen natürlich Nachdem am 5. Dezember der Bahnverkehr möglich. daß es. wenn dem Blutvergießen i
auch die Soldaten. Sie wollen nicht in ethni- wiederaufgenommen wurde, ist er jetzt Einhalt geboten wird, gelingen könnte. die I
i:hen Konflikten fern von ihrem Heimatort erneut blockiert. Die Autostraßen waren Führer der nationalen Bewegungen davon zu I
rsrtommen. ln der Truppe ist etne gewisse überhaupt nicht freigegeben worden. Der überzeugen. miteinander zu sprechen und i
L ruhe
zu spüren. In den letzten Tagen kam es erste Punkt des Erlasses wurde also über- wenn schon nicht Freundschaft. so doch
vereinbarcn. I
:idger vor. daß junge Soldaten und Offiziere haupt nicht erfüllt, Was die Bildung eines einen Modus vivendi zu
I
er Wahlkampf in Nikaragua Partei- und Staatsapparat, der jetzt, offen Westens, sollte sie bei den Wahlen sie-
ist inseine entscheidende gesagt, ganz für einen Sieg der FSLN gen, zu locken.
Phase getreten. An ihm arbeitet. Zugleich sind sich die Sandini-
sten bewußt, daß sie Fehler begangen Die ihrer Natur nach ruhigen, bedäch-
beteiligen sich mehr als 20
Parteien. 14 sind vereint in haben. Ich meine, die schwersten von tigen Nikaraguaner zeigen im ietzigen
der Nikaraguanischen Oppo- ihnen liegen im wirtschaftlichen Bereich. Wahlkampf bisweilen unerwartete
sitionsunion (NO), ein weiteres halbes Die Wirtschaft des Landes ist in einem Aggressivität. Nicht selten kommt es zu
Dutzend agieren selbständig. Sie alle tre- kritischen Zustand. Die Produktions- gegenseitigen Beleidigungen, selbst zu
ten gegen die Sandinistische Nationale kennziffern wecken Besorgnis, die Finan-
zen sind zerrittei, Teuerung, ja Armut Schlägereien zwischen Anhängern der
Befreiungsfront (FSLN) an.
bleiben. Nikaragua war nie ein wohlha- NO und der FSLN, wodurch beide Lager
Das ideologische Spektrum der Teil- bendes Land, und wohl niemand hier hat bislang eine wohl nicht sonderlich hohe
nehmer der Wahlkämpfe ist breit - von von der neuen Regierung Wunder erwar-
Linksradikalen, die fest an die kommen- politische Kultur demonstrieren. Die
tet, um so mehr da in den zehneinhalb Opposition behauptet, die besonders
de,,Weltrevolution" glauben, bis hin zu Jahren der Herrschaft der Sandinisten fast
Ultrarechten, die sich zu neokonservati- acht Jahre Krieg war. Und doch, wenn militant gesinnten Sandinisten wollten
ven Ansichten bekennen - ein überzeu- jene einschüchtern, die für die Opposi-
man den Nikaraguanern, die genug
gender Beweis dafür, daß es in Nikara- gehungert haben, plötzlich eine Alterna- tion stimmen wollten. Die Anhänger von
gua tatsächlich politischen Pluralismus
tive zur Lösung der akuten Probleme bie- Daniel Ortega und Sergio Ramirez ihrer-
gibt.
tet, machen sie sich unwillkürlich Gedan- seits werfen der Opposition vor, Unru-
Wie die meisten ausländischen Korre- ken. Ja, erst kommt das Fressen, dann
spondenten, die sich hier befinden, kon- kommt die Moral... hen provozieren zu wollen. Ich meine,
statieren, entspricht das nikaraguanische Und die Opposition will sich das eine gewisse Schuld an den sporadischen
Wahlrecht voll und ganz internationalen zrtflvtze machen. Gewaltakten trägt auch die Presse beider
Kriterien. Jeder Bürger über 16 Jahren Gegen Daniel Ortega und Sergio Rami- Seiten, die munter politische Etiketten
hat Stimmrecht. Allgemeine, gleiche, rez, die Kandidaten der FSLN für das
verteilte.
direkte, freie und geheime Wahlen wer- Amt des Präsidenten bzw. des Vizepräsi-
den abgehalten. Gegenwärtig sind mehr denten, treten die NO-Vertreter Violeta Die veröffentlichten Ergebdisse von
als 90 Prozent der potentiellen Wähler Barrios de Chamorro und Virgilio Godoy Meinungsumfragen, die mal der einen,
registriert - ein Ergebnis, das Elliot an. Violeta Barrios de Chamorro ist dann der anderen Seite (e nach dem, wer
Richardson, persönlicher Vertreter des Witwe des Eigentümers der Zeitung,,La
UNO-Generalsekretärs, als,,beeindruk- diese Umfragen wie durchführt) einen
Prensa", Pedro Joaquin Chamorro, der
kend" bezeichnete. Offiziell ist die Regi- noch vor dem Sieg der Revolutiön von beeindruckenden Sieg verheißen, wek-
strierung abgeschlossen, doch man hat sie Somozas Agenten umgebracht wurde. ken, ehrlich gesagt, kein allzu großes
für diejenigen verlängert, die den bewaff- Eine solche Tragik verleiht ihr Populari- Vertrauen. Einige ausländische Korre-
neten Widerstand gegen die Sandinisten tät, doch die schwache Gesundheit von spondenten schließen auch nicht aus, daß
beenden und in die Heimat zurückkehren Violeta Barrios, über die hartnäckige
wollten, wie das kürzlich neun Feldkom-
die Wahlergebnisse bei den Präsident-
Gerüchte im Umlauf sind, kann sie, sollte
mandeure der Contras taten. sie zum Staatsoberhaupt gewählt werden, schaftsanwärtern so nah beieinander lie-
Die Sandinisten verleihen in offiziellen daran hindern, effektiv das Land zu regie- gen können, daß die Bildung einer Koa-
Reden und privaten Gesprächen ihrer ren. In einer solchen Situation würde die litionsregierung der vernünftigste Aus-
Überzeugung Ausdruck, daß sie bei den Rolle des Vizepräsidenten an Bedeutung weg aus der Situation sein würde. Eine
Wahlen am25. Februar siegen werden. gewinnen. Doch der Ruf von Virgilio
solche Koalitionsregierung gab es bereits
Die NO-Führer wollen sich ebenfalls Godoy, der für dieses Amt kandidiert,
in den ersten Jahren nach dem Sieg der
nicht von vornherein geschlagen geben. wurde überraschend ernstlich bedroht.
Und das meinen sie wohl nicht ganz zu Godoys eigene Kollegen von der Unab' sandinistischen Revolution.
Unrecht. hängigen Liberalen Partei warfen ihm Juri
Die Sandinisten verweisen auf den mili- ,,Veruntreuung von Parteigeldern" vor. Kudimow
tärischen Sieg über die Contras, auf Auf ihre Forderung hin wurde ihm die
Itnmunität entzogcn und sein Fall an ein NZ-Korrespondent
gewisse Erfolge im sozialen Bereich. Sie
verfügen über einen gut funktionierenden Gericht weitergc e itet
I
MANAGUA
tr "il E U E zt I r",'4.90
Politischer
ständig sein, und zugleich soll eigentlich älles so blei-
ben, wie es ist, das heißt: engste Beziehungen zur
Wktschaft der Union. Man versteht war-um: Sie haben
keine Aussicht, Anschlüß an die Wirtschaft Europas zu
Marathon
gewinnen. Nüchtern denkende Menschen wissen, daß
Litauen dort keine Chance hat, daß Erzeugnisse der
litauischen Industrie und Landwirtschaft dofi nicht
konkurrenzfähig sind. Das einzige, worauf sie sich ver-
lassen können, ist der sowjetische Markt.
M ichait t-ili ano w,volksdeputierter der UdSSR und M iig I ied Wie soll man aber in so einem Fall Beziehungen
lösen, ohne etwas zu zerreißen? Wie soll man sich
der Zenlralen Revisionskommission der KPdSU
trennen, ohne auseinanderzugehen?
ch gehörte zur Delegation des ZK der KPdSU, Jetzt zum politischen Aspekt. Alle erkennen die
die sich in Litauen umgesehen hatte. Heute Kommunistische Partei I.itauens als führende politi-
weiß ich: Dort ist man zu konsequenten Maß- sche Kraft in der Republik an. Allerdings nur, wenn
nahmen entschlossen. An Ort und Stelle sie einen selbständigen Slatus hat. Überhaupt stellen
konnte ich mich davon überzeugen. Hier die litauischen Genossen die KPdSU der Zukunft als
wußte ich nichts. Während dieser Reise kam eine Partei mit gewissen föderativen Prinzipien dar
ich zu der Auffassung, daß der Wunsch nach und sind der Meinung, daß sie jetzt den Weg dahin
An der Diskussion Selbständigkeit, daß Freiheitsdurst und das Verlan- bahnen. Deshalb hat die KP Litauens auch ihre
über die Zukunft der gen, nach eigenem Gusto zu leben, eine Idee ist, die eigene Satzung, ihre eigene Konzeption und ihr eige-
KP Litauens alle Schichten der Bevölkerung ergriffen hat. Wir spra- nes Grundsatzprogramm. Es gibt warnende Stim-
chen mit Kolchosbauern, Schauspielern, Wissenschaft- men, die meinen, daß diese Selbständigkeit erst der
beteiligten sich der lern und Parteiarbeitern: Sie alle sehen das weitere Anfang ist. Bald werde die KP gewissermaßen ihre
Generalsekretär des Schicksal ihrer Republik nur noch in der Selbständig- Färbung wechseln. Inwiefern das so sein wird, kann
ZK der KPdSU keit, obwohl sie die Kompliziertheit und Vielgesichtig- ich nicht sagen. Daß jedoch inzwischen der Einfluß
Michail keit dieses Prozesses erkennen. Die Selbständigkeit, des Volkes auf die Partei gewaltig ist, kann als Tatsa-
die sie meinen, ist wirtschaftlich und politisch außeror- che nicht mehr angezweifelt werden. Zahlen können
Gorbatschow, das bezeugen: Bis zum Austritt der KP Litauens aus
. dentlichweit gespannt. Damit muß man heute rechnen.
Kommunisten und Allerdings habe ich in den Gesprächen, die ich der KPdSU wurde sie von 16 Prozent der Bevölke-
Einwohner der geführt habe, keine Antwort auf die Frage bekom- rung unterstützt. Sobald sie ausgetreten war, lag die
Republik men, wie meine Gesprächspartner sich das denn kon- Unterstützung bei 82 Prozent. Das Volk hat also in
kret vorstellten. Okonomisch wollen sie völlig selb- ihr die Kraft gesehen, die ihm die Möglichkeit bietet,
den Weg einzuschlagen, der ihm vor- vorbauen und zentrifugale Kräfte bändi- auch in Litauen, aber nicht in dieser entblöß-
schwebt. Die selbständige Partei wurde, gen könnten. Für meine Begriffe besteht ten, beinahe unanständigen Form.
wenn schon nicht zur Verkörperung von ein großer Bedarf an neuen, frischen und Noch eine Beobachtung, die ich von dieser
Garantien, dann.immerhin zu einer trei- ungenormten Wechselbeziehungen zwi- Reise mitbringe: Im Zusammenhang mit der
bendgn Kraft des Umbaus auf neuer selb- schen den Parteiorganisationen. Das steht schwierigen politischen Situation und der
ständiger Grundlage. Der angesehenste an, darum kommen wir nicht mehr herum. bedrohlich angespannten Lage in der Wirt-
Mann der Republik heißt Brazauskas. Wenn wir uns damit zu viel Zeit lassen, schaft, die sich in der Union abzeichnen, l
Gerade deshalb wurde er auch Vorsitzen- setzt eine Kettenreaktion ein. Wir müssen wächst bei einigen Schichten in Litauen die
der des Präsidiums des Obersten Sowjets gemeinsam die Form von Koexistenz fin- Bereitschaft, sich im Alleingang aus diesem I
Litauens. den, bei der unser Land geeint bleibt und Schlamassel zu befreien. Nach dem Motto:
Genau genommen wurde er bei den nicht auseinanderbricht. Ob eine selbstän- Wir guckenzu, und ihr löffelt eure Suppemal
Litauern deshalb so populär, weil man ihm dige, vor allem potitisch selbständige Exi- besser alleine aus. Diese Linie läßt sich sehr
nrtrant, den Traum des Volkes von Selb- stenz möglich sein wird, ist eine äußerst deutlich verfolgen. Deshalb hat man es hier
ständigkeit verwirklichen zu können. schwierige Frage. auch so eilig: Man befürchtet die unvorher-
Wahrscheinlich kann er das Wesen der So wie früher auf Druck und Gewalt zu sehbaren Folgen der Ereigrisse und hat nur
Ereignisse besonders gut zum Ausdruck setzen, ist sinnlos. Gewalt ist kein probates noch den einzigen Wunsch, sich abzusetzen.
bringen. Er ist ein selbständiger Mann. Mittel mehr, sie hat uns nicht geholfen und Vor Prognosen sollte man sich, besonders
Für einen Parteifunktionär ist Selbständig- wird uns auch nicht mehr helfen. Das soll wenn sie die Politik betreffen, hüten. Ich
keit heute vielleicht sogar das Wichtigste natürlich nicht heißen, daß man jede Forde- weiß aber, daß es beim Plenum nicht bloß
überhaupt. Gehorsam darf nicht länger als rung der Republiken erfüllen muß, aber ich eine nette Unterhaltung geben wird. Im ZK
Tugend gelten. Befehlsempfänger können meine, daß es in Litauen, Lettland oder Est- ist man verschiedener Meinung darüber, wie
die Massen nicht mehr hinter sich bringen. land keine gewaltsame Lösung der nationa-
Mir scheint, daß auch in Moskau mit Juri len Frage geben darf. Sie wäre absolut unan-
Prokofjew ein Manri mit solchen Füh-
rungseigenschaften in die Stadtparteiorga-
nisation gekommen ist. Er ist ein freier
nehmbar, wie unangenehm die Prozesse dort
auch immer sein mögen. Selbst wenn es zu
Extremfällen kommt. Sobald man Druck
Und was ist,
Mensch, keine Standardausführung. In
der gesellschaftlichen und politischen
ausübt oder Gewalt anwendet, bricht alles
zusaülmen. Sofort. Die Folgen wären nicht
wenn
abzusehen. Das ist schließlich keine örtlich
Tätigkeit wird der Standardmensch allem
und jedem zum Verhängnis.
Allerdings muß ich sagen, daß mir die
begrelte Erscheinung. Es ist die historische
Bewegung eines Volkes, auf die wir, wenn
Gorbatschow
Rede, die Brazauskas bei der Versamm-
lung des Parteiaktivs hielt, nicht gefallen
wir ehrlich sind, nicht vorbereitet waren.
Man muß unbedingt festhalten, daß die
weiter links
Leute inLitauen politisch hochsensibel
hat. Sie war blaß, angesprochen wurde
eigentlich alles und nichts. Konnte er
nicht? Wollte er nicht? Keine Ahnung.
geworden sind. Jeder, mit dem wir uns unter-
halten haben, ist politisch informiert, denkt
steht?
Gibt es in Litauen russenfeindliche nach und lehnt Extremismus ab. Dauernd Während einer Begegnung
Stimmungen? Im Anfangsstadium. Rus- waren brisante Erklärungen zu hören. Auch
sen, mit denen wir sprachen, berichteten, vor dem Femsehschirm konnte man miterle- mit dem Parteiaktiv der
daß solche Tendenzen sich jetzt bemerk- ben, was für Parolen Gorbatschow an den Republik wurde diese
bar machen. Man bekommt beleidigende Kopf geworfenwurden.
Flugblätter unter die Tür geschoben, In Panevezys hat uns eine etwa vierhun- Frage gestellt
Drohbriefe flattern ins Haus, Fenster- dert Personen zählende Menschenmenge r nsoesamt führte diese Reise
scheiben gehen zu Bruch. Als aber bei umringt. Die Parolen waren so provozie- I ai"" Gäste. Mitolieder der
einer Begegnung mit dem Parteiaktiv von rend, daß man hätte gleich in Ohnmacht fal- I Delegation' des' ZK der
Panevezys eine Russin vergleichbare Fak- len können. Das Gespräch verlief dann aber KPdSU, durch 15 Rayons und
ten anführte, ergriffen sofort mehrere in einer ruhigeren Tonart, ohne Hysterie, über die Straßen aller größeren
Redner das Wort und sagten: Stimmt, in Fanatismus, blinde Wut. Rechthaberei, Städte in Fabriken, Kollektivwirt-
jeder Nation gibt es solche Schufte, auch Starrsinn, Hartnäckigkeit, wenn es darum schaften und Lehreinrichtungen.
unter uns Litauern. Aber mit denen haben geht, die eigene Position zu verteidigen und Unter dem Strich dauerten die
wir nichts zu tun. Man versicherte uns, daß den einmal eingeschlagenen Weg zu behaup- Begegnungen Hunderte von
ten: Das alles gibt es. Zügellosen und wild Stunden. Praktisch die gesamte
die litauische Nation internationalistisch
um sich schlagenden Extremismus jedoch erwachsene Bevölkerung Litau-
empfindet. Für meine Begriffe sind die
habe ich nicht angetroffen. Wie gesagt, alles
ens war am Bildschirm oder am
ethnischen Beziehungen in Lettland oder
bei einer sehr zugespitzten Fragestellung. Radio dabei. Auch in anderen
Estland schärfer und angespannter. Die Republiken der UdSSR sowie im
litauische Stammbevölkerung zeichnet Die Litauer sind zurückhaltende Menschen.
Ausland wurde die Visite mit gro-
sich durch eine tolerante Geisteshaltung Man darf annehmen, daß sie imstande sind,
ßem lnteresse verfolgt: lm Pres-
aus. das Schlimmste, nämlich Blutvergießen, zu
sezentrum von Vilnius waren
Sicherlich hat Gorbatschow keinen verhindern.
über zweihundert ausländische
leichten Stand. Jetzt ist es ganz klar: Der Jedenfalls halten sie die eigenen Reihen und an die hundertfünfzig sowje-
Partei stehen Veränderungen bevor. An fest geschlossen. Das merkt man übrigens
tische Joumdisten akkreditied.
der Selbständigkeit der kommunistischen auch am Verhalten der litauischen Deputier- Womit hat Utauen seine Gäste
Parteien in den Republiken führt nun kein ten bei den Tagungen des Obersten Sowjets empfangen? Zunächst einmal
Weg mehr vorbei. Was man unter Selb- und beim Kongreß der Volksdeputierten. mit der felsenfesten Ubeaeu-
ständigkeit zu verstehen hat, wird einer Absolut nicht so wie bei uns in Rußland, wo gung der meisten Bewohner,
großen Diskussion vorbehalten bleiben. jeder gegen jeden anrennt, zeigen will, wo er daß die Entscheidung des 20.
Die Frage ist auch, inwiefern das ZK, besser ist, wo man sich gegenseitig mit Jau- Parteitags der KP Litauens rich-
sein Politbüro und die ganze KPdSU in der che übergießt und ein unversöhnliches tig und sogar unvermeidlich war.
Lage sein werden, Beschlüsse vorzulegen, Wadenbeißen stattfindet, wie wir es bei 82 Prozent aller Befragten haben
die, beim 28. Parteitag verabschiedet, unseren Schriftstellern beobachten durft en. die Entscheidung des Partei-
negativen Erscheinungen in der Partei Möglicherweise gibt es so etwas ähnliches
tags, eine selbständige KP Litau- der KP Litauens, der angesehen- lich bedeutend klarer geworden. batschow bei einer Zusammen-
ens zu gründen, positiv bewertet. ste Politiker in der Republik. Die nationale Wiedergeburt der kunft mit Künstlern. ,,Und was soll
15 Prozent hätten sich ein ande- Die Mitglieder der Delegation Litauer richtet sich nicht gegen dann mit denjenigen gesaflehen,
res Ergebnis gewünscht. Die des ZK der KPdSU haben aus nationale Minderheiten, sondern die, wenn ihr euch absondert,
Argumente: Wenn der Parteitag ihren Auffassungen keinen Hehl trägt vielmehr zu ihrer eigenen ausreisen wollen? Wer bezahlt
die Selbständigkeit der KP nicht gemacht. ln der Rede von Gorba- Wiedergeburt bei. ,,Litauen war ihnen die Wohnung, die sie hier
ausgerufen.,hätte, hätten viele'ihre tschow vor dem Plenum des ZK anderen Nationen gegenüber zurücklassen? Wer stellt ihnen
Mitgliedsbücher abgegeben und der KPdSU sind sie klarformuliert schon immer tolerant eingestellt", neue Arbeitsplätze zur Verfü-
bei den bevorstehenden Wahlen und bei den Begegnungen in bemerkle Boris Olejnik. ,,Die Pro- gung?"
rur den Obersten Sowjet der Litauen noch einmal wiederholt bleme der nationalen Beziehun- Man darf wohl annehmen, daß
Republik und die örtlichen worden: Die Entscheidung des gen werden von jemandem auch Litauen sein Eigentum antei-
Sowjets hätten die Wähler sich 20. Parteitags der KP Litauens künstlich hoqhgespielt. Sie sind lig in anderen Republiken stecken
,'on den Kommunisten abge- führt zur Spaltung der KPdSU, ist nicht so akut, als daß man andau' hat. Litauen könnte eine Kompen-
,vandt. Mit anderen Worten hätte ein Schlag gegen die Perestroika ernd nur davon sprechen müßte", sation für die Arbeit fordern, die
Cie kommunistische Partei die und führt zu einer Zuspitzung der sagte Juri Masljukow. viele tausend Deportierte außer-
t,4oglichkeit verloren, die politi- nationalen Beziehungen und zu Wohl zum ersten Mal erhob halb seines Territoriums geleistet
schen Prozesse in Litauen weiter einer Verschlechterung der wirt- sich die brisante Frage, wie die haben, erklärte Valentinas Grei-
zr.r beeinflussen. schaftlichen Lage. Deshalb darf wirtschaft lichen Folgen jener poli- ciunas, 1. Sekretär des Stadtko-
Gegenwärtig sehen viele man sich nicht voneinander tischen Entscheidungen ausse- mitees der KP Litauens in Klai-
-lerade
in ihr die Garantie für poli- abgrenzen und sich isolieren, hen würden. Einige Wirtschafts- peda.
: sche und wirtschaftliche Stabili- sondern muß die demokratische führer in Litauen haben sie schon Folgender Dialog zwischen
:at. Eine Umfrage hat ergeben, Erneuerung aller Lebensbereiche zu spüren bekommen. Eisen- Gorbatschow und dem Publikum
d.aß die Wählersympathien für die der sowjetischen Gesellschaft, bahnlieferungen von Metall, Bau- im Saal ist mir noch deutlich in,
(P Litauens nach dem Parteitag aller Strukturen des Staates und holz und Ausrüstungen haben sie Erinnerung.
!,edeutend größer waren als vor- des öffentlichen Lebens und aller nicht erreicht. ,,Wir haben nicht ,,lhr wißt also, was eine Födera-
r?r. Von plus 16 Ende November lnstitutionen vorantreiben. Die vor, die wirtschaftlichen Bezie- tion ist?"
auf plus 73 Ende Dezember. Position der Gastgeber sah hungen zur UdSSR abreißen zu ,,Ja, wissen wirl" lautete die
3ezeichnend ist, daß eine selb- anders aus. ,;Wenn wir uns vom lassen. Warum setzt dann gegen zurückgerufene Antwort.
;;lndige KP Litauens sowohl von Beschluß des 20. Parteitages der uns eine handfeste Wirtschafts- ,,Woher wollt ihr das denn wis-
een Litauern selbst (von plus 16 KP Litauens distanzieren und ihn blockade ein?" fragte uns ein sen, ihr habt doch noch nie in
ar-f plus 79) als auch von Angehö- nicht erfüllen, wird man uns ein- Betriebsdirektor. Ob das eine einer solchen gelebt?"
',3en anderer Nationalitäten (von fach aus der Partei werfen", sagte Blockade war oder eine der übli- Stimmt. Haben wir noch nicht.
:, us J B auf plus 29) höher bewer- Wladimir Berjosow, Sekretär des chen Schlampereien bei der Wir wissen auch nicht, wie eine
::: wird. Hätten am Tag der ZK der KP Litauens. Allerdings Belieferung, muß erst noch umgebaute Union aussehen soll.
-rfrage Wahlen stattgefunden, ohne zu präisieren, wer ihn her- geklärt werden. Offensichtlich Vielleicht gelingt es uns ja wirk-
larn hätien 38.Prozent der Wäh- auswerfen wird. aber hat die Nachricht, in Litauen lich, aus ihr einen echten Verband
*ar tir eine selbständige KP Litau- Wahrscheinlich hatte kaum werde an einen Austritt aus der souveräner Staaten zu machen, in
{s.27 Prozent für ,,Sajudis" und jemand gehofft, daß es gelingen UdSSR gedacht, Geschäftsleute dem jede Nation gleichberechtigt
: ?'ozent für diejenige KP Litau- werde, Meinungsverschiedenhei- in anderen Republiken und im und sicher ist, weder geistig noch
3-s. die auf der Plattform der ten schnell beizulegen. Denn hin- Zentrum veranlaßt, über die wei- wirtschaftlich benachteiligt zt)
" "=:SU steht, gestimmt. ter ihnen standen nicht irgend- teren Aussichten für die Entwick- werden? Hier wäre die Frage
luf den Wahlzetteln werden welche persönlichen lnteressen, lung der Wirtschaftsbeziehungen angebracht, die Boris Olejnik sei-
r,-gens keine Parteien, sondern sondern die Positionen der politi- nachzudenken. nen litauischen Kollegen stellte:
=r:elpersonen stehen. Deshalb schen Strukturen. Jetzt steht auch das Problem ,,Und was ist, wenn Gorbatschow
s; arch die Sympathiekurve für Der politische Marathon, wie an, wie did Selbstbestimmung der weiter links steht als eure haus-
re ZK-Sekretäre beider kommu- Gorbatschow diese Reise tref- Republik bis hin zu ihrerAblösung backene KP Litauens?"
-rs:.scher Parteien von lnteresse. fend bezeichnete, verhalf den technisch vonstatten gehen soll. Noch eine Schlußfolgerung
l,e 3ekretäre der selbständigen Gästen dazu, sich gründlicher in Genauer gesagt geht es um die dieser letzten Tage: Die Pere.
.: l-f€uens: von plus 76 auf plus die Vorgänge in Litauen hineinzu- materiellen Werte, die in den Jah- stroika in Partei und Staat muß
::i : e Sekretäre der KP Litauens, denken, und den Gastgebern zu ren des gemeinsamen Lebens unbedingt beschleunigt werden.
:e ar-f der Plattform der KPdSU einer tieferen Einsicht in die Fol- erworben worden sind. ,,ln die- Der Worte sind genug gefallen.
fi=r-:: Jon minus 54 auf minus 61. gen ihrer Entscheidungen. sem Fall müssen solche Fragen
!iü31. !','ie vor ist Algirdas Bra- Die nationale Frage in ihrer mit allen Republiken und mit dem Gediminas Koncius
der 1. Sekretär des ZK litauischen Variante ist tatsäch- Staat gelöst werden", sagte Gor- VILNIUS
=Lsnss.
Wer ist heute vorne? och vor einem halben Jahr analysierten sowje- anderer Regionen und des ganzen Landes zu berück-
tische Beobachter die politische und soziale sichtigen. Daher rühren zusätzliche Schwierigkeiten,
Entwicklung in Osteuropa mit einem gewissen die die ohnehin keineswegs einfache Transformation
Gefühl der Überlegenheit: Ihr hinkt uns hin- der Gesellschaft verlangsamen. In den meisten osteuro-
terher, seid noch nicht bereit, euch die Ideen päischen Ländern, die den Weg der Reformen gehen
der Perestroika und die Philosophie des neuen (vielleicht mit Ausnahme von Jugoslawien), spielt das
Denkens anzueignen. Zwar veränderte sich Wiedererwachen des nationalen Selbstbewußtseins
Die dramatische die Evolutionsrichtung im Westen der europäischen eine mobilisierende Rolle und trägt dazu bei, wenn
Entwicklung der ,,sozialistischen Gemeinschaft" seit 1985 wesentlich, nicht Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppie-
aber der ,,große Bruder" marschierte nach wie vor rungen einzuebnen, so doch wenigstens den Dialog zwi-
letzten Monate in allen voran. Während er früher den Weg in die lichte schen ihnen konstruktiver zu gestalten.
den Zrtkrnft des Kommunismus mit einem administrati-
osteuropäischen ven Kommandoprofil gebahnt hatte, war er nunmehr Was wir verschwiegen
Ländern läßt über der Bahnbrecher einer neuen Entwicklungsrichtung
des Sozialismus. Beeindruckend ist wohl auch, wie wenigunserinnen-
vieles nachdenken, politisches Denken auf die gegenwärtige stürmische
ÜberdieZukunftdes Die Rollen verändern sich Entwicklung in Osteuropa vorbereitet war. Nicht, daß
Warschauer wir zu wenig Information hätten. Aber man muß zuge-
Vertrags und des Plötzlich veränderten sich die Rollen buchstäblich ben, daß darin, wie wir unsere nächsten Verbündeten
Rats für über Nacht. Bei uns entfalten sich die Diskussionen auffassen, zahlreiche Mlthen einheimischer Prove-
über Eigentumsformen erst, in Polen aber wird die nienz existieren. Eine vereinfachte und falsche Vorstel-
Gegenseitige Wirtschaft mit Hochdruck privatisiert. Wir gehen erst lung von den osteuropäischen Ltindem beherrscht
Wirtschaftshilfe, die daran, die Frage eines Effektenmarktes zu prüfen, in unser Bewußtsein seit Jahrzehnten.
Geschicke eines Ungarn haben sie schon eine Börse. In den Nachkriegsjahren, als die UdSSR in Osteu-
,,gesamteuropä- Was in der UdSSR um den Preis großer Anstrengun- ropa eine dominierende Position hatte, erhielt sie die
ischen Hauses", clie gen gelingt, vollzieht sichin Osteuropaviel leichter. Was Möglichkeit, die dortigen Staaten nach eigenem
für uns ein Diskussionsgegenstand, ist ftir den überwie- Ebenbild umzumodeln. Ihnen war die wenig benei-
Garantien der genden Teil der Osteuropäer selbstverständlich. Man denswerte Rolle von ,,Bundesgenossen und Kopien"
europäischen kann ohne weiteres voraussagen: Der Abstand zwi- zugedacht, deren Hauptpflicht darin bestand, der
Stabilität, dasWesen schen den osteuropäischen Ländern und der Sowjet- ftihrenden Kraft der sozialistischen Welt wider-
des Sozialismus. Im union wird sich in absehbarer Zeit vergrößern. spruchslos 2u parieren. Die Stalinsche ,,soziale Inge-
neuen Licht Natürlich ist dieses Zurückbleiben objektiv nieurwissenschaft" vernichtete jahrelang und rück-
bedingt. Vor allem muß man in Betracht ziehen, daß sichtslos Unbotmäßige und Andersdenkende, zer-
präsentieren sich die UdSSR schon wegen ihres Riesenterritoriums, störte Strukturen und Traditionen, die seit Genera-
auch die ihrer ethnischen und sozialen Vielfalt, der Besonder- tionen bestanden. Das ursprüngliche Modell der
Veränderungen in heiten in der politischen Kultur und wegen ihrer Beziehungen war jedoch nicht von langer Dauer.
der UdSSR selbst Zugehörigkeit nicht nur zu Europa, sondern auch zu Nach Stalins Tod wurde es durch ein flexibleres
Asien weit weniger ,,Startschub" hat als etwa System des Zusammenwirkens - von Juniorpartner
Ungarn, die DDR, Polen oder sogar Rumänien. und Seniorpartner - abgelöst, wobei die Betonung
Der Staatssozialismus, das administrative Kom- auf dem Wörtchen ,,Senior" lag (besonders deutlich
mandosystem, ideologische Dogmen und sonstige trat das 1956 in bezug auf Ungarn und 1968 auf die
Attribute des Stalinismus haben bei uns tiefere und Tschechoslowakei zutage; in beiden Fiillen ging der
zähere Wurzeln als bei unseren westlichen Nachbarn. ,,große Bruder" davon aus, daß er sich besser in den
Der Stalinismus in der UdSSR ist, das ,,Breshnew- Nöten und Erfordernissen seiner,,Schutzbefohle-
sche Modell" eingeschlosen, rund 70, in Osteuropa nen" auskenne als sie selbst).
etwa 40 Jahre alt. Der Stalinismus ist unsere eigene Es hatte weitgehende Folgen, daß die staatlichen
Schöpfung, ein auf unserem nationalen Boden groß- und sozialen Strukturen sowie die Innen- und Außen-
gepäppeltes Ungeheuer, für die Osteuropäer ist er politik der osteuropäischen Länder von den Wün-
ein aufgezwungener Importartikel. In Osteuropa schen und Vorstellungen der sowjetischen Führung
konnte der Stalinismus die moralischen Normen der abgeleitet waren. Diese Länder wurden in der UdSSR
Gesellschaft nicht so sehr entstellen, nicht so tief ins beinahe nicht mehr als Gesellschaften betrachtet, die
Bewußtsein eindringen und erst recht nicht so verhee- ihren eigenen einmaligen Weg hätten gehen können.
rend den genetischen Fonds der Nation zerstören. Dieser Standpunkt wurde durch einen Strom von
Und erst der Einfluß des ,,multinationalen Fak- faden Publikationen und Femsehsendungen mit
tors"! In der UdSSR ist die Entwicklung der Refor- Nachdruck propagiert und anerzogen. Die plumpe
men stark von ethnischen Widersprüchen gefärbt, die Propaganda überwand sogar die Schranken des
nicht selten extreme Formen annehmen. Immer wie- gesunden Menschenverstands. Während die in der
der werden Versuche unternommen, eine separate UdSSR entworfenen rosa Bildchen der sowjetischen
Lrisung von Problemen auszuarbeiten, mit denen ein- Wirklichkeit dennoch eine Konfrontation mit dem
zelne Nationen und Völkerschaften konfrontiert schnöden Alltag nicht vermeiden konnten, waren die
sind. Ihre Vertreter reagieren oft mit unverhohlener ,,sozialistischen Partner" - nahe gelegen, aber immer
Animosität auf die Aufforderungen, die Interessen noch weit genug entfernt - ein ideales Objekt für die
E "lt 4.S0
g0R Bn0
Falsche Schlachtenbummler u. a.
Unsere Korrespondenten Anatoli Kowrigin und ner" sind noch alarmierender: die unverzügli-
che Wiedervereinigung Deutschlands (dem
Nikita Sholkwer berichten aus Berlin und Bonn Programmtext wird eine Karte Deutschlands
in den Grenzen von 1937 beigelegt). Nicht
wüste Schlägerei bei der Berliner Zionskir- tisrnus ist zu berücksichtigen. Besonders ausgeschlossen werden. die Möglichkeit eines
che und vom Januar bis zum März 1988 zer- machte er sich in den letzten Wochen neuen Anschlusses Osterreichs und eine
störten sie über 200 Grabsteine auf dem jüdi- bemerkbar, was die hiesige Presse besorgt Abwendung von der europäischen Integra-
schen Friedhof in Berlin. an cler Schönhau- konstatiert. Mit dem Export clieses Erzeug- tion.
ser-A11ee. nisses befassen sich zrvei Parteien der BRf) - Die dynamischen Veränderungen in der
Im Sommer 1989 entdeckten die zuständi- die CSIJ und die ,.Republikaner". DDR kamen für die ,,Republikaner" wie übri-
gen Organe der DDR die.,,SS-Geheimorga- gens auch fur die anderen bundesdeutschen
nisation Wohlgast". Angaben zufolge, die Parteien überraschend. Lange genug war
der Sprecher der Kriminalpolizei der DDR ie ,,Republikaner" nehmen erst seit Schönhuber unentschlossen. Wie sollte er rea-
Oberstleutnant Bernd Wagner dieser Tage kurzem einen festen Platz am rech- gieren? Einerseits die sehnlich gewünschte
Journalisten mitteilte, wurden 1988 im ten Flügel des politischen Lebens in ,,Wiedervereinigung", andererseits die
Zusammenhang mit Nazi-Aktionen Verfah- der BRD ein. 199t) verabschiedeten sie enorme Zahl von DDR-Bewohnern (mehr als
ren gegen 185 Personen und in den ersten 11 ein neues Programm, das ir.r einem merkwür- 1000 täglich), die in die BRD umsiedeln,
Monaten v. J. gegen 296 Personen eingelei- digen Durcheinander eine Ansammiung der wodurch die Belastung des Arbeitsmarktes
tet. Die Behörden verfügen über Angaben zu verschiedensten Forderungen enthält - von wächst, die Konkurrenz bei der Suche nach
1100 Personen, die in rechtsradikale Tätig- einer Wiedervereinigung Deutschlands bis bezahlbarem Wohnraum stark zunimmt und
keit verwickelt sind. Wie Oberstleutnant zu einer Streichung des F{afturlaubs für sich gerade jene sozialen Probleme verschär-
Wagner sagte, besteht aller Anlaß zu der Schwerverbrecher. Oblvohl sich die Partei fen, für die Schönhuber populistische Lösun-
Vermutung, daß es in der Republik noch und ihr Führel Franz Schönhubel verbal gen parat hielt, was ihm Wähler zutrieb.
andere unbekannte Gruppierungen dieser vom Hitlerfaschismus distanzieren, sind ras- Einen Ausweg aus diesem Dilemma zeigte
Art gibt. sistische, ausländerfeindliche Forderungen die weitere Entwicklung in der DDR, insbe-
Wo liegen die Ursachen für diese gefährli- Hauptthema der,,Republikaner". Nicht sondere die für Ubergangszeiten so bezeich-
chen Erscheinungen? Nach Meinung cines weniger laut ist im Progranrm auch der Ruf nende Aufwallung nationaler Emotionen.
Mitarbeiters des Instituts für Internationale nach einer ,,starken Hand", nach einer Wie- Schönhuber beschloß, die sich bahnbrechen-
Politik und Wirtschaft Dr. Manfred Behrend derherstellung von ,,Recht und Ordnung" zu den ,,großdeutschen" Leidenschaften in der
erklären sie sich aus dem System, das viele vernehmen. DDR aktiv auszunutzen.
Jahre in der DDR bestand. Die Stalinsche Im Januar 1989 hatten die ,,Republikaner" Die bundesdeutschen ,,Republikaner"
Variante des Sozialismus wirkte sich überaus einen großen Erfolg in Berlin (West), wo sie machen kein Geheimnis aus ihrer Tätigkeit in
negativ auf alle Bereiche des öffentlichen die 5%-Sperrklausel überwanden und in das der DDR. Vor einigen Tagen versuchte
Lebens aus. Sie führte zu einer Kluft zwi- Abgeordnetenhaus einzogen. Auf der näch- Schönhuber mit seinem Europaparlamenta-
schen Worten und Taten, Versprechungen sten Etappe, bei den Wahlen zum Europäi- rier-Ausweis in die DDRzu gelangen, um per-
und der Wirklichkeit, zur Ausbreitung einer schen Parlament im Sommer v. J., erhielt sönlich an der Gründung von Ortsgruppen der
doppelten Moral. All das mul3te sich vor Schiinhuber 7,1 Prozent der Stimmen. Und ,,Republikaner" in Berlin, Leipzig, Dresden
allem auf die junge Generation auswirken, bei Kommunalwahlen in der BRD votieren und Karl-Marx-Stadt teiizunehmen. Der
von der ein Teil versucht, Ideale im rechten ftir die ,,Republikaner" bisweilen bis zu 20 ,,republikanische" Abieger in der DDR soll,
politischen Spektrum zu finden. und mehr Prozent der Wähler. wie er hofft, an den für den 6. Mai angesetzten
Doch auch der importierte Neokonserva- Die außenpolitischen Ziele der,.Republika- Wahlen zur Volkskammer teilnehmen.
Die ,,Republikaner" rüsten ihre Stütz-
punkte in der DDR üppig mit allern Erforder-
lichen aus, darunter mit Kopier- und Druck-
technik aus dem inzwischen Bonner Haupt-
quartier der Partei und aus deren Vertretung
in Berlin (West). Zwischen 80 000 und 100 000
Flugblättern wurden bereits in die DDR
gebracht. Nach Schätzungen,,republikani-
scher" Politiker gibt es in der DDR an die
50 000 feste Anhänger Schönhubers.
Schwer zu sagen, wieweit diese Angaben
stimmen. Doch wenn man bedenkt, wie aufge-
heizt die nationalen Leidenschaften sind und
wie populär die Losung einer ,,Wiedervereini-
gung" als eines ,,Zaubermittels" zur Lösung
aller Probleme ist, dann stellen sich diese Zah-
len als durchaus realistisch dar.
Schönhuber tut alles, damit die Tätigkeit
der ,,Republikaner" in den Medien der DDR
beleuchtet wird - und das scheint ihm zu
gelingen. Hierbei läßt er sich von dem Prinzip
leiten, lieber überaus kritische Informationen
als überhaupt keine. Diesem Ziel dienen
Revanchisten auf dem DDR-Boden diverse provokatorische Aktionen, Erklärun-
gen und Forderungen.
Kolumbus und,,Deshoukay"
Das Wort ist neu, genauer gesagt rvird es in e:iner
neuen Bedeutung verwandt. Deshoukay ist die Kraft,
die ein Bauer aufuendet, wenn er einen Baum mit der
Wurzel ausreißt. In letzter Zeit ist Deshoukay das
meistgebrauchte Wort in der hiesigen Politik, sobald
man auf die Notwendigkeit zu sprechen kommt, die
Wurzeln der Diktatur auszureißen.
In der Praxis kann Deshoukay ganz verschieden
aussehen.
An dem Tag, als ich in Port-au-Prince landete, zog
die Menschenmenge ein Mitglied der Tontons-
Macoutes aus dem Flugzeug, brachte ihn auf der
Stelle um und verbrannte die Leiche. Tontons-
Macoutes war die Bezeichnung tür Duvaliers
Geheimpolizei, die überall Angst und Schrecken ver-
breitet hat.
Über Zwischenfälle wie diesen wundert sich heut-
zutage in Haiti keiner mehr, obwohl sie die Phantasie
t:rt-3u-Prince. Denkmal des Sklavenaufstands Ende des 18. Jahrhunderts ausländischer Korrespondenten stark beschäftigen.
ry
Die internationale Presse berichtet über Medarde, ein in Haiti bekannter Theater- plasma ein besonders einträgliches
barbarische Exzesse in diesem mittelgroßen autor. ,,Im Volk hält man Kolumbus für den Geschäft. Die Hungernden spendeten
Käribik-Staat. ersten Imperialisten, mit dem die Zeilrech- Dollar. Derselbe Liter
einän Liter ts1ut für 3
,,Wie jeder normale Mensch kann ich nung unserer Not einsetzt. Kolumbus kam wurde in den USA für 25 Dollar verkauft.
Lynch-Justiz nicht billigen", sagte mir ein mit dem Kreuz, seine Soldaten kamen mit Im Flughaten von Port-au-Prince stehen
einheimischer Kollege. ,,Aber ich verstehe dem Schwert. Heute gibt es in Haiti keine vorsintflutliche zweimotorige Douglas-
diejenigen, die sich auf diese Weise an den Ureinwohner mehr. Wir sind Nachkommen Maschinen der Air Haiti. Als ich mir diese
Macoutes rächen. In den schlimmsten afrikanischer Negersklaven. Also hat die museumsreifen Ausstellungsstücke ansah,
Tagen der Diktatur, als bestialische Morde Menge'das Denkmal ins Meer gestoßen. konnte ich mich nicht von dem Gedanken
verübt wurden und die totale Angst Der neue Bürgermeister hat angeordnet, freimachen. daß in ihnen die Leichen von
herrschte, haben diejenigen, die gegen die die Statue aus dem Wasser zu holen. Vor- Obdacl.rlosen nach Miami geflogen worden
Diktatur kämpften, gewarnt: Niemand erst verrvahrt er sie hier in der Garage." sind: Auch das ein von Duvalier entdecktes
solle die Rache des Volkes an den Henkern In Flaiti und in der Dominikanischen lukratives Geschäft. Haiti hat Leichen
Barbarei nennen." Republik, zwei Nachbarstaaten a'uf ein und exportiert. Zu einem solchen Ausmaß an
Mein Gesprächspartner, ein äußerst derselben Insel, streiten sich die Historiker Zynismus hat es wohl noch keine Diktatur
ruhiger Mann mit ausgewogenen Urteilen, schon seit Jahren darüber, aufwelches die- gebracht. Duvalier entwickelte die wirt-
hat unter Duvalier die Kerker von Fort ser beiden Länder der Entdecker Amerikas schaftliche Zweckmäl3igkeit des Terrors zu
Dimanche kennengelernt. Bei der Erwäh- seinen Fuß zuerst gesetzt hat. Noch kompli- einer irrsinnigen Perfektion. Die Diktatur
nung dieses Gefängnisses läuft es jeder- zierter sind die Polemikefl, die von latein- produzierte Leichen, und die Diktatur
mann in Haiti kalt über den Rücken. amerikanischen Wissenschaftlern zwischen exportierte sie. Ausländische lVledizinstu-
Wer die ,,Komödianten" von Graham Mexiko und Chile und von Lateinamerika- denten sezierten Leichen von Menschen,
Greene gelesen hat, wird sich an den Wissenschaftlern zrvischen Madrid und die verhungert oder zu Tode gefoltert wor-
Kolumbusplatz in Port-au-Prince erinnern. Tokio geführt werdcn. Die Untersuchun- den waren.
Die Helden des Romans haben sich immer gen sollen ein für aliemal zeigen, was die Das Schlirnmste ist wohl, daß der Duva-
am Kolumbus-Denkmal verabredet. Auch Entdeckung des Kolumbus eigentlich war, lismus das Leben zu einer sinnlosen Exi-
ich wollte mir diesen Platz ansehen. eine Begegnung zrveier Welten oder Völ- stenz hat werden lassen und die Vorstellun-
,,F'ahren wir!" sagte mein Begieiter, ohne kermord. Dier.veil haben die Einwohner gen vom T'od transformiert hat. Auf dem
sich lange zu besinnen. Allerdings lächelte von Port-au-Prince, ohne etr,vas von diesen Weg von Port-au-Prince in die im Süden
er dabei etrvas merkwürdig. Woltgefechten zu ahnen. Kolumbus vom gelegene Stadt Jacmel gerieten wir in einen
Wir ließen die Brüstung der Uferstraße, Sockel gestoßen und ihrn die I-Iand abge- Stau. Vor uns zog sich fast über einen Kilo-
auf der Straßenmaler äußerst interessante schlagen, mit dei' er einst die heidnischen meter eine Trauerprozession hin und
Bilder anbieten, hinter uns und fuhren zum {Jreinwol-rner gctautt hat. strömte als schwarzer Fluß auf einen Dorf-
Kai. Hinter einem niedrigen Zaun stand ein Hier hat nur einer unter vielen Deshou- friedhof. Dazu spielte eine Band die heitere
Sockel und auf diesem war mit frischer kay stattgefunden. Der K<tlumbus-Platz Melodie eines bekannten amerikanischen
Farbe der Name Peralte geschrieben, des heißt jctzt Ferallc-Plrrtz. Schlagers.
Nationalhelden von Haiti, der 1919 wäh- Um zu begreifen, wanrm das Wort De-
rend der amerikanischen Okkupation sein shoukay heute in Port-au-Frince in aller Die Geisterstadt
Leben ließ. Munde ist, muß man nicht unbedingt an die
,,Und wo ist Kolumbus?" Verbrechen der Diktatur erinnern. Im Prin- Nirgendrvo spürt man die irrationalen
,,Fahren wir weiter", sagte mein Bekann- zip funktionieren alle Diktaturen gleich, Folgen der Diktatorenherrschaft so stark
ter mit demselben seltsamen Lächeln. auch wcnn sich die Henker Lind Folterer wie in der Hauptstadt. Hätten Gegner des
Wenige Minuten später stand ich vor dem technisch weiterentwickeln" Verschieden Urbanismus noch einen Beweis für die Idio-
Rathaus und verfolgte, ohne ein Wort zu ist nur das Ausmaß des Irrationalen, in rvel- tie des Stadtlebens gebraucht, dann würden
verstehen, den erregten Wortwechsel zwi- ches eine Diktatur das eine oder andcre sie hier in Port-au-Prince alle Beweise ver-
schen meinem Begleiter und dem Wachpo- Land stürzt. cirrt finden.
sten. Zwischendurch sahen sie zu mir her- Haiti, das Simon Bolivar, der Beficier In dieser Stadt kar.rn jedes noch so bedeu-
über, und dann konnte ich Worte wie Lateinamerikas, einst als Vorbild füt" dic tungsiose Ereignis zu unerwarteten und in
,,Monsieur" und,,Foto" verstehen. Schließ- Völker der westlichen Hemisphiire bezeich- der Regel tragischen F'olgen führen.
lich gab man mir mit einer geheimnisvollen nete; Haiti, wo revoltierende Sklavcn zum Es regnet. Regen ist in den Tropen eir-re
Handbewegung zu erkennen. daß ich dem ersten Mal in Amerika eine antikoloiriale dcr verläßlichsten Erscheinungen über-
Posten folgen solle. Die Eisentore sprangen Revoiution vr:ilendeten und wo 1804 die haupt. Es rcgnet immcr in denselben Mona-
auf, und aus der Dunkelheit rollten Schub- Republik ausgeruten wurdc; Haiti, ein ten und zur selben Tageszeit. In Port-au-
karren, wie Bauarbeiter sie benutzen, ins Land, in dem der eiserne Wiile der chema- Prince aber ist jeder RegengulS etwas
Freie. Als ich durch das Tor trat, sah ich, ligen Sklaven, ihre Unabh2ingigkeit um Außergewöhnliches, wie etwa in der
daß der aufmerksame Wachposten mir auf jeden Preis zu verteidigen, dazu geführt Sahara.
diese Weise Gelegenheit geben wollte, hat, daß 1000 Festnngen gebaut rvurden Die Stadt liegt am ,\usläufer des Kens-
Kolumbus zu fotografieren. Die Statue des (was die Zahl der Festungen pro Kopf der coff-Berges. Hier ist die soziale Geographic
großen Seefahrers stand in einer Garage Bevölkerung angebt, hat Haiti bestin'rrnt dcn ganz einfach. Je niedriger sich eine Woh-
mitten im Bauschutt neben einem verstaub- ersten Platz in der Welt): L)icses Haiti ist nung befindei, desto ärmer ist ste. In der
ten Lastwagen. Ich machte dem eilfertigen heute eines der ärmsten Ländcr dcr Welt. Unterstadt liegen nichtendenwollende
Unbekannten mit Zeichen verständlich. Und das ist einc direkte Folge der Diktatur. Elendsviertel. Auf dem Kenscoff-Berg liegt
daß er seine nützlicle Tätigkeit einstellen Wenn man die entsetzliche Armut der dic reiche Satellitenstadt Petionville. Noch
solle. !ch wollte derl'KolLtmbus so folo;tra- Menschen von Haiti veransch:rulichen will. rveiter oben sprechen die Teleskopanten-
fieren, rvie er sich mir jetzt dzrrbot, in der benutzt man dazu gervöhnlich Zahlen rvic nen auf den Ziegelddchern der Villen vom
Garage des Rathauses, die Hand, in der er diese: 800 000 Bauernfamilicn, clas sincl millionenschweren Besitzstand i hrer Eigen-
früher das Kreuz geltalten hatte. abgeschla- etwa 4 Mio Menschen, leben mit einem tümcr.
gen. Der kniende Kolumbus bot cinen iährlichen Einkommen vor.r 150 Dollar. tlberalt in Lateinamerika liegen extrente
erbärmlichen Anblick. B0 Prozent der Bevölkerung sind Analpha- Armut und extremer Reichtum nah beiein-
,,Nach Duvaliers Flucht haben die Mcn- bcten. 15 von 100lrleugeborenen stel'be11im ander. Nirgendwo aber ist die Armut so
J schen auch an Kolumbus Deshoukal, Prak crstcn Lebcttsjahr. provozierend wie ir Port-au-Prince. Man
ziert", erklärte der mich begleitende lves Llnter Iluvaiier wa: dcr Ilandel mit Blut- kann ihr nicht aus clem Weg gchen. In
i r'::l r"
.,iI E U E zEr 4.s0 El
Planeten, und deshalb schwimmen auch
Panama braucht ein Bewoh-
jeden Tag ..nasse Rücken". mexikanische
ner des vornehmen Viertels
Landarbeiter, die sich in den USA verdin-
Paitilla, wenn er will. für
gen, von Süden nach Norden durch den Rio
Monate keinen einzigen Grande.
Armen zu sehen. In Port-au-
Auch aus Haiti schwimmt man in die Ver-
Prince ist das
praktisch
einigten Staaten. und zwar in überfüllten,
unmöglich. Wann immer sic
wenig seetüchtigen Kähnen. Diese sinken hin
von ihrem Berg herabstei-
und wieder. Dann werden die Passagiere von
gen, sehen die Millionärc
von Haiti ihre armen Lands-
Haien gefressen. Häufiger aber fangen
Schnellboote der amerikanischen Küstenwä-
leute. Und umgekehrt.
che die Flüchtlinge ab und geleiten sie zurück
Jetzt also zum Regen. Als
an den Strand von Haiti. Unter Duvalier
der Kenscoff-Berg noch
hätte das für die Flüchtlinge den Tod in den
nicht besiedelt war, versik-
Gefängnissen der Diktatur bedeutet. Inzwi-
kerte das Regenwasser im
schen werden Boat-People in Haiti nicht
Boden und die Stadt wurdc
mehr erschossen. Sie erwartet der Hunger-
nicht mehr als jede andere
tod, weil 3ie das wenigt! Geld, das sie besa-
Stadt in den Tropen in Mit-
ßen, in die Überfahrt investiert und damit oft
leidenschaft gezogen. Dann
genug die Mafia bezahlt haben, die den Men-
bebaute man den Berg mit
schenhandel betreibt. In der Woche, die ich
Villen und verlegte Straßen.
in Haitiwar, wurden zwei Fluchtkähne unter
Jetzt versickert das Regen-
Geleitschutz nach Port-au-Prince zurückge-
wasser nicht mehr im Boden.
bracht.
sondern ergießt sich über diu
Die Bewohner von Haiti gehen auch in die
Straßen in die Stadt.
benachbarte Dominikanische Republik, die
Wir fuhren des Nachts, als
etwas ,,reicher" als Haiti ist. Dort etwartet sie
es regnete, nach Petionvilie.
Sklavenarbeit auf den Zuckerrohrplantagen
Uns strömten Wassermassen
und eine armselige Bezahlung, von der sie
entgegen, die hier und dort
sogar noch einige Dollar abzweigen, um ihre
Strudel bildeten und größerc
Angehörigen zu Hause zu unterhalten. Aus
Steine in die Dunkelheit mit
diesen schweißgetränkten Dollars bestehen
sich rissen. Am Hang hinter
einer Wende sotT der Motor
die Millionen, von denen ein bedeutender
ab, und wir blieben in den Teil der 6-Millionen-Bevölkerung von Haiti
lebt.
tobenden Elementen allein. Haitische Madonna Außerdem gehen die Bauern von Haiti
Dabei handelte es sich um
Papier, das etwa 20 US-Cents entspricht, noch in die Hauptstadt.
den gewöhnlichen, nicht besonders starken
sondern weil sie so schneller sind. Man braucht nur einmal einen Mahuli zu
Regen der bereits ausklingenden l{egenzeit.
Überhaupt ist die motorisierte Fortbewe- sehen, um zu wissen, wie so etwas aussieht.
Für den nächsten Morgen hatte ich eine
Verabredung in
der Unterstadt. Meine gung in Haiti ein abenteuerliches Unterfan- Mahuli sind Viehtreiber. Während der 2
gen, dessen Ausgang stets ungewiß ist. Wenn Fahrtstunden von Jacmel in die. Hauptstadt
Freurrde versprachen, schon um 7 Uhr mor-
trafen wir überall ausgezehrte, von der Sonne
gens vorzufahren. Warum so früh, wenn wir man die städtische Enge hinter sich hat und
endlich auf die Schnellstraße darf, hat man verbrannte Menschen an. die ebenso ausge-
uns erst um 9 Uhr verabredet hatten? ,,Später
den Eindruck, als fahre man eine Einbahn- mergelte Kühe in die Hauptstadt treiben. In
kommen wir einfach nirgends mehr durch.
straße in Gegenrichtung entlang. Dieses Port-au-Prince sagt man: ,.Das Fleisch bei
Dann sind die Straßen verstopft."
.Ktnznach7 fuhren wir vom Hotel ab" und Chaos läßt sich kaum beschreiben. Jeder uns ist so hart, weil es von weit her kommt."
überholt jeden mit einer Geschwindigkeit, Sobald die Mahulis das Vieh in die Schlacht-
ich begriff schlagartig, warum meine Freunde
so früh wie möglich fahren wollten. Die bei der man das Letzte aus dem Motor her- höfe im Süden der Stadt getrieben haben,
ausholt. Der eine oder andere mag diesen machen sie sich auf den Rückweg.
ganze schmale Fahrbahn, wo gciade zwei
Fahrstil auf das Temperament der Bewohner Manchmal sieht man Frauen und Kinder mit
Wagen aneinander vorbei paßten, war in bei-
von Haiti zurückführen. Mir scheint eine den Mahulis ziehen. Sie werden schon nicht
den Richtungen mit Fahrzeugen verstopft, so
andere Erklärung naheliegender. Während mehr an ihren Ausgangspunkt zurückkehren,
daß man eine Schildkröte um ihre Geschwin-
der Diktatur, als jede Freiheitsregung unter- sondern ihr Glück in Port-au-Prince versuchen.
digkeit hätte beneiden können.
Diese Unmenge von Automobilen in einer drückt wurde, war ein entfesselter Fahrstil Die Stadt ist ständig in Bewegung. Auf den
Stadt, die sb arm ist wie Port-au-Prince, ist fast die einzige Möglichkeit, sich frei zu ersten Blick kann mari'sich diese Bewegung
erstaunlich. Nur sind die meisten Fahrzeuge äußern. Die Polizei war nicht dazu da, diese nicht ganz erklären. Die Bewohner des einen
ein Mittelding zwischen Bus und Taxi, in Raserei zu verhindern, und dient bis auf den Slumviertels ziehen in ein anderes um. Die
denen je nach Tageszeit 10 und mehr Fahr- heutigen Tag immer noch nicht dazu. Menschen wechseln ihren Arbeitsplatz, um
gäste, ihre Zahl ist nach oben offen, Platz Was sich in Worten nicht mehr wiederge- nicht zu viel für die Beförderung auszugeben.
finden. Diese Minibusse heißen hier ,,Tap ben läßt, ist die unwahrscheinliche Enge, in ln der Zeit. die sie brauchen; um eine neue
tap" und sind aufgrund ihrer grellen Bema- der die Einwohner von Port-au-Prince leben. Arbeit zu finden, hat man sie schon vor die
lung eine besondere Sehenswürdigkeit für In entwickelten Ländern hält man eine Kor- Tür gesetzt. Dann suchen sie sich am anderen
Besucher der Hauptstadt. Sie sind außerdem relation zwischen der Bevölkerung der größ- Ende der Stadt ein Zuhause, und alles fängt
das einzige städtische Transportmittel, ten Stadt und der Bevölkerung der zweit- von vorne an. Es heißt, daß eine Familie
was wieder nichts mit ihrer Bemalung zu tun größten Stadt von 2 : I fur normal. In Ent- nicht länger als 2 Jahre in einem Bidonville
hat. wicklungsländern schwankt sie um das Ver- wohnt. Ublich ist auch, daß jemand, der
In der Stadt der Widersprüchlichkeiten hältnis 5 : 1. Die Bevölkerungsdichte in Port- Arbeit gefunden hat, nicht länger als 3 Jahre
muß auch die Bezeichnung ,,Tap tap" eine au-Prince übersteigt die der zweitgrößten an diesem Arbeitsplatz verbleibt.
solche sein. In der Kreolensprache heißt ,,tap Stadt Cap-Haitien 11mal. Der Grund daftir
tap" schnell, und zwar meint man damit ist derselbe wie in den anderen Ländern der Michail Baklanow
Höchstgeschwindigkeit. Zu den Stoßzeiten Region. Arme Bauern wandern in die Haupt- APN-Korrespondent für die NZ
gehen viele Bewohner der Stadt lieber zu stadt oder suchen sich Arbeit im Ausland. PORT-AU-PRINCE - PANAMA
Fuß. nicht nur, weil sie nicht über 1 Gourde Das ist zum Beispiel auch in Mexiko der Fall. Fotos des Autors und
serfügen, ein unglaublich speckiges Stück Deshalb ist Mexico City die größte Stadt des aus ,,National Geographk" ((ISA)
a ,, lt T " 4.0$
Jewgeni Ambarzumow:
DerWesten will uns nichts Böses
Demokratie jetzt Diskussionen und Axiome
Als die internationale Konferenzzu Fragen der weltweiten tionszeit der Kampf gegen die westliche
Entwicklung (Rimini), an der auch der sowjetische Politologe Demokratie ein Mittel war, mit dem
bestimmte führende Gruppierungen ihre
JewgeniAmbarzumow teilnahm, zu Ende war, bat ich ihn um Herrschaft sicherten und sich hinter ihrer
ein lnterview. Mit meiner ersten Frage wollte ich natürlich in ideologischen Panzerung der Kontrolle
Erfahrung bringen, wie seine westlichen Kollegen die durch das Volk zu entziehen versuchten.
Entwicklung in der UdSSR sehen. Daß sowjetische Menschen heute so vorbe-
haltlos ihre Meinung sagen und sich in ver-
r ch habe den Eindruck gewon- jedoch nicht vergessen: Als die Stände schiedenen Organisationen, Vereinigungen
I n"n, daß der Westen unsere zusammentraten, haben sie nicht wirklich und Gruppierungen zusammenfinden, ist
f Perestroika ernstnimmt und sich die Meinung des Volkes zum Ausdruck ein Indiz dafür, daß Demokratie einen uni-
I uon rnr t urantren rur erne Beru- gebracht. Heute sollte man sich die Unter- versellen Wert darstellt. Sie ist das Fluß-
a hieung in den internationalen schiede zwischen Demokratie und den alten bett, in dem moderne politische
,r Ständeversammlungen noch einmal verge- Geschichte sich heute vollzieht. Es wäre
Angelegenheiten verspricht. Ich kann nur genwärtigen. In ihrer modernen Auffas- allerdings ein Fehler zu meinen, Demo-
vor einer deformierten Vorstellung über sung ist Demokratie ein Ergebnis der Neu- kratie sei ein Allheilmittel. Dadurch, daß
den Westen und seine Einstellung gegen- zeit und jüngsten Vergangenheit. Stände- wir Demokratie einführen, und diesen
über den Vorgängen in der UdSSR warnen. Demokratie läßt sich dagegen nur auf die Weg haben wir heute eingeschlagen, gibt
Bei uns gibt es Leute, die glauben, der ferne Vergangenheit, als die russischen es nicht automatisch mehr Fleisch oder
Westen sitze da und warte, daß die Sowjet- Lande herausgebildet wurden. und darüber andere Mangelwaren. Wird aber der
union möglichst schnell auf den Hund hinaus wahrscheinlich noch auf äußerst Initiative jedes einzelnen freier Raum
kommt und in einen Bürgerkrieg hineinge- kriegerische Zeiten anwenden. Außerdem gegeben, kann Demokratie die Kräfte der
zogen wird. Das ist ein gründlicher und wird Demokratie in jedem Land verschie- Gesellschaft nicht nur im politischen,
gefährlicher Irrtum. Im Westen ist man den aufgefaßt. In Japan hat man ein ande- sondern auch im wirtschaftlichen Bereich
daran interessiert, unvorhersehbare Situa- res Demokratieverständnis als in Frank- freisetzen.
tionen auszuschließen, und will in der reich oder in Italien. Trotzdem würde kein Demokratie hängt notwendigerweise
Sowjetunion deshalb wirklich eine gedei- Japaner daran zweifeln, daß seine Gesell- mit Pluralismus zusammen. Im italieni-
hende und friedliche Großmacht sehen." schaft eine demokratische Gesellschaft ist. schen Parlament sind Katholiken, Kom-
Db noü rhc ftrllerilsclnn tlnblenräsF Wir haben die westliche Demokratie munisten, Sozialisten, die Soziale Bewe-
dorbn Gilullo ftüeotü tsil In der wesül- mehr als genug gescholten. Wissen wir des- gung Italiens, sprich die Neofaschisten,
drcrt hGssr mlllffihü tomnaüert wor- halb besser, was sie eigentlich darstellt? Im Republikaner und Liberale. vertreten. Jn
ün.. heutigen Europa, unter anderem auch in Italien gibt es drei nationale Gewerk-
,,Giulio Andreotti hat einen prinzipiell Italien, ist Demokratie Ergebnis eines jahr- schaftskonföderationen und autonome
wichtigen Gedanken geäußert, daß es näm- hundertelangen Kampfes von Kräften, die Gewerkschaften. Dieses ganze sozialpolt-
lich jetzt darauf ankomme, die Beziehun- sich auf verschiedene Volksschichten stüt- tische Spektrum bringt unterschiedliche
gen zwischen Ost und West nicht mehr nur zen. Dabei wurde fast immer der Wunsch Weltanschauungen und ökonomische
auf der Grundlage von Zweckmäßigkeit, offenbar, das Volk so umfassend und so Interessen zum Ausdruck. Dennoch ist
rl
sondern auch von Solidarität zu gestalten. authentisch wie möglich zu vertreten. die italienische Gesellschaft hinreichend
i Der Begriff der Solidaritat verträgt
wunderbar mit dem des neuen Denkens in
sich Ich meine überhaupt, daß Demokratie
nicht unbedingt sozial oder klassenmäßig
geeint, um in internationalen Angelegen-
heiten ein Wort mitzureden. Unabhängig
ii der Politik. Inzwischen findet eine Art Auf- eingefärbt werden muß. Sie ist vielmehr ein von ihrer Parteizugehörigkeit sagen Ita-
ü klärung statt, bei der geprüft wird, inwie- Ergebnis der menschlichen Kultur, ange- liener im Ausland stolz, daß sie Italiener
* weit sich das Solidaritäts-Konzept in den fangen bei der griechischen Antike. sind. Ihr Pluralismus hindert sie nicht, ita-
Ost-West-Beziehungen verwirklichen Wir können von der westlichen Demokra- lienische Patrioten zu sein. Sowjetbürger
läß1." tie noch manches lernen. Wäre beispiels- dagegen ziehen es oft vor, im Ausland
ln r|ar Sorleümbn spfcil nan lrtml- weise in Italien die Demokratie wirklich nur keine Notiz voneinander zu nehmen."
3ciür üGr $tüt nn sfrlqn ülfrn wog eine Fiktion, dann hätte man den Kommuni- Vielleicht könnten wir im Westen auch
lb do pltrsdn unü öl(munbclrc Enürlde sten nicht erlaubt, in vielen Provinzen und lernen, was Plurallsmus lsl?
@. Städten die Regierung zu stellen und im Par- ,,Ich beschäftige mich seit Anfang der
,,Die russische,Geschichte weist in der lament der Republik stark vertreten zu sein. 60er Jahre mit Italien und war schon
Tat einige Besonderheiten auf. Von daher Wenn wir schon von einer Priorität der allge- mehrfach hier. Ich kann mich noch gut
wird auch die Uberzeugung abgeleitet, daß meinmenschlichen Werte sprechen, müssen erinnern, wie angespannt in den Jahren
der russische Weg auch heute etwas Exklu- wir uns darüber im klaren sein, daß Demo- des kalten Krieges die Beziehungen zwi-
sives haben müsse. Def Demokratie wird kratie einer dieser Werte ist. schen Italienern, die verschiedenen politi-
zum Beispiel der Begriff der Versamm- In der UdSSR gibt es Kulturschaffende, schen Parteien angehörten. waren. Nicht
lungs-Demokratie der vorrevolutionären respektierte Schriftsteller und Wissen- selten sahen sie im andern den Feind, dem
Stände entgegengehalten. Dabei geht es, schaftler, die der westlichen Demokratie man lieber aus dem Weg geht. Als Italien
soweit ich sehe, darum, Volksinteressen mißtrauisch gegenüberstehen. Sie meinen, wirtschaftlich erstarkte und man davon
miteinander abzustimmen und zum Aus- daß der Westen beabsichtige, die Sowjet- sprechen konnte, daß dieses Land auf-
druck zu bringen, wie das in der Vergangen- union mit ihrer Hilfe zu überrumpeln. Ver- blüht, wurde die Spannung durch normale
heit angeblich der Fall war. Man sollte gessen wir aber nicht, daß in der Stagna- Koexistenz abgelöst, mehr noch, es ent-
,.il E U E ZEII"4,9OE
D
stand ein sozialer Konsens, eine stillschwei- italienische Kreise dem Phänomen von Jel- Extremismus auftreten. In Krakow habe
gende Übereinkunft darüber, claß einige zins Populismus gegenüberstehen. Hier ich gesehen, wie er bei einer Diskussion mit
grundlegende Prinzipien von allen über- meint man, daß die sowje tischen Inteliektu- Studenten diejenigen zurechtwies, die
nommen werden mußten. lnzwischen ellen unverantwortlich gehandelt hätten, einen Abzug der sowjetischen Truppen aus
haben zum Beispiel 'die Kommunisten ais sie Jelzin unterstützten, weil eine popu- Polen oder einen polnischen Austritt aus
Freunde unter den Christdemokraten, listische Politik das Land ins Chaos zu stür- dem Warschauer Pakt forderten. Ich habe
Sozialisten und sogar unter den Rechten. zen droht. Viele westliche Beobachter sind den Eindruck, daß die Abneigung gegen
Ich kenne FälIe, da die politische Unverein- davon überzeugt, daß Jelzin in seinen poli- jeden Extremismus der modernen westli-
barkeit ein kommunistisches Parlaments- tischen Aktionen unberechenbar ist. Das chen Entwicklungskonzeption zugrunde
mitglied nicht hindert, mit einem Abgeord- haben mir keine Konservativen, keine Dog- liegt. Eine solche Konzeption schließt das
neten der neofaschistisbhen Partei befreun- matiker gesagt. Weil ihnen sehr am Schick- Prinzip ,Je schlechter für die, desto besser
det zu sein. In der Sowjctunion geht der sai der Perestroika liegt, halten sie auch die für uns' aus. Im Westen wollen höchstens
interne politische Kamplleider ins Extreme Forderungen der baltischen Republiken, extrem rechte Kräfte unser Land im Chaos
und wird zum Selbstzweck. Dabei treten für sei es nach ,A,btrennung oder einer eigenen versinken oder auf dem Müllhaufen der
denjenigen, der mit der Entlarvung seines Währung, für überzogen. Ich habe ver- Geschichte sehen."
Opponenten beschäftigt ist, die Interessen sucht, mit ihnen zu polemisieren. Ich habe Es gibt die lllleinung, der Westen helle der
einer stabilen gesellschafllichen Entrvick- keinen Zweifel daran gelassen, daß ein $owiefunion ntt], um uns dem lkpitalismus
lung nicht selten in den Hintergrund. Staat wie unserer eine starke R.egierung näher zu bringen,
Obwohl es sich um ein und dieselbe Partei braucht, daß auch der führende Mann der ,,In der UdSSR streitet man sich schon
handelt, ist eine Seite scheinbar bercit, die Perestroika wichtige Vollmachten für ihre manches Jahr mit der Frage herum. in was
andere zu vernichten. Es ist gcfährlich, so Verwirklichung braucht, meine aber den- für einer Gesellschaft wir eigentlich leben.
zu leben. Meine Gesprächspartner in Ita- noch, daß dieser erste Mann durch die Inzwischen wissen wir schon nicht mehr, ob
lien machten rnich darauf aufmerksam, wie mächtige demokratische Aktivität der wir uns auf den Sozialismus oder auf den
unkonstruktiv die Aktionen der sogenann- sowjetischen Menschen gestützt rverden Kapitalismus zubewegen. Irn Westen macirt
ten radikalen Opposition seien. Sie haben muß. Ich habe seinerzeit für Jelzin man sich über den Namen der Gesellschaft
mir zurn Beispiel gesagt: Die Kritik, die gestimmt, rveii ich in ihm eine gegen den die geringsten Sorgen. Wir gehen dagegen
eure radikalen Politiker an der sowjetischen Apparat gerichtete Kraft gesehen habe. Ich vom Primat der Ideologie aus und versu-
Regierung üben, wird zum Selbstzweck. Ich glaube, daß viele etwa dasselbe von ihm chen, unsere Einstellung zur Politik und zur
gebe diese lVleinung wieder. weil ich gehalten haben." Okonomie aus ihr abzuleiten. Die Praxis
giaube, daß es nicht schaden kann, sich ein- Bei der Beweltrng der Radikalen in der hat erwiesen, daß so etwas nicht produktiv
mal nrit anderen Augen zu sehen." Sowjetunion sind Sie also mit lhren westli- ist. In Pisa haben Studenten mir den Tip
lst alles, $ras man inn Westen über die chen 0pponenüen aneinandergeraten? gegeben: Hauptsache, die sowjetische
sowjetische Gesellschaft und über die Pere- ..Ich spreche hier ganz bewußt die Gesellschaft wird im Verlauf der Pere-
stroika denkt, lür uns brauchbar? Unruhe des Westens an, weil ich selbst über stroika keine Bourgeois-Gesellschaft. Da
,,Aus verständlichen Gründen können Konfliktsituationen beunruhigt bin, die habe ich sie gefragt. ob die Hauptsache
sich die Menschen im Westen die Schwie- man eindeutig hätte vermeiden können. nicht eher darin besteht. daß die sowjeti-
rigkeiten im Alltag der sowjetischen Men- Beobachter und Kritiker im Westen haben schen iVlenschen endlich besser leben. Und
schen nur schwer vorstellen. Deshalb kann den Erfolg der Perestroika zu ihrem Krite- wie sie sich eine antibourgeoise Gesell-
man auch verslehen, daß der eine oder rium gemacht. Alles, was gegen die Pere- schaft vorstellen. n'elche Eigenschaften sie
andere im Westen die Perestroika eupho- stroika arbeitet, läßt sie authorchen. Ich hätte. Als Antrvort hörte ich: Neben einem
risch überbewertet und ihre Schrvierigkei- kann einen solchen Ansatz verstehen. Eine hohen Lebensstandard sollte sie die Demo-
ten und Widersprüche unterschätzt. Trotz- Niederlage der Perestroika hätte nicht nur kratie hochhalten und die Freiheit der Kri-
dem ist es für uns äußerst nützlich, die west- für die Sowjetunion, sondern auch für den tik garantieren. Genau das wollen wir ja!
liche Sichtweise zu verstehen rrnd zu Westcn dramatische Folgen. Es ist bemer- entgegnete ich ihnen. Die jungen Leute
berücksichtigen. Aniangs habe ich mich kenswert, daß selbst Politologen wie Zbi- waren leicht vers'irrt. ;
darÜltr't,Jt'\\ ltrtrir'rI. \\ ir' I)( r',rIi\ l\trrll-t'rrirt' qnicu, Brzczirrski gcgcn .jctlt- Form von Jede gesellschaftljche Entwicklung bringt
gewisse Anstrengungen mit sich. Es ist
unmöglich, die Entscheidung vorher zu kon-
struieren. Das haben wir lange genug ver-
sucht. Wir rvollten alles besonders gut
machen, das Ge-eegenteil ist dabei herausge-
kommen. Als Lenin sah, wohin der Kriegs-
kommunismus das Land brachte, sagte er, \
daß der Wagen nicht dahin fährt, wohin die
am Steuer meinen. daß er fähfi.
Oft kann man in der sowjetischen Presse
lesen: Bervahre uns Gott vor einem neuen
Kapitalismus und der Entwicklung des Pri-
vateigentums. Bei unseren Erfahrungen.
die wir mit der Unterdrückung jedes Keims
von privater Initiative gesammelt haben,
sind wir immerhin in eine Sackgasse gera-
ten. Wäre es nicht besser, sich in diesem
Fall über vielfältigeEigentumsformen
Gedanken zu machen? Ausländischer Hilfe
ry
stehen wir genau so ärgwöhnisch gegen-
über. Es ist durchaus möglich, dalS die
sowjetische Wirtschafi keinc direkten
. .',, Finanzenspritzen braucht. Um so mehr. als
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die bereits gewährten Kredite noch nicht
vrillig in Anspruch genommen sind. Ich bin
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U : ;li ex tn d er Ll nl i oro rr jedoch der festen Überzeugung. daß rvir
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Land ohne Rand ieder einmal wird das Gespräch, das ich ,,Ein wichtiges Element der kanadischen Nationali-
mit dem Politologen und Publizisten Ilya tätenpolitik", sagt Ilya Gerol, ,,ist der kulturelle Plura-
Gerol fi.ihre, von einem Läuten an der Tür libmus, das Zusammenleben der Volksgruppen und
unterbrochen. Ich gehe jedesmal mit an Kulturen, das wir hier auch als kanadisches Mosaik
die Tür, weil ich neugierig bin. Im Türrah- bezeichnen. Jede Minderheit gilt bei uns als Volks-
men zeigen sich immer wieder neue Grüppchen von gruppen, die nicht nur alle Rechte, sondern auch Vor-
Zu Allerheiligen Kindern verschiedenen Alters. Die einen maskiert, die rechte für den Bezug von staatlicher Unterstützung
geht das Geschäft anderen in,,angsteinflößender" Henkerskluft mit schar- genießt, um sich als nationale Minderheit besser ent-
weiter. Zwar fem Beil, als Pirat oder grell geschminkter Punk. Sie alle
jagen dem Hausherrn routiniert Angst ein, woraufhin
wickeln zu können, mit eigenen Schulen, die vom
Staat subventioniert werden, mit eigenen Kulturwer-
kommt man der sich ,,loskauft", indem er aus einem rechtzeitig vor- ten und, was sehr interessant ist, mit ihrer eigenen ein-
maskiert nicht bereiteten riesigen Sack eine Handvoll Bonbons hervor- zigartigen Verbindung zur Urheimat, die ebenfalls
in eine Bank, holt und großzügig verteilt. Jedes von diesen jungen vom Staat gefördert wird. fJnsere Gesellschaft meint,
denn unter der Schreckgespenstem trägt eine Tüte ftir die Beute, man- je stärker beispielsweise die Verbindung der Libane-
Maske könnte sich che sind schon halbvoll, denn dies ist nicht das eßte sen zum Libanon und der Italiener zu Italien sind,
Haus, dessen Bewobnern sie ,,Angst einjagen". Heute desto fester sind auch die Verbindungen Kanadas zu
ein richtiger ist Halloween, ein fröhliches Fest vor Allerheiligen. diesen Minderheiten."
Gangster Schon zwei Tage vorher treiben karnevalistisch aufge- ,,Verzeihung, wo ist denn da die Logik?"
verbergen. motzte Gestalten auf den Straßen ihr Unwesen. Nicht ,,Kanada ist ein Land, das dich nicht nur als einen
Ein Bankange- nur auf den Straßen übrigens. Die Mitarbeiterinnen seiner Bürger liebt, sondern an dir liebt, daß du
stellter aber mußn einer solch soliden ünd nüchternen Einrichtung wie der andere Wurzeln hast. Das hilft Kanada, dem Land,
Bank, in der ich mich einmal auflrielt, machten einen, aus dem du stammst, näher zu sein. Sie sind die kana-
ob als Gangster gelinde gesagt, merkwürdigen Eindruck. Die Kassiere- dische Brücke zu diesem Land. Wenn zum Beispiel
oder als Pirat rin, die meinem Begleiter das Geld vorzählt, hat das der italienische Premierminister anreist, hält er nach
verrnurnmtn immer Erscheinungsbild einer Dame aus einer Hafenkneipe den offiziellen Gesprächen eine Ansprache vor der
einwandfrei zählen. angenornmen. Offenherzige Gewandung, Tätowierun- italienischen Gemeinde, wo man ihn mit der italieni-
gen, wie der Anker auf ihrer Schulter, ein gewaltiges schen Flagge begrüßt. Vertreter der Bundesregierung
Veilchen unter dem linken, eine Art Spinnennetz unter sind bei der italienischen oder jeder anderen Festver-
dem rechten Auge, schwarzer Lippenstift, dazu passend anstaltung dabei. Bei uns ist eine doppelte Staatsbür-
schwarzer Nagellack. Zur Krönung hat sie ein Hunde- gerschaft möglich. Wir wissen, daß man niemanden
halsband angelegl. Der Kürbis hinter ihr ist ihre Kolle- mit Gewalt zum Kanadier macht. Nur Liebe kann
gin: Ein mächtiger Fuckel rundet die künstlich aufge- einen zum Kanadier machen."
blähte Vorderfront ab. Kürbisse sind ein wichtiges Hal- ,,Worin äußert sich das denn noch?"
Ioween-Utensil. Sie werden in unvorstellbaren Mengen ,,Nehmen wir zum Beispiel nur die feierliche Verlei-
gekauft. Man entfernt das weiche Innenleben, schneidet hung der kanadischen Staatsbürgerschaft. Man
Augen, Nase und Mund in die Schale, stellt brennende bekommt sie nach drei Jahren, wenn man eine ständige
Kerzen hinein und postiert das Ganze am Hauseingang Aufenthaltserlaubnis hat. Während der Zeremonie lei-
oder auf dem Balkon. lmmer noch keine Angst? Dieses stet man einen Treueid auf Königin Elisabeth II. und
Spiel wird überall zelebriert. Später läuft lhnen im Kanada. Ddbei ist ein besonderer Staatsbtirgerschafts-
Geschäftsviertel der City eine Dame in Abendtoilette Richter anwesend, der unserer Tradition zufolgejeweils
über den Weg, die sich von einem wilde Sprünge voll- eine nationale Minderheit repräsentiert. Er wendet sich
führenden King Kong begleiten läßt. Oder noch besser: ungefähr mit folgenden Worten an den neuen Bürger
Duich die Menschenmenge schwebt ein dunkel gedeck- Kanadas: Wir wissen, daß Sie das Land lieben, aus dem
ter Tisch. Aus zwei daraufbefestigten Tellem schauen Sie hergekommen sind. Wir lieben Sie dafür, daß Sie
die fröhlichen Köpfe zweier junger kute heraus, die lhre Länder lieben. und wir möchten gerne, daß sich in
diesen Tisch tänzelnd tragen. Ich habe keinen einzigen Ihrem Herzen auch ein bißchen Platz für Kanada findet.
Trunkenbold und auch nicht eine Spur von Aggressivi- Eigentlich geht es dabei um das Recht derAuswahl, und
tät, wie sie leider ftir uns bezeichnend wären, gefunden. das festigt eine Gesellschaft immer.
Wie würde Vergleichbares wohl zu Hause ablaufen? Hier noch ein anderes Beispiel. Wir haben hier diese
Ein schwacher Trost: Das Fernsehen bringt Mel- ftirchterliche ,Nascha Gaseta', eine Zeitung der russi-
dungen über nicht ganz so unbeschwerte Halloween- schen Minderheit. Sie wird von niemandem gelesen,
Feierlichkeiten südlich von Kanada. Im New Yorker aber das Prinzip, daß man für die Herausgabe einer
Stadtteil Bronx gingen mehfere Häuser in Flammen Minderheitenzeitung Beihilfen erhalten kann, wird ein-
auf. Verschiedentlich kam es zu Schießereien, bei gehalten. Das ist ein Zeichen für die Stärke des Staates,
denen eine minderjährige schwangere Frau schwer ein Ausdruck derselben Politik der ,Gemeinschaft der
verletzt wurde. Soweit ich das in Erfahrung bringen Gemeinden'."
konnte, lassen sich solche Leidenschaften in Kanada ,,Was für eine Zeitung ist denn das?"
nicht beobachten. ,,Ein extremistisches, extrem rechtes und obendrein
Wieder klingelt es an der Tür. Die übliche Hand- stümperhaft gemachtes Blatt. Die Regierung hilft allen
voll Bonbons für die weißen, schokoladenfarbenen Volksgruppen, ihre eigenen Zeitungen herauszubringen,
und ganz schwarzen Kinder. Das zur Illustration auch den gespaltenen, wie zum Beispiel der portugiesi-
Anfang siehe Nr. 2 unseres Gesprächs. schen Volksgruppe, die zur Hälfte aus Sympathisanten
USA näher sein als Kanada, wentr es diese ,,Kommerzielle oder wirtschaftliche Abkom- ,,Richtig. Da ist noch das Erdöl in Alberta.
Macht nicht gibt. Wir hatten schon mehrere men mit einem anderen Staat tverden üblicher- Auf welcher Grundlage sollen andere Pro-
sowjetische Delegationen hier, die sich darüber weise auf Regierungsebene gcschlossen. Sobald vinzen es beziehen? Sie sind gezwungen, es
Gedanken gemacht haben, ob die UdSSR mit aber irgendeine Gesellschaft im Rahmen dieses zu kaufen. Ein anderer Streitpunkt ist der
unseren kanadischen Edahrungen etwas anfan- Vertrages aktiv wird, mischen sich die Bundes- Strom, den Quebec produziert und dann
gen könnte. Jemand hat die Idee aufgebracirt, behörden nicht mehr ein. Es bleibt ihnen über- plötzlich an die Vereinigten Staaten verkauft
in Moskau ein Symposium zu diesen Thema lassen, ob sie sich unterstützend einschalten. hat. Oder nehmen Sie die Auseinanderset-
durchzufuhren, bei dem Vertreter Ihrer Repu- Allerdings können auch die Provinzen selbst zungen zwischen Ontario und Quebec, weil
u'irtschaftliche Vereinbarungen mit anderen den Einwohnern von Ontario die Benutzung
bliken und unserer Pro.,'inzen. Abgesandte der
Slaatcn treffen unci ihre eigenen Delegationen des kostenlosen Gesundheitswesens in Que-
sowjetischen und kanadischeu Vijiker des Nor-
entsenden. Die Provinzen haben eigene Mini- bec versagt worden war. Es gibt noch viele
dens, Wissenschaftler, Soziologen und Politolo-
gen diese Frage diskutieren un,-1 zrtlnindest sterisn für außenwirtschaftliche Beziehungen. andere Konfliktsituationen. Sie werden aber
einen Modelltyp prägen könnten. Datrei könnte British Columbia hat zum Beispiel mit der chi- alle auf dem Weg von Verhandlungen zwi-
man die Modelle vergieichen." nesischen Regierung einen solchen Vertrag schen den Provinzregierungen gelöst."
,,Wic sehen denn unter den Bedingungen abgesch lorsen I U m larse ndc poti t'ilche Ve rt rägä ,,Ohne Hilferuf nach oben?"
einer födeialisierten Konföderation die Vor- sind dagegen ein Vorrecht der Regiemng."
,.Die Bundesbehörden haben keine fecht-
rechte der kanadischen Provinzen aus?" ,.Die Provinzetr haben also zr.rci Vöglichkei- liche Grundlage, auf der sie fur die Provinzen
,,In gewisser Hinsicht sind die Provinzen sou- ten, intemationale Wirtschaftsbeziehungen her- Entscheidungen fällen könnten. Die Rechte
verän. Sie befinden sclbst über ihre industrielle zustellen: mittelbar über Regierungsorgane sind klar voneinander abgegrenzt. Letzten
Entwicklung, ihr Cesundheitswesen, ihr Bil- oder selbständig?" Endes gibt es noch'das Bundesparlament
dungssystem, ihre Einwanderungs- und ,,Ja. Wie gesagt. dabei geht es nur um wirt- oder die königlichen Kommissionen, die die
Arbeitsge.utzgebung. " schaftliche, nicht um politische Vereinbarun- Probleme prüfen und Empfehlungen vorle-
,,Das heißt, in verschiedenen R.egionen Ihres gen. Obwohl die Provinzen im wirtschaftlichen gen. Diese werden von den Provinzen
Landes geiten unterschiedliche Arbeitsge- Bereich souverän sind, gehen sie, wenn sie Aus- gewöhnlich ernst genommen."
setze?" landsverbindungen hcrsteiicn. natürlich von der
.,Wir haben maßgebliche 13trttciesgesetze. Interessenlage des ganzen Landes aus. Ich ,,Sie kennen sich im staatlichen Aufbau
Zum Beispiel haben wir den l\tnricststunden- meine damit das Prinzip .Starke Provinzen der UdSSR aus und verfolgen von Berufs
lohn auf v-iel Dollar fünfzig {,'ents fcstgelegt. maclren ein starkes Zentrum'." wegen die Lage in unseren Unionsrepubli-
Die eine Provinz kann diese Untergrenze auf ,,Folgt das eine aus dem andern?" ken. Könnte Ihrer Meinung nach ein sol
sechs Dollar fünfzig Cents anhctren, die andere .,Das würde ich nun nicht gerade sagen, ches System der Beziehungen zwischen
auf. sagen wir, vier Dollar fünfundsiebzig, aber immerhin ist es ein Prinzip. das nicht so leichi in Zentrum und Provinzen und zwischen den
in keiner darf eine Entlohnung unter dem Bun- die Praxis umzusetzen ist. Hier herrscht der Provinzen selbst auf unsere Verhältnisse
desmindestsatz zugelassen werden. Die Bun- Konflikt als Daucrzustand. ' übertragen werden?"
iesgesetze werden übrigens vom Unterhaus, in ,,In der UdSSR halten sich die meisten an ,,Natürlich haben die kanadischen Pro-
.lcm alle Provinzen vertreten sind, und vom eine von folgenden zwei Konzeptionen: ,Starke vinzen ihre eigenen Interessen, trotzdem
Senat verabschiedet, dessen Mitglieder auf Vor- Republiken machen ein starkes Zentrum', lassen sie sich nicht mit lhren Republiken
.ch1ag der Provinzen ernannt werden." beziehungsweise ,Ein starkes Zentrum macht vergleichen, wo es immerhin noch die
..Woraus werdel die Provinzhaushalte starke Republiken'."
nationale Frage gibt. Man sollte die kana-
...pci.t)' ,,In Kanada ist nur die erste Variante mög- dische Praxis nicht mechanisch übertragen.
\us den intelnen Kapazitätet und aus FJun- lich. Hier hat man keine Angst vor starkeu Pro-
..
Was jedoch meiner Meinung nach nützlich
-..sclicm. Wc:- '.rll heispiclsweise tlie nördll- vinzen. Wil meineh. jc stärker sie sind. ciesto
sein könnte, wäre. jede Republik zu einer
:ien Territodcn cntwickeln? Welche Gesell- bcsscr steht Kanlda insgcsamt d:r. Was ttic per-
.ll-'an iibernlrrmt es. an der Eismecrküste etwas manenten Konflikte angeht, ctie daraus entste-
Art Quebec zrl machen. zu erner ,distinct
hcn.. so werden die imRahmen detbestelrenden
society', erner Gesellschall mit Sondersta-
::,-rrihaltes auizubauen? So etrvas kaun nul der
" tus. "
S::r:1: machen. Für so etwas hahen rvir bei uns Gc-cetze beigelegt.
:.:. Si st.m von Staatskonzernen, die ihre Mittel .^\!ir haben schon einen soichcr, Streitpunkt Wladimir Shitomirski
--. -:nr Buncieshaushalt bezichefi ." angesprochen, nämliclr daß cinige Provtnzcn
OTTAWA--MOSKAU
.. K.rnnen Ihre Provinzen außenrvirtschaftli- ciie Meech-See-Vereinbarung nicht unterschrei-
Fotos: der Aut".tr
: :- : B:ziehuuqen herstellen?" hen wollen..."
A -H E u E z E I T" 4.90
IIZ-SIAIIDPUilI(I
Ventrauensrnangel
bei zw viel lnitiative
m Nahen Osten gab es im vergangenen Jahr lung den Frieden nicht näherbringen. Viele in Israel
eine Rekordzahl von Friedensinitiativen: palä- machen sich inzwischen Gedanken darüber, welchen
stinensische Vorschläge, Shamir-Plan, Muba- Enfluß die Teilnahme an solchen,,Kamplbperationen"
raks 10-Punkte-Programm, Schewardnadses auf die moralische Verfassung der in Uniform gesteck-
Vorschlag, Baker-Plan usw. Der dadurch ten jungen Menschen ausübt. Ferner machen die
bedingte Prozeß ist nicht nur eine abermalige Aktivie- Gerichtsprozesse gegen Israelis, die ,,verbotene" Kon-
rung der Diplomatie. Es wird zielstrebig nach Methoden takte mit der PLO aufnehmen, der israelischen Regie-
gesucht, den Konflikt beizulegen, wobei sich alle inter- rung keine Ehre.
essierten Seiten darüber einig sind, daß die sich in die Man kann nicht sagen, daß die andere Seite schon
Länge ziehende ,,Weder Krieg noch Regulierung"- alles, was in ihren Kräften steht, getan hätte, um den
Situation heute bereits die Gefahr einer Explosion von friedlichen Prozeß voranzubringen. In einigen PLO-
runvorhersagbaren Ausmaßen in sich birgt, was Kreisen hört man, die Organisation habe ,.das Limit an
nur durch die Aufnahme eines Diaiogs abzu- Kompromissen erschöpft", nun sei es an
wenden ist. Der Konsens zu diesen Schlüs- der Zeit, erneut,,Härte" zu demonstrieren.
selfragen bedeutet noch nicht, daß die größ- Einige Anhänger dieser ,,Härte" suchten
ten Hindernisse beseiiigt wären. Fragen sogar ihr:e Aufiufe durch entsprechende
grundsätzlichen Charakters - Zusammen- Schritte zu bestärken. Das kannjedoch ihre Warum ist
setzung der Teilnehmer am Dialog, seine Absichten nicht verbergen, Arafats Kurs die Situa-
Stadien und Endziele - sind noch nicht auf gegenseitig annehmbare Entscheidun-
gelöst.
tion
gen zu ändern. Inzwischen ist die Palästi-
Israel weigert sich nach wie vor stur, mil nensische Nationalcharta von 1968, die mit ,,Weder
der PLO zu verhandeln, und lastet ihr extremistischen Sätzen gespickt ist, noch Krisg norh
,,Hinterlist" an, obwohl PlO-Vorsitzen- nicht offiziell revidiert worden. Frieüen"
der Arafat bereit ist, alle Mißverständnisse Infolge des mangelnden Vertrauens
und Probleme mit Tel Aviv zu besprechen. zwischen den unmittelbaren Konfliktpar- üclänrfiffi?
Wladimir Offensichtlich ist ferner, daß es eine Zeit- teien kommt es auf vereinbarte friedens-
Nossenko bombe für das künftige Friedenssystem dienliche Schritte der USA und der
wäre, die PLO und zugleich mit ihr Hun- UdSSR ganz besonders an. Das Ver-
derttausende palästinensische Flüchtlinge trauen zwischen diesen beiden Mächten
auszuklammern. Außerdem kann der Dialog nur dann kann u. a" dannvoll gesichert werden, wennjede von
konstruktiv sein, wenn seine Teilnehmer einander ihnen in ihrer Nahostpolitik Handlungen vermeidet,
vertfauen - die den Eindruck erwecken könnten, sie wolte die
Israel sollte garantieren, daß die von ihm vorgeschla- Kontrolle über den friedlichen Prozeß monopolisie-
gene Etappe der ,,Autonomie" für die Palästinenser ren.
nicht zu einer endgültigen Regulierungsform ausartet, Meines Erachtens spielt die UdSSR heute endlich
die durch das Selbstbestimmungsrecht dieses Volkes eine konstruktive Rolle bei der Regelung. Freilich
einen dicken Strich macht. Die palästinensische Seite gibt es noch ungelöste Fragen, daruntär einä so heikle
muß ihrerseits garantieren, daß die Schaffung eines wie clie Wiederherstellung der diplomatischen Bezie-
eigenen Staates keine Vorbereitung auf eine ,,Befreiung hungen zu lsrael. Der offizielle Standpunkt ist
von ganz Palästina" bedeuten würde. Beide Seiten ver- bekannt und hat seine Logik. Es lohnt sichjedoch, die
kündeten wiederholt, sie hätten schon alle möglichen Frage auch unter einem anderen Blickwinkel zu
Erkiärungen über ihre Absichten abgegeber.r, es habe betrachten. Die Beziehungen wurden i967 abgebro-
also keinen Sinn. wieder damit zu kommen. Diesern chen, um die Politik Israels im Konflikt zu beeinflus-
Standpunkt ist schwer beizupflichten. In den langen sen. In den 22 Jahren seitdem hat das keine Ergeb-
Jahrzehnten des Konflikts hat sich zwischen beiden Vöi- nisse gezeitigt. Vielleicht wird sich ein anderer Weg,
kern enorm viel Mißtrauen, Argwohn und Feindselig- der auch die Bewegung zu poitischen Kontakten ein-
keit angestaut. Es ist nicht so leicht, sich von dieser Last schließt, den Friedensprozeß positiv beeinflussen?
zu befreien. Deshalb wäre jede Erklärung, die darauf Was eventuelle negative Folgen betrifft, so ist folgen-
zielt, dem Opponenten mehr Vertrauen abzuringen, des in Betracht zu ziehen. Erstens hat die UdSSR
seh r angebrachl .
Beziehungen zu zahlreichen Staaten, was jedoch
noch nicht bedeutet, ciaß sie mit dem politischen Kurs
Folgendes ist noch zu berücksichtigen. Die gegensei- eines jeden von ihuen einverstanden ist. Zweitens
tige Verständigung ist mit Erklärungen allein nicht zu hatten verschiedene arabische politische Kräfte, die
schaffen, erst recht nicht, wenn ein Kurs eingeschiagen sich jahrzehntelang auf die UdSSR stützten, die Mög-
wird, der zur Abschwächung der gegen die Regulierung lichkeit, sich von unserer aufrichtigen Freundschaft
wirkenden Faktoren keineswegs beiträgt. Israels Spit- zu überzeugen. Wer von ihnen wirklich einen festen
zenpolitiker mögen die Intifada noch so oft einem Aus- und gerechten Frieden anstrebt, würde einem so1-
bruch extremistischer Stimmungen gleichsetzen, fest chen Schritt wahrscheinlich Verständnis entgegen-
stetlt jedoch, daß gervaltsame Methoden zu ihrer Abstel- bringcn T
,,lt E u E 7E)r"rr.90l
ln Erwartung einer Losung völlig neuen Programm in die Wahlen.
Die Kongresse und Konferenzen der Verbände der Kommunisten Auf einer Plattform, die der slowenischen
in den Republiken und Regaonen derSFRJ sind abgeschlossen. Die ähnlich ist, steht auch der Bund der Kommu-
Positionen verschiedener Teile des BdKJ wurden dabeizum Aus- nisten von Kroatien, auf dessen jüngstem
druck gebracht. Wenn diese Positionen endgültig sind, dann kann Parteitag sich eine sehr radikale Veränderung
der Positionen vollzog. Der BdK von Kroa-
man sich nur schwer vorstellen, daß sie auf dem 14. Parteitag des tien sprach sich einmütig für eine I-egalisie-
BdKJ zu einem Dokument vereint werden können rung der Opposition aus. Eine wichtige Rolle
bei der Annahme dieses Beschlusses spielten
instweilen kann man mit Freude" aus Beethovens 9. Sinfonie. In die- die alternativen Organisationen, von denen
Gewißheit nur sagen, daß der sen äußeren Anzeichen kamen auch bedeu- es mehr als ein Dutzend in der Republik gibt.
bevorstehende Parteitag zum iendere Veränderungen in der Haltung der Während des Parteitages der kroatischen
vorgesehenen Zeitpunkt, vom slowenischen Kommunisten zum Ausdruck. Kommunisten organisierte die Opposition
20. bis 22. Januar, stattfinden Der BdK Sloweniens verzichtete auf die eine Unterschriftensammlung für eine Peti-
wird. Der Vorschlag des BdK von Kroatien, führende Rolle in der Gesellschaft, sprach tion mit der Forderung, alle Parteien zu lega-
ihn zu verschieben, fand keine Mehrheit. sich für eine Beschränkung seines Einflusses lisieren, die politischen Häftlinge freizulassen
Die Meinung dominierte. daß eine Verschie- entsprechend der Wählerstimmen, die er bei und vorfristige Wahlen durchzuführen. Der
bung eine negative Reaktion in der Gesell- den Wahlen erhält, aus. Die slowenischen Bund der Kommunisten von Kroatien
schaft auslösen und als Eingeständnis der Kommunisten unterstützten einhellig ein stimmte all diesen Forderungen zu.
Unfähigkeit des BdKJ, ein konkretes Pro- Mehrparteiensystem und erklärten ihre Die Plattform des Bundes der Kommunisten
gramm für Veränderungen vorzuschlagen, Bereitschaft, zu gleichen Bedingungen wie von Serbien, der größtenjugoslawischenRepu-
aufgefaßt werden würde. die Opposition in den Wahlkampf zu gehen. blik , unterscheidet sich merklich von der slowe-
Nichtsdestoweniger bleiben Zweifel Dabei wurde betont, daß nicht die Arbeiter- nischen und der kroatischen. In Serbien ist man
daran, daß es dem BdKJ gelingen wird, die klasse, sondem breite Bevölkerungsschichten damit nicht einverstanden, daß der BdKJ zu
bestehenden Gegensätze zu überwinden. jetzt dre gesellschaftliche Grundlage des BdK einer Koalition von Parteien wird, und tdtt für
Und diese Zweifel sind nicht unbegründet, von Slowenien sind. Jetzt können auch Gläu- eine feste Einheit der Partei ein . Was einen poli-
wenn man die Plattformen vergleicht, mit bige in die Partei aufgenommen werden. Die tischen Pluralismus angeht, so sprechen sich die
denen die Kommunisten der jugoslawischen Partei trennte sich vom Prinzip des demokrati- Kommunisten Serbiens nicht direkt fürein Mehr-
Republiken dem 14. (außerordentlichen) schen Zentralismus und erklärle sich bereit parteiensystem aus und erklären, nur Organisa-
Parteitag entgegengehen. zum Rückzug aus den Betrieben, wo sie die tionen, dieftireinebundesstaatliche Ordnungdes
Der Bund der Kommunisten Sloweniens Parteikomitees auflöste. Landes, für Demokratie und Sozialismus eintre-
spürt jetzt vielleicht mehr als die anderen Die slowenischen Kommunisten plädierten ten, hätten eine Existenzberechtigung. Nicht
Organisationen des BdKJ eine Opposition ferner für eine größere Eigenständigkeit der akzeptabel ist für Serbien auch die Idee einer
im Nacken. Das Tempo zu verringern oder Parteiorganisationen der Republik, nicht für ,,asymmetrischen Föderation", in der die Rechte
sich auch nur weiter mit der früheren eine einheitliche, geschlossene Partei, son- der Republiken Vorrang vor den Befugnissen der
Geschwindigkeit fortzubewegen, würde für dern im Grunde für eine Vereinigung von Föderation hätten.
ihn bedeuten, in der Republik nur noch die Bündnissen. So sind vor dem 14. Parteitag im BdKJ zwei
zweite Geige zu spielen. Die Opposition in Es gab Vorschläge, auch die Bezeichnung Konzeptionen, zwei Haltungen zu Reformen
Slowenien, die in letzter Zeit ihre Reihen ,,Bund der Kommunisten" zu verändern, in der Partei und der Gesellschaft deutlich
bedeutend gefestigt hat, ist entschieden doch die Mehrheit meinte, die Zeit dafür sei geworden. Die eine Haltung deckt sich mit der
gestimmt. lhr ZieI ist ein Sieg bei den im noch nicht gekommen. Also geht die Partei, Sloweniens und Kroatiens, die zweite mit der
Frühjahr bevorstehenden Wahlen und die wie mir der neue Vorsitzende der sloweni- Serbiens. Die Plattformen der Kommunisten
Entfernung des Bundes der Kommunisten schen Kommunisten Ciril Ribicic sagte, der übrigen jugoslawischen Republiken neh-
von der Macht. zwar mit dem früheren Namen, doch einem men weitgehend eine Zwischenstellung ein.
Die slowenischen Kommuni- Zweifellos wird es ftir den BdKJ riicht einfach
sten sehen sich vor ein Dilemma sein, Berührungspunkte in Streitfragen zu fin-
gestellt: sich mit der unvermeid- den und erst recht ein gemeinsames Programm
lichen Niederlage abzufinden --ol-..:-l- zu erarbeiten. Einige hiesige Journalisten mei-
oder der Gesellschaft attrakti-
r.ere Ideen als die Opposition
vorzuschlagen. Der BdK Slowe-
; "it3ejla
'j-4--l (r:-/-1.<,
nen, der 14. Parteitag könne zum letzten Partei-
tag des BdKJ werden: Kommt es zu einer Spal-
tung, wird es keine einheitliche Partei mehr
niens hat seine Wahl getroffen, geben. Wenn aber ein radikales Programm ver-
indem er ein radikales Pro-
qamm und eine neue Perspek-
iive für die weitere Entwicklung
+I 1*?'5
abschiedet wird, dann wird die Partei anders
und dem alten BdKJ nicht mehr ähnlich sein.
Schon bald werden wir die Antwort wissen.
lr,.
I'w
3er Republik präsentierte. Meiner Meinung nach erfolgt in den letzten
Zum Emblem ihres Parteita- Wochen vor dem Parteitag eine gewisse Radi-
ses rvählten die slowenischen kalisierung der Positionen des BdKJinsgesamt.
Kommunisten eine hellblaue In vielem läßt sich das durch die in der Partei
Flaege mit einem goldgelben der jugoslawischen Kommunisten herrschende
S:-'rn - die Farben des verei- Uberzeugung erklären, der BdKI müsse ent-
:.reien Europa. Entsprechend schiedene Umgestaltungen selbst einleiten,
:ie.1 das programmatische ohne abzuwarten, bis dies die Menschen auf
D.rk ument des Parteitages,,Für den Straßen verlangen werden
.r :uropäisches I-ebensniveau".
lni stan der ,,Internationale" Gennadi Syssojew,
:-:-:le vor Beginn des Parteita- NZ-Korespondenl
:.i Schillen Ode ,,An die Fragen... Fragen.,, Aus :,,Intervizw" (Jugoslawien) ZAGREB - LIUBLIANA - BELGRAD
I :ä:
"'''rffil* [:i' il.'.'l'DieH?l
,zugrunde gelegt worden sind.
ffil;
Linie des
Arbeitsheroismus zu bieten. Zu Heldentaten
der Arbeit inspiriert die Menschen, daß, wie
Kim Il Sung sagt, ,,ihre persönlichen Interessen
stoffe und Energie produzierenden Industrie
und des Transports, die insgesamt die Ursache
für Engpässe in der Produktion darstellen, son-
Aufbaus , eines ,,staatlichen Sozialismus" und die Interessen der Gesellschaft völlig über- dern auch eine radikale technische Umrüstung
brachte eine Wirklichkeit hervor, welche die einstimmen". In Berichten über wirtschaftliche der Wirtschaft. Die ,,technische Revolution"
KD\IR heute merklich von anderen sozialisti- Themen tauchen nicht von ungefähr Worte wie wird als ,,wichtigste Aufgäbe des laufenden Sie-
schen Staaten untencheidet. Was hat das dem ,,Front",,,Kampf ' und,,Stoßbrigade" auf . Die benjahrplans" bezeichnet. Hintereinander
. Volk gebracht? Welche Probleme beschäftigen Aufrechterhaltung von Arbeitsenthusiasmus in haben zwei ZK-Plenen der Partei der Arbeit
das Land heute? füedlichen Schlachten ist, wie man in der ausschließlich unterschiedliche Aspekte der
Das von zwei Kriegen verwüstete Land KD\IR meint, eine unverzichtbare Vorausset- Verbindung von Wissenschaft und Produktion
mußte bei Null anfangen. Hier sollten nicht nur zung für wirtschaftlichen Fortschritt. Damit die- behandelt. Im Mittelpunkt der Aufmerksam-
schon bestehende Bergwerke und Fabriken wie- keit stehen Elektronik, Automatisierung, Bio-
derhergeste-llt, sondern neue Wirtschaftsbran- technologie und die effektivere Nutzung von
chen erschlossen werden, die den internen Energiequellen.
Bedarf vollständig abdecken, konnten. Die Vordringlich wurde auch die ,,Verbesserung
damals von der Partei der Arbeit gestellte Auf- des Lebens des Volkes" auf die Tagesordnung
gabe, sich nur auf die eigenen Kräfte zu stützen, gesetzt. Konkret sei erforderlich, ,,das Problem
ist auch heute nicht von der Tagesordnung ver- der Ernährung, Bekleidung und Wohnraum-
schwunden. Die extensive Entwicklung machte versorgung zu lösen".
eine spürbare Steigerung des Produktionspo- In der KDVR denkt man immer häufiger dar-
tentials möglich: Heute kann die KDVR stolz über nach, wie die Ökonomie Anschluß an die
auf eine starke Bergbauindustrie, Metallurgie, Außenwelt finden könnte. Man will den Export
Elektroenergetik, Chemie und einen Maschi- erweitern, nicht nur jedoch von traditionellen
nenbau mit universeller Bandbreite verweisen. Rohstoffen, Schwarzmetallen, Mineralien,
Was die Pro-Kopf-Produktion von Stahl. Baumaterialien und Feuerfeststoffen, sondem
Tnment, Zerspanungsmaschinen und metrere auch von fertigen Industrieerzeugnissen wie
andere quantitative Kennziffern angeht, hat die Textilien, Maschinen und Ausrüstungen. Inter-
KDVR viele europäische sozialistische Länder nationale Marktpositionen zu erobem ist nicht
überholt. Die Besonderheit besteht allerdings leicht. Deswegen knüpft man hier gewisse Hoff-
darin, daß die gesamte technologische Kette von nungen an Gemeinschaftsbetriebe. Ein 1984
der Förderung des Rohstoffs bis zur Produktion verabschiedetes Gesetz bietet ausländischen
von'feftigeh Erzeugnissen im engen nationalen Unternehmern die Mögiichkeit, in die Wirt-
Rahmen zu einer Verringerung der Endproduk- schaft derKDVR zu investieren. Wegen unzu-
tion geführt, die Verbindung zum Weltmarkt reichender Informationen über die wirtschaftli-
geschwächt trnd ldtzten Endes zu einem niedri- chen Bedingungen des Landes und seiner Devi-
gen Konsumeffekt der Wirtschaft geführt hat. senverschuldung sowie eines gewissen Mißtrau-
Daftir sprechen auch die statistischen Angaben: ens fanden sich jedoch nicht allzu viele ausländi-
Bei einem im Verhiiltnis zu europäischen soziali- Bei einem Arbeitseinsatz in der Ortschaft sche Kapitalgeber. Sehr aktiv zeigten sich japa-
stischen Ländern 2- bis 3mal niedrigeren Natio- Chonsan nimmt der herzensgute Genosse nische Unternehmer koreanischer Abstam-
naleinkommen slehr die KDVR ihien in nichrs Kim Ghen ll seine leitende Position ein mung. Mit ihnen aufgezogene Gemeinschafts-
nach. sondern übertrifft sie bisweilen noch, was Foto und Bildtext aus d.er Zeißchrift ,,Korea" (KDVR) untemehmen spielen in der Wirtschaft der
den Anteil der Industrie am Nationaleinkom- ser Enthusiasmus nicht zum Erliegen kommt, KD\IR eine wichtige Rolle. Ihnen ist zu verdan-
menbetrifft , derbei 60% liegt, wobeiin derlndu- muß ständig die Erinnerung an den äußeren ken, daß innerhalb des zentralisierten, durch
striepiöduktion selbst etwa zwei Drittel auf die Feind, den Imperialismus, wachgehalten wer- Direktiven geleiteten wirtschaftlichen Systems
Schwerindustrie entfallen. den, der eine tödliche Bedrohung fi.ir das Volk praktisch ein neuer, nach Marktprinzipien funk-
Weil die Basis der Produktion von Konsum- darstellt. Unter Bedingungen der mit dieser tionierender Sektor entstanden ist. Zaghafte
gütem schwach ist. muß man. um die soziale Gefahr verbundenen Anspannung leuchtet es Schritte zu einer stärkeren Nutzung von Ware-
Gerechtigkeit zu wahren, auf eine gleichmache- ein, daß die Arbeitsanstrengungen nicht so sehr - Geld -Beziehungen lassen sich auch auf
rische und normierende Verteilung von Waren materiell als vielmehr moralisch stimuliert wer- anderen Gebieten beobachten: Märkte und
des Massenbedarfs zurückgreifen. Bislang ist es den müssen. Entsprechend muß bei der wirt- Kommissionsgeschäft e werden wieder aktiviert,
noch nicht gelungen, dem Ernährungsproblem schaftlichen Leitung ein starrer Zentralismus und es ist ein Netz von Devisengeschäften ein-
aus eigener Kraft endgültig beizukommen: herrschen, der Erinnerungen an den sowjeti- gerichtet worden, in denen Waren nicht verteilt,
Grundnahrungsmittel werden auf Lebensmit- schen ädministrativen Kommandostil aus der sondem verkauft werden. Tschollima, das
telkarten verteilt. Ursache daftir ist nicht etwa Zeit der Industrialisierung nahelegt. legendäre geflügelte Roß und Sy,rnbol der
der mangelnde Fleiß der koreanischen Bauem, Natürlich ist der heutige Entwicklungsstand KDVR, korrigiert also seinen Kurs. Es scheint,
denn in Jahrhunderten hat der Bewässerungs- der Produktion in der KDVR nicht mit dem der daß der Prozeß von Veränderungen im Bereich
anbau von Reis hier seine höchste Effektivitär kolonialen Vergangenheit zu vergleichen. der Produktionsleitung, bei Austausch und Ver-
erreicht. Es mangelt eher an landwirtschaftli- Allerdings setzt die technologische Revolution, teilung in Ubereinstimmung mit den Erforder-
cher Nutzfläche. Viehzucht hat hier überhaupt die in der Welt vor sich geht, und das stürmische nissen der Produktivkräfte des Landes in Gang
keine Tradition. Auf dem Tisch des Koreaners Wachstum eines neuen asiatischen Industriea- kommt.
sieht man kein Fleisch, sondern überwiegend lismus die qualitative Vervollkommnung auf die Georgi Toloraja
Meeresprodukte. Tagesordnung der Wirtschaftsenfwicklung in PJÖNGJANG-MOSKAU
,,1I E U E zEtr"4.e0tr
udssB
Die Preise steigen, die löhne sind iedoch ,,eingefroren't, lst ein Aul-
schvuung zu erwarlen?
@ ,,lt
aufgrund der geringen Renten, Ein- Man kann den Wunsch einiger Lei- Warenproduktion. sondern behindert ]
künfte und der unterentwickelten ter verstehen, alle Mißstände der Wirt- auch die Realisierung solcher Pro-
gramme wie den Erwerb von staatli-
1
Teil des Geldes für das Alter, den den Gruppenegoismus der Betriebe chen Wohnungen als persönliches I
,,schwarzen Tag", die Beerdigung zu schieben zu wollen. Wenn man sich das Eigen.tum. den Erwerb von Aktien,
den Übergang zu Pachtformen. die
I
sparen. Diesen Teil der Ersparnisse Problem jedoch genauer ansieht, wird
Erweiterung der kostenpflichtigen
I
kann man wohl kaum zu dem ,,heißen" man entdecken, daß die Wurzeln unse- I
Geld zählen, das einer der Inflations- rer Armut nicht in der Perestroika und Dienstleistungen für die Bevölkerung.
darunter die im medizinischen
I
Zweitens ist es unbegründet, zu die- sind. Der Kasernenhofsozialismus Bereich. Diese Programme sind I
sem ,,heißen" Geld die Spareinlagen zu wird praktisch immer von Armut jetzt nur auf die zugeschnitten. die
zählen, die durch das Fehlen von Ver- begleitet. Die wichtigste Bedingung überflüssiges Geld haben.
braucherkrediten verursacht sind, was für die Entwicklung der Produktion Die Feststellung der Tatsache. daß I
die Leute zwingt, erst eine bestimmte von Konsumgütern, die ausreichende ein bedeutender Teil der Bevölkerung I
Summe zusammenzusparen, ehe man und dynamische Kaufkraft der Bevöl- überaus geringe Einkünfte hat. ver- |
sich dann teure Waren kaufen kann. kerung, hat im Laufe vieler Jahrzehnte drängt nicht die Frage nach dem Bezug
nichterarbeiteten Geldes aus der ver-
I
Trotzdem ist bei der Ausarbeitung gefehlt. Daher die niedrigen Preise für |
von Maßnahmen gegen die Inflation die Konsumgüter. Doch auch die Ein- deckten Wirtschaft. In bezug auf die I
nicht die Auszählung des sich im künfte sind bei einem Großteil der verdeckten Einkommensquellen muß I
Umlauf befindlichen überflüssigen Bevölkerung niedrig. Deshalb waren unbedingt die äußerst wichtige Rolle
hervorgehoben werden. die der Kre-
I
Geldes das Wichtigste, umso mehr, als selbst bei solchen Preisen viele Waren I
daß man die Inflation nur nach dem für die Mehrzahl der Bevölkerung dit. genauer die Kreditfinanzierung
spielt. wenn die Kredjte nach Plan ver-
]
Viel wichtiger ist es, die Einkommens- waren ihrerseits nicht das Ergebnis des geben werden. um nicht selten Schlam- I
quellen und die Struktur der Bevölke- technischen Fortschritts, nicht des perei oder auch Diebstähle zu vertu- I
kennen. Hier kann man die Antworten bittlichen Ausbeutung von Arbeits- I
auf die Fragen nach den Inflationsquel- kräften, die man fast umsonst Krise. die Herausbildung eines zivili- |
len auf dem Verbrauchermarkt finden. hatte. sierten Marktes. der obiektiv erfor- |
Das erste, was bei einer solchen Die kleinste Belebung auf
dem dert: die Selbständigkeit der Betriebe
Arbeitsmarkt, die Befreiung der und
I
muß, ist, daß mindestens ein Drittel Arbeit, der Übergang zu Ware-Geld- wieviel produziert werden. bei wem
soll:
I
der Bevölkerung keine Ersparnisse Beziehungen und als Folge davon das man kaufen und wem verkaufen
Preisel Ablösung der
I
hat. Diese Menschen machen sich Vorhandensein von Geld unter der ausgewogene I
nicht über das Defizit Gedanken, son- Bevölkerung haben zu Preissteigerun- Kreditfinanzierung durch Kredite: i
dern darüber, wie sie einigermaßen gen geführt: 1961 für die Erzeugnisse Antimonopolgesetz. Die Schatten- |
über die Runden kommen von Lohn- der Landwirtschaft, vor allem tieri- seiten der Marktwirtschaft werden
nicht von den Marktgesetzen verur-
I
tag zu Lohntag. Wenn man die Kauf- scher Herkunft, 1967 für die Produk-
sacht. sondern dadurch, daß das
|
kraft nicht nur als Faktor, als Konsum- tionsmittel. Seit dem Ende der 50er
administrative System durch die Ver-
I
voraussetzung.sieht, sondern als Pro- Jahre läuft ständig entweder offen oder I
duktionsfaktor, kann man mit gutem in verdeckter Form der Prozeß der treibung des Marktes in die lllegali- |
Grund davon sprechen, daß für die Preiserhöhung. tät die Forderungen der Marktge-
ist die ignorierte.
|
Ausweg aus der Krise die Kaufkraft beharrlich bestrebt, eine Lohnstopp- Die Marktwirtschaft negiert nicht I
der meisten Käufer nicht ausreichend Politik durchzuziehen, was außeror- das zentrale Leitungssystem. sondern I
ist. Dieser Teil der Bevölkerung, der dentlich gefährliche Folgen haben setzt es voraus. Dieses System muß I
geringe und mittlere Einkommen hat, kann. Außer der bei dem niedrigen sich aber grundsätzlich von dem gegen- |
befürchtet am meisten selbst die aller- Verdienst nur natürlichen Uninteres- wärtig existierenden unterscheiden: I
kleinste Preiserhöhung, die in vielen siertheit an der Arbeit der Beschäf- Erstens müssen die Funktionen des I
Fällen objektiv unumgänglich ist. tigten und der Ineffektivität des Ein- Zentrums definiert und ausgefeilt wer- |
Diese Menschen treten aktiv gegen die satzes neuer Maschinen (die Arbeits- den: zweitens müssen unbedingt spe- |
Genossenschaftler auf , weniger wegen kraft ist ja so billig) nehmen der zielle Methoden der Einwirkung des I
der unbefriedigenden Qualität der Schattenmarkt der Arbeitskräfte und Zentrums auf die Betriebe gefunden
und
i
Waren und Dienstleistungen als viel- die Schatteneinkünfte immer größere werden, die direkte Befehle I
mehr wegen der hohen Preise. Diese Ausmaße an. Anweisungen auf ein Minimum rcdu- |
Käufer sind auch gegen die von den Die llnzufriedenheit der Menschen zieren (Empfehlungen usw.): drittens ]
Betrieben festgelegten Preisauf- mit der Höhe des Lohns, die Unmög- muß wirklich die Unvermeidlichkeit I
schläge. Der Versuch, den Konflikt lichkeit aufgrund der Verbote, auf ehr- der Verantwortung des Zentrums für
zwischen den Erzeugern und den Ver- liche Weise viel Geld zu verdienen, alle seine Entscheidungen garantiert, ]
brauchern zu lösen, indem man die stoßen die Menschen oft in die Schat- d. h. das rvichtigste Prinzip. die Gol-
Preise oder die Löhne einfriert, scheint tenwirtschaft oder sogar in Verbre- dene Regel jedes Systems - die adä-
unbegründei und ist zum Scheitern chergruppen. Der niedrige Lohn quate Rückkopplung. realisiert wer-
verurteilt. bremst nicht nur die Steigerung der den. l
,,IIEUE zEll"
RECHTSSIAAI
Geöffnete Türen
Freizügigkeit im gemeinsamen Haus Europa
mente auszuarbeiten und zu vereinbaren.
Sie alle betreffen die Regeln der Gültigkeit
des Vertrags. Besonders schwierig sind
Probleme del einheitlichen Kriterien in der
Igor Chalewinski, Visapolitik. darunter in bezug auf die
keinem Widerspruch zueinander stehen Transitpassagiere aus Drittländern, die
erster stellvertretender Leiter der Konsularver-
dürfen. Zoll- und Steuerregeln und Fragen des
waltung des Außenministeriums der UdSSR Informationsaustausches. In den Nieder-
Inzwischen stehen die Aufgaben für die
nächste Zukunft schon fest: Abstimmung landen z. B. wird der Verkauf von Marihu-
der Einreise- und Ausreiseregelung in den ana und Haschisch nicht bestraft, in ande-
as Experiment mit dem visa- Teilnehmerländern, Formulierung einheit- ren Ländern ist er verboten. Die Teilneh-
freien Verkehr begann im Nor- licher Gesetze über Rauschgiftmittel, Waf- mer des Vertrags von Schengen haben
den von Westeuropa. Im Juli fen und Sprengstoffe; Erweiterung des natürlich ihre spezifischen Beziehungen zu
1954 trat ein Abkommen zwi- Informations- und Datenaustausches zwi- anderen Ländern, darunter auch bilaterale
schen Schweden, Dänemark, schen Zoll und Polizei zur besseren Abkommen über visafreie Reisen. So hat
Island, Norwegen und Finnland über die Bekämpfung der Kriminalität, des die BRD eine solche Regelung mit Öster-
Abschaffung der Paßkontrolle an den Gren- Schmuggels, des gesetzwidrigen Kapital- reich und Dänemark. In Frankreich dage-
zen in Kraft. transfers, der illegalen Einreise bzw. des gen gilt ietzt eine viel striktere Einreisere-
Aufgrund dieses Abkommens können die illegalen Aufenthalts ; Y erzicht auf zahlrei- gelung, besonders für die Bürger der Staa-
Signatarstaaten nur Menschen die Einreise che Kontrollmaßnahmen beim Gütertrans- ten. die nicht zur EC gehören.
verweigern, die keinen gültigen Paß bzw. port und vereinfachtes Verfahren zur DennoOh gaben am 13. November 1989
kein anderes güItiges Dokument bei sich Erteilung der Erlaubnis, die Grenze zu fünf Länder ihre Absicht bekannt, eine
haben, denen die Einreiseerlaubnis oder überqueren. Es gibt einen Paragraphen Konvention über das Inkrafttreten des
Arbeitszulassung fehlen, die ferner keine über die nur visuellle (pausenlose) Kon- Vertrags von Schengen zu unterzeichnen.
ausreichenden Mittel für den Aufenthalt in trolle der individuellen Verkehrsmittel, die Das hätte schon am 15. Dezember getan
einem dieser Staaten haben; ferner Vorbe- die gemeinsamen Grenzen mit vernünfti- werden sollen. Die Unterzeichnung würde
strafte oder Personbn, gegen die der Ver- ger Geschwindigkeit zu passieren haben. die Abschaffung der Grenzkontrolle an
dacht besteht, daß sie Sabotage, Spionage Selbstverständlich ist eine Stichprobekon- den Grenzen zwischen betreffenden Län-
o. ä. beabsichtigen. Nicht einreisen dürfen trolle zugelassen. dern und ihre Verlegung an ihre äußeren
schließlich Personen aus Listen, in denen aus An langfristigen Maßnahmen ist folgen- Grenzen bis 1990 bedeuten. Das hätte,
einem der genannten Staaten ausgewiesene des vorgesehen: Abschaffung der Kon- schrieb die französische ,,Liberation", ein
Ausländer aufgeführt werden. trolle beim Uberqueren der gemeinsamen ,,Prüffeld" des Europa von 1993 werden
Ubrigens haben die Teilnehmerstaaten Grenzen, Regelung des Zusammenwirkens sollen. Der entsprechende Wortlaut des
das Recht, an den zwischen ihnen verlaufen- von Polizisten, das Suchen nach den Mit- Vertrags, insgesamt 137 Altikel, war fer-
den Grenzen eine stichweise Paßkontrolle teln zur Bekämpfung des organisierten tig, aber ztrUnterzetchnung kam es nicht.
durch- und in einigen Fällen sie überhaupt Verbrechens usw. Im Grunde forderte man die Parlamente
einzuführen. Zur Lösung von Fragen aus Es geht also darurn, bis zu 300 Doku- lediglich auf, das Abkommen zu bestätigen
dem Bereich der gemeinsamen
Paßkontrolle in den Nordländern
s'urde eine Kommission für
Zusammenarbeit (Nordkommis-
sion für Angelegenheiten von Aus-
ländem) eingesetzt.
Das nächste europäische Expe-
riment war das Abkommen von
1960 über die allgemeine Ein-
reise- und Ausreiseregelung in
den Benelux-Ländern (Belgien,
Niederlande und Luxemburg). In
Weiterentwicklung dieses
Abkommens wurde am 14. Juni
1985 in Schengen (Luxemburg)
ein Vertrag unterzeichnet, an
dem sich neben den Benelux-Län-
Cern äuch die BRD und Frank-
reich beteiligen. Der Vertrag
sollte die Freizügigkeit aller Bür-
ser der Teilnehmerländer inner-
halb des betreffenden Territo-
riums gewährleisten, die Kon-
trolle über den Grenzverkehr
.bschaffen und den Austausch
'' on Waren und Dienstleistungen
.:rleichtern. Die Prinzipien sind
:rrrr isorisch in Klaft. Zu sciner
r:llen Gültigkeit muß eite ganze
Reihe von Gesetzen verabschiedet
*erJen, die den Verfassungsarti-
e1n der Teilnehmerländer ent-
,^,%-
: rr3ihen müssen und zugleich in Zeic hnLrng : W ladimir N e nas chew
der visafrei reisen. Diese Regelung wirkt geboten, Leben uind Alttag einer sowjetisch-en
auch in den Beziehungen zwischen anderen Fam il kCh ni Cnzu le rn€i ;
ie
westeuropäischen Staaten. Das abschlie-
ßende Stadium war der Einschluß von Län- Die Genossenschaft ist an der Bilduno I '
dern wie z. B. Zypern in diese visafreie VönGemeinSchaftSunternehmeniimB"ereich'..
Familie in Westeuropa. Einige Besonder-
heiten gibt es in den Einreise- und Ausreise-
des internationalen Tourismus interessiert, , ,
Hauptsache führen sie den visafreien Ver- lhr:e lnteressen bei der Vermarktung vCIn ErTss,gnissen und
kehr ein, aber während z. B. ein US-Bürger Dienstleistun$en in derSowjetunion, organisiert Werbüng ;nFernsehen,
nach Finnland für eine Dauer bis zu drei Rundfunk und Pre$se
Monaten visafrei einreist, darf ein Finne
(bzw. ein Belgier) in die USA nur mit einem ,Anggbote sind za richte-n an: l
H:T::1trffi::tffi:xi3,T.1';ffi
gend informiert. Es war somit ein Gespräch unter
;:#;wwffilfr ffi ffi:trff ätrJ::::H:_:::ä,"
Sachkundigen. normen, nicht garantierte Rechte sind für viele
Der Staidpunkt der einen, übrigens nicht rein Wie Gesetzesakte be] uns bezeichnend. Sehen wir uns
AUf die Ffage,
amerikanischän, sondern gemischten Seite lautete, nurdieWohngesetzgebungan,auf diewirseinerzeit
MeistefWeike def
nichtsüberflüssigesenthalten. Dererste ztsatzztr Bitdhauerei .
das Gesetz solle äußerst karg gehalten sein und
i?",'i:t'.J#1t-"räff ff:"i':^?Ht*Tfti:;
Verfassung der LiSA verkündete die Freiheit insbe- geSChaffen wefden, Geschichte und Kultur, oder unsere Gesundheitsge-
sondere dis Wortes. Das war schon das ganze SOll ein gfOßef Mei- setzgebung. Als Deklarationen sind sie vortrefflich.
Gesetz. Es gab keinerlei Einschränkungen, die in Stef def Vefgangen- Nirgendwo in ,,der anderen" Welt ist das Recht auf
diesen Zusatz aufgenommen worden wären. ,,Wir Wohnraum gesetzgeberisch fixiert' Bei uns ist es
heit geantwOiet
haben kein pressegesetz. Das macht nichts, damit
könnenwirreben... habei: ,,Man nimmt $ll;Xij.ji1].1;;Hti.;"ä1äH$"*H:ffi1"f
Der andere Standpunkt, den ich unterstützte: Wie einen GeSteinSbfOk- tch ist. Die Wohngesetzgebung garantiert noch lange
ihr das in den USA macht, ist eure Sache. Wir dage- ken, meißelt alleS nicht ihre Realisierung. Im Exekutivkomitee hat man
gen brauchen unbedingt ein Pressegesetz, in dem ÜbefftüSSige Weg gesagl: ,.Es gibt keine Wohnungen", und es gibt nie-
alle Kleinigkeiten festgeschrieben sind. Sie werden manden' bei dem man Beschwerde einlegen könnte'
Und efhält ein VOttäf -
schon nicht überflüssig sein. Man muß dem bürokra-
rischen System direkt und eindeutig vorschreiben,
detes Kunstwerk.; l;'"*mn|i:?äSt ä:ä'JääfffJ"Xäl,#:l'
waseseinemJournalistenverweigeindarfundwas Überflüssiges, Deklaratives und nicht durch
Schwelle
nicht, sonst *'ird er gar nicht erst über die Rechtsgarantien Abgesichertes findet sich in unse-
einer Behörde gelassen. ,,Was nicht verboten ist, ist ren Gesetzen, das Grundgesetz eingeschlossen,
automatisch erlaubt": Für einen Bürokraten ist das Schall und allzuviel. Das untergräbt den Glauben an die Rechtsverbindlich-
Rauch. Das Gesetz soll beispielsweise direkt vorschreiben: Mit keit. Vor einiger Zeit trat beispielsweise das ,Gesetz über die
einem Redaktionsausweis ist der ZugangntBehörden, ausgenom- Gerichtsbarkeit in Kraft. Darin ist klar festgelegt, daß ein Bürger,
men sind nur genau bezeichnete Einrichtungen, zwangsläufig zu der einer Straftat verdächtigt wird, das Recht hat, vom Zeit-
gewähren. Dann gibt es immerhin die Hoffnung, daß man hinein- punkt seiner Verhaftung an einen Rechtsanwalt in Anspruch zu
gelassen wird. Wir verwiesen auf internationale Erfahrungen. In nehmen. Wie soll das aber in der Praxis aussehen? Es gibt nicht
- Parla-
England zum Beispiel sind Sicherheitsgurte durch ein vom genug Rechtsanwälte, das Geld, sie zu bezahlen, ist nicht da,
ment verabschiedetes Gesetz vorgeschrieben. ,,Kleinliche" Rege- und es gibt kein System für ständige Bereitschaft. Hätte man das
lungen? alles im Gesetz selbst berücksichtigen sollen? Ich glaube nicht.
Natürlich fanden die Seiten keinen Konsens. Er hätte auch kei- Man hätte nur gemeinsam mit dem Gesetz eine entsprechende
nen besonderen Sinn gehabt. (Jnsere rein private Diskussion ist Durchführungsbestimmung verabschieden müssen. Anderen-
dagegen, wie mir scheint, Ausdruck des Gesetzgebungsprozesses, fall,s läuft man Gefahr, eine humane und zivilisierte Rechtsnorm
der im Obersten Sowjet, seinen Ausschüssen und Unterausschüs- zu kompromittieren. Ich denke, das administrative Kommando-
sen,solebhaftundwidersprüchlichverläuft. system hat solche Gesetze ganz bewußt hervorgebracht. Es
Übrigens ist dies nicht nur ein Leiden unserer noch nicht ganz wußte im voraus, daß es alle deklarierten Rechte in der }Iand
flügge gewordenen Gesetzgeber. Es ist vielmehr die Dialektik des hatte. Es konnte sie gewähren, es konnte sie beschneiden, sie
Gesetzesansich.AufdereinenSeitesolleseinebestimmteSphäre selektiv bewilligen oder ganz einfrieren. Dem Bürger blieb'.
des Lebens maximal reglementieren, um der Willkür der Exeku- nichts anderes übrig, als zu bitten, Beschwerdebriefe zu schrei-
tive keine Hintertür offen zu lassen. Andererseits ist es unmöglich, ben oder Bestechungsgelder zu zahlen.
alles bis ins kleinste vorzuschreiben. Für uns ist dieser natürliche Inzwischen werden Gesetze von unseren erstmals gewählten
Widerspruch besonders schmerzhaft, weil wir genau wissen, wie Volksdeputierten formuliert. Auf ihren Schultern liegt jetzt ein
routiniertdasamtlicheKommandosystemoderdezentraleBehör- g.ewaltiges Stück Arbeit. Es ist schwer, hier den Ral zu geben:
deneinGesetzverfälschenkönnen. Überstürzt nichts, überarbeitet den Entwurf noch einmal und
IchhattedieEhre,indemTeamzuarbeiten,welchesdasGesetz meßt lieber siebenmal ab, wenn das Leben die unverzügliche
über die Genossenschaften in der Abschlußphase ausgearbeitet Verabschiedung des nächsten Gesetzes erforderlich macht. Doch
hat. Damals kam die Frage auf: Müssen die Genossenschaften auch der berühmte Artikel Lenins wurde nicht in einer besonders
unbedingt jemandem zugeordnet sein, oder können sie selbständig ruhigen Situation geschrieben. Er hieß: ,,Lieber weniger, aber bes-
auftreten, nachdem sie ihre Satzung im Exekutivkomitee des ser."
jeweiligen Sowjets haben registrieren lassen? Im Entwurf ist das
nicht genau festgelegt worden. ,,Wenn also nicht gesagt wird, daß J. FeOfAnOW
g ,,1{ E u E z E I r" 4.90
ll A ll Il S "G :1'X'; F I E t l8 R E .t'll'{'ll''ll I G tl T
Präsentation: Dr. jur. habil. Boris Tschitscherin gilt als missar Sowjetrußlands für aus-
VaIeTiSORJKIN Nestor des russischen Libera- wärtige Angelegenheiten. Boris
P0uTt$GllE
n ieAufoabedesdenken- lismus des 20. Jahrhunderts. Tschitscherin dagegen, der
GEBAIIKEI{ OES
I I o"n Täils von Rußlands Mit seinen Büchern wuchsen nicht einmal die erste russische
l-lGesellschaft ,,besteht viele glänzende Vertreter der Revolution erlebte, hatte den
darin, sich im voraus auf eine
bessere Ordnung der Dinge
vorzubereiten. Man muß sich
liberalen lntelligenz Rußlands
auf: Nikolai Berdjajew, Jewgeni
Trubezkoi, Pawel Nowgorod-
Sozialismus nicht akzeptiert.
Er lehnte ihn in jenen Formen
ab, die der russische Sozialis-
mus im 19.
20,
über die wirkliche Sachlage zew, lwan lljin u. a. Leider Jahrhundert JAHRHUl{DERT$
klarwerden, muß wissen, was wurde der Liberalismus, dieser annahm: mit seinem Nihilis-
man zu wünschen uhd worauf lebendige, breite und vielge- mus, seiner Orientierung auf
man sich zuzubewegen hat." sichtige Strom der russischen Gewalt und den Aufforderun-
Das sind Worte des hervona- Freiheitsbewegung, der für all- gen, ,,zur Axt zu greifen". Der
genden russischen Philoso- gemeinmenschliche und Extremismus indes sei, meinte mungen in der Freiheitsbewe-
phen und Staatswissenschaft- humanitäre Werte besonders Tschitscherin, dazu angetan, gung fühfte zur lsolierung des
lers Boris Nikolajewitsch empfänglich war, von einer noch so hochsinnige Absichten Liberalismus, der zwischen
Tschitscherin. anderen Strömung, der soziali- und noch so edle Ziele Reaktion und extremem Nihi-
Die nachstehenden Auszüge stischen, getrennt. zugrunde zu richten, und führe lismus eingequetscht war. Das
aus seinem Buch ,,Rußland am Das Geschlecht der Tschi- unvermeidlich nur zur Ablö- Schicksal des Liberalismus
Vorabend des 20. Jahrhun- tscherin reicht in Rußland auf sung der einen Form derTyran- und des russischen Sozialis-
derts" haben wir so ausge- Afanassi Tschitscherin zurück, nei durch eine andere. mus zu Beginn unseres Jahr-
wählt, daß sie einen geschlos- der in die Rus im Gefolge der Boris Tschitscherin sah Ruß- hunderts läßt an Kain und Abel
senen und innerlich zusam- byzantinischen Kaiserstochter lands Zukunft als Ablösung iler denken. Letzten Endes ging
menhängenden Text bilden, Sophia Paläolog, der Frau Alleinherrschaft und des ab- Rußland nicht den Weg, den
der in komprimierter Form die lwans lll., kam, und einer Fami- solutistisch-bürokratischen Boris Tschitscherin, seine
Grundidee des ganzen Werks liensage nach stammt die Systems durch eine verfas- Gesinnungsfreunde und Nach-
darstellt. Dynastie von Cicero ab. Es sungsmäßige, auf dem Vorrang folger bahnten, sondern einen
Übrigens wurde das Buch in kam so, daß in diesem uralten des Rechts und auf garantier- -
anderen und fand auf ihm
Rußland kein einziges Mal ver- Geschlecht Vertreter beider ten Bürgerrechten beruhende weder Freiheit noch Wohlerge-
öffentlicht. Dagegen erschien Strömungen waren, die Ordnung. lhm schwebte ein hen. Heute, kurz vor Beginn
es zu Lebzeiten des Autors schließlich einander antagoni- friedlicher, Gewalt und Blutver- des 21. Jahrhunderts, stehen
Anfang unseres Jahrhunderts stisch gegenüberstanden. gießen ausschließender Über- wir wieder vor Aufgaben, die
mehrmals in Berlin, und zwar Boris Tschitscherins Neffe gang dazu vor. einst die besten Geister Ruß-
unter dem Pseudonym ,,Russi- Georgi wurde Sozialdemokrat, Der tragische Bruch zwi- lands, darunter Boris Tschi-
scher Patriot". Bolschewik, später Volkskom- schen verschiedenen Strö- tscherin, formulierten.
as 19. Jahrhundert war ein Wen- Einklang brachte und eine neue, auf der Bür-
depunkt in der russischen gerfreiheit aufbauende Ordnung der Dinge
Geschichte... Große Umwäl- fest untermauerte. Ein in höchstem Maße
zungen folgten aufeinander und schwieriges Werk wurde friedlich und richtig,
brachten dem russischen Land durch einträchtiges Handeln der Regierung
eine neue Einrichtung. Vor allem mußte das und der besten gesellschaftlichen Kräfte voll-
Leibeigenenrecht abgeschafft werden. Das bracht. Aber das war erst der Anfang. Auf
war eine längst gereifte und ihrer Lösung har- ihn folgte eine ganze Reihe von Wandlungen,
rende Frage. Während die Abschaffung der die auf dem Boden der Bürgerfreiheit eine
Sklaverei in den Vereinigten Staaten von neue gesellschaftliche Ordnung schufen. Wie
schrecklichen Bruderkriegen begleitet und auf den Wink eines Zauberstabs erschien ein
um den Preis der Ströme von Blut gekauft Gericht mit allen Garantien, die die
wurde, vollzog sie sich in Rußland durch Gesetzgeber der gebildeten Völker Euro-
einen wohldurchdachten und vernünftig pas ausgearbeitet hatten, mit der Unab-
ausgeführten Legislativakt, der die egenseiti- setzbarkeit der Richter, mit der Öffentlich-
gen Interessen der Stände miteinander in keit, der Transparenz und dem Schöffenge-
"ll E ll E zEtr"4,mtr
oben verfangen hat. Die Wurzel des einen und des anderen liegt wenn sie nach all den Umgestaltungen, die sie im Lande voll-
in der bürokratischen Leitung, die, von niemandem behindert, brachte, auch sich selbst umgestaltet. Sie hat die allgemeine Fre!
alle unabhängigen Kräfte unterdrückt und durch immer größere heit eingeführt und der Gesellschaft auf die Beine geholfen, jetzt
Machtkonzentration in ihrer Hand das ganze russische Leben muß sie sich selbst beschränken und so ihr Werk vollenden. Das
demoralisiert. Das ist unser altes Ubel, doch schien es, daß wir ist ihre wirkliche Aufgabe. Nur auf diese Weise kann sie ihre zer-
einen Ausweg daraus gefunden haben. Die überaus große setzende Umgebung durchbrechen; nur auf diesem Weg kann in
Bedeutung der Reformen Alexanders II. bestand eben darin, Rußland die gesetzliche Ordnung eingeführt und die uns überall
daß sie dem russischen Staat das für ihn neue Fundament von niederdrückende Willkür gezähmt werden.
Freiheit und Recht gaben und den öffentlichen Kräften auf die Besteht die Hoffnung, daß eine solche Umgestaltung in mehr
Beine halfen. Diese Umgestaltungen erstreckten sich jedoch oder minder n aher Zukunft zustande kommt? Man muß zugeben,
nicht auf alle Seiten des staatlichen Lebens. Früher oder später daß diese Wahrscheinlichkeit gering ist.
mußte sich der Widerspruch zwischen alt und neu auswirken: Zu glauben, ein Monarch würde seine Macht aus eigenem
Entweder mußte die Bürokratie die unabhängigen gesellschaft- Antrieb, von seiner Großmut dazu bewogen, einschränken,
lichen Kräfte unterdrücken, oder diese letzteret mußten die bedeutet, die menschliche Natur nicht zu kennen. Gewiß, er mag
Methoden und Gewohnheiten der bürokratischen Verwaltung die ganze Schwere seiner Bürde empfinden, aber die Anzie-
verändern. Die nihilistische Bewegung spielte der Bürokratie in hungsmagie der Macht ist dermaßen groß, daß sie allein alle
die Hände, und sie nutzte das aus, um die gesellschaftlichen unvorteilhaften Seiten der Macht aufwiegen kann. Hinzu kommt
Kräfte niederzuschlagen und der Einfluß der Umgebung,
die von der Reform ins Leben von Menschen, deren persönt-
gerufenen Institutionen nr Es ist unmöglich, die Bürokratie nt che Interessen durch und durch
unterwandern. Es ist klar, daß mit der Aufrechterhaltung die-
man zur normalen Ordnung beschränken, wenn man jene Macht ser Macht verbunden sind, weil
nur über die Einschränkung unangetastet läßt, der die Bürokratie als sie in deren Schatten ihre
der bürokratischen Willkür Werkzeug dient und die noch häufiger der ' eigennützigen Ziele erreichen.
kommt. Einen sehenswerten Vorwand
Es ist jedoch unmöglich, die Bürokratie ein Werkzeug ist:
die für die Aufrechterhaltung der
Bi-irrokratie zu beschränken, uneingeschränkte Macht des Monarchen. Macht findet sich immer: das
wenn man jene Macht unange- Volksempfinden, eine histori-
tastet läßt, der die Bürokratie sche Mission, der angebliche
als Werkzeug dient und die Nutzen des Vaterlandes, ein
noch häufiger der Bürokratie möglicher Zerfall des Staates,
ein Werkzeug ist: die uneingeschränkte Macht des Monarchen. kurzum, all jene Merkmale, die bemüht werden, wenn eine
Solange diese besteht, wird die grenzenlose Willkür auf dem Gip- Einschränkung der Willkür verhindert werden soll...
fel immer eine ebensolche Willkür in den untergeordneten Berei-
Bei uns kann eine von außen kommende Katastrophe den
chen bewirken. Die gesetzliche Ordnung kann nie dort gefestigt
Prozeß des gesellschaftlichen Selbstbewußtseins beschleuni-
werden, wo alles von einem persönlichen Willen abhängt und wo
-
jede mit Macht ausgestattete Person sich unter Vorschützen der
gen. Sie kann völlig überraschend passieren. Die heutige
gespannte Lage in Europa liefert genügend Anlässe zrZlusam-
allerhöchsten Weisung über das Gesetz stellen kann... Gegen
eine iolche Auffassung werden zweifelsohne alle theoretischen menstößen. Die Großmächte stehen, schwer bewaffnet, einan-
und praktischen Verehrer der Selbstherrschaft ein Geheul erhe- der gegenüber und bauen ihre Heere fortwährend aus, so daß
ben, da sie in ihr etwas sehen, was unzertrennlich mit dem Leben jeder Funke einen Brand auslösen kann...
des russischen Volks selbst zusammengewachsen sei... Von all
diesen Ausführungen läßt sich herzlich wenig in Betracht ziehen.
Das kriecherische Gerede von einer mystischen Verschmelzung It ußland muß seinen Volksgeist wachrütteln, das aber ist nur
votZar und Volk, die angeblich nur bei uns existiert, sonst nir- F[ U.i einer völligen Umkreäpelung der gesamten Innenpoli-
gends, obwohl die Geschichte der westeuropäischen Länder tik möglich. Das russische Volk kann zu einem neuen Leben auf-
gerufen werden, wenn sich darin die Prinzipien von Freiheit und
höchst lehrreiche Beispiele dafür liefert, sollten offiziellen Gruß-
Recht durchgesetzt haben. Die uneingeschränkte Macht, diese
adressen, Beamtenberichten und Zeitungsartikeln bestimmter
Quelle jeder Willkür, muß einer auf dem Gesetz fußenden verfas-
Art überlassen werden. Ernsthaft läßt sich diese Frage nur vom
sungsmäßigen Ordnung den Platz abtreten... Wird das Wissen um
politischen Standpunkt aus betrachten.
diese hohe Berufung in Rußland erwachen? Die Zukunft wird zei-
Es ist politisch absurd, sich einzubilden, für ein leibeigenes gen, ob dieses Wissen sich aus einer richtigen inneren Entwicklung
\iolk eigne sich die gleiche Regierungsform wie für eine soziale ergibt oder aber um den Preis der Ströme von Blut und des Unter-
Lebensweise... Solange der ganze unterste Stand in Sklaverei gangs vieler Generationen erkauft wird. Vielleicht wird auch bei
lebt, kann es keinep anderen Staat geben als den Staat der Aristo- uns ein Staatsmann hervortreten, der die Aufgaben der Zeit
kratie oder der Monarchie in Reinkultur. Dieweil aber die Leib- tregreift und Rußland auf den ihm von der Geschichte zugedach-
:igenschaft unten beseitigt ist, muß sie auch oben beseitigt wer- ten Weg zu bringen vermag. Auf jeden Fall ist es unmöglich, bei
len. Dann wird sich das Volksleben vor anderen Aufgaben sehen der heutigen kurzsichtigen Despotie zu bleiben. die alle Volks-
und die Freiheit ihr Recht fordern. Bedenkt man, daß ein einziger kräfte lähmt. Damit Rußland vorwärtsmarschieren kann. ist es
\\-i11e einer gar nicht darauf vorbereiteten Person, eines Men- notwendig, daß die Macht der Willkür durch eine Macht abgelöst
.chen bisweilen ohne besondere Fähigkeiten (sie sind immer eine wird, die vom Gesetz begrenzt und von unabhängigen Instituten
.{usnahme) und ohne die gebührende Erfahrung in den staatli- umzäunt ist. Die Bürgerfreiheit muß durch politische Freiheit
.-hen Angelegenheiten, nach eigenem Gütdünken Millionen untermauert und gefestigt werden. F'rüher oder später, aufdiesem
\{enschen mit all den sich aus der flreiheit ergebenden, unendlich oder anderem Wege wird das vollzogen werden, auf jeden Fall
k omplizierten Beziehungen lenken rnuß, stellt man sich die ganze kommt das mit Notwendigkeit, weil das von der Notwendigkeit
L-rr ernunft dieser Zustände erst richtig vorr-Die Selbstherrschaft diktiert wird. Die Macht der Ereignisse wird unausweichlich zu
j:r russischen Zarcnist jelzl ein Schauplatz persönlicher Interes- diesem Ausgang bringen. Das eben ist die Aufgabe des 20. Jahr-
.en der niedrigsten Art. Sie kann diese Lage nur überwinden, hunderts.
keit großangelegte Projekte in jiziert werden kann, hat der das,,Phantastik-Theater" die
Angriff nehmen wie z. B die Regisseur eine völlig ausgefal- Traditionen des Planetariums
Einführung der Strichkodie- lene Dekoration geschaffen. der 30er Jahre weiterführt, als
rung in den Moskauer Das Theater hat keine stän- hier originelle Veranstaltungen
Geschäften. Sie wird efiehiv in dige Truppe, alle in den Stük- mit der Verwendung optischer
vielen Ländern eingeseüt und ken beschäftigten Schauspie- EffeKe stattfanden.
ergibt eine verblüfiende Zeit- ler sind jedoch Profis. Norma-
ernsparung für den Käufer. lenrueise stehen sie bei Sergej
Der Fonds kann pine Gold- unter Vefirag.
grube für kleine und bislang ,,Unser Theater ist flexibel",
unrentable Betriebe werden, ezählt Sergej Skripkin. ,,Wir
die in der Lage sind, seine Auf- können auf jeder beliebigen
träge operativ zu erledigen. Bühne mit einem Minimum an -
Also alles, was das Exekutiv- Dekoration auftreten. Für die
komitee des Moskauer Stadt- ,,Maskierung" haben wir über-
sowjets nicht realisieren haupt keine Bühne gebraucht,
--
; l,':srauer, die die Dränge- konnte, entweder aufgrund ist der Regisseur des unlängst sie wurde durch den Zuschau-
e - :?r Geschäften, die Luft- der schwerfälligen StruKur beim Moskauer Planetarium ersaal des Planetariums
, ::::nuuung, die verurahr- und wegen fehlender Mittel gegründeten ,,Phantastik- ersetzt. "
,:::er Hö{e und Straßen satt oder weil man nicht wollte, will Theaters". Einige Probeinsze- Zum Repertoire des ,,Phan-
-::.1. warten schon seit Jah- der Fonds nun anpacken. nierungen des Theaters waren tastik-Theaters" gehört auch
-i- oaraut, daß sich ein Alexander sieht in seiner 0rga- ein Reinfall, das Stück ,,Mas- die dramatische Komposition
r,':^sch odereine 0rganisation nisation natürlich kein Allheil- kierung" nach Ezählungen ,,Universum des Nikolai
'-:;: die ihrLeben erleichtern mittel für Moskau, ist aber des amerikanischen Schrift- Rerich", eine lnszenierung
.-L^r iilun wurde in der Haupt- übezeugt, daß der Fonds stellers Henry Catner brachte unter der Kuppel des Planeta- Wenn jemand von den
!::: ein Fonds der wissen- einige größere dringliche Pro- dann aber den Erfolg. Unter riums nach Motiven der Werke Lesern der NZ vor zwei Jah-
::-:rirch-technischen Ent- bleme lösen kann. Ausnu[ung der technisch- von Rerich mit der Demonstra- ren zuiällig sein Porträt von
r, r.i:.,ing V00 Moskau gegrün- E optischen Möglichkeiten des tion von Dias und von der Musik einem der Künstler in Bitzy
:::. Alexander Jafiowlew Planetariums, womit der Ster- Rachmaninows untermalt. oder im lsmailowo-Park für
* - ide sein Direktor. Der 3Ojährige $erucl Slfü0ldn nenhimmel auf die Kuppel pro- Sergej ist der Meinung, daß 50 Kopeken anstatt der übli-
'iach Abschluß der chemi- chen 1 0 -1 5 Rubel hat malen
::^er Fakultät der Moskauer lassen, werfen Sie es nicht
- : ronossow-Universität
weg. Sein Autor istder inzwi-
:':eitete er eine Zeitlang in schen anerkannte Avantgar
:rem Forschungsinstitut. dist Michail Smor-
l:in wechselte er in das tschewsld.
i iekutivkomitee des Mos- Stolz darauf, seinen ari-
.:.ler Stadtsowjets über, wo stokratischen Stammbaum
:: die Venvaltung für die Aus- bis zum Jahr 1416 zurück-
a.beitung und Finanzierung verfolgen zu können, wuchs
, on komplexen wissenschaft- Smortschewski in einem
:n-technischen Zielprogram- Kinderheim auf. Dieses
-en leilete. befand sich gerade gegen-
Unsere Aufgabe besteht
. über des Surikow-lnstituts,
:arin, dje Hauptstadt besser, und Michail gewöhnte sich
r:lberer und schöner zu daran, dort vorbeizu-
-achen' , sagt der 4Ojährige schauen. Später wechselte
lref der neuen gesellschaftli- er die Arbeitsstellen (die
::en 0rganisation, die auf letzte als Feuerwehrmann
^ iiative des Mossowjets und mit einem Gehalt von 80
::s Staatskomitees der Rubel), die Liebe zur Kunst
,:SSR für Wissenschaft und aber blieb.
-::hnik gegründet wurde. Wegen der Darstellung
, : irangige Tätigkeitsrichtun- von radikalen politischen
,,
I r" 4.ell E
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steller, führender Journalisten, ferner Interviews, Überblicke, Korrespondenzen, Reportagen uncl Glossen.
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